Soziale Netzwerke
Konzepte und Forschungsmethoden
0307
2016
978-3-8385-4563-9
UTB
Jan Arendt Fuhse
Das Buch führt einfach und verständlich in die sozialwissenschaftliche Netzwerkforschung ein. Es liefert einen umfassenden Überblick über ihren aktuellen Stand und führt in einfachen Schritten und gut verständlich in das praktische Arbeiten ein. Dabei werden Empfehlungen für die Wahl von Methoden und Hinweise für die theoretische Interpretation gegeben, sowie vor häufigen Fehlern und Problemen gewarnt. Knappe Definitionen, Literaturempfehlungen und ein Glossar erleichtern die Orientierung im unübersichtlichen Dickicht der Netzwerke.
Zunächst beleuchtet der Band die grundlegende Herangehensweise der Netzwerkforschung und deren Anfänge in Soziologie, Psychologie und Ethnologie. Anschließend werden in vier Kapiteln die wichtigsten Verfahren der formalen Netzwerkanalyse vorgestellt. Dabei wird mit praktischen Anleitungen am empirischen Beispiel das Arbeiten mit der Netzwerkanalyse-Software UCINET geübt.
Die folgenden Kapitel geben Überblick über weitere Methoden und über deren Nutzen für die Netzwerkforschung: Die Small World-Forschung mit Netzwerksimulationen, die statistischen Analysen ego-zentrierter Netzwerke und die Verwendung qualitativer Methoden. Für die Reflexion und Systematisierung werden einerseits die wichtigsten Theorien sozialer Netzwerke und andererseits kleinteilige Netzwerkmechanismen präsentiert.
Für fortgeschrittene Studierende der Sozialwissenschaften im Bachelor oder im Master und an Doktoranden zu Beginn ihrer Dissertationsprojekte.
<?page no="1"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 2 PD Dr. Jan Arendt Fuhse ist als Heisenberg-Stipendiat am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt Universität zu Berlin tätig. In seiner Forschung beleuchtet er das Zusammenspiel von sozialen Netzwerken, Sinnformen und Kommunikationsprozessen, sowie die Rolle unterschiedlicher Methoden in der Netzwerkforschung. Seit 2014 ist er Sprecher der Sektion für Soziologische Netzwerkforschung in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. <?page no="2"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 2 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 3 Jan Arendt Fuhse Soziale Netzwerke Konzepte und Forschungsmethoden UVK Verlagsgesellschaft mbH · Konstanz mit UVK/ Lucius · München <?page no="3"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 4 Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www.utb-shop.de. Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über-<http: / / dnb.ddb.de> abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz und München 2016 Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Einbandmotiv: © hobbitfoot-- Fotolia.com Druck und Bindung: Pustet, Regensburg UVK Verlagsgesellschaft mbH Schützenstr. 24 · D-78462 Konstanz Tel.: 07531-9053-0 · Fax 07531-9053-98 www.uvk.de UTB-Band Nr. 4563 ISBN 978-3-8252-4563-4 (Print) ISBN 978-3-8463-4563-4 (EPUB) <?page no="4"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 4 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 5 Für Paula und Wilmar <?page no="5"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 6 <?page no="6"?> 7 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 6 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 7 Inhalt Vorwort 11 1. Einleitung: Zur Logik der Netzwerkforschung 13 1.1 Netzwerkforschung 14 1.2 Anmerkungen zu Literatur 21 2. Vorgeschichte: von-Beziehungen-zum Netzwerk 23 2.1 Formale Soziologie 23 2.2 Symbolischer Interaktionismus 25 2.3 Die Figurationssoziologie von Norbert Elias 25 2.4 Soziometrie 26 2.5 Von der Gestaltpsychologie zur Balance-Theorie 28 2.6 Der Human Relations-Ansatz 30 2.7 Frühe Gemeindestudien und Surveys 33 2.8 Britische Sozialanthropologie 35 2.9 Résumé 37 3. Graphen und Matrizen 41 3.1 Graphen und Matrizen 41 3.2 Software für formale Netzwerkanalyse 47 3.3 Zur Messung von Netzwerken 49 3.4 Dichte und Reziprozität 54 3.5 Résumé 56 4. Zentralität und strukturelle Löcher 59 4.1 Zentralität 59 4.2 Schwache Beziehungen und-strukturelle-Löcher 65 4.3 Résumé 67 5. Triaden und Cliquen 69 5.1 Triaden 69 5.2 Cliquen 74 5.3 Résumé 78 6. Blockmodellanalyse 81 6.1 Grundlegendes Vorgehen 81 6.2 Strukturelle Äquivalenz 84 <?page no="7"?> 8 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 8 6.3 Das Verfahren der Blockmodellanalyse 85 6.4 Theoretische Interpretation 94 6.5 Résumé 96 7. Simulationen und Small World-Netzwerke 99 7.1 In sechs Schritten um die Welt 99 7.2 Die Small World-Netzwerke bei Duncan Watts 100 7.3 Power Law und skalenfreie Netzwerke 103 7.4 Kritik 105 7.5 Simulationen 107 7.6 Exponential Random Graph Models 110 7.7 Résumé 114 8. Ego-zentrierte Netzwerke 117 8.1 Namens-Generatoren 118 8.2 Namens-Interpreter 122 8.3 Statistische Auswertungen 126 8.4 Probleme der Erhebung 129 8.5 Schneeball-Befragung 131 8.6 Soziale Isolation in Amerika 132 8.7 Résumé und empirische Befunde 135 9. Qualitative Methoden 139 9.1 Exploration 139 9.2 Verstehen 141 9.3 Teilnehmende Beobachtung 143 9.4 Qualitative Interviews 146 9.5 Dokumenten- und Konversationsanalyse 151 9.6 Résumé 155 10. Netzwerkmechanismen 159 10.1 Drei Typen von Mechanismen 159 10.2 Netzwerkbildung 161 10.3 Netzwerkstrukturierung 167 10.4 Netzwerkeffekte 171 10.5 Überblick und Methoden 174 11. Theorien sozialer Netzwerke 179 11.1 Handlungstheorie 180 11.2 Sozialkapital 183 11.3 Relationale Soziologie: Netzwerke mit Sinn 187 <?page no="8"?> 9 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 8 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 9 11.4 Systemtheorie 191 11.5 Akteur-Netzwerk-Theorie 193 11.6 Résumé 194 12. Schluss 197 12.1 Allgemeiner Ansatz 197 12.2 Hinweise zum Forschungsdesign 198 Literatur 203 Glossar 215 Abbildungs- und Tabellenverzeichnis 221 Index 222 <?page no="9"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 10 <?page no="10"?> 11 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 10 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 11 Vorwort Das vorliegende Lehrbuch ist aus einem Studienbrief für die TU Kaiserslautern entstanden. Ich danke Jochen Mayerl für den Vorschlag, sowie ihm, Christian Vogel und Norina Wolf für die dortige Betreuung. Sonja Rothländer von der UVK Verlagsgesellschaft Konstanz hat die Buchpublikation unterstützt und betreut und mit Marina Essig das Buch lektoriert. Lena May und Oscar Stuhler haben das gesamte Manuskript gelesen und kommentiert. Ihre Ausdauer und ihre ehrliche Kritik haben das Buch deutlich verbessert. Bei einzelnen konkreten Fragen haben Sanne Smith und Andreas Herz geholfen. Ganz abgesehen von den vielen Menschen, die bis heute ihr Wissen über Netzwerke mit mir geteilt haben und auf diese Weise für mich etwas Licht ins Dunkel brachten. Ihnen allen gilt mein herzlicher Dank! Zu den stark anwendungsbezogenen Kapiteln 3 bis 6 des Buchs habe ich einige Übungsaufgaben mit Musterlösungen erstellt. Um Platz zu sparen, finden Sie die Musterlösungen online unter folgendem Link: http: / / www.utb-shop.de/ 9783825245634 Zudem sind zentrale Begriffe in einem Glossar am Ende des Buches erläutert. Diese Begriffe sind im Text mit einem Pfeil ➔ gekennzeichnet. In der Zeit der Entstehung dieses Buchs zeigte sich mir das Wunder des Lebens von zwei Seiten. Dieses Buch ist Paula gewidmet, die gerade viel lernt, und Wilmar, von dem ich so viel gelernt habe. <?page no="11"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 12 <?page no="12"?> 13 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 12 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 13 1. Einleitung: Zur Logik der Netzwerkforschung Wer über die soziale Welt nachdenkt oder redet, kommt heute wohl kaum noch um »Netzwerke« herum. Früher ordnete man Menschen in »Klassen« oder in »Schichten« ein. Die Gesellschaft war bei Marx und Engels wie auch bei neueren Konflikttheoretikern (Dahrendorf, Collins) als Widerstreit von Gruppen um Rang und Ressourcen angelegt. Ab den 1950er-Jahren sprach alle Welt von »Systemen«. Parsons und Luhmann sahen die Gesellschaft als weitgehend harmonisches Arrangement von Systemen wie der Wirtschaft, der Politik oder der Wissenschaft. Habermas setzte »System« und »Lebenswelt« gegenüber. Seit den 1980er-Jahren kam es zum Siegeszug des rational handelnden Akteurs (Becker, Coleman, Esser). Individuen sollten ihr »Humankapital« und auch ihr ➔ »Sozialkapital« maximieren, und Feuilletons und Buchläden boten hierfür Ratgeber an. Langsam aber sicher nehmen mittlerweile die »Netzwerke« überhand. Hierfür einige Belege: (1) Wir müssen inzwischen »netzwerken« und unser Sozialkapital optimieren. Über Netzwerke finden wir Jobs und erhalten wichtige Informationen; mit Beziehungen zu wichtigen Persönlichkeiten kann man Eindruck schinden. (2) Interaktiv auf den Kontakt zwischen Benutzern ausgerichtete »Social Networking Sites« wie Xing, Academia oder Facebook werden zu unverzichtbaren Foren für Selbstdarstellung und Kommunikation. (3) Wir leben in einer ➔ »Small World«, in der angeblich jede mit jedem über höchstens sechs Zwischenschritte in persönlichen Beziehungen verbunden ist. Diese »Six Degrees of Separation« sind zum Gegenstand von Bestsellern, einem Broadway-Theaterstück und Party-Gesprächen geworden. (4) Eine Reihe von prominenten Autoren (wie Castells und Wellman) sprechen von einer »Netzwerkgesellschaft«. Für sie sind inzwischen Netzwerke und nicht mehr Klassen oder Systeme die dominante soziale Struktur der Gegenwart (oder zumindest der Zukunft). Wir werden in diesem Buch den Begriff des Sozialkapitals und die Small World-Netzwerke diskutieren. Social Networking Sites berühren wir nur am Rande, weil sie nur einen sehr kleinen Ausschnitt aus der Welt sozialer Netz- <?page no="13"?> 14 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 14 werke bilden. Und ob wir inzwischen oder bald in einer Netzwerkgesellschaft leben, ist empirisch schwer zu beantworten. 1.1 Netzwerkforschung Der Fokus des vorliegenden Buchs liegt auf der empirisch orientierten Netzwerkforschung in den Sozialwissenschaften. Deren Aufstieg in den letzten 60 Jahren hat wohl den Siegeszug der Netzwerkmetapher im öffentlichen Diskurs mitgetragen. Sie will aber eigentlich etwas anderes: Ihr geht es um die empirische Untersuchung von sozialen Strukturen mit Blick auf die Beziehungsgeflechte zwischen den beteiligten Akteuren. 1 Eine beeindruckende Reihe von Studien zeigt in ganz unterschiedlichen sozialen Bereichen Effekte von sozialen Netzwerken: • Oft werden Arbeitsstellen über ganz bestimmte soziale Beziehungen (»weak ties«) gefunden (Granovetter 1973: 1371ff ). • Auch innerhalb von Unternehmen fördern bestimmte Positionen in persönlichen Netzwerken den beruflichen Aufstieg (Burt 1992: 115ff ). • Soziale Beziehungsnetze bestimmen den Wechsel von Regimes-- etwa von der Republik zur Herrschaft der Medici im Florenz der Renaissance (Padgett/ Ansell 1993). • Für den Erfolg sozialer Bewegungen braucht es soziale Netzwerke zur Rekrutierung von Aktiven (McAdam 1988; Opp/ Gern 1993) wie auch zur Bildung von Koalitionen zwischen unterschiedlichen Bewegungsorganisationen (Osa 2003; Baldassari/ Diani 2007). Die Liste ließe sich lang fortsetzen. Netzwerke spielen offensichtlich auf unterschiedlichen Ebenen-- zwischen Individuen, aber auch zwischen Organisationen-- und in ganz verschiedenen Phänomenen eine wichtige Rolle. Diese empirisch nachgewiesenen Effekte sind ein Beleg für die wichtige Rolle von Netzwerken im Sozialen. Hinzu kommt, dass es uns sehr leicht fällt, in Netzwerken zu denken. Wir alle können uns intuitiv etwas unter einem Netzwerk von Sozialbeziehungen etwa in einer Schulklasse oder in einem Unternehmen vorstellen. 1 Ich bemühe mich in diesem Buch um eine geschlechtssensible Sprache. Um sperriges »Gendern« zu vermeiden, schreibe ich oft in generischen Feminina- - ich hoffe, männliche Leser fühlen sich auch mit »Leserin« und »Forscherin« angesprochen. In Beispielen wechsle ich ohne weitere Erklärung zwischen männlichen und weiblichen Bezeichnungen. Der zentrale Begriff des Akteurs bleibt allerdings in diesem Buch männlich und »er«. Genau wie »die Person«/ »sie« und »das Individuum«/ »es« verweist er auf weibliche, männliche oder auch queere Identitäten. <?page no="14"?> 15 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 14 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 15 Empirische Befunde und intuitive Zugänglichkeit sind die großen Pluspunkte des Netzwerkbegriffs. Um beide ist seit den 1950er-Jahren eine reichhaltige und interdisziplinäre Forschungstradition entstanden. Erste systematische Verwendung fand das Netzwerkkonzept in der britischen Sozialanthropologie. Schnell wurden in der Soziologie und in der Mathematik Verfahren für die formale Analyse von Beziehungsmustern entwickelt. Diese wurden u. a. in der Politikwissenschaft, in der Pädagogik, der Ökonomie und der Geschichtswissenschaft aufgenommen. In den letzten Jahren wendet sich sogar die Physik der Modellierung sozialer Netzwerke zu. (a) Was ist ein Netzwerk? Was aber genau ist ein soziales Netzwerk? Rein formal-mathematisch besteht ein ➔ Netzwerk aus Knoten und aus Verbindungen (»Kanten«) zwischen ihnen. Im hypothetischen Beispielnetzwerk in Abbildung 1 sind die Knoten a bis p in 24 Verbindungen miteinander verknüpft. Angewandt auf soziale Netzwerke bedeutet das: Akteure sind die Knoten, und die Verbindungen zwischen ihnen stehen für Sozialbeziehungen. Dabei bleibt zunächst offen, um was für Akteure oder Sozialbeziehungen es geht. (1) Soziale ➔ Beziehungen können ungerichtet oder symmetrisch sein (wie im Beispielnetzwerk). Dies erwarten wir etwa für Freundschaften, Liebesbeziehungen oder auch für Konflikte. Daneben gibt es verschiedene, oft asymmetrisch angelegte Beziehungsarten wie Zuneigung, Loyalität oder Abb. 1: Hypothetisches Beispielnetzwerk Quelle: Eigene Darstellung a b c d e f g h i j k l m n o p <?page no="15"?> 16 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 16 Machtbalancen. Allgemein bestehen Sozialbeziehungen aus beobachtbaren Regelmäßigkeiten der Interaktion zwischen Akteuren. Diesen Regelmäßigkeiten liegen meist entsprechende Erwartungen zugrunde (Fuhse 2009a: 52ff ). (2) ➔ Akteure sind oft Individuen. Aber auch Organisationen oder Staaten können als Knoten in sozialen Netzwerken auftreten. Wie im allgemeinen Sprachgebrauch geht es um soziale Einheiten, denen wir Handeln zurechnen und bei denen wir erwarten, dass sie sich gegenüber anderen sozialen Einheiten unterschiedlich verhalten. So beobachten wir derzeit zwischen den Staaten Deutschland und Frankreich eine bessere Beziehung als zwischen Deutschland und China. Definition: Ein soziales Netzwerk steht für das Muster an Sozialbeziehungen zwischen einer Menge von Akteuren. Sozialbeziehungen bezeichnen beobachtbare Regelmäßigkeiten der Interaktion zwischen Akteuren und entsprechende Verhaltenserwartungen. (b) Forschungslogik und Abgrenzungen In der praktischen Forschung bedeutet das: Soziale Phänomene werden mit Blick auf das Muster von Sozialbeziehungen untersucht. Andere Aspekte wie die Verteilung von Attributen und Ressourcen, Kultur und Normen sind dabei nicht völlig unwichtig. Aber sie werden gegenüber den Beziehungsnetzen als zweitrangig betrachtet oder auch als Effekte derselben. Insbesondere das individuelle Verhalten erscheint als Folge der Position im Netzwerk-- und nicht als direkt bestimmt durch kategoriale Zugehörigkeiten (Geschlecht, ethnische Herkunft), durch individuelle Attribute (Alter, Bildung, Einkommen) oder durch Gruppenkultur und Normen (Ideologie, erwartete Verhaltensweisen, formale Rollen). Teilweise werden diese anderen Aspekte sozialer Phänomene mit Blick auf Zusammenhänge zu sozialen Netzwerken untersucht. Gesucht wird dann nach den Ursachen oder nach den Folgen bestimmter Netzwerkpositionen. Immer aber bleiben Netzwerke zentraler Erklärungsfaktor sozialer Phänomene. Drei Abgrenzungen sind dabei besonders wichtig: (1) Erstens misstraut die Netzwerkforschung grundsätzlich den Selbstbeschreibungen von sozialen Strukturen. Oft sehen die Beteiligten ihr soziales Umfeld als aufgeteilt in soziale Schichten oder Klassen (wie etwa in dem Artikel von J. A. Barnes über ein norwegisches Fischerdorf, in dem er das erste Mal das Netzwerkkonzept vorstellt; Barnes 1954; siehe 2.8). Ein <?page no="16"?> 17 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 16 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 17 Blick auf die sozialen Netzwerke zeigt meist keine Trennung nach Schicht oder Klasse, sondern primär lokal basierte Beziehungen (wie bei Barnes oder auch bei Gould 1995). Mustafa Emirbayer und John Goodwin sprechen von einem »anti-kategorischen Imperativ« der Netzwerkforschung (1994: 1414): Den verfügbaren Kategorien zur Selbstbeschreibung sozialer Strukturen wird misstraut und möglichst unvoreingenommen und empirisch nach Strukturprinzipien in Netzwerken gesucht. (2) Zweitens grenzt sich die Netzwerkforschung deutlich von der statistisch orientierten Umfrageforschung ab (Wellman 1983: 165). Diese wird oft einfach als »empirische Sozialforschung« bezeichnet und teilweise verächtlich als »Variablensoziologie« tituliert. In Umfragen werden typischerweise mindestens 1.000 Individuen mit standardisierten Fragebögen nach Attributen wie Geschlecht, Alter, ethnischer Herkunft, Beruf und Bildungsstand oder auch nach Einstellungen und Präferenzen (z. B. zur Wahlentscheidung) befragt. Das Ergebnis ist eine Datenmatrix von Individuen mit verschiedenen Ausprägungen von Attributen, Einstellungen und Präferenzen. Diese Ausprägungen werden dann mit statistischen Verfahren auf systematische Zusammenhänge untersucht. Zum Beispiel: Inwiefern hat das Geschlecht einen Einfluss auf das Einkommen oder auf die Wahlentscheidung? Die Netzwerkforschung kritisiert an dieser Vorgehensweise zwei Punkte: Zum einen seien soziale Strukturen nicht auf prinzipiell isolierte Individuen (mit unterschiedlichen Merkmalsausprägungen) reduzierbar. Zum anderen liefere die Analyse von Zusammenhängen zwischen Merkmalsausprägungen ein irreführendes Bild des Sozialen: Selbst wenn statistisch ein Zusammenhang zwischen Geschlecht und Einkommen nachgewiesen wird, blieben die dahinter liegenden ➔ Mechanismen unklar-- weil das Soziale eben nicht aus isolierten Merkmalsträgern besteht, sondern aus dem Austausch zwischen ihnen. Die Netzwerkforschung erhebt den Anspruch, Netzwerke als reale soziale Strukturen zu untersuchen. Dem gegenüber liefern Verteilungen von Merkmalen in einer Population nur indirekte Anhaltspunkte, so der Vorwurf. Natürlich reduziert auch die Netzwerkforschung das Soziale auf bestimmte Aspekte- - nämlich auf die sozialen Beziehungsnetze. Der Anspruch der Netzwerkforschung ist aber, damit näher an der sozialen Realität zu liegen als mit der Reduktion auf isolierte Individuen in der klassischen empirischen Sozialforschung. In gewisser Weise ist dieses Argument eine Variante des anti-kategorischen Imperativs. Denn man geht eben nicht davon aus, dass die in Umfragen abgefragten Kategorien die entscheidenden oder prägenden Strukturen des Sozialen abbilden-- sondern setzt auf die Untersuchung tatsächlicher Austauschbeziehungen. <?page no="17"?> 18 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 18 (3) Drittens formuliert die Netzwerkforschung eine deutliche Absage an rein theoretisches Arbeiten. Solches finden wir etwa in den Systemtheorien von Talcott Parsons und Niklas Luhmann, aber auch in der Kritischen Theorie und in anderen Gesellschaftsdiagnosen. Im Gegensatz dazu will die Netzwerkforschung Aussagen prinzipiell empirisch unterfüttern. Auch die eingangs formulierte These einer sich formierenden »Netzwerkgesellschaft« gehört zu solchen nicht überprüfbaren Aussagen und liegt der empirisch orientierten Netzwerkforschung fern. Mit dem Verzicht auf alles nicht empirie-fähige kann sie prinzipiell keine Aussagen über gesellschaftliche Strukturen oder über langfristige Entwicklungen treffen- - außer man könnte sie untersuchen wie zum Beispiel die Struktur und Entwicklung von internationalen Beziehungen (Maoz 2010). Damit betreibt die Netzwerkforschung die empirische Untersuchung von sozialen Strukturen auf der Meso-Ebene hinsichtlich der Muster sozialer Beziehungen. Diese liegen zwischen der Mikro-Ebene von Interaktionssituationen und der Makro-Ebene gesellschaftlicher Teilbereiche und Institutionen. Die Vorgehensweise ist prinzipiell strukturalistisch, weil die Strukturebene als zentral betrachtet wird. Der gesellschaftliche Kontext bleibt dabei genauso ausgeblendet (oder zumindest: nachgeordnet) wie die Verteilung individueller Attribute oder kulturelle Selbstverständnisse. (c) Vier Forschungsstränge und Überblick über-das-Buch Innerhalb des so umrissenen Grundansatzes können wir soziale Netzwerke unterschiedlich betrachten. Je nach eingenommener Perspektive werden unterschiedliche Methoden zur Untersuchung benutzt. Dadurch werden verschiedene Aspekte von Netzwerken sichtbar. Grob lassen sich vier Herangehensweisen und Stränge in der Netzwerkforschung unterscheiden (Fuhse/ Mützel 2011): (1) Im Mittelpunkt steht die formale Analyse von Vollnetzwerken. Dafür braucht man Informationen über alle Sozialbeziehungen zwischen allen Akteuren in einem relativ abgegrenzten Kontext-- etwa zwischen Schülern in einer Klasse oder den Mitarbeitern eines kleinen Unternehmens. Die Akteure können dann mit Blick auf ihre Zentralität oder ihre Rolle im Netzwerk miteinander verglichen werden. Oder man kann Aussagen über die Struktur des Gesamtnetzwerks treffen-- etwa über die Dichte der Beziehungen oder über systematische Rollenbeziehungen. Im vorliegenden Buch beschäftigen sich die Kapitel 3 bis 7 mit unterschiedlichen Verfahren und Ansätze dieser ➔ formalen Netzwerkanalyse. <?page no="18"?> 19 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 18 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 19 (2) Auch die statistische Analyse ➔ ego-zentrierter Netzwerke ist schon lang etabliert und anerkannt. Dabei werden meist zufällig ausgewählte Personen nach wichtigen sozialen Beziehungen gefragt. Aus den Antworten lässt sich etwa ablesen, ob die Befragten weitgehend Familie, Freunde und Bekannte mit ähnlichen Attributen (soziale Herkunft, Geschlecht, Alter, Bildung usw.) als Bezugspersonen nennen, wie viele Bezugspersonen sie nennen, und ob sich viele der Bezugspersonen untereinander kennen. Die Eigenschaften persönlicher Netzwerke werden dann mit statistischen Verfahren auf Zusammenhänge mit anderen individuellen Variablen untersucht. Damit lassen sich etwa folgende Fragen analysieren: Inwieweit pflegen Mitglieder ethnischer Gruppen vor allem Kontakte untereinander? Haben Frauen dichtere Beziehungsnetze? Werden Menschen im Alter sozial isoliert? Um die Erhebung und die Untersuchung ego-zentrierter Netzwerke geht es in Kapitel 8. (3) In den letzten Jahren werden verstärkt auch qualitative Methoden zur Untersuchung sozialer Netzwerken verwendet (Hollstein/ Straus 2006; Crossley 2010; Bellotti 2015). Dabei geht es vor allem entweder um die Exploration von Netzwerkkontexten, die für quantitative Studien schwer zugänglich sind, oder um das Verstehen von Sinngehalten in Netzwerken: Welche Bedeutungen haben Beziehungen und Netzwerke für die Beteiligten? Wie werden diese in der Kommunikation ausgehandelt? Und sind unterschiedliche Stile oder Orientierungen an bestimmte Positionen im Netzwerk gebunden? Kapitel 9 behandelt die qualitative Untersuchung von sozialen Netzwerken. (4) Auch die theoretische Reflexion blieb lange relativ randständig in der Netzwerkforschung. Seit etwa 1990 behandelt jedoch eine Reihe von Publikationen Fragen wie: Was sind soziale Netzwerke genau, und wie verändern sie sich? Warum zeigen sie die vielfältigen, empirisch beobachtbaren Effekte (White 1992; Crossley 2011; Fuhse 2015a)? Um diese theoretische Reflexion und Unterfütterung der Netzwerkforschung geht es in Kapitel 11. In diesen Bereich gehören auch schon die konzeptionellen Überlegungen zu Sozialbeziehungen aus der formalen Soziologie von Georg Simmel und Leopold von Wiese und der Figurationssoziologie von Norbert Elias (Kapitel 2). Diese vier Forschungsstränge sind immer wieder miteinander verwoben, etwa im Sozialkapitalkonzept (siehe 11.2) oder in der Identifikation von wieder kehrenden Netzwerkmechanismen (Kapitel 10). Es ist sinnvoll, das Phänomen Netzwerke von mehreren Seiten (mit unterschiedlichen Methoden) zu betrachten. Auch gehören empirische Forschung und theoretische Reflexion zusammen. <?page no="19"?> 20 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 20 Das Buch gliedert sich wie folgt: • Im zweiten Kapitel werden die Vorläufer der Netzwerkforschung beleuchtet. Dabei stehen die konzeptionelle Entwicklung in der formalen Soziologie, der britischen Sozialanthropologie und anderen Ansätzen im Vordergrund. Zusätzlich erläutere ich die Entwicklung von grundlegenden Ideen wie der Balance-Theorie und den Soziogrammen (2). • Anschließend stelle ich Graphen und Matrizen als Basis der Netzwerkanalyse vor, sowie die in den Kapiteln 3 bis 6 verwendete Software UCI- NET. Daneben diskutiere ich kurz die Messung von Netzwerken und erste Maßzahlen mit der Dichte und der Reziprozität von Netzwerken (3). • Das vierte Kapitel wendet sich der Untersuchung von individuellen Positionen im Netzwerk zu. Im Mittelpunkt stehen verschiedene Maße für Zentralität. Daneben werden die Stärke schwacher Beziehungen bzw. Brücken über strukturelle Löcher diskutiert (4). • Es folgt die Untersuchung von lokalen Strukturen in Netzwerken. Können wir dicht vernetzte Subgruppen (Cliquen) identifizieren? Und welche Grundkonstellationen von je drei Akteuren (Triaden) dominieren (5)? • Das sechste Kapitel stellt die Blockmodellanalyse als ein Verfahren für die Untersuchung der Gesamtstruktur von Netzwerken vor. Diese gruppiert Akteure induktiv zu Kategorien mit ähnlichen Rollenbeziehungen (6). Die Kapitel 3 bis 6 stellen die jeweiligen Verfahren anhand einer Beispielstudie vor-- den Freundschafts- und Ratsuchebeziehungen in einem kalifornischen IT-Unternehmen (Krackhardt 1992; 1999). Die Analyseschritte und Ergebnisse werden in UCINET durchgeführt und hierfür knappe Anleitungen gegeben. In diesen Kapiteln formuliere ich auch kurze Übungsaufgaben, um sich mit dem Programm und den Analysen vertraut zu machen. Die restlichen Kapitel liefern eher Überblicke über die jeweilige Forschung: • Das siebte Kapitel behandelt neuere Entwicklungen: zum einen die Forschung zu sogenannten Small World-Netzwerken, also zur universalen Erreichbarkeit aller Individuen in wenigen Schritten; zum anderen die Verfahren der Netzwerksimulation und die damit verwandten Exponential Random Graph Models (7). • Anschließend geht es um die Untersuchung ego-zentrierter Netzwerke in standardisierten Befragungen. Hier stelle ich die wichtigsten Verfahren zur Erhebung und statistischen Analyse von wichtigen Sozialbeziehungen vor und diskutiere einige Ergebnisse aus der Forschung (8). • Das neunte Kapitel gibt einen Überblick über qualitative Methoden in der Netzwerkforschung-- über die mit ihnen verfolgten Erkenntnisinteressen, sowie über die wichtigsten Verfahren: teilnehmende Beobachtung, <?page no="20"?> 21 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 20 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 21 qualitative Interviews (mit Netzwerkkarten) und Dokumenten- und Konversationsanalyse (9). • Das zehnte Kapitel dreht sich um Netzwerkmechanismen. Dabei geht es um relativ kleinteilige und empirisch gut nachgewiesene Zusammenhänge der Netzwerkbildung, der Netzwerkstrukturierung und der Netzwerkeffekte (10). • Schließlich stelle ich die wichtigsten Theorien sozialer Netzwerke vor. Hier sind zunächst eine handlungstheoretische Modellierung und das Konzept des Sozialkapitals zu nennen. Es folgen die relationale Soziologie um Harrison White, die Systemtheorie und die Akteur-Netzwerk-Theorie (11). • Im Schluss skizziere ich den allgemeinen Ansatz der Netzwerkforschung und biete einige Hinweise zum Forschungsdesign an. Am Ende des Buchs, nach dem Literaturverzeichnis, liefert ein Glossar eine Übersicht über die wichtigsten Begriffe zum schnellen Nachschlagen. 1.2 Anmerkungen zu Literatur Es gibt bereits eine Reihe von Einführungsbüchern zu sozialen Netzwerken-- auch im deutschen Sprachraum. Diese decken jedoch zumeist nicht die volle Bandbreite der Netzwerkforschung ab. Dorothea Jansen konzentriert sich auf die formale Netzwerkanalyse mit einigen Betrachtungen zu ego-zentrierten Netzwerken und zu Handlungstheorie und Sozialkapital (2003). Auch das Buch von Mark Trappmann, Hans Hummell und Wolfgang Sodeur behandelt vor allem die formale Netzwerkanalyse und liefert insbesondere Anleitungen für eigenständige Auswertungen (2011). Dies ist auch der Fokus der meisten englischsprachigen Lehrbücher (de Nooy et al. 2011; Hennig et al. 2012; Kadushin 2012; Prell 2012; Borgatti et al. 2013). Boris Holzer führt kurz in die formale Netzwerkanalyse ein und wendet sich dann der theoretischen Unterfütterung zu (2006). Um diese geht es auch in einer Einführung in die Theorie sozialer Netzwerke von Harrison White (Schmitt/ Fuhse 2015). Ein von Betina Hollstein und Florian Straus herausgegebene Band behandelt die qualitative Untersuchung von Netzwerken (2006). Und ein neuer Band von Markus Gamper und Andreas Herz widmet sich der Untersuchung ego-zentrierter Netzwerke (2016). Die genannten Publikationen behandeln ihr Schwerpunktthema differenzierter als das vorliegende Buch. Mir geht es eher um einen Überblick über die verschiedenen Ansätze. Was unterscheidet sie, und inwiefern gehören sie trotzdem zusammen als Stränge der Netzwerkforschung in den Sozialwissenschaften? Welche Methoden bieten sich konkret an, um welche Forschungs- <?page no="21"?> 22 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 22 fragen zu beantworten? Am Schluss komme ich auf diese ganz zentrale Frage des Forschungsdesigns in der Untersuchung sozialer Netzwerke zurück. Leseempfehlungen: Holzer, Boris 2006: Netzwerke, Bielefeld: transcript. Jansen, Dorothea 2003: Einführung in die Netzwerkanalyse, Wiesbaden 2003. Kadushin, Charles 2012: Understanding Social Networks, Oxford: Oxford University Press. Scott, John 2000: Social Network Analysis; Second Edition, London: Sage. Stegbauer, Christian/ Roger Häußling (Hg.) 2010: Handbuch Netzwerkforschung, Wiesbaden: VS. Trezzini, Bruno 1998: »Konzepte und Methoden der sozialwissenschaftlichen Netzwerkanalyse: Eine aktuelle Übersicht« Zeitschrift für Soziologie 27, 378-394. (online verfügbar unter: http: / / zfs-online.org/ index.php/ zfs/ article/ view/ 2984/ 2521) Wellman, Barry 1983: »Network Analysis: Some Basic Principles« Sociological Theory 1, 155-200. <?page no="22"?> 23 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 22 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 23 2. Vorgeschichte: von-Beziehungen-zum Netzwerk Seit mindestens 200 Jahren werden Menschen als eingebettet in soziale Strukturen und Relationen gedacht. In diesem Kapitel stelle ich die wichtigsten frühen Ansätze vor, aus denen sich die heutige Netzwerkforschung entwickelt hat: Den Ausgangspunkt bildet die formale Soziologie von Georg Simmel (2.1). Deren Anregungen wurden vom symbolischen Interaktionismus (2.2), von Norbert Elias in seiner Figurationssoziologie (2.3), wohl auch in der Soziometrie von Jacob Moreno (2.4), in der Gestaltpsychologie (2.5), im Human Relations-Ansatz (2.6) und in frühen Gemeindestudien und Surveys (2.7) weiter entwickelt. Relativ unabhängig davon hat die Sozialanthropologie einen eigenen Netzwerkbegriff entwickelt (2.8). Diese Ansätze werden hier knapp mit einigen wichtigen Grundgedanken vorgestellt. 2 2.1 Formale Soziologie Den Startpunkt für die Entwicklung der Netzwerkforschung bilden um 1900 die konzeptionellen Formulierungen in der formalen Soziologie in Deutschland, insbesondere bei Georg Simmel. Georg Simmel (1858-1918) gehört zur Gründergeneration der Soziologie. Wie viele Autoren seiner Zeit versuchte Simmel die theoretischen Grundlagen für die Soziologie als eigenständige Wissenschaft zu konzipieren. Dabei setzte er nicht wie Emile Durkheim auf die Gesellschaft als integrierter Einheit oder wie Max Weber auf das handelnde Individuum als Grundbaustein. Vielmehr stehen bei Simmel soziale Konstellationen im Mittelpunkt. Sein Konzept der »sozialen Form« und seine Einsichten in die Eigenlogik von Konstellationen bilden Ausgangspunkte für die heutige Netzwerkforschung. Grundlegend für die Netzwerkforschung wurde Simmels Gegenüberstellung von Form und Inhalt im Sozialen ([1908] 1992: 17ff ). Als Inhalt bezeichnet 2 Eine ausführlichere Betrachtung der Entwicklung der Netzwerkforschung-- auch mit einer Betrachtung der frühen Wurzeln- - findet sich bei Linton Freeman (2004). <?page no="23"?> 24 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 24 er individuelle Triebe, Interessen und Neigungen. Diese führen dazu, dass Menschen in Kontakt miteinander treten- - sie bestimmen aber nicht, was dann passiert. Denn dann kommt es zu »Wechselwirkungen« zwischen den Beteiligten, und diese Wechselwirkungen führen zur Ausbildung sozialer Konstellationen des Füreinander, Miteinander oder Gegeneinander. Diese soziale Konstellationen bilden die Form- - oder genauer: die Formen- - des Sozialen. Sie stehen für Verfestigungen der Wechselwirkungen und bestimmen viele soziale Phänomene. Simmel zufolge geht es in der Soziologie genau darum, diese »Formen der Wechselwirkung […] in gedanklicher Ablösung von den Inhalten« zu betrachten ([1908] 1992: 20. Eine formale Soziologie untersucht also soziale Konstellationen und blendet dabei individuelle Neigungen und Interessen tendenziell aus. Genau das will auch die Netzwerkforschung: Soziale Konstellationen werden formal (erst einmal ungeachtet individueller Eigenschaften und Motive) analysiert mit Blick etwa auf strukturelle Vorteile oder Nachteile für Inhaber bestimmter Positionen in Netzwerken. Bei Simmel finden sich auf dieser Grundlage eine Reihe von relevanten Überlegungen für die Netzwerkforschung (Hollstein 2001: 60ff; Fischer 2010): • Das genuin Soziale fängt eigentlich erst ab einer Konstellation mit drei Personen- - einer ➔ Triade- - an (Simmel [1908] 1992: 114ff ). Ab der Triade gewinnen soziale Konstellationen ein Eigenleben, die die Wechselwirkungen bestimmen. • Individuen stehen nach Simmel am Schnittpunkt zwischen sozialen Kreisen ([1908] 1992: 456ff ). Diese strukturelle Position prägt und definiert sie. Umgekehrt beeinflussen sie auch die Gruppen, in denen sie Mitglied sind (Breiger 1974). • Simmels Gesetz der großen Zahl zufolge werden Gruppen umso unpersönlicher, je größer sie sind ([1908] 1992: 89f ). Je größer die Gruppe, desto weniger wird sie durch die einzelnen Individuen, deren Eigenschaften und deren Ziele bestimmt. • Der Konflikt oder »Streit« zwischen zwei Gruppen wirkt bei beiden hochgradig integrativ ([1908] 1992: 284ff ). In der Auseinandersetzung mit einem äußeren Feind schließen sich die Reihen. • Ein Beispiel für eine triadische Konstellation ist die Figur des »lachenden Dritten« ([1908] 1992: 134ff ). Zwei Parteien konkurrieren miteinander. Eine dritte Partei kann dann als neutraler Vermittler (etwa als Richter) auftreten. Oder sie kann die Situation als mögliches Zünglein an der Waage ausnutzen, indem sie ihre Unterstützung den beiden Konfliktparteien für entsprechende Gegenleistung anbietet. Allein die strukturelle Position sorgt hier für Vorteile. <?page no="24"?> 25 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 24 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 25 Mit seinem Fokus auf soziale Konstellationen (»Formen«) liefert Simmel einen wichtigen Grundbaustein für die Netzwerkforschung. Ihm fehlt aber ein Netzwerkbegriff für soziale Konstellationen als Muster von Sozialbeziehungen. Simmel benutzt hier noch das Gruppenkonzept. Dieses suggeriert aber eine Abgeschlossenheit und Homogenität sozialer Kontexte, die wir empirisch selten finden (Fuhse 2006: 252ff ). 2.2 Symbolischer Interaktionismus Glücklicherweise gingen die Anregungen der formalen Soziologie mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten nicht vollkommen verloren. Ein wichtiger Strang führt über den symbolischen Interaktionismus in die amerikanische Soziologie. Der Chicagoer Professor Albion Small publizierte eine Reihe von frühen Arbeiten seines Bekannten Simmel in englischer Übersetzung in den ersten Ausgaben des American Journal of Sociology (Abbott 1999: 88). Smalls Nachfolger William Thomas, George Herbert Mead und Herbert Blumer verbanden die formale Soziologie mit dem amerikanischen Pragmatismus von Dewey, James und Peirce zum symbolischen Interaktionismus. Von Simmel kam der starke Fokus auf Wechselwirkungen und soziale Konstellationen; aus dem Pragmatismus stammen eher philosophische und psychologische Einsichten in die subjektive Verarbeitung und Konstruktion von Sinn. Die Verbindung beider Theorien führte zu der Idee, dass Menschen Symbole austauschen und verarbeiten (Blumer [1969] 1986: 2ff ). Wie Simmel sahen Blumer und Mead diese symbolvermittelte Interaktion vor allem innerhalb von Gruppen. 2.3 Die Figurationssoziologie von Norbert Elias Ein zweiter Wirkungsstrang der formalen Soziologie läuft über Norbert Elias. Im Mittelpunkt seiner Soziologie steht der Begriff der Figuration. Diese steht für ein Geflecht von Interdependenzen zwischen Menschen (oder anderen Einheiten, etwa auch Staaten; Elias 1970: 11f, 140ff ). Viele soziale Phänomene wie die Ausscheidungskämpfe zwischen Staaten, der Kalte Krieg, die Königsherrschaft oder Konflikte zwischen ethnischen Gruppen lassen sich Elias zufolge aus diesen Interdependenzen erklären. Elias wendet sich einerseits gegen Erklärungsmodelle, die von autonom handelnden Individuen ausgehen, und andererseits gegen holistische Modelle von Gesellschaft als integrierter Einheit (wie in der Systemtheorie). Hier finden sich wichtige Grundgedanken von Georg Simmel, ohne dass Elias dies explizit macht. <?page no="25"?> 26 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 26 Norbert Elias (1897-1990) ging wie viele deutsche Sozialwissenschaftler während der NS-Herrschaft ins Exil (nach Großbritannien). Erst Ende der 1970er-Jahre wurde Elias durch die Neuauflage seines zweibändigen Werks Über den Zivilisationsprozess bekannt. Andere wichtige Werke behandeln die absolutistische Herrschaft Ludwigs XIV., die deutsche Gesellschaft und Kultur vor dem Nationalsozialismus und die Frage: Was ist Soziologie? Elias entwickelt den Begriff der Figuration bereits in den 1930er-Jahren-- lange vor dem Netzwerkbegriff. Er geht über den Gruppenbegriff hinaus, weil er die Beziehungskonstellation zwischen mehreren Akteuren betrachtet und zum Beispiel auch Interaktionsstrukturen innerhalb und zwischen Gruppen in den Blick nimmt (etwa in Elias/ Scotson [1990] 1965). Später spricht Elias von »Netzwerk« und »Figuration« gleichermaßen (1970: 12 et passim). Allerdings ist der Figurationsbegriff bei Elias nicht rein formal angelegt: Als Schüler des Wissenssoziologen Karl Mannheim untersucht Elias soziale Konstellationen verknüpft mit Sinnformen wie Ideologien, Feindbildern und Stereotypisierungen. In seinen historischen Studien greift Elias vor allem auf Dokumente und auf Romane als Quellen zurück. Die für die Migrations- und die Stadtsoziologie wichtige Untersuchung Etablierte und Außenseiter (Elias/ Scotson; [1965] 1990) benutzt qualitative Verfahren wie Interviews und ethnographische Beobachtungen. Viele der Überlegungen von Elias lassen sich aber auch mit quantitativen Verfahren überprüfen. 2.4 Soziometrie Früher als Elias wurde eine andere Gruppe von Emigranten wichtig für die Entwicklung der Netzwerkforschung. Ganz wesentliche Anstöße erhielt die Netzwerkforschung durch die frühen soziometrischen Arbeiten von Jacob Moreno. Jacob Levy Moreno (1889-1974) studierte in Wien Medizin und Psychotherapie, ging aber schon 1925 in die USA (nach New York). Dort entwickelte er in Studien mit Kindern und mit Strafgefangenen eine eigene Methode zur Messung von Gruppenkonstellationen-- die Soziometrie. Dieses quantitativ angelegte Instrumentarium kommt der ➔ formalen Netzwerkanalyse sehr nahe, war aber prinzipiell auf die Therapie von <?page no="26"?> 27 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 26 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 27 Gruppenprozessen ausgerichtet. Unter anderem entwarf Moreno eine Behandlung mittels Stegreiftheater (Psycho- oder Soziodrama). In seinem Hauptwerk Who Shall Survive? von 1936 (deutsch: Die Grundlagen der Soziometrie) umreißt Moreno die Soziometrie als »die allen Sozialwissenschaften zugrunde liegende mikroskopische und mikrodynamische Wissenschaft« ([1936] 1996: 19). Es geht um die Untersuchung von mikrosozialen Konstellationen (und Prozessen), die in einer ganzen Reihe von Wissenschaften (Soziologie, Pädagogik, Politik-, Wirtschafts- und Geschichtswissenschaft) wichtig werden. Die theoretische Fundierung von Morenos Überlegungen bleibt dürftig. Dagegen finden sich bei ihm bereits viele ➔ Netzwerkgraphen als Kern seiner Analyse ([1936] 1996: 67ff ). Mit diesen »Soziogrammen« bildet er die Struktur von Beziehungen in einem Kindergarten, in Schulklassen und in einem Mädchenwohnheim ab. Dabei bietet er schon einige Grundformen von Netzwerkgraphen wie »isolierte Individuen« (A), »Paar« (B), »Dreiergruppe« (C), die »Kette« (D) und den »Stern« (E) an (siehe Abbildung 2). Zum Teil untersucht Moreno diese Beziehungsstrukturen auch schon statistisch, etwa mit Blick auf die Beziehungen zwischen Mitgliedern unterschiedlicher Ethnien. Abb. 2: Grundformen von Netzwerkgraphen (Soziogrammen) Quelle: Eigene Darstellung nach Moreno ([1936] 1996: 69) A B C D E <?page no="27"?> 28 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 28 Zurecht gelten die Arbeiten von Moreno heute als Geburtsstunde der formalen Netzwerkanalyse. Auch die von ihm gegründete Zeitschrift Sociometry wurde in der Folge sehr wichtig. 3 2.5 Von der Gestaltpsychologie zur Balance-Theorie Neben Moreno lieferten unter anderem Fritz Heider und Kurt Lewin wichtige Impulse. Diese kamen aus der Gestaltpsychologie-- einer Forschungsrichtung, die sich auf das psychische Erkennen von Strukturmustern (»Gestalt«) konzentriert. Beide wendeten sich nach ihrer Emigration in die USA der Sozialpsychologie zu und untersuchten das Wechselspiel zwischen psychischen Vorgängen und sozialen Kontexten. Bereits kurz nach seiner Emigration in die USA schlug Kurt Lewin eine Formel vor, der zufolge das individuelle Verhalten von Eigenschaften der Person und von ihrem jeweiligen Umfeld abhängt (1936). Zu diesem Umfeld gehört insbesondere die Einbettung in Relationen mit anderen-- das »soziale Feld«. Heute gilt Lewin als einer der Väter der Feldtheorie in den Sozialwissenschaften (Martin 2003). Die Idee ist, dass sich Akteure an Personen in ihrer Umgebung orientieren und ihr Verhalten daran ausrichten. Die Strukturen des Felds lassen sich als Netzwerkbeziehungen analysieren (DiMaggio 1986; Powell et al. 2005). Des Weiteren entwickelte Lewin das Konzept der »Gruppendynamik« (1947): Mitglieder einer Gruppe können sich so gegenseitig beeinflussen, dass sich ihr Verhalten nicht mehr aus den isolierten Eigenheiten und Dispositionen der Beteiligten, sondern aus ihrem Zusammenwirken erklärt. Vielleicht der wichtigste Schüler Lewins war Leon Festinger. Für die Netzwerkforschung sind vor allem Festingers Studien von Interesse, die zeigten: Soziale Beziehungen bilden sich meistens dort, wo Menschen aufeinander treffen-- also etwa im privaten Wohnumfeld (Festinger et al. 1950: 34ff ). Dieses Prinzip wurde später von Scott Feld als Fokus-Theorie verallgemeinert (1981): Soziale Beziehungen entstehen an Orten mit gemeinsamen Aktivitäten-- sogenannten ➔ »Aktivitäts-Foki« (siehe 10.2). Auch Fritz Heider untersucht die soziale Einbettung von Einstellungen. Heider zufolge versuchen wir in unseren Einstellungen gegenüber Objekten 3 In der Zeitschrift schlugen Elaine Forsyth und Leo Katz 1946 erstmals vor, Morenos Soziogramme in der Form von ➔ Matrizen zu repräsentieren und zu untersuchen. Moreno selbst stand diesem Vorschlag kritisch gegenüber. <?page no="28"?> 29 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 28 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 29 in eine Balance mit unserem sozialen Umfeld zu gelangen (1946): Wir bewerten tendenziell solche Objekte positiv, die auch von Mitmenschen positiv bewertet werden, die wir selbst mögen. Zum Beispiel orientieren wir uns an den politischen Einstellungen unserer Freunde und Familienmitgliedern. Umgekehrt sehen wir tendenziell solche Objekte negativ, die auch unsere Freunde nicht mögen. Auch dies ist eine Form möglicher Balance. Eine dritte Form besteht zwischen Menschen, die sich nicht mögen. Von diesen müssten Objekte diametral entgegengesetzt bewertet werden, um ihre Einstellungen in Balance zu bringen. Ein Beispiel hierfür wäre eine Abneigung gegen Personen, die eine uns unsympathische Partei wählen. Diese Überlegungen bleiben bei Heider sehr abstrakt und noch in der Form von Hypothesen. Für die Netzwerkforschung wurde eine Weiterentwicklung seiner Balance-Theorie wichtig. Den Lewin-Schülern Dorwin Cartwright und Frank Harary zufolge lassen sich Heiders Überlegungen auf reine Beziehungskonstellationen übertragen (1956): Drei Akteure haben entweder nur positive Beziehungen untereinander (z. B. Freundschaft). Oder sie haben zwei negative Beziehungen und eine positive-- ich werde mich also mit dem Feind meines Feindes verbünden, oder mich mit dem Feind meines Freundes oder Verbündeten ebenfalls verfeinden. Der erste Fall heißt »positive ➔ Transitivität«, der zweite »negative Transitivität« (Tabelle 1). Tab. 1: Positiv und negativ transitive Triaden, Beispiele für Balance-Mechanismen Quelle: Eigene Darstellung + - + - + + - - + - + + + - - + + + + + + Positiv transitive Triade Negativ transitive Triade Balance durch positive Beziehungsbildung Balance durch Entfernung einer Beziehung Balance durch negative Beziehungsbildung Positive Beziehungen sind mit [+], negative mit [-] markiert. <?page no="29"?> 30 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 30 Definition: Netzwerkstrukturen sind in Balance in dem Maße, in dem die Beziehungen zwischen Akteuren konsistent positiv oder negativ sind. Positiv transitiv sind Netzwerke, wenn Akteure positive Beziehungen miteinander haben, die auch indirekt positiv verbunden sind. In negativ transitiven Netzwerken ist eine Sozialbeziehung negativ, wenn die Beteiligten indirekt über je eine positive und eine negative Beziehung verbunden sind, und sie ist positiv, wenn die Beteiligten indirekt über zwei negative Beziehungen verbunden sind. Unterschiedliche Beziehungskonstellationen lassen sich nun daraufhin untersuchen, wie ausbalanciert sie sind. Netzwerke sind in Balance, wenn die beteiligten Akteure ➔ Triaden mit positiver und negativer Transitivität bilden. Aus der Balance-Theorie ergeben sich zwei Hypothesen: (1) Netzwerke neigen dazu, sich durch die Formierung von neuen Beziehungen oder die Auflösung von alten Beziehungen auszubalancieren. (2) Bestehende Netzwerkstrukturen sind überwiegend ausbalanciert. Beide Hypothesen sind in empirischen Studien etwa in Schulklassen recht gut belegt. Allerdings gelten sie hauptsächlich innerhalb abgeschlossener Kontexte, in denen man etwa dem Feind eines Freundes nicht einfach aus dem Weg gehen kann (Martin 2009: 42ff ). Lewin, Festinger und Cartwright forschten ab 1945 am neu gegründeten Center for Group Dynamics am Massachusetts Institute of Technology (MIT), das ein wichtiges Zentrum für die Untersuchung von Gruppenprozessen wurde. 2.6 Der Human Relations-Ansatz Seit circa 1930 initiierten Elton Mayo und W. Lloyd Warner an der Harvard University- - in direkter Nachbarschaft des MIT- - die Untersuchung von Netzwerken in Organisationen und in Gemeinden (siehe nächster Abschnitt). Mayo und Warner kamen beide aus Australien und waren dort während ihres Studiums in Kontakt mit dem strukturalen Denken des Anthropologen A. R. Radcliffe-Brown gekommen (Scott 2000: 16ff; siehe 2.8). Der Fokus der Forschung von Elton Mayo lag auf der Entwicklung von Organisationen (Unternehmen, Verwaltung etc.). Dabei ging es um die Optimierung von Arbeitsprozessen. Dafür wurden informale Strukturen von Freundschaften zwischen Mitarbeitern als wichtig erachtet. Entsprechend untersuchte Mayo mit seinem Team informale Beziehungen, die sie als »human relations« <?page no="30"?> 31 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 30 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 31 bezeichneten. Aus diesem Ansatz wurden einige empirische Studien wichtig für die Netzwerkforschung: • Die Hawthorne-Studie-- behandelt die Arbeitsorganisation und informalen Beziehungen in einem Elektrizitätswerk. Die Autoren rekonstruieren hier unter anderem informale Beziehungen (Freundschaften, Antagonismen) und die Beteiligungen an sozialen Ereignissen (Spielen, Konversationen, praktischen Hilfen) zwischen den 14 Arbeitern im sogenannten »Bank Wiring Room« (Roethlisberger/ Dickson [1939] 1964: 501, 503f, 506f ). • Mayos Kollege William Foote Whyte untersuchte informale Beziehungen in einer Straßengang in Boston- - ebenfalls mit frühen Soziogrammen, aber ohne statistische Analysen ([1943] 1993: 13, 49, 156, 184, 188). • In der von Lloyd Warner angeleiteten Gemeindestudie Deep South wurden die Cliquenstrukturen zwischen afro-amerikanischen Frauen in »Old City« untersucht (Davis et al. 1941: 147ff ). Deren Zugehörigkeit zu ➔ Cliquen zeigte sich in der gemeinsamen Teilnahme an Veranstaltungen. Hier finden wir das erste Beispiel für ein sogenanntes ➔ Two-Mode-Netzwerk: In dem Netzwerk gibt es zwei Arten von Knoten: Akteure und Ereignisse. Beziehungen laufen immer von Akteuren zu Ereignissen und umgekehrt-- nie direkt zwischen zwei Knoten der gleichen Art. Die Afro-Amerikanerinnen sind also untereinander nur über die gemeinsame Teilnahme an Ereignissen verbunden (und die Ereignisse umgekehrt nur über die Afro-Amerikanerinnen; Tabelle 2). Um die Zugehörigkeit der Frauen zu Cliquen zu rekonstruieren, sortierten Davis und seine Ko-Autoren die Reihen für die Akteure und die Spalten für die Ereignisse in der Netzwerkmatrix neu. Akteure mit gemeinsamer Teilnahme an Ereignissen und Ereignisse mit den gleichen Akteuren wurden jeweils nebeneinander platziert. Auf diese Weise zeigt Tabelle 2 eine tendenzielle Trennung der Frauen und ihrer Treffen in zwei sich leicht überlappende Cliquen. Solche Two-Mode-Netzwerke werden in der Netzwerkforschung häufig analysiert. Sie zeigen gegenüber den üblichen Netzwerken mit nur einer Art von Knoten ganz bestimmte Eigenschaften. Two-Mode-Netzwerke lassen sich einfach in zwei getrennte Netzwerke überführen. Zum Beispiel könnten wir das Netzwerk der Frauen in Old City rekonstruieren, indem wir die Beziehung zwischen zwei Frauen immer dann als Beziehung codieren, wenn beide gemeinsam an mindestens einem (zwei, drei-…) Ereignissen teilgenommen haben. <?page no="31"?> 32 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 32 Definition: In einem ➔ Two-Mode-Netzwerk sind zwei verschiedene Arten von Knoten (z. B. Akteure und Ereignisse) wechselseitig verbunden (also nur Ereignisse mit Akteuren). Knoten der gleichen Art sind nur indirekt über die Knoten der zweiten Art verknüpft Tab. 2: Akteure und Ereignisse in »Old City« Namen der Teilnehmer Ereignisse nach Datum 27.6. 2.3. 12.4. 26.9. 25.2. 19.5. 15.3. 16.9. 8.4. 10.6. 23.2. 7.4. 21.11. 8.3. Evelyn X X X X X X X X Laura X X X X X X X Theresa X X X X X X X X Brenda X X X X X X X Charlotte X X X X Frances X X X X Eleanor X X X X Pearl X X X Ruth X X X X Verne X X X X Myra X X X X Katherine X X X X X X Sylvia X X X X X X X Nora X X X X X X X X Helen X X X X X Dorothy X X Olivia X X Flora X X Quelle: Davis et al. 1941: 148 <?page no="32"?> 33 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 32 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 33 Eine wichtige theoretische Synthese legte ein junger Kollege von Warner und Mayo in Harvard, George Caspar Homans, in seinem Buch The Human Group vor ([1950] 1992). Homans kam aus der Literaturwissenschaft und wurde später vor allem durch seine Verhaltenstheorie bekannt. Schon in The Human Group entwickelt er eine ganz eigene These auf soziale Konstellationen. Diese baut auf empirisch beobachteten »Ereignissen« oder »Verhalten« auf-- nicht auf mit Fragebögen erhobenen Daten. Bei Ereignissen handelt es sich meist um »Interaktion« mit anderen (ohne Referenz auf den symbolischen Interaktionismus). Diese sind mit individuellen Empfindungen oder Emotionen (»sentiments«) unterlegt. Interaktionen verdichten sich in Gruppen, die durch eigene Normen und eine Gruppenkultur stabilisiert werden. Zudem findet sich in Gruppen eine interne Struktur mit Anführern und Rangunterschieden. Sowohl die Abgrenzung zwischen Gruppen als auch die internen Strukturen von Gruppen sollen nach Homans mit soziometrischen Verfahren- - also mit ➔ Netzwerkgraphen und -matrizen analysiert werden. So nimmt Homans etwa die Soziogramme aus dem Bank Wiring Room der Hawthorne-Studie wieder auf ([1950] 1992: 48ff ). Homans präsentiert in seinem Buch eine ganze Reihe der verfügbaren Daten zu informalen Gruppenstrukturen und interpretiert sie vor seinem theoretischen Hintergrund. Allerdings fehlen bei ihm- - wie bei den anderen diskutierten Beispielen für Human Relations-Studien-- formale mathematische Analysen. 2.7 Frühe Gemeindestudien und Surveys Einen etwas anderen Blickwinkel auf Sozialbeziehungen und Netzwerke verfolgten die frühen Gemeindestudien um W. Lloyd Warner und Survey-Untersuchungen um Paul Lazarsfeld. Hier geht es weniger um die Struktur von Netzwerken als um die Verteilung von Sozialbeziehungen innerhalb von Populationen. Sie bilden direkte Vorläufer der heutigen Studien zu ➔ ego-zentrierten Netzwerken (Kapitel 8). W. Lloyd Warner war wie Mayo aus Australien an die Harvard University gekommen. In den USA führte er mit Kollegen die ersten großformatigen Gemeindestudien durch. Sie untersuchten mit unterschiedlichen Methoden die soziale Struktur von Newburyport, einer industriellen Kleinstadt im Nordosten der USA. Dabei fanden sie unter anderem eine starke Rolle von informalen Gruppierungen oder ➔ Cliquen. In den daraus entstandenen Yankee City-Studien analysieren Warner und Paul Lunt unter anderem, inwiefern diese Cliquen nach Schichten getrennt sind (1941: 110ff; 350ff ). <?page no="33"?> 34 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 34 Auch wenn Warner und seine Kollegen hier und an anderen Stellen ein Interesse an der Struktur sozialer Beziehungen zeigen, geht es hier in erster Linie um deren Verteilung: Zwischen welchen Kategorien von Personen (hier: Schichten) bestehen in welchem Umfang Sozialbeziehungen? Auf diese Weise erfährt man etwas über das systematische Muster an Beziehungen zwischen den Kategorien in einer relativ großen Population-- aber nichts über die tatsächliche Struktur von Beziehungen zwischen Einzelpersonen. Eine etwas andere Herangehensweise finden wir in den Studien von Paul Lazarsfeld, einem österreichischen Emigranten. Lazarsfeld gilt heute als Begründer der modernen Survey-Forschung. In einer der ersten breit angelegten Umfragen zeigte er mit Kollegen die große Bedeutung des persönlichen Austauschs mit anderen in der politischen Meinungsbildung (Lazarsfeld et al. [1944] 1968). Lazarsfeld und seine Mitstreiter wiesen nach: Politische Einstellungen und dann auch die Wahlentscheidung hängen viel mehr vom persönlichen Umfeld ab als etwa von den rezipierten Massenmedien (siehe auch Schenk 1995). In einem späteren Artikel wendet sich Lazarsfeld gemeinsam mit Robert Merton dem Phänomen der ➔ Homophilie zu (1954: 23ff ): • Erstens bilden sich Freundschaften vor allem zwischen Personen mit ähnlichen Werten und Einstellungen. Denn hier erhalten die Beteiligten wechselseitige Zustimmung für ihre Sichtweisen, was als belohnend empfunden wird. Dies ist das Prinzip der Werte- oder Einstellungs-Homophilie. • Zweitens führt der enge und wiederholte Austausch in Freundschaften zu einer Angleichung von Werten und Einstellungen (Anpassung; siehe 10.4) oder auch zum Abbruch der Beziehung bei zu viel beharrlichem Widerspruch. Definition: Werte- oder Einstellungs-Homophilie steht für die Tendenz, Sozialbeziehungen vor allem mit Gleichgesinnten zu bilden (und enge Beziehungen mit Andersdenkenden aufzulösen). Davon zu trennen ist der Mechanismus der Anpassung: Innerhalb von engen Sozialbeziehungen ergibt sich eine Angleichung von Werten und Einstellungen. Diese Zusammenhänge zwischen Beziehungen und Einstellungen entsprechen recht genau Heiders Balance-Theorie. Methodisch lassen sich die Ergebnisse von Homophilie und Anpassung im Querschnitt nachweisen, wenn in einer Population mehr Sozialbeziehungen zwischen Personen mit gleichen Werten und Einstellungen bestehen, als bei einer zufälligen Verteilung zu erwarten wäre. Um diese ➔ Mechanismen voneinander zu trennen, braucht <?page no="34"?> 35 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 34 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 35 es aber Daten über die Veränderungen von Beziehungen und Einstellungen über die Zeit (Lazarsfeld/ Merton 1954: 37ff ). Wie in den Arbeiten um Warner wird bei Lazarsfeld in statistischen Verfahren der Zusammenhang zwischen persönlichen Beziehungen und Individualvariablen untersucht. Dabei geht es aber nicht darum, zwischen welchen Kategorien sich Beziehungen bilden. Sondern der Einfluss von persönlichen Beziehungen auf individuelle Einstellungen und Verhalten (die politische Wahl) wird untersucht. Dafür müssen Netzwerke mit anderen Variablen in Beziehung gesetzt werden. Die Studien von Warner und Lazarsfeld weisen damit in eine ganz andere Richtung als die Soziometrie und die Balance-Theorie: hin zur Untersuchung und statistischen Analyse von ➔ ego-zentrierten Netzwerken in Umfragen (Kapitel 8). 2.8 Britische Sozialanthropologie Der Begriff des sozialen Netzwerks wurde allerdings erst in einem weiteren, weitgehend unabhängigen Ansatz entwickelt: der britischen Sozialanthropologie. Diese war vor allem an der University of Manchester beheimatet. (a) Soziale Struktur bei Radcliffe-Brown Impulse dafür gab wiederum der Ethnologe A. R. Radcliffe-Brown. Er formulierte in seiner Präsidentschaftsrede an das britische Royal Anthropological Institute: »human beings are connected by a complex network of social relations. I use the term ›social structure‹ to denote this network of actually existing relations.« (1940: 2) Radcliffe-Brown spricht eher nebenbei von Netzwerken, bestimmt sie aber recht genau. Zwei Aspekte sind hier wichtig: (1) Mit der Bestimmung von »sozialer Struktur« als »Netzwerk von Sozialbeziehungen« wendet sich Radcliffe-Brown gegen die häufige Konzentration von Ethnologen auf die »Kultur« der von ihnen untersuchten indigenen Stämme. Kultur sei selbst nicht beobachtbar, anders als die konkreten Sozialbeziehungen. (2) Zudem fokussiert er sich auf »tatsächlich bestehende« und empirisch beobachtbare Beziehungen. Dies widerspricht etwa der Sichtweise des französischen Ethnologen Claude Lévi-Strauss. Auch er sieht soziale Struktur in »Kommunikationskanälen«, also in sozialen Beziehungen ([1952] 1962). Allerdings sucht er dahinter liegenden Regeln, die als »Tiefens- <?page no="35"?> 36 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 36 truktur« für das beobachtbare Beziehungsgeflecht verantwortlich sind. Ein Beispiel dafür sind Verwandtschaftsstrukturen. Diese zeigen sich zwar in empirisch beobachtbaren Familienbeziehungen. Aber dahinter stehen kulturelle Regeln für das Verhältnis zwischen den Geschlechtern und Generationen. Die britische Sozialanthropologie folgt den beiden Grundintentionen von Radcliffe-Brown und fasst soziale Netzwerke als das Muster von empirisch beobachtbaren Sozialbeziehungen. (b) Netzwerkbegriff bei Barnes Ein Artikel von J. A. Barnes liefert 1954 die erste Ausformulierung und empirische Anwendung des Netzwerkbegriffs. Barnes untersucht die soziale Struktur in einem norwegischen Fischerdorf (Bremnes). Diese Struktur sieht er als ➔ Netzwerk und bezieht sich explizit auf das graphentheoretische Modell einer Menge von Punkten, die mit Linien verbunden werden (Barnes 1954: 43f ). In Bremnes gehören hierzu (abgesehen von formalen Arbeitskontexten) »Verwandtschafts-, Freundschafts- und Nachbarschaftsbeziehungen«. Die Bewohner von Bremnes bezeichnen ihre soziale Struktur als aufgeteilt in drei Klassen oder Schichten. Barnes findet mit seinen ethnographischen Beobachtungen eher ein homogenes und dicht gestricktes Netzwerk ohne große Rangunterschiede. Insofern folgt Barnes in seiner Studie bereits dem von Emirbayer und Goodwin formulierten anti-kategorischen Imperativ (siehe 1.3): Die Selbstbeschreibung der Bewohner mit ihren drei Kategorien von Klassen wird hinterfragt und mit der empirisch beobachtbaren Netzwerkstruktur konfrontiert. In dieser bestehen eben keine Trennlinien zwischen Klassen, sondern vor allem lokal basierte Sozialbeziehungen. Weitere wichtige Arbeiten behandeln Netzwerke von Ehepaaren in London (Bott 1957) und die Verstädterung in Afrika. Auffällig oft geht es um soziale Strukturen im Wandel, insbesondere durch den Kontakt zwischen Indigenen und westlicher Moderne. (c) Konzeptionelle Integration bei Mitchell In der Folge wurde J. Clyde Mitchell der wichtigste Autor der britischen Sozialanthropologie. Schon 1974 monierte er das Fehlen einer Theorie sozialer Netzwerke, die die zahlreichen empirischen Arbeiten flankieren und leiten könnte (1974: 281ff ). Zudem schlug er vor, die formale Netzwerkanalyse durch die Untersuchung von Sinn, Normen und Institutionen zu erweitern (1973: 27ff ). Der Vorschlag einer Zusammenschau von Netzwerkstruktur und Kultur-- genau dem Bereich, von dem sich Radcliffe-Brown mit dem <?page no="36"?> 37 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 36 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 37 Netzwerkbegriff abwandte-- wurde in der Ethnologie erst ab den 1990er-Jahren aufgenommen, etwa von Thomas Schweizer (1996). Der Netzwerkbegriff in der frühen britischen Sozialanthropologie markiert also folgende Herangehensweisen: (1) Der Fokus wird auf die Struktur von Sozialbeziehungen gelegt statt auf kulturelle Eigenheiten und Unterschiede. Insbesondere wird den kulturellen Selbstbeschreibungen misstraut (im Sinne des anti-kategorischen Imperativs). (2) Soziale Struktur besteht aus tatsächlich bestehenden und empirisch beobachtbaren Sozialbeziehungen, nicht aus dahinter vermuteten Regeln (wie bei Lévi-Strauss, s. o.). Soziale Netzwerke werden vor allem qualitativ rekonstruiert auf der Basis einer ethnographischen Einbettung der Ethnologen in ihren Forschungsgegenstand (siehe 9.3). Erst spät übernehmen die Ethnologen die quantitativen Methoden der ➔ formalen Netzwerkanalyse. 2.9 Résumé Der kurze Überblick über die Entwicklung der Netzwerkforschung ist nun abgeschlossen. Dabei ging es im Rahmen dieses Lehrbuchs vor allem um einen Überblick über wichtige Themen und um, die Herangehensweisen der frühen Autoren der Netzwerkforschung. Mit diesem Überblick zeigt sich: Schon bis zu den 1950er-Jahren wurden alle vier in diesem Buch behandelten Ansätze verfolgt: (1) Anstöße für die Theorie sozialer Netzwerke (Kapitel 11) kommen aus der formalen Soziologie von Georg Simmel, dem symbolischen Interaktionismus, der Figurationssoziologie von Norbert Elias und der Gruppentheorie von George Caspar Homans. Anschließend wurde die Theoriearbeit eher vernachlässigt. (2) Viele frühe Arbeiten untersuchen Netzwerke eher qualitativ (Kapitel 9). Dazu gehören die ethnographischen Methoden der Sozialanthropologie, aber auch historische Quellenstudien bei Elias. (3) Die Gemeindestudien um Warner und die frühen Survey-Studien von Lazarsfeld betrachten Zusammenhänge zwischen Sozialbeziehungen und individuellen Kategorien und Einstellungen mit statistischen Analysen ➔ ego-zentrierter Netzwerke (Kapitel 8). (4) Morenos Soziometrie und die Gruppenstudien um Lewin und Mayo führen zur ➔ formalen Netzwerkanalyse, also zur graphentheoretischen und formal-mathematischen Analyse von Netzwerkstrukturen innerhalb <?page no="37"?> 38 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 38 abgeschlossener und einigermaßen überschaubarer sozialer Kontexte (Kapitel 3-7). Zugleich zeigt der Überblick, wie unübersichtlich die Wurzeln der Netzwerkforschung sind. Zum einen bauen die verschiedenen Stränge der Netzwerkforschung nur wenig aufeinander auf. Simmel, Radcliffe-Brown, die Gestaltpsychologen und mit Abstrichen Moreno scheinen praktisch unabhängig voneinander das Denken in sozialen Konstellationen zu entwickeln. Auch bei Elias und Homans fehlen Hinweise auf Vorgänger für ihre Ansätze. Zumindest die formale Soziologie war aber im deutschen Sprachraum zwischen den Weltkriegen so bekannt, dass sicher Elias (indirekt über Mannheim), Moreno und die Gestaltpsychologen damit in Berührung kamen. Wir können die Einflussbeziehungen zwischen den frühen Ansätzen der Netzwerkforschung selbst als Netzwerk darstellen (Abbildung 3). Dabei fungieren einzelne Autoren oder Gruppen von Autoren als Akteure. Die Beeinflussung läuft immer nur von frühen zu späteren Ansätzen und ist deswegen mit gerichteten Pfeilen markiert. Zum anderen finden wir viele Quereinsteiger in die sozialwissenschaftliche Netzwerkforschung (Moreno, Homans, später z. B. Harrison White). Auch dies belegt die Anziehungskraft des strukturellen Denkens über die Disziplinen hinweg (Ethnologie, Soziologie, Psychologie, Politikwissenschaft, etc.). Gemeinsam ist den verschiedenen Ansätzen und Perspektiven das, was Linton Freeman die »strukturelle Intuition« nennt (2004: 3): Akteure werden nicht isoliert gedacht, sondern in Austauschbeziehungen mit anderen Abb. 3: Netzwerk der frühen Ansätze in der Netzwerkforschung Quelle: Eigene Darstellung Formale Soziologie Symbolischer Interaktionismus Radcli e- Brown Gestaltpsychologie Elias Human Relations Gemeindestudien Britische Sozialanthropologie Homans Soziometrie <?page no="38"?> 39 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 38 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 39 Akteuren. Und diese Einbettung von Akteuren bzw. die Struktur zwischen ihnen entscheidet über viele soziale Prozesse. Diese strukturelle Intuition führt aber nicht nur zur formalen Netzwerkanalyse, sondern auch zu vielen anderen Herangehensweisen. Leseempfehlungen: Barnes, J. A.: »Class and Committees in a Norwegian Island Parish« Human Relations 7, 39-58. Elias, Norbert 1970: Was ist Soziologie? , Weinheim: Juventa. Fine, Gary Alan/ Sherryl Kleinman 1983: »Network and Meaning: An Interactionist Approach to Structure« Symbolic Interaction 6, 97-110. Freeman, Linton 2004: The Development of Social Network Analysis, Vancouver: Empirical Press. Fuhse, Jan 2006: »Gruppe und Netzwerk; Eine begriffsgeschichtliche Rekonstruktion« Berliner Journal für Soziologie 16, 245-263. Häußling, Roger 2010: »Relationale Soziologie« in: Christian Stegbauer/ Roger Häußling (Hg.): Handbuch Netzwerkforschung, Wiesbaden: VS, 63-87. Mitchell, J. Clyde 1969: »The Concept and Use of Social Networks« in: ders. (Hg.): Social Networks in Urban Situations, Manchester: Manchester University Press, 1-50. Schnegg, Michael 2010: »Die Wurzeln der Netzwerkforschung« in: Christian Stegbauer/ Roger Häußling (Hg.): Handbuch Netzwerkforschung, Wiesbaden: VS, 21-28. Scott, John 2000: Social Network Analysis; Second Edition, London: Sage. <?page no="39"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 40 <?page no="40"?> 41 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 40 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 41 3. Graphen und Matrizen Wenden wir uns nun der ➔ formalen Netzwerkanalyse, also der Untersuchung von Mustern von Sozialbeziehungen in einem abgeschlossenen Kontext mit formalen mathematischen Verfahren zu. Wie bereits angesprochen, bildet die formale Netzwerkanalyse den Kern der Netzwerkforschung in den Sozialwissenschaften. In diesem Kapitel stelle ich die Grundlagen vor. Dabei geht es um: • Netzwerkgraphen und -matrizen (3.1), • Software für die Netzwerkanalyse (insbesondere das Programm UCI- NET, das wir hier benutzen; 3.2), • die Messung von Netzwerken (3.3) • und die Dichte und die Reziprozität als erste Maßzahlen von Netzwerken (3.4). In den nächsten Kapiteln folgen Verfahren für den Vergleich individueller Positionen (4), für die Untersuchung lokaler Strukturen (Cliquen und Triaden,- 5) und die Blockmodellanalyse als Methode der Untersuchung der Gesamtstruktur von Netzwerken (6). 3.1 Graphen und Matrizen Mit seiner Soziometrie führte Jacob Moreno die Darstellung von Netzwerken mit Hilfe von vereinfachten Graphen ein. Diese haben wir bereits in der Einleitung kurz kennen gelernt (1.1). • In solchen Graphen werden Akteure als Punkte markiert. • Die Beziehungen zwischen ihnen werden als einfache Linien (Verbindungen) oder als Pfeile abgebildet. In der Netzwerkforschung spricht man auch von Akteuren als »Knoten« und von Beziehungen als »Kanten« zwischen ihnen (im Englischen: »nodes« und »edges«). Betrachten wir hierfür ein relativ einfaches Netzwerk, das uns im Folgenden häufiger als Beispiel dient. Es handelt sich um die Sozialbeziehungen zwischen den Mitarbeitern einer kleinen amerikanischen Software-Firma, die David Krackhardt in den 1980er-Jahren untersuchte (und die er in Publika- <?page no="41"?> 42 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 42 tionen als »Silicon Systems« bezeichnet; 1992; 1999). 4 Krackhardt befragte die 36 Mitarbeiter danach, wen sie in der Firma regelmäßig um Rat fragen, und mit wem sie befreundet sind. Es geht also um das Netzwerk von informalen Beziehungen in der Firma. In Abbildung 4 zeigen die Pfeile an, mit wem die Mitarbeiter angaben, befreundet zu sein. Die Akteure sind mit Vornamen (Pseudonyme) gekennzeichnet. Der Pfeil von Earl zu Pat steht also dafür, dass Earl Pat als Freund angab- - Pat aber nicht umgekehrt Earl als Freund nannte. Der beidseitige Pfeil zwischen Pat und Jim markiert dagegen eine beiderseitige Angabe als Freunde. Bis auf drei Akteure sind alle in diesem Graphen miteinander verbunden. In der Netzwerkforschung spricht man von einem zusammenhängenden Graphen als »Komponente«. Dieses Netzwerk besteht nur aus einer Komponente. Empirisch sind aber auch Graphen mit mehr Komponenten möglich. Beispielsweise könnten Quincy, York und Fran eine ➔ Clique ohne Verbindungen zur Hauptgruppe bilden, also eine zweite Komponente des ➔ Netz- 4 Die hier verwendeten Daten sind verfügbar unter: http: / / vlado.fmf.uni-lj.si/ pub/ networks/ data/ esna/ hiTech.htm (abgerufen am 4.12.2015). Abb. 4: Freundschaftsnetzwerk in »Silicon Systems« Quelle: Eigene Darstellung mit Netdraw Abe Bob Carl Dale Ev Fred Hal Ivo Jack Ken Len Mel Nan Ovid Pat Robin Steve Vic Walt Rick Zoe Alex Ben Dan Earl Irv Jim Gary Upton Gerry Hugh Tom Chris Quincy York Fran <?page no="42"?> 43 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 42 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 43 werkgraphen. Diese reichen von zwei verbundenen Akteuren (einem Paar, siehe 2.4) bis zu großen Komponenten von mehreren Tausend Knoten. Definition: Eine Gruppe von miteinander direkt oder indirekt verbundenen Akteuren in einem Netzwerk bildet eine Komponente. Zwischen Komponenten gibt es keine Verbindungen. Fran, York und Quincy haben anscheinend keine Freunde in der Firma. Sie stehen als »Isolates« links oben. Allerdings haben diese drei den Fragebogen nicht ausgefüllt haben. Ihre Stellung spiegelt also nur wider, dass niemand sie als Freunde angegeben hat. Die Gruppe um Rick, Tom, Chris, Steve und Irv bildet dagegen den Kern dieses Netzwerks. Das Layout eines solchen ➔ Netzwerkgraphen ist eine Wissenschaft für sich. Um nicht zu vollkommen unübersichtlichen Mikado-Graphen (mit lauter übereinander liegenden Linien) zu kommen, versucht man miteinander verbundene Knoten möglichst nebeneinander zu platzieren. Die entsprechenden Computer-Programme konstruieren die Positionen der Knoten im abbildbaren zweidimensionalen Raum so, dass ihre Entfernungen voneinander (die »euklidischen« Distanzen) möglichst genau die Pfaddistanzen reflektieren-- also die Anzahl der Schritte, die man von einem Knoten im Netzwerk zu einem anderen braucht (siehe 4.1). Im vorliegenden Fall wurde der Netzwerkgraph mit dem Programm Netdraw konstruiert. Für die formale mathematische Analyse von Netzwerken reicht deren graphische Darstellung nicht aus. Deswegen stellt man Netzwerke seit Mitte der 1940er-Jahre in der Form von ➔ Matrizen dar. Dabei handelt es sich um Tabellen mit einer ganz spezifischen Form: Sowohl die Reihen als auch die Spalten stehen jeweils für einzelne Knoten im Netzwerk. D. h., die Matrix eines Netzwerks mit 36 Akteuren wie in der Firma »Silicon Systems« hat 36 Zeilen und 36 Spalten (Tabelle 3). In die einzelnen Zellen wird meist eine ›1‹ für eine bestehende Beziehung oder eine ›0‹ für keine Beziehung eingetragen. Zumindest prinzipiell können dort aber auch differenzierte Bewertungen angegeben werden-- etwa Werte von 1 bis 5 dafür, wie eng die Beziehung zwischen den Beteiligten ist. Der Wert in einer Zelle steht nun dafür, ob und in welchem Maße eine Beziehung von dem Akteur in der jeweiligen Zeile zum Akteur in der jeweiligen Spalte läuft. Diese Beziehungsmatrix beinhaltet die gleichen Informationen wie der obige ➔ Netzwerkgraph. So lässt sich die einseitige Beziehung von Earl zu Pat finden, indem wir in der Reihe für Earl zur Spalte von Pat gehen-- dort steht eine 1 dafür, dass Earl eine Freundschaft zu Pat angegeben hat. In der Reihe <?page no="43"?> 44 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 44 Tab. 3: Matrix der Freundschaftsnennungen bei »Silicon Systems« A b e B o b C a r l D a l e E v F r e d G a r y H a l I v o J a c k K e n L e n M e l N a n O v i d P a t Q u i n c y R o b i n S t e v e T o m U p t o n V i c W a l t R i c k Y o r k Z o e A l e x B e n C h r i s D a n E a r l F r a n G e r r y H u g h I r v J i m Abe 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Bob 0 0 1 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 Carl 0 0 0 0 1 0 1 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 Dale 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 1 0 0 1 0 1 0 0 0 0 0 1 0 Ev 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Fred 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Gary 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Hal 0 0 1 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Ivo 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 Jack 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Ken 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 1 0 1 0 0 0 1 0 0 0 0 0 1 0 0 1 1 0 0 Len 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 1 0 1 0 Mel 0 1 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 1 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 1 1 0 0 0 0 0 0 Nan 0 1 0 0 0 0 1 0 1 0 1 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 1 0 0 0 Ovid 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 1 0 0 Pat 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 1 Quincy 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Robin 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 1 0 0 0 0 0 0 0 Steve 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 1 0 0 1 0 1 0 Tom 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 1 0 1 0 0 0 0 0 0 1 1 0 1 0 1 0 0 1 0 0 0 1 1 0 0 Upton 0 0 0 0 0 1 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Vic 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 Walt 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 Rick 0 0 0 1 1 0 1 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 1 1 1 0 0 0 0 0 0 1 1 0 0 0 0 0 0 York 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Zoe 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 Alex 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Ben 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Chris 0 1 0 1 0 0 1 0 1 0 1 0 1 1 1 0 0 1 0 1 1 0 1 1 0 0 1 0 0 0 0 1 1 0 0 Dan 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 1 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 Earl 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Fran 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Gerry 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 1 0 0 0 0 0 1 0 0 0 1 0 0 0 0 1 0 0 0 1 1 0 Hugh 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 1 1 0 0 0 0 1 0 0 0 1 0 0 0 0 1 0 0 0 1 0 0 Irv 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 1 0 0 1 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 1 0 0 1 0 0 Jim 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Quelle: Eigene Darstellung <?page no="44"?> 45 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 44 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 45 Tab. 3: Matrix der Freundschaftsnennungen bei »Silicon Systems« A b e B o b C a r l D a l e E v F r e d G a r y H a l I v o J a c k K e n L e n M e l N a n O v i d P a t Q u i n c y R o b i n S t e v e T o m U p t o n V i c W a l t R i c k Y o r k Z o e A l e x B e n C h r i s D a n E a r l F r a n G e r r y H u g h I r v J i m Abe 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Bob 0 0 1 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 Carl 0 0 0 0 1 0 1 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 Dale 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 1 0 0 1 0 1 0 0 0 0 0 1 0 Ev 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Fred 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Gary 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Hal 0 0 1 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Ivo 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 Jack 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Ken 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 1 0 1 0 0 0 1 0 0 0 0 0 1 0 0 1 1 0 0 Len 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 1 0 1 0 Mel 0 1 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 1 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 1 1 0 0 0 0 0 0 Nan 0 1 0 0 0 0 1 0 1 0 1 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 1 0 0 0 Ovid 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 1 0 0 Pat 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 1 Quincy 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Robin 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 1 0 0 0 0 0 0 0 Steve 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 1 0 0 1 0 1 0 Tom 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 1 0 1 0 0 0 0 0 0 1 1 0 1 0 1 0 0 1 0 0 0 1 1 0 0 Upton 0 0 0 0 0 1 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Vic 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 Walt 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 Rick 0 0 0 1 1 0 1 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 1 1 1 0 0 0 0 0 0 1 1 0 0 0 0 0 0 York 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Zoe 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 Alex 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Ben 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Chris 0 1 0 1 0 0 1 0 1 0 1 0 1 1 1 0 0 1 0 1 1 0 1 1 0 0 1 0 0 0 0 1 1 0 0 Dan 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 1 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 Earl 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Fran 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Gerry 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 1 0 0 0 0 0 1 0 0 0 1 0 0 0 0 1 0 0 0 1 1 0 Hugh 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 1 1 0 0 0 0 1 0 0 0 1 0 0 0 0 1 0 0 0 1 0 0 Irv 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 1 0 0 1 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 1 0 0 1 0 0 Jim 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Quelle: Eigene Darstellung <?page no="45"?> 46 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 46 von Pat steht dagegen in der Spalte von Earl eine 0, da Pat Earl nicht als Freund nannte. Mittels der Unterscheidung zwischen Reihen und Spalten können wir also asymmetrische bzw. gerichtete Beziehungen angeben. Zuweilen sind Beziehungen in einem Netzwerk aber prinzipiell symmetrisch (wie im Beispielgraph in Abbildung 1). Dann ist in jeder Zelle für eine Reihe a und eine Spalte b der gleiche Eintrag zu finden wie in der spiegelbildlichen Zelle in Reihe b und Spalte a. Die gesamte Matrix ist dann spiegelsymmetrisch um die Diagonale. Auf dieser Diagonale wären die Beziehungen der Akteure zu sich selbst zu finden (also von Abe zu Abe, von Bob zu Bob usw.). In der Untersuchung von Krackhardt konnten sich die Mitarbeiter aber nicht selbst als Freunde nennen (das ergäbe auch wenig Sinn). Deswegen ist die Diagonale hier leer. Je nach Beziehungsart können Eintragungen auf der Diagonalen (Selbstbeziehungen) aber auch sinnvoll sein. Zum Beispiel in einem Zitationsnetzwerk wäre hier anzugeben, ob Autoren sich selbst zitieren. Einfache Betrachtungen wie die der Popularität der Akteure lassen sich nun sowohl anhand des Netzwerkgraphen wie auch mit Hilfe der Netzwerkmatrix anstellen. Dafür müssen wir die Anzahl der eingehenden Pfeile bei einem Knoten oder die Zahl der Einsen in der Spalte für einen Akteur zählen. Diese liegt bei 0 für Fran, Quincy und York, aber bei 12 für Chris. Für komplexere Betrachtungen brauchen wir aber ein entsprechendes Software-Programm, mit dem wir etwa die Entfernungen (Pfaddistanzen) zwischen den Akteuren schnell und einfach berechnen können. Soweit sind Netzwerkgraphen und Matrizen recht einfach. Allerdings hat Krackhardt die Mitarbeiter bei Silicon Systems nicht nur nach den Freundschaften, sondern auch nach der Ratsuche gefragt. Dies ist eine zweite Art von Beziehungen zwischen den gleichen Akteuren. Wir können diese zweite Beziehungsart nun- - zum Beispiel mit einer anderen Farbe- - in den gleichen ➔ Netzwerkgraphen eintragen. Bei der Netzwerkmatrix ( ➔ Matrix) ist dies nicht möglich. Hier müssen wir eine zweite Beziehungsmatrix für die Ratsuche konstruieren, die wir dann über oder unter die Freundschaftsmatrix legen (Abbildung 5). Auf diese Weise werden in der Netzwerkanalyse häufig mehrere Netzwerkmatrizen übereinander gelegt, um das komplexe Geflecht von unterschiedlichen Beziehungen zwischen den beteiligten Akteuren abzubilden. Solche übereinander liegenden Netzwerkmatrizen können dann etwa darauf untersucht werden, ob sie miteinander korrelieren-- ob also etwa die Mitarbeiter von Silicon Systems tendenziell ihre Freunde um beruflichen Rat fragen. Eine andere Art der Auswertung von Netzwerken mit mehreren Beziehungsarten ist die ➔ Blockmodellanalyse (siehe Kapitel 6). <?page no="46"?> 47 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 46 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 47 3.2 Software für formale Netzwerkanalyse Für die Durchführung formaler Netzwerkanalysen steht inzwischen viel Software zur Verfügung. In diesem Lehrbuch greifen wir auf das weit verbreitete, gut dokumentierte Programm UCINET 6 zurück, das von Steve Borgatti, Martin Everett und Linton Freeman programmiert wurde (2002). Hier finden Sie Informationen zum Programm und die Möglichkeit zum Download: https: / / sites.google.com/ site/ ucinetsoftware/ home und hier ein Online-Tutorium: http: / / faculty.ucr.edu/ ~hanneman/ nettext/ Zusammen mit UCINET wird automatisch das Programm Netdraw für die Visualisierung von Netzwerken installiert (Stegbauer/ Rausch 2013). Leider ist die freie Benutzung von UCINET begrenzt auf eine Periode von 60 Tagen. Danach kann das Programm käuflich erworben werden (für Studierende relativ günstig). UCINET ist wie die meisten anderen SNA-Programme für das Betriebssystem Windows programmiert und läuft auf Mac-Computern nur über die Windows-Umgebung Wine (Stand 2015). Im Folgenden biete ich Anweisungen für die wichtigsten Auswertungen in UCINET (oder in anderen Programmen) in folgendem Format an: UCINET: Menüpunkt ➔ Auswahl Untermenü ➔ Auswahl Untermenü [Option/ Auswahl] Abb. 5: Übereinander gelegte Matrizen für mehrere Beziehungsarten (stilisiert) Quelle: Eigene Darstellung X X 1 1 1 X X 0 0 0 0 0 0 0 0 0 X X 0 0 0 X X 1 1 0 0 0 0 0 1 0 Freundschaft Ratsuche <?page no="47"?> 48 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 48 Dabei stehen Menüpunkt für die Auswahl auf der Navigationsleiste und Auswahl Untermenü für Punkte auf sich öffnenden Untermenüs. Daraufhin öffnet sich ein neues Fenster mit einem Befehlsdialog. Dort muss unter anderem der entsprechende Datensatz angegeben werden. Mit [Option/ Auswahl] gebe ich Auswahlmöglichkeiten im Befehlsdialog an, die nicht unbedingt voreingestellt sind. So können wir ein Netzwerk auf folgendem Wege visualisieren. Zunächst starten wir in UCINET die spezialisierte Darstellungs-Software Netdraw: UCINET: Visualize ➔ Netdraw Und dann öffnen wir hier den jeweiligen Datensatz: Netdraw: File ➔ Open ➔ Ucinet dataset ➔ Network Die meisten Auswertungsverfahren finden sich in UCINET im Menüpunkt Network . Zum Beispiel können wir die ➔ Reziprozität eines Netzwerks mit folgendem Befehl berechnen: UCINET: Network ➔ Cohesion ➔ Reciprocity [Method/ Dyad-based] Andere, frei verfügbare SNA-Programme sind Pajek, Gephi und Ora. Diese sind etwas weniger benutzerfreundlich als UCINET. Für fortgeschrittene Benutzer bietet es sich an, Netzwerkanalysen in der Programmier-Umgebung für mathematische Analysen R durchzuführen. Diese sind skript-basiert, müssen also jeweils mit eigenen Befehlen in Schriftform vorgenommen werden. Dafür ist R nicht nur frei verfügbar, sondern ermöglicht auch eigenständige Analysen außerhalb von vorgefertigten Algorithmen, den vielfältigen und flexiblen Wechsel zwischen verschiedenen Datenformaten (z. B. Netzwerkmatrizen und statistischen Fälle-Attribut-Matrizen). Zudem lässt sich R durch immer neue Module erweitern. Für Netzwerkanalysen bietet sich das Standard-Modul sna an, sowie das komplexere Modul network. Auf diesem basieren viele fortgeschrittene Analysemethoden wie zum Beispiel Exponential Random Graph-Modelle mit statnet und ergm. 5 5 Speziell für die fortgeschrittenen Analyse-Tools gibt es inzwischen die Suite statnet (https: / / statnet.csde.washington.edu/ ). Ein Online-Tutorium für Netzwerkanalysen in R finden Sie hier: http: / / sna.stanford.edu/ rlabs.php <?page no="48"?> 49 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 48 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 49 Übungsaufgabe 1: Konstruieren Sie in UCINET eine Netzwerkmatrix mit den deutschen Bundesländern als Akteuren und den Grenzen zwischen ihnen als Beziehungen. D. h.: Zwei Bundesländer sind dann (symmetrisch) miteinander verbunden, wenn sie territorial aneinander grenzen. Den Matrix-Editor in UCINET erreichen Sie mit: UCINET: Data ➔ Data editors ➔ Matrix editor. Achten Sie darauf, dass Sie die Matrix perfekt symmetrisch konstruieren und rechts als Option die Anzahl der Bundesländer für die Anzahl der Zeilen (rows) und Spalten (columns) angeben! Speichern Sie anschließend die Matrix als Datei ab, um sie dann mit Netdraw zu visualisieren! Diskutieren Sie dann kurz in Zusammenhang mit dem nächsten Abschnitt zur Messung von Netzwerken, inwiefern diese Konstruktion eines Netzwerks von Bundesländern sinnvoll ist! Musterlösungen zu den Aufgaben sind abrufbar unter: ➔ http: / / www.utb-shop.de/ 9783825245634 3.3 Zur Messung von Netzwerken Vor den Auswertungsverfahren hier noch drei kurze Hinweise zur Messung von Netzwerken. Alle drei gelten grundlegenden Problemen bei der Konstruktion von sozialen Netzwerken: (a) Grenzen von Netzwerken Das erste Problem betrifft die Grenzen von Netzwerken: Welche Akteure gehören dazu und müssen in einer Untersuchung berücksichtigt werden (Laumann et al. 1983)? In dem Fall von Krackhardts Studie fällt die Antwort relativ leicht. Die Fragestellung geht nach den informalen Beziehungen in einem Unternehmen. Also müssen auch nur dessen Mitarbeiter befragt werden. Natürlich könnten auch Außenstehende wichtig werden für die informalen Beziehungen. Zum Beispiel könnte ein Ehepartner einer Mitarbeiterin mit einem anderen Mitarbeiter gut befreundet sein und dabei einige Informationen aus dem Betrieb weiter tragen. Dies fiele hier aufgrund der Studienanlage aus der Untersuchung. Und was ist mit Leiharbeitern, die eine kurze oder längere Zeit in einem Unternehmen tätig sind, oder mit freiberuflichen Mitarbeitern? <?page no="49"?> 50 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 50 Bei anderen Untersuchungsgegenständen fehlt uns eine Ausgangspopulation (wie hier die Mitarbeiter), zu der wir lediglich einzelne Akteure hinzufügen müssten. Ein Beispiel dafür sind die Gemeindeeliten, bei denen die Beziehungen zwischen den einflussreichen Akteuren in einer Gemeinde untersucht werden (Pappi 1984). Hier bietet sich ein qualitativer Feldzugang an. Bei diesem lotet die Forscherin zunächst das Feld durch ➔ teilnehmende Beobachtung und Interviews aus und bestimmt auf dieser Grundlage die Grenzziehung für die formale Analyse. Allgemein lauten die Kriterien für ein sinnvoll abgegrenztes Netzwerk: • Die Akteure müssen sich wechselseitig beobachten und aneinander orientieren (im Sinne des »sozialen Feldes« bei Lewin, siehe 2.5). • Es braucht eine sinnhafte Grenze eines Sozialraums, innerhalb derer Akteure als zugehörig gesehen werden und außerhalb derer als nicht zugehörig. Beide Kriterien sind nicht einfach zu bestimmen. Sie verlangen eine gute Kenntnis des Gegenstands und schließlich auch pragmatische Entscheidungen. Ob einzelne periphere Akteure in das Netzwerk fallen oder nicht, ist nicht ganz so wichtig. Aber die zentralen Akteure im jeweiligen Untersuchungsgegenstand sollten möglichst berücksichtigt werden. (b) Fehlende Teilnehmer an Befragung Akteure können nicht nur durch fehlerhafte Grenzbestimmung, sondern auch durch mangelnde Beteiligung aus einem Netzwerk fallen. Solche Non-Response ist schon bei standardisierten Befragungen ein Problem. Ihr wird dort aber durch aufwändige Stichprobenziehung und Gewichtung der Fälle begegnet. Bei der ➔ formalen Netzwerkanalyse fällt das Problem noch stärker ins Gewicht. Denn wir wollen etwas über das Muster an Sozialbeziehungen zwischen allen Akteuren in einem Bereich wissen. In der Untersuchung von Krackhardt hatten drei Akteure ihre Fragebögen nicht abgegeben- - Fran, Quincy und York. Wie wir gesehen haben, sind diese aber im Freundschaftsnetzwerk eher unwichtig. Sie werden von keinen anderen Mitarbeitern als Freunde genannt. Im Ratsuchenetzwerk sind sie dagegen relativ wichtig, und hier ist deren Fehlen ein deutliches Problem. 6 6 Krackhardt selbst hat in der Firma nicht nur die Angaben der Beteiligten zu ihren Beziehungen erhoben, sondern auch ihre Einschätzungen zu den Beziehungen anderer. Damit kann er das Problem lösen, indem er für die Beziehungen von Fran, Quincy und York die Einschätzungen der anderen heranzieht. Diese Vor- <?page no="50"?> 51 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 50 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 51 Eine richtige Lösung dafür wäre, die Netzwerkbeziehungen nicht über Fragebögen, sondern über non-reaktive Verfahren zu bestimmen. Beispielsweise könnte man die Häufigkeit des E-Mail-Verkehrs betrachten oder beobachten, wer mit wem zum Mittagessen oder in die Raucherpause geht. Solche non-reaktive Messungen sind nicht überall möglich, aber prinzipiell zuverlässiger (reliabler). Ein Problem hierbei sind Cut-Off-Werte: Ab wann spricht man von einer Beziehung? Vor dieser Schwierigkeit stehen die Befragten häufig selbst, wenn wir sie nach ihren Beziehungen fragen. Sie müssen sich jeweils einzeln entscheiden; ihnen fehlt der Vergleich mit den Angaben anderer Akteure. Dagegen können wir bei non-reaktiven Messungen ein objektives, für alle Akteure gleiches Kriterium für eine Beziehung anwenden. (c) Bedeutung von Beziehungen Anders als die ersten beiden Probleme wird das dritte meist wenig beachtet. Die grundlegenden Einheiten in Netzwerken sind die ➔ Beziehungen. Worin aber besteht im Einzelfall deren Bedeutung? Meist nehmen wir einfach an, dass hinter gemessenenen Beziehungen einigermaßen vergleichbare Verbindungen stehen-- dass sich also die bei Silicon Systems beobachteten Freundschaften in etwa ähneln. Oft begegnen wir aber ganz unterschiedlichen Bedeutungen von sozialen ➔ Beziehungen. Zum Beispiel zeigte King-To Yeung, dass die Befragten in spirituellen oder weltanschaulichen Kommunen in den USA mit »Liebe« gänzlich verschiedene Bedeutungen verbanden (2005: 402ff ). Insbesondere die als »Liebe« gemessenen Beziehungen in einer Kommune waren überhaupt nicht mit denen in einer anderen vergleichbar. Dabei setzt die Quantifizierung von Beziehungen in Einsen und Nullen voraus, dass sowohl die Einsen als auch die Nullen in ihrem Gehalt vergleichbar sind. Ansonsten könnten wir sie nicht zählen und nicht formal analysieren. Im Fall von Krackhardts Studie lässt sich vermuten, dass die Befragten auf die Frage nach der Ratsuche in etwa ähnlich geantwortet haben. Hier geht es um einen spezifischen kommunikativen Vorgang, den die Befragten vermutlich einigermaßen präsent im Kopf haben. Aber unter »Freundschaft« verstehen wir alle etwas sehr unterschiedliches (Fischer 1982a). So stimmen nicht immer die beiden Beteiligten in ihren Angaben darüber überein, ob sie eine Freundschaft haben. Wie wir im nächsten Abschnitt sehen, werden fast 40 Prozent der angegebenen Freundschaften nicht erwidert. Freundschaften stellen wir uns aber prinzipiell als beidseitig vor. Wie gehensweise ist allerdings sehr aufwändig und in üblichen Netzwerkstudien kaum zu bewerkstelligen. <?page no="51"?> 52 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 52 können wir die vielen einseitigen Freundschaftswahlen interpretieren und in den Analysen behandeln? Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten, alle mit Vor- und Nachteilen: (1) Wir können hinter einseitigen Freundschaften unterschiedliche Verständnisse von Freundschaft und unterschiedliche Einschätzungen der Beziehung vermuten. Dann wäre der logische Schritt, Freundschaften zu symmetrisieren. Dafür können wir entweder nur erwiderte Freundschaften zählen (und einseitige Nennungen entfernen). Oder wir behandeln jede Beziehung, in der einer der beiden Akteure eine Freundschaft sieht, als Freundschaft. Im ersten Fall unterschätzen wir die Anzahl der Freundschaften tendenziell, im zweiten Fall überschätzen wir sie eher. Eine solche Symmetrisierung können wir unter UCINET durchführen mit: UCINET: Transform ➔ Symmetrize [Symmetrizing Method/ Maximize oder Minimize] [Maximize] zählt einseitige Freundschaften als wechselseitig, [Minimize] eliminiert sie. (2) Wir können einseitige Nennungen als eine symmetrische, aber schwächere Form der Freundschaft interpretieren, also als eine andere Art der Beziehung (Friedkin 1980: 413). (3) Oder wir behandeln einseitige Freundschaften als asymmetrische Beziehungen und sehen dahinter unterschiedliche Dispositionen für die Freundschaft: Der eine Akteur wäre gerne befreundet, der andere nicht. Damit werden aber die Antworten der Beteiligten erheblich uminterpretiert. Denn der erste Akteur gibt ja an, in einer symmetrischen Beziehung (Freundschaft) zum anderen zu stehen-- und nicht, dass er gerne mit ihm befreundet wäre. Weiterhin müssen wir nicht nur bei der Messung, sondern auch bei den Analyseverfahren auf die Bedeutung der untersuchten Sozialbeziehungen achten. Nehmen wir an, ein Akteur ist sehr freimütig und gibt sehr viel mehr Freunde an als andere. 7 Dann sorgt dieses Antwortverhalten bei einer Reihe 7 Bei Krackhardt nennt etwa Chris 16 Freunde, wird aber nur von zwölf anderen als Freund bezeichnet. Umgekehrt nennt Rick nur neun Freunde, wird aber elfmal als Freund angegeben. Für beide ergeben sich ganz unterschiedliche Zentralitätsmaße. <?page no="52"?> 53 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 52 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 53 von Auswertungsmethoden dafür, dass dieser Akteur als wichtiger im Netzwerk erscheint als bei einem weniger großzügigen Antwortverhalten. Außerdem sind Analyseverfahren je nach Art der Sozialbeziehung unterschiedlich sinnvoll. Viele Verfahren zielen etwa auf längere ➔ Pfade im Netzwerk ab-- in wie vielen Schritten kommt man von einem Akteur zu einem anderen (siehe 4.1)? Dies erscheint etwa bei der Ratsuche sinnvoll. Denn über Ratsuche können Informationen über mehrere Schritte wandern. Im Freundschaftsnetzwerk sieht das etwas anders aus: Etwa zu einer Geburtstagsfeier werden üblicherweise die direkten Freundinnen und Freunden eingeladen. Wer zwei oder drei Freundschaftsschritte entfernt ist, bleibt außen vor. Insofern sind längere Pfade im Ratsuchenetzwerk vermutlich aussagekräftiger als im Freundschaftsnetzwerk. Wir können sowohl die Ratsuche als auch die Freundschaften als Indikatoren für informale Kommunikation im Unternehmen interpretieren. Dabei werden durchaus unterschiedliche Aspekte kommuniziert: • Bei der Ratsuche geht es um Informationen. • Innerhalb von Freundschaften werden auch Informationen kommuniziert. Vor allem aber tauschen sich Freunde über Bewertungen aus: Wie fanden sie das Verhalten des Chefs? Wie stehen sie zu den Präsidentschaftsbewerbern? Bewertungen wandern nicht einfach und schnell über mehrere Schritte-- auch wenn sich Freunde direkt beeinflussen. Krackhardts Studie analysiert unter anderem einen Konflikt, in dem sich die Mitarbeiter für oder gegen eine mögliche gewerkschaftliche Organisation entscheiden mussten (1992: 225ff; siehe 4.2). Hierfür sind weniger Informationen relevant als Bewertungen, und deswegen zeigte sich das Freundschaftsnetzwerk als wichtiger für den Ausgang des Konflikts. Allgemein lässt sich an dieser Stelle als Ratschlag formulieren: Sozialbeziehungen sollten möglichst genau mit Blick auf die Fragestellung und auf die dahinter liegende Theorie, sowie vor dem Hintergrund einer guten Kenntnis des Feldes erhoben werden. Insbesondere sollte man schwammige Begriffe wie »Freund« möglichst vermeiden, weil alle etwas (leicht) anderes darunter verstehen. Optimal sind deswegen non-reaktive Verfahren der Beziehungsmessung (s. o.). Sind solche non-reaktiven Messungen nicht möglich, sollte man die Akteure eher nach vergangenem Verhalten befragen als nach schwammigen Begriffen (»Freundschaft«) oder nach hypothetischen Situationen (»Wen würden Sie um Rat fragen? «). Zudem sollten wir bei der Auswertung stärker auf robuste Verfahren setzen, die weniger auf die Positionierung einzelner Akteure (siehe Kapitel 4) und mehr auf die Rekonstruktion systematische Beziehungs- <?page no="53"?> 54 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 54 muster zielen (Kapitel 5 und 6). Diese systematischen Beziehungsmuster dürften relativ unsensibel für das Antwortverhalten einzelner Akteure sein. 3.4 Dichte und Reziprozität Als einfachste Maße können wir für ein Netzwerk dessen Dichte und die Reziprozität der Beziehungen bestimmen. (a) Dichte Die Dichte wird berechnet als Anteil der bestehenden an den möglichen Beziehungen, oder auch als Anteil der Einsen in der ➔ Matrix eines Netzwerks an der Gesamtzahl der Zellen. Definition: Die Dichte eines Netzwerks steht für den Anteil der realisierten von den insgesamt möglichen Beziehungen. Die Beziehungen von Akteuren zu sich selbst, also die Diagonale, werden dabei meist ignoriert. Die Anzahl der möglichen Beziehungen berechnet sich aus: Anzahl möglicher Beziehungen =- Anzahl der Akteure x (Anzahl der Akteure-- 1) Von jedem Akteur kann eine gerichtete Beziehung zu jedem anderen Akteur laufen. Bei Silicon Systems gab es 36 Mitarbeiter, also konnten diese 36 x 35 =-1260 Mal eine Freundschaft oder eine Ratgeberin nennen. Sowohl bei der Ratsuche wie auch bei den Freundschaften wurden jeweils 147 Beziehungen genannt. Die Dichte des Freundschaftswie auch des Ratsuchenetzwerks beträgt also jeweils 147/ 1260 =- 0,117, also zwischen einem Neuntel und einem Achtel. Das lässt sich auch schnell in UCINET berechnen: UCINET: Network ➔ Cohesion ➔ Density ➔ Density Overall Dabei sollte man keinen Haken bei [Utilize Diagonal] setzen. Sonst werden die Selbstbeziehungen als mögliche Beziehungen mitberechnet, was hier nicht sinnvoll ist. Ist eine Dichte von 0,117 viel oder wenig? Das lässt sich nicht ohne weiteres sagen. Die Dichte eines Netzwerks hängt sehr stark von dessen Größe, von der Art der Beziehung und von deren Messung ab: <?page no="54"?> 55 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 54 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 55 (1) Wenn Silicon Systems deutlich kleiner wäre, läge der Anteil von Freundschaften vermutlich höher. (2) Wenn Krackhardt gefragt hätte, mit wem die Mitarbeiter in den letzten zwei Wochen freie Zeit verbracht haben (auch das eine mögliche Messung von Freundschaft), wäre die Dichte vermutlich gesunken. (3) Durch eine Symmetrisierung sinkt die Dichte, wenn man nicht erwiderte Nennungen eliminiert; oder sie steigt, wenn man einseitige Nennungen als Indikatoren für eine Beziehung sieht. Am ehesten lassen sich Dichtemessungen für verschiedene Beziehungen innerhalb eines Netzwerks vergleichen (hier die Ratsuche mit der Freundschaft) oder über verschiedene Netzwerke, soweit diese in etwa gleich groß sind und die Beziehungen auf die gleiche Weise gemessen werden. (b) Reziprozität Auch bei der Reziprozität handelt es sich um einen Anteil, in diesem Fall dafür, wie viele der angegebenen Beziehungen erwidert werden. Definition: ➔ Reziprozität steht für den Anteil der beidseitigen Beziehungen an den insgesamt bestehenden Beziehungen. Bei der Befragung bei Silicon Systems wurden 147 Freundschaften genannt. Davon wurden 112 erwidert. Also finden wir im Netzwerk 56 beidseitige Freundschaften und 35 »einseitige Freundschaften«. Der Reziprozitätswert beträgt also 56/ (56 + 35) =- 61,5 Prozent. 8 Auch dies lässt sich schnell mit UCINET berechnen: UCINET: ➔ Network ➔ Cohesion ➔ Reciprocity [Method/ Dyad-based] Die Beziehungen der Ratsuche bei Silicon Systems sind dagegen nur zu 19,5 Prozent reziprok. Hier handelt es sich offensichtlich weniger um informale Austauschbeziehungen mit einem quid-pro-quo. Die Ratsuche scheint eher ein Routineaspekt der Zusammenarbeit im Unternehmen. Dies lässt sich 8 Alternativ können wir einen anderen Reziprozitätswert berechnen. Dieser gibt nicht den Anteil reziproker Beziehungen, sondern den Anteil erwiderter Beziehungsangaben an ( [Method/ Arc-based] in UCINET). Dieser liegt hier bei 112/ 147 =-76,2 Prozent. Beide Messmethoden sind möglich und lassen sich auch unproblematisch ineinander umrechnen. <?page no="55"?> 56 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 56 etwa daran ablesen, dass 19 der Mitarbeiter angaben, den technischen Experten Ev nach Rat zu fragen. Ev selbst fragte aber nur eine Person um Rat, den Gründer und Leiter der Firma Steve. Intuitiv erscheint Ratsuche als Beziehung denn auch weniger reziprok als Freundschaft. Dichte und Reziprozität sind wichtige deskriptive Kennzahlen eines jeden Netzwerks. Die Dichte bildet eine Angabe über das Netzwerk insgesamt. Dagegen sagt die Reziprozität viel über die jeweilige Sozialbeziehung aus und hilft bei deren Interpretation. Wir greifen später die Reziprozität noch einmal als eine Strukturtendenz von Netzwerkbeziehungen auf (siehe 10.3). Übungsaufgabe 2: In den 1950ern befragte John Gagnon 67 Insassen eines Gefängnisses nach ihren »besten Freunden« dort (MacRae 1960). Der zugehörige Datensatz PRISON.##H wird standardmäßig im Arbeitsverzeichnis von UCINET installiert. Untersuchen Sie dieses Netzwerk auf Dichte und Reziprozität! Wie sind die Dichte- und Reziprozitätswerte einzuschätzen? Musterlösungen zu den Aufgaben sind abrufbar unter: ➔ http: / / www.utb-shop.de/ 9783825245634 3.5 Résumé Die ➔ Netzwerkgraphen und -matrizen bilden die Grundlage der ➔ formalen Netzwerkanalyse. Ein gutes Verständnis von deren Konstruktion ist unerlässlich für die weiteren Verfahren. Die Dichte und die ➔ Reziprozität von Beziehungen stellen erste grundlegende Eigenschaften von Netzwerken dar. Sie hängen sehr von der Art der Beziehungen und damit von deren Messung (und von der forschungspraktischen Abgrenzung des Netzwerks) ab. Deren Bedeutung für Netzwerkanalysen ist kaum zu überschätzen und sollte in jeder guten Studie reflektiert werden. Leseempfehlungen: Fischer, Claude 1982: »What Do We Mean by ›Friend‹? « Social Networks 3, 287-306. Haas, Jessica/ Thomas Malang 2010: »Beziehungen und Kanten« in: Christian Stegbauer/ Roger Häußling (Hg.): Handbuch Netzwerkforschung, Wiesbaden: VS, 89-98. <?page no="56"?> 57 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 56 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 57 Jansen, Dorothea 2003: Einführung in die Netzwerkanalyse, Wiesbaden: VS, Kapitel 4 und 5. Krackhardt, David: »The Strength of Strong Ties: The Importance of Philos in Organizations« in: Nitin Nohria/ Robert Eccles (Hg.): Networks and Organizations, Boston: Harvard Business School, 216-239. Krackhardt, David 1999: »The Ties that Torture: Simmelian Tie Analysis in Organizations« Research in the Sociology of Organizations 16, 183-210. <?page no="57"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 58 <?page no="58"?> 59 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 58 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 59 4. Zentralität und strukturelle Löcher In diesem Kapitel behandeln wir Verfahren und Konzepte für den Vergleich von individuellen Positionen in Netzwerken. Die zentrale Methode ist die Ermittlung von Zentralitätsmaßen (4.1). D. h., Individuen werden danach verglichen, wie zentral (oder peripher) sie im jeweiligen Netzwerk sind. Anschließend betrachten wir zwei eng mit Zentralitäten verknüpfte Konzepte: Die sogenannten »schwachen Beziehungen«, mit denen strukturelle Löcher im Netzwerk überbrückt werden (4.2). 4.1 Zentralität Die ➔ Zentralität von Akteuren in Netzwerken lässt sich auf ganz unterschiedliche Weisen bestimmen und messen (Freeman 1979). (a) Degree-Zentralität Die einfachste Möglichkeit ist die Degree-Zentralität. Dabei werden die Verbindungen eines Knotens gezählt-- Akteure mit vielen Sozialbeziehungen sind wichtiger im Netzwerk als solche mit wenigen. Bei gerichteten Beziehungen können wir unterscheiden zwischen der Anzahl der empfangenen Beziehungen (Indegree) und der der von einem Akteur an andere geschickten Beziehungen (Outdegree). Definition: Die Degree-Zentralität eines Knotens steht für dessen Anzahl von Verbindungen zu anderen Knoten im Netzwerk. Bei der Indegree-Zentralität werden eingehende Beziehungen gezählt, bei der Outdegree-Zentralität ausgehende Beziehungen.« Die Zentralitätsmaße betrachte ich nun für das Ratsuchenetzwerk in Krackhardts Studie. Tabelle 4 zeigt die Zentralitäten für die wichtigsten zwölf Akteure bei Silicon Systems. Die höchsten Outdegrees finden wir bei Mel und York mit jeweils 15 ausgehenden Beziehungen. Ev und Steve werden am meisten um Rat gefragt (Indegree: 19). Wer ist nun wichtiger-- Mel und York oder Ev und Steve? Das hängt im Wesentlichen davon ab, wie man die Beziehung »Ratsuche« interpretiert. Einerseits lässt sich vermuten, dass Mel und York deswegen viele Leute um Rat fragen, weil sie selbst Informationen und Unterstützung brauchen. <?page no="59"?> 60 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 60 Die Outdegree-Zentralität wäre gewissermaßen ein Maß für Hilflosigkeit. Andererseits wird man nicht angeben, dass man bei jemandem um Rat fragt, wenn man von dieser Person nicht schon häufiger hilfreiche Informationen erhalten hat. In dieser Interpretation steht der Outdegree für den Zugang zu Informationen. Außerdem hängt die Anzahl der ausgehenden Beziehungen direkt vom Antwortverhalten im Interview ab (s. o.). Ist eine Befragte mitteilsam, steigt ihr Outdegree. Ist sie eher wortkarg oder verweigert sie die Teilnahme, sorgt dies für eine niedrigere Anzahl von ausgehenden Beziehungen. Aufgrund dessen sollte man den Outdegree sehr zurückhaltend interpretieren- - außer, die Daten beruhen nicht auf einer Befragung sondern zum Beispiel auf non-reaktiven Messungen. Tab. 4: Zentralitäten im Ratsuchenetzwerk bei Silicon Systems (Auswahl) Outdegree Indegree Outdegree 2-Step Betweenness Betweenness 2-Step Steve 7 19 16 370,9 68,4 Rick 11 6 21 190,7 32,5 Pat 9 7 20 143,5 15,5 Mel 15 5 22 124,6 26,3 Len 7 3 23 80,3 10,4 Chris 6 7 20 73,7 22,7 York 15 5 22 57,3 18,7 Ev 1 19 7 49,1 3,6 Quincy 3 10 9 48,2 6,3 Dan 3 7 9 38,5 4,8 Alex 2 11 5 36,6 13,2 Fred 3 9 8 33 6,3 Quelle: Eigene Berechnung <?page no="60"?> 61 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 60 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 61 Der Indegree gibt dagegen an, wie häufig jemand von anderen als Beziehungspartner angegeben wird. Dieses Maß hängt wesentlich weniger von individuellem Antwortverhalten ab, ist also robuster. In der Literatur wird der Indegree auch als Prestige interpretiert, weil er von der Nennung durch andere abhängt. Allerdings muss diese Wahl nicht positiv sein, sondern kann auch für Ablehnung stehen. In dem vorliegenden Fall der Ratsuche können wir vermuten: Der technische Experte Ev und der Unternehmensgründer Steve sind mit den höchsten Indegree-Werten tatsächlich wichtige Informationsquellen im Unternehmen. Ev selbst gibt an, nur eine andere Person (Steve) um Rat zu fragen. Vermutlich verfügt er als technischer Experte über viel externes Wissen, das er den anderen Mitarbeitern weiter gibt. Outdegree und Indegree sind die einfachsten Zentralitätsmaße. Bei allen weiteren Maßen spielt die Struktur des sozialen Netzwerks eine stärkere Rolle. Die Idee all dieser Maße ist, dass die Stellung eines Knotens nicht alleine durch die Anzahl seiner direkten Verbindungen bestimmt wird, sondern auch durch seine indirekten Verbindungen zu anderen Knoten. Grundlegend hierfür ist das Konzept der Pfaddistanz: Sie gibt an, wie viele (gerichtete) Schritte man mindestens benötigt, um auf einem durchgehenden ➔ Pfad von einem Akteur A zu einem anderen Akteur B im Netzwerk zu gelangen. Bei direkt miteinander verbundenen Akteuren beträgt die Pfaddistanz 1 (sie sind nur einen Schritt voneinander entfernt). Definition: Die Pfaddistanz zwischen zwei Akteuren besteht aus der Anzahl der (gerichteten) Verbindungen, über die ein Akteur im Netzwerk den zweiten Akteur erreichen kann. Im Ratsuchenetzwerk bei Silicon Systems brauchen die meisten Akteure zwei oder drei Schritte zueinander. Informationen müssen hier also über eine oder zwei Zwischenstellen von A zu B wandern. Für 57 Paarungen von Akteuren beträgt die Pfaddistanz 5. Hier gelangen Informationen nur sehr unwahrscheinlich von A zu B. Gänzlich unmöglich ist es für 435 Paare von Akteuren, weil es im Ratsuchenetzwerk keine möglichen ➔ Pfade von A zu B gibt. Etwa ein Drittel von möglichen Informationsflüssen kann also gar nicht stattfinden. UCINET gibt die Verteilung der Pfaddistanzen in einem Netzwerk mit folgendem Befehl aus: UCINET: Network ➔ Cohesion ➔ Geodesic Distances <?page no="61"?> 62 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 62 Auf der Basis dieser Pfaddistanzen lässt sich nun relativ schnell ein zweites Zentralitätsmaß bestimmten: die Degrees über mehrere Schritte (N-Step-Degree mit N für die Anzahl der Schritte). Wie viele andere Knoten kann ein Akteur mit einer kurzen Anzahl von Schritten erreichen? Informationen oder Gefälligkeiten wandern häufig über mehrere Stationen in einem Netzwerk. Beispielsweise erfahren Mitarbeiter über einen Freund über einen Kneipenbesuch oder über einen Workshop. Aber je länger der Pfad von der Quelle zum Empfänger, desto unzuverlässiger kommt eine Information an. Deswegen nimmt man hier meist eine kleine Zahl von zwei oder drei Schritten. Definition: Der N-Step-Degree eines Knotens steht für die Anzahl an Knoten, die dieser in N (1, 2, 3- …) Schritten erreichen kann. Beim Indegree geht es um verkettete eingehende Beziehungen, beim Outdegree um Ketten ausgehender Beziehungen. In Tabelle 4 habe ich die Outdegree-Werte im Ratsuchenetzwerk bei Silicon Systems für zwei Schritte (2-Step) eingetragen. Diese Zahl steht dafür, von wie vielen Mitarbeitern ein Akteur Informationen über zwei Schritte erhalten kann. Wenig überraschend haben diejenigen Akteure hohe 2-Step-Outdegree-Werte, die entweder selbst angeben, bei vielen Akteuren Rat zu suchen (einfache Outdegree-Werte)- - oder die bei ebendiesen Akteuren selbst Rat suchen. Die 2-Step-Outdegree-Werte messen also den direkten und indirekten Informationszugang. Sie hängen aber auch-- wie die einfachen Outdegree-Werte-- stark vom Antwortverhalten ab. Alternativ könnten wir 2-Step-Indegree-Werte berechnen. Sie stünden dafür, an wie viele andere Knoten ein Akteur Informationen direkt und indirekt weiter gibt. Dieses Maß wäre wohl robuster, aber auch weniger interessant als der Zugang zu Informationen. Deswegen habe ich es hier nicht angegeben. Bei den Degree-Zentralitäten werden alle Verbindungen zu allen anderen Knoten gleichermaßen berücksichtigt. Bei den Degrees über mehrere Schritte sind dagegen Verbindungen zu zentralen Akteuren besonders wichtig. Wer nahe an wichtigen Informationsverteilern steht, erhält hier höhere Werte. (b) Betweenness-Zentralität Die Betweenness-Zentralität misst dagegen: Wer erhält Informationen schneller als andere? Dafür wird geschaut, inwiefern ein Knoten auf den kürzesten Pfaden zwischen anderen Knoten liegt. Wenn also Informationen <?page no="62"?> 63 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 62 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 63 von B nach C über A laufen müssen, dann erhält A eine hohe Betweenness-Zentralität. Mathematisch berechnet sich die Betweenness eines Knotens A als die Anzahl der kürzesten ➔ Pfade zwischen allen anderen Knoten im Netzwerk, die über A laufen müssen. Oft gibt es mehrere kürzeste Pfade zwischen zwei Knoten B und C, zum Beispiel wenn diese indirekt sowohl über A als auch über D verbunden sind. In diesem Fall werden diese Pfade anteilig gerechnet (im Beispiel: jeweils 0,5 für A und D). Die Betweenness misst damit so etwas wie einen Broker-Status im Netzwerk. Akteure mit hohen Werten haben privilegierten Zugang zu Informationen, die andere nicht oder später erhalten. Bei einer hohen Betweenness kann man sich natürlich auch überlegen, wem man welche Informationen, Gefälligkeiten etc. weiterleitet und wem nicht. Im Ratsuchenetzwerk von Silicon Systems fungiert vor allem Steve als Informations-Broker mit einer hohen Betweenness (370,9). Andere wichtige Akteure mit Werten größer 100 sind Rick, Pat und Mel. Die relativ niedrige Betweenness (49,1) des technischen Experten Ev überrascht trotz seines hohen Indegrees nicht: Ev nennt nur eine Person, bei der er Rat sucht-- Steve. Und diese Person wird selbst häufig als Ratgeber genannt. Deswegen müssen Informationen von Steve zu anderen Mitarbeitern selten über Ev laufen. Von den Zentralitätsmaßen ist die Betweenness die wichtigste und am häufigsten benutzte in der Netzwerkforschung. Deswegen sind die Mitarbeiter in Tabelle 4 nach der Betweenness-Zentralität sortiert. Auch hier kann man sich natürlich überlegen, dass längere ➔ Pfade relativ unzuverlässig sind etwa für die Weitergabe von Informationen. Auf längeren Pfaden können prinzipiell alle Zwischenstationen entscheiden, Informationen weiterzugeben oder diese für sich zu behalten. Dem können wir Rechnung tragen, indem wir die Pfade für die Berechnung der Betweenness auf einige Schritte verkürzen, zum Beispiel auf zwei Schritte (2-Step). Hier wird geschaut, wie viele andere Knoten direkt durch einen Akteur verbunden werden. Auch dabei werden mehrere mögliche Pfade anteilig berücksichtigt. Dieses Maß weist Steve wieder als zentralen Broker bei Silicon Systems aus (Betweenness-Zentralität von 68,4, Tabelle 4). Auffällig ist der nochmal relativ niedrigere Wert bei Ev-- in zwei Schritten über ihn können die anderen Mitarbeiter eben nur Steve erreichen. Und Steve können die meisten auch direkt oder über andere Akteure erreichen. Definition: Die Betweenness-Zentralität eines Knotens steht für die Anzahl der kürzesten Pfade im Netzwerk, die über diesen Knoten laufen. Bei mehreren möglichen kürzesten Pfaden gehen diese anteilig in die <?page no="63"?> 64 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 64 Berechnung ein. Betweenness-Zentralität misst Brokerage-Positionen. N-Step-Betweenness verkürzt die Länge der möglichen ➔ Pfade auf N Schritte. Die verschiedenen Zentralitätsmaße lassen sich bei UCINET mit folgendem Befehl berechnen: UCINET: Network ➔ Centrality & Power ➔ Multiple Measures Die Option Multiple Measures liefert einfach und schnell die geläufigsten und wichtigsten Zentralitätsmaße, darunter auch die hier aufgeführten. Es ist ohnehin sinnvoll, die Akteure in einem Netzwerk mit Blick auf mehrere Zentralitätsmaße zu vergleichen. Durch eine Zusammenschau von verschiedenen Zentralitäten (wie in Tabelle 4) erhalten wir Hinweise auf die Rollen von Akteuren im Netzwerk. So spiegeln etwa die unterschiedlichen Zentralitäten von Steve, Mel und Ev deren spezifische Position im Ratsuchenetzwerk bei Silicon Systems wider: Steve erscheint als zentraler Broker; bei Mel fließen viele Informationen zusammen (sie gibt sie aber auch weiter); Ev tritt eher als Quelle von Information auf, die er wohl von außen in das Netzwerk bringt. Allgemein vergleichen Zentralitätsmaße individuelle Knoten in einem Netzwerk miteinander. Insofern eignen sie sich wenig für Aussagen über die Gesamtstruktur. Das eine beste Maß für Zentralität gibt es nicht- - je nach Fragestellung, nach Beziehungsart und nach deren Messung bieten sich unterschiedliche an. Wie bereits mehrfach angedeutet, sind viele Zentralitätsmaße sehr sensibel für unterschiedliches Antwortverhalten. Am robustesten sind Zentralitäten in Netzwerken, die auf non-reaktiven Daten beruhen- - für die Verbindungen »objektiv« gemessen werden, und nicht durch Befragungen. In jedem Fall sollte man sich gut überlegen, wofür ein bestimmtes Maß von Zentralität im gegebenen Fall steht und wie es sich also theoretisch interpretieren lässt. Übungsaufgabe 3: Untersuchen Sie das Netzwerk der Gefängnis-Insassen (PRISON.##H) auf die wichtigsten Zentralitätsmaße! Führen Sie anschließend eine Symmetrisierung der Freundschaftsbeziehungen durch, indem Sie nur wechselseitige Freundschaftswahlen als Freundschaften akzeptieren! Berichten Sie die jeweils fünf höchsten Zentralitätswerte und interpretieren Sie <?page no="64"?> 65 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 64 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 65 diese in Zusammenhang mit der Visualisierung (sowohl des gerichteten als auch des symmetrischen Freundschaftsnetzwerks)! Musterlösungen zu den Aufgaben sind abrufbar unter: ➔ http: / / www.utb-shop.de/ 9783825245634 4.2 Schwache Beziehungen und-strukturelle-Löcher (a) Stärke schwacher Beziehungen Insbesondere die Betweenness-Zentralität geht auf eine der wichtigsten konzeptionellen Entwicklungen der Netzwerkforschung zurück: Mark Granovetters Theorie der Bedeutung » ➔ schwacher Beziehungen« (»the strength of weak ties«; 1973), die später in leicht veränderter Form von Ronald Burt als Theorie der »strukturellen Löcher« formuliert wird (1992). Granovetters Grundidee lautet: Über starke Beziehungen wie enge Freundschaft, Liebe oder direkte Verwandtschaft sind wir oft mit Personen verbunden, die sich auch untereinander kennen (1973: 1363f ). Deswegen erhalten wir von ihnen selten wichtige Informationen-- etwa über freie Stellen auf dem Arbeitsmarkt. Denn über diese starken Beziehungen erfahren wir nur, was im Netzwerk um uns herum schon bekannt ist. Die Information, die mein Bruder mir mitteilt, kann ich vermutlich auch von meinen Eltern erhalten. Insofern sind diese starken Beziehungen redundant und austauschbar-- zumindest, was den Zugang zu Informationen betrifft. Wichtige Dinge erfahren wir dagegen verhältnismäßig oft über eher oberflächliche Bekanntschaften, etwa zu Arbeitskollegen oder zu früheren Studienkollegen. Dies ist nach Granovetter die sogenannte »Stärke« dieser »schwachen Beziehungen«. Mark Granovetter (geb. 1943) ist einer der wichtigsten und meistzitierten Netzwerkforscher. Mit seiner Strength of Weak Ties-These zeigte er die Bedeutung von Netzwerken für sozio-ökonomische Ungleichheit, insbesondere für den Zugang zum Arbeitsmarkt, auf. In späteren Arbeiten weist er auf die strukturelle Einbettung von Wirtschaftsunternehmen in Netzwerke und auf den Netzwerkcharakter von Märkten. Damit räumt Granovetter mit der auf autonom handelnde Individuen fokussierten ökonomischen Theorie auf und Netzwerken einen zentralen Platz im Wirtschaftsgeschehen ein. <?page no="65"?> 66 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 66 Eines der wichtigsten Beispiele ist der oben erwähnte Zugang zu Arbeitsstellen. Viele empirische Studien belegen, dass wir Arbeitsstellen oft über soziale Beziehungen finden, und dass dabei Bekannte, Arbeits- und Studienkollegen wichtiger sind als Familie und Freunde (Lin et al. 1981). Allerdings sind für manche Jobs, bei denen es stark um Vertrauen geht, wieder die starken Beziehungen zu Freunden und Familien wichtiger. Ein Beispiel hierfür sind die Portiers (»Doormen«) in New Yorker Apartmenthäusern (Bearman 2005: 42ff ). Für diese Arbeit braucht es im Grunde keine formale Qualifikation. Umso wichtiger ist das Vertrauen der Hausbewohner und -besitzer darin, dass die Portiers den Zugang zu ihren Häusern gut überwachen. Deswegen verlassen sie sich bei Neuanstellungen gerne auf Empfehlungen ihrer bisherigen Portiers aus ihren Familien und Freunden. In jedem Fall überrascht das Ausmaß, in dem man Arbeitsstellen über persönliche Beziehungen und Empfehlungen erlangt-- und nicht über die formale Qualifikation. Granovetter behandelt in seinem Argument die Stärke von Beziehungen als entscheidend. Denn vor allem starke Beziehungen zeigen eine Tendenz zur ➔ Transitivität (siehe 2.5): Bei unseren guten Freunden ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass sie sich auch gegenseitig kennen, als bei flüchtigen Bekannten. Deswegen erhalten wir von Bekannten nicht-redundante, und damit wertvolle Informationen aus entfernten Netzwerk-Clustern. (b) Strukturelle Löcher Ronald Burt hat dieses Argument stärker auf die Netzwerkstruktur bezogen: Ihm zufolge kommt es nicht so sehr auf die Stärke der Beziehung an. Vielmehr profitieren wir vor allem von Beziehungen in Netzwerkbereiche hinein, mit denen wir ansonsten unverbunden sind. Dies sind dann Brücken über strukturelle Löcher-- ob es sich nun um starke oder schwache Beziehungen handelt (Burt 1992: 18ff ). Definition: Schwache Beziehungen sind eher oberflächliche Verbindungen etwa zu Bekannten, Arbeits- und Studienkollegen. Über diese erhalten wir nicht-redundante Informationen, etwa Tipps zu freien Arbeitsstellen. Nach Burt geschieht das vor allem dann, wenn es sich dabei um Brücken über strukturelle Löcher im Netzwerk handelt, also diese Beziehungen zwischenansonsten unverbundene Netzwerkbereiche laufen. Wir können dieses strukturelle Argument leicht in bisher betrachtete Maße in Netzwerken übersetzen: Akteure an Brücken über strukturelle Löcher <?page no="66"?> 67 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 66 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 67 haben eine höhere Betweenness-Zentralität (vor allem über zwei bis drei Schritte), und sie agieren als Broker zwischen unterschiedlichen Netzwerksegmenten. Die »schwachen Beziehungen« bei Granovetter stehen dagegen für die Art bzw. die Stärke von Beziehungen. Dabei geht es eher um die Messung von Sozialbeziehungen. Zwischen starken und schwachen Beziehungen können wir auch im Rahmen von ➔ ego-zentrierten Netzwerkstudien unterscheiden. Dafür müssen wir nach Freunden und Bekannten oder nach der Häufigkeit des Kontakts fragen. Ronald Burt (geb. 1949) studierte unter anderem beim bekannten Rational Choice-Theoretiker James Coleman. Er entwarf früh ein eigenes Verfahren der ➔ Blockmodellanalyse (1976; siehe 6.c) und eine Handlungstheorie sozialer Netzwerke (1982; siehe 11.1). Später entwickelte er das heute wichtigste Instrument zur Erhebung von ➔ ego-zentrierten Netzwerken und sorgte für dessen Aufnahme in den General Social Survey-- die wichtigste regelmäßig durchgeführte Bevölkerungsumfrage in den USA. Sein Buch von 1992 Structural Holes wurde zum Bestseller und machte die Netzwerkforschung für die amerikanische Managementlehre in den Business Schools interessant. Ronald Burt zeigte in mehreren Studien eines großen amerikanischen Unternehmens: Der informelle Zugang zu weiter entfernten Netzwerkbereichen, etwa zu anderen Abteilungen im Unternehmen, über persönliche Beziehungen fördert sowohl den beruflichen Aufstieg (1992: 115ff ) als auch die Entstehung von guten Ideen (gemessen an angemeldeten Patenten; 2004).Dabei sind Broker-Positionen nicht nur mit Vorteilen verbunden. Akteure zwischen verschiedenen Gruppen werden von diesen mit Erwartungen konfrontiert, die sich teilweise widersprechen. Insbesondere in Konfliktfällen kann sich ein Broker schnell zwischen den Fronten aufreiben. So leidet in Krackhardts Studie zu Silicon Systems die zentrale Figur im Freundschaftsnetzwerk, Chris, auch eher unter seiner Position zwischen den Gruppen im Konflikt um die gewerkschaftliche Organisation (1992: 232f; 1999: 206). 4.3 Résumé Die Untersuchung von ➔ Zentralität gehört heute zum Kern der Netzwerkforschung. Die beiden theoretischen Konzepte der Stärke ➔ schwacher Beziehungen und der strukturellen Löcher) machen deutlich, warum das so ist: Die individuelle Position in Netzwerken verleiht Akteuren wichtige Vor- und <?page no="67"?> 68 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 68 Nachteile. In der Zusammenschau liefern die verschiedenen Zentralitätsmaße wichtige Erkenntnisse über die Rolle von Individuen in Netzwerken. Dabei liefert die Familie der Zentralitätsmaße nur Aussagen über individuelle Positionen in einem Netzwerk im Vergleich. Weder erfahren wir auf diese Weise etwas über die Gesamtstruktur eines Netzwerks, noch über zugrunde liegende Strukturtendenzen. Auch lassen sich Zentralitätsmaße nur mit Einschränkungen über verschiedene Netzwerke miteinander vergleichen. Maße wie die Degree- oder die Betweenness-Zentralität hängen stark an der allgemeinen Dichte des Netzwerks und damit auch an der Messung von Beziehungen: Genügt für eine Beziehung eine »Bekanntschaft« oder ein »Mögen« oder muss es gleich eine »Freundschaft« sein? Kleine Änderungen an der Erhebung verändern teilweise die Ergebnisse deutlich. Auch die Größe des Netzwerks beeinflusst die Zentralitätsmaße. Insofern sollten wir mit den Zentralitätsmaßen vorsichtig umgehen. Insbesondere sollten wir sie nur dann betrachten, wenn es in unserer Fragestellung tatsächlich um den Vergleich von Akteuren im Netzwerk geht. Ansonsten benutzen wir besser die weitergehenden Verfahren aus den nächsten Kapiteln. Leseempfehlungen: Burt, Ronald 1992: Structural Holes: The Social Structure of Competition, Cambridge/ Massachusetts: Harvard University Press 1992 (v. a. Kapitel 1 und 4). Freeman, Linton 1979: »Centrality in Social Networks« Social Networks 1, 215-239. Granovetter, Mark 1973: »The Strength of Weak Ties« American Journal of Sociology 78, 1360-1380 Pedazhur, Ami/ Arie Perliger 2006: »The Changing Nature of Suicide Attacks: A Social Network Perspective« Social Forces 84, 1987-2008. <?page no="68"?> 69 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 68 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 69 5. Triaden und Cliquen Die verschiedenen Maße für Zentralität bewegen sich auf der Individualebene: Sie vergleichen die Knoten nach ihrer Bedeutung in einem Netzwerk miteinander. Damit wissen wir noch wenig über die Struktur des Netzwerks. In diesem Kapitel gehen wir einen Schritt weg vom Individuum und betrachten lokale Strukturen in Netzwerken: • Zunächst greifen wir die Überlegungen zu ➔ Transitivität (siehe 2.5) und zu ➔ schwachen Beziehungen (siehe 4.2) auf, indem wir Netzwerke auf die Verteilung von triadischen Konstellationen untersuchen (5.1). • Anschließend geht es um Cliquenstrukturen, also um die Identifikation von verdichteten Gruppen im Netzwerk (5.2). 5.1 Triaden Bisher haben wir Netzwerke teilweise als Summe von dyadischen Beziehungen betrachtet. Struktur wird aber erst ab ➔ Triaden sichtbar. Triaden sind unterschiedliche Konstellationen von Beziehungen zwischen jeweils drei Akteuren. Bei ungerichteten Beziehungen sind vier Konstellationen denkbar: (1) A fungiert als Broker oder Star, wenn dieser mit zwei selbst unverbundenen Akteuren B und C verbunden ist. (2) Wenn alle drei Akteure miteinander verknüpft sind, sprechen wir von einer ➔ Clique mit einem hohen Maß an Solidarität und sozialem Druck. (3) Bei einer Verbindung zwischen A und B, aber keiner zu C, können wir C als exkludiert beschreiben. (4) Die drei Akteure können auch isoliert, ohne Beziehungen untereinander, stehen. Definition: ➔ Triaden sind strukturelle Konstellationen von drei Akteuren im Netzwerk. Diese können jeweils unterschiedlich miteinander vernetzt sein und damit einem spezifischen Triaden-Typ zugeordnet werden. Paul Holland und Samuel Leinhardt haben auf der Basis dieser Grundüberlegungen den Triaden-Zensus entwickelt (1970). Bei diesem Verfahren werden alle möglichen Kombinationen von drei Akteuren in einem Netzwerk auf die jeweilige Konstellation von Beziehungen untersucht. Der Triaden-Zensus betrachtet gerichtete Beziehungen- - das erhöht die Anzahl möglicher Konstellationen von vier auf 16. Dabei ist es unerheblich, <?page no="69"?> 70 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 70 wer welche Rolle in einer Triade einnimmt-- es wird nur nach dem Vorkommen der Grundkonstellation gesucht. Die drei Akteure haben untereinander drei Beziehungen, die jeweils reziprok oder einseitig sein oder nicht bestehen können. Die 16 möglichen Triaden-Konstellationen erhalten jeweils einen unverwechselbaren Namen mit drei Zahlen für die Anzahl von reziproken, gerichteten und nicht-bestehenden Beziehungen (die Summe ist immer drei). Teilweise braucht es zusätzlich einen Buchstaben, um unterschiedliche Konstellationen zu unterscheiden. Die möglichen Triaden mit den Bezeichnungen von Holland und Leinhardt sind in Tabelle 5 abgebildet. Tab. 5: Mögliche Triaden gerichteter Beziehungen Quelle: Holland / Leinhardt 1970: 496 021U 012 003 021D 030T 021C 102 030C 120U 111U 111D 120D 210 201 120C 300 <?page no="70"?> 71 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 70 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 71 Wie unschwer zu erkennen, sind diese Triaden unterschiedlich ausbalanciert (siehe 2.5): • Perfekte Balance finden wir in den Konstellationen 003 (mit drei isolierten Individuen), 102 (eine reziproke Beziehung) und 300 ( ➔ Clique mit drei reziproken Beziehungen)- - solange wir eine positive Beziehung betrachten. • Die Konstellation 201 mit zwei reziproken Dyaden um einen Broker sollte sich der Balance-Theorie folgend transitiv zu 300 entwickeln. • 021U könnte die Bewunderung eines Stars durch mehrere Fans reflektieren. • 021D wäre eine kleine Befehlspyramide mit einem Vorgesetzten und zwei Untergeordneten. • 021C könnte eine Befehls- und Loyalitätshierarchie abbilden, wie wir sie etwa in Feudalsystemen finden- - die Befehle des Königs werden über Fürsten an einfache Bürger weiter gegeben. • In 030T würde die Befehlshierarchie transitiv. Hier könnte ein Vorgesetzter nicht nur seinem unmittelbar Untergebenen, sondern auch dessen Untergebenen Befehle erteilen-- ein Grundprinzip der modernen formalen Organisation, wie auch des Militärs (Martin 2009: 266ff ). • 030C schließlich wäre ein Ring mit »generalisiertem Austauch« (Bearman 1997). Man könnte hier an ein ungeliebtes Geburtstagsgeschenk denken, dass man weiter verschenkt, bevor es indirekt wieder beim ursprünglichen Schenker landet. Die Verteilung dieser Grundtypen von Triaden in einem Netzwerk gibt Auskunft über die Beziehungsart, aber auch über die Grundstruktur des jeweiligen Netzwerks. In UCINET können wir den Triaden-Zensus folgendermaßen durchführen: UCINET: Network ➔ Triad Census Schauen wir uns die Verteilung von Triaden im Freundschafts- und im Ratsuchenetzwerk bei Silicon Systems an (Tabelle 6). Die Häufigkeiten der Triaden summieren sich jeweils auf 7140-- die Gesamtzahl der möglichen Triaden (36 x 35 x 34/ 6) in einem Netzwerk mit 36 Akteuren, wenn man sich jeweils nur die Art der Konstellation (nicht deren genaue Ausrichtung zwischen den drei Akteuren) anschaut: Gesamtzahl der möglichen Triaden =-N x (N-1) x (N-2)/ 6; mit N =-Zahl der Knoten <?page no="71"?> 72 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 72 In beiden Netzwerken ist die Triade mit drei isolierten Individuen (003) am häufigsten-- dies spiegelt die Dichte und die Anzahl der isolierten Akteure im Netzwerk wider. In dem Ratsuchenetzwerk finden wir deutlich mehr Triaden mit asymmetrischen Pyramiden oder Hierarchien als bei den Freundschaften: 021C, 021D, 021U, 120D, 120U und 030T (diese Form gibt es im Freundschaftsnetzwerk überhaupt nicht). Dagegen dominieren im Freundschaftsnetzwerk reziproke Konstellationen: 102, 201, 300. All dies ist wenig überraschend, da die Freundschaften sehr viel stärker erwidert werden als die Ratsuche. Zudem steht die Ratsuche eher für arbeitsbezogene Prozesse und ist enger mit der formalen Organisation (und deren Hierarchien) verbunden. Tab. 6: Triaden-Zensus für Freundschaft und Ratsuche bei Silicon Systems Triade Freundschaft Ratsuche 003 4590 3987 012 833 1864 102 1250 418 021D 14 102 021U 18 279 021C 30 84 111D 86 122 111U 80 99 030T 0 69 030C 0 0 201 162 27 120D 2 25 120U 5 32 120C 8 4 210 37 22 300 25 6 Quelle: Eigene Berechnung <?page no="72"?> 73 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 72 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 73 Wir können also aus den reinen Häufigkeiten der Typen von Triaden Aussagen über die Strukturierung des Netzwerks ziehen- - besser als aus dem reinen ➔ Netzwerkgraphen und den ➔ Zentralitätsanalysen. Über die Frage der ➔ Reziprozität hinaus (die einfach mittels Reziprozitätswert untersucht werden kann) werden hier ➔ Transitivität und einfache Rollenstrukturen sichtbar. Allerdings führt der Triaden-Zensus nur zur Verteilung von Häufigkeiten. Selten lassen sich diese so einfach vergleichen wie hier: Beide Netzwerke haben die gleiche Größe und Dichte. Der Vergleich zwischen Freundschaft und Ratsuche liefert Aussagen über die Strukturregelmäßigkeiten dieser Typen von Beziehungen in diesem Netzwerk. Alternativ können wir auch verschiedene Netzwerkkontexte mit Blick auf die gleiche Art von Beziehung vergleichen. Wie können wir nun herausfinden, ob ein Netzwerk besonders häufig bestimmte Arten von Triaden aufweist? Uns interessiert zum Beispiel, ob unser Netzwerk stark positiv transitiv ist-- dafür zählen wir die 300-Triaden. Allerdings steigt die Anzahl der 300-Triaden mit der Dichte des Netzwerks. In einem vollständig verbundenen Graphen (mit Dichte =-1) wären alle Triaden vom Typ 300. Dies wäre noch kein Hinweis auf eine besondere Tendenz zur Transitivität. Deswegen vergleicht man den empirisch beobachteten Triaden-Zensus am besten mit zufällig generierten Netzwerken mit ähnlichen äußeren Eigenschaften (Größe, Dichte etc.). Wenn nun eine Triaden-Anzahl deutlich von denen bei den zufällig generierten Netzwerken abweicht, dann weist dies auf eine bestimmte Strukturierung des Netzwerks. Auf diese Weise lassen sich auch Hypothesen hinsichtlich von Strukturtendenzen im Netzwerk testen (und Signifikanzen angeben; Wasserman 1977). Dieses Vorgehen ist in UCINET bisher nicht möglich. Wir können es aber in Exponential Random Graph Models (ERGM) durchführen (siehe 7.6). Übungsaufgabe 4: Führen Sie den Triaden-Zensus für das Netzwerk der Gefängnis-Insassen (PRISON.##H) durch und anschließend für die (minimal) symmetrisierte Version des Netzwerks! Diskutieren Sie die Ergebnisse im Vergleich zum Freundschaftsnetzwerk bei Silicon-Systems! Musterlösungen zu den Aufgaben sind abrufbar unter: ➔ http: / / www.utb-shop.de/ 9783825245634 <?page no="73"?> 74 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 74 5.2 Cliquen Wie beim Triaden-Zensus geht es auch bei der Identifikation von ➔ Cliquen und Subgruppen um die Rekonstruktion von Mikro-Strukturen in Netzwerken. Diese zielt darauf, Gruppen von eng miteinander vernetzten Akteuren zu identifizieren. Dabei werden die Kriterien für enge Vernetzung jeweils etwas unterschiedlich gehandhabt. Die einfachste Definition für eine vernetzte Gruppe ist die einer Clique (Luce/ Perry 1949: 97f ). Definition: Eine Clique besteht aus mindestens drei Akteuren, die vollständig (und reziprok) miteinander vernetzt sind. Die Cliquen-Analyse sucht nach den größtmöglichen Cliquen in einem Netzwerk. Dies erfolgt in UCINET mit folgendem Befehl: UCINET: Network ➔ Subgroup ➔ Cliques Als Mindestgröße (Minimum Size) gibt man üblicherweise 3 an-- dies ist bei UCINET ohnehin als Option voreingestellt (lässt sich aber ändern). Eine »Clique« mit nur zwei reziprok verbundenen Akteuren wäre zwar möglich. Sie erscheint aber nicht sinnvoll, wenn man auf der Suche nach Gruppenstrukturen ist. Einen ersten Hinweis auf Cliquen im Ratsuche- und im Freundschaftsnetzwerk bei Silicon Systems liefert der obige ➔ Triaden-Zensus. Eine Dreier-Clique ist ja gleichbedeutend mit der 300-Triade aus drei reziproken Beziehungen. Hiervon finden wir im Ratsuchenetzwerk 6, im Freundschaftsnetzwerk dagegen 25. Prinzipiell scheint Freundschaft eher zu Cliquen zu führen als Ratsuche-- dies entspricht der allgemeinen Tendenz zur ➔ Transitivität von Freundschaftsbeziehungen. Die Cliquenanalyse des Ratsuchenetzwerks ergibt genau die sechs Dreier-Cliquen aus dem Triaden-Zensus. Das heißt vor allem, dass keine größeren Cliquen-Strukturen bestehen. Dagegen macht das Programm im Freundschaftsnetzwerk nur 15 Cliquen aus. Denn einige der 25 identifizierten vollvernetzten Triaden (des Typus 300) tauchen nun als Teile von vier Vierer-Cliquen auf. Das lässt sich leicht nachvollziehen: In einer vollvernetzten Clique mit vier Akteuren finden wir vier vollvernetzte Triaden. Dabei klammern wir jeweils einen der vier Eckpunkte aus der Betrachtung aus. Entsprechend gibt <?page no="74"?> 75 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 74 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 75 es weniger Cliquen als Triaden, sobald die Cliquen mehr als drei Akteure umspannen. 9 Schauen wir uns einmal nur die Cliquen im Ratsuchenetzwerk an (Abbildung 6). Hier werden die Probleme der Cliquen-Analyse besonders deutlich. An den sechs Cliquen sind nur 8 Personen beteiligt. Die meisten von ihnen tauchen mehrfach in unterschiedlichen Cliquen auf. Beispielsweise sind Mel und York gleichzeitig drei Cliquen zugehörig mit Len, Ben und Pat als jeweils drittem Akteur. Pat und York sind aber zusätzlich auch noch mit Irv in einer Clique zu finden. Zwischen Irv und Mel gibt es keine Verbindung. Entsprechend können wir aus den vier Knoten rechts unten in der Abbildung (Mel, York, Irv und Len) keine Vierer-Clique bilden. Eher wäre es möglich, dass Pat, Ben, Mel und York eine Vierer-Clique formen. Ben gibt ja an, bei Pat um Rat zu suchen. Nur umgekehrt fehlt die Verbindung von Pat zu Ben. Das führt uns als erstes wieder zu dem bekannten Problem, dass das Antwortverhalten der Beteiligten einen großen Einfluss auf die identifizierten Netzwerkstrukturen hat. Möglicherweise hat Pat in der Befragung vergessen, 9 Prinzipiell müssten wir also 12 Cliquen weniger finden als 300-Triaden. Es ergeben sich aber nur 10 Cliquen weniger, weil zwei der 300-Triaden in zwei Vierer-Cliquen auftauchen. Abb. 6: Cliquen im Ratsuchenetzwerk bei Silicon Systems Quelle: Eigene Darstellung LEN MEL PAT STEVE YORK BEN JIM IRV <?page no="75"?> 76 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 76 Ben zu nennen. Dann hätten wir wiederum eine Vierer-Clique, weil alle vier Akteure wechselseitig beieinander Rat suchen- - wie beim Cliquenbegriff gefordert. Allerdings scheint es bei der Ratsuche nicht sinnvoll, von einer gerichteten Beziehung von A zu B darauf zu schließen, dass auch eine Beziehung von B zu A besteht. Bei Freundschaften bietet es sich eher an, die Beziehungen vorher zu symmetrisieren-- denn Freundschaften erwarten wir ja als reziprok (siehe 3.3). Dies führt zu wesentlich mehr Cliquen-Strukturen. Das Problem des Einflusses des Antwortverhaltens taucht immer wieder in der Netzwerkforschung auf (wie bei allem sozialwissenschaftlichen Umgang mit Befragungsdaten). Ein zweiter Problemkomplex ist aber spezifisch für die Cliquenanalyse: Zwischen den acht Akteuren finden wir sechs vollvernetzte Dreier-Cliquen. Inwiefern lässt sich- - angesichts der weitreichenden Überlappung- - überhaupt von sechs getrennten Cliquen sprechen? Wäre es nicht sinnvoll, die gesamte Achter-Gruppe oder auch nur die Fünfer-Gruppe mit Jim, Pat, Steve, York und Mel als dicht vernetzte Clique zu identifizieren? In dieser sucht fast jede bei jedem Rat. Zwischen allen fünf Akteuren bestehen zumindest einseitige Ratsuchebeziehungen. Zu einer Fünfer-Clique fehlen lediglich die Ratsuchen von Steve zu York und Mel und von Jim zu Mel (17 der 20 nötigen Netzwerkangaben liegen also vor). Alternativ könnten wir auch eine Fünfer-Gruppe mit Ben, Mel, Pat, Steve und York bilden, in der nur vier der 20 nötigen gerichteten Beziehungen fehlen. Wir sehen also zwei miteinander verbundene Probleme: (1) Die Identifikation von Cliquen hängt oft an nur wenigen Nennungen. Sie wird stark vom Antwortverhalten beeinflusst bzw. von Cut-Off-Werten bei non-reaktiven Messungen. (2) Identifizierte Cliquen sind häufig sehr eng miteinander verbunden-- mit Überlappungen an Akteuren und Beziehungen. Deswegen lässt sich kaum von getrennten Cliquen sprechen. Entsprechend erscheint es sinnvoll, Cliquen zu größeren Subgruppen zusammenzufassen. Genaue Kriterien hierfür sind aber schwer zu bestimmen. Sie führen immer zu neuen Problemen der Überlappung und der arbiträren Cut-Offs. Verschiedene andere Methoden versuchen diesen Problemen zu begegnen, indem sie die Kriterien für die Identifikation von verdichteten Subgruppen etwas lockern. Ein Beispiel hierfür sind sogenannte n-Cliquen. Dabei werden nicht nur direkte Beziehungen gezählt. Sondern Gruppen werden mit indirekten Beziehungen bis zu einer Pfaddistanz von n Schritten zu Cliquen zusammengefasst. Dabei nimmt man relativ niedrige Werte für n, zum Beispiel 2. Mit höheren Werten würden kaum zusammenhängende Strukturen zu n-Cliquen zusammengefasst. <?page no="76"?> 77 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 76 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 77 UCINET: Network ➔ Subgroup ➔ N-Cliques Eine andere Möglichkeit sind sogenannte k-Plexe. Hier müssen Gruppen nicht vollvernetzt sein. Stattdessen sucht das Verfahren nach den größten Gruppen im Netzwerk, in denen alle Akteure mit höchstens k Akteuren nicht verbunden sind. D. h. für ein 2-Plex der Größe 5, dass jeder Knoten mindestens eine Beziehung zu drei Knoten hat. Meist haben Akteure keine Beziehungen zu sich selbst. Deswegen muss ein Mitglied eines 2-Plexes mit fast allen anderen Akteuren (bis auf höchstens einen) verknüpft sein. Sowohl für n-Cliquen wie auch für k-Plexe verlangt UCINET symmetrische Daten. UCINET: Network ➔ Subgroup ➔ K-Plex Wenn wir nun das (symmetrisierte) Ratsuchenetzwerk bei Silicon Systems auf 2-Plexe von mindestens der Größe 4 untersuchen, finden wir wieder sechs Subgruppen. In diesen sind jeweils genau vier Akteure verbunden-- und zwar insgesamt die acht Akteure, die wir oben bereits in der Cliquen-Analyse identifiziert haben. Die Zahl der Subgruppen und Akteure stimmt nur zufällig genau überein. Wir können aber festhalten: Trotz der weniger restriktiven Kriterien erhalten wir wieder sechs sich vielfältig überlappende Subgruppen. Diese umfassen zwar jetzt jeweils einen Akteur mehr-- sie bilden aber keine größeren Substrukturen ab. Wir finden also keine klar voneinander abgetrennten Gruppen, sondern immer nur einigermaßen willkürlichen Gruppierungen. Einzelne Akteure tauchen wieder drei- oder viermal als Mitglied dieser K-Plexe auf. Damit löst dieses Verfahren das genannte Problem der Überlappung der rekonstruierten Strukturen in nicht identifizierten größeren Strukturen nicht. David Krackhardt benutzt in seiner Analyse des Netzwerks bei Silicon Systems übrigens eine weitere Analysemöglichkeit der Cliquen-Analyse: Aus den identifizierten Cliquen lässt sich eine neue ➔ Matrix mit Ko-Mitgliedschaften von Akteuren konstruieren. Es handelt sich wieder um eine Akteur-zu-Akteur-Matrix. Nur die Zelleinträge stehen jetzt nicht für einzelne Beziehungen, sondern für die gemeinsame Mitgliedschaft in Cliquen. UCI- NET liefert diese Ko-Mitgliedschafts-Matrix automatisch als Output in der Cliquen-Analyse. Sie ist symmetrisch, weil Ko-Mitgliedschaften immer in beide Richtungen laufen. Und auf der Diagonale wird für jeden Akteur eingetragen, in wie vielen Cliquen er jeweils auftaucht. <?page no="77"?> 78 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 78 Wir können an dieser Stelle festhalten: Die Cliquen-Analyse rekonstruiert verdichtete Gruppenstrukturen innerhalb eines Netzwerks und liefert für dessen Beschreibung wichtige Anhaltspunkte. Sie ist als Verfahren allerdings nicht präzise genug. Häufig liefert sie irreführende Werte und kaum jemals die erhofften klar abgrenzbaren Subgruppen. Dies gilt selbst mit den kurz angedeuteten Erweiterungen, also den k-Plexen und den n-Cliquen. Diese lösen die grundsätzlichen Probleme der Überlappung von identifizierten Strukturen und der Sensibilität für Messfehler nicht. Zur Analyse der Strukturierung von Netzwerken ist die oben vorgestellte Untersuchung von Triaden prinzipiell besser geeignet-- auch weil sie nicht nur verdichtete Kommunikation in 300-Triaden, sondern in Ansätzen auch Rollenstrukturen und Hierarchien ausmacht. Übungsaufgabe 5: Führen Sie die Cliquen-Analyse für das Netzwerk der Gefängnis-Insassen (PRISON.##H) durch! Wie sind die Ergebnisse zu interpretieren? Musterlösungen zu den Aufgaben sind abrufbar unter: ➔ http: / / www.utb-shop.de/ 9783825245634 5.3 Résumé Sowohl die Cliquen-Analyse (in ihren verschiedenen Varianten) als auch der Triaden-Zensus liefern Aussagen über lokale Strukturen in Netzwerken. Die ➔ Cliquen-Analyse will verdichtete Gruppenstrukturen identifizieren. Sie stößt jedoch dort an Grenzen, wo diese nicht vollständig oder weitgehend vollständig vernetzt sind. Bei bis zu wie vielen fehlenden Beziehungen können wir noch von einer Clique sprechen? Ist es sinnvoll, mehrere Cliquen (oder Plexe) zu identifizieren, wenn diese sich umfänglich überschneiden (wie im Ratsuchenetzwerk bei Silicon Systems)? Diese Probleme führen dazu, dass die Ergebnisse der Cliquen-Analyse oft wenig aussagekräftig sind. Deutlich besser sieht es beim ➔ Triaden-Zensus aus: Dieser liefert zunächst zwar relativ unübersichtliche Ergebnisse in der Form von Häufigkeiten verschiedener triadischer Koalitionen. Jedoch reflektieren sie die grundlegenden Strukturtendenzen im Netzwerk. So konnten wir beim Vergleich der Freundschafts- und Ratsuchenetzwerke bei Silicon Systems feststellen: Die Freundschaften tendieren stärker zu Reziprozität und Transitivität. Bei der Ratsuche dominieren dagegen asymmetrische und hierarchische Konstellationen. <?page no="78"?> 79 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 78 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 79 Damit führt der Triaden-Zensus hin zur Rekonstruktion von ➔ Mechanismen, die der Struktur von empirisch beobachtbaren Netzwerken in unterschiedlichem Maße zugrunde liegen (siehe Kapitel 11). Leseempfehlungen: Holland, Paul/ Samuel Leinhardt 1970: »A Method for Detecting Structure in Sociometric Data« American Journal of Sociology 76, 492-513. Krackhardt, David 1999: »The Ties that Torture: Simmelian Tie Analysis in Organizations« in: Research in the Sociology of Organizations 16, 183-210. Trappmann, Mark/ Hans Hummell/ Wolfgang Sodeur 2011: Strukturanalyse sozialer Netzwerke, Wiesbaden: VS, Kapitel 3 und 5. <?page no="79"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 80 <?page no="80"?> 81 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 80 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 81 6. Blockmodellanalyse Mit den Zentralitätsmaßen werden einzelne Akteure im Netzwerk miteinander verglichen. Der Triaden-Zensus und die Cliquen-Analyse untersuchen lokale Strukturen in Netzwerken. In Kapitel 6 kommen wir zur ➔ Blockmodellanalyse die Netzwerke nicht in Bezug auf einzelne Knoten oder lokale Strukturen untersucht. Sondern sie betrachtet Netzwerke gewissermaßen von außen und trifft Aussagen über deren Gesamtstruktur. In diesem Kapitel stelle ich die allgemeine Vorgehensweise der Blockmodellanalyse (6.1), das zugrunde liegende Konzept der »strukturellen Äquivalenz« (6.2), die Durchführung des Verfahrens (6.3) und seine theoretischen Interpretation (6.4) vor. 6.1 Grundlegendes Vorgehen Die Blockmodellanalyse baut ein stark vereinfachtes Modell der Netzwerkstruktur. Dabei werden alle Knoten größeren Kategorien zugeordnet (z. B. A und B). Das Modell gibt dann an, an welchen Stellen im Netzwerk wir systematisch Beziehungen und an welchen wir systematisch keine Beziehungen finden. Dies wird in dem vereinfachten Strukturmodell jeweils mit einer 1 (für systematisch bestehende Beziehungen) oder mit einer 0 (für wenige bis keine Beziehungen) markiert. Zum Beispiel können wir in einem Netzwerk von Zitationen zentrale Autoren unter A zusammenfassen, periphere Autoren unter B. Zitationen sind vor allem zwischen den zentralen Autoren (von A zu A) zu finden, und von den peripheren zu den zentralen Autoren (von B zu A). Umgekehrt zitieren die zentralen Autoren die peripheren wenig bis gar nicht (von A zu B), und diese sich untereinander auch nicht (von B zu B). Das vereinfachte Modell für diese Struktur ist in Tabelle 7 angegeben und in Abbildung 7 dargestellt. Ein solches vereinfachtes Strukturmodell trifft gewissermaßen »Vorhersagen« darüber, welche Beziehungen bestehen (von A zu A und von B zu A) und welche nicht (von A zu B und innerhalb von B). Die tatsächlich bestehenden Beziehungen können dann mit dem Strukturmodell verglichen werden- - etwa, indem man eine einfache Korrelation zwischen den tatsächlichen und den vorhergesagten Beziehungen berechnet. Damit lassen sich auch R 2 -Werte für die Güte des vereinfachten Modells angeben: Wie gut werden die tatsächlichen Beziehungen durch das Modell abgebildet? Dazu unten mehr. <?page no="81"?> 82 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 82 Diese allgemeine Vorgehensweise liegt neben der Blockmodellanalyse zwei einfacheren Verfahren zugrunde, die ich hier knapp vorstelle: (1) Ähnlich wie beim Beispiel des Zitationsnetzwerks können wir Netzwerke auf eine Kern-Peripherie-Struktur untersuchen (Borgatti/ Everett 1999). Dabei wird ein Kern von untereinander stark verdichteten Akteuren (A) von einer wenig vernetzten Peripherie (B) unterschieden. Innerhalb des Kerns erwarten wir also, dass Beziehungen systematisch bestehen (A ➔ A=-1). Dagegen bestehen kaum Beziehungen zwischen den Akteuren in der Peripherie (B ➔ B=- 0; Tabelle 8). Für die Beziehungen zwischen Kern und Peripherie können wir unterschiedliche Erwartungen formulieren- - dass diese Beziehungen bestehen, nicht bestehen, oder dass wir über sie keine Aussagen machen können (in der Tabelle mit ›x‹ markiert). UCINET führt die Analyse eines Netzwerks auf seine Kern-Peripherie-Struktur hin mit folgendem Befehl durch: UCINET: Network ➔ Core/ Periphery ➔ Categorical (2) Alternativ können wir vermuten, dass ein Netzwerk in kohärente Subgruppen gegliedert ist. Der entsprechende Factions-Algorithmus gruppiert Netzwerke in Kategorien, in denen die Beziehungen der Akteure stark verdichtet sind. Zwischen den Kategorien bestehen dabei möglichst wenig Beziehungen (Borgatti et al. 2013: 191ff ). Anders als bei der ➔ Cliquen-Analyse werden dabei alle Akteure genau einer Kategorie zugeordnet. In Tabelle 9 ist ein Modell mit 3 Subgruppen eingetragen. Bei UCINET wird diese Aufgliederung in Subgruppen folgendermaßen durchgeführt: UCINET: Network ➔ Subgroups ➔ Factions Tab. 7: Hypothetische Strukturmatrix Abb. 7: Hypothetisches Strukturmodell A B A 1 0 B 1 0 A B Quellen: Eigene Darstellung <?page no="82"?> 83 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 82 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 83 Dabei wählt man bei [Number of Blocks/ ] die Anzahl der gewünschten Subgruppen. Hier muss man verschiedene Zahlen der Fraktionen ausprobieren, bis man eine gute und schlüssig zu interpretierende Lösung erhält. Beide Verfahren liefern bei einem zu untersuchenden Netzwerk immer eine Lösung. Dies überrascht nicht unbedingt: Selbst bei einer zufälligen Verteilung von Beziehungen im Netzwerk finden wir stärker verdichtete Bereiche und weniger vernetzte Akteure. Und wir können gleichzeitig Gruppen von stärker untereinander verbundenen Akteuren ausmachen und voneinander trennen. Insofern sagt die reine Modellierung eines Netzwerks mit einer Kern-Peripherie-Struktur oder mit dem Factions-Algorithmus noch wenig aus. Jedes (empirisch beobachtete) Netzwerk hat einen Kern und eine Peripherie, und jedes Netzwerk zerfällt zu einem gewissen Grad in Subgruppen. Wir benötigen also ein Verfahren, dass uns angibt, welche Struktur ein bestimmtes Netzwerk am ehesten zeigt. Dafür bietet sich die ➔ Blockmodellanalyse an. Diese startet nicht mit einer Vermutung, dass ein Netzwerk auf eine bestimmte Weise strukturiert ist. Sondern sie sucht induktiv nach der Struktur, der das beobachtete Netzwerk am ehesten entspricht. So könnte eine Population aus zwei Kategorien bestehen, bei denen Beziehungen nicht innerhalb, sondern nur zwischen den Kategorien laufen. Klingt unwahrscheinlich? Man denke an eine Schulklasse, in der Verliebtheiten und Liebesbeziehungen mehrheitlich zwischen Mädchen und Jungen zu finden sind-- aber nur selten unter den Mädchen und unter den Jungen. Dies ist ein Fall ausgeprägter Heterophilie (der Tendenz zu Beziehungen zwischen Kategorien statt innerhalb von ihnen). Umgekehrt sind Freundschaften in Schulklassen empirisch meist gleichgeschlechtlich (homophil). Die Blockmodellanalyse ist in der Lage, solche unterschiedlichen Muster zu finden und die Wirkung von Kategorien (über die die Forscherin vorher keine Festlegungen trifft) über unterschiedliche Beziehungsarten hinweg (hier: Verliebtheiten, Liebesbeziehungen und Freundschaften) zu rekonstruieren. Tab. 8: Kern-Peripherie-Matrix Tab. 9: Matrix mit drei Subgruppen A B A 1 x B x 0 A B C A 1 0 0 B 0 1 0 C 0 0 1 Quellen: Eigene Darstellung <?page no="83"?> 84 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 84 6.2 Strukturelle Äquivalenz Die Blockmodellanalyse entstand in den 1970er-Jahren in einer Gruppe von Forschern um Harrison White an der Harvard University. Den Ausgangspunkt bildet das Konzept der ➔ strukturellen Äquivalenz. Dieses Konzept zieht White aus den ethnologischen Studien zu Familienstrukturen von Claude Lévi-Strauss und anderen (Lorrain/ White 1971: 69ff ): Mitglieder von Verwandtschaftskategorien wie »Onkel« oder »Tochter« müssen nicht unbedingt miteinander verbunden sein. Entscheidend ist vielmehr die regelkonforme Verbindung zu anderen Verwandtschaftskategorien: Ein »Onkel« ist (häufig) verheiratet mit einer »Tante« und hat eine Geschwisterbeziehung zum »Vater« oder zur »Mutter«, eventuell auch zu weiteren »Onkeln« und »Tanten«. Wie beim Beispiel Geschlecht in der Schulklasse laufen hier unterschiedliche Arten von Beziehungen gehäuft zwischen oder innerhalb von Mitgliedern von Kategorien. Harrison White (1930-) studierte zunächst Physik, bevor er sich der mathematischen Modellierung sozialer Strukturen zuwandte. Mit dem Konzept der strukturellen Äquivalenz und der Blockmodellanalyse legte er einen wichtigen Grundstein für zahlreiche Fallstudien, die der Netzwerkforschung zum Durchbruch innerhalb der Sozialwissenschaften (insbesondere der Soziologie) verhalfen (Scott 2000: 33ff). Später wandte er sich der Untersuchung von Märkten als Netzwerken und der theoretischen Reflexion der Netzwerkforschung zu (siehe 11.3). Er prägte als Doktorvater viele der wichtigsten Netzwerkforscher (Mark Granovetter, Ronald Breiger, Barry Wellman, Philipp Bonacich, Bonnie Erickson, Peter Bearman und viele mehr; Schmitt/ Fuhse 2015). In der strengsten Formulierung sind genau solche Akteure in einem Netzwerk strukturell äquivalent, die die gleichen Beziehungen zu anderen Akteuren aufweisen-- also etwa die Töchter eines Vaters. Durchgesetzt hat sich jedoch eine weniger strikte Konzeption: Strukturell äquivalente Akteure ähneln sich in ihren Verbindungen zu anderen Kategorien strukturell äquivalenter Akteure. Entsprechend wären auch Töchter unterschiedlicher Väter strukturell äquivalent. Diese lockerere Begriffsfassung wird oft »regulär äquivalent« genannt. Definition: ➔ Strukturell äquivalente Akteure sind in einem Netzwerk auf ähnliche Weise mit anderen Kategorien strukturell äquivalenter Akteure verbunden. <?page no="84"?> 85 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 84 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 85 • In diesem Sinne wären die Akteure im Kern eines Netzwerks strukturell äquivalent miteinander, weil sie systematisch Beziehungen untereinander aufweisen-- aber nicht unbedingt zur Peripherie. • Die Mitglieder der Peripherie wären ebenfalls untereinander strukturell äquivalent, gerade weil sie kaum Beziehungen untereinander aufweisen. • Auch die als Factions identifizierten Subgruppen wären Beispiele für Kategorien struktureller Äquivalenz. Wie lässt sich nun für ein beobachtetes Netzwerk die beste Abbildung in Kategorien funktional äquivalenter Akteure bestimmen? Hierfür entwickelte White mit seinen Doktoranden die Blockmodellanalyse. 6.3 Das Verfahren der Blockmodellanalyse Die Blockmodellanalyse ist-- wie das Kern-Peripherie-Modell und der Factions-Algorithmus- - ein induktives Verfahren (White et al. 1976; Heidler 2010). Sie sortiert die Fälle in der ➔ Matrix eines Netzwerks neu, bis sich nebeneinander liegende Akteure möglichst ähnlich in ihren Beziehungen zu anderen Akteuren sind. Damit lässt sich die gesamte Netzwerkpopulation in Kategorien strukturell äquivalenter Akteure aufteilen. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf sogenannten »Nullblöcken«. D. h., es werden möglichst große Blöcke mit möglichst wenig Beziehungen zwischen (oder innerhalb von) Kategorien von Akteuren gesucht. Denn diese zeigen an, dass zwischen den betreffenden Kategorien Beziehungen systematisch selten vorkommen. Im Falle des Geschlechts in der Schulklasse wären etwa gleichgeschlechtliche Verliebtheiten ein Nullblock, genauso wie auch gemischtgeschlechtliche Freundschaften. Dies sähe in einer Bar, die stark von Homosexuellen frequentiert wird, anders aus. Dort wären Verliebtheiten von einem Geschlecht zum anderen selten. In beiden Fällen sollte eine Blockmodellanalyse die Einteilung in Kategorien in etwa nach dem Geschlecht vornehmen. In UCINET wird als einfachstes Verfahren der Blockmodellanalyse der CONCOR-Algorithmus angewandt. Dieser wurde in der Gruppe um White (unter anderem von Ronald Breiger) entwickelt (Breiger et al. 1975). Einen zweiten wichtigen Algorithmus (STRUCTURE) entwickelte kurz darauf Ronald Burt (1976; siehe 4.2). Der Befehl für die Durchführung einer CONCOR-Blockmodellanalyse lautet: UCINET: Network ➔ Roles & Positions ➔ Structural ➔ Concor ➔ Standard <?page no="85"?> 86 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 86 Tab. 10: Blockmodell mit vier Kategorien bei Silicon Systems (Ratsuche) A b e R i c k C a r l V i c R o b i n H a l Y o r k L e n Z o e U p t o n J a c k J i m F r e d Q u i n c y B e n P a t E v D a n I r v E a r l T o m B o b C h r i s O v i d G a r y N a n W a l t F r a n G e r r y I v o D a l e S t e v e K e n H u g h M e l A l e x Abe 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 1 Rick 0 0 1 0 0 0 1 0 1 1 0 1 1 0 0 1 1 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 1 Carl 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Vic 0 1 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 1 0 0 1 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 Robin 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 1 Hal 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 1 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 York 0 0 0 0 0 1 1 0 1 0 1 1 1 1 1 1 1 1 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 1 1 Len 0 1 1 0 0 0 1 1 0 0 0 1 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 Zoe 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 Upton 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 Jack 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 Jim 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 1 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 Fred 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 Quincy 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 1 Ben 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 1 0 Pat 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 1 0 1 0 1 1 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 1 1 Ev 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 Dan 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 1 Irv 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 1 1 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 Earl 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 Tom 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 Bob 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Chris 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 1 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 1 1 Ovid 0 1 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Gary 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Nan 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Walt 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 Fran 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Gerry 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 1 0 1 0 1 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Ivo 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Dale 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Steve 0 1 0 0 0 0 0 0 0 1 0 1 0 1 0 1 1 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Ken 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Hugh 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Mel 0 0 0 0 0 1 1 1 0 0 1 1 0 1 1 1 1 1 0 0 1 0 1 1 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 1 Alex 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Quelle: Eigene Berechnung <?page no="86"?> 87 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 86 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 87 Tab. 10: Blockmodell mit vier Kategorien bei Silicon Systems (Ratsuche) A b e R i c k C a r l V i c R o b i n H a l Y o r k L e n Z o e U p t o n J a c k J i m F r e d Q u i n c y B e n P a t E v D a n I r v E a r l T o m B o b C h r i s O v i d G a r y N a n W a l t F r a n G e r r y I v o D a l e S t e v e K e n H u g h M e l A l e x Abe 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 1 Rick 0 0 1 0 0 0 1 0 1 1 0 1 1 0 0 1 1 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 1 Carl 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Vic 0 1 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 1 0 0 1 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 Robin 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 1 Hal 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 1 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 York 0 0 0 0 0 1 1 0 1 0 1 1 1 1 1 1 1 1 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 1 1 Len 0 1 1 0 0 0 1 1 0 0 0 1 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 Zoe 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 Upton 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 Jack 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 Jim 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 1 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 Fred 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 Quincy 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 1 Ben 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 1 0 Pat 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 1 0 1 0 1 1 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 1 1 Ev 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 Dan 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 1 Irv 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 1 1 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 Earl 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 Tom 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 Bob 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Chris 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 1 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 1 1 Ovid 0 1 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Gary 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Nan 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Walt 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 Fran 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Gerry 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 1 0 1 0 1 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Ivo 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Dale 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Steve 0 1 0 0 0 0 0 0 0 1 0 1 0 1 0 1 1 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Ken 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Hugh 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Mel 0 0 0 0 0 1 1 1 0 0 1 1 0 1 1 1 1 1 0 0 1 0 1 1 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 1 Alex 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Quelle: Eigene Berechnung <?page no="87"?> 88 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 88 Tab. 11: Blockmodell mit vier Kategorien bei Silicon Systems (Freundschaft) A b e R i c k C a r l V i c R o b i n H a l Y o r k L e n Z o e U p t o n J a c k J i m F r e d Q u i n c y B e n P a t E v D a n I r v E a r l T o m B o b C h r i s O v i d G a r y N a n W a l t F r a n G e r r y I v o D a l e S t e v e K e n H u g h M e l A l e x Abe 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Rick 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 1 1 0 0 1 0 1 0 1 0 0 0 0 0 1 1 1 0 0 0 Carl 0 0 0 0 1 0 1 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Vic 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 1 0 0 Robin 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 1 1 Hal 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 York 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Len 0 0 1 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 Zoe 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Upton 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 1 0 0 0 0 Jack 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Jim 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Fred 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 Quincy 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Ben 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Pat 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 1 0 Ev 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 Dan 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 1 0 1 0 Irv 0 0 0 0 0 0 0 1 1 0 0 0 0 0 0 1 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 1 1 0 0 0 0 Earl 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 Tom 0 1 0 1 0 0 0 0 1 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 1 0 1 0 1 1 1 0 Bob 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 1 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 Chris 0 1 0 0 1 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 1 1 1 1 1 0 1 1 1 0 1 1 1 1 Ovid 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 1 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 Gary 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 Nan 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 1 1 1 0 0 1 1 0 0 1 0 0 0 Walt 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Fran 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Gerry 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 1 0 1 0 0 1 0 0 0 0 0 1 1 0 0 Ivo 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Dale 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 1 1 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 1 Steve 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 1 1 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 Ken 0 1 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 1 0 0 0 0 1 0 0 1 0 0 0 1 0 0 Hugh 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 1 1 0 1 0 0 1 0 0 0 1 0 0 Mel 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 1 0 0 1 1 1 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 Alex 0 1 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 Quelle: Eigene Berechnung <?page no="88"?> 89 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 88 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 89 Tab. 11: Blockmodell mit vier Kategorien bei Silicon Systems (Freundschaft) A b e R i c k C a r l V i c R o b i n H a l Y o r k L e n Z o e U p t o n J a c k J i m F r e d Q u i n c y B e n P a t E v D a n I r v E a r l T o m B o b C h r i s O v i d G a r y N a n W a l t F r a n G e r r y I v o D a l e S t e v e K e n H u g h M e l A l e x Abe 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Rick 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 1 1 0 0 1 0 1 0 1 0 0 0 0 0 1 1 1 0 0 0 Carl 0 0 0 0 1 0 1 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Vic 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 1 0 0 Robin 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 1 1 Hal 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 York 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Len 0 0 1 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 Zoe 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Upton 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 1 0 0 0 0 Jack 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Jim 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Fred 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 Quincy 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Ben 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Pat 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 1 0 Ev 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 Dan 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 1 0 1 0 Irv 0 0 0 0 0 0 0 1 1 0 0 0 0 0 0 1 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 1 1 0 0 0 0 Earl 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 Tom 0 1 0 1 0 0 0 0 1 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 1 0 1 0 1 1 1 0 Bob 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 1 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 Chris 0 1 0 0 1 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 1 1 1 1 1 0 1 1 1 0 1 1 1 1 Ovid 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 1 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 Gary 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 Nan 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 1 1 1 0 0 1 1 0 0 1 0 0 0 Walt 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Fran 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Gerry 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 1 0 1 0 0 1 0 0 0 0 0 1 1 0 0 Ivo 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Dale 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 1 1 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 1 Steve 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 1 1 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 Ken 0 1 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 1 0 0 0 0 1 0 0 1 0 0 0 1 0 0 Hugh 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 1 1 0 1 0 0 1 0 0 0 1 0 0 Mel 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 1 0 0 1 1 1 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 Alex 0 1 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 Quelle: Eigene Berechnung <?page no="89"?> 90 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 90 Bei [Convergence Criteria] entfernt man am besten den vorgegebenen Wert und trägt hier erst einmal nichts ein. Wichtig ist vor allem die Angabe [Max depth of splits (not blocks)] . Sie gibt an, wie feingliedrig das Blockmodell sein soll. Bei einem Wert von 1 soll hier nur eine Unterscheidung der Akteure in zwei Kategorien vorgenommen werden. Bei zwei Splits können bis zu vier Kategorien generiert werden, bei drei Splits bis zu acht. Jeder Split verdoppelt also die Anzahl der möglichen Kategorien von Akteuren. Sinnvoll sind hier vor allem die Werte 2 oder 3. Bei vier Splits werden die Akteure in bis zu 16 Kategorien eingeteilt-- das Modell wird dadurch sehr komplex und stellt keine wirkliche Vereinfachung der Netzwerkdaten mehr dar. Selten genügt ein einziger Split, der dann zu einem Subgruppen-Modell oder einer Differenzierung in Kern und Peripherie führt. Schauen wir uns ein Blockmodell für das Netzwerk zwischen den Mitarbeitern bei Silicon Systems an. Bei zwei Splits generiert das Programm vier Kategorien von Akteuren mit möglichst ähnlichen Beziehungsmustern über beide Arten von Beziehungen hinweg (Ratsuche und Freundschaft). Die neu sortierten Netzwerkmatrizen sind in Tabelle 10 und Tabelle 11 wieder gegeben. Dickere Linien trennen die vier ermittelten Kategorien voneinander. Diese decken sich über beide Beziehungsmatrizen, weil die strukturelle Äquivalenz in Bezug auf alle Arten von Beziehungen zwischen den Akteuren gelten soll. Drei von diesen Kategorien umfassen jeweils zehn Akteure. Zur vierten Kategorie gehören nur sechs Mitarbeiter (Dale, Steve, Ken, Hugh, Mel und Alex). Diese Unterscheidung nach Kategorien wird für alle Beziehungsarten gleichzeitig getroffen. D. h., in Tabelle 15 für die Ratsuche finden wir dieselben Einteilungen wie in Tabelle 16 für die Freundschaft (aber natürlich nicht dieselben Beziehungen). Die Menge an Beziehungen von einer Kategorie zu einer anderen (oder auch zu sich selbst, innerhalb der Kategorie) heißt Block. 10 Diese Blöcke sind als dicker umrandete Rechtecke in den beiden Matrizen eingetragen. Bei der Betrachtung der Matrizen fällt bereits auf, dass einige Blöcke nur Nullen oder nur wenig Einsen enthalten, zum Beispiel bei der Ratsuche von der zweiten zur dritten Kategorie und bei der Freundschaft von der zweiten zur ersten Kategorie. Dieses sind die Nullblöcke, nach denen das Programm sucht. 10 In der Literatur werden häufig die Kategorien von Akteuren selbst als Blöcke bezeichnet. Man spräche hier dann von einer Lösung mit vier Blöcken. Ich vermeide diese Doppelbedeutung und schreibe in diesem Fall von Kategorien, im anderen Fall von Blöcken. <?page no="90"?> 91 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 90 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 91 Andere Blöcke-- etwa von der ersten und der vierten Kategorie zur zweiten Kategorie bei der Ratsuche-- haben relativ viele Beziehungen. Wieder sind die reinen Beziehungsmatrizen über solche oberflächliche Eindrücke hinaus von geringem Wert. Einen besseren Überblick über das Modell erhält man anhand von Dichte-Matrizen für die Beziehungen zwischen den Kategorien (Tabelle 12). Analog zur Berechnung der Dichte für ein Gesamtnetzwerk wird hier berechnet, welcher Anteil der möglichen Beziehungen zwischen zwei Kategorien tatsächlich besteht. Innerhalb der ersten Kategorie gibt es 90 mögliche Beziehungen. Von diesen bestehen bei der Ratsuche 14 (15,6 %) und bei der Freundschaft 7 (7,8 %). UCINET gibt die Dichte-Matrizen bei der Blockmodellanalyse automatisch mit aus. Aus diesen Matrizen können wir eine Reihe von Einsichten ziehen: (1) Aus der zweiten Kategorie sucht niemand bei der dritten Kategorie Rat. Ohnehin werden kaum Mitglieder der Kategorie 3 als Ratgeber genannt. In Bezug auf die Ratsuche ist die Kategorie 3 eher peripher. (2) Die zweite Kategorie sucht dagegen untereinander (Dichte =-18,9 %) und bei Kategorie 4 (25 %) Rat. Da auch die anderen Kategorien häufig angeben, bei Kategorie 2 Rat zu suchen, bildet diese einen Kern im Ratsuche-Netzwerk. (3) Bei der Freundschaft sind die Mitglieder der Kategorien 3 und 4 untereinander befreundet (mit Dichten von 20 % und 28,9 %). Sie stellen also verdichtete Subgruppen dar. Allerdings nennen sich die beiden Kategorien auch gehäuft gegenseitig als Freunde (je 25 % von 3 zu 4 und von 4 zu 3). Beide bilden den Kern des Freundschaftsnetzwerks bei Silicon Systems. Tab. 12: Dichte-Matrizen für das Blockmodell Ratsuche Freundschaft Kategorien 1 2 3 4 Kategorien 1 2 3 4 1 0,156 0,250 0,030 0,217 1 0,078 0,090 0,080 0,150 2 0,040 0,189 0,000 0,250 2 0,040 0,078 0,030 0,167 3 0,040 0,130 0,089 0,083 3 0,100 0,020 0,289 0,250 4 0,100 0,250 0,050 0,067 4 0,133 0,133 0,250 0,200 Quellen: Eigene Berechnung <?page no="91"?> 92 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 92 Warum werden die Kategorien 3 und 4 dann nicht zusammengefasst? (4) Einerseits verhalten sich die anderen Kategorien unterschiedlich zu ihnen. Die Mitglieder der Kategorie 4 werden in den Kategorien 1 und 2 häufig als Freunde genannt (und anders herum), die Mitglieder der dritten Kategorie dagegen kaum. (5) Andererseits spielen die Kategorien eine ganz unterschiedliche Rolle im Ratsuche-Netzwerk-- Kategorie 4 wird von den Mitgliedern der Kategorien 1 und 2 häufig als Ratgeber genannt, Kategorie 3 fast nie. Wir können diese systematischen Wahrscheinlichkeiten für oder gegen eine Beziehung zwischen zwei Kategorien in einem reduzierten Struktur-Modell abbilden (Tabelle 13). Dabei müssen wir definieren, bis zu welchem Dichte-Wert ein Block als Nullblock gilt. Leider ergibt sich beim ersten Blick auf die Dichte-Matrizen kein klarer Grenzwert, kein deutlicher Sprung zwischen hohen und niedrigen Dichte-Werten. Ich vergleiche deswegen diese Werte mit dem Gesamtdurchschnitt für die Dichte in den beiden Netzwerken. Dieser liegt bei 11,7 Prozent (siehe Kap. 3.4). Entsprechend ordne ich höhere Werte (von 13 Prozent und mehr) als Einser-Blöcke (oder systematisch bestehende Beziehungen) ein, alle Werte darunter (bis zu 10 Prozent) als Nullblöcke. Aus dem sich ergebenden Strukturmuster werden die Bedeutungen der verschiedenen Kategorien im Netzwerk der informalen Unternehmenskommunikation gut ersichtlich. Allerdings fällt diese Trennung nicht so leicht: Die Differenz zwischen 10 und 13 Prozent Dichte ist nicht groß. Und eine ganze Reihe von Blöcken liegt in der Dichte nahe beim Durchschnitt (13 von 32 zwischen 7,8 und 15,6 Prozent). Hier zeigt sich: Die Blockmodellanalyse liefert zwar ein vereinfachtes Tab. 13: Struktur-Modell für die Beziehungen zwischen Kategorien Ratsuche Freundschaft Kategorien 1 2 3 4 Kategorien 1 2 3 4 1 1 1 0 1 1 0 0 0 1 2 0 1 0 1 2 0 0 0 1 3 0 1 0 0 3 0 0 1 1 4 0 1 0 0 4 1 1 1 1 Quelle: Eigene Darstellung <?page no="92"?> 93 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 92 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 93 Modell der Netzwerkstrukturen. Dieses ist aber nie perfekt-- nicht alle Netzwerke eignen sich für eine solche Modellierung. Jeweils bestehende Netzwerke passen immer nur besser oder schlechter zu den jeweiligen Strukturmodellen. Wie ist nun die Güte dieses Modells einzuschätzen? UCINET liefert uns R 2 -Werte dafür, wieviel der Varianz im empirisch beobachteten Netzwerk durch das Modell eingefangen wird. R 2 -Werte sind in der empirischen Sozialforschung ein gängiges Maß dafür, wie gut ein bestimmtes Modell beobachtete Daten vorhersagt. Die Werte in der Beziehungsmatrix variieren ja zwischen 0 und 1. Grundsätzlich erwarten wir aufgrund der niedrigen Dichte des Netzwerks für jede einzelne Beziehung, dass diese eher nicht besteht. Damit wissen wir aber nichts darüber, an welchen Stellen Beziehungen und an welchen keine Beziehungen zu finden sind. R 2 -Werte geben an, welchen Anteil der Abweichungen wir mit einem bestimmten Modell abbilden können. Sie werden häufig als »erklärte Varianz« bezeichnet, genauer spricht man jedoch von »ausgeschöpfter Kovarianz« oder von einem »Determinationskoeffizienten«. Die R 2 -Werte aus dem Blockmodell liegen mit 6,9 Prozent (für die Ratsuche) und 6,2 Prozent (für die Freundschaft) eher niedrig. Dabei müssen wir dreierlei beachten: (1) Die Blockmodellanalyse konstruiert ein Strukturmodell für beide Netzwerke. Dieses muss sowohl für die Ratsuche wie auch für die Freundschaft gültig sein, also mit der gleichen kategorialen Einteilung die doppelte Anzahl von Beziehungen (zwischen den gleichen Akteuren) abbilden. Mit jeder zusätzlichen ➔ Matrix für einen weiteren Typ von Beziehungen in einem Blockmodell sinken die R 2 -Werte deutlich. Wenn wir alleine die Freundschaften betrachten (also nur eine Beziehungsmatrix), kommen wir mit einem Blockmodell mit vier Kategorien auf eine ausgeschöpfte Kovarianz (R 2 ) von 14,8 Prozent. (2) Wir könnten die Erklärungskraft des Modells deutlich verbessern, indem wir die Anzahl der Splits steigern und feinere Einteilungen in mehr Kategorien vornehmen. Bei drei Splits und acht Kategorien liegen die R 2 -Werte schon bei 20,3 (Ratsuche) bzw. 18,9 Prozent (Freundschaft). Mit vier Splits und 16 Blöcken kommen wir auf 42,9 und 35,3 Prozent. Theoretisch könnten wir mit sechs Splits jeden Akteur einer einzelnen Kategorie zuordnen und damit das beobachtete Netzwerk zu 100 Prozent abbilden. Damit wäre aber keine Vereinfachung erreicht. Schon das Netzwerk mit drei Splits und acht Kategorien erscheint wenig überschaubar. Deswegen wurde hier trotz der geringen Varianzausschöpfung das Modell mit vier Kategorien vorgestellt. <?page no="93"?> 94 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 94 (3) Genau genommen zielt die Blockmodellanalyse gar nicht auf möglichst hohe R 2 -Werte. Vielmehr geht es darum, aus dem Muster von Nullblöcken Aussagen über die zugrunde liegende Struktur zu ziehen. Insofern liegt das Hauptaugenmerk nicht auf der Vorhersage von bestehenden Beziehungen, sondern von systematisch nicht bestehenden Beziehungen. Insbesondere bei Netzwerken mit niedriger Dichte fallen die R 2 -Werte relativ niedrig aus. Dies interessiert aber weniger als die Identifikation von möglichst großen Nullblöcken (mit möglichst wenigen Beziehungen). Allerdings gelingt dies im vorliegenden Fall nicht so gut: Viele der Blöcke haben Dichte-Werte zwischen 6,7 und 10 Prozent. Diese können wir nur mit Einschränkungen als Nullblöcke interpretieren. 6.4 Theoretische Interpretation Betrachten wir-- ungeachtet dieser Probleme mit der Erklärungskraft-- noch einmal das durch den CONCOR-Algorithmus generierte Strukturmodell. Wir können dieses als reduziertes Strukturmodell darstellen (Abbildung 8). Dabei werden Ratsuche und Freundschaften als unterschiedliche Beziehungsarten mit weißen bzw. grauen Pfeilen abgebildet. Die Blockmodellanalyse nimmt an, dass verschiedene Arten von Beziehungen durch die gleiche Konfiguration von Kategorien in einer Population bestimmt werden. Wieder können wir an das Beispiel Geschlecht denken. Dieses bedingt die systematische Möglichkeit sowohl von Liebesbeziehungen als auch von Freundschaften in Schulklassen. Abb. 8: Strukturmodell des Blockmodells mit vier Kategorien Quelle: Eigene Darstellung 1 2 3 4 Ratsuche: Freundschaft: <?page no="94"?> 95 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 94 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 95 Allerdings nimmt die Blockmodellanalyse diese Kategorien nicht als Startpunkt der Analyse-- anders als die klassische empirische Sozialforschung, die Zusammenhänge zwischen Attributen von Akteuren untersucht. Vielmehr wird die Zugehörigkeit von Akteuren zu den vier Kategorien erst im Laufe des Verfahrens konstruiert. Damit folgt die Blockmodellanalyse genau dem von Emirbayer und Goodwin formulierten anti-kategorischen Imperativ: Vorgegebenen Kategorien wird misstraut; stattdessen sucht die Netzwerkforschung die zugrunde liegenden Strukturprinzipien möglichst unvoreingenommen (siehe 1.3). Ein zweiter Grundgedanke lautet: Die auf diese Weise entdeckten Kategorien strukturell äquivalenter Akteure stehen für Positionen im Netzwerk. Diese sind durch systematische Rollenbeziehungen miteinander verbunden (White et al. 1976: 769f; Fuhse 2012: 369ff ). Die empirisch beobachtbaren Beziehungen entstehen systematisch aus einer Konstellation von Rollen. Diese legt fest, ob zwischen zwei Akteuren eine Beziehung entstehen kann, und welche dieser Rollen durch Rückgriff auf kulturelle Erwartungen von außen entstehen (wie beim Beispiel Geschlecht) können. Oder sie verhärten sich aus der Interaktion im Netzwerk als Orientierungspunkte- - etwa wenn mehrere Schüler die Rolle des Klassenkaspers einnehmen. Auch zwischen den Mitarbeitern bei Silicon Systems sind beide ➔ Mechanismen wichtig: • So sind die drei Inhaber der formalen Rolle Manager Pat, Steve und Jim in den beiden Kategorien 2 und 4 zu finden, die häufig um Rat gefragt werden. • Die Zugehörigkeit zur Freundschafts-Clique der beiden Kategorien 3 und 4 wird wohl ohne Rückgriff auf vorgeformte kulturelle Erwartungen bestimmt. • Das Geschlecht spielt kaum eine Rolle in diesem Netzwerk: Die wenigen Frauen verteilen sich recht gleichmäßig über die vier Kategorien (soweit sie über Krackhardts Vornamens-Pseudonyme zu identifizieren sind). Auch wenn im vorliegenden Fall die Erklärungskraft für die bestehenden Freundschaften und Ratsuche-Beziehungen bescheiden ausfällt: Die sich ergebende Struktur ist durchaus aussagekräftig. Denn das Verfahren vergleicht unterschiedliche Strukturmodelle mit Blick auf ihre Übereinstimmung mit den empirisch beobachteten Beziehungsmatrizen. Das obige Strukturmodell ist mithin die beste Vereinfachung der zugrunde liegenden Datenstruktur. <?page no="95"?> 96 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 96 Übungsaufgabe 6: Untersuchen Sie das Netzwerk der florentinischen Familien Anfang des 14.- Jahrhunderts (Padgett/ Ansell 1993) mit der Blockmodellanalyse! Der Datensatz PADGETT.##H (im Arbeitsverzeichnis von UCINET) enthält Informationen über die Heiratsbeziehungen (PADGM) und die unternehmerischen Beziehungen (PADGB) zwischen sechzehn Familien. Wählen Sie ein überzeugendes Modell und interpretieren Sie die Ergebnisse! Musterlösungen zu den Aufgaben sind abrufbar unter: ➔ http: / / www.utb-shop.de/ 9783825245634 6.5 Résumé Wie die kurz angeschnittenen Analysen auf Kern-Peripherie-Differenzierung und auf Subgruppen (Factions-Algorithmus) ist die Blockmodellanalyse ein Verfahren der Untersuchung der Gesamtstruktur von Netzwerken. Sie alle suchen nach einfachen Strukturmodellen, die angeben: Welche Beziehungen im Netzwerk bestehen systematisch, und welche nicht. Das allgemeine Vorgehen sieht dabei zwei Schritte vor: (1) Akteure werden zu Kategorien zusammengefasst. (2) Innerhalb oder zwischen bestimmten Kategorien finden wir systematisch Beziehungen und wo keine? Bei der Kern-Peripherie-Differenzierung wird das Netzwerk unterteilt in einen intern stark vernetzten Kern und eine Peripherie von Akteuren, die untereinander kaum vernetzt sind. Solche Strukturen finden wir in sinnvoll abgegrenzten Netzwerken fast immer. Der Factions-Algorithmus identifiziert intern stark vernetzte Subgruppen. Zwischen den Gruppen bestehen verhältnismäßig wenige Beziehungen. Im Gegensatz zu den Differenzierungen in Kern und Peripherie und in Subgruppen macht die Blockmodellanalyse keine Vorannahmen über die Grundstruktur von Netzwerken. Sie sucht stattdessen nach dem geeignetsten Modell. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf den Nullblöcken. Dies sind Kombinationen von Kategorien, zwischen denen wir systematisch keine oder nur wenige Beziehungen finden. Solche Leerstellen geben Auskunft darüber, wo im Netzwerk Beziehungsbildung stark erschwert wird. Diese Vorgehensweise soll dem Netzwerk zugrunde liegende Rollenstrukturen enthüllen. <?page no="96"?> 97 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 96 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 97 Dabei betrachtet die Blockmodellanalyse mehrere Beziehungsmatrizen gleichzeitig. Somit werden etwa das Ratsuche- und das Freundschafts-Netzwerk bei Silicon Systems nicht getrennt untersucht. Die Blockmodellanalyse findet für beide ein gemeinsames Strukturmodell mit den gleichen Kategorien von Akteuren. Dabei wird angenommen, dass zwischen diesen Kategorien jeweils bestimmte Rollenbeziehungen bestehen-- und diese Rollenbeziehungen prägen unterschiedliche Beziehungsarten gleichzeitig. Seit den 1970er-Jahren arbeitet eine Reihe von sehr wichtigen Netzwerkstudien mit der Blockmodellanalyse. Dazu gehören beispielsweise: • die Arbeiten um Franz Urban Pappi und Edward Laumann zu politischen Gemeinde-Eliten in Deutschland und den USA (Laumann/ Pappi 1976; Pappi/ Kappelhoff 1984), • die Analyse von John Padgett und Christopher Ansell zum Aufstieg der Medici in Florenz aus einer systematischen Position im Netzwerk von Familien- und Kreditbeziehungen heraus (1993), • Paul DiMaggios Studie der wechselseitigen Orientierung unter Non-Profit-Theatern in den USA (1986), • die Untersuchung der Netzwerke von Kölner Künstlern durch Jürgen Gerhards und Helmut Anheier (1987), • John Mohrs Arbeit über die kulturellen Bedeutungen der Kategorien von Hilfsbedürftigen in New York Anfang des 20.-Jahrhunderts (1994). Inzwischen sind verfeinerte Verfahren der Blockmodellanalyse entstanden (vor allem die »generalisierte Blockmodellierung«) und viele weitere Studien durchgeführt worden (zum Überblick: Heidler 2010). Der Grundgedanke und die prinzipielle Vorgehensweise entsprechen immer noch den um White entstandenen Grundlinien. Die Methode hat erheblich zum Erfolg der Netzwerkforschung seit den 1970er-Jahren beigetragen. Häufig findet man mit ihr eine Ordnung in unübersichtlichen Beziehungsstrukturen. Allerdings fügen sich auch nicht alle Netzwerkstrukturen einer solchen vereinfachenden Strukturmodellierung. Wie ist nun diese Methode im Verhältnis zu den zuvor betrachteten einzuordnen? Die Blockmodellanalyse findet eine allgemeine Struktur im Netzwerk. Dagegen vergleichen ➔ Zentralitätsmaße die individuellen Positionen im Netzwerk. Die ➔ Cliquen-Analyse untersucht lokale Verdichtungen, und der ➔ Triaden-Zensus betrachtet Strukturtendenzen wiederum auf der lokalen Ebene. Welches Verfahren man im Einzelfall wählt, hängt stark an der Fragestellung. Im Gegensatz zu den Zentralitätsmaßen und zu den Cliquen-Analysen ist die Blockmodellanalyse relativ unempfindlich gegenüber Messfehlern. Wenn einzelne Akteure auf Netzwerkfragen unterschiedlich antworten, dann <?page no="97"?> 98 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 98 beeinflusst dies eher deren Zentralität (vor allem: In-Degree- und Betweenness-) als die Gesamtstruktur von Kategorien. Folglich lässt sich festhalten: Bei Netzwerken mit mehreren Beziehungsarten lohnt sich auf jeden Fall die Durchführung einer Blockmodellanalyse. Fällt das Ergebnis überzeugend aus(mit einer klaren, interpretierbaren Struktur und einer guten Varianzausschöpfung), stellt dies einen großen Erkenntnisfortschritt dar. Literaturempfehlungen: Fuhse, Jan 2012: »Rollen und Institutionen als symbolische Ordnung von Netzwerken« Berliner Journal für Soziologie 22, 359-384. Gerhards, Jürgen/ Helmut Anheier 1987: »Zur Sozialposition und Netzwerkstruktur von Schriftstellern« Zeitschrift für Soziologie 16, 385-394. Heidler, Richard 2010: »Positionale Verfahren (Blockmodelle)« in: Christian Stegbauer/ Roger Häußling (Hg.): Handbuch Netzwerkforschung. Wiesbaden: VS, 407-420. Mohr, John 1994: »Soldiers, Mothers, Tramps and Others: Discourse Roles in the 1907 New York City Charity Directory« Poetics 22, 327-357. White, Harrison/ Ronald Breiger 1975: »Pattern Across Networks« Society 8, 68-73. <?page no="98"?> 99 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 98 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 99 7. Simulationen und Small World- Netzwerke Im letzten Kapitel zur ➔ formalen Netzwerkanalyse betrachten wir nun die Forschung zu Small World-Netzwerken und zu Simulationen von Netzwerken. Dabei handelt es sich um aktuelle Entwicklungen seit etwa dem Jahr 2000, die vor allem Physiker vorantreiben. Deswegen sprechen wir auch von Netzwerkphysik. Diese unterscheidet sich von der üblichen sozialwissenschaftlichen Vorgehensweise und bringt eigene Methoden in die Netzwerkforschung ein. Insbesondere lernen wir in diesem Kapitel das Verfahren der Netzwerksimulation kennen (7.5). In diesen Zusammenhang gehört auch der Vergleich von empirisch beobachteten Netzwerken mit zufällig generierten in Exponential Random Graph Models (7.6). Anders als in den letzten Kapiteln stelle ich diese Verfahren nur vor und biete keine detaillierten Anweisungen für die Umsetzung. 7.1 In sechs Schritten um die Welt Wir alle kennen die Überraschung, wenn wir im Gespräch mit bisher Fremden gemeinsame Bekannte entdecken. Offensichtlich sind wir mit vielen anderen indirekt über für uns unsichtbare Beziehungen verbunden. Diese Beobachtungen führten den Politikwissenschaftler Ithiel de Sola Pool und den Mathematiker Manfred Kochen in den 1950er-Jahren dazu, nach der Netzwerkstruktur zwischenmenschlicher Kontakte zu suchen, in der alle mit allen über relativ wenige Schritte verbunden sind (de Sola Pool/ Kochen 1978). Nach dem überraschten Ausruf »It’s a small world.« werden solche Netzwerke ➔ Small World-Netzwerke genannt. Das Manuskript von Pool und Kochen zirkulierte schon lange vor seiner Veröffentlichung im Jahr 1978 (als erster Artikel in der neuen Zeitschrift Social Networks). Berühmt wurde dann eine erste Anwendung ihrer Überlegungen durch den Psychologen Stanley Milgram (1967). Milgram versuchte, die indirekten Verbindungen zwischen Personen mit Hilfe von Kettenbriefen aufzuspüren und nachzuweisen. • Dafür baten Milgram und sein Team Kontaktpersonen in Kansas und Nebraska, Briefe nur über persönliche Bekannte an eine ihnen unbekannte Personen in Massachusetts zu übermitteln. Dafür sollten sie den Brief Bekannten übergeben, die sie »näher« zur Zielperson hin vermuteten-- und diese gingen weiter so vor, bis das Ziel erreicht war. Die ange- <?page no="99"?> 100 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 100 kommenen Briefe benötigten im Schnitt 6,4 Schritte- - und diese Zahl führte zu der bekannten Formulierung, alle Menschen auf der Welt wären mit allen anderen über sechs Schritte verbunden. Dieser Befund lässt sich allerdings nicht ohne weiteres aus den Studien ableiten: Milgram und seine Mitstreiter suchten nach Verbindungen nur innerhalb der USA (allerdings zwischen zwei weit entfernten Regionen) und innerhalb der weißen Bevölkerungsmehrheit. Hätten sie nach Verbindungen zwischen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen gesucht, oder nach Verbindungen zwischen Menschen in China und in Bolivien, wären die Ketten vermutlich länger. • Von den 160 in Nebraska gestarteten Briefen kamen mit 44 nur knapp über ein Viertel (27,5 %) bei der Zielperson in Massachusetts an (Milgram 1967: 65). Vermutlich wäre auch der Rest angekommen- - allerdings wohl mit mehr Zwischenschritten. Umgekehrt wissen wir bei den angekommenen Briefen nicht, ob sie nicht auch einen kürzeren Weg hätten nehmen können. Denn bis auf die letzte Station sind alle Beteiligten auf Vermutungen angewiesen, auf welchem Weg der Brief wohl am schnellsten und sichersten sein Ziel erreicht. Die Brief-Experimente Milgrams wurden seitdem oft für unterschiedliche geographische Kontexte, Bevölkerungsgruppen und Übermittlungsweisen (Telefon, E-Mail) wiederholt (Schnettler 2009). Immer wieder zeigte sich dabei eine relativ überschaubare Länge von Netzwerkpfaden. Die vielzitierten »Six Degrees of Separation« sind aber wohl zu niedrig angesetzt. Wir können vermuten, dass zurzeit jeder Mensch auf dem Erdball indirekt über acht bis dreizehn Zwischenschritte von persönlichen Bekannten mit jedem anderen verbunden ist. 7.2 Die Small World-Netzwerke bei Duncan Watts Trotz großen öffentlichen Interesses-- unter anderem mit Theaterstück, Kinofilm und Fernsehserie zu »Six Degrees of Separation«-- spielten die Überlegungen von Pool/ Kochen und die Studie von Milgram bis Ende der 1990er-Jahre keine große Rolle in der Netzwerkforschung. Dies änderte sich mit den ersten Studien des Physikers Duncan Watts (1999; Watts/ Strogatz 1998). Watts beschäftigte sich mit der Frage: Wie muss das Netzwerk von Verbindungen in einer großen Population beschaffen sein, um vier Bedingungen zu erfüllen (Watts 1999: 495f )? <?page no="100"?> 101 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 100 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 101 (1) Jeder Akteur ist hauptsächlich mit lokal benachbarten Akteuren direkt verbunden. Dies nennt Watts »Clustering«. 11 (2) Die Akteure verfügen im Mittel nur über eine recht kleine Anzahl von Verbindungen. (3) Alle Akteure in der Population sind über Ketten von Verbindungen mit relativ kurzen Pfadlängen indirekt miteinander verknüpft. (4) Im Netzwerk gibt es keine zentrale Anlaufstelle-- es ist dezentral organisiert. Watts und Strogatz unterscheiden drei Typen von Netzwerken, die diese Bedingungen jeweils in unterschiedlichem Maße erfüllen (Abbildung 9): (1) In »regulären Netzwerken« sind Knoten nur mit benachbarten Knoten verknüpft. Das Clustering ist hoch. Aber man braucht lange ➔ Pfade von einem Knoten zu weiter entfernt liegenden. (2) In reinen »Zufallsnetzwerken« sind dagegen die Pfadlängen kurz-- man erreicht schnell alle anderen Knoten im Netzwerk. Nur das Clustering ist gering. Denn die Beziehungen sind wild im Netzwerk verstreut und nicht lokal konzentriert. (3) Die sogenannten » ➔ Small World-Netzwerke« kombinieren Eigenschaften der anderen beiden Typen. Knoten sind hauptsächlich mit benachbarten Knoten verbunden. Dazwischen gibt es aber immer wieder zufällige Verbindungen. Diese senken die Pfadlängen deutlich. Das Clustering ist also hoch, die Pfadlängen aber kurz. Watts und Strogatz simulieren nun diese Typen von Netzwerken mit relativ einfachen Konstruktionsprinzipien. Die ➔ Simulationen zeigen: Schon wenige Zufallsverbindungen genügen, um aus einem regulären Netzwerk ein Small World-Netzwerk zu machen (1998: 441). Wenn nur jede hundertste Verbindung in einem Netzwerk zufällig zwei Knoten miteinander verbindet, werden die durchschnittlichen Pfadlängen recht kurz- - und das Clustering bleibt hoch. Wohlgemerkt liefern Watts und Strogatz nur ein Modell dafür, wie soziale Beziehungen strukturiert sein könnten, um die genannten Kriterien zu erfül- 11 Clustering wird seit den Arbeiten von Watts und Strogatz gemessen als der durchschnittliche Anteil von bestehenden Verbindungen zwischen den Netzwerkpartnern aller Knoten in einem Netzwerk. Wenn ein Akteur A mit drei anderen Akteuren verbunden ist und zwischen diesen zwei (von drei möglichen) reziproken Beziehungen bestehen, dann beträgt das Clustering für diesen Akteur zwei Drittel (0,67). Für das Clustering in einem Netzwerk wird der Durchschnitt dieser Clustering-Werte für alle Akteure berechnet. <?page no="101"?> 102 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 102 len. Diese Kriterien entsprechen den Befunden des Small World-Phänomens. Damit ist aber noch nicht gesagt, dass die sozialen Beziehungen auf der Welt mit dem Modell von Watts und Strogatz übereinstimmen. Watts nennt drei Beispiele für empirisch beobachtbare Netzwerke, die den angeführten Kriterien entsprechen: Das Netzwerk gemeinsamer Auftritte von Schauspielern in Kino-Filmen, das Elektrizitätsnetzwerk im Westen der USA und das Nervenzellnetzwerk des Fadenwurms Caenorhabditis Elegans (Watts 1999: 515). Alle drei Netzwerke zeichnen sich durch etwas längere ➔ Pfade als zufällige Netzwerke aus, und durch ein deutlich höheres Clustering. Watts vermutet daher, dass sie den Bauprinzipien seiner Small World-Netzwerke entsprechen. Die Arbeiten von Watts und Strogatz zeigen die typische Vorgehensweise der Netzwerkphysik: • Sie bauen ein abstraktes Modell für soziale Strukturen mit relativ einfachen Regeln. • Dieses Modell wird in ➔ Simulationen mit Blick auf bestimmte Strukturmerkmale untersucht (hier: Pfadlängen und Clustering). • Diese Strukturmerkmale werden mit denen von empirisch beobachteten Netzwerken verglichen. Der Nachweis der Ähnlichkeit von bestimmten Maßen gilt als Hinweis, dass diese Netzwerke den Konstruktionsprinzipien des Modells entsprechen. Charakteristisch für die Netzwerkphysik ist denn auch die Vermutung der Strukturähnlichkeit ganz unterschiedlicher Netzwerke- - in diesem Fall von sozialen, technischen und neuronalen Netzwerken. Soziale Netzwerke werden auf diese Weise nur zu einem Anwendungsbeispiel von vielen, und deren Untersuchung konzentriert sich auf die mathematische Modellierung. Abb. 9: Typen sozialer Netzwerke nach Watts/ Strogatz Quelle: Watts / Strogatz 1998; 393 Reguläres Netzwerk Small-World Netzwerk Zufallsnetzwerk Zunehmende Zufälligkeit von Verbindungen <?page no="102"?> 103 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 102 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 103 Aus sozialwissenschaftlicher Sicht bleibt aber fraglich, inwiefern die Verbindungen zwischen Schauspielern substantiell denen zwischen Kraftwerken und Verteilstationen oder denen zwischen Nervenzellen ähneln. 7.3 Power Law und skalenfreie Netzwerke Mit einer analogen Vorgehensweise kommen Albert-László Barabási und seine Ko-Autoren zu einer ganz anderen Modellierung globaler Netzwerke (Barabási/ Bonabeau 2003). Ihnen zufolge kommt es in vielen großen Netzwerken nicht durch zufällige Verbindungen zu den kurzen Pfadlängen des Small World-Phänomens. Vielmehr sind hierfür deutliche Ungleichheiten zwischen den Knoten in einem Netzwerk verantwortlich: • Bei Proteinen in einer biologischen Zelle, bei Webseiten im Internet oder bei weltweiten Flugverbindungen haben die meisten Knoten nur wenige Verbindungen zu anderen Knoten. • Die jeweiligen Netzwerke werden trotzdem zusammen gehalten durch sogenannte »Hubs«. Diese haben sehr viele Verbindungen zu anderen Knoten. So fanden Barabási und Bonabeau, dass um das Jahr 2000 mehr als 80 Prozent der Seiten im World Wide Web nur bis zu drei Verbindungen (Links) zu anderen Webseiten hatten (2003: 52). Dem gegenüber standen 0,01 Prozent der Webseiten mit mehr als 1000 Links. Solche Netzwerke nennen Barabási und Bonabeau »skalenfrei«. Sie zeigen eine Power Law-Verteilung von Verbindungen über Knoten (Abbildung 10). Die meisten Knoten stehen links in der Graphik, weil sie nur über wenige Verbindungen zu anderen Knoten verfügen. Nach rechts hin wird die Zahl der Verbindungen immer größer. Dafür finden wir hier deutlich weniger Knoten mit solch großen Anzahlen von Verbindungen. Ganz rechts finden wir eine verschwindend geringe Zahl von Knoten mit sehr vielen Verbindungen. Das Power Law hat erstmals Derek de Solla Price 1965 für Zitationen im Wissenschaftssystem formuliert: Die meisten Artikel und Autoren werden nie oder fast nie zitiert. Nur wenige wissenschaftliche Arbeiten und intellektuelle Stars werden zu zentralen Referenzen. Auf diese verweisen dann fast alle Arbeiten in einem bestimmten wissenschaftlichen Diskurs. Die Arbeiten von Watts und Barabási sind selbst Beispiele für solche Kristallisationspunkte-- sie werden im Web of Science jeweils über 10.000 Mal zitiert (Stand: März 2015). »Power« steht hier nicht für Macht, sondern für »exponentiell«. Die Power Law-Verteilung bildet eine logarithmische Kurve. Mit jedem Schritt nach rechts (hin zu mehr Verbindungen) nimmt die Anzahl der Knoten mit dieser <?page no="103"?> 104 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 104 Anzahl von Verbindungen exponentiell ab. Beispielsweise könnte sie sich halbieren oder um ein Drittel abnehmen. Definition: Bei einer Power Law-Verteilung haben die meisten Knoten nur sehr wenige Verbindungen. Die Anzahl der Knoten, die über eine bestimmte Anzahl von Verbindungen verfügen, nimmt zu höheren Degrees exponentiell ab. Solche skalenfreie Netzwerke werden durch wenige Hubs mit sehr vielen Verbindungen zusammen gehalten. Diese Modellierung von Barabási verletzt bewusst das zweite von Watts formulierte Kriterium für Small World-Netzwerke-- dass jeder Akteur nur über eine kleine Anzahl von Verbindungen verfügt. Barabási und seine Mitstreiter untersuchen eben Netzwerke, in denen die Degrees sehr ungleich über die Knoten verteilt sind. Allerdings folgen nicht alle Netzwerke einem solchen Modell. Insbesondere bei direkten sozialen Beziehungen fällt es schwer, mehr als eine begrenzte Anzahl von Verbindungen einzugehen und zu pflegen. Niemand von uns kann regelmäßigen Kontakt zu mehr als 20 bis 30 Freunden pflegen. Die Sozialpsychologie vermutet gar, dass wir nur ungefähr sechs bedeutsame Sozialbeziehungen haben können (Baumeister/ Leary 1995: 515). Wir sollten solche objektiven Grenzen für die Anzahl von Sozialbeziehungen skeptisch betrachten. Dennoch gilt das Power-Law prinzipiell dort nicht, Abb. 10: Power Law-Verteilung Quelle: de Solla Price 1965: 511 Anzahl Verbindungen Anzahl Knoten <?page no="104"?> 105 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 104 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 105 wo zentrale Akteure nur eine überschaubare Zahl von Beziehungen eingehen können oder wollen. Dagegen trifft es eher zu, wo Beziehungen nicht reziprok sind, und wo Akteure deswegen unbegrenzt als Ziel einer Beziehungswahl auftauchen können. 7.4 Kritik Die Vorgehensweise der Netzwerkphysiker unterscheidet sich grundsätzlich von der übrigen Netzwerkforschung in den Sozialwissenschaften. Watts, Barabási und viele andere postulieren allgemeine Strukturprinzipien für ganz unterschiedliche Netzwerke- - und behandeln dabei soziale Beziehungen genauso wie Zellverbindungen oder Stromtrassen. Hauptsache, deren Struktureigenschaften lassen sich mit einem möglichst einfachen Modell abbilden. Dabei benutzt die Netzwerkphysik oft ➔ Simulationen von Netzwerken. Sie generiert also hypothetische Beziehungsstrukturen, statt empirische Daten zu untersuchen. Deswegen wird die Netzwerkphysik oft von sozialwissenschaftlicher Seite kritisiert. Die Netzwerkphysiker basteln mit viel Rechenleistung recht einfache Modelle sozialer Strukturen, ohne dabei die komplexen Überlegungen und Ergebnissen aus den Sozialwissenschaften einzubeziehen. Linton Freeman weist im Netzwerk der Zitationen zur Small-World-Literatur zwei weitgehend getrennte Netzwerk-Cluster nach (2004: 164ff ): Auf der einen Seite stehen die Physiker um Watts und Barabási, auf der anderen Seite Sozialwissenschaftler wie Mark Granovetter. Die beiden Seiten des Diskurses ignorieren sich weitgehend. Dabei werden die Arbeiten der Physiker in den weltweit führenden interdisziplinären Zeitschriften Science und Nature veröffentlicht und tausendfach zitiert. Auf dieser Grundlage erhalten sie öffentliche Aufmerksamkeit und Drittmittel, von denen die Sozialwissenschaften nur träumen können. Entsprechend blicken viele Sozialwissenschaftler neidvoll auf die Netzwerkphysik. Einige Kritikpunkte sind durchaus berechtigt: (1) Zuerst einmal ist das ➔ Small World-Phänomen in seiner Bedeutung deutlich überschätzt. Sechs Schritte an persönlichen Bekanntschaften zu jedem anderen Menschen auf der Welt klingt nach sehr wenig. Tatsächlich sind ➔ Pfade von einer Länge von mehr als zwei oder drei Beziehungen meist irrelevant. Kaum eine Information wandert über sechs Schritte über den Erdball und verbreitet sich auf diese Weise. Vielmehr erfahren wir über die meisten öffentlichen Ereignisse aus den Medien, und über private Belange interessieren wir uns nur bei direkten Bekannten. Hinzu kommt, dass wir meist keinen Überblick über die beste Möglichkeit haben, andere Menschen über unser Netzwerk zu erreichen (Granovetter 2003). <?page no="105"?> 106 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 106 Selbst wenn wir versuchten, über persönliche Bekanntschaften einen bestimmten Menschen zu erreichen (etwa Bill Gates oder Barack Obama), wird dieser uns weder einen Job besorgen, noch einen politischen Gefallen tun. Rick Grannis bringt dies auf die griffige Formel: »Six Degrees of Who Cares? « (2010). Vor diesem Hintergrund erscheint es recht unwichtig, ob nun alle Menschen auf dem Erdball über sechs, zwölf oder 24 Schritte miteinander verbunden sind. (2) Grannis zeigt zudem auf, dass die Pfadlängen und damit die indirekte Erreichbarkeit in einem Netzwerk stark davon abhängen, wie wir Beziehungen definieren und erheben (2010: 996ff ). Von Small-World-Netzwerken können wir eigentlich nur bei einem relativ weiten Verständnis von Bekanntschaft sprechen. In den meisten Studien wird (auf Englisch) gefragt, wen die Befragten auf einer »first name basis« kennen-- wen sie also mit Vornamen kennen und ansprechen. Das unterscheidet sich schon nach Alter und Kontext deutlich-- zum Beispiel sprechen sich Wissenschaftler im angloamerikanischen Raum viel öfter mit Vornamen an als in Deutschland. Wenn wir nun nach Freunden oder sogar nach engen Freunden fragen, sinkt die Dichte deutlich und die Pfadlängen werden sehr viel länger. Gut möglich, dass wir auf diese Weise Pfadlängen von 50 bis 100 Schritte im weltweiten Freundschaftsnetzwerk erhalten und vielleicht einzelne Regionen ganz abgetrennt sind. Von einer »kleinen Welt« kann dann niemand sprechen. Die Modelle der Netzwerkphysiker kümmert das wenig. Sie gehen von einigermaßen stabilen Beziehungen aus, die bestehen oder nicht bestehen. Und sie vermuten, dass ihre Modelle auch über solche Unterschiede hinweg gelten. (3) Weiterhin beruhen die Modelle der Physiker teilweise auf unrealistischen Annahmen. So entspricht das weltweite Netzwerk an Bekanntschaften und Freundschaften sicher nicht dem Scale-Free-Modell von Barabási. Dafür bräuchte es Hubs mit vielen Tausend Freundschaften (s. o.). Die Small-World-Netzwerke von Watts werden dagegen durch wenige zufällige Verbindungen integriert. Keine Beziehung entsteht aber vollkommen zufällig-- die Beteiligten müssen zumindest aufeinander treffen, meist teilen sie Wohnort, Beruf, Lebensstil, Alter (Crossley 2008: 265). Das kann jede Leserin kurz am eigenen Beispiel überprüfen: Sicher haben wir alle einige relativ unwahrscheinliche Bekanntschaften mit Menschen an entfernten Orten. Wären sie aber völlig zufällig, dann müsste über die Hälfte unserer »Zufallsbekanntschaften« zu Bauern in China, Indien, Afrika oder Lateinamerika laufen. Watts hat selbst mit Peter Dodds und Mark Newman ein realistischeres Modell vorgeschlagen (Watts et al. 2002; siehe auch Watts 2003: 114ff, 146ff; Holzer 2005: 325): Akteure sind immer in mehrere soziale Kreise oder soziale Welten eingebunden, zum Beispiel in Familie, Nachbarschaft und Kollegenkreis. Praktisch alle wichtigen Sozialbeziehungen bilden sich in solchen relativ <?page no="106"?> 107 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 106 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 107 überschaubaren sozialen Welten. Verschiedene soziale Welten sind über ihre gemeinsamen Mitglieder miteinander verknüpft (Breiger 1974). Auf diese Weise sind schnell große Populationen untereinander vernetzt-- man muss nur in seinem eigenen sozialen Umfeld jemanden aus den sozialen Welten einer bestimmten Zielperson finden. Allerdings nehmen Watts und seine Ko-Autoren an, dass die Mitgliedschaften in unseren verschiedenen sozialen Welten zufällig verteilt sind. Dabei bestehen meist große Überschneidungen zwischen sozialen Welten (zum Beispiel zwischen Familie und Nachbarschaft). Vermutlich kommt man nicht ganz so einfach und schnell in entfernte soziale Welten. (4) Schließlich stellt sich die Frage nach dem sozialwissenschaftlichen Mehrwert der Netzwerkphysik (Holzer 2005: 320; Crossley 2008: 262, 269). Welche Erkenntnisse lassen sich aus deren Modellen ziehen, wenn sie fast immer auf kontrafaktischen Annahmen beruhen und Netzwerkpfade über mehr als zwei Stationen ohnehin kaum relevant werden? Eine Möglichkeit hierfür liegt in der Fokussierung auf das Verhalten einzelner Akteure innerhalb solcher Small-World-Netzwerke, zum Beispiel: • Welche Suchstrategien für Informationen benutzen Akteure, und inwiefern führen sie zum Erfolg (Kleinberg 2000; Dodds et al. 2003)? • Inwiefern ermöglichen bestimmte Positionen einen besseren oder schlechteren Zugang zu den Kontaktnetzwerken der Small World? So hat Granovetter auf die Bedeutung von » ➔ schwachen Beziehungen« in entfernte Netzwerk-Cluster hingewiesen (siehe 4.2). Akteure an solchen Schnittstellen sind eher kosmopolitisch. Mit dem Zugang zu unterschiedlichen sozialen Welten erhalten sie Zugriff auf deren verschiedene kulturelle Repertoires (Hannerz 1990; Lizardo 2006). • Ansonsten erscheinen Small-World-Modelle am ehesten für die Untersuchung von Diffusionsprozessen fruchtbar, etwa wenn es um die Verbreitung von Krankheiten oder von Ideen geht. Insgesamt lassen sich aus der Untersuchung und Modellierung des Small-World-Phänomens eher bescheidene Schlüsse ziehen. Diese können mit der populären Faszination der Vorstellung der beinahe direkten universalen Erreichbarkeit über Netzwerke nicht ganz mithalten. 7.5 Simulationen Viele der Arbeiten aus der Netzwerkphysik beruhen auf ➔ Simulationen von Netzwerken. Dieses Verfahren ist-- wie auch die Exponential Random Graph Models aus dem nächsten Abschnitt-- recht aufwändig und mit spezialisierter <?page no="107"?> 108 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 108 Software durchzuführen. Im Rahmen dieses Einführungsbuchs konzentriere ich mich auf die Vorstellung der Verfahren, ohne detailliert auf die praktische Durchführung einzugehen. Bei Simulationen werden Netzwerke aus relativ einfachen Grundprinzipien aufgebaut. Man beginnt mit einer leeren ➔ Matrix (mit lauter Nullen) mit einer vorgegebenen Anzahl von Akteuren im Netzwerk. Anschließend trägt der Computer auf der Basis eines Algorithmus an bestimmten Stellen der Matrix eine Eins ein. Beispielsweise könnte man festlegen, dass von 100 Akteuren die ersten 50 miteinander verbunden sein sollen. Oder man weist den Rechner einfach an, über 100 Akteure zufällig 4950 Beziehungswahlen zu verteilen, also die Hälfte aller möglichen Beziehungen. Bei einer Simulation sind vor allem diese Zufallselemente wichtig. Durch sie entsteht bei jedem Durchlauf der Simulation ein anderes Netzwerk, und meist generiert man gleich eine ganze Reihe von ihnen, z. B. 100. Ein einzelnes zufällig generiertes Netzwerk könnte beispielsweise ein hohes Maß an ➔ Reziprozität und ➔ Transitivität aufweisen. Erst bei einer Vielzahl von simulierten Netzwerken wird ersichtlich, welche Struktureigenschaften sich systematisch aus den angewandten Bauprinzipien ergeben. Zudem entfalten sich simulierte Netzwerke meist pfadabhängig. Eine soziale Beziehung bildet sich aufgrund von lokalen Regeln wie ➔ Transitivität oder ➔ Preferential Attachment (siehe 10.3). Die Wahrscheinlichkeit für die Entstehung einer Verbindung hängt dann davon ab, welche Beziehungen im lokalen Umfeld bereits bestehen. So kommt es beim Transitivitätsmechanismus umso wahrscheinlicher zu einer Beziehung, je eher die Beteiligten schon über Dritte miteinander verbunden sind (siehe 2.5; 10.3). Deswegen werden in einer Simulation Beziehungen meist eine nach der anderen kreiert-- und mit jeder hinzukommenden Verbindung ändern sich die Bedingungen für neue Beziehungen. Man spricht hier von Markov-Ketten, in denen jede Veränderung einer Struktur von deren gegenwärtigem Zustand abhängt. Im Ergebnis kann jede Simulation zu ganz unterschiedlichen Netzwerkstrukturen führen. Deshalb müssen wir für robuste Ergebnisse eine Reihe Simulationen durchführen. Dabei variieren wir einzelne Parameter (etwa die Tendenz zur Reziprozität) und untersuchen so deren Einfluss auf die sich ergebenden Netzwerke. Die Simulationen der ➔ Small World-Netzwerke von Watts und Strogatz starten mit 1000 Akteuren (1998: 441). Diese sind in einem Ring platziert und mit ihren nächsten 10 Nachbarn verbunden. Bis hierhin ist das Bauprinzip starr, d. h. jede Simulation würde exakt das gleiche Netzwerk liefern. Anschließend werden einzelne Verbindungen mit einer bestimmten (recht kleinen) Wahrscheinlichkeit aufgelöst und durch eine Verbindung eines der beteiligten Knoten zu einem zufälligen anderen ersetzt. Watts und <?page no="108"?> 109 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 108 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 109 Strogatz generieren auf diese Weise für 14 verschiedene Wahrscheinlichkeiten (von 0,0001 bis 1) je 20 Mal ein Netzwerk. Sie führen also 280 Simulationen durch. Für jede der 14 Wahrscheinlichkeiten wird dann eingetragen, welche Pfadlänge und welches Clustering die 20 simulierten Netzwerke im Durchschnitt haben. Damit zeigen Watts und Strogatz, dass die durchschnittliche Pfadlänge ab einer Wahrscheinlichkeit von 0,01 recht kurz ist, und dass das Clustering bis zu einer Wahrscheinlichkeit von 0,1 noch hoch ist. Zwischen den Wahrscheinlichkeiten von 1 und 10 Prozent finden wir also bei diesen Bauprinzipien Small-World-Netzwerke mit kurzen Pfadlängen trotz hohem Clustering. Auch die Rekonstruktionen von Garry Robins et al. (2005) und die Kritik von Rick Grannis (2010) beruhen auf solchen Simulationen. Für den Algorithmus einer Simulation gibt es zwei grundsätzliche Möglichkeiten: (1) Der Algorithmus definiert Regeln für die Wahl von Beziehungen durch Akteure (akteursbasiert), etwa: Verbinde Dich bevorzugt mit Akteuren, die bereits über eine große Anzahl von Beziehungen verfügen ( ➔ Preferential Attachment; siehe 10.3)! Akteursbasierte Simulationen folgen einer handlungstheoretischen Perspektive (siehe 11.1). (2) Alternativ können wir jede mögliche Beziehung als einzelnen Fall betrachten. Dann simulieren wir auf der Basis von Kontexteigenschaften, ob die Beziehung besteht oder nicht (beziehungsbasiert). Beispielsweise könnten wir die Wahrscheinlichkeit für das Bestehen einer Beziehung in der Simulation erhöhen für den Fall, dass die beiden beteiligten Akteure gemeinsame Attribute aufweisen ( ➔ Homophilie, siehe 10.2) oder dass sie indirekt über einen oder mehrere andere Akteure verbunden sind ( ➔ Transitivität; siehe 10.3). Theoretisch liegen diese beziehungsbasierten Simulationen näher an Ansätzen, die von einer grundlegenden Interdependenz zwischen Akteuren ausgehen. Insgesamt muss man den Modellcharakter der Netzwerksimulationen betonen. Wie oben schon festgestellt, werden keine empirisch beobachteten Netzwerke untersucht. Sondern hypothetische, bestimmten Bauprinzipien folgende Netzwerke werden auf ihre Eigenschaften untersucht. Das heißt, es werden gewissermaßen experimentell Zusammenhänge zwischen lokalen Regeln für die Bildung von Beziehungen ( ➔ Reziprozität, ➔ Homophilie, ➔ Transitivität) und globalen Eigenschaften der so gebauten Netzwerke (Pfadlängen, Degree-Verteilung, Clustering) untersucht. Ob bestehende Netzwerke tatsächlich diesen Bauprinzipien folgen, lässt sich auf diese Weise nicht bestimmen. <?page no="109"?> 110 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 110 7.6 Exponential Random Graph Models (a) Überblick Das Grundprinzip von ➔ Simulationen wird bei den Exponential Random Graph Models (ERGMs) umgedreht (Lusher et al. 2013). Auch hier wird eine große Zahl von Zufallsnetzwerken auf der Basis von bestimmten Konstruktionsregeln generiert. Mit diesen Zufallsnetzwerken wird aber ein bestehendes, empirisch beobachtetes Netzwerk verglichen. Auf diese Weise werden die systematischen lokalen Bauprinzipien identifiziert, die dem beobachteten Netzwerk zugrunde liegen. Die Exponential Random Graph Models liefern dabei auch Signifikanzen-- also Angaben darüber, inwiefern sich das Netzwerk in diesen Bauprinzipien (zum Beispiel ➔ Reziprozität) von zufälligen Netzwerken unterscheidet. Der Ausgangspunkt der ERGMs ist, dass ein Netzwerk eine Verteilung von Nullen und Einsen über eine Population von Fällen ist. Die Fälle sind die in einer ➔ Matrix eingetragenen Beziehungen, die bestehen können oder eben nicht. Diese Verteilung ließe sich mit einer Regression modellieren. Das heißt, wir könnten in einer multivariaten Analyse (mit einer logistischen Regression) untersuchen, inwiefern bestimmte Faktoren wie ➔ Homophilie oder ➔ Reziprozität die gegebene Verteilung von Nullen und Einsen bestimmen. Manche Analysen gehen so vor. Dies verletzt aber eine der grundlegenden Annahmen von statistischen Untersuchungen: Wir setzen voraus, dass die Fälle prinzipiell unabhängig voneinander sind-- dass hier also die Existenz einer Beziehung nur von externen Faktoren und nicht anderen Beziehungen abhängt. Netzwerkanalysen wollen aber genau die Abhängigkeiten zwischen den Beziehungen in einem Netzwerk rekonstruieren. Die ➔ Mechanismen der Reziprozität, der Transitivität und des Preferential Attachment postulieren etwa, dass die Entstehung einer Beziehung vom Vorhandensein anderer Beziehungen abhängt. Dieses Problem umgehen die Exponential Random Graph Models, indem sie nicht die Verteilung von Beziehungen in einem Netzwerk durch ein Regressionsmodell schätzen. Vielmehr werden Zufallsnetzwerke generiert und mit Blick auf bestimmte Kennzahlen mit dem bestehenden Netzwerk verglichen. Zum Beispiel zeigt das Netzwerk von Freundschaftswahlen in einer Schulklasse hohe Anteile von (a) Nennungen innerhalb des eigenen Geschlechts (Homophilie) und (b) von erwiderten Freundschaftswahlen (Reziprozität). Wenn aber in einem Netzwerk Beziehungen vor allem homophil gebildet werden, dann erhöht dies automatisch auch die Reziprozität. Gäben die Schüler alle Mitglieder des eigenen Geschlechts als Freunde an (und keine Mitglieder des anderen Geschlechts), dann läge die Reziprozität <?page no="110"?> 111 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 110 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 111 automatisch bei 100 Prozent (weil alle Freundschaften beidseitig wären)- - ohne dass dahinter eine Tendenz zur Reziprozität steckte Unterscheidet sich nun der erhöhte Anteil an reziproken Beziehungen in unserer hypothetischen Schulklasse systematisch von zufällig generierten Netzwerken mit gleichen äußeren Merkmalen (Größe, Verteilung von Jungen und Mädchen, ➔ Dichte und ➔ Homophilie)? Wenn mit diesen Bauprinzipien nur sehr selten Netzwerke mit ähnlich hohen Reziprozitätsmaßen generiert werden, dann können wir die Reziprozität als signifikant bezeichnen. Wir können also mit ERGMs zweierlei berechnen: (1) Wie wahrscheinlich ist das beobachtete Ausmaß eines bestimmten Strukturmerkmals (z. B. Reziprozität), wenn wir zufällig Netzwerke mit ähnlichen Eigenschaften wie das beobachtete kreieren? Wenn die simulierten Netzwerke unter Kontrolle auf andere Strukturmerkmale und Effekte (Größe, Dichte, Homophilie) nur sehr selten ein ähnlich hohes Maß an Reziprozität aufweisen, dann weisen wir mit einer Sicherheit einen Reziprozitätseffekt nach (Signifikanz). (2) Um wie viel ist das Ausmaß eines bestimmten partiellen Effekts gegenüber den zufällig generierten Netzwerken erhöht? Zum Beispiel: Wie viel mehr ➔ Reziprozität zeigt ein empirisch beobachtetes Netzwerk als die mit ähnlichen Strukturmerkmalen generierten Zufallsnetzwerke? Wir können also mit ERGMs berechnen, inwiefern das Netzwerk von Freundschaftswahlen in der Klasse durch die Prinzipien Homophilie und Reziprozität bestimmt ist-- oder ob die beobachtete Reziprozität aus der Tendenz zur Homophilie resultiert. Allerdings wissen wir dadurch noch nicht sicher, ob wir die wirklichen Ursachen für die beobachtete Reziprozität der Beziehungen damit abgedeckt haben. Denkbar wäre auch ein verdeckter, nicht gemessener Homophilie-Effekt (wenn sich die Schüler bevorzugt mit Anhängern der gleichen Musikrichtungen anfreunden) oder auch ein Transitivitätseffekt. Wie auch sonst bei multivariaten Analysen können wir in keinem Modell alle möglichen Ursachen für ein beobachtetes Phänomen abdecken. An Software für die Exponential Random Graph Models empfehlen sich zwei Programme: (1) Das Programm PNet wird in Melbourne von der Gruppe um Garry Robins programmiert und steht unter http: / / sna.unimelb.edu.au/ PNet frei zur Verfügung (Wang et al. 2006). Es bietet eine relativ leicht zu bedienende Benutzeroberfläche und ist auf ERGMs und auf Netzwerksimulationen spezialisiert. (2) Für die statistische Umgebung R gibt es das Paket ergm mit ähnlichen Funktionen wie PNet (Hunter et al. 2008). Dieses Paket baut auf dem recht fortgeschrittenen Netzwerkanalyse-Paket statnet auf. <?page no="111"?> 112 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 112 (b) Beispiel für ein ERGM Im Folgenden stelle ich knapp ein Exponential Random Graph Model für das Freundschaftsnetzwerk bei Silicon Systems vor. Die Analyse wurde in R durchgeführt. R (statnet, ergm): frnnw ~ edges + mutual + gwesp(0.25, fixed = T) + ideegreepopularity Die allgemeine Form ähnelt dabei einer multiplen Regression. Wir wollen das Freundschaftsnetzwerk (frnnw) modellieren. Dabei untersuchen wir folgende Abweichungen von einem rein zufällig generierten Netzwerk: • Die Wahrscheinlichkeit für die Bildung einer Beziehung ( edges ) kann kleiner oder größer als 50 Prozent (rein zufällig) sein. • Die Tendenz zur ➔ Reziprozität ( mutual ) kann höher oder niedriger ausfallen. • Beziehungen zwischen Akteuren, die eine oder mehrere Bezugsperson teilen ( gwesp ), können sich häufiger oder seltener bilden. • Wir können eher Beziehungen zu populären Akteuren (mit einem hohen Indeegree; idegreepopularity ) aufbauen. Das Programm liefert nun folgende Ergebnisse für diese Effekte (Tabelle 14): Tab. 14: Exponential Random Graph Model für die Freundschaften bei-Silicon-Systems Geschätzter Effekt Standardabweichung Signifikanz edges -4,60 0,22 0,000 mutual 4,10 0,39 0,000 gwesp.fixed.0.25 0,68 0,17 0,000 idegreepopularity 0,17 0,07 0,022 AIC: 639,3; BIC 659.8 Quelle: Eigene Berechnung <?page no="112"?> 113 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 112 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 113 Diese Zahlen sind folgendermaßen zu interpretieren: (1) Der Edges-Effekt ist deutlich negativ (-4,60). Die Bildung einer einzelnen Sozialbeziehung ist eher unwahrscheinlich. Das verwundert uns nicht sonderlich, da die ➔ Dichte des Netzwerks bei 0,117 liegt, also deutlich unter 50 Prozent (siehe 3.4). Sie wird aber noch unwahrscheinlicher, da wir zusätzlich die Tendenz zur Reziprozität (und zur Bildung von ➔ Triaden und zur Bindung an populäre Akteure) untersuchen. 12 Der Edges-Koeffizient entspricht von der Logik her der Konstante in einer multiplen Regression. Für die Untersuchung von Strukturtendenzen ist er eher uninteressant. (2) Im Gegenzug finden wir eine deutlich positive Tendenz zur ➔ Reziprozität (mutual =-4,10). Die Wahrscheinlichkeit für eine Freundschaftsnennung von A zu B ist 60fach erhöht, wenn B auch eine Freundschaft zu A angibt. Wir wissen zwar, dass die Freundschaftsbeziehungen häufig reziprok sind. Das Ausmaß des Effekts verwundert aber. Er fällt deshalb so hoch aus, weil wir zusätzlich die Popularität kontrollieren-- Freundschaftsnennungen zu nicht-populären Akteuren sind vermutlich häufiger reziprok als die zu den »Stars« im Netzwerk. (3) Der partielle Effekt von ➔ Triaden fällt geringer aus (gwesp =-0,68). A und B freunden sich häufiger miteinander an, wenn sie einen gemeinsamen Freund haben. Bei mehr gemeinsamen Freunden steigt die Wahrscheinlichkeit weiter an, allerdings in geringerem Maße. Diese Tendenz zur ➔ Transitivität von Freundschaft besteht zusätzlich zur Reziprozität-- die an sich schon geschlossene Triaden wahrscheinlich macht. (4) Zusätzlich gibt es eine leichte Tendenz zum ➔ Preferential Attachment, also zur bevorzugten Bindung an populäre Akteure (idegreepopularity =-0,17). Die ersten drei Effekte fallen eindeutig signifikant aus, mit Irrtumswahrscheinlichkeiten von unter 0,001 Prozent. Der Popularitätseffekt ist ebenfalls signifikant, allerdings nur auf dem 5 Prozent-Niveau (p=-0,022). Wir sehen also: Das Freundschaftsnetzwerk wird eindeutig von Reziprozität und Tran- 12 Die angegebenen Effekte stehen für den natürlichen Logarithmus der Wahrscheinlichkeit für den jeweiligen partiellen Effekt. Ein Wert von -4,60 lässt sich also übersetzen in eine Wahrscheinlichkeit von lediglich 1,0 Prozent (e -4,60 =-0,010) gegenüber einer zufälligen Beziehung. Die läge bei 50 Prozent, ein Prozent davon sind nur 0,5 Prozent Wahrscheinlichkeit. Eine einzelne, nicht reziproke Beziehung ohne geschlossene Triade und ohne Popularitätseffekt besteht also nur in einem von 200 Fällen. <?page no="113"?> 114 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 114 sitivität bestimmt, in einem geringeren Maße auch von der Popularität der Akteure. Die Konstruktion eines Modells für die Ratsuchebeziehungen bei Silicon Systems fällt deutlich schwerer. Bei der Ratsuche gelang mir auch bei vielen Versuchen kein stabiles Modell mit den mich interessierenden Strukturtendenzen. Exponential Random Graph Models lassen sich nicht zuverlässig konstruieren, so wie wir statistische Daten mit fast jedem möglichen Regressionsmodell analysieren können. Dies liegt vor allem an der mangelnden Unabhängigkeit der Fälle (den Beziehungen in einem Netzwerk), und an den Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen betrachteten Effekten. Wenn nun ein bestimmtes Modell das beobachtete Netzwerk nicht gut abbildet, oder wenn die betrachteten Effekte zu sehr miteinander verwoben sind, dann konvergiert das ERGM nicht. Entweder die Simulationen werden ergebnislos abgebrochen. Oder die Effekte stabilisieren sich nicht nach vielen Durchläufen, sondern springen hin und her. In beiden Fällen gilt es, ein einfacheres Modell zu konstruieren-- entweder mit anderen Effekten oder unter Auslassung von einigen von ihnen. Meist gelingt insbesondere die Messung der Effekte von ➔ Homophilie und ➔ Reziprozität ganz gut. Auch die Tendenz zur positiven ➔ Transitivität in geschlossenen ➔ Triaden ist (mit dem gwesp-Term) einigermaßen zuverlässig zu schätzen. Bei der Hinzunahme von weiteren Strukturtendenzen bedingen diese sich zunehmend gegenseitig (so wie geschlossene Triaden und Reziprozität aufeinander aufbauen). Dies macht die Bildung dieser Modelle immer schwieriger. Insgesamt sind ERGMs geeignet, um die einer beobachteten Netzwerkkonstellation zugrunde liegenden ➔ Mechanismen zu identifizieren (siehe Kap. 10). Für eine erfolgreiche Modellierung eines Netzwerks mit diesem Verfahren braucht es einiges an Geduld und technischem Wissen. Aber auch dies reicht manchmal nicht, wenn die betrachteten Daten sich nicht ohne weiteres einer Modellierung fügen. 7.7 Résumé Seit Ende der 1990er-Jahre haben Netzwerkphysik und -simulationen rapide an Bedeutung und Aufmerksamkeit gewonnen. Zunächst waren hierfür vor allem die ➔ Small World-Modelle von Duncan Watts und Albert Barabási verantwortlich. Sie liefern Antworten auf die Frage: Wie können Akteure in großen Netzwerkkonstellationen über kurze Pfaddistanzen miteinander verbunden sein, wenn Verbindungen vor allem lokal laufen und ein starkes Clustering zeigen? <?page no="114"?> 115 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 114 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 115 • Die Small World-Netzwerke von Duncan Watts werden durch relativ wenige zufällige Verbindungen zwischen ansonsten lokal vernetzten Akteuren integriert. • Bei Barabási sorgen- - gemäß dem Power Law- - wenige Hubs mit sehr vielen Verbindungen für die kurzen ➔ Pfade zwischen vielen Akteuren mit wenigen Verbindungen. Das Power Law wurde bei einer Reihe von empirisch beobachtbaren Netzwerken nachgewiesen-- von wissenschaftlichen Zitationen zum World Wide Web. Für die globalen Bekanntschaftsnetzwerke sind beide Modelle jedoch gleichermaßen unplausibel: Weder bilden sich soziale Beziehungen vollkommen zufällig (außerhalb von sozialen Kontexten). Noch können Menschen sinnvoll Zehntausende oder sogar Millionen von Sozialbeziehungen pflegen. Mich überzeugt eher das Modell von Watts et al. (2002). In diesem sind Akteure in mehrere soziale Kontexte eingebunden und bilden selbst die Verbindungen zwischen diesen. Die wichtigste Methode für die Netzwerkphysik sind ➔ Simulationen. Dabei werden hypothetische Netzwerke nach einfachen Regeln für die Bildung von Beziehungen konstruiert. Im Falle der Small World-Netzwerke von Watts wären diese Regeln: automatische Beziehungen zu Nachbarn im Netzwerk, von denen einige wenige durch zufällige Verbindungen ersetzt werden. Bei Barabási besteht die wichtigste Regel im ➔ Preferential Attachment, also in der bevorzugten Bindung an populäre Akteure. Diese Konstruktionsregeln müssen zunächst überzeugen, damit wir ein Modell für plausibel halten. Anschließend werden die Eigenschaften der so konstruierten Netzwerke untersucht und mit empirisch beobachteten Netzwerken verglichen. Idealerweise- - so die Idee der Netzwerkphysik- - finden wir auf diese Weise ein Modell, das für ganz unterschiedliche Strukturen gültig ist-- vom biologischen Netzwerk von Nervenzellen bis hin zu den Wissensstrukturen der Wissenschaft oder dem World Wide Web. Allgemein können Simulationen entweder das Verhalten von Beziehungen (Bestand/ Nicht-Bestand) simulieren oder das Verhalten von Akteuren (Beziehung senden/ nicht senden). Der beziehungsbasierte Ansatz liegt näher an einer theoretischen Perspektive, die Netzwerke aus der Interaktion zwischen Individuen aufgebaut sieht. Akteursbasierte Simulationen entsprechen eher handlungstheoretischen Annahmen. Die Generierung von Zufallsnetzwerken liegt auch den Exponential Random Graph Models zugrunde. Sie bilden eine sehr fortgeschrittene Methode für die Untersuchung von Vollnetzwerken. Diese werden mit zufällig generierten Netzwerken (mit ähnlichen strukturellen Eigenschaften wie Größe und Dichte) verglichen. Auf diese Weise lässt sich feststellen, ob ein <?page no="115"?> 116 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 116 bestehendes Netzwerk systematisch bestimmten Konstruktionsprinzipien folgt, ob wir also in signifikantem Ausmaß Reziprozität, Homophilie oder Transitivität finden. Damit können wir der Netzwerkstruktur zugrunde liegende Mechanismen identifizieren (siehe Kap. 10). Das kurze angeführte Beispiel zeigt aber: Die ERGMs liefern leider nicht zuverlässig gute Ergebnisse. Für die Bildung eines Modells für ein empirisch beobachtetes Netzwerks braucht es viel technisches Wissen, aber auch etwas Glück mit den vorliegenden Daten. Literaturempfehlungen: Barabási, Albert-László/ Eric Bonabeau 2003: »Scale-Free Networks« Scientific American 288, 60-69. Goodreau, Steven/ James Kitts/ Martina Morris 2009: »Birds of A Feather, or Friend of a Friend? Using Exponential Random Graph Models to Investigate Adolescent Social Networks« Demography 46, 103-125. Grannis, Rick 2010: »Six Degrees of ›Who Cares? ‹« American Journal of Sociology 115, 991-1017. Holzer, Boris 2005: »Vom globalen Dorf zur kleinen Welt: Netzwerke und Konnektivität in der Weltgesellschaft« Zeitschrift für Soziologie, Sonderheft »Weltgesellschaft«, 314-329. Schnettler, Sebastian 2009: »A structured overview of 50 years of small-world research« Social Networks 31, 165-178. Watts, Duncan 1999: »Networks, Dynamics, and the Small-World Phenomenon« American Journal of Sociology 105, 493-527. Wimmer, Andreas/ Kevin Lewis 2010: »Beyond and Below Racial Homophily: ERG Models of Friendship Network Documented on Facebook« American Journal of Sociology 116, 583-642. <?page no="116"?> 117 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 116 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 117 8. Ego-zentrierte Netzwerke Neben der formalen Netzwerkanalyse ist die Untersuchung ➔ ego-zentrierter Netzwerke innerhalb der Netzwerkforschung am besten etabliert und anerkannt. Dabei werden Individuen in standardisierten Interviews nach ihren persönlichen Beziehungen und Bezugspersonen befragt. Die befragten Individuen sind meist zufällig ausgewählt und nicht miteinander in Verbindung. Auf diese Weise werden keine vollständigen Netzwerke erhoben-- wie etwa in dem Unternehmen Silicon Systems bei David Krackhardt. Deshalb spricht die Netzwerkforschung von ego-zentrierten Netzwerken teilweise auch als »persönlichen Netzwerken« im Gegensatz zu den »sozialen«, »Voll-« oder »Gesamtnetzwerken« der formalen Netzwerkanalyse. Mit der Untersuchung ego-zentrierter Netzwerke erfahren wir etwas über die individuelle Einbettung in persönliche Beziehungen. Diese lässt sich dann mit statistischen Verfahren auf Zusammenhänge mit anderen individuellen Attributen oder Verhalten untersuchen. Beispielsweise können wir erkunden, ob für Frauen und ältere Menschen Familienmitglieder wichtiger sind als für jüngere und Männer. Dabei werden soziale Kategorien (Geschlecht, Alter) hinsichtlich ihrer Effekte auf die Netzwerkzusammensetzung geprüft. Oder wir können erkunden, inwiefern die Stärke und Dichte sozialer Beziehungen Einkommen und beruflichen Erfolg beeinflussen. Mark Granovetters Studie zur Stärke ➔ schwacher Beziehungen (siehe 4.2) wie auch die frühen Gemeinde-Studien um Lloyd Warner und die ersten Survey-Studien von Paul Lazarsfeld (siehe 2.7) beruhen auf Untersuchungen ego-zentrierter Netzwerke. In diesem Kapitel stelle ich zunächst die zwei Schritte zur Erhebung ego-zentrierter Netzwerke in Interviews vor: • Zuerst wird mit einem Namens-Generator nach den wichtigsten Bezugspersonen gefragt. Hierfür stellt man eine oder mehrere Fragen (8.1). • Anschließend fragt man nach verschiedenen Eigenschaften der mit dem Generator ermittelten Bezugspersonen und der Beziehungen zu ihnen (Namens-Interpreter; 8.2). Die darauf folgenden Abschnitte gehen auf die statistischen Auswertungen der so erhobenen Daten (8.3) und auf Probleme bei der Erhebung (8.4) ein. Anschließend stelle ich kurz die Schneeball-Befragung als eine Alternative zur Erhebung von Daten über die Bezugspersonen vor (8.5). Relativ prominent wurde in den letzten Jahren die Frage diskutiert, wie groß oder umfangreich ego-zentrierte Netzwerke sind, und ob wir heute kleinere Netzwerke haben <?page no="117"?> 118 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 118 und sozial isolierter leben als früher. Dieser Diskussion ist ein eigener Abschnitt gewidmet (8.6). Abschließend präsentiere ich einige Befunde aus der Untersuchung ego-zentrierter Netzwerke. 8.1 Namens-Generatoren Anders als bei anderen Angaben in Survey-Interviews benötigen wir für die ego-zentrierten Netzwerke mindestens zwei Arten von Fragen (Diaz-Bone 1997: 48ff; Wolf 2004; Marsden 2005). Die erste Art von Fragen sind sogenannte Namens-Generatoren. Mit einer oder mehreren Fragen werden hier wichtige Bezugspersonen von Ego erhoben. Diese notieren die Befragten auf einer Liste, um anschließend-- bei den Namens-Interpretern-- Angaben über diese Personen und die Beziehungen zu ihnen zu machen. Definition: Ein Namens-Generator ist ein Instrument zur Erhebung von wichtigen Bezugspersonen in standardisierten Interviews. Dafür werden meist eine oder mehrere Fragen Items gestellt, wer den Befragten wichtig ist, wer sie eventuell unterstützt und mit wem sie gemeinsame Aktivitäten haben. Am häufigsten wird nur eine einzige Frage gestellt: »Hin und wieder besprechen die meisten Leute wichtige Angelegenheiten mit anderen. Wenn Sie an die letzten sechs Monate zurückdenken: Mit wem haben Sie über Dinge gesprochen, die Ihnen wichtig waren? « 13 Die Frage geht zurück auf Ronald Burt und wird »Burt-Namens-Generator« (1984; siehe 4.2) genannt. Sie wird seit den 1980er-Jahren in unregelmäßigen Abständen im General Social Survey (GSS)- - der wichtigsten sozialwissenschaftlichen Bevölkerungsumfrage in den USA (vergleichbar etwa dem ALL- BUS in Deutschland)-- und in vielen anderen Befragungen angewendet. Der Vorteil dieser Frage liegt auf der Hand: Sie ist einfach, kurz und führt schnell zu einer Liste von wichtigen Bezugspersonen der Befragten. 13 Hier und im Folgenden übersetze ich die wichtigsten Survey-Fragen zu ego-zentrierten Netzwerken aus dem Englischen. <?page no="118"?> 119 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 118 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 119 Im Gegensatz dazu ist der Fischer-Namens-Generator- - entwickelt unter anderem von Claude Fischer-- sehr viel aufwändiger. Hier werden insgesamt elf Fragen zu ganz unterschiedlichen sozialen Bereichen und Aktivitäten gestellt (Fischer 1982b: 321, 324, 330ff ). Diese gebe ich hier vereinfacht wieder: »Wer kümmert sich um Ihre Wohnung/ Ihr Haus, wenn Sie abwesend sind? « »Mit wem sprechen Sie über Arbeitsentscheidungen? « »Wer hat Ihnen in den letzten drei Monaten im Haushalt geholfen? « »Mit wem haben Sie soziale Aktivitäten unternommen (z. B. zum Essen/ nach Hause einladen, ins Kino gehen)? « »Mit wem sprechen Sie über Hobbies? « »Bei Unverheirateten: Wer ist Ihre Verlobte/ Ihr Verlobter oder Ihre beste Freundin/ Ihr bester Freund? « »Mit wem sprechen Sie über persönliche Sorgen? « »Auf wessen Rat hören Sie bei wichtigen Entscheidungen? « »Von wem könnten Sie sich eine größere Geldsumme leihen? « »Welche erwachsenen Personen wohnen in Ihrem Haushalt? « »Gibt es außerdem jemand wichtigen, die oder der noch nicht auf Ihrer Liste auftaucht? « Zu jeder Frage können die Befragten neue Personen nennen oder solche, die bereits auf ihrer Liste stehen. Im Ergebnis erhalten wir nicht nur eine Liste wichtiger Bezugspersonen, sondern auch noch Angaben darüber, welche Personen für welche Bereiche oder Aktivitäten wichtig sind. Die Vor- und Nachteile dieser beiden Netzwerk-Generatoren liegen auf der Hand: • Der Fischer-Namens-Generator erhebt deutlich größere ego-zentrierte Netzwerke. In der ersten Studie im Norden Kaliforniens nannten die Befragten im Schnitt 18,5 Bezugspersonen (Fischer 1982b: 38f ). Zusätzlich differenziert er stärker zwischen unterschiedlichen Arten von Beziehungen und Aktivitäten. • Der Burt-Namens-Generator ist viel einfacher und braucht deutlich weniger Zeit für die Erhebung. Da die Befragten hier nur etwa drei Bezugspersonen im Durchschnitt nennen, benötigen auch die anschließenden Netzwerk-Generatoren weniger Zeit. <?page no="119"?> 120 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 120 Natürlich wollen wir Sozialwissenschaftler möglichst viele Daten in unseren Interviews erheben. Denn wir wissen meist vorher nicht genau, welche Informationen für uns interessant sind, und welche Zusammenhänge wir oder andere eventuell untersuchen wollen. Insofern wirkt der Fischer-Namens-Generator zunächst attraktiver. Gerade in größeren Befragungen ist aber Zeit ein ganz wichtiger Faktor. Um die Kosten überschaubar zu halten und nicht zu viele Abbrüche von Interviews zu erhalten, sollte ein Interview nicht länger als 30 bis 45 Minuten dauern. In Einzelfällen-- etwa wenn wir ältere Menschen nach ihren Krankheitsgeschichten fragen- - können Interviews auch länger gehen. Allgemein sollten wir aber weder die Geduld der Befragten noch die Zeit der Interviewer allzu sehr strapazieren. Denn typischerweise wollen wir etwa 1000 Interviews abschließen, um zu statistisch belastbaren Ergebnissen zu gelangen. Ich werde später noch auf ein Beispiel dafür eingehen, was passiert, wenn wir unsere Interview-Partner mit langen Frage-Batterien überfordern (8.6). Auch im in der Regel jährlich erhobenen General Social Survey wurde der kurze Burt-Namens-Generator (in unterschiedlichem Umfang) nur 1985, 1987, 2004 und 2010 eingesetzt. Denn die relativ zeitaufwändigen Netzwerkfragen konkurrieren hier um die knappe Interview-Zeit mit anderen Fragen, die für Sozialwissenschaftler von Interesse sind. Wie bei Vollnetzwerken müssen die Fragen zudem mit viel Bedacht formuliert werden (siehe 3.3). In den statistischen Analysen von Vollnetzwerken werden in Interviews berichtete Beziehungen quantitativ miteinander verglichen. Damit wir aber Beziehungen zählen können, müssen sie in etwa vergleichbar sein. Deswegen müssen wir sicherstellen, dass die Befragten die bei der Erhebung eingesetzten Fragen auf ähnliche Weise verstehen und beantworten (Sudman et al. 1996). Allgemein sollten Survey-Fragen deswegen möglichst verständlich, eindeutig, konkret und nicht abstrakt sein. Außerdem sollten wir hypothetische Fragen vermeiden und möglichst direkt Verhalten abfragen statt Einstellungen oder Orientierungen. Retrospektive Fragen über Vergangenes eignen sich prinzipiell gut. Sie sollten sich aber auf Dinge beziehen, an die sich die Beteiligten gut erinnern können und möglichst kurze Zeiträume umfassen. Allgemein sind die Angaben in Surveys umso zuverlässiger, wenn die Befragten für ihre Antworten weniger kognitive Schritte machen müssen und je einfacher diese Schritte ausfallen: Interpretation, Erinnerung, Abstraktion, Verallgemeinerung, Übertragen auf hypothetische Situationen, Auswahl. Beim Fischer-Namens-Generator ist etwa die neunte Frage hypothetisch: Können unsere Interview-Partner wirklich beantworten, wer ihnen eine größere Summe Geld leihen könnte? Und die letzte Frage nach »sonstigen wichtigen Personen« ist sehr allgemein gehalten. Hier könnten auch Jesus, Elvis <?page no="120"?> 121 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 120 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 121 Presley oder der verstorbene Großvater genannt werden. Dies nur kurz als Beispiele dafür, worauf wir bei der Formulierung von Netzwerk-Generatoren achten sollten. Wie schneidet nun der Burt-Namens-Generator in seiner Frageformulierung ab? • Positiv zu vermerken ist die Zielrichtung auf vergangenes Verhalten-- nämlich auf die Diskussion von Dingen, die den Befragten persönlich wichtig sind. Dies fordert dazu auf, sich an Erlebnisse aus der Vergangenheit zu erinnern. Viele andere Namens-Generatoren erheben schlicht »beste Freunde« oder »Personen, die Ihnen wichtig sind«. Mit solch allgemeinen Fragen ist ein eindeutiges Verständnis nicht gesichert-- hier werden vermutlich häufig kaum vergleichbare Sozialbeziehungen genannt. • Inhaltlich geht es um die Diskussion wichtiger Dinge, also um eine relativ klar umrissene soziale Aktivität. Etwa Unterstützung (bei häuslichen Arbeiten, in finanziellen Dingen, bei der Arbeitssuche) wird damit nicht abgefragt. In solchen Diskussionen bilden sich individuelle Handlungsorientierungen (Einstellungen, Bewertungen), und deswegen sind sie relevant für das Verhalten der Beteiligten. Allerdings ist die Formulierung so allgemein, dass die Beteiligten unter Umständen an ganz unterschiedliche Arten von Diskussionen denken. Das ist von Vorteil, wenn wir Diskussionsnetzwerke möglichst umfassend erheben wollen. Leider denken die Befragten je nach Geschlecht und Beziehung an ganz unterschiedliche Aktivitäten (Bearman/ Parigi 2004). Es ergeben sich also systematische Verzerrungen in den gegebenen Antworten. • Dazu trägt auch der recht lange Zeitraum von sechs Monaten bei. Kaum jemand wird sich über ein halbes Jahr hinweg genau an alle Unterredungen über »wichtige Dinge« erinnern. Die meisten nennen nun eine überschaubare Anzahl von Diskussionspartnern, im Durchschnitt etwas unter 3 (je nach Befragung). Vermutlich haben sie aber mit sehr viel mehr Leuten im letzten halben Jahr wichtige Angelegenheiten besprochen. Sie treffen also eine Auswahl, von der sie denken, dass sie der Interview-Situation gerecht wird. Nach welchen Kriterien diese Auswahl erfolgt und wie viele Personen ausgewählt werden, kann deutlich variieren (siehe 8.6). Diese Kritik bedeutet nicht, dass die so erhobenen ego-zentrierten Netzwerke nicht vergleichbar sind. Aber wir müssen die Daten sehr vorsichtig mit Blick auf die Probleme ihrer Erhebung interpretieren. Prinzipiell lassen sich auch die Frageformulierungen verbessern. So haben Robert Kecskes und Christof Wolf in einer Studie zu Religiosität die Diskussionsnetzwerke nur für »die <?page no="121"?> 122 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 122 letzten 14 Tage« erhoben (Wolf 2004: 250). Dabei fallen natürlich einige wichtige Bezugspersonen heraus. Aber die Beteiligten müssen nun eine geringere Auswahl treffen und sich an eine kürzere Zeitspanne erinnern. Dadurch werden persönliche Beziehungen zuverlässiger gemessen. Eine grundsätzliche Änderung des Burt-Namens-Generators in diese Richtung brächte jedoch neue Nachteile mit sich: Wir können die Daten aus neueren Befragungen nicht mehr mit älteren vergleichen, weil sie unterschiedlich erhoben wurden. Grundsätzlich sollten wir zudem die Fragen möglichst genau auf die Befragtenpopulation und die jeweilige Forschungsfrage ausrichten. Etwa in einer Studie zur Wirkung von Netzwerken auf beruflichen Erfolg wäre der Burt-Namens-Generator nicht angebracht. Stattdessen könnten wir nach Vorbildern im persönlichen Umfeld, nach Ratgebern in Bezug auf berufliche Dinge und konkret nach Unterstützung bei der letzten Jobsuche fragen. Eine ganz andere Möglichkeit, ego-zentrierte Netzwerke zu erheben, sind sogenannte Kontakt-Tagebücher (Fu 2007). Dabei notieren die Befragten über einen Zeitraum von einer oder zwei Wochen hinweg ihre alltäglichen Kontakte. Auf diese Weise fallen die Aufgaben der Erinnerung, Generalisierung und Auswahl deutlich leichter aus. Insbesondere lassen sich auf diese Weise auch »schwache Beziehungen« und nicht nur enge Beziehungen erheben. Da diese Methode sehr aufwändig ist, wird sie allerdings nur in sehr kleinen Studien mit einem direkten Fokus auf Netzwerke angewandt. 8.2 Namens-Interpreter Die Angaben aus dem Namens-Generator sind für sich genommen kaum aussagekräftig. Die Befragten schreiben meist nur die Initialien, Vor- oder Spitznamen ihrer Bezugspersonen auf eine Liste. Aber selbst wenn wir die vollen Namen wüssten, brächte uns das wenig. Denn die Befragten werden meist isoliert befragt. Deswegen interessieren uns die genauen Bezugspersonen anders als bei Vollnetzwerken nicht. Vielmehr wollen wir etwas über die Beziehungen und über die Eigenschaften oder das Verhalten der Bezugspersonen erfahren. Hierfür braucht es eine zweite Art von Frage-Items: die Namens-Interpreter. Allgemein sollten auch diese Fragen möglichst genau auf die Forschungsfrage ausgerichtet sein. Im Folgenden betrachten wir kurz die Frage-Items aus dem General Social Survey, die sich an den Burt-Namens-Generator anschließen und möglichst allgemein gehalten sind (Burt et al. 1985: Appendix A). <?page no="122"?> 123 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 122 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 123 (a) Anzahl der Bezugspersonen Als zweites Item nach dem Namens-Generator soll der Interviewer angeben, wie viele Namen genannt wurden-- also wie viele Personen die Befragten als Gesprächspartner über »wichtige Dinge« in den letzten sechs Monaten angeben. Erfahrungsgemäß nennen die Befragten zwischen keiner und acht Bezugspersonen. Die folgenden Fragen werden-- um Zeit zu sparen-- nur für die ersten fünf genannten Personen gestellt. (b) Beziehungsangaben Vier Fragen drehen sich um die Beziehungen der Befragten zu den genannten Personen. Unter [Name] wird jeweils der angegebene Vor- oder Spitzname (oder die Initialien) von der Liste vorgelesen. »Fühlen Sie sich gleichermaßen nah zu den [zur vorigen Frage] genannten Personen? Wenn nein, zu wem fühlen Sie sich besonders nah? « »Sprechen Sie mit [Name] durchschnittlich fast jeden Tag, mindestens einmal pro Woche, mindestens einmal im Monat oder seltener als einmal im Monat? « »Kennen Sie [Name] weniger als drei Jahre lang, drei bis sechs Jahre oder länger als sechs Jahre? « »Hier [auf einer auszuhändigenden Karte] ist eine Liste von Arten, wie Menschen miteinander verbunden sind. Manche Personen können auf mehr als eine Weise mit Ihnen verbunden sein. Zum Beispiel kann ein Mann Ihr Bruder sein, zu Ihrer Kirchengemeinde gehören und Ihr Anwalt sein. Nennen Sie mir bitte zu jedem Namen [der Bezugspersonen] alle Arten, wie sie mit dieser Person verbunden sind! « [Auf der Liste zur vorigen Frage]: »EhepartnerIn oder PartnerIn, Mutter/ Vater, Schwester/ Bruder, Kind, anderes Familienmitglied, Arbeitskollege, Mitglied in einer gleichen Gruppe (Kirchengemeinde, Sport- oder anderer Verein, Kinder gehen auf gleiche Schule), NachbarIn, FreundIn, RatgeberIn (z. B. Anwalt), Anderes.« (c) Eigenschaften der Bezugspersonen Eine Reihe von Fragen dreht sich um Eigenschaften der (erstens fünf genannten) Bezugspersonen: <?page no="123"?> 124 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 124 »[Name] ist männlich/ weiblich [Einschätzung des Interviewers auf der Basis des angegebenen Namens]? Ist das korrekt? « »Ist [Name] asiatisch, afro-amerikanisch, hispanisch, weiß oder etwas anderes? « 14 »Diese [auszuhändigende] Karte listet Bildungsniveaus auf. Was ist-- soweit Sie wissen-- das Bildungsniveau bzw. der höchste Abschluss von [Name]? [Nachfrage, wenn keine eindeutige Antwort: ] Was schätzen Sie? « [Auf der Liste zur vorigen Frage]: »1-6 Jahre, 7-9 Jahre, 10-12 Jahre, High School-Abschluss, College-Ausbildung ohne Abschluss, Associate-Ab schluss [nach zwei Jahren College], Bachelor-Abschluss, Master-Abschluss, weiß nicht.« »Wie alt ist [Name]? [Nachfrage: ] Was schätzen Sie? « »Was ist die religiöse Präferenz von [Name]? Protestantisch, katholisch, jüdisch, eine andere Religion oder keine Religion? [Nachfrage: ] Was schätzen Sie? « (d) Beziehungen zwischen den Bezugspersonen Eine letzte Frage behandelt in zwei Teilen (A und B) die Beziehungen zwischen den genannten Bezugspersonen: »Bitte denken Sie an die Beziehungen zwischen den Personen, die Sie genannt haben. Manche von ihnen mögen einander völlig fremd sein und sich auf der Straße nicht erkennen. Andere sind sich vielleicht besonders nah, so nah wie Sie ihnen sind. A. Sind [Name] und [Name] einander völlig fremd? B. Sind sie einander besonders nah? [Nachfrage: ] So nah oder näher zu einander als Sie zu ihnen? « Die Teilfragen A und B werden für alle Kombinationen von Bezugspersonen einzeln gestellt. Bei fünf angegebenen Bezugspersonen sind dies 10 mögliche Kombinationen, da die Beziehungen als symmetrisch und nicht gerichtet angenommen werden. Mehr als fünf Bezugspersonen sollen hier und bei den anderen Namens-Interpreter-Fragen nicht berücksichtigt werden (s. o.). 14 Die Vorschläge entsprechen den üblichen Bevölkerungskategorien in den USA. »Hispanisch« steht für Menschen lateinamerikanischer Herkunft. <?page no="124"?> 125 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 124 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 125 Diese vier Fragenbereiche behandeln jeweils unterschiedliche Aspekte des ego-zentrierten Netzwerks: • Die Zahl der genannten Bezugspersonen wird oft als Größe des persönlichen (Diskussions-)Netzwerks interpretiert. Ich halte dies für problematisch: Die Zahl der genannten Personen hängt sehr stark vom Befragtenverhalten ab und sagt unter Umständen wenig über deren Einbettung in persönliche Beziehungen aus (siehe 8.6). • Die Angaben zu den Beziehungen geben in erster Linie Auskunft darüber, in welche Art von Netzwerk die Befragten eingebunden sind. Ist es stark von Familienbeziehungen geprägt, sehen sie ihre Bezugspersonen häufig oder selten, fühlen sie sich sehr nahe, sind die Beziehungen stabil (wenn die Befragte ihre Alteri schon lange kennt)? Die Häufigkeit des Kontakts und die emotionale Nähe stehen zudem für die Stärke der Beziehung im Sinne der Unterscheidung strong ties/ weak ties von Granovetter (1973; siehe 4.2). Allerdings werden mit dem Burt Namens-Generator kaum schwache Beziehungen erhoben. • Die Eigenschaften der Bezugspersonen führen zur Zusammensetzung des ego-zentrierten Netzwerks: Sind die Befragten vor allem mit Gleichaltrigen und mit Mitgliedern der gleichen ethnischen Gruppe verbunden? Wie geschlechts-homogen oder -heterogen sind die persönlichen Beziehungen? Für viele Ungleichheitsstudien ist die Heterogenität von Netzwerken von großer Bedeutung (Marsden 1988; Rössel 2005). Einzig bei den Beziehungen zwischen den Bezugspersonen geht es um die Struktur des Netzwerks. Allerdings lassen sich hier nicht Positionen im Netzwerk oder Zentralitäten berechnen, sondern einzig die Dichte. Diese kann über Individuen hinweg verglichen werden: Welche Akteure haben dichte persönliche Netzwerke, welche mehr unverbundene Sozialbeziehungen? Aber auch für die Beziehungen selbst können wir untersuchen: Welche sind in »geschlossenen« ➔ Triaden zu finden, welche bestehen nebeneinander? Tendenziell neigen familiäre Beziehungen und solche innerhalb von ethnischen Gruppen eher zu dichten Netzwerken. Interethnische Beziehungen sind selten transitiv, also wenig in dichte Netzwerke eingebettet (Louch 2000). Im Gegensatz zur ➔ formalen Netzwerkanalyse lässt sich in ego-zentrierten Netzwerken die Struktur also kaum untersuchen. Wir können hier lediglich analysieren, ob die Individuen in dichtere oder weniger dichte persönliche Beziehungsnetze eingebettet sind. Dies liegt daran, dass der eigentliche Netzwerkzusammenhang aufgelöst wird. Der Fokus liegt auf prinzipiell unverbundenen Individuen. Von ihnen erfahren wir etwas über ihr unmittelbares Umfeld- - nicht über die weiteren Verflechtungen oder über Gesamtnetzwerke. Dafür wird das volle persönliche Umfeld betrachtet und nicht <?page no="125"?> 126 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 126 nur ein bestimmter Kontext. So sind die Mitarbeiter des Unternehmens Silicon Systems bei Krackhardt sicher auch mit anderen Leuten befreundet oder anderweitig verbunden. Dies wird in Krackhardts Untersuchung- - wie in allen formalen Netzwerkanalysen-- notwendigerweise ausgeblendet. Der große Vorteil der Untersuchung ego-zentrierter Netzwerke liegt in der Verbindung mit statistischen Analysen von Attributen der Befragten und deren Bezugspersonen. So können wir vergleichen, inwiefern sich die ego-zentrierten Netzwerke zwischen jüngeren und älteren Befragten unterscheiden: Werden sie kleiner, homogener, dichter? Diese statistischen Analysen beruhen auf den Individuen als Grundeinheit, und dafür müssen wir Netzwerke als individuelles Attribut behandeln. 8.3 Statistische Auswertungen Die Analysen ego-zentrierter Netzwerke unterscheiden sich nicht wesentlich von den allgemeinen Methoden der Statistik in den Sozialwissenschaften und werden daher hier nur an einem Beispiel vorgestellt. Ein kurzer Hinweis für die Berechnung der wichtigsten Kennzahlen: Die Netzwerkdaten verteilen sich in den Datensätzen über eine Reihe von Variablen. Beispielsweise gibt es je eine Variable für die ethnische Zugehörigkeit jeder genannten Bezugsperson. Um also den Anteil der Afro-Amerikanern an den Bezugspersonen im General Social Survey zu berechnen, müssen wir eine umständliche Syntax von Befehlen ausführen. Im Folgenden stelle ich dieses für SPSS dar. Für andere Programme wie Stata oder R lauten die Befehle ähnlich. SPSS-Skript für die Berechnung des Anteils an Afro-Amerikanern an den Bezugspersonen im General Social Survey SPSS: compute blk = 0. if (race1= 2) blk = blk + 1. if (race2= 2) blk = blk + 1. if (race3= 2) blk = blk + 1. if (race4= 2) blk = blk + 1. if (race5= 2) blk = blk + 1. compute nmp = numgiven. if (numgiven > 5) nmp = 5. compute ratb = blk/ nmp. var lab ratb ›proportion of alters black‹. <?page no="126"?> 127 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 126 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 127 Erläuterung: Zuerst wird eine Variable blk für die Anzahl von Afro-Amerikanern unter den genannten Bezugspersonen generiert. Diese setzen wir zunächst auf null und erhöhen sie dann um eins für jede Person, deren ethnische Zugehörigkeit als ›Black‹ angegeben wird (die Variablen race1 , race2 ,-… stehen für die ethnische Zugehörigkeit der Bezugspersonen, der Wert 2 jeweils für ›Black‹). numgiven ist die Anzahl der genannten Bezugspersonen. Wenn diese größer als 5 ist, wird nicht für alle, sondern nur für die ersten fünf nach der Herkunft gefragt. Um dies zu berücksichtigen, wird eine neue Variable nmp generiert. Diese wird auf die Zahl von numgiven gesetzt oder auf 5, wenn numgiven größer als 5 ist. Abschließend lässt sich der Anteil der Afro-Amerikaner an den Bezugspersonen berechnen als das Verhältnis von blk zu nmp . Nebeneffekt dieser Operation ist, dass die Variable ratb für alle Individuen auf Missing gesetzt wird, die keine Bezugspersonen genannt haben (bei numgiven = 0 ). Denn eine Division durch Null produziert in SPSS einen fehlenden Wert. Der neuen Variable ratb geben wir abschließend die Bezeichnung (das Label) »proportion of alters black«. Aufgrund seiner Berechnung hat ein solcher Anteil von Bezugspersonen eine recht diskrete Verteilung. Da es in diesem Fall um einen Anteil von höchstens fünf Personen geht, sind nur Werte wie ein Fünftel, ein Viertel, ein Drittel, zwei Fünftel, die Hälfte usw. bis zu 100 Prozent überhaupt möglich. Im General Social Survey von 2010 finden wir Befragte mit allen möglichen Ausprägungen dieses Anteils von afro-amerikanischen Bezugspersonen- teilweise nur mit einer/ einem Befragten (Tabelle 15). Die meisten der Befragten (932 bzw. 84,5 %) nannten überhaupt keine Afro-Amerikaner als Bezugspersonen. Am zweithäufigsten bestehen ego-zentrierte Netzwerke nur aus Afro-Amerikanern (123 bzw. 11,2 Prozent). In beiden Fällen bezieht sich der Anteil von 0 oder 100 Prozent eventuell nur auf eine einzige Bezugsperson, wenn die Befragten nur eine genannt haben. Es können aber auch alle ein bis fünf angegebenen Alteri Afro-Amerikaner sein oder nicht. Die reine Verteilung sagt weniger aus als Differenzen zwischen verschiedenen Gruppen. So nennen die »weißen« Befragten im arithmetischen Mittel lediglich 1,05 Prozent afro-amerikanische Bezugspersonen, die Afro-Amerikaner selbst dagegen 90,75 Prozent. »Andere« (vor allem Hispanische und <?page no="127"?> 128 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 128 Asiaten) geben im Schnitt 2,4 Prozent Afro-Amerikaner unter ihren Bezugspersonen an. Bemerkenswert sind darüber hinaus die Unterschiede nach dem Bildungsgrad (Tabelle 16). Diese lassen sich leicht über einen Mittelwertvergleich berechnen: SPSS: means tables = ratb by race by degree. Bei den afro-amerikanischen Befragten nimmt die ethnische Homogenität mit zunehmendem Bildungsgrad ab: Ohne High School-Abschluss nennen sie durchschnittlich 97,6 Prozent afro-amerikanische Bezugspersonen. Bis zu Graduate-Abschlüssen (Master und Doktor) geht der Anteil kontinuierlich auf unter 80 Prozent zurück. Dies liegt vermutlich daran, dass sie in Bildungsinstitutionen verstärkt mit anderen Bevölkerungsgruppen in Kontakt kommen. Demgegenüber variiert der Anteil von afro-amerikanischen Alteri bei den Weißen wenig. Am höchsten liegt er bei Befragten ohne High School-Ab- Tab. 15: Anteil an Afro-Amerikanern unter den Bezugspersonen im GSS 2010 Anteil Häufigkeit Prozent 0 % 932 84,5 20 % 9 0,8 25 % 5 0,5 33 % 10 0,9 40 % 1 0,1 50 % 12 1,1 60 % 1 0,1 67 % 7 0,6 80 % 3 0,3 100 % 123 11,2 Gesamt 1103 100,0 Quelle: Eigene Berechnung <?page no="128"?> 129 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 128 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 129 schluss (1,8 %) und bei solchen mit Master oder Doktortitel (1,4 %), am niedrigsten bei Bachelor-Absolventen (0,7 %). Bei den »Anderen« (Hispanics und Asiaten) sind die Fallzahlen bei der Differenzierung nach Bildungsabschluss so niedrig, dass sich keine sinnvollen Aussagen treffen lassen. 8.4 Probleme der Erhebung Bei den Namens-Interpreter-Fragen besteht ein grundsätzliches Problem: Wir müssen uns auf die Angaben der Befragten zu ihren Bezugspersonen verlassen. • Dies mag noch recht einfach sein, so lange es um das Geschlecht oder um das ungefähre Alter geht. • Die ethnische Herkunft ist für die Befragten meist relativ eindeutig an Namen und/ oder Aussehen abzulesen. Aber bei ethnischer Durchmischung bestehen Probleme. So sieht der General Social Survey relativ häufige Kategorien wie »halb-asiatisch« nicht vor. • Bei der Religion und beim Bildungsniveau müssen die Befragten oft schätzen-- oder auf eine Angabe verzichten. Tab. 16: Anteil an afro-amerikanischen Bezugspersonen bei Weißen und Afro-Amerikanern nach Bildungsgrad Weiße Afro-Amerikaner Gesamt Bildungsgrad Afro-Am. Alteri Befragte Afro-Am. Alteri Befragte Afro-Am. Alteri Befragte High School ohne Abschluss 1,8 % 74 97,6 % 21 21,0 % 104 High School 1,0 % 445 92,7 % 84 14,9 % 559 Junior College 1,1 % 63 88,1 % 14 16,0 % 81 Bachelor 0,7 % 193 81,5 % 20 8,0 % 227 Graduate 1,4 % 118 78,6 % 7 5,4 % 132 Gesamt 1,05 % 893 90,75 % 146 13.01 % 1103 Quelle: Eigene Berechnung <?page no="129"?> 130 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 130 • Ronald Burt hatte ursprünglich eine Frage zum Einkommen und eine zur Parteienpräferenz bei politischen Wahlen vorgeschlagen. Beide können von Ego nur sehr unzuverlässig für ihre Alteri angegeben werden. Allgemein produzieren einzelne Fehler bei solchen Angaben in Surveys keine großen Probleme-- so lange sie zufällig gemacht werden. Aber bei Unwissen schließt Ego oft von sich auf andere. Insofern wird Ego die Homogenität ihres ego-zentrierten Netzwerks in Bezug auf schwierig zu beantwortende Fragen systematisch zu hoch einschätzen. Prinzipiell können sozio-demographische Merkmale von Bezugspersonen wie Geschlecht, Alter, Herkunft und Bildung noch recht zuverlässig angegeben werden. Schlechter sieht es schon bei Verhaltensvariablen (Wahlentscheidungen, Musikgenuss, Urlaube) aus. Verhalten ist umso besser abzufragen, je eher es von außen beobachtbar ist. Einstellungsvariablen schließlich sind von außen schwer einzuschätzen. Auf deren indirekte Erhebung durch eine Befragung von Ego zu ihren Bezugspersonen sollten wir verzichten-- auch wenn wir uns sehr für die Übereinstimmung in Einstellungen und Werten in ego-zentrierten Netzwerken interessieren. Zudem sind die Angaben der Befragten zu ihren Alteri umso zuverlässiger, je besser sie diese kennen: Ich weiß eher von meinem besten Freund, wie er wählt, als von oberflächlichen Bekannten. Diese Probleme gelten natürlich auch für die anderen Fragen des Netzwerk-Interpreters: • Bei den Angaben zu den Beziehungen (2) kennen wir nur die Sichtweise Egos. Aus den Studien zu den Vollnetzwerken wissen wir aber, dass diese nicht unbedingt mit den Einschätzungen Alters übereinstimmen. So wurden nur 61,5 Prozent der Freundschaftsnennungen bei Silicon Systems erwidert (siehe 3.4). • Noch schwieriger sind die Beziehungen zwischen den Bezugspersonen (4). Im General Social Survey werden nur die Beziehungen zwischen höchstens fünf Alteri berücksichtigt. Vermutlich können die meisten Befragten die Beziehungen zwischen ihren engsten Freunden und Familienmitgliedern ganz gut überblicken. In anderen Netzwerkstudien fragt man aber teilweise nach 45 Bezugspersonen (Lubbers et al. 2010). Die Verbindungen zwischen ihnen sind für Ego kaum zu überblicken. Wenn nun Befragte im Zweifel großzügiger in Bezug auf Alter-Alter-Beziehungen antworten, dann steigt dadurch die Dichte in ihren ego-zentrierten Netzwerken deutlich. Insgesamt bedeutet das: Wir müssen sowohl bei der Erhebung ego-zentrierter Netzwerke als auch bei deren statistischer Auswertung und Interpretation sehr <?page no="130"?> 131 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 130 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 131 umsichtig vorgehen. Dazu gehört, von den Befragten nicht zu viele Informationen über ihre Bezugspersonen zu erwarten-- insbesondere nicht über deren Einstellungen und deren Verhalten. Auf diese Informationen können wir uns-- wie auch auf die Angaben über Alter-Alter-Beziehungen-- umso eher verlassen, je besser Ego sie kennt. 8.5 Schneeball-Befragung Je nach Erkenntnisinteresse und Fragestellung bereitet uns die Unzuverlässigkeit von Egos Angaben zu Alter unterschiedlich starke Probleme. Besonders schwerwiegend sind diese, wenn wir ➔ Homophilie nach Einstellungen oder Werten oder soziale Beeinflussung untersuchen wollen (siehe 10.2 und 10.4). Bei der Homophilie vermuten wir, dass sich bevorzugt Menschen mit ähnlichen Werten und Einstellungen anfreunden. Bei der sozialen Beeinflussung passen wir uns in unseren Einstellungen, Werten und Verhaltensweisen an. Für die Untersuchung beider Mechanismen müssen wir nicht nur Netzwerkbeziehungen erheben, sondern auch Werte, Einstellungen und Verhaltensweisen von Beziehungspartnern. Bei allen drei sollten wir uns nicht auf die Angaben Egos zu ihren Alteri verlassen (s. o.). Wir können diesem Problem nun begegnen, indem wir nicht nur isolierte Individuen, sondern auch deren Beziehungspartner befragen (Schenk 1995: 74ff ). In einer solchen Schneeball-Befragung bitten wir unsere Probanden um einen oder mehrere Namen und Adressen von wichtigen Bezugspersonen. Diese können wir anschließend selbst in Bezug auf ihre Werte, Einstellungen und Verhaltensweisen befragen. Stimmen nun diese Werte (unter Kontrolle auf Drittvariablen) zwischen den Befragten und ihren Bezugspersonen weitgehend überein, dann liegt das an Prozessen der Homophilie und der sozialen Beeinflussung. Schneeball-Befragungen sind recht aufwändig. Und viele Befragte geben ungern Namen und Adressen ihrer Bezugspersonen weiter. Deshalb gibt es nur wenige Beispiele für Schneeball-Studien. In einer Befragung untersuchte Michael Schenk die relativen Auswirkungen von rezipierten Massenmedien (Fernsehen, Zeitschriften und Zeitungen) und dem persönlichen Umfeld auf die politischen Meinungen und Wahlpräferenzen (1995). Dabei zeigte sich: Seine Befragten wurden viel mehr durch ihre Bezugspersonen in ihrem Wahlverhalten beeinflusst als dadurch, welche Medien sie nutzten. <?page no="131"?> 132 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 132 8.6 Soziale Isolation in Amerika Seit langem wird in den Sozialwissenschaften ein allgemeiner Trend zur Vereinzelung und Vereinsamung in der modernen Gesellschaft postuliert. Ferdinand Tönnies sah schon im 19.-Jahrhundert die organische Gemeinschaft durch die künstliche Gesellschaft ersetzt; David Riesman sprach von Massengesellschaften als Lonely Crowd; und laut Robert Putnam gehen die Amerikaner immer häufiger Bowling Alone. Neuerdings wird diese These mit Daten zu ego-zentrierten Netzwerken untermauert (McPherson et al. 2006; Tabelle 17): • 1985 wurden das erste Mal ego-zentrierte Netzwerke im General Social Survey erhoben. Dabei nannten die Befragten im Schnitt 2,94 Personen, mit denen sie »wichtige Dinge« besprachen. Lediglich jeder Zehnte gab keine Gesprächspartner an. • 2004 fragte der GSS zum zweiten Mal nach persönlichen Beziehungsnetzen. Die Befragten nannten im Schnitt 2,08 Bezugspersonen, also ein Viertel weniger. Noch gravierender: Ein Viertel (24,6 %) hatte überhaupt keine Bezugspartner, mit denen sie wichtige Dinge besprachen. 15 Diese Befunde sprechen eine eindeutige Sprache, und sie stützen den vermuteten Entwicklungstrend: immer weniger sozialer Zusammenhalt, immer mehr Vereinzelung und Vereinsamung. Entsprechend nannten die Autoren ihre Studie »Social Isolation in America«, und diese wurde und wird vielerorts auch in der öffentlichen Diskussion angeführt. Es erscheint tatsächlich traurig, wenn US-Amerikaner im Schnitt in den letzten sechs Monaten nur mit zwei Menschen über »wichtigen Dinge« gesprochen haben-- ein Viertel von ihnen sogar mit überhaupt niemand. Es wirkt aber nicht unbedingt plausibel. Meines Erachtens sprechen wir (und auch die US-Amerikaner) sehr viel häufiger mit anderen Menschen über wichtige Dinge-- auch mit Personen, die uns nicht allzu nahe stehen. Wenn die Befragten 1985 und 2004 im Schnitt nur 2,94 bzw. 2,08 Personen angaben, dann ist dies vermutlich keine realitätsgetreue Antwort auf die formulierte Frage. Vielmehr interpretieren sie diese im Interview-Kontext und geben eine Antwort, die dem vermuteten intendierten Sinn der Frage entspricht: • Die Befragten geben ihre wichtigsten Gesprächspartner an (siehe hierzu Bailey/ Marsden 1999). Die Zahl der »wichtigsten Gesprächspartner« kann aber eigentlich nicht abnehmen: Warum nennen die US-Amerika- 15 1987 wurden die ego-zentrierte Netzwerke mit weniger Fragen erhoben. Deswegen lassen sich die Daten nur mit Einschränkungen mit denen von 1985 und 2004 vergleichen. <?page no="132"?> 133 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 132 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 133 ner 1985 die wichtigsten drei und 2004 nur die wichtigsten zwei Bezugspersonen? Und wie kann ein Viertel der Befragten (über die letzten sechs Monate) keine »wichtigsten Gesprächspartner« haben? • Zugleich formulieren sie eine Antwort, die innerhalb des Interview-Kontexts als akzeptabel und angemessen erscheint. Welche Faktoren im Interview könnten dafür sorgen, dass 2004 deutlich weniger Bezugspersonen angegeben werden? Dieser Frage ging Claude Fischer-- der Schöpfer des Fischer-Namens-Generators-- nach (2009). Dabei fand er zunächst kaum nennenswerte Veränderungen in anderen Indikatoren für sozialen Kontakt wie der Häufigkeit von »sozialen Abenden« mit Nachbarn, Familie oder Freunden. Und im International Social Survey Programme gaben 2002 nur vier Prozent an, keine Person zum Reden zu haben, wenn es ihnen schlecht geht. Warum sollten nur die Netzwerkdaten aus dem GSS von 2004 einen tiefgreifenden sozialen Wandel dokumentieren? Die wichtigste Erklärung für die niedrige Anzahl von angegebenen Bezugspersonen fand Fischer im unmittelbaren Interview-Kontext. Im GSS 2004 wurden vor dem Netzwerk-Instrument Mitgliedschaften in Organisationen und Vereinen erhoben. Dabei lernten die Befragten: Wenn sie angaben, in einem bestimmten Typ von Organisation Mitglied zu sein, folgte eine Reihe von Zusatzfragen zu ihren Organisationen (Fischer 2009: 665f ). Dieser Tab. 17: Größe der Diskussionsnetzwerke im General Social Survey Angegebene Bezugspersonen 1985 2004 0 10,0 % 24,6 % 1 15,0 % 19,0 % 2 16,2 % 19,2 % 3 20,3 % 16,9 % 4 14,8 % 8,8 % 5 18,2 % 6,5 % 6+ 5,4 % 4,9 % Arithmetisches Mittel 2,94 2,08 Quelle: McPherson et al. 2006: 358 <?page no="133"?> 134 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 134 Training-Effekt übertrug sich vermutlich auf die ego-zentrierten Netzwerke. Denn auch hier handelt man sich mit jeder angegebenen Bezugsperson mehrere Folgefragen ein. In dieser Situation erscheint es von Vorteil, wenige oder gleich gar keine Gesprächspartner zu nennen-- um das Interview früher zu beenden. Zudem kamen die Netzwerkfragen sehr spät im Interview-- als viele der Befragten ermüdet und vielleicht auch gelangweilt waren. Aber nicht nur die Befragten, auch die bezahlten Interviewer lernten im Laufe der Studie dazu. Eine spätere Studie zeigte, dass diese wohl im Interview Hinweise für die Antwort zu den Bezugspersonen gaben (Paik/ Sanchagrin 2013: 349f ). 13 der eingesetzten Interviewer hatten jeweils über 70 Prozent von sozial Isolierten in ihren insgesamt 122 Interviews- - gegenüber einem Viertel im Durchschnitt. Bei einem einzelnen Interviewer gaben 27 von 28 Befragte keine Bezugspersonen an. Dieser forderte die Probanden vermutlich nicht unbedingt zur Nennung von Gesprächspartnern auf. Um die Überlegungen von Fischer zu überprüfen, wurde 2010 im General Social Survey der Burt-Namens-Generator noch einmal eingesetzt. Dabei wurden mehrere Gruppen von je etwa 400 Befragten gebildet, die die Netzwerkfragen in unterschiedlichem Interview-Kontext beantworteten (Paik/ Sanchagrin 2013: 343f, 352f ): • Bei der ersten Gruppe kam der Namens-Generator wie 1985 recht früh im Interview und ohne vorangegangene Fragen zu Organisationsmitgliedschaften. Diese Gruppe nannte im Schnitt 2,55 Bezugspersonen bei nur 5,3 Prozent ohne angegebene Gesprächspartner. • Die zweite Gruppe wurde wie 2004 spät im Interview mit den Netzwerkfragen konfrontiert und musste zunächst die Fragen zu Organisationsmitgliedschaften beantworten. Sie kam durchschnittlich auf 2,13 Gesprächspartner und hatte zu über einem Fünftel (21,1 %) gar keine. Diese Werte entsprechen ziemlich genau den kontroversen Ergebnissen von 2004. Der starke Rückgang von Gesprächspartnern und die deutliche Zunahme von sozialer Isolation in den ego-zentrierten Netzwerken von 2004 waren also Artefakte der Erhebungsmethode. Die einfache Umstellung der Fragereihenfolge führt zu höheren oder niedrigeren Netzwerkgrößen. Vergleichen sollten wir nur die Gruppen mit ähnlichen Interviews-- also die Befragten von 1985 mit der ersten Gruppe von 2010. Von einer sich ausbreitenden sozialen Vereinzelung lässt sich dann kaum sprechen. Gegenüber 1985 hätte sich das Ausmaß von sozialer Isolierung sogar halbiert (von 10 auf 5 Prozent). Dagegen gab es tatsächlich einen Rückgang in der Zahl der durchschnittlich genannten Bezugspersonen von 2,94 auf 2,55. Lässt sich dies als Beleg für die geringere Größe persönlicher Beziehungsnetze lesen? <?page no="134"?> 135 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 134 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 135 Meines Erachtens sollten wir die reine Anzahl von genannten Bezugspersonen nicht interpretieren. Ob Befragte angeben, mit mehr oder wenigen Leuten »wichtige Dinge« zu besprechen, hängt stark von ihrer Auskunftsfreudigkeit und von der Interview-Situation ab. Eine »objektive« Größe von Diskussionsnetzwerken (oder »core networks«) lässt sich auf diese Weise nicht bestimmen. Ansatzweise lässt sich dies auch an den GSS-Daten ablesen: 2004 nennen die Befragten zwar weniger Bezugspersonen. Sie geben aber an, diese häufiger zu sehen. Vermutlich haben sie also nicht weniger Kontakt mit ihren Mitmenschen. Sondern sie antworten auf die Frage anders, indem sie ihren persönlichen Cut-Off-Wert für »wichtige Gesprächspartner« höher ansetzen. Natürlich kennen wir aus unserer Alltagserfahrung Menschen, die mehr oder weniger Freunde haben und die mehr oder weniger erfolgreich »netzwerken«. Diese lassen sich jedoch über die Anzahl von Bezugspersonen in einem Survey-Interview nicht treffsicher identifizieren. Wir haben nicht einfach eine festgelegte Anzahl von Sozialbeziehungen, die dann nur noch abgefragt werden muss-- so wie wir eine objektive Anzahl von Kindern haben. Im Gegensatz zu Kindern werden ego-zentrierte Netzwerke mit Hilfe von Namens-Generatoren generiert. Wir müssen dann aus einer Vielzahl von Kontakten und Kommunikationsprozessen in der Vergangenheit die wichtigsten herausfiltern. Wie viele wir dabei auswählen, hängt stärker vom Interview-Kontext und von unserer Auskunftsfreudigkeit ab als von objektiven Eigenschaften unserer Netzwerke. 8.7 Résumé und empirische Befunde Trotz der angeführten Probleme sind ego-zentrierte Netzwerke ein wichtiges Instrument zur Untersuchung von Beziehungsstrukturen. Mit diesem Verfahren erfahren wir nichts über die Strukturen von Netzwerken in einer abgeschlossenen Population (Voll- oder Gesamtnetzwerke). Vielmehr werden Sozialbeziehungen und Netzwerke gewissermaßen auf Attribute von Individuen reduziert-- sie werden auf »Ego« zentriert. Der große Vorteil dieser Vorgehensweise besteht darin, dass wir mit statistischen Verfahren Zusammenhänge zwischen der Einbettung in persönliche Beziehungen und anderen Eigenschaften von Individuen (und deren Verhalten) untersuchen können. Die Zusammenhänge müssen aber dann auf der Individualebene liegen. Andere Aspekte von Netzwerken wie deren Gesamtstruktur, strukturelle Tendenzen oder auch nur Macht- und Brokerage-Positionen können wir dabei nicht berücksichtigen. Oft steht bei diesen Untersuchungen die Größe von ego-zentrierten Netzwerken im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Wie soeben ausgeführt ist <?page no="135"?> 136 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 136 diese Größe selbst wenig aussagekräftig und liefert uns keine verwertbaren Erkenntnisse (siehe 8.6). Stattdessen sollten wir uns in der Analyse auf die Zusammensetzung und auf die Struktur bzw. Dichte der ego-zentrierten Netzwerke konzentrieren. Bei beiden wird auf die Größe des Netzwerks kontrolliert. Im ersten Fall geht es um Anteile von Bezugspersonen (mit bestimmten Eigenschaften) und im zweiten Fall um Anteile von möglichen Alter-Alter-Verbindungen. Im Folgenden führe ich einige Beispiele für Erkenntnisse aus Studien zu ego-zentrierten Netzwerken auf. Diese bewegen sich hauptsächlich in der Sozialstrukturanalyse, also der Forschung zu sozialer Ungleichheit: • Am deutlichsten ist die starke Tendenz zur ➔ Homophilie, also zu Bezugspersonen mit ähnlichen Eigenschaften (Verbrugge 1977; Marsden 1988; McPherson et al. 2001; siehe 10.2). Das gilt insbesondere für die ethnische Herkunft, für beruflichen Status und Bildung, weniger für Alter und Geschlecht. Wie bereits angeführt verstärkt Homophilie die Tendenz zur ➔ Transitivität bzw. Schließung in ego-zentrierten Netzwerken (Louch 2000: 58f ): Netzwerke sind umso dichter, je homogener sie sind. Verbindungen zu Bezugspersonen aus anderen Ethnien, Bildungsschichten oder Religionsgruppen sind tendenziell »schwache Beziehungen«. • Bei Migranten nimmt die ethnische Homogenität von ego-zentrierten Netzwerken von Generation zu Generation ab, allerdings in unterschiedlichem Maße für verschiedene Migrantengruppen (Esser 1990). Dabei sind interethnische Beziehungen für die strukturell benachteiligten Arbeitsmigranten eine wesentliche Bedingung für deren sozio-ökonomische Integration (Haug/ Pointner 2007). Zudem sorgt der Aufbau von interethnischen persönlichen Beziehungen für eine kulturelle Annäherung an den Aufnahmekontext und für eine Abnahme an ethnischer Identifikation (Fuhse 2008). • Allgemein bilden persönliche Netzwerke das soziale Milieu des Individuums. Sie prägen deren Einstellungen und Verhaltensweisen (Erickson 1988; Otte [2004] 2008; Rössel 2005). • Wir wissen bereits aus den Studien von Mark Granovetter und Ronald Burt: Vor allem » ➔ schwache Beziehungen« über »strukturelle Löcher« im Netzwerk helfen bei der Jobsuche und sind förderlich für die Karriere (siehe 4.2). Laut Bonnie Erickson (1996) laufen »schwache Beziehungen« häufig zu Mitgliedern anderer sozialer Schichten und sie erlauben den Zugang zu unterschiedlichen kulturellen Genres. Beides unterstützt den beruflichen Aufstieg. Auch Omar Lizardo findet einen Zusammenhang zwischen Netzwerkdiversität, kultureller Vielseitigkeit und sozio-ökonomischer Lage (2006). Seinen Analysen zufolge sorgt vor allem die Sozialisation in einem gebikldeten Elternhaus für vielfältiges kulturelles <?page no="136"?> 137 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 136 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 137 Interesse. Und dieses erlaubt den Aufbau von Sozialbeziehungen zu Menschen aus unterschiedlichen sozialen Gruppen und Schichten. Die Beispiele zeigen: Mit statistischen Analysen lassen sich vielfältige Netzwerkmechanismen untersuchen (siehe Kapitel 10). Diese betreffen sowohl die Entstehung von Beziehungskonstellationen, als auch deren Effekte. In Ansätzen lassen sich auch endogene Strukturtendenzen wie die Transitivität nachweisen. Dabei können wir insbesondere Zusammenhänge zwischen Netzwerken und individuellen Attributen und Verhalten analysieren. Insofern müssen wir Netzwerke aber auf Individualgrößen wie die Zusammensetzung ego-zentrierter Netzwerke oder deren Dichte reduzieren. Und die Netzwerkmechanismen müssen auf der Ebene des Individuums zu finden sein. Zusammenhänge auf der Ebene der Gesamtkonstellation oder auch nur Mikro-Strukturen (wie sie im ➔ Triaden-Zensus untersucht werden) können wir so nicht erkunden. Leseempfehlungen: Fischer, Claude 1982: To Dwell Among Friends: Personal Networks in Town and City, Chicago: University of Chicago Press. Lizardo, Omar 2006: »How Cultural Tastes Shape Personal Networks« American Sociological Review 71, 778-807. Louch, Hugh 2000: »Personal Network Integration: Transitivity and Homophily in Strong-Tie Relations« Social Networks 22, 45-64. Marsden, Peter 2005: »Recent Developments in Network Measurement« in: Peter Carrington/ John Scott/ Stanley Wasserman (Hg.): Models and Methods in Social Network Analysis, Cambridge: Cambridge University Press, 8-30. McPherson, Miller/ Lynn Smith-Lovin/ James Cook 2001: »Birds of a Feather: Homophily in Social Networks« Annual Review of Sociology 27, 415-444. Moore, Gwen 1990: »Structural Determinants of Men’s and Women’s Networks« American Sociological Review 55, 726-735. Wolf, Christoph 2004: »Egozentrierte Netzwerke: Erhebungsverfahren und Datenqualität« Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. Sonderheft 44, 244-273. <?page no="137"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 138 <?page no="138"?> 139 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 138 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 139 9. Qualitative Methoden Im Gegensatz zur formalen Analyse von Vollnetzwerken und zu den statistischen Analysen ego-zentrierter Netzwerke spielten qualitative Methoden lange Zeit eine untergeordnete Rolle in der Netzwerkforschung. Dabei waren Netzwerke vor allem in der Anfangszeit häufig qualitativ untersucht worden-- etwa bei Norbert Elias, in der britischen Sozialanthropologie und im symbolischen Interaktionismus der Chicago School (siehe Kap. 2). Insbesondere die Ethnologie hat durchgängig (neben der formalen Netzwerkeanalyse) auf ethnographische Methoden wie ➔ teilnehmende Beobachtung und auf qualitative Interviews zurückgegriffen (Bernard 1994). In den letzten Jahren werden auch in der Soziologie verstärkt qualitative Methoden zur Untersuchung sozialer Netzwerken verwendet (Hollstein/ Straus 2006; Crossley 2010; Desmond 2014; Bellotti 2015). Im Rahmen dieses Lehrbuchs kann ich diese Entwicklungen nicht ausführlich diskutieren, sondern nur ansatzweise vorstellen. Dies erfolgt in zwei Schritten: • Zunächst geht es um die Frage nach den systematischen Erkenntnisinteressen von qualitativen Methoden in der Netzwerkforschung. Diese sind zum einen die Exploration von Forschungsfeldern und den darin zu findenden strukturellen Konstellationen (9.1) und zum anderen ein Verstehen von Sinn, der in Netzwerken zirkuliert und diese prägt (9.2). • Anschließend stelle ich die wichtigsten Methoden vor: die ethnographische teilnehmende Beobachtung (9.3), die qualitativen Interviews (9.4) und die Untersuchung von kommuniziertem Sinn mit Mitteln der Dokumenten- und der Konversationsanalyse (9.4). 9.1 Exploration Die Netzwerkforschung verfolgt allgemein ein strukturalistisches Vorgehen. Das heißt: das Muster von Sozialbeziehungen wird als zentraler Aspekt sozialer Strukturen betrachtet (siehe Kapitel 1). Diese Struktur lässt sich nun vor allem quantitativ untersuchen, also mit Mitteln der ➔ formalen Netzwerkanalyse oder als ➔ ego-zentrierte Netzwerke. Dabei stellt sich die Frage, welche Rolle im Verhältnis dazu qualitative Methoden spielen können? Die erste Aufgabe besteht in der Exploration von Forschungsfeldern. So muss eine Netzwerkforscherin die Grenzen von zu untersuchenden Netzwerken bestimmen (siehe Kap. 3.3): <?page no="139"?> 140 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 140 • Welche ➔ Akteure gehören dazu? Diese sollten sich im Feld wechselseitig beobachten und optimaler Weise auch sinnhaft von einer nicht dazugehörigen Außenwelt abgegrenzt sein. Im Fall von Silicon Systems besteht diese sinnhafte Außengrenze einfach in der Unterscheidung zwischen Mitarbeitern der Firma und allen anderen. • Welche ➔ Beziehungen sind relevant? Geht es um formale Relationen zwischen den Beteiligten (Vorgesetzte/ Mitarbeiter)? Oder eher um informale Geselligkeit, um Freundschaft und privaten Kontakt? Und wie können wir diese Beziehungen treffsicher erheben? Ist eine non-reaktive Messung sinnvoll und möglich, oder müssen wir eine Befragung durchführen? Bei beiden Fragen braucht es eine gute Kenntnis des Gegenstands. Diese erarbeiten wir uns am besten in einer intensiven qualitativen Auseinandersetzung. Dazu gehören die ➔ teilnehmende Beobachtung der Interaktion im Feld, aber auch qualitative Interviews. Im Zuge einer solchen qualitativen Untersuchung gewinnt die Forscherin Wissen über andere Aspekte des sozialen Phänomens als die reine Beziehungskonstellation. Auf diese Weise erfuhr Krackhardt über die sozialen Konflikte um die gewerkschaftliche Organisation bei Silicon Systems (siehe 4.1, 11.1). Dieses Wissen benutzte er für ein Narrativ um die reine Untersuchung des Netzwerks herum. So konnte Krackhardt die Zentralitätswerte von Chris (und dessen Mitgliedschaften in ➔ Cliquen) in Zusammenhang zu seinem Verhalten während des Konflikts setzen. Das qualitativ erworbene Wissen komplementiert hier die formale Untersuchung und liefert Material für die Darstellung in wissenschaftlichen Arbeiten. Schließlich gibt es Kontexte, in denen eine formal-quantitative Analyse kaum möglich ist. In manchen Forschungsfeldern erhält die Forscherin zwar einen qualitativen Zugang, kann aber weder eine non-reaktive Messung von Beziehungen noch eine standardisierte Befragung durchführen. Dies gilt insbesondere für Kontexte mit illegalem Verhalten wie etwa Straßengangs (Sánchez Jankowski 1991). Aber auch in historisch vergangenen Perioden, wie sie Elias auf der Basis von Dokumenten und Sekundärdarstellungen untersucht hat. Teilweise lassen sich trotzdem Beziehungskonstellationen aus den Dokumenten rekonstruieren (z. B. Padgett/ Ansell 1993; Collins 1998; Crossley 2015). Hierfür braucht es wiederum ein gutes qualitatives Wissen über den Kontext. Eine qualitative Exploration von Netzwerkkontexten bildet entweder erstens eine Vorstufe zu einer formal-quantitativen Analyse (gewissermaßen einen Pre-Test). Sie kann diese zweitens ergänzen, indem wir qualitative Beobachtungen mit Netzwerkdaten in einem Narrativ verbinden. Oder sie kommt <?page no="140"?> 141 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 140 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 141 drittens zum Einsatz, wenn eine standardisierte Erhebung von Netzwerkbeziehungen nicht oder schwer möglich ist. 9.2 Verstehen Im Gegensatz zur Exploration begründet die zweite Aufgabe qualitativer Verfahren deren Eigenständigkeit und Wichtigkeit in der Netzwerkforschung. Es geht hier um das ➔ Verstehen der sinnhaften Deutungsmuster, die in Netzwerken ausgehandelt werden und diese prägen. Das Konzept des Sinns geht zurück auf die Unterscheidung von Erklären und Verstehen bei Max Weber ([1922] 1972: 1ff; 1988: 427ff ). Ich gehe auf diese Begriffe hier nur knapp ein, soweit sie für die Netzwerkforschung relevant sind und sich auf diese übertragen lassen: (1) Mit dem ➔ Erklären wird ein systematischer kausaler Zusammenhang zwischen zwei sozialen Tatsachen (nach Emile Durkheim) konstruiert. Dabei werfen die Forscher eine Außensicht auf das Geschehen. Meist benutzen sie quantitative Methoden, um etwa die Wirkung von Geschlechtsunterschieden auf berufliche Aufstiegschancen zu bestimmen. Allerdings reicht ein rein quantitativ nachgewiesener Zusammenhang nicht aus. Für eine richtiggehende » ➔ Erklärung« muss außerdem nachvollziehbar gemacht werden, warum und wie eine soziale Tatsache (das Geschlecht) einen Einfluss auf die andere (beruflichen Aufstieg) hat. (2) Demgegenüber zielt das ➔ Verstehen auf die Deutungsbzw. Sinnmuster im betrachteten sozialen Phänomen. Es wird also danach gefragt, welche Bedeutungen mit bestimmten Aspekten des Sozialen verknüpft sind. Welchen Sinn verbinden die Beteiligten etwa mit Geschlecht und mit beruflichem Aufstieg? Sinnverstehende Verfahren gehen allgemein davon aus, dass das Soziale konstruiert wird-- es also elementar aus Deutungsmustern aufgebaut ist. Beim Verstehen wird deswegen keine distanzierte Außensicht eingenommen. Vielmehr steht die Annäherung an den Sinn der beteiligten Akteure bzw. an den kommunizierten Sinn (in Texten) im Vordergrund. Bei Weber kann das Verstehen auch einen Beitrag zum Erklären liefern ([1922] 1972: 4). In dem betrachteten Beispiel könnten Personalentscheider in Unternehmen oder Verwaltungen befürchten, dass Frauen durch Schwangerschaft über kürzere oder längere Zeit beruflich ausfallen, und ihnen deswegen keine Führungsposition anvertrauen. Die geringeren Aufstiegschancen von Frauen wären dann wesentlich durch die Bedeutungen und Erwartungen bedingt, die mit Frau-Sein (oder Mann-Sein) verknüpft werden. <?page no="141"?> 142 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 142 Qualitative Methoden eignen sich besonders für die Erhebung und Interpretation solcher Deutungsmuster. Dies gilt einerseits für qualitative Interviews. Mit diesen wird der subjektive Sinn ausgelotet, den Akteure mit Aspekten des Sozialen verbinden. Einige methodische Ansätze gehen davon aus, dass die betrachteten Sinngehalte den Beteiligten bewusst sind. Andere suchen eher nach unreflektierten Deutungsmustern, die von der Forscherin erst mühsam »rekonstruiert« werden müssen (Bohnsack 2014). Andererseits wird mit Dokumenten- und Konversationsanalysen kommunizierter Sinn untersucht. Dies zielt auf dem Kommunikationsprozess zugrunde liegende Deutungsmuster und auf deren Aushandlung zwischen den Beteiligten. So lässt sich etwa untersuchen, welche Bedeutungen dem Geschlecht in der Kommunikation zugeschrieben werden und wie diese-- etwa in einem Bewerbungsgespräch-- zum Gegenstand von expliziten oder impliziten Auseinandersetzungen werden. In der Netzwerkforschung wird die Sinnebene forschungspraktisch meist ausgeblendet. Schon in den 1970er-Jahren forderte aber der Ethnologe J. Clyde Mitchell, Netzwerke und kulturelle Formen in Zusammenhang zu bringen (1973: 27ff; siehe 2.8). Auf diese Weise könnten Institutionen und Normen mit ihren Auswirkungen auf Netzwerke und ihrer Aushandlung in Netzwerken betrachtet werden. Aber die Netzwerkforschung sollte auch den Inhalt bzw. die Bedeutung von Sozialbeziehungen in der Netzwerkforschung stärker beachten (Mitchell 1973: 23ff ). Beispielsweise unterscheiden wir sinnhaft zwischen Freundschaft und Ratsuche. Unterschiedliche Formen von Interaktion werden jeweils mit Bedeutungen belegt; und sowohl die Beteiligten als auch die beobachtende Forscherin verstehen, dass ein Fragen um Rat etwas anderes als Freundschaft ist. Und da Ratsuche und Freundschaft mit spezifischen Aktivitäten verbunden sind, ist Ratsuche eher hierarchisch organisiert und Freundschaft in dicht vernetzten (transitiven) Gruppenstrukturen. Unterschiede in der Netzwerkstruktur lassen sich also teilweise auf die Bedeutung der betrachteten Beziehungsarten zurückführen. Innerhalb von Netzwerken werden unter anderem die folgenden Sinnformen relevant und lassen sich qualitativ untersuchen (Häußling 2006; Fuhse 2009a): • Bedeutungen von ➔ Beziehungen bzw. Beziehungsarten, • die Verarbeitung von Informationen und deren Bedeutung für Sozialbeziehungen, • individuelle Motivationen für die Bildung von Sozialbeziehungen, • die Identitäten der beteiligten ➔ Akteure, die häufig in Relation zueinander ausgehandelt werden, <?page no="142"?> 143 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 142 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 143 • die sozialen Kategorien (z. B. Geschlecht, ethnische Herkunft), die Interaktion strukturieren und deren Bedeutung in der Interaktion verhandelt wird, • formale und informale Rollen, die etwa mit der ➔ Blockmodellanalyse untersucht werden (siehe 6.5), • kulturelle Stile, mit denen sich Netzwerksegmente voneinander abgrenzen (z. B. künstlerische Schulen oder akademische Ansätze) oder mit denen sich bestimmte Positionen im Netzwerk gegenüber anderen auszeichnen. Sinnvollerweise sollte eine qualitative Untersuchung dieser Sinnformen in Netzwerken mit formal-quantitativen Analysen ergänzt werden (Fuhse/ Mützel 2011; Domínguez/ Hollstein 2014). Damit lassen sich etwa Zusammenhänge zwischen Deutungsmustern und Netzwerkkonstellationen herstellen. 9.3 Teilnehmende Beobachtung Die qualitativen Methoden in den Sozialwissenschaften umfassen ein breites Spektrum von Verfahren für die Erhebung und Interpretation von qualitativen Daten. Viele dieser Verfahren sind dafür geeignet, Sozialbeziehungen und Netzwerke zu untersuchen und damit die formal-quantitativen Verfahren zu komplementieren. Dieser Abschnitt behandelt die ➔ teilnehmende Beobachtung als Methode zur Untersuchung von Netzwerkkonstellationen. Die folgenden Abschnitte beschäftigen sich mit qualitativen Interviews und mit Konversations- und Dokumentenanalyse. Das klassische Verfahren in der Ethnologie und in der Chicago School ist die ethnographische teilnehmende Beobachtung. Dabei begibt sich die Forscherin als Teilnehmerin über einen längeren Zeitraum regelmäßig ins Forschungsfeld und wird für diese Zeit zum Teil desselben. Sie beobachtet die sozialen Strukturen und kulturellen Formen aus der Teilnehmerperspektive, wählt also einen lebensweltlichen Zugang. Häufig geht es hierbei darum, die in einem Kontext vorherrschenden kulturellen Formen zu identifizieren. Auf diese Weise sucht die Kulturanthropologie nach den Sinnmustern und Bedeutungen von Ritualen meist bei indigenen Stämmen (z. B. Geertz 1973). Und die Chicago School fokussiert auf die in Gruppen und Subkulturen vorherrschenden Symbole und Deutungsmuster (Blumer [1969] 1986; siehe 2.2). Im Gegensatz dazu sind für die Netzwerkforschung vor allem Relationierungen zwischen Akteuren innerhalb des Forschungsfeldes von Interesse. Nach Matthew Desmond kann die Forscherin bei der Auswahl ihres Unter- <?page no="143"?> 144 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 144 suchungsobjekts eine spezifisch relationale Herangehensweise wählen und damit » ➔ relationale Ethnographie« betreiben. Dafür muss sie ihr Untersuchungsobjekt entsprechend wählen und »Felder statt Orte, Grenzen statt abgegrenzte Gruppen, Prozesse statt Menschen in Prozessen [processed people] und kulturelle Konflikte statt Gruppenkulturen« untersuchen (Desmond 2014: 548). Die teilnehmende Beobachtung muss also an eine relationale Perspektive angepasst werden. Im Vordergrund stehen dann weniger das Erleben der Beteiligten oder die einen sozialen Kontext auszeichnenden kulturellen Deutungsmuster, als vielmehr die sozialen Strukturen und Relationierungen zwischen den Akteuren im jeweiligen Kontext. Beispielsweise geht es bei Straßengangs nicht um deren Gruppenkultur und -normen. Stattdessen rücken die Rollenbeziehungen zwischen Anführern und Mitläufern, das Verhältnis der Gang zur jeweiligen Nachbarschaft und die Grenzziehung zu anderen Gangs und zur Polizei in den Vordergrund. Damit wird eine spezifisch relationale Perspektive auf die betrachteten sozialen Phänomene geworfen. Definition: Eine ➔ relationale Ethnographie untersucht soziale Phänomene mit Blick auf Beziehungen zwischen Akteuren und Gruppen. Sie nimmt mit teilnehmender Beobachtung und qualitativen Interviews Prozesse der wechselseitigen Positionierung und Grenzziehungen in den Blick. Mit diesem Ansatz werden Beziehungen in ihrem kommunikativen Vollzug und in der Aushandlung der mit ihnen verbundenen Bedeutungen analysiert. Ein klassisches Beispiel dafür liefert die Studie von Norbert Elias und John Scotson zu den Konflikten zwischen »etablierten« Alteingesessenen und zugezogenen »Außenseitern« in einer englischen Arbeitersiedlung ([1965] 1990; siehe 2.3). Elias und Scotson untersuchen einerseits die Sozialbeziehungen innerhalb und zwischen den beiden Gruppen. Diese strukturelle Ebene könnte allerdings auch gut quantitativ analysiert werden mit einer standardisierten Befragung. Hinzu kommt aber die Untersuchung der symbolischen Grenzziehung zwischen den beiden Gruppen, die Dynamik von Stigmatisierung und Gegen-Stigmatisierung. Diese Grenzziehung beobachten die Autoren unter anderem im Klatsch, also der wertenden Unterhaltung über das Verhalten anderer ([1965] 1990: 166ff ). Geklatscht wird in persönlichen Beziehungen, oft innerhalb der eigenen Gruppe. Dabei wird das Verhalten anderer Mitglieder der eigenen Gruppe meist gelobt. Der Klatsch über Mitglieder der anderen Gruppe ist dagegen abwertend: »Schimpf-« oder »Schmähklatsch«. Auf <?page no="144"?> 145 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 144 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 145 diese Weise wird in der Kommunikation eine normativ wertende symbolische Grenzziehung zwischen den beiden Gruppen vorgenommen. Zugleich wird die Grenzziehung mit Blick auf das beobachtete Verhalten begründet. In der Terminologie von Desmond behandelt die Studie von Elias und Scotson »Grenzen statt abgegrenzte Gruppen« und »kulturelle Konflikte statt Gruppenkulturen« (s. o.). Das Verhältnis zwischen den beiden Gruppen steht im Vordergrund, anstatt eine Gruppe alleine zu betrachten. Das Verhältnis wird hier in seiner sinnhaften Unterfütterung bestimmt-- und deswegen bieten sich qualitative Verfahren an. Die teilnehmende Beobachtung erlaubt es Elias und Scotson, die in der Kommunikation vorgenommenen Abgrenzungen zu untersuchen. In der teilnehmenden Beobachtung sammelt die Forscherin ihre Daten meist selbst und interpretiert sie. Deswegen muss sie besonders die eigenen Kategorien hinterfragen und ihre Situation im Forschungskontext reflektieren: • Inwiefern sind ihre Beobachtungen durch ihre Erwartungen vorstrukturiert oder offen für Überraschungen aus dem Feld? Häufig wird in der Literatur formuliert, man solle sich idealerweise von Vorannahmen und Erwartungen vollkommen frei machen. Dies ist praktisch nicht möglich und brächte auch keine wertvollen Ergebnissen. Die relationale Ethnographie lenkt dagegen den Fokus auf bestimmte Aspekte: auf Sozialbeziehungen, Grenzziehungen, Rollenstrukturen und Konflikte. • Welchen Einfluss hat die Forscherin auf das Forschungsfeld? Führen ihre bloße Anwesenheit und das Bewusstsein ihrer Beobachtung zur Veränderung der sozialen Struktur, zur Betonung oder zur Abschwächung von Differenzen und von Rollenstrukturen? Beide Fragen lassen sich an der ethnographischen Untersuchung der Konstruktion »flüchtiger Sozialbeziehungen« zwischen Tänzerinnen und Kunden in Strip-Clubs illustrieren (Massey/ Hope 2005: 85ff ): • Die weibliche Forscherin und ihr männlicher Kollege gingen mit ganz unterschiedlichen Vorerfahrungen und Erwartungen in die untersuchten Strip-Clubs und mussten diese durch den »ethnographischen Blick« korrigieren. Zugleich rückt die relationale Perspektive die Rollenbeziehungen (und deren Aushandlung) in den Mittelpunkt. • Der männliche Forscher kann den Strip-Club wie ein normaler Kunde beobachten. Dagegen sorgt die Anwesenheit einer beobachtenden Frau für Irritationen im Feld. Tänzerinnen und Kunden sehen ihre übliche Rollenbeziehung infrage gestellt und passen eventuell ihr Verhalten an die neue Situation an. <?page no="145"?> 146 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 146 Der Einfluss der teilnehmenden Beobachtung auf ihren Forschungsgegenstand kommt besonders bei der relationalen Ethnographie zum Tragen. Denn der Fokus liegt hier auf den Sozialbeziehungen zwischen den Beteiligten. Durch ihren Eintritt ins Feld wird die Forscherin aber selbst zum beteiligten Akteur mit eigenen Beziehungen. Diese können in der Netzwerklogik natürlich einen Einfluss auf die bestehenden Beziehungen haben. 9.4 Qualitative Interviews (a) Narrative Interviews Der deutschsprachige Diskurs über qualitative Methoden dreht sich oft um qualitative, meist narrativ angelegte Interviews. Dies gilt insbesondere für die Arbeiten aus der »qualitativen Netzwerkanalyse« (Hollstein/ Straus 2006; Bernhard 2014; Herz et al. 2015). Mit ihnen soll der subjektive Sinn ausgelotet werden, den die Akteure mit wichtigen persönlichen Beziehungen und mit ihrer Einbettung ins Netzwerk verbinden. Es wird gewissermaßen die »subjektive Konstruktion des Netzwerks« in den Blick genommen (Stebbins 1969). » ➔ Narratives Interview« bedeutet in diesem Zusammenhang: Die Befragten werden darum gebeten, in möglichst freien Assoziationen aus ihrer Sicht über ihre Sozialbeziehungen und deren Bedeutung in ihrem Leben zu erzählen. Dies kann thematisch fokussiert erfolgen oder weitgehend themenoffen. Zum Beispiel könnten wir Migranten danach befragen, welche Bezugspersonen ihnen bei der Übersiedlung in einen neuen Kontexten geholfen haben, wie sich diese Sozialbeziehungen im Zuge der Migration verändert haben, und welche Personen ihnen anschließend beim Umgang mit dem neuen Kontext helfen (Menjívar 2000). Während des Interviews werden die Befragten durch einzelne Nachfragen zum weiteren Erzählen ermuntert, um zu einem möglichst vollständigen Bild des Netzwerks zu gelangen. Insgesamt sollen aber die Fragen-- ganz anders als in einer standardisierten Befragung-- die Antworten möglichst wenig vorstrukturieren. Sie sollen offen sein für unterschiedliche subjektive Sinngehalte und diese unverfälscht zutage fördern. Allerdings sind auch qualitative Interviews nicht frei von Erwartungen und davon, Antworten vorzustrukturieren: Schließlich wollen wir etwas über die Netzwerke der Beteiligten erfahren- - und dies meist in Bezug auf bestimmte Fragestellungen. Definition: In einem ➔ qualitativen Netzwerkinterview werden die Befragten in offener, narrativer Form nach wichtigen Bezugspersonen und nach den Beziehungen zu ihnen gefragt. Der Fokus liegt auf der Erkun- <?page no="146"?> 147 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 146 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 147 dung des subjektiven, mit diesen Beziehungen und Bezugspersonen verbundenen Sinns. Häufig werden die Interviews durch den Einsatz von ➔ Netzwerkkarten unterstützt. (b) Netzwerkkarten Eine Möglichkeit der Unterstützung von qualitativen Interviews zu Sozialbeziehungen sind sogenannte ➔ Netzwerkkarten nach Kahn und Antonucci (1980; Hollstein/ Straus 2006; Herz et al. 2015). In diesen positionieren die Befragten ihre Bezugspersonen auf konzentrischen Kreisen um sich selbst (»Ich« bzw. »Ego«, Abbildung 11). Die Entfernung vom Zentrum steht dabei für die persönliche Nähe oder Distanz zur Befragten. In diesem Fall steht der Partner Ego am nächsten, es folgen Daniel, Peter und die Schwester. Am weitesten entfernt platziert Ego den Chef und die Schwiegereltern. Neben der Nähe lassen sich noch eine Reihe weiterer Aspekte in die Netzwerkkarte eintragen: • Mit Strichen aus dem Zentrum werden unterschiedliche Bereiche oder Sektoren abgetrennt, hier »Familie«, »Freunde« und »Kollegen«. Diese Sektoren können für Beziehungsarten stehen (Familie/ Freunde) oder auch für ➔ Aktivitäts-Foki (Arbeitsumfeld, siehe 10.2). • Beziehungen zwischen den genannten Bezugspersonen können mit Linien markiert werden. Im vorliegenden Fall stehen durchgezogene Linien für eine Partnerschaft, gestrichelte Linien für andere Arten von Beziehungen. Die drei Freunde Achim, Daniel und Thomas bilden mit dem Befragten eine ➔ Clique. Daniel ist zusätzlich mit Sabine liiert, die gut mit dem Partner von Ego befreundet ist. Im Grunde erlauben solche Netzwerkkarten eine elaborierte Erhebung von ➔ ego-zentrierten Netzwerken (siehe Kap. 8). Wie die Liste der Bezugspersonen in einer Survey-Befragung dient die Netzwerkkarte als Erinnerungsstütze während des Interviews. Zugleich können wir Eigenschaften der Beziehungen zu den eingetragenen Bezugspersonen und die Verbindungen zwischen ihnen aufnehmen. Netzwerkkarten umfassen also eine Fülle von Informationen. Viele von diesen können wir ohne Probleme quantifizieren-- Nähe/ Distanz, Beziehungsarten, Aktivitäts-Foki, Alter-Alter-Beziehungen. Definition: Mit Netzwerkkarten werden ego-zentrierte Netzwerke mit einer Visualisierung erhoben. Wichtige Bezugspersonen werden je nach Nähe und Distanz im Raum um Ego platziert, sowie eventuell nach Sektoren getrennt und Verbindungen zwischen ihnen als Linien gezogen. <?page no="147"?> 148 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 148 Netzwerkkarten bilden also ein geeignetes Instrument zur Erhebung ego-zentrierter Netzwerke. Mit dem VennMaker steht dafür eine geeignete Software zur Verfügung (Gamper et al. 2012; http: / / www.vennmaker.com/ ). Das Programm erlaubt nicht nur Korrekturen während des Interviews, sondern auch direkte Datenaufnahme und Quantifizierung im Rechner. Allerdings sind Netzwerkkarten ein eher offenes Erhebungsinstrument und benötigen eine Menge Zeit. Deswegen werden sie in standardisierten Befragungen selten benutzt. Häufiger kommen sie bei ➔ narrativen Interviews zu Netzwerken zum Einsatz (Hollstein/ Straus 2006). Hier dient die Visualisierung als Erinnerungsstütze zu den Erzählungen über Bezugspersonen und Beziehungen. Die graphische Repräsentation bereits genannter Personen und der Verbindungen bildet die Grundlage des Gesprächs zwischen Befragten und Interviewer und erlaubt den eingehenden Austausch über das Netzwerk. Netzwerkkarten eignen sich zur gleichzeitigen Erhebung von strukturellen Daten zu ego-zentrierten Netzwerken und von subjektiven Sinnmustern, die damit verknüpft sind. Quantitative und qualitative Methoden werden hier »trianguliert«, also mit ihren jeweiligen Vorteilen miteinander kombi- Abb. 11: Netzwerkkarte nach Kahn/ Antonucci Quelle: Eigene Darstellung ( ktives Beispiel) Partner Mutter Vater Schwester Ich Schwiegereltern Chef Berthold Peter Nadine Daniel Sabine Achim Thomas Familie Kollegen Freunde <?page no="148"?> 149 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 148 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 149 niert. Die Karten sind allerdings ein relativ aufwändiges Instrument. Deswegen wird meist eine überschaubare Anzahl an Interviews geführt. Dadurch können vor allem systematische Zusammenhänge zwischen Typen von Netzwerkorientierungen und den Strukturen ego-zentrierter Netzwerke aufgezeigt werden. Umfangreiche multivariate Analysen (z. B. Regressionen) mit der Isolation von kausalen Zusammenhängen sind allerdings kaum möglich. Dafür wären mindestens 100 Interviews nötig, am besten deutlich mehr. Allgemein betrachten wir Netzwerke mit qualitativen Interviews aus der subjektiven Sicht der Befragten. Deswegen bietet sich eher die Verbindung mit ego-zentrierten Netzwerken als mit Vollnetzwerken an. Der Gegenstand ist dann die Einbindung von Individuen in ihr persönliches Netzwerk. Diese wird verbunden mit den in den qualitativen Interviews erhobenen subjektiven Orientierungen-- etwa zu spezifischen Handlungen oder zu Beziehungen zwischen verschiedenen sozialen Gruppen. (c) Empirische Befunde Im Folgenden trage ich einige Beispiele für empirische Studien mit ➔ ego-zentrierten Netzwerken und qualitativen ➔ Netzwerkinterviews zusammen: • Gewissermaßen in der Nachfolge der Studie von Elias und Scotson hat Andreas Wimmer das Zusammenleben von Einheimischen und verschiedenen Migrantengruppen in der Schweiz untersucht (2002). Dabei erhob er quantitativ die ethnische Zusammensetzung der ego-zentrierten Netzwerke und mit qualitativen Interviews die sozialen Kategorien sowie die mit ihnen verknüpften Bedeutungen. Auf diese Weise machte er eine komplexe sozio-kulturelle Konstellation aus. In dieser unterscheiden sich nicht nur die verschiedenen ethnischen Gruppen, sondern auch die Generationen in ihren Perspektiven auf die soziale Welt- - das mit der Aufnahme von inter-ethnischen persönlichen Beziehungen vor allem unter den Jüngeren korreliert. Eine Reihe von Studien nutzt qualitative Interviews für die Untersuchung der Veränderung ego-zentrierter Netzwerke: • Claire Bidart und Daniel Lavenu betrachten Schwankungen in der Anzahl persönlicher Beziehungen in einer Langzeitstudie zu Netzwerken junger Menschen in Frankreich (2005). Dabei weisen sie systematische Veränderungen durch vielfältige Transitionen wie Umzug, Übergang von Schule in Beruf oder Aufnahme einer Intimbeziehung nach. • Laura Bernardi, Sylvia Keim und Holger von der Lippe untersuchen die Wirkung von Netzwerkbeziehungen auf den Kinderwunsch bei jungen <?page no="149"?> 150 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 150 Paaren in Rostock und Lübeck (2007). Dabei setzen sie ➔ Netzwerkkarten zur Generierung von quantitativen Daten und zur Unterstützung von Erzählungen über das Netzwerk ein. Aus den qualitativen Interviews ziehen Bernardi et al. zum einen systematische kulturelle Unterschiede im Umgang mit der Familiengründung in Ost (Rostock) und West (Lübeck). Zum anderen konstruieren sie sechs Typen der Interaktion innerhalb von Freundschaften. Diese stellen jeweils Arten des sozialen Einflusses dar, die sich fördernd oder hemmend auf den Kinderwunsch auswirken. • Auch Betina Hollstein nutzt qualitative Interviews zur Betrachtung sinnhafter Orientierungen bei der Veränderung von ego-zentrierten Netzwerken (2003). Bei ihr geht es um die Neuausrichtung von Sozialbeziehungen nach dem Tod eines Partners. Dabei hat die Verwitwung jeweils unterschiedliche Auswirkungen: Auf die Person orientierte Beziehungen zur Witwe/ zum Witwer bleiben vorwiegend bestehen, genau wie die an sachliche Interessen geknüpften. Dagegen verschwinden Freundschaften und Bekanntschaften tendenziell, wenn sie vor allem auf gemeinsame Geselligkeit mit dem Paar ausgerichtet waren. • Elisa Bellotti befragte 23 junge Singles in Norditalien nach den Bedeutungen ihrer Freundschaftsbeziehungen (2008): Sind sie um Diskussion und Verständnis oder etwa um gemeinsame Aktivitäten herum organisiert? Und welche Formen von Unterstützung erbringen sie für die Befragten? Dabei fanden sich systematische Zusammenhänge zwischen diesen Typen von Freundschaftsorientierungen und -aktivitäten und den strukturellen Eigenschaften der ego-zentrierten Netzwerke: Größere und dicht vernetzte Gruppen sind oft um Aktivitäten herum organisiert. Kleinere ➔ Cliquen liefern vor allem kommunikativen Austausch und Verständnis. Und in persönlichen Netzwerken mit mehreren, voneinander getrennten Komponenten liefern diese jeweils unterschiedliche Formen von Unterstützung. Auch die beiden Studien von Stefanie Bailey/ Peter Marsden und Peter Bearman/ Paolo Parigi zum Antwortverhalten bei der Erhebung von ego-zentrierten Netzwerken arbeiten mit qualitativen Elementen: • Bailey und Marsden (1999) konfrontierten fünfzig Befragte mit dem Burt-Namens-Generator. Anschließend sollten die Befragten ihre Überlegungen bei der Auflistung von Bezugspersonen mit der »Laut-Denken«-Methode (»think-aloud«) verbalisieren. • Die Studie von Bearman und Parigi (2004) beruht auf fast 800 Telefon-Interviews. Hier sollten die Befragten das Thema der letzten wichtigen Unterhaltung im Sinne des Namens-Generators nennen und mit <?page no="150"?> 151 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 150 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 151 wem sie sie geführt haben. Beide Studien quantifizieren anschließend die qualitativen Ergebnisse, indem ähnliche Nennungen- - z. B. von Gesprächsthemen- - zusammengefasst werden. Auf diese Weise können sie systematische Zusammenhänge zwischen Fragebogenkonstruktion, Beziehungsarten und Gesprächsthemen nachweisen. So werden auch statistische Verzerrungen beim Antwortverhalten sichtbar. Nicht zufällig verbinden die meisten der angeführten Studien qualitative Interviews mit quantitativen Angaben zu ego-zentrierten Netzwerken. Die qualitativ erfragten subjektiven Sinnmuster ergänzen hier die Kennzahlen zur individuellen Einbettung. Auf diese Weise lassen sich systematische Beziehungen zwischen subjektiven Orientierungen oder den Inhalten der betrachteten Beziehungen und der Struktur und Zusammensetzung ego-zentrierter Netzwerke aufzeigen. Bei Bellotti, Marsden/ Bailey und Bearman/ Parigi werden die qualitativen Daten auch quantifiziert und selbst in die statistischen Analysen eingebunden. Aufgrund des Aufwandes von qualitativen Interviews liefern diese aber nur kleine Fallzahlen. Diese lassen nach einer Quantifizierung lediglich Häufigkeitsauszählungen und die Untersuchung bivariater Zusammenhänge, kaum aber multivariate statistische Auswertungen zu. Die Studie von Bidart und Lavenu hat explizit explorativen Charakter. Ihre Ergebnisse könnten eine quantitative Untersuchung vorbereiten. Die Arbeiten von Bailey/ Marsden und Bearman/ Parigi helfen bei der Interpretation der mit Namens-Generatoren erhobenen Netzwerkdaten und eventuell auch bei der besseren Konstruktion solcher Netzwerkfragen. Die ➔ qualitativen Netzwerkinterviews beleuchten stets eine in standardisierten Befragungen ausgeblendete Seite sozialer Netzwerke: die mit diesen verbundenen subjektiven Deutungsmustern. 9.5 Dokumenten- und Konversationsanalyse Teilnehmende Beobachtung und qualitative Interviews sind mittlerweile etabliert als Methoden der Netzwerkforschung. Eine dritte qualitative Herangehensweise wird bisher selten gewählt: Der in Netzwerken ausgehandelte und mit ihnen verbundene Sinn kann in non-reaktiv ablaufenden Kommunikationsprozessen untersucht werden. Als Mittel hierfür bieten sich Dokumenten- und Konversationsanalysen an: (1) Dokumentenanalysen untersuchen abgeschlossene Texte: Briefe, Memos, Publikationen. (2) Die Konversationsanalyse betrachtet mündliche Kommunikation face-toface oder am Telefon. <?page no="151"?> 152 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 152 Beide Verfahren sind interpretativ angelegt, zielen demzufolge auf ein Sinnverstehen. Die Dokumentenanalyse auf den Inhalt von Texten. Dagegen steht in der Konversationsanalyse (oft) der formale Ablauf von Kommunikation im Vordergrund-- also die Sequenz von Ereignissen (Schegloff 2007). In Verbindung mit Netzwerkforschung sind zwei Präzisierungen nötig: Erstens muss die relevante Kommunikation in einem Netzwerk betrachtet werden. Zweitens wird der relationale Sinn, also die Bezugnahmen und Positionierungen zwischen den beteiligten Akteuren untersucht (Fuhse 2015b). (a) Praktische Illustration Ich illustriere dies kurz an der Analyse eines informalen Gesprächs. 16 Es geht um eine scheinbar harmlose Unterhaltung zwischen vier Freunden beim gemeinsamen Abendessen (Transcript 1). Die beiden Studenten Shane (Sha) und seine Freundin Vivien (Viv) haben ein befreundetes Paar eingeladen: Nancy (Nan) und Michael (Mic). Vivien hat Hühnchen mit Kartoffeln gekocht, und genau um diese Kartoffeln geht es. Die kurze Sequenz (38 Sekunden) wird in Transcript 1 nach den Konventionen der Konversationsanalyse wieder gegeben: Die Schreibweise spiegelt die ungefähre Aussprache wider. Kurze Pausen sind mit Angabe der Sekunden in runden Klammern angegeben. Unterstreichungen stehen für betonte Silben, Pfeile für Änderungen des Tonfalls. Eckige Klammern markieren Überschneidungen im Redefluss. Das Augenmerk einer relationalen Analyse liegt darauf, wie die Abfolge von Äußerungen die relativen Positionen der Beteiligten zueinander markiert: In Zeile 2 konstatiert Shane, dass er eine Kartoffel nicht zerdrücken kann. Im Sinne der Politeness-Theorie stellt dies einen Face-Threatening-Act dar (Brown/ Levinson 1987: 65ff ): Shane stellt die Identität seiner Freundin Vivien als kompetente Köchin in Frage. Vivien äußert Betroffenheit und akzeptiert damit die Beschwerde (3). Es folgt eine betretene Pause von über einer Sekunde (4). In Zeile 5 fragt Nancy Shane, ob er gekochte Kartoffeln zum Essen immer zerdrückt. Sie unternimmt damit den Versuch einer Reparatur des Face-Threatening-Acts: Wenn Kartoffeln nicht unbedingt zerdrückt werden müssen, dann bemisst sich daran nicht notwendig deren richtige Zubereitung. Fast gleichzeitig erhöht Shane den Druck mit »But this thing is hard as a rock.« Wieder gibt sich Vivien bemüht (8 und 11) und Shane insistiert (9), später allerdings in abgeschwächter Form (12). 16 Emmanuel Schegloff illustriert anhand dieser Passage die sequenzielle Ordnung von Äußerungen (2007: 5f ). Er untersucht sie also unter einem deutlich anderen Blickwinkel als hier. <?page no="152"?> 153 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 152 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 153 Eine Pause von über zwei Sekunden wie in (13) ist in informaler Konversation geradezu unerträglich lang. Danach verbündet sich Nancy eindeutig mit Vivien, indem sie die Beschwerde von Shane als unbegründet abweist (wenn auch aus ihrer Sicht-- »to me«). Zugleich beruft sie ihren Freund Michael als Entscheider des Konflikts an (»How about you, Michael? «). In Zeile 15-16 macht Shane eindeutig die zu harte Kartoffel zu einer Beschwerde an Vivien, vielleicht auch aus Unmut über ein Ausbleiben einer Entschuldigung von ihrer Seite. Michael steht nun unter Druck. Er muss im Sinne eines »Adjacency Pairs« (Schegloff 2007: 13ff ) eine Antwort auf Nancys Frage formulieren. Sie verlangt klar, entweder Shanes Angriff auf Vivien oder ihre Verteidigung durch Nancy zu unterstützen. Michael versucht etwas unbeholfen eine Kompromissformulierung (»A little bit of it isn’t done«; 17). Shanes folgende Äußerung interpretiert dies jedoch eindeutig als Unterstützung seiner Position (18). In einem Austausch von wenigen Sätzen positionieren sich die vier Freunde indirekt-- über die Frage nach gut gekochten Kartoffeln-- klar zueinander. Eine relationale Analyse muss diese Relationierungen und ihre Dynamik zunächst qualitativ unter Rückgriff auf Konversationsanalyse und Transcript 1: Chicken Dinner, 4: 28-5: 06 1 (1.1) 2 Sha: Ah can’t- Ah can’t[get this thing ↓mashed. 3 Viv: [Aa-ow. 4 (1.2) 5 Nan: You[do that too: ? Tih yer pota]toes. 6 Sha: [This one’s hard ezza rock.] 7 Sha: ↑Ye[ah. 8 Viv: [It i: [s? 9 Sha: [B’t this thingis ↑ha: rd. 10 (0.3) 11 Viv: It’s not do: ne? th’potato? 12 Sha: Ah don’t think so, 13 (2.2) 14 Nan: Seems done t’me how ›bout you Mi[chael,] 15 Sha: [Alri‹ ]who 16 cooked this mea: l. 17 Mic: hh Little ↓bit’v e-it e-ih-ih of it isn’done. 18 Sha: Th’ts ri: ght. 19 (1.2) Quelle: Schegloff 2007: 5 <?page no="153"?> 154 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 154 Soziolinguistik herausarbeiten. Anschließend folgt idealerweise eine Quantifizierung: Dafür könnten wir etwa Angriffe und Unterstützungen über einen längeren Zeitraum zählen. Damit lassen sich sich wandelnde Netzwerkkonstellationen zwischen den Beteiligten nachvollziehen. Im Gegensatz zu qualitativen Interviews liegt der Fokus nicht auf deren subjektiven Sinn- - dieser bleibt prinzipiell unbeobachtet. Vielmehr wird der in der Abfolge von Äußerungen kommunizierte Sinn in den Blick genommen. (b) Empirische Beispiele Im Folgenden führe ich einige Beispiele für Studien aus der Netzwerkforschung mit Dokumenten- oder Konversationsanalysen an: • Paul McLean untersucht Bittbriefe an die Medici aus dem Florenz der Renaissance (2007). Dabei geht es ihm besonders um die dabei angewandten Kommunikationstechniken: Wie positionieren sich die Florentiner gegenüber ihrem potentiellen Patron? Mit welchen Rahmungen (»framing«) der Beziehungen versuchen sie diesen zu überzeugen (McLean 1998)? • Eine Studie von Sophie Mützel erforscht den Markt der Brustkrebstherapieforschung (2010). Sie analysiert die Mitteilungen der Biotechnologiefirmen über Fortschritte in der Entwicklung von Therapien und die Reaktionen anderer Marktteilnehmer. Im Mittelpunkt stehen dabei die Geschichten über die Firmen und deren Forschung. Im Sinne der relationalen Soziologie um Harrison White sieht Mützel Netzwerke und Märkte als sinnhaft durch solche Narrative strukturiert (siehe 11.3). Dabei werden die Geschichten im Netzwerk nicht unkritisch übernommen, sondern durch andere Marktteilnehmer bestätigt oder infrage gestellt. • Daniel McFarland analysiert Störungen im Schulunterricht als relationale kommunikative Ereignisse (2001; 2004). Das heißt: Auseinandersetzungen zwischen Lehrern und einzelnen Schülern werden eingebettet in das Netzwerk mit anderen Schülern. Diese unterstützen aufmüpfige Schüler im Konflikt, wenn sie sie mögen. Bei eher unpopulären Schülern reagieren sie dagegen auf Störungen mit Missachtung (McFarland 2004). Störungen wirken sich also je nach Abfolge kommunikativer Ereignisse und nach weiterem Netzwerkkontext unterschiedlich aus. McFarland weist diesen Zusammenhang nicht nur qualitativ am Verlauf unterschiedlicher Störungssequenzen, sondern auch quantitativ im Zusammenhang mit Netzwerkdaten nach (2001). Auf unterschiedliche Weise behandeln die Arbeiten von McLean, Mützel und McFarland die Aushandlung von Identitäten und Relationen im Kommu- <?page no="154"?> 155 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 154 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 155 nikationsprozess: Bei McLean versuchen die Bittsteller sich selbst als loyal darzustellen und die Beziehungen als verlässlich zu rahmen. Mützel untersucht die Selbstdarstellungen von Biotechnologie-Firmen und die Reaktionen auf diese. Der Erfolg der Unterrichtsstörungen bei McFarland beruht auf der Popularität von Schülern. Zugleich werden deren Identität und Popularität im Verlauf solcher Störungen festgelegt. Wir können also Kommunikationsprozesse auf ganz unterschiedlichen Ebenen als interaktive Aushandlung von Beziehungsstrukturen untersuchen. McLean und Mützel führen Dokumentenanalysen durch. McFarlands Studie behandelt mündliche Kommunikation, geht also in Richtung Konversationsanalyse. Die überzeugendste Verbindung von Konversationsanalyse und Netzwerkforschung liefert David Gibson (2005). Er untersucht die Abfolge von Wortmeldungen in Manager Meetings hinsichtlich der Fragen: Wer adressiert wen? Und wie reagiert die nächste Sprecherin darauf? Gibsons Analyse ist allerdings rein quantitativ: Er untersucht in statistischen Analysen, welche Konstellation von Sprechern welche Reihenfolge von Adressierungen besonders wahrscheinlich macht. Dabei wird die eigentliche Aushandlung von relationalem Sinn zwar eher ausgeblendet. Aber die Quantifizierung von wechselseitigen Bezugnahmen erlaubt formale Analysen (wie auch in McFarland 2001). Dagegen müssen die rein qualitativen Untersuchungen exemplarisch an einzelnen Passagen oder Kommunikationssequenzen die postulierten Zusammenhänge aufzeigen. 9.6 Résumé Lange Zeit waren qualitative Methoden ein Randphänomen in der Netzwerkforschung. In den letzten 15 Jahren haben aber Forscherinnen und Forscher aus unterschiedlichen Richtungen für einen regelrechten Boom gesorgt. Heute erscheinen qualitative Methoden in der Netzwerkforschung als ernsthafte Alternative oder zumindest als wertvolle Ergänzung der quantitativen Analysen von Vollnetzwerken oder ego-zentrierten Netzwerken. In den nächsten Jahren sind sicher noch einige Entwicklungen zu erwarten. Zu Recht insistiert Rainer Diaz-Bone, wir sollten qualitative Methoden nicht überschätzen und insbesondere nicht formal-quantitative Analysen durch diese ersetzen (2007). Die »strukturelle« Herangehensweise der Netzwerkforschung verlangt prinzipiell eine Abstraktion von Deutungsmustern und individuellem Erleben und einen Fokus auf das Beziehungsgeflecht (siehe 1.1). Qualitative Methoden können auf zweierlei Weise einen wichtigen Beitrag zur Netzwerkforschung leisten: <?page no="155"?> 156 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 156 • In wenig erforschten und schlecht zugänglichen Forschungskontexten dienen sie der Exploration von Beziehungsstrukturen. • Sie liefern ein ➔ Verstehen des Sinns in Netzwerken. Die Exploration bereitet dabei häufig eine quantitativ-formale Analyse von Netzwerken vor. Das Verstehen von Sinnmustern bildet dagegen eine eigenständige Aufgabe, die komplementär zu formalen Netzwerkanalysen und ego-zentrierten Netzwerken steht. Je nach Methode bieten sich unterschiedliche Blickwinkel. Mit der damit eingenommenen Perspektive liegen dann auch Kombinationen mit bestimmten anderen Methoden der Netzwerkforschung nahe: (1) Qualitative Interviews zielen auf den subjektiven Sinn, den die Akteure mit ihren Sozialbeziehungen verbinden. Dabei wird gewissermaßen eine Binnensicht der Beteiligten auf ihr Beziehungsgeflecht eingenommen. Entsprechend passen sie gut zu den vom Individuum ausgehenden ➔ ego-zentrierten Netzwerken. (2) In Dokumenten- und Konversationsanalysen wird dagegen der kommunizierte Sinn untersucht: Wie werden im Netzwerk Identitäten und Beziehungen ausgehandelt? Dies impliziert eine Außensicht auf die beteiligten Akteure und verlangt die Untersuchung abgeschlossener Kommunikationskontexte. Insofern lassen sie sich mit der formalen Analyse von Vollnetzwerken verbinden wie in den Studien von McFarland und Gibson. (3) Auch die ➔ teilnehmende Beobachtung nimmt ganze Beziehungsgeflechte in den Blick. Die ➔ relationale Ethnographie nach Desmond erkundet eher kommunizierten als subjektiven Sinn. Sie ist aber insgesamt weniger sinnverstehend, als explorativ angelegt. Teilnehmende Beobachtungen bieten sich als Vorstufe oder als Ergänzung zu einer formalen Analyse eines Vollnetzwerks an. Gerade die angesprochenen Verbindungen aus qualitativen und quantitativen Methoden eröffnen ein fruchtbares und vielversprechendes Forschungsfeld (Fuhse/ Mützel 2011; Domínguez/ Hollstein 2014; Bellotti 2015; Herz et al. 2015). Leseempfehlungen: Bernardi, Laura/ Sylvia Keim/ Holger von der Lippe 2007: »Social Influences on Fertility« Journal of Mixed Methods Research 1, 23-47. Crossley, Nick 2010: »The Social World of the Network. Combining Qualitative and Quantitative Elements in Social Network Analysis« In: Sociologica 1/ 2010, http: / / www.sociologica.mulino.it/ doi/ 10.2383/ 32049. Siehe auch die anschließende Diskussion mit Beiträgen von Elisa Bellotti, <?page no="156"?> 157 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 156 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 157 Deirdre Kirke, Christopher McCarty, José Luis Molina: http: / / www. sociologica.mulino.it/ journal/ issue/ index/ Issue/ Journal: ISSUE: 9. Desmond, Matthew 2014: »Relational Ethnography« Theory &- Society 43, 547-579. Domínguez, Silvia/ Betina Hollstein (Hg.) 2014: Mixed Methods Social Network Research, Cambridge: Cambridge University Press. Fuhse, Jan/ Sophie Mützel 2011: »Tackling Connections, Structure, and Meaning in Networks: Quantitative and Qualitative Methods in Sociological Network Research« Quality &-Quantity 45, 1067-1089. Herz, Andreas/ Luisa Peters/ Inga Truschkat 2015: »How to do qualitative strukturale Analyse? Die qualitative Interpretation von Netzwerkkarten und erzählgenerierenden Interviews« Forum Qualitative Sozialforschung 16(1), Art. 9; verfügbar unter: http: / / nbn-resolving.de/ urn: nbn: de: 0114fqs150190 McFarland, Daniel 2001: »Student Resistance: How the Formal and Informal Organization of Classrooms Facilitate Everyday Forms of Student Defiance« American Journal of Sociology 107, 612-678. Wimmer, Andreas 2002: »Multikulturalität oder Ethnisierung? Kategorienbildung und Netzwerkstrukturen in drei schweizerischen Immigrantenquartieren« Zeitschrift für Soziologie 31, 4-26. <?page no="157"?> www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 158 <?page no="158"?> 159 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 158 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 159 10. Netzwerkmechanismen 10.1 Drei Typen von Mechanismen Warum sind Netzwerke auf eine bestimmte Weise aufgebaut? Und welche Auswirkungen haben sie? Mit diesen Fragen bewegen wir uns in Richtung einer theoretischen Modellierung von Netzwerken und deren Rolle im Sozialen. Grundlagentheoretische Perspektiven wie die Handlungs- oder die Systemtheorie werden aber erst im nächsten Kapitel diskutiert. Vielmehr trage ich in diesem Kapitel relativ kleinteilige Bausteine für die Beantwortung der angeführten Fragen zusammen. Wir können hier von »Netzwerkmechanismen« sprechen (Tilly 2005: 23ff; Powell et al. 2005: 1039f; Wimmer/ Lewis 2010: 139ff; McFarland et al. 2014: 1090f ). ➔ Mechanismen sind überschaubare und empirisch gut erforschte Zusammenhänge zwischen sozialen Strukturen (Stinchcombe 1991; Bunge 1997; Hedström/ Swedberg 1998). Bei Netzwerkmechanismen wird entweder die Struktur und Zusammensetzung sozialer Netzwerke in Zusammenhang mit anderen Aspekten sozialer Strukturen gebracht. Oder es wird nach endogenen Strukturtendenzen in Netzwerken gesucht, d. h. die systematische Veränderung von einer Netzwerkkonstellation zu einer anderen rekonstruiert. Im Laufe dieses Buches habe ich bereits eine Reihe von Netzwerkmechanismen kurz vorgestellt. Diese trage ich hier zusammen, vervollständige sie und ordne sie drei Typen zu: (1) Mechanismen der Netzwerkbildung stehen für systematische Einflüsse von anderen Aspekten sozialer Strukturen auf Netzwerkkonstellationen. Netzwerke fungieren als abhängige Variable. Beispiele hierfür wären ➔ Homophilie (McPherson et al. 2001; siehe 2.7) und die Bildung von Sozialbeziehungen an sogenannten ➔ Aktivitäts-Foki (Feld 1981; siehe 2.5). (2) Bei Mechanismen der Netzwerkeffekte geht es um Auswirkungen von Netzwerkkonstellationen auf andere Aspekte sozialer Strukturen. Als Beispiele sind etwa die Effekte auf den beruflichen Erfolg (Granovetter 1973; Burt 1992; siehe 4.2), auf die Macht von Akteuren (Gould 1989) oder auch auf die Rekrutierung und Koordinierung in Protestbewegungen (McAdam 1988; Osa 2003; Baldassari/ Diani 2007) zu nennen. Hier bilden Netzwerke die unabhängige Variable der jeweiligen Zusammenhänge. (3) Schließlich zeigen Netzwerke endogene Strukturtendenzen wie zum Beispiel ➔ Reziprozität (Gouldner 1960; siehe 3.4), ➔ Transitivität (Cart- <?page no="159"?> 160 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 160 wright/ Harary 1956; siehe 2.5) oder die bevorzugte Bindung an zentrale Akteure (» ➔ Preferential Attachment«; Merton 1995; Barabási/ Bonabeau 2003). Die endogenen Tendenzen von Netzwerken zu bestimmten Konstellationen können wir als Mechanismen der Netzwerkstrukturierung fassen. Netzwerke tauchen dabei sowohl als unabhängige als auch als abhängige Variable auf. Die drei Typen von Netzwerkmechanismen lassen sich schematisch wie in Abbildung 12 darstellen. Sie sind jeweils mit grauen Pfeilen zu Netzwerken (Netzwerkbildung), von diesen weg (Netzwerkeffekte) oder von Netzwerken zu sich selbst (Netzwerkstrukturierung) markiert. Wo ich bisher von »Aspekten sozialer Strukturen« gesprochen habe, taucht nun der Begriff »soziale Tatsache« auf. Dieser Begriff stammt von Emile Durkheim und fasst im Grunde alles zusammen, was wir im Sozialen als Regelmäßigkeiten beobachten ([1896] 1984: 105ff ). Das Geschlecht kann eine soziale Tatsache sein, aber auch die Unterschiede im Einkommen oder der Erfolg einer Protestbewegung. Soziale Tatsachen, die auf Netzwerke wirken, habe ich als »soziale Tatsache 1 « markiert. Die Effekte von sozialen Netzwerken finden wir in der »sozialen Tatsache 2 «. Die Nummerierung zeigt auf, dass es meist um unterschiedliche soziale Tatsachen geht. Prinzipiell können wir auch die Wirkung einer sozialen Tatsache auf die Struktur und Zusammensetzung von sozialen Netzwerken und deren Effekte auf eine andere soziale Tatsache untersuchen. So könnten wir untersuchen, wie bei Migranten in Deutschland deren ethnische Herkunft (soziale Tatsache 1 ) vermehrt zu persönlichen Beziehungen zu Mitmigranten führt (die Zusammensetzung von Netzwerken). Und dies verschlechtert ihren Zugang zum Arbeitsmarkt (sozialen Tatsache 2 ), weil ihre Bezugspersonen eher »niedere« Berufe ausüben und ihnen nicht bei der Jobsuche helfen können. Abb. 12: Typen von Netzwerkmechanismen Quelle: Eigene Darstellung Soziale Tatsache 1 Soziale Tatsache 2 Netzwerke • Struktur • Zusammensetzung Netzwerkbildung Netzwerke ekte Netzwerkstrukturierung <?page no="160"?> 161 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 160 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 161 Definition: Ein Netzwerkmechanismus steht für einen kleinteiligen kausalen Zusammenhang zwischen der Struktur und der Zusammensetzung sozialer Netzwerke und anderen sozialen Tatsachen. Dieser Zusammenhang ist theoretisch plausibel und empirisch gut dokumentiert. Je nach Rolle der Netzwerke sprechen wir von Netzwerkbildung (Netzwerke als abhängige Variable), Netzwerkeffekten (unabhängige Variable) oder Netzwerkstrukturierung (Netzwerke als unabhängige und als abhängige Variable). Natürlich bilden auch die Struktur und Zusammensetzung von Netzwerken »soziale Tatsachen«. Und es laufen beileibe nicht alle sozialen Zusammenhänge über Netzwerke. Hier beleuchte ich nur die systematische Stellung von Netzwerken im Sozialen. Deswegen hebe ich sie besonders hervor und betrachte nur Mechanismen, bei denen Netzwerke beteiligt sind. 10.2 Netzwerkbildung Betrachten wir als erstes die Mechanismen der Netzwerkbildung. Bei ihnen geht es darum, wie andere Aspekte sozialer Strukturen die Bildung von Netzwerkkonstellationen beeinflussen. Als wichtigste Mechanismen hierfür sind Homophilie und die Bildung von Sozialbeziehungen an sogenannten Aktivitäts-Foki bekannt. Zusätzlich diskutiere ich die Orientierung an kulturellen Normen und an formalen Rollen. (a) Aktivitäts-Foki/ Gelegenheitsstrukturen Zwei Personen, die sich nicht treffen, werden auch keine soziale Beziehung entwickeln (Verbrugge 1977: 577, 593f; Blau 1977). Diese einfache Wahrheit liegt einer Reihe von wichtigen Arbeiten zur Wirkung von sozialen Ungleichheiten auf Netzwerke zugrunde. Schon Leon Festinger und seine Ko-Autoren stellten fest, dass viele persönliche Beziehungen im direkten Wohnumfeld gebildet werden (1950: 34ff; siehe 2.5). Entsprechend hat die soziale Zusammensetzung des Wohnorts oder des Wohnviertels einen direkten Einfluss darauf, wie persönliche Netzwerke zusammengesetzt werden: • In einem Viertel mit wenigen Migranten haben die Einheimischen kaum Gelegenheit zum persönlichen Kontakt mit Migranten. • Umgekehrt wird eine Migrantin in einem migrantisch geprägten Großstadtviertel unter ihren Bezugspersonen relativ viele Mitmigranten haben-- weit mehr als eine Migrantin in einer von einheimischen dominierten Kleinstadt. <?page no="161"?> 162 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 162 Dieser Mechanismus liegt der Subkultur-Theorie von Claude Fischer zugrunde: In seiner Untersuchung in Kalifornien waren die persönlichen Beziehungsnetze der Befragten umso ethnisch homogener, je größer deren ethnische Gruppe am jeweiligen Wohnort war (1982b). Mit wenigen Ausnahmen sind Minderheitengruppen in westlichen Einwanderungsgesellschaften (wie in den USA oder Deutschland) in Großstädten am größten. Deshalb bilden sich hier am ehesten ethnische Subkulturen, in denen Migranten weitgehend unter sich bleiben. Ähnliches gilt auch für den sozio-ökonomischen Status: Wohngebiete sind-- vor allem in Großstädten-- meist relativ homogen in Bezug auf Bildung und Wohlstand. Deswegen schließt man hier häufig Freundschaften zu Personen mit ähnlichem Bildungsstand und ähnlichem Einkommen. Aber nicht nur der Wohnort, auch andere Orte der sozialen Begegnung legen die Bildung von Beziehungen zu Personen mit ähnlichen Merkmalen nahe. In Bildungseinrichtungen (Schule und Hochschule) kommt man mit Menschen mit ähnlichem Alter und Bildungsstand, am Arbeitsplatz mit Angehörigen ähnlicher Berufe in Kontakt (McPherson et al. 2001: 431ff ). Und die Mitglieder von Vereinen und freiweilligen Vereinigungen (Kalmijn/ Flap 2001) ähneln sich oft sehr in ihrem sozialen Hintergrund, ihrem Lebensstil und ihren Wertorientierungen. Ähnliches gilt für Kneipen und religiöse Treffen. Scott Feld spricht allgemein von » ➔ Aktivitäts-Foki« als Bedingungen für die Bildung sozialer Beziehungen (1981). Das sind Orte des sozialen Austauschs, die um bestimmte Aktivitäten herum gruppiert sind. Sie sorgen meist dafür, dass sich soziale Beziehungen zwischen Personen mit ähnlichen Merkmalen und/ oder ähnlichen Interessen bilden. Dabei stehen allerdings bei allen Aktivitäts-Foki bestimmte Eigenschaften im Vordergrund: In der Kirchengemeinde die jeweilige Religion, in der Nachbarschaft das Einkommen und der ethnische Hintergrund, am Arbeitsplatz der Beruf, in Schule und Hochschule die Bildung und in Kneipen und Vereinen das Alter und die Interessen bzw. der Lebensstil. Definition: Ein ➔ Aktivitäts-Fokus ist ein Ort des sozialen Austauschs, an dem es verstärkt zur Bildung sozialer Beziehungen kommt. Die Zusammensetzung der Personen an einem Aktivitäts-Fokus bestimmt mit darüber, unter welchen Personen sich systematisch Sozialbeziehungen bilden. Empirisch können wir die Wirkung von Aktivitäts-Foki untersuchen, indem wir (a) die Zusammensetzung der Personen untersuchen, die dort aufeinander treffen. Beispielsweise geschieht dies häufig in der Forschung zu Schulklassen <?page no="162"?> 163 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 162 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 163 und zu deren Auswirkungen auf die Bildung von interethnischen Beziehungen. Zusätzlich können wir (b) Einzelpersonen fragen, in welchen Kontexten sie Beziehungen aufgebaut haben (und wie die ethnische Herkunft, der Bildungsstand, das Alter und das Geschlecht dieser Bezugspersonen aussehen). (b) Homophilie Neben den Aktivitäts-Foki ist die ➔ Homophilie der wichtigste Netzwerkbildungs-Effekt (McPherson et al. 2001). Genau genommen handelt es sich um zwei verschiedene Effekte: (1) Der eigentliche Homophilie-Effekt bezieht sich darauf, dass sich oftmals Freundschaften zwischen Personen mit ähnlicher kultureller Prägung bilden (Lazarsfeld/ Merton 1954; siehe 2.7). Hier kommt es in der Kommunikation häufiger zu Übereinstimmungen in den Einschätzungen und seltener zu Konflikten. Zudem gibt es bei ähnlicher kultureller Prägung und gemeinsamen Interessen die erhöhte Wahrscheinlichkeit für gemeinsame Freizeitaktivitäten-- Sport, Kino, Besuch von Konzerten usw. (2) Zweitens finden wir Homophilie auch innerhalb von Kategorien wie Alter, Geschlecht oder ethnischer Herkunft (Rytina/ Morgan 1982). Lazarsfeld und Merton sprechen hier von Status-Homophilie (1954). Warum sollte man verstärkt Beziehungen zu Personen mit ähnlichen äußeren Merkmalen aufbauen? Diese Frage wird auch oft unter den Stichworten »Abkapselung« und »Parallelgesellschaften« öffentlich diskutiert. Leider offenbaren viele der Kommentatoren ein falsches Verständnis der hinter oft ethnisch recht homogenen Netzwerken von Migrantengruppen liegenden Mechanismen (Wimmer/ Lewis 2010): (1) Migranten wohnen oft in Wohnvierteln mit vielen Mitmigranten. Das liegt unter anderem an ihrem geringeren Einkommen und weil sie an Orte mit hohem Arbeitskräftebedarf in der Industrie gezogen sind. Auch in der Schule, in Cafés, Kneipen und am Arbeitsplatz treffen Migranten häufig auf andere Migranten. Dies ist allerdings keine Tendenz zur Homophilie, sondern einfach der oben skizzierte Mechanismus der Bildung von Beziehungen an ➔ Aktivitäts-Foki. (2) Wir formen gerne Beziehungen zu anderen mit ähnlichen Einstellungen und Interessen (siehe oben). Wenn wir nun-- etwa am Urlaubsort-- auf Menschen aus verschiedenen anderen ethnischen Gruppen treffen, dann vermuten wir häufig: Mit Menschen mit ähnlichem kulturellen Hintergrund verstehen wir uns besser als mit solchen aus fremden Kontexten. Die ethnische Herkunft wird hier als Indikator für (vermutete) kulturelle Nähe genutzt. Wir interagieren also häufig mit Menschen mit ähnlichem <?page no="163"?> 164 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 164 kulturellem Hintergrund, einfach weil wir vermuten, dass wir uns mit ihnen besser verstehen. Gleiches gilt auch für das Alter: Wir vermuten, dass wir mit Menschen unseres Alters eher auf einer Wellenlänge liegen. (3) Ein dritter Mechanismus lässt sich wieder am Urlaubsbeispiel illustrieren: An einem fremdem Ort kommunizieren wir gerne mit Leuten, die unsere Sprache sprechen. Insbesondere Migranten der ersten Generation sprechen häufig noch schlecht die Sprache ihres Gastlandes. Entsprechend fühlen sie sich sicherer in der Kommunikation mit Migranten aus dem gleichen Herkunftskontext. (4) Manchmal gibt es in ethnischen Gruppen bestimmte Normen für die Interaktion mit Mitgliedern der Gruppe und anderer Gruppen. Dies gilt insbesondere für Intimbeziehungen (besonders für junge Frauen). Das führt nicht selten zu Konflikten etwa innerhalb von Familien türkischer Herkunft in Deutschland-- bis hin zu den wenigen, stark im massenmedialen Fokus stehenden Ehrenmorden (Schiffauer 2008: 21ff ). Umgekehrt wollen teilweise auch Einheimische ihre Töchter vor Intimbeziehungen mit Söhnen türkischer Migranten schützen (Kühnel/ Leibold 2000: 127). Insgesamt tragen eine Reihe von Mechanismen dazu bei, dass persönliche Beziehungsnetze von Migranten und von Einheimischen meist ethnisch relativ homogen sind. Im Prinzip stellt nur der vierte Mechanismus der Interaktionsnormen genuin eine Abgrenzung zwischen ethnischen Gruppen dar. Und diese geht immer in beide Richtungen: von Migranten zu Einheimischen und von denen zu Migranten. Bei den anderen Mechanismen sorgen die Gelegenheit zum Kontakt an Aktivitäts-Foki, die Tendenz zur Homophilie nach Einstellungen und kultureller Prägung und die sprachliche Differenz für ethnisch homogene Netzwerke. Zahlenmäßig dominieren wohl diese indirekten Mechanismen. Denn die Normen für die Interaktion über ethnische Grenzen sind zumindest in westlichen Gesellschaften nicht mehr sonderlich ausgeprägt. Früher waren solche Normen deutlich stärker und untersagten beispielsweise auch Ehen zwischen Katholiken und Protestanten. Auf der empirischen Ebene können wir meist nur die ➔ Homophilie nach Kategorien (die »Status-Homophilie«) untersuchen (McPherson et al. 2001). Dabei stellen wir eine hohe soziale Ähnlichkeit von Freunden und Eheleuten fest. Für die Untersuchung der Ähnlichkeit in Einstellungen und Interessen müssen wir beide Beteiligte in einer Beziehung befragen, da einzelne Befragte meist keine verlässlichen Angaben zu den Orientierungen ihrer Freunde und Bekannten machen können (siehe 8.4). Ich habe hier exemplarisch für ethnische Gruppen aufgezeigt, dass hinter kategorialer Homophilie meist ein Bündel von Mechanismen steht. Dasselbe <?page no="164"?> 165 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 164 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 165 gilt für Homophilie bezüglich Bildung und Alter. Auch für diese sind häufig mehr die unterschiedlichen Gelegenheiten zum Kontakt am Arbeitsplatz, in Bildungseinrichtungen, Kneipen und Vereinen sowie unterschiedliche Interessen und Einstellungen verantwortlich als soziale Abgrenzungspraktiken. (c) Kulturelle Modelle und formale Rollen Ein dritter Mechanismus besteht darin, dass uns oft kulturelle Modelle oder formale Rollen bestimmte Arten von Sozialbeziehungen (zwischen bestimmten Kategorien von Personen) nahe legen (Fuhse 2012). • Die oben angesprochenen Interaktionsnormen zwischen ethnischen Gruppen sind ein Beispiel dafür. • Im Extrem schreibt das indische Kastensystem (mit gewissen Spielräumen) vor, wie die Mitglieder welcher Kasten miteinander interagieren sollen. • Auch der europäische Ständestaat war von solchen kulturellen Regeln für die Beziehungen innerhalb und zwischen den Ständen geprägt. • Ein weniger entferntes Beispiel ist das Liebesideal. Das kulturelle Modell sieht Intimbeziehungen (immer noch) vor allem zwischen Mitgliedern unterschiedlichen Geschlechts vor, die sich in Alter und sozialem Status nicht zu sehr voneinander unterscheiden (Jamieson 1998; Lenz 2003). Wenn doch, dann ist typischerweise der Mann älter und statushöher. Diese empirisch beobachtbaren Partnerwahlen zeigen: Die Partnerwahl erfolgt selten ganz unabhängig vom kulturellen Ideal. Intimbeziehungen sind überwiegend heterophil in Bezug auf das Geschlecht. Das heißt: Beziehungen werden überwiegend zwischen Mitgliedern unterschiedlichen Geschlechts eingegangen. Freundschaften sind dagegen geschlechts-homophil: Vor allem in der Schule nennen Mädchen meist Freundinnen und Jungen meist Freunde als Bezugspersonen (Steglich/ Knecht 2010: 440). Dies verweist darauf, dass unterschiedliche Vorstellungen von diesen Beziehungsarten vorherrschen. Sie legen nicht nur nahe, wie innerhalb einer solchen Beziehung interagiert wird-- sondern auch, mit wem wir sie bilden. Kulturelle Modelle von Beziehungen sind eng verknüpft mit denen von sozialen Kategorien, zwischen denen diese Beziehungen typischerweise bestehen. Damit sind wir bereits zum wichtigen Beispiel der Familienrollen vorgedrungen. Stärker als bei Freundschaften folgen hier die Verhältnisse zwischen den Geschlechtern und den Generationen kulturellen Vorschriften. Dies geht bis hin zum angemessenen Verhalten zwischen Neffen und Onkel (Berger/ Luckmann [1966] 1980: 76f ). Natürlich ändern sich diese kulturellen Vorstellungen über die Zeit. Aber jede einzelne familiäre Beziehung ist von beste- <?page no="165"?> 166 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 166 henden kulturellen Erwartungen überformt, die sich nicht einfach abschütteln lassen. Die Familie ist wie das Liebesideal und wie andere Beziehungsmodelle (Freundschaft, Patronage, Lehnsbeziehung) eine Institution-- ein kulturelles Modell, an dem wir uns in der Bildung von Sozialbeziehungen orientieren. Solche kulturellen Modelle ändern sich in dem Maße, in dem andere Modelle in Sozialbeziehungen ausprobiert und in den Medien als erstrebenswert dargestellt werden. Aber sie ändern sich nicht von heute auf morgen, und sie dienen erst einmal zur Orientierung darüber, welche Arten von Beziehungen möglich sind und welche Erwartungen wir aneinander richten können. 17 Definition: Eine Institution ist ein kulturelles Modell für die Interaktion. Soziale Netzwerke werden unter anderem durch kulturelle Modelle für Beziehungen zwischen sozialen Kategorien und zwischen Familienrollen geprägt. Eng verbunden mit kulturellen Institutionen ist die Wirkung von formalen Rollen auf Netzwerke. Beispielsweise bilden sich in Schule und Hochschule Freundschaften und Intimbeziehungen fast ausschließlich zwischen den Schülerinnen bzw. Studierenden einerseits und zwischen den Lehrerinnen bzw. Dozentinnen andererseits. Freundschaften und Liebesbeziehungen zwischen Schülerinnen und Lehrerinnen oder zwischen Studierenden und Dozentinnen sind selten und werden im sozialen Umfeld meist kritisch beäugt oder formal verboten. Nicht nur kulturelle Modelle, auch formale Organisationen haben Vorschriften für den Umgang zwischen den Inhabern bestimmter Rollen. Nicht immer sind diese Vorschriften so eindeutig wie in Schule und Hochschule. Etwa bei Silicon Systems hatten die Manager zahlreiche Freundschaften mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Aber eine Freundschaft zwischen Vorgesetztem und Untergebenem hat prinzipiell einen anderen Charakter als die zwischen Gleichgestellten. 17 Auch familiäre Bindungen sorgen dafür, dass Mitglieder verschiedener ethnischer Gruppen weniger miteinander interagieren. Migrantenfamilien sind meist stark ethnisch homogen, da es erst spät im Integrationsprozess in nennenswertem Umfang zu interethnischen Ehen kommt (wohl auch wegen der Interaktionsnormen; Gordon 1964: 80). Im deutschsprachigen Raum kommen viele Arbeitsmigranten aus mediterranen Kulturen mit einer starken Betonung der Familie. Entsprechend haben sie viele Bezugspersonen aus der eigenen Familie oder lernen sie (transitiv) über andere Familienmitglieder kennen. <?page no="166"?> 167 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 166 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 167 Ansatzweise können wir die Wirkung von kulturellen Modellen und formalen Rollen in ➔ Blockmodellanalysen, im ➔ Triaden-Zensus und in ➔ Zentralitätswerten beobachten. Für die Interpretation benötigen wir Kenntnisse der kulturellen Normen oder der jeweiligen Organisationsstruktur. Empirische Beispiele finden wir etwa in der Studie zu Non-Profit-Theatern von DiMaggio (1986) und in der Untersuchung der Bedeutung von Liebe bei Yeung (2005). 10.3 Netzwerkstrukturierung Die drei Mechanismen der Gelegenheit zum Kontakt an Aktivitäts-Foki, die Homophilie nach Einstellungen und Kategorien und die Überformung von Beziehungen durch kulturelle Institutionen und formale Rollen wirken zusammen in der Bildung von Netzwerken. Dabei treffen sie allerdings auf endogene Strukturtendenzen von Netzwerken. Diese werden hier als Mechanismen der Netzwerkstrukturierung bezeichnet. Allgemein entwickeln sich dabei inhärent instabile Netzwerkstrukturen zu bestimmten stabilen Netzwerkkonstellationen (Moody 2009: 450ff ). Wir betrachten hier drei solche Mechanismen: die Reziprozität, die Transitivität und das »Preferential Attachment« (»bevorzugtes Bindungsverhalten«). (a) Reziprozität Unter ➔ Reziprozität versteht man die allgemeine Neigung eines Akteurs, sich gegenüber anderen etwa so zu verhalten wie diese sich ihm gegenüber. Alvin Gouldner sieht Reziprozität als eine allgemeine Norm (1960). Und Christian Stegbauer vermutet, dass wir uns anderen gegenüber kooperativ verhalten, weil wir uns in deren Situation hineinversetzen können und in unserem sozialen Umfeld vorteilhaft erscheinen wollen (2002: 96ff, 127ff ). Reziprozität ist aber nicht nur auf Kooperation beschränkt: Wenn ein Akteur A einen Akteur B schlägt oder bestiehlt, dann wird B versuchen sich zu revanchieren. Im Extremfall führt dies zu der vielbeschworenen »Spirale der Gewalt«, in der beide Akteure ohne Rücksicht auf Verluste dem anderen zu schaden versuchen (Collins 2008: 8, 150). Wir können also vermuten: Einige Arten des sozialen Verhaltens fordern dessen Erwiderung heraus. Das Ergebnis sind reziproke soziale Beziehungen. Nicht alle Typen sozialer Beziehungen tendieren zu Reziprozität. In Krackhardts Studie zu Silicon Systems wurden 61,5 Prozent der Freundschaftsnennungen erwidert, aber nur 19,5 Prozent der Nennungen als Ratgeber (siehe 3.4). <?page no="167"?> 168 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 168 • Dass Freundschaften beidseitig sind, erscheint uns als logisch. Grund dafür sind die kulturellen Erwartungen, die wir mit der Beziehungsart »Freundschaft« verbinden. • Auch von Liebesbeziehungen erwarten wir Reziprozität (anders als von »Verliebtheit«). • Bei Ratgeberbeziehungen verhält es sich anders. Auch die meisten familiären Beziehungen (etwa zwischen Onkel und Neffe) oder die zwischen einem Patron und einem Klienten sind eher komplementär als reziprok. Insofern ist Reziprozität eine Tendenz von bestimmten Arten von sozialen Beziehungen, soweit dies im jeweiligen kulturellen Modell angelegt ist. Woher kommt nun die Reziprozität von Freundschaften und Liebesbeziehungen? Wir könnten uns vorstellen, dass Individuen nach eigenen Kriterien anderen Individuen als attraktiv erscheinen und damit als erstrebenswerte Freunde oder Partner eingeordnet werden. Diese Entscheidungen werden unabhängig voneinander getroffen und führen bei Übereinstimmung zu Freundschaft oder Liebesbeziehung. Ein solches Modell wäre prinzipiell möglich, erscheint aber einigermaßen realitätsfremd. Mich überzeugt eher die Vorstellung, dass die Bildung von Sozialbeziehungen immer in einem Kommunikationsprozess erfolgt (Collins 2004: 18, 165). In diesem Prozess bilden sich die Präferenzen hinsichtlich anderer Personen auf der Basis der bisherigen Interaktion heraus. Tendenziell führt das dazu, dass eine positive Einstellung gegenüber einer anderen Person häufig auch erwidert wird. (b) Transitivität Den Mechanismus der ➔ Transitivität haben wir in Zusammenhang mit der Balance-Theorie bereits kennen gelernt (Cartwright/ Harary 1956; siehe 2.5): • Positive Transitivität steht für die Tendenz, dass zwei Personen A und B, die beide mit C befreundet sind, wahrscheinlich selbst eine Freundschaft aufbauen. Dieser Mechanismus liegt auch der Theorie der ➔ schwachen Beziehungen von Mark Granovetter zugrunde (1973: 1362; siehe 4.2). Schwache Beziehungen haben eine geringere Tendenz zur Transitivität als starke und laufen entsprechend häufiger zwischen voneinander getrennten Netzwerkclustern. • Negative Transitivität sorgt dagegen dafür, dass sich Gegner eines gemeinsamen Feindes verbünden, und dass ein Akteur eher eine Feindschaft zu dem Feind eines Freundes aufbaut. <?page no="168"?> 169 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 168 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 169 Die Transitivitätsmechanismen verstärken innerhalb von Netzwerken die Clusterbildung (von eng miteinander vernetzten Freunden) und sorgen für eine Ausdünnung von Beziehungen zwischen verfeindeten Clustern (Martin 2009: 42ff ). Genau genommen müssten Transitivitätsmechanismen zur Bildung von genau zwei miteinander rivalisierenden Lagern führen. Dies ist empirisch außerhalb von stark umgrenzten Kontexten (z. B. Schulklassen) selten zu beobachten. Zudem ist Transitivität auf bestimmte Arten sozialer Beziehungen beschränkt: Freundschaften und andere kooperative Beziehungen sind tendenziell transitiv, Liebesbeziehungen eher nicht. Stark asymmetrische Beziehungen tendieren nur in dem Sinne zu Transitivität, dass ein Machtüberlegener A auch den Untergebenen C seines direkten Untergebenen B dominieren kann (Chase 1980). Auch hier spielen kulturelle Modelle wieder eine wichtige Rolle. Beispielsweise in einer Lehnshierarchie durfte ein König den Rittern seiner Fürsten keine Anweisungen geben-- sonst untergrübe er die Autorität der Fürsten. Definition: ➔ Transitivität steht für die Tendenz zu ausbalancierten Netzwerkkonstellationen. Bei der positiven Transitivität bilden zwei Beziehungspartner eines Akteurs ebenfalls eine positive Beziehung zueinander. Bei negativer Transitivität verbünden sich zwei Akteure gegen einen gemeinsamen Feind. Asymmetrische Beziehungen bilden bei Transitivität eine klare Ranghierarchie. Empirisch lässt sich Transitivität vor allem im ➔ Triaden-Zensus nachweisen. Aber auch die Analyse von ➔ Cliquen und mit Einschränkungen die Identifikation von Subgruppen (durch den Factions-Algorithmus oder sogar in der ➔ Blockmodellanalyse) liefern Hinweise auf das Vorliegen von Transitivität. (c) Preferential Attachment Ein dritter Mechanismus ist das ➔ Preferential Attachment (»bevorzugtes Bindungsverhalten«). Hier geht es darum, dass sich Akteure in Netzwerken gerne an zentralen Akteuren orientieren und versuchen, zu diesen eine Beziehung aufzubauen. Dieser Mechanismus liegt den sehr ungleichen »skalenfreien« Degree-Verteilungen zugrunde, die Barabási und Bonabeau mit dem »Power Law« verbinden (2003; siehe 7.3). Im Internet versucht man, sich mit einer neuen Webseite mit den Hubs im Zentrum zu vernetzen. Ähnliches gilt für Flugverbindungen-- periphere Flughäfen sind umso besser erreichbar, je direkter sie mit Luftverkehrsknoten verbunden sind. <?page no="169"?> 170 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 170 Wie angeführt formulierte de Solla Price das Power Law ursprünglich für Zitationen in der Wissenschaft (1965). Deren sehr ungleiche Verteilung könnte natürlich mit der Qualität der jeweiligen Studien zu tun haben: Gute Studien werden einfach häufiger zitiert. Robert Merton sah jedoch die Orientierungswirkung von prominenten Autoren und Arbeiten als entscheidend (1968: 57ff ). Dies nennt er in Anlehnung an einen Satz aus dem Matthäus-Evangelium Matthew-Effect (Matthäus-Effekt): »Denn wer da hat, dem wird gegeben, dass er die Fülle habe; wer aber nicht hat, dem wird auch das genommen, was er hat.« (Matthäus Evangelium 25,29) Bei Zitationen in der Wissenschaft erscheint der Mechanismus recht einfach: Um die eigenen Argumente zu unterstützen, beruft man sich auf zentrale Autoren. Und aus den Arbeiten anderer Wissenschaftler erfährt man, welche Publikationen man selbst lesen sollte. Sie werden dadurch zu immer neu zitierten Referenzen-- auch wenn in kaum gelesenen und zitierten Arbeiten möglicherweise die gleichen oder sogar bessere Erkenntnisse stecken. Das Ergebnis sind stark um einige Hubs herum zentralisierte Netzwerke (Maoz 2012: 343ff ). Definition: Beim ➔ Preferential Attachment richten sich Beziehungen bevorzugt an populäre Akteure, die auch von vielen anderen als Beziehungspartner gewählt werden. Empirisch können wir Preferential Attachment einerseits durch die Power-Law-Verteilung der Degrees nachweisen, also anhand der Degree-Zentralitäten (siehe 4.1). Andererseits führt der Mechanismus zu einer sehr ausgeprägten Differenzierung in Kern und Peripherie (siehe 6.1). Insgesamt wirken diese drei Mechanismen der Netzwerkstrukturierung-- die Reziprozität, die Transitivität und das Preferential Attachment-- in unterschiedlichen Bereichen des Sozialen. Je nach Kontext und je nach Art der Beziehung tendieren Netzwerke zur Ausbildung unterschiedlicher Strukturen. Zudem spielen sie mit den Mechanismen der Netzwerkbildung zusammen. Daraus können ganz unterschiedliche Netzwerkkonfigurationen entstehen- - etwa eine Aufspaltung in kohäsive Subgruppen, wo Homophilie, Reziprozität und Transitivität vorherrschen, oder eben eine Zentrum-Peripherie-Differenzierung durch das Preferential Attachment. Empirische Netzwerke bilden meist eine Mischform dieser Strukturprinzipien. <?page no="170"?> 171 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 170 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 171 10.4 Netzwerkeffekte Kommen wir abschließend zu den Netzwerkeffekten, d. h., zu den Auswirkungen von Netzwerkkonstellationen. Die Vorteile aus zentralen Positionen in Form des Zugangs zu Informationen (1) und von Macht (2) wurden in den vorigen Kapiteln bereits angesprochen. Hinzu kommen die Mechanismen des sozialen Drucks bzw. der Anpassung (3) und der Einfluss von Netzwerkkonstellationen auf soziale Kategorien (4) und koordiniertes Handeln (5). (a) Zugang zu Informationen Zentrale Positionen im Netzwerk bieten den Akteuren verschiedene Vorteile. Erstens verfügen zentrale Akteure über einen besseren Zugang zu Informationen, da diese sie schneller erreichen. Als Maß hierfür bietet sich vor allem die Betweenness-Zentralität an (siehe 4.1). Nach Mark Granovetter korreliert dieser Zugang zu Informationen mit ➔ schwachen Beziehungen (siehe 4.2). Wer seine Beziehungen zu flüchtigen Bekannten besser pflegt, weiß eher über gute Arbeitsstellen Bescheid. Ronald Burt zufolge sind solche Akteure an Brücken über strukturelle Löcher auch kreativer: Sie haben bessere Ideen als Akteure innerhalb von abgeschlossenen Netzwerk-Clustern (2004). Denn sie können die Ideen und Überlegungen aus verschiedenen Netzwerk-Clustern miteinander kombinieren. Dem gegenüber werden sich Akteure innerhalb eines Clusters tendenziell immer mit den gleichen Ideen konfrontieren und sich in diesen bestärken. Dort ist Abweichung so selten wie Kreativität. Randall Collins zeigt in einem Überblick über 3000 Jahre Philosophiegeschichte, dass deren Neuerungen aus der Auseinandersetzung zwischen unterschiedlichen Ansätzen hervor gingen (1998). Und dafür zeichnen vor allem Akteure verantwortlich, die über ihr Netzwerk Zugang zu diesen unterschiedlichen Ansätzen haben. (b) Macht Akteure haben Macht, wenn sie ihren Willen gegen den Widerstand anderer durchsetzen können (Weber [1922] 1972: 28). Nach Norbert Elias ist Macht wesentlich in Beziehungskonstellationen verankert (1970; siehe 2.3). Dabei lassen sich zwei Arten von vorteilhaften Netzwerkpositionen identifizieren: (1) Georg Simmel zeigte mit seiner Figur des »lachenden Dritten«: Akteure mit Beziehungen zu ansonsten unverbundenen Akteuren oder Gruppen können diese gegeneinander ausspielen (siehe 2.1). Ein Beispiel hierfür ist der französische (Sonnen-)König Ludwig XIV. (Elias [1969] 2002: 201ff ). Er hielt seine absolutistische Machtposition durch das Ausspielen verschiedener Gruppen am Hofe (Hochadel und Amtsadel) aufrecht. <?page no="171"?> 172 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 172 Eine Formalisierung dieser Überlegungen finden wir im Konzept der Brokerage bei Roger Gould und Roberto Fernandez (1989). (2) Außerdem verfügen Akteure über Einfluss im Netzwerk (und damit über Macht), wenn andere Akteure von ihnen abhängig sind-- wenn jene also nur über sie Zugang zum Netzwerk haben. Hierfür hat Philipp Bonacich ein eigenes Zentralitätsmaß entworfen: »Bonacich’s Power« (1987). UCI- NET gibt die Werte für Bonacich’s Power für die Akteure in einem Netzwerk mit aus, wenn wir wie in Kapitel 4.1 die Zentralitäten mit der Option Multiple Measures berechnen lassen. Definition: In einem Netzwerk verfügen solche Akteure über Macht, die (1) als Broker zwischen verschiedenen Gruppen fungieren, oder (2) von denen andere Akteure für ihren Zugang zum Netzwerk abhängig sind. Zugleich sind die Akteure in Machtpositionen am stärksten strukturellen Zwängen ausgesetzt. Sie müssen sich dem Regime des Netzwerks unterwerfen, wollen sie ihre Macht nicht verlieren. Ein Beispiel hierfür ist die schwierige Situation des zentralen Akteurs Chris bei Silicon Systems in dem Konflikt um gewerkschaftliche Organisierung (siehe 4.2). Anders als etwa Geld ist Macht als Ressource stark an die jeweilige Struktur gebunden und lässt sich nicht ohne weiteres in andere Kontexte mitnehmen. (c) Anpassung/ sozialer Druck Netzwerke üben einen sozialen Druck auf die in ihnen verbundenen Akteure aus. Dieser Druck ist umso höher, je dichter das Netzwerk. James Coleman spricht in diesem Zusammenhang von »closure« (Schließung) des Netzwerks um Ego (1988; 1990: 300ff ). Wenn sich die Bezugspersonen eines Akteurs gegenseitig kennen, dann wird dessen Verhalten gegenüber einer seiner Bezugspersonen durch Dritte beobachtet und eventuell sanktioniert. Wenn sich also Ego von einer Freundin Geld leiht und nicht zurückgibt, dann hat er umso schlimmere Konsequenzen zu befürchten, je mehr seiner Bezugspersonen diese Freundin auch kennen. Nach Coleman lösen dichte Netzwerke damit eins der Grundprobleme das Sozialen: An sich streng auf ihren individuellen Vorteil bedachte Akteure werden aufgrund möglicher Sanktionen im Netzwerk zu kooperativem Verhalten gezwungen. Dichte Netzwerke erzeugen nicht nur Druck zur Kooperation. Sie drängen den Individuen auch ihre Weltsicht auf. Dies führt zur Anpassung von Individuen an die Verhaltens- und Denkweisen der Gruppe. In der Sozialpsychologie spricht man von »Groupthink«, also vom Denken der Gruppe, in <?page no="172"?> 173 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 172 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 173 dem wenig Platz für alternative Sichtweisen bleibt (Hogg/ Abrams 1988: 112f ). So beruhen wissenschaftliche Schulen und Kunstströmungen meist auf dichten Netzwerken von miteinander bekannten oder sogar befreundeten Wissenschaftlern bzw. Künstlern. Je homogener das soziale Umfeld in seinen Ideen und Überzeugungen, desto eher werden diese vom Individuum übernommen. Erst wenn es durch sein Netzwerk (etwa über »schwache Beziehungen«) Zugang zu anderen Sichtweisen erhält, kann es sich seine eigenen, nicht schon durch das Umfeld festgelegten Gedanken machen. Ein gewisses Maß an sozialem Druck besteht schon in einer dyadischen Beziehung. Man lernt durch eine neue Bezugsperson neue Musik, neue Gedanken, eine neue Perspektive kennen. Nach Lazarsfeld und Merton bildet dieser Prozess das Gegenstück zur ➔ Homophilie (1954 30f; siehe 2.7): Man wählt nicht nur Freunde mit ähnlichen Überzeugen, sondern passt seine Überzeugungen und Verhaltensweisen auch an die seiner Bezugspersonen an. Die beiden Mechanismen der Homophilie von Beziehungswahlen und der Anpassung in Netzwerken verstärken sich also wechselseitig und müssten zu perfekt homogenen Beziehungsnetzen mit unerschütterlichen Weltsichten führen. Allerdings sorgen die anderen Mechanismen (Gelegenheitsstrukturen, Transitivität u. a.) immer wieder dafür, dass man mit Andersdenkenden in Kontakt kommt. Netzwerke sind nie komplett abgeschlossen und homogen, sondern immer nur in graduell abgestuftem Ausmaß. Definition: Netzwerke üben sozialen Druck auf die beteiligten Akteure aus. Dies führt zu kooperativem Verhalten und zur Anpassung an die Denk- und Verhaltensweisen im Netzwerk. Dieser Druck ist umso größer, je dichter das Netzwerk. (d) Soziale Kategorisierung Je mehr Netzwerke voneinander strukturell getrennt und intern vernetzt sind, desto eher verstärken sie soziale Kategorisierungen oder lassen sie entstehen (Elias/ Scotson [1965] 1990: 83ff; Wimmer 2013: 36ff, 126ff ). Strukturell weitgehend voneinander abgetrennte Netzwerke werden auf diese Weise in sozialen Grenzziehungen abgebildet. Sie wirken umso überzeugender und natürlicher, je stärker diese Netzwerke jeweils eigene Denkweisen und Lebensstile zeigen (durch den Mechanismus des sozialen Drucks). Umgekehrt werden Vorurteile und starre Kategorien aufgebrochen, je mehr soziale Gruppen miteinander in Kontakt kommen (Allport [1954] 1971). Wenn man die Abschottung ethnischer Gruppen oder die Auseinanderentwicklung sozialer Milieus verhindern möchte, dann muss man für Orte <?page no="173"?> 174 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 174 des sozialen Austauschs sorgen-- in Schulen, am Arbeitsplatz, im Wohnumfeld, im öffentlichen Raum. (e) Koordination Innerhalb eines Netzwerks sind dichte Vernetzung und insbesondere ein hohes Maß an Zentralisierung förderlich für die Koordination. So agiert eine Protestbewegung umso schlafkräftiger, je mehr die beteiligten Organisationen miteinander vernetzt sind und es ein klares Zentrum im Netzwerk gibt (Osa 2003; Baldassari/ Diani 2007). Nach Padgett und Ansell ist dieser Mechanismus teilweise auch für den Aufstieg der Medici in Florenz verantwortlich (1993: 1279). Die Medici waren die klaren Anführer einer Fraktion von einflussreichen Familien. Die Gegenseite der alteingesessenen Patrizier war dagegen zwar stark vernetzt (durch viele Heiratsbeziehungen). Ihr fehlte aber eine klare Führung, ein Zentrum im Netzwerk, von dem aus das politische Handeln hätte koordiniert werden können. 10.5 Überblick und Methoden Die aufgeführten ➔ Mechanismen sind bei weitem nicht vollständig. Dennoch liefern sie einen guten Einblick über die vielschichtigen und komplexen Wirkungszusammenhänge in Netzwerken (Tabelle 18). Bei der Betrachtung von empirischen Phänomenen sind meist mehrere dieser Mechanismen zu berücksichtigen. Dies zeigt das Beispiel der ethnisch homogenen Netzwerke von Migranten. Für eine Reihe von Fragestellungen müssen auch mehrere der Mechanismen aneinander gereiht werden. Zum Beispiel haben Maßnahmen der Stadtplanung (Sanierungsgebiete, sozialer Wohnungsbau etc.) nicht nur direkte Auswirkungen auf die ethnische Durchmischung im Wohnumfeld, sondern auch indirekte auf den Fortbestand von sozialen Abgrenzungen und Vorurteilen. Für die Netzwerkforschung bestehen nun zwei große Herausforderungen: (1) Wir müssen die Wirkung und die genauen Bedingungen jedes einzelnen Mechanismus möglichst genau rekonstruieren. Mechanismen tauchen aber fast nie isoliert auf, sondern häufig im Zusammenspiel mit anderen Mechanismen (siehe 7.6). (2) Zudem gilt es, das Zusammenwirken verschiedener Mechanismen in empirisch beobachtbaren Netzwerken zu untersuchen. <?page no="174"?> 175 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 174 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 175 Tab. 18: Netzwerkmechanismen Mechanismustyp Mechanismus Wirkung Netzwerkbildung Aktivitäts-Foki Gelegenheit zum Kontakt erhöht Wahrscheinlichkeit der Beziehungsbildung. Homophilie Positive Sozialbeziehungen bilden sich eherbei Übereinstimmungen von Einstellungen und Zugehörigkeit zu gleichen sozialen Kategorien. Orientierung an Institutionen und Rollen Bildung von Beziehungen und Konstellationen folgt vorgegebenen kulturellen Modellen oder formalen Strukturen. Netzwerkstrukturierung Reziprozität Bestimmte Sozialbeziehungen tendieren zu-Wechselseitigkeit. Transitivität Triaden tendieren zu balancierten Konfigurationen (alle drei Beziehungen positiv, oder-eine positive und zwei negative Beziehungen). Preferential Attachment Akteure bilden bevorzugt Beziehungen zu-zentralen Akteuren (Matthäus-Effekt). Netzwerkeffekte Zugang zu Information Akteure auf zentralen Positionen (kürzere-Pfaddistanzen) erhalten Informationen früher als andere. Macht Brokerage-Positionen und Abhängigkeit Anderer geben Einfluss auf Geschehen im-Netzwerk. Sozialer Druck Dichte Netzwerke führen zu kooperativem Verhalten und zur Übernahme von Ideen und-Denkweisen. Soziale Kategorisierungen Strukturelle Separierung in Netzwerken und unterschiedliche Denk- und Lebensweisen werden in sozialen Kategorien abgebildet. Koordination Dichte Netzwerke mit hoher Zentralisierung führen eher zu koordiniertem Handeln. Quelle: Eigene Darstellung <?page no="175"?> 176 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 176 Dabei liegen diese Strukturprinzipien auf verschiedenen Ebenen: • ➔ Aktivitäts-Foki und ➔ Homophilie wirken auf die Bildung einzelner Sozialbeziehungen. • ➔ Transitivität, ➔ Preferential Attachment und sozialer Druck beziehen sich auf kleinteilige Beziehungskonstellationen. • Die Koordination von gemeinsamem Handeln und die Auswirkungen auf Kategorien und Vorurteile finden wir in der Struktur des Gesamtnetzwerks. Relativ unkompliziert erscheint die Untersuchung von Netzwerkeffekten. Hier wird der jeweils zu betrachtende Mechanismus wesentlich durch die Fragestellung festgelegt: Geht es um die ➔ Erklärung von künstlerischer oder wissenschaftlicher Kreativität? Um individuelle Mobilität auf dem Arbeitsmarkt oder in Bildungsinstitutionen? Oder um das koordinierte Handeln einer Protestbewegung? Verkompliziert werden diese Effekte allerdings durch Rückwirkungen: Die Entstehung neuer Ideen im Netzwerk führt zu dessen Neuausrichtung. Und die veränderte Bedeutung sozialer Kategorien wirkt sich auf Beziehungen innerhalb und zwischen Kategorien aus. Die Untersuchung von Netzwerkbildung und Netzwerkstrukturierung sollte dagegen immer im Zusammenhang erfolgen. Eine beobachtbare Netzwerkkonstellation wird durch eine Vielzahl von Faktoren geprägt. Wenn wir beispielsweise in einem Netzwerk stark verdichtete Subgruppen finden, dann kann dies einerseits an der Wirkung von ➔ Aktivitäts-Foki oder an ➔ Homophilie liegen. Andererseits führen ➔ Reziprozität und ➔ Transitivität in der Tendenz ebenfalls zur Bildung von Subgruppen. Die Existenz von Subgruppen spricht gegen eine starke Wirkung des ➔ Preferential Attachment. Denn dieser Mechanismus sorgt für eine starke Zentralisierung im Netzwerk. Die Wirkung von Mechanismen der Netzwerkbildung und -strukturierung lässt sich auf drei Weisen untersuchen: (1) Man formuliert theoretische Erwartungen darüber, welche Mechanismen zu welchen typischen Netzwerkkonstellationen führen. So lassen sich idealtypisch Netzwerkkonstellationen unterscheiden, die stärker durch ➔ Homophilie und ➔ Transitivität geprägt werden (Subgruppen), und solche, die vor allem aus ➔ Preferential Attachment resultieren (Kern-Peripherie-Differenzierung). Diese Prinzipien können wir nicht nur auf der Ebene von Strukturmodellen überprüfen. Sie finden sich auch im ➔ Triaden-Zensus, in der Verteilung von ➔ Zentralitätswerten und im Vorkommen von ➔ Cliquenstrukturen. (2) Vollnetzwerke können mit Hilfe von multivariaten Verfahren daraufhin untersucht werden, wie stark die verschiedenen Mechanismen in ihnen wirken. Zum einen können wir logistische Regressionen durchführen. Dabei <?page no="176"?> 177 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 176 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 177 wird erkundet, ob die Existenz oder die Abwesenheit von Sozialbeziehungen etwa durch die Ähnlichkeit von Attributen (Homophilie), durch gemeinsame Netzwerkpartner (Transitivität) oder durch Prominenz der Beteiligten (Preferential Attachment) bestimmt wird (Maoz 2012). (3) Alternativ erlauben Exponential Random Graph Models (ERGM) den Vergleich bestehender Netzwerke mit (nach bestimmten Kriterien) zufällig generierten Netzwerken (siehe 7.6). Der Fokus liegt hier darauf, inwiefern ein Netzwerk sich in Bezug auf bestimmte Struktureigenschaften systematisch von zufälligen Verteilungen von Beziehungen unterscheidet (Lusher et al. 2013). Alle diese Verfahren haben bestimmte Vor- und Nachteile. Die erste Vorgehensweise ist relativ einfach und kann mit den Methoden aus den Kapiteln 4 bis 6 erfolgen. Dabei gelingt eine Isolierung von Wirkungsmechanismen aber nur eingeschränkt. Die zweite Vorgehensweise ist treffsicherer, verlangt aber fortgeschrittene Methodenkenntnisse. Dabei kämpft die logistische Regression mit dem Problem, dass eine zentrale Modellannahme (der Unabhängigkeit der Fälle voneinander) verletzt wird. Die Exponential Random Graph Models begegnen genau diesem Problem. Sie liefern aber nicht immer sinnvolle und reproduzierbare Lösungen. Leseempfehlungen: Bunge, Mario 1997: »Mechanism and Explanation« Philosophy of the Social Sciences 27, 410-465. Kandel, Denise 1978: »Homophily, Selection, and Socialization in Adolescent Friendships« American Journal of Sociology 84, 427-436. Maoz, Zeev 2012: »Preferential Attachment, Homophily, and the Structure of International Networks, 1816-2003« Conflict Management and Peace Science 29, 341-369. McPherson, Miller/ Lynn Smith-Lovin/ James Cook 2001: »Birds of a Feather: Homophily in Social Networks« Annual Review of Sociology 27, 415-444.Merton, Robert 1968: »The Matthew Effect in Science« Science 159, 56-63. Powell, Walter/ Douglas White/ Kenneth Koput/ Jason Owen-Smith 2005: »Network Dynamics and Field Evolution: The Growth of Inter-organizational Collaboration in the Life Sciences« American Journal of Sociology 110, 1132-1205. Stinchcombe, Arthur 1991: »The Conditions of Fruitfulness of Theorizing About Mechanisms in Social Science« Philosophy of the Social Sciences 21, 367-388. <?page no="177"?> 178 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 178 Wimmer, Andreas/ Kevin Lewis 2010: »Beyond and Below Racial Homophily: ERG Models of Friendship Network Documented on Facebook« American Journal of Sociology 116, 583-642. <?page no="178"?> 179 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 178 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 179 11. Theorien sozialer Netzwerke Seit den Anfängen in den 1950er-Jahren dreht sich die Netzwerkforschung um empirische Forschungsmethoden und vor allem um die formale Netzwerkanalyse. Immer wieder wurde moniert, der Netzwerkforschung fehle es an Theorie (Granovetter 1979; Wellman 1983: 179). Sicher stand und steht die Theorieentwicklung nicht im Mittelpunkt. Dennoch wurden seit den 1980er-Jahren einige Versuche einer theoretischen Konzeption von Netzwerken und deren Rolle im Sozialen formuliert. Was sind soziale Netzwerke? Die Beantwortung dieser Frage ist erstens wichtig, um soziale Netzwerke ins Verhältnis zu anderen Aspekten des Sozialen zu setzen: Organisationen (wie Unternehmen, Verwaltungen oder auch Parteien und Verbände), individuelle Akteure, gesellschaftliche Felder (Politik, Wirtschaft, Wissenschaft) und Kultur. Zweitens können wir nur mit einem theoretischen Verständnis sozialer Netzwerke Aussagen darüber treffen: Warum entstehen bestimmte Netzwerkkonstellationen in bestimmten Situationen? Und warum haben sie bestimmte Folgen? Im Idealfall wird eine solche theoretische Konzeption sozialer Netzwerke zu neuen Hypothesen für die empirische Forschung führen. Ich fasse deswegen Theorien sozialer Netzwerke als grundbegrifflich elaborierte und konsistente Antworten auf die Fragen, was soziale Netzwerke sind, und wie sie im Verhältnis zu anderen sozialen Strukturen und Prozessen stehen. Definition: Eine Theorie sozialer Netzwerke liefert eine konsistente theoretische Konzeption von sozialen Netzwerken und von deren Verhältnis zu anderen Aspekten des Sozialen. In der Literatur finden wir unterschiedliche Herangehensweisen. Einige Autoren ordnen Netzwerke mehr oder weniger passend in ihr bestehendes Theorieangebot ein. Andere entwickeln von den Methoden und empirischen Ergebnissen der Netzwerkforschung aus eigene Vorstellungen zu Netzwerken. In jedem Fall arbeiten sich Theorien sozialer Netzwerke an der Spannung zwischen grundbegrifflichen Theorien des Sozialen und der empirischen Netzwerkforschung ab. In diesem Kapitel stelle ich die zwei wichtigsten Theorieangebote vor: • In Zusammenhang mit Theorien der rationalen Wahl (Rational Choice) werden Netzwerke als Konstellationen individueller Handlungen model- <?page no="179"?> 180 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 180 liert. Dabei werden Netzwerke oft als Sozialkapital gefasst, nach deren Erlangung Individuen streben. • Seit den 1990er-Jahren entwickeln Harrison White und mit ihm verbundene Autoren (wie Charles Tilly, Mustafa Emirbayer und Ann Mische) einen Ansatz relationaler Soziologie. Auf zwei weitere Ansätze gehe ich knapper ein: • In Deutschland ist eine systemtheoretische Auseinandersetzung mit sozialen Netzwerken prominent. • Auch die aus der Techniksoziologie entstandene ➔ Akteur-Netzwerk-Theorie entwickelt einen eigenständigen Netzwerkbegriff für Konstellationen von menschlichen Akteuren und materiellen Objekten. Sowohl die Handlungstheorie als auch die Systemtheorie ordnen Netzwerke in ein weitgehend vorgefertigtes Theoriegebäude ein. Dagegen werden die relationale Soziologie und die Akteur-Netzwerk-Theorie um das Netzwerkkonzept herum entwickelt. 11.1 Handlungstheorie Die Handlungstheorie geht davon aus, dass das soziale Geschehen aus individuellen Handlungen besteht. Die Entscheidungen für diese werden aus subjektiven Überlegungen heraus getroffen, die sich an objektiven Gegebenheiten orientieren. Zum Beispiel weiß man in einem Kaufhaus, dass man für das gewünschte Objekt zahlen muss. Genauso wird der Verkäufer durch die Erwartung motiviert, für seine Arbeit Geld zu erhalten. Die soziale Struktur »Kaufhaus« prägt also das individuelle Handeln von Käufern und von Verkäufern. Umgekehrt besteht das Kaufhaus selbst nur in dieser erwartbaren Regelmäßigkeit von aufeinander bezogenen Handlungen. Die soziale Struktur leitet die individuellen Handlungen an, und diese reproduzieren die soziale Struktur. Handlungen können aber soziale Strukturen auch verändern-- wenn in einem Kaufhaus nicht mehr eingekauft wird (sondern nur noch gestohlen), oder wenn die Verkäufer aus Protest gegen schlechte Arbeitsbedingungen ihre Arbeit verweigern. Die soziologische Handlungstheorie beschäftigt sich mit diesem Wechselverhältnis von sozialen Strukturen und individuellen Handlungen. Meist postuliert sie, dass individuellen Handlungen ein Nutzenkalkül zugrunde liegt: Ich tue das, was in einer gegebenen Situation meinen Interessen entspricht und mir am meisten Nutzen verspricht (Esser [1993] 1999). <?page no="180"?> 181 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 180 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 181 Ronald Burt (siehe 4.2) konzipiert soziale Netzwerke in seinem Buch Toward a Structural Theory of Action (1982)-- analog zum Beispiel des Kaufhauses- - als soziale Strukturen, die in individuellen Handlungen produziert werden und diese umgekehrt auch wieder prägen (Abbildung 13). (1) In einer gegebenen Situation fungiert das Netzwerk als Handlungskontext. In dem Unternehmen Silicon Systems waren die Akteure zum Zeitpunkt des von Krackhardt beobachteten Konflikts über gewerkschaftliche Organisierung in ein vorhandenes Beziehungsnetz eingebunden. Über ihre Beziehungen konnten sie nicht einfach verfügen, sondern mussten ihr Verhalten erst einmal an ihnen ausrichten. (2) Die Position im Netzwerk legt die jeweiligen Interessen eines Akteurs fest. (3) Diese Interessen führen zu bestimmtem Handeln-- in diesem Fall für oder gegen eine gewerkschaftliche Organisierung. Aber nicht nur die Interessen, auch die Handlungsmöglichkeiten selbst werden durch das Netzwerk (zumindest teilweise) vorgegeben (ebenfalls 3 in Burts Schaubild). In dem betrachteten Fall hatte insbesondere Chris durch seine Netzwerkposition einen großen Einfluss auf die Entscheidung (siehe 4.2). Hätte er aktiv für die Gewerkschaftsorganisation geworben, hätte sie wohl eine bessere Chance gehabt. Er sah sich aber unterschiedlichen Interessen ausgesetzt: Persönlich hatte er eine gewisse Präferenz für die gewerkschaftliche Organisierung. Im Netzwerk war er jedoch sowohl mit Befürwortern als auch mit Gegnern der Maßnahme eng persönlich verbunden. Deswegen hielt er sich aus der Entscheidung heraus (Krackhardt 1992: 232f; 1999). (4) Eine individuelle Entscheidung wirkt immer auf die soziale Struktur zurück- - indem sie sie verändert oder aufrechterhält. Hier führte das Verhalten von Chris eher zur Reproduktion der bestehenden Struktur. Wenn er sich auf eine der beiden Seiten geschlagen hätte, dann hätten sich vermutlich die Netzwerkbeziehungen verändert. Genau dies-- den Abb. 13: Handlung und soziale Struktur nach Ronald Burt Quelle: Burt (1982: 9) Akteursinteressen 2 1 Soziale Struktur als Kontext 4 3 3 Handlung <?page no="181"?> 182 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 182 Abbruch einiger Freundschaften mit Gewerkschaftsbefürwortern oder -gegnern-- befürchtete Chris wohl und blieb deswegen unentschieden. Eine vereinfachte Version des Modells von Burt findet sich bei seinem Doktorvater James Coleman. Coleman unterscheidet lediglich drei Schritte, die in den Sozialwissenschaften als »Badewanne« berühmt geworden sind (1990: 8ff; siehe auch Esser [1993] 1999: 93ff ). Diese drei Schritte laufen von einer sozialen Struktur (dem Netzwerk) zum Akteur, vom Akteur zu seinem Handeln und vom Handeln zu einer Veränderung der sozialen Struktur (bzw. des Netzwerks). James Coleman studierte an der Columbia University unter anderem bei Robert Merton und Paul Lazarsfeld. Seine frühen Studien befassten sich mit Netzwerke in Schulen und allgemein um die mathematische Modellierung sozialer Strukturen, insbesondere von Netzwerken. Später wandte er sich der Handlungstheorie zu und wurde mit The Foundations of Social Theory (1990) zum zentralen Vertreter der Rational Choice-Theorie. Für die Netzwerkforschung ergeben sich in der handlungstheoretischen Perspektive von Burt und Coleman zwei große Herausforderungen: (1) Netzwerke wirken auf zwei Weisen auf das individuelle Handeln: (a) Die individuelle Situation im Netzwerk ermöglicht bestimmte Handlungen (Opportunitäten), macht andere dagegen unmöglich (Restriktionen). (b) Daneben beeinflusst das Netzwerk von persönlichen Beziehungen auch die individuellen Präferenzen eines Akteurs bzw. seine Interessen (in Abbildung 12). Ob ich lieber ins Kino oder ins Theater gehe, ob ich im Job nach Selbstverwirklichung oder nach maximalem Gehalt suche- - diese Präferenzen werden wesentlich im sozialen Umfeld festgelegt. Nach Jörg Rössel handelt es sich um Milieu-Effekte (2005: 251ff ). Generell müssen die sich aus Netzwerkpositionen ergebenden unterschiedlichen Opportunitäten und Restriktionen sowie die Präferenzen und Interessen der Akteure gleichzeitig im Modell berücksichtigt werden. (2) Der vierte Schritt (bzw. der dritte Schritt bei Coleman) verlangt eine Aggregation von Handlungen zu einer neuen sozialen Struktur bzw. zu einer Veränderung sozialer Strukturen. Beim Zusammenwirken der Handlungen mehrerer Akteure wird dieser Schritt recht kompliziert. In einem Netzwerk sorgen unterschiedliche Positionen für ganz verschiedene Handlungen (über <?page no="182"?> 183 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 182 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 183 Präferenzen und Opportunitäten). Diese führen erst im Zusammenspiel zu Veränderungen im Netzwerk. Allgemein stellt dieser Schritt der Aggregation von Einzelhandlungen die größte Herausforderung für die Handlungstheorie dar. Peter Hedström schlägt für diese Aggregation in Netzwerkkonstellationen die Nutzung von computer-gestützten ➔ Simulationen vor (2005: 76ff; siehe 7.5). Im Rahmen des Agent-Based Modelling werden die Individuen in einer Population mit einfachen Entscheidungsregeln für die Bildung von Sozialbeziehungen auf der Basis von Interessen und Opportunitäten ausgestattet. Der Computer simuliert dann die entstehenden Netzwerkkonstellationen-- wobei immer dem Zufall ein gewisser Spielraum überlassen wird. Im Ergebnis lässt sich beispielsweise feststellen: Bestimmte Entscheidungsregeln führen tendenziell zur Segregation ethnischer Gruppen im Netzwerk oder zu unterschiedlichen Arbeitslosigkeitsraten je nach ethnischer Herkunft (Hedström 2005: 114ff ). Allerdings werden dabei nicht konkrete, empirisch beobachtbare Netzwerke untersucht. Sondern der Computer kreiert hypothetische Konstellationen, um relativ einfache Strukturtendenzen zu erklären (siehe 7.5). Inzwischen liefert die unter der Leitung von Tom Snijders programmierte Software SIENA Agenten-basierte Simulationen für die Modellierung von empirisch beobachteten Veränderungen in Netzwerken (Snijders et al. 2010). Das Programm SIENA stellt eine der fortschrittlichsten und komplexesten Analysemethoden in der Netzwerkanalyse dar, und es basiert direkt auf handlungstheoretischen Annahmen. Dabei geht es aber nicht um die Vorhersage (» ➔ Erklärung«) von sich entwickelnden Netzwerkstrukturen. Sondern das Programm sucht nach individuellen Tendenzen für die Bildung von bestimmten Beziehungen und für die wechselseitige Beeinflussung im Handeln, die für beobachtete Netzwerkkonstellation verantwortlich sein können. Der große Vorteil der Handlungstheorie liegt in ihrer intuitiven Zugänglichkeit. Zudem ist sie in den Sozialwissenschaften gut etabliert. Eine handlungstheoretische Modellierung von Netzwerken kann deshalb auf zahlreichen Vorarbeiten aufbauen. Das Zusammenspiel von Handlungen und Netzwerken ist aber so komplex, dass eine überschaubare und gut handhabbare Modellierung nicht leicht fällt. 11.2 Sozialkapital Der handlungstheoretischen Perspektive entstammt einer der schillerndsten Begriffe für soziale Netzwerke: das ➔ Sozialkapital. Ursprünglich entwarf Pierre Bourdieu das Konzept für den Wert von Beziehungen für das Indivi- <?page no="183"?> 184 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 184 duum (1983). Schnell übernahmen die Handlungstheoretiker den Begriff. Dabei werden Netzwerke einerseits zum Ziel von Handlungsentscheidungen-- wir »investieren« in unsere Beziehungen mit anderen. Andererseits bilden sie Mittel für das Erreichen anderer Ziele. So können wir aus unseren Netzwerken »Kapital schlagen«, wenn wir über sie beruflich aufsteigen (siehe 4.2, 10.d). Wenn Netzwerke aber ein vielseitig einsetzbares Mittel sind, dann sollten Individuen versuchen, den Wert ihrer Netzwerke zu maximieren- - genauso wie wir in der Wirtschaft nach der Maximierung unseres ökonomischen Kapitals streben. Insgesamt macht der Begriff des Sozialkapitals drei Annahmen (Lin 2001: 19ff ): (1) Netzwerke lassen sich als Ressource von Individuen begreifen, auf die diese für ihr Handeln zurückgreifen. Das Augenmerk liegt auf den Effekten von Netzwerkpositionen für deren Inhaber (siehe 10.4). Häufig wird der Sozialkapitalbegriff in der Untersuchung ➔ ego-zentrierter Netzwerke verwendet, und teilweise bei ➔ qualitativen Netzwerkinterviews. Beide betrachten Netzwerke aus der Sicht des Individuums. (2) Von Sozialkapital können wir analog zum ökonomischen Kapital mehr oder weniger besitzen. Dafür lassen sich Netzwerke nach ihrem Wert für das Individuum quantifizieren. Zumindest können wir Individuen mit mehr Sozialkapital von solchen mit wenigem unterscheiden. (3) Wir können den Wert unserer Netzwerke maximieren. Die Handlungstheorie geht allgemein von einem rational handelnden Individuum aus. Entsprechend richten wir unser Handeln grundsätzlich auf den Erwerb und die Vermehrung unseres Sozialkapitals aus. Wenn wir Sozialbeziehungen eingehen, dann folgen wir diesem Impuls. Definition: ➔ Sozialkapital steht für Netzwerke als individuelle Ressource, die den Akteuren für ihr Handeln zur Verfügung steht. Netzwerke ermöglichen dabei das individuelle Handeln oder schränken es ein. Insgesamt klingen diese Annahmen nach einer sehr ökonomischen Sichtweise auf soziale Beziehungen: Man »investiert« in Beziehungen und »schlägt aus ihnen Kapital«. Einige Autoren werfen dem Sozialkapitalbegriff auch ein Denken von Sozialbeziehungen in der Logik des Marktes vor (z. B. Somers 2005). Natürlich fragen Akteure sich nicht bei jeder sozialen Beziehung, was sie ihnen bringt und wofür sie sie nutzen können. Aber als vereinfachte Modellierung kann eine solche Sichtweise durchaus sinnvoll sein- - in der Wissenschaft geht es letztlich um eine vereinfachende Betrachtung und Systematisierung ihrer Gegenstände. <?page no="184"?> 185 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 184 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 185 Die genannten Annahmen des Sozialkapitalbegriffs sind noch sehr abstrakt. Welche Sozialbeziehungen und Netzwerke für uns wertvoll sind, und wofür wir sie benutzen können, darüber bestehen in den wichtigsten Ansätzen unterschiedliche Vorstellungen: (1) Bei Pierre Bourdieu steht das Konzept für die Ressourcen, die Individuen über ihre sozialen Beziehungen mobilisieren können (1983: 190ff ). Hierfür müssen wir wissen, mit wem ein Akteur verbunden ist, über welche Ressourcen die Bezugspersonen verfügen, und inwieweit die Beziehung den Zugriff des Akteurs auf die Ressourcen der Bezugspersonen erlaubt. Nach Bourdieu kann Sozialkapital in andere Kapitalsorten konvertiert werden. Wir können also unsere Sozialbeziehungen zum Erwerb von Bildungstiteln (kulturelles Kapital) oder für beruflichen Aufstieg (ökonomisches Kapital) einsetzen. (2) James Coleman (siehe 11.1) verwendet den Begriff in Bezug auf die Netzwerkstruktur. Ihm zufolge besteht Sozialkapital vor allem in dichten Netzwerken (mit »closure«), die die beteiligten Akteure zur Kooperation zwingen (indem sie Abweichung sanktionieren; 1988; 1990; siehe 10.4). Damit lösen dichte Netzwerke mit regelmäßigem Aufeinandertreffen das sogenannte »Free Rider-Problem«: Unkooperatives Verhalten ist häufig von Vorteil für das Individuum, aber von Nachteil für die Gruppe. (3) Auch Ronald Burt gebraucht den Begriff für bestimmte Netzwerkstrukturen (1992: 8ff ). Für ihn steht Sozialkapital für den Zugang von Akteuren zu Brücken über »strukturelle Löcher«, beziehungsweise für »weak ties« im Sinne von Mark Granovetter (siehe 4.2). Über diese erhalten Akteure früher und zuverlässiger Informationen. Dadurch bieten sich ihnen verbesserte Chancen auf Märkten (wie dem Arbeitsmarkt), und sie werden auch kreativer als Akteure in dichten Netzwerken (siehe 10.4). Coleman und Burt fassen damit Sozialkapital als gegensätzliche Eigenschaften von Netzwerken. (4) Die ausgefeilteste Formulierung des Sozialkapitalkonzepts für die Netzwerkforschung finden wir bei Nan Lin (2001). Lin verbindet die Konzepte von Coleman und Burt miteinander. Ihm zufolge stehen beide für unterschiedliche Formen des Sozialkapitals: • Granovetters »schwache Beziehungen« bzw. Burts »Brücken über strukturelle Löcher« sieht er förderlich für »instrumentelles Handeln«. Über sie erhalten wir Zugang zu Informationen aus entfernten Bereichen der Sozialstruktur. Entsprechend bauen wir »schwache Beziehungen« vor allem zu Mitgliedern aus anderen sozialen Schichten auf. Dies hilft uns eventuell beim sozialen Aufstieg. • Starke Beziehungen in dichten Netzwerken (das Sozialkapital bei Coleman) begreift Lin als hilfreich für »expressives Handeln«. In ihnen teilen wir Ressourcen (Solidarität) und bestätigen uns gegenseitig in unserer <?page no="185"?> 186 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 186 Weltsicht. Entsprechend fänden wir dichte Netzwerke vorwiegend innerhalb sozialer Schichten. (5) Der Politikwissenschaftler Robert Putnam schließlich behandelt Sozialkapital nicht als individuelle Ressource, sondern als Eigenschaft von regionalen sozialen Strukturen (1993). So erklärt er ökonomische und politische Unterschiede zwischen Nord- und Süditalien dadurch, dass die Sozialbeziehungen im Norden traditionell stärker horizontal und auf Kooperation angelegt sind als im eher hierarchisch strukturierten Süden. Ein wichtiger Indikator hierfür wäre die Mitgliedschaft in freiwilligen Assoziationen. Allerdings lassen sich Putnams Überlegungen nur eingeschränkt auf die Netzwerkforschung übertragen. Die fünf knapp skizzierten Ansätze unterscheiden sich also wesentlich darin, was genau als Sozialkapital bezeichnet wird, welchen Zielen es dient, und wie diese erreicht werden (Tabelle 19). Wir sollten nicht einfach von »Sozialkapital« oder »dem Sozialkapital« sprechen, weil es davon unterschiedliche Formen gibt. Zudem werden mit dem Tab. 19: Sozialkapital-Konzepte im Überblick Bourdieu Coleman Burt/ Granovetter Lin Putnam Was? über Beziehungen mobilisierbare Ressourcen dichte soziale Netzwerke (closure) schwache Beziehungen/ strukturelle Löcher instrumentelles und expressives Sozialkapital horizontale Beziehungen (in-Assoziationen) Wofür? Erwerb von kulturellem und ökonomischem Kapital Kooperation/ Lösung des Free- Rider- Problems Gelegenheiten auf Märkten Sozialer Aufstieg/ Identitätsbildung demokratische &-ökonomische Performanz Wie? Mobilisierung von Ressourcen in der Gruppe Sanktion von Abweichung, Aufbau von Vertrauen Informationskanäle Informationszugang und Solidarität Kooperation und Solidarität Quelle: Eigene Darstellung <?page no="186"?> 187 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 186 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 187 Begriff soziale Netzwerke-- in unterschiedlichen Aspekten-- auf eine individuelle Ressource reduziert (außer bei Putnam). Die Mikro-Strukturen in Vollnetzwerken (Kap. 5) und deren Gesamtstruktur (Kap. 6) bleiben damit ausgeblendet. Entsprechend wird das Sozialkapitalkonzept meist mit der Forschung zu ➔ ego-zentrierten Netzwerken (Kap. 8) verbunden und fokussiert vor allem die Effekte von Netzwerk-Positionen auf individueller Ebene (sieh 10.4). Die Begriffsfassungen von Coleman und Burt lenken den Blick auf die Struktur von Sozialbeziehungen und prononcieren konträre Eigenschaften (dichte Netzwerke vs. schwache Beziehungen). Die Zusammensetzung ➔ ego-zentrierter Netzwerke bleibt in diesen Ansätzen ausgeblendet. Doch dichte Netzwerke können auch eine »dunkle Seite« haben-- wenn uns die in unserem Umfeld herrschenden kulturellen Überzeugungen und der dortige Mangel an Ressourcen am Aufstieg hindern (Portes 1998: 15ff ). 11.3 Relationale Soziologie: Netzwerke mit Sinn Seit etwa 1990 hat sich um den Erfinder der ➔ Blockmodellanalyse, Harrison White (siehe 6.2), ein eigenständiger Theorieansatz gebildet (White 1992; Schmitt/ Fuhse 2015). Im Gegensatz zur Handlungstheorie wird hier der Schwerpunkt nicht auf die Individuen, sondern auf die Beziehungen als den Grundbausteinen von Netzwerken gelegt. Deshalb wird dieser Ansatz auch als » ➔ relationale Soziologie« bezeichnet (Emirbayer 1997; Fuhse 2015a). Prominente Vorläufer sind unter anderem Georg Simmel und Norbert Elias (siehe 2.1 und 2.3). Der relationalen Soziologie zufolge sollten Netzwerke nicht als reine Strukturmuster von Beziehungen betrachtet werden. Vielmehr sind Beziehungen und Netzwerke selbst sinnhaft konstruiert (White 1992: 65ff ). Netzwerke bestehen demnach aus Identitäten, die in Geschichten (»Stories«) konstruiert und zueinander in Beziehung gesetzt werden. Ausgangspunkt für diese Überlegungen ist-- wie in den Systemtheorien von Talcott Parsons und Niklas Luhmann-- die allgemeine Unsicherheit des sozialen Austauschs (White 1992: 3ff ). Identitäten suchen in sozialen Kontexten »Kontrolle« bzw. ein festes »Footing«. Soziale Strukturen (wie Netzwerke) bilden sich hieraus aber erst durch die Beobachtung durch Andere: Die Kontrollversuche von Identitäten hinterlassen eine Spur im Sozialen in der Form von Geschichten, die über sie erzählt werden. Whites Beispiel hierfür ist der Kinderspielplatz (1992: 6ff ). Kooperation und Rangeleien werden dort beobachtet und führen zu einem Geflecht an Erzählungen über die beteiligten Kinder und ihre Beziehungen untereinander- - ein sinnhaft konstruiertes Netzwerk. <?page no="187"?> 188 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 188 White sieht also soziale Netzwerke als mit Bedeutungen, mit Sinnformen verwoben und durch diese bestimmt. Anders als in der Handlungstheorie geht es hier nicht um den »subjektiven Sinn« in den Köpfen der Beteiligten. Vielmehr werden Geschichten über Identitäten und Relationen kommuniziert und strukturieren so die soziale Interaktion (White et al. 2007: 544). Die enge Verknüpfung von Netzwerken und Sinn geht über die Konstruktion von Identitäten und Relationen in Geschichten hinaus. White sieht jedes Netzwerk als verwoben mit einer Domäne von kulturellen Formen (Mische/ White 1998: 702ff ): Hierzu gehören bestimmte Symbole, die Sprache, Normen usw. Diese Sinnformen unterscheiden sich von einem Netzwerkkontext zum nächsten. Ein Netzwerk wird durch seine Domäne geprägt. Umgekehrt ist eine Domäne von Sinnformen von deren Entwicklung und Verbreitung im Netzwerk abhängig. Für White sind Netzwerk und Domäne in »Netdoms« miteinander verwoben. Beide lassen sich nur analytisch voneinander trennen. So können wir ein Netzwerk von Sozialbeziehungen formal-strukturalistisch untersuchen und getrennt davon die Normen im jeweiligen Kontext betrachten-- obwohl Beziehungen und Normen immer einhergehen. Harrison White baut in den beiden Auflagen seines Hauptwerks Identity and Control (von 1992 und 2008) auf diesem Grundgerüst eine umfangreiche Architektur des Sozialen auf (Schmitt/ Fuhse 2015). Dort fungieren etwa »Disziplinen« wie Produktionsmärkte oder Auswahlkomitees als soziale Moleküle, die Identitäten nach eigenen Kriterien bewerten und zueinander in Beziehung setzen. Und »Kontroll-Regimes« sind analog zu den Funktionssystemen bei Luhmann oder den gesellschaftlichen Feldern bei Bourdieu sinnhaft abgegrenzte Großbereiche der Gesellschaft. Diese Begriffe fanden in den Sozialwissenschaften bisher wenig Beachtung. Wichtiger sind vielmehr kleinteilige Zusammenhänge zwischen Netzwerkkonstellationen und Sinnformen. Deren Konzeption stammt teilweise von White selbst und teilweise aus seinem Umfeld: • Netzwerkformationen sind durch Stile geprägt und bringen solche hervor (White 2008: 112ff ). Ein Stil ist zunächst nur ein Beobachtungsartefakt: Verhaltensweisen verschiedener Identitäten im Netzwerk werden als ähnlich klassifiziert und damit die Identitäten als Träger eines gemeinsamen Stils erkannt. Diese Klassifikation prägt dann selbst die soziale Struktur: Das Verhalten von Identitäten orientiert sich an solchen Stilen, indem beispielsweise Maler impressionistisch, fauvistisch oder abstrakt expressionistisch malen (White 1993: 63ff ). Auf diese Weise werden die Identitäten auch zueinander in Beziehung gesetzt. Stile entstehen zunächst einmal aus dichten Netzwerken heraus und grenzen diese voneinander ab. Sie können aber auch bestimmten (strukturell äquivalenten) Positionen im Netzwerk entsprechen, wenn etwa die <?page no="188"?> 189 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 188 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 189 Anführer in sozialen Bewegungen bestimmte Kommunikationsstile aufweisen (Mische 2008). • Die Identitäten in Netzwerken selbst bilden bei White keine festen Grundbausteine wie in der Handlungstheorie. Vielmehr stellen sie Projektionspunkte für die Zuschreibungen in Geschichten dar. Insofern sind sie mit ihren Eigenschaften ein Ergebnis der interaktiven Kontrollversuche und deren narrativer Beobachtung. Auf White aufbauend sieht Charles Tilly hierfür die Zuschreibung von subjektiven Motiven zu diesen Identitäten im Erzählen als entscheidend (2002: 8f, 26f; Fuhse 2015b: 50). Beobachtetes Verhalten wird dabei auf relativ stabile Handlungsdispositionen zurückgeführt. Und daraus ergeben sich Erwartungen hinsichtlich des zukünftigen Verhaltens der Identitäten. So werden etwa Maler auf der Basis ihrer Bilder als mehr oder weniger begabt und als zu einer bestimmten Kunstrichtung zugehörig eingeordnet. Die Bedeutung dieser Zuschreibungsprozesse für das Arrangement von Sozialbeziehungen haben etwa Padgett und Ansell anhand des Aufstiegs von Cosimo di Medici nachgewiesen (1993; siehe 6.5 und 10.4). Auch in der (Netzwerk-)Geschichte der Philosophie von Randall Collins finden wir diesen ➔ Mechanismus: Die Bedeutung von Philosophen wird nicht allein durch die Qualität ihrer Werke, sondern auch durch ihre Stellung in akademischen Netzwerken bestimmt (Collins 1998). Zugleich führt die Konstruktion zentraler Autoren (wie Descartes oder Hegel) zu einer Neuausrichtung von Beziehungen im Netzwerk. • Soziale Kategorien wie Geschlecht oder ethnische Herkunft unterteilen Identitäten nach Kriterien der Ähnlichkeiten und Differenz. Bereits in frühen Formulierungen sah White Kategorien als Abgrenzungen zwischen verdichteten Netzwerken: Kategorial abgegrenzte Netzwerke bildeten »Catnets« (für »category« und »network«; [1965] 2008). In der ➔ Blockmodellanalyse konnten (Rollen-)Kategorien nicht mehr nur verdichtete Netzwerke voneinander trennen, sondern auch strukturell äquivalente Positionen markieren (siehe 6.2). Zugleich gehen soziale Kategorien (wie das Geschlecht) mit Regeln für die möglichen Beziehungen zwischen ihren Mitgliedern einher. • Mit dem neuen Fokus auf Sinnformen bilden Kategorien einen Bestandteil der Domäne von kulturellen Formen in einem Netzwerk. Nach Charles Tilly braucht es Geschichten, die solche Kategorien plausibel machen und legitimieren (»boundary stories«; 1998: 63f ). Solche sinnhaft konstruierten Grenzziehungen erlauben es Gruppen, Nicht-Zugehörige von Ressourcen auszuschließen (Tilly 1998: 6f, 75ff; siehe auch die Etablierten und Außenseiter bei Elias; Kap. 2.3). Soziale Kategorien können als »kollektive Identitäten« aus dem engen und kooperativen Aus- <?page no="189"?> 190 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 190 tausch in dichten Netzwerken entstehen und dort dann auch zur Beteiligung am kollektiven Handeln motivieren (Gould 1995). • Paul DiMaggio verbindet in seiner Version des soziologischen Neo-Institutionalismus Überlegungen Whites mit denen von Pierre Bourdieu (DiMaggio/ Powell 1983; DiMaggio 1986). Institutionen (wie die Ehe, das Händeschütteln oder die formale Organisation) sind kulturelle Modelle für das Verhalten von Akteuren. Sie entstehen iso-morph aus der wechselseitigen Orientierung der Akteure und verfestigen sich durch Wiederholung und Imitation. Deswegen unterscheiden sie sich je nach Netzwerkkontext. DiMaggio zufolge beziehen sich solche Institutionen etwa auf die Beziehungen zwischen Kategorien von Akteuren und können mit Hilfe der ➔ Blockmodellanalyse rekonstruiert werden (DiMaggio 1986). White selbst konzipiert Institutionen als Netzwerke, die stark durch solche kulturellen Regeln geprägt sind (2008: 171ff; Fuhse 2012: 373ff ). Insgesamt zeichnet sich die relationale Soziologie von und um Harrison White weniger durch eine streng konsistente Modellierung wie in der Handlungstheorie aus. Eher bildet sie ein kreatives Sammelsurium unterschiedlicher Gedanken, die sich allgemein auf das Wechselspiel von Sinn und Netzwerken beziehen. Die relationale Soziologie liegt sehr nah an der empirischen Netzwerkforschung. So haben sich die angeführten Vorschläge zur Verbindung von Netzwerken und Sinnformen in den empirischen Arbeiten bei Mische (2008), Padgett/ Ansell (1993), Collins (1998), Gould (1995), DiMaggio (1986) und anderen als fruchtbar erwiesen. Seit Ende der 1990er-Jahre hat die relationale Soziologie schrittweise zwei Erweiterungen vollzogen: (1) Zum einen wird Kultur selbst als Netzwerk von miteinander verbundenen Symbolen konzipiert und auch untersucht (Mohr 1998). Auf diese Weise können einzelne Symbole oder Konzepte in einer Kultur als zentral, andere als eher peripher eingeordnet werden. Systematische Unterschiede zwischen solchen Symboluniversen lassen sich anhand ihrer Netzwerkstruktur nachweisen. Wesentliche Impulse hierfür kamen von John Mohr. Er untersuchte die moralischen Bewertungen von Hilfsbedürftigen in den USA Anfang des 19.- Jahrhunderts (1994; Mohr/ Duquenne 1997). Andere wichtige Arbeiten umfassen John Levi Martins Studie zu impliziten Bewertungen von Berufen in einem Kinderbuch (2000) und King-To Yeungs Untersuchung der Bedeutung der Beziehungskategorie Liebe in amerikanischen Kommunen (2005). (2) Zum anderen wendet sich die relationale Soziologie zunehmend den kommunikativen Ereignissen zu, in denen Netzwerke ausgehandelt und <?page no="190"?> 191 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 190 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 191 konstruiert werden (Mische 2003: 262; Mützel 2009; Fuhse 2015b). Harrison White selbst entwarf hierfür den Begriff des »Switching« (1995): Aus Wechseln zwischen soziokulturellen Kontexten entsteht ihm zufolge alle Veränderung sozialer Strukturen. Andere Autoren schreiben von Transaktionen (Emirbayer 1997: 287; Tilly 2005: 6f ) oder von Kommunikation (Fuhse 2015b). Allgemein ergeben sich hier Verbindungen zur qualitativen Untersuchung von Netzwerken im Interaktionsprozess mit Hilfe der Konversationsanalyse (siehe 9.5). Mit diesen Grundideen und Erweiterungen überwindet die relationale Soziologie den oft naiven Strukturalismus der Netzwerkforschung: Netzwerke werden nicht mehr einfach als Muster von Sozialbeziehungen bzw. von Nullen und Einsen in einer ➔ Matrix konzipiert. Stattdessen lenkt sie den Blick auf die Aushandlung und Konstruktion von Sozialbeziehungen. Diese neue Perspektive liefert gegenüber einem reinen Strukturalismus neue theoretische Erwartungen und verfeinert damit die bisherigen reinen Strukturmodelle von Netzwerken. 11.4 Systemtheorie Vor allem im deutschsprachigen Raum wird eine Verbindung des Netzwerkbegriffs mit der Systemtheorie nach Niklas Luhmann diskutiert (Bommes/ Tacke 2011; Fuhse 2011). Teilweise geht es dabei lediglich um eine Einordnung von sozialen Netzwerken als Phänomen in die systemtheoretische Architektur. Die Grundidee hierbei ist, dass Netzwerke von informalen Beziehungen der wechselseitigen Gefälligkeiten ein genuin modernes Phänomen sind. Sie bauen auf der Differenzierung der Gesellschaft in verschiedene Funktionssysteme auf und nutzen sie »parasitär« aus: In Netzwerken werden Leistungen aus verschiedenen Funktionsbereichen ausgetauscht, und dies stabilisiert sie über die Zeit. So kann ein Politiker im Austausch für Wahlkampfspenden eine Unternehmensansiedlung unterstützen. Oder ein Sportler erhält im Rechtssystem eine Vorzugsbehandlung. Die funktionale Differenzierung von gesellschaftlichen Teilbereichen wie Wirtschaft, Politik, Recht, Wissenschaft, Kunst, Religion und Sport wird dabei nicht aufgehoben, aber doch punktuell unterlaufen. Damit ist aber die Grundfrage der Theorie sozialer Netzwerke noch nicht beantwortet: Wie können wir Netzwerke auf der Grundlage des systemtheoretischen Vokabulars fassen? Hierfür gibt es verschiedene Vorschläge: • Veronika Tacke konzipiert Netzwerke zunächst als komplementäre Strukturen zu Systemen (2000). In ihnen werden »Adressen« von Personen <?page no="191"?> 192 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 192 miteinander verknüpft, die jeweils für bestimmte Leistungsrollen in Funktionssystemen stehen. Netzwerke bilden damit eine eigene Ordnung, die aber den Funktionssystemen unterbzw. nachgeordnet bleibt-- ohne Funktionssysteme keine Netzwerke. • In einem späteren Aufsatz greifen Michael Bommes und Veronika Tacke diese Überlegungen auf, konzipieren aber Netzwerke selbst als Systeme (2006). Dabei geht es weniger um informale Zusammenschlüsse als Gruppierungen, die sich als Netzwerk titulieren und so von ihrer Umwelt abgrenzen. • Umgekehrt betrachtet Stephan Fuchs Systeme als Sonderfall von Netzwerken (2001: 191f ). Netzwerke bilden sich eigentlich überall, wo Elemente (kommunikative Ereignisse oder soziale Systeme wie Gruppen oder Organisationen) miteinander in Beziehung treten. In einzelnen Fällen ziehen sie eine sinnhafte Grenze um sich und orientieren sich vor allem nach innen. Sie werden auf diese Weise zu geschlossenen, sich selbst reproduzierenden Systemen. • Dirk Baecker versucht nicht, Netzwerke oder Systeme aufeinander zurückzuführen. Stattdessen ordnet er beide als Formen der Kommunikation ein (neben der Person oder der Kultur; 2005: 226ff ). Baecker sieht Netzwerke zukünftig sogar wichtiger werden als Systeme (2007: 21ff ). • Boris Holzer und Jan Fuhse konzipieren die Sozialbeziehungen in Netzwerken als selbstreferentiell geschlossene Kommunikationssysteme (Holzer 2006: 93ff; Fuhse 2009b: 302ff ). Beziehungen entstehen als Nebenprodukt der Kommunikation (vor allem in der Interaktion) und strukturieren-- wie Organisations- und Funktionssysteme-- dessen Fortlauf. Die Systemtheorie zeigt eine Reihe von Ähnlichkeiten und Verbindungen insbesondere zur relationalen Soziologie von und um Harrison White (siehe 11.4). Akteure werden nicht als feste Bausteine des Sozialen, sondern als dessen Ergebnis betrachtet. Wie Luhmann sieht White soziale Strukturen (inklusive Netzwerken) als aus kommuniziertem Sinn konstruiert (White et al. 2007). Dagegen weisen Whites Theorie und allgemein die relationale Soziologie eine größere Nähe zur empirischen Netzwerkforschung auf. Dafür liefert die Systemtheorie einen gesellschaftstheoretischen Rahmen, in den wir konkrete Forschungen einordnen können. <?page no="192"?> 193 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 192 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 193 11.5 Akteur-Netzwerk-Theorie Nur mit Einschränkungen können wir die ➔ Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) um Bruno Latour und Michel Callon als Theorie sozialer Netzwerke einordnen. Sie bietet zwar eine eigene Konzeption von Netzwerken an. Die ANT behandelt aber weder soziale Netzwerke im engeren Sinne, noch liefert sie eine theoretische Unterfütterung für die Netzwerkforschung. Die Grundzüge der Akteur-Netzwerk-Theorie lassen sich wie folgt skizzieren (Latour 2005; Schulz-Schaeffer 2011): • Im Mittelpunkt der Betrachtung stehen nicht isolierte Akteure, sondern die zwischen ihnen ablaufenden Prozesse. Deswegen spricht die Akteur- Netzwerk-Theorie auch von Aktanten statt von ➔ Akteuren. • Aktanten beeinflussen sich immer gegenseitig. Die Wechselbeziehungen zwischen Aktanten können als Assoziationen oder als Translationen (Übersetzungen) gefasst werden. Handeln wird damit nicht einzelnen Akteuren zugeschrieben, sondern ist immer ein Geschehen im Netzwerk. Ein Aktant erhält seine Handlungsfähigkeit und seine Identität erst im Geflecht von Assoziationen. • Sowohl menschliche Individuen, als auch nicht-menschliche Objekte oder Organismen können zu Aktanten in Netzwerken werden. In einem konkreten Netzwerk wirken Individuen, Hotelschlüssel, Computer etc. aufeinander. So bringt ein besonders klobiger Hotelschlüssel den Gast dazu, diesen nicht auf seine Streifzüge mitzunehmen, sondern an der Rezeption abzugeben. Das Symmetrieprinzip verlangt, alle »Teilnehmer« in einem Netzwerk konzeptionell und methodisch gleich zu behandeln. Diese Grundideen fordern unsere Vorstellungswelt heraus und laufen insbesondere entgegen der handlungstheoretischen Perspektive. Dagegen zeigen sich einige Übereinstimmungen und mögliche Verbindungen mit der relationalen Soziologie (Laux 2009; Mützel 2009). Allerdings besteht- - wie in der Systemtheorie- - eine große Distanz zur empirischen Netzwerkforschung. Mit den genannten Prinzipien ist eine Erhebung eines sozialen Netzwerks kaum praktikabel: Weder können wir Hotelschlüssel oder Kammmuscheln nach ihren Beziehungen zu anderen Aktanten befragen. Noch lassen sich diese Beziehungen non-reaktiv erheben. Denn die zu beobachtenden Prozesse der Wechselwirkung sind sehr unterschiedlich und lassen sich kaum umfassend aufnehmen und noch weniger zählen. Entsprechend verlangt die Akteur-Netzwerk-Theorie ein qualitativ-ethnographisches Vorgehen. Wir sollen den Beeinflussungsbeziehungen zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Aktanten folgen und diese (möglichst unbelastet von alltagsweltlichen Vorstellungen des Handelns) <?page no="193"?> 194 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 194 protokollieren. Die Akteur-Netzwerk-Theorie entstand aus der neueren Wissenschafts- und Technikforschung (Science &-Technology Studies) und stellt in erster Linie eine Anleitung zur Beobachtung von wissenschaftlicher Beobachtung und Wirklichkeitskonstruktion dar-- beispielweise im Labor. Netzwerke aus sozialen Beziehungen sind nicht ihr Gegenstand und auch nicht gut mit ihrem Vokabular zu beschreiben. 11.6 Résumé Die angeführten Ansätze liefern jeweils recht unterschiedliche Antworten auf die Frage: Was sind soziale Netzwerke? • Für die Handlungstheorie sind Netzwerke Strukturen, die individuelles Handeln ermöglichen oder einschränken. Zugleich wirken sie als soziales Umfeld auf die Präferenzen von Akteuren. • Das ➔ Sozialkapitalkonzept bewertet Netzwerke als Ressource, von der Individuen mehr oder weniger zur Verfügung steht. Dabei können sowohl dichte Netzwerke wertvoll sein für den Aufbau von Vertrauen und Kooperation, als auch schwache Beziehungen für den Zugang zu Informationen. • Aus der Sicht der relationalen Soziologie um Harrison White sind Netzwerke Sinnstrukturen. Sie entstehen aus der allgemeinen Unsicherheit der Interaktion, indem das Verhalten von Identitäten beobachtet und erzählt wird. Netzwerke sind verwoben mit Sprache, Kategorien, Stilen und Institutionen. • Für die Systemtheorie stellen soziale Netzwerke Strukturen der modernen Gesellschaft unterhalb und zwischen den dominanten Funktionssystemen dar (Wirtschaft, Politik, Recht, Wissenschaft etc.). Für die grundbegriffliche Modellierung von Netzwerken hat sich bisher keiner der verschiedenen systemtheoretischen Vorschläge durchgesetzt. • Die ➔ Akteur-Netzwerk-Theorie beobachtet Netzwerke zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Aktanten. Diese müssen prinzipiell begrifflich und methodisch gleich behandelt werden. Alles Geschehen ergibt sich aus dem Zusammenwirken dieser heterogenen Elemente. Diese Theorien führen über den häufig naiven Strukturalismus in der Netzwerkforschung hinaus: • Die Akteur-Netzwerk-Theorie liefert feinteilige Beobachtungen des Zusammenspiels von menschlichen Individuen und materiellen Objekten. Zudem fordert sie unsere Begriffe von individuellen Akteuren und Kausalwirkungen heraus. <?page no="194"?> 195 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 194 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 195 • Die Systemtheorie bietet einen gesellschaftstheoretischen Rahmen für Studien der Netzwerkforschung. • Von der relationalen Soziologie erhalten wir ein ganz eigenes Begriffsinventar für die Beschreibung von Netzwerken und den Prozessen in ihnen. Beziehungen und Identitäten sind hier sinnhaft konstruiert und werden fortlaufend neu ausgehandelt. • Die Handlungstheorie (mit dem Sozialkapitalkonzept) verlangt von uns die Einordnung unserer Forschung in ihren sehr stringenten, auf das rational handelnde Individuum ausgerichteten Begriffsrahmen. Auf der Methoden-Ebene lässt sich die Akteur-Netzwerk-Theorie kaum mit der hier präsentierten sozialwissenschaftlichen Netzwerkforschung verbinden. Am ehesten bietet sich eine Verbindung mit ethnographischen Beobachtungen an. Die Systemtheorie hat prinzipiell einen schwierigen Bezug zu empirischer Forschung. Sie bietet auch für die Netzwerkforschung kaum methodische Impulse. Dagegen sind die Handlungstheorie und die relationale Soziologie mit bestimmten methodischen Ansätzen verbunden: • Die Handlungstheorie und das Sozialkapitalkonzept fokussieren methodologisch auf das Individuum und bieten ➔ Erklärungsansätze für dessen Verhalten. Damit haben beide eine große Nähe zur statistischen Untersuchung ➔ ego-zentrierter Netzwerken, vor allem mit Blick auf die Effekte von Netzwerkpositionen. • Auch die ➔ qualitativen Netzwerkinterviews betrachten Sozialbeziehungen aus der Sicht des Individuums. Insofern bietet sich hier eine handlungstheoretische Unterfütterung an, die stärker interpretativ-deutend angelegt ist. • Die ➔ relationale Soziologie hat sich aus der ➔ Blockmodellanalyse heraus entwickelt und greift traditionell auf ➔ formale Analysen von Vollnetzwerken zurück. Dies entspricht ihrer konsequenten Außensicht, in der sie Identitäten als Bestandteil von Netzwerkkonstellationen betrachtet (anstatt Netzwerke aus der Sicht des Individuums als Ressource oder soziales Umfeld zu sehen). Teilweise werden nicht nur soziale Beziehungen, sondern auch kulturelle Verknüpfungen mit der Netzwerkanalyse untersucht. • Neuere Entwicklungen in der relationalen Soziologie führen zudem zu einer Dynamisierung der sinnhaften Konstruktion von Netzwerken. Dabei werden Kommunikationsprozesse mit Mitteln der Konversations- und Dokumentenanalyse auf die sich entfaltenden und verändernden Beziehungskonstellationen hin untersucht (siehe 9.5). <?page no="195"?> 196 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 196 Daneben greift eine kleine, aber wichtige Strömung in der Netzwerkforschung auf den symbolischen Interaktionismus und den Pragmatismus als theoretische Fundierung zurück (siehe 2.2; Fine/ Kleinman 1983; Emirbayer/ Goodwin 1994; Crossley 2011). Hier wird der subjektive, mit Netzwerken verbundene Sinn in Zusammenhang mit Interaktionsprozessen und -strukturen untersucht. Dieser Ansatz zeigt einige Überschneidungen mit der relationalen Soziologie. Er ist insbesondere mit qualitativen Methoden in der Netzwerkforschung verbunden und hier vor allem mit ethnographischen Untersuchungen (Desmond 2014). Empfehlenswerte Literatur: Bommes, Michael/ Veronika Tacke (Hg.) 2011: Netzwerke in der funktional differenzierten Gesellschaft, Wiesbaden: VS. Emirbayer, Mustafa 1997: »Manifesto for a relational sociology« American Journal of Sociology 103, 281-317. Fuchs, Stephan 2001: »Networks« Soziale Systeme 7, 125-55. Fuhse, Jan 2009: »The Meaning Structure of Social Networks« Sociological Theory 27, 51-73. Fuhse, Jan 2015: »Theorizing Social Networks: Relational Sociology of and around Harrison White« International Review of Sociology 25, 15-44. Holzer, Boris 2006: Netzwerke, Bielefeld: transcript, Kapitel III. Lin, Nan 2001: Social Capital, Cambridge: Cambridge University Press. Mützel, Sophie 2009: »Networks as Culturally Constituted Processes: a Comparison of Relational Sociology and Actor-Network Theory« Current Sociology 57, 871-887. Portes, Alejandro 1998: »Social Capital: Its Origins and Applications in Modern Sociology« Annual Review of Sociology 24, 1-24. 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Stattdessen folgen hier • eine Skizze des allgemeinen Ansatzes • und einige Hinweise zum Forschungsdesign. 12.1 Allgemeiner Ansatz Die Netzwerkforschung stellt derzeit eine der wichtigsten und vielversprechendsten Herangehensweise in den Sozialwissenschaften dar. Dazu gehören nicht nur die in den letzten 50 Jahren immer wieder weiter entwickelten Methoden, sondern inzwischen auch mehrere Formulierungen einer ➔ Theorie sozialer Netzwerke. Gemeinsam ist diesen verschiedenen Ansätzen die »strukturelle Intuition« (Freeman 2004: 3; siehe 2.9): Ganz unterschiedliche soziale Phänomene lassen sich fruchtbar in Bezug auf Muster von Sozialbeziehungen untersuchen. In Kapitel 10 habe ich nur einige Beispiele für Netzwerkeffekte genannt. Diese dienen als Beleg für die wichtige Rolle von Netzwerken im Sozialen. Umgekehrt können wir ➔ Mechanismen der Netzwerkbildung und der Netzwerkstrukturierung identifizieren. All diese Mechanismen zusammen genommen machen deutlich: Netzwerke fungieren als zentrale Vermittlungsinstanz für soziale Zusammenhänge. So bleiben etwa Migranten wegen der ➔ Homophilie und der Rolle von ➔ Aktivitäts-Foki häufig unter sich. Und dies führt zu deren geringerem Zugang zu Wissen und anderen Ressourcen. Ähnlich wird vermutet, dass Frauen im Arbeitsleben aus Old-Boys-Netzwerken ausgeschlossen sind und deswegen schlechtere Aufstiegschancen haben. Aber nicht nur soziale Ungleichheit wird über Netzwerke bedingt: Auch die Wahrheitskonstruktion in der Wissenschaft (Collins 1998; Fuchs 2001) oder die Mobilisierung in sozialen Bewegungen und deren Erfolg (Gould 1995; Osa 2003; Baldassari/ Diani 2007) hängen wesentlich von Netzwerkkonstellationen ab. Dabei sollten wir durchaus nicht alles zum »Netzwerk« erklären und verklären. Natürlich gibt es im Sozialen Zusammenhänge, die nicht über Netzwerke vermittelt sind: So haben Individuen mit besserem Bildungsgrad bessere Jobchancen (auch wenn das Netzwerk dabei helfen oder hindern <?page no="197"?> 198 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 198 kann). Wenn wir ein Auto (oder etwas zu essen) haben wollen, dann hilft uns Geld in der Regel mehr als aus ein Netzwerk. In Unternehmen, in der Universität oder im Militär können Vorgesetzte Befehle erteilen. Und die Verbreitung kultureller Formen wird (neben Netzwerken) wesentlich über staatliche Bildungswesen und Massenmedien bestimmt. Die Netzwerkforschung tut meines Erachtens gut daran, die Grenzen der eigenen Perspektive zu erkennen. Sie bietet eine bestimmte Perspektive an, mit der spezifische Aspekte der sozialen Welt in den Blick geraten und gut untersucht werden können. Andere Aspekte bleiben ausgeblendet und sollten von uns als eigenständige »soziale Tatsachen« akzeptiert werden. Kulturelle Formen (wie Institutionen), ökonomische Ressourcen, formale Organisationen (wie Unternehmen oder Universitäten) und vermutlich auch gesellschaftliche Felder (oder Funktionssysteme) bilden jeweils eine eigene soziale Realität. Sie sind nicht Netzwerk; aber wir können sie sinnvoll in ihrem Zusammenspiel mit Netzwerken untersuchen. Entsprechend sollte auch eine Theorie sozialer Netzwerke diese ins Verhältnis zu anderen Aspekten des Sozialen stellen, und nicht alles zum Netzwerk erklären. 12.2 Hinweise zum Forschungsdesign Zum Abschluss gebe ich Hinweise für die Durchführung eines Projekts innerhalb der Netzwerkforschung-- sei es eine Hausarbeit, ein Promotionsprojekt oder ein Zeitschriftenaufsatz: 1. Empirische Forschung gehört theoretisch unterfüttert. Aus meiner Sicht genügt es nicht, elaborierte Kennzahlen zu berechnen oder ein anspruchsvolles qualitatives Narrativ zu einer Netzwerkkonstellation zu weben. Genauso wenig erscheint komplexe theoretische Begriffsarbeit ohne Rücksicht auf die Anwendung in empirischer Forschung sinnvoll. Demzufolge sollten einerseits empirische Forschungsprojekte immer eine theoretische Reflexion und Einordnung des jeweiligen Objekts erbringen: Wieso sollten Netzwerke in meinem Gegenstand überhaupt wichtig sein? Und wie fasse ich diese begrifflich? Umgekehrt müssen wir theoretische Begriffe konsequent mit Blick auf ihre Brauchbarkeit für empirische Analysen entwickeln. Für konkrete Projekte bedeutet dies zuerst einmal, sich im Fundus an Theorien sozialer Netzwerke zu orientieren und passende Bausteine für die eigene Forschung zu sammeln. Die wichtigsten Theorien wurden in Kapitel 11 knapp vorgestellt. Daneben können auch andere Theorieangebote helfen (z. B. symbolischer Interaktionismus, Austauschtheorien, Pierre Bourdieus Feld- und Ungleichheitstheorie, Neo-Institutionalismus). Je nach Fra- <?page no="198"?> 199 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 198 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 199 gestellung und Untersuchungsgegenstand bieten sich bestimmte theoretische Perspektiven eher an als andere: • Geht es um den Vergleich von Individuen hinsichtlich ihres Erfolgs auf dem Arbeitsmarkt, dann helfen Handlungstheorie und ➔ Sozialkapitalkonzept am besten weiter. • Dagegen liefert die ➔ relationale Soziologie wichtige Überlegungen zur Rolle von Sinnmustern, etwa zum Zusammenspiel von sozialen Kategorien und Netzwerkstruktur. • Für eine Untersuchung von Netzwerken z. B. in der Wissenschaft benötige ich einen theoretischen Rahmen für das Feld »Wissenschaft«. Hier bieten sich die Feldtheorie und die Systemtheorie an. Diese Perspektiven lassen sich sinnvoll kombinieren, um etwa die Rolle von Netzwerken für den beruflichen Erfolg (und die Realitätskonstruktion) im Wissenschaftssystem zu erkunden. 2. Die verwendeten Methoden müssen auf die jeweilige Fragestellung ausgerichtet werden. Mit allen hier vorgestellten Methoden können wir nur bestimmte Fragestellungen sinnvoll bearbeiten: • Mit den Maßen für ➔ Zentralität im Netzwerk vergleichen wir einzelne Akteure in einem abgeschlossenen Netzwerk miteinander. Damit beschreiben wir den Forschungsgegenstand zunächst nur, können noch keine Aussagen über systematische Zusammenhänge (Erklären) treffen. • Auch die ➔ Cliquenanalyse (mit ihren verschiedenen Varianten) ist deskriptiv angelegt. Das Ziel ist hier die Identifikation von verdichteten Regionen in einem Netzwerk. • Der ➔ Triaden-Zensus und die hieraus entwickelten Exponential Random Graph Models liefern Aussagen über die der Netzwerkkonstellation zugrunde liegende Strukturtendenzen. Mit ihnen können wir prinzipiell die beobachtete Netzwerkstruktur in Bezug auf Mikro-Mechanismen erklären. Die Exponential Random Graph Models gehen hier weiter als der Triaden-Zensus. Mit ihnen können wir auch ➔ Homophilie untersuchen und (mit Signifikanzen) angeben, ob Strukturtendenzen systematisch gegenüber Zufallsnetzwerken erhöht sind oder nicht. • Die ➔ Blockmodellanalyse macht Aussagen über die Gesamtstruktur von Netzwerken. Sie ist zunächst induktiv und beschreibend angelegt. In Verbindung mit dem Rollenkonzept bietet sie aber eine Theorie dafür an, warum Netzwerke in Beziehungen struktureller Äquivalenz geordnet sein sollten-- und sie liefert mit dem induktiv ermittelten Modell Vor- <?page no="199"?> 200 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 200 hersagen über bestehende oder nicht-bestehende Verbindungen im Netzwerk. Insofern können wir Hypothesen über Rollenbeziehungen im Netzwerk mit der Blockmodellanalyse testen. Damit gelangen wir zu einer ➔ Erklärung für die Gesamtstruktur. Mit entsprechenden Daten können wir zudem Zusammenhänge zwischen der Netzwerkposition und den Attributen oder dem Verhalten der Akteure ziehen. • ➔ Simulationen bieten sich an, wenn wir die Implikationen von bestimmten Konstruktionsprinzipien auf die Gesamtstruktur von Netzwerken untersuchen wollen. Dabei werden aber nur hypothetische Netzwerke kreiert. Simulationen dienen damit zunächst der Exploration. Mit ihnen können wir die systematischen Auswirkungen von Strukturtendenzen im »empirischen Vakuum« untersuchen. In dieser Hinsicht haben Simulationen auch erklärenden Charakter. • Mit ➔ ego-zentrierten Netzwerken können wir die Auswirkungen des persönlichen Umfelds auf das Individuum oder auch die Effekte von Individualattributen auf das persönliche Umfeld analysieren. Dies ist explizit erklärend. Wir untersuchen damit Zusammenhänge auf der Individualebene. Dafür müssen die postulierten Zusammenhänge auf der Ebene von Akteuren liegen. • ➔ Qualitative Netzwerkinterviews helfen zunächst bei der Exploration eines Forschungskontexts. Mit den gewonnenen Einsichten können wir ein Narrativ um quantitative Ergebnisse herum weben. Prinzipiell bleiben wir dabei aber erst einmal auf der Ebene von Beschreibungen. Daneben zielen qualitative Interviews auf ein Verstehen des subjektiven Sinns, den die Beteiligten mit ihren Sozialbeziehungen und Netzwerkkonstellationen verbinden. Im Sinne von Max Weber bildet das Verstehen von Sinnmustern eine komplementäre Aufgabe zum Erklären von strukturellen Zusammenhängen. • Mit Dokumenten- und Konversationsanalysen gelangen wir zu einem Verstehen des kommunizierten Sinns. Wir können so den Rückgriff auf und die Aushandlung von Bedeutungen im Netzwerk beobachten. Ein besonderer Fokus liegt hier auf der diskursiven Konstruktion von Sozialbeziehungen und Identitäten. • Die ➔ teilnehmende Beobachtung aus der relationalen Ethnographie nimmt ebenfalls den Vollzug von Kommunikation in sozialen Konstellationen in den Blick. Sie ist zunächst beschreibend angelegt, nimmt aber auch (verstehend) die Sinnmuster und deren Aushandlung in den Blick. Der Fokus liegt hier auf den kommunikativen Relationierungen zwischen Individuen oder Gruppen. <?page no="200"?> 201 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 200 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 201 Diese knappe und schematische Übersicht verlangt vor allem zweierlei: (1) Die Forscherin sollte klar ihre Fragestellung formulieren und diese in das Raster von Beschreiben/ Exploration, Verstehen und Erklären einordnen. (2) Die Methoden müssen passend zum Erkenntnisinteresse ausgewählt werden. Manchmal ist dies nicht möglich-- etwa weil nur ego-zentrierte Netzwerkdaten zur Verfügung stehen, oder weil eine quantitative Befragung nicht möglich ist. In diesen Fällen sollte die Fragestellung behutsam so umformuliert werden, dass sie sich mit den jeweiligen Methoden sinnvoll beantworten lässt. Allzu häufig werden-- vor allem in der Exposé- und Entwicklungsphase von Projekten--schwammige Fragestellungen formuliert. Mit der Netzwerkanalyse soll untersucht werden, »was eigentlich in einem bestimmten Phänomen passiert«, oder »welche Strukturen wir dort finden«. Und als Antwort auf diese Fragen werden zum Beispiel qualitative Interviews und eine Netzwerkbefragung durchgeführt und Zentralitätswerte berechnet. Leider gelangen wir auf diese Weise häufig nicht zu wissenschaftlichen Erkenntnissen. Für den Aha-Effekt in der Wissenschaft brauchen wir ein Rätsel, für das wir eine Lösung anbieten. Ein solches Rätsel behandeln etwa Padgett und Ansell (1983): • Warum gelang den Medici der Aufstieg zur Macht in Florenz, obwohl sie nicht die reichste und noch nicht einmal die zentralste Familie unter den Einflussreichen der Stadt waren? Und die Arbeit von Mark Granovetter liefert eine Antwort auf folgendes Rätsel (1973): • Warum finden viele Menschen ihre Arbeitsstellen nicht über starke Beziehungen, sondern eher über oberflächliche Bekanntschaften? Rätsel ergeben sich teilweise erst aus der Erkundung eines Gegenstands oder aus dem Experimentieren mit quantitativen Daten. In jedem Fall bestehen sie aus Warum-Fragen und drehen sich um strukturelle Zusammenhänge. Deswegen formuliere ich als dritten Hinweis: 3. Prinzipiell wollen wir mit unserer Forschung strukturelle Zusammenhänge rekonstruieren und eine Erklärung für ein beobachtetes Phänomen liefern. Emile Durkheim folgend liegt das Ziel der Soziologie in der Identifikation von strukturellen Zusammenhängen zwischen »sozialen Tatsachen« ([1896] 1984). Wie oben angeführt bieten sich für ➔ Erklärungen in der Netzwerk- <?page no="201"?> 202 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 202 forschung der ➔ Triaden-Zensus und die Exponential Random Graph Models, ➔ Blockmodellanalysen, ➔ Simulationen und statistische Untersuchungen ➔ ego-zentrierter Netzwerke an. Sowohl die handlungstheoretische Perspektive wie auch die ➔ relationale Soziologie verfolgen (in unterschiedlichen Varianten) einen erklärenden Anspruch. Theorie und empirische Forschung lassen sich gut mit der Betrachtung der Netzwerkmechanismen aus Kapitel 10 miteinander verbinden. Diese sind auf die Identifikation und Untersuchung von kleinteiligen strukturellen Zusammenhängen ausgerichtet. 4. Für die meisten Gegenstände ist eine Verbindung aus qualitativen und quantitativen Methoden sinnvoll. Durch die prinzipielle Ausrichtung auf das ➔ Erklären (3.) werden Beschreibung und ➔ Verstehen nicht unwichtig. Sie liefern wichtige Beobachtungen für die Unterfütterung solcher Zusammenhänge. So sind im Sozialen viele soziale Konstellationen durch den Sinn bestimmt, den die Beteiligten mit ihnen verbinden oder der in ihnen ausgehandelt wird. Insofern können wir die Wirkung von sozialen Kategorien oder von kulturellen Modellen (Institutionen) über ein Verstehen von deren Sinngehalten besser einordnen und plausibel machen. Zudem habe ich in mehreren Kapiteln argumentiert, dass wir in quantitativer Forschung den mit unserem Forschungsgegenstand verknüpften Sinn nicht aus den Augen verlieren sollten. Für eine formale Erhebung und Analyse benötigen wir zunächst eine sinnvolle Abgrenzung des Netzwerks. Hier wie auch bei der Untersuchung ➔ ego-zentrierter Netzwerke müssen wir auch die Bedeutung der erhobenen Beziehungen beachten. Welche Bedeutung haben etwa nur einseitig angegebene Freundschaften? Welchen Sinn verbinden Befragte mit ihren Antworten in Surveys? Welche Strukturtendenzen legt die jeweilige Art von Beziehung nahe? All diese Fragen verlangen ein sinnverstehendes Vorgehen mit qualitativen Methoden. Das bedeutet natürlich nicht, dass Forscherinnen alles machen müssen: quantitative Analysen und qualitative Interpretation, Theoriearbeit und empirische Forschung. Oft genug können wir für die Unterfütterung und Reflexion unserer Forschung auf die Arbeiten anderer zurückgreifen. Wir sollten uns bewusst sein, dass unsere Theorien und Methoden immer nur begrenzte Blickwinkel auf soziale Phänomene werfen. Und diese gilt es sinnvoll mit anderen Perspektiven zu ergänzen. <?page no="202"?> 203 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 202 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 203 Literatur Abbott, Andrew 1999: Department &- Discipline; Chicago Sociology at One Hundred, Chicago: University of Chicago Press. Allport, Gordon [1954] 1971: Die Natur des Vorurteils, Köln: Kiepenheuer &-Witsch. Baecker, Dirk 2005: Form und Formen der Kommunikation, Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Baecker, Dirk 2007: Studien zur nächsten Gesellschaft, Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Baldassari, Delia/ Mario Diani 2007: »The Integrative Power of Civic Networks« American Journal of Sociology 113, 735-80. Barabási, Albert-László/ Eric Bonabeau 2003: »Scale-Free Networks« Scientific American 288, 60-69. Barnes, J. A. 1954: »Class and Committees in a Norwegian Island Parish« Human Relations 7, 39-58. 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(1.1) Akteur-Netzwerk-Theorie Die Akteur-Netzwerk-Theorie betrachtet Netzwerke aus menschlichen Akteuren und nicht-menschlichen Objekten. Deren Handlungen ergeben sich der Theorie zufolge immer aus dem Zusammenspiel miteinander-- deswegen spricht die Theorie auch von »Aktanten« (nicht von Akteuren). Unterschiedliche Aktanten sind konzeptionell und methodisch immer gleich zu behandeln. Die Akteur-Netzwerk-Theorie hat sich aus den Labor-Studien der Wissenschafts- und Technikforschung entwickelt und wird dort primär angewendet. (11.5) Aktivitäts-Fokus Ein Aktivitäts-Fokus umfasst alle möglichen Orte und soziale Kontexte wie Nachbarschaft, Schule, Arbeitsplatz, Sportverein, Kneipe oder Internet-Forum, an dem soziale Aktivitäten gebündelt werden. Viele soziale Beziehungen entstehen in solchen Aktivitäts-Foki. (2.5, 10.2) Beziehung Eine soziale Beziehung steht für eine Verbindung zwischen Akteuren mit bestimmten Ausprägungen. So können Beziehungen gerichtet oder ungerichtet, asymmetrisch oder reziprok sein. Zudem kann sie unterschiedlich stark sein und zu einer bestimmten Art Beziehung gehören (z. B. Freundschaft, Verwandtschaft, Ratsuche, Patronage). Konzeptionell stehen Sozialbeziehungen für eine empirisch beobachtbare Regelmäßigkeit der Interak- <?page no="215"?> 216 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 216 tion und für entsprechende Verhaltenserwartungen zwischen den Beteiligten. (1.1, 3.3) Blockmodellanalyse Die Blockmodellanalyse ist ein induktives Verfahren zur Rekonstruktion von systematischen Beziehungsstrukturen in einem Vollnetzwerk (über mehrere Arten von Beziehungen hinweg). Sie identifiziert Kategorien von strukturell äquivalenten Akteuren mit typischen Beziehungsmustern zu anderen Kategorien von strukturell äquivalenten Akteuren. Diese werden als Rollenbeziehungen interpretiert. (6) Clique Eine Clique steht für eine Gruppe von mindestens drei vollständig miteinander vernetzten Akteuren. (5.2) Ego-zentrierte Netzwerke Ego-zentrierte Netzwerke werden üblicherweise in standardisierten Befragungen von einzelnen Akteuren erhoben. Ein ego-zentriertes Netzwerk umfasst wichtige Sozialbeziehungen von Ego, die Eigenschaften der Bezugspersonen (z. B. Alter, Geschlecht, ethnische Herkunft) und häufig die Beziehungen zwischen den Bezugspersonen. (8) Erklärung In einer soziologischen Erklärung wird ein struktureller kausaler Zusammenhang zwischen unterschiedlichen Aspekten der sozialen Welt (»sozialen Tatsachen«) hergestellt. (9.2, 10.1, 12.2) Formale Netzwerkanalyse In der formalen Netzwerkanalyse werden Muster von Sozialbeziehungen innerhalb einer abgeschlossenen Population von Einheiten mit formal-mathematischen Verfahren untersucht. Sie steht im Gegensatz zu den statistischen Analysen ego-zentrierter Netzwerke und zu qualitativen Methoden in der Netzwerkforschung. (1.1, 3-- 6) Homophilie Homophilie steht für die Tendenz zur Bildung von sozialen Beziehungen zwischen Akteuren mit ähnlichen Einstellungen (Einstellungs-Homophilie) oder mit ähnlichen Attributen/ kategorialen Zugehörigkeiten (Status-Homophilie). (2.7, 10.2) <?page no="216"?> 217 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 216 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 217 Matrix Ein Netzwerk lässt sich in einer Matrix darstellen. In dieser werden die Akteure als Spalten und Reihen eingetragen. In den Zellen stehen Einsen für bestehende Sozialbeziehungen und Nullen für nicht-existierende Beziehungen. In einem Two-Mode-Netzwerk wird eine Art von Knoten (z. B. Akteure) als Reihen eingetragen und die zweite Art (z. B. Ereignisse) als Spalten. (3.1) Mechanismus Ein Mechanismus steht für einen kleinteiligen Zusammenhang, der theoretisch plausibel und empirisch gut nachgewiesen ist. In der Netzwerkforschung lassen sich die Mechanismen der Netzwerkbildung, der Netzwerkstrukturierung und der Netzwerkeffekte unterscheiden. (10) Narratives Interview In einem narrativen Interview werden die Befragten aufgefordert, im Modus des freien Assoziierens aus ihrem sozialen Umfeld und ihren Erfahrungen zu berichten. Sie zielen auf das individuelle Erleben der Subjekte und erfassen deren subjektiven Sinn. (9.4) Netzwerk Ein Netzwerk ist das Muster von Verbindungen innerhalb einer abgeschlossenen Population von Einheiten. In einem sozialen Netzwerk sind diese Einheiten Akteure, und die Verbindungen zwischen ihnen sind Beziehungen. Im Gegensatz zu den ego-zentrierten Netzwerken spricht man auch von einem Vollnetzwerk, wenn innerhalb eines bestimmten Kontexts alle Beziehungen erhoben werden. In einem Two-Mode-Netzwerk werden zwei unterschiedliche Arten von Knoten miteinander in Verbindung gebracht (z. B. Akteure und Ereignisse). (1.1, 2.6) Netzwerkgraph Der Graph eines Netzwerks bildet die Beziehungsstruktur in einem Netzwerk ab. Dabei werden Akteure als Knoten und Beziehungen als Kanten zwischen den Knoten repräsentiert. (1.1, 3.1) Netzwerkkarte Mit Hilfe von Netzwerkkarten können wir ein (zumeist qualitatives) Interview zum persönlichen Umfeld der Befragten führen. Die Karten bestehen aus mehreren konzentrischen Kreisen um Ego herum auf einem Blatt Papier, einer Tafel oder einem Computer-Bildschirm. In diese notieren die Befragten für sie wichtige Personen, die Nähe zu ihnen und die Beziehungen zwischen den Bezugspersonen. (9.4) <?page no="217"?> 218 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 218 Pfad Ein Pfad steht für eine Kette von Verbindungen von einem Knoten in einem Netzwerk zu einem anderen. Meist wird nach den kürzesten Pfaden gesucht und deren Pfaddistanz als Anzahl der nötigen Schritte angegeben. Bei gerichteten Beziehungen wird deren Richtung berücksichtigt. D. h., jeder Schritt in einem Pfad muss in die jeweilige Richtung laufen. (4.1) Preferential Attachment Mit Preferential Attachment (»bevorzugtes Bindungsverhalten«) wird die Tendenz bezeichnet, bevorzugt Beziehungen zu populären Akteuren zu bilden. Dem Power Law folgend kumulieren sich Sozialbeziehungen damit bei wenigen Akteuren, während die meisten anderen Akteure wenige bis gar keine Beziehungen haben. (7.3, 10.3) Qualitatives Netzwerkinterview In einem qualitativen Netzwerkinterview wird das persönliche Umfeld der Befragten ermittelt (teilweise mit Bezug auf bestimmte Fragestellungen). Es kann als narratives Interview mit Netzwerkkarten durchgeführt werden. Mit dem Interview wird der subjektive Sinn untersucht, den die Befragten mit ihren Beziehungen und Alteri verbinden. (9.4) Relationale Ethnographie Die relationale Ethnographie macht eine soziale Konstellation zwischen Akteuren und Gruppen zu ihrem Gegenstand. Sie untersucht mit den typischen ethnographischen Methoden (qualitative Interviews und teilnehmende Beobachtung) Prozesse der Positionierung und der Ziehung sozialer Grenzen. (9.3) Relationale Soziologie Die relationale Soziologie untersucht konzeptionell und empirisch das Wechselspiel zwischen Netzwerkstrukturen und Sinnmustern (Kategorien, Institutionen etc.). Ihr zufolge bestehen soziale Netzwerke aus Identitäten, die sinnhaft (in »Geschichten«) zueinander in Beziehung gesetzt werden. (11.3) Reziprozität Eine Sozialbeziehung ist reziprok, wenn sie in beide Richtungen (von A zu B und umgekehrt) läuft. Einige Arten von Sozialbeziehungen erwarten wir als reziprok (z. B. Freundschaft), andere sind prinzipiell asymmetrisch möglich. In ungerichteten Netzwerken lässt sich nicht sinnvoll von Reziprozität sprechen (weil alle Beziehungen per definitionem symmetrisch sind). (3.4, 10.3) <?page no="218"?> 219 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 218 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 219 Schwache Beziehung Eine schwache Beziehung steht nach Mark Granovetter für eine eher oberflächliche Bekanntschaft (etwa zu einem Nachbarn oder einem früheren Studienkollegen) im Gegensatz zu starken Beziehungen wie Freundschaft oder Liebe. Schwache Beziehungen sind seltener transitiv und bieten deswegen häufiger Zugang zu Informationen aus entfernten Bereichen im Netzwerk. (4.2) Simulation In Simulationen werden hypothetische Netzwerke aus einfachen Konstruktionsprinzipien heraus konstruiert. Die Ergebnisse von Simulationen lassen sich anschließend in Bezug auf bestimmte Kennzahlen mit empirisch beobachteten Netzwerken vergleichen. (7.5) Small World Das Small World-Phänomen steht für die Beobachtung, dass alle Individuen auf der Welt (trotz lokal verdichteten Netzwerken) in relativ kurzen Ketten von persönlichen Bekanntschaften miteinander verbunden sind. Small World-Netzwerke stehen für einen von Duncan Watts konzipierten Typ sozialer Netzwerke, der diese Anforderungen erfüllt: Knoten sind mit benachbarten Knoten verknüpft und haben wenige zufällige Verbindungen in andere Regionen des Netzwerks. (7.2) Sozialkapital Mit dem Begriff des Sozialkapitals werden Sozialbeziehungen und Netzwerke als Ressource für individuelles Handeln gesehen. Besonderes Augenmerk liegt auf schwachen Beziehungen (Granovetter, Burt) und auf Beziehungen mit einem hohen Maß an Dichte und sozialer Kontrolle (Coleman). (11.2) Strukturelle Äquivalenz Akteure in einem sozialen Netzwerk sind dann strukturell äquivalent, wenn sie über ähnliche Beziehungen zu anderen (strukturell äquivalenten) Akteuren verfügen. Strukturelle Äquivalenz wird etwa in der Blockmodellanalyse untersucht. (6.2) Teilnehmende Beobachtung In einer teilnehmenden Beobachtung untersucht die Forscherin ihr Forschungsfeld, indem sie an Interaktionen im Feld teilnimmt. Beobachtungen werden in der Form von Feldnotizen gesammelt und anschließend systematisiert. (9.3) <?page no="219"?> 220 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 220 Transitivität Transitivität steht für die Tendenz von Beziehungen zu balancierten Konstellationen. Der einfachste Fall ist die positive Transitivität. In dieser tendieren zwei indirekt über positive Beziehungen (z. B. Freundschaft) verbundene Akteure zur Ausbildung einer ebenfalls positiven Beziehung. Bei der negativen Transitivität balancieren sich zwei negative Beziehungen und eine positive in einer Triade aus (z. B.: der Feind meines Feindes ist mein Freund, oder der Feind meines Freundes ist mein Feind). Asymmetrische Konstellationen sind transitiv, wenn die direkte Beziehung in die gleiche Richtung läuft wie zwei aneinander gekettete indirekte Beziehungen (z. B.: die Vorgesetzte meines Vorgesetzten ist auch meine Vorgesetzte). (2.5, 10.3) Triade Eine Triade ist eine Konstellation von drei Akteuren. Auf der Ebene von Triaden können wir bereits Eigenschaften von Netzwerkstrukturen wie Brokerage oder Transitivität identifizieren. Im Triaden-Zensus werden alle möglichen Konstellationen von Akteuren in einem Netzwerk in Bezug auf ihre Beziehungskonstellation untersucht. (5.1) Two-Mode-Netzwerk In einem Two-Mode-Netzwerk sind zwei unterschiedliche Arten von Knoten miteinander verknüpft, beispielsweise Akteure und Ereignisse. Die Knoten eines Typus (zum Beispiel Akteure) sind dann nur indirekt untereinander verbunden-- über gemeinsame Verbindungen zu Knoten des zweiten Typus (z. B. Ereignisse). (2.6) Verstehen Das Verstehen als eine zentrale Aufgabe der Sozialwissenschaften (wie das Erklären) zielt auf die Untersuchung der mit einem Gegenstand verknüpften Deutungsmuster. Dabei kann es um den subjektiven Sinn gehen, den die Beteiligten mit dem Gegenstand verbinden, oder um in Äußerungen kommunizierten und ausgehandelten Sinn. (9.2) Zentralität Mit den verschiedenen Maßen der Zentralität wird die Stellung von Knoten in einem Netzwerk untereinander verglichen. Je wichtiger ein Knoten, desto höher seine Zentralität. Hierfür gibt es verschiedene Maße, etwa die reine Anzahl der Verbindungen (Degree-Zentralität) und die Bedeutung des Knotens für indirekte Verbindungen (Pfade) im Netzwerk (Betweenness-Zentralität). (4.1) <?page no="220"?> 221 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 220 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 221 Abbildungs- und Tabellenverzeichnis Abb. 1: Hypothetisches Beispielnetzwerk 15 Abb. 2: Grundformen von Netzwerkgraphen (Soziogrammen) 27 Abb. 3: Netzwerk der frühen Ansätze in der Netzwerkforschung 38 Abb. 4: Freundschaftsnetzwerk in »Silicon Systems« 42 Abb. 5: Übereinander gelegte Matrizen für mehrere Beziehungsarten (stilisiert) 47 Abb. 6: Cliquen im Ratsuchenetzwerk bei Silicon Systems 75 Abb. 7: Hypothetisches Strukturmodell 82 Abb. 8: Strukturmodell des Blockmodells mit vier Kategorien 94 Abb. 9: Typen sozialer Netzwerke nach Watts/ Strogatz 102 Abb. 10: Power Law-Verteilung 104 Abb. 11: Netzwerkkarte nach Kahn/ Antonucci 148 Abb. 12: Typen von Netzwerkmechanismen 160 Abb. 13: Handlung und soziale Struktur nach Ronald Burt 181 Tab. 1: Positiv und negativ transitive Triaden, Beispiele für Balance-Mechanismen 29 Tab. 2: Akteure und Ereignisse in »Old City« 32 Tab. 3: Matrix der Freundschaftsnennungen bei-»Silicon-Systems« 44 Tab. 4: Zentralitäten im Ratsuchenetzwerk bei Silicon Systems (Auswahl) 60 Tab. 5: Mögliche Triaden gerichteter Beziehungen 70 Tab. 6: Triaden-Zensus für Freundschaft und Ratsuche bei-Silicon Systems 72 Tab. 7: Hypothetische Strukturmatrix 82 Tab. 8: Kern-Peripherie-Matrix 83 Tab. 9: Matrix mit drei Subgruppen 83 Tab. 10: Blockmodell mit vier Kategorien bei Silicon Systems (Ratsuche) 86 Tab. 11: Blockmodell mit vier Kategorien bei Silicon Systems (Freundschaft) 88 Tab. 12: Dichte-Matrizen für das Blockmodell 91 Tab. 13: Struktur-Modell für die Beziehungen zwischen-Kategorien 92 Tab. 14: Exponential Random Graph Model für-die-Freundschaften bei-Silicon-Systems 112 Tab. 15: Anteil an Afro-Amerikanern unter den Bezugspersonen im GSS 2010 128 Tab. 16: Anteil an afro-amerikanischen Bezugspersonen bei-Weißen und-Afro-Amerikanern nach Bildungsgrad 129 Tab. 17: Größe der Diskussionsnetzwerke im General Social-Survey 133 Tab. 18: Netzwerkmechanismen 175 Tab. 19: Sozialkapital-Konzepte im Überblick 186 <?page no="221"?> 222 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 222 Index A Akteur 16, 193, 215 Akteur-Netzwerk-Theorie 21, 180, 193 ff., 215 Aktivitäts-Fokus 28, 147, 159, 161 ff., 167, 175 f., 197, 215 Anpassung 34, 131, 171 ff. anti-kategorischer Imperativ 17, 36 f., 95 Antwortverhalten 52, 54, 60 ff., 64, 75 f., 97, 120, 132, 150 f. B Balance 20, 29 f., 34 f., 71, 168 Barnes, J.A. 16 f., 36, 39, 203 Betweenness 60, 62 f., 65, 67 f., 98, 171, 220 Bewegung, soziale 14, 159, 197, 215 Beziehung, soziale 15 f., 51, 140, 142, 187, 215 - Art von Beziehung 15, 46, 52 ff., 83, 90, 94, 97 f., 142, 147, 151, 165, 167, 169 f. - schwache Beziehung 20, 59, 65, 67, 69, 107, 117, 136, 168, 171, 186, 219 Blockmodellanalyse 20, 46, 67, 81 ff., 91 ff., 143, 167, 169, 187, 189 f., 195, 199, 216, 219 Broker 63 f., 67, 69, 71, 172 Burt, R. 14, 65 ff., 85, 118 ff., 125, 130, 134, 136, 150, 159, 171, 181 f., 185 ff., 204, 219 C Clique 20, 31, 33, 42, 69, 71, 74 ff., 81 f., 95, 97, 140, 147, 150, 199, 216 Coleman, J. 13, 67, 172, 182, 185 ff., 204, 219 D Degree 13, 62, 104, 170, 207 Dichte 18, 20, 41, 54 ff., 68, 72 f., 91 ff., 106, 111, 113, 115, 117, 125, 130, 136 f., 172, 175, 219 E Elias, N. 19, 23, 25 f., 37 ff., 139 f., 144 f., 149, 171, 173, 187, 189, 205 Emirbayer, M. 17, 36, 95, 180, 187, 191, 196, 205 Erklären 141, 199 ff., 220 Erklärung 141, 176, 195, 201 Exploration 19, 139 ff., 156, 200 f. Exponential Random Graph Model 20, 73, 99, 107, 110 ff., 114 f., 177, 199, 202 F Feld 28, 50, 53, 140, 145 f., 198 f., 219 Figuration 25 f. Fischer, C. 24, 51, 56, 119 f., 133 f., 137, 162, 206 formale Netzwerkanalyse 18, 26, 28, 37, 39, 41, 50, 56, 99, 125, 139, 156, 195, 216 formale Soziologie 23 ff., 38 G Gestaltpsychologie 23, 28 Granovetter, M. 14, 65 ff., 84, 105, 107, 117, 125, 136, 159, 168, 171, 179, 185 f., 201, 206 f., 219 Gruppe 13, 19, 24 ff., 33, 38, 67, 69, 74, 76 f., 83, 96, 125, 127, 143 ff., 149 f., 166, 171 ff., 189, 192, 200, 218 <?page no="222"?> 223 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 222 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 223 H Handlungstheorie 21, 67, 179 f., 182 ff., 187 ff., 194 f., 199, 202 Heider, F. 28 f., 204, 208 Homans, G.C. 33, 37 f., 208 Homophilie 34, 109 ff., 114, 116, 131, 136, 159, 161, 163 f., 167, 170, 173, 175 ff., 197, 199, 216 Human Relations 23, 30, 33, 39, 209 I Indegree 59 ff. Institution 18, 36, 142, 166 f., 175, 190, 194, 198, 202, 218 K Kern-Peripherie-Struktur 82 f., 85, 90, 96, 170, 176 Komponente 42 f., 150 Krackhardt, D. 20, 41 f., 46, 50, 52, 55, 57, 77, 79, 117, 126, 140, 167, 181, 209 L Lazarsfeld, P. 33 ff., 37, 117, 163, 173, 182, 209 Lévi-Strauss, C. 35, 37, 84, 209 Lewin, K. 28 ff., 37, 50, 209 Luhmann, N. 13, 18, 187 f., 191 f. M Macht 103, 135, 159, 171 f., 175, 201 Matrix 20, 28, 31, 43, 46, 48 f., 54, 77, 85, 90 ff., 108, 110, 191, 217 Mechanismus 17, 19, 21, 29, 34, 79, 95, 110, 114, 116, 131, 137, 159 ff., 167 ff., 173 ff., 189, 197, 199, 202, 217 Messung 20, 26, 41, 49, 52, 54 ff., 64, 67 f., 97, 140 Milgram, Stanley 99 f., 211 Mitchell, J.C. 36, 39, 142, 211 Moreno, J. 23, 26 ff., 38, 41, 211 N Namens-Generator 117 ff., 125, 133 ff., 150 f. Namens-Interpreter 117, 122, 124, 129 Netzwerk 15, 36 - ego-zentrierte Netzwerke 19 ff., 33, 35, 37, 67, 117 f., 125 f., 130, 132, 134 ff., 139, 147 ff., 155 f., 184, 187, 195, 200, 202, 216 f. - soziales Netzwerk 13, 15 f., 37, 179, 181, 187 Netzwerkforschung 14, 16 ff., 21, 23 ff., 29, 31, 37 f., 41, 95, 97, 105, 139, 142 f., 151, 155 f., 179, 190 f., 193 f., 197 f., 202, 216 f. Netzwerkgraph 27, 33, 43, 46, 56, 73, 217 Netzwerkkarte 21, 147 f., 150, 217 f. Netzwerkphysik 99 f., 102, 105, 107, 114 f. Netzwerksimulation 20, 99, 101 f., 105, 107 ff., 114 f., 183, 200, 202, 219 non-reaktive Verfahren 51, 53, 76 Nullblock 85, 90, 92, 94, 96 O Outdegree 59 ff. P Padgett, J. 14, 96 f., 140, 174, 189 f., 201, 212 Pfad 53, 61, 63 f., 76, 101 f., 105, 115, 218, 220 Power Law 103 f., 115, 169, 218 Preferential Attachment 108 ff., 113, 115, 167, 169 f., 175 ff., 210, 218 Q qualitatives Interview 21, 139 f., 142 ff., 146 f., 149 ff., 154, 156, 184, 195, 200 f., 218 <?page no="223"?> 224 www.claudia-wild.de: [UTB_S]__Fuhse__Soziale_Netzwerke__[Druck-PDF]/ 03.02.2016/ Seite 224 R Radcliffe-Brown, A.R. 30, 35 f., 38, 212 relationale Ethnographie 144 f., 156, 196, 218 relationale Soziologie 21, 180, 187, 190 ff., 195, 199, 202, 218 Reziprozität 20, 41, 48, 54 ff., 73, 78, 108 ff., 116, 159, 167 f., 170, 175 f., 218 Rolle 16, 64, 68, 73, 95 f., 143, 161, 165 ff., 175, 189, 199 S SIENA 183 Simmel, Georg 19, 23 ff., 37 f., 171, 187, 213 Sinn 19, 25, 36, 46, 132, 139, 141 ff., 146, 148, 150 ff., 154 ff., 188, 190, 192, 196, 199 f., 202, 217 f., 220 Small World 13, 20, 99, 101 f., 104 ff., 114 f., 219 Sozialanthropologie 15, 20, 23, 35 ff., 139 soziale Tatsache 141, 160, 198, 201 Sozialforschung, empirische 17, 95 Sozialkapital 13, 21, 180, 183 ff., 194, 199, 219 Soziometrie 23, 26 f., 35, 37, 41 Strukturalismus 18, 139, 155, 188, 191, 194 strukturelle Äquivalenz 81, 84 strukturelle Intuition 38, 197 strukturelle Löcher 20, 59, 65 ff., 136, 171, 185 f. Subgruppen 20, 74, 76 ff., 82 f., 85, 90 f., 96, 169 f., 176 symbolischer Interaktionismus 23, 25, 33, 37, 139, 196, 198 Symmetrisierung 52, 55, 64, 76 Systemtheorie 18, 21, 25, 159, 180, 187, 191 ff., 199 T teilnehmende Beobachtung 20, 50, 139 f., 143 ff., 156, 200, 218 f. Theorie sozialer Netzwerke 19, 21, 36 f., 84, 179, 191, 193, 197 f. Transitivität 29 f., 66, 69, 71, 73 f., 78, 108 ff., 113 f., 116, 125, 136 f., 142, 159, 166 ff., 173, 175 ff., 219 f. Triade 20, 24, 29 f., 69 ff., 78 f., 81, 97, 113 f., 125, 137, 167, 169, 175 f., 199, 202, 220 Two-Mode-Netzwerk 31 f., 217, 220 V Verhalten 16 Verstehen 19, 139, 141, 152, 156, 200 ff., 220 W Weber, M. 23, 141, 171, 200, 213 White, H. 19, 21, 38, 84 f., 95, 97 f., 154, 180, 187 ff., 194, 196, 209, 211, 214 Z Zentralität 18, 20, 52, 59 ff., 67 ff., 73, 97 f., 167, 171, 199, 220