Frühe Sprachentwicklung
0513
2019
978-3-8385-4783-1
978-3-8252-4783-6
UTB
Katharina J. Rohlfing
Dieser Band bietet Studierenden der Pädagogik, Entwicklungspsychologie und (Klinischen) Linguistik eine Einführung in den frühen Spracherwerb. Er stellt die aktuellen Debatten zur Sprachentwicklung vor und zeigt, wie Kinder Sprache in sozialer Interaktion erfahren und im Zusammenspiel motorischer, kognitiver und sprachlicher Fähigkeiten erwerben. Die 14 Kapitel ermöglichen eine direkte Übertragung der Einheiten auf eine Seminar- oder Vorlesungssitzung. Unter Berücksichtigung der individuellen Entwicklungsverläufe sowie des kindlichen Umfelds, gehen die Kapitel auf die Neurophysiologie des Spracherwerbs und die phonologische, morphosyntaktische, semantische und pragmatische Entwicklung ein. Ein Kapitel zur technischen Unterstützung stellt die Forschung in aktuellen Bezug zur digitalen Gesellschaft.
,! 7ID8C5-cehidg! ISBN 978-3-8252-4783-6 Katharina J. Rohlfing Frühe Sprachentwicklung Dieser Band bietet Studierenden der Pädagogik, Entwicklungspsychologie und (Klinischen) Linguistik eine Einführung in den frühen Spracherwerb. Er stellt die aktuellen Debatten zur Sprachentwicklung vor und zeigt, wie Kinder Sprache in sozialer Interaktion erfahren und im Zusammenspiel motorischer, kognitiver und sprachlicher Fähigkeiten erwerben. Die 14 Kapitel ermöglichen eine direkte Übertragung der Einheiten auf eine Seminar- oder Vorlesungssitzung. Unter Berücksichtigung der individuellen Entwicklungsverläufe sowie des kindlichen Umfelds gehen die Kapitel auf die Neurophysiologie des Spracherwerbs und die phonologische, morphosyntaktische, semantische und pragmatische Entwicklung ein. Ein Kapitel zur technischen Unterstützung stellt die Forschung in aktuellen Bezug zur digitalen Gesellschaft. Sprachwissenschaft Pädagogik | Psychologie Frühe Sprachentwicklung Rohlfing Dies ist ein utb-Band aus dem Narr Francke Attempto Verlag. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehrbücher und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen. utb-shop.de QR-Code für mehr Infos und Bewertungen zu diesem Titel 47836 Rohlfing_M-4783.indd 1 17.04.19 15: 11 Frühe Sprachentwicklung Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Wilhelm Fink · Paderborn Narr Francke Attempto Verlag · Tübingen Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Ernst Reinhardt Verlag · München Ferdinand Schöningh · Paderborn Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlag · München Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen Waxmann · Münster · New York wbv Publikation · Bielefeld utb 0000 UTB (M) Impressum_19.indd 1 20.02.19 12: 37 u t b 4 7 8 3 44783_Rohlfing_SL3a.indd 1 17.04.2019 14: 20: 31 Prof. Dr. Katharina J. Rohlfing ist Professorin für Psycholinguistik am Institut für Germanistik und Vergleichende Literaturwissenschaft der Universität Paderborn. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 2 17.04.2019 14: 20: 32 Katharina J. Rohlfing Frühe Sprachentwicklung Narr Francke Attempto Verlag Tübingen 44783_Rohlfing_SL3a.indd 3 17.04.2019 14: 20: 32 Umschlagabbildung: Katharina J. Rohlfing Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. © 2019 Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Druck: CPI books GmbH, Leck utb-Nr. 4783 ISBN 978-3-8252-4783-6 44783_Rohlfing_SL3a.indd 4 17.04.2019 14: 20: 32 5 Inhalt Inhalt Danksagung 9 Einleitung 11 1. Aktuelle Theorien der Sprachentwicklung 19 1.1. Nativistische Positionen 19 1.2. Epigenetische Positionen 22 1.3 Nature oder nurture? 29 1.4 Emergentist Coalition Model 30 2. Gehirn- und Sprachentwicklung 35 2.1. Methoden: PET, fMRI, EEG, NIRS 35 2.2 Der Aufbau des Gehirns in Bezug auf die Sprachfähigkeit 39 2.3 Multilinguale neuronale Sprachverarbeitung 42 2.4 Wachsendes Gehirn 45 2.5 Sprachverarbeitung bei Säuglingen 47 3. Sensibilität für Sprache und sogenannte soziale Signale 55 3.1 Methoden der Sprachwahrnehmung: High Amplitude Sucking, Habituation, Zuwendung 55 3.2 Sensibilität für die menschliche Stimme (und Gesichter) 58 3.3 Sensibilität für Kontingenzen in der sozialen Interaktion 59 3.4 Sensibilität für lautsprachliche Strukturen 63 3.5 Bedeutungsvolle Töne 65 3.6 Multilingual aufwachsende Säuglinge und ihre Sprachwahrnehmung 67 3.7 Veränderung der Sprachwahrnehmung (phonological specificity) 68 3.8 Sensible Phase vs. kritische Periode 69 4. Motorische Entwicklung und Interaktion 75 4.1 Methoden: Querschnittstudie versus Längsschnittstudie 75 4.2 Manuelle Aktivität und Aufmerksamkeit 79 4.3 Spiegelneuronen und Sprachverarbeitung 80 4.4 Die Rolle der Imitation für das Sprachlernen 82 Inhalt 44783_Rohlfing_SL3a.indd 5 17.04.2019 14: 20: 33 6 Inhalt 4.5 Temporale körperliche Koordination 87 4.6 Körperkontakt als eine interpersonale Synchronisation 90 4.7 Motorische Einschränkungen: Störungen und Entwicklungen 92 4.8 Selbstbewegung und Interaktion 93 5. Gemeinsame Aufmerksamkeitsbezüge 97 5.1 Methoden: Was ist Operationalisierung? 97 5.2 Das Referenz-Problem 99 5.3 Lösungen zum Referenzproblem 101 5.4 Aufmerksamkeitsorganisation in Dyade und Triade 108 5.5 Gemeinsame Aufmerksamkeitsbezüge (Joint Attention) und Sprache 110 5.6 Individuelle Unterschiede in der Entwicklung der GA 113 6. Entwicklung der Phonologie: Erste Laute 117 6.1 Methoden: Bewegungsloses-Gesicht-Paradigma 117 6.2 Erste Vokalisierungen 120 6.3 Mechanismen der Vokalisierung 124 6.4 Individuelle Unterschiede in den Vokalisierungen 134 6.5 Phonologische Entwicklung und Einfluss der semantischen Information 135 7. Entwicklung des Vokabulars: Erste Wörter 141 7.1 Methoden der Wortschatzerfassung: Elternfragebögen 141 7.2 Experimentelle Methoden der Wortschatzerfassung: Verständnistests 144 7.3 Kontexte der ersten Wörter: Routinen 145 7.4 Verständnis erster Wörter 146 7.5 Produktion erster Wörter und ihr Symbolgehalt 147 7.6 Inhalte der ersten Wörter 150 7.7 Wortlernmechanismen: Fast und Slow Mapping 151 7.8 Robustes lexikalisches Wissen: Lexikalische Netze 154 7.9 Wortschatztiefe und Wortschatzbreite 156 7.10 Wortschatzspurt 157 7.11 Einschränkende Prinzipien 158 8. Gestik und Syntax: Erste multimodale Sätze 165 8.1 Definition von Gesten und Gestentypen 165 44783_Rohlfing_SL3a.indd 6 17.04.2019 14: 20: 33 7 Inhalt 8.2 Methodische Herausforderung: Multimodalen Ausdruck erfassen 168 8.3 Entwicklung von Zeigegesten 173 8.4 Entwicklung von ikonischen Gesten 178 8.5 Gestik in der Vorläuferrolle 183 8.6 Sprachentwicklungsverzögerung und Gestengebrauch 185 9. Entwicklung der Morphosyntax 189 9.1 Morphosyntaktische Einheiten 189 9.2 Methode für Sprachproduktion: Tagebuchaufzeichnungen 191 9.3 Einstieg in die Produktivität: Syntaktisches Priming 193 9.4 Vorstellung von abstraktem Wissen: Produktivität 195 9.5 Wortbildung 197 9.6 Flexion 197 9.7 Mehrwortäußerungen 199 9.8 Konstruktionen im Erwerb von Grammatik 204 10. Entwicklung der Semantik 211 10.1 Methode der Augenbewegungsmessung: Preferential Looking-Paradigma 211 10.2 Die Struktur von Bedeutung 215 10.3 Semantische Theorien über den Inhalt von Konzepten: Semantische Merkmalshypothese und Prototypentheorie 218 10.4 Sprache und Kognition 225 10.5 Wortproduktion versus Wortverstehen 230 11. Entwicklung der Pragmatik 235 11.1 Abgrenzung der Pragmatik von der Semantik 235 11.2 Methode: Action-based-Paradigma schafft eine interaktive Situation 237 11.3 Der Begriff der Intentionalität 238 11.4 Pragmatik des Verstehens (des Zuhörens) und des Nicht-Verstehens 241 11.5 Pragmatische Erwerbsprinzipien 246 11.6 Pragmatische Inferenzen und ihre Vorläufernatur 248 11.7 Entwicklung weiterer pragmatischer Fähigkeiten 250 11.8 Individuelle Unterschiede in pragmatischen Fähigkeiten 256 44783_Rohlfing_SL3a.indd 7 17.04.2019 14: 20: 33 8 Inhalt 12. Individuelle Unterschiede 259 12.1 Aspekte der Variabilität 259 12.2 Methoden der Variabilität: Korrelationen 260 12.3 Individuelle Unterschiede: Fünf ausgewählte Faktoren 266 12.4 Stufen oder Meilensteine der Sprachentwicklung 276 13. Multimodaler Input 281 13.1 Methoden in der dyadischen Interaktion: Eltern-Kind-Beobachtungen 281 13.2 Validität, Objektivität und Reliabilität der Daten 283 13.3 An das Kind gerichtete Sprache: Parentese 286 13.4 An das Kind gerichtete Gestik: Gesturese 289 13.5 An das Kind gerichtete Bewegung: Motionese 291 13.6 Lehr- und Lernstrategien 293 13.7 Sozioökonomischer Status der Familie 296 13.8 Interaktives Eingehen: Ko-Konstruktion 298 14. Medien und Spracherwerb 305 14.1 Sprachlernen aus Medien: Methodische und kognitive Herausforderungen 305 14.2 Methode zur Untersuchung des Wissentransfers: Kontextvergleichende Slow Mapping-Studie 307 14.3 Transfer aus neuen Medien 309 14.4 Kinderliteratur 310 14.5 Fernsehen und Kindersendungen 315 14.6 Computer, Tablets, E-Books und Apps 319 14.7 Soziale Roboter als interaktive Partner 322 Bibliographie 327 Methodisches Register 359 Sachregister 360 44783_Rohlfing_SL3a.indd 8 17.04.2019 14: 20: 33 9 Danksagung Danksagung Ich möchte mich herzlich bei all den Menschen bedanken, die mich wissenschaftlich und privat begleiten und begleitet haben. Es war nicht einfach, die Zeit für das Buch zu finden: Heiß erkämpfte längere Arbeitsphasen fielen manchmal dem Alltag zum Opfer. Besonders hilfreich waren für mich die vielen Diskussionen mit den Mitgliedern meiner Arbeitsgruppe Emergentist Semantics am CITEC, Universität Bielefeld und der Arbeitsgruppe Psycholinguistik an der Universität Paderborn. Als glückliche Empfängerin einiger Forschungsprojekte profitierte ich immens von der Zusammenarbeit und vom Austausch über die Fachgrenzen hinaus mit Kolleginnen und Kollegen: Prof. Dr. Britta Wrede, Dr. Anna-Lisa Vollmer und Dr. Pierre-Yves Oudeyer, mit denen ich (u. a.) den theoretischen Ansatz zu einem pragmatischen Rahmen entfalten konnte, der aus vorangehenden Modellierungen zur Wirkung von Interaktion mit Prof. Dr. Kerstin Fischer, Prof. Dr. Gerhard Sagerer, Dr. Katrin Lohan, Dr. Lars Schillingmann und Dr. Jannik Fritsch folgte; Prof. Dr. Joanna Raczaszek-Leonardi und Dr. Iris Nomikou, mit denen ich die enge Verknüpfung von Sprache und Handlung ausarbeitete; Prof. Dr. Ute Ritterfeld und Prof. Dr. Ulf Liszkowski sowie Dr. Angela Grimminger und Dr. Carina Lüke, mit denen ich spannende Studien zur Multimodalität des Spracherwerbs durchführen durfte und nicht zuletzt Prof. Dr. Friederike Kern und Prof. Dr. Vivien Heller, mit denen ich dank ihrer mikro-analytischen Fähigkeiten einige Phänomene der sequenziellen Organisation erkennen konnte. Mehr als hilfreich war für mich auch die offene Rückmeldung zu einer Vorversion mancher Kapitel, für die (und die dafür aufgewendete Zeit) ich mich herzlich bei folgenden Kolleginnen und Kollegen bedanken möchte: Frau Prof. Dr. Kerstin Fischer zum Kapitel über den multimodalen Input, Frau Dr. Angela Grimmiger zum Kapitel über gemeinsame Aufmerksamkeitsbezüge, Frau Prof. Dr. Christina Kauschke zum Kapitel über individuelle Unterschiede, Frau PD Dr. Katrin Lindner zum Kapitel über Entwicklung der Phonologie und Syntax, Frau Dr. Carina Lüke zum Kapitel über Gesten und Syntaxerwerb und Herrn Prof. Dr. Dr. Horst M. Müller zum Kapitel über Gehirn und Sprachentwicklung. Frank Hebel und Joerg Liebisch danke ich für die Bildgestaltung. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 9 17.04.2019 14: 20: 33 10 Danksagung Bei der Fertigstellung des Manuskripts habe ich dankenswerterweise Unterstützung meiner Kollegin, Frau Prof. Dr. Ingrid Scharlau, erhalten und mich über die Kommentare und die Verbesserung der Lesbarkeit des Textes gefreut. Meiner Familie und meinen Freunden bin ich dankbar dafür, dass es sie gibt; ohne diese Menschen als meine Orientierungsgeber wäre das Buch nicht zustande gekommen. für Samuel, Hannah, Jesse, Marc, Asia, Maciek und Gabi 44783_Rohlfing_SL3a.indd 10 17.04.2019 14: 20: 33 11 Einleitung Die Motivation für das Buch lag auf der Hand: Die bisherigen Ansätze teilen Spracherwerb in die sogenannte präverbale und die verbale Phase ein. Kinder, die noch nicht sprechen, erwerben präverbale Fähigkeiten, die ihnen beim Aufbau ihrer verbalen Fähigkeiten helfen. Präverbale Fähigkeiten werden also als Vorläufer der Kommunikation betrachtet. Doch diese Ansätze stehen vor der Herausforderung, den qualitativen Unterschied zwischen der Vorläuferphase und den ersten lautsprachlichen kommunikativen Bemühungen erklären zu müssen. Mein Hauptargument in diesem Buch ist, dass Spracherwerb nicht erst mit dem ersten Wort beginnt. Die sogenannten präverbalen Fähigkeiten helfen den Kindern nicht nur beim ‚Eintritt in die Sprache‘, sie bleiben als Fundament bestehen und sorgen für ein Verständnis des kommunikativen Miteinanders. Unter diesen Fähigkeiten verstehe ich Grundlagen des Miteinanders, wie sie sich durch intrapersonale Synchronisation (rhythmisches Anpassen und Einfüllen), Turn-Taking und Multimodalität etablieren. Der Erwerb der Lautsprache erweitert das Miteinander sicherlich um weitere Möglichkeiten, aber bereits die frühe Kommunikation ist gekennzeichnet durch die Verarbeitung von Sprache als soziales Signal und weist Merkmale einer gelungenen Interaktion auf. Man kann sich einer Fußball-Metapher bedienen, um die Bedeutung des ersten Wortes zu veranschaulichen: Das erste Tor (das erste Wort) ist zwar herausragend, aber es geht im Fußball um das gesamte Spiel. Übertragen auf den Spracherwerb bedeutet die Teamarbeit, dass Kinder von Anfang an Unterstützung von Erwachsenen bekommen und mit ihnen grundlegende Mechanismen der Kommunikation einüben, lange bevor sie sich lautsprachlich äußern. Die Unterstützung eines Erwachsenen kann minimal ausfallen, durch einen wohlwollenden Blick oder durch eine Reihe von Fragen, anhand derer dem Kind klar wird, was von ihm verlangt wird. Wichtig ist, dass diese Unterstützung kontinuierlich angeboten wird, und Kinder diese in Anspruch nehmen. Die Unterstützung ist nicht deshalb notwendig, weil die Kognition unausgereift ist. Sie ist notwendig, weil Kinder Situationen anders begreifen: als kooperatives Miteinander von Personen, das im Hier und Jetzt situiert ist und auf gemeinsamen Erfahrungen aufbaut. Kinder lernen Sprache, weil sich ihnen mit verbalen Kompetenzen neue Handlungsformen eröffnen, in denen die Rollen der jeweiligen Handelnden effizienter aufeinander abgestimmt sind. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 11 17.04.2019 14: 20: 33 12 Einleitung Für den frühen Spracherwerb, der hier als Periode im Alter von 0 bis 3 Jahren betrachtet wird, müssen wir daher nicht zwischen einer Leistung, die vollständig von einem Kind ‚abgespult‘ wird, und einer Leistung, zu der ein Kind mithilfe kleiner Orientierungshilfen oder situativer Ressourcen in der Lage ist, unterscheiden. In diesem Buch möchte ich aufzeigen, wie Kinder diese vielen Orientierungshilfen beim Spracherwerb nutzen und wie Bezugspersonen diese intuitiv anbieten. Die Leistung eines Kindes-- so selbstständig wie sie nach außen wirken mag-- wird von situativen Bedingungen getragen und muss daher in diesem Rahmen verstanden werden. Höchstwahrscheinlich sind die Konzepte, die ein Kind für den frühen Spracherwerb entwickelt, anders als Konzepte für den weiteren Spracherwerb: Sie sind reichhaltiger, weil sie mit Handlung, ihrem Kontext und dem Gesprächspartner stärker verbunden sind als Konzepte älterer Kinder, die auf den Erfahrungsschatz aus und Erinnerungen an eine Vielfalt von Situationen zurückgreifen können (Nomikou u. a., 2016). Die Vorstellung, ein Kind im Alter von 3 Jahren könnte eine Sprachleistung ganz allein erbringen, ist zwar nachvollziehbar ‒ schließlich hat das Kind bereits 3 Jahre lang Sprache gelernt und verwendet womöglich bereits komplexe syntaktische Strukturen in seinen Äußerungen ‒ jedoch unrealistisch. Alle Situationen, in denen ein Kind im Alter von 3 Jahren spricht, erfordern eine soziale und situative Unterstützung. Solch eine soziale Unterstützung wird beispielsweise bei Tanz- oder Musikaufführungen ganz deutlich: Ein Kind im Alter von 3 Jahren kann kaum der Erwartung entsprechen als Solistin oder Solist allein aufzutreten- - mit Ausnahme von besonders begabten Kindern, die das Erbringen eigener Leistungen vor Zuschauern und Zuhörern eingeübt haben. Die meisten Kleinkinder jedoch können solch eine Situation nicht ohne Unterstützung bewältigen. Bei Tanzvorstellungen tanzen die Erwachsenen meist mit, und die Kleinen schauen immer wieder auf ihre Schritte: Auf diese Weise orientieren sie sich an den vorgegebenen Bewegungen und können die Reihenfolge der Bewegungen einhalten. Beim Vorspielen eines Musikstücks ist es ebenfalls ein Erwachsener, der auf der Bühne präsent ist, und das Kind melodisch begleitet: Das Kind kann sich auf diese Weise dem Rhythmus fügen. Zudem sorgt die Präsenz des Erwachsenen dafür, dass das Kind die Situation als vertraut empfindet, sich somit in diese schnell hineinfühlen und die eigene Rolle wahrnehmen kann. Diese Beobachtungen prägen auch den theoretischen Hintergrund des Buches, das eine psycholinguistische Orientierung hat: Es geht um reifende Verarbeitungsmechanismen, die zum Teil angeboren sind (wie die Sensibilität für 44783_Rohlfing_SL3a.indd 12 17.04.2019 14: 20: 33 13 Einleitung Sprache oder Bewegung), zum Teil aber auch aus einer starken Strukturierung der Interaktion hervorgehen (wie die Etablierung des Blickkontakts oder die gemeinsamen Aufmerksamkeitsbezüge). In beiden Fällen erfahren die Verarbeitungsmechanismen in sozialer Interaktion eine Stimulation, die wiederkehrende Muster hervorbringt. Diese sind der eigentlichen Sprachproduktion des Kindes dienlich und bilden einen pragmatischen Rahmen (Rohlfing u. a., 2016). Der theoretische Hintergrund des Buches setzt auf gebrauchsbasierte (usage-based) und epigenetische Ansätze, die Vorstellung des ‚Inputs‘ geht jedoch weit über das Darbieten lautsprachlicher Strukturen hinaus und bezieht sich auch auf Handlungsstrukturen, die nonverbal aufgebaut werden. Das Neue an diesem Buch ist also der Versuch, die Entwicklung symbolischer Sprachfähigkeiten durch sich etablierende Strukturen des Miteinanders und durch eine enge Verbindung dieser Strukturen mit körperlicher Erfahrung zu erklären. Da in dem Buch die multimodale Ausdrucksweise der Kinder berücksichtigt ist und die Rolle des Erwachsenen an vielen Stellen betont wird, eignet es sich besonders für Leserinnen und Leser, die sich in ihrem (Berufs-)Alltag mit Säuglingen und jungen Kindern beschäftigen oder beschäftigen werden (z. B. Studierende der Pädagogik der Kindheit). Im Buch wird die frühe Sprachentwicklung mit vielfältigen Domänen (motorisch, kognitiv, linguistisch, interaktiv, sozial, kulturell) verbunden. Daraus ergeben sich Ideen, wie alltägliche Aktivitäten genutzt werden können, um Sprachförderung zu integrieren. In Ansätzen wird in dem Buch aufgezeigt, wie sich aus der Interaktion der verschiedenen Domänen heterogene Entwicklungsverläufe ergeben können. Der Fokus auf die frühe Sprachentwicklung brachte einige terminologische Herausforderungen mit sich: Wie kann man sprachliche Einheiten definieren, wenn innerhalb des Buches Sprache multimodal dargestellt wird? In Kapitel-9 wird daher von ‚abstraktem linguistischen Wissen‘ die Rede sein, weil sich ‚sprachliches Wissen‘ wiederum ebenfalls auf nonverbales Kommunizieren beziehen kann. Eine weitere Herausforderung bot sich bei dem Begriff der Aufmerksamkeit, der häufig bemüht wird, um Voraussetzungen für Lernprozesse zu beschreiben. Der Begriff der sogenannten präverbalen Kommunikation wird in dem Buch nicht lediglich auf die Verarbeitung von sozialen Signalen beschränkt. Vielmehr steht ein zielorientiertes Miteinander von Interaktionspartnern im Zentrum, weshalb die Aufmerksamkeit des Kindes in gemeinsame Handlungen eingebettet ist. Um solche begriffliche Besonderheiten zu kennzeichnen und darüber hinaus Schlüsselbegriffe zu erläutern, werden die Inhalte des Buches insgesamt durch kleine Infoboxen begleitet. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 13 17.04.2019 14: 20: 33 14 Einleitung Die Kapitel des Buches bauen aufeinander auf. Da sich aber gerade der frühe Spracherwerb dadurch auszeichnet, dass sich viele Fähigkeiten im Zusammenspiel entwickeln, war es keine leichte Aufgabe, die Kapitel voneinander abzugrenzen und eine Progression im Erwerb aufzuzeigen. Die Zugehörigkeit der unterschiedlichen Aspekte zu den jeweiligen Kapiteln ist daher sicherlich an manchen Stellen umstritten. Während sich die Kapitel-1 bis 5 mit der Entwicklung in verschiedenen für die Sprache relevanten Domänen beschäftigen, gehen die Kapitel- 6 bis 11 auf typische linguistische Bereiche ein und zeigen deren Entwicklung im frühen Alter. Die Kapitel-12 bis 14 haben das Ziel, Quellen von individuellen Unterschieden im Erwerb aufzuzeigen. Jedes Kapitel führt mithilfe grau hinterlegter Abschnitte in ausgewählte methodische Aspekte ein-- auf diese Weise entsteht mit zunehmendem Lesen eine Vorstellung über die empirischen Methoden auf dem Gebiet des Spracherwerbs. In manchen Kapiteln finden sich ausführliche Beschreibungen von Studien. Für diese habe ich mich bewusst entschieden, einerseits um immer wieder zu verdeutlichen, wie Forschung zum frühen Spracherwerb durchgeführt wird, andererseits aber auch, um Raum für ein kritisches Betrachten der Ergebnisse vor einem methodischen Hintergrund zu schaffen. Da in diesem Bereich immer wieder neue Methoden und Technologien der Datengewinnung eingesetzt werden, ist es wichtig, ein hohes Bewusstsein dafür aufzubauen, wie die Daten gewonnen werden, welche ‚Färbung‘ sie dadurch schon im Vorfeld einer Analyse erhalten und welche Operationalisierungen zentralen Aussagen zugrunde liegen. Bei empirischen Untersuchungen ist die theoretische Perspektive für die Datengewinnung ausschlaggebend. Steht die Untersuchung im Lichte der nativistischen Theorien, so wird dem Einfluss der situationalen Faktoren kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Beobachtungsmethoden hängen daher stark damit zusammen, vor welchem theoretischen Hintergrund sie eingesetzt werden. Die für den Spracherwerb grundlegenden Theorien werden in Kapitel-1 eingeführt und in weiteren Kapiteln aufgegriffen. In Kapitel- 2 finden sich neurophysiologische Befunde zur Sprachverarbeitung von jungen Kindern, die Einblicke sowohl in den Aufbau des Gehirns im Hinblick auf die wachsende Sprachfähigkeit als auch in die biologischen Verarbeitungsprozesse liefern. Somit informiert Kapitel- 2 über die biologischen Voraussetzungen eines Individuums, Sprache zu erwerben. Die Einführung in neurowissenschaftliche Methoden hat das Ziel, die Grenzen der neurowissenschaftlichen Ansätze zu verdeutlichen. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 14 17.04.2019 14: 20: 33 Mit angeborenen Neigungen, Lautsprache als Signal wahrzunehmen und Kontingenzen in der Interaktion zu entdecken, beschäftigt sich Kapitel-3. Die Ausführungen verdeutlichen zudem, wie Bezugspersonen die kindliche Sensibilität für soziale Interaktion aufgreifen und diese auszubauen helfen. Dabei erfährt der Spracherwerb eine kulturelle Färbung, unter deren Input Kinder auf die lautsprachlichen Strukturen der Zielsprache und die eigene soziale Gruppe sensibilisiert werden. Traditionell wird Sprachentwicklung im Rahmen der kognitiven und symbolischen Fähigkeiten betrachtet, während die motorischen Fähigkeiten in Abhängigkeit von der physikalischen Erfahrung in der Welt dargestellt werden. Neuere Ansätze zum ganzheitlichen Lernen berücksichtigen jedoch Interdependenzen zwischen den beiden Entwicklungsbereichen, die in Kapitel-4 zum Thema werden. In diesem Kapitel finden sich empirische Belege für die dem Buch zugrundeliegende Argumentation, nämlich, dass Sprachentwicklung auf etablierten Handlungsstrukturen aufbaut. Kapitel- 5 beschäftigt sich wiederum mit recht anerkannten Vorläuferfähigkeiten, den gemeinsamen Aufmerksamkeitsbezügen, die in der Literatur als Meilenstein der Sprachentwicklung gelten. Die Inhalte des Kapitels gehen darauf ein, welchen Beitrag diese Vorläuferfähigkeiten zum Wortschatzerwerb liefern. Zudem wird der Aspekt der Koordination als eine wichtige Voraussetzung deutlich, nicht nur um einen gemeinsamen Referenten zu identifizieren, sondern auch um sich hinsichtlich eines gemeinsamen Ziels abzustimmen. Im Hinblick auf den gemeinsamen Beitrag zur Interaktion spielen individuelle Unterschiede eine große Rolle und werden zum Schluss des Kapitels betrachtet. Kapitel-6 knüpft an die in Kapitel- 3 dargestellte Sensibilität von Säuglingen an. Zusammen geben die Kapitel ein Bild, wie sich Säuglinge einerseits der menschlichen Lautsprache als soziales Signal zuwenden und wie diese Zuwendung andererseits von Bezugspersonen aufgegriffen wird und dem Ausbau der phonetisch-phonologischen Kompetenzen dienlich ist. Zusätzlich zu der Unterstützung von außen wird aber auch von Mechanismen des Erwerbs berichtet, die mit der Entwicklung und zunehmenden Erfahrung mit phonetisch-phonologischen Mustern und anderen Ebenen der lautsprachlichen Kommunikation auf die ersten Wörter wirken. Da Verzögerungen im Erreichen bestimmter Meilensteine (wie dem kanonischen Lallen) im Zusammenhang mit späteren Auffälligkeiten in der Sprachentwicklung stehen, richtet sich ein Fokus des Kapitels auf individuelle Entwicklungsverläufe. 15 Einleitung 44783_Rohlfing_SL3a.indd 15 17.04.2019 14: 20: 33 16 Einleitung Die ersten Wörter und ihre Produktion sind Thema des Kapitels 7. Betrachtet werden nicht nur die Inhalte, die durch die ersten Wörter vermittelt werden, sondern die dazugehörigen Lernsettings und (langfristigen) Lernprozesse, die Einblicke in die kindliche Verarbeitung von Situationen und Erfahrungen liefern. Der Fokus auf Verarbeitung bringt Überlegungen zu der Organisation des lexikalischen Wissens mit sich, die mit aktuellen Ansätzen zu beispielsweise lexikalischen Netzwerken präsentiert werden. Die Inhalte des Kapitels ebnen den Weg zum Verständnis von Kapitel- 10, das sich mit der Entwicklung von Semantik beschäftigt. Die Erkenntnis, dass ersten Wörtern häufig gestisches Verhalten vorangeht, hat zu vielen Studien geführt, die sich mit der prädiktiven Wirkung von Gesten auf den späteren Spracherwerb sowie mit der grundsätzlichen Kopplung der Lautsprache an gestisches Verhalten beschäftigt haben. Ein multimodaler Ausdruck, der sowohl in der Lautsprache als auch in der Gestik kommuniziert wird, eröffnet Kindern nicht nur Wege der Verständigung, sondern auch Kombinationsmöglichkeiten, die syntaktischer Natur sind. Davon berichtet Kapitel- 8. Dieses Kapitel führt zudem in die grundlegende Terminologie der Gestikforschung ein und schildert die Befunde zur Entwicklung von Zeigegesten sowie ikonischen Gesten. Symbolische Einheiten miteinander zu kombinieren, ist eine wesentliche Eigenschaft der menschlichen Sprache. Kapitel-9 beschäftigt sich mit der Tatsache, dass diese Kombinatorik nicht nur multimodal, sondern auch durch Zwei- oder Mehr-Wort-Äußerungen in der Lautsprache offenkundig wird. In diesem Kapitel werden nicht nur Grundlagen der Morphosyntax vermittelt, sondern auch unterschiedliche Ansätze zum Grammatikerwerb präsentiert. Dabei kommt der Verbindung zwischen Syntax und Semantik eine wichtige Rolle zu. Des Weiteren wird auf die für die Syntax relevanten kognitiven Prozesse eingegangen, die für den gebrauchsbasierten Ansatz zum Grammatikerwerb zentral sind. Kapitel- 10 widmet sich der Entwicklung von Semantik. Durch die Veranschaulichung der Untersuchungsmethoden, mit denen sich semantisches Wissen bei Kindern erkunden lässt, wird die vielfältige Funktion der Semantik deutlich. Die Vielfalt bildet sich im Spannungsverhältnis zwischen Kognition einerseits und Zielsprache andererseits ab; dies kommt systematisch in Unterkapiteln zur Sprache. Neben der klassischen Vorstellung zur Entstehung von symbolischem Wissen (Merkmalshypothese und Prototypentheorie), die sich durch eine Unabhängigkeit von modalitätsspezifischer Wahrnehmung aus- 44783_Rohlfing_SL3a.indd 16 17.04.2019 14: 20: 33 zeichnet, werden in diesem Kapitel Ansätze zur frühen Semantik vorgestellt, die eine Abhängigkeit sowohl von physikalischer Erfahrung als auch dem Interaktionspartner beinhalten. Die Entwicklung der Pragmatik in Kapitel- 11 rundet die Betrachtung der linguistischen Ebenen ab. Auch in diesem Kapitel finden sich für die Pragmatik zentrale Begrifflichkeiten, die in die Forschungsperspektive einführen. Mehr als in anderen Kapiteln wird hier der Zusammenhang von Sprache und Handlung thematisiert und aus interaktionistischer Sicht betrachtet. In dieser Sicht vermengen sich die pragmatischen (und kulturellen) Regeln des Miteinanders mit den kognitiven Anforderungen, die eine Interaktion an das Kind stellt. Individuelle Unterschiede stehen in Kapitel- 12 im Vordergrund, da Abweichungen und eine besonders große Spannbreite der sprachlichen Fähigkeiten typisch für den frühen Spracherwerb sind. Entlang fünf ausgewählter Faktoren werden Dimensionen der heterogenen Entwicklungsunterschiede aufgezeigt. Die Betrachtung liefert Einblicke in die Zusammenhänge von verschiedenen sprachrelevanten Fähigkeiten. Da sich das Buch an Interessierte wendet, die mit Säuglingen und jungen Kindern im Alltag zu tun haben, wird die Rolle der Leserinnen und Leser selbst, d. h. die Bedeutung der Bezugsperson, ihrer multimodalen Ausdrucksweise und Anpassung an die kindliche Entwicklung in Kapitel-13 thematisiert. In diesem Kapitel finden sich Definitionen von Anpassungsstrategien in verschiedenen Modalitäten, die für eine asymmetrische Interaktion-- zwischen einem kompetenten Partner und einem weniger kompetenten Lerner-- charakteristisch sind. Das Kapitel umfasst empirische Belege, die die Wirkung dieser Anpassung auf die kindlichen Sprachfähigkeiten überprüfen. Heutzutage stehen Kinder nicht nur unter dem Einfluss ihrer Eltern und des sozialen Umfelds, sondern auch unter dem Einfluss der Medien. Kapitel-14 beschäftigt sich daher mit der Frage, inwiefern eine Beschäftigung mit Medien im frühen Alter und im Hinblick auf den Spracherwerb sinnvoll ist. Dazu werden empirische Befunde zu verschiedenen Medienbereichen (nicht nur Bücher, Fernsehen, Computer und Lern-Apps, sondern auch die Interaktion mit sozialen Robotern) herangezogen und kritisch diskutiert. Die methodischen Aspekte greifen wiederum die Frage auf, ob junge Kinder Lerninhalte aus dem Kontext der Medien auf ihre reale Welt übertragen können. Jedes Kapitel schließt mit einigen Leseempfehlungen, die der Vertiefung der Inhalte dienen. 17 Einleitung 44783_Rohlfing_SL3a.indd 17 17.04.2019 14: 20: 33 44783_Rohlfing_SL3a.indd 18 17.04.2019 14: 20: 33 19 1.1. Nativistische Positionen 1. Aktuelle Theorien der Sprachentwicklung In der empirischen Forschung könnte man den Eindruck bekommen, dass Daten wichtiger sind als Theorien: denn Theorien kommen und gehen - was bleibt, sind doch die Daten. Dies ist jedoch eine Illusion. Unsere Beobachtungsmethoden hängen stark damit zusammen, vor welchem Hintergrund wir ein Phänomen betrachten: Wenn eine Forschergruppe davon überzeugt ist, dass Sprache angeboren ist, dann wird sie Lautsprache unabhängig von anderen Einflussfaktoren betrachten. Für Forscher, die konstruktivistisch denken, existiert Lautsprache allein nur bedingt. Die verschiedenen Positionen in den klassischen und gegenwärtigen Debatten sind hilfreich, um aktuelle Forschungsfragen besser einordnen zu können: Ist Sprache angeboren, oder erlernen Kinder das Sprechen von anderen Mitmenschen? Im Folgenden werden die typischen Debatten und die gegensätzlichen Positionen kurz dargelegt. Ihre vertiefende Darstellung findet sich zum Beispiel bereits bei Klann-Delius (2008) oder Szagun (2016). Zudem werden die Verknüpfungen der Theorien betrachtet, zum Teil in dem Kapitel selbst, zum Teil durch Verweise auf weitere Kapitel, wodurch die Bedeutung der theoretischen Position für das Betrachten eines sprachlichen Phänomens verdeutlicht wird. 1.1. Nativistische Positionen Eine wichtige Annahme der nativistischen Position (siehe Box- 1) ist, dass Sprachentwicklung unabhängig von anderen kognitiven Fähigkeiten stattfindet. Lernen und Umwelteinflüsse spielen bei der Entwicklung eine geringe Rolle. Stattdessen entwickelt sich Sprache wie ein körperliches Organ, nach einem angeborenen ‚Bauplan‘. Dieser Annahme liegt die Vorstellung der Modularität zugrunde: Ein Modul ist lediglich mit einer Art von Information beschäftigt und umfasst eine spezifische Domäne des Wissens. Für die Sprachentwicklung gibt es Module für phonologisches, lexikalisches, Nativismus (Box-1): Als Nativismus wird eine philosophisch-psychologische Position bezeichnet, die die Entwicklung der Sprachfähigkeit von einer Art angeborenem ‚Bauplan‘ zur Sprachkompetenz ableitet (vgl. Bußmann, 1990). 44783_Rohlfing_SL3a.indd 19 17.04.2019 14: 20: 33 20 1. Aktuelle Theorien der Sprachentwicklung grammatisches oder semantisches Wissen. Kinder leiten neues Wissen von den angeborenen Strukturen ab. Spracherwerb ist in diesem Sinne ein Prozess des Entfaltens des im Bauplan bereits angelegten Wissens. Als verschiedene Ausprägungen des Nativismus können der struktur- und der prozessorientierte Ansatz unterschieden werden. Strukturorientierter Ansatz Hauptvertreter dieses Ansatzes ist Chomsky (1986). In seinem Zentrum steht ein kognitiver Plan, der den Kindern für den Spracherwerb zur Verfügung steht. Nach diesem Plan ist es für einen Menschen möglich, aus einer endlichen Wortliste eine unendliche Menge von Sätzen zu erzeugen. Dieser angeborene Spracherwerbsmechanismus (Language Acquisition Device, abgekürzt LAD) steht in der philosophischen Tradition des Rationalismus (Descartes und Kant), nach dem Wissen von mentalen Strukturen abgeleitet wird. Auf die Kritik hin, dass es unwahrscheinlich sei, dass Kinder mit kompletten Grammatiken aller Sprachen geboren werden, erweitert Chomsky (1986: 126) die Vorstellung eines kognitiven Plans zu einer Universalgrammatik. Diese postuliert nun nicht mehr, dass spezielle Grammatiken angeboren sind, sondern lediglich die „universal architecture for language [universale Architektur für die Sprache]“ (Lust, 2006: 57). Die Universalgrammatik befähigt Kinder dazu, die syntaktischen Muster ihrer Muttersprache aus der gesprochenen Sprache herauszuhören. Ein Einfluss der Umwelt wird in diesem Ansatz zwar nicht gänzlich negiert, aber minimiert. So verläuft in der Vorstellung Chomskys der Erwerb von Syntax mit nur minimalem Weltwissen und minimaler Zweier-Kommunikation (Bruner, 2002: 26). In weiteren Kapiteln des vorliegenden Buches finden sich Ausführungen, die zeigen, dass die Möglichkeiten, sich eine Architektur für Sprache zu erarbeiten, vielfältig sind und diese sich aus vielfältigen Strukturen herausbilden können: Zum einen sind dies Sensibilitäten im Sinne von Neigungen der Kinder, beispielsweise Muttersprache als soziales Signal vorrangig wahrzunehmen, und Kapitel- 3 geht auf die empirischen Belege dafür ein. Zum anderen verändert sich die Art der Neigungen, sodass nicht nur lautsprachliche Muster erkannt werden, sondern Kinder mit der Zeit für ihr Lernen kognitive ‚shortcuts‘ entwickeln (darauf geht Kapitel-7 ein). Zudem gibt das sprachliche System eine gewisse Architektur vor. So fand Goldfield bereits 1993 heraus, dass Nomen häufig isoliert und am Ende einer Äußerung auftreten, was Kindern ein schnelles Aufnehmen der Sprache erleichtert (dieser Aspekt wird in Kapitel-6 aufgegriffen). 44783_Rohlfing_SL3a.indd 20 17.04.2019 14: 20: 33 21 1.1. Nativistische Positionen Prozessorientierter Ansatz Während der strukturorientierte Ansatz das Entstehen bestimmter linguistischer Strukturen ins Zentrum der Untersuchung stellt, hat die prozessorientierte Ausrichtung der nativistischen Position stärker die Entwicklung des Kindes im Blick. Die zentrale Frage ist dabei, welche Mittel Kindern helfen können, im linguistischen Input grammatische Strukturen zu entdecken und diese auf Ausschnitte von Ereignissen zu übertragen. Das zugrundeliegende Hauptargument ist, dass ohne ein gewisses angeborenes Sprachwissen Kinder nicht in der Lage wären, Bedeutung abzuleiten und auf Entitäten (Dinge oder Ereignisse) in der Welt zu beziehen. Als Hauptvertreter dieses Ansatzes ist Pinker (1984) der Überzeugung, dass Kinder von Geburt an mit Wissen ausgestattet sind, das ihnen ermöglicht, verschiedene Wortklassen voneinander zu unterscheiden. Ein angeborener Mechanismus, der semantisches Bootstrapping genannt wird, sorgt dafür, dass Kinder die Wortklassen im Input erkennen und mit der richtigen Entität verbinden können. Im Speziellen aktivieren Kinder mithilfe von Linking ihre kognitiven Grundkategorien und können diese mit syntaktischen Regelhaftigkeiten verbinden, um semantische Beziehungen aufzudecken (siehe Kapitel-9). Auf diese Weise haben Kinder scheinbar keine Mühe, beispielsweise das Wort Hase dem ganzen Tier und nicht der Art seiner Fortbewegung zuzuschreiben. Diese kognitiven Grundkategorien entspringen der Entdeckung und Beobachtung der Umwelt. Sie umfassen die Vorstellung eines Agens (eines handelnden Subjektes) oder eines Patiens (von der Handlung Betroffenen). Es wird klar, dass die Tragweite des postulierten Mechanismus über die Funktion, den Sprachstrom in sinnvolle Einheiten zu zergliedern (siehe Kapitel-6) und Bezüge zu erkennen (siehe Kapitel-10) hinausgeht: Kinder sollen das Wort für den Referenten auch noch mit der Wortklasse und seinem syntaktischen Platz verknüpfen; sie verfügen dazu-- laut prozessorientiertem Ansatz-- über angeborene verbindende Regeln. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Segmentierung des Nomens (siehe Box-21 für den Begriff der Segmentierung). Die Beobachtung, dass Nomen leichter als andere Wortklassen erworben werden, spricht allerdings nicht unbedingt für die nativistische Sicht, also dafür, dass Kinder über ein angeborenes syntaktisches Wissen verfügen. Genauso gut kann die günstige Struktur des Inputs, also die Tatsache, dass Nomen eine prominente syntaktische Stellung haben, und deshalb leicht wahrgenommen werden können, für den Vorteil im Erwerb verantwortlich sein (siehe auch Rohlfing, 2013: 64 f.). Das Beispiel der Segmentierung des Nomens zeigt somit, dass sich die nativistische Position kaum falsifizieren lässt. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 21 17.04.2019 14: 20: 33 22 1. Aktuelle Theorien der Sprachentwicklung 1.2. Epigenetische Positionen Ein Grundgedanke der Epigenese (siehe Box- 2) ist, dass das menschliche Verhalten ein Ergebnis der Interaktion zwischen Reifung (gesteuert durch Gene) und Erfahrung (Umwelt) ist. In diesem Sinne werden zwar einige Sensibilitäten und primitive Konzepte angenommen, doch der Erwerb vollzieht sich unter dem Einfluss der Umwelt, zu welcher auch die soziale Interaktion zählt, die Bruner (1983) als kulturelles ‚Klassenzimmer‘ für das Sprachlernen bezeichnet. Entscheidend ist die Annahme, dass der Spracherwerb voranschreitet, weil er sich kognitive Lernmechanismen wie Induktion und Hypothesentests zunutze macht. Diese Lernmechanismen sind nicht spezifisch für die Verarbeitung von Sprache, sondern für die Kognition im Allgemeinen. Dementsprechend werden soziale und kognitive Fähigkeiten als Vorläufer des Spracherwerbs erforscht. Auch von dieser Position gibt es unterschiedliche Ausprägungen, die im Folgenden dargestellt werden. Kognitiver Ansatz In diesem Ansatz ist Konzeptualisierung der fundamentale kognitive Mechanismus für den Spracherwerb, welcher die reichhaltige und komplexe Erfahrung, die ein Mensch bewältigt, reduziert. An Piaget (Piaget & Inhelder, 1993) orientiert, hielt sich lange die Vorstellung, ein Mensch beginne sein Leben mit der sensomotorischen Phase, aus dessen konkreten Erfahrung erst im Laufe seiner Entwicklung weiteres repräsentationales Wissen entsteht, das wiederum zum Spracherwerb und -gebrauch (lexikalisches Wissen) befähigt. Dementsprechend wurde angenommen, dass Kinder erst mit dem Ende ihrer sensomotorischen Phase (zum Ende des zweiten Lebensjahres) in der Lage sind, Konzepte zu entwickeln. Diese strikte Trennung zwischen der Perzeption, also der Wahrnehmung, und der Sensomotorik auf der einen Seite und einer intellektuellen Ebene auf der anderen ist heute nicht mehr haltbar. Viele Studien aus der Entwicklungspsychologie haben überzeugend dargelegt, dass bereits wenige Monate alte Säuglinge Konzepte bilden können. Somit schwindet auch der klare Unterschied zwischen funktional episodischem Wissen, das stark von situationellen Faktoren gesteuert wird, auf der einen, und einem konzeptuellen Wissen Epigenese (Box-2): Als Epigenese wird eine philosophisch-psychologische Position bezeichnet, nach der angeborene Neigungen die Sprachfähigkeit in einer ständigen Interaktion sowohl mit anderen kognitiven Strukturen als auch der sozialen und physikalischen Umwelt vorantreiben. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 22 17.04.2019 14: 20: 33 23 1.2. Epigenetische Positionen auf der anderen Seite. Für den Spracherwerb relevant wird unter konzeptuellem Wissen auch die Fähigkeit verstanden, auf linguistische Symbole zu achten und diese, wenn nötig, von der Situation abzukoppeln (Rohlfing, 2013: 38). Das konzeptuelle Wissen (auch als semantisch oder terminologisch bezeichnet) ist demnach eine Abstraktion von individuell konkreter Erfahrung. Als Produkt dieses bedeutungsorientierten Wissens sind Konzepte, Begriffe (engl.: notions) oder Kategorien bekannt. Statt einer strikten Trennung postuliert Barrett (1991) in seinem Sprachentwicklungsmodell zwei unterschiedliche Wege, die es von Anfang an gibt und die sowohl das situierte als auch das abstrakte Wissen umfassen: In Bezug auf Worterwerb und die damit verbundenen Konzepte werden manche Wörter kontextbezogen erworben; andere, unter ihnen viele Nomen, kontextunabhängig. Nach diesem Modell sind Kinder von Anfang an in der Lage, zumindest Nomen referenziell (also mit Bezug auf einen Repräsentanten) zu gebrauchen. Es ist wahrscheinlich, dass sie auf diesem Weg des Nomenerwerbs durch Neigungen und Erwerbsmechanismen (siehe prinzipbasierter Ansatz unten) unterstützt werden. Embodied cognition Forscher untersuchten lange Zeit das Erlernen von Wörtern innerhalb der von Piaget (Piaget & Inhelder, 19932 [1971]) benannten „symbolischen Phase“ der menschlichen Entwicklung. Piaget unterschied diese Phase im Hinblick auf die wirkenden Mechanismen von der vorangehenden sensomotorischen Phase. Insofern wurden (und werden noch immer) für das Erlernen von Wörtern die höheren kognitiven Prozesse erforscht, die zwar auf der sensorischen Entwicklung aufbauen, mit ihnen jedoch in der späteren Entwicklung kaum Gemeinsamkeiten haben. Eine ausgereifte Sprachverarbeitung beschränkt sich auf Symbolmanipulation, die unabhängig von der Wahrnehmung arbeitet. Somit entsteht eine Trennung zwischen den höheren Prozessen der Kognition einerseits und der Wahrnehmung und Ausführung von Handlung andererseits. In einem Gegensatz dazu steht die Ansicht der verkörperten Kognition (siehe Box-3), dass bei semantischen Vorgängen (somit den höheren kognitiven Prozessen) auch allgemeine Prozesse, die sich auf den ‚unteren‘ Ebenen der Kognition abspielen, unmittelbar beteiligt sind. Embodied Cognition (Box-3): Unter dem Stichwort der verkörperten Kognition (engl. embodied cognition) wird die Verbindung, ja Verschmelzung, von sensorischen mit kognitiven Repräsentationen postuliert. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 23 17.04.2019 14: 20: 33 24 1. Aktuelle Theorien der Sprachentwicklung Diese Position hat mit der Zeit eine Nuancierung erfahren, die Binder und Desai (2011) in übersichtlichen Stufen abbilden: Abbildung 1 verdeutlicht den Ausgangspunkt der Überlegungen, nämlich eine klare Trennung der höheren Kognition von sensorischer Wahrnehmung; die der Trennung zugrundeliegenden symbolischen Repräsentationen sind amodal (d. h. von der Modalität der Wahrnehmung unabhängig-- siehe Box-4). Dieser Ausgangspunkt steht für eine Sichtweise, die auch als disembodied view bezeichnet wird. Abbildung 1: Unterschiedliche Ausprägungen der Zusammenarbeit von Wahrnehmung/ Handlung und höhere Kognition nach Binder & Desai (2011). In klassischen Ansätzen zum Spracherwerb werden die semantischen Vorgänge üblicherweise den höheren kognitiven Prozessen zugeschrieben. Beinhaltet eine theoretische Position des Spracherwerbs eine Trennung zwischen der Wahrnehmung einerseits und semantischen Vorgängen andererseits, so ist es für die Entwicklung essenziell zu erklären, wie Kinder den ‚Übergang‘ von wahrnehmungsbezogenen zu semantischen Repräsentationen schaffen. Eine Position, die in die radikale Trennung zwischen den unabhängigen Modulen einen gewissen Austausch hineinbringt, ist in Abbildung 1 an zweiter Stelle von oben unter „Interaktion“ verdeutlicht: Die kognitiven Repräsentationen können hier auf Wahrnehmungserfahrungen zurückgreifen oder davon abgeleitet werden. Entscheidend für die verkörperte Sicht sind jedoch die darauffolgenden zwei Stufen, auf denen Kognition und Wahrnehmung nicht als selbständige Module existieren. Vielmehr gibt es in der streng verkörperten Sichtweise ein System, das sowohl wahrnehmungsbezogene wie auch kognitive 44783_Rohlfing_SL3a.indd 24 17.04.2019 14: 20: 34 25 1.2. Epigenetische Positionen Prozesse ausführt (Barsalou, 2008). Anders ausgedrückt ist die Hauptannahme, dass die höhere Kognition nicht die einzige Ressource ist, die wir für Problemlösungen zur Verfügung haben; unser Körper und unsere Handlungen in der Welt führen eine Menge der anfallenden Arbeit in der Zielplanung und Situierung aus, weshalb sensorische und kognitive Repräsentationen miteinander verschmelzen und interne amodale Repräsentationen nicht mehr nötig sind (Wilson & Golonka, 2013). Diese extreme Position der verkörperten Kognition ist in Abbildung 1 als Ausprägung ganz unten verdeutlicht. Weniger radikal ist die Sicht der verkörperten Abstraktion, die laut Binder und Desai (2011) von neuroanatomischen Befunden unterstützt wird. Demnach ‚sammelt‘ die semantische Ebene Erinnerungen an modalitätsspezifische Erfahrungen (auf sensorischer, motorischer, affektiver Ebene) in abstrahierter Form und stellt diese als konzeptuelle Repräsentation zur Verfügung. In verkörperten Systemen basiert Sprache auf körperlichen Zuständen und physikalischer oder vorgestellter Interaktion mit der Umwelt. Es ist wichtig zu betonen, dass die Befunde, die für die Verbindung der beiden Ebenen sprechen, hauptsächlich aus der Forschung mit Erwachsenen kommen: Zum Beispiel wird von Studien berichtet, in denen Erwachsene beim Hören von Sätzen mit konkreten Handlungen (manche Handlungen wurden dabei mit dem Mund, mit der Hand oder mit dem Fuß ausgeführt) die entsprechenden motorischen Regionen im Gehirn aktivierten. Diese motorischen Regionen-- bis dahin ausschließlich der Handlungsausführung und -beobachtung zugeschrieben- - sind also ebenfalls an der semantischen Verarbeitung beteiligt (Tettamanti u. a., 2005). Selten werden die Ansätze zur verkörperten Kognition von Entwicklungsstudien gestützt. Diese Forschungslücke identifizierten bereits Wellsby und Pexman (2014). Anders gestaltet sich die Befundlage zu den Grundlagen des Sprechens: Hier gibt es einige Studien, die auf der einen Seite einen engen Zusammenhang von Sprache und Motorik aufdecken; auf der anderen Seite zeigen sie, wie Motorik einen Zugang zu Sprache schaffen kann (siehe Kapitel-4). Bezüglich der frühen Verankerung der höheren Kognition in der körperlichen Erfahrung können mindestens zwei Richtungen betrachtet werden (Rohlfing, 2013). Mandler (1992) geht davon aus, dass Erfahrungen im Raum Säuglingen grundlegende Schemata für ihr konzeptuelles Denken liefern. Modalität (Box-4): Modalität bezeichnet eine an den Hauptsinnen orientierte Art der Wahrnehmung und der Verhaltensproduktion; diese kann visueller, taktiler, akustischer oder affektiver Art sein. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 25 17.04.2019 14: 20: 34 26 1. Aktuelle Theorien der Sprachentwicklung Ausgestattet mit zwei parallelen Konzeptualisierungsmechanismen erkennen Säuglinge sowohl Ähnlichkeiten und Unterschiede in Objekten und Ereignissen (perzeptuelle Kategorisierung), betrachten diese aber auch nach Funktionen und Rollen (konzeptuelle Kategorisierung). Bei der letztgenannten Kategorisierung handelt es sich um einen Umschreibungsprozess, der dafür sorgt, dass die daraus gewonnenen Konzepte schematische Formen bekommen. Diese Schemata werden dann für die ersten sprachlichen Bedeutungen genutzt (siehe Kapitel-8, insbesondere Abschnitt 8.4). Eine andere Richtung der embodied cognition findet sich in Studien, die Mechanismen des Miteinanders für die ersten sprachlichen Bedeutungen verantwortlich sehen. Die Art wie Bezugspersonen ihren Kindern Objekte und Ereignisse darbieten, ist in sich ‚embodied‘, weil darin eine enge Verbindung zwischen dem Geschehen in der Welt und der Sprache evoziert wird. Gogate und Kollegen (2000) zum Beispiel fragten sich, wie phonologische Formen mit einem Objekt assoziiert werden können und fanden heraus, dass Bezugspersonen ihren Kindern die Objekte durch Bewegung, die synchron zu dem Äußern des Nomens ausgeführt wird, präsentieren (siehe Kapitel- 4). Nomikou und Kolleginnen (2017) untersuchten die elterliche Präsentation von Verben und beobachteten, dass diese in enger Kopplung an gerade stattfindende Handlungen dargeboten werden. Insofern scheint die Sprache-Handlung-Kopplung eine intuitive Strategie zu sein, die Bedeutung von Sprache erfahrbar zu verankern und die Kinder darin zu unterstützen, die sprachlichen Einheiten mit den entsprechenden Entitäten zu verbinden (siehe auch Kapitel-13). Prinzipbasierte Ansätze Prinzipbasierte Ansätze gehen von einem strong embodiment (siehe Abb. 1) aus und werden durch radikale Annahmen motiviert, etwa dass es keine Notwendigkeit gibt, Konzepte als nicht-perzeptuell zu betrachten (z. B. Smith u. a., 2010). Die menschliche Kognition wird in diesem Ansatz sowohl an die aktuelle Situation als auch an eine vorliegende Aufgabe gebunden und durch gerade ablaufende Prozesse der Wahrnehmung und des Gedächtnisses charakterisiert. Die Wortbedeutung kann dementsprechend generiert werden, wenn sie gebraucht wird. In dieser Auffassung gibt es keine feste Intension (Definition eines Begriffs im Kopf) oder Extension (Kategorie in der Welt) (siehe Kapitel- 10). Beide entstehen vorübergehend innerhalb einer Aufgabe (Jones & Smith, 1993: 136). Die Aufgabe der Referenz (siehe Kapitel-10.2) lösen 44783_Rohlfing_SL3a.indd 26 17.04.2019 14: 20: 34 27 1.2. Epigenetische Positionen Kinder, indem im Rahmen einer Situationsanalyse bestimmte Mechanismen ‚anspringen‘ und somit die Aufmerksamkeit auf das Referenzobjekt/ -ereignis lenken. Der Aufmerksamkeitsfokus sorgt dafür, dass das in dem Moment gehörte Wort mit dem Referenten assoziiert wird und diese Verbindung ins Gedächtnis eingeht. Es gibt eine Reihe von „einschränkenden Prinzipien“ (engl. constraints) (Szagun, 2006: 145) der Situationsanalyse und somit auch der Aufmerksamkeitslenkung, die den Lerner zum Worterwerb führen-- diese werden in Kapitel-7 ausgeführt. Sozialinteraktionistischer Ansatz Bereits 1983 verdeutlichte Bruner in seinem Buch, dass ein Kind die Sprache nicht allein, sondern in ständiger Interaktion mit sozialen Partnern entdeckt. Jegliche von Chomsky und anderen Autoren postulierten angeborenen Spracharchitekturen brauchen also ein soziales Gerüst, an dem Sprache aufgebaut werden kann. Bruner nannte es Language Acquisition Support System (LASS) und bezeichnete es in seinem Buch mehrmals als eine Lernmatrix, die dem Kind vorgegeben ist, damit es seine angeborenen Neigungen entfalten kann (Bruner, 1983). Was diesen Ansatz einzigartig macht, ist der Fokus auf die aktive Rolle des Interaktionspartners, der die angeborenen (sensomotorischen und kognitiven) Fähigkeiten des Kindes beachtet, auf diese eingeht und so das absichtsvolle Handeln im Sinne der Sprachgemeinschaft zum Lernziel macht. Bruner ist daran interessiert, nature und nurture miteinander zu verbinden, indem er bestimmte kognitive Grundvoraussetzungen identifiziert, an die eine Bezugsperson anknüpfen kann. Zu diesen gehörten kindliche Interaktionsfreudigkeit, die Suche nach Invarianz (Regularitäten) und Mittel-Zweck-Relationen sowie die elterliche Systematik in der Handlung (die durch eine vertraute Situation und ihre klaren Ziele entsteht). Diese sozialkommunikative Dimension verändert den Blick auf den Spracherwerb, der sich nun nicht mehr lediglich auf die Entwicklung der Kognition und der sprachverarbeitenden Prozesse des Abbildens von Wörtern auf Konzepte bezieht. Vielmehr steht nach Akhtar und Tomasello (2000: 116) das Koordinieren der sozialen Aufmerksamkeit im Fokus, d. h. worauf die Partner einander aufmerksam machen wollen- - dies wird in Kapitel- 5 ausgeführt. In diesem Bestreben sehen Tomasello und Kollegen (Tomasello & Rakoczy, 2003; Tomasello u. a., 2005) den Hauptunterschied zwischen menschlicher Kognition und der anderer Spezies. Das Beteiligen von Mitmenschen an gemeinsamen 44783_Rohlfing_SL3a.indd 27 17.04.2019 14: 20: 34 28 1. Aktuelle Theorien der Sprachentwicklung Handlungen mit geteilten Zielen und Intentionen wird als geteilte Intentionalität (engl.: shared intentionality) (Tomasello & Rakoczy, 2003: 121; Tomasello u. a., 2005: 675) bezeichnet. Diese Fähigkeit entwickelt sich bei Kindern in den ersten 14 Lebensmonaten, während zwei ontogenetische Stränge ineinander wachsen (vgl. Rohlfing, 2013: 87): Das Verständnis von anderen als belebte [animate], ziel-orientierte und intentionsverfolgende Agenten- - das die Menschen mit Affen teilen-- und das für Menschen typische Teilen von Motivation, Emotionen, Erfahrungen und Handlungen mit anderen Personen. Das Produkt dieser Fähigkeit sind dialogisch kognitive Repräsentationen (Tomasello u. a., 2005: 676), die die Kinder für die Teilhabe an einer Gemeinschaft konstruieren. Gebrauchsbasierter Ansatz Haben sich grundlegende Formen des Koordinierens etabliert, so erfahren Kinder vielfältige sprachliche Handlungen und somit auch verschiedene (syntaktische) Konstruktionen (siehe 9.8 zum Begriff der Konstruktion). Als Konstruktionsgrammatik bekannt ist die Vorstellung (siehe auch Kapitel-9), menschliche Sprache umfasse einen Bestand an Konstruktionen (Äußerungsformen) unterschiedlicher Größen, die die Form-Funktion-Beziehungen festhalten. Der gebrauchsbasierte Ansatz beschäftigt sich damit, wie der verbale Input von Kindern verarbeitet wird; dabei steht das von der Bezugsperson Gesagte im Fokus der Analyse, obwohl auch weiteres Verhalten zunehmend hinzugezogen wird (Suanda u. a., 2017). Die empirische Basis für diesen Ansatz sind Sprachdaten, die sich aus sozialen Interaktionen ergeben. Umfassende Korpora oder Experimente ermöglichen eine Analyse unterschiedlicher Muster und ihrer Entstehungen. Behrens (2009) erläutert, dass Erwerbsmodelle im gebrauchsbasierten Ansatz mit grundlegenden Annahmen der Kognitiven Linguistik sowie menschlichen Prozessen des Mustererkennens und -anpassens kombiniert werden. Zentral für die Erwerbsmodelle ist die kindliche Fähigkeit, aus nur wenigen Sprachbeispielen Regelmäßigkeiten unterschiedlicher Art zu bilden und diese in der Sprachproduktion einzusetzen. In der anfänglichen Phase des Spracherwerbs bilden Kinder lexemspezifische Konstruktionen, die sie später durch zunehmendes linguistisches Material und eine gewisse interne Struktur ausbauen (siehe Kapitel-9). Erkennen Kinder bestimmte Regelmäßigkeiten zuverlässig, so wirken sich die vorhandenen Muster nachweislich auf die Wahrnehmung weiterer Sprachdaten aus (Romberg & Saffran, 2010), was eine generelle musterartige 44783_Rohlfing_SL3a.indd 28 17.04.2019 14: 20: 34 29 1.3 Nature oder nurture? Verarbeitung bei Kindern nahelegt. Hervorzuheben ist, dass sich die kindliche Fähigkeit, Regelmäßigkeiten im Sprachstrom zu erkennen, aus dem verbalen Input ergeben kann. Im Kern bedeutet dies, dass es keine angeborenen Grammatiken geben muss, damit Kinder sich den Sinn der gehörten Äußerungen erschließen. Stattdessen hat der verbale Input Eigenschaften, die es dem Kind erleichtern, Konstruktionen durchs Nachahmen aufzugreifen und in ersten Sprachproduktionen lediglich an ausgewählten Stellen (sogenannten slots) zu verändern. Der Spracherwerb basiert in diesem Ansatz auf dem Gebrauch bestimmter Konstruktionen im verbalen Input, die die Kinder für ihre Sprachproduktion zum großen Teil übernehmen. Der Umgang mit sprachlichen Mustern ist mittlerweile empirisch und durch Simulationen in komputationalen Modellen vielfach belegt- - jede Theorie des Spracherwerbs muss daher diese Fähigkeit zur Musterverarbeitung und -bildung berücksichtigen. 1.3 Nature oder nurture? Während in den nativistischen Positionen der Schwerpunkt auf biologische Anlagen im Spracherwerbsprozess gelegt wird, sehen die Vertreter von epigenetischen Positionen die Umwelteinflüsse in der Hauptrolle. Auf der Suche nach einer Synthese aus diesen beiden Positionen erarbeiteten Hirsh-Pasek und Golinkoff (1996) folgende Gemeinsamkeiten: Zwar erklären epigenetische Ansätze die grammatischen Fähigkeiten mit kognitiven und sozialen Kategorien und die nativistischen Ansätze sehen die Grammatikentwicklung im Entdecken von a priori gegebenen grammatischen Strukturen, doch bei genauem Betrachten widersprechen sich die Ansätze nicht: In beiden Positionen bleibt der Einfluss kognitiver und sozialer Fähigkeiten des Kindes unbestritten. Auch werden in beiden Positionen Sensibilitäten gegenüber Grammatikstrukturen angenommen. Eine weitere Gemeinsamkeit betrifft die Lernprozesse. Epigenetische Ansätze sehen Sprache nicht als gesonderte Domäne der Kognition und plädieren für generelle und übergreifende Lernprozesse wie Kategorisierung und Abstraktion. Im Gegensatz dazu heben nativistische Ansätze die bereichsspezifischen Lernprozesse wie das Verbinden von linguistischen Formen mit ihrer Bedeutung (Linking) hervor. Beim genauen Betrachten fanden die Autorinnen heraus, dass in beiden Ansätzen musterklassifikatorische Fähigkeiten, ob angeboren oder erlernt, für die Lernprozesse spracherwerbsrelevant sind. In diesem Sinne 44783_Rohlfing_SL3a.indd 29 17.04.2019 14: 20: 34 30 1. Aktuelle Theorien der Sprachentwicklung motivierten epigenetische Positionen die Entwicklung einiger komputationaler Modelle, die aufzeigen, wie Erwerbsprozesse aufgrund statistischer Klassifikationen stattfinden (Elman, 2004). Trotz der Gemeinsamkeit ist ein berechtigter Einwand, dass sich epigenetische Ansätze nicht auf kognitive Mechanismen reduzieren lassen; stattdessen bleibt die Rolle der sozialen Interaktion für die Lernprozesse und wachsende Erfahrung im sprachlichen Lernen von besonders großer Bedeutung. Die letzte Gemeinsamkeit bezieht sich auf angeborene Fähigkeiten: Zwar unterscheiden sich die Positionen darin, dem Spracherwerb von Beginn an die Notwendigkeit des sprachspezifischen Wissens zuzusprechen, doch gehen die Autoren beider Positionen davon aus, dass Kinder früh eine Sensibilität für die menschliche Sprache zeigen, indem sie sich der Stimme und sprachähnlichen lautlichen Strukturen bevorzugt zuwenden. 1.4 Emergentist Coalition Model Ausgehend von den oben genannten Gemeinsamkeiten (Hirsh-Pasek & Golinkoff, 1996) waren die Autorinnen an der Entwicklung eines alternativen Spracherwerbsmodells beteiligt. Die Emergentist Coalition Theory (Hollich u. a., 2000; Golinkoff & Hirsh-Pasek, 2006) ist ein Hybrid und sieht die Auflösung der Wortreferenz als Schlüssel zum Spracherwerb (siehe Kapitel-10 zum Begriff der Referenz und zur Abgrenzung von Wortbedeutung). Das zentrale Problem der Wortreferenz ist die Verbindung des gehörten Wortes (und seiner Wortform) mit der Wahrnehmung des richtigen Referenten (Ding oder Ereignis), die in das Gedächtnis eingehen soll. Die hybride Theorie besagt, dass die Referenzbildung aufgrund einer Koalition von drei Informationsquellen (siehe Abb. 2) zustandekommt: 1. Zum einen tragen perzeptuelle Achtungshinweise (engl.: perceptual cues) zum Spracherwerb bei; diese wirken auf den kindlichen Aufmerksamkeitfokus und sorgen dafür, dass ein Referent in den Vordergrund rückt (z. B. dadurch, dass ein Objekt besonders auffällig / salient ist-siehe dazu Kapitel-5 für die Erklärung von ‚Salienz‘); 2. Soziale Achtungshinweise (engl.: social cues) sind ebenfalls beim Spracherwerb beteiligt und entspringen einer sozialen Interaktion. Darin vermitteln die Gesprächspartner die für die sprachliche Referenz relevanten Aspekte durch Blicke, Zeigegesten oder sonstige ostensive Präsentationen von Objekten; 44783_Rohlfing_SL3a.indd 30 17.04.2019 14: 20: 34 31 1.4 Emergentist Coalition Model 3. Schließlich wirken im Prozess des Spracherwerbs auch linguistische Achtungshinweise (engl.: linguistic cues) (z. B. das zunehmende linguistische Wissen über Wortklassen) und erleichtern die Verarbeitung von bestimmten Spracheinheiten, die daraufhin ins Gedächtnis aufgenommen werden können (siehe dazu Kapitel-6). Abbildung 2: Die Koalition der Wirkungsfaktoren für die Wortreferenz: Die zwei Phasen machen deutlich, dass unterschiedliche Einflüsse im Laufe der Entwicklung ein unterschiedliches Gewicht haben. In dem Modell wirken also Mechanismen unterschiedlicher Natur, zum einen die angeborene Priorisierung der wahrgenommenen Signale, aber auch die erworbene Sensibilität für soziale Hinweise (wie z. B. die Blickrichtung) sowie die sich entfaltende Wirkung von statistischen Mustern, die durch Erfahrungen mit Sprache in sozialen Interaktionen entsteht. Grundlegend für das Modell sind drei Phasen in der menschlichen Entwicklung, die sich in der Gewichtung der verschiedenen Achtungshinweise unterscheiden: 44783_Rohlfing_SL3a.indd 31 17.04.2019 14: 20: 34 32 1. Aktuelle Theorien der Sprachentwicklung In der ersten Phase-- in Abbildung 2 sind die relevanten beitragenden Aspekte grau markiert -, die von der Geburt bis zum 9. Lebensmonat andauert, werden Kinder von ihrer Wahrnehmung geleitet, und ihr Aufmerksamkeitsfokus richtet sich auf die Objekte oder Ereignisse, die auffällig sind. In dieser Phase ist das Auswählen des Referenten der Schlüssel zur Wortreferenz. Bezugspersonen gehen darauf ein, indem sie Vorkommnisse in der Welt in verbale Äußerungen ‚packen‘ und somit einen Zusammenhang zwischen den auffälligen Ereignissen und der Sprache herstellen. Die Autorinnen nennen diese Phase „extraction and acoustic packaging [Extraktion und akustisches Packen]“ (Hirsh-Pasek & Golinkoff, 1996: 164), und heben für diese Phase die Fähigkeit hervor, ‚unanalysierte Häppchen‘ aus dem Sprachstrom aufzugreifen und diese zunehmend mit dem Erscheinen von Personen oder Vorkommen von Ereignissen zu verbinden. Phase zwei- - in Abbildung 2 erscheinen die relevanten Aspekte in weißen Kästchen-- erstreckt sich über den Zeitraum vom 10. bis zum 24. Lebensmonat. In ihr wird den sozialen und linguistischen Hinweisen eine stärkere Rolle in der Wahrnehmung der Kinder zugesprochen. Die Schlüsselrolle spielt in dieser Phase die Fähigkeit, Segmente (siehe Box-21 für den Begriff der Segmentierung) im Sprachstrom unter Zuhilfenahme von prosodischen, syntaktischen und sozialen Hinweisen zu erkennen. Daher wird sie von den Autorinnen als Phase der „segmentation and linguistic mapping [Segmentierung und linguistischem Zuschreiben]“ (Hirsh-Pasek & Golinkoff, 1996: 164) benannt. „Hat das Kind sprachliche Segmente mithilfe von akustischen Päckchen (Phase 1) gefunden, kann es diese in Kombination miteinander erkennen und auch miteinander kombinieren“ (Rohlfing, 2013: 95). Diese Kombination unterschiedlicher Segmente ermöglicht die Entwicklung von Syntax (siehe Kapitel-9). Phase drei umfasst die Entwicklung vom 24. bis zum 36. Lebensmonat. Die Besonderheit dieser Phase liegt darin, dass nicht nur akustische, sondern vor allem linguistische Einheiten entdeckt werden. Diese Einheiten werden nun differenzierter auf Ereignisse und Personen in der Welt bezogen. Die Autorinnen schreiben Kindern in dieser Phase eine „complex syntactic analysis [komplexe syntaktische Analyse]“ zu und argumentieren, dass es die wachsende Aufnahmekapazität ist, die sie zur Konstruktion komplexer Bedeutungen befähigt (Hirsh-Pasek & Golinkoff, 1996: 164). Wie Abbildung 2 zusammenfassend verdeutlicht, fällt die Gewichtung der beteiligten Achtungssignale in der Entwicklung eines Kindes unterschiedlich aus: Während die Perzeption die Bestimmung des Referenten in der ersten 44783_Rohlfing_SL3a.indd 32 17.04.2019 14: 20: 34 33 1.4 Emergentist Coalition Model Phase dominiert (grau markierte Aspekte), entwickelt sich in der zweiten Phase zunehmend die Aufmerksamkeit für soziale Hinweise und linguistische Strukturen (weiß dargestellte Aspekte), die das Sprachlernen vorantreibt. Eine genauere Einbettung und Kritik dieser hybriden Spracherwerbstheorie findet sich in Rohlfing (2013). Zum einen ist kritisch hervorzuheben, dass dieser Ansatz die Referenz ins Zentrum des Spracherwerbs stellt (siehe Kapitel- 10.2 zur Erklärung des Begriffs), was leider einen verengten Blick auf die Problematik der Sprachentwicklung zur Folge hat (siehe auch Kapitel- 11). Zum anderen bezieht sich die Kritik von Rohlfing (2013) auf den Übergang von Phase 1 zu Phase 2 (siehe auch unterschiedliche Lernformen im Kapitel-5), da das Modell nicht erklären kann, wie aus einem perzeptionsgeleiteten Kind eines wird, das auf soziale Informationen achtet, wodurch sich auch ein gravierender Unterschied für die Grundlage der Referenzdeutung ergibt. Golinkoff und Hirsh-Pasek (2006) erklären den Übergang mit unterschiedlichen Aufmerksamkeitsprozessen: Erst mit der Erfahrung lernen Kinder, stärker auf ihre Mitmenschen zu achten und ihren Hinweisen zu folgen. Der Erklärung liegt die Annahme zugrunde, dass soziale Interaktion am Anfang der kindlichen Entwicklung kaum eine Rolle spielt und erst in einem späteren Stadium an Bedeutung gewinnt. Diese Annahme ist angesichts der Tatsache, dass Kinder von Geburt an auf soziale Interaktionen angewiesen sind, wenig plausibel. Eine Alternative bieten Positionen, die die Mechanismen des sozialen Miteinanders vom Anfang der kindlichen Entwicklung an stärker in Betracht ziehen (siehe z. B. Kapitel-3). Insgesamt motiviert dieses Modell dazu, Spracherwerb als eine Koalition, also ein Zusammenwirken von Mechanismen unterschiedlicher Art zu sehen. Eine Betrachtung der verschiedenen Einflussfaktoren sowie ihrer sich mit der Entwicklung verschiebenden Gewichtung (in Abhängigkeit von der Voraussetzung der Individuen) wird dem komplexen Phänomen des Erwerbs von Sprache besser gerecht. Diese komplexe Sichtweise der zusammenhängenden Faktoren aus verschiedenen Domänen wird in weiteren Kapiteln des Buches fortgesetzt. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 33 17.04.2019 14: 20: 34 34 1. Aktuelle Theorien der Sprachentwicklung Lesetipps: Verschiedene Positionen des Spracherwerbs beschreibt Szagun in Kapitel 10 und Klann-Delius in Kapitel 3-5: Szagun, G. (2016). Sprachentwicklung beim Kind: Ein Lehrbuch (7. Aufl.). Weinheim: Beltz. Klann-Delius, G. (2008). Spracherwerb (2. Aufl.). Stuttgart: J. B. Metzler. Das Emergentist Coalision Model ist kurz und knapp beschrieben im folgenden Aufsatz: Golinkoff, R. M., & Hirsh-Pasek, K. (2006). Baby wordsmith: From associationist to social sophisticate. Current Directions in Psychological Science, 15 (1), 30-33. Die Sicht des soziopragmatischen Ansatzes ist in Bruner umfassend präsentiert und in englischsprachiger Fassung am besten zu verstehen: Bruner, J. (1983). Child’s talk. Oxford: Oxford University Press. Den Stand der Entwicklungsstudien zu ‚embodied cognition‘ fassen sowohl Wellsby und Pexman als auch Iverson (2010) zusammen: Wellsby, M., & Pexman, P. M. (2014). Developing embodied cognition: Insights from children’s concepts and language processing. Frontiers in Psychology, 5, 506. Iverson, J. M. (2010). Developing language in a developing body: The relationship between motor development and language development. Journal of Child Language, 37 (2), 229-261. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 34 17.04.2019 14: 20: 34 35 2.1. Methoden: PET, fMRI, EEG, NIRS 2. Gehirn- und Sprachentwicklung Im Rahmen der nativistischen Ansätze, die lange Zeit die Spracherwerbsforschung dominierten, nahm man an, Sprache wachse wie ein Organ. Dementsprechend wurde Sprache eine gesonderte Stellung in der Kognition zugesprochen. Neurophysiologische Befunde zur Sprachverarbeitung von jungen Kindern sprechen jedoch gegen einen festen ‚Sitz’ der Sprache im Gehirn. Stattdessen ist die Sprachfähigkeit ein Produkt aus zunehmender eigener Erfahrung und begleitenden biologischen Verarbeitungsprozessen, die das Gehirn im Laufe der Sprachentwicklung prägen. Das vorliegende Kapitel vermittelt zum einen die terminologischen und methodischen Grundlagen im Bereich der Gehirnentwicklung. Die nachfolgenden Erläuterungen neurowissenschaftlicher Methoden haben das Ziel, sowohl Fragestellungen als auch Grenzen neurowissenschaftlicher Ansätze zu verdeutlichen. Zum anderen werden empirische Befunde geschildert, die einen Einblick in die Neurobiologie der Sprachentwicklung geben. Aus Studien zum Bilingualismus wird ersichtlich, dass sich das menschliche Gehirn individuellen Anforderungen anpasst und flexibel auf die Umwelt eingeht, auch jenseits des Säuglingsalters. 2.1. Methoden: PET, fMRI, EEG, NIRS Bei neurowissenschaftlichen Methoden handelt es sich um Techniken, die uns einen Einblick in Gehirnprozesse ermöglichen. Die Grundlagen der Techniken sind in Müller (2013) zu finden. Im Folgenden wird lediglich eine Auswahl vorgestellt. Diese Methoden dienen dem Ziel, die kognitiven Prozesse, die bei der Verarbeitung von Sprache stattfinden, zu identifizieren. PET Kognitive Prozesse verursachen messbare Veränderungen der Durchblutung oder des Energieverbrauchs der beteiligten Hirnregionen (Müller, 2013). Veränderungen dieser Art geben Aufschluss über Sprachverarbeitungsprozesse im Gehirn. Sichtbar werden diese Veränderungen zum Beispiel durch die Methode 44783_Rohlfing_SL3a.indd 35 17.04.2019 14: 20: 34 36 2. Gehirn- und Sprachentwicklung der Positronenemissionstomographie (PET). Um sie zu visualisieren, wird über eine Injektion eine schwach radioaktive Substanz (z. B. Zucker oder Sauerstoff) in den Blutkreislauf eingebracht, die dann vom Organismus natürlich verstoffwechselt wird. Die Substanz gibt somit Aufschluss darüber, wo starke Durchblutung und ein höherer Verbrauch vorliegen. Ein PET-Scan liefert zunächst Schnittbilder eines individuellen Gehirns. Zwei Messungen müssen vorliegen: Eine Messung mit einer kognitiven Aufgabe und eine weitere Messung mit einer Kontrollbedingung, d. h. möglichst ohne kognitive Aufgabe. Anhand dieser zwei Messungen werden die Schnittbilder des Gehirns miteinander verglichen und daraus eine Aktivitätsdifferenz berechnet. Aus statistisch bedeutsamer Differenz kann auf die an der kognitiven Aufgabe beteiligten Hirnregionen geschlossen werden. Über verschiedene Individuen, die an einer Untersuchung teilnehmen, wird eine gemittelte Aktivitätsdifferenz erstellt. Diese Art von Aktivität bei einem ‚Durchschnittsmenschen‘ wird üblicherweise bei Beschreibungen von Studien und ihren Ergebnissen berichtet. fMRT Eine nicht-invasive Alternative innerhalb der bildgebenden Verfahren bietet die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT). Diese Methode arbeitet in zwei Schritten: Zunächst wird mittels strukturellem MRT ein dreidimensionales Bild des gesamten Kopfes erstellt. Im zweiten Schritt wird ein funktionelles MRT durchgeführt. Ähnlich wie bei der PET gibt der Sauerstoffverbrauch Aufschlüsse über den Energieverbrauch in bestimmten Bereichen. Für das Verfahren entscheidend sind die magnetischen Eigenschaften des Blutfarbstoffes Hämoglobin, im Speziellen ein Molekül, das sich mit Sauerstoff verbindet. Üblicherweise werden nun die Unterschiede im Sauerstoffverbrauch in eine Farbabbildung umgewandelt und auf die Struktur des Gehirns abgebildet. Daher sind auf den fMRT-Bildern unterschiedliche Farben zu erkennen, die jedoch lediglich ein Mittel zur Visualisierung darstellen. Das fMRT wird zwar bereits bei jungen Kindern, sogar Säuglingen, verwendet, die ethischen Bedenken, ein Kind der Enge in einem fMRT-Scanner auszusetzen, entscheiden darüber, ob diese Methode für die erhofften Ergebnisse notwendig ist. Da mittlerweile alternative Methoden existieren, die weniger einschränkend sind, wird die fMRT-Methode bei jungen Kindern selten verwendet. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 36 17.04.2019 14: 20: 34 37 2.1. Methoden: PET, fMRI, EEG, NIRS Sowohl das PET als auch das fMRT bieten eine geringe zeitliche Auflösung, d. h. die Ergebnisse liegen bei PET in Minuten und bei fMRT in Sekunden vor. Es ist jedoch bekannt, dass kognitive Prozesse binnen Millisekunden ablaufen. Die weiteren Methoden erfüllen das Kriterium der genaueren zeitlichen Auflösung. EEG EEG ist die Abkürzung für Elektroenzephalogramm. Bei dieser Methode bekommen die Probanden eine Kappe mit Sensoren aufgesetzt, die auf diese Weise auf die Kopfoberfläche gebracht werden. Mithilfe von EEG-Elektroden wird so an bestimmten Stellen die Nervenzellaktivität einiger Millionen Neuronen aufgefangen. Die Nervenzellaktivität äußert sich durch ein Aktionspotential (elektrische Spannung) eines Neurons. Die Methode des EEGs zeichnet die vom Gehirn erzeugten elektrischen Spannungsschwankungen von synchron verlaufenden Aktionspotentialen auf und generiert ein Hirnstrombild. Das Gerät arbeitet Millisekunde für Millisekunde und bietet dabei einen Überblick über zeitliche Schwankungen in Form einer Welle. Diese berücksichtigt sowohl positive als auch negative Schwankungen, die wiederum mit sensorischen und psychologischen Prozessen in Verbindung gebracht werden. In einer computerunterstützten Auswertung wird ein EEG-Signal in Verbindung mit einem bestimmten Reiz einer ERP-Analyse unterzogen (Müller, 2013: 131 f.). Der Name „ERP“ drückt genau diese Verbindung von Reiz und hirnelektrischen Potenzialen aus (engl.: event-related potential). Innerhalb der ereigniskorrelierten Potenziale unterscheiden sich exogene von endogenen ERPs. Exogene ERPs stehen für unvermeidliche Reaktionen, „die im Wesentlichen auf die physikalischen Parameter des Reizes zurückgehen“ (Müller, 2013: 131). Als Ausdruck kognitiver Leistung werden die endogenen ERPs herangezogen. Diese treten erst zwischen 100 und 600 Millisekunden nach dem Stimulus auf. Schlägt eine Welle in diesem Zeitrahmen deutlich aus, wird sie als EEG-Komponente gewertet. Kritisch anzumerken ist, dass die EEG-Komponenten in großer Variabilität auftreten und durch viele weitere psychische Vorgänge beeinflussbar sind. Für die Sprachentwicklung interessant ist die N400-Komponente, die auf eine semantische Verarbeitung von Sprache hinweist (siehe Box-5). Nehmen wir den unvollständigen Satz Jeden Morgen zum Frühstück las er eine als Beispiel. Hört oder liest eine Person den Anfang des Satzes Jeden Morgen zum Frühstück 44783_Rohlfing_SL3a.indd 37 17.04.2019 14: 20: 34 38 2. Gehirn- und Sprachentwicklung las er eine, dann formuliert sie aus ihren Erfahrungen Erwartungen darüber, wie dieser Satz beendet wird, nämlich mit Zeitung. Und tatsächlich kennt man (noch) dieses Bild, dass Frühstücken häufig mit dem Lesen einer Zeitung einhergeht. Hört oder liest die Person, dass der Satz mit Packungsbeilage endet, dann äußert sich die dabei verletzte Erwartung durch eine N400-Welle. Für das Auftreten der N400-Kompontente ist es entscheidend, dass es zwischen den Versuchspersonen eine hohe Übereinstimmung darüber gibt, wie die Sätze erwartungsgemäß enden. Im Gegensatz zu dem Beispiel oben kann der Satz Sie ging in den Supermarkt und kaufte eine ganz unterschiedlich vervollständigt werden. Nicht nur Marmelade, sondern auch Butter, Milch und weitere würden zu dem Kontext passen, weshalb die Beendigung dieses Satzes keine hohe Übereinstimmung ergibt. Für Spracherwerbsstudien ist interessant zu erwähnen, dass sich der gewünschte N400-Effekt bereits bei 9 Monate alten Säuglingen zeigt, allerdings nur, wenn die untersuchten Wörter in einer sozialen Interaktion eingebettet wurden: In der Studie von Parise und Csibra (2012) waren es die Bezugspersonen, die das Wort zu dem Objekt geäußert haben. Nur in dieser Bedingung-- und nicht, wenn eine fremde Stimme zu hören war,-- war die semantische Verarbeitung zu verzeichnen. In aktuellen Studien mit Säuglingen wird akustische mit visueller Präsentation kombiniert. Dabei sieht ein Kind zum Beispiel einen Ball und hört dazu ein Wort wie Ente, das gegen die Erwartung, eine Ente zu sehen, verstößt. Somit zeigt sich die N400-Komponente modalitätsübergreifend. NIRS Nahinfrarotes Licht, das durch die Schädeldecke dringt und sich in der Hirnoberfläche verteilt, kann ebenfalls Veränderungen in der Durchblutung des Gehirns sichtbar machen und gehört zur Arbeitsweise der Nahinfrarotspektroskopie (vgl. Müller, 2013: 155). Dies ist eine moderne optische Methode, bei der man sich ebenfalls die Eigenschaft des Blutflusses zu eigen macht. Das nahinfrarote Licht geht dabei von kleinen Lichtsendern/ -empfängern aus, die auf dem Kopf der Probanden mithilfe einer Mütze angebracht werden. Diese N400-Komponente (Box-5): Wie der Name verdeutlicht, bezieht sich die Komponente auf eine Latenz von 250-600 Millisekunden, bei der der typische Amplitudenpeak jedoch um 400 Millisekunden liegt. Latenz bedeutet dabei, dass eine bestimmte Zeit zwischen Reizeinwirkung und der Reaktion vergeht. Sie wird durch semantische ‚Verletzungen’ ausgelöst. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 38 17.04.2019 14: 20: 34 39 Mütze besteht aus einem Netz von kleinen Lichtsendern und -empfängern in Form von Knöpfen. Eine Gruppe der Knöpfchen sendet ein rotes Licht, welches das NIRS verwendet. Eine andere Gruppe der Knöpfchen spürt Veränderungen des infraroten Lichts auf, die auf kognitive Leistung hinweisen. Diese Methode schränkt die Probanden wenig ein, weshalb sie sich gut für Studien mit Säuglingen und sogar Neugeborenen eignet. Für die Anwendung bei jüngeren Probanden spricht zudem die Tatsache, dass die Reichweite der Nahinfrarotstrahlung im kindlichen Schädel deutlich höher ist als beim Erwachsenenschädel (Müller, 2013: 156). Mit dieser Methode konnte beispielsweise der Präferenz für linkshemisphärische Verarbeitung der Sprache bei 6 Monate alten Säuglingen nachgegangen werden (Altvater-Meckensen & Grossmann, 2016). Diese Präferenz hängt möglicherweise damit zusammen, dass die linke Hemisphäre für die Integration unterschiedlicher Modalitäten, somit Lautsprache als akustisches Signal und Mundbewegungen als visuelles Signal, verantwortlich ist. Diese Integration sorgt vermutlich für das Herausbilden multimodaler phonologischer Kategorien (siehe Kapitel-3). 2.2 Der Aufbau des Gehirns in Bezug auf die Sprachfähigkeit Wie die oben genannten Methoden verdeutlichen, waren die Neurowissenschaften, darunter die Neurolinguistik, darum bemüht, den Sitz der Sprachverarbeitung zu bestimmen. Die Forschung ging von der Idee aus, dass ein bestimmter Gehirnbereich für die Sprachverarbeitung verantwortlich ist. Wird dieser beschädigt, dann verliert der betroffene Mensch diese Funktion. Im Gegensatz zur Frühzeit der Neurolinguistik ist nach einigen Jahren der Forschung klar, dass Sprache keinem eindeutigen Bereich im Gehirn zugeordnet werden kann. Unberührt davon besteht der Befund, dass sich Bereiche im Gehirn identifizieren lassen, die bei den meisten Versuchspersonen vorrangig für bestimmte sprachliche Aufgaben aktiviert werden. Für die höheren kognitiven Funktionen, und somit auch die Sprache, sind sowohl die Großhirnrinde (Neocortex) als auch die subcortikalen Strukturen zuständig, wobei die meisten Studien sich auf die Beteiligung der Großhirnrinde konzentrieren. Die Großhirnrinde ist ein 1,5 bis 4 mm dicker Mantel, der die zwei Hemisphären des Gehirns bedeckt. Diese Schicht des Gehirns entstand als letzte Entwicklung in der Gehirnevolution. Sie gliedert sich in Lappen (frontal, parietal, temporal und okzipital), die durch Furchen (Sulci) und Hirnwindungen (Gyri) voneinander abgegrenzt werden, wie Abbildung 3 zeigt. 2.2 Der Aufbau des Gehirns in Bezug auf die Sprachfähigkeit 44783_Rohlfing_SL3a.indd 39 17.04.2019 14: 20: 34 40 2. Gehirn- und Sprachentwicklung Abbildung 3: Regionen des Gehirns: Die Skizze verdeutlich die unterschiedlichen Lappen des Gehirns, die durch Furchen und Hirnwendungen voneinander abgegrenzt werden (mit Ausnahme des Kleinhirns). Um die Sprachverarbeitung im Gehirn zu beschreiben, wird der Terminus Lateralisation benutzt (siehe Box-6). Im erwachsenen Gehirn wird Sprache vorrangig linkshemisphärisch verarbeitet (Whitney, 1998), was aber nicht bedeutet, dass die rechte Hemisphäre an der Sprache nicht beteiligt wäre. Vor allem aus den Forschungsarbeiten zu Gehirnverletzungen kommen Befunde, die uns darüber informieren, welche Verluste auftreten können, wenn eine bestimmte Gehirnregion nicht mehr funktioniert. Im Jahre 1861 berichtete der französische Neurologe Paul Broca von einem Patienten, der nach einem Schlaganfall zwar noch einfache Sätze verstand, selbst aber lediglich die Silbe „tan“ sagen konnte. Nach dem Tod des Patienten untersuchte Broca dessen Gehirn und fand eine schwere Schädigung in der linken Hirnhälfte. Er nahm an, dass dieses Areal des Gehirns für die Produktion von Sprache zuständig ist. Seitdem nennen die Wissenschaftler dieses Gebiet das Broca-Areal. Eine Schädigung dieses Areals, eine sogenannte Broca-Aphasie (siehe Box-7), äußert sich durch Agrammatismus,-- d. h. Äußerungen, die kaum Satzbildungsregeln folgen,-- der vor allem die Sprachproduktion betrifft. Lateralisation (Box-6): Unter Lateralisation versteht man die Aufteilung von kognitiven Prozessen auf die rechte und linke Hälfte des Gehirns. Das Wort geht sowohl auf „lateral“, was „seitlich“ bedeutet, als auch auf „lateralisieren“, „seitlich verlagern“ zurück. Siehe dazu auch Müller (2013; Kapitel-6). 44783_Rohlfing_SL3a.indd 40 17.04.2019 14: 20: 34 41 2.2 Der Aufbau des Gehirns in Bezug auf die Sprachfähigkeit Die Verletzungen bewirken, dass Patienten Sprache verstehen können, jedoch massive Schwierigkeiten haben, Wörter und vollständige Sätze zu bilden (siehe Box-7). Wie sich eine Interaktion mit einem Broca-Aphasiker, der nur drei Wörter sprechen kann, gestaltet, verdeutlich das Beispiel auf www.sscnet.ucla.edu/ clic/ cgoodwin/ projects.htm. Erstaunlich dabei ist, dass die Kommunikation mit wenigen Mitteln gut bewältigt werden kann. Einige Jahre nach der Veröffentlichung der Befunde von Paul Broca entdeckte der Neurologe Carl Wernicke auf ganz ähnliche Weise den Hirnabschnitt, der für das Verstehen von Sprache verantwortlich ist: das nach ihm benannte Wernicke-Areal. Verletzungen in diesem Bereich bewirken eine sogenannte flüssige Aphasie, sodass Patienten Sprache kaum noch entschlüsseln können. Sie können zwar eine überraschende Wörterflut produzieren, die aber verworren und unverständlich klingt. Ein Beispiel dafür gibt Lust (2006: 85): „I got it in thein thein the brain and they him him in here “: Während die syntaktischen Fähigkeiten intakt zu sein scheinen, ist es die Semantik, die in der Äußerung nicht mehr gegeben ist. Die Beeinträchtigung der semantischen Fähigkeit äußert sich zudem in Wortverwechslungen. Hervorzuheben ist, dass sich jedes Gehirn individuell organisiert. Wie in den Methodendarstellungen verdeutlicht, ‚berechnen‘ die Forscher für ihre Befunde ein Durchschnittsgehirn. Die Natur bietet jedoch eine große Variabilität (Whitney, 1998): Schädigungen im Broca-Bereich verursachen somit nicht bei allen Patienten eine Broca-Aphasie; umgekehrt können vielfältige Schädigungen in anderen Bereichen die Symptome einer Wernicke-Aphasie zeigen. Müller (2013: -77) weist darauf hin: „Anders als noch vor 20 Jahren, als man von einer ausschließlichen Verantwortung der linken Hemisphäre für die Sprache ausging, ist heute klar, dass beide Hemisphären in unterschiedlicher [und individueller] Weise für die Sprachfähigkeit verantwortlich sind und eine komplementäre Hemisphärenspezialisierung zeigen“. Lust (2006) fügt hinzu, dass Broca-Aphasie nicht nur Defizite in der Sprachproduktion, sondern auch Aphasie oder neurogene Sprachstörung (Box-7): Eine Schädigung von Hirnregionen, die zu Störungen der Sprachfähigkeit führt. „Bei einer Aphasie ist die Fähigkeit zu sprechen nicht in der Peripherie gestört, also nicht durch einen Hörverlust, durch eine mechanische Beeinträchtigung der Zunge oder durch den Verlust der Stimmbänder, sondern durch eine zentrale Störung im Gehirn beeinträchtigt“ (Müller, 2013: 83). 44783_Rohlfing_SL3a.indd 41 17.04.2019 14: 20: 35 42 2. Gehirn- und Sprachentwicklung in der Sprachrezeption bedeuten kann. Zum Beispiel können Broca-Aphasiker bei einem Satz wie der Leopard wurde vom Löwen getötet nicht den Täter identifizieren und nicht auf die Frage wer tötete den Leoparden? antworten. Es scheint, als ließe sich die klassische Trennung zwischen Sprachproduktion und--rezeption, die wir häufig für die Beschreibung von Sprachfähigkeiten vornehmen, nicht durch die Gehirnorganisation von Sprache erklären. Eine weit bessere Entsprechung bietet die Vorstellung paralleler Prozesse. Eine individuelle Biographie formt das Gehirn. Besondere Umstände, unter denen man aufwächst und lebt, schaffen bestimmte Anforderungen und tragen zu der Individualisierung bei. Eine Sprachumgebung mit vielen Sprachen gehört zunehmend zum Alltag vieler Menschen und stellt ebenfalls besondere Anforderungen an die Gehirnorganisation. 2.3 Multilinguale neuronale Sprachverarbeitung Während es sich bei monolingual aufwachsenden Kindern um Individuen handelt, die mit einer-Zielsprache aufwachsen, erwerben bi- und multilingual aufwachsende-Kinder mehrere Sprachen (siehe Box-8). In der Entwicklung wird zwischen simultaner und sukzessiver Mehrsprachigkeit unterschieden. Von sukzessiver Mehrsprachigkeit ist die Rede, wenn Kinder weitere Sprachen lernen, nachdem sie eine solide Basis für ihre erste Sprache erworben haben. Allerdings gibt es kaum Konsens darüber, wie viel Sprachkompetenz die solide Basis ausmacht; manchmal werden die Bezeichnungen „früher“ und „später“ Bilingualismus verwendet, um den Zeitpunkt des Erwerbs zu verdeutlichen (Costa & Sabastián-Gallés, 2014: 337). In einer aktuellen Zusammenfassung der neurowissenschaftlichen Befunde zu der Frage, wie Bilingualismus (siehe Box- 8) das Gehirn verändert, stellen Costa- & Sebastián-Gallés (2014) die These auf, dass das Gehirn bei monolingual wie bilingual aufwachsenden Individuen ähnlichen Anforderungen genügen muss. Jedoch lassen sich zwei wichtige Unterschiede feststellen: Bilingualismus (Box- 8): Bi- und multilingual aufwachsende Kinder erwerben mehrere Sprachen. Simultane Mehrsprachigkeit entwickelt sich, wenn ein Kind von Geburt an (oder innerhalb der ersten 2-3 Jahre) mit mehreren (z. B. zwei) Sprachen in Berührung kommt. Von einer sukzessiven Mehrsprachigkeit ist die Rede, wenn Kinder mit weiteren Sprachen in Kontakt kommen, erst nachdem sie eine solide Basis (ihr Umfang ist jedoch umstritten) für ihre erste Sprache erworben haben (Costa & Sabastián- Gallés, 2014: 337). 44783_Rohlfing_SL3a.indd 42 17.04.2019 14: 20: 35 43 2.3 Multilinguale neuronale Sprachverarbeitung ▶ Quantitativer Unterschied: Bilingualer Spracherwerb erfordert zum einen das Kennenlernen von zwei sprachlichen Systemen, mit ihren phonotaktischen Regeln, grammatischen Strukturen, usw. Es ist wahrscheinlich, dass der bilinguale Erwerb mit weniger verbalem Input für die jeweilige Sprache auskommen muss, weil kein Grund zu der Annahme besteht, dass bilinguale Eltern mehr mit ihren Kindern sprechen. ▶ Qualitativer Unterschied: Eine Anforderung des bilingualen Spracherwerbs ist das Erkennen, welche Sprache gerade gesprochen wird, um diese angemessen zu verarbeiten. Welche Verhaltensänderungen diese Unterschiede nach sich ziehen, wird in Kapitel- 3 (Sensibilität für Sprache) und 7 (Lexikonerwerb) genauer erläutert. In der Forschung wird angenommen, dass die neuronalen Änderungen mit erhöhten Anforderungen an die Sprachverarbeitung bei bilingualen Individuen einhergehen, die sich entweder aus reduziertem Sprachgebrauch oder größerer linguistischen Kontrolle (im Sinne eines Bewusstseins für Ähnlichkeiten und Unterschiede von Sprachen) ergeben. Einige Studien berichten, der linke mittlere frontale Cortex (engl.: inferior frontal cortex) sei bei bilingualen Individuen in Verstehensaufgaben aktiver. Diese unterschiedliche Aktivität wurde in Verbindung mit den Mechanismen der sprachlichen Trennung bei bilingualen Personen interpretiert. Die Methodik solcher Studien erfordert allerdings, dass den Versuchspersonen zwei Sprachen gleichzeitig präsentiert werden-- eine Situation, die sich im Alltag selten findet. Es kann also sein, dass die Besonderheiten der Befunde an die Besonderheiten der Testsituationen geknüpft sind. In einer Studie, die genau auf diese Kritik eingeht, mussten die Versuchspersonen mehrere linguistische Aufgaben in ihrer ersten Sprache erfüllen (Parker Jones u. a., 2012). Ein Vergleich der monolingualen versus sukzessiv bilingualen Individuen ergab, dass bilinguale Versuchspersonen eine höhere Aktivierung der linken Hemisphären und ihrer sprachbezogenen Areale aufwiesen. Diese Unterschiede betrafen Wortfindung, Artikulation, Bildbenennung und lautes Lesen, jedoch nicht Sprachverstehensaufgaben. Eine wesentliche Manipulation, die die Autoren dieser Studie vornahmen, betraf die monolingualen Individuen, die bei erhöhter Anforderung in den Benenn- und Leseaufgaben ähnliche Aktivierungsmuster wie die bilingualen Individuen zeigten. Die Autoren schließen aus dem Vergleich, dass die neuronalen Unterschiede zwischen bi- und monolingualer Verarbeitung mit erhöhten Verarbeitungsanforderungen für bilinguale Personen zu tun haben. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 43 17.04.2019 14: 20: 35 44 2. Gehirn- und Sprachentwicklung Die erhöhte Aktivierung kann jedoch auch vorteilhaft sein: So zeigen bilinguale Sprecher, die früh mit beiden Sprachen kompetent umzugehen lernten, im Vergleich zu monolingualen Sprechern eine effizientere und flexiblere auditive Verarbeitung (Krizman u. a., 2012). Studien berichten darüber hinaus von einem Zuwachs an Gehirnmasse (siehe Box-9) bei bilingualen Sprechern in bestimmten Bereichen des Gehirns. Bilinguale Sprecher, egal ob sie früh oder spät mit beiden Sprachen kompetent umzugehen lernten, zeigen einen Zuwachs an grauer Gehirnmasse in Bereichen, die beim Sprachfluss, der Artikulation, phonologischen Prozessen und auditiver Verarbeitung involviert sind. Aktuelle Studien verdeutlichen zunehmend, dass Bilingualismus nicht nur die für Sprache relevanten Bereiche des Gehirns betrifft, sondern auch seine exekutiven Funktionen (siehe Box-10). Diese Verbindung ist insofern interessant als sie ein eindeutiger Beleg dafür ist, Sprache als eine Fähigkeit zu sehen, die mit Kognition verbunden ist, und nicht als ein spezielles Modul, wie Vertreter der nativistischen Sichtweise (siehe Kapitel-1) postulieren würden. Die zugrundeliegende Hypothese besagt, dass bilinguale Individuen diese exekutiven Funktionen häufiger bemühen müssen, um Sprache angemessen anzuwenden. Beeindruckend ist jedoch die Tatsache, dass die Unterschiede in den exekutiven Funktionen bereits bei Säuglingen zu beobachten sind: Sieben Monate alte Säuglinge, die simultan zwei Sprachen lernen, sind in nicht-sprachlichen Aufgaben effizienter in der Lage, ihre Aufmerksamkeit zu steuern als Säuglinge, die einsprachig aufwachsen (siehe Box- 10). Dieser sprachliche Hintergrund erklärt auch die Generalisierungsfähigkeit der Kinder im Alter von 18 Monaten, erneut zum Vorteil der bilingual aufwachsenden Kinder: In einer Studie von Brito und Barr (2012) nahm ein Experimentator eine Handpuppe, die drei Handlungssequenzen demonstrierte; bilingual aufwachsende Kinder konnten später diese Handlungssequenzen unabhängig von der Puppe wiedererkennen und demonstrierten dadurch, dass sie die Handlungssequenz mental von dem speziellen Präsentationskontext lösen konnten. Es ist denkbar, dass dieser Gedächtnisvorteil zum schnellen Herausbilden von Wortkategorien führen kann. Bei multilingual aufwachsenden Kindern können Besonderheiten im Sprachgebrauch auftreten. Wie oben erwähnt, betreffen sie die Wortfindung, Artikula- Graue und weiße Gehirnmasse (Box- 9): Graue Gehirnmasse unterscheidet sich von weißer Gehirnmasse dadurch, dass die Nervenzellen mehr Zellkörper als Axiome (siehe Abbildug 4) beinhalten. Die Axiome, die durch Myelin ummantelt werden, geben der Zelle eine weiße Färbung. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 44 17.04.2019 14: 20: 35 45 2.4 Wachsendes Gehirn tion, Bildbenennung und lautes Lesen, jedoch nicht Sprachverstehensaufgaben. Der Wortabruf kann anders erfolgen als bei monolingualen Kindern. Diese Besonderheit kann sich verstärken und auch problematisch entwickeln, wenn dem Kind wenig Ressourcen (durch Testsituation, Zeitdruck, geringe Motivation) zur Verfügung stehen. In der Gedächtnisleistung oder Generalisierungsfähigkeit können multilingual aufwachsende Kinder die monolingualen Kinder jedoch sogar übertreffen. Fachpersonen, die mit multilingual aufwachsenden Kindern zu tun haben, sollten Schwierigkeiten in der Sprachproduktion dieser Kinder nicht gleich mit dem multilingualen Input verbinden. Die Tatsache, dass Kinder Schwierigkeiten, beispielsweise beim Wortabruf haben, bedeutet nicht, dass sie nicht genug Wörter kennen. Fachpersonen können dem Kind Hinweise durch Gestik, Objekte, usw. geben, und das Kind ermutigen, selbst zusätzliche Ressourcen zu benutzen (Bilder, Gesten, usw.), um zu der sprachlichen Äußerung zu finden. 2.4 Wachsendes Gehirn Eine der wichtigsten Veränderungen, die biologisch gesehen im Laufe der Entwicklung passieren, betrifft die Nervenzellen: Durch Myelinisierung (siehe Box-11) verbessert sich die Geschwindigkeit der Aktionspotentiale (elektrische Spannung eines Neurons; siehe auch Beschreibung von EEG und Abb. 4) und somit die Leistungsgeschwindigkeit. Die Myelinsierung beginnt bereits im fünften Schwangerschaftsmonat und dauert bis über die Pubertät hinaus an (Müller, 2013: 64). Abbildung 4 zeigt, wie die Faserverbindung einer Nervenzelle mit ‚Klumpen‘ von Myelin ummantelt ist. Papušek (2001: 26) weist darauf hin, dass Myelinisierung beginnt, „sobald das entsprechende System angemessen stimuliert wird und seine Funktionen aufnimmt“, woraus sich ein Unterschied des Myelinisierungsprozesses für verschiedene Gehirnbereiche ergibt. Myelinisierung (Box- 11): Darunter versteht man eine Ausbildung von Faserverbindungen zwischen den Neuronen sowie die Ummantelung dieser Faserverbindungen mit fetthaltigen Myelinscheiden. Die Myelinisierung der Nervenfasern ermöglicht die saltatorische Erregungsleitung, was zu einer Verzehnfachung der Ausbreitungsgeschwindigkeit der Aktionspotentiale führt. Exekutive Funktionen (Box-10): Die exekutiven Funktionen des Gehirns beziehen sich auf die kognitive Kontrolle, Impulskontrolle und bewusste Aufmerksamkeitssteuerung. Auf ihnen beruht die Fähigkeit, das eigene Verhalten zu regulieren, indem man Störungen ausschaltet und somit die eigene Informationsverarbeitung kontrolliert. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 45 17.04.2019 14: 20: 35 46 2. Gehirn- und Sprachentwicklung Abbildung 4: Eine Nervenzelle: Bei einer Erregung der Zelle verlaufen Aktionspotentiale (Nervenimpulse) entlang des Axons. Im Aufbau wird die Myelinscheide sichtbar, die die Geschwindigkeit und somit die Leistung von Aktionspotentialen verbessert. An dieser Stelle sei darauf verwiesen, dass das wachsende Gehirn enorm flexibel ist. Studien mit Kindern im Alter von 5 bis 6 Jahren mit unilateraler Schädigung des Gehirns zeigen, dass ihre sprachlichen Leistungen sich nicht von denen der typisch entwickelten Kinder unterscheiden, und zwar unabhängig vom Ort der Läsion. Das bedeutet, dass eine Schädigung-- wenn ein Kind diese früh in der Entwicklung erleidet-- durch Reorganisation der Funktionen aufgefangen werden kann. Allerdings sind junge Kinder nach einer Gehirnschädigung langsamer, was das Lallen (Kapitel-4 und 6) und die nichtverbale Kommunikation (Kapitel-5) betrifft. In den Neurowissenschaften gilt die Annahme, dass die ersten 2 Jahre der menschlichen Entwicklung die Gehirnstruktur entscheidend prägen. Das impliziert, dass diese Zeit sowohl Vorteile der Reorganisation (wie gerade angedeutet) als auch hohe Verwundbarkeit mit sich bringen kann (Courchesne, 2004). Eine Autismus-Spektrum-Störung (siehe Box-12) kann erst nach der Phase des neuronalen Wachsens erkannt werden. In dieser Phase scheint es einerseits einen atypischen Zuwachs an cerebraler weißer und grauer Gehirnmasse zu geben, d. h. der Umfang der Gehirnbereiche ist größer als bei der typischen Entwicklung eines Kindes. Andererseits aber ist eine atypische Wachstumsverlangsamung an Gehirnmasse in Bereichen der höheren kognitiven, sprachlichen, emotionalen und sozialen Funktionen zu verzeichnen; zu diesem Zeitpunkt schreitet typischerweise bei Kindern die Myelinisierung voran (Courchesne, 2004). Es wird vermutet, dass diese Andersartigkeit in biologischen Wachstumsprozessen ein Faktor für die Ausprägung der Autismus-Spektrum-Störung 44783_Rohlfing_SL3a.indd 46 17.04.2019 14: 20: 35 47 2.5 Sprachverarbeitung bei Säuglingen ist. Insbesondere wird die Zunahme der weißen Gehirnmasse als problematisch für die Verbindung zwischen Gehirnregionen gesehen. Eine eingeschränkte Verbindung äußert sich in Verhaltensbeeinträchtigungen (Weinstein u. a., 2010) und hat zum Beispiel zur Folge, dass autistische Kinder sozialen Signalen keine hohe Priorität zuweisen. 2.5 Sprachverarbeitung bei Säuglingen Nach den Befunden zu Erwachsenen, die darauf hinweisen, dass ca. 95 % der Rechtshänder und ca. 75 % der Linkshänder Sprache links lateralisieren (Müller, 2013: 75), stellt sich für die menschliche Entwicklung die Frage, ob diese Art der Verarbeitung von Geburt an gegeben ist. Hierzu werden im Folgenden die Befunde entlang zweier Studien skizziert. Diese Darstellungsweise gibt einen Einblick sowohl in die Inhalte als auch in die Methoden der Entwicklungsneurolinguistik. Zentrale Erkenntnisse sind bereits aus dem folgenden Abstract (siehe Box-13) zu einer älteren Studie von Mills, Coffey-Corina und Neville (1997: 397) zu entnehmen: The purpose of this study was to examine developmental changes in the organization of brain activity linked to comprehension of single words in 13to 20-month-old infants. Event-related potentials (ERPs) were recorded as children listened to a series of words whose meanings were understood by the child, words whose meanings the child did not understand, and backward words. The results were consistent with a previous study suggesting that ERPs differed as a function of word meaning within Autismus-Spektrum-Störung (Box- 12): ASS (engl.: autism-spectrum disorder, ASD) ist eine Entwicklungsstörung des zentralen Nervensystems, die bewirkt, dass Menschen Informationen abweichend verarbeiten und Defizite in der sozialen Interaktion (Kontaktaufnahme, Sprache, Verhalten) aufweisen. Die Symptome der Störung sind vielfältig und ihre individuelle Ausprägung variiert stark. Betroffene haben z. B. Schwierigkeiten, ihr Verhalten der jeweiligen sozialen Situation anzupassen, oder Interesse an anderen Menschen zu entwickeln. Sie gehen häufig eigenen höchst eingeschränkten Interessen nach. In manchen Fällen pflegen sie motorische Rituale und bestehen auf immer gleiche Verhaltensweisen (auch Äußerungen) oder Lebensmittel. Damit kann auch eine Über- oder Unterreaktion auf sensorische Reize (Hitze, Kälte, Geräusche) einhergehen, die sich in stark ablehnenden Reaktionen äußert. Abstract (Box-13): Ein Abstract ist eine kurze Zusammenfassung (etwa 100 bis 200 Wörter), die bei wissenschaftlichen Veröffentlichungen knapp die Forschungsfrage, die Methode und die Ergebnisse darstellt. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 47 17.04.2019 14: 20: 35 48 2. Gehirn- und Sprachentwicklung 200 ms after word onset. At 13 to 17 months, ERP differences between comprehended and unknown words were bilateral and broadly distributed over anterior and posterior regions. In contrast, at 20 months of age these effects were limited to temporal and parietal regions of the left hemisphere. The results are discussed in relation to the general effects of maturation, the maturation of language-relevant brain systems, and the development of brain systems linked to level of ability independent of chronological age. We offer the working hypothesis that the neurophysiological changes that give rise to certain ERP effects reported here are linked to the remarkable changes in early lexical development that typically occur between 13 and 20 months, whereas others produce more general maturational effects (Mills, Coffey-Corina und Neville, 1997: 397). Zunächst gibt das Abstract Aufschluss darüber, welche Methode für die Studie angewendet wurde, nämlich das ERP. Das heißt, das EEG der Versuchspersonen wurde zu einem Zeitpunkt aufgezeichnet, als sie (1) Wörter mit bekannter Bedeutung, (2) Wörter ohne bekannte Bedeutung, und (3) Wörter rückwärts gelesen hörten. Des Weiteren berichtet das Abstract von der Versuchspersonengruppe: Junge Kinder im Alter von 13 bis 20 Monaten. Die Ergebnisse weisen auf einen Unterschied in den ERPs hin, die 200 Millisekunden nach dem Wortbeginn zu beobachten sind und somit der Wortbedeutung zugeschrieben werden können. Wörter mit unbekannter Bedeutung wurden von 13 bis 17-Monate alten Kindern bilateral und breit auf anteriore und posteriore Regionen verteilt verarbeitet. Im Gegensatz zu den jüngeren Probanden verarbeiteten 20 Monate alte Kinder diese Art von Wörtern in temporalen und parietalen Bereichen der linken Hemisphäre. Aufgrund ihrer Ergebnisse bieten die Autoren die Hypothese an, dass es in der neuronalen Entwicklung zwischen dem 13. und 20. Lebensmonat zu bemerkenswerten Veränderungen der Verarbeitung von Sprache kommt. Diese Effekte, so die Autoren in ihrem Aufsatz, hängen mit der Entwicklung des Lexikons zusammen. Wie in Kapitel-7 erläutert wird, kommt es in der Zeit zwischen dem 13. und 20. Lebensmonat zu einem enormen Zuwachs an Wortwissen. Was die Autoren für das Lexikon zeigen, berichtet Szagun (2016) ebenfalls für grammatische Strukturen: Diese werden zunächst bilateral verarbeitet, bevor sie mit zunehmendem Alter in frontaltemporalen Bereichen links lateralisiert werden. Immer wieder wird in der Literatur nicht nur über den Einfluss der Reife berichtet, d. h. dass ab einem gewissen Zeitpunkt in der Entwicklung neuro- 44783_Rohlfing_SL3a.indd 48 17.04.2019 14: 20: 35 49 2.5 Sprachverarbeitung bei Säuglingen nale Veränderungen zu verzeichnen sind. Auch wird der Erfahrung ein großer Einfluss zugestanden. Dies geht auf die Beobachtungen zurück, dass Aktivitätsmuster von Kindern mit größerem Wortschatz denen älterer Kinder gleichen. Daraus können zwei konkurrierende Hypothesen abgeleitet werden; beide versuchen die linkshemisphärische Verarbeitung zu erklären: ▶ Die linkshemisphärische Verarbeitung wird der festen Ausbildung zugeschrieben. Nach dieser Hypothese ist es eine Frage der neurophysiologischen Reife und des vorhandenen Wortschatzumfangs, ob es zur linkshemisphärischen Verarbeitung kommt. Eine kritische Masse von Neuronen muss der verbalen Sprache ausgesetzt sein, damit sich diese hemisphärische Spezialisierung herausbildet. Diese Hypothese kann man mit zwei Schlagwörtern festhalten: Reife und Erfahrung (mit Sprache). ▶ Die linkshemisphärische Verarbeitung wird dem „Training on the item“ zugeschrieben. Nach dieser Hypothese ist es die Auseinandersetzung mit einzelnen Wörtern, durch die es zu einer Stärkung der Wort-Referent-Verbindung kommt. Möglich ist, dass diese Stärkung auch zur Etablierung eines semantischen Netzwerks führt. Durch den wiederholten Gebrauch eines Wortes wird also nicht nur die Wort-Referent-Verbindung gestärkt. Vielmehr wird dem Lerner klar, unter welchen Umständen die Wörter gebraucht werden und mit welchen weiteren sie zusammen auftauchen. Die Besonderheiten dieser Hypothese lassen sich mit folgenden Schlagwörtern zusammenfassen: Auseinandersetzung (mit einzelnen Wörtern) und Item (weil es nicht um den Umfang des Wortschatzes, sondern um die individuellen Wörter geht). Welche der beiden Hypothesen Gültigkeit hat, testete eine Studie von Mills und Kollegen (2005). Für ihre Untersuchung formulierten die Autoren konkrete Vorhersagen: 1. Wenn der Vokabularzuwachs im Zusammenhang mit der qualitativen Reorganisation steht, dann sollte die ERP-Wellenverteilung von neu gelernten versus nicht bekannten Wörtern links lateralisiert sein (siehe Abb. 5), und zwar bei Kindern mit größerem Wortschatz. Kinder, die einen geringeren Wortschatz und somit noch nicht genug Erfahrung mit Sprache, haben, sollten alle Wörter bilateral verarbeiten (siehe Abb. 6). 44783_Rohlfing_SL3a.indd 49 17.04.2019 14: 20: 35 50 2. Gehirn- und Sprachentwicklung Abbildung 5: Verarbeitung von gelernten vs. nicht-gelernten Wörtern bei Kindern mit größerem Wortschatz und somit größerer Erfahrung mit Sprache im Allgemeinen. „L“ deutet die linke Hemisphäre an, „R“ wiederum die rechte. 2. Wenn jedoch die Erfahrung mit individuellen Wörtern im Zusammenhang mit der links lateralisierten ERP-Verteilung steht, dann sollte sich bei der Verarbeitung von neu gelernten versus nicht-gelernten Wörtern ein bilateraler Unterschied in der Aktivierung zeigen. Die Verarbeitung von gelernten Wörtern sollte demnach links lateralisiert werden, wie Abbildung 6 verdeutlicht. Abbildung 6: Verarbeitung von gelernten (linkshemisphärisch, angedeutet durch „L“) vs. nicht-gelernten (bilateral) Wörtern für Kinder mit geringerem Wortschatz. An dieser Studie nahmen 22 typisch entwickelte Kinder im Alter von 17 bis 21 Monaten teil. 19 weitere Kinder wurden zwar getestet, jedoch aus dem Datensatz aufgrund der Weigerung die EEG-Kappe zu tragen oder sonstiger Experimentfehler ausgeschlossen. Der Aufbau der Studie folgt einem sogenannten Pre-Posttest-Design, d. h. zunächst wird das Verarbeiten in einem Vortest er- 44783_Rohlfing_SL3a.indd 50 17.04.2019 14: 20: 35 51 2.5 Sprachverarbeitung bei Säuglingen fasst, in dem 2 bekannte und 4 neue Wörter fielen. Die Wörter wurden jeweils 30 Mal in einer zufälligen Reihenfolge präsentiert. Jedes Kind bekam insgesamt 180 Trials (Proben) dargeboten. In einer darauffolgenden Trainingsphase lernten die Kinder einige Wörter besser kennen. Das Lernen geschah durch die Paarung von Wörtern mit Objekten; dabei zeigte eine Handpuppe auf ein Objekt und sagte etwa Look, look at the wug, wug, wug. Look, look at the wug! . Manche Wörter tauchten im Training nicht gepaart auf, d. h. das Kind hörte zwar ein neues Wort (z. B. wug), bekam aber keinen Referenten dazu präsentiert-- auf diese Weise hörten die Kinder zwar den Klang des Wortes (seine phonologische Form), es fand jedoch kein Lernen im semantischen Sinne statt. In der abschließenden Testphase wurde wieder die Verarbeitung von 2 bekannten und 4 neuen Wörtern erfasst. Die Ergebnisse zeigen, dass die im Training gepaarten Wörter anschließend im Test links verarbeitet wurden. Die ERP wiesen auf eine Negativität hin, die mit der Wortbedeutung in Verbindung steht. Dagegen wurden die im Training nur gehörten, aber nicht mit Objekten gepaarten, neuen Wörter bilateral verarbeitet. Laut diesem Ergebnis bewirkt das semantische Lernen, also die semantische Auseinandersetzung mit einem Wort, eine Änderung in der lateralen Distribution. Der Frage, ob die Erfahrung mit Sprache im Allgemeinen eine qualitative Reorganisation der Sprachverarbeitung bewirken kann, gingen die Autoren nach, indem sie die Teilnehmer in zwei Gruppen aufteilten: Kinder mit geringem und großem Wortschatz. Der Wortschatz der Kinder wurde mit einem Elternfragebogen (siehe Kapitel-7) erfasst. Die Ergebnisse zeigten einen statistischen Trend, in dem ein Unterschied zwischen gepaarten und nichtgepaarten Wörtern in der linken Hemisphäre zu erkennen war. Zusammengefasst zeigt die Studie, dass die getesteten Wörter sich vor dem Training nicht in der lateralen Verarbeitung voneinander unterschieden. Folglich kann ein ERP-Unterschied nach dem Training nur der experimentellen Manipulation zugeschrieben werden. Im Training wurden die Wörter gelernt; entweder, indem sie lediglich gehört wurden (keine Paarung) oder indem eine semantische Auseinandersetzung, eine Zuweisung eines Wortes zu seinem Referenten (Paarung mit einem Objekt) stattfand. Nach dem Training wurden im EEG N200-500 mehr Unterschiede bei den neuen, aber gepaarten als bei den ungepaarten Wörtern beobachtet. Die Effekte verteilten sich auf beide Hemisphären-- ein Ergebnis, das für Vorhersage 2 spricht. Allerdings zeigten weitere Analysen, dass sich dieser Effekt für Kinder mit größerem Wortschatz 44783_Rohlfing_SL3a.indd 51 17.04.2019 14: 20: 36 52 2. Gehirn- und Sprachentwicklung vorwiegend in der linken Hemisphäre äußerte. Dieses Ergebnis spricht wiederum für Vorhersage 1. Folgende Schlussfolgerungen ergeben sich aus dieser Studie: Die Entstehung des (für die Verarbeitung von Grammatik) typischen linkshemisphärischen Musters hängt nicht nur vom Alter oder der neuronalen Reifung ab (Hypothese- 1 zu der festen Ausbildung), sondern auch von der Erfahrung mit den jeweiligen Wörtern (Hypothese 2 zum Training on the item). Aktuelle Studien wie die von Romeo und Kollegen (2018) verdeutlichen, dass die Erfahrung mit den jeweiligen Wörtern nicht nur das wiederholte Hören eines Wortes beinhaltet, sondern das gemeinsame Engagieren 1 in Konversation (in der Studie durch die Anzahl der Turns in der Interaktion operationalisiert) umfasst und in Zusammenhang mit der Aktivierung des linkshemisphärischen Musters der Sprachverarbeitung steht. Viele Faktoren wirken also auf das Gehirn. Gershkoff-Stowe (2002) weist zudem darauf hin, dass sich die Gedächtnisleistungen zwischen dem 13. und 20. Lebensmonat vergrößern, was sicherlich einen Einfluss auf die Lateralisierung von Sprache hat. Neuere Studien zeigen darüber hinaus eine engere Verknüpfung mit motorischen und perzeptuellen Fähigkeiten (Kapitel-3). Daran anknüpfend zeigt Kapitel-4, wie Gestik, eine motorische Tätigkeit, mit der Sprachentwicklung zusammenhängt. Die hier vorgestellten Ergebnisse (siehe auch Szagun, 2016; Sheehan & Mills, 2008) verdeutlichen, dass Sprachverarbeitung nicht notwendigerwesie in der linken Gehirnhälfte stattfindet muss. Forschungsergebnisse von Bishop und Kollegen (2014) zu individuellen Unterschieden bei Gehirnfunktionen und Sprachentwicklungsverzögerung deuten jedoch darauf hin, dass es eine (möglicherweise genetisch determinierte) Präferenz der linken Hemisphäre zur Übernahme von Sprache gibt. Denn das Ausbleiben der linkshemisphärischen Präferenz kann ein Anzeichen für eine genetische Sprachentwicklungsverzögerung sein (Bishop u.a, 2014). Festzuhalten ist, dass die Präferenz allmählich und unter dem Einfluss von Sprache und Interaktion im Allgemeinen und einzelnen Wörtern im Besonderen entsteht. 1 Die Bedeutung des gemeinsamen Engagierens geht über die Bedeutung der gemeinsamen Aufmerksamkeitsbezüge (siehe Box-40) hinaus, da es sich weniger auf die bloße und momentane Koordination der Aufmerksamkeit bezieht als vielmehr auf ein andauerndes Bestreben, sich multimodal auf ein Handlungsziel hinaus zu koordinieren (siehe auch Box-17). 44783_Rohlfing_SL3a.indd 52 17.04.2019 14: 20: 36 53 2.5 Sprachverarbeitung bei Säuglingen Lesetipps: Die Methoden und Ansätze der Neurolinguistik lassen sich in folgenden zwei Büchern vertiefen: Höhle, B. (Hrsg.). (2010). Psycholinguistik. Berlin: Walter de Gruyter. Müller, H. M. (2013). Psycholinguistik-- Neurolinguistik. Paderborn: W. Fink. Der Aufsatz von Sheehan und Mills geht auf die Entwicklung der Lateralisation ein und beschreibt dabei die eingesetzten Methoden auf verständliche Weise: Sheehan, E. A., & Mills, D. L. (2008). The effect of early word learning on brain development. In A. D. Friederici & G. Thierry (Hrsg.), Early Language Development: Bridging brain and behaviour (S. 161-190). Amsterdam: John Benjamins Publishing. Der Aufsatz von Romeo und Kollegen zeigt aktuelle Entwicklungen zur Erforschung der Wirkung von Interaktionserfahrung auf Linkslateralisation: Romeo, R. R., Leonard, J. A., Robinson, S. T., West, M. R., Mackey, A. P., Rowe, M. L., & Gabrieli, J. D. (2018). Beyond the 30-Million-word gap: Children’s conversational exposure is associated with language-related brain function. Psychological Science, 29 (5), 700-710. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 53 17.04.2019 14: 20: 36 44783_Rohlfing_SL3a.indd 54 17.04.2019 14: 20: 36 55 3.1 Methoden der Sprachwahrnehmung: High Amplitude Sucking, Habituation, Zuwendung 3. Sensibilität für Sprache und sogenannte soziale Signale Ohne Anknüpfungspunkte kann ein Lernprozess nicht erfolgen. Die Sensibilität für Sprache und Kontingenzen in der Interaktion bietet solch einen Anknüpfungspunkt, denn bereits Säuglinge zeigen eine Vorliebe für die menschliche Stimme. Die Vorliebe für dieses Kommunikationsmittel wirkt wie ein Magnet, weshalb sich Kinder häufig in Kontakt mit anderen Mitmenschen finden. Das kontingente soziale Miteinander wiederum hilft, lautsprachliche Strukturen zu erkennen; es sorgt aber auch zugleich für eine kontinuierliche Unterstützung der kommunikativen Entwicklung des Kindes. In diesem Kapitel wird dargestellt, welche Impulse dem Säugling helfen, die Vorliebe für das soziale Miteinander zu aktivieren und auszubauen. Ein späteres Kapitel 6 geht genauer auf die Lautproduktion und ihre Entwicklung ein. Daraus ergibt sich eine Überschneidung der Inhalte beider Kapitel. 3.1 Methoden der Sprachwahrnehmung: High Amplitude Sucking, Habituation, Zuwendung Die Methoden zur Feststellung, welche Laute Kinder wann erkennen, machen sich die Tatsache zunutze, dass Kinder neugierig sind, aber auch, dass sie sich an einen Reiz gewöhnen können. High Amplitude Sucking Diese Methode nutzt die Tatsache, dass Säuglinge einen Saugreflex vorweisen, der sich an einem Schnuller im Einsatz gut ablesen lässt. An der Bewegung des Schnullers wird zudem deutlich, dass das Saugtempo variieren kann: Ist der Säugling entspannt, so ist die Saugrate niedrig; sie erhöht sich, wenn es etwas Interessantes zu entdecken gibt. Die Methode des High Amplitude Sucking (HAS) nutzt das Saugtempo als eine Variable (siehe Box- 14), die in ihrer Ausprägung langsamer oder schneller sein kann. Zudem spielt der Methode die Fähigkeit eines Säuglings zu, einen Zusammenhang zwischen zwei Vorgängen herzustellen, dem eigenen Verhalten des Saugens und dem äußeren Ereignis 44783_Rohlfing_SL3a.indd 55 17.04.2019 14: 20: 36 56 3. Sensibilität für Sprache und sogenannte soziale Signale (dem Reiz, auch Stimulus genannt). Besteht die abhängige Variable aus dem Saugtempo eines Säuglings, so kann sich die unabhängige Variable durch den unterschiedlichen Sprachrhythmus eines Wortes (siehe Box-15) definieren, der zum Beispiel zwei Ausprägungen hat: Jambus und Trochäus. Als ein Störfaktor gilt die Müdigkeit des Säuglings, die sicherlich ebenfalls einen Einfluss darauf hat, ob er einen Rhythmustyp erkennt. Es ist daher wichtig, im Vorfeld das Befinden des Säuglings zu beachten und die Erhebung ggf. zu verschieben. In der HAS-Methode wird zunächst ein individuelles Durchschnittstempo im Saugen ermittelt. Anschließend, jedes Mal, wenn ein Säugling schneller als sein Durchschnittstempo saugt, bekommt er ein auditives Signal als Reiz präsentiert. Dieses Signal-- meistens menschliche Lautsprache-- hat das Ziel, das Saugen zu verstärken. Ein Nebenprodukt dieser Verstärkung ist, dass der Säugling ein bestimmtes Verhalten mit dem Reiz assoziiert. Wenn der Reiz zeitgleich zum individuellen Saugen platziert wird, dann steigt üblicherweise die Saugrate. Nach einer gewissen Zeit und einer kontinuierlichen Platzierung kommt es jedoch zu einer Sättigung, d. h., das auditive Signal führt immer weniger dazu, dass Säuglinge ihre Saugrate beschleunigen. Im Falle einer Sättigung kann ein neues Signal erneut eine stimulierende Wirkung erzielen. Dabei muss jedoch beachtet werden, dass eine Saugrate einen gewissen Rhythmus in sich trägt, an den sich die Säuglinge ebenfalls angepasst haben. Folglich soll ein neuer Stimulus den gleichen Rhythmus nutzen (Floccia u. a., 1997). Bereits Neugeborene können den Zusammenhang zwischen ihrer Saugrate und einem Signal lernen. Beeindruckenderweise können sie diesen sogar umlernen. Das heißt, sie können eine Signaländerung auch durch eine niedrige-- und nicht wie vorher etabliert durch eine höhere-- Saugrate hervorrufen. Headturn-Preference-Technik Diese Methode beschreibt Höhle (2005) als eine der zuverlässigsten und flexibelsten, sowohl in Bezug auf das Altersspektrum der zu untersuchenden Kinder als auch auf die Fragestellungen. Sie ist für Kinder im Alter von 4-24 Variable (Box- 14): Sie bezieht sich auf ein Merkmal eines Systems, das von unterschiedlicher Ausprägung ist (Saugtempo, Wortproduktion oder Anzahl der Zeigegesten). Als unabhängige Variable einer empirischen Untersuchung gilt, was aktiv und systematisch verändert wird, um einen erkennbaren Einfluss auf die abhängige Variable messen zu können. Die abhängige Variable ist also eine Zielvariable, die im Zentrum der Datenerfassung steht. Eine Störvariable (z. B. Müdigkeit) kann ebenfalls die abhängige Variable beeinflussen. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 56 17.04.2019 14: 20: 36 57 3.1 Methoden der Sprachwahrnehmung: High Amplitude Sucking, Habituation, Zuwendung Monaten geeignet (Schröder & Höhle, 2011). Die abhängige Variable, somit das zu messende Verhalten (siehe Box-14), ist bei dieser Methode die Zeit, die ein Kind braucht, sich mittels einer Kopfdrehung in eine Richtung einem sprachlichen Reiz zuzuwenden. Diese wird als Orientierungszeit bezeichnet. Das Untersuchungsparadigma kann wie folgt beschrieben werden: Bei einer Untersuchung sitzt das Kind auf dem Schoß der Bezugsperson. Rechts und links von ihm befinden sich versteckte Lautsprecher sowie Lampen darüber. Diese haben die Funktion, die Aufmerksamkeit des Kindes zu lenken. Die Experimentatoren steuern die Anlage hinter einer Wand und beobachten das Kind über frontal auf das Kind ausgerichtete versteckte Kameras. Die Prozedur beginnt mit einem blinkenden Licht in der Mitte, um die Aufmerksamkeit des Kindes für eine neutrale Position zu gewinnen. Sobald das Kind zum Licht schaut, erlischt dieses und eins der Seitenlichter wird aktiv. Dreht das Kind nun den Kopf zur leuchtenden Seite, startet der Experimentator die Präsentation des sprachlichen Stimulus über den Lautsprecher auf dieser Seite. Der Stimulus wird solange abgespielt, bis das Kind sich länger als 2 Sekunden abwendet. „Eine Untersuchung besteht meist aus 16 Durchgängen, in denen 2 sprachliche Bedingungen […] präsentiert werden“ (Schröder & Höhle, 2011: e92). Auf diese Weise kann beispielsweise getestet werden, welche Betonung ein Kind bei einem zweisilbigen Nichtwort wie gaba präferiert, entweder im trochäischen (gaa-ba), was die eine Bedingung ausmacht, oder im jambischen (ga-baa) Betonungsmuster (siehe Box-15), welches die zweite Bedingung wäre. Seine Präferenz für die eine oder andere Bedingung äußert ein Kind, indem es sich einer Bedingung im Durchschnitt signifikant länger zuwendet. Da die große Mehrheit der Wörter im Deutschen trochäisch betont wird, ist zu erwarten, dass Kinder, die Deutsch lernen, diesen Sprachrhythmus präferieren. Bei Französisch lernenden Kindern ist eine Präferenz für das jambische Betonungsmuster zu erwarten. Mit der Methode des Headturns kann nicht nur eine Präferenz für einen bestimmten Laut oder ein stimmliches Muster, sondern auch die akustische Wahrnehmung untersucht werden (siehe Inhalte zur phonologischen Entwicklung in Kapitel-6). Arten der Sprachrhythmen (Box- 15): Als Trochäus wird ein Sprachrhythmus bezeichnet, der im Deutschen und Englischen dominiert. Dabei liegt die Betonung auf der ersten Silbe und markiert den Wortanfang wie bei Guten Morgen; alle folgenden schwachen Silben können als Bestandteil des Wortes gesehen werden (Schröder & Hölle, 2011). Der Sprachrhythmus Jambus ist dagegen zum Beispiel im Französischen dominant. Betont wird die letzte Silbe des Wortes (voiture) und die vorangehenden können als zum Wort dazugehörig interpretiert werden. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 57 17.04.2019 14: 20: 36 58 3. Sensibilität für Sprache und sogenannte soziale Signale 3.2 Sensibilität für die menschliche Stimme (und Gesichter) Noch bevor bedeutungsvolle Informationen durch die Stimme vermittelt werden, hat die Stimme eine eigene Signalwirkung: Neugeborene können die Stimme ihrer Mutter von einer anderen weiblichen Stimme unterscheiden (DeCasper & Fifer, 1980) und präferieren diese auch. Dies erstaunt wenig, da sich das Gehör eines Kindes im Mutterleib ausbildet und durch diese Fähigkeit ein Kind bereits pränatal wahrnimmt, wie die Mutter mit anderen Menschen spricht oder singt. Babys bevorzugen von Geburt an menschliche Stimmen gegenüber anderen instrumentalen Geräuschen (Muir & Field, 1979) und Wörter gegenüber anderen Geräuschen (Colombo & Bundy, 1983). Interessanterweise schaffen es Babys, auf die Stimme der Mutter zu achten und diese klar zu präferieren, auch wenn diese zusammen mit anderen Geräuschen dargeboten wird (Bortfeld u. a., 2013). Szagun (2016) weist darauf hin, dass lautliche Signale bestimmten Intonationsmustern folgen, die auch bei anderen Säugern angewendet werden. Es gibt also „biologisch funktionale Mitteilungen“ (ibid.: 39), die in einigen stereotypischen Intonationsmustern enthalten sind, wie zum Beispiel die Verbindung von hohen Tönen mit „Angst und Unterwerfung oder freundlicher Annäherung, tiefe, harte Töne dagegen mit Drohung“ (ibid.). Neben der Präferenz für die menschliche Stimme äußern Säuglinge ebenfalls ihre Vorliebe für Gesichter. Die Auffälligkeit des menschlichen Gesichts ist vor allem auf die Augenpartie zurückzuführen. Dieser Teil des Gesichts wird von Säuglingen bereits im Alter von zwei Monaten visuell am intensivsten untersucht (Farroni u. a., 2004). Unter dem Begriff eines ‚sozialen Signals‘ werden daher in der Regel die menschliche Stimme und der Blickkontakt verstanden (siehe Box-16). Im Laufe der Entwicklung erfahren beide Bereiche, sowohl die Wahrnehmung der Stimme als auch die der Gesichter, eine ‚Verengung‘ (engl.: perceptual narrowing). Diese äußert sich darin, dass sich Kinder auf menschliche Gesichter (Pascalis u. a., 2002) und ihre Zielsprache spezialisieren (Mehler & Christophe, 1995; Grossmann u. a., 2010). Dieses Phänomen wird in Kapitel-3.7 vertieft. Die Präferenz für die menschliche Stimme scheint sich bei Kindern mit Autismus Spektrum Störung (siehe Box-12) anders zu entwickeln. Da diese E nt w i c k l u n g s s t ö r u n g Soziale Signale (Box- 16): Als prototypische soziale Signale gelten die menschliche Stimme, der Blickkontakt und Zeigegesten. Diese haben häufig einen auffordernden Charakter. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 58 17.04.2019 14: 20: 36 59 3.3 Sensibilität für Kontingenzen in der sozialen Interaktion durch erhebliche Defizite im kommunikativen Bereich charakterisiert wird, ist es von Interesse, zu untersuchen, wie Säuglinge mit Prädispositionen für ASS auf menschliche Stimmen reagieren. Solche Studien sind retrospektiv aufgebaut, da die Entwicklungsstörung erst im Alter von 2 oder 3 Jahren festgestellt werden kann. Das heißt, zuerst wird die Präferenz der Säuglinge für menschliche Stimmen erfasst, und erst später werden die Kinder aus der Stichprobe herausisoliert, die mit ASS diagnostiziert wurden, und ihr Verhalten wird mit dem anderer Kinder der Stichprobe verglichen. Auf diese Weise stellen einige Studien fest, dass Kinder mit ASS bereits im Säuglingsalter eine fehlende Präferenz für menschliche Stimmen (Osterlin & Dawson, 1994) und eine mangelnde Orientierung auf Sprachlaute (Bebko u. a., 2006) aufweisen. Diese fehlenden Präferenzen gehen mit einer defizitären visuellen Wahrnehmung und Verarbeitung von Gesichtern (Dawson u. a., 2002) einher. Es ist es gut vorstellbar, dass sich diese Andersartigkeiten zusammengenommen in der Gestaltung der frühen Interaktionen niederschlagen (siehe Kapitel-5 und 12). 3.3 Sensibilität für Kontingenzen in der sozialen Interaktion Von Geburt an wenden sich Säuglinge anderen Menschen nicht nur zu, sie lernen auch, sich mit ihnen für bestimmte Zwecke zu koordinieren und zu engagieren. Ein dafür grundlegender und universeller Mechanismus ist die Reziprozität im Verhalten, bekannt als „duetting“ oder „turn-taking“ (Levinson, 2016: 6; siehe Box- 17). Hierunter verstehen Konversationsanalytiker den grundlegenden Fakt einer Interaktion/ Konversation, dass meistens nur eine Person spricht und sich die Sprecher mit minimalen Pausen oder Überlappungen abwechseln. Folglich erscheint eine Konversation als eine in Turns und Pausen organisierte Handlung (Ten Have, 1999; Levinson, 2016; siehe auch Kapitel-11), in der sich beide Partner aufeinander in verschiedener Hinsicht (zeitlich, räumlich, strukturell) beziehen. Diese Bezugnahme oder Entsprechung wird als Kontingenz (Rohlfing, 2013: 113; vgl. Nagai, 2016) bezeichnet. Ein Spiegelbild, bespielsweise, verhält sich zu einem selbst hundertprozentig kontingent. Reziprozität in sozialen Interaktionen (Box-17): Eine soziale Interaktion ist reziprok, d. h. wechsel- und gegenseitig. Die Reziprozität zeichnet sich auf der Oberfläche durch Turn-Taking aus, d. h. eine sequenzielle Organisation einer Interaktion, in der sich Partner kontingent aufeinander beziehen. Die Funktion der Organisation ist häufig das Erreichen eines gemeinsamen Handlungsziels, was sich im gemeinsamen Engagieren (d. h. einem andauernden Bestreben) äußert und daher von momentaner Koordination der Aufmerksamkeit zu unterscheiden ist. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 59 17.04.2019 14: 20: 36 60 3. Sensibilität für Sprache und sogenannte soziale Signale Koordination als Turn-Taking Aufbauend auf dem reziproken Charakter einer sozialen Interaktion wird das Turn-Taking in der Entwicklungspsychologie als eine wesentliche Fähigkeit für die spätere verbale und nonverbale Kommunikation gesehen (z. B. Gratier, 2003; Masataka, 2003; Trevarthen, 1979). Die Organisation eines Austausches zwischen zwei Personen gilt bereits für sehr junge Säuglinge als belegt: Eine dialogische Struktur einer Interaktion identifizierte Kaye (1977) bei zwei Wochen alten Säuglingen; sie scheint durch die Interaktion mit der Mutter erlernt zu sein. In seiner Untersuchung analysierte Kaye (1977) Muster in Trinkschüben und Trinkpausen bei Neugeborenen. Wenn ein Baby das Trinken unterbrach, reagierten die meisten Mütter damit, dass sie es sanft rüttelten (siehe den zeitlichen Ablauf des Miteinanders in Abbildung 7). Interessanterweise führte nicht das Rütteln zur Wiederaufnahme des Trinkens, sondern die Pause danach. Abbildung 7: Die zeitliche Organisation des frühen Turn-Takings: Erst wenn das Baby eine Pause im Trinken macht, reagiert die Mutter mit sanftem Rütteln (angedeutet durch die Rassel). Auf die Pause reagiert dann das Baby, indem es das Saugen (angedeutet durch die Fläschchen) wiederaufnimmt. Kaye (1977) verweist mit den Ergebnissen auf die Ursprünge des Dialogs: Mutter und Kind müssen lernen, das Verhalten des Anderen vorherzusagen und das eigene Verhalten mit ihm zu koordinieren: Wenn der Andere etwas tut, dann warte ich- - dies ist eine Regel des Turn-Takings. Kaye (ibid.; siehe auch Masataka, 2003) bekräftigt, dass das Kind gegenüber solchen sozialen Regularitäten im Verhalten empfänglich ist. Diese Empfänglichkeit gegenüber Regularitäten und Kontingenzen ist für die kognitive Entwicklung zentral (Nagai, 2016). Sie etabliert sich laut Striano und Kollegen (2005) zwischen dem 1. und dem 3. Lebensmonat: Während bei Säuglingen in ihrem ersten Lebensmonat noch keine Unterschiede in der Wahrnehmung von unterschiedlich kontingenten Interaktionen zu beobachten waren, zeigten 3 Monate alte Säuglinge die Fähigkeit, zwischen sozialen Inter- 44783_Rohlfing_SL3a.indd 60 17.04.2019 14: 20: 36 61 3.3 Sensibilität für Kontingenzen in der sozialen Interaktion aktionen unterschiedlichen Kontingenzgrades zu differenzieren. In Ergänzung zu der Annahme eines angeborenen Kontingenzdetektors (engl.: contingency detection module) von Gergely und Watson (1999: 117) unterstreichen die Befunde die Rolle der Erfahrung in sozialen Interaktionen (Kaye, 1977; Striano u. a., 2005). Diese Koordination-- so intuitiv sie ist-- kann jedoch durch psychische Belastung der Bezugsperson beeinträchtig werden (Tronick & Reck, 2009). Wie die Studie von Kaye verdeutlicht, stellt das Stillen bzw. die Nahrungsaufnahme bei Säuglingen einen besonderen Moment dar, in dem Mutter und Kind einander zuhören, sich aufeinander einstellen können und auf diese Weise für die tragende Erfahrung in sozialen Interaktionen sorgen. Leider wird dieser Moment heutzutage häufig durch die Verwendung von Medien gestört (siehe Kapitel-14). Die Bedeutsamkeit des frühen Miteinanders ist hoch: Obwohl das Turn-Taking in den ersten Monaten ohne Lautsprache erfolgt, bauen Kinder und ihre Mütter durch dieses Verhalten eine kommunikative Basis auf. Diese wird von Rutter und Durkin (1987: 60) als ein „conversational mechanismus [konversationaler Mechanismus]“ bezeichnet, der eine strukturierte und emotional positive Interaktion zur Folge hat (Bloom u. a., 1987). Zugleich ist zu betonen, dass auch andere Kontexte des Miteinanders die Möglichkeit bieten, das Turn-Taking zu üben. So zeigten Nomikou und Kollegen (2016a), dass es beim Wickeln ebenfalls eine stete Koordination gibt, und zwar im Hinblick auf das Blickverhalten. In dieser Längsschnittstudie wurden 3, 6 und 8 Monate alte Kinder mit ihren Müttern untersucht. Die Autoren fanden, dass die Länge der Zeit, die sich Mutter und Kind anschauen, im Laufe der Zeit und der Entwicklung des Kindes geringer, dafür aber umso koordinierter wird. Mit 3 Monaten ist jedoch noch kein klares Führungsverhalten zu erkennen-- hier könnte man vermuten, dass die Bezugsperson das Verhalten des Kindes vorgibt. Doch zeichnet sich die Interaktion bereits zu dem Zeitpunkt in der Entwicklung durch ein ausgewogenes Miteinander aus: Das Baby folgt mit seinem Blick der Initiierung der Mutter und die Mutter dem Baby. Beide profitieren vom Antwortverhalten (Masataka, 2003)-- ein Beleg dafür, dass eine Interaktion eine (wenig gestörte) Zuhörerbereitschaft umfasst. Die zentrale Aussage der Studie ist somit, dass das Blickverhalten in seiner Natur gesprächsorientiert („conversational“, Nomikou u. a., 2016a: 290) ist, da es die soziale Interaktion reguliert. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 61 17.04.2019 14: 20: 36 62 3. Sensibilität für Sprache und sogenannte soziale Signale Koordination als interpersonale Synchronisation Während das Turn-Taking sich auf das Antwortverhalten bezieht, erfasst der Begriff der interpersonalen Synchronisation (siehe Box- 18) die grundsätzliche Koordination und geht auf das Phänomen ein, dass sich Interaktionspartner aufeinander in verschiedenen Modalitäten (siehe Box- 4 zu „Modalität“) einstellen- - Beobachtungen, die für verkörperte Kognition sprechen (siehe Kapitel-1). In der temporalen Organisation des multimodalen Miteinanders sieht Trevarthen (1979) das zentrale Merkmal der sozialen Kommunikation unter Menschen. Provasi und Kollegen (2014) sind der Meinung, dass der Rhythmus bei diesem Miteinander die Verbindung herstellt. Gratier (2003) fasst deshalb den Begriff weiter und erweitert die Verbindung zwischen den Interaktionspartnern auf zeitliche und prosodische Koordination in ihren Vokalisierungen. Der Zweck der interpersonalen Synchronisation, so Gratier (2003), ist es, sich aufeinander einzustimmen, um recht genau die Handlungen des anderen vorhersagen zu können. Auf diese Weise können beide Partner mit gegenseitigen Erwartungen rechnen und damit auch spielen (ibid.; Bruner, 1983). Dieses Verhalten ist universell, d. h. in unterschiedlichen Kulturkreisen vorzufinden; es gibt jedoch kulturelle Unterschiede in der Überlappung des Verhaltens und der Länge der Pausen zwischen den Turns (Gratier, 2003): Säuglinge, die in Indien aufwachsen, erfahren beispielsweise häufiger eine Überlappung zwischen den Turns als Säuglinge nordamerikanischer Mütter. Die Autorin geht einen Schritt weiter und überlegt, ob die Struktur einer Interaktion mit dem Verständnis vom Individuum zusammenhängt: They [the results] may also be linked to the different constructions of self and other in these cultures: the Indian infant may be implicitly acquiring the behaviors and practices that underlie an interdependent self whereas the North American infant may be learning the interactive rules that characterize an independent self (Gratier, 2003: 550). Interpersonale Synchronisation (engl.: interpersonal synchrony) (Box-18): Der Begriff geht auf Condon und Ogston (1971) zurück, die darunter die rhythmische Koordination sowohl zwischen Bewegungen als auch Äußerungen des Sprechers und des Zuhörers verstehen, wie bei Neugeborenen, die sich mit ihren Beinbewegungen der sprachlichen Artikulation der Bezugspersonen anpassen (Condon & Sander, 1974). 44783_Rohlfing_SL3a.indd 62 17.04.2019 14: 20: 36 63 3.4 Sensibilität für lautsprachliche Strukturen Weniger ausgeprägte interpersonale Synchronisation wurde in Mutter-Kind- Dyaden gefunden, die durch Migration geringere soziale Unterstützung und mehr kulturelle Konflikte erfuhren. In ihrer Untersuchung verglich Gratier (2003) indische und nordamerikanische Mütter mit nach Amerika emigrierten Inderinnen, und bekam den Eindruck, dass Migration kulturelle Konflikte hervorbringen kann, wenn aus unterschiedlichen Vorstellungen vom Elternsein, aber auch Unterschieden in Praktiken und Wertvorstellungen Stress und Unsicherheiten resultieren. 3.4 Sensibilität für lautsprachliche Strukturen Wie Studien von DeCasper und Spence (1986) zeigen, bildet sich bei Säuglingen bereits pränatal die Fähigkeit heraus, bestimmte verbale Strukturen zu erkennen. Neugeborene, deren Mütter ihnen vor der Geburt eine bestimmte Geschichte vorgelesen haben, konnten diese Geschichte nach ihrer Geburt von einer anderen unterscheiden. Einen weiteren Hinweis darauf, dass Kinder nach ihrer Zielsprache gewissermaßen Ausschau halten, liefern die Forschungsergebnisse von Mehler und Kollegen (Mehler u. a., 1988). Sie belegen, dass Säuglinge in der Lage sind, ihre Muttersprache aus anderen Sprachen herauszuhören. Psycholinguistische Experimente erfassten dieses Phänomen, indem Babys (beispielsweise französischsprachiger Eltern) eine ihnen fremde Sprache wie Russisch vom Tonband vorgespielt und dabei ihr Schnullersaugverhalten (siehe die HAS-Methode) beobachtet wurde. An der fremden Sprache zeigten die Babys wenig Interesse, was sich jedoch änderte, als sie die französische Sprache hörten (Mehler u. a., 1988). Erst dann äußerten sie eine klare Präferenz und saugten schneller, um die bekannte Sprache immer wieder hören zu können. Selbst als das Gesprochene herausgefiltert und nur noch die Sprachmelodie, aber keine segmentalen Informationen wahrzunehmen waren, saugten sie intensiver als bei der für sie fremden Sprache (siehe Box-19). Wurde das Tonband rückwärts abgespielt, sodass nur ein Vorkommen bestimmter Konsonanten und Vokale hörbar war, blieb der Stimulus den Kindern gleichgültig und sie reagierten nicht darauf (ibid.). Diese Experimente verdeutlichen, dass Kinder schon vor der Geburt ihre Muttersprache von anderen zu unterscheiden lernen; sie sind imstande, die Prosodie (siehe Kapitel-6; Box-43), den Akzent und den Zeitverlauf der Sprache im Mutterleib zu hören, da diese ins Körperinnere dringen. Weisen zwei Fremdsprachen ähnliche rhythmische Eigenschaften auf, wie das 44783_Rohlfing_SL3a.indd 63 17.04.2019 14: 20: 36 64 3. Sensibilität für Sprache und sogenannte soziale Signale Britische Englisch und Niederländisch, so können Neugeborene keine Unterschiede zwischen ihnen feststellen (Nazzi u. a., 1998). Tatsächlich handelt es sich bei der Fähigkeit, bestimmte Sprachmuster zu unterscheiden (wie in Box- 15 dargestellt wird), um eine Leistung, die sogar Primaten (Tamerine) zeigen: Auch diese können Niederländisch und Japanisch unterscheiden. Daher ist die Frage berechtigt, ob uns ihre Fähigkeiten auf generelle Prozesse des auditiven Systems Hinweise geben können. Dagegen spricht, dass Kinder auch weitere Eigenschaften der Zielsprache zu benutzen scheinen, und ihre rhythmische Sensibilität mit anderen Aspekten des Wissens integrieren. Nur Sprachtöne voneinander zu unterscheiden, reicht für die Menschen auf Dauer offensichtlich nicht aus. Kinder versehen diese Sprachtöne bereits früh mit Bedeutung (siehe Kapitel-6). Eng mit der Lautsprache verbunden und auf der Ebene der Prosodie übermittelt (siehe Box- 43), ist ebenfalls der emotionale Zustand der Gesprächspartner (Jaffe u. a., 2001). In einer Studie von Werker und McLeod (1989) richteten Säuglinge ihre Aufmerksamkeit nicht nur bevorzugt auf einen Film, der kindergerechte Sprache enthielt, sondern teilten auch den durch diese Sprache übermittelten emotionalen Zustand. Die Signalwirkung der Emotionen wird in der Entwicklung eines Kindes zunehmend mit kognitiven Funktionen verbunden (siehe Box- 20). Wenn 7 Monate alte Kinder einer fröhlichen-- im Vergleich zu einer ärgerlichen- - Stimme zuhörten, dann konnten bei ihnen Gehirnaktivitäten in Regionen beobachtet werden, die für die kognitive Evaluation zuständig sind (Grossmann u. a., 2010). Allerdings scheinen in dieser Verbindung individuelle Unterschiede ausgeprägt zu sein, sodass sich bei manchen Kindern eine geringere Priorisierung eines emotionalen Signals findet. Durch diese Ausführungen wird deutlich, dass prosodische Muster nicht nur für die Wahrnehmung von Sprache ausschlaggebend sind. Vielmehr dienen sie als Mittel, einen interaktionalen Zustand zu erreichen, der durchaus mit bestimmten Emotionen einhergeht (Jaffe u. a., 2001). In diesem Zusammenhang sprechen Rossmanith und Kollegen (2014: 1) von „action arcs [Handlungsbögen]“, die mit prosodischen Merkmalen zusammenhängen, sich jedoch auf ganze Ereignisse beziehen und ihre Bedeutung erfassen. Zum Beispiel zeigt Bru- Sprachwahrnehmung (Box- 19): Bei Neugeborenen beruht die Sprachwahrnehmung auf prosodischen Merkmalen (siehe Box- 43). Die Verarbeitung der prosodischen Betonung aktiviert sprachspezifische Gehirnmuster (ERPs) bei 4 und 5 Monate alten Säuglingen (Friederici u. a., 2007). Mehler und Kollegen (1996: 113) behaupten daher, dass eine frühe Sprachrepräsentation ausgewählte prosodische Eigenschaften beinhaltet. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 64 17.04.2019 14: 20: 36 65 3.5 Bedeutungsvolle Töne ner (1983) in seinem Buch eindrucksvoll, wie Mütter prosodische Konturen nutzen, um eine Routine des Hinweisens zu etablieren: Es ist immer wieder die gleiche Melodie, die in der Interaktion genutzt wird, um das Ziel des gemeinsamen Zuwendens zu markieren. Auch andere Ziele- - die mit anderen psychologischen und interaktionalen Zuständen einhergehen-- haben eine eigene prosodische Kontur. 3.5 Bedeutungsvolle Töne Oben wurden prosodische Konturen mit bestimmten interaktionalen Zuständen in Verbindung gesetzt. In dieser Hinsicht beobachtete Bruner (1983), wie Mütter den Namen des Kindes in immer gleicher prosodischer Charakteristik äußern, wodurch sich eine charakteristische Kontur von Klang und Funktion ergab. Eigennamen kommen beim Sprechen mit Kindern häufig vor, und bereits 5 Monate alte Kinder können den eigenen Namen von einem anderen unterscheiden (Bortfeld u. a., 2005). Im Hinblick auf diese gelernte Sensibilität für den eigenen Namen unterscheiden sich Kinder mit ASS: Sie zeigen eine geringere Reaktion sowie seltenere Hinwendung zu anderen Personen (Dawson u. a., 2004; Osterling & Dawson, 1994; Osterling u. a., 2002; Sewing, 2015). Dies ist insofern problematisch als häufig vorkommende Wörter für eine Vertrautheit sorgen und somit nicht nur schneller verarbeitet werden; sie werden auch bereits von 6 Monate alten Säuglingen genutzt, um den Sprachstrom in Einheiten zu segmentieren (siehe Box-21) (Bortfeld u. a., 2005). Bei typisch entwickelten Menschen bleibt die Aufmerksamkeit für den eigenen Namen auch im Erwachsenenalter besonders hoch. In den letzten Jahren sind durch die Forschung von Höhle und Kollegen viele Befunde zum Erwerb von speziell für die deutsche Sprache relevanten Tönen zusammengekommen. In einem zusammenfassenden Aufsatz zu prosodischer Wahrnehmung im frühen Spracherwerb weisen Schröder und Höhle (2011) darauf hin, dass eine Spezialisierung, die die Kinder während der ersten Lebensmonate erlangen und welche die Sprachsegmentierung unterstützt, die Erkennung von Rhythmus ist: Säuglinge nutzen die Tatsache, dass Silben unterschiedlich betont werden. Wie in 3.1 erwähnt, zeigen Headturn-Studien, dass bereits 4 bis 6 Wirkung von Emotionen (Box-20): Die Wirkung von Emotionen für den Spracherwerb ist komplex (siehe Rohlfing, 2013) und betrifft nicht nur die Wahrnehmung, sondern auch das Gedächtnis. Emotionen scheinen eine tiefere Verarbeitung zu bewirken, da selbst bei Säuglingen im Alter von 7,5 Monaten eine affektive Variation der gesprochenen Sprache das Erinnern an die phonologische Form stärkt (Singh, 2008). 44783_Rohlfing_SL3a.indd 65 17.04.2019 14: 20: 36 66 3. Sensibilität für Sprache und sogenannte soziale Signale Monate alte Kinder zwischen trochäischen und jambischen Betonungsmustern (siehe Box- 15) spontan unterscheiden können und den Rhythmus der eigenen Muttersprache bevorzugen. Jüngere Säuglinge können zwar ebenfalls zwischen diesen Betonungsmustern unterscheiden lernen, benötigen dafür aber eine Familiarisierungsphase, in der ihnen eine bestimmte Struktur geballt dargeboten wird. Schröder und Höhle (2011) argumentieren daher dafür, dass die Präferenz der deutschlernenden Kinder für das trochäische Muster sowohl auf die Dominanz dieses Musters im Deutschen als auch die Erfahrung der Kinder mit der Umgebungssprache zurückgeht. Inwiefern Säuglinge die rhythmischen Informationen der einzelnen Muster auch für die Segmentierung von Einheiten nutzen, verdeutlichte Höhle (2002): In der Familiarisierungsphase hörten 8 Monate alte Kinder zunächst trochäisch betonte einzelne Wörter. Danach wurden ihnen diese Wörter in einem syntaktischen Zusammenhang, d. h. innerhalb von Sätzen präsentiert. Als Ergebnis hörten Kinder solchen Texten, die familiarisierte trochäische Wörter enthielten, länger zu als solchen, in denen die Wörter nicht auftraten. Eine prosodische Kontur gibt nicht nur Aufschluss über die einzelnen Wörter, sondern auch über die syntaktische Struktur einer ganzen Äußerung (Schröder-& Höhle, 2011). Untersuchungen zu der Fähigkeit, syntaktische Einheiten in der gesprochenen Sprache zu erkennen, brachten als Ergebnis hervor, dass Kinder die Information über eine prosodische Gruppierung von Wörtern nutzen. Wenn man 7 bis 10 Monate alten Kindern Textpassagen mit natürlich gesetzten Pausen im Kontrast zu Pausen, die willkürlich in den Text gesetzt wurden, präsentiert, bevorzugen sie Texte mit natürlich gesetzten Pausen. Die Erkennung der Pausen (siehe Box- 22) geht jedoch auf die Nutzung der prosodischen Merkmale zurück, denn in „der natürlichen Bedingung korrelierte die eingefügte Pause mit den natürlich vorkommenden prosodischen Grenzsignalen einer Intonationsphrasengrenze (Lautdehnung und Grundfrequenzveränderungen)“ (ibid: e94). Sprachen unterscheiden sich darin, welche prosodischen Merkmale sie wie stark gewichten: Englisch (USA) lernende 6 Monate alte Säuglinge berücksich- Segmentierung des Sprachstroms (Box-21): Säuglinge, die noch kaum Wissen über einzelne Wörter besitzen, nehmen Sprache eher als Sprachstrom, d. h. als zusammenhängende Melodie wahr. Segmentierung bedingt, dass aus einem Sprachstrom einzelne Spracheinheiten (Segmente) werden. Auf diese Weise können aus einer ganzen Äußerung lexikalische Einheiten wie Wörter herausisoliert werden: Aus einem Hallodu! hören die Kinder zunehmend ein Hallo, du! . 44783_Rohlfing_SL3a.indd 66 17.04.2019 14: 20: 36 67 3.6 Multilingual aufwachsende Säuglinge und ihre Sprachwahrnehmung tigen für ihre Satzsegementierung das gemeinsame Auftreten von Tonhöheninformation und Pause oder die finale Dehnung (ibid.). Um den 6. Lebensmonat entwickeln Kinder also eine sprachenspezifische Gewichtung prosodischer Grenzmarkierungen. Diese Spezialisierung geht mit einigen Veränderungen in der Wahrnehmung einher, die in Kapitel-3.7 beschrieben werden (siehe auch Box-23). 3.6 Multilingual aufwachsende Säuglinge und ihre Sprachwahrnehmung Pons und Kollegen (2015) untersuchten die selektive Aufmerksamkeit von Katalanisch und Spanisch lernenden Säuglingen im Alter von 4, 8 und 12 Monaten und verglichen diese mit der Leistung von Gleichaltrigen, die monolingual aufwuchsen (siehe Box- 8). In dieser Untersuchung bekamen alle Kinder sprechende Gesichter als Stimulus präsentiert. Mit 4 Monaten beachteten monolinguale Kinder stärker die Augenpartie und mit 8-Monaten den Mund des ‚Gesprächspartners‘. Dabei spielte es kaum eine Rolle, ob ihnen die Muttersprache oder eine weitere Sprache präsentiert wurde. Mit 12 Monaten betrachteten monolinguale Kinder nur dann mehr die Mundals die Augenpartie, wenn sie eine fremde Sprache hörten. Dagegen beachteten multilingual aufwachsende Säuglinge bereits mit 4 Monaten beide Gesichtspartien gleich. Mit 8 und 12 Monaten schenkten sie der Mundpartie mehr Beachtung, unabhängig von der Sprache, die ihnen dargeboten wurde. Pons und Kollegen (2015) argumentierten, dass bilinguale Kinder das Auftauchen von redundanten/ kontingenten Signalen (gehörte Sprache und sich dazu passend bewegender Mund) leichter entdecken und womöglich für ihren Spracherwerb nutzen (siehe auch Box-16 und Kapitel-4). Diese Fähigkeit von bilingual aufwachsenden Kindern könnte die Befunde erklären, dass sie zwei Fremdsprachen voneinander unterscheiden können, und zwar im Alter von 8 Monaten-- zu dem Zeitpunkt in der Entwicklung, in dem monolingual aufwachsende Kinder genau diese Unterscheidungsfähigkeit ‚verlieren‘ (Costa & Sebasián-Gallés, 2015; siehe Box-23). Beeindruckenderweise Wahrnehmung von Pausen (Box-22): In einer Äußerung kommen nicht nur Wörter, sondern auch Pausen vor. Zum Beispiel kann man den Satz Die Kuh ist auf der Wiese so lesen, dass eine kleine Pause zwischen Die Kuh und ist auf der Wiese entsteht. Ungewöhnlich wäre es jedoch, eine Pause zwischen Die Kuh ist auf und der Wiese zu machen (Schröder & Höhle, 2011). Im Laufe ihres ersten Lebensjahres nehmen Kinder verstärkt solche Pausen wahr. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 67 17.04.2019 14: 20: 36 68 3. Sensibilität für Sprache und sogenannte soziale Signale zeigen bilinguale Kinder diese Fähigkeit auch bei Videos ohne Ton, auf denen sie die Personen nur sprechen sehen. Eine Besonderheit der mehrsprachigen Entwicklung entsteht, wenn die zu erwerbenden Sprachen nicht gleichberechtigt sind. Es gibt Phasen und Umstände, unter denen Menschen eine dominante Sprache herausbilden. Eine Studie mit 10 Monate alten mono- und bilingualen Kindern beschäftigte sich mit der Fähigkeit, plausible (d. h. nach morphologischen Regeln korrekte) von unplausiblen Wortendungen zu unterscheiden. Beide Gruppen hatten diese Fähigkeit, die bilingualen Kinder schnitten in der Unterscheidung der Wortendungen in ihrer nicht-dominanten Sprache allerdings schlechter ab. Dies belegt, dass Worterkennung bei bilingualen Kindern vermindert sein kann, jedoch nur bei Individuen, die mit den beiden Sprachen unterschiedlich häufig in Berührung kommen und nur in der nicht-dominanten Sprache (Costa & Sebasián-Gallés, 2015). 3.7 Veränderung der Sprachwahrnehmung (phonological specificity) Zwischen dem 6. und 9. Lebensmonat findet eine Änderung der Wahrnehmung statt, die sicherlich auf eine komplexe Erfahrung der Kinder mit der Umwelt zurückgeht. Diese Änderung ist neurologisch feststellbar und äußert sich dadurch, dass 7 Monate alte Kinder-- nicht aber Kinder im Alter von 4 Monaten-- eine sprachspezifische Sensibilität in der Gehirnaktivität zeigen (Grossmann u. a., 2010). Diese Änderung geht mit Umbrüchen in der Verarbeitung von Sprache einher: 6 Monate alte Kinder können nicht mehr zwischen zwei ihnen unbekannten Fremdsprachen unterscheiden, wie das die Neugeborenen können (Mehler & Christophe, 1995). Zusammengenommen sind die Befunde Zeichen einer phonologischen Spezifizierung (siehe Box-23). Infolge der Spezifizierung sind Erwachsene nicht mehr in der Lage, zwischen phonetischen Kontrasten zu unterschieden, die es in ihrer Muttersprache nicht gibt (z. B. Werker & Tees, 2005). Ein viel zitiertes Beispiel ist das Japanische, in dem es zwischen [l] und [ʀ] keinen Kontrast gibt. Erwachsene japanische Sprecher können nicht zwischen diesen Lauten unterscheiden. Phonologische Spezifizierung (Box-23): Eine Spezifizierung in der Wahrnehmung der phonologischen Strukturen (engl.: phonological specificity) tritt um den 6. Lebensmonat ein. Sie steht für eine dahingehende Veränderung der Lautwahrnehmung, in der Kinder zunehmend die Eigenschaften ihrer Zielsprache nutzen lernen. Zugleich geht ihnen die Fähigkeit ‚verloren’, zwischen zwei Fremdsprachen zu unterscheiden. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 68 17.04.2019 14: 20: 36 69 3.8 Sensible Phase vs. kritische Periode Interessanterweise erstreckt sich die Verengung der Wahrnehmung über die Sprache hinaus auf andere Modalitäten. In der visuellen Modalität kommt es um den 6. Lebensmonat zu einer Spezifizierung der menschlichen Gesichter: Während, wie oben dargestellt, Neugeborene noch Gesichter aller Art präferierten, wenden sich ältere Säuglinge lieber Menschengesichtern der eigenen ethnischen Gruppe zu. Diese Veränderungen in der Wahrnehmung gehen offensichtlich mit Änderungen im Verhalten der Kinder einher. So deckten anthropologische Studien auf, dass Kindergartenkinder lieber mit Muttersprachlern interagieren und von ihnen eher ein Spielzeug annehmen (Kinzler u. a., 2007). Zudem verzehren 12 Monate alte Kinder Essen eher, wenn dieses von Muttersprachlern angeboten wurde (Shutts u. a., 2009). Insgesamt weisen die Befunde auf die Möglichkeit hin, dass Kinder eine Präferenz nicht nur für eine Zielsprache, sondern eher für die eigene soziale Gruppe herausbilden. Diese Möglichkeit unterstützt Bruners (1982) und Tomasellos (2003) Auffassung, es handle sich beim Spracherwerb eher um ein Nebenprodukt der Weitergabe von Kultur. Ein recht zuverlässiges Merkmal der eigenen kulturellen Gruppe ist die Sprache, die stärker gewichtet zu sein scheint als das Aussehen, da Säuglinge zwar Gesichter der eigenen ethnischen Gruppe bevorzugen, die Art der Aussprache aber offenbar für sie eine Vorliebe ist. 3.8 Sensible Phase vs. kritische Periode In Kapitel- 3.7 wurde die Veränderung der Lautwahrnehmung, die um den 6. Lebensmonat auftritt, angesprochen. Eine für Eltern und Erzieher relevante Frage bezieht sich daher auf eine kritische Periode für die Sprachwahrnehmung: Gibt es eine Zeitspanne, in der Kinder eine Sprache wahrnehmen müssen, um sie später ohne Auffälligkeiten in der Aussprache und Äußerungsproduktion anzuwenden? In der Biologie ist das Phänomen der kritischen Periode (siehe Box-24) bekannt. Durch Reifungsprozesse ist der Organismus in der Lage, Umwelteinflüsse in einer bestimmten Zeitperiode besonders schnell aufzunehmen (Szagun, 2006: 250 ff.). Um die besondere Wirkung der Umwelt auf den Organismus zu kennzeichnen, spricht man auch von Prägung. Zur Verdeutlichung des Begriffs der Prägung, der für die kritische Phase relevant ist, gibt Szagun (2006) ein Beispiel an: 44783_Rohlfing_SL3a.indd 69 17.04.2019 14: 20: 36 70 3. Sensibilität für Sprache und sogenannte soziale Signale Am Beispiel des Bindungsverhaltens einiger Vogelarten sieht das so aus. Die Reifung des visuellen und auditorischen Systems bringt den Organismus in einen bestimmten Reifezustand. Dieses ermöglicht die Orientierung des Jungtieres auf ein Alttier. Damit wird das Bindungsverhalten eingeleitet. Das Jungtier kann die Signale des Altvogels hören und diesen sehen, und ist somit in der Lage ihm nachzufolgen. In der Regel stellt die Umwelt den für das Verhalten notwendigen Reiz bereit-- im Falle der Bindung sind das ältere Tiere der Spezies. Wenn die Bindung eingetreten ist, wenn der Jungvogel also dem Altvogel verlässlich nachfolgt, ist die sensible Phase für das Erlernen des Verhaltens beendet. Sie endet mit dem Erwerb des zu erlernenden Verhaltens (Szagun, 2006: 250). Für Menschen wurde eine kritische Periode für basale sensorische Verarbeitungsmechanismen nachgewiesen, wie beispielsweise das Sehen. Kontroversen gibt es bezüglich höherer kognitiver Fähigkeiten wie dem Spracherwerb. Die Vorstellung, dass es ein ganz bestimmtes Zeitfenster gibt, in dem Menschen in der Lage sind eine Sprache zu erlernen und später nicht mehr, gilt als überholt (siehe Tabelle 1, rechte Spalte). Dazu beigetragen haben umfassende Erkenntnisse aus dem Zweitspracherwerb, die darauf hinweisen, dass Sprachlernen auch im späteren Alter gelingen kann. Die entscheidenden Wirkungsfaktoren sind dann weniger die Reife des Organismus als die Umwelt und Motivation. Allerdings bleibt das Konzept einer sensiblen Phase bestehen (siehe Tabelle 1, linke Spalte; siehe Box-25). Als sowohl für die Grammatikals auch für die Phonologieentwicklung besonders sensibel gilt zum einen die Phase im ersten Lebensjahr, zum anderen aber auch die Zeitspanne bis zur frühen Adoleszenz. Sensible Phase (Box- 25): Dieser Begriff bezieht sich auf die Vorstellung, dass ein bestimmter Lerninhalt während einer Phase von der Umwelt bereitgestellt wird, und der Organismus optimal für den Lerninhalt responsiv ist, d. h. auf den Lerninhalt reagiert. Aus dieser Responsivität ergibt sich ein besonders schnelles Lernen. Kritische Periode (engl.: critical period) (Box-24): Sie zeichnet sich durch ein bestimmtes Reifezeitfenster aus, in welchem ein Organismus eine erhöhte Sensibilität für Umwelteinflüsse und Stimuli hat, die für die volle Entfaltung einer bestimmten Fähigkeit nötig ist (Morgan, 2014). 44783_Rohlfing_SL3a.indd 70 17.04.2019 14: 20: 36 71 3.8 Sensible Phase vs. kritische Periode Sensible Phase Kritische Periode Grundannahme Die Sensibilität für sprachliches Lernen ist veränderbar und somit nicht exakt eingrenzbar Sprache kann nur in einem begrenzten Zeitfenster (früh in der Entwicklung) gelernt werden Zuschreibungen: Ein Organismus… weist eine erhöhte Sensibilität für bestimmte Verhaltensweisen auf wird in einem bestimmten Verhalten ‚geprägt‘: schnelles Lernen eines Verhaltens, das nicht mehr rückgängig zu machen ist und seine Reifungsprozesse wirken - gemeinsam mit Umwelteinflüssen - auf die Länge der Phase ein steuert die Periode durch seine Reifung, während die Umwelteinflüsse kaum Wirkung zeigen Gegebenheiten der Zeitspanne Verlängert sich, wenn die Umweltstimuli, die für das Erlernen des Verhaltens wichtig sind, vorenthalten werden oder suboptimal sind Das Zeitfenster für die Periode ist unveränderbar und folgt einem festen Zeitplan Wird durch Sättigung (Erlernen eines Verhaltens) beendet Wird durch Reifeprozesse und Verlust cerebraler Plastizität beendet Tabelle 1: Unterschied zwischen dem Konzept der kritischen Periode und sensiblen Phase wie in Szagun (2006: 250 ff.) berichtet. Neuere Untersuchungen greifen die Vorstellung eines festen Zeitfensters erneut auf. Sie differenzieren dabei zwischen dem Erwerb einer Zweitsprache, der auf der Kenntnis einer Erstsprache aufbaut (siehe Box- 8), und dem Erstspracherwerb (Friedman & Rusou, 2015). Die Untersuchungen passen zu älteren Befunden, die für den Erwerb von Phonologie herausfanden, dass gerade das erste Lebensjahr für das Herausbilden von bestimmten Lauten einer Zielsprache von Bedeutung ist. Es ist zugleich das Jahr, in dem sich das Gehör für die Zielsprache schärft (siehe Box-23) und Kinder von einer reichen sprachlichen Erfahrung profitieren. Fehlt diese Erfahrung oder kann sprachliche Kommunikation nur in geringem Umfang stattfinden, so wirkt sich das benachteiligend auf die Sprachentwicklung jüngerer Kinder aus: So fanden Tee und Kollegen (1984) heraus, dass Kinder, die mit 12 Monaten an einer Mittelohrentzündung litten, im Alter von 3 Jahren eine schwächere Sprachleistung zeigten als Kinder, die im Alter von 2 Jahren daran erkrankt waren. Ähnlich berichten Friedman und Fusou (2015), dass es nicht nur ein generell kritisches Zeitfenster für den Erwerb der Erstsprache, sondern insbesondere eines für die Syntax gibt, und belegten ihre Aussagen mit Befunden aus Studien mit vernachlässigten Kindern wie auch Kindern, die gehörlos geboren wurden. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 71 17.04.2019 14: 20: 36 72 3. Sensibilität für Sprache und sogenannte soziale Signale Ein bekanntes Beispiel ist der Fall von Genie, einem Mädchen, das ab dem Alter von 20 Monaten in Isolation gehalten wurde bis sie 13 Jahre und 9 Monate alt war. In dieser langen Zeitspanne hatte sie kaum die Möglichkeit, Sprache wahrzunehmen und ihre Wirkung zu erfahren. Als sie entdeckt wurde, sprach Genie nicht. In den darauffolgenden Monaten konnte sie ein wenig Sprache lernen, aber der Prozess war langsam und ineffizient (ibid.: 28). Während das Vokabular von Genie wuchs, konnte sie keine syntaktischen Fähigkeiten entwickeln (Lust, 2006, 94 f.). Ihr Fall ist jedoch schwierig zu interpretieren: Nicht nur die Sprache, sondern auch die physikalische, kognitive und seelische Entwicklung wurden unter diesen Zuständen der Isolation behindert. Daher können keine Aussagen darüber getroffen werden, welche Grundlagen Genie fehlten oder welche wertvolle Wechselwirkung zwischen Fähigkeiten diese Zustände verhindert haben. Befunde aus Untersuchungen mit Kindern, die gehörlos geboren wurden, sind ebenfalls kaum als Beleg für die Existenz eines kritischen Zeitfensters zu interpretieren, denn diese Gruppe von Kindern scheint in ihrer Syntaxentwicklung extrem heterogen zu sein. Diese Heterogenität in der Syntaxkompetenz bestätigt Szagun (2006: 253) in einer Studie, in der die Forscherin eine besondere Gruppe untersuchte, nämlich Kinder, die vor dem Erwerb ihrer Erstsprache ertaubt waren und mithilfe eines Cochlea-Implantats (einer elektronischen Mikroprothese im Innenohr) wieder hören lernten. Zudem scheinen die individuellen Sprachentwicklungsverläufe von gehörlosen Kindern auch mit dem sprachlichen Angebot aus der vertrauten Umwelt zusammenzuhängen: Gehörlose Kinder, die in gehörlosen Familien geboren werden und von Anfang an Zeichensprache erfahren, scheinen eine unauffällige Sprachentwicklung zu durchlaufen. Anders kann sich die sprachliche Umwelt von gehörlosen Kindern gestalten, die in hörenden Familien geboren werden. In diesen Familien scheint die spätere Sprachentwicklung mit dem Alter zusammenzuhängen, in dem die Kinder einen Sprachinput bekommen. Aus diesen Befunden kann man für Bezugspersonen und Erzieher ableiten, dass eine Sprachtherapie der Lautwahrnehmung erfolgen soll und besten Erfolg haben kann, wenn sie direkt nach dem Feststellen des Hörverlustes einsetzt, möglichst noch im ersten Lebensjahr. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 72 17.04.2019 14: 20: 37 73 3.8 Sensible Phase vs. kritische Periode Lesetipps: Einen guten Überblick in das Thema des Turn-Takings gibt Levinson in seiner aktuellen Forschung; er konzentriert sich jedoch auf das verbale Verhalten: Levinson, S. C. (2016). Turn-taking in human communication - origins and implications for language processing. Trends in Cognitive Sciences, 20(1), 6-14. Zum multimodalen Turn-taking gibt es erste Zusammenfassungen von Rohlfing und Kollegen: Rohlfing, K. J., Leonardi, G., Hüllermeier, E., Raczaszek-Leonardi, J., & Nomikou, I. (im Ersch.): Multimodal turn-taking: Motivations, methodological challenges and further approaches. IEEE Transactions on Cognitive and Developmental Systems. Nicht nur die Erkenntnisse zur prosodischen Wahrnehmung im frühen Spracherwerb, sondern auch die Untersuchungsmethoden werden im Aufsatz von Schröder und Höhle prägnant zusammengefasst: Schröder, C., & Höhle, B. (2011). Prosodische Wahrnehmung im frühen Spracherwerb. Sprache Stimme Gehör, 35 (3), e91-e98. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 73 17.04.2019 14: 20: 37 44783_Rohlfing_SL3a.indd 74 17.04.2019 14: 20: 37 75 4.1 Methoden: Querschnittstudie versus Längsschnittstudie 4. Motorische Entwicklung und Interaktion Die körperlichen Entwicklungen, beispielsweise das Greifen oder das Laufen, schaffen Voraussetzungen, aber auch Gegebenheiten, unter denen sich Sprache als System herausbilden kann. Es besteht also eine kontinuierliche Wechselwirkung zwischen dem Erwerb motorischer und lautsprachlicher Fähigkeiten. Viele grundlegende Kommunikationsfähigkeiten wie das Turn-Taking (siehe Box 17) als Prinzip des interaktiven Miteinanders oder das Verständnis von Handlungszielen entstehen nicht erst durch den Erwerb der Lautsprache, sondern werden durch frühe gemeinsame Aktivitäten eingeübt. Im Zuge der verkörperten Theorien zum Spracherwerb (siehe Box 3 im Kapitel 1) wird zum einen diskutiert, inwiefern sensomotorische Erfahrung für die kindliche kognitive Entwicklung, insbesondere die Entwicklung des symbolischen Wissens, essenziell ist. Zum anderen können motorische Entwicklungen das interaktive Miteinander und somit den Input aus der Umwelt modulieren. Die in diesem Kapitel präsentierten Aspekte der motorischen Entwicklung wurden aufgrund ihrer Relevanz für Diskussionen zum Thema Spracherwerb ausgewählt und umfassen sowohl die kindlichen manuellen Aktivitäten (die für die Ausführung von Gesten von Bedeutung sind) und Imitationsleistungen (die für das soziale Lernen tragend sind) als auch weitere Fähigkeiten (Turn-Taking), die die Interaktion aufrechterhalten. 4.1 Methoden: Querschnittstudie versus Längsschnittstudie Wie in Kapitel- 1 dargelegt, gehen epigenetische Ansätze zum Spracherwerb davon aus, dass Sprache in einem engen Zusammenhang mit anderen Fähigkeiten steht. Um genauer diesen Zusammenhang zu erkunden, bedient man sich zweier Typen von Studien, Querschnitt- (siehe Box-26) und Längsschnittstudien (siehe Box-27), die im Folgenden genauer dargestellt werden. Soll in einer Studie ein Alterseffekt untersucht werden, also beispielsweise wie sich der kindliche Gebrauch von Kommunikationsmitteln im Alter von 12 Monaten von dem im Alter von 24 Monaten unterscheidet, so werden zwei unterschiedliche Gruppen (z. B. Gruppe A mit Kindern im Alter von 12 Monaten und Gruppe B mit Kindern im Alter von 24 Monaten) auf ihr kom- 44783_Rohlfing_SL3a.indd 75 17.04.2019 14: 20: 37 76 4. Motorische Entwicklung und Interaktion munikatives Verhalten getestet und miteinander verglichen. In einem solchen Querschnittdesign (siehe Box-26) kann auch die Koordination von mehreren Verhaltensweisen (z. B. von vokalen Mitteln und motorischer Aktivität) erfasst werden. Ein Beispiel, das nun näher beschrieben wird, ist die Studie von Iverson und Fagan (2004). Die Teilnehmer an der Studie waren 47 Säuglinge, aufgeteilt in 4 Altersgruppen: 6 Monate alte Säuglinge: N = 15 (also 15 Säuglinge); 7 Monate alte Säuglinge: N = 11; 8 Monate alte Säuglinge: N = 10; 9 Monate alte Säuglinge: N = 11. Von allen teilnehmenden Kindern wurden Videoaufzeichnungen gemacht, die dazu dienten, ihr Verhalten weiter zu analysieren, und zwar in Hinsicht darauf, (i) wie sie sich rhythmisch bewegten, (ii) was für ein vokales Verhalten sie zeigten und (iii) die Zeitintervalle, zu denen sich eine körperliche Bewegung mit dem vokalen Verhalten überlappte (synchronisierte). Für (i) legten die Autorinnen fest, dass eine rhythmische Körperbewegung eine Bewegungsform ist, die sich mindestens 3 Mal wiederholt. Das bedeutet, um als ‚rhythmisch‘ kodiert zu werden, musste ein Säugling seine Hand 3 Mal in gleicher Weise bewegen. Des Weiteren legten die Autorinnen fest, welche Körperteile sie beobachteten, nämlich Hand, Kopf, Oberkörper und Beine. Möglich wäre, dass die Kinder rhythmisch ihren Finger bewegten, diese Bewegung aber aufgrund der Vordefinition der Körperteile nicht in die Beobachtungen einging. Um das (ii) vokale Verhalten zu erfassen, annotierten die Autorinnen zuerst den Beginn und das Ende jeder kindlichen Vokalisierung. In einer weiteren Annotationsphase hielten sie fest, ob es sich bei der Vokalisierung um ein präkanonisches oder kanonisches Lallen (siehe Kapitel-6 und Box-42) handelt. Die Synchronisation der beiden Modalitäten (vokal und motorisch, siehe auch Box- 4 zum Begriff der Modalität) wurde durch (iii) eine zeitliche Überlappung beider Verhalten operationalisiert. Daraus ergaben sich sowohl die Variable (siehe Box- 14) der Häufigkeit der Zeitintervalle solcher Art als auch der Anteil der Häufigkeit des Aufkommens solcher multimodalen Segmente in Abhängigkeit von ihrer Dauer. Mit diesem Querschnittdesign war es Iverson und Fagan (2004) möglich zu zeigen, dass kanonische Vokalisierungen häufiger mit rhythmischen Handbewegungen als mit anderen Bewegungsformen auftraten. Diese Verbindung besteht bereits mit 6 Monaten und verstärkt sich bis zum 9./ 12. Lebensmonat noch weiter. Die Inhalte der Studie werden im Verlauf des Kapitels aufgegriffen. Querschnittstudie (Box-26): In einer Querschnittstudie (engl.: cross-sectional study) findet die Datenerhebung zu einem bestimmten Zeitpunkt statt. Dieser ermöglicht lediglich eine ‚Momentaufnahme’. Weil eine solche Studie jedoch mit weniger Aufwand als eine Längsschnittstudie zu organisieren ist, sind bei diesem Typ von Studien größere Stichproben üblich. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 76 17.04.2019 14: 20: 37 77 4.1 Methoden: Querschnittstudie versus Längsschnittstudie Längsschnittstudie (Box- 27): Bei einer Längsschnittstudie (engl.: longitudinal study) gibt es mehrere Zeitpunkte, an denen Daten einer gleichbleibende Stichprobe erhoben werden. Diese Vorgehensweise ermöglicht einen Einblick in die menschlichen Wandlungsprozesse und somit Entwicklungsprozesse. Da es umständlich ist, an mehreren Terminen teilzunehmen, resultiert diese Art von Studien häufig in kleineren Stichproben. Im Gegensatz zum Querschnittdesign, zeichnet sich eine Längsschnittstudie (siehe Box-27) durch mehrere Datenerhebungspunkte aus. Beispielsweise wird zum ersten Zeitpunkt eine Gruppe von 12 Monate alten Kindern untersucht, zum zweiten Untersuchungszeitpunkt sind diese Kinder 24 Monate alt. Zwischen den Datenpunkten vergeht Zeit, in der die Forschungsgruppe ausharren muss. Diese Art von Studie ist nicht nur schwieriger in der Durchführung; zudem können Versuchspersonen zu manchen Terminen verhindert sein, wodurch es zu Datenlücken kommen kann, die die Analyse erschweren. Dieses Design wird in Spracherwerbsstudien angewendet, um die Entwicklung-- auch die Entwicklung eines Zusammenhangs zwischen verschiedenen Fähigkeiten- - genauer zu untersuchen. Im Vergleich zum Querschnittdesign bietet dieses Vorgehen den Vorteil, die Daten derselben Individuen zu vergleichen. Gegenüber kleineren schreibt man großen Stichproben eine bessere Repräsentativität zu. Diese pauschale Zuschreibung ist jedoch unberechtigt, da eine große Stichprobe an sich noch lange keine repräsentative Ziehung aus der Population gewährleistet; häufig werden viele Probanden für eine Studie mit einer ähnlichen Rekrutierungsstrategie gewonnen, woraus sich eine demographische Ähnlichkeit ergibt (Smith & Little, 2018). In der Spracherwerbsforschung gibt es viele aussagekräftige Längsschnittstudien, die mit kleinen Stichproben durchgeführt wurden. Sowohl im Hinblick auf die Größe der Stichprobe als auch die unten ausgewählten Inhalte, nämlich die Verbindung von Sprache und motorischer Entwicklung, stellt die Studie von Ejiri und Masataka (2001) ein Beispiel dar. Die Daten dieser Studie stammen aus natürlichen Beobachtungen von lediglich 4 Kindern in einem Umfang von 1,5 Stunden pro Datenpunkt. Die Autoren fragten sich, ob es einen Zusammenhang zwischen der rhythmischen Handlungsausführung beim Kind und dem Beginn seines kanonischen Lallens (siehe Kapitel- 6; Box- 42) gibt. Als Handlungen wurden Aktivitäten mit der Hand (handling) wie auch dem Mund (mouthing), Arm- (banging) und Beinbewegungen (rhythmic action) berücksichtigt. Die Autoren untersuchten die (a) durchschnittliche Häufigkeit der rhythmischen Handlungsausführung wie auch (b) einen Anteil der Vokalisierung, die mit der rhythmischen Handlung auftrat. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 77 17.04.2019 14: 20: 37 78 4. Motorische Entwicklung und Interaktion -2 -1 ↑ CB 1 2 3 0 20 40 60 80 100 GY Frequenz -2 -1 ↑ CB 1 2 3 0 10 20 30 40 50 Vokalisierung (%) ↑ CB 1 2 3 4 5 0 20 40 60 80 100 HA Frequenz ↑ CB 1 2 3 4 5 0 10 20 30 40 50 Vokalisierung (%) -2 -1 ↑ CB 1 2 3 0 20 40 60 80 100 MK Frequenz -2 -1 ↑ CB 1 2 3 0 10 20 30 40 50 Vokalisierung (%) -2 -1 ↑ CB 1 2 3 4 5 0 20 40 60 80 100 KM Frequenz -2 -1 ↑ CB 1 2 3 4 5 0 10 20 30 40 50 Vokalisierung (%) Abbildung 8: Daten einer Längsschnittstudie zur Häufigkeit der rhythmischen Handlungsausführung: In jeder Zeile wird die Entwicklung eines Kindes dargestellt. Die negativen Zahlen auf der X-Achse stehen für die Lebensmonate vor dem Beginn des kanonischen Lallens (markiert durch „CB“). Die Y-Achse verdeutlicht die Häufigkeit (links) und den Anteil der Vokalisierung (rechts), die mit der rhythmischen Handlung zeitlich synchron auftrat (vgl. Ejiri & Masataka, 2001). Wie man in Abbildung 8 sehen kann, weisen die abhängigen Variablen (siehe Box- 14) Veränderungen auf: Ihre Ausprägung wird im Laufe der Datenerhebung geringer. Wird zusätzlich zu der verstreichenden Zeit noch genau das 44783_Rohlfing_SL3a.indd 78 17.04.2019 14: 20: 37 79 4.2 Manuelle Aktivität und Aufmerksamkeit Auftreten des kanonischen Lallens bei jedem Kind berücksichtigt, dann ergibt sich folgendes Bild: Sowohl die durchschnittliche Häufigkeit der rhythmischen Handlungsausführungen als auch der Anteil der Vokalisierung, die mit rhythmischen Handlungen auftrat, war höher, und zwar direkt vor dem Auftreten des kanonischen Lallens. Dieser Befund wird unten weiter ausgeführt. 4.2 Manuelle Aktivität und Aufmerksamkeit In ihren Ausführungen zum Zusammenhang von Spracherwerb und motorischer Entwicklung macht Iverson (2010) darauf aufmerksam, dass dieses Thema selten zur Sprache kommt. Ihre Prämisse, die für das vorliegende Buch übernommen wird, ist, dass sich Sprache in einem Körper entwickelt und dass ihre Entwicklung auch in diesem betrachtet werden sollte. Das motorische System bietet dem Kind stets Änderungen (durch Fortschritte in der Haltung des Körpers, Selbstbewegung oder Objektmanipulation), woraus sich neue Lernsituationen und neue Arten der Interaktion sowohl mit der sozialen als auch physikalischen Umwelt ergeben. Diese sich ändernden Lernsituationen bieten neue Erprobungskontexte für die Sprache und führen so auch zu einer Vertiefung der Sprachfähigkeit. Es sei an dieser Stelle auf die Dynamik der Fähigkeiten hingewiesen, da zu unterschiedlichen Lebenslagen und im späteren Erwachsenenalter (die zunehmenden) Einschränkungen der Motorik sowohl die Lernals auch die Interaktionsmöglichkeiten bedingen. Ein eindrucksvolles Beispiel, wie motorische Entwicklung grundlegend auf neue Strukturen in der Lautsprache wirkt, wurde oben entlang zweier Studien präsentiert: Die Langzeitstudie von Ejiri und Masataka (2001) deckte ein verstärktes Auftreten von rhythmischen Armbewegungen gemeinsam mit Vokalisation auf, und zwar kurz bevor die Kinder kanonisch zu lallen begannen. Das Phänomen des Lallens wird zwar erst in Kapitel-6 eingeführt, für das gemeinsame Auftreten reicht es aus zu wissen, dass es sich um einen Meilenstein in der Lautentwicklung handelt (siehe Box-42). Aus der Abbildung 8 wird ersichtlich, dass das gemeinsame Auftreten des rhythmischen lautsprachlichen und motorischen Verhaltens verschwand, sobald das Kind den Eintritt in das kanonische Lallen gemeistert hatte. Aus diesem Befund wird geschlossen, dass Rhythmizität ein wichtiges Verbindungselement beider Modalitäten im Übergangsstadium vom präkanonischen zum kanonischen Lallen ist. Eine weitere auf diesen Anhaltspunkten aufbauende Studie geht ebenfalls auf eine enge Kopplung zwischen vokaler und motorischer Entwicklung im Säuglingsalter ein: Iverson 44783_Rohlfing_SL3a.indd 79 17.04.2019 14: 20: 37 80 4. Motorische Entwicklung und Interaktion und Fagan (2004) fanden heraus, dass rhythmische Vokalisierung, die mit Konsonanten-Vokale-Wiederholungen (siehe Box-41 zu Begriffen von Konsonanten und Vokalen) möglich ist, häufiger mit Bewegung, insbesondere manueller Aktivität auftritt als ohne rhythmische Bewegung. Die Autorinnen schließen daraus, dass es eine Verbindung zwischen sprachähnlichen Vokalisierungen und manueller Aktivität gibt, die zusammengenommen eine Vorläuferfunktion von koordinierten Handbewegungen übernehmen, wie sie in Erwachsenengestik sichtbar sind (Iverson & Fagan, 2004: 1063). Iverson (2010) postuliert, dass Lautsprache und Armbewegungen im Laufe der Entwicklung immer koordinierter werden. Diese Koordination befruchtet beide Entwicklungsbereiche, weshalb man von Ko-Entwicklung (engl.: co-development) sprechen kann. In der Tat sieht man Vorläufer dieser Lautsprache-Armgestik-Koordination schon im frühen Säuglingsalter: Bei 3 Monate alten Kindern beobachtete Masataka (2003), dass das Ausstrecken des Zeigefingers mit bestimmten kognitiven Zuständen, nämlich der eigenen Aufmerksamkeit, einherging. Auch mit phonologischem Verhalten, insbesondere dem Gurren (siehe Kapitel- 6.2), schien die manuelle Aktivität verbunden zu sein und verstärkte sich … ▶ wenn Silben (und nicht Vokale) in der Interaktion vorkamen ▶ bis das Kind mit dem Zeigefinger auf etwas hindeuten konnte, dann verschwand es und wurde durch die Zeigegeste „ersetzt“ (Masataka, 2003), und ▶ dadurch, dass Eltern die Handlung bei ihren Kindern präferierten-- vermutlich als eine Art eines komplexen Verhaltensmusters, das auf einen bestimmten Zustand des Säuglings hinweist- - und diese unbewusst als kommunikativer einstuften (Hannan, 1987). Zusammengenommen sprechen die empirischen Befunde für eine enge Verbindung, ja Kopplung, von vokalem und motorischem System (siehe auch Überblick in Leonard & Hill, 2014), die als Grundlage für Gestik (Kapitel- 8) anzusehen ist und wird im folgenden Abschnitt von neurobiologischen Erkenntnissen gestützt. 4.3 Spiegelneuronen und Sprachverarbeitung Um der Natur der Verbindung zwischen dem aktorischen und sprachlichen System nachzugehen, ist ein Einblick in die Neurobiologie hilfreich. Es gibt nämlich eine nachbarschaftliche Nähe des Broca-Areals (vorrangig zuständig für die Verarbeitung von grammatischer Information, siehe Kapitel-2) zu dem 44783_Rohlfing_SL3a.indd 80 17.04.2019 14: 20: 37 81 4.3 Spiegelneuronen und Sprachverarbeitung Areal, das vorrangig beim Erkennen von Handlung anderer aktiviert wird. Diese Nähe ist insofern auch inhaltlich interessant, als Sprache als eine durch die Bedeutung sequenziell organisierte Handlung gesehen werden kann (Rączaszek-Leonardi, 2009). Die Entdeckung der Spiegelneuronen unterstützte zudem Ansätze zur verkörperten Kognition (siehe Box- 3), die für das Funktionieren der Sprache Konsequenzen haben. Zuerst wurde diese Neuronengruppe bei Primaten und später bei Menschen identifiziert. Die Spiegelneuronen bei Menschen unterscheiden sich von denen bei Affen insofern, als unsere auch bei kommunikativen Handlungen-- und nicht nur bei zielorientierten (nonverbalen) Handlungen-- aktiv sind. Neurobiologische Studien (z. B. Rizzolatti u. a., 2001) legen nahe, dass die aktiven Spiegelneuronen sowohl beim Ausführen einer manuellen als auch einer kommunikativen Handlung eine Art soziale off-line Simulation liefern: Das Beobachten einer Handlung verursacht einen inneren Ablauf (Simulation) dieser Handlung und eine Einschätzung des Ziels bzw. Effektes (Bertenthal & Longo, 2008). Dieser Mechanismus sorgt für eine Repräsentation, die der Handlungsproduktion wie auch -rezeption zur Verfügung steht (Metzinger & Gallese, 2003; siehe auch Rohlfing, 2013: 105 ff.). Für Studien in der Sprachentwicklung sind Spiegelneuronen insofern von Interesse, als sie eine Verbindung zwischen Sprache und motorischen Fähigkeiten auf neurologischer Ebene nahelegen. In Erwachsenenstudien, in denen neuronale Aktivitäten mithilfe bildgebender Verfahren analysiert wurden (siehe Kapitel-2), aktivierten Probanden motorische Gehirnbereiche beim Hören von Sätzen mit konkreten Handlungen (manche Handlungen wurden dabei mit dem Mund, mit der Hand oder mit dem Fuß ausgeführt). Diese Aktivierung erstreckte sich auf Bereiche der Handlungsausführung und -beobachtung (Tettamanti u. a., 2005). Auch andere Forscher postulieren, dass die Bedeutung sprachlicher Äußerungen in sensomotorischen Arealen des Gehirns verankert ist (Barsalou, 1999; siehe Kapitel-1). Aufgrund dieser Verbindung sind bestimmte Modalitäten, im Speziellen Sprache und motorische Handlungsausführung, dazu prädisponiert zusammenzuarbeiten. Sowohl McNeill (2006; 2012) als auch Masataka (2003) folgen dem Anhaltspunkt von Rizzolatti und Kollegen und nehmen für Handlung und Sprache den gleichen sensomotorischen Ursprung an. Diese Einheit erklärt sich durch das Zusammenkommen (engl.: conver- Spiegelneurone (Box- 28): Ein Spiegelneuron ist ein visuomotorisches Neuron, welches sowohl bei der Produktion als auch bei der Beobachtung einer Handlung aktiv ist. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 81 17.04.2019 14: 20: 37 82 4. Motorische Entwicklung und Interaktion gence) von Sprache und manueller Handlung im Broca-Zentrum-- einer Gehirnregion, die traditionell mit der Sprachproduktion in Verbindung gebracht wird (siehe Box-7). Iverson und Fagan (2004) sowie McNeill (2006) gehen von einer engen evolutionär bedingten Bindung zwischen Vokalisation und manueller Handlung aus. In der Entwicklung bewirkt diese Bindung, dass sich die Modalitäten gegenseitig stützen und füreinander eine Vorläuferfunktion einnehmen können, wohingegen sie sich bei Erwachsenen als koordinierte Beziehung äußert (siehe Kapitel-8 zu Gestik). 4.4 Die Rolle der Imitation für das Sprachlernen Dass Kinder viele Handlungen imitieren, ist unbestritten. Doch die Natur der Imitation ist kontrovers: Wie ‚übersetzen‘ Kinder nonverbale und verbale Handlungen, die sie beobachten, in ihre eigenen Bewegungen oder ihre eigene Sprachproduktion? Welche Rolle spielen die Handlungsziele bei der Auswahl der eigenen (Sprach)handlung? Die Entdeckung der Spiegelneuronen bietet dafür einen neuronalen Mechanismus an, der eine ‚Übersetzung‘ überflüssig machte und führte in der Entwicklungspsychologie zu einer intensiven Diskussion darüber, wie das Beobachten einer Handlung einen direkten Zugang zum sozialen Lernen bieten kann. Soziales Lernen (siehe Box- 29) stellt insofern eine besondere Lernsituation dar, als es oft undurchsichtige Handlungen mit subtilen Zielen betrifft und somit große Herausforderungen für das Imitieren mit sich bringt: Was genau und wann soll imitiert werden? Als Beispiel sei auf das Öffnen eines Mameladenglases verwiesen, bei dem das kaum sichtbare Drehen des Deckels einen entscheidenden Handlungsschritt ausmacht. Um das Verständnis für das Phänomen zu schärfen, führten Call und Carpenter (2002) den Unterschied zwischen Mimikry (siehe Box-30), Imitation (siehe Box- 31) und Emulation (siehe Box- 32) ein. Dem liegt die Über- Soziales Lernen (Box-29): Manche Forscher verstehen darunter (lediglich) das Beachten und Nutzen von sozialen Signalen (siehe Box- 16). Andere Forscher gehen über das Nutzen von sozialen Signalen hinaus und verstehen unter sozialem Lernen ein komplexes Koordinieren zwischen Lernpartnern, das stets auf Reziprozität (siehe Box-17) beruht. Mimikry (Box- 30): Bei Mimikry (engl.: mimicry) handelt es sich um das exakte Kopieren der Handlungsschritte, ohne das Ziel der Handlung zu verstehen. Ein Beispiel ist, wenn ein Kind versucht die Bewegung des Naseputzens nachzumachen: Es bewegt ein Taschentuch zum Gesicht hin, weiß zu diesem Zeitpunkt allerdings weder, dass die Nase im Gesicht der Zielort der Handlung ist, noch wie sie geputzt werden soll. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 82 17.04.2019 14: 20: 37 83 4.4 Die Rolle der Imitation für das Sprachlernen zeugung zugrunde, dass die Nachahmung einer Handlung nicht zugleich bedeuten muss, dass der Nachahmer das Ziel der Handlung verstanden hat. Wie in den Boxen 30-32 deutlich wird, kann eine Handlung kopiert werden, ohne dass das Ziel verstanden wurde, wie es bei Mimikry der Fall ist. Call und Carpenter (2002) wählen das Nüsseknacken als Beispiel, an dem sie alle genannten Formen deutlich machen: Mimikry bezeichnet die Nachahmung der Handlung, ohne Zielverständnis. Wenn ein Demonstrator eine Nuss mit einem Hammer knackt, beinhaltet Emulation jede andere Art von Knacken, auch beispielsweise das Hineinbeißen. Das Ergebnis kann also durch eine Vielzahl von Bewegungen erreicht werden. Eine Emulation einer Handlung kann auch dann zustande kommen, wenn das Ziel nicht verstanden wird, jedoch das Ergebnis reproduziert wird. Dieses zufällige Nachmachen kann man zum Beispiel in experimentellen Studien beobachten, die einfache Problemlösungen erfordern (Call & Carpenter, 2002: 218). Horner und Whiten (2005) machen auf die kausalen Beziehungen aufmerksam, die für eine Emulation von Wichtigkeit sind: Während einer Beobachtung müssen kausale Beziehungen zwischen Handlungsschritten hergestellt werden, die dann eine Reproduktion des gleichen Ergebnisses mit einer anderen Methode erlauben. Das Nachmachen hängt also davon ab, ob die kausalen Beziehungen leicht zu erkennen sind. Eine Imitation schließlich würde eine Nachahmung der Handlung des Nüsseknackens mit einem Hammer erfordern. Wegen der hohen Übereinstimmung mit dem Modell wird die Imitation traditionell als „the apex of social learning [Gipfel des sozialen Lernens]“ betrachtet (Horner & Whiten, 2005). In Studien, die das menschliche Verhalten mit dem anderer Tiere vergleichen, zeigt sich, dass menschliche Kinder diesen Lernmechanismus bei ganz verschiedenen Aufgaben präferieren (z. B. Horner-& Whiten, 2005). Eine weitere Form von Imitation führt Zukow- Goldring (1996; 2006) ein. Sie bezeichnet diese als unterstützte Imita- Imitation (Box-31): Eine Imitation ist eine Nachahmung, bei der das Handlungsziel verstanden und reproduziert wird. Wird das Ziel nicht reproduziert, so handelt es sich um eine fehlgeschlagene Imitation. Im Unterschied zur Emulation werden bei einer Imitation motorische Bewegungsmuster und -modelle reproduziert, die zur Veränderung der Umwelt führen; man ist also um eine vollständige Kopie des Verhaltensmodells bemüht. Emulation (Box-32): Eine Emulation ist eine Nachahmung der Veränderung in der Umwelt. Das emulierende Kind beachtet insbesondere die Handlungsschritte des Demonstrators, die diese Veränderung herbeigeführt haben. Somit steht das Ziel und nicht die Bewegung, die zum Ziel führt, im Zentrum. Emulation zeichnet sich durch Flexibilität aus, das Handlungsziel auch mit anderen Bewegungen zu erreichen. Zum Beispiel gibt es viele Arten, seine Schuhe zu binden. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 83 17.04.2019 14: 20: 37 84 4. Motorische Entwicklung und Interaktion tion (engl.: assisted imitation). Mit diesem Begriff bringt die Forscherin zum Ausdruck, dass Kinder nicht einfach wahllos Bewegungen eines Gegenübers nachahmen. Stattdessen bedarf die Imitation einer Einbettung (siehe Box-29). Diese Einbettung erfolgt im Rahmen einer sozialen Interaktion, in der Kinder für die Handlungsschritte, die imitiert werden sollen, perzeptuelle Hinweise bekommen. Diese perzeptuellen Hinweise haben das Ziel, die zielorientierte Aufmerksamkeit der Lerner auf die relevanten Handlungselemente zu lenken. Als Beispiel findet sich in Zukow-Goldring (2006) das Schälen einer Orange: Obwohl die Mutter beim Erklären des Handlungsvorgangs des Schälens mit einer Zeigegeste und zusätzlichen Kommentaren helfen wollte, konnte das Kind das Ziel nicht erreichen. Daraufhin reagierte die Mutter, indem sie durch Wiederholung dafür sorgte, dass dem Kind der Handlungsvorgang bekannt wurde. Erst dann bemühte sie sich erneut, mit einer Zeigegeste und zusätzlichen Kommentaren die entscheidenen Handlungsschritte zu verdeutlichen. Schließlich vermittelte sie dem Kind seinen eigenen Beitrag zur Handlung, indem sie die Hand des Kindes ergriff und es durch die nötigen Bewegungen führte. Zukow-Goldring argumentiert, dass junge Kinder die Folgen ihrer Handlungen erfahren müssen und daher zunächst auf die perzeptuellen Informationen und multimodale Präsentation angewiesen sind. In dem Beispiel des Orangenschälens gelingt die Handlung dem Kind erst, als die Mutter seine Hand führt; dieses Führen sorgt für die perzeptuelle Information, die hier nicht nur visuell und taktil, sondern ganz entscheidend auch kinästhetisch ist. Erst dadurch kann die Zeigegeste mit ganz bestimmten Handlungsaspekten des Schälens verbunden und somit ihre Bedeutung aufgelöst werden. Die Wahrnehmung des Lerners, so Zukow-Goldring (1996), muss also zunächst in einer Interaktion geschult und auf die elterlichen Strategien hin sensibilisiert werden, damit die Informationsvermittlung im Allgemeinen und Imitation im Speziellen gelingt. Call und Carpenter (2002: 223) unterstreichen ebenfalls die Sozialisierung der Aufmerksamkeit (engl.: socialization of attention), die sich in sozialer Interaktion abspielt: Kinder werden darin gelenkt, auf bestimmte Aspekte der Umwelt zu achten. Dieses Lenken, so vermuten die Autoren, ermöglicht es den Kindern, nicht nur die Handlungsziele, sondern auch die exakten Handlungsverläufe wahrzunehmen. Die Wahrnehmung der Handlungsziele ist zentral für die kognitive Entwicklung. In der Entwicklungspsychologie ist die Ansicht verbreitet, dass Kinder regelrecht nach Mittel-Zweck-Strukturen Ausschau halten (Bruner, 1983; Csibra & Gergely, 2007). Diese Verbindung also, nach Mittel-Zweck-Strukturen Ausschau zu halten und durch sprachliche Inter- 44783_Rohlfing_SL3a.indd 84 17.04.2019 14: 20: 37 85 4.4 Die Rolle der Imitation für das Sprachlernen aktion auf die entscheidenden Aspekte hingewiesen zu werden, machen sich soziopragmatische Ansätze zunutze. Zollinger (2004) bringt es auf den Punkt: Die Erkenntnis, dass Kinder mit Sprache etwas bewirken können, ist für den Spracherwerb essenziell. Diese Erkenntnis erstreckt sich auf die Handlung mit anderen genauso wie auf eigene Handlungen, die in einer Interaktion mit verbalen Verhaltensweisen verbunden werden (Rohlfing u. a., 2016; Hauser, 2017). Zum Beispiel zeigten Gampe und Kollegen (2016), dass 30 Monate alte Kinder neue Verben nur dann lernten, wenn sie diese mit eigenen Handlungen verbinden konnten. Ein halbes Jahr ältere Kinder lernten die Verben wiederum bereits aus der Beobachtung. Mit diesen Befunden hoben die Autoren die Rolle der Imitation und der Selbstwirksamkeit für den frühen Spracherwerb hervor. Wie in Kapitel-9 ausgeführt wird, haben die ersten Äußerungen eines Kindes einen imitativen Charakter. Doch auch an diesem lässt sich die korrekte Anwendung einer sprachlichen Einheit auf einen komplexen Handlungskontext erkennen: Es ist die Anwendung, die die eigentliche Leistung einer Äußerung markiert, nämlich das Verständnis eines Handlungsziels (Tomasello, 2009). Ohne das Schulen ihrer Aufmerksamkeit, so Zukow-Goldring (2006), wären Kinder nicht in der Lage, manche undurchsichtige Handlungen (wie das oben angeführte Öffnen eines Einmachglases) zu imitieren. Denn hauptsächlich bei der Imitation kann eine Bewegung weiter unterschieden werden in Bezug auf ihre Bahn (die Richtung der Drehung) aber auch auf ihre Art (siehe Box-33). Mit diesem Unterschied zwischen Bewegungsart und Bewegungsbahn beschäftigen sich Studien zu prälinguistischen Grundlagen für Handlungskomponenten. Pruden und Kolleginnen (2008) testeten, ob Kinder mehr auf die Art der Ausführung einer Handlung achteten oder auf die Bahn der Handlung. In einem Preferential Looking-Experiment‘ (siehe Kapitel-10.1) wurde den untersuchten Kindern eine Animation eines sich bewegenden Objekts gezeigt. Das Objekt bewegte sich von einer Seite auf die andere, nicht nur auf unterschiedlichen Bahnen (z. B. nahm es einen Weg unter- oder oberhalb eines Punktes), sondern auch auf unterschiedliche Weise (z. B. drehend oder wackelnd). Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass Kinder im Alter von 10 Monaten einen Unterschied in der Ausführung der Bewegungsbahn bemerkten, aber nicht einen der Bewegungsart. Mit 13 Mona- Bahn und Art einer Bewegung (Box-33): Bei der Ausführung einer Bewegung wird zwischen dem Weg im Sinne einer Bahn in eine bestimmte Richtung (engl.: path), und ihrer Art (engl.: manner) unterschieden. Das Öffnen eines Einmachglases weist beide Elemente auf: Zunächst muss einem Kind klar sein, in welche Richtung die Bewegung erfolgen soll und dann auf welcher Art (nämlich der Drehung des Deckels). 44783_Rohlfing_SL3a.indd 85 17.04.2019 14: 20: 37 86 4. Motorische Entwicklung und Interaktion ten erkannten sie zudem, wenn sich die Bewegungsart in einer Bahn veränderte (Pruden u. a., 2008). Die Befunde deuten darauf hin, dass das Enkodieren einer Bewegungsbahn einfacher ist als das Enkodieren einer Bewegungsart. Dies könnte daran liegen, dass eine Bewegungsbahn vielleicht enger, da häufiger, mit dem Ziel einer Handlung und somit dem emulativen Verhalten verknüpft ist als eine Bewegungsart: Eine Veränderung in der Umwelt erreicht man, wenn ein Gegenstand sich von der einen zu der anderen Seite bewegt; die Veränderung ist somit die Bahn oder gar der Ortswechsel. Die Bewegungsart dagegen scheint enger mit imitativem Verhalten verbunden zu sein, in welchem ein genaueres Modell des Verhaltens im Sinne der Zielerreichung und nicht nur ein Modell der Ergebnisse eine Rolle spielt. Aktuelle Studien (Pruden u. a., 2012) zeigen, dass Umfang und Komplexität einer beobachteten Handlung dazu führen, dass Kinder sich vorrangig auf das Ziel konzentrieren. Zusammen mit den unterschiedlichen Arten des sozialen Nachahmens legen die Befunde zu den Grundlagen für Handlungskomponenten nahe, dass das Imitieren einer Bewegungsart eine schwierige Aufgabe darstellt und Unterstützung von Bezugspersonen im Wahrnehmen weiterer Handlungselemente benötigt (Zukow-Goldring, 1996; 2006; siehe auch Kapitel-11). Auch wenn sich Imitation als Mechanismus neurobiologisch erklären lässt (Rohlfing, 2013), so ist für den frühen Spracherwerb wichtig, dass dieser Mechanismus im Rahmen einer sozialen Interaktion ausgelöst wird-- ein Beispiel für epigenetische Vorgänge. Für den Spracherwerb reicht die Imitation auf Dauer nicht aus. Kinder müssen die reziproke Wirkung einer Handlung und Sprache erfahren, d. h. sie müssen ihre (Sprach-)Handlung nicht nur aus der eigenen, sondern auch aus der Perspektive eines Gegenübers planen. Diese Fähigkeit entwickelt sich im Rahmen der Theory-of-Mind-Fähigkeiten (siehe Box-85) und wird zunehmend mit dem Verständnis für gemeinsame Handlungen (siehe Kapitel-6) verknüpft (sie werden von Rohlfing, 2013 ausführlicher thematisiert). Interessant, aber hier außen vorgelassen, ist die Wirkung der Sprache auf die Wahrnehmung und das Verständnis von Handlungen. Rohlfing und Tani (2011) gehen auf die zahlreichen Belege dafür ein, dass mit der Sprachentwicklung auch ein bestimmter Blick auf die Handlungsausführung einhergeht. Kinder spezialisieren sich darauf, solche Elemente der Handlung wahrzunehmen, für die es in ihrer Zielsprache einen Ausdruck gibt (z. B., Göksun u. a., 2011). 44783_Rohlfing_SL3a.indd 86 17.04.2019 14: 20: 37 87 4.5 Temporale körperliche Koordination 4.5 Temporale körperliche Koordination Wie oben bereits gezeigt, wird die kindliche Imitationsleistung von Bezugspersonen unterstützt. Dieser Abschnitt geht genauer auf diese Unterstützung ein und zeigt die Bedeutung der körperlichen Koordination. Die Thematik der Koordination während einer sozialen Interaktion wurde bereits im vorangegangenen Kapitel anhand von Studien angesprochen. Diese Forschung berichtete von einer zeitlichen Organisation und einem Abstimmen beider Partner in unterschiedlichen Modalitäten bei sehr jungen Säuglingen und ihren Müttern. Der Begriff der interpersonalen Synchronisation fasst diese Organisation als ein körperliches Phänomen auf (siehe Box- 18). Interessant ist in diesem Zusammenhang nicht nur die interpersonale (d. h. zwischen den Personen), sondern auch die intrapersonale (d. h. innerhalb einer Person, sowohl der Bezugsperson selbst als auch des Kindes) Koordination (siehe Box-34). Innerhalb einer Person betrifft die temporale Synchronisation von zwei Signalen verschiedener Sinnesmodalitäten ihr zeigleiches Vorkommen. Die sich daraus ergebende Wirkung der Redundanz, die ‚verbindende‘ und zugleich modalitätenunabhängige Eigenschaften hervorhebt, wurde von Bahrick und Kollegen (2004) festgehalten. Im Rahmen der Intersensorischen Redundanz-Hypothese argumentieren die Autoren, dass Säuglinge sich verstärkende Stimuli aufgrund der Amodalität vorrangig verarbeiten. Daher ist eine Synchronisation von Signalen innerhalb einer Person für die Wahrnehmung von Säuglingen besonders hilfreich. Eine solche temporale Synchronisation von Verhaltensweisen im Input ist eine wichtige Quelle für die Aufnahme von Informationen und somit „eine effiziente Weise […], auf bedeutungsvolle Ereignisse aufmerksam zu machen“ (Rohlfing, 2013: 105). Es ist erhellend, die oben in Methoden eigeführten Studien (Ejiri & Masataka, 2001; Fagan & Iverson, 2004) aus der Perspektive der intrapersonalen Koordination zu betrachten. Dabei wird die Bedeutung der temporalen Synchronisation zweier Modalitäten innerhalb einer Person für den Sprach- und Gestikerwerb klarer. Beiden Studien ist die Beobachtung gemein, dass Kinder ihre motorische Aktivität (Armbewegungen) mit der lautsprachlichen zeitlich koordinierten, Intersensorische Redundanz (Box-34): Kommen zwei Signale zeitgleich vor (z. B. hört man ein Klopfen und sieht die klopfende Bewegung einer Person), verstärken sie sich und lassen nach der Hypothese der Intersensorischen Redundanz (engl.: Intersensory Redundancy) amodale (d. h. modalitätenunabhängige) Eigenschaften wie den Rhythmus des Klopfens in den Vordergrund treten, die so wiederum schneller verarbeitet werden (Bahrick u. a., 2004). 44783_Rohlfing_SL3a.indd 87 17.04.2019 14: 20: 37 88 4. Motorische Entwicklung und Interaktion sodass ein gemeinsamer Rhythmus zum Vorschein kam. Es ist unklar, ob Rhythmus als amodale Eigenschaft ein Ausdruck oder eine Folge der intrapersonalen Koordination ist. Beide Studien weisen jedoch darauf hin, dass diese intrapersonale Form der Synchronisation zwischen der lautsprachlichen und der motorischen Aktivität für die Kinder hilfreich ist, um einen Meilenstein in der phonologischen Entwicklung, nämlich das kanonische Lallen (siehe Box-42 und Kapitel- 12.4 zum Begriff von „Meilenstein“), zu erreichen. Nun können Vermutungen angestellt werden, wie der Rhythmus dabei hilft. Eine Vermutung, die entlang der intersensorischen Redundanz Hypothese formuliert werden kann, ist, dass er beide Aktivitäten bündelt, woraufhin ihre ausgewählten Eigenschaften in den Vordergrund treten und vorrangig verarbeitet werden können. Die amodale Eigenschaft des Rhythmus wirkt also wie ein Filter auf die Wahrnehmung und wie ein Magnet auf das Gedächtnis. Dieser Vorteil, durch die Verbindung der Modalitäten eine Auswahl der relevanten Elemente im Verhalten zu treffen, scheint auch für Meilensteine der späteren Sprachentwicklung förderlich zu sein und wird in Kapitel-8 vertieft. Daraus kann die Hypothese abgeleitet werden, dass Mechanismen des Filterns, also nur die relevanten Eigenschaften in Betracht zu ziehen, die Entwicklung voranbringen. Beide Studien weisen zudem darauf hin, dass sich diese enge Verbindung zwischen den Modalitäten auflöst, wenn eine Spezifizierung stattgefunden hat und Kinder beispielsweise kanonisch lallen können. In Kapitel-3.2 wurde das Filtern durch Verengung der Wahrnehmung (phonologische Spezifizierung) in einem Bereich angedeutet. Im Folgenden wird die Bedeutung der intrapersonalen Koordination bei Bezugspersonen-- als besondere Form eines ‚gefilterten Inputs‘-- betrachtet, die einen Einfluss auf die Wahrnehmung der Kinder hat und in Interaktionen intuitiv genutzt wird (siehe auch Kapitel-13). Wie in Box-34 eingeführt, entfaltet die zeitliche Relation zweier Signale ihre Wirkung durch intersensorische Redundanz (Bahrick u. a., 2004): Hört ein Kind ein Wort und sieht parallel dazu eine synchrone Bewegung, so wird eine einprägsame Präsentation erzeugt, die tiefer im Gedächtnis bleibt als eine Präsentation, in der lediglich die Bewegung oder aber lediglich das Wort vorkommen. Die redundante Präsentation scheint besonders für junge Kinder von Vorteil zu sein. In Kommunikationsbemühungen mit jungen Kindern wird diese Signalkraft von Bezugspersonen intuitiv genutzt: Nicht nur eine Zeigegeste wirkt durch ihre klare Bewegung in eine Richtung (vgl. Rohlfing u. a., 2017b), sondern auch die ersten Wörter profitieren von einer Darbietung, die motorisch unterstützt wird, wie Gogate und Kolleginnen (2000) herausfanden. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 88 17.04.2019 14: 20: 37 89 4.5 Temporale körperliche Koordination Die Autorinnen beobachteten Bezugspersonen dabei, wie sie ihren Kindern Bezeichnungen für neue Objekte vermittelten. Dabei bewegten sie diese zeitlich abgestimmt auf die Äußerung des Wortes (Gogate u. a., 2000). Sollte beispielsweise ein Kind das Wort Ente lernen, so wurde das Objekt direkt vor das Kind gehalten und parallel mit dem Wort En-te ins Sichtfeld hin und zurückbewegt. Als Ergebnis dieser Querschnittsuntersuchung hielten die Autorinnen folgende Entwicklungsstufen fest: Für junge Kinder bis 18 Monate wählten die Eltern eine Bewegung auf das Kind zu, die dazu führte, dass das Objekt das egozentrische Sichtfeld füllte (Matatyaho & Gogate, 2008). Auf Objektbewegung jeglicher Art verzichteten Eltern von 21 Monate alten und älteren Kindern. In einer weiteren Studie gingen Gogate und Bahrick (2001) der Frage nach, ob die von Bezugspersonen intuitiv eingesetzten Strategien dem Worterwerb auch tatsächlich zuträglich sind. Im Rahmen eines Preferential Looking- Experimentes (siehe Kapitel- 10.1) bekamen dafür 7 Monate alte Säuglinge Vokale zusammen mit Objekten präsentiert. In einer Bedingung hörten die Kinder einen Vokal und sahen, dass sich ein Objekt synchron dazu bewegte, d. h. jedes Mal, wenn / a/ zu hören war, bewegte sich das Objekt nach vorn. In einer asynchronen Bedingung hörten die Kinder ebenfalls einen Vokal und sahen, dass sich ein Objekt bewegte, jedoch war die Präsentation zeitlich unabhängig voneinander. Im Test hörten die Kinder einen bekannten Vokal. Die Ergebnisse sprachen deutlich für einen Vorteil der synchronen Bedingung: Wenn Kindern der neue Vokal mit einer synchronen Bewegung des Referenten präsentiert wurde, dann konnten sie diesen Vokal später im Test eher mit dem korrekten Referenten verbinden. Somit konnte die förderliche Wirkung der von Eltern intuitiven genutzten multimodalen Strategien für den Lexikonerwerb bestätigt werden (siehe auch Kapitel-13). Diese zeitlich synchrone Verbindung von Sprache und Handlung ist nicht nur für den Erwerb von Nomen dokumentiert. Nomikou und Rohlfing (2011) machten darauf aufmerksam, dass bereits in frühen Interaktionen mit 3 Monate alten Kindern Bezugspersonen über 70 % ihrer Lautsprache mit weiteren körperlichen Bewegungen unterstützen und auf diese Weise intuitiv visuell verstärken. Eine spätere Analyse (Nomikou u. a., 2017) widmete sich dem Zusammenhang von intersensorischer Redundanz in der frühen Interaktion mit dem Kind und seinem späteren Erwerb von Verben. Die Autorinnen fanden heraus, dass die Anzahl der Verben, die die Mütter in Interaktionen mit ihren 6 Monate alten Kindern auf eine eng mit ihren Handlungen koordinierte Weise äußerten, im Zusammenhang mit der Menge der Verben im Wortschatz des Kindes mit 24 44783_Rohlfing_SL3a.indd 89 17.04.2019 14: 20: 37 90 4. Motorische Entwicklung und Interaktion Monaten steht. Diese Beziehung zwischen dem mütterlichen Interaktionsstil, nämlich die Äußerungen enger an die Handlungen zu koppeln, einerseits und der kindlichen Sprachentwicklung andererseits unterstützt den Gedanken, dass der frühe Spracherwerb vom multimodalen Input in Form von koordinierter Sprache und Handlung profitiert. Für den Spracherwerb erscheint sowohl interwie auch intrapersonale Koordination von Vorteil zu sein: Rohlfing und Nomikou (2014) fanden heraus, dass eine an die Entwicklung des Kindes und seine Kommunikationsfähigkeiten angepasste, sich verstärkende Präsentation von Handlungen mit Lautsprache im positiven Zusammenhang mit dem späteren Verberwerb stand. Dafür untersuchten die Autorinnen eine Situation, die alltäglich stattfindet: das Wickeln. In diese Untersuchung flossen Daten aus mehreren Zeitpunkten ein (Kinder im Alter von 3 und 6 Monaten) sowie die Sprachstandserhebung mit 24 Monaten. Das Modell, das die spätere Sprachentwicklung, insbesondere den Verberwerb, am besten erklären konnte, umfasste ein angepasstes Verhalten der Mütter: Einerseits ist der Anteil der Äußerungen, die in zeitlicher Überlappung mit Handlungen an 3 Monate alte Kinder gerichtet waren, wichtig. Zugleich aber spielte dieser mit dem Anteil von solcher intrapersonaler Koordination zusammen, die Kindern im Alter von 6 Monaten dann dargeboten wurden, wenn sie sich ihrer Mutter zuwandten: Da Kinder im Alter von 3 Monaten wenig abgelenkt werden und dem Gesicht ihrer Mutter viel Aufmerksamkeit schenken, ist zu dem Zeitpunkt eine intrapersonal koordinierte Sprache (d. h. Äußerungen, die sich mit der Ausführung von Handlungen decken) förderlich. Mit 6 Monaten jedoch, einem Zeitpunkt, in dem sich Kinder gern anderen Dingen und Ereignissen zuwenden, ist für die Bezugspersonen eine Abstimmung im gegenseitigen Zuwenden nötig, um den entscheidenen Input zu geben. Mit dem Alter der Kinder ändert sich also die Art der intrapersonal koordinierten Präsentation. 4.6 Körperkontakt als eine interpersonale Synchronisation Körperkontakt ist bei jungen Kindern alltäglich: Sie werden getragen und suchen stets die körperliche Nähe. Die Gruppe der vorzeitig geborenen Kinder (siehe Box-35) ist hier von besonderem Interesse, weil für sie die positiven Auswirkungen des Körperkontakts belegt und bekannt sind (Streit, 2015: 72 f.). Im Hinblick auf die Sprachentwicklung ist anzumerken, dass vorzeitig geborene Kinder als Gesamtgruppe keine auffällige Sprachentwicklung aufweisen; doch lässt sich gegenüber termingeborenen Kontrollkindern in dieser Gruppe ein 44783_Rohlfing_SL3a.indd 90 17.04.2019 14: 20: 37 91 4.6 Körperkontakt als eine interpersonale Synchronisation erhöhtes Risiko für Sprachentwicklungsverzögerungen feststellen, die sekundär zu neurologischen und sensorischen Entwicklungsstörungen zu beobachten sind (Jungmann, 2006). Das Risiko für neurologische und sensorische Entwicklungsstörungen mit Sprachproblemen als sekundärem Defizit ist auch in der Gesamtgruppe der unreif geborenen Kinder gegenüber termingeborenen Kontrollkindern deutlich erhöht. Körperkontakt ermöglicht primäre sensomotorische Erfahrung, im Sinne der Interaktion fördert er aber auch eine Synchronisation mit der anderen Person. Durch Körperkontakt kann ein Kind beispielsweise die langsame Atmung einer Person besser spüren und das Atemtempo intuitiv übernehmen, was sich beruhigend auswirkt. Solche Angleichungs- oder Alignmentprozesse sind auch später in verbalen Interaktionen zu beobachten. Besonders für sehr junge Säuglinge und insbesondere vorzeitig Geborene (siehe Box-35) ist diese Art der Interaktion von Bedeutung. Doch auch im Verlauf der weiteren Entwicklung-- und ein Leben lang-- bleibt die positive Wirkung auf die Regulation und auf den Erwerb von Selbstregulation im Bereich des emotionalen Zustands (und somit z. B. der Schmerzwahrnehmung) und die Steuerung der Aufmerksamkeit erhalten (ibid.: 75). Diese Wirkung wird in experimentellen Studien deutlich, wenn jüngere Kinder anfänglich gern die Körpernähe ihrer Bezugspersonen suchen, und weitere Interaktion nur möglich wird, wenn sie auf dem Schoß sitzen bleiben können. Interessant ist, dass die für den Spracherwerb förderliche Situation des gemeinsamen Buchvorlesens (siehe Kapitel-14) häufig durch einen engeren Körperkontakt gekennzeichnet ist: Gerade jüngere Kinder sitzen auf dem Schoß der Bezugsperson und können auf diese Weise sowohl ihre Perspektive als auch die körperliche Bewegung besser wahrnehmen. Ob und wie viel Körperkontakt in einer sozialen Interaktion eingesetzt wird, ist durch unsere Kultur geprägt. So analysierten Kärtner und Kollegen (2010) ein Miteinander von deutschen und Nso-Müttern (ein kleines Dorf in Kamerun) mit ihren Säuglingen. Dieses war in den beiden Kulturen in den ersten beiden Lebensmonaten der Säuglinge sowohl in der Kontingenz und Reziprozität (siehe Box-17) als auch der körperlichen Ausführung ähnlich. Als die Kinder 2 Frühgeborene Kinder (Box- 35): Früh- oder vorzeitig geborene Kinder kommen vor der Vollendung der 37. Schwangerschaftswoche auf die Welt. Für die Bestimmung der Unreife ist das Körpergewicht entscheidend (1000 g als extrem niedriges bis 2500 g als niedriges Geburtsgewicht). Die Prävalenz dieser Gruppe liegt bei 7 %, und Jungmann (2006) weist darauf hin, dass die erheblichen Anpassungs- und Selbstregulationsprobleme der Kinder mit Herausforderungen für die soziale Umwelt einhergehen (siehe Kapitel-6.1). 44783_Rohlfing_SL3a.indd 91 17.04.2019 14: 20: 37 92 4. Motorische Entwicklung und Interaktion Monate alt wurden, äußerten viele ihr Lächeln, das von den Müttern ab diesem Zeitpunkt in Interaktionen aufgegriffen werden konnte. Dieses Lächeln veränderte das Miteinander. Ab diesem Zeitpunkt beobachteten die Forscher kulturspezifisch erscheinende, unterschiedliche Arten der Interaktion: Die deutschen Mütter antworten dem Lächeln ihrer Säuglinge mit signifikant mehr visueller Kontingenz, während Nso-Mütter mit mehr taktiler und auditiver Kontingenz reagieren (Kärtner u. a., 2010). An diesem Befund wird deutlich, dass die Mittel für das Ausführen einer sozialen Interaktion kulturell geprägt sind und bereits sehr früh in der Entwicklung eingeübt werden. 4.7 Motorische Einschränkungen: Störungen und Entwicklungen Die Verbindung von motorischer Entwicklung und Sprachentwicklungsstörungen ist in der aktuellen Forschung ein zentrales Thema. Im Untersuchungsfokus steht dabei die Gruppe der Kinder mit Autismus-Spektrum-Störung (siehe Box- 12), die Defizite in den Bereichen der sozialen Kognition aufweisen. Insbesondere stellt sich bei dieser Gruppe die Frage, ob ihre imitatorischen Fähigkeiten eingeschränkt sind, was den Zugang zum sozialen Lernen erschweren könnte. Southgate und Hamilton (2008) formulierten dafür die Hypothese des kaputten Spiegels (engl.: broken mirror), um neurologische Voraussetzungen- - nämlich eine Dysfunktion im Spiegelneuronensystem (Williams u. a., 2001)-- für die Einschränkungen im Imitationsverhalten bei Kindern mit Autismus-Spektrum-Störung verantwortlich zu machen. Doch seitdem in verschiedenen Studien vielfältige Imitationsfähigkeiten von autistischen Kindern und somit ihr grundsätzliches Verständnis von sozialen Handlungszielen belegt wurden, gilt diese Hypothese als nicht haltbar, obwohl bei Kindern mit Autismus-Spektrum durchaus Schwierigkeiten identifiziert werden konnten, Handlungsziele anderer zu verstehen (Southgate & Hamilton, 2008). Bei der Gruppe der Kinder mit Autismus-Spektrum-Störung achtet die Forschung neuerdings auf einen generellen Zusammenhang zwischen motorischer und sprachlicher Entwicklung: In einer Studie von Bedford und Kollegen (2016) sagten die grobmotorischen Fähigkeiten die späteren Sprachfähigkeiten der Kinder mit Autismus-Spektrum-Störung sogar am besten voraus-- dieser Befund wird in Kapitel-4.8 weiter ausgeführt. Dieser Zusammenhang lässt sich generell auf atypisch entwickelte Kinder übertragen, und Leonard und Hill (2014) fassen Befunde zusammen, die darauf hindeuten, dass eine Verzögerung in der motorischen Entwicklung eine Verzögerung im sozialen Lernen im Allge- 44783_Rohlfing_SL3a.indd 92 17.04.2019 14: 20: 38 93 4.8 Selbstbewegung und Interaktion meinen und Spracherwerb im Besonderen nach sich ziehen kann. Insbesondere lasse der Stand der Handmotorik auf die Sprachfähigkeiten schließen (ibid.). Unabhängig von ihren Besonderheiten befinden sich alle Kinder noch in ihrer motorischen Entwicklung, woraus sich aus der Erwachsenenperspektive einige Einschränkungen ergeben, die einen Einfluss auf den Erwerb von Sprache haben können. Diesen Einfluss verdeutlicht die Forschung von Smith und Yu. Mithilfe von Kameras, die mit einem Stirnband an der Stirn der Kinder befestigt wurden, untersuchten die Forscher, wie sich das Sichtfeld der Kinder gestaltet und welchen Input sie auf diese Weise erhalten. Sie deckten auf, dass sich die Wahrnehmung der Umgebung bei Kindern im Laufe der ersten zwei Lebensjahre dramatisch verändert. Zum Beispiel können ältere Wortlerner im Alter von 16 bis 18 Monaten Objekte so manipulieren, dass sich diese im sogenannten egozentrischen Sichtfeld befinden. Das bedeutet, dass die Objekte in voller Größe, zentriert, unverdeckt und visuell dominant wahrgenommen werden können (Pereira u. a., 2014). Genau auf diese Weise versuchen auch Bezugspersonen ihren Kindern Objekte zu präsentieren (Zukow-Goldring, 1996; Gogate u. a., 2000). Yu und Smith (2012) argumentieren, dass, wenn während dieser Art der Präsentation die Objekte einen Namen bekommen, Kinder sich diese Benennung eindeutig merken können. Clerkin und Kollegen (2017) fassen zusammen, dass jüngere Kinder (vor ihrem ersten Geburtstag) diese für das Wortlernen hilfreiche Sicht noch nicht erreichen können, weil sie die Objekte nicht stabil halten und die manuellen Handlungen mit ihnen nicht aufrechterhalten können. Es kann an dieser Stelle lediglich spekuliert werden, dass Bezugspersonen für jüngere Kinder eine wichtige Rolle spielen, da sie die Objekte der Kinder im egozentrischen Sichtfeld präsentieren. Ein wichtiger Punkt der Studien liegt darin, zu verdeutlichen, dass die Entwicklung des Körpers die Gegebenheiten bestimmt, unter denen ein Mensch die Einflüsse aus der Umwelt verarbeitet. Dieser Punkt wird im nächsten Abschnitt ausgeführt. 4.8 Selbstbewegung und Interaktion Wenn Motorik und Sprache miteinander verbunden sind, dann liegt die Vermutung nahe, dass sich diese Verbindung auch im Erreichen der wichtigen Meilensteine (siehe Kapitel- 12.4 zum Begriff von „Meilenstein“) wie dem Äußern des ersten Wortes und dem ersten Schritt niederschlägt (siehe Kapitel-4.7). In der Tat gibt es dazu zwei gegensätzliche Hypothesen. Die Hypothese der neuen Ressourcen postuliert, das Laufen fördere das Sprechen. Die Vorstellung 44783_Rohlfing_SL3a.indd 93 17.04.2019 14: 20: 38 94 4. Motorische Entwicklung und Interaktion hinter dieser Hypothese ist der einer Synergie: Die Aktivierung eines Bereichs bringt eine erhöhte Bereitschaft des anderen Bereichs mit sich. Zudem bietet die neue Fähigkeit andere Wahrnehmungs- und Interaktionsmöglichkeiten. Im Gegensatz dazu bringt die Hypothese der Ressourcen im Wettbewerb zum Ausdruck, dass vorhandene Ressourcen endlich sind, und wenn das Laufen lernen diese beansprucht, dann verlangsamt sich gleichzeitig das Sprechen. Hinter dieser Annahme steht die Vorstellung, dass die beiden Fähigkeiten im Wettbewerb um die zur Verfügung stehenden kognitiven Ressourcen stehen: Die Kinder, die spät anfangen zu sprechen, sind die, die früh zu laufen beginnen (late talkers are early walkers). Eine Längsschnittstudie von Walle und Campos (2014) analysierte die Veränderungen im Spracherwerb, die mit dem Laufbeginn und somit dem Erreichen eines Meilensteins in der motorischen Entwicklung einhergehen. Sowohl in der Sprachrezeption als auch in ihrer Produktion war bei Kindern ein Zuwachs zu verzeichnen, der im Zusammenhang mit der Qualität der Selbstbewegung (engl.: self-locomotion) stand (d. h. ob Kinder krabbelten oder bereits liefen). D.h. von den Kindern, die früh in ihrer Entwicklung selbst laufen konnten, wurde später sowohl in der Sprachproduktion als auch -Rezeption eine bessere Leistung berichtet. Zudem sprechen Daten einer umfangreichen Studie mit Elternbefragungen für die Annahme der Hypothese der neuen Ressourcen: Frühe motorische Leistungen der Kinder waren ein besserer Prädiktor der späteren Kommunikation als andersherum (Wang u. a., 2012). Ein Überblick über einige Studien in Leonard und Hill (2014) deutet auf einen Zusammenhang zwischen verzögerter motorischer Entwicklung und der Tatsache, dass Kinder viele Aktivitäten alleine durchführten. Dies lässt die Vermutung zu, dass Kinder mit verzögerter motorischer Entwicklung seltener oder auch weniger gern an sozialen Aktivitäten teilnehmen. Mit zunehmendem Wissen zu dem Zusammenhang von Laufen und Sprechen werden Erklärungen für dieses Phänomen angeboten, die über die rein kognitive Wirkung hinausgehen. Im Analysefokus steht beispielsweise die sich verändernde Kommunikationsweise. Denn solange ihre Fortbewegung keine Rolle spielt, vertrauen Kinder verständlicherweise darauf, dass die Erwachsenen ihren Interessen folgen. Bertenthal und Kollegen (1984) zeigten jedoch, dass sich mit Veränderung der Selbstbewegung auch die Art der Interaktion zwischen Kind und Umwelt veränderte, da Selbstbewegung weitere Vorgänge wie soziale Kommunikation erfordert und somit beschleunigt. Das Kind, das sich nun weiter entfernt von der Mutter befindet und keinen unmittelbaren Körperkontakt hat, 44783_Rohlfing_SL3a.indd 94 17.04.2019 14: 20: 38 95 4.8 Selbstbewegung und Interaktion braucht eine emotionale Bestätigung über die räumliche Distanz hinweg und eine andere Art von Gefahrenprävention (siehe auch Rohlfing, 2013 zur sozialen Bezugnahme). Diese Art der neuen Erfahrung sorgt für eine veränderte räumliche Wahrnehmung und Konzeptualisierung sowie eine veränderte Interaktion mit Bezugspersonen (Iverson, 2010; Leonard & Hill, 2014). Eine Untersuchung von Kindern, die bereits laufen oder aber nur krabbeln konnten (Karasik u. a., 2014), verdeutlicht, dass die Kinder, die sich laufend mit freien Händen durch die Gegend bewegen, besser in der Lage sind, Objekte an ihre Bezugspersonen heranzutragen und auf diese Weise mehr Informationen über diese bekommen. Allerdings zeigen diese Studien nicht, ob dieser Unterschied Auswirkungen auf die Sprachentwicklung hat, was jedoch Walle und Campos (2014) stark vermuten. In ihrem Überblick über den Zusammenhang zwischen motorischen Fähigkeiten und Spracherwerb spricht Iverson (2010) von einer Änderung der Erfahrung, die mit dem Übergang zum Laufen für die Kinder einhergeht. Die motorische Entwicklung an sich stelle jedoch für den Spracherwerb keine notwendige Voraussetzung dar (ibid.). Dementsprechend bedeutet eine Verzögerung in den motorischen Fähigkeiten nicht zwingend einen Verzug in der Sprachentwicklung. Das Zusammenspiel der beiden Entwicklungsbereiche, Motorik und Sprache auf der einen Seite und das Fehlen einer direkten ontogenetischen kausalen Verbindung auf der anderen Seite, muss keinen Widerspruch bedeuten. Vielmehr spiegelt sich darin ein Theorem der Entwicklung aus der Perspektive der Systemtheorie (Thelen & Smith, 1996): Diese verneint eine einfache Kausalität zugunsten mehrerer sich wandelnder Faktoren, deren Zusammenspiel ein bestimmtes Verhalten entstehen lässt (Iverson, 2010: 28). On this view, motor skills are one among several sets of abilities that are involved in language; and although they are normally participatory in language development, should any given pathway be blocked, there is sufficient flexibility in the organization of the system to yield a myriad of possible (yet still normative) developmental trajectories leading to the emergence of language (Iverson, 2010: 29). Die Systemtheorie plädiert dafür, dass Entwicklung auf andere Pfade ausweichen kann, wenn manche ‚blockiert‘ sind. Entgegen dieser Theorie wurde in einigen Studien allerdings die Beobachtung gemacht, dass mit motorischen Schwierigkeiten auch Sprachentwicklungsverzögerungen (siehe Kapitel- 4.7) einhergehen. Dieses gemeinsame Auftreten lässt sich jedoch auch mit einer genetischen Verbindung zwischen motorischen und sprachlichen Fähigkeiten erklären. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 95 17.04.2019 14: 20: 38 96 4. Motorische Entwicklung und Interaktion Für die zukünftige Forschung formuliert Iverson (2010) das Desiderat, nicht nur Audiodaten der Kinder als Grundlage zu nehmen, sondern diese mit Videoaufnahmen zu kombinieren. Nur auf diese Weise erworbene Daten könnten Einblicke darin vermitteln, wie die physikalische Welt Kindern als Ressource dienen kann (siehe auch Rohlfing, 2013, Kapitel- 8). Das sich entwickelnde motorische System ermöglicht es, andere Fähigkeiten anzuwenden und zu verfeinern. Diese tragen wiederum zur Sprachfähigkeit bei. Das Erforschen der Wege, auf denen motorische Errungenschaften zur Sprachentwicklung beitragen, kann uns in der Zukunft mehr über die Verbindung beider Systeme miteinander verraten. Lesetipps: Der Aufsatz von Iverson (2010) bietet eine sehr gute und aktuelle Zusammenfassung des Forschungsstands zum Zusammenhang der motorischen und sprachlichen Entwicklung: Iverson, J. M. (2010). Developing language in a developing body: the relationship between motor development and language development. Journal of Child Language, 37(2), 229-261. Die Hypothese der Intersensorischen Redundanz wird von Bahrick und Kollegen prägnant dargestellt: Bahrick, L. E., Lickliter, R., & Flom, R. (2004). Intersensory redundancy guides the development of selective attention, perception, and cognition in infancy. Current Directions in Psychological Science, 13(3), 99-102. Auf die Rolle der Imitation gehen Call und Carpenter ein: Call, J., & Carpenter, M. (2002). Three sources of information in social learning. In C. L. Nehaniv & K. Dautenhahn (Hrsg.), Imitation in Animals and Artifacts (S. 211-228). Cambridge, MA: MIT Press. Eine der aktuellsten Studien zur Verbindung zwischen Sprachentwicklung und Laufen bietet die Arbeit von Walle und Campos: Walle, E. A., & Campos, J. J. (2014). Infant language development is related to the acquisition of walking. Developmental Psychology, 50(2), 336-348. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 96 17.04.2019 14: 20: 38 97 5.1 Methoden: Was ist Operationalisierung? 5. Gemeinsame Aufmerksamkeitsbezüge In diesem Kapitel werden theoretische Ansätze zu dem Problem der Referenz präsentiert, d. h. zu der Frage, wie Kinder es schaffen, ein Wort auf die Wirklichkeit zu beziehen. Nicht nur Wörter können auf einen Referenten verweisen; Kinder referieren bereits früh mit nonverbalen Mitteln wie Gesten oder Blicken. Dieses Verhalten wird häufig als Vorläuferfähigkeit beschrieben. Bereits Bruner (1983) verdeutlicht in seinem Buch, dass Spracherwerb eigentlich ein Nebenprodukt des Handelns ist: Kinder lernen Sprache, weil sie mit diesen neuen Mitteln mehr erreichen können. Generell schaffen kommunikative Mittel eine besondere Form des Handelns: ein gemeinsames Handeln. Dieses gemeinsame Handeln bedarf einer Koordination der Ziele und der Referenten. Die Absprache mit einem Partner erfolgt multimodal, denn Kinder und Erwachsene kommunizieren mit vielfältigen Mitteln. Die Fähigkeit, Aufmerksamkeit zu koordinieren und somit gemeinsame Aufmerksamkeitsbezüge zu schaffen, ist eine wichtige Basis dafür, das Verhalten anderer zu deuten und das eigene Verhalten darauf abzustimmen. Insbesondere Routinen des Benennens - in unserer westlichen Kultur eine wahre Schatztruhe des Vokabularaufbaus - erfordern solche gemeinsame Aufmerksamkeitskoordination. In diesem Kapitel wird die Komplexität dieser Koordination dargestellt, die nicht nur auf eine, sondern auf vielfältige kognitive Funktionen zurückzuführen ist. Kinder meistern die Komplexität bereits früh in ihrer Entwicklung und diejenigen, die in ihrer Sprachentwicklung verzögert erscheinen, können in diesem Bereich Defizite aufweisen. 5.1 Methoden: Was ist Operationalisierung? Einer der wichtigsten und spannendsten Schritte einer empirischen Untersuchung ist die Operationalisierung von Begriffen, wie sie wissenschaftlich verwendet werden. Durch die Operationalisierung werden Konstrukte des Spracherwerbs wie zum Beispiel der Wortschatz beobachtbar gemacht. Der Wortschatz von zweijährigen Kindern kann durch eine Befragung ihrer Eltern erhoben werden (siehe Kapitel-7): Die Menge der Wörter, von denen die Eltern berichten, dass die Kinder diese äußern, ist dann eine Operationalisierung 44783_Rohlfing_SL3a.indd 97 17.04.2019 14: 20: 38 98 5. Gemeinsame Aufmerksamkeitsbezüge ihres-produktiven Wortschatzes. Eine andere Art der Operationalisierung wäre eine Beobachtung des Kindes in einer bestimmten Situation, zum Beispiel einem freien Spiel mit einer Bezugsperson; die dabei geäußerten Wörter des Kindes und ihre Vielfalt könnten ebenfalls den produktiven Wortschatz repräsentieren. Abbildung 9: Die Operationalisierung der Komplexität von GA nach Mundy u. a., 2007: RJA (engl.: responding to joint attention): Das Kind folgt einem sozialen Signal des Gesprächspartners wie dem Blick und der Zeigegeste; IJA (engl.: initiating joint attention): Mittels sozialer Signale (Blick oder Geste) kann ein Kind den Gesprächspartner auf etwas hinweisen und somit die Aufmerksamkeit von anderen beeinflussen; RBR (engl.: responding to behavior requests): Das Kind kann mit seinem Verhalten Hilfestellung leisten und reagiert auf die sozialen Signale des Gesprächspartners diesbezüglich; IBR (engl.: initiating behavior regulation / requests): Das Kind kann soziale Signale wie den Blickkontakt und die Geste einsetzen, um Hilfe vom Gesprächspartner zu bekommen (© Frank Hegel). Während Wörter durch ihre phonologische Form recht gut fassbar sind, ist das frühe kommunikative, aber nonverbale Verhalten der Kinder wie die ersten Gesten schwerer zu erfassen. Unter den ersten kommunikativen Verhaltensweisen ist die Fähigkeit zu gemeinsamen Aufmerksamkeitsbezügen bekannt 44783_Rohlfing_SL3a.indd 98 17.04.2019 14: 20: 38 99 5.1 Methoden: Was ist Operationalisierung? (siehe Box-40). In der Literatur finden sich dazu zunächst zwei grobe Operationalisierungen: Einerseits die Fähigkeit, jemandes Blick zu folgen oder schlicht dorthin zu schauen, wohin auch der Andere schaut (Butterworth, 1991), und andererseits die Fähigkeit, jemandes Zeigegeste zu folgen. Bei beiden Verhaltensweisen steht der deiktische Charakter der Geste im Vordergrund, weshalb Butterworth (2003: 20) für das Blickverfolgen auch den Begriff „deictic gaze“ benutzt. Der Zusammenhang zwischen den beiden Fähigkeiten, also zwischen dem Verstehen einer Zeigegeste und der referenziellen Bedeutung des Blickes, ist ein wichtiges Thema in der Literatur (Thoermer & Sodian, 2001), das hier jedoch ausgeklammert wird. Mundy und seine Kollegen (2007: 938) verfeinerten diese Operationalisierungen weiter, indem sie zwischen vier verschiedenen Dimensionen sozialer Koordination unterschieden (siehe Abbildung 9) und somit auf die Komplexität dieser Fähigkeit hinwiesen. Mit dieser Differenzierung verdeutlichen die Forscher, dass das Konstrukt Joint Attention oder gemeinsame Aufmerksamkeitsbezüge (GA) vielfältige Funktionen der Kognition umfasst, die an der Ausführung von Aufmerksamkeit und dem mentalen Engagieren 2 in einen gemeinsamen Referenten beteiligt sind. 2 Mit dem „mentalen Engagieren“ ist hier eine mentale aktive Beteiligung an der Konstruktion eines Referenten gemeint. Das aus dem Englischen „engagement“ abgeleitete „Engagieren“ betont an dieser Stelle die aktive Leistung des Kindes. 5.2 Das Referenz-Problem Als zentrale Frage für den Spracherwerb gilt: Wie schaffen es Kinder, ein sprachliches Zeichen auf ein Objekt oder ein Ereignis in der Welt zu beziehen? In einer Situation, in der der Referent präsent ist, scheint der Bezug einfach zu sein, weil man auf den Referenten hinzeigen und ihn benennen kann (schau‘, ein Flugzeug! ). Schwieriger gestaltet sich jedoch eine Situation, in der der Referent nicht vorhanden ist (gestern sind wir Flugzeug geflogen! ). In dieser Situation wird der Bezug zu dem Wort Flugzeug hergestellt, indem der Referent mental aufgerufen wird (siehe Box-36). 44783_Rohlfing_SL3a.indd 99 17.04.2019 14: 20: 38 100 5. Gemeinsame Aufmerksamkeitsbezüge In vielen Spracherwerbstheorien steht der Erwerb der Referenz (siehe Box-36) im Mittelpunkt: Sobald ein Kind einem Objekt oder Ereignis ein Wort zuschreiben kann, kann es mit dieser Art von Zuschreibungen schnell sein Vokabular aufbauen. Eine der schwierigsten Aufgaben besteht also darin, zu begreifen, dass das Wort Mond sich auf den Mond am Himmel bezieht. Dieser Bezug ist schwer, da nur auf Umwegen zu erreichen: vom Symbol (dem Wort) zum Referenten (Entität in der Welt) über den Gedanken (die Vorstellung eines Mondes). Dieser Umweg (siehe auch Abbildung 20) verdeutlicht, dass der Bezug eines sprachlichen Zeichens auf die Wirklichkeit kein unmittelbarer sein muss. Ein Wort wie Mond kann auch dann ausgesprochen werden, wenn kein Mond am Himmel zu sehen ist. Das zeugt davon, dass das Wort nicht mit der Entität selbst verbunden ist, sondern mit einem Gedanken oder einem Konzept. Zum Inhalt eines Konzeptes gibt es eine Vielzahl von Vorstellungen (siehe Kapitel-10). Unabhängig davon, was in den Konzepten ‚steckt‘ oder wie sie aufgefasst werden, ist ihre Funktion insofern entscheidend, als die Kommunikationspartner damit gemeinsames Verständnis aufbauen. Das Problem der Referenz wird klassischerweise mit folgendem Gedankenexperiment von Quine (1960) verdeutlicht: Ein Mensch besucht eine ihm fremde Kultur und bemerkt, dass immer dann, wenn ein Hase vorbeiläuft, die Einheimischen gavagai! rufen. Wie kann er nun den Bezug des Wortes auflösen? Bezieht sich gavagai auf den Hasen, die Artengruppe des Hasen (und damit einen abstrakteren Inhalt) oder ein Bein des Hasen (und damit als ein sehr konkreter Inhalt)? Auch könnte der Ausdruck einen Aufruf Lass uns den Hasen fangen! bedeuten. Aus diesen Unsicherheiten wird klar, dass der Bezug des Ausdrucks nicht einfach zu bestimmen ist und die Referenzauflösung nicht von allein geschieht. Quine verdeutlicht in dem Problem die ontologische Relativität, d. h. die Unsicherheit, worauf sich ein Ausdruck beziehen könnte. Man muss jedoch keine Beispiele aus fremden Kulturen bemühen, um das Problem zu erkennen. Der Alltag eines Kindes ist komplex; schließlich befinden sich gleichzeitig viele Objekte im Raum, wenn eines davon benannt wird. Selbst das Hochhalten eines Objektes garantiert nicht, dass das ganze Objekt (z. B. das Telefon) und nicht lediglich ein Teil davon (z. B. eine Taste) gemeint ist. Wie, lautet daher die Frage, erschließen sich Kinder den Bezug eines Wortes? Referenz (Box-36): Bezug eines sprachlichen Zeichens auf die Wirklichkeit. Im Erwerbsprozess lernen Kinder, aufgrund eines sprachlichen Zeichens eine mentale Vorstellung von einem Referenten (Objekt oder Ereignis in der Welt) aufzurufen. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 100 17.04.2019 14: 20: 38 101 5.3 Lösungen zum Referenzproblem 5.3 Lösungen zum Referenzproblem Viele theoretische Ansätze zum Spracherwerb rücken die Lösungen des Referenzproblems ins Zentrum ihrer Untersuchung; damit verengen sie allerdings die Sicht auf den Erwerb der kommunikativen Kompetenzen. Nichtsdestoweniger bringt diese Verengung zugleich einige grundlegende Unterschiede in den Ansätzen zum Vorschein, die mit den unterschiedlichen theoretischen Hintergründen erklärt werden können. Auf die Frage, wie Kinder es schaffen, Objekten oder Ereignissen Wörter zuzuschreiben, werden im Folgenden zwei konstruktivistische Antworten gegeben. Im perzeptionsgeleiteten Ansatz wird Spracherwerb im Lichte von Aufmerksamkeits- und Gedächtnisprozessen gesehen. Die Inhalte (Konzepte) bleiben dabei äußerst dynamisch und von den situativen Gegebenheiten abhängig. Im soziopragmatischen Ansatz wiederum haben die Mitmenschen und die situativen Bedingungen einen wesentlichen Einfluss auf die Referenzauflösung. Perzeptionsgeleiteter Ansatz: Auffälliges wird benannt Im Kern beinhaltet der Ansatz die Erkenntnis, dass unsere Wahrnehmung auf die Reize der Umwelt reagiert und unser Gedächtnis diese Reize aufnimmt. Besonders saliente Ereignisse erhalten dabei Vorrang. Salienz (siehe Box- 37) liegt dann vor, wenn sich ein Ereignis besonders hervorhebt. Auffällig ist im Prinzip alles, was sich vom Hintergrund abhebt: Werbung nutzt die Größe oder Farbe auf Plakaten aus, um unsere Aufmerksamkeit auf sich zu lenken; auf einer Beerdigung hebt sich ein roter Regenschirm ab; unter vielen blonden Menschen fällt ein Dunkelhaariger auf; auf einer Party möchte man gern glitzernden Schmuck tragen, um aufzufallen. Eine wichtige Quelle der Salienz ist Bewegung. Da viele Funktionen unserer Wahrnehmung auf Bewegung beruhen, sind wir für Bewegung sensibilisiert: Jemand, der winkt oder auf und abspringt, ist somit in der Lage, unsere Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. „Bewegung liefert Informationen für das Inkrafttreten einer ganzen Menge fundamentaler Funktionen wie Einschätzung der Tiefe, Segmentierung einer Figur vor einem Hintergrund“ (Rohlfing, 2013: 74). Diese Information ist aber auch der Kontrolle der Körperhaltung zuträglich und beeinflusst die Augenbewegungen. Bereits früh im Laufe ihrer Reifung entwickeln Kinder eine Salienz (Box-37): Ein Objekt oder Ereignis gilt als salient, wenn es sich vom Hintergrund abhebt und dadurch unsere Wahrnehmung auf sich lenkt. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 101 17.04.2019 14: 20: 38 102 5. Gemeinsame Aufmerksamkeitsbezüge Sensibilität für menschliche Bewegungen und reagieren im Alter von 6 bis 14 Wochen verstärkt auf diesen Reiz. Generell lässt sich beobachten, dass Kinder gern auffällige Objekte anschauen. Auffällige Objekte kann man, wie oben erwähnt, anhand ihrer statischen und dynamischen Merkmale identifizieren (Itti & Koch, 2001). Eltern nutzen solche Merkmale, wenn sie die Wahrnehmung ihres Kindes auf ein bestimmtes Objekt lenken wollen: Indem sie beispielsweise das Objekt hin und her bewegen, gehen sie sicher, dass dieses wahrgenommen wird (Gogate u. a., 2000; siehe Kapitel- 4.5). Solche Beobachtungen sind grundlegend für perzeptionsgeleitete Ansätze, die die Verbindung (das Mapping) eines Wortes mit dem Referenten ins Zentrum des Referenzproblems rücken: Richtet sich die Aufmerksamkeit des Kindes auf den Referenten just zu dem Zeitpunkt, zu dem die Benennung fällt, so geht diese Verbindung in das Gedächtnis ein (siehe Box-26). Zum einen muss also die Wahrnehmung (Perzeption) des Kindes gelenkt werden, zum anderen macht die Bildung der Assoziation (siehe auch Box-47) den Kern der Referenz aus. Das kindliche Sprachlernen ist somit perzeptionsgeleitet. Perz e ptions gel eite te Ansätze gehen davon aus, dass die Salienz eines Objektes durch Gesten erhöht werden kann. Die Frage, ab welchem Alter Gesten für Kinder als soziale Hinweise (siehe Box-16) verstärkend wirken, stellten sich Pruden und Kolleginnen (2006) und untersuchten 10 Monate alte Säuglinge. Der Untersuchung lag die Hypothese zugrunde, dass junge Kinder soziale Hinweise zunächst nicht zur Kenntnis nehmen, sondern sich stattdessen vom Aussehen der Objekte lenken lassen. In der Studie wurde das Interactive Intermodal Preferential Looking-Paradigma (siehe Kapitel-10) eingesetzt, mit dessen Hilfe die Autoren herausfinden wollten, ob Säuglinge die Referenz durch perzeptuelle (der Salienz der Objekte) oder soziale Hinweise (das Herstellen gemeinsamer Aufmerksamkeitsbezüge) auflösen. Dieser Gegenüberstellung entsprechend variierten die Autorinnen sowohl die Salienz der Objekte als auch das Blickverhalten des Experimentators. Die Auffälligkeit der vorgelegten Objekte wurde durch ihre farblichen Merkmale operationalisiert: Während ein Referent unauffällig in seiner Farbe (weiß oder beige) war, hob sich der andere durch bunte oder leuchtende Merkmale ab. Perzeptionsgeleitete Ansätze zum Erwerb von Referenz (Box-38): In diesen mechanistischen Ansätzen steht die traditionelle Mapping-Metapher im Vordergrund: Kinder lernen zunächst eine Assoziation (siehe auch Box- 47) zwischen einem Wort und Referenten. Dabei wird ihre Wahrnehmung des Referenten durch Achtungshinweise (engl.: cues) aus der Umwelt begünstigt, die an die Wahrnehmungsneigungen der Kinder anknüpfen. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 102 17.04.2019 14: 20: 38 103 5.3 Lösungen zum Referenzproblem Das Verhalten des Experimentators variierte im Hinblick auf das Blickverhalten auf das perzeptuell interessante vs. langweilige Objekt. In der experimentellen Situation fiel das neue Wort (Modi) just zu dem Zeitpunkt, zu dem dem Kind zwei Referenten vorlagen und der Experimentator auf einen Referenten blickte. In einer Bedingung, die als zufällig galt, wandte sich der Blick des Experimentators dem perzeptuell interessanten Objekt zu; in einer Konfliktbedingung wiederum galt sein Blick dem perzeptuell langweiligen Objekt. Wenn soziale Hinweise in Form eines Blickverhaltens für die Referenzbildung ausschlaggebend sind, dann müssten Kinder, die in der Konfliktbedingung das neue Nomen hörten, es mit dem langweiligen Objekt verbinden. Eine Alternative ist jedoch, dass das Blickverhalten für den Referenzprozess von 10 Monate alten Kindern nicht relevant ist und sie darin lediglich den Merkmalen der Objekte eine Bedeutung zuschreiben. In der Testphase waren auf dem Bildschirm beide Objekte zu sehen, und mit Auforderungen Wo ist das Modi? Kannst du das Modi finden? Siehst du das Modi? wurden Kinder dazu bewegt, auf den Referenten zu schauen, der zu dem Nomen ‚Modi‘ passt. Das Experiment bestätigte, dass Kinder in dem Alter in der Lage sind, einen Referenten mit einem neuen Nomen zu assoziieren. Allerdings spielte dabei das Blickverhalten des Experimentators keine Rolle. Die Aufmerksamkeit der 10 Monate alten Kinder wurde allein von den auffälligen Objekten bestimmt: In der Konfliktbedingung, in der der Experimentator auf das unauffällige Objekt schaute, assoziierten die Kinder das neue Wort mit dem auffälligen Referenten. Pruden und Kolleginnen (2006) schlussfolgern daraus, dass Kinder im Alter von 10 Monaten die Referenz auf der Grundlage der Auffälligkeit der Objekte und weniger auf der Grundlage der sozialen Hinweise knüpfen. Die sozialen Hinweise gewinnen erst mit der interaktiven Erfahrung an Gewicht für die Referenz. Hervorzuheben sei allerdings die Operationalisierung der sozialen Hinweise, die in der Studie von Pruden und Kolleginnen (2006) lediglich durch den Blick des Experimentators erfolgte. Da die Objekte vor dem Experimentator auf dem Tisch lagen, ist es fraglich, ob Kinder die subtilen Veränderungen im Blick überhaupt wahrnehmen konnten. Genau aus diesem Grund kommen soziale Hinweise in natürlichen Interaktionen gebündelt vor, d. h. Eltern verlassen sich nicht nur auf den Blick, sondern wenden zusätzlich ihren Kopf oder gar den ganzen Körper dem Objekt zu und gestikulieren mit ihren Händen. „Angesichts dieser Kritik sollte die Aussage der Studie nicht lauten, dass Kinder im Alter von 10 Monaten die soziale Information beim Wortlernen ignorieren, sondern 44783_Rohlfing_SL3a.indd 103 17.04.2019 14: 20: 38 104 5. Gemeinsame Aufmerksamkeitsbezüge lediglich, dass Kinder im Alter von 10 Monaten der perzeptuellen Auffälligkeit Vorrang gewähren, und entsprechend der alleinige Blick eines Sprechers für ihr Wortlernen kaum relevant ist“ (Rohlfing, 2013: 74). Die grundsätzliche Kritik am assoziativen Lernen besteht darin, dass entsprechend diesem Prinzip Kinder auch relativ sinnfreie Assoziationen lernen sollten. Zum Beispiel könnte ein Kind, das gerade mit Spielzeugen spielt und seine Mutter telefonieren hört, die Wörter der Mutter mit den Spielzeugen verbinden. Doch im Lernalltag passiert es selten, dass solche Fehlverbindungen geknüpft werden. Vielmehr schränken weitere Hinweise zusammen mit dem Verhalten der Interaktionspartner die Verbindungen, die für das Assoziieren überhaupt in Frage kommen, ein. Bezogen auf das von Quine aufgeworfene Referenzproblem (siehe Kapitel-5.2) kann die physikalische Umwelt allein die Bedeutung von gavagai nicht ausreichend einschränken. Zugleich soll aber die Leistung, Assoziationen bilden zu können, nicht heruntergespielt werden: Es bleibt wichtig zu untersuchen, welche Gedächtnisprozesse in einer Interaktion stattfinden und wie sie unser Verständnis der Situation beeinflussen. Sozialpragmatische Ansätze: Sozial Relevantes wird benannt Eine Alternative zu den Erklärungen des Referenzproblems durch Perzeption bieten Ansätze, die die soziale Interaktion und die Pragmatik der Situation stärker berücksichtigen. Diese sind durch die Arbeiten von Bruner (1975; 1983), Akhtar und Tomasello (2000) und Tomasello (2000; 2003) geprägt und heben sich vom perzeptionsgeleiteten Ansatz dadurch ab, dass die sozialkommunikative Dimension des Sprachlernens betrachtet wird. Es ist nicht nur die Entwicklung von Wörtern und dazugehöriger Konzepte, die einen Menschen dazu befähigt, auf die Welt zu referieren. Vielmehr findet die Referenz im Rahmen einer gemeinsamen Handlung statt (siehe Box-39). Die sozialpragmatischen Ansätze heben hervor, dass eine Referenz in einer triadischen Interaktion entsteht. In einer Triade geht es darum, mit einem Menschen über ein Objekt zu kommunizieren und diese wechselnde Referenz zu koordinieren (vgl. Bakeman & Adamson, 1984). Das folgende Bild soll dieses verdeutlichen: Sozialpragmatische Ansätze zum Erwerb von Referenz (Box-39): Der Erwerb der Referenz besteht nicht nur aus der Verbindung zwischen einem Wort und dem Referenten. Es ist vielmehr die gemeinsame Handlung und ihre Aspekte, auf die die sozialen Partner ihre Aufmerksamkeit lenken (Akhtar & Tomasello, 2000: 116). 44783_Rohlfing_SL3a.indd 104 17.04.2019 14: 20: 38 105 5.3 Lösungen zum Referenzproblem Abbildung 10: Aufmerksamkeitskoordination in einer Dyade mit einem Menschen (links) / einem Objekt (Mitte) und in einer Triade (rechts) (© Frank Hegel). In Abbildung 10 ist der Unterschied zwischen Dyade und Triade zu sehen: In einer Dyade richtet das Kind seine Aufmerksamkeit entweder auf den Kommunikationspartner oder aber auf ein Objekt. In anderen Worten, in einer Dyade interagiert ein Kind entweder mit einem Objekt, ohne einen Menschen als Interaktionspartner miteinzubeziehen oder mit einem Menschen, ohne ein Objekt miteinzubeziehen. In einer Triade wiederum zeigt sich die Fähigkeit der gemeinsamen Aufmerksamkeitsbezüge, nämlich, eine Interaktion mit einer Person und einem Objekt zu verbinden (siehe Box- 40). Ein Kind, das zu gemeinsamen Aufmerksamkeitsbezügen in der Lage ist, beachtet nicht nur einen Menschen oder ein Objekt, sondern koordiniert seine eigene Zuwendung zu einem Objekt mit der des Interaktionspartners. Das Phänomen erfuhr bereits einige Operationalisierungen (siehe Kapitel- 5.1). In vielen Lehrbüchern wird es als Vorläuferfähigkeit des Spracherwerbs dargestellt und leider häufig, aber fälschlicherweise, auf das Befolgen oder Ausführen (RJA bzw. IJA in Abb. 9) von sozialen Signalen reduziert. Im Begriff der gemeinsamen Aufmerksamkeitsbezüge kommt zum Tragen, dass es sich bei dieser Fähigkeit um ein gemeinsames Engagieren / ein Beteiligen an einer Interaktion handelt. Diese Beteiligung zeichnet sich nicht nur oberflächlich durch den gemeinsamen Aufmerksamkeitsfokus, sondern auch kognitiv durch einen mentalen Fokus aus. Die daraus resultierende Koordination der Interaktionspartner wird in Abbildung 9 deutlich, wo in der Triade ein „referential triangle [referenzielles Dreieck]“ zustande kommt, das Sinha (2004: 44783_Rohlfing_SL3a.indd 105 17.04.2019 14: 20: 38 106 5. Gemeinsame Aufmerksamkeitsbezüge 228) als das Wesen des Symbolgebrauchs auffasst. Tomasello und Kollegen (2005) sehen in diesem referenziellen Dreieck den Ursprung der kulturellen Kognition, da erst diese Art der Koordination gemeinsames Wissen ermöglicht: Die Auswirkungen der Fähigkeit, selbst zu kommunizieren, gehen Hand in Hand mit der Erfahrung, dass auch Mitmenschen Kommunikationssignale gebrauchen, die beachtet werden sollten, um ein Ziel zu erreichen. Bei Kindern äußert sich diese Erfahrung durch eine Erwartung, dass ihr Interaktionspartner auf ein kommunikatives Zeichen reagieren wird, wie bereits 12 Monate alte Kinder demonstrieren; auch zeigen sie Verständnis für referenzielle Absichten anderer, indem sie bereits mit 8 Monaten erwarten, dass ihr Interaktionspartner mit seinem Blick „kommunikativ auf ein Objekt“ verweisen kann (Liszkowski, 2015: 29). Liszkowski (2015) weist darauf hin, dass das Verhalten der jungen Kinder bereits mehr als lediglich ein (Be)Folgen kommunikativer Signale ist und auf ein Berücksichtigen referenzieller Absicht anderer deutet. Es wird deutlich, dass Sprache und das zentrale Phänomen der Referenz im sozialpragmatischen Ansatz als intrinsisch sozial angesehen wird. Ihr Erwerb dient primär dem Zweck, mit anderen zu kommunizieren und mit ihnen im Sinne der gemeinsamen Handlungsziele zu kooperieren (Rohlfing u. a., 2016; Heller & Rohlfing, 2017). Somit geht das Phänomen der Referenz weit über die rein kognitive Leistung des Abbildens vorhandener Konzepte auf Wörter hinaus. Das Abbilden (engl.: mapping) wird von Tomasello (2001) als für Spracherwerbsprozesse falsche Metapher kritisiert. Mit dem Aufruf „Could we please lose the mapping metaphor, please? “ (ibid.: 1119) setzte er sich für die Beachtung komplexer situationeller Strukturen ein und gegen die Reduktion des Spracherwerbs auf Zuschreibungsprozesse. Demnach tragen sowohl das sonstige Verhalten des Sprechers als auch die Gegebenheiten der Situation und bereits mitgebrachte Erfahrung zur Erschließung der Bedeutung bei (siehe Kapitel-11). Zu betonen ist, dass die assoziativen Prozesse im Spracherwerb in diesem Ansatz jedoch nicht komplett ausgehebelt werden. Vielmehr geht es in der Essenz darum, die Rolle der beteiligten sozialkognitiven Prozesse herauszustellen. Erste Wörter, so wird in dem soziopragmatischen Ansatz betont, kommen eindeutig unter interaktiven Bedingungen zustande. Die Umstände müssen Gemeinsame Aufmerksamkeitsbezüge (GA) (Box-40): Mit GA (engl.: joint attention) verweist man auf ein Verhalten der Interaktionspartner, das dazu führt, dass sie sich gemeinsam einem Referenten zuwenden. Diese Zuwendung umfasst eine Koordination der Interaktionspartner im Hinblick auf die Wahrnehmung eines Referenten und die mentale Beteiligung, um somit eine geteilte (engl.: shared) Referenz aufzubauen. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 106 17.04.2019 14: 20: 38 107 5.3 Lösungen zum Referenzproblem für Kinder bekannt sein. Daher eignen sich für das Einüben von Referenz am besten solche Situationen, die wiederkehren können (Bruner, 1983). Heller und Rohlfing (2017) zeigen im Kontext des Bilderbuchvorlesens, wie junge Kinder an die Aufgaben herangeführt werden, mit denen sie Referenz auflösen. Zum Beispiel äußert ein Kind nur dann das Wort Hase! , wenn die Bezugsperson das Bild eines Hasen aufschlägt und zugleich Was ist das? fragt. Das vom Kind geäußerte Wort steht hier eindeutig in einem interaktiven Kontext, in dem nicht nur sprachliche Äußerungen ausgetauscht werden (turn-taking). Durch die Reaktionen auf Fragesätze wird deutlich, dass das Kind prosodische Merkmale auslesen und mit einer Äußerung reagieren kann (ibid.). In solchen sozialpragmatischen Routinen lernen Kinder die Wirkung der Sprache für bestimmte Zwecke kennen (Bruner, 1983). Das assoziative Wortlernen etabliert sich hier neben den kommunikativen Anforderungen. Der sozialpragmatische Ansatz wird für die Unschärfe kritisiert, mit der er Parameter der Situation / des interaktiven Kontextes bestimmt. Eine ausführliche Kritik zum sozialpragmatischen Ansatz findet sich in Rohlfing (2013, Kapitel-4.2.5). Besonders problematisch ist der Begriff der Intention. Das Erkennen der Intention, insbesondere der referenziellen Absicht, gilt als die eigentliche Leistung der Fähigkeiten der gemeinsamen Aufmerksamkeitsbezüge: Wenn ein Kind einer Zeigegeste folgt, dann scheint es zu erkennen, worauf es der Sprecher aufmerksam machen möchte (Akhtar & Tomasello, 2000: 118). In anderen Worten, ein Kind muss sich durch Aufmerksamkeitsprozesse mentale Zustände des Gesprächspartners erschließen, die nicht beobachtbar sind. Es gibt jedoch eine Alternative, die weniger mentalistische Zuschreibungen benötigt, um die Aufmerksamkeitskoordination in einer Triade zu erklären: Statt die Intention des anderen zu erkennen, können Kinder auf Routinen zurückgreifen. Routinen bedeuten, dass die Handlung des anderen und ihr Ziel vorhersehbar sind. In diesem alternativen Ansatz ist Bedeutung stärker an ein Handlungsverständnis gekoppelt. „Somit fällt die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen, nicht vom Himmel, sondern basiert auf Mustern, die man aus bereits erlebten Interaktionen kennt“ (Rohlfing, 2013: 91). Folgt ein Kind einer Zeigegeste, so kann es das tun, weil es gelernt hat, in der Richtung der Zeigegeste etwas Interessantes zu sehen. Diese Erwartungshaltung ergibt sich aus Verhaltenskontingenzen (Gómez, 2007), d. h. etwas Interessantes erscheint, just nachdem eine Zeigegeste in dieser Richtung erfolgte. Die Verhaltenskontingenzen bilden einen „Erfahrungsschatz, der im Verlauf der Entwicklung und erlebter Interaktion 44783_Rohlfing_SL3a.indd 107 17.04.2019 14: 20: 38 108 5. Gemeinsame Aufmerksamkeitsbezüge zur Verfügung steht, und der vorhersagen lässt“ (Rohlfing, 2013: 92), was das gemeinsame Ziel in der Handlung mit einer Person sein könnte. 5.4 Aufmerksamkeitsorganisation in Dyade und Triade Unabhängig von den kognitiven Grundlagen (ob Intentionslesen oder Verhaltenskontingenzen) spricht Tomasello (1999) von einer Revolution des . Lebensmonats, wenn er berichtet, dass Kinder ab diesem Zeitpunkt die Koordination in einer Triade meistern. Ab diesem Zeitpunkt können ebenfalls die ersten Zeigegesten in der Interaktion beobachtet werden (vgl. Zusammenfassung in Rohlfing u. a., 2017b). Auch andere Mittel stehen dem Kind zu diesem Zeitpunkt zur Verfügung. So kann die Handlung im gemeinsamen Aufmerksamkeitsbezug ein Hochhalten oder eine Greifgeste beinhalten. In einer Beobachtungsstudie mit 6bis 18 Monate alten Kindern stellten Bakeman und Adamson (1984) allerdings fest, dass die Koordination des Objektinteresses mit dem sozialen Partner (in Form eines pendelnden Blicks zwischen einem Objekt und dem Interaktionspartner) erst gegen Ende des zweiten Lebensjahres gelingt. Die Autoren vermuten, dass Kinder diese Fähigkeit mit Unterstützung von Erwachsenen in wiederkehrenden Interaktionen lernen (vgl. auch Bruner, 1983). Weitere Studien gingen der Entfaltung dieser Fähigkeit bei Kindern in unterschiedlichen Altersgruppen nach (Scaife & Bruner, 1975; Corkum & Moore, 1995). Die Untersuchungen fanden unter experimentellen Bedigungen statt, in denen ein Experimentator die Kinder in eine Interaktion zu verwickeln suchte: Nach einem Blickkontakt zwischen den Interaktionspartnern lieferte der Experimentator einen Hinweis zur Änderung seiner Aufmerksamkeit (z. B. schaute er selbst zur Seite). Die anschließende Reaktion des Kindes wurde aufgezeichnet. In diesem Paradigma kommt jedoch das Bezugsobjekt nicht vor, und somit gibt es aus der pragmatischen Sicht auch keinen Anlass für die getesteten Kinder, einem Blick zu folgen. Diese Untersuchungsbedingung steht also im Kontrast zu einer Alltagssituation, in der Kinder fast immer einen Grund haben, jemandes Blick zu folgen. Im Alltag scheint die Fähigkeit zu gemeinsamen Aufmerksamkeitsbezügen das intelligente Nutzen verschiedener (situativer) Informationsquellen zu beinhalten. Im experimentellen Paradigma jedoch wird sie recht isoliert als schiere Bereitschaft, die Blickrichtungsänderung des Gesprächspartners zu spiegeln (Butterworth, 1995), betrachtet. Die ökologische Validität (siehe Kapitel-13.2) solcher Experimente ist daher höchst fragwürdig. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 108 17.04.2019 14: 20: 38 109 5.4 Aufmerksamkeitsorganisation in Dyade und Triade Wegen dieser methodischen Probleme bleibt festzuhalten, dass die Operationalisierung der Fähigkeit zu gemeinsamen Aufmerksamkeitsbezügen umstritten ist (siehe Kapitel-5.1). Vor diesem Hintergrund können bisherige Ergebnisse wie folgt zusammengefasst werden (Corkum & Moore, 1995; Rohlfing, 2013: 80): ▶ Unter experimentellen Bedingungen kann die Fähigkeit zu gemeinsamen Aufmerksamkeitsbezügen (GA)-- ohne einen ersichtlichen Referenten-- bei Kindern erst im Alter von 12 Monaten beobachtet werden. In diesem Alter nutzen die Kinder aber neben der Blickrichtung auch die Kopfdrehung als Ressource, um jemandes Blick zu folgen. ▶ Beginnend mit dem Alter von 12-16 Monaten folgen Kinder einer Blickrichtung ausschließlich auf der Basis der Kopfpositionierung. Die Autoren berichten, dass sie zu dem Entwicklungszeitpunkt keine GA auf der Grundlage der alleinigen Blickbewegung beobachten konnten. ▶ Schließlich sind Kinder in der Lage, spontan differenzierte Antworten auf Veränderungen der Blickorientierung des Experimentators zu geben und benötigen keine Rückmeldung in dieser Hinsicht (Corkum & Moore, 1995: 81). Aktuelle Studien gehen über die Feststellung des Erwerbszeitpunktes hinaus und untersuchen die vielfältigen Ressourcen bei Kindern, die diese Koordination ermöglichen. In einer Längsschnittstudie untersuchten Barbaro und Kollegen (2016), wie sich die Aufmerksamkeit der Kinder, die mit Objekten spielten, auf die Objekte und den Interaktionspartner verteilte. Eine große Rolle bei der Gestaltung der Aufmerksamkeit spielt für die Kinder die Auseinandersetzung mit den Objekten selbst, die zunächst bei jüngeren Kindern alle Sinne und beide Hände zu beschäftigen scheint. Welchen Gegenstand auch immer die Mutter präsentiert, mit 4 Monaten scheinen Säuglinge ihm alle Sinne zuzuwenden und zugleich jegliche Beschäftigung mit bisherigen Objekten sowie die Aufmerksamkeit darauf aufzugeben. Diese Charakteristika gelten für die Dyade. Für die Triade wird aus der Forschung von Barbaro und Kollegen ersichtlich, dass sich die Aufmerksamkeit zwischen den Sinnen verteilen muss: Während die Hände weiterhin mit Objekten beschäftigt sind, können die Augen Kontakt mit dem Interaktionspartner aufnehmen. Diese Aufteilung fängt bereits mit 4 Monaten an, wird aber mit 6 Lebensmonaten besser. Die Autoren bezeichnen sie als sensomotorisches Abkoppeln (engl.: sensorimotor decoupling) (Barbaro u. a., 2016: 494). Erst dieses Abkoppeln ermöglicht es Kindern, die Handlung auf weitere Personen zu verteilen- - ein weiteres Beispiel für das Zusammenarbeiten von motorischen mit sprachlichen Systemen (siehe Kapitel- 4). Die 44783_Rohlfing_SL3a.indd 109 17.04.2019 14: 20: 38 110 5. Gemeinsame Aufmerksamkeitsbezüge nächste Herausforderung in der Entwicklung ist dann, nicht nur auf die Objekte zu schauen, die der Partner hat, sondern die Art seines Manipulierens in die eigene aufkeimende Objektbeschäftigung zu integrieren. Die Koordination des eigenen Verhaltens in der und für die Interaktion spielt eine zentrale Rolle für den Kommunikationserwerb. Die Herausforderungen bleiben aber insofern bestehen, als im Zuge des Spracherwerbs diese Fähigkeiten zur GA zunächst mit affektiven Ausdrücken, Vokalisationen und dann mit ersten Wörtern koordiniert werden müssen (Rohlfing u. a., 2017b). Während die Forschung zur Koordination des beobachtbaren Kommunikationsverhaltens etabliert ist, beginnt die Forschung zur Koordination des kognitiven Verhaltens erst. Gemeinsame Handlungen und die Koordination der dazugehörigen Aufmerksamkeit beider Partner betrifft jedoch nicht nur die kommunikativen Signale, sondern auch ihre kognitiven Konsequenzen (Rohlfing, u. a., 2016). Zum Beispiel erfordert eine Aufmerksamkeit auf ein Objekt auch die Merkfähigkeit, das dazugehörige Wort zu behalten. Offensichtlich können manche kommunikativen Signale diese Bereitschaft aufrufen: Horst und Samuelson (2008) zeigten, dass zweijährige Kinder, die ostensiv-- d. h. mit auf sie gerichteten Blickkontakt und ihrem Namen gerufen- - angesprochen wurden, sich ein neues Wort besser merken konnten als Kinder, die das Objekt für sich allein manipulierten, während die Objektbenennung fiel. Begus und Kollegen (2014) belegten die Hypothese, dass Kinder, die Gebrauch von einer Zeigegeste machen, eine Antwort auf ihre kommunikative Äußerung erwarten und aus dieser Antwort besonders gut lernen können. Wenn einjährige Kinder zeigen, dann sind sie besonders bereit, aus den gemeinsamen Aufmerksamkeitsbezügen zu lernen. Die Zeigegeste kann daher als „Bereitschaft zum Lernen [readiness to learn]“ (Lucca & Wilbourn, 2018: 954) gedeutet werden. Es scheint, als gäbe es einen kognitiven Zustand, der mit einem kommunikativen Signal im Sinne eines gemeinsamen Ziels einhergeht (Rohlfing u. a., 2016). 5.5 Gemeinsame Aufmerksamkeitsbezüge (Joint Attention) und Sprache Gemeinsame Aufmerksamkeitsbezüge können bereits bei Kindern beobachtet werden, die sich noch nicht verbal äußern können (Liszkowski, 2015). Deswegen ist es interessant zu untersuchen, inwiefern das Phänomen ein Vorläufer der verbalen Sprache ist. Generell wird der Stellenwert der Fähigkeit zur GA für den Spracherwerb, aber auch für die weitere kognitive Entwicklung im Bereich 44783_Rohlfing_SL3a.indd 110 17.04.2019 14: 20: 38 111 5.5 Gemeinsame Aufmerksamkeitsbezüge (Joint Attention) und Sprache der Theorie des Geistes (engl.: theory of mind, siehe Box- 85), in der Literatur als sehr hoch eingeschätzt (Kristen u. a., 2011; vgl. Corkum & Moore, 1995). In einigen Lehrbüchern wird die Fähigkeit zur GA als Vorläuferfähigkeit des Spracherwerbs-- und somit als wichtiger Meilenstein (siehe Kapitel-12.4)-- dargestellt (Kauschke, 2012; Liszkowski, 2015). Oben wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Fähigkeit der Aufmerksamkeitskoordination mit einem mentalen Engagieren (einer Beteiligung) einhergeht, das vielfältige Funktionen der Kognition in Anspruch nimmt. Diese vielfältigen Funktionen werden durch vier unterschiedliche Operationalisierungen von gemeinsamen Aufmerksamkeitsbezügen (GA) repräsentiert (siehe Abb. 9). Mit diesen Operationalisierungen verdeutlichten Mundy und seine Kollegen (2007) die Komplexität von GA. Um herauszufinden, ob alle vier Operationalisierungen-- die auf verschiedene Funktionen der Kognition zurückzuführen sind-- mit weiteren Fähigkeiten des Spracherwerbs zusammenhängen, untersuchten Mundy und seine Kollegen (2007) in einer umfassenden Studie 95 Kinder im Alter von 9 bis 18 Monaten. Für ihre Untersuchung formulierten sie drei Modelle, aus denen jeweils konkrete Vorhersagen über den Zusammenhang von GA- und Sprachfähigkeiten abzuleiten waren: Das universalkognitive Modell (engl.: universal cognitive model) (Mundy u. a., 2007: 939) bringt zum Ausdruck, dass die einzelnen in Abbildung 9 dargestellten Operationalisierungen von GA Dimensionen der generellen kognitiven Entwicklung widerspiegeln, weshalb auch kontinuierliche Korrelationen zwischen den GA-Kompetenzen untereinander zu erwarten sind, und zwar zu jedem Erhebungszeitpunkt. Im Vergleich dazu bildet das sozialkognitive Modell (engl.: social cognitive model) (ibid.) wiederum die Annahme ab, GA erfasse spezielle Fähigkeiten der sozialen Kognition (Tomasello, 1999). In diesem Modell ist der Zusammenhang der Fähigkeiten untereinander recht ausgeprägt, weil sie alle auf eine spezifische Komponente der Kognition zurückzuführen sind; Unterschiede in der Entwicklung dieser bestimmten GA-Fähigkeiten (oder Dimensionen) lassen auch Rückschlüsse auf Unterschiede in der Sprachentwicklung-- jedoch nicht andere kognitive Fähigkeiten-- zu. Schließlich bietet das Modell vielfacher Verarbeitung (engl.: multiple process model) (ibid.: 940) eine weitere Erklärung des Zusammenhangs von Sprache und GA. Nach diesem Modell stehen lediglich ausgewählte GA-Dimensionen im engen Zusammenhang mit Sprache und können für den Spracherwerb ein Prädiktor sein. Da die Dimensionen in diesem Modell unterschiedlicher Natur sind, ist keine Korrelation zwischen den einzelnen GA-Fähigkeiten zu erwarten. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 111 17.04.2019 14: 20: 39 112 5. Gemeinsame Aufmerksamkeitsbezüge Die Autoren fanden heraus, dass das Antworten auf soziale Signale wie Blick und Zeigegeste (Verhalten RJA, Abb. 9) im Alter von 12 Monaten und das Initiieren von sozialen Signalen (IJA) im Alter von 18 Monaten die genaueste Vorhersage über die sprachlichen Fähigkeiten im Alter von 24 Monaten erlaubte. Mundy und Kollegen (2007) interpretieren ihre Ergebnisse entgegen der Annahmen des universalkognitiven Modells, nach der die Fähigkeit zur GA ein einheitlicher Prozess ist. Vielmehr sehen sie in ihren Daten eine Bestätigung für das Modell vielfacher Verarbeitung. Die Fähigkeit zu gemeinsamen Aufmerksamkeitsbezügen kann daher weniger als eine einheitliche Fähigkeit, sondern als ein Prozess betrachtet werden, der auf einer Vielfalt von ausführenden kognitiven Funktionen beruht. Um ein vollständiges Bild der Fähigkeit zu gemeinsamen Aufmerksamkeitsbezügen und ihrer Relevanz für die Sprachentwicklung zu bekommen, ist es daher wichtig, die unterschiedlichen Pfade der jeweiligen kognitiven Funktionen in der Entwicklung zu verfolgen, (Mundy u. a., 2007). Aufgrund der oben genannten Forschung wird unterschieden, ob ein Kind zu einem unterstützten (engl.: supported) oder einem koordinierten (engl.: coordinated) gemeinsamen Engagieren in der Lage ist (Adamson & Dimitrova, 2014). Wenn auch in beiden Typen die gemeinsame Beteiligung zum Ausdruck kommt, so werden im Falle der Unterstützung die gemeinsamen Aufmerksamkeitsbezüge dadurch erreicht, dass ein Kind bestimmten sozialen Signalen folgt. Bei einem koordinierten Engagieren wiederum hängen die gemeinsamen Aufmerksamkeitsbezüge von der Initative des Kindes wie auch seinen kommunikativen Signalen (der Zeigegeste und dem pendelnden Blick zwischen dem Interaktionspartner und dem Objekt) ab. Diese Koordination erreichen Mütter und ihre Kinder auch, wenn Geschwisterkinder anwesend sind (siehe Kapitel-12 zu „Geburtsreihenfolge“). Daten von Längsschnittstudien, die in großem Umfang die prädiktive Rolle von GA-Fähigkeiten systematisch untersuchen, sind für den deutschsprachigen Raum immer noch selten. Doch es häufen sich die Bestätigungen dafür, dass die kindliche Fähigkeit, gemeinsame Aufmerksamkeitsbezüge durch Zeigegesten zu initiieren, für die Entwicklung späterer Sprachfähigkeiten prädiktiv ist (Lüke u. a., 2017)-- ein Befund, der aus dem englischsprachigen Raum ebenfalls berichtet wird (Cochet & Byrne, 2016). 44783_Rohlfing_SL3a.indd 112 17.04.2019 14: 20: 39 113 5.6 Individuelle Unterschiede in der Entwicklung der GA 5.6 Individuelle Unterschiede in der Entwicklung der GA Zum Phänomen der GA-Fähigkeiten lässt sich kritisch anmerken, dass die bisherigen Operationalisierungen von GA-- strenggenommen-- lediglich eine mögliche Art zur Auflösung der Referenz bieten (siehe Kapitel-5.2). Im Sinne der vielfältigen Möglichkeiten der interaktiven Koordination schildert Bruner (1983), wie Bezugspersonen und ihre Kinder weitere Routinen des gemeinsamen Engagierens, wie gemeinsame Spiele, etablieren. So wird diese für die Sprache wichtige Fähigkeit, sich bezüglich der beteiligten Objekte aber auch der Handlungsziele abzustimmen, gefördert. Weil sie die Basis für die GA-Fähigkeiten schaffen, kann ein Mangel an solchen Routinen zu Verzögerungen in der Entwicklung führen. Kinder mit Autismus-Spektrum-Störung (ASS; siehe Box- 12) reagieren seltener auf Interaktionsangebote ihres Gegenübers und initiieren seltener einen Blickkontakt mit ihren Partnern (Chiang u. a., 2008; Sewing, 2015: 20). Daher gilt die generelle Aussage, dass Kindern mit ASS das koordinierte Engagieren schwerfällt. Diese sozialkognitive Beeinträchtigung kann im Alltag jedoch weitere Folgen nach sich ziehen. Denn aus dem erschwerten koordinierten Engagieren ergibt sich eine Deprivation angemessener sozialer Stimulation für die sozialkognitive Entwicklung. Konsequenterweise zeigen Kinder mit ASS stärkere Defizite im Bereich der GA als dies bei anderen Störungsbildern der Fall ist (Sewing, 2015). Auffällig ist in diesem Zusammenhang, dass Kinder mit ASS wenig Gesten verwenden, um mit anderen zu kommunizieren (Mundy u. a., 1990) und diese hauptsächlich für imperative Zwecke nutzen (siehe Kapitel-8). Hurwitz und Watson (2015) berichten darüber hinaus, dass die Fähigkeit RJA (engl.: reacting to joint attention) für Kinder mit ASS ein besserer Hinweis auf ihre sprachlichen Fähigkeiten ist als die anderen Verhaltensweisen im Rahmen der GA (siehe Abb. 9), obwohl das Initiieren von GA häufig defizitärer erscheint als Fähigkeiten in der Rezeption (Adamson & Dimitrova, 2014). Therapien zielen früh in der Entwicklung auf den Aufbau von GA ab und suchen die Familieninteraktion in dieser Hinsicht zu intensivieren-- auch wenn es je nach Ausprägung der Autismus-Spektrum-Störung viel Mühe kostet, ein Kind zu gemeinsamen Aufmerksamkeitsbezügen zu bewegen: Manchmal muss das Angebot mehrere Male wiederholt werden, damit sich ein Kind mit ASS zu beteiligen beginnt. Hurwitz und Watson (2015) berichten von Maßnahmen, in denen Erwachsene angewiesen wurden, ihr Kommunikationsangebot bis zu 3 Mal zu wiederholen, zuerst durch das Aufrufen, und wenn das Kind auf das 44783_Rohlfing_SL3a.indd 113 17.04.2019 14: 20: 39 114 5. Gemeinsame Aufmerksamkeitsbezüge erste Angebot nicht reagierte, durch zusätzliche Zeigegesten zum Objekt hin. Kinder mit ASS reagierten häufig nicht auf das erste Angebot, was für dieses Störungsbild typisch ist. Sie waren aber bei den weiteren Angeboten, die die Erwachsenen mit klaren Gesten (Zeigegeste und Kopfbewegung in Richtung des Objektes) verstärkten, in der Lage, Blickkontakt zu etablieren. Auf diese Weise bekamen die Kinder die Möglichkeit, neue Objekte zu betrachten, zu benennen und über diese zu sprechen. Sie waren somit Teil einer sozialen Triade mit referenziellen Absichten; diese hätten sie nicht erfahren, wenn die Erwachsenen weniger beharrlich gewesen wären. Ähnliche Strategien werden Eltern von Kindern mit Down-Syndrom empfohlen (Adamson & Dimitrova, 2014). Auch wenn Aufmerksamkeitsdefizite mit Menschen mit dem Down-Syndrom nicht in Verbindung gebracht werden, so weist die Entwicklung der Kinder mit Down-Syndrom häufig eine Spracherwerbsverzögerung auf. In einer dafür kompensierenden Maßnahme werden Wörter durch klare gemeinsame Aufmerksamkeitsbezüge hervorgehoben, in denen die referenzielle Absicht, die Objekte zu benennen, zum Ausdruck gebracht wird. Daraus ergeben sich Routinen, die den Erwerb des Vokabulars durch ihre klare situationelle Struktur erleichtern (ibid.; Rohlfing u. a., 2017a). Eine Art, solche Routinen bewusst herbeizuführen, bietet das gemeinsame Lesen von Bilderbüchern. Für Kinder, die lautsprachlich noch nicht kommunizieren können, schafft die Situation des gemeinsamen Lesens die Möglichkeit, sich gestisch an der Aktivität zu beteiligen (Rohlfing u. a., im Druck): „Kinder können hierbei mit einer Geste auf etwas deuten, worauf die Bezugsperson reagiert, indem sie z. B. den Namen des Objektes äußert. Umgekehrt kann die Bezugsperson Fragen stellen, wie beispielsweise „Wo ist ein Ball? “, worauf das Kind mit einer Geste antworten und somit wertvolle Rückmeldung zu seinem Sprachverständnis bekommen kann (siehe auch Kapitel-14.4). Es geht in dieser Situation aber nicht nur um die Rückmeldung für das Sprachlernen des Kindes. Ein weiterer Vorteil des gemeinsamen Lesens ist, dass die Situation sowie die Buchinhalte wiederholbar sind. Die Wiederholung erleichtert es den Kindern, ihre kommunikative Rolle einzuüben. Sowohl das Ausfüllen der Rollen (durch das Antworten auf eine kommunikative Anforderung) als auch das Erfüllen des gemeinsamen Ziels legen für den Erwerb der Lautsprache den Grundstein (Rohlfing u. a., 2016). Einerseits repräsentiert GA lediglich eine mögliche Art der erfolgreichen Interaktion, in der Kinder verbales Verhalten erlernen. Denn Kinder können-- dies haben Studien von unter anderem Akhtar (2005) oder Gampe und Kollegen (2012) beweisen können-- auch ohne diese Form von Interaktion Wörter 44783_Rohlfing_SL3a.indd 114 17.04.2019 14: 20: 39 115 5.6 Individuelle Unterschiede in der Entwicklung der GA lernen. Andererseits wird diese Art aber robust auch von Kindern genutzt, denen die visuellen oder akustischen Mittel nur eingeschränkt zur Verfügung stehen. Auch blinde Kinder koordinieren sich mit Interaktionspartnern; sie erreichen diese Koordination mit Informationen, die sie sich taktil und auditiv einholen (Bigelow, 2003). Gehörlose Kinder wiederum erschaffen besondere, modalitätsspezifische Muster der Interaktion (Lieberman u. a., 2014): Verglichen mit typisch hörenden Kindern, verwendeten sie beim gemeinsamen Buchvorlesen längere Zeitintervalle darauf, den Partner anzuschauen sowie den Blick alle paar Sekunden zwischen dem Buch als Objekt und dem Partner zu wechseln, wohingegen hörende Kinder ihren Blick hauptsächlich auf dem Buch hatten. Interessanterweise wurden die Blickänderungen in Abstimmung mit dem Partnerverhalten beobachtet: Mütterliche Äußerungsgrenzen schienen effektiv den Blickwechsel auszulösen. Diese modalitätsspezifischen Muster fanden sich bereits bei Interaktionen mit Zweijährigen und scheinen sich in der weiteren Entwicklung zu verfeinern (ibid.). Solche besonderen Arten der Koordination mit Interaktionspartnern bewegten Akhtar und Gernsbacher (2007) zu der Vermutung, dass auch typisch entwickelte Kinder nicht nur visuelle, sondern vielfältige Quellen nutzen, um ihre Aufmerksamkeit für erfolgreiche Kommunikation zu koordinieren. Die Autorinnen weisen auf kulturelle Hintergründe hin, die mitbestimmen, welche Aufmerksamkeitsmuster sich herausbilden. Kinder und ihre Eltern, die in Guatemala zu Hause waren (engl.: Guatemalan Mayan), konnten sich simultan mehreren Ereignissen und Objekten zuwenden, während Kinder der US-amerikanischen Mittelklasse sich eher einem Ereignis nach dem anderen zuwendeten (Rogoff u. a., 1993; Akhtar & Gernsbacher, 2007). Bereits diese Objektbetrachtungsmuster hängen mit kulturellen Wertvorstellungen zusammen: Während es für die Eltern in Guatemala wichtig zu sein scheint, dass ihre Kinder gute Beobachter sind und die Handlung mehrerer Personen auf einen Blick wahrnehmen können, gilt in der westlichen Kultur die Vorstellung, dass man sich einer Aufgabe nicht konzentriert widmet, wenn diese nicht im ausschließlichen Fokus steht (ibid.). Mastin und Vogt (2015) verglichen die Gestaltung gemeinsamer Aufmerksamkeitsbezüge in städtischen und ländlichen Gebieten von Mosambik. Sie fanden heraus, dass sich Kinder in ländlichen Gebieten häufig allein beschäftigten, während sie in städtischen Gebieten viel Zeit in gemeinsamen Aufmerksamkeitsbezügen mit anderen Personen verbrachten, und diese Zeit im positiven Zusammenhang mit dem Wortschatz der Kinder stand. Für Kinder aus 44783_Rohlfing_SL3a.indd 115 17.04.2019 14: 20: 39 116 5. Gemeinsame Aufmerksamkeitsbezüge ländlichen Gebieten von Mosambik fanden die Autoren jedoch einen negativen Zusammenhang zwischen dem koordinierten gemeinsamen Engagieren und ihrem späteren Wortschatz. Sie interpretierten die unterschiedlichen Muster vor dem Hintergrund unterschiedlicher Werte in der jeweiligen Gemeinschaft: Sie vermuteten, dass in ländlichen Gebieten die motorischen mehr als die sprachlichen Fähigkeiten der Kinder im Vordergrund stehen und gefördert werden. Ob und welche Formen der Aufmerksamkeit zum erfolgreichen Sprachlernen führen, hängt somit sicherlich auch damit zusammen, welche Routinen sich in einer Kultur etabliert haben (Rohlfing u. a., 2016). In westlichen Kulturen gibt es etablierte Routinen der Referenz, in denen GA-Fähigkeiten eingeübt werden und Kindern das Erlernen neuer Wörter erleichtert wird (Bruner, 1983). Darin spiegelt sich der Stellenwert der sprachlichen Fähigkeiten wider. Lesetipps: Die Natur der gemeinsamen Aufmerksamkeitbezüge und die verschiedenen Operationalisierungen werden von Mundy und Kollegen ausführlich, spannend und empirisch betrachtet: Mundy, P., Block, J., Delgado, C., Pomares, Y., Hecke, A. V. V., & Parlade, M. V. (2007). Individual differences and the development of joint attention in infancy. Child Development, 78 (3), 938-954. Eine Studie, die den Referenzerwerb aus der Perspektive der perzeptionsgeleiteten Ansätze präsentiert, wurde von Pruden und Kollegen durchgeführt: Pruden, S. M., Hirsh ‐ Pasek, K., Golinkoff, R. M., & Hennon, E. A. (2006). The birth of words: Ten-month-olds learn words through perceptual salience. Child Development, 77 (2), 266-280. Die Perspektive der sozialpragmatischen Ansätze (und somit auch die Bedeutung der gemeinsamen Aufmerksamkeitsbezüge für den Spracherwerb) wird wiederum in Arbeiten von Akhtar, Tomasello und Liszkowski deutlich: Akhtar, N., & Tomasello, M. (2000). The social nature of words and word learning. In R. M. Golinkoff & L. Bloom (Hrsg.), Becoming a word learner: A debate on lexical acquisition. Oxford: Oxford University Press. Liszkowski, U. (2015). Vorsprachliche Kommunikation und sozial-kognitive Voraussetzungen des Spracherwerbs. In S. Sachse (Hrsg.), Handbuch Spracherwerb und Sprachentwicklungsstörungen. Kleinkindphase. München: Elsevier. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 116 17.04.2019 14: 20: 39 117 6.1 Methoden: Bewegungsloses-Gesicht-Paradigma 6. Entwicklung der Phonologie: Erste Laute In Kapitel 3 wurde darauf hingewiesen, dass sich im Laufe des ersten Lebensjahres die kindliche Wahrnehmung auf die Zielsprache spezialisiert. Im vorliegenden Kapitel richtet sich der Fokus auf die lautsprachliche Entwicklung, die diese Spezialisierung ebenfalls aufweist. Zunächst entdecken Kinder ihre Stimme und bauen ihr vokales Repertoire auf. Beim Aufbau ihrer phonetisch-phonologischen Kompetenzen werden sie von Bezugspersonen unterstützt. In der Forschung gilt es als gut belegt, dass Verzögerungen im Erreichen bestimmter Meilensteine in diesen Kompetenzen im Zusammenhang mit späteren sprachlichen Auffälligkeiten stehen. Daher ist eine differenzierte Betrachtung von Auffälligkeiten einerseits sowie individuellen Entwicklungsverläufen andererseits besonders gefragt. 6.1 Methoden: Bewegungsloses-Gesicht-Paradigma Kindern sprachliche Laute zu entlocken, um diese zu untersuchen, ist keine leichte Aufgabe. Die folgende Methode sorgt dafür, dass Kinder sich verständigen müssen, weil sich die Situation mit einem Moment verändert. Das Ungewöhnliche an der Situation wird dadurch erreicht, dass die Bezugsperson plötzlich nicht ansprechbar ist und vor sich hin starrt. Auf diesen Wechsel von einer gewöhnlichen zu einer ungewöhnlichen sozialen Interaktion reagieren die meisten Kinder, indem sie versuchen, mit der Bezugsperson in Kontakt zu treten. Genau diese Versuche gelten als reichhaltiges kommunikatives Verhalten, das über die Fähigkeit zur Anwendung bestimmter kommunikativer Mittel bei jungen Kindern Aufschluss geben kann. Das Paradigma, von Tronick und Kollegen (1978) entwickelt und bei 1 bis 9 Monate alten Kindern erprobt, zeichnet sich durch drei Phasen aus: 1. In der ersten Phase findet eine natürliche und gewöhnliche Interaktion zwischen dem Kind und seiner Bezugsperson statt: Sie lächeln und schauen sich an, gehen aufeinander ein, indem sie sich verbal / vokal austauschen. 2. Für die zweite Phase wird die Bezugsperson vorher instruiert. Ab einem gewissen Punkt folgt sie dann den Instruktionen und schaut ihr Kind für eine 44783_Rohlfing_SL3a.indd 117 17.04.2019 14: 20: 39 118 6. Entwicklung der Phonologie: Erste Laute Weile (z. B. 2 Minuten) bewegungslos an. Sie behält ein neutrales Gesicht und reagiert nicht auf das Kind. 3. In der dritten Phase wird die gewohnte Interaktion wieder aufgegriffen. Die Bezugsperson wendet sich ihrem Kind zu, reagiert auf seine Bedürfnisse und Kommunikation. Diese Phase wird als Wiedervereinigung (engl. reunion) bezeichnet. Mit dieser Methode wurde beispielsweise das Verhalten vorzeitig geborener Kinder mit termingeborenen Kindern verglichen. Diese beiden Gruppen unterschieden sich nicht im Hinblick auf die in den Phasen geäußerten sozialen Reaktionen. Im Hinblick auf die Selbstregulation ergab der Vergleich jedoch, dass bei vorzeitig geborenen Kindern (siehe Box-35) die Bemühungen, sich selbst zu beruhigen, seltener beobachtet wurden (Montirosso u. a., 2010). Auf YouTube findet sich eine Beschreibung des Paradigmas mit Erläuterung des Entwicklers selbst: https: / / www.youtube.com/ watch? v=apzXGEbZht0 Das Untersuchungsparadigma brachte einige Varianten hervor. Diesen Varianten liegt die Annahme zugrunde, dass sich nach einem gravierenden Wechsel in der Situation oder im Verhalten der Bezugsperson-- somit generell im Input-- das kommunikative Verhalten des Kindes zunächst intensiviert. Nach dieser Intensivierung kommt es zu einem Verblassen des Verhaltens (siehe Abb. 11). Abbildung 11: Das Prinzip des Untersuchungsparadigmas ‚Bewegungsloses Gesicht‘. Die Linie stellt einen Zeitverlauf dar. Am Anfang kommuniziert das Baby nach einem gewohnten Muster, das sich aber aufgrund des Verhaltens der Mutter (in der Phase der „Intervention“) zunächst intensiviert, weshalb z. B. das Lautieren des Kindes (durch die Gesichter angedeutet) häufiger vorkommt. Nach der Intensivierung erlischt das kommunikative Verhalten des Babys. Erst wenn die Mutter mit dem Ende der Interventionsphase wieder ihr normales Verhalten zeigt, kehrt das gewohnte Kommunikationsmuster zurück. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 118 17.04.2019 14: 20: 39 119 6.1 Methoden: Bewegungsloses-Gesicht-Paradigma Mit diesem Paradigma untersuchte die Forschergruppe um Goldstein, in welcher Weise die Vokalisierungen eines Babys von einer Reaktion der sozialen Umwelt abhängen. Eine Studie von 2009 zeigte dabei, dass bereits fünf Monate alte Säuglinge mit ihrer Vokalisierung soziale Partner beeinflussen. Den Beleg für diese Aussage lieferte ein Experiment, in dem das kommunikative Verhalten des Säuglings erlosch, nachdem der soziale Partner nicht mehr auf den Säugling einging. Als Nächstes erfassten die Forscher das Ausmaß des Rückgangs in der Vokalisierung, indem sie untersuchten, wie groß der Unterschied zwischen der kindlichen Vokalisierung in einer üblichen Interaktion im Vergleich zu seiner Vokalisierungsaktivität war, wenn der soziale Partner nicht mehr reagierte. Das Ausmaß des Rückgangs bei fünf Monate alten Säuglingen stand mit der späteren Leistung im Sprachverständnis in Zusammenhang: Kinder zeigten mit 13 Monaten eine bessere Sprachverständnisleistung, je größer der Unterschied im Vokalisieren von der Phase des bewegungslosen Gesichts zu der Phase, in der sie wieder kontingent interagieren konnten. Dieses Ergebnis deutet darauf hin, dass Kinder, die in ihrer Sprachverständnisentwicklung besser abschneiden, sensibler auf das Fehlen einer kontingenten Interaktion reagieren. In einer anderen Studie (Goldstein u. a., 2008) untersuchte die Forschergruppe nicht nur das Ausmaß, sondern auch auf welche Weise sich das kindliche Verhalten ändert, wenn die Reaktion der Bezugsperson ausbleibt. Sie fand heraus, dass sich bei 9,5 Monate alten Säuglingen sowohl die Art der Vokalisierung als auch die Häufigkeit des Lächelns veränderte: Während die untersuchten Kinder zunächst signifikant mehr lautierten, verminderte sich die Häufigkeit des Lächelns. Obwohl mit diesen Befunden die Wirkung des Miteinanders für das kontinuierliche kommunikative Bemühen der Kinder hervorgehoben ist, bleibt die Frage offen, welche Rolle die kontingente Erwachsenensprache bei der Anleitung der Säuglinge zum lautsprachlichen Lernen spielt. Eine Möglichkeit ist, dass die Bezugsperson im Miteinander Merkmale des Sprachsignals hervorhebt und die kindliche Wahrnehmung für diese entsprechend sensibilisiert und somit auch verändert wird. Auf diese Möglichkeit wird in einem weiteren Unterkapitel eingegangen (siehe Kapitel-6.3). 44783_Rohlfing_SL3a.indd 119 17.04.2019 14: 20: 39 120 6. Entwicklung der Phonologie: Erste Laute 6.2 Erste Vokalisierungen Schreien Dittmann (2010: 20) weist darauf hin, dass Schreien vielfältig sei und einige Typen voneinander unterschieden werden können. Im Säuglingsschrei mischen sich vokale und nicht-vokale Komponenten wie Gesichtsstellungen, Luftwege und Atmung (Provasi u. a., 2014; siehe Box-41). In den ersten Monaten ist es ein reflexives Schreien, vor allem als Ausdruck von Hunger oder Müdigkeit (Klann-Delius, 2008). Die Gestaltung des Signals beruht auf einem vokalischen Mechanismus und informiert die Bezugspersonen über den Zustand des Säuglings (siehe Box- 41). Komplementär zur Sprachwahrnehmung (siehe die Erläuterungen dazu in Kapitel-3), wird für den Säuglingsschrei angenommen, dass die nicht-vokalen Komponenten des Schreis bereits pränatal entwickelt werden. Das Schreien wird als Vorläufer der Sprache diskutiert (Provasi u. a., 2014). Auffällig sind dabei dessen Melodien, die während des ersten Lebensmonats komplexer werden: Säuglinge modifizieren die melodischen Bögen ihres Schreirhythmus durch das Verändern ihrer Länge und ihrer Anzahl (Wermke & Mende, 2009). All diese Komponenten des Schreiens haben eine besondere Erscheinung zur Folge. Ein Schmerzschrei zum Beispiel ist länger und hat längere Atempausen. Bezugspersonen reagieren mit Stressverhalten, wenn sie diese Art des Schreiens vernehmen. Weniger Stress empfanden die Personen, wenn die Atempausen kürzer waren. Die Gesamtkomposition, das Schreien wie auch die Pausengestaltung, scheint also eine Mischung auszumachen, aus der eine besondere Wirkung komponiert werden und sich entfalten kann (Provasi u. a., 2014). Fox-Boyer und Schäfer (2015) fassen die aktuelle Befundlage zusammen und machen darauf aufmerksam, dass bereits der Säuglingsschrei zielsprachtypisch ausgeführt wird: Der Schrei eines Kindes einer französischsprechenden Familie steigt in seiner Lautstärke an, während die Lautstärke bei dem Schrei eines Kindes aus einer deutschsprachigen Familie abfällt. Diese Besonderheiten gehen mit der typischen Sprachmelodie einher: Jambus als Sprachrhythmus für Vokale und Konsonanten (Box- 41): Bei Vokalen strömt der Luftstrom frei und ungehindert aus. Die Zungenlage (vorne / hinten), Zungenhöhe (hoch / tief) sowie die Lippenrundung (gerundet beim [u] / ungerundet bei [i]) bestimmen dabei den Klang. Bei Konsonanten wiederum wird der Luftstrom moduliert, indem er auf ‚Hindernisse’ im Mundraum (siehe Tabelle 2), der Nase und Kehle trifft. Jede dadurch konkret realisierte Lauteinheit ist ein Phon. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 120 17.04.2019 14: 20: 39 121 6.2 Erste Vokalisierungen das Französische und Trochäus für das Deutsche (ibid.: 46; siehe Kapitel-3). Um den 5. Lebensmonat herum bekommt das Weinen eine andere Qualität, vermutlich ebenfalls unter dem Einfluss der sozialen Interaktion (Masataka, 2003). Vegetative Laute Weitere Laute sind vegetativer Art wie das Husten, Aufstoßen oder Seufzen. Diese beruhen auf einem konsonantischen Mechanismus (Klann-Delius, 2008; siehe Box-41) und werden eher reflexiv produziert (Fox-Boyer & Schäfer, 2015). In diesen Produktionen finden sich aber auch Protophone, d. h. Vorläufer von Phonen (siehe Box-41), die „mit geschlossenem Mund, nasalartig produziert werden“ (ibid.: 47). Protophone sind Vorläufer von Lauteinheiten, die man phonetisch unterscheiden kann (Szagun, 2006). Ihre Einbettung in vegetativen Lauten bringt für die Forschungspraxis große Mühe mit sich, wenn es darum geht, zu entscheiden, welche Laute bei Säuglingen willentlich und welche vegetativ produziert werden. Gurren Nach dem 2. Lebensmonat sind unterschiedliche Räume des Vokalisierens voneinander zu unterscheiden: Während sprachähnliche Vokalisierung (weniger nasal und mehr volltönend) im vorderen Mundbereich stattfindet und eine besondere Resonanzqualität bekommt (Fogel & Reese, 2001), werden nicht-sprachähnliche Vokalisierungen eher hinten im Mund produziert und bekommen eine nasale Qualität. Der Lautspracherwerb wird davon getragen, dass nicht-sprachähnliche Vokalisierungen vom 2. bis zum 5. Lebensmonat abnehmen, während die sprachähnlichen Vokalisierungen wiederum im gleichen Zeitraum zunehmen (Hsu u. a., 2000). Die sprachähnlichen Vokalisierungen werden als Gurren (engl.: cooing) bezeichnet und zeichnen sich durch willentliche Produktion von zunehmenden Vokal-Konsonant-Konfigurationen (siehe Box-41) aus. Masataka (2003) sieht darin einen wichtigen Meilenstein in Richtung vokaler Entwicklung. Papoušek (2001) beobachtete, dass Kinder zunächst für sich gurren, bevor sie dann ein bis zwei Wochen später in Austausch mit anderen treten. Nach Jhang und Oller (2017) weisen Protophone bereits früh in der kindlichen Entwicklung eine Variabilität in ihrer Funktionalität auf und begleiten unterschiedliche emotionale Zustände. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 121 17.04.2019 14: 20: 39 122 6. Entwicklung der Phonologie: Erste Laute Tabelle 2 gibt einen Überblick über die Lautreihenfolge im Erwerb. Nach Dittmann (2010) bildet die Zeitfolge die lautlichen Kontraste einer Sprache ab. So werden die laryngalen und velaren (‚hinteren‘) Konsonanten vor den labialen und dentalen (‚vorderen‘) gebildet: „In den Sprachen der Welt sind nur dann hintere Konsonanten vorhanden, wenn auch vordere vorhanden sind“ (ibid.: 25). Laute Beispiel Alter Labiale: mit Lippen gebildet [m], [p] 1; 6-1; 11 Alveolare: mit Zungenspitze und Zahntaschen gebildet [d] 1; 6-1; 11 Velare: am weichen Gaumensegel gebildet [k] 2; 6-2; 11 Frikative: durch Reibung hervorgebrachte Laute [f] 2; 6-2; 11 Affrikate: Verschluss und anschließendem Reibelaut [pf] 3; 0-3; 11 Palatal: am harten Gaumen gebildet [∫] 4; 6-4; 11 Tabelle 2: Erwerbsreihenfolge von einigen Lauten nach Stern (1907) und Jakobson (1941; auch Fox-Boyer, 2009; Kauschke, 2012); ihre Vorläufer können früher beobachtet werden (Dittmann, 2010). In einer deutschsprachigen Längsschnittstudie wurden Kinder beobachtet, die bereits mit 12 Monaten in ihren ersten Verbalisierungen Labiale (im „Mama“) und Alveolare (im „da! “) produzierten (Grimminger, 2016). Lautspiel Um den 5. Lebensmonat herum bekommt nicht nur das Weinen eine andere Qualität (siehe oben), sondern auch die Laute, die in ihrer Vielfalt zu expandieren scheinen. Im Hinblick auf Vokale und Konsonanten kann bei der Produktion von [m] die ganze Zeit Luft durch die Nase bei geschlossenem Mund entweichen; bei [b] jedoch kann die Luft nur nach Lösung des Lippenverschlusses ausströmen. In diesem Zeitraum experimentieren Kinder verstärkt mit Tönen, ihren Höhen und Lautstärken (Fox-Boyer & Schäfer, 2015): Es erscheinen vokalartige Laute wie / e/ und / ʌ/ . Unter den Konsonanten sind häufig / h/ und ein glottaler Verschluss wie auch / g/ und / k/ zu hören. Lallen Ein wichtiger Meilenstein (siehe Kapitel-12.4 zum Begriff „Meilenstein“) für die phonologische Entwicklung kann zwischen dem 6. und 10. Lebensmonat erwartet werden. Er geht mit den oben geschilderten Veränderungen in der Sprachwahrnehmung einher (siehe Kapitel-3) und ist dadurch charakterisiert, 44783_Rohlfing_SL3a.indd 122 17.04.2019 14: 20: 39 123 6.2 Erste Vokalisierungen dass von Säuglingen Lalllaute bestimmter Art zu hören sind. Im Hinblick auf die Lautsprache stellt das Lallen eine große Errungenschaft dar. Es werden zwei Typen voneinander unterschieden: kanonisches und nicht-kanonisches Lallen (siehe Box-42). Die Vokalisierungen im Sinne des kanonischen Lallens (bei Dittmann, 2010: 21 auch „Babbel“ genannt) kommen auch zustande, wenn Kinder allein sind, was einige Forscher zu der Aussage bewegt hat, dass es sich dabei um „vocal play [vokales Spiel]“ (Kent, 1981) oder biologische Reifung (Locke, 1983) handelt. Der Vokaltrakt des Säuglings beginnt zu diesem Zeitpunkt, dem Vokaltrakt eines Erwachsenen zu ähneln. Das kanonische Lallen stellt einen Meilenstein (ein auftretendes Verhalten, das weiteren Kompetenzen vorausgeht; siehe auch Kapitel- 12.4) in der phonologischen Entwicklung dar. Während des Lallens erprobt ein Säugling prosodische Muster an Lautketten, „d.h. die Variation der Stimmhöhe (Grundfrequenz), Lautstärke, Silbenrate und anderer zeitlicher Parameter“ (Dittmann, 2010: 22). Diese Erprobung geht nach Dittmann (ibid.) mit zunehmender Beherrschung der prosodischen Strukturen der Sprache einher. Die Art des Lallens lässt sich der Zielsprache zuordnen (Brown, 1958), d. h. sowohl im kanonischen wie auch nicht-kanonischen Lallen finden sich Unterschiede in der phonotaktischen Lautabfolge in Abhängigkeit von der Zielsprache (Curtin & Werker, 2007). Eine Entsprechung gibt es nicht nur zwischen der sozialen Umwelt und der Art des Lallens, sondern auch zwischen den Konsonanten, die im Lallen vorkommen und den ersten Wortproduktionen: Konsonanten, die die Kinder während des Lallens benutzen, sind auch die, die für die ersten Wörter genutzt werden (Vihman u. a., 1985). Fox-Boyer und Schäfer (2015) weisen darauf hin, dass es sich beim kanonischen Lallen um einen Prädiktor für spätere Sprachentwicklung handelt. Sie fassen Studien zusammen, die auf einen Lallen (Box-42): Kanonisches Lallen (engl.: canonical oder reduplicated babbling) bezieht sich auf eine Vokalisierung, in der Konsonanten systematisch mit Vokalen zu einer Silbe kombiniert werden. Häufig kommt es dabei zu einer Repetition der Silbe wie in den Protowörtern ma-ma. In den Protowörtern ba-da oder da-du variiert ein Kind die Silbenstruktur. Mit diesem nicht-kanonischen Lallen (engl.: variegated babbling) prägt sich die Fähigkeit aus, verschiedene Silben aneinanderzureihen. Suprasegmentale/ prosodische Merkmale und ihre Funktion (Box-43): Tonhöhe (Wort / Silbe / Laut kann hoch oder tief gesprochen) und Intonation (Tonhöhenverlauf über eine Äußerung hinweg); Lautheit (Wort / Silbe / Laut kann leise oder laut gestaltet werden), deren Wahrnehmung jedoch von der Tonhöhe abhängt (hohe Töne klingen lauter); Dauer (Variation von Silben oder Lauten in ihrer Artikulationsdauer und -geschwindigkeit) (Bergmann, 2013: 77 ff.). 44783_Rohlfing_SL3a.indd 123 17.04.2019 14: 20: 39 124 6. Entwicklung der Phonologie: Erste Laute Zusammenhang zwischen niedriger Lallrate und einem verspäteten Sprechbeginn deuten. Eine aktuelle Längsschnittstudie mit einer Untersuchung von 46 Englisch lernenden Kindern im Alter von 9 bis 18 Monaten (McGillion u. a., 2017) hatte zum Ziel, Prädiktoren für die Wortproduktion zu identifizieren. Zusätzlich zum kanonischen Lallen wurde die Entwicklung der Zeigegeste (siehe Kapitel-5 und 8) betrachtet. Die Fähigkeiten des Lallens und des Zeigens entwickelten sich nach Ergebnissen dieser Studie nicht synchron. Das Alter, in dem Kinder zu lallen begannen, war der alleinige Prädiktor der ersten Wörter. Untersuchungen der Prädiktoren für den expressiven Wortschatz mit 18 Monaten ergaben ebenfalls eine signifikante Rolle des Lallbeginns, zusätzlich zur Bildung der Mutter. Die Autoren schlussfolgern aus den Befunden: „These findings suggest that phonological readiness is more important for the transition to word production than previously recognized“ (ibid.: 7). Als Erklärungen bieten die Autoren zwei Möglichkeiten an. Zum einen können Säuglinge, die früher lallen als ihre Gleichaltrigen, ihre soziale Umwelt mit Vokalisierungen aktiv gestalten (siehe Soziales Feedback in Kapitel-6.3 unten). Zum anderen ist es möglich, dass das frühe Lallen ein Ausdruck einer besonderen Neigung ist, die manche Säuglinge für soziales Miteinander haben und bereits früh äußern können (ibid.). 6.3 Mechanismen der Vokalisierung Turn-Taking Kontingenz und das multimodale Phänomen des Turn-Takings wurden bereits in Kapitel-3 eingeführt (siehe Box-17). Papoušek (2001: 95) betont, dass über die Entwicklung des Turn-Takings von 2 bis 15 Monaten vor allem zwei Parameter Aufschluss geben: Zum einen der Anteil der kindlichen Vokalisationen allein, zum anderen der Anteil der kindlichen Vokalisationen, die von der Mutter kontingent beantwortet werden. Wie gerade erwähnt, hängen diese zwei Parameter zusammen, denn wenn ein Kind viel vokalisiert, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass es von seiner sozialen Umwelt viele Reaktionen bekommt. Interessanterweise erfolgt das frühe Lautieren bei Säuglingen nicht zufällig (Gratier, 2003), sondern in Form von Turns (siehe Box- 17), sodass sie bereits früh anknüpfen und somit selbst die Möglichkeit zum Anknüpfen geben (Sander & Wagner, 1981). Bereits 3 Monate alte Säuglinge imitieren und wiederholen die prosodischen Konturen ihrer Bezugspersonen während einer strukturierten Interak- 44783_Rohlfing_SL3a.indd 124 17.04.2019 14: 20: 39 125 6.3 Mechanismen der Vokalisierung tion (Gratier & Devouche, 2011), sodass ihre Vokalisierungen sprachähnlicher werden (Bloom u. a., 1987). Für die Entwicklung von Vokalisierungen bietet das Turn-Taking also einen strukturierten Kontext (ibid.) mit positiver emotionaler Aufladung (Jaffe u. a., 2001). Gratier und Devouche (2011) argumentieren, dass in diesem Kontext die frühen Vokalisierungen ein Abbild der prosodischen Konturen ihrer Bezugspersonen werden. In einem weiteren Aufsatz berichten Gratier und Kollegen (2015) von einer Längsschnittstudie mit einer umfassenden Analyse der Lautsprache in Mutter-Kind-Interaktionen. Dabei unterschied die Autorin Turns, die nach einer Pause genommen werden von „latched turns [anschließenden Turns]“, die unmittelbar nach Vokalisierungsende seitens des Interaktionspartners beginnen. Die Ergebnisse der Studie weisen darauf hin, dass sowohl 2 wie auch 5 Monate alte Kinder auf einen Turn ihrer Mutter reagieren können, und zwar innerhalb weniger Millisekunden, ohne mit der Vokalisierung der Mutter zu überlappen. In dieser Entwicklungsspanne wurde keine besondere Änderung in der Schnelligkeit des Turnverhaltens der Säuglinge beobachtet, bis auf den Befund, dass die älteren Kinder häufiger einen Turnwechsel initiierten. Die hohe Frequenz der anschließenden Turns in der Studie deutet darauf hin, dass bereits Säuglinge aktiv die Organisation der Turns mitgestalten und durch sie vokale Ereignisse vorhersagen können. Die Frage, wie Säuglinge ohne linguistische Hinweise das Ende eines Turns vorhersehen können, wird im folgenden Abschnitt aufgegriffen. Prosodie Die prosodischen Lauteigenschaften werden deutlich, sobald nicht mehr die Verschiedenheit, sondern die Ausführung der Laute betrachtet wird. Der Begriff wird oft synonym mit „Suprasegmentalia“ verwendet (Bergmann, 2013). Die wichtigsten suprasegementalen Merkmale sind in Box- 43 dargestellt. Die Funktion der prosodischen Merkmale ist es, Wortgrenzen zu markieren (Grenzmarkierung) und einzelne Einheiten im Redestrom hervorzuheben (Akzentuierung). Die Akzentuierung wirkt sowohl bei einzelnen Wörtern als auch bei einer ganzen Äußerung. Während im Deutschen bei den meisten Wörtern die erste Silbe hervorgehoben wird (Bielefeld, schöne, Stiefel, kaufen), und sich somit ein trochaischer Sprachrhythmus (siehe Box-15) ergibt, kann die Hervorhebung eines Wortes innerhalb einer Intonationsphrase einen Satzakzent ergeben (Schöne Stiefel kann man in Bielefeld kaufen). Sprachspezifische prosodische Merkmale führen somit dazu, dass Kinder Grenzen von Wörtern 44783_Rohlfing_SL3a.indd 125 17.04.2019 14: 20: 39 126 6. Entwicklung der Phonologie: Erste Laute durch Veränderungen von Tonhöhenverlauf, Intensität, Dehnung finaler Laute und das Einfügen von Pausen im Sprachsignal erkennen können, auch wenn die prosodischen Grenzen nicht immer mit den syntaktischen übereinstimmen (Schröder & Höhle, 2011). Bereits Kapitel-3 widmete sich der wichtigen Rolle der Prosodie für- die Sprachwahrnehmung. Für die Beantwortung der Frage, wie Säuglinge ohne viele linguistische Hinweise das Ende eines Turns vorhersehen können, kann auch folgender Aspekt herangezogen werden: Sprache gegenüber Säuglingen ist durch Rhythmizität, kurze Äußerungen (etwa 1 Sekunde) und ihre Pausen charakterisiert (Gratier, 2015; siehe Kapitel-13). Es ist möglich, dass Säuglinge sich auf die individuelle zeitliche Struktur der mütterlichen Turns einstellen und auf diese Weise mit großer Präzision das jeweilige Turnende antizipieren können. Ungeklärt bleibt aber der Unterschied zwischen mütterlichen Turns, die auf eine Pause folgen und den anschließenden Turns-- beides Typen, auf welche Säuglinge reagieren. Diese zwei Typen unterscheiden sich in der Länge der mütterlichen Äußerung kaum, sodass der ausschlaggebende Hinweis für die Säuglinge verborgen bleibt. Gratier (2015) schlägt vor, dass Mütter ihre Vokalisierung unterbrechen, sobald sie sehen, dass ihr Kind vokalisieren möchte. Der Wille zu vokalisieren könnte durch das Einatmen oder eine Veränderung im Muskeltonus beim Säugling für die Mütter erkennbar sein, sodass sie darauf reagieren können. Jedoch scheinen die mütterlichen Äußerungen, die einem anschließenden kindlichen Turn vorausgehen, weder besonders kurz noch abgeschnitten zu sein-- das spricht gegen Gratiers Vermutung. Zukünftige Forschung wird sich in dieser Frage auf weitere akustische Merkmale konzentrieren müssen. Diese erscheinen insofern vielversprechend, als Säuglinge erstaunliche Fähigkeiten in dieser Richtung aufweisen (siehe unten). In Kapitel- 3 wurde bereits gezeigt, dass Kinder die typischen Betonungsmuster ihrer Zielsprache aufgrund von Prosodie unterscheiden können (siehe Box-7). Prosodie (siehe Box-43) kann aber auch als Hinweis genutzt werden, um Wörter zu erkennen. Schröder und Höhle (2011) bezeichnen einen Einstieg in den Spracherwerb als prosodisches Bootstrapping, das mittels prosodischer Hinweise im Sprachsignal erfolgt. Dabei bezieht sich der Begriff „Bootstrap- Suprasegmentale/ prosodische Merkmale und ihre Funktion (Box-43): Tonhöhe (Wort / Silbe / Laut kann hoch oder tief gesprochen) und Intonation (Tonhöhenverlauf über eine Äußerung hinweg); Lautheit (Wort-/ Silbe / Laut kann leise oder laut gestaltet werden), deren Wahrnehmung jedoch von der Tonhöhe abhängt (hohe Töne klingen lauter); Dauer (Variation von Silben oder Lauten in ihrer Artikulationsdauer und -geschwindigkeit) (Bergmann, 2013: 77 ff.). 44783_Rohlfing_SL3a.indd 126 17.04.2019 14: 20: 39 127 6.3 Mechanismen der Vokalisierung ping“ auf eine Selbsthilfe (vgl. Kauschke, 2012: 3), die zur Verfügung steht, wie bei einem Steigbügel, der einem hilft, ohne fremde Hilfe auf das Pferd zu steigen. In dieser Analogie führen prosodische Hinweise im Sprachsignal zur Ableitung von grammatischen Strukturen einer Äußerung. Diese Ableitung ermöglicht „Korrelationen von prosodischen Einheiten (z. B. Intonationsphrasen, phonologischen Phrasen) mit syntaktischen Einheiten (Sätze, Phrasen, Wörter)“ (ibid.: e92). Ein eindrucksvolles Beispiel bietet die Nutzung des Rhythmus in ihrer Zielsprache, auf dessen Grundlage Kinder Silbengruppen zu Wörtern gruppieren (siehe Box- 15). Deutsch und Englisch lernende Kinder, die einem trochäischen Sprachrhythmus folgen, stellen die betonten Silben an den Anfang des Wortes, während die schwachen Silben als zu dem Wort dazugehörig gruppiert werden. In anfänglichen Wortproduktionen benutzen Kinder die betonten Silben wie bei Au (für Auto) oder Nane (für Banane). Mittels experimentell erzeugter Fehlsegmentierung konnte nachgewiesen werden, dass Kinder tatsächlich die beschriebene Strategie, Silben nach einem Betonungsmuster zu gruppieren, einsetzen: Wurde englischlernenden Säuglingen im Alter von 7 bis 8 Monaten die Wortgruppe / guitar is/ präsentiert, so haben sie aus diesem Input das Wort / taris/ als eine Einheit geformt, d. h. die starke Silbe wurde „zunächst auch bei jambischen Wörtern als Wortbeginn interpretiert“ (Schröder & Höhle, 2011: e93). Laut Autorinnen sind Kinder mit 11 Monaten in der Lage, Wörter unterschiedlicher Betonung zu segmentieren (ibid.). Diese Segmentierungsfähigkeiten (siehe Box- 21) scheinen mit der späteren Sprachentwicklung zusammenzuhängen. Schröder und Höhle (2011: e97) berichten, dass „Kinder, die mit 2 Jahren einen größeren Wortschatz aufwiesen, bereits im Alter von 7-12 Monaten in den Segmentierungsaufgaben erfolgreicher waren“ als Kinder mit geringem Wortschatz. Ein weiterer unterstützender Befund kommt aus einer Studie, die einen Zusammenhang zwischen frühen Segmentierungsfähigkeiten und semantischen wie auch syntaktischen Sprachleistungen im Rahmen eines standardisierten Tests aufdeckte (ibid.). Bei all diesen wichtigen Befunden muss die Bedeutung der Segmentierungsfähigkeit jedoch eingeschränkt werden: Sie ist keine notwendige Voraussetzung für die späteren Sprachleistungen im Normalbereich, denn bei manchen Kindern, die im Alter von 7-12 Monaten den Sprachstrom nicht segmentierten war mit 4-6 Jahren trotzdem eine altersentsprechende, unauffällige Sprachleistung zu beobachten (ibid.). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Erkennen und Nutzen von prosodischen Hinweisen in der ontogenetischen Entwicklung einen Zugang zum phonologischen Lautsystem bietet. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 127 17.04.2019 14: 20: 39 128 6. Entwicklung der Phonologie: Erste Laute Soziales Feedback In Kapitel-3 wurden Sensibilitäten in der kindlichen Wahrnehmung der menschlichen Sprache charakterisiert. Zusätzlich wurde oben aber der Vokalisierung eine wichtige Rolle beigemessen, da sie zur regen Teilnahme der Kinder an sozialen Interaktionen führt. In ihrer lautlichen Entwicklung profitieren Kinder enorm von Interaktionen und sozialem Feedback, wie die Studie von Goldstein und Schwade (2008; siehe Kapitel- 6.1) eindrücklich zeigt. Für ihre Untersuchung stellten die Autoren die Frage auf, welche Rolle die kontingente Erwachsenensprache bei der Anleitung des Säuglings zum lautsprachlichen Lernen spielt. Sie untersuchten Säuglinge im Alter von 9,5 Monaten. Der Verlauf des Experimentes folgte den 3 Stufen des Paradigmas (siehe 6.1): Zunächst beobachteten die Autoren Säuglinge in einer Interaktion mit ihrer Bezugsperson (Baseline-1), dann wurden die Bezugspersonen per Kopfhörer angewiesen, sich auf eine bestimmte Art zu verhalten (Intervention); schließlich kehrte die Dyade zum gewohnten Interaktionsverhalten zurück (Baseline-2). Aus der Überlegung eines 2x2 Studiendesigns wurden die Dyaden für die Interventionsphase in 4 Gruppen eingeteilt. Diese Art des Designs sieht 2 unterschiedliche unabhängige Variablen mit jeweils 2 Ausprägungen vor: Eine Variable war die zeitliche Korrespondenz des Antwortens auf die Vokalisierung des Säuglings, die auf kontingente versus nicht-kontingente Weise realisiert werden konnte. Die zweite Variable bestand aus dem lautlichen Inhalt der Antwort, die entweder aus einem Vokal oder aber Konsonanten-Vokal-Kombinationen bestand und somit wortähnlich war. Die sich aus den zwei Variablen mit jeweils zwei Ausprägungen ergebenden 4 Bedingungen werden nochmals in Tabelle 3 zusammengefasst. Zeitliche Abstimmung der mütterlichen Reaktion auf das Vokalisieren des Kindes (kontingent vs. nicht-kontingent) Lautinhalt der Antworten der Mutter (Vokal vs. Konsonant- Vokal-Kombination) Kontingentes Verhalten bestehend aus Vokalen Nicht-Kontingentes Verhalten bestehend aus Vokalen Kontingentes Verhalten bestehend aus einer Konsonant-Vokal- Kombination Nicht-Kontingentes Verhalten bestehend aus einer Konsonant- Vokal-Kombination Tabelle 3: Vier experimentelle Bedingungen in der Studie von Goldstein und Schwade (2008), unter denen Mütter auf das Vokalisieren ihrer Säuglinge antworteten. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 128 17.04.2019 14: 20: 39 129 6.3 Mechanismen der Vokalisierung Während man sich die Variation der Lautinhalte gut vorstellen kann, bedarf die Realisierung eines nicht-kontingenten Antwortverhaltens einer genauen Beschreibung: Für diese Bedingung wurde zunächst das Antwortverhalten aus den kontingenten Bedingungen aufgenommen, um sicherzugehen, dass es sich um ein natürliches Verhalten handelt. Diesen zeitlichen Mustern entsprechend bekamen die Mütter in den nicht-kontingenten Bedingungen per Kopfhörer Anweisungen zu antworten. Das heißt, dass diese Mütter ein fremdes, aber tatsächlich stattgefundenes Verhalten replizierten, ohne dass sich ihre Antworten zeitlich auf das eigene Baby bezogen. Die Autoren der Studie betonen, dass das Timing und die Form des nicht-kontingenten Antwortverhaltens mit dem Verhalten aus der kontingenten Bedingung gepaart wurden, sodass Säuglinge in beiden Bedingungen die gleiche Anzahl und Typen von sozialer Stimulation bekamen. Der einzige Unterschied baseline 1 social response baseline 2 0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0 ** ** Vokale kontingentes Verhalten baseline 1 social response baseline 2 0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0 ** ** Konsonant-Vokale * = signifikant ** = sehr signifikant *** = hoch signifikant baseline 1 social response baseline 2 0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0 nicht-kontingentes Verhalten baseline 1 social response baseline 2 0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0 * * Abbildung 12: Quantität der Lautsprache der Kinder in Abhängigkeit von den vier experimentellen Bedingungen (siehe Tabelle 3) bei Goldstein und Schwade (2008: 518). 44783_Rohlfing_SL3a.indd 129 17.04.2019 14: 20: 40 130 6. Entwicklung der Phonologie: Erste Laute bestand darin, dass sich in der nicht-kontingenten Bedingung die Stimulation nicht auf die Vokalisierung der Säuglinge bezog. Die Ergebnisse im Hinblick auf die Quantität und Qualität der Lautsprache der Kinder werden in Abbildung 12 und 13 präsentiert (Goldstein & Schwade, 2008). Abbildung 12 bezieht sich auf die Quantität der Vokalisierungen; bei der Darstellung fällt der deutliche Zuwachs der Lautanteile auf, der sich allerdings nur in der kontingenten Bedingung zeigt -unabhängig davon, ob das Antwortverhalten aus lediglich einem Vokal oder einem wortähnlichen Laut bestand. baseline 1 social response baseline 2 0.0 0.1 0.2 0.3 0.4 0.5 * Vokale kontingentes Verhalten baseline 1 social response baseline 2 0.0 0.1 0.2 0.3 0.4 0.5 Konsonant-Vokale baseline 1 social response baseline 2 0.0 0.1 0.2 0.3 0.4 0.5 nicht-kontingentes Verhalten baseline 1 social response baseline 2 0.0 0.1 0.2 0.3 0.4 0.5 Abbildung 13: Qualität der Lautsprache der Kinder in Abhängigkeit von den vier experimentellen Bedingungen (siehe Tabelle 3) bei Goldstein und Schwade (2008: 519). 44783_Rohlfing_SL3a.indd 130 17.04.2019 14: 20: 40 131 6.3 Mechanismen der Vokalisierung Diese Ergebnisse beeindrucken insofern, als sich in der Untersuchungsphase der Baseline 2 die Mütter nach einer Intervention wieder wie gewohnt verhielten und der Zuwachs zurückging. Diese Manipulation legt also einen kausalen Zusammenhang zwischen der Intervention und der Quantität der Lautsprache der Kinder nahe. In der nicht-kontingenten Bedingung, in der die Mütter angewiesen wurden, mit einer Konsonant-Vokal-Kombination (siehe Box- 41) zu antworten, fällt sogar ein Rückgang der Lautanteile auf, der erst mit dem Eintritt der Baseline-2 ausgeglichen wird. Bei der Untersuchung der Qualität der lautsprachlichen Vokalisierungen bei Säuglingen (siehe Abb. 13) fällt auf, dass nur eine Bedingung einen signifikanten Unterschied ergab: Lediglich das Darbieten eines kontingenten Antwortverhaltens, das aus wortähnlichen Lauten bestand, führte bei den Säuglingen zu einem Zuwachs an volltönenden (engl.: resonant) Vokalisierungen. Aus den Ergebnissen lässt sich schließen, dass Säuglinge ihr Lallen unter der Wirkung der phonologischen Struktur modifizieren, die ihnen in der kontingenten Sprache ihrer Bezugspersonen dargeboten wird. Die Zusammenhänge zwischen der Säuglings- und Erwachsenensprache scheinen statistische Regularitäten in der Muttersprache hervorzuheben. Aus diesen Befunden lässt sich die Wichtigkeit ableiten, bereits mit Säuglingen in Interaktion zu treten und auf ihre Vokalisierungen einzugehen- - diese Art von Lautspielen stärkt nicht nur das Miteinander, sondern fördert auch die phonologische Entwicklung. Nomikou und Kollegen (2016a) weisen jedoch darauf hin, dass die Wirkung des sozialen Feedbacks sich nicht nur in und durch die lautsprachliche Modalität entfaltet. Dementsprechend fanden Hsu und Kollegen (2001) heraus, dass Kinder mehr sprachähnliche Vokalisierungen produzierten, wenn ihre Mütter sie angeschaut und angelächelt hatten. Das soziale Feedback ist offensichtlich ein multimodales Phänomen (siehe Kapitel-13). Vokale Imitation Die Rolle des Imitationsmechanismus für den Spracherwerb kam bereits in Kapitel- 4.4 zur Sprache (siehe auch Box- 31). Dieser Mechanismus ist auch in der lautsprachlichen Modalität wirksam, und zwar nicht nur dadurch, dass Kinder ihre Bezugspersonen imitieren. Auch Reziprozität (siehe Box- 17) lässt sich beobachten: Sowohl Papoušek und Papoušek (1989) als auch Masataka (2003) vertreten die Meinung, dass das Imitieren der Bezugsperson von großer 44783_Rohlfing_SL3a.indd 131 17.04.2019 14: 20: 40 132 6. Entwicklung der Phonologie: Erste Laute Bedeutung für die Entwicklung der kindlichen vokalen Fähigkeiten ist. Bereits das Antworten auf das Gurren ist hier entscheidend. Masataka (2003: 97) bezieht sich darauf mit „echoic responding“- - ein Phänomen, das sowohl die prosodischen als auch phonetischen Merkmale des sprachlichen Lautierens umfasst. Im gegenseitigen Imitieren gehen die Partner aufeinander ein, was die Äußerungen von Bezugspersonen belegen, in denen eine Intonationskurve des vorangegangenen Lautierens des Kindes erkennbar ist (ibid.). Masataka (2003) beobachtete zudem, dass Säuglinge, wenn sie Echo- Antworten von ihren Bezugspersonen bekommen, diesen zuhören und dann versuchen, das Muster des Gehörten zu reproduzieren. In der Reproduktion können sie sowohl die Intonationskonturen der mütterlichen Äußerungen als auch bestimmte Laute übernehmen (vgl. Goldstein & Schwade, 2008). Die Äußerungen der Bezugsperson funktionieren also wie ein Modell, an dem sich die Säuglinge orientieren und dadurch ihren Lautbestand aus phonetischen Einheiten und prosodischen Merkmalen im Prozess der vokalen Imitation aufstocken. Die Fähigkeit zur vokalen Imitation sei biologisch angelegt, so der Autor, der Beispiele aus der Tierwelt anführt. Aus diesen Beispielen wird ersichtlich, dass Nachwuchs unterschiedlicher Spezies das spezifische vokale Verhalten seiner Art erlernen kann, um auf diese Art Zugehörigkeit zu demonstrieren. Für das vokale Verhalten bei menschlichen Kindern ist laut Masataka (2003) eine hohe Reziprozität mit dem Verhalten der Bezugsperson zu verzeichnen. Die Muster des vokalen Miteinanders markieren auch beim Menschen soziale Zugehörigkeit (engl.: social affiliation) (Gratier, 2003). Im Laufe der kindlichen Entwicklung wird die Imitationsfähigkeit immer schwächer (Masataka, 2003). Für die Abnahme ist jedoch nicht allein das Alter der Kinder ausschlaggebend. Stattdessen zeigt der Interaktionspartner auch hier seine Wirkung: Masataka (2003) stellte fest, dass das mütterliche ‚Echo-Verhalten‘ die Kinder zum Lautieren motiviert. Doch orientierten sich Mütter zunehmend an Vokalen (siehe Box- 41)- - vor allem / i/ , / a/ und / u/ -, die die Kinder produzieren und ‚beantworteten‘ somit nicht jedes Vokalisieren der Kinder. Während diese Beobachtungen andeuten, dass Mütter zunehmend selektiver auf die Sprachproduktion ihrer Kinder reagieren, praktizieren sie dabei offensichtlich unterschiedliche Stile: Manche antworten mit prosodischer, manche mit phonetischer Imitation (ibid.). Gemeinsam haben sie, dass sie ihren Säugling dazu befähigen, die Handlung der vokalen Imitation wahrzunehmen. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 132 17.04.2019 14: 20: 40 133 6.3 Mechanismen der Vokalisierung Auch diese Erkenntnisse heben die Wirkung der Bezugspersonen für die lautsprachliche Entwicklung von Säuglingen hervor. Bereits während des Gurrens gewinnen Kinder durch Imitationen ihres Verhaltens wichtige ‚Daten‘ über ihre Zielsprache. Phonologische Prozesse Nach dem Gurren und Lallen besteht ein weiterer Meilenstein der lautsprachlichen Entwicklung im Äußern des ersten Wortes, das ab dem 11. Lebensmonat stattfinden kann (siehe Kapitel-7). Für die frühe Wortproduktion beschreiben Fox-Boyer und Schäfer (2015) typische phonologische Phänomene, die im Alter von 2 bis 2,5 Jahren auftreten. „Die Bezeichnung ‚Phänomene‘ statt ‚Prozesse‘ soll signalisieren, dass sich nur bei einem Teil der Kinder dieser Altersgruppe schon kontinuierlich regelhafte Ersetzungen und Auslassungen zeigen, während andere Kinder bei wiederholter Benennung eines Wortes variable Formen produzieren“ (ibid.: 52). Die Variation, d. h. die Tatsache, dass frühe Wörter in kindlicher Aussprache noch keine stabile Form erlangen, sagt jedoch wenig über den Stand der phonologischen Entwicklung der Kinder mit 3 Jahren aus. Weder in der englischen noch der deutschen Sprache konnten Belege dafür gefunden werden, dass sich „eine hohe Inkonsequenzrate bei Zweijährigen negativ auf die weitere phonologische Entwicklung auswirken würde“ (ibid.: 53). Für Kinder im Alter von 2,5 Jahren bis 2 Jahren und 11 Monaten identifizieren Fox-Boyer und Schäfer (2015: 55) folgende phonologische Prozesse, die von besonderer Bedeutung sind: ▶ Assimilation kommt bereits bei den ersten Wörtern vor, schwächt sich jedoch ab dem Alter von 2,5 Jahren ab. Stern und Stern (1975) beschreiben diesen „Harmonisierungsprozess“ (Kauschke, 2012: 36) im Rahmen eines Ökonomieprinzips, in dem ein Kind statt verschiedene Phoneme zu verwenden, das Wort durch Wiederholung ein und desselben Phonems vereinfacht, wie bei / kekong/ für „Balkon“ (Stern & Stern 1975: 339). Die Assimilation kann vorwärts- (/ pop/ für Pott) und rückwärtsgerichtet (/ pop/ für Top) sein. ▶ Tilgung ist gekennzeichnet durch „Auslassung von unbetonten Silben, die vor einer betonten Silbe stehen“ (Fox-Boyer & Schäfer, 2015: 55), wie / nane/ für Banane oder Auslassung von nachfolgenden unbetonten Silben wie / te/ für Telefon oder / ta/ für runter. Dieser Prozess betrifft Strukturen auf der Wort- und Silbenebene (Kauschke, 2012: 36) und ist insofern interessant, 44783_Rohlfing_SL3a.indd 133 17.04.2019 14: 20: 40 134 6. Entwicklung der Phonologie: Erste Laute als die korrekte Aussprache einem Kind bescheinigt, dass es unterschiedliche Wortbetonungsmuster-- und nicht nur die trochäischen, die für das Deutsche typisch sind,-- realisieren kann (Fox-Boyer & Schäfer, 2015: 55). An den phonologischen Prozessen ist erkennbar, dass „Abweichungen von der Zielsprache in der Aussprache von Kindern nicht zufällig sind, sondern einem System folgen“ (Kauschke, 2012: 37; eigene Hervorhebung). Ab der zweiten Hälfte des dritten Lebensjahres werden viele Wortformen stabiler und konsistenter (ibid.). 6.4 Individuelle Unterschiede in den Vokalisierungen Eine ernstzunehmende Verzögerung in der phonologischen Entwicklung kann sich durch eine Hörschädigung ergeben. Kinder mit Hörschädigung setzen nur einen Teil der gehörten Sprache um. Es ist daher wichtig, Erkrankungen, die zu einer Hörschädigung führen können, rechtzeitig zu identifizieren und zu behandeln. Bereits aufgrund von häufigen Mittelohrentzündungen, die einen milden Hörverlust über mehrere Wochen verursachen, tragen Kinder ein Risiko, die kanonische Lallphase später zu erreichen und defizitäre Sprachfähigkeiten auszubilden: Nach einer Untersuchung von Teele und Kollegen (1984) zeigten Kinder, die mit 12 Monaten eine Mittelohrentzündung hatten, im Alter von 3 Jahren ernstere Sprachprobleme als Kinder, die im Alter von 2 Jahren an einer Mittelohrentzündung litten. Bezüglich der phonologischen Entwicklung stellt sich die Frage, ob diese bei gehörlosen Kindern überhaupt stattfindet. Dieser Forschungsstrang brachte insgesamt interessante Überlegungen im Hinblick auf die Natur des Lallens, die, wie das Lallen gehörloser Kinder zeigt, nicht an eine Modalität gebunden zu sein scheint. Das Lallen findet sich nämlich auch bei gehörlosen Kindern. Petitto und Marentette (1991) berichten über ein manuelles Lallen bei gehörlosen Kindern im Alter von 10 bis 12 Monaten, das Spracheigenschaften aufweist: The manual activities identified as syllabic manual babbling (i) were produced with a reduced subset of combinatorial units that were members of the phonetic inventory of signed languages […], (ii) demonstrated syllabic organization seen only in signed languages, and (iii) were produced without meaning or recurrence. By contrast, gestures 44783_Rohlfing_SL3a.indd 134 17.04.2019 14: 20: 40 135 6.4 Individuelle Unterschiede in den Vokalisierungen were not constructed from a restricted set of combinatorial units, had no principled internal organization, and were used referentially […]. (ibid.: 1494) Die Autoren schlussfolgern daraus, dass das Lallen nicht an die Modalität der Lautsprache, sondern an die linguistische Struktur der Sprache und die expressive Fähigkeit gebunden ist. Zudem scheint es für das Lallen eine ontogenetische, neurologische Basis zu geben. Zusammen mit den Befunden aus der Studie von McGillion und Kollegen (2017, siehe oben) könnte dies bedeuten, dass das Lallen ein Ausdruck einer besonderen Neigung zum Miteinander ist. Besonders interessant für die Entwicklung der Vokalisierung ist daher die Gruppe von Kindern, bei der diese Neigung weniger ausgeprägt ist. Warlamount und Kollegen (2014) untersuchten die Mutter-Kind-Interaktionen bei autistischen Kindern (siehe Box- 12). Sie fanden, dass Erwachsene eher auf die Vokalisierungen der Kinder eingingen, wenn diese sprachähnlich als wenn diese nicht-sprachähnlich waren. Die Kinder gestalteten ihre Vokalisierungen wiederum sprachähnlich, wenn eine vorangehende sprachähnliche Vokalisierung von Erwachsenen eine sofortige Antwort zur Folge hatte. Die Ergebnisse sprechen also für eine soziale Feedback-Schleife, die für die phonologische Entwicklung von großer Bedeutung ist (siehe Kapitel-6.3). Obwohl diese Schleife für beide untersuchten Gruppen, die typisch entwickelten sowie die autistischen Kinder, von Relevanz war, produzierten Kinder mit ASS anteilig weniger sprachähnliche Vokalisierungen und bekamen weniger kontingente Antworten darauf. Dieses Ergebnis bestätigt die Erkenntnisse einer anderen Studie, die retrospektiv das kanonische Lallen bei 23 Kindern mit ASS untersuchte, und feststellte, dass diese Gruppe später zu lallen begann und eine geringere Redseligkeit (engl.: volubility) zeigte als die typisch entwickelten Kinder aus der Stichprobe (Patten u. a., 2014). Zusammengenommen kann dieser Unterschied also dafür verantwortlich sein, dass sich die Kraft der sozialen Interaktionsschleife (siehe Box-29) in dieser Populationsgruppe vermindert und sich zusammen mit weiteren Problematiken negativ auf die Sprachentwicklung des Kindes auswirkt. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 135 17.04.2019 14: 20: 40 136 6. Entwicklung der Phonologie: Erste Laute 6.5 Phonologische Entwicklung und Einfluss der semantischen Information Nur bis zu einem gewissen Alter können die phonologischen Informationen relativ unabhängig von ihrer Bedeutung betrachtet werden. Wie im nächsten Kapitel gezeigt wird, gibt es zunehmend Belege für ein gewisses Wortverständnis bei 6 Monate alten Säuglingen. Dass die Wortsemantik die Wahrnehmung eines Lautes beeinflussen kann, verdeutlichten Stager und Werker (1997). In dieser Studie wiesen 14 Monate alte Kinder Schwierigkeiten auf, wenn sie phonetisch ähnliche Wörter unterscheiden und ihnen Bedeutungen zuschreiben sollten. Dieser Schwierigkeit nachgehend untersuchten Werker und Kollegen (2002) die Entwicklung in der Integration der semantischen und phonologischen Information. Die Ergebnisse deckten einen deutlichen Altersunterschied auf: 14 Monate alte Kinder verwechselten phonetisch ähnliche Wörter, wenn sich diese auf ein Objekt beziehen sollten; Kinder in dieser Altersgruppe, von denen die Eltern ein umfangreicheres Vokabular berichteten, lagen häufiger richtig bei der Referenz als Kinder mit kleinerem Vokabular. Wiederum konnten 20 Monate alte Kinder zwischen ähnlich klingenden Wörtern zuverlässig unterscheiden und diese korrekt auf Objekte beziehen. Die Leistung der 17 Monate alten Kinder fiel zwischen die der 14 und 20 Monate alten Kinder. Wenn sie zusammen mit den in Kapitel-1.5 geschilderten Studien betrachtet werden, zeichnen diese Erkenntnisse ein komplexeres Bild: Die Verfestigung eines Wortes hat weitere neurologische Prozesse zur Folge-- die aber nicht stattfinden, wenn das Wort neu enkodiert wird (siehe Box- 44). Insofern verändert die Semantik eines Wortes (die Erfahrung mit der Bedeutung) seine Verarbeitung, die durch die phonologische Form hervorgerufen wird. „In jedem Fall besteht Einigkeit darüber, dass mit dem wachsenden Vokabular und der zunehmenden Vielfalt an phonologischen Wortformen die kindlichen Hypothesen bezüglich der Wortstruktur immer präziser werden“ (Fox-Boyer & Schäfer, 2015: 52). Wie die bekannten Wörter helfen, weitere Segmentierung in einer Äußerung vorzunehmen, zeigen Bortfeld und Kollegen (2005), die Säuglinge im Alter von 6 Monaten untersuchten. Als bekannte Wörter operationalisierten die Autoren die Eigennamen der Kinder sowie ein weiteres hochfrequentes Wort wie mommy [Mama]. Sie nutzten das Headturn-Paradigma (siehe Kapitel-3), um Kinder an Äußerungen zu gewöhnen, in denen einem neuen Wort ein bereits bekanntes Wort voranging, wie Hannah’s cup was filled with milk oder the red shoes felt best on Mommy’s feet. Im Test 44783_Rohlfing_SL3a.indd 136 17.04.2019 14: 20: 40 137 6.5 Phonologische Entwicklung und Einfluss der semantischen Information waren die Kinder in der Lage, diese neuen Wörter (wie cup oder feet) wiederzuerkennen. Aus Äußerungen, die nur aus neuen Wörtern bestanden, konnten die Säuglinge hingegen keine Wörter segmentieren. Die Wirkung der bekannten Wörter wird auch im Experiment mit 18 Monate alten Kindern von Mani und Plunkett (2010) sichtbar: Sie zeigten zuerst ein Bild mit einem Objekt, dessen Wort den Kindern bekannt war (z. B. Banane). Danach sahen die Kinder zwei weitere Objekte von bekannter Bezeichnung. Wenn eins davon laut vorgelesen wurde, schauten sie mehr zu dem Bild, dessen Bezeichnung mit dem gleichen Laut anfing wie das erste Bild (z. B. Ball). Die Autoren schlussfolgerten daraus, dass der Wortlaut des ersten Objektes mit dem Phonem / b/ die weitere Verarbeitung von Bildern mit ähnlicher Bezeichnung erleichterte. Allerdings scheint diese Vorverarbeitung für die Altersperiode 18 bis 24 Monate typisch zu sein. Zentral erscheint hier die starke Wirkung der phonologischen Information, die von jungen Kindern als Repräsentation eines Wortes, ja sogar eines Objektes, abgerufen werden kann. Eine ähnlich starke Verschmelzung von semantischer und phonologischer Information lässt sich am Beispiel der sogenannten Kinderetymologie weiter verdeutlichen, die bereits Stern und Stern (1975) beschreiben. Unter diesem Begriff werden kindliche Abwandlungen zusammengefasst, die eine neue phonologische Form an ein bereits von der Phonologie und Semantik her bekanntes Wort oder Phrase assimilieren. Anekdotisch sei ein Beispiel von einem zweijährigen Mädchen angeführt, das Lieber Fleck vom gehörten Leberfleck abwandelte (Rohlfing, Tagebuchnotizen). Deutlich ist dabei, dass die Semantik durchaus nachvollziehbar ist: Als primärer Bedeutungsgeber bleibt der Fleck in diesem assimilierten Ausdruck erhalten; nur sein mitbestimmendes Lexem wird abgewandelt. Diese Abwandlung ist insofern gerechtfertigt, als bei dem Kompositum Leberfleck nicht ersichtlich ist, was die Leber mit dem Fleck zu tun hat. Ein weiteres Beispiel ist Wegrennen für das gehörte Wettrennen (ibid.). Auch in diesem Beispiel hat die Abwandlung eine eigene Berechtigung: Semantisch gesehen geht es bei diesem Ereignis häufig um ein schnelles Vorankommen. Stern & Stern (1975: 419) verweisen auf ein Beispiel eines älteren Mädchens, das eine Konditorei zu einer Güterei umwandelt; der Begriffsinhalt ist selbst mit der Umwandlung als „die Verkaufsstelle für gut schmeckende Dinge“ zu erkennen. „Nun wurde der zunächst wohl nur unklar vernommene fremde Klang, vielleicht schon bei der Apperzeption, vielleicht auch erst in der Erinnerung, eigenmächtig und zwar unrichtig fixiert unter Bezugnahme auf die richtig erfasste Bedeutung“ (ibid.: 44783_Rohlfing_SL3a.indd 137 17.04.2019 14: 20: 40 138 6. Entwicklung der Phonologie: Erste Laute 419 f.). Tatsächlich sind zu wenig Forschungsergebnisse darüber bekannt, als dass man genauer erläutern könnte, wie solche Abwandlungen im Gedächtnis und durch Interaktion zwischen Semantik und Phonologie geschehen. Sie treten vor allem bei „erstmaliger selbständiger Anwendung“ auf (ibid.: 420). Das Phänomen der Kinderetymologe verdeutlicht eine Änderung in der Verarbeitung von phonologischen Aufgaben: Während früh in der kindlichen Entwicklung die Wahrnehmung von Umweltreizen im Vordergrund steht, nehmen im weiteren Verlauf der Entwicklung erworbene Wissensstrukturen und somit kognitive Prozesse zunehmenden Einfluss (Bitan u. a., 2009). 44783_Rohlfing_SL3a.indd 138 17.04.2019 14: 20: 40 139 6.5 Phonologische Entwicklung und Einfluss der semantischen Information Lesetipps: Der Aufsatz von Fox-Boyer und Schäfer bietet eine Vertiefung im Bereich der phonologischen Entwicklung: Fox-Boyer, A., & Schäfer, B. (2015). Die phonetisch-phonologische Entwicklung von Kleinkindern (0-3 Jahre). In S. Sachse (Hrsg.), Handbuch Spracherwerb und Sprachentwicklungsstörungen. Kleinkindphase (S. 39-62). München: Elsevier. Die Studie von Goldstein und Schwade ist ein guter Einstieg, um die Vorteile des Turn-Takings zu verstehen und des sich daraus ergebenden strukturierten Kontextes zu verstehen, der die phonologische Entwicklung begünstigt: Goldstein, M. H., & Schwade, J. A. (2008). Social feedback to infants’ babbling facilitates rapid phonological learning. Psychological Science, 19 (5), 515-523. Die aktuelle Studie von McGillion und Kollegen geht auf die individuellen Unterschiede im kanonischen Lallen als Prädiktor für weitere Sprachentwicklung ein: McGillion, M. L., Herbert, J. S., Pine, J. M., Vihman, M. M., dePaolis, R., Keren-Portnoy, T., & Matthews, D. (2017). What paves the way to conventional language? The predictive value of babble, pointing and SES. Child Development, 88 (1), 156-166. Der Entwickler des Bewegungsloses-Gesicht-Paradigmas beschäftigt sich damit, wie sich das psychische Befinden der Mutter auf die Gesundheit eines Kindes auswirken kann: Tronick, E., & Reck, C. (2009). Infants of depressed mothers. Harvard Review of Psychiatry, 17 (2), 147-156. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 139 17.04.2019 14: 20: 40 44783_Rohlfing_SL3a.indd 140 17.04.2019 14: 20: 40 141 7.1 Methoden der Wortschatzerfassung: Elternfragebögen 7. Entwicklung des Vokabulars: Erste Wörter Die ersten Wörter, die Kinder äußern, erscheinen wie erste ‚Bausteine‘, mit denen Kinder zunehmend in der Lage sind, Sätze zusammenzubauen und somit verbal zu kommunizieren. Angewendet auf verschiedene Ereignisse und Entitäten verraten sie aber auch viel über die kindliche Interpretation der Welt. Auf diese Weise bieten sie eine Erweiterung zum bereits vorhandenen kommunikativen Verhalten, das sich beispielsweise auch durch Gesten manifestiert. In diesem Kapitel findet eine Betrachtung der dazugehörigen Lernprozesse von Wörtern und ihren Bedeutungen statt und gewährt Einblicke in die kindliche Verarbeitung von Situationen und Erfahrungen. Die aktuelle Forschung bietet zunehmend Erkenntnisse über Gedächtnisprozesse, die für einen anhaltenden Lerneffekt sorgen. Die Beschäftigung mit den ersten Wörtern im Erstspracherwerb macht deutlich, dass Prozesse, die ursprünglich auf getrennten Ebenen der Phonologie, Lexik, Morphosyntax aber auch Semantik und Pragmatik angesiedelt wurden, eng miteinander verzahnt sind. 7.1 Methoden der Wortschatzerfassung: Elternfragebögen Wie Rohlfing (2013: 24) bereits zusammenfasst, ist es vor dem 28. Lebensmonat unter experimentellen Bedingungen schwierig, den Kindern Wörter zu entlocken. Um Informationen über den Sprachstand der Kinder im jungen Alter zu erhalten, setzen die meisten Studien Elternfragebögen ein. In ihrem Buch stellt Kauschke (2012: 8) die verfügbaren Befragungsmethoden für die deutsche Sprache zusammen. Diese Methode geht auf MacArthur and Bates Communicative Development Inventories (MBCDI) zurück-- einen Elternfragebogen, der von Fenson und Kollegen (1994) entwickelt wurde und auf die Forschung von Bates und Kollegen (z. B. 1988) zurückgreift. Die Methode umfasst eine Wortliste und Fragen zum nonverbalen Verhalten der Kinder sowie ihrer Fähigkeit, Wörter miteinander zu kombinieren. Das ursprüngliche Instrument bestand aus einer Wortliste, die für das verbale Verhalten von Kindern im Alter von 8 bis 16 Monaten 396 Wörter abfragte; für ältere Kinder im Alter von 16 bis 30 44783_Rohlfing_SL3a.indd 141 17.04.2019 14: 20: 40 142 7. Entwicklung des Vokabulars: Erste Wörter Monaten war die Liste für die Sprachproduktion 680 Wörter lang (Kauschke, 2012). Dieses Instrument wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt. Mit diesem Verfahren ist es möglich, einen Einblick in die frühe lexikalische Entwicklung eines Kindes und somit auch einen Hinweis auf eine Abweichung vom typischen Entwicklungsverlauf zu bekommen. Die aktuell verfügbaren 5 Instrumente im Deutschen unterscheiden sich „hinsichtlich der Anzahl der Wörter, der Fragen zur Grammatikentwicklung, der abgedeckten Alterspanne und der Auswertungsmöglichkeiten deutlich“ (Kauschke, 2012: 8). Um das Prinzip der Elternbefragung zu erklären, wird im Folgenden der ELFRA vorgestellt. Der ELFRA-1 „Sprache, Gesten, Feinmotorik“ (Grimm & Doil, 2006) ist für Kinder bis zum 12. Lebensmonat. Auf insgesamt 9 Seiten werden die Eltern zunächst zu einzelnen Wörtern befragt. Anzukreuzen ist, ob ihr Kind ein bestimmtes Wort versteht oder schon selbst spricht. Auch wenn ein abgefragtes Wort bisher nur ein einziges Mal oder in abgewandelter Form (Te für Telefon) benutzt wurde, können Eltern „versteht und spricht“ ankreuzen. Im Zentrum der Befragung steht das Wort (Grimm & Doil, 2006: 9): Neben Benennungen für Menschen (Baby), Tiere (Katze), Spielsachen (Ball), Essen (Apfel), usw. werden auch Eigenschaftswörter, also Adjektive wie müde, rot, und Tätigkeitswörter, darunter hauptsächlich Verben wie bauen, kochen, wünschen, usw. abgefragt. In weiteren Teilen werden die Eltern nach der Produktion von Lauten und Sprache, Gesten wie auch Feinmotorik gefragt. Dabei geht es auch um die Fähigkeit des kanonischen Lallens (siehe Kapitel- 6) oder des Zeigens mittels einer Zeigegeste (siehe Kapitel-5). Der ELFRA-2 „Sprache, Kommunikation“ (Grimm & Doil, 2006) besteht erneut aus 9 Seiten, auf denen allerdings nur die Sprachproduktion des Kindes abgefragt wird. Dieses Instrument erfasst Kinder in ihrer Sprachentwicklung bis zum 24. Lebensmonat. Neben Wortlisten werden auch Fragen zur Syntax- und Morphologieentwicklung gestellt. Dabei geht es darum, Einblicke in zwei-Wort-Äußerungen wie Tür auf oder Keks kaputt zu bekommen. Auch werden bestimmte syntaktische Konstruktionen wie die einer Verneinung (z. B. nein schlafen) oder einer Frage Wo Ball? abgefragt. Im Teil, der die Morphologie betrifft, geht es um Vergangenheitsformen und Flexion, wie sie bei Mehrzahlbildung oder Konjugation vorgenommen werden soll. Für die Validität des Instrumentes (siehe Kapitel-13.2) stellt sich die Frage, ob es den Wortschatz eines Kindes zuverlässig erfassen kann. Die Validität scheint zunächst eng an die Objektivität der Eltern gekoppelt zu sein: Können Eltern 44783_Rohlfing_SL3a.indd 142 17.04.2019 14: 20: 40 143 7.1 Methoden der Wortschatzerfassung: Elternfragebögen verlässliche Angaben über die Sprachentwicklung ihres Kindes machen? Aus der Forschungspraxis kann hier berichtet werden, dass es nicht allen Eltern leicht fällt, solch einen Fragebogen auszufüllen. Aufgrund der Tatsache, dass die kindliche Sprache kontextgebunden ist und sich in der kindlichen Aussprache ganz andere Lautformen als die konventionellen finden, sind Eltern in ihren Antworten verunsichert und haben häufig das Bedürfnis, nachzufragen. Empirische Untersuchungen, die den Zusammenhang zwischen den Fragebogen- und Spontansprachdaten (Fenson u. a., 1994; Szagun u. a., 2006), standardisierten Elizitationsmethoden (Sachse & Suchodoletz, 2008) oder frühem Wortverständnis mittels Preferential Looking (Syrnyk & Meints, 2017) untersuchen, sprechen eindeutig für die Validität des Instrumentes. Sachse und Suchodoletz (2009) bescheinigen dem ELFRA-2 eine hohe Validität und Effizienz für die Erfassung der produktiven Sprachfähigkeiten bei zweijährigen Kindern insofern, als die Messungen eine hohe Übereinstimmung mit direkten Testungen ergaben, jedoch einfacher in der Durchführung sind. Etwas mehr Skepsis ist beim ELFRA-1 geboten. Sachse und Kollegen (2007) stellten mit einer Stichprobe von 121 Kindern fest, dass 35 % der Kinder, die im ELFRA-1 als Risikokinder auffielen (siehe Kapitel- 7 zu der Definition von späten Sprechern), sich im ELFRA-2 als unauffällig zeigten. Daraus kann man den Schluss ziehen, dass der ELFRA-1 zu früh alarmiert und es somit zu fälschlicherweise positiven (falsch positiven) Klassifizierungen im Sinne einer Sprachentwicklungsverzögerung kommt. Umgekehrt wurden 48 % der Kinder aus der Stichprobe im ELFRA-1 als unauffällig klassifiziert, obwohl sie später im ELFRA-2 eine Sprachentwicklungsverzögerung aufwiesen. Hier ergibt sich also eine fälschlicherweise negative (falsch negative) Klassifizierung im Sinne einer Sprachentwicklungsverzögerung. In Bezug auf den ELFRA-1 wurde oben bereits auf die Schwierigkeit beim Ausfüllen des Fragebogens seitens der Eltern hingewiesen. Der ELFRA-1 wird zu einem Zeitpunkt eingesetzt, zu dem sich die Sprachfähigkeit der Kinder merkbar und ständig verändert. Einige Eltern machen darauf aufmerksam, dass sie kaum Wörter für die Produktion ankreuzen konnten, als ihr Kind 12 Monate alt war; 2 Wochen später sah die Sprachproduktion ihres Kindes jedoch ganz anders aus. Aufgrund dieser Variabilität ist es wichtig, zur Beurteilung der Entwicklung eines Kindes auch andere Mittel und Wege in Betracht zu ziehen (siehe Kapitel-5 und 8). 44783_Rohlfing_SL3a.indd 143 17.04.2019 14: 20: 40 144 7. Entwicklung des Vokabulars: Erste Wörter 7.2 Experimentelle Methoden der Wortschatzerfassung: Verständnistests Bezüglich der Frage, was ein Kind unter einem bestimmten Wort versteht, bedienen sich viele Forscher expliziter Antworten von Kindern. Solche Studien haben häufig das Ziel, nicht nur die Semantik eines Wortes, sondern auch die zugrundeliegende Konzeptualisierung zu untersuchen. Bereits in der Methode des Intermodal Preferential Looking (siehe Kapitel- 10) wird vorausgesetzt, dass Kinder auf die Frage „Wo ist ein Ball? “ durch ihr Blickverhalten antworten können, und sich somit die Semantik eines Wortes im Blickverhalten widerspiegelt. Egal in welchem Alter sie durchgeführt werden, handelt es sich bei den Verständnistests meistens um eine Auswahl (engl.: selection), die die Kinder durch ihr Blickverhalten, eine Zeigegeste oder durch eine Greifbewegung nach dem Objekt treffen. Das Verständnis ist im Vergleich zur Produktion deshalb schwieriger zu testen, weil unter ‚Verständnis‘ sehr unterschiedliche Ausprägungen des Wissens fallen. So ist das Wiedererkennen eines Objektes bei einer Suchaufgabe eine sehr rudimentäre Form des Verstehens. Eine komplexere Form ist die Anwendung eines Wortes für ein vertrautes Objekt auf ein ähnliches-- aber noch nie gesehenes-- Exemplar: Hierfür ist eine Übertragung des dazugehörigen Konzeptes notwendig (siehe Kapitel-14). In diesem Sinne dienen Verständnistests immer einem handlungsbezogenen / pragmatischen Zweck (z. B. einer Suchaufgabe). Während eine Auswahl des richtigen Referenten durch den Blick schon im Alter von 10 Monaten erwartet wird, kann man die Zeigegeste erst später in der kindlichen Entwicklung, mit frühestens 15 Monaten (Markman u. a., 2003), als zuverlässiges Antwortverhalten nutzen. Mit dieser Art von Antwort lässt sich klären, wie sich die Referenz des Wortes entwickelt, d. h. auf welches der vorgegebenen Objekte Kinder das gesagte Wort beziehen. Eine Reihe von Studien belegte auf diese Weise, dass Kinder, wenn ihnen ein neues Objekt präsentiert und mit einem Wort benannt wird, dieses neue Wort auf das ganze Objekt und nicht lediglich auf seine Teile beziehen (z. B. Markman & Wachtel, 1988; siehe dazu Kapitel-7.10 unten). Generell ist zur Frage-Antwort-Methode anzumerken, dass die Pragmatik (siehe Kapitel-11) dieser Testaufgabe jungen Kindern bekannt sein muss, damit sie sich in dieser Situation erfolgreich verhalten können. Während von älteren Kindern erwartet werden kann, dass sie auf eine Frage mit einer Antwort 44783_Rohlfing_SL3a.indd 144 17.04.2019 14: 20: 40 145 7.3 Kontexte der ersten Wörter: Routinen reagieren, kann von jungen Kindern nur dann eine angemessene Reaktion kommen, wenn sie erkennen, dass sie gefragt werden, und dass sie als Antwort entweder etwas sagen oder auf etwas zeigen sollen. Daher findet in experimentellen Settings häufig eine sogenannte Aufwärmphase statt, in der Kinder mit einer Aufgabe und mit kommunikativen Erwartungen vertraut gemacht werden. In einigen Studien nutzt man Bilder von Objekten, um zu überprüfen, ob ein Wort verstanden wurde. In einer umfassenden Untersuchung gingen Gershkoff-Stowe und Hahn (2007) der Frage nach, ob Kinder im Alter von 16 bis 18 Monaten in der Lage sind, ein vorgegebenes Wort auf ein Bild zu beziehen. Um im Vorfeld zu testen, ob das Kind diese Zuordnung (von Wort zu Bild) erworben hat, wurden ihm sechs Bilder vorgelegt, und es musste als Antwort auf eine Frage, zum Beispiel „Where’s the crab? [Wo ist die Krabbe? ]“ (ibid.: 687), auf ein bestimmtes Bild zeigen. Bei dieser Studie ist interessant, wie Kinder auf diese Prozedur hin trainiert wurden. Wenn sie Fehler machten, wurden sie von dem Experimentator korrigiert, indem er auf das korrekte Bild zeigte und das dazugehörige Wort äußerte. Auf diese Weise kam in dieser Studie die Pragmatik der gewünschten Antwort parallel zum Lernen und Testen zum Tragen. Insgesamt ist bei Verständnistests mit jungen Kindern zu beachten, ob die situativen Gegebenheiten dem Kind vertraut sind. Zum Beispiel sind Kinder erst mit etwa 20 Monaten in der Lage, mit fremden Personen am Tisch zu sitzen und ihren Instruktionen zu folgen. 7.3 Kontexte der ersten Wörter: Routinen Das Leben von Säuglingen spielt sich in bestimmten Kontexten ab: Wickeln, Anziehen, Nahrung zu sich nehmen, usw. Da Säuglinge von Anfang an auf Erwachsene angewiesen sind, finden in diesen Kontexten Interaktionen zwischen den Kindern und ihrer sozialen Umwelt statt. In diesen geht es darum, Handlungsziele zu erreichen, und diese sind einfacher zu erreichen, wenn beide Interaktionspartner daran mitwirken. Dafür bauen die Interaktanten Sequenzen aus verbalen und nonverbalen Handlungen einerseits und kognitiven Operationen andererseits auf (siehe Kapitel-8; Rohlfing u. a., 2016). Bereits sehr früh in ihrer Entwicklung tragen Kinder zu solchen kooperativen Sequenzen bei, zum Beispiel durch ihre Körperspannung, mit der sie bestimmte Handlungen-- wie das Hochnehmen-- vorhersehen und zugleich den Interaktionspartnern signalisieren, dass sie von der gemeinsamen Handlung wissen (Reddy u. a., 2013). Je mehr ein Kind erkennen kann, was von ihm in einer Situation 44783_Rohlfing_SL3a.indd 145 17.04.2019 14: 20: 40 146 7. Entwicklung des Vokabulars: Erste Wörter gefordert wird, desto besser kann es an dieser Interaktion teilnehmen (Heller-& Rohlfing, 2017). Solche interaktiven Rollen entstehen bei sich häufig wiederholenden Handlungen am leichtesten. Daraus ergeben sich Routinen, in denen die Partner zuverlässig wissen, was sie zu tun haben und wie sie das eigene Handeln mit dem anderen abstimmen. Einige solche Routinen spricht Bruner (1983) an. Am Beispiel des Spiels ‚Guck-guck-aha! ‘ (engl.: peek-a-boo) verdeutlicht er, dass Kinder durch die festen Abläufe die kommunikativen Signale an bestimmten Stellen im Spiel wahrnehmen und dadurch ihre Bedeutung leichter erfassen können. Die Bedeutung umfasst sowohl den ganzen Ablauf als auch das konkrete Ziel, das durch die Routinisierung vorhergesehen werden kann. Das gemeinsame Betrachten eines Bilderbuchs kann sich ebenfalls zu solch einer Routine entwickeln: In einer Mikroanalyse dieser Situation zeigen Heller und Rohlfing (2017), dass Kinder in festen Abläufen zu ersten kommunikativen Mitteln (wie Gesten und Wörtern) geleitet werden. Dabei achten die Bezugspersonen auf die konventionelle Nutzung der Mittel, zum Beispiel darauf, dass Kinder auf Objekte in den Büchern mit einer Zeigegeste und nicht mit der Nase verweisen. Ein weiterer Kontext, der häufig untersucht wird, ist ein freies Spiel mit Objekten (Haushaltsgegenstände oder Spielzeuge). Rohlfing (2013) weist jedoch darauf hin, dass diese Situation im Alltag mit einem Säugling nicht unbedingt eine Interaktion mit gemeinsamen Zielen beinhalten muss, weshalb sich freies Spiel zur Untersuchung von Routinen und kommunikativem Verhalten wenig eignet. 7.4 Verständnis erster Wörter Die aktuelle Forschung zum Verstehen von ersten Wörtern nutzt die Methode des Eye-Trackings und beruht auf der Annahme, dass sich frühes Wortverständnis durch Blickbewegungen äußert (siehe Kapitel-7.1): Fällt ein Wort, das die Kinder bereits verstehen, so werden sie in dem Moment auf den passenden Referenten schauen. Mit dieser Methode gingen Bergelson und Swingley (2012) der Frage nach, ob Wörter, die aus bekannten Kontexten stammen, bereits im Alter von 6 bis 9 Monaten verstanden werden. In der Studie fanden zwei unterschiedliche Arten der Stimuluspräsentation Verwendung: Zum einen wurden Bilder von Objekten aus unterschiedlichen Kontexten miteinander gepaart. Auf diese Weise entstand ein Paar wie Apfel-Mund. Dieses Paar verdeutlicht die Realisierung der häufig vorkommenden Kontexte (siehe Kapitel- 7.3), da 44783_Rohlfing_SL3a.indd 146 17.04.2019 14: 20: 40 147 7.5 Produktion erster Wörter und ihr Symbolgehalt das Nomen Apfel dem Kontext der Mahlzeiten und das Nomen Mund frühen Spielen entspringt, an denen Kinder häufig teilnehmen. Das Verständnis operationalisierten die Autoren durch die längere Dauer der Blicke auf den korrekten Referenten, der mit einem Ablenker gepaart wurde. Hat das Kind also Apfel verstanden, sollte es längere Zeit auf den Apfel schauen und den Mund ignorieren. Fiel zu dem gleichen Paar jedoch das Wort Mund, sollte das Blickverhalten genau andersherum ausfallen. Eine andere Art des Stimulierens bestand aus komplexen Szenen, beispielsweise ein Tisch, auf dem mehrere Objekte zu sehen waren oder ein ganzes Gesicht. Fiel ein Wort, sollten die Kinder den passenden Referenten aus der Szene auswählen und diesen länger als die anderen vorhandenen Objekte anschauen. Eine weitere Besonderheit der Studie lag in der Audiopräsentation des Stimulus, die die Mutter übernahm. Säuglinge hörten somit eine bekannte Stimme, die sich auf die visuelle Präsentation vom potenziellen Referenten bezog. Diese Bedingung ist von zentraler Bedeutung, da Kinder frühe und bessere Verständnisleistungen zeigen, wenn ihnen eine Stimme bekannt ist. Diese Studie deckte auf, dass Säuglinge bereits im Alter von 6 Monaten ein Verständnis von Wörtern zeigen. Dieser Befund widerspricht der Überzeugung, dass das Wortverständnis erst in den letzten Monaten des ersten Lebensjahres einsetzt (Kauschke, 2012: 43). Zugegebenermaßen ist die Semantik, die sich in dem Experiment von Bergelson und Swingley (2012) äußert, unklar, und es stellt sich die Frage, auf welcher Basis Kinder das Verständnis von Sprache demonstrieren (siehe Kapitel-10). Während sich die meisten Studien zu ersten Wörtern auf Nomen konzentrieren, deutet eine aktuelle Studie von Nomikou und Kollegen (2018) darauf hin, dass Verben aus dem Alltag wie trinken, bauen und anziehen von Säuglingen bereits im Alter von 10 Monaten verstanden werden- - 4 Monate früher als bisher angenommen. Dieser Befund lässt die Debatte über den semantischen Inhalt der ersten Wörter wieder aufflammen und hat somit weitreichende Konsequenzen für den Worterwerb (siehe Kapitel-7.6). 7.5 Produktion erster Wörter und ihr Symbolgehalt Die ersten Wörter der Kinder, häufig als Protowörter bezeichnet (Kauschke, 2012), fallen in routinierten Kontexten und tauchen bei manchen Kindern im Alter von 12 Monaten auf (Grimminger, 2016). Eine Längsschnittstudie mit einer Untersuchung des frühen Wortschatzes bei Deutsch lernenden Kindern 44783_Rohlfing_SL3a.indd 147 17.04.2019 14: 20: 40 148 7. Entwicklung des Vokabulars: Erste Wörter geht auf Kauschke und Hofmeister (2002) zurück. Sie untersuchten Kinder zwischen 13 und 36 Monaten zu vier unterschiedlichen Zeitpunkten in ihrer Entwicklung und verzeichneten unter den ersten Wörtern interaktive Wörter wie Hallo oder Ja, relationale Wörter wie auf, Lautmalereien wie Brumbrum und Eigennamen wie Mama. Kauschke (2012: 61) erläutert, warum sie den Symbolgehalt in diesen anfänglichen Wörtern für gering hält: „Interaktive Wörter […] sind eng an spezifische Situationen geknüpft, Lautmalereien sind nicht vollständig arbiträr, Eigennamen beziehen sich nicht auf eine Klasse von Gegenständen, sondern auf einen einzelnen Vertreter“. Die ersten referenziellen Wörter können bei manchen Kindern bereits mit 13 Monaten verzeichnet werden, und Kauschke (2012: 44) bezeichnet sie als die ersten ‚echten‘ Wörter, da sie „sich durch eine stärkere Loslösung von einem festen Situationskontext auszeichnen“. In dieser Definition werden zwei Aspekte angesprochen: Zum einen die phonologische Form der echten Wörter, zum anderen die Loslösung vom unmittelbaren Bezug zum Hier und Jetzt. In der klassischen Semantik entfalten Wörter ihre symbolische Kraft dadurch, dass ihre Form konstant bleibt und sie in unterschiedlichen Situationen und für unterschiedliche Kontexte eingesetzt und verstanden werden können (siehe Kapitel-10). Da sich die meisten experimentellen Untersuchungen auf die erste schnelle Phase des Lernens beziehen, haben wir wenige Befunde darüber, wie sich diese symbolische Kraft stabilisiert. Es gibt beständige Diskussionen darüber, ob Wörter, die in festen interaktiven Routinen entstehen (wie z. B. Hallo! ), anders gelernt werden als Wörter, die sich klar auf Entitäten in der Welt beziehen (wie z. B. Apfel) und somit eindeutig einen referenziellen Charakter haben (für das Konzept von Referenz siehe Box- 36). Diese Unterscheidung von Lernwegen geht auf Barrett und Kollegen (1991) zurück. Sie argumentieren dafür, dass die ersten Wörter, die in sozialpragmatischen Routinen gelernt werden, kontextgebundener sind als referenzielle Wörter. Die Unterscheidung hält jedoch weiteren Überlegungen nicht stand. Harris und Kollegen (1988) wie auch Bruner (1983) berichten, dass bereits in frühen kindlichen Äußerungen die Fähigkeit sichtbar wird, Wörter kontextunabhängig zu gebrauchen. Selbst die Verwendung des Eigennamens Mama weist auf unterschiedliche Bedeutungen hin: als Bezugnahme auf die Person, aber auch als Synonym für das Habenwollen oder Hilfe benötigen. Zudem ist das Argument, referenzielle Wörter hätten einen anderen Symbolgehalt als interaktive Wörter, insofern problematisch, als bereits junge Kinder mittels Zeigegesten 44783_Rohlfing_SL3a.indd 148 17.04.2019 14: 20: 40 149 7.5 Produktion erster Wörter und ihr Symbolgehalt auf Entitäten in der Welt referieren. Die ersten Wörter spiegeln also nicht die ersten kommunikativen Versuche der Bezugnahme wider. Es ist eher der Fall, dass die Produktion der ersten Wörter auf bereits etablierten kommunikativen Strukturen wie gemeinsamen Aufmerksamkeitsbezügen (siehe Kapitel-5) aufsatteln kann. Zudem entstehen häufige Protowörter (wie da! ) in Routinen des Hindeutens (Heller & Rohlfing, 2017; siehe Kapitel- 7.3), in denen zunehmend referenzielle Wörter fallen. Statt einer Trennung zwischen interaktiven und referenziellen Wörtern legt eine Analyse von Wortentstehungskontexten nahe, dass referenzielle Wörter in bestimmten interaktiven Routinen wie dem gemeinsamen Vorlesen auftauchen (Heller & Rohlfing, 2017), in denen mit Kindern eine besondere Art der Wortanwendung, nämlich mit Bezug auf den generischen Charakter der Entitäten, eingeübt wird (Gelman u. a., 2005). Beim Vorlesen beispielsweise geht es darum, Gegenstände wie einen Ball oder Apfel in ihren unterschiedlichen Darstellungen sprachlich zu kategorisieren. Referenzielle Wörter sind somit nicht von der Interaktion oder Situation abgekoppelt, sondern kommen in Kontexten vor, in denen den Kindern eine Generalisierung des Wissens über eine Kategorie abverlangt wird. In dieser Auffassung zeigt sich eine enge Verbindung der Situation oder sozialen Interaktion einerseits und der kognitiven Operationen andererseits (Rohlfing u. a., 2016). Diese Verbindung kann durch Erfahrung gestärkt werden: Als Smith und Kollegen (2002) zweijährige Kinder darin trainierten, auf die Form eines Objektes zu achten und daraus eine Wortkategorie abzuleiten (siehe Kapitel-7.11), konnten sie beobachten, dass die Lerner in kognitiven Operationen erfahrener und schneller wurden, Formen zu erkennen und selbst neue Wörter mit diesem Merkmal zu verbinden. Ähnliches berichteten Thom und Sandhofer (2009): Die Autorinnen fanden heraus, dass Kinder besser neue Farbadjektive lernten, je mehr Interaktionserfahrung sie im Training mit unterschiedlichen Farben sammeln konnten. Insofern stehen alle Wörter-- je nach Verwendungsund/ oder Lernkontext-- im Zusammenhang mit unterschiedlichen kognitiven Anforderungen. In der Schlussfolgerung gibt es nicht nur zwei unterschiedliche Lernwege, wie Barrett und Kollegen (1991) vorschlagen, und somit eine Trennung von interaktiven und referenziellen Wörtern (Kauschke, 2012), sondern eine breite Ausdifferenzierung, die aufgrund des Zusammenspiels von sozialer Interaktion einerseits und erforderlichen kognitiven Operationen andererseits zustande kommt. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 149 17.04.2019 14: 20: 40 150 7. Entwicklung des Vokabulars: Erste Wörter 7.6 Inhalte der ersten Wörter Während in der Zusammensetzung des frühen Lexikons die Dominanz der interaktiven und relationalen Wörter zu erkennen ist, ziehen im Alter von bis zu 21 Monaten bei den meisten Kindern Nomen in das Lexikon ein und stellen dann den Hauptanteil dar (Kauschke, 2012: 62). Die vorhandene Literatur zum Lexikonerwerb vermittelt den Eindruck, dass Nomen einfacher zu produzieren sind als andere Wortklassen. Rohlfing (2013: 64 f.) schildert eine Debatte darüber, ob die Erschließung der Bedeutung von beispielsweise Präpositionen im Vergleich zu Nomen für Kinder unterschiedlich schwer ist. Genter (1982) vertritt dabei die Ansicht, Nomen seien konkreter und ließen sich deshalb einfacher erlernen, während der Ort als Referenz einer räumlichen Präposition nicht immer einfach aufgezeigt werden kann. Allerdings ist hier der Einwand, diese Einfachheit ergebe sich nicht aus der Natur, sondern eher durch kulturelle Praktiken, durchaus berechtigt: In unserer westlichen Kultur überwiegen Praktiken, die das Lernen von Nomen erleichtern. Dazu zählen Spiele, in denen ein Objekt mit der Frage Was ist das? hochgehalten wird oder das gemeinsame Vorlesen (siehe oben). Sie haben eine klare Systematik, und von den Kindern wird bei ihnen erwartet, dass sie auf die gestellte Frage ein Nomen äußern (Rohlfing, 2013: 65). Hinzu kommt, dass die Erwachsenensprache in Sprachsystemen wie Deutsch oder Englisch primär aus Nomen besteht- - eine Tatsache, die sich in der Kindersprache schlicht und einfach widerspiegelt. Sprachen, die topologisch anders aufgebaut sind und ein anderes Verhältnis von verschiedenen Wortklassen zueinander aufweisen, stellen im Erwerb andere Anforderungen: Im Koreanischen finden sich zum Beispiel mehr Verben sowohl im Input wie auch in der Sprache der lernenden Kinder (Gopnik & Choi, 1995). Im Deutschen wird zwischen 18 und 23 Monaten ein geringer Anteil von Verben beobachtet, der aber bis zum Alter von 2,5 Jahren kontinuierlich erweitert wird (Kauschke, 2012). Der anfänglich geringe Anteil hängt sicherlich damit zusammen, dass im frühen Lexikon Partikel (etwa zu für zumachen) die semantische Rolle der Verben übernehmen. Mit Daten aus Tagebuchaufzeichnungen und Wortbildungsanalysen verdeutlicht Meibauer (1999), dass Kinder im Alter von 21 Monaten Nomina in Verben und Verben in Nomina umwandeln können. Insofern scheinen sie ein recht konkretes linguistisches Wissen über beide Wortkategorien zu besitzen und zu wissen, wie sie es einsetzen können. Der Erwerb von Verben ist insofern interessant, als sie zunächst in sehr spezifischen Konstruktionen auftauchen. Selbst wenn ein Kind in der 44783_Rohlfing_SL3a.indd 150 17.04.2019 14: 20: 41 151 7.7 Wortlernmechanismen: Fast und Slow Mapping Lage ist, Bagger dreht sich zu äußern, so bedeutet das Auftauchen des Verbs drehen nicht zugleich, dass das Verb in anderen Konstruktionen (wie z. B. im Perfekt) verwendet werden kann (Wittek & Tomasello 2002; siehe Kapitel- 9 zum Syntaxerwerb). Hinzu kommt die Schwierigkeit, dass verschiedene Verben unterschiedliche Perspektiven auf ein und dasselbe Ereignis ausdrücken können, wie gießen und füllen. Die Verwendung dieser Perspektiven spricht dafür, dass Kinder Verben flexibel und in den unterschiedlichsten Situationen gebrauchen (Childers u. a., 2018). In ihren anfänglichen Äußerungen beziehen sich Kinder zunächst auf beobachtbare Entitäten; mit etwa 18 Monaten sind Referenzen auf innerpsychische Zustände zu beobachten (Kauschke, 2012). Diese hängen allerdings stark mit Interaktionserfahrung zusammen, d. h. der Art wie und ob Bezugspersonen diese Zustände thematisieren (Slaughter u. a., 2009). Das System der Wörter (siehe unten) macht es Kindern möglich, neue Wörter zu bilden (z. B. ein Nomen Hummel zu einem nicht nominalen Verb wie hummeln (Geräusch einer Biene) zu verändern, wie Meibauer, 1999: 192 schildert) und sich weitere Konzepte zu erschließen, die kaum mit unmittelbarer Erfahrung zu tun haben. Wochentage zum Beispiel bestimmen zwar unser Leben, sind aber recht abstrakte Konzepte, die durch Sprache vermittelt werden (Nelson, 1996)-- ab 3 Jahren treten diese abstrakten Konzepte als Inhalte der Sprache auf. 7.7 Wortlernmechanismen: Fast und Slow Mapping Kinder werden häufig als schnelle Wortlerner dargestellt. Während sich die Literatur in der Vergangenheit vorwiegend dem Mechanismus der schnellen Zuweisung von Wortform und Referenten gewidmet hat, geht die aktuelle Forschung den Fragen nach, warum das Wortwissen genauso schnell wieder in Vergessenheit geraten kann wie es erworben wurde, und wie es sich verfestigt. Für die Berücksichtigung der Gedächtnisprozesse im Spracherwerb sind zwei Konzepte hilfreich, die Carey (1978; 2010) einführt, um den Schnellvon einem Langzeit-Wortlernmechanismus zu unterscheiden: Fast und Slow Mapping (siehe Box-44 und 45). In mehreren Experimenten zeigten Horst und Samuelson (2008), dass Kinder mit dem Mechanismus des Fast Mappings (siehe Box-44) zwar schnell ein neues Wort aufschnappten, dieses jedoch nach 5 Minuten in Vergessenheit geriet, und Kinder die Wortform weder für ihre Produktion noch das Verständnis abrufen konnten. Das langfristige Lernen (siehe Box- 45) ist daher von der 44783_Rohlfing_SL3a.indd 151 17.04.2019 14: 20: 41 152 7. Entwicklung des Vokabulars: Erste Wörter schnellen Zuordnung zu trennen. Dieser langfristige Prozess wird auch als „extended Mapping“ bezeichnet (z. B. Vlach & Sandhofer, 2012: 1); sein Produkt ist eine länger andauernde Verbindung zwischen der Wortform und dem Referenten. In diesem Zusammenhang spricht McGregor (2004) von der Ausbildung semantischer Netzwerke; je tiefer eine semantische Repräsentation, desto abruffähiger ist sie. Bezüglich der Wortlernmechanismen stellt sich die Frage, wie eine langfristige Verarbeitung eines Wortes in Gang kommt. Möglich ist, dass hierfür die Art der Präsentation eines Wortes während einer Lernsituation ausschlaggebend ist. Es könnten aber auch die biologischen Prozesse der Wissenskonsolidierung für langfristiges Lernen sorgen. Für die Frage, warum ein neues Wort nach 5 Minuten aus dem Gedächtnis schwindet, stellten Munro und Kolleginnen (2012) zwei alternative Vermutungen auf, die sie in einer Querschnittsuntersuchung mit 49 Kindern im Alter von 29 bis 39 Monaten überprüften: Zum einen kann es an der schwachen Enkodierung (d. h. dem Aufnehmen aus der Präsentation während der Lernsituation) liegen. Wenn eine Enkodierung zu schwach ist, wird sie das Schwinden nicht verhindern können. Infolgedessen sollte die Benennleistung zwischen sofortiger Wiederholung und Wiederholung nach einer Minute rapide abnehmen. Zum anderen kann das Vergessen ein Teil der Konsolidierung (siehe Box-46) sein, d. h. des Prozesses, bei dem die neue Wortform ins Gedächtnis integriert wird und sich dort festigt. Für diese Lernphase der Konsolidierung wird angenommen, dass sich nur bei einer Reduktion der Reize aus der Außenwelt das neue Wortwissen mit dem alten vernetzen kann (Henderson u. a., 2012). Slow Mapping (Box- 45): Unter Slow Mapping wird ein langfristiger Wortlernprozess verstanden, der zeitlich auf das Fast Mapping folgt. Dabei wird die zugrundeliegende Gedächtnisspur vertieft, indem das neue Wort mit anderen Wörtern / Erinnerungen an anderen Ereignissen verknüpft wird. Diese Vertiefung wird einerseits durch Konsolidierung (siehe Box-46), andererseits durch Abruf des Wortes in anderen Kontexten möglich. Konsolidierung (Box- 46): Dieser Gedächtnisprozess etabliert eine Gedächtnisspur, sobald die Enkodierung einer Wortform endet (McGregor, 2018, persönliche Kommunikation). Er kann auch durch einen Wortabruf ausgelöst werden. Konsolidierung ist ein Teil des Slow Mapping-Prozesses (siehe Box- 45) und wird in empirischen Studien durch eine Schlafphase operationalisiert. Fast Mapping (Box-44): Mit Fast Mapping wird in der Literatur eine schnelle Zuordnung eines neuen Wortes zu seinem Referenten verstanden. Dabei ist die Tatsache hilfreich, dass ein Lerner das Wort und seinen Referenten als unbekannt erkennt. Die beim Fast Mapping entstehende Verbindung ist oberflächlich und fragil. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 152 17.04.2019 14: 20: 41 153 7.7 Wortlernmechanismen: Fast und Slow Mapping Wie bereits erwähnt, wird Kosolidierung durch eine Schlafphase operationalisiert. Kinder, die vor dem Schlafen ein neues Wort aus einem Bilderbuch präsentiert bekamen, konnten es besser abrufen als Kinder, die die gleiche Zeitspanne ohne Schlaf verbrachten (Williams & Horst, 2014). Diese vorteilhafte Verarbeitung scheint jedoch bei Kindern mit Sprachentwicklungsstörung weniger gegeben zu sein (Smith u. a., 2017) - darauf weisen erste Arbeiten mit älteren Kindern hin. Sollte Konsolidierung die Behaltensleistung einschränken und das Vergessen unterstützen, so ist im unmittelbaren Abruf sowie nach einer 1bis 5-minütigen Verzögerung eine relativ stabile Leistung zu erwarten. Jedoch sollte die Arbeit des Gedächtnisses im Rahmen der Konsolidierung die Benennleistung nach einigen Tagen schlechter ausfallen lassen. Die Ergebnisse der Studie wurden entsprechend einem Zwei-Phasen-Modell (siehe Abb. 14) analysiert. Das Ziel der Analyse war es, zu identifizieren, ob der Wissensverlust zum Zeitpunkt der Enkodierung oder der Konsolidierung größer war. Abbildung 14: Nach dem Zwei-Phasen-Modell von Munro und Kolleginnen (2012) findet das Fast Mapping / die Enkodierung am Anfang des Wortlernens statt; erst nach fünf Minuten tritt die Konsolidierung ein, die dafür sorgt, dass das Wissen integriert wird. Diesem Modell nach setzt auch das Slow Mapping erst nach 5 Minuten ein - eine Vorstellung, die sich jedoch durch weitere Literatur nicht eindeutig bestätigen lässt. Während die Leistung der untersuchten Kinder im Verständnis der neuen Wörter direkt nach dem Training und auch später sehr gut war, deckten die Ergebnisse der kindlichen Sprachproduktion auf, dass das Vergessen der neu gelernten Wörter bereits nach einer Minute begann. Munro und Kolleginnen (2012) schlussfolgern daraus, dass die Enkodierung-- und nicht die Konsolidierung-- das Behalten der Wortformen einschränkt, und somit die Unterstützung beim Wortlernen auf eine reichhaltige Erfahrung bei der Enkodierung zielen sollte, um dem Vergessen entgegenzuwirken. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 153 17.04.2019 14: 20: 41 154 7. Entwicklung des Vokabulars: Erste Wörter Eine Reihe von Studien widmete sich der Frage, wie die Enkodierung unterstützt werden kann. Bekanntermaßen wirkt sich eine Wiederholung eines Wortes auf die Behaltensleistung aus (z. B. Tomasello, 2008). Zudem fanden McGregor und Kolleginnen (2009), dass eine gestische Begleitung der Wortpräsentation den Kindern half, neue räumliche Präpositionen robuster zu lernen. Laut weiteren Studien stieg die Behaltensleistung der Kinder auch an, wenn die neuen Wörter in einem kausalen (Booth u. a., 2009) oder narrativen (Nachtigäller u. a., 2013) Zusammenhang präsentiert wurden. Schließlich unterstützen semantische Kontraste wie das ist kein Frosch! Das hier ist ein Frosch! (Gottfried & Tonks, 1996) und die Gelegenheit, eine Wortform zu imitieren (Masur, 1995) oder den Referenten zu manipulieren (Scofield u. a., 2009) die Gedächtnisleistung. Diese Befunde bewegten Capone Singelton (2012) zu dem Schluss, dass eine Präsentation, die eine reichhaltige Semantik anbietet, das Behalten neuer Wörter fördert. 7.8 Robustes lexikalisches Wissen: Lexikalische Netze Ein wesentliches Merkmal eines robusten lexikalischen Wissens ist seine Vernetzung. Durch den Prozess des Slow Mappings wird ein Wort mit anderen lexikalischen Repräsentationen vernetzt und dadurch leichter abrufbar (McGregor, 2004). In diesem Sinne stellt man sich einen Wortschatz weniger als zahlreiche Lexikoneinträge, sondern als ein Netzwerk von Wörtern vor. Die Vorstellung des Netzwerks sucht die Vorstellung einer reinen Wort-Referent- Zuordnung zu überwinden, um der Tatsache gerecht zu werden, dass semantisches Wissen je nach Aufgabe und Anforderung dynamisch zusammengestellt werden kann (Mani & Borovsky, 2018). Diese Vorstellung beinhaltet, dass beim Lernen einzelne Wörter in das lexikalische Netz eingebunden werden. Das Einbinden erfolgt mittels Assoziationen, die auf unterschiedliche Weise zustande kommen können (siehe Box-47). Charakteristisch sind die Assoziationen, die dabei zwischen den einzelnen Wörtern entstehen, wie zum Beispiel zwischen dem Wort Katze und Hund, weil beide sich auf Haustiere beziehen. Kauschke (2012) fasst zusammen, dass Kinder erst um das dritte Lebensjahr in der Lage sind, Oberbegriffe zu bilden. Neuere Untersuchungstechniken geben allerdings Einblicke in frühe lexikalische Kategorisierung: Die Methode des semantischen Primings eignet sich gut dazu, das semantische Wissen von jungen Kindern zu untersuchen. Die zugrundeliegende Idee ist, dass wenn Wörter im Wortschatz untereinander verbunden sind, 44783_Rohlfing_SL3a.indd 154 17.04.2019 14: 20: 41 155 7.8 Robustes lexikalisches Wissen: Lexikalische Netze Aufgaben, die verbundene Wörter betreffen, schneller verarbeitet werden als Aufgaben, die nicht-verbundene Wörter umfassen. Untersuchungen solcher Art ergaben, dass erst 21 Monate alte Kinder beginnen, Assoziationen zwischen Wörtern zu bilden (Arias-Trejo & Plunkett, 2009). Die Ergebnisse lassen erste Wörter eher als eine Art ‚lexikalische Inseln‘ erscheinen, die sich erst später, im Laufe der sprachlichen Erfahrung, untereinander verbinden und ein System von Bedeutungen aufweisen (Arias-Trejo & Plunkett, 2009). Diese Vorstellung ist allerdings nach aktuelleren Studien überholt. Wojcik und Saffran (2013) untersuchten zwei Möglichkeiten, wie es zu diesen Verbindungen zwischen lexikalischen Inseln kommt: Eine Möglichkeit ist, dass die Ontogenese der lexikalischen Netzwerke bereits zum Anfang des Worterwerbs angelegt ist. Dementsprechend nehmen Kinder die Verknüpfungen zwischen Referenten und ihren relevanten Merkmalen wahr. Die andere Möglichkeit wäre, dass individuelle Wörter erst einen gewissen Grad an Robustheit erreichen müssen, damit sie sich in einem weiteren Schritt mit anderen Wörtern verbinden können (eine Hypothese, die mit der Interpretation von Arias-Trejo und Plunkett, 2009, konform geht). Diese zwei Möglichkeiten untersuchten die Autoren mit einer Studie, in der 32 monolinguale Zweijährige 4 neue Wörter lernten. Die Ergebnisse führten zu der Schlussfolgerung, dass Zweijährige Verbindungen zwischen den Eigenschaften neuer Referenten schaffen, wenn sie neue Wörter erwerben. Das lexikalische Netzwerk befindet sich also im kontinuierlichen Aufbau. Diese Ergebnisse stehen im Einklang mit neueren Untersuchungen, in denen bereits 10 Monate alte Kinder ein geäußertes Verb (wie z. B. bauen) mit einem passend präsentierten Objekt (z. B. einem Bauklotz) assoziieren konnten (Nomikou u. a., 2018). Nicht nur die Ergebnisse aus Studien zum Semantik-, sondern auch zum Phonologieerwerb sprechen für einen kontinuierlichen Aufbau des Wortschatzes: Die phonologische Form eines Wortes scheint ebenfalls in lexikalischen Netzwerken organisiert zu sein, und solche Verbindungen von Wörtern mit Lauten etablieren sich bei Säuglingen sogar schon mit 6 Lebensmonaten. Hört ein zweijähriges Kind ein Wort wie Hund, scheinen damit weitere phonologisch Assoziationen (Box-47): Eine Assoziation ist eine Verbindung zwischen Wörtern, die auf verschiedene Weise zustande kommen kann: phonologische Überlappung (Ball und Banane oder Maus und Haus), semantische Verbindung (ein Ball ist aufgrund seiner Form genauso rund wie eine Orange), eine thematische Zugehörigkeit (wie ein Auto und seine Garage) oder taxonomische Zugehörigkeit (wie eine Katze und ein Frosch, weil beide zu der Kategorie ‚Tier‘ gehören). 44783_Rohlfing_SL3a.indd 155 17.04.2019 14: 20: 41 156 7. Entwicklung des Vokabulars: Erste Wörter (wie z. B. Haus), aber auch semantisch (wie z. B. Katze) sich überlappende Wörter aktiviert zu werden (Mani & Borovsky, 2018). Diese komplexe Aktivierung erscheint nur auf den ersten Blick ineffizient. Im Grunde sorgt sie dafür, dass dem Kind verschiedene Möglichkeiten für das Verständnis zur Verfügung stehen. Somit ist es in der Lage, schnell die Bedeutung vorherzusagen und auf Wörter zu reagieren. 7.9 Wortschatztiefe und Wortschatzbreite Für die Charakterisierung des kindlichen Wortschatzes haben sich folgende Dimensionen etabliert: Die Wortschatztiefe bezieht sich auf das Erlernen eines Wortes. Im Prozess des langfristigen Lernens (siehe Box- 45) wird die Wortbedeutung nicht nur etabliert, sondern auch zunehmend vom Kontext unabhängiger. Durch diese Dekontexualisierung können Wörter flexibel eingesetzt werden (McGregor, 2004). Je tiefer also die Wortbedeutung, desto robuster ist sie. Die Wortschatztiefe steht im Zusammenhang mit späteren (schulischen) Leistungen wie dem Leseverständnis (Ouellette, 2006). Die Vernetzung einer starken Wortbedeutung erfolgt nicht nur über paradigmatische (taxonomische), sondern auch syntagmatische (thematische) Beziehungen (Klann-Delius, 2008: 173; siehe Box-48). In solchen Beziehungen äußert sich die Wortschatzbreite. McGregor und Kolleginnen (2013) definieren Wortschatzbreite als die Menge der Wörter, die jemand verwendet. Ein breiter Wortschatz ist die Voraussetzung für eine präzise Ausdrucksweise. Borovsky und Kollegen (2016) sehen Wortschatzbreite in einem engen Zusammenhang mit Dekodierungsstrategien und Worterkennung. Eine Reihe von Studien spricht dafür, dass ein umfangreicher Wortschatz das Sprachlernen insgesamt begünstigt. Primär sei hier die Studie von Gershkoff- Stowe (2002) genannt, die den lexikalischen Zugriff im Verlauf des Wortlernens zum Untersuchungsgegenstand hatte. Ältere Lerner zeichneten sich durch eine geringere Quote an Abruffehlern aus, doch waren ihre wenigen Fehler von gleicher Art wie die Fehler bei jüngeren Lernern. Die Autorin interpretiert ihre Befunde im Sinne der Aktivierungsstärke, die sich für einzelne Wörter mit der Entwicklung ver- Beziehungen zwischen Wörtern (Box-48): Sprachliche Zeichen sind untereinander auf zwei Achsen verbunden: Die syntagmatische Achse steht für die Verkettung der Zeichen nebeneinander (wie in einem Satz) während die paradigmatische Achse eine ‚Verwandtschaft’ festhält, weshalb die Zeichen in einer sich wechselseitig ersetzenden und in derselben syntagmatischen Position stehen können (Auer, 2013: 32). 44783_Rohlfing_SL3a.indd 156 17.04.2019 14: 20: 41 157 7.10 Wortschatzspurt ändert und semantische wie auch phonologische Interferenzen unterdrückt. Hatten Kinder mit 24 Monaten viele Wörter mit gleichem Wortbeginn gelernt, waren sie besser darin, Zielwörter phonologisch zu differenzieren (Mani & Borovsky, 2018). Für die initialen Lernmechanismen wie das Fast Mapping (siehe Box- 44) finden Grassmann und Kollegen (2015), dass Kinder mit größerem Wortschatz besser darin sind, neue Wörter im Sinne von Fast Mapping ‚aufzuschnappen‘. Das bereits vorhandene Wortwissen ist dabei für die Leistung dieser Stichprobe ein besserer Prädiktor als das chronologische Alter der Kinder (2, 3 oder 4 Jahre). Die Ergebnisse einer weiteren Studie deuten darauf hin, dass Kinder mit größerem Wortschatz im Alter von 29 bis 36 Monaten neue Wörter sowohl besser wiedererkennen als auch in ihrer Produktion besser anwenden konnten als Gleichaltrige mit geringerem Wortschatz (Munro u. a., 2012). Abschließend sei noch auf eine Studie von Nachtigäller und Kolleginnen hingewiesen: Die Forscherinnen entwickelten eine Trainingsmethode, mit der neue Wörter in kleine Geschichten eingebettet wurden, um das semantische Lernen zu erleichtern. Diese Trainingsmethode begünstigte das Lernen neuer Wörter bei zweijährigen Kindern mit größerem Wortschatz, nicht jedoch bei Kindern mit kleinerem Wortschatz. Es zeigt sich also in der Summe, dass Wortschatzbreite eine solide Wissensbasis bietet, auf der Kinder ihr weiteres Wortwissen aufbauen und an der sie offensichtlich auch schnell weitere Unterstützungsstrategien anknüpfen können. Ob jedoch die Wortmenge an sich, ihre Semantik oder aber auch Versiertheit in bestimmten kognitiven Operationen, die sich für das Lernen etablieren, den Vorteil ausmachen, ist noch unklar. 7.10 Wortschatzspurt Im frühen Spracherwerb gibt es im Bereich des Lexikons eine große Spanne im Vokabularumfang. Innerhalb eines halben Jahres wächst das Vokabular durchschnittlich um etwa 150 Wörter an. Diese erstaunliche Leistung wird häufig in Verbindung mit dem Vokabularspurt gebracht. Als Vokabularspurt wird eine Benennungsexplosion (Szagun, 2006: 117) bezeichnet, die sich auf einen deutlichen Zuwachs des Lexikons bezieht. Dieser Spurt kann zwischen dem 17. und 24. Lebensmonat auftreten und ist von der Menge der bereits vorhandenen Wörter abhängig. Eine abgeschwächte Auslegung des Konstrukts besagt, dass eine Veränderung in der Lernrate- - aber kein plötzlicher „Umschlagpunkt“ (Kauschke, 2012: 48) - zu verzeichnen ist. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 157 17.04.2019 14: 20: 41 158 7. Entwicklung des Vokabulars: Erste Wörter Für dieses Phänomen, das sich im Übrigen nur bei manchen Kindern beobachten lässt (Kauschke, 2012), werden unterschiedliche Erklärungen angeboten. Diese umfassen das symbolische Verständnis von Kindern, genauer das auftretende Symbolbewusstsein (die Erkenntnis, dass alle Dinge Namen haben), Effekte, die sich aus der Praxis des Fast Mapping-Mechanismus (siehe oben) und der einschränkenden Prinzipien (siehe unten) ergeben und auch neurophysiologische Gründe (siehe Kapitel- 2). Unter Anwendung einer mathematischen Methode zeigen Ganger und Brent (2004), dass sich lediglich bei einem von fünf Kindern ein plötzlicher Zuwachs feststellen lässt. Kauschke (2012) erwähnt in diesem Zusammenhang viele andere Entwicklungsmuster, denen Kinder in der Entwicklung ihres Vokabulars folgen. Diese Vielfalt spricht dafür, „dass es eine große Variation hinsichtlich der Wachstumsmuster des Lexikons gibt, die zum Teil sicherlich auf unterschiedliche Erhebungs- und Auswertungsmethoden zurückzuführen ist“ (ibid.: 47). Schließlich kommt auch eine Umorganisation des Wortschatzes als mögliche Erklärung in Frage. Mani und Borovsky (2018) bezeichnen die Periode von 18 bis 24 Lebensmonaten als eine semantische Organisation, in der sich Verbindungen bilden. Hinzu kommt, dass das System der Wörter den Kindern ermöglicht, neue Wörter zu bilden. Mit Analysen von Tagebuchaufzeichnungen eines Kindes argumentierte Meibauer (1999: 193) dafür, dass Nomen von Kindern genutzt werden, um Verben zu bilden. Hat ein Kind „Erfolg mit dem Ausbau des Verblexikons, hat es eine gute Grundlage, um in die Produktion neuer -er-Derivate und deverbaler Nomina einzusteigen“. Aus Verben können also auch wieder (neue) Nomen abgeleitet werden. 7.11 Einschränkende Prinzipien Wie bereits in Kapitel- 1 angeführt, ist eine der wichtigsten Annahmen von prinzipbasierten Ansätzen zur Sprachentwicklung, dass der Lexikonerwerb von Wahrnehmungs- und Gedächtnisprozessen profitiert. In der Literatur ist ebenfalls die Bezeichnung der Einschränkung (engl.: constraints) gängig, die womöglich eine radikalere Vorstellung von der Wirkung der Prinzipien entfaltet. Der Begriff „Prinzipien“ vermittelt jedoch stärker die Vorstellung von intelligenten Strategien, die Kindern bei der Gewichtung von Hypothesen zur Identifizierung eines Referenten helfen (Szagun, 2006: 145) und somit den Erwerb wie eine Art ‚shortcut‘ beschleunigen (Golinkoff u. a., 1994). 44783_Rohlfing_SL3a.indd 158 17.04.2019 14: 20: 41 159 7.11 Einschränkende Prinzipien Die Wirkung der Hypothesen einschränkenden Prinzipien erklären Golinkoff und Kollegen (1994), indem sie 2 Stufen einführen: An die Neigungen für prosodische Muster anknüpfend helfen sie Kindern einerseits, Eingang in die Sprache zu finden, andererseits den Erwerb zu beschleunigen. Mit zunehmendem linguistischen Wissen verändern sich die Prinzipien. Die Annahme, die Prinzipien selbst seien ein Nebenprodukt der kognitiven und linguistischen Entwicklung, stimmt mit den Ergebnissen der oben erwähnten Studie von Thom und Sandhofer (2009) überein, in der die Kinder besser im Lernen von Farbadjektiven wurden, je mehr Beispiele sie im Training erfuhren. Somit etablierten sich im Training bestimmte, für Farbadjektive nützliche kognitive Operationen, die Kindern schnelles Lernen ermöglichen. Drei dieser Prinzipien werden im Folgenden näher beschrieben (siehe weitere Prinzipien in Rohlfing, 2013: 75 ff.). Annahme des ganzen Objektes Wenn Kinder ein neues Wort hören, beziehen sie dies meist auf ein ganzes Objekt anstatt auf seine Teile (siehe Box-25). Diese Annahme des ganzen Objektes (engl.: whole-object assumption) geht auf Markman und Wachtel (1988) zurück. Sie hilft den Kindern dabei, sich nicht im Detail zu verlieren, sondern die neuen Wörter auf Gesamterscheinungen zu beziehen. Einen Beleg für die Existenz dieses Prinzips des ganzen Objektes lieferte eine Studie mit 3bis 4-jährigen Kindern. Ihnen wurde ein unbekanntes Objekt gezeigt und sie hörten einen dazugehörigen Begriff, zum Beispiel Lunge. So ungewohnt dieses ‚Objekt‘ für eine Kinderstudie ist, so ist es als Beispiel insofern interessant, „als eine Lunge eben zwei identische Seiten, die Lungenflügel, enthält“ (Rohlfing, 2013: 76). Im Anschluss an diese Lernphase wurden die Kinder aufgefordert, zu entscheiden, ob sich das Wort Lunge auf das Ganze oder die einzelnen Teile bezieht. Diesen Unterschied verdeutlichte der Experimentator mit einer Gestik, die die Frage begleitete, und entweder die ganze Lunge umkreiste oder die Luftröhren herausstellte. Kinder entschieden sich zu 80 % für das Ganze, womit eine klare Neigung, die ganze Erscheinung mit dem Wort zu verbinden, erwiesen wäre (Markman & Wachtel, 1988). 44783_Rohlfing_SL3a.indd 159 17.04.2019 14: 20: 41 160 7. Entwicklung des Vokabulars: Erste Wörter Annahme der Ausschließbarkeit In der Annahme der Ausschließbarkeit (engl.: mutual exclusivity) erkennt man die doppelte Funktionsweise, von der Golinkoff und Kollegen (1994) sprechen: Zum einen sorgt die Annahme dafür, dass Kinder ein neues Wort aufschnappen: Präsentiert man Kindern zwei Objekte, von denen eins bekannt und eins unbekannt ist, wird das neue Nomen mit dem neuen Objekt verbunden. Zum anderen sorgt die Annahme für die Beschleunigung des Erwerbs, denn die unbekannte Benennung schließt die Bezugnahme auf das bekannte Objekt aus. Die Annahme der Ausschließbarkeit hält Kinder zugleich davon ab, mit dem gleichen Objekt zwei unterschiedliche Namen zu verbinden. Ein einprägsames Beispiel schildert Szagun (2006) aus einer Unterhaltung zwischen einem Kind (2 Jahre und 8 Monate) und einer erwachsenen Person, die gemeinsam ein Bilderbuch betrachten. Auf die Äußerung Vogel! seitens des Erwachsenen protestiert das Kind und sagt „is kein vogel […] ein rabe“ (ibid: 146). Es wird deutlich, dass das Kind nur einen ganz bestimmten Namen mit dem abgebildeten Tier verbindet und keinen weiteren akzeptieren möchte (Rohlfing, 2013: 76). Kinder vermeiden somit eine lexikalische Überlappung (engl.: lexical overlap). Markman (1989) nimmt an, dass diese Strategie für den Bereich der Sprache spezifisch ist. Diese Befunde zur Annahme der Ausschließbarkeit betreffen jedoch lediglich einsprachige Kinder. Au und Glusman (1990) zeigten, dass Vorschulkinder durchaus zwei Namen für ein Objekt akzeptieren, wenn klar ist, dass diese Namen von zwei unterschiedlichen Sprachen kommen. Vorschulkinder wissen also, dass Sprecher unterschiedlicher Sprachen sich mit einem anderen Wort auf denselben Referenten beziehen können. Henderson und Scott (2015) stellten sich daher die Frage, wie diese Lernprinzipien bei mehrsprachigen Kindern (siehe Box- 8) ausfallen, die täglich mit unterschiedlichen Vokabeln im Referenzprozess konfrontiert werden. Diese entwickeln eine Art Verständnis dafür, dass Gegenstandsbezeichnungen von Sprechern unterschiedlicher Sprachen nicht geteilt werden. In ihrer Habituationsstudie untersuchten die Autorinnen 13 Monate alte Kinder und fanden, dass die bilingualen Kinder in ihrer Studie überrascht waren, die gleiche Gegenstandsbezeichnung von Sprechern verschiedener Sprachen zu hören. Dieser Befund zeugt davon, dass bilinguale Kinder bereits früh in ihrer Kindheit eine Sensibilität für den Wortgebrauch als sprachspezifisches Phänomen entwickeln (Hederson & Scott, 2015). 44783_Rohlfing_SL3a.indd 160 17.04.2019 14: 20: 41 161 7.11 Einschränkende Prinzipien Annahme der Neuigkeit Eine alternative Erklärung für die Effekte, die oben beschrieben wurden, bettet die Annahme der Ausschließlichkeit in ein allgemeineres Prinzip elementarer Lernprozesse ein, nämlich der Neuigkeitsentdeckung (engl.: feeling of novelty) (Merriman u. a., 1995). Demnach überprüfen Kinder ein Objekt auf seine Neuigkeit und bevorzugen es, einem neuen Objekt auch einen neuen Namen zu geben. In einer Eye-Tracking-Studie zeigten Mather und Plunkett (2012), dass diese Mechanismen zusammenwirken können. Im Verlauf des Experimentes entwickelten Kinder die Strategie, die Aufmerksamkeit auf ein neues Objekt zu schärfen und es zu erwarten, wenn sie kurze Zeit vor seiner Präsentation ein neues Wort hörten. Zu dem Prinzip der Neuigkeitsentdeckung wendeten Costa und Sebasián-Gallés (2014) ein, dass diese Heuristik für bilinguale Kinder nicht hilfreich sei. Sie berichten, dass bilinguale Kleinkinder einem neuen und einem vertrauten Objekt gleichermaßen ihre Aufmerksamkeit schenkten, wenn sie ein neues Wort hören. Annahme des Formmerkmals Da sich das Prinzip des Formmerkmals (engl.: shape bias) bei im Spracherwerb bereits fortgeschritteneren Kindern äußert, gehört es nach Golinkoff und Kollegen (1994) zur zweiten Stufe und wirkt beschleunigend auf das Wortlernen. Nach diesem Prinzip handelnde Kinder entscheiden sich, ein Objekt aufgrund seiner Form-- im Gegensatz zu anderen Merkmalen wie Farbe oder Textur-- einer Kategorie zuzuordnen. Jones und Smith (1993) argumentieren, dass sich im kindlichen Gedächtnis Regularitäten zwischen neuen Wörtern einerseits und den gleichzeitig benötigten Aufmerksamkeitshandlungen hinsichtlich der Merkmale der Entitäten andererseits etablieren, die zu der Entstehung dieses Prinzips führen: Hören Kinder ein neues Wort, wird ihnen häufig eine Generalisierung der Form des neuen Referenten abverlangt. Diese häufige Abhängigkeit von einer Lernaufgabe- - hier der Erwerb von neuen Nomen und bestimmten Aufmerksamkeitsprozessen-- mündet in ein Prinzip, das sich ebenfalls als eine Art ‚shortcut‘ bewährt. Interessanterweise ist die Anwendung solcher Prinzipien bei Kindern mit Sprachentwicklungsverzögerungen weniger ausgeprägt (Jones, 2003). Die aktuelle Forschung gibt hierzu den Hinweis, Kinder mit Sprachentwicklungsverzögerungen bräuchten womöglich mehr 44783_Rohlfing_SL3a.indd 161 17.04.2019 14: 20: 41 162 7. Entwicklung des Vokabulars: Erste Wörter Wiederholungen und Stabilität im Kontext, um solche Regularitäten zu entdecken (Rohlfing u. a., 2017a). So einschlägig die Wirkung der einschränkenden Prinzipien ist, können sie den Worterwerb doch nicht vollständig erklären. Erkennbar sind nämlich zwei grundsätzliche Probleme: Zum einen verletzen Kinder die einschränkenden Prinzipien häufig selbst, indem sie zum Beispiel durchaus zwei Bezeichnungen für ein Objekt akzeptieren (Ambridge & Lieven, 2011)-- somit scheint das Ausschließlichkeitsprinzip an spezifische Bedingungen gebunden (vgl. Szagun, 2006: 147) und von Umweltfaktoren abhängig zu sein. In anderen Worten ist also die Gültigkeit der Prinzipien für individuelle Fälle eingeschränkt. Zum anderen argumentiert Rohlfing (2013) für weitere Informationsquellen, die im Lernprozess entscheidend sind: Bezugspersonen legen Kindern die entscheidenden Kriterien für die Wortproduktion nahe. Die Herausbildung dieser Prinzipien wird daher in gezielten Interaktionen geschult und verstärkt. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 162 17.04.2019 14: 20: 41 163 7.11 Einschränkende Prinzipien Lesetipps: Die Inhalte der ersten Wörter im kindlichen Lexikon für Deutsch lernende Kinder sind bei Kauschke umfassend beschrieben worden: Kauschke, C. (2000). Der Erwerb des frühkindlichen Lexikons: eine empirische Studie zur Entwicklung des Wortschatzes im Deutschen. Tübingen: Narr. Kauschke, C., & Hofmeister, C. (2002). Early lexical development in German: A study on vocabulary growth and vocabulary composition during the second and third year of life. Journal of Child Language, 29(4), 735-757. Ebenfalls bei Kauschke (2012) finden sich weitere Elternfragebögen zur Wortschatzerfassung für die deutsche Sprache: Kauschke, C. (2012). Kindlicher Spracherwerb im Deutschen. Verläufe, Forschungsmethoden, Erklärungsansätze. Berlin/ Boston: Walter de Gruyter. Einige aktuelle Studien zum frühen Worterwerb, die verschiedene linguistische Bereiche betreffen, sind von Westermann und Mani zusammengefasst: Westermann, G. & Mani, N. (Hrsg.) (2018). Early word learning. London: Routledge. Eine klassische Studie zum Fast versus Slow Mapping ist bei Carey nachzulesen: Carey, S. (1978). The child as word learner. In M. Halle, J. Bresnan, G. A. Miller (Hrsg.), Linguistic theory and psychological reality (S. 264-293). Cambridge, MA: MIT Press. Der Stand der empirschen Forschung zu Gedächtnisprozessen des Worterwerbs wird von Wojcik verständlich zusammengefasst: Wojcik, E. H. (2013). Remembering new words: integrating early memory development into word learning. Frontiers in Psychology, 4, 151. Von Horst und Samuelson stammt eine Veröffentlichung, die für weitere Erkundung der Slow Mappping-Prozesse einflussreich war: Horst, J. S., & Samuelson, L. K. (2008). Fast mapping but poor retention by 24-month-old infants. Infancy, 13(2), 128-157. Die englischsprachige Studie von Munro und Kollegen ist wegen eines klaren Modells empfehlenswert: Munro, N., Baker, E., McGregor, K., Docking, K., & Arculi, J. (2012). Why word learning is not fast. Frontiers in Psychology, 3, 41. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 163 17.04.2019 14: 20: 41 44783_Rohlfing_SL3a.indd 164 17.04.2019 14: 20: 41 165 8.1 Definition von Gesten und Gestentypen 8. Gestik und Syntax: Erste multimodale Sätze Die Forschung der letzten 20 Jahre verweist auf ein Phänomen, das lange übersehen wurde, nämlich dass Menschen gestikulieren, wenn sie sprechen. Für die Forschung im Bereich des Spracherwerbs hat die Untersuchung dieses Phänomens neue Erkenntnisse erbracht: Gestisches Verhalten (im Folgenden auch als „Gestik“ bezeichnet und mit Bezug auf Armgesten verwendet) macht es Kindern möglich, nonverbal zu kommunizieren, bevor sie sich in der Lautsprache äußern können. Zudem erlaubt die enge Kopplung von Lautsprache und Gestik Einblicke in die frühen kognitiven Prozesse des Lernens und die Verbindung der verbalen Äußerungen mit motorischer Erfahrung. Im folgenden Kapitel wird aufgezeigt, dass Gestik nicht nur im Hinblick auf den Erwerb erster Wörter eine Vorläuferfunktion erfüllt. In einem multimodalen Ausdruck (Kombination von Wörtern und Gesten) verknüpfen Kinder Informationen miteinander. Diese Verknüpfung scheint für die Entwicklung von Syntax essenziell. Um diese komplexe Funktion von Gestik aufzuzeigen, werden zunächst Gesten definiert und in Typen differenziert. Die Inhalte des Kapitels umfassen primär die kindliche Entwicklung der einzelnen Gestentypen (ihr Verständnis und ihre Produktion) und ihre Rolle im Spracherwerb. Wie sich gestisches Verhalten bei Bezugspersonen gestaltet, wird in Kapitel 13 unter gesturese thematisiert. Zum Schluss des Kapitels kommt die Frage zum Tragen, ob sich atypische Entwicklungsverläufe im kommunikativen Verhalten bereits bei jungen Kindern auf der Grundlage ihres gestischen Verhaltens feststellen lassen. 8.1 Definition von Gesten und Gestentypen Was sind Gesten? In der Definition von Kendon (2004) werden Gesten als visuell wahrnehmbare Bewegungen charakterisiert, die als Äußerung oder Teil einer Äußerung genutzt werden. Diese Definition spiegelt die Perspektive des Sprechers wider. Für die kindlichen Gesten ist ebenfalls die Tatsache wichtig, dass diese von den Interaktionspartnern aufgegriffen werden. Manche Bewegungen beabsichtigen Kinder 44783_Rohlfing_SL3a.indd 165 17.04.2019 14: 20: 41 166 8. Gestik und Syntax: Erste multimodale Sätze zum Beispiel gar nicht als Äußerung; sie werden jedoch trotzdem als Teil der Kommunikation wahrgenommen. Eine Studie mit drei Monate alten Säuglingen verdeutlichte, dass sie in der Lage sind, eine Körperspannung aufzubauen, wenn sich ihre Bezugsperson nähert (Reddy u. a., 2015). Diese Körperspannung ergibt sich aus der Tatsache heraus, dass Säuglinge in solchen Situationen häufig hochgehoben werden. Die Spannung deckt sich also mit der Erwartung dieser Handlung. Sie wird jedoch auch als kommunikatives Signal verstanden und als Absicht der Kinder interpretiert, hochgehoben werden zu wollen. Abner und Kolleginnen (2015) unterscheiden zwischen informativen und absichtsvollen Gesten. Sie weisen darauf hin, dass viele alltägliche Handlungen keine Kommunikationsabsicht haben, aber andere Personen als ein informatives Signal erreichen. Zum Beispiel informiert die Bewegung einer Tasse vom Mund weg darüber, dass jemand gerade etwas getrunken hat. Eine entsprechend geformte, aber leere Hand, die sich zum Mund bewegt, kann die Handlung des Trinkens kommunizieren (Abner u. a., 2015). Deshalb definieren die Autorinnen Gesten als Teil einer generellen Kommunikationshandlung: „This does not mean that we are fully aware of all of our gestures or that they all have crystal clear meanings, just that they are part of our general effort to communicate” (Abner u. a., 2015: 438). Da junge Kinder die Absicht des Kommunizierens erst entwickeln, ist die Unterscheidung zwischen informativen und kommunikativen Gesten umso schwieriger. Bei ihnen ist nicht klar, was eine Geste ist. Denn auch wenn Kinder einige kommunikative Mittel von sich aus anwenden (siehe Kapitel-8.2), werden diese erst im Verlauf der Entwicklung durch das Aufgreifen seitens der sozialen Umwelt konventionalisiert. Welche Gestentypen gibt es? Abner und Kollegen (2015) fassen zusammen, dass Gesten auf unterschiedliche Weise typologisiert werden können. Zum einen können sie nach dem Artikulationsort aufgeteilt werden: So werden manche Gesten im Gesicht produziert, manche mit den Armen, den Schultern usw. In der Forschung haben sich jedoch hauptsächlich Armgesten, die das Sprechen begleiten, als Untersuchungsgegenstand etabliert. Für den frühen Spracherwerb haben sie eine primäre Bedeutung (Rohlfing u. a., 2017b). Eine andere Weise, Gesten zu unterscheiden, ist nach ihrer Funktion in der Kommunikation. Hierbei wird zwischen interaktiven und repräsentativen Gesten unterschieden (Abner u. a., 2015). Während interaktive Gesten (auch 44783_Rohlfing_SL3a.indd 166 17.04.2019 14: 20: 41 167 8.1 Definition von Gesten und Gestentypen pragmatische Gesten genannt) dem Kommunikationsmanagement dienen und zum Beispiel Betonungen untermalen, können repräsentationale Gesten einen Inhalt vermitteln und haben die Funktion, auf etwas in der Welt Bezug zu nehmen. Für die Entwicklung von Sprache stehen in der Literatur vor allem die deiktischen und ikonischen Gesten als Unterkategorien der repräsentationalen Gesten im Fokus (Rohlfing u. a., 2017b; für weitere Gestentypen siehe z. B. Abner u. a., 2015): Bei jungen Kindern zwischen 11 und 24 Monaten treten überwiegend deiktische Gesten (siehe auch Kapitel- 8.3 und Abb. 15) auf (z. B. Esteve-Gibert & Prieto, 2014). Zu sehen ist dabei häufig ein ausgestreckter Zeigefinger, mit dem Kinder auf Objekte, Ereignisse oder Personen deuten. Auf diese Weise deuten sie auf einen Referenten. Die vollständige Bedeutung erhält die Geste durch den Kontext, in dem sie erscheint: Nur, wer sehen kann, worauf ein Kind zeigt, wird sich die Äußerung erschließen können. Für sich genommen, ist eine deiktische Geste bedeutungslos. Es ist wichtig zu betonen, dass nicht nur die prototypische Zeigegeste in Form eines ausgestreckten Zeigefingers unter diesen Typ fällt. Die Funktion einer deiktischen Geste kann unter anderem auch vom Blick oder einer Kopfbewegung (u. a.) übernommen werden. Der Frage, für welchen kommunikativen Zweck deiktische Gesten im Säuglingsalter ausgeführt werden, ging Liszkowski (z. B. 2015) nach. Der Autor weist darauf hin, dass deiktische Gesten bei Säuglingen kulturübergreifend zu beobachten sind. Kinder im Alter von 12 Monaten verwenden ihre Zeigegesten für vielfältige Absichten. Folgende Hauptmotive können unterschieden werden (Liszkowski, 2015: 30): Die Absicht ▶ von anderen mit dem imperativen Zeigen Hilfe einzufordern (Motiv des Forderns) ▶ anderen mittels informativen Zeigens Hilfe anzubieten (Motiv des Helfens) ▶ mit ihrem expressiven Zeigen ihr Interesse mitzuteilen (Motiv des Teilen- Wollens), was auch mit einem deklarativen Motiv gleichzusetzen ist (siehe auch Abb. 15). Liszkowski betont, gestische Äußerungen stünden nicht am Anfang der Kommunikationsentwicklung. Vielmehr beruhen sie auf sozialen Handlungen, die bereits früh in der Entwicklung innerhalb einer Interaktion mit Bezugspersonen stattfinden (Liszkowski, 2015: 27). Somit knüpfen gestische Äußerungen an bereits vorhandene Strukturen des Miteinanders an. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 167 17.04.2019 14: 20: 41 168 8. Gestik und Syntax: Erste multimodale Sätze Abbildung 15: Ausführung einer Zeigegeste (deiktische Geste) bei einem einjährigen Kind. Im Vergleich zu deiktischen Gesten zeichnen sich ikonische Gesten (siehe auch Kapitel-8.4) wiederum dadurch aus, dass ihre Form oder Bewegung für einen Inhalt steht und diesen relativ unabhängig vom Kontext übermitteln kann. Insofern kann eine ikonische Geste auch für sich stehen und eine bestimmte Bedeutung in ihrer Ausführung tragen. Heller und Rohlfing (2015) untersuchten die Gestik von Kindern im Alter von 10 bis 24 Monaten und fanden Beispiele für ikonische Gesten in einer Vorlesesituation: Ein Kind im Alter von 17 Monaten ballte seine Faust und bewegte sie hin und zurück, um auf die Frage seiner Mutter Was macht der Junge da? anzudeuten, dass ein Kind auf dem Bild hin und her schaukelte. 8.2 Methodische Herausforderung: Multimodalen Ausdruck erfassen Gesten stehen für eine visuelle, Lautsprache wiederum für eine auditive Modalität der Kommunikation. Beim Äußerungsverhalten kommen jedoch beide Modalitäten häufig in Verbindung vor. Forschungsmethodologisch stellt sich daher die Frage, wie man einen multimodalen Ausdruck eines Kindes erfassen kann. Die Frage enthält eine Herausforderung, da das verbale mit dem nonverbalen Verhalten auf eine vielfältige Art zusammenspielen kann. Für den Spracherwerb sind vor allem die zeitliche und semantische Synchronisation beider Modalitäten von Interesse. Diese gelten für alle Gestentypen. Die temporäre und semantische Synchronisation lässt sich am besten anhand der Phasen einer 44783_Rohlfing_SL3a.indd 168 17.04.2019 14: 20: 41 169 8.2 Methodische Herausforderung: Multimodalen Ausdruck erfassen Handgeste erklären (Rohlfing, 2013). Kendon (1980) zeigt drei Phasen auf, die zeitlich aufeinander folgen und sich in ihrem Verlauf zu einer prototypischen Handgeste fügen: 1. eine Vorbereitungsphase (engl.: preparation): die Hand verlässt ihre Ruheposition und bewegt sich; 2. einen Schlag (engl.: stroke): die Hand schlägt aus und akzentuiert etwas; dies ist die Hauptphase (die bedeutungsvollste Phase) der Gestenausführung; 3. eine Rückzugsphase (engl.: retraction): die Hand fällt in ihre Ruheposition zurück. Während die Vorbereitungs- und die Rückzugsphase einer Geste optional sind, ist der Schlag für die Gestenausführung essenziell (McNeill, 2012). Esteve-Gibert und Prieto (2014) berichten, dass Gestik bei jungen Kindern bereits ab dem Zeitpunkt des Lallens synchronisiert erscheint: Der Ausschlag gilt dann dem Beginn einer prominenten Silbe in der Lautsprache. Ein enges Timing zwischen den Modalitäten (Gestik und Lautsprache) kann also früh in der kindlichen Entwicklung angenommen werden; zugleich kommt es nicht immer zu solch einem eindeutigen Timing und somit zu einer Eins-zu-eins-Korrespondenz in der Echtzeit. Zum Beispiel können Gesten beobachtet werden, die dem Sprechen vorausgehen. Man gewinnt den Eindruck, dass sie dabei behilflich sind, ein adäquates Wort zu finden, wie in dem Satz: Ich habe es [Zeigegeste auf den Tisch] auf den Tisch gelegt. Solche Besonderheiten im Timing führen in der Forschungspraxis dazu, dass das gestische dem lautsprachlichen Verhalten nicht immer eindeutig zugeordnet werden kann. McNeill (1992: 25) fasst grob zusammen: „gesture and speech have a constant relationship in time“; Gestik stellt jedoch nicht eine Übersetzung von Sprache in visuo-kinetische Form dar. In der Growth Point-Theorie (McNeill, 1992; McNeill & Duncan, 2000) steht daher das Zusammenspiel von imaginärem (in Form von räumlich-motorischen Repräsentationen) und linguistischem kategorischen Denken für die Planung einer Äußerung im Vordergrund. Seine zeitliche Korrespondenz weist eine hohe Variabilität auf. Kurz gefasst: Nach der Growth Point-Theorie kann man nicht von einer Eins-zu-eins-Korrespondenz in der Zeit zwischen Sprache und Geste ausgehen. Vielmehr können sich Signale zweier Modalitäten (z. B. Bewe- Semantische Synchronisation (Box-49): Das gemeinsame Auftreten von Geste und Lautsprache kann verstärkend oder ergänzend semantisch synchronisiert sein. Die semantische Synchronisation gilt als verstärkend (engl.: complemented), wenn der gleiche Inhalt sowohl in der Lautsprache als auch in der Geste vermittelt wird. Der multimodale Ausdruck gilt wiederum als ergänzend (engl.: supplemented), wenn in beiden Modalitäten unterschiedliche, aber relevante Inhalte vermittelt werden. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 169 17.04.2019 14: 20: 42 170 8. Gestik und Syntax: Erste multimodale Sätze gung der Geste auf der einen und der Zeitraum der Lautsprache auf der anderen Seite) auf unterschiedliche Weise überlappen: Sie können exakt den gleichen Beginn wie auch das gleiche Ende aufweisen (was sehr selten vorkommt); sie können sich aber auch nur zum Teil überlappen oder einander systematisch ‚ankündigen‘, wie im Beispiel e) in Abbildung 16. Abbildung 16: Unterschiedliche zeitliche Überlappungen zwischen zwei Modalitäten (aus: Nomikou & Rohlfing, 2011): (a) vollständige zeitliche Überlappung; (b), (c), (d) partielle zeitliche Überlappung, (e) systematische ‚Ankündigung‘, d. h. eine Modalität geht der anderen zeitlich voraus. Wie in Abbildung 16 verdeutlicht, erstreckt sich das Verhalten in beiden Modalitäten über eine bestimmte Zeit und wird daher häufig in Form eines Intervalls kodiert. Das Problem der nicht eindeutigen zeitlichen Korrespondenz zwischen einem Verhalten in zwei unterschiedlichen Modalitäten wird in vielen Laboren mit einem Zeitfenster von 2 Sekunden gelöst. Das heißt: Tauchen in einem Zeitfenster von 2 Sekunden Gestik und Lautsprache gemeinsam auf, werden sie aufeinander bezogen. Aus dieser Entsprechung wird die Bedeutung der Geste abgeleitet. In einigen Forschungsarbeiten wird die Entsprechung als semantische Synchronisation von gestischem und lautsprachlichem Ausdruck festgehalten (siehe Box-49). Zeigt zum Beispiel eine Person auf einen Apfel und sagt Apfel, dann verstärken sich die beiden Modalitäten im Hinblick auf den Referenten 44783_Rohlfing_SL3a.indd 170 17.04.2019 14: 20: 42 171 8.2 Methodische Herausforderung: Multimodalen Ausdruck erfassen (Iverson & Goldin-Meadow, 2005: 368). Wenn eine Person auf einen Apfel zeigt und dazu meins sagt, dann verbindet sie zwei unterschiedliche Informationen miteinander: In diesem Falle wird der Referent durch eine Zeigegeste identifiziert, und der Sprecher fügt in der Lautsprache noch die Information über den Besitz hinzu. Je nach Art, wie sich die lautsprachlichen und gestischen Inhalte ergänzen, kann dieser Typ des multimodalen Ausdrucks in „Disambiguate [klärend]“ und „Add [hinzufügend]“ unterteilt werden (Iverson u. a., 1999: 62). Diese Kodierung einer Geste als den lautsprachlichen Ausdruck verstärkend oder ergänzend kann wiederum Aufschluss über die syntaktische Entwicklung eines Kindes geben: Wenn ein Kind zusätzlich zu einem Wort eine ergänzende Angabe in gestischer Form hinzufügt, dann ist es bereits in der Lage, Informationen multimodal miteinander zu verknüpfen. Dieses Hinzufügen von Informationen wird im folgenden Beispiel verdeutlicht, in dem ein 22 Monate altes Mädchen mit seiner gestischen Ergänzung eine Verneinung bewirkt (Rohlfing, 2013; siehe Abb. 17): Abbildung 17: Das Transkript enthält ein Beispiel einer nichtverbalen Verneinung (Zeile 06-07). Deiktische Gesten (Box- 50): Deiktische Gesten (engl.: deictic gestures) werden auch indexikalische Gesten genannt. Ihre Funktion besteht darin, eine Referenz zum Hier und Jetzt herzustellen, auf Objekte oder Ereignisse hinzuweisen oder schlicht die Aufmerksamkeit des Partners dorthin zu lenken. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 171 17.04.2019 14: 20: 42 172 8. Gestik und Syntax: Erste multimodale Sätze Das Beispiel (Abb. 17) besteht aus 3 Turns, die einen Austausch zwischen Hannah und ihrer Mutter verdeutlichen. Die Zeilen deuten auf eine zeitliche Übereinstimmung hin: Während die Mutter „im Kindergarten“ äußert, schaut Hannah sie an. Zum Schluss des Beispiels, im 3. Turn, gebraucht das Mädchen die Äußerung da und schüttelt dazu den Kopf. Zusammen ergibt dieser multimodale Ausdruck eine Verneinung: Cynthia ist nicht da. Interessanterweise konnte das Mädchen im Alter von 23 Monaten bestimmte Aspekte der konventionalisierten Kopfgeste, nämlich die waagerechte Bewegung, auf andere Handlungen übertragen und damit ihren verbalen Ausdruck anreichern: Auf einem Spielplatz zeigte sie einen Erwachsenen eine leere Dose, schüttelte diese waagerecht und sagte drin. Gemeint war in dieser Kombination, dass in der Dose nichts drin ist. Die negierende Kopfbewegung wurde hier auf die Präsentation eines Objektes übertragen. Butcher und Goldin-Meadow (2000) beobachteten, dass Gesten-Lautsprache- Kombinationen just zu dem Zeitpunkt in der Kindersprache zunehmen, wenn die Kinder bereits begonnen haben, Gesten mit bedeutungsvollen Äußerungen zu begleiten (d. h. verstärkend einzusetzen). Diesen Zeitpunkt, zu dem es zu einer Verschmelzung zwischen Gestik und Lautsprache im Ausdruck kommt, nennen die Autorinnen „convergence point [Zeitpunkt der Verschmelzung]“ (ibid.: 248; vgl. Rohlfing, 2013: 163). Es sei darauf hingewiesen, dass das oben skizzierte übliche Vorgehen in der Forschungspraxis, nämlich die temporale Synchronisation mit der semantischen gleichzusetzen, für die Bestimmung der Bedeutung der Gestik hilfreich ist, jedoch mit einigen theoretischen Ansätzen nicht im Einklang steht (siehe die Growth Point-Theorie nach McNeill & Duncan, 2000; Rohlfing, 2013: 155). Gerade für die Erforschung von Gesten im Erwerb ist es sinnvoll, nicht die Einheit zwischen Gestik und Lautsprache als Ausgangspunkt anzunehmen, sondern die Untersuchungen auf das Zusammenwirken in verschiedenen Kontexten und mit Blick auf verschiedene Motive zu fokussieren. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 172 17.04.2019 14: 20: 42 173 8.3 Entwicklung von Zeigegesten 8.3 Entwicklung von Zeigegesten Zu dem Typ der deiktischen Gesten (siehe Box-50) zählen vor allem: ▶ das Zeigen, d. h. das Hinhalten eines Objektes, sodass es vom Interaktionspartner wahrgenommen werden kann; ▶ das Hindeuten mit dem Zeigefinger, der Handfläche oder der ausgestreckten ganzen Hand in Richtung eines Objektes oder eines Ereignisses; ▶ das Hochhalten oder Geben, das ebenfalls als eine deiktische Geste verstanden werden kann. Im Folgenden steht die Entwicklung der Zeigegeste (Hindeuten mit dem Zeigefinger) im Vordergrund. Verständnis von Zeigegesten Das Verständnis einer Zeigegeste weist die Fähigkeit nach, an gemeinsamen Aufmerksamkeitsbezügen teilnehmen zu können (siehe Kapitel- 5). Um einer Zeigegeste zu folgen, müssen Kinder in der Lage sein, sich von dem Stimulus selbst (der Zeigegeste und der zeigenden Person) zu lösen. In einer Studie mit 3 bis 4 Monate alten Kindern verdeutlichten Amano und Kollegen (2004) wie schwierig es für Säuglinge ist, sich von dem Gesicht des Interaktionspartners zu lösen. Letztendlich waren zwei Faktoren hilfreich: Zum einen war es die Vertrautheit mit dem Gesicht (ein unbekanntes Gesicht einer zeigenden Person lenkt Kinder von der eigentlichen Geste ab); zum anderen war es die Kombination von Zeigegeste und Blick (ein zusätzlicher Blick verstärkt das Lenken). In einem Experiment, in dem der Hauptstimulus in Form einer Zeigegeste zum Zeitpunkt des Tests ausgeblendet wurde, fanden Rohlfing und Kollegen (2012), dass Kinder im Alter von 6 Monaten bereits ein rudimentäres Verständnis einer dynamischen Zeigegeste demonstrieren können. Eine statische Präsentation oder die Präsentation eines Pfeils (Bertenthal u. a., 2014) hingegen konnten die Aufmerksamkeit der Säuglinge nicht beeinflussen. Auch wenn sich in Experimenten ein rudimentäres Verständnis schon bei 6 Monate alten Kindern feststellen lässt, so benötigen Kinder in einer natürlichen Umgebung ein Bündel aus Achtungssignalen, um eine Zeigegeste korrekt deuten zu können (Flom u. a., 2004). In seinem natürlichen Vorkommen wird das Ausstrecken eines Arms und die Verlängerung eines Zeigefingers von weiteren Signalen wie der Blickbewegung in Richtung des Referenten begleitet; dieser 44783_Rohlfing_SL3a.indd 173 17.04.2019 14: 20: 42 174 8. Gestik und Syntax: Erste multimodale Sätze (Gesamt-)Geste können Kinder im Alter von 9 Monaten folgen. Festzuhalten bleibt daher, dass das Verständnis einer Zeigegeste für junge Kinder in einer reichen Umwelt stattfindet, in der sie von ihrer perzeptuellen Sensibilität, zum Beispiel für Bewegung und von ihrer Vertrautheit mit der Bezugsperson Gebrauch machen. Für die spätere Fähigkeit, eine statische Zeigegeste zu deuten, benötigen Kinder Erfahrungen aus Interaktionen mit ihren Bezugspersonen. Die Bezugspersonen unterstützen den Aufbau des Verständnisses von Gesten dadurch, dass sie die kindliche Sensibilität in interaktive Routinen einbauen. In einer Studie von Rossmanith und Kollegen (2014) wurden Kinder mit ihren Bezugspersonen beim gemeinsamen Buchvorlesen beobachtet. Die Zeigegesten, die die Bezugspersonen ausführten, waren auffällig, zum Beispiel durch eine dynamische Auf- und Abbewegung. Diese Bewegung führen Bezugspersonen häufig aus, um Kindern Objekte näher zu bringen (Gogate u. a., 2000; siehe Kapitel- 4.6). Die Körperbewegung, die durch Gesten erzeugt wird, knüpft hier an die kindliche Sensibilität für menschliche Bewegung an und wird von Bezugspersonen genutzt, um Kinder für die Signale der Kommunikation zu spezialisieren. Mit Bezug auf Liszkowski (2015), der Gesten in soziale Handlungen eingebettet sieht, kann das Argument aufgestellt werden, dass Kinder Gesten nicht isoliert betrachten, sondern genau analysieren, was ihnen vorangeht und welche Konsequenzen sie haben: Eine Person schaut ein Kind an und streckt ihren Finger zum Himmel aus, wo es ein Flugzeug beobachten kann. Aus solchen Handlungssequenzen (Anschauen, Zeigegeste, Vorkommen des Referenten) kann ein Kind die Erwartung ableiten, dass es immer wenn eine Person eine Zeigegeste benutzt, auf ein interessantes Ereignis / Objekt aufmerksam gemacht wird. Eine solche Erwartung wird als referenzielle Erwartung (engl.: referential expectation) bezeichnet, und Gliga und Csibra (2009: 352) stellten diese bei 12 Monate alten Kindern fest. Es handelt sich hierbei um einen kognitiven Zustand, dass der Referent in Richtung der Zeigegeste auftaucht. Das Argument, das Verständnis von deiktischen Gesten gehe mit einer Erwartung einher, wird durch eine Studie mit 14 bis 28 Monate alten Kindern gestützt, bei der Morford und Goldin-Meadow (1992) herausfanden, dass Gesten nicht nur eine erhöhte Aufmerksamkeit bei Kindern zur Folge hatten, sondern diese auch unterschiedliche Antworten darauf gaben, die spezifisch auf den Typ der Geste zugeschnitten waren. Diese Befunde weisen auf ein frühes Verständnis von unterschiedlichen Gestenfunktionen hin, die sich in unterschiedlichen Handlungssequenzen finden. Dementsprechend berichtet Lüke (2015: 164), 44783_Rohlfing_SL3a.indd 174 17.04.2019 14: 20: 42 175 8.3 Entwicklung von Zeigegesten dass deiktische Gesten (siehe Kapitel-8.1) je nach Funktion früher oder später verstanden werden: Im Alter von 12 Monaten verstehen über 75 % der Kinder eine aufmerksamkeitslenkende aber nur über 40 % eine informative Geste, die die Funktion hat, durch das Andeuten eine Handlung zu vervollständigen. Eine imperative Geste, also eine Aufforderung zum Geben, wird bereits in diesem Alter zu 100 % verstanden. Produktion von Zeigegesten Zeigegesten, wie sie durch das Ausstrecken des Zeigefingers definiert sind, können bereits im Alter von 3 Monaten beobachtet werden (Hannan, 1987; Masataka, 2003). Einige Autoren nehmen an, dass diese ersten Zeigegesten der Selbstregulation der kindlichen Aufmerksamkeit, die die Objektexploration begleitet, dienen und in Interaktionen kaum vorkommen. Masataka (2003) beobachtete sie jedoch während sprachähnlicher Vokalisierung-- ein Zeichen für eine enge Verbindung von Gestik und Sprache (Iverson, 2010). Bezugspersonen greifen diese Art der frühen Gesten zunächst nicht auf (Hannan, 1987). Eine interaktive Funktion (und ihre neuronale Verarbeitung) lässt sich erst bei 8 Monate alten Kindern identifizieren (Gredebäck u. a., 2010). In ihrem interaktiven Verhalten beginnen Kinder frühestens mit 9 Monaten Zeigegesten zu produzieren (Tomasello u. a., 2005) und koppeln sie graduell mit der Lautsprache (Aureli u. a., 2017). Das Auftreten der Zeigegeste wird in der Literatur mit einer kognitiven Revolution gleichgesetzt (Tomasello u. a., 2005): Sie ermöglicht neue Formen der Kommunikation, die wiederum die kognitive Entwicklung vorantreiben. Die primäre Funktion der Zeigegeste in der Produktion ist die Deixis (Rohlfing, 2013: 156); die Geste ist an sich bedeutungslos (Liszkowski, 2005) und erst der Kontext, in dem sie ausgeführt wird, verleiht ihr eine Bedeutung. Es geht bei der Ausführung primär darum, die eigene Aufmerksamkeit mit der einer anderen Person zu koordinieren, sodass sich ein Objekt oder ein Ereignis im gemeinsamen Fokus befindet (Butterworth, 2003). Im Sinne dieser Funktion koordinieren Kinder ihr Verhalten mit ihrem Interaktionspartner (Box- 40). Ursprünglich wurde der Zeigegeste in diesem Rahmen eine deklarative oder imperative Funktion zugeschrieben (Bates u. a., 1975; siehe Kapitel-8.1 und Abb. 18). Wenn also ein Kind auf ein Objekt deutet, kann das als eine deklarative Äußerung verstanden werden, mit dem Ziel, dem Partner dieses Objekt zu zeigen. Mattos und Hinzen (2015) sprechen solchen Äußerungen die Funktion 44783_Rohlfing_SL3a.indd 175 17.04.2019 14: 20: 42 176 8. Gestik und Syntax: Erste multimodale Sätze von proto-Determinansphrasen zu. Eine Längsschnittstudie von Cartmill und Kolleginnen (2014) bestätigte diese Annahme: Der Zeitpunkt der ersten Kombinationen von Zeigegesten mit einem Wort sagte den Zeitpunkt für das Auftreten von Determinansphrasen in der Lautsprache vorher. Abbildung 18: Zeigegeste in ihrer deklarativen (links) und imperativen (rechts) Funktion. Dagegen birgt die imperative Funktion des Hindeutens eine Aufforderung an den Gesprächspartner, das Objekt zu überreichen. In diesem Falle möchte das Kind ein bestimmtes Objekt erhalten; die Geste wie auch der Gesprächspartner sind dabei ein Mittel, das Objekt zu bekommen. Dieser Unterschied in den Funktionen wurde von Aureli und Kollegen (2017) betrachtet, um die Kopplung zwischen der Zeigegeste und der Lautsprache zu untersuchen. Die Kopplung erfordert wenige Monate und fand vor allem dann statt, wenn die Kinder sich deklarativ äußerten. Der enge Bezug von deklarativen Zeigegesten und Lautsprache wird durch eine Metaanalyse von Collonesi und Kollegen (2010) gestützt, in der sie aufdeckten, dass Zeigegesten, die von Kindern im Alter von 10 bis 11 Monaten mit deklarativer Funktion ausgeführt werden, jedoch nicht die Gesten zu imperativen Zwecken, mit späterer Vokabularentwicklung im Alter von 15 bis 20 Monaten zusammenhängen. Kritisch anzumerken sei an dieser Stelle, dass es wenige Studien zum imperativen Zeigen gibt. Eine weitere Unterstützung für eine enge Verbindung von deklarativen Gesten und Lautsprache wird aus Studien mit Kindern mit Autismus-Spektrum-Störung (siehe Box-12) ersichtlich. Tomasello und Camaioni (1997) beobachteten, dass Kinder mit ASS ihre Zeigegesten weniger zu deklarativen als zu imperativen Zwecken ausführten, was im Einklang mit den Defiziten in der sozialen Interaktion steht, die diese Gruppe aufweist. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 176 17.04.2019 14: 20: 42 177 8.3 Entwicklung von Zeigegesten In der Forschungspraxis lässt sich die Funktion einer Zeigegeste häufig schwer identifizieren, selbst dann, wenn der Kontext des Auftretens stark eingeschränkt wird (Lüke, 2015). Im Hinblick auf die Kontexte des Auftretens hat die Forschung der letzten Jahre-- insbesondere die von Liszkowski (zusammengefasst in Liszkowski, 2015)- - vielfältige Zwecke einer kindlichen Zeigegeste aufdecken können. Unabhängig vom Zweck produzieren Kinder ihre Zeigegeste zunächst ohne auf das Gesicht des Erwachsenen zu achten (Desrocher u. a., 1995). Ein weiteres Entwicklungsstadium besteht darin, dass Kinder zunächst auf einen Referenten hindeuten, aber dann innerhalb der nächsten Sekunde auf das Gesicht des Erwachsenen schauen. Schließlich wird ein Stadium erreicht, in dem Kinder zuerst das Gesicht des Erwachsenen anschauen, bevor sie ihre Zeigegeste ausführen. Diese Entwicklungsstadien verdeutlichen, dass Kinder die Koordination mit ihrem Interaktionspartner lernen müssen (siehe Box-51). Liszkowski (2005) vertritt die Meinung, dass Kinder deshalb motiviert sind, sich enger mit dem Partner zu koordinieren und das visuelle Rückversichern (Box- 51) zu entwickeln, weil sie ihre Interessen und Aufmerksamkeit teilen wollen. Zusätzlich zu dieser inneren Motivation entwickelt sich das visual checking möglicherweise aus der Geschichte der sozialen Interaktion heraus als ein fest etabliertes Kommunikationsmuster. Neuere Erkenntnisse zur Entwicklung der Zeigegeste machen auf deren Form aufmerksam, die für die Sprachentwicklung relevant ist: In einer Längsschnittstudie mit 59 Kindern zeigten Lüke und Kollegen (2017a), dass Kinder, die im Alter von 12 Monaten lediglich mit der ganzen Hand, nicht aber mit einem Zeigefinger, auf Objekte oder Ereignisse im Raum Bezug nahmen, mit 24 Monaten ein größeres Risiko für Sprachentwicklungsverzögerungen aufweisen. Zusätzlich ist bei dieser Gruppe von Kindern (siehe Box-52) im Laufe des zweiten Lebensjahres ein geringerer Zuwachs von Zeigegesten zu verzeichnen, die mit einem Zeigefinger ausgeführt werden (Lüke u. a., 2017b)-- eine Form, die mit Fortschritten im Verstehen von Zeigegesten in Verbindung gebracht wird (Liszkowski & Tomsello, 2011). Neben der Form widmete sich eine Reihe von Studien der ausführenden Hand. Dieser Aspekt ist insofern relevant, als repräsentationale Gesten, die mit Visual checking (Box-51): Im Laufe ihrer Entwicklung zeichnet sich die Koordination der gemeinsamen Aufmerksamkeitsbezüge durch zunehmendes Engagieren der Kinder aus, d. h. sie gehen sicher, dass der Interaktionspartner dorthin schaut, wohin sie seine Aufmerksamkeit lenken wollen. Diese Koordination, die mittels Blickkontakt erfolgt, wird visuelles Rückversichern (engl.: visual checking) genannt. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 177 17.04.2019 14: 20: 42 178 8. Gestik und Syntax: Erste multimodale Sätze der rechten Hand produziert werden, mit der linken Gehirnhälfte und somit stärker mit der Sprachverarbeitung in Verbindung stehen (siehe auch Müller, 2013: 72 ff.). Während einer Mutter-Kind-Interaktion beim freien Spiel fand Hannan (1987) mehr Gesten, die mit der rechten als mit der linken Hand ausgeführt wurden. Vauclair und Cochet (2013) sehen Ausführungen von Zeigegesten mit der rechten Hand im Zusammenhang mit einem fortgeschrittenen Spracherwerb. 8.4 Entwicklung von ikonischen Gesten Ikonische Gesten- (siehe Box- 53) lassen sich- in zwei Untertypen unterscheiden: Objektbezogene Gestik (engl.: object-related gesture) repräsentiert ausgewählte Aspekte des Referenten, wie zum Beispiel das Flattern mit den Fingern für einen Vogel oder die Bewegung des Trinkens, um einen Becher anzudeuten. Ein besonderer Typ der objektbezogenen Gestik sind symbolische Gesten, die die Bedeutung in ihrer Form tragen (siehe Info zur Babysprache). Konventionalisierte Gesten (engl.: conventional gestures) wiederum werden wie soziale Marker gebraucht und zeichnen sich durch die Stabilität der Geste aus, die sich über unterschiedliche Kontexte wenig verändert. Ihre Bedeutung ist entweder kulturell (in unserer Kultur steht Kopfnicken für ja und Kopfschütteln für nein) oder in einem festen situativen Rahmen zwischen Interaktionspartnern festgelegt (z. B. sieht ein Kind einen erhobenen Finger, wenn es ermahnt wird). Die Definition der ikonischen Gesten mit dem wesentlichen Merkmal, für einen Referenten zu stehen, und somit kontextunabhängiger zu sein als eine deiktische Geste, ist nicht unproblematisch. Denn auch eine Zeigegeste kann dieses Merkmal im Ansatz erfüllen: Liszkowski und Kollegen (2007) konnten beobachten, dass Kinder eine Zeigegeste, die nicht (mehr) unmittelbar ist im Hinblick auf Referenten ausführen. Auch lässt sich mit einer Zeigegeste eine Form realisieren (z. B. durch Zeichnen in der Luft), die repräsentative Eigenschaften des Referenten aufgreift. Zusätzlich kann die Trajektorie (der Bewegungsverlauf) einer Zeigegeste ergänzende Informationen vermitteln (Rohlfing Ikonische Gesten (Box-53): Mit ikonischen Gesten (engl.: iconic gestures) wird eine Referenz hergestellt, ohne dass der Referent unmittelbar greifbar ist. Dieser Effekt lässt sich dadurch erzielen, dass die Hand- und Armbewegungen in ihren Ausführungen Merkmale des Referenten aufgreifen (z. B. die Form eines Objektes). 44783_Rohlfing_SL3a.indd 178 17.04.2019 14: 20: 42 179 8.4 Entwicklung von ikonischen Gesten u. a., 2015). Es lässt sich also festhalten, dass, obwohl diese repräsentativen Eigenschaften typisch für eine ikonische Geste sind, sie sich durch eine Zeigegeste ebenfalls realisieren lassen. Verständnis von ikonischen Gesten Das Verstehen einer ikonischen Geste ist aufgrund ihrer semantisch beladenen Ausführung (Form, Bewegung), die einen Bezug zu Entitäten und ihren Eigenschaften in der Welt herstellt, weniger vom Kontext abhängig (siehe Box- 53). Allerdings müssen im Verständnisprozess die ausgewählten Aspekte des Referenten nachvollzogen werden. Aktuelle Studien legen daher ein recht spätes Verständnis nahe, das um den 26. Lebensmonat beginnt (Stanfield u. a., 2014). Obwohl sich in der kindlichen Entwicklung ein Verständnis für ikonische Gesten später als für deiktische Gesten feststellen lässt, wird aus experimentellen Wortlernstudien deutlich, dass junge Kinder bereits viel früher (bereits ab 20 Monaten) ikonische Gesten nutzen, um ihr Lernen zu verbessern. Zwei Studien unterstützen diese Aussage. Die erste Studie geht auf Capone und McGregor (2005) zurück, die 27 bis 30 Monate alten Kindern ikonische Gesten als Unterstützung für das Wortlernen anboten. Diese bezogen sich in einer Bedingung auf die Form (z. B. repräsentierte eine ausgestreckte flache Hand ein flaches Objekt), in einer weiteren Bedingung auf die Funktion eines Objektes (z. B. brachte eine Bewegung des Handgelenks zum Ausdruck, dass das Objekt gedreht werden kann). In einer Kontrollbedingung wurde Kindern in ihrem Wortlernprozess keine Geste dargeboten. Ein anschließender Test überprüfte, ob Kinder den Referenten auf einem Foto wiedererkennen und das passende Wort dazu sagen konnten. Insgesamt lag die Wortlernleistung der Kinder aus beiden Gestikbedingungen über der Leistung der Kinder aus der Kontrollbedingung. Die Autorinnen schlussfolgerten daher, dass ikonische Gesten das Wortwissen der Kinder anreichern. Zudem erwies sich die Geste, die die Form repräsentierte, als wirksamer als die Geste, die die Funktion eines Objektes aufgriff. In einer weiteren experimentellen Studie testeten McGregor und Kolleginnen (2009), inwiefern junge Kinder im Alter von 20 bis 24 Monaten beim Erwerb einer räumlichen Präposition von einer gestischen Darbietung profitieren können. Die Kinder wurden in unterschiedlichen Bedingungen trainiert: In einer Gruppe lernten die Kinder das Wort unter mit Unterstützung einer symbolischen Geste. Eine weitere Gruppe von Kindern lernte das Wort kennen, indem sie die räumliche Relation auf einem Bild gezeigt bekam (z. B. ein Boot unter 44783_Rohlfing_SL3a.indd 179 17.04.2019 14: 20: 42 180 8. Gestik und Syntax: Erste multimodale Sätze eine Brücke). Zudem gab es eine Kontrollgruppe, die das Wort lediglich verbal dargeboten bekam. Ein Wortverständnistest direkt nach dem Training sollte Aufschluss über die Leistung der Kinder im Fast Mapping (siehe Box-44) geben, während eine Messung zwei bis drei Tage nach dem Training über den Prozess des Slow Mappings informierte (siehe Box- 45). Den Ergebnissen der Studie zufolge bietet ein Training mit Unterstützung von Bildern lediglich kurzfristig einen Vorteil. Auf das Wortverständnis im Slow Mapping Prozess wirkten sich die ikonischen Gesten positiv aus. Die Vorteile der ikonischen Geste waren am untrainierten Material am deutlichsten zu erkennen. Ob eine ikonische Geste von 20 bis 24 Monate alten Kindern verstanden wird, können die Ergebnisse nicht beantworten, aber sie deuten darauf hin, dass dieser Gestentyp das langfristige Wortlernen unterstützen kann, indem die Gesten für eine reichere Enkodierung sorgen (siehe Kapitel-7.7). Eine ähnlich positive Wirkung von Gesten beim Erwerb von Verben durch Zweijährige wird von Goodrich und Hudson Kam (2009) berichtet. Produktion von ikonischen Gesten Die Produktion von ikonischen Gesten wird zu einem späteren Zeitpunkt in der Entwicklung als die deiktischen Zeigegesten beobachtet, und zwar erst ab dem 12. Lebensmonat (Vogt & Schreiber, 2006). Im Vergleich zum Zeigegestengebrauch macht dieser Gestentyp jedoch einen geringen Teil des gestischen Verhaltens aus (Acredolo & Goodwyn, 1988; Morford & Goldin-Meadow, 1992). Acredolo und Goodwyn (1988) untersuchten in einer Längsschnittstudie die spontane Gestik von Kindern im Alter von 11 bis 24 Monaten. Sie stellten fest, dass das Benutzen der ikonischen Gesten positiv mit der Vokabularentwicklung verknüpft war: „Kinder, die mehr ikonische Gesten verwendeten, neigten dazu, über ein größeres Vokabular zu verfügen und die 10-Wort-Grenze schneller zu durchbrechen als Kinder, die wenige ikonische Gesten aufwiesen. Die Autorinnen gehen davon aus, dass sich in der Geste das Verständnis für symbolische Kraft äußert“ (Rohlfing, 2013: 167). Ebenfalls im Rahmen einer Längsschnittstudie, allerdings von deutschsprachigen Kindern, analysierten Heller und Rohlfing (2015) die ersten Produktionen von ikonischen Gesten im Kontext des Bilderbuchvorlesens und freien Spiels. Die Analysen wurden geleitet von Streecks (2008: 296) Terminologie, der den Ausdruck „depictive [abbildende]“ statt „ikonische“ Gesten verwendet. Dieser verdeutlicht, dass diese Art von Gestik nicht nur das Ziel hat, den Referenten 44783_Rohlfing_SL3a.indd 180 17.04.2019 14: 20: 42 181 8.4 Entwicklung von ikonischen Gesten visuell ähnlich abzubilden; sie ist außerdem ein Akt des Zeigens, in dem durch die Bewegung und Stellung der Hand dem Adressaten verdeutlicht wird, wie etwas ist oder aussieht (Streeck, 2008: 289). Dafür identifizierte Streeck bestimmte Praktiken. Die Praktik des actings scheint im Erwerb eine der ersten zu sein (Heller & Rohlfing, 2015). Sie ermöglicht es dem Kind, eine imaginäre Handlung mit einem Objekt auszuführen (z. B. einen imaginären Becher zum Mund zu führen, um Trinken zu simulieren), dabei bleibt die Hand in ihrer ausführenden Rolle. Als weitere Praktik erschien in den Daten eines 17 Monate alten Jungen das von Streeck (2008: 292) angesprochene modeling. Sie beinhaltet, dass eine Hand für ein Objekt steht und dem Interaktionspartner helfen soll, sich die Szene vorzustellen. Im Vergleich zum acting ermöglicht modeling für einen Protagonisten zu stehen (durch eine bestimmte Form der Hand) und gleichzeitig eine Sequenz von Handlungen auszuführen. Somit entsteht eine komplexe Szenerie, die sich zunehmend vom unmittelbaren Kontext löst. Mikroanalytische Betrachtungen von Heller und Rohlfing (2015) deckten auf, dass ikonische Gesten im interaktiven Kontext vorkommen und von einer einfühlsamen Bezugsperson durch ihre verbalen Äußerungen mitkonstruiert werden. Die Befunde, dass Kinder, die mehr ikonische Gesten verwendeten, auch über ein größeres Vokabular verfügten (Acredolo & Goodwyn, 1988), motivierten die Autorinnen dazu, zu überprüfen, ob ein Training der Eltern, ikonische Gesten zu benutzen, frühes Kommunikationsverhalten bei Kindern fördern kann. Für ihre Untersuchung entwickelten die Autorinnen einige symbolische Gesten, die die Eltern im Alltag mit ihrem Kind begleitend zu ihrem lautsprachlichen Verhalten benutzten (Goodwyn u. a., 2000). An der Studie nahmen 103 Kinder teil. Mit 11 Monaten wurden sie in drei Gruppen aufgeteilt, zwischen denen sich das Verhalten der Eltern unterschied. Während in einer Gruppe die Eltern darin geschult wurden, feste ikonische Gesten in der Kommunikation mit ihrem Kind einzusetzen, bekamen die Eltern der zweiten Gruppe Anweisungen, besonders auf die Lautsprache ihrer Kinder zu achten und viele Objekte im Alltag zu benennen. In beiden Gruppen kam es zu einer bewussten und verstärkten Interaktion mit dem Kind. Die dritte Gruppe diente der Kontrolle der Einflussvariablen. In dieser Gruppe erhielten die Eltern kein besonderes Training und wurden weder zum besonderen gestischen noch lautsprachlichen Verhalten motiviert. In der Längsschnittstudie hielten die Autorinnen sowohl das gestische Verhalten der Kinder als auch ihre spätere Sprachentwicklung durch Elternfragebögen und Testverfahren (zur kommunikativen Entwicklung, zum Vokabular und zur Phonemunterscheidung) fest. Darüber hinaus lieferten die 44783_Rohlfing_SL3a.indd 181 17.04.2019 14: 20: 42 182 8. Gestik und Syntax: Erste multimodale Sätze Interaktionsdaten Informationen über die durchschnittliche Länge der Äußerungen in der Interaktion. Die Analysen ergaben, dass Kinder der Gestikgruppe mehr gestikulierten als Kinder der anderen Gruppen. Sie griffen also den ihnen multimodal dargebotenen Input auf-- ein Ergebnis, das später auch durch Rowe und Goldin-Meadow (2009) Bestätigung fand: Das gestische Verhalten der Eltern korrelierte mit der Gestik ihrer 14 Monate alten Kinder. Hinsichtlich der sprachlichen Entwicklung lassen die Ergebnisse der Studie von Goodwyn und Kolleginnen (2000) lediglich einen eingeschränkten Schluss zu: Kinder von Eltern, die in der Kommunikation symbolische Gesten benutzten, wiesen ein signifikant höheres Sprachniveau in der Sprachproduktion und Sprachrezeption auf als Kinder aus der Kontrollgruppe; allerdings verschwand dieser Vorteil im Alter von 30 bis 36 Monaten. Der Vorbehalt, dass Kinder, wenn sie in der frühen Interaktion mit Gesten auf Objekte und Ereignisse Bezug nehmen, sich auf diese als Kommunikationsmittel verlassen werden und daher später zur Lautsprache gelangen, ist also unbegründet. Kritisch muss für diese Studie vermerkt werden, dass „der Unterschied zwischen den beiden Trainingsgruppen nicht differenziert betrachtet wird, und somit nicht klar ist, ob es die Gesten im Input oder die intensive Interaktion war, die zu den positiven Effekten in der Sprachentwicklung führte“ (Rohlfing, 2013: 169). Unabhängig von der Kritik bleiben einige Vorteile, die diese Studie veranschaulicht: Kleinkinder, die gestisches Verhalten als Kommunikationsmittel wahrnehmen, können sich schneller nonverbal äußern und den Interaktionsinhalt selbst steuern. Auf diese Weise können Eltern bereits in einer frühen Phase der Entwicklung die Interessen ihres Kindes entdecken. Nachfolgend zur Studie von Goodwyn und Kolleginnen wurden vielfältige Trainings entwickelt, z. B. http: / / www.baby-handzeichen.de. Die darin entworfene Zwergen- oder Babysprache hat zum Zweck, das frühe Kommunikationsverhalten der Kinder zu fördern. Einige Trainingsprogramme helfen Eltern dabei, Babysprache zu etablieren. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 182 17.04.2019 14: 20: 43 183 8.5 Gestik in der Vorläuferrolle 8.5 Gestik in der Vorläuferrolle Vorläufer der Ein-Wort-Phase Wie oben durch die Studie von Goodwyn und Kolleginnen angedeutet, besteht das Interesse an Gestik in der Spracherwerbsforschung primär darin, ihre prädiktive Rolle zu untersuchen. Die Beobachtung, die diesem Interesse zugrunde liegt, ist, dass Gesten in der kindlichen Entwicklung der Lautsprache im Durchschnitt 3 Monate vorangehen, und wurde von Iverson und Goldin-Meadow (2005) gemacht. Die Autorinnen untersuchten 10 Kinder im Alter von 10 bis 24 Monaten, die zu Beginn der Studie auf Objekte oder Ereignisse mittels Gesten, zum Ende des zweiten Lebensjahres mittels Lautsprache referierten. Das Ergebnis mehrerer Längsschnittstudien (z. B. Esteve-Gibert & Prieto, 2014), unter ihnen auch eine mit deutschsprachigen Kindern (Lüke u. a., 2017b), bestätigt den Befund, dass typisch entwickelte Kinder im Verlauf ihrer weiteren Entwicklung zur verbalen Modalität wechseln. Esteve-Gibert und Prieto (2014) waren in der Lage, den genaueren Verlauf des Wechsels von Gestik zur Lautsprache zu bestimmen: Mit 15 Monaten produzieren Kinder die meisten Gesten in Kombination mit Lautsprache. In einer umfangreichen Studie lieferten Rowe und Kolleginnen (2009) weitere Belege für den Zusammenhang zwischen frühen Gesten und späterer Wortschatzentwicklung: Sie fanden, dass die Anzahl der Gesten im Alter von 14 Monaten den Umfang des Wortschatzes mit 42 Monaten vorhersagen konnte. Diese Ergebnisse sind konform mit der Hypothese, dass Gestik den Aufbau des Lexikons erleichtert, indem sie als „transitional device [Übergangsmittel]“ (Iverson & Goldin-Meadow, 2005: 369) dient (siehe Tabelle 4). Vorläufer der syntaktischen Entwicklung Für die folgende Betrachtung der prädiktiven Rolle der Gesten für die syntaktischen Fähigkeiten ist der Begriff der semantischen Synchronisation (siehe Box-49) relevant. Demnach kann eine multimodale Äußerung auf ergänzende Weise mehrere Informationen synchron darbieten-- darin liegt der Berührungspunkt zur Syntax, deren Aufgabe es ist, mehrere Informationen zu „größeren Einheiten“ zusammenzufügen (Szagun, 2016: 31). Iverson und Goldin-Meadow (2005) haben in der bereits oben erwähnten Längsschnittstudie untersucht, inwiefern die frühen Gesten der Kinder mit dem 44783_Rohlfing_SL3a.indd 183 17.04.2019 14: 20: 43 184 8. Gestik und Syntax: Erste multimodale Sätze Beginn der Phase der Zweiwortäußerungen zusammenhängen. Zweiwortäußerungen sind insofern für die Entwicklung interessant, als sie den ersten Schritt darstellen, Informationen auf der lautsprachlichen Ebene zu kombinieren. Szagun (2016: 74) betont, „ Zweiwortäußerungen stellen den Beginn der Syntax dar“, auch wenn sie je nach Kontext unterschiedliche Bedeutungen hervorbringen können. Im Ergebnis verwendeten alle der 10 untersuchten Kinder Gesten-Lautsprach- Kombinationen, bevor sie- - im Durchschnitt 2,3 Monate später für die ergänzenden und 4,7 Monate später für die verstärkenden Kombinationen-- in der Lautsprache Zweiwortäußerungen produzieren konnten (Iverson & Goldin-Meadow, 2005). Zudem stellten die Autorinnen folgende Hypothese auf: Wenn Gesten die Entwicklung der Mehrwortäußerungen ankurbeln, dann ist die Erwartung berechtigt, dass Kinder, bei denen ergänzende Gesten-Lautsprach-Kombinationen zu beobachten sind (z. B. auf einen Apfel zeigen und meins! sagen), früher mit Zweiwortäußerungen beginnen als Kinder, die keine Gesten-Lautsprach-Kombinationen formulieren. Die Daten der Längsschnittstudie deckten tatsächlich solch einen Zusammenhang auf: Der Zeitpunkt der ersten Verwendung von ergänzenden- - nicht aber verstärkenden- - Gesten-Lautsprach-Kombinationen korrelierte positiv mit dem Zeitpunkt, zu dem die Kinder Zweiwortäußerungen machten (ibid.). Interessanterweise äußerte sich dieser Zusammenhang auch bei Kindern, die vorzeitig geboren wurden (siehe Box-35; Suttora & Salerni, 2012). Das Ergebnis, dass ergänzende Gesten-Lautsprach-Kombinationen mit späteren Zweiwortäußerungen im Zusammenhang stehen, legt die Vermutung nahe, dass genau die Inhalte in späteren Zweiwortäußerungen zum Ausdruck kommen, die zuvor mithilfe von Gestik kommuniziert wurden. Dieser Vermutung gingen Özçalişkan and Goldin-Meadow (2005) in einer Querschnittstudie mit Kindern im Alter von 14, 18 und 22 Monaten nach. Im Analysefokus stand ebenfalls die semantische Synchronisation (siehe Box-49). Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Kinder Informationen über ein Ereignis zuerst mittels Geste-Lautsprach-Kombinationen äußern, bevor sie diese später gänzlich mittels Lautsprache zum Ausdruck bringen. Zentral ist hier die Auffassung, Gestik biete eine Möglichkeit, syntaktische Kombinationen mit reduzierter Mühe zu Späte Sprecher (Box-54): Bei dieser Gruppe (engl.: late talker) handelt es sich um 10-20% der Kinder, die im Alter von 24 Monaten weniger als 50 Wörter äußern und diese nicht miteinander zu Zwei- oder Mehrwortäußerungen kombinieren. Während ein Teil dieser Gruppe bis zum 3. Lebensjahr in der Sprachentwicklung aufholt und als Late Bloomer gilt, bleibt bei einem anderen Teil dieser Gruppe die Sprachentwicklung verzögert. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 184 17.04.2019 14: 20: 43 185 8.6 Sprachentwicklungsverzögerung und Gestengebrauch üben: Beide Informationen in der Lautsprache zu formulieren, ist wegen der Phonologie wie auch aufgrund der kognitiven Anstrengung, beide Informationen sequenziell produzieren zu müssen, eine Hürde. Eine Kombination von Geste und Lautsprache bietet dagegen den Vorteil, dass Informationen simultan geäußert werden und dadurch die kognitive Last für die Kinder geringer ist (Rohlfing, 2013: 164 f.). Obwohl an einer recht kleinen Stichprobe dokumentiert, deckten Iverson und Goldin-Meadow (2005) folgenden Zusammenhang auf: Die Kinder, die im Alter von 10 bis 14 Monaten Gesten mit Lautsprache kombinierten, waren auch unter den ersten, bei denen Zwei-Wort-Äußerungen im Alter von 17 bis 23 Monaten zu verzeichnen waren. Zusammenfassend weisen die Erkenntnisse dem gestischen Kommunizieren eine Vorläuferrolle zu. Rohlfing (2013: 164) fasst diese Vorläuferrolle mit folgender Tabelle zusammen: semantische Kohärenz Geste-Lautsprach- Kombination Kombination unimodal Lautsprache X X XY Gestik X X Y Tabelle 4: Gestik in der Vorläuferrolle: Der untere Pfeil repräsentiert den zeitlichen Verlauf der kindlichen Entwicklung; X und Y stehen für unterschiedliche semantische Informationen: Zuerst drückt sich ein Kind gestisch aus; die semantische Kohärenz ist erreicht, wenn Geste und Lautsprache die gleiche Information vermitteln; eine multimodale Kombination vermittelt zwei unterschiedliche Inhalte, die später in der Entwicklung unimodal (und sequenziell) in der Sprache zum Ausdruck gebracht werden können. 8.6 Sprachentwicklungsverzögerung und Gestengebrauch Die prädiktive Rolle des Gestengebrauchs für die Sprachentwicklung ist insofern interessant, als sich junge Kinder in ihrer Lautsprachleistung enorm unterscheiden (Szagun, 2016): Manche äußern ihre ersten Wörter bereits mit 9 Monaten, bei anderen lassen die ersten Wörter bis zum Ende des zweiten Lebensjahres auf sich warten. Eine Gruppe von Kindern scheint in der frühen Phase der Sprachentwicklung besonders interessant zu sein: die späten Sprecher (siehe Box- 54). Bei dieser Gruppe lässt sich zum Zeitpunkt von 24 Monaten eine verlangsamte Sprachentwicklung festhalten, die nicht auf Primärerkrankungen oder andere Entwicklungsauffälligkeiten zurückzuführen 44783_Rohlfing_SL3a.indd 185 17.04.2019 14: 20: 43 186 8. Gestik und Syntax: Erste multimodale Sätze ist (Grimminger, 2017: 12). Diese Verzögerung ist für die weitere Entwicklung äußerst problematisch. Obwohl die Bezeichnung der Gruppe als späte Sprecher eine starke Betonung der Produktion von Lautsprache mit sich bringt, wird in der aktuellen Forschung kritisch diskutiert, ob diese Gruppe homogen ist, „da einige Kinder neben verzögerten sprachproduktiven Fähigkeiten auch rezeptive Verzögerungen aufweisen“ (ibid.). Die rezeptiven Verzögerungen, die das Sprachverstehen der Kinder erschweren, bergen ein größeres Risiko, dass eine Sprachverzögerung ein Leben lang bestehen bleibt (ibid.). Die Identifikation sprachlicher Verzögerung bei Zweijährigen kann mit Testverfahren (SETK-2) und Elternfragebögen (ELFRA-2 wie auch FRAKIS) erfolgen. Die im vorangehenden Unterkapitel beschriebene Vorläuferrolle der Gestik lässt die Frage aufkommen, inwiefern Gestengebrauch auf eine Sprachentwicklungsverzögerung hindeutet. Obwohl viele Studien für eine prädiktive Rolle des Gestengebrauchs sprechen, lässt sich die Frage nicht grundsätzlich beantworten. Eine Differenzierung ergibt sich aus neueren Diskussionen, die zwischen Kindern mit rezeptiver und produktiver Sprachentwicklungsstörung unterscheiden (siehe Box- 54). Kinder mit lediglich produktiver Sprachentwicklungsstörung scheinen mehr zu gestikulieren als Kinder mit Defiziten in Produktion und Rezeption (O’Neill & Chiat, 2015). Botting und Kollegen (2010) zeigten zudem, dass bei ihnen die Verbindung zwischen Gesten und Sprache stärker ist als für typisch entwickelte Kinder. Diese Ergebnisse beziehen sich jedoch auf ältere Kindergartenkinder. Die Frage, ob sich atypische Entwicklungsverläufe im kommunikativen Verhalten auf der Grundlage ihres gestischen Verhaltens bereits bei jungen Kindern feststellen lassen, steht im Fokus einer aktuellen und deutschsprachigen Längsschnittstudie (Lücke, 2015; Grimminger, 2017). In dieser Studie wurden Kinder in ihrer Entwicklung zwischen 12 und 24 Monaten untersucht. Retrospektiv und aufgrund ihrer Ergebnisse, die sie im SETK-2-- einem standardisierten Sprachtest für Zweijährige-- erzielten, wurden sie in zwei Gruppen eingeteilt: sprachlich typische und sprachlich verzögerte Kinder. Interessant ist der Befund, dass sich die Kinder der Gruppe mit einer verzögerten Sprachentwicklung zu Beginn der Studie (mit 12 Monaten) von den typisch entwickelten Kindern hinsichtlich der der Produktivität ihres deiktischen Verhaltens in der Gestik nicht unterschieden- - wohl aber im Hinblick auf die Form der Zeigegeste (Lüke u. a., 2017a). Tendenziell fanden sich in der Gruppe mit einer verzögerten Sprachentwicklung zum Ende des zweiten Lebensjahres mehr deiktische Gesten, ausgeführt mit der ganzen Hand und ohne Lautsprache sowie weniger Wörter; im 44783_Rohlfing_SL3a.indd 186 17.04.2019 14: 20: 43 187 8.6 Sprachentwicklungsverzögerung und Gestengebrauch Vergleich dazu ließen sich bei den typisch entwickelten Kindern mehr Zeigefinger-Gesten mit Wörtern beobachten (ibid.). Aufgrund der Ergebnisse lässt sich festhalten: Die Zeigegeste (ausgeführt mit dem Zeigefinger) am Anfang des 2. Lebensjahres scheint ein Ausdruck einer typischen Sprachentwicklung zu sein, während ein Mangel an Geste-Lautsprach-Kombinationen zum Ende des 2. Lebensjahres ein Hinweis auf eine Sprachentwicklungsverzögerung sein kann (Lüke u. a., 2017b). Ob junge Kinder, die in ihrer Sprachentwicklung verzögert erscheinen, von einem gestischen Input profitieren können, ist unklar. Dieser Frage widmete sich eine Untersuchung, die Vogt und Kauschke (2017) durchführten, allerdings mit älteren Kindern. In ihr lässt sich sowohl für diese Gruppe von Kindern mit Sprachentwicklungsverzögerung als auch für in der Sprache typisch entwickelte Gleichaltrige ein langfristiger Vorteil feststellen, wenn Lerninhalte mit Gesten begleitet wurden. Der Vergleich beider Gruppen deckt jedoch keinen besonderen Vorteil für Kinder mit Sprachentwicklungsverzögerung im Worterwerb auf. Der Mangel an direkten Vorteilen von Gestik für das Lernen von Kindern mit Sprachentwicklungsverzögerung bewegt Grimminger und Kollegen (2016) zu der Annahme, dass bei späten Sprechern eine andere Verarbeitung von Gesten zu verzeichnen ist: Während Gesten für die typisch entwickelten Kinder „Wegbereiter“ (Vogt & Schreiber, 2006: 180 oder „Übergangsmittel“ nach Iverson-& Goldin-Meadow, 2005) auf dem Weg zur Lautsprache sind, scheinen diese bei Late Talkern weniger mit der Lautsprache ‚verschmolzen‘ zu sein. Diese andersartige Verarbeitung und Nutzung des ‚Gestenkanals‘ wird durch eine Studie mit Kindern im Alter von 3 Jahren, die Sprachentwicklungsverzögerungen aufweisen, bestätigt (Lavelli u. a., 2015): Die Ergebnisse zeigen, dass Kinder dieser Gruppe zuverlässig auf die Gesten ihrer Bezugspersonen eingehen, im Gegensatz zu Gleichaltrigen mit typischer Sprachentwicklung, die die Gesten ihrer Bezugspersonen weniger beantworteten. Zu vermuten ist also, dass Late Talker empfänglicher gegenüber Gesten in der Interaktion sind. An dieser Stelle würde eine Trainingsstudie erhellende Einblicke liefern, die bisher jedoch nur mit der Gruppe der sich in der Sprache typisch entwickelten Kinder durchgeführt wurde. Im Rahmen eines Trainings regten LeBarton und Kollegen (2015) 17 Monate alte Kinder dazu an, Zeigegesten zu verwenden. Nach mehreren Wochen gestikulierten die trainierten Kinder häufiger und wiesen zudem ein größeres Vokabular auf als untrainierte Probanden. Aus den bisherigen Erkenntnissen lässt sich schlussfolgern, dass die Verwendung von Gesten im Zusammenhang mit der Sprachentwicklung steht. Unter- 44783_Rohlfing_SL3a.indd 187 17.04.2019 14: 20: 43 188 8. Gestik und Syntax: Erste multimodale Sätze suchungen, ob die Verwendung von Gesten die Sprachentwicklung fördern kann, stehen für die Gruppe der Late Talker noch aus. Lesetipps: Es gibt einige Zusammenfassungen, in denen die Rolle der Gesten für den Spracherwerb hervorgehoben wird. Der Bereich der frühkindlichen Entwicklung steht im Zentrum der Zusammenfassung von Rohlfing und Kolleginnen (auf Englisch) und Weidinger (auf Deutsch), während für den klinischen Bereich die Zusammenfassung von Lüke und Ritterfeld (auf Deutsch) zu empfehlen ist: Rohlfing, K. J., Grimminger, A., & Lüke, C. (2017b): An interactive view on the development of deictic pointing in infancy. Frontiers in Psychology, 8, 1319. Lüke & Ritterfeld (im Druck): Verzögerte gestische Kommunikation als Vorbote von Sprachentwicklungsstörungen. Stimme-- Sprache-- Gehör. Weidinger, N. (2011). Gestik und ihre Funktion im Spracherwerb bei Kindern unter drei Jahren. München: Deutsches Jugendinstitut e. V. Eine allgemeine Sicht, wie Gesten das Kommunizieren und Lernen unterstützen, ist bei Goldin-Meadow nachzulesen: Goldin-Meadow, S. (1999). The role of gesture in communication and thinking. Trends in Cognitive Sciences, 3(11), 419-429. Steht das Interesse für Gesten als Lernhilfe beim Wortlernen im Vordergrund, ist die Studie von McGregor und Kolleginnen zu empfehlen: McGregor, K. K., Rohlfing, K. J., Bean, A., & Marschner, E. (2009). Gesture as a support for word learning: The case of under. Journal of Child Language, 36(4), 807-828. Eine umfassende Längsschnittstudie mit Blick auf den Sprachentwicklungsverlauf der deutschsprachigen Kinder und die prädiktive Rolle von Gesten wird von Lüke und Kollegen berichtet: Lüke, C., Ritterfeld, U., Grimminger, A., Liszkowski, U., & Rohlfing, K. J. (2017b). Development of pointing gestures in children with typical and delayed language acquisition. Journal of Speech, Language, and Hearing Research, 60(11), 3185-3197. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 188 17.04.2019 14: 20: 43 189 9.1 Morphosyntaktische Einheiten 9. Entwicklung der Morphosyntax Eine wesentliche Eigenschaft der menschlichen Sprache ist, dass ihre Einheiten kombinierbar sind: In klassischen Ansätzen wird angenommen, dass Kinder zunächst Wörter erwerben, die sie dann - nach bestimmten Regeln der Morphosyntax / Grammatik - zu Zwei- und Mehrwort-Äußerungen zusammensetzen. In diesem Kapitel kommt als Alternative auch der gebrauchsbasierte Ansatz zum Grammatikerwerb zur Sprache. Diesem liegt die Annahme zugrunde, dass die basale psycholinguistische Einheit die Äußerung, und nicht ein Wort, ist. Im letzten Kapitel wurde darauf hingewiesen, dass Kinder bereits früh in ihrer Entwicklung unterschiedliches Verhalten (Gesten und Lautsprache) kombinieren, was eine Vorform der Komposition (Zusammensetzung) darstellt. Das Zusammensetzen von komplexen Äußerungen wird durch die Bildung von Schemata und Konstruktionen unterstützt. Dieser Vorstellung nach bilden Kinder zunächst Muster, die sie zunehmend für ihre Produktion benutzen. Das Zurückgreifen auf Muster scheint die kognitive Last, die beim Zusammensetzen von Wörtern vonnöten ist, zu verringen. 9.1 Morphosyntaktische Einheiten Während ein Morphem ein Grundbaustein für Wörter ist (Wälchli & Ender, 2014), werden mit Wörtern Äußerungen gebaut. Daher sind Morphem (siehe Box-55) und Äußerung (Box-56) als Einheiten für das Erfassen der syntaktischen Fähigkeiten eines Kindes von Bedeutung. Wenn sich ein Wort aus mehreren Morphemen zusammensetzt, dann wird zwischen einem (oder mehreren) Basismorphem(en) und den gebundenen Morphemen unterschieden. Die Eigenschaft eines Basismorphems ist, dass es für sich bedeutungstragend ist, während ein gebundenes Morphem nur als Affix dem Wort eine Bedeutung verleihen kann: Steht es vor dem Basismorphem, ist es ein Präfix; ein Suffix ist es, wenn es dem Basismorphem als Endung hinzugefügt wird. Gebundene Morpheme kennzeichnen unterschiedliche Bedeutungen, wie zum Beispiel in der Pluralmarkierung das -e bei viele. Mehrere Basismorpheme können jedoch 44783_Rohlfing_SL3a.indd 189 17.04.2019 14: 20: 43 190 9. Entwicklung der Morphosyntax auch miteinander kombiniert werden und Wörter wie Tischtennis oder vielmehr bilden. Eine Einwortäußerung (siehe Box- 56) unterscheidet sich von ersten wortähnlichen Vokalisierungen (siehe Kapitel-6 und 7) darin, dass sie Elemente der jeweiligen Muttersprache enthält (Szagun, 2006: -65). Da die Äußerungslänge mit dem Alter ansteigt (Kauschke, 2012; Szagun, 2016), hat sich für die Feststellung des grammatischen Fortschritts die Äußerungslänge als Maßeinheit etabliert. In die Messung einer Äußerungslänge gehen Morpheme-- und nicht die einzelnen Wörter-- ein. Liegt von einem Sprecher eine Sprachstichprobe vor, lässt sich daraus die durchschnittliche Äußerungslänge (engl.: mean length of utterance oder abgekürzt: MLU) errechnen, die über den Stand der syntaktischen Kompetenzen informiert. Das besondere Merkmal einer Äußerung ist jedoch, dass darin mehrere Wörter miteinander kombiniert werden können. Dass junge Kinder Informationen miteinander kombinieren, wurde bereits im vorangegangenen Kapitel-8 angesprochen. Nun stellt sich die Frage, ab wann Kinder Mehrwortäußerungen in der Lautsprache produzieren können. Nach Kauschke (2012) geht die produktive Syntaxentwicklung mit dem Auftreten von Wortkombinationen einher-- ein Meilenstein der Lautsprachentwicklung, der im Alter von etwa eineinhalb Jahren zu erwarten ist. „Bleibt dieser Entwicklungsschritt bis zum Alter von zwei Jahren aus, so kann dies auf eine Verzögerung der Sprachentwicklung hinweisen“ (ibid.: 84; siehe auch Box-52). Um diesen Entwicklungsschritt festzustellen, hat sich die Methode der durchschnittlichen Äußerungslänge für die Erfassung der syntaktischen Kompetenzen und des grammatischen Fortschritts etabliert (siehe Box-56). Warum in die Messung der MLU Morpheme und nicht einzelne Wörter eingehen, verdeutlicht Szagun (2016: 85 f.): Das wird einsichtig, wenn wir folgende Überlegung anstellen. Blume ist ein Wort und ein Morphem. Blumen ist ebenfalls ein Wort, aber zwei Morpheme. Blume-n besteht nämlich aus dem Basismorphem Blume und dem Pluralsuffix -n. Wenn ein Kind Morphem (Box: 55): Das Morphem ist die kleinste sprachliche bedeutungstragende Einheit und ist ein Grundbaustein für Wörter. Manche Wörter bestehen lediglich aus einem Morphem, wie zum Beispiel Tisch oder viel. Manche Wörter setzen sich aus mehreren Morphemen zusammen. Die Basismorpheme bilden dabei den Kern der Wortbedeutung. Äußerung (Box- 56): Eine Äußerung weist Elemente der jeweiligen Sprache auf. Sie kann auch aus einem Wort bestehen, wie bei Auf! oder aber aus mehreren Wörtern, die einen Satz bilden wie Mach’ bitte die Tür auf! Für die Festestellung des grammatischen Fortschritts wird die Äußerungslänge gemessen. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 190 17.04.2019 14: 20: 43 191 9.2 Methode für Sprachproduktion: Tagebuchaufzeichnungen Blumen äußert, so markiert es den Plural. Das stellt einen grammatischen Fortschritt dar (Szagun, 2016: 85 f.). Die MLU (siehe Box-56) einer Sprachstichprobe eines Sprechers errechnet sich durch die Summe aller in der Probe vorkommenden Morpheme, die durch die Anzahl der Äußerungen geteilt wird. Dabei werden „nur produktive Äußerungen“ und keine sprachlichen Routinen wie Hallo! berücksichtigt (ibid.: 86). Szagun (2016) verdeutlicht, dass sich Kinder in ihren MLU-Werten stark voneinander unterscheiden können. Für Deutsch lernende Kinder berichtet sie, mit 2; 8 (2 Jahre und 8 Monate) erreiche die MLU einen Mittelwert von 5,0. Das bedeutet, dass eine durchschnittliche Äußerung aus 5 Morphemen besteht. Die Unterschiede im grammatischen Fortschritt unter Kindern gleichen sich meistens im vierten Lebensjahr an (ibid.: 88). Bennett-Kastor (1988) bringt einige Einschränkungen dieser Methode auf den Punkt: Sie wendet ein, dass diese Variable lediglich schwach mit anderen Messgrößen der grammatischen Komplexität oder anderen kognitiven Fähigkeiten korreliert, insbesondere wenn nicht die Anzahl der Wörter, sondern die der Morpheme in die Analysen einfließt. Dieses Ergebnis kann im Sinne von Chomsky ausgelegt werden, der das linguistische System als unabhängig von anderen kognitiven Systemen des Menschen sieht (ibid.; siehe Kapitel-1). Viel wahrscheinlicher ist es jedoch, dass diese Methode ein zentrales Problem nicht überwindet (Bennett-Kastor, 1988): Ihre Berechnung (sowohl was Morpheme als auch was Äußerungen anbetrifft) basiert auf dem System der Erwachsenensprache im Englischen. Warum ein solches System als Maß für die grammatische Entwicklung funktionieren sollte, leuchtet nicht ein. Zudem ist eine Anwendung der Methode auf die deutsche Sprache mit Vorsicht vorzunehmen, da diese reicher an Morphemen ist. 9.2 Methode für Sprachproduktion: Tagebuchaufzeichnungen Meibauer (1995) zeichnete bei seinem Sohn in einem Zeitraum von 2 bis 4 Jahren und 11 Monaten (2; 0-4; 11) 250 neugebildete Wörter, die mit dem Suffix -er endeten auf und untersuchte daran, wie das Suffix (siehe Box-55) für die Bildung von verschiedenen Arten von neuen Wörtern genutzt wird. Die Ergebnisse der Analyse sprechen gegen die bis dahin übliche Annahme, dass zuerst lediglich eine Bedeutung pro Suffix realisiert wird. Stattdessen fand Meibauer (1995) heraus, dass sein Sohn von Anfang an das Suffix nutzte, um vielfältigen Bedeutungen Ausdruck zu verleihen (siehe auch Kauschke, 2012: 73) und somit auch Wortkate- 44783_Rohlfing_SL3a.indd 191 17.04.2019 14: 20: 43 192 9. Entwicklung der Morphosyntax gorien zu ändern (aus putzen wird z. B. ein Putzerer). Daten einer Tagebuchstudie eines anderen Kindes weisen zudem darauf hin, dass Kinder Wortbildungsprozesse nutzen, um ihren Wortschatz zu erweitern. Kennen sie beispielsweise ein Nomen wie Öl, dann können sie ein Verb wie beölen bilden und damit eine spezifische Tätigkeit zum Ausdruck bringen (Meibauer, 1999: 188). Regelmäßige Aufzeichnungen in schriftlicher Form, wie Meibauer (1995) sie vornahm, machen eine Tagebuchstudie aus. Gegenüber anderen Erhebungsmethoden bringt ein Tagebuch viele Vorteile mit sich, da auf diese Weise vielfältige produktive Äußerungen eines Kindes in entspannter und vertrauter Atmosphäre festgehalten werden können. Als Unterschiede zwischen Tagebuchaufzeichnungen und einfachen Notizen nennt Bennett-Kastor (1988: 57) folgende Punkte: (i) zwischen den Aufzeichnungen im Tagebuch gibt es häufigere und unregelmäßige Zeitabstände; (ii) der / die Aufzeichnende ist eine Bezugsperson und hat ein intensives Verhältnis zu dem Kind; (iii) Tagebuchaufzeichnungen sind ausführlicher als Notizen und (iv) sie sind ein Ausdruck einer Verpflichtung, ein Kind im Rahmen einer Längsschnittstudie zu beobachten. Bennett-Kastor (1988) betont, dass auch ein Laie ein Tagebuch führen kann. Grundsätzlich besteht bei Tagebuchaufzeichnungen die generelle Gefahr, dass manche Beobachtung mit weiterer Interpretation verwechselt werden kann. Die Trennung zwischen einem beobachteten Verhalten und den Schlussfolgerungen, die man daraus ziehen kann, ist also die größte Herausforderung der Methode. Hinzu kommt, dass kindliche Sprache häufig nicht den Normen entspricht und bereits der Griff zum Stift, um die gerade gefallene Äußerung festzuhalten, eine Normalisierung enthalten kann. Eine Lösung kann daher sein, mehrere Tagebuchaufzeichner zu beschäftigen. Speziell bei phonologischen Fragestellungen rät die Autorin von Tagebuchaufzeichnungen als Methode ab, weil der Klang von Äußerungen schnell verfliegt und nur schwer festgehalten werden kann. Nach Bennett-Kastor (1988) enthalten Tagebuchaufzeichnungen-- neben den sprachlichen Äußerungen- - zusätzliche Informationen über das Kind (seine Gesundheit, sein Alter nicht nur in Monaten, sondern auch in Tagen) und seinen Alltag (die gewöhnlichen Routinen oder unvorhersehbare Ereignisse). Ein Eintrag soll zudem die kommunikative Situation abzubilden versuchen: Ist die Äußerung spontan, nachmachend oder kam sie auf Anfrage? Einige Autoren empfehlen, auch die Reaktionen auf die Äußerung (Expansionen oder Interpretationen) zu vermerken, weil diese für die Bedeutung und die situative Wirkung aufschlussreich sein können. Abbrüche in den Aufzeichnungen (z. B. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 192 17.04.2019 14: 20: 43 193 9.3 Einstieg in die Produktivität: Syntaktisches Priming durch einen Urlaub oder eine Geschäftsreise) sind einen Vermerk wert. Sollte eine Beobachtung sich auf mehrere Kinder beziehen, ist ein Tagebuch pro Kind zu empfehlen, was jedoch mit Umständen verbunden ist, wenn die Kinder miteinander interagieren. Wie jede Methode, bringt auch diese einige Nachteile mit sich. Die zentrale Einschränkung betrifft die Selektivität. Zwar sind alle Methoden in gewisser Hinsicht selektiv, doch ist die Trennung zwischen implizitem und explizitem Wissen, das in die Aufzeichnungen hineingebracht wird, bei einer Tagebuchstudie besonders schwierig (Bennett-Kastor, 1988). Im Vergleich zu experimentellen Studien scheint die Subjektivität eine weitere Einschränkung zu sein. Zu betonen ist, dass eine Methode unterschiedliche Ziele verfolgen kann: Während in einem Experiment Daten produziert werden, dient die Datenerhebung bei einer Tagebuchstudie dazu, erste Beobachtungen zu machen und Hypothesen zu generieren (ibid.: 61). Schließlich können die regelmäßigen Aufzeichnungen als Eingreifen in die Privatsphäre und somit als ein weiterer Nachteil gesehen werden. Einige Kinder mögen es nicht, wenn sich die Bezugspersonen für die Aufzeichnung aus der Situation herausziehen. Verzögert man den Moment der Aufzeichnung, kann die Erinnerung einen Eintrag verzerren und er fällt anders aus, als wenn man ihn sofort aufgezeichnet hätte. Mittlerweile gibt es einige technische Lösungen, die den Bezugspersonen ein ungestörtes Miteinander mit ihrem Kind erlauben. Nichtsdestotrotz müssen diese zeitnah aufgearbeitet werden, um eine hohe Qualität der Tagebucheinträge mit der dazugehörigen Situationsbeschreibung und -empfindung zu erreichen. 9.3 Einstieg in die Produktivität: Syntaktisches Priming In Kapitel- 9.2 wurde eine Methode vorgestellt, mit der man die Produktivität der Kinder festhalten kann, d. h. ihre Fähigkeit, eine Äußerung zu produzieren. Die Produktivität steht im Zentrum der morphosyntaktischen Entwicklungsforschung. Wenn ein Kind im Alter von 2 Jahren eine Äußerung produziert, ist jedoch nicht ersichtlich, inwiefern es die Äußerung von sich aus produziert oder lediglich ein lautsprachliches Verhalten imitiert. Imitation ist ein wichtiger Teil des sozialen Lernens (siehe Kapitel-4.4), und die ersten Äußerungen scheinen weniger ‚produktiv‘ zu sein (Tomasello, 1992), d. h. weniger aus der Erkenntnis über vorhandene Sprachstrukturen heraus produziert. Das imitative Verhalten der Kinder ist für den Einstieg in ihre Produktivität jedoch essenziell, wie aus zahlreichen Studien zum syntaktischen Priming bekannt wird. Diese Studien be- 44783_Rohlfing_SL3a.indd 193 17.04.2019 14: 20: 43 194 9. Entwicklung der Morphosyntax schäftigen sich mit der Frage, inwiefern Kinder lautsprachliche Strukturen in der sie umgebenden Sprache aufschnappen. Zugleich machen sie sich das Phänomen zunutze, dass Gesprächspartner dazu tendieren, „sich selbst und ihr Gegenüber lexikalisch und syntaktisch zu wiederholen“ (von Lehmden u. a., 2015). In der Äußerungsproduktion bezieht sich syntaktisches Priming auf das Phänomen, dass eine vorangehende syntaktische Struktur (auf der paradigmatischen Ebene) erneut zum Einsatz kommt, obwohl sich auf der syntagmatischen Ebene eine Änderung ergeben hat (siehe Box- 48). Wenn zum Beispiel zuerst jemand einen Becher als der gelbe Becher beschreibt, wird jemand anderes diese Struktur aufgreifen und auf einen anderen Gegenstand übertragen, zum Beispiel mit der rote Ball anstelle von der Ball, der rot ist (Foltz u. a., 2015). Dieses Phänomen wird als Methode in Studien mit Kindern genutzt, um zu untersuchen, ob Kinder eine Struktur aufgreifen und übertragen können. Übertragen Kinder eine solche Struktur, dann wird das als ein Hinweis auf die Anwendung von abstraktem linguistischen Wissen (siehe Kapitel-9.4) gewertet. Greifen Kinder eine Struktur auf, können diese aber nicht auf neue Kontexte (Objekte, Ereignisse) übertragen, baut ihre Äußerung lediglich auf konkreten lexikalischen Einheiten auf. Ein anderes Beispiel ist die Verwendung des Passivs (wie Der Wagen wird von der Frau gezogen) in Abgrenzung von Aktivkonstruktionen (wie Die Frau zieht den Wagen). Zuerst verwenden Kinder solche Konstruktionen lediglich mit denjenigen lexikalischen Einheiten, die sie gehört haben. Der entscheidende Schritt besteht aber hier schon darin, diese Konstruktionen überhaupt als Muster zu erkennen. Erst im Verlauf des Erwerbs sind sie in der Lage, diese Konstruktionen mit neuen Wörtern zu bestücken. Im Spracherwerb wird das syntaktische Priming als impliziter Lernmechanismus diskutiert (siehe Box-57). Implizites Lernen von morphosyntaktischen Strukturen erfolgt also nicht auf der Basis von existierenden (oder angeborenen) Regeln, sondern geht aus Häufigkeiten sowie dem sprachlichen Input extrahierbarer Regelhaftigkeiten hervor (von Lehmden u. a., 2013: 19). In einer Studie zeigten Wittek und Tomasello (2005) die Progression des impliziten Lernens: Deutsch lernende Kinder im Alter von drei Jahren bildeten Äußerungen in Passivkonstruktionen mit neuen Verben (z. B. mieken) und konnten sie verwenden (wie der Schlüssel miekt das Pferd), wenn ihnen die Struktur direkt vor ihrer produktiven Äußerung vermehrt dargeboten wurde. Dreijährige lassen sich also durch eine morphosyntaktische Struktur ‚primen‘ (d. h. vorbereiten, einstimmen), wobei ihr Können zunächst auf das gleiche lexikalische Material eingeschränkt bleibt (Behrens, 2011). Bei „Sechsjährigen 44783_Rohlfing_SL3a.indd 194 17.04.2019 14: 20: 43 195 9.4 Vorstellung von abstraktem Wissen: Produktivität hingegen findet sich auch strukturelles Priming“ (ibid.: 384; eigene Hervorhebung), das das Vorkommen einer Konstruktion (z. B. Passivsätze) erhöht, jedoch mit anderem lexikalischen Material ausgeführt wird. Von Lehmden und Kolleginnen (2013: 20) weisen darauf hin, strukturelle Primingeffekte seien bereits „vor dem vollständigen Erwerb und selbständigen Gebrauch von bestimmten Strukturen auffindbar“; sie können als Methode eingesetzt werden, um das implizite Lernen von morphosyntaktischen Strukturen zu fördern. Bei jungen Kindern gelingen Primingeffekte in vertrauten Situationen, in denen die syntaktische Struktur zeitnah aufgegriffen werden kann und sind eine gutes Mittel, um Kinder in der Benutzung von bestimmten Strukturen zu stärken. Auch in dieser Hinsicht eigenen sich Bilderbücher, Kinderreime und Kinderlieder gut dafür, bestimmte Strukturen anzubieten und vom Kind wiederholen zu lassen, damit diese bald auf weitere Kontexte übertragen werden können (von Lehmden u. a., 2013). 9.4 Vorstellung von abstraktem Wissen: Produktivität Oben wurde der Einstieg in die Produktivität durch implizite Lernmechanismen dargestellt, und der gebrauchsbasierte Erklärungsansatz vor einen konstruktivistischen / epigenetischen theoretischen Hintergrund gestellt. Unabhängig von der theoretischen Position, ob angeboren oder aus dem Input abgeleitet, wird dem abstrakten linguistischen Wissen eine entscheidende Rolle bei der Produktivität zugeschrieben. Wie in der Einleitung angekündigt, wird hier der Begriff „linguistisches Wissen“ verwendet, um diesen von der multimodalen Bedeutung des Begriffs „Sprache“ abzugrenzen. In der Literatur findet sich auch der Verweis auf „abstraktes sprachliches Wissen“. Abstraktes Wissen involviert Kategorien und Generalisierungen (welche laut gebrauchsbasierten Ansätzen ein Produkt genereller Lernmechanismen sind; siehe auch Kapitel-9.8). Die Vorstellung dahinter ist, der Wissenserwerb beginne mit Nachahmen und wenig kreativer Produktivität (Tomasello, 1992), und die Erkenntnis über vorhandene Strukturen trete erst mit der Zeit und Erfahrung ein. Genauso umstritten wie die Bedeutung von einzelnen Wörtern (siehe Kapitel-7 und 10) ist auch die Natur Implizites Lernen (Box: 57): Das implizite Lernen umfasst die menschliche Fähigkeit, Muster zu erkennen und zu lernen. Laut dem gebrauchsbasierten Ansatz zum Spracherwerb (siehe Kapitel- 9.8) müssen Kinder eine Menge von Äußerungen in bestimmten Strukturen wahrnehmen, bevor sie auf dieser Grundlage eine Struktur verinnerlichen, übertragen und von anderen abgrenzen können. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 195 17.04.2019 14: 20: 43 196 9. Entwicklung der Morphosyntax des abstrakten Wissens, das der Morphosyntax zugrunde liegt. Während sich die generative Linguistik das Wissen als Regelsystem vorstellt, schlägt Tomasello (2000a) als wichtiger Vertreter des gebrauchsbasierten Ansatzes vor, dass jede Person über einen Bestand an symbolischen Einheiten verfügt, der ein Ergebnis von angesammelten Erfahrungen mit Sprache in bestimmten Situationen ist: „This accumulated linguistic experience undergoes processes of entrenchment, due to repeated uses of particular expressions across usage events, and abstraction, due to type variation in constituents of particular expressions across usage events” (Tomasello, 2000a: 62). Grammatische Repräsentationen sind also nicht im Vorfeld vorhanden, sondern werden im Lernprozess induktiv abstrahiert (Behrens, 2009: 433). Unabhängig vom theoretischen Ansatz äußert sich abstraktes linguistisches Wissen in der sprachlichen Produktivität, die über die Reproduktion eines vorhandenen Sprachmaterials hinausgeht: Forscher gehen dann von der Anwendung eines abstrakten linguistischen Wissens aus, wenn Kinder kreativ und produktiv mit Spracheinheiten umgehen (Savage u. a., 2003). Sprachliche Produktivität wird als Variabilität in der Form und Funktion definiert (Behrens, 2009: 437). Die Existenz des Phänomens des syntaktischen Primings (siehe Kapitel-9.3) erschwert jedoch die Analyse des grammatischen Wissens aus kindlicher Spontansprache: Wenn ein Kind eine grammatische Struktur produziert, dann ist aus dieser Tatsache nicht erkennbar, ob es lediglich eine gehörte Phrase imitiert oder diese Struktur tatsächlich auf der Grundlage seiner abstrakten linguistischen Repräsentationen gebraucht. Das einzige Phänomen, das eine Schlussfolgerung über Produktivität und Abstraktion erlauben würde, ist die Übergeneralisierung (Savage u. a., 2003: 557). Unter Übergeneralisierung ist die Anwendung einer erkannten Regelmäßigkeit zu verstehen, die aus der Perspektive der Erwachsenensprache fälschlicherweise erfolgt. Morphosyntaktische Regelmäßigkeiten treffen nämlich nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu, und Kinder nehmen zuerst verstärkt die Häufigkeiten und nicht die Ausnahmen wahr. Die folgenden Tagebuchnotizen zeigen Beispiele aus der Sprachproduktion zweier Kinder (Rohlfing, Tagebuchnotizen): Beispiel 1: Ein Junge mit 4 Jahren: Zwei Zelter statt zwei Zelte. Das Morphem -er markiert auch den Plural (z. B. zwei Felder), aber nicht im Falle des Nomens Zelt. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 196 17.04.2019 14: 20: 43 197 9.5 Wortbildung Beispiel 2: Ein Mädchen mit 2 Jahren: Mama gehelft statt Mama geholfen. An diesem Beispiel wird klar, dass das Partizip, das häufig mit dem Präfix gemarkiert wird, schon repräsentiert ist. 9.5 Wortbildung Wortbildung im Deutschen kann durch Komposition und Derivation erfolgen. Bei der Komposition werden zwei freie Morpheme zu einem Wort zusammengefügt wie in vielmehr. Bei der Derivation sorgt ein gebundenes Morphem für eine besondere Bedeutung des Basismorphems wie bei Feld-er. Schipke und Kauschke (2011) analysierten die Wortbildungsprodukte bei 32 Deutsch lernenden Kindern in einer Längsschnittstudie und konnten kreative Wortbildungen bereits zum ersten Erhebungszeitpunkt (mit 21 Monaten) festhalten, die sowohl Kompositionsals auch Derivationstypen waren. Derartige Neuschöpfungen auf der Basis bereits bekannter Wörter zeigen an, dass das Kind die Regularitäten der Wortbildung erkannt hat und produktiv einsetzt, um Inhalte zu versprachlichen, für die noch kein spezifisches Wort im Lexikon zur Verfügung steht. Die kindlichen Wortneuschöpfungen bleiben nicht langfristig im Lexikon erhalten, da sie vom Erwerb der konventionellen Wörter abgelöst werden (Kauschke, 2012: 71). Da sich die Studien zur Wortbildung am ausgereiften System der deutschen Sprache orientieren, sagen sie wenig darüber aus, wie Kinder die Wortbildungsprinzipien aufgreifen. Kauschke (2012) spricht in diesem Punkt der Prosodie eine wichtige Rolle zu, weil sie durch spezifische Betonungsstruktur die Realisierung von Komposita ermöglicht. 9.6 Flexion In einer Äußerung können mehrere Wörter in einer Beziehung zueinander stehen. Im Deutschen wird diese Beziehung u. a. dadurch aufgezeigt, dass einige Wörter ‚gebeugt‘ oder-- in der grammatischen Terminologie ausgedrückt-- flektiert werden. Zum Beispiel stimmt in dem Satz Der Vogel fliegt die 3. Person Singular Der Vogel mit der Endung 3. Person Singular in flieg-t überein. Am besten bekannt ist die Flexion in Konjugation und Deklination (siehe Box-58). Stellt man die Möglichkeiten der Flexion systematisch zusammen, so entstehen 44783_Rohlfing_SL3a.indd 197 17.04.2019 14: 20: 43 198 9. Entwicklung der Morphosyntax Paradigmen, d. h. Auflistungen von Formen, die als Muster verwendet werden können (Wälchli & Ender, 2014). Für den Erwerb des Plurals ist eine Debatte interessant, die nochmals den Unterschied zwischen nativistischen auf der einen Seite (siehe Box-1) und epigenetischen / konstruktivistischen Ansätzen auf der anderen Seite verdeutlicht (siehe Box-2). Diese Debatte ist in Szagun (2016) ausführlich beschrieben und soll hier nur kurz zusammengefasst werden, um den Erwerb der Flexion zu verdeutlichen. Eine ausführliche Übersicht über den Grammatikerwerb präsentieren Szagun (2016: 71 ff.) und Kauschke (2012). Auf der englischsprachigen Wortbildung basierend erklärte Clahsen (1999) das deutsche Pluralsystem zu einem dualistischen System: Die regelmäßigen Formen werden mit dem Suffix -s gebildet, alle anderen Pluralformen sind unregelmäßig und werden ohne einen Bezug zur Regel auswendig gelernt. Diese Annahme fand Szagun (2006) überraschend, da die Pluralform mithilfe des Suffix -s zwar bereits früh in der Sprachproduktion etabliert ist, aber nur 4 % aller Nomen im Deutschen den Plural auf diese Weise bilden. Ihre Forschung (Szagun, 2006; 2016) ist daher von der Frage geleitet, ob das Deutsche ein dualistisches Pluralsystem aufweist und warum Regeln nicht vielmehr den statistischen Häufigkeiten einer Sprache entsprechen sollten. Wenn kleine Kinder über ein dualistisches Pluralsystem mit -s als regelmäßige Form verfügen, so müssten sie bei Fehlern ausschließlich oder überwiegend ein -s anhängen, und zwar unabhängig vom Wortausgang des Nomens, weil sie die Regel für den regelmäßigen Plural anwenden. Alle anderen Fehler können nicht durch die Häufigkeit regelmäßiger Formen beeinflusst werden und nicht auf Analogien zu anderen Formen zurückzuführen sein (Szagun, 2016: 91). Die Alternativhypothese ist, dass Kinder das Pluralsystem des Deutschen von Beginn an als ein System multipler Regelhaftigkeiten lernen, in dem keine Form regelmäßiger ist als eine andere, wohl aber manche häufiger als andere. Die der Konkurrenzauffassung zugrundeliegende Annahme ist, dass Kinder für statistische Information in der Sprache empfänglich sind. Die Befunde zeigen, dass es eine deutliche Beziehung zwischen der Häufigkeit der Pluralklassen in der Erwachsenensprache und der Wachstumsrate von Pluralklassen in der Kindersprache gibt: Der schnellste Anstieg findet sich bei der -n-Pluralklasse, gefolgt von -e. Alle anderen Pluralklassen sind in der Spra- Konjugation und Deklination (Box-58): Die Konjugation ist die Flexion eines Verbs, wenn es sich in Abhängigkeit der Person beugt, zum Beispiel ich schreib-e, du schreib-st. Die Flexion von Substantiven und Adjektiven ist die Deklination wie die grün-e Schüssel oder in der grün-en Schüssel. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 198 17.04.2019 14: 20: 43 199 9.7 Mehrwortäußerungen che der Erwachsenen deutlich weniger häufig und steigen auch bei den Kindern nicht so schnell an. Die These, dass die Kindersprache die statistischen Häufigkeiten der Erwachsenensprache abbildet, trifft aber nicht vollständig zu: Es gibt nämlich auch Unterschiede zwischen den Pluralklassen bei Kindern und in der Erwachsenensprache. So berichtet Szagun (2016: 96), Kinder gebrauchten mit 2 Jahren und 10 Monaten (2; 10) mehr -e als -s, um den Plural zu bilden. Diese Unterschiede könnten von einem unterschiedlichen Vokabular herrühren: Jüngere Kinder verfügen noch kaum über Abstrakta (die den -n Plural erfordern). An diesem Beispiel wird der Zusammenhang zwischen dem Lexikon und der Morphosyntax bei Kindern deutlich. Die durchgeführte Analyse der Fehler, die bei Kindern in der Anwendung der Pluralform vorkommen, lässt Szagun (2006; 2016) die Ergebnisse eher im Sinne eines Systems multipler Regelhaftigkeiten als eines dualistischen Pluralsystems im Deutschen interpretieren. Dadurch wird die konstruktivistische Theorie des Flexionserwerbs gestützt (Szagun, 2016: 107). 9.7 Mehrwortäußerungen In der Lautsprache beginnt die produktive Syntaxentwicklung mit dem Auftreten von Wortkombinationen (Kauschke, 2012). Es stellt sich die Frage, welche Besonderheiten frühe Mehrwortäußerungen aufweisen und wie sich diese im Verlauf der Entwicklung verändern. Bildung von Mehrwortäußerungen Die Bildung von Mehrwortäußerungen setzt mit einer frühen Phase ein, in der Kinder zwei Wörter nacheinander äußern können wie in Mama! Auf ! . Ein gewisser zeitlicher Abstand zwischen diesen zwei Wörtern lässt Zweifel daran, ob es sich bei dieser Äußerung tatsächlich um eine Zweiwortäußerung handelt oder aber um zwei Äußerungen, die nacheinander erfolgen. Eine Kombination gilt üblicherweise dann als eine Äußerung, wenn diese durch die Intonationskontur vereint ist und zwischen ihnen keine Pause auftritt (Branigan, 1979). Doch diese pauschale Ansicht revidierten Behrens und Gut (2005) aufgrund einer akustischen Analyse, für die sie aus einem dichten Sprachkorpus von einem Kind 229 Zweiwortäußerungen gewannen. Sie teilten diese in vier unterschiedliche Kombinationen von Wörtern auf und fanden, dass die Wiederholung zweier Nomen andere prosodische Merkmale aufweist als die anderen 44783_Rohlfing_SL3a.indd 199 17.04.2019 14: 20: 43 200 9. Entwicklung der Morphosyntax Kombinationen: Die Pause zwischen zwei Nomen ist im Durchschnitt länger als die in anderen Äußerungen. Im Unterschied dazu weist die Kombination von einem Nomen und einem Partikel selten eine Pause auf; wenn sie überhaupt vorkommt, ist sie kurz. Zudem fanden die Autorinnen einen Zusammenhang der Pausen mit der Anzahl der Silben: Ist das erste Wort mehrsilbig, so ist es wahrscheinlicher, dass das zweite Wort nach einer Pause folgt. Diese zeitliche Besonderheit deutet auf einen höheren Verarbeitungsaufwand hin. Die pauschale Ansicht, eine dazwischenliegende Pause deute auf zwei Äußerungen-- statt einer-- hin, kann also nicht aufrechterhalten werden, weil je nach Wortarten, die miteinander kombiniert werden, ihre Verarbeitung eine andere Dauer und andere Pausengestaltung benötigt. Benutzen Kinder Mehrwortäußerungen, so stehen sie vor der Herausforderung, die Wörter syntagmatisch miteinander in Beziehung zu setzen (siehe Box-48). Im Deutschen erfolgt dies durch Genus- und Kasusmarkierungen (siehe Box-59). Auf den Numerus wurde oben im Abschnitt zur Flexion eingegangen, weshalb im Folgenden Genus und Kasus thematisiert werden. Es gibt im Deutschen drei Genera: Maskulinum, Femininum und Neutrum. Die Kasusmarkierung wiederum zeigt den Nominativ, Genitiv, Dativ oder Akkusativ (siehe Beispiel unten) und signalisiert eine Rolle, die ein Wort in einer Äußerung spielt (eine Nominalphrase in Abhängigkeit vom Verb). Genus- und Kasusmarkierungen finden sich im Deutschen an Substantiven, Artikeln, Pronomen, Adjektiven. Beispiel für Maskulinum, Singular: Nominativ: der rote Ball Genitiv: des roten Balls Dativ: dem roten Ball Akkusativ: den roten Ball In frühen Phasen der Wortkombination lassen Kinder sowohl Genusals auch Kasusmarkierungen bei Artikeln weg, wie bei Buch holen oder Tunnel bauen (Behrens & Gut, 2005). Szagun (2006) berichtet von einer Zwischenphase, in der sich einige Protoformen finden lassen wie in de auto! (für das Auto). Wenn Kinder Markierungen benutzen, dann häufen sich in ihrer Sprachproduktion Genus, Kasus, Numerus (Box: 59): Das Genus (Maskulinum, Femininum und Neutrum) bezieht sich auf Nomen oder Pronomen, und wird auch am Artikel oder Adjektiv realisiert. Bei dem Satz Paula gibt dem Mädchen den Ball erfordern die jeweiligen Rollen (wer gibt wem und was) die Kasusflexion, für die das Verb entscheidend ist. Beim Numerus geht es darum, ob das Nomen im Singular oder Plural steht. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 200 17.04.2019 14: 20: 43 201 9.7 Mehrwortäußerungen Fehler, von denen Szagun (2006) berichtet: Es finden sich sowohl Genusfehler wie die Wolf oder eine Junge als auch Kasusfehler wie ich will in den Bett! . Will man die Frage beantworten, wie Kinder es schaffen, die korrekte Anwendung des Genus zu erwerben, ist die Rolle der kindgerichteten Sprache dabei unbedingt zu berücksichtigen (siehe Kapitel-13): Szagun (2016) fasst zusammen, dass Kinder in ihrer frühen Entwicklung hilfreiche Lautstrukturen der Inputsprache (siehe Kapitel-6) nutzen und zusätzlich ein „eingeschränktes Vokabular, das häufig wiederholt wird“ (ibid.: 115) mitbekommen. Somit treffen die Sensibilität der Kinder für Muster in der Zielsprache und die Umwelt, die diese Muster fördert, perfekt aufeinander. Für ältere Sprachlerner tritt diese Kombination seltener ein. Interessant ist, dass der Reichtum der morphologischen Markierung, der von Sprache zu Sprache variiert, den Prozess des Erwerbs nicht beeinträchtigt. Vielmehr ist er sogar eine Stimulation. In einigen Sprachen verwenden Erwachsene das Diminutiv (siehe Box-60), das zum einen eine Verkleinerung ausdrückt (wie in Vögel-chen), aber auch den Kindern eine morphologische Veränderung bietet, bei der sie weniger Fehler machen als bei einfachen Nomen (Dabašinskienė, 2014). Die Forschung dazu ergab, dass das Diminutiv in Verbindung mit zuverlässiger Genusmarkierung steht, d. h. das Genus von Nomen im Diminutiv lässt sich zuverlässiger ableiten als von anderen Nomen. Szagun (2016: 108) konzentriert sich beim Kasuserwerb auf die Untersuchung der Markierung am Artikel, da „diese am häufigsten vorkommt, und die Markierung an vielen Pronomen ähnlich ist“. Der Kasuserwerb beginnt laut ihren Daten um den 18. Lebensmonat mit Artikeln im Nominativ; mit 21 Monaten werden Artikel im Akkusativ und Dativ gebraucht. Erst im vierten Lebensjahr markieren Kinder den Kasus zum größten Teil korrekt (90 %), beginnend mit dem Nominativ, gefolgt vom Akkusativ für den definiten Artikel. Der Akkusativ des indefiniten Artikels und der Dativ lassen noch länger (erst Ende des 4. Lebensjahres) auf sich warten. Als Gründe nennt Szagun (2016) ein Zusammenspiel von unterschiedlichen Faktoren, zu denen akustische Auffälligkeit und Unterscheidbarkeit sowie Häufigkeiten in der Erwachsenenzielsprache gehören. Diminutiv (Box-60): Das Diminutiv ist eine morphologische Derivation. Im Deutschen wird es durch Suffixe -chen oder -lein gebildet. Bei Vornamen aber auch durch -i-Hinzufügung (Benn-i, Jenn-i) sichtbar. Das Diminutiv weist eine Reihe von pragmatischen Aspekten auf: Es kann Nähe, Sympathie, aber auch Verachtung zum Ausdruck bringen (Dabašinskien ė , 2014). 44783_Rohlfing_SL3a.indd 201 17.04.2019 14: 20: 43 202 9. Entwicklung der Morphosyntax Syntaktische Funktionen und semantische Rollen der ersten Mehrwortäußerungen Kommen mehrere Wörter in einer Äußerung vor, so können sie füreinander eine syntaktische Funktion übernehmen, und zusammen-- durch die grammatische Beziehung- - eine Bedeutung vermitteln (siehe Box- 61). Die syntaktischen Funktionen, die einzelne Wörter übernehmen können, lassen sich als Subjekt, Prädikat oder Objekt charakterisieren. In den ersten Zweiwortäußerungen wurden folgende Funktionen beobachtet: Syntaktische Funktion Beispiel 1 Vorhandensein von Personen oder Objekten Auto da 2 Nicht-Vorhandensein von Personen oder Objekten Hund weg 3 Handlungsträger und Handlung Baby weint 4 Lokalisierungen Pferd rein 5 Nähere Bestimmungen Arme Katze 6 Possessivbeziehung Meiner Mama 7 Konditionalbeziehung Hose fertig Tabelle 5: Die grammatischen Beziehungen der ersten Mehrwortäußerungen. Die ersten sechs in der Tabelle 5 dargestellten grammatischen Beziehungen stammen von Szagun (2013) und werden hier durch die Kausalbeziehung (in Zeile 7) ergänzt (Rohlfing, Tagebuchnotizen). Diese entspringt aus Notizen zu der Sprachentwicklung eines Mädchens, das mit 21 Monaten durch eine Form der Konditionalbeziehung Ereignisse als aufeinander folgend markierte: Wenn sie ihre Hose anzieht, dann ist sie fertig angezogen, und sie muss sich mit dem Vorgang des Anziehens nicht mehr beschäftigen. Der Zweck einer syntaktischen Funktion, die sich zwischen mehreren Wörtern einer Äußerung ergibt, ist ihre Bedeutung. Behrens (2011) weist darauf hin, dass es zwischen Syntax und Semantik eine direkte Abhängigkeitsbeziehung gibt, für die in den nativistischen Ansätzen die semantischen Rollen entscheidend sind. Unter semantischen Rollen (siehe Box-62) versteht man Kategorien „zur Klassifizierung von syntaktischen Einheiten entsprechend der Funktion, Syntaktische Funktion (Box-61): In der traditionellen Grammatik ergibt sich die syntaktische Funktion aus Beziehungen zwischen dem Satzkern (dem Prädikat, meistens einem Verb) und davon abhängigen anderen Ausdrücken. In der kindlichen Sprache ergibt sie sich aus der Abhängigkeitsbeziehung zwischen Wörtern. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 202 17.04.2019 14: 20: 44 203 9.7 Mehrwortäußerungen die ihnen inhaltlich am Geschehen oder Sachverhalt zukommt“ (Adamzik, 2010: 341). Dass ein Wort syntaktisch als Subjekt fungiert, sagt noch nichts über die Rolle im inhaltlichen Zusammenhang aus. Die grammatischen Beziehungen sind insofern interessant, als sie ein Ausdruck der erfahrungsbasierten Kategorien sein können: Durch das Subjekt wird die Kategorie des Agens realisiert. Neben dem prototypischen Agens, das die Rolle eines Handelnden ausdrückt, bezieht sich das Patiens auf den Betroffenen. Bezogen auf die Zweiwortäußerungen, steht das Baby weint für ein Beispiel von Agens (ein Baby, das weint), während in Pferd rein, das (Spielzeug-)Pferd für ein Patiens steht, das räumlich bewegt wird. Die semantischen Rollen dienen im Erwerb als verbindendes Element: Es sind Strukturen, die die Kinder in Ereignissen selbst entdecken können, die jedoch im System einer Sprache ihre Entsprechung haben. Im Erwerb aktivieren Kinder durch die Kategorien der Semantik (die sie aus der kognitiven Verarbeitung von Ereignissen gewinnen sollen) die angeborenen syntaktischen Strukturen und verbinden diese mit den Elementen ihrer Zielsprache-- ein Prozess, der in nativistischen Ansätzen als „Linking“ bekannt ist (dazu Behrens, 2011: 377). Das Linking, definiert als eine systematische Verknüpfung von semantischen mit syntaktischen Rollen (Behrens, 2011: 379), hilft also wesentlich dabei, die Grammatikentwicklung voranzutreiben. Die vorantreibende Kraft besteht hier darin, dass „Wissen über einen Aspekt des Systems quasi als Starthilfe Lernprozesse auf einer anderen Ebene anstoßen kann“ (ibid.). Kritisch zu vermerken ist, dass eine systematische Verknüpfung nur dann gelingen kann, wenn sich die Systeme entsprechen. Das Kapitel-9.8 stellt die Frage, ob diese Voraussetzung gegeben ist. Mit Blick auf das vorangegangene Kapitel-8 fällt auf, dass die bisher genannten Ansätze den multimodalen Ausdruck nicht berücksichtigen. Sie berücksichtigen ausschließlich kindliche Äußerungen in der Lautsprache und werden somit der frühen kindlichen Kommunikation nicht gerecht. In der aktuellen Forschung zum multimodalen Spracherwerb verlieren die Zweiwortäußerungen deswegen den Status einer „wesentlichen Errungenschaft“ (Szagun, 2013: 78). Selbst eine Verneinung kann multimodal formuliert werden, wie in Kapitel-8.2 verdeutlicht. Semantische Rollen (Box- 62): In einer Äußerung nehmen syntaktische Einheiten bestimmte Rollen ein. Diese Rollen bilden das zugrundeliegende Geschehen ab. Die Zuweisung der Rollen erfolgt allerdings weniger nach formalen Kriterien, weshalb sie nicht eindeutig ist. Typische Rollen sind: Der Handelnde (Agens), der Betroffene (Patiens). 44783_Rohlfing_SL3a.indd 203 17.04.2019 14: 20: 44 204 9. Entwicklung der Morphosyntax 9.8 Konstruktionen im Erwerb von Grammatik Ein oben mehrmals angedeuteter alternativer Ansatz zum Grammatikerwerb soll im Folgenden im Hinblick auf die kognitiven (Erwerbs-)Vorgänge detaillierter dargestellt werden. Seine Vertreter gehen davon aus, dass Grammatik historisch gewachsen ist und durch psychologische wie auch soziokommunikative Prozesse beeinflusst wird (Tomasello, 2008). Alle sprachlichen Strukturen sind in diesem Ansatz Form-Funktionspaare. Während ‚Form‘ sowohl die phonologischen wie auch syntaktischen Umstände umfasst, bezieht sich ‚Funktion‘ auf die Bedeutung und den Gebrauch der Struktur (Fischer & Stefanowitsch, 2008: 5). Die menschliche Sprache umfasst einen Bestand an Konstruktionen (Äußerungsformen) unterschiedlicher Größe und unterschiedlicher Abstraktionsgrade-- „von formal vollständig kompositionellen und semantisch transparenten Strukturen bis hin zu vollständig lexikalisierten und formal fixierten Idiomen“ (Behrens, 2009: 429) -, die alle verschiedenen kommunikativen oder soziopragmatischen Zwecken dienen (Ambridge & Lieven, 2011: 123). Für den Spracherwerb impliziert dieser Ansatz, dass Kinder Wörter nicht einzeln erwerben und dann Regeln anwenden, um diese Wörter an syntaktischen Strukturen partizipieren zu lassen. Vielmehr erwerben sie Wörter durch ihre Partizipation an den Konstruktionen, in denen sie auftauchen (vgl. Behrens, 2011: 382). Dabei können unterschiedlich komplexe Strukturen der sprachlichen Produktion beobachtet werden (siehe unten). Der Grundgedanke der gebrauchsbasierten Ansätze ist, dass grammatische Elemente „aus lexikalischen Elementen und diskursiven Strukturen entstehen“ (Haspelmath, 2002) und dass der Gebrauch dieser Konstruktionen in der sozialen Interaktion mit weiteren kognitiven Prozessen (Assoziation, Entrenchment, Abstraktion, Schematisierung und Kategorisierung) einhergeht (Behrens, 2011). Holophrasen Dore (1975: 22) fasst den Gedanken zusammen, dass bereits hinter einem einzelnen Wort eines Kindes ein ganzer Satz stehen könnte, was er durch den Terminus der Holophrase zum Ausdruck bringt. Doch ist der Wert der Produktivität dieser ersten Äußerungen fraglich, weil sie oft imitatorisch erscheinen. Selbst erste Zweiwortäußerungen sind wenig variabel und damit auch wenig produktiv. „Sprachliche Äußerungen sind dann produktiv, wenn sie nicht nur vorhandenes Sprachmaterial reproduzieren (sei es aus dem Input oder aus den 44783_Rohlfing_SL3a.indd 204 17.04.2019 14: 20: 44 205 9.8 Konstruktionen im Erwerb von Grammatik eigenen Produktionen), sondern Variabilität in Form oder Funktion zeigen“ (Behrens, 2009: 437; siehe auch Kapitel- 9.3 und 9.4). Dem setzt Tomasello (2000b) entgegen, dass sich in einer Reproduktion nicht nur die Wiedergabe einer linguistischen Form, sondern auch die konventionelle Anwendung der kommunikativen Funktion widerspiegelt: Kinder gebrauchen ihre ersten Wörter nicht in Isolation, sondern im Kontext und situativ. Wie in Kapitel- 11 zur Pragmatik gezeigt wird, bedienen sich Kinder situativer Ressourcen, um erfolgreich zu kommunizieren. Eine Holophrase steht daher für eine semantische Abhängigkeit eines Wortes von den situativen Gegebenheiten, unter denen das Kind handelt (vgl. Dore, 1975: 25). Weitere Argumente gegen den Wert der Produktivität einer Holophrase rühren aus dem Vergleich mit der Erwachsenensprache. An ersten kindlichen Äußerungen wird kritisiert, sie seien linguistisch unspezifisch und beinhalteten eine andere Extension (siehe Kapitel-10), weshalb sie noch nicht dem Sprachsystem zugeordnet werden können (Dore, 1975: 26). Kategorien der Erwachsenensprache erscheinen jedoch unangemessen, um die Anfänge des Sprechens zu beschreiben. Dore (1975) bringt das Problem auf den Punkt: Die syntaktische Vorstellung vom Subjekt eines Satzes ist durch die syntaktisch-semantischen Beziehungen definiert und als solches daher auf einem anderen kognitiven Level als konzeptuelle Repräsentationen von Objekten und Ereignissen in der wirklichen Welt. Ein anderer, bisher wenig berücksichtigter, Kritikpunkt ist, dass sich die frühe Kommunikation um ein Miteinander dreht, in dem es um ein Erreichen von gemeinsamen Zielen geht (Rohlfing u. a., 2016). Rohlfing und Kollegen (2016) greifen den von Tomasello (2000b) hervorgehobenen Aspekt der Situiertheit der Ein-Wort-Äußerung auf und argumentieren, dass diese zunächst als Teil einer Handlung-- sozusagen als ein Schritt einer zielorientierten Handlung-- zu sehen ist, und zwar nicht nur im semantischen, sondern auch im syntaktischen Sinne: Die Organisation der einzelnen Handlungsschritte ist sequenziell. Im kindlichen Gebrauch der Holophrasen ist erkennbar, dass die ersten syntaktischen Strukturen genau diese Mittel der gemeinsamen Handlungsorganisation abbilden. Die Beispiele, die Dore (1975: 31) als unterschiedliche Typen von Holophrasen aufführt (Benennen, Wiederholen, Antworten, Bitten, usw.), verdeutlichen auch den konstruktiven Charakter der Äußerungen: Sie beziehen sich auf das gemeinsame Handeln und weisen somit eine große Ähnlichkeit mit nonverbalen Ausdrücken auf (siehe Kapitel-8). Zusammengenommen sprechen diese Argumente dafür, die Holophrasen nicht als isolierte Bausteine der Laut- 44783_Rohlfing_SL3a.indd 205 17.04.2019 14: 20: 44 206 9. Entwicklung der Morphosyntax sprache zu sehen, sondern als Teil einer ‚Handlungsphrase‘. Diese Handlungsphrase erhält ihre Bedeutung nicht durch mentale Prozesse der Intentionalität (siehe Kapitel-11), sondern durch ihre Einbettung in ein Handlungsprojekt mit einem gemeinsamen Ziel (Rohlfing u. a., 2016; siehe Kapitel-10). Diese Einbettung oder Verankerung der Holophrasen in ein Handlungsprojekt ist für die kognitiven Prozesse der Sprachverarbeitung immens wichtig und unterstützt die verkörperte Sicht auf die Sprache (siehe Kapitel-1.2). Erste Phrasen Erste Phrasen sind durch mehr linguistisches/ sprachliches Material charakterisiert, da sie eine gewisse interne Komplexität durch zumindest einen ‚Slot‘ aufweisen, in den eine lexikalische Einheit platziert werden kann. Dieser Slot schafft Bedingungen für verbale Produktivität an dieser besonderen Stelle: Bei der Phrase Mehr X! steht das X als Platzhalter für unterschiedliche Lexeme wie Saft oder Apfel. Obwohl sich in solchen Konstruktionen ein Schema abzeichnet (siehe Box-63 für weitere Konstruktionen), bleibt es zunächst auf eine linguistische Einheit beschränkt. Behrens (2009: 436) bezeichnet die Eigenschaft der frühen Phrasen, nämlich „dass die frühen Muster sich um einzelne Lexeme entwickeln“, als Inselhaftigkeit, sodass man von einer Übertragung des Gebrauchs auf vergleichbare Wörter nicht ausgehen kann. Zum Beispiel kann ein Kind mit dem Verb schneiden lediglich einfache Konstruktionen wie X schneiden äußern, während es mit dem Verb malen bereits komplexere Äußerungen wie malen X für Y formulieren kann (Tomasello, 2000). Tomasello (1992) hält die Entwicklung von Verben seiner Tochter fest: „In her two-argument sentence during this period, T used a locative marker as needed with 2 verbs, while with 9 she did not (e.g., she used locative prepositions with blow and stick, but not with push). Her one three-argument sentence with a locative at this time was not marked” (Tomasello, 1992: 244). Die jeweiligen syntaktischen Muster entwickeln sich also um ein spezielles Verb, indem zum Beispiel bei malen das X variiert wird. Zentral ist die Beobachtung, dass die vorhandenen Strukturen zunächst nicht übertragen werden. Stattdessen führt die lexikalische Einheit-- in dem oben genannten Fall das Verb malen oder schneiden-- ein eigenes syntaktisches Leben, was von der eingeschränkten Kreativität bei Kindern unter 3 Jahren zeugt und dagegen spricht, dass Kinder im Gebrauch von frühen Phrasen abstrakten Regeln oder abstraktem linguistischen Wissen folgen. Somit herrschen im frühen Spracherwerb eher „lokale Grammatiken“ (Behrens, 2009: 44783_Rohlfing_SL3a.indd 206 17.04.2019 14: 20: 44 207 9.8 Konstruktionen im Erwerb von Grammatik 439). Diese implizieren keine abstrakte Vorstellung von Subjekt und Objekt, sondern Konzepte, die an konkrete lexikalische Einheiten gebunden sind (Tomasello, 2000), wie zum Beispiel Kitzeler / Küsser und Gekitzelter / Geküsster. Diese Einschränkung im Übertragen der grammatischen Funktion findet sich nicht nur bei Verben, sondern auch bei weiteren lexikalischen Einheiten wie Pronomina (Pine u. a., 1998) oder Präpositionen (Tomasello, 1987). Muster können auch um Argumentstrukturrelationen entstehen, wie dies bei intransitiven (ohne Objekt wie in Mama malt), transitiven (mit Objekt wie in Mama malt eine Katze) und ditransitiven Strukturen (wie Mama malt ihr eine Katze) (Behrens, 2011) oder Passivkonstruktionen deutlich wird. Die Bindung von Strukturen an bestimmte lexikalische Einheiten lockert sich mit dem Gebrauch, was kognitiven Prozessen der Abstraktion zuzuschreiben ist, die einen Zusammenhang zwischen Konstruktionen herstellen. Diese Abstraktion kann an folgenden Stufen des Erwerbs einer transitiven Konstruktion verdeutlicht werden (cf. Szagun, 2013: 303 f.); es ist allerdings unbedingt zu beachten, dass die Beschreibung den Übergang zwischen den Stufen nicht erklärt: 1. Die transitive Konstruktion wird imitiert. Die Imitation geht jedoch über ein bloßes Nachplappern hinaus, weil die Konstruktion in einen situativen Kontext eingebettet wird. Damit demonstrieren Kinder ein pragmatisches Verständnis dieser Äußerung. 2. Transitive Konstruktionen bilden einen Slot heraus. Verschiedene Nomen können an die Stelle des Platzhalters treten. Das gilt sowohl für das Subjekt als auch für das Objekt. 3. Transitive Konstruktionen finden sich auch bei weiteren Verben. Einige Verben behalten sich jedoch bestimmte Konstruktionen vor und tauchen nur in transitiven Konstruktionen auf. 4. Transitive Konstruktionen können auf andere Verben (die Kinder z. B. in intransitiven Konstruktionen kennengelernt haben) mühelos übertragen werden. Verben können daher in verschiedenen Konstruktionen auftreten. Damit wird deutlich, dass es sich um abstrakte Einheiten handelt. Konstruktionen (Box-63): Einige Beispiele (nach Goldberg, 2003: 220) sind Morpheme (wie un-, -lich), Wörter (wie Apfel, und), Benennungen (das ist ein X), Konditionalsätze (der Form je X desto Y), ditransitive Konstruktionen (Gib’ ihr die Sandform) und passive Konstruktionen (der Form X wurde ge-Y wie in Ada wurde gewaschen). 44783_Rohlfing_SL3a.indd 207 17.04.2019 14: 20: 44 208 9. Entwicklung der Morphosyntax Kognitive Prozesse Wie bereits oben angedeutet, geht man in gebrauchsbasierten Ansätzen zum Spracherwerb davon aus, dass das ständige Aufgreifen der Konstruktionen die Aktivierung von kognitiven Prozessen zur Folge hat. Als erstes ist die Assoziation (siehe auch Box-47) zu nennen, die eine Voraussetzung dafür ist, dass eine linguistische Einheit mit ihrer Funktion verbunden wird und diese Verbindung eine Gedächtnisspur hinterlässt. Eine Assoziation sorgt für eine reichhaltige Erinnerung, in der nicht nur beispielsweise ein Objekt, sondern auch seine Funktion und sein Name verbunden sind. „Durch die situative Gebundenheit des sprachlichen Materials wird hier keine Grenze zwischen Semantik und Pragmatik gezogen“ (Behrens, 2009: 433). Ein weiterer Prozess, das Entrenchment, geht mit wiederholtem Gebrauch einher. Er bezieht sich auf die Verarbeitung einer sprachlichen Struktur, die immer stabiler und automatisierter wird (Behrens, 2009: 434). Eine Voraussetzung für die Wirkung von Entrenchment ist, dass Kinder Strukturen registrieren, sei es als „einzelne Segmente, Wörter oder auch größere Einheiten wie Phraseologismen und Kollokationen“ (Behrens, 2009: 434; siehe Box-63). Insofern beinhaltet der Prozess einerseits langfristige Gedächtnisprozesse, die dazu führen, dass sich eine linguistische Form als phonologische wie auch morphosyntaktische Einheit mit ihrer stets einhergehenden pragmatischen Funktion festsetzt. Andererseits bezieht sich der Begriff des Entrenchments aber auch auf das reichhaltige Vorkommen einer Form im Input, der einem Kind immer wieder und in unterschiedlichen Situationen begegnet. Ambridge und Lieven (2011) fassen zusammen, dass durch eine erneute Präsentation, zum Beispiel eines Verbs, seine probabilistische Evidenz entsteht, die dann darüber entscheidet, in welchen Konstruktionen dieses Verb gebraucht werden kann und in welchen nicht. Methodisch zeigt sich die Wirkung des Entrenchments durch Primingeffekte (siehe Kapitel-9.3): Wenn Kindern eine Struktur vermehrt dargeboten wird, dann werden sie diese aufgreifen. Erst im vierten Lebensjahr haben Kinder ein umfassendes Repertoire und wenden es an; auch wenn ihnen beispielsweise ein neues Verb innerhalb einer Passivkonstruktion dargeboten wird, können sie mit einer transitiven Konstruktion antworten (von Lehmden u. a., 2015). Ein entscheidender Prozess, der zu dieser Variabilität in der Produktion führt, ist die Abstraktion oder die Schematisierung (siehe auch Kapitel-9.4). „Der Lerner filtert die formalen oder funktionalen Elemente heraus, die sich nicht 44783_Rohlfing_SL3a.indd 208 17.04.2019 14: 20: 44 209 9.8 Konstruktionen im Erwerb von Grammatik wiederholen, während die rekursiven Elemente verstärkt werden. Somit bildet sich ein Schema als ein Spezialfall der Abstraktion heraus“ (Behrens, 2009: 434). Der Prozess der Abstraktion ist jedoch nicht speziell auf den Spracherwerb zugeschnitten, sondern setzt bereits früh in der Entwicklung ein, wenn Säuglinge Ereignisse verarbeiten (Rohlfing, 2013 in Bezug auf Mandler, 2012, siehe auch Kapitel-10). Die für diesen Prozess wesentliche Fähigkeit ist das Vergleichen von Wahrgenommenem, zum Beispiel Konstruktionen in der Lautsprache, und die Suche nach Invarianz (Bruner, 1983). Durch das Vergleichen erkennt der Lerner, welches Sprachmaterial sich wiederholt und welches nicht. Auch hier scheint es sich um einen Verarbeitungsvorgang des Gedächtnisses zu handeln, der vermutlich im Rahmen der Konsolidierung (siehe Kapitel-7) anfällt. Als einen weiteren strukturbildenden Prozess bezeichnet Behrens (2009: 434) die Komposition. Verfügen Kinder über bestimmte Konstruktionen, so sind sie dazu in der Lage, diese in Form von Teilkonstruktionen als Basis für weitere Konstruktionen zu benutzen (ibid.). Dieser Prozess sorgt für einen schnellen Zuwachs im Bereich der Grammatik zu einem späteren Zeitpunkt im Erwerb, „wenn die Vernetzung von Strukturen fortgeschritten ist […]. Unter der Annahme von abstrakter und vernetzter werdenden Konstruktionen ist es möglich, selbst niedrig frequente und hochkomplexe Strukturen induktiv durch direkte oder indirekte positive Evidenz zu erlernen“ (ibid.). Zu betonen ist, dass all diese Prozesse domänenübergreifend sind, d. h. für kognitive Verarbeitung jeglicher Art- - nicht nur speziell für den Bereich der Lautsprache-- hinzugezogen werden. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 209 17.04.2019 14: 20: 44 210 9. Entwicklung der Morphosyntax Lesetipps: Im Buch von Szagun (2013) findet sich eine hilfreiche Einführung in den Erwerb von Grammatik: Szagun, G. (2013). Sprachentwicklung beim Kind: Ein Lehrbuch (5. Aufl.). Weinheim [u. a.]: Beltz. Den Ansatz der Konstruktionsgrammatik schildern Behrens (auf Englisch) und Tomasello (auf Englisch und Deutsch) in ihren Aufsätzen: Behrens, H. (2009). Konstruktionen im Spracherwerb. Zeitschrift für Germanistische Linguistik, 37 (3). Tomasello, M. (2008). Konstruktionsgrammatik und früher Erstspracherwerb. In K. Fischer, & A. Stefanowitsch (Hrgs), Konstruktionsgrammatik I. Von der Anwendung zur Theorie (S. 19-37). Tübingen: Stauffenburg. Tomasello, M. (2000). The item-based nature of children’s early syntactic development. Trends in Cognitive Sciences, 4 (4), 156-163. Beispiele von Studien, die syntaktisches Priming verwenden, um die Produktivität der Kinder zu erforschen sind die von Savage und Kollegen sowie Wittek und Tomasello. Savage, C., Lieven, E., Theakston, A., & Tomasello, M. (2003). Testing the abstractness of children’s linguistic representations: Lexical and structural priming of syntactic constructions in young children. Developmental Science, 6 (5), 557-567. Wittek, A., & Tomasello, M. (2002). German children’s productivity with tense morphology: The Perfekt (present perfect). Journal of Child Language, 29 (3), 567-589. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 210 17.04.2019 14: 20: 44 211 10.1 Methode der Augenbewegungsmessung: Preferential Looking-Paradigma 10. Entwicklung der Semantik Die menschliche Sprachfähigkeit geht weit darüber hinaus, in einer bestimmten Situation etwas kurz aufzuschnappen und zu reproduzieren. Vielmehr sind wir in der Lage, Schlussfolgerungen zu ziehen und neue Problemstellungen zu bewältigen. Diese erstaunliche Flexibilität lässt vermuten, dass wir über Wissen verfügen, auf das wir stetigen und kontextunabhängigen Zugriff haben. Dieses Wissen in Form von Konzepten und Bedeutungen ist fundamental für alle Aspekte der menschlichen Kognition. Das fundamentale Wissen wird in diesem Kapitel aus der Perspektive verschiedener Ansätze zum Semantikerwerb präsentiert: In klassischen Vorstellungen (Merkmalshypothese, Prototypentheorie) ist die Semantik amodal, d. h. unabhängig von sensorischer und physikalischer Erfahrung. Doch die letzten Jahre der Forschung haben die Semantik und ihre Entwicklung näher an erfahrbare Körperlichkeit und dem daraus gewonnenen Weltwissen gerückt, woraus sich die Notwendigkeit von Ansätzen ergibt, Semantik in dieser Abhängigkeit umfassend zu erklären. Eine Veranschaulichung der Untersuchungsmethoden, mit denen sich semantisches Wissen bei Kindern erforschen lässt, führt in die Breite des Forschungsfeldes ein. 10.1 Methode der Augenbewegungsmessung: Preferential Looking- Paradigma Die Frage nach der Bedeutung eines Wortes wurde bislang dann gestellt, wenn ein Kind ein erstes Wort geäußert hat. Erst dann waren seine Verwendung und die dahinterliegenden Konzepte von Belang. Doch neuere Methoden auf dem Gebiet der kognitiven Entwicklung legen die Schlussfolgerung nahe, dass Kinder lange vor ihrem ersten Wort die Welt und die Sprache zu begreifen beginnen. Die Methode der Augenbewegungsmessung (Eyetracking) trägt wesentlich zu den Erkenntnissen bei. Bevor es die Technologie des Eyetrackings gab, richtete man eine Kamera frontal auf das Kind, um die Augenpartie zu erfassen. In einem typischen Setting sitzt das Kind während der Aufnahme auf dem Schoß der Bezugsperson und betrachtet Stimuli, die ober- oder unterhalb 44783_Rohlfing_SL3a.indd 211 17.04.2019 14: 20: 44 212 10. Entwicklung der Semantik der Kamera präsentiert werden. Diese werden entweder auf einem Bildschirm angezeigt oder von einem Experimentator vorgeführt. Zentral für diese Methode sind zwei Phasen der Untersuchung (siehe Box- 64), die im Folgenden am Beispiel der Preferential-Looking-Studie verdeutlicht werden. Im Preferential Looking-Paradigma steht die Präferenz, die Kinder aufgrund der Präsentation herausbilden, im Zentrum der Untersuchung. Der Ablauf sieht vor, dass Kinder zunächst zwei Stimulisets gleichzeitig nebeneinander dargeboten bekommen. Dabei haben die Sets etwas Gemeinsames, z. B. wird in beiden Sets ein Objekt lose in ein anderes gelegt. Diese Phase gibt Kindern die Möglichkeit, aufgrund der Gemeinsamkeit zwischen den Sets, ein Muster herauszubilden. Haben die Kinder während der Familiarisierungsphase ein Muster für diese Relation herausbilden können (z. B. erkennen sie, dass allen Präsentationen eine bestimmte räumliche Relation zugrunde liegt), so wenden sie dieses Muster ebenfalls in der Testphase an und präferieren die bereits bekannte Relation gegenüber einem zweiten Set, in dem eine neue Relation ausgeführt wird. Diese Präferenz äußert sich in der Blickdauer (Gesamtsumme aller Blickzeiten): Kinder schauen den bekannten Stimulus länger an. Äußern Kinder in der Testphase eine klare Präferenz für die bekannte Relation, so gibt diese Präferenz Aufschluss darüber, dass sie diese räumliche Relation von der anderen unterscheiden können. Mit dem Preferential Looking-Paradigma wird somit die Fähigkeit zur Diskriminierung erfasst, also dem Vermögen ein Muster zu bilden und auf dieser Grundlage zu erkennen, dass es zwischen den Darbietungen Unterschiede gibt. Die Auswertung erfolgt mittels eines Computerprogramms. Erfolgt die eigentliche Kodierung manuell, so wird dabei jedes Einzelbild der Aufnahme (24 Bilder pro Sekunde) auf die Blickrichtung des Kindes überprüft. Daraus ergibt sich die Zeit, mit der das Kind auf die rechte oder linke Bildschirmhälfte geschaut hat oder in der es abgelenkt war. Die Blickdauer ergibt sich aus der Gesamtsumme aller Blickzeiten zum Zielstimulus. Diese Methode ist zeit- und arbeitsintensiv. Beim Eye-Tracking wird dies vom System übernommen. Bei all diesen Methoden ist die Annahme zentral, dass das Blickverhalten die Wahrnehmung und die kognitive Verarbeitung des Materials widerspiegelt. Phasen in Habituations- oder Präferenzstudien (Box-64): In der ersten Phase (Familiarisierung) werden Kinder bis zu einem gewissen Grad an die gezeigten Stimuli gewöhnt. Auf diese Weise bilden sie eine Präferenz für das Bekannte heraus. In einer zweiten Phase werden neue Stimuli dargeboten, um zu untersuchen, ob Kinder darauf mit einer Änderung in ihren Blickzeiten reagieren. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 212 17.04.2019 14: 20: 44 213 10.1 Methode der Augenbewegungsmessung: Preferential Looking-Paradigma Ein Beispiel für die Anwendung dieser Methode in der Semantikentwicklung ist die Studie von McDonough und Kolleginnen (1998). Ausgangspunkt für ihre Untersuchung ist die Debatte zu räumlichen Ausdrücken und ihrem Erwerb. Im klassischen Ansatz zur Semantik (siehe Kapitel- 10.2) wird der Erwerb als mentaler Zuordnungsprozess beschrieben. Demnach können Kinder räumliche Ausdrücke dann erwerben, wenn ihnen räumliche Konzepte bereits zur Verfügung stehen (Johnston & Slobin, 1979). Solange diese zugrundeliegenden Konzepte nicht herausgebildet sind, können Kinder keine räumlichen Zustände zum Ausdruck bringen. Die sprachvergleichende Forschung der letzten Jahre ergab hierzu neue Erkenntnisse. Ein berühmtes Beispiel ist die Auffassung der sogenannten Behälter-Relation. Diese ist für die Entwicklung insofern interessant, als junge Kinder von dem räumlichen Zustand, dass ein Objekt in ein anderes hineingelegt werden kann (siehe Abb. 19, wo z. B. ein Baustein in einen Behälter gelegt wird), fasziniert sind und sich lange damit beschäftigen können. Dieser Zustand wird in verschiedenen Sprachen unterschiedlich aufgefasst: Zum Beispiel wird im Koreanischen unterschieden, ob ein Gegenstand lose (nehta)-- wie ein Baustein in einen Behälter-- oder passend (kkita)-- wie ein Buch in seine Hülle-- in einen anderen hineingelegt wird; im Deutschen oder im Englischen wird diese Unterscheidung lexikalisch nicht gemacht, denn beide Relationen können mit der Präposition in ausgedrückt werden (siehe Abb. 19). Abbildung 19: Der Unterschied in räumlichen Ausdrücken in Bezug auf bestimmte Ereignisse: Während im Deutschen und im Englischen ein Objekt auf oder in ein weiteres gelegt wird, wird im Koreanischen unterschieden, ob etwas passend zusammengesteckt oder lose hineingelegt wird (© Frank Hegel). 44783_Rohlfing_SL3a.indd 213 17.04.2019 14: 20: 44 214 10. Entwicklung der Semantik Dieser lexikalische Unterschied stand im Zentrum der Untersuchung von McDonough und Kolleginnen (1998; 2003), zu der sie folgende Annahmen trafen: Kinder erwerben die räumlichen Konzepte bereits vorsprachlich und diese haben einen universellen Charakter (d. h. sind von der Struktur der jeweiligen Zielsprache, die die Kinder erwerben, unbeeinflusst); später in ihrer Entwicklung, wenn die Kinder Gebrauch von räumlichen Ausdrücken machen, lernen sie, die ursprünglichen Konzepte ihrer Zielsprache anzupassen und zu verfeinern. Somit reflektiert der Spracherwerb der räumlichen Ausdrücke nicht das Entstehen der räumlichen Konzepte, sondern das Anpassen bereits vorhandener Basiskonzepte an die Sprach- und Bedeutungsstruktur der Zielsprache. Um zu überprüfen, ob Kinder bereits vorsprachlich über solche sprachlich universellen Basiskonzepte verfügen, untersuchten die Forscherinnen Englisch und Koreanisch lernende Kinder im Alter von 9-14 Monaten. Mit der Methode des Preferential Looking testeten sie, ob die Kinder einen Unterschied zwischen losem und passendem Hineinstecken erkennen (Abb. 19). Dafür bekamen die Kinder in der Familiarisierungsphase Objekte in einer bestimmten Relation präsentiert (siehe Box-64), zum Beispiel wurde ein Bauklotz lose in einen Behälter hineingelegt. Diese Phase wurde von einer Testphase abgelöst, in der die Kinder sahen, wie auf der einen Seite des Bildschirms ein Objekt lose, auf der anderen Seite des Bildschirms ein Objekt passend in einen Behälter hineingelegt wurde. Die zugrundeliegende Hypothese war, dass Kinder beider Sprachgruppen (Englisch und Koreanisch) einen Unterschied zwischen den Relationen ‚lose-in‘ und ‚passend-in‘ bemerken, wenn sie bereits über Basiskonzepte (siehe Box- 71) verfügen. Die mit der Hypothese einhergehende Vorstellung der Semantikentwicklung ist, dass die Relationen ‚lose-in‘ und ‚passend-in‘ basaler als die Relation ‚in‘ sind; das Konzept für die Relation ‚in‘ wiederum entsteht aufgrund des Anpassens und Verfeinerns der Basiskonzepte an die jeweilige Zielsprache, nämlich Englisch. Diese Hypothese konnten die Autorinnen in ihrer Untersuchung bestätigen (Choi u. a., 1999) und schlussfolgerten daraus, dass Kinder mit basalen Konzepten des Raumes ausgestattet sind, wenn sie mit dem Lautspracherwerb beginnen. Im Spracherwerb wird nicht das Herausbilden räumlicher Konzepte, sondern vielmehr das Anpassen dieser Konzepte an die Zielsprache sichtbar. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 214 17.04.2019 14: 20: 44 215 10.2 Die Struktur von Bedeutung 10.2 Die Struktur von Bedeutung Klassischer Ansatz Die Vorstellung, dass die Bedeutung eines Wortes eine greifbare Einheit ist, geht auf den Strukturalismus zurück. Zunächst ist es wichtig, dieses Konstrukt vom Phänomen der Referenz / Bezugnahme abzugrenzen (siehe Box-36). Die Referenz ist nicht mit der Bedeutung eines Wortes gleichzusetzen. In der Semantik wird unter Bedeutung ein psychologischer Inhalt (Bloom, 2001) verstanden, der im Prozess der Referenz abgerufen wird und zum Einsatz kommt. Je nach Kontext, in dem die Bedeutung abgerufen wird, dient die Bedeutung einem anderen Zweck. Das semiotische Dreieck (siehe Abb. 20) stellt die Beziehung zwischen dem Symbol, der Bedeutung und dem Referenten dar. Abbildung 20: Semiotisches Dreieck: Das Symbol kann sich auf das Objekt / Ereignis in der Welt nur über den Umweg der mentalen Einheit beziehen; Referenz ist dabei durch die durchgehende Linie angedeutet. Der in Abbildung 20 dargestellte Umweg vom Symbol zum Referenten über den psychologischen Inhalt (mentale Einheit) verdeutlicht, dass sprachliche Zeichen sich nicht unmittelbar auf die Wirklichkeit beziehen, und nur aufgrund ihrer mentalen Bedeutung wirksam sind. Zum Beispiel wird das Wort Schnee auch in einer Wohnung verstanden. Das zeugt davon, dass das Wort nicht mit dem Ereignis selbst, sondern mit einem Konzept davon verbunden ist. Der Begriff steht für eine mentale Einheit, die einen Inhalt hat. Das Aufrufen des Konzeptes durch das Symbol ermöglicht es, Bezug auf etwas zu nehmen. Dank solcher Konzepte sind Menschen zudem in der Lage, ihre Erfahrungen im Gedächtnis zu gruppieren (Szagun, 2013). Hat jemand ein Konzept von einem Tisch, so ist es ihm möglich, das neue Möbelstück seiner Freunde einzuordnen. Bezüglich des Konzeptinhalts, also der Intension eines Begriffs, gibt es unterschiedliche Vorstellungen (siehe Kapitel- 10.3). Sie unterscheiden sich darin, welche Erfahrungen und welche Formate in die mentale Einheit einfließen. In der klas- 44783_Rohlfing_SL3a.indd 215 17.04.2019 14: 20: 44 216 10. Entwicklung der Semantik sischen Semantik fasst die Intension eines Wortes wie Haus den Begriffsinhalt zusammen, d. h. welche Merkmale und Eigenschaften eine Entität vorweisen muss, damit sie als Haus bezeichnet oder zur Kategorie ‚Haus‘ gezählt werden kann. Die Erfahrung, die zum Herausisolieren dieser Merkmale führt, ist die Extension. Sie umfasst die Menge aller Häuser, die wir erlebt haben und gibt somit den Umfang des Begriffs oder der Kategorie an. Die beiden Dimensionen Intension und Extension sind im Erwerb viel dynamischer als für die Erwachsenensprache angenommen. Diese Dynamik äußert sich deutlich in den Phänomenen der Überdehnung oder Unterdehnung einer Wortbedeutung (siehe Box-65). In der Forschung ist man zunächst davon ausgegangen, dass eine Überdehnung aufgrund perzeptueller (d. h. auf der Wahrnehmung beruhender) Merkmale stattfindet (Clark, 1973a). Diese Überzeugung war jedoch ein Produkt des empirischen Vorgehens: In den meisten Studien wurden hauptsächlich visuelle Merkmale getestet. Weitere Untersuchungen (wie auch Daten aus Tagebüchern) ergaben, dass eine Überdehnung auf der Basis perzeptueller, aber auch funktionaler, emotionaler und lokativer Merkmale stattfinden kann. Ein Beispiel für ein lokatives Merkmal ist die Überdehnung des Wortes runter, mit dem ein Kind sowohl das Hinaufwie auch Heruntersteigen einer Treppe bezeichnet. Ein Beispiel für eine Überdehnung aufgrund von emotionalen Merkmalen ist das Wort aua! , das nicht nur verwendet wird, wenn sich ein Kind wehgetan hat, sondern auch, wenn sich eine Tür nicht öffnen lässt (Rohlfing, Tagebuchnotizen). Für eine Unterdehnung gibt Szagun (2006) das Beispiel, dass nur ein schwarzer Hund mit kurzen Haaren als Hund bezeichnet wird-- die Bedeutung eines Hundes wird hier also nicht auf alle Hunde ausgedehnt. Ähnlich kann mit Katalog nur ein Lego- oder Playmobilkatalog bezeichnet werden, aber keiner, in dem Kleidung angeboten wird. Ein weiteres Beispiel ist die Bezeichnung cool, die lediglich auf Dinos angewendet werden darf, und zwar mit der Begründung eines dreijährigen Mädchens „Das ist nicht cool! Da sind keine Dinos oder so, das ist nur schön! “ (Rohlfing, Tagebuchnotizen). Überdehnung und Unterdehnung treten verstärkt im Alter zwischen 1 und 2,5 Jahren auf, finden aber auch noch später Überdehnung und Unterdehnung einer semantischen Kategorie (Box-65): Von einer Überdehnung spricht man, wenn ein Kind eine weitere Kategorie einer Entität zu bilden scheint als es die Erwachsenensprache vorgibt. Von einer Unterdehnung ist die Rede, wenn eine zu enge Kategorie zustande kommt: Kinder gebrauchen ein Wort in einem speziellen Kontext und dehnen die Bedeutung nicht aus. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 216 17.04.2019 14: 20: 44 217 10.2 Die Struktur von Bedeutung in der Entwicklung statt und ermöglichen zu jedem Zeitpunkt einen Blick in die Organisation der Bedeutungsstruktur. Interaktionistischer Ansatz Aus der Entwicklungsperspektive betrachtet, bergen nicht nur die Intension und Extension eine Dynamik. Das gleiche trifft auf die Referenz zu. Die Auflösung der Referenz wird in der Spracherwerbsliteratur häufig als der ‚Haupteingang‘ zum Spracherwerb gesehen. In Kapitel- 5 beispielsweise werden zwei unterschiedliche Positionen diskutiert, wie Referenz von Kindern aufgelöst wird (siehe Box-38 und 39). Denn darin spiegelt sich die kindliche Fähigkeit, mit Symbolen im Sinne einer kognitiven Leistung (der Herstellung der Referenz) umzugehen. Untersucht man die ersten referenziellen Leistungen von jungen Kindern im Alter von 10 Monaten, so fällt auf, dass sie mit viel Unterstützung der Bezugsperson zustande kommen. Bei der Herstellung der Referenz kann der Bezugsperson unterschiedliches Gewicht beigemessen werden: In sozialpragmatischen Ansätzen (siehe Kapitel- 1 und 5) leitet eine Bezugsperson ein Kind dazu an, bestimmte Entitäten wahrzunehmen und mit Wörtern zu versehen. Die Interaktion dient hier also der Koordination der Aufmerksamkeit, die nötig ist, um den Referenten aufzugreifen. Allerdings müssen die Hinweise, die die Bezugsperson zu der Referenz erteilt, von dem Kind richtig gedeutet werden. In interaktionistischen Ansätzen spielt die Bezugsperson eine größere Rolle: Sie ist Teil der Bezugnahme. Die Bedeutung eines Wortes ist hier keine Einheit mehr, die ein Kind mit jemandes Hilfe begreifen kann. Vielmehr kann die Bedeutung eines Wortes erst in der Interaktion entstehen, weil sie für die Zwecke einer Interaktion geformt wird. Die Referenz ist also ein interaktiver Prozess (Heller & Rohlfing, 2017). Sie entsteht im iterativen (d. h. schrittweise abgestimmten) Miteinander, in dem die Partner sich nicht lediglich austauschen, sondern gemeinsam auf ein Ziel hinarbeiten. Dieses gezielte Miteinander wird dann in klar identifizierbare „Jobs“ überführt, die mit unterschiedlichen Mitteln ausgeführt werden (ibid.: 1). Während die Mittel einigermaßen flexibel sind, ist die Ausführung der Jobs nötig, um die Referenz zu erreichen (siehe Tabelle 9). 44783_Rohlfing_SL3a.indd 217 17.04.2019 14: 20: 44 218 10. Entwicklung der Semantik Job 1 Körperliche Orientierung: Findet häufig im Sinne der Herstellung einer visuellen Wahrnehmung statt, wofür die Bezugsperson Aufforderungen wie Schau‘ mal! verwendet, um ihre Kinder auf die Anforderung, sich visuell zu orientieren, einzustellen. Job 2 Bestimmung des Untersuchungsbereichs: Selbst wenn ein Partner zu der gewünschten Seite schaut, folgt daraus nicht unmittelbar, dass er den Suchbereich einschränken kann. Diese Einschränkung und Bestimmung des Bereichs [domain of scrutiny] ist jedoch im Prozess der Referenz nötig. Job 3 Lokalisation des Ziels: Sind beide vorangegangenen Jobs erfüllt, so kann das Ziel lokalisiert werden. Job 4 Konstruieren des Referenten: Dieser Job erfordert kognitive Prozesse, die bei der Kontextualisierung des Referenten beteiligt sind. Tabelle 6: Identifizierte Jobs, die im Referenzprozess erfüllt werden müssen, und zwar von beiden Gesprächspartnern. In frühen Interaktionen können junge Kinder diese Jobs (dargestellt in Tabelle-6) kaum selbst bewältigen. Heller und Rohlfing (2017) zeigten auf, wie die Bezugsperson anfänglich fast alle diese Jobs übernimmt und dem Kind eine sich wiederholende interaktive Sequenz anbietet. Die Situation des gemeinsamen Bilderbuchvorlesens eignet sich hervorragend dazu, diese Jobs anzutrainieren, sodass Kinder schnell in die Lage kommen, sie selbst zu übernehmen und auf diese Weise zum kompetenten Gesprächspartner zu werden. Die Vorstellung, Referenz sei ein interaktiver Prozess, bietet einen Vorteil gegenüber der Vorstellung, ein Kind müsse die Intention des Interaktionspartners lesen können, um sich den Bezug einer sprachlichen Äußerung zu erschließen. Statt einer mentalen Leistung bieten die Jobs eine Referenzauflösung auf der Verhaltensebene mithilfe von Interaktionserfahrung: Wenn sie sich etablieren, können diese Jobs zu Verhaltenskontingenzen werden, auf welche in der Produktion und Rezeption schnell und effizient zurückgegriffen werden kann, um das Verhalten eines Interaktionspartners vorherzusehen. 10.3 Semantische Theorien über den Inhalt von Konzepten: Semantische Merkmalshypothese und Prototypentheorie Dass man den Begriffsinhalt als Intension bezeichnet, soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Bestimmung dieses Inhalts bisher nicht gelungen ist. Zwar gibt die übliche Definition der Intension einer Entität vor, dass Merkmale oder Eigenschaften zusammengefasst werden (siehe Box- 66), doch gibt es 44783_Rohlfing_SL3a.indd 218 17.04.2019 14: 20: 44 219 10.3 Semantische Theorien über den Inhalt von Konzepten durchaus alternative Vorstellungen dazu. Im Folgenden werden zwei prominente Ansätze und ihre Alternativen vorgestellt. Semantische Merkmalshypothese Eine klassische Theorie ist die semantische Merkmalstheorie (engl.: Semantic Feature Hypothesis), die im Spracherwerb auf Clark (1973b) zurückgeht. Die Bedeutung eines Wortes beinhaltet zuerst wenige Merkmale (siehe Box-66), die auf direkter Wahrnehmung einer Entität durch physische Exploration beruhen. Im weiteren Spracherwerb wird die volle Wortbedeutung durch das Hinzufügen von weiteren Merkmalen erreicht (siehe Rohlfing, 2013: 45 ff.). Zum Beispiel beinhaltet die Bedeutung des Wortes Bruder zunächst die Merkmale ‚männlich‘ und ‚nicht-erwachsen‘. Erst im weiteren Erwerb wird das Merkmal ‚nicht-erwachsen‘ insofern ergänzt, als das abstrakte Merkmal ‚Geschwister‘ hinzugefügt wird. Der Erwerb einer Wortbedeutung kann nach diesem Ansatz also als ein ‚Additionsprozess‘ (Szagun, 2006: 133 f.) gesehen werden, in dem die Bedeutungsstruktur graduell aus einzelnen stabilen Merkmalen gebildet wird. Im Zuge des Additionsprozesses probieren Lerner unterschiedliche Merkmale in der Anwendung aus- - auf diese Weise kann das Vorkommen der Über- und Unterdehnung erklärt werden (siehe Box-65). Für die Forschung stellt sich die Frage, ob unsere Wahrnehmung tatsächlich in Merkmalen erfolgt (d. h. nehmen wir ein Objekt in seiner Größe wahr) oder diese ein Produkt unserer Handlungen mit Objekten und somit eher relationaler Natur ist. Die empirische Grundlage für die semantische Merkmalshypothese bildet Clarks Analyse von Überdehnungsfehlern aus verschiedenen Sprachen (Clark, 1973a). Da sich diese Fehler jedoch nicht einheitlich erfassen lassen und nicht nur perzeptueller Natur sind, sind sie als Grundlage der Merkmalshypothese fragwürdig. Auch die generelle Vorstellung, ein Begriffsinhalt setze sich aus Merkmalen zusammen, ist zwar einfach und deshalb attraktiv, es gibt jedoch erhebliche Zweifel an ihrer psychologischen Realität. Laurence und Margolis (1999: 27) fassen zusammen, dass es lediglich wenige Bedeutungsstrukturen gibt, die sich in Merkmalen definieren lassen; viele Wörter behalten eine Unschärfe (engl.: fuzziness) gegenüber manchen Merkmalen (Rohlfing, Semantische Merkmale (Box- 66): Unter Merkmalen (engl.: features) werden Eigenschaften verstanden, die ein Objekt oder ein Ereignis ausmachen. Ein Objekt kann beispielsweise durch Merkmale wie Form, Farbe und Größe erfasst werden. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 219 17.04.2019 14: 20: 44 220 10. Entwicklung der Semantik 2013: 46), was grundsätzlich gegen eine semantische Theorie spricht, die auf stabile und vom Kontext unabhängige Merkmale aufbaut. „Es gibt keine Evidenzen aus psychologischen Experimenten, die zeigen, dass Bedeutungen eine definitorische Struktur haben“ (ibid.). Hinzu kommt, dass die für die Bedeutung relevanten Merkmale häufig bei den Referenten selbst gesucht werden. Der Verdacht liegt nahe, dass die Erkundungen des Konzeptinhaltes durch die Annahme der Referenz getrübt sind: Wenn ein Kind das Wort für einen Ball lernen soll, dann stellen wir uns vor, dass es die Rundheit des Balls als Merkmal herausisoliert. In der aktuellen Forschung häufen sich jedoch Hinweise darauf, dass Kinder nicht nur den Referenten und sein Äußeres, sondern auch die situativen Umstände mit dem Wort verbinden. So fanden Samuelson und Kollegen (2011) heraus, dass der Ort, an dem der Referent auftaucht, bereits im Prozess des Fast Mappings (siehe Box-44) ein Bestandteil des Begriffs ist. Dieser Befund löste eine Debatte darüber aus, ob die ersten Wörter, die Kinder erwerben, womöglich andere Inhalte und somit eine andere Bedeutung in sich tragen als die Wörter älterer Kinder oder erwachsener Sprecher. Huttenlocher und Smiley (1987: 71) griffen diese Debatte auf: Es ist berechtigt anzunehmen, Erfahrungen junger Kinder wären fundamental anders und mündeten in „complexive meanings [reichhaltige Bedeutungen]“ (siehe Box-67). Mit diesem Begriff werden Anwendungsfälle erfasst, in denen zum Beispiel ein Kind Tür sagt und sich dahinter eine reichhaltige Bedeutung versteckt, die sowohl das Objekt als auch die damit verbundenen Handlungen des Hinein- und Hinausgehens beinhaltet. Denkt man in diese Richtung konsequent weiter, so impliziert sie, dass frühe sprachliche Bedeutung keine direkte Verbindung zwischen der Vorstellung eines Referenten und dem Laut darstellt; vielmehr schränkt der Laut unsere Erinnerungen an eine Situation ein (Chomsky, 2011; Rączaszek-Leonardi, 2011). Nicht nur ihre Stabilität, sondern auch die Amodalität der semantischen Repräsentation birgt einen Kritikpunkt, weil sie nahelegt, eine Wortbedeutung wäre abstrakt und von der sinnlichen Erfahrung abgekoppelt. Dagegen sprechen neue Befunde, die auf die Beteiligung sensomotorischer Erfahrung an der Bedeutungsgenerierung hinweisen. Diese äußert sich dadurch, dass Gehirnregionen, die für die Verarbeitung sensomotorischer Informationen zuständig sind, beim Hören von Sätzen, in denen Handlungen Reichhaltige Bedeutungen (Box-67): Mit „complexive meanings“ bringen Huttenlocher und Smiley (1987: 71) die Idee zum Ausdruck, dass die kindliche Wortbedeutung nicht aus einzelnen stabilen Merkmalen konstruiert wird, sondern aus dem situativen Reichtum. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 220 17.04.2019 14: 20: 45 221 beschrieben werden, aktiv zu sein scheinen (Tettamanti u. a., 2005). Plausibler als die Annahme, Kinder müssten die semantischen Merkmale herausisolieren, um Wortbedeutung zu erwerben, „erscheint daher die Annahme, dass die semantischen Merkmale eher ein Produkt des Entwicklungsprozesses sind (Carey, 1978), d. h. Sprecher sind erst ab einem gewissen Alter in der Lage, semantische Merkmale als kontextübergreifende Bedeutung eines Wortes anzugeben“ (Rohlfing, 2013: 46). Prototypentheorie Die Prototypentheorie entwickelte Rosch (1978) auf der Grundlage von Experimenten, in denen Versuchspersonen dazu angeleitet wurden, Gemeinsamkeiten zwischen Entitäten zu finden. Dass sie für solch eine Aufgabe Prototypen (siehe Box-68) bilden können, war die Hauptaussage der Untersuchungen von Rosch (1978). Nach dieser Theorie umfasst die Bedeutung eines Wortes einen prototypischen Kern und seine Peripherien. Der prototypische Kern (siehe Box- 68) beinhaltet Wissen darüber, „welches Objekt oder welches Ereignis als typisch“ (Rohlfing, 2013: 50) für das Wort und seine Bedeutung gilt. Je mehr „Merkmale ein Mitglied einer Kategorie mit anderen Kategoriemitgliedern gemeinsam hat, desto prototypischer“ (Szagun, 2006: 136) ist es für die Kategorie und desto näher an dem Kern ist es. Zum Beispiel ist ein Apfel ein prototypischer Vertreter für die Kategorie ‚Obst‘, und mit dem Wort Ball wird eher ein Fußball als ein Golfball verbunden (ibid.). Die Bedeutung eines Wortes lässt sich nach dieser Vorstellung mit wenigen prototypischen Exemplaren, den sogenannten Prototypen (siehe Box-68), zusammenfassen (Kuczaj, 1982) und kann kulturell gefärbt sein. Vergleicht man verschiedene Definitionen zu Prototypen (Rosch, 1978; Mervis, 1987; Klein, 1991: 92) miteinander, so fällt auf, dass Merkmale in ihnen immer noch eine Rolle spielen, sie können aber nicht mehr als Liste festgelegt werden; sie basieren auf Ähnlichkeiten mit dem prototypischen Kern, und können zum gegebenen Fall herausisoliert werden. Die Prototypentheorie hat für den Spracherwerb insofern einen besonderen Reiz, als sie für Kinder die Möglichkeit zulässt, zunächst ganzheitliche Erfahrungen zu machen und diese in weiteren Situationen zu spezifizieren. In der Prototyp (Box-68): Ein Prototyp ist eine „Basiseinheit“ (Taylor, 2011: 643), die einen Kern einer Kategorie bildet, und um welchen herum sich andere Exemplare gruppieren können. 10.3 Semantische Theorien über den Inhalt von Konzepten 44783_Rohlfing_SL3a.indd 221 17.04.2019 14: 20: 45 222 10. Entwicklung der Semantik Spracherwerbsforschung gibt es einige Belege für die Existenz von Prototypen im Erwerb der Semantik. So fanden Meints und Kollegen (1999), dass Kinder Wörter eher auf typische Vertreter einer Referentenkategorie als auf untypische beziehen. Des Weiteren ist die Analyse von Überdehnungsfehlern aufschlussreich: Wenn Kinder die Bedeutung eines Wortes überdehnen, dann nicht, weil sie einen bestimmten Merkmalssatz zugrunde legen. Vielmehr werden je nach Aufgabe und Gegebenheiten andere Merkmale aus dieser ganzheitlichen Repräsentation herausisoliert. Im Verlauf ihrer Entwicklung lernen Kinder die Merkmale so zu bilden wie Erwachsene (Mervis, 1987). Rohlfing (2013: 52) weist darauf hin, dass die Prototypentheorie zwar das Herausisolieren bestimmter Merkmale für bestimmte Zwecke der Kommunikation ermöglicht, aber nicht erklären kann, wie (d. h. auf welcher Grundlage der Wahrnehmung oder Kognition) diese Merkmale zustande kommen. Keil und Carroll (1980) schlagen sogar vor, dass Kinder die Entwicklung der Semantik nicht mit Prototypen als Repräsentationsformat beginnen, vielmehr bündeln Prototypen bereits eine stattgefundene Entwicklung in der Semantik. Die Fähigkeit, Merkmale herauszuisolieren sei ein Produkt der (Sprach-)entwicklung, die sich erst später im Erwerbsprozess beobachten lässt- - ein Argument, dass sich durchaus in den Arbeiten von Rosch (1978) wiederfinden lässt. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass bisher keine Theorie der Semantik existiert, die die Entwicklung einer Wortbedeutung überzeugend erklären kann. Bisherige Theorien nehmen mentale Einheiten an, die sich womöglich erst für bestimmte Zwecke in der Interaktion herausbilden müssen. Zum Beispiel haben die Versuchspersonen in Experimenten von Rosch (1978) nach Gemeinsamkeiten zwischen Entitäten gesucht. Sie haben zwar für solch eine Aufgabe Prototypen bilden können, das Ergebnis impliziert aber nicht zugleich, dass Menschen diese Prototypen für andere Zwecke mental parat haben. Was den Semantiktheorien fehlt, ist die Berücksichtigung der Tatsache, dass Erfahrungen für junge Kinder reichhaltig (Nomikou u. a., 2016b) sind und nicht nur das Verbale (die phonologische Form), sondern Aspekte der Interaktion enthalten. Speziell zeigte eine Studie von Parise und Csibra (2012), dass bei Säuglingen im Alter von 10 Monaten nur dann eine Verarbeitung von Semantik (durch ein EEG sichtbar) evident wurde, wenn die Mutter- - und nicht eine fremde Stimme-- die präsentierten Objekte benannte. Offensichtlich transportiert für Kinder im frühen Alter nur eine bekannte, nicht aber eine fremde, Stimme eine Bedeutung. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 222 17.04.2019 14: 20: 45 223 Alternative Theorien: Schemata und pragmatischer Rahmen Eine Alternative zur Erklärung der Wortbedeutung durch Prototypen bietet Nelson (1974). Ihrem Ansatz zufolge verarbeiten Kinder ihre frühen Erfahrungen holistisch. Statt auf einem Prototyp basieren die Repräsentationen auf Handlungen, die mit den Erfahrungen assoziiert werden, und den sich daraus ergebenen Beziehungen zwischen Personen und Objekten. Diese Beziehungen bilden den funktionalen Kern von Repräsentationen. Da Beziehungen-- und somit keine Merkmale-- im Zentrum der Repräsentationen stehen, ergibt sich für die semantische Repräsentation eine schematische Struktur (siehe Box-69). Die Theorie von Mandler (1997; 2012) verdeutlicht, welche Schemata als Basis gebildet werden und wie sie für den weiteren Spracherwerb genutzt werden können (siehe auch Rohlfing, 2013, Kapitel-3.6.2). Zum Beispiel ist die Erfahrung, dass ein Objekt sich von einem Ort zum anderen bewegen kann und sich daraus eine Trajektorie ergibt, unter einem Schema des Weges [Path] zusammengefasst. Dieses Weg-Schema zeichnet sich dadurch aus, dass die Beziehungsträger austauschbar sind, und das Objekt oder die Beschaffenheit der Plätze eine sekundäre Rolle spielen, während die Bewegungstrajektorie als verbindendes Element erhalten bleibt. Mandler (2012) postuliert, dass Säuglinge von Anfang an eine Bedeutungsanalyse von Handlungen durchführen und Objekte auf ihre Bewegung und Beziehungen hin untersuchen. Die ersten Repräsentationen basieren jedoch zunächst ausschließlich auf räumlichen Erfahrungen. Diese werden im weiteren Verlauf der Entwicklung ‚angereichert’. Für den Worterwerb müssen einige dieser Schemata im Sinne der in der Zielsprache enthaltenen Konzepte (siehe Kapitel-10.4) umgeschrieben werden. Mit kritischem Blick fällt bei diesem Ansatz von Mandler und Nelson auf, dass der Einfluss der sozialen Interaktion zu Beginn der semantischen Entwicklung recht gering oder gar nicht vorhanden ist. Anderes wird in Arbeiten von Rohlfing, Nomikou und Kollegen (Rohlfing u. a., 2016; Nomikou u. a., Schema (Box-69): Im Gegensatz zu einer Wortbedeutung als konkrete Einheit bietet ein Schema eine grobe Struktur an, die sich durch Beziehungen zwischen Handlungsaspekten auszeichnet. Pragmatischer Rahmen (Box- 70): Mit dem Begriff des Pragmatischen Rahmens (engl.: pragmatic frame) wird auf eine Interaktionsstruktur verwiesen (vgl. Bruner, 1983), die sich aus verbaler und nonverbaler Handlung sowie kognitiven Operationen (z. B. Referenz, Generalisierung u. a.) beider Partner im Sinne eines gemeinsamen Ziels ergibt (Rohlfing u. a., 2016). 10.3 Semantische Theorien über den Inhalt von Konzepten 44783_Rohlfing_SL3a.indd 223 17.04.2019 14: 20: 45 224 10. Entwicklung der Semantik 2016b) postuliert, die einem interaktionistischen Ansatz nach Bruner (1983) folgen: Von Geburt an (wenn nicht sogar noch früher), werden Kinder als Interaktionspartner akzeptiert, wodurch sich die Notwendigkeit ergibt, Repräsentationen für die Zwecke einer Interaktion zu generieren (siehe Box-69). Nach diesem Ansatz hat eine Wortbedeutung einen bestimmten Bezugspunkt, nämlich die Struktur (den Rahmen) der Interaktion, die sich durch wiederkehrende Handlungen, in denen dasselbe Ziel deutlich wird, etabliert. Kinder sind bereits sehr früh in ihrer Entwicklung dazu in der Lage, einen kooperativen Beitrag zu leisten: Dieser kann anfänglich aus einem Blickkontakt bestehen (Nomikou u. a., 2016b), der von der Bezugsperson aufgegriffen und zu einer weiteren Handlung ausgebaut wird (Raczaszek-Leonardi u. a., 2013). An frühen Spielen-- wie „Guck-guck-aha! “-- verdeutlichten Bruner (1983) sowie kürzlich Nomikou und Kollegen (2017), dass bereits die Handlungsbeiträge 6 Monate alter Kinder auf den Ablauf und die einzelnen Schritte des Spiels abgestimmt und zu Routinen des Miteinanders entwickelt werden. Nicht nur Spiele, sondern auch die Herstellung von Referenz bieten solch einen pragmatischen Rahmen an: Heller und Rohlfing (2017; siehe Tabelle 6) verdeutlichen, dass Kinder im kooperativen Austausch mit ihren Bezugspersonen auf Objekte und Ereignisse referieren und dabei unterschiedliche Mittel für ihre „Jobs“ (die Bruner auch als „Tiefenstruktur“ bezeichnet) nutzen. Die Entstehung von Wortbedeutungen muss solch einen Rahmen berücksichtigen. In diesem Ansatz sind die zugrundeliegenden Repräsentationen weniger als feste kognitive Einheiten zu verstehen, die aus dem Gedächtnis (oder dem mentalen Lexikon) abgerufen werden. Vielmehr sind es dynamische kognitive Operationen (siehe Box-70), die durch Kontextualisierung (den pragmatischen Rahmen) eine bereits stattfindende Handlung lenken können (Rączaszek-Leonardi, 2011). Sie dienen dazu, die Handlungen des Partners im Sinne des gemeinsamen Handlungsziels vorhersagen zu können. Um die bisherige Forschung voranzutreiben, sind Studien vonnöten, die die Rolle der Interaktionspartner stärker berücksichtigen und untersuchen, wie Kinder darin unterstützt werden, Wörter und somit Repräsentationen für spezifische Interaktionsziele zu formulieren-- eine Fragestellung, die die Semantik mit der Pragmatik verbindet. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 224 17.04.2019 14: 20: 45 225 10.4 Sprache und Kognition 10.4 Sprache und Kognition Wie die semantischen Theorien über den Inhalt eines Konzeptes verdeutlichen, unterscheiden sich Spracherwerbstheorien darin, wie sie die Verbindung von Sprache und Kognition abbilden (siehe auch Kapitel-1). Eine nativistische Sichtweise impliziert eine Trennung zwischen konzeptuellen und semantischen Repräsentationen (siehe Abb. 21). Nach der klassichen Auffassung dient eine semantische Repräsentation dem Ziel, situationsunabhängige Merkmale aus Situationen, in denen Menschen Wörter benutzen, festzuhalten. Zwar stellt die konzeptuelle Ebene Konzepte zur Verfügung, die von der semantischen Ebene genutzt werden können, doch müssen sie nicht miteinander übereinstimmen. Abbildung 21: Die Vorstellung einer Semantik mit zwei Ebenen, in der die semantische und konzeptuelle Repräsentation unabhängig voneinander existieren. Im Erwerbsprozess wird diese Trennung eher als Produkt der Entwicklung angenommen (siehe unten). Neben der Trennung zwischen semantischen und konzeptuellen Repräsentationen existiert die Vorstellung von ihrem Verbund (siehe Abb. 22). Abbildung 22: Die Vorstellung einer Ein-Ebenen-Semantik, in der sich die semantische und konzeptuelle Repräsentation überlappen. In diesem holistischen Ansatz zur Semantik wird Sprache nicht als ein autonomes System betrachtet, sondern als ein integraler Teil der menschlichen Kognition (Langacker, 1987). Rohlfing (2013: 48) fasst zusammen, dass die Basis für die Semantik im Rahmen dieser Position der Prozess der Schematisierung (siehe 44783_Rohlfing_SL3a.indd 225 17.04.2019 14: 20: 45 226 10. Entwicklung der Semantik auch Box-69) von Ereignissen ist. Das heißt, dass sowohl die semantischen als auch die konzeptuellen Repräsentationen darauf zurückgehen, wie wir durch das eigene Handeln Ereignisse in der Welt auffassen und verarbeiten. Auf der Basis der physikalischen Erfahrung in der Welt können sich Konzepte herausbilden (wie die Relationen ‚passend-in‘ und ‚lose-in’), die dann für den Erwerb von Relationen (wie sie in den Präpositionen in und auf zum Ausdruck kommen) genutzt werden. Körperliche Erfahrung fließt somit in die Semantik eines Wortes ein (siehe Box-3). Kognition beeinflusst Sprache Für den Erwerb von Semantik erscheint ein Verbund zwischen semantischen und konzeptuellen Repräsentationen schlüssig. Wie in Kapitel-9 erwähnt, gehen sogar nativistische Positionen davon aus, dass die Verarbeitung von Ereignissen sich mit dem aufbauenden semantischen Wissen verknüpft. Nun stellt sich die Frage, wie sich die Verknüpfung gestaltet. Eine Möglichkeit ist, dass die semantischen Repräsentationen auf dem allgemeinen Wissen über Objekte und Ereignisse aufbauen. Diese Position wird als Universalismus bezeichnet (siehe Abb. 23). Abbildung 23: In der Vorstellung des Universalismus ist es die konzeptuelle Repräsentation, die die semantische Repräsentation prägt. Die Vorstellung ist, dass sobald ein Kind beispielsweise die räumliche Präposition in gebraucht, ihm das zugrundeliegende Konzept eines Behälters zur Verfügung steht. Die konzeptuellen Repräsentationen werden also zuerst erworben und können dann wie ein Schlüssel dazu dienen, einen Zugang zur Sprache zu ermöglichen (Johnston & Slobin, 1979). Ohne dass ein Kind das entsprechende Konzept erworben hat, wird es das korrespondierende Wort nicht äußern können. Dieser Vorstellung liegt die Annahme einer kognitiv universellen Basis zugrunde (siehe Box-71), d. h. einer kognitiven Ausstattung, die allen Kindern der Welt gleich wäre: Die Ansicht, bestimmte Konzepte würden universell erworben, motiviert die Beobachtung sprachübergreifender Phänomene im Er- 44783_Rohlfing_SL3a.indd 226 17.04.2019 14: 20: 45 227 10.4 Sprache und Kognition werb. Unterstützung für diese Annahme findet sich in Studien, die zeigen, dass in verschiedenen Sprachkulturen grundlegende Wahrnehmungen von Raum und räumliche Erfahrungen Kindern als kleinste Atome von Wortbedeutungen (sogenannte Primitiva) dienen. „Theoretisch gesehen kann jedes kulturspezifische Konzept Angehörigen anderer Kulturen zugänglich gemacht werden, indem es in eine Konfiguration aus universalen semantischen Primitiva aufgeschlüsselt wird“ (Pörings & Schmitz, 1999: 154). Empirische Studien suchen die Existenz solcher Primitiva zu belegen. Am besten geeignet sind Untersuchungen zu Ereignissen, die je nach Sprache unterschiedlich aufgefasst werden. Solch ein Unterschied ist oben in Kapitel-10.1 aufgeführt worden: Während im Deutschen durch Präpositionen in und auf zwischen räumlichen Relationen unterschieden wird, ist es im Koreanischen entscheidend, ob bei diesem Ereignis Objekte lose oder passend zueinander in Beziehung gesetzt werden- - eine feinere Art der Kategorisierung. Geht man von grundlegenden Konzepten aus, so stellt sich die Frage, ob Englisch lernende Kinder die Ereignisse fein oder-- im Sinne ihrer Zielsprache- - grob kategorisieren. Wie oben in Kapitel- 10.1 dargelegt, zeigen Studien auf, dass Englisch lernende Kinder- - genau wie auch koreanische- - zwischen Ereignissen unterscheiden, die in ihren Zielsprachen sprachlich nicht unterschieden werden. Ihre Wahrnehmung deutet eher auf sprachunabhängige allgemeine Kategorien des Raumes hin, die von den Kindern zuerst vorsprachlich geformt werden. Wenn jedoch die Konzepte, die zuerst erworben werden, nicht direkt äquivalenten Spracheinheiten zugeordnet werden können, dann ist es von großer Bedeutung zu erfahren, wie sie für das Erlernen von verschiedenen Sprachen genutzt werden. Mandler (2012) löst dieses Problem, indem sie zunächst konkrete Vorschläge für ‚Bedeutungsatome‘ macht und einen weiteren Entwicklungsschritt postuliert, in dem dieser Satz von Primitiva für die Sprachbenutzung modifiziert wird. Zum Beispiel ist das Konzept eines Behälters grundlegend und mit dem Begreifen verbunden, dass Objekte ineinandergelegt werden können, wodurch sich eine klare Bewegungskontrolle ergibt. Für den Erwerb von räumlichen Relationen ist jedoch ein weiterer Schritt nötig, indem Englisch lernende Kinder für ihre Präpositionen die räumlichen Ereignisse gröber zu fassen lernen, damit sie den in der Sprache vorhandenen Kategorien entsprechen Basiskonzepte (Box-71): Die Vorstellung, jeder Mensch verfüge über Basiskonzepte, umfasst eine universelle kognitive Ausstattung (kognitive Grundlage), die bei allen Kindern der Welt gleich ist. Als semantische Primitiva sind sie in allen Sprachen dieser Welt für Wortbedeutungen grundlegend. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 227 17.04.2019 14: 20: 45 228 10. Entwicklung der Semantik (siehe Kapitel-10.1). Koreanisch lernende Kinder können wiederum die feinen Konzepte direkt auf die semantischen Kategorien ihrer Sprache abbilden. Diese Modifikation oder das ‚Zurechtschneiden‘ der Bedeutungsprimitiva für die Zielsprache fassen Göksun und Kollegen (2010) als Platztausch (engl.: trading spaces) zusammen. Ihr Ansatz ergänzt den Vorschlag von Mandler, ein universeller Satz werde für die Sprache zugeschnitten, durch weitere grundlegende Konzepte, die zu den Primitiva unter dem Einfluss der Zielsprache hinzukommen (Rohlfing, 2013). Zwischen den vorsprachlichen Konzepten entsteht dann eine Hierarchie, „damit sie den sprachlichen Konzepten entsprechen“ (Rohlfing, 2013: 57). An dem Ansatz zum Platztausch wird deutlich, dass Sprache nicht nur auf Kognition aufbaut, sondern diese beeinflussen kann, wie auch im nächsten Punkt verdeutlicht wird. Sprache beeinflusst Kognition Abbildung 24: In der Vorstellung der sprachlichen Relativität ist es die semantische Repräsentation, die die konzeptuelle Repräsentation beeinflusst. Kinder entwickeln ihre Kognition nicht nur durch das eigene verbale Verhalten. Sie sind ein Teil einer Sprachgemeinschaft und lernen, ihre Ansichten zu teilen. Eine alternative Annahme ist daher, dass der sprachliche Input und die darin enthaltenen semantischen Repräsentationen auf die kindliche Konzeptualisierung Einfluss nehmen. In der Linguistik geht diese Vorstellung mit der Sapir-Whorf-Hypothese konform, die besagt, dass die semantische Struktur einer Sprache die Möglichkeiten der Wahrnehmung und ihrer Verarbeitung bestimmt oder begrenzt. Die Position der sprachlichen Relativität lässt sich am besten an der Argumentation von Bowerman (1996) erklären, die aus der Kritik am Universalismus entwickelt wurde: Die Existenz von Bedeutungsprimitiva ließe sich durch Ergebnisse stützen, die bei Kindern über verschiedene Kulturen hinweg bei einer bestimmten Aufgabe und angesichts eines bestimmten Ereignisses ähnliche ‚Fehler‘ bei der Anwendung ihrer Konzepte beobachten lassen. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 228 17.04.2019 14: 20: 45 229 10.4 Sprache und Kognition Dem Argument folgend untersuchten Bowerman und Choi (2003) spontane Produktionen in früher kindlichen Sprache sowie damit einhergehende semantische Überdehnungen von räumlichen Konzepten auf Relationen von Objekten bei Englisch und Koreanisch lernenden Kindern. Sie stellten fest, dass Kinder im Alter von 14 und 16 Monaten bereits Kategorien gebrauchten, die ihrer Zielsprache entsprachen. Universelle Muster bei Überdehnungen ließen sich nicht finden. Die Tatsache, dass Kinder bereits früh in der Lage sind, sprachspezifische semantische Kategorien anzuwenden, spricht gegen die Vorstellung einer unabhängigen konzeptuellen Entwicklung. Ein berechtigter Einwand ist jedoch, dass die Autorinnen in der Studie den Kindern ein sprachliches Urteil abverlangten. Das Argument, dieses sprachspezifische Urteil baue auf universellen Konzepten auf, bleibt bestehen. Wichtig für die Argumentation von Bowerman ist, dass sie keinen Bedarf für universelle Konzepte sieht. Stattdessen erwerben Kinder die konzeptuelle Basis, die sie für bestimmte Aufgaben und Interaktionen benötigen, und zwar in ihrer Zielsprache. Eine zentrale Rolle spielen in dieser Sicht also Anforderungen an kognitive Repräsentationen, die sich für Bowerman dann stellen, wenn Kinder ihre Wahrnehmungen kommunizieren müssen. In recht aktuellen Ansätzen, die der theoretischen Linie der sprachlichen Relativität folgen, werden Einflussmöglichkeiten sehr differenziert gesehen (Wolff & Holmes, 2010). In der Erwerbsforschung sind kaum Befunde über bestimmte Bedeutungsprimitiva bekannt. Allerdings kann Sprache in Form von Wörtern-- im Gegensatz zu einfachen Tönen-- bereits drei Monate alten Säuglingen dabei helfen, Unterschiede zwischen Entitäten wahrzunehmen (z. B. Ferry u. a., 2010). Diese Erkenntnisse lassen deutliche Zweifel daran, dass zunächst sogenannte außersprachliche Repräsentationen erworben werden, auf denen semantische Konzepte aufsatteln. Vielmehr wird deutlich, dass sich die Kognition eines Kindes schon früh in einer sozialen Gemeinschaft und durch die Sprache seiner Mitmenschen entwickelt, und nicht nur durch das eigene Erkunden der physikalischen Umwelt. In diesem Sinne spricht Zukow-Goldring (1996) von einer Schulung der Wahrnehmung (siehe auch Box-29), die Kinder durch ihre Bezugspersonen und deren Sprache früh in ihrer Entwicklung erfahren. Aufgabenorientierte Verarbeitung Es gibt einige Forscher, die den Semantikerwerb unabhängig von der Frage nach der Verbindung zwischen konzeptuellen und semantischen Repräsentationen zu beantworten versuchen. Madole und Oakes (1999) wie auch Sinha 44783_Rohlfing_SL3a.indd 229 17.04.2019 14: 20: 45 230 10. Entwicklung der Semantik und Kollegen (1999) schlugen vor, den Fokus auf die relevanten Prozesse der Konzeptbildung zu richten und die Inhalte der Konzepte auszublenden. Dafür sprechen einige Studien, die belegen, dass Konzepte je nach Aufgabe unterschiedlich und flexibel gebildet werden (vgl. Smith u. a., 2010). Dies legt eine Aufgabenorientierung der Repräsentationen nahe. Auch Barrett (2017: 382 ff.) schlägt ein vielfältiges Modell des Erwerbs vor, in dem-- je nach Inhalt-- andere Erwerbsprozesse genutzt werden: Während sozialpragmatische Wörter (wie Hallo) stärker an konkrete Situationen und somit an „ganzheitliche Ereignisrepräsentationen“ (Kauschke, 2012: 54) gebunden sind, ist es für den Erwerb von referenziellen Wörtern wie Nomen nötig, situationsunabhängige Kategorien aufzubauen und die Konzepte zu Ober- und Unterbegriffen (siehe Kapitel-7.8 und 7.9) zu verknüpfen. Barretts Modell verdeutlicht, dass die Verbindung zwischen Kognition und Sprache je nach Verarbeitungsziel unterschiedlich ausfallen kann. Während Barretts Modell (2017) lediglich zwei unterschiedliche kognitive Operationen verdeutlicht (einerseits für sozialpragmatische, andererseits für referenzielle Wörter), findet sich eine ganze Vielzahl davon im Ansatz des pragmatischen Rahmens (Box-70; Rohlfing u. a., 2016). Die Aufgabenorientierung ist in diesem Ansatz an das Interaktionsziel geknüpft, das unterschiedliche Anforderungen an kognitive Operationen stellt: Geht es in einer Interaktion darum, sich über die Farben der vorliegenden Objekte auszutauschen, so kann die Sprachverarbeitung der Beteiligten mit Repräsentationen operieren, die diese Merkmale darbieten. Farbmerkmale können wiederum dann vernachlässigt werden, wenn in einer Interaktion das Nachahmen einer bestimmten Handlung im Vordergrund steht. 10.5 Wortproduktion versus Wortverstehen Oben wurde mehrmals angeführt, dass Kinder für bestimmte Aufgaben spezifische kognitive Operationen durchführen, die wahrscheinlich auch unterschiedliche Formen von Repräsentationen erfordern. Im Hinblick auf den Spracherwerb stellt sich nun die Frage, ob Kinder für die Wortproduktion eine andere Wortbedeutung benötigen als für das Wortverstehen. Diese Frage ist besonders für junge Kinder relevant, da das Wortverständnis der Wortproduktion vorangeht. Zum Beispiel demonstrieren bereits 6 Monate alte Säuglinge ein gewisses Verständnis für Nomen (Bergelson & Swingly, 2012); die meisten Kinder können jedoch erst ab dem Alter von 8 Monaten die ersten Wörter produzieren. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 230 17.04.2019 14: 20: 45 231 10.5 Wortproduktion versus Wortverstehen Auf der anderen Seite gibt es Befunde aus Wortlernstudien, die darauf hindeuten, dass Kinder zwar Wörter produzieren, jedoch nur eine sehr schwache Vorstellung von dem zugrundeliegenden Referenten haben, die nach wenigen Minuten aus dem Gedächtnis verschwindet (Munro u. a., 2012). Aus der interaktionistischen Perspektive erscheint es sinnvoll, dass ein Kind ein Wort ausspricht, obwohl dieses noch keine oder kaum eine Vorstellung des Referenten beinhaltet. Eröffnet die Sprachproduktion in diesem Falle doch die Möglichkeit, eine Interaktion zu beginnen und Rückmeldung von einem Interaktionspartner zu bekommen. Auf diese Weise bekommt der Lerner ein Gefühl dafür, welche Ziele diese Interaktion haben soll und welche Mittel zur Erreichung der Ziele in Frage kommen. Für die Verdeutlichung dieses Punktes kann folgendes Beispiel konstruiert werden: Beim Essen sagt die Mutter Hm lecker, Banane! . Am nächsten Tag gibt es etwas anderes zu Essen. Die gewohnte Routine lässt das Kind jedoch das gehörte Wort Banane! wiederholen. Daraufhin kann die Mutter das Kind korrigieren und sagen Nein, das ist ein Apfel! . Auf eigene Initiative hin hat der Lerner mit seiner Äußerung weitere Informationen bekommen. Ein wichtiger Grund für die Annahme, dass das Wortverständnis der Wortproduktion vorangeht, ist die Phonologie: Um ein Wort zu äußern, muss die phonologische Form aus dem Gedächtnis abgerufen werden. Wie sich die phonologische Form bei Kindern festigt, ist schwierig zu untersuchen, weil junge Kinder sich in experimentellen Umgebungen kaum zur Sprachproduktion bewegen lassen. Eine Studie von Munro und Kollegen (2012) untersuchte, wie Kinder im Alter von 33 Monaten unter experimentellen Bedingungen 8 neue Wörter lernten. Es gab 4 Zeitpunkte, zu denen das Wortlernen getestet wurde: Ein unmittelbares Nachsprechen machte es möglich, zu testen, ob Kinder die phonologische Form überhaupt aufgreifen konnten. Des Weiteren gab es einen Test nach einer sowie 5 Minuten, und einen Test nach einigen Tagen. Die Ergebnisse zeigten, dass Kinder beim unmittelbaren Nachsprechen im Durchschnitt 5,7 Wörter produzieren konnten. Dabei konnten manche Kinder alle, manche kein Wort nachsprechen. Nach fünf Minuten Pause konnte die Gruppe jedoch durchschnittlich lediglich 0,4 Wörter äußern. Dabei lag der Höchstwert bei 2 Wörtern. In weiterfolgenden Analysen untersuchten die Autorinnen die Phoneme in den Antworten der Kinder. Hatte ein Kind beispielsweise Beki für Bekemite gesagt, so wurden die geäußerten Phoneme in Prozente umgerechnet. Es zeigte sich, dass die Genauigkeit der phonologischen Form nach dem unmittelbaren Nachsprechen signifikant abnahm. Inwiefern auch die Genauigkeit der semantischen Vorstellung abnehmen kann, wurde in dieser Studie nicht 44783_Rohlfing_SL3a.indd 231 17.04.2019 14: 20: 45 232 10. Entwicklung der Semantik untersucht. Insofern bleibt die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Phonologie und semantischer Repräsentation für die zukünftige Forschung offen. Für eine robuste Wortverwendung ist sicherlich eine starke Verbindung zwischen semantischer Repräsentation und phonologischer Form nötig. Diese Verbindung ist besonders bei mehrsprachigen Kindern (siehe Box-8) interessant, die diese Leistung sowohl in ihrer ersten (L1) wie auch zweiten (L2) Sprache vollbringen müssen. Bei dieser Gruppe wird beobachtet, dass die Produktion der phonologischen Form in der L1 schwerer fällt als der Abruf der semantischen Repräsentation, der für die Rezeption von Wörtern vonnöten ist. Gibson und Kollegen (2012) fassen diese Beobachtung mit folgendem Satz zusammen: Kinder scheinen Probleme zu haben, auf ihr expressives Vokabular in der L1 zuzugreifen. Diese ungleiche Beziehung zwischen dem rezeptiven und produktiven Vokabular wird als Lücke (engl.: receptive-expressive gap) (ibid.: 102) bezeichnet. Die Diskussion über die Gründe der Lücke dauert an. In einigen Ansätzen nimmt man an, dass der Zugang zum Vokabular in der L1 dadurch erschwert wird, dass spontan beide phonologische Formen (in der L1 und L2) aktiviert werden und eine davon im weiteren Schritt unterdrückt werden muss (Oller u. a., 2007). Diese Inhibition erfordert eine recht fortgeschrittene Kontrolle der Gedächtnisprozesse, die bei Kindern noch nicht ausgeprägt ist. Eine andere Möglichkeit ist, dass der Zugang zur L1 inhibiert oder deaktiviert wird, je mehr ein Sprecher in die L2 eintaucht. Aus der Untersuchung dieser Gruppe wird deutlich, dass die Semantik eine Drehscheibe für komplexe Vorgänge und ihre Anwendung bietet. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 232 17.04.2019 14: 20: 45 233 10.5 Wortproduktion versus Wortverstehen Lesetipps: Einen umfassenden Einblick in die frühkindliche Semantik bietet das Buch von Rohlfing: Rohlfing, K. J. (2013). Frühkindliche Semantik. Tübingen: Narr Francke Attempto Verlag. Die oben vorgestellten Theorien entspringen folgenden Quellen: Clark, E. V. (1973). What’s in a word? On the child’s acquisition of semantics in his first language. In T. E. Moore (Hrsg.), Cognitive Development and Acquisition of Language (S. 65-110). San Diego: Academic Press. Rosch, E. (1978). Principles of categorization. In E. Rosch & B. Lloyd (Hrsg.), Cognition and Categorization. Hillsdale, NJ: Lawrence Erlbaum Associates. Rohlfing, K. J., Wrede, B., Vollmer, A.-L., & Oudeyer, P.-Y. (2016). An alternative to mapping a word onto a concept in language acquisition: Pragmatic frames. Frontiers in Psychology, 7, 470. Folgende Studien betrachten die sprachliche Relativität aus der Entwicklungsperspektive: Bowerman, M., & Choi, S. (2003). Space under construction: Language-specific spatial categorization in first language acquisition. In D. Gentner & S. Goldin- Meadow (Hrsg.), Language in mind: advances in the study of language and thought (S. 387-427). Cambridge, MA: MIT Press. McDonough, L., Choi, S., & Mandler, J. M. (2003). Understanding spatial relations: Flexible infants, lexical adults. Cognitive Psychology, 46 (3), 229-259. Die Idee der Basiskonzepte in der Entwicklung ist bei Mandler gründlich ausgearbeitet: Mandler, J. M. (2012). On the spatial foundations of the conceptual system and its enrichment. Cognitive Science, 36 (3), 421-451. Wie Basiskonzepte für die Zielsprache modifiziert werden müssen, stellen Göksun und Kollegen vor: Göksun, T., Hirsh-Pasek, K., & Golinkoff, R. M. (2010). Trading spaces: Carving up events for learning language. Perspectives on Psychological Science, 5 (1), 33-42. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 233 17.04.2019 14: 20: 45 44783_Rohlfing_SL3a.indd 234 17.04.2019 14: 20: 45 235 11.1 Abgrenzung der Pragmatik von der Semantik 11. Entwicklung der Pragmatik Um etwas zu erreichen, formulieren Kinder Äußerungen. Für die Formulierung einer Äußerung gibt es jedoch viele Möglichkeiten, die zum gleichen Ziel führen. So kann ein Kind den Wunsch nach einem Tuch zum Säubern sowohl mit Gibst Du mir ein Küchentuch? als auch mit Kann ich bitte ein Zewa? äußern. Diese Sätze sind lexikalisch und syntaktisch unterschiedlich; pragmatisch verfolgen sie jedoch das gleiche Ziel. Im Verlauf ihrer Entwicklung lernen Kinder, Ziele auf unterschiedliche Weise zu erreichen. Kompetente Sprecher verfügen über ein vielseitiges Repertoire an verbalen Handlungweisen. So können sie sich zunehmend dem Gesprächspartner und den situativen Gegebenheiten anpassen. Pragmatische Störungen werden dort sichtbar, wo Menschen nicht die richtigen Mittel anwenden, um zu ihrem Ziel zu kommen, oder wenn sie nur über ein eingeschränktes Repertoire verfügen. Das vorliegende Kapitel führt in ausgewählte Konzepte der Pragmatik ein, die vorwiegend mit dem Sprachverstehen verbunden sind. Es geht dabei auf die Sprechakttheorie ein. Die Entwicklung von Pragmatik äußert sich darin, dass Kinder zunehmend kompetenter in der Koordination mit dem Gesprächspartner, aber auch in der eigenen Konstruktion von verbalen Handlungsschritten werden. 11.1 Abgrenzung der Pragmatik von der Semantik Während die Semantik nach den Parametern der Bedeutung fragt, die über eine einzelne Situation hinausgeht, sind für die Pragmatik die konkreten Handlungskonsequenzen interessant: Äußerungen werden gegenüber einer bestimmten Person gemacht und sind mit (deren und eigenen) Handlungen verknüpft. Auf diese Weise ergibt sich eine Verankerung der Äußerungen in einer konkreten Situation und Interaktion. Die Situation, der Aufgabenkontext und die darin vorkommenden Objekte sind nicht nur eine unterstützende kontextu- Inferenz (Box-72): In der Linguistik bezieht sich der Begriff der Inferenz auf eine sprachliche Äußerung, deren Bedeutung vom Hörer dadurch erschlossen wird, dass er sie mit zusätzlichen Informationen (z. B. über die Situation) anreichert (Auer, 2013: 212). 44783_Rohlfing_SL3a.indd 235 17.04.2019 14: 20: 45 236 11. Entwicklung der Pragmatik elle Ressource, die zum Deuten des sprachlichen Verhaltens hinzugezogen wird. Vielmehr geben sie jungen Kindern eine Orientierung für ihre konkrete Handlung. Zum Beispiel berichtet Bishop (2014), dass die Anweisung Wirf den Apfel! von Kindern, die sich im Laufstall befinden, besser verstanden wird als von Kindern, die in einem Hochstuhl sitzen. Während im Hochstuhl eher die Tätigkeit des Essens und nicht des Spiels erwartet wird, legt der Kontext des Laufstalls die spielerische Tätigkeit des Werfens nahe. Eine erste Strategie leitet also den lokutionären Akt (siehe unten Tabelle 7) vom jeweiligen Kontext ab: Führe jene Tätigkeit aus, die in einer bestimmten Situation für gewöhnlich stattfindet! Für diese Strategie spricht, dass Kinder sehr gut im Inferieren sind (siehe Box-72). Eine Inferenz befähigt dazu, sich in einer Situation angemessen zu verhalten, und die Forschung im Bereich der Pragmatik untersucht, mit welchen Strategien Hörer zu Inferenzen in der Lage sind (Auer, 2013: 212.). Da im frühen Spracherwerb die Äußerung viel stärker mit der Handlung verbunden ist, wird die Bedeutung einer Äußerung im Kontext der stattfindenden Handlung interpretiert. Die situative Verankerung des Sprachverstehens kann als Ressource förderlich sein, aber auch hinderlich, wenn Lautsprache einen Sachverhalt beschreibt, der der Funktionalität nicht entspricht: Fordert man ein Kind auf, einen Hasen auf einen Stall zu stellen, so widerspricht diese Instruktion dem kanonischen Wissen, das Kinder über einen Hasen und Ställe etabliert haben, nämlich, dass ein Hase in (und nicht auf) einen Stall gehört (vgl. Rohlfing, 2006). Aus solchen Beispielen wird deutlich, dass Objekte einerseits die Fähigkeiten, die die Handelnden vorweisen können, und andererseits das Handlungsrepertoire, das ihnen kulturell vermittelt wurde, bündeln. Rohlfing und Kollegen (2003) schildern, dass eine Tasse üblicherweise auf eine Untertasse gestellt wird, allerdings in manchen Kulturen die Untertasse dazu dient, die Tasse zuzudecken, damit ein Tee besser ziehen kann. Bereits bei zweijährigen Kindern lässt sich dieses kulturelle Wissen beobachten, wenn sie mit Objekten spielen. Objekte fordern Kinder durch ihre Funktionalität einerseits (z. B. hat eine Leiter Stufen, die man hinaufklettern kann) und durch kulturellen Umgang andererseits (z. B. die erwähnte Handhabung der Untertasse) zur Interaktion auf (Rohlfing, 2013: 181). In Kapitel- 14 und mit Bezug auf DeLoache (2004) wird deutlich, dass dieses Funktionswissen von jüngeren Kindern auch in ungewöhnlichen Situationen geäußert wird: Sie versuchen, sich auf Puppenmöbel zu setzen oder ‚essen‘ aus Bildern, auf denen Lebensmittel abgebildet sind. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 236 17.04.2019 14: 20: 45 237 11.2 Methode: Action-based-Paradigma schafft eine interaktive Situation 11.2 Methode: Action-based-Paradigma schafft eine interaktive Situation Die Erkenntnis, zu welchen pragmatischen Inferenzen (siehe Box- 72) Kinder in der Lage sind, ist zu einem großen Teil der Forschung von Tomasello und Liszkowski zu verdanken. Sie entwickelten spezielle Methoden für diese Fragestellung, die sich auch etabliert haben. Als Beispiel sei die Untersuchung von Motiven genannt, aus welchen Kinder ihre Zeigegeste verwenden. Wie bereits in Kapitel-8 ausgeführt, wird in der Forschungsliteratur angenommen, dass junge Kinder aus zwei Motiven handeln, wenn sie eine Zeigegeste ausführen: Zum einen zeigen sie imperativ, um Hilfe von anderen einzufordern; zum anderen zeigen Kinder deklarativ, um Interesse mitzuteilen. Mit einem Paradigma, in dem ein ganzer Handlungskontext entfaltet wird, waren Liszkowski und Kollegen (2006) in der Lage, weitere Motive aufzudecken. Für die Methodik der Untersuchung ist es zentral, die Situation so zu konstruieren, dass das Kind eine Reihe von Handlungen wahrnimmt und darin eine eigene Rolle spielt. In der Studie gab es für die teilnehmenden Kinder zunächst eine Aufwärmphase. Dann rief der Experimentator das Kind auf und nahm ein Objekt in die Hand. Insgesamt kamen sechs Objekte vor: Ein Stift, eine Brille, eine Haarklammer, eine Spielzeugkette, ein Spielzeughammer und eine Puppe. Die ersten drei Objekte wurden vom Experimentator betrachtet, und das Kind schaute dabei lediglich zu. Die letzten drei Objekte wurden gemeinsam betrachtet. Bei allen Objekten gab der Experimentator zu einem Zeitpunkt vor, das Objekt unabsichtlich fallen gelassen zu haben. Danach zeigte er sich überrascht und schaute sich verwundert um. Zeigte das Kind daraufhin nicht auf das Objekt, so fragte es Wo ist es? Wo ist es jetzt? . Das Verhalten der Kinder wurde auf Video aufgezeichnet, sodass im Anschluss eine Kodierung ihrer Handgesten erfolgen konnte. Insgesamt zeigten 88 % der 12 und 93 % der 18 Monate alten Kinder mindestens einmal auf das verlorene Objekt. Zeigegesten wurden sowohl in der aktiven (80 %) als auch der passiven (etwa 70 %) Bedingung geäußert. Die Autoren interpretieren die Daten dahingehend, dass Kinder dazu in der Lage sind, mit einer Zeigegeste die Aufmerksamkeit des Adressaten zu lenken, um Hilfe anzubieten. Dieses Verhalten steht für die Fähigkeit, pragmatische Inferenzen (siehe Box-72) bezüglich der handelnden Person zu ziehen. Die pragmatischen Inferenzen ergeben sich in dieser Studie aus dem Handlungsablauf und durch das wiederholte Betrachten eines Objektes. Zudem wird durch den bekannt gewordenen Ablauf auch klar, worum es in der Situation 44783_Rohlfing_SL3a.indd 237 17.04.2019 14: 20: 45 238 11. Entwicklung der Pragmatik geht. Das Kind hat also die Möglichkeit, immer mehr über Handlungen und ihr Ziel zu erfahren, sich den Verlauf zu merken und an einer bestimmten Stelle an der Situation teilzunehmen. Sein kommunikatives Verhalten (die informative Zeigegeste) wird hier nicht isoliert getestet, sondern in einen Handlungskontext, einen pragmatischen Rahmen (siehe Box-70), eingebettet. Liszkowski (2014) weist selbst ausdrücklich darauf hin, dass für die Deutung eines kommunikativen Signals vorangehende Handlungen wesentlich sind: Kann ein Kind eine Zeigegeste verstehen, so hat ihm die Interaktion davor und danach geholfen, diese Geste in einen Handlungskontext einzubetten und sich auf diese Weise die Bedeutung zu erschließen. Diese Deutung beschränkt sich aber nicht nur auf das Verständnis. Liszkowski (2014) fasst zusammen, dass 12 Monate alte Kinder eine Zeigegeste in Abhängigkeit von den vorangehenden oder gerade stattfindenden Handlungen des Adressaten ausführen. Diese Beobachtung unterstützt das Bild der frühen Kommunikation als eines Austauschs, in dem die Teilnehmer aufeinander abgestimmt sind: Sie tauschen nicht lediglich Signale aus, sondern handeln gemeinsam, um ein Ziel zu erreichen (Rohlfing u. a., 2016). Das lässt die Schlussfolgerung zu, dass Kinder nicht nur auf etwas zeigen, weil sie es haben wollen, sondern auch, um andere Personen zu informieren oder Hilfe anzubieten. Diese weiteren Motive für kindliche Gesten sind insofern interessant, als sie die Fähigkeit der Kinder widerspiegeln, sich in die Handlungsziele und die dafür nötigen Handlungsschritte einer anderen Person hineinzuversetzen, sowie die Fähigkeit, die benötigten Informationen zu liefern. Diese Motive erscheinen daher weniger selbstbezogen als die klassischen Motive und weisen auf kooperative Kompetenzen junger Kinder hin. 11.3 Der Begriff der Intentionalität Wie im Methodenteil dargelegt, besteht die Besonderheit des Sprachhandelns darin, kontinuierlich Inferenzen (siehe Box-72) aus der Situation und der Interaktion zu ziehen. Demnach reichen bestimmte ‚Zutaten‘ (Sprecherabsicht, Situation, Zuhörerwirkung), ohne dass sie als Verhalten aufeinander aufbauen, für die pragmatische Bedeutung einer Äußerung nicht aus. Dennoch wird die Sprecherabsicht häufig als ein für die Pragmatik zentrales Konzept dargestellt. Der Begriff hilft, Sprache Intention (Box- 73): In der Sprechakttheorie (Austin, 1969; Searle, 1969) bezieht sich der Begriff der Intention auf die Motivation, die eine Person zu ihrer Sprachhandlung (zum Sprechen und Handeln) bewegt. Die Deutung der Intention, die durch eine Äußerung zum Ausdruck kommt, verlangt wiederum die Fähigkeit, sich in die Perspektive der sprachhandelnden Person hineinzuversetzen. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 238 17.04.2019 14: 20: 45 239 11.3 Der Begriff der Intentionalität als Handlung zu betrachten, weil er den Untersuchungsfokus auf die Beziehung eines sprachlichen Zeichens zu seinen Benutzern richtet. In der pragmatischen Entwicklung findet sich die Sprecherabsicht in dem Begriff der Intention (siehe Box- 73) wieder: „Mit einer Kommunikation verfolgen wir ein Ziel, erfüllen eine Funktion. Wir verlangen, zeigen, versprechen etwas oder drohen“ (Bruner, 1983: 29). Der Kern der Pragmatik liegt darin, die Bedeutung eines sprachlichen Zeichens nicht in der einzelnen verbalen Struktur, sondern im dazugehörigen Handeln der Beteiligten zu suchen. Dieses Handeln kann man sich als ein Zusammenspiel von verschiedenen Faktoren vorstellen (siehe Abb. 25). Abbildung 25: Ein Zusammenspiel der Äußerung, der Absicht der spachhandelnden Person und der Wirkung, die diese Äußerung auf (einen oder mehrere) Zuhörer hat. Als einer der Hauptautoren dieser Theorie hielt Austin eine Vorlesungsreihe mit dem Titel „How to do things with words“ (Austin, 1972), in welcher er hervorhob, dass es nicht um die einzelnen Wörter geht, sondern darum, was man mit ihnen machen kann. Dieses „How to“ wird durch drei Teilhandlungen spezifiziert (siehe Tabelle 7). Teilhandlung Erklärung Lokution / lokutionärer Akt Äußerung wie Es geht gleich los Illokution / illokutionärer Akt Absicht, die mit dieser Äußerung verfolgt wird, z. B. jemanden zu informieren Perlokution / perlokutionärer Akt Wirkung, die diese Äußerung hat, z. B. dass der Zuhörer ein gerade stattfindendes Gespräch unterbricht und vom Sprecher genaue Informationen zum Losgehen erwartet Tabelle 7: Teilhandlungen im Rahmen der Sprechakttheorie. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 239 17.04.2019 14: 20: 46 240 11. Entwicklung der Pragmatik Aus diesem Modell ergeben sich für den frühen Spracherwerb viele Fragen (siehe auch Rohlfing, 2013: 87 ff.). Am zentralsten ist die Folgende: Wie entwickeln Kinder das Bewusstsein für kommunikative Handlungen, sowohl um selbst eine Absicht zu verfolgen als auch um die Absicht eines Gegenübers unter bestimmten Bedingungen zu verstehen? Die Erforschung von frühen kommunikativen Handlungen im Rahmen der gemeinsamen Aufmerksamkeitsbezüge (siehe Kapitel-5; Box-40) hat maßgeblich zu dem Wissen über pragmatische Fähigkeiten junger Kinder beigetragen, Handlungsabsichten zu formulieren und diese bei anderen zu erkennen. Tomasello und Kollegen sehen in diesen Fähigkeiten die Einzigartigkeit der menschlichen Kognition. Wie es jedoch zu der Fähigkeit kommt, ist nicht vollständig geklärt. Liszkowki (2015) fasst zusammen, dass bereits 12 Monate alte Kinder kommunikative Absichten verfolgen können. Während in vielen Lehrbüchern die ersten produktiven Zeigegesten von (frühestens) 9 Monate alten Säuglingen als kognitive Revolution und Ausdruck der frühen Intentionalität dargestellt werden (siehe auch Box- 85), bietet die interaktionistische Perspektive (z. B. Rohlfing u. a., 2017b) eine Alternative. Demnach geht es anfänglich weniger um die Intention eines Sprechers als um das gemeinsame Handlungsziel, das bereits in frühen Interaktionen eine Rolle spielt, jedoch primär von Erwachsenen vorgegeben wird (Rączaszek-Leonardi u. a., 2013). Kinder führen Zeigegesten für und in einer Interaktion aus. Die Geste ist somit in eine gemeinsame Handlung eingebettet und von der vorangehenden Interaktion wie auch der Reaktion des Interaktionspartners abhängig. Diese Abhängigkeit verdeutlicht auch Liszkowski (2015), der auf Studien hinweist, in denen Kinder, je nachdem, ob der Gesprächspartner auf die Zeigegeste reagierte oder nicht, ihr kommunikatives Verhalten verstärkten oder aufgaben. Bezugspersonen unterstützen Säuglinge darin, Handlungsziele zunächst in signifikanten Änderungen der Umwelt zu erkennen. Ein Ziel ist demnach erreicht, wenn eine merkliche Veränderung in der Umwelt stattgefunden hat (Rohlfing, 2013: 87). Ein Teil von Handlungszielen wird durch die Physik verstärkt: Bei der Handlung des Ausschneidens ist das Ziel erreicht, wenn eine Form sich vom Blatt löst und gesondert bewegt werden kann. Dagegen ist die Absicht oder die Intention eines Handelnden schwieriger zu erkennen, „weil sie nicht eindeutig an einer Veränderung in der Umwelt festzumachen ist. Wenn z. B. ein Kind ein Objekt hochhält, dann weiß man nicht, ob es seine Absicht ist, das Objekt jemandem zu geben, einfach nur zu zeigen oder sogar zur Bewunderung auszustellen“ (ibid.). 44783_Rohlfing_SL3a.indd 240 17.04.2019 14: 20: 46 241 11.4 Pragmatik des Verstehens (des Zuhörens) und des Nicht-Verstehens Aus dem interaktionistischen Ansatz ergeben sich kritische Interpretationen für die frühe kindliche Produktion von Zeigegesten: Die Tatsache, dass ein Kind eine Zeigegeste ausführt, ist nicht mit der Wahrnehmung mentaler Zustände beim Gesprächspartner gleichzusetzen. Vielmehr ist eine Zeigegeste ein Ausdruck des gemeinsamen Handlungsverständnisses. „Somit fällt die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen, nicht vom Himmel, sondern basiert auf Mustern, die man aus bereits erlebten Interaktionen kennt“ (Rohlfing, 2013: 91). Es bleibt daher offen, wie Kinder lernen, Absichten zu formulieren und zu erkennen. Das Erkennen der Absicht ist in diesem Ansatz keine notwendige Voraussetzung für die Kommunikation. Stattdessen schafft die Kommunikation als ein sozialer Prozess eine Grundlage für das Herausbilden von eigenen Absichten und das Erkennen von Absichten anderer (vgl. Carpendale & Carpendale, 2010). Eine ähnliche Kritik gilt für das Verständnis von kommunikativen Absichten: Senju und Csibra (2008) zeigen, dass bereits 6 Monate alte Säuglinge in der Lage sind, einem Blick zu einem Spielzeug zu folgen, aber nur, wenn sie vorher direkt angesprochen wurden. Vermittelt das ostensive Ansprechen eine kommunikative Absicht, die die Kinder intuitiv verstehen? Oder ist es lediglich ein Signal, das die Kinder aufgrund von vergangener Interaktion gelernt haben als Ankündigung einer referenziellen Interaktion zu interpretieren? Unabhängig von der Interpretation, ob es sich um das Erkennen von Absichten oder lediglich gemeinsamen Handlungsmustern-- einen pragmatischen Rahmen (siehe Box-70)-- handelt, gilt es als belegt, dass Kinder bereits früh handlungsrelevantes, sozialkontextuelles Wissen einsetzen und dieses in verbalen Interaktionen nutzen (vgl. Liszkowski, 2015). 11.4 Pragmatik des Verstehens (des Zuhörens) und des Nicht- Verstehens Durch das Einfügen des kindlichen kommunikativen Verhaltens in ein gemeinsames Handlungsziel rückt die Verflechtung der individuellen Handlungen der Gesprächspartner in den Vordergrund. Die Tatsache, dass beide Partner zu diesem Ziel beitragen, bietet einerseits den Vorteil, unterschiedliches Können zu kombinieren, erfordert aber auch eine Abstimmung und Koordination. Kinder lernen diese jedoch schon sehr früh in ihrer Entwicklung. Ein flüssiges Miteinander findet statt, wenn nicht nur die angemessene Produktion eines sprachlichen Zeichens, sondern auch sein Verständnis in das koordinierte Miteinander 44783_Rohlfing_SL3a.indd 241 17.04.2019 14: 20: 46 242 11. Entwicklung der Pragmatik eingebettet ist. Für die Fähigkeit des Sprachverstehens ergibt sich daraus eine Reihe von kognitiven Anforderungen, die sowohl in weitere kognitive Prozesse als auch in konkretes Verhalten umgesetzt werden müssen. Die kognitiven Anforderungen sind vielfältig, weil eigene Handlungen mit denen des Gesprächspartners verknüpft werden müssen. Für diese Zwecke muss auch das eigene Vorwissen über die laufenden, vorangehenden oder sonstigen Interaktionen eingesetzt werden. In Testsituationen werden die zahlreichen Anforderungen deutlich: Um sein Sprachwissen zu demonstrieren, muss ein Kind häufig einen Referenten auswählen. Schaut man sich die Gegebenheiten einer Situation genauer an, so ergeben sich aber je nach Material und Frage unterschiedliche Anforderungen: In einer Situation, in der mehrere Objekte vorliegen, und die Frage Gibst du mir ein Toma? fällt, wird erwartet, dass Kinder ein Objekt auswählen, greifen und überreichen; in einer Bilderbuchsituation impliziert die Frage Zeigst du mir ein Toma? , dass ein Kind einen Referenten auswählt, zum Beispiel indem es auf ihn zeigt. Ein Objekt zu überreichen, und eine Zeigegeste auszuführen, sind zwei unterschiedliche Handlungsanforderungen, die jedoch beide als mögliche Operationalisierungen des Wortverständnisses gelten. Die situativen Bedingungen gestalten sich bei beiden Anforderungen unterschiedlich: Während bei der Ausführung einer Zeigegeste die Auswahlmöglichkeiten vorgegeben sind, verlangt das Überreichen einen bewussten Umgang mit den Objekten-- in diesem Fall müssen Kinder außerdem häufig der Objektmanipulation widerstehen, um der Anweisung zu folgen. Zollinger (1995; auch Bishop, 1997) spricht dem Sprachverstehen (siehe Box- 74) eine Schlüsselrolle in der frühen Entwicklung zu. Im Gegensatz zur Sprachproduktion greift Verstehen auf viele Ressourcen-- auch aus nicht-lautsprachlichen Bereichen- - zurück. Diese Fähigkeit ist mit einer Vielfalt von pragmatischen Phänomenen verbunden. Experimentell wird Sprachverstehen über eine Handlungsfähigkeit von Kindern in bestimmten Situationen abgefragt. Deshalb ist es wichtig zu beachten, dass zusätzlich zu ihrem generellen Sprachwissen alles Abfragen den Kindern auch ein situationsbedingtes Handeln auf sprachliche und soziale Anforderungen abverlangt: Die Frage Gibst Du mir einen Apfel? zielt nicht allein auf das Sprachwissen zu dem Nomen Apfel und seiner Bedeutung ab, sondern Sprachverstehen (Box-74): Jemandes sprachliche Äußerungen zu verstehen, erfordert nicht nur eine Entschlüsselung der semantischen Information, die im Ausdruck enthalten ist, sondern auch das Unausgesprochene (Implikaturen, Präsuppositionen, deiktische wie metaphorische Ausdrücke) in angemessene und somit auch kohärente Handlungen zu übersetzen. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 242 17.04.2019 14: 20: 46 243 11.4 Pragmatik des Verstehens (des Zuhörens) und des Nicht-Verstehens auch auf das Wissen über die Handlung des Gebens, d. h. ein Kind muss wissen, dass es den richtigen Referenten auswählen und diesen überreichen muss. Neben dem Umsetzen einer Äußerung in angemessene Handlung gibt es wichtige Strategien des Miteinanders, die dann greifen, wenn die Koordination in einem Gespräch ins Stocken gerät. Für den Prozess des Spracherwerbs machten Tomasello und Kollegen (1990) darauf aufmerksam, dass der kommunikative Austausch zwischen Kindern im zweiten Lebensjahr und ihren primären Bezugspersonen meist reibungslos verlaufe. Trotzdem bedarf die Kommunikation häufig einer Klärung, wenn sie mit sekundären Bezugspersonen stattfindet (siehe auch Kapitel-12.3 und Box-83). Klärungsbedürftige Stellen können interaktiv repariert werden und bieten Kindern eine Möglichkeit an, Strategien kennenzulernen, mit denen sich Kommunikationsprobleme lösen lassen. Die gemeinsame Reparatur (siehe Box-75) folgt einer bestimmten Ordnung und dient dazu, das Miteinander so schnell wie möglich wiederherzustellen (vgl. Stukenbrock, 2013: 242). Meibauer (2008) zeigt drei Phasen der Reparaturorganisation auf: Reparandum steht für den Äußerungsteil, auf den sich die Reparatur bezieht; er erfordert sowohl sprachliche Mittel, mit denen man das Reparieren kennzeichnet, als auch eine eigentliche Durchführung der Reparatur, zum Beispiel das Ersetzen eines Äußerungsteils, damit ein Miteinander wiederhergestellt ist. Soll ein Kind eine Reparatur durchführen, so bedeutet das, dass es im richtigen Moment durch einen illokutionären Akt signalisiert, dass eine Äußerung unklar ist. Liegt ein Unverständnis auf der Seite des Gesprächspartners vor, so müsste ein Kind dieses im perlokutionären Akt des Gegenübers erkennen, um in einem weiteren Schritt Klärung herbeizuführen und schließlich Korrekturen vorzunehmen. An dieser Stelle sind die Meilensteine für das Sprachverstehen von Zimmermann (2014; siehe Box-76) hilfreich, die die Komplexität der Anforderungen strukturieren und somit die wachsenden Reparaturkompetenzen festhalten. Unter Monitoring im Sprachverstehen (siehe Box-76) werden einerseits das Erkennen und andererseits ein entsprechendes Reagieren auf eine unzulängliche Äußerung zusammengefasst (Zimmermann, 2014: 98)- - Fähigkeiten, die sich in der Terminologie Meibauers (2008) sowohl auf das Reparandum, d. h. das Erkennen Reparatur (Box-75): Wenn Sprachproduktion oder -rezeption ins Stocken gerät, kann eine Reparatur dabei helfen, die Koordination wiederherzustellen. Nach Auer (2013: 242) versteht man unter Reparatur (engl. repair) „die interaktive Bearbeitung eines von einem Gesprächsteilnehmer als problematisch markierten Elements im Gespräch“. Dieses reparaturbedürftige Element wird als Reparandum bezeichnet. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 243 17.04.2019 14: 20: 46 244 11. Entwicklung der Pragmatik des zu reparierenden Äußerungsteils, als auch das Initiieren der Reparatur beziehen. Der Vorteil von Fähigkeiten im Monitoring, wie sie von Zimmermann (2014; siehe Box- 76) dargestellt werden, liegt in ihrer multimodalen Natur: Das kindliche Sprachverständnis äußert sich in seinem multimodalen Verhalten. Wenn das multimodale Verhalten gut funktioniert, dann ergibt sich daraus ein flüssiges Miteinander, in dem Kinder lernen, Nachfragen zu stellen oder durch ihre (nonverbalen) Reaktionen Rückmeldungen zu geben, um Referenz genauer aufzulösen. Für den Erwerb vom Monitoring (siehe Box-76) hält Zimmermann (2014) folgende Meilensteine fest: Das situationelle Sprachverstehen können Kinder im zweiten Lebensjahr beispielsweise durch ein spontanes nein! auf klare Verstöße gegen das Prinzip der Konventionalität (siehe unten) zu erkennen geben. Im dritten Jahr können Kinder nicht-situationelle Aufforderungen ausführen-- diese Form des Sprachverstehens „soll innere Bilder erschaffen“ (ibid.: 105). Zu diesem Entwicklungszeitpunkt können sie ihr Unverständnis auf nonverbale Weise, beispielsweise durch fragende Blicke, Emotionen oder unspezifische verbale Reaktionen, ausdrücken. Interessanterweise können Kinder dieses Alters auch das Nichtverstehen eines Textes deutlich zeigen, indem sie auf Vorgelesenes reagieren. Ab dem vierten Lebensjahr wird Kindern ein differenziertes Repertoire an verbalen Reaktionen zugeschrieben, mit welchen sie ihr Unverständnis zum Ausdruck bringen können. Zimmermann (2014) macht darauf aufmerksam, dass sprachlich unauffällig entwickelte Kinder schon Ende des zweiten Lebensjahres damit beginnen, ihr Verstehen zu kontrollieren, d. h. sie reagieren sofort, wenn sie das, was sie verstanden haben, als unpassend empfinden. Dagegen sind Kinder mit Verstehensschwierigkeiten gewohnt, mit Unstimmigkeiten zurecht zu kommen, und erheben deswegen kaum Einspruch. Das Fehlen der Fähigkeiten im Monitoring kann also ein Hinweis auf Schwierigkeiten im Verstehensprozess sein und langfristig zu gravierenden Sprachentwicklungsverzögerungen führen. Der Bezug des Monitorings ist vielfältig: Das Monitoring kann sich auf die akustische Ebene, die inhaltliche Ebene oder die Komplexität einer Äußerung beziehen. Wenn ein Kind auf eine ostensive Anrede mit direktem Blickkontakt reagiert, dann ist das bereits eine Form des Monitorings: Zum einen wird das Signal der Anrede erkannt, zum anderen erfolgt eine Reaktion darauf. Das Monitoring (Box-76): Monitoring bezieht sich auf das Sprachverstehen und bezeichnet die Fähigkeit, Unstimmigkeiten in der Kommunikation zu erkennen und kenntlich zu machen (Zimmermann, 2014: 98). 44783_Rohlfing_SL3a.indd 244 17.04.2019 14: 20: 46 245 11.4 Pragmatik des Verstehens (des Zuhörens) und des Nicht-Verstehens Aufbauen von gemeinsamen Aufmerksamkeitsbezügen (siehe Kapitel-6) zeugt ebenfalls von vorhandenen Fähigkeiten zum Monitoring und ist im ersten Lebensjahr mit erfolgreichem Sprachverstehen gleichzusetzen. Sprachliche Mittel für Reparaturen sind-- wie oben in den Meilensteinen aufgeführt-- erst mit 2 Jahren zu erwarten, wenn Kinder in der Lage sind, mit Hm? oder was? um Klärung zu bitten (Ninio & Snow, 1996: 162). Eltern verlangen ihren Kindern häufig Klärung ab. Damit signalisieren sie, dass die eigene Perspektive eine andere und die Perspektive des Zuhörers für eine erfolgreiche Kommunikation wichtig ist (ibid.). Auf diese Weise werden sprachliche Mittel für Reparaturen aufgebaut und gefördert. Ab dem 2. oder 3. Lebensjahr können Kinder bei Verständnisproblemen richtige Fragen äußern, wobei die Vertrautheit mit dem Gesprächspartner eine große Rolle spielt (Ninio & Snow, 1996). Dementsprechend trauen sich Kinder öfter bei vertrauten Personen zu fragen. Plausibel erscheint auch, dass Kinder bei einer vertrauten Person ein stärkeres Interaktionsmuster gebildet haben und Abweichungen sie dazu bewegen, das Vertraute und somit das Vorhersehbare wiederherstellen zu wollen. Die Existenz einiger pragmatischer Phänomene ist vor dem Hintergrund des Sprachverstehens gut zu erklären. Zum einen erfordert das Sprachverstehen Inferenzprozesse (siehe Box-72), die sich auf ein gemeinsames Handlungswissen oder sogenanntes Weltwissen beziehen. Während das gemeinsame Handlungswissen oben angesprochen wurde, bezieht sich der Begriff des Weltwissens auf die Summe der Erfahrungen, die ein Mensch machen konnte, und auf die Fakten, die er sammeln konnte. Auf dieser Grundlage ist er in der Lage, Vorhersagen zu treffen. Zum Beispiel ist der Satz Die Königin Englands ist geschieden grammatisch korrekt, jedoch falsch, was die Tatsachen anbetrifft: Die jetzige Königin Englands (Elisabeth die Zweite) ist weiterhin mit Prinz Philipp verheiratet. Um die Richtigkeit des Satzes beurteilen zu können, wird ein Wissen benötigt, das im Moment des Verstehens nicht generiert werden kann, sondern bereits vorhanden sein muss. Die Notwendigkeit des zusätzlichen Wissens nennt man konversationelle Implikatur. Sie erfordert Schlussfolgerungen auf der Grundlage des Situationswissens und der Kenntnis über Kommunikationsabläufe (siehe auch Box- 72). Kinder wenden dieses Wissen selbstverständlich an: Auf die Aufforderung Setz’ dich hin! nehmen sie auf einem Stuhl Platz, wenn einer vorhanden ist, und setzen sich nicht einfach auf den Fußboden. Schwierigkeiten im Sprachverstehen äußern sich dadurch, dass Kinder auf eine verbale Äußerung nicht mit einer angemessenen Handlung reagieren. Impliziert die Äußerung beispielsweise eine Aufforderung hol’ bitte den roten 44783_Rohlfing_SL3a.indd 245 17.04.2019 14: 20: 46 246 11. Entwicklung der Pragmatik Ball! , so wird ein mangelndes Verständnis dadurch sichtbar, dass ein Kind einen beliebigen Gegenstand holt, weil es zwar die Äußerung als Aufforderung versteht (und somit die Implikatur korrekt erfasst hat), nicht aber die Referenz des Nomens auflösen kann. Ein mangelndes Verständnis kann sich aber auch im Fehlen jeglicher oder einer ausweichenden Reaktion äußern, indem das Kind mit mach’ du! , den Auffordernden allein für das Ziel verantwortlich macht. Gerade das letzte Beispiel kann sich sogar zu einer Strategie entwickeln, mit der Kinder ihre Schwierigkeiten im Sprachverstehen kompensieren. 11.5 Pragmatische Erwerbsprinzipien Phänomene aus dem Bereich der Pragmatik umfassen Umweltressourcen, die für das Interpretieren von sprachlichen Äußerungen nötig sind. Das sich daraus ergebende Weltwissen (siehe oben) ist vielfältig, denn die Umwelt kann unmittelbar, zum Beispiel in Form von Objekten, genutzt werden oder aber als Wissen der Gesprächspartner in einer Interaktion zum Einsatz kommen (Rohlfing u. a., 2003). In ihrem Buch zeigt Clark (1993) auf, wie sich Kinder ihr Weltwissen aus vielfältiger Erfahrung mit Objekten, Gesprächspartnern und Interaktionen aufbauen. Es hilft ihnen dabei, sprachliche Zeichen sowie Äußerungen richtig zu interpretieren und einzusetzen. Das Prinzip der Konventionalität Das Prinzip der Konventionalität besagt: „For certain meanings, there is a form that speakers expect to be used in the language community [für eine bestimmte Bedeutung gibt es eine bestimmte Form, die die Sprecher der Sprachgemeinschaft nutzen]“ (Clark, 1993: 67). Das heißt, dass Kinder nicht irgendwelche Lexeme zum Ausdruck einer bestimmten Bedeutung verwenden, sondern die, die sie für konventionell halten. In Kapitel-3 wurde bereits darauf verwiesen, dass sich die kindliche Wahrnehmung aufgrund des Umgangs mit der eigenen Sprachgemeinschaft verengt. Von Lehmden (2013: 74) fasst Studien zur Imitationsfähigkeit zusammen, die bei Kindern eine erhöhte Sensibilität für Handlungsdurchführungen von Erwachsenen sehen, die „etabliert und normativ“ und somit alles andere als zufällig sind. Dass Objektbezeichnungen personenübergreifend benutzt werden, erwarten bereits 13 Monate alte Kinder (Buresh & Woodward, 2007). Bei älteren Kindern beobachteten Matthews und Kollegen (2010) wiederum „referential pacts [referenzielle Vereinbarungen]“ zwischen 44783_Rohlfing_SL3a.indd 246 17.04.2019 14: 20: 46 247 11.5 Pragmatische Erwerbsprinzipien Gesprächspartnern, die sich im Verlauf einer Interaktion über die Verwendung von neuen Bezeichnungen etablieren und die für eine Konventionalisierung dieser Ausdrücke in Bezug auf die Gesprächspartner sorgen. Als referenzielle Vereinbarungen bezeichneten Matthews und Kollegen (2012) die Tatsache, dass 3- und 5-jährige Kinder neue Nomen für bereits bekannte Objekte akzeptieren (z. B. Pferd anstatt Pony), und diese Bezeichnungen im Verlauf der Interaktion schneller verarbeitet werden, wenn sie sich zwischen den Gesprächspartnern etablieren. In dieser Untersuchung mussten Kinder ein Objekt von einer Stelle in einem Steckregal auf eine andere verschieben. Sie waren schneller, wenn der Experimentator stets die gleiche Bezeichnung verwendete als wenn er bei den Aufforderungen eine andere Bezeichnung für das Objekt wählte als vorher beim Spielen. Manche Kinder protestierten sichtbar gegen das Wechseln von Objektbezeichnungen, was auf ihre Fähigkeiten im Monitoring schließen lässt. Der Prozess der Konventionalisierung lässt sich ebenfalls bei der Entwicklung der Zeigegeste beobachten. Heller und Rohlfing (2017) verdeutlichen, dass Bezugspersonen auf bestimmte Mittel der Kommunikation bestehen, auch wenn sie grundsätzlich viele Mittel zulassen. In diesem Prozess ist die Aufgabe der Bezugsperson, zunächst die kommunikative Funktion zu ermöglichen, und dann an der Angemessenheit der Mittel mitzuwirken. Zum Beispiel antwortete Lea (9 Monate alt) auf die Frage, Wo ist der Löffel? , indem sie die Abbildung des Löffels mit ihrer Nase berührte; dieses Mittel wurde von ihrer Mutter nicht akzeptiert, die stattdessen eine Zeigegeste ausführte (Heller & Rohlfing, 2017: 10). Das Prinzip des Kontrasts Das Prinzip des Kontrasts besagt: „Speakers take every difference in form to mark a difference in meaning [Sprecher machen von jedem Unterschied in der Form Gebrauch, um Unterschiede in der Bedeutung hervorzuheben]“ (Clark, 1993: 67). Bereits früh in der Säuglingsphase wirkt Sprache als ein Unterscheidungsmittel: Laut Ergebnissen von Ferry und Kolleginnen (2010) können bereits 3 bis 4 Monate alte Säuglinge menschliche Lautsprache dazu nutzen, Objekte als unterschiedlich zu kategorisieren. Lautsprache kann also in unserer Wahrnehmung einen Fokus auf bestimmte Merkmale bewirken und fördert auf diese Weise die Bildung von Kategorien. Somit hilft das Prinzip des Kontrasts nicht nur der Wortbedeutung, sondern kann als fundamental für die menschliche Kognition gesehen werden (Ferry u. a., 2010). Gestützt wird dieses Argument von einer Reihe empirischer Untersuchungen, die einen engen 44783_Rohlfing_SL3a.indd 247 17.04.2019 14: 20: 46 248 11. Entwicklung der Pragmatik Zusammenhang der Lautsprachverarbeitung mit vielfältigen Operationen der menschlichen Kognition aufzeigen. Zum Beispiel beruht auch das wachsende Verständnis für menschliche Handlungen darauf, dass Handlungen mit Wörtern verknüpft werden (Göksun u. a., 2011). Nicht nur, dass die Lautsprache auf unsere Wahrnehmung einwirkt, es entstehen mit ihr auch neue Ordnungen / Kategorien, die das menschliche Denken vorantreiben. Das Vorantreiben ist zum Beispiel dadurch möglich, dass Lautsprache situationsübergreifende Merkmale festhält: Ändert sich die Situation (die Teilnehmer, der Raum, die Objekte), während die gleiche Äußerung gebraucht wird, dann wird dadurch eine Kohärenz zwischen den Situationen hergestellt. Die invarianten Merkmale (d. h. Merkmale, die trotz Situationsänderung gleichbleiben) fließen somit in die Wort- oder Äußerungsbedeutung ein. Ein anderer Fall ergibt sich, wenn sich die Situation wiederholt, aber eine andere Äußerung gebraucht wird. Auch in diesem Fall wirkt das Prinzip des Kontrasts, dieses Mal jedoch im Hinblick auf die Wortschatzerweiterung: Wenn eine bestimmte Bedeutung auf eine andere Weise ausgedrückt wird (wie in der Studie zu referenziellen Vereinbarungen), kann das Ergebnis dieser Kontrastierung auch in der Entdeckung von Gemeinsamkeiten liegen. Somit kann die Erfahrung in unterschiedlichen Situationen das Wort- und Bedeutungswissen erweitern und seine Nuancierungen stärken. 11.6 Pragmatische Inferenzen und ihre Vorläufernatur Wie oben in Kapitel-11.2 verdeutlicht, sind bereits 12 Monate alte Kinder dazu in der Lage, pragmatische Inferenzen aus dem Handeln einer Person zu ziehen (z. B. eine Person sucht nach einem Objekt und benötigt Hilfe) und daraus einen Beitrag für die Interaktion abzuleiten (diese Person durch eine Zeigegeste zu dem Objekt zu führen). Diese Fähigkeit wurde von Liszkowski und Kollegen (2004; 2006; 2007) umfassend untersucht. Nach Liszkowski (2015) sprechen die Belege dafür, dass bereits 12 Monate alte Kinder die „referentielle Absicht“ (ibid.: 30) einer Zeigegeste eines (fremden) Erwachsenen in unterschiedlichen Aufgabenkontexten verstehen können. Zum Beispiel führte eine Experimentatorin eine Zeigegeste aus, um auf einen verschlossenen Behälter zu deuten, in dem sich ein Objekt befand, das sie Kindern zuvor angeboten hatte. 12 Monate alte Kinder blickten „nicht nur auf den entsprechenden Deckel oder nahmen ihn in die Hand, sondern suchten aktiv nach dem Objekt“ in dem Behälter-- mit diesem Verhalten demonstrierten die Kinder ihr Verständnis davon, dass 44783_Rohlfing_SL3a.indd 248 17.04.2019 14: 20: 46 249 11.6 Pragmatische Inferenzen und ihre Vorläufernatur „sich die Zeigegeste auf das versteckte Objekt unter dem Deckel bezog“ (ibid.). Aus der Sicht der Pragmatik ist hier nicht nur das Erkennen der referenziellen Absicht interessant, sondern auch die Tatsache, dass Kinder ihre interaktive Rolle in der Aufgabe durch das Suchverhalten definieren konnten. Sie haben das gemeinsame Ziel der Handlung erkannt und konnten dementsprechend in diesem Dialog handeln. Eine aktuelle Studie von Ramenzoni und Liszkowski (2016) deckte auf, dass bereits 8 Monate alte Kinder die Rollenzuweisung bei einem Dialog in ihr Verhalten einplanen: Wenn ihnen ein für sie unerreichbares Objekt präsentiert wurde, so führten sie eine bestimmte Geste (sie streckten ihren Arm aus und versuchten zu greifen) vorwiegend dann aus, wenn eine Person anwesend war; war keine weitere Person dabei, konnte diese Geste deutlich weniger beobachtet werden. Diese Ergebnisse weisen darauf hin, dass bereits Säuglinge „cooperative expectations [kooperative Erwartungen]“ äußern, aus denen erkennbar wird, dass sie mit der Unterstützung seitens eines anwesenden Gesprächspartners rechnen und die bloße Anwesenheit einer weiteren Person diese Erwartungen auslöst. Diese frühen pragmatischen Kompetenzen werden in der Literatur häufig als Protofähigkeiten (siehe Box-77) bezeichnet. Zum Beispiel sprechen Bates und Kollegen (1988) von proto-deklarativen Zeigegesten, um darauf hinzuweisen, dass die ersten Zeigegesten keine klaren deklarativen Absichten tragen. Ninio und Snow (1996) bieten zwei unterschiedliche Hypothesen dazu an, inwiefern diese anfänglichen Kompetenzen mit späteren pragmatischen Fähigkeiten zusammenhängen. Die Kontinuitätshypothese besagt, dass sich die frühen kommunikativen Bemühungen am Anfang eines Kontinuums befinden und in die späteren Verbalisierungen übergehen. Laut Bates (1976) und Bruner (1983) ersetzen die ersten lautsprachlichen Ausdrücke die ihnen vorangehenden nichtverbalen Äußerungen. Dieser Ansatz impliziert, dass die kommunikativen Absichten, die durch Gestik und erste Vokalisierungen ausgedrückt werden, den kommunikativen Intentionen ähneln, die später durch zusammenhängende Sätze geäußert werden (Ninio & Snow, 1996: 49). Die anfängliche Natur entspricht ausgereiften pragmatischen Kompetenzen. Protofähigkeiten (Box-77): Mit dem Begriff der Protofähigkeiten bezieht man sich auf erste Ausprägungen oder Anbahnungen von bestimmten Fähigkeiten, die sich jedoch qualitativ von den ausgereiften Fähigkeiten unterscheiden. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 249 17.04.2019 14: 20: 46 250 11. Entwicklung der Pragmatik Diesem Ansatz widerspricht die Diskontinuitätshypothese, die Referenz (Bezugnahme; siehe Box-36) und Prädikation (Zuordnung von Eigenschaften) als Voraussetzungen für eine linguistische Äußerung festlegt. Protofähigkeiten nonverbaler Art können weder eine eindeutige Referenz noch Prädikation vorweisen (Dore, 1975). Verbale Kommunikation, so das Argument der Diskontinuitätshypothese, beruht auf Formmitteln, mit denen Inhalte ausgedrückt werden: Die illokutionäre Kraft komme aufgrund von grammatischen Konstruktionen zustande. Diese Möglichkeiten gäbe es bei nonverbalen Handlungen nicht. Zudem können Wörter Repräsentationen von äußeren Ereignissen kumulieren und die Möglichkeit bieten, sich von situativen Elementen zu lösen. Dieser Hypothese widerspricht allerdings die aktuelle Forschung, die verdeutlicht, dass junge Kinder mit Zeigegesten auch auf Dinge aus der nicht unmittelbaren Umwelt referieren können, beispielsweise auf nicht vorhandene Objekte (Bohn u. a., 2015; Liszkowski & Ramenzoni, 2015). Zudem sei auf Kapitel-8 verwiesen, in dem es darum ging, unterschiedliche gestische Formen als Ausdruck der Illokution zu nutzen. Zusammenfassend unterstützt die aktuelle Forschung die Kontinuitätshypothese, nach der „sich die angeführten vorsprachlichen Motive in den verschiedenen Sprechakten späterer sprachlicher Äußerungen wiederfinden“ (Liszkowski, 2015: 32). 11.7 Entwicklung weiterer pragmatischer Fähigkeiten Oben wurde bereits angedeutet, dass pragmatische Fähigkeiten nicht nur eine Koordination unter Gesprächspartnern, sondern auch eine Koordination der einzelnen Handlungsschritte umfassen, die in einer Abfolge ausgeführt werden. Im Folgenden steht die Ausführung der einzelnen Handlungsschritte in verschiedenen Kontexten und ihre Entwicklung im Fokus. Koordination unter Gesprächspartnern: Pragmatik des Miteinanders Der folgende Abschnitt soll die oben dargelegten Fähigkeiten des Verstehens und des Formulierens von kommunikativen Zielen um die Fähigkeit, sich in die kommunikativen Ziele einzufügen, ergänzen. Ein dafür wichtiges strukturelles Mittel des Miteinanders ist das Turn-Taking, das sich bereits früh in der Säuglingsphase etabliert (siehe dazu Kapitel- 4; Box- 17) und schon an einigen Stellen zur Sprache kam. Auf das verbale Verhalten angewendet, erfasst der Begriff die Besonderheit eines Gesprächs zwischen zwei (oder mehr) Ge- 44783_Rohlfing_SL3a.indd 250 17.04.2019 14: 20: 46 251 11.7 Entwicklung weiterer pragmatischer Fähigkeiten sprächspartnern, nämlich das abwechselnde Sprechen (Stukenbrock, 2013: 230). „Die einzelnen Redebeiträge der Gesprächsbeteiligten nennt man Redezug (engl.: turn) oder Gesprächsschritt. Ein Redezug beginnt, wenn ein Sprecherwechsel stattgefunden hat und endet damit, dass erneut ein Sprecherwechsel vollzogen wird“ (ibid.). Dies wird als die Basiseinheit einer Interaktion gesehen (Turnbull & Carpendale, 1999: 333). Die Koordination zwischen den Gesprächspartnern in Form des Turn-Takings ist von gemeinsamen Zielen abhängig. Manche Ziele sind durch eine enge Verzahnung der Beiträge miteinander charakterisiert und tauchen in Form von Paarsequenzen (siehe Box-78) auf. Damit einhergehende konditionelle Relevanz generiert Erwartungen im Miteinander, wie beispielsweise die Situation, wenn ein Gruß geäußert und in der Folgehandlung ein Gegengruß erwartet wird (Stukenbrock, 2014). Die sich aus Paarsequenzen ergebende konditionelle Relevanz spüren Kinder in vielen Situationen recht früh in ihrer Entwicklung (z. B. einer Frage), können sie aber nicht immer angemessen bedienen (Filipi, 2013; Forrester, 2013). Wie oben durch Meilensteine des Monitorings (in Kapitel-11.4) dargelegt, verstehen Kinder eine Anfrage, sobald sie beginnen, auf sie korrekt zu reagieren. Dies ist in den ersten 2 Lebensjahren der Fall (Forrester, 2013). Die ersten Antworten entstehen in Spielroutinen, in denen das Antworten regelrecht eingeübt wird. Zwar ist das Grundprinzip des Abwechselns früh erkennbar (siehe Kapitel-4), doch besteht noch Uneinigkeit darüber, ob Kinder das Turn-Taking in ihrer Lautsprache als eine besondere Form der Realisierung üben müssen. Zum Beispiel berichtet Kauschke (2012: 103), dass Säuglinge erst mit sieben Monaten lernen, in den Sprechpausen der Bezugsperson zu vokalisieren. Dieser Aussage widersprechen aktuelle Studien wie die von Gratier und Kollegen (2015). Durch die Anwendung einer Software zur akustischen Analyse waren die Autorinnen in der Lage herauszufinden, dass im Durchschnitt 3 von 4 Säuglingsvokalisierungen einer Vokalisierung der Bezugsperson folgten oder dieser vorangingen. Sogar die Interaktionen mit einem Säugling im Alter von 2 Monaten weisen bereits ein Abwechseln auf: Säuglinge ‚antworteten‘ auf die Vokalisierung ihrer Mutter genauso häufig wie diese auf die Lautbemühungen ihrer Kinder, wobei die Autoren die aktive Rolle der Bezugsperson hervorheben. Ähnliches finden Paarsequenzen (Box-78): Es gibt Äußerungen (engl.: adjacency pairs) von Gesprächspartnern innerhalb eines Redezugs, „die so eng miteinander verbunden sind, dass sie in der Regel als Paar auftreten“ (Stukenbrock, 2014: 231). Dementsprechend erfolgt auf eine Frage eine Antwort, die konditionell relevant ist, d. h. dem Antwortenden stehen eingeschränkte Reaktionsmöglichkeiten zur Verfügung. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 251 17.04.2019 14: 20: 46 252 11. Entwicklung der Pragmatik Hilbrink und Kollegen (2015) in ihrer Längsschnittstudie. Allerdings ergänzen die Autoren die Befundlage um die Beobachtung einer Verlangsamung in lautsprachlichen Turns bei Kindern im Alter von 9 Monaten. Der Interpretation von Hilbrink und Kollegen (2015) nach steht diese Veränderung mit der Produktion der ersten Wörter, die die Kinder im Durchschnitt zu diesem Zeitpunkt sprechen, in Zusammenhang: Die Sprachproduktion scheint das bis dahin flüssig etablierte (aber auf das Vokalisieren beschränkte) Turn-Taking zu verlangsamen, das Kindern nun eine neue Art abverlangt, nämlich das Verhalten des Partners vorherzusagen und mit eigenem Sprechen zu koordinieren. Abgesehen von dieser verarbeitungsbedingten Verlangsamung meistern Kinder ihre lautsprachlichen Turns in dyadischen Situationen recht reibungslos. Sie können sich auch lange auf einfühlsame Erwachsene verlassen. Viel schwieriger scheint es für Kinder zu sein, Turn-Taking in polyadischen Interaktionen, also mit mehreren Gesprächspartnern (siehe Box-86), einzusetzen. Ein Turn-Taking mit Gleichaltrigen gelingt erst mit 3 Jahren (Ninio & Snow, 1996.). Diese unterschiedlichen Schwierigkeitsgrade weisen darauf hin, dass Turn-Taking nicht nur das reziproke Miteinander, sondern auch noch weiteres Können beinhaltet, wie einen Redebeitrag zu leisten und zu signalisieren, dass noch ein weiterer Beitrag folgt (ibid.: 148). Diese Signale im Hinblick auf eine Fortsetzung des Beitrages leisten Kinder erst mit etwa 4 Jahren mithilfe von Satzanfängen wie und oder und dann-... Das Prinzip des Miteinanders ist zwar universell und wurde in vielen Kulturen der Welt beobachtet (Levinson, 2016), doch gibt es hinsichtlich der Ausgestaltung des dialogischen Austausches große kulturelle Unterschiede. Ninio und Snow (1996: 148) berichten darüber, dass sich im Spanischen die Redebeiträge zweier Gesprächspartner zu 25 % überlappen, während im Schwedischen ein normaler Turn lautsprachlicher Art auch einen Zwischen-Turn mit einer kurzen Pause beinhaltet. Koordination einzelner Handlungsschritte: Pragmatik des Diskurses Im Laufe ihrer Entwicklung lernen Kinder nicht nur Zugzwänge im Gespräch zu erkennen und zu bedienen, sondern wenden auch Organisationsprinzipien dialogischer Rede an. Die kommunikative Kompetenz umfasst also nicht nur die Koordination mit dem Gesprächspartner, sondern auch die Konstruktion des eigenen sprachlichen Handelns unter Berücksichtigung der Zuhörerschaft (Kern, 2011) und des Genres / der Gattung (siehe Box-79). 44783_Rohlfing_SL3a.indd 252 17.04.2019 14: 20: 46 253 11.7 Entwicklung weiterer pragmatischer Fähigkeiten Nach den Organisationsmustern einer kommunikativen Gattung (siehe Box- 79) beinhaltet ein Gespräch zu führen die Fähigkeit, eine Initiierung der verbalen Handlung einzuschließen, welche die Handlung des Gesprächspartners zur Folge hat. Nach Ninio und Snow (1996) kann ab dem 18. Lebensmonat beobachtet werden, dass Kinder die Gesprächsinitiative (also verbale Beiträge) ergreifen. In dem Beispiel einer Erzählung eines 28 Monate alten Mädchens (siehe Abb. 26) wird sofort erkennbar, dass die Geschichte aus der Perspektive der Bezugsperson erzählt wird (Zeile 01). Diese Art der Unterstützung ist also für junge Kinder zentral. In dem Beispiel wird zudem deutlich, dass die Unterstützung auch auf die Strukturierung des Ereignisses und somit des Themas abzielt. Ab dem 36. Lebensmonat stimmen Kinder ihre Äußerungen auf das Gesprächsthema ab. Schließlich ist mit 4- oder 5-jährigen Kindern ein längeres Gespräch mit verschiedenen Personen möglich, das über unterschiedliche Themen geführt wird. In diesem Alter zeigen Kinder auch adäquate Reaktionen auf Nachfragen. Beim verbalen Austausch spielt der Inhalt eine zentrale Rolle. Je konkreter ein Gesprächsgegenstand, desto früher können Kinder sich zu diesem austauschen. Perzeptuell präsente externe Ereignisse und Objekte (z. B. ein Gewitter draußen) werden früher Gegenstand eines Gesprächs als perzeptuell präsente innere Ereignisse (z. B. eigene Emotionen). Innere Ereignisse, die unmittelbar sind (wie z. B. eine Schmerzempfindung), versetzten Kinder eher in die Lage, sich über diese auszutauschen als Ereignisse, die zeitlich früher stattgefunden haben oder erst stattfinden werden. Früher stattgefundene oder später stattfindende Ereignisse werden zum Gesprächsthema, bevor Unsichtbares oder abstrakte Angelegenheiten thematisiert werden (Ninio & Snow, 1996: 93). Das Erzählen gehört zu einer wichtigen sprachlichen Kompetenz, die die Kinder zunächst in der Familie und später in der Schule demonstrieren. Es bündelt viele Anforderungen, die sowohl die innere Struktur der Erzählung als auch ihr Anpassen an den Gesprächspartner betreffen. Das Erzählen bringt die kognitive Anforderung mit sich, nicht nur das Hier und Jetzt, sondern auch das Da und Dann zu thematisieren (Sachs, 1983). Nach Tomasello (2003: 274) erfordern Erzählungen eine Kontrolle über bestimmte Aspekte, die vordergründig sein sollen und die für den Zuhörer neu sind, somit auch eine Perspektivierung (siehe Box- 85). Er beobachtet, dass Kinder im Alter von 2; 0 bis Kommunikatives Genre/ Gattung (Box- 79): Das verbale Verhalten einer Person folgt häufig einem Muster und weist eine sequenzielle Organisation auf, die man mit dem Begriff des kommunikativen Genres erfasst. Zum Beispiel besteht eine Erzählung aus bestimmten Elementen (siehe Box-80). 44783_Rohlfing_SL3a.indd 253 17.04.2019 14: 20: 46 254 11. Entwicklung der Pragmatik 3; 6 Jahren die wichtigsten Informationen für den Zuhörer nicht so gut zusammenstellen können. Stattdessen gebrauchen sie deiktische Ausdrücke wie wir, ohne spezifizieren zu können, wer damit gemeint ist. An diesem Beispiel wird die Schwierigkeit deutlich, das eigene verbale Handeln unter Berücksichtigung der Zuhörerschaft zu konstruieren (Kern, 2011). Abbildung 26: Transkript einer Geschichte vom Baden, erzählt von einem 28 Monate alten Mädchen (K = Kind) mit Unterstützung der Mutter (M = Mutter). Dieser Schwierigkeit nimmt sich Quasthoff (2003) an und definiert vielfältige Strukturen von mündlichen Sprachfähigkeiten, die für den Erwerb von Erzählungen relevant sind: Als globale Struktur (auch „Kontextualisierung“ bei Kern, 2011) bezeichnet sie die Einpassung des eigenen Beitrages als eine übergeordnete Einheit unter der Berücksichtigung des Gesprächspartners und der Situation. Diese unterscheidet sich von der globalen Semantik (auch „Vertextung“), die sich wiederum auf die Fähigkeit bezieht, eine satzübergreifende Äußerung gemäß einem kommunikativen Genre (siehe Box-79) so aufzubauen, dass diese in sich semantisch schlüssig, kohärent und der globalen Struktur angemessen ist. Die globale Form (auch „Markierung“) steht für die konkrete Ausführung der Einheit, die eine angemessene Verwendung von sprachlichen Formen wie beispielsweise Tempora beinhaltet, aber auch andere genrespezifische Markierungen. Ein Kind muss also in einer Gesprächssituation erkennen, wann zum Beispiel eine Erzählung gefordert wird. Zudem übt es ein, eine Er- 44783_Rohlfing_SL3a.indd 254 17.04.2019 14: 20: 47 255 11.7 Entwicklung weiterer pragmatischer Fähigkeiten zählung aus einzelnen Schritten zusammenzusetzen, und diese Schritte auf bestimmte Aspekte zu beziehen. Boueke und Kollegen (1995) stellen diesbezüglich Entwicklungsphasen fest: Zuerst sprechen Kinder isolierte Ereignisse an. Diese Form der Ereignisdarstellung lässt sich gut im Transkript (Abb. 26) wiederfinden. Das Mädchen knüpft in Zeile 04 mit und dann habe ich geweint! direkt an die Äußerung der Mutter an, ohne, dass die Sätze miteinander in direktem Bezug stehen. Es ist vielmehr das Ereignis, das sich hier anreiht. Die Ereignisse werden in einem weiteren Entwicklungsschritt linear dargestellt, wie in Zeile 06 und dann habe ich geweint. Will aber nicht! . In dieser Äußerung ist eine Linearität erkennbar: Zuerst ein beschreibendes Ereignis, dann ein innerer Zustand, der geschildert wird. Erst eine darauffolgende Phase ist durch hierarchische Strukturierung der Ereignisse im Sinne eines Höhepunktes zu charakterisieren (Boueke u. a., 1995). Auf dieses Beispiel bezogen könnte das Mädchen zuerst beschreiben, dass ein Ereignis unwillentlich geschah, weshalb es geweint hatte. Durch die Hervorhebung der Gründe für eine Emotion wäre also eine Strukturierung erfolgt. Diese übernimmt in diesem Beispiel die Bezugsperson, indem sie das Ereignis in Zeile 09 zusammenfasst ach so. Du hast geweint, weil du nicht wolltest, dass die Haare gewaschen werden. Mit dieser Zusammenfassung ist das Mädchen einverstanden (Zeile 11). Die Entwicklung des Erwerbs von narrativen Fähigkeiten wird schließlich dadurch abgerundet, dass Kinder die geschilderten Ereignisse affektiv markieren. Die in Box-80 aufgeführten Elemente sind nicht nur Bestandteile einer Erzählung, sondern bauen sie auf und sorgen damit für Verbindungen zwischen den Sätzen (Bamberg, 2012), die im Gedächtnis auf eine besondere Weise verarbeitet werden. Neue Wörter, die in Geschichten eingebettet werden, werden von jungen Kindern besser behalten als Wörter, die zwar in einen sprachlichen Kontext, aber ohne eine Geschichte, präsentiert werden (Nachtigäller u. a., 2013; Rohlfing & Nachtigäller, 2016). Kern (2011) weist darauf hin, dass die Anteile einer entstehenden Erzählung zunächst auf beide Gesprächspartner verteilt werden (siehe auch Kapitel-10.2). Erwachsene unterstützen durch steigende Anforderungen das selbstständige Erzählung (Box- 80): Eine Erzählung umfasst eine Schilderung von Ereignissen, die einer Person (Protagonist) an einem Ort zu einem bestimmten Zeitpunkt passiert sind. Sie wird typischerweise aus einzelnen Schritten aufgebaut: Orientierung (Ort, Zeit, Personen), Komplikation (des Handlungsverlaufes), Evaluation (Markierung der erzählenswerten Ereignisse), Auflösung (des Handlungsknotens) und einer Coda (Herstellung einer Verbindung zum Hier und Jetzt). 44783_Rohlfing_SL3a.indd 255 17.04.2019 14: 20: 47 256 11. Entwicklung der Pragmatik und kohärente Erzählen, passen sich jedoch auch an das Kompetenzniveau des Kindes an, damit eine Erzählung insgesamt gelingt. 11.8 Individuelle Unterschiede in pragmatischen Fähigkeiten Im Verlauf des Kapitels wurde mehrmals betont, dass in pragmatischen Fähigkeiten viele sprachliche und nicht-sprachliche Kompetenzen zusammenkommen. Je nach Erfahrung in und mit verschiedenen Gesprächsgenres unterscheiden sich Kinder in mündlichen Sprachfähigkeiten voneinander (Sallat & Spreer, 2014; siehe auch Kapitel-12). Auch ist es wichtig, zu beachten, dass das Weltwissen von Familie zu Familie andere Schwerpunkte beinhalten kann. Trotz der Bandbreite an individuellen Unterschieden gibt es in diesem Bereich jedoch auch Störungen, die sich identifizieren lassen und gravierende Folgen nach sich ziehen. Im frühen Kindesalter können pragmatische Störungen nicht herausisoliert werden. Sie gleichen in einigen Fällen Defiziten, die bei Kindern mit Autismus-Spektrum-Störungen (siehe Box-12) zu beobachten sind (Cummings, 2014). In anderen Fällen begleiten sie eine spezifische Sprachentwicklungsstörung, die wiederum später in vielen Bereichen der Pragmatik für Defizite sorgt: Zuhören, Verstehen von Idiomen und metaphorischen Ausdrücken, nicht-wörtlicher Rede, indirekten Anweisungen und Inferenzen. All diese Phänomene haben mit der Übernahme der Perspektive des anderen zu tun (siehe Box- 85). Oben wurden bereits das Zuhören und die aus fehlenden Monitoring-Fähigkeiten resultierenden Problematiken erläutert. Als Adressaten, die weniger zum Zuhören in der Lage sind, werden auch Kinder mit ADHS identifiziert (ibid.). Eine Einschätzung der situativen Angemessenheit von sprachlichen Handlungen junger Kinder ist durch ein Beobachten bei speziellen Aufgaben und Gesprächen möglich (Sallat & Spreer, 2014). Generell geraten Kinder, die die Einleitung und Aufrechterhaltung von Gesprächen selten als erfolgreich erleben, in zunehmende Schwierigkeiten und Defizite, weil sie aufgrund der eingeschränkten Interaktionserfahrungen für Gleichaltrige „keine begehrten Partner“ sind, zunehmend ausgeschlossen werden und dadurch immer weniger die Möglichkeit erhalten, die pragmatischen Fähigkeiten aufzubauen (Möller & Ritterfeld, 2010: 87). Nicht nur bei den jün- Pragmatische Störungen (Box- 81): Mit dem Begriff der pragmatischen Störung werden Einschränkungen in der Fähigkeit erfasst, „Gemeintes oder Gesagtes situationsbezogen angemessen zu ent- oder verschlüsseln“ (Möller & Ritterfeld, 2010: 87). Als Beispiel seien hier das simple Zuhören aber auch Verständnis von Ironie oder Metaphern genannt. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 256 17.04.2019 14: 20: 47 257 11.8 Individuelle Unterschiede in pragmatischen Fähigkeiten geren Kindern selbst, sondern auch bei ihren Bezugspersonen können pragmatische Störungen in der Interaktion zu Unsicherheiten und Frustrationen führen. Diese Gefühle können, so Möller und Ritterfeld (2010: 91), das intuitive Elternverhalten (siehe Kapitel- 13) außer Kraft setzen und zu „unvorteilhaften Adaptationen führen“. Zum Beispiel können häufige geschlossene Fragen (wie beispielsweise möchtest du Saft oder Milch? ) zwar den Tagesablauf beschleunigen, bieten jedoch sehr eingeschränkte Gesprächsanlässe und fordern Kinder wenig heraus. Es sei der erste Schritt, die Unsicherheit der Bezugspersonen ernst zu nehmen, um in einem weiteren Schritt und mithilfe kompetenter Fachkräfte konkrete Handlungsempfehlungen zu formulieren und das Repertoire sowohl der Bezugspersonen als auch der Kinder zu erweitern (ibid.). Lesetipps: Vertiefendes Wissen zu Monitoringfähigkeiten bietet Zimmermann: Zimmermann, A. (2014). Die Bedeutung des Sprachverstehens und seines Monitorings für die Abklärung. In B. Zollinger (Hrsg.), Frühe Spracherwerbsstörungen. Kleine Kinder verstehen und Eltern begleiten (S. 93-129). Bern: Haupt. Auf den Erwerb von Erzählfähigkeiten geht Kern ein und verdeutlicht dabei die sequenzielle Organisation des kommunikativen Genres: Kern, F. (2011). Der Erwerb kommunikativer Praktiken und Formen - Am Beispiel des Erzählens und Erklärens. In S. Habscheid (Hrsg.), Textsorten, Handlungsmuster, Oberflächen: linguistische Typologien der Kommunikation (S. 231-253). Berlin/ New York: Walter de Gruyter. Eine Einführung in die Sprechakttheorie bietet Staffeldt: Staffeldt, S. (2008). Einführung in die Sprechakttheorie. Ein Leitfaden für den akademischen Unterricht. Tübingen: Stauffenburg. Clark führt die pragmatischen Prinzipien des Spracherwerbs aus: Clark, E. V. (1987). The principle of contrast: A constraint on language acquisition. In B. MacWhinney, (Hrsg.), Mechanisms of language acquisition (S. 1-33). Hillsdale, NJ: Lawrence Erlbaum Associates. Die methodischen Besonderheiten des handlungsbasierten Paradigmas (action-based paradigm) verdeutlichen fast alle von Liszkowski durchgeführten Studien: Liszkowski, U., Carpenter, M., Striano, T., & Tomasello, M. (2006). 12and 18-month-olds point to provide information for others. Journal of Cognition and Development, 7 (2), 173-187. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 257 17.04.2019 14: 20: 47 44783_Rohlfing_SL3a.indd 258 17.04.2019 14: 20: 47 259 12.1 Aspekte der Variabilität 12. Individuelle Unterschiede In den einzelnen Kapiteln des vorliegenden Buches wurde bereits auf die Variabilität im Sprachlernen hingewiesen: Gerade im frühen Spracherwerb werden große Unterschiede zwischen Kindern sichtbar. Die Variabilität im Spracherwerb ist in fest definierten Populationsgruppen, wie zum Beispiel bilingualen Kindern, gehörlosen Kindern, Kindern aus dem Autismus-Spektrum, am besten erforscht. Individuelle Unterschiede können jedoch ebenfalls aus Gegebenheiten wie Geburtsreihenfolge oder Geschlecht resultieren. Die genaue und systematische Betrachtung solcher Parameter der individuellen Unterschiede, die in diesem Kapitel im Vordergrund stehen, kann einen wertvollen Einblick sowohl in die Zusammenhänge von verschiedenen sprachrelevanten Fähigkeiten als auch in die potenziellen Umweltfaktoren vermitteln. Der methodische Abschnitt führt an einem konkreten Beispiel in die korrelative Analyse ein, die eingesetzt wird, um Zusammenhänge zwischen Variablen (siehe Box 14) aufzudecken. 12.1 Aspekte der Variabilität Die Parameter von Variabilität im Spracherwerb sind vielfältig, ebenso ihre Einteilung in Taxonomien (Kidd u. a., 2018). Die folgende Betrachtung steht vor dem Hintergrund der Annahme, dass unser Handeln immer situativ angepasst ist (Rohlfing u. a., 2003): Intrapersonale Besonderheiten (siehe Box-82; Abb. 27) wie das Geschlecht, Persönlichkeitsmerkmale oder Verarbeitungskapazitäten wirken sich auf die Art aus, wie Menschen mit ihrer physikalischen und sozialen Umwelt interagieren und Präferenzen für Problemlösungen entwickeln. Zudem fließen noch kontextuelle Gegebenheiten, wie eine zu bewältigende Aufgabe oder die soziale Umgebung, in die Ausführung einer persönlichen Leistung. Nach der Definition in Box 82 wird deutlich, dass Persönlichkeitsmerkmale durchaus auch von der Interaktionserfahrung abhängen können und daher eine Mischung aus Einflussfaktoren widerspiegeln. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 259 17.04.2019 14: 20: 47 260 12. Individuelle Unterschiede Abbildung 27: Die unterschiedlichen Parameter der Variabilität. Kritisch muss allerdings hervorgehoben werden, dass die Sprachfähigkeit sich generell auf alle Ebenen bezieht, weil sie sowohl für einen individuellen Ausdruck (A) als auch das Miteinander (B) zu einem bestimmten Zweck (C) steht. Im Abschnitt 12.3 werden fünf Faktoren vorgestellt, die unterschiedliche Parameter der Variabilität repräsentieren: Für biologische Besonderheiten eines Individuums stehen sowohl das Geschlecht als auch die Schüchternheit (siehe Abb. 27, A). Auf diesen Parameter wurde durch den Bezug auf bestimmte Populationsgruppen (wie gehörlose Kinder oder Late Talker) bereits in anderen Kapiteln hingewiesen, doch diese zwei Ausprägungen stehen in einem starken Zusammenhang mit einem weiteren Parameter, verantwortlich dafür, wie eine Interaktion ausfällt. Für die Art, wie Menschen mit ihrer sozialen Umwelt interagieren, steht die Betrachtung des Spracherwerbstyps, der auf Unterschiede in Verarbeitungsmechanismen und somit die Präferenz für Problemlösungen zurückzuführen ist (siehe Abb. 27, B). Schließlich bezieht sich die Betrachtung der Geburtsreihenfolge oder des sozioökonomischen Status der Familie auf die kontextuellen Gegebenheiten, die eine Situation gestalten (siehe Abb. 27, C). Dieser Aspekt findet sich auch in den Kapiteln 11.6 und 13.4. 12.2 Methoden der Variabilität: Korrelationen Eine der gängigsten Methoden, die einen Zusammenhang zwischen eigenen Gegebenheiten in der Sprachentwicklung und den Erfahrungen in der Umwelt herstellt, ist die Korrelationsanalyse. Diese kann sowohl einen einzelnen Zeitpunkt als auch verschiedene Zeitpunkte umfassen. Im Folgenden werden beide Intra- und Interpersonale Besonderheiten (Box- 82): Während sich intrapersonale Besonderheiten auf die Person selbst beziehen (z. B. Größe, Alter), beziehen sich interpersonale Besonderheiten auf die Weise, wie Menschen mit ihrer (sozialen) Umwelt interagieren (vgl. Box- 18 zur interpersonalen Synchronisation). 44783_Rohlfing_SL3a.indd 260 17.04.2019 14: 20: 47 261 12.2 Methoden der Variabilität: Korrelationen Arten vorgestellt. Um das Verfahren zu verdeutlichen, werden Daten aus einer aktuellen Längsschnittstudie (Grimminger, 2017) herangezogen. Die Stichprobe (insgesamt 29 Kinder) umfasste auch 8 späte Sprecher (siehe Box-54), d. h. Kinder, die mit 24 Monaten in ihrer Sprachentwicklung verzögert erschienen. Die folgende Tabelle 8 visualisiert die Daten dieser 8 Kinder, und zwar einerseits bezüglich des verbalen Verhaltens (erfasst durch einen Elternfragebogen, siehe dazu Kapitel-7.1), andererseits bezüglich des gestischen Verhaltens in der erhobenen Beobachtungssituation: In jede Zeile der Tabelle wurden die Daten jeweils eines Kindes oder seiner Bezugspersonen eingetragen, zu einem Zeitpunkt, zu dem die Kinder 14 Monate alt waren. A B C Anzahl Zeigegesten der Bezugsperson Anzahl Zeigegesten des Kindes Anzahl der produktiven Wörter im Fragebogen mit 16 Monaten 1 18 22 8 2 2 0 5 3 6 4 - 4 14 15 24 5 9 1 6 6 3 19 5 7 7 23 1 8 6 10 4 Tabelle 8: Daten aus einer Studie mit 8 späten Sprechern (Grimmiger, 2017). Die Spalte A gibt die Anzahl der Zeigegesten der Bezugsperson (Mutter oder Vater) an; in die Spalte B wurde die Anzahl der Zeigegesten des Kindes eingetragen; Spalte C gibt eine Anzahl der produktiven Wörter an, die die Kinder im Alter von 16 Monaten nach Angabe ihrer Eltern sprechen konnten; jede Zeile steht für die Daten eines Kindes / seiner Bezugsperson. In der dritten Zeile fehlt ein Wert; solch ein fehlender Wert wird in einer Korrelationsanalyse nicht betrachtet. Für typisch entwickelte Kinder zeigten Rowe und Goldin-Meadow (2008) einen Zusammenhang zwischen der Anzahl der Gesten seitens der Bezugsperson und der Anzahl der Gesten der Kinder selbst. Dieser Zusammenhang wurde signifikant, wenn die Kinder 14 Monate alt waren. Motiviert durch diese Befunde kann nun anhand der Daten (siehe Tabelle 8) überprüft werden, ob es diesen Zusammenhang für die 8 späten Sprecher aus der deutschsprachigen Längsschnittstudie gibt (Grimminger, 2015). Dafür ist die Betrachtung der An- 44783_Rohlfing_SL3a.indd 261 17.04.2019 14: 20: 47 262 12. Individuelle Unterschiede zahl der Zeigegesten der Bezugspersonen (Spalte A) und die Anzahl der Zeigegesten der Kinder (B) relevant. Es handelt sich hier um Zeigegesten, die mit dem Zeigefinger ausgeführt wurden. Da es sich um eine kleine Stichprobe handelt und die Daten intervallskaliert sind, wird eine Spearman Korrelation gerechnet. Diese Korrelation gibt Aufschluss darüber, inwiefern die zwei Variablen (Anzahl der Zeigegesten der Bezugsperson vs. Anzahl der Zeigegesten der Kinder) zusammenhängen. Um vorwegzugreifen: Ein Zusammenhang ist nicht mit einem Einfluss einer Variable auf die andere verbunden (siehe unten); es kann nämlich sein, dass zwei Variablen eine Beziehung aufweisen, weil eine dritte Variable-- die nicht erfasst wurde-- auf beide Einfluss nimmt. Die Art des Zusammenhangs zwischen zwei Variablen lässt sich am besten an einem Streudiagramm ablesen. Die Abbildung 28 verdeutlicht, dass zwischen den individuellen Datenpunkten (gebildet aus der Anzahl der Zeigegesten des Kindes auf der X-Achse und der Anzahl der Zeigegesten der Bezugsperson auf der Y-Achse) eine Linie gezeichnet werden kann. Diese Linie (Regressionsgerade) deutet auf einen positiven Zusammenhang beider Variablen hin: Die Kinder, die selbst mehr Zeigegesten ausführen, haben Bezugspersonen, die ebenfalls viele Gesten ausführen. Aber auch die umgekehrte Richtung ist unbestritten: Bezugspersonen, deren Kinder wenige Gesten ausführen, zeigen weniger. Abstrakt ausgedrückt bedeutet eine positive Korrelation, dass hohe x-Werte mit hohen y-Werten einhergehen. Eine Korrelation ist negativ, wenn hingegen hohe x-Werte mit niedrigen y-Werten verbunden sind. Abbildung 28: Streudiagramm zu der Korrelation zwischen der Anzahl der Zeigegesten der Bezugsperson (Spalte A in der Tabelle 8) und des Kindes zum Zeitpunkt von 14 Monaten (Spalte B in der Tabelle 8). Entlang der Linie (der Regressionsgerade) gruppieren sich die Werte der einzelnen Personen und deuten einen positiven Zusammenhang an. 0 5 10 15 20 25 30 0 5 10 15 20 Anzahl Zeigegesten des Kindes (mit 14 LM) Anzahl Zeigegesten der Bezugsperson 44783_Rohlfing_SL3a.indd 262 17.04.2019 14: 20: 47 263 12.2 Methoden der Variabilität: Korrelationen Im weiterführenden Schritt ist die Frage interessant, wie stark der positive Zusammenhang zwischen den beiden Variablen ist, was sich mit der Berechnung eines Korrelationskoeffizienten bestimmen lässt. Nach Eingabe in ein Statistikprogramm ergibt sich ein Wert von r s = 0,44, p = 0,27. Eine Interpretation der Höhe des Korrelationskoeffizienten ergibt sich aus der Konvention, dass r-= 0,2-0,39 als ein kleiner, r = 0,4-0,69 als ein mittlerer und ab r = 0,7 als ein starker Zusammenhang gesehen wird (Albert & Marx, 2014). Dementsprechend weist der Korrelationskoeffizient hier auf einen moderaten, positiven Zusammenhang dieser beiden Variablen hin, der im Sinne des Befunds von Rowe und Goldin-Meadow (2008) interpretiert werden kann. Eine weitere Frage betrifft die Signifikanz der Ergebnisse. Jeder natürliche Datensatz zeichnet sich durch eine Varianz aus; in dem Streudiagramm (Abb. 28) wird die Varianz durch die Entfernung der Datenpunkte voneinander und von der Regressionsgerade sichtbar. Es stellt sich die Frage, ob die Streuung die Zusammenhangshypothese unterstützt oder aber, ob die Daten der Tabelle 8 nicht zusammenhängen-- diese beiden Hypothesen (die Alternativhypothese, die in dem vorliegenden Fall eine Zusammenhangshypothese ist und eine Nullhypothese, die von keinem Zusammenhang ausgeht), werden mit einem Signifikanztest überprüft. Die statistische Nullhypothese ist das „Gegenstück“ zu der Alternativhypothese: Sie postuliert Gleichheit von Parametern und erklärt die Alternativhypothese somit für „null und nichtig“ (Hussy u. a., 2010: 173). Ein Signifikanztest prüft wie wahrscheinlich die Beobachtung ist unter der Bedingung, dass die Nullhypothese zutrifft. Das Ergebnis des Tests ist ein p-Wert, der die Überschreitungswahrscheinlichkeit wiedergibt. Konventionell festgelegt ist, dass die p-Werte von weniger 0,05 als signifikant für das Verwerfen der Nullhypothese gelten. Allerdings ist der p-Wert der Werte in der Tabelle 8 (Spalte A und B) weit über 0,05, und liegt nämlich bei 0,27. In dem vorliegenden Fall liegt die Wahrscheinlichkeit, mit der die Ergebnisse unter der Annahme der Nullhypothese entstanden sind bei 27 % und ist daher sehr hoch. Obwohl die Daten also einen positiven Zusammenhang zwischen der Anzahl der Gesten bei den Bezugspersonen und den Kindern zum Zeitpunkt von 14 Monaten in dieser Stichprobe zeigen-- ähnlich wie in der Literatur berichtet-- besteht bei dieser deutschsprachigen Stichprobe eine zu große Wahrscheinlichkeit, dass dieser Zusammenhang einer Nullhypothese entspringt und ist somit statistisch nicht signifikant. Eine Erklärung dafür kann die statistische Auswertung nicht bieten. Eine inhaltliche Erklärung wiederum würde hier die Heterogenität der Gruppe 44783_Rohlfing_SL3a.indd 263 17.04.2019 14: 20: 47 264 12. Individuelle Unterschiede der späten Sprecher aufgreifen, die sich in ihren sprachlichen Fähigkeiten in der Rezeption und Produktion gravierend unterscheiden können (siehe Box-52). Eine Korrelationsanalyse kann auch einen Zusammenhang über verschiedene Zeitpunkte hinweg aufdecken. Bei der Stichprobe (Tabelle 8) liegt die Frage nahe, inwiefern die Leistung der Kinder im ELFRA (Spalte C) zwei Monate später mit dem Verhalten der Bezugsperson zu einem früheren Zeitpunkt (Spalte A) zusammenhängt. Aufgrund des fehlenden Wertes in Zeile- 3 wird hier lediglich mit 7 Fällen gerechnet. Das Streudiagramm lässt einen Zusammenhang vermuten (siehe Abb. 29), und der Korrelationskoeffizient ist mit r s- = 0,63, p = 0,13 positiv und recht hoch. Zwischen den Variablen kann also ein positiver Zusammenhang berichtet werden. Der p-Wert weist jedoch lediglich auf eine marginale Signifikanz hin, also einen Grenzfall, da er höher als 0,05, aber niedriger als 0,15 ist (vgl. Rasch u. a., 2006). Die Verwendung des Begriffs der marginalen Signifikanz ist umstritten, weil das Signifikanzniveau ein konventionell akzeptierter Grenzwert ist und der p-Wert im Zusammenhang und mit weiteren Werten (Effektstärken) interpretiert werden soll (vgl. Hussy u. a., 2010: 174 f.). 0 5 10 15 20 0 5 10 15 20 25 30 Anzahl Zeigegesten der Bezugsperson Anzahl der produktiven W¨orter (ELFRA 16) Abbildung 29: Streudiagramm zu der Korrelation zwischen der Anzahl der Zeigegesten der Bezugsperson zum Zeitpunkt von 14 Monaten und der Anzahl der produktiven Wörter mit 16 Monaten (wie von den Eltern mittels des ELFRA-Fragebogen berichtet). 44783_Rohlfing_SL3a.indd 264 17.04.2019 14: 20: 47 265 12.2 Methoden der Variabilität: Korrelationen In der Forschung geht man unterschiedlich mit solchen Grenzfällen um. Eine amüsante Zusammenstellung findet sich unter diesem Link: https: / / mchankins. wordpress.com/ 2013/ 04/ 21/ still-not-significant-2/ Korrelation und Kausalität „Ein recht häufiger Fehler bei der Interpretation von Korrelationen besteht in der Annahme, dass ein Zusammenhang zwischen Variablen zugleich bedeutet, dass die eine Variable die andere Variable ursächlich beeinflusst“ (Sedlmeier & Renkewitz, 2013: 221). Es ist zwar richtig, dass eine Korrelation eine notwendige Voraussetzung dafür ist, dass eine Ursache-Wirkung-Beziehung festgehalten werden kann, aber sie reicht dafür nicht aus. Würde sich also eine positive Korrelation zwischen der späteren Wortproduktion der Kinder und der Anzahl der Zeigegesten der Bezugsperson früh in der Entwicklung ergeben, so könnten unterschiedliche Beziehungen vorliegen: Es könnte sein, dass das Verhalten der Bezugsperson (die Zeigegesten) die Ursache für die spätere Wortproduktion der Kinder ist. Es könnte aber auch die sprachliche Disposition der Kinder sein, die die Eltern zu mehr Zeigegesten bewegt. Auch weitere Einflussfaktoren (wie z. B. der sozioökonomische Status der Familie) sind denkbar. Sedlmeier und Renkewitz (2013: 233) machen darauf aufmerksam, dass es im Alltag „viele Beispiele für Korrelationen [gibt], aus denen wohl niemand auf eine Ursache-Wirkung-Beziehung schließen würde“; ein solches Beispiel ist der Zusammenhang zwischen der Körpergröße und den Mathematikkenntnissen, der bei Kindern zwischen 3 und 13 Jahren stark ausgeprägt ist. „Dennoch ist es nur zu offensichtlich, dass die Körpergröße nicht die Ursache der Mathematikkenntnisse ist“ (ibid.: 223). Nur durch Experimente kann ein kausaler Zusammenhang zwischen zwei Variablen vertieft und nachgewiesen werden, weil in Experimenten die Einflussvariablen kontrolliert und bewusst manipuliert werden. Eine Korrelationsanalyse kann selbstverständlich auch mit Daten eines Experimentes durchgeführt werden, aus dessen Ergebnis-- und je nach Forschungsdesign-- man „durchaus auf eine Kausalbeziehung zwischen den Variablen schließen“ kann (ibid.: 224). 44783_Rohlfing_SL3a.indd 265 17.04.2019 14: 20: 47 266 12. Individuelle Unterschiede 12.3 Individuelle Unterschiede: Fünf ausgewählte Faktoren Um das Spektrum der Variabilität im Sprachverhalten aufzuzeigen, werden im Folgenden 5 Beispiele betrachtet, die die oben genannten Parameter (siehe Abb.-27) berücksichtigen. Mädchen versus Jungen Sehr naheliegend ist die Vermutung, dass sich das Sprachverhalten von Mädchen und Jungen unterscheidet. Im Spracherwerb gibt es jedoch viel mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede zwischen beiden Geschlechtern; einige Unterschiede sind zwar signifikant, jedoch klein, da die Varianz der Daten innerhalb der Gruppen verglichen mit der zwischen den Gruppen groß ist (Tenenbaum u. a., 2014). In diesem Sinne kann ein bestimmtes Mädchen in ihrer Sprachentwicklung eher einem Jungen gleichen als einem anderen Mädchen. Im frühen Spracherwerb fanden Huttenlocher und Kollegen (1993) für Englisch (USA) lernende Kinder, dass Mädchen mit 16 Monaten durchschnittlich mehr Wörter verwendeten, und sich dieser Unterschied bis zum Alter von 24 Monaten noch verstärkte. Weitere sprachübergreifende Untersuchungen konnten diesen Unterschied bestätigen und sogar auf die Verwendung von Gesten erweitern: Nach den Berichten der Eltern produzierten Mädchen nicht nur mehr Wörter als Jungen, sondern auch mehr Gesten (Tenenbaum u. a., 2014). Konsistent mit der Auffassung, dass Gesten den Grammatikerwerb fördern (siehe Kapitel- 8), zeigte sich auch, dass Mädchen früher Wörter miteinander kombinieren können als Jungen (ibid.). In einer Längsschnittstudie mit 30 Italienisch lernenden Kindern beobachteten Sansavini und Kolleginnen (2010) sowohl mehr Gesten als auch mehr objektbezogene Handlungen bei Mädchen als bei Jungen. Zudem berichteten Eltern der Stichprobe ein besseres Wortverständnis bei Mädchen. Diese Unterschiede scheinen in der frühen Kindheit und in der Interaktion mit Erwachsenen am stärksten ausgeprägt zu sein; sie verlieren sich jedoch im Laufe der Entwicklung (Tenenbaum u. a., 2014). Neurophysiologische Ansätze versuchen diese Unterschiede zu erklären, indem sie Mädchen eine schnellere semantische Verarbeitung von visueller und auditiver Information zuschreiben- - an diesen Erkenntnissen wird deutlich, dass das Geschlecht in Zusammenhang mit Problemlösungsstrategien (schnellere Semantikverarbeitung) steht. Jedoch ist unklar, ob der Unterschied in den Lösungsstrategien 44783_Rohlfing_SL3a.indd 266 17.04.2019 14: 20: 47 267 12.3 Individuelle Unterschiede: Fünf ausgewählte Faktoren biologisch oder sozial bedingt ist. Es ist plausibel anzunehmen, dass sich auch mehr Gesprächsanlässe ergeben, wenn Kinder mehr Gesten äußern. Diese Anlässe- - wenn diese vom Kind initiiert sind- - fallen anders aus als wenn eine Bezugsperson ein Thema vorgibt. Häufigere verbale Auseinandersetzung wiederum geht Hand in Hand mit mehr Erfahrung (und daher vermutlich mit einer schnelleren Verarbeitung). Eine Metastudie, in der bisherige Studien zu Geschlechterunterschieden zusammen betrachtet wurden, deckte einen Unterschied hinsichtlich des Kommunikationsstils auf. Der affiliative oder aufnehmende Stil, der vorwiegend bei Mädchen im Alter von bereits 2 bis 18 Jahren gefunden wurde, zeichnet sich dadurch aus, dass der Interaktionspartner stärker miteinbezogen wird. Unterstützend dazu wurden im Gesprächsverhalten von Jungen häufiger Behauptungen gefunden, die jedoch in Gesprächen mit Jungen untereinander stärker auffielen als in gemischten Interaktionsgruppen (Tenenbaum u. a., 2014). Das Sprechen über Emotionen nennen Tennenbaum und Kollegen (2014) als eine weitere Quelle der Geschlechterunterschiede: Das Thematisieren von Emotionen beobachtete man mehr bei zweijährigen Mädchen als bei Jungen; der Unterschied verschwand aber mit 3 Jahren. Fischer (2016) weist darauf hin, dass die Unterschiede im Input zu Mädchen und Jungen im kulturellen Kontext gesehen werden sollen. Denn nicht nur für die Kinder selbst, sondern auch für die Bezugspersonen werden Unterschiede zwischen den Geschlechtern berichtet (ibid.): Väter passen sich weniger den kognitiven und sprachlichen Besonderheiten der Kinder an und sind daher als Kommunikationspartner eine größere Herausforderung. Diese äußert sich zum Beispiel in häufigeren Gesprächsabbrüchen. Diese Herausforderung wurde als Brückenhypothese adressiert (siehe Box-83); sie beinhaltet den Grundgedanken, dass Väter mit ihrer geringen Anpassung durchaus eine Brücke zu der weiteren sozialen Umwelt für die Kinder darstellen und somit unterschiedliche Ansprüche in der Kommunikation vermitteln. Der Grundgedanke wurde durch eine Studie aus den 90er Jahren gestützt, in der Tomasello und Kollegen (1990) fanden, dass Väter anders als Mütter mit ihren Kindern interagieren. In der Tat fällt es Kindern zunächst schwer, sich gegenüber fremden Personen zu äußern, weil in solchen Gesprächen eine stärkere Kontextualisierung und Markierung (siehe Kapitel-11.7) verlangt wird. Gleason (1975) argumentiert, dass Kinder mit ihren sekundären Bezugspersonen häufiger Reparaturen (siehe Box- 75) und 44783_Rohlfing_SL3a.indd 267 17.04.2019 14: 20: 48 268 12. Individuelle Unterschiede somit eine Anpassung ihres verbalen Verhaltens an das Zuhören des Gesprächspartners erfordern. Spracherwerbstypen: analytisch versus holistisch Ein weiterer Unterschied kann am Spracherwerbsstil festgemacht werden, für den in der Literatur zwei hauptsächliche Ausprägungen berichtet werden. Diese Spracherwerbsstile fallen bereits bei den ersten verbalen Bemühungen von Kindern auf, bei denen auf verschiedenen linguistischen Ebenen Unterschiede sichtbar werden: Der referenzielle/ analytische Typ auf der einen Seite wird vom expressiven/ holistischen auf der anderen Seite unterschieden und kann auch im Hinblick auf die demografischen Variablen abgegrenzt werden. Tabelle 9 stellt die wesentlichen Unterschiede zusammen (vgl. Szagun, 2016: 173; Shore, 1995: 47). Referenzieller / analytischer Spracherwerbsstil Expressiver / holistischer Spracherwerbsstil Phonologie Konsistente Aussprache von Wörtern Hoher Grad an Verständlichkeit Variable Aussprache von Wörtern Geringer Grad an Verständlichkeit Lexik Hoher Anteil von Nomen unter den ersten 50 Wörtern Häufiger Gebrauch von Adjektiven Schneller Zuwachs des Wortschatzes Geringer Anteil von Nomen unter den ersten 50 Wörtern, stattdessen hoher Anteil von Pronomen Geringer Gebrauch von Adjektiven Langsamer Zuwachs des Wortschatzes Semantik Bedeutungsvolle Elemente Kontextunabhängiger Gebrauch von Wörtern Objektorientierte Äußerungen Häufiger Gebrauch von Füllwörtern Kontextabhängiger Gebrauch von Wörtern Personenorientierte Äußerungen Grammatik Einzelne Wörter unter den ersten verbalen Äußerungen Expansion der Nominalphrase Neue Kombinationen Gebrauch von Phrasen unter den ersten Äußerungen Expansion der Verbphrase Starre Formen Brückenhypothese (Box- 83): Da sie sich weniger an die kognitiven und sprachlichen Besonderheiten der Kinder anzupassen scheinen, könnten Väter eine Art ‚Brücke‘ zur weiteren Sprachgemeinschaft bilden (Gleason, 1975). 44783_Rohlfing_SL3a.indd 268 17.04.2019 14: 20: 48 269 12.3 Individuelle Unterschiede: Fünf ausgewählte Faktoren Pragmatik Deklarative Äußerungen Geringe Variation von Sprechakten Imperative Äußerungen Hohe Variation von Sprechakten Demographie Weibliche Sprecher Erstgeborene Hoher sozioökonomischer Status der Familie Männliche Sprecher Später Geborene Niedriger sozioökonomischer Status der Familie Tabelle 9: Unterschiede zwischen zwei Spracherwerbstypen entlang sprachlicher und sozialer Dimensionen. Als Gründe für diese Spracherwerbsstile nennt Szagun (2016) die unterschiedliche Informationsverarbeitung: Während analytische/ referenzielle Lerner den Input in einzelne Elemente zu zerlegen scheinen, deutet der Sprachstil der holistischen/ expressiven Lerner darauf hin, dass sie ganzheitlich vorgehen und Ausdrücke als komplexe Muster ausprobieren- - eine Unterscheidung, die jedoch nicht mit dem gebrauchsbasierten Ansatz zum Grammatikerwerb (siehe Kapitel- 9.4) konform geht. Nach diesem Ansatz ist das Ausprobieren komplexer Muster für alle (und nicht nur für die holistischen/ expressiven) Lerner als Erwerbsschritt relevant. In der Diskussion um die Authentizität des Phänomens wendet Shore (1995) ein, dass diese zwei Typen nicht ausreichend sind, um Unterschiede im Spracherwerb zu charakterisieren. Anstatt eines Kontrasts zwischen den zwei Ausprägungen schlägt sie vor, die zwei Stile als Dimensionen zu betrachten, entlang welcher sich Kinder im Spracherwerb bewegen können. Ganz im Sinne von Shore (1995) bietet die Forschung wenig Belege für die Gegensätzlichkeit der Stile, obwohl der Kontrast in den Erwerbsstilen in der Spracherwerbsliteratur häufig erwähnt wird. Interessant ist er dennoch, wenn es darum geht, Verbindungen zwischen dem kindlichen Spracherwerb und dem Interaktionsstil der Bezugspersonen aufzuzeigen. Eine ganze Reihe von Studien nahm die Gegensätzlichkeit der Erwerbsstile an und suchte nach einem Zusammenhang zur elterlichen Art, Interaktionen zu führen. Eine Bestätigung der Rolle des elterlichen Inputs für den Spracherwerbsverlauf diente hier als Anhaltspunkt für die Untersuchung, die zugleich auch den nativistischen Theorien des Spracherwerbs widersprechen sollte. Auch wenn generell die Rolle des elterlichen Inputs im Untersuchungsfokus stand, so nahmen die meisten Studien allerdings die Sprache der Mütter in Betracht. Die Studie von Tomasello und Todd (1983) beispielsweise fand einen Beleg für einen Zusammenhang 44783_Rohlfing_SL3a.indd 269 17.04.2019 14: 20: 48 270 12. Individuelle Unterschiede zwischen den Spracherwerbsstilen und der mütterlichen Aufmerksamkeitsregulation (siehe Box-84). Darunter ist zu verstehen, dass ein Erwachsener zum einen das vorhandene Interesse eines Kindes in seinen Diskurs einbezieht und sich dem Fokus des Kindes fügt. Zum anderen fällt unter Aufmerksamkeitsregulation „das Anleiten des Kindes, andere Entitäten und Ereignisse wahrzunehmen, d. h. wie der Erwachsene einen anderen Aufmerksamkeitsfokus beim Kind erreicht“ (Rohlfing, 2013: 133). Die Untersuchung von Tomasello und Todd (1983) zeigte, dass ein direktiver Stil der Mütter von 12 bis 13 Monate alten Kindern, die die Interaktion initiierten, um die Aufmerksamkeit des Kindes auf ein Ereignis zu lenken, nicht optimal für die gemeinsam gerichtete Aufmerksamkeit (siehe Kapitel-5) ist. Die Autoren begründeten dies damit, dass in dieser Situation das Kind erkennen muss, worauf der Erwachsene seine Aufmerksamkeit richtet (Tomasello & Todd, 1983: 200), und der Erwachsene dem Kind somit wenig entgegenkommt. Dieser direktive Stil der Mütter stand mit dem expressiven/ holistischen Erwerbsstil in Zusammenhang. Eine weitere Differenzierung der elterlichen Interaktionsstile nahmen Akhtar und Kollegen (1991) vor: Sie unterschieden zwischen dem Aufmerksamkeitsfokus und den linguistischen Eigenschaften des direktiven Kommunikationsstils. folgend nicht-folgend / führend verordnen Mach’ das darauf! Guck’ mal hierhin! beschreiben Du willst es lieber hier draufmachen. Das hier ist viel interessanter. Tabelle 10: Unterscheidung der elterlichen Interaktionsstile nach Akhtar u. a., (1991). Wie in Tabelle 10 verdeutlicht, unterschieden die Autoren, ob das Sprachverhalten der Mutter deskriptiv (bei Äußerungen, die Ereignisse beschrieben) oder präskriptiv (bei Instruktionen, die sich an das Kind richteten) war. Weiter wurde das Verhalten in aufmerksamkeitsfolgend oder -führend eingeteilt. Baute eine Mutter mit ihrem Kind beispielsweise einen Turm, so galt dabei eine Äußerung Gib’ mir den Klotz! mit Referenz auf einen Klotz, den das Kind gerade in der Hand hatte und auf den es schaute, als präskriptiv-folgend (vgl. Rohlfing, 2013: 134). Überraschenderweise korrelierten die präskriptiv-folgenden Äußerungen Aufmerksamkeitsregulation (Box-84): Eine Aufmerksamkeitsregulation findet statt, wenn ein Erwachsener mit seinem verbalen Verhalten auf den Aufmerksamkeitsfokus des Kindes eingeht. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 270 17.04.2019 14: 20: 48 271 12.3 Individuelle Unterschiede: Fünf ausgewählte Faktoren von Müttern gegenüber ihren 13 Monate alten Kindern mit dem produktiven Wortschatz des Kindes im Alter von 22 Monaten, während bei den anderen Kategorien kein Zusammenhang erkennbar war. Direktivität steht also im positiven Zusammenhang zur Sprachentwicklung, wenn diese als ein Mittel der gemeinsamen Aufmerksamkeitsbezüge eingesetzt wird. Mehr noch: Instruktionen im gemeinsamen Fokus der Aufmerksamkeit zu geben, scheint einen Beitrag zur frühen Vokabularentwicklung zu leisten. Zusammengenommen verdeutlichen die individuellen Unterschiede hinsichtlich der Spracherwerbsstile sowohl die kognitiven wie auch die sozialen Aspekte des Spracherwerbs (Shore, 1995), die für die Art, wie eine Interaktion geführt wird, relevant sind. Schüchternheit Schüchternheit ist ein Persönlichkeitsmerkmal von Menschen, die zögerlich sind, an sozialen Interaktionen teilzunehmen; der Begriff bezieht sich somit auf eine sozial-emotionale Reaktivität eines Menschen. Die meisten Kinder sind aufgrund ihres Verhaltens irgendwann im Laufe ihrer Entwicklung schüchtern, aber etwa 15 % (Spere u. a., 2008) bleiben schüchtern und weisen sowohl Zurückhaltung im allgemeinen Verhalten als auch ängstliches Verhalten in nicht-vertrauten Situationen auf. Für die Sprachentwicklung ist dieses Persönlichkeitsmerkmal insofern interessant, als die Beschreibungen „spricht nicht“ und „ruhig“, sowohl auf eine Sprachentwicklungsverzögerung als auch auf Schüchternheit hinweisen können. Daran wird deutlich, dass die Definition der Schüchternheit mit der Charakterisierung des Sprachverhaltens eng zusammenhängt. Bereits früh in der Entwicklung sind einige Unterschiede zwischen schüchternen und nicht-schüchternen Kindern zu beobachten: Schüchterne Kinder beteiligen sich weniger an Interaktionen; im ersten Lebensjahr vokalisieren sie weniger und produzieren weniger Spontansprache als im zweiten Lebensjahr; ihre Sätze weisen damit auch eine geringere Komplexität auf als die nicht-schüchterner Kinder (Rezendes u. a., 1993). In Sprachentwicklungstests (vor allem rezeptiver wie auch expressiver Wortschatz) erbringen schüchterne Kinder schlechtere Leistungen, was ihr Persönlichkeitsmerkmal als nachteilig erscheinen lässt. Verstärkt wird die nachteilige Wirkung durch ein höheres Risiko für Depressionen, das bei schüchternen Kindern konstatiert werden konnte, und durch den Eindruck weniger reifen Verhaltens. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 271 17.04.2019 14: 20: 48 272 12. Individuelle Unterschiede Spere und Kolleginnen (2008) formulierten zwei Hypothesen, die unterschiedlichen Gründen für den Zusammenhang von schlechten Leistungen im Sprachtest und Schüchternheit Platz einräumen: Die Performanz-Hypothese geht auf die Tatsache ein, dass Testsituationen der Natur der schüchternen Kinder nicht entsprechen, weshalb sie in ihnen benachteiligt sind. Sie beinhaltet die Vorhersage, dass in günstigeren Situationen die Leistungsunterschiede zwischen schüchternen und nicht-schüchternen Kindern verschwinden sollten. Die Lernmöglichkeit-Hypothese wiederum fasst die Tatsache zusammen, dass sich schüchterne Kinder weniger an Interaktionen beteiligen, wodurch sie weniger die Möglichkeit erhalten, etwas zu lernen, woraus sich wiederum ein (Sprach-)Wissensdefizit ergibt. Die Testung der Hypothesen erfolgte unter zwei Bedingungen: Kinder im Alter von 5 Jahren wurden sowohl in einer vertrauten Umgebung zu Hause, wo ihre Ängstlichkeit minimiert wurde, als auch im formellen Schulkontext untersucht. Die Forscherinnen erhoben spontansprachliche Daten und führten Sprachtests durch. Die Ausprägung der Schüchternheit hielten sie in drei Gruppen fest: schüchterne, mittel-schüchterne und nicht schüchterne Kinder. Kein Unterschied konnte zwischen schüchternen und mittel-schüchternen Kindern gefunden werden. Die Ergebnisse deckten jedoch einen Unterschied zwischen schüchternen Kindern und nicht-schüchternen Kindern in Bezug auf die Anzahl der Sätze und die Menge der Interaktionen mit Eltern auf-- beide Variablen fielen bei schüchternen Kindern geringer aus. Im Gegensatz zu den Vorhersagen der Performanzhypothese wurde bei allen Kindern ein größerer produktiver Wortschatz im Schulkontext beobachtet. Interessant war, dass die Eltern der schüchternen Kinder ebenfalls weniger sprachen als die Eltern der nicht-schüchternen Kinder. Für die schüchternen Kinder ergibt sich daraus also ein besonderes Lernumfeld, das durch geringere Interaktionsmöglichkeiten zu charakterisieren ist. Leider gibt es im frühkindlichen Bereich wenig Forschung zum Thema Schüchternheit. Eine Ausnahme bietet zum einen die Studie von Hilton und Westermann (2017), die für zweijährige Kinder zeigt, dass sie wegen ihrer Abneigung von Neuem schlechter in der Lage sind, neue Referenten mit einem Wort zu verbinden. Die Autoren vermuten jedoch, dass das Enkodieren (siehe Box-44) neuer Wörter bei schüchternen Kindern anders verläuft. Für diese Andersartigkeit spricht auch die Studie von Krause und Rohlfing (2016) mit 19 Monate alten Kindern, in der die Autorinnen herausfanden, dass schüchterne Kinder bereits im jungen Alter eher in der Lage sind, die Pers- 44783_Rohlfing_SL3a.indd 272 17.04.2019 14: 20: 48 273 12.3 Individuelle Unterschiede: Fünf ausgewählte Faktoren pektive ihres Gegenübers einzunehmen als nicht-schüchterne Kinder. Das heißt, dass schüchterne Kinder in ihrer Kommunikation deutlich stärker die Sicht des Gesprächspartners berücksichtigen und auf diese eingehen. Diese Ergebnisse bestätigen einen Zusammenhang von sozial-emotionaler Reaktivität bei jungen Kindern mit einer späteren Ausprägung ihrer Fähigkeiten im Bereich der Theory of Mind (siehe Box-85), die Mink und Kolleginnen (2014) aufdeckten. Kauschke (2012: 99) fasst zusammen, dass Kinder erst ab 12 bis 15 Monaten in der Lage sind, einen Partner als intentionales Wesen wahrzunehmen. Tomasello (2009) hingegen postuliert, dass mit der Produktion von Zeigegesten im Alter von 9 Monaten bereits ein wichtiger Meilenstein zur intentionalen Kommunikation gelegt sei, weil Kinder auf Objekte und Ereignisse zeigen, wohlwissend, dass der Partner ihre Aufmerksamkeit teilen kann. In einem Test wie der „deceptive box“ (Perner u. a., 1987) wird deutlich, wie diese Fähigkeit eingesetzt werden kann. In diesem Test kommt zunächst eine Schachtel zum Einsatz, die die Kinder eindeutig als z. B. eine Smarties-Schachtel identifizieren können. Dann wird der Inhalt dieser Schachtel vor den Augen der Kinder ausgeleert. Anstelle der Smarties werden Stifte in die Schachtel gelegt. Fragt man das Kind, was jemand in der Schachtel erwartet, wenn er sie sieht, „können Kinder im Alter von 3 Jahren nur den erworbenen Wissensstand berichten und sagen ‚Stift‘“ (Rohlfing, 2013: 117). Geburtsreihenfolge Die Geburtsreihenfolge repräsentiert hier den Parameter der kontextuellen Gegebenheiten. Demnach wird ein Kind in eine Familie hineingeboren, in der bestimmte Situationen mehr oder weniger häufig vorkommen. Bereits Lieven (1994) machte darauf aufmerksam, dass das in westlichen Kulturen häufige face-to-face-Setting in anderen Kulturen seltener ist. Dieser Unterschied zeigt sich auch bei Erstgeborenen, die eher eine face-to-face-Interaktion erfahren, im Vergleich zu beispielsweise Zweitgeborenen, die viel häufiger ein Teil polyadi- Theory of Mind (Box-85): Die Theory of Mind bezeichnet die menschliche Fähigkeit, sich in die Gedankenwelt eines anderen hineinzuversetzen. Durch das Hineinversetzen ist es möglich, mit einem Partner gewisse Absichten zu teilen oder schlicht seinen Wissensstand zu berücksichtigen. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 273 17.04.2019 14: 20: 48 274 12. Individuelle Unterschiede scher Interaktionen (siehe Box- 86) sind, an denen mehrere Personen beteiligt sind. Auch wenn die meisten Studien eine eins-zu-eins-Interaktion im Untersuchungsfokus haben, so bleibt unbestritten, dass sich die Kommunikation gravierend verändern kann, wenn mehr als zwei Personen daran beteiligt sind. Aus dieser Beteiligung mehrerer Personen ergibt sich nämlich die Notwendigkeit einer anderen Kommunikationsorganisation. In einer polyadischen Interaktion ergibt sich beispielsweise eine andere Anforderung an die körperliche Ausrichtung eigener kommunikativer Mittel (z. B. müssen Gesten für alle Personen sichtbar sein) wie auch besondere Anforderungen im Hinblick auf den eigenen verbalen Beitrag. In der Studie von Benigno und Kollegen (2007) werden solche Änderungen in der Aufmerksamkeitsorganisation sichtbar. Die Forscher untersuchten gemeinsame Aufmerksamkeitsbezüge (siehe Box- 40) in dyadischen Mutter-Kind-Interaktionen und in triadischen Mutter-Kind-Geschwisterkind-Interaktionen. Von Interesse war der Zusammenhang zwischen unterschiedlichen Arten der Aufmerksamkeitsbezüge und der Sprachentwicklung des Zielkindes. Koordinierte Aufmerksamkeitsbezüge wurden dann verzeichnet, wenn sich ein Objekt im gemeinsamen Fokus aller Kommunikationspartner befand. Zusätzlich wurde auch ein passiver Bezug festgehalten, wenn sich ein Objekt zwar in einem gemeinsamen Fokus befand, aber die Teilnehmer es nicht thematisierten. Insgesamt verweilten die Mütter in dyadischen Interaktionen länger in koordinierten gemeinsamen Aufmerksamkeitsbezügen. Diese Zeit korrelierte jedoch nicht mit der Vokabulargröße des Zielkindes (Benigno u. a., 2007). Stattdessen wiesen die Ergebnisse der Studie auf einen Zusammenhang zwischen dem koordinierten Verhalten der Mütter in triadischen Interaktionen und der Größe des Vokabulars des Zielkindes hin. Auch wenn es in einer polyadischen Interaktion eine Herausforderung ist, scheint es somit wichtig zu sein, die Aufmerksamkeit mit einem Kind zu koordinieren. In ihrem Aufsatz „Are child-directed interactions the cradle of social learning“ fassen Shneidman und Woodward (2016) bisherige Erkenntnisse zusammen und bringen sie auf zwei Faktoren: Zum einen sind nicht face-toface-Settings entscheidend, sondern die Tatsache, dass Kinder sich durch eine Dyadische vs. polyadische Interaktionen (Box- 86): Dyadische Interaktionen stellen Situationen dar, in denen zwei Personen miteinander kommunizieren. Daher bezeichnet man sie auch als face-to-face- oder einszu-eins-Settings. Im Unterschied dazu kommunizieren in einer polyadischen Interaktion mehr als zwei Personen miteinander. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 274 17.04.2019 14: 20: 48 275 12.3 Individuelle Unterschiede: Fünf ausgewählte Faktoren Bezugsperson angesprochen fühlen. Diese soziale Motivation kann allerdings durch ein face-to-face-Setting erleichtert sein. Der zweite Faktor ist die Geschichte der Interaktion, die die Kinder bereits vorweisen können. Je nach Kultur schreiben Kinder den face-to-face-Settings besondere Bedeutung zu oder sind daran gewöhnt, durch Beobachtung zu lernen. Dieses Vorgehen ist nicht angeboren, sondern basiert auf Regelmäßigkeiten in der frühen sozialen Erfahrung (ibid.: 3). Der entscheidende Punkt ist hier, dass der kindgerichtete Input (siehe Kapitel-13) nicht automatisch in bessere Lernleistung mündet, sondern von der Erfahrung und dem bisherigen Lernumfeld des Kindes abhängt. Geschwisterkinder profitieren davon, sich häufig in einer triadischen Interaktion zu befinden, in denen ihnen ein Miteinander vorgelebt wird. Es ist bekannt, dass Kinder in solchen Settings neue Wörter lernen können. Zudem demonstrierte die Forschung von Oshima-Takane, dass in triadischen Settings manche linguistischen Einheiten wie Pronomen in ihrer Bedeutung besser erkannt werden können. Infolgedessen können Geschwisterkinder früher auf sich selbst mit Pronomen referieren (Oshima-Takane, 1988). Diese Art der Settings ist auch für die Therapie von linguistischen Formen besonders interessant, die Kindern besondere Schwierigkeiten bereiten. Krause und Kolleginnen (2013) untersuchten ein Kind mit Autismus-Spektrum-Störung und zeigten, dass es von triadischen Settings aufgrund der hohen Transparenz der dialogischen Rollen profitieren konnte: Auf diese Weise lernte es die richtige Anwendung der Pronomen ich und du, die sich in einem dialogischen Setting kaum vermitteln lässt. Die Geburtsreihenfolge hat nicht nur bei Kindern Einfluss auf die Wahrnehmung der Interaktionssituation, sondern auch bei ihren Eltern. Die Untersuchung von Ikeda und Masataka (1999) deckte auf, dass Mütter, die selbst Geschwister hatten, eher zu einem kindgerichteten Interaktionsstil im Sinne von Parentese (siehe Kapitel- 13) neigten als Mütter, die Einzelkinder waren. Diese Befunde deuten darauf hin, dass Erfahrungen in der eigenen Kindheit sich auf den späteren Interaktionsstil mit Kindern niederschlagen. Sozioökonomischer Status Der sozioökonomische Status repräsentiert hier ebenfalls kontextuelle Gegebenheiten. Pace und Kollegen (2017) fassen zusammen, dass er in Verbindung mit vielen vorverbalen kommunikativen Fähigkeiten (siehe Kapitel- 5), der phonologischen Entwicklung (siehe Kapitel- 6), Wortschatz- (siehe Kapitel- 7) 44783_Rohlfing_SL3a.indd 275 17.04.2019 14: 20: 48 276 12. Individuelle Unterschiede sowie Grammatikentwicklung (siehe Kapitel-8) wie auch der Entwicklung von Erzählfähigkeiten (siehe Kapitel- 11) steht. Eine Untersuchung einer deutschsprachigen Stichprobe von Weinert und Ebert (2013) stützt diese Erkenntnisse und stellt eine Divergenz in den grammatischen Kompetenzen dreijähriger Kinder in Abhängigkeit von ihrem sozialen Hintergrund heraus. Somit zeigt dieser Parameter (siehe Box-87) starke Bezüge zu der Art, wie Interaktion geführt wird, die im Folgenden noch weiter vertieft wird.In Box-87 wird verdeutlich, dass die Messung des sozioökonomischen Status kontrovers ist. Als übliche Indikatoren, die zugleich auch in Operationalisierungen der kontextuellen Gegebenheiten einfließen, werden Einkommen, Bildungsgrad, berufliche Beschäftigung und Verbindung der Indikatoren genannt. Obwohl die Indikatoren miteinander korrelieren, beziehen sie sich auf unterschiedliche Facetten des sozioökonomischen Status. Der SES kann ein Individuum, eine Familie wie auch eine Wohngegend charakterisieren. Da Kinder erst auf dem Wege sind, einen eigenen Status zu erreichen, definieren sie sich über den SES ihrer Familie (Hackman & Farrah, 2009). In Anknüpfung an den oben erwähnten Befund, dass die Erfahrungen der Mütter, die sie als Kind gemacht haben, in Verbindung mit ihrem elterlichen Stil stehen (Ikeda & Masataka, 1999), gibt es eine Reihe von Befunden zum Verhalten der Eltern in bestimmten sozioökonomischen Kontexten. Ein Beispiel ist die Studie von Rowe und Goldin-Meadow (2009): In dieser Studie standen 45 Mutter-Kind-Dyaden im Untersuchungsfokus, und die Autorinnen analysierten den multimodalen Input, und zwar zu dem Zeitpunkt, zu dem die Kinder 14 Monate alt waren. Das jährliche Einkommen der teilnehmenden Familien, das sich durchschnittlich auf 13.361 belief, wurde als Indikator des niedrigen sozioökonomischen Status genommen. Die Analysen ergaben eine positive Korrelation zwischen der Bildung der Mutter und ihrem Verwenden von deiktischen Zeigegesten: Mütter, die eine höhere Bildung berichtet haben, gingen deutlich mehr auf das gestische Verhalten ihrer Kinder ein. Dies hatte zur Folge, dass Kinder in ihrem gestischen Verhalten motiviert wurden und selbst mehr gestikulierten. Das gestische Verhalten der Mutter gestaltete also die gesamte Interaktion. Der sozioökonomische Status (Box-87): Der Begriff (engl.: socio-economic status oder kurz SES) bezieht sich auf ein multidimensionales Konstrukt, das Messungen der ökonomischen Ressourcen in Verbindung mit sozialen Faktoren wie Armut, Prestige und hierarchischem sozialen Status bringt (Hackman & Farrah, 2009). Messungen des SES sind komplex, kontrovers und variieren je nach Land. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 276 17.04.2019 14: 20: 48 277 12.3 Individuelle Unterschiede: Fünf ausgewählte Faktoren Das kindliche Gestikulieren zu dem frühen Zeitpunkt von 14 Monaten- - wenn auch angekurbelt durch das elterliche Verhalten-- sagte sogar die Größe des Wortschatzes mit 54 Monaten vorher. Somit schnitten Kinder aus Familien mit höherem sozioökonomischem Status in ihrer Wortschatzentwicklung besser ab. In einer weiteren Studie zu niederländisch aufwachsenden Kindern haben Vanormelingen und Gillis (2016) bei Müttern aus Familien mit niedrigem sozioökonomischen Status weniger Äußerungen pro Stunde gefunden, die zudem in sich kürzer waren. Auch gingen die Mütter weniger auf ihr Kind ein und wiederholten eher die Äußerungen des Kindes, als dass sie diese sprachlich ausbauten (ibid.; siehe Kapitel-13.7 zu diesem Thema). Doch auch wenn die Forschung von Unterschieden hinsichtlich der Größe (Wortschatz) oder der Frequenz (Gesten) in Abhängigkeit vom sozioökonomischen Status der Familie berichtet, sehen Pace und Kollegen (2017) die Forschungslage als widersprüchlich, wenn es um die Auswirkungen auf die Sprachlernprozesse geht: Einerseits finden sich Befunde, die darauf hinweisen, dass das Produkt der Spracherfahrung (so wie sie sich in erworbenen Wörtern oder grammatischen Strukturen manifestiert) anders zu sehen ist als die Prozesse der Sprachverarbeitung (die Strategien des Lernens und ihre Effizienz). So sind kaum Unterschiede in der Leistung des Fast Mappings (siehe Kapitel-7) zu verzeichnen, die auf den sozioökonomischen Status zurückgehen würden. Andererseits deutet die Längsschnittstudie von Fernald und Kolleginnen (2012) auf signifikante Unterschiede in der Schnelligkeit des Sprachverarbeitens hin, die sich bei Kleinkindern aus Familien mit einem niedrigen sozioökonomischen Status bereits im Alter von 18 Monaten feststellen lassen. Verglichen mit Kindern aus Familien mit einem höheren sozioökonomischen Status wiesen diese Kinder im Alter von 24 Monaten einen Rückstand von 6 Monaten auf. Es ist plausibel anzunehmen, dass sich dieser Rückstand zu Schwierigkeiten in der Bedeutungsverarbeitung sowie zu geringerer Effizienz in der Sprachwahrnehmung ausbauen wird. Neben dem Interaktionsstil und den kindlichen Charakteristika führen auch die verfügbaren Ressourcen (wie z. B. Bücher, digitale Medien usw.) der Familien zu Unterschieden (Pace u. a., 2017). So haben Eltern von Kindern mit Sprachentwicklungstörungen weniger Bücher zu Hause als Eltern von Kindern sprachlich typisch entwickelter Kinder (Rohlfing u.a, 2017a). Solche Befunde verdeutlichen die Ausmaße des Parameters und die große Schwierigkeit, den sozioökonomischen Status direkt von anderen Parametern zu trennen. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 277 17.04.2019 14: 20: 48 278 12. Individuelle Unterschiede 12.4 Stufen oder Meilensteine der Sprachentwicklung Wie die oben ausgewählten Faktoren der Variabilität aufzeigen, sind nicht nur die intraindividuellen Besonderheiten, sondern auch die Ausführung der Interaktionen und kontextuelle Gegebenheiten (beispielsweise die soziale Umgebung) für den Verlauf der Sprachentwicklung eines Kindes von großer Relevanz. Gerade im frühkindlichen Alter sind Unterschiede in Sprachproduktion und -verständnis zwischen Kindern normal. Die Kapitel in diesem Buch zeigen zudem, dass Entwicklung nicht in klaren Stufen verläuft, sondern verschiedene für den Spracherwerb relevante Fähigkeiten miteinander vereint. Dieser Verbund von Fähigkeiten einerseits und ihre Unterstützung seitens der sozialen Umwelt in vielfältigen Situationen andererseits, treiben die Sprachentwicklung an (siehe Kapitel-1). Da der Spracherwerb die kognitive und somit auch schulische Entwicklung eines Kindes wesentlich bestimmt, gibt es Bestrebungen, den Erwerbsprozess allgemeingültig zu beschreiben, um möglichst früh besonderen Bedarf an Förderung zu erkennen. Denn je früher eine Förderung beginnt, desto vielversprechender wirkt sie sich auf den Verlauf der Sprachentwicklung aus (Buschmann u. a., 2015). Lange Zeit ging man von Entwicklungsstufen aus, die die wesentlichen Fortschritte eines Kindes zusammenfassten. Zum Beispiel befand sich das Kind in der Ein-Wort-Phase, wenn seine Äußerungen aus lediglich einem Wort bestanden. Die Definition der Stufen erfolgte anhand des Alters, d. h. jede Stufe erstreckte sich über eine bestimmte Zeitspanne. Diese Art der Betrachtung wird jedoch der individuellen Entwicklung eines Kindes nicht gerecht: Sie vermittelt den Eindruck einer einzigen Reihenfolge, in der bestimmte Fähigkeiten erworben werden, und impliziert sogar fälschlicherweise, dass die Entwicklung auf eine lineare Weise erfolgt. Inzwischen hat sich der Begriff der Meilensteine etabliert. Dieser bringt das Erreichen einer Kompetenz besser zum Ausdruck und gibt somit grobe Anhaltspunkte für alle, die in ihrer Arbeit darauf angewiesen sind, die Entwicklung eines Kindes systematisch zu betrachten. Jedem Kind wird auf diese Weise ein eigener Weg in seiner eigenen Art und Weise zugesprochen, ohne dass bestimmte Abschnitte des Weges als Stufen vorgegeben werden. Bruner fasst zusammen: It is the order of emergence that matters rather than absolute dates, for some children learn quickly and some less so, with no seeming effect on later performance. Nor is it evident that all children go through precisely the same order, for the literature on the 44783_Rohlfing_SL3a.indd 278 17.04.2019 14: 20: 48 279 12.4 Stufen oder Meilensteine der Sprachentwicklung subject and our own data suggest that order is dependent on context in some degree and reflects the individual progress of the mother-infant bond (Bruner 1978: 69). Das Konzept des Meilensteines bietet weiterhin die Möglichkeit, das Kind in seinem Entwicklungsverlauf systematisch zu betrachten. Allerdings müssen dafür die erreichten Meilensteine in unterschiedlichen Bereichen berücksichtigt werden. Das Gesamtbild ist somit komplexer als lediglich eine einfache Einstufung und wird den vielfältigen Parametern der Variabilität gerechter. Lesetipps: Einen umfassenden Einblick in die aktuelle Forschung zu individuellen Unterschieden und Sprachentwicklung bieten Kidd und Kollegen: Kidd, E., Donnelly, S., & Christiansen, M. H. (2018). Individual differences in language acquisition and processing. Trends in Cognitive Sciences, 22(2), 154-169. Über die aktuelle Forschung zu SES und Sprachentwicklung informieren Pace und Kollegen: Pace, A., Luo, R., Hirsh-Pasek, K. A., & Golinkoff, R. M. (2017). Identifying pathways between socioeconomic status and language development. Annual Review of Linguistics, 3(1), 285-308. In diesem Buch wurde darauf verzichtet, Sprachdiagnostik und -förderung gezielt anzusprechen. In einem prägnanten Aufsatz fasst Leonard die Erkenntnisse zu Sprachentwicklungsverzögerung zusammen: Leonard, L. B. (2014). Specific Language Impairment Across Languages. Child Development Perspectives, 8(1), 1-5. Zu der Thematik der Sprachdiagnostik und -förderung gibt es weiterführende Literatur bei Kauschke und Aktas: Kauschke, C. (2012). Kindlicher Spracherwerb im Deutschen. Verläufe, Forschungsmethoden, Erklärungsansätze. Berlin/ Boston: Walter de Gruyter. Aktas, M. (2012) (Hrsg.). Entwicklungsorientierte Sprachdiagnostik und -förderung bei Kindern mit geistiger Behinderung: Theorie und Praxis. München: Urban & Fischer. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 279 17.04.2019 14: 20: 48 44783_Rohlfing_SL3a.indd 280 17.04.2019 14: 20: 48 281 13.1 Methoden in der dyadischen Interaktion: Eltern-Kind-Beobachtungen 13. Multimodaler Input Im Gegensatz zu einer Interaktion unter Erwachsenen, die ihre Handlungen häufig mühelos koordinieren, zeichnet sich die Interaktion mit einem Kind durch eine gewisse Asymmetrie aus, d. h. es gibt einen kompetenten Erwachsenen und einen Lerner. Charakteristisch für solche asymmetrischen Interaktionen sind multimodale Verhaltensstrategien der kompetenten Partner, die dem Lerner angeboten werden. Papoušek (1994: 32) beschreibt diese Verhaltensstrategien als „kleine didaktische Interventionen, die die noch begrenzten kognitiven Fähigkeiten des Kindes unterstützen und im konkreten Kontext der Interaktion erweitern“. Das Kapitel geht auf ihre Lernwirksamkeit ein (z. B. inwiefern sie aufmerksamkeitslenkend sind). Dass sich die Bezugspersonen in unterschiedlichen Modalitäten des Verhaltens anpassen, wird als eine Form der Förderung diskutiert. 13.1 Methoden in der dyadischen Interaktion: Eltern-Kind- Beobachtungen Im Folgenden wird eine verhaltensbasierte Methode vorgestellt, mit der sich ein Zusammenhang zwischen dem elterlichen und dem kindlichen Verhalten festhalten lässt. Grundlage dieser Untersuchung sind Video- und Audio-Daten, die in Situationen gewonnen werden, in denen Interaktanten bei einer gemeinsamen Tätigkeit aufgezeichnet werden. Diese Aufnahmen halten das verbale (durch Audioaufnahmen) wie auch das multimodale (durch Videoaufnahmen) Verhalten der Interaktanten fest und dienen als Grundlage für weitere Kodierungen und Analysen. Zum Beispiel kann aus Videoaufnahmen die Häufigkeit der kindlichen wie auch der elterlichen Zeigegeste gewonnen werden. In einem weiteren Schritt kann dann zum Beispiel analysiert werden, ob es einen statistischen Zusammenhang zwischen den beiden Variablen (Häufigkeit der kindlichen Zeigegeste einerseits und der elterlichen Zeigegeste andererseits) gibt und wie eng dieser ist (siehe Kapitel-12.2). Daten, die zu mehreren Zeitpunkten erhoben werden, können über die Entwicklung informieren, beispielsweise: Inwiefern verändert sich die Häufigkeit der Zeigegeste im elterlichen Input, wenn 44783_Rohlfing_SL3a.indd 281 17.04.2019 14: 20: 48 282 13. Multimodaler Input die Kinder Mehr-Wort-Äußerungen produzieren (Özçalişkan & Goldin-Meadow, 2005b)? Bei dieser Art von Untersuchung liegt die Schwierigkeit allerdings darin, Ursache und Wirkung auseinanderzuhalten. Die Entscheidung, ob das Verhalten des Kindes auf das Verhalten des Elternteils zurückzuführen ist oder ob es das Verhalten der Eltern beeinflusst oder sogar ein wechselseitiger Einfluss vorliegt, kann mit dieser methodischen Herangehensweise nicht getroffen werden. Wenn eine Mutter in der Interaktion mit ihrem Kind häufig Zeigegesten ausführt, kann ihr Verhalten auf die (geringe) Aufmerksamkeit des Kindes zurückgeführt werden; genauso wahrscheinlich ist aber die Erklärung, dass sich das Kind mit seiner Aufmerksamkeit an die Besonderheit im mütterlichen Zeigeverhalten gewöhnt hat. Möglicherweise gibt es auch eine dritte Ursache, die sowohl für das Verhalten der Mutter als auch des Kindes verantwortlich ist. Unter den Situationen, in denen man Eltern und Kinder beobachtet, sind zwei pragmatische Kontexte als besonders häufig hervorzuheben, die im Folgenden näher dargestellt werden. Freies Spiel Ein freies Spiel, an dem das Kind und die Bezugsperson teilnehmen, wird häufig durch Beobachtung erforscht. Zum Beispiel führten Harris und Kollegen (1988) eine Untersuchung mit lediglich vier erstgeborenen Kindern zu mehreren Zeitpunkten durch (siehe Box-27), um herauszufinden, welche Wörter die Kinder als erste äußern. Dieser und ähnlichen Untersuchungen liegt die Annahme zugrunde, dass es sich bei den von den Forschern hergestellten Gelegenheiten um repräsentative Kontexte handelt, die den Alltag des Kindes widerspiegeln. Rohlfing (2013) weist jedoch darauf hin, dass die Objektivität (siehe Kapitel-13.2) der gemessenen Fähigkeiten bei Spielaktivitäten weniger gewährleistet ist: Im Gegensatz zu immer wiederkehrenden Kontexten, wie zum Beispiel Mahlzeiten, können Spielaktivitäten je nach kulturellem Kontext unterschiedlich bekannt sein und häufiger oder seltener praktiziert werden. Zwar werden Mütter bei solchen Beobachtungen immer instruiert, „sich so zu verhalten, wie sie das typischerweise in solch einer Situation tun würden“ (Rohlfing, 2013: 26), doch können beide Beteiligten verunsichert sein, wenn die Beschäftigung nicht alltäglich ist. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 282 17.04.2019 14: 20: 48 283 13.2 Validität, Objektivität und Reliabilität der Daten Betrachten von Bilderbüchern Kulturell noch stärker gefärbt ist der Kontext des gemeinsamen Betrachtens von Bilderbüchern, der in der Forschung ebenfalls genutzt wird, um soziale Interaktion festzuhalten. Bei dieser Situation betrachten die Beteiligten zusammen ein Bilderbuch: Sie blättern darin, referieren auf die Abbildungen mit Objekten und Ereignissen und tauschen sich über gemeinsames Wissen über die Referenten aus. Körperlich gesehen, zeichnet sich die Situation durch eine besondere Nähe beider Parner aus: Jüngere Kinder sitzen während des Vorlesens gern auf dem Schoß; auf diese Weise haben sie die gleiche Perspektive wie die erwachsene Person auf den Referenten und können auch ihre Bewegung und Emotionen spüren. Dieser pragmatische Kontext ist recht gut erforscht, was Rohlfing und Kolleginnen (im Ersch.) zusammenfassen: Diese Art der Situation scheint besonders strukturiert, gut zu wiederholen und daher für die Sprachentwicklung eines Kindes förderlich zu sein. Die gemeinsame Aktivität des Bilderbuchbetrachtens hat einen wichtigen Stellenwert für den Spracherwerb (ibid.). Die Auswirkungen des Vorlesens auf verschiedene Aspekte der frühkindlichen sowie kindlichen Sprachkompetenz und spätere Schulleistungen wurden bereits dokumentiert. Dabei scheint sowohl die Art und Weise des gemeinsamen Vorlesens als auch die Häufigkeit dieser Aktivität entscheidend zu sein (ibid.). Bemerkenswert ist, dass bereits die Jüngsten in ihrer Sprachentwicklung vom gemeinsamen Buchanschauen profitieren können. Hervorzuheben sei an dieser Stelle, dass das Verhalten der Bezugspersonen, und somit auch deren Lehrstrategien, je nach Situation stark variieren (Fischer, 2016). Die unten dargestellten Merkmale der Anpassung können sich also je nach pragmatischem Kontext anders gestalten. 13.2 Validität, Objektivität und Reliabilität der Daten Wie oben angedeutet, unterscheiden sich Beobachtungsverfahren und -situationen darin, inwiefern sie einen Alltag wiedergeben. Diese Unterschiede werden in der empirischen Forschung durch drei Hauptgütekriterien für Mess- und Analyseverfahren festgehalten: Objektivität, Validität und Reliabilität. Diese Hauptgütekriterien haben generell für die Erhebung der Daten eine hohe Bedeutung und werden im Folgenden an konkreten Kritikpunkten zu Eltern-Kind-Beobachtungen verdeutlicht. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 283 17.04.2019 14: 20: 48 284 13. Multimodaler Input Kritikpunkt: Objektivität Einige wenige Studien wurden durchgeführt, um die beiden oben skizzierten Beobachtungssituationen (freies Spiel einerseits und Betrachten von Bilderbüchern andererseits) miteinander zu vergleichen. Eine davon ist die Studie von Yont und Kolleginnen (2003), die auf das verbale Verhalten der Mütter von 12 Monate alten Kindern in diesen zwei situativen Kontexten eingeht. Durch den Vergleich deckten die Autorinnen Unterschiede in den sprachlichen Absichten, dem Vokabular und der frühen Syntax des Kindes auf, die auf die Situationen und den darin sich unterschiedlich gestaltenden Gesprächsstil der Mütter zurückzuführen sind. Diese Beobachtung legt den Schluss nahe, dass das Gestalten eines Inputs entscheidend durch die Gegebenheiten einer Situation geprägt ist und nicht generalisiert werden kann. Zu ähnlichen Schlüssen kommen Rohlfing und Kolleginnen (2015). Sie untersuchten, inwieweit das gestische Verhalten der Kinder im Alter von 14 Monaten in den zwei oben beschriebenen Situationen mit ihren späteren Sprachfähigkeiten in Zusammenhang steht. Sie deckten auf, dass zum einen die Zeigegeste in Verbindung mit verbalen Äußerungen viel häufiger in der Situation des gemeinsamen Bilderbuchbetrachtens beobachtet werden konnte. Zum anderen waren es Daten aus diesem Kontext-- und nicht dem freien Spiel -, die mit der späteren Sprachentwicklung des Kindes positiv korrelierten. Die Autorinnen beschreiben den Kontext des gemeinsamen Buchvorlesens als besonders strukturiert und daher informativ, weil er aus relativ festen Abläufen und Rollen besteht, und das Interaktionsverhalten als elizitierend, weil den Kindern eine aktive Rolle abverlangt wird. Aufgrund der situationsvergleichenden Forschung bietet sich die Schlussfolgerung an, dass die Auswahl der Situation, in der eine Interaktion beobachtet wird, von großer Bedeutung ist und sorgfältig konzipiert werden muss. Hauptgütekriterien einer empirischen Untersuchung (Box-88): Unter Objektivität wird die Unabhängigkeit der gewonnenen Daten von den Messbedingungen verstanden und somit die Generalisierbarkeit der Ergebnisse. Validität bezeichnet die Übereinstimmung einer empirischen Messung mit der Variable oder dem Konstrukt, das gemessen werden soll. Reliabilität bezieht sich auf die Zuverlässigkeit des Messinstrumentes und kann über Schwierigkeiten im Erfassen der Variable informieren. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 284 17.04.2019 14: 20: 48 285 13.2 Validität, Objektivität und Reliabilität der Daten Kritikpunkt: Validität Nicht selten wird bezweifelt, ob die Eltern-Kind-Beobachtungen, wie sie in einem Labor oder aber bei den Beteiligten zu Hause durchgeführt werden, die Natürlichkeit der Interaktion widerspiegeln. Der Einwand ist insofern berechtigt, als die Anwesenheit der Forscher und ihrer Messinstrumente (Video- und Audiorekorder) sowohl das Verhalten des Kindes als auch der Mutter beeinflussen kann. Selbst wenn die Forscher sich im Hintergrund halten, wissen die Kinder und die Eltern, dass sie unter Beobachtung stehen. Es stellt sich daher die berechtigte Frage, ob das beobachtete Verhalten der Kinder tatsächlich ihre sprachlichen Fähigkeiten widerspiegelt. Auf die Eltern bezogen kann wiederum gefragt werden, inwiefern dieses Verhalten ihrem natürlichen Interaktionsstil entspricht. Im Speziellen sind beispielsweise Zweifel berechtigt, ob ein als ‚verbaler Input‘ in solch einer Beobachtungssituation aufgezeichnetes Verhalten die Alltagswelt gut repräsentiert. Aus wissenschaftsethischen Gründen gibt es jedoch kaum andere Möglichkeiten der Beobachtung; denn es ist notwendig, dass die Personen, die unter Beobachtung stehen, in diese einwilligen. Die Frage nach der Natürlichkeit ist schwierig zu beantworten, doch ist es durchaus berechtigt anzunehmen, dass die Eltern trotz der Beobachtungssituation ihr übliches Verhalten zeigen. Die Beobachtungssituation kann vermutlich ein sozial erwünschtes Verhalten intensivieren, aber ein natürliches Verhalten nicht gänzlich verhindern. Kritikpunkt: Reliabilität Mit Bezug auf die Eltern-Kind-Beobachtungen ist auch zu hinterfragen, inwiefern die Kodierungen des Verhaltens zuverlässig und somit replizierbar sind. Zur Erhöhung der Reliabilität wird häufig ein Kodierschema für die Forscher erstellt. Zum Beispiel muss eine Geste klar definiert werden, um als solche unter vielen Variationen im Verhalten erkannt zu werden. Reliabilitätsanalysen, bei denen ein Teil (ca. 10 bis 30 %) der Kodierungen von einer zweiten Person durchgeführt wird, sind hilfreich, um aufzudecken, ob und welche Kategorien der Kodierung problematisch sind. Um die Reliabilität zu prüfen, gibt es zwei valide Vorgehensweisen. Zum einen kann die zweite Person, die einen Teil der Daten kodiert, in der Auswertungsprozedur untrainiert sein. Die Reliabilitätsberechnungen zeigen dann auf, inwiefern das Kodierschema für sich spricht. Zum anderen kann auch der Auswertungsprozedur ein Training vorausgehen. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 285 17.04.2019 14: 20: 48 286 13. Multimodaler Input Die Reliabilitätsberechnungen zeigen dann auf, inwiefern das Kodierschema für eingearbeitete Personen eine hinreichend große Übereinstimmung gewährleistet. 13.3 An das Kind gerichtete Sprache: Parentese In unserem Kulturkreis ist es ein offensichtliches Phänomen, dass Bezugspersonen ihr Verhalten gegenüber ihren Kindern modifizieren. Das bekannteste und am meisten erforschte Verhalten betrifft die lautsprachliche Modulation eines Interaktionspartners beim Ansprechen eines Kindes (siehe Box- 89). Sie berührt folgende linguistische Ebenen (vgl. auch Szagun, 2016: 232): Prosodie (höhere Tonlage, breite Tonlagekonturen, lange Pausen zwischen den Äußerungen, die Satzgrenzen markieren und langsame Sprechgeschwindigkeit), Semantik (Bezug auf die Gegenwart, inhaltliche Wiederholungen, Redundanz, geringer Abstraktionsgrad usw.) und Grammatik (geringe Menge der Wörter in einer Äußerung, einfache Sätze, viele Fragen usw.). Im Folgenden wird der aus dem Englischen übernommene Begriff parentese benutzt, weil die Bedeutung des Suffixes -ese eine Förderung der kindlichen Wahrnehmung nahelegt. Laut Forschung im Bereich der Primatologie handelt es sich bei der freiwilligen Modulation nicht um ein typisch menschliches Phänomen (Masataka, 2003). Andere Primaten wie erwachsene Japanmakaken modulieren ebenfalls ihre Gurrtöne, um bei der auditiven Lokalisierung zu helfen. Es scheint daher berechtigt, diese Art der Rufe als einen phylogenetischen Vorläufer der menschlichen Modulationen zu betrachten (Masataka, 2003). In ihrem Buch zeigt Fischer (2016) auf, dass das Phänomen der Modulation nicht nur in Interaktionen mit Kindern auftritt, sondern generell zu beobachten ist, wenn Kommunikation adressatenorientiert verläuft. Wie diese Adressatenorientierung das Wesen der Modulation speist, ist in der Forschung umstritten: Ferguson (1977) stellt parentese (siehe Box-89) als eine Art Sprechregister dar. Somit wird die Modulation unabhängig von der Beteiligung des Adressaten und nur durch seine Anwesenheit erklärt. Smith und Trainor (2008) argumentieren dagegen, und verweisen auf ihre Ergebnisse, nach denen die Tonhöhenmodulation im parentese durch die Rückmeldung des Säuglings selbst beeinflussbar ist. Lautsprachliche Modulationen (Box-89): Änderungen ihrer Lautsprache, wenn sich Bezugsperson an Kinder wenden, werden mit den Begriffen Babysprache oder kindgerichtete Sprache (engl.: motherese, parentese, child-directed speech) bezeichnet und betreffen vielfältige linguistische Ebenen. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 286 17.04.2019 14: 20: 48 287 13.3 An das Kind gerichtete Sprache: Parentese Obwohl Parentese ursprünglich vor allem durch seine Tonlage charakterisiert wurde (Fernald, 1989), deckte die Forschung weitere Parameter auf, die über die Modulation auf der prosodischen Ebene hinausgehen. Grimm (1999) fasste die Vielfalt der Parameter in Abhängigkeit vom Alter des adressierten Kindes wie folgt zusammen (vgl. Rohlfing, 2013: 129): 1. Ammensprache, die sich an Säuglinge bis zu etwa ihrem 12. Lebensmonat richtet (siehe auch Dittmann, 2010: 29 ff.). Diese Art der lautsprachlichen Modulation soll den Säugling für die Besonderheiten in der Prosodie und Phonologie der Zielsprache empfänglich machen: Charakteristisch ist eine überzogene Intonationskontur, hoher Tonfall, lange Pausen an Phrasenstrukturgrenzen und einfache Sätze (ibid.). „Mütter gebrauchen eine glockenartige Tonlage und aufsteigende Intonationskonturen, um die Aufmerksamkeit des Kindes auf sich zu lenken. Diese Phase zeichnet sich sowohl durch Wahrnehmungskontraste, die für das Lenken und Erhalten von Aufmerksamkeit nötig sind, wie auch durch perzeptuelle Kohärenz aus, die durch die Familiarisierung an wenige Sprecher entsteht“ (ibid.). Die perzeptuelle Kohärenz findet sich in Kindern wieder, die ihre Sprachwahrnehmung an ihre Bezugspersonen anpassen, was dazu führt, dass sie das Sprechen dieser Personen schnell verarbeiten können. 2. Stützende Sprache bezieht sich auf Dialogroutinen, innerhalb welcher etwa neue Wörter eingeführt werden können. Diese Dialogroutinen zeichnen sich durch feste sprachliche Strukturen aus und werden in bestimmten Kontexten eingeübt. Zum Beispiel kommen Routinen des Benennens verstärkt in Bilderbuch-Lesesituationen zum Tragen. Die Sprache ist hier insofern ‚stützend‘, als sie darauf abzielt, das Kind bei seiner Sprachproduktion aktiv zu unterstützen und zu motivieren, eine aktive Dialogrolle zu übernehmen. 3. Lehrende Sprache richtet sich an Kinder ab etwa dem 24.-27. Lebensmonat. Ziel ist es, die Morphosyntax der Zielsprache zu verdeutlichen. Zu diesem Zeitpunkt umfassen die Modulationen ganze Äußerungen, in denen eine höhere Anzahl von Nominalphrasen pro Äußerung sowie Fragen geliefert werden, um die Strukturprinzipien hervorzuheben. Die Forschung zum verbalen Input deckte aber auch diskursive Besonderheiten der elterlichen Sprache auf: Ein vorteilhafter Sprachentwicklungsverlauf des Kindes, insbesondere ein vielfältiges Vokabular, scheint mit der Fähigkeit der Bezugspersonen zusammenzuhängen, sich von einem unmittelbar wahrzunehmenden Gegenstand durch Erzählungen und Erklärungen loszulösen (Rowe, 2012; siehe Box-90). Während Rowe (2012) diese Art des Sprechens zu Kin- 44783_Rohlfing_SL3a.indd 287 17.04.2019 14: 20: 48 288 13. Multimodaler Input dern im Alter von 18 Monaten feststellt, finden Nomikou und Kolleginnen (2017), dass bereits die Sprache zu 6 Monate alten Säuglingen zum Teil dekontextualisiert ist und diese Art des Sprechens mit dem späteren Wortschatz der Kinder signifikant zusammenhängt. Parentese ist als Verhaltensmodifikation insofern erfolgreich, als Kinder sich durch diese Art der Interaktion eher angesprochen fühlen und sie vorziehen, wenn sie zwischen einer angepassten und nicht-angepassten Interaktion wählen können (Fernald, 1985; Cooper & Aslin, 1990). Offensichtlich passt sich parentese in vieler Hinsicht an die Wahrnehmungsfähigkeiten und -empfindlichkeiten der Kinder an (Snow, 1977a). In der Wissenschaft unentschieden ist dagegen die Diskussion, ob Kinder parentese für den Spracherwerb benötigen. Denn aus kulturvergleichenden Studien geht hervor, dass es nicht in jedem Kulturkreis üblich ist, in Interaktion mit einem Kind parentese einzusetzen. Ingram (1995) argumentiert, dass es sich bei parentese um eine Art Sprechkonvention handelt, in der kulturelle Regeln vermittelt werden. Diese Richtung bekräftigend fanden Ikeda und Masataka (1999) bei japanischen Müttern, die selbst Einzelkinder waren, weniger Modulation in der Tonhöhe in der Interaktion mit ihren Kindern als bei Müttern, die mit einem oder mehreren Geschwistern aufwuchsen. Es scheint also, dass das Umfeld und die Vorbilder für die Ausführung adressatenorientierten Sprechens entscheidend sind. Während die bisherige Darstellung auf den Zusammenhang mit späterer Sprachentwicklung einging, beziehen sich neuere Studien auf die Geschwindigkeit der Sprachverarbeitung bei Kindern, die viel parentese erfahren. Diese decken einen positiven Zusammenhang auf zwischen der Art, wie Mütter mit ihren Kindern kommunizieren, und der Geschwindigkeit, mit der die Kinder gehörte Sprache verarbeiten: Kinder, die mehr parentese mit 19 Monaten erfuhren, waren schneller in der Verarbeitung von Lautsprache und hatten einen größeren Wortschatz im Alter von 24 Monaten als Kinder, deren Mütter weniger parentese verwendeten (Weisleder & Fernald, 2013; siehe Kapitel-12). Über den Zusammenhang mit Sprachentwicklung hinaus, birgt die Verwendung von parentese auch weitere Vorteile: Sie reguliert Emotionen (Monnot, 1999; Masataka, 2004) und schafft soziale Nähe (Snow, 1977b). Shneidman und Woodward Dekontextualisierte Sprache (Box-90): Sprache wird dann dekontextualisiert, wenn sie sich vom unmittelbaren Hier und Jetzt loslöst, indem mit Erklärungen oder Erzählungen auf andere (vorgestellte, in der Vergangenheit erlebte oder in der Zukunft liegenden) Ereignisse und/ oder Objekte verwiesen wird. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 288 17.04.2019 14: 20: 49 289 13.4 An das Kind gerichtete Gestik: Gesturese (2016) bringen diese Vorteile zusammen und argumentieren neuerdings, durch parentese sei für Kinder die soziale Motivation zum Lernen erhöht. Auf die Frage, warum Kinder auf eine Interaktion mit Modulationen, zum Beispiel in Form von parentese ansprechen, bietet die Forschung zwei Antworten, die aufeinander aufbauen (vgl. Rohlfing, 2013: 130 f.): Einige Studien belegen, dass das Wahrnehmungssystem der Kinder durch die lautsprachlichen Modulationen gezielt angesprochen wird. Diese Präferenz für parentese tritt selbst bei Kindern auf, deren Eltern nicht hören können und deshalb auch keine lautsprachliche Modulation verwenden (Masataka, 2003). Dieser Befund aus der besonderen Gruppe der Eltern, die keine lautsprachliche Modulation verwenden, deutet auf eine angeborene Präferenz hin. Csibra und Gergely (2006) gehen noch einen Schritt weiter und argumentieren, dass Kinder auf diese Weise merken, wenn sie angesprochen und ‚belehrt‘ werden: Durch die Anknüpfung an die Wahrnehmung der sozialen Signale signalisiert die angepasste Sprache dem Kind, dass der Partner einen Lerninhalt vermitteln möchte (siehe Box-16 und Box-94) Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass parentese als eine Art des lautsprachlichen Verhaltens gegenüber Kindern von Kindern selbst favorisiert wird, weil dieser Sprachstil sie als einen Interaktionspartner aktiviert und engagiert. Zugleich hat das lautsprachliche Mitteilen eines Individuums in unserer Gesellschaft einen hohen Wert, sodass von Kindern dieses Mitteilen früh in der Entwicklung eingefordert, und mithilfe von parentese erfolgreich verwirklicht wird. Auf diese Weise erfolgt eine Förderung der kindlichen Kommunikationsfähigkeit. 13.4 An das Kind gerichtete Gestik: Gesturese Wie bereits in Kapitel-5 eingeführt, gibt es nicht nur verbale Mittel, Kinder in eine Interaktion einzubinden. Dementsprechend lassen sich die in der lautsprachlichen parentese beobachteten Verhaltensmodifikationen auch auf der Ebene der Gestik finden. Sie werden mit dem Begriff gestural motherese zusammengefasst (Iverson u. a., 1999: 57); dieser umfasst Anpassungen an die Fähigkeiten der Kinder, die sich in der Gestenausführung der Bezugspersonen beobachten lassen (siehe Box- 44). Zusätzlich zu den in Box- 90 berichteten Anpassungen ist aus Studien mit Kindern mit Down-Syndrom bekannt (Iverson u. a., 2006), dass sich im gesturese die Gestikdauer verändern kann: Statt einen kurzen Ausschlag vorzuweisen, wird die deiktische Geste während 44783_Rohlfing_SL3a.indd 289 17.04.2019 14: 20: 49 290 13. Multimodaler Input einer kompletten Äußerung ausgeführt, vermutlich um ihre Sichtbarkeit zu erhöhen. Die Parameter der gestischen Anpassung standen im Untersuchungsfokus der Arbeit von Grimminger und Kolleginnen (2010). Da Gesten das Gesagte unterstützen können (siehe Box-49), liegt die Vermutung nahe, dass es sich bei der gestischen Anpassung um eine ‚Visualisierungshilfe‘ handelt, die dann geleistet wird, wenn beim Partner Schwierigkeiten sichtbar werden. Neben der Erklärung, gestural motherese entstehe, wenn Kinder angesprochen werden, zogen die Autorinnen deshalb auch noch eine weitere Erklärung in Erwägung, nämlich, dass es sich bei gestural motherese um eine interaktive Anpassung an den Gesprächspartner handelt. Diese zwei Erklärungen spiegelten sich in den berücksichtigten Einflussfaktoren wider: Zum einen wurde in dieser Studie der Schwierigkeitsgrad einer Aufgabe variiert, die die Bezugspersonen den Kindern stellten. Sollte es sich bei gestural motherese um eine Anpassung an den Gesprächspartner handeln, so müsste diese dann stärker zum Ausdruck kommen, wenn der Partner Schwierigkeiten in Aufgaben zeigt. Zum anderen wurde die Gruppe typisch entwickelter Kinder mit Kindern, die in ihrer Sprachentwicklung verzögert waren, verglichen. Handelt es sich bei Gestural Motherese um eine Art des Kommunizierens mit Kindern im Allgemeinen, sollten keine Unterschiede zwischen den Gruppen und auch nicht zwischen den unterschiedlich schweren Aufgaben zum Vorschein kommen. Als Ergebnis der Studie war sowohl ein genereller Unterschied zwischen den Gruppen als auch einer in dem gestischen Verhalten in leichteren versus schwierigen Aufgaben zu verzeichnen. Die Mütter der Kinder mit verzögerter Sprachentwicklung machten mehr von ihren deiktischen und ikonischen Gesten Gebrauch als Mütter sprachtypischer Kinder. Mütter beider Gruppen synchronisierten ihr gestisches Verhalten so, dass es die Lautsprache verstärkte. Im Hinblick auf die Unterschiede zwischen den Aufgaben gestikulierten Mütter beider Gruppen mehr bei den schwierigen Aufgaben. Insgesamt zeichnen die Ergebnisse ein recht komplexes Bild von gestural motherese: Zum einen spricht der Unterschied zwischen den Gruppen in der Häufigkeit der verwendeten Gesten dafür, dass gestural motherese eine Anpassung an die sprachlichen Fähigkeiten der Kinder darstellt; zum anderen jedoch, und aufgrund Gestische Modulationen (Box-91): Bezugspersonen passen sich in ihrer Gestik (engl.: gestural motherese oder gesturese) sowohl an die sprachlichen und kognitiven Fähigkeiten der Kinder, als auch den Schwierigkeitsgrad der vorliegenden Aufgabe an. Die Anpassungen äußern sich durch weniger und konkretere Gesten, die die verbalen Äußerungen verstärken (siehe Box-49). 44783_Rohlfing_SL3a.indd 290 17.04.2019 14: 20: 49 291 13.5 An das Kind gerichtete Bewegung: Motionese des generellen Unterschiedes in der Aufgabenschwierigkeit, scheint gestural motherese die Anstrengung widerzuspiegeln, sich unabhängig von den sprachlichen Fähigkeiten des Partners um den Erfolg einer Interaktion in schwierigen Aufgaben zu bemühen. Im Unterschied zur lautsprachlichen parentese scheint gestural motherese weniger auf die syntaktischen Fähigkeiten der Kinder abgestimmt zu sein. Diesen Gedanken lassen zumindest die Studienergebnisse von Özçalişkan & Goldin-Meadow (2005) zu. In dieser Studie stellten sich die Autorinnen die Frage, ob die Tatsache, dass Kinder immer mehr komplexe multimodale (Gesten-Lautsprach-Kombinationen) benutzen, auch darin zu begründen ist, dass ihre Eltern ihre Gestenausführung modifizieren und somit ein kommunikatives Verhalten vorgeben. Dafür wurden Mütter und ihre Kinder im Alter von 14, 18 und 22 Monaten untersucht-- ein Alter, in dem erste Schritte in Richtung Syntax zu verzeichnen sind (siehe Kapitel- 8). Während auch in dieser Studie Kinder zu zunehmend komplexen multimodalen Äußerungen in der Lage waren, veränderte sich das Verhalten der Mütter kaum. Die Autorinnen schließen daraus, dass die dynamische Beziehung zwischen Lautsprache und Gesten bei jungen Kindern nicht auf den gestischen Input zurückzuführen ist. 13.5 An das Kind gerichtete Bewegung: Motionese Man könnte argumentieren, Anpassungen an die Fähigkeiten der Kinder wären nur den expliziten kommunikativen Mitteln, wie Lautsprache und Gesten, vorbehalten. Doch sind unterschiedliche Formen von Armbewegungen, beispielsweise um Objekte in ihrer Funktion zu demonstrieren oder um auf diese aufmerksam zu machen, davon nicht ausgenommen: Brand und Kolleginnen (2002: 73) untersuchten Eltern, die sowohl ihren Kindern wie auch anderen Erwachsenen Handlungen mit neuen Objekten demonstrierten und identifizierten Modifikationen in der Ausführung von Armbewegungen als motionese (siehe Box-92). Rohlfing und Kollegen (Rohlfing u. a., 2006; Rohlfing u. a., eingereicht) konnten aufgrund eines direkten Vergleichs der Interaktionen mit Kindern im Alter von 8 bis 11 Monaten mit Interaktionen mit Erwachsenen die Parameter von motionese festhalten: ▶ die Rundheit (engl.: roundness), d. h. Bewegungen sind weniger rund, wenn Kinder adressiert werden); ▶ Ausführungsbereich (engl.: range), d. h. wenn Kinder adressiert werden, folgen die Bewegungen einem kürzeren Pfad; 44783_Rohlfing_SL3a.indd 291 17.04.2019 14: 20: 49 292 13. Multimodaler Input ▶ Bewegungslänge mit kürzeren Bewegungen in Interaktion mit Kindern; ▶ Schnelligkeit und Beschleunigung der Bewegung mit langsamer Ausführung für die Kinder; ▶ Pausen (engl.: motion pauses) zwischen den einzelnen Bewegungsschritten, die sich häufen und in einer Interaktion mit Kindern länger dauern. Bei sehr speziellen Aufgaben-- wenn die Mütter ihren Kindern Objektnamen beibringen sollten-- beobachteten Gogate und Kollegen (2000) eine enge zeitliche Kopplung zwischen dem neuen Wort und der Demonstrationsbewegung (das Objekt wird hochgehalten und zum Kind hinbewegt), auf die bei älteren Kindern (ab dem 21. Lebensmonat) zunehmend verzichtet wurde (siehe auch Kapitel-4.5). Nachdem eindeutige Parameter der Modifikationen identifiziert worden sind, stellt sich- - ähnlich zu den anderen Modalitäten- - die Frage, was ihre Funktion sein könnte. Eine Studie von Brand und Shallcross (2008) hält zunächst fest, dass Kinder im Alter von 6 bis 11 Monaten diese Modifizierungen bevorzugen. Diese Vorliebe lässt eine Parallele zum parentese vermuten: Die Modifikationen in der Bewegungsausführung sollen den Kindern helfen, eine Struktur in der Handlung zu entdecken und die wesentlichen Aspekte des Signals wahrzunehmen. Bei Rohlfing und Kollegen (eingereicht), in deren Studien unterschiedliche Altersgruppen von Kindern berücksichtigt wurden, deuten die Ergebnisse jedoch darauf hin, dass unterschiedliche Parameter auf unterschiedliche Wirkung abzielen. Speziell sind die Parameter Bewegungslänge, Rundheit und Ausführungsbereich (siehe Box-92) in Interaktionen mit jüngeren Kindern auffällig. Dagegen sind Parameter wie Pausen, Beschleunigung und Schnelligkeit in Interaktionen mit Kindern aller Altersgruppen von 8 bis 30 Monaten besonders ausgeprägt. Eine mögliche Erklärung für diese Unterschiede ist ein unterschiedlicher Beitrag zum Handlungsverstehen: Während die Parameter, die in der Interaktion mit jüngeren Kindern eingesetzt werden, dafür sorgen, dass die Wahrnehmung einzelner Handlungsschritte unterstützt wird, könnten die anderen Parameter die Struktur der Handlung hervorheben. Zum Beispiel werden Teilhandlungen durch Pausen getrennt- - eine Beobachtung, die sich machen lässt, wenn Zwischenziele einer Handlung erreicht werden. Für diese Modulationen in der Bewegungsausführung (Box-92): Als Parameter der Modifikationen in der Ausführung einer Armbewegung um eine Handlung zu demonstrieren (engl. motionese) können Rundheit, Ausführungsbereich, Bewegungslänge, Schnelligkeit und Pausen festgehalten werden. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 292 17.04.2019 14: 20: 49 293 13.6 Lehr- und Lernstrategien Unterscheidung spricht auch die Tatsache, dass Eltern beispielsweise die Rundheit und den Ausführungsbereich dann modifizieren, wenn die Aufmerksamkeit junger Kinder von der Demonstration abdriftet (Pitsch u. a., 2014). Eine weitere Erklärung ist, dass sich mit zunehmendem Alter bestimmte Parameter durch Sprache ‚ersetzen‘ lassen. Zum Beispiel kann dann die Aufmerksamkeit in verbaler Form herbeigeführt werden. Weitere Studien wie die von Fukuyama und Kollegen (2014) verweisen auf den interaktiven Effekt der Modifikationen, die nicht lediglich abgespult werden, sondern eng mit dem Verhalten des Kindes zusammenhängen. Je nachdem, inwieweit das Kind im Anschluss an die Demonstration in der Lage ist, die Handlungen mit dem Objekt zu reproduzieren, verändern Eltern ihre weiteren Demonstrationen. Auch hier ist also die Mitwirkung des Addressaten für die Modifikationen mitverantwortlich. In eine ähnliche Richtung gehen die Befunde von Koterba und Iverson (2009), die aufzeigen, dass je nach Art der Demonstration 8 bis 10 Monate alte Kinder die Objekte unterschiedlich manipulierten und erkundeten. Während dieser Untersuchung wurde Kindern zunächst eine Handlung demonstriert. Danach durften die Kinder das demonstrierte Objekt selbst in die Hand nehmen und erkunden. Die Analysen ergaben, dass diejenigen Kinder, denen eine nicht-modifizierte Handlung demonstriert wurde, die vorgeführten Bewegungen am kürzesten anschauten. Bestand die Demonstration aus mehreren Wiederholungen, neigten die Kinder dazu, das Objekt zu schütteln oder damit zu klopfen. Wenige Wiederholungen einer Handlung in der Demonstration führten wiederum zu signifikant häufigerem Drehen der Objekte. Wichtig für die Betrachtung ist hier der Punkt, dass die Analyse der Modifikation allein wenig zielführend ist. Erst das Miteinander und die Art, wie sich die Interaktion entfaltet (damit ist das Eingehen der Kinder auf die Demonstration und das anschließende Eingehen der Bezugspersonen auf das Können der Kinder gemeint), informieren über die Funktion von motionese. 13.6 Lehr- und Lernstrategien Die oben dargestellten Modifikationen im Verhalten der Bezugspersonen lassen vermuten, dass durch sie dem Lerner Hilfe angeboten wird, bestimmte Aspekte des Lernsignals wahrzunehmen (Sterelny, 2012). Ob Sprache, Gesten oder Armbewegungen-- Modifikationen in verschiedenen Modalitäten können als eine Art Hilfe interpretiert werden. Deswegen werden sie Eltern und pädagogischen Kräften auch als solide Basis für Lernprozesse empfohlen. Papoušek 44783_Rohlfing_SL3a.indd 293 17.04.2019 14: 20: 49 294 13. Multimodaler Input (1994: 32) bezeichnet die Interaktion zwischen dem Lerner und der Bezugsperson als das primäre didaktische System. Es besteht aus elterlichen Anpassungen, die „das prozedurale Erlernen und praktische Einüben von heranreifenden integrativen und kommunikativen Fähigkeiten ermöglichen und es auf wirksame Weise unterstützen“ (Rohlfing, 2013: 125). Allerdings ist es für das erfolgreiche Lernen essenziell, die Unterstützung stets an die Fähigkeiten der Kinder anzupassen. Laut Wood und Kollegen (1976) ist für eine Anpassung und Unterstützung beides wichtig: zum einen das Wissen über die zu verrichtenden Aufgaben, zum anderen die Performanz seitens des Lerners. Beide Quellen können über die Angemessenheit der Anpassung und den nächsten Lernschritt informieren. Sie sind der Kern einer erfolgreichen Lernförderung; dies kommt mit dem Konzept der Zone der proximalen Entwicklung (Vygotsky, 1978) zum Ausdruck (siehe Box-93). In der Zone der soeben in Entwicklung begriffenen Fähigkeiten können Kinder über die Grenzen ihrer bereits existierenden individuellen Kompetenzen hinaus handeln, wenn sie von einem erfahrenen Erwachsenen unterstützt werden. So werden Kinder befähigt, sich mit fortgeschritteneren Problemen auseinanderzusetzen, als ihnen ihre Fähigkeiten ohne solche Unterstützung erlauben würden. Im Rahmen solcher Interaktionen üben sie neue Fähigkeiten ein, die sie internalisieren und später auch unabhängig einsetzen können […] (Papoušek, 1994: 32). Wie oben bei der Darstellung multimodaler Anpassung der Eltern verdeutlicht, werden die in der intuitiven kommunikativen Didaktik (Papoušek, 1994: 32) verwendeten Mittel zunehmend untersucht. Dabei stehen soziale Signale im Untersuchungsfokus (siehe Box- 16). Um diese zu bestimmen, werden auffällige Verhaltenseinheiten einer sozialen Interaktion herausisoliert und auf ihre Wirkung hin untersucht. Beispielsweise dient eine Zeigegeste dazu, den Aufmerksamkeitsfokus des Partners (z. B. in die Richtung der Zeigegeste zu schauen) zu lenken, und gilt daher auch als ein Achtungssignal. Im Ansatz der Natürlichen Pädagogik (engl.: Natural Pedagogy) vertreten Csibra und Gergely (2009) die Meinung, dass die intuitiven didaktischen Bemühungen der Eltern kognitive Mechanismen des Kindes ansprechen und deswegen eine „schnelle Vermittlung des kulturellen Zone der proximalen Entwicklung (Box- 93): Der Begriff der Zone der proximalen Entwicklung (engl.: zone of proximal development) geht auf Vygotsky (1978: 84 ff.) zurück und bezieht sich auf einen Bereich, in dem Kinder mit Unterstützung eines Partners lernen können. Mithilfe des Könnens, das der Lerner demonstriert und des Wissens über die weiteren Lernschritte kann diese Zone bestimmt werden. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 294 17.04.2019 14: 20: 49 295 13.6 Lehr- und Lernstrategien Wissens durch Kommunikation ermöglichen“ (Rohlfing, 2013: 125). Beispielsweise signalisiert die angepasste Sprache in Form von parentese einem Kind, sein sozialer Partner möchte einen Lerninhalt vermitteln (siehe Box-94; Csibra & Gergely, 2006). Die Funktion des ostensiven Signals in Form von Lautsprachmodulation oder einer Ansprache ist also, in Kindern die Lernbereitschaft zu wecken. Bei Benennungen äußert sich diese Lernbereitschaft durch die kindliche Erwartung, das neue Wort beziehe sich auf einen Gegenstand und sei auf andere generalisierbar. Diese Erwartung ist somit ganz konkret referenzieller Art (Gliga & Csibra, 2009). Den sozialen Signalen wird also eine ostensive Wirkung zugesprochen, die Hand in Hand mit Lernbereitschaft geht. Die Wirkung von ostensiven Signalen, die eine Lernbereitschaft auslösen, adressierte die Studie von Senju und Csibra (2008). Die Autoren zeigten, dass Kinder im Alter von 6 Monaten nur dann einer Blickbewegung auf einen Referenten folgten, wenn sie vorher direkt angeschaut oder mit ihrem Namen angesprochen wurden. Das ostensive Signal (das Ansprechen oder die lautsprachliche Modulation) löst somit die Lernbereitschaft im Lerner aus und verursacht eine bestimmte Erwartung-- hier referenzieller Art (siehe Box-94). In anderen Worten: Der Lerner erwartet, dass er auf ein Objekt oder Ereignis hingewiesen wird. Es ist umstritten, ob die Wirkung eines sozialen Signals angeboren oder angelernt ist. Einige Autoren verlassen sich weniger auf die angeborenen Fähigkeiten des Kindes und schlagen vor, Kinder würden auf die Vermittlung des kulturellen Wissens vorbereitet, indem ihre Bezugspersonen sie in frühen Interaktionen an Strategien des Lernens heranführen. Dieser Grundgedanke ist bereits in Kapitel-4.4 als „unterstützte Imitation“ wiederzufinden. Unter Bezug auf Zukow-Goldring (1996; 2006) wird dort argumentiert, dass die Schulung der Wahrnehmung eines Lerners hinsichtlich der elterlichen Strategien eine Voraussetzung dafür ist, dass Kommunikation zum Gelingen einer Handlung führt. Wie bereits in Rohlfing (2013) aufgezeigt, haben neben Zukow-Goldring auch andere Autoren auf die Notwendigkeit hingewiesen, die Aufmerksamkeit des Lerners zu sozialisieren (Call & Carpenter, 2002), um Strategien des Lenkens zu etablieren. Ohne das Lenken wären Kinder nicht in der Lage, spezielle Handlungen aufzugreifen (siehe Kapitel-4.4). Lernbereitschaft (Box-94): Im Rahmen der Theorie der Natürlichen Pädagogik (engl.: Natural Pedagogy) nehmen Csibra und Gergely (2006) einen kognitiven Zustand (engl.: pedagogical stance) an, der ein Kind dazu befähigt, kommunikative Signale als Lernhinweise zu interpretieren und Informationen bestimmter Art zu erwarten (engl.: referential expectation). 44783_Rohlfing_SL3a.indd 295 17.04.2019 14: 20: 49 296 13. Multimodaler Input Doch es gibt Alternativen zu dieser Sozialisierung der Aufmerksamkeit. Diese gehen mit einer anderen Art des Lernens einher, die Sterelny (2012) als ‚Lehre‘ (engl.: apprentice learning) beschreibt. Der Unterschied in dieser Art des Lernens liegt darin, dass die soziale Umwelt sich weniger auf die Lerner einstellt und sie nicht direkt durch Anweisungen leitet; die Lernumgebung an sich bietet davon unbenommen umfangreiche Ressourcen und viele Möglichkeiten an, Ausführungen von bestimmten Handlungen zu beobachten. Auch in dieser ‚unangepassten‘ Umwelt finden die erst reifenden Fähigkeiten der Lerner eine Berücksichtigung: Zunächst gehen die Lerner einfacheren Aufgaben nach, um dann komplexere Aufgaben erledigen zu können. Dementsprechend steht bei dieser Lernart weniger das Nachvollziehen einer Handlung als ihre Vorbereitung durch einzelne Lernschritte im Vordergrund (Sterelny, 2012). Die Betrachtung der unterschiedlichen Perspektiven auf Lehr- und Lernprozesse sensibilisiert dafür, dass sich die Beschreibung und Nutzung der Modifikationsparameter (parentese, gesturese, motionese) nicht von Theorie ‚befreien‘ kann; sie ist immer durch theoretische Annahmen, wie die Lernschritte unterstützt werden können, geprägt. Während die Unterstützung der Aufmerksamkeit durch ostensive Signale der Richtung der Natural Pedagogy folgt, geht die Handlungsstrukturierung in Teilhandlungen in die Richtung des erleichternden Lernens (Rohlfing u. a., eingereicht). 13.7 Sozioökonomischer Status der Familie Bei der Darstellung von parentese wurde der Gedanke angebracht, dass sich das elterliche Verhalten- - häufig als „intuitiv“ bezeichnet (Papoušek, 1994: 32)- - durchaus an Vorbildern aus der Gemeinschaft orientieren kann (Ikeda & Masataka, 1999). Daher ist es interessant, der Frage nachzugehen, inwieweit die sozioökonomische Umwelt-- und somit unterschiedliche Vorbilder-- einen Einfluss auf das verbale und nonverbale Verhalten der Bezugspersonen gegenüber ihren Kindern hat. Der Begriff und der Zusammenhang mit dem Verlauf der Sprachentwicklung wurden bereits in Kapitel-12 eingeführt (siehe Box-87). In der Tat gibt es eine Reihe von Studien, in denen disparate Entwicklungsverläufe in verschiedenen Bereichen der Sprache auf den sozioökonomischen Status der Familie zurückgeführt werden. Für die deutsche Sprache fassen Weinert und Ebert (2013: 307) die Befunde für die Wortschatzentwicklung zusammen: „Mit drei Jahren verfügen Kinder aus Familien mit höherem SES über doppelt so viele Wörter wie jene aus Familien mit niedrigerem SES“. Kin- 44783_Rohlfing_SL3a.indd 296 17.04.2019 14: 20: 49 297 13.7 Sozioökonomischer Status der Familie der aus Familien mit höherem SES äußern auch grammatikalisch komplexere Sätze früher und häufiger als ihre Gleichaltrigen aus Familien mit niedrigem SES. Auf der Grundlage deutschsprachiger Daten fanden die Autorinnen selbst heraus, dass bereits im Alter von drei Jahren substanzielle Disparitäten zwischen den Kindern aus unterschiedlichen sozialen Hintergründen auch in den grammatischen Kompetenzen zu verzeichnen sind. Alarmierende Befunde mit der Aussage, dass Kinder aus benachteiligten sozialen Hintergründen einem besonderen Risiko unterliegen, Sprachentwicklungsverzögerungen und Leseschwierigkeiten zu erfahren (Topping u. a., 2011; Weinert & Ebert, 2013), motivieren die aktuelle Forschung zu der Suche nach Wegen, Kinder aus Familien mit niedrigem sozioökonomischen Status in ihrer Sprachentwicklung zu fördern. 2012 veröffentlichte Rowe Erkenntnisse zum Wortschatzerwerb aus einer Längsschnittstudie mit 50 US-amerikanischen Familien. Sie deckte auf, dass die Quantität des Inputs allein die langjährige Sprachentwicklung nicht erklären konnte. Die Menge des verbalen Inputs im zweiten Lebensjahr eines Kindes, aber auch die Diversität des Vokabulars im dritten Lebensjahr und die Loslösung vom Hier und Jetzt (siehe Kapitel-11 und Box-90) durch Erzählungen und Erklärungen im vierten Lebensjahr standen allerdings in engem Zusammenhang mit vorteilhafter Sprachentwicklung. Nach diesen Ergebnissen ist es also weniger der sozioökonomische Status der Familie als der Konversationsstil, der zwischen Eltern und Kindern gepflegt wird. Es gibt daher einige Bemühungen, Eltern auf die vorteilhaften Merkmale eines Konversationsstils hinzuweisen und den Stil einzuüben. Unglücklicherweise zeigt sich in einigen Studien, dass Kinder aus Familien mit niedrigem SES wenig von üblichen Interventionen wie der Anregung, gemeinsam Bücher vorzulesen, profitieren. Die Erklärung knüpft an die im Methodenteil dargestellten Problematiken an: Häufig sind Anregungen an Aktivitäten geknüpft, die im Alltag selbst kaum vorkommen. Eine aktuelle Studie von Hirsh-Pasek und Kollegen (2015) argumentiert daher, dass bei dieser Gruppe von Kindern die Grundfähigkeiten in Gesprächen gestärkt werden müssen. Sie postulieren dafür, die elterliche Unterstützung, und somit den multimodalen Input, als kommunikative Basis anzusehen und gezielt zu betrachten. Im Rahmen der Überlegungen dazu, wie Eltern in ihrem multimodalen Input gefördert werden können, entstand eine recht innovative Methode (Ridge u. a., 2015), die direkt auf die Alltagsaktivitäten der Eltern zielt: Am Eingang eines Supermarktes in einer Gegend, in der viele Familien mit niedrigem SES lebten, wurden Schilder aufgehängt, die die Bezugspersonen zur Interaktion mit 44783_Rohlfing_SL3a.indd 297 17.04.2019 14: 20: 49 298 13. Multimodaler Input ihrem Kind aufriefen: „Talking to your child helps their language grow! [Rede mit deinem Kind, und seine Sprache wird wachsen! ]“ (ibid. 130). Zwei weitere Schilder wurden zum einen in der Nähe der Milchprodukte und zum anderen beim gefrorenen Gemüse aufgehängt; auf diesen waren konkrete Vorschläge zu lesen, wie Frage dein Kind: Woher kommt die Milch? oder Frage dein Kind: Was für Gemüse magst du essen? (ibid.). Die Autorinnen untersuchten, inwiefern diese Schilder Anregungen für Gesprächsanlässe zwischen Bezugsperson und Kind gaben. Die Ergebnisse dieser Studie belegen ihre positive Wirkung. Somit regt diese Studie die Forschung dazu an, Familien in ihren Alltagspraktiken zu erreichen, in denen sie leichter von direkten und situational platzierten Anregungen zu Gesprächsanlässen profitieren können. 13.8 Interaktives Eingehen: Ko-Konstruktion Oben wurden Modifikationen in verschiedenen Modalitäten erläutert, mit denen Bezugspersonen ihren Kindern in Interaktionen begegnen. Sie sind zwar ein Ausdruck einer asymmetrischen Interaktion, stellen aber lediglich eine Seite der Adressatenorientierung dar (Fischer, 2016). Die Betrachtung der Ansätze zu Lehrstrategien ergab, dass der Kern einer erfolgreichen Lernförderung darin besteht, die Performanz des Lerners wahrzunehmen und das Verhalten des Lehrers an ihr auszurichten (siehe Box-93). Die Adressatenorientierung kann also nicht auf Modifikationen im Input reduziert werden, da das sogenannte Inputverhalten nicht unabhängig von der Beteiligung des Gegenübers zu betrachten ist (vgl. auch Warlaumont u. a., 2014 in Kapitel-6). Womöglich legt auch schon der Begriff des ‚Inputs‘ eine unvollständige Betrachtungsweise nahe. Im Vergleich dazu impliziert die Vorstellung der Interaktion als eine Ko-Konstruktion das Mitwirken beider Partner. Im Hinblick auf Kapitel-11 wird in dieser Vorstellung auf feste Absichten, die ein Sprecher im Verlauf einer Interaktion verfolgt (siehe Kapitel- 11), verzichtet. Vielmehr ist aus der ko-konstruktiven Sicht die anfängliche Absicht modifizierbar und durch die Handlungen des Gegenübers formbar. Zeitskalen der Ko-Konstruktion Betrachtet man den multimodalen Input als eine Ko-Konstruktion, so kann diese auf unterschiedlichen Zeitskalen stattfinden: Zum einen gibt es wiederkehrende Situationen, auf die sich ein Kind mit seiner Bezugsperson ein- 44783_Rohlfing_SL3a.indd 298 17.04.2019 14: 20: 49 299 13.8 Interaktives Eingehen: Ko-Konstruktion stellen kann. Im Sinne von Zukow-Goldring (1996; siehe oben) kann eine wiederkehrende Situation zunächst ein Handlungswissen aufbauen, auf dem die Bedeutung von Sprache aufsatteln kann. Für junge Kinder bedeutet eine sich wiederholende Situation kognitive Entlastung: Farrar und Kollegen (1993) zeigten, dass Kinder, die erneut in der gleichen Situation (mit dem gleichen Spielzeugset) spielten, nach mehreren Wiederholungen verbal mitteilsamer waren und mehr ereignisspezifische Verben äußerten, als wenn sie mit einem neuen Spielzeugset spielten. Kinder scheinen ihr Handlungswissen durch Familiarisierung mit einem Spielzeugset zu festigen, wodurch kognitive Ressourcen frei werden, die dann für die Sprachverarbeitung zur Verfügung stehen. Diese freigewordenen Ressourcen können von sensiblen Bezugspersonen aufgegriffen werden. In ihrem Buch weist Fischer (2016) jedoch darauf hin, dass Bezugspersonen unterschiedlich für das Können ihrer Kinder sensibilisiert sind. Gauvain und Kollegen (2002) untersuchten ältere Kinder im Alter von fünf Jahren und fanden, dass Mütter sich an die Bekanntheit der Situation für die Kinder anpassten und ihre Lehrstrategien modifizierten, während in den Lehrstrategien der Väter keine Unterschiede in Abhängigkeit davon, wie vertraut ihr Kind mit der Situation war, beobachtet werden konnten. Eine andere Zeitskala erfasst Interaktion während sie sich entfaltet. Wenn Personen miteinander interagieren, so passen sie sich im Verlauf der Interaktion einander an (Fusaroli u. a., 2014). Eine schrittweiseAnpassung der Bezugsperson an das sich aufbauende Können des Kindes demonstrieren Heller und Rohlfing (2017) in mikroanalytischen Beobachtungen: Es gibt viele Mittel, die die Bezugsperson als interaktive Bemühungen / interaktives Können aufgreifen kann. Bei jüngeren Kindern, die lautsprachlich noch nicht kommunizieren, können erste Gesten (siehe Kapitel-8) als Äußerungen aufgenommen werden. Diese gestischen Mittel ermöglichen es den Kindern, an der Interaktion teilzunehmen und ihre interaktive Rolle wahrzunehmen. Diese Erfahrungen sind grundlegend für die kommunikative Entwicklung, da das Miteinander geübt wird. Kann ein Kind, zum Beispiel auf die Frage Wo ist die Krone? mit einer Zeigegeste oder sogar mit einer Geste-Lautsprach-Kombination antworten, so ist ein Miteinander etabliert. In einem nächsten Schritt kann eine Bezugsperson dann weitere Mittel des Miteinanders einüben, indem sie beispielsweise mit Fragen Was ist das? dem Kind zunehmend die verbalen Benennungen von Objekten abverlangt-- in der Tat sind genau diese Schritte bei Eltern zu beobachten (Murphy, 1973; Bruner, 1983). Bei den weiteren Schritten fällt auf, dass die Bezugsperson nicht nur die bloße Teilnahme an der Interaktion fördert, 44783_Rohlfing_SL3a.indd 299 17.04.2019 14: 20: 49 300 13. Multimodaler Input sondern auch die Entwicklung der sprachlichen Mittel. Zunächst sind das einzelne Benennungen; mit der Zeit treten offene Fragen, wie beispielsweise Was passiert hier? auf. Aus diesen Beispielen wird deutlich, dass die Art des Fragens ein wichtiges Mittel des interaktiven Eingehens auf die Fähigkeiten des Kindes und somit der Förderung sein kann. Eine andere Möglichkeit des interaktiven Eingehens sind Erweiterungen. Diese können bereits beobachtet werden, wenn das Kind auf etwas schaut oder auf etwas hindeutet. In diesen Situationen ergänzt die Bezugsperson häufig das Verhalten des Kindes, indem sie eine Benennung äußert. Heller und Rohlfing (2017) geben ein Beispiel dafür an (siehe Abb. 30): Abbildung 30 In dem Transkript ist das Beispiel einer Erweiterung enthalten (M = Mutter; K = Kind). Dieses Beispiel (Abb. 30) knüpft an die Förderung der interaktiven Rolle an: Zunächst motiviert die Mutter ihr Kind, auf eine Frage zu antworten. Als das Kind dann eine Geste-Lautsprach-Kombination äußert, greift die Mutter diese auf und erweitert sie zu einer beschreibenden Äußerung. Somit gibt sie auch eine Antwort vor, die das Kind in darauffolgenden Interaktionen übernehmen kann. Mit zunehmenden sprachlichen Fähigkeiten des Kindes können solche Erweiterungen komplexer ausfallen und sich sogar vom Hier und Jetzt lösen (siehe Box-90). Erweiterte Äußerungen beinhalten nicht nur einzelne Wörter, sondern auch Sätze und somit komplexere linguistische Strukturen. Szagun (2016: 251 ff.) fasst daher zusammen, dass Input, der Erweiterungen enthält, sowohl die einzelnen Wörter als auch die grammatischen Formen vermittelt. Der Gebrauch von Hilfsverben und regelmäßiger Vergangenheitsform bei Kindern beispielsweise hängt eng mit solchen Erweiterungen zusammen (ibid.). 44783_Rohlfing_SL3a.indd 300 17.04.2019 14: 20: 49 301 13.8 Interaktives Eingehen: Ko-Konstruktion Ko-Konstruktion unter besonderen Bedingungen Die Vorstellung einer Interaktion als einer Ko-Konstruktion legt eine Beteiligung beider Partner nahe. Es gibt jedoch Gruppen von Kindern, denen das Ko-Konstruieren einer sozialen Interaktion schwer fällt. Studien weisen darauf hin, dass der Input der Mütter von typisch entwickelten Kindern mehr Erweiterungen aufweist als der Input für Kinder mit Sprachentwicklungsverzögerung (Conti-Ramsden, 1990; Paul & Elwood, 1991). Die Perspektive der Ko-Konstruktion kann dafür eine Erklärung bieten: Zum einen beruht ihr zufolge eine verbale Kommunikation auf wiederkehrenden Situationen und einen beständigen Aufbau der Mittel im Miteinander. Kinder mit Verzögerungen in ihrer Sprachentwicklung neigen jedoch weniger dazu, Interaktionsanlässe anzubieten (Paul & Shiffer, 1991). Auf den Mangel an Interaktionsanlässen reagieren Eltern häufig mit Themenwechseln (Vigil u. a., 2005). Dieser Wechsel erschwert jedoch einen kontinuierlichen Aufbau von Dialogen. Zum anderen bieten sich eingeschränkte Möglichkeiten, verbale Äußerungen dieser Kinder zu erweitern (Fey u. a., 1999; Proctor-Williams u. a., 2001): Weil Kinder mit verzögerter Sprachentwicklung weniger sprechen, haben die Mütter weniger Gelegenheit dazu, auf die sprachlichen Äußerungen einzugehen und diese zu erweitern. Es gibt Hinweise darauf, dass Bezugspersonen sprachentwicklungsverzögerter Kinder (siehe auch Box-52) die frühen Interaktionskompetenzen weniger gut einschätzen und auf diese weniger eingehen können als Bezugspersonen von typisch entwickelten Kindern. An Auszügen aus Situationen des gemeinsamen Buchvorlesens verdeutlichen Heller und Rohlfing (in Vorbereitung), dass an Kinder mit verzögerter Sprachentwicklung Fragen nach der Benennung von Objekten (nach dem Schema Was ist das? ) gerichtet wurden, obwohl sie noch kein sprachliches Verhalten äußern konnten. Die Beteiligung an der Interaktion wurde für das Kind somit erschwert. Viel angemessener wären zu diesem Entwicklungszeitpunkt Fragen nach der Lokalisierung von Objekten (nach dem Schema Wo ist ein X? ), auf die eine Antwort mit nonverbalen Mitteln stattfinden kann. Diese Interaktion erschien somit weniger an die Kompetenz des Lerners angepasst (ibid.). Bei Kindern, die eine Störung im Bereich des Autismus-Spektrums aufweisen (siehe auch Box-12), liegt die Schwierigkeit darin, dass sie häufig nicht an einem Austausch und Miteinander interessiert sind. Kapitel-5 geht genauer auf die Besonderheiten im kommunikativen Verhalten ein. An dieser Stelle ist nochmals wichtig zu betonen, dass es für Eltern von Kindern, die von ASS betroffen sind, 44783_Rohlfing_SL3a.indd 301 17.04.2019 14: 20: 49 302 13. Multimodaler Input wichtig ist, Interaktionsangebote häufiger zu wiederholen, auch wenn sie viel Mühe kosten und nicht sofort aufgegriffen werden. Hurwitz und Watson (2015) berichten von einer Maßnahme, aus der klar hervorging, dass Kinder mit ASS zwar nicht auf das erste Interaktionsangebot reagierten, es aber bei weiteren Versuchen aufgriffen, wenn die Bezugspersonen es mit Gesten (Zeigegeste und Kopfbewegung in Richtung des Objektes) verstärkten. Eltern und Erzieher von Kindern mit ASS sollten also gerade zur Beharrlichkeit bestärkt werden, um ihren Kindern mehr Möglichkeiten zum kommunikativen Austausch und zum Sprachlernen zu bieten. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 302 17.04.2019 14: 20: 49 303 13.8 Interaktives Eingehen: Ko-Konstruktion Lesetipps: Einen umfassenden Einblick in ein adressatenorientiertes Kommunizieren gibt Fischer in ihrem Buch: Fischer, K. (2016). Designing speech for a recipient. The roles of partner modeling, alignment and feedback in so-called „simplified registers“. Amsterdam/ Philadelphia: John Benjamins Publishing Company. Rowes Arbeit informiert ausführlich über den Zusammenhang der Qualität und Quantität kindgerichteter Sprache mit dem kindlichen Vokabularerwerb; Shneidman und Woodward fragen, ob diese Art des Interagierens die Wiege des sozialen Lernens ist: Rowe, M. L. (2012). A longitudinal investigation of the role of quantity and quality of child-directed speech in vocabulary development. Child Development, 83 (5), 1762-1774. Shneidman, L., & Woodward, A. L. (2016). Are child-directed interactions the cradle of social learning? Psychological Bulletin, 142 (1), 1-17. An der Untersuchung von Wood und Kollegen wird die Idee der Zone der nächsten Entwicklung verdeutlicht: Wood, D., Bruner, J. S., & Ross, G. (1976). The role of tutoring in problem solving. Journal of Child Psychology and Psychiatry, 17 (2), 89-100. Den Grundgedanken des kognitiven Zustandes der Lernbereitschaft vermittelt die Untersuchung von Gliga und Csibra: Gliga, T., & Csibra, G. (2009). One-year-old infants appreciate the referential nature of deictic gestures and words. Psychological Science, 20 (3), 347-353. Wegen ihres innovativen Vorgehens ist die Studie von Ridge und Kollegen interessant: Ridge, K. E., Weisberg, D. S., Ilgaz, H., Hirsh Pasek, K. A., & Golinkoff, R. M. (2015). Supermarket speak: Increasing talk among low-socioeconomic status families. Mind, Brain, and Education, 9 (3), 127-135. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 303 17.04.2019 14: 20: 49 44783_Rohlfing_SL3a.indd 304 17.04.2019 14: 20: 50 305 14.2 Methode für Untersuchung des Wissentransfers 14. Medien und Spracherwerb Heutzutage überrascht es uns nicht mehr, wenn ein sechs Monate altes Kind ein Buch geschenkt bekommt. Es gibt ein reichhaltiges Angebot für Babys und Kleinkinder, das sich auch auf weitere Medien wie Apps für Smartphone oder Tablet erstreckt. Häufig werben diese Produkte mit dem Versprechen, Kindern (Wort-)Wissen zu vermitteln. Um dieses Versprechen zu prüfen, stehen folgende Fragen im Zentrum des Kapitels: Kann Wortwissen, das im Kontext einer Vorlesesituation, einer Fernsehsendung oder eines Computerspiels gelernt wurde, auch auf reale Ereignisse übertragen werden? Kann die Vielfalt dieser Lernkontexte die individuellen Unterschiede der Kinder besonders gut aufgreifen? In diesem Kapitel werden unter Berücksichtigung des aktuellen Standes der Technik empirische und theoretische Ansätze zur Beantwortung dieser Fragen angeboten. 14.1 Sprachlernen aus Medien: Methodische und kognitive Herausforderungen In Kapitel-12 wurde bereits darauf hingewiesen, dass ein robustes Sprachwissen sich dadurch auszeichnet, dass es, obwohl es in einem spezifischen Kontext erworben wurde, auch auf andere Kontexte übertragen werden kann. Für das Sprachlernen aus Medien gibt es diesbezüglich zwei zentrale Fragen: 1. Können Kinder aus Medien dauerhaft lernen? 2. Können Kinder das Wissen, das sie durch den Umgang mit einem Medium erworben haben, auch auf andere Kontexte übertragen? Beide Fragen zielen auf das sogenannte Slow Mapping (siehe Box-45) ab. Die erste Frage nach der Robustheit des Sprachwissens ist insofern berechtigt, als das frühe Lernen in soziale Interaktion eingebettet ist und nachweislich von dieser profitiert; fehlt die soziale Interaktion und beschränkt sich der Reiz auf eine visuelle Präsentation, könnte diese Darbietung lediglich für den Moment Wirkung entfalten und zu kaum einer oder einer verarmten Gedächtnisspur führen. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 305 17.04.2019 14: 20: 50 306 14. Medien und Spracherwerb Die zweite Frage bezieht sich auf den Transfer des erworbenen Wissens. Können Kinder neue Wörter, wie zum Beispiel Tiernamen, die sie im Kontext eines Bilderbuchs aufgeschnappt haben, auf Tiere in der realen Welt übertragen? Diese Frage stellt zugleich eine methodische Herausforderung dar, da das Sprachwissen in unterschiedlichen Kontexten unterschiedliche pragmatische und kognitive Anforderungen erfüllen muss. Die Frage nach dem Transfer diskutiert DeLoache (2004) in Zusammenhang mit der Vorstellung einer dualen Repräsentation, die für die Medienrezeption nötig ist; eine effektive Mediennutzung bedeute, beide Vorstellungen existieren nebeneinander: Das Medium als ein Objekt und die Abstraktion des Bezugs (DeLoache, 2004). Nach dem Ansatz zur dualen Repräsentation (siehe Box- 95) müssen Kinder im Laufe der ersten drei Lebensjahre Bilder und Filme auf eine besondere Weise kognitiv zu verarbeiten lernen. Für diesen Lernprozess verwenden Diergarten und Nieding (2012: 26) den Begriff der „doppelten Natur“, um zu verdeutlichen, dass Bilder nicht nur Gegenstände für sich sind, sondern auch etwas abbilden und sich somit auf reale Entitäten beziehen. Bei jungen Kindern, die diese Einsicht noch nicht gewonnen haben, lösen Bilder die gleichen Handlungen wie konkret vorliegende Objekte aus: Sehen Kinder ein Bild einer Banane, wollen sie in dieses hineinbeißen, weil sie die Symbolik des Bildes noch nicht verstehen und das Abbild für das Objekt halten. Ein weiteres Beispiel ist ein Puppenstuhl, auf den sich junge Kinder sofort setzen wollen. Erst das Etablieren einer dualen Repräsentation, so die Argumentation von DeLoache (2004), versetzt Kinder in die Lage, die Abbildung in ihrer Funktion zu sehen. Weil der Umgang mit einem Medium wie einem Bild einen ‚Umweg‘ beinhaltet, besteht die Möglichkeit, dass Kinder in Medienkontexten anders lernen und ihr daraus gewonnenes Wissen nicht auf andere Kontexte übertragbar ist. Aus der interaktionistischen Perspektive erscheint die empirische Grundlage für eine duale Repräsentation recht dünn. Es könnte sein, dass Kinder mit ihrem Hineinbeißen in ein Bild weniger eine fehlende symbolhafte Vorstellung, sondern vielmehr Handlungen demonstrieren, die mit einer Banane ausgeführt Duale Repräsentation (Box-95): Mit Bezug auf Bilder und Filme verwendet bezeichnet der Begriff die doppelte Natur (engl.: dual representation) ihrer Symbolfunktion: Ein abgebildetes Objekt wie ein Apfel verweist einerseits auf eine konkrete Entität in der Welt, andererseits repräsentiert es aber weitere Exemplare einer breiteren Kategorie (verschiedene Apfel- oder sogar Fruchtsorten). 44783_Rohlfing_SL3a.indd 306 17.04.2019 14: 20: 50 307 14.2 Methode zur Untersuchung des Wissentransfers werden können. Diese Handlungen sorgen wiederum für weitere Gesprächsanlässe, die eine Entstehung von Repräsentation in dem Kontext unterstützen. 14.2 Methode zur Untersuchung des Wissentransfers: Kontextvergleichende Slow Mapping-Studie Einige der wichtigsten Erkenntnisse auf diesem Gebiet gehen auf Ganea und Kolleginnen (2008) zurück. Die Autorinnen untersuchten, ob Kinder neue Wörter mithilfe von Bildern unterschiedlicher Art robust lernen können. Die Ergebnisse der Studie deuten darauf hin, dass Kinder im Alter von 15 bis 18 Monaten durchaus in der Lage sind, im Kontext von Bilderbüchern neu gelernte Nomen auf reale Objekte zu übertragen und andersherum. Jedoch ist dabei eine realistische Abbildung der Objekte hilfreich. Aus dieser Untersuchung schlussfolgerten die Autorinnen, dass eine wahrnehmbare Ähnlichkeit der Referenten aus beiden Kontexten einen Transfer erleichtert. Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse sprachen sie eine Empfehlung für realistische Illustrationen aus, die in frühen Bilderbüchern den Zweck des Sprachlernens besser unterstützen. Eine Studie von Rohlfing und Nachtigäller (2016), die sich mit dem Präpositionserwerb von 2,5-jährigen Kindern beschäftigt, adressiert nicht nur den Transfer, sondern auch die Dauerhaftigkeit des erworbenen Wissens. In dieser Trainingsstudie lernten Kinder neue Präpositionen wie hinter und neben, die sie in diesem Alter zwar gehört, aber noch nicht erworben haben. Zwei zentrale Aspekte bestimmten das Untersuchungsdesign: Zum einen stand die Frage im Untersuchungsfokus, ob ein narrativer Aufbau-- durch den sich das Vorlesen von Bilderbüchern auszeichnet- - einen besonders förderlichen Input für das Wortlernen bietet. Dafür erhielten zwei Gruppen ein Training mit narrativen Strukturen in Form von kurzen Geschichten, während die Kontrollgruppe ohne Narrative trainiert wurde (siehe Tabelle 11). Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass 2,5-jährige Kinder räumliche Präpositionen am besten aus Bilderbüchern und in narrative Strukturen eingebettet lernen. Zum anderen fand in der Studie ein Vergleich der Trainingsmaterialien statt. Dafür wurden die Kinder in Gruppen aufgeteilt: Eine Trainingsgruppe lernte die räumlichen Präpositionen mithilfe von Bildern, während die andere Trainingsgruppe die räumliche Relation am Beispiel realer Objekte präsentiert bekam. In beiden Gruppen wurden die neuen Präpositionen in Geschichten eingebettet. Das heißt, dass die Kinder die räumliche Relation zu sehen bekamen und dazu eine kurze Geschichte über ein sich aufbauendes Ereignis hörten: Der Hase möchte gern seine Nachbarin 44783_Rohlfing_SL3a.indd 307 17.04.2019 14: 20: 50 308 14. Medien und Spracherwerb besuchen. Darum hüpft er zu der Katze und dem Stall. Und wartet direkt hinter dem Stall, um sie zu überraschen (ibid., Ergänzungsmaterial). Eine dritte Kontrollgruppe trainierte ebenfalls mit Bilderbüchern, hörte aber keine Geschichten, sondern lediglich Beschreibungssätze: Schauen wir uns das mal an! Hier ist ein brauner Hase. Und da ist noch eine graue Katze, und das ist ein großer Stall. Und der braune Hase steht hinter dem Stall (ibid.). Das Training beider Gruppen wiederholte sich einige Male und förderte somit das Slow Mapping. Nach der Trainingsphase wurden beide Gruppen getestet, und zwar sowohl in der Aufgabe, in der sie trainiert waren, als auch in der Fähigkeit, ihr Verständnis der neu erlernten Wörter auf eine neue Aufgabe zu übertragen. Beispielsweise musste die Gruppe, die mit Bildern trainierte, auch im Test die räumlichen Relationen hinter und neben auf neue Referenten beziehen. Sie musste anschließend aber auch eine Relation im Sinne der neu erlernten Präposition ausführen. Die Tatsache, dass sich der Lerninhalt auf räumliche Präpositionen bezog, ermöglichte einen Vergleich zweier Lernumgebungen, die sich in den pragmatischen Anforderungen an die kognitiven und linguistischen Fähigkeiten der Kinder unterscheiden: Während ein Lernen von Bildern den Kindern die Situationen visuell vorgibt und sie eine passende Szene auswählen müssen, gibt es beim Ausagieren mit Objekten keine Vorlagen, an denen sich Kinder orientieren können. Zusätzlich müssen sie-- wenn sie sich im Antwortverhalten auf die Instruktion Stelle den Hasen hinter den Stall! korrekt verhalten wollen-- ihr Objektwissen kontrollieren und von den funktionalen Eigenschaften der Objekte (z. B. der Tatsache, dass ein Hase sich üblicherweise im Stall befindet) abstrahieren. Diese Transferaufgabe unterscheidet sich von der Aufgabe, die Ganea und Kollegen (2008) zum Nomenlernen stellten: Während in der Untersuchung zum Erwerb von Nomen Kinder ihre Zeigegeste nutzen, um auf diese Weise ihr Verständnis zu demonstrieren, verlangt die Untersuchung zum Erwerb von Präpositionen zwei unterschiedliche Handlungen als Demonstration von Verständnis. Um die Transferaufgabe nicht zu schwer zu machen, waren bei Rohlfing und Nachtigäller (2016) die abfotografierten Objekte im Bilderbuchkontext genau die gleichen, die für das Ausagieren zur Verfügung standen-- ein Aspekt, der nach Ganea und Kollegen (2008) den Kindern einen Vorteil beim Lernen geben sollte. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 308 17.04.2019 14: 20: 50 309 14.3 Transfer aus neuen Medien Zeitpunkt 1 pretest 2 unmittelbar nach 1. Training 3 nach 3 Trainingssitzungen Gruppen Training mit Bilderbüchern mit Geschichten Training mit Bilderbüchern ohne Geschichten Training mit Spielzeugobjekten mit Geschichten Tabelle 11: Aufbau der Studie von Rohlfing und Nachtigäller (2016). Die Ergebnisse der Studie weisen darauf hin, dass Kinder Präpositionen dauerhaft aus Bilderbüchern lernen können, wenn die neuen Wörter in Geschichten eingebettet sind. Auch zeigte sich ein Vorteil für die Kinder, die mit Geschichten aus Bilderbüchern lernen: Sie waren eher in der Lage, ihr Wissen auf Objekte zu übertragen. Die Gruppe der Kinder, die mit Spielobjekten die neuen Präpositionen trainierte, zeigte im Test keine Fähigkeit, das Verständnis auf den Bilderbuchkontext zu übertragen. Diese Untersuchung stellt die Verständnisleistung in Abhängigkeit vom Kontext der zu erfüllenden Aufgaben und ihrer Anforderungen dar, was bereits in Kapitel-12 zur Sprache kam. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass Verständnisleistung nicht mit dem Abruf einer uniformen und stabilen Repräsentation einher gehen kann (siehe auch Box-74). 14.3 Transfer aus neuen Medien Hinsichtlich neuer Medien führten Strouse und Ganea (2017) eine Studie durch, die 17 bis 23 Monate alte Kinder untersuchte. Die Kinder lernten neue Nomen aus Bildern, die entweder in konventionellen Büchern oder in E-Books (auf einem Gerät mit Touchscreen präsentiert) enthalten waren. Nur die Gruppe der Kinder, die aus Büchern lernte, konnte ihren Wissensinhalt auf reale Objekte übertragen. Den Transfer aus E-Books leistete erst eine ältere Gruppe von Kindern mit 24 bis 30 Monaten. Diese Ergebnisse verdeutlichen, dass konventionelle Bilderbücher das Sprachlernen von jungen Kindern unterstützen. Sie sind so geschaffen, dass Kinder sich gut auf den Referenten konzentrieren können, 44783_Rohlfing_SL3a.indd 309 17.04.2019 14: 20: 50 310 14. Medien und Spracherwerb ohne von viel Bewegung, anderen Referenten und technischer Einrahmung mit weiteren Interaktionsmöglichkeiten abgelenkt zu werden. 14.4 Kinderliteratur Kinderliteratur bietet eine Vielfalt an Gesprächsanlässen. Wie bereits oben in Kapitel-14.3 angedeutet, scheinen sich klassische Bilderbücher besonders dafür zu eignen, das Sprachlernen von jungen Kindern zu unterstützen. Rohlfing und Kolleginnen (im Druck) erläutern die Gegebenheiten, die sich durch die Situation des gemeinsamen Lesens ergeben, und wie sie das daraus folgende Miteinander formen. Im Folgenden werden diese Besonderheiten des Materials zusammengefasst. Literaturtypen in der frühen Kindheit Einen Typ von Bilderbüchern, der für junge Kinder weit verbreitet ist, bezeichneten Kümmerling-Meibauer und Meibauer (2005) als frühe Konzeptbücher (engl.: early concept books). Diese Bücher zeichnen sich dadurch aus, dass einzelne Objekte auf einer Seite dargestellt werden. Die Konturen der Objekte wie auch ihre Farben sind klar, und meistens sind es Objekte aus dem Alltag des Kindes, wie zum Beispiel ein Ball. Durch Benutzung dieser Bücher lernen Kinder die Grundlagen des gemeinsamen Buchlesens. Diese Regeln betreffen sowohl die Handhabung des Buches, d. h. es richtig herum zu halten und in ihm zu blättern, als auch die klar strukturierte Interaktion. Die Interaktion zeichnet sich durch klare Bezugnahme und Verteilung von Rollen dazu aus: Die Dinge oder Ereignisse werden häufig mit einer Zeigegeste hervorgehoben und benannt. Bei jungen Kindern stellen die Bezugspersonen Fragen, die das Kind durch die Ausführung der Zeigegeste beantworten kann. Ein weiterer Typ sind kurze Geschichten. Um eine Geschichte abzubilden, ist die Darstellung mehrerer Objekte auf einer Seite vonnöten, was eine höhere Anforderung an die Verarbeitung von Informationen bedingt. Eine weitere Anforderung besteht darin, die sequenzielle Struktur der Abbildungen nachzuvollziehen, d. h. die Tatsache, dass sich die einzelnen Bilder in dem Buch auf eine Geschichte beziehen und diese aufbauen. Zudem werden Ziele und Intentionen von beteiligten Protagonisten angesprochen, die Emotionen, Wünsche und Gedanken anderer thematisieren (Zevenbergen u. a., 2003). Auf diese Weise erfahren Kinder eine Organisation von Handlungen, sowohl in bildlichen Gruppierungen und zeitlichen Sequenzen wie auch in Zuschreibungen von 44783_Rohlfing_SL3a.indd 310 17.04.2019 14: 20: 50 311 14.4 Kinderliteratur Handlungszielen. Diese Organisation legt Bauelemente von späteren Erzählungen (siehe Kapitel-11) an; sie wird anfänglich von Erwachsenen ausgeführt (siehe unten zu Leseverhalten der Eltern). Einen in Deutschland beliebten Typ von Bilderbüchern bilden die Wimmelbücher. Sie zeichnen sich durch viele kleine Szenen auf einer Seite aus. Meistens gibt es keinen Text dazu, was Remi (2009) zu der Feststellung bewegt, dass es zu der Art, wie dieses Buch erzählt werden soll, keine Vorgaben gibt. Das Ziel ist es jedoch, die Masse an Informationen zu strukturieren, d. h. sich zu entscheiden, was man betrachten möchte. Eine von Remi (2009) durchgeführte Elternumfragestudie ergab, dass diese Bücher bereits bei 10 bis 18 Monate alten Kindern beliebt sind. Wenn sie in Interaktion mit Bezugspersonen eingesetzt werden, dann setzen sie gemeinsam gerichtete Aufmerksamkeit voraus (siehe Kapitel-5), um die Betrachtung anzufangen. Die Szene ist so geschaffen, dass die Entdeckung von Verbindungen zwischen den einzelnen Ereignissen möglich ist, wodurch Kinder kausale Zusammenhänge konstruieren können. Zudem ist durch diese Verbindung ein Austausch über die Ziele und Intentionen der dargestellten Charaktere möglich. Remi (2009) fasst zusammen, dass die Beschäftigung mit Wimmelbüchern anders als mit anderen Büchertypen ausfällt, weil sie intensiver erscheint: Sie erfordert eine Koordination, sowohl wenn das Kind sich die Szene für die Betrachtung selbst aussucht als auch in einer Interaktion, wo die Betrachtung sprachlich koordiniert werden muss. Manche Kinder lernen früh, sich selbst mit diesen Büchern zu beschäftigen, wodurch die Rolle des Erwachsenen in den Hintergrund gerät. Nonverbales und verbales Leseverhalten von Eltern Bei jungen Kindern scheint die Situation des gemeinsamen Buchvorlesens vor allem aufgrund des multimodalen Verhaltens der Interaktionspartner für das Sprachlernen förderlich zu sein (Rohlfing u. a., im Druck; Rohlfing u. a., 2015). Eine Studie von Murphy (1978), in der Mütter während des gemeinsamen Lesens mit Kindern im Alter von 9, 14, 20 und 24 Monaten beobachtet wurden, ergab, dass in all diesen Altersgruppen sowohl die Kinder als auch deren Mütter Zeigegesten benutzten, die Mütter je nach Alter ihrer Kinder allerdings mit einer anderen Funktion: Während in den Interaktionen mit älteren Kindern die Zeigegeste zusammen mit verschiedenen Fragen produziert wurde, begleitete sie in Interaktionen mit jüngeren Kindern die Objektbenennungen (Rohlfing u. a., im Druck). Durch diese unterschiedlichen Funktionen bietet das gestische 44783_Rohlfing_SL3a.indd 311 17.04.2019 14: 20: 50 312 14. Medien und Spracherwerb Verhalten für junge Kinder die Möglichkeit, sich an den gemeinsamen Interaktionen zu beteiligen: Wenn die Bezugspersonen zum Beispiel Wo ist der Ball? fragen und die Kinder mit einer Zeigegeste darauf antworten können, ergibt sich ein zielgerichtetes Miteinander, in dem Kinder eine klare Rolle erhalten und das gemeinsame Koordinieren- - auch in Form von gemeinsamen Aufmerksamkeitsbezügen-- üben können (Heller & Rohlfing, 2017). Das Medium des Buches vereinfacht die Suche nach dem Referenten: Ein Kind übt schnell ein, dass sich die Fragen auf die Buchinhalte beziehen und diese in der Vorlesesituation zum primären gemeinsamen Gegenstand werden. Die empirischen Befunde stützen die Besonderheit der Situation, in der einerseits das Medium den gemeinsamen Fokus bildet und andererseits die Interaktion insofern einschränkt, als klare Rollen und Muster entstehen, die für Kinder vorhersehbar sind. Diese Klarheit ist in anderen Situationen, wie zum Beispiel bei einem freien Spiel, nicht gegeben-- eine Erkenntnis, die ein direkter Vergleich beider Situationen ergab (Rohlfing u. a., 2015). Zusätzlich decken Daten aus einer Längsschnittstudie zum Sprachentwicklungsstand Zusammenhänge zwischen der Situation und dem späteren Sprachlernen auf. Diese Zusammenhänge erwiesen sich nur in der Vorlesesituation, nicht aber im freien Spiel als signifikant; sie bezogen sich auf die Anzahl der Zeigegesten, mit denen Mütter ihre Sprache in der Interaktion zu dem Zeitpunkt, als die Kinder 14 Monate waren, begleiteten. Diese Variable konnte den Sprachentwicklungsstand (mithilfe von ELFRA berichtet, siehe Kapitel-7.1) der Kinder im Alter von 24 Monaten erklären (Rohlfing u. a., 2015). Nicht nur das gestische, sondern auch das verbale Verhalten der Eltern zeichnet sich in dieser Situation des gemeinsamen Buchvorlesens durch Besonderheiten aus: Gelman und Kollegen (2005) beobachteten bei Müttern von 2bis 3-jährigen Kindern, dass Bilder- - und nicht Objekte- - einen höheren Anteil an Benennungen auslösten, in denen die Mütter auf die Kategorie der Objekte hinwiesen. Auf diese Weise erfahren Kinder nicht nur etwas über die abgebildeten Objekte, sondern auch über ihre semantische Zugehörigkeit zu einer übergreifenden Kategorie. Bilder bieten für Bezugspersonen und ihre Kinder scheinbar eine gute Gelegenheit, die Art der Dinge anzusprechen, wohingegen reale Objekte dazu verleiten, die Besonderheiten einzelner Objekte zu thematisieren. Von der Förderung durch das Vorlesen profitieren nicht nur die Jüngsten. Auch die Wirkung des Vorlesens auf die spätere Lese- und Schulleistung gilt als 44783_Rohlfing_SL3a.indd 312 17.04.2019 14: 20: 50 313 14.4 Kinderliteratur belegt. Von großer Bedeutung ist sowohl die Art und Weise des Vorlesens wie auch die Häufigkeit des Lesens. Vorlesen versus Dialog Das gemeinsame Vorlesen ist eine Situation, an der sich sprachförderliches Verhalten des Interaktionspartners (siehe auch Kapitel-13.6) gut demonstrieren lässt. Ein Erwachsener kann zum einen ein Kind dazu ermutigen, eine zunehmend aktive Rolle zu übernehmen, und sich selbst mehr und mehr zurückziehen. Zum anderen kann das Miteinander auf unterschiedlich komplexe Art gestaltet werden, sodass ein Kind sich in vielen Fähigkeiten ausprobieren kann. Heller und Rohlfing (2017) zeigen mikroanalytisch auf, dass junge Kinder zunächst aufgefordert werden, auf die Frage Wo ist der Ball? mit einer Zeigegeste zu antworten. Diese Handlung begleiten die Bezugspersonen häufig mit einer Erläuterung Ja, genau, da ist der Ball. Aus dieser Erweiterung (siehe Kapitel-13.8) des kindlichen Verhaltens zieht das Kind die Benennung, welche in einem weiteren Zug durch eine Was ist das? -Bezugnahme auf das Bild abgefragt werden kann. In späteren Interaktionen können zu diesem Referenten offene Fragen gestellt werden, wie beispielsweise Was passiert hier? , die dem Kind die Möglichkeit bieten, selbst das Gesprächsthema zu bestimmen, und sich in Erzählfähigkeiten zu erproben. Darin wird deutlich, dass die Wiederholung der gemeinsamen Interaktion und die sich daraus ergebende Routine eine Voraussetzung für die Erweiterung der kindlichen Rolle schafft. Nach Blewitt (2015) regen insbesondere Fragen die eigene Sprachproduktion bei Kindern an und fördern daher den Spracherwerb. Allerdings muss sich die Verwendung an die Sprachentwicklung der Kinder anpassen. Fragen regen besonders bei Kindern, die bereits einen größeren Wortschatz haben, die Sprachproduktion an. Noch ist offen, wie man Kinder mit einem geringeren Wortschatz und wenig Erfahrung mit dem Vorlesen in dieser Situation erreichen kann. Aktuelle Ergebnisse deuten an, dass bestimmte kommunikative Strukturen erst aufgebaut und wiederholt werden müssen, damit Kinder in diesen lernen können (Rohlfing u. a., 2017a). Eine aktuelle Studie kombiniert neurowissenschaftliche Methoden mit der Verhaltensforschung. Das zugrundeliegende Argument ist, dass ein bestimmtes Verhalten der Eltern zur effizienten Sprachverarbeitung bei Kindern führt. In Kapitel- 2 wurde die Linkslateralisierung der Sprache mit Effizienz in der Sprachverarbeitung in Verbindung gebracht (siehe Box-6). Diese ist als neurologische Aktivität in der Studie von 44783_Rohlfing_SL3a.indd 313 17.04.2019 14: 20: 50 314 14. Medien und Spracherwerb Romeo und Kollegen (2018) während des Buchvorlesens sichtbar, und zwar im Zusammenhang mit der Anzahl der Turns (siehe Box- 17), die die Beteiligten untereinander austauschen. Die Ergebnisse waren vom sozioökonomischen Status der Familie unabhängig und unterstreichen somit die aktive Rolle des Kindes in der Interaktion. Der Begriff des dialogischen Lesens (siehe Box-96) fasst viele Strategien zusammen, die Bezugspersonen einsetzen können, um ihrem Kind eine zunehmend aktive Rolle beim Vorlesen einzuräumen. Seine Urheber führten diese Strategien in Form eines Trainingsprogramms bei Eltern von unterschiedlichem sozioökonomischem Status ein und konnten damit die Sprachentwicklung der Kinder erfolgreich unterstützen. Im Besonderen die kindlichen Erzählfähigkeiten können mit den Strategien aufgebaut werden. Lever und Sénéchal (2011) berichten, dass Kinder, denen mit Strategien des dialogischen Lesens vorgelesen wurde, ihre Erzählungen besser strukturieren und angemessener dekontextualisieren (d. h. vom unmittelbaren Hier und Jetzt loslösen) konnten als Kinder, die wenig Erfahrung mit dialogischem Lesen hatten. Für die frühkindliche Entwicklung ist es jedoch wichtig zu betonen, dass diese Art des Lesens an bereits errichtete kommunikative Strukturen des Miteinanders (siehe oben) anknüpft, und vermutlich deshalb ihre förderliche Wirkung entfalten kann. Ein Kind, das keine Vorstellung von seiner Rolle in dieser besonderen Situation mit einem Bilderbuch hat, wird nicht vom dialogischen Lesen profitieren können (siehe auch Mol u. a., 2008). Buchinhalte Können die Inhalte eines Buches das Vorleseverhalten lenken? Es ist möglich, dass sich das Vorlesen von zum Beispiel frühen Konzeptbüchern hauptsächlich auf Benennungen von Objekten beschränkt. Dieser Hypothese gingen Nachtigäller und Rohlfing (2011) nach. Sie verglichen Bücher, die sich in der Objektzahl auf einer Seite unterschieden: Eine Seite in einem Buch enthielt lediglich ein Objekt (z. B. eine Schaukel), in einem anderen waren es zwei Objekte, die zueinander in Relation standen (z. B. ein Kind auf einer Schaukel). Bei der Untersuchung stellten die Dialogisches Lesen (Box-96): Diese Art des gemeinsamen Bilderbuchbetrachtens oder Vorlesens (engl.: dialogical reading) geht auf die Studie von Lonigan und Whitehurst (1998) zurück. Die Art beinhaltet viele Lernziele für die Kinder, die von Erwachsenen durch das Stellen von offenen Fragen, Befolgen von Interessen des Kindes, Rückmelden und Ermutigungen sowie Erweiterungen der kindlichen Antworten unterstützt werden. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 314 17.04.2019 14: 20: 50 315 14.5 Fernsehen und Kindersendungen Autorinnen fest, dass der Stil des Vorlesens über drei Zeitpunkte (13, 15,5 und 19,5 Lebensmonate des Kindes) konstant und in der Zusammenstellung des Lexikons unabhängig vom Buchinhalt blieb. Allerdings gebrauchten Mütter, die Bilder mit einzelnen Objekten anschauten, weniger Erzählungen als Mütter, die Bilder mit mehreren Objekten betrachteten. Die Erzählungen griffen sowohl die beteiligten Objekte und ihre Funktionen als auch die gesamte Situation und mögliche Handlungen auf. Die Autorinnen schlussfolgerten aus der Betrachtung der individuellen Unterschiede, dass sowohl einfache Konzeptbücher als auch Bücher mit mehreren Objekten auf einer Seite Erzählstrukturen im Input ermöglichen, aber Bilder, auf denen Objekte in Relation zueinander stehen, stärker zu Erzählungen anregen. Eine weitere Hypothese zur Wirkung von Buchinhalten ergab sich aus den Überlegungen, wie schwer es für die jungen Kinder ist, Objekte in Büchern als solche zu erkennen. Die in Kapitel- 14.2 erwähnte Forschung von Ganea und Kollegen (2008) deckte einen Vorteil von realistischen Abbildungen auf, die das Erkennen eines Referenten erleichterten. Die Studie von Nachtigäller und Rohlfing (2011) folgte dieser Logik und untersuchte, ob das gemeinsame Anschauen von eigenen Fotos, die an Selbsterlebtes anknüpfen, anders motivierte Erzählungen hervorbringt. Im Fokus der Untersuchung stand wieder das verbale Verhalten der Bezugspersonen. Die Ergebnisse der kleinen Pilotstudie zeigten, dass Fotobücher gezielt eingesetzt werden können, um durch Eigennamen und viele Verben Zugang zu persönlich erlebten Ereignissen zu ermöglichen: Eigennamen, Verben und Adjektive kamen im Vorlesen von Fotobüchern häufiger als beim Vorlesen von Kinderbüchern mit kurzen Geschichten vor. 14.5 Fernsehen und Kindersendungen Während die positiven Zusammenhänge zwischen der Beschäftigung mit dem Medium des Buches und der Sprachentwicklung gut dokumentiert sind, ergibt sich für das Medium des Fernsehens ein komplizierteres Bild. Im Vorfeld der Betrachtung muss geklärt werden, ob mit dem Medium Sendungen für Erwachsene oder Kinder gemeint sind. Diese unterscheiden sich gravierend voneinander und haben dementsprechend auch unterschiedliche Wirkungen auf Kinder. Sendungen für Erwachsene bieten jungen Kindern eine visuell unzureichende Präsenz von Objekten und einen schnellen, schwer zu segmentierenden Wortfluss. Ihnen fehlt nicht nur die besondere Struktur, die sich im Input zu Kindern (siehe Kapitel-13) finden lässt, sondern auch das wiederholte 44783_Rohlfing_SL3a.indd 315 17.04.2019 14: 20: 50 316 14. Medien und Spracherwerb Eingehen auf die Kinder und ihre Fähigkeiten. Daher bieten Sendungen, die für Erwachsene konzipiert wurden, bestenfalls ein dürftiges Stimulans für die Sprachentwicklung der Kinder. Anders stellt sich die Lage bezüglich Sendungen dar, die für Kinder als Zielgruppe konzipiert wurden. Im Folgenden werden sowohl befürwortende wie auch ablehnende Meinungen und Befunde zusammengefasst. Positiver Einfluss des Fernsehens auf das (Sprach-)Lernen Obwohl Säuglinge im Alter von 2 Monaten keinen Unterschied im Verhalten äußern, wenn ihre Bezugsperson real oder im Fernsehen erscheint, scheinen 4 bis 8 Monate alte Säuglinge die mit ihrem Verhalten nicht-kontingente Fernsehpräsentation weniger zu beantworten (Pempek & Lauricella, 2017). Viele Sendungen für Kinder scheuen keine Mühe, um einige Aspekte der sozialen Interaktion wie das Wiederholen der Inhalte (z. B. in der Sendung „Teletubbies“) oder emotionale Aufladung (z. B. in der Sendung „Der kleine Maulwurf “) einzubinden, um Kinder besser anzusprechen. Vor diesem Hintergrund ist die Meinung berechtigt, Kinder könnten sich die im Fernsehen präsentierte Sprache aneignen. In der Tat ist auffällig, dass in gut rezipierten Kindersendungen (z. B. „Die Sesamstraße“) nicht schneller gesprochen wird als in direkten Gesprächen. In der Anzahl der Wörter pro Minute, der Wahl der Wörter mit Bezug auf das Unmittelbare wie auch die zahlreichen Wiederholungen entsprechen die verbalen Äußerungen dem Input in Form von parentese (Rice u. a., 1990; siehe Kapitel-13; Box-89). Abgesehen von einem gewissen Unterhaltungswert wird der Beschäftigung mit dem Fernsehen dann ein positiver Einfluss bescheinigt, wenn sie mit einem nachweisbaren Lerneffekt einhergeht. Diergarten und Nieding (2012) tragen verschiedene Erkenntnisse zum Sprachlernen im Kontext des Fernsehens zusammen. Von einem generellen Vorteil kann nicht die Rede sein, vielmehr entscheidet die Art der Präsentation, ob Kinder unter zwei Jahren durch das Fernsehen beispielsweise neue Substantive aufschnappen können: Vergleicht man die Lernleistung mit anderen Kontexten, wird schnell deutlich, dass Kinder im Alter von 15 bis 24 Monaten am besten in einer direkten Interaktion mit einem Erwachsenen lernen. Aus einem Video, in dem ein Erwachsener sich an den Lerner richtet und neue Wörter präsentiert (was in einer Fernsehsendung jedoch selten als Präsentationsart vorkommt) lernen Kinder schlechter. Zudem fehlt dieser Darbietung das direkte Eingehen auf das Kind und die Kontingenz 44783_Rohlfing_SL3a.indd 316 17.04.2019 14: 20: 50 317 14.5 Fernsehen und Kindersendungen der Interaktion (siehe Kapitel- 6.3). „Am wenigsten lehrreich war die ‚Teletubbies‘-Fernsehsendung, und nur die ältesten Kinder ab 22 Monaten lernten überhaupt Wörter daraus“ (ibid.: 26). Der Bereich der Verben bietet ein anderes Bild: Roseberry und Kollegen (2009) fanden heraus, dass Kinder im Alter von 30 bis 35 Monaten Verben aus Fernsehsendungen nur dann lernten, wenn dieser Kontext mit sozialer Interaktion verknüpft wurde. Erst ab dem Alter von 36 Monaten gelang es ihnen, neue Verben ausschließlich aus der Nutzung des Mediums heraus zu erwerben. Diese Studie verdeutlicht einen anderen Aspekt, nämlich die Beteiligung Erwachsener am Medienkonsum der Kinder. Diese Begleitung, auch Co-Viewing genannt (siehe Box-97), ist deshalb für die „Informationsaufnahme des Kindes förderlich“ (Diergarten & Nieding, 2012: 27), weil Kinder und Erwachsene zum einen die Sendung als Anlass für einen regen verbalen Austausch wahrnehmen (Lemish & Rice, 1986), zum anderen die Kommentare von Bezugspersonen Kindern dabei helfen, die Filmhandlung nachzuvollziehen und das Geschehen zu verarbeiten. Es fällt auf, dass besonders junge Kinder ein großes Bedürfnis verspüren, ihre Emotionen über die Geschehnisse zu teilen und dabei die Interpretation eines Erwachsenen zu erfahren. Ähnlich wie ein Buch kann ein Film wiederholt angesehen werden, was zu weiteren Gesprächsanlässen und für eine Vertiefung des Verständnisses sorgen kann- - vorausgesetzt, das Kind hat im ersten Schritt mit dem Erwachsenen eine grobe Vorstellung von den dargestellten Handlungen gebildet. Zusammenfassend kann man nicht von einem eindeutig positiven Einfluss speziell für Kinder entwickelter Fernsehangebote auf das Sprachlernen von Kindern ab dem 22. Lebensmonat sprechen. Vor dem 22. Lebensmonat ist das Erlernen von Wörtern im Kontext des Fernsehens nicht möglich. In Verbindung mit einer sozialen Interaktion können einige Sendungen ansprechend wirken, weil sie einen modifizierten Input beinhalten, der das Verständnis der Kinder in diesem Kontext erleichtert. Kinder profitieren vom Co-Viewing, d. h. wenn Fernsehsendungen zum Anlass genutzt werden, sich über Inhalte auszutauschen und die sich daraus ergebenden Emotionen über Geschehnisse verbal zu teilen. Dafür ist es notwendig, dass Erwachsene die Inhalte der Sendungen kennen. Nachweisliche Lernerfolge gibt es in diesem Kontext lediglich für den Bereich der Substantive für junge Kinder ab dem 22. Lebensmonat und der Verben für Kinder ab 36 Co-Viewing (Box-97): Eine Beteiligung Erwachsener am Medienkonsum ihrer Kinder wird als Co-Viewing bezeichnet. Gemeint ist, dass Erwachsene und ihre Kinder gemeinsam beispielsweise eine Kindersendung anschauen. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 317 17.04.2019 14: 20: 50 318 14. Medien und Spracherwerb Monaten. Diergarten und Nieding (2012) weisen auf einen Zusammenhang zwischen dem bereits großen Wortschatz von Kindern und ihrer Fähigkeit hin, während des Fernsehens neue Wörter zu erwerben. Aus den Ergebnissen folgt, dass Kinder mit geringerem Wortschatz im Vergleich zu Gleichaltrigen mit einem größeren Wortschatz weniger davon profitieren können. In einer umfassenden Betrachtung von im US-amerikanischen Raum durchgeführten empirischen Studien, die die Wirkung des Fernsehens auf die Entwicklung von Sprachlernen, Lesen und Schreiben miteinbezieht, stellt Moses (2008: 70) für Kinder ab dem 3. Lebensjahr fest, dass das Anschauen von Sendungen, die als „educational [pädagogisch]“ charakterisiert werden können, für den Wortschatz und die Worterkennung von Vorteil ist. Sie verdeutlicht nochmals, dass der Inhalt der Fernsehsendungen und eine definierte Zeit, die Kinder damit verbringen, wesentlich zu der positiven Wirkung beitragen. Zusätzlich zu dem emotionalen und inhaltlichen Begleiten, gibt das oben genannte Co-Viewing den Bezugspersonen die Möglichkeit, sich über Inhalte der Sendungen zu informieren. Negativer Einfluss des Fernsehens auf das (Sprach-)Lernen Ein naheliegendes Argument zum negativen Einfluss des Fernsehens auf das Sprachlernen zielt auf die Zeit ab, die diese Beschäftigung den Kindern nimmt und sie dadurch von anderen Aktivitäten, die für ihre motorische, kognitive und soziale Entwicklung wesentlich sind, abhält. Es wird von der Beobachtung unterstützt, dass Kinder vor einem Fernseher passiv und stumm sind. Besonders für Säuglinge scheint diese Beschäftigung das Sprachlernen zu verzögern: Zimmermann und Kollegen (2007) fanden heraus, dass im Alter zwischen 8 und 16 Monaten jede Stunde Fernsehen (inklusive spezieller Lernsendungen für Kinder) mit einer erheblichen Leistungsminderung von 6 bis 8 Wörtern im MCDI- - einem englischsprachigen ELFRA (siehe Kapitel- 7)- - in Zusammenhang stand. Bei Kindern im Alter von 17 bis 24 Monaten fehlte dieser Zusammenhang. Christakis (2009) fasst zusammen, dass es für eine Förderung des Sprachlernens von Kindern unter 12 Monaten durch das Fernsehen keinen Nachweis gibt und mehr als 2 Stunden Fernsehen am Tag die Wahrscheinlichkeit einer Sprachentwicklungsverzögerung versechsfachen. Einen vergleichbaren Befund gibt es bei der phonologischen Entwicklung zu berichten. DVDs, die dafür werben, für Säuglinge besonders geeignet zu sein, sind leicht zu erwerben. Doch wie in Kapitel-6 ausgeführt, lernen Säuglinge das 44783_Rohlfing_SL3a.indd 318 17.04.2019 14: 20: 50 319 14.6 Computer, Tablets, E-Books und Apps phonetische Repertoire ihrer Sprache durch kontingente Interaktion mit einem Erwachsenen. Eltern, die DVDs für ihre Babies abspielen, glauben offensichtlich an die positive Wirkung und überschätzen die Lerneffekte (DeLoache u. a., 2010). DVDs für Babies sind nicht zu empfehlen; sie scheinen das Sprachlernen sogar zu verzögern (Christakis, 2009). Von sich aus favorisieren die meisten jungen Kinder soziale Interaktionen (z. B. Walter-Laager u. a., 2016). Diese werden durch einen Fernseher, der im Hintergrund läuft, stark beeinträchtigt: Eine Studie mit 51 Kindern im Alter von 12, 24 und 36 Monaten fand heraus, dass Erwachsene von den Sendungen im Fernsehen abgelenkt werden und dadurch weniger auf die Ansprachen seitens der Kinder reagieren. Die Autoren schlussfolgern daraus, dass ein im Hintergrund laufender Fernseher die Qualität und Quantität der Eltern-Kind-Kommunikation beeinträchtigt (Kirkorian u. a., 2009). Nicht nur die soziale Interaktion, sondern auch „das kindliche Spiel wird durch häufiges Aufhorchen und Schauen auf den Fernseher unterbrochen, weswegen dem Hintergrundfernsehen ein störender Einfluss auf die Entwicklung höherer kognitiver Funktionen, u. a. der Sprache, zugeschrieben wird“ (Diergarten & Niegling, 2012: 28). Oben wurde eine Betrachtung von Moses (2008) erwähnt, die einen Vorteil des Konsums von speziell für Kinder entwickelten Sendungen lediglich für ältere Kinder und ihre späteren sprachlichen Leistungen nahelegt. Dieser Vorteil hängt jedoch stark von der Dauer ab, die Kinder mit diesem Medium verbringen. Eine besonders negative Wirkung auf die Entwicklung von Lese-Rechtschreibkompetenzen zeigte sich bei Kindern, die insgesamt häufig und viel Zeit vor dem Fernseher verbrachten. Die meisten ‚Vielseher‘ fanden sich in der Gruppe der Kinder aus Familien mit niedrigerem sozioökonomischen Status (Ennermoser & Schneider, 2007; siehe Box-87). Dies kann ein Hinweis darauf sein, dass in diesen Familien Aktivitäten mit und von den Kindern aufgrund vieler Faktoren (siehe Kapitel- 12) anders gestaltet werden. An diesem Punkt setzen Interventionsstudien an, die die Eltern in Aktivitäten, wie zum Beispiel dem gemeinsamen Vorlesen, bestärken. 14.6 Computer, Tablets, E-Books und Apps Computerspiele und Apps erobern die heutige Welt. Diese Änderungen in der Mediennutzung äußern sich dramatisch: Während 1970 Kinder durchschnittlich erst im Alter von 4 Jahren mit elektronischen Medien in Berührung kamen, beginnen heutzutage bereits 4 Monate alte Säuglinge, mit digitalen 44783_Rohlfing_SL3a.indd 319 17.04.2019 14: 20: 50 320 14. Medien und Spracherwerb Medien umzugehen (Reid Chassiakos u. a., 2016). Es gibt eine Vielfalt von Apps, die als für Säuglinge geeignet beworben werden. Hartmann (2014) berichtet, dass es für Eltern aber auch für pädagogische Kräfte immer schwieriger wird, zu entscheiden, ob die Nutzung sinnvoll und hilfreich ist. Der wesentliche Unterschied zum Medium des Fernsehens ist, dass Kinder beim Benutzen von Computerprogrammen aktiv sind-- allerdings nicht, wenn sie den Computer oder das Smartphone lediglich dazu nutzen, auf YouTube Filme anzuschauen. Die Benutzung von einer App oder einem Computerprogramm ist kognitiv anspruchsvoller, weil sie eine Handlung seitens der Benutzer erfordert. Daher wird Computernutzung in Maßen (z. B. am Wochenende) bei älteren Kindern in Zusammenhang mit positiver kognitiver Stimulierung gebracht (Fiorini, 2010). Potenziale der technologischen Unterstützung Eine Metaanalyse von Takacs und Kollegen (2014) fasst bisherige experimentelle Studien zu Technologien wie interaktiven E-Books, Videos oder Fernsehen zusammen. Die Autoren zogen einen Vergleich zwischen Interaktion mit einem Erwachsenen und verschiedenen Technologien, die sie auf ihre Wirksamkeit im Hinblick auf Verstehen einer Geschichte und Wortlernen bei Kindern im Alter von 4 bis 8 Jahren untersuchten. Sie schlussfolgern aus ihren Ergebnissen, dass beide Kompetenzen bei Kindern in dem untersuchten Alter durch multimediale Elemente unterstützt werden können. Die Unterstützung war sogar größer als in Situationen, in denen Kinder allein und ohne Begleitung einer erwachsenen Person gelernt haben. Insofern können die Technologien als ähnlich wirksam wie die Begleitung eines Erwachsenen eingestuft werden (ibid.). Allerdings geben die Autoren zu, dass die untersuchte technologische Unterstützung mit den Medien, die auf dem Markt angeboten werden, nur eingeschränkt vergleichbar ist, weil diese weitere interaktive Merkmale (wie Spielelemente) aufweisen, die eher nachteilig wirken. Somit zeigt die Metaanalyse lediglich die Potenziale der Technik für das Verständnis von Geschichten und Wortlernen, die jedoch nicht direkt auf erhältliche Medien und Technologien übertragbar sind (Takacs u. a., 2014). Zudem ist wichtig zu betonen, dass andere Bereiche, wie zum Beispiel die sozioemotionale Entwicklung, in diesen Untersuchungen nicht im Vordergrund standen, jedoch für die spätere Lesemotivation und Einstellung (die meistens jedoch gegenüber Büchern getestet wird) von großer Bedeutung sein können. Es kann daher geschlussfolgert werden, dass E-Books und Computer dann ef- 44783_Rohlfing_SL3a.indd 320 17.04.2019 14: 20: 50 321 14.6 Computer, Tablets, E-Books und Apps fektiv für das Sprachlernen eingesetzt werden können, wenn kein Erwachsener zur Verfügung steht (ibid.). Die Potenziale der Technik erstrecken sich auf Gruppen von Kindern, die ein anderes Sprachlerntempo haben. Smeets und Kollegen (2014) untersuchten 5bis 6,5-jährige Kinder, bei denen eine Sprachentwicklungsstörung diagnostiziert wurde. Die untersuchten Kinder lernten neue Wörter aus elektronischen Büchern, ohne Begleitung eines Erwachsenen. Statische Bilder waren für sie effektiver im Unterstützen des Wortlernens als Bücher mit Videos. Im zweiten Experiment verdeutlichten die Autoren, dass auditive Ablenkung am meisten mit dem Wortlernen der Kinder interferierte, was sicherlich darauf zurückzuführen ist, dass Kinder mit Sprachentwicklungsstörung häufig Sprachwahrnehmungsdefizite in geräuschvoller Umgebung haben (ibid.). Es sei hier kritisch darauf hingewiesen, dass die oben erläuterten Potenziale der technologischen Unterstützung an älteren Kindern (ab 4 Jahren) nachgewiesen wurden. Studien, die diese Potenziale für jüngere Kinder erkunden oder bestätigen, fehlen nach wie vor. Wortlern-Apps Eine der wenigen Studien, die sich mit dem Wortlernen bei jungen Kindern im Kontext einer App beschäftigt hat, ist die Untersuchung von Walter-Laager und Kollegen (2016). Die Wortlern-App bietet Beschreibungs- und Suchspiele. Bei einer Beschreibung werden Objekte dargestellt; werden sie berührt, äußert eine Stimme das zugehörige Wort. Bei einem Suchspiel sind Wörter zu hören, zu denen das zugehörige Objekt durch Berührung gefunden werden soll. Es ist deutlich, dass durch die Spiele eine unmittelbare und eindeutige Verbindung zwischen Wort und Referent geknüpft wird. An der Studie nahmen 98 deutschsprachige Kinder im Alter von 23 bis 31 Monaten (Durchschnittsalter 27,3) teil. Sie wurden in insgesamt vier Gruppen aufgeteilt, in denen sie neue Wörter lernten: Tablet mit Begleitung, Tablet ohne Begleitung, Bildkarten mit Begleitung und Bildkarten ohne Begleitung. Mit ‚Begleitung‘ ist die Anwesenheit einer erwachsenen Person gemeint, die den Lerner durch folgende Handlungen unterstützte: Zeigen, wie ein Spiel funktioniert, Wiederholen der Ausdrücke für dargestellte Objekte und Expansionen der Ausdrücke zu ganzen Sätzen. Den größten Wissenszuwachs in dieser Studie zeigten Kinder in der Gruppe, die mit Tablet und in Begleitung eines Erwachsenen lernten. In der Gruppe ohne Begleitung gab es ebenfalls einen Lernzuwachs zu 44783_Rohlfing_SL3a.indd 321 17.04.2019 14: 20: 50 322 14. Medien und Spracherwerb verzeichnen. Die Gruppen, die mit Bildkarten lernten, konnten ihr spezifisches Vokabular nicht erweitern. Auch in dieser Studie lernten die Kinder am besten, die bereits am Anfang der Studie einen großen Wortschatz vorweisen konnten. Die Autoren schlussfolgern aus den Ergebnissen, dass die Interaktivität in den Apps, die auf das Wortlernen abzielen, eine sinnvolle Ergänzung der Aktivitäten mit Kindern und eine Alternative zu Bilderbüchern sein kann. Allerdings sollen diese Apps nicht als „digitale Babysitter“ verstanden und genutzt werden (Walter-Laager u. a., 2016: 9). Smartphones und Verhalten der Bezugspersonen Die Vermutung liegt nahe, dass sich die Ablenkung, die Bezugspersonen durch ihre Smartphones erfahren, auf die Interaktion mit ihrem Kind auswirken kann. Alarmierend ist, dass Kinder seltener angesprochen werden, weil ihre Bezugspersonen sich eher den Gesprächen und Aktivitäten am Smartphone als ihnen zuwenden. Eine aktuelle Studie von Reed und Kolleginnen (2017) widmete sich der Frage, inwiefern der Prozess des Wortlernens gestört wird, wenn die Interaktion mit dem Kind eine Unterbrechung durch einen Anruf erfährt. Eine Unterbrechung kommt in Interaktionen häufiger vor, und bereits junge Kinder können Situationen, in denen sie direkt angesprochen werden, von Situationen unterscheiden, in denen sie lediglich zuhören sollen (z. B. Baldwin, 1993). Die in der Untersuchung simulierte Unterbrechung fand während einer Lernphase statt und hatte messbare Konsequenzen: Zweijährige lernten nur dann neue Wörter, wenn die Interaktion ohne Unterbrechung verlief; wurde das Lernen durch einen Telefonanruf unterbrochen, lernten die Kinder keine neuen Wörter dazu. Die Autorinnen halten die Responsivität der Bezugspersonen für essenziell und Unterbrechungen für unvorteilhaft für den Lernprozess. 14.7 Soziale Roboter als interaktive Partner Soziale Roboter (siehe Box-98) unterscheiden sich von anderen digitalen Technologien, die für das Sprachlernen genutzt werden können, weil sie einen Körper haben und somit die Fähigkeit mitbringen, den Lernprozess stärker in eine soziale Interaktion einzubetten (Mubin u. a., Soziale Roboter (Box-98): Der Begriff bezeichnet komplexe künstliche Systeme, die in einer Interaktion eingesetzt werden und durch ihre Beschaffenheit (ihre körperliche Präsenz) dazu in der Lage sind, multimodal zu kommunizieren (Kennedy u. a., 2016). 44783_Rohlfing_SL3a.indd 322 17.04.2019 14: 20: 50 323 14.7 Soziale Roboter als interaktive Partner 2013). Sie bieten somit einen Übergang von physikalischer zu sozialer Interaktion und zugleich den Vorteil, dass Kinder im Umgang mit ihnen an bekannte Interaktionsformen und nonverbales Verhalten anknüpfen können. Es gibt einige Roboter, die für bestimmte Aktivitäten mit Kindern eingesetzt werden, allerdings fehlt ihnen aktuell noch die Fähigkeit, die kindliche Sprache (Kennedy u. a., 2017) wie auch das kindliche multimodale Verhalten zuverlässig wahrzunehmen. Die Akzeptanz bei Kindern ist jedoch gegeben: Studien weisen darauf hin, dass bereits Dreijährige soziale Roboter als Interaktionspartner und somit auch als Informanten akzeptieren (Breazal u. a., 2016). Diese Technologie birgt daher das Potenzial, das Sprachlernen multimodal zu unterstützen. In einem Review berichten Kanero und Kollegen (2018) jedoch, dass die aktuelle Forschungslage den Robotern keinen Vorteil gegenüber anderen Technologien oder einem menschlichen Partner bescheinigt, wenn das Wortlernen im Fokus steht. Doch weisen die Studien auf eine erhöhte Motivation der Kinder hin, sich gegenüber einem Roboter sprachlich zu äußern. Ein großer Nachteil der bisherigen Untersuchungen liegt darin, dass kaum Daten aus Kontrollbedingungen vorliegen, weshalb unklar bleibt, ob diese erhöhte Motivation über einen längeren Zeitraum erhalten bleibt, oder ob sie auf einen Neuigkeitseffekt (mit einem Roboter zu lernen) zurückzuführen ist. Unabhängig von den methodischen Schwierigkeiten gibt es technische Herausforderungen, die noch ungelöst sind. So sind die aktuellen autonomen Robotersysteme zu wenig in der Lage, auf die Varianz im kindlichen Verhalten einzugehen, und ihren Beitrag angemessen aufzubauen (siehe Kapitel-13), weshalb die Interaktion häufig zusammenbricht. Der Grund für die holpernde Interaktion liegt hauptsächlich auf Seite des Roboters, der dem nonverbalen Verhalten der Kinder und andersartiger Pausengestaltung im Turn-Taking zu wenig Beachtung schenkt (Rohlfing u. a., 2017c). Solange diese Herausforderungen nicht gelöst sind, kann es keine eindeutige Antwort auf die Frage geben, ob Roboter interessante Spielpartner für Kinder sein können. Bezüglich der Spielgestaltung gibt es kreative Überlegungen, die die Forschung von Tanaka und Matsuzoe (2012) hervorbrachte: Bei ihrer Untersuchung war der Roboter nicht kompetenter, sondern lernbedürftig. Dieses Vorgehen hatte das Ziel, die Rollen umzudrehen: Nun waren es die Kinder, die dem Roboter etwas beizubringen versuchten. Dieses Lernkonzept ist als learning by teaching (ibid.: 78, eigene Hervorhebung) bekannt. Der Rollenwechsel soll das spontane Lernen fördern. In der berichteten Studie spielten 3bis 6-jährige Kinder ein Verb-Spiel. Zunächst demonstrierte ein Erwachsener den Ablauf: 44783_Rohlfing_SL3a.indd 323 17.04.2019 14: 20: 50 324 14. Medien und Spracherwerb Er nahm eine Karte, auf der eine Handlung abgebildet war, und präsentierte diese dem Roboter. Auf diese Demonstration reagierte der Roboter zunächst mit einer falschen Handlungsausführung, die vorprogrammiert war. In einem weiteren Schritt wurde der Roboter durch die Handlung geführt; auf diese Demonstration folgte am Körper des Roboters eine Programmierung, sodass die Handlung im Anschluss abgespielt werden konnte. Einen Teil der Verben lernten die Kinder mit Roboter und einen Teil ohne. Die Ergebnisse der Studie weisen darauf hin, dass Kinder sowohl unmittelbar nach dem Spiel als auch 3 bis 5 Wochen später die mit dem Roboter gelernten Verben besser abrufen konnten. Der Aufbau dieser Studie kann jedoch nicht aufdecken, ob Kinder den Lernvorteil durch den Roboter oder die Demonstration des Erwachsenen erfuhren. Die Idee, Kinder durch Roboter in weitere Rollen schlüpfen zu lassen, ist jedoch kreativ und verspricht Potenzial für Kinder, durch einen Rollentausch Wörter und Äußerungen als bidirektionale Symbole zu erfahren, und somit die Möglichkeit, Wortwissen zu verfestigen. Diese Ideen bedürfen jedoch weiterer Forschung. Neben den Potenzialen gibt es hinsichtlich dieser Technologie eine Reihe von Fragen, die von der Forschung bisher unberührt bleiben. So ist nicht klar, wie sich durch den Einsatz von Robotern die kindliche Umwelt verändern könnte. Dafür wäre eine Langzeituntersuchung nötig, die nicht nur das Lernen der Kinder, sondern auch das Verständnis von pädagogischen Rollen und die Verantwortung für Lernfortschritte untersucht. Erst solche Untersuchungen können die Potenziale der Technologie für Kindergruppen unterschiedlicher Art umfassend aufdecken. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 324 17.04.2019 14: 20: 51 325 14.7 Soziale Roboter als interaktive Partner Lesetipps: Das Buch von Kümmerling-Meibauer und Kollegen umfasst interessante Beiträge zum Thema Lernen aus Bilderbüchern: B. Kümmerling-Meibauer, J. Meibauer, K. Nachtigäller, & K. J. Rohlfing (Hrsg.) (2015), Learning from Picturebooks: Perspectives from child development and literacy studies (S. 99-116). London/ New York: Routledge. Der Aufsatz von Rohlfing und Kolleginnen fasst die besonderen Lernumstände einer Vorlesesitutation zusammen: Rohlfing, K. J., Fischer, S., Krause, F., & Grimminger, A. (im Druck). Spracherwerb: Warum ist die Situation des gemeinsamen Buchvorlesens für die Sprachentwicklung förderlich? In H. M. Müller (Hrsg.): Angewandte Psycholinguistik. Die Strategien des dialogischen Lesens führt die Studie von Lonigan und Whitehurst ein: Lonigan, C. J., & Whitehurst, G. J. (1998). Relative efficacy of parent and teacher involvement in a shared-reading intervention for preschool children from low-income backgrounds. Early Childhood Research Quarterly, 13 (2), 263-290. Der Einfluss des Fernsehens auf die Entwicklung von Sprachfähigkeiten wird von Diergarten und Nieding zusammengefasst: Diergarten, A. K., & Nieding, G. (2012). Einfluss des Fernsehens auf die Entwicklung der Sprachfähigkeit. Sprache-- Stimme-- Gehör, 36 (1), 25-29. Kanero und Kollegen bieten einen Überblick über den Stand der Forschung zu sozialen Robotern und ihrem Potenzial, Spracherwerb bei Kindern zu unterstützen: Kanero, J., Geçkin, V., Oranç, C., Mamus, E., Küntay, A. C., & Göksun, T. (2018). Social robots for early language learning: Current evidence and future directions. Child Development Perspectives, 12 (3). Die negative Wirkung von neuen Medien auf das Wortlernen wird in der Studie von Reed und Kolleginnen verdeutlicht: Reed, J., Hirsh-Pasek, K., & Golinkoff, R. M. (2017). Learning on hold: Cell phones sidetrack parent-child interactions. Developmental Psychology, 53 (8), 1428-1436. 44783_Rohlfing_SL3a.indd 325 17.04.2019 14: 20: 51 44783_Rohlfing_SL3a.indd 326 17.04.2019 14: 20: 51 327 Bibliographie Abner, N., Cooperrider, K., & Goldin-Meadow, S. (2015). Gesture for linguists: A handy primer. Language and Linguistics Compass, 9(11), 437-449. https: / / doi.org/ 10.1111/ lnc3.12168 Acredolo, L., & Goodwyn, S. (1988). Symbolic gesturing in normal infants. Child Development, 59(2), 450-466. https: / / doi.org/ 10.2307/ 1130324 Adamson, L. B., & Dimitrova, N. (2014). Joint attention and language development. Encyclopedia of language development, 299-304. Adamzik, K. (2010). Sprache: Wege zum Verstehen. Tübingen: Francke. Akhtar, N., Dunham, F., & Dunham, P. J. (1991). Directive interactions and early vocabulary development: the role of joint attentional focus. Journal of Child Language, 18(1), 41-49. https: / / doi.org/ 10.1017/ S0305000900013283 Akhtar, N., & Gernsbacher, M. A. (2007). Joint attention and vocabulary development: A critical look. Language and Linguistics Compass, 1(3), 195-207. https: / / doi.org/ 10.1111/ j.1749- 818X.2007.00014.x Akhtar, N., & Tomasello, M. (2000). The social nature of words and word learning. In R. M. Golinkoff & L. 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Störvariable 56 Syntaktisches Priming 193 ff. Tagebuchaufzeichnungen / Tagebuchstudie 191 Unabhängige Variable 56 Validität 284 f. Wissenstransfer 307 (Soziales) Feedback 128, 132, 135 44783_Rohlfing_SL3a.indd 359 17.04.2019 14: 20: 53 Abstrahieren; Abstraktion 25, 29, 196, 204, 207 f. Abstrakte Konzepte 151, 199 Achtungshinweise, perzeptuelle, soziale, linguistische 30 f., 102 Achtungssignal 294 Akzentuierung 125 Amodalität 87 f., 220 Aphasie 40 f. Assoziation 102, 154 f., 204, 208 Aufmerksamkeitsregulation 270 Äußerung 190 Äußerungslänge 190 Autismus-Spektrum-Störung 46 f., 58, 92, 113, 176, 256, 259, 275, 301 BBabysprache / Zwergensprache 182 Basiskonzepte 214, 227 Bewegungsart (Art einer Bewegung) 85 f. Bewegungsbahn (Bahn einer Bewegung) 85 f. Bilingualismus / Mehrsprachigkeit 42 Broca-Areal 40 f., 80 Brückenhypothese 268 CComputer, Tablets, E-Books 319 Co-Viewing 317 DDeiktische Gesten 167 f., 171 Deixis 175 Dekontextualisierte Sprache 288 Dialogisches Lesen 314 Diminutiv 201 Diskontinuitätshypothese 250 Duale Repräsentation 306 Dyade 105, 108 f. Ein-Wort-Phase 183, 205 embodied cognition 23, 26 Emergentist Coalition Model 30 Emotion(en) 64, 267, 288, 317 Emulation 82 f. Engagieren 99 Enkodierung 152 ff. Entrenchment 204, 208 Epigenese 22, 30, 86, 195, 198 Erweiterungen 300 Erzählen / Erzählung 255, 314 Exekutive Funktionen 44 Extension 216 f. FFast Mapping 152, 158, 180, 220 Fernsehen 315 Flexion 197 f., 200 Frühgeborene Kinder 90 f., 118, 184 GGebrauchsbasierter Ansatz 28, 194 ff., 204, 208 Geburtsreihenfolge 273 Gehirnmasse 44, 46 f. Gemeinsame Aufmerksamkeitsbezüge / Joint Attention 97 f., 106, 110, 274 Genus 200 Gestentypen 165 f. Gestik / Gesten 165 f., 168 f., 171, 178, 180, 183, 185, 187, 290 gesturese 289 Gewichtung 31, 67, 158 Grenzmarkierung 67, 125 Großhirnrinde 39 Gurren 80, 121, 132 H Sachregister 44783_Rohlfing_SL3a.indd 360 17.04.2019 14: 20: 53 361 Sachregister Handlungsziele 82, 84, 92, 106, 113, 145, 240 Holophrase 204 ff. Hörschädigung 134 IIkonische Gesten 178-181, 290 Imitation 82-86, 92, 132 f., 193 Implikatur 245 Implizites Lernen 194 Inferenz 235-238, 245, 248, 256 Intension 26, 215, 217 Intention 107, 218, 238 ff., 249 Intentionalität 206, 238, 240 Interaktionistischer Ansatz 217 Interaktive Gesten 166 Interpersonale Synchronisation 62 f., 87, 90, 260 Intersensorische Redundanz 87 ff. JJambus 56 f., 120 KKanonisches Lallen 123 Kasus 200 Kategorie 23, 29, 154, 202, 204, 216, 221, 227 ff., 247, 306 Kinderetymologie 137 Kinderliteratur 310 Kognitive Repräsentation 23 f., 229 Ko-Konstruktion 298 Kommunikatives Genre 252 Komposition 209 Konsolidierung 152 f., 209 Konsonanten 63, 80, 120-123, 128, 130 Konstruktion(en) 28 f., 150, 189, 194 f., 204, 206 f. Konstruktionsgrammatik 28 Kontingenz(en) / kontingentes Verhalten 15, 59 ff., 91 f., 107, 124, 316 Kontinuititätshypothese 249 Konventionalisierte Gesten 178 Konzeptualisierung 22, 26, 144 Konzeptuelle Kategorisierung; Kategorisierung 26 Konzeptuelle Repräsentation 205, 225 f. Kritische Periode 69, 71 LLallen 122 f., 135 Lateralisation 40, 47 Lautspiel 122 learning by teaching 323 Lehrstrategien 293, 298 f. Lernbereitschaft 295 Lernstrategien 293 Lernumgebung 308 Lexikalische Netze 154 Linking 21, 29, 203 MMedien 305 Mehrwortäußerungen 199 f., 202 Meilensteine der Sprachentwicklung 278 f. Merkmalshypothese 219 Mimikry 82 f. Modalität 24, 69, 76, 79, 81, 87 Modularität 19, 62 Monitoring 244 Morphem 189 f., 197 Morphosyntax / Grammatik 189 motionese 291 Mustererkennen 28 f. Musterverarbeitung 29 Myelinisierung 45 f. NN-400 Komponente 37 f. Nativismus 19, 21, 29, 198, 202, 225 f. Nicht-kanonisches Lallen 123 PPaarsequenzen (adjacency pairs) 251 parentese / motherese / kinderorientierte Sprache 286 44783_Rohlfing_SL3a.indd 361 17.04.2019 14: 20: 53 362 Sachregister Pendelnder Blick 108, 112 Perzeptionsgeleiteter Ansatz 101 f. Perzeptuelle Kategorisierung 26 Phon 121, 134, 137 Phonologie 117, 137, 231 f. Phonologische Spezifizierung 68, 88 Polyadische, dyadische Interaktion 252, 274 Pragmatik 144, 224, 235 Pragmatische Erwerbsprinzipien 246 Pragmatischer Rahmen 223 Pragmatische Störungen 256 Priming 195 Prinzipbasierte Ansätze / einschränkende Prinzipien 26, 158 Priorisierung 31, 64 Produktivität / abstraktes Wissen 193, 195 f., 204 Prosodie 125 f., 197, 286 Prosodische Kontur 65 f. Prosodisches Bootstrapping 126 Protophone 121 Prototyp(en) 221 Prototypentheorie 221 Protowörter 123, 147, 149 RReferenz 26, 30, 99-102, 104, 106, 113, 148, 150, 171, 178, 215, 217 f., 246, 250 Referenzielle Erwartung / referential expectation 174 Referenzielle Wörter 148 f., 230 Reparatur 243 Repräsentationale Gesten 167 Reziprozität / reziproke Wirkung 59, 82, 91, 132 f. Rhythmizität 79, 126 Routinen 97, 107, 113 f., 145 f., 148 f., 174, 191, 224 S Salienz 30, 101 f. Schema / Schematisierung 25, 189, 204, 206, 209, 223 Schreien 120 Schüchternheit 271 Segmentierung 21, 65 f., 127, 137 Selbstwirksamkeit 85 Semantik 136 f., 144, 148, 154, 203, 211, 216 Semantische Rollen 202 f. Semantisches Bootstrapping 21 Semantische Synchronisation 168 f., 171, 184 Sensibilität 30 f., 43, 55, 58 f., 63 f., 68, 70, 102, 160, 174, 201 Sensibilitäten 29 Sensible Phase 69 ff. Simulation 29, 81, 129 Slot 29, 206 Slow Mapping 152, 154, 180, 305, 307 Smartphones 322 Soziale Aufmerksamkeit 27 Soziale Roboter 322 Soziale Signale 13, 47, 55, 82, 99, 105, 112, 289, 295 Soziales Lernen 82 Sozialinteraktiver Ansatz / sozialinteraktionistischer Ansatz 27 Sozialisierung der Aufmerksamkeit 84, 296 Sozialpragmatischer Ansatz 104, 106 f. Sozioökonomischer Status 276 f., 297, 314, 319 Späte Blüher 184 Späte Sprecher 184 f., 261 Spiegelneurone 80 ff., 92 Spracherwerbstypen 268 Sprachliche Relativität 228 Sprachrythmen / Rhythmus 57, 120, 125, 127 Sprachverstehen 242, 245 44783_Rohlfing_SL3a.indd 362 17.04.2019 14: 20: 53 363 Sprachwahrnehmung 55, 64, 67 ff., 120, 122, 277, 287 Sprechakt, Sprechakttheorie 238, 250 Strukturelles Priming 195 Suprasegmentale / prosodische Merkmale / Prosodie 123, 125 f. Symbolgehalt 147 f. Syntaktische Funktionen 202 Syntaktisches Priming 193 f. TTheory of Mind / Theorie des Geistes 273 Tonhöhe 288 Transfer 307, 309 Triade 104 f., 108 f. Trochäus 56 f., 121 Turn-Taking / Redezug / Gesprächsschritt 59 ff., 124 f., 250 ff., 323 UÜberdehnung 216 Übergeneralisierung 196 Universalgrammatik 20 Unterdehnung 216, 219 Unterstützte Imitation 84, 295 VVariabilität 259 f. Vegetative Laute 121 Verkörperte Kognition 62, 81, 206 Verschmelzungspunkt (convergence point) 172 visual checking 177 Vokale 63, 80, 120, 122 f., 128, 130, 133 Vokalisierung 76 f., 79 f., 119 ff., 123-126, 128 f., 131 f., 134 f., 175, 190, 249, 251 WWeltwissen 245 f., 256 Wenicke-Areal 41 Wortabruf 45, 152 Wortbedeutung 220 Wortbildung 197 f. Wörter Nomen / Verben 150, 158, 160, 194, 206 f., 315, 317, 324 Wortlern-Apps 321 Wortlernmechanismen 151 f. Wortschatz 49, 51, 141, 144, 147, 154-157, 183, 248, 272, 277, 296 f., 313, 318 Wortschatzbreite 156 f. Wortschatzspurt 157 Wortschatztiefe 156 ZZone der proximalen Entwicklung 294 Zuhören 241, 256 Sachregister 44783_Rohlfing_SL3a.indd 363 17.04.2019 14: 20: 53 ,! 7ID8C5-cehidg! ISBN 978-3-8252-4783-6 Katharina J. Rohlfing Frühe Sprachentwicklung Dieser Band bietet Studierenden der Pädagogik, Entwicklungspsychologie und (Klinischen) Linguistik eine Einführung in den frühen Spracherwerb. Er stellt die aktuellen Debatten zur Sprachentwicklung vor und zeigt, wie Kinder Sprache in sozialer Interaktion erfahren und im Zusammenspiel motorischer, kognitiver und sprachlicher Fähigkeiten erwerben. Die 14 Kapitel ermöglichen eine direkte Übertragung der Einheiten auf eine Seminar- oder Vorlesungssitzung. Unter Berücksichtigung der individuellen Entwicklungsverläufe sowie des kindlichen Umfelds gehen die Kapitel auf die Neurophysiologie des Spracherwerbs und die phonologische, morphosyntaktische, semantische und pragmatische Entwicklung ein. Ein Kapitel zur technischen Unterstützung stellt die Forschung in aktuellen Bezug zur digitalen Gesellschaft. Sprachwissenschaft Pädagogik | Psychologie Frühe Sprachentwicklung Rohlfing Dies ist ein utb-Band aus dem Narr Francke Attempto Verlag. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehrbücher und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen. utb-shop.de QR-Code für mehr Infos und Bewertungen zu diesem Titel 47836 Rohlfing_M-4783.indd 1 17.04.19 15: 11