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Journalistik

0611
2018
978-3-8385-4808-1
978-3-8252-4808-6
UTB 
Klaus Meier

Eine kompakte und verständliche Einführung in die Journalistik Anwendungsorientiert, praxisnah und mit vielen Beispielen gibt der Autor einen systematischen Überblick über Theorien, Methoden und die vielfältigen Erkenntnisse des Faches. Neben grundlegendem Wissen über den Journalismus in der Gesellschaft thematisiert er aktuelle Debatten der Journalistik - über Ausbildung, Qualität, Ethik und die Zukunft des Journalismus.

K L AU S M E I E R Journalistik 4. überarbeitete Auflage UVK Verlagsgesellschaft mbH · Konstanz mit UVK/ Lucius · München Klaus Meier ist seit 2011 Professor für Journalistik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt und war dies davor am Institut für Journalistik der TU Dortmund und an der Hochschule Darmstadt. Er ist Träger des Ars legendi-Preises für exzellente Hochschullehre 2017. Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www.utb-shop.de. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.ddb.de abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. 1. Auflage 2007 2. Auflage 2011 3. Auflage 2013 4. Auflage 2018 © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz und München 2018 Einbandgestaltung und Grundlayout: Atelier Reichert, Stuttgart Coverbild: © www.pixelio.de Satz: PTP-Berlin Protago-TEX-Production GmbH, Berlin Druck: CPI buchbücher.de, Birkach UVK Verlagsgesellschaft mbH Schützenstr. 24 · 78462 Konstanz Tel.: 07531-9053-0 · Fax: 07531-9053-98 www.uvk.de UTB-Nr. 2958 ISBN 978-3-8252-3923-7 55 Inhalt Vorwort ................................................................................................................................................. 9 1 Journalistik und Journalismusforschung ..................................................... 13 1.1 Gegenstand und Perspektiven des Fachs ..................................................... 13 1.1.1 Was ist Journalismus? ............................................................................... 13 1.1.2 Journalismus und Demokratie ......................................................... 15 1.1.3 Was ist Journalistik? .................................................................................. 18 1.1.4 Publizistik, Kommunikationswissenschaft, Medienwissenschaft ................................................................................... 22 1.2 Theorien des Journalismus ..................................................................................... 25 1.2.1 Wissenschaftliche Theorie und Alltagstheorie .................. 25 1.2.2 Übersicht: Theoriekonzepte ................................................................ 26 1.2.3 Beispiel I: ein systemtheoretischer Ansatz ............................... 29 1.2.4 Beispiel II: Cultural Studies als kulturtheoretischer Ansatz ......................................................... 36 1.3 Journalismusforschung .............................................................................................. 40 1.3.1 Grundlagen empirischer Sozialforschung .............................. 40 1.3.2 Methoden empirischer Journalismusforschung ................ 47 1.3.3 Grundlagenforschung und anwendungsorientierte Forschung ............................................... 58 2 Journalismus in der Gesellschaft ....................................................................... 67 2.1 Die fünf Ebenen des Journalismus .................................................................... 67 2.2 Geschichte und Wandel des Journalismus ................................................. 71 2.2.1 Etappen der Journalismusgeschichte .......................................... 72 2.2.2 Beispiele für lang wirkende Traditionen .................................. 80 2.3 Kommunikationsfreiheit und Mediensysteme ...................................... 83 2.3.1 Kommunikationsfreiheit als Kennzeichen demokratischer Mediensysteme ...................................................... 83 2.3.2 Mediensysteme im Vergleich ............................................................. 87 6 I n h a l t 3 Journalismus und sein Publikum ....................................................................... 97 3.1 Publikumsforschung .................................................................................................... 97 3.2 Mediennutzung im Wandel ................................................................................... 108 3.3 Wirkung des Journalismus ..................................................................................... 115 4 Medienorganisationen ............................................................................................... 127 4.1 Medien und Massenkommunikation ............................................................. 127 4.2 Organisationsformen und Ökonomie der Massenmedien ......................................................................................................... 131 4.2.1 Privatwirtschaftlich und öffentlich-rechtlich ..................... 131 4.2.2 Der Doppelcharakter privatwirtschaftlicher Medienorganisationen ............................................................................. 133 4.2.3 Medienkonzentration und Medienmultis ............................... 140 4.2.4 Ökonomische Herausforderungen durch das Internet ....................................................................................... 144 4.3 Medienlandschaft Deutschland: Basisdaten .............................................. 148 4.3.1 Nachrichtenagenturen ............................................................................ 149 4.3.2 Presselandschaft ............................................................................................ 150 4.3.3 Rundfunklandschaft ................................................................................. 155 4.3.4 Digitale Medien .............................................................................................. 160 4.4 Exkurs: Österreich und Schweiz .......................................................................... 163 4.5 Redaktionsorganisation ............................................................................................. 168 5 Journalistische Routinen ........................................................................................... 183 5.1 Journalismus, Realität und Objektivität ....................................................... 183 5.2 Darstellungsformen und Berichterstattungsmuster .......................... 190 5.3 Nachrichtenauswahl .................................................................................................... 204 5.4 Journalismus und Public Relations ................................................................... 212 6 Die Journalisten ................................................................................................................ 217 6.1 Journalismus als Beruf ................................................................................................ 217 6.2 Ausbildung und Kompetenzen ............................................................................ 230 7 Aktuelle Debatten der Journalistik .................................................................. 239 7.1 Qualität und Qualitätsmanagement ................................................................ 239 7.2 Ethik ........................................................................................................................................... 250 7.3 Die Zukunft des Journalismus .............................................................................. 261 7 I n h a l t Literaturempfehlungen ........................................................................................................... 277 Literaturverzeichnis .................................................................................................................... 279 Index ....................................................................................................................................................... 293 99 Vorwort Ich gebe mit diesem Lehrbuch einen praxisnahen und systematischen Überblick über die vielfältigen Erkenntnisse der Journalistik als berufsorientierter wissenschaftlicher Disziplin. Studienanfänger der Journalistik haben häufig - wie ich auch - durch Praktika oder freie Mitarbeit ihre Leidenschaft für den Journalismus entdeckt. Ich möchte Lust wecken, mehr über diesen spannenden und für die Demokratie so wichtigen Beruf zu erfahren - nicht nur durch praktisches Tun im redaktionellen Korsett, sondern auch durch Nachdenken mit Hilfe wissenschaftlicher Methoden und Erkenntnisse im akademischen Freiraum. Über die Identität des Fachs Journalistik wird seit mehr als 40 Jahren munter diskutiert. Die Studienangebote wurden ausgebaut - und haben sich dabei stark differenziert. Die Erkenntnisse der Journalismusforschung sind ungemein gewachsen. Alle Studiengänge, Lehrstühle und Professuren an Fachhochschulen und Universitäten, die entweder Journalistik oder Journalismus im Namen tragen, haben eines gemeinsam: Sie wollen die Studentinnen und Studenten gründlich auf das Berufsfeld Journalismus vorbereiten - und zwar nicht nur durch praktisches Training, sondern auch mit wissenschaftlicher Forschung und Reflexion. Dieses Ziel will das vorliegende Lehrbuch unterstützen. Es führt kompakt, aber umfassend in die Wissensgebiete der Journalistik ein und orientiert sich dabei einerseits am Berufsfeld Journalismus, andererseits am einschlägigen Forschungsstand der Publizistik-, Medien- und Kommunikationswissenschaft. Das Lehrbuch soll sowohl dem aktuellen Wandel des Journalismus als auch den Ansprüchen der neuen Bachelor- und Master-Studiengänge gerecht werden. Es versteht sich als Ergänzung zu praktischen Leitfäden und Ratgebern, die sich auf Tipps zum journalistischen Recherchieren, Schreiben und Produzieren konzentrieren - was in der Journalistenausbildung zwar elementar ist, aber angesichts des dynamischen Wandels der Medienmärkte, -techniken und -produkte bei weitem nicht ausreicht. 10 V o r w o r t Dieses Buch ist konzipiert für das Studium der Journalistik im Haupt- und Nebenfach, bietet aber auch eine Orientierung für Studierende anderer (Medien-)Studiengänge und für das Selbststudium mit Berufsziel Journalismus. Es dient demnach • als begleitende Lektüre für Module, Vorlesungen, Seminare und Übungen im Haupt- und Nebenfachstudium Journalistik: vorwiegend als Einführung in den ersten beiden Semestern, aber auch als Vorbereitung auf Abschlussarbeiten und Abschlussprüfungen; • zum Selbststudium für Studierende anderer Fachrichtungen mit Berufsziel Journalismus; • zum Selbststudium für Journalistinnen und Journalisten - zum Beispiel in nicht-akademischer Aus- und Weiterbildung -, die in kompakter Form mehr über ihren Beruf wissen wollen und aus der inzwischen vorliegenden Fülle praxisrelevanter Forschung schöpfen möchten. Die Reihe »UTB basics«, in der dieses Lehrbuch erscheint, gibt in knapper und didaktisch ausgearbeiteter Form einen Überblick über ein Fachgebiet. Der Aufbau ermöglicht eine schnelle Orientierung durch Kapitelübersichten, Merksätze, Definitionen und Zusammenfassungen. Dem Selbststudium dienen Übungsfragen. Wer mehr zu einem Thema wissen möchte, findet nach jedem Kapitel Literaturhinweise auf weiterführende Aufsätze und Bücher. Hier soll das Buch auch zur Vorbereitung von Hausarbeiten, Referaten, Bachelor- oder Masterprojekten nützlich sein: Man kann einzelne Kapitel nachlesen, wenn der Stoff im Studium vorkommt. Das Buch ist so aufgebaut, dass man die einzelnen Kapitel nicht der Reihe nach lesen muss, sondern modular gezielt Vorlesungsinhalte herausgreifen kann - obschon ein umfassendes Verständnis des Fachs eher beim linearen Lesen entstehen wird. Ich beginne im ersten Kapitel mit einer Klärung des Gegenstands, der Perspektiven, Theorien und Forschungsmethoden der Journalistik. Das zweite Kapitel spannt dann den Rahmen für die weitere Gliederung des Buches auf, die sich an den fünf Ebenen des Journalismus orientiert: den historisch gewachsenen gesellschaftlichen, rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen, dem Kontext des Publikums, den Medienorganisationen, für die Journalisten tätig sind, den journalistischen Routinen und den Journalisten selbst, ihren sozialen Merkmalen und ihrer Ausbildung. Im letzten Kapitel werden schließlich drei übergreifende, aktuelle Debatten der Journalistik skizziert: über Qualität, Ethik und die Zukunft des Journalismus. Ich konnte bei diesem Buch - wie generell bei meiner Arbeit an der Hochschule - auf großartige Unterstützung zählen. Ich danke vor allem meinen Kolleginnen und Kollegen an den Journalismus-Studiengängen der Hochschule Darmstadt, am Institut für Journalistik der TU Dortmund 11 sowie an der Journalistik der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt: Wir diskutieren seit Jahren intensiv über das Selbstverständnis der Journalistik, über die Konzeption neuer Studieninhalte und Studiengänge. Vor allem Friederike Herrmann und Annette Leßmöllmann gaben mir wertvolle Hinweise zum Manuskript; Peter Seeger, Hartmut Vinçon, Carlo Sommer, Thomas Pleil und Lorenz Lorenz-Meyer waren immer wieder bereit zu fruchtbaren Gesprächen. Für wichtige Hinweise für die weiteren Auflagen danke ich Melanie Verhovnik, Lisa Wolf, Verena Gabler und Katharina Freise. Zum Kapitel über die Schweiz haben über die Auflagen hinweg Vinzenz Wyss, Guido Keel, Filip Dingerkus und Michael Schanne beigetragen, zum Kapitel über Österreich Sonja Luef, Andy Kaltenbrunner und Daniela Kraus. Allen herzlichen Dank dafür. Als Gutachter in Akkreditierungsverfahren für neue Studiengänge an anderen Hochschulen hatte ich zudem vielfältige Einblicke in Journalistik-Konzeptionen; als Berater von Redaktionen und Coach in der Journalistenweiterbildung bekam ich die Gelegenheit, an Innovationen im Journalismus mitzudenken und mitzuarbeiten. Ich danke allen, die mir Chancen gaben, über mein Studium und die eigenen Forschungsprojekte hinaus mehr über den Journalismus und seine Wissenschaft zu erfahren. Eichstätt, im April 2018 Klaus Meier 13 13 Journalistik und Journalismusforschung Gegenstand und Perspektiven des Fachs Was ist Journalismus? Beginnen wir die Suche nach dem Journalismus mit einem ganz normalen Medienalltag. Am Morgen holt uns der Radiowecker aus dem Schlaf: Popmusik unterbrochen durch kurze Bemerkungen eines launigen Moderators über das miese Wetter. Wir blättern durch die Tageszeitung: Die CDU hat im neuesten Wahlbarometer ein Prozent mehr Zustimmung erhalten und bei Aldi ist das Duschbad billiger geworden. Auf dem Weg zur Arbeit lesen wir in »DB mobil«, der Kundenzeitschrift der Bahn, ein Porträt von Filmstars wie Elyas M’Barek oder Diane Kruger. Später dann - am Schreibtisch im Büro - informiert uns das Internet-Angebot eines Fernsehsenders darüber, dass der neueste Film mit einem dieser Schauspieler bereits mehr als vier Millionen Zuschauer in die Kinos gelockt hat. Am Abend fesselt uns nach den Nachrichten eine ZDF-Serie an den Fernsehbildschirm: In »Eichwald, MdB« simulieren Schauspieler das Berliner Machtzentrum um einen fiktiven Bundestagsabgeordneten. Nebenbei checken wir unsere Social Media Accounts: Ein Freund macht uns auf eine neue Serie bei Netflix aufmerksam, in der »die wahre Geschichte von Aufstieg, Fall und Flucht« eines mexikanischen Drogenbarons erzählt wird. Doch können wir sicher sein, dass es tatsächlich eine »wahre Geschichte« ist? Und glauben wir, dass die Nachricht zur U.S.-Politik stimmt, die gerade ein Freund auf Facebook geteilt hat? - Wir zappen durch die TV-Programme und stoßen erneut auf | 1 1.1 Gegenstand und Perspektiven des Fachs 1.2 Theorien des Journalismus 1.3 Journalismusforschung Inhalt | 1.1 | 1.1.1 Medienalltag 14 J o u r n a l I s t I k u n d J o u r n a l I s m u s f o r s c h u n g Sendungen, die auf ganz unterschiedliche Art und Weise Realität inszenieren: Live-Sport, »DSDS«, Talkshow »Maybrit Illner«, »Dschungelcamp«, »heute show«. Die Massenmedien bieten vielfältige Formen öffentlicher Kommunikation ( → vgl. Kap. 4.1; S. 127-130). Sie gleichen einer großen Bühne, auf der vieles gespielt wird. Müssten wir für jedes mediale Format entscheiden, ob es sich um Journalismus handelt oder nicht - wir würden mit Sicherheit viel streiten. Journalismus lässt sich von anderen Aktivitäten im Medienbetrieb nicht klar unterscheiden. Selbst mit einer guten wissenschaftlichen Definition kann man oft nicht nach dem Muster »ja« oder »nein« vorgehen, sondern eher mit Hilfe einer bipolaren Linie: Es handelt sich dann um »mehr« oder »weniger« Journalismus. Wissenschaft definiert zentrale Begriffe über einen Theoriebezug - in Abhängigkeit vom Erklärungsanspruch ( → vgl. Kap. 1.2; S. 25 - 39). Die folgende Definition stellt die Aufgaben des Journalismus in den Mittelpunkt und erklärt seine Funktion für die Gesellschaft: Die Themen, welche der Journalismus aufgreift, haben also drei Eigenschaften, die gemeinsam den Begriff der Aktualität kennzeichnen: • Neuigkeit: Die Ereignisse, auf die sich die Themen beziehen, liegen nur einige Minuten, Stunden oder Tage zurück - je nach Erscheinungsintervall (= Periodizität) des jeweiligen Mediums. Bei Live-Berichterstattung wird sogar Gleichzeitigkeit erreicht. Auch Themen, die nicht direkt an Ereignisse gekopppelt sind, haben Gegenwartsbezug. • Faktizität: Es handelt sich um tatsächliche Ereignisse und nicht um Fiktionen. Die Regeln des Journalismus sehen Faktenüberprüfungen vor. Die Faktizität bestimmt damit den unmittelbaren Quellenbezug des Journalismus. • Relevanz: Die Themen sind wichtig für die Zielgruppe des jeweiligen Mediums, mitunter für die gesamte Gesellschaft. Das heißt, sie beziehen sich auf die (vermuteten) augenblicklichen Interessen des Publikums. Die Relevanz bestimmt damit den Gesellschafts- und Publikumsbezug des Journalismus. Medien: eine große Bühne Journalismus Journalismus recherchiert, selektiert und präsentiert Themen, die neu, faktisch und relevant sind. Er stellt Öffentlichkeit her, indem er die Gesellschaft beobachtet, diese Beobachtung über periodische Medien einem Massenpublikum zur Verfügung stellt und dadurch eine gemeinsame Wirklichkeit konstruiert. Diese konstruierte Wirklichkeit bietet Orientierung in einer komplexen Welt. Definition Aktualität g e g e n s t a n d u n d P e r s P e k t I V e n d e s f a c h s 15 Der Soziologe Niklas Luhmann hat seine Theorie über die Realität der Massenmedien mit dem banalen und doch folgenreichen Satz begonnen: »Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien.« (1996: 9) Die moderne Mediengesellschaft verlässt sich auf die durch den Journalismus konstruierte Wirklichkeit - trotz aller Kritik am Journalismus und trotz aller Skepsis, ob das denn alles richtig und wichtig ist, was wir lesen, sehen oder hören. Journalismus ist ein Vertrauensgut: Wir vertrauen darauf, dass die Journalistinnen und Journalisten die für uns wichtigen Themen auswählen und dass die Beschreibungen, die sie liefern, richtig sind - also bestimmte Realitätstests überstanden haben und nicht übertrieben oder gar falsch dargestellt sind. Auf diese Erwartungen hat der Journalismus mit der Entwicklung professioneller Arbeitsweisen - den journalistischen Routinen - reagiert (→ vgl. Kap. 5; S. 183 - 216): Die Selektionskriterien können mit den Nachrichtenfaktoren beschrieben werden; die Realitätstests beruhen auf den professionellen Kriterien der journalistischen Recherche. Journalismus würde seine gesellschaftliche Orientierungsleistung nicht erfüllen können, wenn er beliebig vorginge. Andere Medienbereiche adaptieren oder imitieren diese Arbeitsweisen, um ebenfalls Vertrauen zu gewinnen. Die Deutsche Bahn zum Beispiel lässt eine Zeitschrift produzieren, die in den Zügen ausliegt und in der mit journalistischen Darstellungsformen über prominente Sportler oder Schauspieler ebenso informiert wird wie über die Sauberkeit von Bahnhöfen und die Pünktlichkeit von Zügen. Mit Hilfe unserer Definition können wir feststellen, dass die Zeitschrift zwar durchaus neue Themen kommuniziert, dass es aber an der Faktizität und der Relevanz hapern könnte: Ob die Bahnhöfe tatsächlich so sauber sind und die Züge so pünktlich? Ob alle Themen auch tatsächlich für das Publikum wichtig sind und nicht nur für die Bahn als Auftraggeberin dieser Zeitschrift? - Wir trauen der Zeitschrift in diesen Punkten nicht, weil es sich eben nicht um Journalismus handelt, sondern um ein Medium der Unternehmenskommunikation ( → vgl. Kap. 5.4; S. 212 - 216) - eine andere Form öffentlicher Kommunikation, die den Interessen des Auftraggebers folgt und nicht unabhängig arbeiten kann. Doch arbeitet Journalismus immer unabhängig? - Auch Journalismus unterliegt wirtschaftlichen und politischen Interessen. Journalismus und Demokratie Damit sind wir schon mitten in der Debatte um die Ideale und die Qualität des Journalismus, die wir später vertiefen werden ( → vgl. Kap. 7.1; S. 239 - 249). Einleitend sei darauf verwiesen, dass sich zur deskriptiven Frage »Was ist Journalismus? « oft die normative Frage »Was soll Journalismus? « gesellt. | 1.1.2 Öffentlichkeit und Transparenz Vertrauensgut Journalismus 16 J o u r n a l I s t I k u n d J o u r n a l I s m u s f o r s c h u n g Vor allem aus der Perspektive eines freien pluralistischen Gesellschaftssystems werden an die Rahmenbedingungen und Arbeitsweisen des Journalismus immer wieder Forderungen gestellt, denn der Journalismus gilt als »Schlüsselberuf« für die moderne Demokratie, der Öffentlichkeit herstellt und dadurch Transparenz in die gesellschaftlichen Verhältnisse bringen soll ( → vgl. Kap. 2.3; S. 83 - 96). Es handelt sich dann nicht um deskriptive - also beschreibende - Definitionen (wie oben), sondern um normative Theorien, die begründen, was Journalismus idealerweise ausmacht und was er »sein soll«. Diesen Theorien zufolge ist ein qualitativ hochwertiger, seriösnachrichtlicher Journalismus konstitutiv für die Demokratie. Die Leistungen für die Gesellschaft kann er nur erfüllen, wenn er folgenden Idealen möglichst nahekommt: • Zu den Kernaufgaben des Journalismus gehört die Information. Der Journalismus soll so vollständig und sachlich wie möglich informieren, damit wir uns über das politische und wirtschaftliche Geschehen ein sinnvolles Bild machen können. Journalismus sollte ein »Frühwarnsystem« der Gesellschaft sein und die Aufmerksamkeit auf zentrale Themen und Ereignisse lenken, damit gemeinsame Diskussionen über gesellschaftliche Probleme geführt werden können. Gleichzeitig sollte eine möglichst große Themen- und Meinungsvielfalt geboten werden. • Weitere Aufgaben sind Kritik und Kontrolle. Die moderne Demokratie ist gekennzeichnet durch ein System der »checks and balances« (»Kontrolle und Gegengewichte«). Man spricht von »Gewaltenteilung« - sinnvoller ist aber der Begriff »Macht«, weil in der Demokratie ja in den wenigsten Fällen physische Gewalt ausgeübt wird. Die staatliche Macht ist auf mehrere Schultern verteilt; die Mächte kontrollieren sich gegenseitig. Die drei staatlichen Mächte Exekutive, Legislative und Judikative werden durch die »vierte Macht« Journalismus kritisiert und kontrolliert. Missstände, Fehlentscheidungen, Korruption oder bürokratische Willkür sollen aufgedeckt werden. • In der digitalen Medienwelt hat ein Demokratieverständnis zugenommen, das der Vorstellung der Beteiligung möglichst vieler Bürger und zivilgesellschaftlicher Akteure an einem öffentlichen Diskurs folgt. Von hochwertiger journalistischer Berichterstattung wird deshalb zusätzlich eine Dialogorientierung verlangt und eine grundsätzliche Offenheit gegenüber Stimmen, die nicht aus dem Lager politischer Parteien kommen. Neue Berichterstattungsmuster ( → vgl. Kap. 5.2; S. 194 - 201) wie der Partizipative Journalismus, der Public Journalism, der Konstruktive oder der Konfliktsensitive Journalismus greifen dieses Ideal der Teilhabe auf. • Durch Information, Kritik und Kontrolle und die Ermöglichung von Beteiligung wirkt der Journalismus an der Meinungsbildung mit. »vierte Macht« g e g e n s t a n d u n d P e r s P e k t I V e n d e s f a c h s 17 • Die redaktionelle Unabhängigkeit gilt als wesentliches Merkmal journalistischer Professionalität. Journalisten können ihre öffentliche Aufgabe nur erfüllen, wenn sie unabhängig von privaten oder geschäftlichen Interessen Dritter und von persönlichen wirtschaftlichen Interessen arbeiten. Dieser Grundsatz ist - auf die Produktebene bezogen - im Trennungsgebot von redaktioneller Berichterstattung und Werbung gesetzlich verankert (z. B. in den Landespressegesetzen) und berufsethisch noch weitergehend auf das journalistische Handeln bezogen formuliert (vgl. Pressekodex Ziffer 7): Verleger und Redakteure sollen jegliche Versuche, die Redaktion zu beeinflussen, abwehren. Unabhängigkeit und Trennungsgebot bestimmen letztlich die Glaubwürdigkeit der Information und liegen deshalb langfristig im Interesse aller Beteiligten. Denn die Attraktivität eines journalistischen Produkts resultiert aus der Erwartung eines mündigen Publikums, nicht einseitig im Dienst fremder Interessen informiert zu werden. Geht mit zunehmend schlechter Erfahrung das Vertrauen in die Unabhängigkeit einer Redaktion verloren, schwindet nicht nur die Zahlungsbereitschaft der Nutzer für die journalistische Dienstleistung, sondern auch der Wert der journalistischen Produkte als Werbeträger. »Wer kontrolliert die Kontrolleure? « - Nicht wenige Tagungen, Vorträge oder Podiumsdiskussionen stehen unter diesem Motto. Die Frage kann generell nicht befriedigend beantwortet werden. Einerseits sollte der Journalismus möglichst große Freiheit haben und weder durch staatliche noch durch wirtschaftliche Mächte beeinflusst werden (Stichwort Pressefreiheit → vgl. Kap. 2.3.1; S. 83 - 87). Andererseits ist der Journalismus nicht unfehlbar - auch er braucht Schranken. Da die Pressefreiheit verfassungsrechtlich ein hohes Gut ist (vgl. Art. 5 Grundgesetz), sind die gesetzlichen Schranken recht weit gefasst und beziehen sich vor allem auf das Persönlichkeitsrecht und den Jugendschutz. Wie lässt sich ohne Zensur und Reglementierung auf Fehlentwicklungen im Journalismus reagieren? Dies ist die Kernfrage redaktionelle Unabhängigkeit Aus Sicht einer normativen Demokratietheorie soll Journalismus Transparenz in die gesellschaftlichen Verhältnisse bringen. Seine Kernaufgaben sind demnach Information sowie Kritik und Kontrolle; zusätzliches Ideal des digitalen Journalismus ist die Teilhabe der Menschen an Öffentlichkeit. Insgesamt wirkt der Journalismus dadurch an der Meinungsbildung mit. Um ihre öffentliche Aufgabe optimal erfüllen zu können, brauchen Journalisten professionelle Unabhängigkeit. Merksatz »Wer kontrolliert die Kontrolleure? « 18 J o u r n a l I s t I k u n d J o u r n a l I s m u s f o r s c h u n g der publizistischen Qualitätssicherung ( → vgl. Kap. 7.1; S. 239 - 249) und der journalistischen Ethik ( → vgl. Kap. 7.2; S. 250 - 261). Die Möglichkeiten reichen von publizistischer Selbstkontrolle (z. B. durch den Presserat) bis zur Beobachtung und Kritik des Journalismus beispielsweise durch die Wissenschaft (z. B. die Journalistik), durch Bereiche des Journalismus selbst (Medienjournalismus) und durch so genannte Media Watchdogs (»Wachhunde«). Das Internet bietet eine neue Plattform für die Watchdogs: Ein Beispiel ist »bildblog. de«, ein Weblog, das sich kritisch mit der Berichterstattung der BILD-Zeitung und anderer Redaktionen auseinandersetzt - angeregt durch Hinweise von Leserinnen und Lesern. Was ist Journalistik? Der Begriff »Journalistik« lässt sich historisch mindestens über 200 Jahre verfolgen. Lange Zeit war damit aber nichts anderes als »Journalismus« gemeint. Erst allmählich setzte sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die heutige Bedeutung durch: Seitdem ist - pragmatisch formuliert - die Journalistik nichts anderes als die Wissenschaft vom Journalismus. Sie entwickelte sich in Deutschland vor mehr als 40 Jahren als Teildisziplin aus der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft ( → vgl. Kap. 1.1.4; S. 22 - 25). Die Journalistik setzt sich wissenschaftlich-analytisch und reflektierend mit dem Berufs- und Arbeitsfeld Journalismus auseinander. Allerdings sind sich die Wissenschaftler nicht darüber einig, was dies im Detail bedeutet. Die Journalistik präsentiert sich, um es mit dem Journalismusforscher Martin Löffelholz (2003: 31) zu sagen, »als ein pluralistisches, differenziertes und dynamisches Forschungsfeld«. Im Wesentlichen gibt es zwei Dimensionen der Journalistik: das Studiengangmodell und den Forschungszweig. Journalistik als Studiengangmodell Die Journalistenausbildung bestand in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik vor allem aus einem Anlernen on the Job im Volontariat. Kritik an dieser einspurigen Ausbildungsform und den journalistischen Berufsstandards führte in den 70er-Jahren zu einer Reihe von Initiativen, die eine Hochschulausbildung von Journalisten forderten - zum Beispiel ein Memorandum des Deutschen Presserats. In Dortmund und München wurden Diplomstudiengänge gegründet, die erstmals den Namen »Journalistik« trugen und diesem Begriff ein Profil gaben. Es folgten weitere grundständige oder Aufbaustudiengänge mit im Detail unterschiedlichen Konzeptionen - aber mit dem gemeinsamen Anspruch, alle journalistischen Kompetenzen integrativ zu vermitteln ( → vgl. Kap. 6.2; S. 230 - 238) und damit Theorie und Pra- 1.1. 3 | Wissenschaft vom Journalismus Vorbild USA g e g e n s t a n d u n d P e r s P e k t I V e n d e s f a c h s 19 xis des Journalismus zusammenzuführen. Vorbild sind die USA: Es gibt dort mehr als 100 Journalistik-Studiengänge (insgesamt fast 500 kommunikationswissenschaftliche Angebote) und eine 100 Jahre alte Tradition der Hochschulausbildung von Journalisten. Mehr als drei Viertel der Journalisten, die in den USA in den 90er-Jahren ihren Job begannen, hatten Journalistik oder Kommunikationswissenschaft studiert (Weaver u. a. 2007: 43). In den 80er und 90er-Jahren richteten einige deutsche Universitäten Voll-, Teil-, und Nebenfachstudiengänge Journalistik ein. Daneben wurden an traditionellen Instituten der Kommunikationswissenschaft und Publizistik Journalistik-Professuren und -Arbeitsbereiche eröffnet. In den vergangenen 20 Jahren kamen schließlich etliche Fachhochschulen hinzu, die mit unterschiedlichen Modellen für Medienberufe ausbilden. Insgesamt wurde die Journalistik vielfältiger. Journalistik als Forschungszweig Während die Journalistik als Studiengangmodell viele Perspektiven und Fachgebiete integriert - zum Beispiel die Medienökonomie, das Medienrecht oder politisches und gesellschaftliches Sachwissen -, um alle Dimensionen der journalistischen Kompetenz in die Ausbildung einbringen zu können, konzentriert sich die Journalistik als Forschungszweig auf die Erforschung des »Gegenstands Journalismus« - genauer: seiner Berufs- und Arbeitszusammenhänge. Die Journalistik untersucht die Regeln und Arbeitsweisen des Journalismus und analysiert »in einem auf die Kommunikationsverhältnisse der Gesellschaft bezogenen Kontext, was Journalismus leistet und wie Journalismus wirkt und unter welchen Bedingungen er dies tut« (Weischenberg 2004: 27). Für dieses Forschungsgebiet hat sich auch der Begriff »Journalismusforschung« etabliert. Manche Wissenschaftler sehen die Journalistik als Teil einer »Kommunikatorforschung« (vgl. Pürer 2014: 109-187; Löffelholz 2003). Diese Bezeichnung geht auf ein Kommunikationsmodell zurück, das Harold D. Lasswell 1948 formulierte. Die so genannte Lasswell-Formel teilt den Kommunikationsprozess vereinfacht in fünf Elemente: »Who says what in which channel to whom with what effect? « Diese Einteilung hat auf die Kommunikationswissenschaft noch immer einen gewissen Einfluss, weil sich daran fünf Hauptbereiche der Kommunikationsforschung aufzeigen lassen (vgl. Abb. 1.1). Diese Separierung von Forschungsbereichen ist allerdings nicht unproblematisch, weil damit mögliche Beziehungen untereinander unerforscht bleiben. So ist auch »Kommunikatorforschung« ein unglücklicher, weil missverständlicher Begriff: Man könnte meinen, es sei damit nur die Erforschung von Personen oder Gruppen von Personen gemeint, nämlich von Kommunikatoren (neben Journalisten auch PR-Fachleuten, Werbeagen- Bedingungen, Leistungen und Wirkungen Kommunikatoren und Rezipienten 20 J o u r n a l I s t I k u n d J o u r n a l I s m u s f o r s c h u n g ten, sonstigen Autoren, Sprechern und Politikern, die in der Öffentlichkeit auftreten). Diese Gruppen können isoliert betrachtet gar nicht vernünftig erforscht werden, weil sie immer in Strukturen und Prozesse der Medienproduktion und Mediennutzung eingebunden sind und sich ihre Arbeitsweisen, Regeln und Einstellungen auf die Medieninhalte auswirken. Zudem können in digitalen Medien Kommunikator- und Rezipientenrollen nicht mehr strikt getrennt werden: Mediennutzer werden selbst zu Kommunikatoren, wenn sie sich an Medieninhalten beteiligen - zum Beispiel in Social Media, Foren und Weblogs. Aus diesen Gründen sprechen wir auch nicht von »Journalistenforschung«, sondern von »Journalismusforschung«. Und deshalb verlaufen Journalistik und Journalismusforschung quer zu einer solchen Einteilung. Sie gehen weit über eine »Kommunikatorforschung« hinaus und stehen mit allen Disziplinen im Austausch. Die Lasswell-Formel bildet auf einen Blick wichtige Elemente des Kommunikationsprozesses ab und systematisiert Felder der Kommunikationsforschung - nimmt allerdings aufgrund der Einfachheit viele Nachteile in Kauf: So werden z. B. wechselseitige Abhängigkeiten, Beziehungen untereinander, Feedback und Rückkopplungsschleifen nicht berücksichtigt. Gesellschaftliche Rahmenbedingungen der Massenkommunikation sind nicht explizit erwähnt (Quelle: eigene Darstellung nach Lasswell 1948). »Who says what in which channel to whom with what effect? « Aussagen-/ Medieninhaltsforschung z. B. Inhalte der Medien zu bestimmten Themen, Themenprofile von Medienprodukten; Genre- und Darstellungsformen Kommunikatorforschung z. B. Arbeitsweisen, Merkmale und Einstellungen von Journalisten Medienstrukturforschung z. B. Organisationsformen und Strukturen von Massenmedien (z. B. öffentlich-rechtlich vs. privat) Publikums-/ Nutzungsforschung z. B. Art und Ausmaß der Mediennutzung, Motive und Wünsche der Rezipienten Wirkungsforschung z. B. Folgen und Effekte der Medien auf Wissen, Einstellung, Gefühle, Verhalten auf individueller und gesellschaftlicher Ebene Abb. 1.1 | g e g e n s t a n d u n d P e r s P e k t I V e n d e s f a c h s 21 Die integrierende Perspektive: berufsorientierte Journalistik Die Fachgruppe, in der sich die deutschsprachigen Journalistik-Wissenschaftler austauschen, ist in der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK) angesiedelt und nennt sich »Journalistik/ Journalismusforschung« - mit dem Ziel, beide Bereiche zu integrieren: die studiengangbezogene Dimension der Journalistik und das Feld der Journalismusforschung. In angloamerikanischen Ländern tut man sich sprachlich leichter: Die entsprechende Fachgruppe der International Communication Association (ICA) heißt schlicht »Journalism Studies« und beschäftigt sich mit »journalism theory and research as well as professional education in journalism«. Journalistik-Wissenschaftler, die sich in deutschsprachigen Ländern um eine Integration von Journalistenausbildung und Journalismusforschung - also von Lehre und Forschung - bemühen, betonen die Anwendungsorientierung des Fachs: So sieht zum Beispiel Horst Pöttker die Journalistik als »berufsorientierte Wissenschaft«, »die zur journalistischen Profession ein ähnliches Verhältnis entwickeln kann wie die Medizin zum Arztberuf« (1998: 233). Die Wissenschaft konzentriert sich aus dieser Perspektive auf Probleme, die der Journalismus zu lösen hat, und sie stellt der journalistischen Praxis »nützliche, d. h. innovative und zutreffende Erkenntnisse« (ebd.) zur Verfügung. Die frühere Skepsis von Journalisten gegenüber der Forschung weicht zunehmend auf, weil durch die Digitalisierung der Innovationsdruck steigt und wissenschaftliches Wissen für strategische Entscheidungen in Redaktionen gefragt ist. Der Wissenstransfer zwischen Journalismusforschung und Redaktionen wird deshalb zum Thema (vgl. Meier 2014). Dabei muss allerdings betont werden, dass die Wissenschaft einen gesellschaftlichen und keinen privatwirtschaftlichen Auftrag hat - und es deshalb nicht primär um die kommerzielle Verwertbarkeit von Erkenntnissen gehen kann. Die Journalistik ist immer auch kritischer Widerpart des Journalismus, beschreibt Defizite und Fehlentwicklungen, belässt es aber nicht bei der Kritik, sondern zeigt Fakten und Argumente für neue Wege auf und erforscht systematisch Innovationen zur Verbesserung journalistischer Qualität. »Journalism Studies« wie die Medizin 1 Journalistik ist die Wissenschaft vom Journalismus. Sie erforscht die Regeln und Arbeitsweisen des Journalismus und geht den Fragen nach, was Journalismus für die Gesellschaft leistet und wie er wirkt. Zusammenfassung 22 J o u r n a l I s t I k u n d J o u r n a l I s m u s f o r s c h u n g Publizistik, Kommunikationswissenschaft, Medienwissenschaft Die Journalistik entwickelte sich als Teildisziplin aus der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Sie nutzt in vielfältiger Weise die Erkenntnisse dieser Wissenschaftsdisziplin, die sich mit der Mediengesellschaft und der medialen Durchdringung fast aller Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Politik, Wirtschaft, Erziehung, Kultur oder Sport beschäftigt. Was ist der Unterschied zwischen Journalistik und Publizistik- und Kommunikationswissenschaft? Zum einen geht die Publizistik- und Kommunikationswissenschaft über die Journalistik hinaus und untersucht alle Phänomene der durch Massenmedien vermittelten öffentlichen Kommunikation - also auch mediale Formen, die nicht Journalismus sind (z. B. die Produktion und Wirkung fiktionaler Formate), oder andere Berufsfelder (z. B. Public Relations, Werbung oder Medienpädagogik). Zum anderen unterscheidet sich die Journalistik von der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft durch ihren intensiven Berufs- und Anwendungsbezug. Die Kommunikationswissenschaft ist eine vergleichsweise junge Disziplin, die erst ab 1916 als »Zeitungskunde« in den Kanon akademischer Fächer aufgenommen wurde. Die heutigen Bezeichnungen des Fachs sind nicht einheitlich und stiften unter Studierenden sowie unter Wissenschaftlern anderer Fächer erhebliche Verwirrung. Nach 1945 wurde zunächst die Bezeichnung Publizistikwissenschaft gebräuchlich. Später kam der Begriff Kommunikationswissenschaft hinzu - in Anlehnung an die US-amerikanischen »Communication Studies«, die sich frühzeitig mit den gesellschaftlichen Kommunikationsprozessen befassten und empirische Forschungsmethoden dafür entwickelten ( → vgl. Kap. 1.3; S. 40 - 65). Der Kerngegenstand des Fachs - nämlich die Massenmedien - hielt seltsamerweise erst spät Einzug in die Fachbezeichnung: In den 70er-Jahren entstand aus der Germanistik, den Literatur- und Theaterwissenschaften eine ästhetisch und historisch orientierte Medienwissenschaft, die sich als Geistes- und Kulturwissenschaft versteht und weniger den gesellschaftli- 1.1. 4 | verwirrende Fachbezeichnungen 2 Als berufsorientierte Wissenschaftsdisziplin integriert sie Journalistenausbildung und Journalismusforschung und stellt für die journalistische Praxis innovative Erkenntnisse bereit, untersucht aber auch Defizite und Fehlentwicklungen des Journalismus. 3 Journalistik-Studiengänge haben den Anspruch, die journalistischen Kompetenzen durch Forschung und Lehre sowie in Theorie und Praxis integrativ zu vermitteln. g e g e n s t a n d u n d P e r s P e k t I V e n d e s f a c h s 23 chen Kontext als die Ästhetik und Geschichte von Einzelwerken und Einzelmedien erforscht. Die Publizistik- und Kommunikationswissenschaft geht dagegen eher sozialwissenschaftlich vor, berücksichtigt also stärker die Kommunikationsverhältnisse in der Gesellschaft und den Prozess- und Vernetzungscharakter von (Massen-)Kommunikation. Auch die historische Forschung ist entweder medienwissenschaftlich geprägt und betrachtet dann isoliert die Entwicklung einzelner Medien (wozu sie auch das Theater, den Brief oder das Plakat zählt; vgl. Hickethier 2010) - oder sie geht kommunikationswissenschaftlich vor und analysiert die Entwicklung der Massenmedien im Kontext der gesellschaftlichen Verhältnisse der jeweiligen Zeit (vgl. Wilke 2008) ( → vgl. Kap. 2.2; S. 71 - 82). Um die Verwirrung noch zu steigern, gibt es Institute, die zwar den Namen »Medienwissenschaft« tragen, aber primär sozialwissenschaftlich geprägt sind, z. B. an den Universitäten Düsseldorf, Ilmenau und Leipzig. Immer mehr Kommunikationswissenschaftler schielen nach dem Begriff »Medien«, weil dieser in der Öffentlichkeit und der Hochschulpolitik leichter vermittelbar ist. So wurde zum Beispiel das Münchner Institut im Jahr 2004 von »Kommunikationswissenschaft (Zeitungswissenschaft)« in »Kommunikationswissenschaft und Medienforschung« umbenannt - unter geschickter Umgehung des umstrittenen Begriffs »Medienwissenschaft«. Wie auch immer man sie bezeichnet: Die umfassende Wissenschaft der Massenmedien und der medialen Prozesse in der Gesellschaft entwickelt sich immer mehr zu einer transdisziplinären Wissenschaft mit zahlreichen Berührungspunkten zu anderen Disziplinen. Einige Beispiele: Gemeinsam mit der Politikwissenschaft erforscht man das Spannungsfeld zwischen Politik und Journalismus, mit der Psychologie die individuellen Wirkungen der Medien, mit der Soziologie die gesellschaftlichen Wirkungen der Medien, mit der Pädagogik die Medienerziehung und den Einsatz von Medien in der Bildung, mit der Literatur- und Sprachwissenschaft die Medienprodukte oder mit der (Medien-)Informatik die neuen Möglichkeiten der computervermittelten digitalen Kommunikation. transdisziplinäre Wissenschaft Die Publizistik- und Kommunikationswissenschaft erforscht die wachsende mediale Durchdringung fast aller Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Politik, Wirtschaft, Erziehung, Kultur oder Sport. Sie geht primär sozialwissenschaftlich vor, entwickelt sich aber immer mehr zur transdisziplinären Integrationswissenschaft mit erheblichen Berührungspunkten zu anderen Disziplinen. Die Journalistik ging aus der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft hervor, unterscheidet sich davon aber durch die konkrete Berufsorientierung und den intensiven Praxisbezug Zusammenfassung 24 J o u r n a l I s t I k u n d J o u r n a l I s m u s f o r s c h u n g Literatur Siegfried Weischenberg hat als Erster das umfangreiche Wissen der Journalistik gesammelt und in drei Bänden veröffentlicht. Da die Bücher mit 1.300 Seiten allerdings etwas ausufern, sind sie nicht in einem Semester zu bewältigen und eher als Nachschlagewerk geeignet. Problematisch ist, dass der Großteil schon vor mehr als 20 Jahren geschrieben wurde und deshalb veraltet ist. Auch neuere Auflagen wurden bislang nicht durchgehend aktualisiert. Klaus-Dieter Altmeppen und Klaus Arnold haben eine spezielle Einführung zu Journalismus als organisationales Handlungsfeld geschrieben. Einen neuen Ansatz der Integration von Theorie und Praxis - also von Journalismusforschung und Journalismus - verfolgt das gut lesbare Lehrbuch von Christoph Neuberger und Peter Kapern unter dem Titel Grundlagen des Journalismus. Einen Überblick über den aktuellen Stand der Journalismusforschung bietet der Sammelband, den Klaus Meier und Christoph Neuberger herausgegeben haben. Einen knappen Überblick über die Perspektiven und Probleme ihres Fachs gibt das Selbstverständnispapier der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (als kostenloser Download unter www.dgpuk.de). Als Einführung, als Nachschlagewerk und für die Prüfungsvorbereitung ist sowohl das 600 Seiten starke Handbuch Publizistik- und Kommunikationswissenschaft des ehemaligen Münchner Professors Heinz Pürer geeignet als auch die Einführung in die Publizistikwissenschaft von den Züricher Professoren Bonfadelli, Jarren und Siegert. Unterschiedliche Journalistik-Konzepte verfolgen Horst Pöttker und Martin Löffelholz. Es lohnt sich, die beiden Aufsätze im Vergleich zu lesen: Während Pöttker - als ehemaliger Professor am Dortmunder Journalistik- Studiengang - im Beitrag »Öffentlichkeit durch Wissenschaft« die Berufso- 1 Definieren Sie »Journalismus«. Nennen Sie Beispiele medialer Formate und diskutieren Sie, inwiefern es sich um Journalismus handelt. 2 Welche drei Eigenschaften kennzeichnen die »Aktualität«? 3 Warum gilt der Journalismus als »Schlüsselberuf« für die moderne Demokratie? 4 Warum ist redaktionelle Unabhängigkeit so wichtig? 5 Welche Ziele verfolgt eine berufsorientierte Journalistik? 6 Warum ist die Publizistik- und Kommunikationswissenschaft nicht deckungsgleich mit der Journalistik? Welche Unterschiede gibt es? Übungsfragen zu Kapitel 1.1 t h e o r I e n d e s J o u r n a l I s m u s 25 rientierung der Journalistik hervorhebt und sie mit der Medizin vergleicht, begreift der Ilmenauer Professor Löffelholz die Journalistik rein forschungsorientiert als Teilgebiet der Kommunikationswissenschaft - und dort wiederum als Teilgebiet der Kommunikatorforschung. Eine Einführung in die Medienwissenschaft mit geistes- und kulturwissenschaftlicher Prägung hat Knuth Hickethier vorgelegt. Theorien des Journalismus Wissenschaftliche Theorie und Alltagstheorie Schon die Frage, was überhaupt eine Theorie ist, lässt sich nicht einfach beantworten. Der Begriff leitet sich aus dem Griechischen ab (»theoria« = »Betrachtung«, »Überlegung«, »Erkenntnis«) und bezeichnet im Allgemeinen einen Zusammenhang wissenschaftlich begründeter und generalisierender Aussagen über einen Bereich der Realität - also über bestimmte Tatsachen sowie über die ihnen zugrunde liegende Gesetzmäßigkeit. Aufgabe einer Theorie ist zunächst die Darstellung eines Sachverhalts (z. B. eine Beschreibung der Strukturen sozialer Wirklichkeit durch Bildung von Typologien und Klassifikationen), aber auch die Erklärung (»Was sind die Ursachen und Bedingungen dafür, dass Ereignisse eintreten, dass wir genau diese und nicht andere Strukturen vorfinden? «) und schließlich die Prognose (die Voraussage bis dahin unbekannter Sachverhalte oder Vorhersagen von Trends). Theorien können zudem normative Aussagen über wünschenswerte Entwicklungen treffen (»Was soll sein? «). Theorien des Journalismus beschreiben demnach den Journalismus oder einen bestimmten Bereich des Journalismus; sie suchen nach Ursachen und Bedingungen dafür, warum Journalismus so und nicht anders ist - und sie legen die Basis für Voraussagen, wohin der Journalismus sich künftig entwickelt. Oder sie fordern, was der Journalismus sein soll. Im Prinzip waren die Antworten auf die Fragen »Was ist Journalismus? « und »Was soll Journalismus? « in Kapitel 1.1 bereits Theoriefragmente. In vielen Alltagsbereichen und gerade im Journalismus und der Journalistenausbildung wird immer wieder auf einen (scheinbaren) Gegensatz von Theorie und Praxis verwiesen: hier das Nachdenken über Journalismus - dort das Handeln im Journalismus; hier die wissenschaftliche Arbeit - dort die journalistische Arbeit. Verfasser von Theorien werben dagegen mit Aussagen wie »keine Praxis ohne Theorie« oder »nichts ist so praktisch wie eine gute Theorie«. Und in der Tat ist zielgerichtetes - also nicht zufälliges - praktisches Handeln nicht möglich ohne ein theoretisches Konzept, das zumindest durch Nachdenken gewonnen wurde. Wer sagt, er arbeite ohne | 1.2 | 1.2.1 Darstellung, Erklärung, Prognose an der Realität bewähren 26 J o u r n a l I s t I k u n d J o u r n a l I s m u s f o r s c h u n g Theorie, ist sich seiner Theorie nur nicht bewusst. Jeder Journalist ist gut beraten, wenn er sein Handeln nicht nur auf seine eigenen Alltagstheorien (oder die seiner Kollegen) gründet, sondern auf wissenschaftlich erarbeitete Theorien. Im Gegensatz zur Alltagstheorie, die vom Einzelfall und subjektiver Erfahrung ausgeht, liefert die wissenschaftliche Theorie eine intersubjektiv nachprüfbare, allgemeingültige und kritisierbare Beschreibung und Erklärung der Wirklichkeit. Gute Theorien bauen auf vorliegenden Theorien sowie auf Ergebnissen empirischer Sozialforschung auf ( → vgl. Kap. 1.3; S. 40 - 65) und werden weiterentwickelt, wenn neue Forschungsergebnisse oder Veränderungen der sozialen Wirklichkeit dies erfordern. Theorien müssen sich also immer wieder an der Realität bewähren (vgl. Kasten). Übersicht: Theoriekonzepte Wie die Journalistik insgesamt sind auch ihre theoretischen Grundlagen aus der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft hervorgegangen. Die Theorien des Journalismus haben sich aber inzwischen unter dem Einfluss anderer Disziplinen und im Hinblick auf den Fokus auf »Journalismus« in vielerlei Hinsicht von den ursprünglichen allgemeinen Kommunikations- und Medientheorien emanzipiert. Bewusst ist im Plural von »Theorien« die Rede, denn eine einzige »Supertheorie« des Journalismus gibt es nicht. Vielmehr konkurrieren etliche Das Falsifikationsprinzip Wissenschaftstheorie und Erkenntnistheorie diskutieren Regeln und Gütekriterien für Theorien. Einer der einflussreichsten Wissenschaftstheoretiker des 20. Jahrhunderts war Karl R. Popper (1902 - 1994). Er begründete den Kritischen Rationalismus, der uns lehrt, dass unsere Vermutungen über die Realität - also unsere Theorien - immer kritisierbar und widerlegbar sein müssen. Das so genannte Falsifikationsprinzip besagt, dass wir nie absolute Gewissheit haben, sondern jede menschliche Erkenntnis nur vorläufig gültig sein kann - nämlich so lange, bis wir sie falsifizieren, bis wir also feststellen, dass sie falsch ist, weil sie an Tatsachen gescheitert ist. Erkenntnisfortschritt ist eine Folge von Vermutung und Widerlegung: Solange eine Theorie alle Einwände überlebt, die wir gegen sie haben, nehmen wir an, dass sie richtig ist. Streng genommen sind wir erst klüger, wenn die Theorie falsifiziert ist: Dann können wir unsere Vermutung über die Wirklichkeit optimieren. Wissenschaft vermittelt nach diesem Verständnis keine »Glaubenssicherheit«, sondern öffnet den kritischen Blick auf die Realität. 1.2.2 | keine »Supertheorie« t h e o r I e n d e s J o u r n a l I s m u s 27 Teiltheorien mit unterschiedlichen fachlichen Wurzeln und Herangehensweisen sowie einer jeweils spezifischen Erklärungskraft. Martin Löffelholz hat sich um eine Synopse von Journalismustheorien bemüht und acht Theoriekonzepte identifiziert (vgl. Löffelholz 2003: 33). Dabei fasst er als »Theoriekonzept« unterschiedliche theoretische Ansätze zusammen, die sich u. a. im Entstehungskontext, in der Herangehensweise und im Untersuchungsfokus ähneln. Armin Scholl (2016) vergleicht die wichtigsten Theorien des Journalismus anhand der Fragestellungen, wie sie mit der Autonomie des Journalismus, mit Objektivität und mit der Rolle des Publikums umgehen. Eine weitere Sortierung von Theorien leistet das Lehrbuch von Stefan Weber (2010). Würde man alle vorliegenden theoretischen Ansätze zählen, käme man sicherlich auf mehrere Dutzend Theorien des Journalismus. Und in der Tat enthält allein das von Martin Löffelholz und Liane Rothenberger (2016) herausgegebene »Handbuch Journalismustheorien« insgesamt 37 zum Teil ganz unterschiedliche Ansätze. Weitere soziologische Theoriekonzepte des Journalismus bündelt der Sammelband von Altmeppen, Hanitzsch und Schlüter (2007). Grundsätzlich lassen sich zwei Arten von theoretischen Ansätzen unterscheiden, die einerseits auf eine größere Gesellschaftstheorie zurückgehen und diese auf den Journalismus anwenden (»Makrotheorie«) und andererseits nur einen Aspekt oder eine Dimension des Journalismus analysieren (»Theorie mittlerer Reichweite«). In Anlehnung an die erwähnten Sortierungen, die sich in der Literatur finden, lassen sich als grobe Übersicht unter Vernachlässigung von Details und Vollständigkeit folgende vier theoretischen Makrokonzepte unterscheiden, die alle Journalismus in einer Gesellschaftstheorie verorten: • Normativ-kritische Theorien gründen auf der Frankfurter Schule mit einer früher marxistischen Orientierung (Theodor W. Adorno, Max Horkheimer) und wurden vor allem von Jürgen Habermas in einer Theorie des kommmunikativen Handelns in eher bürgerlicher Prägung weiterentwickelt. Fragestellung ist hier zum Beispiel, wie die Bürger in einer deliberativen Demokratie am Zustandekommen von Öffentlichkeit beteiligt werden können und was Journalismus zur Verständigung über öffentliche Angelegenheiten beiträgt. • Systemtheorien und konstruktivistische Theorien: Die Systemtheorie beschreibt, welche Funktion der Journalismus in der Gesamtgesellschaft hat und welche Leistung er erbringt. Die meisten systemtheoretischen Journalismusteorien (vgl. z.B. Bernd Blöbaum, Matthias Kohring oder Wiebke Loosen) gehen auf den 1998 verstorbenen Soziologen Niklas Luhmann zurück. Konstruktivistische Ansätze werden mitunter mit der Systemtheorie verbunden (z.B. Siegfried Weischenberg), beziehen sich aber eher auf die Philosophiegeschichte, die uns lehrt, dass wir im »Journalismus in Gesellschaftstheorien« 28 J o u r n a l I s t I k u n d J o u r n a l I s m u s f o r s c h u n g Erkennen Befangene sind und deshalb Wirklichkeit letztlich immer konstruiert wird - so auch die Wirklichkeit der Medien (vgl. z.B. Bernhard Pörksen oder Siegfried J. Schmidt). • Integrative Sozialtheorien: Hier kann man zum Beispiel die Strukturationstheorie von Anthony Giddens nennen, die den Zusammenhang zwischen Struktur und Handeln aufzeigt und auf die sich deshalb Studien beziehen, die Journalismus organisationsbezogen analysieren (vgl. z.B. Vinzenz Wyss), oder die Akteur-Struktur-Dynamik, mit der der Soziologe und Luhmann-Schüler Uwe Schimank die Systemtheorie um die Akteursperspektive erweitert (vgl. z.B. in der Anwendung der Journalismustheorie: Christoph Neuberger). • Kulturorientierte Theorien: Ansätze, die auf die umfassenden und weit verzweigten Cultural Studies zurückgehen, begreifen Journalismus als kulturellen Diskurs oder kulturelle Erzählung, mittels dessen die Gesellschaft sich selbst verständigt (vgl. z.B. Margreth Lünenborg). Außer diesen Makrotheorien gibt es eine Fülle von Theorien mittlerer Reichweite, die in diesem Buch in allen Kapiteln eine gewisse Rolle spielen: zum Beispiel Wirkungstheorien ( → vgl. Kap. 3.3; S. 115 - 125), Nachrichtenauswahltheorien ( → vgl. Kap. 5.3; S. 204 - 211) oder Theorien journalistischer Ethik und Qualität ( → vgl. Kap. 7; S. 239 - 261). Diese Einführung in die Journalistik kann nicht alle Konzepte angemessen darstellen. Beispielhaft soll anhand der sozialwissenschaftlichen Systemtheorie gezeigt werden, wie (Makro-)Theorien in ihrer Beschreibung und Analyse der Wirklichkeit vorgehen. Als Kontrast dazu folgt ein kurzer Blick auf die kulturwissenschaftliche Schule der Cultural Studies. Theorien des Journalismus können vier Aufgaben erfüllen: • Darstellung: Sie beschreiben den Journalismus beispielsweise durch Bildung von Typologien und Klassifikationen. • Erklärung: Sie suchen nach Ursachen und Bedingungen dafür, warum Journalismus so und nicht anders ist. • Prognose: Sie sagen voraus, wohin sich der Journalismus entwickelt. • Normative Aufgabe: Sie treffen und begründen Aussagen über wünschenswerte Entwicklungen (»Was soll Journalismus? «). Es gibt keine »Supertheorie« des Journalismus, sondern es konkurrieren Teiltheorien mit unterschiedlichen fachlichen Wurzeln und Herangehensweisen sowie einer jeweils spezifischen Erklärungskraft, die sich auf bestimmte Aufgaben konzentriert. »Makrotheorien« verorten Journalismus in einer größeren Gesellschaftstheorie; »Theorien mittlerer Reichweite« analysieren nur einen Aspekt oder eine Dimension des Journalismus. Zusammenfassung »Theorien mittlerer Reichweite« t h e o r I e n d e s J o u r n a l I s m u s 29 Beispiel I: ein systemtheoretischer Ansatz Die systemtheoretische Perspektive ist vor allem dazu geeignet, die Struktur des Journalismus in der Gesellschaft zu beschreiben und zu erklären. Schon seit 25 Jahren sind die meisten Journalismustheorien im deutschen Sprachraum systemtheoretisch geprägt; es wird sogar von einem »Mainstream« in der Journalismustheorie gesprochen - auch wenn inzwischen häufig Theorien unterschiedlicher Herkunft kombiniert und integriert werden. Bezugspunkt ist das Werk des Bielefelder Soziologen Niklas Luhmann (1928 - 1998), der als »Spiritus rector« einer funktionalstrukturellen und konstruktivistischen Systemtheorie gilt. Er hat sich selbst zwar immer wieder zu einer Theorie der Massenmedien geäußert (vgl. z. B. Luhmann 1996), aber keine spezielle Theorie des Journalismus entworfen. Luhmann ging es um die Entwicklung einer universalen Theorie der Gesellschaft, wofür er ein eigenes hochkomplexes Denk- und Begriffssystem entwickelte. Der folgende kurze Abriss beruht auf (weit ausführlicheren und im Detail unterschiedlichen) Ansätzen von Bernd Blöbaum, Ralf Hohlfeld, Matthias Kohring, Frank Marcinkowski, Christoph Neuberger, Manfred Rühl, Armin Scholl und Siegfried Weischenberg. Um exemplarisch zu zeigen, wie eine Theorie ein soziales Phänomen des Journalismus beschreiben, erklären und prognostizieren kann, wenden wir uns einer spezifischen Fragestellung zu, die ich an anderer Stelle ausführlicher und mit mehr Quellenhinweisen behandelt habe (vgl. Meier 2002a), weshalb in diesem Abschnitt auf konkrete Literatur- und Seitenverweise verzichtet wird: Warum thematisiert der tagesaktuelle (Nachrichten-)Journalismus ausgerechnet Politik, Wirtschaft, Kultur und Sport am stärksten? Warum nicht auch andere wichtige gesellschaftliche Bereiche wie Recht, Religion, Erziehung oder Gesundheit? Welche Konsequenzen hat dies für die vom Journalismus konstruierte Wirklichkeit? - Das sind Fragen, die sich mit Hilfe der Systemtheorie beantworten lassen. Die Funktion des Journalismus: Selbstbeobachtung und Synchronisation der Gesellschaft Die Systemtheorie geht davon aus, dass sich die moderne Gesellschaft in soziale Systeme differenziert hat, die jeweils für die Gesamtgesellschaft bestimmte Aufgaben übernommen haben, spezifische gesellschaftlich relevante Probleme lösen und damit eine exklusive Funktion erfüllen. Das System der Wirtschaft löst zum Beispiel das Problem des Warenaustauschs, das der Politik verhindert Anarchie und produziert kollektiv bindende Entscheidungen, Streitfälle werden durch das System des Rechts geschlichtet. Die Funktion des Journalismus wird beschrieben als »Herstellung und | 1.2. 3 »Mainstream« in der Journalismustheorie konstruierte Wirklichkeit exklusive Funktion 30 J o u r n a l I s t I k u n d J o u r n a l I s m u s f o r s c h u n g Bereitstellung von Themen zur öffentlichen Kommunikation« (Manfred Rühl), aber auch als »Selbstbeobachtung« und »Synchronisation der Gesellschaft« oder Erzeugung eines »sozialen Gedächtnisses« (Niklas Luhmann). Damit löst der Journalismus ein für die Gesellschaft zentrales Problem: Die dynamisch auseinander driftenden Systeme werden über das Journalismussystem zeitlich und sozial aneinander geknüpft. Sie wären überfordert, wenn sie jeweils selbst die Synchronisation und Beobachtung der anderen Systeme und der Gesellschaft übernehmen müssten. Über die Bearbeitung von Problemen entscheiden die sozialen Systeme weitgehend selbst: Sie operieren in hohem Maße autonom oder systemtheoretisch gesprochen: selbstreferentiell und autopoietisch - ein Kunstwort, das aus griech. »autos« (= selbst) und »poiein« (= machen, schaffen) zusammengesetzt ist. Dieser »Eigensinn« von Systemen steigert die Möglichkeiten der Komplexitätsverarbeitung, die grundsätzlich über Kommunikationsprozesse abläuft. Wegen der unendlichen und zufälligen (»kontingenten«) Möglichkeiten von Kommunikationen in der Gesellschaft ist es für jedes soziale System eine Herausforderung, die eigenen Grenzen zu definieren. Immer wieder muss ein System mit Hilfe eines binären Codes - oder seiner Leitdifferenz - entscheiden, welche Themen im System kommuniziert werden und welche zur Umwelt des Systems gehören. Am Themenrepertoire eines Systems bzw. an den akzeptablen Themen lassen sich die Grenzen dieses Systems ablesen. Die Autopoiesis, also die operative Geschlossenheit von Systemen, schließt jedoch Umweltkontakte nicht aus: Alle Funktionssysteme sind durch strukturelle Kopplungen miteinander verbunden. Systeme können über diese Kopplungen andere Systeme aber nicht direkt beeinflussen, sondern dort nur mehr oder weniger starke Irritationen auslösen und Möglichkeiten für Anschlusskommunikation schaffen. Will ein System in ein anderes intervenieren, hat es dabei umso mehr Erfolg, je intensiver es dessen Sprache spricht, sich also auf dessen Leitdifferenz einlässt. Politische Interventionen in die Wirtschaft müssen zum Beispiel so formuliert werden, dass die politischen Absichten in der Sprache der Preise verstanden werden können, denn der binäre Code der Wirtschaft ist Zahlung/ Nichtzahlung. Ein Beispiel: Wenn die Politik ein Unternehmen dazu bewegen will, mehr auf Umweltschutz zu achten, muss die Umweltbelastung für das Unternehmen verteuert oder eine ökologisch verträgliche Produktion verbilligt werden. Aktualität als Leitdifferenz des Journalismus Was ist nun die spezifische binäre Codierung des Journalismus? Diese Frage wurde nicht einheitlich beantwortet. Die Vorschläge reichen von Information/ Nicht-Information (Niklas Luhmann, Bernd Blöbaum) über öffentlich/ binärer Code strukturelle Kopplungen t h e o r I e n d e s J o u r n a l I s m u s 31 nichtöffentlich (Frank Marcinkowski, Ralf Hohlfeld) bis zu aktuell/ nichtaktuell (Siegfried Weischenberg, Armin Scholl, Christoph Neuberger) oder neuerdings nachrichtlich/ nichtnachrichtlich (Siegfried Weischenberg). An dieser Stelle sei der Begriff der Aktualität als Leitdifferenz favorisiert, weil wir damit die Funktion der Selbstbeobachtung und Synchronisation - also die soziale und zeitliche Dimension des Journalismus - schlüssig erklären können: (1) Durch die zeitliche Dimension der Aktualität lässt sich Journalismus von anderen nichtperiodischen Formen der Publizistik abgrenzen. Journalismus agiert »augenblicksbezogen«: Die gesellschaftsweite Beobachtung von Ereignissen ereignet sich oft gleichzeitig, zumindest aber fast gleichzeitig mit den Ereignissen selbst. Durch Journalismus wird Gegenwart erzeugt, was durchaus funktional ist: Die Synchronisation der Gesellschaft bis hin zur »Gegenwartsgesellschaft« ist eine Leistung des Journalismus, auf die viele andere Teilsysteme angewiesen sind - allen voran zum Beispiel die Wirtschaft oder die Politik: Zahlungen und Entscheidungen in der Demokratie brauchen gesellschaftsweite Gegenwart. Dazu gehört, dass zu bestimmten Zeitpunkten Wissen gesellschaftsweit unterstellt werden kann, obwohl dies nicht einmal für die Top-Themen de facto der Fall ist: Die »Unterstellung universeller Informiertheit« bestimmt »als eine Art operative Fiktion den politischen Prozess« (Luhmann). (2) Die soziale Dimension ist ebenso wie die zeitliche untrennbar mit dem Aktualitätsbegriff verbunden: Es handelt sich um zwei Seiten einer Medaille. Aktuell ist, was gesellschaftsweit oder in einer bestimmten Zielgruppe eine gewisse Relevanz besitzt und demnach die Interessen der Rezipienten treffen muss. Rezipienten erwarten vom Journalismus einen »kognitiven Nutzen«: Aktuelle Aussagen dienen dem Rezipienten als Wissen, mit dem er Probleme bearbeiten oder vermeiden kann; man spricht von einem »Frühwarnsystem«, das ein »Orientierungsbedürfnis« befriedigt (Neuberger). Da Probleme in der Realität gelöst werden müssen, ist Wahrheit die Bedingung für den kognitiven Nutzen schlechthin und damit Bedingung für die soziale Relevanz des Journalismus. Wahrheit konfligiert indes mit der zeitlichen Dimension der Aktualität, wenn eine Nachricht schneller verbreitet wird, als sie überprüft werden kann. Das alte Agenturprinzip »Get it first, but get it right« wird eben doch immer wieder verletzt. Und sei es dadurch, dass getrost das eigene Dementi einkalkuliert wird und damit erneut exklusiv etwas Aktuelles verbreitet werden kann. Dies ist auch der Grund dafür, warum der Code wahr/ unwahr nicht für den Journalismus gilt, sondern für das Wissenschaftssystem, in dem Schnelligkeit hinter der Wahrheitsnorm zurücktritt. Gleichzeitig hat die Wahrheit über den Faktor der sozialen Selbstbeobachtung und Synchronisation kognitiver Nutzen 32 J o u r n a l I s t I k u n d J o u r n a l I s m u s f o r s c h u n g Relevanz einen hohen Stellenwert im Informationsjournalismus (im Gegensatz zum Unterhaltungsjournalismus, von dem das Publikum weniger kognitiven als emotionalen Nutzen erwartet). Will ein System vom Journalismus wahrgenommen werden, muss es sich auf die Leitdifferenz Aktualität einlassen. Politik und Wirtschaft z. B. schaffen dann Ereignisse, die Anknüpfungspunkte für Aktualität bieten - etwa durch Pressekonferenzen oder inszenierte Ereignisse. Oft wird anderen Systemen der Stempel der Aktualität aufgedrückt, was sich z. B. auf die Politik auch dysfunktional auswirken kann: Der Journalismus wird dann dafür verantwortlich gemacht, dass sich Bürger von der Politik abwenden. Der ehemalige Bundespräsident Johannes Rau hat dies in einer Rede vor Journalisten anhand eines Beispiels beklagt (vgl. Kasten). Rede des ehemaligen Bundespräsidenten Johannes Rau beim Jahrestreffen des »Netzwerk Recherche« am 5. Juni 2004 in Hamburg (kleiner Auszug): Medien zwischen Anspruch und Realität [...] Es gehört ja inzwischen zum guten Ton, dass Medien ständig Exklusives melden und damit in eigener Sache werben. Daran ist nichts auszusetzen, wenn die Meldung denn auch stimmt. Inzwischen hat sich aber ein verhängnisvoller Medien-Mechanismus entwickelt, der die Politik und das Land in einen atemlosen Zustand permanenter Dauererregung versetzt. Ich will versuchen, diesen Mechanismus an einem Beispiel ganz plastisch zu erläutern. Vor drei Wochen erklärte der Bundesverkehrsminister in einem Interview mit einer Sonntagszeitung, wie seit Jahren die Rechtslage in Deutschland ist: Privatunternehmen, die ein neues Verkehrsprojekt privat finanzieren und betreiben, können eine Mautgebühr für dieses Projekt erheben. »Allerdings«, so sagte Manfred Stolpe, »ist diese Variante auf Grund europäischer Rahmenbedingungen beschränkt auf Tunnel, Brücken oder Gebirgspässe und einige wenige Bundesstraßen und Autobahnen.« So weit der Originalton. Die Zeitung macht daraus die Überschrift »Stolpe will Maut für Pkw« und gibt eine Vorabmeldung an die Nachrichtenagenturen. Am Samstag meldet die erste Agentur: »Stolpe - Maut auch für Pkw denkbar«. Die nächste spitzt schon weiter zu: »Stolpe plant Maut auch für Pkw«. Am Abend, das Interview ist noch immer nicht erschienen, beliefert eine andere Zeitung die Agenturen vorab mit einer exklusiven Stellungnahme des ADAC, der »mit allen Mitteln gegen die Pkw-Maut kämpfen« wolle. Am Sonntag, das Interview ist endlich erschienen, stellt das Ministerium klar, dass keine Maut geplant sei. Wenige Stunden später weist ein Grüner t h e o r I e n d e s J o u r n a l I s m u s 33 Die sachliche Kopplung: Selbstbeobachtung der Gesellschaft Auf die Herstellung von Öffentlichkeit durch ein autonomes Journalismussystem sind einige Systeme ganz besonders angewiesen: Politik zum Beispiel braucht Öffentlichkeit, damit die Bürger kompetent an gesellschaftlichen Prozessen mitwirken und über Wahlen mitentscheiden können. Wirtschaft braucht Öffentlichkeit, damit sich die Konsumenten über Waren informieren und Kaufentscheidungen treffen können, und auch, damit sich die Unternehmen für strategische Entscheidungen über ihr Umfeld informieren können. Die gesellschaftlichen Teilsysteme müssen der Gesamtbevölkerung Zugang zu ihrer Funktion und ihren Leistungen ermöglichen. Individuen müssen sich beteiligen können: Im Prinzip sollte jeder an politischen Entscheidungen teilnehmen können, jeder seine Bedürfnisse in der Wirtschaft befriedigen können, erzogen werden, einen Arzt konsultieren, Journalismus rezipieren oder an den Heilsgütern der Religion teilhaben können. Dafür hat jedes Teilsystem einen Inklusionstyp entwickelt. Durch Inklusion Leistungen für ein Massenpublikum die Pläne Stolpes zurück, der CSU-Generalsekretär spricht von »hemmungsloser Abzockerei«, die CDU kritisiert die »neue Schröpfkur«. Am Montag ist die offenbar unmittelbar bevorstehende Einführung einer Pkw-Maut in Deutschland das Thema aller Kommentare, es gibt Sonderberichte im Fernsehen, Experten werden befragt, die Opposition beschimpft die Regierung und umgekehrt. So geht das noch drei, vier Tage. Danach kehrt langsam wieder Ruhe ein. Der Nebel lichtet sich. Es gibt keine allgemeine Pkw-Maut, das hat auch niemand geplant. Der Verkehrsminister sei »lädiert«, schreibt eine Zeitung, und nicht nur die Bürger sind verunsichert und fragen sich: »Sind denn alle verrückt geworden? « Es gibt inzwischen leider viele Beispiele dieser Art. Virtuelle Debatten, deren Ursprung keinerlei Aufregung rechtfertigen würde, beschäftigen Journalisten und Politiker tagelang, manchmal wochenlang. Aus Referentenentwürfen werden in den Nachrichten Gesetzesvorhaben, aus Interview- Äußerungen werden in der flotten Moderation gleich Pläne. Das Ergebnis ist immer dasselbe: Die Bürger verstehen immer weniger, was wirklich und was wirklich wichtig ist. Sie wenden sich ab und beschließen, vorsichtshalber gar nichts mehr zu glauben. Dafür tragen Journalisten eine erhebliche Mitverantwortung. [...] (www.bundespraesident.de → Die Bundespräsidenten → Johannes Rau Reden → 5. Juni 2004, Hamburg) 34 J o u r n a l I s t I k u n d J o u r n a l I s m u s f o r s c h u n g entstehen in jedem gesellschaftlichen Teilsystem Publikumsrollen und Leistungsrollen: Laien und Priester, Kranke und Ärzte, Wähler und Politiker, Käufer und Verkäufer, Zuschauer und Künstler, Klienten und Anwälte - um nur einige Beispiele zu nennen. Aber nur ganz bestimmte Sozialsysteme benötigen zur Inklusion die Vermittlung durch (unabhängigen) Journalismus - nämlich Sozialsysteme, die standardisierte Leistungen für ein Massenpublikum bereitstellen: Politik, Wirtschaft, Kultur und Sport sowie die Medien selbst und mit Abstrichen die Wissenschaft. Alle anderen Sozialsysteme bevorzugen primär Inklusion durch persönliche, professionelle Betreuung einer möglichst kleinen Zahl von Klienten - zum Beispiel das Gesundheitssystem, das Erziehungssystem, Recht und Religion. Vor diesem Hintergrund lässt sich jetzt spezifizieren, dass sich die soziale Relevanz des Journalismus nach den Inklusionstypen der gesellschaftlichen Teilsysteme richtet. Das Realitätsspektrum der Nachrichtenmedien besteht überwiegend aus Themen derjenigen Sozialsysteme, die ihre Inklusion primär über Massenpublika vollziehen. Nimmt die Leistung dieser Systeme ab, hat das Publikum zwei Möglichkeiten: Abwanderung zur Konkurrenz und Widerspruch gegen den Anbieter - »exit« und »voice« - sind die beiden Äußerungsformen des Publikums in Politik, Wirtschaft, Kunst, Sport und Massenmedien (vgl. Neuberger 2004a: 301). Journalismus ermöglicht Transparenz und damit die Wahl zwischen verschiedenen Angeboten für den Bürger, den Konsumenten, das Kunstpublikum, den Sportfan oder den Medienrezipienten (»exit«). Über den Widerspruch (»voice«), der im Journalismus gesammelt und gebündelt wird, zwingt das Publikum die Leistungserbringer zur Verbesserung ihrer Angebote. Umgekehrt benutzen diese die Beobachtung des Journalismus, um Wünsche, Zufriedenheit und Unzufriedenheit des Publikums kennenzulernen. In allen anderen Sozialsystemen vollzieht sich die Inklusion des Publikums über das Dual Professioneller/ Klient: Die Problembearbeitung geschieht normalerweise im kleinen Kreis unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Massenpublika sind im Kern ebenso wenig vorgesehen wie »exit«- oder »voice«-Optionen: Kranke, Laien, Schüler oder Klienten vertrauen der Kompetenz des Arztes, des Priesters, des Lehrers oder Anwalts. Je stärker allerdings das Vertrauen schmilzt - zum Beispiel aufgrund von vermehrt auftretenden Kunstfehlern, Justizirrtümern oder Ausbildungen in die Arbeitslosigkeit -, umso größere Chancen werden dem Informationsjournalismus eröffnet, in diese Sozialsysteme einzudringen. Journalismus drückt dann auch diesen Systemen den »voice«/ »exit«-Stempel auf: zum Beispiel durch Rankings von Medizinern, Anwälten oder Universitäten (»exit«) oder durch die Artikulation der Unzufriedenheit von Gläubigen zum Beispiel mit Aussagen des Vatikans zu Fragen der Ökumene oder des Schwangerschaftsabbruchs (»voice«). Transparenz t h e o r I e n d e s J o u r n a l I s m u s 35 Die zeitliche Kopplung: Synchronisation der Gesellschaft Luhmann hat den Zwang, zum Beispiel in Wirtschaft, Politik oder Kunst permanent etwas Neues bieten zu müssen, als »geradezu neurotisch« bezeichnet. Ähnlich wie im Wirtschaftssystem immer wieder Geld durch Geld ersetzt werden muss, braucht der Journalismus permanent neue Information: »fresh money und new information sind zentrale Motive der modernen Gesellschaftsdynamik« (Luhmann 1996: 44). Aktualität bestimmt die Ablauforganisation in Redaktionen und verdichtet die Arbeitsphasen kurz vor Redaktionsschluss, wobei der Konkurrenzdruck bzw. der Drang zur Exklusivität eine zentrale Rolle spielt. Meldungen, die kurz vor Redaktionsschluss eintreffen, haben aufgrund der Aktualitätsprämisse höhere Publikationschancen. Von der Leistung der Synchronisation profitieren ebenfalls Sozialsysteme, in die Massenpublika eingeschlossen sind. Entscheidungsverhalten der Wähler wird ebenso synchronisiert wie das Konsumentenverhalten und das Börsengeschehen oder das Zuschauerinteresse bei Kultur- und Sportereignissen. Hochleistungssport zum Beispiel ist »daueraktuell«. Diese zeitliche Dimension des Codes aktuell/ nicht aktuell ist also ein weiteres Indiz dafür, warum sich der Informationsjournalismus ausgerechnet auf diese vier Ressorts spezialisiert hat. Vor allem in Politik, Wirtschaft und Sport ist der Bedarf nach Synchronisation zwischen Leistungsträgern und Publikum besonders hoch, was sich nicht zuletzt darin zeigt, dass bei Nachrichtenagenturen diese drei Ressorts mit Abstand am stärksten besetzt sind und dass dafür sogar spezialisierte Tageszeitungen existieren: Sportzeitungen gibt es in vielen Ländern, ebenso Wirtschaftszeitungen. Politik, Wirtschaft und Sport profitieren also von der zeitlichen Dimension der Leitdifferenz des Journalismus. Andere gesellschaftliche Teilsysteme müssen diesen Code akzeptieren, wenn sie im Journalismus thematisiert werden (wollen). Ein Beispiel: »Wenn Kirchen behaupten, Gott sei aktuell, so pervertieren sie einen Begriff, um Sendezeiten zu erhalten.« (Luhmann) Der Kern der Religion - der Glaube an Gott mit all seinen Folgen - wird normalerweise durch den Code aktuell/ nicht aktuell aus dem Journalismussystem ausgeschlossen. Ausnahmen sind Ereignisse, die mit der gesellschaftsweiten Synchronisation zusammenfallen: Die Predigten von Papst, Kardinälen und Bischöfen in Weihnachts- und Ostergottesdiensten zum Beispiel werden vom Journalismus automatisch wahrgenommen - oder Ereignisse, bei denen ein Bedarf nach weltweiter Synchronisation von Seiten der Religion besteht, um den Laien eine Inklusion zu ermöglichen: Über eine Papstwahl wird immer berichtet werden. Massenmedial thematisierte Religion bleibt indes für den Einzelnen meist unbefriedigend, denn religiöse Sätze können medial nicht transferiert werden - »es Bedarf nach Synchronisation bei Politik, Wirtschaft, Sport Religion und Aktualität »fresh money and new information» 36 J o u r n a l I s t I k u n d J o u r n a l I s m u s f o r s c h u n g sei denn, wir missverstünden religiöse Rede als Praxis der Information, was aber die religiöse Rede als absurde Rede erscheinen ließe«, hat der Philosoph Hermann Lübbe festgestellt. Auch andere Teilsysteme werden vom Informationsjournalismus thematisiert, wenn Synchronisationsbedarf besteht: beispielsweise das Gesundheitssystem bei Epidemien oder das Rechtssystem bei Entscheidungen der Bundesgerichte. Auch die zeitliche Kopplung des Journalismus mit anderen Sozialsystemen begründet also die Differenzierung des Informationsjournalismus in Politik, Wirtschaft und Sport. Das Kultursystem spielt, was Synchronisation und Schnelligkeit betrifft, eine etwas geringere Rolle. Dies zeigt sich zum Beispiel darin, dass es in Redaktionen von Nachrichtenagenturen nur wenige Kulturjournalisten gibt. Konsequenz: Wahrnehmungsstrukturen des Journalismus Die Systemtheorie stellt also Erklärungsmodelle zur Verfügung, mit deren Hilfe sich die Ausprägung von Wahrnehmungsstrukturen im universellen Informationsjournalismus beschreiben und begründen lässt. Die Bildung von ausgerechnet vier Kernressorts liegt an der sozialen und zeitlichen Kopplung des Journalismus mit anderen gesellschaftlichen Teilsystemen. Um möglichst viele Rezipienten zu erreichen, verbessert der Informationsjournalismus seine Leistungen für diejenigen Sozialsysteme, die am stärksten auf sein Funktionieren angewiesen sind. Das Wahrnehmungsspektrum des Journalismus, das vom Code aktuell/ nicht aktuell ausgeformt wurde, umfasst also nicht alle Sozialsysteme der Gesellschaft in gleicher Art und Weise. Wir sollten uns deshalb von der These verabschieden, die Gesellschaft könne durch Selbstbeobachtung und Synchronisation eins zu eins gespiegelt werden. Die Konstruktion der Medienwirklichkeit durch Journalismus erfolgt vielmehr mit ganz bestimmten Regeln und Gesetzmäßigkeiten ( → vgl. zu den Routinen des Journalismus Kap. 5; S. 183 - 216). Beispiel II: Cultural Studies als kulturtheoretischer Ansatz Die so genannten Cultural Studies haben keinen sozialwissenschaftlichen, sondern einen kulturtheoretischen Hintergrund. Stark vereinfacht könnte man sagen, dass der Mensch weniger als soziales, sondern vielmehr als kulturelles Wesen begriffen wird. Dennoch wird mit diesem Ansatz nicht nur die kulturelle Praxis erfasst - also Literatur, Musik, darstellende Kunst etc. -, sondern es werden auch gesellschaftliche Strukturen wie das Machtgefüge oder Gewohnheiten und Verhaltensweisen der Menschen analysiert. Es Wahrnehmungsstrukturen des universellen Informationsjournalismus 1.2. 4 | der Mensch als kulturelles Wesen t h e o r I e n d e s J o u r n a l I s m u s 37 steht also ein Kulturbegriff dahinter, der das soziale Verhalten einschließt. Die Cultural Studies bilden kein einheitliches Theoriegebäude, sondern wurzeln in einer Vielfalt von Ansätzen und methodischen Herangehensweisen. Die Journalismustheorie der Cultural Studies lenkt den Blick darauf, dass Journalismus nicht nur aus Information besteht, sondern Unterhaltung immer Teil des Journalismus war und ist. Aus Sicht von Autoren wie Rudi Renger (2000), Elisabeth Klaus und Margret Lünenborg (2002) ist Journalismus Teil der Populärkultur und des kulturellen Diskurses. In einer Theorie des Journalismus ist demnach die Trennung von Information und Unterhaltung nicht haltbar. Durch diese Perspektive geraten Bereiche des Journalismus ins Blickfeld, die vom obigen systemtheoretischen Entwurf nicht ganz erfasst werden können: Boulevardjournalismus, Skandal- und Sensationspresse sowie fiktionale Formen vor allem im Fernsehen. Die Cultural Studies sehen Journalismus als Gebrauchsprodukt, das dazu da ist, konsumiert und weggeworfen zu werden, der aber auch ein wichtiges »identitätsbildendes Instrument in der Gesellschaft« ist (Renger 2000: 491). Forschungsfokus der Cultural Studies ist weniger der Informationsjournalismus mit seiner »öffentlichen Aufgabe«, sondern vielmehr die Tatsache, dass die Menschen journalistische Produkte eben nicht nur aus intellektuellen, kognitiven, sondern weit mehr aus emotionalen, affektiven Gründen konsumieren: Sie wollen sich zerstreuen und unterhalten. Weil Journalismus eine marktabhängige Ware ist und unter kommerziellen Bedingungen produziert wird, führt der tägliche Kampf um das Publikum zu einer Emotionalisierung, Fiktionalisierung und Entertainisierung journalistischer Inhalte. Man kann dies aus normativer und demokratietheoretischer Perspektive ( → vgl. Kap. 1.1.2; S. 15 - 18; Kap. 2.3.1; S. 83 - 87) beklagen, aber auch aus kulturtheoretischer Perspektive analysieren und erklären. Journalismus dient dann weniger der Wissensvermittlung, sondern vielmehr der »narrativen Herstellung eines gemeinsamen kulturellen Verständnisses« (Klaus/ Lünenborg 2002: 155). Wenn Journalismus als Narration - also als Erzählung - aufgefasst wird, kann dazu die Fiktion gehören: Produktbausteine, welche die Autoren erdacht haben. »Die Einbindung von Fakten in Erzählungen und ihre Anreicherung mit Fiktionen ist Teil des journalistischen Geschäfts und konstituiert per se keine Fälschung«, sagen Klaus und Lünenborg (2002: 155). Sie verweisen auf neue Fernsehgenres, die Fakten und Fiktionen bewusst mischen: Doku-Soaps - wie zum Beispiel die Reality-Shows aus deutschen Familien »Die Super Nanny« (RTL) oder »Die Supermamas« (RTL II) - stellen Menschen von nebenan mit ihren Alltagsproblemen dar und greifen in den Inszenierungen auf Elemente der Soap-Opera zurück. Im Narration und Fiktion 38 J o u r n a l I s t I k u n d J o u r n a l I s m u s f o r s c h u n g Doku-Drama werden historische Ereignisse - zum Beispiel aus der Zeit des »Dritten Reichs« - in Spielszenen »lebendig« gemacht. »In der Kombination von Dokumentarischem und Fiktionalem wird Authentizität hergestellt und damit eine Annäherung an die Wirklichkeit geschaffen, die mit der rein faktischen Rekonstruktion des Geschehenen so nicht möglich wäre.« (Klaus/ Lünenborg 2002: 159) Die Authentizität - und nicht die Faktizität - wird damit zu einem wesentlichen Maßstab journalistischer Qualität ( → vgl. Kap. 7.1; S. 239 - 249). Der Blickwinkel der Cultural Studies zeigt alles in allem auf, dass die Gleichungen »Fakten = Information« und »Fiktion = Unterhaltung« nicht aufgehen - vor allem wenn man das Publikumsverhalten und die Rezeptionsweisen in die Analyse einbezieht (vgl. Bausinger 1984; Lünenborg 2005). Fakten können auch unterhaltend aufbereitet und genutzt werden, fiktive Medienangebote der Information dienen. Dies hat weitreichende Folgen für die Grenzziehung des Journalismus ( → vgl. Kap. 7.3; S. 261 - 276): Die Frage, wo Journalismus anfängt und wo er aufhört, beantwortet die Kulturtheorie anders als z. B. die Demokratietheorie. (1) Die systemtheoretische Perspektive ist vor allem dazu geeignet, Strukturen der Gesellschaft zu beschreiben und zu erklären. Das System Journalismus übernimmt - wie andere gesellschaftliche Systeme auch - eine exklusive Funktion, die in der Selbstbeobachtung und Synchronisation der Gesellschaft liegt. Davon profitieren überwiegend die Systeme Politik, Wirtschaft, Kultur und Sport. (2) Die Journalismustheorie der Cultural Studies analysiert den Journalismus - unter Berücksichtigung der Rezeptionsweisen - nicht nur als Information, sondern als Mischung von Information und Unterhaltung. Vor allem populärer Journalismus - wie Boulevard- und Sensationspresse - gerät dadurch ins Blickfeld der Untersuchung, aber auch die Emotionalisierung und Entertainisierung journalistischer Inhalte und die bewusste Mischung von Fakten und Fiktionen in bestimmten Fernsehgenres. Zusammenfassung t h e o r I e n d e s J o u r n a l I s m u s 39 Literatur Wer sich in wissenschaftliche Theorien einlesen und hineindenken möchte, muss Zeit und Muße mitbringen. Man kann die Literatur dazu nicht einfach überfliegen, sondern muss sich auf neue und ungewohnte Denk- und Begriffssysteme einlassen. Grundsätzlich ist Studienanfängern zu raten, verschiedene Theorieansätze nicht kreuz und quer zu lesen, sondern sich erst einmal mit einem Konzept intensiver zu beschäftigen - denn selbst einfach erscheinende Begriffe werden von verschiedenen Theorien oft unterschiedlich definiert und benutzt. Von und über Karl R. Popper gibt es schon fast unzählige Veröffentlichungen. Wer sich für einen Einstieg in Wissenschaftstheorie und Sozialphilosophie des Kritischen Rationalismus interessiert, dem sei das Lesebuch empfohlen, das David Miller mit Texten von Karl R. Popper zusammengestellt hat. Standardwerk zu den Journalismustheorien ist das Handbuch, das Martin Löffelholz und Liane Rothenberger 2016 herausgegeben haben; das Vorläuferbuch zu den Theorien des Journalismus stammt unter der Herausgeberschaft von Martin Löffelholz aus dem Jahr 2004. Das Buch enthält die meisten wichtigen Konzepte. Die Autorinnen und Autoren haben sich in verständlicher Sprache um Kurzfassungen ihrer Ansätze bemüht. Zu jedem Beitrag ist weiterführende Literatur genannt. 1 Wie unterscheiden sich Alltagstheorie und wissenschaftliche Theorie? 2 Erläutern Sie das Falsifikationsprinzip als Grundannahme des Kritischen Rationalismus. 3 Welche exklusive Funktion erfüllt der Journalismus aus Sicht der Systemtheorie? Was bedeuten »Selbstbeobachtung« und »Synchronisation« als soziale und zeitliche Dimensionen des Journalismus? 4 Erklären Sie systemtheoretisch, warum vor allem Politik und Wirtschaft von der Funktionsweise des Journalismus profitieren. Warum kann sich umgekehrt der Journalismus auch dysfunktional auf diese beiden sozialen Systeme auswirken? 5 Warum lässt sich der Journalismus nach Ansicht der Cultural Studies nicht eindeutig in Information und Unterhaltung sowie in Fakten und Fiktionen teilen? Übungsfragen zu Kapitel 1.2 40 J o u r n a l I s t I k u n d J o u r n a l I s m u s f o r s c h u n g Journalismusforschung Grundlagen empirischer Sozialforschung Sozialwissenschaftliche Forschung geht in der Regel empirisch vor - das heißt »auf Erfahrung beruhend« (griech. »empeiria« = Erfahrung). Die Forscher sammeln und systematisieren Erfahrungen über die gesellschaftliche Realität. Dabei bedient sich die Wissenschaft bestimmter Forschungsmethoden, die ein planmäßiges und systematisches Vorgehen bei der Erkenntnisgewinnung garantieren. Die gängigen empirischen Methoden der Journalismusforschung sind mündliche und schriftliche Befragung, Inhaltsanalyse und Beobachtung. Auch hier tritt die Wissenschaft - ähnlich wie bei der Theoriebildung - in Konkurrenz zur Alltagserfahrung: Erfahrene Journalisten z. B. glauben zu wissen, was journalistische Qualität ausmacht, wie sie erfolgreich informieren und was ihr Publikum lesen, sehen oder hören möchte. Alltagserfahrung hat immer einen gewissen Wert, sie ist jedoch situativ, subjektiv und begrenzt. Empirische Journalismusforschung baut auf Alltagserfahrung von Journalisten und Publikum auf - sie geht aber darüber hinaus: • durch umfangreichere Analyse (sie arbeitet aus einer Vielzahl ähnlicher Situationen das Gemeinsame heraus), • durch Distanz zum Untersuchungsgegenstand (Wissenschaftler sind nicht in den untersuchten Situationen und Institutionen tätig und deshalb in der Regel nicht durch eigene Interessen »gefangen«), • durch Offenlegung und Nachvollziehbarkeit der Vorgehensweise und der Ergebnisse. Wie in Kapitel 1.2.1 ausgeführt, müssen Theorien an der Realität geprüft werden. Umgekehrt ist empirische Forschung ohne theoretische Einbettung bedeutungslos. Theorie und Empirie sind im Idealfall verschiedene Stadien des Forschungsprozesses. Grundsätzlich gibt es zwei mögliche Vorgehensweisen: induktiv und deduktiv (vgl. Abb. 1.2). 1. 3 | 1. 3.1 | planmäßiges und systematisches Vorgehen Wissenschaft und Alltagserfahrung Abb. 1.2 | Zusammenhang zwischen Theorie und Empirie Gegenstand (als Teil der Realität), das Spezielle, der Einzelfall induktiv deduktiv Theorie, das Allgemeine, die Gesetzmäßigkeit J o u r n a l I s m u s f o r s c h u n g 41 • Das induktive Vorgehen hat Sinn, wenn ein Realitätsbereich bislang wenig erforscht oder im Detail kaum bekannt ist: Wir beobachten dann zunächst mit dem »Prinzip der Offenheit« ohne Vorstellung über theoretische Zusammenhänge und ohne großes Vorwissen den betreffenden Gegenstandsbereich, systematisieren Einzelfälle und versuchen, daraus gesetzmäßige Zusammenhänge zu bilden - also Theorien zu formulieren. Dabei greifen wir in der Journalismusforschung auch auf die Erfahrung von Journalisten zurück - etwa durch offene mündliche Interviews oder durch Fallstudien in Redaktionen. Wir gehen nicht beliebig vor, sondern fokussieren unser Erkenntnisziel mit Forschungsfragen, die unsere Aufmerksamkeit für bestimmte Phänomene und Zusammenhänge sensibilisieren. Die Wissenschaftstheorie lehrt uns aber, dass wir nie sicher sein können, ob wir von Einzelfällen auf andere Fälle schließen können - auch wenn wir noch so viele Einzelfälle einbeziehen. Induktive Theoriegewinnung ist deshalb immer explorativ, d. h. theorie-entdeckend und nicht theorie-prüfend (im Sinne des Kritischen Rationalismus). Die Wissenschaftstheorie bezeichnet dieses Vorgehen als interpretative Sozialwissenschaft (vgl. Kromrey 1995: 28 - 31), die eher die so genannten qualitativen Methoden einsetzt ( → vgl. Kap. 1.3.2; S. 47 - 50). Einzelfälle und Fallstudien Wissenschaftlicher Fortschritt: auf den Schultern von Riesen Wie ist wissenschaftlicher Fortschritt möglich? - Ein Gleichnis, das Isaac Newton zugeschrieben wird, aber vermutlich bis ins Mittelalter zurückgeht, besagt: »Wenn ich weiter gesehen habe (als andere), so deshalb, weil ich auf den Schultern von Riesen stehe.« Jede Generation von Wissenschaftlern stützt sich auf das, was ihre Vorgänger geleistet haben. Selbst wenn ein Wissenschaftler nur wenig Neues zur Erkenntnis beizusteuern hat, kann er doch weiter blicken als seine großen Vordenker - sofern er deren Schultern erklimmt, also deren Erkenntnisse wahrnimmt und als Basis betrachtet. Dieses Grundprinzip des wissenschaftlichen Fortschritts kann nur eingehalten werden, wenn Wissen frei verfügbar ist, also wenn Erkenntnisse veröffentlicht werden - und wenn wissenschaftliche Arbeiten transparent zitieren, Vordenker würdigen und den Forschungsstand zunächst einmal zusammenfassen, bevor sie neue Fragen stellen. Ein witziges Buch zu diesem Grundsatz hat Robert K. Merton (1910 -2003) - Professor für Soziologie an der New Yorker Columbia University -1965 unter dem Titel »On the Shoulders of Giants« veröffentlicht (in Übersetzung 1983). Das Manuskript beruht auf einem Briefwechsel mit einem befreundeten Historiker, der mit der Suche nach dem Ursprung des genannten Zitats begann, letztlich aber in eine launige Betrachtung der Wissenschaftsgeschichte führt. 42 J o u r n a l I s t I k u n d J o u r n a l I s m u s f o r s c h u n g • Das deduktive Vorgehen überprüft dagegen eine bereits vorliegende Theorie an der Realität. Streng forschungslogisch dürften wir dabei nach den Kriterien des Kritischen Rationalismus ( → vgl. Kap. 1.2.1; S. 25 - 26) nicht verifizierend vorgehen, denn nur die Falsifikation einer Theorie führt zu neuer Erkenntnis. Karl R. Popper nennt dazu ein Beispiel, das er immer wieder aufgreift (vgl. z. B. 1995: 95, 110, 405) und mit dem er oft zitiert wird: Selbst wenn wir noch so viele weiße Schwäne beobachten, dürfen wir nicht daraus schließen, dass alle Schwäne weiß sind - es könnte ja doch irgendwo auf der Welt einen schwarzen Schwan geben. Die Aussage »Alle Schwäne sind weiß.« kann also nicht verifiziert werden. Allerdings haben wir es in der Kommunikationsforschung nie mit derartig universellen Aussagen zu tun, sondern immer mit Theorien allenfalls mittlerer Reichweite und mit Hypothesen, die Aussagen auf bestimmte Rahmenbedingungen beschränken oder einer Wahrscheinlichkeit unterliegen (probabilistische Aussagen). In der Regel wird man die Leistung einer Theorie am Bewährungsgrad messen und ein »Bewährtheitskonto« und ein »Belastetheitskonto« führen (vgl. Brosius/ Haas/ Koschel 2016: 26-27): »Je häufiger eine Hypothese durch empirische Forschung bestätigt wurde, desto bewährter ist sie, ohne gleich als wahr zu gelten. Je häufiger eine Theorie widerlegt wurde, desto größer ist ihre Belastetheit.« Aber auch wenn wir uns streng an das Falsifikationsprinzip halten, müssen wir eine Theorie nicht verwerfen, wenn wir ein Gegenbeispiel gefunden haben: Wir können die Theorie optimieren, indem wir intervenierende Bedingungen einführen. Finden wir z. B. schwarze Schwäne im Süden Australiens, können wir behaupten: Alle Schwäne, die wir bisher erforscht haben, sind weiß - außer einer bestimmten Art, die im Süden Australiens lebt. Das deduktive Vorgehen bevorzugt einen strengen methodischen Prozess: Der Untersuchungsgegenstand wird möglichst detailliert vorstrukturiert; wir formulieren Hypothesen, die wir mit standardisierten Erhebungsinstrumenten der quantitativen Sozialforschung überprüfen ( → vgl. Kap. 1.3.2; S. 47 - 58). Ein Beispiel aus der Journalismusforschung Die obige abstrakte Darstellung von Forschungsprozessen sei an einem Beispiel aus der Journalismusforschung veranschaulicht, das an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt im Masterstudiengang Journalistik mit dem Schwerpunkt Innovation und Management in einem Projektseminar durchgeführt wurde (vgl. Meier 2018a). Im Folgenden kommt es nicht darauf an, einen Forschungsablauf in all seiner Komplexität differenziert zu analysieren, sondern das Prinzip eines Forschungsprojekts weiße und schwarze Schwäne Wie wirkt konstruktiver Journalismus? J o u r n a l I s m u s f o r s c h u n g 43 darzustellen, um Studienanfängern einen Einblick zu geben und bei der Anfertigung von Abschlussarbeiten - wie z. B. Bachelorarbeiten - eine erste Orientierung zu liefern. In der Tabelle sind die einzelnen Schritte in groben Zügen dargestellt (vgl. Abb. 1.3). Erster Schritt ist das Beschreiben eines gesellschaftlich relevanten Problems - in unserem Fall einer für den Journalismus und die Journalistenausbildung relevanten Frage: Der Konstruktive Journalismus will als neues Berichterstattungsmuster ( → vgl. Kap. 5.2; S. 200) nicht nur Probleme und Missstände darstellen, sondern auch den Blick in die Zukunft richten und nach Lösungsansätzen und Handlungsmöglichkeiten, Perspektiven und Hoffnung recherchieren. Seit ein paar Jahren hat die Zahl der Redaktionen zugenommen, die dieses neue Berichterstattungsmuster verfolgen. Doch können die Ziele des Konstruktiven Journalismus auch beim Allgemein Beispiel (1) Problem oder Fragestellung aus dem Bereich des Journalismus; Forschungsauftrag Alltagserfahrung, Berichte von Journalisten, Praxis-Lehrbücher: Konstruktiver Journalismus will Lösungen und Handlungsmöglichkeiten für gesellschaftliche Probleme aufzeigen und so Perspektiven und Hoffnung darstellen. Doch versteht das Publikum sein Anliegen? Wie wirkt Konstruktiver Journalismus? (2) Exploration: Ideen, Gespräche, Fallstudien; Lektüre vorliegender journalistikwissenschaftlicher Befunde und Theorien Auswertung von wissenschaftlichen und praxisorientierten Fachzeitschriften und Büchern; Gespräche mit Journalisten (3) Überführung in wissenschaftliche Fragestellung und/ oder Entwicklung von Arbeitshypothesen Hypothesen zu den Wirkungszielen des Konstruktiven Journalismus | Abb. 1.3 Beispiel eines Forschungsablaufs (4) Methodenwahl, Operationalisierung und Durchführung Mündliche Befragung von 130 Erwachsenen: vier zufällig zugeloste Gruppen mit je einer Artikelversion (Nachricht mit und ohne Lösung, Reportage mit und ohne Hoffnung). Ziel: Herausfinden und statistisch berechnen, ob es Unterschiede in der Bewertung und in der Wirkung der Artikelversionen gibt (5) Verwertung der Ergebnisse Publikationen: Wissenschaftliche Aufsätze und Vorträge sowie Vorträge vor Journalisten und in Redaktionen; Anknüpfungspunkte für weitere Forschungsprojekte 44 J o u r n a l I s t I k u n d J o u r n a l I s m u s f o r s c h u n g Publikum erreicht werden? Wie wirkt Konstruktiver Journalismus? - Oft greift die Forschung in diesem Stadium auf Alltagserfahrungen und einzelne Aussagen von Journalisten, Chefredakteuren oder Verlegern zurück, oder ein Auftrag ist Auslöser des Projekts. In der zweiten, explorativen Phase wird unser Wissen systematisch verdichtet und fokussiert: durch die Sammlung von Ideen, einzelne Gespräche oder Fallstudien - und vor allem durch die Lektüre vorliegender journalistikwissenschaftlicher Befunde und Theorien. In diesem Forschungsprojekt haben wir uns vor allem auf vorliegende Praxis-Lehrbücher zum Konstruktiven Journalismus (vgl. z. B. Haagerup 2015) und auf Berichte von Journalisten gestützt. Im dritten Schritt wird unser bisheriges, vorläufiges Wissen in eine wissenschaftliche Fragestellung überführt. Wenn die theoretische Basis und die bereits vorliegenden Befunde ausreichen, können wir hier Hypothesen formulieren, die im Weiteren streng deduktiv getestet werden. In unserem Beispiel haben wir also aus der Praxisliteratur Hypothesen zu den Wirkungszielen des Konstruktiven Journalismus abgeleitet. Zum Beispiel: »Der Leser kann im konstruktiven Beitrag einen Lösungsansatz/ Hoffnung vermittelnden Ansatz erkennen.« Oder: »Der mentale Zustand des Lesers wird durch den konstruktiven Beitrag positiv beeinflusst.« Die Methodenwahl im vierten Schritt hängt von der Fragestellung ab. Wenn wir uns auf die Medieninhalte beschränkt hätten und z. B. gefragt hätten, ob konstruktive Formen des Journalismus zugenommen haben, dann wäre eine Inhaltsanalyse beispielsweise von Tageszeitungen oder Fernsehsendungen sinnvoll gewesen - etwa im Vergleich zwischen früher und heute. Wir wollten aber die Wirkung beim Leser und Einschätzung des Publikums erforschen, weshalb sich eine Befragung anbot. In der Wirkungsforschung wählt man häufig ein experimentelles Forschungsdesign wie beispielsweise auch in der Medizin: Einer Patientengruppe wird ein neues Medikament gegeben, einer anderen ein Placebo - unter ansonsten gleichen Bedingungen. Wir schrieben in Kooperation mit der Chefredaktion der Zeitschrift »Chrismon« jeweils zwei Versionen von zwei Artikeln (eine Nachricht mit und ohne Lösung und eine Reportage mit und ohne Hoffnung) und legten die Versionen verschiedenen Lesergruppen vor, die danach mit gleichem Fragebogen befragt wurden. Am Ende kann man statistisch berechnen, welche Unterschiede es in der Einschätzung des Artikels und im rationalen und emotionalen Zustand der Leser gibt. Die beiden genannten Hypothesen wurden zum Beispiel in wesentlichen Aspekten bestätigt. Als letzter Schritt folgt die Verwertung der Ergebnisse - in wissenschaftlichen Veröffentlichungen oder als Planungshilfe in der sozialen Realität. Wir konnten für Redaktionen die Empfehlung ableiten, dass ein gezielter und reflektierter Umgang mit Konstruktivem Journalismus als Methodenwahl Hypothesen J o u r n a l I s m u s f o r s c h u n g 45 weiteres Berichterstattungsmuster durchaus in die Strategien einer Redaktion integriert werden sollte. Zudem ist die wissenschaftliche Publikation von Ergebnissen im Forschungsprozess elementar: Andere Forschungsprojekte können Bezug darauf nehmen und die gewonnenen Einsichten (erneut) an der Realität überprüfen. In unserem Beispiel gab es eine Anschlussforschung zum Konstruktiven Journalismus im Radio in Form einer Masterarbeit. Qualitätskriterien empirischer Forschung Die Qualität wissenschaftlicher Forschung hängt von der Qualität des Erkenntniswegs ab: Folgt jeder Schritt im Forschungsprozess logisch auf den anderen? - Um den Erkenntnisweg transparent und überprüfbar zu machen, enthalten Veröffentlichungen von Forschungsprojekten nicht nur die Ergebnisse, sondern alle oben genannten Stufen: von der Fragestellung und Exploration bis zur Konzeption und Durchführung der Untersuchung. Die Forschung soll intersubjektiv nachvollziehbar und kritisierbar sein. Für alle Schritte des Forschungsablaufs gibt es Qualitätskriterien. Insbesondere bei der Konzeption und Umsetzung einzelner Methoden spricht man von Gütekriterien. Die größte Herausforderung empirischer Forschung ist die so genannte Operationalisierung: die Umsetzung einer Fragestellung in ein konkretes Untersuchungsdesign. Darauf beziehen sich auch die drei wichtigsten Gütekriterien zur Beurteilung von Forschungsqualität: • Validität (Gültigkeit): Misst das Untersuchungsdesign tatsächlich das, was gemessen werden soll? Gibt es Einflussfaktoren, die berücksichtigt werden müssen? Ein Beispiel aus der Nutzerforschung: Um zu erfahren, welche Medien die Menschen wie intensiv nutzen, wird häufig die Methode der Befragung eingesetzt. Doch die Mediennutzung ist meist ein unbewusster Vorgang, an den die Nutzer sich nur ungenau erinnern. In einer Befragung von Lesern einer Wirtschaftszeitung z. B. wollte man wissen, welche Teile der Zeitung die Leser in der Regel immer lesen und für unverzichtbar halten. 15 Prozent antworteten: den Sportteil - obwohl diese Zeitung noch nie einen Sportteil hatte. Die Untersuchung war an diesem Punkt also nicht valide. Andere Methoden wie Copytest oder ReaderScan können die Validität von Leserforschung erhöhen ( → vgl. Kap. 3.1; S. 97 - 103). Bei Befragungen kann zudem das Phänomen der sozialen Erwünschtheit eine besondere Rolle spielen. Ein Beispiel: In der Journalistenausbildung wird oft darauf hingewiesen, dass die Recherche wesentlich zur journalistischen Qualität beiträgt. Dies kann dazu führen, dass Journalisten bei Befragungen vor allem ihre Rechercheleistung hervorheben - weil es eben sozial erwünscht erscheint, lange und intensiv zu recherchieren. transparent und überprüfbar Gültigkeit 46 J o u r n a l I s t I k u n d J o u r n a l I s m u s f o r s c h u n g • Reliabilität (Zuverlässigkeit): Ein Untersuchungsdesign ist zuverlässig, wenn bei einer Wiederholung der Untersuchung das gleiche Ergebnis herauskommt. Dies sollte der Fall sein, wenn ein anderer Forscher das Design anwendet, und auch wenn der gleiche Forscher die Untersuchung wiederholt. • Grundgesamtheit und Repräsentativität: Mit der Grundgesamtheit sind alle Fälle gemeint, für die eine Untersuchung gelten soll. Bei manchen Projekten können wir die Grundgesamtheit komplett in die Untersuchung einbeziehen. Man spricht dann von einer Vollerhebung. Wenn wir zum Beispiel die Zukunftsstrategien der deutschen Zeitungschefredakteure erfahren wollen, können wir die Chefredaktionen aller Publizistischen Einheiten befragen ( → vgl. Kap. 4.3.2; S. 150 - 155). Wenn wir dagegen wissen möchten, welche Interessen und Wünsche die Leser haben, wäre es ökonomisch unsinnig und praktisch nicht durchführbar, alle Leser auch nur einer Zeitung zu befragen. Oder: Wenn wir erfahren möchten, wie ein bestimmtes Thema von den Medien aufgegriffen wird, müssen wir für die Inhaltsanalyse eine Auswahl an Medien und Beiträgen treffen. Es handelt sich dann um eine Teilerhebung, der eine Stichprobenziehung vorausgeht. Wenn sich aus der Fragestellung nicht eine bewusste Auswahl nach bestimmten Kriterien ergibt, bemisst sich die Güte einer Stichprobe an der Repräsentativität: Handelt es sich um ein strukturgleiches Abbild der Grundgesamtheit? Repräsentiert die Stichprobe tatsächlich die Grundgesamtheit, bildet sie sie also adäquat ab? Man kann die Verteilung bestimmter Variablen vergleichen, also z. B. darauf achten, dass in einer Leserbefragung der Anteil von Frauen und Männern, Jungen und Alten, Reichen und Armen genau dem Anteil in der Grundgesamtheit entspricht. Dies setzt aber voraus, dass wir Geschlecht, Alter und Einkommen jedes Lesers kennen. Die Sozialforschung behilft sich oft mit einer Zufallsauswahl: Man zieht dann z. B. aus einer alphabetisch sortierten Leserkartei jede zehnte Karte oder man untersucht jede zehnte Ausgabe einer Zeitschrift. Aber auch mit einer Zufallsauswahl können wir uns der Repräsentativität nur mit einer bestimmten Irrtumswahrscheinlichkeit annähern, die mit statistischen Methoden berechnet werden kann. Ist also eine Vollerhebung in jedem Fall besser als eine Teilerhebung? Nicht unbedingt. Bleiben wir beim obigen Beispiel: Wenn von allen Chefredakteuren nur 60 Prozent antworten - können wir dann von einer repräsentativen Befragung sprechen? Mit dem Begriff Repräsentativität sollte man in diesem Fall vorsichtig umgehen. Elisabeth Noelle-Neumann, ehemalige Leiterin des Instituts für Demoskopie Allensbach, nannte als »groben, praktischen Anhaltspunkt« eine Rücklaufquote von 50 Prozent (Noelle-Neumann/ Petersen 2003: 280). Liege der Rücklauf darunter, könne man nicht von einer »repräsentativen Zuverlässigkeit Stichprobe J o u r n a l I s m u s f o r s c h u n g 47 Befragung« sprechen. Etwas Sicherheit können wir auch hier gewinnen, wenn wir die Verteilung von Variablen vergleichen: Sind große und kleine Zeitungen, Boulevard- und Abonnementzeitungen, Regionen und Bundesländer im Rücklauf im gleichen Verhältnis vertreten wie in der Gesamtheit der Zeitungen in Deutschland? Die Diskussion der Gütekriterien zeigt, dass es keine hundertprozentig sichere empirische Sozialforschung geben kann. Wir können uns nur den Idealen möglichst weit annähern. Gerade deshalb sind Transparenz, Offenlegung und Reflexion des Erkenntniswegs so wichtig. Methoden empirischer Journalismusforschung Dem empirisch arbeitenden Journalismusforscher stehen im Wesentlichen drei Werkzeuge zur Verfügung: Er kann Menschen befragen, Gruppen oder Organisationen beobachten oder Medieninhalte analysieren. Mit der Befragung kann man Einstellungen und Meinungen erforschen; die Beobachtung erfasst das Verhalten und Handeln; die Inhaltsanalyse beschreibt und wertet systematisch Medieninhalte aus. Während Inhaltsanalysen den Journalismus also vom Produkt oder Output her untersuchen, erheben Befra- | 1. 3.2 Empirische Methoden der Sozialforschung garantieren eine planvolle und systematische Erkenntnisgewinnung. Wir unterscheiden zwischen • explorativen Elementen im Forschungsablauf, die Realität erkunden und entdecken sowie von Einzelfällen ausgehend vorsichtig generalisieren (induktives Vorgehen), • und hypothesen-testenden Forschungsschritten, die bestehende Theorien an der Realität überprüfen (deduktives Vorgehen). Die Qualität wissenschaftlicher Forschung hängt von der Qualität des Erkenntniswegs ab, der grundsätzlich transparent und kritisierbar sein sollte. Es gibt drei wesentliche Gütekriterien: • Die Validität fragt danach, ob das Untersuchungsdesign gültig ist und tatsächlich die Forschungsfragen beantworten kann - ob das »gemessen« wird, was »gemessen« werden soll. • Die Reliabilität fragt nach der Zuverlässigkeit eines Instruments. Eine Wiederholung der Untersuchung sollte zum gleichen Ergebnis kommen. • Die Repräsentativität ist Kennzeichen dafür, ob eine Stichprobe die Grundgesamtheit adäquat abbildet. Zusammenfassung 48 J o u r n a l I s t I k u n d J o u r n a l I s m u s f o r s c h u n g gungen und Beobachtungen die Merkmale und Einstellungen von Journalisten und die Bedingungen der Aussagenentstehung. Befragungen und Beobachtungen erforschen zudem die Nutzung und Wirkung von Medien. Bei jeder dieser Methoden kann man entweder stärker quantitativ oder stärker qualitativ vorgehen (vgl. Brosius/ Haas/ Koschel 2016). Jede Methode hat Vor- und Nachteile. Es kommt auf die Forschungsfrage und das Erkenntnisinteresse an, welche Methode in einer Studie eingesetzt werden sollte. In umfangreicheren Untersuchungen hat sich die Kombination mehrerer Methoden mit unterschiedlichen Zugängen zur Wirklichkeit bewährt: Eine Methode beleuchtet die »blinden Flecken« der anderen und gleicht deren Unzulänglichkeiten aus. Man spricht dann vom Mehrmethodendesign oder von Triangulation (Flick 2011). Im Rahmen dieser Einführung können nicht alle Methoden ausführlich dargestellt werden. Es geht vielmehr darum, exemplarisch und in groben Zügen das Vorgehen der Journalismusforschung zu erklären und verständlich zu machen. Dies geschieht vor allem anhand der Methode der Befragung. Quantitative und qualitative Forschung Quantitative Verfahren belegen ausgesuchte Merkmale mit Zahlenwerten. Die soziale Realität wird »vermessen«, komplexe Zusammenhänge werden auf Aussagen reduziert, die in Zahlen, Prozent- oder Mittelwerten ausgedrückt werden können. Eine Befragung von 775 Journalisten in Deutschland hat 2015 ergeben, dass 94,7 Prozent einen zunehmenden Einfluss von Social Media wie Facebook oder Twitter auf den Journalismus wahrnehmen; für 63,7 Prozent beeinflussen Rückmeldungen des Publikums den Journalismus inzwischen stärker, und für 56,2 Prozent ist das Publikum inzwischen stärker in die Nachrichtenproduktion integriert - dies ist ein Beispiel, bei dem die Forscher in Fragestellung und Auswertung quantitativ vorgingen (Hanitzsch/ Steindl/ Lauerer 2016: 5). Qualitative Verfahren versuchen dagegen, ein komplexes Phänomen in seiner jeweiligen Situation, individuelle Motive und Hintergründe detailliert zu erfassen. Man befragt dann z. B. einzelne Journalisten, warum und bei welchen Aktivitäten und Themen sie Social Media einsetzen, in welchen Situationen sie Einflüsse des Publikums besonders wahrgenommen haben, und lässt sie dabei relativ offen aus ihrem journalistischen Alltag erzählen. Eine solche qualitative Befragung kann aber nicht 775 Journalisten, sondern allenfalls ein paar Dutzend in die Untersuchung einbeziehen, weil es zu aufwändig wäre, hunderte Interviews im Detail auszuwerten. Vorteil des quantitativen Vorgehens ist, dass aufgrund der Standardisierung die untersuchten Fälle vergleichbar sind. Zudem kann eine relativ Mehrmethodendesign Realität »vermessen« Motive und Hintergründe J o u r n a l I s m u s f o r s c h u n g 49 große Menge untersucht werden, was oft sogar repräsentative Rückschlüsse auf eine Grundgesamtheit ermöglicht. Unser Beispiel ist ein starker Beleg für die These, dass die Beziehung zwischen Journalisten und Publikum wesentlich enger geworden ist und sich Journalismus generell stärker am Publikum orientiert, was ein ganzes Spektrum an Konsequenzen nach sich ziehen kann (was dann aber wiederum mit anderen Methoden zu prüfen wäre). Vorteil des qualitativen Vorgehens ist dagegen, dass man soziale Realität detaillierter und tiefer erfassen kann - ohne allerdings verbindliche Schlüsse auf andere Fälle oder gar auf eine Grundgesamtheit ziehen zu können. In unserem Beispiel könnten z. B. Leitfadengespräche mit Journalisten, die neue Berufsrollen übernommen haben - wie »Social-Media-Editors« oder Zuständige für »Audience Development« und »Audience Engagement« - oder Redaktionsbeobachtungen dazu beitragen, die Veränderungen des Berufsbilds der Journalisten zu beschreiben und zu analysieren. Eine Sonderform qualitativen Vorgehens ist die Fallstudienforschung. Fallstudien werden in der Sozialforschung - z. B. auch in den Wirtschaftswissenschaften oder der Politikwissenschaft - angewandt, um aktuelle und dynamische Entwicklungen möglichst tiefgehend, individuell und nicht pauschalisierend zu erkunden. Sie dienen also induktiven Schritten im Forschungsprozess. Ein Fall - beispielsweise eine Redaktion, ein Verlag oder eine Rundfunkanstalt - wird möglichst umfassend analysiert. Dazu werden qualitative Methoden kombiniert: Leitfadeninterviews, Beobachtungen, Hintergrundgespräche oder die Auswertung von schriftlichen Quellen wie Selbstdarstellungen oder Strategie-Papieren. Fallstudien können z. B. die Strategien von Redaktionen zur Lösung bestimmter Probleme ganzheitlich ergründen. In der Regel wird ein Fall aber nicht isoliert betrachtet: Ein systematischer Vergleich mehrerer Fallstudien kann zu generalisierenden Thesen führen - und so weitergehende, vielleicht repräsentative Untersuchungen explorativ vorbereiten (vgl. von Rimscha/ Sommer 2016; Lamnek/ Krell 2016: 285 - 312). Quantitative Methoden zwängen das Forschungsthema in ein enges Korsett. Wenn die Methode nicht ausreichend vorbereitet ist, besteht die Gefahr, dass sie dem Forschungsthema nicht gerecht wird, dass das Korsett nicht passt und die Daten wertlos sind, weil sie an der Hauptsache vorbeigehen und damit nicht valide genug sind. Zwar wird in der Journalismusforschung - wie in der Kommunikationsforschung und auch in der Sozialforschung allgemein - überwiegend quantitativ empirisch gearbeitet, aber in größeren Studien werden oft beide Varianten kombiniert. Dabei hat sich die Reihenfolge qualitativ → quantitativ → qualitativ bewährt. Ist ein Bereich bislang wenig erforscht, setzt man zunächst zur induktiven Thesengewinnung ( → vgl. Kap. 1.3.1; S. 40 - 41) qualitative Instrumente ein: Der Forscher führt Fallstudie 50 J o u r n a l I s t I k u n d J o u r n a l I s m u s f o r s c h u n g zum Beispiel offene, detaillierte Gespräche mit einzelnen Journalisten oder Experten, oder er sammelt Fallstudien, um auf dieser Basis konkrete Fragestellungen für eine quantitative, groß angelegte Journalistenbefragung zu gewinnen - damit das quantitative Korsett passt. Kommen nun dabei Ergebnisse heraus, die näher erklärt oder plausibilisiert werden müssen, könnte ein weiterer qualitativer Schritt noch einmal stärker in die Tiefe gehen. Zudem kann man in einem einzigen Instrument qualitative und quantitative Elemente mischen - z. B. durch die Kombination offener oder geschlossener Fragen in einer Befragung (vgl. die folgenden Seiten). Die Auswertung der Daten erfolgt in der Regel mit Unterstützung durch Software: Bei der quantitativen Analyse hat sich z. B. SPSS bewährt, bei der qualitativen Analyse MAXQDA. Die Befragung Streng genommen kann man mit einer Befragung nur Einstellungen, Bewertungen und Überzeugungen von Menschen erforschen. Da viele Forschungsfragen indes oft auf Verhalten abzielen, das nicht durch Beobachtung zugänglich ist (weil es z. B. zu aufwändig wäre, 1.000 Journalisten oder Nutzer zu beobachten), behelfen wir uns, indem wir mit einer Befragung Selbstauskünfte einholen: »Welche Sender haben Sie in der letzten Woche im Radio gehört? « ( → vgl. Kap. 3.1; S. 97 - 101) - »Schätzen Sie bitte, wie viel Zeit Sie im Einstellungen, Bewertungen, Überzeugungen Handbücher zu quantitativer und qualitativer Forschung Zwei Handbücher zu Forschungsmethoden bilden das wesentliche Methodenspektrum der Kommunikationswissenschaft ab. In ihnen sind jeweils Dutzende von erfahrenen Wissenschaftlern mit Beiträgen vertreten. Die Handbücher lassen sich auch selektiv - bezogen auf eine einzelne Methode wie die quantitative oder die qualitative Inhaltsanalyse - gewinnbringend als Einführung und auch als Ratgeber für Abschlussarbeiten lesen. Wiebke Möhring und Daniela Schlütz haben das »Handbuch standardisierte Erhebungsverfahren in der Kommunikationswissenschaft« als Übersicht über quantitative Methoden herausgegeben. Und Stefanie Averbeck-Lietz und Michael Meyen sind Herausgeber des »Handbuchs nicht standardisierte Methoden in der Kommunikationswissenschaft«, in dem qualitative Verfahren besprochen werden. Ein vertiefender Sammelband, der eher für fortgeschrittene Studierende geeignet ist, speziell zu den »Methoden der Journalismusforschung« wurde von Olaf Jandura, Thorsten Quandt und Jens Vogelgesang herausgegeben. J o u r n a l I s m u s f o r s c h u n g 51 Schnitt für folgende Tätigkeiten aufwenden: Recherche, Verfassen eigener Texte, Redigieren von Agenturtexten, ...« ( → vgl. Kap. 6.1; S. 222 - 224). Die verschiedenen Möglichkeiten der Befragung sind in der Tabelle dargestellt (vgl. Abb. 1.4). Die Form der Befragung (mündlich oder schriftlich) sollte aufgrund des Forschungsziels gewählt werden, oft spielen aber auch Kostengründe eine Rolle. Grundlage jeder Befragung ist der Fragebogen, der mehr oder weniger standardisiert sein kann: • Standardisierte Fragebögen enthalten überwiegend geschlossene Fragen und legen alles genau fest: von Wortlaut und Abfolge der Fragen bis zu den Antwortvorgaben, aus denen der Befragte dann auswählen kann. Diese Fragebögen können quantitativ statistisch ausgewertet werden. • Weniger standardisierte Fragebögen verwenden meist offene Fragen und bestehen in mündlichen Interviews entweder aus einem Leitfaden oder einer Stichwortliste für den Interviewer. Sie werden qualitativ und explorativ eingesetzt, wenn zum Thema der Studie noch wenig bekannt ist. Wenn die Interviews später verglichen werden sollen, empfiehlt sich die Festlegung von Wortlaut und Reihenfolge im Leitfaden. Spontanes Nachhaken des Interviewers, um tiefer gehende Informationen zu erhalten, sollte jedoch möglich sein. Mündliche Leitfadeninterviews werden mit Zustimmung der Interviewten aufgezeichnet und nachher - zumindest in wesentlichen Teilen - transkribiert, um die Auswertung zu optimieren. Generell gibt es zwei Fragetypen: offene und geschlossene Fragen (vgl. die Beispiele in Abb. 1.5). Offene Fragen sind grundsätzlich zu empfehlen, wenn der Forscher die Bandbreite möglicher Antworten nicht genau kennt und Aspekte zur Sprache kommen sollen, die vorher nicht bekannt waren. Geschlossene Fragen sollten alle möglichen Antworten vorgeben (Vollständigkeit), und die Antwortvorgaben sollten inhaltlich nicht überlappen (Trennschärfe). Man kann zwar mangelnde Vollständigkeit durch einen offenen Zusatz (z. B. »Sonstiges«) ausgleichen, finden sich dort aber sehr viele Antworten, fällt eine quantitative Auswertung schwer, weil man nicht weiß, ob eine Kategorie häufiger angekreuzt worden wäre, wenn sie auf der Liste gestanden hätte. Bei der Frage nach Einschätzungen und Meinungen werden oft »Rating- Skalen« benutzt - mit in der Regel zwei bis sieben Stufen. Dabei müssen unterschiedliche Skalen- und Datenniveaus beachtet werden, die in den einschlägigen Lehrbüchern ausführlich beschrieben werden. Beispiele sind Zustimmung/ Ablehnung (stimme voll zu/ stimme weitgehend zu/ lehne weitgehend ab/ lehne voll ab), Häufigkeit (immer/ häufig/ selten/ nie) oder Bewertung (Schulnoten von 1 bis 6). Der Fragebogen vollständig und trennscharf 52 J o u r n a l I s t I k u n d J o u r n a l I s m u s f o r s c h u n g Form der Befragung mündlich: face to face aufwändige, aber intensive Interviews mit geringer Abbrecherquote mündlich: telefonisch kostensparend und schnell, aber ohne Visualisierungsmöglichkeit; Fragen und Antwortvorgaben müssen einfach formuliert sein schriftlich: postalisch Rücklaufquote meist relativ niedrig: langwierige Nachfassaktionen sind nötig schriftlich: austeilen/ einsammeln Verteilung eines Fragebogens z. B. in einer Redaktion oder einer Schulklasse/ einer Vorlesung; beim Einsammeln auf Anonymität achten schriftlich: per E-Mail am besten telefonisch ankündigen (Spam- Filter! ); beliebige, breite Streuung hat wenig Sinn und nervt unter Umständen die Befragten; eine Mail kann auf einen Fragebogen im WWW hinweisen schriftlich: im WWW kostensparend und schnell, automatische Dateneingabe und statistische Verwertbarkeit; aber: nur Internet-Nutzer sind erreichbar, Selbstselektion der Befragten (meist keine Repräsentativität). Gute Einsatzmöglichkeit vor allem bei klar umrissener und kleiner Grundgesamtheit (z. B. Journalisten bestimmter Redaktionen, Absolventen von Studiengängen, Nutzer einer bestimmten Website) Art des Fragebogens stark standardisiert genaue Festlegung von Antwortvorgaben; überwiegend geschlossene Fragen; Vorteil: quantitative, statistische Auswertung weniger standardisiert Leitfaden oder Stichwortliste; überwiegend offene Fragen; Ziel: Exploration, Stoffsammlung Fragetypen offen keine Vorgabe von Antwortkategorien; möglichst wörtliche Aufzeichnung der Antwort; Auswertung in der Regel qualitativ deskriptiv; eventuell können die Antworten auch quantitativ in Kategorien einsortiert und damit im Nachhinein quantifizierbar/ zählbar gemacht werden geschlossen vollständige und trennscharfe Antwortvorgaben; möglich sind z. B. Skalen: zweigeteilt ( ja/ nein oder männlich/ weiblich) oder mehrgeteilt (stimme voll zu/ stimme weitgehend zu/ lehne weitgehend ab/ lehne voll ab) Abb. 1.4 | Möglichkeiten der Befragung J o u r n a l I s m u s f o r s c h u n g 53 Beispiele für offene Fragen: (1) Wie lautet die genaue Bezeichnung Ihrer jetzigen beruflichen Stellung? (z. B. Redakteur, Moderator, Korrespondent) (2) Über journalistische Qualität wird in letzter Zeit viel diskutiert. Was sind für Sie die wichtigsten Kriterien journalistischer Qualität? (3) Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Aufgaben eines Journalisten? Beispiele für geschlossene Fragen: (4) Welche redaktionelle Position haben Sie? Gesamtleitung (Chefredakteur, Programmdirektor oder Stellvertreter) Teilleitung (Chef vom Dienst, Ressortleiter, Teamleiter) Redakteur Volontär Praktikant/ Hospitant (5) Wie oft werden Ihre Beiträge von jemand anderem in der Redaktion gegengelesen bzw. abgenommen? immer oder fast immer meistens ab und zu selten gar nicht (6) Nun lese ich Ihnen einige Aussagen vor, in denen es darum geht, wie man sich in seinem Beruf als Journalist verstehen kann und welche Ziele man mit seiner beruflichen Arbeit erreichen möchte. Es geht also immer um die Frage: Worum geht es Ihnen ganz persönlich in Ihrem Beruf? - IN MEINEM BERUF GEHT ES MIR DARUM … a) »komplexe Sachverhalte zu erklären und zu vermitteln.« trifft voll und ganz überwiegend teils/ teils weniger überhaupt nicht zu b) »dem Publikum eigene Ansichten zu präsentieren.« trifft voll und ganz überwiegend teils/ teils weniger überhaupt nicht zu c) »die Realität genauso abzubilden, wie sie ist.« trifft voll und ganz überwiegend teils/ teils weniger überhaupt nicht zu … Einige dieser Beispiele sind in etwas veränderter Form der Studie »Journalismus in Deutschland« entnommen. Die kompletten Fragebögen für diese umfangreiche Untersuchung sind in den Büchern von Scholl/ Weischenberg (1998: 325 - 354) und Weischenberg/ Malik/ Scholl (2006: 229 - 254) abgedruckt. | Abb. 1.5 Offene und geschlossene Fragen 54 J o u r n a l I s t I k u n d J o u r n a l I s m u s f o r s c h u n g Wie kann man einen Fragebogen optimal aufbauen? Wie werden Fragen gut formuliert? Zum Handwerkszeug der Befragung gibt es gute Lehrbücher, die am Ende dieses Kapitel vorgestellt werden. Vor allem bei standardisierten Fragebögen ist es enorm wichtig, dass alle Missverständnisse, Zweideutigkeiten und Verzerrungen bei jeder einzelnen Frage vermieden werden - und dass die Dramaturgie des Fragebogens stimmt, um Abbrüche möglichst zu minimieren. Grundsätzlich empfiehlt sich deshalb auch immer ein Pretest, mit dem der Fragebogen mit einer kleinen Gruppe vor der eigentlichen Befragung getestet und optimiert wird. Die Beobachtung Diese Methode wird in der Kommunikationsforschung relativ selten eingesetzt. In der Journalismusforschung hat sie sich jedoch vor allem in der Redaktionsforschung schon gut bewährt, weil dadurch Abläufe, Handlungen und soziale Strukturen in einer Redaktion erfasst werden können. Man kann z. B. herausfinden, wie sich redaktionelle Umstrukturierungen auf das journalistische Arbeiten auswirken, wie Journalisten mit Informanten umgehen, wie zeitlicher Druck die redaktionelle Arbeit beeinflusst oder wie journalistische Arbeit technisiert und formalisiert ist ( → vgl. Kap. 4.5; S. 168 - 181). Redaktionsforschung mit der Methode der Beobachtung wurde in Deutschland vor allem in Dissertationen betrieben - vgl. z. B. die Arbeiten von Manfred Rühl (»Die Zeitungsredaktion als organisiertes soziales System«, 1979), Ulrich Hienzsch (»Journalismus als Restgröße«, 1990), Eduard Grimme (»Zwischen Routine und Recherche«, 1991), Klaus-Dieter Altmeppen (»Redaktionen als Koordinationszentren«, 1999), Klaus Meier (»Ressort, Sparte, Team«, 2002), Thorsten Quandt (»Journalisten im Netz«, 2005) oder Jakob Vicari (»Blätter machen«, 2014). Wie alle empirischen Methoden sollte auch die Beobachtung nicht unkontrolliert, unsystematisch und impressionistisch vorgehen, um möglichst zuverlässige und gültige Daten liefern zu können. Wir beobachten deshalb nur ganz bestimmte Aspekte, die wir vorher aufgrund unserer Fragestellung und unseres theoretischen Konzepts festlegen - und wir gehen systematisch mit Hilfe eines mehr oder weniger stark definierten Kategoriensystems vor. Diskutiert wird in der Wissenschaft, wie weit die Systematisierung gehen soll, das heißt, wie stark ein Kategorienkatalog spezifiziert und wie exakt ein Beobachtungsschema vorgegeben wird. Während quantitativ orientierte Forscher zunächst Hypothesen entwickeln und dann in einem standardisierten Beobachtungsschema genau Zahl und Art der Beobachtungseinheiten von vornherein festlegen, rät die qualitativ orientierte Sozialwissenschaft von einem exakten Plan ab, um die Exploration nicht zu behindern und nicht nur zu sehen, was man vorher schon sehen wollte. Redaktionsforschung Beobachtungsschema J o u r n a l I s m u s f o r s c h u n g 55 Ratsam ist es auch hier wieder zwei Regeln zu befolgen. Erstens: Je mehr wir vom zu untersuchenden Gegenstand wissen, umso eher können wir quantifizierend, also messend und zählend vorgehen. Zweitens: Quantitative und qualitative Elemente können kombiniert werden. Wenn zum Beispiel aufgrund unseres Forschungsinteresses Dauer und Art der Tätigkeiten eines Redakteurs beobachtet werden sollen, könnten wir einen standardisierten Erhebungsbogen entwerfen: Dort tragen wir dann in einer Spalte die Tätigkeit ein (eventuell mit einer Nummer aus einer vorgefertigten Liste), in einer weiteren Spalte die Dauer in Minuten. Eine dritte Spalte können wir dann der offenen Form eines Beobachtungstagebuchs vorbehalten, in dem Merkmale der Tätigkeiten und Besonderheiten notiert werden. Eine Beobachtung kann offen oder verdeckt, teilnehmend oder nicht teilnehmend vorgehen. Wird allen beobachteten Redakteuren der Forscher als Forscher vorgestellt, handelt es sich um die offene Variante. Schmuggelt sich der Forscher dagegen als Praktikant ein, beobachtet er verdeckt. Dies bringt allerdings - ähnlich wie die verdeckte Recherche eines Journalisten ( → vgl. Kap. 6.1; S. 227 - 229) - ethische und rechtliche Probleme mit sich und ist in der Regel nicht zu empfehlen. Grundsätzlich ist zu bedenken, dass Menschen nicht ausschließlich zu Objekten der Untersuchung gemacht und nicht als zweckdienlich betrachtet werden sollten. Die Methode der Beobachtung ist aus verschiedenen Gründen nicht unproblematisch. Die Forscher müssen Zugang zum Feld, also zum Beispiel zu einer Redaktion erhalten, was oft Geduld und Hartnäckigkeit erfordert. Zudem kann man nicht ausschließen, dass sich der Beobachter allein durch seine Anwesenheit auf die Handelnden auswirkt. Der Aufwand ist insgesamt relativ hoch, wenn man bedenkt, dass immer nur einzelne Fallstudien erhoben werden können, also nie Repräsentativität - z. B. für alle Redaktionen in Deutschland - erreicht werden kann. Dennoch sind wissenschaftliche Beobachtungen wertvoll, weil nur durch sie soziale Situationen in ihrer Tiefe richtig erfasst werden können. Eine Kombination mit anderen Methoden ist gerade bei Beobachtungen sinnvoll: So kann z. B. die Redaktionsforschung mit zusätzlichen mündlichen Leitfadengesprächen und einer begleitenden schriftlichen Befragung der Redakteure verbunden werden. Vertiefende Ratschläge zur Beobachtung finden sich in den Beiträgen von Thorsten Quandt (2011) mit einem eher quantitativen und Jakob Vicari (2016) mit einem eher qualitativen Ansatz. Die Inhaltsanalyse Die Inhaltsanalyse ist die am weitesten verbreitete Methode der Kommunikationsforschung. Deshalb gibt es dazu eine Reihe guter Einführungen, die von Kommunikations- und Journalismusforschern geschrieben wurden (vgl. offen oder verdeckt Geduld und Hartnäckigkeit Themenagenda des Journalismus 56 J o u r n a l I s t I k u n d J o u r n a l I s m u s f o r s c h u n g die Literaturempfehlungen). Wertvoll in praktischer Hinsicht ist die Inhaltsanalyse zum Beispiel im Bereich der Public Relations: Wenn die Themenagenda des Journalismus kontinuierlich analysiert und wenn systematisch ausgewertet wird, wie sich die Aussagen von Politikern und Parteien, Unternehmen und Verbänden in den Medien niederschlagen, können darauf aufbauend Kommunikationsstrategien entworfen oder optimiert werden. Nutzen für die journalistische Praxis hat die Inhaltsanalyse beispielsweise in so genannten Benchmarkings, wie sie vom Leipziger Journalismusforscher Michael Haller (2014, 2015) entworfen wurden: Die Inhalte von Tageszeitungen wurden verglichen, und in Kombination mit Leserforschungen wurden Qualitätskriterien herausgearbeitet, die für den Markterfolg wichtig sind. Auf dieser Basis können nun per Inhaltsanalyse Stärken und Schwächen von redaktionellen Teilen herausgefunden und Strategien für einzelne Redaktionen entwickelt werden. Eine ähnliche, aber umfangreichere Studie von Klaus Schönbach zu den Erfolgsfaktoren von Tageszeitungen wird im folgenden Kapitel 1.3.3 kurz vorgestellt. Stärken und Schwächen von Zeitungen Beispiele für Inhaltsanalysen Beispiel I: Themenprofile deutscher Fernsehnachrichten (Leitung: Udo Michael Krüger, IFEM-Institut, Köln) Die ARD/ ZDF-Medienkommission beauftragt das Kölner Institut IFEM seit 2005, mit dem so genannten InfoMonitor die wichtigsten Nachrichtensendungen im deutschen Fernsehen kontinuierlich zu analysieren. Der Bericht für das Jahr 2016 ergab, dass die »Tagesschau« zu 54 Prozent, »heute« zu 44 Prozent und die Nachrichtensendungen in RTL und SAT.1 zu 26 bzw. 33 Prozent über Politik berichten. Zentrale politische Themen werden in den Sendungen von ARD und ZDF kontinuierlicher beobachtet als in den privaten Fernsehkanälen. Das Ergebnis ist nicht überraschend, kann für die Verantwortlichen von ARD und ZDF jedoch eine wissenschaftlich gestützte Argumentationshilfe sein, wenn es darum geht, die Gebührenfinanzierung der öffentlich-rechtlichen Sender zu verteidigen (Quelle: Krüger/ Zapf-Schramm 2017). Beispiel II: Ausländer in der Kriminalitätsberichterstattung (Leitung: Florian Arendt, Hans-Bernd Brosius, Patricia Hauck, IFKW, Universität München) Seit vielen Jahren zeigen Inhaltsanalysen, dass Journalismus das Bild des »kriminellen Ausländers« und verwandter Stereotype vermittelt. Die sys- J o u r n a l I s m u s f o r s c h u n g 57 Es gibt zwar etliche qualitativ vorgehende Inhaltsanalysen, überwiegend wird jedoch quantitativ gearbeitet, um große Mengen an Text-, Bild-, Audio- oder Videomaterial verarbeiten und vergleichen zu können. Die Stichprobenziehung ist gerade bei der Inhaltsanalyse sehr wichtig, weil meist aufgrund einiger hundert oder tausend Beiträge (Untersuchungseinheiten) auf die gesamte Berichterstattung geschlossen werden soll. Ein Kategorienschema legt auf Basis der Forschungsfragen genau fest, welche Variable (z. B. Thema eines Beitrags) mit welcher Ausprägung (z. B. Politik, Wirtschaft, Sport, Bildung) wie kodiert - also vermessen oder ausgezählt - wird. Das Kategorienschema wird im Codebuch erklärt, das Anweisungen und Regeln für die Codierer bereithält. tematische Nennung ausländerspezifischer Attribute in der Kriminalitätsberichterstattung kann zu einer stereotypen Weltsicht der Menschen beitragen - und ist damit ein Nährboden für das Gift des Nationalismus. Dies betraf in den 1960er und 1970er Jahren Gastarbeiter und seit den 1990er Jahren Asylsuchende und Flüchtlinge. Eine Inhaltsanalyse von drei Tageszeitungen konnten nachweisen, dass sich das Schüsselereignis »Silvesternacht in Köln« deutlich auf die Kriminalitätsberichterstattung in den Wochen danach auswirkte. In der Nacht zum Jahreswechsel 2015/ 16 war es in Köln zu hunderten von kriminellen Handlungen überwiegend durch Flüchtlinge und Asylsuchende gegenüber Frauen gekommen: Diebstähle, Raub und sexuelle Übergriffe bis hin zu Vergewaltigungen. Nach anfänglichem Zögern berichteten die Medien ausführlich über diese Ereignisse. In der vorliegenden Studie ging es nun um die Frage, ob sich die Kriminalitätsberichterstattung an sich danach veränderte, also zu Themen, die nichts mit den Ereignissen in Köln zu tun haben. Und in der Tat konnte die Untersuchung eine deutliche Zunahme ausländerspezifischer Attribute generell in der Berichterstattung über Kriminalität nachweisen. So wurden mutmaßliche Täter im Dezember zu sieben Prozent als Ausländer bzw. mit Migrationshintergrund etikettiert, im Januar und Februar dagegen zwischen 20 und 24 Prozent. Journalisten haben in den Wochen nach Köln demnach vermehrt Ereignisse ausgewählt, an denen Ausländer als mutmaßliche Täter beteiligt waren, und sie haben verstärkt die Nationalität von ausländischen Tätern erwähnt (Quelle: Arendt/ Brosius/ Hauck 2017). 58 J o u r n a l I s t I k u n d J o u r n a l I s m u s f o r s c h u n g Grundlagenforschung und anwendungsorientierte Forschung Jede Wissenschaft hat zwei Dimensionen (vgl. Kromrey 1995: 18 - 20): Grundlagenforschung begründet die Relevanz der von ihr aufgegriffenen Themen wissenschaftsimmanent aus bestehenden Lücken oder aus Widersprüchen im bisherigen Wissensbestand. Anwendungsorientierte Forschung leitet die behandelten Fragestellungen aus den Bedürfnissen der Praxis außerhalb der Scientific Community ab. Auch Ergebnisse aus Grundlagenprojekten können indes Praxisrelevanz und Nutzwert außerhalb der Wissenschaft besitzen - und umgekehrt können anwendungsorientierte Projekte zum wissenschaftlichen Fortschritt beitragen. Wir können zwar feststellen, ob eine Studie mehr in die eine oder mehr in die andere Richtung geht, aber es gibt keine trennscharfe Grenze zwischen beiden Bereichen. Kriterium ist zum Beispiel die Finanzierung: Stammen die Forschungsmittel von einer Universität oder von einer forschungsfördernden Institution wie der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), dann handelt es sich in der Regel um Grundlagenprojekte. Wenn Unternehmen, Institutionen der journalistischen Praxis oder Fachhochschulen Forschungsmittel bereitstellen, besteht in der Regel das Interesse, die Ergebnisse außerhalb der Scientific Community zu verwerten. 1. 3. 3 | Nutzwert Grundlagenorientierte Journalismusforschung: zwei Beispiele Beispiel I: Journalismus in Deutschland II (Leitung: Siegfried Weischenberg/ Armin Scholl) Die repräsentative Befragung lieferte wichtige Daten über die Journalistinnen und Journalisten in Deutschland ( → vgl. Kap. 6; S. 217 - 238). Die Studie wurde von der DFG gefördert. Sie ist auf der DFG-Website wie folgt beschrieben: »Zum Journalismus in Deutschland sind Anfang der 90er-Jahre erstmals repräsentative Daten erhoben worden. Sie bildeten nicht nur die Basis für Empirisch arbeitende Journalismusforscher können drei Methoden einsetzen und bei Bedarf kombinieren: die Befragung, die Beobachtung und die Inhaltsanalyse. Jede Methode kann stärker quantitativ oder stärker qualitativ vorgehen - wobei quantitative Verfahren häufiger verwendet werden: Sie vergleichen anhand von Zahlen, Prozent- und Mittelwerten und erlauben aufgrund großer untersuchter Mengen repräsentative Schlussfolgerungen. Qualitative Forschungen versuchen dagegen, ein komplexes Phänomen z. B. durch Fallstudien ganzheitlich zu erfassen. Zusammenfassung J o u r n a l I s m u s f o r s c h u n g 59 einen soliden Kenntnisstand über Journalistinnen und Journalisten, sondern erlaubten auch eine anspruchsvollere theoretische Einordnung der Voraussetzungen, unter denen Wirklichkeitsentwürfe der aktuellen Medien zu Stande kommen. Es muss aber vermutet werden, dass der heutige Journalismus in wesentlichen Bereichen ein anderes Bild bietet als vor zehn Jahren, sodass die damaligen Daten einer Aktualisierung bedürfen. Sichtbare Wandlungsprozesse im Mediensystem, bei der Medienproduktion und bei den Medienprodukten haben inzwischen die Aussagenentstehung und ihre Akteure verändert. Die Befunde aus den 90er-Jahren bedürfen also einer Aktualisierung. Das Projekt ermittelt erneut mit Hilfe einer repräsentativen Journalistenbefragung, welche Institutionen und welche Akteure journalistische Aussagen produzieren, welche Merkmale sie haben und unter welchen Bedingungen sie arbeiten. [...] Die als Replikation angelegte Studie verfolgt drei grundlegende Ziele: 1) Die Neuerhebung repräsentativer Daten soll es ermöglichen, den gegenwärtigen Journalismus, seine Strukturen und die Bedingungen der journalistischen Aussagenentstehung fundiert beschreiben und analysieren zu können. 2) Im diachronen Vergleich mit den zehn Jahre alten Ergebnissen der Vorläuferstudie wird erstmals empirischanalytisch und nicht spekulativ geprüft, ob und in welcher Weise sich der Journalismus gewandelt und verändert hat. Die Langzeitstudie zur Mediennutzung und -bewertung erfährt so eine Ergänzung im Bereich der Kommunikatorforschung. 3) Im synchronen Vergleich mit anderen nationalen Kommunikator-Studien und insbesondere mit der neuen Erhebung im Rahmen der Langzeituntersuchung zum Journalismus in den USA soll die Bedeutung des Journalismus in seinem gesellschaftlichen Kontext analysiert und bewertet werden.« (Quelle: gepris.dfg.de) Die Studie ist u. a. in der Zeitschrift »Journalist« (Heft 8 und 9/ 2006) und im Buch von Weischenberg/ Malik/ Scholl (2006) veröffentlicht. Teilergebnisse der Vorläuferstudie Anfang der 90er-Jahre sind an verschiedenen Stellen zu finden, z. B. im Buch von Scholl/ Weischenberg (1998). Beispiel II: Worlds of Journalism Study (Leitung: Thomas Hanitzsch) Für diese Studie wurden bislang in zwei Wellen 2007 bis 2011 sowie 2012 bis 2016 Journalisten in vielen Ländern weltweit mit dem gleichen theoretischen Konzept und Fragebogen befragt. An der zweiten Welle nahmen 27.500 Journalisten aus 67 Ländern teil - in der ersten Welle waren es noch 18 Länder gewesen. Die Studie ist der größte bislang durchgeführte Vergleich in der Journalismusforschung weltweit. 60 J o u r n a l I s t I k u n d J o u r n a l I s m u s f o r s c h u n g Vorwiegend grundlagenorientierte Journalismusforschung Dank der empirischanalytischen Journalismusforschung der vergangenen drei bis vier Jahrzehnte können wir wissenschaftlich fundierte Aussagen über den Journalismus treffen. Was wir früher über den Journalismus wussten, wussten wir durch den Journalismus: durch Einzelaussagen und Selbstbeobachtungen der Berufspraktiker. Die Journalistik dagegen untersucht den Journalismus als ein Beobachter zweiter Ordnung, der mit intersubjektiv überprüfbaren Methoden systematisch und kontinuierlich Realitäten und Wandlungsprozesse der aktuellen Aussagenentstehung, -nutzung und -wirkung beschreibt. DFG-Projekte im Bereich der Journalistik gab es in den vergangenen Jahren z. B. zu folgenden Themen: »Journalismus in Deutschland« (Siegfried Weischenberg/ Armin Scholl), »Kulturelle Bedeutungsproduktion durch Journalismus. Die Integration der Publikumsperspektive in die Journalistik« (Margreth Lünenborg), »Der Einfluss der angewandten Medienforschung auf den Journalismus« (Ralf Hohlfeld), »Vertrauen in Medien: Strukturen, Gründe und Konsequenzen des Vertrauens in medial vermittelte öffent- Beobachter zweiter Ordnung Die zweite Befragung in Deutschland, Österreich und der Schweiz wurde von der DFG finanziert. Dazu heißt es auf der DFG-Website: »Das Hauptziel des Forschungsprojekts besteht darin, Journalismusforschern, Entscheidungsträgern und Mitgliedern des Berufsstandes dabei zu helfen, den sich aktuell vollziehenden Wandel im Journalismus besser zu verstehen. Dies gilt für die professionellen Orientierungen von Journalisten, die Einflüsse auf ihre Arbeit sowie die gesellschaftliche Rolle von Journalismus in einer sich verändernden Welt. Ihre besondere Relevanz erhält eine solche Studie in einer Zeit, die durch eine dramatische Transformation des Journalismus als soziale Institution gekennzeichnet ist. Die Ziele der Studie liegen deshalb in einer Zustandsanalyse des Journalismus in Deutschland, Österreich und der Schweiz - im trilateralen und im weltweiten Vergleich; in der Untersuchung von Veränderung im Zeitverlauf; im Aufspüren von Zwängen und Einflüssen, denen Journalisten ausgesetzt sind; sowie in der Erforschung der einwirkenden Kräfte, die den Journalismus in den drei Ländern prägen [. . . ].« (Quelle: gepris.dfg.de) Methode und Kernergebnisse der Worlds of Journalism Study insgesamt, inkl. Kurzberichte zu einzelnen Ländern, sind auf einer Website veröffentlicht: www.worldsofjournalism.org. Erste detailliertere Erkenntnisse für Deutschland finden sich im Aufsatz von Steindl/ Lauerer/ Hanitzsch 2017. J o u r n a l I s m u s f o r s c h u n g 61 liche, insbesondere journalistische Kommunikation« (Matthias Kohring), »Wandel bei aktuellen Massenmedien: Journalismus in veränderten Medienkontexten« (Bernd Blöbaum), »Die (Wieder-)Entdeckung des Publikums: Journalismus unter den Bedingungen von Web 2.0« (Wiebke Loosen), »Themendynamik der öffentlichen Kommunikation im Internet - Netzwerk- und Inhaltsanalyse aktueller Themen in Twitter« (Christoph Neuberger, Stefan Stieglitz), »Lokaljournalismus in Deutschland« (Klaus Arnold, Hans- Jürgen Bucher), »Demokratische Qualität der Medienberichterstattung« (u.a. Uwe Hasebrink, Olaf Jandura, Birgit Stark, Ralph Weiß). Auf den ersten Blick ist aus diesen Studien kein unmittelbarer Nutzen für die journalistische Praxis abzuleiten. Noch am ehesten lässt sich der Sinn dieser Grundlagenforschung für die Praxis damit erklären, dass die Journalisten dank der Forschung mehr über ihren Beruf wissen (können, wenn sie wollen). Die Forschungserkenntnisse helfen bei der Einordnung des eigenen Tuns und tragen zur Professionalisierung des traditionellen »Anlernberufs« bei. Diese Funktion der Journalistik wurde immer wieder mit dem Begriff der Reflexion etikettiert und dutzendfach beschrieben. In diesen Kontext ist auch die Journalistenausbildung an Hochschulen einzuordnen ( → vgl. Kap. 6.2; S. 230 - 238) - oder die Analyse einer journalistischen Ethik im Kontext von vielerlei Abhängigkeiten der Journalisten ( → vgl. Kap. 7.2; S. 250 - 261). Es wäre indes absurd, den praktischen Nutzen von Grundlagenforschung auf Transfermöglichkeiten und Reflexionswissen zu beschränken: Sie sorgt grundsätzlich und in erster Linie für wissenschaftlichen Fortschritt und legt die Basis, auf der die anwendungsorientierte Forschung erst gedeihen kann. Vorwiegend anwendungsorientierte Journalismusforschung Die Wissenschaft wird gern zu Rate gezogen, wenn Journalisten mehr über ihr Publikum wissen wollen: Redaktionen, Verlage und Rundfunkanstalten beauftragen dann Wissenschaftler oder Forschungsinstitute mit Leserforschung, Zuschauerbefragung oder Usability-Tests von Online-Medien. Meist findet derartige Forschung außerhalb des akademischen Bereichs statt: Große Rundfunkanstalten und Verlage unterhalten eigene Abteilungen für so genannte »Medienforschung« - oder freie Marktforschungsinstitute werden mit Nutzerforschung beauftragt. Der Nutzen einer anwendungsorientierten Journalistik geht indes über die Publikumsforschung hinaus. Er liegt z. B. darin, mögliche Innovationen zu erforschen, zu prüfen und zu testen, neue Wege aufzuzeigen - nicht nur im Hinblick auf ökonomischen Erfolg, der von vielen Faktoren abhängt, sondern auch zur Verbesserung der journalistischen Qualität in allen ihren Dimensionen ( → vgl. Kap. 7.1; S. 239 - 249). Wo Professionalisierung Innovationen 62 J o u r n a l I s t I k u n d J o u r n a l I s m u s f o r s c h u n g und wie funktionieren Innovationen, wo bergen sie Risiken und Gefahren für die journalistische Qualität? - Insgesamt ist das Potential von angewandter Journalismusforschung bei weitem (noch) nicht ausgeschöpft ( → vgl. Kap. 7.3; S. 272 - 276). Zu denken wäre z. B. an neue Formen der Aktionsforschung, welche die Sozialforschung in den 70er-Jahren entwickelte und bei der die Forschungstätigkeit z. B. als Beratungsleistung unmittelbar in die Alltagspraxis eingebunden wird, mit dem Ziel, diese zu verändern (vgl. Kromrey 1995: 430 - 438). Der Forschungsprozess durchläuft dann mehrere Zyklen, um die Veränderungen und Erfolge des Handelns mehrfach zu prüfen und wieder verändern zu können. In diese Richtung geht eines meiner Projekte, das im folgenden Kasten kurz beschrieben ist (vgl. Meier 2011). Auch andere Journalismusforscher gehen inzwischen mit diesem Konzept vor (vgl. Grubenmann 2016). Während die Grundlagenforschung nahezu ausschließlich wissenschaftsimmanent veröffentlicht, greift die angewandte Forschung auch auf alternative Outputformen zurück, die aus wissenschaftsinternen Publikationsritualen ausbrechen: Beiträge in Fachzeitschriften für Journalisten (z. B. »Journalist« oder »Medium Magazin«), Expertisen und Beratungsleistungen für Redaktionen, beispielsweise in Form von Analysen vor Ort, Coachings und Weiterbildungen. Viele anwendungsorientierte Projekte sind allerdings nicht öffentlich zugänglich - nämlich dann, wenn die Auftraggeber einer Veröffentlichung nicht zustimmen. Expertise, Beratung, Coaching Anwendungsorientierte Journalismusforschung: zwei Beispiele Beispiel I: Zeitungen in den Neunzigern: Faktoren ihres Erfolgs 350 Tageszeitungen auf dem Prüfstand (Leitung: Klaus Schönbach) Schon seit mehr als 25 Jahren tun die deutschen Verlage viel, um die Tageszeitung für die Zukunft zu stärken: Ausbau der Hintergrundberichterstattung und lokaler Service-Angebote, Modernisierung des Erscheinungsbildes, gezieltes Lesermarketing und vieles mehr. Doch wie erfolgreich sind sie damit? - Ein generelles Schrumpfen der Leserzahlen scheint unausweichlich ( → vgl. Kap. 3.2; S. 108 - 115). Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) und die Stiftervereinigung der Presse haben den Journalistik-Wissenschaftler Klaus Schönbach Mitte der 90er-Jahre damit beauftragt, alles auf den Prüfstand zu stellen, was Zeitungen unternehmen, um Leser zu binden und neue zu gewinnen. J o u r n a l I s m u s f o r s c h u n g 63 Die umfangreiche Studie kombinierte mehrere Methoden: Eine Inhaltsanalyse von 350 Ausgaben untersuchte im Vergleich jeweils einer Woche aus den Jahren 1989 und 1994, was die Zeitungen in ihrem Inhalt attraktiver gemacht haben könnte. Eine Befragung der Verlage trug zusammen, was zudem das Lesermarketing unabhängig vom Zeitungsinhalt unternahm, z. B. durch Abonnenten-Werbung oder Preisgestaltung. Alle Verlags- und Redaktionsaktivitäten wurden dann in Bezug zu Entwicklungen der Abonnenten- und Leserzahlen gesetzt, wobei die Wettbewerbssituation im Erscheinungsgebiet berücksichtigt wurde. Die Untersuchung lieferte praktische Erkenntnisse für die Tageszeitungen: Auf der Basis harter Daten wurde ermittelt, ob sich mehr Lokales, der Ausbau des Service-Angebots, eine stärkere Bebilderung oder ein niedriger Bezugspreis tatsächlich ausgezahlt haben, wenn es darum ging, Auflage und Reichweite stabil zu halten oder sogar zu steigern. Zudem konnte spezifiziert werden, welche gut gemeinten Maßnahmen offensichtlich sinnlos oder sogar kontraproduktiv waren. (Quelle: Schönbach 1997) Klaus Schönbach wiederholte seine Pionierstudie von 1995 knapp zehn Jahre später: mit einer kleineren Stichprobe in Deutschland und einem Vergleich mit Erfolgsfaktoren US-amerikanischer Zeitungen. (Quelle: Schönbach 2004) Beispiel II: Newsroom, Newsdesk, crossmediales Arbeiten Neue Modelle der Redaktionsorganisation und ihre Auswirkung auf die journalistische Qualität (Leitung: Klaus Meier) Die Anglizismen »Newsroom«, »Newsdesk« und »Crossmedia« avancierten zu Modewörtern des Redaktionsmanagements vor allem bei Tageszeitungen, aber auch bei Nachrichtenagenturen, Zeitschriften und Rundfunkanstalten ( → vgl. Kap. 4.5; S. 175 - 181). Sie werden in der journalistischen Praxis ganz unterschiedlich verwendet und bewertet. Euphoriker versprechen sich durch neue redaktionelle Strukturen eine höhere journalistische Qualität, weil u. a. Abläufe, Themenplanung und Themenbearbeitung professionalisiert werden können. Skeptiker sehen dagegen den ökonomischen und zeitlichen Druck auf Redakteure (erneut) wachsen oder befürchten einen Verlust an Qualität und Vielfalt. Die Studie erarbeitete zunächst explorativ anhand von Beispielen einen Überblick über neue Modelle und Motive für deren Umsetzung und untersuchte dann in einer empirischen Langzeitstudie den redaktionellen Innovationsprozess der österreichischen Nachrichtenagentur APA: Die AUSTRIA 64 J o u r n a l I s t I k u n d J o u r n a l I s m u s f o r s c h u n g PRESSE AGENTUR siedelte im August 2005 in ein neues Gebäude über und bezog einen Newsroom auf einer Ebene mit etwa 1600 Quadratmetern für ca. 140 Arbeitsplätze. Das Großraumbüro soll neue Organisationsformen journalistischer Arbeit ermöglichen: Verbesserung der Kommunikation und der Arbeitsabläufe, vernetztes ressortübergreifendes Denken und Handeln, Einführung aktueller Teams (Task forces) für zentrale, komplexe Themen, neue koordinierende Rollen (News-Manager), Integration der »Multimedia«-Abteilung. Erstmals wurde eine derartige redaktionelle Innovation von einer Langzeitstudie begleitet: Die Untersuchung begann vor der Umstrukturierung mit zwölf mündlichen Intensivinterviews mit Ressortleitern und zufällig ausgewählten Redakteuren sowie einer schriftlichen Befragung aller Redakteure per Online-Fragebogen und wurde fortgesetzt nach der Umstrukturierung wiederum mit mündlichen Interviews und einer schriftlichen Befragung sowie einer Redaktionsbeobachtung im neuen Großraum. Wie verändern sich die Arbeitsbedingungen der Redakteure? Tragen die neuen Strukturen aus Sicht der Redaktion zu einer Verbesserung der journalistischen Qualität bei? Die Studie mündete in Ratschläge, wie das Redaktionsmanagement der APA weiter optimiert werden kann. Gleichzeitig trug die Studie über Veröffentlichungen zum wissenschaftlichen Fortschritt bei, hatte also auch grundlagenorientierte Aspekte, weil das Feld der Redaktionsorganisation und des Redaktionsmanagements bislang kaum untersucht ist. (Quelle: Meier 2006, 2007, 2011) Eine Reihe von Studien folgte in den zehn Jahren danach: vor allem zu crossmedialen Newsrooms auf der Basis von Fallstudien im internationalen Vergleich (vgl. weiterführend dazu mit etlichen Quellenverweisen Meier 2016: 204 - 211). 1 Was unterscheidet empirische Sozialforschung von Alltagserfahrung? 2 Was meint induktives und deduktives Vorgehen in einem Forschungsprozess? 3 Erklären Sie die Qualitätskriterien Validität, Reliabilität und Repräsentativität. 4 Welche grundsätzlichen Unterschiede lassen sich zwischen quantitativer und qualitativer Sozialforschung feststellen? Wie können beide Vorgehensweisen kombiniert werden? 5 Was sind die Kennzeichen von Fallstudien? Übungsfragen zu Kapitel 1.3 J o u r n a l I s m u s f o r s c h u n g 65 Literatur Die Kommunikationswissenschaftler Hans-Bernd Brosius, Alexander Haas und Friederike Koschel haben ein sehr gut lesbares und anschauliches Lehrbuch zu den Methoden der empirischen Kommunikationsforschung geschrieben. Der Schwerpunkt liegt allerdings auf hypothesentestenden, quantitativen Methoden sowie auf Beispielen aus der Nutzungs- und Wirkungsforschung - und weniger auf der Journalismusforschung. Eine ähnliche Einführung liegt von Bertram Scheufele und Ines Engelmann vor. Für qualitative Verfahren ist das von Stefanie Averbeck-Lietz und Michael Meyen herausgegebene Handbuch zu empfehlen. Dozentinnen und Studierende der Eichstätter Journalistik stellen ein übersichtliches und sehr gut verständliches Methodenportal zur empirischen Kommunikationsforschung bereit: journalistik.ku.de/ methoden. Wer sich intensiver mit der Methode der Befragung auseinandersetzen oder sie selbst in Forschungsprojekten anwenden möchte - dem sei das Buch des Münsteraner Journalismusforschers Armin Scholl empfohlen: Er liefert im Buch Die Befragung nicht nur einen gut nachvollziehbaren Leitfaden für alle Arten der Befragung, sondern beschreibt auch Dutzende von Beispielen aus der Kommunikationsforschung. Zur Inhaltsanalyse hat Werner Früh schon 1981 einen praxisorientierten und gut nachvollziehbaren Leitfaden geschrieben, der mittlerweile in 7. Auflage vorliegt. In der Reihe »UTB basics«, in der auch das vorliegende Buch erscheint, hat Patrick Rössler 2005 ein erfrischendes und anwendungsorientiertes Einführungsbuch zur Inhaltsanalyse vorgelegt (3. Auflage 2017). Zur qualitativen Inhaltsanalyse gilt schon seit Jahrzehnten das Buch von Philipp Mayring als Standard. Neuerdings empfehle ich zudem das Buch von Udo Kuckartz oder den Überblick von Silke Fürst, Constanze Jecker und Philomen Schönhagen. 6 Erläutern Sie Einsatzgebiete, Vorgehensweise und Beispiele für die drei Methoden der empirischen Journalismusforschung: Befragung, Beobachtung und Inhaltsanalyse. 7 Beschreiben Sie die Unterschiede von Grundlagenforschung und anwendungsorientierter Forschung und nennen Sie jeweils ein Beispiel aus der Journalismusforschung. J o u r n a l I s t I k u n d J o u r n a l I s m u s f o r s c h u n g 66 d I e f ü n f e b e n e n d e s J o u r n a l I s m u s 67 67 Journalismus in der Gesellschaft Die fünf Ebenen des Journalismus Der Journalismus ist in modernen Demokratien in der Regel ein freier Beruf: Jeder kann sich Journalist nennen - egal, was er tatsächlich tut. De facto sind aber Menschen, die als Journalisten praktizieren und vom Journalismus leben, immer dem normativen Kontext der Gesellschaft, den Wünschen und Interessen des Publikums, den organisatorischen Zwängen der Medieninstitutionen, für die sie arbeiten, und den Darstellungsmöglichkeiten der jeweiligen medialen Plattform unterworfen. Der Journalismus ist geprägt durch fünf Ebenen (Weischenberg 2004: 68 - 71; Fabris 2004: 394 f.): • Normenkontext: Als gesellschaftliche Rahmenbedingungen bestimmen die historisch gewachsenen und rechtlichen Grundlagen sowie aktuelle medienpolitische Entscheidungen das Mediensystem eines Landes. Wie groß ist die Kommunikationsfreiheit? Welche Traditionen und professionellen Standards prägen den Journalismus? • Kontext des Publikums: Der Zuspruch des Publikums - gemessen an Auflage und Quote - bestimmt den ökonomischen Erfolg von Medieninstitutionen. Nur wer genügend Publikum findet, kann langfristig auf dem Markt bestehen. Die Erforschung der Interessen und Wünsche der Rezipienten ist deshalb für privatwirtschaftliche Medienunternehmen elementar. Aber auch öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten müssen legitimieren, warum sie von allen Zuschauern und Zuhörern Gebühren verlangen, und können nicht fernab vom Publikum agieren. Die Nähe oder Ferne zum Publikum wird im Journalismus immer wieder heftig diskutiert. Denn | 2 Inhalt 2.1 Die fünf Ebenen des Journalismus 2.2 Geschichte und Wandel des Journalismus 2.3 Kommunikationsfreiheit und Mediensysteme | 2.1 Mediensystem Publikum 68 J o u r n a l I s m u s I n d e r g e s e l l s c h a f t traditionell ist der Bezugspunkt für den Journalismus der durch Information aufgeklärte Staatsbürger - und nicht eine durch Marketing definierte Zielgruppe (vgl. u. a. Blöbaum 2004: 202). Durch Internet und soziale Netzwerke wird das Verhältnis zwischen Journalismus und Publikum radikal herausgefordert (Loosen 2016): Einerseits besteht die Hoffnung, dass sich die Qualität des Journalismus durch die Beteiligung des Publikums, durch Dialog und Transparenz verbessert und auch dass sich mehr Menschen an den öffentlichen Diskursen der Demokratie beteiligen, andererseits kam die große Enttäuschung durch Hasskommentare, Propaganda und die Verbreitung von bewussten Falschinformationen (»Fake News«). • Organisationskontext: Journalistische Produkte entstehen in Medienunternehmen oder allgemeiner formuliert in Medienorganisationen. Hier werden die ökonomischen, organisatorischen und technischen Rahmenbedingungen für das journalistische Arbeiten festgelegt. Journalisten bei privatwirtschaftlichen Unternehmen haben andere Bedingungen als Journalisten bei öffentlich-rechtlichen Anstalten. Technischer Wandel der journalistischen Produktion oder organisatorischer Wandel der Redaktion führen zu neuen Arbeitsweisen und Routinen im Journalismus. • Kontext der Medienprodukte und journalistischen Routinen: Bei der Produktion von Beiträgen sind Journalisten einerseits von der Informationslage und den Quellen abhängig - andererseits von den Darstellungsmöglichkeiten der jeweiligen medialen Plattform. Die Beitragsproduktion für Print, Radio, Fernsehen oder Internet ist geprägt durch die tradierten Darstellungsformen und Berichterstattungsmuster - oder allgemein formuliert durch die Medienschemata. Die Systemtheorie spricht hier von den »Arbeitsprogrammen des Journalismus« (Altmeppen 2004: 425 f.; Blöbaum 2004: 209 - 211). Das Korsett der jeweiligen medialen Plattform wird deutlich, wenn man die Zwänge des Fernsehens mit denen der Printmedien vergleicht: Ein Fernsehjournalist muss in Bildern erzählen. Lassen sich keine starken Bilder finden, ist das Thema nicht fernsehgerecht und kann nur schwer im Programm untergebracht werden. Allgemein kann man fragen: Welche Routinen und Schemata bestimmen die Medienrealität? Welche Merkmale hat die durch Journalismus konstruierte Wirklichkeit? Was ist zum Beispiel »Objektivität«? • Rollenkontext: Journalisten sind auf Tätigkeiten spezialisiert und bestimmten Verhaltenserwartungen ausgesetzt. Sie sind Chefredakteure oder Redakteure, spezialisiert auf Politik oder Wirtschaft, auf Themen- und Sendungsplanung oder auf Recherche und Beitragsproduktion. Jeder einzelne Journalist hat aber auch - trotz aller Zwänge und Rahmenbedingungen moderner Medienkommunikation - einen autonomen Spielraum, in dem seine persönliche Einstellung, sein Rollenselbstverständnis und seine Ausbildung in die Arbeit einfließen. Medienorganisationen journalistische Routinen Spielraum des Journalisten d I e f ü n f e b e n e n d e s J o u r n a l I s m u s 69 Diese Ebenen lassen sich nur analytisch trennen: Sie hängen in der Realität stark zusammen; es gibt Rückkopplungen über mehrere Ebenen hinweg. Beispiel ist der Publikumsbezug des Journalismus: Wenn sich z. B. Journalisten in ihrem Handeln nach der Quote richten - etwa Online-Journalisten nach den Klickzahlen (Meier/ Tüshaus 2006, Hohlfeld 2016), dann hat das mit konkretem Publikumsverhalten zu tun, aber auch mit Vorgaben des Medienunternehmens oder mit Leitlinien der Redaktion - und es hat Auswirkungen auf die Darstellungsformen. Jeder einzelne Journalist muss für sein tägliches redaktionelles Entscheidungshandeln ganz pragmatisch über ein Konzept »seines Publikums« verfügen (Hohlfeld 2005: 195). Auch die zentrale Frage nach der Wirkung des Journalismus lässt sich nicht auf einzelne Ebenen beschränken: Ob Journalismus rechtlich, politisch und wirtschaftlich frei oder unterdrückt ist, ob ein breites Publikum überwiegend Unterhaltungsformate nutzt oder auch politische Informationen, wie die Medien organisiert sind (z. B. privat-kommerziell oder öffentlich-rechtlich) - all dies hat Effekte auf Gesellschaft und Individuum. Seit etwa 30 Jahren hat es immer wieder Versuche gegeben, die Einflussfaktoren auf den Journalismus zu systematisieren und zu klassifizieren. Oft zitiert wurde die Zwiebel-Metapher, mit der Siegfried Weischenberg (2004: 68 - 71) das System Journalismus verdeutlicht. Die Schalen der Zwiebel stehen für die einzelnen Ebenen, welche den Journalismus prägen. Die äußeren Ebenen prägen die jeweils darunter liegenden. Andere Forscher haben das Modell der Zwiebel aufgegriffen und weiterentwickelt - z. B. Frank Esser (1998: 20 - 28) für einen Ländervergleich oder Hans Heinz Fabris (2004: 394 f.) zur Beschreibung der Dimensionen journalistischer Qualität. Allerdings werden die Schalen der Zwiebel nicht immer gleich definiert. So besteht z. B. die Zwiebel von Weischenberg nur aus vier Schalen: Normenkontext (Mediensysteme), Strukturkontext (Medieninstitutionen), Funktionskontext (Medienaussagen) und Rollenkontext (Medienakteure). Die dritte Schale, der Funktionskontext, fasst hier sowohl die Quellen und Darstellungsformen als auch Nutzung und Wirkung zusammen. Doch es wäre eine verengte Sichtweise, wenn wir die Rolle des Publikums für den Journalismus nur als Kontext der Medienaussagen analysierten oder die Wirkung nur von den Medieninhalten ableiteten. Auch die Struktur der Medienorganisationen und das Rollenverständnis der Journalisten beziehen sich zum Teil auf das Publikum. Differenzierter können wir demnach vorgehen, wenn wir - so wie Fabris (2004) - das Publikum als eigene Schale definieren, die sogar noch über der Schale des Organisationskontexts liegt, weil die Mediennutzung auch das Agieren von Medienunternehmen einengt (vgl. Abb. 2.1). Eine ähnliche Systematisierung findet sich zum Beispiel auch in der US-amerikanischen Gatekeeping-Theorie, die in Kapitel 5.3 vorgestellt wird ( → vgl. S. 204 - 205). Zwiebel-Metapher 70 J o u r n a l I s m u s I n d e r g e s e l l s c h a f t Die Journalistik erforscht die Schalen der Zwiebel und deren Wechselbeziehungen. Wenn wir im Folgenden die Wissensbestände der Journalistik systematisch darstellen, so entblättern wir die Zwiebel und beschreiben die einzelnen Schalen in den Kapiteln 2 bis 6: • Die Kapitel 2.2 und 2.3 zur Geschichte und zu Mediensystemen thematisieren den Normenkontext des Journalismus. • Der Kontext des Publikums - also Nutzung und Wirkung des Journalismus - wird im dritten Kapitel beschrieben. • Kapitel 4 widmet sich dem Organisationskontext, wobei der Schwerpunkt auf Medienökonomie, Medienlandschaften und Redaktionsorganisation liegt. • Wie Medienprodukte entstehen und welche Regeln und Arbeitsweisen zu den Routinen des Journalismus gehören - diesen Fragen gehen wir im fünften Kapitel nach. • Die Merkmale der einzelnen Journalisten, ihr Selbstverständnis und ihre Ausbildung werden im sechsten Kapitel dargestellt. Das Modell der Zwiebel ist für ein Einführungsbuch in die Journalistik gut geeignet, weil die Ebenen des Journalismus systematisch und analytisch getrennt dargestellt werden können. Wir müssen uns aber im Klaren darüber sein, dass das Modell auch Schwächen hat und dass es deshalb andere Modellierungen und theoretische Durchdringungen des Journalismus gibt - und jedes Modell hat Vorteile, aber auch Grenzen. Otfried Jarren und Hartmut Weßler (2002: 31 - 35) plädieren zum Beispiel für ein »Modell öffentlicher Kommunikation«, das die Einflüsse auf den Journalismus wie in Abbildung 2.2 dargestellt in Beziehung setzt. Auch hier werden im Wesentlichen die fünf Ebenen modelliert, die wir in den Kapiteln 2 bis 6 analysieren. In der allgemeinen Modellbildung der Kommunikationswissenschaft spielen die fünf Ebenen ebenfalls eine zentrale Rolle (vgl. Godulla 2017), auch wenn hier das Spektrum viel weiter gefasst werden muss, um alle Aspekte öffentlicher Kommunikation zu erfassen. Abb. 2.1 | Die Ebenen des Journalismus als Zwiebel (Quelle: eigene Darstellung nach Weischenberg 2004: 71; Fabris 2004: 395) Normenkontext (Mediensysteme) Kontext des Publikums Organisationskontext (Medieninstitutionen) Kontext der Routinen und Medienprodukte Rollenkontext (Journalisten) Wissensbestände der Journalistik alternative Modelle g e s c h I c h t e u n d w a n d e l d e s J o u r n a l I s m u s 71 Geschichte und Wandel des Journalismus Man kann auch bei einer historischen Journalismusforschung nach den genannten Ebenen vorgehen - und analysiert dann separat die Normengeschichte (z. B. die Geschichte der Pressefreiheit), die Geschichte der Mediennutzung, der Medienorganisation, der Medientechnik, der Medieninhalte, Darstellungsformen und Arbeitsweisen sowie des journalistischen Rollenverständnisses. Wir gehen integrativ vor und tragen als Übersicht die wesentlichen Entwicklungsschritte des Journalismus in allen diesen Kontexten zusammen. Natürlich kann eine Einführung in die Journalistik Geschichte und Wandel des Journalismus nicht komplett nachzeichnen. Wir wollen uns aber einige Eckdaten der Medienentwicklung und grundsätzliche Etappen der Journalismusgeschichte vor Augen führen - und dann der Frage nachgehen, welche Traditionen, die in ganz bestimmten historischen Konstellationen entstanden sind, noch heute den Journalismus prägen. Auch dies kann nur exemplarisch erfolgen. Dieses Kapitel soll bewusst machen, dass Journalismus nie geschichtslos existiert: Der heutige Journalismus und unser Demokratieverständnis beruhen auf Traditionen, die mehrere Jahrzehnte, mitunter sogar Jahrhunderte zurückgehen. Eine umfassende Geschichte des journalistischen Berufs bis ins 21. Jahrhundert ist noch nicht in einem einzigen Buch geschrieben (vgl. Hömberg 1987). Es gibt aber eine frühzeitige Systematisierung, deren Einteilung in historisch gewachsene Epochen man noch heute folgen kann (vgl. Baumert 1928/ 2013), sowie eine umfangreiche Erforschung des journalistischen Berufs im 19. Jahrhundert (vgl. Requate 1995) - in diesem Jahrhundert wurden die Wurzeln des heutigen Journalismus im Wesentlichen gelegt - sowie für die Zeit von 1605 bis 1914 (vgl. Birkner 2012). Zudem ist die Journalismusgeschichte untrennbar mit der Medien- und Kommunikationsgeschichte verbunden, die heute gut erforscht ist - vgl. z. B. die umfangreichen Übersichten von Wilke (2008) und Stöber (2014). | Abb. 2.2 Analysemodell gesellschaftlicher Öffentlichkeit (Quelle: Jarren/ Weßler 2002: 32) Medien als institutioneller Kontext Journalisten als Rollenträger Medienprodukte als Handlungsergebnisse Gesellschaftliche Akteure Publikum | 2.2 Wurzeln des heutigen Journalismus 72 J o u r n a l I s m u s I n d e r g e s e l l s c h a f t Etappen der Journalismusgeschichte Der Journalismus entwickelte sich im Laufe von vier Jahrhunderten aufgrund eines Zusammenspiels von technischen Erfindungen und Verbesserungen, kommunikationspolitischen und rechtlichen Regulierungen sowie aufgrund wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Wandels. In Abbildung 2.3 sind einige Eckdaten dieser Entwicklung notiert. 2.2.1 | ca. 1450 Erfindung des Drucks mit beweglichen Lettern durch Johannes Gutenberg ab ca. 1480 Vorläufer der Zeitungen: nichtperiodische Einblattdrucke und Flugblätter (Neue Zeitungen), halbjährliche Chroniken (Messrelationen) Zeitungen und Zeitschriften 1597 Die erste monatliche Zeitschrift erscheint in Rorschach am Bodensee: A nnus C hristi (r orsChACher M onAtssChrift ). 1605 Die erste wöchentlich erscheinende Zeitung ist urkundlich nachgewiesen: r elAtion (Straßburg); Ausgaben sind aus dem Jahr 1609 erhalten - ebenso vom A viso (Wolfenbüttel). 17. Jh. erste Zeitungen u.a. in den Niederlanden (1618), England (1621), der Schweiz (1622), Frankreich (1631), Italien (1643), den USA (1690) 1650 erste Tageszeitung der Welt: e inkoMMende Z eitungen (Leipzig) ab 1665 erste Zeitschriften, z. B. Gelehrten-Zeitschriften/ Fachzeitschriften (J ournAl des s AvAnts , Paris), Salonblätter mit Klatsch aus der höfischen Welt (M erCure g AlAnt , Paris; g ötter -B oth M erCurius , Nürnberg), Familienzeitschriften (Moralische Wochenschriften ab 1709, z. B. t Atler , s peCtAtor , d er p Atriot ) ab 1780 erste moderne Tageszeitungen (unabhängige Forumszeitungen): n eue Z ürCher Z eitung (seit 1780), t iMes London (seit 1788), f rAnk furter Z eitung (1866 - 1943), B erliner t AgeBlAtt (1871 - 1939). Die W iener Z eitung (1780; seit 1703 W iennerisChes d iAriuM ) ist bis heute 300 Jahre lang in Staatsbesitz. 19. Jh. Aufkommen der Massenpresse: zuerst in England und den USA (z. B. t he s un , 1883; n eW Y ork h erAld , 1835), später in Deutschland (z. B. B erliner l okAl -A nZeiger , 1883; BZ AM M ittAg , 1904); Ende des 19. Jhs.: große Pressekonzerne entstehen in Berlin (Mosse, Ullstein, Scherl) 19. Jh. Erfindungen zur Verbesserung der Drucktechnik: z. B. Schnellpresse 1814 (Koenig), Satzmaschine »Linotype« 1885 (Mergenthaler) Pressefreiheit 1689/ 95 erstmals Pressefreiheit: »Bill of Rights« und Fall des »Licencing Act« (Vorzensur) in England Abb. 2.3 | Eckdaten der Geschichte des Journalismus g e s c h I c h t e u n d w a n d e l d e s J o u r n a l I s m u s 73 1789 Französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, inkl. Pressefreiheit 1791 Pressefreiheit in den Vereinigten Staaten: »First Amendment« zur Verfassung 1815 - 48 Kampf um Pressefreiheit in Deutschland 1819 - 48 Karlsbader Beschlüsse: scharfe Unterdrückung und Vorzensur 1848 Märzrevolution und Versammlung in der Frankfurter Paulskirche: Verkündigung der Pressefreiheit in Deutschland, allerdings mit erheblichen Rückschlägen ab 1850/ 54 (z. B. Konzessions- und Kautionszwang, Steuern) 1874 Reichspressegesetz: erstmals Pressefreiheit in Deutschland - mit nur noch kleinen Lücken (z. B. Sozialistengesetz) 1914 - 18 Erster Weltkrieg: Unterdrückung der Pressefreiheit durch Militärzensur und Presseanweisungen 1919 Die Meinungsfreiheit erhält in § 118 Verfassungsrang; die Pressefreiheit wurde aber vor allem zum Ende der Weimarer Republik immer wieder attackiert. 1933 - 45 Totalitäre Diktatur mit Unterdrückung und Steuerung der Medien durch die Nationalsozialisten (»Gleichschaltung«): Schriftleitergesetz; Berufsverbote, Verhaftungen und Ermordungen von Journalisten; Presseanweisungen und Propaganda 1945 - 49 Deutsche Medien unter Kontrolle der Alliierten; »Reeducation« der westdeutschen Journalisten durch Briten und Amerikaner 1949 Verabschiedung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik: In Artikel 5 genießen nun erstmals in Deutschland »Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit« Verfassungsrang. 1945 - 89 Totalitäre Diktatur mit zentraler Lenkung und Überwachung aller journalistischen Aktivitäten in der DDR 1989/ 90 Ende der DDR und Pressefreiheit in ganz Deutschland Nachrichtenübermittlung ab ca. 1500 regelmäßiges Botenwesen an den Hauptlinien der Postkutschen 1833 - 50 Erfindung und technische Verbesserungen der elektrischen Telegraphie, Ausbau der Telegraphennetze und Freigabe für die Allgemeinheit ab 1825/ 35 Erfindung und Ausbau der Dampfeisenbahn ab 1835 erste Nachrichtenagenturen als privatwirtschaftliche Unternehmen (z. B. h AvAs , Paris, 1835; W olff ’ s t elegrAphisChes B ureAu , Berlin, 1849; r euters , London, 1851), als staatliche Dienste (z. B. k. k. t elegrAphen -k orrespondenZ -B ureAu , Wien, 1860) oder als genossenschaftlicher Zusammenschluss von Zeitungen (z. B. A ssoCiAted p ress Ap, New York, 1848; s ChWeiZerisChe d epesChenAgentur sda, Bern, 1895) 74 J o u r n a l I s m u s I n d e r g e s e l l s c h a f t Vor einigen Jahren konnten Jubiläen gefeiert werden: »350 Jahre Tageszeitung« (2000) z. B. mit einer Briefmarke der Deutschen Post und »400 Jahre Zeitung« (2005) mit einer Sonderausstellung im Gutenberg-Museum in Mainz (Teile davon langfristig als Dauerausstellung). Im Vergleich dazu sind andere Medien ziemlich jung: Der Hörfunk konnte das 90-jährige Bestehen feiern (2013), das Fernsehen wurde 60 Jahre alt (2012) und der Journalismus im Internet wird gerade mal 25 Jahre jung (2019). In den vier Phasen der Journalismusgeschichte folgen wir der Systematik von Dieter Paul Baumert von 1928, die auch heute noch als grundlegend zitiert wird (vgl. z. B. Hömberg 1987: 624; Pürer 2014: 113 f.; Donsbach 2003: 82) und 2013 von Walter Hömberg neu herausgegeben und mit einer einordnenden Einleitung versehen wurde. Die Phasen sind nicht scharf zu trennen - es gibt lange Übergangszeiten: An einem Ort oder in einem Land war man schon weiter als anderswo. Abb. 2.4 | Am 6. Juni 2000 erschien diese Briefmarke der Deutschen Post vier Phasen der Journalismusgeschichte 1946/ 49 Gründung genossenschaftlicher Nachrichtenagenturen in Österreich (A ustriA p resse A gentur ApA, 1946) und Deutschland (d eutsChe p resse -A gentur dpa, 1949) nach dem Vorbild von AP (New York) Hörfunk und Fernsehen 1923 erste regelmäßige Hörfunksendungen in Deutschland: Berliner »Radio-Stunde« (20 - 21 Uhr); staatliches Unterhaltungsradio, Sendegesellschaften auf Länderebene 1935 erster regelmäßiger Fernsehprogrammbetrieb in öffentlichen Fernsehstuben in Berlin, Leipzig und Potsdam 1946 - 63 Monopol der ARD-Anstalten; 1950 Gründung der ARD als Zusammenschluss aller Landesrundfunkanstalten; 1952 erstes tägliches Fernsehprogramm (NWDR Hamburg) 1963 - 84 öffentlich-rechtliche (Fernseh-)Konkurrenz von ARD und ZDF seit 1984 Duales System aus öffentlich-rechtlichen und privaten Fernseh- und Hörfunkanbietern Internet 1994 erste journalistische Websites: www.spiegel.de und www.dwelle.de (d eutsChe W elle ) 2001 - 05 Gründung der großen, heute weltweit bedeutendsten Sozialen Netzwerke: 2001 Wikipedia, 2004 Facebook, 2005 YouTube 2010 mit dem Erscheinen des iPads erste Apps auf mobilen Endgeräten (Tablets und Smartphones) g e s c h I c h t e u n d w a n d e l d e s J o u r n a l I s m u s 75 Präjournalistische Periode (bis ca. 1600) Im Mittelalter und der beginnenden Neuzeit überbrachten Sendboten, wandernde Spielleute, Sänger und Dichter Neuigkeiten. Neben dieser mündlichen Überlieferung von Nachrichten etablierte sich allmählich vor allem für Fürsten und Handelsleute ein regelmäßiges Botenwesen, durch das handschriftlich vervielfältigte Nachrichten verbreitet wurden. Der korrespondierende Journalismus (ca. 1600 bis 1750) Im Jahr 1605 verdient der Straßburger Johann Carolus einen Teil seines Unterhalts damit, Briefe von Korrespondenten aus großen europäischen Städten handschriftlich zu kopieren und zu verkaufen - er betätigt sich als »Zeitungsschreiber«. Das ist ihm aber zu mühselig und langwierig. Da hat er eine Idee: Er kauft eine Druckerei, setzt die Briefe in Blei und druckt sie unter dem Titel RELATION wöchentlich. Die Zeitung ist geboren. Mehr als 200 Jahre lang beschränkten sich die Zeitungen darauf, die an einem Postknotenpunkt eingehenden Korrespondenzen zu sammeln, aneinandergereiht zu setzen und meist auf vier oder acht Blätter zu drucken. Der korrespondierende Journalismus lag in der Hand von Druckern oder Postmeistern, die nebenberufliche Korrespondenten beschäftigten und aus anderen Zeitungen abschrieben. Die Korrespondenten waren im Hauptberuf meist Handelsleute, Beamte oder Diplomaten. Ein redaktionelles Selektieren, Gewichten und Plazieren nach Relevanz, wie wir es heute kennen, gab es in den ersten Zeitungen nicht: Die Nachrichten wurden in der Reihenfolge ihres Eintreffens ohne Überschrift oder sonstige typografische Hervorhebung oder Gliederung gesetzt. Als Gliederungshilfe diente lediglich die Ortsmarke: Mit Ort und Datum - oft fett gedruckt - begann ein neuer Artikel, der aus einer Korrespondenz aus jenem Ort bestand und mehrere thematisch ganz unter- | Abb. 2.5 Titelseite und erstes Blatt der Relation aus dem Jahr 1609. Die Nachrichten wurden in der Reihenfolge des Eintreffens gesetzt. Die Überschriften bestanden nur aus Ortsmarke und Datum: hier zum Beispiel »auß Köln/ vom 8. Jenner Anno 1609« und »Auß Andorff von 26. Decemb.« (Copyright: Universitätsbibliothek Heidelberg). »Zeitungsschreiber« als Erfinder der Zeitung 76 J o u r n a l I s m u s I n d e r g e s e l l s c h a f t schiedliche Nachrichten enthalten konnte. Dieses »Layout« blieb bis ins 19. Jahrhundert erhalten. Der schriftstellerische Journalismus (ca. 1750 bis 1850) Im Zuge der Aufklärung und des Wandels der philosophischpolitischen Verhältnisse wandten sich immer mehr Schriftsteller im Kampf um die Freiheit des Denkens und der Ideen an die Öffentlichkeit. Gelehrte Zeitschriften wurden gegründet - die Schriftsteller waren oft Literaten, Her- Kampf um Freiheit Die Merkmale der Zeitung Der Begriff »Zeitung« wurde bereits im 15. Jahrhundert für »Nachricht« gebraucht. So lässt sich auch der Titel der ersten Tageszeitung erklären: »E in kommEndE Z EitungEn «. Vier Merkmale kennzeichnen die Zeitung von Anfang an, wenn man sie nicht technisch, sondern als soziale Institution ( → vgl. Kap. 4.1; S. 127 - 131) definiert (von Otto Groth schon 1927 bis 1930 in der vierbändigen Zeitungskunde beschrieben): • Aktualität: auf die Gegenwart bezogen, mit gegenwärtiger Relevanz • Periodizität: das Erscheinen in regelmäßigen Abständen • Publizität: öffentlich und allgemein zugänglich • Universalität: thematische Vielfalt Bei allen Merkmalen strebt die Zeitung ein hohes Maß an. Die Zeitschrift zum Beispiel ist nicht so universell (z. B. kein Lokalteil) und erscheint mit geringerer Periodizität. In Abgrenzung zu den linearen Medien Hörfunk und Fernsehen ist später als fünftes Merkmal die Disponibilität hinzugekommen: die zeitlich und räumlich unabhängige Nutzungsmöglichkeit (Speichermedium). Definitorisch spannend ist die Frage, ob man im Internet noch von Zeitungen sprechen kann - denn prinzipiell ist der Trägerstoff Papier in dieser Definition nicht berücksichtigt (Groth hat den Druck schon 1960 nur als zeitbedingtes Merkmal gesehen). Angesichts der Konvergenz digitaler Medien verschwimmen indes die Grenzen zwischen technischen Einzelmedien ( → vgl. Kap. 4.1; S. 127 - 128) - die genannten Merkmale könnten allgemein als Kennzeichen des Journalismus in Massenmedien gelten (auch Rundfunk ist in digitaler Verbreitung ja disponibel, z. B. als Podcast). Die frühe Kommunikationswissenschaft ging übrigens lange von einem solchen breiten Zeitungsbegriff aus und nannte das Fach »Zeitungswissenschaft« - allerdings ein missverständlicher und im Alltag kaum zu vermittelnder Begriff. g e s c h I c h t e u n d w a n d e l d e s J o u r n a l I s m u s 77 ausgeber und Verleger zugleich - und in einigen Zeitungen entstand der »Gelehrte Artikel«: Diese regelmäßige Sparte kann als Vorläufer des Wissenschaftsjournalismus oder allgemein des Kulturteils bezeichnet werden (das Feuilleton entstand als erstes Ressort um 1800). Einige Prestigeblätter leisteten sich schon im 18. Jahrhundert einen angestellten Redakteur, der den »Gelehrten Artikel« pflegte. Bekanntes Beispiel ist der Literat Gotthold Ephraim Lessing, der von 1751 bis 1755 die Sparte »Gelehrte Sachen« in der B Er linischEn P rivilEgirtEn Z Eitung (der späteren v ossischEn Z Eitung ) betreute. Während im 18. Jahrhundert selbst bei Qualitätsblättern die redaktionelle Arbeitsteilung nur aus dem Modell Verleger/ nebenberuflicher Redakteur bestand, sind in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bereits einige größere Redaktionen mit mehreren hauptberuflichen Redakteuren entstanden. Einer der wichtigen Vorreiter war Johann Friedrich von Cotta - der Verleger von Goethe - mit der 1798 gegründeten A llgEmEinEn Z Eitung , die zunächst in Tübingen, Stuttgart und Ulm und ab 1810 in Augsburg erschien. Cotta setzte als Verleger von Anfang an auf ein professionell gemachtes Blatt und bemühte sich um ein Netz aus eigenen Korrespondenten (z. B. Heinrich Heine mit seinen Berichten aus Paris). Zwar war die Auflage mit 6.000 bis 8.000 Exemplaren im Vergleich nicht besonders hoch - der h AmBurgischE c orrEsPondEnt zum Beispiel verbreitete in dieser Zeit bis zu 30.000 Auflage. Die Cotta’sche A llgEmEinE erwarb sich aber schnell einen hervorragenden Ruf, was nicht zuletzt an der personellen Ausstattung der Redaktion lag: Cotta arbeitete zunächst mit zwei und seit 1833 mit vier Redakteuren. Ursprünglich hatte sogar Friedrich Schiller die Redaktionsleitung übernehmen sollen, der jedoch absagte, weil ihm für dieses »höchst schwierige Fach« das Talent fehle (Müchler 1998: 13 - 16). Protagonisten des politischen Journalismus im 19. Jahrhundert waren Joseph Görres, der als Herausgeber des RHEINISCHEN MERKUR 1814 - 1816 mit seinen Leitartikeln für eine freiheitliche Verfassung und Pressefreiheit kämpfte, sowie der junge Karl Marx, der 1842 - 1843 die Redaktion der r hEi nischEn Z Eitung in Köln leitete. Der redaktionelle Journalismus (ab ca. 1850/ 70) Nach der Märzrevolution und der Beseitigung der Zensur schossen neue Zeitungen und Zeitschriften wie Pilze aus dem Boden: Zwischen 1848 und 1850 wurden in Deutschland mehr Zeitungen und Zeitschriften gegründet, als es vorher insgesamt gegeben hatte. Allerdings in der Mehrzahl sehr kleine Blätter, die allein von Verlegerredakteuren vertrieben wurden und unter dem wirtschaftlichen Druck der Restaurationsphase ab 1850 wieder verschwanden. Erst eine Welle von Neugründungen in den 70er- Jahren, als sich mit dem Reichspressegesetz der Spielraum der Zeitungen Joseph Görres und Karl Marx 78 J o u r n a l I s m u s I n d e r g e s e l l s c h a f t erweiterte, führte zu einer stärkeren Verberuflichung des Journalismus (vgl. Requate 1995: 130). Bernd Blöbaum (1994: 179) spricht von dieser Zeit als der Phase des Takeoff des Journalismus: Die Kommunikationsbedürfnisse der Bevölkerung wachsen, die (Massen-)Produktion von Zeitungen wird zu einem lohnenden Geschäft, die Redaktion als journalistische Organisation entsteht, die Nachricht als journalistische Darstellungsform bildet sich heraus ( → vgl. Kap. 5.2; S. 190 - 193) - und immer mehr Journalisten können von ihrem Beruf leben. Nachrichtenagenturen werden gegründet und liefern mehr Stoff. Die Materialfülle muss gebändigt werden, weshalb sich redaktionelle Arbeitsteilung mit Spezialisierung und Ressortierung herausbildet: zunächst das Wirtschafts- und das Lokalressort und um die Jahrhundertwende zunehmend auch das Sportressort (Meier 2002 a: 119 - 132). Bei der n EuEn Z ürchEr Z Eitung (nZZ) zum Beispiel wuchs die Zahl der Redakteure zwischen 1860 und 1900 von zwei auf acht, wobei die Redaktion ab 1894 drei Ausgaben täglich und 18 pro Woche produzierte. Der Berliner l okAl -A nZEigEr dagegen fing 1883 mit drei Redakteuren an, hatte zehn Jahre später elf, 1899 bereits 46 Redakteure beschäftigt und dürfte damit zur Jahrhundertwende die größte Redaktion in Deutschland betrieben haben. Die Ursachen dieses rasanten Wandels in den letzten drei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts sind vielfältig: • Technisch: Neue Übermittlungsverfahren (Eisenbahn, Telegraph, Telefon) und schnellere Satz- und Druckverfahren ermöglichen eine Beschleunigung der Kommunikation und eine massenhafte Verbreitung der Presse. • Rechtlich-politisch: Pressefreiheit und Liberalisierung sorgen nicht nur dafür, dass Zeitungen und Zeitschriften nun frei produziert werden dürfen, sondern ermöglichen auch eine breitere Finanzierung durch Werbung. Durch das Erstarken der Freiheits- und Bürgerrechte (z. B. Gründung neuer Parteien, allgemeines Wahlrecht) wächst die politische Öffentlichkeit. • Wirtschaftlich: Durch Industrialisierung und Liberalisierung der Märkte werden schnelle und verlässliche Informationen benötigt (z. B. Aufstieg der Börsen und Aktiengesellschaften, Kreditinstitute und Versicherungen). Angebot und Nachfrage bestimmen zunehmend die Märkte. Die Unternehmen werben für ihre Produkte. • Sozial: Die Großstädte wachsen durch Großindustrie und Urbanisierung - das tägliche Leben wird anonymer. Der Informationsbedarf im Nahraum steigt, was Lokaljournalismus nötig macht. Die Verbesserung der Bildung für eine breite Bevölkerung (Alphabetisierung) vermehrt die Kundschaft für »Zeitungen für alle«. In ihrem sozialen Elend suchen Arbeiter aber auch nach Unterhaltung und Ablenkung vom harten 18-Stunden-Tag. Takeoff des Journalismus viele Ursachen des rasanten Wandels g e s c h I c h t e u n d w a n d e l d e s J o u r n a l I s m u s 79 Mit der Zeit des Um- und Durchbruchs des professionellen Journalismus in Deutschland hat sich Thomas Birkner (2012) näher beschäftigt: Dessen Entwicklung unterteilt er in die Phasen der Formierung (1849 bis 1873), der Ausdifferenzierung (1874 bis 1900) und des Durchbruchs (1900 bis 1914). Pressefreiheit: ein langer Weg Deutschland ist zwar das Geburtsland der Zeitung, hinsichtlich der Pressefreiheit kann man es aber nur als »verspätet« bezeichnen. Im Vergleich zu anderen Ländern - wie den USA oder England - ist die lange Unfreiheit eine wesentliche Traditionslinie der deutschen Presse. Insbesondere das 19. Jahrhundert steht unter dem Zeichen eines jahrzehntelangen Kampfes um die Pressefreiheit. Im Vormärz (1815 - 1848) wurden Verleger, Journalisten und Literaten politisch verfolgt und verhaftet oder mussten ins Exil. Redaklange Unfreiheit Das Riepl’sche Gesetz: Verdrängen neue Medien die alten Medien? In der Geschichte der Massenkommunikation hat es immer wieder Befürchtungen gegeben, dass aufkommende neue Medien die alten Medien verdrängen. Schon 1913 hat Wolfgang Riepl in seinem Buch »Das Nachrichtenwesen des Altertums« die These formuliert, dass dies nicht der Fall ist: Demnach können »die einfachsten Mittel, Formen und Methoden, wenn sie nur einmal eingebürgert und brauchbar befunden worden sind, auch von den vollkommensten und höchst entwickelten niemals wieder gänzlich und dauernd verdrängt und außer Gebrauch gesetzt werden [...], sondern sich neben diesen erhalten, nur dass sie genötigt werden, andere Aufgaben und Verwertungsgebiete aufzusuchen«. In der Tat hat die Zeitung nicht die Zeitschrift, der Film nicht das Foto, das Fernsehen weder Hörfunk noch Zeitung - und das Internet (noch) kein Medium verdrängt. Die These ist später als »Riepl’sches Gesetz« in die Kommunikationswissenschaft eingegangen, wird viel zitiert und immer wieder diskutiert (z. B. von Winfried B. Lerg 1981 oder Christoph Neuberger 2001). So mancher Medienmanager und Journalist nutzt die These als Beruhigungspille - letztlich empirisch bewiesen ist sie aber nicht. Und man darf den zweiten Teil nicht vergessen: Neue Medien bringen alte Medien zwar nicht um, sie zwingen sie aber zu einer anderen publizistischen und ökonomischen Strategie (zu einem Funktionswandel). Wer den Anpassungsdruck nicht rechtzeitig erkennt, kann untergehen. Und man muss berücksichtigen, dass bislang alle neuen Medien von den herkömmlichen Medien getrennte Kanäle waren und diese komplementär ergänzten, das Internet aber die alten Medien konvergent vereint. 80 J o u r n a l I s m u s I n d e r g e s e l l s c h a f t teure standen in ständigem Konflikt mit den Zensoren. Aber selbst nach den Befreiungsschüben 1848 und 1874 wurden die Journalisten im deutschen Obrigkeitsstaat des Kaiserreichs längst nicht als unabhängige und kritische Wächter der Öffentlichkeit angesehen - wie zur gleichen Zeit etwa Journalisten in den Vereinigten Staaten oder in England. Beispiele für lang wirkende Traditionen Die restriktiven rechtlich-politischen Rahmenbedingungen im 19. Jahrhundert beeinflussten den Journalismus im deutschen Sprachraum lange und nachhaltig. Das Bild des Publizisten, der für Ideen und Meinungen einsteht, blieb aus dem Kampf für Pressefreiheit bis weit ins 20. Jahrhundert erhalten: Im Vergleich zu den USA und England hatten der politisch unabhängige Nachrichtenjournalismus und die journalistische Konzeption der Presse als »Fourth Estate« in Deutschland lange einen schweren Stand (vgl. z. B. Requate 1995: 393 - 407; Donsbach 2003: 83 f.). Als in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts endlich der Spielraum der Journalisten erweitert wurde, »empfanden die Redakteure den verlegerischen Unparteilichkeitsanspruch als Einengung ihrer journalistischen Freiheit, die in ihren Augen darin bestand, endlich die eigenen Anschauungen nicht mehr zurückhalten zu müssen, sondern Partei ergreifen zu können« (Requate 1995: 394). Der Nachholbedarf mündete in parteibezogenen Gesinnungsjournalismus und heftige publizistische Meinungskämpfe. Bis in die Weimarer Republik informierten Zeitungen aufgrund ihrer parteipolitischen, ideologischen oder wirtschaftlichen Bindungen oft einseitig. Eine stark fragmentierte Presselandschaft sowie massive verunglimpfende Kritik an der Republik waren Faktoren einer mangelnden Ausbildung von Demokratie in der Weimarer Republik (vgl. Wilke 2008: 354 - 356). Moderne Forumszeitungen, die unabhängig berichten und verschiedene Meinungen widerspiegeln - wie das B ErlinEr t AgEBlAtt oder die F rAnkFurtEr Z Eitung - hatten eine zu geringe Auflage, um eine Breitenwirkung entfalten zu können. Der Unterschied zwischen Meinungsfreiheit und Informationsfreiheit bzw. der Institution der freien Presse ( → vgl. Kap. 2.3.1; S. 83 - 87) war in der Weimarer Republik kaum bewusst (in der Verfassung war auch nur die Meinungsfreiheit geschützt). Während sich in den USA schon im 19. Jahrhundert ein unparteilicher Recherche- und Informationsjournalismus ausbildete, genoss im deutschsprachigen Raum der Meinungsjournalismus weit höheres Ansehen als eine faktenorientierte Informationsvermittlung ( → vgl. Kap. 5.2; S. 194 - 201): Wer unparteilich war, galt als »gesinnungslos«. Selbst die Reportage hatte von Anfang an eine starke Meinungsprägung. Egon Erwin Kisch (1885 - 1948) zum Beispiel - nach dem STERN-Gründer Henri Nan- 2.2.2 | Gesinnungsjournalismus g e s c h I c h t e u n d w a n d e l d e s J o u r n a l I s m u s 81 nen 1977 einen Reportagepreis benannte - recherchierte und schrieb nicht unparteilich: Er machte aus seiner kommunistischen Haltung keinen Hehl, auch wenn er dies geschickt und innovativ mit Reporterinstinkt kombinierte und immer wieder darauf bestand, dass er der »Wahrheit« verpflichtet sei (vgl. Langenbucher 1992: 373 - 384). Die Bemühungen um Reeducation durch Briten und Amerikaner nach 1945 wollten mit der deutschen Tradition des parteilichen Gesinnungsjournalismus brechen (vgl. Esser 1998: 47 - 52). Presseoffiziere versuchten, den deutschen Journalisten die professionellen Grundsätze der Richtigkeit der Faktenübermittlung und der Trennung von Nachricht und Kommentar beizubringen (»Comment is free but facts are sacred.«). Nicht wenige Journalisten wehrten sich zunächst dagegen - letztlich hat sich die angloamerikanische Professionalität im Nachrichtenjournalismus der Bundesrepublik aber durchgesetzt. Sogar so stark, dass man inzwischen davor warnen muss, den Trennungsgrundsatz überzubewerten (Pöttker 2005: 132 - 137): Denn Journalisten und Publikum sollten sich bewusst sein, dass eine völlig wertfreie Faktenwiedergabe gar nicht möglich ist, weil schon in der Auswahl Reeducation Meisterwerke des Journalismus Der bekannteste Journalist ist wohl Egon Erwin Kisch. Aber auch Karl Kraus, Joseph Roth und Marianne Pollak gehören dazu. Unter dem Titel »Sensationen des Alltags« hat der Wiener Journalistik-Professor Wolfgang R. Langenbucher im Jahr 1992 Meisterwerke des österreichischen Journalismus in einem Buch verlegt. Die gesammelten Texte stammen meist aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und sollen »Mitarbeiter des Tagesschrifttums aus ihrer Anonymität« heben und einen Baustein zum Beleg der These liefern, dass Journalismus über die Jahrhunderte hinweg als Produkt, als Beruf und als gesellschaftliche Funktion eine »unerkannte Kulturmacht« geblieben ist. (Die Theorie dazu lieferte Hannes Haas mit seiner Habilitation »Empirischer Journalismus«, 1999). Aus den Texten kann man heute noch viel lernen wie auch aus anderen Textsammlungen von Journalisten - ob sie schon gestorben (wie Kisch, Herbert Riehl-Heyse, Jürgen Leinemann oder Nina Grunenberg) oder Zeitgenossen sind (wie Günter Wallraff oder Marie-Luise Scherer). »Das Gewissen ihrer Zeit« heißt eine Sammlung von 50 Porträts vorbildlicher Journalisten, die zuerst in der s üddEutschEn Z Eitung erschienen sind und vom ehemaligen Medienredakteur Hans-Jürgen Jakobs und Wolfgang R. Langenbucher 2004 als Buch herausgegeben wurden (Verlag Picus/ Süddeutsche Zeitung). 82 J o u r n a l I s m u s I n d e r g e s e l l s c h a f t eine Subjektivität steckt ( → vgl. Kap. 5.1; S. 186 - 189). Andere Berichterstattungsmuster - wie der Investigative Journalismus - wurden entwickelt, um die Defizite des »Objektiven« Journalismus zu kompensieren ( → vgl. Kap. 5.2; S. 194 - 201). Aktuelle Befragungen von Journalisten in Deutschland zeigen zudem, dass inzwischen nur noch eine Minderheit eine aktive Beeinflussung der politischen Agenda anstrebt und damit der Gesinnungsjournalismus nur noch eine Randbedeutung hat ( → vgl. Kap. 6.1; S. 222 - 227). Literatur Wer sich in die Medien- und Kommunikationsgeschichte vertiefen möchte, der ist mit den Überblickswerken von Jürgen Wilke und Rudolf Stöber gut bedient. Beide Bücher eignen sich auch als Nachschlagewerke im Verlauf des Studiums. Der Journalismus entwickelte sich im Laufe von vier Jahrhunderten aufgrund eines Zusammenspiels von technischen Erfindungen und Verbesserungen, kommunikationspolitischen und rechtlichen Regulierungen sowie aufgrund wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Wandels. Deutschland ist zwar das Geburtsland der Zeitung (1605) - im Vergleich zu anderen Ländern ist aber der lange Kampf um die Pressefreiheit eine wesentliche Traditionslinie der deutschen Presse. Der Take-off des Journalismus fand in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts statt: Erst ab ca. 1870 kann man von einem »redaktionellen Journalismus« sprechen, der in großbetrieblichen Unternehmen organisiert ist. Zusammenfassung 1 Nennen und erklären Sie die fünf Ebenen, die den Journalismus prägen. 2 Wann wurden die Medien geboren: Presse, Hörfunk, Fernsehen, Internet? Wann entstanden die Nachrichtenagenturen? 3 Was sind die Unterschiede zwischen den Phasen des korrespondierenden, des schriftstellerischen und des redaktionellen Journalismus? 4 Nennen Sie die Faktoren, die den Wandel des Journalismus im 19. Jahrhundert prägen: von der scharfen Unterdrückung bis zum Take-off. 5 Was sind die Gründe und Unterschiede zwischen der deutschen Tradition des kämpferischen Gesinnungsjournalismus und der angloamerikanischen Tradition der Konzeption von Presse als »Fourth Estate«? 6 Was sagt das Riepl’sche Gesetz und warum kann es kaum als Beruhigungspille dienen? Übungsfragen zu den Kapiteln 2.1 und 2.2 k o m m u n I k a t I o n s f r e I h e I t u n d m e d I e n s y s t e m e 83 Kommunikationsfreiheit und Mediensysteme Journalismus ist in erster Linie geprägt durch die Gesellschaftsordnung und das politische System eines Landes. Verändert sich das Gesellschaftssystem - durch Demokratisierung oder die Machtübernahme von Diktatoren -, wandeln sich auch das Mediensystem eines Landes und damit die Arbeits- und Lebensbedingungen der Journalisten. Zeitgeschichtliche Beispiele sind der Transformationsprozess in Mittel- und Osteuropa nach 1989/ 90 - oder umgekehrt die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten in Deutschland 1933. Oft charakterisieren allerdings nicht radikale Einschnitte, sondern schleichende Prozesse den Wandel von Mediensystemen. Kommunikationsfreiheit als Kennzeichen demokratischer Mediensysteme In liberalen, durch Pluralität gekennzeichneten demokratischen Staaten ist ein freies und offenes Mediensystem Voraussetzung für die Bildung einer politischen Öffentlichkeit, an der sich alle Menschen auf rationale Weise am Prozess der Meinungs- und Willensbildung beteiligen können ( → vgl. Kap. 1.1.2; S. 15 - 18). Als Sammelname hat sich der Begriff der Kommunikationsfreiheit eingebürgert (vgl. Langenbucher 2003). Die Kommunikationsfreiheit hat rechtliche, politische und ökonomische Voraussetzungen: • Die rechtlichen Grundlagen finden sich in Deutschland u. a. in Artikel 5 des Grundgesetzes (GG) - als Abwehrrechte gegen staatliche Eingriffe: die individuelle Meinungsfreiheit (»Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten . . .«), die individuelle Informationsfreiheit (» . . . und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.«) sowie die institutionelle Freiheit der Massenmedien, die auch als Presse- und Rundfunkfreiheit bezeichnet wird | 2. 3 2. 3.1 | Voraussetzungen der Kommunikationsfreiheit rechtliche Grundlagen Mediensystem Der Begriff Mediensystem beschreibt die Gesamtheit von Ordnungen oder Strukturen, die Medien in einem definierten Raum - zumeist einem Staat - charakterisieren (nach Kleinsteuber 2005: 275). Gemeint sind damit z. B. die Mediengesetze, die politische Einflussnahme auf Medien und Journalismus, die staatlichen Aufsichtsstrukturen über die Massenmedien Print, Rundfunk und Internet, die Besitzverhältnisse der Medien und die Mediennutzung. Definition 84 J o u r n a l I s m u s I n d e r g e s e l l s c h a f t (»Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.«). Daraus ergeben sich Sonderrechte der hauptberuflich tätigen Journalisten (Auskunftsanspruch gegen Behörden, Zeugnisverweigerungsrecht, Schutz des Redaktionsgeheimnisses durch Beschlagnahme- und Durchsuchungsverbote) - aber auch Pflichten und Grenzen (z. B. Schutz der Persönlichkeit und der persönlichen Ehre, Gegendarstellungsrecht, Jugendschutz, Grundsatz der Trennung von Redaktion und Werbung). Spiegel-Affäre und Spiegel-Urteil Der s PiEgEl berichtet im November 1962 über eine Nato-Übung mit der Schlussfolgerung, dass die Bundeswehr nur »bedingt abwehrbereit« sei. Verteidigungsminister Franz Josef Strauß und Bundeskanzler Konrad Adenauer sehen darin einen »Landesverrat«; der Generalbundesanwalt lässt in einer Nacht-und-Nebel-Aktion den Herausgeber Rudolf Augstein, die Chefredakteure und weitere Mitarbeiter verhaften und die s PiEgEl -Redaktions- und Archivräume durchsuchen und versiegeln. Die Journalisten müssen später mangels Beweisen und nach Demonstrationen der Bevölkerung frei gelassen werden. Drahtzieher Strauß verliert sein Amt. Augsteins Verfassungsbeschwerde endet zwar mit einem Patt und damit einer Zurückweisung durch das Gericht - vier Verfassungsrichter halten die Aktion für grundgesetzwidrig, vier nicht - doch die Urteilsbegründung am 5. August 1966 setzt Maßstäbe für die Pressefreiheit und weist der Presse eine »öffentliche Aufgabe« und eine Kontrollfunktion zu: »Eine freie, nicht von der öffentlichen Gewalt gelenkte, keiner Zensur unterworfene Presse ist ein Wesenselement des freiheitlichen Staates [. . . ] In ihr artikuliert sich die öffentliche Meinung [. . .] In der repräsentativen Demokratie steht die Presse zugleich als ständiges Verbindungs- und Kontrollorgan zwischen dem Volk und seinen gewählten Vertretern in Parlament und Regierung. Sie fasst die in der Gesellschaft und ihren Gruppen unaufhörlich sich neu bildenden Meinungen und Forderungen kritisch zusammen, stellt sie zur Erörterung und trägt sie an die politisch handelnden Staatsorgane heran, die auf diese Weise ihre Entscheidungen auch in Einzelfragen der Tagespolitik ständig am Maßstab der im Volk tatsächlich vertretenen Auffassungen messen können.« Die Richter äußern sich auch zur Pressevielfalt: »So wichtig die damit der Presse zufallende ›öffentliche Aufgabe‹ ist, so wenig kann diese von der organisierten staatlichen Gewalt erfüllt werden. Presseunternehmen müssen sich im gesellschaftlichen Raum frei bilden können. Sie arbeiten nach privatwirtschaftlichen Grundsätzen und in prik o m m u n I k a t I o n s f r e I h e I t u n d m e d I e n s y s t e m e 85 • Die durch die Verfassung geschützten Grundrechte bedürfen der konkreten Ausgestaltung durch die Politik: in der allgemeinen Gesetzgebung der Parlamente (Legislative), in der täglichen Praxis der Regierungen, der Behörden und der Polizeigewalt (Exekutive) und in den Entscheidungen der Gerichte (Judikative). Einerseits können Grundrechte miteinander in Konflikt geraten und müssen gegeneinander abgewogen werden (z. B. Meinungsfreiheit versus Menschenwürde/ Persönlichkeitsschutz). Andererseits tendieren Legislative und Exekutive mitunter dazu, das Verfassungsrecht bis an die Grenzen auszunutzen. Nicht selten hat in Deutschland das Bundesverfassungsgericht Politik und Behörden in die Schranken weisen müssen, indem es Artikel 5 GG konkreter definiert hat. Bekanntes Beispiel ist das SPIEGEL-Urteil, das auf die sPiEgEl- Affäre folgte (vgl. Kasten). Auch in jüngster Zeit hat es vereinzelt Redaktionsdurchsuchungen und Beschlagnahme von Recherchematerial in politische Grundlagen vatrechtlichen Organisationsformen. Sie stehen miteinander in geistiger und wirtschaftlicher Konkurrenz, in die die öffentliche Gewalt grundsätzlich nicht eingreifen darf. [. . . ] Der Staat ist - unabhängig von subjektiven Berechtigungen Einzelner - verpflichtet, in seiner Rechtsordnung überall, wo der Geltungsbereich einer Norm die Presse berührt, dem Postulat ihrer Freiheit Rechnung zu tragen. Freie Gründung von Presseorganen, freier Zugang zu den Presseberufen, Auskunftspflichten der öffentlichen Behörden sind prinzipielle Folgerungen daraus; doch ließe sich etwa auch an eine Pflicht des Staates denken, Gefahren abzuwehren, die einem freien Pressewesen aus der Bildung von Meinungsmonopolen erwachsen könnten.« Der Informantenschutz wird ebenfalls erwähnt: »Die in Art. 5 GG gesicherte Eigenständigkeit der Presse reicht von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung der Nachrichten und Meinungen [. . . ] Deshalb gehört zur Pressefreiheit auch ein gewisser Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Presse und privaten Informanten. Er ist unentbehrlich, da die Presse auf private Mitteilungen nicht verzichten kann, diese Informationsquelle aber nur dann ergiebig fließt, wenn sich der Informant grundsätzlich darauf verlassen kann, dass das ›Redaktionsgeheimnis‹ gewahrt bleibt.« (Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE) 20: 162 - 230; dokumentiert auf der Website des Instituts für öffentliches Recht an der Universität Bern: www.servat.unibe.ch/ dfr/ bv020162.html) Weitere Informationen zur Spiegel-Affäre und den Folgen finden sich auf der Website www.spiegel-affaere.de sowie im Buch von Martin Doerry und Hauke Janssen. 86 J o u r n a l I s m u s I n d e r g e s e l l s c h a f t Deutschland gegeben (z. B. im Konflikt um Redakteure der Zeitschrift »Cicero« 2005). Allerdings wurde 2006 mit dem Informationsfreiheitsgesetz auch die Recherchemöglichkeit bei Bundesbehörden erweitert. • Selbst wenn die Medien staatsunabhängig sind, ist die Kommunikationsfreiheit noch nicht gewährleistet: Die Medienlandschaft insgesamt muss möglichst vielfältig organisiert sein und darf deshalb nicht uneingeschränkt dem freien Markt überlassen werden. Alle gesellschaftlichen Gruppen und geistigen Richtungen müssen zu Wort kommen. Dies betrifft vor allem die Besitzverhältnisse: Liegen die Massenmedien in der Hand weniger Unternehmer oder Konzerne, besteht die Gefahr von Meinungsmonopolen. In Deutschland ist die Medienvielfalt durch ein Miteinander von privatwirtschaftlicher Presse, öffentlich-rechtlichem Rundfunk und privat-kommerziellem, aber öffentlich beaufsichtigtem Rundfunk gekennzeichnet ( → vgl. Kap. 4.2; S. 131 - 139). Im SPIEGEL-Urteil hat das Verfassungsgericht die Pflicht des Staates formuliert, »Gefahren abzuwehren, die einem freien Pressewesen aus der Bildung von Meinungsmonopolen erwachsen könnten« (vgl. Kasten). So dürfen sich in Deutschland zum Beispiel Presseverlage nur zu einem bestimmten Anteil an Radio- und Fernsehsendern beteiligen - dem Axel Springer-Verlag wurde 2006 die Fusion mit der Pro-SiebenSat.1 Media AG vom Bundeskartellamt untersagt. Ökonomischer Druck auf die Redaktionen kann auch durch den Einfluss großer Werbekunden ausgeübt werden - bis hin zur Schleichwerbung. Deshalb ist es wichtig, dass einerseits in Medienunternehmen Redaktion und Anzeigen-/ Werbeabteilung getrennt sind und andererseits die Finanzierung des Mediensystems insgesamt nicht komplett über Werbung geschieht, sondern dass sich die Nutzer beteiligen ( → vgl. Kap. 4.2; S. 133 - 144). Medienvielfalt Die Diskussion um das Netzwerkdurchsetzungsgesetz Seit einigen Jahren - spätestens seit 2015 - steht Facebook in der Kritik, dass das soziale Netzwerk eine Plattform bietet für strafbare Inhalte, Beleidigungen, Hassreden oder gefälschte Nachrichten. Die Regierungen und Parlamente von etlichen Ländern haben darauf mit Gesetzen reagiert. In Deutschland verabschiedete der Bundestag das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG); es trat am 1. Oktober 2017 in Kraft. Die Betreiber sozialer Netzwerke werden verpflichtet, Nutzerbeschwerden auf strafrechtliche Relevanz zu prüfen und die betreffenden Inhalte zu löschen oder zu sperren. Wenn die Netzwerke wie vor allem Facebook, aber auch Twitter, Instagram oder Snapchat dies nicht tun, drohen ihnen empfindliche Geldbußen (vgl. k o m m u n I k a t I o n s f r e I h e I t u n d m e d I e n s y s t e m e 87 Mediensysteme im Vergleich Mediensysteme sind im nationalstaatlichen Kontext entstanden (vgl. Kleinsteuber 2005) und noch heute stark national geprägt - auch wenn immer mehr von transnationalen oder gar globalen Kommunikationsräumen gesprochen wird (etwa vom Kommunikationsraum Europa oder vom arabischen Kommunikationsraum). Die Analyse von Mediensystemen geschieht meist in vergleichender Perspektive: • Die diachrone Analyse untersucht den Transformationsprozess eines Mediensystems, vergleicht also verschiedene Epochen. Wir sind ansatzweise in Kapitel 2.2.1 so vorgegangen. • Synchrone Analyse: Die Spezifik des eigenen Systems - zum Beispiel in Deutschland - wird im Vergleich mit den Systemen anderer Länder klarer. Wer zum Beispiel den Journalismus in Deutschland, Österreich oder der Schweiz mit dem Journalismus in den USA, in Großbritannien, Russland oder China vergleicht, sollte die jeweiligen Mediensysteme als Rahmenbedingungen in die Analyse einbeziehen (vgl. z. B. Hallin/ Mancini 2004; Kopper/ Mancini 1997; Blum 2014; Czepek 2016) - eine vergleichende Inhaltsanalyse oder eine vergleichende Befragung allein kämen zu kurz. | 2. 3.2 Analyse von Mediensystemen http: / / www.bmjv.de/ DE/ Themen/ FokusThemen/ NetzDG/ NetzDG_node.html). Facebook beschäftigt dazu nach Medienberichten über Drittfirmen in Deutschland mehr als tausend Mitarbeiter - so genannte Content-Moderatoren. Über deren Arbeitsbedingungen und Arbeitsweisen, Qualifikation und Ausbildung ist sehr wenig bekannt. Kritiker dieses Gesetzes monieren u.a., dass die Netzwerke vorsichtshalber zu viele Inhalte löschen, die gar nicht strafbar sind, und damit die Kommunikationsfreiheit einschränken. Zudem gebe das Gesetz der Regierung ein potentielles Druckmittel in die Hand, um missliebige Inhalte löschen zu lassen. Die Beurteilung von strafbaren Inhalten gehöre in die Hände der unabhängigen Justiz. Alles in allem verstoße das Gesetz gegen das Grundgesetz. Die Diskussion um das Netzwerkdurchsetzungsgesetz ist ein Beispiel für das Ringen um einen demokratischen Umgang mit den neuen Möglichkeiten von Sozialen Netzwerken: Wer darf, soll und muss Meinungsfreiheit und Freiheit der Berichterstattung einerseits und strafbare Inhalte andererseits kontrollieren? 88 J o u r n a l I s m u s I n d e r g e s e l l s c h a f t Klassifizierung von Mediensystemen Das bekannteste Konzept zur weltweiten Klassifizierung von Mediensystemen ist schon 60 Jahre alt: Die US-amerikanischen Kommunikationsforscher Fred Siebert, Theodore Peterson und Wilbur Schramm (1956) werteten historische Entwicklungen und die Systeme ihrer Zeit aus und kamen auf vier Typen (»Four Theories of the Press«): Authoritarian, Libertarian, Communist und Social Responsibility. Diese Klassifizierung wurde oft zitiert (vgl. z. B. Weischenberg 2004: 86 - 92) und kritisiert (vgl. z. B. Nerone 1995; McQuail 1992: 65 f.). Eine Kritik zielt darauf ab, dass das Modell zwar in den 50er-Jahren signifikant war, in der Zwischenzeit aber überholt ist. So spiegelt die explizite Erwähnung kommunistischer Gesellschaftssysteme die Zeit des Kalten Kriegs wider, vernachlässigt aber andere totalitäre Systeme. Zudem argumentieren die Autoren stark normativ und US-zentriert. Wir orientieren uns im folgenden Überblick zwar am bekannten Modell von Siebert/ Peterson/ Schramm (und an der Übersetzung von Weischenberg 2004), aktualisieren dieses aber - und klassifizieren nach den vier Typen wirtschaftsliberal, sozialverantwortlich, autoritär und totalitär (vgl. Abb. 2.6). Dabei postulieren wir kein Idealmodell, sondern klassifizieren durch qualitative Beschreibung. • Der wirtschaftsliberale Typ entstand als Grundmodell der westlichen Mediensysteme ideengeschichtlich in der Aufklärung und sieht Medien nur im Privatbesitz vor. Sie konkurrieren in einem freien Markt ohne rechtliche und politische Schranken. • Das Modell der Sozialverantwortung entstand aufgrund der Nachteile und Gefahren des Wirtschaftsliberalismus: Um Medienmonopole und Meinungsmacht zu verhindern, werden verschiedene Möglichkeiten einer gemeinschaftlichen Medienkontrolle eingeführt. Beispiel ist die Gründung der BBC (British Broadcasting Corporation) in den 20er-Jahren als erstes öffentlich-rechtliches (»public service«) und damit nicht nur politisch, sondern auch ökonomisch weitgehend unabhängiges Angebot ( → vgl. zur öffentlichen Finanzierung und Kontrolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Kap. 4.2; S. 131 - 133). Aber auch privatwirtschaftliche Medien lassen sich sozialverantwortlich führen, wenn sie nicht nur zur Gewinnmaximierung genutzt werden, sondern wenn die Eigentümer eine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft freiwillig eingehen oder dazu gesetzlich verpflichtet werden. Problem dieses Modells sind potentielle Einfallstore für den Staat - zur Beschränkung privatwirtschaftlichen Medienagierens oder zur Reglementierung und Steuerung öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten (etwa über die Besetzung der Aufsichtsgremien oder über die Entscheidungen zur Höhe der Rundfunkgebühren). »Four Theories of the Press« Verantwortung gegenüber der Gesellschaft k o m m u n I k a t I o n s f r e I h e I t u n d m e d I e n s y s t e m e 89 • Das autoritäre Modell bildete historisch die ersten Rahmenbedingungen der Medien: Die Presse sollte die etablierten Autoritäten und staatlichen Ordnungen stabilisieren. Es können durchaus Parallelen zu heutigen Transformationsprozessen gezogen werden: In restaurativen Phasen nach Revolutionen und Freiheitskämpfen setzten die Machthaber schon immer die Presse unter Druck. Allerdings konnte z. B. Metternich mit den Karlsbader Beschlüssen viel offensichtlicher vorgehen als in jüngster Zeit so manche Regierung der Nachwendezeit in Osteuropa. Auch wenn Präsident bzw. Ministerpräsident Putin noch immer behauptet, dass die Medien in Russland frei seien: In seiner Regierungszeit ist der Einfluss des Staates auf den Journalismus enorm gewachsen - beispielsweise durch das wirtschaftsliberal sozialverantwortlich autoritär totalitär Eigentumsverhältnisse privatwirtschaftlich privatwirtschaftlich oder öffentlich staatlich, privatwirtschaftlich oder öffentlich staatlich Steuerung und Kontrolle der Medien Markt und Selbstregulierung gemeinschaftliche Medienaufsicht, unternehmerische und redaktionelle Selbstkontrolle Staatsapparat Staatspartei und Staatsapparat Ziele und Erwartungen Medien organisieren und kontrollieren sich selbst und sorgen dadurch für freien Zugang zur Öffentlichkeit Aufklärung und Partizipation; Verpflichtung der Medien gegenüber der Gesellschaft (z. B. Qualität, Vielfalt) Medien als Dienstleistung des Staates; sie sollen insgesamt die soziale Ordnung und die Regierung stabilisieren Absicherung der Staatspartei mit ihren Herrschaftsinteressen Nachteile und Gefahren Medienmonopole, unkontrollierte Medienmacht; starke ökonomische Abhängigkeit potentielle Einflussmöglichkeiten des Staates kaum Vielfalt in den Medien Medien präsentieren nur eine Sichtweise; Nachrichten werden unterdrückt; abweichende Meinungen verfolgt | Abb. 2.6 Typen von Mediensystemen im Vergleich (Quelle: eigene Darstellung auf Basis von Siebert/ Peterson/ Schramm 1956 und Weischenberg 2004: 87) 90 J o u r n a l I s m u s I n d e r g e s e l l s c h a f t Medienimperium des staatlich kontrollierten Gas-Monopolisten Gazprom oder durch Schließungen von Verlagen, Durchsuchungen von Redaktionen und Verhaftungen und Ermordungen von Journalisten. Auch nach den Revolutionen des arabischen Frühlings 2011 stellten sich nicht automatisch freie Mediensysteme ein, sondern die neuen Machthaber suchten Einfluss und Druck auf Medien und Journalismus - mit dem expliziten Argument der Stabilisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse und dem impliziten Vorhaben des Machterhalts; Länder wie Ägypten und Libyen stiegen in den Ranglisten zur Pressefreiheit zwar zunächst ein Stück nach oben, sackten dann aber wieder ab; Tunesien hält sich zwar weiter oben, aber nicht im als »frei« klassifizierten Bereich ( → vgl. Kap. 2.3.2; S. 92 - 94). • Während in heutigen autoritären Systemen zumindest noch Feigenblätter und ein Ansatz von Vielfalt geduldet werden, gehen totalitäre Regime noch radikaler gegen die Medienfreiheit vor: Die Medien befinden sich nahezu ausschließlich in Staatsbesitz; jegliche abweichenden Meinungen werden hart verfolgt. Bei der Klassifizierung handelt es sich um vier Modelle, um den Blick auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu schärfen. Die Grenzen sind jedoch fließend, was die Zuordnung von Ländern zu einzelnen Typen erschwert: Die USA haben eher ein wirtschaftsliberales Grundmodell, verschiedene Infrastrukturen der Medienkritik und der gemeinschaftlichen Medienkontrolle weisen jedoch auch Züge der Sozialverantwortung auf. In Großbritannien ist zwar der Public Service-Gedanke erfunden worden, für die Presse herrscht aber ein weitgehend wirtschaftsliberales Denken vor, das Tendenzen zu Monopolisierung und Meinungsmacht zulässt: Rupert Murdochs NEWS CORPORATION besitzt mehrere überregionale Tageszeitungen und Fernsehkanäle (www.newscorp.com). Maßgeblich für die Medienordnung in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg war eine Teilung der Medienmacht. In der Geschichte der Bundesrepublik zeigt sich exemplarisch das Ringen um das richtige kommunikationspolitische System zwischen wirtschaftsliberal und sozialverantwortlich: Während die sozialliberale Politik der 70er-Jahre stark auf das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem fixiert war und für die Presse sogar ein Gesetz zur Stärkung der Freiheitsrechte der Journalisten gegenüber den Verlegern (»Innere Pressefreiheit«) überlegt wurde - ermöglichte die konservativ-liberale Regierungskoalition unter Helmut Kohl in den 80er-Jahren die Einführung des privaten Rundfunks. Nicht wenige konservative Politiker beklagten dies nachher aber wieder, als sie merkten, dass zunehmend Sensationsjournalismus, Sex- und Gewaltdarstellungen ins Fernsehen Einzug hielten und bei den Besitzern der Privatkanäle kaum öffentliche Verantwortung spürbar war. Pluralistische westliche Demokratien bewegen sich mit ihren offenen Mediensystemen also zwischen den ersten beiden fließende Grenzen Ringen um das richtige Mediensystem k o m m u n I k a t I o n s f r e I h e I t u n d m e d I e n s y s t e m e 91 Typen der Klassifikation. Mehr Freiheit bedeutet auch mehr ethische Verantwortung ( → vgl. Kap. 7.2; S. 250 - 261) bei allen Akteuren: bei den Medienorganisationen wie beim Publikum. Mehr oder weniger stark geschlossene Mediensysteme sind dagegen das Kennzeichen von autoritären und totalitären Gesellschaftssystemen. Während sich in Russland - wie erwähnt - viele Charakteristika eines autoritären Mediensystems finden, sind die Systeme zum Beispiel in China, Kuba, Nordkorea, Weißrussland und Iran von totaler staatlicher Medienkontrolle geprägt. Italien ist ein Spezialfall, der zwischen offen und geschlossen schwankt: Die Entflechtung von Politik und Medien ist schon nach dem zweiten Weltkrieg kaum gelungen und erreichte ihren Höhepunkt, als der größte Medieneigentümer Silvio Berlusconi zunächst 1994 und später erneut (2001 und 2008) zum Regierungschef gewählt wurde - und dadurch einerseits sein Medienimperium durch eine wirtschaftsliberale Gesetzgebung erweitern und andererseits seinen Einfluss auf die öffentlich-rechtliche RAI ausbauen konnte. Inzwischen hat sich die Lage verbessert; größtes Problem ist die Bedrohung von vielen Journalisten durch organisierte Kriminalität. In der Europäischen Union werden Ungarn und Polen seit einigen Jahren kritisch beobachtet: Nationalkonservative Regierungen nehmen Einfluss auf den öffentlichen Rundfunk und beschneiden die Freiheitsrechte der privaten Medien. Am Rande Europas ist mit der Türkei ein Land innerhalb weniger Jahre zwischen 2013 und 2017 radikal und kontinuierlich abgerutscht: 2017 saßen 150 Journalisten im Gefängnis, etwa 150 Medien wurden nach dem Putschversuch 2016 geschlossen. Neue Modelle der westlichen Mediensysteme Die erwähnte Kritik an den »Four Theories of the Press« wurde von einigen Wissenschaftlern in den letzten Jahren fruchtbar für neue Versuche zur Modellierung aufgegriffen. Den bisher überzeugendsten Entwurf legten der italienische Wissenschaftler Paolo Mancini und der US-amerikanische Forscher Daniel C. Hallin vor. Sie modellieren ausschließlich die Demokratien Westeuropas und Nordamerikas und konzentrieren sich auf das Verhältnis von Mediensystem und politischem System. Dabei schließen sie auf drei Modelle (vgl. Hallin/ Mancini 2004: 66-86): Das polarisiertpluralistische Modell umfasst mediterrane Länder wie Frankreich, Griechenland, Italien und Spanien mit einer traditionell niedrigen Zeitungsreichweite und einer relativ starken Instrumentalisierung der Medien durch die politischen Parteien. Das demokratisch-korporatistische Modell trifft auf nordeuropäische Länder wie Deutschland, Österreich, die Schweiz, Dänemark oder Schweden zu und ist charakterisiert durch hohe Zeitungsreichweiten und eine institutionalisierte Selbstkontrolle, Schutz der Pressefreiheit und einen star- Beispiel Italien Alternative Modellierungen 92 J o u r n a l I s m u s I n d e r g e s e l l s c h a f t ken öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Das liberale Modell findet sich in den nordatlantischen Ländern Großbritannien, Irland, Kanada und den USA mit einer neutralen, kommerzialisierten Presselandschaft mittlerer Reichweite. Roger Blum (2014) hat eine weitere Modellierung für einen weltweiten Vergleich von Mediensystemen vorgelegt: Bei den freiheitlichen Systemen unterscheidet er ähnlich wie Hallin/ Mancini zwischen liberalem, Public- Service und Klientel-Modell, bei den geschlossenen Systemen zwischen Schock- (z.B. Russland, Türkei), Patrioten- (z.B. Iran, Ägypten) und Kommando-Modell (z.B. Nordkorea, China). Rankings der Medienfreiheit Einen konkreten - wenn auch holzschnittartigen und wenig differenzierten - Ländervergleich ermöglichen die Rankings der Medienfreiheit, die seit 1980 von der New Yorker Stiftung Freedom House und seit 2002 von der Pariser Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen veröffentlicht werden (vgl. www.freedomhouse.org; www.reporter-ohne-grenzen.de). Basis sind die in Kapitel 2.3.1 genannten drei Grundlagen der Kommunikationsfreiheit: Freedomhouse urteilt nach »the legal environment for the media, political pressures that influence reporting, and economic factors that affect access to news and information« und vergibt die drei Prädikate »free« (maximal 30 Minuspunkte; 61 Länder im Jahr 2017), »partly free« (maximal 60 Minuspunkte; 72 Länder) und »not free« (61 bis 100 Minuspunkte; 66 Länder). Im Jahr 2017 leben demnach 13 Prozent der Weltbevölkerung ohne signifikante Restriktionen, 42 Prozent haben teilweise freie Medien und 45 Prozent müssen ohne Medienfreiheit auskommen. In der langfristigen Entwicklung gab es nach dem Fall des Kommunismus in den 1990er Jahren eine weltweit zunehmende Pressefreiheit: 1986 hatten noch 55 Prozent aller Länder ein unfreies Mediensystem, 1996 nur noch 32 Prozent. In den vergangenen 20 Jahren stagniert die Situation im weltweiten Durchschnitt im Wesentlichen. Allerdings gibt es dramatische Einzelfälle wie zum Beispiel Russland und die Türkei - und seit 2012/ 13 steigen die Indikatoren für Unfreiheit im weltweiten Durchschnitt wieder leicht an. Vor allem die Länder mit teilweise freien Mediensystemen haben zugenommen, während es weniger freie Mediensysteme gibt. zunehmende Restriktionen Rang Land Minus-Punkte Status 1 Norwegen 8 frei 2 Niederlande 11 frei Schweden 11 frei Abb. 2.7 | Freedomhouse- Ranking 2017 (Quelle: www.freedomhouse.org) k o m m u n I k a t I o n s f r e I h e I t u n d m e d I e n s y s t e m e 93 Rang Land Minus-Punkte Status 4 Belgien 12 frei Dänemark 12 frei Finnland 12 frei 7 Schweiz 13 frei … 25 Deutschland 20 frei … 32 Österreich 22 frei … 37 USA 23 frei … 42 Großbritannien 25 frei ... 44 Frankreich 26 frei … 53 Spanien 28 frei … 62 Italien 31 teilweise frei … 118 Tunesien 54 teilweise frei … 166 Türkei 76 nicht frei … 168 Ägypten 77 nicht frei Libyen 77 nicht frei ... 177 Russland 83 nicht frei ... 189 China 87 nicht frei ... 200 Nordkorea 98 nicht frei Turkmenistan 98 nicht frei 94 J o u r n a l I s m u s I n d e r g e s e l l s c h a f t Man darf nicht vergessen, dass die Normen, die derartigen Definitionen und Rankings von Medienfreiheit zugrunde liegen, ausschließlich der westlichen Wertsphäre und Menschenrechtstradition entnommen sind - und dass die Freiheit der Medien und die Meinungsfreiheit sehr hoch gewichtet werden gegenüber anderen Menschenrechten und Werten (so kritisiert Freedomhouse zum Beispiel, dass in Deutschland das Leugnen des Holocausts und Nazi-Propaganda verboten sind). Kritik kommt denn auch vor allem aus Asien, aber auch aus der arabischen Welt. In Asien zum Beispiel beruhen die traditionellen Werte auf einem anderen Verhältnis gegenüber der Gemeinschaft (vgl. z. B. Goonasekera/ Chong Jin 2002). Pressefreiheit wird dort oftmals nicht als Lizenz für das Individuum verstanden - was in Entwicklungsländern einer Lizenz der Reichen gleichkäme -, sondern ist einer größeren Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft und einem gegenseitigen Respekt verpflichtet. Man befürchtet ein Eindringen westlicher Medienimperien und Werte durch allzu freie Massenmedien: Konsummaterialismus, sexuelle Freizügigkeit, religiöse Gleichgültigkeit oder sozialen Unfrieden durch allzu offene Debatten. Damit werden auf Basis einer anderen Wertewelt bestimmte Eingriffsrechte des Staates in die Medienfreiheit begründet. Andererseits verstehen es moderne Despoten und Regime immer wieder, traditionelle Werte für Unterdrückung und Machtmissbrauch auszunutzen. Das eigene Machtinteresse wird durchgesetzt, abweichende Meinungen werden verfolgt und Journalisten inhaftiert - unter dem Vorwand der sozialen Sicherheit und Ordnung und des Schutzes der Werte. Welche Grenzen der Freiheit, wenn sie mit anderen Rechten kollidiert, als legitim angesehen werden, hängt von historischen und kulturellen Faktoren ab (vgl. Czepek 2016). westliche Werte und Traditionen Informations- und Meinungsfreiheit durch das Internet Das Internet ist als generell offenes Medium weniger kontrollierbar und steuerbar als die traditionellen Massenmedien. Es bietet neue Möglichkeiten, aus staatlichen Restriktionen und Repressionen auszubrechen: in mehr Informationsfreiheit - durch die Nutzung anderer Quellen und Sichtweisen außerhalb der Staatsgrenzen - aber auch in mehr Meinungsfreiheit. Die Protestbewegungen und Revolutionen 2011 in Nordafrika waren durch soziale Vernetzungen im Internet - z. B. auf den Plattformen Facebook und Twitter - gestützt und gefördert. Exiljournalisten, die aus autoritären und totalitären Staat fliehen müssen, finden mit dem Internet neue Publikationsmöglichkeiten, die auch Menschen in ihren Heimatländern erreichen. Autoritäre und totalitäre Regierungen bemühen sich allerdings zunehmend, auch das Internet zu kontrollieren. Über Firewalls werden die Seiten ausländischer kritischer Webserver gar nicht ins Land gelassen. Internet-Cafés werden beobk o m m u n I k a t I o n s f r e I h e I t u n d m e d I e n s y s t e m e 95 Aus westlicher Sicht schwer zu verstehen sind zum Beispiel die Ergebnisse der Umfrage »Trust in the Media«, die BBC und REUTERS im März 2006 in Auftrag gaben (vgl.: news.bbc.co.uk/ 2/ shared/ bsp/ hi/ pdfs/ 02_05_06mediatrust.pdf). In Nigeria und Indonesien vertrauen demnach 88 bzw. 86 Prozent der Menschen den Medien - im Freedomhouse-Ranking liegt Nigeria auf Platz 114 und Indonesien auf Platz 121. In Deutschland dagegen trauen nur 43 Prozent der Menschen den Medien. In Nigeria und Indonesien meinen wesentlich mehr Menschen als in Deutschland, Journalisten würden zu kritisch über die Regierung und über Wirtschaftsführer berichten (56 bzw. 68 Prozent gegenüber 24 Prozent in Deutschland) - obwohl dort freie Meinungsäußerung und Kritik nicht so umfangreich möglich sind wie in Deutschland. Mit ähnlichen Ergebnissen bestätigt das »Trust Barometer« der PR-Agentur Edelman diesen Trend im Jahr 2013: In Indonesien und China vertrauen 80 Prozent der Menschen den Medien - in Deutschland und den USA sind es nur gut 40 Prozent (vgl. trust.edelman.com). Auch Jan Müller (2013) kommt in seiner Dissertation zu dem Ergebnis, dass in westlichen Demokratien ein ausgeprägter Vertrauensverlust in die Medien zu verzeichnen ist, Nachrichtenmedien in autoritären Regimen dagegen von der Bevölkerung als wesentlich glaubwürdiger eingeschätzt werden. Diesen Befund erklärt er mit dem sogenannten emanzipativen Wertewandel: Je höher die Bildungsressourcen eines Volkes sind, desto ausgeprägter ist die kritische Distanz zu staatlichen und politischen Institutionen - und auch zum Journalismus als Institution. Eine Demokratisierung der Öffentlichkeit geht hier einher mit einem Vertrauensverlust in die Profession Journalismus ( → vgl. Kap. 3.3; S. 122 - 124 zum Vertrauen in die Medien). Zusammenfassung Mit dem Begriff »Mediensystem« ist die Gesamtheit von Ordnungen und Strukturen gemeint, die in einem definierten Raum - meist in einem Staat - die Medien prägen. Politisches System, Wirtschaftssystem und Mediensystem hängen eng zusammen. Wir unterscheiden zwischen offenen Mediensystemen, die weitgehend Kommunikationsfreiheit in rechtlicher, politischer und ökonomischer Hinsicht gewährleisten, und geschlossenen Mediensystemen, welche Meinungs-, Informations- und Medienfreiheit autoritär beschränken oder totalitär kontrollieren. Mediensysteme pluralistischer Demokratien schwanken zwischen wirtschaftsliberal und sozialverantwortlich. achtet und kontrolliert, Internet-Aktivisten verhaftet. Nach Angaben von Reporter ohne Grenzen waren 2017 weltweit 121 Online-Aktivisten inhaftiert - und sieben wurden wegen der Ausübung dieser Tätigkeit getötet. 96 J o u r n a l I s m u s I n d e r g e s e l l s c h a f t Literatur Das Medienrecht konnte in dieser Einführung nur bei den Grundrechten am Rande gestreift werden. Der Dortmunder Medienrechtler Udo Branahl hat eine umfassende Einführung für Journalisten geschrieben. Fundiert und gut lesbar ist auch das Buch Recht für Journalisten des Rechtsanwalts und Eichstätter Honorarprofessors Ernst Fricke. Wer intensiver in die politische Ausgestaltung der Kommunikationsfreiheit und das Mediensystem einsteigen will, kann sich die Einführung in die Medienpolitik von Manuel Puppis vornehmen. Über aktuelle medienpolitische Debatten und Entscheidungen informieren die Fachdienste epd medien (www.epd-medien.de) und Medienkorrespondenz (www.medienkorrespondenz.de). Einen ausführlichen Überblick über die ökonomischen, politischen und technischen Strukturen der Medien in Deutschland gibt das Lehrbuch Das Mediensystem Deutschlands von Klaus Beck, das auch als vertiefende Lektüre für das Kapitel 4 geeignet ist. Eine gute Zusammenfassung über die Mediensysteme und Medienlandschaften in mehr als 80 Ländern der Welt bietet das Internationale Handbuch Medien, welches das Hans-Bredow-Institut alle paar Jahre aktualisiert herausgibt. Ausgewählte Themen des Vergleichs von Mediensystemen und Weltregionen zeigt Barbara Thomaß in einem Lehrbuch auf. Verschiedene Aspekte von Freiheit und Journalismus analysiert der wissenschaftliche Sammelband von Andrea Czepek, Melanie Hellwig, Beate Illg und Eva Nowak. Schließlich seien die Rankings des Freedomhouse und der Reporter ohne Grenzen zur vertiefenden Lektüre empfohlen - wenn man sich über die Freiheit der Medien in einzelnen Ländern und Weltregionen informieren möchte (www.freedomhouse.org und www.reporter-ohne-grenzen.de). 1 Beschreiben Sie die drei Voraussetzungen für Kommunikationsfreiheit. 2 Was war die s PiEgEl -Affäre? Warum ist das s PiEgEl -Urteil des Bundesverfassungsgerichts so wichtig? 3 Wie kann man Mediensysteme klassifizieren? Nennen und unterscheiden Sie verschiedene Typen von Mediensystemen. 4 Nennen Sie Beispiele für Länder, in denen die Medien als besonders frei, teilweise frei und unfrei beurteilt werden. 5 Was spricht dafür, was dagegen, die Freiheit der Medien generell über alle anderen Werte, Grund- und Menschenrechte zu stellen? Übungsfragen zu Kapitel 2.3 P u b l I k u m s f o r s c h u n g 97 97 Journalismus und sein Publikum Publikumsforschung »Und immer an die Leser denken.« Wohl kein Spruch eines Journalisten hat in den letzten Jahrzehnten weitere Kreise gezogen als diese Aufforderung von Helmut Markwort an seine Redaktion, die in zahllosen Werbespots und Anzeigen verbreitet wurde. Der ehemalige Chefredakteur der 1993 gegründeten Zeitschrift F ocus und seine Redaktion halten viel darauf, dass sie aus ihrer Erfahrung, aus dem Gefühl und aus dem Bauch heraus wissen, was das Publikum lesen will (vgl. Hohlfeld 2003: 14). Allerdings gründet der Erfolg von F ocus nicht nur auf journalistischem Gespür, sondern auch auf intensiver Publikumsforschung: Mehrere Marktforschungsinstitute waren beteiligt, als es beim Burda-Verlag darum ging, Erfolgsaussichten einer s PiE gEl -Konkurrenz, mögliche Themen und Präsentationsformen sowie einen marktgängigen Namen zu finden (vgl. Filipp 1995). Noch heute - 25 Jahre nach der Gründung - werden mögliche Themen für die F ocus -Titelseite zuerst in der Publikumsforschung getestet. Dabei haben Journalisten inzwischen über das Internet und vor allem über soziale Netzwerke intensive Kontaktmöglichketen zu einem Teil des Publikums: Sie werden gelobt und getadelt, erfahren Zustimmung oder werden aufs Übelste beschimpft. Ihre Beiträge stehen vor allem zu politisch umstrittenen Themen unter ständiger Beobachtung, finden aber durch das Teilen auch weitere Verbreitung. Redaktionen geraten in Rechtfertigungszwänge, müssen Fehler korrigieren und erklären, was nicht zuletzt zu mehr Transparenz im Journalismus führt (vgl. Meier 2017a). | 3 Inhalt 3.1 Publikumsforschung 3.2 Mediennutzung im Wandel 3.3 Wirkung des Journalismus | 3.1 »an die Leser denken« 98 J o u r n a l I s m u s u n d s e I n P u b l I k u m Journalisten haben schon immer zur Orientierung eine - zumindest intuitive - Vorstellung davon gebraucht, wer ihr Publikum ist. Quellen dieses Publikumsbildes können sein: Publikumspost (traditionell der Leserbrief, neuerdings die E-Mail oder der Eintrag in Foren, Blogs oder soziale Netzwerke wie Facebook oder WhatsApp), persönliche Begegnungen mit oder Anrufe von Lesern, Zuhörern, Zuschauern und Nutzern, Gespräche mit Kollegen - oder Ergebnisse der Publikumsforschung. Während das Publikumsbild von traditionellen Printjournalisten (noch) stark über Leserpost und persönliche Begegnungen geprägt ist, verlassen sich Fernseh- und vor allem Radiojournalisten eher auf die Ergebnisse der angewandten Medienforschung (vgl. für Deutschland: Hohlfeld 2003: 257 - und für die Schweiz: Marr u. a. 2001: 195). Zwar kommen 97 Prozent der deutschen Journalisten mit den Ergebnissen der Publikumsforschung in Kontakt (vgl. Hohlfeld 2003: 265), in der Regel haben Journalisten aber »nur unspezifische Kenntnisse über die Zusammensetzung und die Erwartungen ihres Publikums« (Weischenberg/ Malik/ Scholl 2006: 143). Publikumsforschung Die Publikumsforschung (englisch: audience research) untersucht die Nutzung der Massenmedien. Darin liegt das Hauptforschungsinteresse von Medienunternehmen. Verschiedene Begriffe, Methoden und Interessen haben sich etabliert - was auch zu einer Begriffsverwirrung führt: (1) Die akademische Kommunikationswissenschaft spricht oft von »Nutzungsforschung« oder »Rezeptionsforschung«. Sie geht der grundlegenden Frage nach, was die Menschen mit den Medien machen, und entwickelt Theorien der Mediennutzung. Nicht selten hat dies auch mit der umgekehrten Frage zu tun, was die Medien mit den Menschen machen, die man durch die Wirkungsforschung zu beantworten versucht ( → vgl. Kap. 3.3; S. 115 - 125). (2) In der Medienwirtschaft haben sich dagegen die Begriffe »Mediaforschung« und »angewandte Medienforschung« etabliert. Damit sind die Aktivitäten von hauseigenen Forschungsabteilungen in Rundfunkanstalten und Verlagen oder von freien Marktforschungsinstituten gemeint, die im Auftrag von Medienunternehmen tätig sind. Es geht einerseits darum, den Erfolg eines Mediums zu kontrollieren, insbesondere die Leistung als Werbeträger: »Mediaforschung« ist meist »Werbeträgerforschung« und dient Werbeagenturen dazu, die »Mediaplanung« zu optimieren und Anzeigen und Spots zielgruppengerecht zu platzieren. Andererseits stellt die »angewandte Medienforschung« mit der redaktionellen Publikumsforschung den Redaktionen Daten zur Verfügung, die zeigen, wie Journalisten ihr Publikum besser erreichen und bedienen können. In die Werbeträgerforschung wird wesentlich mehr investiert als in die redaktionelle Publikumsforschung. Definition Quellen des Publikumsbildes P u b l I k u m s f o r s c h u n g 99 Standarduntersuchungen In keinen Forschungszweig stecken die Medienunternehmen mehr Geld als in die Reichweitenmessung. Die Suche nach dem Medienpublikum wurde im Laufe der vergangenen Jahrzehnte immer intensiver und methodisch ausgefeilter betrieben. Die wichtigsten Standarduntersuchungen und Methoden der angewandten Medienforschung im Überblick: • In der Arbeitsgemeinschaft Media Analyse (AG.MA oder kurz: MA) haben sich etwa 210 große Unternehmen der Medien- und Werbewirtschaft zusammengeschlossen (www.agma-mmc.de). Auf Basis von Interviews mit zum Teil mehr als 70.000 Mediennutzern werden regelmäßig die Reichweiten und die Struktur des Publikums (z. B. Einkommen, Bildung) einzelner Medien erhoben. Die Interviewer der beauftragten Marktforschungsinstitute wollen wissen, welche Medienprodukte wann und wie lange in letzter Zeit genutzt wurden. Insbesondere die Radiosender verlassen sich auf die Ergebnisse der Befragung, berechnen damit ihre Werbepreise oder entscheiden über redaktionelle Änderungen - zum Beispiel über einen Moderatorenwechsel oder die Abschaffung einer Sendung. Auch die Zeitungen und Zeitschriften warten jedes Mal gespannt auf die MA-Ergebnisse: Zusätzlich zu den Auflagen- und Verkaufszahlen der Presse kann über die MA-Interviews die Reichweite herausgefunden werden - also wie viele Leser pro Ausgabe (LpA) ein Printprodukt erreicht. So hat zum Beispiel FOCUS (0,4 Mio.) zwar fast nur die Hälfte der Auflage des SPIEGEL (0,8 Mio.), aber laut »MA 2017 II« immerhin 4,6 Mio. Leser gegenüber 6,6 Mio. Leser des SPIEGEL (vgl. www. ma-reichweiten.de). • Die Allensbacher Markt- und Werbeträger-Analyse (AWA) wird vom Institut für Demoskopie Allensbach durchgeführt und steht in Konkurrenz zur MA (www.awa-online.de). In den rund 23.000 Interviews pro Jahr wird nicht nur nach der Mediennutzung, sondern auch nach den Konsumgewohnheiten gefragt. In der AWA sind in der Regel mehr Zeitungen und Zeitschriften enthalten als in der MA. Obwohl beide Analysen angeben, repräsentativ und mit zuverlässigen Hochrechnungen zu arbeiten, kommen doch immer wieder unterschiedliche Ergebnisse zustande. Nach der AWA hatten zum Beispiel FOCUS und SPIEGEL 2017 Reichweiten von 3,6 und 5,9 Millionen. • Die Reichweiten der Fernsehprogramme und -sendungen werden von der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) in Auftrag der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung (AGF) ermittelt (www.agf.de sowie Hofsümmer/ Engel 2013). Im Gegensatz zu MA und AWA ist man nicht auf das Gedächtnis befragter Mediennutzer angewiesen, sondern hat ein technisches Messverfahren aufgebaut: In 5000 Haushalten, in denen ca. 10.500 Reichweitenmessung Leser- und Hörerzahlen Einschaltquote 100 J o u r n a l I s m u s u n d s e I n P u b l I k u m Menschen leben, steht jeweils ein Messgerät neben dem Fernseher, an dem sich die Bewohner per Fernbedienung an- und abmelden. Das Messgerät speichert die gesehenen Programme und gibt die Daten nachts per Telefon an einen Zentralcomputer weiter. Spätestens um 8.30 Uhr am Tag nach der Ausstrahlung stehen die TV-Quoten der GfK-Fernsehforschung auf den Computern der Fernsehproduzenten zur Verfügung. In Planungen und Konferenzen werden dann »Beiträge und Themen [. . . ] auf ihre Publikumstauglichkeit geprüft, das künftige Themendesign der Sendung darauf ausgerichtet« (Hohlfeld, 2003: 309). Insgesamt lag im Jahr 2017 das ZDF mit 13 Prozent Marktanteil vor den Dritten Fernsehprogrammen der ARD (12,8), dem Gemeinschaftsprogramm der ARD DAS ERSTE (11,3) und RTL (9,2) ( → vgl. Kap. 4.3.3; S. 155 - 160). Seit 2017 nennt sich der Verbund AGF Videoforschung, denn seit 2014 wird neben der Fernsehnutzung auch die Bewegtbildnutzung zum Beispiel von Mediatheken auf PCs, Tablets und Smartphone gemessen. Das Messverfahren wird kontinuierlich verändert und an die zunehmende digitale Konvergenz angepasst. • Die Arbeitsgemeinschaft Online-Forschung (AGOF) wurde 2002 gegründet, um für einen einheitlichen Standard in der Online-Werbeträgerforschung zu sorgen (www.agof.de). Täglich werden die Reichweiten und Nutzerstrukturen von großen Online-Angeboten gemessen: von klassischen und mobilen Websites und Apps. Die Methode hat drei Elemente: technische Abrufzahlen einzelner Seiten, Online-Befragungen von Nutzern und repräsentative Telefonbefragungen der Bevölkerung. Auf dieser Basis wird die Reichweite von Online-Angeboten berechnet - also die Zahl der Unique User, die eine Website in einem bestimmten Zeitraum (meist in einem Monat, aber auch für einen Tag) hat. Nach den Berechnungen der AGOF hat zum Beispiel das Online-Angebot WELT.DE 17,8 Mio. Unique User (vgl. AGOF digital facts 2017-03) - und damit eine wesentlich größere Reichweite als die gedruckte Tageszeitung DIE WELT (0,67 Mio. Leser pro Ausgabe bzw. 7,5 Mio. weitester Leserkreis nach AWA 2017) ( → vgl. Kap. 4.3.4; S. 160 - 163). Neben diesen auf kommerziellen Interessen aufbauenden Standarduntersuchungen gibt es eine Reihe von Studien, die das Nutzungsverhalten der Menschen auf breiterer Basis untersuchen. Dazu gehört die Langzeitstudie Massenkommunikation, die die Medienforschungsabteilungen von ARD und ZDF zwischen 1964 und 2015 elfmal in Auftrag gegeben haben und die inzwischen alle fünf Jahre wiederholt wird (vgl. Krupp/ Breunig 2016 sowie verschiedene Ausgaben der Zeitschrift MEDIA PERSPEKTIVEN unter www. media-perspektiven.de). Mit der repräsentativen Befragung von jeweils mehr als 4000 Personen kann man vor allem feststellen, wie sich generell das Nutzungsverhalten und die Bewertung der Medien im Laufe der Jahr- Unique User Langzeitstudie Massenkommunikation P u b l I k u m s f o r s c h u n g 101 zehnte verändert haben (vgl. das folgende Kapitel 3.2). Ebenfalls von ARD und ZDF stammt die Online-Studie, die seit 1997 jedes Jahr auf Basis einer repräsentativen Befragung durchgeführt wird. Damit lässt sich nicht nur sagen, wie sich die Internet-Nutzung verändert, sondern auch ob und wie sich Innovationen durchsetzen und ob die Online-Medien traditionelle Medien bedrängen (die Ergebnisse werden jedes Jahr im August- oder September-Heft der MEDIA PERSPEKTIVEN veröffentlicht; vgl. auch www.ardzdf-onlinestudie.de). Neue technische Verfahren der Reichweitenmessung Wie beschrieben, ist die angewandte Medienforschung im Wesentlichen entweder auf die Erinnerungsleistung repräsentativ ausgewählter und befragter Mediennutzer angewiesen oder auf technische Messverfahren - oder auf eine Kombination aus beidem. Reine Befragungen sind methodisch problematisch ( → vgl. Kap. 1.3.1; S. 45 - 47, 50 - 52): So hat die große Bedeutung der MA für die Radiosender dazu geführt, dass der Name des Senders Reichweite Zahl der Menschen, die von einem Medienprodukt maximal erreicht werden (Basis sind repräsentative Befragungen oder technische Messungen) Leser pro Nummer (LpN) oder Leser pro Ausgabe (LpA) alle Personen, die mit einer durchschnittlichen Ausgabe einer Zeitung oder Zeitschrift Kontakt haben Leser pro Exemplar (LpE) LpN dividiert durch die verkaufte Auflage eines Blattes Marktanteil Anteil einer Sendung am Zuschauermarkt in Prozent (bezogen auf alle Menschen, die zu diesem Zeitpunkt überhaupt das Gerät angeschaltet haben). Nachts oder am Vormittag kann man schon mit wenigen Zuschauern einen hohen Marktanteil erreichen - im Gegensatz zur Hauptsendezeit am Abend Einschaltquote Häufig synonym mit »Marktanteil«, aber nicht einheitlich verwendet und eher umgangssprachlich Page Impressions Anzahl der Abrufe einzelner Seiten eines Webangebots Visits Anzahl der »Besuche« eines Webangebots (als zusammenhängender Nutzungsvorgang) Unique User Anzahl der Personen, die in einem bestimmten Zeitraum (z. B. in einem Monat oder an einem Tag) ein Webangebot besucht haben | Abb. 3.1 Begriffe der Publikumsforschung (Quellen: www.agf.de, www.agof.de, www. mediasearch.ch) 102 J o u r n a l I s m u s u n d s e I n P u b l I k u m im Befragungszeitraum möglichst oft im Programm und in Gewinnspielen erwähnt wird. Wichtig ist nicht, wie viele Hörer man tatsächlich erreicht, sondern dass sich möglichst viele Hörer an den Namen des Senders erinnern, wenn die Interviewer der MA anrufen. Technische Reichweiten- und Akzeptanzmessungen sind aus diesem Grund im Kommen: • Seit 2001 verwendet die Radiohörerforschung in der Schweiz eine Uhr. 2018 wurde die Erfassung verbessert - das Grundprinzip bleibt aber gleich: Die Panelteilnehmer tragen das Messgerät, das Umgebungsgeräusche aufnimmt und verschlüsselt speichert, in Form einer Uhr - der »Mediawatch« - mit sich, stellen es regelmäßig in eine Dockingstation, welche die Daten aus der Uhr ausliest und an ein Rechenzentrum sendet, das die Daten mit den Signalmustern der Sender vergleicht. Dadurch werden minütliche Reichweiten der Radioprogramme bei den 2400 Panelteilnehmern ermittelt und auf alle 7,2 Millionen potentiellen Hörer ab 15 Jahren in der Schweiz hochgerechnet. • An das »Radiocontrol«-Messverfahren angelehnt entwickelte der Schweizer Carlo Imboden vor einigen Jahren die Methode »ReaderScan« zur Leserforschung für Printmedien - und traf damit den Nerv von Zeitungsredaktionen: Nach einem Pilotprojekt in den Jahren 2004/ 05 bei der MAIN POST in Würzburg und weiteren Studien zum Beispiel für BERLINER ZEITUNG und BERLINER KURIER war er gefragter Referent auf Medientagungen und wurde von immer mehr Zeitungsverlagen mit Leserstudien beauftragt. »ReaderScan« wird nicht laufend eingesetzt, sondern nur für einzelne Projekte. Eine relativ kleine Stichprobe von 100 bis 200 Lesern - je nach Budget des Verlagshauses - soll die Zielgruppe der Zeitung repräsentieren. Die Panelteilnehmer erhalten einen Mini- Scanner in Form eines Stifts, mit dem sie durch kurzes Antippen die Ein- und Ausstiegsstellen der gelesenen Texte scannen. Wie bei »Radiocontrol« übernimmt eine Dockingstation die Daten vom Stift und sendet sie an ein Rechenzentrum, das die Scan-Schnipsel mit dem Zeitungsinhalt vergleicht. Am Nachmittag liegen die ermittelten Lesequoten auf dem Tisch des Chefredakteurs. Das Messverfahren wird einige Wochen lang angewandt - und eventuell nach einigen Monaten wiederholt. Zwar ist das Verfahren methodisch umstritten (das Panel ist sehr klein; der Stift kann das Leseverhalten beeinflussen), aber Chefredakteure und »ReaderScan«-Erfinder Imboden stellen mehrere weitreichende Effekte in den Redaktionen fest: Einerseits orientiert sich die aktuelle Zeitungsproduktion am Leserverhalten der Panelteilnehmer, wenn zum Beispiel mit der Formulierung von Texten, Titeln und Bildunterschriften sowie mit der Platzierung von Themen in den folgenden Ausgaben experimentiert wird. Andererseits führen die Forschungsergebnisse mittel- Radio-Reichweiten in der Schweiz Lesequoten P u b l I k u m s f o r s c h u n g 103 fristig zu kompletten Relaunches von Seiten, Sparten und Büchern - die dann wiederum in einer weiteren Untersuchungswelle auf Akzeptanz überprüft werden. Bei der MAINPOST zum Beispiel hat sich die durchschnittliche »Lesequote« zwischen der ersten und der zweiten Untersuchungswelle von 6,8 auf 8,5 Prozent, beim BERLINER KURIER von 12,7 auf 15,7 Prozent erhöht. • Online-Redaktionen stehen die schnellsten und detailliertesten Akzeptanzdaten zur Verfügung: Die aktuellen Abrufzahlen (»Klicks«) werden auf Webservern gezählt und können von den Redakteuren nahezu zeitgleich eingesehen und zur Veränderung aktuell genutzter Inhalte verwendet werden. In Online-Redaktionen, die mit solchen Systemen arbeiten, spricht man von »Echtzeit-Quoten«, international von »editorial analytics«. Zu simplen Klickzahlen kommen inzwischen immer mehr Daten, zum Beispiel zur Verweildauer. Studien in Online-Redaktionen zeigen eine Reihe von Aspekten, die bewusst und unbewusst einen Quoten- Druck auf Online-Journalisten ausüben können (vgl. Meier/ Tüshaus 2006; Cherubini/ Nielsen 2016). Gleichzeitig werden »editorial analytics« aber als Instrumente des Qualitätsmanagements genutzt: Titel und Teaser können optimiert werden; wenig attraktive, aber als relevant eingeschätzte Themen können besser präsentiert und so ihre Reichweite gesteigert werden. Crossmedial organisierte Redaktionen lernen, die Online-Quoten auch für ihre Print-Produkte einzusetzen: Themen, die heute online gut laufen, schaffen es eher auf die Titelseite der morgigen Zeitung oder werden in der Zeitung sogar zu Hintergrundseiten, Themenpaketen und Serien ausgebaut. Allerdings muss man dabei differenziert vorgehen, denn das Online- und das Zeitungspublikum können sich stark unterscheiden. »Echtzeit-Quoten« Beispiel für ein Projekt angewandter Medienforschung: Radio-Programm-Controlling Kann die Publikumsforschung über Angaben zu Reichweite und Marktanteil hinaus Hinweise auf die Qualität eines journalistischen Produkts liefern? Dieser Frage ging ein Projekt nach, welches das Institut für Angewandte Medienforschung der Zürcher Hochschule zusammen mit einer Regionalredaktion des öffentlich-rechtlichen Senders SCHWEIZER RADIO DRS durchführte. Direkt nach bestimmten Radiosendungen wurden 20 Redakteure und 199 Hörer telefonisch befragt. Im Mittelpunkt stand eine Beurteilung nach verschiedenen Qualitätskriterien - zum Beispiel nach Verständlichkeit, Spannung oder Glaubwürdigkeit. Durch die Befragungen sollten Unterschiede in der Wahrnehmung der Qualität zwischen Journalisten und Publikum ermittelt und so die Kritik- und Feedback-Kultur in der Redaktion gefördert werden (vgl. zur Methode und den Ergebnissen Wyss 2006). 104 J o u r n a l I s m u s u n d s e I n P u b l I k u m Zielgruppen Der Begriff der Zielgruppe stammt aus dem Marketing und bezeichnet die Gesamtheit der Personen, auf die sich eine bestimmte Maßnahme bezieht - zum Beispiel die Vermarktung eines Produkts. Der Journalismus hat sich traditionell wenig um Zielgruppen-Konzepte gekümmert: Journalistische Produkte waren als »Omnibusmedien« konzipiert und sollten alle Mediennutzer erreichen - wie heute noch die Tageszeitungen oder die Nachrichtensendungen in ARD und ZDF. Im modernen Zeitschriftenmarkt, im Fernsehen, im Hörfunk und im Internet ist die Ausrichtung auf Zielgruppen dagegen immer wichtiger geworden. Im Kontext des Journalismus hat dies drei Aspekte: erstens die Ausrichtung eines journalistischen Produkts - einer Zeitschrift, einer Website, eines Programms oder einer Sendung - auf eine bestimmte Rezipientengruppe, zweitens die Vermarktung des Produkts in dieser Gruppe, drittens die Vermarktung des Produkts an Anzeigenkunden, die an dieser Zielgruppe interessiert sind. Der erste und dritte Aspekt hängen gerade bei der Neukonzipierung von werbefinanzierten Formaten eng zusammen: Journalistische Produkte können am Markt nur bestehen, wenn Werbeagenturen und werbende Unternehmen Interesse an der Zielgruppe haben; das redaktionelle, programmliche Umfeld der Werbung wird werbefreundlich gestaltet ( → vgl. Kap. 4.2.2; S. 133 - 134 und 136 - 138). Die Einteilung der Mediennutzer in Zielgruppen folgt bestimmten Kriterien: Man kann Zielgruppen beispielsweise geographisch definieren, wie dies der Lokaljournalismus macht, oder soziodemographisch (z. B. nach Alter, Geschlecht, Bildungsgrad, Beruf, Einkommen, Kaufverhalten) wie bei Special-Interest-Zeitschriften und Fachzeitschriften. Eine komplexere Herangehensweise hat das Heidelberger Institut Sinus Sociovision entwickelt (www.sinus-institut.de): Es teilt die Gesellschaft in zehn verschiedene Lebenswelten ein, die auch Milieus genannt werden. Zu einem Milieu werden Menschen zusammengefasst, die sich in Lebensweise und Lebensauffassung ähneln, beispielsweise in der Einstellung gegenüber Werten oder im Lebensstil. Daraus ist die so genannte »Kartoffelgrafik« entstanden, in der auf der vertikalen Achse die soziale Lage (die Schicht) eingetragen ist und in der horizontalen Achse die Werteorientierung. Die Milieus heißen dann beispielsweise Traditionelles Milieu, Bürgerliche Mitte oder Expeditives Milieu. Das Modell der so genannten »MedienNutzerTypologie« definiert Lebensstiele, die sich eng auf die Mediennutzung beziehen. Es wird von der Medienforschung von ARD und ZDF seit 1996 entwickelt und wurde 2015 zur so genannten »MNT 2015« aktualisiert. Bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen dominieren die Spaßorientierten und die Zielstrebigen, bei Zielgruppen-Konzepte und »Omnibusmedien« Sinus Milieus Mediennutzertypologie P u b l I k u m s f o r s c h u n g 105 Menschen zwischen 30 und 49 Jahren die Familienorientierten; je älter die Menschen werden, umso häufiger finden sich Hochkulturorientierte, Häusliche, Zurückgezogene oder Traditionelle. Während zum Beispiel die Spaßorientierten Smartphones und Messengerdienste wie WhatsApp sehr häufig nutzen und wenig fernsehen - und wenn dann eher privat-kommerzielle Kanäle, lesen Hochkulturorientierte überdurchschnittlich überregionale Tageszeitungen und gehören zum Stammpublikum von öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern (vgl. Eckert/ Feuerstein 2015). Journalismus und Publikum: traditionell ein schwieriges Verhältnis Das Verhältnis zwischen Journalismus und Publikum hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stark gewandelt (Hohlfeld 2005). Noch bis in die 70er- und 80er-Jahre hinein galt es als verpönt, sich am Publikum zu orientieren: Journalisten gaben vor, genau zu wissen, was guten Journalismus ausmacht, und lehnten eine Publikumsorientierung als »Anpassungsjournalismus« oder als »korrumpierendes Element« ab. Man orientierte sich an den Maßstäben und Idealen der eigenen Zunft - und nicht selten an der Meinung der Kollegen. Die erste Brandschrift gegen eine solch abgehobene Einstellung veröffentlichten Peter Glotz und Wolfgang R. Langenbucher 1969 unter dem Titel »Der missachtete Leser« (erneut veröffentlicht 1993). Das Buch kritisierte zum Beispiel unverständliche Wirtschaftsteile oder »Rezensionsfriedhöfe« in den Feuilletons der Zeitungen. In den Jahrzehnten danach stieg die Zahl der Medien - und damit die Konkurrenz auf dem Publikumsmarkt um das zunehmend knappe Gut Aufmerksamkeit. Privat-kommerzielle Rundfunksender machten die Unterhaltungsbedürfnisse der Menschen zur obersten Maxime des Programms, was sich in dem immer wieder zitierten Bonmot von Helmut Thoma, dem ehemaligen RTL-Geschäftsführer, ausdrückt: »Der Wurm muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler.« Wenn von »Quotennutte«, »Quotenjäger« oder »Quotentussi« die Rede ist, sind Fernsehproduzenten gemeint, die den Zuschauern jeden Wunsch erfüllen, um Reichweite und Marktanteil nach oben zu treiben. Das Schielen nach der Quote ist vor allem ein traditionelles Problem der unterhaltungsorientierten Fernsehwelt und ein neues Problem der klickzahl-orientierten digitalen Welt (des so genannten »Clickbait-Journalismus«). Aber auch Zeitungsredaktionen, die in der verschärften Wettbewerbssituation überleben wollen, müssen zunehmend die Interessen und Wünsche ihrer Kunden wahrnehmen und sich danach richten: Der Begriff des »Redaktionellen Marketings« wurde aus der Leserforschung heraus geboren (vgl. Definition) und gehört inzwischen zum Standard des Managements von Redaktionen. der missachtete Leser Quotenjäger 106 J o u r n a l I s m u s u n d s e I n P u b l I k u m Das Verhältnis zwischen Journalismus und Publikum schwankt also zwischen einerseits Publikumsmissachtung und andererseits einer starken Orientierung an Unterhaltungs- und Servicebedürfnissen des Publikums. Dabei kann die Unterstellung, das Publikum sei nur an leichter Kost interessiert, wieder als Publikumsverachtung oder zumindest als Unterforderung interpretiert werden. Der Drahtseilakt des Redaktionellen Marketings besteht darin, zwischen Informations-, Service- und Unterhaltungsbedürfnissen des Publikums zu vermitteln. Publikumsbeteiligung und Transparenz im Internet Mit der gestiegenen Popularität von sozialen Netzwerken wie Facebook, Twitter und Instagram, aber auch mit anderen Möglichkeiten des Web 2.0 wie Blogs, Foren oder Diskussionen unter Artikeln hat sich das Verhältnis zwischen Redaktionen und Publikum noch einmal verändert, weil nun vielfältige Formen der Vernetzung und Publikumsbeteiligung möglich sind (Hohlfeld 2016, Loosen 2016). Leser können mit Journalisten einfacher Kontakt aufnehmen und umgekehrt. Journalistische Angebote werden im Internet vom Publikum weiterverbreitet und kommentiert - und erzeugen somit Anschlusskommunikation. Dies kann zu einer neuen Publikumsbindung an journalistische Angebote führen, aber auch zu einer gewissen Demokratisierung des Journalismus, wenn Journalisten und Publikum sich auf Augenhöhe begegnen. Zudem können Redaktionen durch ein Monito- Redaktionelles Marketing Marketing heißt in der allgemeinen Betriebswirtschaftslehre, ein Produkt oder eine Dienstleistung möglichst den Kundenwünschen entsprechend anzubieten. Redaktionelles Marketing fordert von Journalisten demnach, die Wünsche und Interessen der Zielgruppe(n) zu kennen, ernst zu nehmen und ihnen mit dem redaktionellen Teil eines Mediums zu entsprechen (Mast 2012: 394 ff.). Der Begriff tauchte in den 90er Jahren vor allem in der Zeitungsforschung vermehrt auf (vgl. u. a. Rager/ Schaefer-Dieterle/ Weber 1994) und kennzeichnet das Anliegen, dass Zeitungsredaktionen mit wissenschaftlichen Instrumentarien ihr Publikum besser kennenlernen und ihre Produkte systematischer planen und umsetzen sollen. Kritiker befürchten dagegen bei einer Übertreibung der Marketing-Aktionen einen Verlust der öffentlichen Verantwortung und der politischen Funktion des Journalismus, wenn nur noch Inhalte produziert werden, die leicht konsumierbar sind und vor allem der Unterhaltung dienen (»Infotainment«). Definition ein Drahtseilakt P u b l I k u m s f o r s c h u n g 107 ring der Social-Media-Aktivitäten die Interessen des Publikums beobachten und Themen darauf ausrichten. Außerdem gibt es neue Möglichkeiten für Transparenz im Journalismus ( → vgl. Kap. 7.3; S 268 und S.272 - 275; Kap. 7.2; S. 250; Kap. 7.1; S. 242 - 249; Kap. 5.2; S.198 - 201). Allerdings kostet der Umgang mit dem Publikum Zeit und Nerven und bedarf neuer redaktioneller Strategien. Die Neuen Deutschen Medienmacher (2017) haben einen Leitfaden für Journalisten im Umgang mit Hate Speech im Netz auf Basis empirischer Studien erarbeitet. (1) Leser, Hörer, Zuschauer und Nutzer sind die Kunden der Journalisten. Publikumsforschung kann dazu beitragen, die Interessen und Wünsche der Kunden genauer kennenzulernen. Im Redaktionellen Marketing werden Konzepte entwickelt, welche die Ergebnisse der Publikumsforschung umsetzen und zwischen Informations-, Service- und Unterhaltungsbedürfnissen des Publikums vermitteln. (2) Die Standarduntersuchungen der Publikumsforschung dienen allerdings weniger redaktionellen Zielen als vielmehr der Mediaforschung, welche die Leistung der Medien als Werbeträger kontrolliert und über regelmäßige repräsentative Befragungen und technische Messungen die Reichweiten und Marktanteile der Medien erhebt. (3) In sozialen Netzwerken, Blogs, Beitragsanmerkungen und anderen Formen des Web 2.0 können Journalisten sich mit dem Publikum vernetzen, Feedback erhalten, deren Interessen beobachten und transparenter agieren. Sie haben aber auch mit der Moderation und Löschung strafbarer Inhalte wie Hassreden und Beleidigungen zu tun. Zusammenfassung 1 Nennen Sie mögliche Quellen des Publikumsbildes von Journalisten. 2 Welche Standarduntersuchungen der Publikumsforschung gibt es? Wo liegen Stärken und Schwächen? 3 Erklären Sie, warum Zielgruppen für Redaktionen wichtiger geworden sind. 4 Was ist »Redaktionelles Marketing«? 5 Warum kann man das Verhältnis zwischen Journalismus und Publikum als »schwierig« bezeichnen? 6 Welche neuen Möglichkeiten für die Vernetzung zwischen Redaktionen und Publikum gibt es im Internet? Mit welchen Konsequenzen? Übungsfragen zu Kapitel 3.1 108 J o u r n a l I s m u s u n d s e I n P u b l I k u m Literatur Viele Ergebnisse der Publikumsforschung können im Internet aktuell recherchiert werden - vor allem die Zahlen zu Reichweiten und Marktanteilen (vgl. u.a. die Websites, die im Text jeweils angegeben sind). Spezielle Studien für einzelne Redaktionen werden jedoch meist unter Verschluss gehalten, weil die Konkurrenz davon nicht profitieren soll. Die akademisch-wissenschaftliche Rezeptionsforschung und Theorien der Mediennutzung können in diesem Buch nur ganz am Rande vorgestellt werden; eine übersichtliche und gut lesbare Einführung dazu liegt von Wolfgang Schweiger vor und ein Handbuch von Carsten Wünsch, Holger Schramm, Volker Gehrau und Helena Bilandzic. Nach wie vor lesenswert ist die Pressekritik von Peter Glotz und Wolfgang R. Langenbucher unter dem Titel »Der missachtete Leser«. Mediennutzung im Wandel Ist das Zeitbudget der Menschen für die Nutzung von Medien nahezu unbegrenzt erweiterbar? Zwischen 1980 und 2010 hat sich der Medienkonsum der Deutschen fast verdoppelt - von sechs auf zehn Stunden im Schnitt pro Tag. Allein innerhalb von fünf Jahren nach der Jahrtausendwende wuchs das Mediennutzungsvolumen um mehr als anderthalb Stunden pro Tag. Seit 2005 geht es allerdings in den Fünf-Jahres-Schritten der ARD/ ZDF-Langzeitstudie Massenkommunikation um jeweils eine Viertelstunde zurück ( → vgl. zur Methode Kap. 3.1; S. 100 - 101). In dieser Einführung können nur ein paar Grunddaten der Mediennutzung als Überblick zusammengefasst werden: Zahlen, Trends und Zusammenhänge, die Journalistik-Studierende und Journalisten kennen sollten. Quellen sind nicht nur die Langzeitstudie, sondern auch andere Erhebungen von Daten zur Mediennutzung. Abbildung 3.2 zeigt, dass inzwischen die Menschen in Deutschland im Schnitt 9,5 Stunden pro Tag mit Medien verbringen. Diese Zahlen sind in der Summe zwar etwas unscharf - da 51 Minuten für die gleichzeitige Nutzung verschiedener Medien enthalten sind -, sie belegen alles in allem jedoch den Wandel zur Mediengesellschaft. Wenn man von sieben Stunden Nachtruhe ausgeht, beschäftigen sich die Menschen zur Hälfte der Tageszeit zumindest nebenbei mit Massenmedien. 3.2 | Medienkonsum nahezu verdoppelt Wandel zur Mediengesellschaft m e d I e n n u t z u n g I m w a n d e l 109 Folgende Trends lassen sich zusammenfassen: • Nach wie vor sind Fernsehen und Radio die beiden Leitmedien der Gesellschaft, auch wenn das Radio und inzwischen auch das lineare Fernsehen an Nutzungszeit verloren haben. Allerdings verliert die Kulturtechnik Lesen nicht an Bedeutung: zwischen 19 und 25 Minuten tägliche Buchlektüre markieren nach wie vor einen höheren Wert als in den 1980er und 1990er Jahren. • Alle Wellen der Langzeitstudie seit 1964 bestätigen die These, dass kein neues Medium ein altes ersetzt ( → vgl. Kap. 2.2.1; S. 79). Allerdings sind funktionale Anpassungsprozesse erkennbar - zum Beispiel zwischen Fernsehen und Radio: Während noch in den 60er und 70er-Jahren in den Abendstunden Radio gehört und Tageszeitung gelesen wurde, regiert inzwischen das Fernsehen den Abend. Radio wurde zum erfolgreichen Begleitmedium über den Tag verteilt bis in den späten Nachmittag. Heute stellt sich vor allem die Frage, ob das Internet die Nutzung der traditionellen Medien beeinflusst und vor allem künftig noch stärker beeinflussen wird. Die in der Studie Massenkommunikation so genannten Trendsetter nutzen das Internet 193 Minuten täglich (also fast doppelt so lange wie die Gesamtbevölkerung), was aber vor allem zu einer längeren Medienzeit führt (täglich 631 Minuten), und dem Fernsehen - im Vergleich zur Gesamtbevölkerung - nur 23 Minuten, dem Radio drei Minuten, der Tageszeitung allerdings zehn Minuten (und damit fast die Hälfte) wegnimmt (vgl. Krupp/ Breunig 2016: 228). Leitmedien TV und Radio Medienkonkurrenz 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 Fernsehen 125 121 135 158 185 220 220 208 Hörfunk 135 154 170 162 206 221 187 173 Tageszeitung 38 33 28 30 30 28 23 23 Zeitschriften 11 10 11 11 10 12 6 6 Bücher 22 17 18 15 18 25 22 19 CD / LP / MC / MP3 15 14 14 14 36 45 35 24 Video / DVD - 2 4 3 4 5 5 6 Internet - - - - 13 44 83 107 Gesamt 346 351 380 393 502 600 583 566 | Abb. 3.2 Trends der Mediennutzung Entwicklung der Mediennutzung in Deutschland (bis 1990 nur alte Bundesländer): täglicher Durchschnitt von 5.00 bis 24.00 Uhr in Minuten (brutto), Personen ab 14 Jahren. (Quelle: Krupp/ Breunig 2016: 19 - 24) 110 J o u r n a l I s m u s u n d s e I n P u b l I k u m • Das Internet als Verbreitungsplattform für tagesaktuelle Medieninhalte spielt zwar eine zunehmende Rolle, bleibt in Summe für die Gesamtbevölkerung aber noch gering - mit sechs Minuten Bewegtbild, fünf Minuten Audio und neun Minuten aktuellen Textnachrichten (vgl. Abb. 3.3). Junge Menschen im Alter von 14 bis 29 Jahren nutzen dafür deutlich weniger die klassischen Massenmedien, aber im Vergleich dazu auch noch recht wenig Bewegtbild und Audio im Internet. Auffällig ist dagegen, dass sie mit zwölf Minuten deutlich mehr Zeit für aktuelle Text- Nachrichten im Internet verwenden als für die klassische Tageszeitung mit neun Minuten. • Die durchschnittliche Lesezeit der Tageszeitung ist in den 80er-Jahren stark zurückgegangen, blieb 15 Jahre lang stabil, nahm dann wieder Durchschnittswerte und Streuung Durchschnittswerte als arithmetisches Mittel verdichten große Datenmassen zu einer kompakten Zahl und sind besonders für Vergleiche hilfreich - wie in den Trendanalysen in diesem Kapitel. Man muss damit aber auch vorsichtig umgehen, weil sie nichts über die Streuung um das Mittel herum aussagen. Ein alter Statistiker-Witz nimmt dieses Problem aufs Korn (nach Krämer 1991: 48): »Zwei Männer sitzen im Wirtshaus, der eine verdrückt eine Kalbshaxe, der andere trinkt zwei Maß Bier. Statistisch gesehen ist das für jeden eine Maß Bier und eine halbe Haxe, aber der eine hat sich überfressen und der andere ist besoffen.« In unserem Fall können wir mit dem Durchschnittswert des Fernseh- und Radiokonsums nichts aussagen über die Streuung von Wenig- und Vielsehern. Nicht jeder Deutsche sitzt dreieinhalb Stunden täglich vor dem Fernseher - es gibt viele, die gezielt wenige Sendungen einschalten, und viele, die das Gerät den ganzen Tag anhaben. Vor allem ältere und nicht berufstätige Menschen neigen zu exzessivem Fernsehkonsum. Gesamt 14 - 29 Jahre Fernsehen 208 144 Bewegtbild im Internet 6 14 Radio 173 137 Audio im Internet 5 12 Tageszeitung 23 9 Text / aktuelle Nachrichten im Internet 9 12 Abb. 3.3 | Mediennutzung nach Rezeptionsformen: täglicher Durchschnitt von 5.00 bis 24.00 Uhr in Minuten (Quelle: Krupp/ Breunig 2016: 47 - 49) Tageszeitung: Lesezeit im Schnitt stabil m e d I e n n u t z u n g I m w a n d e l 111 etwas ab und hat sich inzwischen bei 23 Minuten eingependelt. Der durchschnittliche Wert übertüncht jedoch ein generelles Problem der gedruckten Tageszeitung: Die Reichweite in der Gesamtbevölkerung und vor allem bei jungen Menschen nimmt kontinuierlich ab (vgl. Abb. 3.4), während die ältere zeitungsnahe Bevölkerung immer länger Zeitung liest und damit den Schnitt stabil hält. Die Zeitungsfans finden also mehr lesenswerten Stoff - allerdings werden weniger Menschen zum Fan gedruckter Zeitung. Dagegen nimmt die Reichweite digitaler Zeitungsangebote (Websites und Apps auf stationären und mobilen Endgeräten) kontinuierlich zu: 2016 lag sie nach Angaben des BDZV bei 51 Prozent der Bevölkerung ab 14 Jahren und hat damit die Reichweite der gedruckten Ausgaben mit 59 Prozent fast eingeholt - wobei in beiden Zahlen die Doppelnutzer Print-digital enthalten sind. • Seit dem Fernsehen hat es bislang kein neues Medium gegeben, das sich so rasant verbreitet hat wie das Internet. Jugendliche zwischen 14 und 19 Jahren nutzen schon seit 2010 zu 100 Prozent zumindest gelegentlich das Internet. Nach der ARD/ ZDF-Onlinestudie 2017 sind 89 Prozent der Deutschen ab 14 Jahren Internet-Nutzer (vgl. Abb. 3.4). Die durchschnittliche tägliche Nutzungsdauer beträgt in dieser Studie bereits 149 Minuten. Wir können also erwarten, dass sich die Zahlen im Medienmix in der nächsten Welle der Studie Massenkommunikation 2020 noch einmal kräftig verändern. Man darf dabei aber nicht vergessen, dass das Internet ein Hybridmedium ist, das viele Kommunikationsarten vereint (vgl. Abb. 3.5): von der individuellen E-Mail und Sozialen Netzwerken über Information und Unterhaltung bis zu Shopping und Transaktionen. | Abb. 3.4 Reichweiten von Tageszeitung und Internet: Die gedruckten Tageszeitungen verlieren vor allem bei jungen Menschen an Reichweite - gleichzeitig hat sich das Internet rasant verbreitet. Zahlen für die Reichweite digitaler Zeitungsangebote liegen erst seit 2010 vor. (Quellen: BDZV und ARD/ ZDF-Online- Studien) Hybridmedium Internet 112 J o u r n a l I s m u s u n d s e I n P u b l I k u m • 51 Minuten pro Tag werden zumindest zwei Medien gleichzeitig genutzt. Die Parallelnutzung nahm von 2000 bis 2010 zu und bleibt seitdem konstant - und was den Anteil an der Gesamtnutzungszeit betrifft, mit neun Prozent recht niedrig (vgl. Krupp/ Breunig 2016: 60 - 80). Dabei gibt es zwei Auffälligkeiten: Jugendliche und junge Erwachsene nutzen mit einem Anteil von elf Prozent etwas mehr parallel. Den größten Anteil hat sowohl in der Gesamtbevölkerung (16 Minuten) als auch bei jungen Menschen (22 Minuten) die gleichzeitige Nutzung von Fernsehen und Internet, was mit dem Begriff »Second Screen« umschrieben worden ist (bzw. mit »Social TV«, wenn soziale Netzwerke neben dem Fernsehen und mit Bezug zu TV-Inhalten genutzt werden). • Als Einflussfaktor der Mediennutzung gilt die Bindung der Menschen an die Medien. Sie wurde bis 2010 auf zwei Arten ermittelt (vgl. Abb. 3.6): die Vermissensfrage (»Wie stark würde man ein Medium vermissen, wenn es längere Zeit nicht zur Verfügung stünde? «) und die Inselfrage (»Für welches Medium würde man sich entscheiden, wenn man nur noch eines behalten könnte? «). Auf die Inselfrage wurde 2015 in der Studie Massenkommunikation verzichtet, weil sie keinen Sinn mehr macht: Das Internet würde hier als konvergentes Medium, das de facto jegliche Medien verbreiten kann, alles dominieren (es lag 2010 mit 33 Prozent schon an der Spitze). Aufschlussreicher ist die Vermissensfrage, die die Medien nicht gegeneinander ausspielt, sondern Mehrfachantworten erlaubt und damit die Wertschätzung eines Medium und die Bindung an ein Medium im Vergleich abfragt: Hier liegt der Hörfunk seit 15 Jahren vorne, das Fernsehen stagniert, die (gedruckte) Tageszeitung verliert kontinuierlich und das Internet nimmt inzwischen nicht mehr so stark Second Screen 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 Es würen sehr stark / stark vermissen … Fernsehen 47 42 51 54 44 44 45 Hörfunk 52 54 57 55 58 57 52 Tageszeitung 60 57 63 58 52 46 42 Internet - - - - 8 21 38 Es würden sich entscheiden für … Fernsehen 51 47 52 55 45 44 32 Hörfunk 29 31 26 27 32 26 21 Internet - - - - 6 16 33 Abb. 3.5 | Hybridmedium Internet: Information und Unterhaltung (schwarz), Kommunikation (grau) und Transaktion (weiß) sind die Themen der Online-Nutzung. (Quelle: AGOF daily digital facts, Dez. 2017) Bindung an die Medien m e d I e n n u t z u n g I m w a n d e l 113 zu wie noch vor fünf bis zehn Jahren. Bei den 14bis 29-Jährigen zeigt sich ein anderes Bild (vgl. Krupp/ Breunig 2016: 133): 65 Prozent würden das Internet sehr stark oder stark vermissen. • Aus welchen Gründen nutzen Menschen die Medien? Die Langzeitstudie Massenkommunikation unterscheidet neun Nutzungsmotive, die man zu zwei Clustern gruppieren kann (vgl. Abb. 3.7): Informationsmotive (sich informieren, mitreden können, Denkanstöße bekommen, sich im Alltag zurechtfinden) und Unterhaltungs-/ Eskapismusmotive (Spaß, Entspannung, Gewohnheit, Alltag vergessen, sich nicht allein fühlen). Man kann aus den Nutzungsmotiven die Stärken und Schwächen der Medien ablesen: Die Stärken des Fernsehens und des Hörfunks liegen in der Unterhaltung, wobei das Fernsehen zugleich eine relativ hohe Informationsfunktion für die Nutzer besitzt. Die Tageszeitung ist ein eindeutiges Informationsmedium - der Spaßfaktor ist gering. Auch wenn die Tageszeitung hier noch an zweiter Stelle nach dem Internet landet, ist der Rückgang der Informationsfunktion der Tageszeitung schon fast dramatisch: Die Zeitung war im Jahr 2000 noch für 44 Prozent das Informationsmedium Nummer eins - 2015 nur noch für 26 Prozent. Auch Denkanstöße bekommen nun weniger Menschen in erster Linie aus der Tageszeitung. Informationen, Denkanstöße und nützliche Alltagsorientierung kommen für immer mehr Menschen inzwischen aus dem Internet. Das Internet ist primär ein Informationsmedium - mit hohem Spaß-, aber geringem Entspannungsfaktor. Stärken und Schwächen der Medien 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 Es würden sehr stark / stark vermissen … Fernsehen 47 42 51 54 44 44 45 45 Hörfunk 52 54 57 55 58 57 52 50 Tageszeitung 60 57 63 58 52 46 42 36 Internet - - - - 8 21 38 40 Es würden sich entscheiden für … Fernsehen 51 47 52 55 45 44 32 - Hörfunk 29 31 26 27 32 26 21 - Tageszeitung 18 20 20 17 16 12 11 - Internet - - - - 6 16 33 - | Abb. 3.6 Bindung an die Medien: Vermissen und Entscheiden in einer simulierten Grenzsituation: Personen in Deutschland ab 14 Jahren in Prozent. (Quelle: Krupp/ Breunig 2016: 133) 114 J o u r n a l I s m u s u n d s e I n P u b l I k u m 9,5 Stunden pro Tag verbringt die deutsche Bevölkerung ab 14 Jahren im Schnitt mit Massenmedien. Fernsehen und Hörfunk stehen mit dreieinhalb bzw. knapp drei Stunden an der Spitze. Während die Tageszeitung an Reichweite verliert, hat sich das Internet rasant verbreitet und wird inzwischen von allen jungen Menschen genutzt. Befragt nach einer fiktiven Grenzsituation würden 50 Prozent das Radio, 45 Prozent das Fernsehen, 40 Prozent das Internet und 36 Prozent die Tageszeitung vermissen. Die Stärken des Fernsehens und des Hörfunks liegen in Unterhaltung und Entspannung. Informationsmedium Nummer eins ist inzwischen das Internet - vor der Tageszeitung. Die Parallelnutzung von Fernsehen und Internet hat zugenommen und wird mit dem Begriff »Second Screen« umschrieben. Zusammenfassung Fernsehen Hörfunk Tageszeitung Internet 2000 2015 2000 2015 2000 2015 2000 2015 damit ich mitreden kann 41 34 14 15 38 24 6 26 weil ich Denkanstöße bekomme 39 30 17 16 36 20 8 33 weil ich mich informieren möchte 35 25 14 14 44 26 8 34 weil ich dabei entspannen kann 54 53 38 30 7 5 1 10 weil es Spaß macht 55 44 30 22 7 6 8 27 weil ich mich dann nicht allein fühle 52 40 36 27 6 6 3 18 weil ich damit den Alltag vergessen/ mich ablenken möchte 59 52 29 23 6 4 2 19 weil es aus Gewohnheit dazugehört 45 40 31 29 22 16 1 15 weil es mir hilft, mich im Alltag zurechtzufinden/ ich Dinge erfahre, die für meinen Alltag nützlich sind 35 26 19 16 38 22 6 35 Abb. 3.7 | Nutzungsmotive: »Auf welches Medium trifft das Statement am meisten zu? « Angaben in Prozent; Basis: Personen ab 14 Jahren; Befragte, die mindestens zwei Medien mehrmals im Monat nutzen; jeweils gewichtet. (Quelle: Krupp/ Breunig 2016: 144) w I r k u n g d e s J o u r n a l I s m u s 115 Literatur Die ARD/ ZDF-Studie Massenkommunikation ist eine weltweit einmalige Langzeitstudie, die Veränderungen und Konstanten der Mediennutzung und -bewertung über Jahrzehnte nachzeichnet. Die Ergebnisse von 1964 bis 2015 sind im Buch von Manfred Krupp und Christian Breunig ausführlich dargestellt. Zusammenfassungen zu zentralen Aspekten und tiefere Auswertungen finden sich in der Zeitschrift MEDIA PERSPEKTIVEN (kostenlos unter www.media-perspektiven.de). Wirkung des Journalismus Als das amerikanische Magazin n EwswEEk im Mai 2005 berichtet, dass Wachmannschaften des US-Gefangenenlagers Guantánamo auf Kuba Ausgaben des Koran in die Toiletten geworfen und sogar eine Ausgabe hinuntergespült hätten, um muslimische Gefangene einzuschüchtern, geht eine Welle der Entrüstung durch die islamische Welt. In vielen Ländern kommt es zu Ausschreitungen, in Afghanistan werden dabei 16 Menschen getötet. Als im August 1997 zwei Menschen bei einem Autounfall in Paris sterben, steigern sich Milliarden Menschen weltweit in eine kollektive Trauerbegeisterung hinein. Eine der Toten ist eine Medienikone: Prinzessin Diana. Am 11. September 2001 haben Milliarden Menschen weltweit ein Hauptthema beim Abendessen: Sie sprechen über die Fernsehbilder des Tages, die dutzendfach gezeigt haben, wie zwei Passagierflugzeuge in die Türme des New Yorker World Trade Center rasen, sie zum Einsturz bringen und dabei 3000 Menschen töten. Drei Medienereignisse - drei Wirkungen des Journalismus über Ländergrenzen und traditionelle Kommunikationsräume hinweg. Die Berichterstattung über diese Extremereignisse schockiert, löst Betroffenheit aus, die sich in Gesprächen in den und außerhalb der Medien fortsetzt. In den seltensten Fällen sind Medienwirkungen allerdings so stark und eindeutig. Und: In der Regel verpuffen derart heftige Effekte rasch. Medien- | 3. 3 Schock und Betroffenheit 1 Fassen Sie zentrale Haupttrends der Mediennutzung in den vergangenen 30 Jahren zusammen. 2 Nennen Sie die wichtigsten Gründe für die Online-Nutzung. 3 Wo liegen die Stärken und Schwächen der Medien im Hinblick auf die Nutzungsmotive? Übungsfragen zu Kapitel 3.2 116 J o u r n a l I s m u s u n d s e I n P u b l I k u m wirkung ist häufig alles andere als spektakulär, sondern so alltäglich wie die tägliche Nachrichtensendung, die Tageszeitung am Morgen oder der Spielfilm am Abend. Dass Journalismus und Medien im Allgemeinen Wirkungen auf Gesellschaft und Individuen haben, ist heute unumstritten. Die Frage ist indes, welche Wirkungen genau und in welchem Ausmaß. Komplexe Zusammenhänge Die alltäglichen Wirkungen des Journalismus sind schwer zu analysieren und theoretisch zu fassen - vor allem aus den folgenden drei Gründen: • Die Wirkung ist keine einzeln messbare Größe, sondern ein komplexes theoretisches Konstrukt. Es gibt zahlreiche Einflussfaktoren, die auch in Experimenten und anderen Studien nicht komplett kontrolliert werden können. Der Einfluss der Medien ist situationsabhängig. Die Standardfrage zum Beispiel, ob, wie viel und welcher Fernsehkonsum oder Smartphone-Konsum Kindern schadet, hängt auch vom sozialen Umfeld ab, in dem die Kinder aufwachsen. • Wie in Kapitel 2.1 schon kurz angedeutet, haben alle Ebenen des Journalismus - also alle Schalen der Zwiebel - Effekte auf Individuum und Gesellschaft. Die weitreichenden Fragen, die sich daraus ergeben, können auch durch umfangreiche Forschung nur ansatzweise beantwortet werden. Zum Beispiel: Wie wirkt sich die bloße Existenz von Massenmedien aus - beispielsweise die Existenz des Internets? Wie wirkt sich die Explosion von Medienangeboten und Nutzungszeiten aus? Wie wirken sich die Organisationsform und die ökonomische Ausrichtung von Medien aus - beispielsweise die zunehmende Kommerzialisierung des Journalismus und die Konzentration der Medienunternehmen? Wie wirken sich Ausbildung, Einstellungen und soziales Umfeld der Journalisten aus - beispielsweise die zunehmende Akademisierung dieses Berufs (können Journalisten z. B. Lebenswelten und Probleme anderer sozialer Schichten überhaupt adäquat erfassen)? Und schließlich: Wie wirken sich die in den Medien verbreiteten Inhalte aus? - Diese letzte Frage steht im Mittelpunkt der Wirkungsforschung in der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, weil man davon ausgeht, dass alle anderen Fragen sich letztlich in den Inhalten niederschlagen, und weil sich ein Kausalzusammenhang zwischen bestimmten Inhalten und Effekten noch am ehesten empirisch nachweisen lässt. • In der Frage nach der Wirkung ist kaum zu unterscheiden zwischen Journalismus und anderen Medieninhalten - zum Beispiel zwischen Fakten und Fiktionen. Zuschauer beziehen Informationen über die Wirklichkeit auch aus rein unterhaltenden, erfundenen Formaten. Frühes Beispiel ist eine angebliche Massenpanik, die das Hörspiel von Orson theoretisches Konstrukt weitreichende Fragen Wirkungen von Fiktionen w I r k u n g d e s J o u r n a l I s m u s 117 Welles »War of the Worlds« am 30. Oktober 1938 in New York und New Jersey ausgelöst haben soll: Als Halloween-Scherz berichtete eine erfundene Radio-»Reportage« von der Landung der Marsmenschen und nutzte zur Erzeugung von Glaubwürdigkeit Stilelemente des Journalismus - Reporter, O-Töne von Augenzeugen, Atmo (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Spielberg-Film, der 2005 in die Kinos kam). Ein neueres Beispiel: Im März 2006 steckten sich in der ARD-Krankenhausserie »In aller Freundschaft« zuerst ein Papagei und dann der kleine Chefarztenkel Jonas mit Vogelgrippe an. Trotz der Proteste von Bundesärztekammer und Tierschutzbund wurde mit diesem hanebüchenen Szenario die Vogelgrippe-Hysterie in Deutschland geschürt. Nach der Sendung hatte ein Virologe der Universität Leipzig im Chat alle Mühe, die geweckten Ängste wieder zu zerstreuen. Ähnliche Erfahrungen liegen bei anderen fiktionalen Verarbeitungen von Risikothemen vor - zum Beispiel beim Seuchen-Thriller »Outbreak«. Dieses Problem betrifft aber nicht nur Radio und Fernsehen: Die katholische Kirche ist regelmäßig um ihr Image besorgt, wenn Romanautoren historische Fakten und Fiktionen vermischen - wie zum Beispiel Dan Brown mit »The Da Vinci Code«. Schon die alten Römer wussten: »semper aliquid haeret« - »etwas bleibt immer hängen«. Die Medienwirkungsforschung versucht, der Komplexität der Wirklichkeit gerecht zu werden, und sie hat im Laufe der vergangenen Jahrzehnte erhebliche methodische und theoretische Fortschritte gemacht. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ging das vorherrschende Stimulus-Response-Modell von einer starken, eindeutigen Medienwirkung aus. Weil sich das nur bei einigen auffälligen Ereignissen, nicht jedoch in der Breite empirisch nachweisen ließ, traute man den Medien in den 50er und 60er-Jahren eher keine oder nur geringe Effekte zu. Seit den 70er-Jahren geht die Forschung von selektiven Wirkungen aus. Die empirisch geprüften Theorien haben nurmehr geringe Reichweiten und konzentrieren sich auf die Frage, unter welchen Bedingungen seitens des Publikums, der Medien und externer Umstände es zu bestimmten Effekten kommen kann. Die vielen Einzelstudien und theoretischen Ansätze haben sich derart differenziert, dass sie nahezu unüberschaubar sind. Bei allen Unterschieden in der theoretischen Zugangsweise gibt es hauptsächlich zwei Methoden der Wirkungsforschung (vgl. Brosius 2003: 128; Bonfadelli/ Friemel 2017: 40 - 43): • In Laborexperimenten, die an Versuchsanordnungen in der psychologischen und der medizinischen Forschung angelehnt sind, werden konkrete Kausalitäten nachgewiesen. Man teilt dann zum Beispiel die Probanden in zwei oder mehrere Gruppen und variiert die Medieninhalte, welche die Probanden unter Beobachtung rezipieren. Danach kann man methodische und theoretische Fortschritte im Labor … 118 J o u r n a l I s m u s u n d s e I n P u b l I k u m beispielsweise beobachten oder fragen, ob die Gewaltbereitschaft oder auch das Wissen zugenommen hat. Problem der Laborexperimente ist, dass die künstlich hergestellte Situation nicht zwingend auf den Alltag übertragen werden kann. Unser Forschungsbeispiel zur Wirkung des Konstruktiven Journalismus gehört in diese Kategorie ( → vgl. Kap. 1.3.1; S. 42 - 43); es zeigt, dass Experimente nicht unbedingt im Labor durchgeführt werden, sondern auch in anderen Befragungssituationen. »Labor« meint, dass die Daten nicht im natürlichen, sozialen Umfeld der Nutzer erhoben werden, sondern in standardisierten Situationen. • Feldstudien untersuchen dagegen den tatsächlichen Medienalltag. In Längsschnittanalysen werden Inhaltsanalysen der journalistischen Berichterstattung mit repräsentativen Befragungen des Publikums über einen längeren Zeitraum hinweg kombiniert. Man stellt dann zum Beispiel fest, ob journalistische Themenauswahl, -darstellung und -bewertung die Einstellung der Bevölkerung verändern. Zentrales Beispiel ist die Untersuchung des Politikjournalismus, speziell der Wahlkampfkommunikation: Wie beeinflusst die Berichterstattung über Kandidaten, Parteien und politische Sachthemen die Wahlabsichten der Wähler oder sogar die Wahlentscheidung? Das Problem der Feldstudien liegt darin, dass Einflussfaktoren, deren Ursache nicht in der Berichterstattung liegen, kaum ausgeschlossen werden können. Theorien der Medienwirkung Im Folgenden werden exemplarisch einige Theorien der Medienwirkung skizziert, die sich vor allem auf die aktuelle journalistische Berichterstattung beziehen - und weniger auf Unterhaltung und Werbung (vgl. u. a. Bonfadelli/ Friemel 2017; Brosius 2003; Jäckel 2012; Noelle-Neumann/ Kepplinger 2003; Schweiger/ Fahr 2013): … oder im Feld Medienwirkungsforschung Unter Wirkungen der Massenmedien werden alle Veränderungen verstanden, die ganz, partiell oder in Wechselwirkung mit anderen Faktoren auf Medien bzw. deren Inhalte zurückgeführt werden können. Damit sind sowohl Phänomene auf der Mikro-Ebene (einzelne Rezipienten) als auch auf der Makro-Ebene (Gesellschaft oder Teile davon) gemeint. Die Wirkungsforschung untersucht langfristige und kurzfristige, direkte und vermittelte Wirkungen ebenso wie Wirkungen in Form von Veränderungen oder Stabilisierungen (vgl. Brosius 2003: 128). Definition w I r k u n g d e s J o u r n a l I s m u s 119 • Wichtiger Ansatz der neueren Wirkungsforschung ist das Agenda Setting (vgl. Maurer 2010). Demnach bestimmen Medien nicht so sehr, was die Menschen meinen, sondern zu welchen Themen sie sich Gedanken machen. Mitbegründer und wichtigster Vertreter ist Maxwell McCombs von der University of Texas in Austin. Die Theorie geht davon aus, dass die Themenagenda der Medien vom Publikum übernommen wird. Thematisiert der Journalismus zum Beispiel über Monate hinweg Arbeitslosigkeit und wirtschaftliche Lage - dann denken die Menschen, dass dies die drängendsten Probleme der Gesellschaft sind. Dominieren dagegen Umweltprobleme, Klimawandel, neue Krankheiten oder Bedrohung durch Terroristen das Themenranking der Medien, werden diese Problemfelder auch von der Bevölkerung als zentral erachtet. Weiterentwicklungen dieses Ansatzes gehen inzwischen davon aus, dass über die Themenauswahl der Medien auch Meinungen beeinflusst werden können - und zwar nicht direkt über Leitartikel oder Kommentare, sondern eher indirekt: Mit Priming ist in diesem Zusammenhang gemeint, dass die mediale Betonung eines bestimmten Themas, für die einem Politiker eine hohe Kompetenz zugeschrieben wird, dazu führt, dass dieser Politiker generell in der Bevölkerung positiver beurteilt wird. Berichten die Medien im Vorfeld von Wahlen zum Beispiel verstärkt über Wirtschaftsfragen, wird das eher Parteien nutzen, denen die Menschen eine höhere Kompetenz in der Lösung von Wirtschaftsproblemen zutrauen (also eher FDP und CDU). Treten dagegen in Wahlkampf-Zeiten Umweltprobleme zutage, wird eher eine Umweltpartei wie die Grünen einen positiven Schwung beim Wahlverhalten erhalten. Die PR-Strategen in den Parteizentralen nutzen die These der Priming-Effekte und versuchen die Themenagenda der journalistischen Berichterstattung zu beeinflussen. So hat zum Beispiel die starke öffentliche Betonung des Themas Flucht und Migration im Vorfeld der Bundestagswahl 2017 in Deutschland mit dazu geführt, dass mit der AfD erstmals eine rechtspopulistische Partei in den Bundestag einziehen konnte. • Die Theorie der Schweigespirale wurde von der inzwischen verstorbenen Elisabeth Noelle-Neumann (Universität Mainz) in den 70er-Jahren entwickelt und kritisiert eine angeblich große Macht des Fernsehens bei der Bildung der öffentlichen Meinung (vgl. Roessing 2011). Grundannahme ist, dass Menschen bei kontroversen Themen mit ihrer Meinung nicht zur Minderheit gehören wollen und sich vor sozialer Isolation fürchten. Sie beobachten deshalb ihre Umwelt und die Medienberichterstattung, um festzustellen, welche Meinung zurzeit verbreitet ist und was man deshalb öffentlich äußern darf, um sich nicht zu isolieren. Dann setzt die Spirale ein: Menschen, die glauben, zur Minderheit zu gehören, schweigen; die in den Medien verbreitete Meinung wächst an und etabliert sich Agenda Setting Schweigespirale 120 J o u r n a l I s m u s u n d s e I n P u b l I k u m zur tatsächlichen öffentlichen Meinung. Problematisch ist das weniger, wenn die Medienmeinung von vornherein der Mehrheitsmeinung (also der Realität) entspricht. Noelle-Neumann geht aber davon aus, dass die Berichterstattung verzerrt ist und eine faktische Minderheitenmeinung präsentiert, die sich dann aufgrund der Schweigespirale in der Öffentlichkeit durchsetzt ( → vgl. zum Verhältnis zwischen Medien und Realität Kap. 5.1; S. 182 - 189). Auf Grundlage dieser Theorie haben Noelle-Neumann und ihre Schüler immer wieder den Journalisten vorgeworfen, durch eine gewisse Linkslastigkeit Wahlen zu beeinflussen. Konkret wird zum Beispiel behauptet, das Fernsehen sei 1976 beim Sieg von SPD/ FDP wahlentscheidend gewesen. Die Theorie der Schweigespirale ist bis heute umstritten, wird aber weiterhin empirisch untersucht. Eine ähnliche Wirkung auf die öffentliche Meinung hat der Bandwagon-Effekt: Während die Schweigespirale aus Isolationsfurcht in Gang gesetzt wird, winkt hier allerdings die Belohnung, wenn man sich bewusst auf die Seite der Mehrheit stellt. Die These besagt, die Menschen würden dem »Wagen mit der Musikkapelle« hinterherlaufen, weil sie auf der Seite der Sieger stehen wollen - auch als »Mitläufereffekt« bekannt oder neuerdings als: »Erfolg macht sexy«. • Die These der wachsenden Wissenskluft (»Knowledge Gap«) wurde erstmals 1970 von einer Forschergruppe der Minnesota University (Tichenor/ Donohue/ Olien) formuliert (vgl. Zillien/ Haufs-Brusberg 2014): Menschen mit höherer Bildung und höherem sozioökonomischen Status verfolgen die aktuelle Berichterstattung intensiver, eignen sich Informationen rascher an und behalten diese meist besser, weil sie über ein größeres Vorwissen verfügen, das die Speicherung von und Erinnerung an Informationen erleichtert. Diese These ist gesellschaftlich brisant, weil sie den Aufklärungsanspruch der Medien in Frage stellt: Medien verschärfen demnach eher die Kluft zwischen sozialen Schichten und können mangelnde (Schul-)Bildung nicht ausgleichen. Diese zunächst etwas holzschnittartige These wurde durch zahlreiche empirische Studien verfeinert. Inzwischen geht man davon aus, dass zur Entstehung von Wissensklüften nicht nur kognitive Faktoren (Bildung, Vorwissen), sondern auch die jeweiligen Motivationen der Mediennutzer beitragen: ob die Menschen von einem Thema besonders betroffen sind oder sich generell dafür interessieren. Und das ist nicht zwangsläufig eine Bildungselite. Unter dem Begriff Digital Divide wird zudem diskutiert, ob die Wissensklüfte in der Bevölkerung durch neue Medien wachsen: Neue Medien - wie das Internet - sind zumindest in der Anfangsphase Medien der Mittel- und Oberschicht; weltweit haben vor allem Menschen aus Industrienationen Zugangsmöglichkeiten zu neuen Medien. Allerdings ist noch nicht hinreichend untersucht, ob der Zugang zum Wissenskluft w I r k u n g d e s J o u r n a l I s m u s 121 Internet auch tatsächlich einen Wissenszuwachs beim Nutzer zur Folge hat. Das ist mit Sicherheit auch situations- und interessenabhängig. • Reaktorunfälle, Naturkatastrophen, Chemieunfälle, Flugzeugabstürze, Rinderwahnsinn, Vogelgrippe, Gammelfleisch - dies sind Beispiele für die Thematisierung von gesellschaftlichen Risiken in den Massenmedien. Ging es früher hauptsächlich um Gefahren, die von Großtechnologien ausgehen, zählen heute auch Gesundheits- und Ernährungsgefahren zum Feld der so genannten Risikokommunikation. Die Wirkungsforschung geht davon aus, dass die Berichterstattung Einfluss auf die Wahrnehmung und Einschätzung von Risiken in der Bevölkerung hat. Als Indiz gilt die unterschiedliche Risiko-Einschätzung durch Experten und Laien: Laien stufen Risiken individueller Entscheidungen als eher gering ein, die Risiken gesellschaftlicher Entscheidungen, über die permanent berichtet wird, dagegen als hoch. So werden in Umfragen Risiken durch beispielsweise Umweltverschmutzung, Kernenergie oder genveränderte Lebensmittel meist höher eingeschätzt als Risiken durch Rauchen, wenig Bewegung, Alkohol oder fettes und süßes Essen. Letztere Punkte sind zwar tatsächlich wesentlich häufigere Todesursachen, aber die Medien berichten nicht so häufig und drastisch darüber: Über seltene Ereignisse wird häufig berichtet, über häufige selten ( → vgl. zu den Selektionskriterien des Journalismus Kap. 5.3; S. 204 - 211). Bei der Risikoeinschätzung gibt es indes viele Einflussfaktoren, weshalb eindeutige Schlussfolgerungen - wie die These, die Medien seien schuld an einer angeblichen Technikfeindlichkeit - hoch umstritten sind. Weiteres Beispiel ist die Berichterstattung über BSE, Vogelgrippe und Co.: Noch im November 2005 fühlten sich fünf Prozent der Deutschen durch Vogelgrippe persönlich gefährdet - drei Monate später waren es schon 20 Prozent. In der Hochphase der BSE-Berichterstattung Anfang 2001 fühlten sich 54 Prozent durch BSE persönlich gefährdet (Quelle: Allensbacher Archiv, IfD-Umfragen 7001, 7081 und 7087) - heute redet niemand mehr von Vogelgrippe und BSE. Journalismus in pluralistischen Demokratien beschreitet nicht nur bei Risikothemen, sondern auch bei vielen politischen Themen eine Gratwanderung zwischen einerseits der Aufdeckung von Missständen und gesellschaftlichem Frühwarnsystem und andererseits einer Hysterisierung und übertriebenen Skandalisierung. • Wie wirken sich soziale Netzwerke auf die öffentliche Meinung, auf die Wahrnehmung von Politik und auf demokratische Entscheidungen aus? Vor allem nach der Wirkung von Facebook wird hier immer wieder gefragt, weil dieses Netzwerk private und öffentliche Diskussionen bündelt und sichtbar macht - und es in Deutschland von einem Drittel der Gesamtbevölkerung mindestens wöchentlich genutzt wird, von 14bis 29-Jähigen zu 59 Prozent (ARD/ ZDF-Onlinestudie 2017). Kritiker Risikokommunikation Wirkung von Facebook? 122 J o u r n a l I s m u s u n d s e I n P u b l I k u m 122 verweisen darauf, dass über Facebook auch Fake News, Halbwahrheiten und Konspirationstheorien verbreitet werden und es deshalb eine Bedrohung der Demokratie ist (vgl. Ruß-Mohl 2017). Zwei Begriffe, die aus populärwissenschaftlichen Kontexten stammen, sind hier theoriebildend geworden: Die »Filterblase« (»Filter Bubble«) beschreibt die Beobachtung, dass wir in sozialen Netzwerken, aber auch durch Personalisierung von Suchmaschinen und Nachrichtenseiten verstärkt das zu sehen bekommen, was zu unserem Profil, also unseren Interessen, Einstellungen und Meinungen passt (vgl. Pariser 2012). Die »Echokammer« zeigt auf, dass wir in sozialen Netzwerken genau die Themen und Meinung zurückbekommen, die wir hineinrufen, also selbst teilen, liken oder kommentieren. Diese Beobachtungen passen zur alten, schon in den 1950er Jahren vom Sozialpsychologen Leon Festinger entwickelten Theorie der kognitiven Dissonanz: Wir versuchen, innere Spannungen zu vermeiden, und nehmen deshalb lieber Informationen auf, die zu unserer Einstellung passen - so lesen seit Jahrzehnten Menschen mit links-liberaler Einstellung die TAZ oder die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, Menschen mit konservativer Einstellung die F.A.Z. oder die WELT. Dies würde sich - gemäß den Befürchtungen - durch soziale Netzwerke allerdings radikalisieren, vor allem bei Menschen, die sich überwiegend oder ausschließlich über soziale Netzwerke informieren, weil sie die klassischen Massenmedien bewusst meiden. Neue empirische Studien liefern indes nicht so eindeutige Ergebnisse: Filterblasen und Echokammern lassen sich allenfalls für die radikalen Ränder der Gesellschaft finden. Für die breite Mitte werden in ihren vernetzten Freundeskreisen meist auch andere Interessen, Meinungen und Einstellungen in die Timelines gespült. Wirkung und Verantwortung Die Tatsache, dass Wirkungen des Journalismus nicht immer und grundsätzlich eindeutig empirisch belegt werden können, kann keine Ausrede für verantwortungslosen Journalismus sein. Ethische Kriterien des Journalismus ( → vgl. Kap. 7.2; S. 250 - 261) gründen in der Regel auf vermuteten und bewiesenen Wirkungen des Journalismus. Schlechte Recherche oder überzogener Skandaljournalismus zum Beispiel kann das Leben von betroffenen Menschen zerstören, sensationeller Ratgeber-Journalismus kann nicht erfüllbare Hoffnungen wecken oder Hysterie schüren. So ist es zum Beispiel traurige Regel, dass nach »Krebs-Wundermittel«-Meldungen die Beratungstelefone im Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg nicht still stehen. w I r k u n g d e s J o u r n a l I s m u s 123 123 Auch an der Imagebildung sind Medien beteiligt: Bevölkerungsgruppen zum Beispiel werden in einer bestimmten Art und Weise durch Journalismus dargestellt - was ihr Prestige fördert oder senkt. Dies betrifft auch und vor allem den Journalismus selbst, denn Journalisten kennt man kaum persönlich, sondern aus den Medien (vgl. Abb. 3.8): In der Berufsprestige-Skala des Instituts für Demoskopie Allensbach liegt die Wertschätzung von Journalisten immer recht niedrig im Vergleich mit anderen Berufen: Nur zwischen zehn und 17 Prozent der Deutschen hatten in den vergangenen Jahren hohe Achtung vor dem Beruf des Journalisten (vgl. Allensbacher Archiv, IfD- Umfragen 7007, 7071, 10067 und 11007). Vertrauen in Journalismus und Medien Vertrauen und Glaubwürdigkeit sind wesentliche Grundlagen des Journalismus ( → vgl. Kap. 1.1.1; S. 13 - 15). Seit 2015 haben das Erstarken von Populisten, Angriffe auf Journalisten und »Lügenpresse«-Rufe bei Demonstrationen Debatten ausgelöst, ob das Verhältnis zwischen Journalismus und Publikum und das Vertrauen in Journalismus womöglich grundsätzlich und zunehmend gestört sind. Repräsentative Bevölkerungsbefragungen zeigen allerdings, dass sich Vertrauen und Glaubwürdigkeit über Jahrzehnte hinweg bis heute im Durchschnitt kaum verändert haben (Schultz et al. 2017). Nach wie vor sind der öffentlich-rechtliche Rundfunk und die klassischen Tageszeitungen für 69 bzw. 66 Prozent der Bevölkerung sehr oder eher glaubwürdig, Internet, privat-kommerzielles Fernsehen und Boulevardzeitungen dagegen nur für 42, 21 bzw. zehn Prozent. Allerdings sind die Einstellungen stark polarisiert: Eine kleine, aber öffentlich aggressive Minderheit, die auch anfällig für Verschwörungstheorien und Propaganda ist, ist von erheblichem Misstrauen geprägt - nicht nur dem Journalismus, sondern letztlich allen Institutionen der Gesellschaft gegenüber. In einem anderen Teil der Bevölkerung lässt sich dagegen eine Zunahme des Vertrauens feststellen, was als Bewusstsein dafür interpretiert werden kann, dass der Journalismus gerade in Zeiten von »Fake News«, »alternativen Fakten«, Missinformation und anderer politischer Propaganda als unabhängige Instanz zur Orientierung in der Gesellschaft dringend benötigt wird (vgl. Otto/ Köhler 2018). 124 J o u r n a l I s m u s u n d s e I n P u b l I k u m Arzt 76 Krankenschwester 63 Polizist 49 Lehrer 41 Handwerker 38 Pfarrer, Geistlicher 29 Hochschulprofessor 26 Ingenieur 26 Rechtsanwalt 24 Apotheker 22 Unternehmer 21 Journalist 13 Spitzensportler 12 Offizier 9 Buchhändler 7 Politiker 6 Banker, Bankangestellter 3 Fernsehmoderator 3 Abb. 3.8 | Berufsprestige-Skala: Frage: »Hier sind einige Berufe aufgeschrieben. Könnten Sie bitte die fünf davon heraussuchen, die Sie am meisten schätzen, vor denen Sie am meisten Achtung haben? « (Bevölkerung ab 16 Jahren in Prozent). (Quelle: Allensbacher Archiv, IfD-Umfrage 11007, August 2013) Starke Medienwirkungen können nur bei Extremereignissen beobachtet werden. Die alltägliche Wirkung des Journalismus ist komplex, hängt von vielen Faktoren ab und lässt sich nicht ohne weiteres von der Wirkung fiktionaler Unterhaltungsformate oder von Werbewirkung trennen. Neuere empirisch geprüfte Theorien konzentrieren sich auf die Frage, unter welchen Bedingungen es zu bestimmten Effekten kommen kann. Man weiß inzwischen zum Beispiel, dass die Medien die Themen bestimmen, über die sich die Menschen unterhalten und zu denen sie sich Gedanken machen (Agenda Setting), oder dass die Medien die Risiko-Einschätzung beeinflussen und Wissensklüfte in der Gesellschaft verstärken. Der Prozess der Meinungsbildung ist allerdings schwieriger zu fassen: Er kann beispielsweise als Priming, als Schweigespirale oder als Bandwagon-Effekt theoretisch beschrieben werden. Für die Wirkungstheorien von sozialen Netzwerken auf die öffentliche Meinung spielen »Filter Bubbles« und »Echokammern« eine Rolle; allerdings sind empirische Studien dazu noch uneindeutig. Zusammenfassung w I r k u n g d e s J o u r n a l I s m u s 125 Literatur Es gibt mehrere Lehrbücher zur Wirkungsforschung. Als Einführung und zum Überblick sind die Bücher von Michael Jäckel und Heinz Bonfadelli/ Thomas N. Friemel empfehlenswert. Einen übersichtlichen Einstieg in die komplexen Zusammenhänge der Wirkungsforschung gibt Hans-Bernd Brosius im Aufsatz »Medienwirkung«. Das Handbuch zur Medienwirkungsforschung, das Wolfgang Schweiger und Andreas Fahr herausgegeben haben, bietet einen umfassenden Blick auf die Forschung. Zahlreiche Forschungen zur politischen Wirkung des Journalismus hat der Mainzer Forscher Hans Mathias Kepplinger durchgeführt. Wenn man sich auf seine These einlässt, dass Journalismus die Wirklichkeit oft verzerrt wiedergibt, sind seine Bücher und Aufsätze über die Skandalisierung und Demontage der Politik durch den Journalismus erhellend und lesenswert (z. B. »Die Mechanismen der Skandalisierung«). 1 Warum sind die Wirkungen des Journalismus schwer zu analysieren? 2 Beschreiben Sie die zwei zentralen Methoden der empirischen Wirkungsforschung. 3 Welche Theorien sind mit Agenda Setting, Schweigespirale und Wissenskluft gemeint? 4 Wie hat sich das Vertrauen in Journalismus in jüngster Zeit verändert? Übungsfragen zu Kapitel 3.3 J o u r n a l I s m u s u n d s e I n P u b l I k u m m e d I e n u n d m a s s e n k o m m u n I k a t I o n 127 127 Medienorganisationen Medien und Massenkommunikation Der Begriff »Medien« leitet sich aus dem Lateinischen (medium = Mittel) ab und wird im Alltag als Sammelbegriff für die verschiedenen aktuellen Massenmedien verwendet. Die Kommunikations- und Medienwissenschaft tut sich allerdings mit einer eindeutigen Definition schwer, weil Medien sehr vielschichtig sind und sie sich aufgrund technischer Entwicklungen und sozialen Gebrauchs immer wieder wandeln. Die Journalistik unterscheidet grundsätzlich zwischen einem technischen und einem institutionellen Medienbegriff (vgl. z. B. Pürer 2014: 206 - 210; Neuberger 2003: 18 - 29; Burkart 2002; Kiefer 2010): • Technisch kann man Medien (Beispiele im Folgenden in Klammern) als Printmedien (Zeitung, Zeitschrift, Buch) oder Funkmedien (Hörfunk, Fernsehen) definieren oder die so genannten neuen Medien als multimediale Medien (Internet, CD-ROM). Auch der Begriff audiovisuelle Medien hat sich eingebürgert (für Radio, Fernsehen, Film, DVD). Man kann auch unterscheiden zwischen Speichermedien (Zeitung, Zeitschrift, Buch, DVD, Internet) und flüchtigen Medien (Radio, Fernsehen) oder zwischen linearen (Radio, Fernsehen) und nichtlinearen Medien (Internet, aber auch Zeitung, Zeitschrift, Buch). Technisch gesehen sind Medien Produktions- und Übertragungssysteme, die den Menschen helfen, die Grenzen der | 4 Inhalt 4.1 Medien und Massenkommunikation 4.2 Organisationsformen und Ökonomie der Massenmedien 4.3 Medienlandschaft Deutschland: Basisdaten 4.4 Exkurs: Österreich und Schweiz 4.5 Redaktionsorganisation | 4.1 technischer Medienbegriff 128 m e d I e n o r g a n I s a t I o n e n direkten Kommunikation zu überwinden: Ein Sender erreicht die Massen als Empfänger über Zeit und/ oder Raum hinweg. • Ein allein technisches Medienverständnis berücksichtigt indes nicht, dass Medien ohne Menschen und gesellschaftliche Rahmenbedingungen nicht möglich sind: Das technische Potenzial eines Mediums wird erst im sozialen Gebrauch genutzt. Die Kommunikationswissenschaft definiert deshalb Medien als Doppelnatur von technischen und institutionellen Systemen: Mit den institutionellen Systemen sind die Medienorganisationen gemeint, die Medieninhalte produzieren und vertreiben - und damit bestimmte gesellschaftliche Funktionen erfüllen (z. B. im Journalismus Information, Meinungsbildung, Kritik und Kontrolle). Sie unterliegen gesellschaftlichen, rechtlichen und wirtschaftlichen Regeln ( → vgl. zum Mediensystem Kap. 2.3; S. 83 - 96). Gedrucktes Papier wird zum Beispiel erst dadurch zum institutionellen Medium Zeitung, dass es regelmäßig und regelhaft produziert und gelesen wird und dass die Medienorganisationen, die dahinterstecken, ökonomische und redaktionelle Strategien verfolgen, damit Massenpublika erreichen und gewissen rechtlichen Regelungen und ethischen Vorstellungen - also einer redaktionellen Verantwortung - unterworfen sind. Traditionell sind Medieninhalte an eine bestimmte Übermittlungsform gebunden: Ein Zeitungsbeitrag wird in einer bestimmten Ausgabe gedruckt, ein Fernsehbeitrag in einer Sendung gesendet (und das war’s dann). Diese Bindung zwischen Inhalt und technischem Medium löst sich in der digitalen Medienwirtschaft zunehmend auf: Beiträge liegen digitalisiert vor, können mehrfach umgebaut und verwertet werden. Weil Medienorganisationen inzwischen häufig mehrere technische Medien zur Verbreitung der Inhalte einsetzen - und nicht mehr nur eine Zeitung drucken oder ein Fernsehprogramm senden - wird der technische Medienbegriff immer problematischer. Ist eine Zeitung zum Beispiel nur eine Zeitung, wenn sie gedruckt vorliegt (als newspaper), oder auch, wenn ihre Inhalte (die news) als Website, als pdf zum selbst Ausdrucken, als e-paper oder App auf mobilen Endgeräten verbreitet werden? Für eine institutionelle Vorstellung von Zeitung ist der technische Ausspielweg zweitrangig: Auch eine App oder eine Website können »Zeitung« sein ( → vgl. zum Zeitungsbegriff Kap. 2.2.1; S. 76). Aufgrund dieser Begriffsproblematik wurden neue Begriffe aus dem Englischen übernommen: Plattform (platform) oder Ausspielkanal (channel) meinen nun die jeweilige technische Grundlage, auf der Kommunikation stattfindet und auf der digitalisierte Inhalte verbreitet werden. Eine solche digitale Plattform ist zum Beispiel das Internet oder das Mobiltelefon. Dort können mehrere bislang getrennte Medienformen zusammengeführt werden (Text, Bild, Audio und Video) ( → vgl. zu Digitalisierung und Konvergenz Kap. 7.3; S. 267 - 268). institutioneller Medienbegriff Digitalisierung Plattform oder Ausspielkanal m e d I e n u n d m a s s e n k o m m u n I k a t I o n 129 Eine grundsätzliche Diskussion mit weitreichenden Folgen wird zu sozialen Netzwerken geführt, die ja im Englischen den Medienbegriff enthalten (»social media«): Während die Eigentümer und Anbieter von Facebook, Twitter oder YouTube in der Regel darauf bestehen, dass es sich rein um technische Plattformen handelt, die zwar Kommunikation ermöglichen, für die aber alleine die Kommunikatoren verantwortlich sind, und die Anbieter deshalb weder rechtlichen Sanktionen noch ethischen oder redaktionell-journalistischen Vorstellungen unterworfen wären, werden sie von Öffentlichkeit und Politik in vielen Ländern dazu gedrängt, sich als institutionelle Medien zu definieren, transparent Verantwortung zu übernehmen und Inhalte rechtlich-ethisch zu prüfen ( → vgl. dazu die Debatte um das Netzwerkdurchsetzungsgesetz in Deutschland Kap. 2.3.1; S. 86 - 87). Diese Zwitter-Stellung der sozialen Netzwerke wird in der Fachliteratur häufig mit dem Begriff »Intermediäre« bezeichnet, der deutlich macht, dass sie eine Infrastruktur zur Kommunikation zwischen Redaktionen, anderen Organisationen und individuellen Nutzern zur Verfügung stellen. Journalismus nutzt die Medien der aktuellen Massenkommunikation, die sich öffentlich, indirekt und einseitig an ein disperses Publikum wendet (Maletzke 1963: 76). Mit Internet und mobilen Plattformen verschwimmen indes die Grenzen zwischen dieser institutionellen Massenkommunikation und einer Individualkommunikation. Im Internet findet neben der Massenkommunikation (one to many) auch nicht-öffentliche und zweiseitige Kommunikation zwischen Individuen statt (one to one) oder auch öffentliche und nicht-öffentliche Gruppenkommunikation (many to many) ( → vgl. zur Nutzung des Internet Kap. 3.2; S. 108 - 115). Im Internet können sich Nutzer zum einen einfacher an institutioneller Massenkommunikation - also z. B. an journalistischen Websites - beteiligen (z. B. mit Textkommentaren, Bewertungen von Beiträgen, eingesandten Fotos und Videos - allgemein gesagt: dem so genannten User Generated Content UGC oder partizipativem Journalismus). Zum anderen können sie selbst auf persönlichen Websites Text und Foto (Weblogs) oder Audio und Video (Podcasts) veröffentlichen. Diese Beiträge können ein Massenpublikum erreichen - und die Blogger und YouTuber können dann in gewisser Weise zu institutionellen Medienanbietern werden, die rechtliche Pflichten einzuhalten haben und sich ethischen Diskussionen stellen müssen. So achten in Deutschland spätestens seit 2017 die Landesmedienanstalten verstärkt darauf, dass Anbieter auf sozialen Netzwerken wie YouTube, Instagram, Snapchat, Facebook oder Blogs deutlich Werbung und Product Placement kennzeichnen. Zudem wird diskutiert, dass YouTuber mit bestimmten Formaten des Live-Streamings eine Rundfunklizenz benötigen. Denn warum soll man klassische Fernsehanbieter anders regulieren als neue Anbieter auf digitalen Plattformen? Verantwortung der sozialen Netzwerke Verantwortung der YouTuber und Blogger Massen- und Individualkommunikation 130 m e d I e n o r g a n I s a t I o n e n Die Unterscheidung zwischen technischen Medien(plattformen) und institutionellen Medien(organisationen und -anbietern) ist also nicht rein akademisch, sondern hat praktische Relevanz vor allem in der digitalen Medienwelt. Schließlich tragen soziale Netzwerke und Einzelpersonen, die diese Plattformen zur massenmedialen Verbreitung einsetzen, inzwischen zur Meinungsbildung bei ( → vgl. zum Kommunikationsmodell der Internetöffentlichkeit und zur Zukunft des Journalismus Kap. 7.3; S. 268 - 270). Literatur Grundlegende (traditionelle) Überblicke über die Debatte zum Medienbegriff finden sich in Heinz Pürers Handbuch zur Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (2014: 206 - 210) oder im Beitrag von Roland Burkart zu den Fragen »Was ist Kommunikation? Was sind Medien? «. Wer sich über aktuelle Entwicklungen neuer Kommunikationsformen im Internet informie- Die Journalistik definiert Medien als Doppelnatur von technischen und institutionellen Systemen. Medien sind nicht nur Übertragungskanal, sondern auch Organisationen mit gesellschaftlichen, rechtlichen und wirtschaftlichen Regeln. Durch die Digitalisierung löst sich die Verbindung von Medieninhalt und Übermittlungsform. Auf digitalen Plattformen wie dem Internet oder dem Mobiltelefon werden bislang getrennte Medienformen (Text, Bild, Audio, Video) zusammengeführt. Die alten Vorstellungen und Begriffe von Einzelmedien können diese Entwicklung nicht mehr erfassen. Die Grenzen zwischen Massen- und Individualkommunikation verschwimmen - ebenso die Grenzen zwischen Produzenten und Rezipienten. Diskutiert wird, ob und inwiefern soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter oder YouTube an sich reine technische Plattformen oder nicht vielmehr auch institutionelle Medienanbieter sind und ob für einzelne Medienanbieter - YouTuber und Blogger - mit regelmäßigen Publikationen und einem Massenpublikum die Regeln institutioneller Medienanbieter gelten sollen. Zusammenfassung 1 Erklären Sie die Doppelnatur von Medien als technische und institutionelle Systeme. 2 Fassen Sie die erwähnten Konsequenzen der Digitalisierung für Medieninhalte, Massen- und Individualkommunikation zusammen. Übungsfragen zu Kapitel 4.1 o r g a n I s a t I o n s f o r m e n u n d Ö k o n o m I e d e r m a s s e n m e d I e n 131 ren will, kommt um eine gezielte Internet-Recherche und um eine Suche in aktuellen Beiträgen in wissenschaftlichen Fachzeitschriften nicht herum, weil dazu gedruckte Handbücher und Studien schnell veralten. Eine solide Basis mit einem kompakten, aber umfassenden Überblick bietet Jan-Hinrik Schmidt mit dem Buch »Social Media«. Organisationsformen und Ökonomie der Massenmedien Wie bereits in Kapitel 2.3 beschrieben, sind in pluralistischen Demokratien die Mediensysteme durch ein Miteinander von privatwirtschaftlicher Presse, öffentlich-rechtlichem Rundfunk und privat-kommerziellem, aber öffentlich beaufsichtigtem Rundfunk sowie einem offenen Zugang zu Internet und sozialen Netzwerken gekennzeichnet. Die Autonomie und die Vielfalt der Medienanbieter und -inhalte sind entscheidend für einen demokratischen Informationsfluss und Meinungsbildungsprozess. Privatwirtschaftlich und öffentlich-rechtlich Grundsätzlich können zwei Formen der Organisation von Massenmedien unterschieden werden (vgl. u. a. Pürer 2014: 223 - 225): • Privatwirtschaftliche Medienorganisationen sind kommerziell geführte Unternehmen. Dazu gehören die Printmedien und der privatwirtschaftliche Rundfunk. Angebot und Nachfrage des freien Markts entscheiden über Erfolg und Misserfolg. Auf zwei Märkten werden Erlöse erzielt: dem Anzeigenmarkt und - wenn die Produkte nicht gratis vertrieben werden - dem Publikumsmarkt. Zeitungen und Zeitschriften mit ihren gedruckten und digitalen Angeboten sind häufig gemischt finanziert (mit Ausnahme von Anzeigenblättern, Gratiszeitungen und kostenlosen Websites), Radio und Fernsehen oft ausschließlich über Werbung (mit Ausnahme des Pay-TV). Wirtschaftlicher Erfolg ist eng mit hohen Reichweiten und Auflagen verbunden, weshalb vor allem bei privat-kommerziellem Radio und Fernsehen die Tendenz zur Massenorientierung besteht. Zeitungen und Zeitschriften agieren mit einer geringen gesellschaftlichen Kontrolle (jeder darf eine Zeitung oder Zeitschrift gründen und verbreiten). Privat-kommerzielle Radio- und Fernsehsender werden durch die Landesmedienanstalten zugelassen und kontrolliert (vgl. www.die-medienanstalten.de), weil sie nicht ausschließlich dem Markt überlassen werden sollen. Medienvielfalt in der Gesellschaft soll bei privatwirtschaftlichen Medienangeboten durch eine Vielzahl von Anbietern sichergestellt werden (außenplurales Modell). | 4.2 Autonomie und Vielfalt | 4.2.1 Außenpluralität 132 m e d I e n o r g a n I s a t I o n e n • Öffentlich-rechtliche Medienorganisationen sind vor allem Rundfunkanstalten, die Radio und Fernsehen sowie Multimedia-Angebote auf digitalen Plattformen ausspielen. Sie unterliegen einer gesellschaftlichen Kontrolle: Die Kontrollorgane - in der Regel die Rundfunk-, Fernseh- oder Medienräte - sind plural mit Vertretern gesellschaftlich relevanter Gruppen besetzt. Öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten sollen wirtschaftlich unabhängig sein, weshalb sie mit einem allgemeinen Rundfunkbeitrag, der seit 2013 in Deutschland auch »Haushaltsabgabe« heißt, und nur zu einem kleinen Teil über Werbung finanziert werden. Sie sind auf Grundlage der Rundfunkgesetze der Vielfalt, der Ausgewogenheit und einem Programmauftrag verpflichtet (Information, Bildung, Beratung, Unterhaltung). Das Ideal dieses binnenpluralen Modells sieht öffentlich-rechtliche Anstalten als Kollektivgut - als »unser aller Rundfunk«. Öffentlich-rechtliche Medienorganisationen laufen allerdings Gefahr, dass sie sich im Laufe der Jahrzehnte zu bürokratischen und unflexiblen Großorganisationen entwickeln, die sich mit Innovationen schwertun. Weil sie von allen Hörern und Zuschauern Gebühren erhalten, müssen sie sich über Einschaltquoten legitimieren und sich zumindest zu einem Teil am Massengeschmack orientieren. Zudem versuchen Regierungen und Parteien über Beteiligungen an den Kontrollgremien und die Mitsprachemöglichkeiten bei der Festlegung der Gebührenhöhe die Programminhalte und die Besetzung von Leitungspositionen zu beeinflussen (vor allem von Intendanten und Chefredakteuren). Die Zusammensetzung der Rundfunkräte wird immer wieder diskutiert, weil sich die entsprechenden Gesetze an der Gesellschaft der 1950er-Jahre orientieren, als die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gegründet wurden. So sitzen zum Beispiel im Rundfunkrat des Hessischen Rundfunks nur zwölf Frauen und 20 Männer; Studierende sind nicht vertreten - dagegen u. a. Vertreter der Hochschulen, des Jugendrings, der Vertriebenen, der Bauern, der Gewerkschaften, der Kirchen und des Landtags. Zeitungen und Zeitschriften sind in Deutschland privatwirtschaftlich und außenplural organisiert. Nach den ersten Verlagskonzentrationen ( → vgl. Kap. 4.2.3; S. 140 - 142) gab es in den 60er und 70er-Jahren Vorschläge, sie einer stärkeren gesellschaftlichen Kontrolle und Mitbestimmung zu unterwerfen und damit eine gewisse Binnenpluralität in Verlagsstrukturen einzuziehen (z. B. mit »Zeitungsräten« oder »Landes-Presseausschüssen«, vgl. Glotz/ Langenbucher 1993/ 1969: 192 - 212). Doch die Verleger setzten sich durch und behielten nicht nur die Kontrolle über ihre Presseunternehmen - sie erhielten in den 80er-Jahren sogar Beteiligungsmöglichkeiten am entstehenden privatwirtschaftlichen Rundfunk. Mit der Kabel- und Satellitentechnik war die Frequenzknappheit zu Ende und die Begründung für ein allein binnenplurales Modell im Rund- Binnenpluralität Duales Rundfunksystem o r g a n I s a t I o n s f o r m e n u n d Ö k o n o m I e d e r m a s s e n m e d I e n 133 funk nicht mehr gegeben. Mit dem Start von SAT.1 im Januar 1984 begann das Nebeneinander von öffentlich-rechtlichen und privat-kommerziellen Programmen. Das so genannte Duale Rundfunksystem war geboren. Auch im Rundfunkbereich hielt nun die Zielsetzung Einzug, Gewinne am Markt zu erzielen. Allerdings spannte das Bundesverfassungsgericht in mehreren Rundfunk-Urteilen den rechtlichen Rahmen für eine möglichst große Autonomie und für eine Vielfaltssicherung auf (vgl. Ronneberger 1989): Die Öffentlich-Rechtlichen haben demnach eine »Grundversorgung« sicherzustellen - die privatwirtschaftlichen sind nicht so frei wie im Pressemarkt, sondern unterliegen bestimmten gesetzlichen Beschränkungen und gesellschaftlicher Kontrolle. Die Kontrollorgane der Landesmedienanstalten sind ähnlich wie die Rundfunkräte aus Vertretern gesellschaftlich relevanter Gruppen zusammengesetzt. Der Doppelcharakter privatwirtschaftlicher Medienorganisationen Privat-kommerzielle Medienunternehmen betreiben also einerseits ein Geschäft: Ihr Ziel ist es, Profit in einem freien Wettbewerb um Publikum und Werbung zu erzielen. Andererseits sind sie ein Teil der »Infrastruktur der Öffentlichkeit (und der Demokratie)« (Altmeppen 2013: 217). Sie unter- | 4.2.2 Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten finanzieren sich im Schnitt zu 94 Prozent aus Gebühren und zu sechs Prozent aus Werbung - wobei der Anteil der Gebührenfinanzierung kontinuierlich zunimmt. Ein Teil der Rundfunkgebühren fließt in die Landesmedienanstalten, die den privatwirtschaftlichen Rundfunk beaufsichtigen. Zu den in der Tabelle genannten Beträgen kommen noch Erlöse aus anderen Quellen, zum Beispiel aus dem Verkauf von Programmen ins Ausland. Die Rundfunkgebühren werden seit 2013 nicht mehr getrennt nach Radio und Fernsehen erhoben, sondern mit einer pauschalen Haushaltsabgabe. 1995 2000 2005 2010 2015 Rundfunkgebühren gesamt 4.666 5.918 7.083 7.505 8.131 Rundfunkgebühren Hörfunk 1.789 2.225 2.642 2.813 - Rundfunkgebühren Fernsehen 2.877 3.693 4.441 4.692 - davon an die ARD 3.727 4.496 5.082 5.352 5.758 davon an das ZDF 846 1.303 1.681 1.818 2.002 davon an die Landesmedienanstalten 93 118 136 143 153 Werbeumsatz Hörfunk ARD (netto) 219 226 237 238 243 Werbeumsatz Fernsehen ARD (netto) 154 193 158 153 168 Werbeumsatz ZDF (netto) 176 179 102 126 146 | Abb. 4.1 Erlösstrukturen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten (Summen in Millionen Euro). (Quelle: Media Perspektiven Basisdaten 2003, 2006, 2009, 2016) 134 m e d I e n o r g a n I s a t I o n e n liegen publizistischen Normen ( → vgl. Kap. 7.1 und 7.2; S. 239 - 261) und den Vorstellungen von möglichst großer Vielfalt. Der Doppelcharakter von Privatbesitz und Gewinnstreben auf der einen Seite und öffentlicher Aufgabe auf der anderen führt zu einem Spannungsfeld, das schon lange diskutiert wird. Karl Bücher (1847 - 1930), Redakteur der FRANKFURTER ZEITUNG, später Professor für Nationalökonomie an der Universität Leipzig und Gründer des ersten Instituts für Zeitungskunde in Deutschland, geißelte in vielen Streitschriften die Zustände des Pressewesens in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Die Kritik von Karl Bücher bringt die Janusköpfigkeit privat-kommerzieller Medien auf den Punkt - auch wenn ihm heute so mancher Verleger heftig widersprechen würde. Vor allem mittelständische Verleger und Verlage im Familienbesitz reklamieren für sich auch publizistische Ziele - und nicht nur ökonomische. Die Problematik verschärfte sich allerdings mit der Einführung privaten Rundfunks: Seit den 80er-Jahren spricht man in der Bundesrepublik Deutschland von einer »Kommerzialisierung« der Medien - und mahnt an, dass Medien eigentlich »meritorische Güter« sind. Janusköpfigkeit »Der redaktionelle Teil ist bloßes Mittel zum Zweck. Dieser besteht allein in dem Verkauf von Anzeigenraum; nur um für dieses Geschäft möglichst viele Abnehmer zu gewinnen, wendet der Verleger auch dem redaktionellen Teile seine Aufmerksamkeit zu und sucht durch Ausgaben für ihn seine Beliebtheit zu vergrößern. Denn je mehr Abonnenten, um so mehr Inserenten. Sonst aber ist der redaktionelle Teil nur ein lästiges kostensteigerndes Element des Betriebes und wird nur deshalb mitgeführt, weil ohne ihn Abonnenten und in deren Gefolge Inserenten überhaupt nicht zu haben wären. ›Öffentliche Interessen‹ werden in der Zeitung nur gepflegt, soweit es den Erwerbsabsichten des Verlegers nicht hinderlich ist.« (Bücher 1921; erneut gedruckt in Bücher 1981: 219) Zitat Kommerzialisierung Der Begriff der »Kommerzialität« bedeutet ein auf Gewinn bedachtes Handeln eines Unternehmens - also selbstverständliche Kaufmannspflicht. In der Logik marktwirtschaftlicher Ordnung dient ein Kaufmann dem Wohle aller, wenn er möglichst marktfähige Produkte herstellt und damit im Eigeninteresse hohe Gewinne erzielt (Angebot und Nachfrage). Medien sind Definition o r g a n I s a t I o n s f o r m e n u n d Ö k o n o m I e d e r m a s s e n m e d I e n 135 Das Konzept der meritorischen Güter ist nicht unumstritten. Denn diese Theorie könnte auch von einem »wohlwollenden Diktator« missbraucht werden, der vorgeblich besser weiß, was den Menschen guttut. Das gesellschaftlich Wünschenswerte muss deshalb demokratisch entschieden und kontrolliert werden. Vor allem im Medienbereich sollte staatlicher Einfluss möglichst vermieden werden. Mit dem Argument der Meritorik werden die (Zwangs-)Gebühren für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk begründet - aber auch staatliche Finanzierungen von Medien in westlichen Demokratien ermöglicht: So wird zum Beispiel die Deutsche Welle aus Bundesmitteln finanziert, ist aber gesetzlich verankert kein Staatsrundfunk, sondern gehört mit eigenem Intendanten und Rundfunkrat zum öffentlich-rechtlichen Verbund der ARD. In Österreich unterstützt der Staat mit der Presseförderung die Zeistaatliche Finanzierung in diesem Sinne nichts anderes als Fischstäbchen oder Teigwaren. Medienmärkte unterscheiden sich aber grundsätzlich von anderen Märkten, weil Medien nicht nur Wirtschafts-, sondern auch Kulturgüter sind, die eine öffentliche Aufgabe erfüllen und eine gesellschaftlich-politische Funktion haben (z. B. Information, Meinungsbildung, Kritik und Kontrolle). Die Tendenz, dass die öffentliche Aufgabe dem Gewinnstreben - das Kulturdem Wirtschaftsgut - untergeordnet wird, wird mit dem Begriff »Kommerzialisierung« bezeichnet. Konsequenzen der Kommerzialisierung sind eine billigere Produktion und eine Ausrichtung an den Wünschen des Massenpublikums (nach Kiefer/ Steininger 2014: 26 - 27; Sjurts 2004). Meritorische Güter Über den Marktmechanismus bereitgestellte Güter folgen ausschließlich den Bedürfnissen und Nutzenerwartungen der Komsumenten. Wenn diese Konsumentenpräferenzen »verzerrt« sind - zum Beispiel weil es sich um Vertrauensgüter handelt, die von vornherein nicht umfassend beurteilt werden können, oder um Kulturgüter, die nicht automatisch massenhaft nachgefragt werden - dann spricht man von »meritorischen Gütern« (englisch: »merit wants«): Sie sind grundsätzlich gesellschaftlich erwünscht, würden aber in einem freien Markt nur ungenügend produziert und konsumiert. Typische meritorische Güter sind die medizinischen Leistungen, Bildung oder allgemein die Sozialversicherung - aber auch journalistische Medienprodukte werden als meritorische Güter angesehen (nach Kiefer/ Steininger 2014: 138 - 140). Definition 136 m e d I e n o r g a n I s a t I o n e n tungsverlage, um die Vielfalt der Presse zu fördern (vgl. das Bundesgesetz über die Förderung der Presse). In den Jahren 2004 bis 2017 erhielten DER STANDARD und DIE PRESSE die größten Anteile des Kuchens (vgl. www.rtr. at/ de/ ppf/ Pressefoerderung). In Frankreich betragen die direkten staatlichen Subventionen für die Presse sogar mehrere hundert Millionen Euro (vgl. Ollrog 2007). Der (politische und inhaltliche) Einfluss der Regierung und der Parteien auf die Medienlandschaft durch solche Finanzierungsmodelle wird immer wieder diskutiert - in Österreich wie in Deutschland. In Frankreich kommt hinzu, dass die Subventionen Verlage und Redaktionen von längst fälligen Innovationen abhalten. Neue Modelle der öffentlichen Finanzierung des Journalismus werden in jüngster Zeit auch in Deutschland immer wieder diskutiert. Dabei geht es nicht mehr in erster Linie um eine direkte Finanzierung der Medienunternehmen (also der Presseverlage), sondern um eine Unterstützung von Journalisten und journalistischer Redaktionen, zum Beispiel mit Recherchestipendien und Weiterbildung. So hat der Landtag in Nordrhein-Westfalen 2014 eine Stiftung beschlossen, die zunächst unter dem Namen »Stiftung Vielfalt und Partizipation« gegründet und später in »Vor Ort NRW« umbenannt wurde und die verschiedene Förder- und Weiterbildungsangebote vor allem für freie Journalisten bereitstellt. In den USA gibt es eine Reihe von großen (privat gegründeten) Stiftungen, die sich um Journalismusförderung kümmern - zum Beispiel die Knight Foundation, zu deren Leitlinien unter anderem gehört, »that quality information is essential for individuals and communities to make their own best choices, and that journalism plays a critical role in that democratic process« (www.knightfoundation.org). Erlösmodelle privatwirtschaftlicher Medien Die zwei grundsätzlichen Erlösmodelle privatwirtschaftlicher Medien haben wir schon kurz erwähnt. Neuerdings kommen neue Möglichkeiten hinzu - vor allem mit digitalen Plattformen wie dem Internet, der mobilen Kommunikation oder dem digitalen Fernsehen. Im Wesentlichen können folgende Finanzierungsformen für Medien, die journalistische Inhalte produzieren, aggregieren und vertreiben, unterschieden werden: • Verkauf ans Publikum: Zeitungen und Zeitschriften können im Abonnement oder im Einzelverkauf am Kiosk (Boulevard) vertrieben werden. Beim Bezahlfernsehen (Pay-TV) wird ein ganzes Programmpaket verkauft, ein einzelner Kanal (pay per channel) oder eine einzelne Sendung (pay per view). Diese zwei letztgenannten Formen wurden für den Verkauf journalistischer Produkte im Internet übernommen: das Abonnement einer ganzen Website oder der Kauf eines einzelnen aktuellen neue Modelle der Journalismusförderung Abo oder Einzelverkauf o r g a n I s a t I o n s f o r m e n u n d Ö k o n o m I e d e r m a s s e n m e d I e n 137 oder archivierten Beitrags (micro payment). Allerdings ist es schwierig, im Internet zahlendes Publikum für journalistische Inhalte zu bekommen, weil sich eine »Kostenloskultur« durchgesetzt hat: Gerade bei allgemeinen Informationen findet sich immer ein Anbieter, der die gleichen oder ähnliche Informationen umsonst zur Verfügung stellt. Mit den so genannten Apps (»Applikationen«) für Smartphones und Tablets hoffen viele Verleger seit 2009/ 2010 die Zahlungsbereitschaft der Nutzer auch für digitale Inhalte zu steigern. Auch das Bezahlfernsehen hat es in Ländern schwer, in denen viele Free TV-Kanäle angeboten werden wie in Deutschland. Neue Finanzierungsform für journalistische Inhalte ist das so genannte »Crowd Founding«: Kleine Start-ups werben beim Publikum um Gelder zur Gründung innovativer Redaktionen und bieten im Gegenzug die Mitgliedschaft in einer Art Genossenschaft. Beispiele in Deutschland sind die »Krautreporter« (gegründet 2014) oder perspectivedaily.de (2016) oder in der Schweiz die gemeinnützige Genossenschaft «Project R», die 2018 republik.ch gestartet hat. • Der Verkauf von Werbefläche unterliegt schon immer stark konjunkturellen Schwankungen: Wenn es der Wirtschaft gut geht, gehen die Werbeeinnahmen nach oben - und umgekehrt. Hinzu kommen inzwischen allerdings massive Umbrüche. Nach dem Allzeithoch im Jahr 2000 sind die Werbeeinnahmen der aktuellen Massenmedien im Zuge der Krise der »New Economy« und einer allgemeinen Konjunkturschwäche stark zurückgegangen (vgl. Abb. 4.2). Vor allem die Tageszeitungen mussten erhebliche Einbußen in Kauf nehmen (von 6,5 Milliarden auf 4,4 Milliarden Euro in fünf Jahren). Im Jahr 2010 überholte das Fernsehen die Tageszeitungen, die seit Beginn der Statistik immer vor allen anderen Medien waren. Hauptgrund für die kontinuierlichen Verluste der Tageszeitungen ab dem Beginn des Jahrtausends ist die Abwanderung der Anzeigenmärkte ins Internet (u.a. Auto-, Wohnungs- und Jobanzeigen). Die Werbeeinnahmen im Internet sind von Jahr zu Jahr massiv gestiegen und kamen 2012 zum ersten Mal über eine Milliarde Euro. Das Werbevolumen insgesamt nimmt seit 2000 indes kontinuierlich ab und befand sich 2012 mit 18,4 Milliarden Euro unter dem Niveau von 1995. Von 2013 bis 2016 blieb es relativ stabil bei 15.3 Mrd. Bezahlte Medieninhalte müssen von redaktionellen Inhalten strikt getrennt und klar gekennzeichnet werden, wobei es immer wieder Versuche gibt, diese Trennungsnorm zu unterlaufen, was die Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzt (Baerns 2004). Eine der Werbung verwandte Finanzierungsform ist das Sponsoring: Eine Sponsor unterstützt zum Beispiel eine Fernsehsendung und wird vorher und nachher kurz eingeblendet (Sportübertragungen im Fernsehen werden z. B. häufig von Brauereien gesponsert). Sponsoren dürfen genauso wie Anzeigenkunden keinen Einfluss auf die redaktionellen Inhalte nehmen. Werbeflächen 138 m e d I e n o r g a n I s a t I o n e n • Die Transaktion als dritte Finanzierungsform von Massenmedien wurde mit den Shoppingkanälen des Fernsehens populär (z. B. HSE24 oder QVC). Während beim klassischen Fernsehen noch auf einen anderen Bestellkanal (in der Regel das Telefon) zurückgegriffen werden muss, ist bei digitalen Plattformen wie dem Internet die Transaktion auf der Plattform selbst möglich (E-Commerce). Dies kann zu neuen Trennungsunschärfen bei journalistischen Inhalten führen: Ist es legitim, wenn ein Medienunternehmen neben der Buch-, CD- oder DVD-Kritik gleich eine Bestellmöglichkeit anbietet - und beim Verkauf mitverdient? Auch außerhalb des Internet nutzen Medienunternehmen immer häufiger ihren Bekanntheitsgrad und ihre Glaubwürdigkeit für Transaktionen: Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG zum Beispiel verkauft Bücher, CDs, DVDs oder Wein - und wirbt im redaktionellen Teil dafür ganz ungeniert. In Krisenzeiten entwickeln Medienhäuser noch mehr Einnahmequellen: Nach dem Fall des Postmonopols setzen Zeitungsverlage ihre Austräger als Briefzusteller ein. Das Medienhaus Vorarlberg (Firmenimperium Russ) in Österreich bietet neben der Tageszeitung VORARLBERGER NACH- RICHTEN, Anzeigenblättern und einem Radiosender auch Online- und Telefonanschluss, Strom oder Versicherungen an. Kleinanzeigen- und Transaktionsplattformen, die von großen Medienhäusern im Internet betrieben werden, sind inzwischen weitgehend losgelöst von journalistischen Angeboten. So erzielt der Axel-Springer-Verlag hohe Erlöse mit Rubrikenportalen wie Immonet, StepStone, Totaljobs oder meinestadt.de Shopping Entwicklung der Werbeeinnahmen in Deutschland In der Tabelle sind bei Fernsehen und Hörfunk die Werbeeinnahmen von privatwirtschaftlichen und öffentlich-rechtlichen Sendern zusammengefasst. In der Gesamtsumme in der letzten Zeile sind weitere Werbeträger enthalten (z. B. Anzeigenblätter, Fachzeitschriften, Filmtheater). (Quelle: Jahrbücher des Zentralverbands der deutschen Werbewirtschaft (ZAW); vgl. auch www.zaw.de) Abb. 4.2 | Werbeträger 2000* 2005* 2010* 2016* Veränderung zwischen 2015 und 2016 Tageszeitungen 6.557 4.418 3.638 2.532 - 4,5 % Fernsehen 4.709 3.930 3.954 4.560 + 3,1 % Publikumszeitschriften 2.247 1.791 1.450 1.015 - 5,6 % Hörfunk 733 664 692 768 + 3,3 % Online (und Mobile) 153 332 861 1.517 + 6,5 % Gesamt 23.376 19.775 18.748 15.363 + 1,0 % * Angaben in Millionen Euro o r g a n I s a t I o n s f o r m e n u n d Ö k o n o m I e d e r m a s s e n m e d I e n 139 - oder mit anderen digitalen Geschäftsmodellen wie idealo oder kaufDA. Damit werden journalistische Angebote wie WELT ONLINE mit finanziert. • Der Verkauf von Medieninhalten nicht direkt an das Publikum, sondern an andere Medienhäuser gehört auch zu den Möglichkeiten der Finanzierung journalistischer Redaktionen. Klassisch ist die Produktion eines Zeitungsmantels für kleine Verlage, also eines überregionalen Zeitungsteils, in den der jeweilige Lokalteil eingelegt werden kann. Weitere Möglichkeiten sind die Produktion eines Mantelprogramms für kleine Radiosender, der Verkauf von einmal gesendeten Programminhalten an andere Sender - oder das Geschäftsprinzip der Nachrichtenagenturen, die ihre Nachrichten an Redaktionen zum weiteren Gebrauch verkaufen. Seit der Jahrtausendwende wird der Verkauf von digitalisierten Inhalten als Content syndication bezeichnet. • Die Finanzierung über Stiftungen stellt in Deutschland die Ausnahme dar. Bekanntes Beispiel ist die Rechercheredaktion Correctiv.org, die 2014 gegründet wurde und nach eigenen Angaben von drei Arten von Förderern unterstützt wird: von Bürgern mit einmaligen Spenden, von Menschen, die Correctiv langfristig unterstützen und Mitglied der correctiv. org-Community werden, und von großen Förderern wie zum Beispiel Stiftungen (die Essener Brost-Stiftung war in den ersten drei Jahren mit insgesamt drei Millionen Euro Inititalstifterin) (vgl. Lilienthal 2017). Die wesentlichen Finanzierungsformen privatwirtschaftlicher Medien bleiben indes nach wie vor der Verkauf von Medienprodukten ans Publikum und der Verkauf von Werbefläche. Die Mischkalkulationen sind ganz unterschiedlich. Zwei - sich auf den ersten Blick widersprechende - Trends sind zu beobachten: • Die klassischen Tageszeitungen werden immer mehr über den Vertrieb finanziert. Bis zum Jahr 2000 galt die Faustregel, wonach ein Drittel der Umsätze des Zeitungsgeschäfts über den Vertrieb und zwei Drittel über Anzeigen erzielt wurden. 2009 überwogen erstmals die Vertriebsumsätze, und ab 2017 ist von mindestens zwei Dritteln Vertrieb und höchstens einem Drittel Anzeigen auszugehen. • Die Zahl der Medien, die sich (nahezu) ausschließlich über Werbung finanzieren, hat langfristig zugenommen. Neben dem privatwirtschaftlichen Rundfunk und den wöchentlichen oder monatlichen Anzeigenblättern ist dies vor allem im Internet der Fall - und in vielen Ländern auch auf dem Markt der Tageszeitungen. So erreichen zum Beispiel kostenlose Pendlerzeitungen in Österreich (HEUTE) und in der Schweiz (20 MINUTEN) in den Großstädten höhere Reichweiten als die klassischen Tageszeitungen. International größter Anbieter ist das schwedische Unternehmen METRO, das im September 2006 in 21 Ländern 70 Ausgaben von Gratis-Pendlerzeitungen herausgab (vgl. Haas 2006: 511). Content syndication Vertrieb: Anzeigen = 66: 33 kostenlose Pendlerzeitungen 140 m e d I e n o r g a n I s a t I o n e n Medienkonzentration und Medienmultis Autonomie und Vielfalt als die Hauptkriterien für ein freies Mediensystem wurden bereits mehrfach in diesem Buch benannt ( → vgl. z. B. Kap. 2.3.1; S. 83 - 87). Die Gefahr einer Abnahme der Angebotsvielfalt und einer Machtballung liegt in einer unkontrollierten Wirtschaftskonzentration. Dementsprechend gibt es staatliche Regulierungen, die eine allzu große Medienkonzentration verhindern sollen - ob dies allerdings tatsächlich gelingt, wird immer wieder diskutiert. Die horizontale Konzentration traf in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland vor allem den Markt der Tageszeitungen - und zwar in einer ersten Konzentrationswelle zwischen den 50er und 70er-Jahren, einer zweiten nach der Wiedervereinigung in den 90er-Jahren und einer sich gerade abzeichnenden dritten Welle, deren Ende nicht abzusehen ist (vgl. Abb. 4.3). Die Daten der Zeitungsstatistik, welche diese Konzentrationsbewegungen belegen, wurden in mühsamer Kleinarbeit jahrzehntelang vom Zeitungsforscher Walter J. Schütz zusammengetragen (vgl. z. B. Schütz 2012), wobei sich nach seinem Tod 2013 noch kein Nachfolger gefunden hat und wir inzwischen auf Angaben des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger angewiesen sind (vgl. z.B. BDVZ 2017: 284). 4.2. 3 | Medienkonzentration Konzentrationsprozesse sind ein Bestandteil des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs: Weniger erfolgreiche Anbieter werden durch erfolgreichere vom Markt verdrängt oder aufgekauft. In der Konsequenz kommt es zu einer allmählichen Verringerung der Zahl der Anbieter. Im Wesentlichen gibt es drei Typen von Medienkonzentration (vgl. Dreier 2006): (1) Von horizontaler Konzentration spricht man, wenn die beteiligten Unternehmen auf demselben Markt agieren. Wenn zum Beispiel ein Zeitungsverlag einen anderen Zeitungsverlag kauft, sinkt die Zahl der Anbieter und der Marktanteil des Käufers steigt. (2) Mit vertikaler Konzentration ist gemeint, dass ein Medienunternehmen eine vor- oder nachgelagerte Produktionsstufe übernimmt. Wenn zum Beispiel ein Zeitungsverlag eine Druckerei kauft, ein Fernsehsender einen Rundfunksatelliten oder ein Kabelnetzbetreiber die Ausstrahlungsrechte eines Sport-Großereignisses - dann steigt die Marktmacht des Unternehmens, da es leichter über die entsprechenden Ressourcen verfügen kann und eventuell sogar andere Anbieter behindern könnte. Definition o r g a n I s a t I o n s f o r m e n u n d Ö k o n o m I e d e r m a s s e n m e d I e n 141 Ähnliche Konzentrationsbewegungen gab es in Österreich (vgl. Melischek/ Seethaler/ Skodacsek 2005): Die Zahl der Publizistischen Einheiten sank von 34 im Jahr 1946 auf 20 im Jahr 1971 - und schließlich auf 13 seit dem Jahr 2004. Auffällig für den Markt der Tageszeitungen in Österreich ist die hohe ökonomische Konzentration auf wenige Großverlage, was besonders im Osten und Westen Österreichs dramatisch ist: In Wien und Niederösterreich beläuft sich der Marktanteil der Mediaprint, zu der die KRONEN ZEITUNG (Boulevard) und der KURIER (Abo) gehören, auf 90 Prozent - im Burgenland hat sie ein Monopol. Ein Quasi-Monopol mit 96 Prozent Marktanteil hält in Vorarlberg das Firmenimperium Russ (VORARLBERGER NACHRICHTEN und NEUE VORARLBERGER TAGESZEITUNG). Pressekonzentration in Österreich (3) Diagonale Konzentration bezeichnet die Fusion oder Übernahme von Medienunternehmen, die auf unterschiedlichen Märkten agieren. Wenn sich zum Beispiel ein Fernsehsender an einer Zeitung oder Zeitschrift beteiligt oder ein regionaler Zeitungsverlag an einem Lokalradio, steigt insgesamt die Medienmacht dieses Unternehmens. Diese Konzentrationsform wird auch als multimediale oder crossmediale Konzentration oder als Crossownership bezeichnet. Die Zahl der Publizistischen Einheiten und der Zeitungsverlage ging in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik Deutschland stark zurück. Mit dem Kunstwort »Publizistische Einheit« sind alle Verlage und Ausgaben gemeint, die einen gemeinsamen Mantelteil haben. Im Jahr 2008 gab es in Deutschland demnach 135 Zeitungsmäntel (überregionale Teile), 2017 waren es nur noch 120. Jahr Publizistische Einheiten Verlage als Herausgeber Ausgaben Einzeitungskreise 1954 225 624 1.500 15 % 1976 121 403 1.229 45 % 1989 119 358 1.344 49 % 1989 (DDR) 37 38 291 1991 158 410 1.673 1993: 55 % 2008 135 353 1.515 2004: 58 % 2012 130 333 1.532 59 % 2017 120 323 1.497 | Abb. 4.3 Konzentrationsprozesse auf dem Markt der Tageszeitungen (Quelle: Media Perspektiven Basisdaten; Schütz 2012; BDZV 2017) 142 m e d I e n o r g a n I s a t I o n e n Wesentliche Auswirkung der Pressekonzentration in Deutschland ist die Reduzierung der Medienvielfalt im Lokalen: Die Zahl der Kreise und kreisfreien Städte, in denen es nur eine lokale Tageszeitung - also ein Zeitungsmonopol - gibt, ist auf 59 Prozent im Jahr 2012 gestiegen: In 236 von 402 Landkreisen gibt es nur eine Tageszeitung (vgl. Schütz 2012: 586). Allerdings ist umstritten, ob dies tatsächlich eine Einschränkung der inhaltlichen Zeitungsqualität bedeutet: Es gibt in Einzeitungskreisen zwar keine zweite täglich gedruckte öffentliche Plattform und damit keinen Konkurrenzdruck, aber größere Zeitungsverlage können in der Regel größere Redaktionen betreiben, während kleinere nur mühsam ihre Seiten füllen. Letztlich ist gerade im Lokaljournalismus die Vielfalt in den Medien genauso wichtig wie die Vielfalt der Medien - zumal die Menschen ja in der Regel nur eine Zeitung lesen. Dies ist allerdings wieder ein Argument für Binnenpluralität auch bei Tageszeitungen ( → vgl. Kap. 4.2.1; S. 131 - 132). Medienmultis Beispiele für diagonale Konzentration (Crossownership) findet man in Deutschland bei den Medienmultis, deren Beteiligungen regelmäßig das Dortmunder FORMATT-Institut recherchiert und veröffentlicht (vgl. z. B. Röper 2006 sowie die jährlichen Media Perspektiven Basisdaten). Dazu zählen die folgenden Medienunternehmen (Beispiele für Beteiligungen in Deutschland jeweils in Klammern, mehr Beispiele in Kapitel 4.3): • Axel Springer Verlag in Berlin: Zum Springer-Konzern gehören Tages- und Sonntagszeitungen, Zeitschriften und Beteiligungen an regionalen Radiosendern (A ntEnnE B AyErn , rAdio FFn ) sowie an diversen Internetaktivitäten. Nach dem Kauf des Fernsehsenders N24 bildeten die Tageszeitung DIE WELT und N24 ab 2014 eine gemeinsame Redaktion, die ab 2018 alle Marken - also auch den Fernsehkanal - unter der Bezeichnung WELT anbietet. • Die Bertelsmann AG in Gütersloh ist an Tageszeitungen beteiligt (s äch sischE Z Eitung ), vor allem aber über das Tochterunternehmen Gruner + Jahr (Hamburg) an mehr als 60 Zeitschriften. 92 Prozent Anteile besitzt die Bertelsmann AG an der RTL Gruppe (Köln), die Fernseh- und Radiosender ( rAdio nrw, rtl rAdio , r Adio h AmBurg ) betreibt und an Produktionsunternehmen (UFA Filmproduktion) beteiligt ist. • Der Burda-Konzern in Offenburg/ München trägt den offiziellen Namen Hubert Burda Media und ist bekannt für seine mehr als 50 Zeitschriften und Beteiligungen an regionalen Radio- (A rABEllA , g ong , FFh) und Fernsehsendern ( münchEn . tv , tv A ugsBurg ). • Weitere deutsche Medienmultis sind die Funke Mediengruppe Essen, die bis 2012 WAZ Mediengruppe hieß (vor allem regionale Tageszeitungen), der Holtzbrinck-Konzern Stuttgart (Tages- und Wochenzeitungen, Zeitschrif- Vielfalt in der Zeitung Crossownership o r g a n I s a t I o n s f o r m e n u n d Ö k o n o m I e d e r m a s s e n m e d I e n 143 ten - wie h AndElsBlAtt , t AgEssPiEgEl , d iE Z Eit oder s PEktrum dEr w issEn schAFt ) und der Bauer-Konzern Hamburg (vor allem 40 Zeitschriften). Alle diese Medienmultis haben vielfache Beteiligungen in anderen Ländern. Zur Bertelsmann AG gehören zum Beispiel Zeitschriften in Frankreich, Spanien, Polen, Mexiko und China. Ein weiteres globales Wachstum ist für die großen Medienunternehmen vorgezeichnet, während die Konzentrationsbestimmungen überwiegend auf nationale Märkte beschränkt sind. Klassisches Beispiel für transnationale Verflechtungen ist der österreichische Zeitungsmarkt, in dem ein Drittel von ausländischen Firmen kontrolliert wird - vor allem von deutschen, aber auch schwedischen und italienischen Unternehmen. Die KRONEN ZEITUNG und der KURIER gehören zum Beispiel zur Hälfte dem deutschen WAZ-Konzern, der seit 2013 Funke Mediengruppe heißt ( → vgl. Kap. 4.4; S. 163 - 165). Um die Vielfalt und die Konzentration von Meinungsmacht medienübergreifend untersuchen und beobachten zu können, haben die Landesmedienanstalten 2014 den MedienkonvergenzMonitor gegründet, der unter Federführung der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) jährlich durchgeführt wird (vgl. www.die-medienanstalten.de/ themen/ forschung/ medienkonvergenzmonitor). Demnach hat das Fernsehen 2017 ein Meinungsbildungsgewicht von 33 Prozent; das Internet holt mit inzwischen 26 Prozent kontinuierlich auf und liegt vor Tageszeitungen (20 %), Hörfunk (19 %) und Zeitschriften (3 %). Bei den Medienkonzernen werden hohe Anteile am Meinungsmarkt vor allem bei der ARD und bei Bertelsmann gesehen - gefolgt mit etwas Abstand u.a. von Springer, ZDF, ProSiebenSat.1 und Burda. Unberücksichtigt bleibt dabei, dass die ARD nicht als ein Konzern agieren kann, sondern aus neun Landesrundfunkanstalten mit jeweils eigenen Gremien besteht. Konzentrationskontrolle Für die Konzentrationskontrolle im Medienbereich sind in Deutschland zwei Institutionen zuständig: das Bundeskartellamt und die Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK). Während das Bundeskartellamt der Wettbewerbshüter für alle Branchen ist und auch im Medienbereich auf den Schutz des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs achtet, wurde die KEK von den Landesmedienanstalten als Expertengremium zur Sicherung der Meinungsvielfalt - also des publizistischen Wettbewerbs - eingesetzt. Die KEK wird nur gehört, wenn es um die Zulassung oder die Änderung der Beteiligungsverhältnisse von Fernsehveranstaltern geht - das Kartellamt übt auch eine Pressefusionskontrolle aus. Die KEK setzt sich indes immer mehr für eine medienübergreifende Vielfaltssicherung ein - zum Beispiel im fünften Medienkonzentrationsbericht 2015, der transnationale Verflechtungen Bundeskartellamt und KEK Verteilung von Meinungsmacht 144 m e d I e n o r g a n I s a t I o n e n online abrufbar ist unter: http: / / www.lfm-nrw.de/ fileadmin/ user_upload/ lfm-nrw/ S ervice/ Berichte/ LfM-Bericht-zur-Medienkonzentration_ _ Stand-31-03-2016.pdf Beispiele für das Wirken der Konzentrationskontrolle: • In den Jahren 2002/ 03 hat das Bundeskartellamt den Erwerb des Berliner Verlags (BERLINER ZEITUNG, BERLINER KURIER, Stadtillustrierte TIP) durch den Holtzbrinck-Konzern, Stuttgart, (in Berlin: TAGESSPIEGEL, Stadtillustrierte ZITTY) untersagt, weil der Zusammenschluss zur Entstehung einer marktbeherrschenden Stellung von Holtzbrinck auf dem Lesermarkt für regionale Abonnement-Tageszeitungen in Berlin und dem dortigen Lesermarkt für Stadtillustrierte geführt hätte (vgl. www. bundeskartellamt.de). In der Folge übernahm ein Konsortium aus ausländischen Investmentgesellschaften den Berliner Verlag, was die Branche sorgenvoll beobachtete, weil Investmentgesellschaften vor allem die Rendite im Auge haben - und weniger die publizistische öffentliche Aufgabe. Die Investmentgesellschaft der Mecom-Mediengruppe wollte indes den Berliner Verlag bald wieder verkaufen: Im Februar 2009 gab das Bundeskartellamt grünes Licht für den Kauf des Berliner Verlags durch den Kölner Verlag DuMont Schauberg, der damit zur viertgrößten Zeitungsverlagsgruppe in Deutschland aufstieg ( → vgl. Kap. 4.3.2; S. 150). • Im Januar 2006 untersagte die KEK die Übernahme der ProSiebenSAT.1 Media AG durch den Axel Springer Verlag, weil man durch die Verbindung eines starken Fernsehunternehmens (Marktanteil 22 Prozent) und des damals größten deutschen Zeitungskonzerns (Marktanteil 23 Prozent) eine »vorherrschende Meinungsmacht« in zwei eng verwandten Medienmärkten befürchtete (diagonale Konzentration). Vor allem die Monopolstellung der Boulevardzeitung BILD könnte durch crossmediale Strategien gestärkt werden (vgl. www.kek-online.de). Ökonomische Herausforderungen durch das Internet Die Barrieren für den Marktzutritt sind bei den klassischen Medien sehr hoch. Man muss schon viel Geld in die Hand nehmen, um eine Zeitung, eine Zeitschrift oder einen Sender zu gründen. Nur wenige Tageszeitungen schafften in der Bundesrepublik Deutschland eine überlebensfähige Neugründung - wie zum Beispiel die TAZ 1979 oder die FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND 2000, die immerhin zwölf Jahre lang bis zur Einstellung überlebte. Im Internet ist die Schwelle, eine Website zu veröffentlichen, dagegen sehr niedrig. Allerdings schaffen es auch hier nur wenige, ein Massenpublikum zu erreichen - doch oft liegt dies nicht nur am Kapitaleinsatz, sondern an einer zündenden Idee. Prominentes Beispiel ist die Suchmaschine Kampf um Berliner Zeitung Kampf um ProSiebenSAT.1 4.2. 4 | Google o r g a n I s a t I o n s f o r m e n u n d Ö k o n o m I e d e r m a s s e n m e d I e n 145 GOOGLE, die 1998 nicht von einem Medien- oder Software-Konzern gegründet wurde, sondern von den zwei Studenten Larry Page und Sergey Brin. GOOGLE ging 2004 an die Börse und setzte schon im Jahr 2005 mehr als sechs Milliarden US-Dollar - überwiegend durch Werbung - um. Ähnliche Erfolgsgeschichten verzeichnen soziale Netzwerke, die auf das Mitteilungsbedürfnis der Nutzer setzen: Die Video-Community YOUTUBE startete im Februar 2005 ohne Marketingaufwand - und wurde im Oktober 2006 für 1,6 Milliarden US-Dollar von GOOGLE übernommen. Der Wert der großen Community-Plattform FACEBOOK wurde schon 2010 auf einen zweistelligen Milliardenbetrag geschätzt. Zunächst wurden von den Gründern nur kleine Anteile verkauft; 2012 ging FACEBOOK an die Börse. Fünf Phasen bis zum mobilen Internet Die kurze Zeit der Internet-Ökonomie kann in fünf Phasen eingeteilt werden (vgl. u. a. Friedrichsen/ Mühl-Benninghaus/ Schweiger 2006: 9): (1) Anfangs war das Internet Spielplatz für Amateure und ökonomisch weitgehend bedeutungslos. (2) In der zweiten Hälfte der 90er-Jahre versuchten findige Geschäftsleute an den Ideen der Amateure zu partizipieren: Das Phänomen der »New Economy« schien die bisherigen ökonomischen Grundsätze aus den Angeln zu heben, ließ eine weltweite Blase an den Aktienmärkten entstehen - und so manche Online-Redaktion rasant wachsen. Den teilweise immensen Investitionen standen kaum Einnahmen gegenüber. (3) Nach dem Zusammenbruch der »New Economy« und dem weltweiten Absturz der Aktienmärkte im Jahr 2000 wichen die ökonomischen Utopien und Allmachtsträume einer nüchternen Sichtweise. Viele Investoren zogen sich aus dem Internet zurück - Online-Redaktionen wurden ausgedünnt. (4) Ab dem Jahr 2006 ist wieder Zuversicht in die Potentiale des Internet spürbar - vor allem in die Interaktivität und Multimedialität. Der Begriff des Web 2.0 - vom Verleger Tim O’Reilly erfunden - ist zum Schlagwort für die vielen Möglichkeiten der Nutzerbeteiligung im Internet geworden. O’Reilly (2005) beschreibt die Grundlagen für die erwähnte Dynamik von sozialen Netzwerken wie MYSPACE, YOUTUBE, FACEBOOK, STUDIVZ oder TWITTER - und andere Formen der Nutzerintegration. Verbesserte Übertragungs- und Komprimierungstechniken sowie die Zunahme schneller Internetzugänge erweitern zudem die Multimedialität des Internet: Audio- und Videobeiträge wurden populärer. (5) Mit Vorstellung des iPhone 2007 und vor allem des iPad 2010 läutete Apple die Phase der mobilen Internetnutzung ein, die auch durch die Verwendung von Apps gekennzeichnet ist: in sich geschlossene Medien- YouTube und Facebook »New Economy« Web 2.0 146 m e d I e n o r g a n I s a t I o n e n produkte abseits des offenen Internets. Internationale Streamingdienste wie AMAZON PRIME und NETFLIX konkurrieren vor allem mit den privaten Fernsehanbietern im Bereich Fiktion. SPOTIFY und APPLE MUSIC revolutionieren Musikvermarktung und Musikkonsum und bedrängen Radiosender, die überwiegend Musik ausspielen. Im Jahr 2017 nutzten 30 Prozent der Deutschen das Internet täglich unterwegs, bei den 14bis 29-Jährigen sind es 63 Prozent (vgl. ARD/ ZDF-Online-Studie). Das Smartphone wurde zum Tagesbegleiter, das wie keine Medientechnik bislang individuell und persönlich am Menschen dran ist. Die spektakulären Geschäfte und teuren Investitionen sind nur die Spitze des Eisbergs: Das Internet hat eine weltweite Wachstumsdynamik entwickelt, die in der klassischen Medienwelt ohne Vorbild ist - und welche die Medienorganisationen zunehmend verunsichert. Einerseits hat das Internet das Potential einer zentralen Drehscheibe für Text, Bild, Audio und Video und kann sich zu einer ernsthaften Konkurrenz und Bedrohung der traditionellen Medien entwickeln. Andererseits sind die ökonomisch zentralen Fragen zum Journalismus nach wie vor nicht klar beantwortet (vgl. Lobigs 2016; Altmeppen/ Greck/ Evers 2016): Wie können Online-Medien mit journalistischen Inhalten Gewinne erwirtschaften - vor allem durch Werbung oder auch mit anderen Geschäftsmodellen? Sind Nutzer zunehmend bereit, für journalistische Inhalte im Internet zu bezahlen? Fließt ein zunehmend großer Teil der digitalen Werbegelder an die internationalen Konzerne wie GOOGLE und FACEBOOK, die im Wesentlichen nicht in Journalismus investieren - oder wie viel davon können nationale Medienunternehmen erwirtschaften, die den Journalismus finanzieren? Wie verändern sich die Märkte und Produkte? Werden die öffentliche Aufgabe der Medien und die ökonomischen Interessen in der Waage bleiben? Eine über viele Jahre dauernde, grundsätzliche Auseinandersetzung beschäftigt sich in Deutschland mit der Frage, welchen Anteil der Rundfunkgebühren die öffentlich-rechtlichen Anstalten für die digitale Verbreitung ihrer Inhalte einsetzen dürfen, ob ihre journalistischen Inhalte auf Websites und Apps auch (längere) Texte enthalten dürfen oder in erster Linie nur Video und Audio oder ob ihre Inhalte dauerhaft oder nur beschränkt auf kurze Zeit im Netz zur Verfügung stehen dürfen oder inwiefern sie nur überregional und kaum regional und lokal berichten dürfen. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten selbst argumentieren, dass sie in der digitalen Medienwelt auch (junges) Publikum erreichen müssen, das kaum mehr klassisches Fernsehen und Radio nutzt, aber dennoch die Haushaltsabgabe zahlen muss; in Beschränkungen sehen sie ihre Zukunftsfähigkeit auf dem Spiel, und sie verweisen auf die grundsätzliche Bedeutung öffentlich-rechtlicher Medienangebote für die Demokratie - unabhängig davon, ob diese klassisch oder digital ausgespielt werden. Die verunsicherte Medienbranche Digitaler Journalismus: öffentlich-rechtlich versus privatwirtschaftlich o r g a n I s a t I o n s f o r m e n u n d Ö k o n o m I e d e r m a s s e n m e d I e n 147 privatwirtschaftliche Konkurrenz - in erster Linie die Zeitungs- und Zeitschriftenverleger, aber auch die privatwirtschaftlichen Rundfunkanstalten - sehen dagegen ihr eigenes Geschäftsmodell gefährdet und klagen über Wettbewerbsverzerrung; für sie ist es grundsätzlich schwieriger, ein zahlendes Publikum für digitale journalistische Inhalte zu finden, wenn öffentlich-rechtliche Angebote die Informationsbedürfnisse im Wesentlichen bereits abdecken. Beispielhaft ist der jahrelange (Rechts-)Streit um die so genannte »Presseähnlichkeit« der Tageschau-App (vgl. Holznagel/ Böer 2017). 1 Erklären Sie den Unterschied zwischen öffentlich-rechtlichen und privatwirtschaftlichen Medienorganisationen. 2 Was sind »meritorische Güter« - und warum können journalistische Medienprodukte als meritorische Güter bezeichnet werden? 3 Nennen und analysieren Sie die verschiedenen Erlösmodelle privatwirtschaftlicher Medien. 4 Welche Typen von Medienkonzentration können unterschieden werden? 5 Recherchieren Sie auf den Websites des Bundeskartellamts und der KEK Fallbeispiele für Entscheidungen der Konzentrationskontrolle im Medienbereich. 6 Inwiefern ist das Internet eine ökonomische und publizistische Herausforderung für alle klassischen Medienorganisationen? Übungsfragen zu Kapitel 4.2 Die eine und einzige ideale Organisationsform von aktuellen Massenmedien gibt es nicht. Weil jeder Typ Vor- und Nachteile hat, hat es sich in einer pluralistischen Demokratie bewährt, verschiedene Modelle zuzulassen und mehr oder weniger gesellschaftlich zu fördern und zu kontrollieren. Grundsätzlich kann zwischen öffentlich-rechtlichen und privatwirtschaftlichen Organisationsformen unterschieden werden. Öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten finanzieren sich überwiegend mit allgemeinen Gebühren. Sie sind der Vielfalt und einem Programmauftrag verpflichtet, laufen allerdings Gefahr, dass sie sich zu bürokratischen und unflexiblen Großorganisationen entwickeln - und dass Staat und Politik Einfluss nehmen. Privatwirtschaftliche Medienunternehmen leben in einem Spannungsfeld zwischen Gewinnstreben und öffentlicher Aufgabe. Ökonomisch zentrale Fragen zur Finanzierung des Journalismus in der digitalen Medienwelt sind noch nicht beantwortet. Zusammenfassung 148 m e d I e n o r g a n I s a t I o n e n Literatur Zur Medienökonomie gibt es inzwischen viele Lehrbücher. Zu empfehlen sind zwei dicke Werke: die »Medienökonomik« von Marie Luise Kiefer und Christian Steininger, die sich eher an ökonomischen Theorien ausrichtet, und das »Handbuch Medienökonomie« von Jan Krone und Tassilo Pellegrini, das von verschiedenen Autoren geschrieben wurde. Im »Handbuch Medienökonomie« findet sich auch ein Aufsatz zur Ökonomie des digitalen Journalismus (von Leif Kramp und Stephan Weichert). Zur Finanzierung des Journalismus generell und in Zukunft ist auch der Aufsatz von Frank Lobigs lesenswert. Medienlandschaft Deutschland: Basisdaten Das vielfältige Medienangebot in Deutschland hat sich aus den Vorgaben der alliierten Siegermächte nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt (vgl. z. B. Wilke 1999). Viele der heute noch größten Zeitungen und Zeitschriften begannen zwischen 1945 und 1949 mit einer Lizenz der Alliierten - darunter z. B. SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, FRANKFURTER RUNDSCHAU und DIE WELT oder STERN, SPIEGEL und DIE ZEIT. Die Struktur des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist durch das Vorbild der staatsfernen britischen BBC beeinflusst, wurde aber mit den Landesrundfunkanstalten noch stärker föderalisiert - nach den Erfahrungen mit einem zentralen Propaganda-Hörfunk der Nationalsozialisten. In der DDR entwickelte sich dagegen mit der sowjetischen Besatzungspolitik ein zentralistisches Mediensystem unter Kontrolle der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Nach der Wiedervereinigung im Jahr 1990 wurden die westdeutschen Rahmenbedingungen auf die neuen Bundesländer übertragen. Die ehemaligen Parteizeitungen sind heute überwiegend im Besitz westdeutscher Großverlage. Das Rundfunksystem wurde in die westdeutsche ARD integriert. Literatur Eine anschauliche und mit vielen Fotos bebilderte Übersicht über die Mediengeschichte der Bundesrepublik Deutschland von 1945 bis 1999 bietet ein Sammelband, den Jürgen Wilke herausgegeben hat. Die Mediengeschichte der DDR von 1945 bis 1990 wurde von Gunter Holzweißig gut lesbar analysiert. Die zentrale Steuerung und totale Kontrolle der Medien im Nationalsozialismus ist von Clemens Zimmermann im Vergleich von Deutschland, Italien und Spanien beschrieben. Im von Bernd Heidenreich und Sönke Neitzel heraus- 4. 3 | Vorgaben der Alliierten Mediensystem in der DDR m e d I e n l a n d s c h a f t d e u t s c h l a n d : b a s I s d a t e n 149 gegebenen Buch mit gleichnamigem Titel geben Kommunikationswissenschaftler, Journalisten und Historiker einen Überblick über die Rolle des Hörfunks, der Presse und des Films in Hitlers Staat. Nachrichtenagenturen Die Nachrichtenagenturen sind die Grundlage des überregionalen Journalismus. Sie sammeln und selektieren aktuelle Meldungen und bereiten sie für ihre Kunden auf. Theoretisch kann jeder Agenturdienste beziehen; in der Regel werden die Meldungen aber von Zeitungen, Zeitschriften, Rundfunkanstalten und Online-Diensten zur weiteren Verarbeitung und Verbreitung an ein Massenpublikum gekauft. In westlichen Demokratien liegen die Agenturen meist in der Hand der Kunden: Zeitungsverleger und Rundfunkanstalten haben sich zur Genossenschaft zusammengeschlossen - wie zum Beispiel bei der DEUTSCHEN PRES- SE-AGENTUR (dpa), der AUSTRIA PRESSE AGENTUR (APA) und der SCHWEI- ZERISCHEN DEPESCHENAGENTUR (sda). Vorbild ist die US-amerikanische ASSOCIATED PRESS (AP), die 1848 in New York gegründet wurde ( → vgl. Kap. 2.2.1; S. 72 - 74). Es gibt aber auch Agenturen, die Aktiengesellschaften (z. B. REU- TERS, London) oder die in staatlichem Besitz sind oder zumindest staatlich mitfinanziert werden (von der chinesischen Agentur XINHUA über die griechische ATHENS NEWS AGENCY ANA bis zur französischen AGENCE FRANCE PRESSE AFP). Weltweit sind die staatlichen Agenturen in der Mehrheit. Heute existieren drei Weltagenturen: AP, REUTERS und AFP. Deutschland ist weltweit das Land mit den meisten Nachrichtenagenturen (vgl. Schulten-Jaspers 2013). Die dpa ist inzwischen die einzige Vollagentur, nachdem dapd im Jahr 2013 Konkurs angemeldet hat (dapd war 2010 aus dem ehemaligen Deutschen Depeschendienst (ddp) und dem deutschen AP-Ableger hervorgegangen). REUTERS und AFP haben noch eigene deutschsprachige Dienste. Daneben gibt es spezialisierte Agenturen wie den EVANGELISCHEN PRESSEDIENST (epd), die KATHOLISCHE NACHRICHTEN-AGENTUR (KNA), den SPORT-INFORMATIONS-DIENST (sid) und die VEREINIGTEN WIRTSCHAFTS- DIENSTE (vwd). Die deutschen Tageszeitungen beziehen im Schnitt 2,5 Nachrichtenagenturen, wobei etwa ein Fünftel sich auf nur eine Agentur verlässt (Resing 2006). dpa wird mit einem Marktanteil von 96 Prozent fast flächendeckend abonniert. Die Agenturen stehen in Konkurrenz zueinander, haben aber internationale Kooperationsverträge, welche die gegenseitige Übernahme von Meldungen aus dem Ausland ermöglichen. Die Kosten für ein Agentur-Abonnement richten sich für Medienorganisationen nach der Reichweite ihrer Produkte (also nach Auflage bzw. Hörer- und Seherzahl). | 4. 3.1 Genossenschaft, Privat- oder Staatsbesitz hohe Konkurrenz in Deutschland 150 m e d I e n o r g a n I s a t I o n e n Literatur Für aktuelle Informationen zum Angebot der Nachrichtenagenturen sollte auf den Websites der Agenturen recherchiert werden. Jürgen Wilke hat in den 90er-Jahren mehrere Studien zur Arbeitsweise von Agenturen und zur Nachrichtenproduktion herausgegeben - der Abschlussband heißt »Von der Agentur zur Redaktion« und beschäftigt sich mit der dpa-Zentralredaktion ebenso wie mit der Verwendung der Meldungen bei Tageszeitungen. Eine Studie zur Situation und Zukunft der Nachrichtenagenturen liegt von Yasmin Schulten-Jaspers, ein praktisches Ratgeberbuch zum Agenturjournalismus von Peter Zschunke vor, der auch eine aktualisierte Website dazu betreibt: agenturjournalismus.de. Presselandschaft Die Zeitungslandschaft in Deutschland sieht mit 120 Publizistischen Einheiten, 323 Verlagen als Herausgebern und 1.497 Ausgaben auf den ersten Blick 4. 3.2 | Verlagsgruppe zugehörige Zeitungstitel (Beispiele) anteilige Auflage dieser Gruppe Axel Springer SE, Berlin Bild, Welt, B.Z. 14,0 % Verlagsgruppe Stuttgarter Zeitung/ Die Rheinpfalz/ Südwest Presse, Ulm Süddeutsche Zeitung, Stuttgarter Nachrichten, Die Rheinpfalz, Südwest Presse, Freie Presse 9,9 % Funke Mediengruppe (ehem. Verlagsgruppe WAZ), Essen Westdeutsche Allgemeine Zeitung, Neue Ruhr/ Neue Rhein Zeitung, Westfalenpost, Thüringische Landeszeitung, Hamburger Abendblatt 7,8 % Verlagsgruppe DuMont, Köln Kölner Stadt-Anzeiger, Kölnische Rundschau, Express, Mitteldeutsche Zeitung, Berliner Zeitung, Hamburger Morgenpost 5,3 % Verlagsgruppe Madsack, Hannover Hannoversche Allgemeine Zeitung, Neue Presse Hannover, Leipziger Volkszeitung, Märkische Allgemeine, Ostsee-Zeitung, Kieler Nachrichten 5,3 % Gesamt 42,3 % Abb. 4.4 | Tageszeitungen: Marktanteile der fünf größten Verlagsgruppen (Quelle: Röper 2016) m e d I e n l a n d s c h a f t d e u t s c h l a n d : b a s I s d a t e n 151 recht vielfältig aus. Bei genauerer Betrachtung fällt indes auf, dass BILD als einzige überregionale Boulevardzeitung eine Monopolstellung einnimmt und dass 42 Prozent der Auflage aller Tageszeitungen in der Hand der fünf größten Verlagsgruppen (vgl. Abb. 4.4) und 60 Prozent bei den zehn größten liegen. Die Tageszeitungen können nach Vertriebsform in vier Typen eingeteilt werden (vgl. Abb. 4.5). 112 Publizistische Einheiten werden überwiegend im Abonnement verkauft, acht im Einzelverkauf auf dem »Boulevard«. Die Vertriebsform hat eine große Auswirkung auf den Zeitungsinhalt: Boulevard-Zeitungen müssen sich immer wieder am Kiosk bewähren, weshalb sie stark reißerisch aufgemacht sind (vgl. Dulinski 2003). Überregionale Abo-Zeitungen legen einen Schwerpunkt auf bundesweit bedeutsame und internationale Themen. Vertriebsform P. E. Beispiele (mit den höchsten Aufl.) Auflage 2000 Auflage 2017 gedruckt Auflage 2017 epaper Abonnement überregional 7 Süddeutsche Zeitung, München 419.000 296.000 62.000 Frankfurter Allgemeine Zeitung 401.000 200.000 44.000 Die Welt, Berlin* 252.000 141.000 29.000 (79.000 Apps) Handelsblatt, Düsseldorf 170.000 79.000 47.000 Abonnement regional 105 Rheinische Post, Düsseldorf 417.000 257.000 22.000 Freie Presse, Chemnitz 413.000 216.000 10.000 Hamburger Abendblatt 293.000 153.000 21.000 Boulevard überregional 1 Bild, Berlin 4,3 Mio. 1,5 Mio. - Boulevard regional 7 Express, Köln 297.000 102.000 - Berliner Kurier 286.000 65.000 4.000 | Abb. 4.5 Tageszeitungen: Typen, Beispiele, Auflagenentwicklung (Quelle: IVW 4/ 2017) Ab dem Jahr 2012 weist die IVW zusätzlich zur gedruckten Auflage auch die epaper-Auflage aus. Die S ÜDDEUTSCHE Z EITUNG hat demnach Ende 2017 eine Gesamtauflage von 358.000 * D IE W ELT seit dem Jahr 2004 inkl. W ELT K OMPAKT . Zudem weist D IE W ELT Ende 2017 eine tagesdurchschnittliche bezahlte Nutzung der Smartphone Apps von 79.000 bei der IVW aus. 152 m e d I e n o r g a n I s a t I o n e n Die Klassifizierung in regional/ überregional ist umstritten: Die s üddEutschE Z Eitung zum Beispiel berichtet auch über München und Bayern, wird aber dennoch als überregional bedeutsam eingestuft, weil sie auch in anderen Bundesländern gelesen wird. Große Regionalzeitungen - wie zum Beispiel die WESTDEUTSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG oder die RHEINISCHE POST - kämpfen ebenfalls um den Status einer überregionalen Bedeutung, werden aber über Nordrhein-Westfalen hinaus kaum wahrgenommen. Die FRANK- FURTER RUNDSCHAU wurde nach dem Zweiten Weltkrieg als linksliberales Blatt mit überregionaler Stimme eingestuft - schon 2012 war dieser Rang mit 120.000 Auflage diskussionswürdig, nach der Insolvenz und der Übernahme durch die FAZ im Jahr 2013 hat die FR die überregionale Geltung verloren. Der Begriff »Publizistische Einheit« wurde von dem Zeitungsstatistiker Walter J. Schütz einst erfunden, um die Konzentrationsprozesse im Markt der Tageszeitungen besser messen zu können. Damit sind alle Verlage und Ausgaben gemeint, die einen gemeinsamen Mantelteil haben. Unterschiedliche Mantelteile werden als verschiedene »Publizistische Einheiten« gezählt. Das erweist sich allerdings zunehmend als problematisch: So hat die Funke Mediengruppe (früher: WAZ Mediengruppe) die WESTFÄLISCHE RUNDSCHAU in Dortmund 2013 zu einer Zeitung ohne Redaktion gemacht (alle Redakteure wurden entlassen). Die Zeitung erscheint allerdings immer noch mit einem von anderen Zeitungen verschiedenen Mantelteil; die Zeitung wird von anderen Redaktionen des Konzerns produziert. Oder viele Zeitungskooperationen führen inzwischen dazu, dass nicht hinter jeder »Publizistischen Einheit« eine eigenständige Redaktion steht. Die früher gültige Gleichung »Publizistische Einheit« = »Vollredaktion« gilt heute bei weitem nicht mehr. Drei Beispiele: Der Funke-Konzern in Essen hat schon vor Jahren begonnen, die Redaktionen unterschiedlicher Zeitungen zusammenzufassen, in Stuttgart sind 2016 die beiden Hauptredaktionen der Stuttgarter Zeitung und der Stuttgarter Nachrichten zusammengelegt worden, und der Madsack-Konzern hat in Hannover unter dem Titel »Redaktionsnetzwerk Deutschland« eine Zentralredaktion für Dutzende Zeitungen eingerichtet. Die Anzahl der Vollredaktionen, die eine Zeitung inkl. Mantel komplett eigenständig herstellen, wird nicht erhoben; sie dürfte jedoch deutlich unter 100 liegen. In der von der IVW (Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern) ausgewiesenen Auflage der Tageszeitungen werden seit 2012 auch die Verkäufe der ePaper-Ausgaben berücksichtigt. Diese erreichten in den ersten Jahren nur eine geringe Größe, wachsen seit 2015 aber mit Steigerungsraten von ca. 20 Prozent pro Jahr vergleichsweise stark. Die Tageszeitungen haben drei Problemzonen, die miteinander in engem Zusammenhang stehen (vgl. Pürer 2006: 21 - 24): • Die gedruckten Auflagen der meisten Zeitungstitel gehen seit Jahren umstrittene Klassifizierung Publizistische Einheit drei Problemzonen epaper m e d I e n l a n d s c h a f t d e u t s c h l a n d : b a s I s d a t e n 153 kontinuierlich nach unten (vgl. Abb. 4.5). Besonders dramatisch ist das zum Beispiel bei BILD mit einem Rückgang um 65 Prozent zwischen 2000 und 2017. Mit den Auflagen sinken die Reichweiten - vor allem bei jungen Lesern. Mit crossmedialen Konzepten spielen die Redaktionen ihre Inhalte digital aus, was zunehmend gelingt: Die Auflage der epapers steigt - und die Reichweite aller digitalen Kanäle der deutschen Zeitungen vor allem im Web und per App liegt nach Angaben des BDZV bereits bei 51 Prozent ( → vgl. Kap. 3.2; S. 109 - 111). • Die Werbeeinnahmen gingen ebenfalls massiv zurück: zwischen 2000 und 2005 um ein Drittel; bis 2017 nochmals um 43 Prozent ( → vgl. Kap. 4.2.2; S. 137 - 138). • Das Internet mit einer Fülle an journalistischen Inhalten aus dem In- und Ausland erweist sich als scharfe Konkurrenz - auf dem Werbemarkt (vor allem die Rubrikenanzeigen wanderten ab) und auf dem Lesermarkt (vor allem bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen). Gut etabliert haben sich die kostenlos verteilten und rein durch Werbung finanzierten Anzeigenblätter, an denen die Zeitungsverleger oft mit beteiligt sind. Sie erscheinen meist wöchentlich und bedienen einen lokalen bis regionalen Markt. Anfang der 90er-Jahre erlebten die Anzeigenblätter einen regelrechten Boom, weil sie - im Gegensatz zu den damaligen Tageszeitungen - viel Service und Nutzwert boten. Seit ein paar Jahren gehen Zahl und Auflage wieder leicht zurück. Nach Angaben des Bundesverbands Deutscher Anzeigenblätter (vgl. www.bvda.de) erschienen 2017 1.298 Anzeigenblätter mit einer Auflage von 87 Millionen. Der Markt der Wochenzeitungen teilt sich im Wesentlichen in die Donnerstags- und Sonntagsblätter: Donnerstags erscheint DIE ZEIT (Auflage 425.000 gedruckt/ 80.000 epaper); sonntags BILD AM SONNTAG (805.000/ 47.000) WELT AM SONNTAG (288.000/ 63.000) und FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG (217.000/ 46.000). DIE ZEIT erlebt seit mehreren Jahren ein stabiles Auflagenhoch; die Sonntagszeitungen gehen zurück. Neben diesen allgemeinen Titeln gibt es eine Reihe konfessioneller Wochenzeitungen (Bistumsblätter) und mehrere wöchentliche Branchenblätter, die meist von Verbänden herausgegeben werden und inhaltlich den Fachzeitschriften ähneln (von den VDI NACHRICHTEN für Ingenieure bis zum BAYERISCHEN LANDWIRTSCHAFTLICHEN WOCHENBLATT). Der Markt der Zeitschriften teilt sich in Publikumszeitschriften und Fachzeitschriften, wobei sich vor allem die Publikumszeitschriften in immer mehr Special-Interest-Titel ausdifferenziert haben, die sich zum Beispiel an Autofans und Motorradfreaks, Gartenfreunde, Computernutzer, Freizeitsportler oder Fitness-Fans wenden. Während Special-Interest-Zeitschriften in der Regel privat gelesen werden, wenden sich Fachzeitschriften an ein beruflich interessiertes Publikum - zum Beispiel an Krankenschwestern Boom der Anzeigenblätter erfolgreich: DIE ZEIT differenzierter Zeitschriftenmarkt 154 m e d I e n o r g a n I s a t I o n e n (DIE SCHWESTER DER PFLEGER), Mitarbeiter in chemischen Laboren (LABOR- PRAXIS), in der Verkehrsbranche (LOGISTIK HEUTE) oder an Journalisten (MEDIUM MAGAZIN, JOURNALIST und M - MENSCHEN MACHEN MEDIEN). Viele Zeitschriften - wie auch die beiden letztgenannten - werden von Verbänden und Vereinen als Mitgliedszeitschriften produziert und sind damit ähnlich wie Kunden- oder Mitarbeiterzeitschriften von Unternehmen interessengebunden. Sie müssen deshalb eher der Public Relations als dem Journalismus zugerechnet werden ( → vgl. Kap. 7.3; S. 266). Darunter auch die größte Zeitschrift in Deutschland, die ADAC MOTORWELT mit einer Auflage von 13,4 Millionen. Die Zahl der Fachzeitschriften liegt in Deutschland im fünfstelligen Bereich. Einer der größten Verlage ist »Springer science + business« (nicht verbunden mit der Axel Springer SE), bei dem etwa 2.000 Zeitschriften der Themenfelder Wissenschaft, Medizin, Wirtschaft, Technik, Architektur, Bau und Verkehr erscheinen (z. B. die ÄRZTE ZEITUNG). Die allgemeinen Publikumszeitschriften sind vor allem durch Flaggschiffe wie SPIEGEL, STERN, BUNTE, GEO, BRIGITTE, MEN’S HEALTH oder TV14 bekannt. Diese kleine Aufzählung zeigt schon, dass wir hier wieder typisieren können - zum Beispiel in Nachrichtenmagazine, Illustrierte, People-Magazine, Frauen-, Männer- oder Programmzeitschriften. Der Markt für Publikumszeitschriften ist mit insgesamt ca. 1.500 Titeln von hoher Konkurrenz geprägt (vgl. Vogel 2016). Spektakuläre Neugründungen - wie 1993, als der Burda-Konzern mit FOCUS einen erfolgreichen Konkurrenten gegenüber dem etablierten SPIEGEL lancieren konnte (Filipp 1995) - sind selten. Publikumszeitschriften: Marktanteile der fünf größten Verlagsgruppen (Quelle: Vogel 2016) Abb. 4.6 | Verlagsgruppe zugehörige Zeitschriftentitel ( je fünf Beispiele; Auflagen 1/ 2016 in Tsd. in Klammern) Anteil am Markt der Publikumszeitschriften Anzahl der IVW-gemeldeten Titel Bauer TV14 (2.330), Bravo (154), Laura (139), inTOUCH (181), Maxi (164) 21 % 49 Burda Focus (474), Bunte (476), SUPERillu (287), Chip (180) Playboy (131) 15 % 66 Funke Die Aktuelle (370), Gong (218), Frau im Spiegel (254), Echo der Frau (185), Landidee (314) 14 % 27 Gruner + Jahr Stern (719), Brigitte (473), Geo (238), Eltern (197), Der Spiegel (zu 25 % G + J; 793) 9 % 56 Axel Springer Auto Bild (441), Computer Bild (273), Sport Bild (347), Musik Express (52), Rolling Stone (52) 4 % 12 Gesamt 64 % 210 (41 %) m e d I e n l a n d s c h a f t d e u t s c h l a n d : b a s I s d a t e n 155 Pro Jahr werden in Deutschland mehr als 100 neue Zeitschriften gegründet. Viele davon werden wieder eingestellt, einige überleben ein paar Monate, einige wenige erweisen sich dauerhaft als profitabel. Kriterium dafür ist, dass das redaktionelle Konzept auf dem Lesermarkt eine Zielgruppe anspricht, die von den Werbetreibenden als attraktiv wahrgenommen wird ( → vgl. Kap. 3.1; S. 104 - 105). Ein überraschendes Wachstum gab es nach der Jahrtausendwende bei den populären Wissenschaftszeitschriften - mit erfolgreichen Neugründungen wie GEHIRN & GEIST, ZEIT WISSEN oder TECHNOLOGY REVIEW. Die meisten Neugründungen gelingen den fünf großen Konzernen, die mit 64 Prozent den Markt dominieren: Der Markt der Publikumszeitschriften ist noch stärker konzentriert als jener der Tageszeitungen (vgl. Abb. 4.6): Die fünf größten Verlage halten 210 Titel mit 64 Prozent der Gesamtauflage der Publikumszeitschriften; bei den Titeln, die wöchentlich oder 14-täglich erscheinen, sind es sogar 84 Prozent. Ab und zu gibt es jedoch eine Ausnahme: Die erfolgreichste Neugründung im Jahrzehnt nach der Jahrtausendwende ist der Titel LANDLUST, der 2005 vom Landwirtschaftsverlag Münster ins Leben gerufen wurde, 2010 eine verkaufte Auflage von 750.000 und 2013 von 1,1 Millionen aufweisen konnte - und in der Folge einige Nachahmer mit ähnlichen Titeln bei anderen Verlagen hatte, weshalb die Auflage wieder auf unter eine Million zurück ging. Literatur Ein umfassendes Handbuch zu den Medien in Deutschland liegt von Heinz Pürer vor. Aktuelle Daten zum Zeitungs- und Zeitschriftenmarkt sowie zu den Konzentrationsverhältnissen publiziert regelmäßig die Fachzeitschrift MEDIA PERSPEKTIVEN, die kostenlos im Internet zu lesen ist (www.mediaperspektiven.de). Die aktuellen Auflagenzahlen und -entwicklungen lassen sich in der Datenbank der Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern recherchieren (www.ivw.de). Rundfunklandschaft Der Begriff »Rundfunk« wird im Alltagsgebrauch noch häufig gleichbedeutend mit »Hörfunk« verwendet. Dies liegt daran, dass sich das Fernsehen in den 50er-Jahren in den ARD-Rundfunkanstalten entwickelte, die vorher ausschließlich Radio gesendet hatten ( → vgl. zur Geschichte Kap. 2.2.1; S. 74). Heute ist mit »Rundfunk« gleichermaßen Radio wie Fernsehen gemeint. In der juristischen Definition war Rundfunk gemäß dem Rundfunkstaatsvertrag Wachstum bei Wissensmagazinen | 4. 3. 3 Radio und Fernsehen 156 m e d I e n o r g a n I s a t I o n e n jahrzehntelang »die für die Allgemeinheit bestimmte Veranstaltung und Verbreitung von Darbietungen aller Art in Wort, in Ton und in Bild unter Benutzung elektromagnetischer Schwingungen ohne Verbindungsleitung oder längs oder mittels eines Leiters«. Unter dem Vorzeichen der Digitalisierung braucht es zur Begriffsbestimmung nun mehr als eine Seite. Im Kern heißt es jetzt: »Rundfunk ist ein linearer Informations- und Kommunikationsdienst; er ist die für die Allgemeinheit und zum zeitgleichen Empfang bestimmte Veranstaltung und Verbreitung von Angeboten in Bewegtbild oder Ton entlang eines Sendeplans unter Benutzung elektromagnetischer Schwingungen.« (Rundfunkstaatsvertrag vom Dezember 2016, § 2) Linearität und Sendeplan unterscheiden den Rundfunk nun grundsätzlich von Audio und Video im Internet und auf Empfangsgeräten wie Computer, TabletPCs oder Smartphones. Die Rundfunkgeschichte in der Bundesrepublik Deutschland teilt sich im Wesentlichen in drei Phasen: (1) Zwischen 1945 und 1961 bestand das Monopol der ARD-Anstalten, die größtenteils von den Alliierten als Militärradios gegründet und Ende der 40er-Jahre Zug um Zug in deutsche Hände als öffentlich-rechtliche Organisationen übergeben wurden. Die selbständigen Landesrundfunkanstalten schlossen sich 1950 zur »Arbeitsgemeinschaft der öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten in der Bundesrepublik Deutschland« (ARD) zusammen und starteten 1954 ein gemeinsames bundesweites Fernsehprogramm (nach ersten Fernsehversuchen ab 1952 beim NWDR in Hamburg). (2) Von 1961 bis Anfang der 80er-Jahre gab es im bundesweiten Fernsehen die Konkurrenz zwischen ARD und ZDF. Das ZDF wurde 1963 offiziell als von der ARD unabhängige Anstalt gegründet, nachdem die ARD bereits zwei Jahre lang provisorisch ein zweites Fernsehprogramm produziert hatte. In den 60er-Jahren folgten dann die dritten Programme der ARD- Anstalten. Im Radiobereich hatten die ARD-Anstalten ein Monopol bis in die 80er-Jahre. (3) Mit dem Start privatwirtschaftlicher Radio- und Fernsehprogramme in der ersten Hälfte der 80er-Jahre begann das Duale Rundfunksystem. Öffentlich-rechtliches Radio und Fernsehen Die ARD produziert mit einem Budget von rund 6,6 Milliarden Euro und 23.000 festen Mitarbeitern Radio, Fernsehen und Multimedia-Angebote für digitale Ausspielwege (Stand 2016) - und ist damit der weltweit größte nicht-kommerzielle Programmanbieter. Zur ARD gehören alle neun Landesrundfunkanstalten: BAYERISCHER RUNDFUNK (BR; Bayern), HESSISCHER RUNDFUNK (HR; Hessen), MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK (MDR; Sachsen, ARD-Monopol ARD und ZDF Duales Rundfunksystem neun Landesrundfunkanstalten m e d I e n l a n d s c h a f t d e u t s c h l a n d : b a s I s d a t e n 157 Sachsen-Anhalt, Thüringen), NORDDEUTSCHER RUNDFUNK (NDR; Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Schleswig-Holstein), RADIO BREMEN (RB; Bremen), RUNDFUNK BERLIN-BRANDENBURG (RBB; Berlin, Brandenburg), SAARLÄNDISCHER RUNDFUNK (SR; Saarland), SÜDWEST- RUNDFUNK (SWR; Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz), WESTDEUTSCHER RUNDFUNK (WDR; Nordrhein-Westfalen). Hinzu kommt der Auslandsrundfunk (DEUTSCHE WELLE), der Radio und Online-Angebote in 30 Sprachen und Fernsehen in den Sprachen Deutsch, Englisch, Arabisch und Spanisch für alle Kontinente anbietet. Die ARD strahlt 60 regionale Radioprogramme aus: jede Rundfunkanstalt zwischen vier und zehn (Stand 2017). ARD und ZDF sind gemeinsam Träger des DEUTSCHLANDRADIO, das drei bundesweite Programme ausstrahlt (Deutschlandfunk, Deutschlandfunk Kultur und Deutschlandfunk Nova). Die Fernsehprogramme der ARD: Neben dem Gemeinschaftsprogramm DAS ERSTE produzieren die Landesrundfunkanstalten sieben Dritte Programme, der BAYERISCHE RUNDFUNK zusätzlich den Bildungskanal ARD- ALPHA. Die Dritten sollen sich - noch stärker als DAS ERSTE - durch Kultur, Bildung und Information auszeichnen und sind meist über Kabel und Satellit auch in anderen Bundesländern zu empfangen. Gemeinsam mit dem ZDF veranstaltet die ARD den Kinderkanal KI.KA, den Ereignis- und Dokumentationskanal PHOENIX und zusammen mit einem französischen Partner das Europäische Kulturprogramm ARTE. 3SAT wird gemeinsam von ZDF, SRG, ORF und der ARD produziert. Digital strahlt die ARD die zusätzlichen Programme TAGESSCHAU24 und ONE aus. Beim ZDF sind 3.400 Mitarbeiter fest angestellt, der Haushalt beläuft sich auf gut zwei Milliarden Euro (Stand 2017). Außer dem ZWEITEN DEUT- SCHEN FERNSEHEN und den erwähnten Beteiligungen werden digital der Infokanal ZDFinfo sowie mit ZDFneo ein Kanal für junge Zuschauer ausgestrahlt. Privatwirtschaftliches Radio und Fernsehen Die Landschaft der kommerziellen Radio- und Fernsehsender ist in Deutschland bei den bundesweiten Fernsehprogrammen ziemlich konzentriert - bei den lokalen und regionalen Radio- und Fernsehprogrammen dagegen sehr kleinteilig. Die Zulassungspolitik der Landesmedienanstalten unterscheidet sich von Bundesland zu Bundesland. Die Zahl der Radioprogramme ändert sich fast schon monatlich. Nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten gab es 2017 20 bundesweite Programme sowie landesweit 58 UKW- und 50 DAB- Angebote und lokal 197 UKW- und 42 DAB-Angebote (dabei werden etlibundesweit konzentriert, regional kleinteilig ZDF ARD 158 m e d I e n o r g a n I s a t I o n e n che Programme simultan über UKW und DAB ausgestrahlt). In Bayern ist die Lokalradio-Landschaft mit 69 UKW-Lokalprogrammen am stärksten untergliedert (allein für München sind z. B. zehn Radiosender zugelassen), in Nordrhein-Westfalen gibt es 45 lokale UKW-Radiosender. Die bundesweiten kommerziellen Fernsehsender gehören im Wesentlichen zu zwei Konzernen ( → vgl. Kap. 4.2.3; S. 140 - 144): der RTL-Gruppe (Bertelsmann AG) u.a. mit RTL, RTL II, SUPER RTL, VOX und N-TV sowie der ProSieben SAT.1 Media AG u.a. mit PRO SIEBEN, SAT.1 und KABEL 1. Im Jahr 2017 gab es 214 landesweite, regionale und lokale Fernsehsender in Deutschland, wobei 13 Sender rein eine Lizenz für ein Lokalprogramm im Internet hatten. Hinzu kommen regionale Anbieter, die in bundesweiten Vollprogrammen wie RTL oder SAT.1 ein tägliches Fenster von mindestens 30 Minuten füllen. Bei der Klassifizierung unterscheidet man grundsätzlich zwischen Vollprogrammen und Spartenprogrammen (vgl. Abb. 4.7): Ein Vollprogramm ist nach der Definition des Rundfunkstaatsvertrags »ein Rundfunkprogramm mit vielfältigen Inhalten, in welchem Information, Bildung, Beratung und Unterhaltung einen wesentlichen Teil des Gesamtprogramms bilden«. Ein Spartenprogramm sendet dagegen »im Wesentlichen gleichartige Inhalte«. Voll- und Spartenprogramme Vollprogramme Spartenprogramme Anzahl Beispiele Anzahl Beispiele öffentlichrechtliche 3 Das Erste, ZDF, 3sat 9 Arte, KI.KA, Phoenix, ARD-alpha, ZDFneo, ZDFinfo, one, 7 Dritte Programme tagesschau24, Deutsche Welle privatwirtschaftliche 14 RTL, RTL II, VOX, ProSieben, SAT.1, Kabel 1 70 Sport1, FCB.TV, n-tv, Super RTL, Tele 5, Viva privatwirtschaftliches Pay-TV (digital) 66 Discovery Channel, Disney XD, Sky (diverse Programme) privatwirtschaftliche Teleshoppingsender 17 HSE24, QVC, Sonnenklar TV Abb. 4.7 | Bundesweite Fernsehprogramme (privatwirtschaftliche durch die Landesmedienanstalten lizenziert, Verbreitung über TV oder auch rein im Internet) (Quelle: ZAW-Jahrbuch 2016/ 17: 293ff.; ARD und ZDF) zwei Konzerne m e d I e n l a n d s c h a f t d e u t s c h l a n d : b a s I s d a t e n 159 Zuhörer- und Zuschauermarkt Die Hörgewohnheiten und die Nutzung des Radios haben sich im Laufe der Zeit gewandelt ( → vgl. Kap. 3.2; S. 108 - 114). Radio ist nicht mehr ein Einschaltmedium für einen bestimmten Sendeplatz, sondern Begleit- und Nebenbeimedium durch den ganzen Tag. Viele Radioprogramme haben deshalb das Schema der festen Spartensendungen (zum Beispiel für Wirtschaft, Kultur oder Wissenschaft) zu bestimmten Uhrzeiten aufgegeben, um das Programm als Ganzes für eine breite Masse »durchhörbar« zu machen. Ein weit verbreiteter Begriff bei der Konzipierung von Programmen ist das »Formatradio«: Musikausrichtung, Programmstruktur und Moderation werden formatisiert, damit ein Programm durchgehend gleich bleibt und wiedererkannt wird. Nach der Media Analyse Radio ( → vgl. Kap. 3.1; S. 99) hört in den letzten Jahren etwa die Hälfte der deutschen Erwachsenen werktäglich mindestens eines der öffentlich-rechtlichen Radioprogramme - und etwas weniger privatwirtschaftliche Radiosender. Dabei sind in beiden Zahlen Hörer enthalten, die sowohl öffentlich-rechtliche als auch privatwirtschaftliche Programme einschalten. Die Programme mit den meisten Hörern sind die privatwirtschaftlichen radio NRW und Antenne Bayern sowie die öffentlich-rechtlichen WDR 2, 1LIVE und SWR3. Beim Fernsehen sind seit Jahren mehrere Trends zu verzeichnen: Während die Vollprogramme um teure Übertragungsrechte von (Sport-) Großereignissen oder um Lizenzen für Kino-Blockbusters konkurrieren, werden Spartenprogramme bewusst auf bestimmte Zielgruppen zugeschnitten. Obwohl der Markt des Free-TV kontinuierlich gewachsen ist, hat er sich als endlich erwiesen: Die Verheißung von hunderten Programmen im digitalen Fernsehen wurde nicht verwirklicht. Die Hoffnung für die Anbieter von ganz speziellen Spartenprogrammen liegt im digitalen Pay-TV oder im Internet-Streaming. Bei den Fernseh-Marktanteilen insgesamt kommen die öffentlich-rechtlichen in den letzten Jahren auf durchschnittlich ca. 45 Prozent. Allerdings sprechen die kommerziellen Programme eher die besonders werberelevante Zielgruppe der 14bis 49-Jährigen an, bei denen sie auf ca. drei Viertel Marktanteil kommen. Sonstige nicht-kommerzielle Rundfunkangebote Je nach Landesrundfunkgesetz gibt es von Bundesland zu Bundesland unterschiedliche Konzepte für weitere nicht kommerziell geführte Sender. Das Spektrum reicht von offenen Kanälen, an denen sich jeder mit einer eigenproduzierten Sendung oder einem Beitrag beteiligen kann, über Ausbildungskanäle bis zu kirchlichen Sendern oder Sendern für Minderheiten Formatradio Fernsehtrends 160 m e d I e n o r g a n I s a t I o n e n (z. B. türkische Sender). Beispiele sind der Hamburger Bürger- und Ausbildungskanal TIDE (www.tidenet.de), die bayerischen Aus- und Fortbildungskanäle (www.afk.de) oder der TV-Lernsender für Nordrhein-Westfalen nrwision (www.nrwision.de). Literatur Ein umfassendes Handbuch zu den Medien in Deutschland liegt von Heinz Pürer vor. Über die aktuellen Marktentwicklungen berichten regelmäßig die Fachzeitschrift MEDIA PERSPEKTIVEN sowie die Publikationen der Landesmedienanstalten (www.die-medienanstalten.de). Lehrbücher zum praktischen Radio- und Fernsehjournalismus finden sich in der gelben Reihe »Journalistische Praxis« (z. B. zum Radiojournalismus von Walther von La Roche und Axel Buchholz) und in der Reihe »Praktischer Journalismus« bei UVK, Konstanz (z. B. zum »Fernsehjournalismus« von Daniel Moj und Martin Ordolff). Digitale Medien Das Internet ist die mediale Plattform mit den höchsten Wachstumsraten bei der Nutzung ( → vgl. Kap. 3.2; S. 108 - 115) und bei den Werbeeinnahmen ( → vgl. Kap. 4.2.2; S. 136 - 138). Es ist ein Spiegel der Multioptionsgesellschaft: Jeder Mensch, jede Organisation, jedes Unternehmen kann sich im Internet präsentieren, Marketing betreiben oder sich an Diskussionen oder an der Verbreitung von Informationen beteiligen. Die journalistischen Websites geraten deshalb auch in bislang nicht gekannte Konkurrenz, was die Frage nach der Zukunft des Journalismus verschärft ( → vgl. Kap. 7.3; S. 261 - 276). Der Markt der journalistischen Online-Medien in Deutschland ist vielfältig, aber überschaubar: Im Wesentlichen handelt es sich um die Online- Auftritte der etablierten Zeitungs- und Zeitschriftenverlage sowie der Rundfunkanbieter. An der Nachrichtenverarbeitung und -präsentation beteiligen sich zudem Portale (vor allem T-ONLINE), E-Mail-Anbieter (z. B. WEB.DE, GMX. DE) und Suchmaschinen (news.google.de). Hinter GOOGLE-NEWS steckt keine Redaktion, sondern ein Computerprogramm, also ein Such-Algorithmus, der mehrere hundert Nachrichtenquellen durchkämmt, mehrfach genannte Themen als relevant herausfiltert und Teaser und Links zu diesen Quellen präsentiert. Als Startjahr des professionellen Online-Journalismus in Deutschland gilt der Launch von SPIEGEL ONLINE und des Online-Angebots der DEUT- SCHE WELLE im Herbst 1994. Der SPIEGEL ist bei den Nachrichtenangeboten 4. 3. 4 | Multioptionsmedium Internet Startjahr 1994 m e d I e n l a n d s c h a f t d e u t s c h l a n d : b a s I s d a t e n 161 klassischer Medienorganisationen zusammen mit BILD, FOCUS ONLINE und welt.de noch immer in den Messungen der letzten Jahre mit vorne - mit einer Reichweite von inzwischen 34 Prozent (vgl. Abb. 4.8). Allerdings werden bei der Reichweitenmessung der AGOF ( → vgl. Kap. 3.1; S. 100) und bei der Klickzahlmessung der IVW die öffentlich-rechtlichen Online-Angebote nicht berücksichtigt, weil sie keine Werbeträger sind. Für den Online-Journalismus sind neben den allgemeinen Programm- und Sendungswebsites vor allem die Nachrichten-Flaggschiffe TAGESSCHAU.DE und HEUTE.DE relevant. Das Online-Jugendangebot FUNK von ARD und ZDF, das im Oktober 2016 startete, verfolgt ein mehrstufiges Konzept: Zum einen werden zentral gebündelte Inhalte auf einer App angeboten, zum anderen werden Inhalte über verschiedene Plattformen wie You-Tube, Instagram oder Snapchat verteilt (vgl. Feierabend/ Philippi/ Pust-Petters 2018). Bei den sozialen Netzwerken liegen im Jahr 2017 bei der deutschen Gesamtbevölkerung WhatsApp mit 64 Prozent mindestens wöchentlicher Nutzung und Facebook mit 33 Prozent weit vor Instagram (9 %), Snapchat (6 %), Twitter (3 %) und Xing (2 %). Bei den Jugendlichen ist die Reihenfolge ähnlich - aber mit wesentlich höheren Reichweiten: WhatsApp (92 %) und Instagram (51 %) vor Facebook (50 %), Snapchat (43 %), Twitter (11 %) und Xing (2 %) (vgl. ARD/ ZDF-Onlinestudie 2017). Die sozialen Netzwerke entwickeln sich immer stärker zu Videoplattformen: YouTube bleibt das Flaggschiff im deutschen Onlinevideo-Markt, aber auch Facebook sowie Instagram und Twitter gewinnen für die Verbreitung von Onlinevideos an Bedeutung. Nach dem Web-TV-Monitor der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) gab es 2017 mehr als 12.000 deutsche YouTube-Channels mit jeweils mehr als 500 Abonnenten; 90 Prozent der befragten Onlinevideo-Anbieter nutzen YouTube, 57 Prozent Facebook und 47 Prozent Instagram (vgl. www.webtvmonitor. de, zum Download unter http: / / www.webtvmonitor.de/ wp-content/ uploads/ 2017/ 11/ BLM_LFK_Goldmedia-Web-TV-Monitor-2017.pdf). Insbesondere das lineare Live-Streaming hat zugenommen, was die Diskussion verschärft, ob der Bewegtbildmarkt nicht auch im Internet - vergleichbar mit dem klassischen Fernsehen - rechtlich geregelt werden müsste ( → vgl. Kap. 4.1; S. 127 - 130). In der mobilen Internetnutzung spielt es für Medienunternehmen eine wesentliche Rolle, ob sie mit ihren Apps auf die Smartphones der Nutzer kommen. Zwei Apps haben hier seit 2016 die Smartphones erobert, weil sie bereits vorinstalliert sind: APPLE NEWS auf allen iPhones und U PDAY auf allen Samsung-Geräten. Beides sind so genannte News-Aggregatoren, die ihre Nachrichten aus hunderten Nachrichtenquellen beziehen und sowohl von Journalisten vorsortiert als auch durch Algorithmen individuell personalisiert - je nach Nutzungsvorlieben - auf die Smartphones ausspielen. WhatsApp und Facebook 162 m e d I e n o r g a n I s a t I o n e n UPDAY wurde von der Axel Springer SE, Berlin, gegründet und beschäftigt dafür nach eigenen Angaben Ende 2017 50 Redakteure in acht europäischen Metropolen, die die Top News auswählen. UPDAY zählt Ende 2017 bereits 110 Millionen »mobile visits« pro Monat in Deutschland und international 500 Millionen (vgl. ivw.de). Reichweite (bezogen auf 59,7 Mio. Unique Internetnutzer) Netto-Reichweite in Mio. Unique User ebay Kleinanzeigen 49 % 29 T-Online 46 % 28 WEB.de 41 % 25 Chefkoch 41 % 24 Bild 40 % 24 Focus online 39 % 23 Chip 36 % 21 Spiegel online 34 % 20 Welt.de 33 % 20 GMX 33 % 20 Ebay.de 33 % 19 Gutefrage.net 31 % 19 Computerbild.de 26 % 15 Wetter.com 23 % 14 Stern 21 % 13 Mobile.de 21 % 12 Zeit online 20 % 12 Immobilien Scout 24 20 % 12 Das Telefonbuch 20 % 12 Sueddeutsche.de 19 % 11 n-tv 19 % 11 Das Örtliche 18 % 11 FAZ.NET 18 % 10 Abb. 4.8 | Reichweiten des Werbeträger-Onlinemarkts (stationäre und mobile Nutzung): Angaben für den Untersuchungszeitraum Oktober bis Dezember 2017. (Quelle: AGOF / daily digital facts 1/ 2018) e x k u r s : Ö s t e r r e I c h u n d s c h w e I z 163 Literatur Der Markt der Online-Medien entwickelt sich rasant und dynamisch. Aktuelle Reichweiten- und andere Marktentwicklungen müssen im Internet recherchiert werden (vgl. z. B. www.agof.de oder www.ivw.de). Grundsätzliche Analysen des Journalismus im Internet finden sich im Sammelband von Christian Nuernbergk und Christoph Neuberger. Mehrere Lehrbücher behandeln inzwischen die praktischen Herausforderungen des Internet-Journalismus: z.B. von Gabriele Hooffacker, Nea Matzen und Simon Sturm. Exkurs: Österreich und Schweiz Die Medienlandschaften in Österreich und der Schweiz können in dieser Einführung nur knapp beschrieben werden. Für Interessierte gibt es aber Literaturempfehlungen. Die Medienlandschaften in beiden Ländern sind dadurch geprägt, dass sie Kleinstaaten mit großen Nachbarländern sind. Vor allem in der Schweiz - mit einem kleinteiligen, in vier Sprachregionen separierten Markt - werden viele Zeitschriften und Fernsehsender aus Deutschland, Frankreich und Italien konsumiert. Österreich Die Pressekonzentration auf dem Markt der Tageszeitungen nahm in Österreich einen ähnlichen Verlauf wie in Deutschland ( → vgl. Kap. 4.2.3; S. 140 - 141). Marktzutritte schafften 1988 der linksliberale STANDARD, der Oscar Bronner und seiner Privatstiftung gehört, sowie im Jahr 2006 die neue Tageszeitung ÖSTERREICH, die mit einem aggressiven Preis (50 Cent) den Einstieg schaffte. ÖSTERREICH gehört Privatstiftungen der Familie Fellner und wird von der österreichischen Auflagenkontrolle als Gratiszeitung geführt, weil mittlerweile der überwiegende Teil der Zeitungen gratis verteilt und nicht verkauft wird. Marktführer unter den 2018 noch 14 Tagestiteln in Österreich ist die Boulevardzeitung KRONEN ZEITUNG, die mit 749.000 fast die Hälfte der verkauften Auflage österreichischer Tageszeitungen ausmacht. Die nationale Reichweite dieser einen Zeitung von 31 Prozent ist trotz des Verlusts eines Viertels der Leserschaft im vergangenen Jahrzehnt immer noch einmalig in demokratischen Ländern. Die Redaktion der KRONEN ZEITUNG ist sich dieser Macht bewusst und nutzt sie nicht selten zur Kampagnisierung bestimmter politischer Forderungen oder auch zur Unterstützung einzelner Politiker. Mit HEUTE wurde auch eine Tageszeitung, die von Beginn an auf Gratis-Vertrieb setzte, vor allem im Wiener U-Bahn-Netz, innerhalb kürzester | 4. 4 Marktführer Kronen Zeitung 164 m e d I e n o r g a n I s a t I o n e n Zeit zu einem wichtigen Markt- und Machtfaktor. Mit einer Reichweite von 32 Prozent in Wien (österreichweit: 13 Prozent) übertrifft HEUTE in der Bundeshauptstadt sogar die KRONEN ZEITUNG. Zwischen diesen beiden Medienunternehmen gibt es eine familiäre Verbindung: HEUTE wird von Eva Dichand, der Schwiegertochter des mittlerweile verstorbenen KRONE- Gründers Hans Dichand und Ehefrau des heutigen Herausgebers Christoph Dichand geführt. An beiden Zeitungen halten sie ihre Anteile über private Familienstiftungen. Der Markt der österreichischen Publikumszeitschriften liegt zu gut zwei Dritteln in der Hand der NEWS-Verlagsgruppe (vgl. www.vgn.at), die zwölf Magazine herausgibt - darunter das Nachrichtenmagazin PROFIL (verkaufte Auflage 2016: 68.000), das Wirtschaftsmagazin T REND (46.000), die Illustrierte NEWS (115.000), die Programmzeitschrift TV-MEDIA (179.000) und die Frauenzeitschrift WOMAN (132.000). Deutsche Zeitschriften erreichen auch in Österreich eine relativ hohe Reichweite - zum Beispiel GEO mit 460.000 Lesern (vgl. www.media-analyse.at). Deutsche Medienkonzerne sind in Österreich engagiert: So gehören die Hälfte der KRONEN ZEITUNG und fast die Hälfte des KURIER zur Funke Mediengruppe; Gruner + Jahr besaß 56 Prozent der NEWS-Verlagsgruppe, verkaufte seinen Anteil aber 2016 an den Medienmanager Horst Pirker, der seither einen Sparkurs fährt und versucht, die NEWS-Gruppe zu konsolidieren. Österreich war das letzte Land in Europa, das privatwirtschaftlichen Rundfunk zugelassen hat: Erst ab 1995 gab es erste Radiosender, ab 2002 Lizenzen für private terrestrische Fernsehsender. Entsprechend stark ist starke Stellung des ORF Verkaufte Auflage in 1.000 2002 2012 2016 Kronen Zeitung 852 810 749 Kleine Zeitung 250 279 280 Kurier 174 159 132 Oberösterreichische Nachrichten 104 107 105 Tiroler Tageszeitung 91 87 83 Die Presse 76 73 68 Der Standard 69 69 62 Salzburger Nachrichten 75 69 67 Vorarlberger Nachrichten 66 62 61 Abb. 4.9 | Die größten Tageszeitungen in Österreich (Quelle: Erhebungen des Medienhaus Wien; ÖAK) Zeitschriften: Marktführer News- Verlagsgruppe e x k u r s : Ö s t e r r e I c h u n d s c h w e I z 165 nach wie vor die Stellung des öffentlich-rechtlichen Österreichischen Rundfunks (ORF). Er sendet drei bundesweite Radioprogramme (Österreich 1, FM4 und Hitradio Ö3) sowie aus neun Regionalstudios in den Bundesländern, zwei Fernseh-Vollprogramme (ORF eins und ORF 2), hat Beteiligungen an 3sat, ARD-alpha und ARTE sowie zwei Spartenprogramme (den Info- und Kulturkanal ORF III, das Sportprogramm ORF SPORT+). Die Website www.orf.at ist das größte österreichische Online-Medium eines Medienhauses, gefolgt von derstandard.at und krone.at. Es gibt etwa 80 regionale und lokale privatkommerzielle Radios. Im TV- Markt übernahm der frühe TV-Sender PULS 4 im Jahr 2017 den Konkurrenten ATV. Beide gehören zu hundert Prozent zur PRO7.SAT1-Gruppe. Sehr expansiv war im vergangenen Jahrzehnt die Red Bull-Mediengruppe des Unternehmers Dietrich Mateschitz: Sie sicherte sich für SERVUS TV eine der privaten Fernsehlizenzen, gründete reichweitenstarke Printprodukte wie das Freizeitmagazin SERVUS IN STADT UND LAND oder das in vielen Zeitungen beigelegte Supplement RED BULLETIN. Der ORF hält - mit abnehmender Tendenz - 2017 noch rund ein Drittel Marktanteil des TV-Publikums, die privaten österreichischen Anbieter bleiben summiert etwas unter der Zehnprozentgrenze. Die großen deutschen Sender - RTL, Sat1, ARD, ZDF - erzielen via Kabel und Satellit mit ihren Programmen in Österreich größere Reichweiten als die nationalen, privaten Anbieter. Schweiz Die Medienlandschaft in der Schweiz ist vor allem durch die Teilung in vier Sprachregionen geprägt, wobei in der Deutschschweiz die größten und meisten Medien erscheinen. Das Boulevard-Blatt BLICK hatte traditionell die höchste Auflage (vgl. Abb. 4.10), wurde inzwischen aber von den Gratiszeitungen 20 MINUTEN (450.000) und BLICK AM ABEND (254.000) überholt und zum Teil verdrängt ( → vgl. Kap. 4.2.2; S. 139). Überregional bekannt sind die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG - eine der ältesten Zeitungen Europas ( → vgl. Kap. 2.2.1; S. 72) - und der TAGES-ANZEIGER, der als eine der größten Abonnementzeitungen der Schweiz ebenfalls in Zürich erscheint. Ähnlich wie für Deutschland bereits mehrfach in diesem Buch erwähnt, sinken die Printauflagen der Tageszeitungen zwar kontinuierlich, dafür steigen die digitalen Reichweiten substantiell, weshalb die WEMF inzwischen mit der »Total Audience«-Studie die Print- und Online-Reichweiten der Medienmarken kombiniert ausweist. Dabei erreicht zum Beispiel der TAGES-ANZEIGER täglich 370.000 Print- und 200.000 Online-Leser (mit 45.000 Überschneidung) (vgl. Total Audience 2017- 2). Beim TAGES-ANZEIGER - und auch bei anderen Zeitungen - ist die kombinierte Gesamtreichweite in den letzten Jahren gestiegen. Marktführer Blick und 20 Minuten 166 m e d I e n o r g a n I s a t I o n e n Die drei größten Verlagsgruppen in der Schweiz sind Ringier (mit z. B. BLICK, BLICK AM ABEND, BEOBACHTER, SCHWEIZER ILLUSTRIERTE, GLÜCKS- POST, LANDLIEBE), Tamedia-Gruppe (20 MINUTEN, 24 HEURES, BERNER ZEI- TUNG / DER BUND, LE MATIN, TAGES-ANZEIGER, ANNABELLE, SCHWEIZER FAMILIE) und NZZ-Gruppe (NEUE ZÜRCHER ZEITUNG, LUZERNER ZEITUNG, ST GALLER TAGBLATT). Die Verlagskonzentration und redaktionelle Konzentration sind in den vergangenen Jahren weiter vorangeschritten. So hat zum Beispiel TAMEDIA 2018 je eine Mantelredaktion in der Deutschschweiz und in der Romandie geschaffen, die die Zeitungstitel der Verlagsgruppe mit Inlands-, Auslands-, Wirtschafts- und Sport-Berichterstattung beliefern. Zu den auflagenstärksten Publikumszeitschriften gehören BEOBACH- TER (Zürich, 237.000), SCHWEIZER FAMILIE (Zürich, 148.000), SCHWEIZER ILLUSTRIERTE (Zürich, 136.000), GLÜCKSPOST (Zürich, 126.000), L’ILLUSTRÉ (Lausanne, 61.000). Es gibt zwei Nachrichtenmagazine: die wirtschaftsliberale und rechtskonservative DIE WELTWOCHE (44.000) und die alternative WOCHENZEITUNG WOZ (17.000). Noch mehr als in Österreich werden in der Schweiz Zeitschriften der Nachbarländer gelesen. Die Rundfunklandschaft wird dominiert von der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft SRG SSR IDÉE SUISSE, die ähnlich wie die Öffentlich-Rechtlichen in Deutschland und Österreich überwiegend durch Gebühren finanziert wird und sich als »Service public«-Veranstalter versteht. Das Angebot der SRG SSR umfasst sieben Fernseh- und 17 Radioprogramme in den vier Landessprachen sowie ergänzende Websites in insgesamt zehn starke Stellung der SRG Verkaufte Auflage in 1.000 2002 2012 2017 Blick 292 191 134 Tages-Anzeiger 235 187 131 Berner Zeitung 163 174 93 Die Nordwestschweiz 194 169 137 Neue Zürcher Zeitung 166 130 87 Die Südostschweiz 138 121 82 Luzerner Zeitung 133 119 111 St. Galler Tagblatt 110 116 113 Basler Zeitung 104 68 43 24 heures 89 72 52 Corriere del Ticino 36 30 Abb. 4.10 | Die größten Tageszeitungen in der Schweiz (Quelle: WEMF) e x k u r s : Ö s t e r r e I c h u n d s c h w e I z 167 Sprachen. Am 4. März 2018 stimmten die Schweizer in einer Volksabstimmung darüber ab, ob die Haushaltsabgabe zur Finanzierung des öffentlichrechtlichen Rundfunks abgeschafft werden soll. 71,6 Prozent sagten «nein», womit die Gebührenfinanzierung weiter bestehen bleibt. Die Forderung nach Reformen klang nach der Abstimmung aber kaum ab, und die SRG hat bereits Einsparungen in Aussicht gestellt. Im Unterschied zu Deutschland werden in der Schweiz auch viele lokale privatwirtschaftliche Sender mit den Gebühren unterstützt. 1983 wurden Lokalradios zugelassen, 1993 lokale Fernsehanbieter. Die ca. 50 privatwirtschaftlichen Radioanbieter senden noch heute lokal und regional. An den Radiostationen und vor allem auch an den regionalen Fernsehsendern sind die Presseunternehmen maßgeblich beteiligt. Die Crossownership auf den regionalen Medienmärkten ist deshalb in der Schweiz höher als in Deutschland und Österreich. So kontrolliert zum Beispiel die azmedien- Gruppe DIE NORDWESTSCHWEIZ und damit den werbemäßigen und redaktionellen Verbund von acht Tageszeitungen und einer Samstagszeitung; die Gruppe umfasst die reichweitenstärkste TV-Familie (TELEZÜRI, TELEM1, TELE- BÄRN) und eine Reihe von Fachzeitschriften und den AT Buchverlag. Allerdings ist der Anteil der regionalen Fernsehsender am Publikumsmarkt relativ gering, weil die Schweizer neben den Programmen der SRG SSR überwiegend Programme aus den Nachbarländern konsumieren. »In keinem europäischen Land ist die Nutzungsdauer der einheimischen Fernsehsender so gering wie in der Schweiz« (Blum 2003: 368). Bei den journalistischen Online-Medien sind 20min.ch (4,8 Mio. Unique User im Oktober 2017) und srf.ch (4,7) führend - gefolgt von den Online- Auftritten der Tageszeitungen nzz.ch (3,0) und tagesanzeiger.ch (2,1) (vgl. netreport.net-metrix.ch). Innovationen im journalistischen Digitalbereich gab es sowohl von Seiten der Verlage - zum Beispiel mit der erfolgreichen Gründung des Newsportals watson.ch 2014 durch die azmedien-Gruppe - als auch unabhängig von Medienunternehmen: Die gemeinnützige Genossenschaft «Project R» hat 2018 die Website republik.ch an den Start gebracht. Web-Angebote 1 Nennen Sie die wichtigsten Nachrichtenagenturen in Deutschland. 2 Wie heißen die fünf größten Zeitungsverlagsgruppen in Deutschland und welche Zeitungstitel geben sie zum Beispiel heraus? 3 In welche vier Typen kann die Zeitungslandschaft eingeteilt werden? Nennen Sie Beispiele für dazugehörige Zeitungstitel. 4 Wie kann man den Markt der Publikumszeitschriften typisieren? Nennen Sie Beispiele. Übungsfragen zu Kapitel 4.3 und 4.4 168 m e d I e n o r g a n I s a t I o n e n Literatur Eine detaillierte Übersicht zu Status und Entwicklung von Journalismus und Medienmanagement über die Medienlandschaft in Österreich geben die Journalisten-Reports von Andy Kaltenbrunner, Matthias Karmasin und Daniela Kraus, deren erster Band (2007) auch eine ausführliche Markt-Darstellung enthält. Jeweils aktuelle Branchendaten zu den Zeitungen finden sich im Medienhandbuch des VÖZ. Matthias Künzler hat 2013 ein grundlegendes Lehrbuch über das Mediensystem Schweiz vorgelegt. Redaktionsorganisation Medienorganisationen gliedern sich in verschiedene Abteilungen. Presseunternehmen zum Beispiel bestehen in der Regel aus einer Vertriebs- und einer Anzeigenabteilung, einem Druckzentrum und einer Redaktion. Um unabhängig von parteilichen und kommerziellen Interessen arbeiten zu können, sollte eine Redaktion weitgehend autonom von den anderen Abteilungen sein - wobei fallweise auch koordiniert werden muss. Wenn die Redaktion zum Beispiel eine aufwendige Serie oder ein Special (etwa zu einem Großereignis) plant, kann der Vertrieb spezielle Abonnentenwerbung machen, wenn er rechtzeitig davon weiß. Auch in der Entwicklung neuer journalistischer Produkte müssen Zielgruppenkonzepte zwischen Redaktion, Vertriebs- und Anzeigenabteilung abgestimmt werden ( → vgl. zum redaktionellen Marketing Kap. 3.1; S. 105 - 106). 4.5 | Autonomie der Redaktion 5 In welche drei Phasen teilt sich die Rundfunkgeschichte der Bundesrepublik Deutschland? 6 Nennen Sie Beispiele für bundesweite Vollprogramme und Spartenprogramme (öffentlich-rechtlich und privatwirtschaftlich). 7 Welche Online-Medien liegen bei der Zahl der Unique User vorne? 8 Welches sind die drei größten (Verkaufs-)Tageszeitungen in Österreich und der Schweiz? 9 Vergleichen Sie die Medienlandschaften in Österreich und der Schweiz mit der Medienlandschaft in Deutschland. Welche Unterschiede fallen Ihnen auf? r e d a k t I o n s o r g a n I s a t I o n 169 Die Organisation einer Redaktion richtet sich im Idealfall nach der publizistischen Strategie, den journalistischen Konzepten, Zielen und Zielgruppen. Ohne strenges organisatorisches Korsett könnten die journalistischen Produkte nicht die Wünsche der Leser, Hörer und Zuschauer befriedigen. Die Kunden der Journalisten müssen sich darauf verlassen können, dass die Zeitung oder die Sendung regelmäßig und pünktlich erscheint und dass das Spektrum an aktuellen Themen die Erwartungen erfüllt. Würde eine Morgenzeitung erst am Abend ausgeliefert, wäre das ebenso unbefriedigend wie eine Fernseh-Nachrichtensendung, die zufällig einmal nur über Politik und ein anderes Mal nur über Sport berichtet. Organisation, Struktur und Arbeitsweise einer Redaktion müssen sich auf diese thematischen und zeitlichen Erwartungen einstellen. Das Themenspektrum, das eine Redaktion bearbeiten kann, wird in der horizontalen Gliederung der Redaktion fachlich verankert. Ein privatwirtschaftlicher Radiosender wird beispielsweise eher Musikredakteure und unterhaltsame Moderatoren einstellen und seine Redaktion nach den Bereichen Musik, Unterhaltung und Nachrichten gliedern. Darüber hinausgehende spezielle thematische Zuständigkeiten finden sich in den Redaktionen privatwirtschaftlicher Radiosender kaum - allenfalls ein Sport-, Kino- oder Lifestyle-Redakteur (vgl. Altmeppen/ Donges/ Engels 1999, 146 - 151). Ähnlich eingeschränkt definieren unterhaltungsorientierte Zeitschriften ihr Spektrum an Ressorts. strenges organisatorisches Korsett Redaktion Der Begriff »Redaktion« wird im deutschsprachigen Journalismus vielfältig verwendet. Definitorische Klarheit bringt eine Gegenüberstellung mit den entsprechenden englischen Bezeichnungen. Im Allgemeinen ist mit »Redaktion« diejenige Abteilung eines Medienunternehmens gemeint, welche die journalistischen Leistungen erbringt (»editorial department«). Mitunter wird die Gesamtheit aller journalistischen Mitarbeiter als »Redaktion« bezeichnet (»editorial staff«) oder die Räume bzw. die organisatorischen Strukturen, in denen sie arbeiten (»Newsroom«), oder auch die Tätigkeit der Redakteure: Sie erledigen die »Redaktion« eines publizistischen Werks (»editing«). Redakteure sind fest angestellte Journalisten (im Gegensatz zu den freien Mitarbeitern) - ein Begriff, der sich ebenfalls nicht treffend ins Englische übersetzen lässt, weil dort »editors« und »reporters« eine ganz bestimmte journalistische Rolle einnehmen und sich nicht durch die Art des Arbeitsverhältnisses definieren (nach Meier 2005). Definition 170 m e d I e n o r g a n I s a t I o n e n Informationsorientierte Medien mit universellem Themenanspruch teilen die Redaktion dagegen in die klassischen Ressorts ein, um die für den Journalismus wichtigen gesellschaftlichen Teilsysteme kontinuierlich beobachten zu können ( → vgl. Kap. 1.2.3; S. 29 - 36). Aber auch hier gibt es Unterschiede: Während Tageszeitungen in der Regel Themengebiete, die für eine kurzfristige aktuelle Berichterstattung zentral sind, fachlich verankern (Politik, Wirtschaft, Kultur, Sport und Lokales), bilden öffentlich-rechtliche Fernseh- und Hörfunksender zusätzlich Abteilungen für längerfristig aktuelle Themengebiete - wie für Wissenschaft und Bildung, für Religion oder für Kinder, Jugend und Familie. Das Themenspektrum eines öffentlichrechtlichen Senders ist damit breiter als das eines Printmediums. Insgesamt gilt: Ressorts und thematische Zuständigkeiten von Journalisten sind die Wahrnehmungsstruktur des Journalismus (vgl. Meier 2002a). Nur Themen, die in einer Redaktion strukturell verankert sind, werden wahrgenommen. Aufbauorganisation: Tätigkeiten, Sparten und Macht Der Begriff »Aufbauorganisation« stammt aus der allgemeinen Managementlehre. Man unterscheidet grundsätzlich zwischen horizontaler und vertikaler Abteilungsbildung. Die horizontale Abteilungsbildung erfolgt nach dem Kriterium der Aufgabenverteilung, die vertikale beschreibt das Machtgefüge in einer Redaktion. Die Aufgaben in einer Redaktion können auf zwei verschiedene Arten verteilt werden: Einerseits können die Redakteure auf Objekte spezialisiert sein (Spartenorganisation) - sie sind für ganz bestimmte Sparten, Sendungen oder Themengebiete zuständig - andererseits nach ihrer Tätigkeit (Funktionalorganisation). Ob die Redakteure auf Tätigkeiten spezialisiert sind, hängt größtenteils von der Journalismuskultur und -tradition ab: In traditionellen deutschsprachigen Zeitungsredaktionen zum Beispiel erledigt der Redakteur überwiegend alle Tätigkeiten von Recherche, Texten und Redigieren bis zu Blattplanung und Seitenlayout; im angloamerikanischen Journalismus hat sich dagegen frühzeitig eine funktionale Spezialisierung in »reporters« und »editors« durchgesetzt (vgl. Esser 1998). Während die »reporters« recherchieren und schreiben, ist es die alleinige Aufgabe der »editors«, Texte zu redigieren, Schlagzeilen zu formulieren, die Seiten am Computer zu layouten und die Produktionsabläufe zu überwachen. Beide Organisationsformen haben Vor- und Nachteile. Der Trend in den USA geht in Richtung stärkerer Abstimmung zwischen »reporters« und »editors«, die traditionell wenig miteinander zu tun haben (vgl. Meier 2002a: 244 - 248). Deutschsprachige Redaktionen spezialisieren dagegen immer mehr in Schreiber und Blattmacher, wobei man aber das angloamerikanische Modell nicht direkt übernimmt, sondern eigene Organisationsformen entwirft (vgl. Meier 2006, 2007, 2016). Wahrnehmungsstruktur Aufgaben und Machtgefüge »reporters« und »editors« r e d a k t I o n s o r g a n I s a t I o n 171 In vielen Fernsehredaktionen ist eine ähnliche funktionale Spezialisierung üblich: Während die fest angestellten Redakteure für das Programm verantwortlich sind, in Konferenzen koordinieren, Themen planen, Beiträge in Auftrag geben und fertige Beiträge abnehmen, liefern Reporter, freie und feste freie Mitarbeiter Beiträge zu: Sie recherchieren, drehen vor Ort (in Zusammenarbeit mit dem Kamerateam), schneiden (zusammen mit dem Cutter) und texten. Kriterien der vertikalen Abteilungsbildung sind die Entscheidungskompetenz und die Machtverteilung innerhalb einer Organisation. Typische Organisationsweise der Redaktion ist die Einlinienorganisation mit dem klassischen Bild der Pyramide und dem Prinzip der Auftragserteilung. Die Hie- Hierarchie Chefredaktion/ Ressortleiter/ Redakteure Einlinienorganisation I: Die klassische Redaktionsorganisation im deutschsprachigen Raum: Die Redakteure (R) sind Ressortleitern (RL) unterstellt. Jeder übernimmt alle Aufgaben (Texten, Redigieren, Layout) - eine rein objektorientierte Spezialisierung. Einlinienorganisation II: Die klassische Redaktionsorganisation im anglo-amerikanischen Journalismus: Die Journalisten sind zwar auch objektorientiert spezialisiert, aber nicht in so viele Ressorts wie in Deutschland. Prägender ist die funktionale Spezialisierung nach Tätigkeiten: Die Reporters recherchieren und schreiben. Sie arbeiten den Editors zu, die redigieren, das Blatt planen und gestalten. RL 1 RL 1 Edit. Rep. Edit. Rep. RL 2 RL 2 RL 3 R R R R R R R R R Mehrlinienorganisation: Die fachlich spezialisierten Redakteure arbeiten für verschiedene Ressorts. Die Ressortleiter stellen sich themenorientiert immer wieder Teams zusammen. Matrix-Organisation: Die Teams sind zum einen tätigkeitsorientiert (Reporter-, Layouter-, Fotografengruppe) mit je einem Leiter und zum anderen objektorientiert nach klassischen Ressorts eingeteilt. Die Reportergruppe zum Beispiel beliefert verschiedene Ressorts - je nach Thema. Stab-Linien-Organisation: Zur Einlinienorganisation kommt eine Stabsstelle hinzu, zum Beispiel ein Chef vom Dienst oder Redaktionsmanager. Er koordiniert Ressorts, Themen und Projektteams. Rep. Ress.1 Ress.2 Ress.3 Lay. Foto | Abb. 4.11 Grundmodelle der Redaktionsorganisation (Quelle: Meier 2002a: 102 -105) 172 m e d I e n o r g a n I s a t I o n e n rarchie Chefredaktion/ Ressortleiter/ Redakteure ist sowohl in deutschen als auch in angloamerikanischen Redaktionen üblich (vgl. Abb. 4.11). Vorteile sind klare Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten. Die einfachen Kommunikations- und Kompetenzstrukturen fördern das Sicherheitsgefühl. Die Einzelprodukte - in Printmedien die Sparten, im Rundfunk die Sendungen - werden weitgehend autonom und unabhängig voneinander hergestellt. Die strikte Einlinienorganisation kann sich allerdings auf die redaktionelle Arbeit auch schädlich auswirken: Wer nur auf die eigene Sparte oder die eigene Sendung schaut, verliert den Blick fürs Ganze. Die Zeitung, die Zeitschrift, das Radio- oder das Fernsehprogramm werden nicht »aus einem Guss« produziert. Themen, die nicht zweifelsfrei einem Ressort oder einer Sendung zugeordnet werden können, fallen durchs Wahrnehmungsraster der Redaktion oder werden womöglich in zwei Abteilungen gleichzeitig behandelt (vgl. Ruß-Mohl 1995: 122) - es entstehen die so genannten Dubletten. Zudem können Ressourcen nicht übergreifend genutzt werden: Die Redakteure können ihre Sachkompetenz nur für die eigene Sparte umsetzen und sind nicht flexibel einsetzbar. Je nach Personal- und Themenlage ist an einem Tag das eine Ressort unterbesetzt, am anderen Tag ein anderes. Um diese Nachteile zu vermeiden, haben Redaktionsleiter Ideen aus anderen Managementmodellen übernommen (vgl. Meier 2002a). Bei der Stab-Linien-Organisation koordiniert ein Redaktionsmanager (oft ein »Chef vom Dienst« oder ein »Redakteur vom Dienst« oder ein »Newsdesk-Leiter«) die Themenabsprachen zwischen den Abteilungen, den Beitragsaustausch, die gegenseitige Zuarbeit und die Teamarbeit über Ressortgrenzen hinweg. Das Modell der Mehrlinienorganisation ist ausschließlich ressortübergreifend angelegt: Die Ressorts lösen sich auf; die Redakteure bleiben zwar fachlich spezialisiert, arbeiten aber in wechselnden Teams für verschiedene Ressortleiter. Das Modell sorgt für einen stärkeren Wissenstransfer. Sachkompetenz wird ausgiebig und unterschiedlich genutzt: So schreibt zum Beispiel der auf Wirtschaftspolitik spezialisierte Redakteur zwar meist für die Politik, bei Bedarf aber auch für die Wirtschaftsseiten. Oder beim Radio produzieren die Wissenschaftsredakteure nicht nur die »eigene« Wissenschaftssendung, sondern liefern auch den aktuellen Magazinsendungen zu. Die Matrixorganisation stellt eine Kombination aus funktionalen und objektorientierten Gruppen dar. In einigen Zeitungsredaktionen sind zum Beispiel zentrale Layouterpools oder Fotografengruppen eingerichtet - oder eine Reportergruppe, die ressortunabhängig verschiedenen Ressorts zuliefert. In großen Fernsehredaktionen sind die Kameraleute und die Cutter eigenen Abteilungen unterstellt; die Journalisten müssen über eine zentrale Koordinationsstelle ein Team buchen, wenn sie einen Beitrag vor Ort drehen und anschließend schneiden wollen. Kameraleute und Cutter sind mal für diese, mal für jene Redaktion tätig. Neue Erscheinungsform der Matrixmangelnder Blick fürs Ganze alternative Modelle r e d a k t I o n s o r g a n I s a t I o n 173 Organisation ist die crossmedial integrierte Redaktion: Auf der einen Seite gibt es die Ressorts (wie in der obigen Matrix), auf der anderen die medialen Plattformen: Ein Ressort ist dann für verschiedene Plattformen zuständig (in der Matrix horizontal); es gibt daneben aber Teams, die nur für eine Plattform arbeiten und die Zulieferungen der Ressorts bündeln (in der Matrix vertikal) (vgl. Meier 2016). Die vier Organisationsmodelle existieren selten in Reinform - nicht zuletzt, weil sie jeweils spezifische Nachteile mit sich bringen. Die Kunst des Redaktionsmanagements besteht darin, diejenigen Elemente zu kombinieren, mit denen die redaktionellen Konzepte und Ziele am besten umgesetzt werden können. Ablauforganisation: redaktioneller Workflow Der Erscheinungsrhythmus eines Mediums bestimmt wesentlich die zeitlichen Strukturen und Arbeitsweisen einer Redaktion. Mit »Workflow« sind einerseits die Stationen gemeint, die ein Beitrag durchläuft, bis er gedruckt oder gesendet wird, und andererseits die grundsätzlichen, routinisierten Abläufe in einer Redaktion: von der Redaktionskonferenz und Themenplanung über die Beitragsproduktion bis zum Andruck, zur Sendung oder zur Aktualisierung eines Online-Magazins. Während Nachrichtensendungen nahezu rund um die Uhr im Schichtbetrieb arbeiten und sich manche Tätigkeiten stündlich oder sogar viertelstündlich wiederholen, haben Zeitungsredaktionen einen am Tagesrhythmus orientierten Workflow: Am Vormittag wird das einlaufende Material sortiert, in Konferenzen werden Themen besprochen und vergeben, die ersten Recherchen laufen an. Erst am Nachmittag wird geschrieben und layoutet. Die letzten Beiträge werden kurz vor Redaktionsschluss am Abend fertig. Ganz anders müssen Online-Redaktionen ihren Workflow organisieren: Sie haben weder Redaktionsschluss noch Sendetermin; die Nutzer erwarten eine permanente Aktualisierung der Nachrichten. Der redaktionelle Workflow muss so eingerichtet sein, dass ein Beitrag von einem Texter in die Hand eines anderen wandern kann: Eine neue Schicht übernimmt die Geschichte und schreibt sie aufgrund der aktuellen Lage um und weiter. Redaktionstechnik steuert redaktionelle Abläufe Technische Innovationen verändern die Abläufe in den Redaktionen grundlegend. Beispiel Zeitungsredaktion: Während früher ein Text auf der Schreibmaschine geschrieben, per Redaktionsbote in den Satz gegeben und anschließend vom Setzer in die Seite eingefügt wurde, kann mit modernen Redaktionssystemen das Layout am Computer entworfen werden - und der unterschiedlicher Workflow technische Innovationen 174 m e d I e n o r g a n I s a t I o n e n Journalist schreibt seinen Text direkt ins Layout. Ändert sich die Nachrichtenlage dramatisch, können Seiten jederzeit umgebaut, Beiträge gelöscht, auf andere Seiten verschoben oder gekürzt, neue Beiträge in kurzer Zeit aufgenommen werden. Beispiel Radioredaktion: Früher lag ein O-Ton auf einem Tonband vor, das Band wurde geschnitten und geklebt. Es wurde immer mit dem Original gearbeitet, denn mit jeder Kopie hätten die Töne an Qualität verloren. Das Tonband musste materiell immer vorhanden sein, wenn der Beitrag gesendet wurde; danach wanderte das Band ins Archiv. Nach der Digitalisierung der Radiotechnik liegen O-Töne und Beiträge auf Servern, die für jeden Redakteur permanent übers Netzwerk erreichbar sind. Töne können beliebig oft kopiert werden. In kurzer Zeit können mehrere Versionen eines Beitrags für verschiedene Sendungen produziert werden. Auch das digitale Archiv ist schnell und einfach durchsuchbar. Während die Digitalisierung von Print- und Radioproduktion schon länger zurückliegt, befinden sich viele Fernsehredaktionen zurzeit in der Einführungsphase digitaler Technik und damit in einem radikalen Umbau der Abläufe in den Redaktionen. Mit analogem Bandmaterial hing der redaktionelle Ablauf am physischen Weg eines Bandes: Nach dem Dreh vor Ort kam das Band in den Schneideraum; der geschnittene Beitrag wanderte auf Band in die Redaktion zur Abnahme, in das Tonstudio zum Besprechen, ins Sendezentrum zum Ausspielen und anschließend ins Archiv. Jetzt wird das digitale Videomaterial nach dem Dreh auf einem Server gespeichert, ist für alle Redakteure erreichbar und kann beliebig oft verwendet oder kopiert werden. In kurzer Zeit können Beiträge an jedem Arbeitsplatz abgenommen, aktualisiert oder ausgetauscht werden. Im digitalen Videoarchiv kann in den Beiträgen über eine Schlüsselbild- oder Stichwortsuche recherchiert werden. Redaktionssysteme bzw. Content Management Systeme für Print, Audio, Video und Internet strukturieren und steuern heute die redaktionellen Arbeitsabläufe bei allen Medien. Während früher aus technischen Gründen strikt lineare Abläufe vorgegeben waren, werden mit digitaler Technik Abläufe und Tätigkeiten vernetzt. Moderne Redaktionstechnik ermöglicht es zudem, dass Reporter mit dem Laptop und einer Onlineverbindung - oder einfach einem Smartphone - ihre Texte, Fotos oder Videos vor Ort direkt ins Redaktionssystem einpflegen und veröffentlichen. Gelegentlich wurde auch schon von einer »Virtualisierung der Redaktion« gesprochen, weil die Redaktion als physischer Ort nicht mehr für alle an der Produktion beteiligten Journalisten die gleiche zentrale Bedeutung hat wie früher, als Manuskripte, Fotoabzüge oder Bänder dort abgegeben werden mussten. Neue Möglichkeiten des Wissensmanagements ergeben sich im redaktionellen Intranet durch den Einsatz von Web 2.0-Technologien: An einem Wiki zum Beispiel - nach dem Vorbild der Wikipedia - können alle Redak- Umbau der Abläufe Redaktionssysteme Wissensmanagement r e d a k t I o n s o r g a n I s a t I o n 175 teure mitschreiben. In einer solchen redaktionellen Wissensdatenbank können Themenideen und Recherchequellen gesammelt werden oder es kann gemeinsam an Styleguides, Ablaufplänen und redaktionellen Handbüchern gearbeitet werden (vgl. Simons 2007). Neue Modelle der Redaktionsorganisation Nicht nur technische Innovationen, auch neue gesellschaftliche oder ökonomische Rahmenbedingungen zwingen Redaktionen zu Umstrukturierungen. Wenn sich die Wünsche und Interessen des Publikums ändern, Umstrukturierungen Redaktionsforschung Die Anfänge der Redaktionsforschung in den USA liegen in den so genannten Gatekeeper-Studien in den 1950er Jahren, die das Selektionsverhalten von Nachrichtenredaktionen mit sozialwissenschaftlichen Methoden untersuchten ( → vgl. Kap. 5.3; S. 204 - 207). In Deutschland beschäftigten sich zwar fast alle Nestoren der Zeitungswissenschaft von den 20er bis zu den 60er Jahren in Teilen ihrer Werke mit der Zeitungsredaktion, sie kamen dabei aber über vorempirische Beschreibungen nicht hinaus. Manfred Rühls (2. Aufl. 1979) Pionierstudie zur Zeitungsredaktion in der zweiten Hälfte der 60er Jahre beachtete erstmals die Interaktionsbeziehungen in einer Redaktion sowie den funktionalen Zusammenhang zwischen (redaktionsexterner) Umwelt und interner Differenzierung der Redaktion. Neue Antriebe erhielt die Redaktionsforschung in den 1990er Jahren, als Aspekte des Redaktionsmanagements, des redaktionellen Marketings und des Qualitätsmanagements eine größere Rolle in Praxis und Wissenschaft spielten und sich der analytische Bezugsrahmen der Forschung nicht nur auf soziologische und publizistische Theorien bezog, sondern auch Aspekte der Managementlehre integrierte (vgl. u. a. Ruß-Mohl 1995, Meckel 1999, Meier 2002a, Wyss 2002). Neuere Theorie als Grundlage der Redaktionsforschung ist die Strukturationstheorie, die u. a. von Klaus-Dieter Altmeppen (2004) und Vinzenz Wyss (2016) unter Bezug auf den Soziologen Anthony Giddens für die Journalistik fruchtbar gemacht wurde. (Organisations-)Strukturen sind demnach nicht einfach als Zwang für die Journalisten zu betrachten, sondern »vielmehr als Ermöglichungsbedingungen, die im Handeln erzeugt, genutzt, stabilisiert, aber auch modifiziert werden« (Wyss 2016a: 267). Die Strukturen einer Redaktion wandeln sich also immer wieder, wobei auch dieser Wandel bestimmten Regeln folgt und nicht beliebig vor sich gehen kann. 176 m e d I e n o r g a n I s a t I o n e n wenn sich die gesellschaftlichen Anforderungen an die Herangehensweise an Themen wandeln und dementsprechend die Inhalte eines Mediums modernisiert werden sollen, muss auch und vor allem die Redaktion umgebaut werden. Bereits in den 90er-Jahren haben mehr als 80 Prozent der deutschen Zeitungschefredakteure ihre Redaktionen umgebaut, die meisten davon mit neuen Modellen, die bislang nicht in der Praxis erprobt waren (vgl. Meier 2002a: 286). Dies war allerdings nur der Auftakt zu einer ganzen Reihe weiterer Umstrukturierungen nach der Jahrtausendwende, die vor allem auf einer veränderten Teamarbeit beruhen - über Ressortgrenzen und Medien hinweg (vgl. Meier 2007). Innovative Chefredakteure haben Ressorts neu geschnitten, auch architektonisch Wände eingerissen, Großressorts geschaffen, Themen- und Autorenteams eingerichtet, das redaktionelle Management gestärkt oder einen Newsdesk installiert: • Ressortübergreifende Teams sollen den Nachteil der klassischen Redaktionsorganisation ausgleichen, dass im Ressort-Egoismus das Bewusstsein für die Zeitung oder das Programm als Ganzes abhanden kommt und die Redaktion nur Themen wahrnimmt, die ins Raster der Ressorts oder der Abteilungen passen. Gleichzeitig werden oft redaktionelle Abläufe optimiert, Strukturen flexibilisiert und Tätigkeiten professionalisiert, um mehr Freiräume für Recherche und Themenplanung zu bekommen. • Crossmediale Teams bedienen in einer Redaktion mehrere Ausspielkanäle (z. B. Print im »normalen Format«, Print als kompaktes Format für junge Zielgruppen; verschiedene Formate im Internet wie Text, Audio, Video; mobile Kommunikation über Apps; soziale Netzwerke; oder Radio, Fernsehen und digitale Kanäle in den Newsrooms von ARD- Anstalten etc.). In crossmedial organisierten Redaktionen werden die Ausspielkanäle zum Beispiel am Newsdesk zusammengeführt: Das digitalisierte redaktionelle »Material« soll mehrfach verwendet, Ressourcen sollen für verschiedene Produkte eingesetzt werden. Neue Redaktionsstrukturen sind die Bedingung dafür, dass neue Ausspielkanäle schnell besetzt und redaktionell integriert werden können. Beide Konzepte von Teamarbeit werden in so genannten Newsrooms oder an Newsdesks kombiniert. Diese Anglizismen avancierten in den vergangenen Jahren im deutschsprachigen Raum zu Modewörtern in Sachen Redaktionsmanagement. Schätzungen vor gut zehn Jahren gingen davon aus, dass ca. 60 bis 80 Redaktionen im deutschsprachigen Raum neue Strukturen eingeführt haben - und dafür im weitesten Sinne diese Begriffe verwenden (Meier 2006, 2007). Inzwischen dürften es noch mehr sein. Aktuelles Beispiel ist der Bayerische Rundfunk, der seit 2017 in einem großen Newsroom alle Journalisten zusammenfasst, die zu aktuellen Themen arbeiten - egal ob für Radio, Fernsehen oder digitale Ausspielwege. ressortübergreifend crossmedial r e d a k t I o n s o r g a n I s a t I o n 177 Manchmal wird am Newsdesk nur monomedial gearbeitet, oder es sitzen dort nur ein oder zwei Redaktionsmanager, die das Nachrichtenmaterial koordinieren. In anderen Medienhäusern ist mit »Newsdesk« oder »Newsroom« ein zentraler großer Arbeitsbereich gemeint, an dem mindestens ein halbes Dutzend Redakteure verschiedener Ressorts gemeinsam produzieren und verschiedene Medien bedienen. Wiederum ein anderes Konzept sieht einen gemeinsamen Newsdesk für mehrere Lokalredaktionen vor. In anderen Redaktionen wurden dagegen kleinteilige Büros aufgelöst und ein großer gemeinsamer Newsroom geschaffen. Manchmal versuchen die Redaktionen, die Anglizismen zu vermeiden, und verwenden dann Begriffe wie »Nachrichtenraum«, »Nachrichtentisch« oder »zentrale Produktionseinheit«. Das wohl größte Newsroom-Projekt Europas ist seit Ende 2006 in London zu besichtigen: Beim d Aily t ElEgrAPh sitzen 450 »editors« und »reporters« in einem neuen Großraum, der mit 6.300 Quadratmetern etwas kleiner als ein Fußballfeld ist. Im Zentrum steht ein »Hub« an dem die verschiedenen Plattformen koordiniert werden. unterschiedliche Konzepte größtes Newsroom- Projekt Europas Newsdesk Der »Newsdesk« ist eine Koordinations- und Produktionszentrale, in der alles zusammenläuft, was die Redaktion an Material zur Verfügung hat. In Zeitungsredaktionen werden dort die Seiten verschiedener Ressorts und/ oder Lokalredaktionen gemeinsam koordiniert und produziert. Am Newsdesk können zudem crossmedial mehrere Plattformen abgestimmt und bedient werden. Newsroom Der »Newsroom« ist nicht einfach ein traditionelles Großraumbüro, sondern unterstützt architektonisch neue redaktionelle Konzepte des ressort- und medienübergreifenden Planens und Arbeitens. Die Wände zwischen Ressorts und Medien werden eingerissen; alle Journalisten sitzen in einem gemeinsamen Redaktionsraum und sollen sich so besser absprechen und koordinieren. Mit dem Begriff Newsroom ist indes gar nicht so sehr die Architektur, sondern eher das neuartige Organisationsmodell und die neue Art, journalistisch zu denken und zu handeln, gemeint. Oft ist Rede vom »Fall der Mauern im Kopf«. Mitunter werden beide Konzepte verbunden: Der Newsdesk bildet dann das Zentrum eines Newsrooms (nach Meier 2006: 209 - 210). Definition 178 m e d I e n o r g a n I s a t I o n e n Reporter orte ort ooorter orter Repo Re Repo oo Repo Repo Online Social-Media Wirtschaft Grafik Chefredaktion Politik Lokales Kultur Editoren Entscheidungs- & Produktionszentrale Online- Ausgabe Tablet- Ausgabe Soziale Netzwerke Printausgabe recherchieren produzieren koordinieren beauftragen arbeiten in Editoren-Teams User-Feedback aufnehmen auf Kanäle verteilen Inhalte bearbeiten Themen aufnehmen planen Reporter Querverweise und ergänzende Inhalte Weitere (Spezial-)Desks Abb. 4.12 | Abläufe in einer crossmedialen (Lokal-)Redaktion: Ressortübergreifend werden Themen auf verschiedenen Plattformen veröffentlicht; soziale Netzwerke gehören ebenso dazu wie Print-, Online- oder Tablet-Ausgabe. User-Feedback wird in Themenfindung und -gewichtung eingeschleust (Quelle: Meier 2012, bpb.de, Creative Commons Lizenz by-ncnd/ 3.0/ de). r e d a k t I o n s o r g a n I s a t I o n 179 Ein internationales Forschungsprojekt hat drei Modelle redaktioneller Konvergenz auf der Basis von Fallstudien in Deutschland, Österreich und Spanien definiert (vgl. García Avilés et al. 2009, 2014). Mit Hilfe dieser Typisierung und einer Matrix mit 32 zentralen Fragen, die in Konvergenzprozessen auftreten, stellt die Journalismusforschung dem Redaktionsmanagement Instrumente zur Verfügung, die dazu beitragen können, eine eigene Newsroom-Strategie zu entwickeln: • Vollständige Integration: Hier ist in einem einzigen Newsroom die notwendige Infrastruktur für die multimediale Produktion konzentriert. Die Workflows werden für alle Kanäle im Newsroom bestimmt. Häufig sind themenorientierte Teams (früher: Ressorts) für alle Plattformen zuständig (Matrix-Organisation). • Cross Media: Eine Mehrheit der Journalisten arbeitet weiterhin spezialisiert für eine Plattform. Entsprechend können Newsrooms und Newsdesks auch räumlich getrennt bleiben. Allerdings gibt es eine zentrale, übergreifende Steuerung der Workflows und Content-Verwertungen durch Koordinatoren und Newsmanager. Teambildungen sind über Mediengrenzen hinweg möglich und werden ebenso gefördert wie mehrmediales Arbeiten Einzelner und die Weiterbildung dafür. • Koordination von eigenständigen Plattformen. Weder bei Beschaffung noch bei Produktion noch bei Distribution von Nachrichten gibt es eine Zusammenarbeit verschiedener Medien eines Unternehmens. Das ist auch bewusst kein strategisches Ziel. Mehrmediale Tätigkeit einzelner Journalisten entspringt allenfalls individuellen Interessen, ist aber nicht vom Management beabsichtigt. Dahinter steht die Absicht zum Erhalt schlagkräftiger, autonomer Einheiten - ohne das Risiko einzugehen, dass journalistische Kernkompetenzen verwässert werden oder die spezifische Identität der Plattformen aufgegeben wird. Erfahrungen mit neuen Organisationsstrukturen Welche Erfahrungen wurden allgemein mit diesen neuen Arbeitsstrukturen gemacht? Eine pauschale Antwort ist schwierig, weil jede Redaktion Arbeitsteilung und Arbeitsabläufe finden muss, die für sie optimal sind. Manchen gelingt das besser, anderen schlechter. Wissenschaftliche Studien zeigen (vgl. Meier 2016: 208 - 211), dass durch Newsdesk-Modelle die journalistische Qualität steigen kann und auch die Arbeitszufriedenheit der Redakteure, wenn sie merken, dass sie mehr Fokus auf eine gute Zeitung legen können und zudem das Publikum über mehrere Wege erreichen. Andererseits kann aber auch der Arbeitsdruck größer werden: Die zeitlichen Freiräume werden enger, der persönliche Stress nimmt zu. In drei Modelle redaktioneller Konvergenz bessere Qualität, aber höherer Arbeitsdruck 180 m e d I e n o r g a n I s a t I o n e n der Schweiz spricht man sogar von einem »Prekariat des Journalismus«, das in den neuen crossmedialen Newsrooms arbeite (vgl. Wyss 2013). Eine Studie von Hofstetter und Schönhagen (2014) in Schweizer Redaktionen hat herausgefunden, dass von den betroffenen Journalisten zwar Potenziale redaktioneller Konvergenz gesehen werden - »speziell mit Blick auf eine Stärkung von Hintergrund und Recherche im Printbereich« (Hofstetter/ Schönhagen 2014: 245) - dass diese aber aufgrund von Personaleinsparungen kaum umgesetzt werden können. Als bedenklich im Hinblick auf journalistische Qualität wird der »Blitzjournalismus« im Onlinebereich gesehen, der zunehmend das Tempo der gesamten Berichterstattung vorgebe (vgl. Hofstetter/ Schönhagen 2014: 246). Immer wieder diskutiert wird die Arbeit im Großraumbüro: Während die einen Journalisten loben, dass sie sich besser und schneller absprechen können, jammern die anderen, dass es laut und hektisch zugeht und konzentrierte Arbeit kaum möglich ist. In crossmedialen integrierten Newsrooms ist zudem Training und Coaching gefragt. Ein Print-Journalist kann nicht von heute auf morgen lernen, wie das Internet tickt, wie ein Podcast oder ein Video-Beitrag produziert wird oder wie man soziale Netzwerke journalistisch nutzt. Als Nachwuchs werden zunehmend Journalisten gebraucht, die mit den neuen Formen und Formaten des Internet umgehen können, die aber die Denkweise der alten Medien nicht aus den Augen verlieren. Erfolgreiche Redaktionen müssen sich immer wieder wandeln, um die neuen technischen Möglichkeiten, die veränderten Marktbedingungen und die sich ändernde Mediennutzung produktiv und kreativ nutzen zu können. Allerdings gilt auch: Der ökonomische Druck auf Redaktionen ist nicht beliebig steigerbar, sonst gerät die Qualität unter die Räder - mit welchen Organisationsstrukturen auch immer ( → vgl. zur Zukunft des Journalismus Kap. 7.3; S. 261 - 276). Für die Organisation einer Redaktion sind Aufbau und Ablauf wichtig. Beim Aufbau werden die Aufgaben verteilt (zum Beispiel an »reporters« und »editors«) und das Entscheidungsgefüge wird festgelegt (zum Beispiel als Einlinienorganisation mit Chefredakteur, Ressortleitern und Redakteuren). Der Ablauf - der redaktionelle Workflow - hängt stark vom Erscheinungsrhythmus eines Mediums ab. Tageszeitungen haben zum Beispiel einen ganz anderen Workflow als Online-Redaktionen, was auch das crossmediale Arbeiten schwierig macht. Durch die Digitalisierung und den Einzug von Redaktionssystemen in alle Medienbereiche werden die früher strikt linearen Abläufe vernetzt. Neue Modelle der Redaktionsorganisation werden Zusammenfassung r e d a k t I o n s o r g a n I s a t I o n 181 181 Literatur Grundsätze und neue Modelle der Redaktionsorganisation werden in den Beiträgen von Klaus Meier (2002a, 2007, 2016) beschrieben und analysiert (vgl. auch García Avilés/ Kaltenbrunner/ Meier 2014). Ein allgemeines Lehrbuch zur Analyse des Redaktionsmanagements liegt von Miriam Meckel vor - eines mit praktischen Ratschlägen von Kurt Weichler. Lars Rinsdorf hat ein Lehrbuch zur Entwicklung redaktioneller Strategien geschrieben, das den Wandel des Journalismus gleichermaßen ernst nimmt wie die redaktionelle Organisation. Newsroom-Konzepte halten zunehmend auch Einzug in PR und Unternehmenskommunikation. Christoph Moss hat dazu einen Sammelband mit etlichen Fallbeispielen herausgegeben. 1 Welche verschiedenen Wörter und Bedeutungen gibt es im Englischen für den Begriff »Redaktion«? 2 Beschreiben Sie die verschiedenen Möglichkeiten des Aufbaus einer Redaktion und diskutieren Sie Vor- und Nachteile. 3 Skizzieren Sie den Workflow in einer Zeitungs- und einer Online- Redaktion. Wie könnte ein crossmedialer Workflow aussehen? 4 Wie verändert die Digitalisierung die Abläufe einer Redaktion? 5 Beschreiben Sie neue Modelle der Redaktionsorganisation und überlegen Sie Vor- und Nachteile. Übungsfragen zu Kapitel 4.5 mit den Begriffen Newsdesk und Newsroom bezeichnet. Sie fördern ressortübergreifendes und crossmediales Arbeiten. Ob sich dadurch die journalistische Qualität verbessert oder verschlechtert, ist umstritten und hängt von verschiedenen Faktoren ab. 182 J o u r n a l I s t I s c h e r o u t I n e n J o u r n a l I s m u s , r e a l I t ä t u n d o b J e k t I V I t ä t 183 Journalistische Routinen Journalismus, Realität und Objektivität Als am 9. Februar 2016 zwei Züge auf der Strecke Holzkirchen-Rosenheim frontal zusammenstießen, starben elf Menschen. Die Nachrichtenmedien berichteten intensiv über diese Katastrophe. - Etwa genau so viele Menschen sterben im Schnitt an jedem Tag durch Verkehrsunfälle in Deutschland. Beinahe wöchentlich erreicht uns in den Jahren des terroristischen Wahnsinns die Meldung, dass im Irak, in Afghanistan, in Syrien oder einem anderen Land wieder einmal dutzende Menschen durch einen Anschlag ums Leben gekommen sind. - Nach Angaben der Welthungerhilfe sterben täglich 6.000 Kinder weltweit an Hunger. Das sind vier Kinder pro Minute. Das Erkenntnisinteresse des Journalismus richtet sich auf Einzelereignisse. Themen brauchen hervorstechende Ereignisse, um vom Journalismus wahrgenommen zu werden. Die Ereignisfixierung des Informationsjournalismus ist indes nur ein Baustein der Prozesse und Routinen, welche die Wirklichkeit der Medien konstruieren. | 5 Inhalt 5.1 Journalismus, Realität und Objektivität 5.2 Darstellungsformen und Berichterstattungsmuster 5.3 Nachrichtenauswahl 5.4 Journalismus und Public Relations | 5.1 »News and truth are not the same thing, and must be clearly distinguished.« (Walter Lippmann 1922) Zitat 184 J o u r n a l I s t I s c h e r o u t I n e n Wie verhalten sich Medienrealität und Wirklichkeit zueinander? Mit dieser Frage beschäftigt sich die Massenkommunikationsforschung seit mehr als 100 Jahren. Es gibt dazu dutzende empirische Untersuchungen (vgl. z. B. Schulz 1989). Basis ist häufig ein Vergleich der Medieninhalte mit so genannten »Extra-Media-Daten« - also zum Beispiel mit Statistiken, Augenzeugenberichten oder Aussagen von Experten -, was zu dem allgemeinen Resümee führt, dass Journalismus die Wirklichkeit nicht repräsentiert. Doch die Schlussfolgerungen aus dieser Feststellung sind unterschiedlich. Es kommt auf die Einschätzung an, ob wir Realität an sich überhaupt erkennen können. Im Wesentlichen gibt es drei Positionen: • Die erste Position stimmt zunächst recht gut mit unserem Alltagsverständnis überein. Sie geht davon aus, dass es grundsätzlich Aufgabe des Journalismus ist, ein »möglichst getreues und genaues Abbild der Welt bereitzustellen« und damit »Spiegel der Wirklichkeit« zu sein (Schulz 1989: 140). Festzustellen sei indes immer wieder, dass Journalismus die Realität »verzerrt« und dass er zugleich das Potential habe, zu manipulieren und der Gesellschaft zu schaden. Die Konsequenz aus diesem Widerspruch ist eine massive Medienkritik und eine vermutete Manipulation der Gesellschaft durch Journalismus. Gefordert wird eine stärkere Kontrolle, wenn nicht gar Zensur. Wissenschaftliche Vertreter dieser Position verbinden die These der Realitätsverzerrung meist direkt mit Thesen der Medienwirkungsforschung ( → vgl. Kap. 3.3; S. 118 - 122) - um den Manipulationsverdacht zu erhärten. Oft haben Vertreter dieser Position starke eigene Interessen oder eine »Mission«: Sie fordern dann zum Beispiel, dass die politischen Inhalte ihrer Partei vom Journalismus besser transportiert werden sollen oder dass die Medien doch intensiver über den Hunger in aller Welt, über die Klimakatastrophe oder auch öfter über »good news« und weniger über »bad news« berichten sollten. Auf dem besten Weg zum Klassiker dieser Position ist US-Präsident Donald Trump mit seinem Vorwurf, die Medien produzierten »Fake News«. • Die zweite Position begreift Journalismus nicht bloß als passiven Spiegel einer Wirklichkeit, die unabhängig von Massenkommunikation existiert. Journalismus ist stattdessen »aktives Element in einem sozialen Prozess [. . . ], aus dem eine Vorstellung von Wirklichkeit erst hervorgeht« (ebd.: 142). Journalismus ist zentraler Teil des kollektiven Bemühens, eine gemeinsame Realität zu konstruieren, die Basis für soziales Handeln ist. Eine selektive Wahrnehmung des Journalismus kann somit durchaus erwünscht sein, dient sie doch der Beseitigung von Unsicherheit: Über das Tagtägliche müssen wir nicht informiert werden, sondern über das Ungewöhnliche. Die Aufmerksamkeitsregeln des Journalismus stimmen hier weitgehend mit der allgemeinen menschlichen Aufmerksamkeit überein. Ob und inwieweit Journalismus die Realität Medienrealität und Wirklichkeit? »Spiegel der Wirklichkeit« kollektives Bemühen um gemeinsame Realität J o u r n a l I s m u s , r e a l I t ä t u n d o b J e k t I V I t ä t 185 verzerrt, ist allerdings recht schwer festzustellen, denn die Wahrnehmung von Realität ist nach diesem Verständnis immer ein soziales Konstrukt - ob das des Journalismus, der Statistik oder eines Beobachters, der »dabei war«. Welches Konstrukt »wahr«, welches »verzerrt« ist, bleibt letztlich ungeklärt. »In der Praxis kommt es darauf an, dass die Wirklichkeitskonstrukte als plausibel anerkannt werden und als Handlungsbasis taugen« (ebd.: 143). Medienkritik zielt im Sinne dieser Position nicht auf die Durchsetzung partikularer Interessen oder Zensurmaßnahmen ab, sondern achtet auf die professionellen Standards, die in Kapitel 7.1 näher beschrieben werden und die im Kern auf Richtigkeit der Fakten und auf Relevanz der Themen, Akteure und Fakten beruhen. Vielfalt und Wettbewerb - die Konkurrenz verschiedener Wirklichkeitskonstruktionen - sollen »die bestmögliche Annäherung an die objektive Realität« (ebd.: 146) ermöglichen. • Die dritte Position greift die Argumente der zweiten auf, ist aber radikaler. Sie nennt sich »radikaler Konstruktivismus« und bezeichnet andere Positionen als »naiven Realismus« (Pörksen 2005 a: 177). Die Konstruktivisten gehen davon aus, dass Wirklichkeit an sich nicht erkennbar ist, sondern dass Erkenntnis »stets und unvermeidlich aus den viablen (das heißt: den nützlichen und brauchbaren) Konstruktionen eines Beobachters, eines Erkennenden« entsteht (ebd.: 177). Diese These basiert einerseits auf der Erkenntnis der Neurobiologie, dass das Gehirn operativ geschlossen ist und keinen direkten Umweltkontakt besitzt, und andererseits auf der Wissenssoziologie, die feststellt, dass »Realität im Gefüge der Gesellschaft und der jeweiligen Kultur entsteht« (ebd. 178). Kritiker einer konstruktivistischen Journalistik geißeln den Konstruktivismus als zu Willkür und Fälschung einladenden Subjektivismus. Dem halten Konstruktivisten entgegen, dass Konstruktionen nicht willkürlich oder beliebig sind, sondern »vielfältig bedingt durch Natur und Kultur, Geschichte, Sprache und insbesondere auch durch die Medien, die in modernen Gesellschaften als zentrale Sozialisationsinstanzen wirken« (ebd.: 177). Die Konsequenz aus der Beobachterabhängigkeit allen menschlichen Erkennens ist eine »Ablehnung dogmatischer Wahrheitsansprüche« sowie die Forderung nach einer »Verantwortung für die eigene Wirklichkeitskonstruktion« und einer »Toleranz gegenüber anderen Wirklichkeiten« (ebd.: 180). Der Konstruktivismus sensibilisiert damit für einen kritischen Umgang mit den professionellen Routinen des Journalismus und seinen handwerklichen Standards. In der Journalistik gibt es Wissenschaftler, die sich bewusst als »radikale Konstruktivisten« bezeichnen, und Wissenschaftler, die bewusst gegen den Konstruktivismus argumentieren und zwischen den Positionen eins und zwei wandern. Andere Wissenschaftler vertreten eine Position, die zwiradikaler Konstruktivismus 186 J o u r n a l I s t I s c h e r o u t I n e n schen zwei und drei navigiert: nicht ein »radikaler«, sondern ein mit dem Realismus vereinbarer »(moderater) sozialer Konstruktivismus« (Neuberger 2005a: 328). In der Kommunikationspraxis fand die erste Position in der Bundesrepublik lebendigen Ausdruck in den Lagerkämpfen zwischen »rechts« und »links« in den 60er und 70er-Jahren. Politiker und Interessengruppen klagten über eine »einseitige« Berichterstattung - und wurden von Wissenschaftlern unterstützt ( → vgl. die Ausführungen zur Schweigespirale in Kap. 3.3; S. 119 - 120): So hieß es in den 70er-Jahren, eine angeblich »linke« Berichterstattung vor allem des damals rein öffentlich-rechtlichen Fernsehens habe der SPD/ FDP zum Wahlsieg verholfen - was übrigens dann auch ein Argument für die CDU/ CSU war, die Einführung des privatwirtschaftlichen Rundfunks zu unterstützen. 30 Jahre später nutzen eher links orientierte Politiker genau die gleichen Argumente: nämlich, dass die Journalisten sich stärker an einer neoliberalen Ideologie orientierten als an dem, was für die Öffentlichkeit relevant sei - zum Beispiel die Politikwissenschaftlerin und SPD-Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten, Gesine Schwan, die 2004 die Wahl gegen Horst Köhler verlor und eine Mitschuld daran den Medien gab, oder der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder, der nach verlorener Wahl 2005 zu einer massiven Medienschelte ansetzte. Und die Geschichte geht weiter - nun von einer ganz anderen politischen Seite: Mit dem Aufkommen national-konservativer, rechtspopulistischer Parteien in vielen Ländern - auch in Österreich, der Schweiz und Deutschland - schwingt immer der Vorwurf einer angeblichen »Lügenpresse« oder von »manipulierenden Systemmedien« (auch: »Mainstreammedien«) mit, was in Konsequenz dieses Mal häufig dazu führt, dass die Populisten ihren Interessen vielfältig öffentliche Aufmerksamkeit verschaffen - zum Teil indem sie die Konstruktionsprozesse der Medien schamlos für ihre Propaganda ausnutzen (obwohl sie ja gegen diese Mechanismen protestieren), zum Teil indem sie eigene digitale Publikationskanäle, vor allem auf sozialen Netzwerken, nutzen. Das Problem der Objektivität Wenn man voraussetzt, dass Medienrealität durch die Konstruktionsprozesse des Journalismus - oder anders formuliert: durch kollektives Bemühen um eine gemeinsame soziale Wirklichkeit - entsteht, wie kann man dann die Frage nach Objektivität beantworten? Ist ein »objektiver Journalismus« überhaupt möglich? Kann man Realität »objektiv« beschreiben, wenn ihre Erkenntnis nur »subjektiv« möglich ist? Schließlich ist die Objektivität eine wichtige Norm im Journalismus, an der sich rechtliche Vorschriften, ethische Kodizes ( → vgl. Kap. 7.2; S. 257 - 261) und viele praktische Lehrbücher orientieren. In einer repräsentativen Befragung waren sich 91 Prozent der befrag- Lagerkampf und Medienschelte Ist »objektiver Journalismus« möglich? J o u r n a l I s m u s , r e a l I t ä t u n d o b J e k t I V I t ä t 187 ten deutschen Journalisten des beschriebenen erkenntnistheoretischen Problems nicht bewusst, als sie sagten, sie wollten über »Dinge so berichten, wie sie sind« (Steindl/ Lauerer/ Hanitzsch 2017: 420) ( → vgl. Kap. 6.1; S. 224 - 227). Ein Vorschlag zur Lösung des Objektivitätsproblems liegt in einer grundsätzlichen Unterscheidung: Christoph Neuberger (1997, 2005a) hat darauf aufmerksam gemacht, dass von der Frage nach möglicher Objektivität die Frage nach der Relevanz zu unterscheiden sei - die Frage »Was ist wirklich? « also von der Frage »Was ist wichtig? «. Ähnlich argumentiert das älteste noch aktualisierte Lehrbuch für praktischen Journalismus im deutschsprachigen Raum: Walther von La Roche unterscheidet zwischen äußerer und innerer Objektivität (Hooffacker/ Meier 2017: 102 - 115). Bei der Frage »Was ist wirklich? « (oder der äußeren Objektivität) geht es um die Übereinstimmung der journalistischen Berichterstattung mit Tatsachen, die grundsätzlich überprüfbar sind - also um die Richtigkeit. La Roche sagt dazu: »Die Fakten müssen stimmen.« Und: »Wo sich der Redakteur keine Gewissheit über den Sachverhalt verschaffen konnte, führt das Bemühen um Richtigkeit dazu, in aller Offenheit auf diese Ungewissheit aufmerksam zu machen.« (Hooffacker/ Meier 2017: 102 - 103). Neuberger (2005 a: 326) verweist darauf, dass hier die journalistischen Regeln für die Beobachtung von Ereignissen und die Prüfung von Nachrichten mit den wissenschaftlichen Grundprinzipien des Kritischen Rationalismus übereinstimmen ( → vgl. zur Wissenschaftstheorie des Kritischen Rationalismus Kap. 1.2.1; S. 25 - 26). Demnach sind vorläufige Aussagen über die Realität möglich, wenn eine Konsensbildung über die Erkenntnismethoden erfolgt, der Erkenntnisprozess transparent ist und die Erkenntnismethoden überprüfbar und kritisierbar sind. »Objektivität« kann nur durch »Intersubjektivität« erreicht werden. Für den (Nachrichten-)Journalismus heißt dies, dass von den in Kapitel 7.1 genannten Qualitätskriterien neben der Vielfalt (z. B. bei widersprüchlichen Behauptungen zu demselben Sachverhalt) vor allem der Transparenz und der Interaktivität eine besondere Bedeutung zukommt und dass die Infrastrukturen der Qualitätssicherung (z. B. Selbstkritik und Fremdkritik) funktionieren müssen, wenn sich der Journalismus dem Ideal der Objektivität - also der Richtigkeit - annähern will. Bei der Frage »Was ist wichtig? « (oder der inneren Objektivität) ) geht es dagegen um die Entscheidung des Journalisten bzw. der Redaktion, wenn Nachrichten nach ihrer Relevanz auswählt und gewichtet werden. Auch wenn man sich dabei an den W-Fragen und den Nachrichtenfaktoren (also den professionellen Selektionskriterien) orientiert, enthält die Entscheidung noch immer eine implizite Wertung - zum Beispiel die Beurteilung, welchen Nutzen die Nachricht für das Publikum bzw. die Zielgruppe hat. »Die Realität sagt nicht aus sich heraus, welche ihrer Aspekte relevant sind und welche nicht.« (Neuberger 1997: 313) »Kriterien für die Auswahl von Objektivität und Relevanz »Intersubjektivität« statt Objektivität Auswahlproblem 188 J o u r n a l I s t I s c h e r o u t I n e n Nachrichten und die Sortierung nach Wichtigkeit sind für jede Redaktion die Wünsche und das Vorwissen ihrer Zielgruppe.« (Hooffacker/ Meier 2017: 113) Eine »objektive« Auswahl von Nachrichten oder eine »objektive« Gewichtung bei der Auswahl von Fakten ist demnach nicht möglich. »Man kann entsprechend den Übereinkünften einer ›gemeinsamen gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit‹ berichten, aber eine Beschreibung der Wirklichkeit, innere Objektivität leistet man damit nicht.« (ebd. 114) Neuberger und La Roche stimmen zwar in der Grundunterscheidung überein, im Detail gibt es aber Unterschiede: Während Neuberger nur die Richtigkeit als Objektivitätskriterium sieht und alle anderen Kriterien als Relevanzkriterien einstuft, die nur wertend und nicht »objektiv« zu lösen sind, kommen bei La Roche zur Objektivität noch die Vollständigkeit und Ausgewogenheit sowie die Trennung von Nachricht und Meinung hinzu. Streng wissenschaftlich argumentiert muss man Neuberger Recht geben, denn die Befolgung von Vollständigkeit, Ausgewogenheit und des Trennungsgrundsatzes verlangt immer auch implizit Wertungen - kann also letztlich nicht »objektiv« entschieden werden. Wer dennoch meint, »objektiv« ausgewogen oder vollständig oder rein nachrichtlich sein zu können, läuft Gefahr, sich der impliziten Wertung nicht bewusst zu sein, deshalb ideologisch zu argumentieren und journalistische Beiträge als »Wahrheit« zu bezeichnen, der sie sich aber letztlich nur annähern können (vgl. die Ausführungen zum »objective reporting« im folgenden Kapitel). Journalisten suchen also nicht nach der »Wahrheit«, sondern sie halten sich an professionelle Routinen und Standards, um nicht beliebig zu entscheiden, sondern so, wie es Publikum und Gesellschaft erwarten. Es ist Aufgabe der Journalistik, Erkenntnis- und Objektivitätsproblem zu diskutieren - und dazu beizutragen, dass Journalisten (nicht nur in der Ausbildung) auch über implizite Wertungen kritisch reflektieren können. Dazu gehört eine Untersuchung der Relevanzkriterien und Schemata des Journalismus - verbunden mit dem Versuch, die Konstruktionsprozesse des Journalismus offenzulegen. Deshalb werden wir im Folgenden die Darstellungsformen, Berichterstattungsmuster und Spezialisierungen, die Nachrichtenauswahl und den Einfluss der Public Relations näher analysieren. Auch die Diskussion der Qualitätskriterien und ethische Fragestellungen sind ein Beitrag zur kritischen Reflexion journalistischer Produktion ( → vgl. Kap. 7.1 und 7.2; S. 239 - 261). J o u r n a l I s m u s , r e a l I t ä t u n d o b J e k t I V I t ä t 189 Literatur Wer sich näher mit der Position des radikalen Konstruktivismus und seinem besonderen Ansatz der Journalistik und Journalistenausbildung beschäftigen möchte, dem sei »Die Beobachtung des Beobachters« von Bernhard Pörksen empfohlen. Wem das nicht ausreicht, der kann zu dem dicken Buch Die Wirklichkeit der Medien greifen, das von Klaus Merten, Siegfried J. Schmidt und Siegfried Weischenberg herausgegeben wurde. Einen unterhaltsamen Einblick in die Inszenierung der Wirklichkeit von und über Prominente bieten Jens Bergmann und Bernhard Pörksen in »Medienmenschen«. Zum Problemkreis der Objektivität lesen Sie kritisch vergleichend die Beiträge von Christoph Neuberger (1997 und 2005a) sowie den entsprechenden Abschnitt im La Roche-Einführungsbuch von Hooffacker/ Meier (2017). Wer noch tiefer einsteigen möchte, dem sei der Aufsatz von Christoph Neuberger (2017) zu einem pragmatischen Theorierahmen für Objektivität empfohlen. Die Frage, wie sich Medienrealität und Wirklichkeit zueinander verhalten, beschäftigt schon Generationen von Forschern. Das Spektrum der theoretischen Positionen reicht von einem Realismus, der den Medien die Aufgabe zuschreibt, ein getreuer Spiegel der Wirklichkeit zu sein, bis zum radikalen Konstruktivismus, der grundsätzlich die Erkennbarkeit der Wirklichkeit an sich verneint und sagt, dass Realität im Gefüge von Gesellschaft und Kultur entsteht. Aufgabe der Journalistik ist es, die Konstruktionsprozesse des Journalismus zu analysieren und damit eine kritische Reflexion zu ermöglichen. Ein erster Schritt dabei ist die Unterscheidung von Objektivität (»Was ist richtig? «) und Relevanz (»Was ist wichtig? «). Zusammenfassung 1 Warum kann man nicht so einfach sagen, die Medien seien ein »getreuer Spiegel der Wirklichkeit«? - Beschreiben Sie die drei theoretischen Positionen, die das Verhältnis von Medienrealität und Wirklichkeit diskutieren. 2 Worin unterscheiden sich die beiden Fragen »Was ist wirklich? « und »Was ist wichtig? «. Warum kann die Frage »Was ist wichtig? « grundsätzlich nur wertend entschieden werden? Übungsfragen zu Kapitel 5.1 190 J o u r n a l I s t I s c h e r o u t I n e n Darstellungsformen und Berichterstattungsmuster Journalistische Wirklichkeitskonstruktion läuft nicht beliebig ab, sondern folgt ganz bestimmten Routinen. Die Realität der »News« entsteht erst durch ein routinisiertes und institutionalisiertes Netz, das der Journalismus über die Welt legt, so die New Yorker Wissenschaftlerin Gaye Tuchman (1977, 1978), die sich jahrelang mit der Routine in Redaktionen beschäftigt hat. Sowohl das Erwartbare als auch das Unerwartete werden in der »news factory« routinisiert. »Eine Geschichte ist gut, wenn sie rund ist«, sagt zum Beispiel die Lokaljournalistin Ulrike Pfeil (2006: 146). Was rund ist, bestimmt die journalistische Routine: »Die Geschichte fügt sich wunderbar in die Vorstellungswelt, sie bestätigt, was man schon immer vermutet hat, oder sie widerlegt Patent-Vorurteile.« Ein Aspekt der Nachrichtenroutine ist zum Beispiel die Zeit- und Platzeinteilung: Bis zum Redaktionsschluss muss genau eine Seite oder genau eine 15-Minuten-Sendung gefüllt sein. »[W]ork must be scheduled in time and space so that recognizable news events can be routinely encountered and processed.« (Tuchman 1977: 45) Wie sehen die Routinen des Journalismus aus, die letztlich die Medienrealität konstruieren? - Darum geht es in diesem und im folgenden Kapitel 5.3. Ordnung durch Schemata Wesentliche Merkmale der journalistischen Wirklichkeitskonstruktion sind die Darstellungsformen (z. B. Nachricht, Kommentar oder Reportage) und die Berichterstattungsmuster (z. B. der »Objektive« Journalismus oder der Investigative Journalismus). Diese Merkmale sind nicht vom Himmel gefallen, sondern haben sich im Laufe der Geschichte des Journalismus in den jeweiligen Mediensystemen entwickelt - als intersubjektive Vereinbarungen (vgl. Weischenberg 1995: 111 - 124). Man kann sie als »Schemata« bezeichnen, die Ordnung in die journalistische Kommunikation bringen (vgl. u. a. Rühl 1980: 303; Schmidt/ Weischenberg 1994). Auf die Schemata können sich die Produzenten und Rezipienten verlassen; sie reduzieren Unsicherheit und steuern die (Erwartungs-) Erwartungen zwischen Anbietern und Nutzern. Wenn zum Beispiel die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG die Kommentare auf der ersten Seite typografisch besonders absetzt, dann weiß der Leser, dass er in diesen Texten (konservative) Meinung bekommt. Hinweise auf Schemata können auch missbraucht werden - etwa im Fall von Schleichwerbung in redaktionellen Texten oder mit nicht gekennzeichneten fiktionalen Elementen in journalistischen Beiträgen (vgl. Pöttker 2005). 5.2 | »News factory« Merkmale der journalistischen Wirklichkeitskonstruktion d a r s t e l l u n g s f o r m e n u n d b e r I c h t e r s t a t t u n g s m u s t e r 191 Schemata wandeln sich im Laufe der Zeit und passen sich dem ökonomischen, technischen und sozialen Wandel des Journalismus an. So hat Manfred Rühl (1980: 307 - 308) zum Beispiel darauf hingewiesen, dass die Reportage zu den Zeiten von Egon Erwin Kisch eine andere Funktion hatte als nach der Etablierung von Radio und Fernsehen (die beide eine Unterhaltungsfunktion übernommen haben und durch Live-Berichterstattung, O-Töne und bewegte Bilder einen starken Eindruck des »Dabeiseins« vermitteln, der in einer geschriebenen Reportage kaum erreicht werden kann). Auch die Darstellungsformen im Fernsehen haben sich vor allem nach Einführung des Dualen Systems gewandelt (z. B. »Infotainment« oder »Reality-TV«). Besonders beim Fernsehen - aber auch generell im Journalismus - trifft die Feststellung zu, dass die Schemata Strategien des Wirklichkeitsbezugs oder anders formuliert Strategien der »Inszenierung dieses Wirklichkeitsbezugs« sind (vgl. Weischenberg 1995: 111). Ohne Routinen und ohne standardisierte Schemata könnte einerseits die journalistische Produktion nicht arbeitsteilig organisiert und hochgradig aktuell erfolgen. Journalisten lernen die Schemata in ihrer Ausbildung und redaktionellen Sozialisation. Andererseits wäre das Publikum immer wieder überfordert, aus der Flut der Medienangebote sinnvoll und nutzbringend auszuwählen. Auch die Mediennutzer lernen die Schemata in der Sozialisation: von der Mediennutzung im Elternhaus über entsprechende Inhalte in der Schule bis zur außerschulischen Medienpädagogik. Auch bei neuen Medien - wie dem Internet - schaffen Anbieter und Nutzer in einem sozialen Prozess Ordnung durch die Herausbildung von Schemata (vgl. Neuberger 2005b): Nach einer Phase der Imitation von Schemata alter Medien entstehen nach und nach eigenständige Formate, die den technischen Potentialen des Internet gerecht werden. In der aktuellen Internetöffentlichkeit werden neue Formate zum Beispiel als Portale, Weblogs oder soziale Netzwerke/ Social Media bezeichnet. Der für alle sichtbare Gebrauch des ausgestreckten Daumens (»Gefällt mir«) oder die Möglichkeit Inhalte zu Teilen bei Facebook beispielsweise haben als neue Schemata die digitale Kommunikation verändert. Wandel der Darstellungsformen Schemata werden gelernt »Without standardization, without stereotypes, without routine judgments, without a fairly ruthless disregard of subtlety, the editor would soon die of excitement.« (Walter Lippmann 1922) Zitat 192 J o u r n a l I s t I s c h e r o u t I n e n 192 Darstellungsformen Wer allerdings erwartet, dass die Schemata eindeutig definiert sind und überall gleichbedeutend verwendet werden - der muss enttäuscht werden. Es liegt in der Natur der Sache, dass sich Schemata permanent wandeln, kreativ und innovativ vermischt oder neu entwickelt werden, um dem Wandel der Nutzungsgewohnheiten sowie der ökonomischen und technischen Rahmenbedingungen gerecht zu werden - vgl. dazu die Untersuchung des Wandels der Darstellungsformen im Zeitungsjournalismus von 1992 bis 2012 von Christian Schäfer-Hock (2018). Zudem hängen die Schemata im Einzelnen u. a. von der medialen Plattform und dem Themengebiet ab. Es lassen sich allerdings Idealtypen finden, die sich durch ganz spezifische Besonderheiten voneinander absetzen. Die journalistischen Darstellungsformen werden auch als »Genres« (Kurz 2000), als »Gattungen« (Roloff 1982) oder neuerdings als »Formate« bezeichnet. In einer ersten systematischen Zusammenstellung identifizierte Eckart Klaus Roloff (1982) 19 journalistische Textgattungen, die er in referierende, interpretierende und kommentierende Gattungen einteilte. Die Lehrbuchliteratur führt die Fülle der Darstellungsformen auch heute noch häufig auf zwei oder drei Grundformen zurück: Walther von La Roche (Hooffacker/ Meier 2017: 53 - 147) teilt in »informierende Darstellungsformen« (Nachricht, Bericht, Reportage, Feature, Interview und Umfrage, Korrespondentenbericht und analysierender Beitrag) und »meinungsäußernde Darstellungsformen« (Kommentar, Nutzerkommentare, Glosse, Rezension). Siegfried Weischenberg (2001 a: 49 - 67) nennt dagegen nur sechs allen Formen zugrunde liegende Darstellungsformen, die er in drei Typen klassifiziert: »Nachrichtendarstellungsformen« (Meldung und Bericht), »Meinungsdarstellungsformen« (Kommentar und Glosse) und »Unterhaltungsdarstellungsformen« (Reportage und Feature). Das Interview reicht Weischenberg als »zusätzlichen Typ« nach. Darstellungsformen, Genres, Gattungen, Formate Entstehung der »inverted pyramid« als Form der Nachricht Viele der heute noch gebräuchlichen Darstellungsformen im Journalismus sind im 19. Jahrhundert in den USA entstanden - so auch die Nachricht in der weit verbreiteten Form der »inverted pyramid« (»umgekehrte Pyramide«). Gemeint ist das Prinzip, wonach das Wichtigste an den Anfang gesetzt wird. Die weniger wichtigen Details der Nachricht folgen später und können im journalistischen Produktionsprozess gekürzt oder in der Rezeption ohne größere Verständnisschwierigkeiten weggelassen werden. d a r s t e l l u n g s f o r m e n u n d b e r I c h t e r s t a t t u n g s m u s t e r 193 193 Literatur Zu Anwendung und Training der journalistischen Darstellungsformen gibt es inzwischen etliche Lehrbücher, die sich oft sogar auf eine einzige Darstellungsform konzentrieren wie die Nachricht, die Reportage oder den Kommentar. Als übergreifende Basisliteratur hat sich seit mehr als 40 Jahren die »Einführung in den praktischen Journalismus« bewährt, die von Walther von La Roche regelmäßig aktualisiert wurde und nach seinem Tod im Jahr 2010 von Gabriele Hooffacker und Klaus Meier weiter bearbeitet wird. Zu den sprachlichen Grundlagen des professionellen Textens sei zudem das Buch Journalistisches Texten von Jürg Häusermann empfohlen. Wie ist dieser Aufbau entstanden? Gern erzählt wird der Mythos, wonach die »inverted pyramid« aufgrund technischer Probleme während des amerikanischen Bürgerkriegs (1861 - 1865) entstanden sei. So heißt es zum Beispiel im Fischer Lexikon Publizistik Massenkommunikation: »Wegen der Störanfälligkeit der Telegrafenverbindungen erreichte oft nur der Anfang eines Gefechtsberichts die Redaktionen. [. . . ] Die Reporter gingen deshalb dazu über, [. . . ] das Wichtigste im Nachrichtenkopf zusammenzufassen.« (Reumann 2009: 138 - 139) Horst Pöttker (2003) dagegen hat in einer Inhaltsanalyse US-amerikanischer Zeitungen herausgefunden, dass sich die Pyramidenform erst in den 1880er Jahren als professioneller Standard durchgesetzt hat und ihre Einführung also nicht am Telegrafenproblem im Bürgerkrieg liegen konnte. Er vermutet, dass der Entstehungsgrund für diesen professionellen Standard in einer Qualitätsverbesserung lag: Die Zeitung sollte für das Publikum lesbarer und attraktiver gemacht werden. Die journalistische Innovation wurde also nicht durch technische Mängel verursacht, sondern aus den Redaktionen heraus bewusst entwickelt. Für diese These spricht, dass sich etwa zur gleichen Zeit auch in anderen Ländern der Journalismus professionalisierte - und zum Beispiel begann, die Zeitungen nach Sachgebieten und Sparten zu gliedern (vgl. Meier 2002a: 110 - 134). Ungeklärt bleibt allerdings, warum die amerikanischen Lehrbücher die Pyramide »umgekehrt« haben. Wenn das Wichtigste an der Spitze steht, wäre es genauso einleuchtend, einfach von der »Pyramide« zu sprechen. 194 J o u r n a l I s t I s c h e r o u t I n e n Berichterstattungsmuster Die Journalisten orientieren sich in ihren Routinen nicht nur an den Darstellungsformen, sondern auch - bewusst oder unbewusst - an bestimmten Strategien, die in der Journalismusforschung als »Berichterstattungsmuster« (Weischenberg 1983, 1995: 111 - 119), »Typen von Informationsjournalismus« (Saxer 1992: 117 - 123) oder »Journalismus-Konzeptionen« (Wyss/ Keel 2010a) bezeichnet werden (vgl. Abb. 5.1). Sie beschreiben Varianten von Rollenbildern und Berufsauffassungen, die zu einem Teil der persönlichen Einstellung der Journalisten, der redaktionellen Routinen und der allgemeinen Berufskultur geworden sind - und das Zustandekommen der Medienrealität mit prägen. Medienlinguistik: Erforschung der Mediensprache und des journalistischen Schreibens Es gibt Bereiche des Journalismus, die nicht im Zentrum der Journalistik stehen, weil diese Wissenschaft sich auf die sozialen Zusammenhänge des Journalismus konzentriert ( → vgl. Kap. 1.1; S. 18 - 25) - und zum Beispiel weniger auf die sprachlichen. Mit der Sprachanalyse beschäftigt sich die Linguistik, also eine Disziplin der Sprach- und Literaturwissenschaft. Sie setzt sich in großer Mehrheit zwar mit »hoher Literatur« und nicht mit den Besonderheiten massenmedialer Textproduktion auseinander, unternimmt in jüngster Zeit aber verstärkt Anstrengungen, die als »angewandte Medienlinguistik« bezeichnet werden. Es ist erstaunlich, wie groß die Kluft zwischen Sozial- und Geisteswissenschaft an dieser Stelle klafft und wie wenige Forscher sich bislang interdisziplinär mit diesem für den Journalismus und die Journalistenausbildung so wichtigen Thema beschäftigt haben. Selbst in der akademischen Journalistenausbildung werden Übungen und Seminare oft mit Ratschlägen von Sprachkritikern wie Ludwig Reiners oder Wolf Schneider bestritten, die zwar anschaulich und scharfzüngig argumentieren, ihr Urteil aber nur selten auf wissenschaftlicher Analyse gründen. Als fruchtbar haben sich zum Beispiel Forschungsprojekte erwiesen, welche den Schreibprozess - also die Entstehungsgeschichte hinter einem fertigen Text - untersuchen und daraus Anleitungen entwickeln, mit Schreibblockaden umzugehen, oder Strategien, wie Texte kreativer geplant, flüssiger zu Papier gebracht und effizienter überarbeitet werden können. Zum Weiterlesen empfehle ich die beiden Lehrbücher von Daniel Perrin »Medienlinguistik« und »Schreiben ohne Reibungsverlust« sowie den Reader »Unter Druck« von Friederike Herrmann. d a r s t e l l u n g s f o r m e n u n d b e r I c h t e r s t a t t u n g s m u s t e r 195 Das Vorkommen dieser Strategien hängt vom Mediensystem ab: In pluralistischen Demokratien dominiert der »Objektive« Journalismus, was sich in repräsentativen Journalistenbefragungen etwa in Deutschland, der Schweiz und Österreich immer wieder bestätigt, wenn nach dem Rollenselbstbild gefragt wird ( → vgl. Kap. 6.1; S. 224 - 227). Das Konzept des »Objektiven« Journalismus steht in der Tradition des angloamerikanischen »objective reporting« ( → vgl. zu den Reeducation-Bemühungen der Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg Kap. 2.2.2; S. 81 - 82). Die journalistische Arbeit wird als neutral, unparteilich und passiv vermittelnd verstanden - und läuft damit Gefahr, die »Objektivität« zu ideologisieren und zur »Wahrheit« zu erheben ( → vgl. Kap. 5.1; S. 183 - 189). Die dominierende Praxis dieses »Objektiven« Journalismus wird deshalb in westlichen Ländern seit den 60er-Jahren kritisiert (vgl. Weischenberg 1983, Neuberger 2005a, Wyss/ Keel 2010a): Er bevorzuge offizielle Standpunkte und Ereignisse, die von mächtigen Institutionen inszeniert und kontrolliert werden, sei also relativ offen für Einflüsse der Public Relations z. B. über Pressemitteilungen und Pressekonferenzen ( → vgl. Kap. 5.4; S. 212 - 216) und tendiere zu Verlautbarungen. Auch wenn er Zitate und Gegenzitate »neutral« aneinanderfüge, vernachlässige er Hintergründe, Ursachen und Folgen. Durch die Ereignisfixierung würden langfristige Prozesse ausgeklammert. Zu den Schlagwörtern der Kritik gehörten schon in den 70er-Jahren »Verlautbarungsjournalismus«, »Hofberichterstattung« und »Terminjournalismus« - gefordert wurde ein aktiver, recherchierender Journalismus (vgl. Langenbucher 1980). Aufgrund der Schwächen des »Objektiven« Journalismus wurden andere Konzepte angeregt und entwickelt, die in Abb. 5.1 in einer Übersicht charakterisiert sind. Alle diese ergänzenden Konzepte achten weniger auf die strikte Trennung von Nachricht und Meinung - oft wird bewusst offengelegt, dass journalistisches Entscheiden Wertungen impliziert. Der Journalist ist kein passiver Übermittler, sondern schlüpft in eine aktive Rolle. Die folgende Übersicht, die ich an anderer Stelle (Meier 2018b) ausführlich darstelle, enthält alle wesentlichen Berichterstattungsmuster: • Insbesondere für den Investigativen Journalismus, der sich als Wachhund der Demokratie versteht und Missstände und Machtmissbrauch aufdecken will, finden sich auch heute Befürworter (vgl. in Deutschland z. B. die Initiativen des Netzwerks Recherche). Er geht auf das amerikanische »investigative reporting« zurück, das in der Watergate-Affäre (1972 - 74) eine Initialzündung hatte. In Deutschland finden sich Beispiele vor allem bei den Nachrichtenmagazinen, den Politikmagazinen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und den überregionalen Tageszeitungen. Immer mehr Redaktionen bilden feste Recherche- und Reporterteams, die den Anspruch des investigativen Journalismus verfolgen, so zum Beispiel NDR, WDR, SZ, WAZ, TAZ und WELT. Ein herausragendes Beispiel Dominanz des »Objektiven« Journalismus Missstände aufdecken 196 J o u r n a l I s t I s c h e r o u t I n e n für investigativen Journalismus ist das Projekt »Panama Papers«, das die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG 2015/ 16 initiierte und zusammen mit hunderten Journalisten in 76 Ländern durchführte: Die einjährigen Datenauswertungen und -recherchen deckten Steuer- und Geldwäschedelikte von zahlreichen Politikern und Prominenten auf. Das Projekt wurde 2017 in den USA mit einem Pulitzer-Preis ausgezeichnet (vgl. panamapapers.sueddeutsche.de). Berichterstattungsmuster (Quelle: Meier 2018b) Rollenbild Intention Faktenpräsentation Recherche Hauptkategorie Subkategorie »Objektive Berichterstattung« Vermittler »Realität« in Fakten abbilden neutrale Faktizität Verlautbarung Investigativer Journalismus Wachhund Kontrolle / Kritik / Machtmissbrauch aufdecken beweisführend, zuspitzend unorthodox (oft »Whistleblowers« als Informanten) Präzisionsjournalismus Forscher wissenschaftlich erhärtet recherchieren wissenschaftlich erhärtete Faktizität sozialwissenschaftliche Methoden, Datenbankrecherche Datenjournalismus Datenanalyst Themen aus Daten gewinnen und mit Daten erzählen interaktiv, visuell Big Data, Datenbankrecherche, Statistik Interpretativer Journalismus Analyst, Erklärer und Überprüfer Orientierung stiften erläuterte Faktizität Recherche von Interpretationshilfen (z. B. Experten, Archiven) Magazinjournalismus Analyst Orientierung durch Einordnung analytische Faktizität “ Erklärjournalismus Erklärer Orientierung durch Verständlichkeit leicht verständliche Faktizität “ Fact-Checking- Journalismus Überprüfer Orientierung durch überprüfte Fakten beweisführende Faktizität Wissenschaftliche Quellen, Archive Anwaltschaftlicher Journalismus Anwalt Betroffener Verständnis, Solidarität schaffen »Betroffenheits«- Faktizität, Gegenöffentlichkeit inoffizielle Quellen Abb. 5.1 | Berichterstattungsmuster d a r s t e l l u n g s f o r m e n u n d b e r I c h t e r s t a t t u n g s m u s t e r 197 • Der Präzisionsjournalismus entwickelte sich in den 70er Jahren: Der Einsatz sozialwissenschaftlich-empirischer Methoden, zum Beispiel eigener Umfragen, sollte genauere Recherchen ermöglichen. In den 20 Jahren danach kam vor allem in den USA das Computer Assisted Reporting (CAR) hinzu, mit dem Datenbanken durchforstet wurden. Neuen Schub präzise berichten Erzählerischer Journalismus Erzähler Wirklichkeit abseits von blanken Fakten und Nachrichtenfaktoren erfassen - vor allem über Erfahrungen, Handlungen, Gefühle erzählend als »Geschichte« (»Story«) Recherchen über lange Zeit abseits der Nachrichtenfaktoren New Journalism Subjektiver Stilist / Literat Sensibilität ausdrücken, »Authentizität« literarisch subjektive Sensibilität, keine zwingende Faktentreue Literarischer Journalismus Literat Journalismus als Literatur literarisch Recherche vor Ort, »Eintauchen in die Realität« Perspektivjournalismus Anwalt von Lösung, Hoffnung und Rat Perspektiven, Lösungen, Hoffnung aufzeigen lösungsorientiert, Stereotypen vermeidend, z.T. interaktiv W-Fragen erweitert: »Wie weiter? Was nun? « Public Journalism Dialog- Organisator Lösungen für lokale Probleme interaktiv, forumsorientiert Aktionen Konstruktiver Journalismus Mutmacher und Motivator Lösungen, Hoffnung zu gesellschaftlichen Problemen lösungsorientiert Blick in die Zukunft, »ganzheitliches« Bild Konfliktsensitiver Journalismus Friedensstifter De-Eskalation Stereotypen vermeidend Recherche bei Friedensinitiativen; Propaganda aufdeckend Ratgeber- und Lifestyle-Journalismus Ratgeber, Helfer Lebenshilfe im Alltag problemlösungsorientiert bei Experten und Laien mit Problemlösungskompetenz Partizipativer Journalismus Diskurs- Moderator/ Kurator Beteiligung des Publikums an der Medienrealität interaktiv, prozessorientiert in Kooperation mit dem Publikum 198 J o u r n a l I s t I s c h e r o u t I n e n brachte die immense Verfügbarkeit von Big Data, was zum Datenjournalismus führte, bei dem Daten nicht nur bei Themenfindung und Recherche eine zentrale Rolle spielen, sondern auch in der (visualisierten) Präsentation auf interaktiven Websites - und sich damit eine neue Subkategorie herausbildete. Ob der im Kontext des Computational Journalism ebenfalls erwähnte Algorithmische Journalismus (vgl. Dörr 2016), bei dem Texte automatisch erstellt oder Relevanzen auf automatisierter Basis von Filtern entschieden werden, ebenfalls zum Präzisionsjournalismus gerechnet werden kann, ist fraglich, denn es tritt ja kein forschend recherchierender Journalist, sondern ein Computer-Programm auf: Standardisierte Daten z. B. zum Wetter oder zu Sportergebnissen werden automatisch in Texte gegossen. • Der Interpretative Journalismus plädiert dafür, die Fakten und Einzelereignisse des »Objektiven« Journalismus in Zusammenhänge zu stellen und erläuternd einzuordnen. Beispiele dafür sind die Storys der Nachrichtenmagazine und immer mehr Hintergrundstücke in den Tageszeitungen. Über den Bezugsrahmen und die Maßstäbe zur Einordnung fließt - explizit oder implizit - eine Wertung des Journalisten in die Beiträge ein. Dieses Berichterstattungsmuster will Orientierung in der Informationsflut bieten, die sich mit allzeitig verfügbaren aktuellen Informationen durch den Echtzeit-Journalismus des Internets noch einmal verschärft hat. Die neue Subkategorie des Erklärjournalismus will den Nachrichtenstrom nach dem Vorbild von Kindernachrichten anhalten: Komplexe Zusammenhänge werden in Detailfragen zerlegt und dadurch Fakten leichter verständlich präsentiert. Die Formate heißen dann zum Beispiel »endlich verständlich« (SPIEGEL ONLINE) oder »kurzerklärt« (tagesschau.de). Als weitere Subkategorie des Interpretativen Journalismus sind 2016/ 17 die Fact-Checking-Abteilungen großer Redaktionen (z. B. Faktenfinder der TAGESSCHAU) oder neue internationale Organisationen wie »First draft« entstanden: Der Fact-Checking-Journalismus ist zwar auch beweisführend, aber deckt keine gesellschaftlichen Missstände auf wie der Investigative Journalismus, sondern er überprüft potentiell falsche Aussagen und Desinformationen, die vor allem aus den PR-Kanälen der Politik und über soziale Netzwerke in die Öffentlichkeit geschwemmt werden - mit dem Ziel, Stimmungen in der Bevölkerung oder Wahlen zu beeinflussen. Es geht also auch hier um das große Ziel des Interpretativen Journalismus, Orientierung zu stiften. • Der Anwaltschaftliche Journalismus konzentriert sich auf Betroffene, Minderheiten oder »machtlose Mehrheiten« (z. B. Kinder, Alleinerziehende, Arbeitslose, Obdachlose, Kranke), deren Stimme kaum öffentlich wahrgenommen wird, weil sie keine Lobby haben. Anwaltschaftlicher Journalismus will diejenigen zu Wort kommen lassen, deren Interessen interpretieren und einordnen Stimme für Minderheiten d a r s t e l l u n g s f o r m e n u n d b e r I c h t e r s t a t t u n g s m u s t e r 199 sonst kaum erwähnt werden - quasi als Gegenöffentlichkeit zur Institutionenhörigkeit des »Objektiven« Journalismus. • Das Muster Erzählerischer Journalismus umfasst alle Intentionen des Erzählens von Erfahrungen, Handlungen und Gefühlen - vor allem von Protagonisten aus dem Alltag abseits der von Nachrichtenfaktoren erfassten Wirklichkeit. Reine Fakten spielen eine geringere Rolle. Journalismus wird um Themen und Blickwinkel erweitert, die durch das Raster des »Objektiven« Journalismus und der anderen Berichterstattungsmuster fallen (vgl. Herrmann 2012). Allerdings ist damit nicht der allgemeine Trend gemeint, in allen Berichterstattungsmustern und Darstellungsformen ein so genanntes Storytelling zu betreiben, also zum Beispiel auch Nachrichten oder investigative Berichte in »Stories« zu verpacken und mit narrativen Elementen zu versehen: Es geht bei den Berichterstattungsmustern nicht alleine um die Art der Präsentation, sondern auch um Intention, Themenwahl und Recherche. Unterform ist der »Neue« Journalismus, der literarische Stilmittel übernimmt und sehr persönlich und subjektiv vorgeht (vgl. Bleicher/ Pörksen 2004). Vorbilder sind u. a. die amerikanischen Schriftsteller Truman Capote und Tom Wolfe, die den Begriff »new journalism« mit prägten. Capote veröffentlichte zum Beispiel 1965 mit »In Cold Blood« (»Kaltblütig«) einen Tatsachenroman (zuerst in der Zeitschrift »The New Yorker«), für den er sechs Jahre lang den Mord an einer Familie in Kansas recherchiert hatte. In diesem Zusammenhang oft genannt ist auch der Literarische Journalismus, der Journalismus explizit als Literatur versteht. • Unter der Kategorie Perspektivjournalismus lässt sich eine Reihe von Berichterstattungsmustern zusammenfassen, die alle durch die Intention verbunden sind, dass sie Perspektiven aufzeigen wollen, die über Probleme und Konflikte, Krisen und Kriege hinausreichen - und damit einem Negativismus in der Berichterstattung entgegenwirken wollen. Die klassischen sieben W-Fragen werden durch weitere Fragen bei Recherche und Auswahl von Themen erweitert, zum Beispiel mit der Frage nach den Aussichten (What now? Und jetzt? Wie weiter? ): • Der Public Journalism wurde in den 1990er Jahren in den USA für den Lokaljournalismus entwickelt: Probleme in der Gemeinde werden nicht nur thematisiert, sondern die Lokalredaktion recherchiert aktiv nach Lösungen und - falls diese noch nicht vorhanden sind - organisiert Dialoge dazu, bietet interaktiv Foren an, stößt demokratische Prozesse an und moderiert zivilgesellschaftliches Engagement. • Der Konstruktive Journalismus will Probleme und Missstände nicht nur darstellen, sondern auch den Blick in die Zukunft richten und nach Lösungsansätzen und Handlungsmöglichkeiten, Perspektiven und Hoffnung recherchieren. Das Erwähnen beispielhafter Initiativen soll zu erzählen Neue W-Fragen: Und jetzt? Wie weiter? 200 J o u r n a l I s t I s c h e r o u t I n e n gesellschaftlichem Engagement und Nachahmung ermutigen. Besonders wirkungsvoll in Deutschland, Österreich und der Schweiz war das Buch des dänischen Journalisten Ulrik Haagerup (2015), das viele Redaktionen, Journalisten und Weiterbildungseinrichtungen inspirierte. • Beim Konfliktsensitiven Journalismus - auch Friedensjournalismus genannt - geht es darum, die übliche Logik der Kriegsberichterstattung zu durchbrechen, die vor allem die Eskalation zum Thema macht, weil diese besser zu den Nachrichtenfaktoren passt. Stattdessen sollen Möglichkeiten friedlicher Konfliktlösungen bewusst recherchiert, Friedensinitiativen thematisiert, Stereotypen und Dämonisierungen vermieden, Propaganda auf allen Seiten aufgedeckt - und allgemein soll sprachlich abgerüstet werden. • Der Ratgeber- und Lifestyle-Journalismus wird auch als Nutzwertjournalismus oder Verbraucherjournalismus bezeichnet und will über abstrakte Fakten hinaus Lebenshilfe für den Alltag geben - von der Kindererziehung über Gesundheit und Partnerschaft bis zu Hausbau, Computer und Geldanlage • Der Partizipative Journalismus wird vor allem durch Beteiligung im Internet ermöglicht. Die Nutzer werden in das Zustandekommen der Medienrealität bewusst einbezogen, wobei der Grad der Beteiligung unterschiedlich sein kann. Beim so genannten Crowdsourcing arbeiten Nutzer bereits bei der Themenfindung und Recherche mit. Bei anderen Modellen werden ihre Anmerkungen, Ergänzungen und Kommentare erst während oder nach der Veröffentlichung in den Beitrag einbezogen. Die Journalisten treten nicht als allwissend auf, sondern werben transparent um die Mitarbeit des Publikums. Literatur Zum Investigativen Journalismus gibt es inzwischen eine Reihe von Lehrbüchern, zum Beispiel von Johannes Ludwig oder die vom Netzwerk Recherche herausgegebenen Bände (vgl. www.netzwerk-recherche.de). Zum Ratgeberjournalismus hat Barbara Brandstetter (»Verbraucherjournalismus«) ein Lehrbuch geschrieben. Licht ins Dunkel der verschiedenen Facetten des New Journalism bringt ein Sammelband, der von Joan Kristin Bleicher und Bernhard Pörksen herausgegeben wurde. Guter Einstiegspunkt für eine Recherche in Sachen Präzisionsjournalismus ist die Internet-Suche nach dem Stichwort »Datenjournalismus« bzw. »data journalism«. Lesenswert ist das Lehrbuch von Ulrik Haagerup zum Konstruktiven Journalismus. beteiligen lassen d a r s t e l l u n g s f o r m e n u n d b e r I c h t e r s t a t t u n g s m u s t e r 201 Die vier Dimensionen journalistischer Wahrnehmungsroutine Mit den Darstellungsformen und Berichterstattungsmustern haben wir zwei Dimensionen der »journalistischen Wahrnehmung« (Schmidt/ Weischenberg 1994: 235 - 236) kennengelernt. Als dritte Dimension kommen die Ressorts und thematischen Spezialisierungen hinzu, die wir bereits in Kapitel 1.2.3 ( → S. 36) und Kapitel 4.4 ( → S. 169) als »Wahrnehmungsstruktur« bezeichnet haben. Vierte Dimension sind die Medien-(plattformen), die in Kapitel 4.3 als Strukturen der Medienlandschaften vorgestellt wurden. • Ressorts und thematische Spezialisierungen sind Kennzeichen der Ausdifferenzierung des Journalismus. Wie in Kapitel 1.2.3 ausführlich analysiert ( → S. 29 - 36), haben sich im tagesaktuellen Journalismus vor allem Politik-, Wirtschafts-, Kultur-, Sport- und Lokaljournalismus etabliert. Daneben sind Zeitungssparten und Sendeplätze für die Themengebiete Boulevard/ Vermischtes, Wissenschaft und Medien entstanden. Für alle diese Themengebiete gibt es auch Wochen- oder Monatsmedien - in Form von Zeitschriften oder Rundfunksendungen. Daneben ist eine Vielzahl von Special-Interest-Zeitschriften, -Sendungen und -Websites gegründet worden (nicht nur für bestimmte Interessen, sondern auch für altersbedingte Zielgruppen wie Kinder, Jugendliche oder »Best Agers«). Diese Ressortierung ist die Wahrnehmungsstruktur einer Redaktion: Themen, die durchs Raster fallen, kommen nicht vor oder werden einseitig bearbeitet. Spezialisierungen im Journalismus werden mitunter auch als »Fachjournalismus« bezeichnet (vgl. Dernbach 2010). • Die Medien(plattformen) haben ganz bestimmte technische Potenziale, die beim institutionellen Gebrauch genutzt werden und die journalistische Präsentation einengen oder erweitern. Das Erzählen in Bildern beim Fernsehen unterscheidet sich radikal vom textorientierten Journalismus der Printmedien und vom »Produzieren fürs Hören« beim Radiojournalismus. Dies hat Auswirkungen auf die Medienrealität: Themen, die (spannende) Töne hergeben, werden im Radio intensiver und anschaulicher behandelt. Themen, die sich in (spektakulären) Bildern erzählen lassen, finden in den Fernsehprogrammen mehr Platz. Die Journalismusforschung fokussierte sich lange Zeit auf die Darstellungsformen und Berichterstattungsmuster der Printmedien und ging implizit davon aus, dass diese wohl auch für die anderen Medien gelten. Der ehemalige Mainzer Journalistik-Professor Karl Nikolaus Renner hat kritisiert, dass sich die Journalistik noch zu sehr auf die Formen des Printjournalismus konzentriere. Er stellte für das journalistische Handeln und das Erzählen im Fernsehjournalismus eine eigene Theorie vor (vgl. Renner 2007). Auch die Journalistik-Wissenschaftlerin Margreth Lünenborg Ressortierung und Spezialisierung produzieren fürs Lesen, Sehen, Hören 202 J o u r n a l I s t I s c h e r o u t I n e n (2005) hat eine Genretheorie für die neuen Formate des Fernsehens entworfen, die mit der klassischen Theorie der Darstellungsformen nicht analysiert werden können - von der Live-Übertragung bis zur Talkshow. Formate des digitalen Journalismus haben Cornelia Wolf und Alexander Godulla (2016) analysiert: von Websites bis zu mobilen Apps, von schnellen Nachrichten bis zu erzählerischen Langformen. Alle vier Dimensionen prägen die journalistische Wirklichkeitskonstruktion. Sie beeinflussen sich gegenseitig und hängen miteinander zusammen. Die Darstellungsformen im Fernsehen sehen im Detail anders aus als in der Tageszeitung - und im Sportjournalismus wiederum anders als im Wirtschaftsjournalismus. Ein interpretativer Kulturjournalismus wiederum anders als ein interpretativer Politikjournalismus. Ein investigativer Sportjournalismus ist bei Dopingskandalen gefordert, ein investigativer Wirtschaftsjournalismus bei Korruptionsfällen. Nachrichten für Kinder müssen anders aufbereitet werden als für Jugendliche oder für Erwachsene. Die komplexen Zusammenhänge der vierdimensionalen Wahrnehmungsstrukturen bei der Konstruktion der Medienrealität sind allerdings noch kaum erforscht. Forschungslücke Darstellungsformen als Schemata Nachricht Bericht Reportage Feature Kommentar Glosse etc. Politik Print Wirtschaft Fernsehen Kultur Radio Wahrnehmungsstruktur einer Redaktion etc. etc. Medien(plattformen) als technische Potentiale »Objektiver« Journalismus Interpretativer Journalismus Investigativer Journalismus etc. Berichterstattungsmuster als Schemata Medienrealität Abb. 5.2 | Die vier Dimensionen journalistischer Wahrnehmungsroutine n a c h r I c h t e n a u s w a h l 203 Literatur Zu den thematischen Spezialisierungen im Journalismus liegt eine Fülle von Lehrbüchern vor. Der Herbert von Halem-Verlag hat seit 2012 die neue Reihe »Journalismus-Bibliothek« aufgelegt, in der Lehrbücher vor allem zu Ressorts und Spezialisierungen erscheinen sind - zum Beispiel zu Lokales, Politik, Wirtschaft, Medien, Wissen und Sport (vgl. www.halem-verlag.de/ journalismus-bibliothek/ ). Nachrichtenauswahl Das Sturmtief »Harvey« richtet im August 2017 im Süden der USA großflächige Zerstörungen an und tötet Dutzende von Menschen. Zur gleichen Zeit leiden Millionen Menschen in Indien, Nepal und Bangladesch unter den Folgen eines heftigen Mosuns; mehr als 1500 Menschen kommen deswegen ums Leben. Über welches Ereignis wird in Deutschland weitaus mehr berichtet? - Über »Harvey« in den USA. | 5. 3 Zu den Routinen der »news factory« gehören Schemata. Sie bringen Ordnung in die journalistische Kommunikation. Produzenten und Rezipienten können sich darauf verlassen und wissen, was gegenseitig voneinander erwartet wird. Die Schemata des Journalismus bestehen aus Darstellungsformen und Berichterstattungsmustern. In den westlichen Ländern dominiert der »Objektive« Journalismus. Alternative Konzeptionen - wie der Investigative oder der Interpretative Journalismus - werden komplementär eingesetzt, um die Defizite des »objective reporting« auszugleichen. Neben den Schemata prägen noch zwei weitere Dimensionen die journalistische Wahrnehmung: die thematischen Spezialisierungen (Ressortierungen) und die beschränkten Möglichkeiten des Erzählens auf den einzelnen Medienplattformen. Zusammenfassung 1 Wie lassen sich die traditionellen journalistischen Darstellungsformen klassifizieren? Gelten diese Genres auch für den Fernsehjournalismus? 2 Was ist mit der »inverted pyramid« gemeint - und wie ist sie entstanden? 3 Welche Defizite hat der »Objektive« Journalismus - und welche Möglichkeiten gibt es, diese auszugleichen? Übungsfragen zu Kapitel 5.2 204 J o u r n a l I s t I s c h e r o u t I n e n 204 Welche Ereignisse werden zur Berichterstattung ausgewählt, welche nicht? Über welche der ausgewählten Ereignisse wird groß berichtet, über welche weniger groß? Welche Ereignisse erscheinen als Aufmacher einer Sendung oder Zeitung - welche werden nach unten oder nach hinten geschoben? Die Entscheidung über die Selektion und die Gewichtung des Nachrichtenstoffes steht im Zentrum verschiedener theoretischer und empirischer Ansätze der Kommunikationsforschung. Die Studien lassen sich grob drei Forschungsfeldern zuordnen: der Gatekeeperforschung, die in den Kontext der Redaktionsforschung gehört ( → vgl. Kap. 4.4; S. 175), der Nachrichtenwertforschung, die mit Inhaltsanalysen arbeitet, und dem Framing-Ansatz, der einen sozial-psychologischen Hintergrund hat. Gatekeeping Die Gatekeeper-Studien haben ihren Ursprung in den 40er-Jahren in den USA, als erstmals das Entscheidungsverhalten von Nachrichtenredakteuren in Zeitungsredaktionen erforscht wurde: Welche der Nachrichten, die aus dem Agenturticker kamen, warf »Mr. Gates« - wie er anonymisiert in einer Studie hieß - in den Papierkorb, welche nahm er ins Blatt? Und mit welcher Begründung tat er dies? Die Forschung ging später von diesen individualistischen Ansätzen zum organisatorischen Kontext über und untersuchte die komplexen Einflussbeziehungen auf die Nachrichtenauswahl innerhalb und außerhalb der Redaktionen (vgl. Robinson 1973). Grundlegende These des Gatekeepings ist, dass der Journalismus eine Art Schleuse ist, welche die Flut der Informationen kanalisiert. Wer in das Licht der Öffentlichkeit will, muss durch diese Schleuse hindurch. Das Konzept wird wieder intensiver diskutiert, seit klar geworden ist, dass die Schleuse des Journalismus mit dem Internet und mit Aktivitäten der Public Relations außerhalb des klassischen Journalismus ihr Monopol verloren hat ( → vgl. Kap. 7.3; S. 268 - 269). Der individuelle Journalist und die redaktionelle Linie sind nur einige der Einflussfaktoren auf das Gatekeeping. Pamela J. Shoemaker (1991) hat in einer Systematisierung der Forschungslage fünf Ebenen identifiziert: • Auf der individuellen Ebene ist der Auswahlprozess von den Einstellungen - zum Beispiel dem Rollenselbstbild - und den Erfahrungen der Journalisten abhängig. • Auf der Ebene der Routinen spielen professionelle Regeln des Journalismus zur Konstruktion der Medienrealität eine wichtige Rolle, wie sie in Kapitel 5.2 beschrieben wurden - zum Beispiel: der richtige Aufbau einer Meldung, die Bebilderungsmöglichkeiten (vor allem beim Fernsehen), die Platzbeschränkungen, der Aktualitätsdruck oder die Passung in die Nachrichtenredakteur »Mr. Gates« Journalismus als Schleuse fünf Ebenen des Gatekeepings Selektion und Gewichtung des Nachrichtenstoffes n a c h r I c h t e n a u s w a h l 205 205 Ressortstrukturen einer Redaktion. Wichtig sind hier auch der Nachrichtenwert und die Passung in Frames (vgl. weiter unten). • Auf der organisatorischen Ebene haben neben der redaktionellen Linie auch ökonomische Faktoren einen Effekt auf das Gatekeeping: Zahl und Platz der Korrespondenten zum Beispiel (wenn eine Redaktion einen Mitarbeiter in Brüssel unterhält, wird sie mehr aus Brüssel vermelden, um die Kosten zu rechtfertigen). • Auf der »Extramedia«-Ebene beeinflussen Interessengruppen über -Public Relations das Gatekeeping ( → vgl. Kap. 5.4; S. 212 - 216). Aber auch das Nutzungsverhalten des Publikums oder ein etwaiger Einfluss der Werbewirtschaft spielt hier eine Rolle. • Auf der Ebene des Sozialen Systems beeinflusst ein weiter gefasster sozialer und kultureller Hintergrund die Nachrichtenauswahl: In Europa sind die Kriterien hierfür anders als zum Beispiel in den USA oder im Nahen Osten. Bis auf einige Details entspricht diese Gatekeeping-Theorie von Shoemaker grob den Ebenen des Journalismus, die wir als Systematik für den Aufbau dieses Buchs verwendet haben ( → vgl. Kap. 2.1; S. 67 - 71). Diese umfassende Sichtweise des Gatekeeping-Prozesses kann generell auch als Theorie des Journalismus aufgefasst werden. Nachrichtenwertforschung Die Nachrichtenwertforschung richtet sich bei der Untersuchung des Auswahlprozesses nicht nach dem Gatekeeping, sondern setzt viel früher an: bei den Ereignissen selbst (vgl. Definition). Die ersten skandinavischen Studien entstanden im Kontext der internationalen Konflikt- und Friedensforschung (vgl. Galtung/ Ruge 1965) und wurden in den 70er-Jahren von Winfried Schulz auf Deutschland übertragen und theoretisch erweitert. Nachrichtenfaktoren werden durch Inhaltsanalysen identifiziert und können verschiedenen Dimensionen zugeordnet werden (vgl. Abb. 5.3). Ein einfaches Beispiel: Je mächtiger eine beteiligte Nation (USA), je offener die Gewalt (Anschläge mit vielen Toten im Irak), je stärker allgemeine Werte bedroht sind (West gegen Ost, Christentum gegen Islam), je stärker Angehörige der eigenen Nation beteiligt sind (Entführungen von Deutschen im Ausland), je stärker das Ereignis zu den wichtigsten Themen der Zeit passt (Kampf gegen den Terrorismus) - umso eher wird ein Ereignis zur Nachricht. Die Orientierung an Nachrichtenfaktoren ist eine Erklärung dafür, dass Konflikte, Kontroversen und Kriege in der Berichterstattung eine so große Rolle spielen - allgemein als »Negativismus« bezeichnet - und dass Ereignisse vorwiegend am Handeln mächtiger Akteure dargestellt werden (vgl. Schulz 2011: 89 - 100). 206 J o u r n a l I s t I s c h e r o u t I n e n Dimension Faktor Definition Status Elite-Nation je mächtiger die beteiligte(n) Nation(en) Elite-Institution je mächtiger die beteiligte(n) Institution(en) oder Organisation(en) Elite-Person je mächtiger, einflussreicher, prominenter die beteiligten Akteure Valenz Aggression je mehr offene Konflikte oder Gewalt vorkommen Kontroverse je kontroverser das Ereignis oder Thema Werte je stärker allgemein akzeptierte Werte oder Rechte bedroht sind Erfolg je ausgeprägter der Erfolg oder Fortschritt Relevanz Tragweite je größer die Tragweite des Ereignisses Betroffenheit je mehr das Ereignis persönliche Lebensumstände oder Bedürfnisse einzelner berührt Identifikation Nähe je näher das Geschehen in geografischer, politischer, kultureller Hinsicht Ethnozentrismus je stärker die Beteiligung oder Betroffenheit von Angehörigen der eigenen Nation Emotionalisierung je mehr emotionale, gefühlsbetonte Aspekte das Geschehen hat Konsonanz Thematisierung je stärker die Affinität des Ereignisses zu den wichtigsten Themen der Zeit Stereotypie je eindeutiger und überschaubarer der Ereignisablauf Vorhersehbarkeit je mehr das Ereignis vorherigen Erwartungen entspricht Dynamik Frequenz je mehr der Ereignisablauf der Erscheinungsperiodik der Medien entspricht Ungewissheit je ungewisser, offener der Ereignisablauf Überraschung je überraschender das Ereignis eintritt oder verläuft Abb. 5.3 | Nachrichtenfaktoren nach Winfried Schulz (Quelle: Schulz 2011: 91) n a c h r I c h t e n a u s w a h l 207 Hans Mathias Kepplinger (vgl. 2006: 15 - 17) weist darauf hin, dass nicht alle Nachrichtenfaktoren in gleicher Weise die Berichterstattung beeinflussen, sondern dass dies im Einzelnen auch vom Medium und vom Thema abhängt (vgl. die Übersicht über die journalistischen Wahrnehmungsroutinen in Kapitel 5.2). Mal wirkt ein Faktor stärker, mal schwächer. Bislang wurden die Nachrichtenfaktoren vor allem im Politikjournalismus der Tageszeitungen und der Fernsehnachrichten untersucht. Für andere Ressorts, Themenfelder und Medien liegen noch kaum Studien vor - geschweige denn eine Theorie, die alle diese Bereiche vergleicht. Kepplinger (2006: 31 - 32) vermisst zudem eine Theorie, welche die Publikationschancen von Ereignissen sowie deren Platzierung prognostizieren könnte. Bei den Nachrichtenfaktoren handelt es sich um Kriterienkataloge, die im Rahmen von Inhaltsanalysen zusammengestellt wurden. Faktoren, die in Inhaltsanalysen nur schwer zu erfassen sind - etwa weil die Codierer die Ereignisse selbst oder die Materiallage in Redaktionen kennen müssten -, fanden keinen Eingang in die Kataloge. Stephan Ruß-Mohl (2016: 118 - 119) nennt zum Beispiel als weiteren Faktor die »Umsetzbarkeit in Bilder«. Ein Kriterienkatalog wie in Abb. 5.3 ist also kein praktisches Regelwerk, das Journalisten bürokratisch abhaken. Dennoch fanden ähnliche Faktorenkataloge schon frühzeitig Eingang in praktische Journalismus- Lehrbücher - zum Beispiel in das Buch »Modern News Reporting« von Carl Warren (1934), das die Deutsche Journalistenschule in München 1959 unter dem Titel »ABC des Reporters« übersetzen ließ (vgl. Abb. 5.4). Befragungen von Journalisten zeigen, dass sie sich zumindest implizit an Nachrichtenfaktoren orientieren (vgl. z. B. Ruhrmann/ Göbbel 2007). Prognose der Publikationschancen? Nachrichtenwert und Nachrichtenfaktoren Nachrichtenfaktoren sind bestimmte Merkmale von Ereignissen, die deren Nachrichtenwert bestimmen. Je ausgeprägter diese Merkmale sind und je mehr Faktoren auf ein Ereignis zutreffen, desto größer ist dessen Chance, als Nachricht beachtet zu werden. (nach Schulz 2011: 90 - 92) Definition 208 J o u r n a l I s t I s c h e r o u t I n e n Frames Das Framing-Konzept wird zunehmend angewandt, um zu erklären, wie Nachrichten ausgewählt und wie sie vom Publikum rezipiert werden. Es verknüpft Theorien der Nachrichtenauswahl mit Theorien der Medienwirkung und ist in der psychologischen und soziologischen Fundierung ziemlich komplex (vgl. z. B. Matthes 2014; Dahinden 2006). Auch wenn der Framing-Begriff nicht einheitlich verwendet wird, kann man im Großen und Ganzen die unten stehende Definition verwenden. Als Beispiel nennt Urs Dahinden (2006: 14 - 20) das David-Goliath-Frame, das bei verschiedenen Themen als Deutungsmuster für bestimmte asymmetrische Konflikte zum Einsatz kommt. Ein Beispiel aus der internationalen Politik: Im Nahostkonflikt wurde der junge Staat Israel zunächst als unschuldiger David interpretiert, welcher sich erfolgreich gegen die Übermacht eingesessener arabischer Staaten zur Wehr setzt. Aufgrund der militärischen Übermacht wird Israel mehr und mehr als mächtiger Goliath David-Goliath-Frame Abb. 5.4 | Elemente der Nachricht (Quelle: Warren 1934: 39) n a c h r I c h t e n a u s w a h l 209 wahrgenommen, der die schwach organisierten Palästinenser unterdrückt. Ähnliche Konflikte, über die gemäß dem David-Goliath-Frame berichtet wird, können wir beobachten beim Kampf von Greenpeace gegen multinationale Konzerne (z. B. Shell im Konflikt um die Ölplattform Brent Spar) oder bei der wirtschaftlichen Auseinandersetzung zwischen etablierten Großunternehmen und innovativen Kleinunternehmen. »Akteure, denen es gelingt, sich in der Davids-Rolle zu etablieren, können dabei auf größere Sympathie und moralische Unterstützung zählen.« (ebd.: 19) Anders formuliert kann man auch sagen, dass Frames unser Blickwinkel auf komplexe Themen sind: Verstehen wir Gentechnologie als menschlichen Fortschritt oder unberechenbare Gefahr? Ist das Thema Flucht und Migration eine Chance für unsere überalternde Gesellschaft oder eine Bedrohung und Überforderung unserer gewohnten Lebensweise, ist es eine Hilfe für hilflose Opfer oder für Menschen, die eigentlich keine Hilfe benötigen? Das Framing-Konzept stammt aus der Sozialwissenschaft. In der Kulturwissenschaft gibt es ein ähnliches Konzept: Die »Narrative« sind gemeinschaftliche Erzählungen, die einer Gesellschaft Orientierung in der Komplexität geben, aber meist nur latent vorhanden sind, ohne dass sie explizit erwähnt werden. Friederike Herrmann (2016) hat als Beispiel für Narrative die Berichterstattung zum Flüchtlingsthema im Herbst 2015 untersucht, die Gefühle von Überforderung und Ohnmacht evozierte: »In dieser Situation entstand ein Narrativ, das vereinfachend der deutschen Bundeskanzlerin die Verantwortung für die Krise zuschrieb und damit auch die Macht, diese Probleme zu lösen. Die globalen Zusammenhänge des Themas wurden in diesem Narrativ marginalisiert, gegenläufige Entwicklungen und Ursachen des Geschehens kaum thematisiert. Die Perspektive der Flüchtlinge ging verloren, sie erschienen nur mehr als technisches Problem, gleich einer Flut, die es einzudämmen gilt. Aus medienethischer aber auch aus professi- Framing Frames sind Produkte des Framing-Prozesses. Sie sind Interpretationsrahmen, die als kognitive Strukturen im Bewusstsein verankert sind - bei Journalisten wie beim Publikum. Erfahrungen werden gespeichert und als Rahmen benutzt, um spätere Erfahrungen sinnvoll und schnell interpretieren, einsortieren oder wieder vergessen zu können. Diese Bezugsrahmen strukturieren ein Thema und steuern damit die Informationsverarbeitung. Wesentliches Kennzeichen von Frames ist, dass sie Bewertungen enthalten. Sie können insofern auch als »Deutungsmuster« bezeichnet werden. Definition Narrative 210 J o u r n a l I s t I s c h e r o u t I n e n oneller Perspektive wäre es wünschenswert, dass Journalistinnen und Journalisten solche Narrative erkennen und dekonstruieren können.« Bereits einzelne Wörter können Frames oder Narrative in unseren Köpfen aufrufen, beispielsweise wenn in einem Bürgerkrieg von »Terroristen«, »Aufständischen« oder »Freiheitskämpfern« gesprochen wird. Perfide Meister des Framings bzw. des Narrativen waren die Nationalsozialisten mit ihren besonderen Wortschöpfungen oder Wortumdeutungen, welche die NS-Ideologie transportierten und in den Köpfen der Menschen als Narrative verankerten. Die neuen Rechten - wie in Deutschland «Pegida» und AfD - bedient sich zunehmend Begriffen aus dem Arsenal der NSDAP, wie z. B. «völkisch»/ »Volk» statt «Bevölkerung», «Altparteien», «Lebensraum», «entartet», «verseucht» - und eben auch «Lügenpresse». Es ist sogar schon von einem «Wettbewerb der Narrative» die Rede, wenn es um die politische Diskussion geht (vgl. eine gleichnamige Konferenz des Goethe-Instituts im März 2017 in Berlin). Initiative Nachrichtenaufklärung Die Initiative Nachrichtenaufklärung will Themen herausfinden und bekanntmachen, die durch den Journalismus vernachlässigt werden, aber dennoch für einen Großteil der Bevölkerung relevant sind. Einmal im Jahr wird eine Rangliste veröffentlicht, über die eine Jury aus Journalisten und Wissenschaftlern entscheidet. Basis sind Vorschläge, die das ganze Jahr über von Journalisten, gesellschaftlichen, wissenschaftlichen und politischen Institutionen oder von Bürgerinnen und Bürgern eingereicht werden können. Gegründet wurde die Initiative 1997 an der Universität Siegen. Inzwischen arbeiten verschiedene Journalistik- und kommunikationswissenschaftliche Studiengänge zusammen. Beispiele für vernachlässigte Themen der vergangenen Jahre sind die Auslandseinsätze der deutschen Bundeswehr, die Frage, ob Hunger durch weniger Lebensmittelverschwendung verringert werden kann, die Ausnutzung von Au-pair-Mädchen und -Jungen als billige Arbeitskräfte oder die medikamentöse Ruhigstellung in Altenpflegeheimen (vgl. derblindefleck.de). Narrative Narrative sind Darstellungsmuster, die Sinn und Bedeutung erzeugen. Sie geben unserem Wahrnehmen und Verstehen eine bestimmte Form - und begrenzen es damit auch. Gesellschaftliche Diskurse werden oft wesentlich von explizit oder implizit enthaltenen Narrativen geformt. (nach Herrmann 2016: 6) Definition n a c h r I c h t e n a u s w a h l 211 Literatur Zur Nachrichtenauswahl kann ich kein spezielles Buch zur Vertiefung empfehlen, weil die Erklärungsansätze so verschieden sind und bislang nicht umfassend zusammengeführt wurden. Wenn Sie eines der drei besprochenen Forschungsgebiete vertiefen möchten, können Sie anhand der Quellenangaben im Text weiter recherchieren. Wer sich alleine mit der Nachrichtenwerttheorie beschäftigen möchte, findet im Lehrbuch von Michaela Maier, Karin Stengel und Joachim Marschall einen fundierten Überblick. Zum Framing ist das Lehrbuch von Jörg Matthes empfehlenswert. Drei Forschungsrichtungen untersuchen, warum Ereignisse für die Berichterstattung ausgewählt werden (Selektion) und warum sie eine bestimmte Platzierung in den Medien erhalten (Gewichtung). (1) Der umfassende Gatekeeping-Ansatz sieht den Journalismus als Schleuse, welche die Flut der Informationen kanalisiert. Die Einflussfaktoren auf dieses Gatekeeping liegen auf den fünf Ebenen, nach denen auch dieses Buch gegliedert ist. (2) Die Nachrichtenwertforschung identifiziert durch Inhaltsanalysen die Nachrichtenfaktoren: Je mehr davon und je stärker sie auf ein Ereignis zutreffen - desto größer ist die Publikationschance. (3) Das Framing-Konzept stellt fest, dass Interpretationsrahmen (Deutungsmuster) als kognitive Strukturen im Bewusstsein die schnelle Einordnung und Bewertung von Themen ermöglichen. Ein ähnliches Konzept sieht Narrative als prägende Muster gesellschaftlicher Diskurse. Zusammenfassung 1 Was ist die grundlegende These des Gatekeepings? Welche Einflüsse darauf sind festzustellen? 2 Wie hat die Forschung die Nachrichtenfaktoren herausgefunden? 3 Zählen Sie beispielhaft einige Nachrichtenfaktoren auf und suchen sie jeweils nach einem Beispiel aus der aktuellen Berichterstattung, auf das ein Faktor besonders zutrifft. 4 Suchen und erklären Sie Beispiele für Frames und Narrative. 5 Überlegen Sie, welche Themen Ihrer Beobachtung nach vom Journalismus vernachlässigt werden. Übungsfragen zu Kapitel 5.3 212 J o u r n a l I s t I s c h e r o u t I n e n Journalismus und Public Relations Das Verhältnis zwischen Journalismus und Public Relations wird schon seit Jahrzehnten in Wissenschaft und Berufspraxis kontrovers und intensiv diskutiert. Eine der ersten folgenreichen Studien zu den Einflussbeziehungen zwischen Journalismus und Öffentlichkeitsarbeit publizierte Anfang der 80er-Jahre die Kommunikationswissenschaftlerin Barbara Baerns (2. Aufl. 1991). Sie belegte empirisch, dass die Öffentlichkeitsarbeit einen ausgeprägten Einfluss auf den Journalismus hat. Im Widerspruch zu journalistischen Selbsteinschätzungen stellte sie fest (ebd.: 98), dass • erstens Öffentlichkeitsarbeit »die Themen der Medienberichterstattung unter Kontrolle« hat. »Informationen zu platzieren, Nachrichten zu initiieren, Themen zu forcieren und publizierte Wirklichkeit so zu konstruieren, ist den belegten Proportionen zufolge überwiegend Informatoren, nicht Journalisten, zuzusprechen. Angesichts vorgegebener Themen zeigt sich journalistische Recherche als Nachrecherche.« • zweitens Öffentlichkeitsarbeit »das Timing unter Kontrolle« hat. »Denn Pressemitteilungen und Pressekonferenzen lösen Medienberichterstattung unmittelbar aus.« Basis dieser Feststellung ist eine Untersuchung der landespolitischen Berichterstattung in Nordrhein-Westfalen. Zwischen 59 und 64 Prozent der landespolitischen Beiträge in Nachrichtenagenturen, Tageszeitungen, Hörfunk und Fernsehen im Oktober und April 1978 gingen auf Pressemitteilungen und Pressekonferenzen zurück (ebd.: 87). Dass die Journalisten einen Großteil des Materials gekürzt und umformuliert haben, ändert nichts an der Tatsache, dass die Öffentlichkeitsarbeit themenleitender Auslöser war. Die Studie belegt, dass der Journalismus mit seinem dominierenden Muster des »objective reporting« zum überwiegenden Teil auf Impulse der Öffentlichkeitsarbeit bloß reagiert und kaum selbst agiert ( → vgl. Kap. 5.2; S. 194 - 201). Die Leistung der Journalisten besteht zu einem Großteil darin, den Stoff, den die Öffentlichkeitsarbeit liefert, auszuwählen und schnell zu verarbeiten sowie zu interpretieren und einzuordnen. Nachfolgende Forschungsprojekte bestätigten im Grunde genommen Baerns’ Pionierstudie; die Befunde wurden aber noch weiter differenziert. Eine Inhaltsanalyse von Henrike Barth und Wolfgang Donsbach (1992) stellte zum Beispiel fest, dass Journalisten in Krisen- und Konfliktsituationen, die hohen Nachrichtenwert besitzen, aktiver sind und verstärkt Quellen außerhalb der Public Relations nutzen (es ging in den untersuchten Fällen um einen Unfall in einem Chemiewerk und um die Schließung eines Werkes eines anderen Chemieunternehmens). Liegt dagegen ein relativ niedriger Nachrichtenwert vor, betreiben die Journalisten keinen großen Aufwand und verhalten sich eher passiv (hier waren eine Veranstaltungsankündigung und eine Produkt-PR die Themen). 5. 4 | »Themen unter Kontrolle« »Timing unter Kontrolle« J o u r n a l I s m u s u n d P u b l I c r e l a t I o n s 213 Mit diesen und ähnlichen Inhaltsanalysen wurde in den 90er-Jahren die These vertieft, die Öffentlichkeitsarbeit »determiniere« den Journalismus (vgl. Röttger 2005: 371 - 372; Raupp 2005). Die Debatte um diese »Determinierungshypothese« kann allerdings rasch in Schieflage geraten, wenn man sie normativ überhöht: PR-Wissenschaftler wie Ulrike Röttger (2005: 372) von der Universität Münster warnen davor, Public Relations zu »einer tendenziell manipulierenden, propagandistischen, alleine dem Erfolg verpflichteten und damit insgesamt gefährlichen Öffentlichkeitsarbeit« zu erklären, die einem »gesellschaftlich wertvollen, ethisch hochwertigen und selbstlosen Journalismus« gegenüberstehe. Eine derart einseitige Wertung trifft nicht die realen Verhältnisse, denn auch die Öffentlichkeitsarbeit kann nach ethischen Prinzipien erfolgen und hat eine wichtige gesellschaftliche Funktion - und umgekehrt kann Journalismus ethische Vorstellungen unterlaufen ( → vgl. Kap. 7.2; S. 250 - 261) und gerät zunehmend in ökonomische Abhängigkeiten, welche der öffentlichen Aufgabe zuwiderlaufen ( → vgl. Kap. 4.2; S. 131 - 147). Es sind also weder die einen die »Bösen« noch die anderen die »Guten«. Wenn wir das Verhältnis von Journalismus und Public Relations theoretisch reflektieren und empirisch untersuchen, müssen wir von einer gegenseitigen Abhängigkeit und einem komplexen Beziehungsgeflecht ausgehen. Dass beide Seiten nicht ohne die jeweils andere Seite auskommen können und dass sie sich gegenseitig beeinflussen, stellte zum Beispiel Günter Bentele (2005) mit seinem so genannten »Intereffikationsmodell« fest. Abgeleitet vom lateinischen »efficare« (ermöglichen) differenziert Bentele die These, dass sich Journalismus und Public Relations wechselseitig »ermöglichen«. Im Prinzip hat Barbara Baerns (1991: 2) schon darauf hingewiesen, dass es sich bei Öffentlichkeitsarbeit und Journalismus um »zwei Parameter des gesellschaftlichen Diskurses« handelt. Beide haben jedoch unterschiedliche Ziele und gesellschaftliche Funktionen: • Die Öffentlichkeitsarbeit dient der Selbstdarstellung und nützt in erster Linie den Interessen einer bestimmten Institution. Das kann gesamtgesellschaftlich notwendig und wertvoll sein, wenn wir wissen müssen, was Unternehmen, Parteien, Behörden oder Organisationen umtreibt und welche Ziele sie verfolgen. Journalisten brauchen Ansprechpartner oder schlicht Informationen darüber, was wann und wo stattfindet oder entschieden wurde. Mitarbeiter, Kunden und Geschäftspartner (oder Wähler) brauchen Informationen über neue Produkte und strategische Entscheidungen (oder über Parteiprogramme). • Beim Journalismus handelt es sich dagegen um eine Fremddarstellung, die eine verfassungsrechtlich geschützte öffentliche Aufgabe ist. Im Idealfall nützt Journalismus der Gesellschaft, zumindest dem Publikum bzw. der Zielgruppe. Dass ein unabhängiger Journalismus gesellschaftlich notwendig ist und zum Interessensausgleich und der Konsensfindung in der Demokratie beitragen muss, wird in diesem Buch mehrfach Determiniert PR den Journalismus? Öffentlichkeitsarbeit: Selbstdarstellung Journalismus: Fremddarstellung 214 J o u r n a l I s t I s c h e r o u t I n e n erwähnt. Eine wesentliche Aufgabe des Journalismus ist demnach, die Verlautbarungen der Public Relations zu hinterfragen und Themen zu recherchieren, die für die Öffentlichkeit relevant sind, aber von PR- Abteilungen nicht von sich aus kommuniziert oder sogar abgeblockt werden (insbesondere durch investigativen Journalismus). Zudem muss Journalismus diejenigen zu Wort kommen lassen, die selbst keine PR betreiben (insbesondere durch anwaltschaftlichen Journalismus). Journalisten und PR-Experten profitieren also einerseits voneinander - sind aber andererseits natürliche Kontrahenten, weil sie Aufgaben und Funktionen haben, die sich widersprechen. Aus demokratietheoretischer Sicht sollte das Verhältnis zwischen Journalismus und Public Relations ausgewogen sein; die Regeln des anderen Systems sollten beachtet werden und gegenüber dem Publikum sollte transparent gemacht werden, welche Interessen hinter redaktionellen Beiträgen stecken. Eine problematische Entwicklung ist zum Beispiel die Zunahme von Schleichwerbung im redaktionellen Teil. So hat eine Studie im Auftrag der nordrhein-westfälischen Landesmedienanstalt belegt, dass im privat-wirtschaftlichen Radio immer mehr Audio-PR-Beiträge ausgestrahlt werden, die nicht journalistisch bearbeitet oder relativiert werden, sondern so gesendet werden, wie sie PR-Agenturen oder PR-Abteilungen von Unternehmen produzieren (vgl. Volpers 2007). Hier gehen Defizite auf beiden Seiten Hand in Hand: Die PR-Experten nutzen durch fertig produzierte Beiträge aus, dass die Sender kaum in Redaktionen investieren. Die Journalisten stehen unter Druck und füllen mit unredigiertem PR-Material die Sendeplätze, die sie eigenständig nicht bestücken können oder wollen. Weitere Indizien für einen wachsenden Einfluss der Public Relations auf die öffentliche Kommunikation werden in Kapitel 7.3 diskutiert ( → vgl. S. 266 - 270). Public Relations Public Relations (PR) ist die inzwischen gängige Bezeichnung für den früher üblichen Begriff Öffentlichkeitsarbeit. Wörtlich übersetzt kann man PR mit »Pflege öffentlicher Beziehungen« umschreiben. PR ist die geplante und strategische Kommunikation einer Organisation mit denjenigen Personen oder Gruppen, die ihr Handeln beeinflussen können - also mit den Bezugsgruppen einer Organisation (engl. »Stakeholder«). Bezugsgruppen sind extern zum Beispiel die Journalisten, die Kunden oder die Nachbarn eines Unternehmens und intern die Mitarbeiter. Die Interessen der Organisation sollen von diesen Bezugsgruppen nicht nur akzeptiert, sondern als legitim angesehen werden. Damit schafft PR die kommunikativen Voraussetzungen für den Organisationserfolg. (nach Röttger 2005: 369) Definition problematisch: Schleichwerbung J o u r n a l I s m u s u n d P u b l I c r e l a t I o n s 215 Abschließend sei darauf hingewiesen, dass PR noch andere Aufgaben hat als die Information und Beeinflussung des Journalismus. Man kann sogar feststellen, dass PR zunehmend versucht, eigene Wege in die Öffentlichkeit zu finden und den Journalismus als Gatekeeper zu umgehen - mit eigenen medialen Plattformen oder direkten Kontakten zu Bezugsgruppen, insbesondere in der digitalen Kommunikation ( → vgl. Kap. 7.3; S. 266 - 270). Die Arbeitsfelder der PR können in drei Bereiche eingeteilt werden (vgl. Röttger 2005): • Bezugsgruppen: von der internen PR (z. B. Mitarbeiterzeitschrift, Intranet) über die Community Relations (z. B. Nachbarschafts- und Standort-PR) bis zur Lobby-Arbeit in der Politik. Sind Journalisten die Bezugsgruppe, sprach man früher von »Pressearbeit« - heute von »Media Relations«. • Thematische Spezialisierungen: Issues Management (z. B. Themenbeobachtung in den Medien), Krisen-PR, Non-Profit-PR (z. B. für soziale oder kirchliche Einrichtungen), Politik-PR, Kultur-PR, Healthcare-PR etc. • PR-Instrumente: Online-PR (z. B. Website, Einsatz von sozialen Netzwerken für die PR), Sponsoring, Event-PR, Corporate Publishing und Content Marketing (z. B. Kundenzeitschriften) etc. Journalismus und Public Relations sind natürliche Kontrahenten, weil sie Aufgaben und Funktionen haben, die sich widersprechen: Fremddarstellung versus Selbstdarstellung. Es sind aber weder die einen die »Guten« noch die anderen die »Bösen«, sondern beide Berufs- und Arbeitsfelder haben wichtige gesellschaftliche Funktionen und können qualitativ und ethisch gut oder schlecht ausgeübt werden. Die Leistung der Journalisten besteht im dominierenden Muster des »objective reporting« zu einem Großteil darin, den Stoff, den die Öffentlichkeitsarbeit liefert, auszuwählen und schnell zu verarbeiten sowie zu interpretieren und einzuordnen. Öffentlichkeitsarbeit hat hier Themen und Timing der Berichterstattung im Wesentlichen unter Kontrolle. Aus demokratietheoretischer Sicht ist es umso wichtiger, dass Journalisten durch komplementäre Berichterstattungsmuster die Verlautbarungen der PR interpretierend einordnen, dass sie - zum Beispiel in Krisenfällen oder in Fällen von Machtmissbrauch - investigativ recherchieren und dass sie grundsätzlich auch diejenigen zu Wort kommen lassen, die keine PR betreiben. Zusammenfassung 216 J o u r n a l I s t I s c h e r o u t I n e n Literatur Zur Public Relations gibt es inzwischen etliche Handbücher, wissenschaftliche Studien und praktische Ratgeber. Als Überblick über den Stand der Wissenschaft ist der Sammelband »Handbuch der Public Relations« von Romy Fröhlich, Peter Szyszka und Günter Bentele zu empfehlen. Claudia Mast führt fundiert in das Gebiet der Unternehmenskommunikation ein. Zur Online-PR gibt es ein gutes Handbuch von Ansgar Zerfaß und Thomas Pleil. 1 Was ist und was macht Public Relations? 2 Inwiefern hat PR einen Einfluss auf journalistische Medieninhalte? 3 Skizzieren Sie die unterschiedlichen gesellschaftlichen Funktionen von Journalismus und PR. Übungsfragen zu Kapitel 5.4 217 Die Journalisten Journalismus als Beruf Wie viele Journalisten gibt es? Wo und wie arbeiten sie? Welche Merkmale und Einstellungen haben sie? Es gibt hunderte von Forschungsprojekten, die diesen Fragen nachgegangen sind. Allein für den Zeitraum von 1945 bis 1990 hat Frank Böckelmann (1993) im Auftrag des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung 716 Studien zum Forschungsgebiet »Journalismus als Beruf« zusammengetragen. Und dabei ist die Forschung in den vergangenen 30 Jahren erst so richtig explodiert. Anfang der 90er-Jahre entstanden in Deutschland die ersten repräsentativen Journalistenbefragungen (vgl. u. a. Schneider/ Schönbach/ Stürzebecher 1993; Scholl/ Weischenberg 1998) - wiederholt 2005 (vgl. Weischenberg/ Malik/ Scholl 2006). In der Schweiz wurde erstmals Ende der 90er-Jahre eine repräsentative Journalisten-Enquête durchgeführt (vgl. Marr/ Wyss/ Blum/ Bonfadelli 2001) und 2008 wiederholt (vgl. Wyss/ Keel 2010b) - und in Österreich erst in den Jahren 2005 bis 2008 (vgl. Medienhaus Wien 2007; Kaltenbrunner/ Karmasin/ Kraus/ Zimmermann 2007 und 2008). In den USA liegen ähnliche Befragungen aus den Jahren 1971, 1982/ 83, 1992 und 2002 vor (vgl. Weaver u. a. 2007), die wir in diesem Kapitel zum internationalen Vergleich mit den deutschsprachigen Ländern heranziehen. Und vor zehn Jahren startete die erste umfassende weltweite Erhebung mit der so genannten »Worlds of Journalism«-Studie, für die in zwei Wellen 2007 bis 2011 sowie 2012 bis 2016 Journalisten in vielen Ländern weltweit mit dem gleichen theoretischen Konzept und Fragebogen befragt wurden ( → vgl. Kap. 1.3.3; S. 59 - 60). | 6 Inhalt 6.1 Journalismus als Beruf 6.2 Ausbildung und Kompetenzen | 6. 1 repräsentative Journalistenbefragungen 218 D i e J o u r n a l i s t e n Das Problem dieser Studien beginnt schon bei der Definition, wer überhaupt Journalist ist. An die definitorischen Hinweise, die in diesem Buch im ersten Kapitel genannt sind, halten sich zwar die meisten Studien - Basis ist die »gesellschaftliche Funktion des Journalismus: der Öffentlichkeit aktuelle, tatsachenbezogene Themen zur Verfügung zu stellen« (Weischenberg/ Malik/ Scholl 2006: 34). Mit dieser Definition stoßen die Studien aber auf Widerspruch: Gewerkschaften gefällt nicht, dass Mitarbeiter der Public Relations ausgeschlossen werden (im Deutschen Journalistenverband DJV können zum Beispiel explizit Öffentlichkeitsarbeiter Mitglied werden). Laienreportern, ehrenamtlichen und nebenberuflichen Journalisten missfällt, dass nur hauptberufliche Journalisten qua Definition als »Journalisten« gelten. Und zudem ist die Unterscheidung, wer primär Unterhalter und wer Journalist ist, vor allem bei Fernsehformaten schwierig (ist z. B. Günther Jauch Journalist? ). Die im Folgenden zitierten Studien aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und den USA haben sich bemüht, den Kern des Journalismus so eng wie nötig zu definieren. Sie sind deshalb im Wesentlichen miteinander vergleichbar. In Deutschland liegt zudem die Wiederholung einer Studie mit gleichen Definitionen, ähnlichen Fragestellungen und gleicher Metho- Wer ist überhaupt Journalist? Die Zahlen stammen aus Studien zwischen Mitte der 90er Jahre und dem Jahr 2015 und verwenden nicht immer die gleiche Journalismusdefinition (so wurden in den USA nur Journalisten der »mainstream news media« befragt und nicht aus dem Special-Interest-Sektor - es wurden also nur wenige Zeitschriftenjournalisten berücksichtigt). Die Zahlen sind demnach nicht direkt vergleichbar, erlauben aber eine grobe Orientierung. Land Journalisten Einwohner (in Mio.) Journalisten je 100.000 Einwohner Finnland 8.000 5,2 154 Schweiz 9.100 7,1 129 Ungarn 8.900 9,9 90 Österreich 7.100 8,2 87 Deutschland 1993 54.300 81,5 67 Deutschland 2005 48.400 82,5 59 Deutschland 2015 41.250 82,2 50 Frankreich 26.600 57,7 46 USA 116.000 301,0 39 Großbritannien 15.200 58,2 26 Australien 4.200 17,8 24 Türkei 5.000 60,7 8 Abb. 6.1 | Journalistendichte im Ländervergleich (Quellen: Medienhaus Wien 2007: 3; Marr/ Wyss/ Blum/ Bonfadelli 2001: 59; Weischenberg/ Malik/ Scholl 2006: 257 - 258; Weaver u. a. 2007: 2; Scholl/ Weischenberg 1998: 222; Steindl/ Lauerer/ Hanitzsch 2017) J o u r n a l i s m u s a l s B e r u f 219 dik vor, so dass ein Vergleich der Situation 1993 mit 2005 möglich ist (vgl. Weischenberg/ Malik/ Scholl 2006). Auch ein Vergleich mit einer neuen Studie von 2015 (vgl. Steindl/ Lauerer/ Hanitzsch 2017) ist möglich, auch wenn sie methodisch anders durchgeführt wurde. Die Journalistendichte weist von Land zu Land eine außerordentliche Bandbreite auf (vgl. Abb. 6.1): zwischen 154 Journalisten je 100.000 Einwohner in Finnland und acht Journalisten je 100.000 Einwohner in der Türkei. Im Vergleich der deutschsprachigen Länder gibt es in der Schweiz relativ viele Journalisten, was daran liegt, dass sich die Medienlandschaft an drei Sprachregionen orientieren muss ( → vgl. Kap. 4.3.5; S. 165 - 167). In Deutschland nahm die Zahl der Journalisten zwischen 1993 und 2005 um 5.900 ab (elf Prozent), wobei die Zahl der fest Angestellten mit 36.200 konstant geblieben, aber die Zahl der freien Mitarbeiter von 18.000 auf 12.200 gesunken ist (vgl. Weischenberg/ Malik/ Scholl 2006: 258). Bis 2015 kam nochmals ein großer Rückgang auf 41.250 Journalisten, darunter 9.600 hauptberufliche Freie. Daneben gibt es zwar offenbar noch etliche »freie Journalisten« (das zeigen die Mitgliederzahlen der Gewerkschaften), aber sie können immer weniger vom Journalismus im Hauptberuf leben. Sie verdienen mehr Einkommen oder verbringen mehr Arbeitszeit in der Öffentlichkeitsarbeit - oder in anderen Berufen - und fallen deshalb aus der Statistik. Die Wissenschaftler, die die Studien durchgeführt haben, spreweniger freie Journalisten Journalisten nach Mediensparte (Quellen: für Deutschland (D) Weischenberg/ Malik/ Scholl 2006: 257 - 260 und Steindl/ Lauerer/ Hanitzsch 2017; für die Schweiz (CH) Bonfadelli/ Keel/ Marr/ Wyss 2012 und Dingerkus/ Dubied/ Keel/ Sacco/ Wyss 2018; für Österreich (A) Medienhaus Wien 2007: 4 und Kaltenbrunner/ Karmasin/ Kraus/ Zimmermann 2007. Die leeren Felder werden in den Studien nicht explizit ausgewiesen.) | Abb. 6.2 Verteilung nach Mediensparte (%) Frauenanteil (%) D 1993 D 2005 D 2015 CH 2015 A 2005/ 7 D 1993 D 2005 D 2015 CH 2008 CH 2015 A 2005/ 7 Zeitung 46 35 27 26 - 30 34 31 31 33 34 Zeitschrift 15 20 20 20 - 39 39 48 45 55 - TV 8 15 12 10 10 31 41 45 - - 47 Radio 12 17 14 18 17 34 40 40 - - 44 Nachrichtenagentur und Mediendienste 8 3 4 3 3 37 38 28 31 - 30 Online - 5 16 10 4 - 36 37 32 - 43 Gesamt - - - - - 31 37 40 35 39 42 220 D i e J o u r n a l i s t e n chen von einer »partiellen Deprofessionalisierung« des Journalismus (Weischenberg/ Malik/ Scholl 2006: 189 - 190; vgl. hierzu auch Steindl/ Lauerer/ Hanitzsch 2017: 417). In einzelnen Segmenten gibt es in Deutschland teilweise Zuwächse - in den 1990er Jahren beim Fernsehen und in den vergangenen zehn Jahren in den Online-Redaktionen (vgl. Abb. 6.2). Rapide abgenommen hat der Anteil der Print-Zeitungsjournalisten. Dabei muss berücksichtigt werden, dass in den Zeitungsverlagen inzwischen etliche Online-Journalisten arbeiten - und dass vor allem crossmediale Tätigkeiten stark zugenommen haben. Statistiken tun sich im Zeitalter der integrierten Newsrooms ( → vgl. Kap. 4.5; S. 168 - 181) zunehmend schwer, zwischen den Medien zu differenzieren. Bei der Schweizer Befragung im Jahr 2015 gaben 30 Prozent an, dass sie gleichzeitig für mehrere Medien arbeiten. Immer mehr Frauen im Journalismus Der Frauenanteil im Journalismus ist in Österreich mit 42 Prozent am höchsten. Für Deutschland ist es belegt und für viele andere Länder wird vermutet, dass der Anteil der Frauen zunimmt. Je jünger die Journalisten, desto mehr Frauen: Sowohl in Deutschland als auch in Österreich liegt der Frauenanteil bei den unter 30-jährigen weit über 50 Prozent. In Führungspositionen sind Frauen zwar nach wie vor unterrepräsentiert, aber der Anteil der Chefredakteurinnen und Ressortleiterinnen hat zwischen 1993 und 2005 zugenommen (von 19 auf 22 bzw. von 20 auf 29 Prozent). Anders ist die Situation in den USA: Dort stagnierte der Frauenanteil im Journalismus zwischen 1982 und 2002 konstant bei einem Drittel (vgl. Weaver u. a. 2007: 8) und lag 2015 nur noch bei 27 Prozent (vgl. www.worldsofjournalism.org), obwohl auch in den USA die jungen Journalisten mehrheitlich weiblich sind. Offenbar steigen die amerikanischen Journalistinnen nach ein paar Jahren Berufserfahrung öfter aus dem Journalismus aus als ihre männlichen Kollegen und wechseln in einen anderen Beruf. Alter und Einkommen Das Durchschnittsalter der Journalisten in Deutschland, Österreich und der Schweiz liegt zwischen 40 und 46 Jahren, wobei es in Deutschland 1993 noch bei 37 Jahren gelegen hatte und 2015 schon bei 46 Jahren ist. 1993 waren noch mehr als die Hälfte der deutschen Journalisten höchstens 35 Jahre alt - 2015 sind es nur noch 22 Prozent. Ähnlich ist die Entwicklung in den USA, wo das Durchschnittsalter zwischen 1992 und 2002 von 36 auf 41 Jahre gestiegen ist (vgl. Weaver u. a. 2007: 7) und 2015 bei 47 Jahren liegt (vgl. www.worldsofjournalism.org). In den vergangenen ein bis zwei Jahrhoher Frauenanteil in Österreich J o u r n a l i s m u s a l s B e r u f 221 zehnten wurden weniger junge Journalisten beschäftigt als vorher. In der Schweiz liegt das Durchschnittsalter dagegen seit zwei Jahrzehnten stabil zwischen 41 und 43 Jahren. Die Einkommensspanne der Journalisten in Deutschland lag 2005 im Kern zwischen 1.000 und 4.000 Euro netto im Monat (im Schnitt 2.300 Euro) - in der Schweiz 2008 zwischen 2.000 und 10.000 Franken (im Schnitt 6.400 CHF), wobei es in allen Ländern »Großjournalisten« gibt, die ein mindestens fünfstelliges Monatseinkommen haben, und ein »Prekariat«, das vom Journalismus kaum leben kann. Bis 2015 hat sich in Deutschland (und auch in der Schweiz) nicht viel verändert, das Einkommen ist über alle Gruppen hinweg nur leicht gestiegen: Die Spanne liegt nun bei den meisten zwischen 1.200 und 5.000 Euro. Die deutsche Studie hat in dreifacher Hinsicht eine Kluft festgestellt (vgl. Steindl/ Lauerer/ Hanitzsch 2017: 415): • Frauen verdienen durchschnittlich deutlich weniger im Monat als Männer; bereits die älteren Studien hatten dies festgestellt, es hat sich wenig verändert; • Berufsanfänger unter 36 Jahren verdienen vergleichsweise wenig: Fast die Hälfte liegt unter 1.800 Euro netto monatlich; • freie Journalisten verdienen im Schnitt deutlich weniger als ihre festangestellten Kollegen. Spiegel der Bevölkerung? Immer wieder gibt es Forderungen, die Journalisten sollten die Segmente und Milieus der Gesamtbevölkerung vielfältig repräsentieren, damit sie allen Positionen und Problemlagen nicht nur stellvertretend eine Stimme geben, sondern sie aus eigener Erfahrung kennen. In den USA wird dies unter dem Stichwort »diversity in the newsroom« diskutiert. So forderte 2013 die American Society of Newspaper Editors: »To cover communities fully, to carry out their role in a democracy, and to succeed in the marketplace, the nation’s newsrooms must reflect the racial diversity of American society by 2025 or sooner. [. . . ] The newsroom must be a place in which all employees contribute their full potential, regardless of race, ethnicity, color, age, gender, sexual orientation, physical ability or other defining characteristic.« - und stellte 2018 fest: ». . .the racial diversity of newsrooms does not come close to the fast-growing diversity in the U.S. population as a whole.« (asne.org/ content.asp? pl=15&sl=28&contentid=28) Aus den Befragungen in Deutschland kennen wir zwar nicht alle diese sozialen Merkmale - Religion oder Migrationshintergrund werden hier z. B. im Gegensatz zu den US-Studien nicht erhoben. Aber nach allem, was wir wissen, unterscheiden sich die sozialen Merkmale der Journalisten erheblich vom Bevölkerungsdurchschnitt (vgl. im Folgenden Weischenberg/ im Schnitt 2.300 Euro Diversity in the newsroom 222 D i e J o u r n a l i s t e n Malik/ Scholl 2006: 69 - 72). Die meisten Journalisten rekrutieren sich aus der Mittelschicht: Väter und Mütter waren meist Angestellte (55 Prozent der Väter bzw. 43 Prozent der Mütter), Beamte (24/ 9) oder selbständig (18/ 7). Arbeiterkinder sind eine kleine Minderheit (9 Prozent der Väter und drei Prozent der Mütter). Nur drei Prozent haben allerdings Väter oder Mütter, die selbst Journalisten sind. Die politische Einstellung der Journalisten ist in vielen demokratischen Ländern traditionell leicht links von der Mitte. In Deutschland ist das seit Jahrzehnten relativ unverändert. Bei der Befragung 2015 verorteten sich die Journalisten auf einer Skala von 0 (für politisch links) bis 10 (für politisch rechts) im Schnitt bei 3,96 (vgl. Steindl/ Lauerer/ Hanitzsch 2017: 414). In der Schweiz liegt der Schnitt auf identischer Skala bei 4,02, wobei es hier einen signifikanten Unterschied zwischen weiblichen Journalisten (3,6) und männlichen Journalisten (4,2) gibt (vgl. Dingerkus et al. 2018). Mit Schlussfolgerungen aus diesen Befragungsergebnissen - vor allem im Hinblick auf die politische Wirkung des Journalismus - sollte man sehr vorsichtig sein. Weder ist die Folgerung plausibel, mehrheitlich linksorientierte Journalisten würden linke Regierungen stützen, noch der umgekehrte Vorwurf, Journalismus würde mit einer neoliberalen oder nationalen Ideologie Machtwechsel in Richtung konservativer Parteien herbeischreiben. Beide Vorwürfe hat es in den letzten Jahrzehnten in Deutschland gegeben ( → vgl. Kap. 5.1; S. 186). Um dies zu untersuchen, reicht es nicht aus, auf grundsätzliche politische Einstellungen von Journalisten zu verweisen, sondern man muss die Berichterstattung - zum Beispiel in Wahlkampfzeiten - analysieren. Wenn sie schon nicht alle Bevölkerungssegmente repräsentieren - konfrontieren sich Journalisten dann in ihrem Privatleben mit anderen sozialen Milieus? - Mitnichten: Für 91 Prozent der Journalisten gehören wiederum Journalisten zum engeren Bekanntenkreis (vgl. Weischenberg/ Malik/ Scholl 2006: 150 - 154). Allenfalls trifft man sich mit anderen Akademikern. Die Lebenswelt anderer sozialer Gruppen außerhalb der Mittelschicht - vom Hartz-IV-Empfänger bis zum Millionär - ist für Journalisten im Alltag schwer zugänglich. Tätigkeiten: Schreiben, Recherchieren, Produzieren, Organisieren Die durchschnittliche Arbeitszeit der deutschen Journalisten ist zwischen 1993 und 2005 im Wochenschnitt von 46 auf 45 Stunden gesunken. In die Arbeitszeit wird indes eine Reihe neuer Tätigkeiten hineingepackt, die mit der Internet-Nutzung zu tun haben (vgl. Weischenberg/ Malik/ Scholl 2006: 79 - 82). Dies geht im Durchschnitt auf Kosten der Zeit für klassische Recherche, Textauswahl und Moderation in Hörfunk und Fernsehen (vgl. Abb. politische Einstellung Journalisten als Freunde 45-Stunden-Woche J o u r n a l i s m u s a l s B e r u f 223 Dauer journalistischer Tätigkeiten (Quelle: Weischenberg / Malik / Scholl 2006: 80, 267, 268) | Abb. 6.3 Tätigkeit (Durchschnitt in Minuten pro Tag) 1993 2005 2005 TV 2005 Radio 2005 Zeitung 2005 Zeitschrift 2005 Online Recherche 140 117 117 109 102 119 106 Verfassen/ Redigieren eigener Texte 118 120 85 111 131 129 118 Auswahl von Texten 49 33 25 45 31 26 42 Redigieren von Agentur- und Pressematerial 37 33 16 42 41 18 29 Redigieren der Texte von Kollegen / Mitarbeitern 39 55 34 32 68 61 51 Organisation und Verwaltung 69 78 110 83 64 84 66 Technik 50 84 155 103 70 46 100 Moderation (nur Rundfunkjournalisten) 46 28 8 47 - - - Kontakt mit dem Publikum* - 26 20 23 31 22 22 PR, Werbung, Marketing, kaufmännische Tätigkeiten 0 9 12 7 5 10 11 Internettätigkeiten allgemein* - 122 137 147 73 148 262 davon Online- Recherche* - 66 72 81 38 81 136 davon E-Mail- Kontakte* - 44 50 50 30 54 77 davon Kommunikation mit dem Publikum* - 9 7 8 9 11 19 * 1993 nicht abgefragt 224 D i e J o u r n a l i s t e n 6.3). Allerdings sind diese Zeitangaben mit Vorsicht zu interpretieren, weil es sich nicht um exakte Messungen der Tätigkeiten handelt, sondern um Schätzungen der Journalisten im Rahmen einer Befragung. Wer kann schon auf folgende Frage eine minutengenaue Antwort geben: »Sagen Sie mir bitte für jede Tätigkeit, wie viele Stunden bzw. Minuten Sie diese an einem durchschnittlichen Arbeitstag ausüben.« (vgl. ebd.: 235) ( → vgl. Kap. 1.3.1; S. 45) Es ist zum Beispiel schwierig festzustellen, ob die deutschen Journalisten 2005 mehr oder weniger Zeit für Recherche aufwenden als 1993 (vgl. ebd.: 79 - 81): Sie geben zwar an, kürzer zu recherchieren (117 statt 140 Minuten) - aber sie schätzen inzwischen den täglichen Aufwand für Online-Recherche auf 66 Minuten. Da Recherchezeit und Zeit für Internetnutzung in der Befragung nicht aufeinander bezogen wurden, wissen wir nicht, ob die Zeit für Recherche insgesamt tatsächlich gesunken oder in der Summe nicht sogar gestiegen ist. Auffällig ist die Zunahme von organisatorischen und vor allem von technischen Tätigkeiten. Die Fernseh- und Radiojournalisten sind damit am stärksten belastet. Eine Ursache dieser Veränderung ist, dass Rundfunkjournalisten mit inzwischen meist digitaler Technik häufiger selbst drehen und schneiden. Rollenselbstverständnis Die Frage nach dem Rollenselbstverständnis der Journalisten hat in der journalistischen Berufsforschung eine lange Tradition (vgl. u. a. Donsbach 2003: 116 - 117; Weischenberg/ Malik/ Scholl 2006: 98 - 119; Weaver u. a. 2007: 136 - 157; Wyss/ Keel 2010b: 256f.). Welche Vorstellungen haben die Journalisten von ihrer eigenen Rolle? Welchen Idealen folgen sie und welche Ziele setzen sie sich in ihrer täglichen Arbeit? Sehen sie sich eher als passive Informationsvermittler oder als engagierte Kritiker, die sogar die politische Tagesordnung beeinflussen wollen? Oder wollen sie in erster Linie das Publikum unterhalten oder ihm als Ratgeber mit Service-Leistungen dienen? Zwar sind die durch repräsentative Befragungen erhobenen Absichtserklärungen der Journalisten umstritten, weil unklar ist, ob sie wirklich eine Bedeutung für die journalistische Arbeit haben, aber man kann damit zum Beispiel international vergleichend Unterschiede feststellen: im Berufsverständnis und in den Idealen, die im Verlauf der journalistischen Ausbildung und Sozialisation erworben werden. Und wir können den Wandel dieses Verständnisses beschreiben, wenn Befragungen systematisch wiederholt werden. Auf der individuellen Ebene der Journalisten lässt sich die Neigung zu verschiedenen aktiven oder passiven Berichterstattungsmustern einordnen, wie sie in Kapitel 5.2 ( → vgl. S. 194 - 201) beschrieben wurden. mehr oder weniger Zeit für Recherche? internationale Vergleiche J o u r n a l i s m u s a l s B e r u f 225 In den 80er und 90er-Jahren haben Forscher der Mainzer Publizistik - vor allem Renate Köcher (vgl. z. B. 1986) und Wolfgang Donsbach (vgl. z. B. 2003) - in international vergleichenden Journalistenbefragungen festgestellt, dass die deutschen Journalisten stärker politisch aktiv mitwirken wollen und dass sie sich weniger als neutrale und passive Vermittler sehen als ihre Kollegen in Großbritannien und den USA. Die Vertreter dieser wissenschaftlichen Schule kritisierten den - wie sie es nannten - »missionarischen« Journalismus in Deutschland, den sie auf historische Entwicklungen zurückführten ( → vgl. Kap. 2.2.2; S. 80 - 83). Dieser Aspekt des Rollenselbstverständnisses diente auch als Baustein bestimmter Wirkungstheorien - wie zum Beispiel der Schweigespirale ( → vgl. Kap. 3.3; S. 118 - 120). Diese Studien und die wirkungstheoretischen Schlussfolgerungen daraus wurden früh kritisiert (vgl. u. a. Weischenberg 1989). In den jüngsten Befragungen zeigt sich nun deutlich, dass sich die Journalisten in ihrem Aufgabenverständnis international angleichen und dass man die deutschen Journalisten in einer breiten Mehrheit nicht als »missionarisch« bezeichnen kann, sondern dass sie in erster Linie neutral und präzise informieren wollen - wie ihre Kollegen in anderen westlichen Demokratien auch (vgl. Abb. 6.4). Im Gegensatz zu den Annahmen der Mainzer Studien kann das Berufsverständnis zudem mehrdimensional sein (vgl. Weischenberg/ Malik/ Scholl 2006: 100 - 101): Verschiedene Rollenbilder schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern werden »fallweise nach individueller Relevanz gewichtet« (Marr/ Wyss/ Blum/ Bonfadelli 2001: 123). Es muss kein Widerspruch sein, wenn ein Journalist neutral informieren und gleichermaßen Kritik an Missständen üben will. Die amerikanischen Forscher sprechen vom Phänomen des »pluralistic journalist«, der verschiedene sich eigentlich widersprechende Rollenkonzepte verfolgt (Weaver u. a. 2007: 145 - 146). Tabelle 6.4 zeigt das Antwortverhalten in repräsentativen Befragungen in drei Ländern, wobei ein absoluter Vergleich nicht möglich ist, weil die Studien unterschiedliche Statements vorformulieren. Schon die Dimensionen des Rollenselbstverständnisses werden anders definiert: Während die deutschen Forscher drei Dimensionen ausmachen (Information, Kritik und Service/ Unterhaltung), haben die Schweizer Forscher noch Indikatoren für eine vierte Dimension (Werbemarktorientierung) abgefragt, die in der folgenden Tabelle nicht wiedergegeben sind. In den USA spielt das Konzept des Public Journalism ( → vgl. Kap. 5.2; S. 196 - 201) eine größere Rolle als in Europa, weshalb ein Statement wie »motivate people to get involved«, das in Deutschland und der Schweiz gar nicht vorgelegt wurde, 39 Prozent Zustimmung bekam (Weaver u. a. 2007: 140). In der Tabelle werden jeweils Formulierungen gewählt, die allen drei Länderstudien gerecht werden sollen. Wo dies nicht geht, werden Zeilen »missionarischer« Journalismus? in erster Linie neutral und präzise informieren 226 D i e J o u r n a l i s t e n mit der amerikanischen Variante eingefügt. Der Vergleich wird allerdings dadurch zusätzlich erschwert, dass die Studien unterschiedliche Antwortskalen verwendeten (vier-, fünf- oder sechsstufig). Einen aktuellen Ländervergleich - allerdings wieder mit etwas anderen Statements als früher verwendet wurden - bietet die »Worlds of Journalism«-Studie, die 2015 in 67 Ländern durchgeführt wurde ( → vgl. Kap. 1.3.3; S. 59 - 60). Die Tabelle 6.5 zeigt einen kleinen Ausschnitt. In Deutschland, Österreich, der Schweiz und den USA - wie in allen westlichen Demokratien - dominiert die Rolle des neutralen Vermittlers, der unparteiischer * Die deutsche Studie verwendete eine fünfstufige Skala zur Zustimmung oder Ablehnung. In der Tabelle sind alle Antworten summiert, die »trifft voll und ganz zu« oder »trifft überwiegend zu« angaben. Die US-Studie legte eine vierstufige Skala vor, wies im Ergebnisbericht jedoch nur die Extremposition »extremely important« aus, die auch in der Tabelle wiedergegeben ist. Die Schweizer Studie verwendete eine sechsstufige Skala von »sehr wichtig« bis »gar nicht wichtig«, wobei in der Tabelle die drei Antworten mit »wichtig« summiert sind. Die österreichische Studie ging genauso wie die deutsche vor. Zustimmung zum Rollenselbstverständnis … (in %)* D 1993 D 2005 USA 1992 USA 2002 CH 2008 A 2008 Information und Vermittlung möglichst neutral und präzise informieren 74 89 92 92 avoid stories with unverified content 49 52 komplexe Sachverhalte nachprüfen / analysieren / erklären / vermitteln 74 79 48 51 85 89 möglichst schnell Informationen vermitteln 73 74 69 59 69 sich auf ein möglichst breites Publikum konzentrieren 54 60 20 15 59 Kritik, Kontrolle, Engagement Kritik an Missständen üben 63 58 79 75 investigate government claims 67 71 Themen auf die politische Agenda setzen 19 14 5 3 31 sich einsetzen für die Benachteiligten / Anwalt für die gesellschaftlich Schwachen 43 29 56 60 motivate people to get involved 39 Service und Unterhaltung als Ratgeber helfen/ Lebenshilfe bieten 36 44 72 54 Unterhaltung, Entspannung bieten 47 37 14 11 48 51 Abb. 6.4 | Rollenselbstverständnis im Vergleich D - USA - CH (Quellen: Weischenberg/ Malik/ Scholl 2006: 98 - 119, 279; Weaver u. a. 2007: 139 - 140; Bonfadelli/ Keel/ Marr/ Wyss 2012; Kaltenbrunner/ Karmasiin/ Kraus/ Zimmermann 2008: 22) internationale Unterschiede J o u r n a l i s m u s a l s B e r u f 227 Beobachter sein möchte. Das Ideal, die Regierung zu kontrollieren, ist in Deutschland mit 36 Prozent recht wenig verbreitet, in der Schweiz und in Österreich trifft es bei knapp der Hälfte zu und in den USA bei fast allen Journalisten. Ratgeber- und Unterhaltungsjournalismus findet sich in Deutschland und Österreich vergleichsweise häufig; in der Schweiz und vor allem in den USA wenig. Bewertung umstrittener Recherchemethoden Die Frage zur Bewertung umstrittener Recherchemethoden geht intensiv auf das Berichterstattungsmuster des Investigativen Journalismus ein ( → vgl. Kap. 5.2; S. 196 - 198): Nehmen sich die deutschen oder die amerikanischen Journalisten vor, hartnäckiger und skrupelloser zu recherchieren? In den Antworten lässt sich die Reflexion über einen journalistischen Grundkonflikt ablesen (vgl. Weaver u. a. 2007: 162 - 173; Weischenberg/ Malik/ Scholl 2006: 174 - 180): zwischen der Forderung nach ethisch gerechtfertigtem Handeln, zum Beispiel nicht zu betrügen und Vertrauen nicht zu missbrauchen, und der Forderung nach Erfüllung der journalistischen Kontrollfunktion, gesellschaftlich relevante Informationen auch gegen Widerstand zu recherchieren und öffentlich zu thematisieren. Während fast alle umstrittenen Methoden von deutschen Journalisten mehrheitlich abgelehnt werden - 2005 noch stärker als 1993 -, gibt es in den USA bei einigen Methoden mehrheitliche Zustimmung (vgl. Abb. 6.6). Allerdings gehen auch in den USA die Zustimmungswerte zurück. Abnahme der Zustimmungswerte Zustimmung zum Rollenselbstverständnis … (in %)* D 2015 CH 2015 A 2015 USA 2015 Dinge so zu berichten, wie sie sind 91 95 96 98 ein unparteiischer Beobachter sein 83 83 88 76 Inhalte anbieten, die ein möglichst großes Publikum anziehen 74 47 61 53 die Regierung kontrollieren 36 47 45 86 die politische Tagesordnung bestimmen 10 20 10 11 die Menschen zur Teilhabe am politischen Geschehen motivieren 45 45 50 46 Rat, Orientierung und Hilfestellung für den Alltag bieten 66 40 63 26 Unterhaltung und Entspannung bieten 51 34 47 29 | Abb. 6.5 Rollenselbstverständnis im Vergleich nach der »Worlds of Journalism«- Studie 2015 - in Prozent der Antworten, die »extrem« oder »sehr wichtig« angegeben haben (Quelle: www.worldsofjournalism.org) 228 D i e J o u r n a l i s t e n Das Berichterstattungsmuster des Investigativen Journalismus ist traditionell in Deutschland nicht so sehr ausgeprägt wie in den USA, was unter anderem an der traditionellen US-amerikanischen Rollentrennung zwischen »reporters« und »editors« liegt ( → vgl. Kap. 4.4; S. 168 - 170). Die »reporters« sind auf Recherche angesetzt, während die deutschen Journalisten Recherche neben anderen Dingen erledigen. Allerdings nähern sich die USamerikanischen und die deutschen Journalisten bei der Bewertung einiger Recherchemethoden an: etwa in der Benutzung vertraulicher Regierungsunterlagen oder im Einschleichen als Mitarbeiter in einen Betrieb oder eine US-Journalisten weniger skrupulös * Die deutsche Studie verwendete eine fünfstufige Skala zur Zustimmung oder Ablehnung. In der Tabelle sind alle Antworten summiert, die »trifft voll und ganz zu«, »trifft überwiegend zu« oder »trifft teils/ teils zu« angaben. Die US-Studie gab eine Dreierskala vor, wobei in der Tabelle Antworten mit »may be justified on occasion« aufgenommen sind. Zustimmung zu journalistischen Recherchemethoden (in %)* D 1993 D 2005 USA 1992 USA 2002 vertrauliche Regierungsunterlagen benutzen, ohne die Genehmigung zu haben / 54 59 82 78 using confidential business or government documents without authorization sich als Mitarbeiter in einem Betrieb/ einer Organisation betätigen, um an interne Informationen zu gelangen / 54 49 63 54 getting employed in a firm or organization to gain inside information sich als eine andere Person ausgeben / 45 32 22 14 claiming to be somebody else Leuten für vertrauliche Informationen Geld bezahlen / 41 27 20 17 paying people for confidential information versteckte Mikrofone oder Kameras benutzen / 31 28 60 60 using hidden microphones or cameras unwillige Informanten unter Druck setzen, um Informationen zu bekommen / 12 12 49 52 badgering unwilling informants to get a story private Unterlagen (z. B. Briefe, Fotos) von je-mandem ohne dessen Zustimmung verwenden 11 8 48 41 making use of personal documents such as letters and photographs without permission Abb. 6.6 | Recherchemethoden im Vergleich Deutschland - USA (Quellen: Weischenberg/ Malik/ Scholl 2006: 245, 301; Weaver u. a. 2007: 163) J o u r n a l i s m u s a l s B e r u f 229 Organisation. Andererseits gibt es erhebliche Unterschiede bei den »skrupellosen« Methoden (vgl. Weischenberg/ Malik/ Scholl: 176): Die deutschen Journalisten scheuen vor allem zurück, wenn Informanten nachhaltig geschädigt werden - etwa indem man sie unter Druck setzt oder ihre privaten Briefe und Fotos ohne Zustimmung veröffentlicht (jeweils ca. 90 Prozent Ablehnung). Die nordamerikanischen Journalisten geben sich hier nicht so skrupulös: 52 bzw. 41 Prozent meinen, diese Methoden können gerechtfertigt sein. Es mag an der deutschen Zeitgeschichte liegen, dass Methoden, die auch von den Geheimdiensten in Nazi-Deutschland und in der DDR verwendet wurden, hier sehr weitgehend abgelehnt werden. In Österreich gibt es etwa 7.100, in der Schweiz 9.100 und in Deutschland 41.250 Journalisten. Zwischen 1993 und 2015 sind die hauptberuflichen Journalisten in Deutschland weniger, und im Schnitt sind sie älter geworden (46 Jahre). Sie stammen mehrheitlich aus der Mittelschicht. Der Frauenanteil liegt in Österreich mit 42 Prozent relativ hoch und steigt auch in Deutschland und der Schweiz. Journalisten ordnen sich in westlichen Demokratien selbst politisch im Durchschnitt leicht links von der Mitte ein. Das Rollenselbstverständnis gleicht sich international an, wobei das Ideal der neutralen Vermittlung dominiert. Auch in der Bewertung harter Recherchemethoden gleichen sich zunehmend die deutschen und US-amerikanischen Journalisten. Die amerikanischen Kollegen haben indes weniger Skrupel, Informanten unter Druck zu setzen oder persönliche Unterlagen ohne Zustimmung zu verwenden. Zudem sind ganz deutlich mehr Journalisten in den USA vom Ideal überzeugt, die Regierung zu kontrollieren, als in Mitteleuropa. Zusammenfassung 1 Diskutieren Sie die Probleme von Journalistenbefragungen - von der adäquaten Journalismusdefinition bis zum internationalen Vergleich des Rollenselbstverständnisses. 2 Fassen Sie die sozialen Merkmale der Journalisten in Deutschland zusammen. 3 Nennen Sie die journalistischen Haupttätigkeiten. Welche haben zwischen 1993 und 2005 zu-, welche abgenommen? 4 Welche Unterschiede gibt es im Rollenselbstverständnis zwischen deutschen, schweizerischen, österreichischen und US-amerikanischen Journalisten? Übungsfragen zu Kapitel 6.1 230 D i e J o u r n a l i s t e n Literatur Zur weiterführenden Lektüre werden die in diesem Kapitel mehrfach zitierten Bücher und Buchkapitel mit Ergebnissen aus Journalisten-Befragungen empfohlen: Für die Journalisten in Deutschland von Siegfried Weischenberg, Maja Malik und Armin Scholl, in der Schweiz von Heinz Bonfadelli, Guido Keel, Mirko Marr und Vinzenz Wyss bzw. von Vinzenz Wyss und Guido Keel sowie in den USA von David H. Weaver u. a. Zu den Journalisten in Österreich liegen mehrere Bände unter dem Titel »Der Journalisten-Report« von Andy Kaltenbrunner, Matthias Karmasin, Daniela Kraus und Astrid Zimmermann vor. Zentrale Ergebnisse der »Worlds of Journalism«-Studie, die 2015 in 67 Ländern durchgeführt wurde, sind auf der Website www. worldsofjournalism.org veröffentlicht - und tiefer gehend für Deutschland von Nina Steindl u.a. sowie für die Schweiz von Filip Dingerkus u.a. Ausbildung und Kompetenzen Die Debatten um eine sinnvolle Ausbildung von Journalisten scheinen sich von Land zu Land, von Jahrhundert zu Jahrhundert zu wiederholen. Als der erfolgreiche Journalist und Verleger Joseph Pulitzer in den Jahren 1903/ 04 in seinem Testament zwei Millionen Dollar der Columbia University in New York vermachte und damit das Fundament für die Gründung eines Journalistik-Studiengangs und eines Journalistenpreises legte, musste er gegen vielerlei Widerstände kämpfen. Die Argumente gegen eine akademische Journalistenausbildung waren damals wie heute ähnlich: Journalisten könnten nicht ausgebildet werden, sie müssten vielmehr Talent mitbringen, das sich nur in praktischer Tätigkeit in einer Redaktion entfalten könne. In seiner Erwiderung verglich Pulitzer den Journalismus mit der Medizin: 6.2 | Joseph Pulitzers Kampf »Before the century closes schools of journalism will be generally accepted as a feature of specialized higher education, like schools of law or of medicine. [. . .] Must a journalist be ›born‹? [. . .] The only position that occurs to me which a man in our Republic can successfully fill by the simple fact of birth is that of an idiot. [. . .] Must journalism be learned in the office? [. . .] In journalism at present the newspaper offices are the hospitals, but the students come to them knowing nothing of principles or theories. The newspaper hospital is extremely accommodating. It furnishes the patients Zitat a u s B i l D u n g u n D K o m p e t e n z e n 231 Die Visionen Pulitzers wurden in den USA zunehmend verwirklicht: 79 Prozent der amerikanischen Journalisten hat 2015 »journalism« oder »communications« studiert. Inzwischen ist ein Abschluss in Journalistik oder Kommunikationswissenschaft nahezu die Bedingung für den Einstieg in den US-Journalismus. Volontariate oder verlagseigene Journalistenschulen sind in den USA nicht denkbar. In Europa war die Situation Jahrzehnte lang fast umgekehrt. Nur ein Drittel der österreichischen Journalisten hatte 2007 überhaupt einen Studienabschluss. In der Schweiz war es gut die Hälfte, in Deutschland zwei Drittel (vgl. Abb. 6.7). Allerdings zeigte sich in Mitteleuropa in den letzten zehn Jahren eine rasche Akademisierung und Professionalisierung des Journalismus: Inzwischen haben zwischen 63 und 76 Prozent ein abgeschlossenes Studium und zwischen 37 und 42 Prozent haben Journalistik oder Kommunikationswissenschaft studiert, obwohl die Journalistik-Studiengänge hierzulande noch recht jung sind und es bei weitem weniger gibt als in den USA. In Deutschland sind die am weitesten verbreiteten journalistischen Ausbildungsformen nach wie vor das Praktikum und das Volontariat in Redaktionen. Allerdings wurden die verschiedenen Ausbildungsformen in Deutschland im Laufe der Jahrzehnte optimiert. Das Volontariat in Zeitungsverlagen erhielt 1990 einen Tarifvertrag, der reines »training by doing« versucht auszuschließen und bestimmte Ausbildungsinhalte vorschreibt. Der Tarifvertrag wurde 2016 aktualisiert und an die digitale Medienwelt abgepasst. Ob und inwiefern sich die Verlage allerdings daran halten, wird nicht systematisch überprüft. In Deutschland führen alles in allem viele Wege in den Journalismus, was einerseits ein Beitrag zur »diversity in the newsroom« sein kann ( → vgl. Kap. 6.1; S. 221), andererseits aber auch Ausdruck einer noch nicht erreichten Professionalisierung (vgl. Pätzold 2005). Im Gegensatz zu anderen Professionen, wie der Medizin, der Justiz oder den Lehrberufen, ist für den Journalismus der freie Zugang durch das Grundgesetz garantiert - nach den bitteren Erfahrungen des reglementierten Berufszugangs im Nationalsozialismus (und dann auch in der DDR). Junge Journalisten kombinieren heute oft verschiedene Ausbildungsformen und basteln sich so die Kompetenzen selbst zusammen, die sie für einen Berufseinstieg benötigen. Schon 1993 haben nur noch 20 Prozent der deutschen Journalisten allein ein Volontariat als Ausbildungsform durchlaufen, was Siegfried Weischenberg (1995: 519) zum anders in Europa Kompetenzen selbst zusammenbasteln for its young men to practise on, puts dissecting-knives into the hands of beginners who do not know an artery from a vermiform appendix, and pays them for the blunders by which they gradually teach themselves their profession.« (Joseph Pulitzer 1904: 20 - 26) 232 D i e J o u r n a l i s t e n Kommentar veranlasste, dass das Volontariat »längst nur noch aufgrund ›künstlicher Beatmung‹ durch andere Formen der Vor- und Ausbildung überlebensfähig ist«. Das Studiengangmodell Journalistik begann in Deutschland in den 70er-Jahren mit einigen wenigen Standorten als Antwort auf allenthalben kritisierte Missstände der Journalistenausbildung ( → vgl. Kap. 1.1.3; S. 18 - 20). Nach mehr als drei Jahrzehnten Erfahrung mit der Journalistik muss man Integration von Theorie und Praxis Angabe in Prozent D 2005 D 2015 CH 2008 CH 2015 A 2007 A 2015 USA 2002 USA 2015 Studium (Universität / Fachhochschule / university / college) abgeschlossen 69 76 59 70 34 63 89 94 nicht abgeschlossen 15 8 13 9 Hauptfächer* Journalistik, Kommunikationswissenschaft etc. 17 37 38 29 42 58 79 Geisteswissenschaften (Literatur, Sprache, Geschichte etc.) 38 24 Sozialwissenschaften (z. B. Politik) 15 11 Naturwissenschaften, Mathematik 10 3 Wirtschaftswissenschaft 8 2 Jura 4 0,3 andere Fächer 5 2 Journalistische Ausbildung** Studium Journalistik (auch als Nebenfach) 14 4 36 Studium Publizistik, Kommunikations-, Medienwissenschaft (auch als Nebenfach) 17 17 17 Praktikum 69 35 Volontariat 62 35 Journalistenschule 14 30 Abb. 6.7 | * Die Prozentzahlen für Deutschland beziehen sich auf alle Journalisten, die studiert haben (auch ohne Abschluss), für die USA nur auf Abschlüsse im Hauptfach. ** Die Prozentzahlen der journalistischen Ausbildung beziehen sich auf alle befragten Journalisten. Studium und Ausbildung im Vergleich (Quellen: Weischenberg/ Malik/ Scholl 2006: 65 - 69; Bonfadelli/ Keel/ Marr/ Wyss 2012; Medienhaus Wien 2007: 4; Kaltenbrunner/ Karmasin/ Kraus/ Zimmermann 2008: 116; Weaver u. a. 2007: 44; worldsofjournalism.org) a u s B i l D u n g u n D K o m p e t e n z e n 233 bilanzieren, dass das ursprüngliche Ziel, die Hochschulausbildung als Regelzugang zum Journalismus ähnlich wie in den USA zu etablieren, (bislang) noch nicht ganz verwirklicht wurde. Es wurden allerdings verschiedene Studiengangmodelle und viele unterschiedliche didaktische Konzepte der Integration von Theorie und Praxis entwickelt (vgl. z. B. Altmeppen/ Hömberg 2002; Dernbach/ Loosen 2012) - zum Beispiel das Modell der Lehrredaktion mit der Produktion von periodischen Campusmedien (vgl. z. B. Blöbaum 2000; Hömberg/ Klenk 2012) oder mit innovativen Einzelprodukten, die marktfähig sind und zum Teil mit Partnern aus der Medienwirtschaft realisiert werden (vgl. z. B. Bergmann/ Pörksen 2007). Nicht zu vernachlässigen ist der Aspekt, dass Journalistenausbildung an Hochschulen nicht dem ökonomischen und zeitlichen Druck der redaktionellen Routine und den Verwertungsinteressen der Medienindustrie unterworfen ist, sondern Nachdenken und Reflexion fördert und Freiraum zum Experimentieren lässt: Es kann kreativ gespielt und getestet werden, neue Formen und Formate können überlegt und verbessert werden (vgl. z. B. Meier 2002b; Meier/ Giese/ Schweigmann 2012). Schon Pulitzer (1904: 33) hatte betont: »The School of Journalism is to be, in my conception, not only not commercial, but anti-commercial.« Was müssen Journalisten können? Die Frage nach den Dimensionen journalistischer Kompetenz wird meist dann gestellt, wenn über die Journalistenausbildung diskutiert wird. Im Hinblick auf die sich dynamisch wandelnden Medienmärkte, -techniken und -produkte ist ein ständiger Abgleich der Lehrinhalte mit den neuen Berufsanforderungen nötig. Das, was Journalisten können müssen, kann theoretisch modelliert (vgl. z. B. Donsbach 1978) und empirisch über Befragungen erhoben werden (vgl. z. B. Weischenberg/ Altmeppen/ Löffelholz 1994: 207 - 222). Allerdings gibt es keine übereinstimmenden Vorstellungen vom Begriff der journalistischen Kompetenz (vgl. Weischenberg 1990: 21 f.): Da viele Wege und Ausbildungsmöglichkeiten in den Beruf führen, wird die eine oder andere Kompetenzdimension je nach Ausbildungskonzept hervorgehoben oder ignoriert. Eine Interessenskollision liegt in einer pluralistisch-demokratischen Gesellschaft in der Natur der Sache. Zwei Beispiele: Verlagsvertreter betonen die handwerklichen Fähigkeiten, die im Volontariat trainiert werden, Journalistik-Professoren eher das Reflexionswissen. Journalisten selbst empfehlen meist den Ausbildungsweg, den sie selbst beschritten haben (vgl. z. B. Pörksen 2005c). Die Einteilung der Kompetenzdimensionen orientiert sich - Siegfried Weischenberg (1990) folgend - an der Fach- und der Sachkompetenz, wobei zwischen beidem Vermittlungskompetenz und soziale Orientierung liegen. Kreativität statt Routine 234 D i e J o u r n a l i s t e n Diese vier Grunddimensionen sind in Abbildung 6.8 dunkelblau markiert. In den vergangenen 20 Jahren (Weischenberg/ Altmeppen/ Löffelholz 1994; Dörmann/ Pätzold 1998; Meier 2002b) kamen verstärkt die beiden Dimensionen der Technik- und Gestaltungskompetenz sowie der Organisations- und Konzeptionskompetenz hinzu (hellblau markiert), was beides früher nicht explizit erwähnt oder nur als kleiner Teil der Fachkompetenz gesehen wurde. Alles in allem muss betont werden, dass sich die Dimensionen nur analytisch trennen lassen und de facto in starkem Zusammenhang stehen oder ineinander übergehen. • Fachkompetenz: Journalisten müssen - wie alle akademischen Berufe - ihr eigenes Fachgebiet gut kennen. Dazu gehören das »Handwerk« (Recherche, Themenauswahl, Redigieren, Berichterstattungsmuster), aber auch ein grundsätzliches Fachwissen als »Kopfwerk«: Das »Handwerk« braucht nicht nur eine solide wissenschaftliche Basis, um durchschaut, reflektiert und fortentwickelt werden zu können, sondern eigenes Fachgebiet Abb. 6.8 | Dimensionen journalistischer Kompetenz (Quelle: erweiterte Darstellung auf Grundlage von Weischenberg 1990: 22 - 26; Weischenberg/ Altmeppen/ Löffelholz 1994: 207 - 222; Dörmann/ Pätzold 1998: 61 - 67; Meier 2002b: 146 - 154) Instrumentelle Fähigkeiten („Handwerk“): Recherche Selektion Redigieren Berichterstattungsmuster Fachwissen: Medienentwicklung Mediensystem Medienrecht Medienökonomie Fachkompetenz Artikulationsfähigkeit Präsentations- und Darstellungsformen • medienspezifisch • themenorientiert • zielgruppenorientiert Vermittlungskompetenz Ressort- und Spezialwissen: klassische Ressorts neue Ressorts Orientierungswissen: Gesellschaftswissen (Politik, Soziologie, Ökonomie) Quellenkenntnis wissenschaftliches Arbeiten/ sozialwissenschaftliche Methoden breite Allgemeinbildung Sachkompetenz Soziale Orientierung Funktionsbewusstsein Reflexionsfähigkeit Autonomiebewusstsein Berufsethik Redaktionssysteme; Aufnahmegeräte; Software für Layout, Bildbearbeitung, Audio- und Videoschnitt sowie für multimediale Präsentationen; Datenbank- und Online-Recherche Gestaltung von Print- und Online-Medien; Bild- und Tongestaltung Technik- und Gestaltungskompetenz Redaktionsorganisation, Qualitätsmanagement, Projektmanagement, Teamarbeit Nutzungsforschung: Publika und Zielgruppen Redaktionelles Umgang mit sozialen Netzwerken Marketing Organisations- und Konzeptionskompetenz a u s B i l D u n g u n D K o m p e t e n z e n 235 Journalisten müssen sich sicher im Medienumfeld bewegen, was nur mit Grundkenntnissen des Mediensystems sowie der wirtschaftlichen, politischen und rechtlichen Grundlagen des Journalismus möglich ist. Kenntnisse der Medienentwicklung schließen historisches und prognostisches Wissen mit ein, das die Kommunikationswissenschaft ebenfalls zur Verfügung stellt. • Sachkompetenz: Journalisten müssen über die Sache, über das Themengebiet Bescheid wissen, über das sie berichten. Wie tief oder breit das Sachwissen (vor der Recherche eines Einzelthemas) sein sollte, hängt vom Medium und der Zielgruppe ab. Spezialisierte Fachzeitschriften haben hier tiefer gehende Ansprüche für genau ein Fachgebiet. Da Wissen schnell veraltet, ist ein Zugangswissen zu Quellen allerdings wichtiger als Details eines bestimmten Gebiets. Und: Weil Journalisten grundsätzlich nicht fachorientiert vorgehen, sondern problemorientiert, ist ein interdisziplinär angelegter wissenschaftlicher Hintergrund in Kombination mit sozialwissenschaftlichem Orientierungswissen wichtiger als ein festes Spezialgebiet. Dies gilt sogar für den Wissenschaftsjournalismus, wie Befragungen von leitenden Wissenschaftsjournalisten zeigen (vgl. Meier/ Feldmeier 2005: 221 - 222). • Die Vermittlungskompetenz liegt in der Mitte zwischen Fach- und Sachkompetenz - als »Schnittmenge« von beidem (Weischenberg 1990: 23). Es geht um das Beherrschen einer zielgruppenorientierten Darstellung von Themen, die je nach Medium anders aussieht ( → vgl. Kap. 5.2; S. 202 - 203). Dabei stehen das Training und die Weiterentwicklung der Darstellungsformen (des »Story-Tellings«) im Mittelpunkt. • Eng damit verknüpft ist die Technik- und Gestaltungskompetenz, die ebenfalls medienspezifisch ist. Journalisten arbeiten zunehmend selbst mit digitaler Technik - oder sie müssen in Teams mit (Informations-)Designern, Technikern, Fotografen und Kameraleuten kooperieren und wissen, vor welchen Problemen diese stehen und welche Lösungsmöglichkeiten es gibt. Eine angemessene Themendarstellung hängt zunehmend von einer gelungenen gestalterischen und technischen Umsetzung ab - und nicht nur vom optimalen Gebrauch der journalistischen Darstellungsformen. • Organisations- und Konzeptionskompetenz: Es stärkt die Innovationsfähigkeit des Journalisten, wenn er weiß, wie Medien genutzt werden und mit welchen Konzepten man die Zielgruppen durch Qualitätsjournalismus optimal erreicht. Vom journalistischen Konzept hängen die optimale Organisation der Redaktion ( → vgl. Kap. 4.5; S. 168 - 181) und das Qualitätsmanagement ab ( → vgl. Kap. 7.1; S. 239 - 249). Hinzu kommt in zunehmendem Maße ein professioneller Umgang mit sozialen Netzwerken wie TWITTER oder FACEBOOK. die Sache, über die man berichtet Vermittlung und Darstellung Technik und Gestaltung Organisation und Konzeption 236 D i e J o u r n a l i s t e n • Soziale Orientierung: Journalisten tragen Verantwortung; sie sollten sich ihrer Rolle in der demokratischen Gesellschaft bewusst sein und die ethischen Grenzen ihres Berufs reflektieren ( → vgl. Kap. 7.2; S. 250 - 261). Es wäre ein Missverständnis, das Kompetenzraster in Abbildung 6.8 als Curriculum für die Journalistenausbildung zu begreifen. Denn nicht alle Journalisten brauchen alle Kompetenzen gleichermaßen. Fachjournalisten (vgl. Dernbach 2010) müssen in ihre Berichterstattungsfelder tiefer einsteigen als allgemeine Nachrichtenjournalisten. Redakteure mit Leitungsfunktion und Entwicklungsredakteure (z. B. für neue Plattformen) brauchen Konzeptions- und Organisationswissen. Bei stärkerer redaktioneller Arbeitsteilung ( → vgl. Kap. 4.5; S. 170 - 171) müssen »editors« sich eher in Fragen der Technik und Gestaltung auskennen, »reporters« dagegen eher in Recherche und Quellenwissen. Verschiedene Ausbildungsformen konzentrieren sich auf einzelne Kompetenzdimensionen: Praktika, Volontariate und Journalistenschulen zum Beispiel trainieren die Vermittlungskompetenz und ausgewählte Aspekte der Fachkompetenz. Traditionelles Ziel des Studiengangmodells »Journalistik« ist die integrative Vermittlung der journalistischen Kompetenzen in allen Dimensionen. Vorbilder waren in den 70er und 80er-Jahren die Modelle an den Universitäten in Dortmund, München und Eichstätt. Mit zunehmender Differenzierung und Spezialisierung des Journalismus musste man sich indes davon verabschieden, allen Studierenden alles tiefgehend beizubringen: Entweder die Studierenden wählen selbst einen Schwerpunkt - etwa durch die Wahl eines Zweitfachs oder eines Mediums in Lehrredaktionen und Übungen - oder die Studiengänge geben das Profil vor. Im Wesentlichen gibt es drei Spezialisierungen: • Profilierung nach medientypischer Fach-, Vermittlungs-, Gestaltungs- und Technikkompetenz: z. B. Online-Journalismus an den Hochschulen in Darmstadt und Köln, Fernseh-Journalismus an der HTWK Leipzig oder der Hochschule Hannover; • Profilierung nach Themengebiet, also der Sachkompetenz: z. B. an den Fachhochschulen Bonn-Rhein-Sieg und Nürnberg (Technikjournalismus) oder an den Universitäten Dortmund (Wissenschaftsjournalismus, Musikjournalismus und Wirtschaftspolitischer Journalismus) und Berlin (UdK, Kulturjournalismus) oder Sportjournalismus an verschiedenen Instituten; • Profilierung durch einen bewussten Bezug zwischen Journalismus und Medienmanagement/ Medienwirtschaft: z. B. an den Fachhochschulen Magdeburg-Stendal, Wilhelmshaven und Würzburg-Schweinfurt oder beim Master »Journalistik mit Schwerpunkt Innovation und Management« in Eichstätt. Verantwortung Journalistik: integrative Vermittlung a u s B i l D u n g u n D K o m p e t e n z e n 237 Weil sich die Medienbranche in einem dynamischen Wandel befindet ( → vgl. Kap. 7.3; S. 265 - 275), sind Journalisten grundsätzlich nie fertig gebildet: Der Weiterbildung kommt in den nächsten Jahren eine besondere Bedeutung zu, wobei es sehr wenige Hochschul-Angebote gibt, dafür mehr Kurse an Akademien. In pluralistisch-demokratischen Gesellschaften liegt es in der Natur der Sache, dass über die Ausbildung von Journalisten und journalistische Kompetenzen kein Konsens besteht. Im deutschsprachigen Raum führen viele Wege in den Journalismus, wobei Akademisierung und Professionalisierung rasch fortschreiten und sich langsam der Situation in den USA annähern. Inzwischen haben in Deutschland, Österreich und der Schweiz zwischen 63 und 76 Prozent ein abgeschlossenes Studium und zwischen 37 und 42 Prozent haben Journalistik oder Kommunikationswissenschaft studiert. In diesen Ländern sind das Praktikum und das Volontariat die am weitesten verbreiteten Ausbildungsformen; junge Journalisten basteln sich ihre Kompetenzen meist eigenständig zusammen. Die Dimensionen journalistischer Kompetenz können zusammen nur in integrierenden Journalistik- Studiengängen erworben werden: Zur klassischen Einteilung in Fach- und Sachkompetenz, Vermittlungskompetenz und soziale Orientierung sind in den vergangenen Jahren die Dimensionen der Technik- und Gestaltungskompetenz sowie der Organisations- und Konzeptionskompetenz hinzugekommen. Zusammenfassung 1 Wer war Joseph Pulitzer - und was hat er zur Journalistenausbildung beigetragen? 2 Welches Studium und welche journalistische Ausbildung haben die Journalisten in Deutschland und in den USA durchlaufen? Wo liegen die Unterschiede in den beiden Ländern? 3 Erklären Sie die Dimensionen journalistischer Kompetenz. Übungsfragen zu Kapitel 6.2 238 D i e J o u r n a l i s t e n Literatur Eine knappe, aber umfassende Übersicht über die Studienmöglichkeiten bietet La Roches Einführung in den praktischen Journalismus von Gabriele Hooffacker und Klaus Meier. Da sich die Ausbildungslandschaft in Zeiten des Bologna-Prozesses allerdings rapide wandelt und immer wieder neue Studiengänge eröffnet und alte geschlossen werden, kommt man um eine Internet-Recherche nicht umhin (vgl. z. B. www.studium.org/ kommunikationswissenschaft). Q u a l i t ä t u n d Q u a l i t ä t s m a n a g e m e n t 239 239 Aktuelle Debatten der Journalistik Qualität und Qualitätsmanagement Die Debatte um Qualität boomt seit mehr als zehn Jahren in der Journalistik und im Journalismus. Es gibt Tagungen, Qualitätsinitiativen und -vereine, Beiträge auf Medienseiten, Forschungsprojekte, wissenschaftliche Publikationen - und jede Menge Wettbewerbe und Preise für herausragenden Journalismus. Im Herbst 2006 machte zum Beispiel die Hamburger Akademie für Publizistik mit einem Wettbewerb auf sich aufmerksam: 37 Essays wurden zur Preisfrage »Was ist heute guter Journalismus? « eingesandt. Gewonnen hat Philipp Cueni - Präsident des schweizerischen Vereins für Qualität im Journalismus - mit einem Beitrag, der die Überschrift trägt: »Anmerkungen zu einer Frage, die nie abschließend beantwortet sein darf«. Warum ist die Qualität im Journalismus eigentlich so umstritten? In den ersten beiden Buchkapiteln haben wir bereits erklärt, warum ein qualitativ hochwertiger Journalismus konstitutiv für die Demokratie ist, im vierten Kapitel, wie man mit Journalismus Geld verdienen kann. Journalismus erfüllt eine öffentliche Aufgabe - und ist gleichzeitig Teil des Geschäftsmodells von Medienunternehmen. Beides passt nicht immer und nicht ideal zusammen. Wenn das Geschäft eine zu große Rolle spielt, nur noch auf die Rendite des Medienunternehmens geachtet wird, Redaktionen ausgedünnt und freie Mitarbeiter schlecht bezahlt werden, dann gerät die Qualität des Journalismus in Gefahr - und mit ihr die Erfüllung der öffentlichen Aufgabe. Das ist ein Aspekt der Debatte um journalistische Qualität, den vor allem die Gewerkschaften immer wieder betonen. | 7 Inhalt 7.1 Qualität und Qualitätsmanagement 7.2 Ethik 7.3 Die Zukunft des Journalismus | 7. 1 öffentliche Aufgabe und Geschäftsmodell 240 a k t u e l l e d e b a t t e n d e r J o u r n a l i s t i k Verleger, Geschäftsführer und Vorstände von Medienunternehmen halten dagegen, dass journalistische Qualität bezahlbar sein und sich in erster Linie nach der Akzeptanz beim Publikum richten muss: Erreicht man die Zielgruppe (auch: egal mit welchen Mitteln), stimmt die Qualität - und auch das Geschäft. Dies ist die wirtschaftliche Debatte. In jüngster Zeit kam eine politische Debatte hinzu: Politiker, politische Aktivisten und politische Parteien, die ihre Verdienste vom Journalismus nicht ausreichend gewürdigt sehen oder ihnen missliebige Inhalte publiziert sehen, werfen dem Journalismus »Fake News« vor oder unterstellen ihm »Lügenpresse«. Weltweites Beispiel ist US- Präsident Donald Trump, Beispiel in Deutschland sind rechtpopulistische Agitatoren, Beispiel in der Schweiz ist die Initiative zur Abschaffung der Rundfunkgebühren 2017/ 18 unter dem Titel »No Billag«. In aller Regel handelt es sich um politische Propaganda mit dem Ziel Medien und Öffentlichkeit zu beeinflussen, die Protagonisten würden es jedoch als ihren Beitrag zur Debatte um journalistische Qualität bezeichnen. Die journalistische Qualität hängt indes nicht nur von ökonomischen und politischen, sondern von vielen Faktoren ab - und sie ist nicht einfach zu definieren. Vom Definitionsproblem handelt denn auch der am meisten zitierte Satz der Qualitätsdebatte: »Qualität im Journalismus definieren zu wollen, gleicht dem Versuch, einen Pudding an die Wand zu nageln.« Der Journalistik-Professor Stephan Ruß-Mohl (1992: 85) hat das Anfang der 90er- Jahre geschrieben, sich gleichzeitig aber auch um eine Systematisierung möglicher Lösungen des Problems gekümmert. Seine Feststellung, dass es sich bei der journalistischen Qualität um einen multidimensionalen Begriff handelt, der nicht absolut und statisch ist, hat die Qualitätsdebatte in der Journalistik und in der journalistischen Praxis beeinflusst. Qualität ist demnach unter anderem abhängig vom journalistischen Selbstverständnis, dem Medientyp, der Zielgruppe, dem Genre, der Quellenlage, dem Aktualitätsverständnis und Erscheinungsrhythmus eines Mediums. Es gibt zwar allgemeine Grundsätze, aber im Detail kann man die Qualitätsmaßstäbe zum Beispiel von SÜDDEUTSCHER ZEITUNG und BILD-Zeitung oder von TAGES- SCHAU, HALLO DEUTSCHLAND und RTL EXPLOSIV nicht vergleichen. Auch im Laufe der Zeiten ändern sich die Qualitätsvorstellungen: Vom »guten Journalismus« hatte man in der Weimarer Republik eine andere Vorstellung als nach dem Zweiten Weltkrieg und wiederum heutzutage ( → vgl. Kap. 2.2; S. 80 - 82). Qualitätskriterien Ruß-Mohl (1992: 86; 1994: 96) hat vorgeschlagen, die Qualitätsmaßstäbe und die Kriterien der Qualitätsbewertung als »Magisches Vieleck« zu sehen, in einen Pudding an die Wand nageln magisches Vieleck Q u a l i t ä t u n d Q u a l i t ä t s m a n a g e m e n t 241 dem sich Ziele überlappen, gegeneinander konkurrieren und sich nicht alle gleichzeitig erreichen lassen. Wer zum Beispiel schnell informieren will, kann dies meist nicht hintergründig tun und sich kaum Zeit für Recherche nehmen. Der Informationsgehalt und die Komplexität eines Beitrags können auf Kosten der Verständlichkeit gehen. Wer sich als investigativer Kontrolleur versteht, der Missstände aufdeckt, wird der Unparteilichkeit und Ausgewogenheit nicht immer ein hohes Gewicht beimessen ( → vgl. Kap. 5.2; S. 194 - 201). Das »Magische Vieleck« von Ruß-Mohl orientiert sich genauso wie andere Kriterienkataloge - allgemein (vgl. Rager 1994) oder zum Beispiel auf den Online-Journalismus bezogen (vgl. Meier 2003) - an den Handwerksregeln und Berufsnormen des Journalismus, kurzum: den Standards der journalistischen Professionalität. Im Kern geht es dabei fast ausschließlich um die Kriterien des Informationsjournalismus; Formen der Unterhaltung werden nur am Rande gestreift. Abbildung 7.1 fasst oft genannte Kriterien in einer Liste zusammen und unterscheidet zwischen der Ebene des journalistischen Handelns und des Produkts, wobei diese Ebenen nur analytisch getrennt und viele Kriterien nur schwerpunktmäßig einer Ebene zugeordnet werden können. Natürlich schlägt sich journalistisches Handeln im Produkt nieder. Die Richtigkeit zum Beispiel wird in der so genannten Accuracy-Forschung auf Produktebene überprüft (Wie präzise ist ein journalistischer Beitrag? ). Es erscheint jedoch sinnvoll, die Richtigkeit in erster Linie auf das journalistische Handeln zu beziehen, nämlich auf die Qualität des Recherche- und Prüfprozesses. Grundsätzlich sei nochmals darauf verwiesen, dass nur das Qualitätskriterium der Richtigkeit »objektiv« sein kann und alle anderen Kriterien immer implizite Wertungen enthalten - aus erkenntnistheoretischen Gründen, die in Kapitel 5.1 ausgeführt werden ( → vgl. S. 186 - 188) (z. B. Wertungen des Journalisten, der Medienorganisation, der professionellen Standards des Berufs etc.). Die Unterscheidung der beiden Qualitätsebenen soll ein Grundprinzip des Journalismus veranschaulichen (vgl. Meier 2003): Der Wert und die Qualität von Information stehen und fallen mit der Qualität des Herstellungsprozesses. Wenn Unabhängigkeit, Recherche, Aktualität und Relevanz nicht garantiert sind, verliert Journalismus seine Aufgaben und Funktionen - und damit seinen Sinn und Wert für das Publikum ( → vgl. Kap. 1.1; S. 13 - 17). Produktspezifische Kriterien dagegen wie Verständlichkeit, Anschaulichkeit, Nutzwert oder Sinnlichkeit sind grundsätzlich auf andere Publikationsformen wie Public Relations, Werbung oder die Veröffentlichungen von jedermann - etwa in Weblogs oder auf YOUTUBE - anwendbar. Während produktspezifische Qualitäten von den Nutzern meist ad hoc oder zumindest mittelfristig beurteilt werden können und zum Beispiel schlecht Qualität des Herstellungsprozesses 242 a k t u e l l e d e b a t t e n d e r J o u r n a l i s t i k gestaltete oder formulierte Medienprodukte nicht mehr gekauft, geklickt oder eingeschaltet werden, beruht die Einschätzung des Herstellungsprozesses und des institutionellen Rahmens, in dem Information entstanden ist, auf langfristiger Erfahrung und Vertrauen (vgl. Neuberger 2002: 37). Eine Konsequenz der geringen Qualitätstransparenz ist der Image- und Markentransfer von Qualitätsmedien, die das Publikum aus Print-, Hörfunk oder Fernsehjournalismus kennt, auf das Internet. Neue journalistische Anbieter im Internet haben es erheblich schwerer als die Online-Produkte etablierter journalistischer Marken. Im Internet werden vor allem zwei Qualitätsdimensionen erweitert: die Interaktivität und damit verbunden die Transparenz des Journalismus (Meier 2017a). In Beitragsanmerkungen, Web-Videos, Blogs und sozialen Netzwerken diskutieren Journalisten mit Nutzern über redaktionelle Entscheidungen und legen Rechenschaft über ihre Arbeit ab. Transparenz kann Glaubwürdigkeit und Vertrauen des Publikums in journalistische Produkte steigern, weil sie Qualitätsbewertungen durch das Publikum ermöglicht (vgl. Meier/ Reimer 2011). Zudem sollten Journalisten verantwortlicher handeln, wenn sie wissen, dass sie Rechenschaft ablegen müssen und zumindest zum Teil unter Beobachtung stehen. Man unterscheidet zwischen der Transparenz eines Beitrags, in dem zum Beispiel alle Quellen offengelegt werden, und der Transparenz redaktioneller Prozesse, wenn etwa Bedingungen der Berichterstattung, Redaktionskonferenzen und Themenentscheidungen öffentlich diskutiert werden. In jedem Fall gehört eine offensive Fehlerkorrektur zur Transparenz. Auf journalistisches Handeln bezogene Dimensionen Unabhängigkeit Die Unabhängigkeit ist letztlich für die Glaubwürdigkeit des Journalismus verantwortlich. Medienunternehmen und Redaktionen sollen jegliche Versuche, die Redaktion zu beeinflussen, abwehren und bezahlte Inhalte (Werbung) klar von redaktioneller Berichterstattung trennen. Richtigkeit Faktentreue Fairness Qualität des Rechercheprozesses (z. B. Prinzip des »audiatur et altera pars«) Aktualität Neuigkeit, Gegenwartsbezug, Schnelligkeit Relevanz Themenauswahl nach Wichtigkeit/ Bedeutsamkeit; Orientierung an professionellen Selektionskriterien (keine beliebige Auswahl) Originalität Eigenrecherche, Exklusivität, Themenfindung, intellektueller Anspruch (hier ist nicht »originell« im Sinne von »komisch«, »humorig« gemeint, sondern »original« im Sinne von »einzigartig«, »schöpferisch«) Abb. 7.1 | Qualitätskriterien des (Informations-) Journalismus Q u a l i t ä t u n d Q u a l i t ä t s m a n a g e m e n t 243 Es gibt weitere Medienqualitäten, auf die die Journalisten in der Regel keinen Einfluss haben, die aber aus Publikumssicht den Wert journalistischer Produkte mindern oder steigern können. Zwei Beispiele: • Der Zeitungsvertrieb muss dafür sorgen, dass die Tageszeitung jeden Morgen pünktlich im Briefkasten steckt (was mit der journalistischen Aktualität konfligieren kann). • Im Internet hat sich der Begriff Accessibility - zu Deutsch: Barrierefreiheit - eingebürgert: Damit ist gemeint, dass Websites von allen Menschen uneingeschränkt nutzbar sein sollen, egal, ob sie beispielsweise Behinderungen, Seh- oder Hörschwächen haben. Dies betrifft zwar die Verständlichkeit journalistischer Produkte, mehr jedoch technische und gestalterische Aspekte der Online-Produktion. weitere Medienqualitäten Interaktivität Dialogfähigkeit einer Redaktion; auf »Augenhöhe des Publikums«; Mitwirkungsmöglichkeiten des Publikums an Themenfindung und Medieninhalten Transparenz Offenlegen der Berichterstattungsbedingungen; Quellenangaben und Quellenkritik; Eingeständnis von Fehlern (z. B. in einer »Correction Corner«) Auf das Produkt bezogene Dimensionen Vielfalt von der Vielfalt des redaktionellen Gesamtangebots (Themenspektrum) bis zur Vielfalt in einem einzelnen Beitrag (verschiedene Perspektiven und Quellen) Unparteilichkeit Ausgewogenheit (als Gegenteil von Einseitigkeit); Unvoreingenommenheit und Distanz zum Berichterstattungsgegenstand; Trennung von Nachricht und Kommentar Verständlichkeit sachgerechte Sprache, anschaulicher und prägnanter Stil, klarer Aufbau; weiter gefasst auch: funktionale Mediengestaltung (z. B. im Online-Journalismus: Usability) Sinnlichkeit Spannungsbogen, Dramaturgie eines Beitrags, einer Sendung oder eines Hefts; Zusammenspiel von Text und Bild, von Sprecher, O-Ton und Atmo Attraktivität Herstellung von Aufmerksamkeit; zielgruppengerechte Ansprache des Publikums; passende Genrewahl; packende Titel, Teaser, Trailer etc. Nutzwert Anwendbarkeit im Alltag des Publikums - als Orientierung, Rat und Entscheidungshilfe 244 a k t u e l l e d e b a t t e n d e r J o u r n a l i s t i k Qualitätsforschung und Qualitätssicherung Die Qualitätskriterien des Journalismus sind also nicht absolut und statisch, sondern sie unterliegen einem historischen Wandel, sind flexibel einsetzbar, werden multiperspektivisch diskutiert - und laufen damit Gefahr, subjektiv und beliebig zu sein: Jeder definiert sich seine Qualität. Die Qualitätsforschung der Journalistik will dazu beitragen, dass die Debatte nicht einer subjektiven Beliebigkeit ausgeliefert ist, sondern die unterschiedlichen Interessen und Perspektiven transparent gemacht, die Kriterien systematisiert und reflektiert werden (vgl. Arnold 2009; 2016). Wer bestimmt über journalistische Qualität? Die Journalisten, die Medienorganisationen, das Publikum, die Medienpolitik, das Gesellschaftssystem? - Es kommt nicht von ungefähr, dass diese Fragen die Ebenen des Journalismus aufgreifen, die in Kapitel 2.1 beschrieben wurden und dieses Buch gliedern: Alle Ebenen haben unterschiedliche Ansprüche an den Journalismus (vgl. Fabris 2004). Qualitätsforschung bezieht sich in der theoretischen Grundlage immer auf die Aufgaben des Journalismus in der Demokratie, die in Kapitel 1.1.2 dargelegt wurden. Daraus lassen sich Werte und Normen des Journalismus ableiten und empirisch überprüfen. Empirische Studien der Qualitätsforschung können durch Inhaltsanalysen überprüfen, inwiefern die Qualitätskriterien in den journalistischen Produkten umgesetzt sind, vgl. z. B. Hagen 1995 sowie die Benchmarking-Studien von Michael Haller ( → vgl. Kap. 1.3.2; S. 56), und machen durch Befragungen die Blickwinkel der verschiedenen Anspruchsgruppen transparent. Dazu drei Beispiele: • Befragungen von Journalisten können eruieren, ob sich die Berufsnormen verändert haben, nach denen sich Journalisten richten (vgl. z. B. Rager 1994). Eine besondere Rolle beim Entstehen und der Veränderung dieser Normen können Journalistenpreise spielen. Eine Befragung von Juroren ergab, dass vor allem die gründliche Recherche und die Bedeutung des Themas für die Demokratie als wichtig erachtet werden - dann erst kommen Verständlichkeit, Stil und Dramaturgie (vgl. Wilke 1998: 139). • Durch die Auswertung von Nutzungsdaten und durch Publikumsbefragungen kann erforscht werden, welche Qualitätsmaßstäbe die Rezipienten wünschen (vgl. z. B. Arnold 2009). Der Hamburger Kommunikationsforscher Uwe Hasebrink (1997) hat zum Beispiel darauf hingewiesen, dass Fernsehzuschauer sehr wohl in der Lage sind, Qualität zu beurteilen, und dass zwischen Qualität und Quote kein Missverhältnis bestehen muss ( → vgl. Kap. 3.1; S. 105 - 107). Ein Vergleich der Qualitätseinschätzungen der Journalisten und der Rezipienten kann zur Qualitätssicherung in einer Redaktion beitragen - wie dies zum Beispiel ein Schweizer Forschungsprojekt zum Radio-Programm-Controlling vorgeführt hat ( → vgl. Kap. 3.1; S. 103). Qualitätsforschung Q u a l i t ä t u n d Q u a l i t ä t s m a n a g e m e n t 245 • Die Accuracy-Forschung legt journalistische Beiträge den darin zitierten Quellen oder unabhängigen Experten zur Überprüfung vor (vgl. z. B. Maier 2005): Sie sollen feststellen, ob die Beiträge aus ihrer Sicht Fehler aufweisen. Der Anspruch ist, dass Journalismus der Genauigkeit der Fachwissenschaft entspricht - weshalb solche Studien zum Beispiel im Wissenschaftsjournalismus gemacht werden, etwa zur Berichterstattung über den Reaktorunfall von Tschernobyl (vgl. z. B. Haller 1987). Weitere Anspruchsgruppen mit jeweils eigenen Qualitätsvorstellungen können sein: die Kapitalgeber von Medienunternehmen, die Mediengesetzgebung oder die Werbewirtschaft. Die Qualitätsforschung macht uns darauf aufmerksam, dass journalistische Qualität nicht allein auf den Schultern einzelner Journalisten oder Redaktionen lastet, sondern dass eine Vielzahl von Initiativen und Institutionen in einem pluralistischen Prozess zusammenspielen muss, um Qualität im Journalismus zu stärken. Stephan Ruß-Mohl (1994, 1997) hat dies den »I-Fakpluralistischer Prozess Infrastrukturen der Qualitätssicherung (Quelle: zusammenfassende Darstellung nach Ruß-Mohl 1997: 221 und Hermes 2006) | Abb. 7.2 l l e n o i t k a d e r r e ß u a l l e n o i t k a d e r r e n n i präventiv produktionsbegleitend korrektiv Ausbildungsleistungen der Journalistik Qualitätskontrolle der Aus- und Weiterbildung Journalistenschulen Volontariat Qualitätsmanagement in einer Redaktion (TQM); Leitbilder, Statute, Guidelines Weiterbildung Coaching Gegenlesen durch Experten Orientierung an professionellen Qualitätskriterien (vgl. die Liste in Abb. 7.1), systematisches Gegenlesen, Themenplanung, Redaktionskonferenzen (Planungs-, Qualitäts-, Kritikkonferenzen) Produkt-/ Blattkritik Korrekturspalte Forschungsleistungen der Journalistik Medienselbstkontrolle (z. B. Presserat, Rundfunkräte) Journalistenpreise Ombudsleute Medienjournalismus eigene Publikumsforschung, systematische Auswertung von Leserbeiträgen/ Leserreaktionen redaktionelles Marketing Medienbeobachtung durch Watchdogs, Qualitätsinitiativen Lehrbücher 246 a k t u e l l e d e b a t t e n d e r J o u r n a l i s t i k tor« der Qualitätssicherung genannt - den »Infrastruktur-Faktor«. Abbildung 7.2 zeigt diese Infrastrukturen der Qualitätssicherung als ein Netzwerk innerredaktioneller und außerredaktioneller Initiativen, die präventiv, produktionsbegleitend und als Korrektiv nach der Veröffentlichung wirken können. Die außerredaktionellen Institutionen und Initiativen sind in die journalistische Produktion zwar nicht direkt involviert, sie tragen aber zur Qualitätssicherung bei, indem sie den Diskurs über Journalismus in Gang halten, für Kritik, Selbstkritik und Transparenz sorgen sowie die Professionalisierung des Journalismus vorantreiben. Die Journalistik zum Beispiel hat einerseits das Ziel, gute Journalisten auszubilden, die sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst sind (präventiv). Andererseits kann sie durch Forschungs- und Beratungsprojekte - teilweise in Kooperation mit Redaktionen und Medienunternehmen - auf kritische Punkte des Journalismus aufmerksam machen und Alternativen aufzeigen, die in der täglichen Produktionsroutine oft untergehen (korrektiv). Mitunter ist die Wissenschaft (außenstehender) Kritiker, mitunter (involvierter) Impulsgeber ( → vgl. Kap. 1.3.3; S. 58 - 65). Ein Beispiel für eine kritische Begleitung des schweizerischen Journalismus ist das Qualitätsmonitoring, das der 2015 verstorbene Kurt Imhof an der Universität Zürich gegründet hat und das nach wie vor von seinen Mitstreitern betrieben und regelmäßig in Jahrbüchern veröffentlicht wird (vgl. www.foeg.uzh.ch/ de/ jahrbuch.html). Weitere Beispiele für außerredaktionelle Infrastrukturen sind die Vereine und Initiativen für Qualität im Journalismus, die in der Schweiz (seit 1999; www.quajou.ch), in Österreich (seit 2000; www.iq-journalismus.at) und in Deutschland (seit 2000; www.initiative-qualitaet.de) gegründet wurden. Qualitätsmanagement Mit dem Begriff »Qualitätsmanagement« ist die innerredaktionelle Qualitätssicherung gemeint. Wer dies systematisch und ganzheitlich angeht, richtet sich nach den Prinzipien des Total Quality Managements (TQM), das aus der Wirtschaftswissenschaft stammt und in vielen Branchen angewandt wird. Der Journalismus blieb davon lange Zeit unberührt: Qualitätsmanagement war in den meisten Redaktionen dem Zufall oder einzelnen isolierten Maßnahmen überlassen. Zwei innovative journalistikwissenschaftliche Dissertationen - für die Schweiz von Vinzenz Wyss (2002) und darauf aufbauend für Deutschland von Sandra Hermes (2006) - haben untersucht, welche Voraussetzungen und Vorteile TQM in der journalistischen Praxis hat. Vinzenz Wyss hat Modell, Struktur und Bausteine des Qualitätsmanagements in den Jahren danach weiter entwickelt (vgl. Wyss 2016b) und mit den Journalisten Peter Studer und Toni Zwyssig ein Lehrbuch dazu geschrieben (vgl. Wyss/ Studer/ Zwyssig 2012). Professionalisierung des Journalismus Total Quality Management (TQM) Q u a l i t ä t u n d Q u a l i t ä t s m a n a g e m e n t 247 Ausgangspunkt ist die Definition von Qualität als Prozess: Die Redaktion formuliert selbst Qualitätsziele und -kriterien (z. B. in einem Leitbild, einem Kodex oder in Styleguides) und nähert sich diesen Zielen in einem fortlaufenden Prozess an, überprüft sie und misst, ob man sie erreicht hat oder wo es Defizite gibt. Qualität ist auch hier nicht ein für alle Mal festgelegt, sondern hängt von den Erwartungen und Anforderungen ab: Wenn sich die Ziele verändert haben, muss man die redaktionellen Regeln aktualisieren. Sandra Hermes (2006: 238 - 317) hat in einer Befragung von deutschen Nachrichtenredaktionen festgestellt, dass erst fünf Prozent eine TQM-Initiative haben, dass aber 31 Prozent andere Qualitätsmanagementstrategien einsetzen. 54 Prozent geben an, dass ihre Redaktion spezielle Qualitätsziele für ihr Medienprodukt schriftlich formuliert hat. Instanz zur Überprüfung und Aktualisierung der Ziele ist für viele die Redaktionskonferenz, fast ein Drittel hat eigene Qualitätskonferenzen. Insgesamt wird das Qualitätsmanagement in öffentlich-rechtlichen Redaktionen am umfangreichsten umgesetzt. Großes Manko ist in den Redaktionen durchweg eine mangelnde Orientierung an den Mitarbeitern: Instrumente der Mitarbeitermotivation werden kaum genutzt. So wird das Potential verschenkt, dass motivierte Mitarbeiter auch bessere Produkte abliefern. Trotz des Innovationspotenzials der TQM-Philosophie hat sich also in der Medienwirtschaft - von Ausnahmen abgesehen - ein nennenswertes Qualitätsmanagement oder zumindest eine Qualitätskultur in den Redaktionen kaum entwickelt. Etwas Bewegung gibt es jedoch neuerdings bei den Anbietern von Evaluations- oder gar Zertifizierungsmodellen - zugeschnitten auf die spezifische Situation von Medienorganisationen. Zu erwähnen sind hier die International ISAS Standards für die Evaluation von Rundfunkorganisationen und Pressebzw. Onlineanbietern, die in der Schweiz entwickelt wurden (vgl. www.media-society.org). Die Anforderungen dieser Standards beruhen auf der Normenreihe ISO 9001: 2000 und wurden mit Hilfe von erfahrenen Journalisten, Redaktions- und Medienmanagementverantwortlichen auf die spezifische Situation von Medienorganisationen adaptiert. Sie sollen international - und vor allem auch in Entwicklungsländern - zum Einsatz kommen. In der Schweiz hat die Medien-Regulierungsbehörde Anstrengungen unternommen, den privaten Rundfunk zur Implementierung eines Qualitätsmanagements zu bewegen (vgl. Wyss/ Keel 2009). Private Rundfunkveranstalter sind dazu verpflichtet, ein Qualitätssicherungssystem einzurichten, welches mit Bezug auf die publizistische Programmproduktion Qualitätsziele und -standards (journalistische Standards, redaktionelle Sendungskonzepte usw.) transparent macht und festgeschriebene Prozesse etabliert, mittels welcher sich regelmäßig überprüfen lässt, ob die festgelegten Qualitätsziele erfüllt werden (z. B. Abnahmeprozesse, Feedback-Systeme, internationaler Standard aus der Schweiz 248 a k t u e l l e d e b a t t e n d e r J o u r n a l i s t i k Sendekritiken usw.). Die Programmveranstalter sind zudem dazu verpflichtet, den Stand ihrer Qualitätssicherung regelmäßig von einer externen, vom Regulator anerkannten Organisation ihrer Wahl evaluieren zu lassen. Abbildung 7.3 gibt einen Überblick über mögliche Instrumente nach einem Ideenkatalog, den Sandra Hermes zusammengestellt hat. Sie orientiert sich allerdings nur an den Routinen - und nicht an den Strukturen der Redaktionsorganisation, die qualitätshemmend oder -fördernd sein können. Die Optimierung von Workflows oder die Einführung flacher Hierarchien - zum Beispiel mit Newsdesks und in crossmedialen Newsrooms - kann grundsätzlich auch als Element des Qualitätsmanagements betrachtet werden (vgl. Meier 2006, 2007) ( → vgl. Kap. 4.5; S. 175 - 181). In der Übersicht ist dies in Zeile fünf ergänzt. Zudem wurden neue Instrumente und Ideen aus dem Leitfaden von Vinzenz Wyss, Peter Studer und Toni Zwyssig hinzugefügt. Prozesshaftigkeit schriftliche Definition der gewünschten Qualitätsziele (z. B. Qualitätskatalog, Leitbild, Redaktionsstatut, Styleguide, Zielvereinbarungen); regelmäßige Überprüfung der Ziele Umgang mit dem Publikum Definition von Zielgruppen; Auswertung von Publikumsforschung und Publikumsreaktionen; redaktionelles Marketing; geplanter und bewusster Einsatz von sozialen Netzwerken Mitarbeiterorientierung aktive Förderung der persönlichen Kompetenzen der Mitarbeiter (Weiterbildung, Coaching); finanzielle Anerkennung guter Leistungen; persönliche Zielvereinbarungen; Feedback durch Mitarbeiterbefragungen Kontrollmöglichkeiten systematisches Gegenlesen; Korrektorat / Dokumentation; Produkt- und Blattkritik (nicht beliebig, sondern orientiert an den Qualitätszielen); Optimierung der Recherchemittel; systematische Themenplanung; Konkurrenzbeobachtung Optimierung von Workflows und Hierarchien regelmäßige Überprüfung der Redaktionsstrukturen; Arbeitsgruppe(n) zur Verbesserung der Organisation; bei Bedarf: Einführung neuer Modelle (z. B. Newsdesk-Prinzip) Ganzheitlichkeit Qualitätsinitiativen in allen Bereichen eines Unternehmens (z. B. nicht nur in der Redaktion) Gesellschaftsorientierung redaktionelle Ziele veröffentlichen; Zusammenarbeit mit Selbstkontroll-Gremien (z. B. Presserat), Ausbildungs- und Forschungseinrichtungen (z. B. Hochschulen) Abb. 7.3 | Instrumente des redaktionellen Qualitätsmanagements (Darstellung nach Hermes 2006: 318 - 335; Meier 2007; Wyss/ Studer/ Zwyssig 2012) Q u a l i t ä t u n d Q u a l i t ä t s m a n a g e m e n t 249 Literatur Das grundlegende Buch zu den Infrastrukturen der Qualitätssicherung hat Stephan Ruß-Mohl geschrieben (Der I-Faktor). Lesenswert ist der praxisnahe Leitfaden zum Qualitätsmanagement in Redaktionen von Vinzenz Wyss, Peter Studer und Toni Zwyssig. Es ist lohnend, die Websites der erwähnten Qualitätsinitiativen in der Schweiz, in Österreich und Deutschland zu studieren - und als vorbildliches Beispiel das redaktionelle Leitbild der britischen BBC unter www.bbc.co.uk/ editorialguidelines. Eine Übersicht über Journalistenpreise findet sich zum Beispiel unter www.newsroom.de/ journalistenpreise. Die Definition journalistischer Qualität bezieht sich in der Regel auf die Aufgaben des Journalismus in der Demokratie, die in Kapitel 1.1.2 dargelegt wurden. Daraus lassen sich Werte und Normen des Journalismus ableiten. Allerdings ist journalistische Qualität nicht absolut und statisch zu definieren, sondern hängt von verschiedenen Faktoren ab - beispielsweise vom Medientyp und der Zielgruppe. Die Qualitätskriterien des Informationsjournalismus beziehen sich auf das journalistische Handeln (z. B. Unabhängigkeit, Richtigkeit, Aktualität, Relevanz, Transparenz) oder auf das Produkt (z. B. Vielfalt, Unparteilichkeit, Verständlichkeit, Attraktivität). Sie können miteinander konkurrieren (z. B. Schnelligkeit mit Recherchequalität). Die Qualität lastet nicht nur auf den Schultern einzelner Journalisten oder Redaktionen, sondern eine Vielzahl von Initiativen und Institutionen müssen in einem pluralistischen Prozess zusammenspielen, um Qualität im Journalismus zu stärken. Ein besonderes Augenmerk liegt auf dem Qualitätsmanagement, das in Redaktionen Qualität sichern soll. Zusammenfassung 1 Versuchen Sie nun die eingangs gestellte Frage zu beantworten: Warum ist die Qualität im Journalismus eigentlich so umstritten? 2 Nennen Sie die gängigen Qualitätskriterien des Journalismus und diskutieren Sie, wo sie sich ergänzen, sich überlappen und wo sie miteinander konkurrieren. 3 Was sind »Infrastrukturen der Qualitätssicherung«? 4 Nennen Sie Instrumente des Qualitätsmanagements in Redaktionen. Übungsfragen zu Kapitel 7.1 250 a k t u e l l e d e b a t t e n d e r J o u r n a l i s t i k Ethik Die Debatte über journalistische Ethik hat viel mit der beschriebenen Diskussion um journalistische Qualität zu tun. Die Ethik als Teilbereich der Philosophie stellt grundsätzlich die Frage nach richtigem Handeln, gutem Leben und vernünftigem Entscheiden. Es geht also bei beidem um »guten Journalismus«. Ähnlich wie bei den Qualitätskriterien können auch ethische Werte konfligieren und müssen in der täglichen Praxis des Journalismus abgewogen werden. Dennoch gibt es Unterschiede - Ethik und Qualität sind zwar oft, aber nicht immer deckungsgleich (vgl. Arnold 2008): • Nicht alles, was die Qualität steigert, ist ethisch geboten: Die Forderung nach einem verständlichen Stil, einer spannenden, alle Sinne ansprechenden Reportage oder einer attraktiven Aufmachung kann man kaum aus ethischen Prinzipien ableiten. • Qualitätsansprüche können sogar ethischen Idealvorstellungen widersprechen: Eine möglichst schnelle Berichterstattung kann die ethische Forderung nach Wahrhaftigkeit und einer gründlichen und fairen Recherche unterlaufen. Generell können ökonomisch motivierte Qualitäten - beispielsweise eine stark affektive Aufmachung - vor allem des Boulevard-Journalismus ethischen Prinzipien zuwiderlaufen (Achtung der Privat- und Intimsphäre, keine sensationelle Darstellung von Gewalt, → vgl. Kasten; S. 251). Deckungsgleich sind Qualität und Ethik aber zum Beispiel bei der Forderung nach Unabhängigkeit oder Transparenz. Noch stärker als bei der Qualität sind bei der Debatte um journalistische Ethik die Verantwortung des Journalismus gegenüber der Gesellschaft und gegenüber einzelnen Menschen gefragt - als Quellen und >Opfer< der Berichterstattung oder als Publikum. Je weiter die Kommunikationsfreiheit gefasst ist ( → vgl. Kap. 2.3.1; S. 83 - 86), umso größer die Verantwortung aller Beteiligten. Das Medien- und Presserecht stellt einen weiten Rahmen dar (»Was darf Journalismus? «); das Gesetz ist gewissermaßen das ethische Minimum. Nicht alles, was rechtlich erlaubt ist, ist ethisch zu rechtfertigen und zu verantworten - im Journalismus wie in allen Bereichen des Lebens. Die Ethik stellt demnach die Frage: Was soll Journalismus? Soll Journalismus tatsächlich alles, was nicht verboten ist? Bevor wir den Vergleich zwischen Dürfen und Sollen, zwischen Gesetz und Ethik verlassen, sei der Hinweis gestattet, dass auch Gesetze mit ethischen Maßstäben in Konflikt geraten können - nicht nur in Diktaturen, sondern auch in freiheitlichen Demokratien. In den USA wurden zum Beispiel in den vergangenen Jahren immer wieder Journalisten in Beugehaft genommen, weil sie ihre Quellen nicht verraten wollten. Es gehört zu den ethischen Maßstäben, dass Journalisten ihren Informanten Vertraulich- 7.2 | Ethik und Qualität Ethik und Gesetz e t h i k 251 Ethik und B ild »Stellen wir uns einmal ganz dumm. Rufen wir uns den ersten Artikel des Grundgesetzes in Erinnerung: ›Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen, ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.‹ Das Nähere wird von Bundesgesetzen geregelt, die es Kai Diekmann, dem Herausgeber und Chefredakteur der BILD-Zeitung, erstaunlicherweise gestatten, auf der ersten Seite der größten europäischen Tageszeitung die Aussage eines Zeugen in einem Gerichtsverfahren, in dem geklärt werden sollte, ob eine Frau vergewaltigt worden sei oder nicht, in 5,5 Zentimeter hohen Balkenbuchstaben als »Neue SEX-Enthüllung« anzukrähen und eine Schreibkraft fortfahren zu lassen: ›Hat Katharina B., das angebliche Vergewaltigungsopfer von TV-Moderator Andreas Türck, schon wenige Tage danach Sex mit einem flüchtigen Bekannten gehabt? Ein neuer Zeuge sagte gestern gegen Katharina B. aus. Was eine Gutachterin über die Psyche der jungen Frau verriet - Seite 4.‹ Garniert worden waren diese Worte in BILD am 26. August 2005 mit Porträtfotos des angeblichen Vergewaltigers und seines angeblichen Opfers, das weiter nichts verbrochen hatte, als nach eigener Aussage vergewaltigt worden zu sein, und dessen Liebesleben, nach menschlichem Ermessen, weder den Herrn Diekmann noch die Öffentlichkeit etwas angeht. Wie ist es nun aber möglich, dass BILD die grundgesetzlich verbürgte Unantastbarkeit der Menschenwürde eines angeblichen Vergewaltigungsopfers zerstampfen und in dessen Intimsphäre tollhäuslerisch wüten darf, aus dem niederen Beweggrund, finanziell von einem Skandalprozess um eine angebliche Vergewaltigung zu profitieren? « (Quelle: Gerhard Henschel: Gossenreport. Betriebsgeheimnisse der Bild-Zeitung. Berlin 2006: 7) An den ethischen Grenzgängen und Entgleisungen der BILD-Zeitung haben sich schon viele Autoren abgearbeitet. Die neueste Entrüstung des Schriftstellers Gerhard Henschel verweist auf die alten Probleme des Extrem-Boulevards, die schon der Schriftsteller und Journalist Günter Wallraff 1977 anprangerte: Als »Hans Esser« schlich er sich drei Monate lang in die BILD-Redaktion Hannover ein und deckte die Mechanismen und Zwänge des Systems BILD auf. Sein Buch ging auf Betreiben des Axel Springer Verlags durch alle juristischen Instanzen, wurde aber immer wieder nachgedruckt und neu aufgelegt, z. B. zum 20. Jubiläum: Günter Wallraff: Der Aufmacher. Der Mann, der bei Bild Hans Esser war. Köln 1997. Moderne Formen der BILD-Kritik nutzen das Internet als offenes und kollaboratives Medium: www.bildblog.de. 252 a k t u e l l e d e b a t t e n d e r J o u r n a l i s t i k keit zusichern, wenn diese schlimme Folgen zu befürchten haben, weil sie durch die Preisgabe von Interna zwar Missstände aufdecken, sich aber strafbar machen, wenn sie Staats-, Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse verraten. Investigativer Journalismus ist auf solche Informanten - die so genannten »Whistleblowers« - angewiesen (vgl. z. B. Woodward 2006). In Deutschland sind der Informantenschutz und das Redaktionsgeheimnis mit dem Zeugnisverweigerungsrecht für Journalisten, mit Beschlagnahme- und Durchsuchungsverboten in der Strafprozess- und der Zivilprozessordnung verankert. Es gibt indes auch hierzulande Eingriffe der Ermittlungsbehörden (Polizei und Staatsanwaltschaft), die dieses Recht bedrohen - zum Beispiel mit Redaktionsdurchsuchungen. Die moralische Pflicht und die Folgen des Handelns Doch was ist Ethik überhaupt? - Der Begriff leitet sich vom altgriechischen Wort ethos ab, das sowohl Gewohnheit, Sitte, Brauch meint, als auch den Charakter, also die Tugend bezeichnet. Die Wissenschaft unterscheidet von der Ethik die Moral: Während Moral eine Bezeichnung für die gesellschaftlich anerzogenen, akzeptierten und eingehaltenen sittlichen Normen ist, meint Ethik als philosophische Disziplin (= »Praktische Philosophie«) seit Aristoteles die wissenschaftliche Beschäftigung mit moralischen Vorstellungen, Werten und Normen. Die Ethik reflektiert also die journalistische Praxis: Deskriptiv und empirisch erklären Forschungen zur Ethik die vielfältigen Ausprägungen, die Ursachen und Folgen von Moral im Journalismus - normativ und analytisch werden Prinzipien des richtigen journalistischen Handelns begründet und überprüft. Wer der Praktischen Philosophie auf den Grund gehen will, kommt um den deutschen Philosophen Immanuel Kant (1724 - 1804) nicht herum, der mit seiner »Grundlegung zur Metaphysik der Sitten« (1785) und der »Kritik der praktischen Vernunft« (1788) eine heute noch maßgebliche Theorie der Moral - ein moralisches Grundgesetz - formuliert hat. Auf der Suche nach einer allgemein gültigen Antwort auf die philosophische Grundfrage »Was soll ich tun? « formulierte er den kategorischen Imperativ: »Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde« (Kant 1986: 68). Ethik ist demnach nicht eine Frage des äußeren oder inneren Zwangs, sondern freier, reflektierter Entscheidungen auf Grundlage der Vernunft und des eigenen Gewissens. Und: Moralisch akzeptable Handlungen sind nicht situationsabhängig beliebig, sondern orientieren sich an Werten, die immer gelten, weil sie an sich gut sind. Zu dieser Pflichtenethik gesellt sich philosophiegeschichtlich die utilitaristische Ethik, welche die beabsichtigten und unbeabsichtigten Folgen bzw. den Nutzen einer Handlung in den Mittelpunkt der Entscheidung stellt. Ethik als Reflexion Immanuel Kant e t h i k 253 Ähnlich unterscheidet Max Weber zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik (die Begriffe sind missverständlich: denn auch die Gesinnungsethik ist »verantwortlich«). Der Unterschied liegt darin, dass ich in Konfliktsituationen bei der einen Theorie nach einem moralischen Grundgesetz entscheide (egal, welche Folgen mein Handeln hat) - und bei der anderen Theorie nach den vermutlichen Folgen (egal, ob ich damit gegen ein moralisches Gesetz verstoße). Klassisches Beispiel ist die Frage, ob man einen Diktator umbringen darf: nein, weil Töten moralisch verwerflich ist; ja, weil damit vermutlich das Leben von tausenden Menschen gerettet werden kann. In den seltensten Fällen allerdings ist die Unterscheidung zwischen beiden Polen einfach. Der Journalistik-Wissenschaftler Heinz Pürer (1992: 312 f.) verweist darauf, dass Journalisten nicht selten in das Spannungsverhältnis zwischen beiden Positionen geraten können: einerseits die (alleinige) Pflicht zur wahrheitsgetreuen Berichterstattung - andererseits die Berücksichtigung der Folgen. Wer sich zum Beispiel nur an der Wahrheit orientiert, darf berichten, dass ein Politiker ernsthaft krank ist (wenn es stimmt) oder dass ein Angehöriger einer bestimmten ethnischen Gruppe eine Gewalttat verübt hat. Wer sich an den Folgen orientiert, könnte beides unterlassen, weil er im einen Fall dem Politiker unter Umständen die Wiederwahl vernichten und im anderen Fall Vorurteile schüren könnte. Auch in ganz kleinen alltäglichen redaktionellen Entscheidungen, können beide Positionen konfligieren. In einem weniger dramatischen Konflikt standen zum Beispiel die Redaktionen, als im Juli 2005 dpa ein Foto von Angela Merkel über den Ticker schickte, in dem ein deutlicher Schweißfleck unter der Achsel zu sehen war (vgl. Abbildung 7.4). Sollte man der Wahrheitspflicht folgen und das Bild unverändert veröffentlichen - oder ist eine Spannungsverhältnis | Abb. 7.4 Wahrheit oder Folgen? Im Dilemma zwischen der Wahrheit an sich und Folgen der Berichterstattung befand sich 2005 die Online-Redaktion des Bayerischen Rundfunks: Man entschied sich für die Vermeidung der Folgen, retuschierte den Schweißfleck am Kleid von Angela Merkel - und erntete in den Tagen danach Kritik und Häme der Branche: Die Redaktion musste »Bildmanipulation« zugeben. 254 a k t u e l l e d e b a t t e n d e r J o u r n a l i s t i k leichte Bildbearbeitung geboten, um die Abgebildete vor einer peinlichen Situation und dem hämischen Grinsen des Publikums zu bewahren? Maßstab für das alltägliche Entscheiden wird immer die Verhältnismäßigkeit sein, denn ein rein gesinnungsethisch orientierter Journalismus schert sich nicht um die Folgen und ein ausschließlich der Verantwortungsethik verpflichteter Journalismus läuft Gefahr, »in einen Gefälligkeitsjournalismus abzudriften« (Pürer 1992: 313). In unserem - zugegeben sehr einfachen Beispiel - wäre durch die Wahl eines anderen Fotos das Dilemma umgangen worden. Der Gefahr des Gefälligkeitsjournalismus sind Journalisten indes immer wieder ausgesetzt - etwa wenn Politiker vor allem im Lokaljournalismus fordern: »Bitte schreiben Sie nicht, dass . . . - denn das könnte die und die Folgen haben.« Im Zweifel sollte die Maxime der Öffentlichkeit Vorrang haben, die der Gesellschaft auch unangenehme Themen und Diskurse nicht ersparen darf. Fünf Ebenen verantwortlichen Medienhandelns So wie bei der Debatte um journalistische Qualität kommen auch bei der Ethik die fünf prägenden Ebenen des Journalismus ins Spiel, die wir in Kapitel 2.1 beschrieben haben und nach denen sich dieses Buch in den Kapiteln 2 bis 6 gliedert. Es geht um die Frage der jeweils Verantwortlichen, aber auch um die Reflexion der Zwänge, die moralisch bewerteten Entscheidungen zu Grunde liegen - um die Möglichkeiten und Bedingungen verantwortlichen Medienhandelns. In der Journalistik und Kommunikationswissenschaft werden einzelne Ebenen mal mehr, mal weniger stark betont (vgl. als Übersicht Pürer 1992: 310 - 317; Pörksen 2005b): Eine lange Tradition hat die Individualethik, welche die Verantwortung allein auf die Schultern der Journalisten lädt. Demgegenüber verwiesen Systemtheoretiker wie Manfred Rühl und Ulrich Saxer in den 80er-Jahren auf die Zwänge des Gesamtsystems, in denen der einzelne Journalist weitgehend ohnmächtig ist. Neuere Ansätze verknüpfen diese Positionen, sprechen vom »Konzept einer gestuften Verantwortung« (Pürer 1992: 319) und berücksichtigen alle fünf am Kommunikationsprozess beteiligten Gruppen: • Den Normenkontext der Gesetze als ethisches Minimum für alle Beteiligten haben wir schon erwähnt. Neben dem Gesetzgeber, der aufgrund des Gebots der Pressefreiheit nicht zu stark in die journalistischen Freiheiten einwirken sollte (auch wenn diese missbraucht werden), haben allgemein Politik und Wirtschaft eine Verantwortung: Zu nennen wären beispielsweise die gesellschaftliche Kontrolle von Medienmacht und das Schaffen von Rahmenbedingungen für ein möglichst vielfältiges Politik und Wirtschaft e t h i k 255 Medienangebot oder auch ein verantwortlicher Umgang mit Macht auf Seiten großer Unternehmen, die keinen Druck auf Redaktionen ausüben sollten (beispielsweise mit der Drohung von Anzeigenentzug). Wer redaktionelle Leistung gering schätzt, versucht zu beeinflussen oder gar zu manipulieren, handelt unmoralisch - und setzt das ganze System unter Druck. • Die Verantwortung des Publikums ist schwer zu fassen, denn einzelne Leser, Zuhörer und Zuschauer haben zwar für sich selbst die Verantwortung, sich kritisch und reflektiert mit dem Medienangebot auseinanderzusetzen und zum Beispiel auf zweifelhafte Angebote des Boulevards in Zeitung, Zeitschrift oder Fernsehen zu verzichten - doch bewirken können Einzelne mit einem solchen Boykott nichts. Es bräuchte schon einen kollektiven Widerstand gegen minderwertigen Journalismus und widerwärtige Medienangebote. Ansätze für ein derartig breites Agieren gibt es im Bemühen der Medienpädagogik, das Publikum von Kindesbeinen an aufzuklären und zu emanzipieren, oder in Initiativen, welche einzelne Medien kritisch begleiten (vgl. z. B. Watchblogs wie www.bildblog.de). • Eine Wirtschaftsethik von Medienunternehmen sucht nach einem Ausgleich zwischen kommerzieller Ausrichtung und Sozialverantwortung. Grundproblem ist, wie im Konfliktfall zwischen Gewinnorientierung und moralisch korrektem Verhalten entschieden werden kann. Eine Befragung österreichischer Journalisten im Jahr 2004 belegte, dass ethische Normen immer wieder mit ökonomischen Realitäten in Konflikt geraten können (Karmasin 2005: 186). Pürer (1992: 315) verweist darauf, dass es auch innerhalb eines Medienbetriebs eine gestufte Verantwortung mit hierarchisch festgelegten Kompetenzen gibt: von Medienbesitzern, Herausgebern und Intendanten über Chefredakteure und Ressortleiter bis zu fest angestellten und freien Journalisten. Wird »von oben« Druck aufgebaut, kann sich der einzelne Journalist »unten« kaum wehren. Umso nötiger ist es, über verschiedene Management-Instrumente ethische Grundlagen zu legen, auf die sich der Einzelne dann auch verlassen kann (vgl. z. B. Funiok 2006): Ethisch begründete Normen können zum Beispiel in die Qualitätsdiskurse einfließen; so sollte der Umgang mit Anzeigenkunden, mit Informanten, mit der Privatsphäre, mit »Berichterstattungs-Opfern«, mit der Berichtigung von Fehlern und generell mit Extremsituationen in Leitbildern und Kodizes formuliert werden. Förderlich ist auch eine aktive Beteiligung von Medienunternehmen an der publizistischen Selbstkontrolle (vgl. die Ausführungen zum Presserat weiter unten), die Einrichtung von Ombuds-Stellen als Ansprechpartner für Leser und von der Berichterstattung Betroffene Publikum Medienunternehmen 256 a k t u e l l e d e b a t t e n d e r J o u r n a l i s t i k (»Leseranwälte«) (vgl. www.vdmo.de) oder die Ermöglichung eines offenen und transparenten Medienjournalismus - also einer Berichterstattung über die eigene Branche. • Bei der Beitragsproduktion sind Journalisten von der Informationslage und den Quellen abhängig. Es ist legitim, dass Quellen ein Eigeninteresse verfolgen und in der Öffentlichkeit ein positives Image aufbauen wollen. Unternehmen, Organisationen, Parteien, Verbände oder Privatpersonen wollen nicht alles öffentlich machen, was die Öffentlichkeit tangiert - zum Beispiel Fehler und Missstände nicht aktiv nach außen tragen. Dass die Verantwortlichen für Public Relations deshalb natürliche Gegenspieler des Recherchejournalismus sind, ist nicht das Problem ( → vgl. Kap. 5.4; S. 212 - 216). Problematisch sind dagegen bewusst irreführende Presseinformationen oder unmoralische Angebote, zum Beispiel mit Schleichwerbung die redaktionelle Unabhängigkeit zu untergraben oder Strafaktionen gegen kritische Journalisten (Entzug von Pressemitteilungen und Einladungen zu Pressekonferenzen). PR-Fachleute sollten die Rolle der Journalisten und ihre Pflicht zur unabhängigen Berichterstattung respektieren. Auch für die Public Relations gibt es ein Organ der Selbstkontrolle: Der Deutsche Rat für Public Relations orientiert sich in seiner Spruchpraxis an verschiedenen Verhaltenskodizes (vgl. www. drpr-online.de), die zum Beispiel fordern, dass PR-Fachleute »nach bestem Wissen und Gewissen« informieren und »wahrhaftig« sind. • Im Mittelpunkt medienethischer Überlegungen stehen meist die Journalisten, denn trotz der erwähnten Zwänge und Rahmenbedingungen bleiben ihnen Spielräume freien Entscheidens. Sie sollen verantwortlich mit ihrer Macht umgehen, sich an Qualitäts- und Ethikmaßstäben orientieren und sich schon in der Aus- und Weiterbildung mit möglichen Konfliktsituationen beschäftigen. Die Reflexion der Werte, Zwänge und Folgen des Journalismus ist wesentliches Element der Individualethik. Darüber hinaus legt eine Professionsethik allgemein verbindliche Maßstäbe der Berufsgruppe fest (vgl. den Pressekodex, der weiter unten beschrieben wird). Im Sinne einer umfassenden Medien- und Kommunikationsethik sind also alle fünf Ebenen des Journalismus gefordert. Wenn wir von »journalistischer Ethik« im engeren Sinne sprechen, dann stehen allerdings zwei Ebenen eindeutig im Mittelpunkt: einerseits die Wirtschaftsethik der Medieninstitutionen und andererseits die Individualethik der Journalisten. Diese beiden Ebenen werden in der Professionsethik angesprochen: Sie vermittelt die Standards und Regeln der Branche in der gesamten Berufsgruppe der Journalisten - vertreten durch die Berufsverbände und Gewerkschaften - und auch unter den Medienunternehmen - vertreten durch Unternehmer- Quellen und Public Relations Journalisten Professionsethik e t h i k 257 verbände (wie den Zeitungsverlegerverband, den Zeitschriftenverlegerverband oder den Verband privater Rundfunk und Telekommunikation). Kodizes und Selbstkontrolle Auf die Professionsethik beziehen sich die international verbreiteten Kodizes, die entweder von Gewerkschaften und Journalistenverbänden, von Medienunternehmen oder von Presseräten als Organen der Selbstkontrolle erarbeitet wurden. Diese Kodizes sind freiwillige Vereinbarungen und Grundsatzpapiere, an denen sich Journalisten in der Ausbildung und bei ihrer Arbeit orientieren sollen. Der Pressekodex des Deutschen Presserats zum Beispiel wurde 1973 als »Regelwerk für die tägliche Arbeit des Journalisten« entworfen und betont in seiner aktuellen Fassung vom 22. März 2017 vor allem die folgenden Werte (vgl. www.presserat.de/ pressekodex): • Achtung vor der Wahrheit und Wahrung der Menschenwürde • gründliche und faire Recherche • klare Trennung von redaktionellem Text und Anzeigen • Schutz der Persönlichkeit, Achtung von Privatleben und Intimsphäre • Vermeidung unangemessen sensationeller Darstellung von Gewalt und Brutalität Der Deutsche Presserat wurde 1956 von Journalisten- und Verlegerverbänden nach dem Vorbild des 1953 gegründeten British Press Council ins Leben gerufen. Hauptmotiv war damals die Abwehr einer drohenden Einschränkung der Pressefreiheit durch den Gesetzgeber nach den ersten publizistischen Skandalen der jungen Bundesrepublik (der damalige Innenminister plante ein Bundespressegesetz, das staatliche Aufsichtsinstanzen für die Presse vorsah): Die Branche versprach, sich selbst zu kontrollieren und Fehlleistungen selbst zu sanktionieren. Noch heute verfolgt der Deutsche Presserat zwei Ziele: die Lobbyarbeit für die Pressefreiheit in Deutschland und die Bearbeitung von Beschwerden aus der Leserschaft. Ähnlich arbeiten viele Presseräte in modernen Demokratien, zum Beispiel der 1977 gegründete Schweizer Presserat (presserat.ch), in dem im Gegensatz zum deutschen Presserat sogar Publikumsvertreter mitwirken. Der 1961 in Österreich gegründete Presserat scheiterte 2002 mit dem Austritt der Zeitungsverleger. Danach gab es immer wieder Initiativen, den Österreichischen Presserat neu zu beleben. 2010 gelang es schließlich, einen Trägerverein neu zu gründen, der einen Ehrenkodex erarbeitete und im Herbst seine Arbeit aufnahm (vgl. www.presserat.at). freiwillige Vereinbarungen Deutscher Presserat in Österreich gescheitert und 2010 neu gegründet 258 a k t u e l l e d e b a t t e n d e r J o u r n a l i s t i k Hauptvorwurf an die Presseräte ist ein mangelndes Durchsetzungsvermögen - man spricht vom »zahnlosen Tiger«: Das Sanktions- und Druckpotential ist gering; die Verlage können nicht gezwungen werden, auch wenn von einer »Abdruckverpflichtung« die Rede ist. Wie geht der Deutsche Presserat im Einzelnen vor? Er wird nur tätig, wenn Beschwerden von Leserinnen und Lesern eingehen. Der Beschwerdeausschuss bittet die betreffende Redaktion um eine Stellungnahme, prüft den Fall anhand des Pressekodex und wählt im Fall einer »Verurteilung« eine von vier möglichen Sanktionen: Die schärfsten Sanktionen sind die öffentliche Rüge (mit »Abdruckverpflichtung«) und die nichtöffentliche Rüge (auf Abdruck wird verzichtet, zum Beispiel aus Gründen des Opferschutzes), gefolgt von der Missbilligung und dem Hinweis. Im Jahr 2005 mündeten 746 Beschwerden in 25 öffentliche Rügen. 2009 waren es schon 1269 Beschwerden und 30 öffentliche Rügen, 2012 insgesamt 1.500 Beschwerden und 17 öffentliche Rügen, 2016 1.851 Beschwerden und 31 Rügen. Die Zahl der Beschwerden steigt, seit der Presserat seit 2009 auch für journalistisch-redaktionelle Online-Publikationen von Zeitungen und Zeitschriften zuständig ist und ein Online- Beschwerdeformular die Eingaben erleichtert. »zahnloser Tiger«? »Wesentlicher Kern« der Arbeit des Deutschen Presserats ist laut einer Rede von Bundespräsident Horst Köhler zum 50. Jubiläum am 20. November 2006 »die Einsicht, dass in der freien Presse niemand die Wahrheit für sich gepachtet hat. Und dass jeder für eigene Fehler im Ernstfall auch öffentlich geradestehen muss. Und auch: dass freiwillige Kontrolle allemal besser ist als unfreiwillige Kontrolle - etwa durch den Gesetzgeber.« (Quelle: www.bundespraesident.de) Zitat Ethische Zweifelsfälle - Beispielfragen Mit folgenden Fragen muss sich der Deutsche Presserat beschäftigen: Vor der Veröffentlichung: • Muss sich ein Journalist immer ausweisen? Ist verdeckte Recherche gerechtfertigt? • Wie weit geht die Recherchefreiheit bei laufenden Gewalttaten (z. B. Geiselnahme, Erpressung)? e t h i k 259 In den letzten Jahren lag der Schwerpunkt der Beschwerdearbeit in zwei Bereichen: bei Ziffer 7 des Pressekodex, die eine klare Trennung von Redaktion und Werbung fordert, und bei Ziffer 8, die das Privatleben des Menschen und seine informationelle Selbstbestimmung schützt. Manche Zeitungen und Zeitschriften können nur mit Mühe (oder gar nicht) zum Abdruck von Rügen bewegt werden, andere Medien drucken sogar Missbilligungen und Hinweise ab, was die Transparenz und Glaubwürdigkeit des Journalismus letztlich fördert. Der Deutsche Presserat ist nicht das einzige Organ der Medienselbstkontrolle in Deutschland (vgl. Baum/ Langenbucher/ Pöttker/ Schicha 2005): Schon 1949 wurde die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft gegründet (www.fsk-online.de). Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben Rundfunkräte (ARD) oder einen Fernsehrat (ZDF), die ähnliche Funktionen erfüllen. Für die Kontrolle des privaten Rundfunks sind unter anderem die pluralistisch zusammengesetzten Landesmedienanstalten zuständig. Für Werbung (www.werberat.de) und Public Relations (www. drpr-online.de) gibt es ebenfalls Räte. Um das Thema »Jugendmedienschutz in Onlinemedien« kümmert sich die Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (www.fsm.de). Schwerpunkt Trennungsgrundsatz und Schutz der Persönlichkeit weitere Organe der Selbstkontrolle Bei der Veröffentlichung: • Wie weit dürfen plakative Zuspitzungen und Verallgemeinerungen in Überschriften gehen? • Wie extrem darf Meinung sein? • Wo ist die Grenze zwischen nutzwertiger (Wirtschafts-)Information und Schleichwerbung? • In welchen Fällen darf über die Erkrankung von Politikern berichtet werden? • Inwiefern dürfen bei der Berichterstattung über Gewalttaten Namen und Fotos von Opfern und Tätern veröffentlicht werden? • Wo ist die Grenze zwischen Voyeurismus und Dokumentation? • Wo ist die Grenze zwischen berechtigter Religionskritik und nicht gerechtfertigter Verletzung religiösen Empfindens? Nach der Veröffentlichung: • Wie werden Falschmeldungen richtig korrigiert? (Diese und andere Fälle sind im Handbuch »Ethik im Redaktionsalltag« ausführlich mit Lösungen beschrieben; herausgegeben vom Institut zur Förderung publizistischen Nachwuchses/ Deutscher Presserat 2005.) 260 a k t u e l l e d e b a t t e n d e r J o u r n a l i s t i k Die Medienselbstkontrolle wird in den vergangenen Jahren wieder stärker in der Öffentlichkeit wahrgenommen, wobei der Bekanntheitsgrad insgesamt noch sehr gering ist. 2004 gründeten Journalistik-Wissenschaftler den »Verein zur Förderung der publizistischen Selbstkontrolle« (www.publizistische-selbstkontrolle.de), der sich zum Ziel gesetzt hat, einen kritischen öffentlichen Diskurs über die Selbstkontrolle zu führen. Literatur Das Handbuch Medienethik, herausgegeben von Christian Schicha und Carsten Brosda, versammelt interdisziplinär alle wesentlichen Ansätze. Einen nach wie vor lesenswerten Überblicksbeitrag über die Debatte zur Ethik in der Journalistik hat Heinz Pürer 1992 unter dem Titel »Ethik in Journalismus Die Ethik stellt die Frage nach richtigem Handeln und beschäftigt sich als philosophische Disziplin mit moralischen Vorstellungen, Werten und Normen. Wer die Möglichkeiten und Bedingungen verantwortlichen Medienhandelns beschreiben, analysieren und begründen will, muss zwar die fünf Ebenen des Journalismus berücksichtigen, die journalistische Ethik im engeren Sinne beschäftigt sich aber mit der Verantwortung der Journalisten und der Medienunternehmen. Organe der Medienselbstkontrolle (zum Beispiel der Presserat mit dem Pressekodex) wollen einen verantwortlichen Umgang mit Kommunikationsfreiheit bestärken und tragen damit letztlich zur Sicherung der Pressefreiheit bei. Zusammenfassung 1 Wo sehen Sie Gemeinsamkeiten, wo Unterschiede zwischen journalistischer Qualität und ethischer Verantwortung? 2 Warum braucht es eine publizistische Selbstkontrolle? Reichen die Gesetze nicht aus? 3 Erklären Sie den Unterschied zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik. 4 Was besagt das Konzept der gestuften Verantwortung? 5 Lesen Sie sich im Internet die aktuelle Fassung des Pressekodex, die Richtlinien und Fallbeispiele durch und überlegen Sie, wo Sie selbst in Ihrer journalistischen Tätigkeit schon mit dem Kodex in Berührung gekommen sind. Übungsfragen zu Kapitel 7.2 d i e Z u k u n f t d e s J o u r n a l i s m u s 261 und Massenkommunikation« geschrieben. Das Buch »Ethik im Redaktionsalltag«, welches das Institut zur Förderung publizistischen Nachwuchses und der Deutsche Presserat herausgegeben haben, bietet auf Grundlage des Pressekodex eine Fülle von didaktisch gut aufbereiteten Fallbeispielen aus der redaktionellen Praxis mit Lösungen. Wer sich in die Praktiken und Probleme der Selbstkontrolle vertiefen möchte, kann auf das gut gegliederte »Handbuch Medienselbstkontrolle« von Achim Baum, Wolfgang R. Langenbucher, Horst Pöttker und Christian Schicha zurückgreifen. Im Internet gibt es eine Reihe einschlägiger Websites: Neben den Räten (www.presserat. de; www.presserat.ch; www.presserat.at; www.drpr-online.de) sind auch die Seiten www.publizistische-selbstkontrolle.de und www.netzwerk-medienethik.de empfehlenswert. Die Zukunft des Journalismus Der ehemalige Eichstätter Journalistik-Professor Walter Hömberg (2006: 382) hat wiederholt darauf hingewiesen, dass der Blick in die Zukunft des Journalismus schwierig ist: Berge von prognostischer Literatur hätten »häufig nichts anderes als Prognosemüll« produziert. Daraus könnte man schließen, dass der Blick in die Zukunft nicht Aufgabe einer seriösen Wissenschaft sein kann, sondern denen überlassen werden sollte, die in die Glaskugel schauen oder im Kaffeesatz lesen. Das Erfassen von Trends und die visionäre Verlängerung von aktuellen Entwicklungen in die Zukunft gehören dennoch zu den zentralen Aufgaben der Journalistik - schon allein aufgrund des Ausbildungsauftrags. Wer im Jahr 2018 Studierende aufnimmt, entlässt sie nicht im gleichen Jahr, sondern bildet sie für den Arbeitsmarkt der Jahre 2020 bis 2023 aus. Damit sie sich dort bewähren, sollten sie im Studium zumindest eine Ahnung davon bekommen, wie sich Journalismus und Medien bis 2020 oder gar 2025 entwickeln könnten. Zudem kann die Wissenschaft den Redaktionen und Medienunternehmen systematisch überprüfte und verlässliche Grundlagen für strategische Entscheidungen zur Verfügung stellen, die immer in die Zukunft gerichtet sein müssen. Und schließlich sollte die Journalistik sich auch an der gesellschaftlichen Debatte beteiligen, wie ein qualitätsvoller Journalismus überleben und ausgebaut werden kann. Wenn die Journalistik wissenschaftlich fundiert in die Zukunft blickt, werden neben der Entwicklung des Mediennutzungsverhaltens sinnvollerweise technische, organisatorische, ökonomische, rechtliche, (medien-) politische und kulturelle Faktoren einbezogen. So sollte man zum Beispiel nicht nur berücksichtigen, dass das Internet von immer mehr Menschen genutzt wird, sondern auch, dass sich die Wertewelten verändern oder dass die Bevölkerung älter wird. | 7.3 »Prognosemüll« 262 a k t u e l l e d e b a t t e n d e r J o u r n a l i s t i k Solide Prognosen können nur »begründete Vermutungen auf der Basis vorhandenen Vergangenheits- und Gegenwartswissens sein« (Gerhards/ Klingler 2006: 75). Im Wesentlichen gibt es dafür drei gängige empirische Verfahren: die Auswertung von Datenreihen, die Befragung von Experten und die Wiederholung repräsentativer Journalistenbefragungen. Empirische Methode I: Auswertung von Datenreihen In der Nutzungsforschung ( → vgl. z. B. Kap. 3; S. 97 - 115) werden qualitative und quantitative Befunde und Datenreihen der vergangenen Jahre ausgewertet, um daraus Hypothesen für die nächsten Jahre abzuleiten. Grundlage für derartige Prognosen sind die wesentlichen Trends der Mediennutzung, die in Kapitel 3.2 zusammengefasst wurden. Man kann daraus zum Beispiel schließen, dass auch ältere Menschen mehr und mehr das Internet nutzen werden, dass gedruckte Zeitungen insgesamt (noch) weniger gelesen werden oder der Wettbewerb um das Zeitbudget der Menschen (noch) schärfer werden wird und dass bi- oder trimediale Strategien für Medienunternehmen und Redaktionen weiter an Bedeutung gewinnen, weil sie das Publikum über mehrere Plattformen erreichen müssen - dass so zum Beispiel auch die Gesamtreichweite von crossmedialen Zeitungsredaktionen stiegt. Ein besonderes Augenmerk bei derartigen Nutzungsprognosen gilt den Trendsettern und innovativen Zielgruppen. In der Langzeitstudie Massenkommunikation wird seit 2005 diese Gruppe verortet und ihre Angaben werden speziell ausgewertet (Krupp/ Breunig 2016: 223 - 251): 70 Prozent von ihnen sind stark an das Internet gebunden (die Gesamtbevölkerung zu 40 Prozent). Bei den Angeboten im Internet, die diese Gruppe stark oder sehr stark vermissen würde, liegen die persönliche Kommunikation, das Surfen im Internet und die Nachrichten auf Homepages von Tageszeitungen, Internetprovidern, Suchmaschinen und Nachrichtenmagazinen vorne. Im Vergleich zum Bevölkerungsdurchschnitt ist die Video-Nutzung - in allen Formen und Formaten - recht hoch. Empirische Methode II: die Delphi-Studie Ein besonderes Verfahren der Expertenbefragung trägt den schönen Namen »Delphi-Methode«, der an die antiken Orakel-Priesterinnen in Delphi erinnert. Experten haben zwar in der Regel keine hellseherischen Fähigkeiten, aber sie beobachten Gesellschafts- und Branchentrends und sie gestalten die Zukunft durch ihre eigenen strategischen Entscheidungen mit. Für Studien, die sich mit der Zukunft des Journalismus beschäftigen, werden sowohl leitende Journalisten und Medienmanager als auch Journalistik-Wissenschaftler, Vertreter von anderen Ausbildungsinstitutionen oder von Verbänden befragt. drei gängige empirische Verfahren Nutzungsforschung Trendsetter Expertenbefragung d i e Z u k u n f t d e s J o u r n a l i s m u s 263 Es gibt zwar im Detail verschiedene Varianten der Delphi-Methode, doch allen ist gemeinsam, dass die Experten mehrfach befragt werden, was sich über mehrere Monate oder sogar Jahre erstrecken kann. Die erste Befragungswelle arbeitet - auf Basis einer theoretischen Analyse - am sinnvollsten mit eher offenen Fragen, um die Einschätzungen der Experten in breiter Fülle erfassen zu können. Für die zweite Welle wird daraus ein schriftlicher Fragebogen mit weitgehend geschlossenen Fragen formuliert. Ab der zweiten Welle werden die Experten mit den Ergebnissen der vorhergehenden Runde konfrontiert (in Form statistischer Mittelwerte). Nach drei oder vier Wellen soll dadurch ein gewisser Konsens entstehen: Die Experten sollen Schätzungen, bei denen sie unsicher waren, vor dem Hintergrund der Mehrheitsmeinungen korrigieren, sichere Schätzungen dagegen reproduzieren. Mit dieser Methode arbeiteten zum Beispiel Studien zur Zukunft des Journalismus zwischen 1988 und 1990 (vgl. Weischenberg/ Altmeppen/ Löffelholz 1994) sowie 2012 zur Zukunft katholischer Medien (vgl. Klenk 2013) und der der Nachrichtenagenturen (vgl. Schulten-Jaspers 2013). Die Ergebnisse der Delphi-Studien sind manchmal enttäuschend - etwa wenn zentrale Innovationen aufgrund gemeinsamen Nichtwissens oder kollektiver Ignoranz nicht erkannt werden können (wie z. B. Anfang der 90er-Jahre der Siegeszug des Internet, der ab 1995 begann). Oft ergeben sie aber auch wertvolle Hinweise auf Trends. Der Wert solcher Studien liegt weniger darin, dass sie sich nach zehn Jahren als exakt zutreffend erwiesen haben, sondern dass sie zum Zeitpunkt des Erscheinens eine Basis für die richtigen Entscheidungen legen - die dann vielleicht sogar dazu beitragen, Trends zu beschleunigen, zu verlangsamen oder umzukehren und die ursprüngliche Studie als übertrieben oder nicht (mehr) zutreffend erscheinen lassen. Doch die Einflüsse auf Medien und Journalismus sind komplex, Randbedingungen können sich rasch und unvorhersehbar ändern (vgl. Neuberger 2004b). Vor allem muss eine wissenschaftliche Prüfung von Entwicklungen aufpassen, nicht aus wenigen Einzelbeobachtungen gleich einen Trend zu konstruieren. Manche Passagen aus früheren Delphi-Studien lesen sich dennoch wie eine Gegenwartsbeschreibung. So muss die Aussage von Herbert Kolbe, Chefredakteur der EMDER ZEITUNG, aus dem Jahr 1988 schon als visionär eingestuft werden, weil sie die Situation des Web 2.0 ( → vgl. z. B. Kap. 4.1; S. 128 - 129) zwei Jahrzehnte später beschreibt: »Manchmal glaube ich, dass eine ganz neue Art von Journalismus auf uns zukommen wird. In dieser Gesellschaft machen wir folgende Beobachtung: Alles wird selber gemacht; man tapeziert selber - und bald macht jede Straße ihren eigenen Fernsehbericht. Ich glaube, dass diese Philosophie des Alles-Selber-Machens auch in den Journalismus einbrechen wird. Der Journalismus wird seine Faszination des Exklusiven verlieren. Das Zeitungmachen, das Zeitungproduzieren ist heute mehrere Befragungswellen komplexe Einflüsse 264 a k t u e l l e d e b a t t e n d e r J o u r n a l i s t i k schon durch die Elektronik derart einfach geworden, davon macht man sich keine Vorstellung.« (zitiert nach Weischenberg/ Altmeppen/ Löffelholz 1994: 13) Empirische Methode III: Wiederholung repräsentativer Journalistenbefragungen Die repräsentative Befragung von Journalisten durch eine Forschergruppe um Siegfried Weischenberg wurde in dieser Einführung bereits mehrfach erwähnt ( → vgl. z. B. zur Methode Kap. 1.3.3; S. 58 - 59) (Leitung: Siegfried Weischenberg/ Armin Scholl). Durch einen diachronen Vergleich der Befragungswellen 1993 und 2005 lässt sich der Wandel des Journalismus erfassen - und auf dieser Basis eine vorsichtige Prognose erarbeiten (vgl. Weischenberg/ Malik/ Scholl 2006: 181 - 205). Auch die aktuellen Journalistenbefragungen im Rahmen der »Worlds of Journalism«-Studie wurden bereits zweimal mit ähnlichem Fragebogen durchgeführt ( → vgl. z. B. zur Methode Kap. 1.3.3; S. 59 - 60). Die wichtigsten Trends der Journalistenbefragungen haben wir bereits in Kapitel 6.1 zusammengefasst ( → vgl. S. 218 - 230). Trends und Prognosen Wohin treiben Medien und Journalismus seit der Jahrtausendwende? Was sind die großen Trends - abseits der kurzlebigen »Hypes«, die schnell wieder verschwinden? Wichtige aktuelle Entwicklungen wurden in diesem Buch an mehreren Stellen beschrieben: zum Beispiel zum Publikumsverhalten in Kapitel 3.2, zur Entwicklung der Massenmedien, der Finanzierung von Medienunternehmen und der redaktionellen Organisation - beispielsweise vor dem Hintergrund der raschen Verbreitung des Internet - in Kapitel 4, »Ob der Journalismus, der in seiner heutigen Form im 19. Jahrhundert entstand und im 20. Jahrhundert seine Blütezeit erlebte, unter den neuen technischen und ökonomischen Bedingungen angemessene Lösungen für Kommunikationsprobleme des 21. Jahrhunderts anbieten kann, lässt sich in genereller Form nur schwer prognostizieren. Sicher ist jedoch, dass sich Medien und Journalismus im Online-Zeitalter erheblich wandeln (müssen). Und dies bedeutet auch eine große Herausforderung für alle, die mit der Vor- und Ausbildung für Kommunikationsberufe befasst sind.« (Weischenberg/ Malik/ Scholl 2006: 202) Zitat d i e Z u k u n f t d e s J o u r n a l i s m u s 265 zum Wandel von Darstellungsformen und Berichterstattungsmustern in Kapitel 5 sowie zu Tätigkeiten und Einstellungen von Journalisten in Kapitel 6.1. Zusammenfassend und im Überblick werden wichtige Wandlungsprozesse des Journalismus zu Beginn des 21. Jahrhunderts, die prognostisch in die 2020er Jahre reichen, im Folgenden kurz skizziert: • Mit Medialisierung ist zum einen gemeint, dass alle Bereiche der Gesellschaft zunehmend von Medien durchdrungen werden (vgl. Neuberger 2016): Politik und Wirtschaft, aber z. B. auch Sport und Bildung werden dadurch gezwungen, sich immer mehr auf die Regeln der Medien einzulassen. Zum anderen bezeichnet die Medialisierung die Omnipräsenz von Medien in unserem persönlichen Alltag: Selbst in Smalltalks und auf Spaziergängen, beim Laufen oder Schwimmen, ja selbst im Schlaf sind wir permanent online und vernetzt, wenn wir Geräte wie z.B. Smartphones oder Smartwatches bei uns tragen. • Kommerzialisierung und Ökonomisierung: Die Konzentrationsbewegungen in den Medien, die Übernahmen von kleinen Zeitungen durch Medienkonzerne, die Zusammenlegung von ehemals unabhängigen Zeitungsredaktionen, die steigende Bedeutung der Renditemaximierung in journalistisch tätigen Unternehmen - all dies sind Anzeichen dafür, dass sich das Verhältnis zwischen Profit und öffentlicher Aufgabe in Richtung Profit bewegt. Dass der wirtschaftliche Druck auf die Redaktionen wächst, belegt auch der steigende Anteil von Schleichwerbung im redaktionellen Teil (vgl. Baerns 2004; Volpers 2007). Bei zunehmenden Verstößen gegen die Regel, dass redaktioneller Teil und Werbung strikt getrennt werden, ist die Glaubwürdigkeit des Journalismus in Gefahr. Der ökonomische Druck auf Redaktionen kann auch zu schlechter Bezahlung, zu Überstunden, zu psychischer Belastung und einem steigenden Burnout-Risiko bei Journalisten führen (vgl. Pfeuffer 2006). • Hinter der Finanzierung des Journalismus steht ein großes Fragezeichen, wenn man in die Zukunft blickt (vgl. Lobigs 2016). Was schon mit privat-kommerziellem Fernsehen und Radio in den 80er-Jahren begonnen hat, findet seine Fortsetzung in der Kostenloskultur des Internet und im Erfolg von Gratiszeitungen in vielen europäischen Ländern (z. B. in der Schweiz, in Österreich oder in Skandinavien). Kernfrage ist, ob sich das Publikum aus der direkten Finanzierung des Journalismus noch weiter zurückzieht. Aus demokratie-theoretischer Sicht braucht unabhängiger und vielfältiger Journalismus eine deutlich mehrheitliche finanzielle Beteiligung des Publikums ( → vgl. Kap. 2.3.1; S. 83 - 86; Kap. 4.2; S. 131 - 148). Können das Gebühren-Modell des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und das Abonnement-Modell der Printmedien im Medienmarkt der Zukunft überleben und auf die digitalen Plattformen übertragen werden? Oder finden sich andere funktional-äquivalente Finanzierungsformen, welökonomischer Druck auf Redaktionen Kostenloskultur Medialisierung 266 a k t u e l l e d e b a t t e n d e r J o u r n a l i s t i k che den Journalismus nicht gänzlich dem Kommerz, der Werbe- oder Staatsfinanzierung ausliefern? - Einer weit verbreiteten Skepsis stehen auch hoffnungsvolle Anzeichen gegenüber: Die Zahlungsbereitschaft der Online-Nutzer für Informationsangebote ist mit Zunahme von Bezahlschranken gestiegen - zwar nicht extrem, aber immerhin kontinuierlich. Die Finanzierung des Journalismus über unabhängige Stiftungen hat - wie schon in den USA - auch in Deutschland zugenommen: Es gibt mehr Stipendien für einzelne Journalisten und Recherchebüros; die 2014 gegründete Rechercheredaktion Correctiv wird ausschließlich über Stiftungen und Spenden finanziert (vgl. Lilienthal 2017) ( → vgl. Kap. 4.2.2; S. 136, 139). Neue Organisationen wie krautreporter.de oder perspectivedaily.de finanzieren sich über Spenden und Mitgliedschaft. • Wachsender Einfluss der Public Relations: Immer weniger freie Journalisten können von den Honoraren des Journalismus allein leben: Sie verdienen ihren Lebensunterhalt in der Öffentlichkeitsarbeit oder in anderen Berufen (vgl. Weischenberg/ Malik/ Scholl 2006: 189 - 190; Steindl/ Lauerer/ Hanitzsch 2017: 417). Wenn Journalismus teilweise nicht mehr als eigenständige Profession ausgeübt wird, kann der Beruf »deprofessionalisiert« werden und die journalistische Unabhängigkeit ist in Gefahr. Theorien und empirische Untersuchungen verweisen zwar darauf, dass Journalismus und Public Relations voneinander abhängig sind ( → vgl. Kap. 5.4; S. 212 - 217) - doch es gibt eine Reihe von Indizien dafür, dass der Einfluss der PR auf die öffentliche Kommunikation zunimmt und der des genuin unabhängigen Journalismus sinkt. Unternehmen stecken mehr Geld in Public Relations, weil sie ihre Zielgruppen direkt und ohne Umweg über die traditionellen Gatekeeper - die Journalisten - erreichen wollen - ein Phänomen, das als »Disintermeditation« bezeichnet wird (vgl. Neuberger 2008: 22-30). Aus Sicht des Journalismus besteht die Gefahr, dass langfristig die Budgets für Anzeigen und Werbung, von denen der Journalismus zu einem Teil lebt, umgeschichtet werden in konzerneigene Medien: von Internetauftritten, Corporate Weblogs und Unternehmens-TV (z. B. Bahn-TV) bis zu Kundenzeitschriften - was alles zusammen als »Corporate Publishing« oder »Content Marketing« bezeichnet wird. Public Relations imitieren Darstellungs- und Erscheinungsformen des Journalismus, weil sie sich dadurch Glaubwürdigkeit und Imagegewinn erhoffen. Das geht bis zur teilweisen Finanzierung von Kundenzeitschriften über Fremdanzeigen und den Verkauf am Kiosk. Nach Angaben des »Content Marketing Forums« setzte diese Mediensparte 2017 in Deutschland, Österreich und der Schweiz 6,9 Milliarden Euro um. Bekannte und auflagenstarke Zeitschriften sind beispielsweise ADAC MOTORWELT (13,4 Mio.), APOTHEKEN-UMSCHAU (9,2 Mio.) und DB MOBIL der Deutschen Bahn (500.000). Einfluss der Public Relations d i e Z u k u n f t d e s J o u r n a l i s m u s 267 • Die Technisierung der journalistischen Arbeit reicht bis in die 70er-Jahre zurück, als der Fotosatz und die ersten Computer den Bleisatz der Zeitungen und Zeitschriften verdrängten und sich zunehmend Journalisten mit Layout und Seitenproduktion beschäftigen mussten. Inzwischen ist es nicht nur selbstverständlich, dass Zeitungsjournalisten die Seiten selbst am Bildschirm bauen (eventuell unterstützt von Mediengestaltern), sondern auch dass Radio und Fernsehjournalisten selbst den Schnitt am Computer ausführen. Dies kann bei fehlendem Training und steigendem Zeitdruck zu sinkender Qualität führen, kann aber auch ein kreatives Potential im journalistischen Produktionsprozess freisetzen. Die Qualität der Zeitungsgestaltung zum Beispiel wurde seit den 90er- Jahren erheblich verbessert - in gelungener Teamarbeit zwischen Grafikern und Journalisten, in der die Journalisten nicht nur Texte abliefern, sondern vielfältige Möglichkeiten der Informationsgestaltung, der Infografik, des Layouts und der Typografie überlegen, selbst umsetzen oder anregen (vgl. Blum/ Bucher 1998). • Im Internet steigt die Automatisierung journalistischer Bereiche durch Algorithmen (vgl. Dörr 2016). Zum einen ist damit die automatisierte Erstellung von Berichten auf Basis standardisierter Zahlen zum Beispiel bei Sportergebnissen oder Wettervorhersagen gemeint, zum anderen die augenblicklich erstellten, oft auch ständig aktualisierten »Trefferlisten«, »Streams« oder »Feeds« in sozialen Netzwerken oder bei Suchmaschinen. Der klassische Journalismus stellt durch redaktionell-menschliche Selektion Nachrichten- und Informationspakete für die Allgemeinheit zusammen. Die algorithmische Selektion orientiert sich auch an persönlichen Nutzungsvorlieben und kann für jeden Nutzer anders aussehen. Hier stellen sich Fragen nach der Verantwortung der Algorithmen, aber auch nach einer Fragmentierung der Gesellschaft. • Künftige technische Innovationen für die Produktion und Nutzung von Medieninhalten können kaum vorhergesagt werden, wir können aber Phantasien auf Basis neuer Tools beobachten. In den Jahren 2016 bis 2018 beschäftigten folgende Tools die Medienbranche: Automatisierte und interaktive Audio-Endgeräte - wie z. B. Alexa von Amazon - haben die Phantasien zum Audio-Journalismus beflügelt. Neue Techniken im Bereich der Augmented und Virtual Reality haben neue Ideen zum multimedialen Storytelling entstehen lassen, die den Nutzern, z.B. über spezielle Brillen, den Eindruck vermitteln, unmittelbar im Geschehen dabei zu sein. Die Entwicklungen im Bereich der Virtualität bringen aber auch Warnungen: Mit Software, die Stimmen imitieren oder Videos täuschend echt manipulieren kann (zum Bespiel Gesichter tauschen), wird die nächste Generation der »Fake News« befürchtet. Die Frage, was ist wirklich, stellt sich dann ganz neu. Technisierung Algorithmen Virtualität und Wirklichkeit 268 a k t u e l l e d e b a t t e n d e r J o u r n a l i s t i k • Mit dem Begriff der Konvergenz ist gemeint, dass die medialen Plattformen aufgrund der Digitalisierung zusammenwachsen - und zwar nicht nur auf Seiten der Produktion (Print-, Audio- und Video-Produktion auf einem einzigen leistungsfähigen Computer bzw. in einem Computer- Netzwerk) und der Organisation (crossmediale Redaktionen, die mehrere Plattformen bedienen), sondern auch auf Seiten der Mediennutzung: Es gibt mehr Geräte, die nicht nur für ein »Medium« genutzt werden, sondern die mehrere Formen integrieren. Diese Konvergenz ist eine der größten Herausforderungen für Medienhäuser, der nur mit crossmedialen Strategien und großer Innovationsfähigkeit begegnet werden kann (vgl. z. B. Kramp/ Weichert 2012). Das Kerngeschäft von Zeitungs- und Zeitschriftenverlagen zum Beispiel wird nicht mehr allein das Bedrucken von Papier sein, sondern ein Journalismus, der unterschiedliche Wege zum Publikum beschreitet (vgl. z. B. Meier 2016). • Das Internet ist nicht nur eine Plattform, die alle traditionellen Ausspielkanäle vereint, sondern bietet gleichzeitig immens große Beteiligungsmöglichkeiten des Publikums. Im »Web 2.0« kann jeder publizieren - und zwar nicht nur für sich allein, sondern kollaborativ und vernetzt mit tausenden anderen Nutzern ( → vgl. Kap. 3.1; S. 106 - 107). Das geht weit über den Journalismus hinaus, ermöglicht aber auch eine kollaborative Form der Nachrichtenproduktion, -kommentierung und -weiterleitung durch Amateure in Blogs, Wikis und sozialen Netzwerken wie TWITTER oder FACEBOOK ( → vgl. Kap. 4.1; S. 129). Wenn professioneller Journalismus diese Möglichkeiten im Sinne eines partizipativen Journalismus nutzen möchte, muss er das Publikum respektvoll als aktiv beteiligte Bürger einbeziehen ( → vgl. Kap. 5.2; S. 200). Journalisten sind dann die Moderatoren des Diskurses; sie hören zu, was das Publikum zu sagen hat, beschäftigen sich mit den Themen, welche die Menschen bewegen. Eine redaktionell intensive Nutzerbeteiligung kann man als Liquid Journalism (www.vocer.org/ category/ dossiers/ liquid-journalism) oder Prozessjournalismus bezeichnen (vgl. Meier 2016: 214): Ein Beitrag ist im Gegensatz zum Produktjournalismus nicht »fertig«, sondern wird durch das Zusammenspiel mit Nutzern weitergeschrieben. Die Nutzer beteiligen sich dann am gesamten Arbeitsprozess: von der Themenfindung und Recherche (Augenzeugen, andere Quellen) über die Publikation (Korrektur, Ergänzung, Aktualisierung) bis zur Kommentierung und dem Teilen des Beitrags mit Freunden. Allerdings haben mit zunehmenden Beteiligungsmöglichkeiten an Öffentlichkeit auch politische Propaganda, Verschwörungstheorien, verfälschte Nachrichten und Hate Speech - also die Verbreitung von Hass mit dem Ziel der Herabsetzung und Verunglimpfung bestimmter Personen oder Personengruppen - zugenommen. Zudem gibt es empirische Indizien, dass die radikalen Ränder der Gesell- Beteiligung des Publikums Konvergenz und crossmediale Strategien d i e Z u k u n f t d e s J o u r n a l i s m u s 269 schaft in Filterblasen und Echokammern der Social Media gefangen sind und durch Journalismus kaum mehr erreicht werden. • Der wachsende Konkurrenzdruck - der Wettbewerb um Aufmerksamkeit und Zeitbudget des Publikums - erhöht den Druck auf Redaktionen, einen Wettbewerbsvorteil zu erzielen: zum Beispiel durch exklusive Geschichten und Bilder ( → vgl. Kap. 1.2.3; S. 30 - 32). Selbst die Mainstream-Themen erhalten immer wieder durch den »eigenen Dreh« einer Geschichte einen exklusiven Anstrich. Um aus der Masse herauszustechen, reicht es nicht aus zu melden, was alle melden. Dies kann zu mehr journalistischer Qualität führen, zum Beispiel wenn sich mehr Regional- und Lokalredaktionen die Frage stellen, welche Bedeutung eine abstrakte politische Entscheidung für die Region und den einzelnen Leser hat (statt einfach die dpa-Meldung weiterzureichen). Es kann aber auch die Folge haben, dass immer mehr Redaktionen meinen, besonders provozierend, überraschend, bunt oder sexy sein zu müssen, was dann zu einer wachsenden Boulevardisierung und Skandalisierung des Journalismus führt. Konkurrenzdruck In der klassischen Massenkommunikation ist der Journalismus der »Gatekeeper« ( → vgl. Kap. 5.3; S. 204 - 205 ) des Informationsflusses zwischen Quellen und Nutzern. In der Internetöffentlichkeit kommunizieren die Nutzer zudem untereinander und erreichen dabei zum Teil auch ein Massenpublikum. Sie geben dem Journalismus verstärkt Rückmeldungen - und sie informieren sich direkt bei den Quellen, was die Möglichkeiten für Public Relations aus Sicht der Quellen erhöht (unter Umgehung des klassischen »Gatekeepers«). Auch außerhalb des Internet versucht Public Relations zunehmend, den Journalismus zu umgehen. Nutzer Nutzer Nutzer Journalismus Quellen »Gatekeeping« der klassischen Massenmedien Internetöffentlichkeit Nutzer Nutzer Nutzer Journalismus Quellen | Abb. 7.5 Kommunikationsmodell der Internetöffentlichkeit (Quelle: Darstellung nach Neuberger 2008: 22-23) 270 a k t u e l l e d e b a t t e n d e r J o u r n a l i s t i k Alles in allem lässt sich feststellen, dass das journalistische Monopol der Selbstbeobachtung und Synchronisation der Gesellschaft zu wanken beginnt und dass es schwieriger geworden ist, journalistische Produkte von anderem »Content« zu unterscheiden. Bei all diesen zentralen Trends stellt sich die Frage, ob und - wenn ja - wie Journalismus überlebensfähig sein kann. Wie in den Kapiteln 1.1.2 und 2.3 ausführlich begründet, ist die offene, freie und pluralistische Gesellschaft auf funktionierenden Journalismus angewiesen. Eine durch neutrale Beobachter moderierte öffentliche Diskussion ist Grundlage des demokratischen Zusammenlebens - oder um es in Anlehnung an die Definition zu Beginn dieses Buchs zu sagen: Nur eine nach den Regeln des hochwertigen Journalismus konstruierte Wirklichkeit kann verlässliche und glaubwürdige Orientierung in einer komplexen Welt bieten (vgl. u. a. Jarren 2008). Journalismus muss sich deshalb deutlich von anderem »Content« unterscheiden (vor allem durch die in den Kapiteln 7.1 und 7.2 genannten Faktoren der Qualität und Ethik), um nicht seinen Sinn und Wert für das Publikum und damit die Funktion der Selbstbeobachtung und Synchronisation der Gesellschaft zu verlieren. Wenn Journalismus verschwindet oder zurückgedrängt wird, orientiert sich die Gesellschaft mehr an einer interessengeleiteten, nicht-faktischen Wirklichkeitskonstruktion (vgl. Abb. 7.6). In den Jahren 2016 und 2017 gab es erhebliche öffentliche Debatten um »Fake News«, »Post Truth« oder »Alternative Facts«. Alles in allem haben diese Debatten dazu geführt, dass in der breiten Bevölkerung das Bewusstsein um den Wert des Journalismus gestiegen ist (vgl. Schultz et al. 2017; Schemer et al. 2018). Die These der »Entgrenzung« des Journalismus Die Motive für den Journalismuswandel liegen zurzeit also in den rapiden technischen Innovationen (Digitalisierung und Internet) sowie in den sich ändernden ökonomischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Eine Hamburger Forschergruppe hat einzelne Phänomene des derzeitigen Journalismuswandels unter dem Begriff »Entgrenzung« des Journalismus zusammengefasst (vgl. Weischenberg 2001 b; Loosen 2005; Weischenberg/ Malik/ Scholl 2006). »Journalismus verliert als fest umrissener, identifizierbarer Sinn- und Handlungszusammenhang deutlich an Konturen; er ist deshalb als Einheit kaum noch beschreib- und beobachtbar« (Weischenberg 2001 b: 77). Gemeint sind zum Beispiel (vgl. Loosen 2007: 63) die professionelle »Entgrenzung« gegenüber Public Relations, die Auflösung der Autonomie gegenüber der Werbung oder die inhaltliche »Entgrenzung« gegenüber der Unterhaltung (Infotainment). Tabelle 7.6 listet mögliche »Entgrenzungen« des Journalismus auf - in funktionaler wie struktureller Hinsicht. Dabei ist, in Anlehnung an Chrisjournalistisches Monopol wankt »Journalismus verliert an Konturen« d i e Z u k u n f t d e s J o u r n a l i s m u s 271 toph Neuberger (2004 b), die Grenze jeweils durch ein Begriffspaar markiert, das zwei entgegengesetzte Pole markiert (Journalismus und Nicht- Journalismus). Bei den funktionalen »Entgrenzungen« steht die Funktion des Journalismus in Frage; bei der Aufhebung von strukturellen Grenzen wandelt sich der Journalismus intern. Zwei Beispiele für »Entgrenzungsphänomene« (vgl. Neuberger 2004b): • Die Verwischung zwischen Information und Unterhaltung, die Infotainisierung journalistischer Inhalte, wird schon länger diskutiert. Die »Entgrenzungsthese« besagt, dass »soft news« zunehmend »hard news« verdrängen: Sport, Prominenz, Kriminalität, Kurioses gewinnen auf Kosten von Politik und Wirtschaft. Spektakuläre und emotionale Bilder bestimmen zusehends die Berichterstattung im Fernsehen, aber auch in Infotainisierung Externe (funktionale) Grenzen gegenüber anderen Kommunikationsformen Dimension Journalismus Nicht-Journalismus Funktion Fremdbeobachtung interessengeleitete Kommunikation Profession hauptberufliche Journalisten andere Kommunikationsberufe (z. B. PR-Fachleute) und Amateure / Laien Autonomie redaktioneller Teil Werbung Leistungen Information Unterhaltung Verhältnis zu Berichterstattungsobjekten neutrale Beobachtung Inszenierung Realitätsbezug faktisch fiktional Verhältnis zu Nutzern Massenkommunikation Individualkommunikation Zeit zeitliche Aktualität Archivierung Interne (strukturelle) Grenzen zwischen journalistischen Subsystemen Dimension Differenzierung Integration Medien Einzelmedien crossmediale Konvergenz und Kooperation Themen Separierung / Spezialisierung in Sparten/ Ressorts ressortübergreifendes / integrierendes redaktionelles Arbeiten Raum nationale Journalismen Globalisierung | Abb. 7.6 Dimensionen der »Entgrenzung« des Journalismus (Diese Darstellung ergänzt die Tabelle von Neuberger 2004b - auf der Basis von Loosen 2005, Weischenberg/ Malik/ Scholl 2006 und Meier 2007.) 272 a k t u e l l e d e b a t t e n d e r J o u r n a l i s t i k den Printmedien und im Internet. Natürlich konnte man vor allem aus Rezipientensicht Information noch nie scharf von Unterhaltung trennen. Aber im klassischen (Informations-)Journalismus orientiert sich die Darstellung zuerst am Informationsgehalt; Unterhaltsamkeit und Attraktivität sind zwar Stilmittel, stehen aber nicht im Mittelpunkt. Die These besagt, dass sich dies nun ändert. • Die These, ob sich nationale Journalismen zunehmend auflösen und der Journalismus globalisiert wird, ist umstritten. Noch am ehesten trifft dies für gemeinsame Sprachräume zu: Internet-Publikationen aus Großbritannien (wie www.guardian.co.uk, www.telegraph.co.uk oder www. bbc.co.uk) haben auch in den USA ein großes Publikum, das aus der engen nationalen Perspektive der US-Medien ausbrechen will. Die BBC- Website wird in vielen Ländern auf allen Kontinenten nachgefragt. Aber nach wie vor hat der Nachrichtenfaktor »Nähe« eine große Bedeutung im Journalismus, was sich meist nur im nationalen Kontext umsetzen lässt. Zu diskutieren ist indes zudem, ob sich nationale Journalismuskulturen mit unterschiedlichen Traditionen global angleichen (z. B. die Einstellungen der Journalisten oder die Redaktionsstrukturen). Mit der These der »Entgrenzung« des Journalismus wird unterstellt, dass die vielfältigen Wandlungsprozesse des Journalismus einer gemeinsamen Entwicklungsrichtung folgen, was nicht unumstritten ist (vgl. Neuberger 2004b). Wer von »Grenzen« des Journalismus spricht, muss außerdem erst einmal definieren, wo diese liegen - und da wären wir wieder bei der eingangs gestellten Frage nach der Definition des Journalismus: Wo hört Journalismus auf, wo fangen andere gesellschaftliche Funktionssysteme und andere Kommunikationsformen an? Ist Journalismus nur Informationsjournalismus, mit dem klaren Auftrag der Information, Meinungsbildung, Kritik und Kontrolle? Oder ist Medienunterhaltung nicht auch Journalismus? Und schließlich auch: Können Public Relations oder von Nutzern (Laien, Amateuren) produzierte Medieninhalte funktional-äquivalent - zumindest partiell - den Journalismus ersetzen? Künftige Aufgaben der Journalistik Im derzeitigen dynamischen Wandel der Medienmärkte, -techniken und -produkte ist die Innovationsfähigkeit von Redaktionen und Medienunternehmen gefragt. Die Journalistik kann die Medienpraxis durch anwendungsorientierte Forschungs- und Kooperationsprojekte dabei unterstützen - mit dem Ziel der Sicherung und Weiterentwicklung des Qualitätsjournalismus (vgl. z. B. Hohlfeld/ Meier/ Neuberger 2002; Rager/ Graf-Szczuka/ Hassemer/ Süper 2006; Kramp/ Weichert 2012; Meier 2014). Wie können neue technische Möglichkeiten, veränderte Marktbedingungen und die sich globaler Journalismus? d i e Z u k u n f t d e s J o u r n a l i s m u s 273 wandelnde Mediennutzung für journalistische Angebote produktiv und kreativ genutzt werden? - Vier Beispiele aus einem insgesamt weiten Feld: • Qualitätsmonitoring: Insgesamt bleibt es zentrale (Dauer-)Aufgabe der Journalistik, auf die öffentliche Aufgabe des Journalismus zu verweisen und damit die Qualitätsdebatte zu bereichern und einen Beitrag zur Qualitätssicherung zu leisten ( → vgl. Kap. 7.1; S. 244 - 249). Das heißt, dass auf Basis normativer Theorien zur Qualität im Journalismus positive und auch kritische Entwicklungen empirisch untersucht und evaluiert werden. • Redaktionelles Marketing: Mit Ausnahme einzelner großer Medienunternehmen, die selbst Publikumsforschung betreiben, besteht generell im Journalismus ein Bedarf, das Publikum, seine Wünsche und Interessen besser kennenzulernen ( → vgl. Kap. 3; S. 97 - 125). Die Journalistik kann durch eine gezielte redaktionelle Publikumsforschung dazu beitragen, dass Redaktionen alte Zielgruppen besser bedienen und neue Zielgruppen erschließen (vgl. Hohlfeld 2002). Dies könnte auch dazu führen, dass das Publikum weniger unterschätzt und unterfordert wird, und mit dem Vorurteil aufräumen, dass Auflage, Quote und Online-Reichweite nur mit Boulevard und Infotainment erhöht werden können (vgl. z. B. Glotz/ Langenbucher 1969/ 1993). Neue Instrumente der Qualitätsmessung (vgl. z. B. Wyss 2006) können mit Unterstützung anwendungsorientierter Forschung und Beratung im Qualitätsmanagement eingesetzt werden. Sie könnten die Fixierung auf rein quantitative Einschalt- und Klickzahlmessungen durch eine Stärkung von »Qualitätsquoten« aufweichen (vgl. z. B. Hohlfeld 1999). • Formatentwicklung: Die Herausforderungen durch Digitalisierung, Konvergenz und neue Plattformen in Internet und mobiler Kommunikation stellt Anforderungen an den Journalismus, auf die dieser traditionell nicht eingestellt ist. Journalisten lieben die Routine: Einmal bewährte Arbeitsabläufe, Produktionsformen und inhaltliche Formate werden nicht verändert. Mit der Formatentwicklung in speziellen, ausgelagerten Entwicklungsredaktionen beschäftigten sich traditionell hauptsächlich große Zeitschriftenverlage, Unterhaltungsabteilungen der Fernsehsender oder einige wenige Online-Redaktionen. Die neuen crossmedialen, multimedialen und interaktiven Formen des Story-Tellings betreffen früher oder später indes alle Redaktionen im Kern - und sie sind noch lange nicht erfunden (vgl. z. B. Wolf/ Godulla 2016; Meier 2017b) - auch wenn seit Jahren Schlagworte wie »Multimediales Erzählen«, »Datenjournalismus«, »Newsgames« oder »Prozessjournalismus« die Runde machen und durch einzelne Beispiele mit Leben gefüllt werden. Auch für traditionelle Plattformen kann die Journalistik neue Darstellungsformen entwickeln und testen (so wurde zum Beispiel gezeigt, dass mit narra- Beitrag zur Qualitätssicherung Publikumsforschung und »Qualitätsquoten« neue Formate entwickeln und testen 274 a k t u e l l e d e b a t t e n d e r J o u r n a l i s t i k tiven Fernsehnachrichten die Behaltens- und Verstehensleistung beim Zuschauer gesteigert werden kann; vgl. Machill/ Köhler/ Waldhauser 2006). Die Integration von Forschung und Lehre an Hochschulen verlangt nicht nur das Training von journalistischem Regelwissen, sondern auch kreatives und forschungsbegleitetes Testen neuer Formen und Formate. In Forschungs- und Lehrprojekten sowie in Abschlussarbeiten können in Kooperation mit Redaktionen neue Formate entwickelt und auf Tauglichkeit überprüft werden. Gerade die Hochschulen bieten hierfür kreative Freiräume, die Medienunternehmen unter permanentem Produktions- und Renditedruck nicht bieten können (Meier 2014). Die Ergebnisse dieser anwendungsorientierten Forschung und Entwicklung können wiederum über Lehrbücher, Trainings und Coachings in die Redaktionen eingebracht werden (vgl. z. B. Perrin 1999; Herrmann 2006; Meier 2018 a). • Redaktionsorganisation und Qualitätsmanagement: Stephan Ruß-Mohl (1998: 289) hat zu Recht darauf hingewiesen, dass Redakteure und Redaktionsleiter auf strategische Entscheidungen kaum vorbereitet sind, weil sie zu sehr mit dem schieren Tagesgeschäft der Nachrichtenselektion und -bewertung, der Recherche und Präsentation befasst sind. Er empfiehlt, dass die Journalistik in Sachen Organisationsstrukturen und -abläufe oder zur Personalentwicklung beratend tätig sein sollte. Verkrustete und bürokratische Redaktionsstrukturen verhindern zum Beispiel nicht selten ein flexibles Agieren, ein innovatives Angehen von Themen oder eine Integration neuer Plattformen. Stichworte für Innovationen sind hier: ressortübergreifende Themensetzung und -profilierung, Raum für Recherchejournalismus, Professionalisierung von Tätigkeiten (z. B. »reporters« und »editors«), crossmediale Newsdesks und integrierte Newsrooms ( → vgl. Kap. 4.5; S. 175 - 181) oder diverse Instrumente des Qualitätsmanagements ( → vgl. Kap. 7.1; S. 246 - 249). Die Journalistik kann Chefredakteure und Redakteure ermutigen, neue Strukturen und Formen des Qualitätsmanagements zu finden, und diese durch empirische Begleitforschung überprüfen. Am Innovationsprozess der Austria Presse Agentur (APA) in Wien 2004 bis 2006 ließ sich zum Beispiel zeigen, dass moderne Redaktionsstrukturen und Newsrooms die Schnelligkeit der Redaktion und die journalistische Qualität steigern können (vgl. Meier 2007; 2011). Auf einen dauerhaften Transfer von wissenschaftlichem Wissen in den Journalismus sind beide Seiten allerdings noch nicht optimal vorbereitet. Die Journalistik braucht eine stärkere strukturelle Ausrichtung auf Anwendungswissen und Transfer - nicht nur in Forschungs- und Kooperationsprojekten und in Abschlussarbeiten, sondern auch in den Formen des wissenschaftlichen Outputs (Coachings, Workshops, Beratungen) ( → vgl. Kap. 1.3.3; angewandte Forschung als Beratung d i e Z u k u n f t d e s J o u r n a l i s m u s 275 S. 60 - 65). Der Journalismus muss so manche Scheuklappen ablegen, sich gegenüber wissenschaftlichem Anwendungswissen öffnen - am Ende aber auch akzeptieren, dass die Journalistik der sozialwissenschaftlichen Neutralität verpflichtet ist und nicht einfach für redaktionelle Zwecke instrumentalisiert werden kann (vgl. Wyss 2006; Saxer 2006). (1) Solide Prognosen zur Zukunft des Journalismus beruhen auf einer Analyse zentraler Trends der vergangenen Jahre bis zur Gegenwart. Empirische Methoden sind die Auswertung von Datenreihen in der Nutzungsforschung und die wiederholte Befragung von Experten - zum Beispiel mit der Delphi-Methode - und von Journalisten. (2) Motive für den dynamischen Journalismuswandel liegen derzeit in technischen Innovationen (Digitalisierung, Internet) und sich ändernden ökonomischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen (z. B. Kommerzialisierung, Einfluss der Public Relations, Beteiligung des Publikums). Die Grenzziehung zwischen Journalismus (öffentliche Aufgabe, Fremdbeobachtung) und anderem »Content« (Interessenvertretung, Unterhaltung) wird zunehmend schwierig. (3) Die Journalistik als anwendungsorientierte Forschung und Lehre ist gefordert, die Innovationsfähigkeit von Redaktionen zu stärken - zum Beispiel durch Qualitätsmonitoring, Publikumsforschung, Formatentwicklung oder in der Optimierung von Organisationsstrukturen und Qualitätsmanagement. Zusammenfassung 1 Erklären Sie die Vor- und Nachteile der genannten empirischen Prognosemethoden. 2 Beschreiben Sie anhand des Begriffs der »Entgrenzung« zentrale Aspekte des gegenwärtigen Journalismuswandels. 3 Blättern Sie dieses Buch noch einmal durch und achten Sie dabei besonders auf Passagen, die Entwicklungen der letzten Jahre bis zur Gegenwart wiedergeben. Welche Prognosen können Sie daraus ableiten und wie lassen sich diese Prognosen begründen? 4 Lesen Sie noch einmal die Kapitel zur Definition von Journalismus und zu Mediensystemen und Medienfreiheit (1.1.1 und 2.3) und geben Sie nun in einer Zusammenschau mit dem Ausblick in diesem Kapitel eine Antwort auf die Frage: Wozu braucht eine Gesellschaft Journalismus? Übungsfragen zu Kapitel 7.3 276 a k t u e l l e d e b a t t e n d e r J o u r n a l i s t i k Literatur Um Innovationen im Journalismus und deren Erforschung zu recherchieren, lohnt sich immer wieder ein Blick auf die Webseiten US-amerikanischer Forschungsinstitute wie dem Poynter Institute in Florida (www.poynter. org), dem »J-Lab« der American University of Washington (www.j-lab.org) oder dem Pew Research Center’s Project Journalism & Media in Washington D.C. (www.journalism.org). Mit den Grenzen und »Entgrenzungen« des Journalismus hat sich Christoph Neuberger in einem übersichtlichen Beitrag befasst. Mit dem Wandel und Innovationen im Journalismus beschäftigt sich die Studie Innovationsreport von Leif Kramp und Stephan Weichert. Das Gutachten des Hans-Bredow-Instituts zur Entwicklung der Medien zwischen 2013 und 2016 im Auftrag der Bundesregierung enthält ein ausführliches Kapitel zu Trends und Perspektiven. 5 Lesen Sie noch einmal die Kapitel zu Journalistik und Journalismusforschung (1.1.3 und 1.3) und geben Sie nun in einer Zusammenschau mit dem Ausblick in diesem Kapitel eine Antwort auf die Frage: Was ist und zu welchem Zweck betreiben wir Journalistik? 277 Literaturempfehlungen Zur Grundausstattung eines Studiums der Journalistik gehören … … eine Anleitung zum wissenschaftlichen Arbeiten: Dahinden, Urs/ Sturzenegger, Sabina/ Neuroni, Alessia C. (2014): Wissenschaftliches Arbeiten in der Kommunikationswissenschaft. Bern (2. Aufl.). Beinke, Christiane/ Brinkschulte, Melanie/ Bunn, Lothar/ Thürmer, Stefan (2016): Die Seminararbeit. Schreiben für den Leser. Konstanz (3. Aufl.). … ein Handbuch bzw. Nachschlagewerk oder Lexikon: Weischenberg, Siegfried/ Kleinsteuber, Hans J./ Pörksen, Bernhard (Hg.) (2005): Handbuch Journalismus und Medien. Konstanz. Hans-Bredow-Institut (Hg.) (2006): Medien von A bis Z. Wiesbaden. Bentele, Günter/ Brosius, Hans-Bernd/ Jarren, Otfried (Hg.) (2013): Lexikon Kommunikations- und Medienwissenschaft. Wiesbaden (2. Aufl.). Journalistikon. Das Wörterbuch der Journalistik ( journalistikon.de) … Ratgeber- und Trainingsbücher zum praktischen Journalismus: Hooffacker, Gabriele/ Meier, Klaus (2017): La Roches Einführung in den praktischen Journalismus. Mit genauer Beschreibung aller Ausbildungswege. Wiesbaden (20. Aufl.). Mast, Claudia (Hg.) (2012): ABC des Journalismus. Ein Handbuch. Konstanz (12. Aufl.). Ruß-Mohl, Stephan (2010): Journalismus. Das Lehr- und Handbuch. Frankfurt (3. Aufl.). … bei Interesse für den angloamerikanischen Journalismus und die internationale Journalismusforschung (z. B. zur Vorbereitung eines Auslandsstudiums): Harcup, Tony(2015): Journalism. Principles and Practice. London (3. Aufl.). Wahl-Jorgensen, Karin/ Hanitzsch, Thomas (Hg.) (2009): The Handbook of Journalism Studies. New York. Franklin, Bob/ Hamer, Martin/ Hanna, Mark/ Kinsey, Marie/ Richardson, John E. (2005): Key Concepts in Journalism Studies. London. Kovach, Bill/ Rosenstiel, Tom (2014): The Elements of Journalism. What Newspeople Should Know and the Public Should Expect. New York (3. Aufl.). 278 l i t e r a t u r e m p f e h l u n g e n … Einstiegsmöglichkeiten für die Literaturrecherche: Der Fachinformationsdienst katalog.adlr.link versorgt Forschende und Studierende in der Kommunikations-, Medien- und Filmwissenschaft schnell und effektiv mit Literatur. Die Website der Universitätsbibliothek Leipzig bietet nicht nur ein umfassendes Rechercheinstrument, sondern auch Zugang zu digitalen Volltexten und versendet kostenlos Bücher auf Leihbasis (finanziert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG). Der Dokumentlieferdienst der Bibliotheken mailt Aufsätze gegen ein geringes Entgelt (www.subito-doc.de). Folgende Fachzeitschriften sind für das Journalistik-Studium und für das Berufsfeld Journalismus relevant: Die beiden Berufsverbände für Journalisten geben die Zeitschriften JOUR- NALIST (DJV) und M - MENSCHEN MACHEN MEDIEN (dju/ verdi) heraus. Eine unabhängige Zeitschrift zum Berufsfeld ist das MEDIUM MAGAZIN. Dem Transfer zwischen Wissenschaft und Praxis haben sich das JOURNALISTIK JOURNAL des Instituts für Journalistik an der TU Dortmund verschrieben sowie zwei Online-Angebote: Das European Journalism Observatory (de.ejoonline.eu) und message-online.de. Wissenschaftliche Fachzeitschriften speziell zum Fachgebiet Journalistik gibt es seit ein paar Jahren auf dem internationalen Markt: JOURNALISM (seit 2000; jou.sagepub.com) und JOURNALISM STUDIES (seit 2000; www. informaworld.com/ rjos) widmen sich eher der Grundlagenforschung; stärker anwendungsorientiert ist JOURNALISM PRACTICE (seit 2007; www.informaworld.com/ rjop); Forschungen aus dem Bereich des Digitalen Journalismus veröffentlicht DIGITAL JOURNALISM (seit 2013; www.informaworld. com/ rdij). In Deutschland startete 2018 die neue wissenschaftliche Fachzeitschrift JOURNALISTIK (www.journalistik.online). Deutschsprachige Veröffentlichungen zur Journalistik erscheinen häufig in den Zeitschriften PUBLI- ZISTIK (link.springer.com/ journal/ 11616), MEDIEN & KOMMUNIKATIONS- WISSENSCHAFT (www.m-und-k.nomos.de), MEDIA PERSPEKTIVEN (www. media-perspektiven.de) sowie im Online-Journal STUDIES IN C OMMUNICA- TION I MEDIA (www.scm.nomos.de). 279 Literaturverzeichnis Die mit [*] gekennzeichneten Aufsätze und Bücher werden in diesem Buch am Ende der Kapitel zur weiterführenden Lektüre empfohlen. Altmeppen, Klaus-Dieter (2004): Entscheidungen und Koordinationen. Theorien zur Analyse von Basiskategorien journalistischen Handelns. In: Martin Löffelholz (Hg.): Theorien des Journalismus. Ein diskursives Handbuch. Wiesbaden (2. Aufl.), 419 - 433. Altmeppen, Klaus-Dieter (2013): Medienökonomie. In: Günter Bentele/ Hans-Bernd Brosius/ Otfried Jarren (Hg.): Lexikon Kommunikations- und Medienwissenschaft. Wiesbaden, 217 - 218. Altmeppen, Klaus-Dieter/ Arnold, Klaus (2013): Journalistik. Grundlagen eines organisationalen Handlungsfeldes. München. [*] Altmeppen, Klaus-Dieter/ Donges, Patrick/ Engels, Kerstin (1999): Transformation im Journalismus. Journalistische Qualifikationen im privaten Rundfunk am Beispiel norddeutscher Sender. Berlin. Altmeppen, Klaus-Dieter/ Hanitzsch, Thomas/ Schlüter, Carsten (Hg.) (2007): Journalismustheorie: Next Generation. Soziologische Grundlegung und theoretische Innovation. Wiesbaden. Altmeppen, Klaus-Dieter/ Hömberg, Walter (Hg.) (2002): Journalistenausbildung für eine veränderte Medienwelt. Diagnosen, Institutionen, Projekte. Wiesbaden. Altmeppen, Klaus-Dieter/ Greck, Regina/ Evers, Tanja (2016): Journalismus und Medien - organisationstheoretisch betrachtet. In: Klaus Meier/ Christoph Neuberger (Hg.): Journalismusforschung. Stand und Perspektiven. Baden-Baden (2. Aufl.), 47 - 68. Arendt, Florian/ Brosius, Hans-Bernd/ Hauck, Patricia (2017): Die Auswirkung des Schlüsselereignisses »Silvesternacht in Köln« auf die Kriminalitätsberichterstattung. In: Publizistik, Heft 2, 135 - 152. Arnold, Klaus (2008): Kann guter Journalismus unmoralisch sein? Zum Verhältnis von Qualität und Ethik in den Medien. In: Communicatio Socialis, Heft 3, 254 - 275. Arnold, Klaus (2009): Qualitätsjournalismus. Die Zeitung und ihr Publikum. Konstanz. Arnold, Klaus (2016): Qualität im Journalismus In: Klaus Meier/ Christoph Neuberger (Hg.): Journalismusforschung. Stand und Perspektiven. Baden-Baden (2. Aufl.), 141 - 157. Averbeck-Lietz, Stefanie/ Meyen, Michael (Hg.) (2016): Handbuch nicht standardisierte Methoden in der Kommunikationswissenschaft. Wiesbaden. [*] Baerns, Barbara (1991): Öffentlichkeitsarbeit oder Journalismus? Zum Einfluss im Mediensystem. Köln (2. Aufl.). Baerns, Barbara (Hg.) (2004): Leitbilder von gestern? Zur Trennung von Werbung und Programm. Wiesbaden. Barth, Henrike/ Donsbach, Wolfgang (1992): Aktivität und Passivität von Journalisten gegenüber Public Relations. Fallstudie am Beispiel von Pressekonferenzen zu Umweltthemen. In: Publizistik, Heft 2, 151 - 165. Baum, Achim/ Langenbucher, Wolfgang R./ Pöttker, Horst/ Schicha, Christian (Hg.) (2005): Handbuch Medienselbstkontrolle. Wiesbaden. Baumert, Dieter Paul (1928/ 2013): Die Entstehung des deutschen Journalismus. Eine sozialgeschichtliche Studie. Herausgegeben und eingeleitet von Walter Hömberg. Baden- Baden. Bausinger, Hermann (1984): Alltag, Technik, Medien. In: Sprache im technischen Zeitalter, Heft 89 vom 15. März, 60 - 70. BDZV (2017): Zeitungen 2017/ 18. Berlin. Beck, Klaus (2012): Das Mediensystem Deutschlands. Strukturen, Märkte, Regulierung. Wiesbaden. [*] Bentele, Günter (2005): Intereffikationsmodell. In: Günter Bentele/ Romy Fröhlich/ Peter Szyszka (Hg.): Handbuch der Public Relations. Wissenschaftliche Grundlagen und berufliches Handeln. Wiesbaden, 209 - 222. Bergmann, Jens/ Pörksen, Bernhard (Hg.) (2007): Medienmenschen. Wie man Wirklichkeit inszeniert. Münster. [*] Birkner, Thomas (2012): Das Selbstgespräch der Zeit. Die Geschichte des Journalismus in Deutschland 1605 - 1914. Köln. Bleicher, Joan Kristin/ Pörksen, Bernhard (Hg.) (2004): Grenzgänger. Formen des New Journalism. Wiesbaden. [*] Blöbaum, Bernd (1994): Journalismus als soziales 280 l i t e r a t u r v e r Z e i c h n i s System. Geschichte, Ausdifferenzierung und Verselbständigung. Opladen. Blöbaum, Bernd (2000): Zwischen Redaktion und Reflexion. Integration von Theorie und Praxis in der Journalistenausbildung. Münster. Blöbaum, Bernd (2004): Organisationen, Programme und Rollen. Die Struktur des Journalismus in systemtheoretischer Perspektive. In: Martin Löffelholz (Hg.): Theorien des Journalismus. Ein diskursives Handbuch. Wiesbaden (2. Aufl.), 201 - 215. Blum, Joachim/ Bucher Hans-Jürgen (1998): Die Zeitung: Ein Multimedium. Textdesign - ein Gestaltungskonzept für Text, Bild und Grafik. Konstanz. Blum, Roger (2003): Medienstrukturen der Schweiz. In: Günter Bentele/ Hans-Bernd Brosius/ Otfried Jarren (Hg.): Öffentliche Kommunikation. Handbuch Kommunikations- und Medienwissenschaft. Wiesbaden, 366 - 381. Blum, Roger (2014): Lautsprecher und Widersprecher. Ein Ansatz zum Vergleich der Mediensysteme. Köln. Böckelmann, Frank (1993): Journalismus als Beruf. Bilanz der Kommunikatorforschung im deutschsprachigen Raum von 1945 bis 1990. Konstanz. Bonfadelli Heinz/ Friemel, Thomas N. (2017): Medienwirkungsforschung. Konstanz (6. Aufl.). [*] Bonfadelli, Heinz/ Keel, Guido/ Marr, Mirko/ Wyss, Vinzenz (2012): Journalists in Switzerland. Structure and Attitudes. In: David H. Weaver/ Lars Willnat (Hg.): The Global Journalist in the 21st Century. New York, 320 - 330. Bonfadelli, Heinz/ Jarren, Otfried/ Siegert, Gabriele (2010): Einführung in die Publizistikwissenschaft. Stuttgart (3.Aufl.). [*] Branahl, Udo (2012): Medienrecht. Eine Einführung. Wiesbaden (7. Aufl.). [*] Brandstetter, Barbara (2015): Verbraucherjournalismus. Konstanz. [*] Brosius, Hans-Bernd (2003): Medienwirkung. In: Günter Bentele/ Hans-Bernd Brosius/ Otfried Jarren (Hg.): Öffentliche Kommunikation. Handbuch Kommunikations- und Medienwissenschaft. Wiesbaden, 128 - 148. [*] Brosius, Hans-Bernd/ Haas, Alexander/ Koschel, Friederike (2016): Methoden der empirischen Kommunikationsforschung. Eine Einführung. Wiesbaden (7. Aufl.). [*] Bücher, Karl (1981): Auswahl der publizistikwissenschaftlichen Schriften. Hg. von Heinz- Dietrich Fischer/ Horst Minte. Bochum. Burkart, Roland (2002): Was ist Kommunikation? Was sind Medien? In: Irene Neverla/ Elke Grittmann/ Monika Pater (Hg.): Grundlagentexte zur Journalistik. Konstanz, 52 - 72. [*] Cherubini, Federica/ Nielsen, Rasmus K. (2016): Editorial Analytics: How News Media are Developing and Using Audience Data and Metrics. Oxford. 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[*] 293 Index Accuracy-Forschung 241, 244 Agenda Setting 119, 124, 96, 99 Aktualität 14, 30-32, 35, 76, 205, 240-243, 271 Allensbacher Markt- und Werbeträger- Analyse 99 Anzeigenblätter 131, 138-139, 153 App 74, 100, 105, 111, 128, 137, 145-147, 151, 153, 161 Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung 99 Arbeitsgemeinschaft Media Analyse 99 Arbeitsgemeinschaft Online-Forschung 100 Artikel 5 des Grundgesetzes 73, 83, 85 Außenpluralität 131 Authentizität 38, 197 Befragung 29, 40, 44, 47- 48, 50- 52, 195, 207, 217, 221, 222, 225, 233, 244, 247-248, 255, 262, 264 Benchmarking 56, 244 Beobachtung 14, 18, 60, 64, 97, 117, 122, 187, 215, 262, 245, 271 Binnenpluralität 132, 142 Blogs 20, 98, 106, 107, 129, 191, 241-242, 255, 266, 268 Boulevard 37-38, 47, 123, 136, 141, 144, 151, 163, 165, 201, 250-251, 255, 269, 273 Bundeskartellamt 86, 143-144 Bundesverfassungsgericht 85, 133 Bürgerjournalismus vgl. partizipativer Journalismus Citizen Journalismus vgl. partizipativer Journalismus Corporate Publishing 215, 266 Crossmedial (siehe auch Konvergenz) 63, 64, 103, 141, 144, 153, 172, 176, 178-180, 220, 262, 268-269, 271, 274 Crowdsourcing 200 Cultural Studies 28, 36-38, Datenjournalismus 196-198, 201, 273 DDR 73, 141, 148, 229, 231 deduktiv 40-42, 44, 47 Demokratie 9, 15-17, 27, 29, 37-38, 67-68, 71, 80, 84, 90-91, 95, 121-122, 133, 135, 146-147, 149, 195, 197, 213-215, 225-226, 229, 239, 244, 250, 257, 265 Deutsche Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft 21, 24, 99 Digital Divide 120 Digitalisierung 21, 128, 130, 156, 173, 174, 180, 268, 273, 275 Duales Rundfunksystem 90, 132-133, 148, 156 E-Commerce 138 Einkommen (der Journalisten) 219-221 explorativ 41, 43, 47, 49, 51, 63 Facebook 13, 48, 74, 86-87, 94, 106, 121, 129- 130, 145-146, 161, 191, 235, 268 Faktizität 14-15, 38, 196 Fallstudien 40-41, 43, 49-50, 55, 58, 64, 179 Falsifikation/ Falsifikationsprinzip 26, 39, 42 294 i n d e x Fiktion 14, 22, 31, 37-38, 116-117, 124, 146, 190, 271 Fragebogen 44, 51-54, 59, 64, 217, 263-264 Framing 204, 208-211 Frauen (im Journalismus) 132, 219, 220-221, 229 Freedomhouse-Ranking 92-96 Gatekeeper 175, 204, 215, 266 Gatekeeping 69, 204-205, 209, 269 Glaubwürdigkeit (siehe auch Vertrauen) 17, 103, 117, 123, 137, 138, 242, 259, 265-266 Gratiszeitung 131, 163, 265 induktiv 40-41, 47, 49 Informantenschutz 85, 252 Informationsfreiheit 80, 83, 94 Informationsfreiheitsgesetz 86 Inhaltsanalyse 40, 44, 46-47, 50, 55-57, 61, 63, 65, 87, 118, 193, 204-205, 207, 211-213, 244 Initiative Nachrichtenaufklärung 210 Innovation 11, 21, 42, 61-64, 101, 132, 136, 167, 173, 175, 193, 235-236, 247, 263, 267-268, 270, 272, 274-276 Inszenierung 37, 189, 191, 271 Interaktivität 145, 187, 242-243 inverted pyramid 192-193 Investigativer Journalismus 196, 202-203, 241, 252 Journalismus-Definition 14-15, 270-272 Journalismusförderung 136 Journalismusgeschichte 71-74 Journalist/ innen- Definition 218 Journalismus-Studium 231-232, 235-236, 237, 261 Kommerzialisierung 116, 134-135, 265, 275 Kommunikationsraum 87, 115 Kommunikationswissenschaft 9, 18, 19, 21-25, 50, 65, 70, 76, 79, 98, 117, 128, 130, 149, 210, 212, 231, 232, 234, 237, 254, 277 Kommunikatorforschung 19-20, 25, 59 Konstruktivismus 185, 189 Konvergenz (siehe auch Crossmedial) 76, 100, 128, 143, 179, 180, 268, 271, 273 Konzentrationskontrolle (siehe auch Medienkonzentration) 143-144 Kritischer Rationalismus 26, 39, 41-42 Laborexperiment 117-118 Landesmedienanstalt 129, 131, 133, 143, 157, 158, 160, 214, 259 Langzeitstudie Massenkommunikation (von ARD und ZDF) 100-115 Langzeitstudie zur Mediennutzung 58-59 Langzeitstudie zu redaktionellem Innovationsprozess 63-64 Lasswell-Formel 19-20 Leseranwälte 255 Lokaljournalismus 61, 78, 104, 142, 200-201 Magisches Vieleck 240-241 Marktanteil 100-101, 103, 105, 107, 108, 140-141, 144, 149-150, 154, 159, 165 Media Analyse 99, 159, 164 Medien 13-15, 23, 32, 46, 57, 59, 61, 71, 73, 76, 79, 82-83, 86, 98, 100, 107, 108-115, 116, 123, 134-135, 145-146, 150, 160, 164-165, 265-267 Medienakteure 69 Medienethik 10, 18, 28, 61, 163, 239, 250-259, 260-261, 270 Medieninhalte 20, 44, 47, 69, 71, 110, 116-117, 128, 137, 139, 184, 241, 267, 272, Medieninstitution 67, 69-70, 256 (siehe auch Medienorganisation) Medienkonzentration (siehe auch Konzentrationskontrolle) 116, 140-144, 152, 166, 265 Medienlinguistik 194 Medienorganisation 10, 68-70, 71, 128, 131-132, 133-134, 146, 161, 168, 241, 244, 247 Medienproduktion 20, 59, 70 Medienrealität 68, 184, 186, 189, 190, 194, 197, 200-202, 205 d i e Z u k u n f t d e s J o u r n a l i s m u s 295 Mediensystem 29, 59, 67-71, 83, 86, 87-96, 128, 131, 140, 148, 168, 190, 195, 234, 236 Medientheorien 26-28, 60, 230 Medienvielfalt 86, 131, 142 Medienwissenschaft 22- 25, 127, 232, 277 Medienwirkung 115-117, 118-125, 184, 208 meritorische Güter 134-135 mobile Kommunikation 74, 100, 111, 128-129, 136, 138, 145-146, 161-162, 176, 202, 273 Nachrichtenagentur 32, 35-36, 63, 73-74, 78, 139, 149, 150, 212, 219, 263 Nachrichtenfaktoren 15, 187, 196-197, 199-200, 205-207, 211 Nationalsozialismus 72-73, 81-82, 148, 231 New Journalism 197, 199, 201 Newsdesk 63, 171, 176-181, 248, 274 Newsroom 63, 168, 176-181, 221, 231, 248-249, 274 objective reporting 188, 194, 203, 212, 215 Objektivität 27, 68, 183, 186-189, 195 Öffentlichkeit 14, 15-17, 20, 23, 24, 27, 33, 76, 78, 80, 83, 89, 95, 120, 129, 133, 186, 191, 196, 199, 204, 251, 254, 256, 260 Öffentlichkeitsarbeit 22, 154, 188, 195, 204, 212-215, 218-219, 266 Online-Journalismus 95, 103, 111-112, 145-146, 160-162, 165-167, 173-181, 236, 240, 273 Operationalisierung 45 Österreich 11, 60, 63, 74, 81, 87, 91, 93, 136, 138, 141, 143, 163-165, 179, 186, 195, 200, 217-219, 227, 229, 231, 237, 246, 249, 255, 257, 266 Page Impressions 101 partizipativer Journalismus 197 Periodizität 14, 76 Pressefreiheit 17, 71, 72-73, 77-78, 79-82, 84-85, 90-94, 254, 257, 260 Pressekodex 17, 256-260 Presserat 18, 245, 248, 255, 257-261 Priming 119, 124 Professionalisierung 61, 220, 231, 237, 246, 274 Prognose 25, 28, 207, 261-275 Prozessjournalismus 269, 273 Public Journalism 16, 197, 200, 225 Public Relations 22, 56, 154, 188, 195, 204, 212-215, 218-219, 266 Public Service 88, 90, 92 Publikum 10, 14-15, 20, 27, 32-34, 40-44, 48-49, 61, 67-70, 97-108, 123, 137, 153, 179, 186-188, 191, 197, 201, 205, 208-209, 213-214, 223-226, 240, 242-244, 248, 255, 264, 273, 275 Publikumszeitschriften 149-155, 164-167 Publikumsbindung 106 Publizistik 9, 18, 21, 22-24, 26, 31, 116, 130, 193, 224, 232, 239, 278 Publizistische Einheit 141, 151-152 Publizität 76 Qualitätsforschung 244-245 Qualitätsmanagement 102, 175, 235-236, 245-249, 273-275 Quote 67, 69, 99-100, 102-103, 105, 132, 244, 273 ReaderScan 45, 102 Redaktion 17, 21, 35, 63, 68, 134, 152, 168-181, 187, 190, 194, 202, 204-205, 235, 231, 242, 245, 248, 265 Redaktionelles Marketing 106, 236, 245, 248, 273 Redaktionsforschung 54-55, 175, 204 Redaktionskonferenz 173, 243, 245, 247 Redaktionsorganisation 63-64, 70, 168-181, 236, 248, 274 Redaktionssystem 173-174, 180, 236 Reeducation 73, 81, 195 Reichweite 27-28, 42, 63, 91-92, 99-105, 111, 114, 117, 131, 139, 149, 153, 161-167, 262, 273 296 i n d e x Relevanz 14-15, 31-32, 34, 58, 60, 74-75, 86, 130, 185, 187-188, 198, 206, 242, 249 Reliabilität 46-47 Religion 29, 33-35, 169, 221, 259 Repräsentativität 46-47, 52, 55 Ressort 35-36, 53-54, 64, 77-78, 169-172, 176, 180, 203, 220, 236, 255, 274 Riepl’sches Gesetz 78 Risikokommunikation 121 Rollenselbstverständnis 68, 224-227, 229 Rundfunkräte 152-153, 245, 259 Rundfunkstaatsvertrag 155-156, 158 Rücklaufquote 46, 52 Schleichwerbung 86, 190, 214, 256, 259, 265 Schweigespirale 119-120, 124-125, 186 Schweiz 11, 60, 72 81, 87, 91, 93, 98, 102-103, 137, 141, 149, 166-168, 179, 186, 195, 200, 217-219, 227, 229, 231, 239, 244, 246, 248, 255, 257 Selbstkontrolle 18, 89, 91, 244, 255-257, 259 Sinus Milieus 104 Skandal 37, 121-122, 125, 203, 251, 257, 269 Smartphone 74, 100, 105, 116, 146, 151, 156, 161, 174, 265 Social Media 13, 20, 48-49, 107, 129, 131, 178, 191 soziale Netzwerke 68, 97-99, 112, 121-122, 130, 145, 176-178, 180, 190, 198 Spiegel-Urteil 84-85 Sponsoring 137, 215 Systemtheorie 27, 29-36 Tablet 74, 100, 156, 151 Total Quality Management 246 Transparenz 15-17, 34, 47, 68, 97, 106-107, 187, 242-243, 246, 249, 250, 259 Triangulation 48 Twitter 48, 61, 86, 94, 106, 129, 130, 145, 161, 235, 268 Unique User 100-101, 162, 167 Universalität 76 Unternehmenskommunikation 15, 181, 216 User Generated Content 129 Validität 45, 47 Vertrauen 15, 17, 34, 60, 85, 95, 123, 134, 227, 242 vierte Macht 16 Vollredaktion (siehe auch publizistische Einheit) 152 Volontariat 18, 231-232, 233, 235, 237, 245 Watchdog 18, 245 Web 2.0 61, 106-107, 145, 174, 262, 268 Weblogs (siehe auch Blogs) 20, 129, 191, 240, 266 W-Fragen 187, 197, 200 Whistleblowers 196, 252 Wikipedia 74, 174 Wissenschaftsjournalismus 77, 234, 236, 245 Wissenschaftstheorie 26, 39, 41, 187 Wissenskluft 120, 124 Wissensmanagement 174 Wochenzeitungen 124 Zeitungskooperation 152 Zeitungswissenschaft 23, 76, 175 Zielgruppe 14, 31, 68, 98, 102, 104-107, 155, 159, 168, 176, 187-188, 221, 213, 234-236, 240, 243, 248, 262, 266, 273 www.uvk.de Der Einfluss der Kirche auf die Wirtschaft Ökonomie und Kirche - das ist kein Widerspruch. Klöster häuften früher durch geschicktes Handeln ein gewaltiges Vermögen an. Heute finden religiöse Werte durch den Corporate-Governance-Kodex Eingang in die Geschäftswelt und christliche Parteien prägen die Wirtschaftspolitik. Auf das Spannungsfeld zwischen Staat, Wirtschaft und Gesellschaft gehen Päpste durch Sozialenzykliken seit dem 19. Jahrhundert ein: Leo XIII. forderte 1891 Lohngerechtigkeit sowie Arbeitnehmerrechte und gab damit der Sozialpolitik in Europa Aufwind. Weitere Sozialenzykliken folgten, wenn das freie Spiel der Marktkräfte zu sozialen Problemen führte. 2009 verwies Benedikt XVI. nach der Finanzkrise darauf, dass Globalisierung von einer »Kultur der Liebe« beseelt sein müsse. Damit brachte er die Globalisierung mit Verteilungsgerechtigkeit und Gemeinwohl in Zusammenhang. Auf die Sozialenzykliken der Päpste gehen die Autoren im Detail ein: Sie beleuchten den geschichtlichen Kontext ebenso wie deren Auswirkungen auf Wirtschaft und Politik. So skizzieren sie einen dritten Weg der Päpste - ein alternatives Wirtschaftskonzept zwischen Kapitalismus und Sozialismus. Hans Frambach, Daniel Eissrich Der dritte Weg der Päpste Die Wirtschaftsideen des Vatikans 2015, 283 Seiten, Flexcover ISBN 978-3-86764-600-0 19,99 € Der richtige Umgang mit Menschen im Beruf und Alltag Nello Gaspardo Von harten Hunden und hyperaktiven Affen Der richtige Umgang mit Menschen im Beruf und Alltag 2017, 158 Seiten, Hardcover ISBN 978-3-86764-834-9 Jeder Mensch ist einzigartig! Das ist fraglos richtig. Dessen ungeachtet finden Sie bei Ihren Mitmenschen wiederkehrende Charaktereigenschaften, mit denen Sie im Beruf und im Alltag umgehen müssen. Denken Sie nur an den harten Hund aus der Chefetage, den cleveren Fuchs aus dem Controlling oder den zappeligen, aber vor Ideen sprühenden Affen aus der Marketingabteilung. Der Kommunikations- und Verhandlungsexperte Nello Gaspardo skizziert neun solcher Typen anhand von Tierbildern. Er zeigt deren Stärken und Schwächen auf und verrät Ihnen pointiert, was Sie im Umgang mit diesen Menschen unbedingt wissen sollten und wie Sie mit diesen Typen richtig kommunizieren. Das Buch ist ein unverzichtbarer Ratgeber für alle, die im Beruf und im Alltag gemeinsam mit anderen Menschen schnell und harmonisch Ziele erreichen möchten. www.uvk.de Moderne www.uvk.de Die Epoche der Moderne wurde inzwischen durch das digitale Zeitalter abgelöst. Nun ist es an der Zeit Bilanz zu ziehen: Wie kann die Moderne in ihrer Gesamtheit dargelegt werden? Welche Errungenschaften hat sie hervorgebracht? Sind die Werte, Ziele und Normen der Moderne im digitalen Zeitalter nun obsolet? Werner Heinrichs liefert die Antworten. Er beleuchtet alle kulturellen, sozialen, wirtschaftlichen und naturwissenschaftlichen Aspekte der Epoche auf spannende Weise. Damit unterscheidet sich der Ansatz dieses Buches deutlich von einschlägigen Kulturgeschichten des 20. Jahrhunderts, die die Moderne nur als eine Zeit der Entwicklung der Künste und gesellschaftspolitischer Veränderungen wahrnehmen. Es beinhaltet außerdem viele originelle und spannende Zitate berühmter Persönlichkeiten. Dieses Buch richtet sich an Studierende wirtschafts- und sozialwissenschaftlicher Studiengänge und eignet sich ebenfalls als Nachschlagewerk für Leser mit kulturellem und geschichtlichem Interesse. Werner Heinrichs Die Moderne Bilanz einer Epoche 2017, 510 Seiten, Hardcover ISBN 978-3-86764-808-0 Bilanz einer Epoche www.uvk.de Neues Vertrauen schaffen Das Vertrauen in unsere Währungen sinkt: Die Zentralbanken fluten die Finanzmärkte mit billigem Geld. In Deutschland boomt die Wirtschaft, während in anderen Euro-Ländern hohe Arbeitslosigkeit und Staatspleiten drohen. Kann ein System mit Niedrigzins, Deflationsgefahr und geliehenem Wohlstand dauerhaft bestehen oder sollte eine Suche nach alternativen Geldsystemen beginnen? Schließlich haben Menschen seit jeher auch andere Tausch- und Finanzsysteme verwandt. Und: Heute sind Miles & More-Punkte, realer Warentausch oder digitale Währungen wie Bitcoins bereits Realität. Auch die Systemfrage stellt sich: Sollten allein Zentralbanken Geld ausgeben oder auch die Geldausgabe frei für Jedermann möglich sein? Lernen Sie durch das Buch mehr über das aktuelle Geldsystem und seine Alternativen in Form von Ersatz- oder Komplementärwährungen, die neues Vertrauen schaffen könnten. Ottmar Schneck, Felix Buchbinder Eine Welt ohne Geld Alternative Währungs- und Bezahlsysteme in einer immer turbulenteren Finanzwelt 2015, 250 Seiten, Flexcover ISBN 978-3-86764-601-7 19,99 €