Redaktionelle Strategien entwickeln
Analyse – Geschäftsmodelle – Konzeption
0717
2017
978-3-8385-4834-0
978-3-8252-4834-5
UTB
Lars Rinsdorf
Die Digitalisierung hat tiefgreifende Folgen für den Journalismus und die Medienunternehmen, die journalistische Formate anbieten. Es ergeben sich faszinierende Möglichkeiten für die Aufbereitung aktueller Themen. Gleichzeitig fordern ein verschärfter Wettbewerb im Internet und kurze Innovationszyklen den Journalismus heraus. Lars Rinsdorf zeigt, wie man unter diesen Bedingungen erfolgreich digitale redaktionelle Strategien entwickeln kann.
Basierend auf einem zeitgemäßen Strategieverständnis, das die Organisationsstrukturen in den Mittelpunkt rückt, werden die Leser anschaulich durch den redaktionellen Strategieprozess geführt: von der Analyse über die Entwicklung strategischer Szenarien und das Design von Geschäftsmodellen bis hin zur Konzeption von neuen Medienprodukten.
<?page no="1"?> Prof. Dr. Lars Rinsdorf lehrt Journalistik an der Hochschule der Medien in Stuttgart und leitet dort den Studiengang Crossmedia- Redaktion/ Public Relations. <?page no="2"?> Lars Rinsdorf Redaktionelle Strategien entwickeln Analyse - Geschäftsmodelle - Konzeption UVK Verlagsgesellschaft mbH · Konstanz mit UVK Lucius · München <?page no="3"?> Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www.utb-shop.de. Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.ddb.de> abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz und München 2017 Lektorat: Klose Textmanagement, Berlin Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Coverbild: alphaspirit/ Shutterstock.com Satz: Claudia Wild, Konstanz Druck und Bindung: Pustet Regensburg UVK Verlagsgesellschaft mbH Schützenstr. 24 · D-78462 Konstanz Tel.: 07531-9053-0 · Fax: 07531-9053-98 www.uvk.de UTB-Band Nr. 4834 ISBN 978-3-8252-4834-5 <?page no="4"?> 5 Vorwort »Organisationen halten Leute beschäftigt, unterhalten sie bisweilen, vermitteln ihnen eine Vielfalt von Erfahrungen, halten sie von der Straße fern, liefern Vorwände für [das] Geschichtenerzählen und ermöglichen Sozialisation. Sonst haben sie nichts anzubieten.« Diese Einsicht von Weick (1995: 375) passt gut zu diesem Buch. Schließlich sollen Strategien zwischen Organisationen und ihrer Zukunft vermitteln. Auch wenn die Hochschule der Medien mich mitunter mehr beschäftigt als gewünscht, möchte ich deren kreative Atmosphäre ebenso wenig missen wie meine Kolleginnen und Kollegen des Studiengangs Crossmedia-Redaktion/ PR, deren Humor ich ebenso schätze wie deren fachlichen Rat. Dass dieses Buch so unterhaltsam ist wie manch ein Team-Meeting, ist aber eher unwahrscheinlich. Mein Ziel ist, mit diesem Band Studierenden vielfältige Eindrücke von Strategiearbeit zu vermitteln. Falls dies misslingen sollte, hält es sie immerhin während der Lektüre von der Straße fern. Das erledigen für mich die Deutsche Bahn, die Schweizerischen Bundesbahnen, die Société Nationale des Chemins de fer Français und die Nederlandse Spoorwegen, in deren komfortablen Wagen dieses Buch über weite Strecken entstanden ist. Vorwände für Geschichten würde meine Zeit in der Verlagswelt durchaus bieten. Aber obwohl viel Praxiserfahrungen in diesem Buch stecken, erspare ich Ihnen die Anekdoten. Und ich hoffe, dass man meine berufliche Sozialisation als Journalist diesem Buch anmerkt, obwohl es überwiegend um Management geht. Ob es sonst noch etwas zu bieten hat, möge jede Leserin und jeder Leser selbst entscheiden. Stuttgart, im April 2017 <?page no="6"?> 7 Inhalt Vorwort 5 Einleitung 9 Abschnitt 1 1 Journalismus und Digitalisierung 15 2 Strategie als Bindeglied von Organisation und Umwelt 37 Abschnitt 2 3 Zentrale Dimensionen redaktioneller Strategiearbeit 55 4 Strategieprozesse initiieren 75 5 Analyse: Daten sammeln und verdichten 87 6 Analyse: Szenarien entwickeln und strategische Fragen formulieren 111 7 Umsetzung: Wertschöpfung verstehen 123 8 Umsetzung: Produkte entwickeln und Strukturen ausprägen 135 Literaturverzeichnis 153 <?page no="8"?> 9 Einleitung Der Vesuv gilt als einer der gefährlichsten Vulkane Europas. Die Ruinen von Pompeji sind ein eindrücklicher Beleg für seine Zerstörungskraft. Ein erneuter Ausbruch hätte gravierende Folgen für die Menschen in seiner Umgebung. Vulkanologen halten einen Ausbruch innerhalb der nächsten Jahrzehnte sogar für ziemlich wahrscheinlich. Gleichwohl bauen Menschen neue Häuser in der Gefahrenzone, bestellen die fruchtbaren Äcker an den Hängen des Vesuvs oder genießen den grandiosen Ausblick auf den Golf von Neapel. Und das aller Anstrengungen der Regierung in Rom zum Trotz, Menschen aus der Gefahrenzone in sichere Gebiete umzusiedeln. Warum tun Menschen so etwas? Verhaltensökonomen bezeichnen dieses Phänomen als »Experience Bias« (Grüne-Yanoff/ Hertwig 2016): Entscheidern fällt es generell schwer, Wahrscheinlichkeiten richtig einzuschätzen. Deshalb verlassen Sie sich auf Heuristiken. Persönliche Erfahrungen spielen dabei eine wichtige Rolle. Wenn selbst die eigene Urgroßmutter sich nicht mehr an einen Ausbruch des Vesuvs erinnern kann, hält man diese Gefahr für unbedeutend. 1 Alles klar, typisch Italien, hier bei uns könnte so etwas nicht passieren, mag man denken. Stereotype und mitteleuropäische Überheblichkeit sind gerade in diesem Kontext reichlich deplatziert. Dafür reicht ein Blick auf mittelständische Zeitungsverlage in Deutschland. Mögen die Renditen auch nicht mehr so groß sein wie in früheren Jahren, sind die Erträge aus dem etablierten Geschäftsmodell doch noch immer so groß, dass man zumindest dann noch sehr gut davon leben kann, wenn man seine Prozesse auf Effizienz trimmt. Und obwohl man weiß, dass das eigene Geschäftsmodell zu implodieren droht, tut man sich schwer damit, Alternativen zu entwickeln. Es hat doch alles so gut funktioniert in den vergangenen einhundert Jahren. Und zur Ehren- 1 Mein Dank für dieses anschauliche Beispiel geht an Ralph Hertwig, Direktor des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, Berlin. <?page no="9"?> 10 rettung der Zeitungsbranche: Radio- und TV-Unternehmen verhalten sich grundsätzlich nicht anders. Gleichwohl: Metatrends wie Datafizierung, Mediatisierung und künstliche Intelligenz stellen Gewissheiten infrage, die in Redaktionen über Generationen von Journalisten Bestand hatten. Und manchmal reibt man sich verwundert die Augen, in welchem Tempo sich die Rahmenbedingungen für redaktionelles Arbeiten fundamental verändern. Fast noch mehr erstaunt es im Nachhinein, als wie stabil sich ein institutionelles Arrangement erwiesen hat, in dem eine vielfältige Berichterstattung nicht nur Garant für hohe Reichweiten und stabile Werbeerlöse, sondern auch für eine funktionierende politische Öffentlichkeit war (Jarren 2016). Je dynamischer sich aber die institutionelle Umwelt journalistischer Organisationen entwickelt, desto eher lässt sich der Sinn von Planung und Strategieentwicklung infrage stellen. Was nützt die sorgfältige Marktanalyse, wenn alle paar Monate bislang unbekannte Player den Markt aufrollen? Was bringt es uns, eine strategiekonforme Struktur zu implementieren, wenn sich die Anforderungen an Prozesse und Qualifikationen schneller ändern, als man Organigramme ändern kann? Die Antwort auf diese Frage ist: Planvolles Handeln und redaktionelle Strategien sind unter hoher Ungewissheit wichtiger denn je. Anachronistisch ist allenfalls ein traditionelles Strategieverständnis, das unter den Rahmenbedingungen relativ stabiler Anbietermärkte entwickelt worden ist (Bruhn 2009: 35). Diese Position wird im vorliegenden Lehrbuch zunächst genauer begründet. Anschließend wird entlang eines idealtypischen Strategieprozesses dargestellt, was redaktionelle Strategiearbeit im Einzelnen bedeutet und wie eine journalistische Organisation davon profitieren kann. Das Buch gliedert sich in acht Kapitel. In den Kapiteln 1 und 2 werden die theoretischen Grundlagen für das weitere Vorgehen gelegt. Kapitel 1 umreißt zunächst die zentralen Herausforderungen, vor denen der Journalismus im 21. Jahrhundert steht, und skizziert die theoretischen Ansätze, mit denen sich dieser Wandel beschreiben lässt. Daraus ergeben sich wichtige Anknüpfungspunkte an das Kapitel 2. Hier geht es um die Entwicklung eines <?page no="10"?> 11 zeitgemäßen Strategieverständnisses, das Strategien als »Set von Regeln und Ressourcen« (Ortmann 2010: 10) einer Organisation beschreibt, die in der Lage ist, auch kurzfristig Antworten auf strategische Fragen zu finden, die sich aus geänderten Umweltbedingungen ergeben, zum Beispiel die Erosion eines bestehenden Erlösmodells. In den Kapiteln 3 bis 8 steht der redaktionelle Strategieprozess im Mittelpunkt. Hierzu werden zunächst die theoretischen Überlegungen zum Wandel des Journalismus einerseits und zum Strategieverständnis andererseits zu einem integrativen Ansatz zusammengeführt (Kapitel 3). Dieser Ansatz betont den reflexiven und zyklischen Charakter redaktioneller Strategiearbeit, in dem sich Phasen der Offenheit und Phasen der Verdichtung abwechseln: angefangen bei der Initiierung und aktiven Steuerung von Strategieprozessen (Kapitel 4) über die breite strategische Analyse (Kapitel 5), die Verdichtung dieser Befunde zu handlungsleitenden Szenarien (Kapitel 6), die Entwicklung eines Sets realistischer Handlungsalternativen (Kapitel 7) bis hin zur Auswahl und Umsetzung von Handlungsoptionen (Kapitel 8). Der hier vorgestellte Ansatz ist nicht als Blaupause geeignet, die sich auf jede strategische Fragestellung im redaktionellen Bereich anwenden lässt. Das hieße, die Vielfalt der Umweltbedingungen, Zielvorstellungen und Organisationsvarianten in westlich geprägten Mediensystemen zu unterschätzen. Vielmehr benennt der Ansatz zentrale Aspekte praktischer Strategiearbeit. Die Schwerpunkte ergeben sich aus der jeweiligen Herausforderung. Sinnvoll anwenden lässt er sich gleichwohl nur unter den Voraussetzungen eines freien Wettbewerbs um die Aufmerksamkeit, das Geld, die Daten oder andere wertvolle Ressourcen des Publikums. Dessen implizite und explizite Bedürfnisse stehen letztlich im Fokus jeder redaktionellen Strategiearbeit. Zu diesen Bedürfnissen zählt zweifellos der Wunsch, sich in kurzer Zeit schnell einen Überblick über die wichtigsten Fakten verschaffen zu können. Dem versucht das Buch durch Zusammenfassungen zu Beginn jedes Kapitels gerecht zu werden. Jedes Kapitel arbeitet lediglich zentrale Aspekte des jeweiligen Schritts im Strategieprozess heraus. Für Leser, die tiefer in die Thematik <?page no="11"?> 12 einsteigen wollen, schließt jedes Kapitel mit einer Literaturempfehlung für ein theorie- und ein praxisorientiertes Buch zum jeweiligen Thema ab. <?page no="12"?> 13 Abschnitt 1 <?page no="14"?> 15 1 Journalismus und Digitalisierung Die Metatrends der Digitalisierung und Mediatisierung verändern Wirtschaft und Gesellschaft grundlegend und weit über das hinaus, was bislang als Medienkonvergenz beschrieben wird. Ein hohes Innovationstempo führt zu Hyperwettbewerb und ungewissen Umwelten, in denen Medienunternehmen und Redaktionen agieren müssen. Dies legt generell einen stärker unternehmerisch geprägten Managementstil nahe. Vor allem bringt die Digitalisierung aber tiefgreifende Veränderungen hinsichtlich der Rolle des Journalismus in der Gesellschaft, der Mediennutzungsmuster seines Publikums, der professionellen Praktiken in Redaktionen und den Geschäftsmodellen von Medienunternehmen, die journalistische Angebote vertreiben, mit sich. Redaktionelle Strategien sind Bindeglieder zwischen journalistischen Organisationen und ihrer Umwelt. Sie skizzieren zukünftige Veränderungen in der Umwelt und entwickeln Vorstellungen davon, wie sich die Organisation an diesen Wandel anpassen kann. Eine passende Strategie kann aber wiederum nur aus einem Strategieprozess entstehen, der Dynamiken in der organisationalen Umwelt angemessen abbildet. Bevor ein idealtypischer Strategieprozess entwickelt werden kann, müssen daher die Dynamiken beschrieben werden, die diese Umwelt prägen. Und gerade weil gute redaktionelle Strategien ein umfassendes Bild der Umwelt zeichnen, erscheint es sinnvoll, nicht nur auf neue Mediennutzungsmuster und Prozessinnovationen zur Produktion journalistischer Inhalte einzugehen. Vielmehr werden in diesem Kapitel zunächst technologische und gesellschaftliche Metatrends vorgestellt, die die gesamte Gesellschaft und damit auch den Journalismus prägen. Anschließend werden die generellen Konsequenzen dieser Trends für den Charakter von Märkten dargestellt, denen zeitgemäße Strategiearbeit gerecht werden muss. Innerhalb dieses Rahmens lassen sich dann aktuelle Herausforderungen für den Journalismus besser einordnen. <?page no="15"?> 16 Auf der Ebene der Metatrends lässt sich berechtigt darüber streiten, ob nun technologische Innovationen gesellschaftlichen Wandel determinieren oder erst die Aneignung einer Technologiedurch Menschen bzw. deren Einbettung in kulturellen Praktiken Marktdynamiken auslösen. Unbestritten ist aber, dass sich gesellschaftliche Veränderungen im 21. Jahrhundert nicht mehr erklären lassen, ohne technologischen Wandel zu berücksichtigen. Aktuelle Vertreter der Akteur-Netzwerk-Theorie gehen sogar so weit, Technologien als Aktanten einen gleichberechtigten Status zu menschlichen Akteuren zuzusprechen, um gesellschaftliche Veränderung zu erklären (Domingo et al. 2015). Diese theoretische Position lässt sich zwar durchaus kritisieren, etwa bezogen auf die Verschleierung von gesellschaftlichen Machtpositionen, die sich aus der Verfügbarkeit über Technologien ergeben (Hammond 2015: 14 f.). Aber sie sensibilisiert in jedem Fall dafür, technologischen Entwicklungen einen größeren Stellenwert beizumessen, statt sie lediglich als Komponente einer Wertschöpfungskette zu betrachten. Bezogen auf Medienhäuser und Redaktionen ist die Digitalisierung der mit Abstand wichtigste Treiber für Veränderung. Hierunter ist zunächst die Kombination von vier technologischen Trends zu verstehen, die die Medienlandschaft nachhaltig verändert haben: • erstens die Ablösung von bestimmten Inhalten an spezifische Übertragungsmedien; • zweitens die stetige Steigerung der Leistungsfähigkeit von Speichermedien und Prozessoren, die zahlreiche neue Optionen eröffnet haben, Medieninhalte zu produzieren; • drittens die Vernetzung von (mobilen) Endgeräten mit kontinuierlichen Bandbreitenzuwächsen, die wesentlich dazu beigetragen haben, Medieninhalte tiefer denn je in alltägliche Routinen einzubetten; • viertens schließlich die Etablierung von Standardprotokollen und offenen Schnittstellen als Basis für eine umfassende Vernetzung von Inhalten. Gemeinsam haben diese vier Trends Medienkonvergenz im Sinne einer Serie tiefgreifender Veränderungen in Technologie, Infra- <?page no="16"?> 17 struktur, Konsumentenverhalten und Wettbewerbsdynamiken ermöglicht. Medienkonvergenz hat nicht nur Medienunternehmen eine Reihe neuer Wettbewerber beschert, sondern auch die Geschäftsmodelle vieler Unternehmen jenseits von Medien, Telekommunikation und IT-Technologie beeinflusst (Rose et al. 2009: 1). Die Substitution von Kleinanzeigen durch Online-Portale oder der einschneidende Wandel der Musikindustrie durch Streaming-Dienste sind nur zwei prominente Beispiele für diese Stufe medialen Wandels, wie er sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts vollzogen hat. Schon diese spezifische Kombination von Technologien hat die Medienbranche stark unter Druck gesetzt. Dabei hatten dieselben Medienunternehmen zuvor von IT-Innovationen außerordentlich profitiert, und zwar vor allem deshalb, weil man sowohl deren Produktionsprozesse als auch deren unterstützende Prozesse deutlich effizienter gestalten konnte. Dieser kurze Rückblick ist besonders hilfreich, wenn man sich den exponentiellen Charakter der Digitalisierung vor Augen führt, auf den etwa Brynjolfsson und McAfee (2015: 57 ff.) verweisen. Demnach hat sich allen Unkenrufen zum Trotz die Rechenleistung von Chips in überschaubaren Zeiträumen verdoppelt, auch weil scheinbare technologische Grenzen durch kreative Ingenieure umgangen wurden. Diese Dynamik erhält weitere Nahrung durch die Digitalisierung von zuvor analogen Peripheriegeräten, wie etwa Kameras oder Mikrofonen, deren Leistungsfähigkeit nun ebenfalls exponentiell steigt. Vor allem aber können die beiden MIT-Ökonomen aus einer technologiehistorischen Perspektive zeigen, dass wir bislang nur den vergleichsweise flachen Teil der digitalen Wachstumskurve erlebt haben. Die wahre digitale Wachstumsdynamik stehe noch aus. Wir stehen, so Brynjolfsson und McAfee, vor der »zweiten Hälfte des Schachbretts« (ebd.: 61) - unter Verweis auf den Mythos des vermeintlich bescheidenen Vasallen, der ein Reiskorn in die Ecke eines Schachbretts legt und von seinem Herrscher als Lohn verlangt, er möge auf jedem der 64 Felder den Ertrag verdoppeln. Selbst wenn diese Prognose ein Stück weit von robustem US-amerikanischem Wachstumsoptimismus geprägt sein mag, hat die Digitalisierung eine Stufe erreicht, die sich qualitativ vom <?page no="17"?> 18 Konvergenzverständnis des frühen 21. Jahrhunderts unterscheidet. An zwei sich gegenseitig stimulierenden Phänomenen wird dies besonders sichtbar. Da ist zum einen die Datafizierung: Hier geht es darum, dass Menschen, Güter und Geräte in immer mehr Bereichen des Zusammenlebens ein dichtes, multidimensionales Netz von Daten hinterlassen. Dieses Netz ist weitaus komplexer als die mitunter auch bereits beachtlich großen, aktiv zusammengetragenen Datensätze aus der frühen Ära des Customer-Relationship-Managements. Und diese Komplexität wird, zum anderen, nicht mehr nur von Algorithmen erschließbar, die durch Menschen optimiert wurden, sondern durch künstliche Intelligenz, also Formen maschinellen Lernens, die Lösungsansätze eigenständig weiterentwickeln. Datafizierung und künstliche Intelligenz führen zu einer qualitativ neuen Art von Analyse. Es geht nicht mehr allein um die theoriegeleitete, hypothesentestende Aufbereitung von Aggregatdaten. Hinzu tritt die Echtzeitanalyse von Mustern in Individualdaten. Um diese Muster zu erkennen, benötigt man allerdings Technologie, wie zum Beispiel Visualisierungsprogramme (vgl. Antoniou/ van Harmelen 2008; Mancosu 2005). Das Web ist damit nicht länger eine Kommunikationsplattform. Vielmehr sind in seine technologische Struktur in zunehmendem Umfang soziale Phänomene eingebettet, die sich mit einer geeigneten Methodologie entschlüsseln lassen (vgl. Rogers 2013). Dieses Phänomen ist weit mehr als ein hochinteressanter Gegenstand für erkenntnistheoretische Debatten unter Techniksoziologen. Denn die zunehmende Mediatisierung (Krotz 2007) der Gesellschaft rückt den Zugriff auf und die Aufbereitung von Daten in den Mittelpunkt von Geschäftsmodellen in einer digitalisierten Wirtschaft. Auch diese datengestützte Ökonomie profitiert von den hinlänglich bekannten Treibern digitalen Wachstums wie der Nichtrivalität im Konsum und vernachlässigbar geringen Grenzkosten. Hinzu kommt die zunehmende Automatisierung von Wertschöpfung und ihre »intelligente« Ausgestaltung (Eckert 2016: 3) durch die Verbindung von sozialen Netzwerken mit mobilen Endgeräten, Cloud-Services und leistungsstarken Analyseinstrumenten. <?page no="18"?> 19 Ihre eigentliche Kraft bezieht sie aber aus der Rekombination existierender Technologien, Services und Produkte. Denn bereits ein überschaubares Set von relevanten Ideen führt zu einer sehr hohen Zahl von möglichen Kombinationen, die unter Umständen wirtschaftlichen Erfolg versprechen. Die Herausforderung liegt dann weniger darin, neue Ideen zu entwickeln, als vielmehr kundenrelevante Kombinationen möglichst schnell zu identifizieren und zu realisieren (Brynjolfsson/ McAfee 2015: 101 f.). Zur Veranschaulichung denke man nur an die vielfältigen Daten, die die Träger von Millionen von Fitnessarmbändern im wahrsten Sinne des Wortes beiläufig an ihre Service-Provider liefern, von denen die Pharmaindustrie ebenso profitieren kann wie die Krankenkassen, ein Hersteller von Sportbekleidung oder ein leistungsdiagnostikhungriger Freizeitsportler. Der hier nur holzschnittartig beschriebene Metatrend der Digitalisierung befördert wesentlich die stetige Zunahme der Wettbewerbsintensität. Schon vor mehr als zwanzig Jahren prägte D’Aveni (1994) den Begriff des Hyperwettbewerbs für diese neue Marktsituation, deren zentrale Charakteristika heute in vielen Branchen deutlich sichtbar sind (Ortmann 2010: 24): • beschleunigter technologischer, politischer oder kultureller Wandel; • niedrige Ein- und Austrittsbarrieren für Wettbewerber; • unklare und volatile Konsumentenbedürfnisse; • schnelle Erosion wertvoller Ressourcen und Kompetenzen; • Kannibalisierung von Produktideen; • Überspringen existierender Standards; • verschwimmende Grenzen zwischen Konkurrenz, Substitution und Markteintritt; • beständige Versuche der Marktteilnehmer, Eintrittsbarrieren zu errichten und niederzureißen. Wer Hyperwettbewerb verstehen will, muss sich nur in die Lage eines großen deutschen Energieversorgers versetzen. Dessen Kernkraftwerke fallen aufgrund politischer Entscheidungen als Erlösquelle aus. Die konventionellen Kraftwerkskapazitäten erweisen sich angesichts des unerwartet starken Wachstums erneu- <?page no="19"?> 20 erbarer Energien als überdimensioniert. Großtechnologiekompetenz verliert in dezentralen Netzwerken an Wert. Ebenso sind hohe Investitionssummen in Großkraftwerke keine Markteintrittsbarrieren mehr. Als Konsequenz dieser Dynamiken wandelt sich sogar möglicherweise ein Teil der ehemaligen privaten Endkunden nach und nach zu einem ernst zu nehmenden Wettbewerber in Form einer Community von Mikrostromerzeugern, die dank Blockchain-Technologie ihren Solarstrom selbst vermarkten kann. Unter den Bedingungen des Hyperwettbewerbs verschiebt sich der Fokus von Unternehmen noch einmal weiter. Führte historisch eine stetig steigende Wettbewerbsintensität zu einem Wandel von der Produktüber die Marktzur Kundenorientierung, geht es heute darum, das gesamte Wertschöpfungsnetzwerk des eigenen Unternehmens im Blick zu behalten (Bruhn 2009: 35). Laut Eckert (2016: 3 ff.) sind folgende Aspekte charakteristisch für diesen neuen Managementstil: »Rapid Interaction«, also die schnelle Entwicklung und Anpassung von Produkten und Dienstleistungen, »Process Recombination«, verstanden als tiefe Verschränkung von Technologie und menschlichen Akteuren in Geschäftsprozessen, sowie »Edge Centricity«, die Verlagerung möglichst vieler relevanter Entscheidungen an Akteure mit intensiven Kundenkontakten. Für die Strategiearbeit ist der Hintergrund dieser umsetzungsorientierten Fokussierung besonders bemerkenswert. Diese ist zunächst der Tatsache geschuldet, dass in dynamischen Umwelten die Wettbewerbsintensität nicht mehr nur von der generellen Branchenstruktur abhängt, sondern zusätzlich auch davon bestimmt wird, wie schnell die Akteure tragfähige Geschäftsideen realisieren können (ebd.: 3). Weitaus wichtiger ist aber der Umstand, dass sich der Charakter unternehmerischer Entscheidungen unter den Bedingungen des Hyperwettbewerbs verändert. Denn in einer unklaren und volatilen Umgebung lassen sich die Folgen einer Entscheidung zunehmend schwerer einschätzen. Bennett und Lemoine (2014) haben für diese Situation das Akronym VUCA geprägt. Umwelten sind demnach <?page no="20"?> 21 • »volatile«, weil sie sich schnell und unvorhersehbar verändern können, • »uncertain«, und daher schwer zu durchschauen und schwer planbar, • »complex«, da relevante Einflussfaktoren auf vielfältige Weise voneinander abhängen, sowie • »ambiguous«, weil auch Experten Entwicklungen kaum noch prognostizieren können. In stabilen Märkten treffen Unternehmen Entscheidungen unter Risiko, bei denen sich Erfolg und Misserfolg aufgrund der eigenen Markterfahrung halbwegs gut kalkulieren lassen. In dynamischen Märkten ändert sich das. In der milden Variante muss man Entscheidungen unter Unsicherheit treffen: Hier lassen sich zwar noch die Alternativen beschreiben, aber nicht mehr die Eintrittswahrscheinlichkeiten. In einer extremen Ausprägung spricht man sogar von Entscheidungen unter Ungewissheit: Hier fällt es nicht nur schwer, plausible Alternativen zu benennen, sondern die Alternativen verändern sich auch noch im laufenden Entscheidungsprozess (Grichnik et al. 2016: 41). Die Gründung einer neuen Lokalausgabe ist zum Beispiel für einen Zeitungsverlag eine Entscheidung unter Risiko. Die wesentlichen Parameter, nämlich Vertriebskosten, Anzeigenerlöse, Vertriebserlöse und Kundenzufriedenheit, können halbwegs plausibel eingeschätzt werden. Der Einstieg desselben Verlages in ein Kleinanzeigenportal ist eine Entscheidung unter Unsicherheit. Es fehlt zwar die Markterfahrung für plausible Prognosen, aber Erfolgs- und Misserfolgsszenarien lassen sich halbwegs plausibel beschreiben. Wie sich der gleiche Verlag allerdings mittelfristig unter dem Druck starker Intermediäre wie Google oder Facebook behaupten soll, lässt sich kaum in solide Prognosen fassen. Anders formuliert: Entscheidungen fallen unter Ungewissheit. In einem ungewissen Umfeld verschiebt sich dann auch der Fokus in der Entscheidungsfindung. Mangels tragfähiger Prognosen treten Langfristigkeit und detaillierte Planung hinter Ansatzpunkten zurück, die sich aktuell tatsächlich gestalten lassen. Diese unter dem Begriff der »Effectuation« bekannte Methode unter- <?page no="21"?> 22 scheidet sich in mehrfacher Hinsicht vom strategischen Management klassischer Prägung. Grichnik et al. (2016: 45 f.) nennen fünf Grundmuster, die diesen Ansatz auszeichnen: 1. Zukunftsorientierung: Statt viel Energie in Marktprognosen zu stecken, wird der Markt aktiv gestaltet und idealerweise ein neuer Trend gesetzt. 2. Mittelorientierung: Statt Visionen und aufwändige Zielsysteme zu entwickeln, sucht man gezielt nach Ergebnissen, die sich mit aktuell im Unternehmen verfügbaren Ressourcen realisieren lassen. 3. Leistbarer Verlust: Chancen und Investitionen werden nicht danach bewertet, was man womöglich verdienen kann, sondern daran, welchen Betrag man bereit zu verlieren ist. 4. Das Prinzip der Umstände und Zufälle: Ungeplante Verläufe und Probleme werden bewusst als Gelegenheiten genutzt, bestehende Ideen zu verbessern. 5. Prinzip der Partnerschaften: Man sucht nicht lange nach dem optimalen Partner oder definiert aufwändig ideale Zielgruppen, sondern arbeitet pragmatisch mit früh gewonnenen Partnern zusammen. In all diesen Grundmustern wird dieselbe Logik sichtbar: Langfristig angelegtes, kleinteiliges und hierarchieorientiertes Handeln wird ersetzt durch kurzfristig angelegtes, zyklisches, in dem Zwischenergebnisse schnell realisiert und immer wieder korrigiert werden können. Das ist, so wird sich im folgenden Kapitel zeigen, beileibe nicht das Ende der strategischen Unternehmensführung. Aber es hat Konsequenzen für den Strategieprozess, der an die Bedingungen des Entscheidens unter Ungewissheit angepasst werden muss. Dabei kann dieser Prozess ironischerweise gerade von den Dynamiken profitieren, denen sich Strategiearbeit anpassen muss, nämlich der hohen Verfügbarkeit großer Datenmengen und den Potenzialen von Algorithmen im Allgemeinen und künstlicher Intelligenz im Besonderen. Denn sie ermöglichen es, in kürzerer Zeit ein hochaufgelöstes Bild der Unternehmensumwelt zu erhalten, das stetig aktualisiert werden kann. <?page no="22"?> 23 Die bis hierhin geschilderten Dynamiken sind wenigstens in dem Sinne global, als sie Wirtschaft und Gesellschaft insgesamt betreffen und nicht nur einzelne Branchen. Im Umkehrschluss gilt daher, dass sich diese Dynamiken auch in der Medienindustrie niederschlagen bzw. auf diejenigen Medienunternehmen, in deren Geschäftsmodellen Journalismus als hochwertige Dienstleistung eine signifikante Rolle spielt. Bevor diese Auswirkungen genauer beschrieben werden, seien zwei kurze Vorbemerkungen erlaubt, die wesentlich für das hier vertretene Verständnis von redaktioneller Strategiearbeit sind. Die erste Vorbemerkung betrifft den Grundcharakter des Wertschöpfungsbeitrags, den Journalismus leistet. Hier war im vorigen Absatz sehr bewusst von Dienstleistungen die Rede und nicht von Produkten oder Inhalten. Keine Frage: Journalisten schreiben Texte, sprechen Radio-Features ein, drehen Videos oder produzieren Multimedia-Reportagen. Aber Texte und Filme sind letztlich nur die Träger für die eigentliche Funktion, nämlich die Bereitstellung gesellschaftlich und individuell relevanter Informationen. So »ketzerisch«, wie etwa Jeff Jarvis (2015: 25) diese Unterscheidung hinstellt, ist sie bei genauerem Hinsehen nicht, denn letztlich ergibt sie sich schon aus der bereits vor vielen Jahren entwickelten theoretischen Perspektive auf Journalismus als Funktionssystem (stellvertretend für viele: Kohring 2004). Für redaktionelle Strategiearbeit - nicht für den journalistischen Alltag - bedeutet das: Es geht eben nicht um Produktkonzeption oder »Content Strategy« (Halvorson/ Rach 2015) oder ein »digitales Narrativ« als Strategie (Jakubetz 2016), sondern um ein umfassendes Verständnis von Wertschöpfung in Bezug auf journalistische Angebote. Die zweite Vorbemerkung betrifft das Verhältnis von Medienunternehmen und Journalismus. Hier reicht die Bandbreite der Positionen von Verfechtern eines symbiotischen Ansatzes im Sinne eines unternehmerischen Journalisten (Jarvis 2015: 155) bis hin zu Befürwortern einer strikten Trennung dieser Bereiche, die auf die grundsätzlich unterschiedlichen systemischen Orientierungshorizonte von Wirtschaft und Journalismus verweisen (Altmeppen 2014: 17). <?page no="23"?> 24 So überzeugend Jarvis’ Kritiker auch vortragen, dass sein Idealtyp des unternehmerischen Journalisten angesichts der realen ökonomischen Entwicklung im Nachrichtengeschäft naiv erscheine (Compton/ Benedetti 2011: 56), so klar ist aber auch, dass diese Idealvorstellung durchaus zutreffend auf die Notwendigkeit eines »erkundende[n] Handeln[s] in kleinen Schleifen« (Grichnik et al. 2016: 47) verweist, das man im Kontext der Effectuation sehr wohl als unternehmerisch bezeichnen kann. Vor diesem Hintergrund verlieren auch die fraglos guten Argumente der Befürworter einer strikten Trennung der wirtschaftlichen und journalistischen Sphären an Schärfe, da es eben nicht mehr um prinzipiell unvereinbare Zielsysteme geht, sondern um eine spezifische Perspektive auf die Gestaltung von Trends innerhalb und außerhalb der eigenen Organisation. So stark man den Gegensatz auch formulieren mag, so wenig kommt redaktionelle Strategiearbeit darum herum, diese Differenzen zu berücksichtigen. Auch dies spricht für eine umfassende Sicht auf Journalismus und die Geschäftsmodelle, in die er eingebettet ist. Abb. 1: Auswirkungen der Digitalisierung auf den Journalismus Phase 1: Konvergenz Phase 2: Digitalisierung Geänderte Rolle des Journalismus Neue professionelle Routinen Neue Mediennutzungsmuster Neue Erlösmodelle Neue Wettbewerber Neue Technologien Hyperwettbewerb Ungewissheit Ablösung Inhalte von Trägermedien Leistungssteigerung Prozessor/ Speicher Vernetzung, Bandbreitenzuwachs Standardisierte Schnittstellen Datafizierung Mediatisierung <?page no="24"?> 25 Infolgedessen lassen sich die Herausforderungen für den Journalismus, redaktionelle Strategien zu entwickeln, auf vier unterschiedlichen Ebenen analysieren: • Wie verändert sich die gesellschaftliche Rolle von Journalismus in einer zunehmend digitalisierten Welt? Veränderungen der gesellschaftlichen Rolle des Journalismus werden aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln diskutiert. Aus strategischer Perspektive scheint dabei Neubergers (2014: 571) Konzept der »dynamischen Netzwerköffentlichkeit« besonders geeignet zu sein, weil es zentrale Bausteine öffentlicher Kommunikation berücksichtigt, die als Analyserahmen zur Erklärung konkreter Aufgabenstellungen herangezogen werden können. Im Kern unterscheidet dieser Ansatz drei Interaktionsmodi öffentlicher Kommunikation, nämlich Konflikt, Konkurrenz und Kooperation. Zwei davon, Konflikt und Kooperation, sind für die beteiligten Akteure äußerst kostspielig und zeitintensiv, denn sie agieren direkt, wechselseitig, sequenziell und explizit aufeinander bezogen. Der dritte Modus, die Konkurrenz, ist dagegen ein indirekter Wettbewerb um die Aufmerksamkeit und die Zustimmung Dritter und seiner Natur nach sehr effizient, da er indirekt, einseitig, punktuell, implizit, anonym und individuell ausgetragen wird. Diese Interaktionen finden unter bestimmten Rahmenbedingungen statt, von denen eine, die Universalisierung (ebd.: 575 f.), für Medien und Journalismus besonders interessant ist. Denn Interaktionen gehen zwar von spezifischen Akteurskonstellationen aus, können sich aber entlang der Netzwerke dieser Akteure sozial, zeitlich, räumlich und sachlich ausdehnen bzw. ausdifferenzieren. Öffentlichkeit trägt zu dieser Universalität bei, und Konkurrenz kann als Interaktionsmodus davon besonders profitieren, weil sie auf einseitige, indirekte und punktuelle Kommunikation ausgelegt ist. Genau an dieser Stelle verändert die Digitalisierung die Bedeutung der Massenmedien im Allgemeinen und des Journalismus im Besonderen: Denn traditionelle Massenmedien haben in <?page no="25"?> 26 einem koevolutionären Prozess wesentlich zur wachsenden Bedeutung von Konkurrenz als Interaktionsmodus beigetragen. Das Web eröffnet dagegen nun neue Möglichkeiten für die Modi Konflikt und Kooperation, denn sein technisches Potenzial erleichtert »wechselseitige, mehrstufige und sequenzielle Kommunikation, wie sie Konflikt und Kooperation erfordern, und es ermöglicht breitere Beteiligung des Publikums daran. Es fördert auch ihre zeitliche, räumliche, soziale und sachliche Universalisierung, weil das Web dazu in der Lage ist, Mitteilungen zu archivieren, es eine globale Reichweite besitzt und Mitteilungen einer Vielzahl von Kommunikatoren miteinander verknüpfen kann« (ebd.: 579). Aber auch für den Konkurrenzmodus ergeben sich neue Möglichkeiten (ebd.: 580). Das Publikum wird einerseits transparenter, andererseits kann es auch selbst Akteure mobilisieren, und auch die journalistischen Angebote werden durchschaubarer. Damit verliert der Journalismus nicht nur partiell seine exklusive Rolle als vermittelnder Dritter, weil er von Publika und Akteuren umgangen werden kann, sondern er gerät auch unter weiteren Qualitätsdruck hinsichtlich der Leistungen für sein Publikum. Schließlich muss er sich in komplexere Kommunikationsnetzwerke einbinden, in der andere Akteure eine gewichtige Rolle spielen. Man denke hier nur an politische Streitfragen wie etwa die Integration von Geflüchteten, die nicht nur vom Journalismus aufgegriffen werden. Social-Media-Aktivitäten inner- und außerparlamentarischer Akteure und mehr oder weniger qualifizierte Äußerungen von »besorgten Bürgern« auf sozialen Netzwerken begleiten diese Streitfragen ebenso. • Welche neuen Nutzungsmuster bilden sich und wie können wir sie erkennen? Neben dem Wettbewerb durch neue Ökosysteme wie etwa Google oder Facebook und der technischen Konvergenz der Ausspielkanäle Text, Audio und Video sind neue Nachrichtennutzungsmuster wesentliche Treiber für Wandel im Journalismus. Durch die Kombination digitaler Plattformen mit mobilen Endgeräten <?page no="26"?> 27 werden Medien inzwischen in sehr unterschiedlichen Kontexten genutzt - und zwar nahezu permanent über den gesamten Tag hinweg. Nutzer beteiligen sich an der Produktion von Inhalten, kommentieren Beiträge und fordern Feedback dazu (Lilienthal et al. 2014: 22 f.). Noch dazu verlieren die Plattformen etablierter Medienmarken ihre Rolle als Hauptnachrichtenkanäle an soziale Netzwerke, aus denen heraus sich Nutzer punktuell wieder diesen Plattformen zuwenden (Newman et al. 2016). Dabei scheint die potenziell größere Vielfalt von Quellen im Web allem Anschein nach nicht zu größerer gesellschaftlicher Integration und Offenheit für andere Perspektiven zu führen. Das Gegenteil ist der Fall: Die zunehmend personalisierte Ausspielung von Inhalten über Suchmaschinen und Netzwerke befördert eher die Entstehung kleinerer Kommunikationscluster, die in sich sehr homogen sind und wenig Anknüpfungspunkte zu anderen Teilnetzwerken haben (Phillips 2015: 96). Gleichzeitig steigen nicht nur die Ansprüche an die Aktualität von Inhalten, sondern auch an deren multimediale Aufbereitung (Lilienthal et al. 2014: 23), befeuert von Leuchtturmprojekten großer Medienhäuser, aufwändig produzierten Content-Marketing-Inhalten finanzstarker Konzerne und den von Computerspielen geprägten Ansprüchen an perfekt umgesetzte virtuelle Realitäten und immersive Umgebungen (Richardson 2015). Gaming als breit verankertes Kulturphänomen fordert auch den Journalismus heraus, seine Angebote unter einer weiteren Qualitätsdimension zu betrachten: Playfulness rückt ergänzend zur Usability das spielerische Erleben während der Rezeption journalistischer Produkte in den Mittelpunkt (Wolf 2014: 98). • Welche neuen professionellen Praktiken entwickeln sich daraus? Der Journalismus reagiert auf diese neuen Nutzungsmuster mit einer Reihe neuer professioneller Praktiken sowohl auf der Ebene der Informationsbeschaffung als auch auf der der Aufbereitung von Inhalten. Hier ist nicht der Raum für eine detaillierte Auseinandersetzung mit diesen Veränderungen, denn aus strategischer <?page no="27"?> 28 Perspektive interessieren vor allem zentrale Tendenzen. Diese hat Hermida (2015) zu fünf E verdichtet: • Experimental: Ganz im Sinne des Effectuation-Ansatzes erschließt sich Journalismus neue Ausspielkanäle und Plattformen (neue Spielarten von sozialen Netzwerken oder Messenger-Diensten). • Experiential: Journalismus öffnet sich zumindest da, wo ausreichend Ressourcen zur Verfügung stehen, für neue Darstellungsformen (z. B. Virtual-Reality-Reportagen). • Explanatory: Unter dem hohen Aktualitätsdruck, der nicht zuletzt von sozialen Medien ausgeht, sucht Journalismus sein Heil im analytischen, erklärenden Blick auf die größeren Zusammenhänge innerhalb eines Themenfelds. • Emotional: Da für die Bereitschaft von Nutzern, Inhalte in ihren Netzwerken weiterzuverbreiten, die emotionale Ansprache eine wichtige Rolle spielt, erhält dieser Faktor auch ein größeres Gewicht in der journalistischen Herangehensweise an Themen. • Economical: Unter dem hohen Kostendruck, unter dem Medienunternehmen stehen, werden Journalisten offener für Kooperationen und den Einsatz neuer Technologien. Im Großen und Ganzen erweist sich Journalismus also als erstaunlich anpassungsfähig. Empirische Befunde legen allerdings gleichzeitig ein differenziertes Bild für sein Innovationspotenzial nahe. Denn so offen Journalisten Technologien gegenüberstehen, die redaktionelle Abläufe erleichtern, so resistent erweisen sie sich gegenüber Veränderungen, die ihr traditionelles Selbstverständnis betreffen (Ekdale et al. 2015). Und gerade auf dieser Ebene steht Journalismus unter hohem Innovationsdruck. Sichtbar wird dies unter anderem im redaktionellen Kerngeschäft, der Beschaffung von Nachrichten. Die kontinuierliche Auflösung von festen Publikationsrhythmen setzt Redaktionen unter Aktualitätsdruck. Dieser Druck wird erhöht durch neue Formate wie Live-Blogging. Geschichten als Erste zu publizieren steigert unter diesen Umständen die Chancen, hohe Reichweiten <?page no="28"?> 29 aufzubauen. Noch wichtiger wird aber, keine aktuelle Geschichte zur verpassen, die im Netz an Fahrt aufnimmt. Dazu müssen Redaktionen ihre (digitale) Umwelt sorgfältiger denn je beobachten, um schnell reagieren zu können. Dazu setzen Sie in wachsendem Umfang Web Analytics ein (Phillips 2015: 10). Parallel binden Redaktionen Nutzer in ihre Produktionsprozesse sowohl bei der Themengenerierung als auch bei der Recherche ein, zum Beispiel bei der Aufbereitung großer Datenmengen. Die Offenheit für neue Formen hängt hier davon ab, ob Nutzer in Kernprozesse integriert werden oder nicht. Die Nutzung sozialer Medien zur Themengenerierung ist weit verbreitet, wie Studien zum partizipativen Journalismus zeigen. Die enge Einbettung in Recherche und Produktion hat dagegen jenseits prominenter Showcases eher Seltenheitswert (Neuberger/ Nuernbergk 2011: 245). So bedeutsam es auch ist, dass Nutzer in redaktionelle Prozesse eingebettet werden: Wesentlich relevanter ist die Frage, welche Rolle Technologie in diesen Prozessen spielen wird. Bereits heute ist - Stichwort Search Engine Optimization - die Anpassung redaktioneller Routinen an die Logik von Algorithmen zur Selbstverständlichkeit geworden. Eine deutlich andere Qualität dürfte dieses Thema aber durch einen Trend bekommen, den Barot (2015) treffend als »Botification« der Nachrichten bezeichnet hat: Künstliche Intelligenz erhält auf beiden Seiten der Gleichung Einzug in das Nachrichtengeschäft, indem Newsbots automatisch Nachrichten generieren, die die personalisierten Assistenten der Nutzer nachfragen. Eng verwandt, aber eben nicht deckungsgleich mit »Robot Journalism« ist der Datenjournalismus als neue professionelle Praktik, die sich als unmittelbare Reaktion auf die Datafizierung von Gesellschaft herausbildet. Auch wenn sich Datenjournalismus als stabiles professionelles Handlungsmuster noch nicht herausgebildet hat (Ausserhofer 2015), zeichnen sich klar die großen Linien ab, entlang derer sich diese Muster ausprägen. Hier geht es nicht allein um den Zugriff auf Datensätze oder der Anwendung sozialwissenschaftlicher Methodik. All das war schon in Meyers (2002) Konzept des »Precision Journalism« angelegt. In Anleh- <?page no="29"?> 30 nung an Hammond (2015) sind vielmehr folgende neuen Eigeneschaften relevant: Zu nennen ist erstens ein grundlegender Wandel in der Recherchelogik: Daten werden nicht primär dazu eingesetzt, um Recherchehypothesen zu überprüfen. Stattdessen dominiert eine explorative Logik, die zunächst Muster aus Datensätzen extrahiert und sie anschließend sinnvoll interpretiert. Diese Muster werden oft gerade dadurch sichtbar, das verschiedene Datenquellen zu einem Sachverhalt miteinander vernetzt werden. Zweitens verschiebt sich der Akzent im Verhältnis von Daten und natürlichen Personen als Quellen dieser Daten. Insiderinformationen und die unmittelbare Augenzeugenschaft büßen ihren Primat im Vergleich zu Datenmaterial ein, das, nicht selten vermittelt über Algorithmen, für die Öffentlichkeit erschlossen wird (vgl. Lewis 2014). Individuelle Akteure und Biografien illustrieren nur noch Trends, die in aggregierten Daten erkennbar werden. Eingebettet ist Datenjournalismus drittens in ein professionelles Selbstverständnis, das den Rezipienten und Usern mehr Bedeutung zuspricht, indem es vorläufige Ergebnisse veröffentlicht und Nutzer die Geschichte weiter entwickeln können. Das kann etwa dadurch geschehen, dass Nutzer dazu beitragen, umfangreiche Datenbestände kollaborativ zu erschließen (vgl. Gray et al. 2012). In Kombination ergeben sich aus neuen Formaten, etwa im Bereich Virtual Reality, Web Analytics, Robot- und Datenjournalismus, faszinierende Perspektiven für digitalen Journalismus. Sie zeigen Journalisten, Redaktionen und Medienunternehmen aber gleichzeitig Grenzen auf: insbesondere hinsichtlich der Fähigkeit, breit in neue Technologien zu investieren, Technologieexperten in ihre Organisationen zu integrieren und sich selbst das notwendige Basiswissen zu vermitteln, um mit Technologieexperten zusammenzuarbeiten. Wo aber »Multi-Skilling« im Sinne eines breiten Kompetenznetzwerks erforderlich wäre, lässt sich mitunter ein »De-Skilling« beobachten, also die Verwendung von Amateurmaterial und der Einsatz schlecht ausgebildeter Nachwuchskräfte (Phillips 2015: 72). <?page no="30"?> 31 • Wie verändern sich die Geschäftsmodelle von Medienunternehmen, die journalistische Angebote finanzieren, und deren wirtschaftliche Rahmenbedingungen? Der Gegensatz von prinzipiell hoher Innovationsfähigkeit und begrenzter Investitionsfähigkeit führt uns zur vierten und letzten Ebene unserer Analyse, nämlich zu den Geschäftsmodellen von Medieunternehmen, in die journalistische Angebote eingebettet sind. Dies ist zweifellos der Bereich, auf den sich Digitalisierung am stärksten auswirkt. Beschreiben lässt sich dieser Wandel aus zwei ineinander verschränkten Perspektiven: Das sind einerseits die unmittelbaren Auswirkungen der Digitalisierung auf Wertschöpfung und etablierte Erlösmodelle und andererseits die indirekte Bedeutung des Journalismus als institutionelle Umwelt für Medienunternehmen. Die Bedrohung etablierter Geschäftsmodelle von Medienunternehmen durch Medienkonvergenz ist oft beschrieben worden (stellvertretend für viele: Kaye/ Quinn 2010). Sinkende Reichweiten, sinkende Werbeerlöse und anhaltende Konsolidierungsprozesse, die zu steigender Konzentration auf wenige verbleibende Player führen, sind die offensichtlichsten Indizien für den ökonomischen Druck auf die Branche. Der Fokus liegt an dieser Stelle auf dem entscheidenden Treiber dieser Veränderung, der mit den Trends der Digitalisierung und Datafizierung aufs Engste verwoben ist: Individualisierung oder besser »Mass Customization«, also die massenhafte, standardisierte Herstellung von Unikaten, die auf individuelle Kundenbedürfnisse zugeschnitten sind (Chesbrough 2011), löst das Aggregat als dominante Logik des Mediengeschäftes auf beiden Seiten des Marktes ab, auf dem Medienunternehmen in der Regel agieren (Lobigs 2016). Was bedeutet das genau? In dem Maße, in dem soziales Leben medienvermittelt ist und sich in immer differenzierteren Datenspuren niederschlägt und in dem sich diese Spuren analysieren lassen, können Inhalte und Werbung annähernd personenscharf vor allem von Intermediären wie Google oder Facebook adressiert werden, die Skaleneffekte in der Datenmenge und Erfahrungsvorteile in der Datenanalyse zur Festigung ihrer Marktposition nut- <?page no="31"?> 32 zen können. Die Folge davon sind personalisierte Nachrichten und in Echtzeit vermakelte individuelle Werbekontakte. Damit ist aber unmittelbar die traditionelle Logik von Medienunternehmen bedroht, die stets auf aggregierte Angebote setzte: sei es auf möglichst hohe Reichweiten und damit Wahrnehmungschancen im Werbemarkt oder vielfältige journalistische Angebote auf dem Nutzermarkt, um diese Reichweiten gezielt ausbauen zu können. Statt in der bequemen Position des Mittlers zwischen Nutzern und werbetreibenden Kunden finden sich Medienunternehmen nun eingezwängt zwischen Suchmaschinen, sozialen Netzwerken und anderen Content-Aggregatoren in der Rolle eines Zulieferers wieder, der diese Plattformen mit journalistisch hochwertigen Angeboten veredeln kann. Zumindest so lange, wie das angestammte Geschäft noch in der Lage ist, diese Aktivitäten zu subventionieren, denn der Charakter von Informationen als öffentliche Güter setzt prinzipiell den Bemühungen enge Grenzen, auf dem Nutzermarkt kostendeckende Preise durchzusetzen, kurzum: Hyperwettbewerb in Reinkultur. Parallel dazu verändert sich in einem digitalen, konvergenten Umfeld der Charakter von Wertschöpfung seitens der Medienunternehmen. Hohe First-Copy-Kosten erwiesen sich als effiziente Markteintrittsbarrieren, die hochintegrierte Unternehmen schützten, die im Sinne einer klassischen Wertschöpfungskette Informationen bündelten und vertrieben (Gläser 2008: 395). In einem digitalisierten Markt sind diese Barrieren nicht mehr vorhanden, was die Rolle neuer Wettbewerber stärkt - bis hin zu den Kunden, die nun selbst Inhalte erstellen können. Daher wandeln sich integrierte Wertschöpfungsketten zu offeneren Wertschöpfungsnetzwerken (Wirtz 2013; Ollrog 2014: 170). Diese Perspektive ist im Hinblick auf redaktionelle Strategiearbeit äußerst hilfreich, denn sie schärft den Blick dafür, dass Journalismus eben kein Produkt ist, das innerhalb einer Medienorganisation entsteht, sondern Ergebnis vielfältiger Interaktionen mit Lieferanten und Kunden. Darüber hinaus betont sie die wahrgenommene Qualität journalistischer Dienstleistungen durch Nutzer und die Bedeutung der strategischen Bemühungen von Medienunternehmen, strukturell vorhandene Qualitätsintranspa- <?page no="32"?> 33 renzen bei journalistischen Angeboten (grundsätzlich Heinrich 1996) durch Markenstrategien zu überbrücken (Neuberger 2013: 108). Dies ist ein zentraler Punkt in dieser Argumentation, denn diese Markenstrategien greifen auf eine flüchtige, knappe und schwer zu imitierende Ressource zurück, nämlich auf die Bedeutung von Journalismus als gesellschaftliche Institution. Bevor darauf genauer eingegangen wird, soll zunächst der Begriff der Institution geklärt werden. Institutionen sind, allgemein formuliert, normative Strukturen, die die hohe Ungewissheit innerhalb moderner Gesellschaften reduzieren und damit soziale Interaktion erst möglich machen. Dies geschieht durch kodifizierte Gesetze, soziale Normen oder ein Netz stabiler wechselseitiger Handlungserwartungen. Gerade im Hinblick auf den dritten Punkt kann auch Journalismus als Institution definiert werden (Donges 2006; Kiefer 2010; Sparrow 2006), die sich durch eine Reihe von für selbstverständlich gehaltenen Annahmen auszeichnet: Journalismus versorgt die Gesellschaft mit richtigen und relevanten Informationen, indem er eine spezifische Sprache und Darstellungsformen benutzt und spezielle, professionelle Regeln zur Auswahl von Nachrichten anwendet (Neuberger 2013). Im Hinblick auf redaktionelle Strategien interessiert nun aber vor allem der institutionelle Wandel. Dabei ist zunächst festzuhalten, dass Institutionen vorläufigen Charakter haben und selbst Objekt sozialen Wandels sind. Genauso wie Schlüsselereignisse selbstverstärkende Institutionalisierungsprozesse auslösen können, ist es umgekehrt denkbar, dass andere Schlüsselereignisse ebenso selbstverstärkende Deinstitutionalisierungsprozesse hervorrufen können (Kiefer 2010: 105). Und in diesem Zusammenhang kann Digitalisierung durchaus das Initialereignis der Deinstitutionalisierung von Journalismus sein, wobei die Übernahme journalistischer Perspektiven und Formate im Content Marketing als ein Indiz dieser Dynamik interpretiert werden kann. Institutionen werden nicht von selbst wirksam, sondern nur durch Akteure, die eine Institution als Orientierungsrahmen wahrnehmen und sich daran orientieren. Die Institution als gesellschaftliche Struktur wird gleichzeitig durch das Handeln der <?page no="33"?> 34 Akteure immer wieder leicht modifiziert (Schimank 2007). In diesem Sinne ist die institutionelle Umwelt einer Branche durch die Akteure, die in dieser Branche agieren, also gestaltbar. Das gilt auch für den Journalismus und lässt sich am Entstehen unabhängiger, dem Postulat der Objektivität verpflichteter Zeitungen im 19. Jahrhundert auch gut nachzeichnen (Kaplan 2006): Zeitungen, die lange an eine politische Ausrichtung gebunden waren, förderten die Institution des unabhängigen Journalismus, weil dies vorteilhaft für ihr Geschäftsmodell war. Der Verkauf großer Publika an Werbetreibende auf den damals entstehenden Massenmärkten war enorm profitabel. Dies ist sozusagen die ökonomische Seite des koevolutionären Prozesses einer konkurrenzorientierten Öffentlichkeit mit dem Journalismus, von dem im Kontext der dynamischen Netzwerköffentlichkeit bereits die Rede war. Dieser institutionelle Wandel ist einerseits Ergebnis einer Marktdynamik, in der einzelne Verlage die Positionierung ihrer Titel immer wieder neu justiert haben. Journalismus als institutionelle Umwelt von Medienunternehmen ist damit aber gleichzeitig auch Objekt des strategischen Handelns von Medienunternehmen, auf die aktiv Einfluss genommen wird, etwa indem man wie die deutsche Zeitungsbranche besondere Leistungsschutzrechte in der Auseinandersetzung mit Google als starkem Wettbewerber explizit unter Verweis auf die Pressefreiheit durchzusetzen versucht (Buschow 2012). Und genau deshalb bietet es sich an, in redaktionellen Strategien Geschäftsmodelle und die Entwicklung des Journalismus als zwei Seiten einer Medaille zu betrachten. Das gilt ohnehin für marktfinanzierte Organisationen, aber fast noch stärker für öffentlich-rechtliche, denn gerade hier spielt der Journalismus als Institution eine zentrale Rolle in der Legitimation nutzungsunabhängiger, öffentlicher Finanzierungsmodelle, wie zum Beispiel der deutschen Haushaltsabgabe. Zusammenfassende betrachtet verändert also der Metatrend der Digitalisierungmoderne Gesellschaften ebenso grundlegend wie Marktstrukturen grundlegend. Hyperwettbewerb und Handeln unter Ungewissheit erfordern flexibleres, an der Gestaltung <?page no="34"?> 35 vorhandener Ressourcen ausgerichtetes Handeln. Das gilt längst nicht nur, aber eben auch für Medienunternehmen, die journalistische Angebote in ihre Geschäftsmodelle einbinden. Diesen Rahmenbedingungen muss sich erfolgreiche redaktionelle Strategiearbeit anpassen. Was dies für ein zeitgemäßes Strategieverständnis bedeutet, wird im nächsten Kapitel beschrieben. Tipps zum Weiterlesen Einen sehr guten Einstieg in das Thema Wirtschaft und Digitalisierung bieten Brynjolfsson/ McAfee (2015). Neuberger (2014) zeichnet einen ausgezeichneten theoretischen Rahmen für die Analyse des Journalismus im 21. Jahrhundert. <?page no="36"?> 37 2 Strategie als Bindeglied zwischen Organisation und Umwelt Auch in einer ungewissen Umwelt und unter den Bedingungen des Hyperwettbewerbs verlieren Strategien nicht an Bedeutung. Allerdings wandeln sich ihr Charakter und die Prozesse, in denen sie entstehen. Redaktionelle Strategien verbinden nach wie vor Organisationen mit ihrer Zukunft, indem sie künftige Entwicklungen beschreiben und Antworten auf strategische Fragen geben. Dabei reflektieren sie unterschiedliche Zielsetzungen wie Profit- und Gemeinwohlorientierung, passen ihre Antworten kontinuierlich an veränderte Rahmenbedingungen an und werden in kommunikativen Prozessen umgesetzt. Oberflächlich betrachtet, wirkt unter den Bedingungen des Hyperwettbewerbs ein Begriff wie Strategie reichlich antiquiert. Er wird assoziiert mit behäbigen Konzernen, denen »agile« Startups das Wasser abgraben: Wieso sollte man sich lange mit Analysen abgeben, wenn man als »Entrepreneur« die nächste Gelegenheit, einen Markt umzukrempeln, beim Schopfe greifen kann? Was nützt es, große Pläne zu schmieden auf Basis von Prognosen, die schneller von der Wirklichkeit überrollt werden, als man die Pläne umsetzen kann? Bei genauerem Hinschauen stellt man fest, dass Strategien und strategische Planung auch in einer unsicheren Umwelt nicht an Bedeutung verloren haben. Diese Position wird in diesem Kapitel genauer begründet. Dazu wird zunächst geklärt, was genau unter Strategien zu verstehen ist und wie sich dieser Begriff abgrenzen lässt vom Strategieprozess, in dem Strategien entwickelt werden. Diese Überlegungen führen uns unmittelbar zum Verhältnis von Strategien zu den Organisationen, in diese Strategien implementiert und für diese sie erarbeitet werden. Hier wird sich zeigen, dass sich der vermeintliche Widerspruch zwischen langfristigen strategischen Planungshorizonten und kurzfristigem Entscheidungsdruck in einer unsicheren Umwelt auflöst, wenn man Strategiearbeit aus einer <?page no="37"?> 38 strukturationstheoretischen Perspektive im Sinne Giddens (1997 analysiert. Daraus lässt sich schließlich ein zeitgemäßes Strategieverständnis ableiten. Was also ist unter Strategien zu verstehen? In einer ersten Annäherung lassen sich Strategien als Ziel-Mittel-Relation beschreiben. Man definiert ein Ziel und die Strategie ist der Weg, mit dem man dieses Ziel am besten erreichen kann. Um dies an einem Beispiel deutlich zu machen: Sie nehmen sich vor, in Ihrem Urlaub einen Berg zu besteigen, und entwickeln einen Plan, wie Sie möglichst reibungslos zum Gipfelkreuz und - noch wichtiger - wieder zurück zur Hütte gelangen. Schon an diesem einfachen Beispiel werden zwei wichtige Grundmerkmale von Strategien deutlich. Strategien sind umwelt- und zugleich zukunftsorientiert. Strategien berücksichtigen die Rahmenbedingungen, unter denen man ein Ziel erreichen kann. Sie versuchen, künftige Entwicklungen, so gut es geht, vorherzusagen und sich darauf einzustellen. Und sie sorgen für Entwicklungen vor, die man nicht oder nur schwer prognostizieren kann (Ortmann 2010: 6). Wenn Sie am Abend vor Ihrer Gipfeltour die Wanderkarte studieren, werden Sie berücksichtigen, wo Schnee und Geröll Ihnen den Aufstieg erschweren und ob Sie auf Basis der Wettervorhersage überhaupt den Aufstieg wagen können. Gleichzeitig werden Sie, wenn Sie morgens bei bestem Wetter starten, Regenjacke, Fleece-Pullover und das Biwakzelt in ihren Abb. 2: Kernmerkmale einer Strategie Gegenwart Organisation Zukunft/ Umwelt Umweltorientierung Zukunftsorientierung Handlungsleitend Mentales Modell Abhängig von Vorerfahrung Performativ Wettbewerbsorientierung <?page no="38"?> 39 Rucksack packen, um vor plötzlichen Wetterumschwüngen geschützt zu sein. Strategien setzen sich also mit komplexen, riskanten, unsicheren oder mitunter sogar ungewissen Phänomenen auseinander. Strategien reduzieren diese Komplexität und machen es dadurch erst möglich, Prioritäten zu entwickeln und Entscheidungen zu treffen. In diesem Sinne sind Strategien handlungsleitend. Erst dadurch, dass Sie das komplexe System eines Hochgebirges auf Aspekte wie Steigungen oder Wegebeschaffenheit reduzieren, können Sie sich für eine Route entscheiden. Als mentale Modelle, die von Menschen entwickelt werden, sind Strategien per se fehleranfällig, und zwar nicht, weil die verfügbare Datenbasis nicht ausreichend oder unvollständig ist, sondern auch, weil diejenigen, die die Strategien entwickeln, längst nicht so rational entscheiden, wie sie selbst und konservative Ökonomen das glauben mögen. Auch Strategen verwenden Heuristiken und neigen dazu, Sachverhalte aus den unterschiedlichsten Gründen falsch einzuschätzen (Grüne-Yanoff/ Hertwig 2016: 150). Entscheiden Sie sich etwa beim Aufzug eines Gewitters trotzdem dafür, bis zum Gipfel weiterzulaufen, weil sie ja immerhin schon 1.500 Höhenmeter aufgestiegen sind, obwohl Sie unter diesen Umständen morgens nie Ihre Unterkunft verlassen hätten? Dann sind Sie in guter Gesellschaft mit Managern, die ein Tochterunternehmen nicht schließen, obwohl der Weiterbetrieb deutlich teurer als die Abwicklung wäre, weil man ja immerhin mal einen dreistelligen Millionenbetrag in den Zukauf investiert hat. In Strategien als mentalen Modellen stecken auch immer die Vorerfahrungen und für selbstverständlich gehaltenen Annahmen derjenigen, die an der Strategieentwicklung beteiligt sind. So gern sie es auch wollten und so oft es auf Kreativitätsseminaren verkündet wird: »Thinking out of the box« ist so, wie unsere Gehirne nach heutigem Stand des Wissens funktionieren, schlichtweg nicht möglich. Umso wichtiger ist die Einsicht, in welcher Art und Weise einen das existierende Modell einschränkt, um dann neue, alternative Modelle zu entwickeln (Brabandere/ Iny 2013: 15). Umwelt- und Zukunftsorientierung verleihen Strategien einen vorläufigen Charakter und erfordern immer wieder Anpas- <?page no="39"?> 40 sungen. Der Klettersteig, den Sie so viele Male problemlos passiert haben, könnte sich längst in eine gefährliche Passage verwandelt haben, weil der Gletscher darunter abgeschmolzen ist und dem Fels weniger Halt gibt. Aber Sie haben in Ihren Routinen den Klimawandel noch nicht hinreichend eingebaut. Vielleicht wäre es an der Zeit, das zu ändern. Genauso wenig, wie sich Strategien unbeeinflusst von der Vorgeschichte der Organisation entwickeln lassen, in der sie entstehen, reicht es nicht aus, sie einfach zu verkünden, um sie wirksam werden zu lassen. Vielmehr müssen andere Akteure die Strategien nicht nur verstehen, sondern von diesen Strategien überzeugt werden. Strategien haben in diesem Sinne einen performativen Charakter. Ortmann (2010: 30) nennt dies sehr treffend »enacted future«. Wer Strategien kommuniziert, gibt nicht nur einfach Informationen wieder, sondern interagiert mit den anderen Beteiligten. Der Sinn, der diesen Strategien zugeschrieben wird, und diese letztlich handlungsleitend werden lässt, muss unter den Akteuren nicht nur ausgehandelt werden, sondern ist gerade aufgrund dieses interaktiven Charakters selbst wandlungsfähig und in Alltagspraktiken eingebettet (Zerfaß 2009: 29 f.). Vor diesem theoretischen Hintergrund erscheinen die Eigenschaften durchaus plausibel, die laut Halvorson und Rach (2015: 97) gute Content-Strategien ausmachen, nämlich dass sie flexibel, leicht zu merken, motivierend, inkludierend und für alle Beteiligten erstrebenswert seien. Denken Sie noch einmal an Ihre Bergwanderung: Es reicht selten, Ihren Mitwanderern einfach die Route zu verkünden - vielmehr müssen Sie Begeisterung wecken, Ehrgeiz bremsen oder Bedenken zerstreuen. Im Unterschied zu der entspannten Bergwanderung, die wir bislang beschrieben haben, sind schließlich Strategien im ökonomischen Kontext wettbewerbsorientiert. Strategieformulierungen, so Ortmann (2010: 30), »sind nicht wahr oder falsch, sondern erfolgreich oder erfolglos«. Stellen Sie sich also lieber vor, Sie wollen als Erster auf dem Gipfel sein, und auf der anderen Seite geht es einer anderen Seilschaft ganz genau so. Auch wenn alle Strategien diese Grundcharakteristika gemeinsam haben, gibt es unterschiedliche Strategietpyen. Diese lassen <?page no="40"?> 41 sich in entlang folgender Leitfragen unterscheiden: Wie genau sind sie entstanden, wer war an ihrer Entwicklung beteiligt und welchen Status haben sie erreicht? Zunächst lassen sich deliberative von emergenten Strategien unterscheiden, wobei es sich hier genauso wie bei den anderen Dimensionen nicht um zwei Klassen von Strategien handelt, sondern um die Endpunkte einer Skala, auf dem sich Strategien einordnen lassen. Deliberative Strategien beziehen sich auf einen recht klar überschaubaren Problembereich, werden sozusagen am Reißbrett entwickelt und dann im Unternehmen durchgesetzt. Emergente Strategien entwickeln sich dagegen aus der täglichen Unternehmenspraxis im Kontext eines eher unklaren Problemhorizonts und berücksichtigen dabei implizit Umweltanforderungen und die Ressourcen, die in einem Unternehmen tatsächlich vorhanden sind (Matzler et al. 2014: 40; Ortmann 2010: 3). Strategien können des Weiteren danach differenziert werden, wer in die Strategieentwicklung eingebunden ist. Werden Strategien rein intern von den Mitgliedern einer Organisation entwickelt oder werden, bis zu welchem Grad auch immer, auch externe Akteure wie Lieferanten, Kunden oder Experten in den Strategieprozess eingebunden (Matzler et al. 2014: 40)? Wir können Strategien schließlich auch entlang ihres Status abgrenzen: Da ist zum einen die formulierte Strategie, die Handlungsräume aufspannt und Szenarien im Hinblick auf eine erwartbare Zukunft entwickelt, und zum anderen die praktizierte Strategie, also die Muster und Spuren, die der Strategieentwurf im Handeln der Organisation und ihrer Mitglieder tatsächlich hinterlässt (Ortmann 2010: 11). Innerhalb dieses dreidimensionalen Modells gibt es zwar typische Konstellationen, wie etwa die einer »Open Strategy« mit stark emergentem Charakter, einer starken Einbindung externer Akteure und einer idealerweise gerade dadurch hohen praktischen Wirksamkeit, aber prinzipiell sind beliebige Kombinationen von Merkmalsausprägungen denkbar. Das macht diesen Ansatz zunächst interessant für die empirische Strategieforschung. Im Kontext dieses Buches ist allerdings ein anderer Aspekt wichtiger: Es wird nämlich auch deutlich, dass sich Strategie nicht <?page no="41"?> 42 losgelöst vom Strategieprozess und der Organisation beschreiben lässt, innerhalb derer sie entwickelt wird. Die Organisation hat dabei einen interessanten Doppelcharakter. Einerseits ist sie Objekt der Strategiearbeit. Denn schließlich geht es, wie bereits herausgearbeitet wurde, darum, Organisationen an veränderte Umwelten anzupassen oder gar so weit zu transformieren, dass man eine Umwelt in Sinne der Organisation gestalten kann. Andererseits sind es genau diese Organisationen, die strategiefähig sein müssen. Sie benötigen spezifische Kompetenzen, um erfolgreiche Strategien entwickeln zu können. Beide Aspekte verdienen eine genauere Betrachtung. Gerade unter den Bedingungen des Hyperwettbewerbs gewinnt »strategische Fitness« (Kotter 2015: 135) als Ziel von Strategieprozessen an besonderer Bedeutung, und zwar nicht nach dem ursprünglichen Verständnis von Leistungsfähigkeit, sondern in seinem übertragenen evolutionstheoretischen Sinn der Anpassungsfähigkeit. In hyperkompetitiven Umfeldern ist es wichtiger denn je, die Initiative zu behalten, indem man offensiv in einer unsicheren Umwelt günstige Handlungsmöglichkeiten entdeckt und diese in seinem Sinne gestaltet, ehe dies andere Akteure tun und man sich defensiv diesen neuen Rahmenbedingungen anpassen muss (Brabandere/ Iny 2013: 21). Dafür sorgen in der Medienbranche nicht nur Netzwerkeffekte, die dem Wettbewerber einen stetig steigenden Vorteil verschaffen, Abb. 3: Dimensionen zur Beschreibung von Strategietypen Deliberativ Emergent Offen Praktiziert Geschlossen Grad der Einbindung Stakeholder Formuliert Grad der Umsetzung Grad der Planung <?page no="42"?> 43 der schnell hohe Reichweiten aufbauen kann (Gläser 2009: 162). Ein Beispiel dafür ist der Wettbewerb von Facebook mit seinen deutschen Konkurrenten wie StudiVZ (noch aktiv), Wer-kenntwen.de (2014 eingestellt) und anderen sozialen Netzwerken, an deren Namen sich heute nur Nostalgiker noch erinnern. Mindestens ebenso bedeutsam für strategische Fitness sind sogenannte Pfadabhängigkeiten, die Marktentwicklungen ebenso prägen wie organisationsinterne Veränderungsprozesse (Ortmann 2010: 6). Pfadabhängigkeiten lassen sich gerade in technologiegetriebenen Märkten beobachten. Zunächst sind viele technisch gleichwertige Lösungen auf dem Tisch, ehe unscheinbar wirkende Ereignisse Schließungsdynamiken in Gang setzen, an deren Ende eine Technologie dominant wird. Und weil unerwartete, selbstverstärkende und häufig nicht intendierte Effekte diese sogenannte Lock-in-Phase prägen, wird sie gestaltbar für die Organisationen, die diese Dynamiken frühzeitig erkennen und sie in ihrem Sinne weiterentwickeln. Strategische Fitness hat dabei selbst eine defensive und eine offensive Komponente. Defensiv ist sie insofern, als Strategieoptionen daraufhin überprüft werden, ob sie sich mit den vorhandenen Ressourcen überhaupt realisieren lassen. Offensiv ist sie insoweit, als man einzigartige und schwer imitierbare Ressourcen in der eigenen Organisation identifiziert, mit denen sich nachhaltige Wettbewerbsvorteile umsetzen lassen (Ortmann 2010: 5). Strategische Fitness umfasst gleichzeitig die Ausgestaltung der Prozesse, in denen Strategien erarbeitet werden. So lange sich die Umwelt von Organisationen mit vergleichsweise geringem Tempo und innerhalb hinreichend klar eingrenzbarer Korridore bewegt, hat sich eine Arbeitsteilung bewährt, wie sie sich in vielen Organisationen und Unternehmen wiederfinden lässt: Eine Strategieabteilung entwickelt und modifiziert Strategien, die dann topdown in die operative Planung überführt werden. Solch ein klassischer Strategieprozess lässt sich typischerweise in sechs Phasen aufteilen (Eckert 2016: 30): 1. Analyse: Marktentwicklungen und die eigenen Ressourcen werden kritisch überprüft mit dem Ziel, kritische Entwicklungen ebenso frühzeitig aufzudecken wie Wachstumschancen. <?page no="43"?> 44 2. Strategieentwicklung: Auf Basis der Analyse werden Handlungsfelder identifiziert und priorisiert, die notwendig sind, um den Erhalt der Organisation zu sichern bzw. die Position weiter zu verbessern. 3. Operatives Geschäftsmodell: Strategische Entscheidungen werden weiter in präzisen Definitionen von Kundennutzen, Wertschöpfungsketten, Erlösmodellen, Vertriebsstrukturen und Logistik konkretisiert. 4. Strategische Programme: Aus dem Geschäftsmodell werden Pläne für spezifische Bereiche abgeleitet, etwa Design, IT oder Personalentwicklung. 5. Strategisches Management: Ressourcen, Prozesse und Verantwortlichkeiten werden an die gewählten Strategien angepasst. 6. Operatives Management: Die strategischen Programme werden von der Organisation umgesetzt und der Erfolg entlang von Kennzahlen kontinuierlich überprüft. Dieser Prozess greift auf Grundmuster zurück, die modernen Organisationen besondere Effektivität und Effizienz verleihen. Sie lösten vormoderne, familiär oder feudalistisch geprägte Strukturen ab und implementierten fortan Arbeitsteilung und die Etablierung von Routinen, die auch über Führungswechsel hinaus Bestand haben. Der Preis dafür ist eine gewisse Unbeweglichkeit, die sich gerade in dynamischen Umfeldern als nachteilig erweisen kann. In einem hyperkompetitiven Umfeld ist es also durchaus sinnvoll, diesen Prozess über die reine Verkürzung der strategischen Zyklen hinaus zu modifizieren. Eine Option kann hier zunächst sein, weitere Schritte in den Prozess zu integrieren. Strategien können robuster werden, indem man schon in der strategischen Analyse erste Prototypen des eigenen Geschäftsmodells, die wesentliche Aussagen über die strategische Positionierung enthalten, einsetzt und mit dem seiner potenziellen Wettbewerber vergleicht. Weiterhin können sie an Qualität gewinnen, wenn dieser Prototyp im Laufe der Strategieentwicklung angepasst wird, denn beide Schritte tragen dazu bei, Wettbewerbsdynamiken in einer frühen Phase des Strategieprozesses aufzunehmen (ebd.). <?page no="44"?> 45 Andere Autoren gehen noch einen Schritt weiter und fordern neben der Anpassung der Planungsroutinen auch eine breitere Verankerung der Strategiearbeit in der Organisation. Strategiearbeit findet dann kontinuierlich und umsetzungsorientiert auf allen Ebenen einer Organisation statt (Kotter 2015: 135). Dies setzt aber wiederum voraus, dass die Organisation als ganze lernfähig ist, also erkennt, wo Strategien nicht mehr erfolgreich funktionieren, die Gründe analysiert und die Strategie entsprechend anpasst. Die Planung als Modus der Strategieentwicklung wird dann ergänzt durch den Modus des Lernens im Sinne »strategischer Diskurse« - eine Kombination, die sich auch empirisch unter dynamischen Umweltbedingungen als vorteilhaft erweist (Menzel 2010: 51 ff.). Gemeint ist die stetige Wahrnehmung von Marktveränderungen durch jeden einzelnen Akteur in der Organisation, die Reflexion dieser Veränderungen in der Organisation und die gemeinsame Entwicklung von Lösungsvorschlägen. Aus dieser Perspektive bleibt es relevant, die Ressourcen und Kompetenzen zu erkennen und aufzubauen, auf deren Basis man Wettbewerbssituationen erfolgreich gestalten kann. Ebenso wichtig wird es aber, die Netzwerke der Akteure in der eigenen Organisation so auszugestalten, dass sie strategische Fragen schnell erkennen und Antworten darauf formulieren können (Ortmann 2010: 9). Die Gleichzeitigkeit von Planung und Lernen als Modi strategischen Handels gewinnt umso mehr an Bedeutung, je stärker die Grenzen zwischen der Organisation und ihrer Umwelt verschwimmen. Das ist zum Beispiel der Fall, je mehr externe Akteure in die Wertschöpfung eingebunden sind, je mehr Unterstützungsprozesse wie Logistik, Technik oder Administration an Dritte ausgelagert werden und je stärker Kunden, Experten und andere Stakeholder in Innovationsprozesse eingebunden sind (Chesbrough 2011). In diesen »community-driven Companies« (Anderson 2014) verbreitern offene Strategiediskurse nicht nur das strategische Wissen auf allen Ebenen der eigenen Organisation und erhöhen die Qualität strategischer Entscheidungen, weil sie das Wissen externer Akteure für die Strategieentwicklung nutzbar machen (Matzler et al. 2014: 49), sondern sie werden sogar zur einzigen Möglichkeit, die eigene Organisation weiterzuentwi- <?page no="45"?> 46 ckeln. Das ist wichtig für die redaktionelle Strategiearbeit, denn genau die hier beschriebene Ausdehnung von Wertschöpfung auf externe Akteure können wir im digitalen Journalismus beobachten, was im vorangegangenen Kapitel herausgearbeitet wurde. Spätestens jetzt wird deutlich, dass man Organisationen nicht als Objekt betrachten sollte, das von Führungskräften nach Belieben aus- und umgebaut werden kann. Vielmehr können Führungskräfte, wie zum Beispiel Geschäftsführer oder Chefredakteure, aufgrund ihrer Machtposition Impulse zur Veränderung geben. Umgesetzt werden müssen diese Änderungen aber von den Mitarbeitern, die unter Umständen die Organisation deutlich anders wahrnehmen als die Führungsebene und eigene Ziele verfolgen, die von den Zielen der Organisation abweichen können. Die Organisation ergibt sich also letztlich aus der Interaktion ihrer Mitglieder und aus den Sinnzuschreibungen, die sich aus diesen Interaktionen ergeben (Zerfaß 2009: 31). Welche Rolle spielt nun redaktionelle Strategiearbeit, um Organisationen zu verändern, in denen Journalismus betrieben wird? Um diese Frage zu beantworten, eignet sich die Giddens (1997) begründete Strukturationstheorie, denn sie beschäftigt sich systematisch mit dem Verhältnis von Strukturen und Akteuren: Inwiefern bestimmen Strukturen das Handeln von Akteuren? Und wie verändert umgekehrt das Handeln von Akteuren die Strukturen? Im Kontext dieser Problemstellung schlägt Schimank (2007) vor, analytisch zwischen der Makro-, Meso- und Mikroebene zu unterscheiden: Auf der der Makroebene geht es um sogenannte teilsystemische Orientierungshorizonte, sprich professionelle Standards, die sich aus der gesellschaftlichen Funktion eines gesellschaftlichen Teilsystems wie dem Journalismus ergeben. Diese beeinflussen redaktionelle Strategien und können gleichzeitig, wie bereits gezeigt wurde, Objekt strategischen Handelns sein. Auf der Mesoebene sind die Organisationen angesiedelt, oder, allgemeiner gesprochen, die institutionellen Ordnungen, deren Regeln und Ressourcen den Rahmen setzen, innerhalb derer Redaktionen professionelle Regeln anwenden können. Hierauf bezieht sich die strategische Fitness von Organisationen. Auf der Mikroebene, <?page no="46"?> 47 betrachtet man das soziale Handeln der Akteure innerhalb der institutionellen Ordnungen, also das alltägliche Handeln von Journalisten, deren professionelles Selbstverständnis und deren professionelle Routinen. Wie wirkmächtig redaktionelle Strategien auf dieser Ebene sind, sagt etwas über die Strategiefähigkeit der jeweiligen Medienorganisation aus. Für die Analyse und Ausgestaltung redaktioneller Strategieprozesse ist also das Zusammenspiel von Meso- und Mikroebene besonders wichtig (siehe dazu im Detail Altmeppen/ Arnold 2013: 11 ff.). Auf der Mesoebene haben wir es mit Strukturen zu tun, die in sogenannten organisationalen Settings auftreten. So regelt etwa eine Stellenbeschreibung die Aufgaben und Entscheidungskompetenzen eines Redakteurs. Wirksam werden sie durch Formen der Governance, also die Art und Weise, in der eine Redaktion geführt wird. So kann zum Beispiel eine publizistische Leitlinie ausschließen, dass bestimmte Themen über- Abb. 4: Ebenen der Strategiearbeit in Redaktionen Beispiele Strategie als Struktur Strategiebezug Elemente Ebene Institutionelle Ordnung Strategisches Handeln Profit (Unternehmen) Selbstverständnis, Auswahlregeln Hierarchie Budget Praktiken, Routinen Authorative Ressourcen Allokative Ressourcen Regeln Gemeinwohl (Journalismus) Publizistische Leitlinien Teilsystemische Orientierungs- Horizonte (Makro) Organisation (Meso) Akteure, Handeln (Mikro) Kritik & Kontrolle Rentabilität, Eigentum Rahmt Rahmt Erhält, verändert In Anlehnung an Schimank (2007), Giddens (1997), Ortmanns (2010) <?page no="47"?> 48 haupt ausgewählt oder aus einer bestimmten Perspektive heraus beleuchtet werden. Strukturen bestehen allgemein aus Regeln und Ressourcen. Regeln sind mehr oder weniger stark kodifizierte Normen und Konventionen, etwa zur Frage, ob man Interviews autorisieren lässt oder nicht, von Flüchtlingen oder Geflüchteten spricht, wer Bildrechte überprüfen muss und so weiter. Ressourcen ermöglichen in strukturationstheoretischem Verständnis das Handeln von Akteuren oder schränken es ein. Der strukturationstheoretische Ressourcenbegriff ist dabei deutlich weiter gefasst als der standardsprachliche: Er schließt zunächst knappe materielle und immaterielle Ressourcen und die Verfügungsrechte darüber ein, also genau das, was man in der gesprochenen und geschriebenen Hochsprache als Ressource bezeichnen würde. In der Strukturationstheorie sind das allokative Ressourcen, also zum Beispiel Budgets für freie Mitarbeiter oder der Zugriff auf Virtual-Reality-Technologie. Darüber hinaus bezieht sich der Begriff aber auch auf Eigenschaften, die nicht über ein betriebswirtschaftliches Verständnis erschlossen werden können, die es Akteuren aber gleichwohl ermöglichen, Positionen durchzusetzen und damit Macht auszuüben. Diese Ressourcen nennt man autoritative Ressourcen, wie etwa die hierarchische Position eines Akteurs, Wissen, Kompetenzen und Reputation. So dürfte es zum Beispiel der mit Journalistenpreisen dekorierten Reporterin leichter fallen, ihren Themenvorschlag durchzusetzen, als dem Praktikanten. Strukturen regeln also wechselseitige Erwartungen und beeinflussen so das Handeln von Akteuren. Auf der Handlungsebene schlägt sich dies in sogenannten Praktiken nieder, also habitualisierten Verhaltensweisen, die sich am gegebenen Mix aus Regeln und Ressourcen sowie den Interessen und Machtverhältnissen der beteiligten Akteure orientieren. Strukturen werden also, und das ist der entscheidende Gedanke in der Strukturationstheorie, erst durch das Handeln von Akteuren wirksam. Sie sind demnach gleichzeitig Medium für und das Ergebnis von Handlungen. Strukturen verändern sich daher auch nur dadurch weiter, dass Akteure ihre Routinen anpassen. Das wiederum kann auf unter- <?page no="48"?> 49 schiedliche Art und Weise geschehen, nämlich implizit, indem Akteure ihre Praktiken im Alltag Stück für Stück an geänderte Umweltbedingungen anpassen, oder explizit und reflexiv, wenn Führungskräfte bewusst Regeln anpassen und Ressourcen anders einsetzen als bisher. Ein gutes Beispiel für implizite Veränderungen sind die Adaption neuer Darstellungsformen, wie zum Beispiel von Multimediareportagen in einer Redaktion. Von reflexivem Handeln lässt sich dagegen etwa sprechen, wenn Ressortstrukturen in einem integrierten Newsroom aufgelöst oder Online-Aktivitäten direkt in einer neuen Organisation betrieben werden. Wer sich an dieser Stelle an die Unterschiede zwischen formulierten und praktizierten sowie emergenten und deliberativen Strategien erinnert fühlt, liegt durchaus richtig. Strategiearbeit kann nämlich als reflexives Handeln interpretiert werden. Als Set an Regeln und Ressourcen ist ein Strategiekonzept einerseits Struktur, die handlungsleitend für die Mitglieder einer Organisation sein soll. Andererseits wird das Strategiekonzept aber nur durch das Handeln der Akteure wirksam, die diese Strategie umsetzen (Ortmann 2010: 10). Es geht aus dieser theoretischen Perspektive also gerade nicht darum, Strategien zu entwickeln und die Strukturen des Unternehmens daran anzupassen. Vielmehr gilt es, analytisch zwischen Handeln und Struktur auf der einen sowie strategisch und operativ auf der anderen Seite zu unterscheiden, wobei beide Dimensionen unabhängig voneinander sind (ebd.: 14). Es gibt also strategisches Handeln und Strategie als Struktur. Und es gibt operatives Handeln und operative Strukturen. Durch diese Differenzierung lassen sich Strategieprozesse, ihre Voraussetzungen und Resultate deutlich präziser beschreiben. Für die redaktionelle Strategiearbeit scheint es sinnvoll, eine weitere Dimension hinzuzufügen, nämlich Medienindustrie und Journalismus als Handlungsfelder, die »abhängig von wechselseitigen Leistungen« sind, obwohl sie sich von ihren Orientierungshorizonten (Gemeinwohlorientierung versus Profitorientierung) deutlich unterscheiden (Altmeppen/ Arnold 2013: 45). Das bedeutet: Gerade in der Strategiearbeit müssen Entscheidungen, <?page no="49"?> 50 die je nach Orientierung fallen, im jeweils anderen Feld mitberücksichtigt werden. Auch dies ist ein rekursiver Prozess, da Entscheidungen, die in einem Feld getroffen werden, Handeln im anderen Feld gleichzeitig ermöglichen und Handlungsmöglichkeiten aber auch einschränken. Die Mantelredaktion einer Regionalzeitung mag zum Beispiel nicht glücklich darüber sein, künftig in einem Pool mit den Kollegen anderer Regionalzeitungen überregionale Themen zu bearbeiten, aber gleichzeitig ermöglicht nur diese Struktur, einen qualitativ hochwertigen Mantel zu Kosten zu produzieren, die die ökonomische Existenz des Verlags sichern und ihm Spielraum für Investitionen lassen. Ironischerweise gilt dies - und dieser kleine Exkurs sei an dieser Stelle erlaubt - sogar für redaktionelle Strategiearbeit im Content Marketing, also in dem Bereich der Unternehmenskommunikation, der anhand journalistischer Kriterien Inhalte produziert, die strategischen Zielen des Unternehmens, etwa dem Reputationsgewinn, dienen. In einem gewissen Sinne kolonialisiert Content Marketing damit professionelle Normen des Journalismus, um offenkundige Glaubwürdigkeitsverluste klassischer, marketingorientierter Marktkommunikation auszugleichen. Aber gerade dieser Glaubwürdigkeitstransfer funktioniert nur, wenn journalistische Normen und Konventionen akzeptiert werden. Was bedeutet dies aber nun für den Charakter redaktioneller Strategieprozesse? Die wichtigsten Konsequenzen seien hier, angelehnt an einen Vorschlag von Ortmann (2010: 17 ff.), angedeutet: Zunächst ist Strategiearbeit ein doppelt rekursiver Prozess. Es sind operative Strukturen, die Strategiearbeit ermöglichen und begrenzen. Strategien können nicht losgelöst von der existierenden Organisation auf der grünen Wiese entwickelt werden. Strategiekonzepte, die in diesem Kontext entstehen, prägen als Regeln und Ressourcen wiederum das strategische Handeln der Akteure in der Organisation, die Strategiekonzepte mit Leben erfüllen. Das schmälert nicht den Wert von Strategien, wohl aber die Bedeutung der Strategen, die diese Konzepte entwickeln. Strategisches Handeln unterscheidet sich unter diesen Rahmenbedingungen von operativem Handeln durch seinen Orien- <?page no="50"?> 51 tierungshorizont. Während operatives Handeln auf gegenwärtige Aufgaben in der Organisation ausgerichtet ist und sich in verhältnismäßig langfristig angelegten Routinen niederschlägt, ist strategisches Handeln umwelt- und vor allem zukunftsorientiert. Die Strategien, die strategisches Handeln strukturieren, sind dabei einerseits langfristig angelegt, aber gerade deshalb andererseits auch von zeitlich begrenzter Geltung, weil sich die Vorstellungen von der Zukunft gerade in turbulenten Umwelten ständig verändern. In einer hyperkompetitiven Umgebung kann sich die Kombination aus langfristiger Orientierung und kurzfristiger Geltung sogar noch weiter zuspitzen: »Tatsächlich besteht […] in einer […] hyperkompetitiven Umwelt Vorsorge vor allem darin, die Organisation dafür zu rüsten, ihr also Flexibilität und Agilität [und, siehe unten, Responsivität, Anm. d. Verf.] zu verleihen. Dann haben wir es erst recht mit einem Zusammenfallen organisatorischer und strategischer Anstrengungen zu tun. Die Strategie besteht dann in der Entwicklung einer flexiblen, responsiven Organisation. Gefragt ist dann strategische, langfristige, also: weitsichtige Vorsorge für die Fähigkeit zu schneller, kurzfristiger Selbsttransformation« (ebd.: 23). Responsiv ist eine Organisation genau dann, wenn sie in der Lage ist, in kurzer Zeit Antworten auf neuartige strategische Herausforderungen zu finden. Dazu muss sie einerseits immer wieder temporär gültige Vorstellungen von der zukünftigen Entwicklung der Organisation machen und andererseits Strukturen schaffen, die sensibel sind für gegenwärtige Entwicklungen in der organisatorischen Umwelt, an die Strategien flexibel angepasst werden. Soweit wir diesen Gedanken folgen, können wir daraus folgendes Verständnis redaktioneller Strategien ableiten: • Sie entwickeln möglichst angemessene und konkrete Vorstellungen über die zukünftige Entwicklung der eigenen Organisation und ihrer Umwelt (Zukunftsorientierung). • Sie formulieren Antworten auf strategische Herausforderungen (Handlungsorientierung). • Sie antizipieren dabei die Wechselwirkungen von journalistischen und unternehmerischen Entscheidungen vor dem Hin- <?page no="51"?> 52 tergrund der jeweiligen unterschiedlichen Zielsetzungen im Sinne der Gemeinwohl- und Profitorientierung (Reflexivität, Rekursivität). • Sie gleichen diese Zukunftsszenarien kontinuierlich mit den tatsächlich vorhandenen Fähigkeiten der Organisation und Veränderungen in der organisationalen Umwelt ab (Fitness). • Sie treffen strategische Vorsorge, indem sie organisationale Strukturen entwickeln, die Veränderungen sensibel wahrnehmen und flexibel darauf reagieren können (Responsivität). • Sie werden wirksam in kommunikativen Prozessen, in denen die Bedeutung eines Strategieentwurfs zwischen denjenigen Akteuren, die die Strategie entwickelt haben, und denjenigen, die sie umsetzen, ausgehandelt wird (Strukturation). Was dies für die detaillierte Ausgestaltung von redaktionellen Strategieprozessen bedeutet, wird im folgenden Kapitel skizziert. Tipps zum Weiterlesen Die Chancen, die für Unternehmen in der Digitalisierung liegen, schildert Chesbrough (2011). Die strukturationstheoretische Sichtweise auf Strategie wird in Ortmann (2010) vertieft. <?page no="52"?> 53 Abschnitt 2 <?page no="54"?> 55 3 Zentrale Dimensionen redaktioneller Strategiearbeit Redaktionelle Strategieprozesse vermitteln zwischen dem Heute der redaktionellen Routinen und dem Morgen der geänderten Nutzererwartungen und beschäftigen sich mit dem eigenen Medienunternehmen und seiner Umwelt. Sie sind sensitiv für Impulse aus der Organisation und reflexiv im Sinne einer Offenheit für Veränderungen in der Umwelt. In Strategieprozessen wechseln sich offene, induktive und schließende, deduktive Phasen ab. Sie sind zyklisch, indem sie Ergebnisse aufeinander beziehen, und reversibel, weil sie Vorannahmen revidieren. Sie sind performativ, weil strategische Chancen vorgelebt werden müssen, und kommunikativ, weil Strategien nur durch die Akteure in der Organisation wirksam werden. Nachdem die Merkmale redaktioneller Strategien benannt sind, stellt sich die weiterführende Frage: Wie werden diese Strategien sinnvollerweise entwickelt? Hier ließe sich zunächst auf die betriebswirtschaftliche Standardliteratur verweisen, die Strategieprozesse typischerweise so beschreibt (Venzin et al. 2003: 12): Zu Beginn werden Strategieprozesse vom Management initiiert, das vorgibt, mit welchen Themen sich die Strategieentwicklung auseinandersetzt. Dann folgt die Analyse des eigenen Unternehmens auf der einen Seite, und hier insbesondere die seiner Stärken und Schwächen, und die des Marktes auf der anderen Seite, genauer gesagt hinsichtlich der Gelegenheiten und Gefahren, die ein Markt bietet. Die Ergebnisse der Analyse dienen als Basis für die Entwicklung einer Vision und langfristiger Zielen. Entlang dieser Ziele wird dann die eigentliche Strategie entwickelt, und zwar je nach Unternehmenstyp noch gesondert für Geschäftsbereiche und spezifische Funktionen, wie zum Beispiel Personalentwicklung oder Marketing. Die Strategieumsetzung und die Leistungskontrolle schließen den Prozess ab: Wie müssen wir unsere Orga- <?page no="55"?> 56 nisation umbauen? Und wie können wir messen, ob wir unsere Strategie erreichen? Als erste Annäherung kommt man mit diesem Ansatz auch ziemlich weit, wenn redaktionelle Strategien entwickelt werden sollen. Auch redaktionelle Strategieprozesse bilden sich nicht von allein heraus, sondern müssen aktiv angestoßen werden. Die vergleichende Analyse der eigenen Ressourcen und der allgemeinen Marktentwicklung kann äußerst hilfreich sein, um Nischen für journalistische Angebote zu identifizieren, die niemand besser besetzen kann als die eigene Redaktion. Redaktionelle Leitbilder koordinieren als Vision das Handeln von Redakteuren und sind oft eine wertvolle Hilfe für die konzeptionelle Entwicklung eines Angebots und die Ableitung einer geeigneten Organisationsstruktur für die Redaktion, in der sie erstellt werden. Ebenso sinnvoll ist es schließlich, anhand von Reichweitendaten, Nutzerstrukturanalysen und redaktionsorientierter Marktforschung den Erfolg der eigenen Arbeit zu überprüfen. Aber obwohl das klassische Verständnis eines Strategieprozesses auf den ersten Blick gut auf eine Redaktion angewendet werden kann, wird hier ein eigenständiger Ansatz für redaktionelle Strategieprozesse entwickelt, und zwar explizit nicht wegen der unterschiedlichen teilsystemischen Orientierungshorizonte von Betriebswirtschaft und Journalismus, denn auch gemeinwohlorientierte Ziele wie interne Vielfalt ließen sich in Vision, Strategie oder Leistungskontrolle durchaus unterbringen. Entscheidend Abb. 5: Klassischer Strategieprozess In Anlehnung an Venzin/ Rasner/ Mahnke (2003) Bereichsstrategie Marktanalyse Initiierung Vision/ Ziele Erfolgskontrolle Umsetzung Konzern- Strategie Funktionale Strategie Unternehmensanalyse <?page no="56"?> 57 sind vielmehr folgende Argumente, die Erkenntnisse aus den vorangegangenen Kapiteln dieses Buches aufgreifen: Zunächst wird die strikte Trennung zwischen Vision und Strategieentwicklung der Entwicklung hyperkompetitiver Umgebungen wie Medienmärkten nur bedingt gerecht, wie man in Kapitel 1 gesehen hat. Zu nennen wäre außerdem die relative Blindheit dieses Prozessmodells für die enge Verschränkung von Organisation und Strategie, die in Kapitel 2 herausgearbeitet wurde: Die Umsetzung einer Strategie ist viel komplexer als die Exekution eines Masterplans. Verwiesen werden soll schließlich auf den ebenfalls in Kapitel 2 betonten Charakter von Strategien als kommunikativ vermittelte Sinnstrukturen. Dieser unterscheidet sich qualitativ von dem in der klassischen Betriebswirtschaft unterstellten Verständnis unternehmerischer Entscheidungen als Bündel zweckrationaler Kalküle, die per se allen Beteiligten einleuchtend sind. Diese Argumente führen nicht zu einem völlig neuen, aber gleichwohl anders akzentuierten Verständnis von redaktionellen Strategieprozessen: Ausgehend von den spezifischen Eigenschaften redaktioneller Strategien, stellt sich zunächst die Frage nach dem besonderen Charakter redaktioneller Strategieprozesse. Anschließend wird erörtert, mit welchen Gegenständen sich redaktionelle Strategieprozesse beschäftigen, und darauf eingegangen, welche Akteure in Strategieprozesse involviert sind. Alle Aspekte werden schließlich zu einem integrierten Prozessmodell zusammengeführt. 3.1 Charakteristika redaktioneller Strategieprozesse In Kapitel 2 werden eine Reihe von Eigenschaften redaktioneller Strategien definiert, aus denen sich jeweils unterschiedliche Merkmale von Strategieprozessen ableiten lassen. So geht es etwa darum, möglichst realistische Vorstellungen über die zukünftige Entwicklung der eigenen Organisation und ihrer Umwelt zu entwicklen. Trotz der Vielzahl quantitativer Daten, die in die Strategiearbeit einfließt und auch unbedingt einfließen sollte, hat die finale Stra- <?page no="57"?> 58 tegie einen zutiefst qualitativen Charakter: als symbolische, in der Regel sprachlich vermittelte Beschreibung ihres Gegenstands, nämlich der Zukunft der Medienorganisation, innerhalb derer sie entwickelt wird. Wer auch immer in der Organisation die Strategie als symbolische Beschreibung entwickelt, tut dies vor dem mit allen Mitgliedern geteilten Hintergrund der etablierten Praktiken - seien sie nun redaktioneller oder eher wirtschaftlicher Natur. Man wird versuchen, genau diese Praktiken zu verstehen, um daraus schließen zu können, ob und in welcher Art und Weise sich die Organisation verändern sollte. Der Sinn, der sich hinter diesen Praktiken verbirgt, wird in der Strategiearbeit also gewissermaßen rekonstruiert. Berücksichtigt man alle bisher erwähnten Aspekte, sind Strategien damit Befunden der Sozialforschung im Kern verblüffend ähnlich, soweit man sie aus einer qualitativen Perspektive als »dichte Beschreibung« (Strübing 2013: 69) ihres jeweiligen Gegenstandes versteht (siehe grundsätzlich dazu etwa auch Flick 2007 oder Przyborski/ Wohlrab-Sahr 2009). Folgt man dieser Logik zumindest als Modell, dann lassen sich auch die Grundprinzipien qualitativer empirischer Forschung für redaktionelle Strategieprozesse adaptieren. Zu nennen ist hier zunächst die prinzipielle Offenheit gegenüber dem Gegenstand. Offenheit bedeutet in diesem Kontext, sein Vorverständnis vom Gegenstand zurückzustellen und prinzipiell alle Deutungsmöglichkeiten zuzulassen, die sich aus den empirischen Daten ergeben können. Offenheit bezieht sich aber ebenso auf die Flexibilität im Einsatz unterschiedlicher Methoden, solange sie dem Gegenstand angemessen sind (Lamnek 2005: 20 f.). Wesentlich für qualitative Forschungslogik ist darüber hinaus das Bestreben, einerseits eine möglichst breite strukturelle Varianz der Perspektiven auf den Gegenstand anzustreben und dabei gleichwohl gezielt nach Gemeinsamkeiten zu suchen (Kleining 1995: 228). Eine weitere wichtige Grundhaltung qualitativer Forschung ist die bewusste Reflexion des eigenen Vorverständnisses und seines <?page no="58"?> 59 Einflusses darauf, wie Befunde interpretiert werden. Dies wird verbunden mit dem Bestreben, bewusst Distanz zum eigenen Vorverständnis und zum dem Gegenstand aufzubauen, den man empirisch analysiert (Kuckartz 2014: 33). Zentral für die Qualität und Verallgemeinerbarkeit qualitativer Forschungsergebnisse ist schließlich die kommunikative Validierung der Befunde. Wer den engen Bezug zwischen Kontext, Gegenstand und Forscher ernst nimmt, kann gerade nicht auf standardisierte Methoden zurückgreifen, sondern muss sein Vorgehen sehr detailliert beschreiben und damit diejenigen überzeugen, die als Wissenschaftler oder Beforschte Experten für den jeweiligen Gegenstand sind (Przyborski/ Wohlrab-Sahr 2009: 41). Überträgt man diese Kernbestandteile qualitativer Forschungslogik auf einen redaktionellen Strategieprozess, lassen sich daraus drei Eigenschaften (induktiv, reflexiv, kommunikativ) dieses Prozesses ableiten, die weiter unten von fünf weiteren ergänzt werden (performativ, evaluativ, zyklisch, reversibel und sensitiv). Abb. 6: Redaktioneller Strategieprozess Strategieteam, Management Umweltanalyse Organisationsanalyse Strategie- Varianten Akteure in der Organisation Lieferanten, Kunden, Wettbewerber, Experten induktiv reversibel zyklisch evaluativ reflexiv sensitiv performativ kommunikativ <?page no="59"?> 60 Strategieprozesse sind induktiv, indem sie sich nicht vorschnell auf naheliegende Erklärungsansätze festlegen, aus denen heraus alle weiteren Schritte abgeleitet werden. Stattdessen suchen sie in allen Daten, die im Strategieprozess verfügbar sind, offen nach alternativen Erklärungsansätzen und Lösungsmöglichkeiten und spielen unterschiedliche Szenarien parallel zueinander durch. Gleichzeitig sind sie sehr flexibel hinsichtlich der eingesetzten strategischen Instrumente, kombinieren unterschiedliche Perspektiven auf die eigene Organisation und ihre Umwelt und passen sich damit an unterschiedliche strategische Fragestellung an. Durch die so erzeugte Offenheit werden sie robuster gegenüber dynamischen Umweltentwicklungen. Gleichzeitig steigt die Chance, dass Möglichkeiten entdeckt werden, mit denen man aktiv einen Medienmarkt gestalten kann (Brabandere/ Iny 2013: 33). Strategieprozesse sind außerdem reflexiv. Im Verlauf des Prozesses werden Interessen und Vorannahmen der Akteure offenbar, die eine Strategie entwicken und die Akteure hinterfragen kritisch, inwieweit die Ergebnisse ihrer Strategiearbeit von ihren Vorannahmen geprägt worden sind. Mit solch einer kritischen Sichtweise ist die Einsicht verbunden, dass eben nicht nur Nutzer, Mitarbeiter oder Dienstleister beschränkten Rationalitäten folgen, sondern auch die Strategen selbst. Diese antipaternalistische Grundhaltung öffnet den Strategieprozess insbesondere auch für externe Perspektiven und Ideen. Sie macht so eine größere Bandbreite strategischer Herausforderungen sichtbar und erweitert das Spektrum angemessenen Antworten darauf. Reflexive Strategieprozesse sind zudem kontraintuitiv: Am Ende des Prozesses können zwar durchaus intuitiv entwickelte Lösungen stehen, aber während des Prozesses prüft das Strategieteam regelmäßig, ob intuitive Ansätzeden Blick auf alternative, wertvollere Lesarten eines Problems verstellen (Brabandere/ Iny 2013: 43). Ebenso wie die Aussagekraft von qualitativer Forschung letztlich nur über den intensiven Austausch unter allen beteiligten Akteuren hergestellt werden kann, hängt auch der Erfolg von Strategieprozessen nicht zuletzt davon ab, wie kommunikativ sie sind. Diese Eigenschaft zielt zunächst ebenfalls auf die Belastbarkeit und den Realitätsbezug der entwickelten Strategie ab. Beides kann <?page no="60"?> 61 potenziell dadurch gesteigert werden, dass man Zwischenergebnisse nicht nur im Kollegenkreis kritisch diskutiert und nach alternativen Deutungsmöglichkeiten sucht, sondern auch weitere Stakeholder in den Prozess einbindet. Das können Kollegen aus den Abteilungen des Medienunternehmens sein, die im Strategieprozess zunächst unbeteiligt waren, aber auch Nutzer, Lieferanten, Experten oder gar die unmittelbaren Wettbewerber. Da nun aber redaktionelle Strategien im Gegensatz zu sozialwissenschaftlichen Forschungsergebnissen explizit umsetzungsorientiert sind, überbrücken kommunikative Strategieprozesse idealerweise auch mögliche Lücken zwischen den Akteuren, die die Strategie entwickeln, und denjenigen, die sie im redaktionellen Alltag umsetzen müssen. Kommunikative Strategieprozesse berücksichtigen damit den begrenzten Einfluss von Strategien als Struktur und fördern im besten Falle strategisches Handeln in der ganzen Redaktion und allen anderen Abteilungen eines Medienhauses. Handlungsorientierung schwang auch schon bei der Eigenschaft redaktioneller Strategien mit, Antworten auf strategische Herausforderungen zu formulieren. Hier schlägt sich die Idee einer responsiven Strategie nieder, die strategische Herausforderungen antizipiert, auf Organisationsstrukturen gerichtet ist, die an diese Herausforderungen angepasst werden können, und deren Erfolg letztlich davon abhängig ist, ob sie die relevanten Akteure innerhalb und außerhalb der eigenen Organisation integrieren und mobilisieren kann (Ortmann 2010: 30). Entwickelt man diesen Gedanken weiter, gelangt man zu weiteren Eigenschaften von redaktionellen Strategieprozessen: Sie sind performativ, evaluativ, zyklisch, reversibel und sensitiv. Sie sind performativ, indem sie Zukunftsentwürfe greifbar machen und im wahrsten Sinne des Wortes durchspielen. Denn wirksam werden Strategien nicht durch die abstrakten Modelle und Analyseansätze, auf denen sie in der Regel aus guten Gründen basieren, sondern durch die Verbindung dieser Modelle mit dem aktuellen Erfahrungshorizont und den tatsächlich verfügbaren Ressourcen. Das geschieht in konkreten Szenarien, in die Strategien überführt werden, sei es durch Visualisierungen, die Überset- <?page no="61"?> 62 zung in Erfolgs- oder Misserfolgsgeschichten oder die Zuspitzung auf anschaulich formulierte Kernthesen. So werden Strategien lebendig und entfalten ihre Orientierungskraft. Nach demselben Prinzip werden auch Zwischenergebnisse auf dem Weg zur Strategie zugänglich und überprüfbar. Nimmt man den Anspruch der Responsivität von Strategien ernst, müssen Strategieprozesse aber nicht nur anschaulich und nachvollziehbar sein, sondern Handlungsempfehlungen entwickeln, die tatsächlich in der vorhandenen Organisation und unter den gegebenen Umweltbedingungen umsetzbar sind. Denn so wichtig eine Vielfalt von Problemdefinitionen und Lösungsmöglichkeiten auch ist, um seinen strategischen Handlungsspielraum auszuloten, so wenig reicht es für eine Antwort aus, diese Vielfalt nur zu präsentieren. Vielmehr geht es darum, diese zu bewerten und sich dann für eine Problemdefinition und einen Lösungsansatz zu entscheiden, um die Organisation handlungsfähig zu machen. Anders formuliert: Strategieprozesse müssen eben nicht nur induktiv, sondern auch evaluativ sein. Strategieprozesse müssen nicht nur geöffnet, sondern auch wieder geschlossen werden. Entscheidend dabei ist die Wahl der dem Gegenstand angemessenen Evaluationskriterien. Wer etwa eine Digitalstrategie für eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt entwickelt, wird hier andere Kriterien anwenden als ein hochspezialisierter Fachverlag, der nach weiteren Nischen für seine Special-Interest-Titel Ausschau hält. Bei der Entwicklung dieser Kriterien wird man schon im Strategieprozess die Wechselwirkungen von journalistischen und unternehmerischen Entscheidungen vor dem Hintergrund der jeweiligen unterschiedlichen Zielsetzungen im Sinne der Gemeinwohl- und Profitorientierung berücksichtigen: Nutzer werden als Kunde und als Bürger gesehen. Und neben dem individuellen Nutzen steht der Wert des Angebots für die Gesellschaft (Arnold 2009). Redaktionelle Strategien berücksichtigen somit Interdependenzen und Zielkonflikte, die sich nicht nur, aber eben auch aus diesen drei Dimensionen ergeben. Strategieprozesse sind daher fast zwangsläufig zyklisch, da sie Zwischenergebnisse aus vorange- <?page no="62"?> 63 gangenen Schritten im Strategieprozess im Lichte des Ergebnisses bewerten, das auf einer weiteren Stufe hinzugekommen ist. Falls erforderlich, werden Alternativen durchgespielt und so in mehreren Durchläufen die Strategie an die konkrete Wettbewerbssituation angepasst. So könnte man zum Beispiel bevor man eine Themenstrategie für eine Website verabschiedet, noch einmal die Personas, zu denen man die Ergebnisse der Publikumsanalyse verdichtet hat, daraufhin überprüfen, ob sie das Interessenspektrum der definierten Zielgruppen angemessen abbilden. Der zyklische Charakter von Strategieprozessen ließe sich ebenfalls aus der Tatsache ableiten, dass Strategien entwickelte Zukunftsszenarien kontinuierlich mit den tatsächlich vorhandenen Fähigkeiten der Organisation und Veränderungen in der organisationalen Umwelt abgleichen. Diese Eigenschaft von Strategien führt uns allerdings noch zu einer anderen Charaktereigenschaft von Strategieprozessen: Wer diesen Prozess initiiert, schränkt ja zunächst bei aller Offenheit im Prozess den Bereich ein, in dem Umweltveränderungen beobachtet, analysiert und in Strategien überführt werden. Nur so wird eine komplexe Umwelt überhaupt bearbeitbar. In hyperkompetitiven Umfeldern kann aber selbst diese grobe Eingrenzung des Bereichs Makulatur werden, zum Beispiel weil soziale Medien in kurzer Zeit zu völlig neuen Mediennutzungsmustern führen. Strategieprozesse müssen daher reversibel sein, indem sie bereit sind, auch den Bereich für strategische Antworten im laufenden Prozess neu zu definieren. Hier bewegen wir uns an der Schnittstelle zur Responsivität von Strategien, die Vorsorge für Unvorhersehbares zu treffen, indem sie organisationale Strukturen entwickeln, die Veränderungen sensibel wahrnehmen und flexibel darauf reagieren können. Hier werden sozusagen die Organisation und alle ihre Komponenten selbst zur Strategie. Dazu gehören Fragen wie: Schränkt die Investition in ein eigenes Druckzentrum die Flexibilität eines Zeitungsverlags ein? Idealerweise ist eine Organisation dazu in der Lage, das Wissen und die Kompetenzen, die sie sich im Organisationsalltag erarbeitet, unmittelbar in strategisches, zukunftsgerichtetes Handeln umzusetzen. <?page no="63"?> 64 Wie responsiv ein Unternehmen agiert, lässt sich nicht zuletzt daran erkennen, wer redaktionelle Strategieprozesse initiiert, nämlich das Management bzw. die Chefredaktion oder die Journalisten, die im Kontakt mit Nutzern, Informanten, Agenturen, freien Mitarbeitern, Datenspezialisten etc. stehen. In traditionellen Medienhäusern wäre Strategie Chefsache. Dabei könnten gerade diejenigen, die jeden Tag nah am Markt arbeiten, eher auf strategisch bedeutende Themen innerhalb und außerhalb der Organisation stoßen, da sie möglicherweise schneller die schwachen Signale von Veränderungen wahrnehmen, die tiefgreifenden Wandel in der Wettbewerbsstruktur nach sich ziehen können. Strategieprozesse, die offen sind für strategische Impulse, die nicht von der Führungsebene ausgehen, sollen hier als sensitiv bezeichnet werden. 3.2 Gegenstände redaktioneller Strategieprozesse Nachdem bis hierhin Charakteristika eines redaktionellen Strategieprozesses herausgearbeitet wurden, die man beim Design oder der Analyse der eigenen Strategieprozesse berücksichtigen sollte, stellt nun die Frage nach den spezifischen Gegenständen, mit denen sich redaktionelle Strategiearbeit auseinandersetzt. Vor dem Hintergrund der prinzipiellen Offenheit von Strategieprozessen kann dabei kein vollständiges Bild gezeichnet werden, das alle wesentlichen Gegenstände und ihre Bezüge zueinander enthält. Vielmehr geht es darum, die Themenfelder zu skizzieren, die redaktionelle Strategieprozesse mit hoher Wahrscheinlichkeit streifen, und diese im Einzelfall gegebenenfalls zu ergänzen. Bildlich gesprochen, lassen sich die Länder auf dem Globus beschreiben, die man auf seiner strategischen Reise auf jeden Fall besuchen sollte - Abstecher in andere Regionen und auf andere Kontinente nicht ausgeschlossen. Dabei sollte man nicht an ein zentimetergenau geocodiertes Google Earth denken, sondern eher an eine Seekarte aus dem Zeitalter der Entdeckungen mit groben Küstenlinien, handschriftlichen Ergänzungen und großen Lücken auf fleckigem Pergament. Fest stehen in Strategieprozessen die <?page no="64"?> 65 Bereiche, die man stets berücksichtigen muss, um eine angemessene Strategie zu entwickeln, nämlich die eigene Organisation und deren Umwelt. Sie sind, um im Bild zu bleiben, die Kontinente, die mit Gold, Silber und Gewürzen locken, und die Ozeane, die man zwangsläufig queren muss, um neues Land zu entdecken. Journalismus als hochwertige Dienstleistung ist das Bindeglied zwischen Organisation und Umwelt. Daher stellen redaktionelle Strategieprozesse idealerweise das journalistische Angebot in den Mittelpunkt. Umweltanalyse In der Umweltanalyse ist man gut beraten, zunächst die Bedürfnisse der Nutzer zu identifizieren, auf die man das Design dieser Services ausrichten kann. Andersherum gilt der erste Blick auf die eigene Organisation den Werten, die man aktuell für seine Nutzer schafft. Aus dieser Perspektive lassen sich dann alle weiteren Aspekte der jeweiligen Sphäre erkunden. Wegen des zyklischen Charakters von Strategieprozessen (vgl. Kap. 3.1, S. 62) ist solch ein Phasenmodell vor allem ein analytischer Ansatz, der es Abb. 7: Gegenstände redaktioneller Strategiearbeit Organisation Umwelt Ebene Makro Meso Mikro Nutzer (latente) Bedürfnisse Nutzungsmuster Communities Wettbewerb Konkurrenten Intermediäre Branchentrends Metatrends Gesellschaft Wirtschaft Technologie Wertbeitrag Einzigartige Nutzenversprechen Wertschöpfung Ressourcen Technologie Dienstleister Refinanzierung Einbettung des Journalismus ins Medienunternehmen <?page no="65"?> 66 erleichtert, die Gegenstände redaktioneller Strategieprozesse zu beschreiben. Kerngegenstand der Umweltanalyse sind auf der Mikroebene also die Nutzer journalistischer Angebote. Die Nutzer sind selbstverständlich keine homogene Masse, sondern ein komplexes Netzwerk von Akteuren mit unterschiedlichen Interessen, Lebensstilen, Werthorizonten, Medienrepertoirs sowie kulturellen, sozialen und (medien)biografischen Hintergründen, die allesamt potenziell strategisch bedeutsam sein können. Drei davon sollen hier besonders hervorgehoben werden: Redaktionelle Strategien betrachten Nutzer immer in ihrer Doppelrolle als gemeinwohlorientierte Staatsbürger und Kunden mit individuellen Präferenzstrukturen in Bezug auf redaktionelle Angebote. Auf beiden Ebenen können Werte geschaffen werden, die eine stabile Beziehung zwischen Nutzer und Medienhaus begründen. In dynamischen Netzwerköffentlichkeiten erscheint es daneben wenig sinnvoll, allein nach individuellen Präferenzen zu fragen und daran entlang Nutzermärkte zu segmentieren. Mindestens ebenso wichtig ist es, diese individuellen Präferenzen vor dem Hintergrund der sozialen Bezüge zu diskutieren, in die diese eingebunden sind. Redaktionelle Strategien können gerade dann besonders erfolgreich sein, wenn sie Communitys identifizieren und deren Dynamik für ihren (publizistischen) Erfolg nutzbar machen. Hierin liegt zum Beispiel eine Ursache für den Erfolg von Angeboten wie der Huffington Post, die nahezu vollständig auf eigene journalistische Inhalte verzichtet. Überdies setzen redaktionelle Strategieprozesse nicht nur an bekannten Nutzerbedürfnissen an, sondern fokussieren insbesondere auch latente Bedürfnisse, die Nutzern erst bewusst werden, wenn entsprechende Angebote auf den Markt kommen. Gerade diese Bedürfnisse sind es, die von neuartigen Angeboten adressiert werden und die es ermöglichen, neue Märkte zu erschließen. In dem nach seinem japanischen Erfinder benannten Kano-Modell werden Begeisterungsfaktoren, die sich einseitig positiv auf die Zufriedenheit von Kunden auswirken, abgegrenzt von Leistungsfaktoren, die positive und negative Effekte auf die Zufriedenheit <?page no="66"?> 67 haben können, und sogenannten Basisfaktoren, die lediglich Unzufriedenheit auslösen, wenn Nutzerwartungen nicht erfüllt werden (Matzler et al. 2009). Ein Basisfaktor eines Autos sind zum Beispiel elementare Sicherheitsausstattungen wie ein Anti-Blockier-System. Ein Leistungsfaktor wäre der durchschnittliche Verbrauch, und wirklich begeistert sind Autofahrer von der lautlosen Beschleunigung einer Elektrolimousine. Anders als Begeisterungsfaktoren beziehen sich Leistungsanforderungen und Basisfaktoren aber auf bekannte Nutzerbedürfnisse. Begeisterungsfaktoren sind eine wichtige Grundlage, um sich von Angeboten der Wettbewerber abzugrenzen. Insbesondere auf hyperkompetitiven Märkten ist die Entdeckung latenter Nutzerbedürfnisse daher ein besonders wertvoller Ertrag eines Strategieprozesses. Sobald also auf der Mikroebene Bedürfnisse und soziale Beziehungen beschrieben sind, werden auf der Mesoebene der Umweltanalyse die Angebote sichtbar, die die identifizierten relevanten Bedürfnisse adressieren und damit fester Bestandteil von Mediennutzungsgewohnheiten geworden sind oder zumindest werden könnten. Das können neben anderen journalistischen Angeboten auch nicht journalistische Dienstleistungen sein, die das gleiche Bedürfnis auf eine andere Art und Weise befriedigen können. Um es an einem einfachen Beispiel zu erläutern: Wozu als Amateurfußballer noch den Sportteil der lokalen Tageszeitung lesen, wenn die Community-App die Spielstände aller Mannschaften als Push-Nachricht verbreitet? Auf der Mesoebene geht es dabei nicht allein um unterschiedliche Konfigurationen von Services, sondern immer auch um die Wertschöpfungsketten oder -netzwerke, in denen diese Services erstellt werden, bzw. um Veränderungen im professionellen Selbstverständnis oder professioneller Standards, die direkt oder indirekt neue Mediennutzungsmuster nach sich ziehen können. Wie etwa ist es zu bewerten, wenn Medienhäuser zunehmend Laien in die Recherche einbinden? Welche Konsequenzen hat es, wenn statt vieler Einzelkorrespondenten nur noch wenige Hauptstadtredaktionen aus Berlin berichten? Wie wirkt sich Instagram auf die Ansprüche von Nutzern aus, visuelle Angebote zu nutzen? <?page no="67"?> 68 Auf der Makroebene der Umweltanalyse hingegen können wir Entwicklungen sehen, die sich nicht speziell auf Medienmärkte oder Mediennutzung beschränken, sondern ganz generell die Gesellschaft verändern. Hierunter fallen die bereits genannten Metatrends der Mediatisierung und Digitalisierung, aber auch grundlegende Veränderungen im politischen System bzw. kulturelle Trends. Organisationsanalyse Eine vergleichbare analytische Trennung in Mikro-, Meso- und Makroebene lässt sich auch aufseiten der eigenen Organisation vornehmen. Der Klarheit halber soll aber zunächst erwähnt werden, dass sich die Verwendung der Begriffe von der Differenzierung der drei Ebenen im Kontext von Akteur-Struktur-Dynamiken unterscheidet, auf die in Kapitel 2 verwiesen worden ist. Anders als bei der Umweltanalyse, die ohnehin auf künftige Entwicklungen ausgerichtet ist, wechselt die Sicht auf die eigene Organisation stets zwischen der Analyse von aktuell vorhandenen Strukturen und Praktiken und in die Zukunft gerichteten Innovationsprozessen, die den identifizierten strategischen Herausforderungen begegnen kann. So verstanden, betrachten Strategieprozesse auf der Mikroebene der Organisationsperspektive den Nutzen, den journalistische Angebote für die User stiften: Welche Nutzerbedürfnisse werden durch die Produkte adressiert? Wie tragen Aspekte wie Darstellungsformen und Themen und Gestaltung dazu bei? Wie profitieren Medienunternehmen vom »Public Value«, den sie schaffen? Und schließlich fast noch wichtiger: Wie docken redaktionelle Angebote an die Alltagspraktiken der Nutzer an? Denn Mediennutzung ist keine stete Folge rationaler Auswahlentscheidungen, sondern in Gewohnheiten eingebettet. Auf der Mesoebene betrachtet man die Organisation selbst und die Wertschöpfungsprozesse, in denen journalistische Angebote entstehen. Aus Sicht der strategischen Analyse zählen hier vor allem wertvolle Ressourcen in Form von Wissen, Kompetenzen <?page no="68"?> 69 oder dem Zugriff auf besondere Technologien, aber auch das Prozessdesign im Allgemeinen und das spezifische Netz von Zulieferern und deren Wertschöpfungsbeiträge. Nicht zuletzt geht es auch um das professionelle Selbstverständnis und die Kompetenzprofile der Journalisten in der eigenen Redaktion. Diese können durchaus ausschlaggebend dafür sein, in welchem Umfang etwa technologische Innovationen in Redaktionen angenommenen werden: die Fähigkeit der Redaktion, Daten- oder Robot-Journalismus zu betreiben, eine wertvolle Kooperation mit einem Web-Analytics-Dienstleister zu pflegen, besondere Erfahrung im Management von nutzergenerierten Inhalten vorzuweisen oder die Offenheit des eigenen Redaktionsteams, Social-Media-Kanäle zu bespielen. Auf der Makroebene laufen schließlich ökonomische und journalistische Orientierungen zusammen. Es geht darum, wie journalistische Angebote in ein (Medien)Unternehmen eingebettet werden können. Vor allem stellt sich hier die Frage nach der Refinanzierung der Kosten, die journalistische Angebote verursachen, in welchen Konstellationen auch immer: Vertriebserlöse, Werbeerträge, Steuern, Rundfunkbeitrag, Spenden, Stiftungen etc. - all dies lässt sich in unterschiedlichen Kombinationen durchspielen und auf dem Markt beobachten (Kaye/ Quinn 2010). Dies ist gerade im digitalen Journalismus oft der anspruchsvollste Teil der Strategiearbeit. Er lohnt sich aber erst, wenn auf der Mikro- und Mesoebene überzeugende Ansätze gefunden worden sind. 3.3 Beteiligte an redaktionellen Strategieprozessen Nachdem nun Eigenschaften und Gegenstände von Strategieprozessen beschrieben worden sind, stellt sich abschließend die Frage, wer genau die redaktionelle Strategiearbeit leistet und wie dies den Feinablauf und die Ergebnisse eines Strategieprozesses beeinflusst. Die Digitalisierung hat hier generell zu einem gewissen Umdenken geführt. Betrachtet man allein die historischen Wurzeln der Strategiedebatte im Militär, nimmt es nicht wunder, <?page no="69"?> 70 dass Strategien traditionell in kleinen Führungszirkeln und ihren Stäben unter hoher Geheimhaltung ausgearbeitet werden. Genauso wie sich aber die Einsicht durchgesetzt hat, dass Offenheit und die Einbindung externer Akteure bei der Entwicklung von neuen Services, Produkten und Geschäftsmodellen in einer digitalisierten Wirtschaft durchaus vorteilhaft sein können (Chesbrough 2011), wächst auch im Strategiediskurs die Aufgeschlossenheit für offene Strategieprozesse, in die interne und externe Akteure breit eingebunden werden. Das liegt nicht zuletzt daran, dass es erst Web-2.0-Technologie ermöglicht hat, breite Akteurskreise effizient in die Strategiearbeit einzubinden (Matzler et al. 2014: 48). Dafür sprechen eine Reihe von Chancen: Wissen und Perspektiven von Experten werden besser genutzt; dadurch gewinnt der Strategieprozess an Qualität; wer intensiver mit relevanten internen und externen Stakeholdern interagiert, kann gezielter Antworten auf strategische Fragen geben; schließlich erhöht der Aufbau von strategischem Wissen bei einem großen Mitarbeiterkreis die Fähigkeit der Organisationen, strategisch zu handeln und damit responsiv zu agieren (ebd.: 49). Offene Strategieprozesse bringen allerdings auch Risiken mit sich. Ist die Web-Technologie, die zumindest für die Durchführung breit angelegter offener Strategieprozesse eingesetzt wird, ausgereift genug? Sind Geschäftsführung und Chefredaktion tatsächlich bereit, ein Stück ihrer Macht abzugeben? Und nehmen Redakteure ihre strategische Verantwortung an? Sind Entscheidungsprozesse so klar definiert, dass Redakteure und externe Akteure sich zum Schluss nicht doch übergangen fühlen (ebd.: 50)? Diese Chancen und Risiken sind in jedem Einzelfall gegeneinander abzuwägen. Idealerweise wird ein Grad an Offenheit gefunden, der alle Beteiligten fordert, aber eben nicht überfordert. In jedem Fall erfordern jedoch offene Strategieprozesse ein hohes Maß an Führung. Je weniger Führungskräfte eigene strategische Impulse vorgeben, desto eher müssen sie Offenheit vorleben und den Sinn und Zweck des Strategieprozesses klar kommunizieren. <?page no="70"?> 71 3.4 Vorschlag eines integrierten Prozessmodells Nachdem wir uns bislang detailliert mit den Eigenschaften, Gegenständen und Beteiligten von redaktionellen Strategieprozessen auseinandergesetzt haben, werden die Zwischenergebnisse zu diesen drei Bereichen in diesem Abschnitt zu einem integrierten Modell verdichtet und aufeinander bezogen. Hier stellt sich zunächst die Frage, wer redaktionelle Strategieprozesse initiiert. Dies bleibt, wie herausgearbeitet wurde, zunächst eine Führungsaufgabe. Zu dieser Aufgabe gehört es, nicht nur die möglichen Antworten auf Fragen zu strategischen Herausforderungen einzugrenzen, sondern auch bewusst den Grad der Offenheit des Strategieprozesses zu bestimmen: Wer wird in die Strategiearbeit unmittelbar einbezogen und wie wird diese Zusammenarbeit moderiert? Gerade in unsicheren Umgebungen sollten Führungskräfte allerdings offen sein für strategische Impulse aus der Redaktion: von Mitarbeitern, die in ihrer täglichen Arbeit erste Anzeichen von starken Wandlungsdynamiken wahrnehmen. In diesem Sinne sind Strategieprozesse sensitiv. Unabhängig davon, wer Strategieprozesse anstößt, ist es in der Startphase von großer Bedeutung, die Vorannahmen und Interessen aller an der Strategiearbeit Beteiligten bewusst zu reflektieren und zu irritieren. Auf diese Weise erhöhen reflexive Strategieprozesse die Wahrscheinlichkeit, auf Strategieansätze zu stoßen, mit denen man eine Marktentwicklung aktiv gestalten kann. Diese Offenheit für Problemdefinitionen und Lösungsmöglichkeiten prägt dann auch die weitere Strategiearbeit, und zwar in der Auseinandersetzung mit beiden zentralen Gegenständen: Sowohl die Analyse des Ist-Zustandes der eigenen Organisation und relevanter Veränderungen in ihrer Umwelt als auch die Entwicklung von angemessenen Antworten auf strategische Herausforderungen ist zunächst induktiv, also offen für Problemdefinitionen und Lösungsmöglichkeiten. Aufgrund der starken Handlungsorientierung redaktioneller Strategiearbeit schließt sich daran aber stets eine evaluative Phase an, in der unterschiedliche Problembeschrei- <?page no="71"?> 72 bungen und Lösungsmöglichkeiten entlang von Entscheidungskriterien ausgewählt werden, die der jeweiligen strategischen Aufgabe angemessen sind. Beide Teilprozesse sind zyklisch, indem sie bestehende Zwischenergebnisse im Lichte daraus abgeleiteter Modelle oder Lösungsvarianten neu bewerten und gegebenenfalls revidieren und indem sie Interdependenzen zwischen unterschiedlichen Gegenstandsbereichen berücksichtigen. Diese Interdependenzen können sich zwischen den beiden zentralen Gegenständen der Strategiearbeit - Umwelt und Organisation - ergeben, aber auch zwischen der Mikro-, Meso- und Makroebene in dem jeweiligen Feld, also im Bereich der Umwelt zwischen Nutzern und deren Bedürfnissen sowie zwischen Wettbewerbsumfeld und Metatrends. Sie ergeben sich aber auch im Bereich der Organisation zwischen Wertbeiträgen, redaktionellen Wertschöpfungsprozessen und deren Einbindung in Medienunternehmen. Daneben nehmen Akteure in Strategieprozessen ihre zentralen Gegenstände aus unterschiedlichen Blickwinkeln wahr. Nutzer werden in ihren Rollen als Kunde und als gemeinwohlorientierter Bürger analysiert sowie als Einzelpersonen und Teil eines sozialen Netzwerks. Denn aus all diesen Blickwinkeln können sich unterschiedliche offensichtliche und latente Bedürfnisse ergeben. Bei der Analyse der eigenen Organisation interessiert sowohl die Geschichte der Organisation, weil sie bestimmte Handlungsoptionen vorprägt, als auch, wie sich die Organisation in Zukunft an eine veränderte Umwelt anpasst. Gerade weil Strategiearbeit auf eine komplexe Umwelt ausgerichtet ist, deren Veränderung sich nur schwer prognostizieren lässt, sollten Strategieprozesse performativ sein und ihre Zwischen- und Endergebnisse plastisch darstellen und damit begreifbar machen. Nur so können sie in die Organisation hineinwirken. Aufgrund der Tatsache, dass Strategien eben nicht auf der grünen Wiese entstehen, sondern innerhalb einer wie stark auch immer strukturierten Organisation, sind Strategieprozesse idealerweise kommunikativ, um im Austausch mit internen und externen Stakeholdern die Robustheit und die Umsetzungswahrscheinlichkeit der eigenen Strategieentwürfe zu erhöhen. Dies gilt unabhängig <?page no="72"?> 73 davon, wie offen der Strategieprozess angelegt ist. Kommunikative Strategiearbeit erschließt so im besten Falle das in die Organisation eingebettete Wissen für die Strategieentwicklung. Das kann so weit gehen, dass in der laufenden Arbeit die Vorbedingungen für die strategische Lösung revidiert werden müssen. Strategieprozesse sind damit reversibel. Wie so ein redaktioneller Strategieprozess im Detail ablaufen kann, wird in Kapitel 4 bis 8 skizziert. Die Darstellung orientiert sich dabei zunächst an den zentralen Aufgaben strategischer Arbeit, nämlich der sorgfältigen Analyse der Organisation und ihrer Umwelt auf der einen und der Entwicklung von erfolgversprechenden Lösungsansätzen auf der anderen Seite. Sie greift außerdem eine weitere Charaktereigenschaft von Strategieprozessen auf, nämlich den Wechsel von induktiven, offenen Phasen, in der möglichst viele Alternativen entwickelt werden, zu deduktiven, handlungsorientieren Phasen, in der Varianten ausgewählt und umgesetzt werden. Diese beiden Phasen finden sich sowohl innerhalb der strategischen Analyse als auch bei der Entwicklung von Lösungen: • Den vier Kernphasen vorangestellt ist Kapitel 4. Es setzt sich mit der Frage auseinander, wie Strategieprozesse initiiert wer- Abb. 8: Vier Kernphasen redaktioneller Strategiearbeit 1 Datenanalyse (induktiv) 2 Entwicklung Szenarien (evaluativ) 3 Entwicklung Handlungsvarianten (induktiv) 4 Entwicklung Umsetzungsmodell (evaluativ) <?page no="73"?> 74 den und welche Parameter Strategieteams zu Beginn des Prozesses beeinflussen können, um die Qualität ihrer Antworten auf strategische Herausforderungen zu erhöhen. • Kapitel 5 beschäftigt sich dann vor allem mit der Sammlung von Daten in redaktionellen Strategieprozessen, die darauf ausgerichtet ist, möglichst viele schwache Signale für potenziell tiefgreifende Veränderungen zu erfassen. Diese Phase ist von einer induktiven Denkweise geprägt. • Kapitel 6 beschreibt die evaluative Phase der strategischen Analyse, in der Daten zu realistischen Zukunftsszenarien verdichtet werden, auf deren Basis sich redaktionelle Ziele formulieren lassen. • Kapitel 7 widmet sich dem offenen Part bei der Formulierung von strategischen Antworten. Hier geht es darum, zu verstehen, auf welche unterschiedliche Art und Weise Werte für die Nutzer geschaffen werden können. • Kapitel 8 legt den handlungsorientierten Schritt der Strategieformulierung dar. Wie sehen journalistische Angebote aus, die relevante (latente) Nutzerbedürfnisse ansprechen, und wie werden die Wertschöpfungsnetzwerke ausgestaltet, in denen diese Angebote entstehen? Tipps zum Weiterlesen Wie man in ungewissen Umwelten Strategieprozesse gestalten kann, schildern Brabandere/ Iny (2013). Einen guten Einstieg in das Thema »Open Strategy« liefern Matzler et al. (2014). <?page no="74"?> 75 4 Strategieprozesse initiieren Strategieteams haben viele Möglichkeiten, den Erfolg ihrer Arbeit aktiv zu beeinflussen. Sie können entscheiden, wie offen sie Strategieprozesse gestalten, Schlüsselrollen im Strategieprozess gezielt besetzen und für eine große Vielfalt an Perspektiven im eigenen Team sorgen. Sie schaffen sich Freiräume für Kreativität und lassen die eigene Arbeit qualifiziert moderieren, um das Risiko von Fehleinschätzungen zu senken. Redaktionelle Strategiearbeit verbindet, wie sich in den vorangegangenen Kapiteln gezeigt hat, die Gegenwart einer journalistischen Organisation mit ihrer Zukunft. Sie versetzt sie in die Lage, angemessen auf strategische Herausforderungen zu reagieren, oder - noch besser - ihre Umwelt so zu gestalten, dass neue Zielgruppen mit neuartigen Angeboten angesprochen werden können. Strategiearbeit mag kurzatmiger geworden sein, weil Strategieentwürfe schneller als früher an neue Gegebenheiten angepasst werden müssen; Strategiearbeit mag unsicherer geworden sein, weil die Prognosequalität hinsichtlich zentraler Markttrends in dynamischen Umfeldern gelitten hat. Unverändert notwendig ist es gleichwohl, den Strategieprozess, in dem sie entsteht, sorgfältig zu durchdenken. Denn gerade wenn es darum geht, ein hohes Aktions- und Reaktionstempo zu entwickeln, verdienen die Rahmenbedingungen von Strategiearbeit besondere Beachtung. An erster Stelle steht die Frage, wer in Strategieprozesse involviert werden soll. Hinsichtlich der Offenheit für interne und externe Stakeholder wurde diese Frage bereits diskutiert. Daher soll es eher allgemein um den Aufbau von Strategieteams gehen, die Strategien nicht nur erfolgreich entwickeln, sondern auch in der Organisation kommunizieren und implementieren können. Für alle Überlegungen dazu gilt: Auch wenn der Verständlichkeit halber zentrale Rollen in Strategieteams so beschrieben werden, als seien sie einer natürlichen Person zugeordnet, ist es in kleineren Einheiten selbstverständlich denkbar, dass einzelne Mitglieder des <?page no="75"?> 76 Strategieteams mehrere Rollen übernehmen, gerade dann zum Beispiel, wenn die Strategie in einem kleinen Gründerteam entwickelt wird. Grundsätzlich lässt sich dabei zwischen prozess- und ergebnisrelevanten Rollen unterscheiden. Prozessrelevante Rollen Aus der Perspektive der prozessrelevanten Rollen sollte man sich vergegenwärtigen, dass Strategieprozesse stets losgelöst von Standardprozessen verlaufen und idealerweise Mitarbeiter aus allen zu Hierarchienebenen darin eingebunden sind. In diesem Sinne sind sie durchaus mit Projekten vergleichbar, für die eine eigene, dem Gegenstand angemessene Organisationstruktur geschaffen werden muss. Dementsprechend wichtig ist die Rolle eines Projektmanagers, der den Strategieprozess im Auge behält, inklusive seiner Ziele, Meilensteine, Arbeitspakete und Abhängigkeiten. Redaktionelle Strategieprozesse benötigen dabei in der Regel keine komplexen Ablaufpläne, gleichwohl tragen Projektmanager Prozessverantwortung. Sie brechen die Strategiearbeit in überschaubare Teilaufgaben mit klar definierten Zwischenergebnissen herunter und sorgen so für ein hohes Arbeitstempo und einen hohen Konkretisierungsgrad der Zwischenergebnisse. Sie planen Strategie-Meetings so, dass die Ergebnisse zu dem Zeitplan vorliegen, der bei der Initiierung des Prozesses festgelegt worden ist. Sie stellen sicher, dass alle Mitglieder des Strategieteams und weitere Mitarbeiter, Nutzer oder externe Experten dort verfügbar sind, wo sie in den Prozess eingebunden werden. Sie stellen sicher, dass Vorarbeiten, wie zum Beispiel Datenanalysen, rechtzeitig vorliegen. Und sie schaffen eine Kommunikationsumgebung, in der Vorarbeiten und Zwischenergebnisse für alle Mitglieder des Strategieteams zu jedem Zeitpunkt verfügbar sind. Strategieprozesse müssen allerdings nicht nur aktiv gemanagt, sondern vor allem geführt werden. Dies gilt schon für kleine Strategieteams und gewinnt, wie in den vorangegangenen Kapiteln herausgearbeitet wurde, umso mehr an Bedeutung, je offener Strategieprozesse gestaltet werden und je mehr Akteure in den Prozess <?page no="76"?> 77 integriert sind. Wer auch immer diese Führungsrolle im Strategieteam ausfüllt, wird diese nicht im Sinne detaillierter fachlicher Anweisungen übernehmen. Das würde den offenen, induktiven Charakter von Strategieprozessen konterkarieren. Vielmehr geht es darum, dem Strategieprozess einen klaren kommunikativen Rahmen zu geben (Warum tun wir das hier? ) und im Sinne des in Kapitel 1 geschilderten Effectuation-Ansatzes die Handlungsorientierung im Strategieprozess hochzuhalten: Geraten in der strategischen Analyse Ergebnisse nicht aus dem Blick, die man kurzfristig mit vorhandenen Ressourcen realisieren kann? Werden Probleme als Chancen gedeutet? Werden Partner in Wertschöpfungsnetze integriert, die man schnell gewinnen kann? Das sind typische Fragestellungen, die Führungskräfte in redaktionellen Strategieprozessen stellen. Finden Strategieprozesse nicht in kleinen Gründerteams, sondern in etablierten Medienunternehmen statt, können Strategieteams die gewachsene Organisationsstruktur nicht ignorieren, wenn sie den Strategieprozess erfolgreich gestalten wollen. Vielmehr bietet es sich an, nach Verbündeten in der Hierarchie zu suchen, wenn Strategieprozesse nicht »top down« durch das Management, sondern »bottom-up« aus der Organisation heraus angestoßen werden. Das können typischerweise Machtpromotoren und/ oder Fachpromotoren sein (Stern/ Jaberg 2010). Machtpromotoren verfügen über die notwendigen Ressourcen, um günstige Rahmenbedingungen für redaktionelle Strategiearbeit zu schaffen: Das reicht von pragmatischen Details wie etwa verfügbaren Budgets für Workshops und externe Experten über hierarchischen Einfluss auf das mittlere Management, Mitarbeiter für den Strategieprozess freizustellen, bis hin zu symbolischer Unterstützung der Strategiearbeit als relevanter Aufgabe. Machtpromotoren können zum Beispiel in der Chefredaktion oder im Topmanagement des Medienunternehmens angesiedelt sein. Während Machtpromotoren eine große Bedeutung dafür haben, dass die notwendigen allokativen Ressourcen für Strategiearbeit zur Verfügung stehen, stehen bei Fachpromotoren eher autoritative Ressourcen im Vordergrund, insbesondere Reputation, die sich aus außerordentlichen Kompetenzen oder langjäh- <?page no="77"?> 78 riger Berufserfahrung ergibt. Sie verschaffen dem Strategieteam zunächst die notwendige Aufmerksamkeit im Unternehmen und steigern so die Bereitschaft von Mitarbeitern, sich in die Strategiearbeit einzubringen. Noch wichtiger sind sie aber, wenn es darum geht, den Strategieentwurf in der Organisation umzusetzen. Zur Veranschaulichung der Rolle eines Fachpromoters könnte man an ein Team von Volontären denken, das an einer Social-Media-Strategie für die Lokalberichterstattung einer Regionalzeitung arbeitet und dabei explizit vom stellvertretenden Chefredakteur unterstützt wird, der für alle Lokalausgaben zuständig ist, oder von der Verantwortlichen für digitale Geschäftsfelder der Holding, die die Mehrheit an dem regionalen Verlagshaus hält. An den Rollen der Fach- und Machtpromotoren wird somit erneut der kommunikative Charakter redaktioneller Strategieprozesse deutlich. Ergebnisrelevante Rollen Mit Projektmanagement und Führung sowie Macht- und Fachpromotoren sind zentrale prozessrelevante Rollen in redaktionellen Strategieprozessen definiert, die zur Effizienz und Effektivität der Strategiearbeit beitragen. Davon lassen sich ergebnisrelevante Rollen abgrenzen: Hier geht es um die Frage, wie ein Strategieteam idealerweise zusammengestellt wird, damit es Antworten auf strategische Fragestellungen findet, also letztlich um die Qualität der Ergebnisse redaktioneller Strategieprozesse. Diese Frage lässt sich einerseits hinsichtlich der Teamrollen diskutieren, die in erfolgreichen Strategieteams idealerweise vertreten sein sollen, und andererseits bezogen auf die Vielfalt der fachlichen Hintergründe der am Strategieprozess Beteiligten. Wieso aber werden Teamrollen hier explizit diskutiert? Weil diese Sichtweise auf Strategieprozesse unterstreicht, dass diese Prozesse eben keine abstrakten, allein von Rationalität getriebenen Vorgänge sind, sondern nur durch die Akteure wirksam werden, die in die Strategiearbeit eingebunden sind. Im Strategieteam sollten sich daher idealerweise unterschiedliche Persönlichkeitseigen- <?page no="78"?> 79 schaften wiederfinden, die wiederum unterschiedliche Eigenschaften des Strategieprozesses widerspiegeln. In den induktiven Phasen des Strategieprozesses braucht es Neuerer, denen es leichtfällt, existierende Modelle infrage zu stellen und neuartige Lösungsansätze zu entwickeln. Strategiearbeit profitiert gerade in ihren offenen Phasen von Perfektionisten, die sich nicht mit der erstbesten Lösung zufriedengeben. In der evaluativen Phase sind dagegen Beobachter wichtig, die den Gehalt dieser Ansätze kritisch hinterfragen. Ebenso wichtig sind in dieser Phase Macher, die strategische Ansätze aus einer ausgeprägten Marktorientierung heraus beurteilen und die notwendige Ungeduld mitbringen, um das Tempo im Strategieprozess zu halten. Aus der Spannung zwischen Neuerern, Perfektionisten, Beobachtern und Machern beziehen Strategieprozesse ihre Energie, aber diese Energie darf sich nicht in Konflikten entladen, sondern muss kontrolliert und sinnvoll eingesetzt werden. Das ist die Rolle der Integratoren, die nach Gemeinsamkeiten suchen, um darauf Kompromisse aufzubauen. Dabei können Spezialisten, deren Qualifizierung sie befähigt, Lösungsansätze zu identifizieren, eine ebenso wertvolle Hilfe sein wie Teamarbeiter, die den Strategieprozess überwachen und überall dort Steine aus dem Weg räumen, wo sie den Prozess zu blockieren drohen (vgl. zu Teamrollen allgemein Hoop 2014). Gerade in dynamischen Umfeldern, in denen kurze strategische Reaktionszeiten gefragt sind, kann die richtige Balance der beschriebenen Rollen bei der Zusammenstellung eines Strategieteams ebenso wichtig sein wie die fachliche Affinität zum Gegenstand des Strategieprozesses. Selbstverständlich ist es wichtig, welchen professionellen Hintergrund die Mitglieder eines Strategieteams haben. Wer einen Strategieprozess möglichst offen gestalten will, achtet bei der Zusammenstellung des Teams besonders auf die maximale Varianz der Perspektiven auf das Medienunternehmen, die Redaktion und ihre Umwelt. Dieses in der qualitativen Sozialforschung zentrale Prinzip zur Auswahl von Interviewpartnern und anderen Forschungsobjekten lässt sich eins zu eins auf die Strategiearbeit übertragen. Denn hier wie dort geht es darum, durch die Vielfalt der Perspektiven nicht nur mög- <?page no="79"?> 80 lichst viele Sichtweisen auf den Gegenstand zu eröffnen, sondern durch die systematische Suche nach Gemeinsamkeiten zwischen diesen Sichtweisen abzusichern. Was bedeutet dies in der Praxis? Redaktionelle Strategieteams arbeiten idealerweise ressortübergreifend und versammeln Redakteure mit vielen verschiedenen Kompetenzprofilen und aus allen Hierarchieebenen. Sie integrieren Spezialisten für verschiedene Ausspielkanäle ebenso wie Fachleute für spezifische Domänen wie etwa Datenjournalismus oder Visualisierung. Sie binden dort, wo es sinnvoll ist, freie Mitarbeiter und Vertreter von redaktionellen Dienstleistern ein und achten auf eine Vielfalt journalistischer Selbstverständnisse und Generationen. Vor allem aber binden sie Experten aus dem gesamten Medienunternehmen ein, etwa für IT, Vertrieb, Marketing oder Werbevermarktung. Nicht alle der geschilderten Perspektiven müssen in einem Strategieteam gleichzeitig vertreten sein. Es geht bei der breit angelegten Definition der Perspektiven darum, zu zeigen, wie Teams aufgestellt sein können. Aber eines steht fest: Erfolgreiche Strategieteams sind mit hoher Wahrscheinlichkeit interdisziplinäre Teams. Denn aus der Vielfalt an Perspektiven ergeben sich nicht nur eher neue Lösungsansätze für die Formulierung strategischer Abb. 9: Typische Rollen in redaktionellen Strategieprozessen Neuerer Beobachter Perfektionist Macher Teamarbeiter Integrator Kompetenz Selbstverständnis Management Führung Externe Moderation Prozessrelevante Rollen Perspektivenvielfalt Teamrollen Einbettung Fachpromotion Hierarchie Machtpromotion <?page no="80"?> 81 Ansätze, sondern auch Anknüpfungspunkte in der Organisation, wenn sie umgesetzt werden. Auch wenn die Zusammenstellung des Teams zweifelsohne eine, wenn nicht sogar die erfolgskritische Aufgabe bei der Steuerung redaktioneller Strategieprozesse ist, gibt es weitere Fragen, die beim Set-up eines Strategieprozesses zu beantworten sind. So muss zum Beispiel festgelegt werden, wie viel Zeit man sich für einen Strategieprozess nehmen will. Prozesse, die sich über ein Jahr hinziehen, sind in der Praxis durchaus beobachtbar. Entsprechend anspruchsvoll sind dann oft auch die Ansprüche an die Nachhaltigkeit des Ergebnisses. Es konnte bereits gezeigt werden, dass in einem hyperkompetitiven Kontext diese langen Planungshorizonte und Strategiezyklen nicht mehr angemessen sind. Die langfristige Orientierung muss man deshalb nicht aufgeben, denn sie ist essenziell für strategisches Denken. Aber daraus folgt, strategische Überlegungen in kürzeren Abständen zu aktualisieren. Für das Management von Strategieprozessen kann dies einen ähnlichen Perspektivwechsel nach sich ziehen, wie er im Projektmanagement schon in Teilen vollzogen worden ist. Prägend für das Projektmanagement waren und sind hochdifferenzierte Projektablauf- und Strukturpläne, die auf Basis detaillierter Anforderungslisten erstellt werden. Insbesondere in Software-Projekten zeigt sich jedoch in zunehmendem Umfang, dass sich Marktanforderungen in deutlich kürzeren Zeiträumen verändern als die Planungshorizonte der Projekte selbst. Die Konsequenz aus diesem Widerspruch war die Entwicklung eines flexibleren Steuerungsinstrumentariums, das unter dem Schlagwort Scrum bekannt geworden ist (Schwaber/ Sutherland 2016). Die Kernidee dieses Ansatzes ist es, ein Projekt in überschaubare Aufgaben zu zerlegen, die in kurzen Zeitabschnitten, sogenannten Sprints, einsatzreif entwickelt und getestet werden. Die Erfahrungen fließen dann in die Definition der angestrebten Ergebnisse des nächsten Sprints ein. Dies sorgt idealerweise gleichzeitig für eine starke Marktorientierung und eine hohe Flexibilität im Entwicklungsprozess. Prinzipiell lässt sich diese Logik auf redaktionelle Strategieprozesse übertragen. Dann geht es nicht mehr darum, in einem <?page no="81"?> 82 umfangreichen und inhaltlich breit angelegten Strategieprozess über einen langen Zeitraum hinweg eine detaillierte Prognose zu erarbeiten, wie sich die Umwelt verändert und wie sich die eigene Redaktion darauf einstellen kann. Ein strategischer Sprint könnte vielmehr darin bestehen, in einem relativ kurzen Zeitraum eine strategische Frage zu beantworten, die sich in der täglichen redaktionellen Arbeit ergeben hat, und dann zu prüfen, welche weiteren Herausforderungen sich daraus ergeben. Genau hier zeigt sich die Sensitivität als entscheidendes Merkmal redaktioneller Strategieprozesse, das wir in Kapitel 3 identifiziert haben (vgl. Kap. 3.1, S. 64). Statt also allgemein über die Frage nachzudenken, wo man den eigenen Titel in zehn Jahren sieht, würde sich ein strategischer Sprint etwa mit der Frage beschäftigen, wie man auf die wachsende Bedeutung einer neuen Social-Media-Anwendung im Alltag junger Nutzer reagieren kann. Wenn aber das Tempo redaktioneller Strategieprozesse an Bedeutung gewinnt, ist die Frage mehr als naheliegend, mit welchen Mitteln man sie beschleunigen kann. Das erste Mittel dazu ist ein altvertrautes: Arbeitsteilung. Je breiter Aufgaben im Strategieteam verteilt werden, desto schneller stehen Zwischenergebnisse zur Verfügung. In Strategie-Meetings können dann konsequent vorbereitete Daten diskutiert und kreative Lösungen gemeinsam entwickelt werden. Damit dieses Wechselspiel aus Phasen individueller Detailarbeit und kreativer Teamarbeit funktioniert, bedarf es zunächst klar definierter Kommunikationsstrukturen und (digitaler) Datenplattformen. So ist es gerade dann, wenn Strategieteams standortübergreifend arbeiten, möglich, sich jederzeit auszutauschen und Zwischenergebnisse miteinander zu teilen. Für die Auswahl, Kombination und Feinkonfiguration der dafür benötigten Anwendungen lässt sich eine generelle Regel definieren: Sie muss zu den Alltagspraktiken aller Beteiligten passen, um effizient genutzt werden zu können. Neben Kommunikationsstrukturen und Datenplattformen spielen auch Räume für erfolgreiche Strategieprozesse eine wichtige Rolle. Sie sollten so gewählt sein, dass es tatsächlich möglich ist, losgelöst von Alltagsroutinen konzentriert an strategischen <?page no="82"?> 83 Fragen zu arbeiten. Sie sollten aber auch Zwischenergebnisse der gemeinsamen Strategiearbeit stets für alle Beteiligten sichtbar und anschaulich machen. Analoge Lösungen wie Pinnwände, Flipcharts, Tafeln oder beschreibbare Wände sind dafür besonders gut geeignet. Sie sind sehr flexibel und reversibel und zwingen dazu, Gedankengänge zuzuspitzen. Wie jeder andere kreative Prozess auch macht professionelle Moderation redaktionelle Strategieprozesse effizienter und effekti ver. Ohne hier ins Detail zu gehen - interessierte Leser seien hier in Sachen Moderation an Göhnermeier (2015) und in Bezug auf Kreativitätstechniken an Weidenmann (2010) verwiesen - empfiehlt es sich, Kreativitätstechniken und Moderationsmethoden einzusetzen, die im Strategieprozess die Diskussion öffnen (wie etwa ein Brainstorming), strukturieren (z. B. in einem Coffee Table) oder schließen können. So können zum Beispiel mit der 6-Hüte-Methode Lösungen systematisch aus unterschiedlichen Blickwinkeln bewertet werden. Diese Moderationsinstrumente können Strategieteams aller Art und Größe anwenden, um schneller zu Ergebnissen zu kommen. Gerade große oder heterogen besetzte Strategieteams sind außerdem gut beraten, die Prozessverantwortung an einen externen Moderator abzugeben, um sich ganz auf die inhaltliche Arbeit konzentrieren zu können. Dies empfiehlt sich insbesondere dann, wenn Vertreter unterschiedlicher Hierarchieebenen auf Augenhöhe an Strategien arbeiten. Strategieteams haben dann die Wahl, welche externen Experten sie einbinden: entweder spezialisierte Moderatoren, die sich ganz auf die Zusammenarbeit in der Gruppe konzentrieren, und/ oder fachkundige Berater, die auch auf der inhaltlichen Ebene Impulse geben können. Die zweite Option bietet sich umso eher an, je neuartiger das Arbeitsfeld ist, für das eine Strategie entwickelt werden soll. Man denke hier nur an den Einsatz künstlicher Intelligenz in der tagesaktuellen Berichterstattung in sogenannten Newsbots. Externe Experten oder Moderatoren können insbesondere helfen, gegen Gruppenphänomene anzuarbeiten, die die Qualität der Antworten von Strategieteams auf ihre Fragestellungen mindern. Gassmann und Sutter (2008) nennen eine Reihe von Effekten, unter denen Strategieprozesse leiden können: <?page no="83"?> 84 • Extrem-Aversion: Auch professionelle Entscheider bevorzugen inkrementellen Wandel vor radikalen Veränderungen, auch wenn Letztere langfristig erfolgversprechend sind. So kann es zum Beispiel einem etablierten mittelständischen Zeitungsverlag schwerfallen, sich komplett von seiner Mantelredaktion zu verabschieden und stattdessen die überregionalen Nachrichten von einem Dienstleister zu beziehen. • Ankereffekte: Entscheidungen werden in Abhängigkeit davon bewertet, wie man in einer ähnlichen Situation bisher entschie den hat. Dabei übersieht man aber unter Umständen, dass sich entscheidende Parameter verändert haben. So mag sich ein Chefredakteur mit Händen und Füßen dagegen sträuben, lokale Nachrichten in hohem Umfang in sozialen Netzwerken zu posten, und dabei übersehen, dass relevante Teile der Zielgruppe aktuelle Nachrichten hauptsächlich aus diesen Netzwerken beziehen. • Sunk Costs: Diesen Effekt haben wir in Kapitel 2 bereits kurz diskutiert (vgl. S. 39). Hier werden Entscheidungsalternativen nicht danach bewertet, welche Vorteile in der Zukunft zu erwarten sind, sondern danach, wie viele Ressourcen man in der Vergangenheit investiert hat. Mag das regionale Kleinanzeigenportal auch noch so defizitär und die Umsatzprognosen noch so ernüchternd sein: Statt nach zukunftsorientierten Lösungen zu suchen, wird der siebenstellige Betrag hervorgehoben, den man einst in den Webauftritt investiert hat. • Frequenzvalidität: Dieses Phänomen betrifft vor allem Ereignisse mit geringen Eintrittswahrscheinlichkeiten, die schwer einzuschätzen sind. Sie sind unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich. Mangels eigener Erfahrung unterschätzt man sie gerade dann, wenn objektiv eine hohe Gefahr droht. Die negativen Folgen können besonders ausgeprägt sein. Aufgrund der Tatsache, dass das eigene Redaktionssystem in den vergangenen 20 Jahren noch nie gehackt worden ist, könnte sich mancher CvD eines Nachrichtenportals in falscher Sicherheit wiegen. • Zero-Risk-Bias: Menschen sind oft risikoscheu. Sobald sichere Gewinne sinken, meiden sie riskantere Alternativen, auch <?page no="84"?> 85 wenn diese einen weitaus höheren Ertrag versprechen, wenn man das Risiko in Relation zu den erwartbaren Gewinnen setzt. Gerade dieser Effekt mindert die Fähigkeit von Organisationen, neue Märkte jenseits der bekannten Geschäftsfelder zu erschließen oder gar zu erschaffen. Wer mit lokalen Anzeigen in den nächsten fünf Jahren halbwegs sicher in den schwarzen Zahlen ist, wird seltener das Risiko eingehen, ein neues, rein digitales Vertriebsmodell einzuführen. • Konformitätsdruck: Dies ist ein hochrelevantes Phänomen in Strategieteams, und zwar gerade auch in denen, die gut zusammenarbeiten. Den Gruppenmitgliedern sind die Beziehungen in einer Gruppe wichtiger als die Ergebnisse. Daher sinkt die Bereitschaft, abweichende Meinungen oder Kritik zu äußern, auch wenn dies absolut gerechtfertigt wäre. So geraten Problembeschreibungen und Lösungsvarianten systematisch aus dem Blick, die nicht dem Common Sense innerhalb des Strategieteams entsprechen. Sobald die gesamte Gruppe davon überzeugt ist, mit einem General-Interest-Portal in den Markt zu gehen, könnte sie übersehen, dass mit einem Bündel sehr spitzer Zielgruppenangebote unter Umständen lukrativere Nutzerpotenziale erschlossen werden könnten. • Systemrechtfertigung: Hier geht es im Kern darum, dass neue Wege, auf denen sich Organisation und Umwelt viel öfter begegnen würden, nicht beschritten werden, weil die beteiligten Entscheider um ihre Position in der Routineorganisation fürchten: etwa weil sie sich fragen lassen müssten, warum sie diesen Weg nicht schon viel früher eingeschlagen haben, oder weil unter der objektiv besten Entscheidung die eigene Position in der Organisation leiden würde. Ein gestandener Ressortchef hat gute Gründe, der Einführung eines integrierten Newsrooms skeptisch gegenüberzustehen. Hier zeigt sich erneut die Interdependenz von Handeln und Strukturen in Organisationen. Auch wenn sich all diese Effekte vielleicht nicht vollständig vermeiden lassen, sollten sich Strategieteams dieser bewusst sein, um deren Einfluss auf die Qualität des strategischen Ansatzes zu redu- <?page no="85"?> 86 zieren. So erhalten sie die notwendige Offenheit, die für erfolgreiche Strategiearbeit erforderlich ist. Wie diese Offenheit zu Beginn des Strategieprozesses hergestellt werden kann, wird im folgenden Kapitel beschrieben. Tipps zum Weiterlesen Einen sehr guten Einstieg in die Welt der agilen Projektmanagement- Methoden bieten Schwaber/ Sutherland (2016). Wie man dabei unterschiedliche Experten zu einem Team zusammenfügt, zeigt Hoop (2014). <?page no="86"?> 87 5 Analyse: Daten sammeln und verdichten Gute Daten sind noch keine gute Strategie. Aber es gibt keine gute Strategie ohne gute Daten. Diese Einsicht gilt auch unter ungewissen, sich rasant verändernden Umweltbedingungen. Auch wenn ein Strategieteam unter Zeitdruck arbeitet, sollte es auf möglichst hochwertige Daten Wert legen. Noch wichtiger ist es aber, offen für alternative Interpretationen vorhandener Daten und Zusammenhänge zu sein. Das erhöht die Chancen, erfolgversprechende Handlungsoptionen zu entdecken. Dabei können Strategieteams von den Methoden der qualitativen Sozialforschung viel lernen. 5.1 Datenbedarf Nehmen wir einmal an, Sie wären Projektmanager eines redaktionellen Strategieprozesses. Sie hätten ein vielfältiges Strategieteam zusammengestellt und sich Unterstützer im Topmanagement gesichert. Sie hätten die Aufgaben im Team sowie die Kommunikationswege eindeutig definiert und eine Plattform eingerichtet, auf der alle Ergebnisse allen Mitgliedern des Strategieteams zur Verfügung stünden. Sie hätten schließlich einen flexibel nutzbaren Raum für Ihr Team ergattert und einen externen Experten gewonnen, der den gesamten Prozess moderiert. Kurz: Sie hätten bis hierhin ziemlich viel richtig gemacht. Die richtige Arbeit ginge trotzdem jetzt erst los. Der erste inhaltliche Schritt eines Strategieprozesses ist die sorgfältige Analyse der Umwelt und der eigenen Organisation. Hier stehen redaktionelle Strategieteams vor dem bereits erwähnten Dilemma, dass Ihre Redaktion einerseits möglichst offen und breit aufgestellt die Umwelt beobachtet und dass ihnen andererseits nur begrenzte Ressourcen zur Verfügung stehen, mit denen sie sie beobachten können (Ortmann 2010: 27). Strategieteams <?page no="87"?> 88 müssen also zunächst die Suche eingrenzen, um in die Strategiearbeit einsteigen zu können, und gleichzeitig dafür offenbleiben, die Recherchegrenzen im Laufe des Prozesses erneut zu revidieren. Ein Strategieteam kann die Suche nach sachlichen und zeitlichen Kriterien eingrenzen, wobei der Zeithorizont für die Analyse wesentlich vomsachlichen Fokus abhängt. Wer zum Beispiel darüber nachdenkt, sein Medienunternehmen als Datenanbieter neu zu positionieren, wird in längeren Zeiträumen denken als ein Strategieteam, das überlegt, ob und in welcher Weise das eigene journalistische Angebot von datenjournalistischen Ansätzen profitieren kann. Die sachliche Dimension ist damit die eigentliche Stellschraube, um die Suche einzugrenzen. Und hier legen unsere Überlegungen zum unternehmerischen Handeln unter der Bedingung der Ungewissheit, die wir zu Beginn angestellt haben, nahe, sich auf Felder zu konzentrieren, die unmittelbare Anknüpfungspunkte an Ressourcen bieten. Die Ressourcen sollten in der Organisation vorhanden oder zumindest leicht beschaffbar sein. Dadurch ändert sich nicht die grundsätzliche strategische Perspektive: Diese bleibt maximal offen und zukunftsorientiert. Aber Strategiearbeit fokussiert sich idealerweise auf Felder, in denen strategische Impulse schnell sichtbare Konsequenzen im Alltagsgeschäft haben. Eine Online-Redaktion, die über das Thema Bewegtbild nachdenkt, ist gut beraten, unterschiedliche Szenarien durchzuspielen, welche technischen Innovationen wie in Alltagsroutinen von Nutzern eingebettet werden können. Aber sie sollte gleichzeitig so viel Bewegtbild-Kompetenz im Hause haben, dass die ersten Schritte auf einem strategisch erfolgversprechenden Pfad sehr schnell beschritten und dann auch evaluiert werden können. Denn basierend auf diesen Erfahrungen ist es möglich, den eigenen strategischen Ansatz zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen. Konkrete inhaltliche Ziele werden in dieser frühen Phase des Strategieprozesses noch nicht definiert. Fest steht lediglich das Formalziel, möglichst viele strategische Herausforderungen in der definierten Suche zu identifizieren und in strategische Fragestellungen umzuformulieren. Um das Beispiel der Newsbots (vgl. <?page no="88"?> 89 Kap. 1, S. 30) noch einmal aufzugreifen, könnte eine strategische Herausforderung für ein Newsportal zweifellos darin bestehen, dass automatisiert und damit extrem kostengünstig herzustellende Nachrichten die eigene Marktpositionierung gefährden könnten. Eine passende strategische Fragestellung könnte dann etwa so lauten: Wie können wir selbst von der Automatisierung unserer aktuellen Nachrichten-Workflows profitieren? Auch wenn die inhaltliche Zielrichtung zu Beginn des Strategieprozesses aus guten Gründen offenbleibt, ist es durchaus sinnvoll, sich schon früh im Strategieprozess darauf zu verständigen, nach welchen Kriterien man Zwischenergebnisse im Strategieprozess beurteilen will. Denn je klarer diese Kriterien definiert und je eindeutiger sie priorisiert sind, desto eher können sie von Anfang an die Entscheidungsfindung und damit den gesamten Strategieprozess beschleunigen. Diese Kriterien können zunächst umsetzungsorientiert definiert werden: Passen Lösungen kleinerer Strategieprojekte zur Gesamtstrategie? Passen sie zur eigenen journalistischen Marke und zu sonstigen bekannten, wertvollen strategischen Ressourcen? Erweitern Strategien eine vorhandene Zielgruppe? Bewegen sich die Projektrisiken in einem Bereich, den wir zu akzeptieren bereit sind? Entsprechen die vermuteten Erträge unseren eigenen Vorstellungen bzw. denen unser Gesellschaften? Und schließlich: Gibt es Lösungen, die wir aus ethischen Gründen ausschließen? Umsetzungsorientierte Entscheidungskriterien werden vor allem in den umsetzungsorientierten Phasen des Strategieprozesses bedeutsam, helfen aber bereits in der Analysephase, gezielt nur nach denjenigen Daten und Zusammenhängen zu suchen, die man wirklich braucht, um verschiedene strategische Antworten bewerten zu können. Man stelle sich etwa vor, dass signifikante Erlösbeiträge von der Nutzerseite ein hochpriorisiertes Entscheidungskriterium sind. Dann würde schon in der Analysephase den Zahlungsbereitschaften potenzieller Zielgruppen besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Aber auch für die Analysephase lassen sich spezifische Entscheidungskriterien definieren. Sie zielen nicht auf die inhaltliche Bewertung von Analyseergebnissen ab, sondern auf die Belastbar- <?page no="89"?> 90 keit der Daten, die in die strategische Analyse einfließen. Hier lässt sich generell folgende Qualitätshierarchie anwenden: Am stärksten belastbar sind in der Regel Primärdaten, also Daten, die extra erhoben worden sind, um eine strategische Fragestellung beantworten zu können. Das können genauso eigene Nutzerbefragungen sein wie spezifische Programmanalysen sowie auch Online-Zugriffszahlen oder etwa Logfile-Analysen. Diese Primärdaten stehen Strategieteams jedoch häufig nicht zur Verfügung, insbesondere dann nicht, wenn redaktionelle Strategien in kleinen Einheiten entwickelt werden. Dann kann die Sekundäranalyse von Daten eine wertvolle Hilfe sein, indem man zum Beispiel Markt-Media-Studien wie die »Best4Planning« nach Befunden durchforstet, die für die eigene Fragestellung relevant sind. Dabei können wir von einer hohen Erhebungsqualität und damit Aussagekraft der Datensätze ausgehen. Aber wir müssen in Kauf nehmen, dass nicht alle erhobenen Indikatoren unmittelbar zu den für uns bedeutsamen Variablen passen. So kann es etwa sein, dass Lebensstile und Milieuzugehörigkeit für die Zielgruppensegmentierung eine wichtige Rolle spielen, diese aber in der Sekundäranalyse nur indirekt über Konsumverhalten und spezifische Werteinstellungen rekonstruiert werden können. Stehen auch Sekundärdaten in der beschriebenen Qualität nicht zur Verfügung oder sind sie nicht zu vertretbaren Kosten oder in einem akzeptablen Zeitraum zu beschaffen, kann in der strategischen Analyse auf sogenannte Proxyvariablen zurückgegriffen werden. Dies sind prinzipiell erhebbare Daten, die mit den Daten plausibel zusammenhängen, die für die strategische Analyse ausschlaggebend sind, aber nicht direkt erhoben werden können. Ein in der Soziologie sehr bekanntes Beispiel ist die Vornamensanalyse, mit der man eine Person auch dann recht präzise einer Alterskohorte zuordnen kann, wenn man ihr Alter nicht kennt, weil Vornamen kultur- und damit zeitbezogen sind: Wer Hermann-Josef heißt, wurde in der Regel nicht nach 1945 geboren. In der Zielgruppenanalyse sind als Proxyvariablen häufig auch Güter interessant, deren Konsum eng mit der Selbstwahrnehmung der Nutzer und der Abgrenzung zu anderen Lebensstilen <?page no="90"?> 91 verknüpft ist: etwa Kleidungsstile oder welche Autotypen in einem Stadtviertel besonders häufig vertreten sind. Das Problem mit Proxyvariablen liegt auf der Hand: Sie sind eben nur so belastbar, wie plausibel die Brücke zwischen Ursprungs- und Proxyvariable erscheint. Und selbst bei hoher Plausibilität bleiben Unschärfen zwangsläufig erhalten. Umsetzungsorientierte Strategiearbeit lässt sich davon allerdings nicht abschrecken. Es scheint immer noch besser zu sein, auf dieser unscharfen Datenbasis Zukunftsszenarien zu konstruieren, als mangels perfekter Primärdaten gar keine Zukunftsvorstellung zu entwickeln. Stehen für strategische Fragestellungen keine geeigneten Daten zur Verfügung, kann die Nutzung von Expertenwissen eine Alternative sein. Das gilt insbesondere dann, wenn Strategieprozesse unter hohem Zeitdruck stattfinden und daher unter Umständen keine Zeit für die intensive Auseinandersetzung mit Daten bleibt. Die Belastbarkeit dieser Expertenurteile kann wiederum dadurch gesteigert werden, dass man ganz im Sinne des Prinzips der Triangulation solche Experten einbindet, die den Markt aus sehr unterschiedlichen Perspektiven betrachten. Wer sich mit der Frage beschäftigt, welche journalistischen Potenziale der Games-Markt eröffnet, wird nicht nur mit den Marketingexperten großer Publisher sprechen, sondern auch mit Entwicklern, Fans, E-Sport-Profis oder empirisch forschenden Kulturwissenschaftlern, die sich mit der Bedeutung des Spiels für die Gesellschaft auseinandersetzen. Mitunter stehen Strategieteams allerdings weder Experten noch belastbare Daten zur Verfügung. Ist Strategiearbeit unter diesen Bedingungen überhaupt noch möglich? Ja, das ist sie, denn eine Ressource steht in Strategieprozessen immer zur Verfügung: die Erfahrungshorizonte und Wissensbestände derjenigen, die in den Prozess eingebettet sind. Hier zahlt sich besonders aus, wenn Strategieteams vielfältig besetzt sind. Und es wird wichtiger, durch den Einsatz von Moderationstools Erfahrungen der einzelnen Beteiligten systematisch zu erschließen und miteinander abzugleichen. In hochkomplexen Umwelten, deren Entwicklungen nur schwer zu prognostizieren sind, ist diese Situation gar kein unwahrscheinliches Szenario. <?page no="91"?> 92 Wer sich allein auf seine eigenen Erfahrungen verlassen muss, ist gut beraten, seine Vorannahmen und Heuristiken kritisch infrage zu stellen. Das gilt aber prinzipiell auch dann, wenn in einem Strategieprozess qualitativ hochwertige Primärdaten analysiert worden sind. Dementsprechend bietet es sich an, zu Beginn des Strategieprozesses ein Klima des Selbstzweifels zu schaffen, in dem Strategien nicht auf den Interpretationen aufgebaut werden, die spontan plausibel erscheinen, sondern diese naheliegenden Interpretationen bewusst auf alternative Lesarten hin überprüft werden. Jean-Luc Brabandere und Alec Iny (2013: 41 ff.), Strategieexperten bei der Boston Consulting Group, einer der renommiertesten Strategieberatungsfirmen weltweit, haben sich besonders intensiv mit der Frage beschäftigt, warum ein Klima des Selbstzweifels hilfreich für erfolgreiche Strategiearbeit ist und wie ein solches Klima geschaffen werden kann. Ihr Kernargument haben wir zu Beginn der theoretischen Auseinandersetzung mit dem Strategiebegriff bereits erwähnt: Es handelt sich bei Strategien Abb. 10: Quellenhierarchie in der strategischen Analyse Offenheit für alternative Interpretationen Sekundärdaten Expertenurteile Proxyvariablen Primärdaten Eigene Erfahrungen und Einschätzungen Klima des Selbst- Zweifels Extreme Ereignisse Unter Bezug auf Brabandere/ Iny (2013) Grad der Belastbarkeit <?page no="92"?> 93 letztlich um mentale Modelle, die die Umwelt vereinfachen, um sie bearbeitbar zu machen. Und bei diesem Prozess können Interpretationsmöglichkeiten aus dem Blick geraten, die für die Entwicklung einer Organisation sehr wertvoll sein können. Daher plädieren Brabandere und Iny auch dafür, in der Analysephase nicht die Hypothese zu überprüfen, die einem spontan besonders plausibel erscheint, sondern nach unterschiedlichen Lösungsmöglichkeiten zu suchen, und unter diesen dann die beste Lösung auszuwählen. Wer mit der Methodik qualitativer Sozialforschung vertraut ist, würde es so formulieren: Es geht darum, Interpretationsmöglichkeiten aus dem Material heraus zu entwickeln. Brabandere und Iny (ebd.: 60) machen konkrete Vorschläge, wie man die eigenen Vorannahmen irritieren und so Raum für alternative Interpretationsmöglichkeiten gewinnen kann. So lassen sich in einem Belief Audit systematisch alle Regeln, Dogmen und Paradigma infrage stellen, die die eigene (journalistische) Arbeit beeinflussen: Geschichten werden erst nach gründlicher Recherche veröffentlicht, Longreads haben keine Chance auf mobilen Endgeräten, junge Nutzer interessieren sich nicht für Politik - oder welche scheinbar unumstößlichen Prinzipien auch noch implizit oder explizit unsere professionelle Sichtweise auf redaktionelle Arbeit prägen. Gerade wenn es darum geht, implizite Regeln und unhinterfragte Grundannahmen freizulegen, die unser professionelles Handeln prägen, kann es sinnvoll sein, die eigene Organisation aus ungewöhnlichen Perspektiven zu befragen (ebd.: 60 f.): Wovon hätten Sie nie gedacht, dass es existenzbedrohend für ihre Firma sein könnte? Wenn es ihre Firma nicht mehr gäbe, was würde der Welt fehlen? Wie würde ihr härtester Konkurrent Ihre eigene Firma beschreiben? Oder: Wie würden extreme Einflüsse Ihre Tätigkeit beeinflussen? Oder um es noch konkreter zu machen: Hätten Sie sich eine Lokalzeitung ohne Kleinanzeigen vorstellen können? Ist Ihre Lokalberichterstattung für die politische Diskussion in der Region wirklich noch unverzichtbar? Gibt es irgendeine Ressource in Ihrer Redaktion, für die Google Geld bezahlen würde? Wie würden Sie als Chefredakteurin der taz mit einer Bundeskanzlerin von der AfD klarkommen? <?page no="93"?> 94 Alle diese Fragen sind als Beispiele und Anregungen zu verstehen, die an die jeweilige Situation angepasst werden können. Es geht jedoch immer darum, systematisch den Möglichkeitsraum zu erweitern und die Chance zu erhöhen, neue Sichtweisen auf die eigene Redaktion und ihre Umwelt zu entwickeln, und zwar sowohl hinsichtlich der Analyse als auch der Entwicklung strategischer Lösungen. Dieses induktive Vorgehen verlangt nach spezifischen Qualitätskriterien. Und auch hier erweisen sich methodische Anleihen aus der qualitativen Sozialforschung als hilfreich. Dies gilt zunächst für die grundsätzliche Herangehensweise an verfügbare Daten. Was hier bislang als »Klima des Selbstzweifels« beschrieben worden ist, wird in der qualitativen Sozialforschung als hermeneutische Differenz bezeichnet: Alles, was wir analysieren, ist uns grundsätzlich fremd. Hinzu kommt der kontinuierliche Wechsel der Auswertungsperspektiven. Einerseits geht es uns darum, aus der Vielfalt der verfügbaren Einzelinformationen ein stimmiges Zukunftsszenario zu entwickeln. Andererseits werden wir die Einzelinformationen szenarienabhängig deuten. Wir folgen also einer »Logik der Entdeckung«, indem wir gezielt nach neuartigen Entwicklungen und alternativen Interpretationsmustern suchen. Doch wir halten uns auch an eine »Logik der Anwendung«, weil wir typische Fälle und stabile Muster aus den verfügbaren Daten herausarbeiten möchten, auf deren Basis wir belastbare Strategien entwickeln können (Kuckartz 2014: 31). Die Angemessenheit und Richtigkeit der entwickelten Ansätze lässt sich schließlich vor allem kommunikativ validieren: im kollegialen Austausch innerhalb des Strategieteams oder mit Experten innerhalb und außerhalb der eigenen Redaktion, die mit dem jeweiligen Handlungsfeld vertraut sind (Kuckartz 2014: 169). Bevor es um die Analysegegenstände in redaktionellen Strategieprozessen geht, soll das Missverständnis ausgeräumt werden, dass strategische Analyse nur qualitative Daten berücksichtigen sollte. Das wäre allein schon deshalb wenig zielführend, weil für zentrale Felder strategischer Analyse quantitative Daten äußerst wertvoll bis nahezu unverzichtbar sind: Man denke zum Beispiel <?page no="94"?> 95 an demografische Trends, die ökonomische Analyse von Geschäftsmodellen oder die Prognose von Nutzerpotenzialen. Vielmehr geht es darum, sich bei der Gesamtinterpretation der strategischen Lage, die Daten unterschiedlichster Natur, Qualität und Herkunft zu einem großen Bild zusammenfügt, mit den Stärken einer qualitativen Auswertungslogik anzufreunden. Auf welche Gegenstände lässt sich diese Logik aber sinnvoll anwenden? Dies soll hier entlang des Rasters vorgestellt werden, das wir in Kapitel 3.2 entwickelt haben: Hier wurde zwischen der Umwelt- (S. 65) und Organisationsanalyse (S. 68) mit jeweils drei Untersuchungsebenen: der Mikro-, Meso- und Makroebene unterschieden. Wenn das Raster hier aus Gründen der Verständlichkeit Schritt für Schritt dargestellt wird, ist dies kein Plädoyer für einen linearen Untersuchungsablauf, in dem ein Schritt auf den anderen folgt. In der Praxis der Strategiearbeit wird man vielmehr Zwischenergebnisse aus allen Feldern dieses Rasters aufeinander beziehen, revidieren und ergänzen, ehe sich ein stimmiges Bild entwickelt hat. 5.2 Umweltanalyse Mikroebene Redaktionelle Strategiearbeit interessiert sich hier vor allem dafür, wie und mit welchen journalistischen Angeboten sie einen festen Platz in den Alltagspraktiken ihrer Nutzer erobern kann. Denn dies ist eine notwendige, wenn auch leider oft nicht hinreichende Bedingung dafür, redaktionelle Angebote erfolgreich zu betreiben. Abhängig von der konkreten Aufgabenstellung kann hier eine Vielzahl von Merkmalen für ein redaktionelles Strategieteam von Interesse sein. Insofern ist es ein wichtiger Zwischenschritt im Strategieprozess, das Set relevanter Einflussfaktoren und damit den Datenbedarf zumindest vorläufig zu klären. Die im Folgenden beschriebene Auswahl von Faktoren spielt typischerweise in redaktionellen Strategieprozessen eine wichtige Rolle. Sie kann selbstverständlich um weitere ergänzt werden. <?page no="95"?> 96 Naheliegend sind hier zunächst die Themeninteressen der Nutzer. Denn trotz allem Wandel des professionellen Selbstverständnisses und der redaktionellen Prozesse besteht der Kern der journalistischen Arbeit nach wie vor darin, aus der Vielzahl möglicher Themen relevante auszuwählen und angemessen aufzubereiten. Aus strategischer Perspektive interessiert dabei weniger das Interesse an einzelnen Themenfeldern, sondern eher mittelfristig stabile Interessenprofile, an denen entlang redaktionelle Angebote und - in einem zweiten Schritt - auch Geschäftsmodelle entwickelt werden können. Je nach strategischer Fragestellung kann sich die Granularität dieser Interessenprofile deutlich unterscheiden. Wer ein General-Interest-Angebot platzieren möchte, wird ein Interessenprofil an den Themenfeldern Politik, Wirtschaft oder Kultur entwickeln. Geht es darum, Nischen zu erschließen, können Profile deutlich kleinteiliger sein. Sollen Menschen, die in der Kreativindustrie arbeiten, mit einem neuen Angebot erreicht werden, könnte man danach fragen, wer sich in welchen Konstellationen für Mode, Architektur, Gamedesign oder eine der anderen Teilbranchen interessiert. Erheben lassen sich Themeninteressen einerseits indirekt aus Befragungen (gerade große Markt-Media-Studien sind dafür eine sehr ertragreiche Quelle) oder andererseits in einem digitalen Kontext direkt aus Log-File-Analysen, Nutzungsdaten spezialisierter Websites oder anderen digitalen Nutzungsspuren. Um ein tiefes Verständnis von Interessenprofilen zu gewinnen - soweit Zeit und Ressourcen verfügbar sind -, bieten sich aber auch qualitative Methoden an, wie etwa Intensivinterviews oder Beobachtungen. Wenn Sie sich vorgenommen haben, eine Website für die Fans von sogenannten Youngtimern (dieser Begriff bezeichnet landläufig Autos, die in den 70er- und 80er-Jahren produziert wurden) zu betreiben, könnte der Besuch einer Spezialwerkstatt, einer Teilemesse oder einer Rallye durchaus lohnenswert sein. Nutzerinteressen sind in der Regel eingebettet in Lebensstile. Dieses vor dem theoretischen Hintergrund der sozialen Felder (Bourdieu 2010) bzw. der Multioptionalität der Postmoderne (Beck 1986) entwickelte Konzept geht davon aus, dass sich sozi- <?page no="96"?> 97 ale Identität aus einem spezifisch und mehr oder weniger freiwillig gewählten Set an Werthorizonten, kulturellen Bezügen und Konsumentscheidungen zusammensetzt, die durchaus distinktiven Charakter haben. Man kann sich zum Beispiel nicht nur jedes Jahr das neueste iPhone kaufen, weil man immer über die neueste, höchste Kameraauflösung oder eine noch zuvorkommendere Siri verfügen möchte - sondern vor allem deshalb, um sich als Teil einer digitalen Avantgarde zu fühlen. Eine bekannte Anwendung eines Lebensstilkonzepts in der Marktforschung ist die Marktsegmentierung nach Milieus des Heidelberger SINUS-Instituts (2015). Auch wenn Lebensstile nur einen begrenzten Beitrag dazu leisten, die Zuwendung zu medialen Angeboten zu erklären, und es aufwändig und damit kostspielig ist, diese Lebensstile empirisch sauber zu rekonstruieren, sind sie für die redaktionelle Strategiearbeit wegen ihres ganzheitlichen Charakters gleichwohl wertvoll. Denn sie verdichten unterschiedliche Merkmale zu anschaulichen Bildern typischer Nutzer, die es einem Strategieteam erleichtern, Bezüge zwischen empirischen Daten und konzeptionellen Ansätzen herzustellen. Interessenprofile und Lebensstile prägten redaktionelle Strategiearbeit schon zu analogen Zeiten, in denen es »nur« darum ging, attraktive Informationsbündel an bestimmte Zielgruppen auszuliefern. In einer digitalisierten Netzwerköffentlichkeit sind diese Zusammenhänge komplexer geworden. Insbesondere beeinflussen auch Anschlusskommunikation und soziale Interaktionen zwischen den Nutzern den Wertbeitrag, den journalistische Angebote leisten - das wurde in Kapitel 2 bereits dargelegt. Infolgedessen werden soziale Netzwerke von Usern - und dies sollte nicht mit spezifischen Plattformen wie Facebook oder Twitter verwechselt werden - zum wichtigen Analysegegenstand in redaktionellen Strategieprozessen. Wer den Gedanken, dass Medien im Allgemeinen und Journalismus im Besonderen ihre dominante Rolle in der Massenkommunikation wenigstens teilweise eingebüßt haben, konsequent zu Ende denkt, wird hier vor allem nach thematisch ausgerichteten Netzwerken suchen. Wir nennen diese der Einfachheit halber <?page no="97"?> 98 Communitys. Communitys entfalten eine interne Dynamik, in deren Folge Medienangebote von den Teilnehmern wahrgenommen werden, um ihre journalistischen Angebote erfolgreich und dauerhaft zu platzieren. Um noch einmal die Youngtimer als Beispiel für eine Community aufzugreifen: Die Enthusiasten treffen sich in persona regelmäßig, um gemeinsam ihre Autos zu restaurieren, um sich auf Foren auszutauschen, weil sie zum Beispiel auf der Suche nach raren Ersatzteilen sind, und um ihr Hobby auf Plattformen wie Facebook zu kommunizieren. Hier würde sich die Frage stellen, wo genau in diesem Netzwerk journalistisch aufbereitete Informationen Nutzen stiften. Die Soziologie stellt mit der Netzwerktheorie einen bewährten Interpretationsrahmen bereit, innerhalb dessen vorhandene Daten interpretiert werden können (Fuhse 2016). Und dank der Durchdringung des sozialen Lebens mit digitalen Angeboten ist es leichter denn je, diese Netzwerke aus den Datenspuren zu rekonstruieren, die ihre Mitglieder im World Wide Web hinterlassen. Hier ist nicht der Platz, um die Netzwerktheorie umfassend darzustellen, aber ihr analytisches Potenzial für redaktionelle Strategieprozesse soll an einem Teilaspekt deutlich gemacht werden, nämlich dem Konzept der Stärke der schwachen Verbindungen. Damit sind Akteure gemeint, die eher am Rande ihres eigenen Netzwerks stehen, aber dafür auch Verbindungen zu anderen Netzwerken unterhalten. Diese schwachen Verbindungen sind äußerst wertvoll, wenn man zum Beispiel bei der Einführung neuer redaktioneller Angebote die Reichweite über eine erste Kernnutzerschaft hinaus erweitern möchte, oder wenn es darum geht, Inhalte anzubieten, die unterschiedliche Teilzielgruppen gleichermaßen erreichen sollen. So wichtig es auch ist, von der Dynamik bestehender Communitys zu profitieren, wird dies nur dann gelingen, wenn journalistische Angebote relevante Bedürfnisse adressieren. Diese Bedürfnisse sind den Themeninteressen übergeordnet. Der Uses-and- Gratifications-Ansatz unterscheidet hier zwischen (Mögerle 2009: 220 f.): • Surveillance: allgemein den Überblick über relevante Entwicklungen zu behalten. <?page no="98"?> 99 • Guidance: sachbezogene Information zu einem Themenfeld, das für einen individuellen Nutzer besonders interessant ist. • Performance: Information helfen, konkrete Entscheidungen zu treffen, zum Beispiel beim Kauf eines Produktes. • Reinforcement: kognitive Dissonanzen beseitigen, nachdem diese Entscheidungen getroffen worden sind. • Strukturelle Gratifikationen: weiterer Nutzen, der sich aus der Auseinandersetzung mit medialen Angeboten ergeben kann. Die letzte Gratifikation verdient in Strategieprozessen besondere Beachtung, liegt hierin doch die Chance, relevanten Nutzen zu stiften, der den Nutzern selbst noch gar nicht bewusst ist. Die Identifikation dieser Begeisterungsfaktoren ist die Basis für Differenzierungsstrategien, mit denen Marktlücken erschlossen und besetzt werden können. Etliche Schlüsselinnovationen der Medienindustrie beruhen auf genau diesem Effekt. Niemand hat bis in das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts wirklich Mobiltelefone mit Touchscreen und intuitiver Bedienlogik vermisst. Gleichwohl konnte Apple mit dem I-Phone den Mobilfunkmarkt revolutionieren und etablierte Anbieter wie Nokia oder Blackberry verdrängen. Und die Welt war auch noch in Ordnung, als es noch nicht möglich war, Reisefotos auf Facebook in Echtzeit mit seinen »Freunden« zu teilen. Diese latenten Bedürfnisse lassen sich mit klassischer Marktforschung nur schwer erschließen, insbesondere nicht in stark strukturierten, standardisierten Befragungen, die eine sehr präzise Verbalisierung der relevanten Gegenstände erfordern. Gerade dies ist bei latenten Bedürfnissen schwer möglich, denn dazu müssten Marktforscher und Befragte so viel über das Bedürfnis wissen, dass man es nur mehr schwer als latent bezeichnen könnte. Einmal mehr schlägt hier die Stunde der qualitativen Forschungslogik. Denn sie ist von jeher darauf ausgerichtet, latente soziale Bezüge und stillschweigend akzeptierte Regeln zu identifizieren, die ein soziales Feld durchziehen. Strategische Marktforschung setzt daher auf qualitative Methoden, um latente Bedürfnisse zu identifizieren und komplexe Abhängigkeiten zu erfassen (Trommsdorff/ Steinhoff 2007). Eine dieser Methoden ist das <?page no="99"?> 100 sogenannte Laddering: Hier werden in einem Intensivinterview Motive, die Befragte spontan nennen, systematisch auf verschiedenen Ebenen hinterfragt, um Hinweise auf die dahinter liegenden Faktoren zu bekommen, die tatsächlich Nutzen stiften (Gassmann/ Suter 2008). Ebenso wertvoll sind aber häufig auch Ergebnisse systematischer qualitativer Beobachtung potenzieller Nutzer und ihres (Medien)Alltags. Wer über einen längeren Zeitraum hinweg beobachtet, wie Nutzer ihr Tablet-PC in den häuslichen Alltag einbinden, wird danach möglicherweise bessere Ansätze entwickeln, welche journalistischen Angebote über diesen Kanal idealerweise ausgespielt werden können. Seitdem eine wachsende Zahl von Menschen einen zunehmenden Anteil ihrer sozialen Interaktionen ins Internet verlagert, bietet auch das Web neue Potenziale für die Beobachtung von Zielgruppen. Dabei werden Methoden aus der Ethnografie übernommen, in der Communitys als ähnlich fremd angesehen werden wie unbekannte Kulturen zur Entstehungszeit dieses Ansatzes im späten 19. Jahrhundert. Unter dem Schlagwort »Nethnografie« hat sich hier inzwischen eine eigene Forschungsrichtung etabliert, die für Strategieprozesse wertvolle Erkenntnisse liefern kann (Kozinets 2015). Interessenprofile und latente Bedürfnisse lassen sich zu guter Letzt nicht losgelöst von konkreten Nutzungssituationen diskutieren, in die journalistische Inhalte typischerweise eingebettet sind. Sie beschränken - allein schon über die Verfügbarkeit bestimmter Endgeräte - die Möglichkeiten, Content über bestimmte Ausspielkanäle aufzubereiten (Jakubetz 2016). Grundlegender für die strategische Analyse ist jedoch das Verständnis der Medienrepertoirs strategisch relevanter Zielgruppen. Dieser Begriff steht für eine ganzheitliche Sichtweise auf Mediennutzung, in der nach typischen Kombinationen von Ausspielkanälen, Genres, Darstellungsmodi (Text, Video, Audio etc.) und Themeninteressen gesucht wird. Er beruht darauf dass in einer konvergenten Medienlandschaft unterschiedliche mediale Inhalte viel flexibler und kleinteiliger miteinander zu Nutzungsroutinen verknüpft werden können (Hasebrink/ Schmidt 2013). Man denke hier etwa an eine Kombination aus Genusslesen einer Wochenzeitung am Wochenende mit <?page no="100"?> 101 einem Newsstream aus Twitter und dem Zugriff auf Hintergrundinformationen aus internationalen Nachrichtenportalen bei aktuellen Themen, die besondere Interessen eines Nutzers treffen. Die Herausforderung in der redaktionellen Strategiearbeit besteht oft darin, die Vielzahl der Informationen auf der Mikroebene greifbar zu machen. Als hilfreiche Werkzeuge haben sich hier Personas und Use-Cases erwiesen. In Personas werden entlang von Merkmalen, die für den jeweiligen Strategieprozess besonders relevant sind, die zentralen Erkenntnisse in typischen Nutzerkategorien zusammengefasst. Diese typischen Nutzerkategorien werden möglichst anschaulich beschrieben und visualisiert. Use-Cases verdichten auf eine ähnliche Weise die spezifische Kombination typischer Nutzungssituationen mit Nutzenerwartungen. So wird ein Abonnent, der sich seine Zeitung an den Urlaubsort nachsenden lassen möchte, die Website der Zeitung mit völlig anderen Zielen ansteuern als der Referent eines Landtagsabgeordneten, der auf der Suche nach relevanten Hintergrundinformationen für das Manuskript der nächsten Rede im Plenarsaal ist. Personas und Use-Cases sind im Idealfall das Ergebnis einer dichten, empirisch gesättigten Beschreibung auf Basis qualitativer Erhebungen. Sie können notfalls aber auch allein auf der Basis der Alltagserfahrungen der Mitglieder des Strategieteams beruhen. Man sollte sich daher gerade wegen der hohen Wirkmächtigkeit anschaulich beschriebener Personas nicht in falscher Sicherheit wiegen, sondern die Belastbarkeit und Angemessenheit der Beschreibung kritisch reflektieren. Mesoebene Wir haben uns bisher aus guten Gründen ausführlich mit der Mikroebene der Umweltanalyse beschäftigt: Ohne ein tiefes Verständnis der Zielgruppen kann kein einzigartiges Nutzenversprechen entwickelt werden, auf deren Grundlage Aufmerksamkeit für die eigenen journalistischen Angebote aufgebaut, ausgebaut oder wenigstens erhalten werden kann. Gleichwohl darf man dar- <?page no="101"?> 102 über nicht die Mesoebene außer Acht lassen, also die Wettbewerbssituation, die strategisch gestaltet werden soll. Hier geht es zunächst darum, systematisch die dominante Logik der eigenen Branche zu beschreiben und infrage zu stellen. Diese holistische Evaluation von journalistischen Angeboten und Geschäftsmodellen, in die sie eingebettet sind, öffnet im besten Fall den Blick für neue strategische Ansätze, die eine scheinbar stabile Marktsituation grundlegend verändern können. Stern und Jaberg (2010) formulieren etwa folgende Leitfragen für diesen Schritt: • Welche Werte, die in der Branche als selbstverständlich gelten, sollten hinterfragt werden? • Welche Werte sollten erheblich unter den Branchenstandard gesenkt werden? • Welche Werte sollten erheblich über den Branchenstandard hinausgehen? • Welche Werte, die in der Branche noch nie angeboten wurden, sollten wir schaffen? Welche Effekte es haben kann, wenn man auf diese Fragen plausible Antworten findet, lässt sich am Ansatz von Ryanair und anderen Low-Cost-Fluglinien ablesen, die über eine konsequente Standardisierung, den Verzicht auf differenzierte Services und völlig neue Preismodelle etablierte Fluggesellschaften erheblich unter Druck setzen. Womöglich ließen sich im Journalismus ähnliche Modelle finden, wenn man zentrale Grundannahmen hinterfragte. Würde man etwa bezweifeln, dass Journalismus nur in öffentlich-rechtlichen und privaten Medienunternehmen entstehen könnte, würde man unter Umständen entdecken, dass auch Marken aus anderen Branchen ein gedeihliches Umfeld für gemeinwohlorientierte Publizistik liefern könnten. Dieser Gedanke führt uns zum Kern der systematischen Wettbewerbsanalyse, die neben der eigenen Branche weitere Einflussfaktoren auf die Wettbewerbsanalyse im Blick behalten muss. Für die Wettbewerbsanalyse ist nach wie vor ein fast schon klassisch zu nennendes Instrument der strategischen Analyse zweckmäßig, nämlich Porters Konzept der »Five Forces«, die maßgeblich die <?page no="102"?> 103 Wettbewerbsintensität bestimmen (Nagel/ Mieke 2015: 21). Man kann diesen Ansatz unter Bedingungen des Hyperwettbewerbs zwar als zu statisch kritisieren (Eckert 2016: 18), gleichwohl eignet er sich nach wie vor als Denkmodell, weil er zentrale Analysedimensionen benennt, nämlich die Wettbewerber in der eigenen Branche, Wettbewerber aus fremden Branchen, Substitutionsprodukte, Kunden und Lieferanten. Mit den Kunden haben wir uns auf der Mikroebene schon ausführlich auseinandergesetzt. Die Branchenanalyse haben wir mit der Frage nach der dominanten Logik bereits angedeutet, können sie aber noch dahingehend intensivieren, dass wir weitere Faktoren benennen, die redaktionelle Strategieteams auf ihrem Radar behalten sollten. Dazu zählen • Veränderungen im professionellen Selbstverständnis wie etwa eine neue Offenheit für die Einbindung von Amateurjournalisten in die redaktionelle Arbeit, • neue Formate wie etwa interaktive Infografiken und Prozessinnovationen (Datenjournalismus) oder • die Adaption neuer Technologien wie künstlicher Intelligenz oder Virtual Reality an journalistische Anforderungen, Abb. 11: Wettbewerbsanalyse nach Porter (»Five Forces«) Die Kästen enthalten illustrative Beispiele. In Anlehnung an Nagel/ Mieke (2015) Branchenwettbewerb Dominante Logik Lieferanten Agenturen Softwarehäuser Public Relations Nutzer Bedürfnisse Nutzungsmuster Neue Wettbewerber Content Marketing Substitute Social Media Blogs <?page no="103"?> 104 • die Erschließung neuer Themenfelder, • neue Kooperationsformen zwischen Wettbewerbern wie etwa die Unterhaltung gemeinsamer Korrespondentennetzwerke, • neue Formen der Refinanzierung wie dem crowdfinanzierten niederländischen Angebot De Correspondent, der Hintergrundinformationen zu relevanten überregionalen Themen liefert, und • neue Produkte wie etwa Social-News-Portale (BuzzFeed oder Huffington Post), die Elemente aus mehreren dieser Bereiche zusammenführen. Die nächste Untersuchungsdimension ist die der Lieferanten, also all diejenigen, die an der Wertschöpfung von journalistischen Produkten beteiligt sind. Das können bedeutsame Dienstleister wie Nachrichtenagenturen sein, aber auch freie Mitarbeiter oder Nischenanbieter, etwa im Bereich der Visualisierung und Datenanalyse. Zu denken ist aber auch an Technologieanbieter, die zum Beispiel mit neuen Content-Management-Systemen oder Planungssoftware Spielraum für effizientere und effektivere Formen der Redaktionsorganisation geben können. Ebenso relevant ist auch die Entwicklung im Bereich der Public Relations, und zwar insbesondere vor dem Hintergrund, dass PR-Strategien zunehmend auf Kanäle ausgerichtet sind, die Journalismus umgehen. Der Übergang zur nächsten Analysedimension ist fließend: Wettbewerber aus anderen Branchen. Denn so sehr etablierte Medienunternehmen auch unter sinkenden Reichweiten und schrumpfenden Einnahmen leiden mögen, so stark haben deren aktuelle oder ehemalige Werbekunden redaktionelle Inhalte als attraktives Betätigungsfeld in Zeiten entdeckt, in denen klassische Displaywerbung ebenfalls mit Glaubwürdigkeitsproblemen zu kämpfen hat. Branchenferne Unternehmen wie etwa die Hotelkette Marriott definieren sich als Medienunternehmen. Konzerne wie die Allianz oder Mercedes-Benz bauen ein engmaschiges Netz unterschiedlicher Ausspielkanäle für redaktionelle Inhalte auf. Selbst Klein- und Kleinstunternehmer erzählen Geschichten, die ihre Markenwerte im öffentlichen Bewusstsein verankern sollen. <?page no="104"?> 105 Die Debatte darüber, ob das nun unter Corporate Publishing, Content Marketing oder gar Branded Journalism fällt, wäre ein anderes Buch wert. Aus journalistischer Perspektive führt dieser Trend zumindest potenziell zu intensiverem Wettbewerb um Aufmerksamkeit, Produktionsstandards (gerade in der multimedialen Aufbereitung von Inhalten) und zu talentierten Spezialisten, die Inhalte recherchieren und aufbereiten können. Unmittelbar an diese Überlegungen knüpft die Analyse möglicher Substitute für journalistische Angebote oder, genauer gesagt, journalistische Dienstleistungen an. Hier wechseln wir die Untersuchungsebene von redaktionellen Produkten, die von branchenfernen Wettbewerbern angeboten werden, zu alternativen Wegen, zentrale Bedürfnisse zu adressieren, die bisher der Journalismus bedient hat. Reichen soziale Medien wie Twitter aus, um den Überblick über das aktuelle Geschehen zu behalten? Sind sachbezogene Informationen aus einschlägigen Blogs unter Umständen werthaltiger? Sind Suchmaschinen hilfreicher für die Entscheidungsvorbereitung? Und ist schließlich die eigene Filterblase in sozialen Medien das ideale Biotop, um Zweifel an eigenen Entscheidungen zu wecken? Makroebene Hier stehen wir bereits an der Schwelle zur Makroebene, in der die Umweltanalyse durch die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Metatrends aus Bereichen wie Politik, Wirtschaft, Kultur oder Wissenschaft abgerundet wird (Nagel/ Mieke 2015: 12). Damit öffnet sich ein potenziell vieldimensionaler Raum, in dem redaktionelle Strategieteams ihren Fokus verlieren können. Umso wichtiger ist es daher, zumindest für eine Startlösung potenziell relevante Trends einzugrenzen. Der Rechtspopulismus ist für Tendenzen der Deinstitutionalisierung verantwortlich, die die Glaubwürdigkeit vieler Institutionen infrage stellt. Das dürfte für die Strategiedebatte eines Nachrichtenmagazins deutlich wichtiger sein als für politikferne Special-Interest-Anbieter. <?page no="105"?> 106 Gerade die Dynamik von Metatrends ist auch nur begrenzt vorhersehbar. Umso sinnvoller erscheint es daher, anstelle komplexer Prognosemodelle auf die Entwicklung und den Vergleich unterschiedlicher Szenarien zu setzen. »Prospective Thinking« nennen Brabandere und Iny (2013: 93 f.) dieses Verfahren, mit Unsicherheit umzugehen, indem man unterschiedliche Entwicklungen durchspielt und mögliche Reaktionen darauf vorbereitet oder idealerweise darüber nachdenkt, wie man diese Trends unter Umständen sogar aktiv gestalten kann. Um diese Handlungsoptionen zu veranschaulichen, lassen sich zum Beispiel Trendlandkarten entwickeln. Auf diesen Karten wird einerseits der Einfluss einzelner Trends auf das eigene Unternehmen und die Bedeutung für die ganze Branche festgehalten. Sie enthalten andererseits auch eine Einschätzung dazu, wie gut die eigene Organisation auf diese Trends vorbereitet ist. Extreme Entwicklungen können ebenso spannend sein wie unscheinbare Trends, die mittelfristig ein großes Potenzial entfalten können, oder Bestandteile der eigenen Strategie, die offensichtlich hinterfragt werden sollten, aber niemand dazu den Mut hat. 5.3 Organisationsanalyse Mikroebene Hier stehen wir bereits mit einem Bein im zweiten großen Feld der strategischen Analyse, der eigenen Organisation. Auf der Mikroebene steht dabei das eigene Portfolio journalistischer Angebote im Mittelpunkt: Es gilt zu verstehen, wie stark und auf welche Weise die eigenen Angebote in Alltagspraktiken der Nutzer eingebunden sind. Die Basis dafür können eigene Erfahrungen sein oder die Ergebnisse von Intensivinterviews, Gruppendiskussionen oder Beobachtungen der eigenen Nutzer. Strategisch relevant ist daneben die Wahrnehmung der eigenen Organisation. Wie steht es um das Image der gesamten Organisation und ihrer Angebote? Werden Titel, Formate oder Personen als Marken wahrgenommen? Und falls ja, in welcher Weise? Wo <?page no="106"?> 107 sehen die Nutzer Stärken und Schwächen im redaktionellen Angebot und welche Nutzenbeiträge leisten einzelne Elemente wie Design, Themenmix oder Aktualität? Wer hier in strategische Marktforschung investiert, kann wertvolle Erkenntnisse aus Conjoint-Analysen ziehen, die Produkte zunächst in ihrer Gesamtheit betrachten und indirekt Nutzenbeiträge erheben. Aber auch alle anderen Instrumente redaktioneller Nutzerforschung lassen sich hier anwenden, soweit der Zeitplan und das Budget dies zulassen. Zur strategischen Basisarbeit zählt insbesondere im Online-Bereich die ausführliche Aufbereitung quantitativer Nutzungsdaten wie Klickraten, Kommentarzahlen, Likes und Shares. Die Basisanalyse erstreckt sich weiter über Reichweitendaten oder Auflagenentwicklungen bis hin zu Indikatoren für Kundenloyalität und Hinweisen zur Nutzerstruktur. Relevant ist hier vor allem die Dynamik: Wo verändern sich Nutzungsmuster oder Nutzerstruktur? Welche Angebote haben starke Wachstumsraten in ihrem Nutzerkreis? Welche stagnieren auf hohem oder niedrigem Niveau? Und welche leiden unter sinkenden Reichweiten und/ oder abnehmender Nutzungsintensität? Nutzungszahlen werden sinnvollerweise auf eine kritische Analyse der eigenen Angebote bezogen, sei es im Hinblick auf den Themenmix, die stimmige Kombination von Ausspielkanälen, die Vielfalt der Darstellungsformen, der journalistischen Qualität oder der Usability. So lassen sich Lücken zwischen dem Angebot und seiner Wahrnehmung durch die Nutzer identifizieren, die Hinweise darauf liefern, wo die aktuelle redaktionelle Strategie unter Umständen revidiert werden sollte. Dabei ist es gerade in der Analyse der eigenen Angebote wichtig, systematisch Distanz zum Gegenstand zu schaffen. Dies kann durch eine detaillierte, kritische Analyse der einzelnen Bestandteile des Angebots geschehen, die auf ihren Nutzen für das Publikum hinterfragt werden. Dieses »Reverse Design« öffnet den Blick für alles, was aufgrund nicht mehr aktueller, aber nie hinterfragter Annahmen nach wie vor in das redaktionelle Gesamtpaket gehört. Distanz schaffen überdies Expertenurteile. Hier reicht das Spektrum von einer externen Blattkritik bis hin zu einem »Cognitive Walkthrough«, der Nutzererlebnisse evaluiert. Schließlich <?page no="107"?> 108 können auch die Ergebnisse von Inhaltsanalysen oder systematischen Usability-Tests die eigene Wahrnehmung des Angebots erfolgreich irritieren. Die Differenzen, die sich hier zeigen, sind auch im Hinblick auf die Umsetzungsorientierung eines redaktionellen Strategieprozesses wertvoll, da sie Hinweise darauf geben, mit welchen Routinen und Heuristiken neue Strategieformulierungen kollidieren können. Bei der kritischen Analyse des eigenen redaktionellen Angebots sollte die Aufmerksamkeit nicht nur dem individuellen Wert des Angebots gelten, sondern auch dem Wert, der sich daraus für die Gesellschaft ergibt. Dies spielt im Hinblick auf die institutionelle Absicherung journalistischer Angebote eine wichtige Rolle, da sich aus diesem »Public Value« Vorteile für die eigene Markenführung und unter Umständen auch neue Refinanzierungsmöglichkeiten ergeben können, etwa über Stiftungen, Spenden oder öffentliche Gelder. So ist es ohne Weiteres denkbar, dass Landesmedienanstalten regionale Informationsdienstleistungen mit spezifischen Vielfaltsanforderungen verknüpfen, unter kommerziellen Betreibern von Web-Plattformen ausschreiben und dafür ein definiertes Budget zur Verfügung stellen. Mesoebene Auf der Mesoebene spiegelt die Organisationsanalyse weitgehend die Umweltanalyse: Sie bezieht alle dort bereits diskutierten Aspekte auf die eigene Redaktion und das dazugehörige Wertschöpfungsnetzwerk und sucht nach offensichtlichen Schwächen wie expliziten Stärken. Arbeiten in der Redaktion Mitarbeiter mit den richtigen Kompetenzprofilen? Ist die eigene Redaktionskultur noch zeitgemäß? Limitieren vorhandene Technologien in der Redaktion die tägliche Arbeit, oder tragen sie dazu bei, Grenzen zu überschreiten? Wo sind redaktionelle Prozesse und Strukturen offensichtlich ineffektiv oder ineffizient? Von welchen Dienstleistern profitieren wir und von welchen nicht? Besonders wichtig ist dabei die Identifikation strategischer Ressourcen, die wertvoll, selten sowie schwer imitierbar und substituierbar sind. Denn von <?page no="108"?> 109 ihnen hängt wesentlich die Fähigkeit der eigenen Organisation ab, Wettbewerbsvorteile auszubauen oder sogar neue Publika aufzubauen (Venzin et al. 2003: 100 f.). Makroebene Die prinzipiell gleichen Fragen stellen sich schließlich auch auf der Makroebene der Organisationsanalyse, bloß mit einem weiteren Blickwinkel, der das gesamte Medienunternehmen umfasst und nicht nur die Redaktion und ihre Angebote. Aus strategischer Perspektive stellt sich auf einer ersten Ebene zunächst die Frage nach der grundsätzlichen Bedeutung des redaktionellen Angebots für das Geschäftsmodell und dessen Positionierung in der Wertschöpfungskette. Auf einer zweiten Ebene sind die Nachhaltigkeit des Erlösmodells und der Grad der Verwobenheit mit redaktionellen Prozessen von Interesse, wie etwa im Falle des Native Advertising. Auf einer dritten, allgemeineren Ebene geht es um die strategische Flexibilität und Lernfähigkeit der Organisation (Menzel 2010: 64): Ist sie grundsätzlich in der Lage, sich an geänderte Umweltbedingungen anzupassen? Durch welche relevanten Investitionen (etwa in eine bestimmte Technologie) wird die Flexibilität des Gesamtunternehmens eingeschränkt? All diese Faktoren bestimmen wesentlich, wie dringlich Anpassungen redaktioneller Strategien sind und welche Restriktionen sich bei der Entwicklung und Umsetzung strategischer Antworten ergeben können. Auf ihrer Basis allein lassen sich zwar keine redaktionellen Strategien entwickeln, aber ohne ein Grundverständnis dieser Faktoren werden redaktionelle Strategien nur selten nachhaltig erfolgreich sein. Tipps zum Weiterlesen Einen guten Überblick über Innovationsmarktforschung bieten Trommsdorff/ Steinhoff (2007). Wer noch einmal grundsätzlich in das Thema qualitative Forschung einsteigen will, greift zu Przyborski/ Wohlrab-Sahr (2009). <?page no="110"?> 111 6 Analyse: Szenarien entwickeln und strategische Fragen formulieren Wer strategische Entscheidungen trifft, muss sich das ganze Bild anschauen, mag es auch noch so unvollkommen sein. Strategieteams tun gut daran, die Ergebnisse ihrer Analyse in Szenarien zu verdichten, die alle wichtigen Einflussfaktoren zu einem interpretierbaren Gesamtbild zusammenfassen. So wird es einfacher, in der Vielzahl verfügbarer Daten strategisch relevante Muster zu entdecken. Szenarien sollten möglichst anschaulich formuliert werden, um die richtigen strategischen Fragen stellen zu können. Dabei helfen Visualisierung, Storytelling und Gamification. Im Sinne der Offenheit von Strategieprozessen ist eine breite strategische Analyse, die die Herausforderung aus möglichst vielen unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet, unverzichtbar. Sie steigert die Chancen erheblich, auf neue Problembeschreibungen und Erklärungsansätze zu stoßen, die strategische Handlungsspielräume eröffnen. Sie geben der eigenen Organisation die Möglichkeit, eine Wettbewerbssituation aktiv zu gestalten. Im Sinne der Handlungsorientierung von Strategien ist es jedoch ebenso notwendig, in einem begrenzten Zeitraum die Daten so zu verdichten, dass auf dieser Basis Antworten auf strategische Fragen formuliert werden können. In stabilen Umwelten, in denen bekannte Trends in den Daten mit einer gewissen Sicherheit fortgeschrieben können, würden dazu Prognosemodelle entwickelt, die diese Trends und ihre Wechselwirkungen mit einer akzeptierten Genauigkeit erfassen würden. Für die redaktionelle Strategieentwicklung ist dies aus drei Gründen nur schwer möglich: Zunächst fehlen für zentrale Einflussfaktoren wie etwa Themeninteressen häufig Daten in der für die Entwicklung konkreter Prognosemodelle notwendigen Qualität und Menge. Stattdessen müssen regelmäßig Daten aus sehr unterschiedlichen Quellen integriert werden. <?page no="111"?> 112 Selbst dort, wo es quantitative Daten gibt, mangelt es oft an hinreichend spezifizierten theoretischen Modellen zu den Wechselwirkungen zwischen den maßgeblichen Variablen, um daraus ein hinreichend präzises Vorhersagemodell zu entwickeln. Häufig ist schon viel gewonnen, wenn man Zielgruppen auf Basis von Befragungen via Clusteranalyse verdichten oder die Zuwendung zu einzelnen Formaten wie etwa der lokalen Tageszeitung erklären kann. Das größte Problem liegt allerdings in der Dynamik von Metatrends wie der Digitalisierung, die die Rahmenbedingungen für redaktionelle Strategieentwicklung mitunter schlagartig innerhalb kurzer Zeit verändern. Man denke hier nur daran, wie schnell wesentliche Intermediäre wie Google oder Facebook dominante Ökosysteme aufgebaut haben. Damit können klassische Prognosemodelle, die in der Regel auf der Fortschreibung stetiger, oft sogar linearer Trends basieren, schlecht umgehen, und zwar sogar dann, wenn für die Vergangenheit belastbare Daten in hoher Auflösung für lange Zeiträume vorliegen. Redaktionelle Strategiearbeit muss daher einen anderen Weg gehen, um die Ergebnisse einer strategischen Analyse zu verdichten. Am Anfang steht die Einsicht, das Ergebnis nicht vom Ende her zu denken, also bereits von einem definitiven Ergebnis auszugehen, das in der Zukunft liegt. Gute Strategiearbeit, ließe sich dagegen zugespitzt formulieren, zeigt sich nicht an der Qualität des Plans A, sondern an der Angemessenheit von Plan B, C oder D. Uns interessieren also vor allem die Entwicklungen, die Plan A nehmen kann. Methodisch lässt sich daraus ableiten, die Daten aus der strategischen Analyse in Szenarien zu verdichten. Szenarien beschreiben möglichst konkret die eigene Organisation und deren Umwelt zu einem definierten Zeitpunkt in der Zukunft. Sie verzichten dabei auf exakte Prognosemodelle, sondern zeichnen plausible Kombinationen von als relevant erkannten Trends nach. Szenarien müssen daher in sich konsistent sein und für zentrale Variablen qualitativ unterscheidbare Ausprägungen benennen können, die jeweils logisch nachvollziehbar zu anderen Gesamtergebnissen führen. <?page no="112"?> 113 Auch wenn Szenarien auf die mathematisch exakte Beschreibung der Entwicklung einzelner Variablen und ihrer Wechselwirkungen verzichten, müssen sie daher auf einem klar definierten Wirkungsmodell basieren. Dieses Modell benennt die Einflussfaktoren, die man als relevant für die Weiterentwicklung der eigenen redaktionellen Strategie erachtet. Es trifft Aussagen darüber, in welcher Weise diese Variablen die eigene Organisation beeinflussen könnten. Und es beschreibt die zentralen Beziehungen zwischen diesen Variablen: • Welche sind unabhängig voneinander und welche abhängig? • Wo geht man von starken und wo von schwachen Zusammenhängen aus? • Wo erwartet man einseitige und wo wechselseitige Einflüsse? • Wo nimmt man stetige Zusammenhänge an und wo hält man abrupte Veränderungen für möglich? • An welchen Stellen vermutet man stabilisierende Effekte zwischen relevanten Faktoren? • Und wo könnten sich selbstverstärkende Effekte ergeben, die das Gesamtszenario erheblich verändern? Dieses Wirkmodell ist prinzipiell ergebnisoffen, hat aber gleichwohl einen beschließenden Charakter. Denn die Modellentwicklung besteht ja gerade darin, aus einer komplexen Umwelt nur bestimmte Gegenstände herauszugreifen und wenige Veränderungsmöglichkeiten anzunehmen. Diese Beschränkung macht die Auseinandersetzung mit einer komplexen Umwelt möglich. Sie ist gleichzeitig begründungspflichtig, denn von der Validität des Wirkmodells hängt letztlich ab, wie präzise strategische Fragen formuliert werden können und wie angemessen die darauf gefundenen Antworten sind. Die Validität dieses Wirkmodells wird dabei nicht mathematisch-statistisch, sondern kommunikativ sichergestellt. Alle Beteiligten müssen das Gesamtmodell für plausibel halten. Und da kaum alle Beteiligten alle Komponenten des Modells in der gleichen Tiefe beurteilen können, bietet es sich zusätzlich an, dass Experten die Teilbereiche bewerten, in denen sie sich besonders gut auskennen. In diesem Bereich können in offenen Strategiepro- <?page no="113"?> 114 zessen auch externe Experten oder sogar breite Nutzerschichten einbezogen werden, um deren vielschichtige Marktkenntnis für den Strategieprozess zu mobilisieren. Da jeweils nur einzelne Komponenten offen validiert werden, ist dies auch in hochkompetitiven Umfeldern möglich, in denen man sein Gesamtmodell sonst nicht offenlegen würde. Um Wirkmodelle gerade in hyperkompetitiven Umfeldern zukunftsfest zu machen, kann es sinnvoll sein, bewusst extreme Entwicklungen in das Modell einzubeziehen, also seltene Ereignisse mit erheblichen Auswirkung auf die eigene Organisation und deren Umwelt (Brabandere/ Iny 2013: 253). Das können extreme politische Auswirkungen sein, aber auch wirtschaftliche, gesellschaftliche oder ökologische Sonderfälle. Diese Denkübung dient weniger dem Zweck, tatsächlich Handlungsalternativen für diese Sondersituationen zu entwickeln. Vielmehr geht es darum, die Robustheit des eigenen Modells zu testen. Das liest sich bis hierhin noch relativ abstrakt. Daher soll die Szenarionentwicklung an einem fiktiven, einfachen Beispiel durchgespielt werden, um diesen Kernbestandteil redaktioneller Strategiearbeit greifbarer zu machen. Gehen wir also davon aus, dass ein Strategieteam des fiktiven Wirtschaftsmagazins »D-Mark« notwendige Veränderungen im journalistischen Angebot und die entsprechenden Konsequenzen Abb. 12: Wirkmodell eines strategischen Szenarios Komponente 6 Komponente 2 Komponente 4 Komponente 5 Komponente 1 Komponente 3 <?page no="114"?> 115 für die redaktionellen Abläufe plant. Das Wirkmodell für die Szenarioentwicklung könnte nun ökonomische Zusammenhänge, Medienrepertoirs der D-Mark-Leser sowie technologische Veränderungen bei den Endgeräten umfassen, über die journalistische Angebote genutzt werden. Das Team könnte sich für eine konservative und eine revolutionäre Variante entscheiden: Die konservative Variante ginge davon aus, dass sich Wirtschaftsstrukturen und Beziehungen nur moderat ändern, die revolutionäre würde von tiefgreifenden Änderungen durch Technologie (z. B. Automatisierung) oder etwa politischen Einflüssen ausgehen (z. B. extremer Protektionismus). Hinsichtlich der Medienrepertoirs könnte man von einem starken Bedeutungsgewinn sozialer Medien als Nachrichtenkanal in der breiten Bevölkerung ausgehen oder von einem begrenzten Kohorteneffekt bei jüngeren Nutzern. Im technologischen Bereich ließen sich starke oder moderate Bandbreitenzuwächse bei mobilen Endgeräten annehmen. Hinsichtlich der Beziehungen zwischen den Variablen könnte man eine Unabhängigkeit der wirtschaftlichen Großtrends von den anderen Faktoren unterstellen und darüber hinaus davon ausgehen, dass stark wachsende Bandbreiten die umfassende Nutzung sozialer Medien in unterschiedlichen Alltagssituationen begünstigten. Die Plausibilität der Annahmen zu den Einzelfaktoren könnte man durch Volkswirtschaftler, Kommunikationswissenschaftler und IT-Experten überprüfen lassen. Bezogen auf die Redaktion wiederum hätten wirtschaftliche Veränderungen vor allem Auswirkungen auf das notwendige Kompetenzprofil der Redakteure, auf Medienrepertoires, auf die Relevanz von Ausspielkanälen und auf die Bandbreiten von Formaten, in denen Wirtschaftsthemen aufbereitet werden. Ein Szenario könnte nun von umwälzenden Veränderungen in der Wirtschaft, einem starken Bedeutungszuwachs sozialer Medien als Nachrichtenkanal und stark wachsenden Bandbreiten mobiler Endgeräte ausgehen, und das Strategieteam könnte auf dieser Basis zentrale strategische Fragen formulieren: Welche Möglichkeiten ergeben sich, durch Virtual-Reality-Anwendungen wirtschaftliche Zusammenhänge sichtbar zu machen und so Nutzer in Entscheidungssituationen zu unterstützen? Welche <?page no="115"?> 116 Kompetenzen müssen wir dafür in der Redaktion aufbauen? Als extremes Ereignis ließe sich schließlich die Sperrung sozialer Netzwerke durch staatliche Stellen aus Gründen der inneren Sicherheit durchspielen. Schon an diesem stark vereinfachten Beispiel wird deutlich: Szenarien verdichten eine große Menge von Fakten auf einem oft hohen Abstraktionsniveau. Genau daraus ergibt sich die analytische Qualität, die erforderlich ist, um auf ihrer Basis belastbare strategische Ansätze zu entwickeln. Damit ist allerdings auch ein gewisser Nachteil verbunden, denn unter dem hohen Abstraktionsniveau kann die Anschaulichkeit leiden. Dies wiederum kann es erschweren, auf Basis der Szenarien kreative Antworten auf strategische Fragestellungen zu formulieren, die sich zügig umsetzen lassen. Kognitionspsychologisch lässt sich dies zunächst damit begründen, dass die Kapazitäten des Menschen, Informationen bewusst und aufwändig rational zu verarbeiten, beschränkt sind. Stattdessen greift man in der Regel auf heuristische Verarbeitungsmodi zurück, und zwar nicht nur in Niedrigkostensituationen, sondern auch bei Entscheidungen von hoher Relevanz für die eigene Zukunft, wie dies in Strategieprozessen in der Regel der Fall ist (Scheier/ Held 2012). Dies limitiert daher generell den Abstraktionsgrad der Szenarien. Spezifischer lässt sich in diesem Zusammenhang mit unterschiedlichen Denkstrategien argumentieren, die Menschen anwenden, um komplexe Zusammenhänge zu erfassen, die jeweils Vor- und Nachteile haben. Szenarioentwicklung bewegt sich in der Regel auf der Ebene des argumentativen Denkens. Diese Denkstrategie konzentriert sich auf Einzelheiten und Teilaspekte, stellt Zusammenhänge zwischen Fakten her und ist tatsachenorientiert. Die Präzision dieser Denkstrategie geht freilich auf Kosten der Zukunfts- und Handlungsorientierung. Genau dies leistet dagegen narratives Denken, das von Ereignissen ausgeht, abstrakte Sachverhalte konkretisiert, Zusammenhänge zwischen Fakten und Emotionen herstellt und damit letztlich Möglichkeiten eröffnet, wie man einer Herausforderung begegnen kann (Herbst 2014: 70). <?page no="116"?> 117 Wendet man diese Argumentation auf Strategieprozesse an, hängt deren Qualität also davon ab, diese Denkstrategien zu kombinieren, um die Validität und eine hohe Handlungsrelevanz strategischer Szenarien gleichzeitig sicherzustellen. Dies sollte bereits während der Strategiearbeit passieren und nicht erst bei der Kommunikation strategischer Entscheidungen in der Organisation. Redaktionelle Strategieteams können hier von denselben Werkzeugen profitieren, die sie sonst erfolgreich anwenden, um komplexe Themen für ihr Publikum aufzubereiten, nämlich Storytelling, Visualisierung und Gamification. Alle drei Werkzeuge bereiten Informationen auf und beziehen ihre Stärke aus ihrer tiefen kulturellen und evolutionären Verankerung in der Entwicklung der Menschheit: Das gilt für die Narration als Kommunikationsmodus genauso wie für die stark ausgeprägte Fähigkeit des menschlichen Hirns, räumliche Wahrnehmung und Mustererkennung zu verarbeiten, sowie für das Spiel als folgenloses Ausprobieren von Handlungsmöglichkeiten. Diese Werkzeuge beschleunigen Strategieprozesse, indem sie Brücken von den Daten zur Vorstellungskraft der Mitglieder des Strategieteams schlagen. Diese Beschleunigung hat freilich ihren Preis, und auch dieser ist mit dem Einsatz dieser Instrumente im journalistischen Kontext vergleichbar: Das Risiko steigt, dass Narrativ und tatsächliche Zusammenhänge, Visualisierung und tatsächliche Datenstruktur nicht gut genug zusammenpassen. Dieses Risikos sollte man sich bewusst sein, wenn man die genannten Werkzeuge anwendet, um Szenarien plausibel und handlungsorientiert darzustellen. Man sollte daher stets im Nachhinein prüfen, ob die Aufbereitung von den Daten gedeckt wird. An dieser Stelle geht es auch nicht darum, die Ansätze in ihrer Komplexität darzustellen, sondern beispielhaft deutlich zu machen, wie Strategieprozesse von Storytelling, Visualisierung und Planspielen profitieren können. <?page no="117"?> 118 Storytelling Für die Rückkopplung des Strategieprozesses an die Organisation eignen sich Narrationen gleich aus mehreren Gründen. Zunächst sprechen sie Emotionen an, wie etwa das Mitgefühl mit den Protagonisten, die das Involvement erhöhen und damit auch die Fähigkeit, die in der Erzählung enthaltenen Informationen zu verarbeiten. Geschichten knüpfen an Erfahrungen des Lesers oder Zuhörers an und ermöglichen es daher, die Informationen aus der Geschichte mit seiner Lebenswelt zu verbinden, wie zum Beispiel Erfolgserlebnisse aus Vorgängerprojekten. Geschichten adressieren darüber hinaus das Belohnungssystem und wecken so klare Erwartungen an die Entwicklung in der Zukunft, die sich aus der Dramaturgie der Geschichte über Motive und Handlungsoptionen der Protagonisten, Antagonisten und Nebenfiguren ergeben. Geschichten involvieren Zuhörer, indem sie an Grundmotive wie Sicherheit, Erregung und Autonomie anknüpfen. Und schließlich gewinnen sie an Erzähl- und damit auch an Verarbeitungstempo, indem sie bekannte Muster aufgreifen und variieren: Dazu zählen Archetypen wie der Held oder Mythen wie etwa der Aufstieg aus dem Nichts zum Reichtum, die sich teilweise seit Jahrtausenden in Geschichten wiederfinden lassen. Archetypen und Mythen können Strategien veranschaulichen, aber auch an aktuelle kulturelle Muster anknüpfen: Das können typische Rollen wie der Sanierer oder auch Skripte wie das ritualisierte Gespräch in der Kantine sein, die für die aktuelle Situation des Unternehmens stehen können (Herbst 2014: 30 ff.). In Strategieprozessen lassen sich diese Potenziale von Geschichten unterschiedlich nutzen. Strategische Szenarien werden dadurch anschaulicher, dass man sie entlang der fiktiven Biografien wichtiger Nutzergruppen erzählt. Die Chancen und Gefahren, die sich aus einem Szenario für die Organisation ergeben, werden deutlicher, wenn man sie vom Ende des strategischen Zeithorizonts rückwärts erzählt: Woran lag es, dass wir so erfolgreich geworden sind? Aber auch: Warum sind wir grandios gescheitert? Wettbewerbsbeziehungen erscheinen klarer, wenn man die Perspektive wechselt und den ärgsten Konkurrenten zum Protagonis- <?page no="118"?> 119 ten macht. Und idealerweise wird man diese Varianten miteinander kombinieren und vergleichen, um ein umfassendes Bild der erwarteten Zukunft zu erhalten. Visualisierung Darüber hinaus sind zahlreiche weitere nützliche Varianten des Einsatzes von Narrationen in ganz unterschiedlichen Ausspielkanälen vom Text bis zum Video denkbar. Äußerst variantenreich ist auch das zweite wertvolle Instrument zur Verdichtung der Ergebnisse von strategischen Analysen zu, die Visualisierung. Standardlösungen zu präsentieren, die sich generell in Strategieprozessen anwenden lassen, ist daher wenig ergiebig. Empfehlenswerter ist es, auf Grundmuster in der visuellen Aufbereitung von Daten zu achten, die für bestimmte analytische Fragestellung von besonderer Bedeutung sind. Der US-amerikanische Strategieberater Dan Roam (2009) hat ein Modell vorgeschlagen, die in Kombination auch komplexe strategische Zusammenhänge veranschaulichen können. Er ordnet sechs offene Fragen Visualisierungsmustern zu, die, unbeabsichtigt, den journalistischen W-Fragen in Lead und Interview ähneln. Für redaktionelle Strategieprozesse hat das positive Auswirkungen: • Wer/ Was? - Akteure und Objekte auf dem jeweils strategisch relevanten Ausschnitt der Organisation und ihrer Umwelt: Das können Wettbewerber, Führungskräfte oder redaktionelle Dienstleister, journalistische Produkte oder Bestandteile der redaktionellen Infrastruktur wie etwa ein Content-Management-System sein. Diese können durch Porträts oder aussagekräftige Symbole dargestellt werden. • Wie viel? - Quantitative Daten wie etwa Redaktionsbudgets, Marktanteile oder Nutzungszeiträume: Empfohlen werden Tabellen in all ihren Spielarten, angefangen bei den Rohdaten über Histogramme bis hin zu Linien- oder Tortendiagramme. • Wo? - Durchaus weit gefasste räumliche Zusammenhänge: Dies können geografische Räume wie regionale Märkte sein, aber <?page no="119"?> 120 auch Handlungsräume, die durch die Kombination unterschiedlicher Handlungsmöglichkeiten, Risiken und Chancen strukturiert werden. In allen Fällen empfiehlt Roam Karten, die echte Orte enthalten können, wie etwa die Erscheinungsgebiete der Lokalausgaben einer regionalen Tageszeitung, aber auch metaphorische Räume wie etwa die Reichweitengipfel, die fruchtbaren Äcker des Microtargeting oder den Sumpf der Unbeweglichkeit der Ressortleiter. • Wann? - Aussagen über die zeitliche Position bestimmter Ereignisse: Erst wird ein neues Social-Media-Angebot gegründet, dann wandern die Nutzer und schließlich auch die Werbeerträge zu diesem neuen Wettbewerber ab. Der Zeitstrahl ist das Mittel der Wahl, um diese Bezüge visuell sauber herzustellen. • Wie? - Kausalitäten zwischen den Komponenten eines Szenarios: Wenn wir ein »Metered Model« zur Bezahlung unserer Web- Inhalte einführen, wandern unsere Nutzer zu anderen Portalen ab. Diese werden durch Ablaufdiagramme sauber abgebildet. • Warum? - Königsdisziplin der strategischen Analyse: Beim Warum geht es darum, Trends und Zusammenhänge zu erklären und daraus wahrscheinliche Entwicklungen in der Zukunft abzuleiten. Hier empfiehlt Roam multivariate Schaubilder, die Informationen zu mehreren Komponenten einer strategischen Fragestellung erhalten, zum Beispiel die Größe eines Nutzersegments, die favorisierten Ausspielkanäle dieses Segments und ihre Themenvorlieben. Die Anschaulichkeit lässt sich dadurch erhöhen, dass man komplexe Informationen wie Interessenprofile zu Typen verdichtet. Aus der Kombination dieser Elemente ergeben sich strategische Landkarten, die quasi auf einen Blick zentrale Entwicklungsmöglichkeiten und damit auch relevante Handlungsoptionen sichtbar machen. Wenn die strategische Herausforderung den Aufwand lohnt, lassen sich sogar digitale, interaktive Landkarten erstellen, in denen Strategieteams zentrale Parameter verändern und ihre Auswirkungen in der Karte nachvollziehen können. <?page no="120"?> 121 Gamification Genau daran kann das dritte Werkzeug zur Veranschaulichung strategischer Analysen anknüpfen, die Gamification. Hier geht es im wahrsten Sinne des Wortes darum, unterschiedliche Handlungsoptionen durchzuspielen und so einen tieferen Einblick in die Zusammenhänge zwischen relevanten Faktoren des eigenen Szenarios und den Verlauf von Handlungsdynamiken zu bekommen. In der militärischen Strategieentwicklung hat dieses Vorgehen eine lange Tradition, und zwar naheliegender Weise deshalb, weil militärische Operationen extrem riskant, teuer und schwer rückholbar sind. Planspiele gehören aber längst auch zum Repertoire ziviler Strategieentwicklung (Blötz 2015). Obgleich hochkomplexe Software relevante strategische Umfelder abbilden kann, wird das Grundprinzip der spielerischen Auseinandersetzung mit der Organisation und ihrer Umwelt schon mit viel einfacheren Mitteln deutlich, die vielleicht gerade deshalb in der Strategieberatung erfolgreich geworden ist. Mit »Serious Play« hat der Spielzeugkonzern Lego eine Produktlinie für Erwachsene entwickelt, mit der Führungskräfte oder andere Personen in leitender Stellung Szenarien nachbauen und damit wirklich greifbar machen können (Seidl 2016). So lassen sich strategische Schwächen in Workflows identifizieren, indem die Interaktion mit dem Lieferantennetzwerk nachgebaut wird - mit Lego-Männchen. »Serious Play« ist gleichzeitig ein gutes Beispiel im doppelten Sinne, weil es selbst Ergebnis eines äußerst erfolgreichen Strategieprozesses für den Spielzeughersteller Lego war, seine Kernkompetenzen in einem neuen Marktsegment ertragreich einzusetzen. Ob wir nun allein mit abstrakten Szenarien arbeiten oder eines der hier geschilderten Werkzeuge einsetzen, um unsere strategischen Analysen zu veranschaulichen - die letzte Aufgabe dieser Phase des Strategieprozesses bleibt stets gleich: Wir müssen ein oder mehrere wahrscheinliche Szenarien auswählen und auf dieser Basis strategische Fragen formulieren. Strategische Fragen sind in ihrem Geltungsanspruch weniger umfassend als strategische Ziele, die einen erstrebenswerten Zustand nachvollziehbar beschreiben und über Erfolgsindikatoren messbar machen. Auf diesen Unter- <?page no="121"?> 122 schied zu bestehen, mag auf den ersten Blick kleinlich erscheinen. Auf den zweiten Blick zeigt sich darin eine gewisse Bescheidenheit im Hinblick auf die eigene Prognosefähigkeit in turbulenten Umwelten. Tipps zum Weiterlesen Einen guten Überblick über die Limitierungen menschlicher Entscheidungsfindung und wie man damit umgehen kann, liefern Grüne-Yanoff/ Hertwig (2016). Mein Favorit beim Thema Visualisierung in Strategieprozessen: Roam (2009). <?page no="122"?> 123 7 Umsetzung: Wertschöpfung und Kundennutzen verstehen Bevor wir Produkte entwickeln, müssen wir genau wissen, welche Werte wir für Nutzer schaffen. Dafür müssen wir strategische Szenarien mit den Handlungsmöglichkeiten unserer eigenen Organisation verbinden. Wir benötigen dazu einen klaren Fokus auf den Gegenstand, einen handlungs-orientierten Entwicklungsprozess sowie nachvollziehbare Kriterien, nach denen strategische Ideen bewertet werden. Geschäftsmodelle verdichten dabei unsere Daten und Ideen zu konkreten Strategieoptionen. Manch einer wird an dieser Stelle aufatmen: Nun beginnt der angenehme Teil! Das number crunching hat ein Ende, endlich können wir kreative Lösungen entwickeln! Diese positive Stimmung sollte man sich erhalten, denn jetzt folgt der anspruchsvollste Abschnitt auf unserem Weg zu angemessen Antworten auf strategische Fragen, nämlich die Entwicklung und möglichst präzise Beschreibung von Handlungsmöglichkeiten, die uns den eigenen strategischen Handlungsspielraum aufzeigen und uns in die Lage versetzen, die beste Alternative auszuwählen. Halvorson und Rach (2015: 99) sprechen hier anschaulich vom »Magic Layer«, in dem aus strategischen Analysen und ersten Ideen konkrete Produkte werden. Diese Phase des Strategieprozesses ist zunächst wieder durch Offenheit gekennzeichnet. Auch vermeintlich abseitige Lösungsansätze, so das Ziel, sollen ernst genommen werden, denn sie könnten sich bei genauerem Hinsehen vielleicht dazu als äußerst nützlich erweisen, neue Nutzersegmente zu erschließen oder neuen Nutzen für das bestehende Publikum zu schaffen. Gleichzeitig steht am Ende dieser Phase erneut die Entscheidung an, aus vielen Varianten diejenige auszuwählen, die den größten Erfolg verspricht. Dafür braucht es eindeutige Auswahlkriterien und Fingerspitzengefühl bei der Auswahl der Lösungsvorschläge. Denn <?page no="123"?> 124 ebenso, wie eine gute Idee nicht früh aussortiert werden sollte, sollte man auch nicht zu viele Ressourcen in die Ausarbeitung wenig zielführender Ansätze stecken. Die offene Ideenentwicklung und systematische Ideenbewertung stellt schon ein Spannungsfeld dar. Es wird von einem weiteren korrespondierenden Spannungsfeld flankiert, das obendrein gegensätzlichen Charakter hat: die sorgfältige Ausarbeitung der relevanten Alternativen auf der einen und das hohe Entwicklungstempo auf der anderen Seite. Das ergibt sich vor allem daraus, dass sich in einer konvergenten, digitalisierten Medienlandschaft aufgrund von Netzwerkeffekten und Größenvorteilen erhebliche Vorsprünge für diejenigen Anbieter ergeben, die als erste auf dem Markt vertreten sind (Gläser 2008: 833). Schließlich werden in dieser Phase des Strategieprozesses strategische Ideen mit der Realität abgeglichen: Lassen sich die Chancen, die sich in der strategischen Analyse abzeichnen, mit den Kernressourcen des eigenen Unternehmens vereinbaren? Und passen die eigenen strategischen Ansätze tatsächlich zu den Nutzenerwartungen der Zielgruppen, die damit angesprochen werden sollen? Hinter diesem Abgleich stehen Effizienz- und Effektivitätsüberlegungen: Ziel ist es, die Strategiearbeit auf besonders erfolgversprechende Ansätze zu fokussieren. Dazu bietet es sich Abb. 13: »Magic Space« der redaktionellen Strategieentwicklung Ergebnis- Orientierung Offenheit Anforderungen der Nutzer Präzision Ressourcen der Redaktion Perspektive Tempo Priorität bei der Entwicklung Fokus <?page no="124"?> 125 an, das Wissen von Mitarbeitern und Kunden für die Strategieentwicklung zu erschließen. Um auf Halvorson und Rach zurückzukommen: Wir bewegen uns in dieser Phase des Strategieprozesses also nicht auf einem »Magic Layer«, sondern eigentlich in einem »Magic Space«, der sich aus den Dimensionen Offenheit versus Entscheidungsorientierung, Präzision versus Entwicklungstempo sowie Ressourcenorientierung versus Nutzeranforderungen ergibt. Um in diesem magischen Raum zu tragfähigen Lösungen zu kommen, braucht es entweder Zaubertricks, oder - für alle Normalsterblichen in Strategieteams - einen klaren Fokus auf den Gegenstand, einen handlungsorientierten Entwicklungsprozess sowie nachvollziehbare Kriterien, nach denen strategische Ideen bewertet werden. Beginnen wir mit dem Gegenstand. In dieser offenen Phase entwickeln wir keine journalistischen Detailkonzepte wie etwa den Mix an Darstellungsformen, das Budget für Freelancer oder notwendige Bildlizenzen. Dies wäre nicht nur extrem aufwändig, sondern die Details würden unter Umständen auch den Blick auf die grundlegende Mechanik des strategischen Ansatzes und deren Angemessenheit an die strategische Herausforderung und die eigene Organisation verstellen. Genau diese ganzheitliche Perspektive stellen Geschäftsmodelle sicher, die die Beziehungen aller relevanten Akteure bei der Herstellung eines Produkts oder der Erstellung einer Dienstleistung beschreiben. Sie bilden damit ein wichtiges Bindeglied zwischen Strategieentwicklung und operativem Geschäft. Das strategische Geschäftsmodell Wir folgen hier einem Vorschlag von Eckert (2016: 22 f.), der zwischen einem strategischen und einem operativen Geschäftsmodell unterscheidet. Das strategische Geschäftsmodell, um das es im weiteren Verlauf dieses Kapitels geht, beschreibt die Kernbestandteile des jeweiligen unternehmerischen Ansatzes und deren Beziehungen untereinander. Auf dieser Ebene lassen sich die Konsequenzen alternativer Antworten auf strategische Fragen effizient <?page no="125"?> 126 durchspielen. Das operative Geschäftsmodell arbeitet diese Grundstruktur dann so detailliert aus, dass es tatsächlich handlungsleitend wird. Dieser Aufwand lohnt sich nur bei erfolgsversprechenden Varianten. Ob nun strategisch oder operativ: Die Kernkomponenten eines Geschäftsmodells bleiben stets die gleichen (Gassmann et al. 2016: 84): Die erste Komponente ist das Marktsegment, das man mit seiner Dienstleistung erreichen will. Man definiert es auf Basis der strategischen Analyse und arbeitet dabei möglichst genau die Bedürfnisstruktur der Nutzer in diesem Segment heraus. Daraus ergibt sich der zentrale Vergleichsmaßstab zur Bewertung der Angebote, die man für diese Zielgruppe entwickelt. Das führt uns zur zweiten Komponente des Geschäftsmodells, dem einzigartigen Wertbeitrag, den das eigene Unternehmen diesem Kundensegment liefern kann. Hier geht es nicht um operative Details wie einen spezifischen Mix an Darstellungsformen, sondern um die Erfüllung relevanter Bedürfnisse. Darunter sind Information, Unterhaltung oder vielleicht auch nur die Überbrückung von Zeitlücken zu verstehen. Das Kriterium der Einzigartigkeit verdeutlicht den Wettbewerbskontext, denn erfolgreich ist ein Geschäftsmodell dann, wenn es den Nutzern ein Angebot Abb. 14: Komponenten eines Geschäftsmodells Zielgruppe Wertschöpfungsnetzwerk Wert? Nach Gassmann/ Frankenberger/ Csik2016 Wer? Wie? Was? Erlösmodell Einzigartiges Nutzenversprechen <?page no="126"?> 127 macht, das Wettbewerber so nicht liefern können. Diese zweite Komponente ist die Schlüsselstelle für die Geschäftsmodellentwicklung. Denn wenn Kundenbedürfnisse und Angebot nicht ausreichend zueinanderpassen, wird das Modell nicht funktionieren, mögen die anderen Bestandteile des Modells auch noch so ausgefeilt sein. Zugleich leiten sich aus dem einzigartigen Wertbeitrag die Konfiguration der Komponenten drei und vier ab. Als dritte Komponente eines Geschäftsmodells muss geklärt werden, wer alles an der Wertschöpfung beteiligt ist. Hierbei unterscheiden wir zunächst zwischen Kernprozessen, die sich direkt auf die Erstellung des Produkts oder der Dienstleistung beziehen (z. B. die Produktion eines Videos für eine Website), und Unterstützungsprozessen, die diese direkte Wertschöpfung erst ermöglichen (z. B. die Honorarabrechnung für den freien Journalisten, der das Video gedreht hat). Des Weiteren differenzieren wir hier danach, welche Teile der Dienstleistung wir selbst erbringen und welche von anderen Akteuren erbracht werden, etwa von Dienstleistern oder, wie im Fall des User Generated Content, von den Kunden selbst. Hier stellen sich folgende strategische Fragen: • Qualität: Können wir das besser als andere? • Effizienz: Können wir das billiger als andere? • Kompetenz: Können wir hier wertvolles Know-how aufbauen? Die vierte Komponente eines Geschäftsmodells ist das Erlösmodell. Die Frage, wie wir unser journalistisches Produkt refinanzieren wollen, ist für journalistische Angebote derzeit am schwierigsten zu beantworten. Erlösmodelle setzen immer an den Wertbeiträgen an, die für die Kunden geschaffen werden, und den Zahlungsbereitschaften, die sich daraus ableiten. Erlösmodelle können sehr einfach sein (Abonnenten zahlen für eine Fachzeitschrift), aber auch sehr kompliziert (ein journalistisches Angebot zahlt auf die Marke ein und schafft Glaubwürdigkeit und Kompetenz für ein bestimmtes Themenfeld; diese Kompetenz wird eingesetzt im Content Marketing; als Dienstleister refinanziert man sich aus Provisionen aus dem Verkauf des Webshops, der in das entsprechende redaktionelle Angebot eingebettet ist). Man <?page no="127"?> 128 muss sich daher klarmachen, für welche unterschiedlichen Zielgruppen man welche Werte schafft, die in irgendeiner Form bepreist werden können. Dies ist sicher nicht Kernaufgabe einer redaktionellen Strategie, aber ein wesentlicher Punkt, wenn man die Machbarkeit eines strategischen Ansatzes bewerten möchte. Für die Entwicklung eines strategischen Geschäftsmodells ist es auch hilfreich, analytisch die Aspekte, die für die Nutzer unmittelbar sichtbar sind, von denen zu unterscheiden, von denen User in der Regel nichts mitbekommen (Gassmann/ Sutter 2008). Sichtbar ist bei redaktionellen Angeboten zum Beispiel alles, was veröffentlicht wird: der Preis für ein journalistisches Angebot oder ergänzende Services wie eine regionale Bonuskarte. Unsichtbar sind dagegen in der Regel die redaktionellen Prozesse, in denen die Produkte entstehen. Bei unsichtbaren Komponenten geht es eher um Effizienzvorteile in Relation zu Wettbewerbern, dank derer man auch bei niedrigen Zahlungsbereitschaften rentabel arbeiten kann. Insgesamt verknüpfen also Geschäftsmodelle die Erwartungen des Marktes auf der einen und die Fähigkeiten der eigenen Organisation auf der anderen Seite. Aus dieser Sicht erscheint Eckerts (2016: 25) Vorschlag sehr plausibel, zunächst über die eigene strategische Kompetenz nachzudenken, auf deren Basis man Werte für seine Kunden schaffen kann. Das könnte im Journalismus die Fähigkeit sein, große Datenmengen zu analysieren, um daraus wertvolle Erkenntnisse für die Nutzer zu generieren. Anschließend kann man dann danach fragen, welche Prozesse notwendig sind, um diese Kompetenzen zu entfalten (in unserem Beispiel beträfe das die Zusammenarbeit von Programmierern, Journalisten und Visualisierungsexperten). Danach beschäftigen wir uns damit, welche Werte für welche Nutzer hieraus entstehen können (z. B. die Zeitersparnis für einen Pendler, dem wir eine Alternativroute auf Basis unserer Analyse von Staudaten liefern). Zum Schluss steht im Mittelpunkt, ob die eigene Marke diesen Schritt unterstützt ist (steht unser Zeitungstitel für besondere Glaubwürdigkeit? ), ehe wir zum Schluss darüber nachdenken würden, welche Ressourcen wir in der Redaktion behalten sollten, um unser Geschäftsmodell abzusichern (z. B. einen fähigen Programmierer, <?page no="128"?> 129 während wir die Rechenleistung guten Gewissens bei Amazon nach Bedarf anmieten können). Und auch die Entwicklung von strategischen Geschäftsmodellen ist kein linearer, sondern ein iterativer Prozess, in dem man unterschiedliche Varianten durchspielt, gezielt variiert und mit den existierenden Modellen in der eigenen Organisation bzw. seiner Wettbewerber vergleicht. Gerade deshalb ist es nützlich, Ideen zu Geschäftsmodellen flexibel und anschaulich darzustellen. Genau dies passiert bei der sogenannten Business Model Canvas, bei der man die Kernkomponenten eines Geschäftsmodells auf einem großen Blatt Papier darstellt (Osterwalder/ Pigneur 2011). Viele Instrumente, mit denen man Geschäftsmodelle einfach visualisieren und variieren kann, sind im Web kostenfrei verfügbar. Sie alle basieren letztlich darauf, dass man zunächst relevante Akteure und deren jeweiligen Wertschöpfungsbeitrag definiert und dann die Beziehungen zwischen diesen Akteuren beschreibt, und zwar insbesondere die materiellen und immateriellen Gratifikationen, die die Akteure für ihre Wertbeiträge erhalten. Nutzer, die zum Beispiel in einem Crowdsourcing-Projekt dabei helfen, große Datensätze zu analysieren, können sich etwa allein dadurch belohnt fühlen, dass sie sich als Teil einer großen Bewegung fühlen. Nicht nur anschauliche Visualisierungsinstrumente erleichtern die Geschäftsmodellentwicklung. Geschäftsmodellinnovationen beruhen in den seltensten Fällen auf komplett neuen Ansätzen. Sie rekombinieren existierende Ansätze oder transferieren in der Praxis bereits übliche Branchenmodelle in ein neues Geschäftsfeld. In der digitalen Ökonomie basieren zum Beispiel viele erfolgreiche Ansätze darauf, Zwischenhändler überflüssig zu machen. Das funktioniert im Einzelhandel (Amazon) genau so gut wie bei Taxis (Uber) oder Gästezimmern (Airbnb). Gassmann et al. (2016: 85 f.) konnten auch empirisch nachweisen, dass 90 Prozent aller neuen Geschäftsmodelle alte kombinieren. Und sie konnten eine Landkarte mit einem Satz von rund 50 Basiskomponenten, sogenannten »Business Patterns«, identifizieren, die in diesen Modellen enthalten sind. So finden wir die Kombination aus starker Standardisierung der Produkte und der Verlagerung wichtiger Prozessschritte an den Kunden nicht nur in <?page no="129"?> 130 der Möbelbranche (Ikea), sondern auch bei Fluglinien (Ryanair) verknüpft. Auch bei der Entwicklung redaktioneller Strategien sollte also nach Lösungen außerhalb der Medienbranche, die man erfolgreich adaptieren kann, gesucht werden. Geschäftsmodelle bringen aber nicht nur auf der sachlichen Ebene Umweltanforderungen und die Kompetenzen der eigenen Organisation bzw. Redaktion zusammen. Als Entwicklungsinstrument schlagen sie auch in der Strategiepraxis eine wichtige Brücke zwischen den Ergebnissen der strategischen Analyse und den praktischen Konsequenzen, die man aus den Analyseergebnissen zieht. Strategieteams, die schneller zu Antworten kommen wollen, sind gut beraten, die grundsätzlichen Strategievarianten so konkret wie möglich zu beschreiben. Dies erleichtert nicht nur die Evaluation der unterschiedlichen Alternativen (aus denselben Gründen, auf die wir im Kontext der Entwicklung strategischer Szenarien bereits eingegangen sind), sondern erlaubt es auch, zu einem frühen Zeitpunkt potenzielle Nutzer in die Entwicklung einzubinden. Auch enthält das Modell, für das man sich schließlich entscheidet, schon eine Reihe sehr konkreter Vorgaben, die seine Umsetzung beschleunigen können. Das gilt insbesondere für die Ausgestaltung des Nutzenversprechens, das im Geschäftsmodell enthalten ist. Ein Ansatz aus dem Innovationsmanagement, der diesen Gedanken eines explizit handlungsorientierten Entwicklungsprozesses aufgreift, ist das »Design Thinking« (Gürtler/ Meier 2013). Design Thinking versucht, in kurzer Zeit umsetzbare, profitable und für den Kunden attraktive Lösungen zu finden, indem Analyseergebnisse und Ideen möglichst schnell in Prototypen überführt und so unmittelbar erfahrbar werden. Dazu, so ein weiterer Kerngedanke, bedarf es zunächst geeigneter Rahmenbedingungen, die denen ähneln, die für die Strategiearbeit im Allgemeinen herausgearbeitet wurden: nämlich vielfältig zusammengesetzte Teams, eine auf Offenheit ausgerichtete Projektkultur und Räume, in denen Zwischenergebnisse für alle Mitglieder des Strategieteams präsent sind. Spannender für die Strategiearbeit ist allerdings die spezifische Herangehensweise an Probleme und Aufgaben, die bereits bei <?page no="130"?> 131 der Ausarbeitung von Strategievarianten helfen kann: Ein Design-Thinking-Prozess besteht aus mehreren Phasen, die idealerweise einmal hintereinander durchlaufen werden. In der Praxis sind mehrere Durchläufe üblich, und es ist auch möglich, zu vermeintlich abgeschlossenen Phasen zurückzukehren: • Verstehen: Es geht darum, sich mit den Anforderungen der Nutzer auseinanderzusetzen, insbesondere mit latenten Bedürfnissen, die in der strategischen Analyse bereits identifiziert worden sind. • Forschung: In einem klassischen Design-Thinking-Prozess würde man anschließend versuchen, Daten zum Problem zusammenzutragen. Dies ist zu diesem Zeitpunkt im Strategieprozess allerdings ebenfalls bereits gestehen. • Synthese: Bei der Konkretisierung von strategischen Ansätzen steigt man quasi in die dritte Phase ein, in der die Ergebnisse aus den ersten beiden zu einer Problembeschreibung verdichtet werden. • Ideenentwicklung: Auf Basis der Synthese werden Ideen entwickelt und entlang spezifischer Kriterien bewertet. An dieser Stelle des redaktionellen Strategieprozesses kann dies parallel für unterschiedliche strategische Ansätze geschehen. • Prototypenentwicklung: Dies ist die Schlüsselphase eines Design-Thinking-Prozesses. In ihr werden auf Basis der Lösungsideen möglichst konkrete Modelle von der vorgeschlagenen Lösung entwickelt, sei es in Form von Wireframes (Skizzen von Webseiten), Mock-ups (partiell funktionsfähigen Prototypen von Webseiten oder Apps) o. Ä. • Test: In der sechsten Phase werden Prototypen potenziellen Nutzern vorgestellt und intensiv mit ihnen diskutiert. Anders als bei klassischer Marktforschung, die reine Interessenprofile oder abstrakte Anforderungen abfragt, bekommt man so zu einem frühen Zeitpunkt im Entwicklungsprozess eine Rückmeldung zum tatsächlichen Angebot. Es kann den Ansatz verfeinern oder unter Umständen dazu führen, dass ein strategischer Ansatz nicht weiterverfolgt wird, weil zu viele Ressourcen notwendig wären. <?page no="131"?> 132 Die Grundidee dieses Ansatzes ist es also, Ergebnisse der strategischen Analyse und Ideen möglichst schnell mit der Umwelt rückzukoppeln, im Falle redaktioneller Strategien vor allem mit den potenziellen Nutzern journalistischer Angebote. Dies zwingt zu einer möglichst realistischen Aufbereitung des Angebots und kann nur gelingen, wenn das Strategieteam die Machbarkeit und Angemessenheit aller Vorschläge zuvor durchdacht hat. Genau das ist der intendierte Effekt dieses Vorgehens. Am Ende eines Design-Thinking-Prozesses stehen verschiedene Strategieentwürfe, die idealerweise die Vielfalt der Handlungsmöglichkeiten abbilden. In der Praxis fehlen in der Regel Zeit und Ressourcen, um alle Varianten bis ins Detail auszuarbeiten. Stattdessen wird man im Strategieprozess zunächst viele, weniger detailliert ausgearbeitete Varianten erarbeiten und sich dann Schritt für Schritt von weniger überzeugenden Vorschlägen trennen und die verbleibenden Ansätze detaillierter ausarbeiten. Dieser Prozess wird als »Funnel of Ideas bezeichnet« (Trommsdorff/ Steinhoff 2007), da sich der Diskussionsraum wie ein Trichter immer weiter schließt, bis wenige Strategiealternativen übrig bleiben. Selbstverständlich ist auch bei diesem Vorgehen keinesfalls sicher, dass die Strategievariante, die schließlich ausgewählt wird, auch tatsächlich erfolgreich ist. Strategieteams müssen im Einzelfall abwägen, wie sie ihren Trichter gestalten. Wählt man die Eingangsöffnung zu klein, ist dies zwar ressourcenschonend, aber es besteht das Risiko, das gute Ideen verloren gehen. Reduziert man sehr früh den Durchmesser und damit die Zahl der Strategievarianten, die genauer ausgearbeitet werden, spart man zwar Zeit und Geld, nimmt aber das Risiko in Kauf, eine eigentlich vielversprechende Idee zu früh auszusortieren. Hält man den Prozess allerdings zum Ende hin zu lange offen, droht man sich zu lange in Strategievarianten zu verlieren, die sich als wenig aussichtsreich entpuppen. Die Qualität dieser Selektionsentscheidungen hängt maßgeblich von sauber definierten Entscheidungskriterien ab, die vom gesamten Strategieteam geteilt werden. Schon die Diskussion über Kriterien ist eine gute Technik, sich der eigenen Ziele und Möglichkeiten zu vergewissern. Daher ist es sinnvoll, diese Kriterien <?page no="132"?> 133 zu einem frühen Zeitpunkt im Strategieprozess festzulegen. Vor allem strukturieren und beschleunigen diese Kriterien aber den Entscheidungsprozess und erleichtern als Orientierungsrahmen die Debatte über die vorgeschlagenen Alternativen. Die analytische Qualität des Strategievorschlags muss anhand kritischer Fragen beurteilt werden: Passen die Modellannahmen zur strategischen Analyse und hier insbesondere zum gewählten Szenario? Sind die Grundannahmen dort, wo keine Daten vorliegen, plausibel? Ist das Modell in sich konsistent und widerspruchsfrei? Weitere Kriterien ergeben sich fast zwangsläufig aus dem Wesen der Strategiearbeit: u. a. Relevanz des identifizierten Bedürfnisses und die Passung des eigenen Ansatzes zu diesen Anforderungen. Auch die Umsetzbarkeit im Sinne einer grundsätzlichen Passung zu den vorhandenen strategischen Kompetenzen und die Rentabilität des Gesamtmodells sind gesetzte Kriterien. Abb. 15: Bewertungskriterien für eine Strategievariante Strategischer Fokus Analytische Qualität Strategischer Kontext Idealer Bereich • Relevanz Bedürfnis • Passung zu Bedürfnis • Umsetzbarkeit • Rentabilität • Passung Gesamtstrategie • Konfliktpotential • Nachhaltigkeit • Passung zu Szenarien • Plausibilität Annahmen • Widerspruchsfreiheit <?page no="133"?> 134 In Anlehnung an Mueller-Oerlinghausen und Sauder (2003) lassen sich weitere Kriterien benennen. So kann man zunächst danach fragen, ob die redaktionelle Strategie zur Gesamtstrategie der eigenen Organisation passt, wenn sie sich nur auf einen kleinen Ausschnitt des Marktes bezieht. Daneben kann man das Konfliktpotenzial analysieren, das sich aus einem Strategievorschlag ergibt und das die Umsetzung gefährden kann. Konflikte können mit den Lieferanten, Mitarbeitern und gegebenenfalls sogar mit der Geschäftsführung auftreten. Schließlich ließe sich auch die Nachhaltigkeit des Strategieentwurfs als Entscheidungskriterium verwenden. Welcher Entwurf auch immer am Ende das Rennen macht: Das Strategieteam ist mit dieser Entscheidung einen ganz wesentlichen Schritt im Strategieprozess weitergekommen: Denn nun stehen die Rahmenbedingungen fest, an denen man sich bei der detaillierten Ausgestaltung des Strategieentwurfs und der Umsetzung in der Praxis orientieren kann. Tipps zum Weiterlesen Ein Standardwerk zum Thema Geschäftsmodellinnovation: Hoffmann et al. (2016). Einen knappen Überblick über Design-Thinking in der Produktentwicklung geben Gürtler/ Meyer (2013). <?page no="134"?> 135 8 Umsetzung: Produkte entwickeln und Strukturen ausprägen Ein journalistisches Angebot zu entwickeln reicht nicht. Man muss auch wissen, wie man es umsetzen will. Ausgehend vom zentralen Leistungsversprechen müssen daher zunächst die Inhalte, Ausspielkanäle, Kernprozesse und Aufbauorganisation der Strategie in der Redaktion definiert werden. Darüber hinaus muss man sich mit Interdependenzen zu anderen Abteilungen des Medienunternehmens und Auswirkungen auf das Erlösmodell auseinandersetzen. Schließlich sollte man darüber nachdenken, wie man ein Publikum für sein neues Angebot gewinnen und die Strategie innerhalb der eigenen Organisation wirksam werden lassen kann. Mit der detaillierten Ausarbeitung des strategischen Geschäftsmodells wäre der Job des Strategieteams streng genommen schon erledigt. Schließlich enthält es alle wesentlichen Eckdaten darüber, wo man die Zukunft seiner Organisation sieht und wie man dort hingelangen will. Alles Weitere, könnte man sagen, ist operatives Geschäft bzw. journalistische Konzeption. Dass sich das letzte Kapitel trotzdem noch etwas genauer mit der konkreten Ausgestaltung des journalistischen Angebots auseinandersetzt, hat folgende Gründe. Theoretisch lässt sich unter Rückgriff auf das Strategieverständnis, das in Kapitel 3 entwickelt worden ist, argumentieren, dass eine Strategie Brücken in die Organisation schlagen muss, um tatsächlich wirkmächtig zu werden. Der strategische Ansatz allein ist wenig wert, wenn die Akteure ihn nicht aufgreifen und umsetzen. Es gehört daher zu erfolgreicher Strategiearbeit, Vorstellungen davon zu entwickeln, wie die Strategie kommuniziert werden soll und wie genau sich die eigene Organisation verändern muss, um die strategischen Ziele erreichen zu können. Diese theoretische Überlegung gilt für jede Art der Organisation, ganz gleich in welcher Branche sie Produkte oder Dienstleistungen anbietet. Speziell bei der Entwicklung redaktioneller Stra- <?page no="135"?> 136 tegien kommt aber noch hinzu, dass das journalistische Angebot eine bedeutsame Rolle im Wertschöpfungsprozess spielt: Daher lohnt es sich, dessen Merkmale auf strategischer Ebene genau zu konzipieren und mit den sonstigen Überlegungen in Beziehung zu setzen. Gleichwohl müssen wir auch im letzten Kapitel auf die richtige Flughöhe achten: Es geht um den Rahmen für die tägliche Produktion und um Leitlinien, die zu konsistenten Entscheidungen im Redaktionsalltag führen. Dagegen geht es nicht um die detaillierte Ausgestaltung von Komponenten des journalistischen Angebots (z. B. Webdesign oder Ressorttitel) und erst recht nicht um die Konzeption von einzelnen Beiträgen zu einem bestimmten Thema. Diese Entscheidung bildet sozusagen den Schlussstein der Strategiearbeit. Bei ihr sind Fragestellungen ausschlaggebend, die in der Kommunikations- und Redaktionspraxis unter dem Begriff der Content-Strategie diskutiert werden. Im vorliegenden Buch ist ein breiteres Verständnis redaktioneller Strategiearbeit entwickelt worden. Deshalb ist es wichtig zu betonen, dass redaktionelle Strategien nicht einfach ein Synonym für Content-Strategien sind. Gleichwohl ist es sinnvoll, diese finale Phase mit Ansätzen zur Entwicklung von Content-Strategien zu strukturieren. Zu den einflussreichsten Autoren dieses Themas gehört die US-Amerikanerin Kristina Halvorson. In der jüngsten Auflage ihres Buches zu Content-Strategien schlägt sie ein Modell vor, in dem sich um einen strategischen Kern (»Core«) vier relevante Dimensionen gruppieren, nämlich »Substance«, »Structure«, »Workflows« und »Governance« (Halvorson/ Rach 2015 29): • Core: Das einzigartige Leistungsversprechen des Angebots steht im Mittelpunkt einer Content-Strategie. • Substance: In dieser Dimension wird geklärt, welche Inhalte und Darstellungsformen diesem Ziel angemessen und damit relevant für das Design des Angebots sind. • Structure: Dieser Begriff bezieht sich nicht auf die Struktur der Organisation, in der das Angebot entsteht, sondern auf die Ausspielkanäle, in denen Inhalte die Nutzer erreichen. • Workflows: In Workflows werden redaktionelle Prozesse definiert, in denen strategisch wichtige Beiträge produziert werden. <?page no="136"?> 137 • Governance: Dieser Teilaspekt umfasst die Aufbauorganisation einer Redaktion, die in Bezug auf die strategische Ausrichtung erfolgversprechend zu sein scheint. Der Ansatz von Halvorson und Rach ist durchaus kompatibel zum hier vertretenen Strategieverständnis, denn im Kern dieses Modells werden letztlich die Ergebnisse der vorangegangenen Stufen des Strategieprozesses gebündelt, die dann auf Themen, Darstellungsformen, Ausspielkanäle, redaktionelle Prozesse und die Aufbauorganisation heruntergebrochen werden. Dennoch wird an dieser Stelle dafür plädiert, das Modell um zusätzliche Dimensionen zu erweitern. Halvorson und Rach entwickeln ihr Modell primär im Kontext von Unternehmenskommunikation und berücksichtigen nicht die Dualität von Medienunternehmen und Redaktion, die die redaktionelle Strategiearbeit prägt. Vor diesem Hintergrund erscheint es angebracht, auf der Organisationsseite zusätzlich die Einbettung der Redaktion in die Gesamtorganisation einzubeziehen und hinsichtlich der Inhalte auch Interdependenzen zum gewählten Erlösmodell in die strategischen Überlegungen zu integrieren. Die Dimensionen des Halvorson’schen Modells decken hervorragend die gesamte Projektentwicklung eines redaktionellen Angebots, wie zum Beispiel einer neuen Website, ab. Das Modell berücksichtigt aber kaum, dass redaktionelle Strategien in den meisten Fällen in Medienunternehmen umgesetzt werden müssen, die eine unverwechselbare Organisationsgeschichte haben, und zwar von Akteuren, die mit der Strategie nicht zwangsläufig konform gehen müssen. Des Weiteren wird hier einkalkuliert, dass die Innovationen, die der jeweilige Strategieansatz enthält, sich auf dem Markt nicht automatisch durchsetzen, sondern angemessene Marketingstrategien notwendig sind. Aus dieser Marktorientierung heraus lässt sich der Aufbau von Publika als weitere Dimension ergänzen. Neue strategische Ansätze lösen nahezu zwangsläufig Veränderungsprozesse in der Organisation aus. Daher lohnt es sich, über Innovationskommunikation in der eigenen Redaktion nachzudenken und über ein Umsetzungsnetzwerk, das die Strategie in bestehende Hierarchien <?page no="137"?> 138 hineinträgt. Ebenso bedeutsam ist die Frage, wie Führungskräfte erkennen können, in welchem Ausmaß die strategische Neuausrichtung tatsächlich funktioniert und Früchte trägt. Oder anders ausgedrückt: Wie kann ein Management-Dashboard aussehen, das auf einen Blick Fortschritte sichtbar macht. Daraus ergibt sich für die strategische Konfiguration des journalistischen Angebots ein Modell mit zehn Komponenten, die sich um den strategischen Grundansatz gruppieren, der den Kernnutzen für die Nutzer definiert. Jede Komponente muss sich stets an diesem Grundansatz messen lassen. So stellt man sicher, dass das Gesamtpaket zielführend und in sich konsistent ist. Abb. 16: Strategische Konfiguration eines redaktionellen Angebots In deutlicher Erweiterung eines Ansatzes von Halvorsen/ Rach(2015) Markt/ Nutzer Redaktion/ Organisation Unterstützungsnetzwerk Kernnutzen Publikumsaufbau Einbettung in Medienorganisation Prozesse Inhalte Management- Dashboard Ausspielkanäle Aufbauorganisation Innovationskommunikation Strategische Flexibilität Interdependenz Erlösmodell <?page no="138"?> 139 Inhalte und Darstellungsformen bilden aus gutem Grund den Ausgangspunkt für die Entwicklung eines strategischen Rahmens für ein journalistisches Angebot: denn sie übersetzen das generelle Nutzenversprechen aus dem gewählten Geschäftsmodell in professionelle Arbeitsfelder. Das Strategieteam identifiziert zunächst Themenfelder, die für die avisierten Nutzer hohe Relevanz haben und daher in der Berichterstattung regelmäßig auftauchen müssen. Diese Themenfelder knüpfen unmittelbar an die grundlegenden Nutzenerwartungen an, die aufgrund der strategischen Analyse erwartbar sind. Aus diesem Set relevanter Themenfeldern ergeben sich bereits erste Anforderungen an angemessene Darstellungsmodi wie Text, Audio, Video oder Grafik. Bildstarke Themenfelder wie etwa Mode, bewegtbildaffine Sujets (Sport usw.) herrschen hier vor. Welche Modi zur strategischen Grundausrichtung passen, hängt vor allem auch von den Mediennutzungsrepertoires der angestrebten Zielgruppe sowie den besonderen Ansprüchen der konkreten Situationen ab, in denen das Angebot besonders häufig rezipiert wird. Wer eine hochmobile Zielgruppe in den Zeitlücken eines eng getakteten Arbeitstages abpassen will, etwa während man auf die U-Bahn wartet, wird grundsätzlich andere Modi in den Vordergrund rücken als eine Redaktion, die Genussleser am Wochenende mit Hintergrundinformationen versorgen möchte. Ganz ähnliche Überlegungen wird man bei der Definition der Darstellungsformen anstellen, die eine besonders hohe Affinität zum strategischen Grundansatz haben: Liegt der Schwerpunkt auf hochaktuell produzierten Kurzformaten oder sind opulente Langformen gefragt? Welche Rolle spielen interaktive oder unterhaltsame Formate? Auch wird man Themen, Modi und Darstellungsformen nicht isoliert voneinander betrachten, sondern nach typischen Kombinationen der drei Merkmale suchen, die als Orientierungsmarken für die Feinkonzeption dienen können. Das kann die Multimediareportage zu Wissenschaftsthemen sein oder das tonlose 15-Sekunden-Video zu einem aktuellen politischen Ereignis. Im Kontext von Inhalten und Darstellungsformen wird man sich auch mit den publizistische Werten beschäftigen, die das <?page no="139"?> 140 Angebot insgesamt prägen sollen: Sehen wir uns als primär unterhaltendes Medium? Wollen wir Missstände aufdecken? Wollen wir den Nutzern die Welt erklären? Aus betriebswirtschaftlicher Perspektive spricht man dabei von der Markenarchitektur, wobei zu fragen ist, wie stark vorhandene Marken sind, wie gut der neue strategische Ansatz mit der Marke harmoniert und wie sinnvoll es ist, eine Marke aufzubauen und mit entsprechenden Werten aufzuladen. Aus den Kernwerten lässt sich wiederum eine Tonalität ableiten, die sowohl die Aufbereitung von Inhalten als auch die Eckdaten des Designs von User-Interface prägt. Auf dieser Ebene wird bewusst entschieden, welcher Stil und welche Bildsprache die Beiträge prägen sollen: Passt eine dynamische Aufbereitung mit einer hohen Reizdichte besser zu den Kernwerten oder eine zurückhaltende, sprachlich anspruchsvolle Themenpräsentation? Das Gleiche gilt für Grundelemente des Designs der Benutzeroberfläche, wie etwa Key-Visuals oder ein bestimmtes Farbspektrum. Dabei ist neben der redaktionellen Perspektive stets auch zu berücksichtigen, welche Rolle die Marke im gesamten Geschäftsmodell spielen soll, etwa in der Werbevermarktung oder der Refinanzierung über zusätzliche Dienstleistungen und Produkte. Parallel zur Entwicklung strategischer Leitlinien zu Inhalten und Darstellungsformen ist zu entscheiden, welche Ausspielkanäle in welcher Form bedient werden sollen, wobei die Interdependenzen zwischen diesen beiden Elementen offensichtlich sind. Anders als bei den Aufbereitungsmodi, die auf einer Website oder App beliebig miteinander kombiniert werden können, geht es hier um die crossmediale Konzeption des Angebots: Konzentriert man sich auf digitale Ausspielkanäle oder bezieht man klassische Kanäle wie Print, lineares TV oder Radio in seine Überlegungen ein? In etablierten Medienunternehmen, in denen diese Kanäle umsatzentscheidend sind oder im Falle von öffentlich-rechtlichen Sendern zum Hauptbetätigungsfeld gehören, rückt diese Frage oft ins Zentrum strategischer Überlegungen. Dabei ist stets zu klären: Welche Kanäle sind überhaupt strategisch relevant? Wie werden die Kanäle miteinander vernetzt? Gibt es Teilaspekte des Angebots, die exklusiv in einem dieser Kanäle ihren Platz finden? <?page no="140"?> 141 Im Zusammenhang mit Ausspielkanälen kann ein redaktionelles Strategieteam kaum der Frage ausweichen, ob und wie soziale Online-Netzwerke in den Ansatz einfließen sollen. Die Richtschnur für diese Entscheidung ist erneut die Zielgruppe und die Bedeutung von Angeboten wie Twitter, WhatsApp oder Instagram. Kommt das Team hier zu dem Ergebnis, dass es diese Netzwerke nicht ignorieren kann, wird es sich die Frage stellen müssen, auf welche Art das Netzwerk genutzt werden soll: als reines Marketinginstrument, als Ausspielkanal für redaktionelle Angebote, als Dialogplattform für den Austausch mit Nutzern? Oder als Instrument für Recherche und Themenfindung? Auch in diese Überlegungen fließen ökonomische Faktoren ein, da potenzielle Erlöse mit den Betreibern dieser Plattformen geteilt werden müssen (und sie unter Umständen sogar ganz abfließen) und da man in dem Maße, in dem man diese Kanäle bespielt, die Plattformen als solche stärkt. Welcher Grad an Offenheit und Kollaboration hier angemessen ist, lässt sich nur im Einzelfall entscheiden. Aus der strategisch plausiblen Kombination aus Inhalten, Darstellungsformen und Ausspielkanälen ergeben sich spezifische Anforderungen an die redaktionelle Organisation. Wer zum Beispiel eine politische Wochenzeitung produziert, wird zu völlig anderen Lösungen kommen als der, der Auftritte sozialer Medien oder Portale wie die Huffington Post verantwortet. Analytisch ist es hier sinnvoll, zwischen der Ebene der Prozesse (Wie wollen wir wertvolle Angebote erstellen? ) und der der Aufbauorganisation (Was sind die optimalen Rahmenbedingungen für diese Prozesse? ) zu unterscheiden. Die strategische Konfiguration von Prozessen beschränkt sich dabei auf die Definition der Eckdaten von Kernprozessen, die in einer operativen Prozesslandkarte weiter spezifiziert werden können. Die Kernprozesse, die hier skizziert werden, ergeben sich aus der Wertschöpfungskette von Unternehmen, die journalistische Angebote machen: • Wie planen wir unsere Inhalte und stellen die erforderliche Qualität sicher? • Wie beschaffen wir unsere Informationen? <?page no="141"?> 142 • Nach welchen Kriterien und in welchem Rhythmus wählen wir Informationen aus? • Wie kombinieren wir die Angebote zu einer stimmigen, in der Regel multimodalen und oft crossmedialen Offerte? • Und wie erreichen unsere Inhalte schließlich unsere Nutzer? Am Beispiel der Qualitätssicherung lässt sich besonders gut zeigen, welche Art von Entscheidungen bei der strategischen Definition von Kernprozessen getroffen werden müssen. Für eine Redaktion, die ein hochpreisiges, monatlich erscheinendes Wirtschaftsmagazin herausgibt, ist eine akkurate Recherche und eine hochwertige textliche Aufbereitung von entscheidender Bedeutung, um die Marktnische zu besetzen. Entsprechend wichtig ist ein mehrstufiger Korrekturprozess, in den vom Autor über den Redakteur und die Chefredaktion bis hin zur Dokumentation unterschiedliche Akteure eingebunden sind. Aufgrund des Erscheinungsrhythmus kann sich die Redaktion diesen Prozess auch zeitlich leisten. Das sieht im Newsroom eines Online-Nachrichtenportals anders aus, in dem die Aktualität der Inhalte und die User-Resonanz absolute strategische Priorität haben. Kennzeichnend dafür sind nur kurze Feedbackschleifen für die Textredaktion, die zugunsten der Aktualität unter Umständen sogar noch weiter eingegrenzt werden müssen: Wer die Chance hat, exklusiv über reichweitenstarke Themen wie einen Ministerrücktritt zu berichten, wird eher dazu neigen, auf die Bestätigung aus einer zweiten Quelle zu verzichten, um den Wettbewerbern zuvorzukommen. Aber zurück zur strategischen Konfiguration. Aus den Kernprozessen lassen sich in einem nächsten Schritt Anforderungen an die Aufbauorganisation ableiten, hier weit gefasst im Sinne aller Regeln und Ressourcen, die für die erfolgreiche Implementierung der Prozesse notwendig sind. Dies betrifft zunächst die hierarchische Struktur und die Entscheidungswege, in die redaktionelle Kernprozesse eingebettet sind. Klassische Linienmodelle mit einzelnen Ressorts sind hier ebenso denkbar wie Produktionsteams oder Matrixlösungen, in die die Redakteure entlang ihrer Sach- und Kanalkompetenz eingebunden sind. <?page no="142"?> 143 Eng damit zusammen hängt die Gestaltung der Arbeitsräume, wobei im Zuge der Digitalisierung des Journalismus vielfach Newsroom-Konzepte Einzug gehalten haben, in denen Produktionsteams mit unterschiedlichen fachlichen Hintergründen ohne präzise Ressortanbindung und in flachen Hierarchien zusammenarbeiten (Meier 2007). Der Newsroom ist aber kein Standardrezept für jedwede Form des redaktionellen Angebots. Und selbst dort, wo eine Newsroom-Struktur angemessen erscheint, wird sie sehr vielfältig ausgestaltet. Aktuelle empirische Befunde bestätigen eine starke Abhängigkeit der Redaktionsstruktur und der Newsdesk-Konfiguration von Marktumfeld, publizistischen Zielen und der existierenden Organisation (Bornemann 2015: 58). Ebenso wichtig wie die Struktur einer Redaktion sind die Akteure, die diese Struktur mit Leben füllen: Welche Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kompetenzen benötigt die Redaktion zur Inhalteerstellung? Wer bringt diese Fähigkeiten in die Organisation hinein? Und wie kann sie, soweit notwendig, diese Fähigkeiten entwickeln? Strategisch bedeutsam ist auch das professionelle Selbstverständnis, die Offenheit für Veränderungen oder auch die Vielfalt der kulturellen und fachlichen Hintergründe der Redaktionsmitglieder. Schließlich muss entschieden werden, ob und gegebenenfalls in welcher Form User in die professionelle Arbeitsstruktur eingebunden werden. Über die Zusammensetzung der Redaktion hinaus lassen sich aus dem favorisierten strategischen Ansatz auch Anforderungen an die erforderliche Technologie ableiten. Dies gilt zum einen für spezifische Recherche- und Produktionstools (etwa für den Datenjournalismus) und ein Content-Management-System, das in der Lage ist, die redaktionellen Prozesse adäquat abzubilden. Redaktionelle Strategien ziehen zum anderen aber auch notwendige technische Ressourcen bei der Ausspielung von Inhalten nach sich, wie etwa Serverkapazitäten oder Schnittstellen zu Social- Media-Kanälen. Bei all diesen Teilaspekten ist schließlich aus strategischer Perspektive zu entscheiden, wie weit man die Wertschöpfung in der eigenen Redaktion integriert und welche Teilaspekte in welchem Umfang an Dienstleister wie Agenturen oder Freelancer abgege- <?page no="143"?> 144 ben werden. Das ist zunächst eine Frage von Qualität und Effizienz. Klassisches Beispiel dafür sind Nachrichtenagenturen, die ein weitaus engmaschigeres Korrespondentennetz, bezogen auf das jeweilige Medienunternehmen, das den jeweiligen Dienst abonniert, zu deutlich niedrigeren Kosten betreiben können. Strategisch wichtig ist aber auch die Vielfalt der Lieferanten, die die eigene strategische Flexibilität sichert, sowie die Vorteile, die sich daraus ergeben können, dass man eigene Infrastrukturen mit anderen Partnern teilt (Chesbrough 2011). Andersherum kann es sich auszahlen, strategisch wertvolle Kompetenzen bewusst im eigenen Hause zu behalten, auch wenn Dienstleister vergleichbare Ergebnisse zu geringeren Kosten erbringen. Dahinter steht die Überlegung, dass diese Kompetenzen durch organisationale Lerneffekte überproportional an Wert gewinnen können, wenn man sie in der eigenen Redaktion hält. An dieser Stelle ist der Übergang fließend zur Einbettung der Redaktion in die Gesamtorganisation eines Medienunternehmens, das etwa bezogen auf spezifische Ausspielkanäle besondere Stärken in den Wertschöpfungsprozess einbringen kann. Dazu gehören Produktionserfahrung beim Bewegtbild oder auch Querschnittskompetenzen wie eine ausgesprochen gute Kenntnis spezifischer Zielgruppen aus der Werbemarktbearbeitung oder stark ausgeprägte Fähigkeiten zur Implementation digitaler Geschäftsmodelle. Ebenso denkbar sind hier aber auch Barrieren, die die Umsetzung redaktioneller Strategien gefährden können, etwa eine grundsätzlich niedrige Bereitschaft, neue Felder jenseits des Kerngeschäfts zu bearbeiten, oder lange Entscheidungswege, die sich aus einer über Jahrzehnte gewachsenen Governance-Struktur ergeben. Jenseits dieser Ausstrahlungseffekte ist es stets sinnvoll, in die strategischen Überlegungen die Einbettung der Redaktion in das Medienunternehmen mit seinen weiteren Abteilungen einzubeziehen, die an der Umsetzung des gewählten Geschäftsmodells beteiligt sind. Diese liegen regelmäßig bei der strategischen Ausrichtung des Angebots, der Beschaffung von für die redaktionellen Prozesse notwendigen Ressourcen, dem Marketing und der Markenführung sowie der technischen Verbreitung von redaktionellen <?page no="144"?> 145 Inhalte. Sie können aber je nach gewähltem Geschäftsmodell auch darüber hinausgehen. Besondere Beachtung verdienen in diesem Zusammenhang Interdependenzen zwischen der inhaltlichen Ausrichtung und dem jeweils gewählten Erlösmodell. Bereits die Attraktivität von Zielgruppen, die Ausgangspunkt für die Entwicklung eines Geschäftsmodells ist, hängt nicht nur von deren Affinität zu den journalistischen Kernkompetenzen der Redaktion ab, sondern auch von deren Potenzial für die Refinanzierung des journalistischen Angebots, sei es als Zielgruppen für die Werbevermarktung, als zahlungsbereite Vertriebskunden oder - man schaue auf die taz - als altruistisch motivierte Spender oder Genossenschaftsmitglieder. Zusätzlich ergeben sich Abhängigkeiten zwischen der Ausgestaltung des redaktionellen Angebots und den wesentlichen Erlösquellen des Medienunternehmens. Hier kann es darum gehen, redaktionelle und werbliche Inhalte auszutarieren, aber auch um spezifische Vorteile für loyale Nutzung oder den Grad der Integration von zahlenden Nutzern in redaktionelle Entscheidungsprozesse. Letzteres wäre zum Beispiel der Fall, wenn die User auf einer Crowdfunding-Plattform mitbestimmen können, zu welchen Themen das Investigativteam eines Nachrichtenportals recherchiert. Strategisch sensibel, und zwar bezogen auf publizistische Kernwerte wie Glaubwürdigkeit und Neutralität, ist schließlich die Frage, ob und wie die redaktionellen Kompetenzen direkt eingesetzt werden, um Mediakunden attraktive Angebote zu machen, sei es etwa durch »Native Advertising« oder die Einbindung von Journalisten in Event- oder E-Commerce-Aktivitäten. Schließlich gilt es, die Berührungspunkte unterschiedlicher Abteilungen zu identischen Zielgruppen zu klären und einen aus Sicht der Nutzer möglichst konsistenten Marktauftritt sicherzustellen. Wenn die Kommunikation der Vertriebsabteilung einer Tageszeitung mit Abonnenten von Transparenz und Serviceorientierung geprägt ist, wäre es wenig sinnvoll, wenn sich die Redaktion von ihren Lesern abschottet. Eine abteilungsübergreifende Perspektive ist ebenfalls beim Aufbau eines Publikums für ein neues journalistisches Angebot angemessen, für das in der Regel aktiv Aufmerksamkeit geschaffen <?page no="145"?> 146 werden muss. Im Kontext redaktioneller Strategiearbeit beschäftigen wir uns aber nicht mit der detaillierten Ausarbeitung einer Kommunikationsstrategie. Das überlassen wir gern Experten aus der Marketingabteilung. Vielmehr konzentrieren wir uns auf die Definition von Zielgruppen, die in unterschiedlichen Phasen des Innovationsmarketings von besonderer Bedeutung sind. Dabei lässt sich zunächst auf die netzwerktheoretischen Überlegungen zurückgreifen, die bereits in der strategischen Analyse entwickelt worden sind: Wo vermuten wir Personen im Zentrum von Netzwerken mit hoher Dichte, die unser Nutzenversprechen mit hoher Glaubwürdigkeit in ihr Teilnetzwerk tragen? Und wo vermuten wir »Weak Ties«, über die sich Nutzerempfehlungen von einem Subnetzwerk in benachbarte Netzwerke verteilen? Zeitstrategien für die Markteinführung können durch die genauere Betrachtung unterschiedlicher Nutzerrollen im Zeitverlauf entwickelt werden. Auch wenn sich theoretisch wohlbegründete Kritik daran formulieren lässt (Karnowski 2011), eignet sich das von Rogers (2003) entwickelte Phasenmodell zur Diffusion von Innovationen nach wie vor als Denkmodell zur Differenzierung von Nutzertypen. Rogers unterscheidet hier zwischen fünf Idealtypen von Kunden während der Markteinführung: Innovatoren sind sehr offen für Neuerungen. Sie greifen Neuerungen früh auf, sind bereit, dafür relativ hohe Preise zu bezahlen und nehmen dafür in Kauf, dass Produkte und Services noch mit Fehlern behaftet sind. Diese Pioniere sind einerseits wichtig für die Markenbildung und die Ausprägung relevanter Nutzungspraktiken, andererseits sind sie wertvoll für die frühzeitige Anpassung des redaktionellen Angebots an die Markterfordernisse. Early Adopters sind weniger risikofreudig als die Innovatoren, aber gleichwohl bereit, neue Services zu einem frühen Zeitpunkt zu nutzen, sobald sich deren tatsächlicher Nutzen halbwegs herauskristallisiert hat. Early Adopters spielen als Multiplikatoren für die Einführung eines Produktes auf breiter Front eine besondere Rolle. Der Sprung in den Massenmarkt vollzieht sich laut Rogers Modell in zwei Phasen. Während die frühe Mehrheit noch relativ hohe Preise für ein ausgereiftes Produkt zu zahlen bereit ist, <?page no="146"?> 147 springt die späte Mehrheit erst auf den Zug auf, wenn aufgrund von Skaleneffekten die Preise für das Angebot sinken. Für redaktionelle Strategien ist diese Differenzierung weniger relevant, weil gerade bei werbefinanzierten Angeboten die Zahlungsbereitschaften der Nutzer eine weniger große Rolle spielen. Wichtiger ist der Wandel in der Ansprache, die in dieser Phase auf reichweitenstarke Instrumente setzen muss. Strategisch kaum bedeutsam sind die Nachzügler, die ein Angebot dann in ihr Medienrepertoire integrieren, wenn sie aufgrund von Netzwerkeffekten nicht mehr daran vorbeikommen. Dafür sind minimale Marketinganstrengungen notwendig (das erledigt die frühe Mehrheit) und auch keine besonderen Multiplikatoreneffekte mehr zu erwarten. Während sich das Innovationsmarketing auf die Einführung eines Angebots im Markt und damit auf die Umwelt der Medienorganisation ausrichtet, fokussiert sich die Innovationskommunikation auf die Etablierung eines neuen strategischen Ansatzes inner halb der eigenen Organisation. Auch hier interessieren auf strategischer Ebene nicht der genaue Mix interner Kommunikationsinstrumente oder die detaillierte Ausformulierung von Botschaften. Im Fokus stehen vielmehr die Analyse interner Stakeholder und ihrer Offenheit für die Umsetzung des strategischen Ansatzes und die Besetzung von Kommunikationsrollen, die die organisationsinterne Aushandlung von Sinn bezogen auf den strategischen Ansatz moderieren. Zerfaß (2009: 42) unterscheidet hier zwischen »Expert Publishers«, die Neuheiten kommunizieren, »Idea Generators«, die eine fokussierte Diskussion über Wissen und Fähigkeiten der Organisation führen, »Communication Enablers«, die offene Kommunikationsstrukturen etablieren, sowie »Devil’s Advocates«, die etablierte Denkschemata aufbrechen. So wichtig die Besetzung dieser Kommunikationsrollen auch ist, reicht sie allein nicht aus, um in gewachsenen Strukturen neue strategische Ansätze durchzusetzen. Für diejenigen, die ihre redaktionelle Strategie als Gründer eines Start-ups von Grund auf neu entwickeln, sind die folgenden Absätze vernachlässigbar, allen anderen sei empfohlen, sich im Strategieprozess mit der eigenen Organisationsgeschichte auseinanderzusetzen, wenn sie einen <?page no="147"?> 148 strategischen Ansatz erfolgreich implementieren wollen. Der US-amerikanische Managementtheoretiker Kotter (2015: 3 f.) verweist in diesem Zusammenhang auf die nahezu unvermeidbare Ausprägung von Routinen während des Wachstums von Unternehmen aufgrund ihrer extrem hohen Effizienz und Effektivität im Tagesgeschäft. Genau darin, so seine Argumentation weiter, stecken aber auch systemische Schwächen. Das an sich sinnvolle Set an Regeln stabilisiert sich selbst und verhindert Änderungen. Führt man diesen Gedanken konsequent zu Ende, erscheint es naiv, die etablierte Hierarchie in das flexible Netzwerk eines frisch gegründeten Unternehmens zurückverwandeln zu wollen. Vielmehr plädiert Kotter (ebd.: 16 f.) für die Einführung eines parallelen Umsetzungsnetzwerks neben der Hierarchie, um strategischen Initiativen zum Erfolg zu verhelfen. Die Mitglieder dieses Netzwerks bleiben einerseits Teil der Hierarchie und verfügen so über die Ressourcen, Veränderungen tatsächlich wirksam werden zu lassen. Andererseits erhalten sie sich innerhalb des Umsetzungsnetzwerks durch flache Kommunikationsstrukturen und fehlende Bürokratie eine hohe Flexibilität. In unsere theoretischen Überlegungen zum Verhalten in ungewissen, hyperkompetitiven Umwelten, zu Medienorganisationen im Allgemeinen und dem Charakter von Strategien im Besonderen fügt sich diese Argumentation durchaus stimmig ein. Aus diesem Grund kann hier auch auf Kotters Schlussfolgerungen für das strategische Management verwiesen werden (ebd.: 22), die er zu einem System von insgesamt acht »Beschleunigern« zusammenfasst: Hier wird zunächst chancenorientiert die Dringlichkeit strategischer Veränderung deutlich gemacht (Beschleuniger 1), um anschließend ein Kernteam von Akteuren aufzubauen, das diese Änderungen aus eigenem Antrieb vorantreibt (Beschleuniger 2). Beschleuniger Nummer drei ist die Formulierung einer klaren strategischen Vision, mithilfe derer es in Beschleuniger vier gelingt, ein breites Netzwerk von Freiwilligen aus unterschiedlichen Hierarchieebenen und Abteilungen zu gewinnen, die an den strategischen Initiativen arbeiten. Ganz im Sinne der Effectuation setzt das Modell dann auf eine hohe Umsetzungsorientierung (Beschleuniger 5) und die Schaffung kurzfristiger <?page no="148"?> 149 Erfolge (Beschleuniger 6), die das Umsetzungstempo weiter erhöhen (Beschleuniger 7) und es schließlich ermöglichen, den Ansatz breit in der Hierarchie zu verankern (Beschleuniger 8). Diese Empfehlungen sind nicht als theoretisches Modell eines Veränderungsprozesses zu verstehen, sondern als Orientierungsrahmen für eine umsetzungsorientierte Strategiearbeit. Diese garantiert auch keinen Erfolg, sondern bedarf der kontinuierlichen Aufmerksamkeit der Führungskräfte, die diesen Prozess initiiert haben. Sie sind wiederum auf ein übersichtliches Set an Indikatoren angewiesen, die ihnen einen schnellen Überblick über den Erfolg ihrer strategischen Initiativen geben. Dieses Management-Dashboard sollte unmittelbar aus dem gewählten Geschäftsmodell abgeleitet sein und Indikatoren für alle wesentlichen Elemente des Modells enthalten, also die Nutzerreaktionen, die angestrebte Qualität des redaktionellen Angebots, die Effizienz und Effektivität des dafür etablierten Wertschöpfungsnetzwerks sowie die harten ökomischen Erfolgskennzahlen bezogen auf das gewählte Erlösmodell (Weissmann et al. 2014). Angesichts der engen Verschränkung von Struktur und Strategie, die bereits bei der Etablierung von Umsetzungsnetzwerken angeklungen ist, lässt sich abschließend darüber nachdenken, wie die strategische Flexibilität der eigenen Redaktion erhalten werden kann, um Strategien in einer angemessenen Geschwindigkeit an Umweltveränderungen anpassen zu können. In diesem Kontext ist oft von agilen Organisationen die Rede, wobei der Begriff sehr unterschiedlich und beinahe schon inflationär verwendet wird. Korn (2016: 125) hat ihn so ausgelegt, dass er je nach Situation strategisch-planvolles oder inkrementell-adaptives Handeln zulässt. Nach seinem Verständnis ist eine Organisation dann agil, wenn sie über folgende Fähigkeiten verfügt: • Robustheit: Redaktionen sind in der Lage, über verschiedene Aufgabenbereiche, Situationen und unter unterschiedlichen Rahmenbedingungen effektiv zu arbeiten. • Belastbarkeit: Redaktionen können sich erholen und stabilisieren, wenn sie von unerwarteten Ereignissen der organisatorischen Umwelt getroffen worden sind, und können sich auf strategische Bedrohungen einstellen. <?page no="149"?> 150 • Reaktionsfähigkeit: Redaktionen sind in der Lage, strategisch relevante Veränderungen in ihrer Umwelt rechtzeitig zu erkennen. • Flexibilität: Redaktionen verfügen über mehrere alternative Lösungsansätze für strategische Probleme und können nahtlos von einem Ansatz zum anderen wechseln, falls es erforderlich sein sollte. • Innovationsfähigkeit: Redaktionen hinterfragen Angebote und Prozesse und entwickeln kontinuierlich Ideen für neue Ansätze. • Anpassungsfähigkeit: Prozesse und Aufbauorganisation sind so gestaltet, dass sie kurzfristig und ohne unvertretbar hohen ökonomischen Aufwand an neue Umweltbedingungen angepasst werden können. Eine nach diesem Verständnis agile Redaktion verlangt nach einem spezifischen Führungsstil, der Offenheit und Anpassungsfähigkeit sichert und das Wissen und die Kompetenzen aller ihrer Mitglieder, Lieferanten und unter Umständen sogar der Nutzer für die kontinuierliche Weiterentwicklung der Organisation mobilisiert. Hierüber ließe sich ein eigenes Buch verfassen. Um die Überlegungen zu redaktionellen Strategieprozessen abzuschließen, soll ein knapper Ausblick auf angemessene redaktionelle Führung gegeben werden. Dazu haben Geschwill und Nieswandt (2016: 70) folgende Elemente lateraler Führung entwickelt: • Setze auf partielle Verständigung, nicht auf grundsätzlichen Konsens. • Benutze die Logik der Kontingenz. Halte alternative Erklärungsmöglichkeiten für denkbar. Stimuliere Zweifel und Widersprüche. • Wende Methoden der Diskursführung an. Binde Mitarbeiter aktiv in Entscheidungsprozesse ein. • Betrachte Führung als mikropolitischen Prozess. • Bereite laterale Verhandlungen vor! Spiele mögliche Verläufe systematisch durch. <?page no="150"?> 151 Führung bedeutet nach diesem Verständnis mehr denn je Sinnstiftung, also strategische Chancen für die Redaktion zu verdeutlichen, die journalistisches Handeln synchronisieren können. Dabei hilft die Gewissheit, dass in einer komplexen Umwelt erfolgreiche Strategien nicht mehr von kleinen Stäben um einsame Führer entwickelt werden, sondern in offenen Prozessen unter Beteiligung der Akteure, die täglich Kontakt zu Nutzern haben und Strategien in ihren redaktionellen Praktiken wirksam werden lassen. Mit dem Übergang zur strategischen Vorsorge durch flexible Strukturen und einen lateralen Führungsstil schließt sich der Kreis des Strategieprozesses. Denn hier steht wieder die Organisation im Mittelpunkt, die durch Strategien und strategisches Handeln in die Lage versetzt werden soll, sich erfolgreich veränderten Umweltbedingungen anzupassen oder diese im besten Fall sogar selbst zu gestalten. Noch einmal zeigt sich, dass Strategien nicht losgelöst von den Strukturen entstehen, sondern in einem rekursiven Prozess. Dieser Prozess ist gekennzeichnet durch Phasen der Offenheit, wenn Analyseansätze und Geschäftsmodelle entwickelt werden, und Phasen der Umsetzungsorientierung, wenn Analyseergebnisse zu strategischen Szenarien und der Entwicklung strategischer Produktkonfigurationen verdichtet werden. In diesem Buch ist eine Vielzahl von Instrumenten vorgestellt worden, mit denen man einen redaktionellen Strategieprozess erfolgreich gestalten kann. Zwei weitere Erfolgsfaktoren lassen sich allerdings nicht aus Büchern lernen: der Mut, Veränderungen anzugehen, und die Hartnäckigkeit, sie in hierarchischen Strukturen durchzusetzen. Tipps zum Weiterlesen Sehr anschaulich beschrieben ist die Entwicklung von Content-Strategien in Halvorson/ Rach (2015). 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