Kreuzfahrttourismus
0115
2018
978-3-8385-4914-9
978-3-8252-4914-4
UTB
Albrecht Steinecke
Urlaub auf hoher See: Fluch oder Segen?
Kreuzfahrten boomen und Kreuzfahrten sind in der Diskussion. Das Studienbuch vermittelt Basiswissen, skizziert den Markt und stellt wichtige Zielgebiete vor. Es beleuchtet zudem die Ambivalenz dieses Marktsegments und geht dabei auf ökonomische, ökologische und soziokulturelle Wirkungen der Hochseekreuzfahrten auf die Zielgebiete ein. Zahlreiche Abbildungen und Fallbeispiele illustrieren den Stoff.
<?page no="2"?> UVK Verlagsgesellschaft mbH Konstanz mit UVK/ Lucius München Albrecht Steinecke Kreuzfahrttourismus <?page no="3"?> Prof. Dr. Dr. h. c. (BSU) Albrecht Steinecke war Hochschullehrer an der Universität Paderborn. Seine Arbeitserfahrungen umfassen außerdem eine breite Forschungs- und Lehrtätigkeit an deutschen und ausländischen Universitäten sowie nationale und internationale Beratungsprojekte als langjähriger Geschäftsführer des Europäischen Tourismus Instituts GmbH (Trier). Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www.utb-shop.de. Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.ddb.de> abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz und München 2018 Lektorat: Rainer Berger Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Einbandmotiv: © cassinga, iStock Druck und Bindung: Pustet, Regensburg UVK Verlagsgesellschaft mbH Schützenstr. 24 · 78462 Konstanz Tel. 07531-9053-0 · Fax 07531-9053-98 www.uvk.de UTB-Nr. 4914 ISBN 978-3-8252-4914-4 <?page no="4"?> Vorwort „Wildes, schäumendes, brausendes Meer! Rollende Wogen, von wo kommt ihr her? Pfeilschnelle Möwen, was sagt euer Schrei? Endloses Meer, nur auf dir bin ich frei. Wiegt mich, ihr Wogen, und singt mir ein Lied! Stolz unser Schiff in die Ferne zieht.“ Volkslied In See stechen, zu anderen Ufern aufbrechen und den Horizont erweitern - seit der Romantik ist das Meer mit seiner unendlichen Weite zum Synonym einer unbegrenzten Freiheit geworden. Die Erfüllung dieser Sehnsucht nach der unbekannten Ferne und nach neuen Erfahrungen war zunächst einem wohlhabenden Reisepublikum vorbehalten, doch in den vergangenen Jahrzehnten haben Kreuzfahrten ihren exklusiven Charakter verloren und sind zu einem touristischen Massenprodukt geworden. Speziell seit den 1990er-Jahren konnte der internationale Kreuzfahrtmarkt einen enormen Boom verzeichnen: Mit großen, multifunktionalen Schiffen und innovativen Geschäftsmodellen ist es der Branche gelungen, ein breites Publikum anzusprechen und damit neue Kunden zu gewinnen, die dieser einst elitären Urlaubsart lange Zeit skeptisch gegenüberstanden. Auch die Prognosen zur künftigen Entwicklung des Marktes sind positiv: Nach Einschätzung der „United Nations World Tourism Organization“ (UNWTO) bestehen noch erhebliche Wachstumspotenziale - speziell in Europa und Asien. Zugleich sind Kreuzfahrten aber zunehmend zum Gegenstand der öffentlichen Diskussion geworden: Umweltschutzorganisationen kritisieren die großen ökologischen Belastungen, die durch Kreuzfahrtschiffe ausgelöst werden (Luft- und Wasserverschmutzung, Müllaufkommen etc.). Internationale Arbeitsorganisationen und nationale Gewerkschaften bemängeln die harten Arbeitsbedingungen an Bord - speziell für die Servicekräfte, die häufig in Ländern der Dritten Welt rekrutiert werden. Schließlich beklagen die Zielgebiete, dass sie nur in geringem Maße von der Nachfrage der Kreuzfahrttouristen profitieren und unter den massenhaften Besucherströmen leiden. <?page no="5"?> Vorwort 6 Beim Kreuzfahrtourismus handelt es sich also um ein konfliktträchtiges Marktsegment, in dem die Unternehmen im Spannungsfeld von aktuellen touristischen Trends und grundsätzlichen Forderungen nach einer nachhaltigen Tourismusentwicklung agieren. Ziel dieses Studienbuches ist es, diese ambivalente Situation verständlich und anschaulich zu erläutern - u. a. mit Hilfe zahlreicher Abbildungen und Fallbeispiele. Auf der Grundlage vorliegender wissenschaftlicher Untersuchungen wird den Lesern das Basiswissen über das Thema vermittelt; dabei sollen folgende zentrale Fragen beantwortet werden: Was sind Merkmale und Besonderheiten von Hochseekreuzfahrten? Welche Struktur und Dynamik weist der internationale Kreuzfahrtmarkt auf? Was sind wichtige Zielgebiete von Hochseekreuzfahrten? Welche Marketing- und Management-Instrumente kommen bei Kreuzfahrtreedereien zum Einsatz? Welche ökonomischen, ökologischen und soziokulturellen Wirkungen haben Hochseekreuzfahrten - speziell auf die Zielgebiete? Wie sieht die Zukunft der Kreuzfahrtbranche aus und welche unternehmerischen sowie gesellschaftlichen Herausforderungen sind zu bewältigen? Bei meinen Arbeiten an diesem Band bin ich auf vielfältige Weise unterstützt worden; dafür möchte ich mich bei allen Beteiligten herzlich bedanken: Mehrere Unternehmen und Organisationen haben mir freundlicherweise Fotos zur Verfügung gestellt und Druckgenehmigungen erteilt. Prof. Dr. Marcus Herntrei (Deggendorf), Dr. Viachaslau Nikitsin (Paderborn) und Dr. Tim Steinecke (St. Andrews) waren mir bei den aufwändigen Literaturrecherchen behilflich. Dipl.-Ökonom Rainer Berger (UVK Verlagsgesellschaft, Konstanz/ UVK Lucius, München) hat sich - wie bei anderen gemeinsamen Buchprojekten - als kompetenter, engagierter und zuverlässiger Ratgeber erwiesen. Mein besonderer Dank gilt jedoch - wieder einmal - meiner Frau Renate: Als schwäbische Landratte steht sie zwar jeder Form von Schiffsreise skeptisch gegenüber; trotz dieser grundsätzlichen Vorbehalte war sie bereit, meine Textentwürfe gründlich zu korrigieren und kritisch zu kommentieren. Ich danke ihr für ihre wertvollen Anregungen und ihre große Geduld. Überlingen, im Herbst 2017 Albrecht Steinecke <?page no="6"?> Inhaltsverzeichnis Vorwort .......................................................................................................................5 Abbildungsverzeichnis .................................................................................... 10 Tabellenverzeichnis ........................................................................................... 12 1 Kreuzfahrten: Merkmale - Entwicklung - Bedeutung ........... 13 1.1 Definition und Merkmale von Kreuzfahrten ................................ 14 1.1.1 Definition von Kreuzfahrten ................................................................ 15 1.1.2 Merkmale von Kreuzfahrten ................................................................. 16 1.2 Geschichte und Entwicklung der Kreuzfahrten .......................... 19 1.2.1 Anfänge im 19. Jahrhundert .................................................................. 21 1.2.2 „Kraft durch Freude“-Schiffsreisen im Nationalsozialismus............ 24 1.2.3 „Friedensflotte“ der Deutschen Demokratischen Republik ............. 28 1.2.4 Boom seit den 1990er-Jahren................................................................ 31 1.3 Bedeutung von Kreuzfahrten auf dem Tourismusmarkt.......... 35 2 Der internationale Markt für Kreuzfahrten .............................. 41 2.1 Die Kreuzfahrtbranche: Struktur und Dynamik.......................... 42 2.1.1 Entwicklung der Kreuzfahrtflotte ........................................................ 47 2.1.2 Typen von Kreuzfahrten ....................................................................... 49 2.2 Die Kreuzfahrttouristen: Profil - Motive - Aktivitäten ................ 60 2.2.1 Soziodemographische Merkmale .......................................................... 61 2.2.2 Reisemotive ............................................................................................. 62 2.2.3 Urlaubsaktivitäten ................................................................................... 64 2.2.4 Wiederbesuchsabsicht ............................................................................ 66 2.2.5 Urlaubszufriedenheit .............................................................................. 67 2.2.6 Typologie der Kreuzfahrttouristen....................................................... 69 <?page no="7"?> Inhaltsverzeichnis 8 3 Die Kreuzfahrtreviere ....................................................................... 75 3.1 Karibik..................................................................................................... 79 3.2 Mittelmeer.............................................................................................. 87 3.3 Asien ........................................................................................................ 91 3.4 Antarktis und Arktis ............................................................................ 98 4 Das Marketing und Management von Kreuzfahrtreedereien ............................................................. 111 4.1 Strategisches Management der Kreuzfahrtreedereien............. 112 4.2 Angebotsdifferenzierung.................................................................. 118 4.2.1 Schnupperkreuzfahrt-Konzept ........................................................... 119 4.2.2 Freestyle Cruising-Konzept ..................................................................... 120 4.2.3 Ship-in-Ship-Konzept............................................................................. 122 4.2.4 All-Inclusive-Konzept ............................................................................. 123 4.3 Marktsegmentierung......................................................................... 124 4.3.1 Familien.................................................................................................. 125 4.3.2 Homosexuelle........................................................................................ 127 4.3.3 Muslime und Juden............................................................................... 128 4.4 Marketing-Mix.................................................................................... 129 4.4.1 Produktpolitik........................................................................................ 129 4.4.2 Distributionspolitik............................................................................... 136 4.4.3 Preispolitik ............................................................................................. 137 4.4.4 Kommunikationspolitik ....................................................................... 140 5 Die Effekte von Kreuzfahrten ...................................................... 147 5.1 Ökonomische Effekte von Kreuzfahrten ..................................... 148 5.1.1 Ökonomische Effekte auf die Stopover Ports ...................................... 149 5.1.2 Ökonomische Effekte auf die Home Ports .......................................... 154 5.2 Ökologische Effekte von Kreuzfahrten........................................ 160 5.2.1 Luftverschmutzung............................................................................... 161 <?page no="8"?> Inhaltsverzeichnis 9 5.2.2 Wasserverschmutzung.......................................................................... 164 5.2.3 Müllaufkommen.................................................................................... 167 5.2.4 Ökologische Effekte auf die Destinationen ...................................... 168 5.2.5 Umweltbezogenes Ranking von Kreuzfahrtreedereien ................... 170 5.3 Soziale und kulturelle Effekte von Kreuzfahrten....................... 171 5.3.1 Soziokulturelle Effekte auf die Destinationen .................................. 172 5.3.2 Arbeitsbedingungen an Bord der Kreuzfahrtschiffe........................ 179 6 Die Perspektiven des Kreuzfahrtmarktes ............................... 189 6.1 Prognosen zur Entwicklung des Kreuzfahrtmarktes ............... 190 6.2 Herausforderungen im Marketing und Management von Kreuzfahrten...................................................... 192 6.2.1 Innovationsfähigkeit ............................................................................. 193 6.2.2 Nachhaltigkeit........................................................................................ 198 6.2.3 Sicherheit................................................................................................ 205 Abbildungs- und Tabellennachweis ....................................................... 211 Literaturverzeichnis ......................................................................................... 215 Stichwortverzeichnis ....................................................................................... 241 <?page no="9"?> Abbildungsverzeichnis Abb. 1 │ Kreuzfahrtschiff „Deutschland“ im Hafen von Riga ........................ 14 Abb. 2 │ Dimensionen des Kreuzfahrttourismus .............................................. 17 Abb. 3 │ Neuseeländische Postkarte anlässlich des Untergangs der „Titanic“............................................................................................ 20 Abb. 4 │ „Prinzessin Victoria Luise“ - das erste Kreuzfahrtschiff der Welt ................................................................................................... 23 Abb. 5 │ „Robert Ley“ - das Flaggschiff der „Kraft durch Freude“-Flotte... 25 Abb. 6 │ Tagesprogramm während einer „Kraft durch Freude“-Reise .......... 27 Abb. 7 │ „Fritz Heckert“ - das Flaggschiff der DDR-„Friedensflotte“ ......... 29 Abb. 8 │ Hotel „The Queen Mary“ in Long Beach (Kalifornien) ................... 32 Abb. 9 │ Entwicklung der Passagierzahlen von Kreuzfahrten ......................... 34 Abb. 10 │ Helene Fischer als Taufpatin von „Mein Schiff 3“ ............................ 37 Abb. 11 │ Kreuzfahrtschiffe im Hafen von Istanbul........................................... 44 Abb. 12 │ Flagge der Bahamas am Heck der „Disney Wonder“ ....................... 46 Abb. 13 │ Entwicklung der internationalen Kreuzfahrtflotte............................. 47 Abb. 14 │ Größenvergleich unterschiedlicher Verkehrsmittel .......................... 48 Abb. 15 │ Weltreise der „United American Lines“ in den 1920er-Jahren ........ 51 Abb. 16 │ „Central Park“ auf dem Mega-Schiff „Allure of the Seas“ ............... 53 Abb. 17 │ Kreuzfahrtsegelschiff „Sea Cloud“ vor St. Tropez ............................ 56 Abb. 18 │ Quellmärkte von Kreuzfahrten - differenziert nach Kontinenten.. 60 Abb. 19 │ Altersstruktur der Kreuzfahrtpassagiere.............................................. 62 Abb. 20 │ Rückkehr von Kreuzfahrttouristen nach dem Landgang.................. 63 Abb. 21 │ Aktivitäten der Passagiere während eines Landgangs........................ 65 Abb. 22 │ MS „Hanseatic“ - ein Expeditionskreuzfahrtschiff........................... 71 Abb. 23 │ Bettenkapazität der internationalen Kreuzfahrtbranche - differenziert nach Revieren ............................................................... 77 Abb. 24 │ Fort Lauderdale/ Port Everglades (Florida) ........................................ 81 <?page no="10"?> Abbildungsverzeichnis 11 Abb. 25 │ Castaway Cay (Bahamas) ....................................................................... 85 Abb. 26 │ Ankünfte von Kreuzfahrtschiffen in Dubrovnik (Kroatien) - differenziert nach Monaten ............................................................... 88 Abb. 27 │ Kreuzfahrtterminal im Hafen von Barcelona ..................................... 90 Abb. 28 │ Position Asiens im Produktlebenszyklus von Kreuzfahrten ............ 92 Abb. 29 │ Erwartungen chinesischer und russischer Touristen an eine Kreuzfahrt ....................................................................................... 94 Abb. 30 │ Dachterrasse des „Kai Tak Cruise Terminal“ in Hongkong ............ 95 Abb. 31 │ „National Geographic Explorer“ im Packeis vor der Küste der Antarktis ........................................................................................... 99 Abb. 32 │ Quellmärkte des Antarktis-Tourismus............................................... 100 Abb. 33 │ Empfohlene Mindestabstände zu antarktischen Tierarten ............. 102 Abb. 34 │ Teilnehmer einer „Clean-up“-Kampagne in der Arktis................... 106 Abb. 35 │ Überführung der „Genting Dream“ auf der Ems............................ 114 Abb. 36 │ Hafen von Civitavecchia...................................................................... 115 Abb. 37 │ „Kong Harald“ der Reederei „Hurtigruten“..................................... 120 Abb. 38 │ Freestyle Cruising-Konzept der „Norwegian Cruise Line“................. 121 Abb. 39 │ „Yacht Club“ der „MSC Cruises“ ...................................................... 122 Abb. 40 │ Kinderattraktion „Nemo’s Reef“ auf der „Disney Wonder“ ......... 126 Abb. 41 │ Party während einer Gay Cruise ........................................................... 127 Abb. 42 │ Balkonkabinen an Bord eines Kreuzfahrtschiffes............................ 131 Abb. 43 │ Buchungsstellen von Kreuzfahrten.................................................... 137 Abb. 44 │ Souvenirfoto an Bord eines Kreuzfahrtschiffes ............................... 139 Abb. 45 │ Struktur der Ausgaben von Kreuzfahrtpassagieren ......................... 140 Abb. 46 │ Corporate Design der „AIDA“-Kreuzfahrtschiffe ............................... 141 Abb. 47 │ Ankunft der „Celebrity Silhouette“ im Hafen von Neapel............. 150 Abb. 48 │ Sozioökonomischer Nutzen des Kreuzfahrttourismus für eine Destination .............................................................................. 155 Abb. 49 │ People Mover in Venedig ........................................................................ 158 Abb. 50 │ Langelinie Quay in Kopenhagen ....................................................... 159 <?page no="11"?> Abbildungs- und Tabellenverzeichnis 12 Abb. 51 │ „Sun Princess“ mit dunkler Rauchfahne .......................................... 162 Abb. 52 │ Klima-Fußabdruck unterschiedlicher Urlaubsarten......................... 171 Abb. 53 │ Zahl der Kreuzfahrtpassagiere pro Einwohner in ausgewählten Destinationen........................................................................................ 173 Abb. 54 │ Protestplakat gegen den Kreuzfahrttourismus in Venedig ............. 175 Abb. 55 │ Südafrikanische Besatzungsmitglieder eines Kreuzfahrtschiffes.... 183 Abb. 56 │ Passagierterminal in Odessa (Ukraine) .............................................. 192 Abb. 57 │ Weihnachtsfeier mit der Zeichentrickfigur „Minnie“ an Bord der „Disney Magic“ ............................................................................. 194 Abb. 58 │ Serviceroboter „Pepper“...................................................................... 197 Abb. 59 │ Logo der NABU-Kampagne „Mir stinkt’s! Kreuzfahrtschiffe sauber machen“..................................................................................... 199 Abb. 60 │ Wrack der „Costa Concordia“ vor der italienischen Insel Giglio .. 205 Tabellenverzeichnis Tab. 1 │ Anteil der Kreuzfahrtreedereien am internationalen Passagieraufkommen und am Gesamtumsatz der Branche .............................. 43 Tab. 2 │ Merkmale von klassischen Kreuzfahrten und Erlebniskreuzfahrten (Contemporary Cruises) ........................................................ 54 Tab. 3 │ TOP 10 der Kreuzfahrthäfen weltweit ................................................ 77 Tab. 4 │ SWOT-Analyse des Kreuzfahrttourismus in der Karibik ................. 80 Tab. 5 │ Privatinseln/ -strände von Kreuzfahrtreedereien in der Karibik ...... 84 Tab. 6 │ TOP 10 der Kreuzfahrthäfen im Mittelmeer ...................................... 89 Tab. 7 │ TOP 10 der Kreuzfahrthäfen in Asien ................................................ 96 Tab. 8 │ Besondere Attraktionen an Bord von Kreuzfahrtschiffen.............. 132 Tab. 9 │ Grund- und Zusatznutzen von Kreuzfahrten................................... 134 Tab. 10 │ Nationalität von Crewmitgliedern - differenziert nach Aufgabenbereichen .............................................................................. 180 <?page no="12"?> 1 Kreuzfahrten: Merkmale - Entwicklung - Bedeutung ⚓ Das Kapitel im Überblick In diesem Kapitel werden folgende Fragen beantwortet: Was sind typische Merkmale einer Kreuzfahrt und wie wird der Begriff definiert? Seit wann werden Kreuzfahrten veranstaltet und wie hat sich der Markt entwickelt? Welche Bedeutung haben Kreuzfahrten auf dem internationalen und dem deutschen Tourismusmarkt? Einmal eine Reise mit einem Kreuzfahrtschiff unternehmen - diese Vorstellung steht bei vielen Bundesbürgern weit oben auf der Wunschliste, wenn sie nach ihrem „Traumurlaub“ befragt werden. Sicherlich gibt es wenige Urlaubsarten, die derart intensive Assoziationen und Gefühle auslösen wie Kreuzfahrten. Sie sind seit langem ein Synonym für die Ferne, das Abenteuer und den Luxus. Dieses positive Image verdanken sie nicht nur den professionellen Marketing- Maßnahmen der Reedereien und den persönlichen Berichten begeisterter Kreuzfahrttouristen, sondern vor allem auch den populären Medien, die wesentlich zur romantischen Verklärung von Schiffen, Ozeanen und fernen Ländern beitragen: Bereits seit den 1960er-Jahren haben unzählige deutsche Schlagertexte für eine maritime Mythenbildung gesorgt - von „Ein Schiff wird kommen“ (Lale Andersen) über „Ein Schiff, das Deinen Namen trägt“ (Monika Martin) bis hin zu „Komm auf das Schiff meiner Träume“ (Bata Illic). Dieses mediale Grundrauschen wurde in den 1980er-Jahren durch die bunte Bilderwelt von TV-Serien noch einmal erheblich verstärkt. Speziell die ZDF- Serie „Das Traumschiff“ erreicht mit ihrem Mix aus heiteren, spannenden und amourösen Geschichten ein Millionenpublikum - und zeichnet zugleich ein attraktives Bild vom Urlaub auf einem Kreuzfahrtschiff (als Vorlage diente dabei die populäre US-amerikanische Serie „The Love Boat“, die von 1977 bis 1987 ausgestrahlt wurde und dort ein wachsendes Interesse an dieser Urlaubsart ausgelöst hat) (vgl. L AWTON / B UTLER 1987, S. 340; C OGGINS J R 2014, S. 141; → Abb. 1). <?page no="13"?> Kreuzfahrten: Merkmale - Entwicklung - Bedeutung 14 Abb. 1: Reisen an Bord eines Luxusliners - diesen Wunsch äußern viele Bundesbürger, wenn sie nach einem Traumurlaub befragt werden. Ihre Vorstellungen von einer Kreuzfahrt sind nicht zuletzt durch die erfolgreiche TV-Serie „Das Traumschiff“ geprägt worden, deren Handlung u. a. an Bord der „Deutschland“ und an exotischen Schauplätzen spielt. Vor diesem Hintergrund ist die Zahl deutscher Hochseekreuzfahrttouristen in den vergangenen Jahren rasant gestiegen - von 380.000 im Jahr 2000 auf 2,02 Millionen im Jahr 2016. Auch auf internationaler Ebene konnte dieses Marktsegment überdurchschnittlich hohe Wachstumsraten verzeichnen - zunächst in den USA und in jüngerer Zeit vor allem in Europa und Asien. Bevor diese Entwicklung im Einzelnen beschrieben wird, ist es aber erforderlich, einige grundlegende Begriffe und Merkmale von Kreuzfahrten zu erläutern. 1.1 Definition und Merkmale von Kreuzfahrten Generell gibt es zahlreiche Schnittstellen zwischen der Schifffahrt und dem Tourismus (vgl. G ROß 2017, S. 158-170): Im Bereich des wassergebundenen Linienverkehrs sind u. a. der Fährverkehr, die Kursfahrten auf Flüssen, Kanälen und Seen sowie die Frachterreisen zu <?page no="14"?> Definition und Merkmale von Kreuzfahrten 15 nennen. Traditionell hatten Linienschiffe auch im transatlantischen Personenreiseverkehr eine zentrale Bedeutung, die sie allerdings mit der Einführung von Langstrecken- und Großraumflugzeugen in den 1960er- und 1970er-Jahren weitgehend verloren haben (→ Kap. 1.2.4). Darüber hinaus gibt es den wassergebundenen Bedarfsverkehr, der - neben den meist mehrtägigen Kreuzfahrten - auch kurze Ausflugsfahrten mit Fahrgastschiffen umfasst. Schließlich zählt der Charter von Hausbooten und Yachten zum touristischen Schiffsverkehr. Gegenwärtig spielen Schiffe als touristische Hauptverkehrsmittel nur eine geringe Rolle: Im Jahr 2016 hat z. B. die Mehrzahl der Deutschen ihre Urlaubsreise mit dem Pkw (47 Prozent) und dem Flugzeug (39 Prozent) unternommen; jeweils sechs Prozent benutzten den Bus bzw. die Bahn und nur zwei Prozent ein Schiff (vgl. FUR 2017, S. 4). Obwohl es sich bei Schiffsreisen also um einen touristischen Nischenmarkt handelt, stehen sie aufgrund ihrer hohen Wachstumsraten und Pro-Kopf-Umsätze, aber auch ihrer umstrittenen ökologischen und soziokulturellen Wirkungen im Fokus der Öffentlichkeit und zunehmend auch der Tourismusforschung. 1.1.1 Definition von Kreuzfahrten „Viel erleben. Bequem genießen“, „Das Schiff, das der Sonne folgt“, „Einmalig. Immer Wieder“ - mit solchen Slogans werben die internationalen Kreuzfahrtreedereien für ihr Produkt: Erholungsreisen an Bord von Schiffen. Der wissenschaftliche Blick auf diese Urlaubsart ist zwar weitaus nüchterner, aber zugleich auch erheblich präziser - wie die folgende Definition deutlich macht. ⚓ Definition │ Kreuzfahrt „Durch Schifffahrtsunternehmen zur See oder auf Flüssen erbrachte, mehrtägige Schiffsreise für Privatreisende im Schiffsgelegenheits-(-bedarfs-)verkehr, bei der mehrere Häfen (als Zugangspunkte zu touristischen Zielen) angelaufen werden. Dabei steht für den Passagier nicht immer ausschließlich der Aspekt der Beförderung zu touristisch relevanten Zwischenhaltepunkten, sondern auch der Aufenthalt auf dem Schiff selbst im Vordergrund der Produktwahl. Das jeweilige Schiff ist in diesem Fall eine vom Passagier bewusst gewählte ‚Destination’. <?page no="15"?> Kreuzfahrten: Merkmale - Entwicklung - Bedeutung 16 Schiffsreisen sind durch zahlreiche (vertikale und horizontale/ begleitende) Zusatzleistungen wie An- und Abreise, Verpflegung und Unterhaltungsprogramme gekennzeichnet“ (S TERZENBACH 2015). 1.1.2 Merkmale von Kreuzfahrten Mit einer Kreuzfahrt buchen die Urlauber ein umfangreiches Produktbündel, das aus unterschiedlichen Einzelleistungen besteht; an deren Erstellung sind - neben den Reedereien - zahlreiche weitere Akteure beteiligt. Dieses touristische Pauschalangebot weist eine Reihe von besonderen Merkmalen auf (vgl. S CHÜßLER 2001, S. 53-54; F REYER 2015, S. 244-245; → Abb. 2): Transport: Im Gegensatz zu Reisen mit Fähren und Linienschiffen spielt die Beförderung vom Einschiffungszum Ausschiffungshafen bei Kreuzfahrten nur eine geringe Rolle; stattdessen steht das Erlebnis einer Seebzw. Flussreise im Mittelpunkt. Darüber hinaus beschränken sich Kreuzfahrtschiffe auf den Transport von Passagieren - im Gegensatz zu den Cruise Ferries, die auch Kraftfahrzeuge befördern (z. B. die Schiffe der norwegischen „Hurtigruten“). Route und Zielgebiet: Traditionell hat die Mischung aus Tagen auf hoher See bzw. Flüssen und Landgängen den besonderen Reiz von Kreuzfahrten ausgemacht. Moderne multifunktionale Mega-Schiffe bieten jedoch ein derart abwechslungsreiches Unterhaltungsangebot, dass die Route und das Zielgebiet in den Hintergrund treten. Schiff: Als Reaktion auf die veränderten Ansprüche der Nachfrager hat auf dem Kreuzfahrtmarkt in den vergangenen Jahrzehnten eine große Differenzierung des Angebots stattgefunden - z. B. hinsichtlich der Größe und Ausstattung der Schiffe (→ Kap. 2.1.2.2; 2.1.2.3). Beherbergung: Kreuzfahrtschiffe sind schwimmende Hotels, die ihren Gästen häufig ein breites Spektrum an unterschiedlichen Kabinen (Staterooms) bieten - z. B. Innen-, Außenbzw. Balkonkabinen, Suiten, Penthouses etc. Verpflegung: Eine vergleichbare Differenzierung des Angebots ist in der Bordgastronomie zu beobachten - z. B. mit Büfett-, Grill-, Spezialitätenbzw. Sterne-Restaurants. Entertainment: Speziell die Mega-Schiffe weisen eine große Ähnlichkeit mit kommerziellen Erlebnis- und Konsumwelten auf. Sie verfügen über zahlreiche Freizeit- und Sporteinrichtungen; außerdem bieten sie ihren Gästen ein breites Unterhaltungsprogramm mit Shows, Partys etc. (vgl. C ASTRO 2017). <?page no="16"?> Definition und Merkmale von Kreuzfahrten 17 Abb. 2: Kreuzfahrten sind komplexe touristische Produkte: Zum einen dienen die Schiffe nicht nur als Transportmittel (wie z. B. Fähren), sondern bieten ihren Gästen ein umfangreiches Spektrum von Dienstleistungen an (Beherbergung, Verpflegung, Entertainment). Zum anderen nehmen die Urlauber bei der An- und Abreise die Leistungen anderer touristischer Leistungsträger in Anspruch (Verkehrsbetriebe, Hotels, Restaurants etc.). Atmosphäre: Um neue Zielgruppen zu erschließen, haben die Reedereien unterschiedliche Geschäftsmodelle entwickelt - die Bandbreite reicht von klassischen Kreuzfahrten mit persönlich-familiärer Atmosphäre (für ein älteres Publikum) bis hin zu erlebnisorientierten Reisen, die mit ihrem Clubcharakter vor allem jüngere Kunden ansprechen. Reiseleitung und Betreuung: Wie bei jeder Pauschalreise gibt es auch an Bord der Kreuzfahrtschiffe Reiseleiter, die für die Information und Betreuung der Gäste zuständig sind und auch die Landausflüge organisieren. Ausflugsprogramme: Bei den Aufenthalten in den Stopover Ports (Ports of Call) entlang der Route können die Kreuzfahrtgäste an Ausflügen teilnehmen, die von den Reedereien vermittelt werden, bzw. eigene Landgänge unternehmen. Hafenleistungen: Für die Abfertigung der Urlauber beim Ein- und Ausschiffen sowie bei den Landgängen muss in den Hafenstädten die entsprechende Infrastruktur zur Verfügung stehen (z. B. Terminals); außerdem bieten lokale Unternehmen spezifische Dienstleistungen an (Transfer, Verpflegung, Shopping etc.). An- und Abreise: Die Teilnehmer benutzen für die An- und Abreise zu den Einschiffungsbzw. Ausschiffungshäfen andere Verkehrsmittel (Flugzeug, Bahn etc.). Als Ortsfremde sind sie bei Zwischenbzw. Anschlussaufenthalten außerdem auf Dienstleistungen des örtlichen Gastgewerbes angewiesen. Die Aufzählung macht deutlich, dass Kreuzfahrten (als touristische Kernprodukte) in ein weitreichendes System zusätzlicher Leistungen eingebunden sind, die in den Quellmärkten der Passagiere, den Transitregionen und den Zielgebieten erbracht werden. Deshalb beschränken sich ihre Wirkungen nicht nur auf die Beherbergung Transport Verpflegung Entertainment Transport Beherbergung Verpflegung Transport Beherbergung Verpflegung Anreise Kreuzfahrtschiff Abreise <?page no="17"?> Kreuzfahrten: Merkmale - Entwicklung - Bedeutung 18 Reedereien, sondern erstrecken sich auch auf die Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt der beteiligten Länder. Die Gesamtheit dieser touristischen Phänomene soll im Rahmen des Studienbuchs unter dem Begriff „Kreuzfahrttourismus“ subsumiert werden. ⚓ Wissen │ Informationsquellen zum Kreuzfahrttourismus Neben Reiseführern, Handbüchern und wissenschaftlichen Studien gibt es zahlreiche Websites, auf denen Informationen zu den Akteuren der Branche, zu aktuellen Entwicklungen und Trends sowie zu den Wirkungen des Kreuzfahrttourismus zu finden sind; als Beispiele sind u. a. zu nennen: „Cruise Market Watch“: Diese Website enthält zahlreiche Daten und Grafiken zur jüngeren Entwicklung und Struktur des internationalen Kreuzfahrtmarktes - u. a. zu Reedereien, Transportkapazitäten, Zielgebieten, Umsätzen etc. ( www.cruisemarketwatch.com ). „Arbeitsgruppe Kreuzfahrt-Forschung“: Seit 2009 beschäftigen sich mehrere Wissenschaftler an der Technischen Universität Dresden mit dem Kreuzfahrttourismus. Einige Ergebnisse ihrer Arbeit stehen auf dieser Website zum Download zur Verfügung; dort kann auch ein Newsletter bestellt werden ( www.kreuzfahrt-forschung.de ). „International Centre for Cruise Research“: Dieses virtuelle Forschungszentrum ist von Ross A. Klein initiiert worden, der als Professor an der Memorial University of Newfoundland in St. John’s (Kanada) tätig ist. Auf der Website gibt er viele nützliche Hinweise auf Daten, Links, Statistiken, Studien und Artikel zum Kreuzfahrttourismus ( www.cruiseresearch.org ). „Cruise Junkie“: Auch diese Website wird von Ross A. Klein betrieben; er hat sich in zahlreichen Beiträgen vor allem mit den negativen Aspekten des Kreuzfahrttourismus beschäftigt - z. B. Umweltbelastungen, unzureichenden arbeitsrechtlichen Bestimmungen, gesundheitlichen Risiken und Schiffsunfällen ( www.cruisejunkie.com ). „Cruise Critic“: Jeden Monat nutzt eine große Community von Usern diese Plattform, um ihre Erfahrungen mit Kreuzfahrten auszutauschen, die Leistungen der Reedereien zu bewerten und eigene Reisen zu planen. Sie wurde im Jahr 1995 gegründet und ist seit 2007 ein Tochterunternehmen der weltweit größten Reise-Website „TripAdvisor“. Gegenwärtig gilt „Cruise Critic“ als einflussreichste Informationsquelle zu dem Thema ( www.cruisecritic.com ). <?page no="18"?> Geschichte und Entwicklung der Kreuzfahrten 19 „Cruisetricks - Der Kreuzfahrt-Ratgeber“: Ziel dieser Website ist es, die Nutzer über aktuelle Entwicklungen der Kreuzfahrtbranche zu informieren und ihnen praktische Tipps & Tricks zu geben (u. a. zur Seekrankheit, zu den Nebenkosten sowie zum Dresscode an Bord der Schiffe). Außerdem sind dort zahlreiche Hinweise auf die breite Ratgeber-Literatur zu finden ( www.cruisetricks.de ). 1.2 Geschichte und Entwicklung der Kreuzfahrten Kreuzfahrten sind ein relativ junges touristisches Phänomen, dessen Geschichte erst Ende des 19. Jahrhunderts beginnt. Zu diesem Zeitpunkt gehörten andere Urlaubsarten bereits zum etablierten Repertoire des damaligen Reisepublikums, das überhaupt über die finanziellen Mittel und die freie Zeit verfügte, andere Städte, Regionen und Länder zu Erholungszwecken zu besuchen (vgl. S TEINECKE 2011, S. 115-116, 144-145, 170-171): So reichen die Anfänge der Städtereisen bis in das 17. Jahrhundert zurück, als englische Adelige eine ausgedehnte Grand Tour durch Europa unternahmen, um die politischen und kulturellen Zentren kennenzulernen, wichtige Persönlichkeiten zu treffen und ihrem standesgemäßen Auftreten den letzten Schliff zu verleihen. Die Erschließung der Küsten für den Badetourismus begann im 18. Jahrhundert - zunächst aus medizinischen Gründen, da dem Meerwasser vielfältige therapeutische Wirkungen zugeschrieben wurden. Später entwickelten sich die englischen Seebäder (Seaside Resorts) zu gesellschaftlichen Treffpunkten der politischen und wirtschaftlichen Elite. Wissenschaftliches Interesse, künstlerische Verklärung und sportlicher Tatendrang führten Ende des 18. Jahrhunderts dazu, dass die Hochgebirge für den Alpinismus in Wert gesetzt wurden. Wichtige Impulse gingen wiederum von Großbritannien aus: Dort wurde im Jahr 1857 mit dem „Alpine Club“ der erste Alpenverein der Welt gegründet. Im Gegensatz zu Städten, Küsten und Bergen waren Ozeane und Meere bis zum Ende des 19. Jahrhunderts noch keine touristischen Zielgebiete. Sie wurden nicht für Vergnügungsreisen genutzt, sondern ausschließlich für den internationalen Transport von Waren und Personen - z. B. für den Schiffsverkehr zwischen Europa und den USA sowie Südamerika bzw. von Großbritannien, Frankreich, Belgien etc. in die überseeischen Kolonien. <?page no="19"?> Kreuzfahrten: Merkmale - Entwicklung - Bedeutung 20 Speziell auf der Transatlantikroute von Europa nach New York bestand damals eine harte Konkurrenz zwischen US-amerikanischen, britischen und deutschen Reedereien, bei der es nicht nur um wirtschaftliche Ziele, sondern teilweise auch um eine politische Vormachtstellung der beteiligten Länder ging. Dieser Wettbewerb wurde zunächst über die Geschwindigkeit der Schiffe ausgetragen: Vorrangiges Ziel der Unternehmen war es, das begehrte „Blaue Band“ für die schnellste Überquerung des Atlantiks mit einem Passagierschiff zu erlangen (dabei handelte es sich lange Zeit um eine inoffizielle Auszeichnung; erst seit 1935 gab es eine entsprechende Trophäe). Später setzten die Reedereien vor allem auf eine luxuriöse Ausstattung der Schiffe: Zum eindrucksvollen Symbol dieser Geschäftspolitik wurde die „Titanic“ der „White Star Line“, die im Jahr 1911 in Belfast vom Stapel lief. In der ersten Klasse verfügte sie z. B. über Suiten, Rauchsalons, Cafés, einen Speisesaal sowie ein À-la-Carte-Restaurant, einen Gymnastikraum und ein Türkisches Bad. Doch auch in der zweiten und dritten Klasse reisten die Passagiere - unter ihnen waren viele Auswanderer - weitaus komfortabler als auf anderen Schiffen. Abb. 3: Der Untergang der „Titanic“ am 15. April 1912 schockierte die internationale Öffentlichkeit. Inzwischen ist die Katastrophe zum festen Bestandteil des kollektiven Gedächtnisses geworden - vor allem als Folge einer breiten Aufbereitung in den Medien: So ließ sich z. B. ein neuseeländischer Unternehmer im Jahr 1915 eine Erinnerungspostkarte patentieren. Später haben zahlreiche Spielfilme und Romane zum „Mythos Titanic“ beigetragen. <?page no="20"?> Geschichte und Entwicklung der Kreuzfahrten 21 Diese besondere Atmosphäre und das illustre Publikum an Bord der „Titanic“ sorgten bereits damals weltweit für Schlagzeilen; sie trugen auch zu dem bis heute andauernden Mythos um den Luxusliner bei. Dessen dramatischer Untergang vor der Küste Neufundlands am 15. April 1912 wurde später zum Gegenstand zahlreicher Romane, Filme und Bücher. Dabei ist speziell der aufwändig inszenierte Spielfilm von James Cameron aus dem Jahr 1997 zu erwähnen, der zu den erfolgreichsten Produktionen der Filmgeschichte zählt (vgl. T ARLOW u. a. 2012, S. 17; → Abb. 3). 1.2.1 Anfänge im 19. Jahrhundert Von der unternehmerischen Notlösung zum erfolgreichen Geschäftsfeld - so lässt sich die Geschichte der Kreuzfahrten knapp zusammenfassen: Da die Nachfrage nach Atlantikpassagen in den kalten und stürmischen Wintermonaten deutlich geringer war als im Sommer, suchten die Reedereien nach Möglichkeiten, ihre Kapazitäten in der Nebensaison besser auszulasten (vgl. C OGGINS J R 2014, S. 139; M UNDT 2008a, S. 415-416). Zu diesem Zweck begannen sie, spezielle Vergnügungsreisen auf hoher See anzubieten. Die Kreuzfahrten haben sich also sukzessive aus dem allgemeinen Schiffspassagierverkehr entwickelt. Aus diesem Grund sind in der Fachliteratur auch unterschiedliche Angaben zu den Anfängen dieser Urlaubsart zu finden: Als frühe Form einer Kreuzfahrt gilt die Seereise, die von der britischen „Peninsular & Oriental Steam Navigation Company“ (P&O) im Jahr 1844 von Southampton aus nach Gibraltar, Malta und Athen unternommen wurde. Um Werbung für ihr neues Produkt zu machen, lud die Reederei den bekannten Schriftsteller William Makepeace Thackeray zu einer kostenlosen Teilnahme an der Kreuzfahrt ein. Der überaus positive Reisebericht dieses frühen Testimonials erschien zunächst als Artikelserie in der populären Zeitschrift „Punch“ und später auch als Buch - mit einer entsprechend großen öffentlichen Resonanz. Damit führte das Unternehmen die wohl erste Pressereise der Welt durch; inzwischen zählen solche Familiarization Trips für Journalisten zu den beliebten Marketing-Instrumenten der Tourismusbranche (vgl. D OUGLAS / D OUGLAS 1996, S. 3; W ILLIS 2009, S. 19). Im Jahr 1872 organisierte Thomas Cook eine Weltreise an Bord eines Passagierschiffes, die insgesamt 220 Tage dauerte. Für dieses Erlebnis mussten die zwölf Teilnehmer einen exorbitant hohen Preis entrichten, der über dem damaligen durchschnittlichen Jahreseinkommen der Briten lag. Bei dieser Tour übertrug Cook das Konzept der Pauschalreise, das er bereits seit 1841 mit großem Erfolg bei Eisenbahnreisen praktiziert hatte, nun auf Schiffsreisen: Gegen Zahlung eines Gesamtpreises erhielten die Kunden ein umfangreiches <?page no="21"?> Kreuzfahrten: Merkmale - Entwicklung - Bedeutung 22 Bündel an Einzelleistungen (Transport, Unterkunft, Verpflegung etc.). Seitdem haben sich derartige Pauschalreisen sowohl bei Kreuzfahrten als auch im Tourismus generell als Organisationsform fest etabliert; im Jahr 2016 haben 43 Prozent der Bundesbürger entsprechende Angebote von Reiseveranstaltern gebucht (vgl. FUR 2017, S. 4). In Deutschland wird Albert Ballin, der Direktor der „Hamburg-Amerikanischen Packetfahrt-Actien-Gesellschaft“ (HAPAG), als Vater der Kreuzfahrten betrachtet. Im Frühjahr 1891 veranstaltete er mit dem Passagierschiff „Augusta Victoria“ eine zweimonatige „Excursion“, deren Route von Cuxhaven über Stationen in Großbritannien, Portugal, Italien und Griechenland bis nach Konstantinopel, Jaffa und Beirut führte. In den Häfen wurden die 241 Teilnehmer, die aus zahlreichen Ländern stammten, jeweils mit einem umfangreichen Landprogramm unterhalten (vgl. F REYER / J ANS 2016, S. 28). Obwohl sich die touristischen Seereisen mittelfristig als zukunftsträchtige Idee erweisen sollten, mussten die Reedereien zunächst eine besondere logistische Herausforderung bewältigen: Für die Touren standen ihnen nur Linienschiffe zur Verfügung, die - wie die „Titanic“ - für die Beförderung von Passagieren in mehreren Klassen ausgelegt waren. Da die Ausstattung der mittleren und unteren Klassen nicht den Erwartungen des gut situierten und deshalb anspruchsvollen Reisepublikums entsprach, kam Albert Ballin auf die Idee, ein spezielles Kreuzfahrtschiff bauen zu lassen - die „Prinzessin Victoria Luise“ (benannt nach der Tochter des deutschen Kaisers Wilhelm II.) (vgl. S CHÜßLER 2001, S. 34). In ihrer Konstruktionsweise ähnelte die weiß lackierte „Prinzessin Victoria Luise“ eher einer großen privaten Motoryacht als einem typischen Passagierschiff der damaligen Zeit: Sie verfügte über 120 große und komfortabel ausgestattete Kabinen (mit eigenem Bad und Toilette): Für das gesellschaftliche Leben und die Unterhaltung der Gäste gab es komfortable Salons und zeitgemäße Freizeiteinrichtungen - bis hin zu einer Dunkelkammer für Fotoamateure (→ Abb. 4). <?page no="22"?> Geschichte und Entwicklung der Kreuzfahrten 23 Abb. 4: Im Jahr 1900 lief die „Prinzessin Victoria Luise“ in Hamburg vom Stapel; sie gilt als weltweit erstes Schiff, das speziell für Kreuzfahrten gebaut wurde. Zur Ausstattung gehörten 120 luxuriöse Kabinen, mehrere Aufenthaltsräume, eine Bibliothek und ein Trainingsraum. Die Reisen der „Prinzessin Victoria Luise“ führten u. a. nach Skandinavien, in das Mittelmeer und das Schwarze Meer sowie in die USA und die Karibik. <?page no="23"?> Kreuzfahrten: Merkmale - Entwicklung - Bedeutung 24 1.2.2 „Kraft durch Freude“-Schiffsreisen im Nationalsozialismus „Ich will, daß dem Arbeiter ein ausreichender Urlaub gewährt wird und daß alles geschieht, um ihm diesen Urlaub sowie seine übrige Freizeit zu einer wahren Erholung werden zu lassen. Ich wünsche das, weil ich ein nervenstarkes Volk will, denn nur allein mit einem Volk, das seine Nerven behält, kann man wahrhaft große Politik machen“ - in diesem programmatischen Satz des „Führers“ Adolf Hitler spiegelt sich die Funktion von Freizeit und Erholung in der nationalsozialistischen Ideologie deutlich wider: Sie sollten nicht für das persönliche Vergnügen und die individuelle Selbstverwirklichung genutzt werden; vielmehr wurde die physische und psychische Reproduktion der Arbeitskraft als notwendige Voraussetzung dafür betrachtet, ehrgeizige wirtschaftliche und politische Ziele zu erreichen. Um die Freizeitgestaltung der Bevölkerung staatlich zu organisieren (und auch zu kontrollieren), wurde im November 1933 die „Nationalsozialistische Gemeinschaft Kraft durch Freude“ (KdF) gegründet, die aus mehreren Abteilungen bestand: Es gab u. a. die Ämter „Schönheit der Arbeit“, „Feierabend“, „Werkscharen“, „Körperliche Ertüchtigung durch Sport“ sowie das Amt „Reisen, Wandern, Urlaub“, das für die Konzeption und Organisation von Ferien- und Urlaubsfahrten zuständig war (vgl. P RAHL / S TEINECKE 1989, S. 169). In der Bevölkerung erfreuten sich die „KdF“-Reisen einer großen Popularität, da sie besonders preisgünstig waren: Ein Tagesausflug kostete wenige Reichsmark und ein achttägiger Urlaub an der Ostsee nur 32 Reichsmark. Dieser Preis beinhaltete - wie bei einer heute üblichen Pauschalreise - den Transport, die Unterkunft, die Verpflegung und die Teilnahme an Unterhaltungsveranstaltungen. Eine solche Reise konnten sich auch Arbeiter leisten, die damals ein durchschnittliches Monatseinkommen von 150 Reichsmark hatten. Bei der Mehrzahl der „KdF“-Reisen handelt es sich um Tagesausflüge in Form von Bahn- und Busreisen: Bis zum Jahr 1939 führte die Organisation insgesamt Reisen mit ca. 43 Millionen Teilnehmern durch; davon buchten sieben Millionen Deutsche mehrtägige Urlaubsfahrten - zunächst in deutsche Zielgebiete und später nach Österreich (vgl. J ÜLLIG 2015). Das nationalsozialistische Regime nutzte die „KdF“-Reisen im In- und Ausland als wichtiges Propagandainstrument - als Beleg für einen „Sozialismus der Tat“ und eine „Demokratisierung des Reisens“. Nun sollten alle Bevölkerungsgruppen in den Genuss von Urlaubsreisen kommen, die bis dahin ein Privileg des Bürgertums gewesen waren. Darüber hinaus boten Tagesausflüge und Urlaubsfahrten eine Möglichkeit, die nationalsozialistische Idee der „Volksgemeinschaft“ zu propagieren und das politische System zu stabilisieren. Ungeachtet der tatsächlich bestehenden sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten sollten Angehö- <?page no="24"?> Geschichte und Entwicklung der Kreuzfahrten 25 rige aller gesellschaftlichen Gruppen ihre Freizeit als „Volksgenossen“ gemeinsam miteinander verbringen. Dazu wurden diese staatlich organisierten Urlaubsaktivitäten mit einem enormen Aufwand öffentlich inszeniert: Selbst bei den Ausflugsfahrten hingen große „Kraft durch Freude“-Banner an den Reisebussen und Zugwaggons - und das Auslaufen der „KdF“-Schiffe aus dem Hamburger Hafen geriet vollends zum Spektakel: „Musikkapellen spielen von Bord zu Bord. Fliegerschwärme umkreisen brummend und orgelnd die ‚Kraft durch Freude’-Flottille. Das Deutschlandlied braust auf, dem das Horst-Wessel-Lied folgt samt einem dreimaligen und vieltausendfachen Sieg Heil“ (S CHAFFNER 1936, S. 14-15). Speziell die „KdF“-Kreuzfahrten wurden zum Symbol der „Brechung bürgerlicher Privilegien“, da Seereisen damals noch einen besonders exklusiven Charakter hatten. Für die Touren nach Norwegen, Madeira und in das Mittelmeer musste die NSG „Kraft durch Freude“ zunächst Passagierschiffe privater Reedereien chartern - z. B. die „Monte Olivia“ der „Hamburg-Südamerikanischen Dampfschifffahrts- Gesellschaft“ (HSDG) oder die „St. Louis“ der „Hamburg Amerika Linie“ (HAL). Abb. 5: Die „Robert Ley“ war das Flaggschiff der nationalsozialistischen „Kraft durch Freude“-Flotte. Nach der Indienststellung am 24. März 1939 kam sie allerdings nur wenige Monate zum Einsatz: Im Zweiten Weltkrieg wurde die „Robert Ley“ zunächst für Truppentransporte sowie als Lazarett- und Wohnschiff genutzt. Im Januar 1945 diente sie dazu, Zivilisten und verwundete Soldaten vor der Roten Armee aus Ostpreußen zu evakuieren. <?page no="25"?> Kreuzfahrten: Merkmale - Entwicklung - Bedeutung 26 In den Jahren 1938 und 1939 ließ die staatliche Freizeitorganisation zwei eigene Kreuzfahrtschiffe bauen - die „Wilhelm Gustloff“ für 1.463 Passagiere und die „Robert Ley“ für 1.750 Passagiere. Bei der Konstruktion wurde auf die bis dahin übliche Klasseneinteilung der Kabinen verzichtet: In Broschüren, Zeitungen und Zeitschriften feierte das NS-Regime die klassenlosen Schiffe als Beweis für die egalitäre „Volksgemeinschaft“ (→ Abb. 5). Diese aufwändige Propaganda vernebelte jedoch den Blick für die tatsächliche Sozialstruktur der Passagiere und den Umfang des damaligen Kreuzfahrttourismus (vgl. S PODE 1991, S. 85; T EUTEBERG 1999, S. 25; S TIRN 2008, S. 717; J ÜLLIG 2015): Zum einen waren Schiffsreisen mit ca. 120 Reichsmark deutlich teurer als die übrigen Urlaubsfahrten, sodass sich einfache Arbeiter und Angestellte eine solche Reise weiterhin kaum leisten konnten. Zum anderen sorgte ein ausgeklügeltes staatliches Berichts- und Kontrollsystem dafür, dass vor allem NS-Funktionäre, verdiente Parteigenossen und „Alte Kämpfer“ in den Genuss einer Kreuzfahrt kamen. So belief sich der Anteil von Arbeitern bei Seereisen nur auf 14-17 Prozent; bei mehrtägigen landgebundenen Urlaubsfahrten erreichte er hingegen Werte von 23-39 Prozent. Obwohl die Deutschen in einem begeisterten Reisebericht des Schweizer Schriftstellers Jacob S CHAFFNER (1936) bereits als „Volk zu Schiff“ gefeiert wurden, war die Zahl der Teilnehmer an einer „KdF“-Hochseekreuzfahrt mit 690.000-758.000 Passagieren vergleichsweise gering (ca. zehn Prozent aller mehrtägigen „KdF“-Reisen im Zeitraum 1934-1939). Landgänge gehörten bei den „KdF“-Kreuzfahrten zu den Ausnahmen; in der Regel kreuzten die Schiffe nur in Sichtweite der Küsten und Häfen. Gleichzeitig wurden aber große Anstrengungen unternommen, den Urlaubern an Bord ein abwechslungsreiches Unterhaltungsprogramm zu bieten - mit Besichtigungen des Maschinenraums und der Kommandobrücke, Tanzveranstaltungen und Konzerten, landeskundlichen Vorträgen und Kostümfesten (→ Abb. 6). Obwohl die Reisen unter der Beobachtung „Politischer Leiter“ standen, dienten sie weniger der direkten ideologischen Indoktrination; vielmehr wurde die Begeisterung der Teilnehmer vor allem dazu genutzt, sie zu einer Leistungs- und Produktivitätssteigerung im beruflichen Alltag zu motivieren. <?page no="26"?> Geschichte und Entwicklung der Kreuzfahrten 27 Abb. 6: An Bord der „Kraft durch Freude“-Kreuzfahrtschiffe wurde den erholungssuchenden „Volksgenossen“ täglich ein breites Unterhaltungsprogramm geboten - vom 100-Kilometer-Marsch über das Mittagskonzert bis hin zum Bunten Abend mit Conférencier, Opernarien und Schlagern. Ab 0.30 Uhr herrschte dann Ruhe im Schiff. <?page no="27"?> Kreuzfahrten: Merkmale - Entwicklung - Bedeutung 28 Diese politischen Ziele kommen z. B. im Tagesprogramm der 63. Norwegenfahrt am 13. Juli 1937 deutlich zum Ausdruck, in dem die Gäste mit folgenden Zeilen begrüßt wurden: Wir wünschen, „daß Ihnen diese Tage zu einer vollkommenen Erholung werden und Sie nach Rückkehr in Ihre Heimat frisch gestählt wieder an Ihre Arbeit gehen können, mit neuen Kräften zum Schaffen am gemeinsamen Werk unter unserem Führer für Deutschland“. 1.2.3 „Friedensflotte“ der Deutschen Demokratischen Republik „Früher sind die Kapitalisten, die reichen Geldsäcke auf solchen Schiffen gefahren. Heute sollen die Arbeiter auf solchen Schiffen fahren“ - dieser programmatische Satz stammte nicht von einem führenden Protagonisten der NSG „Kraft durch Freude“, sondern von einem Vertreter der Wismarer Mathias-Thesen- Werft auf dem V. Parteitag der „Sozialistischen Deutschen Einheitspartei“ (SED), der im Sommer 1958 in Berlin stattfand (vgl. S TIRN 2008a). Hinsichtlich der gesellschaftlichen Funktion von Freizeit, Erholung und Urlaub gab es frappierende Ähnlichkeiten zwischen dem Nationalsozialismus und dem Sozialismus (bzw. Kommunismus): In beiden Systemen sollten die „Volksgenossen“ bzw. die „Werktätigen“ die disponible Zeit nicht nach ihren persönlichen Vorstellungen gestalten können. In der Deutschen Demokratischen Republik, die am 7. Oktober 1949 als erster sozialistischer Staat auf deutschem Boden gegründet wurde, diente die sog. Rekreation vielmehr dazu, die Arbeitskraft der Bürger wiederherzustellen und auf diese Weise den „Aufbau des Sozialismus“ sowie die Steigerung der Produktion zu gewährleisten (vgl. S TEINECKE 2014, S. 146). Freizeit und Urlaub wurden nicht - wie in den westlichen Ländern - als kommerzieller Markt betrachtet (mit Unternehmen und Konsumenten), sondern als staatliches Handlungsfeld. Die entsprechenden Versorgungsleistungen für die Bevölkerung wurden in erheblichem Maße aus öffentlichen Mitteln subventioniert. Die Umsetzung dieser sozialtouristischen Ziele konnte nur dadurch erreicht werden, dass sich große Teile der Leistungskette - von den Transportunternehmen über die Unterkunfts- und Verpflegungseinrichtungen bis hin zu den Reisebüros - im Besitz des Staates bzw. staatseigener Betriebe befanden. Zu den wichtigen Akteuren, die in der DDR für die Organisation von Urlaubsreisen zuständig waren, gehörten u. a.: der „Feriendienst“ des „Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes“ (FDGB), der den DDR-Bürgern einen preiswerten Aufenthalt in eigenen Erholungsheimen sowie Hotels und Pensionen ermöglichte; die staatlichen Industriegroßbetriebe (Kombinate), die für ihre Beschäftigten eigene „Ferienobjekte“ errichteten; <?page no="28"?> Geschichte und Entwicklung der Kreuzfahrten 29 der „Jugendtourist“ - das „Jugendreisebüro der Freien Deutschen Jugend“ (FDJ), das für den Aufenthalt von Kindern und Jugendlichen in Ferienlagern zuständig war; das „Reisebüro der DDR“, über das nicht-sozialtouristische Urlaubsreisen gebucht werden konnten. Angesichts der schlechten wirtschaftlichen Lage der DDR handelte es sich bei der Mehrzahl der staatlich organisierten Urlaubsangebote um landgebundene Reisen. Die Übernachtung fand in relativ einfachen Unterkünften statt, die nicht westlichen Standards entsprachen. Zugleich suchte das Regime aber nach Möglichkeiten, sich im Wettstreit der politischen Systeme - Sozialismus vs. Kapitalismus - auch über ein touristisches Prestigeprojekt zu behaupten (das sich letztlich an bürgerlichen Vorstellungen von Luxus und Exklusivität orientierte): Im Auftrag des „Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes“ (FDGB) wurde die „Fritz Heckert“ im Jahr 1958 in Wismar auf Kiel gelegt - der einzige Neubau eines Kreuzfahrtschiffes in der DDR (→ Abb. 7). Abb. 7: Sozialistisches Urlaubsglück auf hoher See - die „Fritz Heckert“ war das Flaggschiff der DDR-„Friedensflotte“. Anlässlich ihres Stapellaufs im Jahr 1960 gab die Postverwaltung der Deutschen Demokratischen Republik vier Briefmarken heraus. Eines der Motive zeigt das Urlauberschiff vor der Stubbenkammer - einer spektakulären Formation von Kreidefelsen auf der Insel Rügen. <?page no="29"?> Kreuzfahrten: Merkmale - Entwicklung - Bedeutung 30 Im Gewerkschaftsblatt wurde das „Urlauberschiff“ als Errungenschaft des Sozialismus und als Symbol des Wohlstands in der DDR gefeiert: „Dieses Schiff wird mit seinem Kiel auch die Wogen der Lügen der Adenauer, Lemmer und Strauß zerteilen, die doch so gerne das Märchen von der ‚ach so bedauerlichen Bevölkerung der Zone’ im Mund führen, die von all ihrer ‚sozialen Not’ befreit werden müsse“ (S TIRN 2008a). Durch den Bau der „Fritz Heckert“ und den Erwerb von zwei weiteren Passagierschiffen entstand die kleine DDR-„Friedensflotte“: Im Jahr 1960 wurde die „Stockholm“ gekauft, in ein Einklassenschiff umgebaut und in „Völkerfreundschaft“ umbenannt. Seit 1985 verkehrte die einstige „Astor“ unter ihrem neuen Namen „Arkona“ für den „Feriendienst“ des FDGB. Zu den skurrilen Details der Geschichte gehörte dabei die Tatsache, dass dieses Kreuzfahrtschiff zuvor dem „Klassenfeind“ als Drehort der beliebten ZDF-TV-Serie „Das Traumschiff“ gedient hatte und später zeitweise - gegen Devisenzahlung - von einem bundesdeutschen Reiseveranstalter gechartert wurde (vgl. S TIRN 2008). Von 1960 bis 1990 nahmen ca. 280.000 DDR-Bürger an Kreuzfahrten mit diesen drei Schiffen teil. Die Fahrten gingen vor allem in die Nord- und Ostsee, das Mittelmeer sowie das Schwarze Meer. Bis zum Bau der „Berliner Mauer“ im Jahr 1961 konnten die Passagiere auch Landgänge in griechischen, nordafrikanischen und skandinavischen Häfen unternehmen; danach war dies eine Zeit lang nur noch „verdienten Parteiarbeitern und Parteigenossen“ gestattet. Später wurden die Routen geändert und westliche Hafenstädte nicht mehr angelaufen, da immer mehr Urlauber die Gelegenheit zur „Republikflucht“ nutzten (in einigen Fällen sprangen sie auch in Küstennähe über Bord). Generell standen die Passagiere und die Besatzung der DDR-Kreuzfahrtschiffe unter ständiger Beobachtung von Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit; in einigen Fällen verfassten sogar die Kapitäne eigene Berichte für den Geheimdienst. Gleichzeitig blieb der vielfach propagierte Anspruch, dass nun auch alle „Werktätigen“ im „Land der Arbeiter und Bauern“ eine preisgünstige Kreuzfahrt unternehmen konnten, weit hinter der Realität zurück: Im Jahr 1978 hatten durchschnittlich nur fünf von 10.000 FDGB-Mitgliedern die Möglichkeit, eine Seereise zu machen - entsprechend lang war die Warteliste und die Beschwerden normaler Bürger über die Platzvergabe häuften sich. Für Parteifunktionäre und prominente Vertreter des Regimes war es hingegen relativ einfach, an einer der begehrten Kreuzfahrten teilzunehmen. Angesichts der enorm hohen Beschaffungs- und Betriebskosten implodierte das System der DDR-Kreuzfahrten bereits vor dem Fall der „Berliner Mauer“: Die „Fritz <?page no="30"?> Geschichte und Entwicklung der Kreuzfahrten 31 Heckert“ wurde im Jahr 1972 außer Dienst gestellt und anschließend als schwimmendes Arbeiterwohnheim genutzt. Auch für die „Völkerfreundschaft“ erwies es sich im Laufe der Zeit als immer schwieriger und aufwändiger, die notwendigen Ersatzteile zu beschaffen; ihr Verkauf fand im Jahr 1985 statt. Danach blieb nur noch die „Arkona“ im Einsatz; für die Staatsführung galt sie weiterhin als Symbol der erfolgreichen „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“ des sozialistischen Systems. Angesichts der desolaten volkswirtschaftlichen Situation der DDR war das frühere ZDF-„Traumschiff“ nun endgültig im „Land der Illusionen angekommen“ (S TIRN 2008a) - das wenige Jahre später seinen politischen Zusammenbruch erleben musste. 1.2.4 Boom seit den 1990er-Jahren Ob sozialistische „Friedensflotte“ oder nationalsozialistische „Kdf“-Flotte - letztlich wurden diese staatlich organisierten Kreuzfahrten vor allem als spektakuläre Instrumente zur Propagierung sozialpolitischer Ziele und zur Stabilisierung totalitärer Systeme genutzt. Zugleich handelte es sich um deutsche Sonderentwicklungen, die weltweit keine Nachahmer fanden. Vielmehr herrschte auf dem internationalen Markt für Schiffsreisen und -passagen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein harter Wettbewerb, der sich aufgrund des revolutionären technologischen Fortschritts im Flugverkehr zunehmend verschärfte: So gingen die Passagierzahlen im Transatlantikverkehr von New York nach Europa im Zeitraum 1960-1975 um 90 Prozent zurück (ironischerweise haben sich die weltweiten Flugverbindungen später als wesentliche Voraussetzung für den Boom des Kreuzfahrttourismus erwiesen) (vgl. W EAVER 2005, S. 347; V ÉRON- NEAU / R OY 2009, S. 129; R ODRIGUE / N OTTEBOOM 2017): Zunächst führte die Einführung von Passagierjets (Boeing 707, Douglas DC- 8) dazu, dass die Reisegeschwindigkeit erheblich gesteigert werden konnte: Während eine Schiffspassage von Le Havre bzw. Southampton nach New York vier Tage in Anspruch genommen hatte, dauerte der Flug nur noch ca. acht Stunden. Der Einsatz von Großraumflugzeugen (Boeing 747, McDonnell Douglas DC-10) ermöglichte es den Fluggesellschaften seit den 1970er-Jahren, eine größere Zahl von Passagieren zu günstigeren Preisen zu transportieren. Während es in den Anfängen der Kreuzfahrten darum gegangen war, die vorhandenen Passagierschiffe in den nachfrageschwachen Monaten besser auszulasten, mussten die Reedereien nun auf einen drohenden Niedergang der Branche reagieren. Zu Symbolen dieser Strukturkrise wurden die beiden britischen Passagierschiffe „Queen Mary“ und „Queen Elisabeth“, die in den 1930er-Jahren gebaut worden waren und für mehrere Jahrzehnte den Transatlantikverkehr dominiert <?page no="31"?> Kreuzfahrten: Merkmale - Entwicklung - Bedeutung 32 hatten; ihre Stilllegung fand Ende der 1960er-Jahre statt (vgl. W ILLIS 2009, S. 21; → Abb. 8). Abb. 8: Vom schnellsten Passagierschiff der Welt zum schwimmenden Hotel in Kalifornien - im Schicksal der „Queen Mary“ spiegelt sich der Zusammenbruch des transatlantischen Passagierverkehrs seit den 1950er-Jahren wider. Sie war von 1936 bis 1967 im Einsatz; seit der Außerdienststellung liegt sie in Long Beach vor Anker, wo sie als Hotel, Tagungszentrum und Museum genutzt wird. Die großen Reedereien - „Hapag-Lloyd Cruises“, „P&O“, „Cunard Line“ u. a. - standen vor der Herausforderung, sich neu zu organisieren und zukunftsträchtige Märkte zu erschließen. Dabei erwiesen sich Kreuzfahrten als lukratives Geschäftsfeld: Zunächst wurden die Seereisen noch mit traditionellen und kleinen Passagierschiffen durchgeführt, die nicht speziell für diese Zwecke konstruiert worden waren. Aufgrund ihres ganzjährigen Einsatzes im Transatlantikverkehr verfügten sie z. B. nur über ein begrenztes Angebot an Outdoor-Freizeit- und Unterhaltungseinrichtungen (vgl. R ODRIGUE / N OTTEBOOM 2013, S. 32). Als Reaktion auf die steigende Nachfrage investierten die Reedereien jedoch zunehmend in größere und besser ausgestattete Kreuzfahrtschiffe. Darüber hinaus wurden neue Unternehmen gegründet, die sich speziell auf diese Form einer <?page no="32"?> Geschichte und Entwicklung der Kreuzfahrten 33 Vergnügungsreise auf hoher See spezialisierten und bis in die Gegenwart den Markt dominieren; dazu gehören (vgl. G ROß 2017, S. 180): die „Norwegian Caribbean Lines“ (1966; seit 1987 „Norwegian Cruise Line“), die „Royal Caribbean Cruise Line“ (1968; seit 1997 „Royal Caribbean International“), die „Carnival Cruise Lines“ (1972; seit 2014 „Carnival Cruise Line“). Diese Reedereien erschlossen zunächst die USA als Quellmarkt: Dort stiegen die Passagierzahlen im Zeitraum 1970-1980 von 700.000 auf mehr als 1,4 Millionen - und in den 1980er-Jahren konnte die Kreuzfahrtbranche eine durchschnittliche Wachstumsrate von mehr als zehn Prozent verzeichnen (vgl. K AMERY 2004, S. 145; M UNDT 2008a, S. 384). Dieser positive Trend setzte sich in den folgenden Jahrzehnten fort und erfasste auch andere Teile der Welt - zunächst Europa (speziell Deutschland und Großbritannien) und inzwischen auch asiatische Länder. Mit der zunehmenden Bedeutung neuer Quellmärkte ist der Marktanteil der USA in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich zurückgegangen - von 80 Prozent im Jahr 2000 auf 59 Prozent im Jahr 2015 (vgl. K ESTER 2002, S. 339; D I V AIO / D’A MORE 2011, S. 120; P AVLIĆ 2013, S. 126; → Abb. 18). Gleichzeitig hat das wachsende Passagieraufkommen aus Europa und Asien dazu geführt, dass der kurzfristige Rückgang der Nachfrage in den USA während der Finanzkrise in den Jahren 2008 und 2009 keine negativen Effekte auf die Entwicklung des Gesamtmarktes hatte (vgl. C APPATO 2011, S. 6). Nach Erhebungen der Branchenorganisation „Cruise Lines International Association“ (CLIA) stieg die internationale kreuzfahrttouristische Nachfrage im Zeitraum 1990-2015 von 3,8 Millionen auf 22,3 Millionen Passagiere; für die kommenden Jahrzehnte wird ein weiteres Wachstum des Marktes prognostiziert (→ Abb. 9; → Kap. 6.1). <?page no="33"?> Kreuzfahrten: Merkmale - Entwicklung - Bedeutung 34 Abb. 9: Kreuzfahrten als US-amerikanischer Exportartikel - bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts wurde der internationale Kreuzfahrtmarkt weitgehend durch die Nachfrage aus den USA dominiert. Seitdem haben sich Seereisen auch in anderen Ländern zu einer populären Urlaubsreiseart entwickelt - speziell in Deutschland und Großbritannien, aber zunehmend auch in Asien. Das Wachstum des internationalen Kreuzfahrttourismus führte auch zu einer zunehmenden akademischen Beschäftigung mit diesem Phänomen: So ergab eine Auswertung der Einträge im „ISI Web of Knowledge“, dass die ersten Beiträge zu diesem Thema in den Jahren 1983 und 1992 veröffentlicht worden sind. Gegenwärtig finden sich dort Hinweise auf 237 Artikel - bislang allerdings eine geringe Zahl im Vergleich zu Untersuchungen zum Kulturtourismus (3.800), zum nachhaltigen Tourismus (2.500) bzw. zum ländlichen Tourismus (1.700). Inhaltliche Schwerpunkte der wissenschaftlichen Studien zum Kreuzfahrttourismus sind u. a. (vgl. H ULL / L OSEKOOT 2012, S. 74; Z BUCHEA 2015, S. 14; C USANO / F ERRARI / T EI 2017, S. 236): Struktur und Dynamik des Marktes (Akteure, Entwicklungen, Trends etc.), Profil der Zielgruppe (Motive, Aktivitäten, Zufriedenheit, nationalspezifische Unterschiede etc.), Marketing und Management der Reedereien (Markenbildung, Strategien, Qualitätsmanagement etc.), Wirkungen des Kreuzfahrttourismus (Wirtschaft, Gesellschaft, Umwelt etc.), 0 5.000.000 10.000.000 15.000.000 20.000.000 25.000.000 30.000.000 USA Andere Länder Passagiere insgesamt (*Prognose) <?page no="34"?> Bedeutung von Kreuzfahrten auf dem Tourismusmarkt 35 Management und Governance von Häfen und Destinationen (Ausstattung, Besucherlenkung etc.). Aufgrund ihrer großen Bedeutung stand dabei die Karibik lange im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses. In jüngerer Zeit sind auch zahlreiche Fallstudien zum Kreuzfahrttourismus im Mittelmeer, in der Ostsee und vor allem in Asien durchgeführt worden (vgl. L EMMETYINEN 2017, S. 261). 1.3 Bedeutung von Kreuzfahrten auf dem Tourismusmarkt „Kreuzfahrten: Boom ohne Ende“ - unter dieser Schlagzeile berichtete das Magazin „Stern“ im Frühjahr 2015 über aktuelle Entwicklungen der Branche. Sie ist nur ein Beispiel für die breite und überwiegend positive Resonanz, die dieses touristische Marktsegment in den Medien erfährt. Allerdings steht diese große öffentliche Aufmerksamkeit in keinem Verhältnis zur tatsächlichen Bedeutung von Kreuzfahrten auf dem internationalen und deutschen Tourismusmarkt: Im Jahr 2015 belief sich das Volumen der touristischen Nachfrage weltweit auf 1,19 Milliarden Ankünfte; gleichzeitig haben aber nur 23,19 Millionen Urlauber an einer Kreuzfahrt teilgenommen. Damit lag der Marktanteil von Hochseereisen also bei ca. zwei Prozent (zum Vergleich: das Nachfrageaufkommen entsprach der Zahl internationaler Touristenankünfte in Griechenland, das auf Platz 15 aller Staaten rangierte). Auch auf dem deutschen Tourismusmarkt spielen Kreuzfahrten gegenwärtig noch eine geringe Rolle: Insgesamt waren die Bundesbürger im Jahr 2016 mit 68,7 Millionen Reisen sehr reisefreudig, doch nur 2,02 Millionen (2,9 Prozent) haben ihren Urlaub an Bord eines Kreuzfahrtschiffes verbracht (zum Vergleich: in Berlin wurden 12,7 Millionen Ankünfte registriert). Diese relativ geringe quantitative Bedeutung von Kreuzfahrten spiegelt sich auch in der Unterkunftskapazität wider: Weltweit verfügt die Flotte über mehr als 500.000 Betten; allein in der US-amerikanischen Vergnügungsmetropole Las Vegas gibt es ca. 300.000 Betten. Obwohl es sich bei Kreuzfahrten also um einen Nischenmarkt handelt, gibt es mehrere Gründe für den medialen Hype um diese Urlaubsform (vgl. W ILLIS 2009, S. 6-9): Anhaltend hohes Wachstum: In den vergangenen Jahrzehnten verzeichnete der internationale Kreuzfahrtmarkt nahezu doppelt so hohe Wachstumsraten wie der Tourismus generell (vgl. B RIDA / Z APATA 2010a, S. 322). <?page no="35"?> Kreuzfahrten: Merkmale - Entwicklung - Bedeutung 36 Relativ große wirtschaftliche Bedeutung: Trotz seines Nischencharakters spielt das Marktsegment eine wichtige Rolle für die deutschen Reiseveranstalter; sie erzielen ca. 12 Prozent ihres Gesamtumsatzes mit der Vermittlung von Kreuzfahrten. Dabei beschränken sich die ökonomischen Wirkungen nicht nur auf die Tourismusbranche; vielmehr profitieren auch andere Wirtschaftszweige von dieser Nachfrage - speziell die Werften sowie deren vor- und nachgelagerte Unternehmen. Vor diesem Hintergrund können die Interessenverbände dieser Branche regelmäßig eindrucksvolle Erfolgszahlen präsentieren: So stieg z. B. die Wirtschaftsleistung der europäischen Kreuzfahrtindustrie vom Jahr 2013 auf das Jahr 2014 um vier Prozent, während die europäische Wirtschaft im gleichen Zeitraum nur um 0,2 Prozent gewachsen ist (vgl. DRV 2014; → Kap. 5.1). Dynamisches Marktsegment: Angesichts des harten Wettbewerbs und der steigenden Ansprüche der Kunden entwickeln die Reedereien ständig neue Produkte, um sich von den Konkurrenten zu unterscheiden - z. B. mit Schnupperkreuzfahrten sowie mit Freestyle Cruising-, Ship-in-Ship- und All-Inclusive- Konzepten (→ Kap. 4.2). Spektakuläre Schiffsneubauten: Kreuzfahrtschiffe werden immer größer und immer attraktiver - und die Reedereien nutzen bereits die Schiffstaufe dieser „schwimmenden Ferienparks“ für medienwirksame Inszenierungen. Im Juni 2014 engagierte z. B. „TUI Cruises“ die populäre Schlagersängerin Helene Fischer als Taufpatin des Kreuzfahrtschiffes „Mein Schiff 3“. Nach der Zeremonie gab die Künstlerin ein kostenloses Open-Air-Konzert im Hamburger Hafen und zum Abschluss fand ein großes Feuerwerk statt (vgl. H APPEL 2014; → Abb. 10). <?page no="36"?> Bedeutung von Kreuzfahrten auf dem Tourismusmarkt 37 Abb. 10: „Diamant trifft Perle“ - unter diesem Motto fand im Juni 2014 die Taufe des neuen „Mein Schiff 3“ der „TUI Cruises“ statt. Als Patin diente die populäre Schlagersängerin Helene Fischer, die nach der Zeremonie ein kostenloses Open-Air-Konzert im Hamburger Hafen gab. Mit Hilfe solcher Mega-Events gelingt es den Reedereien, eine enorme mediale Resonanz zu erzeugen und immer wieder öffentliche Aufmerksamkeit für ihre Produkte zu erzielen. <?page no="37"?> Kreuzfahrten: Merkmale - Entwicklung - Bedeutung 38 ⚓ Zusammenfassung Bei Kreuzfahrten handelt es sich um mehrtägige (Pauschal-)Schiffsreisen auf Meeren und Flüssen, die zu einer Reihe von Hafenstädten führen. Neben der Route spielen die aufwändig ausgestatteten Schiffe mit ihren vielfältigen Freizeit- und Unterhaltungseinrichtungen zunehmend eine wichtige Rolle. Mit dem Begriff „Kreuzfahrtourismus“ werden alle touristischen Phänomene bezeichnet, die mit einer Kreuzfahrt (als Kernprodukt) in Zusammenhang stehen. Dazu gehören z. B. Dienstleistungen, die von den Passagieren bei der An- und Abreise sowie bei Landgängen in den Hafenstädten in Anspruch genommen werden. Kreuzfahrten sind ein relativ junges touristisches Marktsegment, dessen Geschichte erst Ende des 19. Jahrhunderts beginnt. Als erstes speziell für Kreuzfahrten gebautes Schiff gilt die „Prinzessin Victoria Luise“, die im Jahr 1900 vom Stapel lief. Während der Zeit des Nationalsozialismus wurden staatlich organisierte „Kraft durch Freude“-Kreuzfahrten durchgeführt. Sie dienten vor allem als Propagandainstrumente für einen (angeblichen) „Sozialismus der Tat“: An Bord der klassenlosen Schiffe wurde die egalitäre „Volksgemeinschaft“ inszeniert. Allerdings kam nur ein Bruchteil der deutschen Bevölkerung in den Genuss dieser Seereisen. Ähnliche ideologische Ziele verfolgte auch die Deutsche Demokratische Republik (DDR) mit den Kreuzfahrtschiffen ihrer „Friedensflotte“: Sie galten als Symbole der erfolgreichen „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“ im Sozialismus. Auch in der DDR war die tatsächliche Zahl von Teilnehmern an Kreuzfahrten sehr gering. Seit den 1960er-Jahren gingen die Passagierzahlen im Transatlantikverkehr erheblich zurück - vor allem als Folge der Einführung von Passagierjets und Großraumflugzeugen. Auf der Suche nach neuen Geschäftsfeldern veranstalteten die Reedereien nun zunehmend Kreuzfahrten. Ende der 1960er-Jahre wurden die ersten speziellen Kreuzfahrtreedereien in den USA gegründet. In den folgenden Jahrzehnten konnte die Branche einen enormen Nachfrageboom verzeichnen - zunächst in den USA, später auch in Europa und Asien. Dabei haben populäre TV-Serien eine wichtige (indirekte) Rolle bei der Einführung dieses neuen touristischen Produkts gespielt. <?page no="38"?> Bedeutung von Kreuzfahrten auf dem Tourismusmarkt 39 Trotz der anhaltenden Expansion bleibt der Kreuzfahrttourismus - im Vergleich zu anderen Tourismusarten (Badetourismus, Besichtigungstourismus etc.) - weiterhin ein Nischenmarkt: Er erreicht nur einen Anteil von ca. zwei Prozent am internationalen und knapp drei Prozent am deutschen Tourismus. Allerdings handelt es sich bei Kreuzfahrten um ein außergewöhnliches touristisches Marktsegment: Sie konnten bislang überdurchschnittlich hohe Wachstumsraten verzeichnen und ihnen kommt eine relativ große ökonomische Bedeutung zu - u. a. für Reiseveranstalter und Reisebüros sowie für andere Wirtschaftszweige (Werften, Zulieferer etc.). Außerdem sorgen die Reedereien mit spektakulären Schiffsneubauten immer wieder für eine breite Berichterstattung in den Medien und ein positives Image in der Öffentlichkeit. ⚓ Weiterführende Lesetipps G ROß , S. (2017): Handbuch Tourismus und Verkehr. Verkehrsunternehmen, Strategien und Konzepte, 2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage, Konstanz/ München Die touristische Bedeutung der Schifffahrt und speziell der Kreuzfahrten werden in einem Kapitel des umfangreichen Handbuchs behandelt. Im Mittelpunkt der Darstellung stehen dabei die gesetzlichen Rahmenbedingungen, die Angebots- und Nachfrageseite sowie die Strategien der Kreuzfahrtunternehmen. S CHULZ , A./ A UER , J. (2010): Kreuzfahrten und Schiffsverkehr im Tourismus, München Das Lehrbuch vermittelt einen anschaulichen und detailreichen Überblick über unterschiedliche Aspekte der Passagierschifffahrt - von Hochsee- und Flusskreuzfahrten über Schiffscharter und Fähren bis hin zu Frachtschiffreisen. C HEONG , C. (2013): Appendix A: Annotated Bibliography. - In: World Monuments Fund u. a. (Hrsg.): Harboring Tourism Cruise Ships in Historic Port Communities, New York, S. 124-137 Diese kommentierte Bibliographie enthält zahlreiche Literaturhinweise; besonders hilfreich ist dabei die Strukturierung nach unterschiedlichen Themen (Management und Marketing, wirtschaftliche, ökologische und soziokulturelle Effekte, Sicherheitsaspekte etc.). <?page no="39"?> Kreuzfahrten: Merkmale - Entwicklung - Bedeutung 40 W ALLACE , D. F. (2002): Schrecklich amüsant - aber in Zukunft ohne mich, 2. Auflage, Berlin (marebibliothek; 1) In diesem äußerst unterhaltsamen Bericht schildert der bekannte US-amerikanische Schriftsteller seine persönlichen Erfahrungen an Bord eines Kreuzfahrtschiffes; damit liefert er zugleich eine scharfsinnige und kritische Bestandsaufnahme der westlichen Erlebnisgesellschaften. <?page no="40"?> 2 Der internationale Markt für Kreuzfahrten ⚓ Das Kapitel im Überblick In diesem Kapitel werden folgende Fragen beantwortet: Welche Unternehmensstruktur weist die internationale Kreuzfahrtbranche auf? Wie hat sich die Kreuzfahrtflotte in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt? Welche unterschiedlichen Typen von Kreuzfahrten werden von den Reedereien angeboten? Was sind die spezifischen Merkmale von Kreuzfahrttouristen (soziodemographisches Profil, Motive, Aktivitäten etc.)? Welche wichtigen Organisationen und Initiativen agieren gegenwärtig auf dem Kreuzfahrtmarkt? „Passagiere und Reiseumsatz wachsen zweistellig“ - unter dieser Schlagzeile präsentierte der „Deutsche ReiseVerband“ (DRV) im Frühjahr 2017 die Ergebnisse einer aktuellen Studie zum Kreuzfahrtmarkt. Danach hatten mehr als zwei Millionen Bundesbürger eine Seereise unternommen (+ 11,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr) und die Branche konnte einen Reiseumsatz in Höhe von 3,38 Milliarden Euro erwirtschaften (+ 17,8 Prozent) (vgl. DRV 2017). Ähnlich positive Nachrichten finden sich bislang auch regelmäßig zum internationalen Kreuzfahrtmarkt. Solche Erfolgsmeldungen sind ein deutlicher Beleg für die enorme Dynamik, die dieses touristische Marktsegment aufweist: Sie wird einerseits durch die Angebotsseite bestimmt - also durch die Kreuzfahrtreedereien, deren Unternehmensstruktur, Flottenpolitik und Produktspektrum im Folgenden erläutert wird (→ Kap. 2.1). Zum anderen gibt es auf der Nachfrageseite eine wachsende Zahl von Konsumenten, die sich für diese Urlaubsart interessieren (→ Kap. 2.2). Als Marktteilnehmer sind schließlich auch mehrere Interessengruppen zu nennen, die mit ihren Aktivitäten ökonomische, ökologische bzw. arbeits- und sozialrechtliche Ziele verfolgen. <?page no="41"?> Der internationale Markt für Kreuzfahrten 42 2.1 Die Kreuzfahrtbranche: Struktur und Dynamik „AIDA Cruises“, „MSC Cruises“, „TUI Cruises“, „Costa Crociere“, „Cunard Line“, „Hapag-Lloyd Cruises“ usw. - angesichts der Vielzahl unterschiedlicher Reedereien entsteht bei den Konsumenten der Eindruck, dass es auf dem Kreuzfahrtmarkt eine große Zahl von Unternehmen gibt, zwischen denen ein harter Wettbewerb herrscht. Bei dieser Vorstellung handelt es sich jedoch um eine Schimäre, denn hinter der bunten Vielfalt von Markennamen verbergen sich wenige Konzerne, die ca. 80 Prozent des Marktes kontrollieren: „Carnival Corporation“, „Royal Caribbean Cruises“, „Norwegian Cruise Line Holdings“. Diese oligopolistische Struktur geht auf die 1960erbzw. 1970er-Jahre zurück, als die drei Reedereien speziell mit dem Ziel gegründet wurden, Vergnügungsreisen auf See durchzuführen - vor allem für das US-amerikanische Reisepublikum. Dazu ließen sie neue Schiffe bauen, die mit ihrem multifunktionalen Mix aus Unterkunfts-, Freizeit- und Unterhaltungseinrichtungen einer „Small Floating City“ ähnelten. Diese Kreuzfahrten dauerten zumeist nur eine Woche und führten - von Florida aus - zu Häfen in der Karibik (vgl. D EHOORNE / M URAT / P ETIT -C HARLES 2008, S. 98; → Tab. 1). Konzern/ Reedereien/ Marken Anteil an Passagieren Anteil am Umsatz Carnival Corporation Carnival Cruises Line Costa Crociere Princess Cruises AIDA Cruises Holland America Line P&O Cruises Cunard Line Seabourn Cruise Line 48,1 % 42,2 % <?page no="42"?> Die Kreuzfahrtbranche: Struktur und Dynamik 43 Royal Caribbean Cruises Royal Caribbean International Pullmantur Cruises Azamara Club Cruises Celebrity Cruises Croisières de France (CDF) 23,1 % 22,1 % Norwegian Cruise Line Holdings Norwegian Cruise Line Oceania Cruises Regent Seven Seas Cruises 10,4 % 12,4 % Andere - u. a. MSC Cruises Disney Cruise Line Thomson Cruises TUI Cruises 18,4 % 23,3 % Tab. 1: „Mir san die mehreren, mir san die schwereren“ - mit dieser bayerischen Sentenz lässt sich die oligopolistische Struktur der Kreuzfahrtbranche recht gut beschreiben: Hinter einer Vielzahl von unterschiedlichen Markennamen stehen nur wenige einflussreiche Konzerne. Dabei erreichen die drei wichtigsten Reedereien einen Marktanteil von knapp 77 Prozent des Umsatzes und 80 Prozent der Passagierzahlen. Inzwischen gilt die Kreuzfahrtbranche als Symbol der Globalisierung von Kapital, Arbeit und Ressourcen (vgl. B ULL 1996, S. 31; W OOD 2000, S. 352): Bei den Kreuzfahrtschiffen handelt es sich um mobile Resort-Hotels, die in unterschiedlichen Revieren eingesetzt werden können. Die Reedereien sind deshalb in der Lage, weitaus flexibler auf externe Einflussfaktoren zu reagieren als die Betreiber land- und damit standortgebundener touristischer Einrichtungen - z. B. auf einen Rückgang der Nachfrage als Folge wirtschaftlicher Rezessionen, politischer Krisen, Naturkatastrophen etc. Aufgrund der angespannten Sicherheitslage im östlichen Mittelmeer und im Schwarzen Meer (Türkei, Krim, Syrien) haben z. B. mehrere Reedereien ihre Route geändert; seit 2016 werden einige türkische Häfen (speziell Istanbul) nicht mehr angelaufen (→ Abb. 11; → Kap. 6.1). <?page no="43"?> Der internationale Markt für Kreuzfahrten 44 Abb. 11: Ein Bild aus besseren Zeiten - nach zahlreichen Terroranschlägen haben mehrere Reedereien die türkische Metropole Istanbul im Frühjahr 2016 aus dem Programm gestrichen und durch andere Ziele ersetzt. Als mobile Resort-Hotels können Kreuzfahrtschiffe bei politischen bzw. wirtschaftlichen Krisen jederzeit auf alternativen Routen eingesetzt werden. Nicht zuletzt deshalb sind sie zu Symbolen einer global agierenden Tourismusindustrie geworden. Die Kreuzfahrtindustrie ist ein offenes Geschäftsfeld für internationale Investoren: Im Gegensatz zum traditionellen Tourismussektor mit seiner Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) wird der Kreuzfahrtmarkt von drei Konzernen dominiert, bei denen es sich jeweils um börsennotierte Unternehmen handelt. Angesichts ihres anhaltenden Expansionskurses gilt die Branche aus Sicht von Finanzexperten als „Gelddruckmaschine“ ( boerse. ard.de vom 02.02.2016). Für neue Wettbewerber bestehen hohe Markteintrittsbarrieren - vor allem aufgrund des großen Investitionsbedarfs für den Bau neuer Schiffe. Er übersteigt das Investitionsvolumen typischer Handelsschiffe um ein Mehrfaches, da zeitgemäße Kreuzfahrtschiffe über eine besonders aufwändige Ausstattung verfügen (Kabinen, Freizeit- und Unterhaltungseinrichtungen). Als Superlativ ist das derzeit größte Kreuzfahrtschiff der Welt zu nennen („Harmony of the Seas“), dessen Baukosten sich auf ca. 1,15 Milliarden Euro beliefen. <?page no="44"?> Die Kreuzfahrtbranche: Struktur und Dynamik 45 Die Besatzung stammt in der Regel aus zahlreichen Ländern der Welt: So ist es keine Seltenheit, dass an Bord von Kreuzfahrtschiffen Crewmitglieder aus mehr als 50 Staaten arbeiten. Eine vergleichbare Mischung an Nationalitäten gibt es weltweit wohl nur noch in Luxushotels in den Vereinigten Arabischen Emiraten (→ Kap. 5.3.2). Die Kreuzfahrtschiffe verkehren zumeist unter Billigflaggen (Flags of Convenience). Auf diese Weise können die Reedereien ihre Steuerzahlungen reduzieren und außerdem die strikten arbeits- und umweltrechtlichen Bestimmungen umgehen, die in den Industrieländern auf nationaler Ebene bestehen. ⚓ Wissen │ Billigflaggen (Flags of Convenience) Um die Personalkosten zu reduzieren und den Einsatz der Mitarbeiter möglichst flexibel gestalten zu können, werden die Kreuzfahrtschiffe zumeist in Ländern registriert, die den Reedereien niedrige arbeitsrechtliche Auflagen machen - z. B. hinsichtlich der tariflichen Bestimmungen (Arbeitszeiten, Überstundenregelungen, Lohngruppen, befristete bzw. Kettenverträge). Außerdem unterliegen die Unternehmen dort auch weniger strengen Umweltschutzbestimmungen und müssen niedrigere Steuern entrichten. Einige Staaten zahlen den Reedereien sogar eine direkte finanzielle Unterstützung, um sie zur Registrierung der Kreuzfahrtschiffe in ihrem Land zu bewegen (vgl. B RIDA / Z APATA 2010, S. 223; K LEIN 2013, S. 49). Von den US-amerikanischen Reedereien werden die Bahamas und Panama als Staaten mit solchen Billigflaggen (Flags of Convenience) bevorzugt, während die europäischen Reedereien ihre Schiffe häufig in Zypern und Liberia sowie auf Malta registrieren lassen. Diese Vorgehensweise führt dazu, dass es sich bei der Kreuzfahrtbranche um den am stärksten globalisierten und flexibelsten Arbeitsmarkt aller Wirtschaftszweige weltweit handelt (vgl. T ERRY 2011, S. 663; → Abb. 12). <?page no="45"?> Der internationale Markt für Kreuzfahrten 46 Abb. 12: Zur umstrittenen Praxis der Reedereien gehört die Ausflaggung: Aus Kostengründen werden die Schiffe nicht im nationalen Erstregister der Unternehmen angemeldet, sondern verkehren unter einer Billigflagge. So ist die „Disney Wonder“ der US-amerikanischen „Disney Cruise Line“ z. B. auf den Bahamas registriert, die zu den Flags of Convenience-Staaten zählen. Nach Schätzungen von Experten verkehren ca. 80 Prozent der Kreuzfahrtschiffe unter solchen Billigflaggen - und damit mehr als im Schiffsverkehr generell; dort liegt der Anteil bei ca. 70 Prozent. Von den 27 Kreuzfahrtschiffen, die im Jahr 2017 von deutschen Reedereien betrieben wurden, fuhr kein einziges unter heimischer Flagge (vgl. G RASS 2013; H E- CKING 2017). Neben den drei großen Konzernen gibt es noch weitere Anbieter auf dem Kreuzfahrtmarkt; dazu zählen u. a. (vgl. G ROß 2017, S. 194-195): Schiffseigner (Ship Owner) und Reedereien (Ship Operator, Shipping Company), die neben der Seereise auch den Bordbetrieb und weitere Bereiche des Schiffsbetriebs organisieren; <?page no="46"?> Die Kreuzfahrtbranche: Struktur und Dynamik 47 Seereiseveranstalter (Charterer, Cruise Operator), die Schiffe von Eignern bzw. Reedereien chartern, um Kreuzfahrten anbieten zu können (Vollbzw. Teilcharter von Bettenkapazitäten). 2.1.1 Entwicklung der Kreuzfahrtflotte Immer größer und immer spektakulärer - nach diesem Motto haben die führenden Reedereien in den vergangenen Jahrzehnten agiert. So hatte der Superlativ „Größtes Kreuzfahrtschiff der Welt“ bislang jeweils nur ein kurze Halbwertzeit; ständig sind neue Schiffe vom Stapel gelaufen, die Platz für noch mehr Passagiere bieten: So verfügten z. B. die ersten Schiffe der „Carnival Cruise Lines“ und der „Royal Caribbean International“ über 1.024 bzw. 724 Betten, inzwischen transportieren sie 4.000 bis 6.360 Gäste (vgl. K LEIN 2011, S. 107). Generell stieg die Bettenkapazität im Zeitraum 2008-2014 um 22 Prozent, die Zahl der Kreuzfahrtschiffe hingegen nur um 0,7 Prozent. Aufgrund der aktuellen Auftragslage wird sich dieser Trend in den kommenden Jahren fortsetzen (vgl. P ALLIS 2015, S. 24; → Abb. 13). Abb. 13: Wachstum ohne Ende - so lässt sich die bisherige Entwicklung der Bettenkapazität auf dem internationalen Kreuzfahrtmarkt in den vergangenen Jahrzehnten charakterisieren. Diese enorme Expansion geht weniger auf eine große Erweiterung der Flotte zurück als vielmehr auf den zunehmenden Einsatz von Mega-Schiffen. 294 277 281 270 284 292 296 303 313 318 319 321 372,0 373,4 397,3 404,1 426,3 443,2 454,9 472,2 498,7 511,7 512,6 518,0 0 100 200 300 400 500 600 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016* 2017* 2018* 2019* Zahl der Schiffe (*Prognose) Zahl der Betten (in 1.000; *Prognose) <?page no="47"?> Der internationale Markt für Kreuzfahrten 48 Ziel der Flottenpolitik war es, die Economies of Scale zu nutzen; durch die Erweiterung der Kapazität konnten die Fixkosten pro Passagier (Personal, Treibstoff etc.) gesenkt werden: So verfügen die Mega-Schiffe z. B. über eine viel größere Zahl von Bars, Boutiquen und Casinos als kleinere Schiffe. Damit können die Unternehmen mit einem vergleichsweise geringen Investitions- und Personalaufwand weitaus höhere On Board Revenues erzielen (vgl. W EAVER 2005a, S. 166; → Kap. 4.4.3). Darüber hinaus ließen die Reedereien mehrere Schwesterschiffe nach nahezu gleichen Entwürfen bauen, um die Entwicklungskosten zu minimieren - als Beispiele sind die standardisierten „Grand“-, „Princess“bzw. „Royal“-Klassen der Reederei „Princess Cruises“ zu nennen (vgl. B ULL 1996, S. 32; W EAVER 2005, S. 353). Bereits seit Ende der 1990er-Jahre werden zunehmend Mega-Schiffe der sog. Postpanamax-Klasse eingesetzt: Aufgrund ihrer Größe konnten sie bislang nicht den Panamakanal befahren, dessen Passage durch die Schleusenmaße bestimmt wird. Selbst nach der Erweiterung im Jahr 2016 auf maximal 366 Meter Länge, 49 Meter Breite und 15,2 Meter Tiefgang kann z. B. die „Harmony of the Seas“ - das gegenwärtig größte Kreuzfahrtschiff der Welt - diese Route nicht nutzen, da sie eine Abmessung von 361 Meter Länge und 66,5 Meter Breite aufweist (→ Abb. 14). Abb. 14: Ozeanriesen - diese Bezeichnung trifft tatsächlich auf die Mega-Schiffe zu, die gegenwärtig auf den Weltmeeren verkehren; speziell im Vergleich zur legendären „Titanic“ werden ihre enormen Dimensionen deutlich. Seit der Indienststellung der „Queen Mary 2“ im Jahr 2004 sind sogar noch größere Kreuzfahrtschiffe vom Stapel gelaufen (u. a. die „Harmony of the Seas“, die „Oasis of the Seas“ und die „Allure of the Seas“). Diese Flottenpolitik hat weitreichende Konsequenzen für die Zielgebiete: So verfügen z. B. viele Häfen in der Karibik bislang nur über Kai- und Hafenanlagen für Schiffe bis zu 150 Meter Länge. Um sich im Wettbewerb der Destinationen zu behaupten, müssen sie umfangreiche Investitionen in den Ausbau der Infrastruktur tätigen. <?page no="48"?> Die Kreuzfahrtbranche: Struktur und Dynamik 49 Eine solche Platzierung öffentlicher Mittel wird aber von Wissenschaftlern, Regionalplanern und Tourismusakteuren zunehmend kritisiert, da zahlreiche Studien zu dem Ergebnis gekommen sind, dass der Kreuzfahrttourismus geringere ökonomische Effekte auslöst als landgebundene Formen des Tourismus (vgl. D EHO- ORNE / M URAT / P ETIT -C HARLES 2008, S. 103; → Kap. 5.1.1; 5.1.2). Mit dem Einsatz solcher Mega-Schiffe haben die Reedereien einerseits zu einer Demokratisierung der Kreuzfahrten beigetragen: So galten Kreuzfahrten z. B. lange Zeit als exklusives Once-in-a-lifetime-Produkt, das vor allem von älteren Kunden am Ende ihrer persönlichen Reisebiographie gebucht wurde. Inzwischen ist daraus ein nahezu ubiquitäres Angebot für den Massenmarkt geworden: So handelt es sich bei mehr als 85 Prozent der US-amerikanischen Gäste um Wiederholer, von denen der überwiegende Teil bereits mehr als fünf Seereisen unternommen hat (vgl. E LLIOT / C HOI 2011, S. 41). Andererseits betreiben die Unternehmen mit ihrem Ship-in-Ship-Konzept aber auch eine neue Hierarchisierung des Reisen: Durch die Einführung mehrerer Komfortkategorien (Innen- und Außenkabinen, Suiten, Penthouses etc.) erlebt das Klassen-Konzept der früheren Luxusliner eine Renaissance. An Bord einiger moderner Kreuzfahrtschiffe herrschen nun wieder ähnliche Verhältnisse wie einst auf der „Titanic“ (vgl. R ODRIGUE / N OTTEBOOM 2013, S. 32; → Kap. 4.2.3). Mit ihrer Flottenpolitik ist es den Reedereien gelungen, einen Verkäufermarkt zu schaffen, auf dem sie die Regeln bestimmen: Bislang haben sie nicht auf einen rasanten Anstieg der Nachfrage reagiert, sondern den Markt durch eine kontinuierliche Erweiterung ihrer Angebotskapazität gesteuert, die dann mit Hilfe von kommunikations- und preispolitischen Maßnahmen ausgelastet wird (z. B. Markenbildung/ Branding, Rabatte etc.; → Kap. 4.4). Ein deutlicher Beleg für den Erfolg dieser Strategie ist die ungewöhnlich hohe Auslastungsrate der Kreuzfahrtschiffe: Sie wird auf der Basis von zwei Passagieren pro Kabine berechnet. Da viele Kabinen aber drei und mehr Personen beherbergen können, erreicht sie häufig Werte von mehr als 100 Prozent - in der deutschen Hotellerie liegt die Zimmerauslastung hingegen nur bei ca. 70 Prozent (vgl. P ALLIS 2015, S. 20). 2.1.2 Typen von Kreuzfahrten Auf dem internationalen Kreuzfahrtmarkt hat in den vergangenen Jahrzehnten nicht nur ein enormes Wachstum stattgefunden, sondern auch eine zunehmende Differenzierung des Angebots. Gegenwärtig können mehrere Typen von Kreuzfahrten unterschieden werden (die sich inhaltlich teilweise überschneiden); üblicherweise erfolgt eine Typisierung hinsichtlich folgender Merkmale (vgl. G ROSS / L ÜCK 2011, S. 64 zu unterschiedlichen Segmentierungs- und Klassifizierungsansätzen): <?page no="49"?> Der internationale Markt für Kreuzfahrten 50 Reviere und Routen, Schiffsgrößen, Produktgestaltung. 2.1.2.1 Typisierung nach Revieren und Routen Grundsätzlich handelt es bei Kreuzfahrten um wassergebundene Vergnügungsreisen, die entweder auf Meeren oder auf Binnengewässern unternommen werden. Entsprechend wird zunächst zwischen Hochsee- und Flusskreuzfahrten differenziert; diese beiden Typen unterscheiden sich auch hinsichtlich der Konstruktion der Schiffe (Größe, Tiefgang etc.), der Fahrtzeiten und Landausflüge sowie des Unterhaltungsprogrammes an Bord - und damit auch der touristischen Zielgruppen: Hochseekreuzfahrten finden auf den großen Ozeanen statt - also dem Atlantik, dem Pazifik, dem Indik, dem Arktischen bzw. Antarktischen Ozean. Weitere Reviere sind die sog. Nebenozeane - das Chinesische und Japanische Meer, die Karibik, die Nord- und Ostsee, das Mittelmeer, das Schwarze Meer sowie das Rote Meer. Flusskreuzfahrten werden weltweit auf großen Wasserstraßen angeboten: In Europa z. B. auf dem Rhein, der Donau, der Elbe und dem Dnjepr, in Afrika auf dem Nil, in Asien auf dem Yangzi (China), dem Mekong (Vietnam, Thailand, Kambodscha) und dem Irrawaddy (Myanmar), in den USA auf dem Mississippi sowie in Südamerika auf dem Amazonas. Darüber hinaus wird bei den Hochseekreuzfahrten eine Unterscheidung hinsichtlich der Route vorgenommen (vgl. S CHULZ / A UER 2010, S. 96-97): Turnuskreuzfahrten verkehren regelmäßig auf einer gleichen Rundreiseroute durch das jeweilige Revier - z. B. im westlichen Mittelmeer vom italienischen Savona nach Marseille, Barcelona, Palma de Mallorca, Civitavecchia, La Spezia und wieder zurück nach Savona. Schmetterlingskreuzfahrten sind eine Kombination von zwei Turnuskreuzfahrten, die in regelmäßigem Wechsel auf zwei unterschiedlichen Routen von einem Basishafen (Home Port) aus gefahren werden - z. B. von Fort Lauderdale (Florida) zunächst in die östliche Karibik (Nassau/ Bahamas, Charlotte Amalie/ St. Thomas, Philipsburg/ St. Maarten) und nach einem Stopp im Heimathafen in die westliche Karibik (Labadee/ Haiti, Falmouth/ Jamaica, Cozumel/ Mexiko). Positionierungskreuzfahrten bzw. Transreisen werden dazu genutzt, Schiffe aus saisonalen Gründen von einem Zielgebiet in ein anderes zu verlegen - z. B. im Frühjahr von La Romana (Dominikanische Republik) über Montego Bay (Jamaica), Bridgetown (Barbados), Funchal (Madeira), Gibraltar und <?page no="50"?> Die Kreuzfahrtbranche: Struktur und Dynamik 51 Barcelona nach Palma de Mallorca. Von dort aus finden dann während der Sommermonate Turnusbzw. Schmetterlingskreuzfahrten statt. Ziel der Positionierungskreuzfahrten ist es, die vorhandene Kapazität der Reedereien das ganze Jahr über optimal auszulasten (vgl. B ULL 1996, S. 32; → Kap. 3). Freies Routing - also eine einmalige Rundreiseroute - wird vor allem bei Weltreisen eingesetzt, die von einem Hafen aus mehrere Monate rund um den Globus führen (z. B. von Southampton nach Portugal, Südafrika, Mauritius, Australien, China, Japan, Thailand, in die Vereinigten Arabischen Emirate und zurück nach Großbritannien). Bei diesen Kreuzfahrten können die Passagiere entweder an der gesamten Reise teilnehmen oder Teilstrecken buchen (→ Abb. 15). Abb. 15: „Die Reise Ihrer Träume“ - unter diesem Motto hat die Reederei „United American Lines“ bereits in den 1920er-Jahren Kreuzfahrten rund um den Globus angeboten. Von New York aus führten sie über Madeira in das Mittelmeer. Anschließend wurden zahlreiche Häfen in Asien angelaufen, bevor die SS „Resolute“ Hawaii ansteuerte und dann durch den Panama-Kanal zurückkehrte. Solche Weltreisen sind ein typisches Beispiel für ein freies Routing. <?page no="51"?> Der internationale Markt für Kreuzfahrten 52 2.1.2.2 Typisierung nach Schiffsgrößen Eine weitere Differenzierung des Kreuzfahrtmarktes kann hinsichtlich der Schiffsgröße bzw. der Passagierzahl vorgenommen werden; speziell bei dieser Typisierung besteht eine inhaltliche Schnittstelle zur Produktgestaltung der Kreuzfahrten. Dabei gilt die Faustregel: Bei kleineren Schiffen spielen die Zielgebiete sowie die hohen Ausstattungs- und Servicestandards eine zentrale Rolle, bei größeren Schiffen hingegen Fun, Entertainment und zwanglose Geselligkeit (→ Kap. 4.4.1). Für diese Typisierung der Kreuzfahrtschiffe gibt es keine einheitlichen Standards. Unabhängig von der jeweiligen Abgrenzung können aber mehrere Größenkategorien unterschieden werden (vgl. F REYER / J ANS 2016, S. 30): Boutique-Schiffe für max. 200 Passagiere: Dabei handelt es sich um kleine, wendige Schiffe, die vor allem für Studien- und Expeditionskreuzfahrten eingesetzt werden. Sie können auch Häfen anlaufen und in Küstenzonen vordringen, die größeren Kreuzfahrtschiffen aufgrund des Tiefgangs und der notwendigen Hafeneinrichtungen verwehrt bleiben (vgl. S UCHANEK 2002, S. 35; B ARRON / G REENWOOD 2006). Als Beispiel ist die „Silver Discoverer“ zu nennen, die im asiatischen Raum verkehrt: Für die 128 Passagiere steht u. a. ein Team von Experten zur Verfügung, die von der britischen „Royal Geographical Society“ geschult worden ist; sie halten Fachvorträge an Bord und veranstalten natursowie kulturkundliche Landausflüge. Mittelgroße Schiffe für 200 bis 500 Passagiere: Diese Schiffe bieten zumeist ein hochwertiges Ambiente. Aufgrund des eingeschränkten Unterhaltungsprogramms werden sie weniger von jüngeren Gästen und Familien genutzt, sondern überwiegend von einem älteren Publikum, das Wert auf Qualität und Service legt (z. B. ein Galadiner). Auch diese Schiffe verkehren zumeist auf ausgefallenen Routen, da sie in kleineren und unbekannteren Häfen anlegen können; dort wird den Urlaubern ein breites Programm an Landausflügen geboten. Beispiele für diesen Schiffstyp sind u. a. die „MS Europa“ der „Hapag-Lloyd Cruises“ und die „Silver Whisper“ der „Silversea Cruises“. Große Schiffe für 500 bis 1.200 Passagiere: Die Ausstattung ist nicht so luxuriös wie die kleinerer Schiffe und nicht so vielfältig wie die größerer Schiffe. So verfügen sie z. B. über relativ kleine Kabinen und wenige Balkonkabinen sowie ein eingeschränktes Angebot an Pools, Fitnessräumen, Wellnessbereichen etc. Zu den Vorteilen von Schiffen wie der „Prinsendam“ („Holland America Line“) und der „Pacific Princess“ („Princess Cruises“) zählen u. a. ein günstiges Preis-Leistungs-Verhältnis und hochwertige Landausflüge zu ungewöhnlichen Zielen. <?page no="52"?> Die Kreuzfahrtbranche: Struktur und Dynamik 53 Sehr große Schiffe für 1.200 bis 2.500 Passagiere: Mit ihren zahlreichen Freizeiteinrichtungen und ihrem umfangreichen Unterhaltungsprogramm sprechen sie ein breites Publikum an - von Senioren über Paare mittleren Alters (Empty Nester) bis hin zu Familien. Für die Kinder gibt es spezielle Animations- und Betreuungsangebote und für die Erwachsenen Bars, Nachtclubs, Casinos etc. Aufgrund ihrer Größe laufen Schiffe wie die „AIDAbella“ („AIDA Cruises“) oder die „Brilliance of the Seas“ („Royal Caribbean International“) überwiegend Standardhäfen an; dort können die Passagiere an Landausflügen zu den üblichen touristischen Sehenswürdigkeiten teilnehmen. Abb. 16: Die „Allure of the Seas“ zählt zu den Mega-Schiffen: Auf 16 Decks bietet sie Platz für 6.300 Passagiere und 2.100 Crewmitglieder. Dieser Schiffstyp weist große Ähnlichkeiten mit kommerziellen Erlebnis- und Konsumwelten an Land auf. Zu den Attraktionen gehören ein „Central Park“ mit 12.000 echten Bäumen, eine Eislaufbahn sowie eine große Bühne, auf der Musicals und Shows präsentiert werden. Mega-Schiffe bzw. Giga-Schiffe für mehr als 2.500 Passagiere: „Das Schiff ist das Ziel“ - so lassen sich Funktion und Ausstattung dieser Kreuzfahrtschiffe am besten beschreiben. Aus Sicht der zumeist jüngeren Gäste (darunter viele Familien) spielt das vielfältige Entertainment-Angebot eine weitaus größere Rolle als die Route und die angelaufenen Häfen (entsprechend standardisiert sind auch die Ziele der Landausflüge). Bei Schiffen wie der „Allure of the Se- <?page no="53"?> Der internationale Markt für Kreuzfahrten 54 as“ („Royal Caribbean International“) oder der „Celebrity Reflection“ („Celebrity Cruises“) handelt es sich um schwimmende Resort-Hotels bzw. Erlebnis- und Konsumwelten - also um multifunktionale und erlebnisorientierte Urlaubseinrichtungen mit zahlreichen Kabinentypen (speziell auch Balkonkabinen), Restaurants, Shops, Pools, Wasserrutschen, Golfplätzen etc. Aufgrund ihrer enormen Unterkunftskapazität und ihres umfassenden Unterhaltungsangebots treten diese Marine Resorts durchaus als Konkurrenten ähnlicher Destinationen an Land auf - z. B. Cancún (Mexiko), Orlando (Florida) bzw. Las Vegas (Nevada) (vgl. B RIDA / Z APATA 2010, S. 215; R ODRI- GUE / N OTTEBOOM 2017; → Abb. 16). 2.1.2.3 Typisierung nach Produktgestaltung Schließlich lässt sich das Angebot auf dem internationalen Kreuzfahrtmarkt noch hinsichtlich der Produktgestaltung differenzieren, die in engem Zusammenhang mit der Größe der Schiffe steht; dabei können folgende Typen unterschieden werden (vgl. P UMPA 2012, S. 39-41): Die klassischen Kreuzfahrten werden vorrangig mit Boutiquesowie kleinen und mittelgroßen Schiffen durchgeführt, die Erlebniskreuzfahrten (Contemporary Cruises) mit großen und Mega-Schiffen für mehr als 2.000 Passagiere. Beide Typen dienen vorrangig der allgemeinen Erholung und Entspannung; zugleich weisen sie aber hinsichtlich zahlreicher Merkmale deutliche Unterschiede auf (→ Tab. 2 mit einer vergleichenden Darstellung). Kriterium Klassische Kreuzfahrten Erlebniskreuzfahrten Schiffsgröße Obergrenze bisher bei 700-1.000 Betten; im preiswerteren Segment jedoch auch Zuwachstendenz groß und wachsend; neue Schiffe kaum unter 2.000 Betten Qualität/ Service höchste Qualität; Verhältnis Passagiere zu Crew (Pax/ Crew Ratio) ca. 1,5 : 1 hohe Qualität; Verhältnis Passagiere zu Crew (Pax/ Crew Ratio) 2,5 : 1 Routen hoher Anteil längerer Reisen überwiegend kurz; standardisiert; keine thematische Ausrichtung Grundpreise hoch niedrig <?page no="54"?> Die Kreuzfahrtbranche: Struktur und Dynamik 55 Bedeutung der Ausgaben an Bord für die Preiskalkulation der Reederei wichtig, aber sekundär für die Preiskalkulation der Reedereien entscheidend Programmangebot an Bord großes Informationsangebot; relativ unaufdringliches Entertainment breites Unterhaltungsangebot; kleineres Informationsangebot Ausflugsangebot in den Stopover Ports umfassendes Angebot relativ zur Zahl der Passagiere nicht sehr umfassend Motive und Merkmale der Passagiere im Schnitt älter und relativ gut informiert; das Schiff spielt eine zentrale Rolle; zugleich aber hohes Interesse am Fahrtgebiet und Ausflugsangebot im Schnitt jünger, auch Familien; relativ geringes Interesse am Fahrtgebiet; Schiff ist das Urlaubsziel Tab. 2: Im Kreuzfahrtmarkt lassen sich (stark vereinfacht) zwei Produkttypen unterscheiden - zum einen die klassischen Kreuzfahrten, mit denen ein älteres, gut situiertes und reiseerfahrenes Publikum angesprochen wird. Zum anderen haben die Reedereien neue Formen von erlebnisorientierten Kreuzfahrten entwickelt, um jüngere Zielgruppen als Gäste zu gewinnen (u. a. auch Familien). Zu den Besonderheiten von Themenkreuzfahrten gehört das jeweilige Thema, unter dem die Route, das Bordprogramm bzw. die Landgänge stehen; so gibt es u. a. Golf-, Garten-, Wein-, Gourmetbzw. Musikkreuzfahrten (vgl. E LZE 2010; K IZIELEWICZ 2013a). Unter dem Motto „Meer & Musik“ fand z. B. im Sommer 2016 an Bord der „Mein Schiff 6“ der „TUI Cruises“ eine Reise durch das westliche Mittelmeer statt, bei der die „Wiener Philharmoniker“ mehrere Kammerkonzerte an Bord und zwei Galakonzerte in Florenz und Barcelona gaben; außerdem konnten die Gäste an öffentlichen Proben der Musiker teilnehmen. Ähnliche Musikkreuzfahrten sind bereits in früheren Jahren für Freunde der Rockmusik organisiert worden - u. a. mit einem „Rockliner“, auf dem Udo Lindenberg auftrat, und einer „Full Metal Cruise“ für Heavy Metal-Fans (vgl. F RÖHLICH 2013; D EYHLE 2017; → Kap. 6.2.1). Die Route von Studienkreuzfahrten wird durch die kulturellen und historischen Sehenswürdigkeiten definiert, die im Verlauf der Reise von den Teilnehmern besichtigt werden (damit entsprechen diese Angebote den landgebundenen Studienreisen). So hat z. B. der deutsche Reiseveranstalter „Biblische Reisen“ im Jahr 2016 eine Kreuzfahrt mit der „Hamburg“ zum Thema „Rund um die <?page no="55"?> Der internationale Markt für Kreuzfahrten 56 Britischen Inseln“ angeboten, bei der u. a. ein Besuch bedeutender Kathedralen in Canterbury, London, Dublin, Durham etc. auf dem Programm stand. Expeditionskreuzfahrten führen zumeist in spektakuläre Naturlandschaften, in denen es aufgrund ihrer Abgelegenheit bzw. Unwirtlichkeit keine touristische Infrastruktur gibt - z. B. in die Arktis und Antarktis, nach Alaska und auf die Galápagos-Inseln (Ecuador). Diese Reisen werden mit Boutique-Schiffen bzw. kleinen Schiffen unternommen, die für diese Gewässer besonders geeignet sind; an Bord findet eine qualifizierte fachliche Information und Betreuung der Gäste statt. Abb. 17: Mit dem Großsegler „Sea Cloud“ finden regelmäßig Kreuzfahrten auf Routen in der Karibik sowie im Mittelmeer statt. Die eindrucksvolle Viermastbark wurde im Jahr 1931 als größte und teuerste Privatsegelyacht der Welt gebaut. Beim Umbau zu einem Luxuskreuzfahrtschiff ließen die Eigner die Innenausstattung originalgetreu restaurieren - mit wertvollen Antiquitäten, imposanten Kaminen und goldenen Wasserhähnen in den Marmorbädern. <?page no="56"?> Die Kreuzfahrtbranche: Struktur und Dynamik 57 Bei den Großseglerkreuzfahrten handelt es sich um luxuriöse Seereisen an Bord historischer bzw. neu erbauter (Motor-)Segelyachten, die hinsichtlich ihrer Größe als Boutique-Schiffe bzw. kleine Schiffe einzustufen sind (einige bieten Platz für mehr als 370 Passagiere). Beliebte Reviere sind die Karibik und das Mittelmeer; im Rahmen von Positionierungskreuzfahrten finden aber auch häufig Atlantiküberquerungen statt. Als Beispiele für solche zeitgemäß ausgestatteten Großsegler sind u. a. die „Club Med 2“, die „Royal Clipper“, die „Star Clipper“ und die „Sea Cloud“ zu nennen (vgl. P RANIĆ / M ARUŠIĆ / S EVER 2013 mit einer Studie zu Kurzkreuzfahrten mit kleinen Motorseglern in kroatischen Gewässern; → Abb. 17). Frachtschiffbzw. Frachterreisen stellen eine Sonderform der Kreuzfahrten dar: Sie werden nicht mit Schiffen durchgeführt, die speziell für Vergnügungsreisen konzipiert sind. Als Transportmittel fungieren vielmehr Frachtschiffe (Stückgutfrachter, Containerbzw. Kühlschiffe), die einigen Passagieren Unterkunfts- und Verpflegungsmöglichkeiten bieten. Deshalb sind diese Reisen hinsichtlich Ausstattung, Komfort und Service nicht mit den üblichen Kreuzfahrten zu vergleichen. Der Verlauf der Route und die Liegezeiten in den Häfen orientieren sich nicht an touristischen Interessen, sondern erfolgen ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Beförderung von Ladung (vgl. G ROSS / L ÜCK 2011, S. 67). An Bord der Frachtschiffe erhalten die Passagiere auch einen Einblick in den beruflichen Alltag von Seeleuten. Als touristisches Produkt sind sie deshalb mit den „Urlaub auf dem Bauernhof“-Angeboten zu vergleichen, bei denen die Gäste ebenfalls eine ungewohnte Arbeitswelt (zumindest teilweise) kennenlernen. In Deutschland gibt es ca. 50 Reedereien und 150 bis 200 Schiffe, die entsprechende Reisen entweder direkt oder über Spezialveranstalter anbieten; die Zahl der Passagiere beläuft sich auf ca. 5.000/ Jahr. <?page no="57"?> Der internationale Markt für Kreuzfahrten 58 ⚓ Wissen │ Organisationen und Initiativen im Kreuzfahrttourismus Im Kreuzfahrttourismus agieren - wie in anderen Bereichen der Wirtschaft und Gesellschaft - zahlreiche Interessenvertretungen, die jeweils unterschiedliche ökonomische, soziale bzw. ökologische Ziele verfolgen. Einige dieser Organisationen und Initiativen werden im Folgenden exemplarisch vorgestellt (vgl. auch G ROß 2017, S. 189-194). Organisationen der Kreuzfahrtbranche Bei der „Cruise Lines International Association“ (CLIA) handelt es sich um einen weltweiten Zusammenschluss von 60 Reedereien, die mehr als 95 Prozent der gesamten Kreuzfahrtkapazität repräsentieren. Zu den Mitgliedern zählen außerdem 300 Partnerunternehmen (Zulieferer, Hafenverwaltungen etc.) sowie 15.000 Reisebüros. Die CLIA verfügt über Vertretungen in 15 Ländern und veröffentlicht regelmäßig Daten sowie Studien zur wirtschaftlichen Bedeutung des Kreuzfahrttourismus in den wichtigen Revieren bzw. in einzelnen Quellmärkten (vgl. CLIA 2015, 2015a, 2016, 2016a; www.cruising.org; www.cruiseforward.org ). Die „Florida-Caribbean Cruise Association“ (FCCA) vertritt die Interessen von 19 Reedereien, die mehr als 100 Kreuzfahrtschiffe in den Gewässern Floridas, Lateinamerikas und der Karibik betreiben. Zu den Aufgabengebieten der FCCA gehören - neben der Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit - auch die Forschung sowie die Durchführung von Workshops für Crewmitglieder, Gästeführer etc. (vgl. FCCA 2014, 2017; www.f-cca.com ). „MedCruise“ wurde im Jahr 1996 gegründet - als Kooperationsprojekt von Hafenstädten, Destination Management Organisationen etc. im Mittelmeerraum. Ziel der Organisation ist es, den Kreuzfahrttourismus in dieser Region zu fördern, die Zusammenarbeit zwischen den Partnern zu verbessern und die Interessen der Branche gegenüber der Politik zu vertreten. Zu diesem Zweck veröffentlicht „MedCruise“ regelmäßig Statements, Statistiken, Handbücher etc. (vgl. MedCruise 2017; www.medcruise.com ). Ähnliche Ziele verfolgt das regionale Marketing-Netzwerk „Cruise Baltic“, in dem sich Reedereien und Städte aus acht Anrainerländern der Ostsee zusammengeschlossen haben (vgl. M OODY 2016; www.cruisebaltic.com ). <?page no="58"?> Die Kreuzfahrtbranche: Struktur und Dynamik 59 Information, Wissensaustausch und Forschung zählen zu den Arbeitsgebieten der „Association Internationale Villes et Portes“ (AIVP), in der zahlreiche öffentliche und private Hafenbetreiber aus vielen Ländern zusammenarbeiten - u. a. auch im Bereich des Kreuzfahrttourismus ( www.aivp.org ). Arbeits- und sozialrechtliche Organisationen Die „International Labour Organization“ (ILO) setzt sich bereits seit 1919 für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen von abhängig Beschäftigten ein. Während einer internationalen ILO-Konferenz wurde im Jahr 2006 die „Maritime Labour Convention“ (MLC) verabschiedet, in der arbeits- und sozialrechtliche Mindeststandards für Seeleute formuliert wurden ( www.ilo.org ). Die „International Transport Workers’ Federation“ (ITF) ist ein internationaler Dachverband, der 700 Mitgliedsorganisationen in 150 Ländern hat und die Interessen von 4,5 Millionen Transportarbeitern vertritt - u. a. auch der Crewmitglieder von Kreuzfahrtschiffen ( www.itfglobal.org ). Umweltorganisationen, -stiftungen und -initiativen Die „Lighthouse Foundation“ wurde im Jahr 2000 als „Stiftung für die Meere und Ozeane“ in Hamburg mit dem Ziel gegründet, eine nachhaltige Nutzung und Entwicklung der marinen Umwelt zu fördern. Zu diesem Zweck publiziert sie z. B. regelmäßig Studien zum Kreuzfahrttourismus - speziell in der Arktis und Antarktis ( www.lighthousefoundation.org) . Bei dem „Naturschutzbund Deutschland“ (NABU) handelt es sich um eine nationale nicht-staatliche Umweltschutzorganisation. Seit einigen Jahren führt sie jährlich ein Kreuzfahrt-Ranking durch, bei dem sie die Reedereien hinsichtlich ihres umweltverträglichen Handelns bewertet ( www.nabu.de ; → Kap. 5.2.5). Ein ähnliches Ranking wird auch von der Organisation „Friends of the Earth International“ (FoE) erstellt - einem internationalen Dachverband von Umweltschutzorganisationen aus 76 Ländern ( www.foei.org ; → Kap. 5.2.5). <?page no="59"?> Der internationale Markt für Kreuzfahrten 60 2.2 Die Kreuzfahrttouristen: Profil - Motive - Aktivitäten Baseball Cap, Bermuda Shorts, Hawaii-Hemd und Kamera - das (scheinbar) typische Outfit nordamerikanischer Touristen ist längst zum festen Bestandteil von Karikaturen und sogar Kunstobjekten geworden. Diese gängigen Freizeit- und Urlaubsaccessoires könnten auch problemlos dazu genutzt werden, das klischeeartige Bild eines typischen Kreuzfahrtpassagiers zu zeichnen - denn bei mehr als der Hälfte dieser Urlauber handelt es sich um Nordamerikaner (vgl. S CIOZ- ZI / P OLETAN J UGOVIĆ / J UGOVIĆ 2015, S. 10; → Abb. 18). Obwohl die erste Kreuzfahrt mit einem speziell gebauten Schiff von der deutschen „Hamburg-Amerikanischen Packetfahrt-Actien-Gesellschaft“ (HAPAG) im Jahr 1891 durchgeführt wurde, haben sich Vergnügungsreisen auf hoher See seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zunächst zu einer charakteristischen Urlaubsart des „American Way of Life“ entwickelt (und sind erst später von den Europäern reimportiert worden). Abb. 18: „America First! “ - dieser politische Slogan gilt auch für die internationale Kreuzfahrtbranche. Trotz eines sinkenden Marktanteils kam im Jahr 2015 mehr als die Hälfte aller Passagiere aus den USA und Kanada. Hingegen spielen Europa und Asien/ Pazifik mit 25,9 Prozent bzw. 12,7 Prozent eine deutlich geringere Rolle als Herkunftsregionen der Urlauber. 64,5% 24,3% 6,7% 4,4% 0,1% 58,7% 25,9% 12,7% 2,5% 0,2% 0,0% 10,0% 20,0% 30,0% 40,0% 50,0% 60,0% 70,0% Nordamerika Europa Asien/ Pazifik Südamerika Mittlerer Osten/ Afrika 2007 2015 <?page no="60"?> Die Kreuzfahrttouristen: Profil - Motive - Aktivitäten 61 Allerdings verstellt das grobe Touristen-Klischee den Blick für die Vielfalt an unterschiedlichen Erwartungen und Verhaltensweisen dieser Zielgruppe, die in diesem Kapitel dargestellt werden sollen. Im Einzelnen geht es dabei um folgende Merkmale von Kreuzfahrttouristen: das soziodemographische Profil (→ Kap. 2.2.1), die Reisemotive (→ Kap. 2.2.2), die Urlaubsaktivitäten (→ Kap. 2.2.3), die Wiederbesuchsabsicht (→ Kap. 2.2.4), die Urlaubszufriedenheit (→ Kap. 2.2.5), die unterschiedlichen Typen von Passagieren (→ Kap. 2.2.6). 2.2.1 Soziodemographische Merkmale „Auf Kreuzfahrten trifft man vor allem Rentner“ - diese Vorstellung gehört zu den (immer noch) weit verbreiteten Irrtümern über die Altersstruktur von Kreuzfahrttouristen. Das angestaubte Image basiert auf Bildern und Berichten über die frühen Seereisen, bei denen an Bord der Schiffe ein älteres Publikum dominierte und eine förmliche Atmosphäre herrschte - mit einem strikten Dresscode in den Restaurants und dem traditionellen Ritual des Captain’s Diner (vgl. N EUMEIER 2014). Allerdings haben die Reedereien mit innovativen Konzepten dazu beigetragen, dass das Durchschnittsalter der Passagiere in den vergangenen zwei Jahrzehnten deutlich gesunken ist - z. B. speziell durch die Erlebniskreuzfahrten (Contemporary Cruises) auf Mega-Schiffen und die Ansprache jüngerer Zielgruppen (vgl. D EHOORNE / M URAT / P ETIT -C HARLES 2008, S. 98): So ging z. B. das durchschnittliche Alter der Kreuzfahrttouristen in den USA bereits im Zeitraum 1989-2008 von 60 auf 52 Jahre zurück. Auf dem deutschen Hochseekreuzfahrtmarkt lag es im Jahr 2016 bei 49,1 Jahren (→ Abb. 19). <?page no="61"?> Der internationale Markt für Kreuzfahrten 62 Abb. 19: Attraktiv, dynamisch und erlebnisreich - mit spektakulären Schiffsneubauten ist es den Reedereien gelungen, das altbackene Image der Branche grundlegend zu verändern und ein jüngeres Reisepublikum anzusprechen. Auf dem deutschen Quellmarkt für Kreuzfahrten war z. B. im Jahr 2016 mehr als die Hälfte der Passagiere nicht älter als 55 Jahre. 2.2.2 Reisemotive „Seemann, Deine Heimat ist das Meer, deine Freunde sind die Sterne. ... Deine Liebe ist Dein Schiff, Deine Sehnsucht ist die Ferne“ - der Evergreen aus den 1960er-Jahren ist nur ein Beispiel für die neoromantische Verklärung des Meeres und der Seefahrt in populären Schlagertexten, aber auch in Spielfilmen und TV-Serien. Das Vertraute hinter sich lassen und zu neuen Ufern aufbrechen - diese Mischung aus Eskapismus und Neugier spielt auch in der Motivstruktur der Kreuzfahrttouristen eine zentrale Rolle. Ihre Reiseentscheidung wird zum einen durch intrinsische Push-Faktoren bestimmt (also persönliche bzw. soziale Beweggründe), zum anderen durch extrinsische Pull-Faktoren (also kulturelle und touristische Attraktionen). Als wichtige Push-Faktoren bzw. Weg-von-Motive sind zu nennen (vgl. A NDRIOTIS / A GIOMIRGIANAKIS 2010; T EYE / P ARIS 2011): Flucht aus dem Alltag (frei sein, keinen Stress haben, physische und psychische Entspannung und Erholung etc.); Kostenüberlegungen (All-Inclusive-Angebote nutzen, möglichst viel in kurzer Zeit sehen etc.). Zu den spezifischen Pull-Faktoren bzw. Hin-zu-Motiven zählen u. a. die Route mit den unterschiedlichen Häfen sowie der Aufenthalt an Bord der Schiffe; dabei unter 15 Jahre 9,2 % 15-25 Jahre 5,9 % 26-40 Jahre 12,4 % 41-55 Jahre 28,2 % 56-65 Jahre 21,8 % 66-75 Jahre 16,3 % über 75 Jahre 6,2 % <?page no="62"?> Die Kreuzfahrttouristen: Profil - Motive - Aktivitäten 63 stehen folgende Erwartungen im Vordergrund (vgl. H UNG / P ETRICK 2011, S. 390; B AKER 2014, S. 40; E ISELE 2017, S. 127): Kennenlernen anderer Länder und Kulturen/ neue Eindrücke (das eigene Wissen erweitern, historische Stätten, Kulturdenkmale und Museen besuchen, ungewöhnliche Erfahrungen machen etc.); Komfort und Bequemlichkeit (die luxuriöse Ausstattung und den Service an Bord genießen, sich verwöhnen lassen etc.); Geselligkeit und Anerkennung (neue Leute kennenlernen, Zeit mit der Familie verbringen, etwas Besonderes unternehmen, um das Selbstwertgefühl zu steigern und Andere zu beeindrucken etc.); Shopping (luxuriöse Waren an Bord bzw. typische lokale Produkte bei den Landgängen kaufen etc.); Entertainment (Spaß, Freude und Vergnügen haben, sich unterhalten lassen etc.). Abb. 20: Rückkehr in eine vertraute Umgebung - der Reiz von Kreuzfahrten besteht aus der Kombination von Tagen auf hoher See und Landgängen, bei denen die Passagiere andere Länder kennenlernen können. Dabei dient das Schiff als typische Tourist Bubble: Es bietet den Gästen das Gefühl der Sicherheit in der Fremde (hier kehren die Urlauber nach dem Landausflug auf die „Celebrity Century“ und die „Rotterdam“ zurück). <?page no="63"?> Der internationale Markt für Kreuzfahrten 64 Darüber hinaus bieten die Kreuzfahrtschiffe - als schwimmende Resort-Hotels - den Passagieren in fremden Ländern eine sichere und vertraute Umgebung (Environmental bzw. Tourist Bubble), die sie allenfalls für Ausflüge in unbekannte Städte und Regionen verlassen. Dieser Sicherheitsaspekt hat sowohl einen großen Einfluss auf die Reisemotivation und die Reiseentscheidung als auch auf die Reisezufriedenheit (vgl. A NDRIOTIS / A GIOMIRGIANAKIS 2010, S. 10; T ARLOW 2012, S. 16; → Abb. 20). Unter soziologischen Aspekten handelt es sich beim Kreuzfahrttourismus also um eine besonders isolierte Form des Reisens (vgl. W EAVER 2005a): Den größten Teil der Reise verbringen die Passagiere an Bord der Schiffe und selbst während ihrer Landgänge landen sie häufig wieder in einer Tourist Bubble. Angesichts des knappen Zeitbudgets halten sie sich überwiegend in den hafennahen Stadtvierteln auf, die über eine entsprechende touristische Infrastruktur verfügen (und ihnen damit auch ein Gefühl der Vertrautheit bieten). So kam eine Untersuchung im mexikanischen Zihuatanejo zu dem Ergebnis, dass die Mehrzahl der Passagiere dort Shops, Cafés und Restaurants an der Strandpromenade besuchte. Nur wenige Urlauber verließen diesen Bereich und erkundeten auch entlegenere Stadtteile, die kaum touristisch geprägt sind (vgl. J AAKSON 2004, S. 51-52). Vor diesem Hintergrund erhalten die Gäste nur einen recht oberflächlichen Eindruck von den Destinationen - speziell im Gegensatz zu Kulturtouristen, die sich intensiv mit der Geschichte und Kultur ihrer Urlaubsregion beschäftigen, bzw. zu Rucksackreisenden, die sich häufig mehrere Wochen oder Monate in einem Land aufhalten. In einer Fallstudie im mittelamerikanischen Belize gaben z. B. 77 Prozent der Kreuzfahrtpassagiere an, dass sie keinen näheren Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung gehabt hätten; bei den landgebundenen Übernachtungsgästen belief sich dieser Wert hingegen nur auf zehn Prozent (vgl. D IEDRICH 2010, S. 240; auch J ONES 2011, S. 35 zum geringen Interesse von Passagieren an Begegnungen mit der lokalen Bevölkerung). 2.2.3 Urlaubsaktivitäten Andere Städte, Regionen und Länder kennenzulernen, ohne ständig den Koffer packen zu müssen - diesen Vorteil bieten die Kreuzfahrtschiffe als schwimmende Resort-Hotels, die häufig nachts unterwegs sind und am nächsten Morgen einen neuen Hafen anlaufen. Neben den zahlreichen Freizeit- und Unterhaltungsangeboten an Bord gehören die Landgänge zu den speziellen Attraktionen einer Kreuzfahrt. Da sich die Passagiere als Tagesausflügler jeweils nur für wenige Stunden in den Hafenstädten aufhalten und dort nicht übernachten, sind sie - nach den statistischen Kriterien <?page no="64"?> Die Kreuzfahrttouristen: Profil - Motive - Aktivitäten 65 der Welttourismusorganisation (United Nations World Tourism Organization/ UNWTO) - keine Tourists, sondern Excursionists; deshalb werden sie nicht in der amtlichen Tourismusstatistik erfasst (vgl. K ESTER 2002, S. 347; B RIDA u. a. 2012, S. 435). Bei den Stopps in den Häfen verlässt jeweils ein großer Teil der Urlauber das Schiff, um die Stadt bzw. deren Umgebung zu erkunden (→ Abb. 21): In den costaricanischen Kreuzfahrthäfen nahmen ca. 80 Prozent der Gäste an Landausflügen teil. Jeder Dritte buchte seinen Landgang an Bord bzw. vorab im Internet, 61 Prozent organisierten ihn selbst und sechs Prozent nutzten die Angebote lokaler Reiseveranstalter (vgl. B RIDA / Z APATA 2010a, S. 333). Während ihres sechsstündigen Aufenthalts in Cartagena de Indias besichtigten knapp 90 Prozent der Passagiere die kolumbianische Hafenstadt - überwiegend in Form organisierter Ausflüge (vgl. B RIDA u. a. 2012, S. 435). Dabei zeigten die nordamerikanischen Passagiere von Luxuskreuzfahrten bei ihren Landgängen in der kroatischen Hafenstadt Dubrovnik ein deutlich höheres Interesse an neuen kulturellen Erfahrungen (60 Prozent) als die Teilnehmer von Erlebniskreuzfahrten (Contemporary Cruises) (40 Prozent), bei denen offenbar hedonistische Reisemotive stärker ausgeprägt sind - z. B. Unterhaltung, Spaß, Geselligkeit etc. (vgl. R ADIĆ 2016, S. 25). Die Gesamtzahl von Landausflügen belief sich im Jahr 2013 weltweit auf ca. 114,9 Millionen Landausflüge (vgl. P ALLIS 2015, S. 9). Abb. 21: Neue Länder und Kulturen erleben, neue Eindrücke gewinnen und viel Abwechslung vom Alltag haben - diese Erwartungen an eine Kreuzfahrt können die Passagiere speziell bei den Landgängen verwirklichen. Im griechischen Hafen Heraklion nutzen sie den kurzen Aufenthalt vor allem für die Besichtigung historischer Kulturdenkmale, einen individuellen Stadtbummel mit Einkäufen und die Teilnahme an organisierten Touren. 12,4 % 12,6 % 20,5 % 32,7 % 40,8 % 41,4 % 63,6 % 64,4 % 76,7 % 79,6 % Baden/ Schwimmen Unterhaltungsveranstaltung Spaziergang in der Umgebung Restaurantbesuch Teilnahme an Bootstour Besuch eines Museums Teilnahme an organisierter Tour Shopping Stadtbummel Besuch historischer Stätten Aktivitäten während des Landgangs <?page no="65"?> Der internationale Markt für Kreuzfahrten 66 Für die Vorbereitung ihre Landgänge verwenden Passagiere, die ihren Ausflug selbst organisieren, diverse Informationsquellen. Dazu gehören vor allem andere Gäste an Bord, die bereits einmal in der Destination waren, aber auch Reiseliteratur sowie lokale Tourist Informationen, Taxifahrer etc. Die Mitglieder der Crew werden hingegen kaum um Rat gefragt: Da sie im Dienst der Reederei stehen, gelten sie nicht als unabhängige und glaubwürdige Informationsquellen (vgl. L LOYD / H ENRY / T HYNE 2011; B ROWNELL 2014, S. 14). Beliebte Aktivitäten während des Aufenthalts in den Hafenstädten sind Besichtigungen, Restaurantbesuche und vor allem auch Einkäufe von Souvenirs, kunsthandwerklichen Produkten etc. Generell trägt der Konsum der Passagiere also zu einer Belebung der lokalen Wirtschaft bei, deren Umfang allerdings häufig überschätzt wird (→ Kap. 5.1.1; 5.1.2). Speziell für Erstbesucher sind die Landgänge zumeist mit einem Gefühl der Orientierungslosigkeit und Unsicherheit verbunden. Um das (subjektiv wahrgenommene) Risiko zu minimieren, unternehmen sie ihre Ausflüge deshalb häufig in Begleitung von Mitreisenden. So kam eine Untersuchung in Ocho Rios (Jamaika) zu dem Ergebnis, dass sich diese Kleingruppen länger in den Destinationen aufhalten und auch höhere Ausgaben tätigen als die Individualbesucher. Gleichzeitig besteht aber auch die Gefahr, dass sie die Atmosphäre in den Hafenstädten durch ihr gruppenspezifisches Verhalten negativ prägen - z. B. durch erhöhten Alkoholkonsum, lautstarkes Auftreten etc. (vgl. M ANNING 2006, S. 13; H ENTHORNE / G EORGE / S MITH 2013). 2.2.4 Wiederbesuchsabsicht Die Destinationen profitieren jedoch nicht nur kurzfristig und direkt von den Besuchen der Kreuzfahrtschiffe, sondern auch mittelfristig und auf indirekte Weise: Bei ihren Landgängen erhalten die Passaagiere einen ersten (zumeist sehr oberflächlichen) Eindruck vom Zielgebiet, durch den sie zu einem erneuten Besuch bei einer künftigen Reise angeregt werden können. So betrachten ca. 80 Prozent der Passagiere Kreuzfahrten als eine gute Möglichkeit, neue Zielgebiete zu erkunden - und nahezu 40 Prozent sind schon einmal in Destinationen gereist, die sie zuvor bei einer Seereise kennengelernt haben (vgl. W ILLIS 2009, S. 9). Diese Wiederbesuchsabsicht wird durch mehrere Faktoren beeinflusst - wie eine Fallstudie in Cartagena de Indias (Kolumbien) deutlich macht (vgl. B RIDA / C O - LETTI 2012): Distanz zum Quellmarkt: So zeigten die Gäste aus Südamerika ein überdurchschnittlich großes Interesse an einem weiteren Besuch der Destination - im Gegensatz zu Urlaubern aus den USA und Europa, für die derartige Fernreisen mit einem hohen Zeit-Kosten-Mühe-Aufwand verbunden sind. <?page no="66"?> Die Kreuzfahrttouristen: Profil - Motive - Aktivitäten 67 Reiserfahrung: Außerdem war die Wiederbesuchsabsicht bei den Passagieren deutlich höher, die zum ersten Mal an einer Kreuzfahrt teilgenommen haben. Hingegen besteht bei den Stammgästen von Kreuzfahrten offensichtlich das Bedürfnis, bei jeder Reise neue Ziele kennenzulernen. Art des Landgangs: Schließlich war der Wunsch nach einem erneuten Besuch bei den Passagieren besonders ausgeprägt, die nicht an einer organisierten Tour mit standardisierten Inhalten teilgenommen hatten. Dabei handelte es sich vor allem um gut ausgebildete jüngere Männer, die bei ihren eigenen Erkundungen positive Erfahrungen gemacht hatten, die sie künftig noch vertiefen wollen. Darüber hinaus kam eine empirische Untersuchung in der Hafenstadt Bar Harbor (Maine) zu dem Ergebnis, dass die Wiederbesuchsabsicht auch durch die Dauer des Aufenthaltes in den Stopover Ports (Ports of Call) positiv beeinflusst wird (vgl. G ABE / L YNCH / M C C ONNON 2005, S. 8-9). Allerdings erweist sich eine isolierte Betrachtung der Wiederbesuchsabsicht von Passagieren als recht kurzsichtig: Bei einer vergleichenden Betrachtung in der norwegischen Hafenstadt Bergen wurde z. B. deutlich, dass die landgebundenen Touristen ein weitaus größeres Interesse an einem erneuten Besuch der Stadt und des Landes hatten als die Kreuzfahrturlauber (vgl. L ARSEN / W OLFF 2016, S. 48). Um die Passagiere als Nachfrager für landgebundene Angebote zu gewinnen, haben einige Destinationen in der Karibik spezielle Incentive-Programme entwickelt, mit denen Passagieren bei einem erneuten Besuch besondere Vergünstigungen sowie Preisnachlässe etc. in Hotels, Restaurants und Freizeiteinrichtungen gewährt werden - wie z. B. bei den Aktionen „Free Stay Caribbean“ und „Come back and stay in the Caribbean“ (vgl. G ABE u. a. 2007, S. 400). 2.2.5 Urlaubszufriedenheit „Zufriedene Mienen danken es Ihnen“ - dieser Dr. Oetker-Werbeslogan aus den 1950er-Jahren lässt sich problemlos auf den Kreuzfahrttourismus der Gegenwart übertragen, denn hinsichtlich eines erneuten Besuchs der Destination bzw. einer weiteren Buchung spielt die Zufriedenheit der Gäste eine zentrale Rolle. Sie ist generell vom Perceived Value abhängig: Am Ende des Urlaubs ziehen die Kunden eine Bilanz, bei der sie den Nutzen der Reise mit ihren Erwartungen bzw. dem Aufwand vergleichen. Diese individuelle Bewertung basiert vor allem auf rationalen Kriterien; darüber hinaus tragen aber auch emotionale Aspekte (Wohlfühlen, Empfinden von Glück, Vergnügen) zur persönlichen Urlaubszufriedenheit bei (vgl. S HEN u. a. 2014; Y I / D AY / C AI 2014). Dabei sind empirische Untersuchungen zu dem Ergebnis gekommen, dass die Gesamtzufriedenheit durch zahlreiche einzelne Angebotselemente beeinflusst wird <?page no="67"?> Der internationale Markt für Kreuzfahrten 68 (vgl. B RIDA / G ARRIDO / S UCH D EVESA 2012; S ANZ B LAS / C ARVAJAL -T RUJILLO 2014; H WANG / H AN 2014; S ATTA u. a. 2015; B AKER / F ULFORD 2016): An Bord der Schiffe legen die Passagiere großen Wert auf eine komfortable Ausstattung, ein abwechslungsreiches Programm, einen perfekten Service und eine qualitativ hochwertige Verpflegung. Bei ihrem Aufenthalt in den Hafenstädten erwarten sie vor allem leicht erreichbare und zeitgemäße Einkaufsmöglichkeiten, einen gut organisierten und zuverlässigen öffentlichen Personennahverkehr, zahlreiche Sehenswürdigkeiten und Besucherattraktionen sowie eine sichere, stressfreie und gastfreundliche Atmosphäre. Aus Sicht der Urlauber handelt es sich bei einer Kreuzfahrt also um ein komplexes Gesamterlebnis, das aus vielen Angebotselementen besteht (Buchung, Anreise, Übernachtung, Verpflegung, Unterhaltung, Entspannung, Shopping etc.). An der Produktion solcher Moments of Truth sind jedoch nicht nur die Reedereien beteiligt, sondern auch zahlreiche weitere Akteure - von Reisebüros und Transportunternehmen für die Hinbzw. Rückreise über Hotels und Restaurants in den Home Ports (Turnaround Ports, Ein- und Ausschiffungshäfen) bis hin zu Shops, Bars und Besucherattraktionen in den Destinationen. Dabei können negative Erfahrungen mit einem dieser Anbieter die Gesamtzufriedenheit und auch die Wiederbesuchsabsicht der Passagiere erheblich beeinflussen. Um einen einheitlich hohen Qualitätsstandard zu gewährleisten, verfolgen die Reedereien deshalb eine Strategie der vertikalen Integration: In Form von Public Private Partnerships beteiligen sie sich an vor- und nachgelagerten landgebundenen Unternehmen dieser Leistungskette bzw. erwerben sie vollständig - z. B. Kaianlagen, Terminals, Privatinseln etc. (vgl. S ATTA u. a. 2015, S. 71; → Kap. 4.1). Generell konnten für Kreuzfahrten überdurchschnittlich hohe Zufriedenheitswerte ermittelt werden (vgl. W ILLIS 2009, S. 9; J. D. Power 2013; M OODY 2016, S. 10; E ISELE 2017, S. 137): So sind 82 Prozent der Kreuzfahrtgäste begeistert („extremely satisfied“) oder sehr zufrieden („very satisfied“). Speziell der Anteil der begeisterten Urlauber ist deutlich höher als in anderen Bereichen der Tourismusbranche - z. B. den All-Inclusive-Resorts (45 vs. 42 Prozent). Zwei von drei Kunden bewerten vor allem das gute Preis-Leistungs-Verhältnis als besonders positiv; bei anderen Urlaubsarten beläuft sich dieser Wert nur auf 58 Prozent. 71 Prozent der befragten Gäste sind sich „sicher“ bzw. halten es für „wahrscheinlich“, innerhalb der kommenden drei Jahre wieder eine Kreuzfahrt zu unternehmen. <?page no="68"?> Die Kreuzfahrttouristen: Profil - Motive - Aktivitäten 69 Mittelfristig stellen zufriedene Kreuzfahrttouristen - als loyale Stammgäste bzw. erneute Besucher der Destination - jedoch nicht nur großes Nachfragepotenzial für Reedereien und Hafenstädte dar. Sie sind auch wichtige Multiplikatoren für Kreuzfahrten im Allgemeinen sowie speziell für die Unternehmen und Zielgebiete: In einer Fallstudie zu Kurzkreuzfahrten mit kleinen Motorseglern in Kroatien erklärten z. B. 83,1 Prozent der Befragten ihre Bereitschaft, diese Urlaubsart weiterzuempfehlen (vgl. P RANIĆ / M ARUŠIĆ / S EVER 2013, S. 7). An Bord des Kreuzfahrtschiffes „Carnival Imagination“ war die Weiterempfehlungsbereitschaft mit 94,1 Prozent sogar noch höher (vgl. B AKER 2014, S. 38). Bei Befragungen in den griechischen Hafenstädten Agios Nikolaos und Heraklion gaben 80,2 bzw. 85 Prozent der Passagiere an, dass sie Verwandte, Freunde, Kollegen etc. dazu anregen wollten, eine Reise nach Kreta zu unternehmen (vgl. A NDRIOTIS / A GIOMIRGIANAKIS 2010, S. 13; S IMANTIRAKI / S KIVALOU / T RIHAS 2015, S. 6). Diese Mund-zu-Mund-Propaganda spielt im Tourismus eine zentrale Rolle: Jedes touristische Angebot ist zunächst nur ein Leistungsversprechen, dessen tatsächliche Qualität von den Kunden erst vor Ort überprüft werden kann. Um ihr Risiko zu minimieren, nutzen Urlauber deshalb generell mehrere Informationsquellen. Dabei gelten die persönlichen Berichte von Freunden, Bekannten, Verwandten etc. als authentische und besonders glaubwürdige Informationen. Hingegen werden Kataloge, Prospekte und Anzeigen aufgrund ihres kommerziellen (und damit nicht neutralen) Charakters mit größerer Skepsis betrachtet. Für die Kreuzfahrtbranche und die Destinationen erweisen sich zufriedene Passagiere somit als einflussreiche (und noch dazu kostenlose) Werbeträger zur Akquisition neuer Kunden (vgl. S TEINECKE 2011, S. 51; J ONES 2011, S. 38). 2.2.6 Typologie der Kreuzfahrttouristen „Jeder Jeck ist anders“ - dieser berühmte Artikel des „Rheinischen Grundgesetzes“ gilt im übertragenen Sinne auch für das Kreuzfahrtpublikum: Bei den knapp 25 Millionen Gäste, die im Jahr 2016 eine Seereise unternommen haben, handelt es sich nicht um eine homogene Gruppe mit gleichen soziodemographischen Merkmalen und Urlaubserwartungen; vielmehr konnten im Rahmen von Marktsegmentierungen unterschiedliche Typen von Kreuzfahrttouristen abgegrenzt werden (vgl. J AAKSON 2004, S. 56; W ILLIS 2009, S. 46-47; → Kap. 4.3): Ruhelose Baby Boomer (33 Prozent) sind familienorientierte Gäste (40 Jahre und älter), für die das Preis-Leistungs-Verhältnis im Vordergrund steht. Sie wollen möglichst wenig für die Kreuzfahrt ausgeben und interessieren sich deshalb <?page no="69"?> Der internationale Markt für Kreuzfahrten 70 vor allem für Sonderangebote (Frühbucherrabatte, Kinderermäßigungen etc.). Begeisterte Baby Boomer (20 Prozent) wollen vor allem Abwechslung, Spaß und Unterhaltung; außerdem lieben sie die Geselligkeit und den Kontakt zu anderen Passagieren. Bei den Gästen, die meist 40 Jahre und älter sind, handelt es sich zum einen um die Paare, die auch die romantische Atmosphäre einer Seereise genießen, zum anderen um Familien mit Kindern, die das breite Entertainment-Angebot nutzen. Perfekte Shopper (16 Prozent) sind reiseerfahrene Konsumenten mit einer „Geiz ist geil“-Mentalität: Für ihre Kreuzfahrt wollen sie möglichst wenig ausgeben; zugleich erwarten sie aber eine hochwertige Leistung. So legen sie z. B. großen Wert auf einen guten Service und eine große Auswahl von Restaurants. Das Schiff ist für diese Gäste mittleren Alters (55 Jahre und mehr) wichtiger als die Route. Luxuspassagiere (14 Prozent) legen besonders großen Wert auf die Ausstattung, die Verpflegung und den Service. Die Kosten spielen hingegen keine zentrale Rolle - solange die Qualität der Leistung stimmt und die hohen Ansprüche der Urlauber erfüllt werden. Diese Gäste sind durchschnittlich 52 Jahre alt, weisen ein hohes Bildungssowie Einkommensniveau auf und pflegen einen kultivierten Lebensstil (vgl. H WANG / H AN 2014). Entdecker (11 Prozent) betrachten Kreuzfahrten vor allem als gute Möglichkeit, die Welt zu erkunden und neue Erfahrungen zu machen; deshalb sind die Route und die Häfen für sie weitaus wichtiger als das Schiff. Bei den Landgängen verlassen sie z. B. die Tourist Bubble der hafennahen Viertel und erkunden die Städte abseits der üblichen Routen. Es handelt sich um ein älteres, aber noch sehr aktives Publikum (Durchschnittsalter 64 Jahre). Die Entdecker planen ihre Reise lange im Voraus - aber nicht um einen Frühbucherrabatt zu erhalten, sondern um eine Kreuzfahrt nach ihren persönlichen Vorstellungen unternehmen zu können (→ Abb. 22). Schiff-Fans (6 Prozent) verfügen generell über breite Reise- und Kreuzfahrterfahrungen sowie über spezielle Kenntnisse - z. B. hinsichtlich der Schiffe, Routen etc.; sie bevorzugen längere Reisen. Ihr Durchschnittsalter beläuft sich auf 68 Jahre. <?page no="70"?> Die Kreuzfahrttouristen: Profil - Motive - Aktivitäten 71 Abb. 22: Wohlhabend, gebildet und unternehmenslustig - bei jedem neunten Kreuzfahrttouristen handelt es sich um einen „Entdecker“-Typ. Diese Urlauber geben sich nicht mit dem Freizeit- und Unterhaltungsangebot an Bord zufrieden, sondern haben ein ausgeprägtes Interesse an der Kultur und Natur der Zielgebiete - wie z. B. die Gäste der „Hanseatic“, die vor allem für Expeditionskreuzfahrten eingesetzt wird. Derartige Urlaubertypologien können zwar als wichtige Grundlage für zielgruppenorientierte Marketing-Maßnahmen genutzt werden. Dennoch ist zu beachten, dass sie keine starren, dauerhaft gültigen Segmentierungen darstellen: Das Konsumverhalten unterliegt einem ständigen Wandel und jede neue Generation von Passagieren stellt andere Ansprüche (vgl. K RIEGER / M OSKOWITZ / R ABINO 2005 und E LLIOT / C HOI 2011 zu differenzierten Analysen der Reisemotive unterschiedlicher soziodemographischer Gruppen). <?page no="71"?> Der internationale Markt für Kreuzfahrten 72 ⚓ Zusammenfassung Der internationale Kreuzfahrtmarkt weist eine oligopolistische Struktur auf (im Gegensatz zur Tourismusbranche generell, die durch kleine und mittlere Unternehmen geprägt wird): Die drei wichtigsten Reedereien erreichen einen Marktanteil von knapp 77 Prozent des Umsatzes und 80 Prozent der Passagierzahlen. Generell gilt die Kreuzfahrtindustrie als Symbol der Globalisierung von Kapital, Arbeit und Ressourcen: Als mobile Resort-Hotels können die Schiffe weltweit in unterschiedlichen Revieren eingesetzt werden, die großen Reedereien sind börsennotierte Unternehmen, an Bord werden in der Regel Crewmitglieder aus mehr als 50 Ländern beschäftigt und die Schiffe verkehren - aus arbeits- und umweltrechtlichen Gründen - nicht unter ihren Heimat-, sondern unter Billigflaggen (Flags of Convenience). Speziell durch den Einsatz von Mega-Schiffen ist die Kapazität der internationalen Kreuzfahrtflotte in den vergangenen Jahrzehnten erheblich erweitert worden; mit dieser Strategie nutzen die Reedereien die Economies of Scale. Gleichzeitig stehen die öffentlichen und privaten Hafenbetreiber vor der Herausforderung, ihre Infrastruktur ständig zu erweitern. Trotz seines Nischencharakters verfügt der Kreuzfahrttourismus über eine differenzierte Angebotsstruktur, die sich hinsichtlich folgender Kategorien klassifizieren lässt - nach Revieren und Routen, nach Schiffsgrößen sowie nach der Produktgestaltung. Angesichts dieser breiten Angebotspalette handelt es sich bei den Kreuzfahrttouristen nicht um eine homogene Zielgruppe; dennoch gibt es einige gemeinsame Merkmale: ein sinkendes Durchschnittsalter, eine Mischung aus Weg-vonbzw. Hin-zu-Motiven, der Wunsch nach Bequemlichkeit und Abwechslung sowie ein großes Sicherheitsbedürfnis (das Schiff als Tourist Bubble). Zu den beliebten Urlaubsaktivitäten zählen die Landgänge, die jeweils von der Mehrzahl der Passagiere unternommen werden. Aus Sicht der Gäste werden Kreuzfahrten als komplexe Gesamterlebnisse wahrgenommen, die sowohl aus dem Aufenthalt an Bord als auch den kurzen Besuchen in den Hafenstädten bestehen. Obwohl unterschiedliche touristische Akteure an der Leistungserstellung beteiligt sind (z. B. in den Zielländern), erwarten die Urlauber ein durchgängig hohes Qualitätsniveau. <?page no="72"?> Die Kreuzfahrttouristen: Profil - Motive - Aktivitäten 73 Im Vergleich zu anderen Urlaubsarten ist die Zufriedenheit der Kunden im Kreuzfahrttourismus besonders hoch. Aus diesem Grund sind die Gäste auch wichtige Multiplikatoren für Kreuzfahrten im Allgemeinen und speziell auch für die Reedereien und Destinationen (Mund-zu-Mund-Propaganda). ⚓ Weiterführende Lesetipps C OGGINS J R , A. O. (2014): The globalization of the cruise industry: a tale of ships. - In: Worldwide Hospitality and Tourism Themes, 6/ 2, S. 138- 151 (DOI: 10.1108/ WHATT-12-2013-0048) Der Artikel enthält eine Fülle von detaillierten Angaben zur Entwicklung der Kreuzfahrtindustrie seit den Anfängen im 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart - z. B. zu Reedereien, Neu- und Umbauten sowie Umbenennungen von Schiffen, Kapazitäten, Marken, Preisen und Märkten. J ANS , B. (2010): Kreuzfahrt-Tourismus. Konzepte, Trends, Perspektiven. Zur Einführung. - In: F REYER , W./ J ANS , B./ R ÖDER , P. (Hrsg.): Kreuzfahrt-Tourismus - die Online-Publikation von www.kreuzfahrt-forschung. de, Grafschaft/ Dresden ( www.kreuzfahrt-forschung.de ) Mit Hilfe zahlreicher Grafiken und Abbildungen vermittelt der Autor einen anschaulichen Überblick über die Struktur und Entwicklung der Kreuzfahrtbranche. Dabei geht er u. a. auf die Umsätze der Reedereien ein sowie auf die Gästezahlen und die Zufriedenheit der Passagiere; außerdem erläutert er unterschiedliche Schiffs- und Angebotstypen. Darüber hinaus ordnet er den Kreuzfahrttourismus systematisch in das touristische Gesamtangebot ein. <?page no="74"?> 3 Die Kreuzfahrtreviere ⚓ Das Kapitel im Überblick In diesem Kapitel werden folgende Fragen beantwortet: Über welche Standorteigenschaften müssen Hafenstädte und Zielgebiete verfügen, um in das Routennetz von Kreuzfahrtreedereien aufgenommen zu werden? Welche Stärken und Schwächen weist die Karibik als Kreuzfahrtrevier auf? Welche Rolle spielt das Mittelmeer im internationalen Kreuzfahrttourismus? Was sind Erfolgsfaktoren und Hemmnisse des Kreuzfahrtmarktes in Asien? Welche Chancen und Risiken bestehen für die Antarktis und Arktis durch den Kreuzfahrttourismus? 34,51 Knoten - mit dieser Rekordgeschwindigkeit überquerte die „SS United States“ im Jahr 1952 den Nordatlantik auf der Strecke zwischen Europa und den USA; bis heute ist sie die Trägerin des legendären „Blauen Bandes“ als schnellstes Passagierschiff der Welt. Selbst wenn ein Tempo von umgerechnet 63,9 Stundenkilometern im Schiffsverkehr besonders spektakulär ist, so sind Schiffe - im Vergleich zu Flugzeugen, Personenkraftwagen, Eisenbahnen etc. - recht langsame Verkehrsmittel. Speziell bei Kreuzfahrten wird die Aktionsreichweite der Schiffe außerdem durch die geringe Dauer der jeweiligen Seereise begrenzt, die sich in Deutschland durchschnittlich auf 8,9 Tage beläuft (in den USA sogar nur auf 7,2 Tage). Obwohl die Kreuzfahrtschiffe in diesem Zeitfenster nur eine relativ kurze Strecke zurücklegen können, erwarten die Passagiere ein abwechslungsreiches Programm mit Tagen auf hoher See und Landausflügen in unterschiedlichen Häfen (vgl. FCCA 2014, S. 4; DRV/ CLIA 2017, S. 1). Vor diesem Hintergrund müssen die Zielgebiete und Hafenstädte zahlreiche Anforderungen erfüllen, um als Kreuzfahrtdestinationen geeignet zu sein; zu den wichtigen Standortfaktoren zählen u. a. (vgl. L AMONARCA 2010, S. 133; D I V AIO / D’A MORE 2011, S. 122; B USBY / O’N EILL 2013, S. 140-142; H ABER- LAG 2014, S. 1): <?page no="75"?> Die Kreuzfahrtreviere 76 eine maximale Distanz zwischen zwei Anlaufhäfen von ca. 210 Seemeilen, sodass die Kreuzfahrtschiffe tagsüber im Hafen liegen und nachts unterwegs sein können, angenehme klimatische Bedingungen, ein breites Spektrum an natürlichen und kulturellen Besucherattraktionen (möglichst auch weltweit einmalige bzw. besonders ausgezeichnete Sehenswürdigkeiten - z. B. UNESCO-Welterbestätten), attraktive Strände mit Bademöglichkeiten für eine große Zahl von Passagieren, ein umfangreiches Angebot an Einzelhandelsgeschäften (speziell mit landestypischen Produkten), ein positives Image, eine niedrige Kriminalitätsrate, sodass die persönliche Sicherheit der Passagiere bei Landgängen gewährleistet ist, stabile politische Verhältnisse (als Rahmenbedingung für die Tätigkeit der Reedereien), eine zeitgemäße Hafeninfrastruktur (hinreichende Tiefe des Fahrwassers und Länge der Kais, Anlagen für die Passagierabfertigung etc.), ein professionelles Hafenmanagement und niedrige Gebühren (Lots-, Festmach-, Hafen- und Passagiergebühren etc.), eigene touristische Marketing-Maßnahmen der Destination, um das Image und die Attraktivität als Ziel von Kreuzfahrten zu verbessern. Für die Home Ports (Turnaround Ports, Ein- und Ausschiffungshäfen) spielt außerdem die Entfernung zu wichtigen touristischen Quellmärkten (USA, Europa) bzw. die gute Erreichbarkeit eine zentrale Rolle: So ist die Entwicklung des Kreuzfahrttourismus z. B. im Mittelmeer durch den Boom der Low Cost Airlines begünstigt worden, die auch Flugverbindungen zu kleineren Flughäfen anbieten (vgl. L E - KAKOU / P ALLIS / V AGGELAS 2009, S. 231-233; C ASTILLO -M ANZANO / F AGEDA / G ONZALEZ -L AXE 2014, S. 124). Weltweit gibt es zwei Zielgebiete, die über besonders gute Standortvoraussetzungen für Kreuzfahrten verfügen und sich deshalb zu den bevorzugten Revieren entwickelt haben - die Karibik und das Mittelmeer. Dort betreiben die Reedereien die Hälfte ihrer gesamten Kapazität. Als Berechungsgrundlage dienen dabei die Available Lower Berth Days (ALBD) - also die Zahl von Betten, die während eines Jahres an Bord von Schiffen zur Verfügung stehen (→ Abb. 23). <?page no="76"?> Die Kreuzfahrtreviere 77 Abb. 23: Wichtigstes Kreuzfahrtrevier der Welt - mit diesem Superlativ kann sich die Karibik schmücken: Dort setzen die Reedereien ca. ein Drittel ihrer gesamten Schiffskapazität ein. Wesentliche Ursachen dieser Angebotskonzentration sind die räumliche Nähe zum nordamerikanischen Quellmarkt und die große Popularität von Fun Cruises bei den US-Bürgern. In der Rangfolge der zehn wichtigsten Kreuzfahrthäfen sind deshalb auch ausschließlich karibische und mediterrane Häfen vertreten (→ Tab. 3). Hafen Passagierbewegungen Miami (Florida) 4.980.000 Port Canaveral (Florida) 3.900.000 Fort Lauderdale/ Port Everglades (Florida) 3.400.000 Cozumel (Mexiko) 3.400.000 Barcelona (Spanien) 2.683.594 Nassau (Bahamas) 2.557.973 Karibik 33 % Mittelmeer 18 % Europa ohne Mittelmeer 12 % Asien 10 % Australien/ Neuseeland 6 % Alaska 4 % Südamerika 3 % andere Regionen 14 % <?page no="77"?> Die Kreuzfahrtreviere 78 Civitavecchia (Italien) 2.339.676 St. Maarten (Karibik/ Niederlande) 2.001.996 St. Thomas (Karibik/ USA) 1.694.008 Venedig (Italien) 1.605.660 Tab. 3: Im Ranking der weltweit wichtigsten Kreuzfahrthäfen spiegelt sich die dominierende Rolle des US-amerikanischen Quellmarktes und der Karibik als Zielgebiet wider. Allein auf die drei Häfen in Florida konzentrieren sich mehr als 45 Prozent der Passagierbewegungen. In Europa verzeichnen Barcelona, Civitavecchia und Venedig die meisten Ein- und Ausschiffungen bzw. Tagesbesuche von Kreuzfahrturlaubern. Trotz der großen räumlichen Distanz bestehen zwischen diesen beiden Regionen enge funktionale und organisatorische Verflechtungen; sie fungieren für die Reedereien als komplementäre Märkte (vgl. R OHR 2010, S. 38; R ODRIGUE / N OTTE - BOOM 2013, S. 31; Y AGCI / A KDAG 2016, S. 527): Als Folge unterschiedlicher klimatischer Bedingungen (Temperatur, Niederschläge, Sonnenscheindauer etc.) werden viele Kreuzfahrtschiffe während der Wintermonate in der Karibik eingesetzt und während der Sommermonate im Mittelmeer. Die logistische Verknüpfung der beiden Reviere erfolgt im Rahmen von Positionierungskreuzfahrten, bei denen die Schiffe auf ungewöhnlichen Routen von einer Destination in die andere verlegt werden; diese Reisen werden häufig zu besonders günstigen Konditionen angeboten (→ Kap. 2.1.2.1). Gleichzeitig handelt es sich bei der Karibik und dem Mittelmeer jedoch auch um Reviere, die ganzjährig genutzt werden (jeweils mit saisonalen Schwankungen hinsichtlich der angebotenen Kapazität). Im Gegensatz dazu gibt es aber auch Regionen, in denen sich das Angebot aufgrund klimatischer Restriktionen jeweils nur auf die Sommermonate beschränkt (Ostsee, Norwegen, Alaska, Neuengland etc.) bzw. auf die Wintermonate - wie z. B. Südamerika und Australien (vgl. R ODRIGUE / N OTTEBOOM 2013, S. 36; S TOJANOVIĆ / P OLETAN J UGOVIĆ / J UGOVIĆ 2014, S. 41). Im Folgenden sollen die besonderen Merkmale von Kreuzfahrten in folgenden Revieren exemplarisch erläutert werden: Karibik (→ Kap. 3.1), Mittelmeer (→ Kap. 3.2), <?page no="78"?> Die Kreuzfahrtreviere 79 Asien (→ Kap. 3.3), Antarktis und Arktis (→ Kap. 3.4). 3.1 Karibik Endlose weiße Strände, türkisfarbenes Wasser, wogende Palmen, strahlender Sonnenschein und lebensfrohe Menschen - die Karibik entspricht in vielerlei Hinsicht dem Bild einer perfekten Urlaubsregion: In Umfragen rangiert die tropische Inselwelt deshalb bei den Bundesbürgern regelmäßig auf dem ersten Platz der „Traumreiseziele“. Dieses positive Image als touristischer Sehnsuchtsort ist nicht ausschließlich durch touristische Werbemaßnahmen kreiert worden, sondern auch durch eindrucksvolle Bilder sowie Berichte in Zeitschriften, Zeitungen, TV-Magazinen etc. - und nicht zuletzt durch Werbespots der Konsumgüterindustrie („Bacardi“, „Havana Club“, „Raffaello“ etc.). Für einen zusätzlichen Thrill sorgt der Hauch des Abenteuers, der diese Region umgibt: Sie gilt als Heimat der Freibeuter, deren Leben und Taten in zahlreichen Romanen und Spielfilmen verklärt worden sind („Unter Piratenflagge“, „Die Piratenbraut“, „Fluch der Karibik“ etc.). Inzwischen ist dieser Piraten-Mythos weltweit zu einem festen Bestandteil der Populärkultur geworden: Vielerorts wird er in Themenhotels und Freizeitparks sowie bei Schiffsausflügen touristisch genutzt; darüber hinaus gibt es Piraten-Spielfiguren und Piraten-Computerspiele (vgl. T ARLOW u. a. 2012, S. 18). Als Destination verfügt die Karibik also zum einen über mehrere „weiche“ Standorteigenschaften (Image, Mythen, Storytelling etc.), zum anderen über zahlreiche „harte“ Gunstfaktoren. Dazu zählen u. a. die angenehmen klimatischen Bedingungen, die attraktiven Strände, die Vielzahl von Häfen bzw. Inseln sowie die große kulturelle Vielfalt - nicht zuletzt als Folge der Kolonialpolitik europäischer Staaten (Spanien, Frankreich, England, Niederlande). Eine SWOT-Analyse (Strengths/ Weaknesses, Opportunities/ Threats) macht allerdings deutlich, dass die Region neben touristischen Stärken bzw. Chancen auch Schwächen bzw. Risiken aufweist (→ Tab. 4). <?page no="79"?> Die Kreuzfahrtreviere 80 Stärken/ Chancen Schwächen/ Risiken Stärken Schwächen nahezu Ganzjahresdestination Hurrikansaison kulturelle und historische Attraktionen hohe Kriminalität geographische Nähe zum Quellmarkt USA politische Unsicherheit/ Korruption Einreise häufig ohne Visum möglich (abhängig von der Nationalität der Reisenden) teilweise wenig ausgebaute Infrastruktur und schlechte technische Versorgung hohe Abhängigkeit von Importgütern Erreichbarkeit nur per Flugzeug und Schiff, begrenzte internationale Flugverbindungen Chancen Risiken wirtschaftlicher Aufschwung durch den Aufbau des Tourismussektors sinkende Ausgaben der Gäste bei Landgängen Schaffung von Arbeitsplätzen und Bildungsmöglichkeiten durch die touristische Nachfrage Abhängigkeit von Flug- und Routenplänen der Fluggesellschaften und Reedereien Landgänge als Einnahmequelle und Marketing-Instrument (für weitere Besuche) großer Wettbewerb zwischen den einzelnen Inseln der Karibik hohe Umweltbelastungen durch Landgänge (bei relativ geringen Einnahmen) Tab. 4: Wo Licht ist, da ist auch Schatten - die Karibik weist als Kreuzfahrtrevier eine Reihe von Stärken und Schwächen auf, die sich u. a. aus der geographischen Lage, dem Stand der volkswirtschaftlichen Entwicklung sowie den politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ergeben. Darüber hinaus bestehen spezielle Chancen und Risiken, die durch ein professionelles Marketing und Management genutzt bzw. minimiert werden müssen. <?page no="80"?> Karibik 81 Vor diesem Hintergrund hat sich die Karibik zu einer wichtigen Destination im internationalen Tourismus und speziell auch im Kreuzfahrttourismus entwickelt (vgl. S PALBURG 2009, S. 25; www.dominicanewsonline.com vom 10.02.2017): So stieg die Zahl ausländischer Übernachtungsgäste, die einen landgebundenen Urlaub in der Karibik verbracht haben, von 19,0 Millionen (2002) auf 29,3 Millionen im Jahr 2016 (+ 54,2 Prozent). Die Zahl der Kreuzfahrtpassagiere, die in den Staaten der Karibik an Land gingen, um Tagesausflüge zu unternehmen, verzeichnete sogar ein noch rasanteres Wachstum - von 15,9 auf 26,3 Millionen (+ 65,4 Prozent). Die Erschließung der Karibik für den Kreuzfahrttourismus begann bereits in den 1920er-Jahren: Von 1920 bis 1933 galt in den USA das Prohibitionsgesetz, das die Herstellung, den Transport und den Verkauf von Alkohol untersagte. Um diese strengen Regelungen zu umgehen, wurden von Florida aus Kurzkreuzfahrten nach Kuba und Bermuda sowie auf die Bahamas angeboten. Bei diesen Booze Cruises konnten sich die Passagiere völlig dem Genuss von Alkohol hingeben, sobald die Schiffe die US-amerikanischen Hoheitsgewässer verlassen hatten. Aufgrund dieser Praxis wurde Fort Lauderdale damals im allgemeinen Sprachgebrauch auch als Fort Liquordale bezeichnet (vgl. D EHOORNE / M URAT / P ETIT - C HARLES 2008, S. 97; P ETRICK / D URKO 2015; → Abb. 24). Abb. 24: Mit seinem Kreuzfahrthafen Port Everglades gehört Fort Lauderdale (Florida) - neben Miami und Port Canaveral - weltweit zu den Hafenstädten mit den meisten Passagierbewegungen. Im Jahr 2014 wurden hier ca. vier Millionen Kreuzfahrttouristen gezählt. <?page no="81"?> Die Kreuzfahrtreviere 82 Während des Zweiten Weltkriegs kam der vergnügungsorientierte Passagierverkehr weitgehend zum Erliegen, da die Schiffe für militärische Zwecke genutzt und die karibischen Häfen für Kreuzfahrtschiffe geschlossen wurden. In den Nachkriegsjahren setzte jedoch ein erneutes Wachstum ein. Ein wesentlicher Push-Faktor war dabei die Suezkrise (1956/ 57): Damals reagierten Israel, Großbritannien und Frankreich mit militärischen Aktionen auf die Verstaatlichung des Suezkanals durch die ägyptische Regierung. Angesichts der brisanten politischen Lage zogen zahlreiche europäische Reedereien ihre Schiffe aus dem Mittelmeer ab und setzten sie in der Karibik ein (vgl. L AWTON / B UTLER 1987, S. 336). Speziell seit den 1970er-Jahren hat der Kreuzfahrttourismus in der Karibik eine boomartige Entwicklung erlebt (vgl. Industry Update 2014; BREA 2015, S. 3; ACS 2016, S. 3; FCCA 2017, S. 3): Allein im Zeitraum 1970-1990 stieg die Zahl der Kreuzfahrttouristen von 500.000 auf 3,8 Millionen. Gegenwärtig ist die Region das wichtigste Kreuzfahrtrevier der Welt; die Reedereien betreiben dort ca. ein Drittel ihrer gesamten Transport- und Unterkunftskapazität. Im Reisejahr 2014/ 2015 beliefen sich die direkten Ausgaben der Passagiere, Crewmitglieder und Reedereien in den 35 karibischen Ländern auf 3,16 Milliarden US-Dollar. Im Vergleich zum landgebundenen Übernachtungstourismus ist der ökonomische Nutzen des Kreuzfahrttourismus für die kleinen Inselstaaten jedoch relativ gering: So wurden zu Beginn des 21. Jahrhunderts nur 12 Prozent des touristischen Konsums durch Kreuzfahrtpassagiere getätigt, obwohl sich deren Anteil an den Ankünften auf 42 Prozent belief (inzwischen liegt er bei über 50 Prozent). Diese Durchschnittswerte verstellen außerdem den Blick für die großen Unterschiede innerhalb der Region (vgl. G OODWIN 2008, S. 10; R EISER 2013, S. 26-29): Einige Inseln sind in erheblichem Umfang vom Kreuzfahrttourismus abhängig: Auf den Cayman Islands, St. Maarten, Dominica, den Bahamas und den US Virgin Islands erreichen die Kreuzfahrtankünfte jeweils einen Anteil von mehr als 70 Prozent an allen Ankünften. Doch selbst in einer stark frequentierten Destination wie den Cayman Islands tragen die Ausgaben der Passagiere nur zu einem Viertel des touristischen Gesamtumsatzes bei. Auf den British Virgin Islands, St. Vincent und The Grenadines, Curaçao und Barbados ist das Verhältnis zwischen den Ankünften von Übernachtungsgästen und Kreuzfahrtpassagieren ausgewogen. <?page no="82"?> Karibik 83 Nur auf Puerto Rico, Jamaika, Aruba, Martinique und in der Dominikanischen Republik spielt der Übernachtungstourismus eine deutlich wichtigere Rolle als der Kreuzfahrttourismus. So werden z. B. auf Jamaika nur ca. fünf Prozent des touristischen Umsatzes durch den Konsum der Passagiere erwirtschaftet. Angesichts der erhofften ökonomischen Effekte (und fehlender wirtschaftlicher Alternativen) besteht zwischen den zahlreichen Hafenstädten ein harter Wettbewerb, der vor allem über den Preis geführt wird (vgl. G OODWIN 2008, S. 11; P EISLEY 2012, S. 21): So gilt die Karibik generell als das Kreuzfahrtrevier mit den niedrigsten Passagiergebühren. Einige Staaten haben sogar spezielle Incentive-Programme aufgelegt, um in das Routennetz aufgenommen zu werden: In Panama und Puerto Rico erhalten die Reedereien z. B. zwischen 2,50 und 12,00 US-Dollar je Passagier (je nach Größe der Schiffe). Kritiker dieser Entwicklung fordern bereits seit langem eine bessere Koordination der regionalen Akteure und eine intensivere Kontrolle des Kreuzfahrttourismus. Die dazu erforderliche Einbindung aller Stakeholder erweist sich jedoch als schwierig: Zum einen verfolgen die einzelnen Inselverwaltungen jeweils eigene politische und wirtschaftliche Ziele; zum anderen zeigen die ausländischen Reedereien wenig Interesse an einer Zusammenarbeit, da sie von dem bisherigen Preiswettbewerb profitieren. So sind sie z. B. nicht bereit, sich an regionalen Marketing-Kampagnen zu beteiligen und die Umweltsteuer zu entrichten, die von landgebundenen Unterkunftsbetrieben erhoben wird (vgl. H ALL / B RAITH - WAITE 1990, S. 347; L ESTER / W EEDEN 2004, S. 46; H ONEY 2006, S. 10; C HE- ONG 2013a, S. 18). Die karibischen Inselstaaten befinden sich also in einer typischen Prisenor’s Dilemmabzw. Race to the Bottom-Situation. Ihre Wettbewerbsposition wird noch durch die Privatinseln verschärft, die seit Ende der 1970er-Jahren von großen Reedereien gekauft bzw. für einen längeren Zeitraum gepachtet worden sind (teilweise handelt es sich dabei auch um abgegrenzte Bereiche auf größeren Inseln). Um sie als Stopover Resorts für Tagesbesuche nutzen zu können, sind sie mit eigenen Anlegestellen und Abfertigungsbereichen ausgestattet worden; außerdem verfügen sie über ein breites Angebot an Freizeit-, Unterhaltungs- und Shoppingmöglichkeiten (vgl. W ILKINSON 1999, S. 273-277; → Tab. 5). <?page no="83"?> Die Kreuzfahrtreviere 84 Privatinsel/ Privatstrand Land Reederei Eigentum seit Castaway Cay Bahamas Disney Cruise Line 1998 Catalina Island Dominikanische Republik Costa Crociere k. A. Coco Cay Bahamas Royal Caribbean International u. a. 1985 Great Stirrup Cay Bahamas Norwegian Cruise Line u. a. 1977 Half Moon Cay Bahamas Holland America Line u. a. 1997 Harvest Caye Belize Norwegian Cruise Line u. a. 2016 Labadee Haiti Royal Caribbean International u. a. 1986 Princess Cays Bahamas Princess Cruises u. a. 1992 Tab. 5: Mein Schiff, meine Inseln, meine Einnahmen - speziell in der Karibik haben die Reedereien einige Privatinseln/ -strände gekauft oder für einen längeren Zeitraum gepachtet, um den Passagieren eine ungestörte, kontrollierte Urlaubsatmosphäre zu bieten. Zugleich können sie umfassend am Konsum der Gäste partizipieren, da die Ausgaben für Freizeitaktivitäten, Getränke etc. an Land über die Bordkarte abgerechnet werden. Nach dem Vorbild der „Disney“-Themenparks gestalten die Reedereien diese Inseln als abgegrenzte, saubere und sichere Erlebnis- und Konsumwelten, in denen die klischeeartigen Erwartungen der Passagiere an einen Karibik-Urlaub perfekt werden - mit Steel Drum-Bands, (künstlichen) Wracks von Piratenschiffen, (vermeintlich) traditionellen Märkten und (angeblich) landestypischen Geschäften. Aufgrund dieser kulissenhaften Inszenierung ist den Gästen häufig nicht bewusst, in welchem Land sie sich aufhalten (vgl. W OOD 2000, S. 361; → Abb. 25). <?page no="84"?> Karibik 85 Abb. 25: Ein Paradies am Meeresstrand - diese gängige Vorstellung von einem Traumurlaub wird auf den Privatinseln der Reedereien erfüllt. Dort inszenieren sie eine scheinbar perfekte Karibik-Urlaubswelt - mit gepflegten Stränden, Steeldrum-Bands, Piratenschiffen etc. Durch solche eigenen Stopover Resorts erweitern die Unternehmen ihre Leistungskette und erhöhen ihre Rendite. Mit dem Betrieb solcher Privatinseln gelingt es den Reedereien, ihr Kerngeschäft um ein zusätzliches Geschäftsfeld zu erweitern; dabei verfolgen sie mehrere strategische Ziele (vgl. K LEIN 2013, S. 49): Zum einen vermeiden sie die Liegegebühren in den Häfen, die in einigen Staaten erhöht worden sind, um in höherem Maße am Kreuzfahrtboom zu partizipieren. Zum anderen steigern sie ihren Gewinn, da sie die Ausgaben der Passagiere bei den Landgängen vollständig abschöpfen: Wie an Bord der Schiffe sind die Gäste dort Captive Consumers (unfreie Konsumenten), die ausschließlich Angebote der Reedereien nutzen können (bei den - angeblich - lokalen Händlern, Servicekräften, Musikern etc. auf den Privatinseln handelt es sich überwiegend um Mitarbeiter der Unternehmen). <?page no="85"?> Die Kreuzfahrtreviere 86 Schließlich können sie ihre Treibstoffkosten reduzieren, da die Inseln das bestehende Routennetz ergänzen und nach kurzer Fahrt mit langsamer Geschwindigkeit erreicht werden können (Slow Steaming) (vgl. ACS 2016, S. 5-7 zu den unterschiedlichen Routen der Reedereien). Angesichts der geringen ökonomischen Wirkungen der unternehmenseigenen Stopover Resorts auf die Zielgebiete stößt diese Entwicklung bei den Tourismusakteuren vor Ort, aber auch bei tourismuskritischen Gruppen in westlichen Ländern auf große Skepsis: „Der große Verlierer ist das bereiste Gastland, dessen Bewohner von den Urlaubern bewusst ferngehalten werden und das allenfalls als Theaterbühne dient“ (D ELIUS 2014, S. 13). Damit trägt der Kreuzfahrttourismus nicht zu einer Lösung der touristischen Strukturprobleme in der Karibik bei: Generell wird die einheimische Bevölkerung nicht in angemessenem Umfang an den Einnahmen aus dem Tourismus beteiligt, da die gesamte Leistungskette von ausländischen Akteuren dominiert wird (Hotelketten, Fluggesellschaften, Reiseveranstalter etc.). Vor diesem Hintergrund weist die Karibik eine hohe Sickerrate (Leakage) auf: Zu Beginn des 21. Jahrhunderts flossen ca. 75 Prozent der Deviseneinnahmen in andere Länder ab - zumeist in westliche Industriestaaten (vgl. Z APPINO 2005, S. 30-31; → Kap. 5.1.2). Auch die direkten Effekte auf den Arbeitsmarkt sind gering: Statt einheimischer Arbeitskräfte werden an Bord der Kreuzfahrtschiffe, die ausschließlich unter Billigflaggen (Flags of Convenience) verkehren, vor allem Servicekräfte aus Asien und Osteuropa beschäftigt. Weniger als sieben Prozent der Crewmitglieder stammen aus der Region - trotz der hohen Arbeitslosigkeit und der räumlichen Nähe zu den wichtigen Home Ports in Florida (vgl. A JAGUNNA / P IN - NOCK 2013, S. 195; → Kap. 5.3.2). ⚓ Weiterführende Lesetipps BREA (Business Research & Economic Advisers) (Hrsg.; 2015): Economic Contribution of Cruise Tourism to the Destination Economies. A Survey-based Analysis of the Impacts of Passenger, Crew and Cruise Line Spending, Volume 1 Aggregate Analysis, Exton, PA Die Studie enthält umfassende Daten zum Umfang und zur Struktur der Ausgaben von Passagieren, Crewmitgliedern und Reedereien in den einzelnen Karibikstaaten (allerdings ohne die öffentlichen Kosten zu berücksichtigen). <?page no="86"?> Mittelmeer 87 P INNOCK , F. H. (2014a): The future of tourism in an emerging economy: the reality of the cruise industry in Caribbean. - In: Worldwide Hospitality and Tourism Themes, 6/ 2, S. 127-137 (DOI: 10.1108/ WHATT-12-2013- 0052) Welchen Nutzen bringt der Kreuzfahrttourismus für die Zielgebiete in der Karibik? Diese Frage steht im Mittelpunkt des Beitrags, in dem der Autor eine kritische Bilanz der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Effekte zieht. 3.2 Mittelmeer „Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn“ - mit dieser berühmten Zeile beginnt das Gedicht „Mignon“ von Johann Wolfgang von Goethe; sie ist längst zu einem geflügelten Wort geworden und vor allem zu einem Symbol der deutschen Sehnsucht nach dem Süden. Mit seiner Reise nach Italien (1768 -1788) war der Dichter letztlich auch ein Pionier des Tourismus, denn bald begann das Bildungs- und Besitzbürgertum, das Land auf seinen Spuren zu entdecken. Aus diesen elitären Anfängen hat sich - speziell seit den 1960er-Jahren - ein massenhafter Strom von Touristen entwickelt, die jedes Jahr ihren Urlaub am Mittelmeer verbringen: Im Jahr 2014 wurden dort ca. 215 Millionen ausländische Gäste registriert. Damit ist sie nicht nur die „Badewanne Europas“, sondern zugleich auch die bedeutendste Tourismusdestination der Welt (vgl. UNWTO 2016). Selbst wenn sich die Urlauber des 21. Jahrhunderts hinsichtlich ihrer Motive und Aktivitäten wesentlich von ihren touristischen Vorfahren unterscheiden, so spielt die natur- und kulturräumliche Standortgunst des Mittelmeerraumes weiterhin eine zentrale Rolle - die trocken-warmen Sommer, die angenehmen Wassertemperaturen, die landschaftliche Vielfalt, die charakteristische Vegetation sowie die Vielzahl von Kunst- und Kulturdenkmalen (vgl. K IZIELEWICZ 2013, S. 84; P AVLIĆ 2013, S. 127; → Abb. 26). Ein Sehnsuchtsraum und populäres Zielgebiet ist das Mittelmeer auch für Kreuzfahrttouristen; aus Sicht dieser Zielgruppe bietet die Region mehrere Vorteile: Aufgrund der guten Verkehrsverbindungen (Flugzeug, Bahn etc.) sind die Home Ports (Turnaround Ports) relativ schnell, kostengünstig und bequem zu erreichen. <?page no="87"?> Die Kreuzfahrtreviere 88 Außerdem verfügen die zahlreichen Hafenstädte jeweils über ein großes kulturelles Erbe, zahlreiche Besucherattraktionen und eine besondere urbane Atmosphäre. Vor diesem Hintergrund spielen die Landgänge bei diesen Seereisen eine weitaus größere Rolle als in der Karibik (vgl. UNWTO 2012, S. 30). Abb. 26: Die Sonne scheint zwar nicht bei Tag und Nacht (wie im Schlagertext behauptet) - dennoch gehört das angenehme Klima zu den touristischen Gunstfaktoren des Mittelmeerraumes. Deshalb können die Reedereien auch in der Vor- und Nachsaison Kreuzfahrten durchführen: So verzeichnet z. B. die kroatische Hafenstadt Dubrovnik sogar in den Wintermonaten mehrere Schiffsankünfte. Für die Reedereien stellt das Mittelmeer deshalb ein wichtiges Geschäftsfeld dar: Sie betreiben dort ca. ein Fünftel der weltweit angebotenen Unterkunftskapazität an Bord von Schiffen - gemessen in Available Lower Berth Days (ALBD) (vgl. CLIA 2015a). Nach der Karibik ist der mediterrane Raum damit das zweitwichtigste Kreuzfahrtrevier der Welt; es wird in vier Regionen unterteilt (vgl. R ODRIGUE / N OTTEBOOM 2013, S. 49; L ANQUAR 2013, S. 16): der westliche Bereich umfasst Häfen in Portugal, Spanien, Frankreich und im westlichen Italien (einschließlich Sizilien); in der Adria werden Häfen im östlichen Italien und in den Balkanländern angelaufen - speziell in Kroatien (vgl. S CIOZZI / P OLETAN J UGOVIĆ / J UGOVIĆ 2015, S. 12-13); 2 6 6 26 55 63 69 69 76 73 25 5 Ankünfte von Kreuzfahrtschiffen in Dubrovnik <?page no="88"?> Mittelmeer 89 zur östlichen Region gehören Ziele in Griechenland, Zypern, der Türkei und Israel (vgl. B AGIS / D OOMS 2014 zu einer detaillierten Potenzialanalyse der dortigen Häfen); die Häfen im südlichen Mittelmeer (in Ägypten, Tunesien und Marokko) spielen in jüngerer Zeit aus politischen Gründen nur eine relativ geringe Rolle (vgl. F REYER / J ANS 2016, S. 33). Die Bedeutung der einzelnen Reviere spiegelt sich im Ranking der zehn wichtigsten Häfen wider: Dabei kommt Städten im westlichen Mittelmeer eine zentrale Bedeutung zu. Sieben der Häfen mit der höchsten Zahl an Passagierbewegungen liegen in dieser Region; aufgrund seiner Spitzenposition gilt Barcelona als das „Miami des Mittelmeers“. In der Adria verzeichnen Venedig und Dubrovnik hohe Passagierzahlen, im östlichen Mittelmeer das griechische Piräus (vgl. Y AGCI / A KDAG 2016, S. 531; → Tab. 6; → Abb. 27). Generell konzentrieren sich 80 Prozent der kreuzfahrttouristischen Nachfrage auf das westliche Mittelmeer und nur 20 Prozent auf den östlichen Bereich sowie das Schwarze Meer (vgl. C USANO / F ERRARI / T EI 2017, S. 238). Hafen Passagierbewegungen Barcelona 2.683.594 Civitavecchia 2.339.676 Palma de Mallorca 1.957.429 Venedig 1.605.660 Marseille 1.597.213 Neapel 1.306.151 Piräus 1.094.135 Genua 1.017.368 Savona 910.244 Dubrovnik 831.730 Tab. 6: Das „Mare Nostrum“ ist - nach der Karibik - das zweitwichtigste Kreuzfahrtrevier der Welt. An den Passagierzahlen der TOP 10-Häfen im Jahr 2016 wird deutlich, dass sich die Nachfrage dabei auf Häfen im westlichen Mittelmeer konzentriert. Die Adria und das östliche Mittelmeer sind in diesem Ranking hingegen nur mit drei Häfen vertreten (Venedig, Piräus, Dubrovnik). <?page no="89"?> Die Kreuzfahrtreviere 90 Abb. 27: Mit ca. 2,7 Millionen Passagierbewegungen ist Barcelona der bedeutendste mediterrane Kreuzfahrthafen; die katalanische Hauptstadt wird deshalb auch als das „Miami des Mittelmeers“ bezeichnet. Aus Sicht von Reedereien und Urlaubern bietet Barcelona mehrere Standortvorteile; dazu zählen u. a. die gute Erreichbarkeit per Flugzeug, die kurze Distanz vom Flughafen zu den Kreuzfahrtterminals sowie die zahlreichen touristischen Attraktionen. Mit mehr als 153 Häfen gibt es im Mittelmeer ein breites Angebot an Stopover Ports (Ports of Call), die für Landgänge angelaufen werden. Die Zahl der Home Ports (Turnaround Ports) bzw. Hybrid Ports, die beide Funktionen haben, beläuft sich hingegen nur auf 24 Hafenstädte (vgl. C APPATO 2011, S. 18). Die enorme Dynamik des Kreuzfahrttourismus im Mittelmeerraum lässt sich anhand einiger Daten verdeutlichen: So stieg die Gesamtzahl der Passagierbewegungen in dieser Kreuzfahrtregion von 8,6 Millionen (2000) auf 27,4 Millionen im Jahr 2016 (vgl. MedCruise 2017, S. 9). In der kroatischen Hafenstand Dubrovnik wuchs dieses Marktsegment von 89.780 Passagieren im Jahr 1998 auf mehr als 800.000 im Jahr 2013 (vgl. P AVLIĆ 2013, S. 132; R ADIĆ 2016, S. 25). <?page no="90"?> Asien 91 Die Lagunenstadt Venedig verzeichnete im Zeitraum 1999-2013 ein Wachstum der Nachfrage von 100.000 auf 1,8 Millionen Kreuzfahrtgäste (vgl. C HEONG 2013a, S. 32). Eine wesentliche Ursache dieses Booms war die Geschäftspolitik der großen Reedereikonzerne, die ihr Angebot im Mittelmeerraum in jüngerer Zeit deutlich erweitert haben - speziell durch den Einsatz von Mega-Schiffen (mit mehr als 3.000 Passagieren). Sie haben damit auf die relativ niedrigen Wachstumsraten des nordamerikanischen Marktes reagiert: Während dort erste Sättigungstendenzen zu beobachten sind, besteht in den europäischen Ländern noch ein erhebliches Nachfragepotenzial: In den USA verfügen bereits elf Prozent der Bevölkerung über Kreuzfahrterfahrungen, in Europa hingegen erst zwei Prozent (vgl. L EKAKOU / P ALLIS 2004; T ORBIANELLI 2011). Diese Erweiterung der Kapazitäten hat zum einen dazu geführt, dass der Kreuzfahrttourismus in beliebten Hafenstädten wie Venedig, Neapel, Barcelona, Genua etc. weitaus höhere Wachstumsraten verzeichnen konnte als der landgebundene Tourismus. Zum anderen ist es dort aufgrund der rasanten Entwicklung aber auch zu einer erheblichen Belastung der Infrastruktur und der einheimischen Bevölkerung gekommen, die vielerorts zum Gegenstand öffentlicher Diskussionen geworden ist - bis hin zu medienwirksamen Protestaktionen und zur Gründung von Bürgerinitiativen (→ Kap. 5.3.1). ⚓ Weiterführende Lesetipps C USANO , M. I./ F ERRARI , C./ T EI , A. (2017): Port hierarchy and concentration: Insights form the Mediterranean cruise market. - In: International Journal of Tourism Research, 19, S. 235-245 (DOI: 10.1002/ jtr.2106) Auf der Basis aktueller Routen-Daten analysieren die Autoren die Hierarchie von Häfen im Mittelmeerraum: Nur wenige Hafenstädte gehören zum Standardprogramm zahlreicher Reedereien - vor allem aufgrund ihrer Attraktivität und Ausstattung sowie des vielfältigen Angebots an Landausflügen. In der Mehrzahl handelt es sich um sog. Satellite Ports, die nur gelegentlich angelaufen werden. 3.3 Asien „Tourismus-Supermacht China“ - unter dieser Schlagzeile berichteten die Medien im Sommer 2013 über eine touristische Sensation: Zum ersten Mal hatten chinesische Touristen bei Auslandsreisen mehr Geld ausgegeben als die deutschen Urlauber, die bis dahin für lange Zeit „Reiseweltmeister“ gewesen waren. <?page no="91"?> Die Kreuzfahrtreviere 92 Damit ist der „schlafende Riese“ - so wurde China einst von Napoleon bezeichnet - nicht nur in ökonomischer, sondern auch in touristischer Hinsicht nun zu einem wichtigen Global Player geworden (vgl. S TROBEL Y S ERRA 2013). Für diese Entwicklung waren mehrere Faktoren verantwortlich: eine anhaltende wirtschaftliche Expansion, das Entstehen einer neuen Mittelschicht, die sich in ihrem Konsum- und Freizeitverhalten an westlichen Mustern orientiert, sowie der Abbau von Aus- und Einreisebestimmungen für chinesische Touristen (vgl. S TEINECKE 2014, S. 166-167). Auch im Kreuzfahrttourismus spielt der chinesische Quellmarkt eine wichtige Rolle (vgl. A BEL 2015, S. 25; CLIA 2015, S. 30): Auf dem asiatischen Markt kommt gegenwärtig jeder zweite Passagier aus dem „Reich der Mitte“. Weitere bedeutende Quellgebiete sind Singapur, Japan und Taiwan (nicht zu vernachlässigen sind auch Urlauber aus den USA und Europa, die an Kreuzfahrten in Asien teilnehmen) (vgl. C OGGINS J R 2014, S. 147; J OSIAM u. a. 2012 mit einer Studie zur Segmentierung des taiwanesischen Marktes). Allein im Zeitraum 2012-2014 stieg die Zahl der chinesischen Kreuzfahrttouristen von 216.700 auf 697.316; bis zum Jahr 2020 wird ein Wachstum auf ca. 4,5 Millionen prognostiziert. Trotz dieser positiven Perspektiven befinden sich die Kreuzfahrten in China und generell in Asien - im Vergleich zu den USA und Europa - noch in der Einführungsphase des Produktlebenszyklus, die durch relativ niedrige Gästezahlen und hohe Wachstumsraten gekennzeichnet wird (→ Abb. 28). Abb. 28: In den beiden vergangenen Jahrzehnten hat der asiatische Kreuzfahrtmarkt eine enorme Steigerung der Nachfrage verzeichnet, während die Wachstumsrate in Nordamerika weitaus geringer war. Diese Entwicklung deutet darauf hin, dass sich Kreuzfahrten in Asien noch in der Einführungsphase des Produktlebenszyklus befinden, während sie in den USA bereits die Reifephase erreicht haben. Umsatz/ Wertschöpfung Asien Europa Nordamerika Zeit/ Lebensdauer Einführung Wachstum Reife Degeneration Relaunch <?page no="92"?> Asien 93 Darüber hinaus zeigen aktuelle Marktuntersuchungen, dass die chinesischen Gäste andere Erwartungen an Kreuzfahrten haben als US-Amerikaner bzw. Europäer (vgl. F AN / H SU 2014, S. 527-528; S HEN u. a. 2014, S. 114; S UN / F ENG / G AURI 2014, S. 77-78; CLIA 2015, S. 6; → Abb. 29): Zwar rangiert das Interesse an anderen Ländern und Kulturen sowie der Wunsch nach Erholung und Unterhaltung auch in ihrem Motivspektrum weit oben; besonders ausgeprägt ist jedoch das Bedürfnis, die Zeit gemeinsam mit der Familie zu verbringen - ein deutlicher Hinweis auf den zentralen Stellenwert, den enge familiäre Beziehungen in der chinesischen Gesellschaft haben. Außerdem kommt dem demonstrativen Konsum eine gewisse Bedeutung zu: So gaben die Befragten an, vor allem Länder besuchen zu wollen, in denen ihre Freunde, Bekannten und Kollegen noch nicht gewesen sind. Offensichtlich unternehmen sie Kreuzfahrten, um in ihrem heimatlichen Umfeld als Trendsetter zu gelten und ihren sozialen Status symbolisch zum Ausdruck zu bringen. Mit einer zunehmenden Popularität von Kreuzfahrten wird dieses Reisemotiv allerdings immer mehr an Bedeutung verlieren (vgl. Y INGZHI u. a. 2014, S. 122). Auf dem chinesischen Markt handelt es sich bei Kreuzfahrten bislang noch um ein relativ junges Produkt, das erst seit ca. 15 Jahren angeboten wird. Bei den Kunden bestehen deshalb ein großes Informationsbedürfnis sowie der Wunsch nach einer Transparenz der Angebote und einer Berechenbarkeit der Leistungen. In China gibt es - im Gegensatz zu westlichen Staaten - bislang noch keine einheitlichen Urlaubsregelungen (z. B. bezahlte Urlaubstage). Viele Arbeitnehmer haben nur die Möglichkeit, die vier verlängerten Wochenenden anlässlich der nationalen Feiertage bzw. die beiden „Golden Weeks“ im Januar/ Februar und Oktober für Reisen zu nutzen. Auch das durchschnittliche Einkommen ist niedriger als in anderen Ländern. Aus diesem Grund bevorzugen die chinesischen Touristen kürzere Kreuzfahrten von zwei bis sechs Tagen Dauer; außerdem sind sie qualitätsbewusst und zugleich preissensibel (vgl. Z OU / P ETRICK 2015). Darüber hinaus müssen sich die Anbieter auf die spezifischen Ernährungsgewohnheiten der chinesischen Passagiere einstellen: Da die Urlauber in der Regel noch nicht über breite internationale Reiseerfahrungen verfügen, legen sie großen Wert auf eine authentische chinesische Küche (so haben Marktuntersuchungen ergeben, dass nur ca. 30 Prozent der Gäste an westliche Speisen und Getränke gewöhnt sind). Um diese spezifischen Ansprüche der Kunden zu erfüllen, haben die Reedereien bereits Restaurants und Freizeiteinrichtungen umgestaltet, Pool- und Wellness- <?page no="93"?> Die Kreuzfahrtreviere 94 flächen zurückgebaut, zusätzliche Shops eingerichtet und die Casinos erweitert. Auch beim Serviceangebot werden die kulturellen Besonderheiten der Passagiere berücksichtigt - z. B. bei der Rekrutierung und Schulung chinesischer Mitarbeiter (vgl. F REYER / J ANS 2016, S. 33). Abb. 29: Umfassende Informationen vor der Reise, eine abwechslungsreiche Verpflegung und ein professioneller Service - diese Angebotselemente spielen für chinesische Passagiere eine zentrale Rolle. Die vergleichende Betrachtung macht deutlich, dass die Reedereien bei der Produktgestaltung solche nationalspezifischen Erwartungen unbedingt berücksichtigen müssen: So legen die russischen Gäste z. B. größeren Wert auf komfortable Kabinen und eine gute Ausstattung der Schiffe. Ungeachtet dieser Besonderheiten und Restriktionen gelten speziell China und Asien generell in der Kreuzfahrtbranche als Emerging Markets: Zum einen haben die international agierenden Kreuzfahrtkonzerne ihr Angebot dort in jüngerer Zeit erheblich erweitert - u. a. durch die Gründung regionaler und lokaler Repräsentanzen sowie die regelmäßige Nutzung von Hafenstädten als Home Ports (Turnaround Ports). Zum anderen betrachten Politiker, Planer und Touristiker den Kreuzfahrttourismus zunehmend als neues, lukratives Geschäftsfeld. Diese Entwicklung spiegelt sich auch im Ausbau der Häfen wider: Gegenwärtig ist Singapur mit jährlich 335 Schiffsankünften der wichtigste Kreuzfahrthafen in Asien, doch zahlreiche andere Städte versuchen, durch eine Erweiterung ihrer Hafeninfrastruktur an dem erwarteten Boom teilzuhaben (→ Tab. 7): 0 1 2 3 4 5 Reservierung Information vor der Reise Check-in Kabine Verpflegung Aktivitäten/ Events Unterhaltung Stopover Ports Ausflüge Landgänge On Board- Kommunikation Zustand/ Ausstattung Service Chinesen Russen <?page no="94"?> Asien 95 In Hongkong wurde z. B. im Jahre 2013 auf dem Gelände des ehemaligen innerstädtischen Flughafens das „Kai Tak Cruise Terminal“ (KTCT) eröffnet. Der neue Hafen verfügt über zwei Liegeplätze für Mega-Schiffe mit insgesamt 5.400 Passagieren und 1.200 Crewmitgliedern (vgl. L AU u. a. 2014, S. 17; H SU 2015, S. 1; → Abb. 30). Abb. 30: Flanieren mit Blick auf Kreuzfahrtschiffe - diese Möglichkeit bietet die Dachterrasse des „Kai Tak Cruise Terminal“ in Hongkong. Der multifunktionale Komplex wurde auf dem Gelände des früheren Flughafens nach Entwürfen des Architekten Norman Foster errichtet. Mit dem modernen Terminal versucht die Stadt, sich als attraktive Destination auf dem rasch expandierenden asiatischen Kreuzfahrtmarkt zu positionieren. In der Metropole Shanghai gibt es bereits drei Kreuzfahrtterminals - das „Shanghai Port International Cruise Terminal“ (SPICT), das seit 2008 von der „Royal Caribbean International“ als Home Port für Routen nach China, Japan und Südkorea genutzt wird, sowie das „Shanghai Wusongkou (WSK) International Cruise Terminal“ und das „Waigaoqiao (WGQ) Cruise Terminal“ (vgl. K AI - XIAN / W EN - BAI / S I - QIN 2014 zu den regionalwirtschaftlichen Spillover-Effekten). <?page no="95"?> Die Kreuzfahrtreviere 96 Seit kurzem positioniert sich auch die südchinesische Metropole Xiamen (Provinz Fujian) als „International Cruise City“ auf dem asiatischen Markt: Mit einem Investitionsvolumen von 16 Millionen US-Dollar werden dort bis zum Jahr 2018 weitläufige Hafen- und Abfertigungsanlagen für vier Kreuzfahrtschiffe errichtet ( www.thb.info vom 04.08.2016). Hafen Schiffsankünfte Singapur 335 Baoshan/ Shanghai (China) 254 Jeju Island (Südkorea) 218 Hongkong 184 Georgetown/ Penang (Malaysia) 183 Keelung/ Taipei (Taiwan) 147 Patong Bay/ Phuket (Thailand) 115 Ho Chi Minh City (Vietnam) 111 Pusan/ Busan (Südkorea) 108 Halong Bay/ Hanoi (Vietnam) 108 Tab. 7: Mit deutlichem Abstand belegt die „Löwenstadt“ Singapur den ersten Platz in der Rangfolge der wichtigsten asiatischen Kreuzfahrthäfen. Generell konzentriert sich die Nachfrage gegenwärtig auf ostasiatische Destinationen, während indische Häfen nur eine nachrangige Rolle spielen (z. B. Kochi, Mumbai). In China wird die Entwicklung des Kreuzfahrttourismus nicht nur durch den Ausbau der Hafeninfrastruktur gefördert, sondern auch durch zahlreiche Maßnahmen auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene begleitet (vgl. Z HOU / S HI 2013, S. 56; S UN / F ENG / G AURI 2014, S. 80-81): Bereits im Jahr 2008 hat die einflussreiche staatliche „China National Development and Reform Commission“ (CNDRC) den Kreuzfahrttourismus in die Liste wichtiger Industriezweige aufgenommen. Mit dieser strategischen Entscheidung wurden nationale Unternehmen und Institutionen ermutigt, sich stärker in diesem touristischen Marktsegment zu engagieren. <?page no="96"?> Asien 97 Im operativen Bereich reicht das Spektrum der unterstützenden Maßnahmen von Marktstudien und Management-Konzepten über eine Öffnung des Marktes für ausländische Spezialreiseveranstalter bis hin zu steuerfreien Einkaufsmöglichkeiten für Passagiere auf der populären Urlaubsinsel Hainan - dem „Hawaii von China“ (vgl. G ROSS 2009). Darüber hinaus wurde im Jahr 2012 der Luxusliner „China Star“ in Xiamen auf Kiel gelegt - das erste chinesische Kreuzfahrtschiff. Es wird für Kurzkreuzfahrten von Hongkong nach Taiwan eingesetzt und dient außerdem als schwimmendes Casino; diese Gambling Ships sind bei chinesischen Urlaubern sehr beliebt, da Glücksspiele in der Volksrepublik verboten sind (vgl. R OHR 2010, S. 39). Schließlich hat die „China National Tourism Administration“ das Jahr 2013 zum „China Maritime Tourism Year“ erklärt. Mit dieser Kampagne sollte die nationale und internationale Öffentlichkeit auf das wasserbezogene touristische Potenzial des Landes aufmerksam gemacht werden. Ungeachtet dieser wirtschafts- und tourismuspolitischen Maßnahmen bestehen in China gegenwärtig noch eine Reihe von Strukturproblemen, um auf dem internationalen Kreuzfahrtmarkt konkurrenzfähig sein zu können; dazu zählen u. a. (vgl. S UN / F ENG / G AURI 2014, S. 82-83): eine unzureichende Infrastrukturausstattung der Hafenstädte (es fehlen z. B. großflächige Kaianlagen für Mega-Schiffe), ein niedriger Bekanntheitsgrad und ein geringes Interesse an Kreuzfahrten (da die Mehrzahl der chinesischen Konsumenten bislang noch keine Erfahrungen mit maritimen Urlaubsformen hat), ein Mangel an speziellen Ausbildungseinrichtungen für logistische und touristische Fachkräfte (erst im Jahr 2012 wurde in Shanghai die „Asia Cruise Academy“ gegründet), eine fehlende Koordination der Aktivitäten (so gibt es bislang noch kein nationales Konzept für die Entwicklung des Kreuzfahrttourismus), eine einseitige Konzentration auf den wirtschaftlichen Nutzen des Kreuzfahrttourismus (während mögliche Belastungen von Umwelt und Bevölkerung bislang weitgehend vernachlässigt werden). <?page no="97"?> Die Kreuzfahrtreviere 98 ⚓ Weiterführende Lesetipps CLIA (Cruise Line International Association) (Hrsg.; 2015): Asia Cruise Trends. 2014 Edition, Washington, D. C. Die aktuelle Marktstudie enthält detaillierte Angaben zur Entwicklung des Kreuzfahrttourismus in den asiatischen Ländern - u. a. zur Angebotskapazität sowie zu den einzelnen Destinationen und unterschiedlichen Quellmärkten. S UN , X./ F ENG , X./ G AURI , D. K. (2014): The cruise industry in China: Efforts, progress and challenges. - In: International Journal of Hospitality Management, 42, S. 71-84 (DOI: 10.1016/ j.ijhm.2014.05.009) Der Artikel vermittelt einen umfassenden Überblick über die bisherige Entwicklung des Kreuzfahrttourismus in der Volksrepublik China sowie die künftigen Herausforderungen in diesem touristischen Marktsegment. C HONG , K. L. (2015): Cruise Tourism in Malaysia: a SWOT Analysis. - In: R ADZI , S. M. u. a. (Hrsg.): Theory and Practice in Hospitality and Tourism Research, London, S. 189-193 (DOI: 10.1201/ b17390-38) Wie kann Malaysia seine Wettbewerbsposition auf dem Kreuzfahrtmarkt künftig verbessern? Zur Beantwortung dieser Frage untersucht der Autor die spezifischen Stärken und Schwächen des Landes, aber auch die Chancen und Risiken in Form einer übersichtlichen SWOT-Analyse. 3.4 Antarktis und Arktis Unwirtlich, abgelegen und nur für kurze Zeit des Jahres zu bereisen - solche Standorteigenschaften sind sicherlich keine Gunstfaktoren für die touristische Entwicklung einer Region; dennoch konnte die Antarktis seit den 1950er-Jahren einen erheblichen Anstieg der Besucherzahlen verzeichnen. Er wurde ausschließlich durch Kreuzfahrten ausgelöst, da es auf dem lebensfeindlichen, weitgehend mit Eis und Schnee bedeckten Kontinent keine dauerhafte touristische Infrastruktur gibt (vgl. S CHMIDT 2007). Nach der Entdeckung des Südpols durch den Norweger Roald Amundsen im Jahr 1911 war die Antarktis lange Zeit ausschließlich das Ziel von Wissenschaftlern, die das riesige Festland auf strapaziösen Expeditionen und in einsamen Forschungsstationen erkundeten (mit einer Fläche von mehr als 13 Millionen Quadratkilometern ist die Antarktis um ein Fünftel größer als Europa). Erst vor dem Hintergrund einer zunehmenden touristischen Erschließung des Globus wurde die Antarktis zu einer exklusiven Attraktion - als einzigartige, <?page no="98"?> Antarktis und Arktis 99 grandiose Naturlandschaft, deren besonderer Reiz gerade in ihrer Unberührtheit und Zivilisationsferne bestand. Im wahrsten Sinne des Wortes gehörte sie bis vor wenigen Jahrzehnten noch zu den letzten weißen Flecken auf der Weltkarte des Tourismus. Die ersten zahlenden Gäste, die im Jahr 1958 gemeinsam mit Wissenschaftlern von Argentinien aus die Südlichen Shetland-Inseln besuchten, konnten sich deshalb noch als touristische Pioniere begreifen. Im Weiteren wurde die Entwicklung des Antarktis-Tourismus vor allem durch den schwedischamerikanischen Unternehmer und Entdecker Lars-Eric Lindblad geprägt, der zunächst mit Charterschiffen und seit 1969 mit dem speziell gebauten Kreuzfahrtschiff „Lindblad Explorer“ Urlaubsreisen im Südlichen Ozean anbot (vgl. UBA 2013; → Abb. 31). Abb. 31: Fast allein am Rand der Welt - bei Kreuzfahrten im Südpolarmeer handelt es sich um exklusive touristische Produkte für ein zahlungskräftiges Reisepublikum. So bietet die „National Geographic Explorer“ z. B. nur Platz für 148 Passagiere, die von einem Expertenteam betreut werden. Das Expeditionsschiff verfügt über einen verstärkten Rumpf und besondere Instrumente, die auch das Navigieren in schwierigen Fahrwasserverhältnissen ermöglichen. Bis in die Gegenwart praktizieren die Kreuzfahrtreedereien das von ihm konzipierte „Lindblad-Modell“: Während der Seereise werden die Passagiere von Fach- <?page no="99"?> Die Kreuzfahrtreviere 100 leuten über die naturräumlichen Besonderheiten des Kontinents informiert. Diese Experten nehmen auch an den Landgängen teil, die jeweils in kleinen Gruppen mit eistauglichen Schlauchbooten stattfinden (Zodiacs). Aufgrund der harschen klimatischen Bedingungen konzentriert sich der Antarktis- Tourismus auf die südlichen Sommermonate (November bis März). Außerdem finden die Anlandungen überwiegend auf der westlich gelegenen Antarktischen Halbinsel statt, die in dieser Zeit weitgehend eisfrei ist. Dort gibt es ca. 160 Anlandungsplätze, die - aus Sicht der Besucher - jeweils über besondere Attraktionen verfügen; dazu zählen u. a. autochthone Tiere und Pflanzen, Gletscher, Eisberge und heiße Quellen sowie historische Relikte aus der Zeit des Walfangs (vgl. UBA 2013). Seit den 1980er-Jahren ist die Zahl der Touristen zunächst rasant gestiegen - von ca. 2.000 auf 46.265 in der Saison 2007/ 08 (im internationalen Vergleich ist das allerdings ein sehr niedriger Wert; er entspricht der Zahl von Ankünften im nordrhein-westfälischen Recklinghausen, das nicht als touristischer Hotspot gilt). In den folgenden Jahren kam es zu einem Rückgang der Besucherzahlen, der zum einen durch die weltweite Finanzkrise ausgelöst wurde, zum anderen durch das Verbot, Kreuzfahrtschiffe im Südpolarmeer mit Schweröl zu betreiben. Inzwischen hat sich die Nachfrage bei 35.000-38.000 Urlaubern/ Jahr stabilisiert. Allerdings nehmen nur ca. 80 Prozent der Passagiere an Landgängen teil, die übrigen betrachten die eindrucksvolle Eis- und Gletscherwelt von Bord der (größeren) Kreuzfahrtschiffe aus. Wichtige Quellmärkte sind die USA, Australien, China, Großbritannien und Deutschland; dabei hat sich speziell China in jüngerer Zeit als Wachstumsmarkt erwiesen (vgl. IAATO 2016; → Abb. 32). Abb. 32: Mit ihrer Abgeschiedenheit, ihrer unberührten Landschaft und ihrer ungewöhnlichen Tierwelt hat sich die Antarktis in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend zu einem Reiseziel für naturinteressierte und wohlhabende (sowie seefeste) Kreuzfahrttouristen aus aller Welt entwickelt. Mehr als die Hälfte der Besucher kommt dabei aus den USA, Australien und China. USA 35,5 % Australien 11,0 % China 10,6 % Großbritannien 8,4 % Deutschland 7,4 % Kanada 4,8 % Frankreich 3,0 % Schweiz 2,9 % andere 16,4 % <?page no="100"?> Antarktis und Arktis 101 Mit dem generellen Wachstum der Nachfrage war auch eine stärkere räumliche Konzentration der Besucherströme verbunden: Vor allem der Trend zu kürzeren Kreuzfahrten hatte zur Folge, dass zwei Drittel der jährlich ca. 170.000 Anlandungen an nur 15 Plätzen stattfinden; dabei verzeichnen allein zwei Anlandungsstellen - und Pinguinkolonien - jeweils mehr als 16.000 Besucher (vgl. L YNCH u. a. 2010; B ENDER / C ROSBIE / L YNCH 2016). Darüber hinaus ist auch im Antarktis-Tourismus - wie in anderen touristischen Marktsegmenten - eine ständige Produktdifferenzierung zu beobachten: Neben den traditionellen Landgängen werden Helikopterflüge, Paragliding, Kajak-Touren sowie extreme Berg- und Skiwanderungen angeboten; seit 2006 findet außerdem jedes Jahr ein „Antarktis Marathon“ statt (vgl. M AYER 2014, S. 327). Trotz der geringen Zahl von Besuchern stellt der Tourismus für die äußerst sensible arktische Umwelt, Fauna und Flora grundsätzlich eine Bedrohung dar: Zum einen tragen die Kreuzfahrtschiffe durch Emissionen und Abwässer zu einer Luft- und Wasserverschmutzung bei; zum anderen kann es bei den Landgängen der Passagiere zu Trittschäden, zu Störungen der Tierwelt und zur Verbreitung fremder Organismen kommen (vgl. UBA 2009, S. 5-7): Trittschäden: Die antarktischen Flechten, Moose, Gräser etc. haben sich an die extremen klimatischen Bedingungen und die kurze Wachstumsperiode angepasst; zugleich reagieren sie aber besonders empfindlich auf externe Einflüsse. Da sie teilweise nur 0,01-0,1 mm pro Jahr wachsen, benötigten sie lange Zeit, um sich z. B. nach Trittschäden wieder zu regenerieren: Ein Fußabdruck kann deshalb mehr als 100 Jahre lang deutlich sichtbar bleiben. Störungen der Tierwelt: Da es auf dem antarktischen Festland keine Raubtiere gibt, haben die heimischen Tierarten kaum Fluchtreflexe entwickelt; auch gegenüber Menschen zeigen sie wenig Scheu. Der verständliche Wunsch der Besucher, eindrucksvolle Erinnerungsfotos zu machen, kann aber dazu führen, dass der erforderliche Mindestabstand nicht eingehalten wird und die Tiere in Ruhebzw. Brutphasen gestört werden. Bei Pinguinen ist in solchen Fällen eine deutliche Steigerung der Herzfrequenz und ein zusätzlicher Energieverbrauch gemessen worden; außerdem führte das Verlassen des Nestes dazu, dass die Temperatur der Eier um mehrere Grad Celsius sank (→ Abb. 33). Verbreitung fremder Organismen: Grundsätzlich besteht die Gefahr, dass die Touristen an Wanderstöcken, Schuhen, Stativen etc. ungewollt Erdreste und Samen aus ihren Heimatländern in die Antarktis transportieren, die das empfindliche ökologische System stören können. So ist z. B. bei Kaiserpinguinküken ein Virus festgestellt worden, das eine Immunschwäche auslösen kann; es wird vermutet, dass dieses Virus auf importierte Hühnerprodukte zurückzuführen ist. <?page no="101"?> Die Kreuzfahrtreviere 102 Abb. 33: Da es in der Antarktis keine an Land jagenden Raubtiere gibt, hat die dortige Tierwelt nur geringe Fluchtreflexe entwickelt und zeigt auch wenig Scheu vor Menschen. Um jedoch Störungen in Ruhe-, Brutbzw. Aufzuchtphasen zu vermeiden, werden die Besucher aufgefordert, bei ihren Landgängen gewisse Mindestabstände einzuhalten. Dabei ist die unterschiedlich große Komfortzone der jeweiligen Tierart zu beachten. Darüber hinaus besteht das Risiko, dass es durch eine Havarie zu einer Wasser- und Umweltverschmutzung kommt - wie das Beispiel des Kreuzfahrtschiffes „Explorer“ deutlich macht, das im Jahr 2007 nach der Kollision mit einem Eisberg sank (nur glücklichen Umständen war es zu verdanken, dass es damals nicht zu einer größeren Katastrophe gekommen ist). Angesichts solcher Bedrohungen durch den Tourismus gibt es zahlreiche Bemühungen, den einzigartigen Naturraum zu schützen und für künftige Generationen zu erhalten. Nach Einschätzung von Fachleuten gilt die Antarktis sogar als „best managed destination in the world“ (B AUER 2015): Bereits im Jahr 1959 wurde in Washington, D. C. der Antarktis-Vertrag geschlossen, der inzwischen von 47 Staaten unterzeichnet worden ist. Seitdem gilt der „Weiße Kontinent“ als ein Ort des Friedens, der internationalen Kooperation und der wissenschaftlichen Forschung. Zugleich haben sich einige Länder verpflichtet, ihre Territorialansprüche bis auf Weiteres nicht durchzusetzen. In dem Umweltschutzprotokoll zum Antarktis-Vertrag (USP) aus dem Jahr 1991 wurden zahlreiche Regelungen zum Schutz der Umwelt vereinbart - z. B. ein Verzicht auf die Nutzung von Rohstoffvorkommen sowie Richtlinien zu wissenschaftlichen und touristischen Aktivitäten. Im Jahr 1991 haben mehrere Spezialreiseveranstalter die „International Association of Antarctica Tour Operators“ (IAATO) gegründet; dieser Verband verfügt gegenwärtig über mehr als 100 Mitglieder. Sie erklären sich freiwillig dazu bereit, bei ihrer unternehmerischen Tätigkeit die Prinzipien einer nachhaltigen Entwicklung des Tourismus zu respektieren. Zu den Aufgaben der IAATO zählt u. a. die Abstimmung der Anlandungen, die Erstellung von Besuchereinzuhaltender Mindestabstand in Meter 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 Robbe, Pinguin Pinguin am Brutplatz Robbe mit Jungen, Seebär, Seevögel Kaiserpinguine in Kolonien Riesensturmvogel <?page no="102"?> Antarktis und Arktis 103 statistiken, die Ausbildung von Reiseleitern, die Unterstützung von Wissenschaftlern sowie die Interessenvertretung der Mitglieder ( www.iaato.org ). Vor dem Hintergrund dieser zahlreichen Vereinbarungen und Selbstverpflichtungen unterliegt der Antarktis-Tourismus erheblichen Restriktionen; dazu zählen u. a. (vgl. UBA 2013; M AYER 2014, S. 333): das Verbot der Nutzung und des Transports von Schweröl; der Verzicht auf den Bau dauerhafter touristischer Einrichtungen (Hotels, Restaurants etc.); eine Kapazitätsgrenze für Kreuzfahrtschiffe, die ihre Gäste in der Antarktis anlanden dürfen (maximal 500 Passagiere); eine Begrenzung der Zahl von Schiffen pro Anlandungsplatz (maximal ein Schiff) und der Zahl von Besuchern, die zur gleichen Zeit an Land gehen dürfen (maximal 100) - diese Maßnahme trägt auch dazu bei, den Mythos der Einsamkeit und unberührten Natur zu erhalten; eine Festlegung der Zahl von Reiseleitern, die bei Anlandungen anwesend sein müssen (ein Reiseleiter pro 20 Passagiere); eine spezielle Schulung von Kapitänen, die in die Antarktis fahren; eine Genehmigung für Individualreisende (z. B. Crew und Passagiere von kleineren Yachten), die von Bundesbürgern vor Beginn der Reise beim „Umweltbundesamt“ (UBA) beantragt werden muss; bei Pauschalreisen ist es die Pflicht der Reiseveranstalter, eine entsprechende Genehmigung einzuholen. Neben solchen Einschränkungen legen die Verantwortlichen besonders großen Wert auf eine umfassende umweltbezogene Information der Passagiere: So hat z. B. die IAATO entsprechende Materialien entwickelt (Videos, Broschüren etc.); außerdem bietet sie spezielle Online-Schulungskurse und Zertifizierungen für Antarktis- Reiseleiter an. Diese Maßnahmen sollen dazu beitragen, dass die gebildeten, gut situierten und reiseerfahrenen Urlauber zu Botschaftern werden, die sich nach ihrer Heimreise in ihrem sozialen Umfeld aktiv für den Schutz der Antarktis und generell für einen nachhaltigen Tourismus einsetzen. Aus Sicht von Kritikern handelt es sich bei diesem Ambassadorship-Konzept jedoch vor allem um eine Unternehmensstrategie der Reedereien, mit deren Hilfe die Umweltbelastungen durch Kreuzfahrten legitimiert werden sollen. So sind qualitative und quantitative Studien zu einem ernüchternden Ergebnis gekommen (vgl. M AHER / S TEEL / M C - I NTOSH 2003; M AHER 2007; E IJGELAAR / T HAPER / P EETERS 2010): Obwohl die Emission von Treibstoffgasen bei Reisen in der Antarktis acht Mal höher ist als im internationalen Tourismus generell, waren 59 Prozent der Passagiere der Meinung, dass ihre Tour keinen Einfluss auf den Klimawandel hat. <?page no="103"?> Die Kreuzfahrtreviere 104 Für die Urlauber stellt der Besuch der Antarktis zwar eine außergewöhnliche, nahezu existenzielle Erfahrung dar. In der Regel führt dieses Once-in-a-lifetime- Erlebnis aber nicht zu einer grundsätzlichen Veränderung von umweltbezogenen Einstellungen und Verhaltensweisen. ⚓ Wissen │ Die Arktis als Kreuzfahrtrevier Neben der Antarktis sind auch das Nordpolarmeer und die Arktis ökologisch besonders sensible Kreuzfahrtreviere. Zu den touristischen Attraktionen gehören die spektakulären Eis- und Gletscherlandschaften, die besondere Tierwelt (Eisbären, Wale, Robben etc.) sowie die historischen Relikte der frühen Arktiserkundungen. Dieses Potenzial ist seit 1984 zunächst durch Expeditionskreuzfahrten erschlossen worden, die überwiegend mit kleinen Boutique-Schiffen durchgeführt werden; inzwischen kommen allerdings auch sehr große Schiffe mit mehr als 1.200 Passagieren zum Einsatz (vgl. M ARQUEZ / E AGLES 2007, S. 85; L ASSERRE / T ÊTU 2015, S. 34). Im Gegensatz zur Antarktis handelt es sich bei der Arktis um einen Grenzraum der Ökumene - also des dauerhaft von Menschen besiedelten Teils der Erdoberfläche. Trotz der unwirtlichen Lebensbedingungen haben sich dort indigene Jäger- und Viehzüchterkulturen entwickelt - z. B. die Inuit in Kanada, die Tschuktschen und Jakuten in Nordsibirien sowie die Samen in Nordskandinavien. Von der Erschließung dieser Region durch den Kreuzfahrttourismus ist deshalb nicht nur die Umwelt betroffen, sondern auch die Bevölkerung in den wenigen kleinen Hafenstädten. Dadurch kann es zu Belastungen der Einwohner und der Infrastruktur kommen. Gleichzeitig trägt der Tourismus aber auch zum Erhalt kultureller Traditionen bei und schafft neue Einkommensmöglichkeiten - z. B. durch den Verkauf von Souvenirs (vgl. M AYER 2014, S. 333; S TEWART / D AWSON / D RAPER 2011 zu den überwiegend positiven Einstellungen der „Bereisten“ in zwei kanadischen Stopover Ports). Bislang unterliegt der Kreuzfahrttourismus im Nordpolarmeer keinen spezifischen Regulierungen wie in der Antarktis; vielmehr gelten dort nur allgemeine internationale Vereinbarungen (z. B. zur Sicherheit und zu den Arbeitsbedingungen an Bord) sowie nationale Bestimmungen der fünf Anrainerländer (Norwegen, Russland, USA, Kanada, Dänemark). Gleichwohl gibt es auch in der Arktis mehrere Initiativen für eine nachhaltige touristische Nutzung und Entwicklung (vgl. D AWSON / J OHNSTON / S TEWART 2014, S. 90-91; P ASHKEVICH / D AWSON / S TEWART 2015; L IU 2016): <?page no="104"?> Antarktis und Arktis 105 Bereits im Jahr 1991 wurde die Initiative „Protection of the Arctic Marine Environment“ (PAME) gegründet - eine Arbeitsgruppe des „Arctic Council“. Sie veranstaltet internationale Workshops und Tagungen, koordiniert gemeinsame Aktionsprogramme und publiziert Monitoringsowie Forschungsberichte - u. a. auch zum Kreuzfahrttourismus ( www.pame.is ). Im Jahr 2003 haben sich mehrere Reedereien bzw. Reiseveranstalter in der „Association of Arctic Expedition Cruise Operators“ (AECO) zusammengeschlossen. Ziel dieser Organisation ist es, die natürlichen Ressourcen möglichst behutsam zu nutzen, die lokalen Kulturen zu respektieren und Unfälle an Land bzw. auf See zu vermeiden. Zu diesem Zweck hat sie mehrere Richtlinien für ein angemessenes Verhalten entwickelt - z. B. Visitor Guidelines, Wildlife Guidelines, Site Guidelines sowie Operational Guidelines (vgl. H ULL / L OSEKOOT 2012, S. 85; www.aeco.no ). Von der „International Maritime Organization“ (IMO) ist der „Polar Code“ erarbeitet worden, in dem Standards für die Schiffe (Konstruktion, Ausrüstung, Betrieb, Sicherheit etc.) und den Umweltschutz in den beiden Polarmeeren festgelegt sind. Allerdings enthält der „Polar Code“ teilweise nur unverbindliche Empfehlungen - z. B. hinsichtlich des Umgangs mit Ballastwasser sowie der Nutzung von Schweröl als Treibstoff. Außerdem wird das Problem der Luftverschmutzung durch den Schiffsverkehr vollständig vernachlässigt. Als regionales Projekt ist die „Clean up Svalbard“-Aktion auf Svalbard/ Spitzbergen zu nennen. An den Stränden der norwegischen Inselgruppe werden große Mengen von Plastikmüll, Flaschen etc. angeschwemmt, die von Fischerbooten, aber auch von Kreuzfahrtschiffen stammen. In einer gemeinsamen Initiative setzen sich staatliche Stellen und einige Reedereien dafür ein, die Attraktivität der Natur zu erhalten und die Tierwelt vor möglichen Gefahren durch die Abfälle zu schützen. Sie organisieren jedes Jahr eine Säuberung der Strände, an der sich nicht nur die einheimische Bevölkerung, sondern auch die Passagiere von Kreuzfahrtschiffen beteiligen. Seit 2000 konnten auf diese Weise ca. 1.600 Kubikmeter Müll gesammelt und anschließend sachgerecht entsorgt werden (vgl. L AUBITZ -B ERTRAM 2009, S. 31; E VENSET / C HRISTENSEN 2011, S. 38; → Abb. 34). <?page no="105"?> Die Kreuzfahrtreviere 106 Abb. 34: „Wir sind die Sieben von der Müllabfuhr“ - auf Anregung einiger Reedereien und Reiseveranstalter beteiligen sich auch die Passagiere von Kreuzfahrten an der staatlichen „Clean up Svalbard“-Aktion. Bei ihren Landgängen säubern sie die Strände der norwegischen Inselgruppe von dem dort angelandeten Müll. Derartige Maßnahmen zum Erhalt der Arktis sind dringend erforderlich, da in Zukunft ein weiteres Wachstum des kommerziellen Schiffsverkehrs erwartet wird: So hat der Klimawandel dazu geführt, dass bislang schwer zugängliche Teile des Nordpolarmeeres nun auch von eisverstärkten Kreuzfahrtschiffen befahren werden - z. B. die legendäre Nordwestpassage zwischen dem Atlantik und dem Pazifik. Gleichzeitig tragen die Seereisen mit ihrem überproportional hohen Ausstoß an Treibhausgasen aber auch zu einer weiteren Beschleunigung der globalen Erwärmung bei. Damit besteht die Gefahr, dass der Kreuzfahrttourismus seine eigenen Grundlagen zerstört - die eindrucksvolle Naturlandschaft und die einzigartige Tierwelt. Zum Symbol dieser makabren Entwicklung sind die Eisbären geworden, die als besondere Attraktionen eines „Last chance tourism“ bzw. „See it before it’s gone tourism“ gelten: Schätzungen gehen davon aus, dass ihre Population aufgrund der Klimaveränderung in den kommenden vier Jahrzehnten um ca. 30 Prozent schrumpfen wird; deshalb gelten sie bereits gegenwärtig als gefährdete Tierart (vgl. D AWSON u. a. 2010; S TEWART u. a. 2007, S. 377; 2010, S. 63). <?page no="106"?> Antarktis und Arktis 107 ⚓ Weiterführende Lesetipps UBA (Umweltbundesamt) (Hrsg.; 2009): Leitfaden für Besucher der Antarktis, Dessau Diese Broschüre enthält anschauliche Informationen zur Geographie und zum internationalen rechtlichen Status des Kontinents sowie Tipps zum umweltgerechten Verhalten bei einem Besuch der Antarktis und Hinweise auf nützliche Internetadressen. UBA (Umweltbundesamt) (Hrsg.; 2013a): Verhaltensregeln für Ihren Besuch in der Antarktis, Bonn Mit dem Flyer sollen die Besucher dazu angeregt werden, sich auf die besondere Atmosphäre des Naturraums einzulassen („Lauschen Sie der Stille“), die Tiere sowie Schutzgebiete zu respektieren („Halten Sie Abstand“) und die historischen Stätten zu erhalten („Nehmen Sie keine Gegenstände aus den Hütten oder aus deren Umfeld“). ⚓ Zusammenfassung Hafenstädte und Zielgebiete müssen über zahlreiche natürliche, kulturelle und infrastrukturelle Standorteigenschaften verfügen, um in das Routennetz der Kreuzfahrtreedereien aufgenommen zu werden (Lage, Klima, Besucherattraktionen, Shopping-Möglichkeiten, Kai- und Abfertigungsanlagen etc.). Darüber hinaus sollten sie günstige touristische, politische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen aufweisen (Image, Stabilität, Sicherheit, Gastfreundlichkeit etc.). Die Karibik ist das weltweit wichtigste Kreuzfahrtrevier: Dort betreiben die Reedereien ca. ein Drittel ihrer gesamten Kapazität. Zu den Besonderheiten der Region zählen die Privatinseln/ -strände, auf denen die Unternehmen die klischeeartigen Erwartungen ihrer Gäste an einen Karibik-Urlaub perfekt erfüllen (und zugleich ihre Rendite steigern). Trotz einer großen Zahl von Passagieren sind die ökonomischen Effekte des Tourismus auf die kleinen Inselstaaten relativ gering - nicht zuletzt als Folge der hohen Sickerrate (notwendiger Import von Produkten) sowie der Beschaffungs- und Personalpolitik der Reedereien, die nur in geringem Maße Waren aus der Region beziehen bzw. lokale Arbeitskräfte auf ihren Schiffen beschäftigen. <?page no="107"?> Die Kreuzfahrtreviere 108 Aufgrund seiner Klimagunst und kulturellen Vielfalt, aber auch der Nähe zu wichtigen europäischen Quellmärkten hat sich das Mittelmeer zum zweitwichtigsten Kreuzfahrtrevier entwickelt. Außerdem haben einige Reedereien das Angebot durch den Einsatz von Mega- Schiffen erweitert - als Reaktion auf die relativ niedrigen Wachstumsraten des US-amerikanischen Marktes. Gleichzeitig bestehen enge funktionale und organisatorische Verflechtungen mit der Karibik (Saisonalität, Positionierungskreuzfahrten). Die Nachfrage konzentriert sich in dieser Region auf das westliche Mittelmeer (Spanien, Italien). In einigen Hafenstädten führen die großen Besucherströme zu erheblichen Belastungen der Infrastruktur und der einheimischen Bevölkerung. In Asien (und speziell in China) befindet sich der Kreuzfahrttourismus noch in der Einführungsphase des Produktlebenszyklus - mit relativ niedrigen Gästezahlen und hohen Wachstumsraten. Allerdings wird für die kommenden Jahre eine deutliche Expansion der Nachfrage erwartet: So findet vielerorts ein Ausbau von Häfen statt; außerdem wird die Entwicklung des Kreuzfahrttourismus durch Maßnahmen auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene unterstützt. Empirische Studien haben gezeigt, dass die chinesischen Passagiere andere Erwartungen an Kreuzfahrten haben als US-amerikanische und europäische Urlauber (Rolle der Familie, demonstrativer Konsum, Informationsbedürfnis, Preis- Leistungs-Verhältnis, Ernährungsgewohnheiten etc.). In der Antarktis ist der Anstieg der Besucherzahlen seit den 1950er- Jahren ausschließlich auf den Kreuzfahrttourismus zurückzuführen (da es an Land keine dauerhafte touristische Infrastruktur gibt). Die Nachfrage konzentriert sich auf die südlichen Sommermonate und die westlich gelegene Antarktische Halbinsel, die zu dieser Zeit weitgehend eisfrei ist. Aufgrund der unwirtlichen Umweltbedingungen ist die antarktische Fauna und Flora äußerst sensibel. Zu den direkten ökologischen Belastungen durch die Passagiere zählen u. a. Trittschäden, Störungen der Tierwelt sowie die Verbreitung fremder Organismen. Angesichts dieser möglichen Gefährdungen unterliegt der Kreuzfahrttourismus erheblichen Restriktionen (Begrenzung der Schiffsgröße sowie der Zahl von Schiffen und Besuchern pro Anlandungsplatz, festgelegte Zahl von Reiseleitern pro Besuchergruppe etc.). <?page no="108"?> Antarktis und Arktis 109 Für den Kreuzfahrttourismus im Nordpolarmeer und in der Arktis gibt es keine entsprechend strikten Regelungen. Allerdings setzen sich mehrere Initiativen und Organisationen für eine nachhaltige Nutzung und Entwicklung dieser Region ein. Wie in anderen ökologisch sensiblen Naturräumen besteht auch hier die Gefahr, dass der Kreuzfahrttourismus, der generell erhebliche Umweltbelastungen auslöst, zu einer Zerstörung seiner eigenen Grundlagen beiträgt („Last chance tourism“). <?page no="110"?> 4 Das Marketing und Management von Kreuzfahrtreedereien ⚓ Das Kapitel im Überblick In diesem Kapitel werden folgende Fragen beantwortet: Welche strategischen Marketing-Ziele verfolgen die großen, global agierenden Reedereien? Welche Angebotskonzepte haben sie entwickelt, um neue Kunden zu gewinnen? Welche Formen der Marktsegmentierung setzen die Unternehmen ein, um die spezifischen Erwartungen unterschiedlicher Zielgruppen zu erfüllen? Welche Instrumente des Marketing-Mix werden verwendet, um nachfragegerechte Produkte zu kreieren, sie zu marktorientierten Preisen kundengerecht zu vertreiben und immer wieder für öffentliche Aufmerksamkeit zu sorgen? „Die siegreichen Drei“ - mit diesem Titel des erfolgreichen US-amerikanischen Western von John Sturges lässt sich die Struktur des internationalen Kreuzfahrtmarktes schlagwortartig beschreiben: Drei Konzerne erzielen 76,7 Prozent des weltweiten Umsatzes mit Seereisen. Angesichts dieser Dominanz weniger Akteure kann die Kreuzfahrtbranche zu Recht als Tourismusindustrie bezeichnet werden - im Gegensatz zur Tourismuswirtschaft generell, die eine heterogene Struktur mit einer Vielzahl von kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) aufweist (vgl. G IBSON 2008, S. 43; S TEINECKE 2011, S. 69): So haben die Marken-/ Kettenhotels in Deutschland z. B. nur einen Anteil von ca. 12 Prozent an den Betrieben und von knapp 40 Prozent an den Zimmern. Auf dem deutschen Pauschalreisemarkt verfügen die drei größten Veranstalter („TUI Deutschland“, „Thomas Cook“, „DER Touristik“) über einen Marktanteil von ca. 40 Prozent am Gesamtumsatz der Branche. Mit dieser oligopolistischen Angebotsstruktur stellt die Kreuzfahrtbranche einen Sonderfall auf dem globalen Tourismusmarkt dar: Dort sorgt der Auftritt neuer Wettbewerber ständig für eine zunehmende Dezentralisierung des Angebots <?page no="111"?> Das Marketing und Management von Kreuzfahrtreedereien 112 und eine wachsende Konkurrenz zwischen Unternehmen und Zielgebieten (vgl. P INNOCK 2014, S. 128; S TEINECKE 2014, S. 65). Diese Marktdominanz weniger Akteure ist das Resultat strategischer Management- Maßnahmen, die von den (inzwischen) führenden Reedereien in den vergangenen drei Jahrzehnten eingesetzt worden sind, um ihre Wettbewerbsposition zu sichern und zu verbessern. Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen: Mittlerweise beschränken sich die Aktivitäten der Unternehmen nicht mehr auf ihr traditionelles Kerngeschäft (die Durchführung von Kreuzfahrten), sondern umfassen auch vor- und nachgelagerte Ebenen der touristischen Leistungskette (vgl. G ROSS / L ÜCK 2011; → Kap. 4.1). Darüber hinaus betreiben die Reedereien ein professionelles operatives Marketing, dessen wesentliche Elemente im Folgenden erläutert werden: die Angebotsdifferenzierung (→ Kap. 4.2), die Marktsegmentierung (→ Kap. 4.3), der Einsatz der Instrumente des Marketing-Mix: Produkt-, Distributions-, Preis- und Kommunikationspolitik (→ Kap. 4.4). 4.1 Strategisches Management der Kreuzfahrtreedereien Wer kauft wen? Diese Frage beschäftigte die Kreuzfahrtbranche seit Ende der 1980er-Jahre, als einige Reedereien eine konsequente Mergers & Acquisitions- Politik verfolgten. Sie erweiterten ihr Portfolio, indem sie sich zunächst an renommierten internationalen Konkurrenten beteiligten und diese Unternehmen dann später vollständig übernahmen. So erwarb z. B. das US-amerikanische Reederei „Carnival Cruise Lines“ u. a. (vgl. S CHULZ / A UER 2010, S. 33): die niederländische „Holland America Line“, die britische „Cunard Line“, die norwegische „Seabourn Cruise Line“, die italienische „Costa Crociere“ und schließlich die britische „P&O Princess Cruises“ (die zuvor die US-amerikanische „Princess Cruises“ und die deutsche „AIDA Cruises“ übernommen hatte). Durch diese horizontale Integrationsstrategie entwickelte sich sukzessive ein oligopolistischer Markt mit wenigen mächtigen Global Players: Während z. B. die „Carnival Corporation“ im Jahr 1973 nur ein Schiff besaß, verfügte sie im Jahr 2016 über eine Flotte von mehr als 100 Kreuzfahrtschiffen (vgl. G ROß 2017, S. 215). <?page no="112"?> Strategisches Management der Kreuzfahrtreedereien 113 Trotz dieses Konzentrationsprozesses besteht aus Sicht der Konsumenten weiterhin eine große Vielfalt an unterschiedlichen Produkten, weil die traditionellen Firmenbezeichnungen häufig beibehalten wurden: Zum einen ging es darum, die Stammkunden an das jeweilige Unternehmen zu binden; zum anderen werden die Marken dazu genutzt, das Angebot zu differenzieren (vgl. B RIDA / Z APATA 2010, S. 214; G ROSS / L ÜCK 2011, S. 73): Mit Hilfe einiger Markennamen soll den Konsumenten ein bestimmtes Ausstattungs-, Service- und Preisniveau signalisiert werden: Der Reedereikonzern „Carnival Corporation“ bietet z. B. mit der Marke „Carnival Cruise Line“ vor allem preisgünstige Kreuzfahrten für den Massenmarkt an; gleichzeitig betreibt er unter der Markenbezeichnung „Cunard Line“ mehrere Kreuzfahrtschiffe im Premiumsegment. Mit Hilfe anderer Markennamen werden spezielle Zielgruppen angesprochen - z. B. Hochzeitsreisende („Princess Cruises“), kulinarisch interessierte Gäste („Celebrity Cruises“) bzw. unterhaltungs- und erlebnisorientierte Urlauber („Royal Caribbean International“). Die Reedereien nutzen die unterschiedlichen Marken auch, um gezielt einzelne nationale Quellmärkte zu bearbeiten (Market Area Strategy). So gibt es Markennamen, die in einigen Ländern einen hohen Bekanntheitsgrad haben, aber in anderen weitgehend unbekannt sind: Bei „AIDA Cruises“ handelt es sich z. B. um eine Marke der britisch-amerikanischen „Carnival Corporation“, mit der vor allem deutschsprachige Kunden angesprochen werden. Eine vergleichbare Dominanz weniger Akteure besteht auch in der internationalen Werftindustrie: Während der Schiffbau generell von zahlreichen Werften in Südkorea, Japan und China dominiert wird, sind es bislang vor allem europäische Unternehmen, die sich auf den Bau von Kreuzfahrtschiffen spezialisiert haben und über ein entsprechend großes Know-how bei der Konstruktion und der Innenausstattung verfügen; dazu zählen u. a. die italienische „Ficantieri“-Werft, die deutsche „Meyer Werft“ (mit Standorten in Papenburg, Rostock und Turku) und die „STX France“. Im Jahr 2016 umfasste das weltweite Auftragsbuch 55 Schiffe, von denen 54 in Europa gebaut wurden und nur eins in Japan (vgl. R ODRIGUE / N OTTEBOOM 2013, S. 35; L UDWIG 2016, S. 7; → Abb. 35). <?page no="113"?> Das Marketing und Management von Kreuzfahrtreedereien 114 Abb. 35: Zum Greifen nah sind die Kreuzfahrtschiffe, die auf der „Meyer Werft“ im niedersächsischen Papenburg gebaut werden. Die Überführung dieser Mega-Schiffe auf der schmalen Ems in die Nordsee zieht immer wieder zahlreiche Schaulustige an - wie bei der „Genting Dream“, die im Auftrag der chinesischen Reederei „Dream Cruises“ auf Kiel gelegt wurde und im August 2016 vom Stapel lief. Neben der horizontalen Integrationsstrategie verfolgen die Reedereien zunehmend auch eine Strategie der vertikalen Integration, indem sie Betriebe auf vor- und nachgelagerten Stufen der touristischen Leistungskette erwerben bzw. sich durch Investitionen daran beteiligen; dazu zählen u. a.: Privatinseln bzw. exklusiv nutzbare Flächen (speziell in der Karibik), die mit Freizeit-, Unterhaltungs- und Shoppingeinrichtungen ausgestattet werden und als eigenständige Stopover Resorts dienen (→ Kap. 3.1); Kaianlagen und Passagierterminals, die in Form einer Private Governance bzw. einer Public Private Partnership betrieben werden: So besitzt z. B. „Costa Crociere“ (ein Tochterunternehmen der „Carnival Corporation“) eigene Infrastrukturen in Savona, Barcelona und La Romana (Dominikanische Republik). Außerdem ist sie an den Häfen in Neapel, Civitavecchia und Marseille beteiligt (vgl. D I <?page no="114"?> Strategisches Management der Kreuzfahrtreedereien 115 V AIA / D’A MORE 2011, S. 125 zu den unterschiedlichen Governance-Modellen von Häfen; → Abb. 36); Reiseveranstalter, Transportunternehmen und Unterkunftsbetriebe, die von den Reedereien dazu genutzt werden, umfangreiche Pauschalangebote zusammenzustellen: Mit ihrem Tochterunternehmen „Holland America Princess Alaska Tours“ führt die „Carnival Corporation“ z. B. in Kanada luxuriöse Bahnreisen von der Hafenstadt Anchorage nach Fairbanks durch. Neben den Zügen verfügt der Reiseveranstalter auch über mehrere Wilderness Lodges und eine eigene Flotte an Bussen (vgl. G ROß 2017, S. 215). ⚓ Beispiel │ Civitavecchia - Private Governance von Hafenanlagen für Kreuzfahrtschiffe Abb. 36: Hafen von Civitavecchia Seit 2005 verfügen die beiden Kreuzfahrtreedereien „Costa Crociere“ und „Royal Caribbean International“ im italienischen Hafen Civitavecchia über ein eigenes Areal mit mehreren Kaianlagen und Passagierterminals, die für die Abfertigung von 4.500 Passagieren und 9.000 Gepäckstücken pro Tag ausgelegt sind. Gemeinsam mit dem Unternehmen „Marininvest“ haben die Reedereien dazu die Kapitalgesellschaft „Roma Cruise Terminal“ gegründet, die das weitläufige Gelände für die Dauer von 40 Jahren von dem städtischen Hafenbetreiber gepachtet hat - ein typisches Beispiel für eine Private Governance, bei der privatwirtschaftliche Akteure alle Rechte und Pflichten öffentlicher Institutionen übernehmen. <?page no="115"?> Das Marketing und Management von Kreuzfahrtreedereien 116 Gegenwärtig wird der Hafenbereich von den Anteilseignern überwiegend als Stopover Port (Port of Call) und vor allem als „Gateway to Rome“ genutzt: 60 Prozent der insgesamt 2,5 Millionen Passagiere sind Tagesgäste, die im Rahmen ihrer Kreuzfahrt einen Ausflug in das nahegelegene Rom unternehmen und abends an Bord zurückkehren, um die Reise fortzusetzen ( www.romacruiseterminal.com ). Mit der vertikalen Integrationsstrategie verfolgen die Reedereien mehrere Ziele (vgl. S ATTA u. a. 2015, S. 71; S AMARATHUNGA 2016, S. 7): Zum einen können sie den anspruchsvollen und zugleich bequemen Kunden ein komplexes Angebot „aus einer Hand“ anbieten; zum anderen sind sie in der Lage, auf allen Ebenen der Leistungskette eine einheitliche Qualität sicherzustellen; schließlich steigern sie durch diese Maßnahmen ihren Anteil an den Gesamtausgaben der Passagiere und damit auch ihre Rendite. Eine solche internationale Erweiterung der Wertschöpfungskette (Value Chain) ist auch in anderen Bereichen der Tourismuswirtschaft zu beobachten: So haben sich z. B. die großen deutschen Reiseveranstalter sukzessive zu integrierten Konzernen entwickelt, die in mehreren Ländern über unterschiedliche Tochterunternehmen verfügen - von Reisebüros über Fluggesellschaften und Busunternehmen bis hin zu Incoming-Agenturen (vgl. H JALAGER 2007, S. 449-450; S TEIN- ECKE 2011, S. 90-91). Trotz seiner oligopolistischen Struktur herrscht auf dem Kreuzfahrtmarkt zwischen den Reedereien ein harter Wettbewerb, der durch den Markteintritt branchenfremder Akteure verschärft worden ist (vgl. G ROSS / L ÜCK 2011, S. 70; E LDER u. a. 2014, S. 5): Zu Beginn der 1990er-Jahre expandierte der französische Ferienclub- Anbieter „Club Méditerranée“ in dieses Marktsegment: Gegenwärtig betreibt er die „Club Med 2“ - ein luxuriöses Großsegelschiff mit einer Kapazität von 386 Passagieren und 214 Crewmitgliedern, das in den Sommermonaten im Mittelmeer und in den Wintermonaten in der Karibik eingesetzt wird. Im Jahr 1995 wurde in Florida die „Disney Cruise Line“ gegründet - ein Tochterunternehmen des US-amerikanischen Medienkonzerns „Walt Disney Company“. Die Flotte umfasst z. Zt. vier Kreuzfahrtschiffe, zwei weitere sind in Auftrag gegeben. Im Gegensatz zu anderen Reedereien verfügt das Unternehmen über einen hohen Bekanntheitsgrad und vor allem über eine klare Markenbotschaft: Weltweit sind die „Disney“-Produkte - speziell die <?page no="116"?> Strategisches Management der Kreuzfahrtreedereien 117 Themenparks - zu Synonymen für saubere, sichere und qualitativ hochwertige Formen der Unterhaltung geworden. Mit ihrem erlebnisorientierten Konzept sprechen die „Disney“-Kreuzfahrtschiffe vor allem junge Paare und Familien mit kleinen Kindern als Zielgruppen an (→ Kap. 4.3.1). Angesichts der Konkurrenzsituation gibt es innerhalb der Kreuzfahrtbranche auf der operativen Ebene keinerlei Formen der Kooperation. Allenfalls im Bereich einer unternehmensübergreifenden Interessenvertretung bestehen lockere Formen der Zusammenarbeit: Als Beispiele sind internationale Verbände wie die „Cruise Lines International Association“ (CLIA) zu nennen bzw. regionale Organisationen wie die „Florida-Caribbean Cruise Association“ (FCCA). Wesentliche Aufgabe dieser Verbände ist die öffentliche und politische Lobbyarbeit. Sie dient vor allem dazu, ein positives Image der Kreuzfahrtbranche in der Öffentlichkeit zu schaffen und die Gesetzgebung im Sinne der Unternehmen zu beeinflussen - z. B. in den Bereichen Sicherheit, Gesundheit, Umweltschutz und Steuern. So haben die „Cruise Line International Association“ (CLIA) und die Reedereikonzerne seit 1997 ca. 56 Millionen US-Dollar ausgegeben, um Einfluss auf die Arbeit und die Entscheidungen der US-amerikanischen Kongressabgeordneten, Komitees etc. zu nehmen. Eine wichtige Plattform für die Kommunikation und Netzwerkbildung ist dabei der jährliche „Congressional Cruise Caucus“ in Washington, D. C., an dem Vertreter der Reedereien, Lobbyisten und Politiker teilnehmen (vgl. K LEIN 2007; W ALKER 2016). Angesichts ihrer Marktdominanz haben die Kreuzfahrtkonzerne in einigen Regionen eine enorme Macht bei Verhandlungen mit Hafenstädten und Destinationen - z. B. hinsichtlich Gebühren, Steuern, Liegeplätzen etc. (vgl. B RIDA / Z APATA 2010a, S. 330; B RIDA / G ARRIDO / S UCH D EVESA 2012, S. 56; P INNOCK 2014, S. 24): Im kolumbianischen Cartagena de Indias sorgen die drei wichtigsten Reedereien „Carnival Cruise Line“, „Royal Caribbean International“ und „Norwegian Cruise Line“ für mehr als 60 Prozent aller Schiffsankünfte. In Costa Rica sind sogar nur zwei Reedereien - „Carnival Cruise Line“ und „Royal Caribbean International“ - für 70 Prozent des gesamten Kreuzfahrtaufkommens verantwortlich. Damit wird die Entwicklung einzelner Destinationen wesentlich durch die strategischen Entscheidungen der großen Reedereien beeinflusst: Generell muss sich die Routenführung zwar an den Interessen der Passagieren orientieren, die ein abwechslungsreiches Programm an Landausflügen erwarten. Die Unternehmen können aber jederzeit andere attraktive Städte anlaufen, wenn sich die Bedingungen in den bisherigen Home Ports (Turnaround Ports) bzw. Stopover Ports (Ports of Call) zu ihren Ungunsten ändern. Dabei kommt ihnen die Tatsache zugute, dass Kreuz- <?page no="117"?> Das Marketing und Management von Kreuzfahrtreedereien 118 fahrtschiffe auch kleinere Häfen nutzen können, da sie einen wesentlich geringeren Tiefgang haben als Containerschiffe (vgl. M ILEY 2013, S. 116; L ONDON / L OHMANN 2014; R ODRIGUE / N OTTEBOOM 2017): Aufgrund der Zusage der „Carnival Cruise Line“, in Mobile (Alabama) ein Kreuzfahrtschiff dauerhaft zu stationieren, investierte die Stadt 30 Millionen US-Dollar in den Ausbau ihrer Hafenanlagen. Da sich die Nachfrage nur schleppend entwickelte und zunächst kein professionelles Marketing für die Destination betrieben wurde, hat die Reederei diesen Home Port bald zugunsten des attraktiveren New Orleans aufgegeben. Alle Versuche der Stadt Mobile, diese Entscheidung durch die Gewährung finanzieller und organisatorischer Fördermaßnahmen zu revidieren, sind bislang erfolglos geblieben. Eine ähnliche Erfahrung musste Houston-Bayport in Texas machen: Dort beliefen sich die notwendigen Investitionen sogar auf 108 Millionen US- Dollar. Nach einer kurzen Blütezeit blieben die Hafenanlagen weitgehend ungenutzt, da die Stadt nicht mehr von den Schiffen der „Carnival Cruise Line“ angelaufen wurde. Die ökonomischen Anreize für andere Reedereien, den Hafen zumindest als Stopover Port zu nutzen, führten innerhalb der Stadt zu heftigen politischen Auseinandersetzungen, da sie als direkte Subventionen für die Unternehmen und als unsachgemäße Verwendung öffentlicher Mittel betrachtet wurden. Darüber hinaus hat die Flottenpolitik der wenigen Reedereien zur Folge, dass die Destinationen ihre Hafeninfrastruktur ständig erweitern müssen, um die Wettbewerbsposition auf dem internationalen Kreuzfahrtmarkt zu sichern: So ließ die australische Stadt Darwin im Jahr 2008 mit großem finanziellen Aufwand ein zeitgemäßes Passagierterminal errichtet. Dessen Kapazitätsgrenzen wurden jedoch durch den zunehmenden Einsatz von Mega-Schiffen bald überschritten, sodass ein weiterer Ausbau erforderlich war (vgl. L ONDON / L OHMANN 2014). 4.2 Angebotsdifferenzierung „Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser wird, wenn es anders wird. Aber so viel kann ich sagen: Es muss anders werden, wenn es besser werden soll! “ - mit diesem Aphorismus des deutschen Schriftstellers Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799) lässt sich die Fähigkeit der großen Reedereien recht gut beschreiben, sich immer wieder neu zu erfinden und den Markt mit ungewöhnlichen Produkten zu beleben. Seit den Anfängen im 19. Jahrhundert haben sie ihre Geschäftsmodelle dabei grundsätzlich geändert und immer wieder den aktuellen Marktbedingungen ange- <?page no="118"?> Angebotsdifferenzierung 119 passt - von den Transatlantikreisen für wohlhabende Passagiere und mittellose Emigranten im 19. Jahrhundert über die Organisation von Kreuzfahrten für US- Amerikaner in den 1960er- und 1970er-Jahren bis hin zu einer breiten Produktpalette für den internationalen Massenmarkt der Gegenwart (vgl. B RANCHIK 2014, S. 250). Um sich von anderen Wettbewerbern zu unterscheiden und zusätzliche Kundengruppen anzusprechen, haben die Reedereien in jüngerer Zeit ihr Angebot ständig differenziert. Im Folgenden sollen einige innovative Konzepte exemplarisch erläutert werden: Schnupperkreuzfahrt-Konzept (→ Kap. 4.2.1), Freestyle Cruising-Konzept (→ Kap. 4.2.2), Ship-in-Ship-Konzept (→ Kap. 4.2.3), All-Inclusive-Konzept (→ Kap. 4.2.4). 4.2.1 Schnupperkreuzfahrt-Konzept „Landratten aufgepasst! Mit AIDA Kreuzfahrtluft schnuppern“ - unter diesem Slogan bietet „AIDA Cruises“ zweibis viertägige Kreuzfahrten in der Ostsee und Nordsee sowie im Mittelmeer an. Mit derartigen Angeboten versuchen viele Reedereien, das vorhandene Nachfragepotenzial für private Seereisen zu aktivieren: Trotz steigender Passagierzahlen unternehmen z. B. gegenwärtig erst ca. drei Prozent der Bundesbürger eine Kreuzfahrt. Grundsätzlich besteht aber bei einem großen Teil der Bevölkerung ein Interesse an dieser Urlaubsart: So ergab eine Umfrage der Buchungsplattform „Travelzoo“, dass nur ca. 22 Prozent der Deutschen erhebliche Vorbehalte gegen Kreuzfahrten haben. Als wesentliche Gründe wurden dabei genannt (vgl. Travelzoo 2014): der massenhafte Charakter und die mangelnde Individualität (60 Prozent), der Wunsch nach Unabhängigkeit auf Reisen (59 Prozent), die kurzen Aufenthalte in den Hafenstädten (38 Prozent), die hohen Kosten (25 Prozent). Die preisgünstigen Schnupperkreuzfahrten bieten speziell den Neukunden die Möglichkeit, das Leben und die Annehmlichkeiten an Bord kennenzulernen. Da die Zufriedenheitsrate bei Kreuzfahrten generell sehr hoch ist, besteht für die Reedereien die Chance, diese Gäste zur Buchung einer lukrativen längeren Reise zu bewegen und sie als Stammkunden zu gewinnen. <?page no="119"?> Das Marketing und Management von Kreuzfahrtreedereien 120 Abb. 37: Keine klassische Kreuzfahrt, aber doch eine attraktive Seereise - die Schiffe der „Hurtigruten“ verkehren auf einer klassischen Postschiffroute entlang der norwegischen Küste von Bergen nach Kirkenes. Solche Cruise Ferries treten im Marktsegment der Minibzw. Schnupperkreuzfahrten als Wettbewerber der Kreuzfahrtreedereien auf. Außerdem dienen diese Angebote dazu, den MICE-Markt (Meetings, Incentives, Conventions/ Congresses, Events/ Expositions) stärker für die Kreuzfahrtbranche zu erschließen. In diesem Marktsegment konkurrieren die Reedereien zunehmend mit den Cruise Ferries - also Fährlinien, die im Liniendienst mehrtägige Fahrten anbieten: Als Beispiele sind die „Hurtigruten“ zu nennen sowie die „Color Line“, die zwischen Kiel und Oslo nicht nur Passagiere und Fahrzeuge transportiert, sondern auch Minikreuzfahrten für Individual- und Gruppenreisende veranstaltet (vgl. R OHR 2010, S. 37; → Abb. 37). 4.2.2 Freestyle Cruising-Konzept „Essen, wann Sie wollen, wie Sie wollen, wo Sie wollen“ - mit dem Freestyle Cruising-Konzept spricht die „Norwegian Cruise Line“ seit dem Jahr 2000 vor allem Kunden an, die kein Interesse an der formellen und steifen Atmosphäre klassischer Kreuzfahrten haben (Dresscode, Captain’s Diner etc.). Zu den Besonderheiten dieser Kreuzfahrten gehören z. B. eine freie Tischwahl (mit dem Partner, der Familie bzw. anderen Passagieren), variable Tischzeiten sowie ein gehobener Service. Außerdem herrscht an Bord eine ungezwungene und legere Atmosphäre: Jeder Gast soll sich so kleiden, wie es ihm gefällt. <?page no="120"?> Angebotsdifferenzierung 121 Nach dem erfolgreichen Test auf einem der Schiffe ist das Konzept sukzessive in der gesamten Flotte der Reederei umgesetzt worden. Außerdem wurden mehrere Schiffe speziell für das Freestyle Cruising gebaut - z. B. mit einer neuartigen Nutzung und Bewirtschaftung der Decks sowie einem vielfältigen, erlebnisorientierten Freizeitangebot. Als Beispiele sind die „Norwegian Jewel“ bzw. die „Norwegian Getaway“ zu nennen, die im Wochenrhythmus von Miami aus Reisen in die östliche Karibik unternimmt; zu den Attraktionen gehört ein großer Wasserpark - u. a. mit zwei Free Fall-Rutschen (vgl. J ANS 2010, S. 8; R ODRI- AN 2014; → Abb. 38). Abb. 38: Entspannt, zwanglos und gesellig - mit dem Freestyle Cruising-Konzept hat die Reederei „Norwegian Cruise Line“ eine zeitgemäße Alternative zu den traditionellen, eher förmlichen Kreuzfahrten entwickelt: So gibt es an Bord keinen Dresscode und auch keine festen Tischzeiten in den Restaurants; außerdem verfügen die Schiffe über zahlreiche Freizeit- und Unterhaltungseinrichtungen. Vergleichbare Freestyle Cruising-Konzepte sind inzwischen auch von anderen Reedereien entwickelt worden („Princess Cruises“: „Personal Choice Dining“; „Holland America Line“: „As You Wish“). Mit solchen Angeboten hat die Kreuzfahrtbranche auf den generellen gesellschaftlichen Wertewandel reagiert - weg <?page no="121"?> Das Marketing und Management von Kreuzfahrtreedereien 122 von starren Regeln und Vorschriften und hin zu mehr Flexibilität und Individualität (vgl. S TEINECKE 2011, S. 294). 4.2.3 Ship-in-Ship-Konzept „Exklusivität und Privatsphäre in einer Welt voller Möglichkeiten“ - so wirbt die Reederei „MSC Cruises“ für ihren „Yacht Club“. Dabei handelt es sich um einen separaten Bereich an Bord der Kreuzfahrtschiffe mit einer hochwertigen Ausstattung (z. B. unterschiedlich großen Suiten mit Balkon bzw. großen Panoramafenstern) und einem aufwändigen Service. Den Passagieren dieses exklusiven „Yacht Club“ stehen z. B. eine spezielle Lounge, ein Restaurant und ein Pool-Deck zur Verfügung; außerdem können sie einen 24-Stunden-Butler-Service nutzen. Zu den weiteren Leistungen gehören u. a. ein separater Zugang zum Spa und ein eigener Behandlungsraum sowie Einkaufsmöglichkeiten außerhalb der regulären Öffnungszeiten. Darüber hinaus kümmert sich ein Concierge um die individuelle Planung der Landausflüge (vgl. Z EHENDER 2016; Abb. 39). Abb. 39: Es war schon immer etwas teurer, einen besonderen Geschmack zu haben - mit dem Ship-in-Ship-Konzept sprechen die Reedereien ein zahlungskräftiges Reisepublikum an, das besonderen Wert auf Exklusivität, Luxus und Service legt. Im „Yacht Club“ der „MSC Cruises“ steht den Passagieren z. B. ein persönlicher Butler zur Verfügung. Ähnliche Ship-in-Ship-Produkte werden auch von anderen Reedereien angeboten - z. B. auf Schiffen der „Norwegian Cruise Line“ und der „AIDA Cruises“. Als <?page no="122"?> Angebotsdifferenzierung 123 Vorbild für die Entwicklung dieses Konzepts dienten internationale Hotelkonzerne, die z. B. auf bestimmten Etagen eine begrenzte Zahl von Club Rooms bzw. Suiten anbieten - ebenfalls mit einer besonderen Ausstattung, einer eigenen Lounge und einem besonderen Service (vgl. G ÜNTHER 2017). Eine wesentliche Ursache dieser Qualitäts- und Leistungsdifferenzierung sind die steigenden Ansprüche der Nachfrager. Als Reaktion auf die zunehmende Standardisierung und Rationalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft hat sich in jüngerer Zeit eine postfordistische Werthaltung herausgebildet (→ Kap. 4.4.1). Speziell die reiseerfahrenen und zahlungskräftigen Konsumenten geben sich nicht mehr mit den austauschbaren Angeboten des Massenmarktes zufrieden, sondern erwarten eine große Wahlfreiheit, eine exklusive Atmosphäre und eine persönliche Betreuung (anhand der begrenzten Palette exklusiver Produkte wird allerdings deutlich, dass auch dieser Luxusmarkt letztlich den Prinzipien der Rationalisierung unterliegt). Für die Reedereien bietet das Ship-in-Ship-Konzept die Möglichkeit, neue Kundengruppen anzusprechen und höhere Gewinne pro Passagier zu erzielen (vgl. W EAVER 2005, S. 358-359). 4.2.4 All-Inclusive-Konzept „Für alle, die lieber aufs Meer als auf die Kosten blicken, ist unser Premium Alles Inklusive-Konzept genau das Richtige. Sie genießen einfach“ - mit diesem Slogan spricht z. B. die Reederei „TUI Cruises“ vor allem preisbewusste Gäste an, die Bedenken hinsichtlich unkalkulierbar hoher Nebenkosten haben. Zu den Leistungen, die im Reisepreis bereits enthalten sind, gehören u. a. die Verpflegung in unterschiedlichen Restaurants, mehr als 100 Markengetränke, der freie Zutritt zum Saunabereich sowie das Entertainment und die Kinderbetreuung. Mit ihrem All-Inclusive-Konzept orientieren sich die Kreuzfahrtunternehmen an landgebundenen Club- und Hotelanlagen, die seit langem derartige Produkte anbieten. Als Pionier dieser Idee gilt das jamaikanische Hotelunternehmen „Superclubs“, das bereits im Jahr 1978 abgeschirmte Resorts anlegte - vor allem um die Gäste vor Belästigungen durch zudringliche Straßenhändler, Drogendealer und Prostituierte zu schützen. Dieses Modell hat sich dann zunächst in der Karibik verbreitet (z. B. in der Dominikanischen Republik); seit den 1990er-Jahren gibt es auch zahlreiche All-Inclusive-Ferienanlagen im Mittelmeer (vgl. M UNDT 2008, S. 28). Für die Kunden spielt - neben dem Aspekt der Sicherheit - vor allem die Kalkulierbarkeit des gesamten Reisepreises eine zentrale Rolle. Aus Sicht von Kritikern handelt es sich bei der Mehrzahl der All-Inclusive-Angebote von Kreuzfahrtreedereien allerdings um eine Schimäre, da es zahlreiche zusätzliche Leistungen <?page no="123"?> Das Marketing und Management von Kreuzfahrtreedereien 124 gibt, die trotz des Werbeversprechens weiterhin kostenpflichtig sind - u. a. die Landausflüge, die Spa-Anwendungen sowie besondere Getränke. Ein preisbewusstes, vor allem jüngeres Publikum sollte auch mit den „EasyCruise“-Kreuzfahrten angesprochen werden, die der griechische Unternehmer Stelios Haji-Ioannou im Jahr 2005 entwickelt hat. Sie funktionierten nach dem gleichen No Frills-Konzept wie die von ihm gegründete Billigfluggesellschaft „EasyJet“ (und alle anderen Low Cost Airlines): Auf alle überflüssigen Leistungen wurde verzichtet. So gab es auf dem Kreuzfahrtschiff nur Zwei- und Dreibett-Kabinen ohne jeglichen Luxus, Service etc. und auch keinen Swimmingpool. Das Platzangebot pro Gast (Space-Ratio) lag nur bei 23,8; auf Luxusschiffen wie der „Europa“ beläuft es sich hingegen auf 70,4 (dieser dimensionslose Wert beschreibt das Verhältnis von Bruttoraumzahl/ BRZ eines Schiffes zur Zahl der Passagiere) (vgl. G ROß 2017, S. 197-198). Die preisgünstigen Reisen (ab 37 Euro/ Übernachtung) konnten ausschließlich über das Internet gebucht werden; das einfache Speisen- und Getränkeangebot an Bord war kostenpflichtig. Allerdings durften die Passagiere von den Landgängen auch ihre eigene Verpflegung mitbringen. Auf seiner Route durch das Mittelmeer lief das Kreuzfahrtschiff „EasyCruise One“ vor allem die „Partyhochburgen der Riviera“ an. Die Gäste konnten die relativ langen Liegezeiten nutzen, um Ausflüge zu unternehmen und ausgiebig zu feiern (vgl. Focus vom 10.05.2005). Während das No Frills-Konzept den internationalen Flugverkehr revolutioniert hat, war es auf dem Kreuzfahrtmarkt zum Scheitern verurteilt: Im Jahr 2008 wurde das Schiff außer Dienst gestellt. Offensichtlich entsprach die karge Ausstattung nicht den gestiegenen Ansprüchen der Kunden und ihren medial geprägten Erwartungen an ein „Traumschiff“ (das eben weit mehr ist als nur ein Verkehrsmittel). 4.3 Marktsegmentierung Nahezu 25 Millionen Passagiere haben im Jahr 2017 weltweit eine Kreuzfahrt unternommen: Unter logistischen Gesichtspunkten ist das eine enorm große Zahl von Paxen (Persons approximately), deren Seereise von den Reedereien reibungslos organisiert werden muss. Zugleich handelt es sich aber jeweils um Gäste, die mit der Seereise jeweils spezifische Gefühle und Hoffnungen verbinden. Obwohl es sich beim Kreuzfahrttourismus längst um einen Massenmarkt handelt, wollen sie während dieser (angeblich) „Schönsten Tage des Jahres“ nicht <?page no="124"?> Marktsegmentierung 125 als statistische Einheiten, sondern als Individuen behandelt werden: Sie erwarten ein besonders Angebot, das ihren persönlichen Urlaubs- und Freizeitinteressen entspricht. Die Reedereien haben auf die wachsenden (und sich ständig wandelnden) Ansprüche der Konsumenten reagiert, indem sie ihre Kunden- und Zielgruppenansprache immer mehr verfeinert haben. Mit Hilfe einer differenzierten Marktsegmentierung sind auf diese Weise zunehmend auch Nischenmärkte innerhalb des Kreuzfahrttourismus erschlossen worden (vgl. R ODRIGUE / N OTTEBOOM 2013, S. 41; G ROß 2017, S. 212). Als Grundlage dienten dabei Marktanalysen, in denen der enge Zusammenhang zwischen den Erwartungen an das Angebot und der jeweiligen Lebenssituation der Kunden deutlich wurde: So legen z. B. Alleinreisende besonders großen Wert auf öffentliche Räume (in denen sie andere Passagiere treffen können), für Hochzeitsreisende spielt der Preis eine wichtige Rolle und ältere sowie behinderte Gäste wünschen sich u. a. einen guten Service sowie ein bequemes, stressfreies Checkin (vgl. B HADAURIA / B HATNAGAR / G HOSE 2014, S. 6). Anhand folgender Zielgruppen soll im Weiteren exemplarisch erläutert werden, wie die Reedereien auf die unterschiedlichen Bedürfnisse ihrer Kunden reagieren: Familien (→ Kap. 4.3.1), Homosexuelle (→ Kap. 4.3.2), Muslime und Juden (→ Kap. 4.3.3.). 4.3.1 Familien „Der Spaß macht den Unterschied“ - mit diesem Slogan wirbt „TUI Cruises“ für einen Familienurlaub auf hoher See. Dabei ist sie nicht das einzige Kreuzfahrtunternehmen, das sich um diese Zielgruppe bemüht. Vielmehr versuchen zahlreiche Reedereien, Familien mit Kindern als Passagiere zu gewinnen; dabei kommen mehrere Marketing-Instrumente zum Einsatz (vgl. K NODEL 2010): Themenkreuzfahrten für Familien mit Landausflügen zu kindgerechten Besucherattraktionen („Ferienspaß bei Pippi Langstrumpf“, „Zu Besuch bei Nessie“ etc.); zielgruppengerechte Infrastruktur - z. B. Familiensuiten bzw. benachbarte Kabinen mit einer Verbindungstür; Kindermahlzeiten/ -büfett; spezielle Freizeit- und Unterhaltungseinrichtungen für Kinder: Karussell, Sandstrand, Wasserrutsche, 4D-Kino, Eislaufbahn, Kletterwand etc. (→ Abb. 40); familien- und kindgerechter Service - z. B. Programme zur Kinderbetreuung („Kids Club“) - differenziert nach mehreren Altersgruppen; Spielen, Tanzen, <?page no="125"?> Das Marketing und Management von Kreuzfahrtreedereien 126 Malen, Schatzsuche etc. unter Leitung ausgebildeter Erzieherinnen; Möglichkeit des frühen Check-in für Familien mit kleinen Kindern; Abb. 40: Aug in Aug mit der freundlichen Dorie - um Familien mit Kindern als Zielgruppe anzusprechen, nutzen die Reedereien zahlreiche Marketing-Instrumente. Zu den produktpolitischen Maßnahmen gehört die Ausstattung der Schiffe mit speziellen Attraktionen (z. B. „Nemo’s Reef“ auf der „Disney Wonder“) und eine altersgerechte Kinderbetreuung. Als preispolitische Anreize dienen u. a. niedrige Kinderfestpreise und andere Rabatte. preispolitische Anreize - z. B. keine zusätzlichen Kosten für maximal zwei Kinder (bis zu 17 Jahren) in Begleitung ihrer Eltern bei Nutzung einer gemeinsamen Kabine, Rabatte von 25 bis 35 Prozent für Kinder in Begleitung eines alleinreisenden Elternteils; spezielle Sicherheitsmaßnahmen - z. B. erhalten die Kinder ein Armband mit ihrem Namen und ihrer Kabinennummer; falls sie sich auf dem Schiff verlaufen, können sie jederzeit wieder zu ihren Eltern zurückgebracht werden. Vorreiter dieser Entwicklung war die Reederei „Disney Cruise Line“, die familien- und erlebnisorientierte Kreuzfahrten als komplementäres Angebot zu den Themenparks des Unterhaltungskonzerns in Florida konzipiert hat. Mit dieser mar- <?page no="126"?> Marktsegmentierung 127 kengestützten Spezialisierungsstrategie konnte sie sich erfolgreich auf dem oligopolistischen Kreuzfahrtmarkt positionieren (vgl. B ULL 1996, S. 33). 4.3.2 Homosexuelle „Es wird bunt, es wird schrill, es wird quirlig auf der ‚Mein Schiff 2’“ - mit diesem Pressetext hat die Reederei „TUI Cruises“ bereits im Jahr 2015 auf die „Rainbow Cruise“ hingewiesen, die im Frühjahr 2017 stattgefunden hat. Der Name war dabei Programm, denn mit diesem Angebot sollte speziell die LGBT- Community angesprochen werden (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender). Während der achttägigen Kreuzfahrt durch das Mittelmeer wurden die Passagiere u. a. durch internationale DJs, Travestiekünstler und Chansoniers unterhalten; einer der Höhepunkte war eine Show mit Conchita Wurst - der Gewinnerin des „European Song Contest 2014“. Abb. 41: Wetlook, Lack und Leder - im Rahmen ihrer Marktsegmentierung organisieren einige Reedereien auch Kreuzfahrten für die LGBT-Community (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender). Solche Gay Cruises sind bislang vor allem von US-amerikanischen Unternehmen veranstaltet worden. Auf dem deutschen Markt hat „TUI Cruises“ eine Vorreiterrolle eingenommen - mit einer „Rainbow Cruise“, die im Jahr 2017 in das westliche Mittelmeer führte. Auf dem deutschen Markt gilt diese spezielle Gay Cruise als Innovation: „Themenkreuzfahrten sind schon lange wichtiger Bestandteil bei TUI Cruises“ - so <?page no="127"?> Das Marketing und Management von Kreuzfahrtreedereien 128 das Statement der Geschäftsführerin. „Die Idee für eine LGBT-Cruise hatten wir auch schon länger - jetzt ist die Zeit reif dafür“. In den USA hat die Kreuzfahrtbranche diese lukrative Zielgruppe hingegen weitaus früher entdeckt. Dort bieten u. a. die Reedereien „Royal Caribbean International“, „Celebrity Cruises“ und „Holland America Line“ entsprechende LGBT-Reisen an (vgl. Die Welt vom 10.12.2015; → Abb. 41). 4.3.3 Muslime und Juden Halal-Reisen sind der „größte noch unerschlossene Nischenmarkt im Tourismus“ - zu dieser Einschätzung kam das US-amerikanische Forschungsunternehmen „DinarStandard“ in einer umfassenden Analyse zum Reiseverhalten gläubiger Muslime. Im Zeitraum 2011-2020 soll ihr Anteil am weltweiten Tourismus mit einer überdurchschnittlich hohen Wachstumsrate von 12,3 auf 13,4 Prozent steigen (vgl. ORF 2012). Der Begriff „Halal“ bedeutet im Arabischen „rein“, „erlaubt“, „rechtmäßig“ bzw. „gestattet nach islamischem Recht“ und bezieht sich auf alle Bereiche des Lebens - z. B. Ernährung, Kleidung, tägliche Handlungen etc. Die Grundprinzipien des Halal werden im Koran festgelegt. Im Bereich der Speisen zählen dazu Verbote z. B. wie der Verzehr von Blut, Schweinefleisch und alkoholischen Getränken, aber auch Gebote wie das Schächten von Schafen, Ziegen und Rindern (vgl. R EUEL 2008, S. 339). Diese Regeln spielen auch im internationalen Tourismus eine immer größere Rolle: In einigen arabischen Ländern ist in den vergangenen Jahrzehnten eine mobile urbane Mittelschicht entstanden, die zunehmend auch Auslandsreisen unternimmt. Bei der Wahl von Fluggesellschaften, Hotels, Restaurants etc. sind die Halal-Regeln für sie von zentraler Bedeutung (vgl. B ATTOUR / I SMAIL 2015; C HONG 2015, S. 190). Zahlreiche Fluggesellschaften und Hotelketten haben sich bereits auf diese neue Zielgruppe eingestellt, indem sie an Bord spezielle Halal-Speisen anbieten bzw. in den Zimmern ein Exemplar des Korans auslegen und den Gästen mit einem Pfeil die Gebetsrichtung nach Mekka weisen (vgl. K OCAMAN 2011). Im Jahr 2016 hat der türkische Reiseveranstalter „Fusion Tour“ die erste Halal- Kreuzfahrt organisiert: An Bord des Schiffes gab es keinen Alkohol, keine Glückspiele und keine Bilder, die gegen islamische Werte verstoßen; die Speisen wurden ausschließlich nach den Halal-Grundsätzen zubereitet. Außerdem standen für Männer und Frauen getrennte Gebetsräume sowie Sport- und Wellness- Einrichtungen zur Verfügung (vgl. Deutsch Türkische Nachrichten vom 05.08.2015). <?page no="128"?> Marketing-Mix 129 Vergleichbare Angebote hat die Kreuzfahrtbranche auch für orthodoxe Juden entwickelt: An Bord vieler Schiffe werden koschere Gerichte angeboten, die den strengen religiösen Vorgaben hinsichtlich der Zutaten und der Zubereitung entsprechen (so ist z. B. nur der Verzehr von Fleisch erlaubt, das von geschächteten Tieren stammt, die gespaltene Hufe haben und Wiederkäuer sind). Darüber hinaus gibt es aber auch Reiseveranstalter, die sich ausschließlich auf diese Zielgruppe spezialisiert haben - wie z. B. das US-amerikanische Unternehmen „Kosherica. The Glatt Kosher Cruise Leader“. Auf dem Programm solcher Kreuzfahrten stehen u. a. auch Konzerte jüdischer Künstler, religiöse Gesprächsrunden mit einem Rabbi und Beratungsgespräche für Ehepaare ( www.kosherica.com ). 4.4 Marketing-Mix Markenbildung, Angebotsdifferenzierung und Marksegmentierung - neben diesen grundsätzlichen Marketing-Strategien kommen im Kreuzfahrttourismus (wie in anderen touristischen Marktsegmenten) auch die klassischen Instrumente des Marketing-Mix zum Einsatz; dazu zählen (vgl. J ANS 2010, S. 8-10): die Produktpolitik (→ Kap. 4.4.1), die Distributionspolitik (→ Kap. 4.4.2), die Preispolitik (→ Kap. 4.4.3), die Kommunikationspolitik (→ Kap. 4.4.4). 4.4.1 Produktpolitik „Mehr als ein Schiff“ - mit diesem Slogan wirbt „Hapag-Lloyd Cruises“ für seine beiden Luxusliner „Hanseatic“ und „Bremen“. Ein solcher Werbetext ist in der Tourismusbranche nicht ungewöhnlich, denn dort herrscht inzwischen eine weit verbreitete „Mehr-Kultur“: Den Kunden wird jeweils ein Zusatznutzen versprochen, der über den Grundnutzen hinausgeht - z. B. bei Vielfliegerprogrammen („Lufthansa Miles & More“), Hotelgruppen („Maritim - Mehr als ein Hotel“) und Autovermietungen („Europcar - You rent a lot more than a car“). Damit reagieren die Unternehmen auf die steigenden Ansprüche der Konsumenten: Angesichts einer großen internationalen Reiseerfahrung verfügen die Bundesbürger über gute Vergleichsmöglichkeiten - sowohl hinsichtlich der Hardware (Unterkünfte, Freizeit- und Unterhaltungseinrichtungen etc.) als auch der Software (Servicequalität, Gastfreundschaft etc.). <?page no="129"?> Das Marketing und Management von Kreuzfahrtreedereien 130 Um sich von anderen Anbietern zu unterscheiden und über Alleinstellungsmerkmale (Unique Selling Propositions) zu verfügen, müssen die Tourismusbetriebe generell und speziell auch die Reedereien den Passagieren also mehr als ein Standardprodukt bieten; dazu können sie zwei Strategien verfolgen (vgl. H OSANY / W IT - HAM 2010, S. 359; S TEINECKE 2011, S. 53): zum einen eine vielfältige Ausstattung und aufwändige ästhetische Gestaltung der Schiffe (Shipscape), zum anderen eine hohe und kundengerechte Servicequalität (Servicescape). 4.4.1.1 Ausstattung der Kreuzfahrtschiffe Für die Nachfrager spielen die Ausstattungsmerkmale eines Kreuzfahrtschiffes bei der Reiseentscheidung eine zentrale Rolle, da sie sich in Katalogen und auf Websites vorab über diese „harten“, tangiblen Angebotselemente informieren können. Hingegen handelt es sich beim Service zunächst nur um ein „weiches“, unkalkulierbares Leistungsversprechen, dessen tatsächliche Qualität sich erst im Verlauf der Reise erweist (als Konsequenz des touristischen Uno-Actu-Prinzips - also der gleichzeitigen Bereitstellung und Nutzung von Serviceleistungen unter Einbeziehung der Konsumenten) (vgl. X IE / K ERSTETTER / M ATTILA 2012). Vor diesem Hintergrund versuchen die Reedereien, sich vor allem nach dem Motto „Immer größer, immer schöner und immer spektakulärer“ von anderen Wettbewerbern abzugrenzen. Speziell die Mega-Schiffe verfügen nicht nur über ein umfangreiches Angebot an unterschiedlich ausgestatteten Kabinen, sondern auch über eine Fülle von ungewöhnlichen Freizeit- und Unterhaltungseinrichtungen (→ Abb. 42; → Tab. 8). Durch diese Entwicklung ist eine schier endlos erscheinende Erlebnisspirale in Gang gesetzt worden, bei der das ursprüngliche Konzept einer Kreuzfahrt - einer Seereise zu unterschiedlichen Hafenstädten - immer mehr in den Hintergrund rückt. Stattdessen werden die Schiffe selbst zum Ziel der Tour und damit zu einer touristischen Destination: „Alles an Bord, shoppen, golfen, tanzen. Der Meerblick ist garantiert, der Landgang überflüssig“ (E RMLICH 2012). <?page no="130"?> Marketing-Mix 131 Abb. 42: Urlaub auf Balkonien - und noch dazu mit freiem Blick auf das Meer und frischer Seeluft: Balkonkabinen gehören auf vielen Kreuzfahrtschiffen längst zur Standardausstattung. Inzwischen reicht dieses Angebot jedoch nicht mehr aus, um die hohen Erwartungen der Gäste zu erfüllen; deshalb konkurrieren die Reedereien mit weitaus ausgefalleneren Attraktionen um die Gunst der Kunden. ⚓ Definition │ Destination „Geographischer Raum ... , den der jeweilige Gast (oder ein Gästesegment) als Reiseziel wählt. Sie enthält sämtliche für einen Aufenthalt notwendige Einrichtungen für Beherbergung, Verpflegung, Unterhaltung/ Beschäftigung. Sie ist damit die Wettbewerbseinheit, die im Incoming Tourismus als strategische Geschäftseinheit geführt werden muss“ (B IE- GER 2008, S. 56). Mit ihrer Mischung aus Multifunktionalität, Erlebnisorientierung und (teilweise auch) Thematisierung weisen viele Kreuzfahrtschiffe inzwischen große Ähnlichkeiten mit landgebundenen kommerziellen Freizeiteinrichtungen auf - von Ferienclubs über Themenparks bis hin zu Resort-Hotels. Sie gelten als typische Angebote der Spaß- und Erlebnisgesellschaft, die in den vergangenen drei Jahrzehnten einen anhaltenden Boom verzeichnen konnten. <?page no="131"?> Das Marketing und Management von Kreuzfahrtreedereien 132 Besondere Attraktionen an Bord von Kreuzfahrtschiffen Konzertsaal und Showbühne 3D-Theater Zirkusschule Designerläden Spezialitäten- und Sterne-Restaurants Vinothek baumbestandene Promenade Roboter als Barkeeper Wasserpark mit Free Fall-Röhren Indoor-Sporthalle Autoscooter-Fahrgeschäft Kartbahn Surfsimulator Skydiving im Windkanal Kletterwand/ Hochseilgarten Innenkabinen mit virtuellen Balkonen Outdoor-Laser-Tag-Arena Glaskapsel, die an einem Kran außenbords geschwenkt wird und in der die Gäste 90 Meter über dem Meer schweben Sea Walk bzw. Sea View Bar, die über die Bordwand ragen und - mit ihren Glasböden - einen freien Blick auf das Wasser ermöglichen Foliendach über den Swimmingpools, das einen Allwetterbetrieb ermöglicht (und nachts als Projektionsflächen für Light Shows genutzt wird) Tab. 8: „Let me entertain you“ - mit diesem Songtext von Robbie Williams lässt sich die Produktpolitik der Reedereien charakterisieren. Die Schiffe sind schwimmende Erlebnis- und Konsumwelten, die den Passagieren ein breites Spektrum an spektakulären Freizeit- und Unterhaltungsmöglichkeiten bieten. Gemeinsames Merkmal dieser „Kathedralen der Freizeitgesellschaft“ (I SEN- BERG 1995) ist die Konstruktion außeralltäglicher, hyperrealer Räume: In ihnen werden die Besucher temporär in eine illusionäre Gegenwelt versetzt, die keine inhaltlichen Bezüge zum realen geographischen und historischen Standort aufweist; damit handelt es sich um weitgehend deterritorialisierte Orte (vgl. L ONDON / L OHMANN 2014). Um eine entsprechend perfekte Atmosphäre zu schaffen, werden unterschiedliche Techniken der Inszenierung eingesetzt: Architektur bzw. Design, Interieur bzw. Dekoration, Lichteffekte und Simulationen, Veranstaltungs- und Animationsangebote sowie Geräusche und Musik (vgl. S TEINECKE 2009, S. 13; S CHMIDT -O TT 2017, S. 151-154; C ASHMAN 2014 zur Bedeutung der Musik als Inszenierungstechnik an Bord von Kreuzfahrtschiffen). <?page no="132"?> Marketing-Mix 133 Auf dem Kreuzfahrtmarkt hat sich die Reederei „Carnival Cruise Lines“ als Trendsetter erwiesen: Unter dem Slogan „Fun for All. All for Fun“ entwickelte das Unternehmen bereits in den 1970er-Jahren das Konzept der Erlebniskreuzfahrten (Contemporary Cruises) an Bord seiner Fun Ships - speziell für USamerikanische Urlauber. In Deutschland konnte „AIDA Cruises“ seit den 1990er-Jahren das Modell des zwanglosen und entspannten Cluburlaubs erfolgreich auf Seereisen übertragen. Mit neuartigen Clubschiffen gelang es der Reederei, ein jüngeres Reisepublikum anzusprechen und sich zugleich als Marktführer sowie bekannteste Kreuzfahrtmarke im deutschsprachigen Bereich zu positionieren (vgl. K WORTNIK 2006, S. 291; 2008, S. 293; H OSANY / W ITHAM 2010, S. 354; B ÜHLE 2011, S. 26-27). Bei den Boutique-Schiffen, mit denen überwiegend Luxuskreuzfahrten im Premiumsegment durchgeführt werden, verfolgen die Reedereien eine andere Produktpolitik: Da ein großer Teil der anspruchsvollen und kaufkräftigen Passagiere auf der Suche nach neuen Eindrücken ist, haben die Route und die Stopover Ports (Ports of Call) eine größere Bedeutung als bei den weitgehend autarken Mega- Schiffen. Für die Konzeption der Route nutzen die Reedereien zum einen Ergebnisse von Kundenbefragungen, in denen u. a. die Wünsche und Anregungen der reiseerfahrenen Urlauber erfasst werden. Zum anderen führen die Unternehmen eigene Recherchen durch - z. B. zur angemessenen Infrastruktur der Häfen, zu attraktiven Landausflügen und zur allgemeinen Sicherheitslage. Vorrangiges Ziel ist es dabei, den Gästen ein exklusives Produkt anzubieten. So wird bei der Planung u. a. darauf geachtet, dass es möglichst nicht zu einem gleichzeitigen Aufenthalt mit anderen, größeren Kreuzfahrtschiffen in den Häfen kommt (vgl. B ARRON / G REENWOOD 2006; A JAGUNNA / P INNOCK 2013, S. 190). 4.4.1.2 Service an Bord der Kreuzfahrtschiffe Im Verlauf der Reise wird die Zufriedenheit der Gäste dann wesentlich durch die Servicequalität beeinflusst. Auch in diesem Bereich besteht die Herausforderung für die Reedereien darin, den Passagieren einen materiellen bzw. immateriellen Zusatznutzen zu bieten: Die Erwartungen der Urlauber müssen nicht nur erfüllt, sondern auch übertroffen werden - z. B. durch eine individuelle Kundenansprache, überraschende Aktionen, kleine Geschenke (Gimmicks) etc. Erfahrungsgemäß lösen solche Zusatzleistungen bei den Urlaubern positive Gefühle aus, die erheblich zur Urlaubszufriedenheit beitragen (vgl. J ANS / R ÖDER 2010, S. 3; → Tab. 9). <?page no="133"?> Das Marketing und Management von Kreuzfahrtreedereien 134 Bereich Grundnutzen Erwartet Erwünscht Unerwartet Einschiffung schneller Check-in Gepäcktransport Begleitung zur Kabine Foto Reiseleitung Information besondere Tipps Unterhaltung Reisevideo Kabine Bett/ Übernachtung komfortable und große Kabine Steward erklärt Einrichtung Bordprogramm, Überraschung, persönliche Butler Verpflegung Restaurant hohe Qualität der Verpflegung breite Auswahl an Restaurants private Köche, die Mahlzeiten in der Kabine zubereiten Kapitän Nautik Teilnahme am Captain’s Diner Brückenführung Einladung zum Kapitänstisch Landausflüge Besichtigungen Hafeninformation Shuttlebus kostenfreier Shuttlebus Unterhaltung Beschäftigung Spielangebot Animateur Vermittlung von spielinteressierten Passagieren Tab. 9: Genug ist nicht genug - die reiseerfahrenen Kreuzfahrtpassagiere erwarten nicht mehr nur eine Standardleistung, sondern einen materiellen bzw. immateriellen Zusatznutzen. Die Reedereien haben deshalb ein breites Spektrum an zusätzlichen Angeboten entwickelt, um diese hohen Ansprüche zu erfüllen. Schließlich sind begeisterte Gäste auch potenzielle Stammkunden und freiwillige Werbeträger für die Unternehmen bzw. für Kreuzfahrten im Allgemeinen. Von besonderer Bedeutung sind dabei die Kompetenz, Dienstleistungsbereitschaft und Freundlichkeit der Servicekräfte: So ergab eine umfassende Auswertung von Posts auf der Kreuzfahrt-Plattform „Cruise Critic“, dass sich dort Hunderte von Nutzern lobend und teilweise sogar enthusiastisch über Kellner, Zimmermädchen, Barkeeper etc. geäußert haben. Dabei erinnerten sich die Passagiere z. B. in vielen Fällen an die Namen sowie Vornamen der Servicekräfte, kannten deren Lebensgeschichte und hatten Mailadressen mit ihnen ausgetauscht, um in Kontakt zu bleiben (teilweise wurden sogar Freundschaften geschlossen). Anhand dieser positiven Reaktionen wird deutlich, dass das Personal wesentlich dazu beitragen <?page no="134"?> Marketing-Mix 135 kann, den Gästen intensive Reiseerlebnisse und damit auch bleibende Urlaubserinnerungen zu vermitteln. Ein wesentlicher Grund für das große emotionale Involvement der Urlauber ist die besondere Atmosphäre der Dienstleistungssituationen: Sie sind bei Kreuzfahrten weitaus intensiver, vielfältiger und hedonistischer als bei alltäglichen Konsumaktivitäten, die ausschließlich der Versorgung dienen und deshalb nur einen funktionalen Charakter haben (vgl. K WORTNIK 2008, S. 301-302; B ROWNELL 2014, S. 8). Darüber hinaus zeigen Fallstudien, dass auch die Geselligkeit mit anderen Gästen einen erheblichen Einfluss auf die Zufriedenheit der Passagiere hat. Aus soziologischer Sicht handelt es sich bei Kreuzfahrtschiffen um „Dritte Orte“. So werden (halb-)öffentliche Lebensräume bezeichnet, die zwischen der Wohnung (als Erstem Ort) und dem Arbeitsplatz (als Zweitem Ort) liegen - z. B. städtische Plätze und Boulevards, Freizeit-, Kultur- und Sporteinrichtungen, Shopping Malls, Restaurants und Clubs. Diese Dritten Orte haben mehrere Funktionen (vgl. Zukunftsinstitut 2013): Zum einen dienen sie der ungezwungenen Begegnung und unverbindlichen Kommunikation mit anderen Menschen; zum anderen bieten sie den Akteuren die Möglichkeit, sich dort nach ihren eigenen Vorstellungen zu präsentieren und selbst gewählte soziale Rollen zu spielen. In Urlaubssituationen trägt die räumliche Distanz zum Zuhause, aber auch die weitgehend restriktionsfreie Atmosphäre dazu bei, dass das Spektrum an Handlungsoptionen weitaus größer ist als im Alltag mit seinen zahlreichen Verpflichtungen; dies gilt umso mehr an Bord von Kreuzfahrtschiffen, auf denen sich die Passagiere wie auf einem „Floating Island“ fühlen - scheinbar losgelöst von jeglichen gesellschaftlichen Bindungen, Normen und Kontrollen (vgl. Y ARNAL / K ERSTETTER 2005, S. 376). Die Reedereien verfügen zwar nur über geringe Möglichkeiten, die Kommunikations- und Selbstdarstellungsprozesse als „Preorchestrated Experience“ direkt zu steuern. Sie können aber Bühnen schaffen und Gelegenheiten bieten, die von den Urlaubern für ungezwungene Kontakte mit Mitreisenden genutzt werden. Diese Angebote müssen auf dem Prinzip der Wahlfreiheit beruhen, d. h. den Gästen sollten mehrere Optionen angeboten werden, aus denen sie ihre persönliche Auswahl treffen können - wie an einem Büfett (vgl. H UANG / H SU 2010, S. 81; B AKER 2014, S. 36). Zu den erfolgreichen Maßnahmen zählen u. a. Events, Partys, Kurse, Vorführungen, Wettbewerbe etc. Als besonders erfolgreich haben sich Veranstaltungen erwiesen, bei denen eine offene, harmonische und hierarchiefreie Atmosphäre <?page no="135"?> Das Marketing und Management von Kreuzfahrtreedereien 136 herrscht. In solchen Situationen machen die Passagiere gemeinsam neue Erfahrungen und entwickeln ein intensives Gefühl der Zusammengehörigkeit als Community. Auch dieses emotionale Involvement trägt wesentlich zur Kundenbindung und zur Weiterempfehlungsbereitschaft bei (vgl. D UMAN / M ATTILA 2005, S. 321; P APATHANASSIS 2012, S. 1156; → Kap. 2.2.4). 4.4.2 Distributionspolitik Vielfältig und unübersichtlich: So lässt sich die Produktpalette auf dem internationalen Kreuzfahrtmarkt charakterisieren. Angesichts dieses verwirrenden Angebots besteht bei den Konsumenten ein hohes Informations- und Beratungsbedürfnis - speziell bei der erstmaligen Buchung einer Seereise. Aus diesem Grund werden z. B. in Deutschland ca. 80 Prozent der Kreuzfahrten in Reisebüros gebucht (vgl. DRV 2016). Speziell bei der Gewinnung neuer Kunden können Reisebüros eine wichtige Rolle spielen - z. B. durch die Organisation von Informationsveranstaltungen zu Kreuzfahrten und die Initiierung von Kreuzfahrtstammtischen (vgl. Y AR- NAL / K ERSTETTER / Y EN 2005, S. 293). Weitere Absatzkanäle sind Einzelhandelsketten, Discounter und Automobilclubs, aber auch Tagesbzw. Wochenzeitschriften und Magazine (die mit speziellen Angeboten die Leser-Blatt-Bindung stärken möchten). Über diese Absatzwege findet vor allem der Verkauf günstiger Reisen in der Vor- und Nachsaison statt (Aktionsangebote). Außerdem werden Kreuzfahrten auch über TV-Reiseshopping-Sender vertrieben: In einer empirischen Studie gaben mehr als vier Prozent der Befragten an, bereits einmal eine Seereise bei einem TV-Verkaufssender gebucht zu haben, und knapp zehn Prozent äußerten ihr Interesse an dieser Buchungsart (vgl. F REITAG 2011, S. 94). Um Provisionszahlungen an Zwischenhändler zu vermeiden, haben die Reedereien in jüngerer Zeit den Direktvertrieb erheblich ausgebaut (Websites, Call Center). In diesem Fall kommt den Reisebüros allenfalls noch die Aufgabe zu, die Erstkunden zu gewinnen und zu beraten. In den USA bucht inzwischen die Mehrzahl der Kunden ihre Kreuzfahrt direkt bei der Reederei (→ Abb. 43). <?page no="136"?> Marketing-Mix 137 Abb. 43: Der direkte Draht zu den Kunden - diesen Vertriebsweg haben die Reedereien vor allem in den USA ausgebaut, um Provisionszahlungen an Reisebüros zu vermeiden. In einer Fallstudie an Bord der „Carnival Imagination“ hatte mehr als die Hälfte der Passagiere ihre Reise auf der Website bzw. im Call Center des Unternehmens gebucht. Dabei handelte es sich vor allem um Gäste, die bereits über Kreuzfahrterfahrungen verfügen. Bereits während der Kreuzfahrt und auch nach der Rückkehr versuchen die Unternehmen, ihre Gäste an sich zu binden und zu weiteren Buchungen zu animieren. Neben Bonusaktionen und Preisnachlässen gibt es spezielle Treueprogramme, mit denen Stammgästen besondere Vergünstigungen gewährt werden - z. B. „Latitudes Rewards“ der „Norwegian Cruise Line“, „Captain’s Club“ der „Celebrity Cruises“ bzw. „Crown & Anchor Society“ der „Royal Caribbean International“. 4.4.3 Preispolitik Trotz seiner oligopolistischen Struktur herrscht auf dem Kreuzfahrtmarkt ein harter Preiswettbewerb - allerdings auf einem recht hohen Niveau: Im Zeitraum 2002-2016 sank der durchschnittliche Reisepreis für eine Hochseekreuzfahrt z. B. in Deutschland von 2.051 Euro auf 1.675 Euro (diese Durchschnittswerte sind jedoch mit einer gewissen Vorsicht zu betrachten, da die Preise für Kreuzfahrten eine enorm große Spannweite aufweisen - je nach Buchungsbzw. Reisezeitpunkt, Lage und Ausstattung der Kabinen etc.) Trotz des Rückgangs haben die Kreuzfahrttouristen damit deutlich mehr für ihre Urlaubsreise ausgegeben als die Bundesbürger (983 Euro pro Person und Reise) (vgl. DRV 2017a, S. 48; FUR 2017, S. 2). Zum preispolitischen Instrumentarium der Kreuzfahrtreedereien gehören u. a. (vgl. J ANS 2010, S. 9-10): 0,9 % 22,0 % 22,9 % 23,9 % 30,3 % andere touristische Websites Reisebüro Call Center der Reederei Website der Reederei <?page no="137"?> Das Marketing und Management von Kreuzfahrtreedereien 138 Frühbucherrabatte, Last-Minute-Angebote, Ermäßigungen für Kinder, Rabatte für Alleinerziehende, Bordguthaben. Mit diesen ökonomischen Anreizen werden vor allem preissensible Urlauber angesprochen, die über ein relativ niedriges Haushaltseinkommen verfügen; aus diesem Grund spielen Sonderangebote, Vergünstigungen etc. bei ihrer Reiseentscheidung eine wichtige Rolle. Obwohl sie an Bord relativ geringe Ausgaben tätigen, handelt es sich aus Sicht der Reedereien um ein interessantes Publikum: Im Vergleich zu weniger preissensiblen und wohlhabenderen Passagieren zeigen sie eine höhere Markenloyalität, sind zufriedener mit dem Angebot sowie dem Service und äußern auch ein größeres Interesse, künftig weitere Kreuzfahrten zu unternehmen (vgl. P ETRICK 2005, S. 760). Angesichts der Gewährung von Rabatten und generell sinkender Preise müssen die Reedereien nach anderen Möglichkeiten suchen, Einnahmen zu erwirtschaften, um einen möglichst hohen Ertrag pro Passagier zu erzielen. Vorrangige Intention ist es deshalb, die „Gäste so an das Schiff zu binden, dass sie ihre Ausgaben auch hier tätigen“ (J ANS 2010, S. 10). Während der Tage auf hoher See haben die Unternehmen den Vorteil, dass sich die Gäste in der Position von unfreien Konsumenten (Captive Consumers) befinden: Sie können keine alternativen Möglichkeiten der Versorgung nutzen, sondern sind ausschließlich auf die Leistungen und Produkte der Reederei angewiesen. Dabei haben die Unternehmen mehrere Möglichkeiten, zusätzliche On Board Revenues zu erwirtschaften - z. B. durch (vgl. W EAVER 2005, S. 360; G ROSS / L ÜCK 2011, S. 72; K LEIN 2013, S. 47-48): Zuzahlungen für Getränke außerhalb der Mahlzeiten, Zuzahlungen für Mahlzeiten in Spezialitätenrestaurants, Ausgaben in den Shops (Uhren, Schmuck, Lederwaren, Souvenirs, Duty- Free-Produkte etc.), Dienstleistungen in den Bereichen Spa, Fitness, Beauty, Wellness etc. sowie bei sportlichen Aktivitäten (Golf-, Eislauf-, Kletterkurse etc.), Einnahmen aus dem Glücksspiel (speziell in den USA und in China), Organisation von Landgängen und Transfers, Gebühren für die private Kinderbetreuung (Babysitting), Gebühren für die Nutzung von Telefonbzw. WLAN-Verbindungen per Satellit (in Höhe von mehreren Euro pro Minute), <?page no="138"?> Marketing-Mix 139 Gebühren für die Nutzung des bordeigenen Entertainment-Programms (Pay-per-View, Movies on Demand), Auktionen während der Seereise (Kunst, Kultur, Wein etc.), Servicegebühren (z. B. ein pauschal erhobenes Trinkgeld), Serviceleistungen von Bordfotografen (→ Abb. 44). Abb. 44: „Werd ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch, Du bist so schön“ - Erinnerungsfotos sind nicht nur kostbare Souvenirs für die Passagiere, sondern auch eine zusätzliche Einnahmequelle der Reedereien. Angesichts sinkender Reisepreise versuchen sie, die On Board Revenues der Gäste durch kostenpflichtige Extraleistungen zu steigern; dazu zählen u. a. auch Mahlzeiten in Spezialitätenrestaurants sowie Beauty- und Wellnessangebote. <?page no="139"?> Das Marketing und Management von Kreuzfahrtreedereien 140 Darüber hinaus bieten die Reedereien den Passagieren ständig neue Anreize zum Konsum: Wie bei den Themenhotels in Las Vegas wird auch beim Design der Schiffe z. B. darauf geachtet, dass Shop, Bars und Casinos in besonders stark frequentierten Bereichen platziert werden; auf diese Weise sollen die Gäste ständig zu Spontankäufen bzw. -verzehr angeregt werden (vgl. W EAVER 2005, S. 353-354). Abb. 45: Man gönnt sich ja sonst nichts - dieser populäre Werbeslogan scheint auch für Kreuzfahrtpassagiere zu gelten, denn an Bord sind sie sehr konsumfreudig. Im weltweiten Durchschnitt belaufen sich ihre On Bord Revenues für Getränke, Spa-Besuche und andere Leistungen auf 429 US-Dollar - ca. ein Viertel der gesamten Ausgaben für die Seereise. In der Regel erwirtschaften die Reedereien 20 bis 30 Prozent ihres Gesamtumsatzes durch solche On Board Revenues. Speziell bei niedrigen Grundpreisen (Rabatte) können diese Ausgaben sogar höher sein als der Preis für die gesamte Reise; außerdem ist die Konsumbereitschaft (je Tag) bei kürzeren Reisen deutlich höher als bei längeren Kreuzfahrten (vgl. R ODRIGUE / N OTTEBOOM 2013, S. 33; → Abb. 45). 4.4.4 Kommunikationspolitik Warum haben Sie in letzter Zeit keine Kreuzfahrt unternommen? Als wesentlichen Hinderungsgrund nannten die Befragten in einer qualitativen Fallstudie die unzureichende Information - obwohl sie gleichzeitig ihr grundsätzliches Interesse an dieser Urlaubsart äußerten (vgl. Y ARNAL / K ERSTETTER / Y EN 2005, S. 291). Das Ergebnis ist ein deutlicher Beleg für die herausragende Bedeutung einer zielgruppengerechten Kommunikationspolitik der Reedereien: Auf dem hart umkämpften Tourismusmarkt müssen sie in unterschiedlichen Medien ständig präsent sein, um ihre Markenbekanntheit zu steigern und die Buchungsbereitschaft zu erhö- Ticket $ 1.350,00 Casino + Bar $ 236,00 Landgänge (Provision) $ 86,00 Spa $ 43,00 andere Ausgaben $ 64,00 <?page no="140"?> Marketing-Mix 141 hen. Am Beispiel der „ADIA Cruises“ soll zunächst das breite Spektrum an klassischen Werbe- und Verkaufsförderungsmaßnahmen erläutert werden, das dabei zum Einsatz kommt (vgl. E ICHLER 2011): Außenwerbung auf City Light Boards (großformatigen Leinwänden mit Hinterleuchtung und wechselnden Motiven) in 85 Städten mit 3.000 Plakaten, ständige Präsenz in regionalen und nationalen Tageszeitungen sowie in Publikumszeitschriften, TV-Kampagne, Produktschulungen für ca. 27.000 Mitarbeiter von Reisebüros (Vertriebsseminare und Online-Schulungen), Unterstützung von Reisebüros durch Plakate, Schaufensterdekorationen, Werbekostenzuschüsse, Verkaufswettbewerbe etc., Herausgabe eines eigenen Markenhandbuchs - mit Informationen zur Unternehmensphilosophie sowie zum Corporate Design und zur Corporate Language (→ Abb. 46). Abb. 46: Der knallrote Kussmund am Bug und die leuchtenden Augen an Steuersowie Backbord sind unverwechselbare Markenzeichen der „AIDA“-Schiffe. Nicht zuletzt aufgrund dieses charakteristischen Corporate Design ist es der Reederei gelungen, sich als bekannteste Kreuzfahrtmarke auf dem deutschen Markt zu positionieren - mit deutlichem Abstand vor anderen Wettbewerbern. <?page no="141"?> Das Marketing und Management von Kreuzfahrtreedereien 142 Darüber hinaus haben die Unternehmen zahlreiche innovative Kommunikationsinstrumente entwickelt; dazu zählen u. a. (vgl. W EAVER 2005a, S. 171; E ICHLER 2011; J ONES 2011, S. 35; E BERTIN 2012): Websites: Das Internet hat einen großen Einfluss auf die Reiseentscheidung. Speziell Erstkunden nutzen die Websites der Reedereien und der Destinationen als wichtige Informationsquellen. Dabei enthalten die Homepages neben den Angaben über die Route und die Ausstattung der Schiffe durchaus auch Unterhaltungselemente: Auf der „AIDA Cruises“-Website können die Nutzer u. a. ein Online-Puzzle spielen sowie Handy-Klingeltöne herunterladen; für Kinder wurde außerdem das App-Spiel „Clubbies Abenteuer“ entwickelt sowie eine Anleitung zum Basteln von Papierschiffen. Zudem haben die meisten Reedereien ihre Schiffe mit Webcams (z. B. am Bug und auf dem Pooldeck) und Navigationssystemen ausgestattet, sodass sich Interessenten jederzeit über die aktuelle Position und das Wetter im Zielgebiet informieren können. Mit Hilfe von 360-Grad-Kameras lassen sich außerdem virtuelle Rundgänge an Bord machen. Social Media (Facebook, Twitter, Flickr, YouTube etc.): So verfügt z. B. „AIDA Cruises“ über eine eigene Facebook-Seite, die das Unternehmen für Marken- Botschaften und Mitmach-Aktionen nutzt; seit 2009 stieg die Zahl der Fans von 76.000 auf mehr als eine Million. Im Internet betreibt die Reederei zusätzlich eine „Weblounge“; dort haben registrierte Nutzer die Möglichkeit, ihre Reiseberichte, Fotos, Videos etc. hochzuladen. Außerdem veranstaltet sie regelmäßig Treffen in verschiedenen deutschen Städten, bei denen sich die User persönlich kennenlernen können ( www.aida-weblounge.de ). Event-Marketing: Spektakuläre Veranstaltungen an Bord bzw. an Land dienen dazu, immer wieder eine breite Resonanz in den Medien zu erzeugen, neue Zielgruppen zu erschließen und Stammkunden an das Unternehmen zu binden (Themenkreuzfahrten, Schiffstaufen etc.): Im Jahr 2010 hat z. B. „Hapag-Lloyd Cruises“ während der Filmfestspiele in Cannes an Bord ihres Flaggschiffes „Europa“ eine Charity Gala veranstaltet, deren Erlöse der Stiftung „Menschen für Menschen“ zugute kamen. Von 2011 bis 2013 war „AIDA Cruises“ Sponsor der „AIDA Night of the Proms“ - einer populären Konzert-Tour mit Pop- und Klassikkünstlern, die jedes Jahr durch 12 deutsche Städte führte. Mit einem solchen Brand Community Marketing, das von zahlreichen Reedereien eingesetzt wird, soll jeweils eine markenorientierte Gemeinschaft von Usern geschaffen werden, die bestimmte Werte, Erfahrungen etc. teilen und sich für das Angebot der Reedereien begeistern. Aufgrund ihres emotionalen Involvements und ihres intensiven Kommunikationsverhaltens sind die Nutzer nicht nur loyale Kunden, sondern auch freiwillige (und zugleich kostenlose) Werbeträger - spe- <?page no="142"?> Marketing-Mix 143 ziell durch die Empfehlung von Produkten in den Social Media. In Zeiten eines Überangebots an touristischen Angeboten und eines generellen Information Overload spielt diese virtuelle Mund-zu-Mund-Propaganda eine immer größere Rolle (Virales Marketing). ⚓ Wissen │ Smartphone-Applications zum Thema „Kreuzfahrten“ Um ihren Kunden umfassende und aktuelle Informationen bieten zu können, haben zahlreiche Kreuzfahrtreedereien kostenlose Applications für Smartphones entwickelt; außerdem gibt es kostenpflichtige Applications zum Tracking von Schiffen und zur Navigation. Als Beispiele sind u. a. zu nennen ( www.schiffe-und-kreuzfahrten.de/ ratgeber/ kreuzfahrt-apps/ 46784/ vom 24.06.2017): Apps von Kreuzfahrt-Reedereien - AIDA Kreuzfahrt-App - Celebrity Cruises-App - Color Line-App - Costa Kreuzfahrten-App - Disney Cruise Line-App - TUI Cruises Mein Schiff-App - TUI Cruises Katalog für das iPad Sonstige Kreuzfahrtschiff-Apps - Cruise Ship Mate (Deckpläne und mehr von vielen Reedereien) AIS (Automatic Identification System) Tracking Apps (Schiffspositionen im Detail) - Marinetraffic.com-App - Vesseltracker.com-App - Fleetmoon.com-App - Ship Finder Livetracking-App - AIS Live-App <?page no="143"?> Das Marketing und Management von Kreuzfahrtreedereien 144 Navigation-Apps - Marine Navigation-App iNavX Marine Navigation-App - Marine Navigation Europe-App - Port Navigator-App (Häfen) - Traumschiffe in Kiel-App Kreuzfahrt Webcam-Apps (Webcams im Detail) - Cruise Cam-App - Cruise Cams Liveview-App - Liveview Cruise Cams-App ⚓ Zusammenfassung Seit Ende der 1980er-Jahre haben einige Reedereien zunächst eine horizontale Integrationsstrategie verfolgt - durch den Erwerb von Beteiligungen und später eine vollständige Übernahme konkurrierender Unternehmen (Mergers & Acquisitions-Politik). Inzwischen erwerben sie zunehmend Betriebe auf vor- und nachgelagerten Stufen der touristischen Leistungskette bzw. beteiligen sich durch Investitionen daran (Privatinseln/ -strände, Kaianlagen, Passagierterminals, Reiseveranstalter etc.). Trotz der oligopolistischen Struktur herrscht auf dem internationalen Kreuzfahrtmarkt ein harter Wettbewerb. Eine Zusammenarbeit findet allenfalls im Rahmen regionaler, nationaler bzw. internationaler Interessenvertretungen statt; zu deren Aufgaben gehört vor allem die öffentliche und politische Lobbyarbeit. Angesichts ihrer Marktdominanz haben die drei wichtigsten Reedereikonzerne eine enorme Macht bei Verhandlungen mit Hafenstädten und Zielgebieten. Die wirtschaftliche und touristische Entwicklung der Destinationen hängt wesentlich von den strategischen Entscheidungen der Reedereien ab. <?page no="144"?> Marketing-Mix 145 Durch eine ständige Angebotsdifferenzierung ist es den Reedereien gelungen, sich immer wieder an veränderte Marktbedingungen anzupassen und neue Kunden zu gewinnen - z. B. durch das Schnupperkreuzfahrt-, das Freestyle Cruising-, das Ship-in-Shipsowie das All- Inclusive-Konzept. Auf der Grundlage einer differenzierten Marktsegmentierung sprechen die Unternehmen auch zunehmend spezielle Zielgruppen an - neben Familien z. B. auch Homosexuelle sowie Muslime und Juden. Im Bereich der Produktpolitik versuchen die Reedereien, sich durch zwei Strategien von anderen Wettbewerbern abzugrenzen - zum einen durch eine besondere Ausstattung der Schiffe (Shipscape), zum anderen durch eine hohe Servicequalität (Servicescape). Dabei geht es im Kern darum, den Passagieren nicht nur eine Standardleistung zu bieten, sondern auch einen materiellen bzw. immateriellen Zusatznutzen. Aufgrund des vielfältigen und unübersichtlichen Angebots auf dem Kreuzfahrtmarkt besteht bei den Konsumenten (speziell bei Neukunden) ein hoher Informations- und Beratungsbedarf. In Deutschland werden deshalb ca. 80 Prozent der Seereisen in Reisebüros gebucht. Um Provisionszahlungen an Zwischenhändler zu vermeiden, haben die Reedereien ihren Direktvertrieb erheblich ausgebaut (Websites, Call Center). Bislang ist der Kreuzfahrtmarkt ein Verkäufermarkt: Um ihre Kapazitäten auszulasten, setzen die Reedereien unterschiedliche preispolitische Instrumente ein - z. B. Frühbucherrabatte, Last-Minute- Angebote, Ermäßigungen für Kinder, Rabatte für Alleinerziehende, Bordguthaben etc. Außerdem schaffen sie zahlreiche Anreize, um ihre On Board Revenues zu erhöhen. Im Bereich der Kommunikationspolitik greifen die Unternehmen zum einen auf die klassischen Werbe- und Verkaufsförderungsmaßnahmen zurück (Plakate, Pressearbeit, Produktschulungen, Unterstützung von Reisebüros). Zum anderen haben sie innovative Instrumente entwickelt (Websites, Social Media, Event-Marketing). Mit diesem Brand Community Marketing verfolgen sie das Ziel, eine loyale Gemeinschaft von Stammgästen zu kreieren (die zudem als authentische Werbeträger fungieren). <?page no="145"?> Das Marketing und Management von Kreuzfahrtreedereien 146 ⚓ Weiterführende Literaturtipps G ROSS , S./ L ÜCK , M. (2011): Cruise Line Strategies for Keeping Afloat. - In: V OGEL , M./ P APATHANASSIS , A./ W OLBER , B. (Hrsg.): The Business and Management of Ocean Cruises, Wallingford (UK), S. 63-78 Der Beitrag gibt einen anschaulichen Überblick über das breite Spektrum der Wettbewerbsstrategien und Geschäftsmodelle, die von den Reedereikonzernen in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt worden sind. B RANCHIK , B. (2014): Staying afloat: A history of maritime passenger industry marketing. - In: Journal of Historical Research in Marketing, 6/ 2, S. 234-257 (DOI: 10.1108/ JHRM-07-2013-0044) Auf der Grundlage diverser Quellen erläutert der Autor den Wandel der Marketing- Strategien seit den Anfängen des Kreuzfahrttourismus im 19. Jahrhundert - von der traditionellen Passagierschifffahrt im Transatlantikverkehr (für wohlhabende Passagiere und mittellose Emigranten) bis hin zu den Vergnügungsreisen der Gegenwart (für ein massenhaftes Publikum). <?page no="146"?> 5 Die Effekte von Kreuzfahrten ⚓ Das Kapitel im Überblick In diesem Kapitel werden folgende Fragen beantwortet: Welche ökonomischen Wirkungen löst der Kreuzfahrttourismus aus - speziell in den Destinationen? Welche ökologischen Folgen hat der Kreuzfahrttourismus auf das Klima, die Weltmeere und die Zielgebiete? Welche sozialen und kulturellen Veränderungen verursachen die Passagiere während ihrer Landgänge in den Hafenstädten? Unter welchen rechtlichen und organisatorischen Bedingungen arbeiten die Crewmitglieder an Bord der Kreuzfahrtschiffe? Steigende Passagierzahlen, spektakuläre Schiffsneubauten und zufriedene Kunden - aus Sicht der touristischen Interessenverbände ist die Geschichte des Kreuzfahrttourismus eine Erfolgsstory. In ihren Pressemitteilungen verweisen sie vor allem auf die positiven ökonomischen Effekte: „Die Branche trägt in vielen Ländern der Welt zum Wirtschaftswachstum bei. Sie schafft und sichert zudem Arbeitsplätze weltweit“ (DRV 2016; → Kap. 5.1). Trotz seiner wichtigen Rolle als internationaler Wirtschaftsfaktor und -motor ist der Kreuzfahrttourismus in der Öffentlichkeit jedoch auch umstritten: Von Politikern und Planern in den Zielgebieten wird bemängelt, dass die Hafenstädte und Destinationen aufgrund des Managements der Reedereien nicht in angemessener Weise an den Ausgaben der Passagiere partizipieren (→ Kap. 5.2). Umweltschutzorganisationen und Tourismusforscher verweisen auf die vielfältigen ökologischen und soziokulturellen Belastungen, die der Kreuzfahrttourismus auslöst (→ Kap. 5.3). Arbeitsorganisationen und Gewerkschaften kritisieren generell die rigide Personalpolitik der Reedereien und speziell auch den harten Arbeitsalltag an Bord der Schiffe (→ Kap. 5.4). <?page no="147"?> Die Effekte von Kreuzfahrten 148 5.1 Ökonomische Effekte von Kreuzfahrten Small but mighty - auf den ersten Blick handelt es sich beim Kreuzfahrttourismus um einen Nischenmarkt mit relativ niedrigen Passagierzahlen. Bei genauerer Betrachtung wird jedoch seine große volkswirtschaftliche Bedeutung deutlich, denn die ökonomischen Wirkungen beschränken sich nicht nur auf die Reedereien, die für die Organisation und Durchführung der Kreuzfahrten zuständig sind. Vielmehr umfassen sie auch zahlreiche vor- und nachgelagerte Wirtschaftszweige - in den Heimatländern der Reedereien und Passagiere, den Flaggenstaaten und den Zielgebieten; dazu zählen u. a. (vgl. D WYER / F ORSYTH 1998, S. 395; B RIDA / Z A - PATA 2010, S. 214; T ORBIANELLI 2012, S. 141; HK Hamburg 2013, S. 1): die Werftindustrie sowie zahlreiche industrielle und handwerkliche Zulieferbetriebe (Bau und Wartung von Schiffen), die Nahrungs-, Getränke- und Genussmittelindustrie sowie die Landwirtschaft und Fischerei (Verpflegung der Passagiere und Crewmitglieder), die öffentlichen und privaten Betreiber von Hafenanlagen (Lots-, Festmach- und Hafengebühren etc.), die Mineralölindustrie (Versorgung der Schiffe mit Treibstoff), die Abfallindustrie (Entsorgung von Abfällen in den Hafenstädten), die Reisebürobranche (Buchung von Kreuzfahrten und Transfers von den Heimatorten zu den Häfen), die Reiseveranstalterbranche (Organisation von Pauschalreisen), die Fluggesellschaften sowie die Bahn- und Busunternehmen (Transport der Passagiere von den Heimatorten zu den Häfen), die öffentliche Hand (Gebühren für die Registrierung der Schiffe, Steuereinnahmen). Der Branchenverband „Cruise Lines International Association“ (CLIA) veröffentlicht regelmäßig Daten zu den direkten und indirekten wirtschaftlichen Effekten der Kreuzfahrtindustrie (vgl. CLIA 2016a, S. 11; BMWi 2012, S. 9; CLIA 2016 speziell zur wirtschaftlichen Bedeutung in Europa): Danach beschäftigte die Branche im Jahr 2016 weltweit nahezu eine Million Arbeitskräfte und zahlte ca. 38 Milliarden US-Dollar an Löhnen und Gehältern. Aufgrund von Multiplikatoreffekten wurde das Gesamtvolumen der wirtschaftlichen Wirkungen auf ca. 117 Milliarden US-Dollar geschätzt (zum Vergleich: In Deutschland belief sich die tourismusbedingte Bruttowertschöpfung auf 214,1 Milliarden Euro und die Zahl der Beschäftigten in der Tourismusbranche auf 4,9 Millionen). <?page no="148"?> Ökonomische Effekte von Kreuzfahrten 149 Speziell in den Zielgebieten des Kreuzfahrttourismus kommt es zu weiteren ökonomischen Effekten, da die Passagiere und die Crewmitglieder als zusätzliche Konsumenten auftreten, indem sie persönliche Ausgaben tätigen - z. B. für Verpflegung, Einkäufe und Aktivitäten bei Landausflügen. In den folgenden beiden Kapiteln werden die wirtschaftlichen Wirkungen auf die Destinationen erläutert; dabei ist es sinnvoll, zwischen zwei Typen von Häfen zu unterscheiden (vgl. R OHR 2010, S. 41-42; L ONDON / L OHMANN 2014): Stopover Ports (Ports of Call), die im Verlauf der Seereise von den Passagieren für Landausflüge genutzt werden (→ Kap. 5.1.1); Home Ports (Turnaround Ports, Ein- und Ausschiffungshäfen), in denen die Kreuzfahrtschiffe dauerhaft bzw. saisonal stationiert sind und die als Ausgangs- und Endpunkte der Seereisen dienen (→ Kap. 5.1.2). Darüber hinaus gibt es noch Hybrid Ports, die sowohl als Home Ports als auch als Stopover Ports dienen; dort überlagern sich die jeweiligen ökonomischen Effekte der beiden Hafentypen. 5.1.1 Ökonomische Effekte auf die Stopover Ports Bei den Stopover Ports handelt es sich um Transithäfen, die von den Kreuzfahrtschiffen jeweils nur für wenige Stunden angelaufen werden; als Beispiele sind u. a. Santorin, Neapel, Dubrovnik, Bergen und Acapulco zu nennen (→ Abb. 47). Angesichts des kurzen Aufenthaltes können diese Städte bzw. Hafenverwaltungen nur einen relativ geringen direkten Nutzen aus dem Besuch ziehen; mögliche Einnahmequellen sind u. a.: Lots-, Festmach- und Hafengebühren, Gebühren für die Wasser- und teilweise auch Stromversorgung sowie die Abfallentsorgung, spezielle Steuern bzw. Landegebühren für Kreuzfahrtpassagiere (Cruise Ship Levy). Darüber hinaus führen die Landgänge der Passagiere und der Crewmitglieder zu einer Umsatzsteigerung lokaler Betriebe; von der zusätzlichen Nachfrage profitieren vor allem öffentliche und private Transportunternehmen, Einzelhandelsgeschäfte und Besucherattraktionen sowie Incoming-Agenturen, die Gästeführungen anbieten. Hingegen sind die Ausgaben der Reedereien für Getränke, Nahrungsmittel, Treibstoff etc. in den Stopover Ports (Ports of Call) relativ gering. Aufgrund des Trends zu kürzeren Kreuzfahrten nutzen die Unternehmen vor allem den Aufenthalt in den Home Ports (Turnaround Ports), um die Schiffe mit allen Waren zu <?page no="149"?> Die Effekte von Kreuzfahrten 150 versorgen, die während der mehrtägigen Seereisen benötigt werden. In Costa Rica profitiert z. B. die Landwirtschaft deshalb kaum von der Ankunft der Kreuzfahrtschiffe, obwohl das Land zu den wichtigsten Produzenten von Bananen und tropischen Früchten in der Karibik gehört (vgl. M ANNING 2006, S. 4; J ENNINGS / U LRIK 2016, S. 2; V ÉRONNEAU / R OY 2009 zu den Lieferketten (Supply Chains) von Reedereien). Abb. 47: Vesuv backbord voraus - der Hafen von Neapel gehört zu den beliebten Zielen von Mittelmeerkreuzfahrten. Allerdings profitiert die Stadt (wie alle Stopover Ports) nur in relativ geringem Maße von den Tagesbesuchern. In diesen Häfen sind die wirtschaftlichen Effekte nicht so hoch wie in den Home Ports, in denen viele Passagiere bei der An- und Abreise zusätzliche Übernachtungen buchen und damit die lokale Wirtschaft beleben. Zur Höhe der Ausgaben von Passagieren liegen stark divergierende Ergebnisse vor (vgl. T ORBIANELLI 2012, S. 144; D EL C HIAPPA / A BBATE 2013, S. 4; L ARSEN u. a. 2013, S. 146; BREA 2015, S. 17): Für die kleinen Inselstaaten der Karibik wurden z. B. Werte zwischen 15 und 270 US-Dollar pro Kopf und Tag ermittelt. In europäischen Häfen reichte die Bandbreite von 34 Euro in Marseille über 50-70 Euro in Messina (Sizilien) bis zu 128 Euro in Helsinki. In der norwegischen Hafenstadt Bergen kamen drei vergleichende Fallstudien zu dem Ergebnis, dass die Passagiere 43 bis 67 Euro pro Kopf und Tag ausgaben. Damit waren sie weit weniger konsumfreudig als die Über- <?page no="150"?> Ökonomische Effekte von Kreuzfahrten 151 nachtungsgäste, die - neben den Kosten für die Unterkunft - täglich Ausgaben in Höhe von 80 bis 99 Euro tätigten. Für die unterschiedliche Höhe des Pro-Kopf-Konsums gibt es mehrere Ursachen: Zum einen spielt die Länge des Aufenthalts in den Hafenstädten eine wichtige Rolle, zum anderen aber auch das jeweils dominierende Marktsegment (z. B. Passagiere von Boutiquevs. Mega-Schiffen). Außerdem wird der Umfang der Ausgaben durch die Öffnungszeiten der Geschäfte, den Umfang und die Attraktivität des Angebots sowie die Kundenorientierung der Dienstleistungen bestimmt (vgl. B RIDA u. a. 2012, S. 445; L ARSEN / W OLFF 2014, S. 47 zu einer kritischen Auseinandersetzung mit dieser Availability Hypothesis). Allerdings handelt es sich bei zahlreichen Produkten, die an die Passagiere verkauft werden, um importierte bzw. sogar zollfreie Waren (auf den karibischen Inseln beträgt der Anteil bis zu ca. 50 Prozent); aus diesem Grund verbleibt nur ein Teil der Einnahmen in den Hafenstädten bzw. Zielländern. Außerdem nehmen die Passagiere ihre Mahlzeiten häufig vor bzw. nach dem Ausflug an Bord der Schiffe ein, da sie im Pauschalpreis enthalten sind (vgl. M ANNING 2006, S. 7; S EIDL / G UILIANO / P RATT 2006, S. 218; B RIDA / Z APATA 2010a, S. 335; D IED- RICH 2010, S. 240): Im mittelamerikanischen Belize hat z. B. nur jeder zweite Gast während des Landgangs ein Restaurant besucht; entsprechend gering waren die Wirkungen auf die örtliche Gastronomie. In Cozumel (Mexiko) wurden die Filialbetriebe der Restaurantketten „Hard Rock Café“ und „Planet Hollywood“ aufgrund der geringen Nachfrage wieder geschlossen. Vor diesem Hintergrund betrachten Restaurant- und Hotelbesitzer eine zunehmende Erschließung ihrer Destination für den Kreuzfahrttourismus deutlich skeptischer als die Inhaber von Souvenirgeschäften, Incoming-Agenturen und Freizeiteinrichtungen (vgl. C ASTILLO -M ANZANO / L OPEZ -V ALPUESTA / A LANIS 2015, S. 703). Zudem versuchen die Reedereien, an den landbezogenen Ausgaben der Gäste zu partizipieren, indem sie organisierte Ausflüge anbieten: In der Karibik buchen z. B. 74 Prozent der Passagiere diese Landgänge direkt an Bord - nicht zuletzt aufgrund der damit verbundenen Bequemlichkeit, Berechenbarkeit und Sicherheit. Für die Vermittlung der Besichtigungstouren und die Empfehlung örtlicher Geschäfte verlangen die Reedereien von den lokalen Reiseveranstaltern bzw. von den Einzelhändlern jeweils eine Provision, die in der Regel 50 Prozent und mehr beträgt. Diese Regelung gilt sogar für Taxifahrer, die ihre Fahrgäste direkt an den Gangways in Empfang nehmen - und nicht an einem Taxistand außer- <?page no="151"?> Die Effekte von Kreuzfahrten 152 halb des Hafenbereichs auf sie warten (vgl. B ISCHOFF 2007, S. 727; K LEIN 2011, S. 111; BREA 2015, S. 17). Da organisierte Landausflüge für die Reedereien also eine zusätzliche Einnahmequelle darstellen, spielen solche Angebote der Destinationen bei ihrer Routenplanung eine wichtige Rolle (speziell im Mittelmeer). Für die Hafenstädte kann eine attraktive und vielfältige Palette an Besichtigungstouren deshalb als Alleinstellungsmerkmal (Unique Selling Proposition) dienen: Sie bietet ihnen die Chance, sich von anderen Wettbewerbern abzugrenzen und sich dauerhaft als Stopover Ports zu positionieren - und damit auch die Möglichkeit, den Passagieren das kulturelle Erbe der Region zu vermitteln und sie zu einem erneuten Besuch anzuregen (vgl. B USBY / O’N EILL 2013, S. 143-144; C USANO / F ERRARI / T EI 2017, S. 243). In der Karibik laufen einige Reedereien allerdings nicht nur Hafenstädte an, sondern auch eigene Stopover Resorts - weitläufige Freizeit-, Sport- und Unterhaltungseinrichtungen mit Bars, Restaurants und Shops, in denen die Ausgaben der Gäste ausschließlich den Reedereien zugute kommen. Aufgrund dieser Wettbewerbsstrategien konnten die US-amerikanischen Unternehmen in den vergangenen Jahren ihren Umsatz je Passagiertag steigern, während die Hafenstädte sinkende Einnahmen zu verzeichnen hatten (vgl. B RIDA / Z APATA 2010, S. 217; → Kap. 3.1). Der wirtschaftliche Nutzen des Kreuzfahrttourismus für die Stopover Ports (Ports of Call) wird noch durch weitere Faktoren gemindert: Für die Landausflüge der zahlreichen Passagiere müssen in den Hafenstädten erhebliche Transportkapazitäten vorgehalten werden, die anschließend ungenutzt bleiben (Reisebusse, Taxis etc.). So wird Cozumel (Mexiko) z. B. jeweils nur dienstags und donnerstags angelaufen (teilweise von zwölf Mega-Schiffen gleichzeitig); an den übrigen Wochentagen verzeichnet der Hafen keinen nennenswerten Passagierverkehr (vgl. M ANNING 2006, S. 7; S A- MARATHUNGA 2016, S. 7). Außerdem beschränken sich die positiven Wirkungen auf ein eng begrenztes Areal, das durch die geringe Aktionsreichweite der Urlauber bestimmt wird - teilweise beläuft sie sich nur auf ca. 200 Meter Entfernung von den Kaianlagen (vgl. J AAKSON 2004; B ERZINA / M EDNE / S TEINA 2015 mit lokalen Fallstudien in Mexiko und Lettland). Darüber hinaus kann der Kreuzfahrttourismus auch negative Wirkungen auf andere Wirtschaftszweige haben: Angesichts der erwarteten Einnahmen aus den Landgängen von Passagieren müssen Kreuzfahrtschiffe z. B. in Costa Rica weitaus niedrigere Hafen- und Liegegebühren als Handelsschiffe entrichten. Diese Bevorzugung kann mittelfristig zu Kostensteigerungen in anderen wichtigen Branchen führen, die auf Schiffsimporte von Massenbzw. <?page no="152"?> Ökonomische Effekte von Kreuzfahrten 153 Stückgütern angewiesen sind - z. B. für die Versorgung der Bevölkerung bzw. für die Herstellung von Industrieprodukten (vgl. C HEONG 2013a, S. 17). Schließlich kann es zu Konflikten zwischen dem Kreuzfahrttourismus und anderen Tourismusarten kommen: Speziell auf kleinen Inseln wird die ruhige Urlaubsatmosphäre durch den massenhaften Ansturm von Kreuzfahrtpassagieren erheblich gestört - z. B. auf Santorin (Griechenland) und La Digue (Seychellen). Bei einem unzureichenden Besuchermanagement besteht die Gefahr, dass erholungssuchende Übernachtungsgäste - die höhere Pro-Kopf- Ausgaben tätigen - solche Destinationen mittelfristig meiden (vgl. B RIDA / Z APATA 2010a, S. 330; B RESSON / L OGOSSAH 2011; G RACAN 2016, S. 109; → Kap. 5.3.1). Generell löst der Kreuzfahrttourismus in den Stopover Ports geringere ökonomische Effekte aus als andere Arten des Tagesausflugsverkehrs bzw. des Tourismus: In Belize handelt es sich z. B. bei ca. 75 Prozent aller ankommenden Gäste um Kreuzfahrttouristen. Angesichts ihrer geringen Ausgaben vor Ort tragen sie jedoch nur zur Schaffung von zehn Prozent der Arbeitsplätze in der Tourismusbranche bei (vgl. K LEIN 2011, S. 111). Im Routensystem der Reedereien spielen die Stopover Ports keine vergleichbar wichtige Rolle wie die Home Ports (die als zentrale Passagier- und Versorgungs- Hubs dienen). Deshalb können diese Satellite Ports auch leichter durch andere Häfen ersetzt werden - mit entsprechend negativen Folgen für die lokale Wirtschaft, die sich auf die Nachfrage der Gäste eingestellt und zusätzliche Investitionen getätigt hat (vgl. C USANO / F ERRARI / T EI 2017, S. 238). Vor diesem Hintergrund ist eine Ausrichtung von Destinationen auf den Kreuzfahrttourismus unter Experten durchaus umstritten. So hat sich der kanadische Tourismusforscher Ross A. Klein äußerst skeptisch zu den unmittelbaren Effekten von Kreuzfahrten geäußert: „Kreuzfahrtschiffe sind Unternehmen, die unterwegs sind, um Gewinne einzufahren. Sie tun dies ‚auf dem Rücken’ der Häfen. In den Terminals werden Anlegestellen und Infrastruktur für Kreuzfahrtschiffe gebaut, die für gewöhnlich nur einen kleinen Teil der Investitionen wieder hereinholen“ (K AMP 2010; vgl. auch W ILKINSON 1999, S. 277). Es kann also für Destinationen weitaus sinnvoller sein, Investitionen in anderen Bereichen der touristischen Verkehrsinfrastruktur (Flughäfen, Bahnhöfe etc.) vorzunehmen - und nicht in Hafenanlagen, Terminals etc. Darüber hinaus darf sich eine sachgerechte Einschätzung der wirtschaftlichen Wirkungen nicht auf die Bruttoeinnahmen aus dem Kreuzfahrttourismus beschränken, sondern muss auch die öffentlichen Kosten berücksichtigen. <?page no="153"?> Die Effekte von Kreuzfahrten 154 5.1.2 Ökonomische Effekte auf die Home Ports In den Home Ports (Turnaround Ports) - z. B. Fort Lauderdale/ Port Everglades (Florida), Miami und Southampton - findet das Ein- und Ausschiffen der Passagiere statt, das häufig mit zusätzlichen Übernachtungen verbunden ist (speziell bei Gästen, die von ihren weit entfernten Wohnorten anreisen bzw. dorthin zurückkehren). Auch in diesem Geschäftsfeld treten die Reedereien als Konkurrenten der Hafenstädte auf: Sie haben ihre Leistungskette um landgebundene Vor- und Nachprogramme erweitert, mit denen sie den Passagieren ein attraktives Angebot „aus einer Hand“ bieten können. Am Beispiel der Ostseehäfen wird deutlich, dass es sich dabei generell um einen lukrativen Markt handelt: Dort liegen die täglichen Pro-Kopf-Ausgaben von Home Port-Passagieren bei ca. 167 Euro, während die Stopover-Passagiere im Rahmen eines Tagesaufenthalts nur ca. 79 Euro ausgeben (und die Crewmitglieder sogar nur 24 Euro) (vgl. M OODY 2016, S. 5). Allerdings können die Hafenstädte nicht in jedem Fall derartig hohe Pro-Kopf- Einnahmen erzielen: Im kolumbianischen Cartagena de Indias reist z. B. die Mehrzahl der einheimischen Passagiere erst am Abreisetag an und begibt sich direkt an Bord der Schiffe. Dort tätigen die Home Port-Passagiere sogar niedrigere Ausgaben als die Stopover-Passagiere: 31 bzw. 69 US-Dollar pro Tag (vgl. B RIDA u. a. 2012a, S. 144). Darüber hinaus müssen die Hafenstädte - sowohl die Home Ports als auch die Stopover Ports - zunächst umfangreiche Investitionen tätigen und im weiteren Verlauf zahlreiche Dienstleistungen erbringen, um sich als attraktive Destinationen zu positionieren und dauerhaft Einnahmen aus dem Kreuzfahrttourismus zu erwirtschaften. Dazu sind u. a. folgende Maßnahmen aus öffentlichen Mitteln zu finanzieren (vgl. B RIDA / Z APATA 2010, S. 223-224; C APPATO 2011, S. 23; → Abb. 48): Bau bzw. Erweiterung von Hafen- und Kaianlagen mit hinreichender Länge (bis zu 360 Metern) und Wassertiefe (mindestens zehn Meter), Bau von Terminals mit Gangways zu den Schiffen, einer effizienten Personen- und Gepäckabfertigung sowie zeitgemäßen Sicherheitssystemen (gemäß dem „International Ship and Port Facility (ISPS)-Code“; → Kap. 6.2.3), Bereitstellung von touristischen Infrastruktureinrichtungen (Tourist Information, Toiletten, ÖPNV etc. sowie Parkplätze in den Home Ports), Sicherstellung der öffentlichen Ordnung und der Gesundheitsversorgung für Notfälle (Polizei, Ordnungs- und Rettungsdienst etc.), Einrichtung von Besucherleitsystemen (Informationstafeln, Hinweisschilder auf Sehenswürdigkeiten mit Richtungs- und Entfernungsangaben etc.), <?page no="154"?> Ökonomische Effekte von Kreuzfahrten 155 Abb. 48: Auf den ersten Blick scheint der Besuch eines Kreuzfahrtschiffes wie eine riesige Konsumspritze auf die Hafenstädte zu wirken: Passagiere, Crewmitglieder und Reedereien treten als zusätzliche Nachfragegruppen auf. Aufgrund von Sickereffekten verbleibt jedoch nur ein Teil der Einnahmen in der Region; außerdem verursacht der temporäre Besucheransturm hohe öffentliche Kosten und mindert damit den sozioökonomischen Gesamtnutzen. Pflege öffentlicher Einrichtungen (Straßen, Plätze, Parks etc.), Erhalt des natürlichen und kulturellen Erbes (Umwelt- und Denkmalschutz). Dabei ist in einigen Fällen eine enorme Diskrepanz zwischen den Kosten und den Einnahmen zu beobachten: Für den zeitgemäßen Ausbau des Hafens Falmouth (Jamaika) waren z. B. Investitionen in Höhe von 250 Millionen US-Dollar erforderlich; der jährliche Rohertrag aus dem Hafenbetrieb (Liege- und Passagiergebühren etc.) beläuft sich jedoch nur auf ca. 864.000 US Dollar. Unter Vernachlässigung indirekter ökonomischer Wirkungen werden sich die Investitionen also erst nach ca. 289 Jahren rentieren (vgl. P INNOCK 2014, S. 11). Ausgaben der Passagiere (Einkäufe, Transport, Verpflegung, evtl. auch Übernachtungen etc.) Ausgaben der Crewmitglieder (Einkäufe, Transport, Verpflegung, evtl. auch Übernachtungen etc.) schiffsbezogene Ausgaben (Hafen-/ Liegegebühren, Lotsendienste, Treibstoff, Proviant etc.) sonstige Ausgaben (Betrieb eines Reedereibüros, Werbemaßnahmen etc.) direkte wirtschaftliche Effekte des Kreuzfahrttourismus öffentliche Kosten zusätzliche Dienstleistungen Pflege/ Erhalt der Infrastruktur touristische Marketing- Maßnahmen soziale und ökologische Belastungen ökonomische Sickereffekte notwendige Importe von Produkten und Dienstleistungen aus anderen Regionen/ Ländern sozioökonomischer Nutzen des Kreuzfahrttourismus für eine Destination <?page no="155"?> Die Effekte von Kreuzfahrten 156 Die Reedereien können sie sich einer angemessenen Beteiligung an der Finanzierung solcher öffentlicher Aufgaben (Infrastruktur, Verwaltung etc.) weitgehend entziehen, da sie ihre Schiffe unter Billigflaggen (Flags of Convenience) registrieren lassen und deshalb in den Heimatsowie Zielländern kaum Abgaben entrichten müssen (→ Kap. 2.1): In den USA beliefen sich z. B. die Steuerzahlungen des Konzerns „Carnival Corporation“ im Zeitraum 2009-2012 nur auf 0,6 Prozent des milliardenhohen Umsatzes, obwohl er seinen Firmensitz in Miami (Florida) hat und während der Kreuzfahrten die Dienstleistungen zahlreicher Behörden in den amerikanischen Gewässern sowie Hafenstädten in Anspruch nimmt (Coast Guard, Homeland Security, Customs & Border Protection, Public Health etc.) (vgl. W ALKER 2016). In Deutschland werden nicht die tatsächlichen Gewinne der Reedereien besteuert, sondern es wird - wie bei anderen Handelsschiffen - ein Pauschalbetrag pro Tonne Gewicht erhoben (Tonnagesteuer): Nach Berechnungen von Steuerspezialisten musste „TUI Cruises“ deshalb im Jahr 2015 auf einen Ertrag von 126 Millionen Euro nur Steuern in Höhe von 63.767,75 Euro entrichten; dieser Betrag entspricht einem Steuersatz von 0,05 Prozent (vgl. H ECKING 2017). Der gesamtwirtschaftliche Nutzen des Kreuzfahrttourismus für eine Destination wird jedoch nicht nur durch zusätzliche öffentliche Kosten gemindert, sondern auch durch erhebliche ökonomische Sickereffekte (vgl. C HASE / M C K EE 2003, S. 16; K LEIN 2011, S. 113; P APADOPOULOU / S AMBRACOS 2014, S. 6): In der Regel müssen zahlreiche Produkte aus anderen Teilen des Landes bzw. aus anderen Ländern importiert werden, um die notwendigen Infrastrukturmaßnahmen durchzuführen und die erforderlichen Dienstleistungen vor Ort zu erbringen (Baumaterialien, technische Anlagen, Fahrzeuge etc.). Auch für die Versorgung der Kreuzfahrtschiffe und die Einkäufe der Passagiere sind Importe unumgänglich. So handelt es sich z. B. bei den umsatzstarken Juweliergeschäften - speziell in der Karibik - häufig um Filialbetriebe international agierender Ketten („Diamonds International“, „Little Switzerland“ etc.), deren Einnahmen und Gewinne nicht der lokalen Wirtschaft zugute kommen, sondern in andere Staaten abfließen (darüber hinaus trägt dieses standardisierte Angebot zu einer zunehmenden Austauschbarkeit der Destinationen bei). Der Umfang der Sickerrate (Leakage) hängt u. a. vom allgemeinen Stand der regionalwirtschaftlichen Entwicklung ab sowie von den internen ökonomischen Verflechtungen und dem kreuzfahrtspezifischen Know-how der lokalen Akteu- <?page no="156"?> Ökonomische Effekte von Kreuzfahrten 157 re: Selbst in der traditionsreichen Hafenstadt Port Canaveral (Florida) belaufen sich die direkten lokalen Effekte nur auf ca. 25 Prozent der gesamten Ausgaben von Passagieren, Crewmitgliedern und Reedereien (vgl. T ORBIANELLI 2012, S. 140). Diese Faktoren beeinflussen auch das Ausmaß der Multiplikatoreffekte - so werden die ökonomischen Wirkungen der touristischen Nachfrage auf andere Wirtschaftszweige bezeichnet (Landwirtschaft, Handwerk, Gewerbe, Einzel- und Großhandel etc.). Während sie im Tourismus generell Werte zwischen 1,0 und 5,0 erreichen, sind sie im Kreuzfahrttourismus deutlich niedriger: In einer Fallstudie im australischen Bundesstaat Queensland wurde z. B. ein Wert von weniger als 1,0 ermittelt (vgl. D WYER / D OUGLAS / L IVAIC 2003, S. 10). Zu ähnlichen Ergebnissen sind Studien in den kleinen Inselstaaten der Karibik gekommen; dort belaufen sich die Multiplikatoreffekte auf 0,58 bis 1,195 (vgl. S EIDL / G UILIANO / P RATT 2006, S. 217). Um die wirtschaftlichen Wirkungen zu steigern, hohe Multiplikatoreffekte zu erzielen und die Sickerrate zu minimieren, müssen die Stakeholder einer Destination eng zusammenarbeiten (vgl. B RIDA / B UKSTEIN / T EALDE 2012, S. 26; T ORBIA- NELLI 2012, S. 146-149; L ONDON / L OHMANN 2014; J UGMOHAN / G IAMPICCOLI 2015, S. 9-10): Generell sollten die Hafenanlagen in ein umfassendes wasserorientiertes Stadtentwicklungskonzept eingebunden werden: Zum einen kann eine Revitalisierung der traditionellen Infrastruktur im Rahmen einer Waterfront Development erfolgen. Durch die Schaffung multifunktionaler Einrichtungen (Restaurants, Shops etc.), die auch von der einheimischen Bevölkerung genutzt werden, lassen sich saisonale Schwankungen der Nachfrage im Kreuzfahrttourismus ausgleichen. Zum anderen trägt ein gut ausgebautes ÖPNV-System (Busse, Straßenbahnen, People Mover etc.) dazu bei, dass die Innenstädte von den Piers schnell und bequem zu erreichen sind (→ Abb. 49). Auf diese Weise können auch Geschäfte, Restaurants etc. in der City an den Ausgaben der Passagiere partizipieren (vgl. M OTTA 2013 mit einer Fallstudie zur maltesischen Hafenstadt Valletta). Politik und Wirtschaft können durch eine Strategie der Importsubstitution sicherstellen, dass ein möglichst großer Teil der Waren und Dienstleistungen aus der Region bzw. dem Land stammt - z. B. Getränke, Souvenirs, Schmuck, Kleidung, kunsthandwerkliche Produkte etc. (vgl. C HASE / A LON 2002 zu einer Fallstudie in Barbados). <?page no="157"?> Die Effekte von Kreuzfahrten 158 Abb. 49: Ab in die City - in Venedig verbindet der futuristische People Mover die Kaianlagen der Kreuzfahrtschiffe (und die Parkhäuser) am Rande der Lagunenstadt mit der zentralen Piazzale Roma. Die beiden fahrerlosen Züge der seilgezogenen Kabinenbahn können stündlich ca. 3.000 Personen befördern; damit sorgen sie für einen raschen Transport der Besucher zu den Sehenswürdigkeiten und Geschäften der Lagunenstadt. Die Tourismusakteure sollten ein professionelles Destinationsmanagement betreiben: Durch einen einheitlichen Marktauftritt unter einer Dachmarke können sie z. B. dafür sorgen, dass nicht nur die Hafenstädte vom Besuch der Schiffe profitieren, sondern auch Sehenswürdigkeiten im Hinterland in den Ausflugsverkehr einbezogen werden. Als positives Beispiel für ein solches Cluster ist u. a. das „Cruise Copenhagen Network“ zu nennen (→ Abb. 50). Darüber hinaus kann die Bevölkerung dazu angeregt werden, Projekte eines Community-Based Tourism (CBT) zu entwickeln: So bieten z. B. Tanzveranstaltungen, Vorführungen traditioneller Handwerkstechniken, Restaurants <?page no="158"?> Ökonomische Effekte von Kreuzfahrten 159 mit typischen regionalen Gerichten etc. den Passagieren die Möglichkeit, die authentische Kultur des Zielgebietes besser kennenzulernen. Zugleich können die Dorfgemeinschaften bzw. Stadtquartiere einen direkten Nutzen aus einem solchen Pro-Poor Tourism ziehen (vgl. Z APPINO 2005, S. 32-33; www.propoor-tourism-kenya.org ). ⚓ Beispiel │ Cruise Copenhagen Network Bereits im Jahr 1992 haben sich wichtige Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen der dänischen Wirtschaft zum „Cruise Copenhagen Network“ zusammengeschlossen; dazu zählen u. a. Reedereien, Fluggesellschaften, Bus- und Taxiunternehmen, Tourismusbetriebe sowie Hafenverwaltungen. Gemeinsames Ziel der ca. 70 Mitglieder ist es, den Passagieren ein qualitativ hochwertiges und kundenorientiertes Kreuzfahrtprodukt anzubieten. Abb. 50: „Wonderful, wonderful Copenhagen, friendly old girl of a town“ - mit seiner weitläufigen Promenade ist der Langlinie Quay in der dänischen Hauptstadt nicht nur ein traditioneller Erholungsraum der einheimischen Bevölkerung, sondern auch ein zentraler Ausgangspunkt für die Landgänge der ausländischen Kreuzfahrtpassagiere. <?page no="159"?> Die Effekte von Kreuzfahrten 160 Dabei beschränkt sich die Tätigkeit der Marketing-Kooperation nicht nur auf die dänische Hauptstadt, sondern umfasst auch Häfen in anderen Teilen des Landes (Aarhus, Aalborg, Skagen etc.). Durch diese Coopetition - also eine Mischung aus Kooperation (Cooperation) und Wettbewerb (Competition) - soll die Position Dänemarks als Kreuzfahrtdestination insgesamt gestärkt werden. Der Erfolg der Initiative spiegelt sich zum einen in der positiven Entwicklung der Schiffsankünfte und der Passagierzahlen wider, die im Zeitraum 2002-2016 von 225 auf 407 bzw. von 211.000 auf 867.367 gestiegen sind. Zum anderen ist das „Cruise Copenhagen Network“ aufgrund seines innovativen Charakters in den vergangenen Jahren mit zahlreichen internationalen Tourismuspreisen ausgezeichnet worden (vgl. T ORBIANELLI 2012, S. 149; www.visitcopenhagen.com/ cruise/ copenhagen/ cruise-copenhagen-network ). Allerdings darf sich eine gesamtgesellschaftliche Kosten-Nutzen-Bilanz des Kreuzfahrttourismus nicht auf die Ermittlung der ökonomischen Nettoeffekte beschränken; vielmehr sollten auch dessen - durchaus problematische - Wirkungen auf die Natur und Umwelt, die Bevölkerung der Zielgebiete und den internationalen Arbeitsmarkt in Betracht gezogen werden. 5.2 Ökologische Effekte von Kreuzfahrten Für die Einen sind es „Traumschiffe“ und „Luxusliner“, für die Anderen aber „Dreckschleudern“ und „schwimmende Sondermüllverbrennungsanlagen“ - in keinem anderen touristischen Marktsegment besteht ein derart krasser Gegensatz zwischen dem attraktiven Image, das von den Reedereien und der Tourismusbranche sowie in TV-Serien gezeichnet wird, und der radikalen Kritik, die von Umweltschutzorganisationen und lokalen Initiativen formuliert wird (vgl. H ABERLAG 2014, S. 7; O STNER 2015). Unbestritten ist jedoch die Tatsache, dass der Kreuzfahrttourismus die Natur und Umwelt auf vielfältige Weise nutzt und auch belastet: Kreuzfahrtschiffe sind mehr als nur touristische Verkehrsmittel, mit denen die Passagiere vom Ausgangs- und zum Endpunkt einer Reise transportiert werden, sondern schwimmende Resort-Hotels, in denen sich ein große Zahl von Gästen für einen längeren Zeitraum aufhält (vgl. J OHNSON 2002, S. 263). <?page no="160"?> Ökologische Effekte von Kreuzfahrten 161 Aus diesem Grund beschränken sich ihre ökologischen Wirkungen auch nicht auf den Verbrauch natürlicher Ressourcen (Treibstoff) und die Luftverschmutzung - wie bei Flugzeugen, Reisebussen und Personenkraftwagen (→ Kap. 5.2.1). Zu den Umweltbelastungen, die durch Kreuzfahrten verursacht werden, zählen auch: die Wasserverschmutzung (→ Kap. 5.2.2), das Müllaufkommen (→ Kap. 5.2.3), die ökologischen Effekte auf die Destinationen (→ Kap. 5.2.4). Neben solchen unmittelbaren Wirkungen sind bei einer Bilanzierung der Umwelteffekte auch die indirekten Folgen des Kreuzfahrttourismus zu berücksichtigen (vgl. L UMMA / G ROß 2009, S. 8): zum einen die ökologischen Effekte in der Potenzialphase der Angebotserstellung in den Quellgebieten (z. B. der Rohstoff- und Energieverbrauch sowie die Luftverschmutzung durch Reiseveranstalter, Reisebüros und Logistikunternehmen), zum anderen die negativen Wirkungen in den Transit- und Zielgebieten während der Prozessphase (z. B. durch die An- und Abreise der Passagiere mit Pkw, Bus, Bahn bzw. Flugzeug und durch den Aufenthalt in den Einbzw. Ausschiffungshäfen). In den vergangenen Jahrzehnten haben einige Reedereien große Anstrengungen unternommen, die ökologischen Belastungen zu minimieren: Seit den 1990er- Jahren ist z. B. das tägliche Müllaufkommen (pro Passagier) von 3,5 auf 1,7 Kilogramm gesunken (vgl. P APATHANASSIS 2011, S. 13). Dennoch bestehen zwischen einzelnen Unternehmen und Schiffen gegenwärtig noch große Unterschiede hinsichtlich des Umweltmanagements. Einen vergleichenden Überblick über die aktuelle Umweltorientierung der Reedereien vermitteln die Rankings, die von mehreren Umweltschutzorganisationen erstellt werden - nicht zuletzt, um umweltbewussten Urlaubern eine Hilfestellung bei ihrer Reiseentscheidung zu bieten (→ Kap. 5.2.5). 5.2.1 Luftverschmutzung „Umweltbilanz weiterhin schlecht“ - unter dieser Schlagzeile präsentierte der „Naturschutzbund Deutschland“ (NABU) im Jahr 2017 sein siebtes Kreuzfahrtranking. Trotz öffentlicher Versprechungen der Reedereien, die Umweltbelastungen zu verringern, werden die Kreuzfahrtschiffe in Europa noch mit dem gesundheitsschädlichen Schweröl betrieben. So beläuft sich der Schwefelgehalt im Schweröl (Heavy Fuel Oil) auf max. 3,5 Prozent; selbst das Marinedieselöl ist mit einem Anteil von 0,1 Prozent noch 100-mal dreckiger als der Dieselkraft- <?page no="161"?> Die Effekte von Kreuzfahrten 162 stoff für Heizungen, Pkw und Lkw (vgl. NABU 2015, 2017; N EUMEIER 2016a zu den unterschiedlichen Arten von Schiffstreibstoffen; → Kap. 6.2.2). Abb. 51: Mit einer großen Rauchfahne läuft die „Sun Princess“ aus dem malaysischen Hafen Kinabalu aus - ein weithin sichtbares Zeichen für die Luftverschmutzung, die durch Kreuzfahrtschiffe verursacht wird. Aus Kostengründen nutzen die Reedereien preisgünstiges Schweröl als Treibstoff. Dieses Rückstandsprodukt der Ölindustrie ist aufgrund seines hohen Ruß-, Stickoxid- und Schwefelanteils besonders umwelt- und gesundheitsschädlich. Zu den ausgestoßenen Schadstoffen zählen u. a. Schwefeloxide (SO x ), Stickoxide (NO x ), Kohlenstoffdioxid (CO 2 ), Rußpartikel und Feinstaub. Diese Emissionen sind besonders umwelt- und gesundheitsschädlich (vgl. L UMMA / G ROß 2009, S. 9; NABU 2015, S. 3; → Abb. 51): Im Jahr 2012 wurden die Abgase von Dieselmotoren von der „World Health Organization“ (WHO) als krebserregend eingestuft. Nach Berechnungen des dänischen „Center for Energy, Environment and Health“ (CEEH) sind die Schiffsemissionen allein in Europa für ca. 50.000 vorzeitige Todesfälle/ Jahr verantwortlich. <?page no="162"?> Ökologische Effekte von Kreuzfahrten 163 Außerdem tragen sie zur Verstärkung des globalen Treibhauseffekts und zur Erderwärmung bei. Weitere negative Effekte sind die Entstehung von „saurem Regen“ in den Küstenregionen sowie die Produktion von Kondensationsstreifen (Shiptracks), die zur Reflektion von Sonnenstrahlen und damit zu einem Rückgang der Wassertemperatur führen. Obwohl diese Wirkungen generell unumstritten sind, liegen stark divergierende Angaben zum Ausmaß der Luftverschmutzung vor, die durch den Kreuzfahrttourismus ausgelöst wird: So sind einige Studien zu dem Ergebnis gekommen, dass ein Mega-Schiff (mit 3.000 Passagieren) täglich in gleichem Maße zur Luftverschmutzung beiträgt wie ca. 12.000 Personenkraftwagen (vgl. C APPATO 2011, S. 54; P A- PATHANASSIS 2011, S. 13). In anderen Untersuchungen beläuft sich die Schätzung auf ein Äquivalent von ca. 350.000 Personenkraftwagen (vgl. K LEIN 2011, S. 110). Nach Berechnungen des „Naturschutzbundes Deutschland“ (NABU) entspricht das Schadstoffaufkommen eines Mega-Schiffes sogar den Emissionen von fünf Millionen Pkw der EU-Schadstoffklasse „Euro 4“ auf gleicher Strecke (vgl. Spiegel Online vom 28.12.2011). Der öffentlichkeitswirksame Vergleich mit Personenkraftwagen greift jedoch zu kurz, da es sich bei Kreuzfahrtschiffen nicht um klassische Verkehrsmittel handelt, sondern um multifunktionale Übernachtungs-, Verpflegungs- und Unterhaltungseinrichtungen - mit einem hohen zusätzlichen Energiebedarf und einem entsprechend größeren Schadstoffausstoß (vgl. S CHERER 2016). Allerdings beschränkt sich die Verschmutzung der Luft durch den Kreuzfahrttourismus nicht auf den Betrieb der Schiffe auf hoher See. Zu hohen Emissionen kommt es auch bei den - teilweise komplizierten - Ankerbzw. Anlegemanövern und während der Liegezeiten in den Häfen. In der Regel müssen die Schiffsmotoren auch dort ständig laufen, um einen reibungslosen Bordbetrieb zu gewährleisten (allerdings sind die Reedereien in europäischen Häfen verpflichtet, nach dem Anlegen statt des üblichen Schweröls nur Treibstoff mit einem Schwefelanteil von max. 0,1 Prozent Schwefel zu verwenden) (vgl. D RAGOVIĆ u. a. 2015). In einer umfassenden Umweltbilanz muss außerdem noch die Luftverschmutzung berücksichtigt werden, die durch Taxis, Busse etc. während der Landgänge der Passagiere verursacht wird (diese ökologischen Effekte sind bislang kaum wissenschaftlich untersucht worden). <?page no="163"?> Die Effekte von Kreuzfahrten 164 5.2.2 Wasserverschmutzung Als „Notorious Polluters“ hat die „New York Times“ einmal die Kreuzfahrtreedereien bezeichnet, da sie durch ihre wirtschaftliche Tätigkeit generell und speziell durch Verstöße gegen bestehende Umweltschutzbestimmungen zu einer erheblichen Belastung der Ozeane beitragen (vgl. W ALKER 2010). Hinsichtlich der Wasserverschmutzung lassen sich mehrere Typen von Abwässern unterscheiden, die an Bord der Kreuzfahrtschiffe entstehen: Das Schwarzwasser stammt aus Toiletten, Urinalen und medizinischen Einrichtungen an Bord. Es kann diverse Krankheitserreger enthalten (Viren, Bakterien, Parasiten etc.), die über Fische, Muscheln und andere Meerestiere auch in die Nahrungskette des Menschen gelangen können. Da zur Spülung relativ wenig Wasser benutzt wird, ist es konzentrierter als in landgebundenen Tourismuseinrichtungen. Bei einer einwöchigen Kreuzfahrt fallen knapp eine Million Liter derartiger Abwässer an; diese Menge entspricht dem Fassungsvermögen von fünf großen Swimmingpools. Nur an Bord moderner Schiffe findet eine Vorbehandlung statt, bei der das Schwarzwasser jedoch nicht vollständig von den Fäkalien geklärt wird. Generell kann es außerhalb der 12-Meilen-Zone in das Meer geleitet werden - also nicht weit entfernt von beliebten Stränden bzw. sensiblen Naturräumen (vgl. B UTT 2007, S. 594; W ALKER 2010). Bei dem Grauwasser handelt es sich um weniger belastete Abwässer aus Waschbecken, Bädern und Duschen, Bordküchen, Wäschereien etc. Aufgrund der luxuriösen Ausstattung der Schiffe und der aufwändigen Verpflegung der Passagier werden täglich 300-400 Liter pro Person produziert - weitaus mehr als an Land (ca. 100 Liter). Das Grauwasser, das Reste von Stickstoff, Phosphor und Fäkalien enthalten kann, wird traditionell auf hoher See entsorgt (vgl. K LEIN 2011, S. 109; C APPATO 2011, S. 54). Das Bilgenwasser entsteht im untersten Teil des Schiffes - vor allem als Kondenswasser. An Bord eines größeren Kreuzfahrtschiffes fallen täglich ca. 8.000-23.000 Liter an. Da es Öl- und Kraftstoffreste enthält, muss es durch einen Bilgenwasserentöler fachgerecht aufbereitet werden. Außerdem sind die Reedereien verpflichtet, ein Oil Record Book zu führen, in dem die Entsorgung protokoliert wird (vgl. B UTT 2007, S. 594). Innerhalb der 12- Meilen-Zone darf es nur einen Ölgehalt von max. 15 ppm (Parts per Million) haben, in besonderen Schutzgebieten nur von 5 ppm. In der Vergangenheit gab es jedoch einige Fälle, in denen unbehandeltes Bilgenwasser durch fehlerhafte Bedienung bzw. Funktionsstörungen der Filtersysteme in das Meer gelangte - mit negativen Folgen für Vögel, Wale und Fische (vgl. L UMMA / G ROß 2009, S. 12). <?page no="164"?> Ökologische Effekte von Kreuzfahrten 165 Das Ballastwasser wird von den Reedereien dazu benutzt, das Schiff zu stabilisieren. Mit dem Aufnehmen gelangen auch zahlreiche Organismen in die Tanks - z. B. Muscheln, Quallen, Krabben und Fische. Während der Fahrt verenden diese Lebewesen in den lichtlosen Behältern oder werden in andere Reviere transportiert (teilweise über sehr große Distanzen). Dort können sie beim Ablassen des Ballastwassers erhebliche Störungen der lokalen Ökosysteme verursachen, da sie z. B. keine natürlichen Feinde haben und sich deshalb rasch vermehren. Ein berüchtigtes Beispiel ist die Chinesische Wollhandkrabbe, die sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts von der Nordseeküste in Flüssen, Kanälen etc. verbreitet hat und inzwischen erhebliche wirtschaftliche Schäden anrichtet (vgl. R ASMUSSEN 2014, S. 25). Erst im Jahr 2017 ist eine internationale Vereinbarung in Kraft getreten, nach der größere Schiffe über einen Ballast Water Management Plan verfügen müssen. Außerdem darf Ballastwasser erst in einer Entfernung von mindestens 50 nautischen Meilen vom Land und bei einer Wassertiefe von 200 Metern ausgetauscht werden (vgl. E VENSET / C HRISTENSEN 2011, S. 38). Zu einer Verschmutzung des Wassers trägt auch die Beschichtung der Schiffsrümpfe, Propeller etc. mit einem Antifouling (Biozid) bei. Sie ist erforderlich, da sich dort andernfalls Organismen ansiedeln würden (Krebstiere, Mollusken, Würmer, Algen etc.), die den Strömungswiderstand erhöhen und damit höhere Treibstoffkosten verursachen. Seit 2008 ist die Verwendung giftiger Substanzen (z. B. Tributylzinn/ TBT) zwar verboten, doch auch die derzeit eingesetzten Kupferverbindungen haben unerwünschte Nebenwirkungen auf Wasserorganismen - speziell in stark frequentierten Häfen wie z. B. dem kroatischen Dubrovnik (vgl. C ARIĆ / M ACKELWORTH 2014, S. 356). Grundsätzlich fallen diese Abwässer bei allen Schiffen der internationalen Hochseeflotte an (ca. 40.000). Aufgrund der hohen Passagierzahlen werden auf Kreuzfahrtschiffen allerdings wesentlich größere Mengen von Schwarz- und Grauwasser produziert als auf Handelsschiffen mit einer kleinen Besatzung. Im Vergleich zum landgebundenen Tourismus bestehen an Bord der Schiffe weniger effiziente Möglichkeiten der Klärung und Aufbereitung von Abwässern (vgl. C OPE- LAND 2008, S. 3). Um mögliche Umweltbelastungen zu minimieren, hat der US-amerikanische Bundesstaat Alaska bereits zu Beginn des 21. Jahrhunderts strenge Umweltschutzbestimmungen erlassen: Die Reedereien wurden dazu verpflichtet, an Bord ihrer Schiffe ein aufwändiges Advanced Wastewater Treatment System (AWTS) zu verwenden; außerdem wird das gesamte Abfallmanagement an Bord durch staatliche Ocean Rangers kontrolliert. Kritiker verweisen allerdings auf die Tatsache, dass sich die Unternehmen zwar in diesem Revier an die strikten Regelungen halten, aber <?page no="165"?> Die Effekte von Kreuzfahrten 166 auf anderen Routen weiterhin Schiffe mit niedrigeren Umweltschutzstandards betreiben. Darüber hinaus verfügen nicht alle Staaten über ausreichende Kapazitäten, die Einhaltung umweltrechtlicher Vorgaben umfassend und kontinuierlich zu kontrollieren (vgl. J OHNSON 2002, S. 268-269; K LEIN 2011, S. 109). ⚓ Wissen │ „International Convention for the Prevention of Pollution from Ships“ (MARPOL 73/ 78) Mit der „International Convention for the Prevention of Marine Pollution from Ships“ (MARPOL) wurden bereits in den 1970er-Jahren Regelungen zum Schutz der Weltmeere vereinbart, die seitdem in mehreren Anlagen spezifiziert worden sind (Annex I-VI). Diese Bestimmungen betreffen u. a. folgende Bereiche (vgl. L ÜCK 2007, S. 88; L UMMA / G ROß 2009, S. 5; P OLAT 2015, S. 444): die Verhütung von Wasserverschmutzung durch Öl, Chemikalien etc. - z. B. durch getrennte Öl- und Ballastwassertanks sowie Kontrolleinrichtungen; die Verhütung der Wasserverschmutzung durch Schiffsmüll: So hat die Entsorgung von Plastikgegenständen grundsätzlich an Land zu erfolgen; unbehandelte Lebensmittelabfälle und anderer Müll dürfen erst in einer Entfernung von mindestens zwölf bzw. 25 Seemeilen zur Küste in die See entsorgt werden; die Verhütung der Wasserverschmutzung durch Abwässer: Unbehandeltes Toilettenabwasser (Schwarzwasser/ Black Water) und das häufig ölhaltige Bilgenwasser dürfen erst ab 12 Seemeilen Entfernung von der Küste in das Meer geleitet werden; die Reduzierung der Luftverschmutzung durch Schiffe - z. B. durch die Festlegung von Grenzwerten für den Schwefelgehalt des Schiffstreibstoffes bzw. die Ausstattung mit Filtersystemen, um den Schwefelgehalt der Abgase zu reduzieren; die Steigerung der Energieeffizienz von Schiffen; die Abgrenzung von Sulphur Emission Control Areas (SECA) bzw. Emission Control Areas (ECA), in denen der Ausstoß von Schwefel und Schwefeldioxiden durch Seeschiffe eingeschränkt wird; die Ausweisung von Sondergebieten (Particular Sensitive Sea Area/ PSSA), in denen besondere Restriktionen gelten (Ostsee- und Nordsee, Florida Keys, Great Barrier Reef, Galápagos u. a.). <?page no="166"?> Ökologische Effekte von Kreuzfahrten 167 Einige dieser Maßnahmen konnten nur gegen großen Widerstand der Reedereien durchgesetzt werden, die vor allem mit steigenden finanziellen Belastungen argumentierten - obwohl sich z. B. die Kosten für die Verringerung der Luftverschmutzung nur auf 7-15 US-Dollar pro Passagier und Tag beliefen. Darüber hinaus sind in der Vergangenheit immer wieder Verstöße gegen die MARPOL-Regeln aufgedeckt worden, die jeweils mit hohen Strafzahlungen geahndet wurden: Im Dezember 2016 musste z. B. die Reederei „Princess Cruises“ 40 Millionen US-Dollar Strafe entrichten, weil von Bord der „Caribbean Princess“ über einen langen Zeitraum hinweg illegal Ölreste in das Meer geleitet worden waren (vgl. K LEIN 2011, S. 110; Spiegel Online vom 02.12.2016). Neben den international geltenden MARPOL-Bestimmungen gibt es auf europäischer und nationaler Ebene weitere Regeln zum Schutz der marinen Umwelt (vgl. The Ocean Conservancy 2002, S. 30-41; C OPELAND 2008, S. 9-23 zu US-amerikanischen Gesetzen und Verordnungen). 5.2.3 Müllaufkommen Sechs bis zehn Tonnen - soviel Müll produzieren die Passagiere eines größeren Kreuzfahrtschiffes täglich (sie entspricht dem zulässigen Gesamtgewicht eines mittelgroßen Lkw). Aufgrund der großen Zahl von Gästen an Bord tragen Kreuzfahrtschiffe in überproportionaler Weise zur Umweltverschmutzung durch Müll bei: Obwohl sie nur ein Prozent der weltweiten Handelsflotte stellen, produzieren sie 25 Prozent des Mülls, der von Schiffen stammt; dazu zählt u. a. (vgl. B UTT 2007, S. 594): fester Müll in Form von Plastik, Papier und Karton, Dosen, Glas und Essensabfällen, Sondermüll, der eine potenzielle Gefahr für die Gesundheit und auch für die Umwelt darstellt (Leuchtmittel, Batterien, Farbreste, Chemikalien etc.). Auf modernen Schiffen werden 75-85 Prozent des Mülls an Bord verbrannt. Diese Maßnahme trägt jedoch erheblich zur Luftverschmutzung und auch zur Verschmutzung des Wassers bei, da die anfallende Asche häufig im Meer entsorgt wird (vgl. C APPATO 2011, S. 54). Auch bei anderen Müllarten erfolgt teilweise eine Verklappung auf hoher See: So können z. B. geschredderte Speisereste außerhalb der Drei-Meilen-Zone auf legale Weise im „blauen Regal“ entsorgt werden - also über die Reling in das Meer (mit problematischen Folgen für die marine Fauna und Flora). <?page no="167"?> Die Effekte von Kreuzfahrten 168 Schließlich findet eine Entsorgung der festen Abfälle und des Sondermülls in den Hafenstädten statt, die allerdings eine entsprechende Kapazität für das Recycling bzw. die Lagerung und Verbrennung vorhalten müssen: Im britischen Southampton handelt es sich nur bei 3,8 Prozent aller Schiffsankünfte um Kreuzfahrtschiffe, doch deren Anteil am angelandeten Müll beläuft sich auf 62,5 Prozent. Jedes Jahr muss die Stadt eine zusätzliche Abfallmenge aufbereiten, die ca. einem Achtel des üblichen Haushaltsmülls entspricht (vgl. B UTT 2007, S. 596). Speziell auf kleinen Inseln kann der Müll von Schiffen zu erheblichen Problemen führen: So ist z. B. die tägliche Abfallmenge auf den chilenischen Osterinseln seit 2000 von vier auf zehn Tonnen gestiegen - nicht zuletzt als Folge des expandierenden Kreuzfahrttourismus ( www.osterinsel.de ). Bereits in den 1990er-Jahren gab es in der Karibik Modellprojekte zu einem Müll- Management in den Hafenstädten, die u. a. die Einführung einer speziellen Umweltabgabe pro Passagiere vorsahen. Allerdings wurde diese zusätzliche (geringe) Steuer von den Reedereien verhindert, die ihre Marktmacht nutzten und mit einer Änderung der Routen drohten (vgl. W ILKINSON 1999, S. 279-280). 5.2.4 Ökologische Effekte auf die Destinationen Das zusätzliche Müllaufkommen an Land ist jedoch nur eine der ökologischen Belastungen, die durch den Kreuzfahrtourismus in den Destinationen ausgelöst werden; als weitere negative Effekte sind u. a. zu nennen: Landschaftsverbrauch durch den Bau von großflächigen Infrastruktureinrichtungen (Piers, Terminals etc.); Schädigung von Korallenriffen durch Kreuzfahrtschiffe und kleinere Boote (Tender), die für den Transport der Passagiere bei Landgängen eingesetzt werden (vgl. The Ocean Conservancy 2002, S. 22); Tier- und Pflanzengefährdung sowie Schädigung von Kulturdenkmalen bei einem unangemessenen Verhalten der Passagiere im Rahmen von Landausflügen. ⚓ Beispiel │ Zerstörte Korallenriffen durch Kreuzfahrtschiffe in Indonesien „Ein Kreuzfahrtschiff hat in einer unberührten indonesischen Inselwelt die Idylle teilweise zerstört: Das britische Schiff rammte Anfang März 2017 ein Korallenriff in der Meeresregion Raja Ampat im Osten Indonesiens, auf Tausenden Quadratmetern des Unterwasser-Biotops entstanden nach Angaben von Forschern schwere Schäden. Einheimische reagierten empört auf den Vorfall. <?page no="168"?> Ökologische Effekte von Kreuzfahrten 169 In der an der Grenze zwischen dem Indischen und dem Pazifischen Ozean gelegenen Region Raja Ampat im Osten Indonesiens liegen Hunderte kleine Inseln. Der bei Tauchern beliebte Archipel gilt als eines der artenreichsten Ökosysteme der Welt - nach einem Bericht der Organisation Conservation International von 2002 leben dort fast 1.400 Fischarten und mehr als 600 Korallenarten. Das Unglück ereignete sich vor der winzigen Insel Kri, wo das Schiff „Caledonian Sky“ mit 102 Passagieren und 79 Besatzungsmitgliedern auf einer Vogelbeobachtungstour war. Bei Niedrigwasser lief das Schiff auf das Riff auf. Meeresforscher der Universität von Papua begutachteten die Schäden und erklärten, 13.500 Quadratmeter des Riffs seien durch den Vorfall beschädigt worden. Laut dem Leiter des Forschungsteams, Ricado Tapilatu, könnte die Wiederherstellung des Riffs umgerechnet bis zu 15 Millionen Euro kosten“ ( www.n-tv.de vom 14.03.2017; A LLEN 1992 mit einem frühen Beitrag zur Schädigung von Korallenriffen). Aufgrund dieser offenkundigen Umweltbelastungen ist es nicht verwunderlich, dass die Kreuzfahrtreedereien in den Zielgebieten ein negatives Image haben: In einer Fallstudie in Belize vertraten z. B. 29 Prozent der befragten Einwohner die Meinung, dass sich die Unternehmen nicht für den Schutz der marinen Umwelt einsetzen - der entsprechende Wert für die lokale Hotellerie belief sich hingegen nur auf fünf Prozent. Da sich die Kreuzfahrttouristen nur kurz in der jeweiligen Destination aufhalten, sind auch die umweltbezogenen Lerneffekte bei ihnen deutlich geringer ausgeprägt als bei landbezogenen Übernachtungsgästen - z. B. (vgl. D IEDRICH 2010, S. 241): die Einsicht in die Notwendigkeit mariner Schutzgebiete, die Bereitschaft, eine Eintrittsgebühr für den Besuch von Schutzgebieten zu entrichten, der Wunsch, künftig vor allem Destinationen zu besuchen, die sich für den Schutz der Umwelt einsetzen, die Absicht, sich selbst für den Erhalt der marinen Umwelt zu engagieren. <?page no="169"?> Die Effekte von Kreuzfahrten 170 5.2.5 Umweltbezogenes Ranking von Kreuzfahrtreedereien Luft- und Wasserverschmutzung, Müllverklappung auf hoher See und Landschaftsschäden in den Zielgebieten - angesichts solcher ökologischen Effekte stellen sich viele umweltbewusste Urlauber die Frage, ob sie überhaupt eine Kreuzfahrt unternehmen sollen. Eine wichtige Entscheidungshilfe bei der Wahl der Reederei bzw. des Schiffes sind die Öko-Rankings, die regelmäßig von mehreren Umweltschutzorganisationen veröffentlicht werden (vgl. L UMMA / G ROß 2009 zu einer differenzierten ökologischen Nutzwertanalyse unterschiedlicher Kreuzfahrtunternehmen): Die weltweit agierende Umweltschutzorganisation „Friends of the Earth International“ (FoE) legt jedes Jahr eine „Cruise Ship Record Card“ vor, mit der große Reedereien hinsichtlich folgender Umweltschutzmaßnahmen bewertet werden: Abfallentsorgung, Luft- und Wasserverschmutzung sowie Transparenz der Informationspolitik ( www.foe.org.cruise-report-card ). Zu den führenden europäischen Reedereien und Schiffen erstellt der „Naturschutzbund Deutschland“ (NABU) regelmäßig ein „Kreuzfahrt-Ranking“, das auf dem Einsatz unterschiedlicher Techniken zur Reduzierung von Schadstoffen beruht - z. B. Abgasreinigungsanlagen (Scrubber), Katalysatoren, Partikelfilter, Landstromanschlüsse (Cold Ironing/ Shore Power) etc. ( www.nabu.de ; → Abb. 59). Die Naturschutzorganisation „WWF Deutschland“ hat im Jahr 2009 für mehrere typische Urlaubsarten der Bundesbürger einen „Klima- Fußabdruck“ erarbeitet (→ Abb. 52). ⚓ Wissen │ Klima-Fußabdruck von Kreuzfahrtpassagieren In einer vergleichenden Untersuchung hat die Naturschutzorganisation „WWF Deutschland“ im Jahr 2009 die ökologischen Belastungen analysiert, die durch typische deutsche Urlaubsarten ausgelöst werden. Als Indikator ist der Klima-Fußabdruck verwendet worden. Dabei handelt es sich um einen wissenschaftlich fundierten und verständlichen Indikator für die CO 2 -Emissionen (und damit Wirkungen auf das Klima), die jeder Einzelne durch Mobilität, Konsum, Wohnen und Ernährung verursacht. In die Berechnungen des touristischen Klima-Fußabdrucks sind folgende Parameter einer Reise eingeflossen (vgl. WWF Deutschland 2009, S. 9): An- und Abreise (Entfernung zwischen Wohnort und Reiseziel, gewählte Verkehrsmittel, Zahl der Reisenden), <?page no="170"?> Soziale und kulturelle Effekte von Kreuzfahrten 171 Unterkunft (Art der Beherbergung, Reisezeitpunkt, Reisedauer), Verpflegung (Anzahl der warmen Mahlzeiten, gehobene bzw. normale Gastronomie), Urlaubsaktivitäten (Entfernung, gewählte Verkehrsmittel, Zahl der Ausflüge). Im Vergleich zu anderen Urlaubsarten - z. B. einem Familienurlaub auf Rügen, einem Gesundheitsurlaub im Allgäu bzw. einem Kultururlaub in Südtirol - schneidet eine Kreuzfahrt im Mittelmeer relativ schlecht ab. Abb. 52: Kreuzfahrten tragen erheblich zur Klimabelastung bei: So hinterlassen z. B. die Teilnehmer an einer Mittelmeer-Kreuzfahrt einen Klima-Fußabdruck in Höhe von 174,7 Kilogramm Treibhausgas-Emissionen (pro Person und Tag). Für Bundesbürger, die einen Strandurlaub auf Mallorca verbringen, beläuft sich dieser Wert hingegen nur auf 87,2 Kilogramm (obwohl sie ebenfalls das Flugzeug für die An- und Abreise benutzen). 5.3 Soziale und kulturelle Effekte von Kreuzfahrten „Heute hier, morgen dort, bin kaum da, muss ich fort“ - mit diesen Zeilen des Liedermachers Hannes Wader lässt sich das volatile Reiseverhalten der Passagiere recht gut beschreiben: Ihre Seereise besteht aus einer Mischung von Tagen bzw. Nächten auf hoher See und Landgängen in unterschiedlichen Häfen. Als Tagesausflügler verbringen die Kreuzfahrtgäste nur wenige Stunden an Land - im Gegensatz zu den landgebundenen Touristen, die sich (als Übernachtungsgäste) einige Tage bzw. Wochen in einer Destination aufhalten. Diese kurze 4,1 18,4 29,4 43,4 60,3 87,2 174,7 516,6 Balkonien-Urlaub Familienurlaub Rügen Gesundheitsurlaub Allgäu Kultururlaub Südtirol Skiurlaub Österreich Strandurlaub Mallorca Mittelmeer-Kreuzfahrt All-Inclusive-Urlaub Mexiko Treibhausgas-Emissionen pro Person und Tag (in Kilogramm) <?page no="171"?> Die Effekte von Kreuzfahrten 172 Dauer bestimmt den Aktionsradius der Urlauber und damit auch die Reichweite der sozialen und kulturellen Wirkungen, die sich in der Regel auf die Hafenstädte und deren Umland beschränken (→ Kap. 5.3.1). Trotz ihrer räumlichen Konzentration sind diese Effekte in quantitativer und qualitativer Hinsicht nicht zu unterschätzen: Zum einen kommt es durch die Ankunft der Mega-Schiffe jeweils zu einem massenhaften Ansturm von Besuchern; zum anderen werden die Häfen regelmäßig angelaufen (häufig auch von mehreren Reedereien), sodass der Kreuzfahrttourismus einen dauerhaften Einfluss auf die Lebensqualität der lokalen Bevölkerung hat - also auf die „Bereisten“. Eine Analyse der gesellschaftlichen und kulturellen Effekte sollte - neben den Veränderungen an Land - aber auch die sozialen Verhältnisse an Bord nicht außer Acht lassen: Dabei geht es weniger um das Kommunikationsverhalten der Passagiere als vielmehr um die umstrittenen Arbeitsbedingungen der Crewmitglieder (→ Kap. 5.3.2). 5.3.1 Soziokulturelle Effekte auf die Destinationen Die soziokulturellen Wirkungen des Tourismus auf die Zielgebiete sind generell weitaus schwieriger zu bestimmen als die durch ihn ausgelösten Belastungen der Umwelt (vgl. S TEINECKE 2007, S. 20): Zum einen werden Kultur und Gesellschaft der Zielgebiete nicht nur durch das Auftreten, die Verhaltensweisen und den Konsum der Urlauber beeinflusst, sondern auch durch zahlreiche andere Faktoren der Modernisierung (TV, Kino, Internet etc.). Zum anderen hängen diese Effekte vom Umfang der touristischen Nachfrage ab sowie von der kulturellen Widerstandsfähigkeit der Zielgebiete. Als eine Besonderheit des Kreuzfahrttourismus erweist sich die große räumliche und zeitliche Konzentration des Besucheraufkommens: Bei den Landgängen strömt tagsüber eine enorm große Zahl von Passagieren für wenige Stunden in die Stopover Ports (Ports of Call) und deren Hinterland, um abends an Bord zurückzukehren: Während der Sommermonate erlebt z. B. die kleine Hafenstadt Skagway (Alaska), in der 850 Einwohner leben, regelmäßig einen Ansturm von 10.000 Tagesbesuchern. Ähnliche Erfahrungen machen die 250 Bewohner des norwegischen Dorfes Geiranger, das an Spitzentagen von ca. 15.000 Passagieren besichtigt wird. Wesentliche Ursachen dieser Massenhaftigkeit des Kreuzfahrttourismus, die auch als People Pollution bezeichnet wird, sind der Einsatz von Mega-Schiffen sowie der <?page no="172"?> Soziale und kulturelle Effekte von Kreuzfahrten 173 gleichzeitige Aufenthalt mehrerer Schiffe in den Häfen (vgl. L ÜCK 2007, S. 86; K LEIN 2013a, S. 88; J ØRGENSEN 2013, S. 81; P AVLIĆ 2013, S. 133). Ein aussagekräftiger Indikator für die Intensität der Nachfrage ist die Besucherzahl pro Kopf der Bevölkerung: Auf einzelnen Inseln der Karibik erreicht sie Werte von 34 (Cozumel/ Mexiko), 28 (St. Lucia/ Kleine Antillen) bzw. 19 (Aruba/ Kleine Antillen) - in Barcelona beläuft sie sich hingegen nur auf 1 (vgl. B RIDA / Z APATA 2010, S. 221; → Abb. 53). Abb. 53: Hilfe, die Kreuzfahrttouristen kommen - diesen Stoßseufzer machen die Einwohner vieler Stopover Ports bei der Ankunft der Mega-Schiffe. Speziell die kleinen Hafenstädte und Inseln in der Karibik erleben dann einen massenhaften Ansturm von Tagesbesuchern, durch den die Lebensqualität der einheimischen Bevölkerung beeinträchtigt wird; außerdem kommt es zu einer völligen Überlastung der lokalen Infrastruktur. Größere Hafenstädte können diesen Ansturm von Tagesgästen relativ problemlos bewältigen, da sie - angesichts einer hohen Einwohnerzahl - über entsprechend umfangreiche Verkehrseinrichtungen verfügen (Straßennetz, U-Bahn- und Buslinien etc.). In kleineren Orten kommt es jedoch zu einer völligen Überlastung der Infrastruktur und auch zu einer Belästigung der lokalen Bevölkerung - wie das Beispiel der Hafenstadt Mutrah im Oman deutlich macht. 1 2 3 4 11 12 16 17 19 28 34 Barcelona San Vicente y las Granadinas San Juan de Puerto Rico Granada Jamaica Belice Bahamas Dominica Aruba Santa Lucia Cozumel Passagiere/ Einwohner <?page no="173"?> Die Effekte von Kreuzfahrten 174 ⚓ Beispiel │ Belästigung der Bevölkerung durch den Kreuzfahrttourismus: Mutrah (Oman) Die omanische Hafenstadt Mutrah wird in den Wintermonaten regelmäßig im Rahmen von Kreuzfahrten rund um die Arabische Halbinsel angelaufen (andere Ziele sind Dubai, Bahrain und Abu Dhabi). Bei den Ausflugstouren strömen die Passagiere massenhaft in den lokalen Souq (Basar), der als klassische orientalische Attraktion gilt; zu bestimmten Zeiten stellen sie dort nahezu 90 Prozent der Besucher. Die zahlreichen Ausflugsbusse, Minivans und Taxis lösen auf der Uferstraße große Verkehrsstaus aus. Außerdem hat sich die Atmosphäre des traditionellen Marktes völlig verändert: Anstelle von typischen lokalen Produkten werden nun billige Souvenirs und Importwaren aus Asien angeboten. Die Verkaufsstände an der Hauptgasse befinden sich inzwischen im Besitz von Händlern aus Indien, Pakistan und Bangladesch; die traditionellen omanischen Händler sind nur noch in den hinteren Bereichen des Souqs tätig. Darüber hinaus sorgt die freizügige westliche Kleidung vieler Kreuzfahrttouristen für Irritationen: Aufgrund unzureichender Informationen durch die Reedereien tragen sie bei ihren Landgängen häufig ärmellose T-Shirts und Shorts bzw. durchsichtige, tief ausgeschnittene Blusen sowie Miniröcke. Damit verstoßen sie aber gegen die strikten Bekleidungsvorschriften in dem streng muslimischen Land (dort sollten die Schultern und die Knie bedeckt sein und - bei Frauen - auch die Haare). Die einheimische Bevölkerung hat mit einer zunehmenden Rückzugstendenz auf den Besucheransturm und die Regelwidrigkeiten reagiert: Zum einen meidet sie den Markt während des Aufenthalts der Kreuzfahrtschiffe. Zum anderen haben die Bewohner eines benachbarten Viertels am Eingang ihres Wohnquartiers ein Hinweisschild angebracht („Residential Area“) und zusätzlich eine Wand errichtet, um ihre Privatsphäre vor den Blicken neugieriger Touristen zu schützen (vgl. G UTBERLET 2016, 2016a). Die Reaktionen auf den Boom des Kreuzfahrttourismus können jedoch auch drastischer ausfallen als in Mutrah: So haben viele Venezianer in den vergangenen Jahren durch Protestaktionen gegen die wachsende Zahl von Schiffen weltweit für Aufmerksamkeit gesorgt - nicht zuletzt weil sie dabei von prominenten Schauspielern unterstützt wurden (Michael Douglas, Cate Blanchet, Susan Sarandon u. a.). <?page no="174"?> Soziale und kulturelle Effekte von Kreuzfahrten 175 Aus Sicht der Kritiker passen die Mega-Schiffe, die mit ihren zahlreichen Decks wie schwimmende Hochhäuser wirken, nicht zum historischen Stadtbild der „Serenissima“. Außerdem tragen sie durch den starken Wellenschlag zur Zerstörung von Fundamenten bei und zu einer steigenden Luftverschmutzung durch die Abgase (vgl. S TEINECKE / H ERNTREI 2017, S. 181-182; → Abb. 54). Aufgrund dieser anhaltenden Proteste kam es zunächst zu einer Einschränkung des Schiffsverkehrs: Kreuzfahrtschiffen mit mehr als 98.000 Bruttoregistertonnen wurde die Passage durch den Giudecca-Kanal untersagt. Außerdem sollten täglich nicht mehr als fünf größere Schiffe (über 40.000 Bruttoregistertonnen) diese Route befahren, die direkt an der berühmten Piazza San Marco vorbeiführt. Allerdings hat ein Verwaltungsgericht diesen Bann im Jahr 2015 solange aufgehoben, bis Alternativrouten angeboten werden (vgl. Spiegel Online vom 13.01.2015). Abb. 54: „Big Ship - Big Shit“ - mit Demonstrationen und Plakaten haben viele Venezianer, aber auch Prominente aus Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft gegen den boomenden Kreuzfahrttourismus in der Lagunenstadt protestiert. Sie befürchten nicht nur Schäden an den historischen Bauwerken, sondern auch eine Überlastung ihrer Stadt durch das enorme zusätzliche Besucheraufkommen. <?page no="175"?> Die Effekte von Kreuzfahrten 176 Erhebliche Vorbehalte gegenüber einer weiteren Expansion des Kreuzfahrttourismus gibt es auch in der Hafenstadt Key West (Florida), die jährlich von ca. 280 Schiffen angelaufen wird. Dort werden ca. zehn Prozent des jährlichen touristischen Gesamtumsatzes durch die Ausgaben der 820.000 Passagiere erwirtschaftet. Inzwischen setzen sich viele Einwohner für eine Begrenzung der Besucherzahl ein (vgl. H RITZ / C ECIL 2008; K LEIN 2013a, S. 89-90): Zum einen möchten sie den einzigartigen Charakter der Stadt erhalten - mit ihren zahlreichen historischen Gebäuden, ihrem urbanen Flair und ihrer entspannten Atmosphäre; auf diesen Besonderheiten basiert auch das touristische Image der Stadt. Zum anderen haben sie die Befürchtung, dass die traditionellen Geschäfte, Restaurants und Bars zunehmend durch standardisierte Filialbetriebe nationaler und internationaler Ketten verdrängt werden (aufgrund des markenorientierten Konsums der Passagiere). Schließlich besteht die Sorge, dass es aufgrund von Konflikten zwischen unterschiedlichen Zielgruppen mittelfristig zu einem Rückgang der Übernachtungszahlen kommt. So ist Key West bislang ein beliebtes Ziel der konsumkräftigen LGBT-Community (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender). Diese Urlauber könnten sich aber durch einen massenhaften Kreuzfahrttourismus gestört fühlen, da ihr libertärer Lebensstil bei den eher konservativen Passagieren (Senioren, Familien mit Kindern etc.) auf wenig Verständnis stößt. Anhand dieser Beispiele wird deutlich, dass in einigen Häfen die tatsächliche bzw. psychologische Belastungsgrenze (Carrying Capacity) offensichtlich erreicht bzw. sogar überschritten ist. Allerdings liegen auch mehrere Fallstudien vor, in denen eine breite Zustimmung der Bevölkerung zum Kreuzfahrttourismus erfasst worden ist: Im kolumbianischen Hafen Cartagena de Indias hatten z. B. 72 Prozent der Befragten eine positive Einstellung, nur sechs Prozent bewerteten die wirtschaftlichen, soziokulturellen und politischen Effekte der Kreuzfahrten überwiegend negativ (vgl. B RIDA / R IAÑO / Z APATA A GUIRRE 2011, S. 87). Auch im sizilianischen Messina war die Reaktion der Bürger überwiegend positiv: Aus Sicht vieler Einheimischen trägt der Kreuzfahrttourismus in diesem Stopover Port zur Verbesserung der öffentlichen sowie privaten Infrastruktur bei und führt zur Schaffung von Arbeitsplätzen. Allerdings bestand die Befürchtung, dass vor allem auswärtige Geschäftsleute von der Nachfrage profitieren. Aus diesem Grund hielten die Befragten eine stärkere Förderung anderer Tourismusarten für wünschenswert - speziell des Kulturtourismus und des Badetourismus (vgl. B RIDA u. a. 2012b, S. 34; D EL C HIAPPA / A BBATE 2013, S. 11). <?page no="176"?> Soziale und kulturelle Effekte von Kreuzfahrten 177 Im kroatischen Dubrovnik hatten die Bewohner der Altstadt eine erheblich kritischere Einstellung zum Kreuzfahrttourismus als die Einwohner anderer Stadtteile (da sie offenbar stärker von dem Besucherstrom betroffen waren). Besonders positiv äußerten sich hingegen Probanden, die einen persönlichen Nutzen aus dem Tourismus ziehen konnten - z. B. als Beschäftigte bzw. Unternehmer (vgl. P ERUČIĆ / P UH 2012, S. 226). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es in den Destinationen kein homogenes Meinungsbild gibt, sondern jeweils ein standort- und sogar quartiersspezifisches Spektrum unterschiedlicher Einstellungen. Außerdem ist davon auszugehen, dass sich die Reaktionen im Laufe der Zeit ändern - von einer anfänglichen Euphorie über eine gewisse Apathie bis hin zu einem grundsätzlichen Einverständnis bzw. einem möglichen Protest. Vor diesem Hintergrund können keine generalisierenden Aussagen zur lokalen Akzeptanz des Kreuzfahrttourismus und zur Carrying Capacity von Destinationen getroffen werden (vgl. G IBSON / B ENTLEY 2007, S. 68; S TEWART / D AWSON / D RAPER 2011, S. 101; D EL C HIAPPA / L ORENZO - R OMERO / G ALLARZA 2017). Um mögliche Belästigungen der Bevölkerung und Konflikte innerhalb der Orte zu vermeiden, ist ein professionelles Besucher- und Destinationsmanagement erforderlich; mögliche Maßnahmen sind u. a. (vgl. M ANNING 2006, S. 8; L ONDON 2011, S. 16; D EL C HIAPPA / M ELIS / A TZENI 2013, S. 23; K LEIN 2013a, S. 93; Ć OSIĆ / F AVRO 2016, S. 21; G UTBERLET 2016a, S. 60-61): Durchführung eigener empirischer Untersuchungen zur wirtschaftlichen Bedeutung des Kreuzfahrttourismus, da es sich bei den Informationen der Reedereien nicht immer um verlässliche Angaben handelt, die von unabhängigen Wissenschaftlern erhoben worden sind; Entwicklung umfassender Tourismuskonzepte - mit Aussagen zum Stellenwert, zur Entwicklung sowie zu einer Begrenzung des Kreuzfahrttourismus (z. B. in Belize, Alaska und Hawaii); Begrenzung der Zahl von Schiffen und Passagieren - z. B. auf den British Virgin Islands, der griechischen Insel Santorin bzw. in der Hafenstadt Icy Strait Point (Alaska); Sperrung von Revieren - nach Plänen des norwegischen Umweltministeriums sollen z. B. einige bekannte Fjorde künftig nur noch von Kreuzfahrtschiffen befahren werden, die zeitgemäße Umweltanforderungen erfüllen; Schaffung zusätzlicher Attraktionen, die zu einer räumlichen Diversifizierung der Nachfrage und damit zu einer Entlastung populärer Sehenswürdigkeiten beitragen (z. B. Informations- und Besucherzentrum, Heritage Village, Shopping Mall etc.); <?page no="177"?> Die Effekte von Kreuzfahrten 178 Ausbau weiterer Häfen, um den Besucherstrom der Kreuzfahrtpassagiere auch in andere Teile des Landes zu lenken; Maßnahmen der Verkehrs- und Besucherlenkung, um die große Zahl der Passagiere besser zu verteilen und Überlastungen von Altstadtquartieren sowie Natur- und Kulturdenkmalen zu vermeiden; Information der Passagiere über lokale Gesetze, Sitten und Gebräuche - z. B. zur angemessenen Kleidung und zum respektvollen Verhalten in religiösen Stätten bzw. historischen und kulturellen Denkmalen; Information der Gäste über ein umweltgerechtes Verhalten - z. B. zur Müllvermeidung und zum Schutz ökologisch sensibler Gebiete (Korallenriffe, Naturschutzareale etc.); Erhebung einer Touristensteuer, deren Einnahmen lokalen Infrastruktur-, Sozialbzw. Kulturprojekten zugute kommen; Durchführung von Einwohnerbefragungen, um das allgemeine Tourismusbewusstsein und speziell die Einstellungen zum Kreuzfahrttourismus zu erfassen; Binnenmarketing innerhalb der Destination - z. B. durch sachgerechte Informationsmaßnahmen über die Chancen und Risiken des Kreuzfahrttourismus (andernfalls besteht die Gefahr, dass die Einwohner unrealistische Hoffnungen hinsichtlich der wirtschaftlichen Effekte hegen) (vgl. J ORDAN / V OGT 2017, S. 15); Einbeziehung der lokalen Bevölkerung in touristische Planungen - z. B. in Form von Bürgerforen, Komitees, Zukunftswerkstätten etc. ⚓ Beispiel │ Besuchermanagement auf Santorin Aufgrund ihrer landschaftlichen Schönheit wurde die griechische Insel Santorin bereits im Altertum als Kallisti bezeichnet (die Schöne). Diese Attraktivität führte dazu, dass sie sich nicht nur generell zu einer populären Urlaubsdestination entwickelt hat, sondern auch zum beliebtesten Kreuzfahrtziel des Landes: Im Jahr 2015 wurde Santorin von 636 Schiffen mit 790.000 Passagieren angelaufen. Speziell in den Sommermonaten Juli und August kann das kleine Eiland, das mit einer Fläche von 92 Quadratkilometern ungefähr so groß ist wie Sylt, den Ansturm der Besucher kaum noch verkraften: Es kommt zu Versorgungsengpässen und vor allem zu chaotischen Verkehrsverhältnissen. <?page no="178"?> Soziale und kulturelle Effekte von Kreuzfahrten 179 Dann wird das Leben geprägt „durch hektische Kreuzfahrtpassagiere, genervte Händler, überlaufene Plätze und ein ständiges Gehupe und Gedränge auf den mit Reisebussen, Autos und Rollern verstopften und überbelasteten kleinen Straßen“ (K ABACINSKI 2011, S. 1). Um den Tagesausflugsverkehr künftig besser zu steuern und die Lebensqualität der ca. 17.000 Einwohner zu steigern, wurde im Sommer 2016 eine Obergrenze der Besucherzahl eingeführt; seitdem dürfen täglich maximal 8.000 Kreuzfahrttouristen an Land gehen (vgl. FAZ vom 31.03.2016). 5.3.2 Arbeitsbedingungen an Bord der Kreuzfahrtschiffe „Schuften im Schiffsbauch“ - unter solchen und ähnlichen Schlagzeilen berichten die Medien gelegentlich über die ungewöhnlich harten Arbeitsbedingungen an Bord von Kreuzfahrtschiffen. Sie sind eine Folge der rigiden Unternehmenspolitik der Reedereien: Für sie stellen die Ausgaben für die Crewmitglieder den größten Block an Fixkosten dar, denn auf Kreuzfahrtschiffen werden durchschnittlich ca. 700 bis 1.500 Angestellte beschäftigt - und damit eine vielfach größere Zahl als auf Handelsschiffen vergleichbarer Größe (vgl. B ULL 1996, S. 31; F ISCHER 2010; T ERRY 2011, S. 662). Die Unternehmen versuchen deshalb, die Personalkosten zu senken und die Arbeitsverhältnisse möglichst flexibel zu gestalten, um ihre Produkte zu wettbewerbsfähigen Preisen anbieten und rasch auf Schwankungen der Nachfrage reagieren zu können. Aus diesem Grund rekrutieren sie ihre Crewmitglieder über Personalagenturen auf dem internationalen Arbeitsmarkt: So arbeitet „Royal Caribbean Cruises“ z. B. weltweit mit einem Netzwerk von 20 externen Partnern zusammen (vgl. R AUB / S TREIT 2006, S. 280). Dabei stammen die nichtbzw. geringqualifizierten Angestellten vor allem aus Ländern, in denen eine hohe Arbeitslosigkeit herrscht und eine schier unerschöpfliche „Reservearmee“ an bereitwilligen Servicekräften zur Verfügung steht (vgl. W EAVER 2005a, S. 178). Diese Personalpolitik führt dazu, dass an Bord vieler Kreuzfahrtschiffe eine multinationale und multikulturelle Atmosphäre herrscht: So beschäftigt die Reederei „Costa Crociere“ 15.000 Mitarbeiter, die aus 80 verschiedenen Ländern stammen. Zugleich ist aber auch eine ausgeprägte ethnische Segregation hinsichtlich der Arbeitsbereiche und Tätigkeiten zu beobachten, die einen nahezu kolonialen Charakter hat (vgl. War on Want/ ITF 2000, S. 12; K LITZKE 2010, S. 7; → Tab. 10): In den leitenden Funktionen - auf der Brücke, in den Restaurants und im Entertainment - sind überwiegend Mitarbeiter aus Industriestaaten tätig <?page no="179"?> Die Effekte von Kreuzfahrten 180 (USA, Norwegen, Großbritannien, Italien etc.). Die „AIDA“-Reederei beschäftigte z. B. im Jahr 2011 ca. 5.000 Angestellte: Von den 700 Schiffsoffizieren stammten knapp 90 Prozent aus Ländern der Europäischen Union; unter den sonstigen Angestellten lag dieser Anteil jedoch nur bei 25 Prozent (vgl. G RASS 2013). Für die einfachen Arbeiten - z. B. im Maschinenraum, in den Kabinen und der Wäscherei - werden vor allem Angestellte aus Ländern der Dritten Welt und aus osteuropäischen Transformationsländern angeheuert. Ein Gewerkschaftsfunktionär hat die Situation einmal so beschrieben: „The deeper you go in the belly of the ship, the darker the crew. It’s OK to have a Filipino subserviently cleaning your room, but sitting down at your dinner table ... , they’d rather have an Italian or a Norwegian, or an American“ (T ERRY 2011, S. 663). Arbeitsbereich Nationalitäten Maschinenraum Peru, Uruguay, Philippinen, Rumänien, Chile, Costa Rica, Kolumbien, El Salvador, Indien, Nicaragua Bar Asien, Osteuropa, Karibik, Mittelamerika Restaurant (Hotel Stewards) Asien, Karibik, Mittelamerika, Trinidad, Kolumbien Kabinen (Cabin Stewards) Asien, Karibik, Mittelamerika, Kroatien Küche/ Spülbereich (Galley Stewards) Asien, Karibik, Mittelamerika, Peru Wäscherei China Tab. 10: Um ihren Kunden preisgünstige Kreuzfahrten anbieten zu können, versuchen die Reedereien, die Lohnkosten zu minimieren. Für einfache Tätigkeiten im Service und in Backstage-Bereichen rekrutieren sie vor allem Mitarbeiter aus Entwicklungsländern. Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit in ihrer Heimat sind diese Angestellten bereit, einen niedrigen Lohn und ungewöhnlich harte Arbeitsbedingungen zu akzeptieren. Speziell für die einfachen Crewmitglieder entsprechen Bezahlung und Arbeitszeiten nicht den Standards westlicher Industrieländer. Aus diesem Grund bezeichnen Kritiker die Kreuzfahrtschiffe auch als Sweatships - analog zu den berüchtigten Sweatshops in Mittelamerika, Bangladesch, China etc. Dort lassen <?page no="180"?> Soziale und kulturelle Effekte von Kreuzfahrten 181 multinationale Konzerne Kleidungsstücke, Schuhe, elektronische Geräte etc. zu Niedriglöhnen herstellen, um ihre Stückkosten zu senken. In solchen Fabriken und Manufakturen herrschen auch im 21. Jahrhundert noch frühindustrielle Arbeitsbedingungen: Die Mitarbeiter haben extrem lange Arbeitszeiten und sind in keiner Weise tarifrechtlich abgesichert (Kündigungsschutz, Mindestlohn etc.). In der Regel werden sie nur für drei bis zwölf Monate beschäftigt; anschließend sind sie bis zum Beginn des neuen Vertrags für vier bis acht Wochen arbeitslos und damit auch ohne gesetzliche Krankenversicherung (vgl. T ERRY 2011, S. 663-664). Außerdem gibt es immer wieder Berichte über unterschiedliche Formen der Diskriminierung und der sexuellen Belästigung von Arbeiterinnen - sowohl in den Sweatshops als auch auf Kreuzfahrtschiffen (vgl. B RIDA / Z APATA 2010, S. 221; www.cruisejunkie.com; www.cruiserape.com ). Schließlich ist es den Beschäftigten untersagt, sich außerhalb ihrer Dienstzeiten in den öffentlichen Bereichen der Schiffe aufzuhalten und persönliche Kontakte mit den Passagieren zu pflegen. Gegen Androhung von Strafe bzw. sogar Entlassung sind sie dazu verpflichtet, die knappe Freizeit ausschließlich in ihren kleinen, teilweise fensterlosen Kabinen bzw. den speziellen Einrichtungen für die Crew zu verbringen (vgl. W EAVER 2005a, S. 177; N EUMEIER 2016). Hinsichtlich der Arbeits- und Lebensbedingungen an Bord von Kreuzfahrtschiffen müssen die Reedereien allenfalls einige Mindeststandards erfüllen, die in der „Maritime Labour Convention“ (MLC) der „International Labour Organization“ (ILO) festgelegt worden sind. Dazu gehören u. a. die Beschränkung der täglichen Arbeitszeit auf 14 Stunden und der Wochenarbeitszeit auf 72 Stunden; außerdem gelten bestimmte Anforderungen an die Größe und Ausstattung der Unterkünfte. Das internationale Übereinkommen trat im Jahr 2013 in Kraft und ist inzwischen von 82 Staaten ratifiziert worden (vgl. M C C ARTHY 2013). Allerdings kommt es immer wieder zu Verstößen gegen diese Bestimmungen: So musste die Reederei „Royal Caribbean International“ im Jahr 2014 eine Strafe von 600.000 Euro zahlen, weil sie bei einem Werftaufenthalt der „Oasis of the Seas“ in Rotterdam die geltenden arbeitsrechtlichen Regelungen nicht eingehalten hatte; als Reaktion verlagerte das Unternehmen seine Wartungsarbeiten in das spanische Cádiz (vgl. J ENNINGS / U LRIK 2016, S. 7). <?page no="181"?> Die Effekte von Kreuzfahrten 182 ⚓ Beispiel │ Arbeitsbedingungen auf einem „Traumschiff“ „Bis Mittags hat Hermano zehn bis zwölf Kabinen geputzt, gesaugt und gewischt; die Minibars sind aufgefüllt, die Betten bezogen, das Bad ist sauber, ein Handtuch zur Erbauung der Reisenden zur Schildkröte gefaltet. Für dieses Pensum benötigt Hermano sonst den üblichen Arbeitstag: von acht Uhr morgens bis zehn Uhr abends. Doch heute muss er sich - wie jede Woche einmal - noch mehr beeilen, denn die neuen Gäste sind im Anmarsch. Auch das Heranschleppen des Gepäcks der rund 3.000 Gäste gehört zu den Aufgaben der Kabinenstewards, und die Arbeit muss schnell und geräuscharm erledigt werden. Hermano ist ein so genannter Drittstaatenseemann, mit Vertrag vom örtlichen Heuerbüro seiner Heimat Honduras. Vor ein Uhr morgens kommt er heute nicht ins Bett seiner Mannschaftskabine, die er mit vier anderen Männern teilt und die zu seiner Sorge weit unterhalb der Wasserlinie liegt. Zu schaffen macht ihm auch die Einsamkeit - nach Haus telefonieren ist von Bord unglaublich teuer. Die Überstunden dagegen sind selbstverständlich. Einer wie Hermano verdient inklusive Trinkgeld maximal 800 US-Dollar (ca. 545 Euro) im Monat bei einer der weltweit größten US-amerikanischen Reedereien. Dafür arbeitet er bis zu 80 Stunden in der Woche, sieben Tage, sechs bis acht Monate lang. Bis zur nächsten Heuer kann er für einige Wochen nach Haus, wo seine ganze Familie von ihm lebt. Er ist weder arbeitslosennoch krankenversichert, im Notfall muss die Haftpflichtversicherung der Reederei einspringen“ (M ANSCH 2008, S. 17). Neben diesen generell problematischen Arbeitsbedingungen sind noch zwei spezielle Belastungen der Crewmitglieder zu nennen: Alle Servicekräfte stehen vor der Herausforderung, dass sie beim direkten Kontakt mit den Urlaubern nicht nur praktische Dienstleistungen erbringen müssen, sondern auch eine zusätzliche Emotionsarbeit (Emotional Labour). Die Passagiere und die Reedereien erwarten von ihnen, dass sie ständig positive Gefühle zur Schau stellen. So hat z. B. „Carnival Cruise Line“ alle Türen vom Crewzum Passagierbereich mit dem Hinweisschild „Share a Smile“ und einem Spiegel ausstatten lassen. Mit diesen einfachen Mitteln werden die Mitarbeiter zu mehr Freundlichkeit, Höflichkeit, Hilfsbereitschaft etc. angeregt. Gleichzeitig sollen die Angestellten mögliche negative Emotionen gegenüber den Gästen unterdrücken - selbst in schwierigen Situationen und unabhängig von ihren eigenen Belastungen sowie persönlichen Stim- <?page no="182"?> Soziale und kulturelle Effekte von Kreuzfahrten 183 mungen. Diese ambivalente Arbeitssituation kann bei den Beschäftigten mittelfristig zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen - bis hin zu einer körperlichen und emotionalen Erschöpfung (Burnout) (vgl. K WORTNIK 2006, S. 293; J OHANSSON / N ÄSLUND 2009, S. 48-51; N ERDINGER 2012, S. 16-17; → Abb. 55). Zu einer zusätzlichen Belastung der Service- und Kabinenkräfte kommt es auch durch Einsparungen im Personalbereich, mit denen die Reedereien in jüngerer Zeit auf die harte Konkurrenzsituation innerhalb der Branche reagieren. Speziell bei den Erlebniskreuzfahrten (Contemporary Cruises) auf den großen und Mega-Schiffen ist die Relation von Gästen zu Personal (Pax/ Crew Ratio) weitaus höher als bei den traditionellen Kreuzfahrten auf kleinen und mittelgroßen Schiffen (→ Tab. 2). Diese Personalpolitik führt zu einer größeren Beanspruchung der Crewmitglieder - und letztlich auch zu einer wachsenden Unzufriedenheit der Passagiere, die sich u. a. in kritischen Bewertungen in Internetportalen widerspiegelt (vgl. J ANS 2010, S. 12). Abb. 55: „Immer nur lächeln und immer vergnügt“ - dieser Grundsatz der Emotional Labour gilt für alle Crewmitglieder, die direkten Kontakt mit den Gästen haben (wie diese beiden südafrikanischen Mitarbeiterinnen aus dem Beautybereich). Trotz einer langen Arbeitszeit, einer schlechten Bezahlung und einer bescheidenen Unterbringung müssen sie ständig aufmerksam, freundlich und hilfsbereit sein - ungeachtet eigener Bedürfnisse und Gefühle. <?page no="183"?> Die Effekte von Kreuzfahrten 184 Neben der berechtigten (objektiven) Kritik an den harten Arbeitsbedingungen gibt es jedoch auch eine subjektive Sichtweise der Betroffenen: So sind mehrere Studien zu dem Ergebnis gekommen, dass die Tätigkeit von den Servicekräften im Hotel-, Restaurant- und Unterhaltungsbereich überwiegend positiv bewertet wird (vgl. H U / Z HAO / C ARTER 2003; G IBSON 2008; M ATUSZEWSKI / B LENKINSOPP 2011; S EHKARAN / S EVCIKOVA 2011; L ARSEN / M ARNBURG / Ø GAARD 2012): Die Angestellten aus den Transformations- und Entwicklungsstaaten verdienen deutlich mehr als in ihren Heimatländern, in denen häufig eine hohe Arbeitslosigkeit und ein entsprechend niedriges Lohnniveau herrschen. So beträgt das durchschnittliche Gehalt für Hotelkräfte auf den Philippinen z. B. 150-250 US-Dollar/ Monat, auf den „AIDA“-Schiffen hingegen 700- 900 US-Dollar (bei Zahlung des deutschen Mindestlohns würden sie allerdings mehr als 2.000 US-Dollar erhalten). Da sie an Bord Unterkunft sowie Verpflegung gestellt bekommen und nur geringe Nebenkosten haben, können sie große Teile ihres Einkommens nach Hause überweisen, um ihre Familien zu unterstützen. In einigen Fällen legen sie auch Ersparnisse für eine spätere Existenzgründung an (vgl. P APATHANASSIS 2011, S. 14; A RTINI / N ILAN 2014, S. 6; www.zeit.de vom 17.08.2016). Für viele Crewmitglieder aus den Industrieländern besteht der besondere Reiz darin, Arbeit und Reisen miteinander zu verknüpfen. Sie möchten andere Länder kennenlernen und zugleich neue Berufserfahrungen machen, die sie für eine künftige Karriere in der Kreuzfahrtbzw. Tourismusbranche nutzen können. Aus ihrer Sicht bietet die Tätigkeit auf Kreuzfahrtschiffen keine dauerhafte Perspektive; vielmehr handelt es sich eher um einen Lebensabschnittsjob - wie z. B. auch bei Reiseleitern und Gästeführern. Eine wichtige Rolle spielen auch die nationale und kulturelle Vielfalt der Mannschaft sowie der ausgeprägte Teamgeist (der vom Management intensiv gefördert wird). In der Regel schließen viele der überwiegend jungen Mitarbeiter enge Freundschaften mit anderen Kollegen und empfinden sich als Teil einer großen Community bzw. Familie - speziell auf kleineren Schiffen. Darüber hinaus bestehen hinsichtlich der Arbeitsbedingungen erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Unternehmen: Als positives Beispiel ist die Reederei „AIDA Cruises“ zu nennen, die in den vergangenen Jahren mehrfach für ihre Ausbildungs-, Beschäftigungs- und Weiterbildungsprogramme ausgezeichnet worden ist - u. a. mit dem „eLearning Award 2017“ sowie als „Top Arbeitgeber Deutschland 2016“ und als „Fair Company 2017“ (vgl. M OSKOWITZ 2014; www.aida.de ). Künftig werden die Reedereien bei der Rekrutierung von Angestellten vor neuen Herausforderungen stehen - speziell auf dem globalen Arbeitsmarkt für Service- <?page no="184"?> Soziale und kulturelle Effekte von Kreuzfahrten 185 kräfte, die einen direkten Kontakt mit den Gästen haben (vgl. T ERRY 2011, S. 665-668): Um die hohen Qualitätsansprüche der Passagiere zu erfüllen, müssen diese Angestellten - trotz der relativ schlechten Bezahlung - bestimmte Eigenschaften und Qualifikationen aufweisen. Auf den Philippinen verlangen die Personalagenturen von den Bewerbern z. B. eine Mindestgröße, gute Englischkenntnisse, eine abgeschlossene Ausbildung (College) sowie Berufserfahrungen in einem Luxushotel; außerdem müssen sie gesund sowie belastbar sein und dürfen kein Übergewicht haben. Obwohl dort generell ein großes Reservoir an potenziellen Arbeitskräften besteht, weisen nur ca. zehn Prozent der Kandidaten ein entsprechendes Profil auf. Mit dem raschen Wachstum der Tourismusbranche in Australien und Asien sowie im Orient (Vereinigte Arabische Emirate) sind auch dort zahlreiche neue Arbeitsmöglichkeiten für entsprechend qualifizierte Mitarbeiter entstanden, sodass die Reedereien zunehmend in direkter Konkurrenz zu landgebundenen Urlaubs- und Freizeiteinrichtungen stehen. Als Reaktion auf diese Entwicklung arbeiten z. B. einige Unternehmen mit lokalen Ausbildungseinrichtungen auf den Philippinen und in Indonesien zusammen. Die erfolgreichen Absolventen sollen künftig Tätigkeiten in den Restaurants, Bars etc. an Bord der Kreuzfahrtschiffe übernehmen. Um mittelfristig speziell qualifizierte Führungskräfte rekrutieren zu können, kooperieren einige Reedereien auch mit Hochschulen, die Studiengänge zum Tourismusbzw. Kreuzfahrtmanagement anbieten. Eine entsprechende Zusammenarbeit besteht z. B. zwischen der „Norwegian Cruise Line“ und der „Dualen Hochschule Baden-Württemberg“ in Wiesbaden sowie zwischen „Celebrity Cruises“, „P&O Cruises“ und der „Cunard Line“ mit der University of Plymouth in Großbritannien (vgl. G IBSON / S WIFT 2011, S. 63). Angesichts des expandierenden Arbeitsmarktes und der Fluktuation von Mitarbeitern müssen die Unternehmen ständig neues Personal einstellen. Um den damit verbundenen Aufwand zu minimieren, können sie generell auch auf kostengünstige internetgestützte Bewerbungsverfahren zurückgreifen. Dazu bedarf es einer übersichtlich gestalteten Website, auf der sich die potenziellen Angestellten rasch über die Aufgaben, die notwendigen Qualifikationen, die Arbeitsbedingungen etc. informieren können. In einer umfassenden Auswertung der Websites wichtiger Reedereien ist allerdings deutlich geworden, dass dieses Instrument des E-Recruitment bislang von der Mehrzahl der Unternehmen nicht in angemessener Weise genutzt wird (vgl. G IBSON / S WIFT 2011, S. 68; R AUB / S TREIT 2006 zur traditionellen Rekrutierungspraxis). <?page no="185"?> Die Effekte von Kreuzfahrten 186 ⚓ Zusammenfassung Obwohl es sich beim Kreuzfahrttourismus um ein kleines Marktsegment handelt, löst er erhebliche wirtschaftliche Effekte in zahlreichen vor- und nachgelagerten Wirtschaftszweigen aus - von der Werft- und Nahrungsmittelindustrie über die Mineralöl- und Abfallindustrie bis hin zur Reise- und Transportbranche. In den Zielgebieten profitieren vor allem Einzelhandelsgeschäfte, Restaurants, Incoming-Agenturen und Verkehrsunternehmen von der zusätzlichen Nachfrage der Passagiere und der Crewmitglieder. Angesichts des kurzen Aufenthalts der Schiffe sind die ökonomischen Wirkungen in den Stopover Ports (Ports of Call) deutlich geringer als in den Home Ports (Turnaround Ports, Ein- und Ausschiffungshäfen). Der wirtschaftliche Nutzen für diese Hafenstädte wird durch mehrere Faktoren gemindert: Verkauf importierter bzw. zollfreier Waren, Provisionszahlungen von Incoming-Agenturen und Einzelhändlern an die Reedereien, überdimensionierte Transportkapazitäten etc. Darüber hinaus kann es zu Konflikten zwischen dem massenhaften Kreuzfahrttourismus und anderen Tourismusarten kommen (Tagesausflügler vs. Übernachtungsgäste). Da viele Passagiere in den Home Ports vor Antritt der Kreuzfahrt bzw. nach der Rückkehr übernachten, werden dort höhere Pro-Kopf- Ausgaben getätigt. Allerdings müssen diese Hafenstädte auch zahlreiche Maßnahmen aus öffentlichen Mitteln finanzieren, um dauerhaft in das Routensystem aufgenommen zu werden: Hafen- und Kaianlagen, Terminals, touristische Infrastruktureinrichtungen, Besucherleitsysteme, öffentliche Ordnung und Gesundheitsversorgung etc. Um die wirtschaftlichen Wirkungen zu steigern, hohe Multiplikatoreffekte zu erzielen und die Sickerrate (Leakage) zu senken, sollten die Hafenstädte über klare städtebauliche, wirtschaftliche und touristische Konzepte verfügen (Waterfront Development, Importsubstitution, Destinationsmanagement, Community-Based Tourism/ CBT). <?page no="186"?> Soziale und kulturelle Effekte von Kreuzfahrten 187 Zu den Umweltsünden der Kreuzfahrtbranche gehören u. a. der enorme Verbrauch natürlicher Ressourcen (Treibstoff), die hohe Luftverschmutzung durch die Verwendung von Schweröl und die Wasserverschmutzung durch Schwarz-, Grau-, Bilgen- und Ballastwasser sowie Antifouling. Darüber hinaus fallen große Mengen an unterschiedlichen Müllarten an. Außerdem kommt es in den Zielgebieten zum Landschaftsverbrauch für Infrastruktureinrichtungen, zu Landschaftsschäden (z. B. an Korallenriffen), zu einer Tier- und Pflanzengefährdung sowie zu Schädigungen von Kulturdenkmalen durch ein unangemessenes Verhalten der Passagiere. Mehrere Umweltschutzorganisationen erstellen regelmäßig Rankings, in denen die Umweltorientierung von Reedereien bzw. Schiffen bewertet werden. Aufgrund des hohen Besucheraufkommens kann es - speziell in kleinen Hafenstädten - zu einer Überlastung der Infrastruktur und zu einer Belästigung der einheimischen Bevölkerung kommen. In einigen Fällen gibt es inzwischen Bürgerinitiativen, die gegen eine weitere Expansion des Kreuzfahrttourismus protestieren (Venedig, Key West). Allerdings können keine generalisierenden Aussagen zur lokalen Akzeptanz und zur Carrying Capacity getroffen werden. Um unnötige Konflikte zu vermeiden, können die Verantwortlichen zahlreiche Maßnahmen durchführen - von der Begrenzung der Zahl von Schiffen bzw. Passagieren über die Schaffung zusätzlicher Attraktionen und den Ausbau weiterer Häfen bis hin zur Besucherlenkung und zu einem professionellen Binnenmarketing. Von Gewerkschaften und Arbeitsorganisationen werden generell die harten Arbeits- und Lebensbedingungen der Crewmitglieder kritisiert (lange Arbeitszeiten, tarifrechtliche Unsicherheiten, Emotionsarbeit etc.). Neben einer multinationalen und multikulturellen Atmosphäre herrscht an Bord vieler Schiffe auch eine ethnische Segregation hinsichtlich der Tätigkeiten: In einfachen Positionen werden überwiegend Angestellte aus Ländern der Dritten Welt und osteuropäischen Transformationsländern beschäftigt, in leitenden Funktionen vor allem Mitarbeiter aus Industriestaaten. Allerdings ist mehreren Studien auch eine hohe Arbeitszufriedenheit ermittelt worden - nicht zuletzt aufgrund der besseren Bezahlung als in den Heimatländern, der Verknüpfung von Arbeit und Reisen sowie eines ausgeprägten Community-Gefühls. <?page no="187"?> Die Effekte von Kreuzfahrten 188 ⚓ Weiterführende Literaturtipps L ONDON , W. (2011): Economic risk in the cruise sector. - In: Études caribéennes, April, S. 1-22 ( www.etudescaribeennes.revues.org/ 5134 ) (DOI: 10.4000/ etudescaribeennes.5134) Welche wirtschaftlichen Risiken geht eine Region ein, wenn sie sich als Kreuzfahrtdestination positioniert? Am Beispiel Neuseelands erläutert die Autorin die spezifischen Gefahren und Herausforderungen, die in unterschiedlichen Angebotsbereichen bestehen (Routenplanung, Infrastruktur, Transport, lokale Wirtschaft, Abfallentsorgung). B USBY , G./ O’N EILL , J. (2013): Ports of call: in search of competitive advantage. - In: European Journal of Tourism, Hospitality and Recreation, 4/ 1, S. 123-160 Während die Home Ports (Ein- und Ausschiffungshäfen) bei der Routenplanung der Reedereien eine zentrale Rolle spielen, können die Stopover Ports (Ports of Call) relativ leicht gegen andere Hafenstädte ausgetauscht werden - mit entsprechend negativen Folgen für die lokale Wirtschaft. Der Beitrag zeigt auf, welche Voraussetzungen die Stopover Ports erfüllen müssen, um dauerhafte Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Destinationen zu erzielen. <?page no="188"?> 6 Die Perspektiven des Kreuzfahrtmarktes ⚓ Das Kapitel im Überblick In diesem Kapitel werden folgende Fragen beantwortet: Wie wird sich die Nachfrage auf dem internationalen Kreuzfahrtmarkt in Zukunft voraussichtlich entwickeln? Welche Herausforderungen müssen die Reedereien künftig bewältigen, um sich im touristischen Wettbewerb zu behaupten? Volle Kraft voraus! Mit diesem traditionellen Schifffahrtskommando scheinen die Kreuzfahrtreedereien in die Zukunft zu fahren: Trotz zahlreicher politischer und wirtschaftlicher Krisen konnte die Branche in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich steigende Passagierzahlen verzeichnen - und von Experten wird eine weitere Expansion des Marktes prognostiziert (→ Kap. 6.1). Obwohl die Zeichen also generell auf Wachstum stehen, handelt es sich beim internationalen Tourismus um einen äußerst dynamischen Markt, der durch zahlreiche politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Steuerungsfaktoren beeinflusst wird; dazu zählen u. a. (vgl. P UMPA 2012, S. 17): andere Wettbewerber (z. B. wasserbzw. landgebundene Tourismusunternehmen und Destinationen), demographischer Wandel (z. B. die Überalterung in westlichen Industrieländern), wirtschaftliches Wachstum (z. B. der Bedeutungsgewinn neuer Quellmärkte wie China und Indien), steigende Ansprüche und sich verändernde Werthaltungen der Konsumenten (z. B. die Sinnsuche sowie das wachsende Umwelt- und Sozialbewusstsein), politische Krisen (z. B. Terroranschläge, kriegerische Auseinandersetzungen), technische Entwicklungen (z. B. im Kommunikations- und Verkehrswesen). Die Kreuzfahrtreedereien müssen dieses Umfeld ständig beobachten, um mit entsprechenden Maßnahmen frühzeitig auf Veränderungen reagieren zu können und sich auf dem Markt zu behaupten (→ Kap. 6.2). <?page no="189"?> Die Perspektiven des Kreuzfahrtmarktes 190 6.1 Prognosen zur Entwicklung des Kreuzfahrtmarktes „Kiellegung und Produktionsstart: TUI Cruises weiter auf Expansionskurs“ - unter dieser Schlagzeile informierte die deutsche Reederei im Februar 2017 über die beiden Schiffsneubauten „Mein Schiff 1“ und „Mein Schiff 2“. Bei dieser Erfolgsmeldung handelt sich nicht um einen Einzelfall; vielmehr bestehen für die gesamte Kreuzfahrtbranche sehr positive Aussichten: Gegenwärtig verkehren ca. 300 Kreuzfahrtschiffe auf den Weltmeeren und bis zum Jahr 2026 sollen 80 Neubauten in Dienst gestellt werden (vgl. F RE - YER / J ANS 2016, S. 30; CLIA 2016a, S. 8). In naher Zukunft sollen Kreuzfahrtschiffe mit einer noch größeren Kapazität eingesetzt werden: Im Jahr 2022 will „MSC Cruises“ die beiden ersten Mega- Schiffe seiner „World Class“ in Betrieb nehmen, auf denen bis zu 6.850 Passagiere eine Seereise unternehmen können (der aktuelle Rekord der „Harmony of the Seas“ liegt bei 6.780 Gästen). Generell verfügt der Kreuzfahrttourismus über ein hohes Wachstumspotenzial, da sich die Marktpenetration in den USA erst auf ca. drei Prozent der Bevölkerung beläuft, in Deutschland auf ca. zwei Prozent und in Asien erst auf deutlich weniger als ein Prozent (vgl. R ODRIGUE / N OTTEBOOM 2013, S. 32). Darüber hinaus waren Kreuzfahrten in den vergangenen Jahrzehnten weniger krisenanfällig als andere touristische Marktsegmente: So ist die weltweite Nachfrage nach dieser Urlaubsform selbst durch die Terroranschläge auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001, die globale Finanzkrise in den Jahren 2008/ 2009 und die spektakuläre Havarie der „Costa Concordia“ im Jahr 2012 nicht negativ beeinflusst worden. Vor diesem Hintergrund sagen die gegenwärtig vorliegenden Prognosen generell eine weitere Expansion des globalen Kreuzfahrtmarktes voraus. Unterschiedliche Einschätzungen bestehen allenfalls hinsichtlich der internationalen und nationalen Entwicklungsdynamik: Einigen Untersuchungen zufolge wird die Zahl der Passagiere bereits bis zum Jahr 2025 auf 36,3 Millionen steigen. Andere Autoren sagen erst für das Jahr 2050 ein Nachfragevolumen von 38 Millionen Gästen voraus (vgl. C APPATO 2011, S. 59; S TOJANOVIĆ / P OLETAN J UGOVIĆ / J UGOVIĆ 2014, S. 47). Dabei gelten Europa und Asien als Zukunftsmärkte, während sich in den USA bereits eine Marktsättigung abzeichnet; dort ist die Kreuzfahrtbranche bereits eine „Maturing Industry“ (vgl. R OHR 2010, S. 42; W EEDEN / L ESTER / T HYNE 2011, S. 26). <?page no="190"?> Prognosen zur Entwicklung des Kreuzfahrtmarktes 191 Auch in Deutschland besteht noch ein erhebliches Marktpotenzial für Kreuzfahrten: Im Jahr 2016 haben mehr als zwei Millionen Bundesbürger einer Hochseereise unternommen; damit sind die Deutschen - vor den Briten - zum wiederholten Male die „Kreuzfahrt-Europameister“ (N ICOLAI 2015). Bis zum Beginn der 2030er-Jahre wird ein weiterer Anstieg der Passagierzahlen auf ca. fünf Millionen prognostiziert - unter der Voraussetzung, dass die Reedereien auch künftig über eine zeitgemäße Angebotspalette verfügen. Aus Sicht von Kunden, die generell Interesse an einer Kreuzfahrt haben, spielen folgende Entscheidungskriterien für die künftige Buchung eine zentrale Rolle: ein attraktives Paket aus Anreise, Transfers und Kreuzfahrt, eine abwechslungsreiche Reiseroute, umfassende All-Inclusive-Leistungen sowie ein günstiger Preis (vgl. P APATHA - NASSIS 2011, S. 8; Statista 2016; DRV 2017a, S. 48). Während die Prognosen zur Gesamtentwicklung des internationalen Kreuzfahrtmarktes also überaus positiv sind, ist es erheblich schwieriger, verlässliche Aussagen zur künftigen Bedeutung einzelner Zielgebiete zu treffen - wie das Beispiel des östlichen Mittelmeerraumes und des Schwarzen Meeres deutlich macht (vgl. I LCHEVA / Z HECHEV 2010, S. 17-18; B AGIS / D OOMS 2014, S. 14; Y AŞAR 2012, S. 437; T UTA / M ICU 2015, S. 5; D EMIR / D AVRAS / U ZUN 2016, S. 5616): Noch im Jahr 2014 kam eine vergleichende Analyse zu dem Ergebnis, dass die türkische Hafenstadt Istanbul - bislang nur ein Stopover Port - über ein hervorragendes Potenzial als Home Port und neues Drehkreuz (Hub) im mediterranen Kreuzfahrttourismus verfügt. Als wesentlicher Gunstfaktor wurde vor allem ihre geographische Lage am Bosporus betrachtet - und damit an der Schnittstelle expandierender Staaten in Mittel- und Osteuropa sowie im Nahen Osten. Zu diesem Zeitpunkt galt speziell das Schwarze Meer mit den Anrainerländern Rumänien, Bulgarien, Russland, Georgien und der Türkei als zukunftsträchtiges Kreuzfahrtrevier. Allerdings haben die jüngeren politischen Entwicklungen gezeigt, dass diese Einschätzung - zumindest kurz- und mittelfristig - revidiert werden muss. Durch die russische Annexion der Krim (Ukraine), die innenpolitischen Auseinandersetzungen und Terroranschläge in der Türkei sowie den Krieg in Syrien hat sich die Sicherheitslage im östlichen Mittelmeer zunehmend verschlechtert. Vor diesem Hintergrund haben viele Reedereien Hafenstädte in der Türkei und am Schwarzen Meer aus ihrem Programm gestrichen (→ Abb. 56). <?page no="191"?> Die Perspektiven des Kreuzfahrtmarktes 192 Abb. 56: „Es wurden leider keine Angebote zu Ihrer Suchanfrage gefunden“ - diese Auskunft erhalten Urlauber, wenn sie im Internet eine Kreuzfahrt im Schwarzen Meer buchen wollen. Seit der Krim-Krise werden die Hafenstädte in der Ukraine kaum noch angelaufen: Während Odessa im Jahr 2013 die Ankunft von 106 Kreuzfahrtschiffen verzeichnen konnte, waren es im Jahr 2016 nur noch vier. 6.2 Herausforderungen im Marketing und Management von Kreuzfahrten „Es ist nicht unsere Aufgabe, die Zukunft vorauszusagen, sondern auf sie gut vorbereitet zu sein“ - dieser Satz des athenischen Staatsmannes Perikles (494- 429 v. Chr.) gilt in einem übertragenen Sinne auch für die Kreuzfahrtreedereien: Aus ihrer Sicht sind die Prognosen zur künftigen Entwicklung des Marktes zwar interessante Einschätzungen von Wissenschaftlern, doch erst durch konsequentes unternehmerisches Handeln können die ermittelten Nachfragepotenziale tatsächlich aktiviert werden. <?page no="192"?> Herausforderungen im Marketing und Management 193 Dabei stehen die Unternehmen vor der Herausforderung, sich durch professionelle Marketing- und Management-Maßnahmen gegenüber den touristischen Wettbewerbern abzugrenzen und durchzusetzen. Angesichts der öffentlichen Diskussion über die negativen ökologischen und sozialen Effekte des Kreuzfahrttourismus müssen sie aber auch ihrer Verantwortung für Passagiere, Crewmitglieder, Umwelt und Gesellschaft gerecht werden. Vor diesem Hintergrund zeichnen sich drei wichtige künftige Handlungsfelder ab: Innovationsfähigkeit: Sicherung von Alleinstellungsmerkmalen (Unique Selling Propositions) durch die Konzeption neuer Produkte für unterschiedliche Zielgruppen (→ Kap. 6.2.1); Nachhaltigkeit: Reduzierung der ökologischen und soziokulturellen Belastungen durch Umweltschutzmaßnahmen und Kooperation mit den Zielgebieten (→ Kap. 6.2.2); Sicherheit: Minimierung von Risiken durch aktive Krisenprävention - z. B. durch Vorsorgemaßnahmen hinsichtlich technischer und medizinischer Probleme, Kollisionen und Unfällen, krimineller Vorfälle und Terroranschläge etc. (→ Kap. 6.2.3). 6.2.1 Innovationsfähigkeit Anspruchsvoll und zugleich preissensibel, markenorientiert und zugleich individualistisch, bequem und zugleich spontan - die Urlauber des 21. Jahrhunderts weisen recht widersprüchliche Merkmale auf; deshalb werden sie auch häufig als „hybride“ Konsumenten bezeichnet. Aufgrund ihrer breiten (internationalen) Reiseerfahrung, aber auch des großen Angebots an Destinationen, Unterkünften sowie Besucherattraktionen treten sie als souveräne und fordernde Nachfrager auf (vgl. S TEINECKE / H ERNTREI 2017, S. 42-43). Wie alle anderen Akteure der Tourismusbranche stehen auch die Reedereien zunächst vor der Herausforderung, neue Kunden für ihr Produkt zu gewinnen. In einem weiteren Schritt müssen sie den Passagieren eine qualitativ hochwertige Leistung bieten, um sie möglichst als Stammkunden an das Unternehmen zu binden. Dazu ist es aber auch erforderlich, das Angebot durch innovative Produkte ständig weiterzuentwickeln und rechtzeitig auf die steigenden Erwartungen der Kreuzfahrttouristen zu reagieren - vor allem auf den Wunsch nach neuen Eindrücken und ungewöhnlichen Erfahrungen (vgl. W EEDEN / L ESTER / T HYNE 2011, S. 26). <?page no="193"?> Die Perspektiven des Kreuzfahrtmarktes 194 Abb. 57: Merry Christmas auf hoher See - mit Eventkreuzfahrten zu speziellen Anlässen wie Weihnachten, Silvester, Valentinstag, Muttertag etc. versuchen die Reedereien, neue Kunden zu gewinnen bzw. erfahrenen Passagieren immer wieder attraktive Reiseanlässe zu bieten. Auf den Schiffen der „Disney Cruise Line“ treten dabei populäre Comicfiguren wie Mickey und Minnie im Rahmen des festlichen Entertainment-Programms auf. Eine solche Differenzierung des Produktspektrums hat bereits in den vergangenen Jahren stattgefunden - speziell in Form von Themenkreuzfahrten (Golf-, Garten-, Wein-, Gourmetbzw. Musikkreuzfahrten etc.) bzw. Eventkreuzfahrten zu bestimmten Anlässen wie Weihnachten, Silvester, Halloween, Valentinstag, Muttertag etc. (→ Abb. 57). <?page no="194"?> Herausforderungen im Marketing und Management 195 In Einzelfällen beschränkt sich die Thematisierung dabei nicht auf das Programm der Kreuzfahrten, sondern umfasst das gesamte Design der Schiffe - speziell die Innendekoration und das Mobiliar (wie in Themenhotels). Zu den eindrucksvollen Beispielen zählt die „Pride of America“ der „Norwegian Cruise Line“, auf der mit Hilfe dieser Inszenierungstechniken zahlreiche thematische „Welten“ kreiert werden. Das Hauptatrium ist im Stil des Kapitols und des Weißen Hauses in Washington, D. C. gestaltet. In Restaurants, Bars etc. wird den Passagieren die Illusion vermittelt, andere ikonenartige Orte der USA zu besuchen - z. B. das kalifornische Napa Valley, die Skyline von New York, den Waikiki Beach auf Hawaii und das Landgut Monticello des Präsidenten Thomas Jefferson in Virginia (vgl. W EAVER 2011, S. 55). Solche Themenbzw. Eventkreuzfahrten werden nach Einschätzung von Experten in Zukunft noch an Bedeutung gewinnen, da sie den Reedereien mehrere Vorteile bieten; dazu zählen u. a. (vgl. W EAVER 2011, S. 56-57; K IZIELEWICZ 2013a, S. 30-31; D EYHLE 2017, S. 189-193): die Schaffung von klaren Alleinstellungsmerkmalen (Unique Selling Propositions) - und damit von Wettbewerbsvorteilen gegenüber anderen Anbietern mit Standardprodukten; die gezielte Ansprache neuer, kaufkräftiger Zielgruppen und speziell von Communities (Neo-tribes) - also von informellen Gruppen, deren Mitglieder gemeinsame Freizeitbzw. Konsuminteressen haben (Musik, Hobbys, Sport etc.), intensiv über die sozialen Medien miteinander kommunizieren und sich zu bestimmten Anlässen treffen (Konzerte, Veranstaltungen, Messen etc.); die Ausweitung der Reisesaison, da wetterunabhängige Indoor-Angebote bei Themenkreuzfahrten eine größere Rolle spielen als bei klassischen Kreuzfahrten (Vorträge, Vorführungen, Verkostungen, Präsentationen, Wettbewerbe etc.). Darüber hinaus scheint die bisher verfolgte Erlebnisstrategie (mit immer schrilleren Unterhaltungs- und Freizeiteinrichtungen an Bord) nicht bei allen Konsumenten auf Akzeptanz zu stoßen. Zumindest ein Teil des Reisepublikums sucht nach wie vor die authentische Erfahrung einer Seereise - mit dem weiten Meerblick, der wogenden See, dem Sonnenaufgang und -untergang am Horizont sowie dem endlosen Sternenhimmel. Zu diesem Ergebnis kam eine umfassende Auswertung von Posts auf der populären „Cruise Critic“-Website. Dort fand sich u. a. folgender Eintrag: „Bigger does not mean better. I prefer smaller on a cruise. Have no use for a rock climbing wall, skating rink, surfing, boxing, etc. ... I have no problem entertaining myself“ (vgl. K WORTNIK 2008, S. 300). <?page no="195"?> Die Perspektiven des Kreuzfahrtmarktes 196 ⚓ Beispiel │ Slow Cruises als Reaktion auf den gesellschaftlichen Wertewandel Einen „Genuss des Reisens im langsameren Rhythmus“ verspricht die Kreuzfahrtreederei „Costa Crociere“ ihren Gästen. Zu den Merkmalen dieser Slow Cruises gehören u. a. das Anlaufen kleiner Häfen, längere Liegezeiten in den Stopover Ports (und damit auch mehr Zeit für individuelle bzw. gemeinsame Erkundungen), flexible Essenszeiten sowie eine freie Sitzplatzwahl in den Restaurants. Der Begriff und das Konzept orientieren sich an der Slow Food-Bewegung, die im Jahr 1989 von Carlo Petrini gegründet wurde. Unter dem Motto „Gut, sauber, fair“ setzte er sich dafür ein, dass Lebensmittel nahrhaft und wohlschmeckend sein sollen sowie auf nachhaltige Weise produziert und zu angemessenen Preisen vertrieben werden. Seit 2004 verfügt diese Initiative, die weltweit ca. 80.000 Mitglieder hat, sogar über ein eigenes wissenschaftliches Zentrum - die „Università degli Studi di Scienze Gastronomiche“ im norditalienischen Pollenzo. Bei der Durchführung ihrer Slow Cruises arbeitet die Reederei „Costa Crociere“ mit Experten der Hochschule zusammen: An Bord der Kreuzfahrtschiffe finden z. B. Verkostungen lokaler Produkte statt (Wein, Olivenöl etc.) und in den Restaurants werden neben anspruchsvollen internationalen Menüs auch einfache regionaltypische Gerichte serviert. Während der Landausflüge, die in kleinen Gruppen organisiert werden, steht u. a. ein Besuch traditioneller Bars und Gasthäuser auf dem Programm (vgl. S TUTE 2012; S CHLOEMER 2014). Mit ihren Slow Cruises hat das Unternehmen auf einen generellen Wertewandel reagiert, dessen Konsequenzen auch in anderen Bereichen der Tourismusbranche und der Gesellschaft zu beobachten sind: Unter dem Oberbegriff Slow Tourism werden unterschiedliche Urlaubsarten subsumiert, die durch Muße, Genuss, Sinnsuche, Naturnähe und Nachhaltigkeit gekennzeichnet werden - z. B. Wandern, Gastro- und Gartentourismus, Meditationskurse, Urlaub in Klöstern etc. (vgl. L EDER 2007; A NTZ / E ILZER / E ISENSTEIN 2011). Nach dem Vorbild der Slow Food-Bewegung haben sich weltweit zahlreiche Kleinstädte zum Cittàslow-Netzwerk zusammengeschlossen. Diese Initiative setzt sich dafür eine, die urbane Lebens- und Umweltqualität zu erhalten sowie die kulturelle Vielfalt zu bewahren. <?page no="196"?> Herausforderungen im Marketing und Management 197 Neben der Konzeption neuer Produkte werden außerdem technologische Innovationen eine immer größere Bedeutung erlangen; auch in diesem Bereich hat die Zukunft bereits begonnen (vgl. K AMERY 2004, S. 148): Auf den Schiffen der „AIDA Cruises“ sind seit 2012 die Serviceroboter „Pepper“ im Einsatz: Sie sollen den Passagieren beim Check-in helfen und ihnen Veranstaltungssowie Ausflugstipps geben. Die 1,20 Meter großen Plastikgestalten verfügen über 17 Gelenke und bewegen sich auf drei Laufrädern. Über einen berührungsempfindlichen Bildschirm können die Passagiere mit den futuristisch erscheinenden Elektrowesen kommunizieren. Die Roboter geben Auskünfte in drei Sprachen; über eine 3D-Kamera im Kopf sind sie angeblich auch in der Lage, wichtige menschliche Emotionen zu registrieren (vgl. K OTOWSKI 2015; → Abb. 58). Abb. 58: Allzeit bereit! Um die hohen Personalkosten zu reduzieren, setzen bereits mehrere Reedereien solche Serviceroboter ein. Die intelligenten Plastikdroiden können sich geschickt bewegen und Auskünfte in mehreren Sprachen geben - außerdem werden sie nicht seekrank und erwarten kein Trinkgeld. Im Jahr 2017 hat der Reedereikonzern „Carnival Corporation“ an Bord der „Regal Princess“ die elektronische Gästekarte „Ocean Medaillon“ eingeführt, die als Arm- oder Halsband bzw. in der Hosentasche getragen werden kann. Mit ihrer Hilfe lässt sich die Kabinentür automatisch öffnen; außerdem können die Passagiere mit der Karte Einkäufe tätigen, in den Casinos spielen sowie Familienangehörige und Freunde an Bord lokalisieren. Durch den Einsatz zahlreicher Detektoren ist die Reederei in der Lage, alle Bewegungen und Aktivitäten der Gäste an Bord zu registrieren: So können die Crewmitglieder z. B. die Daten und Porträtfotos der Passagiere auf Tablets abrufen, um sie persönlich anzusprechen und ihnen an jeder beliebigen Stelle vorab bestellte Drinks zu servieren (vgl. F INANCIAL T IMES vom 06.01.2017). <?page no="197"?> Die Perspektiven des Kreuzfahrtmarktes 198 Darüber hinaus sind bereits umfassendere Visionen für die Zukunft des Kreuzfahrttourismus entwickelt worden: Dazu zählen z. B. luxuriös ausgestattete Residenzen auf See: Als Vorreiter dieser Entwicklung gilt das Kreuzfahrtschiff „The World“, das über 165 großzügige Studios und Wohnungen sowie diverse Freizeiteinrichtungen verfügt. Angesichts der geringen Zahl von Passagieren und der hohen Personalsowie Betriebskosten beläuft sich allein das jährliche Wohngeld für ein Dreizimmer-Appartement auf ca. 150.000 US-Dollar; außerdem wird eine Verpflegungspauschale von 24.000 US-Dollar erhoben. Um überhaupt eine der exklusiven Wohnungen erwerben zu können, müssen die Interessenten deshalb ein Vermögen in Höhe von mindestens zehn Millionen US-Dollar nachweisen. Diese „schwimmende Eigentumswohnanlage“ befährt seit 2002 die Weltmeere und legt während ihrer Reise jeweils für 270 Tage in Häfen an (vgl. B UONO 2009; S MITH / B ÜNGER 2015). Vom schwedischen Designer Frederic Johansson stammt der Entwurf für die „Mutter aller Schiffe“ - ein gigantisches Mega-Schiff, das 8.000 Passagieren und 4.000 Crewmitgliedern Platz bietet. Diese „Kreuzung eines Raumschiffs mit einem überdimensionalen Hochgeschwindigkeitszug“ soll von den Gästen als mobiler Ausgangspunkt für Ausflüge in Städte und auf Inseln dienen, die mit einer Flotte von kleineren Yachten und Wasserflugzeugen unternommen werden (vgl. S CHLOEMER 2015). 6.2.2 Nachhaltigkeit „Die Kreuzfahrtreeder und ihre Geschäftsmodelle leben von intakter Natur, sauberem Wasser und reiner Luft. Sie selbst tragen jedoch wenig dazu bei, dass diese Naturkulisse bestehen bleibt“ - aus Sicht von Umweltorganisationen wie dem „Naturschutzbund Deutschland“ (NABU) verstößt die Kreuzfahrtindustrie mit ihrer kurzsichtigen und rücksichtslosen Nutzung natürlicher Ressourcen gegen die Grundprinzipien der Nachhaltigkeit (Sustainability) (→ Abb. 59). Darunter wird eine langfristige Entwicklung verstanden, bei der die gegenwärtigen Bedürfnisse von Menschen befriedigt werden, ohne die Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten künftiger Generationen einzuschränken. Im Mittelpunkt dieser angestrebten „Enkeltauglichkeit“ stehen dabei (vgl. G RASS 2013): eine behutsame Nutzung ökologischer und kultureller Ressourcen, eine umfassende Mehrung des materiellen Wohlstands, eine gerechte Teilhabe aller gesellschaftlichen Gruppen an der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung. <?page no="198"?> Herausforderungen im Marketing und Management 199 Abb. 59: „Mir stinkt’s! Kreuzfahrtschiff sauber machen! “ - unter diesem Motto führt der „Naturschutzbund Deutschland“ (NABU) seit mehreren Jahren eine Informations- und Aufklärungskampagne durch, um die bundesdeutsche Öffentlichkeit auf die Umweltbelastungen durch Kreuzfahrtschiffe aufmerksam zu machen. Diese generellen Ziele internationalen Handelns wurden im „Brundtland-Bericht“ formuliert, den die „Weltkommission für Umwelt und Entwicklung“ im Jahr 1987 veröffentlichte (benannt nach der damaligen Kommissionsvorsitzenden - der ehemaligen norwegischen Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland). Ein wichtiger politischer Schritt bei der Umsetzung des Nachhaltigkeits-Konzepts war die Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung (UNCED) in Rio de Janeiro, auf der im Jahr 1992 die „Agenda 21“ beschlossen wurde (vgl. S TEINECKE / H ERNTREI 2017, S. 152-154). Die Kreuzfahrtreedereien haben sich zunächst recht zögerlich mit den Zielen einer nachhaltigen Entwicklung auseinandergesetzt: Noch zu Beginn des 21. Jahrhundert kam J OHNSON (2002, S. 263) zu der Einschätzung, „no holistic sustainability assessment has been attempted“. Sie konnten lange Zeit eine nicht-nachhaltige, ausschließlich wachstumsorientierte Geschäftspolitik verfolgen, da auch ihre Kunden ein niedriges Umweltbewusstsein aufwiesen. So sind mehrere Untersuchungen zu dem Ergebnis gekommen, dass die Umweltorientierung der Reederei bzw. des Schiffes bei der Reiseentscheidung der Passagiere nur eine geringe Rolle spielt. Viel wichtiger sind die persönliche Sicherheit, der Preis, die <?page no="199"?> Die Perspektiven des Kreuzfahrtmarktes 200 Route, die Verpflegung, das Angebot an Landausflügen (mit möglichst wenigen Teilnehmern), das Interesse an anderen Ländern und die Möglichkeit, landestypische Produkte kaufen zu können (vgl. D IEDRICH 2010, S. 241; A DAMS 2014, S. 35; R ASMUSSEN 2014, S. 48; A CKERMAN 2015, S. 55; H AN / L EE / H WANG 2016 zu Werten und Einstellungen umweltorientierter Kreuzfahrttouristen). Darüber hinaus haben sich auch die Verantwortlichen in den Destinationen (Lokalpolitiker, Vertreter von Hafenbehörden, Akteure der Tourismusbranche etc.) lange Zeit nicht konsequent für eine nachhaltige Entwicklung des Tourismus eingesetzt. Sie betrachteten den Kreuzfahrtourismus ausschließlich unter ökonomischen Gesichtspunkten - als lukratives Geschäftsfeld, mit dem zusätzliche (Devisen-)Einnahmen erzielt werden können. Eine solche eingeschränkte Perspektive hatte zur Folge, dass die potenziellen Belastungen von Umwelt, Kultur und Gesellschaft nicht angemessen antizipiert wurden. In der Regel verfügen die Zielgebiete z. B. nicht über ein professionelles Besuchermanagement-Konzept, mit dem der massenhafte Ansturm der Kreuzfahrtpassagiere in geordnete Bahnen gelenkt werden kann (vgl. B RIDA / Z APATA 2010, S. 224). Generell besteht bei den Reedereien jedoch - angesichts zu befürchtender Imageschäden - „ein großes, originäres Interesse daran ..., keinesfalls mit Problemen der kreuzfahrtbedingten Umweltbelastung in Verbindung gebracht zu werden“ (R OHR 2010, S. 39). Vor diesem Hintergrund haben sie in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche kommunikationspolitische Maßnahmen durchgeführt. Aus Sicht von Kritikern wurde die mediale Präsenz von der Branche vor allem dazu genutzt, die - durchaus problematischen - Geschäftspraktiken zu legitimieren, die bestehende Kritik zu entschärfen und die öffentliche Meinung in ihrem Sinne zu beeinflussen (vgl. K LEIN 2007): So hat der Reedereikonzern „Royal Caribbean Cruises“ im Jahr 1996 den „Ocean Fund“ gegründet und finanzielle Mittel bereitgestellt, um die Arbeit von marinen Umweltschutzorganisationen zu unterstützen. Ironischerweise liefen zu diesem Zeitpunkt mehrere Gerichtsverfahren gegen das Unternehmen wegen gravierender Verstöße gegen Meeresschutzbestimmungen. Außerdem wurden u. a. auch Projekte in Hafenstädten gefördert, in denen es eine wachsende Kritik am expandierenden Kreuzfahrttourismus gab (z. B. Key West/ Florida) (→ Kap. 5.3.1). Das Tochterunternehmen „Royal Caribbean International“ veranstaltete zu Beginn des 21. Jahrhunderts die beiden Wettbewerbe „Environmental Ship of the Year“ und „Best Environmental Innovation of the Year“. Da sie jedoch nur unternehmensintern und nicht für die gesamte Kreuzfahrtbranche ausgeschrieben wurden, ging es nicht um ein internationales Benchmarking und eine objektive Information der Konsumenten, sondern nur um die medienwirksame Auszeichnung von Schiffen der eigenen Flotte. <?page no="200"?> Herausforderungen im Marketing und Management 201 Ein Beleg für die niedrigen Umweltstandards der Branche ist die Tatsache, dass in Deutschland bislang noch kein Kreuzfahrtschiff mit dem bekannten Gütezeichen „Blauer Engel“ für besonders umweltschonende Produkte und Dienstleistungen ausgezeichnet worden ist ( www.umweltbundesamt.de ). Erst angesichts eines allgemein steigenden Umweltbewusstseins und eines zunehmenden Drucks von Umweltschutzorganisationen sind inzwischen technische Maßnahmen im Bereich des Umweltschutzes umgesetzt worden; dazu zählen u. a. (vgl. S TUART 2015; P ALOTI / P OMA 2017; P UMPA 2012, S. 79-90; H ALL / W OOD / W ILSON 2017 zu detaillierten Übersichten der Umweltschutzmaßnahmen einzelner Reedereien): Einrichtung von Landstromanschlüssen (Cold Ironing/ Shore Power): Um den Bordbetrieb aufrecht zu erhalten, müssen die Kreuzfahrtschiffe ihre Dieselaggregate auch während des Aufenthalts in den Hafenstädten laufen lassen (mit entsprechend hohen Emissionen von Schadstoffen). In Juneau (Alaska) wurde im Jahr 2001 erstmalig eine landgebundene Stromversorgung von Kreuzfahrtschiffen installiert; seitdem sind einige Häfen diesem Beispiel gefolgt - in Europa u. a. Göteborg, Venedig, Barcelona, La Spezia, Civitavecchia und Hamburg. Gegenwärtig verfügen nur wenige Kreuzfahrtschiffe über einen Landstromanschluss - u. a. die „AIDAsol“, die „Norwegian Star“, die „Sea Princess“. Von den mehr als 100 Schiffen der „Carnival Corporation“ waren im Jahr 2015 z. B. erst 26 mit dieser Technik ausgestattet. Erst seit kurzem gibt es eine weltweite Standardisierung der Landanschlüsse bzw. bordseitigen Vorrichtungen. Darüber hinaus sind die Investitionen sowohl an Bord wie auch an Land enorm hoch und die Reduzierung der Emissionen - bezogen auf die gesamte Dauer der Kreuzfahrt - vergleichsweise gering. Um die Gesamtumweltbilanz zu verbessern, muss außerdem sichergestellt sein, dass der Strom aus erneuerbaren Energiequellen stammt (im Mittelmeerraum kommt z. B. ein großer Teil noch aus Kohlekraftwerken mit einer schlechten Umweltbilanz). Eine umweltfreundliche, flexible und relativ kostengünstige Energieversorgung kann in den Häfen auch über eine Power Barge erfolgen - ein schwimmendes kleines Kraftwerk, das mit Liquified Natural Gas (LNG) betrieben wird (vgl. R ODRI- GUE / N OTTEBOOM 2013, S. 36; N EUMEIER 2015). Einbau von Katalysatoren und Rußpartikelfiltern: Durch diese Systeme, die bei Lkw, Pkw und Bussen seit langem eingesetzt werden, kann der Ausstoß von Stickoxiden (NO x ) sowie Feinstaub und Rußpartikeln um bis zu 90 Prozent vermindert werden (dabei handelt es sich um besonders gesundheits- und umweltschädliche Emissionen). Messungen haben ergeben, dass Kreuzfahrtschiffe täglich bis zu mehrere Hundert Kilo Feinstaub ausstoßen, der speziell während der Liegezeiten in den Häfen zu gesundheitli- <?page no="201"?> Die Perspektiven des Kreuzfahrtmarktes 202 chen Risiken der Bevölkerung führt (Asthma, Herzinfarkt etc.). Im Gegensatz zu Straßenfahrzeugen liegen für Hochsee- und Binnenschiffe bislang noch keine Emissionsgrenzwerte vor. Aus Kostengründen werden solche Reinigungssysteme gegenwärtig auf wenigen Kreuzfahrtschiffen eingesetzt: Von 40 Schiffen des Konzerns „Royal Caribbean Cruises“ verfügten im Jahr 2016 nur zwölf über diese Technik (vgl. H AGMANN / L INGEN - FELSER / M ADER 2016). Einbau von Scrubbern: Dabei handelt es sich um Abgasreinigungssysteme, mit deren Hilfe die Schwefelemissionen um ca. 90 Prozent reduziert werden können und der Ausstoß von Feinstaub sowie Ruß um ca. 80 Prozent. Der zulässige Grenzwert für Schwefeloxide wurde im Überseeverkehr von 5 Prozent auf 3,5 Prozent gesenkt, ab 2020 soll er auf 0,5 sinken (in der Nord- und Ostsee gilt bereits ein Grenzwert von 0,1 Prozent). Die Kosten für den Einbau von Scrubbern belaufen sich durchschnittlich auf eine Million Euro - also ca. 0,2 Prozent der Baukosten eines modernen Kreuzfahrtschiffes (vgl. C APPATO 2011, S. 56). Durch die Scrubber können die Reedereien weiterhin das preiswerte Schweröl (Heavy Fuel Oil/ HFO) statt des teureren schwefelarmen Marinedieselöls (MDO) als Treibstoff nutzen (im Jahr 2016 kostete eine Tonne Schweröl ca. 300 US-Dollar, eine Tonne Marinedieselöl jedoch ca. 500 US-Dollar; vgl. W EBER 2016). Damit bestehen potenzielle Umweltrisiken im Fall einer Havarie. Außerdem befürchtet der „Naturschutzbund Deutschland“ (NABU), dass die (mit Hilfe der Scubber herausgewaschenen) „Schadstoffe, die bisher in die Luft geblasen wurden, nun ins Meer eingeleitet werden“ (NABU Pressedienst vom 13.03.2015). Luftschmierung von Schiffen: Das patentierte „Mitsubishi Air Lubrication System“ (MALS) trägt dazu bei, den Reibungswiderstand während der Fahrt zu reduzieren. Mit hohem Druck werden kleine Luftblasen erzeugt und unter den Rumpf geleitet, sodass das Schiff relativ reibungsarm durch das Wasser gleitet. Mit Hilfe dieser Technik kann der Treibstoffverbrauch um fünf bis sieben Prozent gesenkt werden - und damit auch der Ausstoß von Schadstoffen. Inzwischen sind mehrere Kreuzfahrtschiffe mit dieser Technik ausgestatten worden - z. B. die „Harmony of the Seas“ sowie die „AIDAprima“ und die „AIDAperla“. Ähnliche Effekte werden auch durch ein neues Rumpfdesign erzielt - z. B. einen torpedoförmigen Wulstbug bzw. einen senkrechten Vordersteven ( www.schiffsjournal.de vom 09.07.2012). <?page no="202"?> Herausforderungen im Marketing und Management 203 ⚓ Beispiel │ Reduzierung der Emissionen durch Nutzung von Flüssiggas - die „AIDAprima“ „Wenn Chefingenieur Eckbert Schuster in den Tiefen der „Prima“ die schwere Tür einer Luftschleuse aufstemmt, betritt er einen Raum mit Unterdruck - und einen Raum, der eine emissionsfreie Zukunft der Kreuzschifffahrt verheißt. Eine, in der Schwefeloxide und Rußpartikel nicht mehr aus dem Schornstein quellen und Häfen, Küsten und Meere verschmutzen. Der 57-Jährige aus Rostock, Brille, weißer Overall, steht zwischen gelb gestrichenen Rohren. Die grelle Farbe signalisiert, dass hier LNG (Liquified Natural Gas) durchfließt, das als der umweltfreundlichste fossile Brennstoff gilt. Das Erdgas wird hier vom flüssigen Aggregatzustand in den gasförmigen umgewandelt ... und dann in den Dual-Fuel-Motoren verbrannt. Die „AIDA Prima“ ist damit das erste Kreuzfahrtschiff weltweit, das - neben Schweröl und Marinediesel - auch LNG nutzen kann. Dies allerdings nur während des Hotelbetriebs im Hafen: Am Kai werden Tank-Lkw das Flüssigerdgas über Schläuche in den Bauch der „AIDA Prima“ pumpen. Sie schippert daher auf ihrer künftigen Route durch die Nordsee nach wie vor unter Marinediesel, wie von den Behörden vorgeschrieben. Doch selbst wenn das billigere, aber giftigere Schweröl zum Einsatz käme: Das Schiff könnte dann seine Abgase von einem Großteil der schädlichen Emissionen säubern - mit Hilfe eines neuartigen Filterkatalysatorsystems. Erst die beiden für 2019 und 2020 bei der Papenburger Meyer Werft bestellten Schiffe 13 und 14 sollen LNG-Tanks an Bord bekommen - dann werden auch während der Fahrt Schwefeloxide und Rußpartikeln gar nicht mehr und Stickoxide um 80 Prozent weniger ausgestoßen“ (B LINDA 2016). Trotz solcher „Best Practice“-Beispiele verweisen Kritiker darauf, dass die Reedereien im Bereich der Nachhaltigkeit keineswegs eine Vorreiterrolle einnehmen, sondern allenfalls auf neue gesetzliche Regelungen bzw. den großen öffentlichen Druck reagieren. Hingegen gibt es in anderen Wirtschaftsbereichen zahlreiche Konzerne, die freiwillig eine Verantwortung für die ökologischen und gesellschaftlichen Folgen ihrer Geschäftstätigkeit übernehmen - indem sie z. B. die Interessen der unterschiedlichen Stakeholder adäquat berücksichtigen (Kunden, Mitarbeiter, Lieferanten, Bevölkerung, Umweltschutzgruppen etc.). In der Kreuzfahrtbranche wird dieses Konzept einer Corporate Social Responsibility (CSR) erst von weni- <?page no="203"?> Die Perspektiven des Kreuzfahrtmarktes 204 gen Reedereien und zumeist auch nur partiell umgesetzt (vgl. K LEIN 2011, S. 114; H ALL / W OOD / W ILSON 2017): So kam eine empirische Studie im Jahr 2014 zu dem Ergebnis, dass ca. zwei Drittel der untersuchten Reedereien weder einen Corporate Social Responsibility-Report herausgeben noch auf ihrer Website umfassend über entsprechende Aktivitäten berichten (vgl. B ONILLA -P RIEGO / F ONT / P ACHECO - O LIVARES 2014). Selbst Unternehmen, die auf ihre Umweltschutzmaßnahmen verweisen, nutzen diese Informationen vor allem, um ihr touristisches Image und ihre öffentliche Reputation zu verbessern. Bislang hat noch kein grundsätzliches Umdenken stattgefunden - hin zu einer Bewahrung der begrenzten natürlichen Ressourcen und zu einem größeren Nutzen für die Zielgebiete. Stattdessen verfolgen die Reedereien mit ihren Geschäftsmodellen weiterhin klassische Wachstumsziele wie eine Steigerung der Marktanteile, des Umsatzes und der Rendite (vgl. J ONES / H ILLIER / C OMFORT 2016). Darüber hinaus wird die unzureichende Transparenz des branchenbzw. unternehmensinternen Umweltmanagements bemängelt. In den Medien stellen die Reedereien häufig die innovative Umweltorientierung eines Schiffes heraus (das als positives und spektakuläres Beispiel dient), während die zeitgemäßen Standards vom überwiegenden Teil der Flotte noch nicht erfüllt werden. Vor diesem Hintergrund wurde die Informationspolitik der 16 wichtigsten Unternehmen von der internationalen Umweltschutzorganisation „Friends of the Earth International“ (FoE) im Jahr 2014 durchgängig mit der schlechtesten Note „nicht akzeptabel“ bewertet ( www.foe.org/ cruise-report-card ). Schließlich plädieren Experten dafür, die Nachhaltigkeit des Kreuzfahrttourismus konsequent aus Sicht der Destinationen zu bewerten; dabei müssen folgende Fragen beantwortet werden: Welche dauerhaften ökologischen Belastungen lösen die Kreuzfahrten in den Zielgebieten aus? Inwieweit trägt der Kreuzfahrttourismus dazu bei, die wirtschaftliche Lage der örtlichen Bevölkerung insgesamt zu verbessern - und nicht nur den Wohlstand der lokalen Eliten zu mehren? Welche Folgen hat diese Urlaubsart auf den Alltag und die Lebensqualität der Einheimischen (speziell im Vergleich zu landgebundenen Formen des Tourismus)? <?page no="204"?> Herausforderungen im Marketing und Management 205 6.2.3 Sicherheit „Sechs Jahre Knast für jedes Opfer“ - unter dieser Schlagzeile berichtete die „Bild“-Zeitung im Februar 2015 über das Urteil für Kapitän Francesco Schettino, der das Kreuzfahrtschiff „Costa Concordia“ drei Jahre zuvor durch ein falsches Manöver auf einen Felsen vor der italienischen Insel Giglio gesteuert hatte; bei der Havarie waren 32 Passagiere getötet worden. Der schwere Unfall, die langwierigen Bergungsarbeiten und schließlich der Prozess gegen den „Kapitän Feigling“ lösten weltweit eine breite Berichterstattung in den Massenmedien aus (→ Abb. 60). Abb. 60: Das traurige Ende einer Kreuzfahrt - im Januar 2012 rammte die „Costa Concordia“ einen Felsen vor der italienischen Insel Giglio. Weltweit berichteten die Medien über das dramatische Unglück, die aufwändigen Bergungsarbeiten und den Gerichtsprozess gegen den Kapitän. Dennoch wurde das generelle Vertrauen der Kunden in die Sicherheit von Kreuzfahrtschiffen nicht grundsätzlich und dauerhaft erschüttert. Gleichzeitig gilt das Unglück der „Costa Concordia“ als Beispiel für ein misslungenes Krisenmanagement - speziell auch im Umgang mit der Öffentlichkeit (vgl. J ANS 2012, S. 1): <?page no="205"?> Die Perspektiven des Kreuzfahrtmarktes 206 Zunächst wurde der Zusammenstoß mit dem Felsen vom Kapitän und der Reederei ignoriert, das Ausmaß der Schäden falsch eingeschätzt und das Problem verdrängt. In der zweiten Phase versuchten die Verantwortlichen, das Unglück gegenüber den Passagieren und Behörden zu vertuschen - in der Hoffnung, dass das Schiff noch den nächsten Hafen erreichen könnte. Im Weiteren wurden unkoordinierte und panische Versuche zur Evakuierung und Rettung der Passagiere unternommen - offensichtlich eine Konsequenz fehlender klarer Organisations- und Verantwortungsstrukturen an Bord der „Costa Concordia“. Schließlich kam es zu wechselseitigen Schuldzuweisungen zwischen der Reederei und dem Kapitän, bei denen gravierende Mängel im gesamten Sicherheitssystem offenkundig wurden - z. B. ein unerlaubtes Abweichen vom Kurs, die (angebliche) Verwendung fehlerhaften Kartenmaterials, die Anwesenheit „Blinder Passagiere“ an Bord und sogar auf der Brücke, ein fahrlässiges Verhalten des Kapitäns sowie lückenhafte Weisungsketten im Notbetrieb. Trotz der enormen Resonanz in den internationalen Medien hatte der Unfall der „Costa Concordia“ keine grundsätzliche Krise der Kreuzfahrtbranche zur Folge: Die negativen Wirkungen beschränkten sich weitgehend auf die Reederei „Costa Crociere“ und den Mutterkonzern „Carnival Corporation“. Neben dem Totalschaden des Schiffes und den Kosten für die aufwändige Bergung verzeichneten sie eine erhebliche Zahl von Stornierungen sowie einen generellen Rückgang der Buchungen (vgl. J ANS 2012, S. 9). Hingegen wurde das allgemeine Vertrauen der Urlauber in die Sicherheit von Kreuzfahrtschiffen kaum erschüttert. So kam eine empirische Untersuchung zu dem Ergebnis, dass die Bundesbürger die Folgen dieses Unglücks durchaus differenziert betrachteten (vgl. Statista 2012, 2012a): Zwar stimmten 56 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass die Kunden von Kreuzfahrten generell verunsichert seien. Gleichzeitig waren aber 77 Prozent der Meinung, dass die Havarie den Boom der Kreuzfahrtbranche nur kurzfristig beeinträchtigen würde. Obwohl es sich bei diesem dramatischen Unfall der „Costa Concordia“ eher um eine Ausnahme gehandelt hat, können bei Kreuzfahrten - wie bei anderen Formen des Personentransports - unterschiedliche Sicherheitsprobleme auftreten; dazu gehören u. a. (vgl. W EAVER 2005, S. 355-358; P ANKO / G EORGE / H ENTHORNE 2009; J ANS 2010, S. 2; L ONDON 2011, S. 13; T ARLOW u. a. 2012, S. 22-23): technische Probleme (Motorschaden, Ausfall der Ruderanlage etc.), <?page no="206"?> Herausforderungen im Marketing und Management 207 außerordentliche Wetterbedingungen (Stürme, schwerer Seegang, Monsterwellen etc.), Kollisionen (mit anderen Schiffen, Riffen, Eisbergen, Hafenanlagen etc.), Ausbruch von Feuer (im Maschinenraum, Kabinen etc.), Navigationsfehler (aufgrund menschlichen Versagens), medizinische Probleme (speziell Virusinfektionen mit einer massenhaften Erkrankung von Passagieren), Unfälle von Passagieren und Crewmitgliedern (Stürze, Mann über Bord-Vorfälle), kriminelle Vorfälle an Bord bzw. während der Landausflüge (Vergewaltigungen, Raub, Diebstahl etc.). Grundsätzlich handelt es sich bei Kreuzfahrten bislang um eine sehr sichere Urlaubsart (vgl. ADAC 2012; M ILESKI / W ANG / B EACHAM 2014; www.kreuzfahrtmagazin.info ): Nach der Havarie der „Costa Concordia“ führte der „Allgemeine Deutsche Automobil-Club“ (ADAC)“ im Jahr 2012 auf zehn Kreuzfahrtschiffen im Mittelmeer einen Sicherheitstest durch. Dabei erhielten zwei Schiffe die Note „sehr gut“ und sieben die Note „gut“ (ein Schiff konnte nicht bewertet werden, weil die Schiffsleitung nicht mit den Testern kooperierte). Auf der Website „Cruise Junkie“ berichteten Passagiere im Zeitraum 1989- 2014 über insgesamt 580 kritische Ereignisse, die vor allem auf eine unzureichende Wartung der Schiffe sowie auf menschliches Versagen zurückzuführen waren. Jährlich haben maximal 0,8 Prozent der Passagiere einen Zwischenfall erlebt, durch den ihr Urlaub in irgendeiner Weise beeinträchtigt wurde. Weitaus geringer ist die Gefahr, auf einem Kreuzfahrtschiff auf unnatürliche Weise zu sterben: Unter den ca. 100 Millionen Reisenden, die seit 2005 weltweit eine Kreuzfahrt unternommen haben, waren nur 48 Tote zu beklagen; das Risiko lag also bei 0,48 : 1 Million (zum Vergleich: Allein in Deutschland sind im Jahr 2015 knapp 3.500 Menschen bei Verkehrsunfällen getötet worden). Allerdings können Kreuzfahrtschiffe auch zum Ziel terroristischer Anschläge werden - wie das Beispiel der „Achille Lauro“ deutlich macht: Im Oktober 1985 brachten vier Mitglieder der militanten „Palestine Liberation Front“ (PLF) den italienischen Luxusliner während einer Mittelmeerkreuzfahrt in ihre Gewalt. Sie forderten die Freilassung von 50 inhaftierten Gesinnungsgenossen; andernfalls drohten sie, die Passagiere nacheinander zu erschießen (vgl. T ARLOW u. a. 2012, S. 22). <?page no="207"?> Die Perspektiven des Kreuzfahrtmarktes 208 Zur Durchsetzung ihrer Forderungen töteten die Geiselnehmer einen behinderten amerikanisch-jüdischen Urlauber; anschließend zwangen sie zwei Crewmitglieder, die Leiche mitsamt des Rollstuhls in das Meer zu werfen. Nach einer mehrtätigen Irrfahrt und intensiven Verhandlungen gaben die Terroristen auf und stellten sich den ägyptischen Behörden; auf diese Weise konnten weitere Opfer vermieden werden. Im Jahr 1990 diente diese dramatische Geschichte sogar als Vorlage für den Spielfilm „Die Entführung der Achille Lauro“, in dem Burt Lancaster unter der Regie von Alberto Negrin die Hauptrolle des ermordeten Passagiers spielt. Bislang handelt es sich bei dieser Entführung eines Kreuzfahrtschiffes um einen Einzelfall. Seit den Anschlägen auf das „World Trade Center“ in New York am 11. September 2001 hat die Bedrohung durch international agierende terroristische Gruppen jedoch erheblich zugenommen - wie u. a. die Bombenexplosionen in Djerba (2002), Bali (2002), Madrid (2004), London (2005), Paris (2015) und Brüssel (2016) deutlich machen (vgl. S TEINECKE 2011, S. 45). Vor diesem Hintergrund haben Sicherheitsexperten bereits mehrere maritime Terrorszenarien entworfen; dazu zählen u. a. (vgl. C ARAFANO 2007; T OPHOVEN 2008; B OWEN / F IDGEON / P AGE 2014): Kaperung von Schiffen und Nutzung der Meere als Transportweg, Angriffe auf Schiffe und andere Objekte (mit Geiselnahmen und Lösegelderpressungen), Einsatz von Schiffen gegen Ziele an Land (Hafenanlagen, Städte), Anschläge mit Massenvernichtungsmitteln. Angesichts dieser generellen Gefährdung hat die „International Maritime Organization“ (IMO) im Jahr 2002 den „International Ship and Port Facility Security (ISPS)-Code“ beschlossen, mit dem terroristische Anschläge auf Häfen und auf See verhindert werden sollen. Er umfasst u. a. Personenkontrollen, Gangway- Posten, ISPS-Sicherheitsbeauftragte, Video-Überwachungen, Umzäunungen und Gefahrenpläne. An Bord von Kreuzfahrtschiffen gelten beim Einschiffen der Passagiere, Crewmitglieder und Lieferanten besonders strenge Sicherheitsregeln, die noch über die Bestimmungen bei USA-Flügen hinausgehen (vgl. W ARNHOLTZ 2009). Die weltweite Umsetzung des Codes hat sich für die Reedereien als sehr aufwändig erwiesen: Allein die Kosten für die Einführung der neuen Sicherheitsmaßnahmen beliefen sich für die internationale Schifffahrt auf mindestens 1,3 Milliarden US-Dollar, darüber hinaus fallen jährlich ca. 730 Millionen US-Dollar zusätzliche Betriebskosten an. In diesen Beträgen ist der Investitionsbedarf der Seehäfen noch nicht berücksichtigt (vgl. P FEIFFER 2003, S. 75). <?page no="208"?> Herausforderungen im Marketing und Management 209 ⚓ Zusammenfassung Die Prognosen zur Entwicklung des internationalen Kreuzfahrttourismus sind generell positiv. Allerdings divergieren sie hinsichtlich der Entwicklungsdynamik: Bis zum Jahr 2025 bzw. 2050 soll die Zahl der Passagiere auf 36,3 bzw. 38 Millionen steigen. Dabei gelten speziell Europa und Asien als Zukunftsmärkte. Für Deutschland wird ein Wachstum der Nachfrage von gegenwärtig zwei Millionen Gästen auf ca. fünf Millionen Urlauber (2030) vorausgesagt. Weitaus schwieriger sind Prognosen zu einzelnen Kreuzfahrtrevieren: So galten z. B. der östliche Mittelmeerraum und das Schwarze Meer lange Zeit als zukunftsträchtige Regionen. Aufgrund der angespannten Sicherheitslage (Türkei, Krim, Syrien) haben zahlreiche Reedereien Istanbul und andere türkische Häfen aus ihrem Programm gestrichen. Neue Kunden gewinnen und Stammkunden an das Unternehmen binden - angesichts dieser Herausforderungen müssen die Reedereien ihr Angebot ständig weiterentwickeln. Gegenwärtig zeichnen sich folgende Innovationen ab: Themen- und Eventkreuzfahrten, Slow Cruises, technische Neuerungen (Serviceroboter, Ocean Medaillon) sowie andersartige Schiffskonzepte (Residenzen auf See, Hyper-Schiffe). Darüber hinaus müssen die Reedereien auf das steigende Umweltbewusstsein der Passagiere und den zunehmenden Druck von Umweltschutzorganisationen reagieren. Zu den technischen Maßnahmen zählen die Einrichtung von Landstromanschlüssen (Cold Ironing/ Shore Power), der Einbau von Katalysatoren, Rußpartikelfiltern und Scrubbern, die Luftschmierung von Schiffen sowie die Nutzung von Flüssiggas als Treibstoff (Liquified Natural Gas/ LNG). Obwohl es sich bei Kreuzfahrten bislang um eine sichere Urlaubsart handelt, müssen die Unternehmen auch künftig ein proaktives Krisenmanagement betreiben, um mögliche Risiken zu minimieren. Dazu gehören technische Probleme, außerordentliche Wetterbedingungen, Kollisionen, Ausbruch von Feuer, Navigationsfehler, medizinische Probleme, Unfälle und kriminelle Vorfälle an Bord bzw. während der Landausflüge sowie Terroranschläge. <?page no="209"?> Die Perspektiven des Kreuzfahrtmarktes 210 ⚓ Weiterführende Literaturtipps T ARLOW , P. u. a. (2012): Cruise Risks, Threats and Dangers: A Theory. - In: American Journal of Tourism Research, 1/ 2, S. 16-25 Der Beitrag gibt einen umfassenden Überblick über Risiken, Bedrohungen und Gefahren von Kreuzfahrten. Neben theoretisch-konzeptionellen Überlegungen und Fallbeispielen enthält er auch Handlungsempfehlungen zum angemessenen Risikomanagement von Reedereien und Hafenbetreibern. B OWEN , C./ F IDGEON , P./ P AGE , S. J. (2014): Maritime tourism and terrorism: customer perceptions of the potential terrorist threat to cruise shipping. - In: Current Issues in Tourism, 17/ 7, S. 610-639 (DOI: 10.1080/ 13683500.2012.743973) Wie wird die Sicherheitslage an Bord von potenziellen Nachfragern beurteilt? Wie hoch ist das Risiko eines terroristischen Anschlags auf ein Kreuzfahrtschiff? Wie würden die Kunden auf ein derartiges Ereignis reagieren? Die Beantwortung dieser Fragen stehen im Mittelpunkt des Artikels, in dem die Ergebnisse einer empirischen Studie präsentiert werden. R ADIĆ , A. (2015): Crisis Management in Cruise Tourism: A Case Study of Dubrovnik. - In: Academica Turistica, 8/ 2, S. 29-44 Am Beispiel der kroatischen Hafenstadt Dubrovnik entwickelt der Autor ein strategisches Konzept zum Krisenmanagement im Kreuzfahrttourismus - von der vorausschauenden Krisenprävention über die effiziente Bewältigung von Krisen bis hin zur dauerhaften Sicherung der Attraktivität einer Destination. <?page no="210"?> Abbildungs- und Tabellennachweis ⚓ Abbildungen Abb. 1 │ www.flickr.com/ photos/ 101181388@N07/ 14442790578 Abb. 2 │ eigene Darstellung nach Angaben in J ANS (2019, S. 14) Abb. 3 │ www.flickr.com/ photos/ archivesnz/ 13857020855 Abb. 4 │ www.loc.gov/ pictures/ resource/ det.4a15439 Abb. 5 │ Sammlung Albrecht Steinecke, Überlingen Abb. 6 │ Sammlung Albrecht Steinecke, Überlingen Abb. 7 │ Sammlung Albrecht Steinecke, Überlingen Abb. 8 │ www.flickr.com/ photos/ caccamo/ 1274415510 Abb. 9 │ eigene Darstellung nach Angaben in W ILLIS (2009, S. 24) und www.cruisemarket.watch.com Abb. 10 │ TUI Cruises GmbH, Hamburg Abb. 11 │ www.flickr.com/ photos/ bartholomae/ 10204559373 Abb. 12 │ www.flickr.com/ photos/ mike_miley/ 4216317929 Abb. 13 │ eigene Darstellung nach Angaben in www.cruiseindustrynews.com/ CruiseIndustryNews-2014-Infographic.pdf vom 12.05.2017 Abb. 14 │ commons.wikimedia.org/ wiki/ File: En_mary_titanic.svg; Yzmo Abb. 15 │ Sammlung Albrecht Steinecke, Überlingen Abb. 16 │ www.flickr.com/ photos/ loimere/ 6213147946 Abb. 17 │ commons.wikimedia.org/ wiki/ File: %22Sea_Cloud%22.JPG; XFalkx Abb. 18 │ eigene Darstellung nach Angaben in W ONG (2009, S. 10) und www.cruisemarketwatch.com/ geography Abb. 19 │ eigene Darstellung nach Angaben in DRV/ CLIA (2017, S. 9) Abb. 20 │ www.flickr.com/ photos/ jimg944/ 236458175 Abb. 21 │ eigene Darstellung nach Angaben in A NDRIOTIS / A GIOMIRGIANAKIS (2010, S. 12) Abb. 22 │ www.flickr.com/ photos/ rodeime/ 13937761311 <?page no="211"?> Abbildungs- und Tabellennachweis 212 Abb. 23 │ eigene Darstellung nach Angaben in FCCA (2017, S. 3) Abb. 24 │ www.flickr.com/ photos/ prayitnophotography Abb. 25 │ www.flickr.com/ photos/ brianhart/ 8087136451 Abb. 26 │ eigene Darstellung nach Angaben in www.portdubrovnik.hr/ statistika/ ? idKat=8&godina=2015 (Bezugsjahr: 2015) Abb. 27 │ www.flickr.com/ photos/ hisgett/ 5836266330 Abb. 28 │ eigene Darstellung nach Angaben in UNWTO (2012, S. 30) Abb. 29 │ eigene Darstellung nach Angaben in A HOLA (2011, S. 107, 110) Abb. 30 │ commons.wikimedia.org/ wiki/ File: Kai_Tak_Cruise_Terminal_Rooftop_ Garden.JPG; Ktct Abb. 31 │ commons.wikimedia.org/ wiki/ File: National_Geographic_Explorer_ in_fast_ice,_Antarctica_-_edit_1.jpg; Jason Auch Abb. 32 │ eigene Darstellung nach Angaben in IAATO (2016) Abb. 33 │ eigene Darstellung nach Angaben in UBA (2009, S. 5) Abb. 34 │ www.polar-kreuzfahrten.de; Sven Nieder Abb. 35 │ www.meyerwerft.de/ de/ meyerwerft_de/ medien/ pressefotos/ pressefotos_neu.jsp Abb. 36 │ www.flickr.com/ photos/ aj_toth/ 14735556641 Abb. 37 │ www.flickr.com/ photos/ 126763627 Abb. 38 │ www.flickr.com/ photos/ thegirlsny/ 4568693190 Abb. 39 │ © MSC Cruises S. A. Abb. 40 │ www.flickr.com/ photos/ brianhart/ 8087059457 Abb. 41 │ www.flickr.com/ photos/ ekigyuu/ 20229351333 Abb. 42 │ www.flickr.com/ photos/ dkf2010/ 14406487401 Abb. 43 │ eigene Darstellung nach Angaben in B AKER (2014, S. 38) Abb. 44 │ www.flickr.com/ photos/ gainfamily/ 16752242592 Abb. 45 │ eigene Darstellung nach Angaben in www.cruisemarketwatch.com/ home/ financial-breakdown-of-typical-cruiser vom 29.07.2017 Abb. 46 │ www.flickr.com/ photos/ azuaje/ 6596063327 Abb. 47 │ www.flickr.com/ photos/ crocieristi/ 7294982256 <?page no="212"?> Abbildungs- und Tabellennachweis 213 Abb. 48 │ eigene Darstellung nach Angaben in D WYER / D OUGLAS / L IVAIC (2003, S. 8-11) Abb. 49 │ commons.wikimedia.org/ wiki/ Category: People_Mover_of_Venice? uselang =de#/ media/ File: Venice,_Italy_—_People_Mover_of_Venice.jpg; Didier Descouens Abb. 50 │ www.skyfish.com/ p/ copenhagenmediacenter/ search/ 19067120? predicate =relevance&direction=desc&q=Langelinie; Cees van Roeden Abb. 51 │ www.flickr.com/ photos/ thienzieyung/ 8049695654 Abb. 52 │ eigene Darstellung nach Angaben in WWF Deutschland (2009, S. 18) Abb. 53 │ eigene Darstellung nach Angaben in B RIDA / Z APATA (2010, S. 222) Abb. 54 │ www.flickr.com/ photos/ doctorow/ 18351271665 Abb. 55 │ www.flickr.com/ photos/ ironypoisoning/ 24200423001 Abb. 56 │ Albrecht Steinecke, Überlingen Abb. 57 │ www.flickr.com/ photos/ 46157135@N06/ 5286800825/ in/ album- 72157625837704210/ Abb. 58 │ commons.wikimedia.org/ wiki/ File: SoftBank_pepper.JPG; Tokumeigakarinoaoshima Abb. 59 │ Naturschutzbund Deutschland (NABU), Berlin Abb. 60 │ www.flickr.com/ photos/ 19107136@N02/ 8384810434 ⚓ Tabellen Tab. 1 │ eigene Darstellung nach Angaben in www.cruisemarketwatch.com/ market-share vom 28.06.2017 Tab. 2 │ eigene Darstellung nach Angaben in R OHR (2010, S. 39); geringfügig modifiziert Tab. 3 │ eigene Darstellung nach Angaben diverser Websites (2015/ 16) Tab. 4 │ eigene, geringfügig modifizierte Darstellung nach Angaben in R EISER (2013, S. 24) Tab. 5 │ eigene Darstellung nach Angaben in R EISER (2013, S. 36) Tab. 6 │ eigene Darstellung nach Angaben in MedCruise (2017, S. 34) Tab. 7 │ eigene Darstellung nach Angaben in CLIA (2015, S. 13) <?page no="213"?> Abbildungs- und Tabellennachweis 214 Tab. 8 │ eigene Darstellung nach Angaben in H APPEL (2014); R ODRIAN (2014); S CHWEITZER (2014) Tab. 9 │ eigene, erweiterte Darstellung nach Angaben in J ANS / R ÖDER (2010, S. 3) Tab. 10 │ eigene Darstellung nach Angaben in War on Want/ ITF (2000, S. 12) <?page no="214"?> Literaturverzeichnis A BEL , J. 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Restriktionen 103 Schutzmaßnahmen 102 -Vertrag 102 Antifouling (Biozid) 165 Arbeitsgruppe Kreuzfahrt- Forschung 18 Arktis 104 Aruba (Kleine Antillen) 83, 173 Asia Cruise Academy, Shanghai 97 Asien als Quellmarkt 33 Association Internationale Villes et Portes (AIVP) 59 Association of Arctic Expedition Cruise Operators (AECO) 105 Ausgaben von Crewmitgliedern 154 von Home Port-Passagieren 154 von Stopover-Passagieren 150 Auslastungsrate 49 Ausstattung von Kreuzfahrtschiffen 130 Austauschbarkeit von Destinationen 156, 188 Authentizität 195 Availability Hypothesis 151 Available Lower Berth Days (ALBD) 76, 88 Azamara Club Cruises 43 B Badetourismus 19, 176 Bahamas 45, 46, 81, 82 Ballastwasser 165 Ballin, Albert 22 <?page no="241"?> Stichwortverzeichnis 242 Baoshan/ Shanghai (China) 96 Bar Harbor (Maine) 67 Barbados 82 Barcelona 77, 89, 114, 173 Bedarfsverkehr 15 Begrenzung der Besucherzahl 176 Belästigung der lokalen Bevölkerung 173 Belize 64, 151, 153, 169, 177 Bereiste 104, 172 Bergen (Norwegen) 67, 149, 150 Bermuda 81 Best Environmental Innovation of the Year 200 Besuchermanagement 177 Besucherzahl pro Kopf der Bevölkerung 173 Bettenkapazität 47 Bilgenwasser 164 Billigflaggen 45, 86, 156 Blauer Engel 201 Blaues Band 20, 75 Blaues Regal 167 Booze Cruises 81 Boutique-Schiffe 52, 104, 133 Brand Community Marketing 142 British Virgin Islands 82, 177 Brundtland-Bericht 199 Bruttoraumzahl (BRZ) 124 Bulgarien 191 C Cameron, James 21 Cancún (Mexiko) 54 Captain’s Diner 61, 120 Captive Consumers 85, 138 Carnival Corporation 42, 113, 114, 115, 156, 197, 201, 206 Carnival Cruise Line(s) 33, 42, 47, 112, 113, 117, 118, 133, 182 Carrying Capacity 176 Cartagena de Indias (Kolumbien) 65, 66, 117, 154, 176 Castaway Cay (Bahamas) 84 Catalina Island (Dominikanische Republik) 84 Cayman Islands 82 Celebrity Cruises 43, 54, 113, 128, 137, 185 Charter von Hausbooten und Yachten 15 China als Quellmarkt 92 Ausbau der Hafeninfrastruktur 94 Erwartungen der Kreuzfahrttouristen 93 Förderung des Kreuzfahrttourismus 96 Strukturprobleme 97 Civitavecchia 78, 89, 114 Club Méditerranée 116 Club- und Hotelanlagen 123 Clubschiffe 133 Coco Cay (Bahamas) 84 Cold Ironing/ Shore Power/ Landstromanschluss 170, 201 Color Line 120 Communities (Neo-tribes) 195 Community von Usern 142 Community-Based Tourism 158 Cook, Thomas 21 Coopetition 160 Corporate Social Responsibility (CSR) 203 <?page no="242"?> Stichwortverzeichnis 243 Costa Crociere 42, 84, 112, 114, 115, 196, 206 Costa Rica 65, 117, 150, 152 Cozumel (Mexiko) 77, 151, 152, 173 Crewmitglieder als Informationsquellen 66 Arbeitsbedingungen 179 ethnische Segregation 179 Herkunft 45 Qualifikationsprofil 185 Croisières de France (CDF) 43 Cruise Baltic 58 Cruise Copenhagen Network 158 Cruise Critic (Website) 18, 134, 195 Cruise Ferries 16, 120 Cruise Junkie (Website) 18, 207 Cruise Lines International Association (CLIA) 33, 58, 117, 148 Cruise Market Watch (Website) 18 Cruise Ship Levy 149 Cruise Ship Record Card 170 Cruise Tricks (Website) 19 Cunard Line 32, 42, 112, 113, 185 Curaçao 82 D Darwin (Australien) 118 Demokratisierung des Reisens 24, 49 Demonstrativer Konsum 93 Destination Binnenmarketing 178 Destinationsmanagement 158, 177 Deutsche Demokratische Republik (DDR) 28 Deutscher ReiseVerband (DRV) 41 Deutschland als Quellmarkt 33 Marktpotenzial 191 Direktvertrieb 136 Disney Cruise Line 43, 46, 84, 116, 126, 194 Dominica 82 Dominikanische Republik 83, 123 Dream Cruises 114 Dresscode 19, 61, 120 Dritte Orte 135 Duale Hochschule Baden- Württemberg, Wiesbaden 185 Dubrovnik (Kroatien) 65, 88, 89, 90, 149, 165, 177, 210 E EasyCruise-Kreuzfahrten 124 Economies of Scale 48 Effekte von Kreuzfahrten ökologische 160 ökonomische 148 soziale und kulturelle 172 Emerging Markets 94 Emission Control Area (ECA) 166 Emotionales Involvement 135, 136, 142 Emotionsarbeit/ Emotional Labour 182 Empty Nester 53 Entertainment-Angebot 53, 70 Environmental Ship of the Year 200 E-Recruitment 185 Erlebnis- und Konsumwelten 54, 84 <?page no="243"?> Stichwortverzeichnis 244 Erlebniskreuzfahrten (Contemporary Cruises) 54, 61, 65, 133, 183 Erlebnisorientierung 131 Erlebnisspirale 130, 195 Eventkreuzfahrten 194 Excursionists 65 Expeditionskreuzfahrten 56, 71, 104 F Falmouth (Jamaika) 155 Familien als Zielgruppe 117, 125 Ficantieri (Werft) 113 Filialbetriebe nationaler und internationaler Ketten 151, 156, 176 Fischer, Helene 36 Flags of Convenience 45, 86, 156 Florida 42 Florida-Caribbean Cruise Association (FCCA) 58, 117 Flottenpolitik 48, 118 Fort Lauderdale/ Port Everglades (Florida) 77, 81, 154 Fort Liquordale 81 Frachtschiff-/ Frachterreisen 57 Frankreich 88 Freestyle Cruising-Konzept 36, 120 Freie Deutsche Jugend (FDJ) 29 Freier Deutscher Gewerkschaftsbund (FDGB) 28 Freies Routing 51 Friedensflotte der DDR 30 Friends of the Earth International (FoE) 59, 170, 204 Fun Ships 133 G Gambling Ships 97 Gay Cruises 127 Geiranger (Norwegen) 172 Geiz ist geil-Mentalität 70 Genua 89 Georgetown/ Penang (Malaysia) 96 Georgien 191 Geselligkeit mit anderen Gästen 135 Giglio (Insel) 205 Globalisierung 43 Goethe, Johann Wolfgang von 87 Grand Tour 19 Grauwasser/ Grey Water 164 Great Stirrup Cay (Bahamas) 84 Griechenland 35, 89 Großbritannien als Quellmarkt 33 Großraumflugzeuge 31 Großseglerkreuzfahrten 57 Grundnutzen 129, 134 GTMS Fritz Heckert 29 H Hafeninfrastruktur 76 Hafenmanagement 76 Hainan (China) 97 Haji-Ioannou, Stelios 124 Halal-Reisen 128 Half Moon Cay (Bahamas) 84 Halong Bay/ Hanoi (Vietnam) 96 Hamburg Amerika Linie (HAL) 25 Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-Actien-Gesellschaft (HAPAG) 22, 60 <?page no="244"?> Stichwortverzeichnis 245 Hamburg-Südamerikanische Dampfschifffahrts-Gesellschaft (HSDG) 25 Hapag-Lloyd Cruises 32, 42, 52, 129, 142 Harvest Caye (Belize) 84 Havarie 102, 205 Hawaii 177 Helsinki 150 Heraklion (Griechenland) 65, 69 Hierarchisierung des Reisens 49 Hin-zu-Motive 62 Hitler, Adolf 24 Ho Chi Minh City (Vietnam) 96 Hochzeitsreisende 113, 125 Holland America Line 42, 52, 84, 112, 128 Holland America Princess Alaska Tours 115 Home Ports 68, 76, 87, 90, 94, 117, 149, 154 Hongkong 95, 96 Hotelkonzerne 123 Houston-Bayport (Texas) 118 Hub 153, 191 Hurtigruten 16, 120 Hybrid Ports 90, 149 Hybride Konsumenten 193 Hyperreale Räume 132 I Icy Strait Point (Alaska) 177 Illic, Bata 13 Image der Karibik 79 von Destinationen 76 von Kreuzfahrten 13, 61, 160 von Kreuzfahrtreedereien 169, 200, 204 Importsubstitution 157 Incentive-Programme 67, 83 Informationsquellen 66 Innovationsfähigkeit 193 Inszenierungstechniken 132, 195 Integration horizontale 112 vertikale 68, 114, 116 International Association of Antarctica Tour Operators (IAATO) 102 International Centre für Cruise Research 18 International Convention for the Prevention of Pollution from Ships (MARPOL) 166 International Labour Organization (ILO) 59, 181 International Maritime Organization (IMO) 105, 208 International Ship and Port Facility Security (ISPS)-Code 154, 208 International Transport Workers’ Federation (ITF) 59 Israel 89 Istanbul 44, 191 Italien 88 J Jamaika 83 Japan als Quellmarkt 92 Jeju Island (Südkorea) 96 Johansson, Frederic 198 Juden als Zielgruppe 129 <?page no="245"?> Stichwortverzeichnis 246 Juneau (Alaska) 201 K Kai Tak Cruise Terminal (KTCT), Hongkong 95 Karibik 48, 67, 76, 79, 123, 150, 157, 168, 173 Katalysatoren 201 Keelung/ Taipei (Taiwan) 96 Key West (Florida) 176, 200 Kinderbetreuung 125 Klassische Kreuzfahrten 54 Klein, Ross A. 18, 153 Klima-Fußabdruck 170 Klimawandel 106 Kommunikationspolitik 140 Konflikte zwischen dem Kreuzfahrttourismus und anderen Tourismusarten 153, 176 Konsumanreize 140 Konsumbereitschaft 140 Kosherica. The Glatt Kosher Cruise Leader 129 Kosten-Nutzen-Bilanz 160 Kraft durch Freude (KdF) 24 Kreuzfahrttouristen als Multiplikatoren 69 Altersstruktur 61 Quellmärkte 60 Reisemotive 62 Typen 69 Umweltbewusstsein 199 Urlaubsaktivitäten 64 Urlaubszufriedenheit 67 Krim (Ukraine) 191 Kriminalitätsrate 76 Krisenmanagement 205 Kritik am Kreuzfahrttourismus 18, 160 Kroatien 69, 88 Kuba 81 Kulturtourismus 176 Kulturtouristen 64 Kundenbindung 136 L La Digue (Seychellen) 153 La Romana (Dominikanische Republik) 114 Labadee (Haiti) 84 Lancaster, Burt 208 Landgänge 64, 67, 100 Landschaftsverbrauch 168 Landstromanschluss/ Cold Ironing/ Shore Power 170, 201 Las Vegas (Nevada) 35, 54, 140 Last Chance Tourism 106 Lebensabschnittsjob 184 Leistungskette 28, 68, 85, 112, 114, 154 Lettland 152 LGBT-Community (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender) 127, 176 Liberia 45 Lichtenberg, Georg Christoph 118 Lieferkette (Supply Chain) 150 Lighthouse Foundation 59 Lindblad, Lars-Eric 99 Lindenberg, Udo 55 Linienverkehr 14 Liquified Natural Gas (LNG) 201, 203 Lobbyarbeit 117 Low Cost Airlines 76, 124 Luftschmierung von Schiffen 202 <?page no="246"?> Stichwortverzeichnis 247 Luftverschmutzung 161, 163 Luxuskreuzfahrten 65 M Malaysia 98 Malta 45 Marinedieselöl (MDO) 161, 202, 203 Maritime Labour Convention (MLC) 59, 181 Marken-/ Kettenhotels 111 Markenbildung (Branding) 113, 116, 141 Markenloyalität 138 Market Area Strategy 113 Marktmacht der Reedereien 117 Marktpenetration 190 Marktpotenzial Deutschland 191 international 190 Marktsegmentierung 71, 125 Marokko 89 Marseille 89, 114, 150 Martin, Monika 13 Martinique 83 MedCruise 58 Mega-Schiffe 16, 48, 53, 61, 91, 95, 173, 175, 183 Mehr-Kultur 129 Mergers & Acquisitions-Politik 112 Messina (Sizilien) 150, 176 Mexiko 152 Meyer Werft 113, 203 Miami (Florida) 77, 154 Ministerium für Staatssicherheit der DDR 30 Mitsubishi Air Lubrication System (MALS) 202 Mittelmeer 76, 87, 123, 191 Mobile (Alabama) 118 Moments of Truth 68 MS Achille Lauro 207 MS AIDAbella 53 MS AIDAperla 202 MS AIDAprima 202, 203 MS AIDAsol 201 MS Allure of the Seas 48, 53, 54 MS Arkona 30 MS Astor 30 MS Bremen 129 MS Brilliance of the Seas 53 MS Caribbean Princess 167 MS Carnival Imagination 69, 137 MS Celebrity Century 63 MS Celebrity Reflection 54 MS Costa Concordia 205 MS Deutschland 14 MS Disney Wonder 46, 126 MS EasyCruise One 124 MS Europa 52, 124 MS Explorer 102 MS Genting Dream 114 MS Hamburg 55 MS Hanseatic 71, 129 MS Harmony of the Seas 44, 48, 190, 202 MS Lindblad Explorer 99 MS Mein Schiff 1 190 MS Mein Schiff 2 127, 190 MS Mein Schiff 3 36 MS Mein Schiff 6 55 MS Monte Olivia 25 MS National Geographic Explorer 99 <?page no="247"?> Stichwortverzeichnis 248 MS Norwegian Getaway 121 MS Norwegian Jewel 121 MS Norwegian Star 201 MS Oasis of the Seas 48, 181 MS Pacific Princess 52 MS Pride of America 195 MS Prinsendam 52 MS Prinzessin Victoria Luise 22 MS Queen Elisabeth 31 MS Queen Mary 31 MS Queen Mary 2 48 MS Regal Princess 197 MS Robert Ley 26 MS Rotterdam 63 MS Sea Princess 201 MS Silver Discoverer 52 MS Silver Whisper 52 MS St. Louis 25 MS Stockholm 30 MS Sun Princess 162 MS The World 198 MS Titanic 20, 22, 48, 49 MS Völkerfreundschaft 30 MS Wilhelm Gustloff 26 MSC Cruises 42, 43, 122, 190 Müll -aufkommen 161, 167 Verklappung auf hoher See 167 Multifunktionalität 42, 131 Multiplikatoreffekte 148, 157 Mund-zu-Mund-Propaganda 69, 143 Muslime als Zielgruppe 128 Mutrah (Oman) 174 N Nachhaltigkeit 104, 198 Nassau (Bahamas) 77 Naturschutzbund Deutschland (NABU) 59, 161, 170, 198, 202 Neapel 89, 114, 149, 150 Negrin, Alberto 208 New Orleans 118 No Frills-Konzept 124 Nordpolarmeer 104 Norwegian Caribbean Lines 33 Norwegian Cruise Line 33, 43, 84, 120, 122, 137, 185, 195 Norwegian Cruise Line Holdings 42, 43 O Ocean Fund 200 Ocean Medaillon 197 Oceania Cruises 43 Ocho Rios (Jamaica) 66 Odessa (Ukraine) 192 Oil Record Book 164 Öko-Rankings 170 Oligopolistische Marktstruktur 42, 111 On Board Revenues 48, 138 Once-in-a-lifetime-Erlebnis 49, 104 Orlando (Florida) 54 Osterinseln (Chile) 168 Ostsee 154 P P&O Cruises 42, 185 P&O Princess Cruises 112 Palestine Liberation Front (PLF) 207 Palma de Mallorca 89 Panama 45, 83 <?page no="248"?> Stichwortverzeichnis 249 Panamakanal 48 Particular Sensitive Sea Area (PSSA) 166 Partizipation der Bevölkerung 178 Passagierjets 31 Passenger Fee 83 Patong Bay/ Phuket (Thailand) 96 Pauschalreise 21 Pax/ Crew Ratio 54, 183 Peninsular & Oriental Steam Navigation Company (P&O) 21, 32 People Mover, Venedig 158 People Pollution 172 Perceived Value 67 Perikles 192 Personalagenturen 179, 185 Personalkosten 179 Petrini, Carlo 196 Piraten-Mythos 79 Piräus 89 Polar Code 105 Port Canaveral (Florida) 77, 157 Port Everglades (Florida) 77, 81, 154 Ports of Call 17, 67, 90, 104, 116, 117, 133, 149, 152, 172, 188 Portugal 88 Positionierungskreuzfahrten 50, 78 Postfordistische Werthaltung 123 Postpanamax-Klasse 48 Power Barge 201 Preispolitik 126, 137 Preissensible Urlauber 138 Princess Cays (Bahamas) 84 Princess Cruises 42, 48, 52, 84, 112, 113, 167 Prisenor’s Dilemma-Situation 83 Private Governance 114 Privatinseln 83, 114 Produktbündel 16 Produktdifferenzierung 101, 194 Produktlebenszyklus 92 Produktqualität 116 Pro-Poor Tourism 159 Protection of the Arctic Marine Environment (PAME) 105 Proteste gegen den Kreuzfahrttourismus 174 Provisionen 151 Public Private Partnership 68, 114 Puerto Rico 83 Pull-Faktoren (Reisemotive) 62 Pullmantur Cruises 43 Pusan/ Busan (Südkorea) 96 Push-Faktoren (Reisemotive) 62 Q Qualitäts- und Leistungsdifferenzierung 123 Queensland (Australien) 157 R Race to the Bottom-Situation 83 Rainbow Cruise 127 Regent Seven Seas Cruises 43 Reisebüro der DDR 29 Reisebüros als Vertriebsstellen 136 Reiseentscheidung 200 Resort-Hotels mobile 43, 54 Ressourcenverbrauch 161 Reviere von Flusskreuzfahrten 50 von Hochseekreuzfahrten 50 <?page no="249"?> Stichwortverzeichnis 250 Roma Cruise Terminal 115 Routenänderung 43, 82 Royal Caribbean Cruise Line 33 Royal Caribbean Cruises 42, 43, 179, 200, 202 Royal Caribbean International 33, 43, 47, 53, 54, 84, 113, 115, 117, 128, 137, 181, 200 Royal Geographical Society 52 Rucksackreisende 64 Rumänien 191 Russland 191 Rußpartikel 203 Rußpartikelfilter 201 S Saisonalität 21, 78, 88, 195 Santorin (Griechenland) 149, 153, 178 Satellite Ports 153 Savona 89, 114 Schädigung von Kulturdenkmalen 169 Schettino, Francesco 205 Schmetterlingskreuzfahrten 50 Schnupperkreuzfahrt-Konzept 119 Schwarzes Meer 191 Schwarzwasser/ Black Water 164, 166 Schwefeloxide 203 Schweröl/ Heavy Fuel Oil (HFO) 161, 202, 203 Schwesterschiffe 48 Scrubber 170, 202 Seabourn Cruise Line 42, 112 Seaside Resorts 19 Sehnsuchtsort 79, 87 Servicekräfte Anforderungen an 134 Arbeitszufriedenheit 184 Belastungen 182 Herkunft 179 Rekrutierung 185 Servicequalität 133 Serviceroboter 197 Servicescape 130 Shanghai 95, 97 Ship-in-Ship-Konzept 36, 49, 122 Shipscape 130 Shiptracks 163 Shore Power/ Cold Ironing/ Landstromanschluss 170, 201 Sicherheitsbedürfnis 64, 66, 123, 206 Sicherheitsmaßnahmen 126 Sicherheitsprobleme 206 Sickerrate (Leakage) 86, 156 Silversea Cruises 52 Singapur 96 als Kreuzfahrthafen 94 als Quellmarkt 92 Skagway (Alaska) 172 Slow Cruise-Konzept 196 Slow Food-Bewegung 196 Slow Steaming 86 Slow Tourism 196 Social Media 142 Southampton 154, 168 Space-Ratio 124 Spanien 88 Spaß- und Erlebnisgesellschaft 131 Spillover-Effekte 95 Spitzbergen/ Svalbard 105 SS Club Med 2 57, 116 <?page no="250"?> Stichwortverzeichnis 251 SS Royal Clipper 57 SS Sea Cloud 57 SS Star Clipper 57 SS United States 75 St. Lucia (Kleine Antillen) 173 St. Maarten (Karibik/ Niederlande) 78, 82 St. Thomas (Karibik/ USA) 78 St. Vincent und The Grenadines 82 Stakeholder 83, 157 Standortfaktoren von Kreuzfahrtdestinationen 75 Star Cruises 117 Staterooms 16 Stopover Ports 17, 67, 90, 104, 116, 117, 118, 133, 149, 152, 172, 188 Stopover Resorts 83, 114, 152 Studienkreuzfahrten 55 Sturges, John 111 STX France (Werft) 113 Substituierbarkeit von Häfen 117, 153 Suezkrise 82 Sulphur Emission Control Area (SECA) 166 Superclubs 123 Sustainability 198 Svalbard/ Spitzbergen 105 Sweatships 180 Sweatshops 180 SWOT-Analyse Karibik 79 Malaysia 98 Syrien 191 T Taiwan als Quellmarkt 92 Terroranschläge 207 Terrorszenarien 208 Thackeray, William Makepeace 21 Thematisierung 131, 195 Themenkreuzfahrten 55, 125, 194 Thomson Cruises 43 Tier- und Pflanzengefährdung 169 Tonnagesteuer 156 Tourist Bubble 64, 70 Transatlantikverkehr 20, 31, 75 Transreisen 50 Travelzoo 119 Treueprogramme 137 TripAdvisor 18 TUI Cruises 36, 42, 43, 55, 123, 127, 156, 190 Tunesien 89 Türkei 89, 191 Turnaround Ports 68, 76, 87, 90, 94, 117, 149, 154 Turnuskreuzfahrten 50 TV-Reiseshopping 136 TV-Serie Das Traumschiff 13, 30, 31 The Love Boat 13 U Überlastung der Infrastruktur 173 Umweltbezogene Lerneffekte 169 Umweltbundesamt (UBA) 107 Umweltinformation 103 Umweltmanagement 161, 204 Umweltschutzmaßnahmen 201 Umweltschutzprotokoll zum Antarktis-Vertrag (USP) 102 <?page no="251"?> Stichwortverzeichnis 252 Unique Selling Propositions 130, 152, 195 United Nations World Tourism Organization (UNWTO) 65 Università degli Studi die Scienze Gastronomiche 196 University of Plymouth (UK) 185 Uno-Actu-Prinzip 130 Urlaubsreiseverkehrsmittel der Bundesbürger 15 Urlaubszufriedenheit 67, 133 US Virgin Islands 82 USA als Quellmarkt 33, 60, 91 Alter der Passagiere 61 V Valetta (Malta) 157 Venedig 78, 89, 91, 174 Vereinigte Arabische Emirate 45 Verkäufermarkt 49 Verkaufsförderungsmaßnahmen 141 Virales Marketing 143 Volksgemeinschaft 26 Vorbehalte gegen Kreuzfahrten 119 W Wader, Hannes 171 Wahlfreiheit der sozialen Kontakte 135 Wasserverschmutzung 161, 164 Waterfront Development 157 Weg-von-Motive 62 Weiterempfehlungsbereitschaft 136 Werbemaßnahmen 141 Werftindustrie 113 Wertschöpfungskette (Value Chain) 116 White Star Line 20 Wiederbesuchsabsicht 66 Wiener Philharmoniker 55 Williams, Robbie 132 World Health Organization (WHO) 162 WWF Deutschland 170 X Xiamen (China) 96, 97 Z Zerstörung von Korallenriffen 168 Zielgruppenansprache 113 Zihuatanejo (Mexiko) 64 Zodiacs 100 Zusatznutzen 129, 133 Zypern 45, 89 <?page no="252"?> Von Auto bis Zeppelin Sven Groß Handbuch Tourismus und Verkehr Verkehrsunternehmen, Strategien und Konzepte 2., komplett überarbeitete Auflage 2017, 568 Seiten, Hardcover ISBN 978-3-8252-8689-7 Tourismus ist ohne Verkehr undenkbar. Dabei ist die Bandbreite touristischer Verkehrsunternehmen äußerst vielfältig. An Bord eines Kreuzfahrtschiffs oder eines Luxuszugs ist das Fortbewegungsmittel sogar die touristische Hauptattraktion. Das Handbuch stellt zu Beginn die theoretischen Grundlagen von Tourismus sowie Verkehr vor und geht schließlich im Detail auf die unterschiedlichen Verkehrsunternehmen ein. Dazu zählen Mietwagen, Busreisen, Schifffahrt sowie Luft- und Bahnverkehr. Skizziert werden jeweils Forschungsstand, Entwicklungen, gesetzliche Rahmenbedingungen, Anbieter und Nachfrager sowie Strategien für die wichtigsten Verkehrsunternehmen. Auch die Sonderbereiche des touristischen Verkehrs finden Berücksichtigung - zu Land, in der Luft und auf dem Wasser. Auf Verkehrskonzepte für Destinationen, etwa die touristische Beschilderung und das Mobilitätsmanagement im Tourismus, geht das Handbuch zudem ein. Das Buch richtet sich gleichermaßen an Studierende, Wissenschaftler und Vertreter der Tourismuspraxis. www.utb-shop.de <?page no="253"?> WIRTSCHAFTSFAKTOR ARCHITEKTUR Heiner Haass Grundwissen Tourismusarchitektur 2017, 131 Seiten, Broschur ISBN 978-3-8252-4738-6 Wohin der nächste Urlaub geht, hängt nicht nur von dem Klima, der Landschaft und dem Service im Hotel ab, sondern auch von der Architektur vor Ort. Neben der malerischen Altstadt steht vor allem die erlebbare Architektur von Hotels, Museen und Shoppingmalls im Mittelpunkt. Das Buch skizziert Architektur als Wirtschaftsfaktor im Tourismus und geht auf das Spannungsverhältnis von Destinationsmanagement sowie Architektur ein. Auch die Inszenierung und künstliche Erlebniswelten, etwa in Freizeitparks, finden Beachtung. Stadtplanerische Chancen und Risiken werden zudem beleuchtet. Zahlreiche Beispiele und Interviews mit einem Hotelmanager, einem Hotelarchitekten und einem Tourismusmanager vermitteln dem Leser die Praxisperspektive. Das Buch richtet sich an Studierende der Tourismuswirtschaft, Stadtplanung und Architektur sowie an Praktiker in den Bereichen der Stadtplanung/ Wirtschaftsförderung, des Destinationsmanagements und der Architektur. www.utb-shop.de <?page no="254"?> Das Must-have für (angehende) EventmanagerInnen Dieter Jäger Grundwissen Eventmanagement 2017, 2. überarb. Aufl. 214 Seiten, Broschur ISBN 978-3-8252-4799-7 € 24,99 Kongresse, Festivals oder sportliche Großveranstaltungen planen und organisieren - das ist für viele ein Traumberuf. Hinter diesen Events steckt allerdings eine hochprofessionelle Branche. Die zweite, überarbeitete Auflage dieses Buchs verrät Studierenden und Quereinsteigern alles Wissenswerte über Geschichte, Akteure, Organisationen und Event-Formate. Zudem vermittelt es griffig das Grundwissen rund um die Eventplanung, -umsetzung und -evaluierung. www.utb-shop.de <?page no="255"?> © erikreis iStockphoto LP Alles unter www.utb-shop.de Studienliteratur - wie und wann ich will Kostenloser Versand innerhalb Deutschlands ab 10,00 € Bestellwert 2 Wochen Rückgaberecht Schnelle Retourenabwicklung Online-Zugang Bücher in digitaler Form online lesen und nutzen Einfache und sichere Bezahlung über Paypal, Kreditkarte, Sofortüberweisung oder Giropay Ohne Kundenkonto Bestellung von Printexemplaren ohne Anlegen eines Kundenkontos möglich.