eBooks

Naturtourismus

1007
2019
978-3-8385-4916-3
978-3-8252-4916-8
UTB 
Prof. Dr. Hartmut Rein
Alexander Schuler

Der Wunsch, Natur im Urlaub und in der Freizeit zu erleben, ist bei vielen Menschen groß. Die Motivation reicht von Flucht aus dem Alltag über Bildungsinteressen bis hin zur Unterhaltung. In diesem Buch zeigen zahlreiche ExpertInnen die Bedeutung des Naturerlebens im Tourismus auf: Sie stellen konkret Gebiete mit besonderer Angebotsqualität für das Naturerleben und den Naturtourismus vor, dazu zählen u. a. die Nationalen Naturlandschaften (Nationalparks, Naturparks, Biosphärenreservate), UNESCO Weltnaturerbe-Gebiete, Geo- und Sternenparks sowie Natura 2000-Gebiete. Unterschiedliche Naturerlebnisse, deren Ausprägungen sowie Angebot und Nachfrage stellen sie beispielhaft dar. Besuchermanagementstrategien, die Angebotsentwicklung und das Marketing im Naturtourismus beleuchten sie darauf aufbauend. Abschließend gehen sie auf Organisation und Kooperationen, Digitalisierung sowie die Zukunft des Naturtourismus ein.

<?page no="1"?> Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Wilhelm Fink · Paderborn Narr Francke Attempto Verlag · Tübingen Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Ernst Reinhardt Verlag · München Ferdinand Schöningh · Paderborn Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlag · München Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen Waxmann · Münster · New York wbv Publikation · Bielefeld utb 4916 UTB (M) Impressum_19.indd 1 20.02.19 12: 37 <?page no="3"?> Hartmut Rein Alexander Schuler (Hg.) Naturtourismus unter Mitarbeit von Dr. Elke Baranek, Malin Baruschke, Maren Behr, Mathias Behrens-Egge, Deborah Clauss, Christof Dilzer, Barbara Engels, Ulrike Franke, Dr. Andreas Hänel, Birte Kaddatz, Dr. Manfred Kupetz, Jörg Liesen, Anja May, Katharina Meifert, Oliver Melchert, Prof. Dr. Heike Molitor, Dr. Christina Münch, Prof. Dr. Jürgen Peters, Katrin Risthaus, Martina Porzelt, Dana Roberts, Dr. Sibylle Schroer, Stephanie Schubert, Anja Szczesinski UVK Verlag · München <?page no="4"?> Die Herausgeber Prof. Dr. Hartmut Rein ist Dozent für Nachhaltigkeit im Destinations- und Schutzgebietsmanagement im Masterstudiengang Nachhaltiges Tourismusmanagement der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE) und geschäftsführender Gesellschafter von BTE Tourismus- und Regionalberatung. Dr. Alexander Schuler ist geschäftsführender Gesellschafter von BTE Tourismus- und Regionalberatung und Dozent an verschiedenen Hochschulen. Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www.utb-shop.de Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.ddb.de> abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © UVK Verlag 2019 - ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH & Co. KG Lektorat: Rainer Berger, München Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Einbandmotiv: © DieterMeyrl - iStock Druck und Bindung: CPI - Clausen & Bosse, Leck UVK Verlag Nymphenburger Str. 48 80335 München Telefon: 089/ 452174-66 Narr Francke Attempto Verlag GmbH & Co. KG Dischingerweg 5 72070 Tübingen Telefon: 07071/ 9797-0 www.narr.de UTB-Nr. 4916 ISBN 978-3-8252-4916-8 <?page no="5"?> Liebe Leserinnen und Leser! Die Bedeutung von Natur und Naturerleben nimmt im Tourismus stetig zu. Dadurch steigt die Nachfrage nach Naturerlebnisangeboten. Laut FUR Reiseanalyse 2014 ist „Natur erleben“ für rund 60 % der Deutschen ein Urlaubsmotiv. 85 % geben an, dass es sie glücklich mache, in der Natur zu sein, und 81 % fühlen sich mit Natur und Landschaft in der eigenen Region verbunden. Die Jahreskampagne der Deutschen Zentrale für Tourismus (DZT) „Natururlaub 2016 - Faszination Natururlaub in Deutschland“ hat gezeigt, dass Deutschland auch im Ausland nicht nur mit dem Städte- und Kulturtourismus punkten kann, sondern insbesondere das Thema Naturtourismus mit seinen 130 Nationalen Naturlandschaften bei internationalen Gästen auf großes Interesse stößt. Was ist allerdings genau der Naturtourismus? Welche einzelnen Teilbereiche werden darunter verstanden? Wie grenzt sich Naturtourismus von Ökotourismus oder den verschiedenen Formen des Aktivtourismus ab? Welche Landschaften und Landschaftsqualitäten haben eine besondere Bedeutung für den Naturtourismus? Macht die Digitalisierung vor dem Naturtourismus halt, sind dies Gegensätze oder Elemente, die sich auch ergänzen können? Dies sind nur einige Fragen, welche das vorliegende Werk beantworten soll. Letztlich war nämlich das Fehlen eines umfassenden Lehrbuches, welches die verschiedenen Teilbereiche und Zusammenhänge des Naturtourismus aufzeigt, unser Ansporn für das Schließen dieser Wissenslücke und das Zusammentragen des Wissens vieler verschiedener Experten in einem Lehrbuch. Im Wesentlichen orientieren wir uns nach der Einführung und einer räumlichen Annäherung in der Gliederung des Werkes an den Arten oder auch Motiven, Natur touristisch zu erleben: Aktiv, durch Sehen und Verstehen, im Form von Naturfilmen oder weil die Natur eine besondere Ästhetik verspricht und diese durch Gäste genossen werden möchte. Darüber hinaus bilden die Angebotsentwicklung, das Besuchermanagement, das Marketing und die Organisation des Naturtourismus einen Schwerpunkt. Obwohl wir unserer Auffassung nach viele wichtige Teilbereiche durch diese Strukturierung abgedeckt haben, konnten wir gleichzeitig leider nicht alle Themen mit Relevanz für den Naturtourismus und das Naturerleben aufgreifen und in diesem Buch behandeln. Offen bleiben Themen wie z. B. die Rolle des Naturerleben beim Angeln und bei der Jagd, bei Bergsport- (Bergsteigen, Bergwandern) und Wintersport- (Skilanglauf, Schneeschuhwandern) sowie Luftsportaktivitäten (Ballonfahren, Segelfliegen), die touristische Mobilität beim Naturtou- <?page no="6"?> 6 Vorwort rismus sowie die internationale Perspektive des Naturtourismus. Auch die Rolle von Tierparks und Zoos sowie von Besucherzentren, Baumkronenpfaden und anderen Naturerlebniseinrichtungen könnten im Kontext des Naturtourismus vertieft betrachtet werden. Diese Themen dienen vielleicht als Ausgangspunkt für eine Fortsetzung dieser Auflage. Wir wünschen allen Leserinnen und Lesern eine erkenntnisreiche Lektüre und hoffen, mit diesem Buch ein besseres Verständnis für die verschiedenen Facetten des Naturtourismus vermitteln zu können. Berlin, August 2019 Prof. Dr. Hartmut Rein, Dr. Alexander Schuler Danksagung Bedanken möchten wir uns bei:  Dr. Elke Baranek, Malin Baruschke, Maren Behr, Mathias Behrens- Egge, Deborah Clauss, Christof Dilzer, Barbara Engels, Ulrike Franke, Dr. Andreas Hänel, Birte Kaddatz, Dr. Manfred Kupetz, Jörg Liesen, Anja May, Katharina Meifert, Oliver Melchert, Prof. Dr. Heike Molitor, Dr. Christina Münch, Prof. Dr. Jürgen Peters, Katrin Risthaus, Martina Porzelt, Dana Roberts, Dr. Sibylle Schroer, Stephanie Schubert und Anja Szczesinski für ihre Beiträge zu diesem Lehrbuch,  der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde für die Unterstützung bei diesem Lehrbuchprojekt,  Dr. Kristina Hühn für das Layout und Korrekturlesen des Manuskripts und Marina Heinick für die Unterstützung bei der Erstellung des Manuskripts, Herrn Rainer Berger vom UVK Verlag in München für die Schlussredaktion und Ermutigung zu diesem Lehrbuch. <?page no="7"?> Inhalt Liebe Leserinnen und Leser! ............................................................................... 5 1 Die Bedeutung des Naturerlebens im Tourismus ................ 13 ✻ von Prof. Dr. Hartmut Rein 1.1 Naturtourismus - Ein Überblick ..................................................... 13 1.2 Naturbewusstsein in der Bevölkerung ........................................... 17 1.3 Die Bedeutung des Naturerlebnisses für die Tourismusnachfrage .............................................................. 22 1.3.1 Angebotsseitige Systematisierungen ..................................................... 23 1.3.2 Nachfrageseitige Systematisierungen.................................................... 31 1.4 Die wirtschaftliche Bedeutung des Naturtourismus.................. 35 2 Gebiete mit besonderer Angebotsqualität für das Naturerleben und den Naturtourismus .................... 45 2.1 „Nationale Naturlandschaften“ in Deutschland......................... 45 ✻ von Dr. Elke Baranek, Anja May, Stephanie Schubert 2.1.1 Nationalparks........................................................................................... 52 2.1.2 Wildnisgebiete.......................................................................................... 56 2.1.3 Biosphärenreservate................................................................................ 59 2.1.4 Naturparks ............................................................................................... 61 2.2 UNESCO-Weltnaturerbe-Gebiete ................................................... 67 ✻ von Anja Szczesinski, Barbara Engels 2.2.1 Natur erleben in Weltnaturerbe-Gebieten ........................................... 69 2.3 Geoparks ................................................................................................. 75 ✻ von Dr. Manfred Kupetz ..................................................................... 75 2.3.1 Was ist ein Geopark? .............................................................................. 75 2.3.2 Arten von Geoparks ............................................................................... 77 2.3.3 Aufgaben eines Geoparks ...................................................................... 78 2.3.4 Voraussetzungen für einen Geopark .................................................... 79 2.3.5 Geotourismus und nachhaltige Bildung in Geoparks ........................ 80 <?page no="8"?> 8 Inhalt 2.4 Sternenparks .......................................................................................... 83 ✻ von Dr. Sibylle Schroer, Dr. Andreas Hänel 2.4.1 Lichtverschmutzung verschleiert die Sterne........................................ 83 2.4.2 Sternenparks zum Schutz des Nachthimmels ..................................... 84 2.4.3 Astronomietourismus - Erfolgsfaktoren und Konflikte ................... 86 2.5 Natura 2000-Gebiete............................................................................ 88 ✻ von Jörg Liesen, Kathrin Risthaus 2.5.1 Natura 2000 in Deutschland.................................................................. 89 2.5.2 Natura 2000 und Tourismus.................................................................. 89 2.5.3 Spannungsfeld Nutzungskonflikte und Angebotsentwicklung ......... 90 2.5.4 Besucherlenkung ..................................................................................... 91 2.5.5 Information und Akzeptanzsteigerung ................................................ 92 3 Naturerlebnisse: Ausprägungen, Angebote, Nachfrage, Beispiele ................. 97 3.1 Aktives Naturerlebnis: Natur aktiv erleben .................................. 97 3.1.1 Wandertourismus .................................................................................... 97 ✻ von Mathias Behrens-Egge, Malin Baruschke 3.1.1.1 Wander-Angebot..................................................................................... 99 3.1.1.2 Wander-Nachfrage ................................................................................ 108 3.1.1.3 Quellmärkte ........................................................................................... 109 3.1.1.4 Zielgruppen............................................................................................ 111 3.1.1.5 Tagestouren und Mehrtageswanderungen ......................................... 113 3.1.1.6 Saisonalität.............................................................................................. 115 3.1.1.7 Naturerlebnis auf Trekking- oder Wildnistrails................................. 116 3.1.1.8 Barrierefreie Nachfrage ........................................................................ 117 3.1.1.9 Wandern und Gesundheit.................................................................... 118 3.1.1.10 Wirtschaftliche Bedeutung des Wanderns ......................................... 119 3.1.2 Fahrradtourismus .................................................................................. 123 ✻ von Malin Baruschke, Mathias Behrens-Egge 3.1.2.1 Definition von Fahrradtourismus ....................................................... 123 3.1.2.2 Typologie der Radtouristen ................................................................. 124 3.1.2.3 Fahrradtouristische Infrastruktur........................................................ 126 3.1.2.4 Elektrofahrräder im Fahrradtourismus .............................................. 131 <?page no="9"?> Inhalt 9 3.1.2.5 Qualitätsstandards ................................................................................. 132 3.1.2.6 Wirtschaftsfaktor Fahrradtourismus................................................... 135 3.1.3 Kanuwandern ........................................................................................ 138 ✻ von Prof. Dr. Hartmut Rein 3.1.3.1 Definition ............................................................................................... 138 3.1.3.2 Nachfrage und Motive.......................................................................... 140 3.1.3.3 Natürliche und infrastrukturelle Voraussetzungen........................... 142 3.1.3.4 Kanureviere............................................................................................ 144 3.1.3.5 Kanuwandern und Naturschutz .......................................................... 145 3.1.3.6 Wirtschaftliche Bedeutung ................................................................... 149 3.1.4 Tourismus rund ums Pferd.................................................................. 151 ✻ von Ulrike Franke, Dr. Christina Münch, Dana Roberts 3.1.4.1 Definition und Bedeutung ................................................................... 151 3.1.4.2 Formen des Pferdetourismus .............................................................. 152 3.1.4.3 Bedeutung des Pferdetourismus in Deutschland.............................. 153 3.1.4.4 Naturerlebnis und landschaftliche Voraussetzungen ....................... 155 3.1.4.5 Pferdeurlaubsziele ................................................................................. 158 3.1.4.6 Die Zielgruppe Pferdetouristen .......................................................... 158 3.1.4.7 Nachfrageverhalten von Pferdetouristen ........................................... 159 3.1.4.8 Trends und zukünftige Entwicklungen .............................................. 161 3.1.5 Tauchtourismus ..................................................................................... 164 ✻ von Martina Porzelt 3.1.5.1 Grundlagen des Tauchens.................................................................... 164 3.1.5.2 Geschichte.............................................................................................. 165 3.1.5.3 Voraussetzungen zur Ausübung des Tauchens................................. 165 3.1.5.4 Tauchdestinationen und Marktpotenzial ........................................... 167 3.1.5.5 Auswirkungen des Tauchens auf den Naturraum ............................ 168 3.1.5.6 Trends im Tauchtourismus.................................................................. 169 3.2 Aktive Natur- und Umweltbildung: Natur sehen und verstehen.............................................................. 171 3.2.1 Natur- und Umweltbildung in Freizeit und Urlaub.......................... 171 ✻ von Prof. Dr. Heike Molitor 3.2.1.1 Die Bedeutung der Natur für den Menschen.................................... 172 3.2.1.2 Natur- und Kulturinterpretation ......................................................... 176 <?page no="10"?> 10 Inhalt 3.2.1.3 Miteinander von Tourismus und Naturerleben ................................ 178 3.2.2 Ornithologen und Naturfotografen als naturtouristische Zielgruppe .......................................................... 180 ✻ von Maren Behr 3.2.2.1 Begriffsdefinition und Einordnung in den Naturtourismus............ 181 3.2.2.2 Vogelbeobachtung als Hobby und Reisemotivation ........................ 182 3.2.2.3 Gestaltung naturtouristischer Angebote für Vogelbeobachter und Naturfotografen ....................................... 185 3.2.2.4 Produktgestaltung im Avitourismus ................................................... 186 3.2.2.5 Anforderungen von Naturfotografen an touristische Angebote .... 188 3.2.3 Astronomen als naturtouristische Zielgruppe ................................... 190 ✻ von Dr. Andreas Hänel, Dr. Sibylle Schroer 3.2.3.1 Nachfrage nach astronomischen Reiseangeboten ............................ 190 3.2.3.2 Angebote für Gelegenheits- und Hobbyastronomen....................... 191 3.2.3.3 Hobbyastronomen folgen den Profiastronomen.............................. 193 3.2.3.4 Besondere Ansprüche des Astrotourismus ....................................... 194 3.2.3.5 Dunkelheit als Gesundheits- und Wellnessangebot ......................... 194 3.3 Natur- und Tierfilme in der Naturvermittlung .......................... 197 ✻ von Deborah Clauss 3.3.1 Theoretische Grundlagen des Naturfilms.......................................... 197 3.3.1.1 Was ist ein Naturfilm? .......................................................................... 197 3.3.1.2 Geschichte des Naturfilms................................................................... 198 3.3.1.3 Naturfilmfestivals .................................................................................. 200 3.3.2 Wirkung von Naturfilmen.................................................................... 201 3.3.2.1 Expertenmeinungen.............................................................................. 202 3.3.2.2 Auswirkung von Naturfilmen auf die Zuschauer ............................. 204 3.3.3 Trends im Naturfilm............................................................................. 208 3.4 Die Schönheit der Natur genießen................................................ 211 3.4.1 Die Bedeutung der Landschaftsästhetik für das Naturerleben ....... 211 ✻ von Prof. Dr. Jürgen Peters 3.4.1.1 Theorie der Landschaftsästhetik ......................................................... 211 3.4.1.2 Systematik und Präferenzen für Naturphänomene .......................... 214 3.4.1.3 Methodik der Landschaftsbildbewertung .......................................... 217 <?page no="11"?> Inhalt 11 3.4.2 Naturbeobachtungstourismus ............................................................. 226 ✻ von Birte Kaddatz 3.4.2.1 Entstehung und wirtschaftliche Bedeutung....................................... 226 3.4.2.2 Was ist Naturbeobachtungstourismus? .............................................. 228 3.4.2.3 Formen des Naturbeobachtungstourismus ....................................... 230 3.4.2.4 Überschneidungen mit anderen Tourismusformen.......................... 232 3.4.2.5 Wie sind typische Naturbeobachtungsangebote gestaltet? ................... 232 3.4.2.6 Zur Nachfrage von Naturbeobachtungsangeboten.......................... 234 4 Besuchermanagement in sensiblen Naturräumen ............ 239 ✻ von Prof. Dr. Hartmut Rein, Christof Dilzer 4.1 Belastungen von Natur und Landschaft durch Naturtourismus ...................................................................... 240 4.2 Grenzen der Naturnutzung ............................................................. 245 4.3 Besuchermanagement ...................................................................... 248 4.3.1 Besuchermonitoring in sensiblen Naturräumen ............................... 250 4.3.2 Besucherlenkung in sensiblen Naturräumen ..................................... 251 4.4 Der Besuchermanagementprozess................................................ 253 4.4.1 Kommunikation .................................................................................... 254 4.4.2 Zielsetzung ............................................................................................. 255 4.4.3 Planung ................................................................................................... 256 4.4.4 Monitoring ............................................................................................. 257 4.4.5 Analyse.................................................................................................... 258 4.4.6 Besucherlenkung ................................................................................... 259 4.4.7 Kontrolle ................................................................................................ 261 4.5 Mobilität im Naturtourismus.......................................................... 261 5 Angebotsentwicklung und Marketing im Naturtourismus ........................................................................... 269 5.1 Angebotsentwicklung im Naturtourismus.................................. 269 ✻ von Katharina Meifert 5.1.1 Anforderungen an Naturerlebnisangebote ........................................ 269 5.1.2 Angebotsbereiche im Naturtourismus ............................................... 271 5.1.3 Nachhaltigkeit von Naturerlebnisangeboten ..................................... 271 <?page no="12"?> 12 Inhalt 5.1.4 Praktischer Ansatz zur Angebotsentwicklung................................... 273 5.1.4.1 Gesamterlebnis entlang der Servicekette gestalten ........................... 281 5.2 Bedeutung von Storytelling im Naturtourismus ....................... 287 ✻ von Oliver Melchert 5.2.1 Erklärung und Abgrenzung von Storytelling..................................... 287 5.2.2 Wirkungsweise von Geschichten ........................................................ 287 5.2.3 Zutaten von Geschichten..................................................................... 288 5.2.4 Storytelling im Tourismus .................................................................... 288 5.2.5 Erfolg durch Gestaltung naturnaher Erlebnisse ............................... 289 5.2.6 Aufbau inszenierter Erlebnisse in der Natur..................................... 290 5.2.7 Inszenierung eines thematischen Wander- oder Radweges durch Storytelling....................................................... 291 5.2.8 Kernaussagen......................................................................................... 296 5.3 Digitalisierung im Naturtourismus - ein Widerspruch? ......... 297 ✻ von Dr. Alexander Schuler 5.3.1 Einführung: Digitalisierung im Tourismus ........................................ 298 5.3.2 Naturtourismus und Digitalisierung ................................................... 299 5.3.2.1 Inspirations-, Informations- und Buchungsphase ............................ 302 5.3.2.2 Aufenthalts- und Erlebnisphase .......................................................... 304 5.3.2.3 Reflektions- und Dialogphase ............................................................. 306 5.3.2.4 Management des Naturtourismus ....................................................... 307 5.3.3 Fazit......................................................................................................... 308 6 Organisation, Kooperation und die Zukunft im Naturtourismus ........................................ 311 ✻ von Dr. Alexander Schuler 6.1 Organisation, Kooperation und Aufgaben im Naturtourismus ............................................................................ 311 6.2 Kooperation zwischen Tourismusorganisationen und den Nationalen Naturlandschaften ...................................... 313 6.3 Empfehlungen für eine optimierte Kooperation ....................... 317 6.4 Die Zukunft des Naturtourismus in Deutschland .................... 318 Autorinnen und Autoren .................................................................................... 323 Index.......................................................................................................................... 331 <?page no="13"?> 1 Die Bedeutung des Naturerlebens im Tourismus von Prof. Dr. Hartmut Rein In diesem Kapitel werden folgende Fragen beantwortet:  Was ist der Unterschied zwischen Naturtourismus und Ökotourismus?  Was wissen wir über das Naturbewusstsein der Deutschen?  Wie lässt sich die Nachfrage im Naturtourismus systematisieren?  Welche Bedeutung hat das Naturerlebnis für die Tourismusnachfrage?  Welche wirtschaftliche Bedeutung hat der Naturtourismus? 1.1 Naturtourismus - Ein Überblick Die Bedeutung von Natur und Naturerleben nimmt im Tourismus stetig zu. Dadurch steigt die Nachfrage in naturgeprägten Destinationen und nach Naturerlebnisangeboten. Laut FUR-R EISEANALYSE 2014 war „Natur erleben“ für rund 60 % der Deutschen ein Urlaubsmotiv. 85 % gaben an, dass es sie glücklich mache, in der Natur zu sein, und 81 % fühlen sich mit Natur und Landschaft in der eigenen Region verbunden. Welche große Bedeutung das Erleben von Natur und Landschaft im Urlaub generell für die Deutschen hat, zeigte die Studie „Naturbewusstsein 2009“ zum ersten Mal repräsentativ auf (BMU, B F N 2010). Naturbilder sind häufig Urlaubs- und Freizeitbilder. Das heißt, die Vorstellungen von und das Bewusstsein gegenüber der Natur werden vor allem im Urlaub und in der Freizeit geprägt. Entsprechend wichtig ist vielen Menschen das Erleben von Natur in Urlaub und Freizeit, wie auch die weiteren Studien 2013, 2015 und 2017 zum Naturbewusstsein der Deutschen zeigen. Selbst „Wildnis“, wobei es sehr unterschiedlich ist, was Menschen darunter verstehen, gewinnt zunehmend an Akzeptanz in Deutschland (BMU, B F N 2014, vgl. Kap. 1.2). Während auf der nationalen Ebene mit den Naturbewusstseinsstudien allgemeine Erkenntnisse zu Wissen, Einstellungen und Verhaltensbereitschaften der deutschen Bevölkerung hinsichtlich Natur, Naturschutz und biologischer Vielfalt alle zwei Jahre ermittelt werden, liegen auf der Ebene der Bundesländer, der Regionen oder der Schutzgebiete nur vereinzelte oder unregelmäßig erhobe- <?page no="14"?> 14 Naturtourismus ne Erkenntnisse vor. Diese weisen auch nur teilweise einen touristischen Bezug auf bzw. haben andere thematische Schwerpunktsetzungen. Mit der Studie „Naturtourismus in Deutschland 2016“ (BTE 2016), die unter anderem auf Ergebnissen des „Naturerlebnis Monitor Deutschland“ (BTE 2016) beruhen, wurde erstmals auch auf Ebene der Bundesländer, der Tourismusregionen und der Schutzgebiete für Deutschland begonnen, systematisch Informationen zur Bedeutung des Naturerlebnisses für Erholungssuchende und Touristen zu ermitteln. International erlebt der naturbezogene Tourismus in seinen verschiedensten Ausprägungen (Naturtourismus, Ökotourismus) weltweit eine Konjunktur. Die global wichtigsten Großdestinationen des Naturtourismus liegen in Nordamerika (USA, Kanada), Australien, Neuseeland, Zentralasien und im Himalaya (Nepal), in Lateinamerika (Costa Rica, Belize, Ecuador, Peru, Brasilien), Südostasien (Malaysia, Thailand, Indonesien) und in Skandinavien sowie in Regionen mit Korallenriffen (Karibik, Rotes Meer, Indischer Ozean, Süd-Pazifik) (S IEGRIST ET AL . 2015, D ANIELLI , S ONDEREGGER 2009, S TRASDAS 2001). Aber auch viele ostafrikanische (Kenia, Tansania) und südafrikanische Staaten (Republik Südafrika, Namibia, Simbabwe, Botswana) sind das Ziel naturtouristischer Reisen, insbesondere in Form von Safaris (S TRASDAS 2001, vgl. auch Kap. 3.4.2.3). In Deutschland sind es laut IMT (2013) vor allem die Bundesländer Thüringen, Sachsen und Brandenburg, für die das höchste Interesse für das Thema Natururlaub besteht. Bei den Übernachtungsreisen der Deutschen ab einer Übernachtung wird der höchste Anteil an Reisen, die dem Naturtourismus zugeordnet werden können, vor allem in den Bundesländern Mecklenburg-Vorpommern (75 %), Schleswig-Holstein (71 %), Brandenburg und Niedersachsen (je 66 %) verzeichnet (IMT 2013, E ILZER 2017), die Küsten- und Seengebiete spielen dabei eine besondere Rolle. Schutzgebiete, wie Nationalparks, Naturparks, Biosphärenreservate etc. gelten weltweit als Garant für naturnahe Landschaften, eine besondere Tier- und Pflanzenwelt und weitgehend intakte Natur. In Deutschland sind es insbesondere die unter der Dachmarke Nationale Naturlandschaften (vgl. Kap. 2.1) zusammengeschlossenen 16 Nationalparks, 17 Biosphärenreservate und 105 Naturparks (vgl. B F N 2018), die laut E ILZER (2017) für „intakte Natur“, „schöne Landschaft“, „besondere Naturphänomene“ oder „Naturerleben“ stehen. <?page no="15"?> Naturerleben im Tourismus 15 Doch was ist eigentlich Naturtourismus? Wissen │ Naturtourismus Unter Naturtourismus wird in diesem Buch eine Form des Reisens in naturnahe Gebiete verstanden, bei der das Erleben von Natur und Naturphänomenen im Vordergrund steht und die Hauptmotivation für den Besuch dieser Gebiete darstellt (S TRASDAS 2001, S. 6). Im internationalen Kontext werden häufig auch die Begriffe Ecotourism oder Nature-based tourism für naturbezogene Tourismusformen genutzt. So definieren z. B. UNEP/ WTO (2005) Ökotourismus als eine Tourismusform, in der das Hauptmotiv des Touristen in der Beobachtung und dem Genuss der Natur sowie der vorherrschenden traditionellen Kulturen besteht, was im Wesentlichen der Definition von S TRASDAS für Naturtourismus entspricht. Eine grundsätzliche Aufarbeitung der Begrifflichkeiten und der Bedeutung von Natur- und Ökotourismus für den deutschsprachigen Raum erfolgte erstmals in einer Studie des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) im Jahre 1995, in der Ökotourismus als Instrument des Naturschutzes im Hinblick auf die Erhöhung der Attraktivität von Naturschutzvorhaben im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit untersucht wurde (AG Ö KOTOU- RISMUS 1995). Wissen │ Ökotourismus Dort wird Ökotourismus als eine Form des verantwortungsvollen Reisens in naturnahe Gebiete definiert, die negative Umweltauswirkungen und soziokulturelle Veränderungen zu minimieren sucht, zur Finanzierung von Schutzgebieten beiträgt und Einkommensmöglichkeiten für die lokale Bevölkerung schafft (AG Ö KOTOURISMUS 1995, S. 37 f.). Während Ökotourismus somit verantwortliches Reisen in naturnahe Gebiete beschreibt, spielen beim Naturtourismus entsprechend der hier im Lehrbuch verwendeten Definition (Anmerkung der Hg.), die Auswirkungen keine Rolle und können sowohl positiv als auch negativ sein (D ICKHUTH 2015, S. 106). Im Alpenraum findet der Begriff „naturnaher Tourismus“ Anwendung, den S IEGRIST ET AL . (2015) sehr umfassend im Sinne einer naturbezogenen Form des nachhaltigen Tourismus definieren. Naturnaher Tourismus wird als ein <?page no="16"?> 16 Naturtourismus verantwortungsvoller Aufenthalt in Naturgebieten und naturnahen Kulturlandschaften verstanden, der sich aus den regionalen Bedürfnissen und über die Mitbestimmung der Beteiligten entwickelt und dabei die Umwelt, die sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Gegebenheiten achtet sowie dauerhaft schützt, fördert und finanziert. Naturnaher Tourismus macht die Vielfalt der natur- und kulturlandschaftlichen Werte einer Region für die Besucher aktiv und mit allen Sinnen erlebbar und bringt der Bevölkerung vor Ort Arbeitsplätze und regionale Wertschöpfung (S IEGRIST 2016, S. 35 f.). Die Bezeichnung Nature-based tourism wird nach B UCKLEY 2009 für alle Formen des Tourismus verwendet, die sich auf eine relativ ungestörte natürliche Umwelt oder auf natürliche Merkmale beziehen (S IEGRIST ET AL . 2015, S. 25). Literaturtipps Ausführlichere Informationen zu den definitorischen Unterschieden finden Sie zum Beispiel in: A RBEITSGRUPPE Ö KOTOURISMUS 1995: Ökotourismus als Instrument des Naturschutzes? Möglichkeiten zur Erhöhung der Attraktivität von Naturschutzvorhaben. Forschungsberichte des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ), Band 116. Weltforum Verlag, Köln S IEGRIST , D.; G ESSNER , S.; K ETTERER B ONNELAME , L., 2015: Naturnaher Tourismus. Qualitätsstandards für sanftes Reisen in den Alpen. Zürich, Bristol Stiftung; Bern, Haupt. Die Erscheinungsformen des Naturtourismus im Sinne der Definition dieses Buches sind vielfältig. Sie reichen von aktivem Naturerleben in der Freizeit und im Urlaub bei landbasierten Aktivitäten in der Natur, wie z. B. Wandern, Radfahren, Wanderreiten und wasserbezogene Aktivitäten, wie z. B. Kanuwandern und Tauchen, bis zu mehr lern- und verständnisbezogenen Aktivitäten, wie z. B. Teilnahme an Natur- und Umweltbildungsangeboten, Hobbyornithologie und -astronomie oder mehr genussorientierten und passiveren Formen, wie dem Besuch naturtouristischer Attraktionen, wie z. B. Wasserfälle, Aussichtspunkte, spektakuläre Felsen etc. und lassen sich in unterschiedlichster Weise angebots- und nachfrageseitig systematisieren (vgl. Kap. 1.3). <?page no="17"?> Naturerleben im Tourismus 17 1.2 Naturbewusstsein in der Bevölkerung Welche Naturerlebnisse und Naturangebote bei Erholungssuchenden und Touristen Anklang finden, ist von der Ausprägung des Naturbewusstseins der jeweiligen Personen abhängig. Hier liefern die „Naturbewusstseins-Studien“, die seit 2009 vom Bundesumweltministerium (BMU) und dem Bundesamt für Naturschutz (BfN) alle zwei Jahre für Deutschland erstellt werden, einen regelmäßigen Einblick in das Wissen, die Einstellungen und die Verhaltensbereitschaft der deutschen Bevölkerung hinsichtlich Natur, Naturschutz und biologischer Vielfalt. Unter Naturbewusstsein wird in den Studien „die Gesamtheit der Erinnerungen, Wahrnehmungen, Emotionen, Vorstellungen, Überlegungen, Einschätzungen und Bewertungen im Zusammenhang mit der Natur, einschließlich der Frage, was vom Einzelnen überhaupt als Natur aufgefasst wird“ verstanden (BMU, B F N 2010, S. 17). Es geht danach um die subjektiven Auffassungen und Einstellungen zur Natur. Diese unterliegen einem stetigen Wandel, der durch die jeweiligen aktuellen gesellschaftlichen Diskussionen geprägt wird. Die Naturbewusstseinsstudien dienen daher der kontinuierlichen Beobachtung (Monitoring) von Veränderungen des Verhältnisses der Deutschen zur Natur. 2009 erfolgte die erste repräsentative Erhebung zum Naturbewusstsein in Deutschland. Dazu wurden mehr als 2.000 Personen ab dem vollendeten 18. Lebensjahr aus allen Teilen und soziodemografischen Segmenten Deutschlands befragt. Im Mittelpunkt standen die Erfassung der persönlichen Einstellungen zur Natur, der Wissensstand über die Natur und die individuelle Handlungsbereitschaft zum Naturschutz (BMU, B F N 2010). Einige wichtige Ergebnisse dieser Studie mit Relevanz für den Naturtourismus sind:  Für 95 % der deutschen Bevölkerung gehört Natur zu einem guten Leben einfach dazu, sie wird mit Lebensqualität, Gesundheit, Erholung und Vielfalt gleichgesetzt.  Circa 80 % der Deutschen sind nach eigenen Aussagen häufig draußen in der Natur. Mit Ausflügen in die Natur wird vor allem Ruhe und Erholung verbunden.  Natur wird mit Landschaft-, Wald- und Wiesenbildern assoziiert. Rund 50 % der Befragten beschreiben Landschaften, Landschaftsausschnitte oder Naturorte. In mehr als der Hälfte der Naturbilder kommen Wald oder Wiese als Landschaftselemente vor.  Naturbilder sind häufig Urlaubs- und Freizeitbilder. Natur bedeutet Stille, Entspannung und Erholung. Sie ist der Gegenpol zum stressigen Alltag. <?page no="18"?> 18 Naturtourismus  71 % wünschen sich mehr Wissen über die Natur, 65 % haben nach eigenen Angaben schon ein gutes Wissen über die heimische Tierwelt, 61 % über die heimische Pflanzenwelt.  Natur bietet für eine große Mehrheit der Befragten viele Möglichkeiten für den Tourismus und überhaupt für die menschliche Nutzung. Sie ist ein wichtiges Attraktivitätsmerkmal von Urlaubsregionen. 2011 folgte die zweite Naturbewusstseinsstudie, die weitere ausgewählte Erkenntnisse mit Relevanz für den Naturtourismus brachte (BMU, B F N 2012):  93 % geben an, sie würden ausgewiesene Schutzzonen in der Natur respektieren und nicht betreten.  Besonders naturverbunden sind Ältere und Gutgebildete.  Gesundheit und Erholung in der Natur zählen zu den wichtigsten Naturschutzgründen.  87 % sind bereit, Obst und Gemüse aus der Region zu kaufen. Die Naturbewusstseinsstudie 2013 rückte u. a. das Verhältnis der Deutschen zum Thema Wildnis in den Mittelpunkt. Wesentliche für den Naturtourismus wichtige Erkenntnisse waren (BMU, B F N 2014):  Ein Drittel der Bevölkerung denkt bei „Wildnis“ spontan an „unberührte Natur“ und verbindet damit positiv besetzte Begriffe wie „rein“, „echt“, „unverfälscht“ und „unverbraucht“. Deutlich weniger verbinden mit dem Begriff gegenteilige Assoziationen, wie Chaos oder Verwahrlosung.  Obwohl für knapp jeden Fünften Wildnis die Abwesenheit von Menschen bedeutet, wollen vier von fünf, dass Wildnis in Deutschland für Menschen zugänglich ist.  Allerdings erkennen die meisten Menschen, dass dafür Regeln erforderlich sind, um die Wildnis als solche zu erhalten. So akzeptieren 35 %, dass ein Zugang nur auf bestimmten Wegen erfolgen sollte und 33 % würden es begrüßen, wenn ein Zugang zur Wildnis nur unter fachkundiger Führung erfolgen würde. Nur eine Minderheit von 11 % spricht sich für einen ungehinderten Zugang aus. Stadtnatur und Agrarlandschaften waren Schwerpunktaspekte der Naturbewusstseinsstudie 2015. Neue Erkenntnisse der Studie, die für den Naturtourismus Bedeutung haben können, sind (BMU, B F N 2016):  Auch 2015 gehört für die meisten Menschen Natur zu einem guten Leben dazu (94 %), je 92 % schätzen ihre Vielfalt und verbinden Natur mit Gesundheit und Erholung. 90 % macht es glücklich in der Natur zu sein. <?page no="19"?> Naturerleben im Tourismus 19  85 % wollen so oft als möglich in der Natur sein. Ebenso viele fühlen sich mit der Natur und Landschaft in der eigenen Region verbunden.  Frauen fühlen sich der Natur stärker verbunden als Männer. 94 % der Frauen, aber nur 86 % der Männer stimmen der Aussage zu, dass es sie voll und ganz oder zumindest eher glücklich macht, in der Natur zu sein.  54 % gefällt Natur umso besser, je wilder sie sich darstellt.  92 % finden es wichtig, Kindern die Natur nahe zu bringen.  Inzwischen 62 % sind vollends davon überzeugt (2013: 57 %), dass Natur nur so genutzt werden dürfe, dass dies auch für kommende Generationen im gleichen Umfang möglich ist und die Vielfalt der Pflanzen und Tiere sowie ihrer Lebensräume auf Dauer gesichert ist (2013: 55 %).  92 % geben an, dass Stadtnatur als Raum für Erholung und Entspannung ihnen sehr wichtig oder eher wichtig ist und 91 % betonen die Rolle von Stadtnatur für die eigene Lebensqualität und Gesundheit.  29 % ist es wichtig und weitere 43 % finden es eher wichtig, dass landwirtschaftlich genutzte Gebiete auch für die Freizeit und Erholung nutzbar sind.  93 % finden es sehr wichtig oder eher wichtig, dass bei der Haltung von Nutztieren das Wohl der Tiere beachtet wird, indem sie zum Beispiel Auslauf oder Zugang zu einer Weide haben. Im Sommer 2018 erschien die Naturbewusstseinsstudie 2017 (BMU, B F N 2018) mit dem neuen Befragungsschwerpunkt „Meeresnaturschutz“. Wesentliche Ergebnisse für den Naturtourismus sind unter anderem:  Mit „Meeresnatur“ assoziieren die Befragten vor allem Tierwelt (73 %) und denken dabei vor allem an Fische, Korallen, Muscheln, Wale, Krebse und Vögel; Lebensräume und Strukturen (42 %), womit sie insbesondere Meer/ Ozean, Wasser als Element und Lebensraum sowie Strand und Dünen verbinden; Pflanzenwelt (40 %), womit fast ausschließlich Algen und Seetang verbunden werden; sowie Schutz und Gefährdung (39 %).  Bei der Assoziation Schutz und Gefährdung wird vor allem an die Verschmutzung der Meere durch (Plastik-)Müll, an sauberes Wasser/ Meere, an Überfischung sowie Ölverschmutzung gedacht.  94 % der Befragten befürworten die Einrichtung von Naturschutzgebieten in Nord- und Ostsee, 53 % halten solche Gebiete sogar für „sehr wichtig“.  92 % der Befragten möchten sich darauf verlassen können, dass der Handel keine Fischprodukte von bedrohten Arten anbietet und neun von zehn befürworten die Kennzeichnung von Fischprodukten aus naturschonender Fischerei; Aspekte, die für kulinarische Angebote im Zusammenhang mit Naturtourismusangeboten von Bedeutung sind. <?page no="20"?> 20 Naturtourismus Diese Ergebnisse sind vor dem Hintergrund, dass die Küsten wichtige Tourismusdestinationen sind, die allein in Deutschland 21,8 Millionen Gästeankünfte in Zielorten in Meeresnähe auf sich vereinen und damit 12,7 % aller Ankünfte in Deutschland (S TATISTISCHES B UNDESAMT 2017, zitiert in BMU, B F N 2018, S. 18), von besonderer Bedeutung für den Naturtourismus. Neben Fragen zur Energiewende, die weiterhin deren hohe Akzeptanz bestätigen, aber auch zeigen, dass negative Veränderungen des Landschaftsbildes vermieden werden müssen, wenn die Akzeptanz auf gleichem Niveau erhalten bleiben soll, wurden Fragen zum Einsatz von Gentechnik in der Landwirtschaft sowie erstmals auch Fragen zu Naturschutz und Naturbezug auf globaler und regionaler Ebene gestellt. Hierbei geht es unter anderem um die Frage, welche Natur die Menschen stärker geschützt sehen wollen: die Natur in der eigenen Region oder die Natur auf der Erde. Auch hier finden sich einige für den Naturtourismus interessante Ergebnisse:  79 % halten die Art und Weise, wie mit der Natur auf der Erde umgegangen wird, für äußerst problematisch. Dagegen sind nur 39 % besorgt über den Umgang mit der Natur in der Region.  Zwar sind 68 % der Befragten davon überzeugt, dass die Identität der Menschheit im Wesentlichen von der Natur bestimmt wird. Aber nur 57 % der Befragten sind davon überzeugt, dass die Identität einer Region im Wesentlichen von der hiesigen Natur bestimmt wird.  Diese Ergebnisse überraschen. Sie zeigen, dass die Relevanz des Naturschutzes auf globaler Ebene demnach höher bewertet wird als die des Naturschutzes auf regionaler Ebene. Dies stimmt zwar mit der Einschätzung überein, dass der Zustand der globalen Natur kritischer gesehen wird als der Zustand der regionalen Natur. Es widerspricht aber der Tatsache, dass die Wirkmöglichkeiten des Einzelnen auf globaler Ebene geringer sind als auf der regionalen Ebene. Auch zeigt die Studie, dass die meisten Deutschen grundsätzlich bereit sind, selbst etwas zum globalen wie regionalen Naturschutz beizutragen - zumindest sofern der Aufwand nicht hoch ist. So bezieht sich die Aussage vor allem auf die Einhaltung von Verhaltensregeln in Schutzgebieten, die lediglich ein regelkonformes Verhalten widerspiegeln. Generell wird festgestellt, dass der Schutz der weltweiten Natur für viele Deutsche eine höhere Verpflichtung darstellt als der Schutz der regionalen Natur (vgl. BMU, B F N 2018). Wichtige Hinweise zum Naturbewusstsein der Deutschen finden sich auch in den Studien zum „Umweltbewusstsein in Deutschland“, die seit 1996 im Auftrag des Bundesumweltministeriums (BMU) und des Umweltbundeamtes (UBA) ebenfalls alle zwei Jahre erhoben werden. In diesen Studien steht zwar das generelle <?page no="21"?> Naturerleben im Tourismus 21 Umweltbewusstsein der Deutschen im Mittelpunkt, trotzdem finden sich auch dort immer wieder Aussagen, die einen direkten Bezug mit Relevanz für den Naturtourismus aufweisen: So orientierte sich die Studie 2000 zur Beschreibung der Naturvorstellung der Deutschen an der amerikanischen „Cultural Theory“ von T HOMPSON , E LLIS , W ILDAVSKY (1990), die vier Denkstile der Naturvorstellung unterscheidet: „Die Natur ist strapazierfähig“, „Die Natur ist empfindlich“, „Die Natur ist in Grenzen tolerant“ sowie „Die Natur ist in ihrem Verhalten nicht kalkulierbar“ (vgl. Abb. 1). Dabei findet das Leitbild der in Grenzen toleranten Natur mit 53 % der Befragten die meisten Anhänger. Je 47 % halten die Natur für empfindlich oder schätzen sie als unberechenbare Natur ein. Nur 4 % halten sie für strapazierfähig und gutmütig (BMU 2000, S. 74). 1 Die „strapazierfähige Natur“ Im Grunde ist die Natur so eingerichtet, dass sie immer wieder ins Lot kommt. Gleichgültig was man macht, der Ball kehrt wieder in die Ausgangslage zurück. 2 Die „empfindliche Natur“ Die Natur ist sehr empfindlich gegenüber jeder Art von Eingriff. Schon kleine Eingriffe können dazu führen, dass der Ball außer Kontrolle gerät. 3 Die „in Grenzen tolerante Natur“ In gewissem Maße können Eingriffe in die Natur erfolgen. Erst wenn ein gewisser Punkt überschritten ist, gerät der Ball außer Kontrolle 4 Die „unberechenbare Natur“ Wenn man Eingriffe in die Natur vornimmt, weiß man nicht, ob das gute oder schlechte Folgen haben wird. Es ist nicht vorhersehbar, wie sich der Ball bewegen wird . Abb. 1: Naturvorstellungen Quelle: aus BMU 2004, S. 32  In der Umweltbewusstseinsstudie 2006 wird das Thema Tourismus bei der Verkehrsmittelnutzung angesprochen. So wird zum Beispiel nach der Nutzung von Billigfliegern und zur Bedeutung von naturnahen Tourismusange- <?page no="22"?> 22 Naturtourismus boten gefragt. Während Billigflieger für Reisen zu Naturerlebniszielen in der Studie keine Bedeutung zu haben scheinen, finden 60 % der Befragten den Besuch eines Nationalparks in Deutschland interessant (BMU 2006, S. 56).  In der Studie für das Jahr 2010 wurde gefragt, welche Rolle Naturerlebnisse im Urlaub für die Menschen spielen. Deutlich wurde die große Bedeutung, die Naturerlebnisse im Urlaub der Menschen haben. So spielen nationale Naturlandschaften für die Hälfte der Bevölkerung und bei Familien für 54 % eine Rolle bei der Wahl des Urlaubsziels. Für zwei Drittel sind Naturerlebnisangebote am Urlaubsort wichtig (BMU, UBA 2010, S. 72).  In der Umweltbewusstseinsstudie 2014 wird „gutes Leben“ als zentraler Begriff der aktuellen Diskussion um ein zeitgemäßes Verständnis von Wohlstand und Lebensqualität eingeführt. Für 30 % der Befragten sind eine „intakte Umwelt/ Natur genießen“ ein wichtiger Aspekt eines guten Lebens und nehmen Platz 5 bei den genannten Aspekten eines guten Lebens ein (BMUB, UBA 2015, S. 24).  Die Studie für das Jahr 2016 zeigt, dass erst 6 % der Befragten schon einmal die Möglichkeit genutzt haben, eine freiwillige Kompensation bei Flugreisen zu zahlen (BMUB, UBA 2017, S. 69). Dies wäre gerade bei Naturtourismusreisen in ferne Ziele eine Möglichkeit, um unvermeidbare Umweltbelastungen, die durch den Flug entstehen, auszugleichen. Deutlich wird in allen Studien, dass Natur und Naturerlebnisse für die meisten Deutschen unverzichtbarer Bestandteil von Erholung und Urlaub sind. 1.3 Die Bedeutung des Naturerlebnisses für die Tourismusnachfrage Doch wie zeigt sich diese hohe Bedeutung von Natur und des Naturerlebnisses nun in der konkreten Tourismusnachfrage? Was sind die wichtigsten Nachfragegruppen? Welche Arten von Erlebnissen sind besonders attraktiv und prägend für die Nachfrage? Neben den Naturbewusstseinsstudien finden sich auf Bundesebene keine weiteren Studien, die dezidiert das Naturbewusstsein und das Naturerleben der Deutschen in den Mittelpunkt stellen. Hinweise finden sich in touristischen Leitfäden, die zur Entwicklung von Naturerlebnisangeboten publiziert wurden (vgl. Kap. 5.1). Diese greifen in der Regel nachfragebezogene Einzelergebnisse der jeweiligen Reiseanalysen der Forschungsgruppe Urlaub und Reisen (FUR) auf und segmentieren diese bezogen auf verschiedene angebotsbezogene Bereiche. <?page no="23"?> Naturerleben im Tourismus 23 Auf Einzelräume bezogen liefern regionalökonomische Studien (z. B. von Job et al.) für Nationalparks, Biosphärenreservate und einige wenige Naturparks Informationen zur Naturtourismusnachfrage. Für Nationalparks und Biosphärenreservate liegen auch aggregierte Hinweise für Deutschland vor (J OB ET AL . 2009, J OB ET AL . 2013). Im Mittelpunkt dieser Studien stehen die regionalwirtschaftlichen Effekte, die durch den Besuch der Schutzgebiete ausgelöst werden (vgl. Kap. 1.4). In der Literatur wie in der Praxis wird viel über den Naturtourismus und Naturerlebnisse gesprochen. Vor allem regionale Tourismusorganisationen werben mit dem Thema Natur. Doch Natur und Naturphänomene können auf unterschiedlichste Arten erlebt werden. Ausschlaggebend sind sowohl die naturtouristischen Angebotsformen als auch die naturtouristische Nachfrage und ihre Bedürfnisse. 1.3.1 Angebotsseitige Systematisierungen Angebotsbezogene Systematisierungen zeigen, wie unterschiedlich die Zugänge zu Naturerlebnissen sein können. Unterschieden werden kann zum Beispiel zwischen: „Naturtourismus im engeren Sinne“, wozu die Bereiche Natur + Lernen, Natur + Essen, Naturbeobachtung sowie Aktiv in der Natur gehören und Aktivitäten wie Naturbeobachtung, Vogelbeobachtung, aktives Naturerleben als Wanderer, Radfahrer, Kanute, Reiter etc. eingeschlossen sind. Ferner in „Naturtourismus im weiteren Sinne“, bei denen die Natur primär eine attraktive Kulissenfunktion hat und zum Beispiel der sportliche Aspekt von Aktivtourismusformen, wie Wandern, Radfahren, Kanu fahren, Reiten, Tauchen etc. im Mittelpunkt steht (vgl. Abb. 2). In dem im Jahre 2015 erschienen Leitfaden zur Konzeption von Naturerlebnisangeboten von VDN und EUROPARC werden folgende fünf Angebotsbereiche unterschieden:  Natur sehen und verstehen (Aktivitäten der Natur-/ Umweltbildung und -beobachtung)  Natur aktiv erleben (körperliche Aktivitäten in der Natur)  Natur spüren (Aktivitäten zur Gesunderhaltung in der Natur)  Über Natur der Region begegnen (Aktivitäten zur Bewusstseinsbildung regionaler Identität)  Natur unterstützen (Freiwilligenarbeit in der Natur) <?page no="24"?> 24 Naturtourismus Abb. 2: Definitorische Eingrenzung Naturtourismus Quelle: Eigene Darstellung verändert nach project m, BTE, dwif, FH Eberswalde 2008: Leitfaden Naturtourismus Brandenburg Naturtourismus − Definitorische Eingrenzung Naturtourismus (im engeren Sinne) Naturerlebnis in GSG steht im Vordergrund infrastrukturbezogen landschaftsbezogen  Besuch von Wildtiergehegen  Besuch von Informations- und Umweltbildungszentren der Großschutzgebiete  Naturlehrpfade  Naturprodukte genießen  Geowege  Moorpfade  Birdwatching  Naturbeobachtung  Aktives Erleben als Wanderer, Radfahrer, Reiter, Kanuwanderer, Langläufer, Taucher etc.  Aktive Landschaftspflege Definition Unter „Naturtourismus in“ ist ein touristisches Angebot zu verstehen, in dem das Naturerlebnis stets im Mittelpunkt steht, wie z.B. Natur beobachten, aktives Naturerleben zu Fuß, per Rad, Pferd oder Boot, Natur studieren und entdecken, Aktionen in der Natur. Gebietskulisse Nationale Naturlandschaften sowie zusätzliche geeignete Gebiete Zusätzliche Segmente Mit dem Naturtourismus verbundene Segmente „Natur als Angebotsbaustein, Kombinationsangebot“ (anlagenbezogen) Naturbezogener Tourismus im weiteren Sinne „Aktivität steht im Vordergrund“ (Natur als Kulisse)  Urlaub auf dem Bauernhof  Besuch von Zoos  Gesundheit und Wellness in der Natur (z.B. Kneippanwendungen)  Kulturveranstaltungen in der Natur  Gartentourismus  Golfen  etc.  Natursportaktivitäten (Wandern, Radfahren, Kanufahren, Segeln, Rudern etc.)  spazieren gehen  Angeltourismus, Sportfischen  Jagdtourismus Natur + Lernen Natur + Essen Naturgenuss Naturbeobachtung Aktiv i. d. Natur <?page no="25"?> Naturerleben im Tourismus 25 Welche Aktivitäten die deutsche Bevölkerung tatsächlich mit Naturerleben verbindet, wurde daher im Rahmen des Naturerlebnis-Monitor Deutschland 2015 (BTE 2016) erfragt. Befragt wurden die Teilnehmer nach ihrer Einschätzung von insgesamt 37 naturbezogenen Aktivitäten in folgenden Gruppen = Aktivitätencluster:  Wandern: Wandern/ Bergwandern, Waldlauf/ Joggen, Nordic Walking, Klettern, Geocaching, Golf spielen.  Bildung: Tierbeobachtung, Naturexkursion, Sternebeobachtung  Winter: Winterwandern, Skilanglauf, Schneeschuhwandern, Snowboarden, Abfahrtsskilauf, Skibergsteigen/ Tourenskifahren, Schlittenfahren/ Rodeln  Rad: Radfahren, Mountainbiking, Inline-Skating, Quadfahren  Luft: Paragliding, Segelfliegen, Ballonfahren  Wasser: Kanu-/ Kajakfahren, Wanderrudern, Motorbootfahren, Hausbootfahren, Floßfahren, Segeln, Stand-Up-Paddling, Canyoning, Tauchen  Sonstige: Campieren in der Natur, Reiten, Kutsche fahren, Jagen, Angeln Abb. 3 zeigt die Top 10 Aktivitäten, bei denen das Naturerleben eine große Rolle spielt auf einer Skala von 0 (spielt keine Rolle) bis 10 (spielt eine sehr große Rolle). Die Aktivitäten mit einer Bewertung ab 7 (spielt eine große Rolle) sind hervorgehoben. Die Top 10 Aktivitäten verteilen sich quer über alle Gruppen = Aktivitätencluster. Naturerlebnis-Monitor Deutschland (NeMo) Im Rahmen einer bundesweiten Online-Haushaltsbefragung wurden 2015/ 2016 insgesamt 3.238 Personen (Tages- und Übernachtungsgäste) zu ihrer Bewertung des naturtouristischen Angebotes in den damals 104 Naturparks, 16 Nationalparks und 16 Biosphärenreservaten in Deutschland sowie ihrem Reise- und Informationsverhalten im Naturtourismus befragt. Die Befragung war eine gemeinsame Initiative von BTE, VDN und EUROPARC. Das Sample umfasste zwei Gruppen:  NeMo-Interessierte: Eine Hauptgruppe, welche den Fragebogen über sehr unterschiedliche Medien und Zugänge ausgefüllt hat: Eigene Befragungswebseite, Newsletter, Aufrufe in der regionalen Presse, Links auf Websites der Nationalparks, Naturparks und Biosphärenreservate und der verschiedenen Tourismusorganisationen, Facebook-Post auf unterschiedlichen Kanälen etc. (n=2.182) <?page no="26"?> 26 Naturtourismus  Panel: Eine repräsentative Vergleichsgruppe bezogen auf die Merkmale Alter, Geschlecht und Herkunft (Bundesland) (n=1.056) Insgesamt wurde der Befragungslink von 4.840 Personen aufgerufen. Von diesen haben 72 % den Fragebogen vollständig ausgefüllt. Die Vergleichsgruppe im Panel ist repräsentativ bezogen auf die Merkmale Alter, Geschlecht und Herkunft (Bundesland) der deutschen Bevölkerung. Bezogen auf die vorgenannten Merkmale zeigen sich in der Hauptgruppe (NeMo- Interessierte) leichte Verschiebungen. Deutliche Unterschiede zwischen Haupt- und Vergleichsgruppe sind vor allem bezogen auf die Merkmale Bildung und Einkommen vorhanden, wobei die NeMo-Interessierten höhere Bildungsabschlüsse und Einkommen aufweisen (S CHULER , R EIN 2016). Abb. 3: Top 10 der Naturerleben-Aktivitäten nach Gesamtbewertung n=unterschiedlich; Skala 0-10: 0=spielt keine Rolle, 10=spielt sehr große Rolle Quelle: BTE, VDN, ED 2016; Naturerlebnis-Monitor Deutschland 2015 Schneeschuhwandern Waldlauf, Joggen (auf Wegen) 8 9 10 Wanderrudern 7 Wandern, Bergwandern Winterwandern Tierbeobachtung Naturexkursion Radfahren Campieren in der Natur Kanu-/ Kajakfahren 1 2 3 4 5 6 Wandern Bildung Winter Rad Sonstiges Wasser 5,42 5,78 5,8 7,73 8,24 7,56 7,18 7,11 6,47 5,8 Aktivitätencluster Bei welcher der Aktivitäten spielt Ihrer Meinung nach das Naturerleben eine große Rolle? <?page no="27"?> Naturerleben im Tourismus 27 Es sind insbesondere die Aktivitäten Wandern, Tierbeobachtung, Naturexkursionen, Winterwandern und Radfahren, die von den Befragten verstärkt mit Naturerleben in Verbindung gebracht wurden. Ähnliche Ergebnisse zeigt eine Untersuchung von S IEGRIST ET AL . (2015) für den Alpenraum, bei der an erster Stelle Wandern/ Bergwandern, an zweiter Stelle Natur- und Kulturexkursionen und an dritter Stelle Winterwandern dem naturnahen Tourismus zugeordnet werden. Es folgen an vierter Stelle Langlaufen und an fünfter Stelle Schneeschuhwandern, was mehr dem im Alpenraum vorherrschenden Angebot entspricht (S IEGRIST ET AL . 2015, S. 122). Bei der Frage nach der Bedeutung des Vorhandenseins eines Nationalparks, Naturparks oder Biosphärenreservats für das Naturerleben und die Wahl des Ausflugsbzw. Reiseziels zeigte sich, dass insgesamt 71 % der Befragten das Vorhandensein als wichtig (26 %) bzw. sogar sehr wichtig (45 %) einstufen. In bekannten Studien zum Reise- und Informationsverhalten der Deutschen steht das Reisemotiv „In der Natur sein, Natur erleben“ im Ranking seit Jahren auf einem der vorderen Plätze. Orientiert an den üblichen, aus anderen Studien wie der FUR-Reiseanalyse bekannten Motiven, wurde im Naturerlebnis-Monitor 2015 nach den Gründen für den Besuch der Nationalparks, Naturparks oder Biosphärenreservate gefragt. Abb. 4 zeigt, dass das Motiv „In der Natur sein, Natur erleben“ klar an erster Stelle steht, gefolgt von den Motiven „Wandern“, „Tier- und Pflanzenwelt erleben“ sowie „Kraft tanken, zu sich kommen“. Ein Vergleich der Werte mit denen der FUR-Reiseanalyse 2014 (Schwerpunkt Nachhaltige Nachfrage), welche das Reiseverhalten der Deutschen mit einem Fokus auf den Themenschwerpunkt „Nachhaltige Urlaubsreise“ betrachtet, zeigt, dass die Motive „In der Natur sein“ sowie „Wandern“ unter den Befragten des Naturerlebnis-Monitors Deutschland 2015 noch häufiger genannt werden. Die Motive „Kraft tanken, zu sich kommen“ sowie „Regionale Speisen und Getränke genießen“ werden hingegen seltener benannt, als in der FUR- Reiseanalyse Schwerpunkt Nachhaltige Nachfrage. <?page no="28"?> 28 Naturtourismus Abb. 4: Vergleich ausgewählter Motive für den Naturbesuch Naturerlebnis-Monitor Deutschland 2015 mit FUR-Reiseanalyse 2014 n=976; Mehrfachnennung möglich Quellen: BTE, VDN, ED 2016; Datenbasis: Naturerlebnis-Monitor Deutschland 2015, FUR- Reiseanalyse 2014 Im Naturerlebnis-Monitor 2015 wurden ferner verschiedene Angebote und Infrastrukturen für das Naturerlebnis in den jeweiligen Nationalparks, Naturparks und Biosphärenreservaten auf einer Skala von 0 (sehr unzufrieden) bis 10 (sehr zufrieden) bewertet. Die Befragten hatten auch immer die Möglichkeit anzugeben, dass sie ein Angebot nicht genutzt haben. Abb. 5 zeigt eine Auswahl an bewerteten touristischen Infrastrukturen, wobei ab einem Wert von 7 davon auszugehen ist, dass die Besucher eher zufrieden mit dem Angebot waren. Es zeigt sich, dass besonders die Naturlandschaft, die Wanderwege, das Angebot an regionalen Produkten, die Beschilderung, Aussichtstürme, Naturlehrpfade, Gastronomie und Unterkünfte als gut bewertet werden. Ursprüngliches und Echtes erleben Regionale Speisen und Getränke genießen Interesse, die Naturlandschaft kennenzulernen 8 9 10 11 Etwas für die Gesundheit tun 7 In der Natur sein, Natur erleben Kraft tanken, zu sich kommen Wandern Tier- und Pflanzenwelt erleben Zeit mit der Familie / Freunden verbringen Spazieren gehen (Außergewöhnliche) Naturerlebnisse sehen 1 2 3 4 5 6 38% 39% 42% 70% 82% 65% 64% 49% 47% 45% 36% Warum haben Sie die Nationale Naturlandschaft besucht? 68% 45% 71% 71% Vergleich Reiseanalyse 2014 <?page no="29"?> Naturerleben im Tourismus 29 Abb. 5: Bewertung des touristischen Angebotes in den Schutzgebieten n=976, Skala 0-10: 0=sehr unzufrieden, 10=sehr zufrieden Quelle: BTE, VDN, ED 2016, Datenbasis: Naturerlebnis-Monitor Deutschland 2015 Ein interessanter Indikator für die Bedeutung und die Attraktivität des Naturerlebnisses in einem Gebiet für die Tourismusnachfrage ist auch die Weiterempfehlungsbereitschaft. Die Frage nach der Weiterempfehlung ist mit der eigenen Reputation verknüpft. Menschen empfehlen etwas nur weiter, wenn sie davon tatsächlich überzeugt sind, da sonst ihre eigene Reputation Schaden nimmt. Die Weiterempfehlungsbereitschaft wird in vergangenen Jahren oftmals durch den Net Promoter Score (NPS) gemessen. Hierbei wird einem Kunden (hier dem Besucher) die Frage gestellt: „Würden Sie diese Marke/ Firma (hier die Schutzgebiete als besondere Naturerlebnisgebiete) einem Freund empfehlen? “ (Reichheld 2003). Antwortet der Befragte auf einer Skala von 0 bis 10 mit den Werten 9 oder 10, wird er als Promoter klassifiziert. Mit Werten von 0 bis 6 gilt er hingegen als Detractor. Der Net Promoter Score ist definiert als Prozentanteil Promoter minus Prozentanteil Detractor aller Befragten. So ergibt sich aus der Berechnung ein mögliches Ergebnis zwischen -100 und 100. Ein gutes Ergebnis ist stark von der Branche, dem Wettbewerbsumfeld und dem Kulturkreis abhängig. Grundsätzlich ist ein höheres, zweistelliges, positives NPS-Ergebnis als gut zu bewerten. Der Net Promoter Score gilt als eine geeignete Methode zur Messung der Kundenzufriedenheit. Er hat allerdings seine Begrenzungen, wenn es um die tatsächliche Kundenbindung (= Commitment) geht (R UF 2007). Angebote für Familien/ Kinder Besucherzentrum Naturlehrpfade etc. Naturlandschaft/ Landschaftsbild Beschilderung/ Leitsystem Aussichtspunkte, -türme Gastronomie Unterkünfte Naturerlebnisveranstaltungen 6,87 6,91 7,25 8,68 7,47 7,39 7,32 7,26 6,85 Wanderwege Angebote regionaler Produkte 8,21 7,48 Wie bewerten Sie die Qualität des Angebots? Zufriedenheit auf Skala von 0 (nicht zufrieden) bis 10 (sehr zufrieden) <?page no="30"?> 30 Naturtourismus Im Rahmen des Naturerlebnis-Monitors wurden alle Besucher eines Nationalparks, Naturparks oder Biosphärenreservats nach der Weiterempfehlungsbereitschaft basierend auf dem Net Promotor Score gefragt (vgl. Abb. 6). Abb. 6: Weiterempfehlungsbereitschaft für Nationalparks, Naturparks und Biosphärenreservate auf Basis des Net Promotor Scores (NPS) n=976; Skala 0-10: 0=auf gar keinen Fall, 10=bestimmt; NPS: 0-6=Detraktoren, 7-8 =Passive, 9-10=Promotoren Quelle: BTE, VDN, ED 2016, Datenbasis: Naturerlebnis-Monitor Deutschland 2015 Mit einem NPS-Ergebnis von 66 weisen die Nationalparks, Naturparks und Biosphärenreservate in der Summe ein zufriedenstellendes Ergebnis auf. Wobei die NPS-Ergebnisse zwischen den einzelnen Schutzgebieten je nach Lage, Ausstattung und Öffentlichkeitsarbeit sehr variieren können. So erzielte z. B. das Gebiet des Biosphärenreservats & Naturpark Rhön einen NPS von 84 % (BTE, VDN, ED 2016). Die Befragungsergebnisse zeigen, dass die Nationalparks, Naturparks und Biosphärenreservate in Deutschland als Marke bereits bekannt sind. Vor allem Aktivitäten wie Wandern, Tierbeobachtung, Naturexkursionen, Winterwandern und Radfahren werden mit Naturerleben verbunden. Vor allem Motive wie „Natur erleben“, „Wandern“, „Tier- und Pflanzenwelt“ erleben und „Kraft tanken“ bringt die Deutschen raus in die Natur. Die überwiegende Mehrheit der Besucher würde die Nationalparks, Naturparks und Biosphärenreservate weiterempfehlen und beurteilt besonders die Naturlandschaft, die Wanderwege, das Angebot an regionalen Produkten, die Beschilderung, Aussichtstürme, Naturlehrpfade, Gastronomie und Unterkünfte als bereits gut. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Detraktoren Passive Promotoren Net Promoter Score Detraktoren Passive Promotoren 74% 17% 8% Promotoren - Detraktoren = 66% 0 <?page no="31"?> Naturerleben im Tourismus 31 1.3.2 Nachfrageseitige Systematisierungen Auch für die Beschreibung der Nachfragestruktur bzw. der Zielgruppen des Naturtourismus gibt es unterschiedlichste Zugänge. Nachfrageseitige Systematisierungen lassen sich zum Beispiel orientieren an:  soziodemographischen Merkmalen,  den ausgeübten Aktivitäten in der Natur,  sowie den angesprochenen Erlebnisdimensionen. Soziodemographische Merkmale Nach S TRASDAS (2001) handelt es sich bei Naturtouristen vor allem um Einzelpersonen oder Paare (weniger Familien) in mittleren bis älteren Altersgruppen (ca. 35-60 Jahre) mit einem überdurchschnittlich hohen Bildungsniveau. Das Ausgabeverhalten entspricht dem Durchschnitt, kann aber je nach gebuchten Reisen variieren. Wert wird auf eine hohe Qualität, Authentizität von Naturerlebnissen und Exklusivität gelegt. Wenn es um Naturerlebnisse in fernen Ländern geht, buchen sie häufig organisierte Reisen, weil die meist abgelegenen Zielgebiete sich nur schwer auf eigene Faust erkunden lassen und oft nur unter erheblichem Aufwand zu erreichen sind (S TRASDAS 2001, S. 116 ff.). Ausgeübte Aktivitäten in der Natur Im Hinblick auf die ausgeübten Aktivitäten und dem Interesse an der Natur lassen sich nach S TRASDAS (2002) verschiedene Typen von Naturtouristen bzw. Nachfragesegmente unterscheiden, die große Unterschiede zeigen, vor allem im Hinblick auf ihre Motive, die Bedeutung intakter Natur, die Komfortwünsche sowie das Nachfragepotenzial (vgl. Tab. 1). Naturtourismus umfasst danach sowohl naturbezogene massentouristische Nachfrageformen, bei denen der Tourist Natur als sekundäre Erfahrung in eine Reise integriert, als auch den sogenannten „engagierten Naturtouristen“, bei dem intensive Naturerlebnisse im Vordergrund der Reise stehen (vgl. auch Kap. 3.2.2, 3.4.2). Die größte Nachfragegruppe sind in dieser Systematik die „beiläufigen Naturtouristen“, die leicht zugängliche, offensichtliche Naturattraktionen (z. B. spektakuläre Naturkulissen, Wildtiere) bei ihren Reisen aufsuchen. <?page no="32"?> 32 Naturtourismus Tab. 1: Natur-/ Ökotourismus Nachfragesegmente Quelle: S TRASDAS 2002, veränderte Darstellung, D ICKHUTH 2015) Typ Charakteristische Merkmale (Motive, Bedeutung intakter Natur, Komfortwünsche) Nachfragepotenzial (quantitativ) der „engagierte“ Naturtourist  „Klassischer Ökotourist“  Erleben unberührter Natur ist Hauptmotiv  Spezielle ökologische Interessen, z. B. Vogelbeobachtung, außerdem interessiert an Naturschutz  Geringe Komfortansprüche eher gering der „interessierte“ Naturtourist  Erleben unberührter Natur von großer Bedeutung  Interesse an ökologischen Zusammenhängen  Hoher Bedarf nach Naturerlebnissen  Niedrig bis hohe Komfortansprüche eher mäßig der „beiläufige“ Naturtourist  wenig bis kein Interesse an Natur  leicht zugängliche, „offensichtliche“ Naturattraktionen sind gefragt, z. B. spektakuläre Kulissen oder Wildtiere  gehobene Komfortansprüche (komfortable Unterkunft, bequemer Transport) hoch der Naturtourist mit speziellem Kulturinteresse  Natur- und Kulturerfahrung sind gleichermaßen von Bedeutung und Hauptmotiv für Reisen  Komfortansprüche variieren von gering bis mäßig eher mäßig der Natursport-/ Abenteuer- Tourist  Interessiert an Natursport und Outdooraktivitäten  Schwerpunkt liegt auf Aktivität: körperliche Selbsterfahrung und Herausforderung sind Hauptmotive  Natur wichtig als Kulisse für Aktivitätsausübung  Niedrige Komfortansprüche werden in Kauf genommen abhängig von Aktivität der Jagd-/ Angel-Tourist  Konsumtive „Naturnutzung“ steht im Vordergrund des Interesses, z. B. Jagd oder Angeln  Schwerpunkt liegt auf der Aktivität  Natur lediglich als Kulisse von Bedeutung  Niedrige Komfortansprüche werden in Kauf genommen gering <?page no="33"?> Naturerleben im Tourismus 33 Angesprochene Erlebnisdimensionen Naturerlebnisse können sehr unterschiedlich sein, sie sind subjektiv und werden damit individuell unterschiedlich wahrgenommen. Nach P INE , G ILMORE (1999) lassen sich vier Erlebnisdimensionen unterscheiden, die für die Entwicklung eines Erlebnisses eine Rolle spielen: Unterhaltung/ Entertainment, Bildung/ Education, Ästhetik/ Aesthetic und Flucht aus dem Alltag bzw. Gegenwelt zum Alltag/ Escapist (vgl. K RONENBERG 2006). Die vier Dimensionen unterscheiden sich vor allem durch die Art der Beteiligung des Erlebenden (mehr aktiv, mehr passiv) und der emotionalen und kognitiven Ausrichtung des Angebotes (E DER , A RNBERGER 2007). Bei den Dimensionen Entertainment und Aesthetic wird mehr eine passive Rolle eingenommen, bei den Dimensionen Educational und Escapist eine aktive Rolle (vgl. Abb. 7). Nach K RONENBERG (2006) werden beim „Entertainment“ Erlebnisse passiv aufgenommen. Die jeweilige Person folgt einer Handlung oder nimmt an einer Vorführung teil, zu der sie nichts beiträgt. Bezogen auf Naturerlebnisse bedeutet dies z. B. passives Naturerleben durch das Schauen von Naturfilmen oder das Betrachten von Tieren im Zoo. Beim „Educational“ wird dieses passive Aufnehmen durch eine aktive Partizipation und einen Lerneffekt erweitert. Das Erleben eines Waldlehrpfades oder die Teilnahme an einer Naturführung können als Beispiele für diese Dimension stehen. Beim „Escapist“ taucht die Person vollständig in die jeweilige Umwelt ein, sie beteiligt sich aktiv und beginnt die Außenwelt zu vergessen. Viele Natursportaktivitäten, wie Wandern, Radwandern, Kanufahren, Wanderreiten etc. zählen zu dieser Dimension. Auch in der „Aesthetic“ Dimension taucht die jeweilige Person vollständig in die Umgebung ein, nimmt jedoch keinen Einfluss und hinterlässt sie mehr oder weniger unberührt. Der Genuss einer schönen Landschaft, der Blick von einem Aussichtsturm oder einem Baumkronenpfad, die Beobachtung seltener Vögel von einem Beobachtungsturm, die Besichtigung eines Naturmonumentes oder der ästhetische Genuss einer blühenden Blumenwiese können als Beispiele dienen. <?page no="34"?> 34 Naturtourismus Abb. 7: Erlebnisdimensionen im Naturerleben nach Pine, Gillmore 1999 Quelle: Eigene Darstellung nach Pine, Gilmore 1999, in: Kronenberg 2006 Für ein umfassendes Naturerlebnis sollten nach K RONENBERG (2006) alle vier Erlebnisdimensionen angesprochen werden. Daher ist es wichtig, Wissen über die Nachfrage und ihre Erlebnisorientierung zu haben und potenzielle Gäste mit ihren Interessen mit entsprechenden Erlebnisangeboten anzusprechen. Daher wurde die Orientierung an den Erlebnisdimensionen nach P INE , G ILMO- RE (1999) für den Naturerlebnis-Monitor Deutschland gewählt, um die Befragungsteilnehmer nach ihrem vorwiegenden Interesse an Naturerlebnissen zu befragen. Wie würden Sie ihr vorwiegendes Interesse an Naturerlebnissen einschätzen? Ich interessiere mich für … Abb. 8: Selbsteinschätzung der Befragten basierend auf Erlebnisdimensionen n=3238; fehlende Angaben zu 100 %=ich kann mich nicht zuordnen Quelle: BTE, VDN, ED 2016, Naturerlebnis-Monitor Deutschland 2015 ENTERTAINMENT passives Naturinteresse Bsp.: Naturfilme Bsp.: Aussichtsturm passive Naturbeobachtungen AESTHETIC Bsp.: Aktivurlaub in der Natur aktives Naturerlebnis ESCAPIST EDUCATIONAL aktive Umweltbildung Bsp.: Waldlehrpfad Naturerleben aktive Beteiligung passive Beteiligung Aufnahme Eintauchen ENTERTAINMENT AESTHETIC ESCAPIST EDUCATIONAL Naturerleben 9% … für schöne Naturfilme 14% … für aktive Umweltbildung 9% … für Naturbeobachtung 57% … für aktives Naturerleben 5% … nicht für Naturerlebnisse <?page no="35"?> Naturerleben im Tourismus 35 Abb. 8 zeigt, dass sich die überwiegende Mehrheit (57 %) der Befragten als „Aktiver Naturerleber“ (Escapist) einschätzt und damit ein verstärktes Interesse an „reinen Naturerlebnissen“ wie Wandern, Kanufahren etc. hat. Interessant ist auch die Unterscheidung zwischen der Hauptgruppe (NeMo- Interessierte) und der Vergleichsgruppe (Panel): Während 69 % der NeMo- Interessierten ihr vorwiegendes Interesse an aktivem Naturerleben benennen, sind es in der Vergleichsgruppe leidglich 33 %. Dafür geben 23 % der Befragten im Panel an, dass sie sich eher für schöne Naturfilme interessieren (demnach passives Erleben, Entertainment). In der Hauptgruppe ordnen sich lediglich 2 % der Befragten dieser Gruppe zu. Eine etwas andere Typisierung wählte die Reiseanalyse 2019 bezogen auf Natur- Urlaubertypen (FUR 2019), also Personen, die fünf und mehr Tage an einem Ort übernachten. Hier wird zwischen Eintaucher, Sportler, Beobachter und Desinteressierte unterschieden. Unter „Eintaucher“ werden Urlauber verstanden, die Natur im Urlaub möglichst intensiv und mit allen Sinnen erleben wollen. „Sportler“ wollen die Natur für ihre sportlichen Aktivitäten nutzen und „Beobachter“ wollen die Natur im Urlaub anschauen. Die letzte Gruppe sind die „Desinteressierten“, für die Natur im Urlaub keine große Rolle spielt, da ihnen andere Aspekte wichtiger sind. Bei dieser bevölkerungsrepräsentativen Befragung wurden 45 % der Urlauber den Beobachtern, 24 % den Desinteressierten, 21 % den Eintauchern und 10% den Sportlern zugeordnet (FUR 2019). Es zeigt sich zum einen, dass im Urlaub Natur als Erlebniskulisse zum Anschauen sehr wichtig ist und somit die Qualität des Landschaftsbilds eine wichtige Grundlage für attraktive Urlaubsziele ist. Zum anderen wird aber auch deutlich, dass im Urlaub sowohl das tiefe Eintauchen in die Natur bei den einen, als auch andere Interessen als Naturerleben, bei den anderen, eine große Bedeutung haben. 1.4 Die wirtschaftliche Bedeutung des Naturtourismus Natur hat eine hohe Bedeutung für den Tourismus, wie in den vorherigen Kapiteln schon deutlich wurde. Naturtourismus wird gerade für ländliche peripher gelegene Räume als Möglichkeit und Beitrag zur Regionalentwicklung angesehen, da außer einer attraktiven Naturausstattung nur wenig Infrastruktur für die Tourismusentwicklung benötigt wird. Soll allerdings eine relevante Wertschöpfung erzielt werden, muss auch ein entsprechendes gastronomisches Angebot (Gasthäuser, Restaurants, Cafés, Imbissangebote etc.), Beherbergungsangebot (Hotels, Pensionen, Ferienwohnungen, Campingangebot etc.) sowie Dienstlei- <?page no="36"?> 36 Naturtourismus tungsangebot (Naturführungen, Verleih von Fahrrädern, Kanus etc.) im jeweiligen Gebiet aufgebaut und entwickelt werden. Die (regional)wirtschaftlichen Effekte des Naturtourismus zu bestimmen, ist eine komplexe Aufgabe, da sich Naturtourismus nur schwer von anderen Tourismusformen abgrenzen lässt bzw. viele Überschneidungen mit anderen Tourismusformen aufweist. Ausgehend von der in Kap. 1.1 gewählten Definition von S TRASDAS (2001) für Naturtourismus, als eine Form des Reisens in naturnahe Gebiete, bei der das Erleben von Natur und Naturphänomenen im Vordergrund steht und die Hauptmotivation für den Besuch dieser Gebiete darstellt, weisen vor allem Nationalparks, Biosphärenreservate und Naturparks für den Naturtourismus eine besonders hohe Attraktivität auf. Sie bieten eine besondere Qualität des Natur- und Landschaftserlebens an und garantieren mit ihrem Schutzstatus für diese Qualität (vgl. auch Kap. 2.1). Für die deutschen Nationalparks und Biosphärenreservate werden im Rahmen der jeweiligen Monitoringprogramme regelmäßig, meist alle fünf Jahre, regionalökonomische Erhebungen in den Schutzgebieten durchgeführt, die beispielhaft die wirtschaftliche Bedeutung des Naturtourismus dokumentieren (Sozio- Ökonomisches Monitoring/ SÖM). Dabei handelt es sich um Zielgebietsstudien, bei denen Informationen zur Anzahl der Besucher und ihrer wirtschaftlichen Bedeutung durch die Erfassung und Befragung von Besuchern des jeweiligen Schutzgebietes vor Ort gewonnen werden. Sonst üblich sind Quellgebietsstudien, bei denen ein repräsentativer Bevölkerungsdurchschnitt am Wohnort befragt wird. Methodisch hat sich dafür ein Ansatz von J OB ET AL . (2005, 2006) in Deutschland etabliert, bei dem an ausgewählten Standorten über ein Jahr Besucherzählungen mit Kurzinterviews (Zufallsstichproben) und ausführliche Gästebefragungen durchgeführt und dabei Informationen zu den Besuchern, ihren Besuchsmotiven und zu ihrem Ausgabeverhalten erhoben werden. Die Ergebnisse wurden im Anschluss mehrfach gewichtet: zeitlich (z. B. Saison-/ Wochen-/ Tagesrhythmus), räumlich (Frequentierung der verschiedenen Standorte), strukturell (z. B. Tages-/ Übernachtungsgäste) und witterungsbedingt (z. B. gutes/ schlechtes Wetter). Um den Einfluss des Schutzgebietsstatus als Nationalpark oder Biosphärenreservat auf das Besucherverhalten evaluieren zu können, wird zwischen z. B. „Nationalparktouristen im engeren Sinn“ (Nationalpark als Hauptgrund für den Besuch) und „Sonstigen Nationalparktouristen“ differenziert. Mit den Ergebnissen können Umsatz-, Einkommens- und Beschäftigungseffekte durch die Besucher des Schutzgebietes ermittelt werden. Neben den direkten Wirkungen durch die Ausgaben der Besucher wurden auch indirekte Effekte in der Analyse betrachtet. <?page no="37"?> Naturerleben im Tourismus 37 Die in den jeweiligen Nationalparks und Biosphärenreservaten erhobenen Daten wurden beispielhaft für ganz Deutschland aggregiert, um die wirtschaftliche Bedeutung dieser Schutzgebiete für den (Natur-)Tourismus abzuschätzen:  Allein die deutschen Nationalparks werden von rund 51 Mio. Besuchern pro Jahr aufgesucht, was einen Umsatz von etwa 2,1 Mrd. Euro generiert (JOB ET AL . 2009, S. 164). Für 20,6 % der Besucher ist das Schutzgebiet sogar ein zentrales Motiv für den Aufenthalt in der Region (BMU 2010, S. 10).  Für die deutschen Biosphärenreservate wurde von JOB ET AL . (2013, S. 95) eine Besucherzahl von 65,3 Mio. Touristen errechnet, die einen Bruttoumsatz von 2,94 Mrd. Euro generieren. Für die 104 deutschen Naturparks steht eine vergleichbare ökonomische Gesamteinschätzung noch aus, da hierfür eine der hohen Anzahl von Naturparks und deren oftmals begrenzten finanziellen Budgets angepasste Methode noch fehlt. Doch wird auch schon am Beispiel der Nationalparks und Biosphärenreservate deutlich, welch große wirtschaftliche Bedeutung der Naturtourismus in Deutschland hat. Trotzdem gibt es noch kein nationales sozio-ökonomisches Monitoring-Programm für die deutschen Nationalparks, Biosphärenreservate und Naturparks, wie es sie z. B. in den USA (seit 1988) und in Finnland (seit 2010) gibt (M AYER 2018) und wie es schon lange für Deutschland gefordert wird (vgl. z. B. J OB 1996). Literaturtipps Eine ausführliche Darstellung der „Job-Methode“ finden Sie in: J OB , H.; H ARRER , B.; M ETZLER , D.; H AJIZADEH -A LAMDARY , D.: Ökonomische Effekte in Großschutzgebieten. Untersuchung der Bedeutung von Großschutzgebieten für den Tourismus und die wirtschaftliche Entwicklung der Region. BfN-Skript 135, Bonn - Bad Godesberg, 2005. J OB , H.; H ARRER , B.; M ETZLER , D.; H AJIZADEH -A LAMDARY , D.: Ökonomische Effekte in Großschutzgebieten - Leitfaden zur Erfassung der regionalwirtschaftlichen Wirkungen des Tourismus in Großschutzgebieten. In BfN-Skript 151, Bonn - Bad Godesberg, 2006. Weitere Vertiefungen zu Methoden der Analyse von regionaler Wertschöpfung und sozioökonomischem Monitoring in Schutzgebieten finden Sie in folgenden Dissertationen: <?page no="38"?> 38 Naturtourismus W OLTERING , M.: Tourismus und Regionalentwicklung in deutschen Nationalparken. Regionalwirtschaftliche Wirkungsanalyse des Tourismus als Schwerpunkt eines sozioökonomischen Monitoringsystems. Würzburger Geographische Schriften, Band 108, Würzburg, 2012. M AYER , M.: Kosten und Nutzen des Nationalparks Bayerischer Wald. Eine ökonomische Bewertung unter Berücksichtigung von Tourismus und Forstwirtschaft. Oekom Verlag, München, 2013. M ERLIN , M.: Tourismus und nachhaltige Regionalentwicklung in deutschen Biosphärenreservaten. Regionalwirtschaftliche Effekte touristischer Nachfrage und Handlungsspielräume der Destinationsentwicklung durch Biosphärenreservats-Verwaltungen untersucht in sechs Biosphärenreservaten. Würzburger Geographische Schriften, Band 118, Würzburg, 2017. Aus der Praxis: Regionale Wertschöpfung durch Tourismus im Nationalpark Unteres Odertal Am Beispiel des Nationalpark Unteres Odertal soll die wirtschaftliche Bedeutung des Naturtourismus beispielhaft für eine Region erläutert werden (vgl. R EIN 2015). Der Nationalpark Unteres Odertal liegt im Nordosten Deutschlands überwiegend im brandenburgischen Landkreis und Reisegebiet Uckermark. Die Region ist bis auf die Stadt Schwedt ländlich geprägt und durch ihre periphere Lage direkt an der polnischen Grenze gekennzeichnet. Der Nationalpark wurde 1995 gegründet. Er ist Deutschlands einziger Auennationalpark und zugleich als „Internationalpark“ das einzige grenzüberschreitende Schutzgebiet mit Polen (auf polnischer Seite Landschaftsschutzpark). Der Nationalpark ist inzwischen prägend für den Tourismus in der Region, die vor der Nationalparkgründung keine touristische Tradition aufwies. Das naturtouristische Angebot des Nationalparks bzw. der Nationalparkregion bietet vielfältige Naturerlebnismöglichkeiten, z. B. mit dem Kanu auf eigene Faust (auf der Oder als Bundeswasserstraße) oder gar in die Kernzone des Nationalparks auf geführten Kanutouren mit einem zertifizierten Kanuführer zu unterschiedlichsten Themen (z. B. „auf den Spuren des Bibers“, „Eisvogel & Co.“, „Natur hinterm Deich“ etc.), aber auch durch Naturerlebnisangebote, wie z. B. die jährlich im Februar stattfindenden „Singschwantage“ und die „Kranichwoche“ im Oktober, mit denen durch unterschiedlichste Veranstaltungsangebote rund um die rastenden Singschwäne und Kraniche die touristische Nebensaison belebt und die Auslastung im Tourismusgewerbe unterstützt wird. <?page no="39"?> Naturerleben im Tourismus 39 Eine enge Kooperation mit dem Tourismusverein Nationalpark Unteres Odertal, dem Tourismusverband Uckermark sowie mit den Tourismusanbietern der Region sind dafür eine wichtige Grundlage Seit dem Jahr 2008 erfolgt ein Monitoring der Wertschöpfung des Tourismus im Nationalpark im Fünfjahresabstand. Dazu wurde nach der Methode von J OB ET AL . (2005, 2006) eine Ersterhebung der regionalökonomischen Effekte des Tourismus im Nationalpark im Jahr 2007/ 2008 durchgeführt (R EIN ET AL . 2008) und im Jahre 2013/ 2014 eine erste Folgeerhebung (B ALAS , R EIN 2015, N ATIONALPARK U NTERES O DERTAL 2017). Im Ergebnis zeigte sich in der Folgeuntersuchung unter anderem, dass  die wirtschaftliche Bedeutung des Nationalparks mit seinen Naturerlebnisangeboten für die Region sehr hoch ist,  es bei etwas geringer werdender Gesamtbesucherzahl gelungen ist, mehr Übernachtungen zu generieren, indem vor allem Tagesbesucher zu einem längeren Aufenthalt motiviert werden konnten (+ 60 % bei Kurzzeiturlaubern),  damit ein qualitatives Wachstum erzielt werden konnte, bei dem durch eine Steigung des Übernachtungstourismus die wirtschaftlichen Effekte insgesamt vergrößert werden konnten (+ 6,5 %),  insbesondere der Anteil der Besucher, die eine Affinität zum Nationalpark haben (Nationalparkbesucher im engeren Sinne), deutlich gestiegen ist (+ 39 %),  der Anteil der Wiederholungsbesucher von 60 % auf 71 % gesteigert werden konnte,  der Nationalpark eine zentrale Rolle bei der Besucherentscheidung spielt,  der Anteil der Radtouristen deutlich gestiegen ist,  die Gäste anspruchsvoller und aktiver werden, was bei der Konzeption von Naturerlebnisangeboten durch die Kombination mit Radfahren, Wandern und Kanutouren besondere Berücksichtigung finden sollte. Das Beispiel des Nationalparks Unteres Odertal zeigt, wie durch naturtouristische Angebote ein wichtiger Beitrag zur regionalen Wertschöpfung in peripheren ländlichen Regionen geleistet werden kann. Vor allem in Regionen ohne touristische Tradition, aber mit attraktiver Naturausstattung, kann durch die Entwicklung von naturtouristischen Angeboten eine wirtschaftliche Wertschöpfung durch Tourismus aufgebaut werden. Dazu müssen aber alle Bausteine der <?page no="40"?> 40 Naturtourismus touristischen Leistungskette qualitativ hochwertig entwickelt werden, um dem Gast ein optimales Urlaubserlebnis zu bieten und eine wirtschaftliche Wertschöpfung in der Region zu erzielen (vgl. R EIN 2015). Einen Beitrag zur wirtschaftlichen Wertschöpfung im ländlichen Raum kann Naturtourismus vor allem dann leisten, wenn der Naturraum bzw. der Nationalpark, der Naturpark oder das Biosphärenreservat  bekannt,  attraktiv und  gut erreichbar von den Quellgebieten der Nachfrage ist  und die Gäste Angebote und Produkte zum „Geld ausgeben“ vorfinden (Gastronomie- und Beherbergungsangebote, regionale Produkte und Souvenirs, Führungsangebote, Fahrrad-, Bootausleihmöglichkeiten etc.). Literatur AG Ö KOTOURISMUS : Ökotourismus als Instrument des Naturschutzes? Möglichkeiten zur Erhöhung der Attraktivität von Naturschutzvorhaben. Forschungsberichte des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), Band 116. Weltforum Verlag. Köln 1995. B ALAS , M.; R EIN , H.: Regionalökonomische Effekte der Besucher der Nationalpark Unteres Odertal. Unveröffentlichte Studie im Auftrag der Nationalparkverwaltung Unteres Odertal. Schwedt 2015. B F N - Bundesamt für Naturschutz: Gebietsschutz/ Großschutzgebiete, 2018.  www.bfn.de, Zugriff am 16.08.2018. BMU - Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hg.): Umweltbewusstsein in Deutschland 2000. Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage. Berlin 2000. BMU - Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hg.): Umweltbewusstsein in Deutschland 2004. Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage. Berlin 2004. BMU - Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hg.): Umweltbewusstsein in Deutschland 2006. Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage. Berlin 2006. BMU, UBA - Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Umweltbundesamt (Hg.): Umweltbewusstsein in Deutschland 2010. Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage. Berlin 2010. <?page no="41"?> Naturerleben im Tourismus 41 BMU, UBA - Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit/ Umweltbundesamt (Hg.): Umweltbewusstsein in Deutschland 2014. Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage. Berlin 2015. BMU, UBA - Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit/ Umweltbundesamt (Hg.): Umweltbewusstsein in Deutschland 2016. Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage. Berlin 2017. BMU, B F N - Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit/ Bundesamt für Naturschutz (Hg.): Naturbewusstsein 2009. Bevölkerungsumfrage zu Natur und biologischer Vielfalt. Berlin, Bonn 2010. BMU, B F N - Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit/ Bundesamt für Naturschutz (Hg.): Naturbewusstsein 2011. Bevölkerungsumfrage zu Natur und biologischer Vielfalt. Berlin, Bonn 2012. BMUB, B F N - Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit/ Bundesamt für Naturschutz (Hg.): Naturbewusstsein 2013. Bevölkerungsumfrage zu Natur und biologischer Vielfalt. Berlin, Bonn 2014. BMUB, B F N - Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit/ Bundesamt für Naturschutz (Hg.): Naturbewusstsein 2015. Bevölkerungsumfrage zu Natur und biologischer Vielfalt. Berlin, Bonn 2016. BMUB, B F N - Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und nukleare Sicherheit/ Bundesamt für Naturschutz (Hg.): Naturbewusstsein 2017. Bevölkerungsumfrage zu Natur und biologischer Vielfalt. Berlin, Bonn 2018. BTE T OURISMUS - UND R EGIONALBERATUNG : Naturtourismus in Deutschland. Berlin 2016. D ANIELLI , G., S ONDEREGGER , R.: Kompaktwissen Naturtourismus. Zürich/ Chur 2009 D ICKHUTH , H.: Tourismus und Biodiversität. In: Rein, H., Strasdas, W. (Hg.): Nachhaltiger Tourismus. UVK Verlag, S. 89-126, Konstanz 2015. E DER , R., A RNBERGER , A.: Lehrpfade - Natur und Kultur auf dem Weg. Lehrpfade, Erlebnis- und Themenwege in Österreich. Grüne Reihe Band 18, Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft, Wien (Hg.). Böhlau Verlag Wien, Köln, Weimar 2007. E ILZER , C.: Wachstumsmarkt Naturtourismus. In: Eisenstein, B., Schmudde, R.; Reif, J.; Eilzer, C. (Hg.): Tourismusatlas Deutschland. UVK Verlagsgesellschaft, Konstanz, München 2017. FUR - Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen: Reiseanalyse 2014. Kiel 2014. FUR - Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen: Reiseanalyse 2015. Erste ausgewählte Ergebnisse der 45. Reiseanalyse zur ITB 2015. Kiel 2015. <?page no="42"?> 42 Naturtourismus FUR - Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen: Reiseanalyse 2019. Erste ausgewählte Ergebnisse der 49. Reiseanalyse zur ITB 2019. Kiel 2019. IMT - Institut für Management und Tourismus (Hg.): Destination Brand 13 - Die Themenkompetenz deutscher Reiseziele. Heide/ Holstein 2013. J OB , H.: Großschutzgebiete und ihre Akzeptanz bei Einheimischen. Das Beispiel der Nationalparke im Harz. Geographische Rundschau 48, H. 3, 1996. J OB , H., H ARRER , B., M ETZLER , D., H AJIZADEH -A LAMDARY , D.: Ökonomische Effekte in Großschutzgebieten. Untersuchung der Bedeutung von Großschutzgebieten für den Tourismus und die wirtschaftliche Entwicklung der Region. BfN-Skript 135. Bonn-Bad Godesberg 2005. J OB , H., H ARRER , B., M ETZLER , D., H AJIZADEH -A LAMDARY , D.: Ökonomische Effekte in Großschutzgebieten - Leitfaden zur Erfassung der regionalwirtschaftlichen Wirkungen des Tourismus in Großschutzgebieten. In: BfN-Skript 151. Bonn-Bad Godesberg 2006. J OB , H., K RAUS , F., M ERLIN , C.; W OLTERING , M.: Wirtschaftliche Effekte des Tourismus in Biosphärenreservaten Deutschlands. Naturschutz und Biologische Vielfalt 134, Bundesamt für Naturschutz (Hg.). Bonn-Bad Godesberg 2013. J OB , H., W OLTERING , M., H ARRER , B.: Regionalökonomische Effekte des Tourismus in den deutschen Nationalparken. Naturschutz und Biologische Vielfalt 76, Bundesamt für Naturschutz (Hg.). Bonn-Bad Godesberg 2009. K RONENBERG , C.: Inszenierungen im alpinen Tourismus. In: Weiermair, K.; Bruner- Sperdin, N. A. (Hg.): Erlebnisinszenierungen im Tourismus. Erfolgreich mit emotionalen Produkten und Dienstleistungen. ESV Erich Schmidt Verlag, S. 211-220. Berlin 2006. M AYER , M.: Ökonomische Bewertung von Schutzgebieten. Warum, wie und mit welchen Ergebnissen? Vortrag am 19.10.2018 in Międzyzdroje/ Misdroy, Polen. Kick-Off Meeting Projekt INT107 (REGE): Grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Hochschulen und Großschutzgebieten in der Euroregion Pomerania. 2018. M AYER , M.: Kosten und Nutzen des Nationalparks Bayerischer Wald. Eine ökonomische Bewertung unter Berücksichtigung von Tourismus und Forstwirtschaft. Oekom Verlag. München 2013. M ERLIN , M.: Tourismus und nachhaltige Regionalentwicklung in deutschen Biosphärenreservaten. Regionalwirtschaftliche Effekte touristischer Nachfrage und Handlungsspielräume der Destinationsentwicklung durch Biosphärenreservats- Verwaltungen untersucht in sechs Biosphärenreservaten. Würzburger Geographische Schriften, Band 118. Würzburg 2017. <?page no="43"?> Naturerleben im Tourismus 43 N ATIONALPARK U NTERS O DERTAL (Hg.): Die Wertschöpfung des Tourismus im Nationalpark Unteres Odertal. Schwedt/ O. - OT Criewen 2017 P INE , B. J., G ILMORE , J. H.: The experience economy. Harvard Business School Press. Boston 1999. R EICHHELD , F. F.: The one number you need to grow. Harvard business review, 81(12), S. 46-55. Boston 2003. R EIN , H.: Mehr Wert durch Naturtourismus. In: Arend, H. Troeger-Weiß, G.: Starke Wirtschaft - Starke Regionen. Gute Aussichten für das Land. Zukunftsinitiative Rheinland-Pfalz (Hg.), S. 208-211. Mainz 2015. R EIN , H.: Naturtouristische Angebote als Beitrag zur regionalen Wertschöpfung. In: Natur und Landschaft, 86. Jahrgang, Heft 12/ 2011, S. 543-547. Bonn-Bad Godesberg 2011. R EIN , H., S CHNEIDER , N., H ARRER , B.: Die Wertschöpfung des Tourismus im Nationalpark Unteres Odertal. Studie im Auftrag der Nationalparkverwaltung Unteres Odertal. Schwedt 2008. R EIN , H.; S TRASDAS W. (H G .): Nachhaltiger Tourismus. UVK Verlagsgesellschaft mbH. Konstanz und München 2015. R UF , S.: Würden Sie diese Methode einem Freund empfehlen? Jahrbuch Verband Schweizer Markt-und Sozialforscher. Cham 2007. S CHULER , A., R EIN , H.: Der Naturerlebnis-Monitor Deutschland - Ein Marktforschungsinstrument für den Naturtourismus. In: Mayer; M.; Job, H. (Hg.). Naturtourismus - Chancen und Herausforderungen. Studien zur Freizeit- und Tourismusforschung, Band 12. Mannheim 2016. S IEGRIST , D., G ESSNER , S.; K ETTERER B ONNELAME , L.: Naturnaher Tourismus. Qualitätsstandards für sanftes Reisen in den Alpen. 309 S. Bristol Stiftung. Zürich, Haupt, Bern 2015. S TRASDAS , W.: Ökotourismus in der Praxis. Zur Umsetzung der sozioökonomischen und naturschutzpolitischen Ziele eines anspruchsvollen Entwicklungskonzeptes in Entwicklungsländern. Ammerland 2001. S TRASDAS , W.: The Ecotourism Training Manual for Protected Area Managers. German Foundation for International Development (DSE). Zschortau 2002. T HOMPSON , M., E LLIS , R., W ILDAVSKY , A.: Cultural Theory, Colorado/ Oxford. 1990 zitiert in: BMU(Hg.): Umweltbewusstsein in Deutschland 2000. Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage. Berlin 2000. UNEP/ WTO - United Nations Environment Programme/ World Tourism Organization: Making Tourism more Sustainable. A Guide for Policy Makers. Paris/ Madrid 2005. <?page no="44"?> 44 Naturtourismus W OLTERING , M.: Tourismus und Regionalentwicklung in deutschen Nationalparken. Regionalwirtschaftliche Wirkungsanalyse des Tourismus als Schwerpunkt eines sozioökonomischen Monitoringsystems. Würzburger Geographische Schriften, Band 108. Würzburg 2012. <?page no="45"?> 2 Gebiete mit besonderer Angebotsqualität für das Naturerleben und den Naturtourismus 2.1 „Nationale Naturlandschaften“ in Deutschland von Dr. Elke Baranek, Anja May, Stephanie Schubert In diesem Kapitel werden folgende Fragen beantwortet:  Was sind die Nationalen Naturlandschaften?  Was sind die Treiber für den Tourismus in den Nationalen Naturlandschaften?  Welche Rolle spielen die Nationalen Naturlandschaften für das Naturerleben?  Was sind die „Partner der Nationalen Naturlandschaften“ und gibt es spezielle Qualitätskriterien, die von den Kooperationspartnern zu erfüllen sind?  Gibt es spezielle Qualitätskriterien für das Naturerleben, die von den Nationalen Naturlandschaften zu erfüllen sind?  Welche Naturerlebnisangebote gibt es in den Nationalen Naturlandschaften?  Bestehen bestimmte Restriktionen für das Naturerleben in den Nationalen Naturlandschaften? Die Nationalen Naturlandschaften stehen für die wertvollsten Landschaften Deutschlands. Von den Küsten über Wälder, Seen und Offenland bis hin zu den Alpen bieten diese Landschaften seltenen Tier- und Pflanzenarten einen geschützten Lebensraum und sind somit Hotspots der biologischen Vielfalt. Mit ihrer Vielfalt und Schönheit laden die Nationalen Naturlandschaften zum intensiven Naturerleben und Erholen in der Natur ein und ermöglichen faszinierende und lehrreiche Einblicke für die gesamte Bevölkerung. Weit über 100 dieser besonders hochwertigen Naturlandschaften gibt es inzwischen in Deutschland (vgl. Abb. 9). <?page no="46"?> 46 Naturtourismus Abb. 9: Die Nationalen Naturlandschaften im Überblick - Nationalparks, Biosphärenreservate, Naturparks und Wildnisgebiete. Quelle: EUROPARC Deutschland e. V.; Daten von Geobasis-DE, BKG 2015 (Daten verändert). OpenStreetMap - veröffentlicht unter ODbL <?page no="47"?> Gebiete mit besonderer Angebotsqualität 47 Diese unterteilen sich in:  16 Nationalparks und 1 Wildnisgebiet, in denen die Natur Natur bleiben darf. Sie schaffen Rückzugsräume für gefährdete Pflanzen und Tiere und sind daher unverzichtbar für die biologische Vielfalt.  18 Biosphärenreservate, davon 16 mit Anerkennung als UNESCO- Biosphärenreservate. Sie dienen vorrangig einem ausgewogenen Miteinander von Mensch und Natur in einer gewachsenen Kulturlandschaft, sie sind Modellregionen für eine nachhaltige regionale Entwicklung.  Über 100 Naturparks, in denen Natur- und Kulturlandschaften bewahrt werden. Sie weisen einen hohen Erholungswert auf und unterstützen einen naturverträglichen Tourismus. Nach dem Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) haben Nationalparks, Biosphärenreservate und Naturparks den Auftrag, Natur und Landschaft, entsprechend des jeweiligen Schutzzweckes, so zu schützen, dass die biologische Vielfalt, die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts einschließlich der Regenerationsfähigkeit und nachhaltigen Nutzungsfähigkeit der Naturgüter, die Vielfalt, Eigenart und Schönheit sowie der Erholungswert von Natur und Landschaft auf Dauer gesichert sind (§ 1 Abs. 1 BNatSchG). Die Pflege und Entwicklung dieser Gebiete sowie die Wiederherstellung von Natur und Landschaft sind ebenfalls Bestandteil der festgesetzten Grundsätze (ebd.). Auch Wildnisgebiete erfüllen diesen Auftrag, sie sind allerdings nicht im BNatSchG festgesetzt. Eine gemeinsame Dachmarke Die Nationalparks, Biosphärenreservate und Naturparks präsentieren sich seit 2005 unter einer gemeinsamen Dachmarke, den „Nationalen Naturlandschaften“ (seit 2016 auch die Wildnisgebiete). Auslöser dieser Entwicklung war der Wunsch, in der Gesellschaft als Schutzgebietssystem sichtbar und wahrnehmbar zu werden. Bis dato stieß das Interesse der Menschen am Natur- und Kulturerbe auf eine breitgefächerte und vielfältig gestaltete Informationsflut der einzelnen Großschutzgebiete. Um die Qualitäten des Schutzgebietssystems überzeugend zu kommunizieren, bedurfte es einer gemeinsamen Markenstrategie. Diese wiederum musste über Ländergrenzen hinweg Zustimmung und vor allem Unterstützer finden, denn der Naturschutz liegt in Deutschland in der Verantwortung der Länder. Bei einer Dachmarkenstrategie werden alle Produkte der Lizenznehmer unter einer einheitlichen Marke ggf. mit Submarken zusammengefasst. Bekanntheit, Kompetenz und Vertrauen sind hierbei die wesentlichen Merkmale, die an die einzelnen Angebote weitergegeben werden (E SCH 2005, S. 283). Mit der Dach- <?page no="48"?> 48 Naturtourismus marke der Nationalen Naturlandschaften wurde ein einheitliches Erscheinungsbild geschaffen, das es jedem einzelnen Schutzgebiet erlaubt, einen individuellen Akzent zu setzen (vgl. Abb. 10). Nationale Naturlandschaften Nationale Naturlandschaften Abb. 10: Wort-Bild-Marke, Kombination aus Punkt-Logo mit dem Namen der jeweiligen Nationalen Naturlandschaft. Quelle: EUROPARC Deutschland e. V. Dieses Markenbild hat eine dynamische Farbgebung und lädt mit einem symbolisch ins Bild geschwungenen Weg zum Besuch der Natur ein. Der dreifarbige Punkt symbolisiert dabei den Zielpunkt der Einladung. Seine Farbkombination ist von den einzelnen Gebieten individuell wählbar. Der Name „Nationale Naturlandschaften“ verdeutlicht, dass es sich um großflächige Gebiete handelt, die bundesweit eine große Bedeutung haben. Herauszustellen ist, dass das Markenbild zwar „nur“ den Auftritt der Marke, damit jedoch zweifellos einen wichtigen Aspekt der Markenführung darstellt. Herausforderungen einer kontinuierlichen Markenentwicklung lassen sich vor allem mit Fragen der Markenidentität verbinden. Das bedeutet, jedes Markenangebot muss so konzipiert sein, dass es die Dachmarke in ihrer Gesamtheit und damit auch die jeweilige Nationale Naturlandschaft stärkt. Eine kontinuierliche Entwicklung der Marke „Nationale Naturlandschaften“ muss länderübergreifend dazu beitragen, definierte Qualitäts- und Markenstandards einzuhalten und eine einheitliche Kommunikation zu gewährleisten. Natur erleben in den Nationalen Naturlandschaften Die Nationalen Naturlandschaften bieten mit ihren eindrucksvollen und wertvollen Natur- und Kulturlandschaften ideale Reisedestinationen, um die Natur in ihrer Vielfalt und Schönheit besonders intensiv zu erleben und sich in ihr vom Alltagsstress zu erholen. „Aber es wächst auch der Anspruch des Gastes an die Qualität der touristischen Produkte. Für die betroffenen Betriebe und Organisationen und für die Schutzgebietsverwaltungen stellt sich hiermit die Herausforderung den Schutz der Natur und gästeorientiertes Naturerlebnis mit hohem Qualitätsanspruch zu verknüpfen“ ( JESSEL ET AL . 2010, S. 2). Treiber für den Tourismus in den Nationalen Naturlandschaften sind: (a) raus aus dem Alltag - rein in die Natur, (b) ein steigendes Nachhaltigkeitsbewusst- <?page no="49"?> Gebiete mit besonderer Angebotsqualität 49 sein, (c) der Wunsch nach kurzen, aber intensiven Auszeiten, (d) steigende Qualitätsansprüche (VDN, ED 2015, S. 7 f.). Nach J OB ET AL . (2013) kann jedoch die übermäßige Nutzung der natürlichen Gegebenheiten zur Belastung sensibler Naturräume und zur Degradation der Umwelt führen und der Region somit langfristig ihr touristisches Potenzial entzogen werden (J OB ET AL . 2013: S. 15). Der Tourismus in solchen sensiblen Gebieten erfordert daher eine ganzheitliche Betrachtung der klassischen drei Dimensionen Ökologie, Soziales und Ökonomie, um allen Akteuren - sowohl den Einheimischen als auch den Gästen - und der Natur gerecht zu werden (S T MUV 2018, S. 10). Die touristischen Angebote sollten so nachhaltig und naturverträglich gestaltet sein wie möglich, um zum Schutz der wertvollsten Naturlandschaften beizutragen und die biologische Vielfalt zu erhalten. Die oben genannten Treiber bieten Anknüpfungspunkte, um die Angebote der Nationalen Naturlandschaften aufzuwerten und noch besser an den Bedürfnissen und Ansprüchen der Gäste auszurichten (VDN, ED 2015, S. 7). Das enge Zusammenwirken zwischen den Nationalen Naturlandschaften und dem Tourismus bietet für beide Seiten Chancen und Risiken. Nationalparks, Wildnisgebiete, Biosphärenreservate und Naturparks stellen mit ihren bestehenden touristischen Infrastrukturen und Angeboten (z. B. beschildertes Wanderwegenetz, Naturerlebnispfade, Informationstafeln, Besucherzentren, geführte Touren etc.) eine attraktive Angebotsbasis für den Tourismus und ein Qualitätsmerkmal für intakte Natur dar (VDN, ED, 2015, S. 10). Dieses kann als Imagemerkmal für den Tourismus genutzt werden. Eine nachhaltige touristische Nutzung des Gebiets hat zugleich auch positive Effekte für die Marke „Nationalen Naturlandschaften“. Neben der Sensibilisierung der regionalen Bevölkerung und der Gäste für Natur- und Umweltschutz kann so eine wirtschaftliche Wertschöpfung für die Region erzielt werden (VDN, ED 2015, S. 11 f.). Für den Erfolg von Naturerlebnisangeboten ist ein gutes Zusammenwirken der verschiedenen Akteure aus den Schutzgebieten und dem Tourismus von besonderer Bedeutung (VDN, ED 2015. S. 14). Die individuelle Wahrnehmung von Naturerlebnisangeboten ist dabei abhängig von den Erfahrungen und Vorlieben der Gäste (S T MUV 2018, S. 7). Damit das Erlebte zum Erlebnis für den Gast wird, bedarf es der Ausrichtung auf die gewünschte Beteiligung des Gastes (aktiv oder passiv) und auf die emotionale bzw. kognitive Einbindung (Aufnahme des Erlebten oder Eintauchen in die Aktivität) (ebd.). Aus den unterschiedlichen Bedürfnissen des Gastes und dessen Zugängen zur Natur lassen sich fünf Angebotsbereiche für ein Naturerleben ableiten:  „Natur sehen und verstehen“ mit dem Schwerpunkt auf Umweltbildung und Naturbeobachtung; <?page no="50"?> 50 Naturtourismus  „Natur aktiv erleben“ mit dem Schwerpunkt auf körperliche Aktivitäten in der Natur;  „Natur spüren“ mit dem Schwerpunkt auf Gesundheit und Wellness;  „Über die Natur der Region begegnen“ mit dem Schwerpunkt auf Aktivitäten zur Bewusstseinsbildung regionaler Identität;  „Natur unterstützen“ mit dem Schwerpunkt auf Freiwilligenarbeit in der Natur (VDN, ED 2015, S. 24). Ein weiteres Qualitätsmerkmal, das die Nationalen Naturlandschaften als besonders hochwertige Naturerlebnisregionen auszeichnet, sind Angebote für das barrierefreie und -arme Naturerleben. Sie gewährleisten nicht nur Mobilitäts- und Aktivitätseingeschränkten und ihrer Reisebegleitung die Zugänglichkeit und die Nutzung von Naturerlebnisangeboten, sondern auch älteren Gästen oder Familien mit Kindern. Im Wesentlichen bedeutet dies mehr Service und Komfort für alle Gäste (ED 2016a, S. 4). Dabei geht es vor allem darum, Besuchereinrichtungen, wie Besucherzentren aber auch Wegeführungen, Aussichtspunkte sowie Leitsysteme, und pädagogische Angebote, wie Führungen und Informationstafeln, barrierefrei zu gestalten (VDN, ED 2015, S. 44). Ein entsprechend geschultes Personal, das auf die Erfordernisse und Bedürfnisse des Gastes eingehen kann, ist dabei genauso wichtig. Die bedarfsgerechte Konzeption von Naturerlebnisangeboten nimmt neben der Attraktivität der Natur- und Kulturlandschaften eine bedeutende Rolle für einen nachhaltigen Tourismus ein. Sie ermöglichen es, Umwelt- und Naturschutzthemen sowohl für die einheimische Bevölkerung als auch für die Gäste erleb- und begreifbar zu machen und lassen sie zu Führsprechern der Nationalen Naturlandschaften werden. Partner der Nationalen Naturlandschaften - starke Kooperationen für einen naturverträglichen Tourismus Mit den sogenannten „Partnern der Nationalen Naturlandschaften“ wird dem Gast ein Naturerlebnis mit Qualitätsversprechen geboten. Das Partnernetzwerk stellt ein Kooperationsprogramm zwischen den Verwaltungen der Nationalparks, Biosphärenreservate und Naturparks und regional ansässigen Unternehmen, Gemeinden, Verbänden sowie Institutionen dar, die touristische Produkte und Dienstleistungen anbieten, die bundesweite Mindest- Qualitätsanforderungen erfüllen und einen engen Bezug zu der jeweiligen Naturlandschaft haben (vgl. ED 2016b). Ziel dieser engen und vertrauensvollen Zusammenarbeit ist es, eine intensivere Verknüpfung zwischen Naturschutz und Wirtschaft zu generieren, um die natürliche Umwelt zu schützen, sie dem Gast erlebbar zu machen und eine nachhaltige Regionalentwicklung zu stärken <?page no="51"?> Gebiete mit besonderer Angebotsqualität 51 (ebd.). Die Partnerschaften steigern darüber hinaus die Akzeptanz für das Schutzgebiet sowohl bei der einheimischen Bevölkerung als auch den politischen Entscheidungsträgern. Bereits seit 2003 gibt es diese Form des Partnerschaftsmodells in den Nationalen Naturlandschaften. Vorreiter waren die „Nationalpark-Partner“ des Nationalparks Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer. Im Anschluss folgten weitere Kooperationen mit regional ansässigen Unternehmen in anderen Nationalparks. Mit dem Ziel der Harmonisierung und Weiterentwicklung der sogenannten „Partner-Initiativen“ wurden 2009 erstmals bundesweite Mindeststandards für Partner-Initiativen und bundesweite Mindestanforderungen für die Kriterienkataloge der regionalen Partnerschaften verabschiedet. Ein bundesweit einheitliches Partner-Logo (vgl. Abb. 11a und 11b), das von den meisten Partner- Initiativen angewendet wird, wurde ebenfalls in diesem Rahmen entwickelt. Abb. 11a und 11b: Partner-Betriebe dürfen mit dem jeweiligen Logo der Schutzgebietsverwaltung werben. Quelle: EUROPARC Deutschland e. V. Ab 2009 konnten sich auch Biosphärenreservate und Naturparks an dem Kooperationsprogramm beteiligen, diese Öffnung war für den weiteren Ausbau des Partnerprogramms wegweisend. Heute beteiligen sich 28 Initiativen mit über 1.400 Betrieben an dem bundesweiten Partnerprogramm. Waren es zu Beginn vorrangig Beherbergungs- und Gastronomiebetriebe, die sich in den Partnerschaften engagiert haben, so sind es heute auch Campingplätze, Gästeführer, Bildungs- und Informationseinrichtungen, Naturschutzverbände, Reedereien, Verkehrsbetriebe, aber auch landwirtschaftliche Biobetriebe oder Gesundheitseinrichtungen sowie zahlreiche weitere, die sich mit der Schutzgebietsidee identifizieren und als Botschafter unter einem einheitlichen Erscheinungsbild auftreten. <?page no="52"?> 52 Naturtourismus Die bundesweit einheitlichen Mindestanforderungen für die teilnehmenden Partner-Betriebe setzen sich wie folgt zusammen:  Identifikation - mit den Zielen, den Inhalten und der Philosophie des jeweiligen Gebiets und Bekenntnis zum Schutzzweck.  Nachhaltigkeit, Umweltorientierung und Regionalität - Die Betriebsführung erfolgt umweltfreundlich und nachhaltig. Die Betriebe kooperieren mit anderen Akteuren aus der jeweiligen Region.  Qualität und Service - Mitarbeitende des Betriebes werden regelmäßig zu den schutzgebietsrelevanten Inhalten geschult und sind wichtige Multiplikatoren gegenüber dem Gast. Auch bei Betrieben aus Landwirtschaft, Handwerk und Handel wird der Kontakt zu den Gästen sichergestellt, z. B. durch Führungen oder einem Tag der offenen Tür (ED 2016c). Die Kriterien in den jeweiligen Partnerschaftsnetzwerken richten sich nach diesen Mindestanforderungen, die von den regionalen Gremien um weitere Kriterien ergänzt werden können, sie müssen diese aber mindestens erfüllen. Mit der Auszeichnung von Partner-Betrieben auf Grundlage dieser Qualitätsstandards kann bundesweit ein einheitlich hohes Niveau gewährleistet werden (ED 2010, S. 6). Die Partnerschaften zwischen Unternehmen und Schutzgebietsverwaltungen zeigen eindrucksvoll, wie ein nachhaltiger und naturverträglicher Tourismus mit dem Erhalt der biologischen Vielfalt in Einklang gebracht werden kann. 2.1.1 Nationalparks Nationalparks sind nach § 24 Abs. 1 BNatSchG rechtsverbindlich festgesetzte einheitlich zu schützende Gebiete, die (a) großräumig, weitgehend unzerschnitten und von besonderer Eigenart sind, (b) in einem überwiegenden Teil ihres Gebiets die Voraussetzungen eines Naturschutzgebiets erfüllen und (c) sich in einem überwiegenden Teil ihres Gebiets in einem vom Menschen nicht oder wenig beeinflussten Zustand befinden oder geeignet sind, sich in einen Zustand zu entwickeln oder in einen Zustand entwickelt zu werden, der einen möglichst ungestörten Ablauf der Naturvorgänge in ihrer natürlichen Dynamik gewährleistet. Die Nationalparks sind damit ein wertvoller Bestandteil der Nationalen Naturlandschaften, sie bewahren das Erbe der Natur auch für künftige Generationen. Aufgrund ihrer einzigartigen naturräumlichen Ausstattung besitzen sie nicht nur national einen hohen Seltenheitswert, sondern auch international und sind in ein weltumspannendes Netzwerk geschützter Lebensräume eingebunden. Vorrangiges Ziel ist die eigenständige Naturentwicklung gemäß dem Leitbild „Natur Natur sein lassen“. Soweit es dieser Schutzzweck zulässt, sollen Natio- <?page no="53"?> Gebiete mit besonderer Angebotsqualität 53 nalparks auch der wissenschaftlichen Umweltbeobachtung, der naturkundlichen Bildung und dem Naturerlebnis der Bevölkerung dienen (§ 24 Abs. 2 Satz 2 BNatSchG). Sie verbinden dabei die Vermittlung von Wissen über die natürlichen Zusammenhänge mit dem emotionalen Erleben von Natur und fördern dadurch eine ganzheitliche Naturerfahrung. Der hohe Naturschutzstatus verleiht den Nationalparks das „Prädikat für eine intakte Natur und Landschaft“ (M ETZLER ET AL . 2016, S. 9) und bietet die Chance, „Nachfragetrends nach Naturerlebnissen, ‚Ursprünglichkeit‘ und die Sehnsucht nach ‚intakter Natur‘ touristisch in Wert zu setzen“ (H ANNEMANN , J OB 2003, S. 6 ff.). Verschiedene Untersuchungen zu den ökonomischen Effekten des Tourismus in Nationalparks belegen, dass Nationalparks eine nicht zu unterschätzende touristische Attraktion sind, die das touristische Image einer Region stärken und zu deren ökonomischer Entwicklung beitragen (z. B. J OB ET AL . 2005, J OB ET AL . 2009). Auch die Befragten der Naturbewusstseinsstudie 2013 bescheinigen den Nationalparks fast durchgängig positive Wirkungen: „Sie schützen Tiere und Pflanzen, stärken den Tourismus und schaffen Arbeitsplätze“ (BMUB, B F N 2014, S. 35). Die Teilnehmenden des Naturerlebnis-Monitors Deutschland 2016 bewerten insbesondere die Naturlandschaft, die Wanderwege, die Beschilderung, Aussichtstürme und Naturlehrpfade als gut (BTE ET AL . 2016). Ein Nationalpark hat hohe fachliche Anforderungen zu erfüllen, denn wo Nationalpark draufsteht, sollte auch Nationalpark drin sein. Auf internationaler Ebene liegen mit der Resolution 3.047 „Evaluierung der Managementeffektivität“ und 3.048 „IUCN-Richtlinien für Management-Kategorien“ (2004) wichtige Vorgaben zur Einrichtung von Nationalparks sowie zur Berichtspflicht über die Effektivität des Schutzgebietsmanagements und damit zur Erreichung der Ziele der Biodiversitätskonvention vor. So schreibt das „Arbeitsprogramm Schutzgebiete“ der Konvention über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity, CBD) vor, dass bis 2015 die Managementeffektivität für mindestens 60 % der Schutzgebietsfläche eines Vertragsstaates zu evaluieren ist. Ausgehend von den Vorgaben der IUCN für die Managementkategorie II „Nationalpark“ (ED 2008a) wurde deshalb von EUROPARC Deutschland e. V. in Zusammenarbeit mit den deutschen Nationalparks ein Katalog von Qualitätskriterien und -standards (ED 2008b) entwickelt, der sicherstellt, dass die mit der Ausweisung eines Nationalparks verbundenen Ziele erreicht werden. Das Thema Naturerlebnis und Erholung wird in einem eigenen Handlungsfeld behandelt. Es umfasst die Qualitätskriterien „Angebote für Naturerlebnisse“ und „Infrastruktur für Besucher“ mit den dazugehörigen Standards ( ebd.). Anhand dieser Qualitätskriterien wurden im Zeitraum 2009 bis 2012 erstmals alle deutschen Nationalparks evaluiert (ED 2013). In Bezug auf Naturerlebnis <?page no="54"?> 54 Naturtourismus und Erholung konnte festgestellt werden, dass in allen Nationalparks vielfältige Naturerlebnisangebote für Menschen aller Altersstufen mit einem deutlichen Schwerpunkt im Sommerhalbjahr bestehen (vgl. Praxisbeispiele). Die Wander- und Radwege sind in allen Nationalparks einheitlich im Sinne des Markenbildes und angemessen mit Wegemarkierungen, Schildern und Hinweistafeln gekennzeichnet und überwiegend an das überregionale Wegenetz angebunden. In zahlreichen Nationalparks gibt es spezielle Vogel- und Wildtierbeobachtungsplätze. Liegen Nationalparks in einem Gebiet mit einer langen Kultur- und Landschaftsgeschichte, so wird diese bei den Naturerlebnisangeboten berücksichtigt. Auch die Zahl barrierefreier Angebote steigt stetig. Die verschiedenen Angebote werden von den Besuchern gut angenommen, viele sind ausgebucht. Besuchermagneten sind insbesondere Radwege, Kanustrecken, Informationszentren und -stellen, Aussichtspunkte, Baumwipfelpfade, Wildtiergehege und Beobachtungsstationen. Sie liegen - mit wenigen Ausnahmen - außerhalb der streng geschützten Bereiche, die in den Nationalparks unterschiedlich als Kernzone, Prozessschutzzone bzw. Naturdynamikzone bezeichnet werden oder außerhalb sonstiger ökologisch wertvoller Gebiete. Da ein Nationalpark vorrangig dem Schutz einer freien, vom Menschen unbeeinflussten Naturentwicklung dient, gelten in Bezug auf Naturerlebnis und Erholung in den Nationalparks einerseits bestimmte Gebote. So ist ein Nationalpark - soweit der Schutzzweck es erlaubt - der Öffentlichkeit für Bildung und Erholung durch geeignete Einrichtungen und Formen der Öffentlichkeitsarbeit zu erschließen. Gleichzeitig ist durch geeignete Maßnahmen der Verkehrs- und Besucherlenkung der Ruhecharakter des Gebietes insgesamt stärker auszuprägen. Andererseits gibt es eine Reihe von Restriktionen. So sind alle Handlungen nicht zulässig, die zu einer Zerstörung, Beschädigung oder Veränderung des Schutzgebiets und seiner Bestandteile oder zu einer nachhaltigen Beeinträchtigung oder Störung führen können. Die Nationalparks haben zu diesem Zweck für die Besucher bestimmte Verhaltensregeln erlassen. Dazu zählen z. B. das Parken auf ausgewiesenen Parkplätzen, das Verbleiben auf den markierten Wegen, das Anleinen von Hunden, das Unterlassen von Campen und offenem Feuer, der Verzicht auf Entnahme von Pflanzen und Tieren aus der Natur. Auf Aufgaben und Ziele des Besuchermanagements und der Besucherlenkung in Schutzgebieten gehen u. a. R EIN , S TRASDAS (2017) ein. <?page no="55"?> Gebiete mit besonderer Angebotsqualität 55 Aus der Praxis: Barrierefreier Natur-Erlebnisraum „Wilder Kermeter“ - Nationalpark Eifel Der ca. 10.900 ha große Nationalpark Eifel liegt im Südwesten von Nordrhein-Westfalen. Er ist geprägt durch die Mittelgebirgslandschaft des Rheinischen Schiefergebirges. Das erst 2004 gegründete Schutzgebiet ist ein „Entwicklungs-Nationalpark“, d. h. er hat 30 Jahre Zeit, mindestens 75 % seiner Fläche in eine natürliche Entwicklung zu überführen. Der barrierefreie Erlebnisraum auf dem Bergrücken des Kermeters besteht aus dem 1,5 km langen Naturerkundungspfad „Wilder Weg“ und einem 4,7 km langen Wegenetz. Der „Wilde Weg“ ist für Personen mit Mobilitäts- und Sinneseinschränkungen nach dem bundesweiten Kennzeichnungssystem „Reisen für Alle“ zertifiziert. Er informiert an 10 meist interaktiven Stationen über verschiedene Nationalparkthemen wie Wildnis, Waldentwicklung und biologische Vielfalt. Der Naturerkundungspfad wurde 2016 als UN- Dekadeprojekt Biologische Vielfalt ausgezeichnet. Das barrierefreie Wegenetz kann dank eines taktilen Leitsystems auch von sehbeeinträchtigten Wanderern begangen werden. Weiterführende Informationen  https: / / www.nationalpark-eifel.de/ de/ nationalpark-erleben/ barrierefreiunterwegs/ wilder-kermeter-und-wilder-weg Aus der Praxis: Wasserwandern im Müritz-Nationalpark Der 1990 gegründete Müritz-Nationalpark repräsentiert einen wesentlichen Ausschnitt der Mecklenburgischen Seenplatte mit dem Ostufer der Müritz und den Buchenwäldern in Serrahn, die im Jahr 2011 gemeinsam mit vier weiteren Buchenwäldern in Deutschland zum UNESCO-Weltnaturerbe ernannt wurden. Er ist mit 32.000 ha der größte terrestrische Nationalpark Deutschlands. Die Natur der großflächigen Wald- und Seenlandschaft erlebt man am besten vom Wasser aus. Die Paddel-Route „Alte Fahrt“ führt von der Müritz, dem größten Binnengewässer Deutschlands, über den Bolter Kanal in die Mirow- Leppiner Seenkette. Die Paddel-Route „Obere Havel“ führt von Kratzeburg in Richtung Süden durch mehrere Seen und verlässt den Nationalpark nach 23 km am Ausgang des Useriner Sees. <?page no="56"?> 56 Naturtourismus Dank des geltenden Verkehrsverbotes für Motorboote kann die Stille der Natur intensiv genossen werden. Beide Routen können außerhalb des Nationalparks in den angrenzenden Gewässern der Mecklenburgischen Seenplatte fortgesetzt werden. Entlang der beiden Wasserwanderstrecken hat sich eine Reihe von Kanuverleihen und Campingplätzen auf diese Zielgruppe eingestellt, die teilweise auch im bundesweiten Partnernetzwerk aktiv sind. Weiterführende Informationen  http: / / www.mueritz-nationalpark.de/ static/ MNP/ Dateien/ Infomaterial/ Wasserwandern_im_Mueritz-Nationalpark.pdf 2.1.2 Wildnisgebiete „Wildnis“ ist ein soziokulturell geprägter Begriff, der einem wiederholten Interpretationswandel unterliegt, der als gefährliches und unfruchtbares Gebiet negativ oder als Gegenpol zur zivilisierten, industriellen Welt positiv besetzt sein kann. Auch die Ausweisung der weltweit ältesten Nationalparks, Yosemite und Yellowstone, Ende des 19. Jahrhunderts in den USA, entstand aus der Idee der „Wilderness“-Bewegung heraus, diese als rein und wild angesehene Natur vor der zerstörerischen Nutzung durch den Menschen zu schützen und für kommende Generationen zu bewahren (vgl. K ATHKE 2010). Die Naturbewusstseinsstudie 2013 (BMUB, B F N 2014) ergab, dass in Deutschland die Sympathie für Wildnis im Vergleich zu 2009 zugenommen hat, 65 % der Befragten gefällt Natur umso besser, desto wilder sie ist. Wildnisgebiete bieten für 74 % der Befragten wichtige Rückzugsräume für Tiere und Pflanzen, für 53 % stellen sie einen Freiraum in der technisierten Welt dar, 52 % verstehen Wildnisgebiete aber auch als Ort, an dem man viel über die ursprüngliche Natur in Deutschland lernen kann. Die Ergebnisse der Bevölkerungsumfrage können als starke Argumente für die Umsetzung der wildnisbezogenen Ziele der „Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt“ (NBS) der Bundesregierung herangezogen werden (M UES 2015). Diese sieht vor, dass sich die Natur bis zum Jahr 2020 auf mindestens 2 % der Landesfläche Deutschlands „wieder nach ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten entwickeln“ kann (BMUB 2007). F INCK ET AL . (2013, S. 343) definieren Wildnisgebiete im Sinne der NBS als „ausreichend große, (weitgehend) unzerschnittene, nutzungsfreie Gebiete, die dazu dienen, einen vom Menschen unbeeinflussten Ablauf natürlicher Prozesse dauerhaft zu gewährleisten“. Vor allem die Kernzonen der Nationalparks sowie großflächige, zusammenhängende Kernzonen der Biosphärenreservate und einige großflächige Naturschutzgebiete (NSG) entsprechen dieser Definition. Als Suchkulisse für künftige Wildnisgebiete bieten sich primäre Ökosysteme (z. B. naturnahe Wälder, Küstenabschnitte, Moor- <?page no="57"?> Gebiete mit besonderer Angebotsqualität 57 und Seenlandschaften) und sekundäre Ökosysteme (ehemalige Truppenübungsplätze und Bergbaufolgelandschaften) an (ebd.). Wildnisgebiete verfolgen als primären Schutzzweck den Schutz bzw. das Ermöglichen einer vom Menschen weitgehend unbeeinflussten Ökosystemdynamik (BMU 2018). Dies schließt auch ungeplante, ggf. aus Sicht des klassischen Naturschutzes unerwünschte, Entwicklungen mit ein. Soweit es der Schutzzweck im Einzelfall erlaubt, können weitere Ziele wie Wildniserleben, Bildung sowie Monitoring und Forschung verfolgt werden (ebd.). Wildnisgebiete sind jedoch keine neue Schutzgebietskategorie nach BNatSchG. Das Thema Wildnis spiegelt sich zunehmend auch in den Naturerlebnis- und Bildungsangeboten der Nationalparks wider. Wesentliche Ziele sind dabei, den Besuchern der Nationalparks den Prozessschutzgedanken und das dazugehörige Leitbild „Natur Natur sein lassen“ näher zu bringen und über das Naturerleben die Wertschätzung für die Natur zu fördern (ED 2017). Für Wildnisgebiete als Teil der Nationalparks gelten dabei die gleichen Restriktionen wie für Nationalparks. Die Naturbewusstseinsstudie 2013 ergab, dass es unterschiedliche Meinungen gibt, inwieweit Wildnis den Menschen zugänglich sein sollte. So sprachen sich 16 % dafür aus, dass Wildnisgebiete überhaupt nicht zugänglich sein sollten, während 79 % sich für irgendeine Form des Zugangs aussprachen (BMUB, B F N 2014). Aus der Praxis: Wildniscamp Falkenstein - Nationalpark Bayerischer Wald Der 1970 gegründete Nationalpark Bayerischer Wald ist der älteste Nationalpark Deutschlands. Er umfasst 24.250 ha. Zusammen mit dem tschechischen Nationalpark Šumava bildet er das größte zusammenhängende Waldschutzgebiet Mitteleuropas. Das Wildniscamp auf dem weitläufigen Gelände am Fuße des Falkensteins ist eine Bildungseinrichtung der Nationalparkverwaltung. Die Wildnisaufenthalte für Schulklassen und Gruppen werden stets von Bildungsangeboten in den Themen- oder Länderhütten begleitet. Die architektonisch an die Natur angepassten Themenhütten (z. B. Erdhöhle, Baumhaus, Waldzelt) machen durch ihre Konzeption die verschiedenen Lebensräume und Themenfelder erlebbar. Die Länderhütten sind den traditionellen einfachen Behausungen der indigenen Bewohner aus Nationalparkregionen aller Kontinente (z. B. Afrika, Südamerika, Mongolei) nachempfunden. Sie ermöglichen eine Verknüpfung zur Bildungsarbeit des Nationalparks und eine globale Sicht auf Umweltthemen. Das Programm besteht in der Regel aus mehreren Projekttagen und einer ganztägigen Wanderung im Nationalpark. <?page no="58"?> 58 Naturtourismus Es gibt auch spezielle Wochenendprogramme oder frei buchbare Angebote des Vereins WaldZeit, die auch Einzelne nutzen können. Weiterführende Informationen  https: / / www.nationalpark-bayerischer-wald.bayern.de/ lernort/ wildniscamp/  https: / / www.waldzeit.de/ wildniscamp-am-falkenstein/ Die Nationalparks und damit auch die Kernzonen als Wildnisgebiet im Sinne der NBS sind auf Basis der Qualitätskriterien für Nationalparks bereits Teil des Systems der Nationalen Naturlandschaften. Wildnisgebiete der Nationalen Naturlandschaften orientieren sich stärker an der IUCN- Managementkategorie I b „Wilderness Area“ und haben eine Mindestgröße von 3.000 ha (im Unterschied zu 1.000 ha bei großflächigen Wildnisgebieten im Sinne der NBS). Bestimmte Qualitätsstandards zur Beschaffenheit des Gebiets und zu zentralen Rahmenbedingungen müssen bereits bei Einrichtung eines Wildnisgebiets der Nationalen Naturlandschaften vollständig oder zumindest überwiegend erfüllt sein. Die meisten, das Management betreffende Standards - darunter auch das Thema Bildung und Wildniserleben - müssen erst im Zuge der Entwicklung erreicht werden. Als erstes und bisher einziges Gebiet wurde 2016 das NSG Königsbrücker Heide evaluiert und als Wildnisgebiet der Nationalen Naturlandschaften eingestuft (ED 2016d). Neben dem Schutz der Wildnis als zentralem Schutzweck wird im Wildnisgebiet „Königsbrücker Heide“ mit Wildniserlebnisangeboten eine stärkere Wertschätzung der wilden, unberührten Natur vermittelt. Die Angebote berücksichtigen die Naturausstattung des Gebiets und gefährden nicht den Schutzweck. Aus der Praxis: Wildnis erleben im Wildnisgebiet Königsbrücker Heide Mehr als 80 Jahre diente die nördlich von Dresden gelegene Königsbrücker Heide als Truppenübungsplatz. Seit 1992 erobert sich die Natur die Fläche sukzessive zurück. Rund 80 % der 7.037 ha unterliegen in dem als NSG geschützten Wildnisgebiet dem Prozessschutz. Regelmäßige und ganzjährig stattfindende Angebote ermöglichen unterschiedlichen Zielgruppen das Erleben von Wildnis im Gebiet. Es gibt geführte Geländebustouren und Wanderungen auf den Besucherpfaden, beschilderte Themenwege und Lehrpfade sowie einen Aussichtsturm. <?page no="59"?> Gebiete mit besonderer Angebotsqualität 59 Die Entdeckertouren „Heidewaldpfad“, „Zochauer Heidepfad“, „Biberpfad“ und „Turmpfad“ lenken die Aufmerksamkeit der Besucher auf spezifische Themen des Wildnisgebiets (u. a. Sukzession, Waldentwicklung, Landschaftsgestaltung durch den Biber). Informationen dazu sind auf den dazugehörigen Flyern zu finden sowie im Besucherzentrum. Weiterführende Informationen  http: / / www.koenigsbrueckerheide.eu/ index.php/ Naturerleben.html 2.1.3 Biosphärenreservate Nach § 25 Abs. 1 BNatSchG werden Biosphärenreservate als einheitlich zu schützende und zu entwickelnde Gebiete definiert, die (a) großräumig und für bestimmte Landschaftstypen charakteristisch sind, (b) in wesentlichen Teilen ihres Gebiets die Voraussetzungen eines Naturschutzgebiets erfüllen und im Übrigen überwiegend die eines Landschaftsschutzgebiets. Sie dienen (c) vornehmlich der Erhaltung, Entwicklung oder Wiederherstellung einer durch hergebrachte vielfältige Nutzung geprägten Landschaft und der darin historisch gewachsenen Arten- und Biotopvielfalt, einschließlich Wild- und früherer Kulturformen wirtschaftlich genutzter oder nutzbarer Tier- und Pflanzenarten. Darüber hinaus sollen sie (d) beispielhaft der Entwicklung und Erprobung von die Naturgüter besonders schonenden Wirtschaftsweisen dienen. Soweit es der Schutzzweck erlaubt, können sie auch der Forschung und der Beobachtung von Natur und Landschaft sowie der Bildung für nachhaltige Entwicklung dienen (§ 25 Abs. 2 BNatSchG). Sie sind unter Berücksichtigung der durch die Großräumigkeit und Besiedlung gebotenen Ausnahmen über Kernzonen, Pflegezonen und Entwicklungszonen zu entwickeln und wie Naturschutzgebiete oder Landschaftsschutzgebiete zu schützen (§ 25 Abs. 3 BNatSchG). Sie können auch als Biosphärengebiete oder Biosphärenregionen bezeichnet werden (§ 25 Abs. 4 BNatSchG). Tourismus bleibt im Bundesnaturschutzgesetz unerwähnt. Anders im Rahmen des internationalen Programms „Der Mensch und die Biosphäre“ (Man and the Biosphere Programme, MAB): mit der Sevilla-Strategie wurde hier 1995 eine Entwicklung eingeleitet, die die Biosphärenreservate in ihrer Rolle als Modellregionen einer nachhaltigen, d. h. dauerhaft umweltgerechten und zukunftsfähigen, Regionalentwicklung verortet. Naturtourismus wird, neben Umweltbildung, als eine kooperativ zu gestaltende, ökologisch tragfähige Aktivität der „Pufferzone“ zugeordnet (UNESCO 1996, S. 4). Die Sevilla- Strategie gilt gleichzeitig als Auslöser für die meist alle 10 Jahre stattfindende Überprüfung der Biosphärenreservate in Deutschland, für die entsprechende <?page no="60"?> 60 Naturtourismus Kriterien entwickelt wurden (Deutsches Nationalkomitee für das UNESCO- Programm MAB 2007). Basierend auf der Sevilla-Strategie wurde 2016 der Lima-Aktionsplan verabschiedet. Dieser enthält für den Zeitraum 2016 bis 2025 konkrete Maßnahmenpakete zur MAB-Strategie, mit denen das Weltnetz und einzelne Biosphärenreservate gestärkt werden sollen (L IMA A CTION P LAN 2016). Mit dem Aktionsplan wird ein wichtiger Beitrag zur Erreichung der Sustainable Development Goals (SDGs) geleistet. M ERLIN (2017, S. 43) führt aus, dass Tourismus im Kontext des MAB- Programms als kulturelle Ökosystemdienstleistung der einzelnen Schutzgebiete betrachtet wird, die nur partnerschaftlich entwickelt werden kann. Letztlich geht es darum, der Doppelrolle des Tourismus in diesen Modellregionen gerecht zu werden, indem er sowohl einen Beitrag zur Schutzfunktion leistet als auch neue Einkommensmöglichkeiten schafft. Tourismus wird als ein Mittel der nachhaltigen Entwicklung verstanden und in zahlreichen internationalen Übereinkommen und Programmen thematisiert (ebd. S. 46). Mit dem Label „UNESCO-Biosphärenreservat“ erhält das Gebiet als Tourismusdestination ein nicht willkürlich transferierbares Prädikat und Alleinstellungsmerkmal, das das Image der Region aufwertet. Das bedeutet, Biosphärenreservate können als Chance einer Destinationsentwicklung begriffen werden, weil sie (a) als relevante Ziele im Spiegel aktueller Nachfragetrends gelten können, (b) mit dem international anerkannten UNESCO-Label einen Beitrag zum Image der Destination und deren Marke leisten, (c) touristische Infrastruktur bereitstellen, Zertifizierungen betreiben und nachhaltige, authentische, regionale Produkte und Dienstleistungen fördern. Darüber hinaus haben sie (d) eine interdisziplinäre Ausrichtung mit entsprechenden Netzwerken, die im Rahmen einer touristischen Dienstleistungskette von Vorteil sind (M ERLIN 2017, S. 64). Naturtouristische Angebote, die geeignet sind, sowohl den Anforderungen eines „UNESCO-Biosphärenreservats“ als auch denen der Dachmarke „Nationale Naturlandschaften“ zu entsprechen, werden häufig im Rahmen des Partnerprogramms entwickelt und müssen spezifische Mindestanforderungen (vgl. Partner- Initiativen, Kap. 2.1) erfüllen. Beispielsweise bietet das Biosphärenreservat Südost-Rügen spezielle Partnertouren an, bei denen der Gast gezielt zu ausgezeichneten Partner-Betrieben geführt wird, diese erreicht er „sanft-mobil“ als Kombination aus Radtour, Wanderung, Schiffstour oder mit dem rasenden Roland. Darüber hinaus besteht wie in den Nationalparks ein umfangreiches Spektrum an Naturerlebnisangeboten, diese reichen von themenspezifischen Veranstaltungen und Wander- oder Erlebniswegen (z. B. kulinarische und nachhaltige Erlebniswege im Biosphärenreservat Bliesgau) über Informationszentren und -stellen bis hin zu Aussichtspunkten und Beobachtungsstationen. <?page no="61"?> Gebiete mit besonderer Angebotsqualität 61 Aus der Praxis: Erlebnisregion Bliesgau - kulinarisch und nachhaltig durch das UNESCO-Biosphärenreservat Bliesgau Das UNESCO-Biosphärenreservat Bliesgau im Südosten des Saarlandes, angrenzend zu Rheinland-Pfalz und Frankreich, zeichnet sich durch seine hügelige Landschaft aus, die im Norden eher städtisch und im Süden eher ländlich geprägt ist. Charakteristisch sind ausgedehnte Streuobstwiesen, eindrucksvolle Buchenwälder und Auenlandschaften sowie artenreiche Trockenrasen. Im Fokus der „Erlebnisregion Bliesgau“ steht die touristische Nutzung nachhaltiger Bildungsangebote. Beispielsweise kann man auf verschiedenen Erlebniswegen die ökologischen Auswirkungen des eigenen Lebensstils herausfinden oder bei einer interaktiven Schnitzeljagd mehr über die Landschaft und Geschichte der Region erfahren. Auf einer kulinarischen Wanderung mit geprüften Natur- und Landschaftsführern lassen sich an verschiedenen Stationen Spezialitäten verkosten, die regional und umweltfreundlich erzeugt werden. Beim Bau des „Floßes der Nachhaltigkeit“ wird mit den eigenen Händen angepackt und ein Floß zu Wasser gelassen, nebenbei lernen die Teilnehmenden jahrhundertealte Traditionen kennen und was es mit der Nachhaltigkeit auf sich hat. Die Umsetzung dieser Angebote gelingt nur mittels einer guten Zusammenarbeit der unterschiedlichen Akteure aus dem Biosphärenreservat und dem Tourismus. Insbesondere die Partner-Betriebe des Biosphärenreservats Bliesgau nehmen dabei eine wichtige Rolle ein, sie stehen für Qualität, gelebte Regionalität und Umweltbewusstsein und sind wichtige Botschafter ihrer Region. Weiterführende Informationen  https: / / www.biosphaere-bliesgau.eu/ index.php/ de/ urlaub-und-freizeit  https: / / www.biosphaere-bliesgau.eu/ index.php/ de/ bildung-undforschung/ erlebnisregion-bliesgau 2.1.4 Naturparks Die mehr als 100 Naturparks in Deutschland nehmen mehr als 27 % der Landesfläche Deutschlands ein und haben damit allein durch ihre Ausdehnung eine besondere Bedeutung für den Naturtourismus (vgl. P ORZELT 2012). § 27 Abs. 1 BNatSchG definiert Naturparks als einheitlich zu entwickelnde und zu pflegende Gebiete, deren Gebietskulisse (a) großräumig ist, (b) die überwiegend Landschaftsschutzgebiete oder Naturschutzgebiete sind, (c) die sich wegen ihrer landschaftlichen Voraussetzungen für die Erholung besonders eignen und in <?page no="62"?> 62 Naturtourismus denen ein nachhaltiger Tourismus angestrebt wird, (d) die nach den Erfordernissen der Raumordnung für Erholung vorgesehen sind, (e) der Erhaltung, Entwicklung oder Wiederherstellung einer durch vielfältige Nutzung geprägten Landschaft und ihrer Arten- und Biotopvielfalt dienen und in denen zu diesem Zweck eine dauerhaft umweltgerechte Landnutzung angestrebt wird und die (f) besonders dazu geeignet sind, eine nachhaltige Regionalentwicklung zu fördern. Der Gesetzgeber betont damit die herausgehobene Bedeutung der Naturparks für Tourismus und Erholung. Des Weiteren sollen Naturparks auch der Bildung für nachhaltige Entwicklung dienen (§ 27 Abs. 2 BNatSchG). Der Verband Deutscher Naturparke (VDN) und EUROPARC Deutschland e. V. haben auch hier mit der „Qualitätsoffensive Naturparke“ Standards entwickelt, die darauf zielen die Leistungsfähigkeit und Managementqualität der Naturparks zu stärken. Dem Thema „Erholung und Nachhaltiger Tourismus“ ist ein eigenes Handlungsfeld gewidmet (VDN 2015). Der Umfang an Naturerlebnis-, aber auch Sport- und Aktivangeboten belegt, dass Erholung und nachhaltiger Tourismus in den Naturparks ein wichtiger Arbeitsschwerpunkt ist. Auch hier werden Angebote häufig partnerschaftlich erarbeitet und gemeinschaftlich im Rahmen des Tourismusmarketings vermarktet. In den Blick genommen werden breite Zielgruppen, auch um der gesamten Bevölkerung adäquate Erholungsangebote zur Verfügung zu stellen. In der Broschüre „Reisen in die Naturparke“ stellt der VDN seit 2006 jährlich ausgewählte Reiseangebote aus den deutschen Naturparks vor. Mit dem Projekt „Katzensprung“ setzt sich der VDN für klimaschonendes Reisen in den deutschen Naturparks ein. Ziel des Projektes ist es, Reisefreudige zu motivieren, nachhaltige Urlaubsalternativen in der Heimat zu nutzen und dadurch messbar CO 2 einzusparen. Aus der Praxis: Der Kyffhäuserweg im Naturpark Kyffhäuser - Ein HörErlebnis Der Naturpark Kyffhäuser im Norden Thüringens und südlich des Harzes zeichnet sich durch seine landschaftliche Vielfalt und einen großen Artenreichtum aus. Daneben bietet der Naturpark viele geologische Schätze und eine reichhaltige Geschichte. Diese kann der Gast beispielsweise auf dem „Kyffhäuserweg“, einem Rundweg von 37 km Länge, in drei Etappen intensiv kennenlernen. Entlang des als Qualitätswanderweg ausgezeichneten Weges kann der Wanderer an 60 Stationen mit dem Handy auf den mobilen Reisebegleiter „HörErlebnis Kyffhäuser“ zugreifen und Wissenswertes über die Kyffhäuserregion erfahren. <?page no="63"?> Gebiete mit besonderer Angebotsqualität 63 Weiterführende Informationen  http: / / neu.naturpark-kyffhaeuser.de/ wpcontent/ uploads/ 2016/ 06/ kyffhaeuserweg_broschuere.pdf  http: / / www.naturpark-kyffhaeuser.de/ 1/ hoererlebnis-kyffhaeuser/ Tipp Weitergehende Informationen zu Nationalparks, Biosphärenreservaten, Naturparks sowie Wildnisgebieten in Deutschland finden Sie auf folgenden Websites:  https: / / www.naturparke.de  https: / / www.bfn.de/ themen/ gebietsschutz-grossschutzgebiete.html  http: / / www.nationale-naturlandschaften.de  https: / / www.bmu.de/ themen/ natur-biologische-vielfalt-arten/ naturschutzbiologische-vielfalt/ wildnis/  https: / / www.bfn.de/ themen/ biotop-und-landschaftsschutz/ wildnisgebiete.html Literatur BMU, BfN - Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit/ Bundesamt für Naturschutz: Qualitätskriterien zur Auswahl von großflächigen Wildnisgebieten in Deutschland im Sinne des 2 % Ziels der Nationalen Biodiversitätsstrategie. Mit den Länderbehörden abgestimmte Fachposition des BMU/ B F N (Stand: 03. Mai 2018). Berlin 2018. BMUB - Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (Hg.): Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt. Kabinettsbeschluss vom 7. November 2007. Berlin 2007. BMUB - Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, B F N - Bundesamt für Naturschutz: Naturbewusstsein 2013. Bevölkerungsumfrage zu Natur und biologischer Vielfalt. Berlin 2014. BTE, VDN, ED - Tourismus- und Regionalberatung/ Verband Deutscher Naturparke/ EUROPARC Deutschland e. V.: Naturerlebnis-Monitor Deutschland 2016. Berlin 2016. Bundesnaturschutzgesetz vom 29. Juli 2009 (BGBI. I. S. 2542), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 15. September 2017 (BGBI. I. S. 3434) geändert worden ist. <?page no="64"?> 64 Naturtourismus Deutsches Nationalkomitee für das UNESCO-Programm MAB (Hg.): Kriterien für die Anerkennung und Überprüfung von Biosphärenreservaten der UNESCO in Deutschland, Bonn 2007. ED - EUROPARC Deutschland e. V.: Richtlinien für die Anwendung der IUCN- Managementkategorien für Schutzgebiete. Berlin 2008a. ED - EUROPARC Deutschland e. V.: Qualitätskriterien und -standards für deutsche Nationalparke, Entwicklung eines Evaluierungsverfahrens zur Überprüfung der Managementeffektivität. Berlin 2008b. ED - EUROPARC Deutschland e. V.: Urlaub bei unseren Partnern. Gelebte Partnerschaften vom Wattenmeer bis zur Schwäbischen Alb. Berlin 2010. ED - EUROPARC Deutschland e. V.: Managementqualität deutscher Nationalparks. Ergebnisse der ersten Evaluierung der deutschen Nationalparks. Berlin 2013. ED - EUROPARC Deutschland e. V.: Barrierefreies Naturerleben planen. Anregungen und Perspektiven. Berlin 2016a. ED - EUROPARC Deutschland e. V.: Bundesweite Mindeststandards für Partner- Initiativen. Vom 18.06.2009 i.d.F. vom 01.03.2016. 2016b ED - EUROPARC Deutschland e. V.: Bundesweite Mindestanforderungen für Partner der Nationalen Naturlandschaften. Vom 18.06.2009 i.d.F. vom 01.03.2016. 2016 c. ED - EUROPARC Deutschland e. V.: Bericht über die Evaluierung des NSG Königsbrücker Heide als Wildnisgebiet I b IUCN auf Grundlage des Entwurfs zu den Qualitätsmerkmalen von Wildnisgebieten in den Nationalen Naturlandschaften vom 21.03.2016. Berlin 2016 d. ED - EUROPARC Deutschland e. V.: Wildnisbildungsangebote in Nationalparks und Biosphärenreservaten im deutschsprachigen Raum. Erstellt im Rahmen des F+E-Vorhabens „Naturparkpotenziale zur Entwicklung von Wildnisgebieten und großen Prozessschutzflächen“. Berlin 2017. ED - EUROPARC Deutschland e. V.: Leitfaden für neue Partner-Initiativen. Vom 15.04.2010 i.d.F. vom 04.05.2018. Berlin 2018. EF - EUROPARC Federation e. V.: Tourismus & Natur. Die Europäische Charta für nachhaltigen Tourismus in Schutzgebieten - ein erfolgreiches Instrument zum Schutz der Biologischen Vielfalt. Berlin o. J. E SCH , F.: Strategie und Technik der Markenführung. München 2005. F INCK , P., K LEIN , M., R IECKEN , U.: Wildnisgebiete in Deutschland - von der Vision zur Umsetzung. In: Natur und Landschaft 88 (8): S. 324-346. 2013. <?page no="65"?> Gebiete mit besonderer Angebotsqualität 65 H ANNEMANN , T.; J OB , H.: Destination „Deutsche Nationalparke“ als touristische Marke. Tourism Review 58 (2): S. 6-17. 2003. J OB , H., H ARRER , B., M ETZLER , D., H AJIZADEH -A LAMDARY , D.: Ökonomische Effekte von Großschutzgebieten. Untersuchung der Bedeutung von Großschutzgebieten für den Tourismus und die wirtschaftliche Entwicklung der Region. Bundesamt für Naturschutz (Hg.) BfN-Skript 135. Bonn 2005. J OB , H., K RAUS , K., M ERLIN , C., W OLTERING , M.: Wirtschaftliche Effekte des Tourismus in Biosphärenreservaten Deutschlands. Naturschutz und Biologische Vielfalt Heft 134. Bundesamt für Naturschutz. Bonn 2013. J OB , H., W OLTERING , M., H ARRER , B.: Regionalökonomische Effekte des Tourismus in deutschen Nationalparken. Naturschutz und Biologische Vielfalt Heft 76. Bundesamt für Naturschutz. Bonn 2009. K ATHKE , T.: Die Idee der wilderness in den USA. In: Laufener Spezialbeiträge 2010. Wildnis zwischen Natur und Kultur: Perspektiven und Handlungsfelder für den Naturschutz: S. 85-92. Laufen 2010. Lima Action Plan as endorsed by the 4th World Congress of Biosphere Reserves on 17 March 2016, and as adopted by the 28th MAB ICC on 19 March 2016, Lima 2016. M ERLIN , C.: Tourismus und nachhaltige Regionalentwicklung in deutschen Biosphärenreservaten. In: Baumhauer, R., Hahn, B., Job, H., Peath, H., Rauh, J., Terhorst, B. Hg. (2017): Würzburger Geografische Arbeiten. Band 118. Würzburg 2017. M ETZLER , D., W OLTERING , M., S CHEDER , N.: Naturtourismus in Deutschlands Nationalparks. In: Natur und Landschaft. Jahrgang 91, Heft 1. S. 8-14. 2016. M UES , A. W.: Was denkt Deutschland über Wildnis? Ergebnisse der Naturbewusstseinsforschung. In: Natur und Landschaft 90 (9/ 10): S. 421-425. Bonn 2015. P ORZELT , M.: Naturtourismus in Schutzgebieten am Beispiel der deutschen Naturparke. In: Rein, H.; Schuler, A. (2012): Tourismus im ländlichen Raum. Wiesbaden 2012. R EIN , H., S TRASDAS , W. (Hg.): Nachhaltiger Tourismus. Einführung. 2. überarbeitete Auflage. Konstanz und München 2017. S T MUV - Bayerisches Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz: Tipps und Beispiele für erfolgreiche Naturerlebnisangebote. München 2018. UNESCO: Biosphere reserves: The Seville Strategy and the Statutory Framework of the World Network. Paris 1996. VDN - Verband Deutscher Naturparke: Qualitätsoffensive Naturparke. 3. Phase 2016-2020. Bonn 2015. <?page no="66"?> 66 Naturtourismus VDN - Verband Deutscher Naturparke, ED - EUROPARC Deutschland e. V.: Faszination Natur erlebbar machen. Wegweiser für die Konzeption und Umsetzung von Naturerlebnisangeboten in den Nationalen Naturlandschaften. Berlin 2015. <?page no="67"?> Gebiete mit besonderer Angebotsqualität 67 2.2 UNESCO-Weltnaturerbe-Gebiete von Anja Szczesinski, Barbara Engels In diesem Kapitel werden folgende Fragen beantwortet:  Was sind UNESCO-Weltnaturerbe-Gebiete?  Welche UNESCO-Weltnaturerbe-Gebiete gibt es in Deutschland?  Welche Rolle spielen UNESCO-Weltnaturerbe-Gebiete für das Naturerleben?  Welche Chancen für den Naturtourismus bietet eine Anerkennung zum Weltnaturerbe-Gebiet?  Welche Risiken können mit dem Weltnaturerbe-Status verbunden sein? Weltweit einzigartige Naturgebiete, die über nationale Grenzen hinaus für die gesamte Menschheit von Bedeutung sind, können - ebenso wie einzigartige kulturelle Stätten - von der UNESCO (United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization, zu Deutsch Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur) als Welterbestätten ausgezeichnet werden. Geregelt werden die Benennung, Bewertung und Anerkennung sowie die Verpflichtung zum Schutz und Erhalt von Welterbestätten „für die gesamte Weltgemeinschaft für gegenwärtige und zukünftige Generationen“ durch die UNE- SCO Welterbekonvention, die von aktuell 193 Staaten unterzeichnet wurde. Maßgeblich für eine Aufnahme in die Welterbeliste ist der „außergewöhnliche universelle Wert“ (Outstanding Universal Value, OUV) einer Stätte. Dieser wird nach 10 festgelegten Kriterien bemessen, wovon sechs für Kulturerbestätten und vier für Naturerbestätten gelten. Naturerbestätten müssen mindestens eines der folgenden Auswahlkriterien erfüllen:  überragende Naturerscheinung von außergewöhnlicher Schönheit (Kriterium vii)  herausragendes Beispiel der Erdgeschichte oder geologischer Prozesse (Kriterium viii)  außergewöhnliches Beispiel bedeutender und andauernder ökologischer und biologischer Prozesse (Kriterium ix) <?page no="68"?> 68 Naturtourismus  bedeutender natürlicher Lebensraum zur Erhaltung der biologischen Vielfalt (Kriterium x) Außerdem müssen die Integrität, also die Unversehrtheit des gesamten Gebietes gesichert sowie der Schutz und das Management gewährleistet sein. Dabei können die Stätten grenzüberschreitend sein oder mehrere Einzelgebiete umfassen (serielle Stätte) (UNESCO Welterbestätten Deutschland e. V. (o. J.). In Deutschland sind aktuell (Stand 2018) 44 Stätten in die UNESCO- Welterbeliste eingeschrieben, davon 41 Weltkulturerbestätten vom Aachener Dom bis zur Wartburg und die folgenden drei Weltnaturerbestätten:  Fossillagerstätte Grube Messel (seit 1995)  Wattenmeer (seit 2009) als serielle transnationale Stätte mit Dänemark und den Niederlanden  Alte Buchenwälder und Buchenurwälder der Karpaten und anderer Regionen Europas (seit 2011) als serielle transnationale Stätte mit Albanien, Belgien, Bulgarien, Italien, Kroatien, Österreich, Polen, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Spanien und Ukraine mit insgesamt über 70 Teilgebieten. Sowohl das Weltnaturerbe Wattenmeer als auch die Weltnaturerbestätte Alte Buchenwälder erstrecken sich über mehrere Länder und umfassen mehrere Einzelgebiete, weshalb die Nominierung als sog. serielle transnationale Stätte von den beteiligten Staaten gemeinsam erfolgte. Abb. 12: UNESCO Weltnaturerbestätten in Deutschland Quelle: ©NORDNORDWEST.com <?page no="69"?> Gebiete mit besonderer Angebotsqualität 69 2.2.1 Natur erleben in Weltnaturerbe-Gebieten Naturgemäß stellen Weltnaturerbe-Gebiete aufgrund ihrer Einzigartigkeit besonders interessante Destinationen im Naturtourismus dar. Eine Studie in 22 Ländern der OECD ergab, dass mehr als zwei Drittel der befragten Welterbestätten einen Anstieg der Besucherzahlen nach Anerkennung als Welterbe verzeichnen. Ob Besucher allein wegen des Welterbestatus eine Stätte besuchen, ist schwierig zu quantifizieren. Gründe für eine Zunahme kann neben einer besseren Erreichbarkeit auch das nach Welterbeanerkennung insgesamt verbesserte Marketing bzw. Angebot der Stätte sein (vgl. E NGELS ET AL . 2011, S. 529). Die Vermittlung des außergewöhnlichen universellen Wertes gehört zu den Aufgaben einer Welterbstätte. Viele Stätten verfügen über umfassende Informations- und Erlebnisangebote und bieten selbst oder über Kooperationspartner Touren und Reisen von mehrstündigen Exkursionen bis zu mehrtägigen Pauschalen an. Gut gelenkt und nachhaltig gestaltet kann der Naturtourismus zum Schutz einer Welterbestätte beitragen, z. B. durch eine Steigerung der Wertschätzung der hautnah erlebten Natur und entsprechend umweltfreundlichem Verhalten. Im Idealfall tragen Einnahmen aus dem Tourismussektor auch zur Finanzierung von Naturschutzmaßnahmen bei. In touristisch bereits stark erschlossenen Gebieten wie dem Wattenmeer kann der Weltnaturerbe-Status die Kooperation von Naturschutz und Tourismus fördern und zu einem breiteren naturtouristischen Angebot beitragen. Die Auszeichnung zum Weltnaturerbe eines bisher touristisch wenig erschlossenen Gebietes kann durch die Entwicklung von Naturtourismusangeboten die lokale Einkommenssituation verbessern und zum langfristigen Schutz der Stätte beitragen. Ein Beispiel dafür sind die Welterbestätten Seen von Ounianga und das Ennedi-Massiv im Tschad, in deren Umfeld nach Anerkennung als Welterbe in den Jahren 2013 und 2016 sich langsam touristische Strukturen entwickeln (M OVE FOR THE T SCHAD 2018), oder Wadi al Hitan (WhaleValley) in Ägypten, wo die lokale Bevölkerung in die Entwicklung touristischer Projekte eingebunden wird (E NGELS ET AL . 2011). Die hohe Erwartungshaltung der lokalen Bevölkerung und Politik bezüglich steigender Touristenzahlen und Umsätze ist jedoch auch mit Risiken verbunden: unangepasste Infrastrukturentwicklung, Zunahme des Verkehrs oder fehlende Kapazitäten für Abfall- oder Abwasserbehandlung können sich ebenso negativ auf das Naturerbe auswirken wie Störungen der Tier- oder Pflanzenwelt durch unangepasstes Verhalten der Besucher. Auf Inseln - so z. B. dem bekannten Welterbe Galapagos - kommt der Einschleppung invasiver Arten eine besondere Bedeutung zu (E NGELS ET AL . 2011). In dem im Jahr 2018 neu in die UNE- <?page no="70"?> 70 Naturtourismus SCO-Welterbeliste aufgenommenen chinesischen Weltnaturerbe Mount Fanjingshan wurde aus Schutzgründen die Besucherzahlen pro Tag begrenzt (  http: / / www.xinhuanet.com/ english/ 2018-07/ 14/ c_137323789.htm). Aufgrund der besonderen Bedeutung des Tourismus für Welterbestätten ist dieser auch in Durchführungsrichtlinien der Welterbekonvention verankert: Bei der Anerkennung eines Gebietes als Welterbe wird deshalb das Vorhandensein von Besucherlenkungskonzepten und touristischen Strategien und Plänen geprüft. So individuell die Welterbestätten wegen ihrer Einzigartigkeit sind, so unterschiedlich müssen auch die Ansätze zu einer nachhaltigen touristischen Gestaltung sein. Entscheidend ist eine effektive Planung des Tourismus innerhalb und außerhalb der Welterbestätte. Dies erfordert die Einbindung und Teilhabe von Akteuren vor Ort und besonders die Zusammenarbeit zwischen der Tourismusindustrie, lokaler Bevölkerung und der Schutzgebietsverwaltung der Stätte (B ORGES ET AL . 2011). Auf Ebene der UNESCO verfolgt das Programm „Welterbe und Nachhaltiger Tourismus“ das Ziel, Welterbestätten weltweit bei einer nachhaltigen touristischen Entwicklung zu unterstützen (UNESCO 2018). Die folgenden vier Beispiele aus der Praxis geben Einblicke in konkrete Kooperations- und Kommunikationsmaßnahmen sowie in die strategische Entwicklung von und Naturschutzfinanzierung durch Tourismus in Weltnaturerbestätten. Aus der Praxis: Welterberegion „Wartburg Hainich“ Unter dem Motto „Kultur liebt Natur - Natur liebt Kultur“ entwickeln die Weltnaturerbestätte „Alte Buchenwälder“ im Nationalpark Hainich und das nur wenige Kilometer entfernt liegende Weltkulturerbe Wartburg (in Eisenach) gemeinsam touristische Produkte und vermarkten diese seit 2013 erfolgreich. Der Gewinn des Tourismusbudgets des Thüringischen Wirtschaftsministeriums im Jahr 2012, die Gründung eines gemeinsamen Tourismusverbands „Welterberegion Wartburg Hainich e. V.“ und die Entwicklung einer gemeinsamen Marke im Jahr 2013 waren dafür zentrale Erfolgsfaktoren. Damit werden neue Zielgruppen erschlossen, Gästezahlen gesteigerte und die Aufenthaltsdauer der Gäste in der Region erhöht. Nachhaltig verbinden Wanderbusse die beiden Welterbstätten und naturtouristische Produkte, wie der Baumkronenpfad oder das Wildkatzendorf Hütscheroda machen das Weltnaturerbe Buchenwälder im Hainich erlebbar. Weiterführende Informationen  https: / / www.kultur-liebt-natur.de/ de/ <?page no="71"?> Gebiete mit besonderer Angebotsqualität 71 Aus der Praxis: Auf Watt-Safari mit den „Small Five“ und anderen Botschaftern des Weltnaturerbes Wattenmeer Mit der Auszeichnung als UNESCO-Weltnaturerbe betraten die „Small Five“ die Bühne des Wattenmeeres und bereichern seitdem das naturtouristische Angebot. Angeregt durch die „Big Five“-Safaris in Afrika entwickelte die regionale Tourismusmarketingorganisation gemeinsam mit Naturschutzverbänden und der Nationalparkverwaltung Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer das Konzept der „Small Five“: Fünf für das Wattenmeer charakteristische Tierarten wurden als „Botschafter“ des Weltnaturerbes ernannt und öffentlichkeitswirksam kommuniziert. Wattwanderungen wurden zu „Watt- Safaris“ und die kleinen, wenig bekannten Wattschnecken, Strandkrabben, Herzmuscheln, Wattwürmer und Garnelen auf eine Stufe gestellt mit den großen Charakterarten der afrikanischen Nationalparks. Viele Anbieter von Wattführungen haben den marketingstarken Begriff mit internationalem Flair für ihre Angebote aufgegriffen, andere bevorzugen die plattdeutsche Variante „Lütte Fief“ für das ganz lokale Erleben der globalen Vielfalt. Nach dem großen Erfolg der „Small Five“ folgten mit den „Flying Five“ fünf typische Vogelarten wie Austernfischer und Silbermöwe und mit den „Big Five“ auch Arten wie Seehund und Schweinswal als Weltnaturerbe- Botschafter in der Angebotskommunikation. Weiterführende Informationen  https: / / www.nordseetourismus.de/ die-small-five-erleben Faltblatt „Small Five“:  https: / / www.nationalparkwattenmeer.de/ sh/ service/ mediathek/ dokumente/ faltblatt-small-five/ 419 Faltblatt „Big Five“:  https: / / www.nationalparkwattenmeer.de/ sh/ service/ mediathek/ dokumente/ faltblatt-big-five/ 417 Faltblatt "Flying Five“:  https: / / www.nationalparkwattenmeer.de/ sh/ service/ mediathek/ dokumente/ faltblatt-flying-five/ 418 <?page no="72"?> 72 Naturtourismus Aus der Praxis: Nachhaltiger Tourismus im Weltnaturerbe Wattenmeer Als das Wattenmeer 2009 in die Liste des UNESCO-Weltnaturerbes aufgenommen wurde, blickten die Inseln und die angrenzende Festlandsregion bereits auf eine jahrzehntelange Tourismusentwicklung zurück. Mit der Anerkennung zum Weltnaturerbe forderte das Welterbe-Komitee die Wattenmeer-Staaten auf, eine Strategie zu entwickeln welche „die Integrität und die ökologischen Anforderungen des Gebietes in vollem Umfang berücksichtigt und ein konsistentes Konzept für Tourismusaktivitäten im Gebiet vorgibt“ (G EMEINSAMES W ATTENMEERSEKRETARIAT 2014). Eine internationale Arbeitsgruppe aus Vertretern von Tourismus- und Marketingorganisationen, Regionalregierungen, Naturschutzverwaltungen und Umweltverbänden erarbeitete daraufhin eine gemeinsame Strategie für einen nachhaltigen Tourismus in der Destination Weltnaturerbe Wattenmeer, die seither auf den verschiedenen Ebenen umgesetzt wird. Ziele der Strategie sind neben einem grenzübergreifenden Bewusstsein der Akteure für die Werte und einer gemeinsamen Verantwortung für den Schutz des Wattenmeeres auch eine konsistente Kommunikations- und Marketingarbeit sowie das Ziel, dass Naturschutz, Tourismus und örtliche Bevölkerung vom Status des Wattenmeeres als Weltnaturerbe profitieren. Die Entwicklung und Bewerbung authentischer Naturerlebnisangebote trägt dabei zur Besucherbindung ebenso wie zur Erschließung neuer Besuchersegmente bei. Weiterführende Informationen  www.weltnaturerbe-wattenmeer.de  http: / / www.waddensea-worldheritage.org/ sites/ default/ files/ downloads/ tourismstrategy-german-2014-12-19.pdf <?page no="73"?> Gebiete mit besonderer Angebotsqualität 73 Aus der Praxis: Tourismus fördert Naturschutz am Great Barrier Reef Das Great Barrier Reef an der australischen Ostküste zählt zu den meist besuchten und sicherlich touristisch bedeutsamsten Weltnaturerbestätten. Circa zwei Millionen Menschen besuchen das Riff jedes Jahr mit einem Tourismusveranstalter - auf einer Tauch- oder Schnorcheltour, zur Wal- oder Delfinbeobachtung oder zum Segeln. Diese Besucher bezahlen eine Tourismusmanagementabgabe in Höhe von 6,50 AUS$/ Tag und Person, die der Veranstalter direkt an die Managementbehörde des Great Barrier Reef abführt. Mit dieser Abgabe werden Maßnahmen wie Umweltbildung und Forschung, Patrouillen der Ranger, Planung oder Informationstafeln in Höhe von mehr als 8,5 Mio. AUS$ pro Jahr finanziert. Der ökonomische Wert des Tourismus im Riff ist weitaus höher: 2011/ 12 trug der Tourismus 5,6 Mrd. AUS$ zur Wirtschaft des Landes bei. Dies entspricht ca. 69.000 Vollzeitarbeitsplatz-Äquivalenten. Eine komplexe Zonierung der Weltnaturerbestätte regelt zudem, für welche Tourismusaktivitäten Erlaubnisse eingeholt werden müssen, oder für welche Tourismusaktivitäten Konzessionen vergeben werden, z. B. für Tauch- oder Schnorcheltouren zu besonders sensiblen Bereichen des Riffs. Das umfangreiche Programm „Eye on the Reef“ („Ein Auge aufs Riff“) bindet Besucher und Mitarbeiter von touristischen Veranstaltern ins Monitoring ein: Eine Smartphone-App erlaubt jedem Besucher, eigene Beobachtungen zu melden, Mitarbeiter von Veranstaltern sind ins wöchentliche Monitoring von 24 touristischen Hotspots eingebunden. Weiterführende Informationen Beitrag der Besucher zum GBR:  http: / / www.gbrmpa.gov.au/ visit-the-reef/ visitor-contributions Eye on the reef:  http: / / www.gbrmpa.gov.au/ managing-the-reef/ how-the-reefs-managed/ eye-on-the-reef GBR Outlook report 2014:  http: / / www.gbrmpa.gov.au/ managing-the-reef/ great-barrier-reef-outlook-report  http: / / elibrary.gbrmpa.gov.au/ jspui/ handle/ 11017/ 2855 (vgl. Kap.5) <?page no="74"?> 74 Naturtourismus Tipp Weitergehende Informationen zu UNESCO Welterbestätten in Deutschland und weltweit finden Sie auf folgenden Websites:  https: / / www.unesco.de/ kultur-und-natu7r  https: / / www.unesco.de/ sites/ default/ files/ 2018- 07/ Welterbestätten%20in%20Deutschland_2018.pdf  https: / / www.unesco.de/ sites/ default/ files/ 2018-07/ publi_review_76_de.pdf  https: / / whc.unesco.org Literatur Borges, M.A., Carbone, G., Bushell, R. and Jaeger, T.: Sustainable Tourism and natural World Heritage - Priorities for action. IUCN. 29ff. Gland, Switzerland 2011. Engels, B. Manz, K. und Job-Hoben, B.: Weltnaturerbe und Tourismus- Herausforderungen und Chancen. Natur und Landschaft Jahrgang 2011; Natur und Landschaft 86, S. 12. Bonn 2011. Gemeinsames Wattenmeersekretariat: Nachhaltiger Tourismus in der Destination Weltnaturerbe Wattenmeer. 2014:  https: / / www.nationalparkwattenmeer.de/ sites/ default/ files/ media/ pdf/ strategie-nachhaltiger-tourismus.pdf Move for the Tschad: Interview mit Dr. Sven Oehm. 2018:  http: / / fntchad.overblog.com/ article-dr-sven-oehm-et-le-mirage-des-lacs-d-ounianga-73327236.html UNESCO Welterbestätten Deutschland e. V. (o. J.): Weltnaturerbestätten in Deutschland. UNESCO: World Heritage and Sustainable Tourism Programme, 2018.  https: / / whc.unesco.org/ en/ tourism/ <?page no="75"?> Gebiete mit besonderer Angebotsqualität 75 2.3 Geoparks von Dr. Manfred Kupetz In diesem Kapitel werden folgende Fragen beantwortet:  Was ist ein Geopark?  Welche Arten von Geoparks gibt es?  Welche Aufgaben hat ein Geopark?  Welche Voraussetzungen muss eine Region erfüllen, um Geopark werden zu können?  Welche Bedeutung haben Geotourismus und nachhaltige Bildung in Geoparks? 2.3.1 Was ist ein Geopark? Das Geoparkkonzept bildete sich Mitte der 1990er-Jahre als Reaktion auf das Erfordernis heraus, den Wert von geologischen Landschaften mit besonderer Bedeutung für die Erdgeschichte zu bewahren. Die Landschaften und geologische Strukturen sind die Hauptzeugen der Evolution unseres Planeten in der Vergangenheit und der bestimmende Faktor für unsere künftige Entwicklung. Von Beginn an wurden Geoparks nach dem „bottom up“ Prinzip „von unten her“ als kommunal geführte Strukturen entwickelt. Sie gewährleisten, dass flächenhafte geologische Landschaftselemente erhalten und in ihnen Wissenschaft, Bildung und Kultur befördert werden. Dies auch in Hinsicht auf ihre nachhaltige wirtschaftliche Nutzung und verantwortungsbewussten Tourismus (sinngemäße Übertragung aus der der Präambel der Operational Guidelines for UNE- SCO Global Geoparks, (UNESCO 2016). Eine detaillierte Geoparkbeschreibung enthält die „Deklaration von Stonehammer“ (Kanada) aus dem Jahre 2014 (  www.globalgeopark.org/ aboutGGN/ 8894.htm). <?page no="76"?> 76 Naturtourismus Die Deutsche UNESCO-Kommission definiert Geoparks mit den Worten: Definition UNESCO-Geoparks „UNESCO-Geoparks sind Regionen mit bedeutenden Fossilfundstellen, Höhlen, Bergwerken und Felsformationen. Sie laden ein, auf den Spuren der Vergangenheit den Planeten Erde und die Bedingungen des Lebens besser zu verstehen. Als Modellregionen für nachhaltige Entwicklung arbeiten sie an tragfähigen Zukunftsoptionen für die Landschaft der Region und greifen globale gesellschaftliche Herausforderungen auf, wie die Endlichkeit natürlicher (vor allem geologischer) Ressourcen und den Klimawandel“ (  www.unesco.de/ kultur-und-natur/ geoparks, vgl. Abb. 13) Abb. 13: Anforderungen an das Qualitätssiegel UNESCO-Geoparks Quelle:  www.unesco.de/ kultur-und-natur/ geoparks/ geoparks-deutschland/ unescogeopark-muskauer-faltenbogen-luk-muzakowa Eine Legaldefinition für Geoparks gibt es nicht, und sie sind auch nicht gesetzlich verankert. Mittelfristig ist keine gesetzliche Regelung zu Geoparks zu erwarten. geologisches Erbe für Nachhaltigkeit und Entwicklung Bildung regionale Wertschöpfung internationale Partnerschaft Bewahrung des geologischen Erbes Moderation Dialog Planung <?page no="77"?> Gebiete mit besonderer Angebotsqualität 77 2.3.2 Arten von Geoparks Die international anerkannten Geoparks sind die UNESCO Global Geoparks (UGG, UNESCO-Geoparks,  www.globalgeoparksnetwork.org, vgl. Abb. 14a). Sie sind neben dem UNESCO World Heritage (UNESCO-Welterbestätten) und den UNESCO Biosphere Reserves (UNESCO-Biosphärenreservate) die dritte durch die UNESCO ausgewiesene Flächenkategorie. Sie wurde erst 2015 ausgerufen, sodass sie heute noch nicht so bekannt ist wie das Welterbe und die Biosphärenreservate. Abb. 14a und 14b: Geoparklogos für UNESCO Global Geoparks (Quelle: UNESCO) und Nationale GeoParks Deutschlands (Quelle: GeoUnion) Die UNESCO-Geoparks sind von ihrer Idee her international zusammenarbeitende Netzwerke. Sie sind im Global Geopark Network (GGN), einer Organisation nach französischem Recht, die u. a. das Netzwerk gegenüber der UNESCO als Rechtspersönlichkeit vertritt, organisiert (  www.globalgeopark.org). Das GGN wurde 2004 gegründet und gliedert sich in drei regionale Netzwerke. Diese sind das European Geoparks Network (EGN,  www.europeangeoparks.org), das Asia Pacific Geoparks Network (APGN,  www.asiapacificgeoparks.org) und das Caribbean Geoparks Network (CGN,  www.asiapacificgeoparks.org). Zurzeit umfasst das Globale Geoparknetzwerk 147 Geoparks in 38 Ländern, davon 75 in Europa, 60 in Asien, fünf in Nordamerika, fünf in Südamerika und zwei in Afrika. Deutschlands derzeit sechs UNESCO-Geoparks  vgl. www.forum-globaler-geoparks.de  Bergstraße-Odenwald:  www.geo-naturpark.net  Harz-Braunschweiger Land-Ostfalen:  www.geopark-harz.de  Muskauer Faltenbogen/ Łuk Mużakowa: transnationaler deutschpolnischer Geopark:  www.muskauer-faltenbogen.de  Schwäbische Alb:  www.geopark-alb.de  TERRA.vita:  www.naturpark-terravita.de  Vulkaneifel:  www.geopark-vulkaneifel.de <?page no="78"?> 78 Naturtourismus In Deutschland gibt es darüber hinaus 16 Nationale GeoParks (  www.nationalergeopark.de, vgl Abb. 14b). Ihre Geoparkdefinition ist an die internationale ange- . lehnt. Nationale Geoparks verfolgen den UNESCO-Geoparks ähnliche Ziele. Ihnen fehlt jedoch im Wesentlichen die Ausrichtung auf internationale Netzwerktätigkeit. Außerdem werden die deutschen UNESCO-Geoparks als Modellregionen für eine nachhaltige Entwicklung konzipiert (B UTLER M ANNING et al. in: A DAMELLO B RENTA 2018, S. 46). Aus der fehlenden gesetzlichen Regelung ergibt sich, dass der Geopark-Begriff frei verwendet werden kann. Es ist möglich, dass sich z. B. ein geotouristischer Wanderweg oder ein privates Unternehmen als Geopark bezeichnet. Zum Erkennen des jeweiligen Status empfiehlt es sich deshalb, auf das Vorhandensein eines UNESCO- oder Nationalen GeoPark-Logos zu achten. Da Europäische Geoparks ebenfalls Mitglieder des EGN und des GGN sind, verwenden sie auch die Kennungen dieser beiden Organisationen (vgl. Abb. 15a und Abb. 15b). Dies mag etwas unübersichtlich sein. Es resultiert aus der zum Teil turbulenten Phase der internationalen Geoparkentwicklung im Zeitraum von 2000 bis 2015. Abb. 15a und 15b: Logos des European Geoparks Networks (  http: / / www.europeangeoparks.org) und des Global Geoparks Network (  www.globalgeopark.org) 2.3.3 Aufgaben eines Geoparks Die Aufgaben von Geoparks können wie folgt zusammenfasst werden: Wesentlich ist es, an einem Landschaftsausschnitt beispielhaft die Entwicklungsgeschichte der Erde für allgemein Interessierte zu vermitteln und besonders auch Bildungsangebote zu unterbreiten. Zur Erdgeschichte in diesem Sinne gehören die Geschichte der Erdentstehung allgemein und die Bodenbildung, die geomorphologische und geographischen Landschaftsentstehung im Besonderen sowie ihre Nutzung durch den Menschen (Land- und Forstwirtschaft, Rohstoffnutzung und Entwicklung von Bergbaufolgelandschaften, kulturelle Nutzung usw.). <?page no="79"?> Gebiete mit besonderer Angebotsqualität 79 Wissen │ Geoparks  bieten einzigartige geologische Phänomene zum Anschauen und Erleben,  suchen Wege, wie bedeutende geologische Erscheinungen bewahrt werden können,  streben an, zur nachhaltigen Regionalentwicklung beizutragen und die Umwelt intakt zu halten, wobei dennoch verträgliche wirtschaftliche Entwicklung möglich ist. Letzteres ist eine Auflage für UNESCO-Geoparks. 2.3.4 Voraussetzungen für einen Geopark Die wesentlichsten Kriterien eines Geoparks sind: [1] Geoparks besitzen klar in Karten abgegrenzte und dargestellte Gebiete. Ihre Größe ist bestimmungsgemäß nicht festgelegt. Sie umfasst bei den bestehenden Geoparks Flächen zwischen ca. 300 km² und 3.000 km². Sie müssen sowohl für die Antragstellung zur Zertifizierung als Nationaler GeoPark Deutschlands als auch auf der höheren Stufe als UNESCO Global Geopark bereits voll funktionstüchtige Geoparks sein. [2] Sie müssen ein geologisches Erbe von internationalem Wert besitzen. [3] Sie müssen eine Managementstruktur auf rechtlicher Grundlage sowie eine solide finanzielle Basis besitzen, einen Managementbzw. Masterplan haben, der als wesentliche Punkte Aspekte der Regionalentwicklung und des Landschafts- und Naturschutzes umfasst, sowie regionale Partnerschaften vorweisen können. [4] Geoparks müssen öffentlich in Erscheinung treten, d. h. sie müssen „visibility“ zeigen. Umgesetzt wird das insbesondere durch  eine geotouristische Erschließung des Parks → Infrastruktur im Gelände wie z. B. Rad- und Wanderwege mit Informationsangeboten, Präsentation von Geotopen und nichtgeologischen, naturschutzfachlichen, kulturellen und anderen Stätten  multimediale Präsentationen → Internet, soziale Medien, Druckerzeugnisse sowie Informationspunkte bzw. -zentren <?page no="80"?> 80 Naturtourismus [5] Geoparks müssen ein eigenes Geoparkerscheinungsbild im Sinne eines corporate designs besitzen. [6] Geoparks sind ein Entwicklungsprodukt einer regionalen und kommunalen Netzwerktätigkeit. [7] Während Nationale Geoparks eine nationale Netzwerkarbeit pflegen, engagieren sich UNESCO-Geoparks darüber hinaus im GGN, und die europäischen sind insbesondere im EGN tätig. Die formalen Aufnahmedokumente und Prozeduren für das jeweilige Label sind auf den Internetseiten der Nationalen GeoParks, der UNESCO, der Deutschen UNESCO-Kommission, des GGN und des EGN abrufbar. 2.3.5 Geotourismus und nachhaltige Bildung in Geoparks Geoparks präsentieren und erläutern in nachhaltiger Art und Weise eine Landschaft „vor Ort“. Sie sind geotouristisch tätig. Sie machen den Besucher mit der Entstehung, der Nutzung und dem Schutz des im geologischen Sinne „freien Raumes“ vertraut, das heißt sie fördern die aktive Beschäftigung mit der Natur- und Kulturlandschaft. Das umfasst neben der Naturästhetik, auch Bewusstseinsbildung und Naturforschung. Abb. 16: Regionale Lösungen für globale Herausforderungen in Geoparks Quelle:  www.unesco.de/ kultur-und-natur/ geoparks/ geoparks-deutschland/ unescogeopark-muskauer-faltenbogen-luk-muzakowa Landschaft als Erbe Heimat und globale Kooperation Erneuerbare Energien Grundwasser Bildung für nachhaltige Entwicklung Geologische Höhepunkte Rohstoffgewinnung und -nutzung Nachhaltiger Tourismus UNESCO Geopark Bildung Moderation Kommunikation Forschung Lösungen für globale gesellschaftliche Herausforderungen Lösungen auf regionaler Ebene für globale gesellschaftliche Herausforderungen <?page no="81"?> Gebiete mit besonderer Angebotsqualität 81 Aus der Praxis: Touristisches Angebot des Geoparks Muskauer Faltenbogen (KUPETZ ET AL. 2019) Anliegen des deutsch-polnischen Geoparks Muskauer Faltenbogen ist es, seine geologischen und landschaftlichen Besonderheiten für den Besucher erlebbar und verständlich zu machen. Es geht einerseits darum, eine große eiszeitliche Stauchendmoränenlandschaft in ihrer natürlichen Entstehungsgeschichte zu erläutern. Andererseits aber auch darzustellen, dass, bedingt durch seine geologischen Verhältnisse, der Faltenbogen reich an Rohstoffen (vor allem Alaunton, Raseneisenerz, Braunkohle, keramische Tone und Glassand) ist, eine bemerkenswerte rohstoff- und standortgebundene Wirtschaftsentwicklung durchlaufen hat und heute insbesondere durch seinen Reichtum an Tagebaurestgewässern eine attraktive Bergbaufolgelandschaft ist. Der Geopark besitzt dazu außer der Anbindung an überregionale Rad- und Wanderwege u. a. auch zehn eigene, mit Informationstafeln ausgestattete, thematische Geoparktouren sowie zwei Aussichtstürme am Felixsee bei Bohsdorf sowie in der historischen Braunkohlengrube Babina in Łęknica (Polen). Koordiniert wird der Geotourismus durch die Geoparkgeschäftsstelle mit einem GeoErlebnis-Zentrum. Sechs Geoparkinformationsstellen geben weitere Informationen. Zertifizierte Geoparkführer wie auch die Geschäftsstelle selbst bieten auf der deutschen und polnischen Seite des Geoparks Exkursionen und Veranstaltungen an. Ein wesentlicher Schwerpunkt der Geoparkaktivitäten liegt auf Umweltbildungsprojekten für Freizeit- und Kinderbetreuungseinrichtungen sowie Schulen. Zwei Mal jährlich erscheint gedruckt und elektronisch für Kinder die Schriftenreihe GEOPARK mini. Die „Geostrolche“ sind als Arbeitsgemeinschaft für Kinder tätig. Darüber hinaus bestehen enge Vernetzungen zu wichtigen Tourismusanbietern der Region wie dem UNESCO Welterbe Fürst-Pückler-Park Bad Muskau, der Waldeisenbahn Muskau, dem Rhododendronpark Kromlau, dem polnischen Touristenbüro PTTK, dem Wassertourismus auf der Lausitzer Neiße u. a. Aktuelles zum Geopark  www.muskauer-faltenbogen.de  https: / / www.facebook.com/ Geopark-Muskauer-Faltenbogen-%C5 %81uk- Mu%C5 %BCakowa-301135693564857/ Insgesamt befindet sich der Tourismus im Geopark noch am Anfang seiner Entwicklung. <?page no="82"?> 82 Naturtourismus Literaturtipp Ausführlichere Informationen zum Thema Geotourismus mit Fallbeispielen aus vielen Ländern finden Sie in: D OWLING , R OSS , N EWSOME , D AVID (Hg.): geotourism. Elsevier Verlag, Oxford. 2005 Weitere Informationsquellen zum Thema Geoparks Die weitaus meisten Informationsquellen zu Geoparks sind nur im Internet verfügbar. Für Interessenten aus Deutschland und Europa wären für den Einstieg als wichtigste Websites zu nennen:  www.globalgeopark.org  www.europeangeoparks.org  www.forum-globaler-geoparks.org  www.nationaler-geopark.de An Druckerzeugnisse sind darüber hinaus Z OUROS (2008) und E SCHER et al. (2015) zu empfehlen. Literatur A DAMELLO B RENTA UNESCO G LOBAL G EOPARK (Hg.): Abstract Book 8 th Internat. Conf. UNESCO Global Geoparks 2018: Geoparks and sustainable development. Madonna di Campiglio, Italy 2018. E SCHER , H., F REY , M.-L.; K UPETZ , M.: Fortentwicklung des Global Geoparks Network (GGN) unter der Schirmherrschaft der UNESCO hin zu einer Kategorie UN ESCO Global Geopark. SDGG, 86, S. 16-26, Hannover 2015. K UPETZ , A., M. K UPETZ & J. R ASCHER : Der Geopark Muskauer Faltenbogen/ Geopark Łuk Mużakowa. 3. Auflage, Förderverein Geopark Muskauer Faltenbogen e.V (Hg.) Döbern 2019. UNESCO: Operational Guidelines for UNESCO Global Geoparks. 2016:  www.unesco.org/ new/ fileadmin/ MULTIMEDIA/ HQ/ SC/ pdf/ IGGP_UGG_Statut es_Guidelines_EN.pdf (nur im Netz verfügbar) Z OUROS , N. (Hg.): European Geoparks Earth Heritage Protection and Sustainable Local development. Natural Historical Museum of the Lesvos Petrified Forest, Sigri, Lesvos Island, Greece 2008. <?page no="83"?> Gebiete mit besonderer Angebotsqualität 83 2.4 Sternenparks von Dr. Sibylle Schroer, Dr. Andreas Hänel In diesem Kapitel werden folgende Fragen beantwortet:  Warum sind Sternenparks notwendig?  Welche Maßnahmen sind einzuhalten für den Schutz von Nachtlandschaften bzw. um Sternenpark zu werden?  Welche Kategorien an Sternenparks gibt es?  Welche Erfolgsfaktoren können die touristische Nutzung von Sternenparks begünstigen?  Wie lassen sich Konflikte durch wachsende touristische Nutzung von Nachtlandschaften mit dem Umweltschutz vereinen? 2.4.1 Lichtverschmutzung verschleiert die Sterne Gebiete mit geringer Bevölkerungsdichte und Infrastruktur sind selten geworden. Weltweit nimmt die Besiedelung und damit auch die Beleuchtung zu. Durch Streuung in der Atmosphäre verbreitet sich das künstliche Licht in der Nacht weit über die Entstehungsorte in den Siedlungen hinaus und bildet ausgedehnte Lichtglocken. So ist die Lichtglocke über Berlin noch in 100 km Entfernung zu sehen und die über Los Angeles noch im 300 km entfernten Nationalpark Death Valley. Natürliche Nachtlandschaften ohne den Einfluss von künstlichem Licht in der Nacht sind daher ein selten werdendes Gut. Weltweit erhellen sich die Nachtlandschaften um jährlich mindestens 2 %, Naturschutzgebiete sind davon nicht ausgenommen (G ASTON ET AL . 2015, K YBA ET AL . 2017). Die Aufhellung des Himmels verschleiert den Blick auf die Sterne, die Erhellung der Nachtlandschaften wirkt sich auf Flora und Fauna aus, verändert nächtliche Lebensräume und kann auch das menschliche Wohlbefinden beeinflussen (H ELD ET AL . 2013; P OSCH ET AL . 2013; H ÖLKER ET AL . 2010; S CHROER , H ÖL- KER 2017). Die Erhaltung natürlicher Nachtlandschaften ist daher ökologisch und gesellschaftlich wertvoll. Für Astronomen ist der Erhalt natürlicher Dunkelheit sogar essenziell. Denn während unter einem natürlich dunklen Himmel mit bloßem Auge etwa 7.000 Sterne zu erkennen sind, reduziert sich diese Zahl auf einige Hundert oder weniger in stark aufgehellten Regionen und die Milchstraße, Kometen oder Polar- <?page no="84"?> 84 Naturtourismus lichter, die in Norddeutschland durchaus mehrmals im Jahr sichtbar wären, werden in der Nachtlandschaft unsichtbar. Auch das Zodiakallicht, ein schwacher pyramidenförmiger Lichtschein, der durch Streuung des Sonnenlichts am Staub in unserem Planetensystem verursacht wird, ist heute im Frühjahr nach Ende der Abenddämmerung am Westhimmel und im Herbst vor Beginn der Morgendämmerung am östlichen Himmel nicht mehr sichtbar, konnte aber zu Beginn des letzten Jahrhunderts noch außerhalb der Städte wahrgenommen werden. Professionelle Sternwarten mussten deshalb bereits zu dieser Zeit aus den Innenstädten in Außenbereiche verlegt werden (z. B. in Berlin, Bonn, Heidelberg oder München). 2.4.2 Sternenparks zum Schutz des Nachthimmels Im Jahr 1988 wurde in den USA die nichtstaatliche Organisation International Dark Sky Association (IDA) gegründet, welche sich für den Schutz des Nachthimmels einsetzt (  www.darksky.org) . Im Rahmen des International Dark Sky Places Program (Internationales Programm für Dunkelgebiete) zeichnet die IDA Gebiete aus, die in besonderer Weise den Erhalt des Kulturguts Sternenhimmel fördern. Die Kommunen der Sternenparks regeln dafür vertraglich die öffentliche und gewerbliche Beleuchtung. Sie erstellen einen Beleuchtungsplan mit folgenden Kriterien:  Künstliche Beleuchtung benötigt eine Bedarfsbegründung.  Es sollten die minimalst möglichen Lichtmengen eingesetzt werden.  Die Beleuchtung ist bedarfs- und zeitorientiert zu steuern, zu reduzieren oder abzuschalten.  Es sollte zielgerichtet nur das zu beleuchtende Objekt beleuchtet werden, insbesondere darf kein Licht nach oben emittiert werden.  Es sind Leuchtmittel mit geringen Blauanteilen und warmweißer Farbe einzusetzen, oft wird dafür eine äquivalente Farbtemperatur von maximal 3.000 Kelvin gefordert. Im Schutzgebiet müssen regelmäßige Messung der Himmelshelligkeit und Öffentlichkeitsarbeit für die Werterhaltung des natürlichen Nachthimmels durchgeführt werden. Messungen der Himmelshelligkeit können heute mittels eines etwa Zigarettenschachtel großen Messgerätes, das „Sky Quality Meter“ SQM der Firma Unihedron leicht durchgeführt werden. Die Möglichkeit einer einfachen Messung des Sternenhimmels ist essenziell für Sternenparks. Über erfolgte Aktivitäten und Maßnahmen müssen die Gemeinden jährlich an die IDA berichten. <?page no="85"?> Gebiete mit besonderer Angebotsqualität 85 Die IDA vergibt heute Auszeichnungen für sechs verschiedene Kategorien: Als Oberbegriff für Parks und Reserves wird im Deutschen das Wort „Sternenpark“ verwendet:  IDSky Community: Städte und Dörfer, die eine Lichtsatzung zum Schutz der Nachtlandschaft haben und ihre Bewohner in das Programm involvieren.  IDSky Parks: Öffentliche oder private Naturschutzgebiete, die nachhaltig beleuchten und Besuchern Programme zur Sternbeobachtung anbieten.  IDSky Reserves: Reservate, die aus einer geschützten Kernzone, umgeben von besiedelten Gebieten bestehen, welche die Kernzone durch Beleuchtungsregelungen unterstützen.  IDSky Sanctuaries: Großflächige Refugien, abgelegene Orte mit natürlichen Nachtlandschaften, deren Schutz bedroht ist.  Urban Night Sky Places: Plätze in großem städtischen Umfeld, deren Planung und Design ein authentisches Nachterlebnis inmitten einer stark erhellten Nacht darstellen.  Dark Sky Development of Distinction: In der Entwicklung befindliche Ortsteile oder Siedlungen, die ihre Nachtlandschaft schützen, aber noch nicht die Kriterien der IDSky Community erfüllen. Die ersten Sternenparks wurden in Kanada bereits vor der IDA durch die Royal Astronomical Society of Canada (RASC,  www.rasc.ca ) als nationale Anerkennungen ausgezeichnet, z. B. 1999 Torrance Barrens als Dark Sky Preserve (Lichtschutzgebiet). Im Jahre 2001 zeichnete die IDA die Stadt Flagstaff in Arizona, USA, als erste Dark Sky Community aus, 2007 folgte mit dem Natural Bridges National Monument in Utah die erste Auszeichnung eines Dark Sky Parks und im gleichen Jahr mit dem Mont-Mégantic National Park in Quebec, Kanada, die erste Auszeichnung als Dark Sky Reserve. Mitte 2018 waren knapp über 100 IDSPlaces anerkannt, davon vier in Deutschland: der Naturpark Westhavelland und das UNESCO Biosphärenreservat Rhön als IDSReserves, sowie der Nationalpark Eifel und die Winklmoosalm bei Reit im Winkl als IDSParks. Weitere deutsche Gebiete haben Interesse an einer Auszeichnung, doch ist die Hürde durch geänderte Richtlinien inzwischen so hoch, dass kaum ein Gebiet die Antragstellung weiterverfolgt. Insbesondere die 2014 eingeführten zeitlichen Limitierungen auf fünf bzw. zehn Jahren für eine Umrüstung zu einer voll abgeschirmten Beleuchtung mit den entsprechenden Kosten sind für viele Kommunen ein Hinderungsgrund für eine Antragstellung. Im Internationalen Jahr der Astronomie 2009, wurde in Kooperation des astrophysikalischen Instituts der Kanaren (IAC) mit der spanischen UNESCO- Vertretung und der World Tourist Organisation UNWTO die Starlight Foundation (  www.fundacionstarlight.org) gegründet, die vor allem im spanischsprachigen <?page no="86"?> 86 Naturtourismus Raum verschiedene Auszeichnungen vergibt, von denen die Starlight Reserves und Tourist Destinations am bekanntesten sind. Zu den Reserves gehören beispielsweise La Palma, Teide auf Teneriffa, Fuerteventura, Montsec/ Katalonien, Alqueva/ Portugal. In Tschechien, der Slowakei und Polen gibt es teils grenzüberschreitende Sternenparks, die durch Kooperation mit den regionalen Astronomen entstanden sind. Die dort aufgesetzten Regelungen sollen sich an dem Zertifizierungssystem der IDA orientieren. Dazu gehört das Hochtal Izera an der Grenze zwischen Polen und Tschechien, Beskydy an der Grenze von Tschechien und der Slowakei Poloniny im Osten der Slowakei oder der Sternpark Manetín in Westtschechien. Weiterhin unterhält die International Union for Conservation of Nature (IUCN) eine Dark Skies Advisory Group (darkskyparks.org/ dark-skies-and-natureconservation/ ), welche die Anerkennungen von Sternenparks nach einem übergreifenden Schema listet. Diese Listung zeigt, dass die meisten Sternenparks bislang im englischen Sprachraum angesiedelt sind. 2.4.3 Astronomietourismus - Erfolgsfaktoren und Konflikte Die Auszeichnungen und Richtlinien von Sternenparks können das schwindende Gut natürlicher Nachtlandschaften nachhaltig schützen, das zeigen deutlich die Messungen aus dem Dark Sky Reserve Mont-Mégantic und dem Sternenpark Westhavelland. Nächtliche Himmels- und Naturbeobachtung könnten sogar zu einer Entwicklung neuartiger touristischer Produkte führen. Als Erfolgsfaktoren für die touristische Nutzung von Sternenparks nennt K OSSAK (2013) eine kontinuierliche Öffentlichkeitsarbeit für das Bewusstsein über den Wert eines natürlich dunklen Nachthimmels, ein Angebot vielfältiger Aktivitäten, auch wenn das Wetter mal nicht gut sein sollte, sowie die Sensibilisierung und Beratung touristischer Unternehmen. Sternenparks stellen einerseits potenziell attraktive Zielgebiete für den Naturtourismus dar, welche dem Schutz von Nachtlandschaften, der Erkennung des Wertes und der Akzeptanz von natürlicher Dunkelheit bei der umliegenden Bevölkerung dienen sollen. Andererseits können in den Gebieten durch wachsenden Tourismus und damit einhergehende nächtliche Aktivitäten Konflikte mit den Richtlinien für Sternenparks auftreten, z. B. wenn mehr Sicherheitsbeleuchtungen notwendig werden, oder wenn Besucher sich in geschützten Gebieten außerhalb der öffentlichen Wege aufhalten und Flora und Fauna stören. In vielen Sternenparks wurden daher Beobachtungsplätze eingerichtet, die über Infoflyer und Informationstafeln ausgewiesen werden. Wichtig für die Erhaltung <?page no="87"?> Gebiete mit besonderer Angebotsqualität 87 der Schutzgebiete sind Verantwortliche, die vor Ort auf die Einhaltung der Lichtrichtlinien achten, Veranstaltungen koordinieren und auf die Besucherlenkung achten. Wissen │ Citizen Science und Himmelshelligkeit Globale Messungen der Himmelhelligkeit können nur durch den Einsatz vieler Menschen an verschiedenen Standorten durchgeführt werden. Citizen Science Projekte (Bürgerwissenschaftsprojekte) ermöglichen die globale Datenaufnahme der Veränderungen der nächtlichen Himmelshelligkeit. Mitmachpotenziale für touristische Aktionen, wie z. B. Messungen der Nachthimmelshelligkeit, Fotografie-Wettbewerbe oder Nachtbeobachtungen von Tieren beschreiben S CHROER ET AL . (2018). Das Projekt STARS4ALL bietet weiterhin eine Plattform für viele verschiedene Mitmachaktionen (  http: / / stars4all.eu/ ). Literatur F ALCHI , F., C INZANO , P., D URISCOE , D., K YBA , C C M, E LVIDGE C. D., B AUGH , K., P ORTNOV , B. A., R YBNIKOVA , N. A., F URGONI , R.: The New World Atlas of Artificial Night Sky Brightness. In: Science Advances 2 (6). 2016. G ASTON , K. J., D UFFY , J. P., B ENNIE J.: Quantifying the Erosion of Natural Darkness in the Global Protected Area System. In: Conservation Biology 29 (4). 2015. H ELD , M., H ÖLKER , F. J ESSEL , B. (Hg.): Schutz der Nacht, BfN-Skripten 336. Bonn 2013. H ÖLKER , F., W OLTER , C., P ERKIN , E. K, T OCKNER K.: Light Pollution as a Biodiversity Threat. In: Trends in Ecology and Evolution 25 (12), S. 681-82. 2010. K OSSAK , S.: Entwicklung von Erfolgsfaktoren für die touristische Nutzung von Sternenparks. Master Thesis an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde. Eberswalde 2013. K YBA , C C.M., K UESTER T., S ÁNCHEZ DE M IGUEL A., ET AL .: Artificially lit surface of Earth at night increasing in radiance and extent. In: Science Advances 3 (11), S. 1-9. 2017. P OSCH , T., H ÖLKER , F., F REYHOFF , A., U HLMANN , T. (Hg.): Das Ende der Nacht. Wiley-VCH. Weinheim 2013. <?page no="88"?> 88 Naturtourismus S CHROER , S., K YBA , C. C M, VAN G RUNSVEN , R., C ELINO , I., C ORCHO , O., H ÖLK- ER , F.: Citizen science to monitor light pollution - a useful tool for studying human impacts on the environment. In: Citizen Science - Innovation in Open Spaces, Society and Policy. S. 353-366. UCL Press. 2018. S CHROER , S., H ÖLKER , F.: Impact of lighting on flora and fauna. In: Handbook of advanced lighting technology. S. 957-989. Springer 2017. 2.5 Natura 2000-Gebiete von Jörg Liesen, Kathrin Risthaus In diesem Kapitel werden folgende Fragen beantwortet:  Was bedeutet Natura 2000?  Was sind geeignete Methoden zur Konfliktminimierung und touristischen Angebotsentwicklung in Natura 2000-Gebieten?  Wie kann Tourismus zur Akzeptanzsteigerung von Natura 2000- Gebieten beitragen? Das Schutzgebietssystem Natura 2000 bildet europaweit ein ökologisches Netz von Gebieten zum Schutz der biologischen Vielfalt. Es besteht zum einen aus Schutzgebieten nach der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der EU (FFH- Richtlinie). Ziel der seit 1992 geltenden Richtlinie ist der Erhalt von natürlichen Lebensräumen sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen in den Mitgliedsstaaten der EU. Weiterer Bestandteil von Natura 2000 ist die Vogelschutzrichtlinie der EU (auch „Special Protection Areas“, kurz: SPA), die den Schutz der wildlebenden Vogelarten einschließlich der Zugvogelarten zum Ziel hat. Die Richtlinie über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten wurde erstmals 1979 erlassen. Es sind 231 Lebensraumtypen (Anhang I) und rund 1.000 Arten (Anhang II) der FFH-Richtlinie sowie 193 Arten der Vogelschutzrichtlinie benannt, die von europäischem Interesse sind und deshalb von den Ländern geschützt werden sollen. 1 Alle sechs Jahre müssen die Qualität überprüft und die Ergebnisse der EU mitgeteilt werden. 1 Die in Deutschland vorkommenden Lebensraumtypen des Anhang I und die heimischen Tier- und Pflanzenarten (Anhang II) können auf den Seiten des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) eingesehen werden:  www.bfn.de/ themen/ natura-2000. <?page no="89"?> Gebiete mit besonderer Angebotsqualität 89 Ziele der Ausweisung des Netzes Natura 2000 sind der Erhalt und die Wiederherstellung der biologischen Vielfalt in der EU. Zu diesem Zweck sind sowohl die Bewahrung als auch die Wiederherstellung eines „günstigen Erhaltungszustands der natürlichen Lebensräume und wildlebenden Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse“ in den FFH-Gebieten verpflichtend. In der Vogelschutzrichtlinie wird zudem die Wiederherstellung und Neuschaffung von Lebensstätten gefordert (B F N 2018a; S CHLACKE 2012). Anders als in der Wildnisentwicklung, die durch eine ergebnisoffene Dynamik gekennzeichnet ist, zielen die Schutzbestrebungen in Natura 2000-Gebieten vorrangig auf den Erhalt eines bestimmten Zustandes der Lebensräume und Arten ab. 2.5.1 Natura 2000 in Deutschland Natura 2000 ist in Deutschland seit 1998 mit der Umsetzung in nationales Recht (BNatSchG) rechtsverbindlich. In Deutschland sind über 4.500 FFH-Gebiete und rund 740 Vogelschutzgebiete ausgewiesen. Diese können sich räumlich überlagern. Insgesamt weist Deutschland auf über 15 % seiner Fläche Gebietsschutz nach FFH- und Vogelschutzrichtlinie auf. FFH-Gebiete müssen gemäß der EU-Richtlinie nach dem jeweiligen Recht der einzelnen Mitgliedstaaten als Schutzgebiete ausgewiesen werden (Hoheitliche Sicherung). In Deutschland sind das üblicherweise Naturschutzgebiete (NSG). (B F N 2018a; E UROPEAN C OMMISSION 2018). 2.5.2 Natura 2000 und Tourismus Naturtourismus in Schutzgebieten kann zu Konflikten mit Naturschutzzielen führen, da sich Touristen oftmals ursprüngliche und naturnahe Räume, und damit auch sehr sensible Räume, für ihre Aktivitäten wie z.B. Wandern, Klettern, Baden, Kanufahren, Picknicken etc. suchen. Dies trifft auch auf Natura 2000-Gebiete zu, da die hier zu findende gering belastete Landschaft und zu großen Teilen intakte Natur attraktiv für eine touristische Nutzung der Gebiete sind. Die Auswirkungen des Tourismus auf die Natur und damit auf das Erreichen der Schutzziele können dabei schwerwiegender sein, als Touristen vermuten. Beispiele für Konfliktpotenziale sind:  Störung der Tier- und Pflanzenwelt in empfindlichen Lebensräumen, insbesondere während der häufig von Wildtieren zur Nahrungsaufnahme bevorzugten Morgen- oder Abenddämmerung bzw. während den Brut- und Aufzuchtzeiten <?page no="90"?> 90 Naturtourismus  Zerstörung von Lebensräumen durch für das Naturerlebnis geschaffene Infrastruktur  Schädigung von Boden und Vegetation durch hohe Tritt- oder Fahrtbelastung, was zu Erosion und schließlich irreversiblen Schäden und einer Gefährdung der Artenvielfalt führen kann. Für die naturtouristische Inwertsetzung von Schutzgebieten und damit auch von Natura 2000-Gebieten müssen die Ver- und Gebote der entsprechenden Verordnungen zu den Gebieten beachtet werden. Das Natura 2000-Verschlechterungsverbot besagt, dass der Zustand der zu Grunde liegenden Lebensraumtypen bzw. Arten bspw. durch Erholungsinfrastruktur nicht verschlechtert werden darf. Auch außerhalb durchgeführte Maßnahmen dürfen die angrenzenden Natura 2000-Gebiete und die dort vorkommenden Arten nicht beeinträchtigen. Veränderungen in und auch außerhalb von Natura 2000-Gebieten, die bspw. aufgrund wirtschaftlicher Entwicklungen erforderlich werden, müssen einer sogenannten FFH-Verträglichkeitsprüfung unterzogen werden. 2.5.3 Spannungsfeld Nutzungskonflikte und Angebotsentwicklung In Natura 2000-Gebieten soll auch das Naturerlebnis ermöglicht und damit eine Sensibilisierung der Besucher erreicht werden. Naturtouristische Angebote in Schutzgebieten und insbesondere in Natura 2000-Gebieten befinden sich häufig im Spannungsfeld zwischen Nutzungskonflikten und Angebotsentwicklung. Grundsätzlich können für die Konfliktvermeidungbzw. -minimierung folgende Instrumente eingesetzt werden:  Besucherlenkung und Konfliktmanagement (durch Angebotsschaffung)  Information und Akzeptanzsteigerung Zu den Maßnahmen der Besucherlenkung und des Konfliktmanagements können Beschränkungen (zeitlich und/ oder räumlich), wege- und routenbezogene Besucherlenkung, rechtliche Ge- und Verbote, Kontingentierung, bauliche Maßnahmen sowie Verordnungen und Zonierungen in einem Gebiet gehören (V ERBAND D EUTSCHER S PORTTAUCHER 2012). Aber häufig entscheidender für einen erfolgreichen Schutz der Gebiete und ihrer Arten sind Informationen, Vereinbarungen mit Nutzergruppen und eine positive Angebotsentwicklung. Dafür müssen verschiedenste Akteure vor Ort zusammenarbeiten. Die dabei entwickelten Maßnahmen und Angebote dürfen den entsprechenden Natura 2000-Managementplänen, in denen Erhaltungsmaßnahmen definiert werden, nicht widersprechen und sollten zur Umsetzung der Natura 2000-Managementpläne beitragen. Zu den Akteuren zählen u. a. <?page no="91"?> Gebiete mit besonderer Angebotsqualität 91 behördlicher Naturschutz (z. B. Untere Naturschutzbehörde), Verwaltungen von Großschutzgebieten wie Naturparks und Biosphärenreservate, Tourismusorganisationen, Landnutzer (z. B. Landwirte und Waldbesitzer), Landschaftspflegeverbände, Interessengruppen (z. B. Wandervereine, Mountainbike-Clubs), touristische Leistungsträger (z. B. Übernachtungsbetriebe, Gaststätten), Naturschutzorganisationen und viele andere (B F N 2018b; V ERBAND D EUTSCHER S PORTTAUCHER 2012). 2.5.4 Besucherlenkung Sensible Naturräume, wie Natura 2000-Gebiete, können nur dann gezielt naturtouristisch genutzt werden, wenn die Schutzziele dadurch nicht gefährdet werden. Daher sind als Voraussetzung für eine touristische Nutzung zwischen den Akteuren aus Tourismus und Naturschutz abgestimmte Konzepte zur Besucherlenkung erforderlich. Hierauf wird in Kap. 4.3.2 eingegangen, sodass an dieser Stelle auf eine detaillierte Beschreibung des Instruments der Besucherlenkung verzichtet wird. Aus der Praxis: Klettern in der Fränkischen Schweiz Seit über 100 Jahren wird in der Fränkischen Schweiz geklettert. Dies führte mancherorts zu Konflikten mit dem Naturschutz. Deshalb wurde im Naturpark Fränkische Schweiz-Frankenjura bereits 1992 mit der Entwicklung und Umsetzung von Kletterkonzepten begonnen. Um die Wünsche der Kletterfans mit den Bedürfnissen der Tier- und Pflanzenwelt in Einklang zu bringen, haben Naturschutzbehörden, Naturschutzverbände, Deutscher Alpenverein, Interessengemeinschaft-Klettern, Gemeinden und der Verein Naturpark Fränkische Schweiz-Frankenjura zusammen verschiedene Kletterkonzepte erarbeitet, die Kletterspaß und Naturschutz miteinander verbinden, sodass Arten und Lebensräume von Natura 2000-Gebieten nicht gefährdet werden. Mit einem gelenkten Kletterbetrieb sollen Ruhezonen für Flora und Fauna u. a. in den Natura 2000-Gebieten geschaffen werden, um die einzigartige Felsvegetation mit seltenen Pflanzenarten sowie wichtige Brutplätze zu sichern. Kern dieser Konzepte ist die Zonierung der Felslebensräume in drei Zonen mit unterschiedlichen Schutz- und Nutzungsmöglichkeiten. Dabei gilt in der absoluten Schutzzone ein Kletterverbot, in der Status Quo-Zone ist Klettern auf vorhandenen Routen bis zum Umlenkhaken erlaubt und außerhalb der Vegetationszonen sind auch neue Touren möglich. <?page no="92"?> 92 Naturtourismus Fast 1.000 Felsen mit 12.000 Kletterrouten konnten von dieser Regelung erfasst werden. Weiterer wichtiger Bestandteil der Kletterregelung im Naturpark sind die gemeinsam von Bergsportlern und Vogelschützern festgelegten zeitlich befristeten Felssperrungen wegen Vogelbrut. Während der Brutzeiten von Jahresbeginn bis in den Juli werden etwa 50 Kletterfelsen zum Schutz von u. a. Uhus, Wanderfalken und Kolkraben für den Klettersport gesperrt (V ERBAND D EUTSCHER S PORTTAUCHER 2012, VDN 2010,  www.fsvf.de). 2.5.5 Information und Akzeptanzsteigerung Während Besucherlenkung und Konfliktmanagement eher gezielte Maßnahmen betreffen, um Natura 2000-Gebiete zu schützen, geht es bei den Instrumenten Information und Akzeptanzsteigerung darum, Bevölkerung und Touristen für die Naturschutzziele in einem Gebiet oder/ und für bestimmte Arten zu interessieren und zu sensibilisieren. Dies soll oftmals auch die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Besucherlenkungskonzepte, Beschränkungen und Verbote u. ä. von den Besuchern angenommen werden. Um die Öffentlichkeit gezielt über ein Natura 2000-Gebiet oder auch ein anderes Schutzgebiet zu informieren und um für dieses Gebiet eine Akzeptanzsteigerung in Bezug auf die Naturschutzziele zu erreichen, ist es wichtig, dass es mindestens eine Anlaufstelle gibt, die für die Informationsarbeit und Akzeptanzsteigerung für dieses Gebiet verantwortlich ist. Bei der Information und Akzeptanzsteigerung können neben den für das Gebiet zuständigen Naturschutzbehörden Großschutzgebiete wie Naturparks, Nationalparks und Biosphärenreservate, aber auch Landschaftspflegeverbände, Naturschutzstationen, Gemeinden und Vereine eine tragende Rolle spielen. Aus der Praxis: Natura Tipps im Harz Mit kurzen Texten, eindrucksvollen Fotos und Wandervorschlägen inklusive Karte laden die „Natura Tipps“ in die Natura 2000-Gebiete im Harz ein und machen deren einmalige Natur- und Kulturschätze erlebbar. <?page no="93"?> Gebiete mit besonderer Angebotsqualität 93 Diese mehrteilige Broschürenserie stellt einzelne Natura 2000-Gebiete in der Harzregion vor. Außerdem können über eine interaktive Website und eine App Routen als Karten eingesehen und entsprechend geplant werden. Streckenprofile von Wanderrouten, kulturelle und historische Highlights, Infos zu Anreise, Einkehrmöglichkeiten sowie botanischen und faunistischen Besonderheiten ergänzen das Onlineangebot. Entlang der beschriebenen Wandertouren weisen Natura 2000-Informationstafeln auf Pflanzen-, Tier- und Pilzarten hin, die vor Ort zu entdecken sind. Herausgeber der Natura Tipps ist der Regionalverband Harz (  www.harzregion.de). Touristische Vermarktung Wenn es um die touristische Inwertsetzung von Natura 2000-Gebieten geht, können die im vorherigen Absatz genannten Akteure wichtige Aufgaben in Bezug auf die inhaltliche Ausgestaltung der naturtouristischen Angebote übernehmen. Für eine zielgruppen- und marktgerechte Angebotsentwicklung sowie für die Vermarktung der touristischen Produkte sind die Akteure aus den Schutzgebieten auf Partner aus dem Tourismus wie lokale oder regionale Tourismusorganisationen angewiesen. Diese sollten bereits frühzeitig in die Angebotsentwicklung einbezogen werden (VDN, EUROPARC 2015). Neben den Angeboten der Tourismusorganisationen sollten auch Angebote privater Anbieter ermöglicht und beworben werden, um regionale Wertschöpfungsketten zu stärken. Die hohe Relevanz der schutzwürdigen Natur- und Kulturlandschaft für den Tourismus wird in der Gemeinde Münstertal im Südschwarzwald offensiv an alle Gäste kommuniziert. Hier leisten die Gäste durch ihren Aufenthalt einen finanziellen Beitrag zur Offenhaltung der typischen Landschaft im Schwarzwald und damit zum Erhalt der Natura 2000-Gebiete. Die offene Kommunikation über den Einsatz der Kurtaxenbeiträge ist dabei ein elementarer Bestandteil der touristischen Kommunikations- und Vermarktungsstrategie. <?page no="94"?> 94 Naturtourismus Aus der Praxis: Münstertaler Modell - Kurtaxe finanziert Offenhaltung von Natura 2000-Gebieten Die direkte Finanzierung von Landschaftspflegemaßnahmen für u. a. Natura 2000-Lebensräumen wie Borstgrasrasen, Flügelginsterweiden, Zwergstrauch- und Wacholderheiden durch die Kurtaxe ist einmalig in Deutschland nur im Südschwarzwald in der Gemeinde Münstertal zu finden. Zum Erhalt bäuerlicher Kulturlandschaften in Natura 2000-Gebieten leistet seit über 15 Jahren die Gemeinde Münstertal u. a. durch die sogenannte „Ziegenprämie“ aus der Kurtaxe einen Beitrag. Seit dem Jahr 2000 existiert hier ein kooperatives Management, das Tourismus, Landwirtschaft und Naturschutz verbindet und zum Erhalt bäuerlicher Kulturlandschaften und der dort vorhandenen Schutzgebiete beiträgt. Die öffentliche Kommunikation der Verwendung der Kurtaxe für die Landschaftspflege ist dabei ein wichtiger Bestandteil der touristischen Vermarktung und stößt bei Touristen auf positive Resonanz (L IE- SEN , C OCH 2015). Literatur B UNDESAMT FÜR N ATURSCHUTZ (B F N): Natura 2000. 2018a:  www.bfn.de/ themen/ natura-2000.html (zuletzt abgerufen am 9.5.2018). B UNDESAMT FÜR N ATURSCHUTZ (B F N): Natursportinfo. 2018b:  https: / / natursportinfo.bfn.de/ (zuletzt abgerufen am 9.5.2018). E UROPEAN C OMMISSION : Natura 2000 Barometer. 2018:  http: / / ec.europa.eu/ environment/ nature/ natura2000/ barometer/ index_en.htm (zuletzt abgerufen am 9.5.2018). EU - Europäische Union: Richtlinie 92/ 43/ EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (Flora-Fauna-Habitat - Richtlinie (kurz: FFH-Richtlinie) 92/ 43 EWG). Brüssel 1992. EU - Europäische Union: Richtlinie 79/ 409/ EWG des Rates vom 2. April 1979 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (kurz: Vogelschutzrichtlinie). Brüssel 1979. L IESEN , J. & C OCH , T.: Finanzielle Unterstützung des Landschaftserhalts durch die Kurtaxe - Erfahrungen aus der Ferienregion Münstertal-Staufen (Naturpark Südschwarzwald). Naturschutz und Landschaftsplanung 47, H. 3, S. 69-76, Bonn 2015. S CHLACKE , S. (Hg.): Gemeinschaftskommentar Bundesnaturschutzgesetz. Carl Heymanns Verlag, Köln 2012. <?page no="95"?> Gebiete mit besonderer Angebotsqualität 95 V ERBAND D EUTSCHER S PORTTAUCHER E . V. (Hg.): Gemeinsam für Natur und Landschaft - Natura 2000 und Sport - Handreichung zur erfolgreichen Kompromissfindung und Managementplanung in empfindlichen Lebensräumen, 2012:  https: / / cdn.dosb.de/ alter_Datenbestand/ fm-dosb/ arbeitsfelder/ umweltsportstaetten/ Veroeffentlichungen/ 2012_Natura2000undSport.pdf (zuletzt abgerufen am 16.5.2018). V ERBAND D EUTSCHER N ATURPARKE e. V. (VDN) (Hg.): Qualitätsoffensive Naturparke. Unveröffentlichte Ergebnisse aus dem Zeitraum 2010-2015, Bonn 2016. V ERBAND D EUTSCHER N ATURPARKE e. V. (VDN) (Hg.): Naturparke in Deutschland - Starke Partner für biologische Vielfalt. Bonn 2010. V ERBAND D EUTSCHER N ATURPARKE e. V. (VDN) & EUROPARC Deutschland (Hg.): Leitfaden Faszination erlebbar machen. Bonn 2015. <?page no="97"?> 3 Naturerlebnisse: Ausprägungen, Angebote, Nachfrage, Beispiele 3.1 Aktives Naturerlebnis: Natur aktiv erleben Eine Vielzahl von Freizeitaktivitäten ist mit einem aktiven Naturerleben verbunden. Das Spektrum ist groß und reicht, wie in Kapitel 1.3.1 beschrieben, vom Wandern, Radfahren, Skilanglauf bis zum Reiten, Kanuwandern und Campen in der Natur. In den nachfolgenden Kapiteln werden einige Aktivitäten näher betrachtet, bei denen das Naturerlebnis einen besonders hohen Stellenwert hat und die als „klassische“ Aktivitäten in der Natur gelten. 3.1.1 Wandertourismus von Mathias Behrens-Egge, Malin Baruschke In diesem Kapitel werden folgende Fragen beantwortet:  Wie wird Wandern definiert und wie ausgeübt?  Wie ist das Wander-Angebot strukturiert und welche Qualitätsmerkmale sind entscheidend?  Wie ist die Nachfrage nach Wandern, u. a. im Hinblick auf die Altersstruktur der Wanderer und die Wanderhäufigkeit?  Welche Zielgruppen und Quellmärkte für das Wandern gibt es?  Was sind die Besonderheiten von Tagestouren und Mehrtageswanderungen?  Welche Bedeutung hat Barrierefreiheit im Wandern?  Welche Bedeutung hat das Wandern für die Gesundheit?  Welche wirtschaftliche Bedeutung hat der Wandertourismus? Wandern gilt als die wichtigste und beliebteste Form des Naturerlebens im Naturtourismus in Deutschland (vgl. Kap. 1.3, Abb. 3). Rund 70 % der Deutschen wandern, weitgehend unabhängig von Alter (vgl. Kap. 3.1.1.2). <?page no="98"?> 98 Naturtourismus Wissen │ Wander und Spaziergehen Wandern gilt als bewusste, geplante Bewegung auf einem Weg in der Landschaft mit einem Minimum an geeigneter Ausrüstung (z. B. feste Schuhe, Mitführen von Verpflegung im Rucksack) von mindestens einer Stunde Dauer (DWV 2010). Spazierengehen dagegen ist niederschwelliger: eher spontan - also ohne Vorbereitung/ Planung und besondere Ausrüstung (ebd.). Gewandert wird im Rahmen von Tagesausflügen (ohne Übernachtung) oder im Rahmen eines Urlaubes oder Kurzurlaubes. Wanderungen werden unterschieden in Tages-/ Halbtageswanderungen und Streckenwanderungen (Mehrtagestouren, Wanderung in mehreren Etappen). Sternwanderungen sind mehrtägige Wanderaktivitäten an einem Urlaubsort bei festem Quartier, d. h. eine Aneinanderreihung von Tagestouren ab dem Urlaubsort. Eine durchschnittliche Tageswanderung der Deutschen ist rund 9 km lang und dauert etwa 3 Stunden. Im Rahmen einer Streckenwanderung werden durchschnittlich 19 km am Tag zurückgelegt, bis zu 25 km sind üblich. Sportliche Wanderer bewältigen deutlich längere Strecken. Es ist ein gewisser Trend zu sportlichen oder sogar extremen Veranstaltungen erkennbar, z. B. Wandermarathon oder 24 Stunden Wanderungen, z. B. der erfolgreiche Frankenwald Marathon, vgl.  www.frankenwald-tourismus.de/ de/ draussen/ wandern/ wanderungen-touren/ wandermarathon/ Literaturtipps Weitergehende Informationen zum Wandern finden Sie in folgenden Grundlagenwerken und Studien: DWV - D EUTSCHER W ANDERVERBAND : Grundlagenuntersuchung Freizeit- und Urlaubsmarkt Wandern. BMWi (Hg.) Forschungsbericht Nr. 591. Berlin 2010. Diese Untersuchung gibt einen umfassenden Überblick über die Wanderaktivitäten und Präferenzen der Deutschen und die wirtschaftliche Bedeutung des Wanderns. K NOLL , G.: Handbuch Wandertourismus. UVK, UVK/ Lucius. Konstanz, München 2016. Ergänzt die Erkenntnisse der Grundlagenuntersuchung um einen Abriss zur Geschichte und Entwicklung des Wanderns. <?page no="99"?> Naturerlebnisse 99 BTE, DWV 2018: Wandertourismus Deutschland:  www.bte-tourismus.de/ BTE-2-0/ News/ Details/ 231 Erste Studie zum digitalen Verhalten der Wanderer. Gibt einen Überblick über das digitale Verhalten der Wanderer entlang der Customer Journey. 3.1.1.1 Wander-Angebot Wandern boomt: mehr als 75 % der deutschen Destinationen haben Wanderangebote im Portfolio (P ROJECT M 2014). Dabei wird deutlich: Qualität setzt sich durch. So ist die Zahl der Prädikatswanderwege in den letzten Jahren deutlich gestiegen (vgl. Tab. 2). Wissen │ Prädikatswanderwege Prädikatswanderwege sind qualitativ hochwertige Wanderwege, die den Qualitätskriterien des Deutschen Wanderverbandes (Qualitätsweg Wanderbares Deutschland) oder den Qualitätskriterien des Deutschen Wanderinstituts (Premiumweg) entsprechen. Zur Erlangung der Gütesiegel müssen verschiedene Kernkriterien sowie Wahlkriterien erfüllt sein. Diese berücksichtigen neben Beschaffenheit, Streckenführung und Kennzeichnung des Weges auch Faktoren wie z. B. landschaftliche und kulturelle Sehenswürdigkeiten, Abwechslungsreichtum und „Erlebnispotenzial“. Wenn ein Wanderweg ein definiertes Qualitätsniveau erreicht hat und dieses durch eine Prüfung bestätigt wurde, kann er mit dem jeweiligen Prädikat werben. Weiterführende Informationen zu Qualitätswegen und Premiumwegen unter:  www.wanderbares-deutschland.de und  www.wanderinstitut.de Auffällig ist: Das Angebot von Prädikatswegen wächst schneller als die Nachfrage. Flächendeckend entstehen hochwertige und profilierte Wanderangebote: der Konkurrenzdruck steigt. Die Konsequenz dieser Entwicklung: Erfolgreiche Angebote müssen nicht nur „gut“ sein im Sinne einer hohen Wanderqualität, sondern darüber hinaus spezifisch in ihrem Angebot: eine besondere Attraktion, ein origineller Aufhänger, ein regionstypisches Thema, eine herausragende Story. Eine erfolgreiche Wanderregion ist auf Bekanntheit, Image und Anziehungskraft der Destination bzw. der Destinationsmarke angewiesen. <?page no="100"?> 100 Naturtourismus Tab. 2: Entwicklung des prädikatisierten Wander-Angebotes 2010 bis 2018 Quelle: project m (2014), aktualisiert mittels  www.wanderbares-deutschland.de;  www.wanderinstitut.de (Stand 26.7.2018) Anzahl 2010 Anzahl Juli 2018 Zunahme von 2010 auf 2018 62 200 +22 3% 200 542 +171 % 1.300 1.571 +21 % Bevorzugte Wanderlandschaften Wanderer bevorzugen Wanderungen mit „moderater Bewegung in leicht hügeligem Gelände“ (vgl. Abb. 17). Rund 50 % der Wanderer bevorzugen entsprechende Wanderlandschaften, rund 30 % bevorzugen Wanderungen im Flachen und rund 20 % mögen es steiler und anspruchsvoller. Mittelgebirgslandschaften entsprechen vor allem den Präferenzen zahlreicher Wanderer. Erfolgreiche Angebote in Flachlandregionen zeigen, dass auch diese Landschaften Chancen im Wandermarkt haben. Dies insbesondere vor dem Hintergrund einer älter werdenden Gesellschaft. Wanderangebote sollten passend zu den unterschiedlichen Anforderungen zum Beispiel als „anspruchsvoll“, „mittel“ oder „leicht“ beworben werden. <?page no="101"?> Naturerlebnisse 101 Abb. 17: Bevorzugte Wanderlandschaften Quelle: verändert nach DWV 2010 Die Wandergebiete in Deutschland haben eine unterschiedliche Bekanntheit und Bedeutung im Wandermarkt (vgl. Abb. 18). Mit Schwarzwald, Bayerischem Wald, Allgäu und Alpen liegen die süddeutschen Regionen vorn, gefolgt von mitteldeutschen Mittelgebirgen wie Thüringer Wald, Elbsandsteingebirge, Erzgebirge und Sauerland. Bemerkenswert ist, dass auch norddeutsche Landschaften (Ostsee, Lüneburger Heide, Nordsee, …) als Wandergebiete wahrgenommen werden. 21% 2% 29% 49% anspruchsvolle Wanderungen, große Höhenunterschiede alpine Klettersteige leichte Wanderungen im Flachen moderate Wanderungen, leicht hügeliges Gelände <?page no="102"?> 102 Naturtourismus Abb. 18: Gestützte/ ungestützte Bekanntheit deutscher Wanderdestinationen im Inland links: ungestützt (= offene Frage), rechts: gestützt (= Auswahl aus Liste Wanderdestinationen) Quelle: project m 2014 <?page no="103"?> Naturerlebnisse 103 Erwartete Qualität eines Wanderwegeangebotes Wanderer wünschen und erwarten vor allem (DWV S ERVICE 2015a):  einen hohen Anteil naturnaher Wege: schmale, geschwungene Pfade, Erd- und Graswege  „schöne“ Landschaft, definiert als „waldreich“, „natürliche Stille, frische Luft“, attraktive Aussichten, frei von Störungen, z. B. durch Lärm oder sichtbare technische Bauwerke  Abwechslungsreichtum, wechselnde Landschaftsbilder, Wechsel der Wegeformate  Einkehrmöglichkeiten an der Strecke  eindeutige und kontinuierliche Markierung, Beschilderung  Ausstattung mit Infrastruktur: Bänke, Rastplätze  Die in Deutschland bestehenden Qualitätskriterien für Wanderwege (Qualitätsweg Wanderbares Deutschland und Premiumweg, s. o.) entsprechen den von Wanderern erwarteten Qualitäten.  Die nachfolgende Abb. 19 gibt eine Übersicht, welche Bedeutung die unterschiedlichen Qualitätsmerkmale für Wanderer haben. <?page no="104"?> 104 Naturtourismus Abb. 19: Qualitäts-Ansprüche der Wanderer Quelle: DWV 2010 Wissen │ Qualitätsanforderungen für Wanderangebote Entscheidend für die Qualität eines Wanderangebotes ist das Zusammenspiel folgender wesentlicher Komponenten:  attraktive Wanderwege, gut markiert, in erlebnisreicher (i. d. R.: abwechslungsreicher) naturnaher Kulturlandschaft (Wald, Wiesen, Dörfer im Wechsel, Aussichten, …)  attraktive Wanderziele, bevorzugt Orte, deren Besuch einen Wunsch oder eine Sehnsucht der Wanderer berührt (Wandersehnsuchtsorte = Orte, die ein Wanderer erwandern möchte)  guter Service am Weg: Einkehr in attraktiven Gastbetrieben in guter Lage am Weg, Übernachtung in charmanten, regional geprägten Betrieben 0% 20% 40% 60% 80% 100% Beschilderung, Wegweiser Wegemakierung (z. B. an Bäumen) Einbindung des Weges in die Landschaft Absicherung von Gefahrenstellen Erreichbarkeit mit dem PKW Oberflächenqualität des Weges Informationstafeln und Übersichtskarten Einfache Rastmöglichkeit, Bänke Einkehrmöglichkeit, gastro. Angebot Umfangreiche Rast-, Picknickmöglichkeit, Schutzhütten Anbindung an ÖPNV, Sammeltaxe Angebot Wanderbusse <?page no="105"?> Naturerlebnisse 105  Eine sehr gute Basisqualität (Wege, Routen, Gastbetriebe) ist Grundvoraussetzung; für Erfolg im Wandermarkt braucht es jedoch noch mehr: eine Destination/ Marke mit Bekanntheit und gutem Image sowie Wanderziele und Wanderrouten auf dem Niveau von „Wandersehnsuchtsorten“.  Renommee und Bekanntheit einer Wanderdestination sind für die Reiseentscheidung der Wander-Gäste von entscheidender Bedeutung. Es gibt zahlreiche Wanderregionen am Markt, die durch interessante Entwicklungen, spektakuläre Bilder und Qualitätsnachweise Aufmerksamkeit generieren und Interesse wecken. Wanderziele Attraktive Wanderziele bilden die Anker für Wandererlebnisse im Routenverlauf. Sie sind die Belohnung für die Anstrengung der Wanderung. Es sind diese Wanderhöhepunkte, über die sich in Print und Online das Versprechen eines besonderen Wandererlebnisses transportieren lässt. Herausragende Wanderziele (und ihre Inszenierung) sind von hoher Bedeutung für die Bekanntheit und Strahlkraft einer Route und damit auch für die Wanderregion. Herausragende Wanderziele müssen über das Wanderwegenetz erschlossen und erreichbar werden. Auch attraktive Ausblicke können Wanderziele darstellen, z. B. der Anblick auf einen Bergsporn mit Burganlage. Unmittelbare Erlebbarkeit ist ein zentrales Kriterium. Wichtig ist auch die Authentizität in Verbindung zum thematischen Aufhänger der Wanderung. Typische Wanderziele sind: 2  Naturattraktionen wie Seen, Schluchten, Bachtäler, Moore  markante Gipfel, Aussichtstürme, Felsen,  Kulturattraktionen wie Burgen, Schlösser, historische Städte  Ortschaften mit schönem Ortsbild, Gastronomie und Unterkünften  urige Gasthäuser außerhalb geschlossener Ortschaften Touristische Ziele, die abseits des Wanderwegnetzes liegen, Museen, deren Inhalte sich nach Eintritt und ausführlicher Beschäftigung erschließen oder 2 Modifiziert nach DWV Service (Deutscher Wanderverband Service GmbH) (2015b): Qualitätsregion Wanderbares Deutschland. Wandervergnügen garantiert <?page no="106"?> 106 Naturtourismus artifizielle Sehenswürdigkeiten gelten in der Regel nicht als Wanderziele im engeren Sinn. Bedeutung der Gastbetriebe für das Wanderangebot Den Gastgebern (Unterkunfts- und Gastronomiebetrieben) kommt innerhalb der touristischen Leistungskette eine Schlüsselrolle zu: Mit Übernachtung und Verpflegung werden hier touristische Kernangebote erbracht. Die Qualität der Beherbergungsbetriebe und der Gastronomie stellt den wichtigsten Faktor für die Gästezufriedenheit dar ( DWIF 2017). Zertifizierung: Qualitätsgastgeber Wanderbares Deutschland Ein zertifizierter Qualitätsgastgeber Wanderbares Deutschland ist mit den besonderen Ansprüchen der Wandergäste vertraut. Durch Serviceangebote wie das Vorhalten von wandertauglichen Lunchpaketen, die Organisation des Gepäcktransports zu der nächsten Unterkunft oder die Bereitstellung von Wandertipps fühlen sich Wanderer angesprochen und willkommen. Zertifizierbar sind ein breites Spektrum an Unterkunfts- und Gastronomiebetrieben. Sowohl Hotels als auch Privatunterkünfte (Ferienwohnungen, Pensionen), Jugendherbergen und andere Gruppenunterkünfte sowie Campingplätze können sich der Überprüfung unterziehen. Dies gewährleistet auch ein breites Angebot an potenziellen Unterkünften für die verschiedenen Zielgruppen unter den Wandergästen. Für eine erfolgreiche Zertifizierung müssen Unterkunftsbetriebe aktuell 23 Kern- und 8 aus 18 Wahlkriterien erfüllen. Reine Gastronomiebetriebe werden hinsichtlich von 17 Pflichtkriterien überprüft. Derzeit sind in Deutschland rund 1570 Betriebe als Qualitätsgastgeber Wanderbares Deutschland zertifiziert. Weitergehende Informationen zu den Kriterien und zur Vergabe der Zertifizierung unter  www.wanderbares-deutschland.de/ gastgeber/ qualitaetsgastgeber.html. Quelle: DWV 2015 Die Bedeutung insbesondere des gastronomischen Angebotes beim Wandern hat der Wandermonitor herausgestellt (O STFALIA 2018): Danach spielt die Möglichkeit, am Wegesrand einzukehren, eine umso größere Rolle bei der Auswahl des Weges, je älter Wanderer sind (unter 30 Jahre: 22 %; über 50 Jahre: 41 %). Zwar haben viele Wanderer bei ihren Touren Proviant dabei, dennoch sind gut 70 % der Wanderer aufgeschlossen gegenüber anderen Verpflegungsmöglichkei- <?page no="107"?> Naturerlebnisse 107 ten. Mit anderen Worten: ein gutes Angebot verlockt zur Einkehr, selbst wenn Proviant mitgeführt wird. Kehren Wanderer am Wegesrand ein, geben sie durchschnittlich etwa 14 Euro pro Person aus. Bevorzugt werden alkoholfreie Getränke (72,4 %), Kaffee oder Tee (58,8 %) und eine schnelle Brotzeit (56,6 %) (O STFALIA 2018). Für rund ein Drittel der Wanderer ist die Einkehrmöglichkeit am Weg ein entscheidendes Kriterium bei der Auswahl eines Wanderweges. Für ihre Einkehr bevorzugen Wanderer einfache Gastronomie und Außenplätze (vgl. Abb. 20). Abb. 20: Bevorzugte gastronomische Einrichtung der Wanderer Quelle: Ostfalia 2018 Die Bereitschaft, für eine Einkehr Umwege zu gehen, endet bei einer zusätzlichen Wegelänge von rund 1 km Umweg (O STFALIA 2018). Favorisiert wird für das gastronomische Angebot ein regionales, saisonales Speisenangebot (Aussage von rund 30 % der Wanderer, O STFALIA 2018). Leistungsfähige Wandergastgeber sind essenziell für die Wanderqualität und sollten folgende Anforderungen erfüllen:  Wanderkundig: Kenntnisse der Bedarfe der Gäste und der Angebote im Wandergebiet, Tippgeber für Wandergäste  Vernetzt: in das Wanderangebot (Informationsmaterial, Routentipps, Tourenportale etc.) eingebunden, Kooperationen mit Gästeführern, Shuttle, Gastronomie, etc.  Serviceorientiert: Organisationshilfe (z. B. Transfers), Lunchpaket, … 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% Gaststätte mit einfachem gastronom. Angebot Außengastronomie Café Kiosk, Imbiss Gaststätten mit gehobenem gastronom. Angebot Sonstige <?page no="108"?> 108 Naturtourismus 3.1.1.2 Wander-Nachfrage Nahezu jeder Gast im ländlichen Raum ist ein potenzieller Wanderer. Im Ergebnis der „Grundlagenstudie Freizeit- und Urlaubsmarkt Wandern“ (DWV 2010) wird deutlich: Mehr als 40 Mio. Deutsche wandern zumindest „selten oder gelegentlich“, das Gesamtvolumen der Wanderungen der Deutschen (in Freizeit und Urlaub) addiert sich auf rund 380 Mio. Wanderungen/ Jahr bzw. 3,6 Mrd. gewanderte km/ Jahr. Die Fortschreibung der Wanderstudie ( PROJECT M 2014) liefert Hinweise auf einen weiteren Zuwachs der Nachfrage nach Wandern (vgl. Abb. 21). Abb. 21: Wanderintensität der Deutschen, 2010 und 2014 Quelle: verändert nach project m 2014 Der Anteil der „selten Wanderer“ hat zulasten der „nicht-Wanderer“ deutlich zugenommen: 35 % der Deutschen wandern selten, 30 % wandern nicht. Die Analyse der Wanderintensität nach Altersgruppen zeigt (vgl. Abb. 22):  eine weitgehend gleichmäßige Verteilung der Wanderer auf alle Altersgruppen, auch die Aussage „nicht-Wandern“ ist altersunabhängig: die Beteiligung beim Wandern ist altersunabhängig  Ältere (60+) wandern häufig „regelmäßig“  Jüngere wandern eher „selten“ <?page no="109"?> Naturerlebnisse 109 Abb. 22: Wanderintensität nach Alter, 2014 Quelle: project m 2014 3.1.1.3 Quellmärkte Wichtigster innerdeutscher Quellmarkt für Wanderungen in Deutschland ist das bevölkerungsreiche Nordrhein-Westfalen (NRW): rd. 21 % aller Wanderungen werden von den Einwohnern aus diesem Bundesland unternommen. Zusammen mit Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachen stehen die Einwohner aus Nordrhein-Westfalen für rd. 60 % des Wandermarktes (vgl. Tab. 3). Tab. 3: Quellmärkte für Wanderungen nach Bundesländern Quelle: DWV 2010, S. 29 Bundesländer Anzahl Wanderungen (in Tsd.) Anteil in % Wanderungen pro Einwohner Nordrhein-Westfalen 80.298 20,6 5,2 Bayern 55.866 14,3 5,2 Baden-Württemberg 47.943 12,3 5,4 Niedersachsen 34.101 8,7 4,7 Rheinland-Pfalz 29.931 7,7 7,7 Sachsen 29.417 7,5 8,1 Hessen 28.422 7,3 5,6 Thüringen 20.394 5,2 9,4 <?page no="110"?> 110 Naturtourismus Auffällig ist die unterdurchschnittliche Bindung der Nordrhein-Westfalen bei der Aktivität Wandern an ihr Bundesland: nur 60 % der Nordrhein-Westfalen bleiben für tagestouristische Wanderungen in NRW. 40 % verlassen das Land für Wanderungen. Andere Bundesländer erreichen beim Wandern im eigenen Land Werte um 75 % (z. B. Thüringen, Baden-Württemberg) und bis zu 90 % (Bayern) (DWV 2010, S. 52). Auch im Wandern nehmen ausländische Quellmärkte an Bedeutung zu: Die letzten Jahre waren gute Jahre für den Deutschlandtourismus. Gleichwohl werden mittelfristig nachlassende Zuwächse der innerdeutschen Tourismusnachfrage vorhergesagt. 3 Die Nachfrage aus dem Ausland zeigt demgegenüber überdurchschnittliche Wachstumsraten (DTV 2016). Deren Anteil ist in Nordrhein- Westfalen zum Beispiel bereits überdurchschnittlich: im Jahr 2016 kamen ca. 21 % der Übernachtungen und 22 % der Ankünfte aus dem Ausland (IT.NRW, 2013-2017), deutschlandweit sind es ca. 18 %. Die Deutsche Zentrale für Tourismus (DZT) sieht daher deutliche Potenziale für Wandern im Incoming-Tourismus: Wandern ist beliebte Urlaubsaktivität der Urlaubsgäste aus dem Ausland (DZT 2016b). In der Außendarstellung des Reiselandes Deutschland hat Wandern daher seit ca. acht Jahren einen festen Platz. Wichtiger Quellmarkt sind die Niederlande, welche die mit Abstand die wichtigste Gästegruppe im Incoming-Tourismus darstellen. Wandern ist bei Niederländern eine besonders beliebte Urlaubsaktivität (vgl. Abb. 23). Entsprechende Bedeutung bzw. Potenziale hat dieser Quellmarkt für das Wandern in Deutschland. Dies gilt besonders für Wanderregionen, die für die Niederländer gut erreichbar sind, wie zum Beispiel der Teutoburger Wald. 3 Resultat einer schrumpfenden Bevölkerungszahl bei gleichbleibender Reiseintensität; Quelle u. a.: Reiseanalysen der Forschungsgruppe Urlaub und Reisen (FUR) <?page no="111"?> Naturerlebnisse 111 Abb. 23: Interesse der wichtigsten Incoming-Quellmärkte an der Aktivität Wandern Quelle: DZT 2016b 3.1.1.4 Zielgruppen Wanderer haben weitgehend homogene Präferenzen im Hinblick auf die Kernqualitäten von Wanderangeboten (DWV 2015a). Die Ansprüche der Wanderer an die Qualitäten der Wege, der Landschaft, Einkehr, Beschilderung/ Markierung, Ziele/ Attraktionen am Wegesrand und Naturerlebnis sind geprägt vom Interesse an Wandern und Naturgenuss und weitgehend unabhängig von Sozio-Demografie, Lebensstil oder Wertehaltungen (DWV 2010). Die Entwicklung von Wanderqualität kann daher zunächst weitgehend zielgruppenunabhängig an den Erwartungen an gute Wanderqualität (vgl. Kap. 3.1.1.1) festgemacht werden. Dies ist anders bei der Einbettung von Wanderangeboten in touristische Produkte (Pauschalen, Urlaubspakete). Dabei zeigen sozio-demografisch abgegrenzte Zielgruppen spezifische Präferenzen im Hinblick auf die Merkmale des Quartiers, des Genuss, des Service, der Infrastruktur etc. Nach Kernmärkten werden die Wanderer in a) Gelegenheitswanderer und b) ambitionierte Wanderer unterschieden. Trotz grundsätzlich homogener Präferenzen im Hinblick auf die Qualität von Wanderangeboten zeigen diese beiden Gruppen in einzelnen Details spezifische Präferenzen. 0% 5% 10% 15% 20% 25% 30% 35% 40% Niederlande Schweiz Polen Belgien Frankreich Österreich Dänemark UK Nennungen der Aktivität Wandern in % 2 % 3 % 5 % 6 % 10 % 16 % 19 % 34 % <?page no="112"?> 112 Naturtourismus Wissen │ Gelegenheitswanderer Volumenmarkt im Wandern sind die Gelegenheitswanderer. Zwei Ausrichtungen stehen im Vordergrund:  Gäste, die (aus unterschiedlichen Motiven) urlaubs- und freizeitmotiviert in eine Destination reisen und dort auch geeignete Wanderangebote erwarten. Rund 70 % der Gäste wollen im Rahmen ihres Aufenthaltes „auch mal wandern“ (vgl. Kap. 3.1.1.2).  Gelegenheitswanderer, die (zu Hause) ein Ziel für ihre nächste Wanderung suchen und für eine Destination gewonnen werden sollen. Geeignete Wanderangebote für Gelegenheitswanderer sind:  Tages- und Halbtages-Rundtouren in kundenorientierter Qualität, bevorzugt prädikatisierte Wege bzw. Qualität in Anlehnung an die Standards prädikatisierter Wege.  Ergänzungen zu profilierten Fernrouten für Gelegenheitswanderer um Tages- und Halbtages-Rundtouren.  Erschließung der Wander-Attraktionen der Destination im Rahmen von Tagestouren.  Einbindung kultureller Attraktionen als Wanderziele in das Wanderangebot, z. B. Wanderung hin zu einer attraktiven Burganlage.  Angebotspakete mit kulturellen Attraktionen und Wandererlebnissen in einem touristischen Portfolio („heute Kulturprogramm, morgen eine Wanderung“) entsprechend der Präferenz der Gäste (viele wollen „auch wandern“, aber nicht „jeden Tag wandern“). Wissen │ Ambitionierte Wanderer Diese Zielgruppe ist im Nachfragevolumen zweitrangig, aber dennoch von hoher Bedeutung als „Pioniere“ und Meinungsbildner. Diese Zielgruppe geht ambitionierte Wanderungen, die in Fachzeitschriften vorgestellt und rezensiert werden und damit Aufmerksamkeit und Image bringen. Für ambitionierte Wanderer sollten angeboten werden:  national konkurrenzfähige „Traumrouten“ und „Wander-Sehnsuchtsorte“,  bevorzugt Fernrouten - aber auch Sternwanderungen werden nachgefragt, <?page no="113"?> Naturerlebnisse 113  Top-Wanderrouten in spektakulären Landschaften bzw. zu spektakulären Wanderzielen, die national und international konkurrenzfähig sind sowie  Fernwanderwege bzw. Sternwanderungen für mehrtägigen Wanderurlaub. 3.1.1.5 Tagestouren und Mehrtageswanderungen Der mit Abstand größere Markt der Urlaubswanderungen sind Tagestouren: Rund 80 % der Wanderungen im Urlaub werden als Tageswanderungen durchgeführt. Die durchschnittliche Länge der Tageswanderungen beträgt 9,5 km (d. h.: hohe Bedeutung von Halbtagestouren), 87 % der Tageswanderer wollen Rundwege (ab Wanderparkplatz, Anreise mit PKW) (DWV 2010). Der mit etwa 20 % kleinere Teil des Marktes der Urlaubswanderungen sind Mehrtageswanderungen (mit einer durchschnittlichen täglichen Etappenlänge von 18,7 km) (DWV 2010). Gleichwohl haben Mehrtagestouren eine hohe Bedeutung: Fernwanderwege sind häufig „Leitprojekte“, die in Wandermagazinen stärkere Beachtung finden als Tagestouren und damit im Portfolio einer Wanderregion enthalten sein müssen. Auch zeigt die Marktforschung, dass bekannte und attraktive Fernwege gern im Rahmen von Tagestouren genutzt werden. Für die Produktentwicklung bedeutet dies, dass Fernrouten, auch in Abschnitten, idealerweise im Format von Rundtouren, aufbereitet und angeboten werden sollten: ein Stück Fernwanderweg, dann weiter auf einer „Schleife“ zurück zum Ausgangspunkt. Wandern und weitere Aktivitäten Da 70 % der Deutschen wandern, verhalten sich Wanderer in vielerlei Hinsicht wie der Durchschnitt der deutschen Bevölkerung. Es gibt eine große Bandbreite an Interessen und Aktivitäten, denen Wanderer als sonstige Aktivität in Freizeit und Urlaub nachgehen. Auffällig stark korrelieren Wandern und Radfahren: 74 % der Wanderer fahren auch Rad (BTE, DWV 2018, vgl. Abb. 24). Dies gilt auch umgekehrt: 57 % der Radfahrer wandern auch ( DWIF , BTE 2009). <?page no="114"?> 114 Naturtourismus Abb. 24: Beteiligung der Wanderer an anderen Outdooraktivitäten Antworten auf die Frage: „Abgesehen vom Wandern: Welche Outdoor-Aktivitäten betreiben Sie, zumindest gelegentlich? “, n=1.026 Quelle: BTE, DWV 2018 Tagesausflugs-Wanderungen Ein Tagesausflug erlaubt per se weniger Möglichkeiten für Aktivitäten im Zielgebiet als ein mehrtägiger Aufenthalt. Wanderungen im Rahmen von Tagesausflügen unterscheiden sich deutlich von Wanderungen im Rahmen von Urlauben, unter anderem in Länge, Dauer und Konstellation bzw. Größe der Wandergruppe. Die durchschnittliche Wanderung im Rahmen eines Tagesausfluges dauert 3 Stunden und ist 9 km lang (BMW I 2010). Wenn andere Aktivitäten unternommen werden, sind es vor allem Besichtigungen von kulturellen Einrichtungen wie Denkmälern, Museen oder ähnlichen Einrichtungen - auf sie entfallen ungefähr 60 % der zusätzlichen Aktivitäten. Ebenfalls von Bedeutung ist der Besuch von Naturinformationszentren mit einem Anteil von rund 22 % an den zusätzlichen Aktivitäten. Die Ergebnisse der Marktforschung legen nah, dass eine Wanderung im Rahmen eines Tagesausflugs vor allem mit einer Einkehr und dem Besuch einer kulturellen Einrichtung verbunden werden kann. 0% 5% 10% 15% 20% 25% 30% 35% 40% Niederlande Schweiz Polen Belgien Frankreich Österreich Dänemark UK Nennungen der Aktivität Wandern in % 2 % 3 % 5 % 6 % 10 % 16 % 19 % 34 % <?page no="115"?> Naturerlebnisse 115 Wanderungen im Urlaub Rund 30 % der im Urlaub wandernden Personen sehen tägliche Wanderungen als festen Bestandteil der Urlaubsaktivitäten (BMW I , 2010). Für diese Gäste wird unterstellt, dass die Wanderqualität einer Region ein wichtiges Entscheidungskriterium bildet. Rund 60 % der Wanderer, die im Urlaub wandern, sehen im Wandern nicht die Hauptaktivität im Urlaub. Wandern ist einer von vielen Bestandteilen der Urlaubsaktivitäten (BMW I , 2010). Für diese Gruppe bilden die Wandermöglichkeiten eines Zielgebietes eines von mehreren Entscheidungskriterien. Nur rund 15 % geben an, im Urlaub eher selten und unregelmäßig zu wandern. 3.1.1.6 Saisonalität Schwerpunkt der Wanderaktivitäten ist der Sommer. Dennoch gilt: Auch im Winterhalbjahr wird gewandert (vgl. Abb. 25). Hier unterscheidet sich das Wandern deutlich von der zweiten bevorzugten Outdooraktivität der Deutschen: dem Radfahren. Das Radfahren zeigt eine deutlich ausgeprägte Saisonalität. Abb. 25: Saisonalität von Wandern In der Abbildung dargestellt ist die Durchführung der Aktivität Wandern, nicht die Häufigkeit (Lesehilfe: 20 % der Wanderer geben an, auch im Monat Januar zu wandern). Quelle: DWV (2010) 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember 20 % 22 % 32 % 42 % 55 % 54 % 56 % 61 % 60% 48 % 25 % 22 % <?page no="116"?> 116 Naturtourismus Die aktuelle Marktforschung belegt das hohe Interesse der Deutschen auch an Reisen im Winter. 25 % der Deutschen haben Interesse an Reisen im Winter im eigenen Land (der alpine Ski-Tourismus ist hier nicht enthalten, dessen Bedeutung sinkt) (DTV ET AL . 2016). Die Präferenzen dieser Winterurlaubsreisenden sind klar ausgerichtet auf Genuss, Gemütlichkeit, Langsamkeit und Zeit für Familie/ Freunde (gemeinsames Erleben). Herausragende Bedeutung haben Wärme und Licht, die über klare Wintertage und gemütliche Feuer im Marketing vermittelt werden können. Die gesuchte „Winteratmosphäre“ braucht nicht unbedingt Schnee, aber Wintermotive wie Reif, Eis, klare Luft und blauen Winterhimmel (FUR 2016). 3.1.1.7 Naturerlebnis auf Trekking- oder Wildnistrails Ein besonders intensives Naturerlebnis verbindet sich mit Wanderbzw. Trekkingtouren in entlegenen Naturräumen und Wildnislandschaften fernab der Zivilisation. Bei Trekking-Touren werden Zelt, Verpflegung und Trinkwasser im Rucksack mitgeführt und in der Natur am Ende des Tages an einem geeigneten Platz biwakiert. Vor allem Skandinavien ist bekannt für diese Art des Outdoor- Erlebnisses. In Deutschland ist das „wilde“ Übernachten in der Natur in der Regel nicht erlaubt; in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig- Holstein kann jedoch von Fuß-, Rad-, Reit- und Wasserwanderern unter Berücksichtigung bestimmter Regeln und Restriktionen für eine Nacht in der Natur übernachtet werden. Näheres regeln die jeweiligen Landesnaturschutzgesetze. Einige National- und Naturparks haben in den letzten Jahren begonnen, Wandererlebnisse mit Übernachtung in der Natur zu ermöglichen, indem sie Wildnistrailsbzw. Trekkingangebote mit speziellen Biwakplätzen für diese an besonders intensiven Naturerlebnissen interessierte Zielgruppe entwickeln. Aus der Praxis: Trekking in der Eifel und im Pfälzerwald Der Naturpark Hohes Venn - Eifel hat vier Naturlagerplätzen zu unterschiedlichen Themen für je zwei Zelte eingerichtet. Alle Standorte sind nur zu Fuß über Wanderwege erreichbar. Für eine Gebühr pro Nacht und Zelt kann man einen der Plätze nutzen, die mit einer Komposttoilette sowie einer Plattform für die Zelte ausgestattet sind. Man ist auf sich selbst gestellt und muss Verpflegung und Trinkwasser mitführen. Die Plätze sind online buchbar unter  www.trekking-eifel.de. <?page no="117"?> Naturerlebnisse 117 Im Biosphärenreservat Pfälzerwald bestehen inzwischen 14 Zeltplätze, von denen je 7 für maximal 4 Zelte und 7 für maximal 6 Zelte Platz bieten. Auch diese sind mit Komposttoiletten ausgestattet. Unter  www.trekking-pfalz.de können diese ebenfalls online gebucht werden. Im Nationalpark Eifel führt ein „Wildnis-Trail“ über 85 km in vier Etappen durch den Nationalpark. Hier kann ein Arrangement gebucht werden, zu dem unter anderem drei Übernachtungen bei Nationalpark-Partner-Gastbetrieben (vgl. Kap. 2.1) gehören. Weitere Informationen unter:  www.nationalpark-eifel.de/ trail. 3.1.1.8 Barrierefreie Nachfrage Der demographische Wandel führt in eine Gesellschaft mit steigendem Anteil älterer Menschen, auch bei den Reisenden. Im Jahr 2020 werden mehr als 40 % der Urlauber älter als 50 Jahre sein (ADAC 2010). Die „neuen Alten“ sind mobil, anspruchsvoll, qualitäts- und komfortorientiert und reisewillig (S ÜLBECK 2006) - aber nicht mehr so fit wie jüngere Zielgruppen. 8 % der Deutschen haben eine schwere Behinderung, rund die Hälfte dieser Gruppe unternimmt Reisen. 50 % würden gern häufiger reisen, 37 % reisen weniger, weil barrierefreie Angebote fehlen. 58 % der Menschen mit schweren Behinderungen sitzen im Rollstuhl (BMFSFJ 2003). Da Handicaps mit dem Alter zunehmen, wird der Anteil an Reisenden mit Handicaps in der Bevölkerung steigen. „Barrierefreiheit ist für etwa 10 % der Bevölkerung unentbehrlich, für 40 % hilfreich und für 100 % komfortabel“ (DSFT 2016). Damit ist gemeint, dass auch Personen ohne Behinderung diese Angebote gut nutzen können und somit eine (Wege-)Infrastruktur für eine sehr breite Zielgruppe geschaffen werden kann, die perspektivisch an Relevanz gewinnen wird. Im Wandermarkt trifft die oben gemachte Aussage „für 100 % komfortabel“ auf Grenzen: ein für Menschen mit Gehbehinderungen barrierefreier Wanderweg mag komfortabel sein, entspricht aber nicht den Qualitätsansprüchen vieler Wanderer im Hinblick auf „Naturnähe“. Wanderer präferieren Abschnitte auf naturfesten Pfaden. Diese sind wiederum für Rollstuhl oder Rollator ungeeignet. Ein Qualitäts-Wanderangebot für Menschen ohne Handicap kann daher nicht gleichzeitig durchgängig barrierefrei sein. Daraus folgt, dass „barrierefrei Wandern“ eine zusätzliche Auswahl geeigneter Angebote bieten sollte. Für ein solches Angebot spricht, dass „Barrierefreier Tourismus (…) eines der Wachstumssegmente im Tourismus mit hohem ökonomischen Potenzial bildet“ (DSFT 2016). <?page no="118"?> 118 Naturtourismus Die Qualitätskriterien für „Reisen für alle“, auch im Hinblick auf Wegequalitäten und Infrastruktur an Wegen finden sich unter:  www.reisen-fuer-alle.de/ local/ media/ downloads/ qualitaetskriterien-rfa/ Qualitatskriterien_2.2-Okt-2017-korrigiert.pdf. Der DWV zertifizierte kurze Wege als „Qualitätsweg Komfortwandern“ für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen, für Familien mit Kinderwagen und Flaneure (vgl.  www.wanderbares-deutschand.de/ wanderwege/ qualitaetswege/ das_qualitaetszeichen.html). „Barrierefrei“ im Sinne der o.g. Kriterien von „Reisen für alle“ sind die Komfortwanderwege nicht. Als Vorreiter für barrierefreies Wanderangebot gelten u. a. der Deutsch- Belgische Naturpark Hohes Venn - Eifel (vgl.  www.eifel-barrierefrei.de) und der Naturpark Lüneburger Heide (  https: / / naturpark-lueneburger-heide.de/ aktiv-in-derheide/ naturpark-barrierefrei/ ). 3.1.1.9 Wandern und Gesundheit „Wandern ist gesund“ - das ist altbekannt und inzwischen in wissenschaftlichen Studien nachgewiesen: Menschen, die sich regelmäßig moderat bewegen, sind deutlich weniger anfällig für Infekte und sind damit seltener krank (vgl. AMAS 2000; AMAS II 2008). Dieser Effekt ist bei moderatem Ausdauertraining zu beobachten, so auch beim Wandern. Wandern ist eine gelenkschonende Form der Bewegung (vgl. M ORRIS , H ARDMAN 1997). Gleichzeitig sinkt das Risiko, an Herz-Kreislauf-Störungen zu erkranken (vgl. M ANSON ET AL . 1999). Positive Effekte des regelmäßigen Wanderns sind unter anderem die Steigerung der Leistungsfähigkeit und Ausdauer (vgl. M ERKEL , D ICKS 2015). Die positiven körperlichen Effekte werden beim Wandern auch durch den sozialen Aspekt verstärkt. Menschen kommen beim Wandern schnell und unkompliziert in Kontakt. „Naturnahe Landschaften“, wie etwa Waldszenerien, unterstützen das psychische Wohlbefinden. Nach der Grundlagenuntersuchung Freizeit- und Urlaubsmarkt Wandern fühlen sich 82,7 % der Wanderer nach der Wanderung „glücklich und zufrieden“, 74 % seelisch ausgeglichener (vgl. DWV 2010, Q UACK ET AL . 2015). Wandern eignet sich für Therapie und Prävention. „Gesundheitswandern“ ist ein Angebot, bei dem Wandern mit Übungen für Koordination, Kraft, Ausdauer und Entspannung kombiniert wird. Die Vermarktung von gesundheitsorientierten Tourismusangeboten ist nicht immer einfach. Zu oft wird Gesundheit mit Krankheit verknüpft, was einer uneingeschränkt positiven Assoziation durch den potenziellen Gast im Weg stehen kann. Aktuell scheinen Vermarktungs- Ansätze mit den Schwerpunkten Fitness, Wohlbefinden und vor allem Achtsamkeit (z. B. Waldbaden) in der Branche als vielversprechend angesehen zu werden (vgl. M ERKEL , D ICKS 2015). <?page no="119"?> Naturerlebnisse 119 Wissen │ Gesundheit und Wanderangebote Kur- und Heilbäder mit entsprechender Ausstattung und Akteuren bieten unterschiedlichste Ansatzpunkte für die Kombination aus Wandern und Gesundheit. Auch ergeben sich Potenziale für gesundheitsorientierte Wellnessangebote. Häufig besteht auch ein Angebot von gesundheitsorientierten Wanderrouten, bei denen verschiedene Aspekte des Wohlbefindens thematisiert werden. Zertifizierte Gesundheitswanderführer sind speziell ausgebildete Wanderführer, die den Gesundheitsaspekt beim Wandern fachkundig einbringen (M ERKEL , D ICKS 2015). Für Gesundheitswanderführer, qualifiziert als Bewegungstherapeuten, gilt eine Präventionsanerkennung nach Paragraf 20 SGB V, so ist eine Unterstützung für Angebote durch die Krankenkassen möglich. Vorreiter dieser Angebote ist das Wipptal (Österreich) (vgl.  www.wipptal.at/ de/ wipptal-erleben/ gesundheitswandern/ ). 3.1.1.10 Wirtschaftliche Bedeutung des Wanderns Tourismus ist in Deutschland ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Der Anteil der touristischen Umsätze in den Zielgebieten am Bruttoinlandsprodukt wird mit rund 4 % errechnet, hinzukommen rund 2 % aus Verkehrsleistungen ( DWIF 2010, 2013). Der Wandertourismus hat daran einen bedeutenden Anteil. Die Grundlagenuntersuchung Wandertourismus (DWV 2010) gibt einen Überblick über die Ausgaben der übernachtenden Wanderer und der Tagesausflugs- Wanderer (vgl. Tab. 4). Tab. 4: Tagesausgaben der Wanderer in den Zielgebieten, ohne An- und Abreise Quelle: DWV (2010) Ausgaben pro Person/ Tag in € für Übernachtende Wanderer Tagesgäste/ Ausflügler Unterkunft 34,96 - Cafés/ Restaurants 14,79 10,55 Lebensmittel/ Getränke 3,91 3,26 Verkehrsmittel/ ÖV 1,98 1,00 Sonstige Einkäufe 0,53 0,43 Eintrittsgelder/ Unterhaltung/ Kultur/ Sport 0,48 0,19 Sonstige Dienstleistungen 0,20 0,11 Summe 56,83 15,54 <?page no="120"?> 120 Naturtourismus Eine Hochrechnung der wirtschaftlichen Bedeutung des Wanderns in Deutschland ermittelt die induzierten Bruttoumsätze aus Wanderaktivitäten mit rund 7,5 Mrd. Euro/ Jahr (vgl. Abb. 26). Abb. 26: Jährliche Brutto-Umsätze im Wandertourismus in Deutschland Quelle: DWV 2010 Der Beschäftigungseffekt (Arbeitsplatzäquivalente) aus den Ausgaben der Wanderer vor Ort (1. und 2. Umsatzstufe) wird deutschlandweit mit rund 144.000 Arbeitsplätzen ermittelt. Hinzu kommen Ausgaben für Ausrüstung und Verkehrsleistungen und die damit verbundenen wirtschaftlichen Effekte. Die aus dem Wandertourismus vor Ort induzierten Umsätze verteilen sich auf unterschiedliche Branchen (vgl. Abb. 27). In der 2. Umsatzstufe ergeben sich zusätzlich namhafte Wirkungen für Zulieferer, Dienstleistung und Handwerk. Ausgaben der Wanderer vor Ort: 7,462 Mrd. € abzüglich MwSt: 6,264 Mrd. € Nettoumsatz Einkommenswirkung 1. Umsatzstufe: 2,453 Mrd. € Einkommenswirkung 2. Umsatzstufe: 1,143 Mrd. € Ausgaben der Wanderer vor Ort: 7,462 Mrd. € <?page no="121"?> Naturerlebnisse 121 Abb. 27: Verteilung der Umsätze aus dem Wandertourismus vor Ort auf unterschiedliche Branchen (1. Umsatzstufe) Quelle: DWV 2010 Wandertourismus stellt somit nicht nur eine der beliebtesten aktiven Formen des Naturerlebens dar, sondern hat auch eine erhebliche wirtschaftliche Bedeutung für die jeweiligen Wanderregionen. Literatur AMAS (2000); AMAS II (2008): „Austrian Moderate Altitude Study“, Forschungsinstitut für Urlaubs- und Freizeitmedien sowie Gesundheitstourismus. Bregenz 2000, 2008. BTE, DWV - Tourismus- und Regionalberatung/ Deutscher Wanderverband: Wandertourismus Deutschland, Ergebnisse einer Befragung zum digitalen Verhalten der Wanderer entlang der Customer Journey. 2018:  www.bte-tourismus.de/ bte-2- 0/ news/ details/ 231 DSFT - Deutsches Seminar für Tourismus: Kriterienkatalog Reisen für Alle. 2016:  www.dsft-berlin.de/ reisen_fuer_alle_89.html DWIF - Deutsches Wirtschaftswissenschaftliches Institut für Fremdenverkehr e. V. (2010): Ausgaben der Übernachtungsgäste in Deutschland. Schriftenreihe Nr. 53/ 2010. München 2010. 14% 18% 58% 01% 02% 06% 01% Unterkunft/ Tag Lebensmittel/ Getränke Cafés/ Restaurants sonstige Dienstleistungen Verkehrsmittel/ ÖV sonstige Einkäufe Eintrittsgelder/ Unterhaltung/ Kultur/ Sport <?page no="122"?> 122 Naturtourismus DWIF : Tagesreisen der Deutschen. Grundlagenuntersuchung. Schriftenreihe Nr. 52/ 2007. München 2013. DWIF , BTE: Grundlagenuntersuchung Fahrradtourismus in Deutschland. BMWI - Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (Hg.), Forschungsbericht Nr. 583. Berlin 2009. DWV - Deutscher Wanderverband: Grundlagenuntersuchung Freizeit- und Urlaubsmarkt Wandern. BMWI - Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (Hg.), Forschungsbericht Nr. 591. Berlin 2010. DWV Qualitätsregion Wanderbares Deutschland. Kriterienkatalog mit Erläuterungen (unveröffentlicht). Kassel o.J. DWV: Qualitätsweg Wanderbares Deutschland. Prädikat für Wanderwege. Kassel 2015a. DWV S ERVICE : Qualitätsregion Wanderbares Deutschland. Wandervergnügen garantiert. Kassel 2015b. DZT - Deutsche Zentrale für Tourismus: Marktinformation Incoming-Tourismus Deutschland 2017. Frankfurt/ Main 2016a DZT: Auslandsmarketing für das Wandern in Deutschland. Vortragsfolien. Frankfurt/ Main 2016b. FUR - Forschungsgruppe Urlaub und Reisen: Wintertourismus. Vortrag auf der ITB - Internationalen Tourismusbörse Berlin 2016. Berlin 2016. H OTTENROTT , K. ET AL .: Studie zur Wirksamkeit des Gesundheitswanderns des Deutschen Wanderverbands. Halle-Wittenberg 2012. IMT - Institut für Management und Tourismus an der Fachhochschule Westküste: Wirtschaftsfaktor Tourismus 2014. Heide 2015. K NOLL , G.: Handbuch Wandertourismus. Konstanz, München 2016. M ERKEL , C.; D ICKS , U.: Gesundheitswandern, zertifiziert nach Deutscher Wanderverband“ - ein interessantes Segment für den Tourismus. In: Quack, H. D. (Hg.) Wandern und Gesundheit. Berlin 2015. O STFALIA - Ostfalia-Hochschule für angewandte Wissenschaften - Hochschule Braunschweig/ Wolfenbüttel: Wandermonitor. wanderforschung@ostfalia.de (Präsentation im Fachforum Wandern, ITB 2018). Salzgitter 2018. OSV/ DWID - Ostdeutscher Sparkassenverband/ dwif-Consulting: Ostdeutsches Tourismusbarometer. Berlin 2017. P ROJECT M / O STFALIA / IMT/ DWV: Der Deutsche Wandermarkt 2014. Berlin 2014. Q UACK , H. D. (Hg.): Wandern und Gesundheit. Konzepte und Erfahrungen für einen wachsenden Markt. S. 93-107. Berlin 2015 <?page no="123"?> Naturerlebnisse 123 3.1.2 Fahrradtourismus von Malin Baruschke, Mathias Behrens-Egge Radfahren wird als Aktivität in der Freizeit und Fortbewegungsmittel im Alltag zunehmend beliebter (N ITSCHE 2012, ADFC 2018). Rund 76 % der Deutschen fahren gelegentlich oder regelmäßig Fahrrad, quer durch alle Bevölkerungsschichten in Deutschland. Rund ein Drittel der Deutschen nutzen das Rad täglich oder mehrmals pro Woche, im Vergleich zu 2013 ein Anstieg von 6 % (F AHRRAD -M ONITOR D EUTSCHLAND 2017). Vor dem Hintergrund zunehmender Umweltbelastungen in den Städten und Kapazitätsengpässen auf den Straßen gewinnt das Radfahren als Verkehrsmittel auch politisch an Bedeutung (BMVS 2012). Radfahren gehört zu den beliebtesten Outdoor-Aktivitäten in Freizeit und Tourismus und gilt als gesunder Erholungs- und Ausgleichssport. In diesem Kapitel werden folgende Fragen beantwortet:  Was wird unter Fahrradtourismus verstanden?  Welche Nachfragegruppen von Radfahrern gibt es?  Welche Radwege gibt es?  Was sind infrastrukturelle Voraussetzungen für Fahrradtourismus?  Was ist bei der Entwicklung von radtouristischen Angeboten zu beachten?  Welche wirtschaftliche Bedeutung hat der Fahrradtourismus? 3.1.2.1 Definition von Fahrradtourismus Die Mehrheit der Radfahrer (74 %) nutzt das Rad für alltägliche Wege (ADFC 2018): Fahrten zur Arbeit, zum Einkaufen oder für kurze Wege mit einem spezifischen Ziel (Überwindung der Distanz zwischen zwei Orten mit dem Hauptziel, andere Aktivitäten auszuüben, z. B. ins Kino oder zum Verein). Mehr als die Hälfte der Radfahrenden (51 %) nutzt das Fahrrad auch für Ausflüge und Reisen. Dies gilt als Fahrradtourismus (S IMONEIT 2017). <?page no="124"?> 124 Naturtourismus Wissen │ Fahrradtourismus BMW I (2009) und S IMONEIT (2017) unterscheiden im Fahrradtourismus nach „Radfahren als Hauptmotiv“ (im engeren Sinne) und „Radfahren im Rahmen von anderen Freizeit- und Urlaubsaktivitäten“ (im weiteren Sinne): Fahrradtourismus im engeren Sinne umfasst alle Reisen bei denen Radfahren das Hauptmotiv bildet. Dies können Tagesausflüge, Mehrtagestouren und Radurlaube an einem Ort (mit Sterntouren) sein, unabhängig vom genutzten Rad (Tourenrad, Mountainbike, Rennrad). Fahrradtourismus im weiteren Sinne bezeichnet Reisen bei denen „auch“ (neben anderen Aktivitäten) Rad gefahren wird, das Hauptmotiv der Reise jedoch einen anderen Schwerpunkt hat. 3.1.2.2 Typologie der Radtouristen Innerhalb der touristisch motivierten Radfahrer wird zwischen Radurlaubern (mit Übernachtung) und Radausflüglern (ohne Übernachtung) unterschieden. Übernachtende Radfahrer, die immer von einem gleichen Ausgangsort starten, werden als Stern- Radfahrer bezeichnet. Der größte Volumenmarkt im Fahrradtourismus sind die Radausflüge. Laut ADFC waren dies im Jahr 2018 167 Mio. Rad-Tagesausflüge. Die Radreisenden (im engeren Sinne) bilden mit 7,6 Mio. Kurzreisenden (1 oder 2 Übernachtungen) und 4,3 Mio. Radreisenden (mind. 3 Übernachtungen) kleinere Marktsegmente. 4 Wissen │ Radtouristen Radtouristen werden in Radurlauber und Radausflügler untergliedert. Radausflügler unternehmen von ihrem Wohnort aus Tagesausflüge. Radurlauber werden auch unterteilt in 4 In der Grundlagenstudie Fahrradtourismus ( BMW I 2009 ) wurden vergleichbare Verhältnisse für den Fahrradtourismus im engeren Sinne ermittelt: 153 Mio. Fahrradausflüge/ Jahr und 22 Mio. Übernachtungen durch Fahrradtourismus. Bei Berücksichtigung der Urlauber mit „gelegentlicher Nutzung des Fahrrades“ wurden für Deutschland rund 80 Mio. Übernachtungen hochgerechnet. <?page no="125"?> Naturerlebnisse 125  Strecken-Radfahrer (wechselnde Übernachtungsorte entlang der Reise) und Stern-Radfahrer (wechselnde Touren von einem Übernachtungsort). Weit verbreitet ist die Nutzung des Touren- oder Trekkingrades, das E-Bike gewinnt an Bedeutung. Bei Streckenradlern ist das Radfahren in der Regel Hauptmotiv der Reise.  Stern-Radfahrer (Tagestouren ab Urlaubsort in gleichbleibendem Quartier). Bei Sternradlern kann das Radfahren sowohl das Hauptmotiv des Aufenthaltes sein als auch nebengeordnet: Im Urlaub werden auch andere Dinge unternommen, Radfahren ist dann eine Aktivität von vielen. Genutzt werden sowohl Touren-, Trekkingals auch Rennräder und Mountainbikes. In der Radreiseanalyse des ADFC dominieren Strecken-Radfahrer den Rad- Reiseurlaubsmarkt (mind. 3 Übernachtungen), sie machen 75 % der vom ADFC erfassten Radurlauber aus. Die Dauer des Urlaubs umfasst durchschnittlich neun Übernachtungen, wobei im Durchschnitt sieben Etappen von rund 64 km Länge gefahren werden. Die Motive der Radreisen sind bestimmt durch das Naturerlebnis (74 %), die Lust neue Regionen kennen zu lernen (71 %), aktiv Sport zu treiben (66 %), das Gesundheitsbewusstsein (57 %) und den Ansporn, bestimmte Routen abzufahren (59 %) (ADFC 2018) 5 . Die restlichen 25 % der in der ADFC Radreiseanalyse erfassten Radurlauber sind Stern-Radfahrer. Sie fahren pro Urlaub meist sechs Etappen von rund 55 km Länge. Der Urlaub ist im Vergleich zu Strecken-Radfahrern etwas kürzer und umfasst im Schnitt sechs Übernachtungen. Stern-Radfahrer gelten als multioptionale Aktivtouristen, die ihre Reise gerne mit anderen Aktivitäten wie Wandern, Schwimmen, Joggen, Wassersport oder Wellness- und Gesundheitsangeboten kombinieren. Die Motive für die Radausflüge sind bestimmt durch das Naturerlebnis (74 %), Gesundheitsbewusstsein (74 %), die Möglichkeit etwas mit anderen Menschen zu unternehmen (54 %) und aktiv Sport zu treiben (47 %). Die Wahl des Fahrradtyps unterscheidet sich von den Strecken-Radlern: Der Anteil an Mountainbikes ist mit 34 % knapp doppelt so hoch. Auch das Interesse an Mieträdern ist höher: Für einen Tagesausflug interessieren sich 40 % der Radfahrenden für ein Mietrad, davon 50 % für ein Elektrofahrrad. (ADFC 2018) 6 . 5 Mehrfachnennung möglich 6 Mehrfachnennung möglich <?page no="126"?> 126 Naturtourismus 3.1.2.3 Fahrradtouristische Infrastruktur Radwege Fahrradtourismus findet in der Regel auf ausgewiesenen Radwegen statt. Radwege sollten grundsätzlich so ebenerdig wie möglich sein und keine Hindernisse aufweisen. Eine Breite von mindestens 2,50 m ist laut StVO für Radverkehrsanlagen außerorts vorgeschrieben. Gerade für Tourenräder mit Kinderanhängern ist es jedoch zu empfehlen, die Wege breiter anzulegen, um ein angenehmes Fahren zu garantieren. Die Wegeoberfläche sollte möglichst befestigt sein, für die Nutzung mit Rennrädern geteert. Grober Schotter, feiner Sand oder Betonspurplatten sind nicht geeignet, da sie kein sicheres Fahren zulassen. Mit Gepäck beladene Tourenräder können auf dem Untergrund schwer navigiert werden und das Fahren mit Anhängern wird stark eingeschränkt. Entsprechend sollten auch die Kurvenradien weit gewählt sein. So wird ein Fahren mit viel Gepäck, Kinderanhängern und höheren Geschwindigkeiten ermöglicht. Wissen │ Radverkehrsanlage Eine Radverkehrsanlage ist vorrangig oder ausschließlich für die Nutzung mit dem Fahrrad vorgesehen und ein Sammelbegriff für unterschiedliche Ausführungsformen. Nach der Straßenverkehrsordnung (StVO) ist zwischen der baulichen Einrichtung oder der Abgrenzung von benachbarten Verkehrsflächen durch Markierungen zu unterscheiden. Die einfachste Form der Anlage ist in der geteilten Wegenutzung durch Fußgänger und Radfahrende zu finden. Ein in der Nutzung geteilter Weg muss innerorts mindestens 2 m, außerorts mindestens 2,50 m breit sein (VwV- StVO 2017). Auf der Straße wird der Radverkehr häufig auf Schutzstreifen geführt. Dies sind eigens auf der, für den motorisierten Verkehr geschaffenen, Fahrbahn markierte Bereiche, die Radfahrenden zur Verfügung gestellt werden. Sie gelten nach der Straßenverkehrsordnung allerdings nicht als Sonderweg für Radfahrer. Die Breite der Straße ändert sich durch die Einrichtung nicht und die Anlage gilt in der Rechtsprechung als Teil der Fahrbahn (VwV-StVO 2017). <?page no="127"?> Naturerlebnisse 127 Radfahrstreifen sind ebenfalls häufig auf Fahrbahnniveau angelegte, markierte Bereiche. Gegenüber den Schutzstreifen wird der Bereich jedoch mit einem durchgezogenen Breitstrich von der eigentlichen Straße abgetrennt und muss die Fahrbahn um mindestens 1,50 m beziehungsweise möglichst 1,85 m erweitern. Bei Vorhandensein einer solchen Anlage ist ihre Nutzung verpflichtend (VwV-StVO 2017). Ein baulich angelegter Radweg verpflichtet zur Nutzung und ist mindestens 1,50 m bzw. optimal 2 m breit. Er darf eingerichtet werden, wenn ausreichend Fläche für Zufußgehende zur Verfügung steht und wenn es die Verkehrssicherheit oder der Verkehrsablauf erfordern (VwV-StVO 2017). Touristische Radwege müssen nicht mit den Radwegen entsprechend der StVO übereinstimmen. Ein touristischer Radweg kann also durchaus auch auf anderen, nicht für den Radverkehr spezifisch bestimmten Verkehrsflächen geführt werden. Innerhalb eines Radwegenetzes unterscheidet der ADFC in überregionale Radfernwege oder auch Radwanderwege und regionale Radwege mit dem Charakter einer Tagestour. Ein Radfernweg definiert sich über eine Mindestlänge zwischen 100 und 200 Kilometern, beziehungsweise die empfohlene Notwendigkeit von zwei Übernachtungen entlang der Gesamtstrecke (H OFFMAN , F ROITZHEIM 2001). Der ADFC empfiehlt darüber hinaus eine Vielzahl an Mindestkriterien, wie einen eindeutigen Namen, eine einheitliche Wegweisung und das Vorhandensein touristischer Angebote entlang der Route. Regionale Radwege bzw. Tagestouren sind dagegen regionale Routen mit einer Gesamtlänge von 25 km bis 65 km, die häufig als Rundkurs zu befahren sind und das Gesamtnetz an Fernradwegen ergänzen und vernetzen. Wissen │ Naturverträgliches Radfahren Radfahrer nutzen normalerweise die vorgeschriebene, ausgeschilderte Wegeführung. Daher sind die Einwirkungen auf den Naturraum im Allgemeinen gering, jedoch sollten bei der Planung von Radverkehrsanlagen die Auswirkungen der Zerschneidung von Lebensräumen und der Scheuchwirkung auf Wild nicht unbeachtet bleiben (BN o. J.). Bei der Planung längerer Routen müssen zudem im Vorfeld Informationen über eventuell tangierte Schutzgebiete und deren Auflagen eingeholt werden. <?page no="128"?> 128 Naturtourismus Radwege für Mountainbike Mountainbiken hat sich zu einem beliebten Natursport entwickelt. Beweggründe sind neben dem Naturerleben meist die sportliche Motivation und das Leistungserlebnis. Beim Mountainbiken werden spezielle Räder mit meist starker Federung gefahren, die das Bewegen über raues Gelände ermöglichen. Zu unterscheiden ist zwischen dem Fahren auf Wegen in der freien Natur und in angelegten Bike-Parks. Genutzt werden geteerte oder geschotterte Forststraßen und/ oder das Fahren auf schmalen, naturfesten Wegen entsprechend den unterschiedlichen sportlichen Ausprägungen (M ITTELSTÄDT 2018). Die beliebten Single-Trails sind schmale, naturfeste Wege, die auch als Wanderwege attraktiv sein können (M ITTELSTÄDT 2018). Hier kann es zu Konflikten mit dem Wandern kommen, getrennt ausgewiesenen Wege für Moutainbiken und Wandern können sinnvoll, wenn nicht erforderlich, sein. Weiterführende Informationen zum Konfliktpotenzial und zu Lösungsansätzen finden Sie im NaturSportInfo des BFN (vgl. Kasten Kap. 4.1). Wege, die in ihrer Nutzung ausschließlich dem Mountainbiken zugesprochen werden, sind vornehmlich in kommerziellen Bike-Parks oder Gebieten, die von entsprechenden Vereinen betreut werden, zu finden. Flowtrails sind Strecken, die bestimmten Qualitätsstandards hinsichtlich des Wegezustands und der Ausweisung entsprechen - ähnlich den Qualitätsrouten im Wandern (vgl. Kasten Kap. 3.1.1.1). Entlang einer Route sind verschiedene Schwierigkeitsstufen (vgl. Kasten: Singletrail-Skala) zu erfahren: die leichteste blaue Linie führt kaum geneigt in sanften Bewegungen einen Berg entlang und kann mit nahezu gleichbleibender Geschwindigkeit mit wenig Treten und Bremsen flüssig befahren werden. Die rote Linie enthält leichte Sprünge und Stufen. Die schwerste schwarze Linie erfordert viel technisches Geschick, ist häufig sehr steil angelegt und enthält eine Vielzahl an Hindernissen (Wurzeln, groben und lockeren Untergrund oder Stufen), die der Fahrer überwinden muss. Der Schwierigkeitsgrad ist nach oben nicht begrenzt. Routen dieses Grades sind häufig bestimmten Fahrstilen wie Enduro oder Downhill zugeordnet. Wissen │ Die Singletrail-Skala Im Mountainbikesport existieren unterschiedliche Systeme zur Bewertung der technischen Schwierigkeit einer Route. Um diese zu vereinheitlichen, wurde, unterstützt durch die Deutsche Initiative Mountain Bike e. V., den Deutschen Alpenverein, den Österreichischen Alpenverein und den Bund Deutscher Radfahrer e. V., die Singletrail-Skala entwickelt. <?page no="129"?> Naturerlebnisse 129 Die Einstufung der Schwierigkeitsgrade erfolgt nach einem Farbsystem und einer nummerischen Abstufung: Die Skala beginnt in Blau mit der Klasse Leicht und umfasst die Grade S0 und S1. Die Klasse Mittel ist Rot und umfasst den Grad S2. Die Klasse Schwer ist schwarz und beinhaltet alle weiteren Schwierigkeitsgrade (M ITTELSTÄDT 2018). Beschilderung Radverkehrsanlagen werden nach der StVO gekennzeichnet (Schilder mit den Zeichen 237, 240 oder 241). Für die Zielwegweisung gelten in Deutschland die Standards der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e. V. (FGSV), in den Ländern i. d. R. in Form eines „Merkblatt[es] zur wegweisenden Beschilderung für den Radverkehr“ formuliert. Die Förderung von Radwegebeschilderung wird meist an die Beachtung der Richtlinien der Länder gebunden. In den Richtlinien wird festgelegt, wie ein Radwegweiser baulich und inhaltlich aufgebaut werden sollte und welche routenspezifischen Zusätze an einem Wegweiser erlaubt sind. Viele Länder, beispielsweise Brandenburg und Nordrhein- Westfalen, haben diese Standards in ihrer spezifischen Planung zwingend zu Grunde gelegt. Der Unterschied zu anderen Systemen ist die Konzentration auf die Wegweisung zu einem spezifischen Ziel und einer untergeordneten routenorientierten Wegweisung über Piktogramme. Dies ermöglicht eine gemeinsame Ausschilderung für den touristischen und alltäglichen Radverkehr. Wissen │ FGSV-Standard Die Beschilderung eines Radweges besteht aus drei Elementen:  Zielwegweiser (Pfeil- oder Tabellenwegweiser) mit Richtungs-, Ziel- und Entfernungsangaben und ggf. Zusatzpiktogrammen (z. B. Hinweise auf Bahnhof, Tourist-Information, Attraktion); werden vor einem Fern-/ Nahziel platziert  Routenlogos kennzeichnen touristische Radrouten, werden an den Zielwegweisern in der Reihenfolge ihrer Bedeutung eingeschoben  Zwischenwegweiser mit Richtungsangabe zur Bestätigung der Route; ohne Routenlogo an Kreuzungen, in denen keine Routen abzweigen, sondern nur der Radverkehr auf einer gültigen Trasse geführt werden muss. <?page no="130"?> 130 Naturtourismus Quelle: BMW I 2009 Für Mountainbikerouten gibt es noch kein einheitliches Beschilderungssystem. Der ADFC schlägt zwar einen Standard vor, dieser findet bisher kaum Anwendung. Knotenpunktwegweisung Ergänzend zur FGSV-Wegweisung wird in immer mehr Regionen Deutschlands die Knotenpunktwegweisung eingeführt. Dies ist eine Nummerierungen folgende Radwegweisung, die ihren Ursprung in Belgien und den Niederlanden findet. Diese Form der Ausweisung bietet Nutzern die Möglichkeit, Radtouren flexibel individuell selbst zusammenzustellen und anzupassen. Die Systematik der Knotenpunktwegweisung besteht aus vier Elementen:  Die Hauptwegweiser an Schnittpunkten von mindestens drei Radwegen erhalten eine deutlich sichtbare Nummerierung (die Knotennummer), die meist in Form eines Pfostenaufsatzes montiert ist,  am selben Hauptwegweiser oder in dessen direktem Umfeld wird eine Informationstafel installiert, die das gesamte Radroutennetz der jeweiligen Region kartografisch abbildet und die Standorte der weiteren Knotenpunkte im Netz verortet,  die Hauptwegweiser werden mit Kurzschildern oder Piktogrammen versehen, die als Einschübe unter den Zielwegweisern der FGSV-Beschilderung befestigt sind und die Richtung zum jeweils nächstgelegenen Knotenpunkt anzeigen, beziehungsweise dessen Nummer mit dem bereits vorhanden Zielwegweiser verknüpfen.  Zwischen den Hauptwegweisern bestätigen an den FGSV-Zwischenwegweisern eingeschobene Nummern den Verlauf der Route und den Weg zum nächsten Knotenpunkt <?page no="131"?> Naturerlebnisse 131 Die Knotenpunktwegweisung ergänzt die Zielwegweisung um feste Standorte, die der Orientierung und Information der Radfahrer dienen können. Die Knotenpunkte können als Zwischenziele betrachtet werden, die es ermöglichen, das Radwegenetz feinmaschiger zu untergliedern und leichter individuelle Tourenvorschläge zu konzipieren. In Deutschland besitzt das Land Brandenburg eine fast durchgehende Beschilderung im Knotenpunktsystem. Weitere touristische Infrastruktur Die weitere touristische Infrastruktur wird aus dem Vorhandensein und der Qualität von Unterkünften, Gastronomieangeboten, Bett und Bike Betrieben, Fahrradabstellanlagen, Fahrradverleihangeboten, Spielplätzen, Schutzhütten und Raststätten gebildet. Dazu kommt ein durchgängiges Informationsgebot für die Radfahrenden. Dies wird neben der Wegweisung durch die Einrichtung von Informationstafeln entlang der Route und das Vorhandensein von Tourist- Informationen in der Nähe der Route geschaffen. Auch die Lage von weiteren touristischen Attraktionen (wie Badeangebote oder Kulturangebote) entlang eines touristischen Radwegs wertet diesen auf. Die Lage einer Radroute an einem ÖPNV-Schnittpunkt ist zudem ein wichtiges Kriterium für die Erreichbarkeit der Radrouten und für umweltschonende An- und Abreisemöglichkeiten. Wissen │ Bett und Bike Betriebe Bett und Bike ist eine Marke des ADFC. Die Marke und das Übernachtungsverzeichnis erleichtert es Radfahrern, eine besonders fahrradfreundliche Beherbergung zu finden. Die Betriebe sind auch für einzelne Übernachtungen buchbar, bieten unter anderem Trockenräume für Bekleidung sowie sichere Fahrradabstellanlagen. Als Betrieb ist es möglich, sich vom ADFC als Bett und Bike Betrieb nach einer vorgegebenen Checkliste auszeichnen zu lassen und dann die Marke öffentlich zu kommunizieren. Weitere Informationen unter:  www.bettundbike.de 3.1.2.4 Elektrofahrräder im Fahrradtourismus Elektrifizierte Fahrräder sind Räder, die nicht ausschließlich durch Muskelkraft angetrieben werden. Sie werden unterschieden in Pedelecs und e-Bikes. Pedelecs bieten elektrische Unterstützung beim Treten bis maximal 25 km/ h und einer maximalen Leistung von 250 Watt. Es existieren keine Auflagen für die Nutzung. E-Bikes verfügen über eine höhere Leistung und Geschwindigkeit als Pedelecs, werden teilweise ohne Muskelkraft/ Treten angetrieben und für die Nutzung herrschen Versicherungs- und Helmpflicht (BMVI 2014). <?page no="132"?> 132 Naturtourismus Der Marktanteil von Elektrofahrrädern am Gesamtfahrradmarkt liegt nach aktuellen Zahlen bei 15 % (ZVI 2016). Aktuelle Zahlen dokumentieren einen Absatz von knapp über 700.000 Elektrofahrrädern für das Jahr 2017 (ZVI 2018). Die steigende Nachfrage eröffnet dem Radtourismus neue Möglichkeiten: Die Reichweite einer Radtour wird verlängert, Touren im Bergland werden für weniger trainierte Radfahrer möglich und es können neue Regionen erschlossen werden. Außerdem können Gruppen unterschiedlicher Fitness oder Gesundheit durch den Einsatz von e-Bikes gemeinsam Rad fahren. Mit den Pedelecs erweitern sich die Zielgruppen des Radfahrens: aktuell sagen über die Hälfte (54 %) der über 60-Jährigen aus, sich bei einem Fahrradneukauf für ein elektronisch unterstütztes Fahrrad zu entscheiden (BMVBS 2012). Pedelecs und e-Bikes fordern eine geeignete Infrastruktur, die bei der Planung neuer Radverkehrsanlagen berücksichtigt werden muss. Die Wege sollten über die minimal festgelegte Breite hinausgehen, um das Fahren mit verschiedenen Geschwindigkeiten entlang einer Anlage zu ermöglichen. Auch müssen sichere Abstellanlagen für die vergleichsweise teuren Fahrräder an touristischen Infrastrukturen geschaffen werden. Das Manövrieren der schwereren Räder kann durch Rampen an Stellflächen oder Lademöglichkeiten an Übernachtungsbetrieben erleichtert werden. Aus der Praxis: „Steinhuder Meer“ Der rund 32 Kilometer lange Rundweg um das Steinhuder Meer ist bei Radfahrern sehr beliebt. Er lässt sich in beiden Richtungen gut befahren, verläuft meist abseits der Straßen und ist ausgeschildert. Mit der zunehmenden Nutzung durch e-Bike-Fahrer hat sich allerdings auch das Konfliktpotenzial zwischen unterschiedlichen Nutzergruppen verstärkt: Gerade im Bereich der Tourismusorte Steinhude und Mardorf wird es an sonnigen Wochenenden im wahrsten Sinne „eng“, wenn unterschiedliche Gäste, Familien mit Kinderwagen, ältere Spaziergänger, „normale“ Radfahrer und die oft schnellen e- Bike-Fahrer gemeinsam auf dem Weg unterwegs sind (BTE 2012). 3.1.2.5 Qualitätsstandards Die immer größere Menge der touristischen Radangebote am Markt sorgt für gleichermaßen steigende Qualitätsansprüche. Ausschlaggebend sind vor allem Landschaft und Natur, danach folgen attraktive Wegeführungen, gute Beschilderung, aussagekräftiges Kartenmaterial und eine starke Internetpräsenz des Produktes, radfreundliche Gastgeber und Hotellerieangebote entlang der ge- <?page no="133"?> Naturerlebnisse 133 wählten Strecke bzw. in der gewählten Radreiseregion sowie ansprechende Serviceeinrichtungen (BMW I 2009). Für die Positionierung des jeweiligen Produktes am Markt, ist zudem das Setzen eines thematischen Schwerpunktes und die zielgruppenorientierte Planung von hoher Relevanz. Eine mögliche Spezifizierung ist dabei die Nennung des Fahrradtyps bei der Bewerbung des Produktes (BMW I 2009). Um die touristische Infrastruktur entlang von Radrouten und in Regionen zu bewerten, hat der ADFC Qualitätskriterien entwickelt, entlang derer die entsprechenden Routen und Regionen evaluiert werden können (ADFC 2017). Die Kriterien sollen Anbietern dabei helfen, ihre Radprodukte am Markt zu platzieren. Damit kann die Qualität des jeweiligen Angebots gesichert und gesteigert werden. Siehe dazu auch:  www.adfc-radtourismus.de Qualitätsradrouten Eine Qualitätsradroute zeichnet sich durch abwechslungsreiche und zusammenhängende Wegeführung, geringe Lärm-, Geruchs- und Staubbelästigung, keine unnötigen Umwege oder Höhenmeter und ein durchgängiges Thema (beispielsweise „Flussradweg“) aus. Auch eine geringe Verkehrsbelastung und eine möglichst naturnahe Wegeführung durch abwechslungsreiche Landschaften werden als positiv empfunden (ADFC 2018). Die beliebtesten Radrouten in Deutschland sind der Elberadweg 7 , der Weser- Radweg und der Ruhrtalradweg. Aufgrund der vorwiegend ebenen Wegeführung und der Lage am Wasser können vor allem Flussradwege die Touristen überzeugen. Aus der Praxis: „Der Elbe-Radweg“ Der Elberadweg ist der meistbefahrenste Radfernweg Deutschlands und - wie auch in den Vorjahren - in der ADFC-Radreiseanalyse 2018 als beliebtester Radweg der Deutschen ausgewiesen. Als Flussradweg bietet er eine flache Wegeführung und folgt einem klaren Thema. Der Elbe-Radweg ist außerdem durch den ADFC zertifiziert worden. Somit zeichnet sich der Radweg durch eine vorzügliche Wegeführung, gute und regelmäßige Rastmöglichkeiten und eine starke Kommunikation nach außen aus. 7 Der Elberadweg wurde in Umfragen des ADFC 2018 zum 14. Mal in Folge als beliebteste Radroute ausgezeichnet. <?page no="134"?> 134 Naturtourismus Im Kontrast dazu stehen der Donauradweg, die Via Claudia Augusta und der Etsch-Radweg als beliebteste Radrouten im Ausland. Das Fahren in stark reliefgeprägtem Gelände, in den genannten Räumen oft mit dem Ziel der Alpenüberquerung, gewinnt an Beliebtheit (ADFC 2018). Abb. 28: Bevorzugte Landschafts formen während einer Fahrradtour Quelle: BMWi 2009 Radreiseregion Weniger an eine spezifische Route gekoppelt ist die Bezeichnung Radreiseregion. Damit wird das Zusammenspiel an vorhandenen Fernradwegen, regionalen Radwegen, spezifischen fahrradtouristischen Infrastruktureinrichtungen und der thematischen Ausrichtung zusammengefasst. Besonders die Stern-Radfahrer sind wichtige Zielgruppe für Radreiseregionen: Sie fahren nicht auf einem Radfernweg von Ort zu Ort, sondern fahren mehrere kürzere Routen von einem festen Standort aus. Bei der Qualitätssicherung von Radreiseregionen werden neben den Routenkriterien Ansprüche an das Gesamtwegenetz, das Informationsangebot, die Unterkünfte und das Marketing der Destination gestellt. Die Auszeichnung als ADFC Radreiseregion erfolgt anhand von Modulen. Betrachtet werden grundlegende Zugangskriterien, wie das Vorhandensein eines zusammenhängenden Radwegenetzes das die gesamte betrachtete Destination abdeckt, die Qualität der vorhandenen Radrouten, die touristische Infrastruktur, das Mietradangebot und die Vermarktung und die Erreichbarkeit der Region (ADFC 2014). 0% 20% 40% 60% 80% 100% Hochgebirge Mittelgebirge ebene Landschaft Küstenlandschaft Seenlandschaft Flusslandschaft sehr bevorzugt bevorzugt weniger bevorzugt gar nicht bevorzugt <?page no="135"?> Naturerlebnisse 135 Die beliebtesten Radregionen sind Bayern, das Münsterland und Nordrhein- Westfalen (ADFC 2018). Aus der Praxis: „Der Schlosspark“ im Allgäu Der Schlosspark im Allgäu ist eine vom ADFC qualifizierte Radreiseregion. Elf Regionalrouten führen unter jeweils einem Motto durch den Park. Die Routen sind durchgängig beschildert, entlang der Routen können die Reisenden Serviceleistungen wahrnehmen und finden in regelmäßigen Abständen ÖPNV-Schnittstellen. Über die buchbare Gästekarte können kostenfreie Angebote wie flächendeckendes WLAN im Schlosspark und freie Fahrten mit Bus und Bahn genutzt werden. Nähere Informationen unter:  www.schlosspark.de 3.1.2.6 Wirtschaftsfaktor Fahrradtourismus Mit einem in den Reisegebieten induzierten Umsatz in Höhe von rund 3,9 Mrd. Euro pro Jahr ist der Fahrradtourismus ein wichtiger Wirtschaftsfaktor (BMW I 2009 - aktuelle Untersuchungen liegen nicht vor). Radfahrende, die für einen Tagesausflug ohne Übernachtung in eine Region kommen, geben durchschnittlich 16 Euro pro Person und Tag aus. Übernachtende Fahrradtouristen geben circa 65 Euro pro Kopf und Tag in den Zielgebieten aus. Die meisten Umsätze werden dabei in der Gastronomie (46 %) und in der Hotellerie (17 %) erzielt. Weitere Märkte bieten der Einkauf sonstiger Waren (13 %), Lebensmitteleinkäufe (12 %), sonstige Dienstleistungen (7 %) und Freizeit bzw. Unterhaltung (6 %) (BMW I 2009) 8 . Wichtig bei der Bewertung dieser Zahlen ist, dass sie sich lediglich auf die Radfahrer im engeren Sinn beziehen. Hinzu kommen die wirtschaftlichen Effekte der Urlauber, die in ihrem Urlaub „auch Rad fahren“. Aus der Praxis: „Brandenburg“ In Brandenburg ist eines der attraktivsten touristischen Radwegenetze in Deutschland aufgebaut worden. Grundlage dafür bildete das 1993 ausgearbeitete Radfernwegekonzept für den Tourismus und die Ergänzungen durch die Handlungsempfehlungen zur Weiterentwicklung des Radtourismus im Land Brandenburg 2001. Im Zuge der Entwicklung haben sich 410 Gastbetriebe als ADFC Bett und Bike Betriebe zertifizieren lassen. 8 Werte sind gerundet, aktuellere Zahlen sind nicht statistisch erhoben <?page no="136"?> 136 Naturtourismus Der Erfolg der Strategie, auf die Schaffung von Infrastruktureinrichtungen für Radtouristen zu setzen, wurde bereits 2004 durch eine Umfrage zu Bedeutung des Radtourismus in Brandenburg durch die IHK bestätigt: Der Ausbau des Radwegenetzes hat sich für 71 % positiv auf die Geschäftsentwicklung ausgewirkt. Unternehmer in der Nähe bereits stark etablierter Radwege haben eine erhebliche Steigerung des Gästeaufkommens festgestellt (N ITSCHE 2012). Literaturtipps BMW I - Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi): Grundlagenuntersuchung Fahrradtourismus in Deutschland. Langfassung. Forschungsbericht Nr. 583. Berlin 2009. ADFC - Allgemeiner Deutscher Fahrradclub e. V.: ADFC-Travelbike- Radreiseanalyse. 19. bundesweite Erhebung zum fahrradtouristischen Markt. 2018: Online verfügbar unter:  https: / / www.adfc.de/ radreiseanalyse/ die-adfc-radreiseanalyse-2018 (Zugriff: Mai 2018) BMVBS - Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Nationaler Radverkehrsplan 2020. Den Radverkehr gemeinsam weiterentwickeln. Berlin 2012. MIL - Ministerium für Infrastruktur und Landesplanung des Landes Brandenburg. Radverkehrsanalyse Brandenburg 2011. Potsdam 2011. S AND , M.: Mountainbike und Tourismus - Adventuremanagement in Theorie und Praxis. Augsburg 2018. Literatur ADFC - Allgemeiner Deutscher Fahrradclub e. V.: ADFC-RadReiseRegion. 2014:  https: / / www.adfc.de/ fileadmin/ user_upload/ Expertenbereich/ Touristik_und_Hotellerie / Downloads/ ADFC-RadReiseRegionen.pdf (Zugriff: September 2018). ADFC - Allgemeiner Deutscher Fahrradclub e. V.: Checkliste: Bedingungen für die Entwicklung und Vermarktung touristischer Radrouten. 2017:  https: / / www.adfc.de/ artikel/ checkliste-entwicklung-und-vermarktung-touristischerradrouten (Zugriff: September 2018). ADFC - Allgemeiner Deutscher Fahrradclub e. V.: ADFC-Travelbike-Radreiseanalyse. 19. bundesweite Erhebung zum fahrradtouristischen Markt. 2018:  https: / / www.adfc.de/ radreiseanalyse/ die-adfc-radreiseanalyse-2018 (Zugriff: Mai 2018). <?page no="137"?> Naturerlebnisse 137 V W V-S T VO - Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO) vom 26. Januar 2001 in der Fassung vom 22. Mai 2017 (BANZ AT 29.05.2017 B8) BFN - Bundesamt für Naturschutz: NaturSportInfo. Radfahren. o.J.: https: / / natursportinfo.bfn.de/ natursport/ landsport/ radfahren.html (Zugriff: September 2018). BMVBS - Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Nationaler Radverkehrsplan 2020. Den Radverkehr gemeinsam weiterentwickeln. Berlin 2012. BMVI - Bundesministerium für Verkehr und Digitale Infrastruktur: Radverkehr in Deutschland - Zahlen, Daten, Fakten. 2014:  https: / / www.bmvi.de/ SharedDocs/ DE/ Publikationen/ K/ radverkehr-inzahlen.pdf? __blob=publicationFile (zugriff: April 2018). BMW I - Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi): Grundlagenuntersuchung Fahrradtourismus in Deutschland. Langfassung. Forschungsbericht Nr. 583. Berlin 2009. MIL - Ministerium für Infrastruktur und Landesplanung des Landes Brandenburg: Radverkehrsanalyse Brandenburg. Kurzfassung. 2011:  https: / / mil.brandenburg.de/ sixcms/ media.php/ 4055/ Radverkehrsanalyse%20Brandenb urg%20Kurzfassung.pdf (Zugriff: September 2018). BTE T OURISMUS UND R EGIONALBERATUNG : 1. Steinhuder Meer-Konferenz des Naturparks Steinhuder Meer. Hannover 2012. F AHRRAD -M ONITOR D EUTSCHLAND : Ergebnisse einer repräsentativen Online- Befragung. 2017:  https: / / nationalerradverkehrsplan.de/ de/ aktuell/ nachrichten/ fahrrad-monitor-2017-fuer-deutschland (Zugriff: Mai 2018). H OFFMAN , F.; F ROITZHEIM T.: Radfernwege in Deutschland (ADFC Ratgeber). Bielefeld 2001. MOP - Deutsches Mobilitätspanel (MOP): Wissenschaftliche Begleitung und Auswertung. Bericht 2016/ 2017: Alltagsmobilität und Fahrleistung. 2018:  https: / / www.bmvi.de/ SharedDocs/ DE/ Anlage/ VerkehrUndMobilitaet/ mopjahresbericht-2016-2017.pdf? __blob=publicationFile (Zugriff: September 2018). M ITTELSTÄDT , H.: Die Deutsche Initiative Mountain Bike e. V. In: Sand, M. (Hg.): Mountainbike und Tourismus. Adventuremanagement in Theorie und Praxis. S. 36-43. Augsburg 2018. N ITSCHE , B.: Radwandern im ländlichen Raum am Beispiel des Landes Brandenburg. In: Rein, H., Schuler, A. (Hg.): Tourismus im ländlichen Raum. S. 207-221. Wiesbaden 2012. <?page no="138"?> 138 Naturtourismus S IMONEIT , F.: Radtourismus. Auf zwei Rädern in die Zukunft. In: Eisenstein, B., Schmudde, R., Reif, J., Eilzer, C. (Hg.): Tourismusatlas Deutschland. S. 66-67. Konstanz, München 2017. ZVI - Zweirad-Industrie-Verband e. V.: Pressemitteilung. Zahlen - Daten - Fakten zum Deutschen Fahrradmarkt 2016. Bad Soden 2016. ZVI - Zweirad-Industrie-Verband e. V.: Pressemitteilung. Zahlen - Daten - Fakten zum Deutschen E-Bike-Markt 2017. E-Bikes mit Rekordzuwächsen. Bad Soden 2018. 3.1.3 Kanuwandern von Prof. Dr. Hartmut Rein In diesme Kapitel erfahren Sie,  was man unter Kanuwandern versteht,  wie groß die Nachfrage nach Kanuwandern und wie die Nachfrage strukturiert ist,  was die natürlichen und infrastrukturellen Anforderungen für Kanuwandern sind,  welche Konflikte es zwischen Kanuwandern und Naturschutz geben kann und wie sie lösbar sind,  welche wirtschaftliche Bedeutung der Kanutourismus hat. 3.1.3.1 Definition Kanuwandern ist nach Angaben der Bundesvereinigung Kanutouristik (BKT) das am meisten praktizierte und mit Abstand größte Segment im Kanutourismus. Der Anteil des Kanuwanderns am gesamten Kanutourismus liegt nach Schätzung der BKT bei über 90 % (R EIN , S CHMIDT 2012). Dabei grenzt sich Kanutourismus vom Kanusport insbesondere durch die räumliche Veränderung des Aufenthaltsortes außerhalb des eigenen Wohn- und Freizeitumfeldes und durch die primär erlebnisstatt leistungsbezogene Ausübung der Aktivität ab (BKT 2005). Das eigentliche Befahren eines Gewässers mit einem Kanu wird als Kanuwandern oder Wasserwandern bezeichnet. Mehrtägige Kanuwanderungen durch ausgedehnte Gewässersysteme stellen ein besonders intensives Naturerlebnis dar. Die langsame Fortbewegung beim Paddeln, der unmittelbare Kontakt mit der Natur und die große Abhängigkeit von Wind und Wetter auf dem Was- <?page no="139"?> Naturerlebnisse 139 ser verstärken dieses Erleben. Das Erleben von Natur und Landschaft ist das mit Abstand bedeutendste Motiv für das Kanufahren (BKT 2005). Wissen │ Kanutourismus Kanutourismus setzt eine temporäre räumliche Veränderung des Aufenthaltsortes zu Zielen außerhalb des eigenen Wohn- und Freizeitumfeldes voraus. Zum Kanutourismus gehören somit mehrtägige Kanutouren ebenso wie Tagestouren (vgl. BKT 2005). Des Weiteren kann man zwischen Kanutourismus im engeren Sinne (eigenständige Reiseart mit dem Hauptmotiv Kanufahren) und Kanutourismus im weiteren Sinne (Kanufahren als Bestandteil eines Urlaubs mit anderem Hauptmotiv) unterscheiden (HMC, DTV 2003). Neben dem Kanuwandern existieren weitere Segmente im Kanutourismus, wie z. B. das Wildwasserfahren und das Kajakfahren in Küstengewässern, das auch als Seekajakfahren bezeichnet wird. Für das Kanuwandern werden unterschiedliche Bootstypen genutzt, zum einen der Kanadier, der mit Stechpaddeln bewegt wird sowie das Kajak und das Faltboot, die mit Doppelpaddeln gefahren werden. Literaturtipps Umfassende Informationen zur Thematik Kanuwandern finden sich in folgenden Grundlagenstudien: BKT - Bundesvereinigung Kanutouristik e. V. (Hg.): Grundlagenuntersuchung zur Bedeutung und Entwicklung des Kanutourismus in Deutschland. Bearbeitung: Reppel + Lorenz, TourismusKontor, Gralki & Partner), Roth. 2005 BMWI - Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (Hg.): Wassertourismus in Deutschland. Praxisleitfaden für Unternehmen, Kommunen und Vereine. (Bearbeitung: BTE, DTV, TV Mecklenburg-Vorpommern). Berlin. 2012 H AMBURG M ESSE UND C ONGRESS G MB H, DTV - Deutscher Tourismusverband e. V. (Hg.): Grundlagenuntersuchung Wassertourismus in Deutschland, Ist-Zustand und Entwicklungsmöglichkeiten. (Bearbeitung: BTE, dwif), Bonn, Hamburg. 2003 <?page no="140"?> 140 Naturtourismus 3.1.3.2 Nachfrage und Motive Der typische Kanutourist ist laut BKT-G RUNDLAGENSTUDIE (2005) männlich und zwischen 30 und 50 Jahre alt und damit deutlich jünger als bei Charterkunden von Hausbooten und Motorjachten. Deutlich niedriger ist der Altersdurchschnitt bei organisierten Gruppenfahrten, da dort der Anteil an Kindern und Jugendlichen hoch ist. Das Haushaltseinkommen von Kanuten liegt deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Kanuten sind damit eine vergleichsweise wohlhabendere Zielgruppe (vgl. BKT 2005). Für Deutschland wird von einem Nachfragevolumen von 1,2 bis 1,4 Millionen Kanufahrern ausgegangen (HMC, DTV 2003, BKT 2005), genaue Zahlen existieren nicht. Davon sind ca. 985.000 aktive Kanuten, die dem Hobby häufig nachgehen (BKT 2005). Eine weitere Zunahme der Nachfrage wird erwartet, dies setzt allerdings die Möglichkeit für Angebotsausweitungen voraus. Kanutourismus wird nur selten allein durchgeführt, das gemeinsame Erlebnis mit Freunden, Familie oder Partner bzw. Partnerin spielt eine wichtige Rolle. Das Erleben von Natur und Landschaft stellt das wichtigste Motiv für das Kanufahren dar, unabhängig davon, ob es sich um eine Tages- oder Mehrtagestour handelt (vgl. Abb. 29). Auch die Entdeckung der jeweiligen Region ist ein wichtiger Beweggrund für Kanutouren (vgl. BKT 2005). <?page no="141"?> Naturerlebnisse 141 Abb. 29: Motive für Kanutouren Quelle: BKT 2005, Kurzfassung, S. 20 mit Partner/ Familie/ Freunden etwas erleben es ist der Wunsch der Kinder es ist der Wunsch des Partners habe gute Erfahrungen damit gemacht um die Region zu entdecken das Abenteuer reizt um etwas für die Gesundheit zu tun Naturerleben/ Landschaft um aktiv Sport zu treiben hoher Erholungswert, Abstand zum Alltag es ist preiswert und günstig Mehrtagestour Eintagestour 10 20 30 40 50 60 70 80 <?page no="142"?> 142 Naturtourismus 3.1.3.3 Natürliche und infrastrukturelle Voraussetzungen Wichtigste Grundvoraussetzung für das Kanuwandern sind geeignete Gewässer. Deutschland weist ein Gewässernetz von etwa 40.000 km auf, von denen rund 20.500 km ganzjährig für Kanus befahrbar sind (BKT 2010). Die Mehrheit der Kanuten präferiert für das Wasserwandern naturnahe Fließgewässer oder Kombinationen aus Fließgewässern, Kanälen und Seen, einen möglichst abwechslungsreichen Gewässerverlauf und eine durchgängige Befahrbarkeit. Das Übertragen von einem Gewässer zum anderen oder zur Umgehung von Hindernissen wie Schleusen, Sohlschwellen etc. werden akzeptiert, wenn geeignete Umgehungshilfen bereitstehen. Auch eine geringe Gewässerfrequentierung sowie das Fehlen bzw. eine geringe Dichte von Motorbooten sind weitere Qualitätsmerkmale, die für viele Wasserwanderer wichtig sind (vgl. R EIN , S CHMIDT 2012). Ebenfalls von großer Bedeutung für das Kanuwandern ist die infrastrukturelle Ausstattung der Gewässer. Wichtig sind, je nach Komfortansprüchen der Kanuwanderer, insbesondere (vgl. R EIN , S CHMIDT 2012, BKT o. J.):  geeignete Ein- und Ausstiegsstellen,  Rastplätze,  Übernachtungsmöglichkeiten, wie Biwak- und Campingplätze oder Pensionen und Hotels am Wasser,  Toiletten,  Müllentsorgungsmöglichkeiten,  Trinkwasserversorgungsmöglichkeiten,  Informationstafeln,  Bootsrutschen, Umtragemöglichkeiten an Schleusen und Wehren,  Parkplätze an den Start- und Endpunkten von Kanuwanderungen. Eine umfassende infrastrukturelle Ausstattung für das Kanuwandern findet sich nur an einigen Gewässern in Deutschland. Gleichzeitig wird sie auch nicht von allen Wasserwanderern gewünscht, insbesondere nicht von solchen, die Naturnähe und Abenteuer suchen. Um gleichzeitig Konflikte mit Natur- und Umweltschutz zu vermeiden, müssen in einem so dicht besiedelten Land wie Deutschland allerdings infrastrukturelle Mindestangebote bereitgestellt werden, um Beeinträchtigungen zu vermeiden (erodierte Ufer, wilder Müll, wildes Campen etc.) und besucherlenkend zu wirken (R EIN , S CHMIDT 2012). <?page no="143"?> Naturerlebnisse 143 Wissen │ Kanutouristische Infratsrukturelemente Der Praxisleitfaden „Wassertourismus in Deutschland“ (BMWI 2012) definiert die wichtigsten kanutouristischen Infrastrukturelemente wie folgt: Kanu-Ein- und Ausstiegsstellen dienen dem Zuwasserlassen und Anlanden von mit Muskelkraft betriebenen Booten. Eine ausgewiesene bzw. gekennzeichnete Ein-/ Ausstiegsstelle erfordert eine sowohl landals auch wasserseitig nutzergerechte Zugangssituation. Es sollte eine möglichst nahe Zufahrt für PKW (auch mit Anhängern) zum Be- und Entladen für Kanus vorhanden sein. Ein- und Ausstiegsstellen können einzeln, aber auch im Zusammenhang mit anderen touristischen Funktionen (Kanurastplatz, Biwakplatz, Gaststätte usw.) ausgewiesen werden. Eine kombinierte Nutzung mit einem Kanu-Rastplatz oder Biwakplatz ist möglich, sofern die damit verbundenen Mindestkriterien erfüllt werden. Für das Anlanden bzw. Ein- und Aussteigen sollte entweder ein flacher Schwimmsteg bzw. -ponton (20 cm hoch), ein gestufter Holzsteg oder ein flacher Sandstrand vorhanden sein. Kanurastplätze dienen zur Unterbrechung einer Kanutour und richten sich damit ausschließlich an Kanuten. Eine Mitnutzung durch den motorisierten Sportboottourismus ist unter diesem Begriff ausgeschlossen. Bei Raststandorten, die eine gemeinsame Nutzung mit motorisierten Sportbooten vorsehen, ist der Begriff Wasserwanderrastplatz zu verwenden. Die Nutzungsdauer ist auf einen kurzen bis mehrstündigen Pausenstopp begrenzt und die Nutzung sollte unentgeltlich sein. Sofern ein Kanurastplatz auch als Übernachtungsstandort genutzt werden soll, ist dieser zusätzlich als Biwakplatz zu kennzeichnen. Ein Kanurastplatz sollte mit einer Ein- und Ausstiegsstelle ausgestattet sein sowie für die Rast mit überdachten Tischen als Sitzgelegenheit. Dient der Kanurastplatz auch als Ausgangspunkt für den Besuch touristischer Attraktionen, können abschließbare Kanuboxen ein hilfreiches Angebot sein. <?page no="144"?> 144 Naturtourismus Ein Kanu-Biwak-/ Zeltplatz bietet Gästen mit muskelbetriebenen Booten eine einfache Übernachtungsmöglichkeit mit dem Zelt. Er ist nicht für den längeren Aufenthalt, sondern nur für das kurzzeitige Übernachten von Kanuten gedacht. Biwakplätze sind in der Regel nicht mit dem Auto erreichbar und einfach ausgestattet (Wiese als Zeltmöglichkeit, WC/ oft Kompostklos, überdachte Tische, gefasste Feuerstelle, Anlandemöglichkeit/ Ein- und Ausstiegsstelle.) Biwakplätze können aber auch im Zusammenhang mit anderen touristischen Anlagen (Campingplatz, Gastronomie, Hotel-Pension) angeboten werden. In diesem Fall muss ein abgegrenzter, für den Nutzer erkennbarer und reservierter Bereich als Biwakplatz ausgewiesen sein. Ein Biwakplatz hat sinnvollerweise auch eine Rastplatzfunktion (kombinierter Kanurast- und Biwakplatz). Eine Kanustation ist in der Regel der Ausgangspunkt für Kanutouren und wird meist von einem Kanuverleiher oder einem Kanuverein betrieben. Sie bietet Übernachtungs- und Rastmöglichkeiten für Kanuten, Sanitärgebäude mit Toiletten, Waschräumen, Duschen, oftmals einen kleinen Verkaufsbereich für Kartenmaterial, Ausrüstungsbedarf sowie Kioskangebot, Parkplätze und Anschluss an den ÖPNV. Kanustationen befinden sich daher meist verkehrsgünstig in Ortslagen. Für eine gute infrastrukturelle Ausstattung eines Kanurevieres geht man von folgenden Distanzrichtwerten aus (BTE 2009):  Kanu-Biwak-/ Zeltplatz (Übernachtungsstandort) alle ca. 10-15 km.  Kanurastplätze (Pausenstandorte) sollten sich alle ca. 5 km bzw. an Sehenswürdigkeiten und gastronomischen Einrichtungen befinden. Eine solche Ausstattung ermöglicht bei Mehrtagestouren ein gemächliches Vorankommen z. B. für Familien mit Kindern oder ungeübte Kanuten bis zum Erreichen des nächsten Übernachtungsstandortes und für geübte Kanuten auch längere Distanzen durch das Auslassen eines Kanu-Biwak-/ Zeltplatzes. 3.1.3.4 Kanureviere Als die kanutouristisch wichtigsten Regionen in Deutschland gelten vor allem folgende Reviere (vgl. u. a. BMWI 2012):  Mecklenburgische Kleinseenplatte einschließlich Feldberger Seen und Gewässer im nördlichen Brandenburg,  Peene („Amazonas des Nordens“), Warnow in Mecklenburg-Vorpommern,  Spreewald im südlichen Brandenburg, <?page no="145"?> Naturerlebnisse 145  Schwentine-Holsteinische Schweiz in Schleswig-Holstein,  das Eider-Treene-Sorge-Gebiet sowie die Lauenburgischen Seen und Trave in Schleswig-Holstein.  in Niedersachsen die Heideflüsse in der Lüneburger Heide, südliches Ostfriesland und Hase,  Gewässersystem Fulda, Werra, Weser in Hessen und Thüringen,  Lahn in Hessen und Rheinland-Pfalz,  Altmühl in Bayern,  Donau in Baden-Württemberg,  Lippe, Niers und Ems in Nordrhein-Westfalen,  Saale-Unstrut in Sachsen-Anhalt. Auch am Main, an der Mosel und am Hochrhein wurden in den letzten Jahren Anstrengungen unternommen und kanutouristische Infrastruktur aufgebaut, um den Kanutourismus zu fördern und zu entwickeln (BMWI 2012). Eine ausführliche Beschreibung von Paddelrevieren in Norddeutschland ist zu finden unter  www.flussinfo.net. In Europa sind es vor allem Schweden, Finnland und Polen sowie Südfrankreich, die als beliebte naturnahe Kanuwanderreise-Destinationen bekannt sind. 3.1.3.5 Kanuwandern und Naturschutz Die für das Kanuwandern besonders attraktiven naturnahen Gewässersysteme weisen in der Regel auch einen hohen Wert für den Arten- und Biotopschutz auf und sind schutzwürdige Rückzugsgebiete bedrohter oder in ihrem Bestand gefährdeter Tier- und Pflanzenarten. Kanuwandern kann mit unterschiedlichsten Auswirkungen auf die Natur verbunden sein (vgl. S CHEMEL , E RBGUTH 2000). Dazu zählen vor allem:  Störungen der Fauna auf dem Wasser und am Ufer (z. B. Störung und Vertreibung von Wasservögeln, Störung der Brutplätze, Zerstörung des Schilfs und der Wasservegetation, die als Brutplätze dienen, Beeinträchtigung von Laichplätzen von Fischen und Amphibien etc.,  Physische Beschädigungen der Natur z. B. durch Ufererosion beim Ein- und Aussetzen der Boote, Aufwirbelungen des Untergrundes bei zu niedrigem Wasserstand bzw. beim Treideln, Herausreißen von Pflanzen aus dem Gewässergrund,  Müll, z. B. Zigarettenkippen, Getränkeflaschen; Fäkalien. <?page no="146"?> 146 Naturtourismus Der Grad der Auswirkungen variiert je nach  der Größe und Art des genutzten Gewässers,  der Arten- und Biotopausstattung bzw. Störanfälligkeit der Arten (z. B. Fluchtdistanzen von Wasservögeln),  der Anzahl und der Frequenz der Boote,  der Nutzungsdauer des Gewässers im Tages- und Jahresverlauf,  dem Verhalten der Kanuten. Bei den Maßnahmen zur Vermeidung von Konflikten zwischen den Interessen von Kanutourismus und Naturschutzerfordernissen kann zwischen rechtlichen Maßnahmen und Maßnahmen der Besucherlenkung und Information sowie freiwilligen Vereinbarungen/ Selbstbeschränkungen unterschieden werden (vgl. Abb. 30). Abb. 30: Maßnahmen zum Gewässerschutz Quelle: BKT 2005, S. 17 Bei den rechtlichen Maßnahmen handelt es sich um gesetzliche Befahrensbeschränkungen mit unterschiedlichem Einschränkungsrad für den Kanutourismus (BKT 2005): Maßnahmen und Instrumente Besucherlenkung und Information Freiwillige Selbstbeschränkung Rechtliche Maßnahmen, gesetzliche Verordnungen Vollständige Befahrungsverbote Befahrungseinschränkungen Leitsystem Information Infrastruktur <?page no="147"?> Naturerlebnisse 147 [1] Vollständige Befahrungsverbote [2] Befahrungseinschränkungen  zeitliche Einschränkungen: saisonal, tageszeitlich, einzelne Tage, Wochenenden, abhängig z. B. von Brutzeiten oder Gewässerfrequentierung;  räumliche Einschränkungen: Zonierung, Teilabschnittssperrungen;  quantitative Einschränkungen: Festlegungen maximaler Bootszahlen (Obergrenzen), Kontingentierung, maximale Gruppengröße;  qualitative Einschränkungen: Festlegungen von Mindestkriterien bzw. Qualitätsmerkmalen zur Befahrung;  finanzielle Einschränkungen: Tages- und Monatsgebühren, Vignettenverkauf  bootsbezogene Einschränkungen: nur bestimmte Bootstypen;  vom Wasserstand abhängige Einschränkungen: Pegelstand (in der Regel Minimum 30 cm). Rechtliche Grundlagen für die Befahrungsbeschränkungen sind entweder die Wassergesetze der einzelnen Bundesländer oder deren Naturschutzgesetze (BKT 2005). Bei Besucherlenkungs- und Informationsmaßnahmen wird auf gesetzliche Regelungen verzichtet (vgl. Kap. 4). Der Lösungsansatz liegt primär darin, durch gezielte Information der Kanufahrer ein möglichst umweltgerechtes Nutzerverhalten zu erreichen und die Kanutouristen durch Informationen sowie Leitsysteme und gezielte Infrastrukturausstattung so zu lenken, dass sensible Gewässer und Uferabschnitte kanutouristisch nicht genutzt werden. Dies kann auch der Verzicht auf die überregionale kanutouristische Vermarktung bestimmter Gewässer sein (BKT 2005). Darüber hinaus gibt es das Instrument der Freiwilligen Selbstverpflichtung (-beschränkung), womit die eigenverantwortliche Verwirklichung von Maßnahmen des Naturschutzes durch die Nutzer gemeint ist (BMW I 2012). Bei Freiwilligen Selbstverpflichtungen steht der Verzicht auf staatlichen Zwang im Vordergrund. Dabei handelt es sich um Maßnahmen, die in einem kooperativen Dialogprozess zwischen Naturnutzern und Naturschutz gemeinsam vereinbart wurden und auch gemeinsam umgesetzt werden. <?page no="148"?> 148 Naturtourismus Freiwillige Selbstverpflichtung für den Greifswalder Bodden und Strelasund Der Greifswalder Bodden und der Strelasund in Mecklenburg- Vorpommern sind Bestandteil des europäischen Natura 2000 Netzwerkes (vgl. Kap. 2.5) und besonders wertvoll als Lebensraum für Rast- und Zugvögel. 2004 wurde nach einem ausführlichen gemeinsamen Diskussionsprozess eine Freiwillige Selbstverpflichtung zwischen Landesanglerverband, Landeskanuverband, Landesruderverband, Seglerverband, Umweltministerium und WWF zur wassertouristischen Nutzung des ca. 750 km 2 großen Gebietes geschlossen. Durch eine differenzierte Vorgehensweise konnten gemeinsam Kompromisse gefunden werden, die Nutzungseinschränkungen auf das erforderliche Mindestmaß beschränken. So konnten der jeweiligen Sensibilität angepasste Vereinbarungen (wie z. B. jahreszeitlich begrenzte Befahrensbeschränkungen) für unterschiedliche Teilgebiete getroffen werden. Das Projekt gilt als Modell der Zusammenarbeit zwischen „Naturnutzern“ und „Naturschützern“ (vgl. BMW I 2012). Mehr Informationen finden Sie unter  www.wassersport-im-bodden.de. Für einen nachhaltigen Kanutourismus hat die Bundesvereinigung Kanutouristik 2005 (seit 2011: BV Kanu - Bundesverband Kanu e. V.,  http: / / bvkanu.de) zehn Leitlinien entwickelt, denen folgende Philosophie zugrunde liegt (BKT 2005):  Die Gewässererlebbarkeit bildet die Grundlage für den Kanutourismus. Ohne befahrbare Gewässer gibt es diesen nicht. Die Befahrbarkeit der Gewässer liegt daher im ureigensten Interesse des Kanutourismus.  Der Schutz von Natur und Gewässerlandschaft ist Voraussetzung für einen nachhaltigen Kanutourismus. Nur wenn es gelingt, Natur und Gewässer zu erhalten, hat der Kanutourismus auch eine Zukunft.  Eine hohe Qualität der Angebote und des Services ist sowohl für Kunden und Anbieter als auch für den Schutz der Natur von zentraler Bedeutung. Nachhaltigkeit im Kanutourismus setzt daher eine hohe Qualität voraus. Ziel muss es laut BKT sein, diese drei Punkte regionalbezogen in ein Gleichgewicht zu bringen, das sowohl die Interessen der Kanutouristen als auch des Naturschutzes und der Anbieter berücksichtigt (BKT 2005). <?page no="149"?> Naturerlebnisse 149 3.1.3.6 Wirtschaftliche Bedeutung Laut BKT (2005) wird durch Kanuten ein jährlicher Bruttoumsatz in Höhe von knapp 797 Mio. Euro induziert. Dabei resultieren rund 51 % des Umsatzes aus Ausgaben während der Fahrt und 49 % aus den jährlichen Anschaffungen der Kanufahrer für die Ausübung ihres Hobbys. Wirtschaftliche Bedeutung hat der Kanutourismus vor allem für das Dienstleistungsgewerbe (Kanuverleiher, Kanuschulen), für das Gastgewerbe, für den Einzelhandel sowie für das Baugewerbe (vgl. Abb. 31). Abb. 31: Verflechtungen von Wirtschaft und Kanutourismus Quelle: BKT 2005, S. 52 Gastgewerbe Bezogen auf Kanusport: • Biwakplätze • Catering für organisierte Touren Allgemein: • Campingplätze • Pensionen und Hotels • Sportboothäfen • Jugendherbergen • Wasserwanderrastplätze • Restaurants und Cafés • Imbissunternehmen Dienstleistungen Bezogen auf Kanusport: • Kanuschulen • Kanuvermietung • Organisierte Touren Allgemein: • Transportunternehmen • Fahrradverleih • Bootsversicherungen • Ver- und Entsorgung • Reparaturleistungen Einzelhandel Bezogen auf Kanusport: • Boote und Zubehör • Ersatzteile • Kartenmaterial • Sicherheitsausrüstung • Funktionskleidung • Outdoor-Zubehör Allgemein: • Lebensmittel • Dinge des tägl. Bedarfs • Souvenirs • Zeitschriften, Bücher • Fotomaterial • Kleidung Baugewerbe Bezogen auf Kanusport: • Ein- und Ausstiegsstellen • Biwakplätze • Beschilderung • Serviceeinrichtungen Allgemein: • Wegebau • Umfeldgestaltung • Besucherführung • Grünmaßnahmen Verflechtung von Wirtschaft und Kanutourismus <?page no="150"?> 150 Naturtourismus Insgesamt werden durch den Kanutourismus in Deutschland damit mehr als 17.000 Vollzeitarbeitsplätze generiert (BKT 2005). Da in einigen der betroffenen Branchen (insb. Gastgewerbe und kanutouristische Unternehmen) sehr viele Teilzeit- und Saisonkräfte eingesetzt werden, ist die Zahl der beschäftigten Personen nochmals um ein Vielfaches höher. Literatur BKT - Bundesvereinigung Kanutouristik e. V. (Hg.): Grundlagenuntersuchung zur Bedeutung und Entwicklung des Kanutourismus in Deutschland (Bearbeitung: Reppel + Lorenz, TourismusKontor, Gralki & Partner), Roth 2005. BKT - Bundesvereinigung Kanutouristik e. V. (Hg.): Kurzfassung der Grundlagenuntersuchung zur Bedeutung und Entwicklung des Kanutourismus in Deutschland. Roth 2005. BKT - Bundesvereinigung Kanutouristik e. V.: Empfehlungen der Bundesvereinigung Kanutouristik e. V. zur kanutouristischen Infrastruktur. Marburg o.J. BMWI - Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (Hg.): Wassertourismus in Deutschland. Praxisleitfaden für Unternehmen, Kommunen und Vereine. (Bearbeitung: BTE, DTV, TV Mecklenburg-Vorpommern). Berlin 2012. BTE/ U MWELTPLAN - BTE Tourismus- und Regionalberatung/ Umweltplan GmbH: IREK Maritimer Tourismus auf der Insel Usedom und dem angrenzenden Festlandgürtel für den Untersuchungsraum Außenküste Insel Usedom, Südküste Insel Usedom (kleines Stettiner Haff), Achterwasser einschließlich Peenestrom sowie der Peene für den Abschnitt des Landkreises Ostvorpommern. Studie im Auftrag des Landkreis Ostvorpommern. Berlin 2009. HMC/ DTV - Hamburg Messe und Congress GmbH/ Deutscher Tourismusverband e. V. (Hg.): Grundlagenuntersuchung Wassertourismus in Deutschland, Ist- Zustand und Entwicklungsmöglichkeiten (Bearbeitung: BTE, dwif). Bonn, Hamburg 2003. R EIN , H., S CHMIDT , M.: Kanuwandern - Entschleunigung auf dem Wasser. Das Beispiel Kanutourismus auf der Peene. In: Antz, C.; Eisenstein, B.; Eilzer, C. (Hg.): Slow Tourism - Zukunft des Reisens zwischen Langsamkeit und Sinnlichkeit. Schriftenreihe der Fachhochschule Westküste. Martin Meidenbauer Verlagsbuchhandlung. S. 91-104, München 2012. S CHEMEL , H.-J.; E RBGUTH , W.: Handbuch Sport und Umwelt. 3. Aufl., Meyer & Meyer Verlag. Aachen 2000. <?page no="151"?> Naturerlebnisse 151 3.1.4 Tourismus rund ums Pferd von Ulrike Franke, Dr. Christina Münch, Dana Roberts In diesem Kapitel erfahren Sie,  was sich hinter dem Begriff „Pferdetourismus“ verbirgt und welche Bedeutung diese Form des Aktiv- und Naturtourismus in Deutschland hat,  wer die „Pferdetouristen“ sind und was diese wollen,  welche Trends und Entwicklungen aktuell im Pferdetourismus zu beobachten sind. 3.1.4.1 Definition und Bedeutung Der Begriff „Tourismus rund ums Pferd“ bzw. „Pferdetourismus“ 9 fasst die Bandbreite aller touristischen Aktivitäten zusammen, die mit Pferden zu tun haben. Im engeren Sinne wird darunter häufig Urlaub mit dem Pferd verstanden. Neben den pferdebezogenen Urlaubsreisen mit Übernachtungen sind aber auch der Tagestourismus rund ums Pferd und das Reiten im „normalen“ Urlaub wichtige Bestandteile des Pferdetourismus. Wissen │ Pferdetourismus Pferdetourismus = alle nicht-alltäglichen Aktivitäten außerhalb der gewöhnlichen Umgebung, die mit Pferden zu tun haben Kennzeichen des Pferdetourismus sind: 9 Im Folgenden wird der Begriff Pferdetourismus - und nicht Reittourismus - verwendet, um auch das Fahren (mit Kutsche, Kremser usw.) und andere Beschäftigungsformen mit dem Pferd, die nicht vom Pferderücken aus stattfinden, zu berücksichtigen (z. B. Bodenarbeit, Besuch von Pferde-Events). <?page no="152"?> 152 Naturtourismus  der besondere, nicht-alltägliche Charakter der Aktivitäten: Pferdetourismus bezeichnet Aktivitäten mit dem Pferd abseits der alltäglichen Routine. Der Tagesritt zu einem besonderen Ziel und der Besuch einer Pferdemesse sind ebenso Pferdetourismus wie die Teilnahme an einem Reitseminar oder der zweiwöchige Reiturlaub. Nicht zum Pferdetourismus gehören die Alltagsformens des Reitens wie z. B. wöchentliche Reitstunden, das tägliche Versorgen des eigenen oder Pflegepferdes oder regelmäßige Ausritte sowie die berufliche Beschäftigung mit dem Pferd.  Ortswechsel: Das eigene Umfeld (Wohnort, Heimatstall) wird für eine gewisse Zeit (Stunden, Tage, Wochen) verlassen.  Pferdebezug: Für den Pferdetourismus ist der Wunsch des Gastes ausschlaggebend, die überwiegende oder einen Teil der Zeit mit Pferden zu verbringen. Dieser Wunsch kann aktiv - mit Reiten, Voltigieren, Bodenarbeit mit dem Pferd usw. - oder passiv - als Zuschauer von Pferde-Events, Kutschfahrtteilnehmer usw. - realisiert werden. 3.1.4.2 Formen des Pferdetourismus Pferdetourismus ist vielseitig. Die abenteuerlustige Reitergruppe mit eigenen Pferden hat andere Anforderungen als die Familie mit Reitanfängern und Nichtreitern. Entsprechend den unterschiedlichen Zielgruppen haben sich unterschiedliche Formen und Ausprägungen entwickelt. Tab. 5 gibt einen Überblick über die verschiedenen Formen des Pferdetourismus. <?page no="153"?> Naturerlebnisse 153 Tab. 5: Formen des Pferdetourismus Form des Pferdetourismus Kurzbeschreibung Pferdeurlaub mit festem Quartier Pferdebezogener Urlaub mit einem festen Bezugs ort, neben dem klassischen Reiterhof auch Hotels, Pensionen, Ferienhäuser oder Bauernhöfe mit reittouristischen Angeboten. Neben den unterschiedlichen Unterkunftsformen gibt es verschiedene Ausprägungen je nach Reisemotiven, -begleitung, Reitintensität usw. Wanderreiten und -fahren Unter „Wanderreiten“ wird generell das „Reisen zu Pferd“ verstanden: Tagesritte oder mehrtägige Wanderungen zu Pferd mit wechselnden Unterkünften. Gestaltung und Anspruch können stark variieren: vom selbst organisierten Wanderritt mit eigenem Pferd bis hin zu Pauschalangeboten professioneller Veranstalter als Rundum-Sorglos-Paket mit Leihpferd, Hotelunterkunft, Vollverpflegung und Gepäcktransport. Kinderreitferien Reitferien für meist allein reisende Kinder und Jugendliche als Pauschalangebot mit Unterkunft, Verpflegung, Reitangeboten und Zusatzprogramm. Klassische Kinderreitferien finden v. a. in den Ferienzeiten statt und werden üblicherweise wochenweise zum Pauschalpreis angeboten. Pauschalreisen von Reiterreiseveranstaltern Durch spezialisierten Veranstalter organisierter Reiturlaub ins Aus- oder Inland: mehrere Hauptreiseleistungen wie Unterbringung, Verpflegung, Reitprogramm und Transport werden gebündelt und zu einem Gesamtpreis verkauft. Angeboten werden Urlaub auf dem Pferdehof mit unterschiedlichen Schwerpunkten (Reitunterricht, Western-, Barockreiten, Ranchurlaub, Familienurlaub usw.), Trail- und Sternritte, Kultur- und Abenteuerritte, Gespann-Touren usw. Aus- und Fortbildungen rund ums Pferd Reisen mit dem Ziel einer Leistungsverbesserung von Reiter und/ oder Pferd: Dazu gehören Tages-, Wochenend- oder auch längere Lehrgänge zu speziellen pferdebezogenen Themen. Die Inhalte variieren stark (z. B. Verbesserung des reiterlichen Könnens in verschiedenen Reitarten/ Gespannfahren, Ausbildung und Korrektur von Pferden, Umgang mit dem Pferd, Erreichung von Qualifikationen). Tagestourismus rund ums Pferd Touristische Aktivitäten mit Pferdebezug im Tagesformat (ohne Übernachtung): Besuch von Pferde-Veranstaltungen (Reit- und Fahrturniere, Pferdemessen, Hengstparaden, Pferdeshows, Pferdeauktionen etc.), Kutsch- oder Planwagenfahrt, Teilnahme an einem Turnier usw. Weitere Formen des Pferdetourismus Abwandlungen und Mischformen, wie z. B. Reiten und Aktivitäten mit Pferdebezug im „normalen“ Urlaub (Schnupperreitstunde, Ausritt etc.), Tagesritt zu besonderen Zielen, einmaliger Ausritt von einem Reiterhof mit Leihpferd des Hofes usw. 3.1.4.3 Bedeutung des Pferdetourismus in Deutschland Deutschland ist ein traditionelles Pferdeland und im Pferdesport sowie in der Pferdezucht auch international erfolgreich. Es gibt rund vier Millionen Reiter, mehr als eine Million Pferde und 900.000 Pferdebesitzer in Deutschland (Deut- <?page no="154"?> 154 Naturtourismus sche Reiterliche Vereinigung 2018, Institut für Demoskopie Allensbach/ “AWA- Studie“ 2016). Damit nimmt Deutschland in Europa eine Spitzenposition ein (B RADE 2013). Pferdeurlaub, Wanderritte und Veranstaltungen rund ums Pferd sind beliebt: Die Hälfte der Reiter hat bereits einen Pferdeurlaub gemacht und fast alle waren bereits „pferdetouristisch aktiv“, z. B. indem sie ein Pferde-Event besucht oder eine Kutschfahrt gemacht haben (BTE 2009). Besonders viel Potenzial hat die Gruppe der Pferdeinteressierten: Das sind Personen, die einfach nur Pferde erleben wollen („passiv“) - z. B. bei einer Pferdeshow oder einem Turnier - oder vielleicht auch gerne einmal selbst auf dem Pferderücken sitzen möchten („aktiv“). Mehr als 20 Millionen Deutsche sind allgemein am Thema Pferd interessiert, 14 Millionen Deutsche haben Interesse am Reiten (I NSTITUT FÜR D EMOSKOPIE A LLENSBACH 2016, I NSTITUT FÜR M EDIEN - UND K ONSUMENTENFORSCHUNG 2011). Das Angebot für Pferdetouristen ist in Deutschland sehr vielseitig: Bei den Quartieren kann der Gast zwischen einfachen Wanderreitstationen, liebevoll hergerichteten Urlaubshöfen und exklusiven Reiterhotels wählen. Wanderreiter, die auf eigene Faust unterwegs sind, kommen genauso auf ihre Kosten wie Gäste, die „All-inclusive“-Wanderreittouren mit Leihpferd, Rittbegleitung, Übernachtungen und Vollpension bevorzugen. Für Aus- und Wanderritte bietet die Landschaft verschiedene Möglichkeiten: Ritte durch ausgedehnte Wälder und über Wiesenlandschaften, Heideritte auf sandigen Böden, Reiten an Meer und Strand bzw. durchs Watt oder Ritte durch die Berge der Alpen und deutschen Mittelgebirge. Auf längeren Ritten wird auch gerne das kulturelle Angebot (z. B. Schlösser, Burgen) eingebunden. Das Aus- und Fortbildungsangebot rund ums Pferd ist insgesamt auf hohem Niveau und thematisch breit gefächert. Einzigartig ist das vielfältige Angebot an Pferde-Veranstaltungen in Deutschland: internationale Turniere, Pferdemessen und -shows, Reiterprozessionen, Gestütsschauen und Hengstparaden, Pferdeauktionen und erlebnisorientierte Events wie beispielsweise der Dülmener Wildpferdefang, das Duhner Wattrennen oder das Kaltblutrennen „Titanen der Rennbahn“ in Brandenburg. <?page no="155"?> Naturerlebnisse 155 Abb. 32: Kutschfahrt durch den Nationalpark Hainich (Foto: BTE) 3.1.4.4 Naturerlebnis und landschaftliche Voraussetzungen Das Naturerlebnis mit Pferd steht bei den meisten Pferdeurlaubern im Vordergrund. Laut der Befragung von Pferdeurlaubern im Rahmen der Pferdetourismusstudie 2017 (BTE, HorseFuturePanel 2017) sind die wichtigsten Motive für einen Pferdeurlaub (vgl. Abb. 33): [1] Natur und Landschaft genießen, [2] Zeit fürs Pferd haben und [3] Erholen/ Abstand zum Alltag. <?page no="156"?> 156 Naturtourismus Abb. 33: Gründe für einen Pferdeurlaub Quelle: BTE, HorseFuturePanel 2017 Bei vielen Angeboten für Pferdeurlaub werden diese Motive aufgegriffen: Beispiele Angebotsbeschreibungen „Wir reiten so langsam, dass uns die Seele folgen kann.“ (Betrieb „Grenzenlos Wanderreiten“) „Mit Pferd und Seele die Weite der mecklenburg-vorpommerschen Landschaft genießen, Alltagsstress und Hektik abschütteln und in aller Ruhe den Puls der Natur erspüren. Den Wind in der Mähne, den Duft von Ostsee, Wäldern und weiten Feldern in der Nase - Urlaub in Mecklenburg-Vorpommern ist ein sinnliches Vergnügen für Pferde und Reiter gleichermaßen und lohnt sich zu jeder Jahreszeit.“ (Website-Text von „Reiten in M-V“) „Eine Tour zum Entschleunigen und Kraft tanken für Körper und Seele. Besonders auch geeignet für Reiter, die unsere einzigartige Natur z. B. während eines begleiteten Rittes erleben möchten.“ (Wanderreitstation Prezelle zur Zweitages-Tour „Reiten Natur-Nah“ durch das Wendland) 2% 3% 9% 18% 19% 20% 32% 36% 66% 74% 0% 20% 40% 60% 80% Sonstiges Neue Menschen kennen lernen Zeit mit der Familie, Kindern einen tollen Urlaub bieten Zeit mit anderen Pferdesportlern verbringen Spaß haben Andere Länder, Regionen, neue Orte entdecken Mich pferdesportlich weiterentwickeln Abstand zum Alltag gewinnen, Erholen, Entspannen Zeit mit Pferden verbringen, Zeit für das eigene Pferd haben Schöne Landschaft mit dem Pferd genießen, Natur erleben <?page no="157"?> Naturerlebnisse 157 Für das Naturerlebnis mit dem Pferd machen die unterschiedlichen Landschaftstypen für Aus- und Wanderritte oder Gespannfahrten im Gelände den Reiz aus: Deutschland bietet vor allem attraktive Reitmöglichkeiten durch Wald und Feld. Denn ein Drittel der Fläche in Deutschland ist bewaldet, über die Hälfte wird landwirtschaftlich genutzt (S TATISTISCHES B UNDESAMT 2017). Heidegebiete sind wegen ihres sandigen Bodens und der besonderen, weitläufigen Landschaft sehr beliebt: Nicht umsonst ist die Lüneburger Heide bei Pferdetouristen die beliebteste Reiseregion (BTE, H ORSE F UTURE P ANEL 2017). Mittelgebirge ermöglichen Bergauf- und Bergabreiten und schöne Ausblicke. Alpenritte sind anspruchsvoll und vor allem für fortgeschrittene Wanderreiter oder als geführte Ritte geeignet. Ein besonderes Erlebnis bieten Strand- und Wattritte an der Nord- und Ostseeküste. Auch bei Reiterreisen ins Ausland steht die Landschaft meist im Vordergrund und führt zu einer vielfältigen Auswahl von Trailritten durch die Rocky Mountains oder mongolische Steppe, Planwagenfahrten durch das Schweizer Jura bis zur Reitsafaris im Okavango Delta. Bevorzugt werden naturnahe, unbefestigte Böden. Sandböden oder grasbewachsene Wege sind für Pferde ideal. Wenn die Wege von Natur aus vorwiegend felsig sind, brauchen die Pferde einen Hufschutz (Hufeisen, -schuhe). Gleiches gilt, wenn die Wege überwiegend mit Schotter oder Asphalt befestigt sind - längere Strecken davon sind bei Pferdetouristen allerdings unbeliebt. Zu beachten ist: Die Regelungen für das Reiten und Gespannfahren im Gelände sind in jedem Bundesland anders und für Gäste von außerhalb ausgesprochen unübersichtlich. Während in einigen Bundesländern sowohl das Reiten als auch das Fahren auf den meisten Wegen gestattet ist, ist es in anderen auf besonders dafür ausgewiesene Wege und Flächen beschränkt. Häufig bestehen unterschiedliche Regelungen zwischen Reiten und Gespannfahren, z. B. benötigen Gespannfahrer in einigen Bundesländern eine Genehmigung des Grundstückeigentümers. Zu unterscheiden ist außerdem zwischen a) Wald und b) freier Landschaft, mit oft jeweils unterschiedlichen Gesetzesgrundlagen (Waldgesetz des Bundeslandes, Naturschutzgesetz des Bundeslandes). 10 Pferd und Reiter brauchen keine eigenen, aufwändig hergerichteten Wege. Die meisten Wege sind grundsätzlich bereitbar - sofern die rechtlichen Regelungen das zulassen. Separate Reitwege machen nur dann Sinn, wenn eine starke Nutzung des Gebietes und hohes Konfliktpotenzial eine Trennung der verschiedenen Nutzergruppen (Spaziergänger, Radfahrer, Reiter) erforderlich macht oder 10 Einen Überblick über die Vorschriften für das Ausreiten und -fahren gibt die Deutsche Reiterliche Vereinigung:  https: / / www.pferd-aktuell.de/ breitensport/ ausreiten-und--fahren/ vorschriftenfuer-das-ausreiten-und--fahren/ vorschriften-fuer-ausreiten-und--fahren <?page no="158"?> 158 Naturtourismus der Reitweg als besonderes Angebot für die Zielgruppe gedacht ist (z. B. mit ungestörten Galoppmöglichkeiten oder Sprüngen auf dem Weg). Die Sicherheit für Pferd und Reiter steht an erster Stelle. Gäste mit Pferd meiden möglichst vielbefahrene Straßen, Bahnstrecken, unübersichtliche Übergänge oder dicht besiedelte Gebiete. 3.1.4.5 Pferdeurlaubsziele Die deutschen Pferdeurlauber verreisen am liebsten im eigenen Land. Mehr als 80 % der im Rahmen der Pferdetourismusstudie 2017 Befragten haben ihren letzten pferdebezogenen Urlaub in Deutschland verbracht (BTE, H ORSE F UT- URE P ANEL 2017). Die beliebtesten Ziele innerhalb Deutschlands sind aktuell noch die „klassischen Reiterländer“: Niedersachsen ist mit deutlichem Vorsprung das beliebteste Ziel für Pferdeurlaub (49 % der Befragten haben hier bereits Pferdeurlaub gemacht), gefolgt von Nordrhein-Westfalen (28 % der Pferdeurlauber waren bereits hier im Pferdeurlaub). Die Plätze 3 bis 5 erreichen Bayern, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein (je 22 bis 24 % der Befragten). Zukünftig sind Marktverschiebungen zu erwarten: Niedersachsen und NRW werden voraussichtlich Marktanteile verlieren, während (bei Bereitstellung entsprechender Angebote) ein Zuwachs in den Küstenländern, Bayern und Brandenburg zu erwarten ist. Bei den ausländischen Reisezielen führen Österreich, Spanien und die Niederlande. Eine kurze Anreise ist wichtiges Kriterium bei der Auswahl des Pferdeurlaubsziels. Das gilt verstärkt für Urlaube mit dem eigenen Pferd. Fast ein Drittel der Urlauber bleibt im Umkreis bis 100 km, die Hälfte innerhalb eines 200 km- Radius. Fernreisen sind im Pferdetourismus nur ein sehr kleines Marktsegment. 3.1.4.6 Die Zielgruppe Pferdetouristen Reiten ist keine kurzfristige Trendsportart, die morgen wieder vom Markt ist, sondern für die meisten Pferdesportler ein Lifetime-Sport. Ein großer Teil der Pferdeurlauber ist seit vielen Jahren im Pferdesport aktiv und verbringt auch im Alltag viel Zeit mit dem Pferd. Im Pferdetourismus dominieren, wie im Pferdesport, mit über 80 % die Frauen. Nicht-reitende Männer fahren aber durchaus als Begleiter mit in den Pferdeurlaub oder auf eine Pferdeveranstaltung. Ansonsten gilt: Pferdetouristen sind so unterschiedlich wie die Formen des Pferdetourismus. Der abenteuerlustige Wanderreiter hat andere Motive und <?page no="159"?> Naturerlebnisse 159 Anforderungen als das allein reisende Reitferienkind oder der ambitionierte Reiter, der zur reiterlichen Fortbildung fährt. Wissen │ Durchschnittliche Pferderurlauber Der „durchschnittliche“ Pferdeurlauber …  ist weiblich.  ist 41 Jahre alt.  ist verheiratet oder in einer Partnerschaft lebend.  wohnt im ländlichen Raum.  hat ein hohes Bildungsniveau.  hat einen hohen wirtschaftlichen Status.  ist aktiver Pferdesportler und reitet seit 25 Jahren.  reitet am liebsten aus, macht Bodenarbeit oder reitet Dressur.  verbringt 21 Stunden pro Woche im Stall.  ist neben dem Pferdesport sehr engagiert (sportlich, kulturell, sozial.). Quelle: BTE, HorseFuturePanel: Pferdetourismusstudie 2017 3.1.4.7 Nachfrageverhalten von Pferdetouristen Die Befragung von Pferdeurlaubern im Rahmen der Pferdetourismusstudie 2017 zeigt folgende Ergebnisse:  Wanderreiten, Urlaub mit festem Quartier und Aus-/ Fortbildungen sind die beliebtesten Arten des Pferdeurlaubs. Zukünftig ist ein steigendes Interesse an organisierten Wanderreittouren und Themenkombinationen wie Reit- und Wellnessurlaub zu erwarten.  Die Dauer eines Pferdeurlaubs ist mit 7,4 Tagen im Mittel tendenziell länger als in „normalen Urlauben“. Nur etwa 20 % der Pferdeurlaube sind Kurzurlaube bis zu drei Tagen. Die meisten Pferdeurlaube dauern zwischen vier und neun Tagen.  Pferdeurlauber verreisen am liebsten in Begleitung, vor allem mit reitenden Freunden oder der Familie, am liebsten zu zweit, aber auch in größeren Gruppen.  Die meisten Pferdeurlauber bevorzugen eine komfortable Unterkunft, möglichst in der Nähe der Pferde. Bislang versorgen sich die Pferdeurlauber überwiegend selbst, doch bei den zukünftigen Pferdeurlaubern besteht ein <?page no="160"?> 160 Naturtourismus zunehmendes Interesse an Verpflegungsangeboten, insbesondere Halbpension.  Über die Hälfte der Pferdeurlauber ist mit eigenem Pferd verreist. Viele Betriebe stellen Gästen hofeigene Pferde für Reitunterricht oder Aus- und Wanderritte zur Verfügung. Dabei legen die Gäste großen und zunehmenden Wert auf Gesundheit und artgerechte Haltung der Tiere.  Information und Buchung erfolgt hauptsächlich direkt beim Anbieter. Indirekte Vermarktungswege (z. B. Reiseveranstalter, Reisebüro, Tourismusorganisation) haben im Pferdetourismus nach wie vor eine untergeordnete Bedeutung.  Das Interesse an tagestouristischen Angeboten rund um das Pferd ist groß. Insgesamt überwiegen passive Formen, v. a. der Besuch von Pferdemessen und -veranstaltungen (als Zuschauer). Bei den aktiven Formen stehen Aus- und Fortbildungen vorn, aber auch Aus- und Tagesritte sowie die Teilnahme an Pferdesportveranstaltungen sind beliebt.  Durchschnittliche Ausgaben für Pferdeurlaub liegen zwischen 630 Euro für pauschalen und 725 Euro für selbstorganisierten Pferdeurlaub und damit bei 85 bis 95 Euro täglich. Für tagestouristische Angebote rund ums Pferd werden im Durchschnitt knapp 50 Euro ausgegeben.  Wichtige Kriterien bei einem Pferdeurlaub sind eine schöne Landschaft und ein gutes Reitwegenetz (legal bereitbare, möglichst naturnahe Wege). Außerdem soll die Region möglichst pferdefreundlich sein, die Qualität des Angebotes und das Preis-Leistungs-Verhältnis müssen stimmen. Pferdefreundlich ausgestattete Ziele (Sehenswürdigkeiten, Gaststätten etc.) sind erwünscht (kein Muss, aber Plus). Aus der Praxis: Reiten im Naturpark Südheide Die Region Celle mit dem Naturpark Südheide wurde als „Pferdefreundliche Region 2010“ ausgezeichnet. Die Region hat 20 ausgeschilderte Rundreittouren entwickelt. Auf  www.region-celle-navigator.de gibt es die Touren als pdf- Download sowie die passenden GPS-Daten zur Tour für das Reiten mit GPS-Gerät. Park-and-Ride-Parkplätze bieten Gästen mit eigenem Pferd die Möglichkeit, Fahrzeuge mit Pferdeanhänger abzustellen und die Pferde in Ruhe für einen Ausritt im Naturpark vorzubereiten. Mehr Infos:  http: / / www.celle-tourismus.de/ celle-reisetipps/ lueneburger-heide/ reiten-im-naturparksuedheide.html <?page no="161"?> Naturerlebnisse 161 3.1.4.8 Trends und zukünftige Entwicklungen Der moderne Gast will gleichzeitig viel erleben und sich erholen. Wichtig ist daher die richtige Mischung aus Programm und Zeit für Entspannung, die persönliche Note des Urlaubsangebotes und außergewöhnliche Erlebnisse. Es ist zu erwarten, dass die Nachfrage nach Veranstaltungen und geführten Ritten mit Erlebnischarakter sowie „Rundum-sorglos-Paketen“ weiter zunehmen wird (BTE, H ORSE F UTURE P ANEL 2017). Das Reiten am und im Wasser hat eine große Anziehungskraft (vgl. Abb. 34). Die Bundesländer Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Niedersachsen mit Reitangeboten am Strand oder im Watt haben damit einen klaren Wettbewerbsvorteil. Aber auch (bereitbare) Seen sind attraktiv für Reiturlauber. Im Pferdetourismus ist wie im Pferdesport eine zunehmende Differenzierung zu beobachten. Während sich in der Vergangenheit die Angebote auf die klassischen Pferdesport-Disziplinen und das „Freizeitreiten“ konzentrierten, variiert das Angebot heute zwischen speziellen Reitweisen und Rassen (Klassisch, Western, Gangpferde, Barockpferde, Working Equitation etc.) bis hin zu Besonderheiten wie Horse Agility oder Wandern mit Packpferd. Das Gesundheitsbewusstsein der Deutschen wächst. Aktivurlaub ist in. Reiten ist heute als Gesundheitssport anerkannt. Reiten und Gesundheit lassen sich auch als Urlaubsangebot gut kombinieren, wie etablierte Reit- und Wellnesshotels erfolgreich zeigen. 48 % der Pferdeurlauber interessieren sich für die Themenkombination „Pferd und Gesundheit“, bei den zukünftigen Pferdeurlaubern sind es sogar 55 %. „Pferd und Wellness“ locken 47 % der Pferdeurlauber bzw. 54 % der zukünftigen Urlauber (vgl. Abb. 35). Das Tierwohl ist verstärkt in den Fokus geraten, auch durch die Forderungen von aktiven Tierschutzorganisationen. Bei Leihpferden/ Pferden des Veranstalters legen die Gäste großen Wert auf eine pferdegerechte Haltung und Gesundheit der Tiere. <?page no="162"?> 162 Naturtourismus Abb. 34: Reiten am Meer Foto: © Ingo Scharwächter/ pixelio Demograpfischer Wandel Auch der Pferdetourismus muss sich an den demografischen Wandel anpassen: Die Pferdetouristen von morgen sind älter und anspruchsvoller. Die Bedeutung der sogenannten „Ü30-Reiter“ sowie Spät- und Wiedereinsteiger im Pferdesport wird weiter zunehmen. Für ältere Zielgruppen sind individueller Reitunterricht, gut erzogene Pferde, Sicherheit und umfassender Service wichtig. Es wird schwieriger, Kinder „ans Pferd zu bringen“ - hier sind eine stärkere Bewerbung und zugeschnittene Angebote (z. B. Schnupperangebote in den Ferien) gefragt. h Aus der Praxis: Reiter- und Erlebnisbauernhof Groß Briesen Der Reiter- und Erlebnisbauernhof Groß Briesen in der Nähe von Berlin bietet Reiten für Spät- und Wiedereinsteiger an: „Viele Menschen der älteren Generation haben schon einmal auf dem Pferderücken gesessen. Daran gibt es sicher gute, vielleicht aber auch schlechte Erinnerungen. Andere wollten schon immer einmal reiten, trauten sich bisher aber nicht. <?page no="163"?> Naturerlebnisse 163 All diesen Menschen möchten wir gern auf die Sprünge - oder besser gesagt - auf das Pferd helfen. Eine angstfreie Atmosphäre sowie pädagogisch sinnvolle Lehrmethoden gewährleisten, dass unsere Reitschüler nicht überfordert werden. Auf diese Weise ist es möglich, Unsicherheiten ab- und Selbstvertrauen aufzubauen. Eine wichtige Voraussetzung, um die Freude am Reiten entwickeln zu können. Und noch etwas: Es ist keiner zu dick, zu groß, zu alt oder zu ungelenkig! “ (  www.reiterhof-gross-briesen.de) Pferdeurlauber (n=879) Zukünftige Pferdeurlauber (n=256) Abb. 35: Interesse an Themenkombinationen im Pferdetourismus Quelle: BTE, HorseFuturePanel 2017 Literatur B RADE , W.: Die deutsche Reitpferdezucht - aktueller Stand und wirtschaftliche Bedeutung. Berichte über Landwirtschaft Band 91 Heft 1. 2013:  http: / / buel.bmel.de/ index.php/ buel/ article/ view/ Brade/ brade-html. BTE T OURISMUS - UND R EGIONALBERATUNG , H ORSE F UTURE P ANEL : Pferdetourismusstudie 2017:  www.tourismus-rund-ums-pferd.de. BTE T OURISMUS - UND R EGIONALBERATUNG : Marktanalyse „Tourismus rund ums Pferd“. FNVerlag der deutschen Reiterlichen Vereinigung. Hannover 2009. 17,3% 28,1% 40,8% 46,5% 48,0% 53,2% 55,3% 89,4% Pferd und Stadt Pferd und Sport Pferd und Kulinarik Pferd und Wellness Pferd und Gesundheit Pferd und Familie Pferd und Kultur Pferd und Wasser 16,4% 28,1% 36,3% 53,5% 54,7% 53,5% 46,9% 93,4% <?page no="164"?> 164 Naturtourismus D EUTSCHE R EITERLICHE V EREINIGUNG (FN): Zahlen & Fakten. Pferdesport und Pferdeezucht. 2018:  www.pferd-aktuell.de/ fn-service/ zahlen--fakten/ zahlen--fakten. I NSTITUT FÜR D EMOSKOPIE A LLENSBACH : Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse, AWA. Allensbach 2016. I NSTITUT FÜR M EDIEN - UND K ONSUMENTENFORSCHUNG : Typologie der Wünsche. Erding 2011. 3.1.5 Tauchtourismus von Martina Porzelt In diesem Kapitel werden folgende Fragen beantwortet:  Welches sind die Anforderungen zur Ausübung des Tauchsports?  Wie ist das Nachfragepotenzial des Tauchtourismus?  Welches sind die negativen Auswirkungen des Tauchsports auf Natur und Umwelt und wie können diese minimiert werden?  Auf welche Trends müssen sich Touristiker künftig stärker fokussieren? 3.1.5.1 Grundlagen des Tauchens Das Abtauchen in die Unterwasserwelt übt für viele Menschen eine Faszination aus. Die Motive für die Ausübung des Tauchens sind sehr vielfältig und dienen neben der sportlichen Betätigung und dem Erleben der Schwerelosigkeit vor allem dem Naturerlebnis. Bei Menschen mit Behinderungen kann der Sport zudem auch zur Rehabilitation beitragen (D IEDRICHKEIT 2007). Im klassischen Sinn versteht man unter Sporttauchen das Schwimmen unter Wasser mit Hilfe einer Tauchausrüstung, sodass ein Verbleiben unter Wasser - je nach Wassertiefe - über einen längeren Zeitraum möglich ist. Diese Ausrüstung besteht aus: [1] der sogenannten ABC-Ausrüstung (Tauchermaske, Schnorchel und Flossen), [2] einem Drucklufttauchgerät (Atemregler und Druckluftflasche) [3] einer Tarierweste, [4] und einem Neoprenanzug. <?page no="165"?> Naturerlebnisse 165 Beim Schnorcheln wird nur die ABC-Ausrüstung verwendet. Die Beobachtung der Unterwasserwelt erfolgt überwiegend durch Schwimmen an der Wasseroberfläche und wird gelegentlich durch kurzes Abtauchen unterbrochen. Das sogenannte Apnoe Tauchen ist eine Spezialform des Tauchens, welche rein sportlich motiviert ist. Der Taucher atmet hierbei vor dem Abtauchen ein und taucht so lange bis er zum Luftholen wieder Auftauchen muss. Spezialformen des Tauchens Informationen finden Sie unter:  https: / / www.vdst.de/ tauchausbildung/ aufbau-spezialkurse.html und  https: / / natursportinfo.bfn.de/ natursport/ wassersport/ tauchen.html 3.1.5.2 Geschichte Tauchen ist eng mit der Menschheitsgeschichte verbunden und hat vermutlich seinen Ursprung in der Suche nach Nahrung und Erforschung neuer Lebensräume. Bereits im 4. Jh. v. Chr. fanden Apparaturen, die den Taucher mit Luft versorgen, Anwendung. Für die Kommerzialisierung des Tauchens legte der Meeresforscher und Unterwasserfilmer Hans Hass 1941 mit der Nutzung von Schwimmflossen und der Entwicklung des Schwimmtauchgeräts einen wichtigen Grundstein. Der Meeresforscher Jaques Cousteau und der Ingenieur Emile Gagnan entwickelten diese Technik zum bedarfsgesteuerten Regler, dem Lungenautomaten, weiter. Mit ihren Unterwasserfilmen und Fotografien begeisterten die beiden Unterwasserforscher darüber hinaus bereits ab den 1940er-Jahren die Öffentlichkeit für die Natur unter Wasser und das Tauchen. Die Weiterentwicklung der Ausrüstung sorgte für eine rapide Zunahme der Tauchinteressierten und auch des Tauchtourismus. 3.1.5.3 Voraussetzungen zur Ausübung des Tauchens Heute ist Tauchen eine Freizeitaktivität, die von jedermann, der körperlich und geistig fit ist, ohne extreme Anstrengungen, wie es noch in den Pionierzeiten die Regel war, ausgeübt werden kann. Mittlerweile wird die Zahl der weltweit aktiven Taucher auf bis zu 15 Mio. geschätzt (RSTC E UROPE 2016). In Deutschland besitzen 1,2 Mio. Personen eine Grundausbildung im Tauchen von welchen 420.000 aktiv ihren Sport ausüben. Pro Jahr werden rund 40.000 deutsche Taucher erstausgebildet, von denen rund die Hälfte mittelfristig aktiv bleibt. Etwa 20 Prozent der Anfänger absolvieren innerhalb der ersten zwei Jahre nach dem Grundkurs weitere Ausbildungen. Weitere ca. 300.000 sind Gelegenheitstaucher und gehen ab und zu, meist während ihres Auslandsurlaubs, tauchen bzw. bu- <?page no="166"?> 166 Naturtourismus chen Tauchurlaube (M ELL 2010 UND 2014). Die Grundvoraussetzungen zur Ausübung der Sportart erhalten Tauchinteressierte durch die entsprechende Ausbildung, die von zahlreichen Tauchorganisationen angeboten wird. Eine „Tauchtauglichkeit“ muss dabei vor der Teilnahme an einem Ausbildungskurs von einem Facharzt attestiert werden. Nach Absolvierung der Ausbildung erhält der Taucher ein „Brevet“, das die Ausbildung bescheinigt. Damit das Tauchen weltweit ohne Einschränkungen möglich ist, sollte bei der Ausbildung darauf geachtet werden, dass diese nach internationalen Standards ausgerichtet ist. Die Confédération Mondiale des Activités Subaquatiques (CMAS) und die Professional Association of Diving Instructors (PADI) sind dabei weltweit die bedeutendsten Tauchorganisationen. PADI ist eine der größten kommerziellen Organisationen. Sie wurde gegründet, um möglichst vielen Menschen die Unterwasserwelt näher zu bringen, und zwar mit einem pädagogisch fundierten und abgesicherten Tauchausbildungssystem. Mit rund 5.300 Tauchbasen und 130.000 Mitgliedern in 183 Ländern ist sie weltweit gut vertreten (Stand August 2018). CMAS ist der älteste Dachverband und wurde bereits 1959 gegründet. Er umfasst insgesamt 130 Verbände auf fünf Kontinenten. Die Ziele von CMAS sind stark an sportlichen Aspekten des Tauchens ausgerichtet. Der Verband Deutscher Sporttaucher e. V. (VDST) vertritt die Interessen von CMAS mit rund 80.000 Mitgliedern (Stand Januar 2015) in Deutschland. Da die gesetzlichen Regelungen zum Tauchen in jedem Land unterschiedlich geregelt sind - z. B. in Bezug auf die erlaubten Tauchtiefen bzw. -zeiten -, müssen sich Taucher über die in der Tauchdestination gegebenen gesetzlichen Regelungen informieren und diese berücksichtigten. Für die Auswahl des Tauchzieles ist für Taucher die vorhandene Infrastruktur in der näheren Umgebung der Tauchplätze ein wichtiges Kriterium: Anfahrtswege, vorhandene Parkmöglichkeiten vor Ort, das Vorhandensein von sanitären Anlagen, eine gut erreichbare medizinische Versorgung in der näheren Umgebung, befestigte und ausgewiesene Zugänge/ Einstiege ins Wasser oder auch die Möglichkeit Flaschenfüllstationen aufzusuchen und für „Gelegenheitstaucher“, die Möglichkeiten eine Leihausrüstungen zu beziehen. Mindestens genauso wichtig sind auch die Qualität des Tauchgewässers, dessen Sichtweiten oder die Temperatur und die dort vorkommende Artenvielfalt. Die Studie des Tauchsport Industrieverbandes (M ELL 2010 UND 2014) konnte zudem herausstellen, dass eine nützliche Aufgabe beim Tauchen, z. B. die Mitarbeit bei Hilfsorganisationen oder wissenschaftliche Aufgabenstellungen, das Tauchen attraktiver macht. Dieser Ansatz wird mittlerweile dazu genutzt, um Naturschutzmaßnahmen mit der Unterstützung von Tauchern durchzuführen. <?page no="167"?> Naturerlebnisse 167 Aus der Praxis: Tauchen für den Naturschutz Das Projekt des NABU-Regionalverbandes Gransee im Bundesland Brandenburg, zielt darauf ab, interessierte Sporttaucher durch spezielle Schulungsangebote für das Monitoring von Flora und Fauna der deutschen Seen zu gewinnen und die erhobenen Daten für Schutzmaßnahmen zu verwenden. Gleichzeitig werden die Taucher für den Schutz der Unterwasserwelt sensibilisiert. Weitere Informationen unter:  https: / / www.nabu-gransee.de/ projekte/ naturschutztauchen/ 3.1.5.4 Tauchdestinationen und Marktpotenzial Getaucht werden kann in allen Formen von stehenden und Fließgewässern. Die Hauptdestinationen für Tauchtourismus sind jedoch überwiegend tropische Meeresregionen. Diese Regionen, die „Hot Spots“ der Biologischen Vielfalt, ziehen durch die enorme Artenvielfalt, große Sichtweiten und die Aussicht auf Großfische wie Haie und Mantas oder Säuger wie Wale und Delphine, Taucher aus aller Welt an. Der Tauchurlauber ist ein relativ krisenbeständiger Tourist, was sich etwa in der politisch instabilen Region rund um das Rote Meer zeigt. Die Hauptzielgebiete des Tauchtourismus sind das Rote Meer, Südostasien, Australien, die Mittelmeerregion sowie die Karibik. Auf den Malediven stammen 28 % des Bruttoinlandsprodukts aus dem Tourismus, der sich weitestgehend auf den Tauchtourismus konzentriert. Auch in Ägypten hat der Tauchtourismus einen wichtigen Stellenwert im Tourismussektor. Mit etwa 11 % trägt der Tourismussektor hier zum Bruttoinlandsprodukt bei. Nach Angaben des Recreational Scuba Training Council Europe (RSTC) machen die rund 1,16 Millionen aktiven Taucher in Europa bis zu drei Mal pro Jahr einen Tauchurlaub, der durchschnittlich fünf bis sieben Tage dauert und 1.100 Euro kostet. Für Tauchkreuzfahrten sind die Ausgaben im genannten Zeitraum nahezu doppelt so hoch. Die Anzahl der Urlauber, die eine Destination nur zum Tauchen besuchen, nimmt jedoch ab. Das Tauchen wird im Urlaub mit anderen sportlichen Aktivitäten wie z. B. Golfen, Fahrradfahren und Surfen kombiniert. Die Tauchbranche stellt einen nicht zu unterschätzenden wirtschaftlichen Faktor dar. Allein die deutschen Taucher geben rund 590 Mio. Euro/ Jahr für Tauchreisen aus, für Tauchausrüstung werden ca. 120 Mio. Euro/ Jahr und für Kurse und Fortbildung ca. 67 Mio. Euro/ Jahr ausgegeben (T AUCHSPORT I NDUSTRIEVER- BAND 2014). Neuesten Schätzungen zufolge wird der weltweite Ausrüstungsmarkt in den Jahren 2016 bis 2020 um vier Prozent wachsen. Immer gefragter <?page no="168"?> 168 Naturtourismus sind dabei hoch entwickelte Geräte wie Digitalkameras oder Tauchcomputer sowie ökologisch unbedenkliche Materialien (RSTC 2018). 3.1.5.5 Auswirkungen des Tauchens auf den Naturraum Die Destinationen für Tauchtourismus sind oft sensible ökologische Systeme, die schon durch geringe Veränderungen stark beeinträchtigt werden können. Das Tauchen kann sich entlang der gesamten touristischen Leistungskette negativ auf diese Naturräume auswirken. Die Beeinträchtigungen infolge Beherbergung, Verpflegung und Anreise der Touristen unterscheiden sich nicht von anderen Tourismussegmenten. Durch die Nutzung von Schiffen und Booten und die dafür erforderliche Bereitstellung von Infrastruktur wie Häfen, Molen oder Deiche werden oftmals erhebliche Eingriffe in die Naturräume vorgenommen. Auch der Transport zum Tauchspot verursacht zusätzliche Beeinträchtigungen durch Luftemissionen und Schadstoffeinträge. Durch das Ankern von Booten können zusätzlich mechanische Belastungen auftreten, vor allem beim Ankern in tropischen Gebieten mit Korallenriffen. Durch die Installation von Bojen, die das Ankerwerfen überflüssig machen, kann hier jedoch Abhilfe geleistet werden. Beim eigentlichen Tauchgang sind die möglichen negativen Einflüsse stark von dem Verhalten des Tauchers abhängig (S CHEMEL , E RB- GUTH , 2010). Das Anfüttern von Fischen führt zu Veränderungen im Verhalten der Tiere. So kann die Aggressivität durch ein Ausbleiben des „Gefüttert Werdens“ zunehmen, so dass sich Artgenossen im schlimmsten Fall gegenseitig bzw. Großraubfische dann auch Taucher angreifen können. Auch hat der Erfahrungsgrad des Tauchers einen entscheidenden Einfluss auf die Intensität der möglichen Belastungen, so z. B. durch das noch fehlende Beherrschen des Tarierens. Im Flachwasserbereich können durch zu starken Flossenschlag in verstärktem Maße Sedimente aufgewirbelt werden oder mechanische Belastungen durch Tritt und Festhalten entstehen. Durch unkontrollierte schnelle Bewegungen ist der Störeffekt der Unterwasserfauna auch größer. Da der Tauchsport zugleich Verursacher und auch Betroffener von möglichen Beeinträchtigungen ist, achten mittlerweile die allermeisten Tauchorganisationen auf eine fundierte tauchsportliche Ausbildung, in welcher vor allem auch das Bewusstsein für ein umweltverträgliches Verhalten geschult wird. Ein verstärktes Engagement der Tauchsportorganisationen für die Ausweisung von Meeresschutzgebieten sowie Einnahmen aus dem Schutzgebietstourismus können zum Erhalt der sensiblen Ökosysteme und deren Wertschätzung als wichtige Grundlage für den Tauchtourismus entscheidend beitragen. <?page no="169"?> Naturerlebnisse 169 Tipps  Leitlinien für einen umweltverträglichen Sport: Der VDST hat die Leitlinien bereits 1996 als einer der ersten Sportverbände erarbeitet. Sie sollen Taucher für ein respektvolles Verhalten sensibilisieren:  w ww.vdst.de/ umwelt/ leitlinien.html  Das Tauchseenportal liefert wichtige Informationen über die unterschiedlichen Tauchgewässer und deren Anforderungen für ein umweltfreundliches Tauchen:  http: / / www.tauchseen-portal.de/ home 3.1.5.6 Trends im Tauchtourismus In „westlich“ orientierten Quellgebieten des Tauchtourismus ist zwischenzeitlich ein gewisser Sättigungsgrad des Tauchtourismus erreicht. Auch aufgrund des demographischen Wandels wird die Anzahl der Taucher in den nächsten 20 Jahren um rund 8 bis 9 Prozent schrumpfen (RSTC 2018). Jedoch werden starke Wachstumsraten von der Tauchindustrie in Osteuropa und Asien erwartet. Gründe dafür sind die prosperierende Entwicklung der Mittelschicht und damit verbunden ein gewisser Nachholbedarf, der sich auf den Tourismus auswirkt. Vor diesem Hintergrund ist eine stärkere Ausrichtung des Tauchtourismus im Hinblick auf eine nachhaltige und ökologisch orientierte Ausrichtung unabdingbar. Gleichzeitig kann die große Anzahl an Tauchern helfen, die Probleme unter Wasser an die Oberfläche und ins öffentliche Bewusstsein zu bringen (z. B. Müll im Meer, Plastikbelastung, verlorene Netze etc.). Der Mensch schützt nur was er kennt - dieser Aspekt sollte künftig mehr für den Schutz der Unterwasserwelt eingesetzt werden. Spezielle Angebote könnten Taucher für ein stärkeres Engagement zum Schutz der Unterwasserwelt motivieren. Vor allem interessieren sich immer mehr junge Menschen dafür, beim Schutz der Unterwasserwelt mitzuwirken. Aus der Praxis: Ocean CleanUP Als 18-jähriger entwickelte der Niederländer Boyan Slat 2013 das Projekt Ocean CleanUP, bei dem eine revolutionäre Technologie der Selbstreinigung der Ozeane dient und zur Eindämmung der globalen Plastikverschmutzung der Meere sorgt. Weitere Informationen unter:  https: / / www.theoceancleanup.com <?page no="170"?> 170 Naturtourismus Durch die Überalterung in den westlichen Gesellschaften wird künftig die Generation 55+ eine wichtige Zielgruppe für den Tauchtourismus sein. Hierbei spielt auch das Thema barrierefreies Tauchen eine wichtige Rolle. Dieser Aspekt muss bei der Angebotsgestaltung durch die Touristiker berücksichtigt werden. Darüber hinaus bringt der Klimawandel große Herausforderung mit sich. Denn jetzt schon sind über 30 % der riffbildenden Korallenarten durch die Erwärmung und Übersäuerung der Meere als Folgen des Klimawandels vom Aussterben bedroht. Hier wird sich auch die Tauchtourismusindustrie auf Veränderungen bei den Tauchdestinationen einstellen müssen. Literatur D IEDRICHKEIT , R.: Tauchtourismus für Behinderte - ein neuer Sektor nicht nur für Mecklenburg-Vorpommern. In: Greifswalder Beiträge zur Regional-, Freizeit- und Tourismusforschung; Bd. 17; S. 36-51. Greifswald 2007. M ELL , W.-D.: Tauchen in Zukunft. Studie im Auftrag des Tauchsport Industrieverband, Hg.: Forschungsvereinigung für die Sport- und Freizeitschifffahrt e. V. Köln 2010 und 2014. R ECREATIONAL S CUBA T RAINING C OUNCIL E UROPE (RSTC Europe). Essen 2016. S CHEMEL , H.-J., E RBGUTH , W.: Sport und Umwelt, Meyer & Meyer Fachverlag. Aachen 2000.  https: / / natursportinfo.bfn.de/ natursport/ wassersport/ tauchen.html  http: / / ww.w.vdst.de  http: / / www.padi.com  http: / / www.cmas.org <?page no="171"?> Naturerlebnisse 171 3.2 Aktive Natur- und Umweltbildung: Natur sehen und verstehen 3.2.1 Natur- und Umweltbildung in Freizeit und Urlaub von Prof. Dr. Heike Molitor In diesem Kapitel werden folgende Fragen beantwortet:  Warum ist Naturerleben für uns Menschen so wichtig?  Welche Landschaften bzw. welche Naturphänomene werden vom Menschen bevorzugt?  Was versteht man unter Natur- und Kulturinterpretation?  Welche Aspekte bestimmen das Miteinander von Tourismus und Naturerleben? Natur- und Umweltbildung für Menschen im Urlaub und in der Freizeit umfasst non-formale Bildungsangebote, die außerhalb des beruflichen Lebens oder des Alltags, Ruhe, Entspannung aber auch Unterhaltung und Information bieten. Wissen │ Non-formales Lernen Non-formales Lernen bezeichnet alle Lernprozesse außerhalb des öffentlichen Bildungswesens, das als formales Lernen bezeichnet, planmäßig organisiertes und anerkanntes Lernen beschreibt. Unter informellem Lernen hingegen versteht man eher ungeplantes, beiläufiges, z. T. auch unbewusstes oder implizites Lernen (D OHMEN 2001). Dieser Beitrag ist nach dem Schema der Erlebnisdimensionen im Naturerleben nach Pine und Gilmore (in K RONENBERG 2006) auf der aktiven Ebene (Educational) eingeordnet. Natur- und Umweltbildungsangebote sind i. d. R. eher integrativ zu verstehen und umfassen alle Naturerlebensdimensionen (Entertainment, Educational, Aesthetic, Escapist). Wenn ein Besucherzentrum beispielsweise eine Ausstellung im Hause anbietet, wird der Entertainmentaspekt betont, gleichzeitig schließt dort möglicherweise eine Aussichtsposition (ein Turm, eine Plattform, ein Felsen) an, von dem Naturbeobachtungen möglich sind (Aestehtic). Ein Lehrpfad oder eine Führung ergänzen das Angebot (Educational) <?page no="172"?> 172 Naturtourismus und Wanderwege bzw. Kletterpfade werden explizit ausgewiesen (Escapist). Der Beitrag fokussiert die Dimension Educational wohlwissend, dass Naturerlebnisangebote i. d. R. in ein Gesamtkonzept eingebettet sind. Aus der Praxis: Besucherzentrum Nationalpark Jasmund Ein Beispiel für solch ein integratives Konzept ist das Besucherzentrum des Nationalparks Jasmund auf Rügen. Der Königstuhl (Kreidefelsen) bietet eine eindrucksvolle Aussicht auf die Kreideküste (Aestehetic), das Zentrum ermöglicht multimediale Einblicke in die Naturwelt von Nationalparks (Entertainment) und Führungen wie auch Lehrpfade bieten vertiefende Einblicke in die Naturwelt (Educational). Abb. 36a und 36b: Das Nationalparkzentrum Königstuhl im UNESCO-Weltkulturerbe und der Königstuhl (Fotos: H. Molitor) Dieser Beitrag zeigt zunächst die Bedeutung der Natur für die menschliche Entwicklung auf, denn die Initiierung von Naturerlebnissen in der Freizeit bzw. im Urlaub geht über die Beschäftigung, die Unterhaltung oder den Lernanlass hinaus. Der Aufenthalt in der Natur hat für den Menschen auch eine Bedeutung für das seelische und psychische Wohlbefinden. Hier ist ein Konzept der Natur- und Umweltbildung im Urlaub und in der Freizeit die Natur- und Kulturinterpretation. Sie will Menschen mit der Natur verbinden und eine Wertschätzung für die Natur ermöglichen. Damit entsteht ein Spannungsfeld aus Naturtourismus, Naturschutz und Natur- und Umweltbildung. 3.2.1.1 Die Bedeutung der Natur für den Menschen Naturerfahrung hat für die Persönlichkeitsentwicklung des Menschen eine wichtige Bedeutung. Die Persönlichkeit wird in den meisten psychologischen Schulen als das Ergebnis der Beziehung zu sich selbst und der Beziehung zu anderen Menschen verstanden (G EBHARD 2009 2012). Nicht beachtet wird dabei die <?page no="173"?> Naturerlebnisse 173 Beziehung zur dinglichen bzw. natürlichen Umgebung. Eine solche Betrachtung erweitert klassische zweidimensionale Persönlichkeitsmodelle auf dreidimensionale (ebd.) (vgl. Abb. 37). Abb. 37: Dreidimensionales Persönlichkeitsmodell nach Gebhard 2009 Kinder bedürfen für ihre ganzheitliche Entwicklung anregende und vielfältige Reizumgebungen. Sie bevorzugen Dinge, die immer wieder gleich und doch neu sind, die erkennbar reagieren und angemessen komplex sind. Die Natur bzw. naturräumliche Strukturen bieten dafür gute Rahmenbedingungen - durch relative Kontinuität einerseits und ständigen Wandel andererseits. Diese Strukturen ermöglichen eine optimale Reizumgebung zwischen vertraut und neu, insbesondere durch die jahreszeitlichen Veränderungen und die Vielfalt in Form und Farbe (kein Lebewesen gleicht dem anderen). Kinder können so ihre Bedürfnisse nach Verlässlichkeit, Sicherheit, Orientierung, Neugierde, Fantasie und Abenteuerlust befriedigen (G EBHARD 2009, 2012, M OLITOR 2015). Beziehung zu sich selbst Beziehung zu anderen Menschen Beziehung zu Natur/ -objekten <?page no="174"?> 174 Naturtourismus Abb. 38a: Ein Kind macht ästhetische Erfahrungen in der Natur; Abb. 38b: Nutzungsspuren von Kindern in naturräumlichen Strukturen Fotos: H. Molitor Der Aufenthalt in der Natur wirkt zudem (gesundheits-)förderlich. Kinder, die sich viel im Freien bewegen, sind resistenter gegen Krankheiten, motorisch besser entwickelt und haben ein angemessenes Körpergewicht (B RÄMER 2010, R AITH , L UDE 2014). Kinder und Jugendliche mit viel Naturkontakt bzw. Naturverbindung weisen zudem ein höheres Umweltbewusstsein auf. Zum einen ist das Umweltwissen stärker ausgebildet und zum anderen sind die Einstellungen zur Umwelt positiver ausgeprägt (R AITH , L UDE 2014). Bei Kindern und Jugendlichen mit wenig Naturkontakt nimmt die Naturdistanz zu und die Einsicht in die Notwendigkeit der Nutzung und des Schutzes der Natur zur Sicherung unserer Lebensbedingungen ab (B RÄMER 2010). Fehlt der Kontakt zur Natur, so kann es zu einer Naturdefizit-Störung kommen. Diese zeigt sich z. B. in verringerten Sinneserfahrungen, Aufmerksamkeitsproblemen und einem höheren Maß an körperlichen und emotionalen Krankheiten zeigt (L OUV 2011). Diese Ergebnisse lassen sich auf Erwachsene übertragen. Werden diese befragt, so sprechen sie der Natur eine große Bedeutung zu, wie die bundesweite vom Bundesamt für Naturschutz in Auftrag gegebene Naturbewusstseinsstudie zeigt (BMU 2016). Für 94 % der Befragten gehört die Natur zu einem guten Leben dazu, sie bedeutet Erholung und Gesundheit aber auch Vielfalt (vgl. Kap. 1.2). 90 Prozent macht es glücklich, in der Natur zu sein. Der direkte Kontakt und die Verbundenheit mit der Natur ist ihnen demzufolge wichtig (BMU 2016, S. 63). Ebenso sprechen die Interviewten dem Naturschutz eine große Bedeutung zu. Rund 90 Prozent der Deutschen sehen den Menschen als Teil der Natur mit der Pflicht, die Natur zu schützen. Naturschutz sollte ihrer Meinung nach als Aufgabe der Politik bedeutsam sein (BMU 2016, S. 66f.). <?page no="175"?> Naturerlebnisse 175 Landschaften haben unterschiedliche Wirkungen auf Menschen. Grundsätzlich bevorzugen sie solche Landschaften, die deutbar sind oder die neugierig machen. Es sind Landschaften, bei denen Informationen erkennbar sind, die verarbeitet und interpretiert werden können, oder sie scheinen so interessant, dass Menschen mehr darüber erfahren möchten. Folgende Umweltmerkmale kennzeichnen diese Landschaften, die für den Naturtourismus besonders relevant sind (F LADE 2010):  Kohärenz  Lesbarkeit  Komplexität  Mystery Mit Kohärenz werden Landschaften beschrieben, die ausgewogen, z. T. sogar symmetrisch sind. Das bedeutet, dass sich die Landschaft wie ein Zusammenhang bzw. eine Gesamtheit darstellt und nicht nur aus Einzelspots besteht. Lesbarkeit bedeutet eine gute Orientierung durch naturräumliche Strukturen, Landmarks (s.u.) oder andere erkennbare Merkmale. Eine Umwelt wird als komplex bezeichnet, die viele unterschiedliche Einzelelemente hat. Eine mittlere Komplexität scheint optimal. Eine hohe Komplexität kann überfordern, eine niedrige Komplexität kann leicht langweilen. Das Merkmal Mystery beschreibt Landschaften, die neugierig machen, diese zu erkunden. Nicht alles ist auf den ersten Blick sichtbar, wie z. B. ein Weg, der sich hinter dem nächsten Hügel oder in der Ferne verliert (Flade 2010, vgl. auch Kap. 3.4.1.1). Konkret bedeutet dies, dass sowohl für Kinder wie auch für Erwachsene insbesondere Ausblicke und besondere Objekte (wie Landmarks oder für eine Region typische Naturelemente) in der Natur Anziehungspunkte darstellen. Diese typischen Phänomene können beispielsweise der Wacholder in Lüneburger Heide sein. Aber auch Übergangszonen (z. B. Ufer, Waldrand) mit der Möglichkeit eines Wechsels von einem Landschaftsmedium in ein anderes, können neugierig machen und werden bevorzugt. Tatsächlich erzeugt aber auch jeder Ort/ jeder Raum eine eigene Atmosphäre und eigene Assoziationen. Dieser äußere Raum bildet sich als innerlich wahrnehmbare Atmosphäre ab und beeinflusst die subjektive Befindlichkeit des Menschen (F ROHMANN ET AL . 2010). Ein Hainartiger Naturraum (Wald mit lockerem Baumbestand) übte in einer Untersuchung eine sehr beruhigende Wirkung auf die jeweiligen Versuchspersonen aus, wohingegen der Raum direkt an einem Wasserfall eine sehr aktivierende und vitalisierende Wirkung bei den Probanden erzeugte. Eine Steinlandschaft ohne erkennbaren und fühlbaren Schatten sowie ohne erkennbare Strukturen löste trotz der akustischen Ruhe keine so beruhigende gesundheitsfördernde Wirkung aus wie das Wäldchen (ebd.). <?page no="176"?> 176 Naturtourismus Insbesondere für den Naturtourismus sind dies wichtige Erkenntnisse, denn Landschaften haben nicht per se die gleiche Bedeutung und Wirkung für die Gäste. Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse liefert die Natur- und Umweltbildung einen wichtigen Beitrag, Menschen gezielt in die Natur zu führen. Eine Möglichkeit dazu, bietet das Konzept der Natur- und Kulturinterpretation. 3.2.1.2 Natur- und Kulturinterpretation Natur- und Kulturinterpretation (engl. Heritage Interpretation) ist ein werteorientiertes Bildungskonzept, das der Bewahrung unseres Natur- und Kulturerbes dient. Es ist Mitte des 20. Jhd. in den Nationalparks Amerikas entstanden. Ein wichtiger Vertreter ist Freeman Tilden. Er legte mit dem Buch „Interpreting our heritage“ 1957 erstmals das Grundverständnis der Interpretation dar. Wissen │ Interpretation „Interpretation ist Bildungsarbeit, die anstelle der bloßen Vermittlung von Faktenwissen darauf abzielt, Bedeutungen und Zusammenhänge anhand von Originalgegenständen, durch unmittelbare Erfahrung und mit veranschaulichenden Mitteln zu enthüllen“ (T ILDEN 2017, S. 36). Dabei sind Anknüpfungspunkte zwischen unmittelbar erlebten Natur- oder Kulturphänomenen und der Lebenswelt der Besucher elementar. Natur- und Kulturinterpretation bezieht sich nicht nur auf die freie Landschaft, sondern auch auf besucherorientierte, non-formale Bildungseinrichtungen wie Museen, Zoologische oder Botanische Gärten (L UDWIG 2011), die z. T. eine große Anzahl von Gästen anziehen. Die Naturführer (auch Ranger genannt) nutzen originale Gegenstände, sogenannte Phänomene, um den Wert der Natur durch Erfahrungen aus erster Hand den Gästen näher zu bringen. Diese originalen Gegenstände sind beispielsweise Pflanzen oder Tiere, Landschaftselemente, Aussichten oder typische lokale Objekte bzw. Phänomene. Art und Intensität der Auseinandersetzung sind sehr stark von der Motivation der Gäste und ihrer Bereitschaft zum Dialog abhängig (W OHLERS 2016). Dabei steht die Beziehung zwischen dem Phänomen, dem Gast und dem Ranger (bzw. dem Interpreten) im Vordergrund. Die Führungen (Interpretationsgänge genannt) folgen einer Leitidee - einem roten Faden - der einen sinnhaften Spannungsbogen aufbaut und hilft, die Landschaft verstehbar und lesbar zu machen. Der Ranger interpretiert die Naturphänomene und bezieht dabei den Gast aktiv in den Prozess ein und gibt ihm Raum, die Führung mit zu gestalten (Prinzip der Teilnehmerorientierung) (L UDWIG 2011). Damit wird aus Einzelphänome- <?page no="177"?> Naturerlebnisse 177 nen eine sinnhafte Gesamtführung und die Landschaft für die Menschen erfahrbar und lesbar. Natur- und Kulturinterpretation bezieht dadurch aktiv die emotionale Komponente ein und ermöglicht so einen ganzheitlichen Zugang zu den Naturphänomenen. Abb. 39: Phänomen „Toter Baum mit Wurzelteller“ Foto: H. Molitor Ein solches Phänomen kann ein umgefallener Baum sein. Dessen Wurzelteller wird als Ausgangspunkt für die Entdeckung genutzt, dass dieser tote Baum von der Wurzel bis zur Krone Lebensraum für viele unterschiedliche Lebewesen ist. Die passende Leitidee - „Totholz lebt“ - gibt für diese „Station“ der Führung eine hilfreiche Orientierung. <?page no="178"?> 178 Naturtourismus Phänomene sind spezifische Objekte, wie z. B. ein toter Baum mit Wurzelteller. Abb. 40: Grundprinzipien der Interpretation (nach Ludwig 2015) Tipp Wie eine Führung konkret aufgebaut werden kann, erläutert die Handreichung von Thorsten Ludwig (2015) „Führungsdidaktik. Mit Gästen draußen unterwegs“ nachgelesen werden:  www.interp.de/ dokumente/ fuehrungsdidaktik_5.pdf 3.2.1.3 Miteinander von Tourismus und Naturerleben Naturtourismus lebt von der Schönheit und dem Erholungswert unserer Natur- und Kulturlandschaften. Naturtourismus, Naturschutz und Natur- und Umweltbildung sind hier eng miteinander verbunden. Ohne Landschaften, die Erholung bieten und eine Aufenthaltsqualität haben, entsteht kein Naturtourismus. Voraussetzung ist dafür eine halbwegs intakte Natur- oder Kulturlandschaft, für deren Erhalt und Wertschätzung wiederum gesorgt sein muss. Hier kann Natur- und Kulturinterpretation einen wertvollen Beitrag dafür liefern, Menschen einen tieferen Zugang zur Natur zu ermöglichen und Begeisterung zu wecken. Dafür kann es wichtig sein, Zugang zu Naturphänomenen auch abseits der Wege zu Leitidee Die Phänomene sind an der Leitidee orientiert, z.B. „Totholz lebt“. Der Interpret/ die Interpretin schafft eine Verbindung zwischen Gast und Phänomen. Die Gäste sind aktiv beteiligt, begegnen den Phänomenen und bringen ihre Gedanken mit ein. <?page no="179"?> Naturerlebnisse 179 ermöglichen. Ein Miteinander von Naturtourismus, Naturschutz und Natur- und Umweltbildung ist unabdingbar. Dafür braucht es integrative Konzepte, die Angebote für alle Erlebnisdimensionen im Naturerleben nach Pine und Gilmore (Entertainment, Educational, Aesthetic, Escapist) aufgreifen (in K RONENBERG 2006). Literatur BMU - Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit & BfN - Bundesamt für Naturschutz (Hg.): Naturbewusstsein 2015. Bevölkerungsumfrage zu Natur und biologischer Vielfalt. Bonn 2016. B RÄMER , R.: Natur: Vergessen? Erste Befunde des Jugendreports Natur 2010. Bonn, Marburg 2010. D OHMEN , G.: Das informelle Lernen. Die internationale Erschließung einer bisher vernachlässigten Grundform menschlichen Lernens für das lebenslange Lernen aller. Bundesministerium Bildung und Formung (Hg.). BMBF Publik, 2001. F LADE , A.: Natur psychologisch betrachtet. Huber, 2010. F ROHMANN , E., G ROTE , V., A VIAN , A. & M OSER , M.: Psychophysiologische Effekte atmosphärischer Qualitäten der Landschaft. Schweiz Z Forstwes 161, 3, S. 97- 103, 2010. G EBHARD , U.: Kind und Natur. Die Bedeutung der Natur für die psychische Entwicklung. 3., überarbeitete und erweiterte Aufl. VS Verlag für Sozialwissenschaften. Budrich Uni Press, 2009. G EBHARD , U.: Zur Bedeutung von Naturerfahrungen für die seelische Entwicklung, Wohlbefinden und Gesundheit. In: Jung, N., Molitor, H. & A. Schilling (Hg.): Auf dem Weg zu gutem Leben. Die Bedeutung der Natur für seelische Gesundheit und Werteentwicklung. Budrich Uni Press, S. 31-42, 2012. K RONENBERG , C.: Inszenierungen im alpinen Tourismus. In: Weiermair, K.; Bruner- Sperdin, N. A. (Hg.): Erlebnisinszenierungen im Tourismus. Erfolgreich mit emotionalen Produkten und Dienstleistungen. ESV Erich Schmidt Verlag, S. 211-220, 2006. L OUV , R.: Das letzte Kind im Wald? Geben wir unseren Kindern die Natur zurück! Beltz, 2011. L UDWIG , T.: Natur- und Kulturinterpretation - Amerika trifft Europa. In: Jung, N., Molitor, H. & Schilling, A.: Natur im Blick der Kulturen. Naturbeziehung und Umweltbildung in fremden Kulturen als Herausforderung für unsere Bildung. Budrich Uni Press, S. 99-114, 2011. L UDWIG , T.: Führungsdidaktik. Mit Gästen draußen unterwegs. 5. Aufl. Bildungswerk Interpretation. 2015. <?page no="180"?> 180 Naturtourismus M OLITOR , H.: Verbindung der werteorientierten Konzepte Bildung für nachhaltige Entwicklung und Natur- und Kulturinterpretation. In: Jung, N., Molitor, H. & Schilling, A.: Auf dem Weg zu gutem Leben. Die Bedeutung der Natur für seelische Gesundheit und Werteentwicklung. Budrich Uni Press, S. 151-166, 2012. M OLITOR , H.: Mut zum Gefühl - Naturschutz und Bildung vereint? In: Jung, N., Molitor, H. & Schilling, A.: Natur, Emotion, Bildung - vergessene Leidenschaft? Zum Spannungsfeld von Naturschutz und Umweltbildung. Eberswalder Beiträge zu Bildung und Nachhaltigkeit Band 4. Budrich Uni Press, S. 23-30, 2015. R AITH , A. & L UDE , A.: Startkapital Natur. Wie Naturerfahrung die kindliche Entwicklung fordert. Oekom, 2014. T ILDEN , F.: Natur- und Kulturerbe vermitteln - das Konzept der Interpretation. Ludwig, T. (Hg.). Oekom, 2017. W OHLERS , L.: Informelle Bildung. Natur- und Kulturerbe freizeitorientiert vermitteln - ein Handbuch für Tiergärten, Großschutzgebiete, Museen, Botanische Gärten und historische Orte.  www.informelle-bildung.de, Eigenverlag, 2016. 3.2.2 Ornithologen und Naturfotografen als naturtouristische Zielgruppe von Maren Behr In diesem Kapitel werden folgende Fragen beantwortet:  Wie sind die naturtouristischen Zielgruppen Ornithologen und Naturfotografen definiert?  Welche Merkmale und Ansprüche an touristische Angebote haben diese Zielgruppen? Beobachtung ist der erste Schritt zum Verstehen, anschließend folgt die Nachahmung und Abstraktion von Gelerntem. Naturbeobachtung ist aus diesem Grund aktive Umweltbildung und wichtig, um Natur zu verstehen, zu schützen und ggf. Dinge aus ihr zu übertragen (D EUTSCHE UNESCO-K OMMISSION E . V. 2018). Beobachtungen werden entweder wissenschaftlich weiterverarbeitet (Kartierungen, Festhalten von Beobachtungen), künstlerisch/ visuell umgesetzt (Naturmalerei und Fotografie) oder dienen ausschließlich intrinsischen Absichten (Entspannung, Genuss, Meditation). Eine der größten Gruppen von Personen, die sich in Ihrer Freizeit aktiv der Naturbeobachtung und Fotografie widmen, ist die der Ornithologen (Vogelbeobachter). <?page no="181"?> Naturerlebnisse 181 Die Klasse der Vögel ist unter den Landwirbeltieren mit 10.700 bekannten rezenten Arten die artenreichste und auf allen Kontinenten der Welt verbreitet. Vögel sind in den meisten Kulturen zu finden, z. B. durch künstlerische Darstellung, Nutzung von Federn als Schmuck oder durch Lieder und nicht zuletzt als Teil unserer modernen Technikgeschichte, wo sie als Vorbild für Fluggeräte dienen. Durch den engen Naturbezug und der Beliebtheit von Reisen in dieser Zielgruppe stellt die Gruppe der Ornithologen bzw. Vogelbeobachter ein bisher wenig erschlossenes Potenzial für den Naturtourismus dar. Für die Gestaltung von naturtouristischen Angeboten ist allerdings eine genaue Kenntnis der spezifischen Zielgruppe, deren Ansprüche, Wünsche und Besonderheiten nötig. 3.2.2.1 Begriffsdefinition und Einordnung in den Naturtourismus Wissen │ Vogelbeobachter Vogelbeobachter (engl. Birdwatcher) ist die Bezeichnung von Personen, die „Vögel ungeachtet des Grunds beobachten“ (A MERICAN BIRDING ASSOCIATION o. J.). „Vogelbeobachter“ ist dieser Definition nach ein Begriff, der lediglich die Tätigkeit der Beobachtung beschreibt. Dem kann eine wissenschaftliche genauso wie jede andere mögliche Motivation zugrunde liegen. Der Tourismus rund um die Vogelbeobachtung/ Ornithologie (wiss.) heißt Avitourismus und ist ein Teilgebiet des Naturtourismus. Den Erlebnisdimensionen im Naturerleben nach (P INE , G ILMORE 1999 in: K RONENBERG 2006), kann der Avitourismus dem „Naturtourismus im engeren Sinne“ zum Zweck der „aktiven Umweltbildung“ zugeordnet werden (vgl. Kap. 1.3.1). Vogelbeobachter sind der Gruppe der spezialisierten Naturtouristen zuzuordnen. Spezialisierte Naturtouristen sind interessiert an speziellen Arten und Gattungen und legen viel Wert auf eine intakte Natur, da ihr Interessenobjekt in der Regel auf bestimmte Umweltgegebenheiten angewiesen ist. Bezogen auf Tiere gilt dabei meist die Regel: je seltener, desto höhere Ansprüche an eine intakte Umwelt (Spezialisten, die nur eine enge Nische besetzen), desto interessanter für den spezialisierten Naturtouristen (S PEKTRUM A KADEMISCHER V ERLAG 2001). <?page no="182"?> 182 Naturtourismus Ebenso haben Naturfotografen hohe Ansprüche an den Naturraum, teilen sich allerdings je nach Spezialisierungsfeld wieder in Interessengruppen mit deren Ansprüchen an touristische Angebote auf, z. B. Vogelfotografie oder Pflanzenfotografie. 3.2.2.2 Vogelbeobachtung als Hobby und Reisemotivation Soziodemografische Merkmale und Motivation In den USA zählt Vogelbeobachtung heute zu den am häufigsten genannten naturgebundenen Freizeitbeschäftigungen. 41 % der US-Bevölkerung haben eigenen Angaben nach im Jahr 2016 gejagt, geangelt oder die Natur (83 %) beobachtet. Unter der Naturbeobachtung ist die Vogelbeobachtung am beliebtesten mit 46,7 % der Befragten, gefolgt von der Beobachtung von Säugetieren. Neben der Beobachtung und ggf. Fütterung von Tieren, wird die Naturfotografie als häufigste begleitende Aktivität genannt (U.S. F ISH & W ILDLIFE S ERVICE 2018). In Europa ist Vogelbeobachtung vorwiegend in Großbritannien und seit einiger Zeit auch in den Niederlanden besonders beliebt. In Großbritannien ist Vogelbeobachtung eines der am häufigsten betriebenen Hobbys (CBI 2017). Eine Studie zur Bedeutung der Vogelbeobachtung als Freizeitaktivität gibt es für den deutschen Sprachraum derzeit nicht, es wurden jedoch in der Vergangenheit einige Informationen zu demografischen Merkmalen sowie Reiseverhalten und Untergruppierungen ermittelt. Aus diesen ergeben sich folgende Charakteristika: <?page no="183"?> Naturerlebnisse 183 Abb. 41: Reiseverhalten und soziodemografische Charakteristika deutscher Vogelbeobachter (nach Behr 2015) Die Zielgruppe der Vogelbeobachter in Europa lässt sich in drei Untergruppierungen oder Motivationstypen unterteilen (CBI 2017). Diese unterscheiden sich bezüglich des Reiseverhaltens und der Intensität der Ausübung ihres Hobbys. Unter allen drei Gruppen ist die Naturfotografie von mittlerer bis hoher Bedeutung, um Sichtungen aus ästhetischen, wissenschaftlichen oder kompetitiven Gründen festzuhalten und ggf. mit anderen Personen und auf Foren zu teilen. Ø 8,51 Std. pro Woche für Vogelbeobachtung Naturschutz und Erholung sind Hauptmotivation Kann mindestens 200 Arten ohne Hilfe erkennen Führt eine Sichtungs-liste, nimmt aber nur zu 42% an Wettkämpfen teil Fotografiert und kartiert Sichtungen Nutzt Kamera, Laptop und/ oder Smartphone Legt weniger Wert auf die Art der Unterkunft, Vogelbeobachtung steht im Vordergrund ¾ männlich Ø 43,87 Jahre alt Stammt im Moment noch eher aus den alten Bundesländern Abitur oder Fachabitur Häufig akademischer Abschluss Angestellte(r) / fest berufstätig oder bereits in Rente Ø seit mindestens 20 Jahren Vogelbeobachter Beobachtet meist im Umkreis von 60 km um den Wohnort Verreist Ø 3,41 Mal im Jahr über Nacht, gerne auch ins Ausland <?page no="184"?> 184 Naturtourismus Wissen │ Vogelbeobachter im Überblick  Twitcher: Sie sind fanatische Vogelbeobachter, die über weite Entfernungen reisen würden, um einen neuen oder seltenen Vogel zu sehen, den sie ihrer Liste hinzufügen möchten. Sie möchten so viele Vögel wie möglich beobachten. Sobald sie eine Art gesehen haben, suchen sie nach der nächsten. Einige nehmen sogar an Wettbewerben teil, bei denen es darum geht, die längste Liste zu erreichen. Sie bringen ihre eigene Ausstattung mit und sind nicht wirklich an anderen Aktivitäten interessiert. Twitcher nehmen vermutlich einen Anteil von 10 % der Vogelbeobachtungstouristen ein. In Europa kommen sie vorwiegend aus Großbritannien, den Niederlanden und aus Skandinavien.  Enthusiasts: Sie sind Vogel- und Naturliebhaber und haben generell einen guten Wissensstand bzgl. der Fauna ihres Zielgebiets. Sie reisen langsamer als Twitcher und sie genießen es, sich zu entspannen. Wetter und äußere Umstände sind von untergeordnetem Interesse, solange der Vogel beobachtet wurde. Neben Vogelbeobachtung sind sie interessiert an anderen, oft kulturellen Aktivitäten. Die Gruppe der Vogelliebhaber setzt sich zu gleichen Teilen aus Männern und Frauen zusammen und stellt das größte Potenzial für Vogeltourismusanbieter, da sie zum einen die größte Gruppe (über 50 %) der Avitouristen stellen und zum anderen am meisten Geld in Touren und Ausstattung investieren.  Casuals: Gelegenheitsvogelbeobachter sind typischerweise Touristen, die auch an anderen Outdoor- und naturbasierten Aktivitäten interessiert sind. Sie können dann zusätzlich überzeugt werden, Vogelbeobachtung als Aktivität in ihre Reise einzubeziehen. Es wird vermutet, dass diese Gruppe rund 30 % der Avitouristen ausmacht. Da Birding als Hobby an Popularität gewinnt, hat die Gruppe der Casuals ein Wachstumspotenzial für Vogelbeobachtungsreisen (vgl. CBI 2017) <?page no="185"?> Naturerlebnisse 185 Trotz eines diversifizierten Marktes ist das Image von Vogelbeobachtung als Hobby von klischeebeladenen Bildern dominiert. Im Wall Street Journal werden 1995 Vogelbeobachter noch als “pilgrims with binoculars around their necks and cash in their pockets” (S COTT , T HIGPEN 2003, S. 200) dargestellt, allerdings unterliegt dieses Image derzeit einer Veränderung. Anstoß für diesen Imagewandel geben zum Beispiel der Trend zu Outdooraktivitäten und die Entdeckung der Vogelbeobachtung durch die Millennials. Zudem steigt die Zahl an Vogelbeobachtungsapps und vereinfacht so den Prozess der Kartierung. Weitere Trends sind einerseits Vogelbeobachtung als Wellness und Meditation und andererseits in Großbritannien bereits sehr beliebte kompetitive Formen der Vogelbeobachtung wie Birdraces (CBI 2017). Auf einem englischsprachigen Blog wurde 2017 die Prognose abgegeben: „Forget Pokémon Go: birding is the next level for sharp-eyed city flañeurs as the pursuit moves from behind the hedgerow and onto the streets.“ (J ORDAN 2017). 3.2.2.3 Gestaltung naturtouristischer Angebote für Vogelbeobachter und Naturfotografen Soll eine Zielgruppe touristisch erschlossen werden, ist es nötig, naturtouristische Angebote in einer Region zu kreieren. Die Ansprüche der beiden Gruppen Vogelbeobachter und Naturfotografen überschneiden sich vielfach, allerdings variieren die Ansprüche der Naturfotografen je nach Beobachtungsobjekt. Berühren die touristischen Angebote geschützte und/ oder besonders wertvolle Gebiete, darf auf eine gute Vorbereitung und Planung nicht verzichtet werden, um spätere Konflikte zu vermeiden. Alle relevanten Akteure sollten vorab an der Angebotsgestaltung beteiligt worden sein z. B. in Form von Produktworkshops, runden Tischen oder über regionale Tourismusverbände. Um Angebote zu kreieren oder Kanäle ausfindig zu machen, über die diese verbreitet werden können, steht ein diversifizierter Markt rund um Naturbeobachtung zur Verfügung. Bezüglich der Vogelbeobachtung erstreckt sich der Markt von Fachmedien wie Magazinen („Der Falke“, „Vögel“ Magazin) oder Apps (NaturaList, naturgucker.de App) über Messen (Hansebird), Spezialreiseveranstaltern (Birdingtours) bis hin zu speziellen Beobachtungsevents (Birdraces), die sowohl touristisches Angebot als auch möglicher Kommunikationskanal sind, um an Vogelbeobachter heranzutreten. Auch Hersteller von Kameras und anderem Equipment sind mögliche Kooperationspartner. Darüber hinaus organisiert sich die Gemeinschaft der Vogelbeobachter sowohl international als auch deutschlandweit über Vereine, Verbände (z. B. Dachverband Deutscher Avifaunisten) und auf privat betriebenen Plattformen. Die größten europäischen Verbände und Vereinigungen sind in Großbritannien die Royal Society for the Protection of Birds (RSPB) mit über einer Million Mitgliedern. Die Niederlande sind der am schnellsten wachsende Quellmarkt für Avitourismus. Der Verein „Vogelbe- <?page no="186"?> 186 Naturtourismus scherming Nederland“ hat ca. 141.000 Mitglieder (viertgrößter weltweit) (CBI 2013 UND 2017). Jährlich steigende Teilnehmerzahlen können in Deutschland zudem Birdraces verzeichnen. Am 05.05.2018 nahmen nach Angaben des DDA e. V. (Dachverband Deutscher Avifaunisten) 347 Teams mit über 1.100 Teilnehmern beim 15. bundesweiten Birdrace teil (  https: / / birdrace.dda-web.de/ statistik). Ebenso steigen international die Teilnehmerzahlen an Birdraces - am deutlichsten sichtbar beim Global Big Day, an dem 2018 28.000 Vogelbeobachter aus 170 Ländern teilgenommen haben. Im Vergleich: 2017 lagen die Teilnehmerzahlen bei 20.000 Teilnehmern aus 150 Ländern, im Jahr 2016 bei ca. 16.000 aus 145 Ländern (A UDUBON AND C ORNELL L AB OF O RNITHOLOGY 2018). 3.2.2.4 Produktgestaltung im Avitourismus Neben den bereits erläuterten Daten über die Zielgruppe der Vogelbeobachter ergeben sich gerade im spezialisierten Naturtourismus durch die Art des speziellen Interesses weitere Anforderungen an den Tourismus. Zusammengefasst sind das für Vogelbeobachter (CBI 2013 UND 2017, B EHR 2015):  Sicherheit der Destination: Vogelbeobachter verbringen in der Regel viel Zeit allein oder in kleinen Gruppen und das oft in abgelegenen Gegenden, wo die Natur ungestört ist. Die Sicherheit der Destination ist deshalb bei der Produktgestaltung zu beachten oder es können Maßnahmen eingeführt werden, die die Sicherheit des Zielgebiets erhöhen.  Qualitäten der Vogelwelt: Als wichtigster Entscheidungsfaktor bei der Wahl eines Reiseziels gilt für Vogelbeobachter die Zugänglichkeit und Vielfalt der Vogelwelt vor Ort. Hinzu kommen Aspekte wie das Vorkommen seltener Vogelgruppen und nur dort einheimischer Arten (endemische Arten) als verstärkende Faktoren. Für Enthusiasts und Twitcher ist das Vorkommen bestimmter Arten eines der Hauptargumente bei der Wahl einer Destination.  Reputation/ Image des Zielgebiets: Zwischen Vogelbeobachter mit Heimatländern in der Europäischen Union herrscht ein regelmäßiger Austausch von Informationen über Foren, Exkursionen, Birdraces oder Messen. Ausgetauscht wird sich innerhalb der Gemeinschaft der Vogelbeobachter neben den besten Beobachtungsplätzen und aktuellen Sichtungen auch über die letzten Reisen.  Erreichbarkeit von Beobachtungspunkten und Infrastruktur: Die Zugänglichkeit/ Sichtbarkeit von Vögeln u. a. durch fortgeschrittene Beobachtungsinfrastruktur ist nötig, um das Hobby betreiben zu können. Viele Vogelbeobachter suchen die Nähe zu wichtigen Vogel(schutz)gebieten und „Birding-Hotspots“ (vgl. R EDAKTION D ER F ALKE S. 196ff). Zu fortgeschrit- <?page no="187"?> Naturerlebnisse 187 tener Beobachtungsinfrastruktur gehören zum Beispiel: Vogelbeobachtungsrouten, Vogellisten, Pfade, Stege und Verstecke/ Hides. Informationstafeln über Themen wie Biologie der Vögel und Identifikationsmerkmale geben einen Mehrwert (CBI 2013). Deutsche Vogelbeobachter bemängeln in einer anderen Befragung die fehlende Infrastruktur und äußern den klaren Wunsch nach Verbesserung der Beobachtungsinfrastruktur (B EHR 2015).  Kundige Reiseleiter/ Guides: Die Qualität einer Vogelbeobachtungsreise wird nicht selten anhand der Fachkenntnis des Reiseleiters/ Guides bewertet. Kundige Reiseleiter sollten vor Ort sehr gut über die besten Beobachtungspunkte, sonstige Gegebenheiten und die vorkommenden Arten Bescheid wissen und dieses Wissen vermitteln können.  Unterbringung: Besonders ältere Vogelbeobachter und Gruppenreisende tendieren zu Unterkünften mit höheren Standards (je nach Zielland 3-4 Sterne). Für die Gruppe der „Twitcher und Enthusiasts“ hat die Vogelbeobachtung Vorrang. Komfort ist ihnen weniger wichtig. Sie wählen tendenziell eher kleinere, bescheidene Unterkünfte, ungeachtet der sonst gewohnten, eher höheren Standards, solange ein Beobachtungspunkt gut erreichbar ist. Je nach Gruppenzusammensetzung ist auch an Barrierefreiheit zu denken.  „Birder“-freundliche Unterbringung/ Anlagenausstattung: Vogelbeobachter bevorzugen Angebote, die Raum für die Ausübung ihres Hobbys geben. Da der frühe Morgen als beste Zeit zur Vogelbeobachtung gilt (höhere Aktivität der meisten Arten, die darum leichter zu sichten sind), sind flexible Mahlzeiten eine Hauptanforderung an die Unterkunft. Flexible An- und Abreisezeiten und die Präsenz von Literatur zur regionalen Avifauna, um tägliche Sichtungen nachzuschlagen, werden ebenfalls empfohlen.  Umweltschutz und Nachhaltigkeit: Generell sind Naturtouristen, zu denen Vogelbeobachter gehören, interessierter an den Themen Natur- und Umweltschutz als der Durchschnittsreisende. Viele Vogelbeobachter sind Mitglied mindestens eines Vogel- oder Naturschutzvereins und damit gut informiert über Themen, die Einflüsse auf Vögel und Habitate betreffen. Touristischen Anbietern und Destinationen wird geraten, die Kundschaft über den eigenen Standpunkt zu diesen Themen zu informieren und glaubhaft den eigenen Beitrag zum Schutz der Vögel zu kommunizieren. Zusätzlich können Informationen zur ethischen Vogelbeobachtung herausgegeben werden (z. B. Nester und Jungvögel meiden, die Wege nicht verlassen usw.).  Gruppengröße: Vogelbeobachter, die an organisierten Touren teilnehmen, bevorzugen Kleingruppen (max. 16 Personen), damit Geräuschkulisse und andere Einflüsse auf die Umwelt gering bleiben. Bei Exkursionen mit weniger Teilnehmer steigt die Wahrscheinlichkeit, seltene Vögel zu beobachten <?page no="188"?> 188 Naturtourismus (weniger Lärm), was oft Ziel der Teilnehmer ist. Generell bevorzugen gerade ältere Vogelbeobachter Gruppenreisen.  Kombinationsangebote: Viele Vogelbeobachter haben auch Interesse an anderen Aktivitäten, insbesondere solche, die im Zusammenhang mit Kultur stehen. Eine Empfehlung für Anbieter von Touren und Reiseveranstaltern ist darum immer auch ein Rahmenprogramm bestehend aus dem Besuch von kulturellen Stätten, Aktivitäten im Zusammenhang mit der Tradition der Destination oder den Besuch eines Reservats zu gestalten. Diese Angebote bieten auch mitreisenden Nicht-Vogelbeobachtern eine Beschäftigung und Ausweichmöglichkeiten bei schlechtem Wetter.  Saisonalität: Eine wichtige Rolle bei der Destinationswahl spielen auch Wandergewohnheiten der Vogelarten und saisonales Verhalten im Allgemeinen. Einige Gebiete sind für die Vogelbeobachtung nur saisonal von herausragendem Interesse (z. B. Zugvogeldurchflug oder Balz-/ Brutzeit). Andere Destinationen sind ganzjährig beliebt und weitere sind aufgrund der klimatischen Bedingungen saisonal für die Vogelbeobachtung unkomfortabler (ebd.). Neben diesen Punkten wünschen sich deutsche Vogelbeobachter von den Destinationen laut Befragungen Informationen über die Destination im Internet und vor Ort (thematische Veranstaltungen, Touren, Beobachtungspunkte und Anfahrt, Wanderkarten, aktuelle Sichtungen), Rundwege (besserer Zustand, höhere Anzahl), Aus- und Beschilderung (Wege, Parkplätze, Beobachtungsstände), mehr Beobachtungsinfrastruktur (Türme, Verstecke, Hütten) und Vernetzungsportalen unter Vogelbeobachter (Mitfahrgelegenheiten, Reisepartner, Treffen), gastronomische Angebote, Maßnahmen gegen Vogelbeobachter- Overtourism sowie Naturbelassenheit (B EHR 2015, H ÜHN 2017). 3.2.2.5 Anforderungen von Naturfotografen an touristische Angebote Die Ansprüche von Naturfotografen und Vogelbeobachtern überschneiden sich vielfach, allerdings variieren die Ansprüche der Naturfotografen je nach Ihrem bevorzugten Fotoobjekt. Bei der Landschaftsfotografie soll oft eine bestimmte Stimmung eingefangen werden. Sie ist aus diesem Grund stark tageszeitlich gebunden. Werden Tiere fotografiert, orientiert sich der Tagesablauf auf einer Reise nach deren aktiven Zeiträumen, bei Vögeln bevorzugt in den frühen Morgenstunden. Naturfotografen brauchen zudem länger an einem Standort als reine Vogelbeobachter, um Ihr Equipment aufzubauen und Fotos zu schießen. Zudem ist für Naturfotografen eine fachgerechte sichere Aufbewahrungsmöglichkeit für das häufig teure Equipment wichtig, ebenso wie die Möglichkeit diverse Outdoor Ausrüstung zu mieten. Als touristische Angebote sind Work- <?page no="189"?> Naturerlebnisse 189 shops mit Bildbesprechungen ebenso wie Fotosafaris oder Bootstouren und Rundflüge denkbar. Literatur A MERICAN B IRDING A SSOCIATION : Birding Journal: Jahrgang 1 (2). American Birding Verlag. Delaware City o.J. A UDUBON & C ORNELL L AB OF O RNITHOLOGY : ebird: New York 2016:  https: / / ebird.org/ news/ gbd2016 B EHR M.: Ornithologen, unterwegs. Untersuchung der Gruppe „deutsche Vogelbeobachter“ als touristische Zielgruppe. Eberswalde 2015. CBI (Centre for the Promotion of Imports from developing countries - Ministry of foreign affairs of Netherlands): Product Fact Sheet Birdwatching tourism by EU residents. 2013 und 2017 aktualisiert. The Hague 2018;  https: / / www.cbi.eu/ market-information/ tourism/ birdwatching-tourism/ D ACHVERBAND D EUTSCHER A VIFAUNISTEN 2018: 15. bundesweiter Birdrace. Münster 2018:  https: / / birdrace.dda-web.de/ statistik D EUTSCHE UNESCO-K OMMISSION E . V.: Bildung für nachhaltige Entwicklung. Bonn 2018:  https: / / www.bne-portal.de/ de/ einstieg/ was-ist-bne H ÜHN , K.: Kraniche zwischen Landwirtschaft und Tourismus - Konfliktanalyse und Entwicklung von Maßnahmenvorschlägen zum Interessensausgleich am Beispiel des Kranichrastplatzes Rhinluch. Mensch und Buch Verlag 2017. J ORDAN R.: Why birdwatching really is 2017’s unlikeliest craze. Condé Nast Britain. London 2017:  https: / / www.cntraveller.com/ article/ urban-birding-london-birdwatching K RONENBERG , C.: Inszenierungen im alpinen Tourismus. In: Weiermair, K.; Bruner- Sperdin, N. A. (Hg.): Erlebnisinszenierungen im Tourismus. Erfolgreich mit emotionalen Produkten und Dienstleistungen. ESV Erich Schmidt Verlag, S. 211-220, Berlin 2006. P INE , B. J.; G ILMORE , J. H.: The experience economy. Harvard Business School Press, Boston 1999. R EDAKTION DER F ALKE : Ergänzungsband. Weitere 25 empfehlenswerte Vogelbeobachtungsplätze in Deutschland. 1. Auflage. Aula Verlag-GmbH. Wiebelsheim 2012. S COTT D., T HIGPEN J.: Understanding the Birder as Tourist: Segmenting Visitors to the Texas Hummer/ Bird Celebration. Erschienen in Human Dimensions of Wildlife, 8, Taylor & Francis Group. Texas 2003. <?page no="190"?> 190 Naturtourismus S PEKTRUM DER W ISSENSCHAFT V ERLAGSGESELLSCHAFT MB H 2001: Spezialisten. Definition im Kompaktlexikon der Biologie. Heidelberg 2018:  http: / / www.spektrum.de/ lexikon/ biologie-kompakt/ spezialisten/ 11023 S TRASDAS , W.: Ökotourismus in der Praxis - Zur Umsetzung der sozioökonomischen und naturschutzpolitischen Ziele eines anspruchsvollen Tourismuskonzeptes in Entwicklungsländern. Hg.: Studienkreis für Tourismus und Entwicklung. Ammerland/ Starnberger See. 2001. U.S. F ISH & W ILDLIFE S ERVICE : Quick Facts from the 2016 National Survey of Fishing, Hunting, and Wildlife-Associated Recreation. Washington 2018. 3.2.3 Astronomen als naturtouristische Zielgruppe von Dr. Andreas Hänel, Dr. Sibylle Schroer In diesem Kapitel werden folgende Fragen beantwortet:  Astrotourismus ist ein wachsender Trend; welche touristischen Zielgruppen lassen sich unterscheiden?  Welche Maßnahmen fördern den Astrotourismus?  Welche Reiseziele bieten sich für den Astrotourismus?  Welche Vorteile ergeben sich für nördliche Regionen durch astrotouristische Angebote? Warum können Entwicklungs- und Schwellenländer von Astrotourismus profitieren? Die Hauptinteressen des Naturtourismus, „sich in der Natur aufhalten“ und „spektakuläre Landschaften erleben“ (S TRASDAS 2001), werden durch den Astrotourismus mit dem Erleben von Nachtlandschaften und Himmelsphänomenen erweitert. Der Trend Astrotourismus hat zur Ausbildung eines speziellen Reisemarktes (F AYOS -S OLÁ ET AL . 2014) mit unterschiedlichen Zielgruppen und Reisezielen des Astrotourismus geführt. 3.2.3.1 Nachfrage nach astronomischen Reiseangeboten Vorgeschichtliche, antike und historische Sternwarten, aber auch moderne Forschungsstätten ziehen schon seit jeher astronomisch Interessierte an. Dazu gehört der Steinkreis von Stonehenge in Südengland, ein mutmaßliches Steinzeitobservatorium, das aber aufgrund der vorherrschenden Lichtverschmutzung leider keinen ungestörten Himmel mehr bieten kann. Eine der bekanntesten <?page no="191"?> Naturerlebnisse 191 historischen Sternwarten ist das Greenwich-Observatorium mit dem Nullmeridian, einem Museum mit historischen Beobachtungsinstrumenten und einem Planetarium, die jährlich mehr als 750.000 Besucher anziehen. Das Radioteleskop bei Effelsberg in der Nordeifel ist eine moderne Forschungsstätte mit jährlich über 20.000 Besuchern. Ein weiteres Beispiel für die Umwandlung einer Forschungsstätte in eine touristisch genutzte Anlage ist das Observatorium auf dem 2877 m hohen Pic du Midi in den französischen Pyrenäen. Zahlreiche solcher astronomischen Stätten sind in den Reiseführern von W ITT (2004) und S TEINICKE ET AL . (2018) zusammengefasst und speziell für Frankreich bei de la C OTADIÈRE (2003). 3.2.3.2 Angebote für Gelegenheits- und Hobbyastronomen Die Astronomie ist ein relativ spezielles Hobby (K OSSACK 2013), das jedoch ein wachsendes Interesse bei Naturtouristen anspricht. Hobby- oder Amateurastronomen beschäftigen sich intensiver mit dem Sachgebiet durch eigene Beobachtungen oder der Lektüre von astronomischen Zeitschriften. Ihre Anzahl in Deutschland kann anhand der Auflagenstärke auf vielleicht 20.000-30.000 geschätzt werden. Gelegenheitsastronomen sind eher allgemein naturkundlich interessiert und können auf bis 150.000 geschätzt werden (Auflagenstärke naturkundlicher Zeitschriften). Attraktive Angebote können Besuche bei Volkssternwarten sein, die entweder Blicke durch ein größeres Teleskop ermöglichen oder in Gebieten mit weniger Lichtverschmutzung liegen (vgl. Kap. 2.4). Auch können besondere Himmelsphänomene zu Astrotourismus führen. Ein besonderes Jahrhundertereignis war beispielsweise die totale Mondfinsternis, die am 27. Juli 2018 mit der Annäherung des roten Planeten Mars an die Erde zusammenfiel. Aufgrund der anhaltenden Schönwetterphase, der Länge der Mondfinsternis (104 Minuten) und der gleichzeitigen großen Opposition des Mars war das Medienecho besonders stark. So versammelten sich überall in Deutschland viele tausende Menschen an günstigen Beobachtungsplätzen, um das Naturschauspiel zu verfolgen und die Volkssternwarten wurden von Interessenten regelrecht überrannt. Zu sehen war die totale Mondfinsternis auch in großen Teilen Afrikas. Namibia war wegen der besonders hohen Stellung des Mars ein beliebtes Reiseziel. Totale Sonnenfinsternisse gehören zu den eindrucksvollsten Naturschauspielen, sind aber nur über einen rund 100 km breiten Streifen auf der Erdoberfläche beobachtbar. Daher werden oft weite Reisen notwendig, um die Totalität erleben zu können. Die Totalität dauert maximal nur 8 Minuten, meist sogar wesentlich kürzer. Die letzte in Deutschland sichtbare Finsternis verlief am 11.08.1999 über Süddeutschland und verursachte ein besonders hohes Reiseaufkommen. Ähnlich war es bei der Finsternis am 21.08.2017 in den USA, die von <?page no="192"?> 192 Naturtourismus etwa 153 Millionen Amerikanern gesehen wurde, 20 Millionen reisten dafür zu optimalen Beobachtungsstandorten (M ILLER 2018). Jedes Jahr findet mindestens eine totale Sonnenfinsternis statt und inzwischen haben sich einige Reisebüros darauf spezialisiert, Reisen in die oftmals abgelegenen Gebiete zu organisieren (z. B. 2019 und 2020 nach Chile). Weiterhin erfreuen sich Reisen zu Polarlichtern zunehmender Popularität. Sie sind am besten in höheren geografischen Breiten zu beobachten. Für Europäer führen diese Reisen oft nach Island oder Nordskandinavien. Beste Beobachtungszeit ist wegen der langen Nächte das Winterhalbjahr, wodurch sich für die nördlichen Gegenden eine gute Möglichkeit ergibt, die Reisesaison über die Sommermonate hinaus zu verlängern. In der Stadt Tromsö in Norwegen hat sich bis ins Jahr 2016 vor allem wegen Polarlichtreisen die Zahl der Übernachtungen verfünffacht. Im Winter werden deshalb Direktflüge von Deutschland nach Tromsö angeboten. Speziell zu den Polarlichtern wurde in Tromsö sogar ein Science Center mit Planetarium (Nordnorsk Vitensenter) errichtet und die Postschiffe der Hurtigruten bieten spezielle Polarlichtreisen an. Nicht nur Polarlichter, sondern auch die einfache Schönheit von Nachtlandschaften zieht immer mehr Hobbyfotografen an. Durch die Empfindlichkeit moderner digitaler Spiegelreflex- und Systemkameras sowie durch das wachsende Angebot von Einführungskursen und -reisen führt die nächtliche Landschaftsfotografie (z. B. S EIDEL 2017) mehr und mehr Fotografen in entlegene Gebiete mit dunklem Sternhimmel. Ihre Bilder teilen die Fotografen im Internet und in sozialen Medien (z. B.  www.nationalparksatnight.com/ , Facebook-Gruppe Astrofotografie und Nachtfotografie). Um die Bewegung der Sterne durch die Drehung der Erde kompensieren zu können, gibt es kompakte Reisemontierungen für Astrofotografie, die auch in entlegenen Regionen einfach eingesetzt werden und damit selbst schwächste Milchstraßenregionen abbilden können. Mithilfe spezieller Computerprogramme können viele Einzelaufnahmen überlagert oder eindrucksvolle Zeitrafferfilme, sogenannte „Timelapse“-Videos, hergestellt werden. Fünf besonders eindrucksvolle Filme wurden unter der Sammelbezeichnung „Expedition Sternenhimmel“ 2017 vom Fernsehsender ARTE ausgestrahlt. Der Tourismus in Entwicklungs- und Schwellenländern kann durch einen hohen Anteil an unbeleuchteten Gebieten von diesem Trend profitieren, wie beispielsweise in Nepal, Iran und Afrika (F AYOS -S OLÁ ET AL . 2014). Für Sternführungen werden Beobachtungsstandorte mit möglichst wenig Lichtverschmutzung benötigt (vgl. Kap. 2.4). Tourismusorganisationen kooperieren deshalb mit Sternenparks; z. B. in Reit im Winkl hat sich das Fremdenverkehrsbüro für die Zertifizierung des Sternenparks Winklmoosalm eingesetzt. Die Astronomiewerkstatt „Sterne ohne Grenzen“ kooperiert mit der Nordeifel- Tourismus GmbH, weshalb sich schon rund ein Dutzend Gastgeber speziell auf <?page no="193"?> Naturerlebnisse 193 astronomische Aktivitäten während der Nacht eingestellt haben. Sie bieten beispielsweise Beobachtungsplätze oder ein spätes Frühstück für nachtaktive Besucher. Im Ausland bieten z. B. Küstenbadeorte auf Teneriffa abendliche Busexkursionen in den 2.000 m hoch gelegenen Nationalpark Teide an. Auf der benachbarten Kanareninsel La Palma konnte sich ebenfalls eine Infrastruktur für Astrotourismus entwickeln, da sie besonders gute Bedingungen für die astronomische Forschung bietet und die Sichtbarkeit des Sternhimmels durch ein Gesetz für die Regelung der Beleuchtung auf der ganzen Insel besonders geschützt ist. Dort werden Exkursionen zur Sternwarte auf dem Roque de las Muchachos angeboten sowie Aussichtspunkte für Sternführungen. Weltweit bieten heute Astronomische Vereinigungen oder Volkssternwarten Gelegenheiten, den Sternenhimmel zu beobachten:  https: / / www.skyandtelescope.com/ astronomy-clubs-organizations/ Aus dem Wunsch, gemeinsam mit Gleichgesinnten den Sternenhimmel zu beobachten, sind zahlreiche Teleskoptreffen für Hobbyastronomen entstanden. Als eines der ersten Hobbyastronomen-Treffen in den USA hat sich die „Riverside Telescope Makers Conference” seit 1969 in Kalifornien etabliert. In Deutschland wird jährlich das “Internationale Teleskoptreffen Vogelsberg“ organisiert und in Gülpe das Westhavelländer Astronomie Treffen (WHAT). Inzwischen finden jährlich etwa 30 solcher Hobbyastronomen-Treffen in Deutschland statt, die teilweise einige hundert Besucher anziehen. Als neue Reiseziele entwickeln sich zunehmend die deutschen Sternenparks mit einem wachsenden Angebot an Übernachtungsmöglichkeiten und Wohnmobilstellplätzen. 3.2.3.3 Hobbyastronomen folgen den Profiastronomen Einen erheblichen Anteil an Reisen zu entlegenen Gebieten haben die Berufsastronomen. Zahlreiche Observatorien wurden in entlegene Regionen verlegt, wo die Lichtverschmutzung gering ist und durch ein günstiges Klima die teuren technischen Investitionen effizienter genutzt werden können. Zusätzlich führten die hohen Investitionskosten der Teleskope zu internationalen Zusammenschlüssen in entlegenen Gebieten (z. B. ESO - European Southern Observatory). Um einige dieser Großforschungseinrichtungen wurden Schutzzonen festgelegt, in denen der Einsatz künstlicher Beleuchtung reglementiert wird. Die günstigsten Standorte für große Forschungsteleskope sind heute auf der Kanareninsel La Palma, in Namibia, im Südwesten der USA, auf Hawaii oder vor allem in Chile zu finden, die betreibenden Institutionen befinden sich aber meist weit entfernt auf der nördlichen Erdhalbkugel. Das erfordert umfangreiche Reisen der Astronomen und ihrer Forschungsgruppen, auch wenn heute die großen Teleskope fast nur noch im sogenannten „Service-Modus“ betrieben werden, das bedeutet, ortsansässige Techniker und Astronomen führen die Beobachtun- <?page no="194"?> 194 Naturtourismus gen durch und stellen diese den beantragenden Wissenschaftlern zur Verfügung. Nicht selten folgen Hobbyastronomen, die die günstigen Beobachtungsbedingungen ebenfalls nutzen wollen, in die abgelegenen Gebiete. 3.2.3.4 Besondere Ansprüche des Astrotourismus Voraussetzung für Astrotourismus ist ein passendes touristisches Angebot, leichte Erreichbarkeit der Beobachtungsplätze, welche trotzdem möglichst ohne Störung durch Lichtquellen sein sollten. Für viele Besucher ist es sinnvoll, Sternführungen oder andere astronomische Angebote wahrzunehmen, wie die Erfahrungen in den deutschen Sternenparks zeigen. Tourismusanbieter sollten bei schlechtem Wetter auf ein alternatives Angebot vorbereitet sein, z. B. in Form von Vorträgen. Verdunkelbare Zimmer ermöglichen einen Schlaf am Tag nach einer langen Beobachtungsnacht. Über ein späteres Frühstück freuen sich viele Nachtbeobachter ebenfalls. Optimal wäre, wenn Beherbergungsbetriebe auch Material wie Ferngläser oder gar Teleskope, Sternkarten, Rotlichtlampen zur Verfügung stellen. Ein gesicherter Beobachtungsplatz sollte ermöglichen, ein Teleskop einige Tage aufzustellen, um die langwierige Justierung nur einmal am ersten Abend durchführen zu müssen. 3.2.3.5 Dunkelheit als Gesundheits- und Wellnessangebot Obwohl Sternenparks nicht primär auf naturtouristische oder gesundheitliche Aspekte ausgelegt sind, könnten sie in Zukunft stärker von diesen Interessengruppen ausgelastet werden. Denn ein wachsender Teil der Bevölkerung wählt Reiseziele, die explizit frei von alltäglichen Belastungen sind, wie Lärm oder Lichtstress. Chronischer Stress durch künstliches Licht in der Nacht, kann zu Stoffwechselerkrankungen und anderen Volkskrankheiten oder Depressionen führen (z. B. H EILIG , R IEGERT 2012). Unter diesem Aspekt wurden beispielsweise mehrere niederländische Naturparks (z. B. Hoge Veluwe) untersucht und eine Reduzierung der Lärm- und Lichtbelästigung angestrebt. Es liegt daher nahe, dass heilklimatische Kurorte in Gebieten mit geringer Beeinträchtigung durch Lichtverschmutzung liegen (G ABRIEL ET AL . 2017), und zukünftig Heilstätten, Kurorte und Wellness-Anbieter auf das knapper werdende Gut natürlich ungestörter Nachthimmel noch stärker zurückgreifen werden. Die Zertifizierung von Sternenparks könnte daher in Zukunft als Auszeichnung für Natur- und Gesundheitstourismus wahrgenommen werden. Im Zuge dieses Trends könnten auch weitere Auszeichnungen für natürliche Lichtumgebungen explizit für Gastronomie und Tourismusgewerbe entwickelt werden, welche wiederum neue Anreize für den Schutz der Nachtlandschaften bieten würden. <?page no="195"?> Naturerlebnisse 195 Weitere Standard-/ Grundlagenwerke M ATOS , A. L. (2017): Terrestial Astrotourism Masters Thesis Aalborg, (  https: / / projekter.aau.dk/ projekter/ files/ 260343239/ THESIS_ASTRO TOURISM_PDF.pdf, zuletzt abgerufen 30.08.2018) M EIER , J., N AETH , A. ET AL . (WS 2013/ 2014): Dunkelheit als Chance - Nachhaltiger Tourismus im Naturpark Westhavelland, Thesisprojekt Fachbereich Stadt- und Regionalökonomie TU, Berlin M IZON , B. (2016) Finding a Million-Star Hotel, Springer, Switzerland N ORDGREN , T. (2010) Stars above, Earth below - A Guide to Astronomy in the National Parks, Springer/ Praxis, 2010 S CHMIDT , M., F RANK , S. (2015): Sternenpark Rhön, Parzellers, Fulda. W ITZEL , M. (2018): Das touristische Potenzial deutscher Sternenparks, Bachelorarbeit Harz (  https: / / www.sternenparkrhoen.de/ informationsportal-fr-kommunen/ studienarbeiten-zumsternenpark/ m_44008, zuletzt abgerufen am 30.08.2018) Internetseiten IDA:  www.darksky.org Starlight Foundation:  https: / / fundacionstarlight.org/ Sternenpark Westhavelland:  https: / / www.sternenpark-westhavelland.de/ Sternenpark Rhön:  https: / / www.sternenpark-rhoen.de/ Sternenpark Eifel:  https: / / www.nordeifel-tourismus.de/ aktiv-natur/ sternenregion-eifel/ Sternenpark Winklmoosalm:  https: / / www.abenteuer-sterne.de/ sternenpark-winklmoosalm/ Lichtverschmutzung:  www.lichtverschmutzung.de  www.cost-lonne.eu  www.stars4all.eu <?page no="196"?> 196 Naturtourismus Literatur D E LA C OTADIÈRE , P.: Guide de l’Astronomie en France. Belin. Paris 2004. F AYOS -S OLÁ , E., M ARÍN , C., J AFARI , J.: Astrotourism: No requiem for meaningful travel. PASOS. Revista de Turismo y Patrimonio Cultural 12.4. 2014. G ABRIEL , K., K UECHLY , H., F ALCHI " F. W OSNIOK , W., H ÖLKER , F.: Resources of dark skies in German climatic health resorts. In: International Journal of Biometeorology 61.1, S. 11-22. 2017. H EILIG , P.; R IEGER G.: Künstliches Licht. Unerwünschte Nebenwirkungen auf Natur und Gesundheit - Lichthygiene als Prophylaxe. In: Arzneimittel-, Therapie-Kritik & Medizin und Umwelt. Folge 1. Hans Marseille Verlag GmbH. München 2012. M ILLER , J. D.: Americans and the 2017 Eclipse. University of Michigan 2018. S EIDEL , K.: Astrofotografie. Rheinwerk, Bonn 2017: nacht-lichter.de S TRASDAS , W.: Ökotourismus in der Praxis. Studienkreis für Tourismus und Entwicklung. Ammerland 2001. S TEINICKE , W. B INNEWIES , S., S PARENBERG , R.: Reiseführer Astronomie Deutschland, Oculum-Verlag. Erlangen 2018. W ITT , V.: Astronomische Reiseziele für unterwegs. Spektrum. München 2004. <?page no="197"?> Naturerlebnisse 197 3.3 Natur- und Tierfilme in der Naturvermittlung von Deborah Clauss In diesem Kapitel werden folgende Fragen beantwortet:  Was ist ein Naturfilm und wie wird er definiert?  Wie hat sich der Naturfilm im Laufe der Jahre entwickelt?  Welche Naturfilmfestivals gibt es und was ist ihre Spezifik?  Welche Auswirkungen haben Naturfilme auf die Zuschauer?  Welche Verhaltensbereiche werden durch Naturfilme beeinflusst? 3.3.1 Theoretische Grundlagen des Naturfilms 3.3.1.1 Was ist ein Naturfilm? Naturfilme, zu denen auch die zahlreichen Tierfilme gehören, sind eine Unterkategorie der Dokumentarfilme. Eine generelle Definition für Naturfilme gibt es nicht. Grundsätzlich kann man aber sagen, dass bei Naturfilmen entweder spezielle Tierarten, Pflanzengemeinschaften, eine ganze Region, eine Landschaft, ein Land oder Lebensräume im Vordergrund stehen. Zudem gibt es Filme über herausragende Persönlichkeiten und deren Bezug zur Natur 11 sowie eine steigende Zahl von Umweltfilmen (Aufzeigen vom Umweltproblemen und -zerstörung, auch häufig ökologische Filme genannt). Die meisten Naturfilme werden primär für das Fernsehen oder das Kino produziert. Zunehmende Bedeutung für Naturfilme erlangen in den letzten Jahren auch Online- Streamingdienste, sodass inzwischen einige Produktionen nicht mehr im Fernsehen, sondern nur noch auf speziellen Festivals oder auf Online-Plattformen gezeigt werden. Spielfilme mit Tieren als Hauptdarsteller, wie „Lassie“ oder „Fury“ sowie Animationsfilme wie „König der Löwen“ oder „101 Dalmatiner“ zählen nicht in den Bereich der Naturfilme. 11 z. B. der Film „Jane - ein Film“ portraitiert das Leben und Werk von Jane Goodall, die mit ihrer Primatenforschung in einerbis dahin von Männern dominierten, Welt der Wissenschaft unser Naturverständnis revolutionierte. <?page no="198"?> 198 Naturtourismus 3.3.1.2 Geschichte des Naturfilms Der Naturfilm und die damit verbundene Naturvermittlung existieren schon sehr lange und folgten der Entwicklung des Mediums Film. Naturfilme entstanden damals bereits kurz nach der ersten Aufführung eines Films überhaupt. In jener Zeit wurde die Natur vor allem zu Forschungszwecken gefilmt. Viele Entwicklungen und Erfindungen mit Bedeutung für die Menschheit, den allgemeinen Film und den Naturfilm entstanden durch die Pioniere des Naturfilms, die als Forscher, Filmer und Tüftler immer wieder nach unkonventionellen Lösungen für ihre Arbeit suchten. Um die Jahrhundertwende vom 19ten ins 20te Jahrhundert filmte Paul Parey die ersten Laufbilder eines Vogels. Hermann Hähnle (Erfinder, Naturschützer und Naturfilmer) sorgte nach dem ersten Weltkrieg für die Revolution des Naturfilms: Seine Idee, eine Steuerermäßigung für jede Vorführung in Filmtheatern (später „Kino“), in denen neben dem Hauptfilm auch noch ein Kulturfilm (wozu der Naturfilm damals zählte) gezeigt werden würde, fand bei den Vertretern der verschiedenen Parteien Gehör und wurde umgesetzt. So hatten die Filmtheater eine bessere Ausnutzung und der Kultur- und Naturfilm erhielt eine besondere Förderung. Die 10-15-minütigen Filme liefen ab diesem Zeitpunkt nicht mehr nur als Lehrfilme im Schulunterricht, sondern auch vor den Hauptvorstellungen in Filmtheatern (wie heutzutage Werbung) und waren somit einer breiten Masse zugänglich. Die Filme präsentierten vor allem einzelne Tierarten dem Publikum. Ab 1929 entstand der Tonfilm, wodurch sich Tierstimmen oder Sprechtexte parallel zu den Filmen abspielen ließen. 1931 entstand der erste deutsche Farb-Ton-Kulturfilm „Bunte Tierwelt“ über den Tierpark Hagenbeck (T EUTLOFF 2000, S. 8 ff.). In der nationalsozialistischen Zeit wurden nur Projekte gefördert, die sich zu Propagandazwecken nutzen ließen. Hierfür eigneten sich besonders gut Filme über Tiere, die in einem Staat leben (Ameisen oder Bienen) und alles für „ihr Volk“ tun würden (T EUTLOFF 2000, S. 33 f.). Nach dem zweiten Weltkrieg kam es durch die deutsche Teilung zu einer parallelen Entwicklung des Naturfilms. In der DDR wurde ab 1959 der „Tierparkteletreff“, moderiert durch Prof. Dr. Dr. Dathe, Direktor des Tierparks Friedrichsfelde und Annemarie Brodhagen ausgestrahlt. Prof. Dr. Dr. Dathe war in Ostdeutschland so bekannt wie Prof. Dr. Bernhard Grzimek, Direktor des Zoos Frankfurt/ Main, mit seiner Sendung „Ein Platz für Tiere“ in der Bundesrepublik (T EUTLOFF 2000, S. 44 f.). In den 1950er-Jahren waren ferne bzw. exotische Ziele für viele Zuschauer kaum zu erreichen und deshalb mit vielen Mythen und Sehnsüchten verbunden. In dieser Zeit kannte jeder Bernhard Grzimek und Eugen Schuhmacher. Die beiden wollten die Öffentlichkeit für den Schutz der Natur und Tiere sensibilisieren. Deshalb waren ihre Filme immer „zwei Drittel Unterhaltung, ein Drittel <?page no="199"?> Naturerlebnisse 199 Information“ (M IERSCH 1997). Ziel war außerdem das „Disney-Image“ der damaligen Zeit (Afrika sei voller wilder und gefährlicher Tiere) zu widerlegen. Eugen Schuhmacher wies hierbei primär auf die letzten Tierparadiese und deren Zerstörung hin und wollte diese für die Nachwelt dokumentieren. Er entwickelte einen anderen Stil in seinen Sendungen und Filmen als Grzimek und die Zuschauer sahen ihn eher als Abenteurer, dessen Leben sie auch gerne gelebt hätten. Schuhmachers Film „Die letzten Paradiese“ (1967) gilt als Meisterwerk des Natur- und Tierfilms und wurde mit einer Vielzahl renommierter Filmpreise ausgezeichnet. Bernhard Grzimek sah die Problematik der Naturzerstörung ähnlich, versuchte allerdings nicht so extrem zu dramatisieren und vor allem Lösungsansätze zu finden. 1956 begann die Serie „Ein Platz für Tiere“ von Bernhard Grzimek. Sie lief über 30 Jahre mit 175 Sendungen und Einschaltquoten teilweise über 70 % und war die erfolgreichste Naturdokumentarserie der Welt - bis heute. Sein weltbekannter Film „Serengeti darf nicht sterben“ erhielt 1960 den Bundesfilmpreis und später als erster deutscher Film nach dem Krieg einen Oskar. Bernhard Grzimek plädierte für große Schutzgebiete in Afrika, in denen sich die Menschen die wilden Tiere in Ruhe anschauen könnten und wodurch die Einheimischen vor Ort mehr verdienen würden, als mit reiner Landwirtschaft - die Geburtsstunde der afrikanischen Nationalparks (T EUT- LOFF 2000, S. 58 ff.). Die ersten Unterwasseraufnahmen deutscher Naturfilmer gelangen Hans Hass und seinem Team. 1954 bekam er für seinen Film „Unternehmen Xarifa 12 “ einen Oskar. Jacques-Yves Cousteau und Hans Hass lebten parallel und hatten ähnliche Rahmenbedingungen. Allerdings war keiner des anderen Vorbild - im Gegenteil, sie sahen sich eher als Konkurrenten (V ENSKY 2010). Beide waren sehr erfolgreich, wobei Hass sich später vor allem dem Meeresschutz und den ökologischen Folgen des Tauchtourismus zuwandte (T EUTLOFF 2000, S. 50 ff.). In der Verhaltensforschung und deren filmischer Dokumentation waren Konrad Lorenz und Heinz Sielmann die Vorreiter und arbeiteten eng zusammen. Ein Meilenstein der Filmgeschichte war hierfür 1954 der Film von Heinz Sielmann „Zimmerleute des Waldes“, der das erste Mal überhaupt durch viele Tricks die Aufzucht junger Spechte zeigte. Heinz Sielmann wurde mit diesem Film sogar nach London ins Fernsehen eingeladen, wodurch er als „Mr. Woodpecker“ in ganz England über Nacht berühmt und bekannt wurde (T EUTLOFF 2000, S. 76 ff.). 12 Dieser Film ist eine Kombination aus Dokumentar- und Spielfilm. Hans Hass leitet eine Tauchexpedition, um den Gesang der Pottwale zu filmen und kommt immer wieder in bedrohliche Situationen. <?page no="200"?> 200 Naturtourismus In den sechziger und siebziger Jahren wurde die Serie „Sterns Stunde“ bekannt, die sich zum Markenzeichen für den kritischen Tierfilm entwickelte. Dort setzte Horst Stern provokant den Zuschauern einen Spiegel vor und kritisierte mit detaillierten und sachlichen Recherchen das Verhalten der Menschen im Hinblick auf Tiere (z. B. „Bemerkungen über den Rothirsch“). Häufig waren zudem Botschaften für die Politik inkludiert. Mit ihm entstand ein neues Genre: Der gesellschaftskritische Naturfilm (T EUTLOFF 2000, S. 84 ff.). In den 1980er-Jahren veränderte sich die Tierfilmproduktion. Durch die Privatsender ging der Trend zur „Einschaltquoteninszenierung“ mit dramatischen Action-Szenen gemischt mit ästhetischen Bildern. Beispiel hierfür ist die dreiteilige BBC Produktion „Auf Leben und Tod“ (2015). Weil man einerseits viele der Regionen/ Länder oder Tiere und deren Verhalten schon gefilmt hatte, und sich andererseits die Technik rasant weiterentwickelte und entwickelt, sind neben Erkundungen letzter unbekannter Regionen (z. B. der Tiefsee) Veränderungen der letzten Jahre vor allem in folgenden Bereichen zu finden: Extrem hochauflösende HD-Technik, einmalige Zeitlupen- und Zeitraffer-Aufnahmen (z. B. die Filme von Jan Haft) sowie lebensecht nachgebaute Tiere mit Kameras, die ferngesteuert mitten zwischen ihren „Artgenossen“ filmen (z. B. die 2017 erschienene fünfteilige BBC Serie „Spy in the wild“). Literatur- und Filmtipps M ITMAN , G. (2009): Reel Nature - America’s Romance with Wildlife on Film. Weyerhaeuser Environmental Classics. Cambridge T EUTLOFF , G. (2000): Sternstunden des Tierfilms. Edition Rasch & Röhring. Steinfurt T HIEL , G. (2004): Die Bestie und das Schmusetier - Tierfilmgeschichten aus 100 Jahren. Dokumentarfilm. 3.3.1.3 Naturfilmfestivals Naturfilmfestivals bieten neben Fernsehen, Kino und Online-Streaming- Plattformen eine immer größer und bekannter werdende Möglichkeit, Naturfilme der Öffentlichkeit zu zeigen. Hierbei haben viele Festivals unterschiedliche inhaltliche Schwerpunkte wie z. B. deutsche Produktionen, Filme mit Meeresbezug, Nachhaltigkeit oder spektakuläre Naturaufnahmen. Ihnen ist gemeinsam, dass sie meistens drei bis fünf Tage lang sind und währenddessen viele unterschiedliche Filme meist an unterschiedlichen Spielorten gezeigt werden. Alle Festivals verleihen am Ende in verschiedenen Kategorien Auszeichnungen und Preise. Ein weiterer sehr wichtiger Faktor ist die Anwesenheit der Filmemacher. <?page no="201"?> Naturerlebnisse 201 Bei allen Festivals sind einige Produzenten, Tontechniker, Regisseure oder Filmer vor Ort, sodass meistens nach der Vorführung der Filme noch Zeit und Raum für Fragen des Publikums vorhanden ist. Dies ermöglicht sowohl Zuschauern als auch Filmemachern einen direkten Kontakt untereinander, der sonst durch Ausstrahlungen im Fernsehen nicht möglich ist. Diese Festivals sind nicht nur in Deutschland zu finden, sondern auch in europäischen Nachbarländern und international. Bedeutende Naturfilmfestivals zeigt Tab. 6. Tab. 6: Überblick über bedeutende Naturfilmfestivals Quelle: Clauss 2018 Name Gründungsjahr Ort und Monat Inhalt Cinemare 2016 Kiel, Ende Oktober Filme mit Meeresbezug, eher Fachexperten als Filmemacher Darßer Naturfilmfestival 2005 Insel Darß, Oktober Primär deutsche Filmemacher, zeigt v. a. spektakuläre Natur Green Screen Naturfilmfestival 2007 Eckernförde, September 2018 Europas größtes Naturfilmfestival, spektakuläre Natur aber auch viele ökologische/ kritische Dokus Ökofilmtour 2006 Tour durch Brandenburg, Januar bis April 4 Monate lang, zeigt in den Dokumentationen aktuelle Probleme in der Natur Naturvision 2002 Seit 2012 in Ludwigsburg, Juli Sehr engagiert, bekommen Preise für Nachhaltigkeit, immer ein Hauptthema mit vielen Einzelbeiträgen Green me Global Festival 2007 Berlin, Ende Januar Nachhaltigkeit als Schwerpunkt, spezielle Panels zum Thema Jackson Hole Wildlife Film Festival 1991 Grand Teton Nationalpark USA, September Über 500 Filmeinsendungen, verschiedene Kategorien, auch viele Umweltfilme Wildscreen Festival 1982 Bristol, Oktober (alle zwei Jahre) Eins der ältesten Naturfilmfestivals und mit den meisten gezeigten Dokumentationen weltweit, viele große Sponsoren (BBC, WWF etc.), primär für Fachbesucher und Filmemacher 3.3.2 Wirkung von Naturfilmen Dass Filme und andere Medien eine Auswirkung auf den Menschen haben, ist in vielen Studien und Forschungsarbeiten inzwischen beschrieben. Medien errei- <?page no="202"?> 202 Naturtourismus chen potenziell viele Menschen an sehr unterschiedlichen Orten, sind aber durch ihre technische Vermittlung für viele schwer verständlich und analysierbar. Deshalb wird die Rolle der Medien vor allem von Laien auch gerne überschätzt. Vor allem die Wirkung auf die unterschiedlichen gesellschaftlichen Instanzen ist ein komplexes Thema (B ONDAFELLI , F RIEMEL 2017, S. 12 ff) Doch ob konkret der Naturfilm Auswirkungen auf das Handeln des Menschen hat und zu einem anderen Umgang mit der Natur, zu einem veränderten Verständnis der Natur führt oder Einfluss auf Reiseentscheidungen in Naturgebiete hat, ist unklar. Wissenschaftliche Studien dazu konnten bisher nicht identifiziert werden Literaturtipps B ONDAFELLI , H. ; F RIEMEL , T. (2017): Medienwirkungsforschung, 6. überarbeitete Auflage, utb-Verlag L ESCH , W. (1996): Naturbilder - Ökologische Kommunikation zwischen Ästhetik und Moral. Birkhäuser Verlag. Basel, Boston, Berlin Eine Untersuchung im Rahmen einer Masterarbeit an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde (HNEE) von der Autorin ging daher der Frage nach, ob Naturdokumentarfilme zu einem umweltbewussteren und nachhaltigeren Handeln führen (C LAUSS 2018). Dazu wurde 2017 eine Umfrage beim Green Screen Naturfilmfestival in Eckernförde durchgeführt, an der sich 632 Festivalbesucher und 332 Personen aus der allgemeinen Bevölkerung beteiligten. Des Weiteren wurden verschiedene Experten aus dem Bereich der Naturfilmindustrie befragt, um deren Ideen und Konzepte mit den Wahrnehmungen und Wünschen der Bevölkerung zu vergleichen und etwaige Unterschiede zu erkennen. 3.3.2.1 Expertenmeinungen So unterschiedlich Naturfilme sind, so unterschiedlich sind auch Expertenmeinungen zum Thema, welche Wirkungen die Filme auf die Zuschauer haben und welche Inhalte bei den Zuschauern gut und weniger gut ankommen. Befragt wurden Filmemacher, Produzenten und Regisseure. Konsens herrscht im Prinzip bei der Frage was einen guten Naturfilm ausmacht. Eine Story, ein roter Faden bzw. ein dramaturgischer Verlauf, der durch einen ökologischen Zusammenhang oder einen Charakter gezeigt wird, sowie einmalige Bilder und Szenen, mit passender, musikalischer Untermalung, sind die wichtigsten Erfolgsfaktoren für jeden Naturfilm. Nur wenn diese Komponenten <?page no="203"?> Naturerlebnisse 203 stimmen, wird der Zuschauer emotional angesprochen und mitgerissen, sodass er am Ende eine lang anhaltende Verbindung zum Inhalt des Filmes spürt. Wichtig ist es auch, eine gute Balance zwischen dem Zeigen schöner und unberührter Natur, aber auch den Problemen, die vor allem der Mensch verursacht, zu finden und zu zeigen. Denn auch Jane Goodall sagte: Wenn in Naturfilmen nur die Schönheit der Natur gezeigt wird, denken die Zuschauer, es gäbe keine Probleme. Damit sich etwas ändert, müssen die Probleme zunächst gezeigt und dann muss den Menschen eine Möglichkeit gegeben werden, wie man das, was man liebt, schützen und retten kann (L’E STRANGE 2014). Wenn jedoch nur Zerstörung, Umweltprobleme und Tierleid gezeigt werden, fühlt der Mensch eine Ohnmacht und Chancenlosigkeit und ändert nichts an seinem Verhalten. Somit ist ein Gleichgewicht zwischen beiden Inhalten essenziell, auch wenn diese Balance nicht innerhalb jedes Filmes entsteht, sondern vor allem bei der Gesamtheit der Naturfilme eines Festivals vorhanden sein sollte. Auch der wachsende Tourismus in den gefilmten Regionen/ Ländern wird von Experten sehr unterschiedlich eingeschätzt und bewertet. Vor allem Filme über die afrikanische Tierwelt haben zu einem großen Ansturm von Touristen in den Nationalparks vor Ort geführt, sodass man kaum noch einen Ort ohne Touristen finden kann. Andererseits schützt der Mensch nur das, was er kennt und liebt. Wenn es die Möglichkeit durch Naturfilme gibt, den Zuschauer zum Besuch schützenswerter Naturräume zu bewegen, sollte dies zum Wohle der Menschen, der Landschaft, der Tiere und der Region geschehen. Gute Naturfilmer legen Wert darauf, dass Orte, an denen sehr seltene oder geschützte Arten leben, nie genau gezeigt oder genannt werden, um Naturzerstörung durch Tourismus zu vermeiden. Verhaltensveränderungen der Menschen auf einem globalen Maßstab hinsichtlich Natur- und Umweltschutz werden, so vermuten es viele der befragten Experten, durch Naturfilme kaum bewirkt werden können. Die meisten Experten gehen davon aus, dass Naturfilme nur einen kleinen Beitrag zur Rettung von Natur und Umwelt leisten können. Eine Expertin führt beispielhaft an: Wenn selbst ein Schauspieler wie Leonardo Di Caprio mit einer Rede über den Klimawandel bei der Oskar Verleihung 2016 und mit über 27,5 Mio. Followern auf Instagram (Stand 1.12.2018) es nicht schafft, einen Impuls für mehr Klimaschutz zu setzen, kann nicht damit gerechnet werden, dass durch (Natur)filme ein schnelles Umdenken eintritt. Die Summe der Naturfilme und deren Botschaften könnten jedoch einen Beitrag dazu leisten, dass die Zuschauer Natur und deren Wert mehr zu schätzen wissen (C LAUSS 2018). <?page no="204"?> 204 Naturtourismus 3.3.2.2 Auswirkung von Naturfilmen auf die Zuschauer Wenn man Kinder nach ihrem liebsten Naturfilm fragt, werden oft Filme mit tierischen Stars genannt (Free Willy, Lassie, Fury, 1001 Dalmatiner, Bambi, König der Löwen etc.). Bei diesen Filmen werden den Tieren menschliche Verhaltensweisen zugeschrieben. Bei König der Löwen z. B. hat jeder Mitleid mit Simba, aber niemand mit den Hyänen. Je nachdem welcher „Charakter“ den Tieren zugeschrieben wird, hat der Zuschauer Empathie oder nicht. Das gilt auch bei Naturfilmen. Wenn z. B. eine Löwin gezeigt wird, die ihren „niedlichen“ Nachwuchs zu versorgen hat, wird der Tod einer Gazelle zum Überleben der Löwen nicht so schlimm wahrgenommen, wie wenn ein Löwe für die eigene Ernährung ein Gazellenjunges tötet. So wird auch bei Naturfilmen mit bewusst gewählten Einstellungen gearbeitet, um den Zuschauer mit dem Film zu begeistern und eine emotionale Bindung herzustellen. Die Ergebnisse der oben genannten Untersuchung zeigen, dass sich vor allem die älteren Zuschauer (60+) gerne Naturfilme anschauen. Bei der jüngeren Generation bis 39 sieht weniger als jeder Fünfte regelmäßig Naturfilme an, bei den unter 20Jährigen keiner regelmäßig. Einflussfaktoren dafür sind die Sendezeiten von Naturfilmen und die heutige Programmvielfalt. Allerdings ermöglichen die Mediatheken der Sender und Streamingdienste heute einen von Sendezeiten unabhängigen Konsum, wenn das Interesse an Naturfilmen besteht oder geweckt werden kann. Weshalb werden Naturfilmdokumentationen gesehen? Auch die Gründe, weshalb Naturfilme gesehen werden, sind sehr vielfältig. Hauptsächlich vier Gründe werden genannt:  Die Zuschauer möchten sich an schöner Natur erfreuen und etwas über die Natur lernen;  sie wollen spezielle Tiere und deren Verhalten sehen;  sie wollen Länder oder Orte kennenlernen, die sie vermutlich nie selbst sehen werden. Letzteres ist der Hauptgrund bei vielen, was davon zeugt, dass das Exotische, Unerreichbare und Besondere bei vielen Zuschauern im Vordergrund steht.  Bei der allgemeinen Bevölkerung ist auffällig, dass jeder Fünfte sich einen Naturfilm auch „aus Ermangelung an guten Alternativfilmen“ ansieht. Letzteres ist ein Problem, dessen sich viele Naturfilmer bewusst sind. Der Naturfilm genießt nicht, wie in anderen Ländern oder Anfang der 1960er-Jahre in Deutschland, eine Wertschätzung in der Bevölkerung, sondern wird häufig als „Ersatzprogramm“ gesehen. Umso wichtiger ist es herauszufinden, wieso Men- <?page no="205"?> Naturerlebnisse 205 schen spezielle Naturfilme lieber sehen als andere, was sie bewegt überhaupt einen Naturfilm einem Spielfilm vorzuziehen und welche Inhalte das Interesse der Zuschauer finden, um dieser Entwicklung entgegen zu wirken. Filme mit Naturzerstörung und Tierquälerei Ob sich mit dem Zeigen von Naturzerstörung oder Tierquälerei Menschen aufrütteln und in ihrem Verhalten beeinflussen lassen ist umstritten. In der Untersuchung von C LAUSS (2018) zeigt sich klar, dass die Mehrheit diese Filme wichtig findet und sie sich auch ansieht, allerdings ein Drittel der Befragten, egal welchen Alters, diese Filme zwar wichtig findet, aber sie sich nicht anschauen möchte oder kann. Wissen │ Bernhard Grzimek [1] Schon Grzimek erkannte dieses Phänomen zu seiner Zeit und sagte dazu: „Von Zeit zu Zeit (habe ich) immer wieder […] Schockszenen in meine Fernsehsendungen eingebaut. Dabei ging es um die unvernünftige, verzärtelnde Hundehaltung, um den ersten Nationalpark Bayrischer Wald, um das Zupflanzen unserer Wälder […] um Batteriehaltung und tierquälerische Kälbermast. Aber ich war mir immer bewusst, dass man für derartige Dinge wohl in Zeitungen gelobt wird, dass sie aber die Zuhörer nur für ein paar Tage oder Wochen aufregen und dann wieder schnell vergessen sind. Wiederholt man zu häufig grausame Dinge, dann wird die ganze Sendereihe von immer weniger Menschen gesehen, die wohl vielleicht helfen, aber sich nicht aufregen wollen […] Deshalb habe ich es stets vorgezogen, [...] oft nur ganz kurz, längstens 10-15 min, erschreckende, beängstigende, tadelnde und scheltende Dinge zu sagen. Die wurden dann wenigstens von jedem zweiten in Deutschland zur Kenntnis genommen […]“ (T EUTLOFF 2000, 68 f.) Diese Ansicht unterstützen auch die Experten (vgl. Kap. 3.3.2.1). Ein guter Naturfilm beinhaltet eine Mischung aus erhobenem Zeigefinger und schönen Naturaufnahmen. Ohne erhobenen Zeigefinger wird der Zuschauer nichts an seinem Verhalten ändern, da er nicht weiß bzw. nicht gezeigt bekommt, dass es Probleme in der Natur gibt und wie sie ggf. mit seinem Verhalten zusammenhängen. Allerdings braucht es auch die schönen Naturaufnahmen, denn nur dann weiß der Zuschauer die Natur zu schätzen und zu lieben und möchte sie schützen. <?page no="206"?> 206 Naturtourismus Naturfilme als Impulsgeber für Verhaltensänderungen Die Ergebnisse der Frage, wodurch Menschen ihr Verhalten hinsichtlich Nachhaltigkeit und Naturschutz überdenken oder sogar verändern, entsprechen ebenfalls dem, was schon Grzimek damals erkannt hatte. Die allgemeine Bevölkerung lässt sich, mit über 60 %, der Befragten vor allem durch eigene Wahrnehmungen und alarmierende Fakten aus den Medien (TV, Internet, Radio, Zeitung etc.) beeinflussen. Naturdokumentationsfilme spielen dabei (mit nur 42 %) eine untergeordnete Rolle. Befragte des Naturfilmfestivals Green Screen lassen sich demgegenüber sogar mit über 70 % von Naturfilmen beeindrucken und in ihrem Verhalten beeinflussen. Wichtig sind dafür vor allem die Filme, die die Probleme und Zerstörung der Natur aufzeigen. Da sich jeder Dritte der allgemeinen Bevölkerung diese Filme jedoch nicht so gerne anschaut, ist und bleibt der Einfluss von Naturfilmen begrenzt. Naturfilme haben jedoch in der Vergangenheit schon gezeigt, dass sie entscheidende Impulsgeber für Veränderungen im Umgang mit der Natur sein können. Schon Grzimek bewies zum Beispiel vor vielen Jahren mit einem Film über den Verkauf von Tierfellen seltener Raubkatzen, dass Aufklärung und moralischer Druck auf die Zuschauer wirkt (Verzicht auf Pelzmäntel) und in der Folge Einfluss auf die Politik und gesetzliche Schutzregelungen genommen werden kann (T EUTLOFF 2000, S. 62). Arten der Verhaltensänderungen durch Naturfilme Die oben genannte Untersuchung von C LAUSS (2018) zeigt, dass Beeinflussungen des Verhaltens bei Zuschauern von Naturfilmen sich vor allem für folgende Bereiche feststellen lassen:  Veränderungen im Konsum  Veränderungen in Haus und Garten  Veränderungen bei den Reisezielen Veränderungen im Konsum Verhaltensänderungen durch Natur- und Umweltfilme werden am meisten für alltägliche Konsumentscheidungen angegeben. Die nachfolgende Auflistung zeigt, welche Bereiche ihres Konsumverhaltens die befragten Zuschauer angaben, die durch Naturbzw. Umweltfilme beeinflusst war:  Kauf von Biolebensmittel  Vegetarier/ Veganer sein  Kein/ weniger Plastik nutzen  weniger Fleisch konsumieren  regional und saisonal einkaufen <?page no="207"?> Naturerlebnisse 207  nachhaltiges Konsumverhalten generell  Mobilität (z. B. weniger fliegen/ Auto fahren) Wie man erkennen kann, scheinen Natur- und Umweltfilme vor allem einen Einfluss auf den Kauf von Biolebensmitteln und die Ernährung zu haben. Ein gewisser Prozentsatz isst weniger oder gar kein Fleisch mehr, wobei hier auffallend war, dass vor allem die jungen Menschen unter 30 zu weniger bzw. gar keinem Fleisch tendieren. Regional und saisonal einkaufen ist hingegen der älteren Generation wichtiger. Weniger Plastik ist einer der wenigen Punkte, die im Ergebnis der Befragung in der allgemeinen Bevölkerung mehr umgesetzt wird als bei den Festival-Besuchern. Dieses Ergebnis zieht sich durch alle Altersklassen und hat sicherlich vor allem den Hintergrund, dass man inzwischen nahezu überall mit dem Thema Plastik und Umwelt konfrontiert wird, mit einfachen Maßnahmen selbst einen Beitrag zu Reduktion des Plastikmülls leisten kann und Natur- und Umweltfilme dafür wahrscheinlich keinen entscheidenden Impuls mehr geben können. Veränderungen in Haus und Garten Hingegen werden Veränderungen in Haus und Garten durch Naturfilme sehr häufig genannt. Hier ist einer der Gründe, dass man mit wenig Aufwand der Natur helfen kann und Gutes tut. Nistkästen, Gartenteiche, Wildblumen, Totholzstapel, Futter- und Trinkstellen für Tiere usw. lassen sich schnell, günstig und überall aufbauen und sind somit für die breite Masse geeignet. Zuschauer, die in der Innenstadt einer Großstadt leben, verändern deutlich weniger im Garten als solche, die am Stadtrand leben oder in einer Kleinstadt. Am meisten ändern Zuschauer, die in Dörfern leben; wobei dieses Ergebnis sicher durch die Größe der Grundstücke beeinflusst wird. Auch auffällig ist die Altersstruktur: Je älter die Zuschauer sind, umso eher gestalten sie ihren Garten naturfreundlicher, was damit begründbar ist, dass junge Zuschauer meist noch keinen Garten haben, den sie verändern könnten. Veränderung bei den Reisezielen Interessant ist zudem der Punkt „Reisen“. 30 % der befragten Besucher des Green Screen Naturfilmfestivals und 20 % der Befragten aus der allgemeinen Bevölkerung begeistern sich für eine Naturlandschaft in einem Naturfilm und sind deshalb anschließend dorthin gereist oder planen das demnächst. Ob diese Reiseentscheidung eine positive oder negative Auswirkung auf die Natur und die Region hat, ist von der jeweiligen Situation, dem Verhalten der Reisenden und dem Besuchermanagement abhängig. <?page no="208"?> 208 Naturtourismus Wissen │ Bernhard Grzimek [2] Bernhard Grzimek erkannte bereits als einer der Ersten, dass Schutzgebiete wie Nationalparks (auch der Serengeti-Nationalpark) langfristig nur Chancen haben würden zu bestehen, wenn sie sich auch für die Menschen der Region auszahlen würden. Naturtourismus war in seinen Augen die einzig realistische Geldquelle für Einkommen, und er setzte sich gegen Naturschützer durch, sodass keine Totalreservate entstanden, sondern die ersten Nationalparks in Afrika, die z. B. in Kenia und Tansania bis heute durch die Einnahmen des Tourismus finanziert werden (T EUTLOFF 2000, S. 63). Nicht unerheblich für das Reiseverhalten ist der Inhalt des jeweiligen Naturfilms. Ein Film über Polarwölfe im Winter bei -30 Grad im äußersten Norden Kanadas hat sicherlich einen anderen Effekt auf das Reiseverhalten der Zuschauer als ein Film über den Yellowstone Nationalpark im Sommer. Je entlegener, unerreichbarer oder seltener eine Region oder ein Tier ist, desto mehr wird der Naturfilm deshalb gesehen, weil man genau weiß, man wird die Region nie bereisen. Festzuhalten ist jedoch, dass Naturfilme und Bilder einen nicht geringen Einfluss auf das Reiseverhalten der Zuschauer haben. Nicht umsonst bedienen sich Reiseveranstalter entsprechender Motive, wenn sie ihre Marketingmaterialien für die jeweiligen Reiseziele erstellen. 3.3.3 Trends im Naturfilm Der Naturfilm besteht nun seit über 100 Jahren und hat viele gute und schwere Zeiten überstanden. Wie der Naturfilm sich weiterentwickelt kann man nur vermuten. Wie bei allen Filmen nimmt die Bedeutsamkeit der Online-Streaming Dienste zu. Mehr und mehr Naturfilme werden inzwischen auf solchen Plattformen gezeigt und gar nicht mehr für das Fernsehen produziert. Es wird also für den Fortbestand von Naturfilmen zwingend erforderlich sein, mit diesem Trend zu gehen, und die Filme auch auf solchen Plattformen zu zeigen, vor allem, wenn man die jüngere Generation erreichen will. Auch Umweltfilme nehmen zu und werden von der Bevölkerung vermehrt wahrgenommen. Hierbei ist es vor allem wichtig, nicht zu viel Negatives zu zeigen, sondern auch Lösungsansätze vorzustellen, damit keine Ohnmacht und Lethargie entsteht und die Zuschauer in Verhaltensänderungen bestärkt werden. <?page no="209"?> Naturerlebnisse 209 Die Faszination von Tieren und deren Lebensräumen ist nach wie vor vorhanden. Dennoch müssen sich diese Filme gegen Spielfilme und andere Sendungen im Fernsehen durchsetzen und auf gute Sendezeiten hoffen. Vor allem durch herausragende Filme und Ideen, z. B. durch das Filmen mit besonderen Techniken oder an besonderen Orten mit speziellen Tieren, wird das Interesse der Sender geweckt und die Filme werden zu guten Sendezeiten ausgestrahlt. Auch die Finanzierung solcher Filme ist wichtiger denn je. Aufwendige Techniken, besonderes Equipment und das Filmen an schwer erreichbaren Orten ist teuer und braucht besondere finanzielle Förderung. Die Summen für einen „High- End-Naturfilm“ betragen oft viele Millionen Euro - Geld, mit dem man auch einen Spielfilm drehen könnte. Die BBC ist seit Jahren der Vorreiter und zeigt, wie es funktionieren kann und sollte. Mit Studien wie der von C LAUSS (2018) wird gezeigt, dass Naturfilme einen Einfluss auf die Zuschauer und ihr Verhalten haben, der aber schwer zu bestimmen ist. Naturfilme sind ein wichtiges Gut der Gesellschaft. Sie zeigen einerseits, wie schön, aber andererseits auch, wie empfindlich für Störungen und wie vergänglich die Natur und das Leben darin sein kann. Naturfilme können einen entscheidenden Beitrag zur Verbesserung der Welt leisten, wenn viele Zuschauer erreicht und beeinflusst werden. Wie Dirk Steffens bei der Eröffnungsfeier des Green Screen Festivals 2018 sagte: „Emotionen sind wichtig, Bilder und Filme sind mächtig“. Filmtipps P SIHOYOS , L. (2015): Racing Extinction - Das Ende der Artenvielfalt G UGGENHEIM , D.; A L G ORE (2006): An Inconvenient Truth (Eine unbequeme Wahrheit - Eine globale Warnung) S HENK , J., C OHEN , B. (2017): An Inconvenient Sequel: Truth to Power (Immer noch eine unbequeme Wahrheit - Unsere Zeit läuft) K NECHTEL , A., T EUSCHER , N. (2018): Plastik überall - Geschichten vom Müll F OTHERGILL , A., L INFIELD , M. (2007): Unsere Erde - Der Film <?page no="210"?> 210 Naturtourismus Literatur B ONDAFELLI , H.; F RIEMEL , T.: Medienwirksamkeitsforschung, 6. überarbeitete Auflage, UVK/ Lucius. Konstanz, München 2017. C LAUSS , D.: Führen in Deutschland gezeigte Naturdokumentarfilme zu einem nachhaltigeren und umweltbewussteren Handeln? Masterarbeit an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE). Eberswalde 2018. L’E STRANGE , S.: Are wildlife documentaries contributing to environmental ignorance? 2014:  http: / / www.abc.net.au/ radionational/ programs/ archived/ animalpeople/ wildlifedocumentaries-and-environmental-ignorance/ 5700890 (abgerufen am 10.08.2018) M IERSCH , M.: Ein Portrait des Tierforschers Bernhard Grzimek. 1997:  https: / / www.zeit.de/ 1997/ 12/ grzimek.txt.19970314.xml/ komplettansicht (abgerufen am 10.10.2018) T EUTLOFF , G.: Sternstunden des Tierfilms. Edition Rasch & Röhring. Steinfurt 2000. V ENSKY , H.: Der Mann im Meer. 2010.  https: / / www.zeit.de/ wissen/ geschichte/ 2010- 06/ jacques-cousteau-geschichte (abgerufen am 10.10.2018) <?page no="211"?> Naturerlebnisse 211 3.4 Die Schönheit der Natur genießen 3.4.1 Die Bedeutung der Landschaftsästhetik für das Naturerleben von Prof. Dr. Jürgen Peters In diesem Kapitel werden folgende Fragen beantwortet:  Welche grundlegenden ästhetischen Eigenschaften hat eine naturnahe Landschaft?  Warum sind Naturerlebnisse für das Wohlergehen des Menschen wichtig?  Warum empfinden wir naturnahe und kulturhistorische Landschaften als besonders schön?  Welche Naturphänomene gibt es?  Unter welchen Bedingungen ist eine Landschaft für die Erholung besonders geeignet? 3.4.1.1 Theorie der Landschaftsästhetik Der Begriff Ästhetik leitet sich vom altgriechischen Aisthesis ab. Er beschreibt die Theorie der „Wahrnehmung“. Nach L IPPE (1987, S. 17) gilt als ästhetisch, was „unsere Sinne beschäftigt, in uns Empfindungen und Gefühle entstehen lässt und auf solchen Wegen unser Bewusstsein prägt“. Der Landschaftsbegriff hat sich erst im 16. und 17. Jahrhundert im Zusammenhang mit der Landschaftsmalerei im allgemeinen Sprachgebrauch festsetzt. Es ist die Zeit, in der „die Fläche zum Raum wird“ und die Perspektive in der Landschaftsmalerei entdeckt wird (R AULET 1987, S. 33). Humboldt hat Landschaft mit dem „Totalcharakter einer Erdgegend“ umschrieben (nach W EHNERT 2012). Als Natur (lat. Natura = entstehen, geboren werden) wird bezeichnet, „was von sich aus in Erscheinung tritt und wächst“ (K EITSCH 2003 IV). Die Naturerscheinung wird als etwas immer schon da Gewesenes und ewig Währendes aufgefasst. Dies verleiht der Natur etwas Erhabenes und Souveränes. In der Umgangssprache wird Natur als Gegenbegriff zu Kultur und Technik verstanden. Natürliche Elemente stehen somit im Gegensatz zu den Artefakten (K EITSCH 2003, IV ff). <?page no="212"?> 212 Naturtourismus Zum Wesen der Landschaften in Europa und den meisten Regionen weltweit gehört die wechselhafte Bedingtheit von Kultur und Natur. Die Nutzung respektiert in ihrer Intensität und Kleinteiligkeit die naturräumlichen Ausgangsbedingungen. Die Landschaft weist eine zeitliche Kontinuität auf, d. h. radikale sprunghafte Brüche sind nicht erkennbar. Dies unterscheidet historische Kulturlandschaften von Landschaften, die unter heutigen technologischen Bedingungen einem raschen Wandel unterliegen, mit starken Landschaftszäsuren, wie z. B. Tagebaulandschaften aber auch suburbane, sich dynamisch verändernde Stadtlandschaften. Die Landschaftsästhetik befasst sich mit dem Wesen und der Bedeutung von Landschaften und mit der Frage, wie wir Landschaften wahrnehmen (vgl. W ÖB- SE 2002). Im Humanismus (lat. Humanitas: Menschlichkeit), einer kulturellen und literarischen Strömung im Westeuropa des 14./ 15. Jahrhunderts, entwickelte sich die moderne Landschaftsbetrachtung. Petrarca (1304 bis 1374) war der Erste, der eine Naturbeschreibung von seiner Besteigung des Mount Ventoux literarisch hinterlassen hat. Damit wird Natur erstmals als freie Natur betrachtet, ohne Bezug zu unmittelbaren menschlichen Bedürfnissen, wie Hunger oder ähnlichem. Dies ist ein neuer ästhetischer Erfahrungsmodus (K EITSCH 2003, S. 48). Der vorindustrielle Bauer, der existentiell auf die Nutzung der Natur angewiesen war, konnte in diesem Sinne kein ästhetisches Verhältnis zu ihr entwickeln (vgl. K EITSCH 2003, S. 38). K EITSCH deutet Petrarcas Landschaftsbeschreibungen auch als Säkularisierungsprozess, in dem „der Mensch aus der ihn einschließenden Natur heraustritt und eine distanzierte Position zu ihr einzunehmen beginnt“. Der Mensch wendet sich ohne praktischen Zweck der Natur zu, um er selbst zu sein (K EITSCH 2003, S. 48). Naturästhetik kann als Theorie über schöne Natur und über das menschliche Verhalten zu ihr verstanden werden. Das sinnliche Erleben von Natur gilt als Voraussetzung für Empathie mit der natürlichen Umgebung und für das, was wir als Naturethik bezeichnen (S HRA- DER -F RECHETTE 1993). Die Entfaltung der Sinne ist in der Naturbetrachtung ein wesentlicher Moment zur Wiederherstellung der in einer urbanen Umwelt „reizverklebten“ Begrenztheit der Wahrnehmung (K EITSCH 2003, S. 29). Naturerfahrung ist für die Persönlichkeitsentwicklung des Menschen elementar wichtig. Ein intensiver Naturkontakt verbessert erwiesenermaßen das Wohlbefinden, sowie die Selbst- und Sozialkompetenz von Kindern (R AITH , L UDE 2014) (vgl. auch Kap. 3.2.1). Gerade dadurch, dass das Naturempfinden keine zweckrationalen Bindungen aufweist und losgelöst ist von einem Gebrauchs- oder Erkenntniswert, wird menschliche Freiheit erlebt. Natur wird eine symbolische Autonomie zuge- <?page no="213"?> Naturerlebnisse 213 schrieben, da die Natur außerhalb des menschlichen Handlungs- und Beurteilungsvermögens zu liegen scheint. Natur hat einen unumgänglichen Geschehenscharakter, sie passiert auch ohne unser Zutun, das gibt ihr eine Souveränität. Dieses Moment wird in den Konzepten der Heiligkeit der Natur zur Sprache gebracht (K EITSCH 2003, XI). Seel argumentiert für einen schonenden Umgang mit der Natur auch aus dieser ästhetischen Betrachtung heraus. Der Wert der schönen Natur liegt nicht darin, dass sie als Lebensmittel oder Lebensraum dient, sondern als Lebensform eine Voraussetzung für Glück bietet (S EEL 1996, S. 288). Naturerfahrung hat nach Birnbacher eine lebensverschönernde Bedeutung für den Menschen. Die Naturerfahrung ist Quelle der Inspiration und sie kann spirituelle Erfahrung sein. Schönheit und Ruhe sind wesentliche Aspekte der Naturwahrnehmung, dies korreliert mit der Fähigkeit zur Rücksichtnahme auf andere Menschen und einer kollektiven Verantwortung. Schöne Natur ist daher als Erlebnisoption zu erhalten. Natur ist nicht nur eine ökologische, sondern auch eine ästhetische Ressource. Dieser Begriff impliziert, dass ein planvoller Umgang mit Natur erforderlich ist, um Naturerscheinungen für die Menschen nachhaltig nutzbar zu machen (vgl. K EITSCH 2003, S. 27 ff.). Welche Arten von (Natur-)Landschaft präferieren aber die meisten Menschen? Die Savannentheorie (oder auch „Prospect-Refugee-Theorie“ (nach A UGENSTEIN 2002, S. 61) geht davon aus, dass der Mensch eine genetisch bedingte Präferenz für savannenartige Landschaften bewahrt hat. Diese resultiert aus der Evolution des Menschen, der Jahrmillionen in den savannenartigen Landschaften Afrikas gelebt hat. Eine solche halboffene Landschaft mit eingestreuten Einzelbäumen und Gebüschen bietet dem „Augenwesen“ Mensch einen guten Überblick über die Landschaft, dient somit dazu, Feinde von weitem zu erkennen, um sich rechtzeitig zu verbergen. Robert Wilson, ein englischer Anthropologe, hat nachgewiesen, dass die gestalteten europäischen Parkanlagen ähnliche Ausstattungsmerkmale haben wie die Savanne: Etwa zwei drittel Offenland mit Rasen oder Wiesenbereichen und ein Drittel Gehölzbereiche. Diese Merkmale sind in fast allen gestalteten Parkanlagen, nicht nur Europas, sondern auch Asiens und Nordamerikas, zu beobachten. Wilson geht davon aus, dass dieses Verhältnis von Offenland zu Gehölzbereichen, unabhängig von kulturellen Unterschieden, tief in unserem ästhetischen Empfinden für Landschaften verankert ist (vgl. W ILSON 1986). K APLAN , K APLAN (1989) haben in umweltpsychologischen Studien diese Präferenz auch landschaftsästhetisch „ungeschulter Amateure“ für savannenartige Landschaften nachgewiesen. Sie haben eine Präferenzmatrix entwickelt, nach der als wesentliche Bedingungen für präferierte Landschaften die folgenden Kriterien herausgearbeitet wurden: Kohärenz, Komplexität, Lesbarkeit und <?page no="214"?> 214 Naturtourismus Rätselhaftigkeit. Mit Kohärenz ist die Einheitlichkeit und Ordnung einer Landschaft gemeint, die als zusammengehörig empfunden wird. Ein Beispiel hierfür ist der Zusammenhang zwischen Wegeführung und Landschaftstopographie. Ein in die Topographie der Landschaft eingebetteter Weg wird eher als kohärent empfunden, als einer, der als geradlinige Schneise fremdartig wirkt. Komplexität bedeutet, dass es eine gewisse Vielfalt in der Landschaft gibt. Eine ausgeräumte Landschaft ohne landschaftsstrukturelle Vielfalt wirkt langweilig. Die Lesbarkeit wiederum setzt ein gewisses strukturelles Verständnis der Landschaft voraus. Lesbarkeit kann man auch mit Orientierungsmöglichkeit übersetzen. Eine Landschaft, der es an Lesbarkeit fehlt, wirkt chaotisch und führt zu Ängsten. Mit Rätselhaftigkeit ist gemeint, dass eine Landschaft Informationsmöglichkeiten verspricht, die nicht auf den ersten Blick ersichtlich sind. Das bewegte Relief oder eine Strukturvielfalt, welche Landschaftsausschnitte den Blicken entzieht, macht eine Landschaft in diesem Sinne rätselhaft. Es wird Explorationsverhalten und die Neugierde angeregt, hinter die Wegeskrümmung zu schauen. Einige dieser auch als Prädiktoren (Bedingungen) bezeichneten Präferenzkriterien wirken unmittelbar, andere mittelbar, z. B. über den Verstand oder ein gewisses Vorwissen (vgl. Tab. 7). Tab. 7: Matrix - Landschaftliche Präferenzen (nach: Friesen 2016) Grundbedürfnis Wirkung Verständnis Erkundung unmittelbar Kohärenz Komplexität mittelbar/ abgeleitet Lesbarkeit Rätselhaftigkeit 3.4.1.2 Systematik und Präferenzen für Naturphänomene Die Natürlichkeit ist eines der am häufigsten verwendeten Kriterien zur Bewertung von Pflanzengesellschaften. Hierbei gibt es in der Ökologie durchaus unterschiedliche Auffassungen, was unter einer „natürlichen Pflanzengesellschaft“ zu verstehen sei: der Zustand, der anzunehmen wäre, wenn es eine menschliche Einflussnahme auf dem Standort nie gegeben hätte oder der Zustand, der sich einstellen würde, wenn die menschliche Einflussnahme aufhören würde, der also der Selbstregulation unter heutigen Bedingungen entspräche (K OWARIK 2014) <?page no="215"?> Naturerlebnisse 215 Diese Unterscheidung aus Perspektive der Ökologie ist für den Naturtourismus hingegen weniger relevant, da es hier vor allem um die Wahrnehmung von Naturphänomenen geht. Im ästhetischen Sinne gelten Landschaften oder Teile von Landschaften als „natürlich“, wenn weder technische Anlagen, wie Straßen oder Gewerbehallen, noch dominante Kulturmaßnahmen (Ackerflächen oder Entwässerungsgräben) das Erscheinungsbild prägen. Naturnahe Landschaften bestehen in der Regel aus einer stufig aufgebauten vielfältigen Vegetation, die sich aus Gehölzen unterschiedlicher Altersstufen und einer krautigen Bodenschicht zusammensetzt. Eine Einflussnahme des Menschen ist zumindest nicht sichtbar. Der Natürlichkeitsgrad der Vegetation wird mit dem Hemerobiegrad beschrieben. Der Begriff Hemerobie leitet sich aus den griechischen Wörtern hémeros (gezähmt, kultiviert) und bíos (leben) ab (S UKOPP 1972, S. 113). Als besonderes naturnah (ahemerob bis oligohemerob) gelten Felsformationen, Geröllhalden, Moore, Sumpflandschaften, naturnahe Laubmischwälder, das Ried, das Watt oder Dünenlandschaften. Als stark kulturbeeinflusste Standorte und damit naturfern (euhemerob bis metahemerob) gelten Gewerbe- und Wohnbauflächen, aber auch Ackerflächen oder Golfplätze. Eine Zwischenstellung (mesohemerob = mäßig kulturbeeinflusst) nehmen kulturhistorisch geprägte Landschaftsräume ein, wie Streuobstwiesen oder Heideflächen (vgl. S TEIN , W ALZ 2012, S. 261). Auch wenn es im naturwissenschaftlichen Sinne in Mitteleuropa kaum noch Naturlandschaften gibt, die völlig unbeeinflusst sind vom Menschen, umgeben uns doch zahlreiche Naturphänomene. Der wohnortnahe Laubmischwald am Stadtrand kommt in dieser Sicht einer Naturlandschaft sehr nahe. Dasselbe gilt für das Seeufer mit dem Schilfgürtel und dem Weidengebüsch, welches, obwohl von einer Ackerlandschaft umgeben, aus der Perspektive des Badenden als Natur wahrgenommen wird. Das heißt, Naturphänomene sind in unserer stark vom Menschen geprägten Umwelt von Blickperspektiven abhängig und oft an begrenzte Landschaftsräume gebunden. Blickbeziehungen, die sich mit der Bewegung des Menschen in der Landschaft ändern, spielen dabei eine wichtige Rolle. Beim Wandern ist es der szenische Wechsel von naturnahen Landschaften, Dörfern und Kulturlandschaften, der das Naturerlebnis prägt. Hierbei wird der vielfältige, naturnahe Wald im Kontrast zur monotonen Ackerlandschaft als wohltuend empfunden (vgl. Kap. 3.1.1). Zu den Naturphänomenen, die im ästhetischen Sinne auf Menschen einwirken, gehören aber auch Wetterereignisse und Lichtverhältnisse. So kann beispielswei- <?page no="216"?> 216 Naturtourismus se selbst in einer stark durch den Menschen geprägten Kulturlandschaft der nächtliche, sternenklare Himmel als Naturphänomen erfahren werden (vgl. Kap. 3.2.3). Dies alles macht deutlich, es geht nicht nur darum, Naturlandschaften im ökologischen Verständnis als vom Menschen unbeeinflusste Natur zu erleben, sondern auch um die Frage, wie nehmen wir Naturphänomene wahr und wie wirken diese auf uns. Abb. 42: Abbruchküste an der Ostsee (Darß) Foto: Jürgen Peters Abb. 43: Moos am Waldboden (Eifel) Foto: Jürgen Peters <?page no="217"?> Naturerlebnisse 217 Abb. 44: Dünenlandschaft mit Birken auf der Insel Norderney Foto: Mascha Peters In einer naturnahen Umgebung können auch geringe menschliche Eingriffe das Bild einer „intakten“ Natur stören. Aus diesem Grund gibt es beispielsweise in naturnahen Wäldern die Praxis, Baumstämme, die aus Gründen der Verkehrssicherungspflicht entfernt werden müssen, vorzugsweise zu brechen und nicht zu sägen. F RÜCHTL (1987) betont auch, dass Naturerlebnisse unterschiedliche Empfindungen und Stimmungen bei Menschen evozieren können. Die Ursache liegt dabei in unterschiedlich geprägten und gestalteten Biografien und Sozialisierungen. Der Mensch schreibt bestimmten Landschaften bestimmte Erinnerungsmomente zu. Trotz dieser individuellen Unterschiede gibt es eine breite Übereinstimmung, darüber, welche Ausprägung bzw. welches Erscheinungsbild von „Natur“ die meisten Menschen bevorzugen. 3.4.1.3 Methodik der Landschaftsbildbewertung Theoretische Grundlagen und Methodenübersicht Das im Bundesnaturschutzgesetz mit den Begriffen Schönheit, Vielfalt und Eigenart umschriebene Landschaftsbild wird in den Landschaftsbildbewertungsverfahren häufig auf die Begriffe Vielfalt und Eigenart reduziert, da Schönheit als am schwierigsten zu operationalisieren gilt. In einigen Landschaftsbildbewertungsverfahren wird Schönheit allerdings durch den Begriff der Naturnähe substituiert. Naturnahe Landschaften gelten darin per se als schön. Die Eigenart der Landschaft steht in vielen Bewertungsverfahren <?page no="218"?> 218 Naturtourismus neben der Vielfalt der Landschaft im Vordergrund. Hierbei werden die Reliefenergie, die Nutzungsvielfalt, die Dichte anthropogener technischer Elemente (Straßen, Freileitungen etc.) als Indikatoren herangezogen. Landschaftliche Vielfalt wird nicht als eigenständiger Teilaspekt, sondern in Kombination mit der Eigenart bewertet (vgl. B F N-S KRIPT 2018, S. 64). Für historische Kulturlandschaften spielt die Vielzahl und Ausstattung mit historischen Landschaftselementen eine wesentliche Rolle. Diese können häufig nicht aus Geodaten ausgelesen werden, da hierzu keine Erfassungen vorliegen. Hier sind ergänzende Geländekartierungen oder Expertenwissen wesentliche Datenquellen, um diesen Aspekt der Eigenart von Landschaften einzubeziehen. Mit der Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes im Jahre 2002, wurde die begriffliche Trias von Vielfalt, Eigenart und Schönheit der Landschaft um den Aspekt des Erholungswertes von Natur und Landschaft ergänzt. Hiermit ist die Eignung der Landschaft für die Naherholung der Bevölkerung, insbesondere jedoch für den Tourismus gemeint (vgl. G EBHARD , K ISTEMANN 2016). Die Erholungseignung der Landschaft ist unmittelbar mit der Qualität des Landschaftsbildes (Vielfalt, Eigenart und Schönheit) verbunden. Je höher die Qualität des Landschaftsbildes, desto höher ist auch grundsätzlich die Eignung als Erholungslandschaft. Zusätzlich sind Erreichbarkeit und Zugänglichkeit eine Voraussetzung für die Erholungseignung. Die Ausstattung mit Wegen und Aussichtsplattformen erhöht hierbei die Erholungseignung. Die Landschaftsbildeinheit ist die konkrete räumliche Bezugseinheit der Landschaftsbildbewertung (vgl. P ETERS ET AL . 2011, S. 30). In der Landschaftsbildanalyse werden Landschaften in Einheiten gleicher visueller Ausstattung untergliedert, den sogenannten Landschaftsbildeinheiten (vgl. J ESSEL , T OBIAS 2002, S. 217). Die Abgrenzungskriterien von Landschaftsbildeinheiten beruhen hauptsächlich auf einer Unterscheidung des Reliefs, der Landnutzungen (forst- / landwirtschaftliche Nutzung), der Biotopausstattung sowie der anthropogenen, rezenten oder kulturhistorischen Merkmale der Landschaft. Die Methodik und Detailliertheit einer Landschaftsbildanalyse hängt von der Fragestellung, vom Darstellungsmaßstab und von der Verfügbarkeit von Daten ab. Die wichtigste maßstäbliche Ebene, auch für die Erholungsplanung, ist der Landschaftsrahmenplan (Maßstab 1: 50.000). Auf dieser Ebene sind großflächige Zusammenhänge überregionaler Wander- oder Fahrradnetze und somit die Eignungen von Naturlandschaften für die Erholung darstellbar. Die kommunalen Landschaftspläne sind demgegenüber im räumlichen Umfang begrenzt. Die darüberliegende Ebene des Landschaftsprogramms für das gesamte Bundesland wiederum ist zu kleinmaßstäblich (1: 200.000), um Infrastrukturelemente, wie Aussichtspunkte und Wanderwege darstellen zu können. <?page no="219"?> Naturerlebnisse 219 Die in der Praxis angewandten Methoden der Landschaftsbildbewertung lassen sich in zwei Gruppen unterteilen (R OTH 2012, S. 75-78): [1] Objektbezogene, nutzerunabhängige Expertenverfahren Hierunter werden Verfahren verstanden, die von Experten ohne Beteiligung der Akteure im Raum angewandt werden können. In der Regel werden hierbei Luftbilder ausgewertet, Landschaftskartierungen durchgeführt und landschaftsbildrelevante Geodaten ausgewertet. Die Ergebnisse der Landschaftsbildbewertung beruhen auf reinen Expertenurteilen. [2] Subjektbezogene, nutzerabhängige empirische Verfahren Bei diesen Verfahren werden die Landschaftsnutzer in die Bewertung der landschaftlichen Schönheit mit einbezogen. Unter Nutzern werden nicht nur die klassischen Landnutzer, wie Land- oder Forstwirte, sondern ebenso die Bewohner und Touristen der betreffenden Landschaft verstanden. Die Einbeziehung der Nutzer kann unmittelbar durch eine gemeinsame Begehung oder mittelbar mit Fotobewertungen durchgeführt werden. Die Befragung von Akteuren in der Landschaft dient dazu, Aufschluss über deren Präferenzen für bestimmte Landschaftsstrukturen, Landschaftsräume oder -elemente zu gewinnen. Wie im Kap. 1.2 dargelegt, sind die Präferenzen von Menschen für bestimmte Landschaften nicht beliebig, sondern eng verbunden mit Grundbedürfnissen an Landschaftsausstattungen. Im Ergebnis der Landschaftsbildbewertung wird die Landschaftsbildqualität der Räume kartographisch, in der Regel in mittels drei bis fünf Wertstufen, differenziert dargestellt. Eine hohe landschaftliche Qualität kann sowohl auf einer naturräumlich herausragenden Ausstattung beruhen als auch auf einer besonders harmonischen Konfiguration kulturhistorischer Landschaftselemente. Um diese Merkmale weiter herauszuarbeiten, müssen die zugrundeliegenden Landnutzungsmerkmale betrachtet werden. Ästhetisch besonders hochwertige Bereiche sind in der Regel naturnahe Waldbereiche. Für Offenlandschaften gilt dieser Zusammenhang nicht unmittelbar. Die ästhetisch wertvollen Offenlandschaften sind in der Regel eher kulturhistorisch geprägt, durch ein Landnutzungsmosaik und durch einen Reichtum an naturräumlichen und kulturhistorischen Landschaftselementen (Gewässern, Alleen, Kopfsteinpflasterwegen etc.). Im Folgenden wird daher das Beispiel einer Landschaftsbildanalyse im Zusammenhang mit der Aufstellung des Landschaftsrahmenplans für den Landkreis Barnim dargestellt. Hierbei soll aufgezeigt werden, wie sich mit der Methodik der Landschaftsbildanalyse naturnahe Landschaften analysieren und bewerten lassen. <?page no="220"?> 220 Naturtourismus Landschaftsbildbewertung am Beispiel des Landkreises Barnim Der Landkreis Barnim liegt im Bundesland Brandenburg. Er grenzt unmittelbar nördlich an den Stadtrand Berlins an und umfasst im Norden auch Bereiche des Biosphärenreservates Schorfheide-Chorin. Im Zusammenhang mit der Neuaufstellung des Landschaftsrahmenplans für den Landkreis Barnim wurde im Jahre 2017 eine Analyse und Bewertung des Landschaftsbildes durchgeführt. Hierbei wurde Gebiet des Biosphärenreservates ausgeklammert, da hierfür die Aufstellung eines eigenständigen Landschaftsrahmenplan erfolgt. Für die Landschaftsbildanalyse wurden die oben beschriebenen Bewertungsansätze kombiniert eingesetzt. In einem objektbezogenen Expertenansatz wurde ein GIS-Modell entwickelt, in dem die aus Geodaten gewonnenen Informationen über die Landschaft hinsichtlich ihrer Qualität für das Landschaftsbild nach dem in Abb. 45 dargestellten Modell berechnet wurden (vgl. P ETERS ET AL . 2011, S. 25 ff.). Die Bewertung und Einordnung der aus dem Digitalen Basis Landschaftsmodell (DLM) entnommenen Landschaftselemente erfolgte im Rahmen einer Masterarbeit expertenbasiert (S CHOLTISSEK 2017). Hierbei wurden regionale Fachleute der Landschaftsplanung und verwandter Disziplinen gebeten, die Objektarten in einer Skala von 1 (sehr schön) bis 7 (unattraktiv) einzuordnen. Die Mittelwerte der Expertenurteile gingen in die GIS-Berechnung ein. Hier zeigte sich, dass die naturnahen Elemente, wie Alleen oder Laubmischwälder, als für den Barnim besonders hochwertig eingestuft worden sind. Ackerflächen wurden mit einem Mittelwert (4) beurteilt, technische Anlage, wie z. B. Klärwerke (7) wurden landschaftsästhetisch besonders negativ bewertet. Parallel zu dieser GIS-Analyse wurden in einem subjektbezogenen Ansatz Bewohner und Touristen im Landkreis gebeten, repräsentative Fotos der Landschaftsbildeinheiten zu bewerten. Die Befragung wurde sowohl online-gestützt als auch direkt auf dem Marktplatz im Zusammenhang mit einer Ausstellung zum Landschaftsrahmenplan organisiert. Aus den Bewertungsergebnissen wurde anschließend ein Mittelwertwert für die auf den Fotos dargestellten Landschaftsbildtypen errechnet. <?page no="221"?> Naturerlebnisse 221 Abb. 45: GIS-gestützte Bewertung der Qualität des Landschaftsbildes nach Peters et al. 2011 und Ludwig 2018 Im Ergebnis der Befragung zeigte sich, dass die Abwesenheit moderner technologischer Elemente in der Landschaft und die Naturnähe dazu führt, dass Landschaftsbilder positiv bewertet werden. Als besonders wertvoll gelten naturnahe Landschaften und kulturhistorisch geprägte Landschaften. Ein Beispiel ist der Laubmischwald, der mit der höchsten Wertkategorie bewertet wird, während der Nadelwald nur einer mittleren Landschaftsbildqualität zugeordnet wird. Vielfalt Eigenart Schönheit genutzte Daten: Ermittlung Strukturvielfalt/ Anzahl der Landschaftselemente (V) (dreistufige Skala) naturräumliche Kontinuität kulturhistorische Landschaftselemente Nutzerbefragung/ Bildbewertung Bewertung der Objektarten (S) (siebenstufige Skala) Digitales Basis- Landwirtsch aftsmodell (DLM) Berechnung Reliefenergie (R) (dreistufige Skala) Digitales Geländemodell (DGM) Berechnung Schlaggröße (F) (dreistufige Skala) Kohärenz: Schlaggröße und Höhenprofil (K) (dreistufige Skala) Digitale Feldblöcke des Landes Brandenburg InVeKos Aggregation der Ergebnisse (V+F+R+S+K) expertenbasiert Akteursbeteiligung GIS-gestützt Legende <?page no="222"?> 222 Naturtourismus Abb. 46: Alterseinheitlicher Nadelwald im Barnim - mittlere landschaftsästhetische Qualität Foto: Jürgen Peters Abb. 47: Gestufter Laubmischwald im Barnim - hohe landschaftsästhetische Qualität Foto: Jürgen Peters Die Nutzerbefragung diente der Kontrolle der GIS-Modellierung. Bei deutlichen Abweichungen zur GIS-Modellierung erfolgte anschließend eine Auf- oder Abwertung der berechneten Landschaftsbildwerte für die einzelnen Landschaftsbildeinheiten. In der Abb. 48 wird diese Ausdifferenzierung der Wertstufen im Wald gezeigt. Die besonders wertvollen Waldbereiche sind Laubmischwälder ohne technologische Überprägung. Die etwas heller dargestellten hochwertigen Bereiche (Stufe 2) sind reine Kiefern-Nadelforste, teilweise auch mit technologischer Überprägung (Funksendemasten u. a.). Insofern kann das Ergebnis dieser Landschaftsbildanalyse für den Landschaftsrahmenplan gute Hinweise für die Erholungseignung von Wäldern im Sinne der Naturerfahrung liefern. <?page no="223"?> Naturerlebnisse 223 Abb. 48: Landschaftsrahmenplan Barnim - Bewertungskarte Landschaftsbild- Entwurfsfassung Quelle: Peters et al. 2018 Die in der Landschaftsbildanalyse herausgearbeiteten sehr hochwertigen Landschaftsbildeinheiten sind demnach auch für die landschaftsbezogene Erholung im Landkreis Barnim grundsätzlich besonders geeignet. Hierbei ist allerdings zusätzlich die Raumkonfiguration ein wesentlicher Aspekt, das heißt a) je größer und unzerschnittener ein Raum, desto besser ist er für die Erholung geeignet und b) die infrastrukturellen Voraussetzungen. Das Fahrrad- und Wanderwegenetz sowie die Aussichtspunkte spielen dabei eine wichtige Rolle. Literaturtipps Einen guten Überblick über die Grundlagen der Ästhetik und die methodischen Ansätze in der Planung finden Sie bei: K ÜHNE , O.; M EGERLE , H.; W EBER , F.: Landschaftsästhetik und Landschaftswandel. Springer VS Verlag für Sozialwissenschaften. Wiesbaden. 2017 W ÖBSE , H. H.: Landschaftsästhetik - Über das Wesen, die Bedeutung und den Umgang mit landschaftlicher Schönheit. Ulmer Verlag. 2002 <?page no="224"?> 224 Naturtourismus Literatur A UGENSTEIN , I.: Die Ästhetik der Landschaft. Ein Bewertungsverfahren für die planerische Umweltvorsorge. Weißensee Verlag (Berliner Beiträge zur Ökologie). Berlin 2002. F RIESEN , I.: Eine umweltpsychologische Analyse der Darstellung landschaftlicher Präferenz des Fantasy-Romans „Der Herr der Ringe - erstes Buch“ von J. R. R. Tolkien anhand ausgewählter Landschaftsbildeinheiten. Bachelorarbeit an der HNE Eberswalde. Eberswalde 2016. F RÜCHTL , J.: Natur als Projektion und Adornos Modell von Wahrheit. Philosophsches Jahrbuch, S. 372-381. Frankfurt 1989. G EBHARD , U., K ISTEMANN , T.: Landschaft, Identität und Gesundheit. Zum Konzept der Therapeutischen Landschaften. 1. Auflage. Springer Verlag. Wiesbaden 2016. J ESSEL , B., T OBIAS , K.: Ökologisch orientierte Planung. Eugen Ulmer Verlag. Stuttgart 2002. K APLAN , R., K APLAN , S.: The Experience of Nature: A Psychological Perspective. 1st Edition. Cambridge University Press. Cambridge 1989. K EITSCH , H, M. M.: Naturästhetik und ökologische Ethik: Eine Einführung. Boethiana - Forschungsergebnisse zur Philosophie. Band 58. Hamburg 2003. K OWARIK I.: Natürlichkeit, Naturnähe und Hemerobie als Bewertungskriterien. Wiley online library. In: Handbuch Naturschutz und Landschaftspflege, S. 1-18. 2014.  https: / / onlinelibrary.wiley.com/ doi/ abs/ 10.1002/ 9783527678471.hbnl1999029 [21.09.2018]. L UDWIG , S.: Analyse der GIS-gestützten Landschaftsbildbewertung unter besonderer Berücksichtigung des Waldes. Bachelorarbeit an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde. Eberswalde 2018. P ETERS , J., L UTTMANN , K., W ILITZKI , A.: Landschaftsrahmenplanung als Kommunikations- und Gestaltungsprozess - Teilprojekt Landschaftsbild/ Kulturlandschaft - im FuE-Vorhaben: Partizipative und ökosystembasierte Anpassung an den Klimawandel im Landkreis Barnim (Ibisch, P. et. al.) Eberswalde 2018. P ETERS , J., T ORKLER , F., BRAHMS, E.: Landschaftsbildgutachten zur geplanten 380-kV-Leitung im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin (Uckermarkleitung). Bericht. Hochschule für nachhaltige Entwicklung & entera Umweltplanung & IT. Eberswalde - Hannover. 2011. R AITH , A., L UDE , A.: Startkapital Natur. Wie Naturerfahrung die kindliche Entwicklung fördert. Oekonom. München 2014. <?page no="225"?> Naturerlebnisse 225 R AULET , G.: Natur und Ornament. Zur Erzeugung von Heimat. Luchterhand Verlag. Darmstadt 1987. R OTH , M.: Landschaftsbildbewertung in der Landschaftsplanung. Entwicklung und Anwendung einer Methode zur Validierung von Verfahren zur Bewertung des Landschaftsbildes durch internetgestützte Nutzerbefragungen. IÖR Schriften. Band 59. Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (Hg.). Rhombos Verlag. Berlin 2012. S CHOLTISSEK , D.-E.: Landkreis Barnim - Landschaftsrahmenplan - Konzeptionelle Erarbeitung des Teilplanes „Landschaftsbild“ zur Neuaufstellung des Landschaftsrahmenplanes Barnim. Masterthesis an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde. Eberswalde 2016. S EEL , M.: Eine Ästhetik der Natur. Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, Band 1231. 1996. S HRADER -F RECHETE , K.S.; M C C OY , E.D.: Method in Ecology. Cambridge 1993. S TEIN , C. & W ALZ , U.: Hemerobie als Indikator für das Flächenmonitoring. In: Naturschutz und Landschaftsplanung - Zeitschrift für angewandte Ökologie. Bd. 44. S. Eugen Ulmer Verlag. S. 261-266. Stuttgart 2012. S UKOPP , H.: Wandel von Flora und Vegetation in Mitteleuropa unter dem Einfluß des Menschen. Ber. ü. Ldw. 50 (1), S. 112-139. 1972. W EHNERT , H.: Die Komplexität der (Kultur-)Landschaft. Raumforschung und Raumordnung, Band 70, Springer Verlag. 2012. W ILSON , E. O.: Sehnsucht nach der Savanne. In: Garten + Landschaft 3/ 86, 19-24, 1986. W ÖBSE , H. H.: Landschaftsästhetik - Über das Wesen, die Bedeutung und den Umgang mit landschaftlicher Schönheit. Ulmer Verlag. 2002. Z UR L IPPE , R.: Sinnenbewußtsein. Grundlegung einer anthropologischen Ästhetik, Rowohlt Enzyklopädie. Reinbeck 1987. <?page no="226"?> 226 Naturtourismus 3.4.2 Naturbeobachtungstourismus von Birte Kaddatz Durch dieses Kapitel …  lernen Sie, wieso sich Naturbeobachtung zu einer nachgefragten touristischen Aktivität entwickelt hat.  können Sie Formen des Naturbeobachtungstourismus unterscheiden und kennen Überschneidungen mit anderen Tourismussegmenten.  lernen Sie Gestaltungsmöglichkeiten bei Angeboten im Naturbeobachtungstourismus kennen.  Erfahren Sie hinsichtlich der Nachfrage, welche möglichen Zielgruppen bestehen, welche zentralen Ansprüche an ein Angebot gestellt werden und aus welchen Gründen Menschen Naturbeobachtungstourismus verfolgen. 3.4.2.1 Entstehung und wirtschaftliche Bedeutung Seit Anbeginn der Menschheit ist die Beobachtung der Natur ein Teil des Lebens gewesen. In Urzeiten war mit der Naturbeobachtung ein existenzieller Sinn verknüpft. Die Natur wurde beobachtet, um Grundbedürfnisse wie Nahrung und Sicherheit zu befriedigen. Das Ausspähen von Tieren diente der Jagd, durch das Studieren von tierischem Verhalten konnten überlebenswichtige Fähigkeiten erlernt werden und die Beobachtung der Landschaft, des Wetters und spezieller Phänomene waren essenziell für die Wahl des Lebensraumes. Die Wahrnehmung der Natur hat sich über die Zeit verändert. Lange Zeit galt eine wilde Natur im christlichen Weltbild als etwas, das der Mensch sich zu untertan machen sollte (K ATZ 2010, S. 55). Erst mit der fortschreitenden Kontrolle des Menschen über die Natur wird Wildnis im 17. Jahrhundert auch mit positiven Bedeutungen wie Erhabenheit assoziiert (K IRCHHOFF , T REPL 2009, S. 45). Dass Natur für Menschen auch aufgrund der Ästhetik wichtig ist, wurde schließlich besonders zu Beginn des 19. Jahrhunderts deutlich, als Vertreter der Romantik, wie Caspar David Friedrich, ihre weltbekannten Werke erstellen, in denen Naturräume als melancholische Sehnsuchtsorte abgebildet werden. Außer in der Kunst war Naturbeobachtung auch eine zentrale Aktivität bei der Jagd und Forschungsreisen. Mit der aufkommenden Industrialisierung bildeten sich erste ökologisch geprägte Gegenbewegungen. In den USA entwickelte die Autorengruppe der sogenannten <?page no="227"?> Naturerlebnisse 227 Transzendentalisten, zu der auch Henry David Thoreau gehörte, ein positives Natur- und Wildnisverständnis. Die Natur war für sie vor allem ein Ort, in dem sie nach geistiger Selbstreflexion strebten (V INCENZOTTI 2010, S. 100). Nachdem es heutzutage in Europa durch die „Kultivierung alles Natürlichen“ zu einer „Dominanz der Produktionslandschaften“ gekommen ist, haben immer größer werdende Teile der Bevölkerung eine „Sehnsucht nach Erleben von nicht dem Herrschaftswillen des Menschen unterworfener Natur, nach Stille, nach Einsamkeit“ (S UCCOW 2012, S. 14). Auch die Naturbewusstseinsstudie des Bundesamtes für Naturschutz belegt diesen Wandel in der Einstellung gegenüber der Natur indem sie darlegt, dass für ein Drittel der Deutschen „Wildnis eher positiv konnotiert ist“ (durch Nennungen wie „rein“, „echt“, „unverfälscht“) und der überwiegenden Mehrheit „Natur umso besser [gefällt], desto wilder sie ist“ (BMUB, B F N 2014, S. 24 f., vgl. auch Kap.1.2). Da sich die durch Industrialisierung und Globalisierung hervorgerufenen Entwicklungen nicht nur auf Deutschland beschränken, ist es nicht verwunderlich, dass der Wunsch nach Erholung und Naturerlebnissen weltweit zunimmt. Naturbeobachtung kann beide Bedürfnisse im Idealfall sehr gut bedienen. Bisher existieren keine verlässlichen globalen Studien zu den wirtschaftlichen Effekten von Naturbeobachtung (vgl. auch H IGGINBOTTOM 2004, S. 7), dennoch geben einzelne Arbeiten zu verschiedenen Kontinenten, Ländern und Regionen der Welt oder bestimmten Segmenten Hinweise darauf, dass Naturbeobachtung zu einem bedeutenden naturtouristischen Segment geworden ist: Laut einer Studie der Welttourismusorganisation, bei der 145 Reiseveranstalter befragt wurden, werden in Afrika jährlich 263 Mio. US$ Umsatz allein durch Naturbeobachtung („wildlife watching“) generiert (UNWTO 2014, S. 25 f.). Diese Touren repräsentieren damit 88 % der gesamten jährlichen Toureinnahmen in Afrika (ebd.). Zudem gab die Mehrheit der befragten Leistungsträger an, dass die Verkaufszahlen in den letzten fünf Jahren (vor 2014) zunahmen (ebd.). In den USA gehörten Naturbeobachtung und -fotografie („viewing/ photographing nature“) zu den Outdoor-Erholungsaktivitäten, die auf bundeseigenen Gebieten zwischen 1999 und 2009 sowohl bei den jährlichen, durchschnittlichen Teilnehmertagen als auch den Teilnehmern die meisten Zuwächse verzeichneten (W HITE ET AL . 2016, S. 2). Es wird erwartet, dass die Teilnehmerzahlen bis 2030 um 28,1 % („viewing“) ansteigen werden (W HITE ET AL . 2016, S. 7). Bemerkenswert ist, dass mit Vogelbeobachtung schon jetzt durchschnittlich 10-mal mehr Tage im Jahr verbracht werden als mit jeglichen anderen Aktivitäten (ebd.). Nach und innerhalb von Schottland werden jährlich 1,12 Mio. Reisen mit dem vorwiegenden Zweck unternommen, wilde Natur („wildlife“) zu beobachten (T HE <?page no="228"?> 228 Naturtourismus S COTTISH G OVERNMENT 2010, S. 1). Die schottische Regierung errechnete, dass auf diesen Reisen 276 Mio. GBP ausgegeben werden (ebd.). Der direkte wirtschaftliche Effekt durch das Tauchen und Schnorcheln zur Beobachtung von Manta-Rochen wird von O’M ALLEY ET AL . (2013, S. 1) weltweit auf 140 Mio. US$ jährlich geschätzt. Die direkten Einnahmen von Tauchunternehmern werden bei diesem Segment auf 73 Mio. US$ geschätzt. Am Beobachten von Walen und Delfinen haben im Jahr 2008 weltweit nach O’C ONNOR ET AL . (2009, S. 8) in 119 Ländern fast 13 Mio. Menschen teilgenommen, was zu Gesamtausgaben von über 2 Mrd. US$ führte. H ERGET ET AL . (2016, S.153) konnten zeigen, dass in der Region des Nationalparks Vorpommersche Boddenlandschaft in Deutschland ca. 4,4 Mio. Euro zusätzliches Einkommen generiert wird, das nur auf die Vogelbeobachtung zurückgeführt werden kann. Bei der Betrachtung dieser Angaben sei darauf hingewiesen, dass es sich um unterschiedliche Kennzahlen handelt und die Errechnung des wirtschaftlichen Effektes ein komplexer Sachverhalt ist. Nähere Ausführungen zum Thema können u. a. folgenden Quellen entnommen werden: T ISDELL , W ILSON 2004, S. 145 ff., W OL- TERING 2012. 3.4.2.2 Was ist Naturbeobachtungstourismus? Beim Naturbeobachtungstourismus steht die Beobachtung der Natur im Vordergrund. Da unterschiedliche Begriffe genutzt werden, um Naturbeobachtungstourismus zu beschreiben, wird der Begriff im Folgenden eingeordnet. Tourismus zur Naturbeobachtung entspricht in der englischsprachigen Fachliteratur dem Begriff „wildlife watching tourism“, der als eine Unterform des „wildlife tourism“ verstanden werden kann und von H IGGINBOTTOM (2004, S. 2) wie folgt definiert wird: „Wildlife tourism is tourism based on encounters with non-domesticated (nonhuman) animals. These encounters can occur in either the animals’ natural environment or in captivity. It includes activities historically classified as ‘nonconsumptive’, such as viewing, photography and feeding, as well as those that involve killing or capturing animals, particularly hunting (in the terrestrial environment) and recreational fishing (in the aquatic environment).” Obwohl der Begriff „Wildlife“ alle lebenden Dinge meint, die nicht menschlich und nicht domestiziert sind und somit auch Flora, Fungi und andere Organismen umfasst (T APPER 2006, S. 10), beschränkt sich die obige Definition in Bezug auf das Beobachtungsobjekt auf Tiere. Bezüglich der Aktivitäten werden auch das <?page no="229"?> Naturerlebnisse 229 Erleben von in Gefangenschaft gehaltenen Tieren sowie Jagen, Fischen und das Fangen von Tieren eingeschlossen. Nach der Welttourismusorganisation werden beim wildlife watching tourism hingegen ausschließlich Aktivitäten ausgeübt, die im Gegensatz zum Jagen und Fischen nicht als konsumtiv gelten: „Wildlife watching tourism is a type of tourism that is organized and undertaken in order to watch or encounter wildlife. Wildlife watching tourism exclusively relates to non-consumptive forms of wildlife-based activities as observing and sometimes touching or feeding of animals, in contrast to consumptive forms like hunting or fishing.“ (UNWTO 2014, S. 9) Als Formulierungsgrundlage für diese Definition diente eine Publikation des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP). Bei einem Vergleich der Definition mit der im Originaldokument der UNEP dargelegten Beschreibung fällt auf, dass hier noch der Zusatz „[…] in a natural setting“ erwähnt wurde (T APPER 2006, S. 10). Die Beobachtung von Tieren in Zoos und Gehegen ist nach UNEP kein Gegenstand des wildlife watching, wohingegen die Beobachtung in großflächigen (National-) Parks und Ranches, die eine natürliche Umgebung bieten und dadurch das Verhalten bzw. natürliche Prozesse nicht gravierend einengen, durchaus eingeschlossen ist (ebd.). Im Unterschied zu dem englischen Begriff „wildlife watching“ impliziert „Naturbeobachtung“ jedoch eine weitere Dimension, da Natur sich neben biotischen Dingen auch auf unbelebte Dinge bezieht. Es liegt daher auf der Hand, dass durchaus auch die Beobachtung von naturnahen Landschaften (z. B. Canyon, vgl. Kap. 3.4.1), bestimmten Orten (z. B. Kreidefelsen), aber auch von Prozessen (z. B. Sukzession) und Ereignissen (z. B. Vulkanausbrüchen) sowie der Kosmos selbst (z. B. Sternenbeobachtung, vgl. Kap. 3.2.3) eingeschlossen werden müssen. Auf Grundlade dieser Ausführungen kann Naturbeobachtungstourismus im Deutschen wie folgt definiert werden: Wissen │ Naturbeobachtungstourismus Naturbeobachtungstourismus ist Tourismus, bei dem die Beobachtung und das nicht-konsumtive Erlebnis der freilebenden Fauna, Flora und sonstiger Organismen in ihrem natürlichen Umfeld im Mittelpunkt stehen. Darüber hinaus können naturnahe Landschaften, Orte sowie natürliche Prozesse, Ereignisse und der Kosmos selbst Gegenstand der Beobachtung und des Erlebens sein. <?page no="230"?> 230 Naturtourismus 3.4.2.3 Formen des Naturbeobachtungstourismus Naturbeobachtungstourismus kann sehr unterschiedlich gestaltet sein. Da die Beobachtung ein zentrales Merkmal dieses Segments ist, können die zahlreichen Formen des Naturbeobachtungstourismus am besten anhand der Objekte der Beobachtung in sechs Hauptkategorien unterschieden werden. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die Bandbreite der Formen des Naturbeobachtungstourismus, ohne dabei einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Tab. 8: Formen des Naturbeobachtungstourismus Kategorie des Objekts der Beobachtung Beispiele Fauna Vogelbeobachtung, Beobachtung von Großwild (z. B. Safari) oder großen Säugetieren (Gorilla, Wolf, Bär etc.), Beobachtung von Meerestieren (Wale, Delfine, Schildkröten, Rochen), Touren zu Insekten, Amphibien etc. Flora Touren zur Botanik bestimmter Orte (z. B. Wasserpflanzen), Angebote zu speziellen Pflanzengruppen wie Orchideen, Heilkräutern, Bäumen etc. sonstige Organismen Touren zur Beobachtung von Pilzen, Mikroorganismen, Algen etc. Landschaften und Orte Beobachtung von Wüsten, Steppen, Wäldern, Mooren, Flüssen, Lagunen, Gebirgen, Höhlen, Vulkanen, Canyons etc. Phänomene und Prozesse Tourismus zum Thema Polarlicht, Geysire, Stürme, Vulkanausbruch, Sukzession, Gezeiten, Monsun-Regen, Blattfärbung (z. B. Indian Summer) Kosmos Astro-Tourismus (Sternenbilder und besondere Konstellationen wie z. B. Mond-/ Sonnenfinsternis, Sternschnuppen) etc. In der Praxis sind sowohl spezialisierte Touren zu finden, die die Beobachtung von nur einem bestimmten Objekt als Ziel haben, sowie auch die Kombination von unterschiedlichen Beobachtungsobjekten (z. B. Landschaft - Fauna). Als besonders bekannte Unterformen des Naturbeobachtungstourismus sind zu nennen:  Safari-Tourismus: Das Wort Safari stammt aus dem Suaheli, das eine Bantusprache und v. a. in Ostafrika weit verbreitet ist. Safari bedeutet „Reise“ und wurde in Kolonialzeiten genutzt, um Jagdexpeditionen auf Großwild in <?page no="231"?> Naturerlebnisse 231 Afrika (die „Big 5“ - Elefant, Nashorn, Büffel, Löwe, Leopard), später auch in Indien zu beschreiben (S CHROEDER 2002, S. 287; FTFP 2009 in: UNWTO 2014, S. 9). Heutzutage werden unter einer Safari die Beobachtung und ggf. das Fotografieren von Tieren in ihrer natürlichen Umgebung verstanden, wobei die Beobachtung klassischerweise von Fahrzeugen aus stattfindet und die Unterbringung in Zelten oder Lodges erfolgt (ebd.). Mittlerweile werden Safaris auch in anderen Teilen der Welt angeboten und Zielarten, Fortbewegungsmittel sowie Unterbringungsmöglichkeiten können stark variieren. Als alternative Beispiele in Deutschland seien hier Touren zu den „Small Five“ des schleswig-holsteinischen Wattenmeers (Wattwurm, Herzmuschel, Strandkrabbe, Wattschnecke, Nordseegarnele, vgl. Kap. 2.2) oder Biber- Safaris von Solarbooten aus in Mecklenburg-Vorpommern genannt.  Whalewatching: Beim Whalewatching steht das Beobachten von Walen oder Delfinen im Mittelpunkt. Man unterscheidet das Beobachten vom Boot, von Punkten an Land, vom Flugzeug oder Helikopter aus sowie das Schwimmen mit Walen und Delfinen (R ITTER 2018).  Vogelbeobachtung/ Birding/ Birdwatching: Die Freizeitaktivität der Vogelbeobachtung entwickelte sich ursprünglich aus der Ornithologie heraus. Nachdem Ornithologen zuvor hauptsächlich damit beschäftigt waren, weltweit erlegte Exemplare in Naturkundemuseen zu bestimmen und in die Systematik einzuordnen, sprach sich der Brite Edmund Selous für den „Zoologen der Zukunft“ aus, der „mit Feldglas und Notizbuch hinauswandern [müsste], bereit zu sehen und zu denken.“ (S ELOUS in B RUNNER 2015, S. 163 f.). Er gilt aufgrund seines 1901 erschienen Buches „Bird watching“ als Erfinder des Begriffs (ebd.). Mit dem Fortschritt der Technik führt die Erfindung und Verfügbarkeit von binokularen Ferngläsern, dem Fotoapparat und Filmen dazu, dass nun das Erlegen und Sammeln von Vögeln in andere Formen übergeht. Kenn Kaufmann reiste bereits in den frühen 1970-er Jahren durch Nordamerika, um zielgerichtet so viele Vögel wie möglich zu sehen und zu verstehen (Resultat: 630 von 650 Arten gesichtet) (ebd., S. 171 f.). Heutzutage sind überall auf der Welt stattfindende Birdraces beliebte Events für Vogelbeobachter, wobei das Ziel ist, innerhalb von 24 Stunden in einem bestimmten oder selbst gewählten Gebiet so viele Vogelarten wie möglich zu beobachten (ebd., S. 176). Zum Austausch und zur Information über gesichtete Arten nutzen Birder auch Internet-Plattformen (z. B.  naturgucker.de,  ornitho.de,  rspb.org.uk/ community). Zur Zielgruppe der Birdwatcher siehe auch Kap. 3.2.2. <?page no="232"?> 232 Naturtourismus 3.4.2.4 Überschneidungen mit anderen Tourismusformen Touristische Angebote, die in erster Linie auf die Naturbeobachtung fokussiert sind, können auch kulturelle, sportliche, gesundheitliche oder kulinarische Bestandteile beinhalten. Umgekehrt kann Naturbeobachtung auch nur ein Baustein bei Angeboten sein, bei denen vornehmlich andere Aktivitäten im Vordergrund stehen. Eine Zuordnung zu dem einen (z. B. Kulturtourismus) oder anderen Segment (z. B. Naturbeobachtung) ist immer nur dann sinnvoll, wenn Motivationen und Aktivitäten eines Segments klar überwiegen. Mischformen sind durchaus üblich. Zu beachten ist zudem, dass Naturbeobachtungstourismus nicht automatisch mit nachhaltigem Tourismus gleichzusetzen ist. Erst wenn Maßnahmen ergriffen werden, um Ressourcen so zu nutzen, „dass ökonomische, soziale und ästhetische Bedürfnisse befriedigt und gleichzeitig kulturelle Integrität, wesentliche ökologische Prozesse, die biologische Artenvielfalt und lebenswichtige Systeme erhalten bleiben“ kann von einem Streben in Richtung Nachhaltigkeit ausgegangen werden (UNWTO in S TRASDAS 2011, S. 518). Dabei müssen „die Ansprüche sowohl von Touristen als auch der Bevölkerung der Zielgebiete“ erfüllt werden, „wobei außerdem zukünftige Entwicklungsmöglichkeiten gesichert und verbessert werden sollen“ (ebd.). 3.4.2.5 Wie sind typische Naturbeobachtungsangebote gestaltet? Wie bereits dargelegt, kann Naturbeobachtungstourismus sehr unterschiedliche Formen haben und so reicht auch das Angebotsspektrum von spezialisierten Naturbeobachtungstouren, lokalen, gemanagten Naturattraktionen (z. B. betreuten Vogelkolonien) über allgemeine Naturtourismus- und Sightseeingtouren mit Beobachtungskomponenten, Forschungs- und Studienreisen bis hin zu Unterkunfts-, Gastronomie- und weiteren Angeboten, die eine Naturbeobachtungskomponente beinhalten (z. B. Dinner mit Sternenbeobachtung) (H IGGINBOT- TOM , B UCKLEY 2003 in H IGGINGBOTTOM 2004, S. 16). Das typische Naturbeobachtungsangebot gibt es daher nicht. Manche Studien zu bestimmten Segmenten oder Räumen können dennoch einen speziellen Eindruck der Angebotsgestaltung vermitteln. Laut UNWTO (2014, S.27) nehmen an einer Wildlife Watching Tour in Afrika beispielsweise durchschnittlich sechs Personen teil, sie dauert zehn Tage und der durchschnittliche Tourpreis beträgt 433 US$ pro Tag und Person. Nachdem bei einer Studie durch das Beratungsunternehmen BTE für die Deutsche Umwelthilfe e. V. 33 Naturbeobachtungsangebote in Europa von 15 <?page no="233"?> Naturerlebnisse 233 Anbietern 13 analysiert wurden, gibt es mittlerweile auch erste Hinweise für den europäischen Markt. Fast alle untersuchten Angebote waren Mehrtagespackages, von denen der überwiegende Teil nicht weniger als acht Tage dauerte (BTE 2014, S. 36). Die Preisspanne war jedoch sehr unterschiedlich und reichte von 42,25-356,31 Euro pro Tag und Person. Im unteren Preissegment (42,25-120 Euro/ p. Tag/ P.) fanden sich v. a. Wildtierbeobachtungsreisen in osteuropäischen Ländern (Polen, Estland, Slowakei) sowie Angebote mit rustikalen Übernachtungsmöglichkeiten oder ohne Begleitung durch einen Guide. In das mittlere Preissegment (121-240 Euro/ p. Tag/ P.) fielen mehrere Vogelbeobachtungsreisen und insbesondere solche, die das rumänische Donau-Delta als Reiseziel hatten. Hier werden häufig sogenannte „floating hotels“ genutzt, also Hotelboote, die Übernachtung und Vogelbeobachtung direkt vom Wasser aus verbinden. Außer geführten Wolfsbeobachtungen in Spanien und weiteren Vogelbeobachtungsreisen fielen in dieses Preissegment auch erste Kombinations- (Wellness und Naturbeobachtung) sowie Fotoreisen. Alle Angebote dieses Segments beinhalteten eine gastronomische Verpflegung, eine Reiseleitung bzw. Begleitung durch einen Fotografen. Zusatzleistungen wie Transfers, Eintritte und Kurse waren häufig im Preis eingeschlossen. Im oberen Preissegment (241-360 Euro/ p. Tag/ P.) fanden sich v. a. Winter-, Foto- und Vogelbeobachtungstouren. Ihre hohen Preise erklärten sich einerseits durch die Preislage im Zielland, da viele der Angebote in skandinavischen Ländern stattfinden. Andererseits richteten sich die Angebote mit einem zugeschnittenen Programm an spezielle Zielgruppen, die einen hohen Standard bevorzugen. Saisonale Schwerpunkte: Die Studie ermittelte zudem, dass zwar die Mehrheit der untersuchten Angebote auf den Sommer ausgerichtet ist, aber auch ungefähr 20 % auf die Zwischensaison spezialisiert sind, in der die Natur durch Prozesse wie Migration, Brunft oder Blattfärbung besonders interessant ist. Bemerkenswert ist zudem, dass ungefähr weitere 20 % der Angebote ausschließlich in den Wintermonaten (Dez.-März) durchgeführt wurden. Durch kreative Angebotselemente (Hundeschlittenfahrten, Ansitze in beheizbaren Fotohütten etc.) werden auch diese Touren für bestimmte Zielgruppen interessant. Zielobjekte: Bezüglich des Werbens mit bestimmten Beobachtungsobjekten konnte festgestellt werden, dass bei den Vogelbeobachtungstouren in Europa statt mit einer „Flaggschiffart“ (z. B. Weißkopfseeadler in USA) eher mit einer 13 Hierbei wurden allerdings auch vereinzelt Angebote von Gehegebetreibern betrachtet (z. B. Wisent Welt Wittgenstein e. V.). <?page no="234"?> 234 Naturtourismus Vielfalt von Vögeln geworben wird. Auf große Säugetiere spezialisierte Programme (z. B. Elch, Wisent, Bär, Wolf) machen ein weiteres Segment aus, bei dem sich gelegentlich auch mit dem Fährtenlesen beschäftigt wird. Angebote zu Schwarz- und Rotwild sind eher selten. Angebote zu Insekten und Amphibien finden meist nur nebensächlich Erwähnung. Bei Fotoreisen spielen neben der Fauna und Flora auch die Landschaft oder spezielle Motive eine Rolle (Wind, Wasser, Sand, Polarlicht). Infrastrukturen und Transportmittel: In vielen Angeboten kamen neben üblichen Transferfahrzeugen wie Bussen, Bahn und PKW auch Transportmittel wie Pferdekutschen, Hundeschlitten, Schiffe, Kanus, Schneemobile und Geländewagen zum Einsatz. Da es bei der Wildtierbeobachtung bzw. -fotografie darauf ankommt, eine angemessene Nähe herzustellen und somit unerkannt zu bleiben, sind Beobachtungs- und Fotohütten (engl.: hides) häufig ein Kernelement, die eine Naturbeobachtung erst möglich machen. Diese können öffentlich zugänglich, im Tourpreis inbegriffen oder bei einem privaten Anbieter meist stundenweise buchbar sein. Die Hütten können von rustikal bis sehr komfortabel ausgestattet sein, sollten aber immer auf Höhe der Zielart aufgestellt sein (z. B. bodennah, schwimmend, auf Nesthöhe). Bei einem professionellen Management der Hütten müssen Anforderungen der Zielgruppe (z. B. kurze Wege von Fahrzeug zu Hütte), der Zielarten (z. B. keine Störung durch Beachtung bestimmter Zeiten) und der Umwelt (z. B. wechseln der Orte) berücksichtigt werden. Bei manchen Anbietern ist auch die Buchung nach Hintergründen möglich (z. B. Eichhörnchen vor Heidelandschaft, an der Tränke etc.). Es sei darauf hingewiesen, dass diese Studie zwar hilfreiche Hinweise zur Angebotsgestaltung von europäischen Naturbeobachtungsangeboten gibt, jedoch repräsentative Erhebungen bisher nicht existieren. 3.4.2.6 Zur Nachfrage von Naturbeobachtungsangeboten So unterschiedlich die Angebote im Naturbeobachtungstourismus sind, so divers sind auch die Nachfrager. Die zuvor zitierte Studie von BTE kam aufgrund einer Angebotsanalyse zu dem Schluss, dass die untersuchten, spezialisierten Naturbeobachtungstouren im höheren Preissegment sich v. a. an drei Zielgruppen richten: an ornithologisch interessierte Gäste, Fotografen und High-class Wildnisinteressierte (BTE 2014, S. 38). Für letztere wurden Touren gestaltet, bei denen die Beobachtung mit Transportmitteln und Stadt-Besuchen kombiniert wird (ebd.). Zu den Zielgruppen der Ornithologen und Fotografen vgl. Kap. 3.2.2. <?page no="235"?> Naturerlebnisse 235 Nicht vom Angebot, sondern vom Nachfrager selbst ging eine Studie von M OSCARDO und S ALTZER (2004, S. 175) aus, die den internationalen „Wildlife Tourism“-Markt anhand einer Umfrage untersuchte. Danach gehören zu den drei meist genannten Aspekten, die sich Touristen bei einer Wildlife-Erfahrung wünschen, dass sie  „Wildlife“ in einer natürlichen Umgebung sehen,  ein natürliches Verhalten beobachten können,  seltene und besondere Arten beobachten (ebd.). Warum Menschen die Natur beobachten, scheint jedoch in erster Linie emotional begründet zu sein. Wie C URTIN und K RAGH (2014, S. 7) darlegen, haben diverse Studien gezeigt, dass das Umgebensein von Natur und das Vertieftsein in die Beobachtung von Tieren oder Vögeln, den Teilnehmern ein Gefühl für den Fluss [des Lebens], ein Hochgefühl, ein Gefühl der Zeitlosigkeit oder sogar ein tiefes Gefühl der Verwunderung und Verbindung mit der natürlichen Welt vermittelt (C SIKSZENTMIHALYI 1991, D E M ARES , K RYCKA 1998, C URTIN 2009, B ULBECK 2005 in C URTIN , K RAGH 2014, S. 7). Auch das kurze Erleben schöner Landschaften kann zeitweilig stimmungsaufhellend wirken und die eingehende Auseinandersetzung mit wilder Fauna und Flora kann einen positiven Einfluss auf den psychologischen Gesundheitszustand von Menschen haben (K APLAN 1993 in C URTIN , K RAGH 2014, S. 7). Naturbeobachtungstourismus kann über das Aneignen von Wissen hinaus auch dazu beitragen, dass Menschen eine emotionale Verbindung zur Natur aufbauen und damit einen Beitrag leisten, diese auch zu bewahren. Literatur BMUB, B F N - Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit/ Bundesamt für Naturschutz (Hg.): Naturbewusstsein 2013. Bevölkerungsumfrage zu Natur und biologischer Vielfalt. Berlin, Bonn 2014. B RUNNER , B.: Ornithomania. Geschichte einer besonderen Leidenschaft. Köln 2015. BTE T OURISMUS - UND R EGIONALBERATUNG : Analyse für einen naturgebundenen Tourismus am Stettiner Haff. Endbericht. Auftraggeber: Deutsche Umwelthilfe e. V. 2014 (unveröffentlicht). C URTIN , S., K RAGH , G.: W ILDLIFE T OURISM : Reconnecting People with Nature. Human Dimensions of Wildlife. An International Journal, S. 545-554, 2014. (letzter Zugriff: 11.02.2019) <?page no="236"?> 236 Naturtourismus H ERGET , Y., S CHAMEL , J., S CHEDER , N., J OB , H.: Birding und sein Beitrag zur Regionalökonomie. Kranichrast im Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft. In: Naturschutz und Landschaftsplanung. Zeitschrift für angewandte Ökologie 48 (5), 2016, S. 153-160. Stuttgart 2016. H IGGINBOTTOM , K.: Wildlife Tourism: An Introduction. In: Higginbottom, K. (Hg.): Wildlife Tourism. Impacts, Management and Planning. S. 1-14. Altona, Australien 2004. K ATZ C.: Was aber ist Wildnis? - Wildnis und kulturelle Vielfalt. In: Bayerische Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege (Hg.): Laufener Spezialbeiträge 2010. Wildnis zwischen Natur und Kultur: Perspektiven und Handlungsfelder für den Naturschutz. S. 53-61. Laufen 2010. K IRCHOFF , T., T REPL , L.: Vieldeutige Natur. Landschaft, Wildnis und Ökosystem als kulturgeschichtliche Phänomene. Bielefeld 2009. M OSCARDO , G., S ALTZER , R.: Understanding Wildlife Tourism Markets. In: Higginbottom, K. (Hg.): Wildlife Tourism. Impacts, Management and Planning. S. 167-185. Altona, Australien 2004. O’M ALLEY , M.P., L EE -B ROOKS , K., M EDD , H.B.: The Global Economic Impact of Manta Ray Watching Tourism. PLoS ONE 8 (5). 2013. 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T HE S COTTISH G OVERNMENT : The Economic Impact of Wildlife Tourism in Scotland. Edinburgh 2010. T ISDELL , C., W ILSON , C.: Economics of Wildlife Tourism. In: Higginbottom, K. (Hg.): Wildlife Tourism. Impacts, Management and Planning. S. 145-163. Altona, Australien 2004. <?page no="237"?> Naturerlebnisse 237 T APPER , R.: Wildlife Watching and Tourism. A study on the benefits and risks of a fast-growing tourism activity and its impacts on species. UNEP/ CMS Secretariat. Bonn 2006. UNWTO - World Tourism Organization: Towards Measuring the Economic Value of Wildlife Watching Tourism in Africa - Briefing Paper. Madrid 2014. V INCENZOTTI , V.: Internationalisierung des Wildnisschutzes - Probleme und Chancen. In: Bayerische Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege (Hg.): Laufener Spezialbeiträge 2010. Wildnis zwischen Natur und Kultur: Perspektiven und Handlungsfelder für den Naturschutz, S. 99-106. Laufen 2010. W HITE , E. M., B OWKER , J.M., A SKEW , A. E., L ANGNER , L. L., A RNOLD , J. R., E NG- LISH , D. B.K.: Federal outdoor recreation trends: effects on economic opportunities. Gen. Tech. Rep. PNW-GTR-945. Portland, OR: U.S. Department of Agriculture, Forest Service, Pacific Northwest Station. Portland 2016. W OLTERING , M.: Tourismus und Regionalentwicklung in deutschen Nationalparken, Regionalwirtschaftliche Wirkungsanalyse des Tourismus als Schwerpunkt eines sozioökonomischen Monitoringsystems. Würzburger Geographische Arbeiten, Band 108. Universität Würzburg. Würzburg 2012. <?page no="239"?> 4 Besuchermanagement in sensiblen Naturräumen von Prof. Dr. Hartmut Rein, Christof Dilzer Das Erleben von Natur und Landschaft gehört zu den wichtigsten Urlaubsmotiven (vgl. Kap. 1). Doch die Nutzung der Natur durch Erholungssuchende und Touristen ist immer auch mit Auswirkungen auf eben jene Natur und Landschaft verbunden. Je nach Naturraum sowie Art und Intensität der Nutzung können die Auswirkungen marginal, aber auch sehr gravierend sein. Vor allem in sensiblen Naturräumen kann eine touristische Nutzung schnell zu Störungen oder Konflikten führen, die temporär oder dauerhaft unerwünschte Folgen für die jeweiligen Naturräume und deren Tier- und Pflanzenwelt mit sich bringen. Das Ausmaß ist hierbei sowohl abhängig von der Empfindlichkeit der Arten und Lebensräume gegenüber erholungsbedingten Störungen als auch z. B. von der Intensität der Beanspruchung oder dem zeitlichen und räumlichen Besucheraufkommen und -verhalten. Ein strategisch geplantes Besuchermanagement ist die Voraussetzung, um negative Auswirkungen und Konflikte durch Erholung und Tourismus zu vermeiden oder zu minimieren. In diesem Kapitel werden folgende Fragen beantwortet:  Welche Belastungen für Natur und Landschaft können mit Erholung und Tourismus in der Natur verbunden sein?  Wie lassen sich Grenzen für die Naturnutzung feststellen und begründen?  Was ist Besuchermanagement?  Wie können durch Besuchermonitoring und Besucherlenkung Konflikte zwischen Erholung bzw. Tourismus und Naturschutz vermieden oder reduziert werden?  Wie kann eine umweltschonende Mobilität der Besucher bei der An- und Abreise und vor Ort im Rahmen des Besuchermanagements gefördert werden? <?page no="240"?> 240 Naturtourismus 4.1 Belastungen von Natur und Landschaft durch Naturtourismus Naturtourismus beschreibt eine Form des Tourismus, bei dem das Erleben von Natur- und Landschaftsphänomenen einen wesentlichen Reiseanlass darstellt. Dabei ist die Nutzung der Natur durch Erholungssuchende und Touristen häufig mit negativen Auswirkungen für eben jene Natur verbunden; eine grundsätzliche Dialektik, auf die Hans Magnus Enzensberger bereits 1958 in seiner Theorie des Tourismus hinweist, in dem er beschreibt, dass die Touristen bei ihrer Suche nach Elementarem, Ursprünglichem und Abenteuer, durch ihr Erreichen es auch schon vernichten. Verkürzt gesagt, zerstört der Tourist, was er sucht, indem er es findet. 1975 stellt Jost Krippendorf mit seinem Buch „Die Landschaftsfresser“ die dramatischen Folgen einer ungesteuerten Tourismusentwicklung für die Erholungslandschaften dar. Bezogen auf Schutzgebiete, weist die Studie „Loving them to death? Sustainable tourism in Europe`s Nature and National Parcs“ (FNNPE 1993) auf die Probleme einer zu starken touristischen Nutzung von sensiblen Naturräumen in Europa hin und stellt Lösungsbeispiele vor. Doch nicht jede Freizeitbzw. touristische Nutzung ist per se mit Beeinträchtigung, Schädigung oder Zerstörung der lokalen Flora und Fauna verbunden und nicht jeder Landschaftsraum ist gleichermaßen empfindlich gegenüber einer touristischen Nutzung. Wie stark die Auswirkungen durch Erholungssuchende und Touristen letztendlich sind, ist von einer großen Anzahl verschiedenster Faktoren abhängig. Einige wesentliche sind z. B.:  der Ort der Erholungsnutzung (sensibler Lebensraum, weniger oder unempfindlicher Lebensraum)  der Zeitpunkt der Erholungsnutzung (Jahreszeit, Tageszeit, Witterung)  die Art der Freizeitaktivität (aktiv/ passiv, langsam/ schnell, wegegebunden/ querfeldein)  der Nutzungsdruck (Menge, Konzentration)  das Verhalten der einzelnen Besucher im Gebiet (leise/ laut, Verhaltensregeln beachtend/ rücksichtslos). Doch auch selbst wenn sich Erholungssuchende ausschließlich auf den bestehenden Wegen und in den vorgesehenen Zonen aufhalten, kann eine akustische oder visuelle Störwirkung von ihnen ausgehen. Dies geschieht in der Regel ohne jedwede Absicht und häufig ohne, dass es von den Verursachenden wahrgenommen wird. Bei Wildtieren kann dies jedoch ein Fluchtverhalten oder zumindest einen erhöhten Erregungszustand auslösen, was zusätzlichen Stress und <?page no="241"?> Besuchermanagement 241 Energieverlust für diese bedeuten kann. Insbesondere in erhöhten Stressperioden, wie z. B. bei Nahrungsknappheit im Winter oder während der Brutzeit, kann dies dazu führen, dass das jeweilige Tier nicht mehr ausreichend Zeit zum Fressen oder zum Füttern der Jungen findet. Dabei reagieren Tierarten unterschiedlich empfindlich auf Störungen. Und auch das Fluchtverhalten selbst kann sich sowohl zeitlich als auch räumlich von Art zu Art und sogar von Individuum zu Individuum voneinander unterscheiden. Umfassende Kenntnisse der Arten und ihrer Lebensräume im jeweiligen Naturraum, wie sie durch Arten- und Biotopkartierungen bzw. -monitoring gewonnen werden, sind daher eine wichtige Grundinformation für ein erfolgreiches Besuchermanagement. Aus der Praxis: Der Tageszeit-Wochenendeffekt bei Kranichen Am Kranichrastplatz Rhinluch in Brandenburg wurde der störende Einfluss von Touristen auf rastende Kraniche untersucht und ein wiederkehrender Mechanismus zu Ungunsten von Tieren und Tierbeobachtern entdeckt (H ÜHN 2017): Die Kraniche reagieren bei der Herbstrast auf die anwesenden Menschen an den Hauptnahrungsflächen mit einer Veränderung der Raumnutzung. Entsprechend der Intensität der touristischen Nutzung halten sie unterschiedliche Abstände zu den Beobachtungspunkten ein. Dies geschieht nach einem wiederkehrenden Muster, dem Tageszeit-Wochenend-Effekt. Kraniche sind sehr scheue Tiere und versuchen, sich von Störquellen möglichst weit fernzuhalten. Infolgedessen entfernen sich Kraniche im Tagesverlauf von der Störquelle Kranichbeobachter und weichen auf ihren Nahrungsflächen möglichst weit zurück (vormittags wird das gesamte Feld genutzt, ab mittags nur noch die weiter hinten liegenden Bereiche). Dieser Effekt ist täglich zu beobachten. An Wochenenden kommen mehr Kranichbeobachter als in der Woche, wodurch die Kraniche ihre Raumnutzung derart einschränken, dass sie bereits vormittags so weit hinten auf den Feldern stehen wie wochentags erst am Nachmittag. Das stufenförmige Ausweichen der Kraniche durch den Tageszeiteffekt steigert sich zum Wochenende hin, weil die für den Kranich nicht tolerierbaren Störungen durch die größer werdende Zahl von Touristen zunimmt. Bei fehlender touristischer Nutzung der Beobachtungspunkte (wie zum Beispiel zur Frühjahrsrast), kommt es nicht zum Tageszeit-Wochenend-Effekt. Das Verhalten der Kraniche zur Herbstrast im Rhinluch kann weder auf den regulären Tagesablauf der Kraniche, noch auf die bloße Anwesenheit von Menschen (z. B. Landwirte) zurückgeführt werden, sondern allein auf die störende Anwesenheit von Touristen, was zu einem ungünstigen Kreislauf führt: <?page no="242"?> 242 Naturtourismus Die Kraniche weichen den Menschen aus, die Kranichtouristen versuchen die Kraniche besser zu sehen und gehen näher an sie heran, woraufhin die Kraniche noch mehr zurückweichen. Aus biologischer Sicht verbrennen die Tiere dabei unnötig Energie, aus touristischer Sicht zerstören Touristen ihr eigenes Besuchserlebnis. Potenzielle Belastungen von Arten und Lebensräumen lassen sich z. B. in direkte und indirekte Belastungen unterscheiden und können wie folgt zugeordnet werden (nach A MMER , P RÖBSTL 1991, H ESSE 2004): Direkte Belastungen von Natur und Landschaft durch Erholungsnutzungen können sein:  Zerschneidung von Lebensräumen (z. B. durch Rad-/ Mountainbike- und Wanderwege, Pisten, Loipen)  Beunruhigung und Vergrämung von Tieren (z. B. durch Baden und Angeln an Brutplätzen oder zu sensiblen Zeiten, wie Brut- und Mauserzeiten bei Vögeln)  Störung von Biotopen und Beunruhigung von Tierarten durch das Verlassen von Wegen, Loipen, Pisten, gekennzeichneten Wasserwegen  Entnahme von Pflanzen, Pflanzenteilen und Tieren durch Sammelaktivitäten (von Pilzen, Beeren, Kräutern etc.)  Trittbelastung an Vegetation und Böden (durch Wege-Abkürzungen, Rast, Naturbeobachtung, Betreten von Dünen etc.)  Erosion bzw. Bodenabtrag an Gewässerufern oder an Hanglagen (z. B. durch Ein- und Ausstieg aus Booten, durch Trampelpfade oder Mountainbiketrails etc.)  Schäden durch Feuer (durch unsachgemäße Feuer-/ Grillstellen, weggeworfene Zigaretten, die zu Waldbränden/ Vegetationsbränden insbesondere bei zunehmend trockenerem Klima führen können)  Abfallbelastungen durch Zurücklassen von Müll bzw. Abfall aller Art in der Natur  Gewässerverschmutzung durch Abfall, Treib- und Schmierstoffe, Sonnenöle etc.  Eutrophierung durch Fäkalien etc. Indirekte Belastungen von Natur und Landschaft durch Erholungsnutzungen können sein:  Zersiedlung und Bodenverbrauch für Erholungs- und Tourismusinfrastruktur (Gebäude, Wege, Anlagen etc.)  Verkehrsbedingte Belastungen durch Anlagen und Erschließungsinfrastruktur (Straßen, Parkplätze, Emissionen etc.) <?page no="243"?> Besuchermanagement 243 Eine schematische Darstellung der Belastungen, die durch Erholung und Tourismus entstehen können, wer davon betroffen sein kann und wie sie sich auf die Natur auswirken können, zeigt Abb. 49. Abb. 49: Belastungen durch Erholung und Tourismus Quelle: eigene Darstellung basierend auf Voigt 1988 in Ammer, Pröbstl 1991, S. 68 Die Einwirkungen von Freizeitaktivitäten im Rahmen von Erholung und Tourismus auf die Tier- und Pflanzenwelt müssen, wie das nachfolgende Wirkschema zeigt (vgl. Abb. 50), sehr differenziert betrachtet werden. Bis zu einem beökonomische Belastungen indirekte Auswirkungen für die Erholungssuchenden Belastungen durch Erholung und Tourismus für die Landnutzer für den Naturhaushalt direkte Auswirkungen psychologische Belastungen ästhetische Belastungen/ Landschaftsbild Umwelt-Belastungen/ Lärm ökonomische Belastungen psychologische Belastungen Zerschneidung von Lebensräumen Beunruhigung von Biotopen Entnahme von Materialien/ Sammeln Zerstörung oder Verfälschung der Pflanzendecke Bodenwunden und Erosion Gewässerverschmutzung Bodenverbrauch Verkehrsbelastung <?page no="244"?> 244 Naturtourismus stimmten Maß sind Anpassungs- und Gewöhnungseffekte möglich, ab einem bestimmten Punkt führen die Einwirkungen jedoch zu irreversiblen Schädigungen bis zum Verlust der jeweiligen Tier- oder Pflanzenarten. Abb. 50: Potenzielle Auswirkungen durch Freizeitaktivitäten auf die Tierwelt (Wirkungsschema) Quelle: eigene Darstellung basierend auf Scharpf, Harfst 1983 in Scharpf 1998, S. 59 Anpassung Gewöhnung Einwirkungen auf die Pflanzenwelt Erholungsaktivität Einwirkungen auf die Tierwelt Verletzung oder Entnahme Störung Ausweichverhalten Flucht oder Abwanderung Veränderung der Fortpflanzungsrate Tötung Veränderung der Population Veränderung der Artenzusammensetzung direkte Verbindung Indirekte Verbindung <?page no="245"?> Besuchermanagement 245 Tipp Eine umfassende Literatursammlung sowie eine detaillierte Darstellung naturbezogener Aktivitäten (besonders natursportlicher Art) und ihrer Auswirkungen auf die Natur, bietet das Informationsportal des Bundesamtes für Naturschutz (BfN): NaturSportInfo auf der Website  https: / / natursportinfo.bfn.de. Wissen │ Auswirkungen naturtouristischer Aktivitäten Die Fachinformationen für Akteure aus Natursport und Naturschutz zeigen, welche Auswirkungen naturtouristische Aktivitäten auf Lebensräume, Pflanzen und Tiere haben und helfen dabei, solche meist unbewusst verursachten Störungen zu vermeiden. Dabei ist die Sammlung unterteilt in die Bereiche:  Natursportarten (mit den Kategorien: Landsport, Luftsport, Wassersport, Wintersport),  Lebensräume (mit den Kategorien: Felsen, Gewässer, Hochgebirge, Höhlen, Offenland, Schneelandschaften und Wälder),  Tierarten (mit den Kategorien: Amphibien, Fische, Flusskrebse, Makrozoobenthos, Reptilien, Vögel und Säugetiere),  Fachliteratur und  Konfliktlösungen Quelle:  https: / / natursportinfo.bfn.de 4.2 Grenzen der Naturnutzung Die Nutzung von Natur und Landschaft durch Erholung und Tourismus stößt dort an ihre Grenzen, wo sie zu gravierenden Veränderungen oder Zerstörungen der natürlichen Grundlage oder zu Störungen und Verlust der Erholungsattraktivität für andere Erholungssuchende führt (der sogenannte Crowding- Effekt (M ANNING 1985)). Spätestens zu diesem Zeitpunkt ist Besuchermanagement erforderlich. Die langjährigsten und umfassendsten Erfahrungen mit dem Management von Besuchern in sensiblen Naturräumen haben der National Park Service sowie der National Forest Service der USA. Hier wurden beispielgebende Ansätze wie die <?page no="246"?> 246 Naturtourismus Carrying Capacity oder das Limits of Acceptable Change (LAC) Konzept entwickelt. In den amerikanischen Nationalparks, die das Vorbild für den Aufbau von großflächigen Schutzgebieten weltweit waren, wurde schon vor mehr als einhundert Jahren mit der Gründung des Yellowstone National Park 1872 Erfahrungen mit großen Besuchermassen gemacht, die später zur Entwicklung von Besuchermanagementmaßnahmen vor allem durch den 1916 gegründeten National Park Service führten. Im deutschsprachigen Raum fand insbesondere in den 1980er- und 90er-Jahren eine intensive wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dieser Thematik statt (z. B. S CHARPF , H ARFST 1983, B ARTH 1987, A MMER , P RÖBSTL 1991, S CHEMEL , E RBGUTH 1992, J OB 1993, S CHARPF 1993, R IEKENS 1995, 1996). In der jüngeren Vergangenheit beschäftigten sich jedoch vergleichsweise wenige Wissenschaftler mit dieser Thematik (z. B. A HLBORN 2009), obwohl sie nicht an Aktualität verloren hat - im Gegenteil. Heute liefert die Nutzung digitaler Anwendungen neue, vielfältige methodische Ansatzpunkte zur Information und Lenkung von Besuchern, wie bereits R EIN , M EIFERT im Jahr 2012 darstellten. Mit dem Konzept der Carrying Capacity, im Deutschen auch als Tragfähigkeit oder Erholungsnutzungskapazität bezeichnet, wird versucht, die Grenzen einer langfristig tragfähigen Nutzung in einem bestimmten Gebiet zu definieren. Im naturtouristischen Kontext beschreibt die Carrying Capacity die Intensität einer Nutzungsform oder -art, die in einem bestimmten Zeitraum und Gebiet stattfinden kann, ohne dass nachhaltige oder irreversible Schäden an der Natur oder erhebliche Beeinträchtigungen des Erholungswertes auftreten (R IEKENS 1996, S. 43). Das Interesse an der Idee einer wissenschaftlich fundierten und quantitativ erfassbaren touristischen Tragfähigkeit oder Erholungsnutzungskapazität kann nach S TANKEY und M ANNING bis in die 1930er-Jahre zurückverfolgt werden, erreichte seinen Höhepunkt jedoch erst in den 60er- und 70er-Jahren, einhergehend mit der steigenden Nutzung von Schutzgebieten durch Erholungssuchende in Nordamerika. In der Praxis erwies sich die Erfassung der Erholungsnutzungskapazität aufgrund der Vielfalt an Einflussfaktoren jedoch als sehr schwierig (S TANKEY , M ANNING 1986, S. 47). Denn die Suche nach quantifizierbaren Indikatoren sowie die Definition des eigentlichen Ausgangszustandes erwies sich als zu statischer Ansatz, die selbst mit größter Akribie durchgeführt, der Realität nicht gerecht werden konnte. Aus diesem Grund entwickelten sich im Laufe der Zeit, vor allem in den USA und in Kanada, weitere Konzepte, um negative Auswirkungen durch eine touristische Nutzung zu verhindern. Eines dieser Konzepte ist der Limits of Acceptable Change (LAC)-Prozess (S TANKEY ET AL . 1986). Der LAC Prozess fokussiert sich hierbei auf einen „noch als tragbar zu bewertenden“ ökologischen Zustand der <?page no="247"?> Besuchermanagement 247 vorhandenen Flächen (vgl. Abb. 51). Ausgangspunkt des LAC-Prozesses ist die Herausarbeitung der Bedeutung der im Gebiet vorhandenen Flächen für den Naturschutz. Ziel des LAC ist es dann, über quantitative Maßstäbe und Indikatoren, die Grenzen des Vertretbaren festzulegen, angemessene Besucherlenkungsmaßnahmen herauszuarbeiten und zur Überprüfung der Effektivität dieser Maßnahmen ein Monitoringprogramm zu erstellen. Der LAC-Prozess konzentriert sich somit sowohl auf die Belastungen und dem damit in Verbindung stehenden Zustand des Gebietes als auch auf das Niveau der Erholungsnutzung (R IEKENS 1996, S. 65). Abb. 51: Der Limits of Acceptable Change (LAC) Planungsprozess nach Stankey et al. 1985, S. 3 Neben Carrying Capacity und LAC-Prozess existieren noch viele weitere unterschiedliche Konzepte im Kontext des Besuchermanagements. D ICKHUT (2015, S. 111) nennt hier z. B.: Visitor Impact Management (VIP), Visitor Experience and Resource Protection (VERP), Visitor Activity Management Process (VAMP), The Recreation Opportunity Spectrum (ROS), Tourism Optimization Step 1 Identify area concerns & issues Step 2 Define & describe opportunity classes Step 3 Select indicators of resource & social conditions Step 4 Inventory resource & social conditions Step 5 Specify standards for resource & social indicators Step 6 Identify alternative opportunity class allocations Step 7 Identify mgmt. actions for each alternative Step 8 Evaluation & selection of an alternative Step 9 Implement actions & monitor conditions LAC PLANNING SYSTEM <?page no="248"?> 248 Naturtourismus Management Model (TOMM) und das Protected Area Visitor Impact Management (PAVIM). Tipp Auf internationaler Ebene findet seit 2002 alle zwei Jahre ein wissenschaftlicher Austausch im Rahmen der International Conference on Monitoring and Management of Visitors in Recreational and Protected Areas (MMV) statt. Die Dokumentationen der Konferenzen geben einen Überblick über aktuelle Forschungsschwerpunkte und -ergebnisse (  http: / / mmv.boku.ac.at). Mit der Tourism Carrying Capacity (TCC) erfolgte durch C OCCOSSIS und M EXA (2004) die Anwendung der für Schutzgebiete entwickelten Methode auf den allgemeinen Tourismus, um negative Effekte des Tourismus auf den jeweiligen Ort oder die Region und ihre Einwohner zu verhindern. Durch eine umfassende Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten im Tourismus wird heute versucht, den Tourismus nachhaltiger zu gestalten und mit Tourismus verbundene ökologische, soziale und ökonomische Probleme zu vermeiden (vgl. R EIN , S TRASDAS 2017). 4.3 Besuchermanagement Um die in Kap. 4.1 dargestellten negativen Auswirkungen von Naturtourismus und den damit verbundenen Aktivitäten möglichst gering zu halten und gleichzeitig die positiven Auswirkungen dieser Tourismusform zu fördern, ist ein Management der Besucherströme, das heißt Besuchermanagement (oder visitor management im internationalen Kontext) erforderlich. Was unter Besuchermanagement jedoch genau zu verstehen ist (Instrument, Prozess, Strategie, Philosophie etc.) wurde weder in den frühen Arbeiten der amerikanischen Behörden noch in der aktuellen internationalen Fachliteratur eindeutig dargestellt. Der Begriff des Besuchermanagements wird zwar sehr häufig in Publikationen benutzt, eine eindeutige Definition des Begriffs existiert jedoch nicht. Hinzu kommt, dass immer wieder die Begriffe Besucherlenkung und Besuchermonitoring mit Besuchermanagement gleichgesetzt werden - teilweise sogar synonym genutzt werden - ohne, dass eine klare Definition der Termino- <?page no="249"?> Besuchermanagement 249 logie vorgenommen wurde. 14 Dies bestätigt auch A LBRECHT (2016, S. 3), indem sie schreibt: „VM [VM = Visitor Management; Anm. der Autoren] receives relatively little attention in current research and even comprehensive practice guidelines for tourism destination management practitioners are scarce (…). Indeed, VM is under-theorized and lacks a widely accepted definition. (…) VM is also not well contextualized. Its role in destination management and potentially overlapping responsibilities of the public and private sectors are seldom acknowledged and not understood.“ Ein Blick in die deutschsprachige Fachliteratur zeigt, wie der Begriff Besuchermanagement bis heute verwendet wird: So übersetzt z. B. F REYER (2011, S. 513) den Begriff „visitor management“ direkt mit „Besucherlenkung“. R IEKENS (1996, S. 10) spricht im Kontext von Besuchermanagement zwar von Besucherlenkungskonzepten, deren Hauptziel es ist, das Nebeneinander von Naturschutz und Erholung zu ermöglichen, doch auch sie geht nicht weiter auf die Unterschiede zwischen Management und Lenkung ein. Eine umfassende Definition für den deutschsprachigen Raum formuliert D ICKHUT (2015, S. 111). Dabei deutet sie im Kontext der Besucherlenkung mit „planerischen Vorleistungen“ sowie einer „Formulierung des gewünschten Zielzustandes hinsichtlich Schutz und Erholung in dem Gebiet“ auf einen strategischen Management-Prozess hin. Doch auch sie grenzt die Begriffe Besuchermanagement und Besucherlenkung nicht eindeutig voneinander ab: „Ziel von Besuchermanagement ist es, tourismusbedingte Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft durch eine sinnvolle Lenkung der Nutzung zu begrenzen und möglichst zu minimieren. Dies geschieht, in dem z. B. Besucherströme von empfindlichen in unempfindliche Lebensräume gelenkt werden. Im Idealfall sollte Besuchermanagement - im Sinne des Vorsorgeprinzips - negative touristische Auswirkungen verhindern bevor sie überhaupt auftreten. Mit passenden Lenkungskonzepten können im betreffenden Gebiet das Nebeneinander von Naturschutz und Tourismus ermöglicht werden.“ D ICKHUT (2015, S. 111) Literaturtipps (umfassende Standardwerke) A LBRECHT , J. N.: Visitor Management in Tourism Destinations. CABI Series in Tourism Management Research. University of Otago, New Zealand 2016. 14 vgl. hierzu: A MMER , P RÖBSTL 1991 ; R IEKENS 1996 ; D ANIELLI , S ONDEREGGER 2009 , F REYER 2009; L EUNG ET AL . 2014 ; D ICKHUT 2015 oder J OB ET AL . 2016 <?page no="250"?> 250 Naturtourismus L OCKWOOD , M.; W ORBOYS , G. L.; K OTHARI , A. (Hg.): Managing Protected Areas. A Global Guide. Earthscan, London 2009. E AGLES , P. F. J.; M C C OOL , S. F.; H AYNES , C. D.: Sustainable Tourism in Protected Areas. Guidelines for Planning and Management. World commission on protected Areas (WCPA). Best Practice Protected Area Guidelines Series No. 8. IUCN - The World Conservation Union (Ed.), Gland, Switzerland 2002. H ENDEE , J.; S TANKEY , G. H.; L UCAS , R. C.: Wilderness Management. North American Press, Fulcrum Publishing, Golden, Colorado, USA 1990. 4.3.1 Besuchermonitoring in sensiblen Naturräumen Der Begriff Besuchermonitoring wird häufig im Kontext des Besuchermanagements oder der Besucherlenkung benutzt, er beschreibt jedoch in erster Linie die Erhebung und Darstellung des Ist-Zustandes der vorhandenen Besucher und Besucherströme. A RNBERGER ET AL . (2002, S. 1) weisen diesbezüglich darauf hin, dass vor allem Schutzgebiete, Gebiete mit hohen Besucherzahlen und Gebiete mit Konfliktpotenzialen nach einer ausführlichen Erhebung quantitativer und qualitativer, raumbezogener und standardisierter Daten verlangen. Und je besser hierbei die Qualität der Informationen sei, desto höher seien dann auch die Chancen für ein gutes Management. Um gezielte Maßnahmen für Schutzgebiete bzw. sensible Naturräume zu erarbeiten, bedarf es daher Daten zu beispielsweise folgenden Themen (A RNBERGER AL . 2002):  Anzahl der Besucher  Anzahl der Besuche  Besucheraufkommen (z. B. Besucherstunden)  Besucherströme (z. B. Personen pro Stunde pro Richtung auf einem zentralen Weg)  Besucherdichte (z. B. Personen pro bestimmter Länge auf einem Weg)  räumliche und zeitliche Besucherverteilung (wo: Attraktion, Aussichtspunkte, Ruheplätze etc.; wann: Tageszeit, Jahreszeit). Nach A RNBERGER ET AL . (2002, S. 1) sollte sich jedoch bei der Erfassung der Daten nicht nur auf die Quantität der Besucherströme sowie deren zeit- und räumliche Verteilung oder die unterschiedlichen Aktivitäten, die in der Destination ausgeübt werden, fokussiert werden. Denn ebenso bedarf es der qualitativen Analyse, wie bspw. das Besucherverhalten, die Erwartungshaltungen an oder die Motivation für den Besuch, sowie die Zufriedenheit mit dem Besuch. <?page no="251"?> Besuchermanagement 251 Für den deutschsprachigen Raum ist der Naturerlebnis-Monitor Deutschland (NeMo) bspw. ein Instrument, das derartige Informationen liefert (vgl. Kap. 1.3.1). 4.3.2 Besucherlenkung in sensiblen Naturräumen Nach D ANIELLI , S ONDEREGGER (2009, S. 112) werden unter Besucherlenkung grundsätzlich Maßnahmen zur Beeinflussung von Besuchern bezüglich ihrer zeitlichen, räumlichen oder quantitativen Verteilung sowie deren Verhaltensweisen verstanden. Ziel der Besucherlenkung ist es, mit Hilfe unterschiedlicher Maßnahmen, erholungsbzw. tourismusbedingte Beeinträchtigungen sensibler Naturräume zu vermeiden oder zu reduzieren. Im naturtouristischen Kontext stellt Besucherlenkung somit das praktische Instrument dar, mit dem die Balance zwischen Naturschutz auf der einen und Erholungsnutzungen auf der anderen Seite hergestellt werden soll. Von dem Konzept der Besucherlenkung wird demnach beeinflusst (R IEKENS 1996, S. 169):  WO die Besucher hingehen,  WAS die Besucher in dem sensiblen Naturraum machen,  WIE sich die Besucher verhalten,  WAS die Besucher lernen können,  WAS die Besucher zurücklassen und  WAS die Besucher mit nach Hause nehmen. R IEKENS (1996, S. 96) weist diesbezüglich darauf hin, dass Besucherlenkungsmaßnahmen jedoch stets beide Seiten beeinflussen und es nicht bedeutet, dass Maßnahmen, die sich positiv auf die Natur auswirken, auch eine positive Wirkung auf die Erholung haben und andersherum, weshalb es im Vorfeld der Umsetzung einer Abwägung der Prioritäten bedarf. Das heißt, es muss entschieden werden (oder es wird durch das Naturschutzgesetz bzw. die jeweilige Schutzgebietsverordnung vorgegeben), ob die Erholungsnutzung oder die Naturschutzanforderungen Vorrang haben. Einen systematischen Überblick, welche Strategien in der Besucherlenkung eingesetzt werden können, zeigt Abb. 52. <?page no="252"?> 252 Naturtourismus Abb. 52: Maßnahmen der Besucherlenkung Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Job 1993 in Scharpf 1998, S. 73 Innerhalb der Besucherlenkung ist die Zonierung insbesondere bei Großschutzgebieten, wie Nationalparks und Biosphärenreservaten, ein wesentlicher planerischer Schritt, mit dem unterschiedliche Möglichkeiten der Nutzung und Einzelmaßnahmen mit Bezug auf die Objektebene Besucherlenkung raum- und landschaftsplanerische Vorleistung Infrastrukturausbau Zonierung „harte “ Maßnahmen „sanfte “ Maßnahmen Lage, Qualität und Kapazität (freizeit-) infrastruktureller Einrichtungen differnzierte räumliche Funktionstrennung von Bereichen intensiver touristischer Nutzung bis hin zu „Tabu“- Räumen z.B. Ge- und Verbote, Geldstrafen, gewerbliche Beschränkungen, Umweltabgaben für Nutzer Ablenkung: z.B. gezielte Anpflanzungen, Holzbarrieren, Wegerückbau, Wassergräben, Aufschüttungen, Bojen-/ Baumketten (auf Wasser) Anziehung: z.B. interessant angelegtes und ausreichend markiertes Wegenetz, Spielplätze, Grillstellen, Wandergast-stätten, Aussichtsmöglichkeiten Information/ Bildungsarbeit: Hinweisschilder, Infotafeln, Lehrpfade, Schulungen von Multiplikatoren, Seminare, Vorträge <?page no="253"?> Besuchermanagement 253 des Schutzes im Gebiet räumlich festgelegt werden. Üblicherweise wird zwischen drei Zonen unterschieden, die in einem Zonierungsplan festgelegt werden: einer Kern-/ Tabuzone, einer Übergangs-/ Pufferzone sowie einer Entwicklungszone. Die Einteilung orientiert sich an der Intensität menschlicher Einflussnahme und reicht von Zonen mit vergleichsweise intensiver menschlicher Nutzung (Entwicklungszonen), über Übergangszonen (die z. B. durch Freizeitwege/ -infrastruktur erschlossen sind) bis hin zu Totalreservaten (Kernzonen), in denen keinerlei Nutzung erlaubt ist (P RIMARCK 1995 in D ICKHUTH 2015, S. 113). Die Festlegung der Zonen orientiert sich an den Managementzielen für das jeweilige Schutzgebiet und der Empfindlichkeit und Schutzwürdigkeit der vorkommenden Arten und Lebensräume. Der Infrastrukturausbau ist ein weiterer grundlegender Schritt für eine konfliktvermeidende Entwicklung von Erholung und Tourismus in sensiblen Naturräumen. Durch die räumliche Festlegung von Infrastrukturen, wie Zufahrtsstraßen, Bushaltestellen, Park- und Rastplätze, Besucherinformationszentren oder anderen touristischen Attraktionen (Tiergehege, Baumkronenpfade, Naturlehrpfade etc.) sowie dem Ausbau des Freizeitwegenetzes und der entsprechenden Leitsysteme, können Besucher in weniger sensible Bereiche gelenkt werden. Die Lenkung der Besucher mit Hilfe besonderer Attraktionen wird auch mit dem Begriff „Honey-Pot-Strategy“ beschrieben. Hier werden Besucher, z. B. mit einem Service-Angebot oder einem „Erlebnis-Versprechen“ auf geplanten Routen gezielt zu bestimmten Orten gelenkt, um sensible Naturräume zu entlasten. In der Praxis erfolgt die Besucherlenkung vor allem durch eine kombinierte Angebots-Verbots-Strategie. Die Infrastruktur (markierte Wege, Themenwege, Besucherzentren, Informationstafeln) sowie angebotene Dienstleistungen (geführte Wanderungen, Exkursionen, Angebote für Kinder) konzentrieren das Gros der Besucher auf bestimmte Bereiche und erhöhen gleichzeitig die Akzeptanz für z. B. Zutrittsverbote in besonders sensiblen Teilbereichen. 4.4 Der Besuchermanagementprozess Im klassischen Management der Betriebswirtschaftslehre wird Management als Prozess dargestellt. Es liegt demnach nahe, auch das Management von Besuchern als einen derartigen Prozess zu betrachten. Auf diesem Gedanken basierend, entwickelte D ILZER (2017, S. 91) ein Modell, das sich sowohl an den Phasen eines klassischen Managementprozesses als auch den Inhalten des LAC- Prozesses orientiert und das die, wie in Kap. 4.3 dargelegt wurde, bisher verwendeten Begriffe Besuchermanagement, Besuchermonitoring und Besucherlenkung, strukturiert und chronologisch zueinander in Verbindung setzt (vgl. Abb. 53). <?page no="254"?> 254 Naturtourismus Wissen │ Besuchermanagament Demnach kann Besuchermanagement als ein Prozess definiert werden, der Besuchermonitoring und Besucherlenkung als Teilaspekte beinhaltet und diese als Instrumente nutzt, um potenzielle negative Auswirkungen des Naturtourismus auf Natur und Landschaft möglichst gering zu halten und gleichzeitig die positiven Auswirkungen dieser Tourismusmusform zu fördern versucht. Wie der Prozess aufgebaut ist, und wie die einzelnen Phasen des Prozesses ausgestaltet sind, soll im Folgenden erläutert werden. Abb. 53: Der Besuchermanagementprozess Quelle: Dilzer 2017, S. 91 4.4.1 Kommunikation Bei der Entwicklung eines Besuchermanagementprozesses ist Kommunikation eine, wenn nicht sogar die wichtigste Grundlage. Denn gerade in einem derart komplexen und oftmals auch konfliktbehafteten Arbeitsfeld, mit vielen unterschiedlichen Interessen- und Nutzergruppen, wie es im Zusammenspiel von Naturschutz und Tourismus meist der Fall ist, bildet eine allumfassende, trans- Kommunikation Analyse Zielsetzung <?page no="255"?> Besuchermanagement 255 parente und faire Kommunikation eine entscheidende Voraussetzung, um dem Besuchermanagementprozess eine sichere Basis zu verleihen. Denn nur durch die Möglichkeit sich frei zu informieren, zu diskutieren und zu argumentieren, können kritische Auseinandersetzungen und unterschiedliche Positionen einander angenähert, Gemeinsamkeiten erreicht, gegensätzliche Ansichten diskutiert oder Konflikte befriedet werden. Wird eine Institution oder Nutzergruppe grundsätzlich ignoriert oder deren Stellungnahmen und Vorschläge aus politischen, wirtschaftlichen, privaten oder sonstigen Gründen nicht berücksichtigt, wird es in der Regel nicht möglich sein, diese für eine weitere Kooperation zu gewinnen und langfristig eine Lösung für das Problem zu finden. Aufgabe der für das Besuchermanagement verantwortlichen Institutionen oder Organisationen ist es daher, eine transparente und faire Kommunikationsplattform zu etablieren, die allen Nutzer- und Interessengruppen ermöglicht:  Informationen über die übergeordneten Vorgaben und Ziele des Besuchermanagements zu erhalten,  ihre eigenen Interessen bezüglich der Nutzung des Naturraumes und des Besuchermanagements darzulegen,  Stellungnahmen äußern zu können und  Kritik offen aussprechen zu dürfen. 4.4.2 Zielsetzung In der ersten Phase des Besuchermanagementprozesses werden die Ziele hinsichtlich des gewünschten Zustands von Natur und Tourismus schriftlich festgehalten. Für ausgewiesene Schutzgebiete sind diese z. B. durch das Bundesnaturschutzgesetz bzw. die Landesnaturschutzgesetze und die jeweiligen Schutzgebietsverordnungen bereits vorgegeben (vgl. Kap. 2.1.1-2.1.4). B EA ET AL . (2008, S. 110) betonen hierbei die Wichtigkeit der Zielsetzung: „Ziele haben im Rahmen des Managements eine herausragende Bedeutung, denn Führung (=Management) ist zielorientierte Gestaltung“. R IEKENS (1996, S. 10) weist darauf hin, dass Ziele wichtige Funktionen übernehmen, denn  sie agieren als Leitbild, d. h. Absichten, Ideen oder Alternativen zum bereits Bestehenden werden dargestellt,  sie stellen die Soll-Größe dar, d. h. der Ist-Zustand wird laufend an den Zielen gemessen,  sie bilden den Maßstab zur Kontrolle der Planung, d. h. durch den Vergleich der ursprünglichen Zielsetzung mit dem erreichten Ergebnis kann die Zielerreichung, Wirkung oder Effizienz bewertet werden. <?page no="256"?> 256 Naturtourismus 4.4.3 Planung Die auf die Zielsetzung folgende Phase der Planung stellt eine systematische Analyse und Strukturierung des gesamten Besuchermanagementprozesses dar. In der Planungsphase gilt es, grundlegende Fragen zu klären, die für den weiteren Verlauf des Prozesses wichtig sind. Als wichtigste Vorgaben einer klassischen Projektplanung nennen B EA ET AL . (2008, S. 132):  Den Umfang und die Qualität der Arbeitsleistung (Wer macht was? )  Die Einzelschritte der Projektdurchführung (Wer macht was und wann? )  Die Termine, zu denen die Arbeitsleistung erbracht sein muss (Wann soll was erledigt sein? )  Den notwendigen Ressourceneinsatz (Wer braucht was? )  Die Kosten (Was kostet wie viel und wer trägt welche Kosten? ) Im Rahmen des Besuchermanagementprozesses muss jedoch zusätzlich zu den oben dargestellten Vorgaben festgelegt werden, was in der Monitoring-Phase anhand welcher Indikatoren analysiert werden soll. Aufgrund der Komplexität von sensiblen Naturräumen und dem Verhalten der Besucherströme ist hier ein besonderer Schwerpunkt zu setzen. Die Zusammensetzung des Indikatoren-Sets ist hierbei stets im Zusammenhang zum Gebiet zu wählen. So wird nach S TANKEY , M C C OOL (1994) die Wahl eines Indikators für die Störung von Tieren in einem Nationalpark nicht auf die relativ störunempfindlichen Rehe fallen, sondern auf ein Tier, das die Rolle des Naturschutzes in dem Nationalpark repräsentiert und oftmals auch dessen ausdrücklichen Schutzzweck darstellt (z. B. Birkhuhn). Bei der Auswahl der Indikatoren sind nach dem Limits of Acceptable Change Prozesses grundsätzlich folgende Kriterien zu beachten (S TANKEY ET AL . 1985, S. 10):  Der Indikator muss effektiv und möglichst kostengünstig messbar sein.  Der Zustand des Indikators muss mit dem Besucheraufkommen oder der Art der Erholungsnutzung (inkl. Zeitpunkt und Verhalten im Gebiet) im Zusammenhang stehen.  Soziale Indikatoren müssen das Interesse der Besucher widerspiegeln.  Der Zustand des Indikators muss potenziell durch Besucherlenkungsmaßnahmen veränderbar sein. Da die Planung derartig vieler Aufgaben sehr komplex ist, kann der Prozess der Projektplanung in verschiedene Teilprozesse unterteilt werden. Das Ergebnis der Planung kann anschließend z. B. in einem Projektstrukturplan festgehalten werden. Die Aufgabe des Projektstrukturplanes ist es hierbei, die Gesamtaufgabe in einzelne Elemente zu zerlegen und die Beziehung zwischen diesen Be- <?page no="257"?> Besuchermanagement 257 standteilen zu ermitteln. Bei der Erstellung eines Projektstrukturplanes wird das Gesamtprojekt in einzelne Teilaufgaben und Arbeitspakete (im Falle des Besuchermanagements z. B. in die Arbeitspakete Besuchermonitoring und Ökosystemmonitoring) untergliedert. 4.4.4 Monitoring „While monitoring of vegetation and wildlife in European recreational and protected areas has a long tradition, a systematic monitoring of recreational uses and visitor flows is rarely carried out.“ 15 In der dritten Phase des Besuchermanagementprozesses erfolgt die Erhebung und Darstellung des Ist-Zustandes sowohl der vorhandenen Besucher und Besucherströme als auch des Naturraumes (Flora und Fauna) innerhalb der Destination. Das naturräumliche Monitoring stellt in der Regel kein Erst-Monitoring dar, da die Erfassung der naturräumlichen Gliederung sowie der darin vorhandenen Biodiversität, häufig bereits im Zuge der Schutzgebietspläne wie z. B. in den Nationalparkplänen, vorgenommen wurde (R IEKENS 1996, S. 15). Wichtig ist hier, dass Flora und Fauna ganzheitlich erfasst und bewertet werden, da es in der Regel nicht um den Schutz einzelner Arten, sondern um den Schutz komplexer Lebensräume geht. Bei der Bewertung der Flächen hinsichtlich ihrer Bedeutung für den Naturschutz stehen vor allem folgende Indikatoren im Mittelpunkt:  Vorkommen seltener Arten in stabilen Gesellschaften bzw. Populationen  Seltenheit von Biotoptypen und Biozönosen  Repräsentanz der vorhandenen Biotoptypen und Biozönosen  Grad der Naturnähe  Regenerationsfähigkeit und Ersetzbarkeit  Bedeutung eines Biotoptyps für das Lebensraumgefüge  Schutzfunktion des Biotops für bestimmte ökologische Potenziale/ Ökosystemdienstleistungen Da derartige Informationen und Daten heutzutage in der Regel digital erfasst, be- und verarbeitet werden (i. d. R. mit Geo-Informations-Systemen (GIS)), bilden diese eine gute Grundlage, um sie später in der Analyse-Phase mit den Daten des Besuchermonitorings zu verschneiden. 15 A RNBERGER ET AL . (2002, S. 1) <?page no="258"?> 258 Naturtourismus Das touristische Besuchermonitoring stellt, analog zum naturräumlichen Monitoring, eine qualitative und quantitative Erfassung von Daten über die vorhandenen Besucher und Besucherströme dar (vgl. Kap. 4.3.1). 4.4.5 Analyse Die vierte Phase des Besuchermanagementprozesses stellt die Überlagerung, Verschneidung und Auswertung der Ergebnisse des touristischen und des naturräumlichen Monitorings dar. Auf diese Weise kann z. B. festgestellt werden, wo geeignete und für den weiteren Erhalt oder die Förderung bestimmter Arten notwendige Habitate durch touristische Angebote zerschnitten, oder durch Aktivitäten gestört oder geschädigt werden. Abb. 54 zeigt vereinfacht, wie eine derartige Analyse beispielhaft unter Zuhilfenahme eines Geoinformationssystems erfolgen kann. Besucherzählung Habitatkartierung <?page no="259"?> Besuchermanagement 259 Verschneidung Abb. 54: GIS-gestützte Herleitung des Störungspotenzials durch Natursportaktivitäten Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Armbruster (2007, S. 124-126). 4.4.6 Besucherlenkung Auf die Analyse-Phase folgt die Phase der Entwicklung und Realisierung von Besucherlenkungsmaßnahmen. Hierfür gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten, die entsprechend der jeweiligen Situation vor Ort, der planerischen Entwicklung (Besuchererschließung für ein neu auszuweisendes Schutzgebiet oder bestehendes Schutzgebiet) und den zu vermeidenden möglichen Problemen oder Konflikten auf der jeweiligen Planungsebene entwickelt oder gewählt werden müssen (vgl. Kap. 4.3.2, Abb. 52). Wie die Umsetzung einer konkreten Besucherlenkungsmaßnahme auf der Objektebene in der Praxis aussehen könnte zeigt Abb. 55, in der Ablenkungs- und Anziehungsmaßnahmen beispielhaft darstellt werden. <?page no="260"?> 260 Naturtourismus Ausgangslage: neuer Parkplatz, keine Beschilderung, keine bekannten Spazier- und Wanderziele Ergebnis: bei Vernachlässigung des von „Kaufhauspsychologen“ genutzten „Rechtsdralls“ wird theoretisch davon ausgegangen, dass 50 % nach rechts und 50 % nach links gehen Lenkung durch unterschiedliche Sichtreize, in Sichtnähe der Abzweigung: interessantes Schild, belebende Baumgruppe (Baumartenwechsel, keine Blöße (Licht/ Schatten), Sitzgruppe, Schutzhütte, Lehrpfad o. ä. Ergebnis: Mindestens 80 % der Besucher gehen nach rechts Abb. 55: Besucherlenkung durch Sichtreize Quelle: eigene Darstellung basierend auf Barth 1987 <?page no="261"?> Besuchermanagement 261 4.4.7 Kontrolle Die im Anschluss an die praktische Besucherlenkung erfolgende Kontroll-Phase überprüft die Wirksamkeit der gewählten Maßnahmen. Sie vollendet damit auch gleichzeitig den Besuchermanagementprozess, da basierend auf den gewonnenen Erkenntnissen, überprüft werden kann, ob die zu Beginn festgelegten Ziele durch den Prozess erreicht wurden, ob Nachbesserungen erforderlich sind, oder ob neue Ziele gesetzt werden müssen. Die Kontroll-Phase beendet den Besuchermanagementprozess jedoch nicht, sondern ist die Etablierung eines periodischen Kreislaufes, der mit einer neuen Zielsetzungsphase beginnt. Sollten alle Ziele mit den unternommenen Maßnahmen erreicht werden, dient der neue Zyklus zur Aufrechterhaltung und dem Qualitätsmanagement des erreichten Status. Wann der richtige Zeitpunkt für die Kontroll-Phase erreicht ist, hängt in der Regel von den gewählten Maßnahmen ab und kann nicht pauschal festgelegt werden. Wurden umfangreiche planerische oder restriktive Maßnahmen wie etwa Infrastrukturausbau, Wegeneu- und -rückbau oder grundsätzliche Verbote gewählt, kann deren Umsetzung längere Zeiträume in Anspruch nehmen. Die Ergebnisse werden sich nach Abschluss derartiger Maßnahmen aber wahrscheinlich schneller und deutlicher einstellen. Werden eher persuasive Maßnahmen angewandt, ist es wahrscheinlich, dass diese einen etwas längeren Zeitraum in Anspruch nehmen, bis deutliche Auswirkungen festgestellt werden können. Sollte der gewünschte Effekt einer Maßnahme nicht direkt in der nachfolgenden Kontroll-Phase eintreten, muss im anschließenden Zyklus entweder die Maßnahme überarbeitet werden, oder auf die Ergebnisse des darauffolgenden Zyklus gewartet werden. Da sich z. B. aufgrund politischer Entscheidungen, touristischer Trends oder neuer naturschutzfachlicher Erkenntnisse stets neue Vorgaben, Anpassungsmaßnahmen oder Zielvorstellungen für die Destination oder das Schutzgebiet ergeben können, bedarf es daher auch einer ständigen Anpassung und Kontrolle des Besuchermanagementprozesses durch die verantwortlichen Führungskräfte. 4.5 Mobilität im Naturtourismus Für Erholung und Tourismus attraktive Naturräume liegen oft in peripheren, verkehrlich nicht gut erschlossenen Räumen. Dies führt dazu, dass die Mobilität im Naturtourismus sehr stark durch die Nutzung des „Motorisierten Individualverkehrs“ (MIV) bzw. den Personenkraftwagen (Pkw) dominiert ist, wie auch Untersuchungen im Rahmen der Job-Studien (vgl. Kap. 1.4) oder des Naturer- <?page no="262"?> 262 Naturtourismus lebnis-Monitor Deutschland (NeMo) zeigen (vgl. Abb. 56). Die damit verbundenen Probleme für den Natur- und Umweltschutz, die Erholungssuchenden und die Erholungsattraktivität der Naturräume sind vielfältig (Beitrag zum Klimawandel, Luftverschmutzung, Lärm, Flächenverbrauch etc., siehe dazu z. B. G ROSS 2017). Wie sind Sie zu Ihrem Reiseziel angereist? Abb. 56: NeMo-Ergebnisse Verkehrsmittelwahl bei Anreise zu Schutzgebieten Quelle: BTE, VDN, ED 2016 Um diese Probleme zu vermeiden oder zu reduzieren, ist die Beeinflussung der Mobilität der Besucher eines Naturraums bei der An- und Abreise und vor Ort daher ein zentraler Aspekt der infrastrukturellen Voraussetzungen (vgl. Abb. 52, Kap. 4.3.2) im Besuchermanagement. Die Beeinflussung der Mobilität von Besuchern bei der An- und Abreise und vor Ort setzt allerdings das Zusammenwirken einer Vielzahl von Akteuren voraus, deren Verteilung und Zuständigkeit oft deutlich über den Raum hinausgehen, auf den sich die zuvor beschriebenen Besuchermanagementaktivitäten beziehen und somit einen großen Koordinierungs-, Kommunikations- und Vernetzungsaufwand erfordern. Literaturtipp G ROß , S.: Handbuch Tourismus und Verkehr. 2. überarbeitete Auflage, UVK Verlagsgesellschaft, Konstanz mit UVK/ Lucius, München 2017. Die Anstrengungen der Akteure in den Nationalen Naturlandschaften (vgl. Kap. 2.1) konzentrieren sich daher vor allem auf Maßnahmen zur Entwicklung umwelt-/ klimafreundlicher Mobilitätsangebote, die zu einer Verlagerung des Pkw- PKW/ Wohnmobil Bus Bahn Fahrrad Flugzeug 1 % 85 % 15 % 13 % 7 % <?page no="263"?> Besuchermanagement 263 Verkehrs auf den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) führen sollen. Beispielgebend ist in diesem Zusammenhang die Kooperation Fahrtziel Natur, in der die drei großen deutschen Umweltverbände BUND, NABU und VCD mit der Deutschen Bahn und inzwischen 23 Nationalen Naturlandschaften zusammenarbeiten. Fahrtziel Natur Fahrtziel Natur ist eine Kooperation der drei großen Umweltverbände Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V. (BUND), Naturschutzbund Deutschland e. V. (NABU), Verkehrsclub Deutschland e. V. (VCD) und der Deutschen Bahn (DB) zur Förderung umweltfreundlicher Mobilität und eines nachhaltigen Naturtourismus. Ziel der Kooperation ist es, den touristischen Verkehr in sensiblen Naturräumen vom privaten Pkw auf öffentliche Verkehrsmittel zu verlagern. Damit werden CO 2 - Emissionen eingespart und ein aktiver Beitrag zum Erhalt der biologischen Vielfalt geleistet. Dazu sind inzwischen 23 Nationalparks, Naturparks und Biosphärenreservate in Deutschland, der Schweiz und Österreich Partner der Kooperation und damit „Fahrtziel Natur-Gebiete“ geworden. Alle Gebiete setzen sich dafür ein, dass attraktive Tourismusangebote mit klimafreundlichen Mobilitätskonzepten verknüpft werden. In regelmäßigen Fortschrittsberichten müssen sie ihre Aktivitäten nachweisen. Alle zwei Jahre werden die besten Regionen mit dem Fahrtziel Natur-Award prämiert. Weitergehende Informationen zu Fahrtziel Natur unter:  www.fahrtziel-natur.de Aus der Praxis: Umweltschonende Mobilitätsangebote Viele Nationale Naturlandschaften bieten inzwischen spezifische umweltschonende Mobilitätsangebote an, um den Besuchern ein Reisen im Gebiet mit öffentlichen Verkehrsmitteln vor Ort zu ermöglichen. Ein Beispiel ist das Biosphärenreservat Südost-Rügen, das unter dem Motto „Mobil ohne Auto - der Natur ganz nah“, das Angebot an Bus-, Rad- und Schifffahrtangeboten miteinander kombiniert und Tourenvorschläge mit öffentlichen Verkehrsmitteln anbietet. Ein weiteres Beispiel ist der „Urlauberbus“ im Nationalpark und UNESCO Weltnaturerbe Niedersächsisches Wattenmeer, der die Nationalparkhäuser an der Küste für 1,- EUR Fahrgebühr miteinander verbindet. <?page no="264"?> 264 Naturtourismus Ein besonders kundenfreundliches Instrument ist die Entwicklung von Gästekarten mit inkludierten kostenlosen Mobilitätsangeboten. Die nachfrageseitige Finanzierung erfolgt durch den Übernachtungsgast bei der Zimmerbuchung. Im Preis ist die Gästekarte enthalten, die zur kostenfreien Nutzung u.a. des ÖPNV berechtigt. Beispiele sind das „Rennsteigticket“ im Biosphärenreservat Thüringer Wald, das „GUTi“ im Natur- und Nationalpark Bayerischer Wald, „Bus Frei“ im Biosphärenreservat Südost-Rügen, „Müritz rundum“ im Müritz Nationalpark, die „KONUS-Gästekarte“ der Naturparke und des Nationalparks im Schwarzwald. Umfassende Wirksamkeitsanalysen der umweltschonenden Mobilitätsangebote auf die Verlagerung des Verkehrs vom PKW zum ÖPNV stehen noch aus. Einen Überblick zu Schlüsselfaktoren und Voraussetzungen für umweltverträgliche ÖPNV-Angebote in Großschutzgebieten geben KAGERMEIER, GRONAU (2016). Literatur A HLBORN , U.: Besucherlenkung in Großschutzgebieten. Am Beispiel des Biosphärengebietes Schwäbische Alb. VDM Verlag Dr. Müller, Saarbrücken 2009. A LBRECHT , J.N.: Visitor Management in Tourism Destinations. CABI Series in Tourism Management Research. University of Otago, New Zealand 2016. A MMER , U.; P RÖBSTL , U.: Freizeit und Natur. 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B F N - Bundesamt für Naturschutz: NaturSportInfo:  https: / / natursportinfo.bfn.de (Zugriff am 24.01.2019). <?page no="265"?> Besuchermanagement 265 C OCCOSSIS , H., M EXA , A. (H G .): The Challenge of Tourism Carrying Capacity Assessment. Theory and Practice. Ashgate Publishing Limited. Farnham, Surrey, GB 2004. C OCH , T., H IRNSCHAL , J.: Besucherlenkung in Schutzgebieten. Überlegungen zur methodischen Vorgehensweise der Erarbeitung. In: Naturschutz und Landschaftsplanung, Band 30, Heft 12, S. 382-388. 1998. D ANIELLI , G., S ONDEREGGER , R.: Naturtourismus. Reihe Kompaktwissen. Zürich 2009. D ICKHUTH , H.: Tourismus und Biodiversität. In: Rein, H., Strasdas, W. (Hg.): Nachhaltiger Tourismus. UVK Verlag, S. 89-126. Konstanz 2015. D ILZER , C.: Nachhaltige Wegesysteme im Naturtourismus. Entwicklung eines administrativen Ansatzes zur Förderung eines nachhaltigen Destinationsmanagements durch die Etablierung eines ökologischeren, sozialeren und ökonomischeren Wegesystems. 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Ogden, UT: U.S. Department of Agriculture, Forest Service, Intermountain Forest and Range Experiment Station 1987. S TANKEY , G.H., M C C OOL S. F.: Carrying capacity in recreational settings: evolution, appraisal and application. Leisure Science 6/ 4, S. 453-473. 1984. <?page no="269"?> 5 Angebotsentwicklung und Marketing im Naturtourismus 5.1 Angebotsentwicklung im Naturtourismus von Katharina Meifert In diesem Kapitel werden folgende Fragen beantwortet:  Welche zentralen Aspekte sollten attraktive, marktfähige und nachhaltige Naturerlebnisangebote erfüllen?  Welche Grundsätze einer nachhaltigen Angebotsgestaltung im Naturtourismus sollten berücksichtigt werden?  Wie lassen sich Naturerlebnisangebote konkret entwickeln? 5.1.1 Anforderungen an Naturerlebnisangebote Die Natur lässt sich auf verschiedenste Weise aktiv erleben, erkunden oder spüren - sei es beim Trekking, Kanuwandern, Baumwipfelyoga oder Lamawandern, bei Kräuterführungen, in Wildniscamps, im Rahmen von Umweltfotowettbewerben etc. Natur und Landschaft sind dabei der Rahmen für attraktive Erlebnisse, aber für sich noch keine touristischen Angebote oder Produkte. Die natur- und kulturräumliche Ausstattung muss dazu erst wahrnehmbar und erlebbar gemacht werden. Wissen │ Naturerlebnisangebote und Naturerlebnisprodukte Unter Naturerlebnisangeboten werden (nachfolgend) Outdoor-Angebote verstanden, die Naturpotenziale für Gäste zugänglich machen, und die darauf abzielen, die Wertschätzung der Menschen für Natur und Landschaft zu fördern. Naturerlebnisprodukte sind klar definierte Dienstleistungen, die als Einzelleistung/ Baustein oder Leistungsbündel/ Pauschale buchbar sind. Allein eine Infotafel oder eine Gruppenführung mit langatmigen Erklärungen werden kaum viele Gäste interessieren. Vielmehr geht es darum, Emotionen zu <?page no="270"?> 270 Naturtourismus wecken, Erlebnisse zu schaffen und spannende Informationen zu vermitteln. Dabei befinden sich Naturerlebnisangebote in einem Spannungsfeld zwischen Natur- und Umweltverträglichkeit sowie der Erfüllung spezieller Gästeerwartungen, wie Erlebnisorientierung, Authentizität und Qualität. Als zentrale Aspekte bzw. Charakteristika für marktfähige naturtouristische Angebote lassen sich nach S T MUV (2018) skizzieren:  Alleinstellung: Das Angebot stellt ein einzigartiges Erlebnis dar. Ein oder mehrere besondere Merkmale der Natur - Vielfalt (Diversität), Landschaftselement (Vulkan, Watt, Wasserfall), Naturphänomen (Kranichzug) - stehen im Zentrum des Angebotes.  Regionalität: Das Angebot thematisiert die naturräumlichen, landschaftlichen und kulturellen Besonderheiten eines Ortes oder einer Region und macht diese für die Besucher wahrnehmbar. Das Angebot ist authentisch und in das lokale/ regionale Umfeld integriert.  Inszenierung: Das Angebot unterscheidet sich von Normalem und Gewohntem und weckt Emotionen. Die Natur wird in Szene gesetzt (u. a. durch ungewöhnliche Erfahrungen, vielfältige Ansprache der Sinne, interessante Szenenwechsel, Überraschungen, Geschichten, Mitmachangebote).  Naturfokus: Die Natur ist in weitgehend unbebauter Landschaft erlebbar. Das Angebot umfasst Maßnahmen zur Besucherinformation/ -lenkung mit dem Ziel, Gäste zu einem respektvollen Aufenthalt in der Natur anzuregen.  Verträglichkeit: Die Durchführung des Angebotes ist natur- und landschaftsverträglich. Dies umfasst Aspekte wie eine umweltfreundliche Mobilität, die Nutzung vorhandener oder landschaftsangepasster Infrastrukturen, eine emissionsarme Durchführung (Lärm, Abgase), die Wahrung von Fluchtdistanzen für sensible Tiere, die Beachtung von Betretungsregelungen etc.  Qualität: Das Angebot ist qualitativ hochwertig und erfüllt grundlegende Kriterien der touristischen Angebots- und Servicequalität (u. a. Beteiligung an Qualitätsoffensiven, Zertifizierungen, Barrierefreiheit, qualifizierte Guides).  Zielgruppe: Das Angebot ist auf die Bedürfnisse und Erwartungen der anvisierten Zielgruppen abgestimmt.  Gesamterlebnis: Das Angebot ist optimal in die touristische Servicekette eingebunden (An-/ Abreise, Mobilität vor Ort, Übernachtung, Gastronomie, weitere Erlebnisbausteine). Es erfolgt eine Vernetzung mit lokalen Partnern.  Strategie: Die Verantwortlichkeiten für die Entwicklung, Sicherung und Weiterentwicklung des Angebotes sind klar und es besteht ein strategischer Rahmen (Machbarkeitsstudie, Zielsystem, Qualitätsmanagementsystem, Kommunikationsstrategie o. Ä.). <?page no="271"?> Angebotsentwicklung 271  Impulse: Das Angebot generiert lokale Wertschöpfung bzw. schafft ökonomische, gesellschaftliche und/ oder ökologische Verbesserungen. Im Idealfall sind die Gäste, der Anbieter, die Bevölkerung und die Natur Nutznießer. 5.1.2 Angebotsbereiche im Naturtourismus Zugänge zur Natur sind auf verschiedenen Wegen möglich. Unterschieden werden können Aktivitäten der Umweltbildung und Naturbeobachtung, körperliche Aktivitäten in der Natur, Aktivitäten zur Gesunderhaltung in der Natur sowie verknüpfte Aktivitäten zur Bewusstseinsbildung (vgl. Kap. 1.3). Tab. 9: Angebotsbereiche mit Beispielen (nach VDN, EUROPARC 2015) Natur sehen und verstehen Natur aktiv erleben Natur spüren über Natur der Region begegnen Erlebnisführungen Naturlehrpfade, Themenwege und Themenparks Wildnisexkursionen und Wildniscamps Aussichts- und Beobachtungsstationen Naturerlebnis- und Informationszentren Vorträge, Seminare, Erlebnisprogramme, Thementage, Naturgeburtstage Tierfreigelände Naturfotografie Wandern, Trekking Radfahren, Mountainbiking Klettern Geocaching Nordic Walking, Cross Skating Kanufahren, Rafting Segeln, Surfen, Stand Up Paddeling Tauchen Drachen-, Gleitschirm-, Segelfliegen, Ballonfahren Skilanglauf, Tourenskigehen, Schneeschuhwandern Skifahren, Rodeln Natur-Kneippen Yoga, Tai Chi, Qigong und Meditation Gesundheitswandern (z. B. Fasten-, Atem-, Yogawandern, Longecôte/ Wellenwandern) Natur-Wellness (z. B. Bäder, Massagen, Packungen, Thalasso) Barfußpfade Freiwilligenarbeit in der Natur Unterwegs mit Tieren - Reiten, Eselwandern, Schlittenhundefahren, Planwagenfahren etc. Natur und Kulinarik (Konsum regionaler Produkte) Sammeln und Werken mit Naturmaterialien (z. B. Bogenbau, Fossiliensuche) Erlebnisübernachtungen in der Natur Umweltbewusste (Spaß-)Mobilität in der Natur 5.1.3 Nachhaltigkeit von Naturerlebnisangeboten „Nie zuvor war der Gedanke der nachhaltigen Entwicklung in der Öffentlichkeit so präsent und akzeptiert wie heute“ (D IE B UNDESREGIERUNG 2016, S. 11) und auch das Interesse an einem umwelt- und sozialverträglichen Tourismus wächst (vgl. FUR 2014). Demnach werden auch die Tourismusverantwortlichen gefordert. Eine nachhaltige Tourismusentwicklung bringt die Ansprüche der Touristen und der Gastregion zusammen, während sie Entwicklungsmöglichkei- <?page no="272"?> 272 Naturtourismus ten sichert und verbessert. Ziel ist ein Ressourcenmanagement, das aktuelle Bedürfnisse befriedigt und gleichzeitig kulturelle Integrität, ökologische Prozesse und die biologische Vielfalt erhält (vgl. UNWTO, WTTC IN DTV 2016). Folgende Ansatzpunkte sollten daher für eine nachhaltige naturtouristische Angebotsgestaltung berücksichtigt werden. Ökologie Soziales  Gewährleistung einer umweltfreundlichen An- und Abreise sowie Mobilität vor Ort (ÖPNV-Anbindung, online abrufbare Infos zu einer umweltgerechten Anreise)  Minimierung von Nutzungskonflikten zwischen Erholung und Naturschutz durch eine durchdachte Besucherlenkung (Meidung schützenswerter Gebiete, Ruhezeiten sensibler Arten, begrenzte Teilnehmerzahlen etc.)  Schonung und Vermeidung von Belastungen natürlicher Ressourcen, verantwortungsvoller Umgang mit den Ressourcen Energie und Wasser, Reduzierung des Abfallaufkommens  Naturnahe Gestaltung und Pflege baulicher Anlagen (Gebäude, Wege, Tafeln etc.), Nutzung vorhandener Infrastrukturen bzw. Neuschaffung mit Augenmaß  Sensibilisierung für den Wert der Natur  Aktive Unterstützung von Erhalt und Schutz der biologischen Vielfalt sowie natürlicher und regionaltypischer Landschafts-/ Ortsbilder  Regelmäßige Überprüfung der Auswirkungen des Tourismus auf die Natur  Kooperation mit Tourismusverantwortlichen sowie Vertretern von Natur-/ Umweltschutz  Nachhaltigkeitsfokus auch bei ergänzenden Produkten und Dienstleistungen - Unterkunft, Lebensmittel aus geprüfter Qualität etc.  Beitrag zu Erhalt und Förderung von Gemeinwohl, Lebensqualität und gerechter Teilhabe der Bevölkerung  Herstellung von Regionsbezügen  Erhalt und Schutz regionaler Kulturgüter, Traditionen etc.  Beachtung von Barrierefreiheit  Nachhaltigkeitsschulungen für Mitarbeiter, faire Regelungen zu Arbeitszeiten, Entlohnung etc.  Unterstützung eines Austausches zwischen Gästen und Einheimischen Ökonomie  Stärkung regionaler Wirtschaftskreisläufe durch Kooperation  Wirtschaftliche Stabilität des Anbieters/ Unternehmens Management  Etablierung von Steuerungsmechanismen für eine nachhaltige Ausrichtung des Angebots (Strategie, Nachhaltigkeitsverantwortlicher etc.)  Aktive Kommunikation nachhaltiger Maßnahmen, zur Vermittlung des Themas an Kunden und Partner Abb. 57: Ansätze für nachhaltige Angebotsgestaltung (nach StMUV 2018) <?page no="273"?> Angebotsentwicklung 273 5.1.4 Praktischer Ansatz zur Angebotsentwicklung Zur Entwicklung erfolgsversprechender Naturerlebnisangebote gibt es kein Patentrezept. Vielmehr muss die Konzeption maßgeschneidert auf die örtlichen Gegebenheiten werden und bedarf individueller Lösungen. Als Orientierungsrahmen haben sich folgende Schritte bewährt. [1] Situation analysieren und Ziele definieren [2] Grobkonzept entwickeln [3] Synergien und Finanzierung klären [4] Angebot konkretisieren [5] Gesamterlebnis/ Servicekette gestalten [6] Ablauf klären und Preis kalkulieren [7] Vermarktung planen [8] Qualität prüfen und verbessern Nachfolgend werden die einzelnen Schritte angelehnt an den Leitfaden „Faszination Natur erlebbar machen“ (VDN, EUROPARC 2015) sowie das Handbuch „Tourismus ganz natürlich“ ( SANU , ZHAW 2011) näher skizziert. Weiterführende Lesetipps B AYERISCHES S TAATSMINISTERIUM FÜR U MWELT UND V ERBRAUCHER- SCHUTZ (S T MUV): Praxisleitfaden Tipps und Beispiele für erfolgreiche Naturerlebnisangebote, 2018. V ERBAND D EUTSCHER N ATURPARKE E . V. (VDN), EUROPARC D EUTSCHLAND E . V.: Faszination Natur erlebbar machen. Wegweiser für die Konzeption und Umsetzung von Naturerlebnisangeboten in den Nationalen Naturlandschaften, 2015. Ö KOLOGISCHER T OURISMUS IN E UROPA E . V. (Ö.T.E.): Leitfaden Tourismus & biologische Vielfalt, 2013. SANU | BILDUNG FÜR NACHHALTIGE ENTWICKLUNG ; Z ÜRCHER H OCH- SCHULE FÜR A NGEWANDTE W ISSENSCHAFTEN (ZHAW): Handbuch Tourismus - ganz natürlich! Von der Idee über die Marktanalyse zum natur- und kulturnahen Tourismusangebot, 2011. <?page no="274"?> 274 Naturtourismus N ATURFREUNDE I NTERNATIONALE : Leitfaden Natur | Erlebnis | Region. Ein Leitfaden zur Etablierung von nachhaltigen Naturerlebnisangeboten für Gemeinden und Regionen, 2009. Situation analysieren und Ziele definieren Attraktive, marktfähige und nachhaltige Angebote bedürfen einer sorgfältigen Vorbereitung. Zu Beginn sollten dazu die Ausgangslage analysiert, Potenziale ermittelt sowie die eigenen Zielstellungen formuliert werden.  Trend und Nachfrage: Das zu entwickelnde Angebot muss zukunftsfähig sein und einen entsprechenden Markt bedienen. Um das zu gewährleisten, sollten übergreifende Trends im Tourismus berücksichtigt werden. Darüber hinaus gilt es Marktentwicklungen sowie die aktuelle touristische Nachfrage in der Region (Besucherzahlen, Gästesegmente, Zufriedenheit etc.) zu beleuchten. Im Idealfall können dafür vorhandene Markforschungsdaten genutzt werden.  Eigener Status Quo: Ein Überblick über die eigene Ausgangssituation hilft dabei, Stärken und Hemmnisse zu erkennen. Hierbei helfen bspw. eine Dokumentation der natürlichen und kulturellen Besonderheiten sowie deren Zugänglichkeit, die Ermittlung von Erlebnispotenzialen und Alleinstellungsmerkmalen sowie die Evaluierung der eigenen Ressourcen wie Motivation, Zeit, Raum/ Standort, Finanzen, Personal, Kompetenzen/ Wissen.  Umfeld und Konkurrenz: Ergänzend bedarf es einer Kenntnis des Umfeldes. Hierzu können bspw. die folgenden Leitfragen beantwortet werden: Welche Angebote gibt es bereits in der Region bzw. welche nicht? Welche Infrastrukturen sind vorhanden? Wie ist deren Qualität? Besteht bereits ein thematisches Profil der Region? Mit welchen potenziellen Partnern kann kooperiert werden? Wie ist die überregionale und nationale Konkurrenzsituation?  Potenziale: Die Ergebnisse können im Rahmen einer SWOT-Analyse (engl. Akronym für Strengths/ Stärken, Weaknesses/ Schwächen, Opportunities/ Chan-cen und Threats/ Risiken) zusammengefasst und so Potenziale erkannt werden.  Zielstellung: Darauf aufbauend kann die übergreifende Zielstellung formuliert werden. Sie beschreibt die persönliche Motivation und dient als Orientierung bei allen folgenden Entscheidungen zur Angebots-Ausgestaltung und Umsetzung. <?page no="275"?> Angebotsentwicklung 275 Grobkonzept entwickeln Aufbauend auf der SWOT-Analyse und der spezifischen Zielstellung beginnt der kreative Prozess der Angebotsentwicklung. Fantasie: In der Fantasiephase ist Kreativität und Mut gefragt. Ein erster Schritt kann sein, sich in einem Brainstorming möglichst fantasievolle Ideen auszudenken - ohne Rücksicht auf Sachzwänge. Hier sind kreative Moderationsmethoden wichtig. Die Ideen werden gesammelt, strukturiert und favorisiert. Praxischeck: In der Verwirklichungsphase werden die Ideen mit der Realität zusammengebracht. Welche Schwierigkeiten gibt es, die Entwürfe in die Tat umzusetzen? Welche ökologischen, ökonomischen oder sozialen Rahmenbedingungen müssen beachtet werden? Sind die Entwürfe marktgerecht? Sind sie innovativ? Passen sie in das Strategiekonzept der Region? Was muss ggf. angepasst werden? Auch in dieser Phase ist Fantasie gefragt, um möglichst erfolgsversprechende und originelle Naturerlebnisangebote zu finden. Bei Großvorhaben bietet sich die Durchführung einer Machbarkeitsstudie an. Angebotsskizzierung: Die Ergebnisse können im Rahmen einer Ideenskizze zusammengefasst werden:  Titel und Kernthema  Kurzbeschreibung des Angebotes, ggf. Teilleistungen  Anvisierte Zielgruppe  Erlebnisversprechen und Erlebnisformen  Vorhandene Anknüpfungspunkte, bspw. bestehende Infrastrukturen  Mögliche Einschränkungen, bspw. in Bezug auf Umwelt-/ Naturschutz  Notwendigkeiten, bspw. infrastrukturelle Maßnahmen und Investitionen  Verantwortlichkeiten und mögliche Kooperationspartner  Ansatzpunkte zur Vermarktung Synergien und erste Finanzierung klären Die Entwicklung und Vermarktung touristischer Angebote und Produkte braucht eine enge Zusammenarbeit mit Partnern, um die Infrastruktur und touristischen Bausteine optimal bündeln zu können sowie eine effiziente Aufgabenteilung zu gewährleisten (vgl. Kap. 6). Um Vertrauen für eine gemeinsame Lösung auf- und mögliche Barrieren rechtzeitig abzubauen, ist eine frühzeitige Vernetzung wichtig. Kooperationspartner (und -bereiche) sind:  weitere lokale Leistungsträger (als Kooperations- und Leistungspartner),  die Kommunen und Landkreise (im Rahmen der Infrastrukturentwicklung), <?page no="276"?> 276 Naturtourismus  Touristinformationen, Tourismusvereine/ -gesellschaften auf lokaler Ebene (im Bereich Gästeservice, Kommunikation, Produktentwicklung),  der regionale Tourismusverband (verantwortlich für das Destinationsmanagement und als Partner für das Marketing),  die Schutzgebiete und Vertreter des Natur- und Umweltschutzes (im Bereich Wissensvermittlung und -austausch, Netzwerkbildung),  Funktionalpartner wie IHK und DEHOGA (für Beratung, Netzwerkarbeit),  thematische Netzwerke (für Austausch, Marketing) sowie  Vereine, Experten und die Bevölkerung (für Austausch und Identifikation) Praxisbeispiel: Kranichwoche im Nationalpark Unteres Odertal Diese Themenwoche im Zeichen des Kranichs zeichnet sich vor allem durch die enge Kooperation mit regionalen Partnern aus. Ein großes Portfolio lokaler Erzeugnisse und Produkte wird aktiv in das Veranstaltungsprogramm einbezogen. Themenbezogene Wanderungen und Exkursionen, Kanutouren, Vorträge sowie Kremserfahrten mit Blick auf den Kranichflug oder zu den Verweil- und Schlafplätzen schaffen ein interessantes Naturerlebnis rund um den Zugvogel. In der Zeit der Kranichwoche können bis zu 3.000 Kraniche in ihrem natürlichen Lebensraum beobachtet werden. Ganz zu Ehren dieser Spezies findet zudem ein Stadtfest am Kranichbrunnen statt. Ergänzend sollte sich bereits frühzeitig mit Fragen der Finanzierung auseinandergesetzt werden. Hierzu bedarf es einerseits eines ersten Überblicks über die zu erwartenden Kosten für die Entwicklung und die Durchführung des Angebotes (Investitions-, Personal- und Sachkosten). Gerade auch zu erwartende Folgekosten für Pflege und Unterhaltung von ggf. erforderlichen Infrastrukturen sind einzuplanen. Andererseits müssen die verfügbaren Eigenmittel (Finanzen, Arbeitszeit) ermittelt werden. Neben künftigen Einnahmen durch Beiträge der Gäste, sind Tourismusprojekte oftmals auf Förderprogramme oder Sponsoring/ Spenden angewiesen. Bei einem größeren Finanzierungsbedarf sollte ein Finanzierungsplan aufgestellt werden (vgl. N ATURFREUNDE I NTERNATIONALE 2009). Angebot konkretisieren Einzigartigkeit, Zielgruppenbezug, Authentizität, Verträglichkeit, Qualität und Erlebniswirksamkeit sind ausschlaggebend für ein attraktives Naturangebot. <?page no="277"?> Angebotsentwicklung 277 Besonderheiten identifizieren und Thema ableiten: Um die erarbeiteten Angebotsideen auf dem Markt zu positionieren, ist es wichtig ihre Alleinstellungsmerkmale herauszuarbeiten. Diese Kernbotschaften helfen in der Außendarstellung, sich von Angeboten der Konkurrenz zu unterscheiden. Sie vermitteln den Gästen, warum es so attraktiv ist, gerade dieses Angebot im Rahmen eines Tagesausflugs, eines Kurzurlaubs oder einer Urlaubsreise zu nutzen. Hier spielen regionaltypische Besonderheiten eine große Rolle. Denkbar sind u. a. seltene Tier- und Pflanzenarten, besondere Landschaftselemente, tages- oder jahreszeitliche Naturphänomene (Vogelzug, Blühphasen, Sternenhimmel etc.) oder historische Zeugnisse. Aufbauend auf das Alleinstellungsmerkmal kann das Kernthema und der Inhalt des Angebots eingegrenzt werden. Die Positionierung sollte konsequent erfolgen. Aus der Praxis: Mondschein-Moorbaden Mit der Entdeckung der Bodenschätze Sole und Moor Anfang des 20. Jahrhunderts wurde Bad Saarow in Brandenburg zu einem Ort der Erholung und Gesundheit. Am Scharmützelsee gelegen zeichnet es sich durch einen hohen Sauerstoffgehalt der Luft und eine attraktive Landschaft aus. Ein regionalverankertes Beispiel für Natur-Wellness, das die lokalen Besonderheiten aufgreift, ist das Mondschein-Moorbaden direkt am See. Von Mai bis August lädt bei Sonnenuntergang ein Naturmoorbad in einem offenen Pavillon am Ufer zu Seeromantik unter freiem Himmel ein. Zielgruppen bestimmen und konkrete Bedürfnisse berücksichtigen: Die Ausgestaltung des Angebotes ist stark von der anvisierten Zielgruppe abhängig. Gestaltung und Infrastrukturen, inhaltliche Aufbereitung und gewählte Medien sowie Kommunikationswege variieren je nachdem ob bspw. Kinder oder Gäste mit spezifischem Fachwissen, Naturbildungsinteressierte oder Natursportinteressierte angesprochen werden sollen. Wichtig ist es, eine realistische Auswahl der Zielgruppen zu treffen, Prioritäten zu setzen und das Angebot entsprechend der Ansprüche zu gestalten. Weitergehende Informationen zu Zielgruppen im Naturtourismus finden sich in Kap. 1.3.2. <?page no="278"?> 278 Naturtourismus Aus der Praxis: Umweltfotofestival „Horizonte Zingst“ In Zingst kommen jährlich Fotointeressierte sowie bekannte Fotografen zu einem Fest der Umweltfotografie zusammen. Die zweiwöchige Veranstaltungsreihe beinhaltet Ausstellungen, Workshops, Seminare, Shows, Fotografentreffen, einen Fotomarkt u. v. a. Das weitreichende Angebot ist auf professionelle und Hobbyfotografen ausgerichtet, belebt die Stadt mehr als 14 Tage und öffnet die Augen für Klimawandel, Natur- und Umweltschutz. Erlebnisformen, Hilfsmittel und Infrastrukturen bestimmen: Um die Natur den Gästen näher zu bringen, gibt es verschiedene Methoden. Die Vermittlung kann beschreibend (mit Text und Bild), sensorisch (zum Hören, Riechen, Fühlen, Schmecken etc.) und interaktiv (bspw. durch Beteiligung der Gäste) erfolgen. Die ausgewählten Medien sind die Hilfsmittel, um das Thema zu vermitteln, und spielen für den Erfolg des Erlebnisangebotes eine wichtige Rolle. Ob Informationstafeln, Modelle zum Drehen und Klappen, Lauschinseln, Tastboxen oder umfassende Ausstellungen, Barfußwege, Aussichtspunkte, Orte zum Verweilen, Suchaufgaben, geführte Touren oder auch multimediale Elemente auf Smartphones - es gibt zahlreiche Möglichkeiten die Natur in den Fokus zu rücken. Auch Zusatzmaterial zur Wahrnehmung (Audio-Guides, Lupen, Ferngläser, Entdecker-Rucksäcke etc.) kann bereitgestellt werden. Entscheidend für Methode und Medien sind die Zielgruppen, die regionalen Gegebenheiten und das gewählte Thema. Zentral ist es, auf wenige spannende Themenbereiche zu fokussieren und diese interessant aufzubereiten (vgl. N ATURFREUNDE I NTER- NATIONALE 2009). Bei fast allen Naturerlebnisangeboten muss zudem eine touristische Basisinfrastruktur mitgedacht werden, wie u. a. Sanitäreinrichtungen und Rastplätze mit Unterstellmöglichkeiten. Der Angebotsort sollte gut erreichbar und idealerweise an den öffentlichen Personenverkehr und das Freizeitwegenetz angeschlossen sein. Auch gastronomische Angebote vor Ort oder im Umfeld sind wichtig. Bei der Gestaltung der Infrastrukturen sollten lokale Ressourcen (Materialien, bestehende Wege, Vereine, Firmen etc.) einbezogen werden. <?page no="279"?> Angebotsentwicklung 279 Aus der Praxis: Kulinarische Weinwanderung Natur und Kulinarik verknüpft eine Wanderung mit dem Genussrucksack entlang des Schelinger Kirchberges im Kaiserstuhl. Ausgestattet mit Käse, Wurst, Brot, Ei, Obst, Wasser und Weinen des heimischen Weingutes sowie Equipment (Weingläser, Teller, Besteck, Korkenzieher, Kühlmanschetten) führt der Weg durch die Weinberge. Drei Rastplätze bieten einen Blick auf die Herkunft der Weine, die verkostet werden. Infotafeln entlang des etwa vier km langen Weges informieren z. B. über die historischen Weinterrassen sowie die Tier- und Pflanzenwelt des FFH- und Vogelschutzgebietes „Kaiserstuhl“. Verträglichkeit und Nachhaltigkeit prüfen: Damit Natur und Landschaft nicht beeinträchtigt werden, müssen bei allen Naturerlebnisangeboten die Belange von Natur- und Umweltschutz Berücksichtigung finden. Daher ist es unerlässlich, bei der Planung, Realisierung und Durchführung der Angebote die Ge- und Verbote in Naturschutzgebieten zu beachten, sensible Gebiete zu meiden und die Tier- und Pflanzenwelt nicht zu beeinträchtigen. In jedem Einzelfall sollte geprüft werden, wie verträglich das Angebot ist. Dabei ist eine Zusammenarbeit mit den lokalen Akteuren des Natur- und Umweltschutzes von großer Bedeutung. Allgemeine Ansatzpunkte für eine nachhaltige Angebotsgestaltung sind in Kap. 5.1.3 und Hinweise zur Besucherlenkung und zum -management in Kap. 4 dargelegt. Qualität sichern: Vor dem Hintergrund einer steigenden Qualitätsorientierung der Gäste ist es unumgänglich, klare Qualitätsstandards zu erfüllen. Ein unzufriedener Gast wird nicht nur nach Alternativen suchen, sondern wahrscheinlich auch weiteren Personen von seinen schlechten Erfahrungen berichten. Neben den natürlichen Qualitäten (z. B. Orts- und Landschaftsbild) müssen die touristischen Basisinfrastrukturen (z. B. Wanderwege, Gastronomie), ebenso wie die immateriellen Qualitäten (z. B. Service) die Ansprüche des Naturtouristen adäquat bedienen. Zur Sicherung üblicher Standards und zur Transparenz für den Gast empfiehlt es sich an gängigen Qualitätsoffensiven teilzunehmen bzw. Infrastrukturen klassifizieren oder zertifizieren zu lassen (z. B. Qualitätsrouten des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs, Qualitätswege des Deutschen Wanderverbands, zertifizierte Natur- und Landschaftsführer, Umweltsiegel, Partnerinitiativen der Nationalen Naturlandschaften, ServiceQualität Deutschland etc.). Zudem ist ein regelmäßiger Wissens- und Erfahrungsaustausch zwischen Partnern wichtig. Ein weiteres Qualitätsmerkmal kann eine barrierefreie Gestaltung sein. Zwar ist Barrierefreiheit nur für 10 % der Bevölkerung unentbehrlich, aber <?page no="280"?> 280 Naturtourismus 40 % erachten es als notwendig und 100 % empfinden es komfortabel (vgl. BMW I , BMFSFJ 2010). Aus der Praxis: Wellness auf dem Baumkronenpfad Als Teil der Dachmarke „Waldwellness in Thüringen“ werden auf dem Baumkronenpfad im Nationalpark Hainich Wellnessangebote offeriert. Bei Yoga, Klangreisen und Gongmeditationen genießen Gäste die Natur, während sie Körper und Geist in Einklang bringen. Die Kurse finden außerhalb der Öffnungszeiten statt, damit der Erholungscharakter garantiert und der Besucherverkehr durch Sperrungen nicht beeinträchtigt wird. Das Angebot verknüpft den Baumkronenpfad mit bestehenden Angeboten lokaler Anbieter. Alle Therapeuten verfügen über entsprechende Ausbildungen und Zertifikate. Geschichten erzählen und Erlebnisse inszenieren: Gäste sind auf der Suche nach Erlebnissen, nach einzigartigen und ungewöhnlichen Erfahrungen. Die Technik des Storytellings nutzt Geschichten, um eine Attraktion mit ihren Alleinstellungen zu beschreiben. Wichtig ist (a) eine lebhafte und unterhaltsame Vermittlung der Inhalte, um Besucher und Gäste zu begeistern, (b) ein spannungsgeladener dramaturgischer Aufbau der Themen sowie (c) die emotionale Vermittlung wichtiger Impulse und Ideen durch die Darbietung mitreißender und lehrreicher Inhalte (vgl. Kap. 5.2). Inszenierungen sind aber auch durch abgestimmte Elemente der Besuchereinrichtung (Architektur, Design, Materialien etc.), Sinneserfahrungen, Überraschungen oder Mitmachangebote möglich. Aus der Praxis: Erlebnisweg Riesenwald In der Ferienregion Elm in der Schweiz bietet der Riesenwaldweg 17 informative, interaktive und/ oder sensorische Stationen, wie eine Riesenhängematte oder ein Riesenxylofon. Die etwa 2,5 km lange Strecke eignet sich auch für Rollstuhlfahrer und Familien mit Kinderwagen. Rahmengebend und als roter Faden dienen fünf Geschichten, die sich um die Sage des Martinlochs drehen. Passend zum Erlebnisweg werden im Bergrestaurant Riesenwald- Menüs angeboten. Außerdem gibt es ein Buch und Hörspiele zu den inszenierten Geschichten. Die Besonderheit des Erlebnisweges liegt in seiner regional verankerten Thematik und der engen Verbundenheit und Wissensvermittlung zum UNESCO-Weltnaturerbe Sardona. <?page no="281"?> Angebotsentwicklung 281 5.1.4.1 Gesamterlebnis entlang der Servicekette gestalten Das Naturerlebnisangebot ist die Kernleistung im Naturtourismus. Allerdings ist es nur ein Baustein in der Dienstleistungskette, die Gäste während ihres Aufenthalts nutzen. Von der Inspiration, über die konkrete Buchung, die Anreise, den Aufenthalt vor Ort bis zur Abreise sind verschiedene Leistungsträger gefragt. Dies sind bspw. die Dienstleister für Beherbergung, Gastronomie und Transportwesen, Freizeiteinrichtungen, Unternehmen aus Kultur, Landwirtschaft und Handel sowie die Tourismusorganisationen. Alle Leistungen sind eng voneinander abhängig und machen in Summe das Gesamterlebnis für den Gast aus. Abb. 58: Customer Journey im Naturtourismus verändert nach © MWE, MLUV 2008 Anbindung sichern und sanfte Mobilität unterstützen: Eine unkomplizierte An- und Abreise sowie Mobilität vor Ort sind wichtige Ansprüche auch von Naturtouristen. Noch immer ist der PKW das meist gewählte Verkehrsmittel zur Anreise (vgl. BTE 2016). Um naturverträgliche Mobilitätslösungen weiter zu stärken, muss sichergestellt werden, dass sich der Gast ohne eigenes Auto nicht in seinen Möglichkeiten eingeschränkt fühlt und Mobilitätsketten (inkl. Taktung, Linienführung und Ausstattung) auf die Bedürfnisse der Touristen abgestimmt sind. Grundlage ist meist ein ausgeprägtes ÖPNV-Netz. Im ländlichen Raum kann der ÖPNV aber in vielen Fällen nicht alle touristischen Attraktionen ausreichend bedienen. Daher ist es oft notwendig, diesen durch innovative Alternativen zu ergänzen. Ansatzpunkte sind bspw. ein Netz an Fahrradverleihstatio- Basisbausteine Übernachtungsangebot mit Naturbezug (Lage, Ausstattung) Gastronomieangebot mit Natur- und Regionalbezug Naturerlebnisangebot Kernangebot Ergänzungsbausteine Anreise Anreise Ankommen Orientieren Unterkunft Aktivität, Unterhaltung Abreise Feedback Erinnerung Mobilität Inspiration Information Buchung Abreise Kulturangebot (Ausstellung, Schloss; Konzert) Einkauf (u.v.m.) Naturaktivität (Radausleihe, Bootsausleihe) Gastronomie <?page no="282"?> 282 Naturtourismus nen, Mietwagen-/ Shuttle-Kooperationen oder auch Gefährte, die selbst zum Erlebnis werden. Insgesamt bedarf es zur Stärkung sanfter Mobilitätlösungen einer intensiven Zusammenarbeit mit relevanten Partnern und einer aktiven Kommunikation der Angebote. Aus der Praxis: samo-Card Der in Österreich gelegene Alpenort Werfenweng setzt im besonderen Maße auf „Sanfte Mobilität“ (samo). Wer vor Ort in einem Partnerbetrieb übernachtet und bereit ist mit Bahn oder Bus anzureisen oder vor Ort den Autoschlüssel beim Tourismusverband abzugeben, erhält die samo-Card. Diese bietet eine Vielzahl an Gratisleistungen wie der Nutzung umweltfreundlicher Elektro-Autos, des Werfenwenger Nachtmobils und ganztägiger Shuttle- Dienste. Auch der Transfer vom Bahnhof Bischofshofen zur Unterkunft und das Ausleihen von Sportausrüstungen gehören zum Service. Regionale Produkte einbinden: Essen und Trinken sind ein Grundbedürfnis und wesentlicher Bestandteil einer jeden Reise. Angebote, die Naturerlebnis und Kulinarik kombinieren, bereichern das touristische Portfolio. Bei diesen stehen insbesondere regionale Produkte, welche vor Ort angebaut und/ oder produziert werden, im Mittelpunkt. Regionalität schafft dabei Unverwechselbarkeit und stärkt die Wertschöpfung vor Ort. Das Angebot sollte enthalten (MWE, MLUV 2008): saisonale, frische, regionale Produkte, Fleisch aus extensiver Tierhaltung, Lebensmittel aus ökologischem Anbau, regionaltypische Rezepte, aber auch innovative Gerichte durch Aufgreifen kulinarischer Trends mit regionalem Anstrich, Einbindung in Zertifizierungen wie Regionalmarken oder Slow Food, Gerichte für spezielle Bedürfnisse (vegetarisch, vegan, glutenfrei, laktosefrei) etc. Um für die Regionalität zu sensibilisieren, braucht es eine offensive Kommunikation der Herkunft der Produkte. Naturnahe Übernachtungen anbieten: Auch die Qualität im Bereich Wohnen und Schlafen ist wichtig und sollte sich durch einen hohen Umwelt- und Naturbezug auszeichnen. Unterkunftsart und Komfortansprüche variieren dabei in Abhängigkeit von der Zielgruppe. Klassische Hotels, Ferienwohnungen und Campingplätze sind dabei ebenso nachgefragt, wie Bauernhöfe oder kreative Beherbergungsmöglichkeiten in Baumhäusern, Tipis, Erdhäusern, Zelten, Planwagen oder auf Flößen. Regionaltypische Wohnformen sind ebenso beliebt, wie modernes Design. Ideal ist die Einbettung in eine ruhige und idyllische Naturlandschaft, die zu Ausflügen einlädt. Es sollte angestrebt werden, regionale <?page no="283"?> Angebotsentwicklung 283 Materialien zu verwenden, den Strom- und Wasserverbrauch so gering wie möglich zu halten und regenerative Energiequellen zu nutzen. Ablauf klären und Preis kalkulieren Sind alle Inhalte und Leistungen identifiziert und strukturiert, kann die Verfügbarkeit geprüft werden (ganzjährig, saisonal, auf Anfrage, zu festen Terminen bzw. Mindest-/ Maximalteilnehmer). Kapazitätsbeschränkungen können sich durch ökologische (Brutzeiten sensibler Tiere, Klima), ökonomische (Personal) oder soziale/ persönliche Faktoren (Urlaub von Gästeführern) ergeben. Kann das Angebot als Produkt buchbar gemacht werden, muss der Preis kalkuliert werden (bspw. Führungen, Seminare, Eintritte zu Ausstellungen, Pauschalen etc.). Aber nicht alle Naturerlebnisangebote ermöglichen es durch sie Einnahmen zu erzielen. So dienen Lehrpfade und Erlebniswege ebenso wie Aussichts- und Beobachtungstürme oftmals als naturtouristische Basisangebote, die erst einmal das Naturerlebnis ermöglichen. Ist das Angebot als Pauschale/ Gesamtpaket geplant, bedarf es einer Abstimmung mit allen Partnern und der Identifizierung eines Koordinators als Reiseveranstalter, mit dem der Gast einen Reisevertrag abschließt. Zur Preisgestaltung empfiehlt sich folgende Vorgehensweise (vgl. Ö.T.E. 2013):  Ermittlung, was das künftige Produkt inkl. der Einzelpreise der Leistungen, Provisionen für Vertrieb, Werbekosten, Rabatte und Umsatzsteuer kostet  Hinzufügung eines Gewinnaufschlages  Prüfung der Marktfähigkeit (Preise der Konkurrenz, Akzeptanz der Kunden) und bedarfsgerechte Anpassung, bspw. über Teilnehmerzahlen, Selbstkosten und Gewinnaufschlag  Differenzierung der Preise nach Personen, Mengen, Saisonzeiten etc. Vermarktung planen Auch Naturerlebnisangebote müssen professionell vermarktet werden. Potenzielle Gäste müssen Kenntnis von ihnen erlangen und angesprochen werden. Informationsverhalten: Die Auswahl der Vertriebswege und Kommunikationsmedien richtet sich danach, wie die Zielgruppen optimal erreicht werden können. Dazu muss das Informationsverhalten ermittelt werden. Zusammenarbeit: Die Aufgaben für das Marketing sollten entsprechend den vorhandenen Kompetenzen verteilt werden. Eine kooperative Aufgabenteilung zwischen Leistungsanbietern, lokaler und regionaler Tourismusorganisation, u. v. a. ist wesentlich, um eine gute Reichweite der Kommunikation zu erreichen. <?page no="284"?> 284 Naturtourismus Zielgruppengerechte Kommunikation: Entscheidend ist eine gästeorientierte Ansprache. Die Medien sollten kurze prägnante Überschriften, kurze Werbetexte, qualitativ hochwertige Bilder und ggf. Videos enthalten, die Aufmerksamkeit erregen, Neugier wecken, emotionale Botschaften vermitteln und Lust auf den Besuch machen. Besonderheiten des Produkts, die konkreten Leistungen, Qualitätsmerkmale (Wege, Unterkunft, Qualitätssiegel) sowie Kontaktdaten müssen verständlich zusammengestellt werden. Die Gestaltung sollte einem einheitlichen Design folgen. Die Auswahl der Medien erfolgt dann entsprechend des Informationsverhaltens der potenziellen Gäste und der eigenen finanziellen Möglichkeiten. Ein professioneller Internetauftritt ist von besonderer Bedeutung (bspw. eigene Website, soziale Medien, Blogs). Darüber hinaus bietet sich ein Mix aus klassischen (Print, Presseinfos etc.) und digitalen Medien an. Aus der Praxis: Eifel-Natur-Reisen Sämtliche hochwertige Naturerlebnisprodukte der Eifel-Region sind auf dem Internetportal  www.eifel-natur-reisen.de gebündelt und als Einzelbausteine oder im Rahmen von Arrangements buchbar. Das Besondere der Leistungen ist, dass sie folgende Qualitätsversprechen erfüllen: (a) nur exklusive Angebote, (b) nur ausgebildete Guides, (c) nur naturverträgliche Angebote, teilweise zeitlich beschränkt, (d) nur abgestimmte Inhalte, (e) nur kleine Gruppen sowie (f) nur in Kooperation mit regionalen Akteuren. Effektiver Vertrieb: Um Einnahmen zu erzielen, ist es maßgeblich, das Produkt auch online buchbar zu machen. Denkbar ist ein direkter Vertrieb über den Leistungsträger sowie indirekt über Partner wie Touristinfos, Tourismusvereine, regionale Marketingorganisationen, Landesmarketinggesellschaften, Reiseveranstalter, Buchungsplattformen etc. Hier sollten Netzwerke genutzt und Kooperationen mit starken Vertriebspartnern eingegangen werden. Die Buchungsstelle wird dabei oft als Träger des Produktes wahrgenommen. Diese sollte das Produkt kennen, Anfragen effizient bearbeiten und als Anlaufstelle für positive und negative Rückmeldungen bereitstehen. Strategischer Rahmen und Aktionsplan: Hilfreich für eine effiziente Vermarktung ist eine strategische Grundlage, wie ein fixiertes Strategiepapier mit Aktionsplan (Marketingstrategie mit -plan). Sie dient als Richtschnur und Grundlage der Erfolgsmessung. <?page no="285"?> Angebotsentwicklung 285 Qualität prüfen und verbessern Auch nach Abschluss der Angebotsentwicklung und erfolgreicher Platzierung am Markt sollte eine kontinuierliche Qualitätskontrolle erfolgen. Eine Erfolgsmessung erlaubt es, den Zielerreichungsgrad zu bewerten und zu prüfen, ob die Zielgruppe das Angebot nutzt. Grundlage bilden aufgestellte Kriterien wie Besucherzahlen, touristische Wertschöpfung, Bekanntheitsgrad etc. Erfolge sollten offensiv nach außen getragen werden. Grundlage dafür ist ein Austausch mit Gästen, bspw. im Rahmen von Fragebögen, Interviews oder mittels Bewertungen über Online-Plattformen. Die Rückkopplung bietet wertvolle Hinweise zur Zufriedenheit und Verbesserungsmöglichkeiten. Deshalb sollte Feedback angeregt, dokumentiert und systematisch ausgewertet werden. Gerade auch ein aktives Beschwerdemanagement kann Kundenabwanderung vermeiden und Kundenzufriedenheit wiederherstellen sowie negative Mund-zu-Mund-Propaganda verhindern. Auch weitergehende Qualifizierungen der Infrastrukturen und des Personals sind wichtig, um für die Zielgruppen von morgen attraktiv zu sein. Literatur B AYERISCHES S TAATSMINISTERIUM FÜR U MWELT UND V ERBRAUCHERSCHUTZ (S T MUV) (Hg.): Praxisleitfaden Tipps und Beispiele für erfolgreiche Naturerlebnisangebote. München 2018. BTE T OURISMUS UND R EGIONALBERATUNG : Studie Naturtourismus in Deutschland. Berlin 2016. B UNDESAMT FÜR N ATURSCHUTZ (B F N): Sport in der Natur.  www.natursport.info B UNDESMINISTERIUM FÜR W IRTSCHAFT UND T ECHNOLOGIE (BMW I ), B UNDESMINIS- TERIUM FÜR F AMILIE , S ENIOREN , F RAUEN UND J UGEND (BMFSFJ): Wirtschaftsfaktor Alter, Faktenblatt 4. Berlin 2010. D EUTSCHER T OURISMUSVERBAND E . V. (DTV) (Hg.): Praxisleitfaden Nachhaltigkeit im Deutschlandtourismus Anforderungen l Empfehlungen l Umsetzungshilfen. Berlin 2016. D IE B UNDESREGIERUNG : Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie. Neuauflage. Berlin 2016. FUR - Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen e. V. (Hg): Abschlussbericht zu dem Forschungsvorhaben: Nachfrage für Nachhaltigen Tourismus im Rahmen der Reiseanalyse, Kiel 2014. M INISTERIUM FÜR W IRTSCHAFT DES L ANDES B RANDENBURG (MWE), M INISTERIUM FÜR LÄNDLICHE E NTWICKLUNG , U MWELT UND V ERBRAUCHERSCHUTZ DES L AN- DES B RANDENBURG (MLUV) (Hg.): Leitfaden Naturtourismus. Potsdam 2008. <?page no="286"?> 286 Naturtourismus N ATURFREUNDE I NTERNATIONALE : Leitfaden Natur | Erlebnis | Region. Ein Leitfaden zur Etablierung von nachhaltigen Naturerlebnisangeboten für Gemeinden und Regionen. Wien 2009. Ö KOLOGISCHER T OURISMUS IN E UROPA E . V. (Ö.T.E.): Leitfaden Tourismus & biologische Vielfalt. Bonn 2013. SANU | BILDUNG FÜR NACHHALTIGE ENTWICKLUNG ; Z ÜRCHER H OCHSCHULE FÜR A NGEWANDTE W ISSENSCHAFTEN (ZHAW) (Hg.): Handbuch Tourismus - ganz natürlich! Von der Idee über die Marktanalyse zum natur- und kulturnahen Tourismusangebot. Zürich 2011. V ERBAND D EUTSCHER N ATURPARKE E . V. (VDN); EUROPARC D EUTSCHLAND E . V. (Hg.): Faszination Natur erlebbar machen. Wegweiser für die Konzeption und Umsetzung von Naturerlebnisangeboten in den Nationalen Naturlandschaften. Bonn 2015. Weiterführende Informationen zu den Praxisbeispielen Erlebnisweg Riesenwald:  http: / / riesenwald.ch/ informationen Kranichwoche im Unteren Odertal:  www.nationalpark-unteres-odertal.eu Kulinarische Weinwanderung:  http: / / weingutschaetzle.de Mondschein-Moorbaden:  https: / / therme.bad-saarow.de/ Rureifel-Tourismus e. V. 2018:  www.eifel-natur-reisen.de Samo-Card:  www.werfenweng.eu/ SAMO/ Umweltfotofestival „Horizonte Zingst“:  www.horizonte-zingst.de/ Wellness auf dem Baumkronenpfad:  www.badlangensalza.de/ erleben/ baumkronenpfad/ waldwellness/ <?page no="287"?> Angebotsentwicklung 287 5.2 Bedeutung von Storytelling im Naturtourismus von Oliver Melchert In diesem Kapitel werden folgende Fragen beantwortet:  Warum ist Storytelling für den Naturtourismus so wertvoll?  Wie sind inszenierte Naturerlebnisse aufgebaut?  Wie kann ich mit Hilfe von Storytelling einen Wander- oder Radweg erfolgreich als Erlebnis inszenieren? Die Bedeutung von Storytelling im Naturtourismus nimmt stetig zu. Der steigende Konkurrenzkampf zwischen Naturregionen führt zu einer immer stärkeren Differenzierung der Naturerlebnisangebote. Storytelling, auf Deutsch Geschichten erzählen, ist ein Mittel, um einzigartig aufgeladene Naturerlebnisse zu gestalten und zu vermitteln. 5.2.1 Erklärung und Abgrenzung von Storytelling Seit es die Menschheit gibt, erzählen sich Menschen Geschichten wo immer sie zusammenkommen. Die Technologie für das „Wie“ hat sich im Laufe der Zeit deutlich verändert. Das „Was“ aber war schon immer da, und begleitet uns auch heute: Geschichten erschließen Menschen die Welt. Sie lösen Emotionen aus und regen zum Nachdenken an. Geschichten unterhalten, das ist ebenso ein Grund für ihren nachhaltigen Erfolg. Geschichten sind auch ein effektives Mittel zur Weitergabe von Informationen. Ob Fakten oder Erfahrungsberichte, historische Begebenheiten, Werte und Normen oder religiöse Überzeugungen - immer schon sind solche Inhalte vor allem durch Geschichten vermittelt worden. Geschichten bewirken, dass wir uns Ereignisse einprägen, sie im Gedächtnis behalten und weitererzählen. Geschichten schaffen Gemeinschaft und Identität und beziehen die Adressaten mit ein. Und vor allem sind sie uns als Form der Kommunikation zutiefst vertraut. 5.2.2 Wirkungsweise von Geschichten Es gibt aus neurologischer Sicht kaum eine effektivere Vermittlung von Wissen und Werten als durch Geschichten. Keine andere Kommunikationsform dringt so tief ins Bewusstsein vor. Erzählungen regen im Gehirn mehr Bereiche an, als es für das reine Verständnis von Wörtern nötig wäre. Geschichten werden vom menschlichen Gehirn besonders gut verarbeitet, weil sie eine Vielzahl von An- <?page no="288"?> 288 Naturtourismus kerpunkten an bereits vorhandene Gedächtnisinhalte enthalten. Das Erzählte setzt sich in unserer Erinnerung nachhaltiger fest. Was in ähnlicher Form bereits im Gehirn abgelegt wurde, hat eine größere Chance von uns wahrgenommen und behalten zu werden. Im Gegensatz zu reinen Sachinformationen hinterlassen Geschichten häufiger einen bleibenden Eindruck im Gehirn. Das Gehirn kann Geschichten viel besser abspeichern und daraus dann die entscheidenden Aussagen ableiten, als es bei Sachinformationen möglich ist. Der bedeutende Unterschied zwischen dem Auflisten reiner Fakten und dem Erzählen von Geschichten liegt im Auslösen von Emotionen. Sie erleichtern es dem Gehirn aus der Vielzahl an gleichzeitig wahrgenommenen Informationen zu filtern und relevante Inhalte wahrzunehmen und zu speichern. Wer Geschichten erzählt, macht es nicht nur seinen Zuhörern, sondern auch dem Gehirn ein großes Stück einfacher. Menschen sind von klein auf an Geschichten gewöhnt. Sie wissen, wie Geschichten funktionieren und wie sie ihnen zuhören müssen. Sie sind damit vertraut, sich durch Geschichten bewegen zu lassen. 5.2.3 Zutaten von Geschichten Wie Petra S AMMER , Chief Creative Officer bei Ketchum Pleon Germany, in ihrem 2014 erschienenen Buch „Storytelling - Die Zukunft von Marketing und PR“ beschreibt, ist die Hauptvoraussetzung einer erfolgreichen Story der Grund für das Erzählen. Botschaft und Hauptanliegen stehen vor dem Gestalten einer Geschichte fest. Damit diese Kernbotschaft ankommt und der gewünschte Effekt eintritt, braucht es ein gutes Transportmedium. Beschreibungen eines Sachverhaltes reichen dafür nicht aus. Kindern erzählt man z. B. Geschichten zum Einschlafen, um lehrreiche Inhalte oder Werte zu vermitteln. Neben dem Grund für das Erzählen, sind die Zutaten zum Gelingen einer Geschichte entscheidend. Wesentliche Inhalte für eine gute Geschichte sind Hauptfigur und fesselnder Konflikt. Geschichten sollten Emotionen wecken und eine virale Kraft entfalten. Jede gute Geschichte hat virale Kraft. Schon Geschichten am Lagerfeuer und später Märchen wurden immer und immer wieder erzählt und weitererzählt. 5.2.4 Storytelling im Tourismus Die Tourismusbranche ist für das Storytelling prädestiniert. Menschen verbinden mit ihrem Urlaub in der Regel große Emotionen. Oft ist der Urlaub das besondere Highlight des Jahres. Eine Geschichte ist effektiver, wenn sie nicht nur erzählt, sondern auch erlebt wird. Beste Voraussetzungen also, um vor Ort ein unvergessliches Erlebnis zu gestalten und Kunden zu binden. Die konsumfreudige Gesellschaft des 21. Jahrhunderts gibt sich nicht länger mit 0815- Produkten und Standard-Dienstleistungen zufrieden. Das Attribut „Erlebnis“ ist <?page no="289"?> Angebotsentwicklung 289 ein unverzichtbarer Bestandteil touristischer Leistungen geworden, so schreiben Axel G RUNER , Burkhard VON F REYBERG und Katharina P HEBEY in ihrem 2014 erschienen Buch: „Erlebnisse schaffen in Hotellerie und Gastronomie“. Gute Geschichten im ländlichen Tourismus sind authentisch und beziehen die Kultur, Tradition und Historie einer Region ein, um eine unverwechselbare und „echte“ Destinations-Marke zu befeuern. Storytelling bedeutet also auch, sich über die Stärken der Region bewusst zu sein und einen strategischen Ansatz zur Markenbildung zu verfolgen. Geschichten zu erzählen kann ein Mittel sein, um zu verdeutlichen, wie sich eine Destination von der Konkurrenz in seinem touristischen Angebot differenziert. Storytelling kann schlussendlich auch dabei helfen, sich über seine Identität als Region bewusst zu werden. Im ländlichen Raum führen oftmals vielfältige touristische Angebote, Attraktionen und Aktivitäten zu einer Desorientierung beim Gast. Häufig bieten Alle Allen Alles und es besteht die Gefahr, dass die Unterschiede der einzelnen Orte, Landschaften und Regionen verschwimmen. Storytelling kann helfen, über eine verbindende Story die Ressourcen und Leistungen zu ordnen, historische und traditionelle Potenziale von innen heraus aufzudecken und auszuarbeiten. Die Leistungen werden nach und nach entlang eines roten Fadens, der gut erzählt und eine spannende Geschichte vermittelt, verwoben. Im Ergebnis steht dann eine Region, die durch ihre belebte Identität ein differenziertes touristisches Produkt bietet und sich von ihrer Konkurrenz absetzt. Die Einsatzmöglichkeiten von Storytelling im Tourismus sind vielfältig und die Grenzen noch nicht erreicht. Zur Marken- und Imagebildung einer Destination können Geschichten in der viralen und medialen Welt einen besonderen Beitrag leisten. Der Einsatz von Storytelling vor Ort führt direkt zum Verfestigen oder Gestalten einer Regions-Identität und intensiviert das Urlaubserlebnis. In Stadtführungen können z. B. die Fakten der Sehenswürdigkeiten einfach übermittelt werden, oder mit einer besonderen Geschichte, wie beim Rattenfänger von Hameln geschehen, inszeniert werden. Ein Radweg kann, als einer unter vielen Radwegen, entlang attraktiver Natur führen, oder verbindet Attraktionen mit Geschichten, wie es die Vennbahn-Radroute von Aachen nach Luxemburg eindrucksvoll zeigt (  http: / / www.vennbahn.eu). Ein Museum kann Ausstellungsstücke zeigen oder den Besucher erlebnisorientiert mit persönlichen Geschichten in die jeweilige Welt mitnehmen, wie es z. B. das Deutsche Auswandererhaus in Bremerhaven erfolgreich umsetzt. 5.2.5 Erfolg durch Gestaltung naturnaher Erlebnisse Der Gast von heute und morgen strebt nach Neuem, nach ständiger Abwechslung, möchte seine Lebensqualität steigern und aus dem Alltag ausbrechen. Das <?page no="290"?> 290 Naturtourismus individuelle Reiseerlebnis steht im Vordergrund. Die Erlebnisinszenierung in der Natur bietet hierfür eine entsprechende Bühne, die Bedürfnisse und Wünsche der Gäste bedient. Die Erlebnisorientierung kann als langfristiger und durchgängiger Megatrend prognostiziert werden, wie Matthias Horx und Christian Rauch in der Megatrenddokumentation (2010) vom Zukunftsinstitut feststellen. Deshalb gilt es für den Tourismus im ländlichen Raum Situationen zu schaffen, die durchgängig, authentisch und unkompliziert den Gast berühren und langfristig binden. Im Ergebnis sollte dem Gast eine besondere Erinnerung ermöglicht werden. Dies gilt auch für den Naturtourismus. Der ländliche Tourismus lebt von seiner Echtheit, seiner Authentizität und seiner Unberührtheit. Die Natur steht im Fokus der Urlaubsaktivitäten. Urlauber lassen sich von besonderen Naturlandschaften zum Erholen inspirieren. Doch bei der Urlaubswahl besteht das Naturangebot aus einer Vielzahl an vergleichbaren Erholungslandschaften. Größtenteils sind die Ziele wenig differenziert und bieten auf den ersten Blick ein vergleichbares Urlaubserlebnis, das sich im Kern auf die Naturlandschaft konzentriert. Bestimmte Kriterien für eine Urlaubsentscheidung wie z. B. Unterkunft, Preis oder Aktivangebot in der Natur können austauschbar sein. Sie bergen Gefahr, in einen Preiskampf mit der Konkurrenz eintreten zu müssen. Soll die Urlaubsentscheidung der Urlauber nachhaltiger beeinflusst werden, braucht es starke und nicht austauschbare Argumente. Sind diese für die angesprochene Zielgruppe von hoher Relevanz, ist die Wahrscheinlichkeit einer Buchung hoch. Storytelling kann dazu beitragen nicht austauschbare Urlaubserlebnisse in der Natur zu inszenieren. 5.2.6 Aufbau inszenierter Erlebnisse in der Natur Inszenierung bedeutet im Tourismus das Arrangieren touristischer Angebote und Produkte zu einer neuen und schöneren Wirklichkeit durch z. B. Architektur, Kulisse, Ambiente, Signale, Symbole und Akteure. Insbesondere im Tourismus bietet Inszenierung die Möglichkeit, das Echte erst hervorzuheben, indem z. B. vergessene kulturelle Besonderheiten oder Traditionen belebt werden. Im Naturtourismus steigt die Relevanz zur Inszenierung von Naturräumen. Regionen im ländlichen Raum differenzieren das zur Konkurrenz ähnliche Naturangebot mit Hilfe von Geschichten. Inszenierung greift auf die Instrumente des klassischen Theaters zurück, um eine „Welt“ zu gestalten und eine Leistung emotional aufzuladen. Eine Inszenierung besteht nach G RUNER ET AL . (2014) aus den Bausteinen:  Thematisierung des Konzepts/ Angebots  Setting zur Gestaltung des Umfelds <?page no="291"?> Angebotsentwicklung 291  Storytelling zur Gestaltung der Abläufe  Dramaturgie Abb. 59: Bausteine einer Inszenierung nach Gruner et al. (2014) Die Thematisierung des Angebots wird über die Gestaltung eines übergreifenden Themas erreicht, an dem alle Komponenten einer Erlebniswelt ausgerichtet werden. Das Setting beinhaltet die äußere Gestaltung der Inszenierung, angefangen mit der natürlichen Umgebung, Architektur, Design und Infrastruktur bis hin zu Komponenten der Vermarktung entlang der Customer Journey. Storytelling ist für das Erzählen einer durchgängigen geschlossenen Geschichte zuständig, damit ein Planungs- und Koordinationskonzept entsteht, das die Abfolge der einzelnen Elemente und Substories aufeinander abstimmt. Die Dramaturgie bezieht sich auf die Art der Darstellung, die eine bestimmte Spannung bei der Handlung aufbaut. Die Erlebnisinszenierung bedient sich unterschiedlicher dramaturgischer Instrumente wie z. B. einem mentalen Drehbuch, der Vorprägung eines Images, kognitiver Landkarten, der Zeitabfolge der Geschehnisse, der Vorwegnahme von Inhalten und Informationen. 5.2.7 Inszenierung eines thematischen Wander- oder Radweges durch Storytelling Wander- und Radwege besitzen vielfältige Anknüpfungspunkte für eine Erlebnisinszenierung in der Natur. Die Attraktivität des Naturraums, die Lage in einem geschichtsträchtigen Raum oder natürliche, kulturelle und kulturhistorische Highlights können Ausganssituation für eine besondere Erlebnisbühne bieten. 1 2 3 4 Thematisierung übergeordnetes Thema Setting Gestaltung des Umfelds Story Telling Gestaltung Der Abläufe Dramaturgie gestalterische Mittel Inszenierung <?page no="292"?> 292 Naturtourismus In den meisten Fällen ist eine große Fülle an Themen, Points of Interest, historischen Geschichten und Erzählungen, z. B. über Persönlichkeiten im Raum, vorhanden. Die Herausforderung besteht nun darin, den Geschichten- und Ideenpools entlang eines tragfähigen Konzepts zur Orientierung für den Gast gezielt auszurichten, um darauf aufbauend ein überzeugendes Setting zu entwickeln. Thematisierung des Konzepts/ Angebots Basis für ein Wander- und Radwegekonzept ist die entsprechende Positionierung des Weges. Die Positionierung sagt aus, wofür das Erlebnis stehen soll und die Begehrlichkeit für den Gast erzeugt wird. Es gilt, auf die Frage „Warum soll ein Gast den Weg bereisen? “ eine eindeutige Antwort zu geben. Eine zentrale Lage oder ein günstiger Preis sind keine Argumente, die Begehrlichkeiten beim Gast zu wecken. Es ist notwendig, Stärken und Potenziale des Weges zu identifizieren und erfolgversprechende Zielgruppen herauszuarbeiten. Es sollten eindeutige Antworten gegeben werden, welche genauen Ziele die Erlebnisinszenierung leisten soll und welche Bedürfnisgruppen angesprochen werden sollen. Ein inszenierter Radbzw. Wanderweg kann aufmerksam machen auf die Region, um Neukunden zu gewinnen, Unterhalten und Lust auf weitere Urlaubsangebote machen oder Wissen vermitteln und Spezialinteresse abdecken. In der Ausrichtung eines Erlebnisses ist es ebenso von großer Bedeutung, ob die Region und der Weg z. B. Familien mit Kindern oder Best-Ager im Alter zwischen 55 und 65 Jahren anspricht. Über das Sammeln sämtlicher Geschichten, Ideen und Informationen entlang des Wanderbzw. Radweges entsteht die Grundlage zur Ausrichtung des Weges über ein Konzept bzw. eine Metastory und der Identifizierung tragfähiger Geschichten. Folgende Bereiche eigenen sich besonders zur Identifizierung von Geschichten, Ideen und Informationen:  Sagen und Märchen  Figuren und Persönlichkeiten  Kunst und Architektur  Historische Orte  POIs/ Sehenswürdigkeiten  Kulturraum und -landschaft  Flora und Fauna  Naturphänomene  Landschaft <?page no="293"?> Angebotsentwicklung 293 Die Entwicklung eines Konzepts in Form einer Metastory ist notwendig, um den „rote Faden“ entlang des Weges zu erhalten. Dieser kann sehr unterschiedlich ausgeprägt sein …  als Person oder Tier, d. h. ein realer oder fiktiver Charakter, der den Wanderer bzw. Radfahrer auf der Route begleitet, z. B. an Original-Schauplätze führt  sich aus verschiedenen Themen zusammensetzen, die entlang des Weges immer wieder erlebbar sind.  ein konstruiertes Element oder abstraktes Thema sein, das immer wieder kehrt - auch in unterschiedlicher Form (z. B. Kampf der Elemente, Wandel der Zeit) Wichtig ist, dass die Metastory vor Ort anhand von Points of Interest oder anderen Erlebnissen spürbar und erfahrbar ist. Die Metastory sollte einen Rahmen vorgeben, ohne die Themenvielfalt zu stark einzuschränken. Die Metastory, die sich aus spannungsgeladenen Einzelgeschichten zu einer thematischen Ausrichtung zusammensetzt, sollte zahlreiche Chancen und Anknüpfungspunkte für die Produktgestaltung vor Ort, zur Ausrichtung von Angeboten von Leistungsträgern und für die Vermarktung in der Inspirations-, Informations- und Buchungsphase des Gastes bieten. <?page no="294"?> 294 Naturtourismus Tab. 10: Checkliste zur Bewertung der Metastory Fragestellung ❶ Ruft die Metastory positive Assoziationen hervor? Ist sie positiv besetzt? ❷ Entspricht die Metastory dem Lebensstil und -standard der Zielgruppen? Haben die Zielgruppen Bedarf an der Metastory? Welchen Nutzen hat die Zielgruppe von der Metastory? ❸ Ermöglicht die Metastory eine Abgrenzung zur Konkurrenz? Ist die Metastory leicht durch andere imitierbar? Ist es bereits vorhanden? ❹ Lässt sich die Metastory positiv und unkompliziert vermarkten? Funktioniert die Metastory entlang der gesamten Customer Journey? ❺ Ist die Metastory authentisch umzusetzen und am Weg erlebbar? Lässt sie sich vielseitig/ mehrdimensional umsetzen? ❻ Eignet sich die Metastory für die Produktentwicklung? Können Leistungsträger die Metastory für sich adaptieren? Setting zur Gestaltung des Umfelds Die Verwendung einer Metastory bietet an allen Kontaktpunkten der Costumer Journey Möglichkeiten das Produkt aufzuwerten und für den Gast begehrlicher zu gestalten. Die Chancen auf Differenzierung eines Wander- oder Radweges von der Konkurrenz sollte durchgehend an allen Kontaktpunkten der Reisephasen des Gastes geschehen und setzen somit eine umfassende Betrachtung voraus. <?page no="295"?> Angebotsentwicklung 295 In grober Aufteilung der Reisephasen des Gastes bieten sich Ansatzpunkte bei:  Inspiration und Buchung  Mit Hilfe der Metastory und dem Einsatz von Geschichten wird der Gast in der Inspirationsphase zu seiner nächsten Wanderung oder Radtour für einen Aufenthalt sensibilisiert und überzeugt. Metastory und Geschichten werden in verschiedenen Marketingkanälen online und offline sowie in Presse und PR erzählt, um Spannung und Begehrlichkeit zu erzeugen.  Erlebnis vor Ort  Vor Ort wird nun das Versprechen eingelöst, das dem Gast in der Inspirations- und Buchungsphase über Marketing- und Vertriebskanäle gemacht wurde. Um das Erlebnis durchgängig für den Gast erlebbar zu gestalten, gibt es verschiedene Ansatzpunkte. Die Umsetzung der Erlebnisräume und Rastplätze passend zur Hauptstory und den abgeleiteten Geschichten ist das zentrale Angebot. Außerdem bieten Metastory und Einzelgeschichten Anreize für Unterkunftsbetriebe, Gastronomie und weitere touristische Leistungsträger. Weitere Möglichkeiten Metastory und Einzelgeschichten ganzheitlich zu erzählen bieten sich z. B. über passende thematische Führungen, Veranstaltungen, Ausstellungen, Events und besondere Präsentationen in touristischen Informationsstellen.  Nachbereitung der Wanderung oder Radtour  Jede gute Geschichte eines außergewöhnlichen Erlebnisangebotes hat virale Kraft, damit sie wiedererzählt und weitererzählt wird. Hierbei gilt es gezielt mit Marketingaktivitäten anzusetzen und Gäste zur Bewerbung einzusetzen. Storytelling und Dramaturgie Mit Hilfe von Storytelling wird im Rahmen der entwickelten Metastory die Abfolge der einzelnen Elemente bzw. Substories des Weges aufeinander abgestimmt. Es entsteht ein Planungs- und Koordinationskonzept, das eine durchgängige Geschichte erzählt und vielfältige Anknüpfungspunkte für Produkte und touristische Angebote bietet. Die Substories werden mit Hilfe der Zutaten des Storytellings (siehe oben) emotional erzählt, an bestimmten Orten des Wegesrandes verankert, über Erlebnisstationen, POIXE „Points of Interest“s oder touristischer Produkte erlebbar und dramaturgisch inszeniert. Im Gesamten entsteht eine Gesamtdramaturgie der Erzählung des Wander- oder Radweges. <?page no="296"?> 296 Naturtourismus Abb. 60: Übersicht Erlebnisgestaltung von Wanderbzw. Radwegen Quelle: eigene Darstellung Im Ergebnis entsteht mit einem inszenierten Wanderbzw. Radweg ein naturtouristisches Produkt mit Alleinstellung, dass für den Gast begehrlich und für die Konkurrenz schwer imitierbar ist. 5.2.8 Kernaussagen  Storytelling hat seinen sinnvollen Platz im Tourismus und Naturtourismus zur Differenzierung und emotionalen Aufladung des touristischen Angebots gefunden.  Die Erlebnisorientierung der Gesellschaft als langfristiger und durchgängiger Megatrend führt zu einer steigenden Nachfrage an inszenierten Erlebnissen in der Natur.  Storytelling kann helfen über eine verbindende Story Ressourcen und Leistungen einer Tourismusregion zu ordnen, natürliche, historische und traditionelle Potenziale von innen heraus aufzudecken, auszuarbeiten und als Erlebnis zu inszenieren. Metastory Das verbindende Element | Der rote Faden | Die gemeinsame Klammer Substory Erlebnisstationen Erlebbarkeit der Geschichte(n) durch … Substory Substory Substory Substory Substory Substory Substory POIs Produkte <?page no="297"?> Angebotsentwicklung 297  Ein inszeniertes Erlebnis besteht aus der Thematisierung des Angebots, dem Setting zur Gestaltung des Umfelds, Storytelling zur Gestaltung der Abläufe eines durchgängigen Erlebnisses und einer Dramaturgie.  Die Inszenierung von Wander- und Radwegen bietet Chancen zum Aufbau einer begehrlichen Alleinstellung mit vielfältigen Anknüpfungspunkten entlang der Reisephasen des Gastes.  Bei der Konzeption, Planung und Umsetzung eines Wanderbzw. Raderlebnisweges sind besonders folgende Punkte zu beachten:  Positionierung des Wanderbzw. Radweges,  Identifizierung eines Geschichten- und Ideenpools,  Inszenierung des Wanderbzw. Radweges über eine Hauptstory,  Gestalten von unverwechselbaren Geschichten entlang des Weges. Literatur S AMMER , P.: Storytelling - Die Zukunft von Marketing und PR. O`Reilly Verlag. Heidelberg 2014. G RUNER , V ON F REYBERG , P HEBEY : Erlebnisse schaffen in Hotellerie und Gastronomie, Matthaes Verlag. Stuttgart 2014. H ORX , R AUCH : Megatrend Dokumentation. Zukunftsinstitut GmbH. Kelkheim 2010. 5.3 Digitalisierung im Naturtourismus - ein Widerspruch? von Dr. Alexander Schuler In diesem Kapitel werden folgende Fragen beantwortet:  Was ist der Unterschied zwischen Web 1.0 und Web 4.0?  Ist Naturtourismus und Digitalisierung ein Widerspruch?  Wie werden digitale Instrumente vom Gast genutzt?  Helfen digitale Instrumente im Management des Naturtourismus? <?page no="298"?> 298 Naturtourismus 5.3.1 Einführung: Digitalisierung im Tourismus Die gesellschaftliche Bedeutung des Internets hat in den vergangenen Jahren rasant zugenommen. Mittlerweile sind mehr als 81 % der Deutschen online und verfügen über einen Internetzugang (FUR R EISEANALYSE 2007-2017). Das Internet wird zunehmend für die Reisevorbereitung und -buchung genutzt. Im Jahr 2000 informierten sich nur 10 % der Deutschen online, 2016 waren es bereits mehr als 60 %, Tendenz steigend. Ähnlich hat sich auch das Buchungsverhalten verändert (2010: 2 %, 2016: 43 %) (FUR Reiseanalyse 2001-2016 in H ORSTER in E ILZER ET AL . 2017). Die Bedeutung des Internets bzw. digitaler Medien hat nicht nur vor der Reise, sondern in allen Reisephasen der Customer Journey des Gastes zugenommen. Das Internet lässt sich mittlerweile über die Smartphones in der Hosentasche überall mit hinnehmen. Für die Nutzung der mobilen Endgeräte bedarf es allerdings einer guten digitalen Infrastruktur in der Fläche (Netzabdeckung, WLAN- Verfügbarkeit etc.). Deutschland wird hierbei vielfach aktuell noch als Entwicklungsland bezeichnet (SZ 2017, FAZ 2018). Neben der Entwicklung der Hardware (Smartphones, digitale Infrastruktur) bietet die Entwicklung der Software dem Gast immer mehr Möglichkeiten der Information und Navigation im Raum. Über ortsbezogene Dienste (Location Based Services) lässt sich der eigene Standort kombiniert mit der Nutzung von Apps (Application bzw. Anwendungssoftware) nutzen und z. B. über den klassischen Internetnutzung hinaus Bewertungen von Beherbergung, Gastronomie, Freizeitattraktionen abrufen, ergänzende Informationen erhalten (Videos, Fotos) oder bereits die Realität erweitern (Virtual und Augmented Reality)). Die Entwicklung der Digitalisierung schreitet dabei rasant voran. In den frühen 1990er-Jahren wurde noch von Web 1.0 gesprochen (Internet als Infrastruktur für Informationen). Aktuell werden bereits die Möglichkeiten des Web 4.0 diskutiert (Internet der Dinge, vgl. Kasten). Wissen │ Von Web 1.0 bis Web 4.0  Web 1.0: Internet als Infrastruktur (HTTP, TCP/ IP, HTML) für Informationen mit klassischen, statischen Websites (Text, Bilder)  Web 2.0: Internet als Kommunikationsplattform (Social Web). Eng verbunden mit von Nutzern generierten Inhalten in Blogs, Wikis, Sharing Plattformen (Youtube, Flickr etc.) <?page no="299"?> Angebotsentwicklung 299  Web 3.0: Semantisches Web als Internet der Bedeutungen. Dabei werden Inhalte beschrieben, lesbar gemacht und können von Maschinen ausgewertet und in Beziehung zueinander gesetzt werden. So sind z. B. differenzierte Suchabfragen möglich („wenn sie hiernach gesucht haben, interessiert sie vielleicht auch dieses...“)  Web 4.0: Internet der Dinge: Beginn der künstlichen Intelligenz z. B. mit intelligenten Sprachassistenten (Siri, Alexa etc.), Chatbots, Kühlschränken etc. und Vernetzung der Technik mit- und untereinander. 5.3.2 Naturtourismus und Digitalisierung Bisher wird das Thema Naturtourismus und Digitalisierung in der Literatur nur begrenzt thematisiert. H ENNIG (2017) erwähnt einzelne digitale Instrumente entlang der touristischen Servicekette am Beispiel des Kanuwanderns. H ENNIG (2014) und W ASSERBURGER ET AL . (2016) diskutieren, dass mobile Apps auf Smartphones oder Tablets auch bei Senioren als wichtige Zielgruppe immer beliebter werden und daher großes Potenzial im Naturtourismus besitzen. C HA- TEL , F ALK (2015) beschreiben die Möglichkeiten, die durch Smartphones in der Umweltbildung und speziell der Geografie haben. Im Bereich des Managements und der Tourismusplanung im Naturtourismus diskutieren u. a. M UHAR ET AL . (2002) die Möglichkeiten digitaler Instrumente im Kontext des Besuchermonitorings und H INTERBERGER ET AL . (2002) zur Messung der Besucherströme in Schutzgebieten. K RÄMER , R OTH (2002) beschreiben eine Methode zur (digitalen) Datenerfassung als Grundlage zur GISbasierten Konfliktanalyse im Natursport. Vielleicht mag es daran liegen, dass davon ausgegangen wird, dass sich Naturerlebnis und technische Instrumente ausschließen müssen oder sollten. Ist es ein Widerspruch, dass wenn Naturtourismus eine Form des Reisens in naturnahe Gebiete dargestellt, bei der das Erleben von Natur und Naturphänomenen im Vordergrund steht und das Hauptmotiv für den Besuch dieser Gebiete darstellt, digitale Instrumente genutzt werden? Tatsächlich nutzt der Gast die Möglichkeiten der Digitalisierung a) bereits entlang seiner Reisephase (Customer Journey) in unterschiedlicher Intensivität und in Abhängigkeit der Art/ Bereiches im Naturtourismus und b) kann auch im Management des Naturtourismus immer weniger auf digitale Instrumente verzichtet werden. Einen Überblick zu den Touchpoints (Kontaktpunkten) des Gastes und Notwendigkeiten im Management des Naturtourismus bietet Abb. 61. Im Zentrum stehen hierbei die verschiedenen Arten des Naturtourismus <?page no="300"?> 300 Naturtourismus (vgl. Kap. 1.3.1, Kap. 3). Aufgezeigt werden in der oberen Hälfte der Abbildung die eher nach außen zum Gast gerichteten Reisephasen des Gastes. Nach innen bedarf es in der Entwicklung des Naturtourismus als Grundlage auch für eine gästeorientierte Gestaltung der Customer Journey eines effizienten Naturtourismus-Managements. Hierzu gehören u. a. Bereiche wie die Organisation des Naturtourismus, das Angebots- und Produktmanagement wie das Qualitätsmanagement. Diese Bereiche wie die verschiedenen Reisephasen des Gastes sind mit Beispielen mit Fokus auf die Digitalisierung unterlegt. Die Art und Intensität der Nutzung der Digitalisierung soll und wird in nachfolgenden Kapiteln näher betrachtet und die aufgeworfenen Fragen zu den Lernzielen beantwortet. Hinweis Nachfolgende Marktforschungsinformationen basieren vor allem auf zwei wesentlichen Studien von BTE (2018) zum Wandertourismus und BTE, VDN, ED (2016) zum Naturtourismus in Deutschland. Grundlage für beide Studien waren repräsentative Haushaltsbefragungen der deutschen Bevölkerung. <?page no="301"?> Angebotsentwicklung 301 Abb. 61: Digitale Touchpoints und Management im/ des Naturtourismus Quelle: eigene Darstellung Natur sehen und verstehen Inspirations-/ Informations- und Buchungsphase  Inspiration z.B. durch Soziale Medien  Information auf der Website der Tourismusregion  Buchung Wanderhotel, Erlebnisführung online auf Buchungsplattformen Natur aktiv erleben Natur spüren Natur unterstützen Über Natur Region begegnen Reisephasen des Gastes ... und Erlebnisphase  Digitales Routing auf Wanderung, Radtour  Nutzung APP für Infos zu Flora und Fauna Aufenthalts-  Anreise mit Onlineticket der Deutschen Bahn  Nutzung digitaler Gäste- oder Mobilitätskarte Reflektions- und Dialogphase  Teilen von Erlebnissen auf Facebook oder Instagram  Bewertung Hotel/ Fewo, POIs auf Plattformen  Nachbereitung der Fotos Naturtourismus- Management Organisation Angebot/ Produkt Qualität  Wegemanagement  Besucherlenkung  Netzwerkmanagement etc.  Digitalisierung Wege und POIs  Entwicklung Produkte + APP  Contentmanagement  Qualifizierung Leistungsträger  Gästebefragung online mit Tablet <?page no="302"?> 302 Naturtourismus 5.3.2.1 Inspirations-, Informations- und Buchungsphase Zu Beginn einer jeden Reise steht die Inspiration. Mit ihr beginnt die touristische Customer Journey (vgl. Abb. 61). Die Inspiration ist der initiale Funke, der das Interesse für ein bestimmtes Naturerlebnis oder eine bestimmte Destination im Naturtourismus beim Gast entfacht. Diese Inspiration kommt vor allem über die Berichte von Menschen. Die Top 3 Inspirationsquellen im Naturtourismus sind Freunde und Bekannte, das Internet und die persönliche Erfahrung (vgl. Abb. 62). Abb. 62: Informationsquellen und Medien, durch die Gäste auf die Nationale Naturlandschaft aufmerksam geworden sind n=976; Mehrfachnennung möglich Quelle: BTE, VDN, ED (2016) Wissen │ Nationale Naturlandschaften Die Nationalen Naturlandschaften sind die Nationalparks, Biosphärenreservate und Naturparks in Deutschland. Sie haben vielfach große räumliche Überschneidungen mit den Destinationen und stellen auch vielfach mit ihren Angeboten ein zu bewerbendes Produkt dar. In Deutschland werden bereits über 100 der Großschutzgebiete unter der Dachmarke „Nationale Naturlandschaft“ zusammengefasst. (Reise) Katalog Sonstiges / Messen Soziale Medien (z.B. Facebook) Kenne ich schon länger Ich bin Bewohner Freunde/ Bekannte Internet Zeitungsbericht, Broschüre Fernsehen/ Radio Empfehlung Touristinformation 5% 6% 7% 37% 54% 33% 29% 23% 14% 12% <?page no="303"?> Angebotsentwicklung 303 In der Studie von BTE, VDN, ED (2016) wurden deutsche Haushalte u. a. gefragt, wenn sie eine Nationale Naturlandschaft in den letzten zwölf Monaten besucht haben, wie sie darauf aufmerksam geworden sind. Nach der Inspiration folgt die Information und damit die Entscheidung, ob das durch die Inspiration ausgelöste Interesse tatsächlich zu einem Erlebnis in der Natur führt. Zur Vorbereitung z. B. der Wanderung, Naturbeobachtung oder Umweltbildung im Naturtourismus ist das Internet auf Platz 1 der Informationsquellen (vgl. Abb. 63). Hierzu zählt allen voran die Internetseite der vielleicht von Freunden empfohlenen Region. Konkrete Hinweise von Freunden und Bekannten sowie persönliche Erfahrungen sind auch bei der Reisevorbereitung wichtig. Auch soziale Medien werden zunehmend zur Informationsbeschaffung genutzt. An digitalen Lösungen zur Informationsbeschaffung geht somit kein Weg vorbei und der relevante Content gehört in die verschiedenen Medien, um dort vom Gast gefunden zu werden. Abb. 63: Informationsmedien im Naturtourismus vor Reiseantritt n=976; Mehrfachnennung möglich Quelle: BTE, VDN, ED (2016) Die Forschungsgruppe Umwelt und Reisen (FUR) zeigt auf, welchen Anteil digitale Buchungen je nach Urlaubsart bereits haben. Abb. 64 verdeutlicht, dass Anzeigen in Tageszeitungen Hotelbewertungsportale Kataloge von Reiseveranstaltern/ Messen Soziale Medien (Facebook etc.) Internet Prospekte des Reiseziels Persönliche Erfahrung Empfehlung von Freunden/ Bekannten Touristinformation Reiseführer Berichte im Fernsehen, Radio, Zeitschriften 5% 7% 10% 47% 69% 37% 25% 22% 18% 15% 3% <?page no="304"?> 304 Naturtourismus bereits 60 % der Aktivurlaube, zu denen Wander- oder Fahrradurlaube in der Natur zählen, und 39 % der Natururlaube bei Urlaubsreisen ab 5 Tagen online gebucht werden. Bei den Kurzurlaubsreisen von 2-4 Tagen sind es auch bereits 67 und 51 %. Abb. 64: Anteil digitale Buchungen nach Urlaubsart, Quelle: FUR Reiseanalyse 2017; Basis: Urlaubs- und Kurzurlaubsreisen der deutschsprachigen Bevölkerung, mit Vorabbuchung mind. eines Reisebestandteils 5.3.2.2 Aufenthalts- und Erlebnisphase In der Aufenthalts- und Erlebnisphase nutzen Tages- und Übernachtungsgäste gezielt digitale Medien zur Informationsbeschaffung oder verzichten auch bewusst darauf, um sich auf die Naturerlebnisse zu konzentrieren. Beispielsweise nutzen 36 % der Wanderer das mobile Internet unterwegs während ihrer Wanderung. 64 % tun dies nicht (BTE 2018). Klassische Wegweiser, Markierungszeichen oder Karten sind nach wie vor und auch in der Zukunft von Wanderern und Radfahrern gefragt (vgl. Abb. 65). So verzichten z. B. 39 % der Wanderer bewusst auf Smartphones/ GPS-Geräte, um die Natur zu genießen (BTE 2018) - übrigens auch 28 % der 14 bis 19-jährigen. Rund 65 % der Wanderer wollen Gesundheitsurlaub Erlebnisreise Aktivurlaub Rundreise Familienurlaub Städtereise Bade-/ Strandurlaub Natururlaub Erholungsreise 38% 57% 60% 54% 45% 43% 39% 39% Natururlaub Ausruhurlaub Städtereise Eventreise Kulturreise Gesundheit/ Wellness Shopping Aktivurlaub Bade-/ Strandurlaub 51% 54% 74% 77% 72% 70% 67% 67% 56% 17% Urlaubreise (ab 5 Tage) Kurzurlaubreise (2-4 Tage) <?page no="305"?> Angebotsentwicklung 305 allerdings in Zukunft nicht auf physische Markierung und Wegeweisung auf den Wanderwegen verzichten. Abb. 65: Informationsquellen und Medien zur Orientierung beim Wandern (n=1.026), Quelle: BTE 2018; Informationsquellen und Medien zur Orientierung beim Radfahren, n=3.554, Quelle: ADFC-Travelbike-Radreiseanalyse 2017 Fotos: Erik Khalitov (iStockphoto) Die Nutzung der digitalen Medien während des Aufenthaltes ist demnach stark abhängig davon, was der Gast konkret unternimmt. Während die Mobilität vor Ort (Reiseauskunft Bus, Bahn) oder der die Information und Planung der Wanderung oder Naturerlebnisführung für den Folgetag nach der Anreise noch eher mit dem Smartphone erfolgt, wollen Naturinteressierte während der Wanderung oder Naturbeobachtung eher auf das digitale Endgerät verzichten. Es dient vielmehr eher als digitale Verlängerung des analogen Erlebnisses um ergänzende Informationen abzurufen, wie z. B. die Gipfeldeutung über die PeakFinder App oder kurze Videos oder das Vorspielen von Tierstimmen auf dem Umweltbildungspfad. Für die zunehmende Nutzung digitaler Medien in der Natur ist es allerdings zwingend erforderlich, dass es zu Lückenschlüssen im Mobilfunknetz kommt und freies WLAN auch im ländlichen Raum verfügbar ist. Denkbar sind ferner lokale WLAN-Punkte an Aussichtspunkten etc. Ohne diese Grundvoraussetzungen bleiben bisher oftmals nur satellitengestützte GPS-Geräte oder der vorherige Download z. B. einer App. Wegweiser Markierungszeichen Karten-App Wander-/ Radführer GPS-Geräte Tourist-Info 49% 38% 23% 22% 18% Wander-/ Radkarten 46% Internet 37% 79% 64% 43% 41% 32% 30% 48% Keine Information 77% <?page no="306"?> 306 Naturtourismus Aus der Praxis: Webwandern Graubünden Bereits seit 2012 können Wanderfans auf der digitalen Wanderplattform  www.webwandern.ch die Bündner Berge zwischen Thusis und Tirano in zehn hoch-auflösenden virtuellen Echtzeitetappen durchwandern. Die aufwendig gestaltete Website der Rätischen Bahn und der Marketingorganisation Graubünden Ferien ermöglicht es, die 131 Kilometer der Via Albula/ Bernia aus der Sicht der Regionsmaskottchen, der Steinböcke Gian und Giachen, zu erleben. Interessierte können durch zahlreiche Hotspots entlang der Strecke alles Wissenswerte zu Sehenswürdigkeiten, Ortschaften, Kultur und Natur erfahren und sollen auf diese Art für eine reale Wanderung auf der UNESCO Welterbestrecke motiviert werden. 5.3.2.3 Reflektions- und Dialogphase Nach der Reise werden die gewonnenen Eindrücke mitgenommen, z. B. in Form von Glücksgefühlen und Fotos. Dia-Abende im heimischen Wohnzimmer aber waren gestern. Heute ermöglichen digitale Medien und v. a. soziale Netzwerke eine schnelle und breite Verteilung. Das gilt auch u. a. für die verschiedenen Arten im Naturtourismus. Die Studie von BTE (2018) zeigt auf, dass bereits 72 % der Wanderer digitale Medien nutzen, um ihre Eindrücke und Erlebnisse der Wanderreise zu teilen. Hinsichtlich der Altersverteilung ergaben sich in der Studie deutlich erkennbare Unterschiede: Während in den Altersgruppen zwischen 14 und 29 Jahren 90 % digitale Medien zum Teilen ihrer Urlaubserfahrungen nutzen, tun dies in der Altersgruppe der 60 bis 65-Jährigen „nur“ 53 %. Als wichtigstes Online-Medium zum Teilen von Erfahrungen ist Facebook klar auf Platz 1 (vgl. Abb. 66). Es wird allerdings auch bereits viel bewertet und so eine klare Meinung artikuliert und das über Funktionen der Internetseite bzw. App der Wanderregion oder ein Bewertungsportal für Unterkünfte, Gastronomie. Instagram, welches vielfach Facebook bei gerade jüngeren Zielgruppen abgelöst hat, folgt bereits insgesamt auf Platz. 4. <?page no="307"?> Angebotsentwicklung 307 Abb. 66: Mediennutzung nach der Wanderung, n=1.026, Mehrfachnennungen möglich Quelle: BTE 2018 5.3.2.4 Management des Naturtourismus Auch im Naturtourismus-Management werden zunehmend die Möglichkeiten der Digitalisierung genutzt. Wie in Abb. 61 (Kap. 5.3.2) aufgezeigt, unterteilt sich das Management u. a. in die Bereiche Organisation, Angebot/ Produkt und Qualität. Ein effizientes Management stellt dabei die Voraussetzung dar, damit die Bedürfnisse des Gastes entlang der verschiedenen Reisephasen optimal befriedigt werden. Um die Natur aktiv zu erleben gehört zum Bereich Organisation z. B. die digitale Verwaltung von Wegenetzen (Rad, Wandern, Reiten etc.), wie z. B.:  Erfassung von neuen Wegen  Erstellung von Wegenetzen  Erhebung von Wegeattributen (Schwierigkeit, Wegeart eines Rad- oder Wanderweges)  Änderungen an Wegenetzen  Kontrollen im Gelände  Meldung von Gefahrenstellen und Sperrung von Wegen  Meldung von aktuellen Bedingungen Blog Pinterest Twitter Instagram Bewertungsfunktion auf Internetseite/ App der Wanderregion Bewertungsportal für Unterkünfte und Gastronomie Bewertungsfunktion in einem Onlineportal (z.B. GPSies; Outdooractive) Snapchat YouTube 32% 40% 27% 19% 14% 10% 8% Facebook Sonstiges 4% 3% 2% 3% <?page no="308"?> 308 Naturtourismus Über verschiedene Apps kann der Gast und Besucher in der Natur auch gelenkt werden, sei es Erlebnispunkte oder -stationen in der Umweltbildung abzulaufen oder in den verschiedenen Aktivitäten zu hohe Frequenzen auf Wander- oder Radwegen zu vermeiden. Dies dient dann zum einen der Gästezufriedenheit - jeder möchte gern „allein“ den Wanderweg genießen“ - und/ oder zum anderen aus Schutzinteressen, z. B. bei Sperrungen aufgrund von Brutzeiten von Vögeln etc. Die Nutzung der App durch die Gäste und Besucher kann im Hintergrund wiederum ausgewertet werden, um zum einen mehr über die Nutzer zu erfahren und so zum anderen die Angebote, Produkte, Services wie auch die Kommunikation noch besser auf die Kundenbedürfnisse abzustimmen. Hilfreich sind dabei mess- und nutzbare Daten aus Apps und mobilen Websites wie z. B.  Aufrufe von Detailinformationen zu einer Tour (Wanderung, Umweltbildungspfad etc.)  Download von Printausdrucken oder .gpx-Daten  Tourenplanung auf dem Wegenetz per Routing (z. B. Rad-, Wandertour)  Navigation entlang einer Tour  Bewegungsprofile und Aufenthaltsdauer an bestimmten Orten der Benutzer in den touristischen Apps mittels GPs (Global Positioning)  Einchecken der Gäste über Ticketsysteme, Zutrittskontrollen, Buchungen etc.  Kombination der Apps mit Gästebefragungen etc. 5.3.3 Fazit Die Einführung in das Thema Naturtourismus und Digitalisierung hat gezeigt, dass es nicht um ein entweder/ oder, sondern eher um ein sowohl/ als auch der Nutzung digitaler Medien im Naturtourismus geht. Die Nutzung ist stark abhängig von der Erlebnisdimension (Aktives Naturerlebnis (Kap. 3.1), Bildung (Kap. 3.2), Ästhetik (Kap. 3.4) etc.), der Reisephase des Gastes und dessen individuellen Bedürfnissen. Im Naturtourismusmanagement kann auf digitale Instrumente nicht mehr verzichtet werden. Für die zunehmende Nutzung digitaler Medien in der Natur ist es allerdings zwingend erforderlich, dass es Deutschland gelingt, die digitale Basisinfrastruktur stark auszubauen und dies nicht nur in den Großstädten, sondern vor allem auch im ländlichen Raum. <?page no="309"?> Angebotsentwicklung 309 Literatur BTE T OURISMUS - UND R EGIONALBERATUNG : Wandertourismus in Deutschland 2018 - Ergebnisse einer Befragung zum digitalen Verhalten der Wanderer entlang der Customer Journey. Berlin 2018. BTE T OURISMUS - UND R EGIONALBERATUNG , V ERBAND D EUTSCHER N ATURPARKE (VDN), EUROPARC D EUTSCHLAND (ED): Naturtourismus Deutschland. Berlin 2017. Berlin 2017 C HATEL , A., F ALK , G. 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Wien 2008. H ENNIG , S.: Innovative Wege für die Informations- und Kommunikationsarbeit im Naturschutz - vorgestellt am Beispiel von Großschutzgebieten. In: ANLIEGEN NATUR Zeitschrift für Naturschutz und angewandte Landschaftsökologie, 36 (1), S. 90-102, 2014. H ENNIG , S.: Naturtourismus naturverträglich gestalten mit dem Konzept der touristischen Servicekette - Kanuwanderungen auf der Wiesent. In: ANLIEGEN NATUR Zeitschrift für Naturschutz und angewandte Landschaftsökologie 39(1), S. 117-126, 2017. H INTERBERGER , B., A RNBERGER , A., M UHAR , A.: GIS-Supported Network Analysis of Visitor Flows in Recreational., In: Arnberger, A., Brandenburg, C., Muhar, A. (Hg.) Monitoring and Management of Visitor Flows in Recreational and Protected Areas Conference Proceedings. S. 28-32, 2002. H ORSTER , E.: Digitalisierung im Tourismus: Das Internet revolutioniert das Reisegerhalten. In: Eilzer C., Eisenstein B., Reif J., Schmudde, R. (Hg.): Tourismusatlas Deutschland. S. 118-119. UVK Verlagsgesellschaft. München 2017. <?page no="310"?> 310 Naturtourismus K RÄMER , A. R OTH , R.: Spatial Requirements of Outdoor Sports in the Nature Park Southern Blackforest - GIS-based Conflict Analysis and Solutions for Visitor Flow Management. In: Arnberger, A., Brandenburg, C., Muhar, A. (Hg.): Monitoring and Management of Visitor Flows in Recreational and Protected Areas Conference Proceedings, S. 33-39, 2002. M IYASAKA , T., O BA , A., A KASAKA , M., T SUCHIYA , T.: Feasibility of using mobile phone GPS for visitor monitoring in a national park: a case study in Oku-Nikko, Japan. In: Monitoring and Management of Visitor Flows in Recreational and Protected Areas. Conference Proceedings edited by Miroslav Vujii, M., Lazi, L., Stojanovi V. S. 280-282. Novi Sad 2016. M UHAR , A., A RNBERGER , A., B RANDENBURG , C.: Methods for Visitor Monitoring in Recreational and Protected Areas: An Overview. In: A. Arnberger, C. Brandenburg, A. Muhar (Hg.) Monitoring and Management of Visitor Flows in Recreational and Protected Areas, Conference Proceedings, S. 1-6, 2002. S ÜDDEUTSCHE Z EITUNG (SZ): Merkel: Deutschland droht digitales Entwicklungsland zu werden vom 09.01.2017 in:  https: / / www.sueddeutsche.de/ politik/ digitalisierung-merkel-deutschland-droht-digitales-entwicklungsland-zu-werden-1.3326389 (10.11.2018). W ASSERBURGER , W. W., B EYER , C., H ENNIG , S., W ASSERBURGER , M.: Seniorengerechte Kommunikation von Geoinformationen in Nationalparks am Beispiel senTOUR, in: REAL CORP Proceedings/ Tagungsband, 22-24 June 2016, S. 931-936. <?page no="311"?> 6 Organisation, Kooperation und die Zukunft im Naturtourismus von Dr. Alexander Schuler In diesem Kapitel werden folgende Fragen beantwortet:  Wer kooperiert mit wem im Naturtourismus?  Wie lässt sich die Kooperation im Naturtourismus zwischen Tourismusorganisationen und den Verwaltungen der Nationalen Naturlandschaften verbessern?  Welche Themen spielen in der Zukunft im Naturtourismus eine Rolle und was bedeutet dies für die Kooperation? 6.1 Organisation, Kooperation und Aufgaben im Naturtourismus Für den Naturtourismus sind in Deutschland neben den Leistungsträgern, Kommunen und Landkreisen die verschiedenen Tourismusorganisationen und Verwaltungen der Naturparks, Nationalparks und Biosphärenreservate verantwortlich. Auch wenn ein großer Teil des Naturtourismus - also des Tourismus, der in naturnahe Gebiete führt, bei dem das Erleben von Natur und Naturphänomenen im Vordergrund steht und das Hauptmotiv für den Besuch dieser Gebiete darstellt - in den Nationalen Naturlandschaften stattfindet, stellen die Naturparks, Biosphärenreservate und Nationalparks nicht die einzigen naturtouristischen Ziele und per se noch kein touristisches Angebot oder Produkt dar. Das Erlebnis des Gastes entsteht erst in der Erlebbarkeit und gegebenenfalls Inszenierung der Besonderheiten der Natur, z. B. durch Aktivitäten (Wandern, Radfahren, Kanuwandern, Reiten etc.), Bildung, Beobachtung, Gesunderhaltung oder Bewusstseinsbildung etc. (vgl. hierzu Abb. 2 und Abb. 4 in Kap. 1.3). Es ist deshalb eine enge Zusammenarbeit der Tourismusorganisationen, -unternehmen, Verwaltungen der Nationalen Naturlandschaften (NNL, vgl. Kap. 2.1), Kommunen und weiteren Partnern notwendig. Verschiedene Partner sind für die Angebots- und Produktentwicklung, für die Kommunikation und den Vertrieb und das Management der Qualität entlang <?page no="312"?> 312 Naturtourismus der Customer Journey verantwortlich (vgl. Tab. 11). Wichtig ist es, die unterschiedlichen Interessen auszugleichen und das Netzwerk der Kooperationen sowohl horizontal (TI, Besucherzentren oder DMO mit Verwaltungen der NNL) wie auch vertikal (Gastgeber, Kommunen mit DMOs etc.) kontinuierlich zu pflegen. Tab. 11: Aufgabenträger und Kooperationspartner im Naturtourismus auf den verschiedenen Ebenen Tourismus Großschutzgebiete Partner Bund/ Land LMO  Marketing Land/ Welt  Marktforschung Interessenverbände  Interessenvertretung  Projektmanagement  Qualifizierung Interessenverbände (VDN, EUROPARC)  Interessenvertretung  Lobbyarbeit  Netzwerkarbeit  Know-how-Austausch Ministerien  Fördermittel  Fachberatung  Finanzierung Region DMO  Content-Management  Produktmanagement  Kommunikation  Vertrieb Verwaltung der NNL  Besucherlenkung  Naturtouristische Infrastruktur (z. B. Beobachtungstürme)  Angebotsentwicklung  Qualifizierung  Naturschutz ÖPNV, Landkreise  Mobilitätsleistungen  Infrastrukturentwicklung und -koortdination (z. B. Wegenetze)  Finanzierung Ort LTO/ TI  Gästeinformation  Qualifizierung  Produktentwicklung  Netzwerkpflege  Kommunikation Besucherzentren  Umweltbildung & -information  Rangerführungen Freizeitinfrastruktur  Tierfreigehege  Baumkronenpfade Kommunen  Finanzierung  Infratsruktur Gastgeber/ Freizeit KMU  Produktbausteine  Erlebnis am Gast (LMO = Landesmarketingorganisation, DMO = Destinationsmanagementorganisation, LTO = Lokale Tourismusorganisation, TI = Tourist Information). Quelle: Eigene Darstellung <?page no="313"?> Organisation und Kooperation 313 6.2 Kooperation zwischen Tourismusorganisationen und den Nationalen Naturlandschaften Natur und Landschaft sind für den Tourismus im ländlichen Raum eine zentrale Grundlage. Dies spiegelt sich auch in der Außendarstellung der Reisegebiete wider. Von den 13 für die Flächenbundesländer in Deutschland verantwortlichen Landesmarketingorganisationen (LMO) und den offiziell ausgewiesenen 101 Flächenreisegebieten benennen 2018 auf Basis einer Webseitenanalyse 63,16 % in ihrem Themenmarketing explizit das Thema „Natur“. Von diesen 114 Tourismusorganisationen benennen darüber hinaus 92,98 % das Thema „Aktiv“ (inkl. Wandern, Radfahren, Kanu etc.) (vgl. Abb. 67). Als besondere Attraktionen oder Räume für besondere Aktivitäten werden darüber hinaus Naturparks, Nationalparks oder Biosphärenreservate hervorgehoben benannt. Hieran wird [1] noch einmal die besondere Bedeutung des Themas „Natur“ im Marketing wie auch [2] die Rolle der Tourismusorganisationen und der Verwaltungen der Nationalen Naturlandschaften für die Angebotsentwicklung und Vermarktung deutlich. Abb. 67: Bedeutung von „Natur“ und „Aktiv“ im Themenmarketing Grundlage: 13 LMOs + 99 regionale Flächenreisegebiete der Länder (ohne Städte und Dopplungen bei länderübergreifenden Destinationen) Quelle: BTE (2016) 63,16 36,84 ja nein 92,98 7,02 ja nein Natur als Thema Aktiv in der Natur als Thema <?page no="314"?> 314 Naturtourismus Die enge Zusammenarbeit der Akteure aus dem Tourismus (Tourismusorganisationen und Leistungsträger) und den Schutzgebieten ist die Voraussetzung für eine erfolgreiche touristische Entwicklung und Vermarktung des Naturtourismus in Deutschland. Dabei profitieren beide Seiten voneinander: Während die Touristiker Experten für die Entwicklung, die Kommunikation und den Vertrieb von touristischen Produkten sind, ist das Wissen der Akteure aus den Naturlandschaften notwendig, um Angebote zu entwickeln und authentische Naturerlebnisse zu gestalten und das Wissen an die Gäste weiter zu tragen. Es gilt, die notwendigen Aufgaben effizient zu teilen, um die - auf beiden Seiten knappen - Personalressourcen bestmöglich zu nutzen. Fiktives Beispiel: Gelungenen Kooperation der Akteure In einer fiktiven Destination, die einen räumlich hohen Deckungsgrad mit einem Naturpark hat  haben die Verwaltung des Naturparks mit den Kommunen und Tourismusorganisationen auf lokaler und regionaler Ebene einen Wanderweg entwickelt, dessen Routenverlauf besondere Naturerlebnisse verspricht,  haben die Kommunen sich im Rahmen einer interkommunalen Kooperation dazu verpflichtet, den Weg auszuschildern und für dessen Pflege Sorge zu tragen,  hat die DMO mit externer Unterstützung für die Vermarktung eine besonders spannende und authentische Story für den Wanderweg entwickelt und diese für die Kommunikation durch ansprechende Texte und Bilder aufbereitet,  haben die Gastgeber entlang des Weges sich zu bestimmten Qualitätskriterien verpflichtet (z. B. Wanderbares Deutschland),  organisieren die Verkehrsunternehmen einen Wanderbus, der die Gäste nach der Etappe zum Ausganspunkt zurückführt,  informiert das Besucherzentrum des Naturparks und die Touristinformationen in der Destination, die Tages- und Übernachtungsgäste online oder persönlich über die Besonderheiten des Wanderweges und führen kooperativ Gästebefragungen durch, um mehr über die Wanderer in der Destination zu erfahren.  Organisieren alle privaten und öffentlichen Partner gemeinsam ein Mal im Jahr einen Wanderevent am oder entlang des Weges. <?page no="315"?> Organisation und Kooperation 315 Eine bundesweite Expertenbefragung in Deutschland (BTE 2016) ergab, dass 93 % der Tourismusorganisationen, in deren Region sich ein Schutzgebiet befindet (sonst 80 % aller Befragten), mit den Akteuren aus den Nationalen Naturlandschaften kooperieren. Auf der Seite der befragten Akteure aus den Schutzgebieten sind es sogar 99 % (vgl. Abb. 68 und Abb. 69). Abb. 68: Kooperation der Tourismusorganisationen mit den Verwaltungen der Nationalen Naturlandschaften, Frage: Kooperieren Sie mit den Verwaltungen der verschiedenen Nationalen Naturlandschaften in Ihrer Destination? n=118 Quelle: BTE (2016), Datenbasis: Expertenbefragung 2016 Abb. 69: Kooperation der Verwaltungen der NNL mit den Tourismusorganisationen, Frage: Kooperieren Sie mit lokalen und/ oder regionalen Tourismusorganisationen? n=66 Quelle: BTE (2016), Datenbasis: Expertenbefragung 2016 79,7% 5,9% 14,4% 76,2% 79,4% 92,3% 9,5% 4,8% 14,3% 15,9% 7,7% lokale Tourismusorganisation (n=42) regionale Tourismusorganisation (n=63) Landes tourismusorganisation (n=13) Nein, wir kooperieren nicht. Ja, wir kooperieren Es gibt keine NNL Naturparke (n=42) Nationalparke (n=9) Biosphärenreservate (n=15) 97,6% 100% 100% 2,4% Nein, wir kooperieren nicht. Ja, wir kooperieren <?page no="316"?> 316 Naturtourismus Die Bewertung bestehender Kooperationen fällt dabei durchaus unterschiedlich aus. Das heißt, Tourismusorganisationen und Vertreter der Schutzgebiete sind mit dem Ausmaß und der Ausgestaltung nicht gleichermaßen zufrieden: Während die touristischen Akteure am stärksten mit den Kooperationen im Bereich Vermarktung, Angebotsentwicklung und Fördermittelakquisition zufrieden sind, bewerten die Akteure aus den Schutzgebieten die Bereiche Angebotsentwicklung, Veranstaltungen sowie Fördermittelakquise am besten. Allgemein übersteigt die Zufriedenheit mit der Kooperation nur selten die 50 %-Marke und ist damit nicht sehr stark ausgeprägt (vgl. Abb. 70). Abb. 70: Bewertung bestehender Kooperationen, Frage: Wie bewerten Sie die bestehende Kooperation? n=184, TO n=118, NNL n=66; Skala 0-10: 0%=sehr schlecht, 100 %=sehr gut; hier: nur Bewertungen mit gut und sehr gut (Werte 7-10) Quelle: BTE (2016), Datenbasis: Expertenbefragung 2016 Die Bereiche in denen am wenigsten kooperiert wird sind - sowohl auf Seiten der Tourismusorganisationen als auch der Nationalen Naturlandschaften - Lobbyarbeit, Schutz der biologischen Vielfalt, Fördermittelakquisition und Veranstaltungen. Besonders die Bereiche Fördermittelakquisition und Veranstaltung fallen hier auf, da einerseits einige Befragte in diesen Bereichen gar nicht koope- 65% 43% 44% 42% 49% 31% 42% 33% 62% 54% 53% 43% 41% 35% 30% 28% Tourismusorganisationen nationale Naturlandschaften Vermarktung von Naturtourismusangeboten Vertrieb von Naturtourismusangeboten Angebotsentwicklung Fördermittelakquisition Veranstaltungen Produktentwicklung Schutz der biologischen Vielfalt Lobbyarbeit für die NNL <?page no="317"?> Organisation und Kooperation 317 rieren, während die Befragten, die kooperieren, andererseits überdurchschnittlich zufrieden mit der Zusammenarbeit sind. Abb. 71: Bereiche, in denen nicht kooperiert wird. Frage: Wie bewerten Sie die bestehende Kooperation? n=184, TO n=118, NNL n=66; Skala 0-10: 0%=sehr schlecht, 100%=sehr gut; hier: nur Nennung „keine Kooperation“) Quelle: BTE (2016), Datenbasis: Expertenbefragung 2016 6.3 Empfehlungen für eine optimierte Kooperation Aus den Lernerfahrungen der Literatur, Praxis und Marktforschung lassen sich zehn Punkte für eine bessere Kooperation zwischen Tourismusorganisationen und den Verwaltungen der Nationalen Naturlandschaften für den Naturtourismus ableiten: 3% 8% 17% 15% 19% 6% 31% 22% 9% 12% 20% 15% 16% 16% 26% 40% Tourismusorganisationen nationale Naturlandschaften Vermarktung von Naturtourismusangeboten Vertrieb von Naturtourismusangeboten Angebotsentwicklung Fördermittelakquisition Veranstaltungen Produktentwicklung Schutz der biologischen Vielfalt Lobbyarbeit für die NNL <?page no="318"?> 318 Naturtourismus [1] Eine Kooperationsnotwendigkeit ist offensichtlich, da die Nationalen Naturlandschaften wie auch die Tourismusorganisationen zentrale Akteure im Bereich Angebot und Vermarktung im Naturtourismus darstellen. [2] Es wird bereits kooperiert. Die Zufriedenheit fällt nur sehr unterschiedlich aus. Diese gilt es zu steigern. [3] Notwendig für eine bessere Kooperation ist zunächst, die Kernaufgaben klarer zu definieren und [4] diese den verschiedenen Partnern in der jeweiligen Destination zuzuweisen. [5] Ein professionelles Projektmanagement ist notwendig. Dabei sind die Akteure auf beiden Seiten bis zum Projektabschluss eingebunden. Aus den individuellen Projekterfahrungen gilt es für das nächste Projekt zu lernen. [6] Es fehlt an Besucherdaten: Die Leistungen werden für den Besucher und Gast erbracht. Nur über diesen ist vielfach sehr wenig bekannt. [7] Damit sich Akteure - privat wie öffentlich - engagieren, müssen die Mehrwerte klar herausgearbeitet, Ziele vereinbart und diese auch gemessen werden. [8] Wenn die Aufgaben klar definiert und verteilt sind, muss die Umsetzung stringent und effizient erfolgen. Eine transparente Kommunikation ist hier essenziell. [9] Nach Abschluss gemeinsamer Projekte oder auch bei Zwischenergebnissen gilt es, diese Erfolge auch zu feiern und sich für das Erreichte zu beglückwünschen. [10] Jeder hat seinen Anteil am Erfolg und bringt seine Kompetenzen zur Entwicklung des Naturtourismus ein. Für die gesellschaftliche wie wirtschaftliche Leistungen verdienen die Akteure in Tourismus und Naturschutz mehr Wertschätzung. 6.4 Die Zukunft des Naturtourismus in Deutschland Nach der Darstellung und Bewertung der Kooperation von Tourismus und Naturschutz im Naturtourismus stellt sich die Frage, wie sich die verschiedenen Aktivitäten in der Natur in der Zukunft entwickeln werden. Im Rahmen einer Online-Befragung (BTE 2016) wurden Experten der Tourismusorganisation und Verwaltungen der Nationalen Naturlandschaften nach ihrer Einschätzung befragt (vgl. Abb. 72). <?page no="319"?> Organisation und Kooperation 319 Deutlich wird, dass es Aktivitäten gibt, von denen angenommen wird, dass sie in Zukunft an Bedeutung noch stark zunehmen werden (z. B. Wandern, Radfahren), andere werden sich an Bedeutung nicht großartig verändern (z. B. Nordic Walking, Segeln). Zurückzuführen auf die Klimaveränderung und einer steigenden Schneefallgrenze ist vermutlich die Einschätzung, dass Aktivitäten wie Skilanglauf oder Abfahrtsski/ Snowboarden sogar an Bedeutung verlieren werden. Abb. 72: Zukünftige Bedeutung von Naturtourismus-Aktivitäten. Frage: Welche Bedeutung werden die nachfolgenden Naturaktivitäten Ihrer Meinung nach in Zukunft erhalten? n=184, TO n=118, NNL n=66; Skala -5-+5: -5=starke Abnahme, +5=starke Zunahme Quelle: BTE (2016), Datenbasis: Expertenbefragung 2016 -5 -4 -3 -2 -1 0 +1 +2 +3 +4 +5 starke Abnahme starke Zunahme gleichbleibend Wande rn Nordic Walking Klettern Radfahren Mountainbiking Kanu-/ Kajakfa hren Hausboot-/ Motorbootfah ren Segeln Skilan glauf Ab fahrtsskilauf/ Snowboarden Reiten Nature xkursio nen Tierbeoba chtung TO NNL <?page no="320"?> 320 Naturtourismus Es gibt Aktivitäten, welche sich in Zukunft stärker entwickeln werden als andere. Auf diese gilt es sich auch in der Angebots- und Produktentwicklung im Naturtourismus zu konzentrieren. Bei anderen sollte es die vorrangige Zielsetzung sein, die Marktposition zu halten und Erträge aus den Investitionen der Vergangenheit noch mitzunehmen. Zu den Top 5 Aktivitäten, deren Bedeutung in Zukunft stark zunehmen wird, zählen: Radfahren, Wandern, Naturexkursionen, Mountainbiking und Tierbeobachtung (vgl. Abb. 73). Während Radfahren und Wandern bereits heute ein großes Marktvolumen besitzen und auch das Thema Mountainbiken vor allem in den Mittelgebirgen sehr intensiv diskutiert wird, sind es vor allem die Themen Naturexkursionen und Tierbeobachtung, welche in der touristischen Produktentwicklung und Kommunikation bisher noch recht kurz kommen. Interessant sind auch die Unterschiede in der Einschätzung der Experten, dargestellt in einer Gegenüberstellung der Bewertung der Tourismusorganisationen und der Verwaltungen der Nationalen Naturlandschaften. Zum einen sind die Experten der Tourismusorganisationen wesentlich „mutiger“ und „zuversichtlicher“ in der Bewertung, zum anderen überrascht, dass insbesondere den Aktivitäten wie Naturexkursionen und Tierbeobachtungen von den Tourismusorganisationen größere Marktchancen und -potenzial zugeschrieben werden als von den Nationalen Naturlandschaften. <?page no="321"?> Organisation und Kooperation 321 Abb. 73: Aktivitäten, deren Bedeutung stark zunehmen wird (Top 2). Frage: Welche Bedeutung werden die nachfolgenden Naturaktivitäten Ihrer Meinung nach in Zukunft erhalten? TO: n=118, NNL: n=65; Prozentangaben: Summe der Bewertungen mit gut und sehr gut (Werte 4-5 auf Skala von Skala von -5=starke Abnahme, +5=starke Zunahme) Quelle: BTE (2016), Datenbasis: Expertenbefragung 2016 Für die Entwicklung des Naturtourismus in Deutschland sind nach Aussage von Experten 14 Maßnahmen wichtig. Die Meinungen über deren Bedeutung unterscheiden sich allerdings je nach Interessenlage, wie die Abb. 74 veranschaulicht. Die TOP 3 Maßnahmen sind in der Gesamtbetrachtung eine professionelle Vermarktung sowie Produktentwicklung sowie die Steigerung der politischen Wertschätzung für den Wirtschaftsfaktor Tourismus. An einer positiven Entwicklung des Naturtourismus und zur Stärkung des Wirtschaftsfaktors sowohl für den Tourismus wie für die Nationalen Naturlandschaften müssen die verschiedenen Akteure kooperativ zusammenarbeiten. Da die Bewertung der Maßnahmen allerdings voneinander abweichen, ist es dringend geboten, dass sich Tourismusorganisationen und die Verwaltungen der Nationalen Naturlandschaften untereinander verständigen, Aufgaben klären und zuweisen und kooperativ die Zukunft gestalten. Radfahren Mountainbiking Wandern Naturexkursionen Tierbeobachtung Kanufahren Nordic-Walking Klettern 44% 48% 24% 22% 16% 8% 4% gesamt 6% 50% 54% 27% 25% 19% 11% 3% 7% 35% 38% 18% 18% 11% 3% 5% 5% TO NNL <?page no="322"?> 322 Naturtourismus Abb. 74: Was braucht der Naturtourismus der Zukunft. Frage: Was braucht der Naturtourismus der Zukunft? n=118, TO n=118, NNL n=66, Mehrfachnennung möglich, Quelle: BTE 2016, Datenbasis: Expertenbefragung 2016 Literatur BTE T OURISMUS - UND R EGIONALBERATUNG , V ERBAND D EUTSCHER N ATURPARKE (VDN), EUROPARC D EUTSCHLAND E . V. (ED): Naturtourismus Deutschland 2017,  http: / / naturerlebnis-deutschland.de am 30.09.2018 Professionelle Vermarktung Erlebnisinszenierung Professionelle Produktentwicklung Politische Wertschätzung des Wirtschaftsfaktors Tourismus Schutz der biologischen Vielfalt Zusammenarbeit von TO und NNL Politische Wertschätzung des Wirtschaftsfaktors NNL 76% 76% 62% 58% 57% 54% 51% gesamt 72% 77% 71% 63% 51% 50% 36% 82% 74% 46% 47% 66% 62% 80% TO NNL Verzahnung mit kulturellen Angeboten Strategische Grundlagen 41% 43% 45% 48% 35% 35% Professioneller Vertrieb 43% 47% 36% <?page no="323"?> Autorinnen und Autoren Dr. Elke Baranek leitet seit 2011 die Geschäftsstelle von EUROPARC Deutschland e. V., dem Dachverband der Nationalen Naturlandschaften. Als diplomierte Landschaftsplanerin und promovierte Marketingexpertin ist sie auf die Konzeption und Moderation von Beteiligungsprozessen sowie auf das Management inter- und transdisziplinärer Systeme spezialisiert. Dazu gehört auch die Implementierung neuer Erkenntnisse und Instrumente in die bestehenden Strukturen der Nationalparks, Biosphärenreservate, Naturparks und Wildnisgebiete. Ab Oktober 2019 wird sie die Geschäftsführung der Allianz Umweltstiftung übernehmen. Malin Baruschke absolvierte das Studium Geographie (B.Sc.) an der Georg-August-Universität Göttingen und darauf aufbauend Wirtschafts- und Sozialgeographie (M.Sc.) an der Universität Leipzig mit den Studienschwerpunkten Stadt- und Regionalentwicklung, Tourismus und Geographische Informationssysteme. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Natur- und Aktivtourismus, Besucherlenkung, Regionalentwicklung, ArcGIS und Web-GIS-Bearbeitung. Maren Behr ist Absolventin des Masterstudiengangs Nachhaltiges Tourismusmanagement an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE). Sie hat in verschiedenen Themenbereichen des Naturtourismus geforscht, u.a. Birdwatching-Tourismus und Pferdetourismus. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen derzeit in der Landschaftsplanung und im Naturtourismus. Mathias Behrens-Egge ist einer der Gründer und geschäftsführender Gesellschafter von BTE Tourismus- und Regionalberatung. Er studierte Landschafts- und Freiraumplanung (Dipl.-Ing.) an der Technischen Universität Hannover. Seit vielen Jahren ist er Dozent für Tourismusökonomie an der (heute) Leibniz Universität Hannover, Fachbereich Architektur und Landschaftsplanung. Er ist ausgebildeter Qualitäts-Coach (ServiceQualität Deutschland) und erfahrener Projektleiter und Moderator. <?page no="324"?> 324 Autorinnen und Autoren Deborah M. Clauss ist Absolventin des Master-Studiengangs „Nachhaltiges Tourismusmanagement“ an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE). Ihre Masterarbeit behandelt das Thema Naturdokumentarfilme und deren Auswirkung auf das Handeln des Menschen hinsichtlich des Umweltbewusstseins. Das internationale Naturfilmfestival GREEN SCREEN kennt und besucht sie seit Gründung des Festivals und ist seit Jahren dort in verschiedenen Bereichen tätig. Derzeit arbeitet sie im Produktmanagement bei einem Reiseveranstalter. Christof Dilzer absolvierte an der Deutschen Sporthochschule Köln den Studiengang Sport, Erlebnis und Bewegung (B.A.) und im Anschluss den Masterstudiengang Nachhaltiges Tourismusmanagement (M.A.) an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde. Seine derzeitigen Arbeitsschwerpunkte sind Natur- und Aktivtourismus, Nachhaltiger Tourismus und Destinationsentwicklung. Barbara Engels leitet im Bundesamt für Naturschutz (BfN) den Bereich Multilateral Zusammenarbeit und die Geschäftsstelle für das MAB-Nationalkomitee in der Arbeitsgruppe für Internationale Zusammenarbeit. Sie ist zuständig für das UNE- SCO-Welterbe-Übereinkommen und das UNESCO MAB- Programm. Seit vielen Jahren vertritt sie den Bereich Naturerbe in der deutschen Delegation zum UNESCO-Welterbekomitee. Sie ist Mitglied der Deutschen UNESCO-Kommission und seit 2016 Mitglied des Welterbe-Panels der IUCN. Ulrike Franke ist Senior Consultant bei BTE Tourismus- und Regionalberatung in Hannover. Schwerpunkte ihrer Arbeit sind Aktiv- und Naturtourismus, Beratung von Naturparken sowie Fachgutachten im Bereich Regionalentwicklung. Seit 20 Jahren begleitet sie reittouristische Marktforschungen und Projekte in ganz Deutschland und zählt damit zu den Experten in diesem Themenfeld. Sie verfasst regelmäßig Buch-, Lehr- und Pressebeiträge und hält Vorträge auf Fachveranstaltungen und messen zu Trends und anderen aktuellen Themen im Pferdetourismus. <?page no="325"?> Autorinnen und Autoren 325 Dr. Andreas Hänel ist Diplom-Physiker und Astronom und leitet (bis 6/ 2019) das Planetarium im Museum am Schölerberg in Osnabrück. Seit 1993 hat er sich mit dem Thema Lichtverschmutzung beschäftigt und seit 2009 die Einrichtung von Sternenparks in Deutschland und anderen Ländern begleitet. Beratend unterstützt er Privatleute, Gewerbe und öffentliche Verwaltung bei Maßnahmen zur Reduzierung der Lichtverschmutzung und Installation einer nachhaltigen umweltfreundlichen Beleuchtung. Birte Kaddatz studierte International Cultural and Business Studies. Sie ging für mehrere Jahre nach Lateinamerika, wo sie u.a. in der Entwicklungszusammenarbeit in der Tourismusberatung tätig war. Zurück in Deutschland studierte sie Regionalentwicklung und Naturschutz (M.Sc.) an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE) und arbeitet als Beraterin in den Bereichen Tourismus-, Regionalentwicklung und Naturschutz. Seit 2018 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der HNEE. Ihre Schwerpunkte sind Tourismus im ländlichen Raum, Tourismus in Schutzgebieten und Wildnistourismus. Dr. Manfred Kupetz ist Diplom-Geologe. Er nahm von 1978 bis 1991 verschiedene Tätigkeiten in der geologischen Forschung und Erkundung sowie Rohstoffwirtschaft in Freiberg (Sachsen) war. Von 1991 bis 2018 hatte er mittlere Positionen in einer brandenburgischen Landesoberhörde in Cottbus, in den Fachbereichen Abfallwirtschaft, Altlasten, Bodenschutz sowie Wasserwirtschaft inne und befindet sich nachfolgend im Ruhestand. Er ist u. a. Vorsitzender des Fördervereins Geopark Muskauer Faltenbogen e. V. und Repräsentant des Geoparks im Global Geoparks Network sowie aktives Mitglied im Verband der deutschen Höhlen- und Karstforscher e. V. Jörg Liesen studierte von 1989 bis 1995 Forstwissenschaft an der Universität Freiburg i. Br. und von 1996 bis 1997 an der FH Hildesheim/ Holzminden Ökologische Umwelt- und Landschaftsplanung. Seit März 2004 ist er beim Verband Deutscher Naturparke (VDN) beschäftigt, zuerst als Fachreferent, seit 2013 als stellvertretender Geschäftsführer. Dort ist er unter anderem zuständig für Agrarpolitik, Regionalentwicklung, Naturschutz, Forstwirtschaft und erneuerbare Energien. <?page no="326"?> 326 Autorinnen und Autoren Anja May ist bei EUROPARC Deutschland e. V. zuständig für die Fachexpertise Nationalparks und Wildnis. Sie absolvierte ein Studium der Landschaftsarchitektur & Landschaftsplanung in Dresden und besitzt einen Abschluss als Dipl.-Übersetzerin Russisch/ Rumänisch. Seit Ende 2018 ist sie ebenfalls für die TU Berlin tätig und bearbeitet ein Projekt zur Integration naturschutzfachlicher Belange in die ukrainische Territorialplanung. Katharina Meifert ist Senior Consultant bei BTE Tourismus- und Regionalberatung, ausgebildete Moderatorin (artop Institut an der Humboldt-Universität Berlin) und Service Coach (ServiceQualität Deutschland). Sie absolvierte ein Studium der Geographie mit den Nebenfächern Soziologie, Landespflege und Volkswirtschaftslehre an der Universität Göttingen und der stockholms universitet. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Tourismuskonzepte, Destinationsentwicklung, Produktentwicklung, Naturtourismus, regionale Entwicklungsstrategien, Marktforschung sowie Moderation. Oliver Melchert ist Leiter des Business Campus Leer für das duale Studium Betriebswirtschaft an der Hochschule Emden- Leer. Von 2015 bis Ende 2018 war er geschäftsführender Gesellschafter bei BTE Tourismus- und Regionalberatung. Als Marketingexperte führte er 7 Jahre lang die touristische Dachmarke Nordsee, 5 Jahre lang die touristische Marke Föhr und war 3 Jahre im Tourismusmarketing der Stadt Kiel tätig. Er absolvierte ein Studium der Betriebswirtschaft mit Schwerpunkt Marketing, Organisation und Tourismus an der Freien Universität Berlin und schloss eine Ausbildung zum Hotelfachmann mit anschließend langjähriger Berufspraxis in der Hotellerie ab. Prof. Dr. Heike Molitor ist Professorin für Umweltbildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE). Sie war und ist Mitglied in diversen Beiräten - Beirat für nachhaltige Entwicklung des Landes Brandenburg 2010-2014, Sachverständigenbeirat für Naturschutz und Landespflege Berlin 2017-2021, Fachforum Hochschule des Weltaktionsprogramms Bildung für nachhaltige Entwicklung 2015-2019. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Nachhaltige Entwicklung, Naturerfahrungsräume, Bildung für nachhaltige Entwicklung und Umweltbildung im ländlichen Raum. <?page no="327"?> Autorinnen und Autoren 327 Dr. Christina Münch ist geschäftsführende Gesellschafterin des auf die Pferdewirtschaft spezialisierten Marktforschungs- und Beratungsunternehmen HorseFuturePanel, das sich der Erhebung und Bereitstellung von Daten zur Weiterentwicklung der Pferdewirtschaft verschrieben hat und Unternehmen und Institutionen bei der Umsetzung zukunftsfähiger Strategien berät. Zu unterschiedlichen Themen der Pferdewirtschaft verfasste sie bereits Fachartikel und Buchbeiträge, hält regelmäßig Vorträge und referiert als Gastdozentin in Hochschulen und Universitäten. 2015 gründete sie gemeinsam mit weiteren Unternehmern aus der deutschen Pferdewirtschaft den gemeinnützigen Verein „Pferde für unsere Kinder e. V.“ Prof. Dr. Jürgen Peters ist Leiter des Fachgebiets Landschaftsplanung und Regionalentwicklung an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE). Seit 2009 ist er berufenes Mitglied in der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung (DASL). Seine Arbeits- und Interessensschwerpunkte umfassen die Kulturlandschaftsbzw. Regionalentwicklung, die Gartenkultur und Landschaftsästhetik sowie partizipative Planungsmethoden. Entsprechend steht im Zentrum der Lehre und Forschung am Fachgebiet die nachhaltige Gestaltung ländlicher Räume. Prof. Dr. Hartmut Rein ist Professor für nachhaltiges Destinationsmanagement an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE) im Masterstudiengang Nachhaltiges Tourismusmanagement. Er studierte Landespflege/ Landschaftsplanung an der Universität Hannover und Regional Planning an der University of Massachusetts / USA und promovierte an der TU Berlin. Er ist stellvertretender Direktor des ZENAT, Zentrum für Nachhaltigen Tourismus der HNEE und Gründungsmitglied des biosphere.center, einem gemeinsamen Kompetenzzentrum für Biosphärenreservate von HNEE, EUROPARC Deutschland e. V. und der Michael Succow Stiftung. Seit 1995 ist er geschäftsführenden Gesellschafter von BTE Tourismus- und Regionalberatung. <?page no="328"?> 328 Autorinnen und Autoren Kathrin Risthaus studierte von 2007 bis 2010 Wirtschaft mit Studienschwerpunkt Tourismus an der Westfälischen Hochschule in Bocholt und absolvierte anschließend das Masterstudium Tourism and Destination Development (2010-2013) an der Hochschule Harz. Die Autorin ist seit 2015 beim Verband Deutscher Naturparke (VDN) beschäftigt und Ansprechpartnerin für das Thema nachhaltiger Tourismus. Sie betreute unter anderem Projekte zur Entwicklung touristischer Naturerlebnisangebote sowie zu barrierefreiem Naturerleben. Martina Porzelt ist Diplom-Biologin mit dem Schwerpunkt Meereskunde und hat einen M.A. im Nachhaltigen Tourismus. Sie war u.a. beim Verband Deutscher Naturparke (VDN) und im Bundesamt für Naturschutz (BfN) tätig. Derzeit arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bundesprogramm Biologische Vielfalt beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt-Projektträger. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen im Naturschutz, Naturtourismus und Schutzgebietsmanagement. Dana Roberts ist Senior Consultant bei der BTE Tourismus- und Regionalberatung und leitet den Unternehmensstandort Eisenach. Sie studierte Tourismuswirtschaft an der Hochschule Harz in Wernigerode. Schwerpunkte ihrer Arbeit sind Aktiv- und Naturtourismus, Destinationsentwicklung, Tourismus in Großschutzgebieten und im ländlichen Raum. In diesem Zusammenhang war sie an den BTE Marktforschungen und Publikationen zum Thema „Tourismus rund ums Pferd“ beteiligt sowie an verschiedenen Konzeptionen, Fortbildungen und Vorträgen zum Pferdetourismus. Dr. Sibylle Schroer ist seit 2010 wissenschaftliche Koordinatorin der Arbeitsgruppe Lichtverschmutzung und Ökophysiologie am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin. Sie unterstützt die interdisziplinäre und internationale Zusammenarbeit von Wissenschaftlern zum Thema Lichtverschmutzung und Auswirkungen auf Flora, Fauna, Habitat und den Menschen. Weiterhin engagiert sie sich für die Einbindung von Bürgern in Tätigkeiten der Umweltwissenschaften. Sie promovierte in Agrarwissenschaften zum Thema Entwicklungen von Alternativen für chemischen Pestizideinsatz. Ihre Schwerpunkte sind inter- und transdisziplinäre Forschungskommunikation, Entomologie und Agrarökologie. <?page no="329"?> Autorinnen und Autoren 329 Stephanie Schubert koordiniert das Programm „Partner der Nationalen Naturlandschaften“ bei EUROPARC Deutschland e. V. und unterstützt den Bereich Unternehmenskooperationen. Sie absolvierte ein Studium der Landschaftsplanung an der Technischen Universität Berlin mit den Schwerpunkten Landschaftsplanung, Naturschutz und Umweltmanagement. Bereits seit 2011 unterstützt Frau Schubert EUROPARC Deutschland in verschiedenen Themenbereichen. Dr. Alexander Schuler ist geschäftsführender Gesellschafter bei BTE Tourismus- und Regionalberatung und hat die Büroleitung am Standort Berlin. Er studierte Wirtschafts- und Sozialgeografie, Soziologie und Umweltwissenschaften in Potsdam und Berlin mit Schwerpunkt Regionalentwicklung & Tourismusgeografie und promovierte im Strategischen Management an der Leuphana Universität Lüneburg. Er ist Lehrbeauftragter an der Hochschule Harz (Wernigerode). Seine Arbeitsschwerpunkte sind Destinationsentwicklung, Organisationsberatung, Marketing, Marktforschung, Moderation und Coaching. Anja Szczesinski ist als Referentin für nachhaltigen Tourismus und Bildung im WWF Wattenmeerbüro tätig. Als Mitglied der deutsch-dänisch-niederländischen Arbeitsgruppe zur nachhaltigen Tourismusentwicklung im Weltnaturerbe Wattenmeer wirkte sie bei der Entwicklung der länderübergreifenden Tourismusstrategie mit. Sie ist derzeit für den WWF in verschiedenen Projekten an der Umsetzung eines nachhaltigen Tourismus in der Weltnaturerbe Wattenmeer Destination tätig. <?page no="331"?> Index A Agrarlandschaft 18 Aktivtourismus 23 Akzeptanzsteigerung 88, 90, 92 Alleinstellungsmerkmal 60, 277 Angebotsseite 16, 23 Artenvielfalt 62, 90, 166 - 167, 209, 232 Astrotourismus 190 - 191, 193 - 194 Attraktivitätsmerkmal 18 Augmented Reality 298 Außendarstellung 110, 277, 313 Aussichtspunkt 16 Authentizität 31, 105, 270, 276, 290 B barrierefrei 50, 55, 117, 279 Beeinträchtigung 142, 168 Belastungen 49, 168, 194, 240 Beobachtung 15 Beschilderung 28, 30, 53, 103, 111, 129 - 132, 188 Besucherlenkung 54, 70, 87, 90 - 92, 146 - 147, 239, 248 - 254, 259 - 261, 279 Besuchermanagement 54, 207, 239, 241, 245, 248 - 249, 253 - 255, 262 Besuchermonitoring 239, 248, 250, 253 - 254, 257, 258 Bewusstseinsbildung 23, 50, 80, 271 Bildung 25, 26, 33, 53, 57 - 59, 62, 75, 80, 311 biologische Vielfalt 13, 17, 45, 47, 49, 52, 53, 55 - 56, 68, 88, 167, 263, 272 - 273, 317 Biosphärenreservat 14, 23, 25, 27, 30, 36 - 38, 40, 46 - 47, 49 - 51, 56, 59, 60 - 61, 63, 77, 85, 90, 92, 117, 302 C Carrying Capacity 246 - 248 Customer Journey 99, 281, 291, 299, 302, 312 D Dachmarke 14, 47 - 48, 60, 280, 302 Destination 13, 69, 99, 145, 168, 187 - 188, 302 Digitalisierung 297 - 300, 307 E Einhaltung von Verhaltensregeln 20 Einkommensmöglichkeit 15 Einstellung zur Natur 17 Energiewende 20 Entwicklungszusammenarbeit 15 Erholungslandschaft 218 Erholungsnutzungskapazität → Carrying Capacity Erholungswert 218 Erlebnisdimensionen 31, 33 - 34, 171, 179, 181 Erlebnisorientierung 34, 270, 290, 296 <?page no="332"?> 332 Index F Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie 88 Freiwillige Selbstverpflichtung 147 Freiwilligenarbeit 23, 50, 271 Freizeitwegenetz 278 G Gästebefragung 36, 308 Gefährdung 19, 90 Genuss von Natur 15 Geopark 75 - 82 Gesundheit 17 - 19, 50, 97, 118 - 119, 132, 160 - 161, 174, 277 H Himmelshelligkeit 84 I Image 53, 60, 99, 105, 112, 185, 186, 199 intakte Natur 14, 22, 31, 49, 53, 89, 178, 181 irreversible Schäden 90 K Kanuwandern 138 - 139, 142, 145, 269, 311 Kompensation bei Flugreisen 22 Kulissenfunktion 23 Kulturgut Sternenhimmel 84 Kulturlandschaft 16, 47 - 48, 50, 80, 93 - 94, 104, 178, 212, 215 - 216, 218 Kundenbindung 29 Kundenzufriedenheit 29, 285 Kurtaxe 94 L Landnutzung 62 Landschaftsbildanalyse 218 - 219, 220, 222 - 223 Landschaftsbildeinheit 218, 220, 222 - 223 Landschaftselement 17, 75, 176, 219, 220, 277 Landschaftsrahmenplan 218, 220, 222 - 223 Landschaftsschutzgebiet 59, 61 Landschaftstopographie 214 Lebensqualität 17, 19, 22, 289 Leitsystem 50, 147 Lichtstress 194 Lichtverschmutzung 83, 190 - 194 M Marke 29 - 30, 47 - 49, 60, 70, 105, 131, 289 Marketing 69, 72, 116, 134, 269, 276, 283, 288, 295, 313 Massentourismus 31 Mobilität 207, 239, 261, 262, 263, 270 - 271, 281, 305 Monitoring 17, 36 - 37, 39, 57, 73, 167 Müll 19, 142, 145, 169, 209 N Nachfragesegmente 31 Nachfrageseite 16 nachhaltige(r) Tourismusentwicklung 271 Urlaubsreise 27 Tourismus 232 Nachhaltigkeit 52, 61, 148, 187, 200, 201, 206, 232, 271, 279 Nachthimmel 84, 86 <?page no="333"?> Index 333 Nachtlandschaften 83, 85 - 86, 190, 192, 194 Nationale Naturlandschaften 14, 22, 45 - 52, 58, 60, 273, 279, 302, 311, 313, 315 - 318, 320 - 321 Nationalpark 14, 22 - 23, 25, 27 - 28, 30, 36 - 40, 46 - 47, 49 - 58, 60, 63, 70 - 71, 83, 85, 92, 117, 155, 172, 176, 193, 199, 201, 203, 205, 208, 228, 276, 280, 302 Natur- und Kulturinterpretation 171 - 172, 176 - 178 Natur- und Umweltbildung 16, 171 - 172, 176, 178 - 179 Natura-2000 88 - 94, 148 Naturbeobachtungstourismus 226, 228 - 230, 232, 234 - 235 Naturbewusstsein 13, 17, 20, 22 Naturbewusstseinsstudie 13, 17, 18 - 19, 22, 53, 56 - 57, 174, 227 Naturbilder 13, 17, 202 Naturbildung 54 Nature-based Tourism 15 - 16 Naturerleben Aesthetic 33, 171, 179 Educational 33, 67, 171 - 172, 179 Entertainment 33, 35, 171 - 172, 179 Escapist 33, 35, 171 - 172, 179 Naturerlebnisangebot 13, 22 - 23, 38 - 39, 45, 49 - 50, 54, 60, 72, 172, 269 - 271, 273 - 275, 278 - 279, 283, 287 Naturerlebnis-Monitor 25 - 30, 34 - 35, 53, 251, 262 Naturfilm 197 - 198, 200, 202, 204, 205, 207 - 209 gesellschaftskritischer 200 Naturlandschaft 28, 30, 45, 48 - 50, 53, 207, 215 - 216, 218, 282, 290, 302, 314 naturnahe Tourismusangebote 22 Naturpark 14, 23, 25, 27 - 28, 30, 36 - 37, 46 - 47, 49 - 52, 61 - 63, 90, 92, 116, 194, 273, 302 Naturphänomen 14 - 15, 23, 171, 176, 211, 214 - 216, 277, 292 Naturschutzgebiet 19, 56, 59, 61, 83, 85, 89, 279 Naturschutzvorhaben 15 Naturtourismusangebote 19, 69 Naturtourismusreisen 22 Naturtouristen 31, 181, 187, 191, 279, 281 Naturzerstörung 199, 203, 205 Net Promoter Score 30 non-formales Lernen 171 Nutzungskonflikte 90 O Observatorium 191 Offenlandschaft 219 ökonomische Effekte 39, 53 Ökosystemdienstleistung 60 Ökotourismus 14 - 15 ÖPNV 131, 135, 144, 263, 281 Ornithologie 16 P Pferdetourismus 151 - 153, 158, 160, 161 - 163 Pflanzenwelt 14, 18 - 19, 27, 30, 69, 89, 91, 279 Plastik 19, 206 - 207, 209 Points of Interest 292 - 293 Polarlichter 192 Positionierung 133, 277, 292, 297 präferierte Landschaften 213 <?page no="334"?> 334 Index Preisgestaltung 283 Prozessschutz 58 Q Qualitätskriterien 45, 53, 58, 99, 103, 118, 133, 314 R Radfahren 16, 23, 25, 27, 30, 39, 113, 115, 123 - 127, 271, 305 Radweg 54, 123, 126 - 128, 291 Knotenpunktwegweisung 130, 131 Radfernweg 127 regionaler Radweg 127 regionale Produkte 40, 60, 282 Regionalentwicklung 35, 38, 50, 59, 62, 79 Reiten 23, 25, 151 - 154, 156, 157 - 1 58, 160 - 162, 271, 307 S Safari 14 Sanfte Mobilität 282 Savannentheorie 213 Schönheit 45, 47 - 48, 67, 178, 192, 203, 211, 213, 217 - 219, 223 Schutzgebiet 13 - 15, 20, 23, 29 - 30, 36 - 37, 49, 53 - 54, 60, 87 - 90, 93 - 94 , 127, 199, 208, 276, 299, 314 - 316 Schutzzone 18, 193 Entwicklungszone 59 Kernzone 38, 54, 85 Naturdynamikzone 54 Pflegezone 59 Prozessschutzzone 54 sozioökonomisches Monitoring 36, 37 Stadtnatur 18 - 19 Sterne 83, 187, 192 Sternenpark 83 - 86, 192 - 194, 216 Sternführungen 192, 194 Störung 54, 69, 89, 103, 118, 145, 168, 174, 194, 209, 234 Storytelling 287 - 291, 295 - 297 Sustainable Development Goals 60 T Tagesausflug 98, 114 Tauchen 16 Tauchtourismus 164 - 170, 199 Teleskoptreffen 193 Themenmarketing 313 Tierbeobachtung 25, 27, 30 Tourismusnachfrage 13, 22, 29, 110 Tourismusorganisationen 23, 25, 91, 93, 192, 281, 311, 313 - 318, 320 - 321 Tourismusregion 14 touristische Infrastruktur 60, 131, 133 - 134 Leistungskette 40, 106, 168 Leistungsträger 91, 295 Tragfähigkeit → Carrying Capacity U Umweltbelastung 22, 123 Umweltbewusstsein 20 - 21, 61, 174 Umweltbewusstseinsstudie 21 - 22 Umweltbildung 23, 49, 59, 73, 171, 172, 180 - 181, 271, 299, 303, 308 unberührte Natur 18, 32 <?page no="335"?> Index 335 V Verkehrsmittel 21, 123, 281 Vermarktung 93, 118, 134, 147, 273, 275, 283 - 284, 291, 293, 313 - 314, 316, 318, 321 Verschlechterungsverbot 90 Verträglichkeitsprüfung 90 Vielfalt 18 Virtual Reality 298 Vögel 19, 71, 88, 181, 184 - 185, 187 - 188, 231 Vogelbeobachtung 23, 32 - 33, 181, 182, 184 - 185, 187 - 188, 227 - 228, 230 - 231, 233 Vogelschutzgebiet 89 Vogelschutzrichtlinie 88 - 89 Volkssternwarte 191, 193 W Wandern 16, 23, 25, 27, 30, 33, 35, 39, 89, 97 - 99, 106, 108, 110, 111 - 115, 117 - 119, 125, 128, 161, 215, 271, 305, 307 Wanderreiten 16, 33, 153 - 154, 156 - 158, 159 Wanderweg 78, 99, 117, 292, 308, 314 Wanderwegenetz 49, 105, 223 wasserbezogene Aktivitäten 16 Wegeführung 127, 133, 214 Welterbestätte 67 - 70, 74, 77 Wertschöpfung 16, 35, 37 - 40, 271, 282, 285 Wildlife Watching 227 - 229 Wildnis 13, 18, 55 - 58, 116 - 117, 226, 227 Wildnisgebiete 46 - 47, 49, 56 - 58, 63 wirtschaftliche Bedeutung 13, 35 - 39, 97 -9 8, 121, 123, 138, 226 wirtschaftliche Effekte 23 Z Zerstörung von Lebensräumen 89 Zertifizierung 60, 270, 282 Zonierung 73, 91, 147 <?page no="336"?> EINE EINFÜHRUNG Wolfgang Strasdas, Hartmut Rein (Hg.) Nachhaltiger Tourismus Einführung 2., überarb. und aktual. Aufl. 2017, 380 Seiten, Broschur ISBN 978-3-8252-4713-3 € (D) 27,99 Seit den 1980er Jahren werden im Tourismus neue Wege gesucht, um regionale Wirtschaftsentwicklung mit Umwelt- und Naturschutz, fairen Arbeitsbedingungen und der Wertschätzung von Kultur in Einklang zu bringen. Heute setzen bereits viele Tourismusdestinationen und -unternehmen auf eine nachhaltige Entwicklung. Die 2., überarbeitete Auflage des Buches stellt die grundlegenden Prinzipien und praktischen Ansätze für einen nachhaltigen Tourismus vor. Die Autoren gehen auf verantwortungsvolle Unternehmensführung, nachhaltiges Destinationsmanagement, Tourismuspolitik und die Rolle kritischer Verbraucher ein. Zudem diskutieren sie die Herausforderungen des Klimawandels, Naturschutzes und der sozialen Nachhaltigkeit. Jedes Kapitel nennt vorab Lernziele. Definitionen, zahlreiche Beispiele und Zusammenfassungen helfen beim Verständnis. Das Lehrbuch richtet sich an Studierende und Lehrende der Tourismuswirtschaft sowie an Praktiker. www.utb-shop.de