Cultural Studies
0611
2018
978-3-8385-4996-5
978-3-8252-4996-0
UTB
Oliver Marchart
Der Autor legt die historischen Hintergründe der Cultural Studies frei und fasst den Stand der gegenwärtigen Diskussion zusammen. Dabei arbeitet er das ursprüngliche Interesse der britischen Cultural Studies an einer politisch verstandenen Gesellschafts- und Kulturwissenschaft heraus.
Kultur ist demnach ein Feld von Machtbeziehungen, auf dem soziale Identitäten wie Klasse, »Rasse«, Geschlecht oder sexuelle Orientierung konstruiert werden. Ausgehend von dieser politischen Perspektive, die beträchtlichen Einfluss erlangt hat, wird ein systematisches Modell der Cultural Studies entwickelt.
<?page no="1"?> Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage W. Bertelsmann Verlag · Bielefeld Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Wilhelm Fink · Paderborn A. Francke Verlag · Tübingen Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Ernst Reinhardt Verlag · München Ferdinand Schöningh · Paderborn Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlagsgesellschaft · Konstanz, mit UVK / Lucius · München Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen Waxmann · Münster · New York utb 2883 <?page no="2"?> Oliver Marchart Cultural Studies 2., aktualisierte Auflage UVK München <?page no="3"?> Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www.utb-shop.de. Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.ddb.de> abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © UVK Verlag München 2018 - ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH & Co. KG Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Einbandmotiv: © iStockphoto - Delpixart Satz und Layout: Claudia Wild, Konstanz Printed in Germany UVK Verlag Nymphenburger Strasse 48 80335 München Tel. 089/ 452174-65 www.uvk.de Narr Francke Attempto Verlag GmbH & Co. KG Dischinger eg 5 72070 Tübingen Tel. 07071/ 9797-0 www.narr.de UTB-Nr. 2883 ISBN 978-3-8252-4996-0 <?page no="4"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite Cultural Studies gehen davon aus, daß es einer Menge an theoretischer Arbeit bedarf, um die Dunkelheit des Offensichtlichen zu erhellen. Stuart Hall (1999b: 119) <?page no="5"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 6 <?page no="6"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite Inhalt Cultural Studies: eine politische Perspektive Kapitel : Kultur, Macht, Identität: Annäherung an das »politische Theorieprojekt« der Cultural Studies . . Der Cultural Turn - wohin und wozu? .2. Die Anfänge in der Erwachsenenbildung 26 . . Das magische Dreieck der Cultural Studies: Kultur - Macht - Identität . . Fragen der Methode 6 . . Cultural Studies als eingreifende Wissenspraxis Kapitel 2: Die Geburt der Cultural Studies aus dem Geist der Neuen Linken: ein historischer Abriss 9 2. . Die explorative Phase: Hoggart, Williams, Thompson 9 2.2. Die erste Neue Linke 6 2. . Die formative Phase: Kulturalismus, Strukturalismus und die zweite Neue Linke 6 2. . Gramscis Hegemonietheorie als verbindendes Glied zwischen Strukturalismus und Kulturalismus 6 2. . Raymond Williams und der Kulturelle Materialismus 82 2.6. Das Birmingham Centre for Contemporary Cultural Studies 89 Kapitel : Subcultural Studies: Jugend-, Gegen-, Sub- und Club-Kulturen 9 . . Die Entdeckung der Jugend: Subcultural Studies am CCCS 9 .2. Subkulturstudien als Hegemonietheorie: das Resistance-through-Rituals-Paradigma 00 <?page no="7"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 8 . . Der Stil ist die Identität: Die Subkultur-Kontroverse 0 . . Von Subzu Gegenkulturen 2 Kapitel : Media Studies: Kultur, Kommunikation, Signifikationspolitik . . Media Studies im Kontext des Postmarxismus .2. Kommunikation als Transmission und Ritual: James Carey 6 . . Kodieren/ Dekodieren: Bedeutungsstrukturen . . Das »aktive Publikum«: Rezeptionsstudien 2 . . John Fiske und der »Cultural Populism« 6 .6. Die Medien als Hegemonieapparate: Signifikationspolitik 60 Kapitel : Diskurs und Identität: »race«, class, gender, etcetera 69 . . Das Mantra 69 .2. Cultural Studies als Diskursanalyse 9 . . »race« 8 . . class 9 . . gender 202 .6. etcetera 209 Kapitel 6: Gesellschaft und Politik: Cultural Studies als Gesellschaftstheorie und politische Analyse 2 9 6. . Die politische Fixierung von Bedeutung 2 9 6.2. Der kulturelle Kreislauf - ein heimliches Gesellschaftsmodell 226 6. . Policing the Crisis - Politik als Krisenkontrolle 2 6. . Halls Thatcherismus-Analyse: Politik als hegemoniales Projekt 2 9 6. . Das Mikro/ Makro-Problem und die Passage durch die Negativität 2 <?page no="8"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 9 Cultural Studies: eine politische Perspektive Nachbemerkung 2 Bibliografie 2 <?page no="9"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 0 <?page no="10"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 11 Cultural Studies: eine politische Perspektive Vorbemerkung Ich verstehe die Musik, ich verstehe die Filme, ich begreife sogar, daß Comics uns etwas mitteilen können.Aber hier gibt es ausgewachsene Professoren, die nichts anderes lesen als die Texte auf den Cornflakespackungen. Don DeLillo, Weißes Rauschen (19 : 20) Don DeLillos Roman Weißes Rauschen spielt auf einem amerikanischen College mit einem Department für Popkultur. Unter der Leitung eines Experten für Vorkriegslimonadenflaschen wird an diesem Department unter der Studienbezeichnung Amerikanische Milieus die »natürliche Sprache der Kultur« dechiffriert und zu einem »aristotelischen Gedankengefüge aus Kaugummi- Papierchen und Margarinereklame« systematisiert. Mit seinem Roman parodiert DeLillo eine kulturpopulistische Tendenz der Cultural Studies der 80er Jahre, die manchmal despektierlich als »Madonna-Studies« oder »Mickey Mouse-Studies« bezeichnet wird. Tatsächlich ist innerhalb wie außerhalb der Cultural Studies gelegentlich die Auffassung anzutreffen, die akademische Beschäftigung mit Populärkultur sei selbst zum theoretischen wie methodischen Diskont-Preis zu haben. Diese Auffassung scheint durch eine außerakademische Entwicklung bestätigt zu werden: Selbst die Wächter des einstmals innersten Heiligtums der Hochkultur, des bürgerlichen Feuilletons, haben dessen Tore inzwischen der Populärkultur geöffnet. Immer öfter findet sich dort, auf zwei Feuilleton-Seiten gedrängt, etwa die amüsant erzählte Geschichte des Turnschuhs oder der E-Gitarre. Doch so wenig dieser Umgang mit Populärkultur etwas mit Interesse und Praxis der Cultural Studies zu tun hat, so wenig ist jede beliebige akademische Beschäftigung mit Populärkultur unter dem Titel <?page no="11"?> 12 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 2 Cultural Studies zu verbuchen: »Zu viele in den traditionellen Disziplinen tätige Personen scheinen anzunehmen«, beklagt der US-amerikanische Cultural Studies-Theoretiker Larry Grossberg (2000: 2 ), »daß sie Cultural Studies betreiben, wenn sie beginnen, über das Fernsehen oder Rockmusik usw. zu schreiben.« Dies aber sei in den meisten Fällen ein Irrtum. Aber was wären dann Cultural Studies? Obwohl die Grenzen dessen, was als Cultural Studies gelten darf, nicht eindeutig festgelegt sind, lässt sich immerhin mit hinreichender Sicherheit sagen, was Cultural Studies nicht sind. Oder anders gesagt: Cultural Studies sind vieles, aber keineswegs alles. Die Notwendigkeit einer genaueren Bestimmung beginnt schon bei dem verwendeten Kulturbegriff. Es ist evident, dass »Kultur« für die Cultural Studies alles andere als den Sammelbegriff für das Wahre, Schöne und Gute darstellt; sie ist aber auch nicht der neue Sammelbegriff für das Amüsante, Laute und Bunte. Vielmehr wird Kultur den Cultural Studies fragwürdig. Das Kulturelle verliert seine Unschuld. Es kommt zum Bruch mit der landläufigen Vorstellung, das Kulturelle - sei es nun in seiner hoch- oder in seiner populärkulturellen Dimension - sei etwas an sich Harmloses. Das Gegenteil ist der Fall. Wenn die Beschäftigung mit Kultur lohnt, ja sogar dringend geboten erscheint, dann weil Kultur alles andere als harmlos ist. Im Feld der Kultur werden politische und soziale Identitäten produziert und reproduziert. Identitäten, die - etwa im Fall nationaler oder ethnischer Identität - im ungünstigsten Fall zum Treibstoff für Krieg und Bürgerkrieg werden können. Wie Terry Eagleton (200 : 6- ) diesen Umstand, vielleicht etwas dramatisch, beschrieb: »In Bosnien oder Belfast ist Kultur nicht das, was man in den Kassettenrekorder schiebt; es ist das, wofür man tötet.« Aber selbst dort, wo der im Kulturellen schlummernde Konflikt nicht so offen zutage tritt wie im Bürgerkrieg, bleibt Kultur doch das Medium des Konflikts - zumindest latent. Denn jede soziale Identität, die im Medium der Kultur konstruiert wird, wird ihre eigene Stabilität nur sichern können, indem sie sich von anderen Identitäten abgrenzt. Das produziert zwangsweise Ausschlüsse, sowie Verhältnisse von Dominanz und Unterordnung, die ihrerseits auf Widerstände treffen. Kultur, <?page no="12"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 13 so Eagleton, »in diesem letzteren Sinne von Religion, Nationalismus, Sexualität, Ethnizität und dergleichen ist ein wütend umkämpftes Feld« (60). Aus diesem Grund besitzt das in den Cultural Studies so oft angestimmte Mantra der Identitäten von »race«, class und gender mittelbar politische Bedeutung. Denn diese Identitäten, wo sie in alltäglichen Praxen und Diskursen gelebt werden, tragen bei zur hegemonialen Stabilisierung der Gesellschaftsformation als ganzer. Die »mikropolitischen« Handlungen des Alltagslebens besitzen eine »makropolitische« Dimension, die uns, verstrickt in unsere alltäglichen Praktiken, weitgehend unbewusst bleibt. In gewisser Hinsicht schließen die Cultural Studies mit ihrer Aufklärungsarbeit an die Verunheimlichung des vermeintlich Heimeligen durch die Psychoanalyse an. Für Freud hat der Alltag - ähnlich wie der Traum - seine nichtssagende Harmlosigkeit verloren. In seiner berühmten Untersuchung Zur Psychopathologie des Alltagslebens (Freud 999 [ 90 ]), die über »Vergessen, Versprechen, Vergreifen, Aberglaube und Irrtum« handelt, zeigt Freud, dass die Fehlleistungen, die unser Alltagshandeln bestimmen, symptomatischen Charakter besitzen. Das Vergessen von Namen oder die berühmten »Freud ’ schen Versprecher« geschehen nicht zufällig, sondern sind durch Beweggründe motiviert, die unserem Bewusstsein unbekannt sind. Was diese Fehlhandlungen gemeinsam haben, »liegt in der Rückführbarkeit der Phänomene auf unvollkommen unterdrücktes psychisches Material, das, vom Bewußtsein abgedrängt, doch nicht jeder Fähigkeit, sich zu äußern, beraubt worden ist« (Freud 999 [ 90 ]: 0). Wenn es eine analoge Leistung der Cultural Studies gibt, dann scheint sie darin zu bestehen, dass sie die ursprünglich politische Motivation scheinbar unpolitischer kultureller Handlungen und Phänomene wieder ans Tageslicht gebracht haben. »Politisch« sind diese Handlungen nicht etwa, weil sie ihren Ursprung im sozialen Subsystem der Politik hätten, sondern politisch sind sie, weil sie Machtverhältnissen entspringen, die wie ein Netz den gesamten sozialen Raum überziehen. Soziale Identität wird im Medium der Kultur qua Einsatz von Macht aufrechterhalten oder aber herausgefordert. Unsere am Terrain der Kultur ständig <?page no="13"?> 14 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite erarbeitete und immer wieder neu zu erarbeitenden Identitäten als Mann, als Frau, als Deutsche, als Hetero- oder Nichtheterosexuelle, als Jugendliche etc. können als je solche nur durch die Etablierung von Machtverhältnissen stabilisiert werden. Macht ist daher unserer Identität - oder unseren Identitäten, denn jede/ r von uns besitzt eine Unzahl an zum Teil widerstreitenden Identitäten - nicht äußerlich. Wir selbst reproduzieren unsere Identitäten ja in unseren alltäglichen Handlungen, in denen wir uns performativ als z. B. »richtiger Mann« oder »richtige Frau« in Szene setzen - so schlecht uns das in vielen Fällen gelingen mag. Macht reproduziert sich und reproduziert uns im Medium unseres Alltagshandelns. Doch gelingt das nie ohne Rest. Wie schon bei den Freud ’ schen Fehlleistungen wird uns die Instabilität unserer eigenen Identität - Resultat ihre Machtbasiertheit, denn keine Macht herrscht unherausgefordert - erst dann bewusst, wenn Risse und Sprünge an ihr auftreten. Das kann von leichten Irritationen bis zu schweren Identitätskrisen reichen. Der Verlust unseres Jobs kann eine Krise unserer »Berufsidentität« hervorrufen, die weitere Identitätskrisen - die Krise unserer Identität als »richtiger Mann«, der das Geld nach Hause bringt - nach sich ziehen kann. Das Auftreten solcher Krisen wäre unmöglich, wäre unsere soziale Identität nicht von Anfang an konstruiert und kontingent. Das heißt, jede unserer Identitäten könnte auch in anderer Weise konstruiert sein, da andere Machtverhältnisse durch andere Alltagshandlungen perpetuiert werden könnten. Selbst die Dominanzidentität des sprichwörtlichen »weißen, westlichen, heterosexuellen Mannes« ist kontingent, selbst sie ist in ihrer Dominanz ständig bedroht von Identitätskrisen und Widerstand (durch die Frauenbewegung, durch antirassistische Kämpfe, durch die Erfahrung von Arbeitslosigkeit oder die Entdeckung des eigenen schwulen Begehrens). So wie sich das unbewusst Verdrängte nach Freud im Stottern des ansonsten scheinbar wie geschmiert laufenden Motors unserer Alltagshandlungen Bahn brechen kann, so können uns unsere unhinterfragten Identitäten plötzlich als fragwürdig erscheinen. Ziel der Cultural Studies ist es, zu solchen Identitätskrisen beizuwww.Claudia-Wild.de: <?page no="14"?> Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 1 tragen. Ihr Ziel ist es, die Kontingenz und Machtbasiertheit jeder kulturell reproduzierten Identität zu analysieren und sie offen zu legen. Denn erst durch die Erkenntnis, dass die vielfachen Verhältnisse von Dominanz und Unterordnung - zwischen Männern und Frauen, uns und »den anderen«, der heterosexuellen Norm und den vielfachen Formen des Begehrens (die von dieser Norm zur Abweichung gemacht werden) - auch anders geordnet sein könnten, dass sie konstruiert und kontingent, nicht naturgegeben und notwendig sind, wird uns ermöglicht, diese Verhältnisse zu hinterfragen, herauszufordern und zu verändern. Freud hatte seiner Psychopathologie des Alltagslebens ein Goethe- Zitat als Motto vorangestellt: »Nun ist die Luft von solchem Spuk so voll, Daß niemand weiß, wie er ihn meiden soll« (Faust, II.Teil,V.Akt) In diesem Zitat hallt der Buchtitel nach: die Luft, das ist das Alltagsleben, der Spuk, das sind die »psychopathologischen« Fehlleistungen. Und wie die Luft das Medium ist, das uns umgibt und unser physisches Überleben sichert, so verhält es sich auch mit unserem Alltagsleben. Es befindet sich nicht hier oder dort, sondern umgibt uns andauernd. Ohne Alltag ist soziales Leben so unmöglich wie biologisches ohne Sauerstoff. Wird ein solches Medium vom Spuk erfasst, d. h.: beginnt es auf eine Weise zu funktionieren, die unseren eingespielten Erwartungen als fremd, störend und dysfunktional erscheint, dann wird es uns fragwürdig. So wurde den Cultural Studies Alltagskultur fragwürdig. Kultur gilt ihnen als nichts Heimeliges mehr (selbst in DeLillos Roman wird das »Rauschen der Warenwelt«, das am Department für Popkultur studiert wird, jäh von einem Giftgasunfall in einer benachbarten Chemiefabrik unterbrochen). Vielmehr ist die Kultur, und im Besonderen die Alltags- oder Popularkultur, von solchem Spuk so voll, dass niemand weiß, wie er ihn meiden soll. Auch wenn dieser Spuk in unserem Alltag zumeist als Spuk nicht ins Bewusstsein treten mag; er ist doch der Analyse zugänglich. Die Cultural Studies verstehen sich als jene Form der Kulturanalyse, für die der Spuk im Alltag wohlmotiviert ist durch <?page no="15"?> 16 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 6 eine andere, nicht bewusste Instanz: das Politische - ein anderer Name für Konflikt, Macht, Widerstand, Dominanz und Unterordnung. Macht und Konflikt bestimmen also die Welt der Kultur. Nicht gerade ein idyllisches Plätzchen. Zwar ist nicht auszuschließen, um auf DeLillos Roman zurückzukommen, dass uns die Texte auf Cornflakespackungen etwas über diese Welt mobiler Kräfteverhältnisse verraten können, das wird aber letztlich von unserer Untersuchungsperspektive und unserem theoretischen und methodischen Instrumentarium abhängen. Die vorliegende Darstellung geht daher davon aus, dass die Cultural Studies sich nicht so sehr über einen bestimmten Gegenstandsbereich (wie z. B. Alltagskultur oder Medienkultur oder Massenkultur) bestimmen, sondern über ihre politische Perspektive: Durch das Prisma der Cultural Studies betrachtet, stellt sich Kultur als ein Feld von Machtbeziehungen dar, auf dem soziale Identitäten wie Klasse, »Rasse«, Geschlecht oder sexuelle Orientierung konfliktorisch artikuliert und zu breiteren hegemonialen Mustern verknüpft werden. Auf Grundlage dieser politischen Perspektive soll im Folgenden, soweit möglich, ein systematisches Modell einer oft als unübersichtlich wahrgenommenen Disziplin vorgestellt werden. <?page no="16"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 1 Kapitel 1: Kultur, Macht, Identität: Annäherung an das »politische Theorieprojekt« der Cultural Studies Wenn es irgendetwas gibt, was von den britischen Cultural Studies zu lernen ist, dann ist es das: das Bestehen darauf, dass es bei Cultural Studies immer um eine Artikulation - in verschiedenen Kontexten natürlich - zwischen Kultur und Macht geht. Stuart Hall (2000h: 140) 1.1. Der Cultural Turn - wohin und wozu? In den letzten Jahren war im deutschsprachigen Raum immer wieder vom »Boom« der Cultural Studies die Rede. Dieser Boom, wenn es ihn denn geben sollte, ist nicht allein der Attraktivität der Cultural Studies selbst geschuldet. Er wird nur erklärlich, verortet man die deutschsprachige Cultural Studies-Rezeption im Zusammenhang eines gestiegenen Interesses am Kulturellen in den Sozialwissenschaften. So wurde in den letzten Jahren immer wieder von einem cultural turn gesprochen (Chaney 99 ), der auch die Sozialwissenschaften im deutschsprachigen Raum erfasst habe. Die Sozialwissenschaften, so wurde gesagt, stellten sich »zunehmend als ›Kulturwissenschaften‹ dar, die die symbolischen Ordnungen rekonstruieren, vor deren Hintergrund die ›Menschen‹ der sozialen Welt - und damit auch sich selbst - Sinn und Bedeutung verleihen« (Reckwitz 2000: 6). Damit werde das Kulturelle nicht länger als »sanfte« Seite vorgeblich »harter« sozialer Strukturen und Funktionen betrachtet, sondern nunmehr in seiner Eigenwertigkeit anerkannt. Bei genauerer Hinsicht empfiehlt es sich allerdings, die Euphorie etwas zu dämpfen. Denn natürlich wurde der cultural turn <?page no="17"?> 1 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 8 von den Sozialwissenschaften nur partiell und nur in bestimmten Subdisziplinen oder von engen personellen Fraktionen dieser Disziplinen vollzogen. Der Begriff des Paradigmenwechsels erscheint zur Beschreibung des cultural turn als zu hoch gegriffen. Zurecht wurde darauf hingewiesen, dass (trotz inzwischen recht weit zurückliegender Initialmomente: die entscheidenden Publikationen, Clifford Geertz’ Interpretation of Culture und Hayden Whites Metahistory datieren beide aus dem Jahr 9 ) der cultural turn noch keineswegs vollzogen sei. Die Rede vom Boom des Kulturellen dürfe nicht darüber hinwegtäuschen, »dass das dominierende Paradigma in der Gesellschaftsanalyse weiterhin szientistischen Modellen und Annahmen folgt, die zu einer naturalistischen Verkürzung und Verzerrung der zu erforschenden gesellschaftlichen und kulturellen Prozesse führen« (Winter 2002: 2 ). Der Diagnose, die Sozialwissenschaften stellten sich zunehmend als Kulturwissenschaften dar, kann also, zumindest was den Mainstream der Sozialwissenschaften betrifft, nur mit Vorbehalt zugestimmt werden Für die Geisteswissenschaften stellt sich die Situation in gewisser Hinsicht spiegelbildlich dar. Spätestens Anfang der 90er Jahre waren die Geisteswissenschaften von außen unter Druck geraten. Zunehmend wurde ihnen von Gesellschaft und Politik mit ökonomischen Effizienz- und allgemeinen Nützlichkeitserwartungen begegnet. Im Bemühen um die Neulegitimation dieser Wissenschaftstradition erklärte eine wichtige Denkschrift die Kultur zum neuen Paradigma der Geisteswissenschaften (Frühwald at al. 99 ). Die so beschworene Modernisierungsfunktion von Kulturwissenschaften wurde in dieser Debatte an die Tradition des Humboldt’schen Bildungsideals rückgebunden. Das neue Kulturparadigma sollte sowohl zur Modernisierung und Internationalisierung der Geisteswissenschaften als auch zur Bewahrung der traditionellen Bildungsidee unter widrigen Hinzu kommt natürlich, dass der cultural turn von den verschiedenen Disziplinen - von der Soziologie über die Ethnologie und die Geschichtswissenschaften bis hin zur Religionswissenschaft - nicht synchron vollzogen wurde, sondern vielmehr unter den spezifischen Bedingungen der jeweiligen Disziplin (vgl. Appelsmeyer/ Billmann-Mahecha 200 ). <?page no="18"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 9 19 gesellschaftlichen Bedingungen beitragen. Abgesehen von der Frage, ob beides zugleich möglich ist, krankte dieser Versuch an einer gewissen Selbstwidersprüchlichkeit. Einerseits galt es, dem klassischen Bildungsbegriff in neuem Gewand zu irgendeiner Zukunft zu verhelfen, womit letztlich das traditionelle Verständnis der Geisteswissenschaften als Hochkulturwissenschaften beibehalten wurde. Andererseits zwang der Legitimationsdruck von außen zur Beschäftigung mit drängenderen gesellschaftlichen Fragen. Wo die Geisteswissenschaften einerseits ihre eigene Tradition zu bewahren suchten, mussten sie andererseits mit der Erklärungskompetenz der Sozialwissenschaften in Konkurrenz treten. Überspitzt ließe sich sagen: Die Umbenennung in »Kulturwissenschaften« diente den Geisteswissenschaften zur Neuerfindung ihrer selbst als Sozialwissenschaften - wenn auch als gleichsam weiche Variante derselben. Der Begriff der Kultur ersetzte für sie kompensatorisch jenen des Sozialen, während sich die Sozialwissenschaften ihrerseits durch den partiell vollzogenen cultural turn wiederum den als Kulturwissenschaft neu erfundenen Geisteswissenschaften annäherten. Im gemeinsamen Begriff von Kultur - was immer man im Detail darunter verstand - verschwammen vorerst die scharfen Grenzlinien zwischen Geistes- und Sozialwissenschaften. Das bereitete dem Rezeptionsboom anglophoner Cultural Studies den Boden. Neben weiteren Entdisziplinierungsfaktoren - wie etwa der Einführung fächerübergreifender Studiengänge - erklärt diese Brückenfunktion des Kulturbegriffs zu einem guten Teil die Aufnahmebereitschaft gegenüber den Cultural Studies. Diese liegen nämlich selbst quer zur Unterscheidung zwischen Geistes- und Kulturwissenschaften (oder humanities) einerseits und Sozialwissenschaften andererseits. Als strikt inter- oder transdisziplinäres Projekt sind sie weder in einer Einzeldisziplin noch in einem Disziplinenkanon verortet. 2 So können sie sowohl den klassischen Geisteswissenschaften als auch den Sozialwissenschaften Angebote machen. Diese Doppelattraktivität spiegelt 2 Hinzu kommt die transdisziplinäre Koppelung an die Zivilgesellschaft bzw. an Soziale Bewegungen. <?page no="19"?> 20 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 20 sich in ihrer Rezeptionsgeschichte, die einsetzt mit dem Heft Nr. 2 der Zeitschrift Ästhetik und Kommunikation aus dem Jahre 9 6 (Horak 998, Mikos 999), in dem die Arbeit des Centre for Contemporary Cultural Studies vorgestellt wurde. Von diesem Punkt ausgehend fächerte sich das disziplinäre Bild immer weiter auf: die vier Rezeptionskontexte, die Göttlich/ Winter ( 999) ausmachen, nämlich ( ) Anglistik und Amerikanistik, (2) Ethnografie und empirische (Alltags-)Kulturforschung, ( ) Medien- und Kommunikationswissenschaft, sowie ( ) eine weitgehend außerakademisch geführte Populärkulturdebatte, könnten ohne weiteres etwa um ( ) die Gender-Forschung (Angerer 999) und die Kultursoziologie (Winter 2002) ergänzt werden. Darüber hinaus werden, auf Basis einer Reihe jüngerer Übersetzungen von Grundlagentexten (Hepp/ Winter 999; Bromley et al. 999), die Cultural Studies nicht zuletzt unter ihrem eigenen Namen betrieben. Diese Transdisziplinarität kann ihnen, je nach Standpunkt, als Vor- oder Nachteil ausgelegt werden. Zuallererst impliziert sie ja, dass es sich bei den Cultural Studies selbst um keine eigene Disziplin handelt. So gehört es zu den eingeübten Ritualen, in Überblicksdarstellungen der Cultural Studies einleitend darauf hinzuweisen, dass eine exakt umrissene »Disziplin« dieses Namens genauso wenig existiert wie eine alleingültige Definition des Feldes oder dessen letztgültige Geschichtsschreibung. Gegen die Idee einer eigenständigen Disziplin wird nicht nur eingewandt, dass Cultural Studies durchgehend transdisziplinär arbeiteten, sondern auch die Idee einer Disziplinierung des sozial relevanten Wissens, also dessen Einhegung durch akademische Institutionen, wird prinzipiell abgelehnt. Natürlich verfügen einzelne Personen, die sich in ihrer Arbeit den Cultural Studies verschrieben haben, über ein Standbein in einer Einzeldisziplin. Doch der Disziplinierungseffekt, den jede Disziplin den ihr unterworfenen Wissensarten und Forschungspraxen auferlegt, wird kritisch beurteilt. Selbst eine Kritikerin der Cultural Studies wie Mieke Bal hält ihnen zugute, durch ihre Infragestellung »elitärer Vor- und Werturteile« in einzigartiger Weise dazu beigetragen zu haben, »der akademischen Gemeinschaft das Konservative ihrer Bemühungen - ihr <?page no="20"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 2 21 einverständliches Mitwirken an einer elitären, weiß-männlichen Politik der Ausschließung und der darauf folgenden intellektuellen Abschottung - zum Bewußtsein zu bringen«. Das Aufkommen der Cultural Studies signalisiere »eine völlig unerlässliche Öffnung der geisteswissenschaftlichen Fächerstruktur« (Bal 2006: ). Andererseits besitzt ein solch trans-, ja gegendisziplinäres Selbstbild den evidenten Nachteil, dass Grenzen und Umfang einer solchen Praxis der Cultural Studies schwer zu fassen bleiben. Nicht nur Mieke Bal hat deshalb kritisiert, der Cultural Studies-typische Tanz auf allen Kirtagen führe zu einer ungebührlichen Überdehnung des Kulturbegriffs. Dieser Vorwurf basiert jedoch auf einem Missverständnis. Woran die Cultural Studies interessiert sind, ist nicht so sehr ein bestimmter Gegenstandsbereich, wie man ihn vielleicht einer Einzeldisziplin zuordnen könnte. Nur als Gegenstandsbereich wäre »Kultur« - und zwar im Verhältnis zu anderen Gegenstandsbereichen - überdehnbar. Viel mehr als ein Gegenstandsbereich ist »Kultur« für die Cultural Studies das Kürzel für eine Reihe von Fragestellungen, eine bestimmte Perspektive auf soziale Phänomen, die, wie wir sehen werden, Fragen der Produktion und Reproduktion von Identitäten und Machtverhältnissen in den Vordergrund rückt. Der so verstandene Kulturbegriff dient den Cultural Studies gleichsam als Prisma, durch das sie auf die Welt blicken und soziale Verhältnisse zu beschreiben versuchen. Aus diesem Grund wäre nahezu jeder Gegenstandsbereich einer entsprechenden Cultural Studies- Analyse zugänglich, wiewohl sich von selbst versteht, dass die Cultural Studies nicht an jedem gleichermaßen interessiert sind. Selbst »Alltagskultur« beschreibt nicht unbedingt einen genau umrissenen Gegenstandsbereich oder einen bestimmten Ort in der Topografie des Sozialen, da sogar Hochkultur oder die »hohen Feier- und Festtage« ihren eigenen »Alltag« generieren, also durchaus zum Alltag vieler Leute gehören. Vielleicht sollte man sich unter dem Cultural Studies-Begriff von Kultur eben keinen bestimmten Objektbereich vorstellen, sondern eher einen Horizont, d. h. eine allgemeine Art der Fragestellung und Herangehensweise - oder korrekter: Konstruktionsweise des wissenschaftlichen Gegenstands der Cultural Studies. Dann wird verständlich, dass das Kulturelle als, wenn man so will, Verständnishorizont des Sozialen keine klar umrissenen Grenzen besitzen kann. Eine solch quasi-transzendentale Bestimmung von Kultur - als Horizont und Möglichkeitsbedingung sinnvollen sozialen Handelns - findet sich <?page no="21"?> 22 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 22 Versuchen wir, dieser Cultural Studies-typischen Perspektive etwas näherzukommen. Sie unterscheidet sich von jener der deutschen Kulturwissenschaften durch ihr Verhältnis zum Politischen. Denn zeichnen sich die Cultural Studies - gerade in ihrer britischen Variante - durch besondere Politiknähe aus, so ist an den deutschen Kulturwissenschaften, besonders wo sie unter neuem Namen die Tradition der geisteswissenschaftlichen »Hochkulturwissenschaften« fortführen, eine gewisse Distanz gegenüber dem Politischen unübersehbar. Dieser Eindruck wird von Aleida Assmann, einer der prominentesten Vertreterinnen deutschsprachiger Kulturwissenschaften, bestätigt: »Während die amerikanischen und britischen Cultural Studies Kultur auf eine Weise redefinieren, die den marginalisierten Denkweisen und Strategien für ihr Überleben sowie Ressourcen für Widerstand bereitstellt, scheinen die deutschen Kulturwissenschaften das genaue Gegenteil zu tun; sie beruhigen mehr als sie entfachen, sie wehren politisches Handeln eher ab, statt es zu ermutigen« ( 999: 9 ). Deutsche Kulturwissenschaften offerierten keine Matrix für politisches Handeln. Die tiefere Ursache dafür mag, wie Assmann bemerkt, in einem aus der Erfahrung des Nazismus geborenen historischen Vorbehalt gegenüber direkter Politisierung von Wissenschaft zu finden durchaus auch in der Tradition der Kulturphilosophie, besonders im kulturwissenschaftlichen Neukantianismus Cassirers. Ich lasse an dieser Stelle die Frage beiseite, worin sich der Horizont »Kultur«, wie er von den Cultural Studies anti-essenzialistisch gefasst wird, von anderen Horizonten unterscheiden könnte, etwa vom klassischen soziologischen Horizont der »Gesellschaft«. Es soll nur darauf hingewiesen werden, dass ein Horizont nicht notwendigerweise als geschlossene Totalität gefasst werden muss, ähnlich wie »Gesellschaft« in bestimmten soziologistischen Fassungen als all-umschließende Totalität verstanden wurde (und damit eigentlich zum Fundament und Grund des Sozialen wird). Ein Horizont kann auch verstanden werden als »ein leerer Ort, ein Punkt, an dem Gesellschaft ihre eigentliche Grundlosigkeit symbolisiert, in dem konkrete argumentative Praktiken vor einem Hintergrund radikaler Freiheit, radikaler Kontingenz operieren« (Laclau 988: 8 ). In ähnlicher Weise sieht Lutz Musner die deutschsprachige Situation: Kulturwissenschaften würden sich selbst als wesentlich unpolitisches Unternehmen präsentieren, in dem es nicht darum geht, die sozial und kulturell Benachteiligten zu ermächtigen, sondern das gerade umgekehrt zum Ziel hat, scheinbar desaströse Strategien zur Politisierung der Gesellschaft abzuwehren: »Thus the Kulturwissenschaften should not be misinterpreted as ›cultural studies‹ in the Anglo-American sense of the term« (Musner 999: 80). <?page no="22"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 2 23 sein. Paradoxerweise wirkt, sollte diese Einschätzung zutreffen, gerade die Zentralerfahrung der Shoa, die zugleich Anstoß des von Assmann mitgegründeten Gedächtnisparadigmas der Kulturwissenschaften ist, hemmend bezüglich realer Politisierung. Politik selbst wird als Risiko betrachtet. Was immer die Ursachen für die relative Politikferne deutscher Kulturwissenschaften in ihren geisteswissenschaftlichen Spielarten sein mögen, und es gibt sicher eine Vielzahl, die Politiknähe der ursprünglich britischen Cultural Studies ist durch eine Reihe miteinander verknüpfter Faktoren erklärbar, auf die wir noch ausführlicher zu sprechen kommen werden. So spielt der biografisch-soziologische Faktor eine wichtige Rolle, da der ursprüngliche Zugang zur Alltagskultur und vor allem working class culture durch die der Arbeiterklasse entstammenden Gründerfiguren Raymond Williams und Richard Hoggart geprägt wurde. Ihre Erfahrungen als Stipendiaten an englischen Eliteuniversitäten drängten sie dazu, an der Legitimation der eigenen spezifischen Klassenerfahrungen und an der Aufwertung von ordinary culture zu arbeiten (Lindner 2000). Damit verknüpft ist der institutionell-organisatorische Faktor: Das britische Cultural Studies-Projekt ist - teils aufgrund seiner anfangs schwachen institutionellen Verankerung im Universitätssystem, teils aus ideologischer Überzeugung - in besonderem Ausmaß in der Erwachsenenbildung verwurzelt. Somit verstand es sich nie als ausschließlich akademisches Projekt, sondern versuchte bewusst auf die Welt jenseits der Universität Einfluss zu nehmen. Nicht zuletzt sollte das in Form der Koppelung - dies der politisch-historische Faktor - an die Projekte der Neuen Linken und später der Neuen Sozialen Bewegungen geschehen. Dem politischen Aktivismus im Rahmen der Neuen Sozialen Bewegungen entsprach wiederum ein theoriegeschichtlicher Faktor, nämlich die Rezeption der unorthodoxen westeuropäischen Spielarten des Marxismus: etwa der Hegemonietheorie Antonio Gramscis oder des strukturalen Marxismus Louis Althussers. 6 6 Auch scheinen die Cultural Studies in ein wissenschaftsdisziplinäres Vakuum gestoßen zu sein. Folgt man der These Andersons ( 969) von der traditio- <?page no="23"?> 24 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 2 Wir werden diesen Faktoren im folgenden Kapitel bzw. weiter unten nachgehen, doch es sei jetzt schon bemerkt, dass all diese Faktoren in einen explizit politisch verstandenen Kulturbegriff zusammenfließen, der sich deutlich abhebt von seinem deutschen Pendant. Annäherungsweise lässt sich aus Perspektive der Cultural Studies unter Kultur vor allem jener Horizont zu verstehen, vor dem soziale Identitäten und damit Macht- und Unterordnungsverhältnisse entlang von Differenzen wie etwa »race«, class und gender ausgehandelt werden (Hall 200 g, 99 c). Ein solcher Kulturbegriff findet in der sich nach wie vor in Humboldt ’ scher Tradition verortenden geisteswissenschaftlichen Spielart der Kulturwissenschaften keine Entsprechung. Die macht- und konflikttheoretische Perspektive der Cultural Studies, die, zumindest in ihrer britischen Version, von der Unhintergehbarkeit gesellschaftlicher Kämpfe ausgeht, ist den Kulturwissenschaften vielfach Anathema. Möglicherweise hat dies, abgesehen vom deutschen Sonderweg, von dem Assmann spricht, damit zu tun, dass Kultur (im Sinne von Hochkultur) im eher klassischen harmonisierendbesänftigenden Sinn apolitisch sein sollte, ja »sogar als das eigentliche Gegenbild zur Politik errichtet worden« war: »Apolitie war für die Kultur nicht kontingent, sondern konstitutiv« (Eagleton 200 : 8). Das heißt nicht, dass die politischen Aspekte von Kultur hierzulande völlig ignoriert worden wären - sie sind ja auch kaum zu übersehen. Nur wird dieses Wissen um die politische Bedeutung von Kultur und die kulturelle von Politik noch zu selten in Theoriebau und Forschungspraxis konkretisiert. Genau das versuchen aber die Cultural Studies seit fünf Jahrzehnten, indem sie die politische Bedeutung des Kulturellen auf ihre konzeptuellen, nellen Schwäche der Soziologie in Großbritannien, dann übernahmen die Cultural Studies in Großbritannien jene analytischen Aufgaben, welchen die zu schwachen Gesellschaftswissenschaften nicht oder nur zuwenig nachkamen. Anderson sieht die Ursachen für das historische Schwächeln der Gesellschaftswissenschaften in Großbritannien darin, dass es - im Unterschied zu Kontinentaleuropa - kein aufgeklärtes Bürgertum gab, das eine entsprechende Disziplin hätte entwickeln können, weshalb einzelne Wissenschaftler - Darwin als bekanntester Fall - sich eher auf die Naturwissenschaft als die Gesellschaftswissenschaften hin orientiert hatten. <?page no="24"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 2 2 methodischen, theoretischen und philosophischen Grundlagen hin befragen. Vor diesem Hintergrund ließe sich - im weitestmöglichen und noch abstrakten Sinne - das Cultural Studies-Projekt beschreiben als der Versuch einer Bestimmung der Bedeutung des Politischen für die Kultur und des Kulturellen für die Politik. In dieser Verschränkung des Kulturellen mit dem Politischen besteht jedenfalls die Spezifik der Cultural Studies-Perspektive. Die maßgeblichen Proponenten der Cultural Studies haben diese perspektivische Besonderheit immer wieder unterstrichen. So etwa Stuart Hall, der wohl bedeutendste gegenwärtige Vertreter der Cultural Studies: »Was ist das Spezifische, das Besondere an der Perspektive der Cultural Studies? Ich glaube, die Frage der Politik des Kulturellen oder der Kultur des Politischen kommt dem Begriff sehr nahe oder steht im Zentrum der Cultural Studies« (Hall 2000h: ). Im Speziellen weist Hall auf die Notwendigkeit hin, Ein- und Ausschlussverhältnisse, die immer mit der Durchsetzung von Machtverhältnissen einhergehen, in jeder Analyse zu berücksichtigen. Die Cultural Studies zeichnen sich spezifisch durch ihre Aufmerksamkeit aus »für all jene Stimmen, Positionen, Erfahrungen, die aus den dominanten intellektuellen und politischen Formationen ausgeschlossen sind« (ebd.). All die Cultural Studies-typischen Fragen nach Macht, Unterordnung und Widerstand, nach Hegemonie und Subalternität oder nach der diskursiven Produktion und Reproduktion sozialer Identitäten, die im Zentrum auch unserer weiteren Darstellung stehen werden, ergeben sich nahtlos aus diesem Grundinteresse an einer politischen Analyse von Kultur und einer das Kulturelle berücksichtigenden Analyse von Politik. So stellte Lawrence Grossberg (2000: 2 6) fest: »Gewiß befassen sich Cultural Studies in einem ersten Schritt mit kulturellen Praktiken, aber auch nur im ersten Schritt, als Einstieg in den Kontext der ungleichen Kräfte- und Machtbeziehungen«. Und mit noch größerer Deutlichkeit hat John Fiske (200 : ) daran erinnert: »Das Wort ›Kultur‹ hat im Begriff ›Cultural Studies‹ weder eine ästhetische noch eine humanistische Ausrichtung, sondern vielmehr eine politische«. Das zentrale politische Interesse der Cultural Studies kann also vom Begriff des cultural turn nicht eingefangen werden. Ohnehin <?page no="25"?> 26 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 26 lassen es die Cultural Studies in jener vor allem britischen Tradition, die in der vorliegenden Darstellung besondere Berücksichtigung finden soll, mit einem cultural turn alleine nicht bewenden, sondern »schrauben« ihn zumindest zwei Drehungen weiter: So wurde er vor allem durch die Arbeit am Centre for Contemporary Cultural Studies der Birmingham University fortgesetzt in Form des linguistic turn, der Sprachtheorie, Semiotik und vor allem den Strukturalismus einschloss und schließlich in einen discursive turn mündete, der Semiotik und Strukturalismus post-strukturalistisch zu einer allgemeinen Diskurstheorie von Kultur vorantrieb. Durch diesen Umweg über die Sprachwissenschaft und Diskurstheorie gelangten die Cultural Studies zu einem sehr viel komplexeren Kulturbegriff, der auch unserer Darstellung als Leitfaden dient. Aber der wohl entscheidende Beitrag der Cultural Studies zum cultural turn liegt wohl in dem - die terminologische Neuprägung scheint unvermeidbar - political turn, den sie in den Kulturwissenschaften anstießen. Aus Perspektive der Cultural Studies ist die Frage nach dem wohin? der kulturellen Wende daher relativ eindeutig zu beantworten. Die Antwort lautet: hin zu einer politischen Wende innerhalb der Kulturwissenschaften. Diese von den Cultural Studies ursprünglich eingeforderte Wende mag in der deutschsprachigen Rezeption nicht immer genug Resonanz gefunden haben (Horak 2002). Vielleicht sollte man in diesem Sinne auch Rainer Winters Plädoyer verstehen, man möge den bislang unvollständig vollzogenen cultural turn nicht als ein Faktum betrachten, sondern »als Aufgabe und (umkämpften) Prozeß« (2002: 22). Ähnlich wie der cultural turn selbst bleibt der political turn, den die Cultural Studies in den Kulturwissenschaften zumindest angestoßen haben, nach wie vor Aufgabe und (umkämpfter) Prozess. 1.2. Die Anfänge in der Erwachsenenbildung Es wäre nun mit Sicherheit verfehlt, aus dem gerade Gesagten eine unüberwindbare Frontstellung zwischen der vor allem britischen Tradition der Cultural Studies und den deutschen Kulturwissenwww.Claudia-Wild.de: <?page no="26"?> Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 2 2 schaften ableiten zu wollen. Dafür sind die Kulturwissenschaften in zu unterschiedliche Strömungen und Subdisziplinen diversifiziert (Lutter 2000). Gerade innerhalb dieses Spannungfelds öffnen sich Spielräume für künftige Forschungen, die sich im Dialog zwischen den kulturwissenschaftlichen Varianten des deutschsprachigen und jenen des anglo-amerikanischen Raums entfalten. Eine Form von wechselseitiger »cross-fertilization« (Musner 999: 86) zwischen Cultural Studies und Kulturwissenschaften scheint durchaus geboten. Denn es steht außer Diskussion, dass sich die Cultural Studies unter ausgesprochen unterschiedlichen Bedingungen immer wieder selbst neu erfinden müssen. Jeweils spezifische lokale Konstellationen und Ausprägungen haben sich in Lateinamerika, in Australien, in den USA, in Südafrika, im »pacific rim« oder eben in Kontinentaleuropa entwickelt. In einem Interview mit dem bekanntesten taiwanesischen Vertreter der Cultural Studies, Kuan-Hsing Chen, spricht Hall (2000h: ) deshalb davon, dass Cultural Studies, wo immer sie aufgegriffen werden, einen Prozess der Neuübersetzung und der Artikulation an die spezifischen lokalen Kontexte durchlaufen müssen. Damit sind nicht allein die spezifischen wissenschaftlichen Rezeptionskontexte gemeint, sondern auch die spezifischen politischen und sozialen Kontexte. Es würde ganz offensichtlich den Rahmen dieser Darstellung sprengen, wollte man all diese unterschiedlichen nationalen und regionalen Rezeptionskontexte eingehender vorstellen, so dies überhaupt möglich wäre. Die Cultural Studies sind heute eine durchgehend globalisierte Praxis, deren Ausformungen sich nur schwer unter einen gemeinsamen Nenner bringen lassen. Doch Nichtsdestotrotz wurden Rufe nach einem neuen Internationalismus bzw. einer gemeinsamen internationalen Artikulation verschiedener lokaler Praxen laut, die der verstärkt globalisierten Konstitution von Kultur gerecht würde. Kuan-Hsing Chen ( 99 : 699) fordert diesbezüglich einen »Neuen Internationalen Lokalismus«, der internationale Verbindungen zwischen lokalen Kämpfen herstellen solle: »One thing now lacking that cultural studies can do immediately is to build up international alliances, not in the sense of constructing universally valid, cross-cultural analytical frameworks, but rather in the sense of articulating international cultural politics. That is what I mean when I promote the strategic work of Hall, Laclau, and Mouffe and <?page no="27"?> 2 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 28 trotz all der nationalen und regionalen Differenzen, die in der Bestimmung dessen, was Cultural Studies jeweils sein mögen, zu berücksichtigen sind, erweist sich die Spezifik einer Perspektive, die vom untrennbaren Verhältnis zwischen dem Kulturellen und dem Politischen ausgeht, als nicht hintergehbare Kernzone, soll denn weiterhin von Cultural Studies die Rede sein: »Es spielt eine Rolle, ob Cultural Studies dies oder jenes sind. Sie können nicht einfach jedwede alte Sache sein, die sich entscheidet, unter dieser Fahne zu marschieren. Sie sind ein ernsthaftes Unternehmen oder ein Projekt, und was dies bedeutet ist eingeschrieben in den Aspekt von Cultural Studies, der zuweilen als ›politisch‹ bezeichnet wird« (Hall 2000c: 6). Der unhintergehbar politische Impetus, von dem die Cultural Studies getragen werden, wird sich in ihrer Forschungspraxis in Form von Erkenntnisinteresse, kategorialem Apparat und »Theoriedesign« der jeweiligen Untersuchungen manifestieren. Er darf sich aber durchaus auch außerhalb des Akademischen manifestieren. Auf exemplarische Weise begegnet uns dieser Impetus in der historischen Gründungsgeschichte. Werfen wir, bevor wir im nächsten Kapitel ausführlicher auf sie zurückkommen werden, einen ersten Blick auf diese frühen Momente der britischen Cultural Studies, vor allem auf den biographischsoziologischen Faktor, der oben angesprochen wurde. Es lässt sich feststellen, dass die so genannte Gründergeneration ihre Tätigkeit nicht auf die Universität beschränkte, sondern darüber hinaus vor allem in der Erwachsenenbildung tätig war. Von Anfang an erhoben die Cultural Studies einen sozialen Bildungsanspruch. Sie wollten wissenschaftliche Erkenntnisse weit über den Kreis eingeschworener Expertenrunden und »peer groups« hinaus verfügbar machen. Folgt man Raymond Williams ( 989: 2 ff.), der selbst in der Worker ’ s Educational Association unterrichtet hatte, so markieren nicht Bücher den Beginn der Cultural Studies, sondern pädagogisch-politisches Handeln: »extra-mural teaching«, also das Unterrichten außerhalb universitärer Gemäuer. Ja die wichtigsten frühen Werke der Cultural Studies - Williams’ push them a step further. This further level of articulation is what I call the New Internationalist Localism of cultural studies«. <?page no="28"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 29 29 berühmtes Buch von 9 8, »Culture and Society 80- 9 0«, sowie Richard Hoggarts einschlägiges »The Uses of Literacy« aus derselben Zeit - gingen zumeist aus Kursen in der Erwachsenenbildung hervor. Stuart Hall wiederum war lange Zeit Professor für Soziologie an der Open University, einer Fernuniversität, die nicht zuletzt das BBC-Nachtprogramm für ihre Kurse nutzt. In Halls Verständnis ( 999b: 2 ; 2000b: 29- 0) ist der traditionelle akademische Apparat nämlich nicht in der Lage, an das Alltagswissen und die Erfahrungen berufstätiger Leute, die für ihr Studium selbst aufkommen müssen, anzuknüpfen. Besonders diese gilt es aber aus Sicht der Cultural Studies zu erreichen. 8 Der starke Akzent auf Erwachsenenbildung hat, von der explizit politischen Motivation der Akteure einmal abgesehen, wissenschaftssoziologisch mit dem Klassenhintergrund der so genannten Gründungsgeneration zu tun, war doch Raymond Williams ein Arbeiterkind aus Wales, Richard Hoggart ein Arbeiterkind aus Nordengland und Stuart Hall ein Stipendiat aus Jamaika. Als »scholarship-boys« hatten sie Zugang zu den englischen Elite- Universitäten gefunden. Die Konfrontation mit der Kultur der englischen Oberklasse machte ihnen ihre eigene soziale Identität bewusst und schärfte den Blick für die Kultur der eigenen Klasse: Cultural Studies erweisen sich als das Produkt einer Generation, deren Angehörige gewissermaßen zwischen die Kulturen geraten 8 So beschreibt Hall (2000b: 0) seine Beweggründe, vom Centre for Contemporary Cultural Studies der Birmingham University an die Open University zu wechseln, folgendermaßen: »In dieser offeneren, interdisziplinären, unkonventionellen Anordnung würden vielleicht einige der Ziele meiner Generation verwirklicht werden können - zu alltäglichen Menschen sprechen, zu Frauen und schwarzen StudentInnen außerhalb des universitären Rahmens. Es diente auch einigen politischen Zielen. Darüber hinaus dachte ich, das sei auch eine Gelegenheit, das hochkomplexe Paradigma der Cultural Studies, das in dieser Treibhausatmosphäre des Zentrums entwickelt worden war, auf eine mehr alltägliche Ebene zu bringen, denn die Kurse der Open University sind offen für Leute ohne akademische Ausbildung. Wenn man die Ideen der Cultural Studies dort zum Leben bringen will, dann muss man sie übersetzen, dann muss man bereit sein, auf dieser mehr popularen, zugänglicheren Ebene zu schreiben.« <?page no="29"?> 30 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 0 sind. Aufgrund dieser sind sie in der Lage, das akkumulierte Kulturgut neu zu »sehen«, es sich auf andere Weise anzueignen, es zu verarbeiten und fortzubilden. Dazu gehört auch, das Verständnis von »Kultur« einer Revision zu unterziehen, es zu sichten und zu ergänzen. Gesellschaftstheoretisch stellt sich das als Modernisierungsprozess dar.Als Personen zwischen den Kulturen wird ihnen eine soziologische Sichtweise nahegelegt, die das entscheidende Kriterium von Klasse nicht im ökonomischen Privileg, sondern in Einstellungen, Haltungen und Ausdrucksformen, d.h. in Prinzipien der Lebensführung sieht. (Lindner 2000: 30-1) Und Raymond Williams ( 98 : ) selbst wird rückblickend seine frühe Erfahrung folgendermaßen beschreiben: Die Ungleichheit, die ich erfuhr, war für mich - für jemand, der aus der Arbeiterklasse kam und die höheren Bildungsinstitutionen durchlief - in erster Linie eine Ungleichheit der Kultur, des Bildungsgangs, des Umgangs mit der Literatur.Was von anderen in anderen Situationen direkt als ökonomische oder politische Ungleichheit erfahren wurde, war für mich, bedingt durch meinen Weg, die Ungleichheit, gewissermaßen sogar die Nicht-Gemeinsamkeit der Kultur. Von dieser Einsicht mußte die Diskussion des Kulturbegriffs ihren Ausgang nehmen. Kultur war und ist nämlich, insbesondere in England, einer der Faktoren, über die sich die Klassenunterschiede zwischen den Menschen vermitteln. Es war der Zusammenstoß zwischen proletarischer Herkunftskultur und Elitenkultur, die den Blick der ersten Generation von Elitenauf Alltagskultur umlenkte, und zwar mit dem Ziel der Rehabilitierung von Arbeiterkultur und, im erweiterten Sinne, von Popularkultur. Vor diesem Hintergrund erst ist der Zusammenhang zwischen der Tätigkeit in der Erwachsenenbildung auf der einen und dem innertheoretischen Fokuswechsel auf der anderen Seite zu verstehen (was nicht ausschließt, dass einige frühe Vertreter der Cultural Studies, wie vor allem Hoggart und Williams, der Elitenkultur nach wie vor mit Hochschätzung begegneten und sie in die Analyse einbezogen). Was bis heute in den internen Debatten der Cultural Studies davon zu spüren bleibt, ist eine gewisse Skepsis gegenüber der in sich abgeschlossenen Welt des rein Akademischen. Doch Vorsicht: Die Behauptung, Cultural Studies seien keine rein akademische Übung, darf nicht <?page no="30"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 31 zum Umkehrschluss verleiten, sie seien eine dilettantische - bei aller Hochschätzung für die Sozialfigur des Dilettanten. Auch verfechten sie keinen popkulturell aktualisierten Feuilletonbegriff von Alltagskultur. Der Sprung über die Mauern der Akademie verfolgte ja einen bestimmten Zweck jenseits bloßer Unterhaltung. Es sollte jenen, die aufgrund ihrer sozial und kulturell subordinierten Position nicht damit ausgestattet waren, Mittel zum Verständnis der machtbasierten Konstruiertheit der jeweils eigenen Identitäten - wie Geschlechtsidentität, Klassenidentität, nationale Identität etc. - an die Hand gegeben werden. Es ging um die Bereitstellung von Mitteln zur »Selbstermächtigung« (empowerment) mit dem langfristigen Zweck sozialer und politischer Veränderung. 9 Da diese Veränderung nicht von ein paar Intellektuellen alleine zu bewerkstelligen ist, versteht sich die Praxis der Cultural Studies als notwendig gekoppelt an ein emanzipatorisches politisches Projekt, welches das Feld des Akademischen übersteigt. Nirgends kommt deutlicher zum Ausdruck, dass das eigentliche Interesse der ersten Cultural Studies-Generation gar nicht der Kultur galt, sondern der Politik, als im folgenden Bekenntnis Stuart Halls: Popularkultur ist einer jener Orte, wo der Kampf für oder gegen eine Kultur der Mächtigen sich abspielt: sie ist auch der Einsatz, der dabei gewonnen werden oder verloren gehen kann. Sie ist die Arena von Zustimmung und Widerstand. Sie ist teilweise dort, wo Hegemonie entsteht und gesichert wird. Sie ist keine Sphäre, wo Sozialismus, eine sozialistische Kultur - bereits voll ausgeformt - einfach ausgedrückt werden kann. Aber sie ist einer der Orte, wo Sozialismus sich konstituieren könnte. Und das ist der Grund, warum 9 Ob dies allein mit Diskursen des Wissens, also durch politische Bildung, Aufklärung und Pädagogik, erzielt werden kann, sei hier dahingestellt. Es sei nur angemerkt, dass die Kontingenz der eigenen Identität gerade und besonders in sozialen und politischen Krisensituationen bewusst wird, die erst einmal nichts - oder nicht unmittelbar - mit Wissensvermittlung zu tun haben. Die Verfügbarkeit kritischer Diskurse und Wissensformen in solchen Momenten der Krise ist allerdings von wesentlicher Bedeutung für die emanzipatorische Redefinition der eigenen Lage. <?page no="31"?> 32 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 2 Popularkultur wichtig ist. Ansonsten, um Ihnen die Wahrheit zu sagen, schere ich mich keinen Deut um sie. (19 1: 239) In diesem Zitat kommt exemplarisch zum Ausdruck, was man vielleicht das - später vielfach beschworene - Ethos der Cultural Studies nennen könnte. Es besteht in dem Anspruch, intellektuelle mit politischer Praxis zu verknüpfen. Dies drückt sich bis in die heutige Zeit in der engen Verbindung einzelner Akteure der Cultural Studies mit Sozialen Bewegungen aus. Bereits in den späten 0er Jahren engagierten sich viele Proponenten der Cultural Studies (besonders prominent E.P. Thompson) in einer der frühesten Sozialen Bewegungen, der Kampagne für eine nukleare Entwaffnung Großbritanniens. In der Folge des Mai 968 trat an deren Stelle zunächst die Frauenbewegung, auf die immer weitere Soziale Bewegungen folgten, die sich vornehmlich um Fragen von Identität organisierten (die Schwulen- und Lesbenbewegung, anti-rassistische Bewegungen etc.). Zwei Konsequenzen der engen Verbindung der Cultural Studies mit den Neuen Sozialen Bewegungen sind aus Sicht unserer Darstellung bemerkenswert und verdienen es, jetzt schon hervorgehoben zu werden. Die erste Konsequenz betrifft die Theoriebildung der Cultural Studies. Denn die Absetzungsbewegung ihrer frühen Proponenten von den traditionellen marxistischen Arbeiterparteien und der politische Entwurf einer neuen, d. h. unorthodoxen Linken erforderte zugleich die Dekonstruktion des orthodoxen Marxismus zugunsten eines ausgesprochen unorthodoxen. In dieser Hinsicht sind die Cultural Studies ein post-marxistisches Theorieprojekt, denn es gehört geradezu zu ihrer Existenzgrundlage, die traditionell-marxistische Vorstellung zurückzuweisen, Kultur sei nur ein bloßes Überbauphänomen, das von alles determinierenden ökonomischen Prozessen der »Basis« bestimmt würde. Die überragende Bedeutung des unorthodoxen, ja anti-orthodoxen Marxisten Antonio Gramsci in den Cultural Studies erklärt sich aus seiner Kritik an genau diesem ökonomischen Determinismus. Gramsci wird uns im Folgenden auf Schritt und Tritt begegnen. Die zweite Konsequenz betrifft die Politik, bzw. das politische Projekt, das sich aus der Assoziation mit den Neuen Soziwww.Claudia-Wild.de: <?page no="32"?> Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 33 alen Bewegungen ergibt. Viel mehr als um einen reformulierten Sozialismus, auch wenn davon in vielen Statements vor allem der ersten Generation die Rede sein mag, handelt es sich beim politischen Projekt der Cultural Studies um eines der radikalen Demokratie und radikalen Demokratisierung (Hall 2002). Das impliziert die Ausweitung von Freiheits- und Gleichheitsforderungen auf immer weitere Bereiche des Sozialen (Hall 989h: 2 - ). Mit Aufkommen der Neuen Sozialen Bewegungen halten soziale Kämpfe in gesellschaftlichen Bereichen Einzug, die, wie das Private, zuvor als apolitisch galten. Diese Kämpfe können somit nicht länger den traditionellen Klassenkämpfen subsumiert werden, wie dies orthodoxe Spielarten des Sozialismus unterstellt hatten, sondern müssen in ihrer jeweiligen Autonomie anerkannt werden. Mit ihrer theoretischen Arbeit und Forschungspraxis haben die Cultural Studies einiges zur Anerkennung der Eigensinnigkeit sozialer Kämpfe beigetragen. 1.3. Das magische Dreieck der Cultural Studies: Kultur - Macht - Identität Versuchen wir eine erste Zusammenfassung der bisher angeführten Merkmale der spezifischen Cultural Studies-Perspektive. Vielleicht lässt sich diese am bündigsten mit den drei Begriffen Kultur, Macht und Identität umreißen. Eine Cultural Studies-Analyse, die die Kategorie der Macht nicht in den Blick bekommt, ist keine. Denn wie wäre die kulturelle Konstruktion sozialer Identitäten analysierbar ohne Berücksichtigung der Machtverhältnisse, denen sie eingeschrieben sind? Identitäten stehen nicht, wie in einer Benetton-Werbekampagne, in einem bunten, gleichberechtigten Nebeneinander, sondern werden in Form asymmetrischer Dominanz- und Unterordnungsverhältnisse artikuliert; man denke nur an Geschlechtsidentität, Zwangsheterosexualität, Klassenidentität oder an rassistische Zuschreibungen. Kultur ist zugleich der Bedeutungshorizont, vor dem Identitäten artikuliert werden, und das Werkzeug, mithilfe dessen diese Artikulation vonstatten geht. Kultur erweist sich somit als politische Kate- <?page no="33"?> 34 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite gorie. Und kulturelle Identität wird nicht um ihrer selbst willen analysiert, sondern um Licht auf Machtverhältnisse zu werfen, die immer auch kultureller Art sind. Kultur, Identität und Macht bilden also eine Art »magisches Dreieck«. Eine simple Grafik (Abb. ) mag das untrennbare Wechselverhältnis dieser Kategorien veranschaulichen. Keine tritt ohne die jeweils anderen auf. Eine Cultural Studies-Analyse zeichnet sich dadurch aus, dass die Kategorie Kultur nur dort zum Einsatz kommt, wo zugleich die Frage nach Macht und Identität berücksichtigt wird - ansonsten würde es sich, wie gesagt, nicht um eine Cultural Studies-Analyse handeln, sondern z. B. um Pop-Feuilletonismus. Genauso wenig kann von kultureller Identität die Rede sein, ohne dass von ihrer machtbasierten Durchsetzung - ihrer Artikulation in Dominanz- und Subordinationsverhältnissen - zu sprechen wäre. Und eine Analyse von Macht schließlich muss - im Unterschied zur Analyse von reinem Zwang oder bloßer Gewalt - immer auch Kultur als eigentliches Medium der Macht berücksichtigen, als das Terrain, auf dem soziale Identität konstruiert wird. Damit sind wir einer Arbeits- Kultur Macht Identität Abb. 1: Das »magische Dreieck« der Cultural Studies <?page no="34"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 3 definition nicht nur von Kultur als politischer Kategorie, sondern auch von Cultural Studies als intellektueller Unternehmung nahe gekommen. Folgende Definition, basierend auf dem »magischen Dreieck« der Kultur, drängt sich auf: Cultural Studies sind jene intellektuelle Praxis, die untersucht, wie soziale und politische Identität qua Macht im Feld der Kultur (re-)produziert wird. Wie wir im nächsten Kapitel sehen werden, lautet einer der Namen, die man diesem Spiel von Kultur, Macht und Identität geben kann, Hegemonie. In Form hegemonialer Kämpfe - um Dominanz und Subordination, Ein- und Ausschluss sozialer Gruppen - wird Identität auf dem Feld der Kultur vorübergehend fixiert und definiert. In der politischen Soziologie würde man von der Verfügung über Machtmittel oder vom Streben nach Machtanteilen sprechen, doch diese Machtmittel oder -anteile sind aus Perspektive der Cultural Studies nicht in den Staatsapparaten alleine verortet. Sie überspannen vielmehr das gesamte Feld des Sozialen. Macht kann an keinem bestimmten Ort der Gesellschaft lokalisiert werden - auch nicht in der Politik oder der Polizei -, sondern Machtverhältnisse müssen im Medium des Kulturellen fortgesetzt reproduziert werden. Zum Beispiel wird die Asymmetrie von Geschlechterverhältnissen nicht allein durch Gesetzesänderungen behoben, die zur formalen Gleichstellung führen, sondern perpetuiert sich in unseren alltäglichen Praktiken wie auch in Form institutionell verfestigter, aber stillschweigend geduldeter Ausschlüsse (etwa in Form der berühmten »gläsernen Decke«, die Frauen den beruflichen Aufstieg in höhere Positionen verbaut). Wenn wir unter Kultur nun jenes Medium verstehen, durch das hindurch »Macht produziert und um sie gerungen wird« (Grossberg 2000: 2 6), dann müssen Machtverdichtungen in genau diesem Medium herausgefordert werden. Macht impliziert Widerstand, so die an Foucault ( 98 ) orientierte Annahme der Cultural Studies. Wollte man die Möglichkeit widerständiger Praktiken ausschließen, müsste man umgekehrt eine Welt für möglich erachten, aus der jeder Konflikt durch eine übermäch- <?page no="35"?> 36 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 6 tige Instanz verbannt wäre. Eine solche Welt wäre regungslos und gleichsam für immer eingefroren. Aber aus Perspektive der Cultural Studies ist Gesellschaft kein Eispalast, sondern wird dauernd von beweglichen und in letzter Instanz immer instabilen Macht- und Kräfteverhältnissen geformt. Das bedeutet nicht, dass Macht und Widerstand in einem symmetrischen Verhältnis zueinander stehen müssen, aber es bedeutet, dass Verfestigungen von Macht immer von Praxen des Widerstands und der Herausforderung von Unterordnungsverhältnissen begleitet sein werden: Macht ist leider viel komplexer, als uns lieb ist. Optimistisch betrachtet ist Macht jedoch niemals in der Lage, sich selbst zu totalisieren. Es gibt immer Sprünge und Risse, die zu Ausgangspunkten von Veränderungen werden können. Der Macht gelingt es nie, immer und überall all das zu erzielen, was sie möchte; es besteht stets die Möglichkeit, die Strukturen und Organisationen der Macht zu verändern. Außerdem ist zu sagen, dass Macht nicht nur in Institutionen und im Staat wirksam ist. Sie ist auch dort wirksam, wo Menschen ihr Leben verbringen, man könnte auch sagen im täglichen Leben, und an jenen Orten, wo diese Felder sich überschneiden. Cultural Studies sind immer daran interessiert, wie Macht die Möglichkeiten der Menschen, ihr Leben auf würdige und sichere Art zu führen, infiltriert, kontaminiert, begrenzt und auch ermöglicht. (Grossberg 2000: 266- ) 1.4. Fragen der Methode Es bleibt die Frage, wie sich eine Perspektive, die von den drei Kategorien von Kultur, Macht und Identität bestimmt wird, forschungspraktisch operationalisieren lässt. Bislang wurde nur ein Gerüst der Cultural Studies-Perspektive präsentiert. Wie aber schlägt sich das Interesse der Cultural Studies an im Feld der Kultur organisierten Macht- und Dominanzverhältnissen methodologisch nieder? Wir werden in späteren Kapiteln noch einer Reihe von Studien begegnen, die sich Fragen der Methode und Anwendung gestellt haben, vorweg empfehlen sich aber einige allgemeine Anmerkungen. Gelegentlich wurde kritisch bemerkt, die Cultural Studies hätten keine eigenständige Methodologie <?page no="36"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 3 entwickelt (Bal 2006). Dieser Vorwurf übersieht, dass eine konsistente, »eigenständige« Methodologie der Vielgestaltigkeit sowohl der Untersuchungsgegenstände als auch der Forschungspraktiken der Cultural Studies widersprechen und ihren transdisziplinären Absichten zuwiderlaufen würde. Über keine eigenständige Methode verfügend, sind die Cultural Studies je nach Fragestellung gezwungen, Methoden anderer Disziplinen - wie Soziologie, Sprachwissenschaft, Ethnografie, Diskursanalyse - aufzugreifen, da jede Methode ihre Angemessenheit am konkreten Gegenstand und Untersuchungsinteresse beweisen muss. Diese Methodenvielfalt hat den Vorteil großer Flexibilität im Umgang mit den verschiedenen Manifestationen des Kulturellen. Methodenvielfalt heißt aber nicht Methodenbeliebigkeit. So sind bestimmte methodische Zugänge bestimmten Fragestellungen angemessener als andere. Im vorliegenden Buch wird etwa argumentiert werden, dass eine hegemonietheoretisch gefasste Form der Diskursanalyse einer Cultural Studies-Analyse von sozialen Makroverhältnissen am besten entspricht. Andere Perspektiven erfordern andere Methoden. Die Erforschung häuslicher Mediennutzung würde etwa sehr viel stärker auf ethnografische Methoden zurückgreifen, die Untersuchung von Werbebotschaften würde sich möglicherweise Beschreibungsstrategien der Semiotik aneignen. Wollte man diese Methodenvielfalt einer einheitlichen Methodenlehre unterwerfen, so hieße das, die Cultural Studies zur Disziplin zu machen, sie zu disziplinieren. Diese Überlegungen schließen die Entwicklung methodologischer Grundsätze in keiner Weise aus. Selbst wenn es die eine Cultural Studies-Methode nicht geben kann, so lassen sich doch einige grundsätzliche Leitlinien formulieren. Lawrence Grossberg, der vielleicht bedeutendste Vertreter der Birmingham-Tradition in den USA, hat sechs solcher allgemeinen Leitlinien ausgemacht. 0 Sie werden uns nicht nur helfen, die Methodenfrage zu klären, anhand von Grossbergs Überlegungen lässt sich im 0 Zugunsten einer klareren Exposition weicht die folgende Darstellung von der Reihenfolge in Grossberg (2000) leicht ab. <?page no="37"?> 3 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 8 Zuge unserer ersten Annäherung zugleich die Besonderheit der Cultural Studies-Perspektive etwas genauer herausarbeiten: Der erste Punkt mag vielleicht gar nicht erwähnenswert erscheinen, bedenkt man hingegen die oft leichtfertige - akademische wie außerakademische - Behandlung von Popularkultur, leuchtet ein, warum er betont werden muss. So hat Stuart Hall vom »tödlichen Ernst intellektueller Arbeit« gesprochen. Die Wissenspraxis der Cultural Studies sei »eine todernste Angelegenheit« (Hall 2000c: 0) - selbst wo sie sich mit popularen Vergnügungen beschäftigt. Damit ist gemeint, dass ernsthafter theoretischer wie empirischer Arbeit große Bedeutung zuzumessen sei. Grossberg unterstreicht diesen Punkt. Trotz ihres Methodenpluralismus sind die Cultural Studies keine lasche und methodisch »freihändig« vorgehende Form der Kulturbeschreibung. Zu Recht besteht Grossberg auf der scheinbar altmodischen Tugend wissenschaftlicher und, allgemeiner, intellektueller Disziplin. Gerade weil die Cultural Studies von einem unauflösbaren Zusammenhang zwischen Wissen und Macht ausgehen (und also mit der politischen Effektivität von Wissenseffekten rechnen), muss Form und Methodik der Wissensproduktion für sie von Bedeutung sein. Darum anerkennen sie »die Notwendigkeit von rigoroser Ausbildung, intellektuellem Argumentieren und Analysieren, von empirischer Forschung (die auf rigorosen Methoden aufgebaut ist)« (2000: 26 ). Cultural Studies arbeiten im Zeichen ihrer Selbstverpflichtung »zum Wissen, zur Rigorisität und zur intellektuellen Disziplin«; jedoch nicht aus Selbstzweck oder um den - ohnehin oft uneingelösten - hehren Ansprüchen des Wissenschaftsbetriebs zu genügen, sondern um »mehr zu wissen als ›die andere Seite‹, wie Gramsci das nennt« (26 ). Ohne dass das in den Cultural Studies produzierte Wissen unmittelbar nützlich im instrumentellen Sinn sein müsste, zielt es doch auf gewisse emanzipatorische Effekte ab. Etwa kann die analytische Offenlegung des konstruierten und kontingenten Charakters sozialer Identität dazu beitragen, dass Individuen ihre eigenen Identitäten und die mit diesen einhergehenden Dominanz- und Unterordnungsverhältnisse als veränderbar wahrzunehmen beginnen. <?page no="38"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 9 39 Zweitens verschreiben sich die Cultural Studies einem radikalen Kontextualismus, ja sie lassen sich nachgerade als »Disziplin der Kontextualität« bezeichnen (26 ). Auch dieser Hinweis mag vielleicht auf den ersten Blick trivial erscheinen. Aber die Binsenweisheit, alles sei »eine Frage des Kontexts«, ist zumeist dann zu hören, wenn sich jemand um die konkrete Analyse eines Kontexts gerade drücken will. Für die Cultural Studies hingegen gilt nicht nur als ausgemacht, dass jede kulturelle Praxis aus weitläufigeren hegemonialen Formationen hervorgeht, es sind auch genau diese, die den eigentlichen Untersuchungsgegenstand darstellen, da kulturelle Praktiken oder Artefakte, so isoliert sie vorderhand erscheinen mögen, ihre Effektivität nur innerhalb solcher Kontexte wahren können. So können etwa alltägliche patriarchale oder rassistische Praktiken nur im Schutz breiterer patriarchaler und/ oder rassistischer hegemonialer Formationen und Institutionen gedeihen - und tragen wiederum ihrerseits zur Perpetuierung dieser Formationen und Institutionen bei. In einem veränderten Kontext, etwa unter veränderten institutionellen Bedingungen, können sie hingegen an Effektivität verlieren (an der Idee einer Veränderung institutioneller Kontexte setzen beispielsweise Strategien der so genannten positiven Diskriminierung an). Die Bedeutung von Praktiken oder kulturellen Artefakten verändert sich somit je nach Kontext ihrer Verwendung, sie ist nie für immer festgelegt. Aus dem Umstand, so Grossbergs Beispiel (2 0), dass ein kulturelles Artefakt innerhalb einer kapitalistischen Gesellschaft als Ware produziert wurde, lassen sich dessen politische Implikationen und Auswirkungen noch nicht ableiten - es könnte durchaus innerhalb antikapitalistischer Praktiken Verwendung finden. Diese Erkenntnis wurde vor allem in der active audience- Forschung, also der Erforschung aktiver Aneignungspraxen durch Medienpublika, stark gemacht (sh. Kap . .). Drittens wird sich der Kontextualismus der Cultural Studies auf deren Verständnis von Theorie auswirken, denn sie »nehmen nicht an, dass der Kontext, den sie studieren (und herstellen), auf einem direkten, empirischen Weg verfügbar ist« (2 2). Der Kontext sei kein der Untersuchung vorgängiges Realsubstrat, auf das man nur die passenden Methoden und Theorien anzuwenden <?page no="39"?> 40 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 0 habe. Vielmehr sollten Theorien auf spezifische Fragen, die sich innerhalb des zu untersuchenden Kontexts selbst stellen, antworten, ohne diesen mit einer vorgefertigten Theorie oder Methode zu überwältigen. Doch könnten andere Theorien und Methoden zu genauso produktiven Ergebnissen führen: Weder gibt es einen Kontext, der nur einen einzigen Zugang erfordert, noch existiert eine Methode, die in allen Kontexten gleichermaßen greift. Vielmehr sollten Theorien und Methoden je nach Untersuchungskontext untereinander zu strategischen theoretischen Formationen verkoppelt und den breiteren politischen Projekten der Cultural Studies eingeschrieben werden. Viertens verstehen sich die Cultural Studies als Wissenspraxis der Transdisziplinarität. Von Beginn an versuchten sie sich bewusst den mit jeder Disziplinwerdung einhergehenden (Selbst-)Disziplinierungsanstrengungen zu entziehen, um ihre theoretischmethodische Offenheit zu bewahren. Allerdings verfolgen sie mit diesem Versuch nicht unbedingt ein positiv ausformuliertes Programm von Interdisziplinarität. Die »Interdisziplinarität« der Cultural Studies entsteht zunächst einmal aus der Weigerung, »in die bestehenden Wissenseinteilungen eingereiht zu werden« (2 8). Mit Bezug auf Richard Johnson ( 999) spricht Grossberg sogar von einer kontra-disziplinären Logik der Cultural Studies. Diese erzwingt neben dem aktiven Durchbrechen von Disziplingrenzen auch die - oft mühsame - Aneignung von Kenntnissen, die außerhalb der eigenen Ausgangsdisziplin verortet sind. Es werden in konkreten Untersuchungen also durchaus individuelle wie kollektive Anstrengungen vonnöten sein, um die für die Analyse erforderlichen Wissensbestände relevanter Disziplinen wie z. B. der Geschichte, der Kulturtheorie oder der Wirtschaftswissenschaften zu erwerben. Fünftens wird Selbstreflexivität in der Praxis der Cultural Studies ein hoher Stellenwert eingeräumt. Die grundsätzliche Erkenntnis, »daß der/ die Analytiker/ in auch gleichzeitig Teilnehmer/ in an den Praktiken, Allianzen und Kontexten ist, die er/ sie analysiert« (2 9), impliziere die ständige Berücksichtigung des eigenen Verhältnisses zum erforschten Kontext. Das betrifft nicht nur Methoden der teilnehmenden Beobachtung, sondern <?page no="40"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 41 ist von Relevanz für die Praxis der Cultural Studies insgesamt. Diese gehen nämlich davon aus, dass die Macht- und Kräftelinien, die den Kontext eines zu untersuchenden kulturellen Phänomens bilden, nicht vor ihrer eigenen Praxis haltmachen. Das von den Cultural Studies produzierte Wissen bleibt notwendigerweise in breitere gesellschaftliche Kräfteverhältnisse eingespannt. Das bedeutet, dass jedes Verhältnis zwischen Untersuchungsperspektive und zu untersuchendem Kontext selbst bereits durch Machtverhältnisse strukturiert ist. Beispielsweise steht jede Untersuchung rassistischer Praktiken selbst in einem strukturierten Verhältnis zur rassistischen Dominanzkultur, in der sie unternommen wird. Versäumt sie es, die Möglichkeit ihrer eigenen Komplizität mit dieser rassistischen Dominanzkultur reflexiv in Rechnung zu stellen, läuft sie Gefahr, zu deren Perpetuierung unwillentlich beizutragen. Somit wären wir, sechstens, beim Merkmal der Politik. Aus der politischen Perspektive der Cultural Studies stellt sich die Welt als Ort von Konflikten dar, der von einem konkreten Kräftegleichgewicht bestimmt wird. Die Cultural Studies müssten »diese Balance verstehen und Möglichkeiten finden, sie in Frage Man wird vielleicht bemerken, dass der Zugang der Cultural Studies in einem Dilemma zu enden droht. Denn einerseits zeichnet die Cultural Studies ein radikal-konstruktivistisches Wissenschaftsverständnis aus: Sie gehen davon aus, dass der Untersuchungsgegenstand erst durch eine bestimmte Untersuchungsperspektive als dieser Gegenstand konstruiert wird (so wird eine rassistische kulturelle Praxis nur einer gegenüber rassistischen Diskursformen sensibilisierten Theorie als rassistisch erkennbar). Andererseits gibt jeder Gegenstand der Untersuchung Probleme auf, stellt sich ihrem Fortgang womöglich in den Weg, ja führt zu Störungen und Irritationen, die vielleicht nie überwunden werden können, besitzt also ein Eigenleben jenseits der Konstruktion. Grossbergs Antwort auf dieses Dilemma besteht erst einmal darin, die unvermeidliche Zirkularität des Cultural Studies-Ansatzes offen einzugestehen: Das Dilemma wäre nur aufzulösen, wollte man entweder einem plumpen Empirismus nachgeben oder den Konstruktivismus so weit überdehnen, dass jede theorieunabhängige Eigenständigkeit des Kontexts bzw. Untersuchungsobjekts dementiert würde. Eine Alternative, der sich die Cultural Studies verweigern. Andererseits lässt sich dem Problem ein Stück weit entkommen, wenn man, wie Grossberg vorschlägt, das Verhältnis von theoretisch-wissenschaftlicher Konstruktion auf der einen und Untersuchungsobjekt bzw. Kontext auf der anderen Seite nicht als logisches Dilemma fasst, sondern als »politisches« Artikulationsverhältnis. <?page no="41"?> 42 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 2 zu stellen und zu ändern« (Grossberg 2000: 2 ). Bei genauerem Hinsehen wird zu bemerken sein, dass der Aspekt der Politik allen anderen bislang erwähnten Dimensionen leitmotivisch zugrunde liegt. So ergibt sich die Notwendigkeit wissenschaftlicher Disziplin ( ) für die Cultural Studies aus dem strategischen Anspruch, »mehr zu wissen als ›die anderen‹«, um eine angemessene Lagebeurteilung von Ausschluss- und Unterordnungsverhältnissen mit dem Ziel ihrer emanzipatorischen Veränderung erstellen zu können (hierin erweisen sich die Cultural Studies, wenn man so will, als der »epistemische Flügel« einer Bewegung und Praxis radikaler Demokratisierung). 2 Insofern im radikalen Kontextualismus (2) der Cultural Studies unter Kontexten jeweils historisch spezifisch verschaltete Macht- und Kräfteverhältnisse verstanden werden, erweist sich »Kontext« als eine letztlich politische Kategorie. Auch Theorie ( ) entkommt dem politischen Anspruch der Cultural Studies nicht, ist doch die Theoriearbeit der Cultural Studies mit den politisch-sozialen Kontexten artikuliert, die sie zu studieren beabsichtigt, wird sie also immer zum Teil auch interventionistischen Charakter besitzen. Die trans-, ja konter-disziplinäre Strategie der Cultural Studies ( ) unterscheidet sich von der im Wissenschaftsbetrieb gängigen Ideologie der Interdisziplinarität gleichfalls durch ihre letztlich politische Zwecksetzung als Strategie, und zwar als Strategie einer Wissensproduktion, die disziplinäre Grenzen zugunsten der Gewinnung im weitesten Sinne politisch relevanter Kenntnisse durchbricht. Und schließlich soll die Forderung nach Selbstreflexivität ( ) verhindern, dass die Illusion aufkommt, Cultural Studies könnten soziale Machtverhältnisse aus der Vogelperspektive analysieren. Stattdessen sind sie sich und ihrem Projekt gegenüber rechenschaftspflichtig in Bezug auf die eigene institutionelle, »politische« und epistemische Verwicklung in diese Machtverhältnisse. 2 Man kann sich sogar des Eindrucks nicht erwehren, dass Grossberg unter intellektueller Disziplin in letzter Instanz eine ins Feld der Wissensproduktion verschobene Form »politischer Disziplin« versteht. <?page no="42"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 43 1. . Cultural Studies als eingreifende Wissenspraxis Am Ende des Tages laufen all diese Kriterien auf ein interventionistisches Verständnis von wissenschaftlicher Praxis und Theorie hinaus. Dieses scheint dem Verständnis von Wissenschaft als wertneutral zu widersprechen. Doch obwohl die wenigsten in den Cultural Studies Forschenden tatsächlich an das Ideal einer wertfreien Wissenschaft oder die Einnehmbarkeit einer szientistischen Vogelperspektive glauben, reden wichtige Vertreter wie Hall oder Grossberg auch keinem Politizismus des unmittelbaren »Politikwerdens« das Wort. Grossberg warnt sogar ausdrücklich davor, intellektuelle Arbeit durch einen parteiischen Politjournalismus zu ersetzen, wie er manchmal in den Cultural Studies anzutreffen sei. Man dürfe sich nicht der Illusion hingeben, es ließe sich mit Cultural Studies unmittelbar Politik betreiben. Die Cultural Studies seien nur insofern interventionistisch, »als sie versuchen, die besten verfügbaren intellektuellen Ressourcen zu verwenden, um zu einem besseren Verständnis der Machtbeziehungen (als Spielstand oder Gleichgewicht in einem Kraftfeld) in einem bestimmten Kontext zu gelangen, im Glauben, daß ein solches Wissen die Menschen in eine bessere Position versetzt, den Kontext, und damit die Machtbeziehungen, zu verändern« (2000: 262). Soll das so produzierte Wissen nicht reinem Wunschdenken entspringen, dann könne Politik nur auf die Analyse folgen, nicht an ihrem Anfang stehen (Grossberg 2006: 6- ). Die Analyse selbst müsse so realistisch und nüchtern wie möglich angegangen werden. Die Cultural Studies erforderten sogar »eine gewisse Distanz zu den bestehenden Wirkungskreisen der Politik« (2000: 26 ), da sie sich auf »die absolute Notwendigkeit theoretischer Intervention« festlegten. Mit anderen Worten, die Cultural Studies agieren notwendigerweise über das Medium der Theorie, und jede Illusion unmittelbarer Wirksamkeit wird nur große Ernüchterung hinsichtlich des real-politischen Einflusses akademischer Praxis produzieren. Dass zum Studium des Politischen wie des Kulturellen ein »notwendiger Umweg« über die Theorie genommen werden <?page no="43"?> 44 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite müsse, gilt als zentrales Postulat der Cultural Studies. Es findet sich nirgends treffender formuliert als in Stuart Halls Diktum, die Cultural Studies gingen davon aus, »daß es einer Menge an theoretischer Arbeit bedarf, um die Dunkelheit des Offensichtlichen zu erhellen« (Hall 999b: 9). Der Einblick in das uns scheinbar Nächste: in die Alltagskultur, die uns umgibt, in jene alltäglichen Praktiken, die von morgens bis abends unser Leben bestimmen, dieser Einblick ist nicht zum theoretischen Schleudertarif zu haben. Gerade weil uns das Medium der Kultur, mit dem wir unausgesetzt zu tun haben, das Offensichtlichste ist, bleibt es uns dunkel. Kultur ist uns im Regelfall zu nahe, um sichtbar zu werden. Erst über das Instrument der Theorie kann es uns gelingen, jene minimale Distanz einzuziehen, die nötig ist, um überhaupt etwas beleuchten zu können. Da in den Anfängen der Cultural Studies jedoch keine Theorie zuhanden war, welche Alltagskultur aus politischer Perspektive angemessen fassen konnte, mussten aus den vorhandenen Ansätzen - Marxismus, Soziologie, Strukturalismus, Sprachtheorie - erst passende Modelle von Kultur entwickelt werden. Besonders in der formativen Phase der Cultural Studies war, wie im folgenden Kapitel dargestellt werden wird, die Entdeckung des Wissensobjekts Kultur untrennbar verknüpft mit der tiefgreifenden Arbeit an adäquaten theoretischen Modellen. Ohne Auseinandersetzung mit den Theorien soziologischer Klassiker wie Marx (Hall 200 [ 980]), Mannheim (Honegger 200 ), Durkheim (Alexander 988), Weber (Hall 980) oder Simmel (Frisby 999) ist die Entwicklung der Cultural Studies schlichtweg nicht denkbar. Gleiches gilt für die theoretischen Ansätze des Strukturalismus (Saussure, Lévi-Strauss, Althusser), der Semiotik (Barthes), der Diskursanalyse (Foucault, Laclau und Mouffe) und des Poststrukturalismus (Derrida, Lacan), auf die wir noch im Detail zurückkommen werden. Dass diese Auseinandersetzung mit den unterschiedlichsten theoretischen Ressourcen eine Auseinandersetzung im wahrsten Sinne des Wortes bedeutet, darauf hat Hall hingewiesen, als er für theoretische Arbeit die »Metapher des Kampfes, des Ringens mit den Engeln« vorschlug. Die einzig lohnende Theorie, so Hall, sei die, »der man widerstehen muss, nicht die, die man mit rouwww.Claudia-Wild.de: <?page no="44"?> Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 4 tinierter Gewandtheit zu sprechen weiß« (Hall 2000c: 9). Die Praxis der Cultural Studies beinhaltet immer auch den Ringkampf mit Theorien, die sich sträuben, die miteinander artikuliert werden müssen, deren Artikulation dennoch nie »aufgeht« - und die zugleich das Verständnis von politischen und sozialen Veränderungen befördern sollen, die sich immer aufs Neue der theoretischen Arbeit aufdrängen. Darin liegt die innere Spannung theoretischer Arbeit, die mit der vielfach missbrauchten Metapher vom »Werkzeugkasten« nicht erfasst wird: Denn einerseits folgt theoretische Arbeit durchaus dem Zwang zur inneren Konsistenz und nicht dem reinen Utilitarismus. »Ringen mit den Engeln« heißt, soweit möglich, an den Widersprüchen und Unklarheiten im eigenen Theoriebau zu arbeiten, und zwar nach Maßgabe kategorialer Klarheit und argumentativer Stringenz. Diesem Anspruch dürfen sich auch die Cultural Studies nicht entziehen. Andererseits aber steht theoretische Arbeit, die etwas zum Verständnis der Gegenwart beitragen soll, unter Druck von außen, da sie auf hegemoniale Verschiebungen zu reagieren hat, die sich in kleinsten Alltagspraxen genauso manifestieren wie in spektakulären politischen Ereignissen. Diese haben die unangenehme Eigenschaft, die theoretischen Gewissheiten durcheinander zu bringen und den scheinbar stabilen Theoriebau zu unterhöhlen. Das Wissen um dieses Störpotential spricht bereits im Jahr 9 aus dem ersten Satz des allerersten in Großbritannien publizierten Artikels Stuart Halls: »Der verwirrende Druck politischer Ereignisse stört die Symmetrie politischer Analyse« (zit. in Schwarz 200 : 90). Mit diesem Satz, der auf die Suez-Krise und den Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts in Ungarn anspielt, beginnt die gesellschaftsanalytische Arbeit der Cultural Studies. Sie nimmt ihren Ausgang nicht von bereits kanonisierten Wissens- und Theoriebeständen, sondern von deren Irritation. Um diesem theoretischen wie politischen Anspruch der Cultural Studies gerecht zu werden, wurde im vorliegenden Buch der Zugang über ihr politisches Theorieprojekt gewählt. Dieser Begriff ist dem Titel eines Bandes der Ausgewählten Schriften Stuart Halls (2000a) entnommen: »Cultural Studies. Ein politisches Theorieprojekt«. Auch wenn dieser Zugang gelegent- <?page no="45"?> 46 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 6 lich ein »Ringen mit den Engeln« voraussetzen mag, wird er uns davor bewahren, im Labyrinth verschiedener Teilbeschreibungen eines inzwischen ausufernden Forschungszusammenhangs verloren zu gehen. Stattdessen sollen in den folgenden Kapiteln die politisch-theoretischen Grundakkorde der Cultural Studies historisch wie systematisch zum Klingen gebracht werden. Im folgenden Kapitel 2 wird ein historischer Abriss der Gründungsgeschichte der britischen Cultural Studies geliefert, der die Entwicklung ihres politischen Theorieprojekts in den konkreten Kämpfen der Zeit verortet. Dabei soll gezeigt werden, wie die Theorieentwicklung der Cultural Studies (Marxismus, Kulturalismus, Strukturalismus) nicht allein innertheoretischen Auseinandersetzungen geschuldet ist, sondern wie diese Auseinandersetzungen auf politische Entwicklungen - wie soziale Krisen, das Aufkommen neuer politischer Akteure, etc. - intellektuell zu reagieren versuchten. Kapitel ist einem dieser in der Nachkriegszeit neu auftretenden Akteure gewidmet - dem Gesamtsubjekt »Jugend«. Ausgehend von den frühen Pionierstudien am Birmingham Centre for Contemporary Cultural Studies werden verschiedene Ansätze der Analyse von Subkulturen vorgestellt. Dabei wird sich erweisen, dass eine Überfrachtung sozialer Akteure, in diesem Fall jugendlicher Subkulturen, mit politischen Erwartungen nicht immer sinnvoll ist. Es wird sich erweisen, dass die Subcultural Studies zwar gut ausgerüstet sind, um mikropolitische Praktiken von Subkulturen zu beschreiben, den Übergang dieser Praktiken hin zu makropolitischer Artikulation - in unserem Fall: die Wandlung von Subin Gegenkulturen - hingegen nicht zu fassen vermögen. In Kapitel wird der zweite große Forschungszusammenhang der Birmingham Cultural Studies vorgestellt: die Media Studies. Auch hier wird zu unterscheiden sein zwischen einem Interesse einerseits an den mikropolitischen Praktiken häuslicher Mediennutzung und -aneignung und andererseits an der makropolitischen Funktion der Massenmedien als Hegemonie- und Signifikationsapparate. Kapitel geht der für die Cultural Studies zentralen Frage nach sozialer Identitätsbildung nach, und zwar anhand der drei Forschungsgebiete, in denen diese Frage am heftigsten diskutiert wurde: Rassismusforschung, Klassenanalyse und Geschlechwww.Claudia-Wild.de: <?page no="46"?> Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 4 terforschung. Folgend auf die Darstellung der Kategorien von »race«, class, gender, etc. wird die keineswegs scherzhaft gemeinte Frage gestellt, welche Identität wohl das »etcetera« in dieser Reihe bezeichnen soll. Kapitel 6 ist ausschließlich der makropolitischen Seite des »politischen Theorieprojekts« der Cultural Studies gewidmet. In diesem Schlusskapitel werden nicht nur aus der Birmingham-Tradition hervorgegangene maßgebliche Analysen des Rassismus und des Thatcherismus vorgestellt, es wird abschließend auch ein Vorschlag unterbreitet, wie die erwähnte, weitgehend mysteriös bleibende Passage vom Mikropolitischen ins Makropolitische im Rahmen der Cultural Studies konzipiert werden könnte. Erst durch einen solchen Erweiterungsbau des Theoriegebäudes der Cultural Studies, so das Argument, wird es möglich sein, dem Anspruch eines »politischen Theorieprojekts« tatsächlich gerecht zu werden. In diese Kapitel wurden gelegentlich frühere Veröffentlichungen des Autors eingearbeitet. Deren Auflistung findet sich in der Bibliografie. <?page no="47"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 8 <?page no="48"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 9 49 Kapitel 2: Die Geburt der Cultural Studies aus dem Geist der Neuen Linken: ein historischer Abriss Soziale Bewegungen bringen theoretische Momente hervor. Und historische Konjunkturen verlangen nach Theoretisierung; sie sind entscheidende Momente in der Entstehung und Entwicklung von Theorien. Stuart Hall (2000c: 4 ) 2.1. Die explorative Phase: Hoggart,Williams,Thompson Die bisherige Geschichte der Cultural Studies kann grob in drei Stadien unterteilt werden: auf eine explorative Phase, die von der Mitte der 0er bis zum Anfang der 60er Jahre reichte, folgte in den 0er Jahren eine formative Phase, die mit der Gründung des Centre for Contemporary Cultural Studies an der University of Birmingham eingeleitet wurde. In den 80er und 90er Jahren folgte schließlich eine Phase der Konsolidierung der institutionellen Basis und der theoretisch-analytischen Ressourcen der Cultural Studies. Die explorative Phase war publizistisch gekennzeichnet durch das Erscheinen einer Reihe zentraler früher Werke der so genannten Gründergeneration der Cultural Studies. Aufgrund des Pioniercharakters dieser Arbeiten darf es nicht überraschen, dass ihr innovativer Kulturbegriff noch von Ambivalenzen gekennzeichnet ist. Man kann sie als Werke des Bruchs bezeichnen. Die Metapher des Bruchs ist besonders für Stuart Halls Darstellung der Geschichte der Cultural Studies von Bedeutung. Sie soll auf den Umstand verweisen, dass es in der intellektuellen Entwicklung einer neuen Denktradition keinen absoluten Anfang gibt, da jede Erneue- <?page no="49"?> 0 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 0 rung bereits auf weiter zurückreichende Traditionen aufbaut, dass diese aber auch nicht ungestört fortgesetzt werden. Anstatt der Fortsetzung eines Kontinuums kommt es zur Anhäufung signifikanter Einschnitte innerhalb einer unregelmäßigen, ungleichmäßigen Entwicklung, zur »Ersetzung älterer Konstellationen und Neugruppierungen von sowohl alten als auch neuen Elementen um andere Prämissen und Themen herum« (Hall 999c: ). Damit wandelt sich der Problemhorizont. Bestimmte Fragen werden nun anders gestellt oder können nicht (mehr) formuliert und adäquat beantwortet werden. Solche Perspektivenverschiebungen sind nicht allein das Resultat intellektueller Anstrengung. Die geläufige Vorstellung von genialen Einzelleistungen, die in der Studierstube erbracht wurden, täuscht. Verschiebungen und Brüche zeugen davon, wie »reale historische Entwicklungen und Transformationen im Denken angeeignet werden« (ebd.). Gesellschaftliche Transformationen wirken in komplexer Weise auf die intellektuelle Arbeit ein und umgekehrt. An dem vor allem mit politischen Bewegungen verknüpften Projekt der Cultural Studies ist dies klar abzulesen. Als vielleicht bedeutendste Figur der explorativen Phase der Cultural Studies gilt Richard Hoggart (* 9 8). Mit seinem sofort nach Erscheinen breit rezipierten The Uses of Literacy ( 9 ) verschreibt sich Hoggart der Rehabilitierung des »Banalen« und Alltäglichen der Arbeiterkulturen (Lindner 2006). Er vertritt die Position, dass illustrierte Zeitschriften nicht den Eskapismus, also die Flucht aus dem Alltag, inszenieren, sondern im Gegenteil den Alltag und die zwischenmenschlichen Beziehungen der Menschen ins Zentrum stellen, und damit »in all ihrer Banalität, eine ordentliche und vorhandene Lebensweise beschreiben.« Das treffe selbst auf den banalsten Reim in Weihnachts- oder Geburtstagskarten zu ( 999 [ 9 ]: ). Doch Hoggarts Position zur Populärkultur bleibt ambivalent und von kulturpessimistischen Anklängen durchzogen. Die in der Nachkriegszeit aus den USA nach Britannien vordringende standardisierte Massenkultur übt für Hoggart einen manipulierenden und letztlich zerstörerischen Einfluss auf die homogene Arbeiterkultur aus, die von Hoggart in einer frühen Form von Selbst-Ethnografie im ersten Teil des <?page no="50"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 1 Buches analysiert wird. Hoggart beschreibt dort ausgehend von seiner Kindheit in der nordenglischen Arbeiterklasse die vielfältigen gemeinsamen Arbeits- und Freizeitrituale, die es lokalen Gemeinschaften erlauben, sich im Feld der Kultur einer gewissen organischen Kohärenz zu versichern. Zur zentralen Gewährsinstanz wird ihm die eigene gelebte Erfahrung als Arbeiterkind. Hoggarts Ziel besteht in der kulturellen Aufwertung und Verteidigung proletarischer Vergemeinschaftungsformen der Vor- und Zwischenkriegszeit, deren solidarischen Zusammenhalt er als bewahrenswert einschätzt, jedoch in den 0er Jahren durch Kommerz, Werbung und Massenkultur bedroht sieht. Terry Eagleton (200 : ) spricht von einem »Kulturpessimismus von links« bei Hoggart. Allerdings verteufelt Hoggart Massenkultur nicht in ihrer Gesamtheit, sondern unterscheidet zwischen »schlechter« und »qualitätsvoller« Massenkultur. Wenn Hoggarts Buch für die Entwicklung der Cultural Studies von Bedeutung wurde, dann nicht allein aufgrund seines Versuchs der Rehabilitierung von Arbeiterkultur, sondern auch deshalb, weil er als Erster bestimmten popularkulturellen Erzeugnissen mit Wertschätzung begegnete und sie mit dem Instrumentarium der Literaturkritik - also einer »Hochkulturwissenschaft« - untersuchte. Vorbild war ihm dabei der in der Erwachsenenbildung der Nachkriegsjahre verbreitete Ansatz des Literaturkritikers F. R. Leavis, der bereits, wenn auch mit deutlich elitär-kulturkritischer Absicht, frühe Formen eines close reading - einer detaillierten, textnahen Lektüre - auf Popularkultur anwandte. Der Wertekanon der Literaturkritik wurde damit nicht prinzipiell in Frage gestellt, sondern auf ein neues Feld hin ausgedehnt. Aufgrund von Hoggarts Intervention war es nun möglich, die Kultur der Arbeiterklasse als »Text« zu verstehen und einer so detaillierten wie einfühlsamen »Lektüre« zugänglich zu machen (Hall 999c: ). Raymond Williams ( 92 - 988) schließt in seinen frühen Standardwerken Culture and Society. 1780-1950 ( 9 8, dt. 9 2) und The Long Revolution ( 96 ) mit dem Versuch der Ausweitung von literaturkritischer Textanalyse auf proletarische Alltagskultur an Leavis und Hoggart an, wobei ihm Hoggarts Glorifizerung der früheren »volkstümlichen Kultur« Englands <?page no="51"?> 2 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 2 genauso fern liegt wie Leavis’ Idee von »Culture with a capital ›C‹« (Hall 98 b: 9). Im Unterschied zur bürgerlichen Kultur, die auf der Idee des Individuums aufbaue, bestehe die Grundlage der proletarischen Kultur in der Idee eines gemeinschaftlichen Kollektivs, aus welcher »Institutionen, Verhaltensweisen, Denkgewohnheiten und Intuitionen« hervorgingen, einschließlich der kollektiven demokratischen Institutionen, wie »Gewerkschaften, die Genossenschaftsbewegung oder eine politische Partei« (Williams 999 [ 9 8]: 68). Dieser neue, proletarische Kulturbegriff dreht sich für Williams um den Angelpunkt der Solidarität, die zum Stabilisierungsfaktor einer komplex strukturierten, pluralen und doch gemeinsam gelebten, partizipatorischen Kultur werden soll. Dieses normative, gegen die kapitalistische Klassenteilung gerichtete Projekt, das streckenweise an die frühe künstlerischorganizistische Kapitalismuskritik der englischen Romantiker anschließt, soll durch eine begriffsgeschichtliche Untersuchung der Genese des Kulturbegriffs seit dem ausgehenden 8. Jahrhunderts gestützt werden. Hand in Hand mit Industrialisierung und Demokratisierung habe sich ein neuer Begriff von Kultur entwickelt, der die Gesamtheit der Lebensweisen einer gegebenen (Sprach-)Gemeinschaft benennt. Kultur sei, so Williams mit Bezug auf einen Ausdruck T.S. Eliots, eine ganze, umfassende Lebensweise: a whole way of life. In dieser Hinsicht umfasst die englische Lebensweise eine letztlich unabschließbare Reihe von Phänomenen, unter die Hunderennen genauso fallen wie Wensleydale Käse, Darts und die Musik von Elgar. Ein solch holistischer Kulturbegriff impliziert, dass sich Kultur in der Gesellschaftstopografie kein spezifischer Ort zuordnen lässt. Wir alle schwimmen, um ein abgegriffenes Bild zu verwenden, in Kultur wie Fische im Wasser: es gibt kein Leben und keinen gesellschaftlichen Ort jenseits von Kultur. Folglich ist Kultur nicht länger eine exklusive Angelegenheit des Geistigen oder Vergeistigten, wie dies die Hochkultur zu sein vorgibt, »nicht das Reservat einer Pointiert spricht sich Williams ( 9 : 29) zwar für eine Wertschätzung, aber gegen jede Idealisierung der Überreste traditioneller »folk culture« aus: »To value it where it has survived is reasonable, but to put a major, idealizing emphasis on it is foolish«. <?page no="52"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 3 bestimmten Klasse, die allein Bedeutungen und Werte hervorbrachte« (Williams 98 : 6), sondern etwas Gewöhnliches. Der Titel eines Aufsatzes von Williams ( 99 [ 9 8]) wird zum weithin nachklingenden Schlachtruf dieser Auffassung: »Culture is ordinary«. Ein weiterer Durchbruch Williams’, der für die späteren Cultural Studies relevant bleiben sollte, bestand in seiner Betonung der affektiven Dimension einer umfassenden Lebensweise. Kultur ist durchzogen von Gefühlsstrukturen, von structures of feeling, die die Alltagserfahrungen einer Gemeinschaft miteinander verbinden. Unter einer »Gefühlsstruktur« kann man sich die gelebte innere Erfahrung einer »umfassenden Lebensweise« vorstellen (zum Teil verwendet Williams beide Begriffe synonym), ein Set »von Denk- und Fühlweisen, die ein regelmäßiges Muster zeigen und die ganze Lebensweise, die gelebte Kultur einer Epoche, Klasse oder Gruppe beinhalten, formen beziehungsweise von ihnen geformt werden« (Horak 2006: 2 ). So lasse sich an der Kunst und Literatur einer Zeit ihre Gefühlsstruktur nachzeichnen, wobei Williams aufgrund seines holistischen Ansatzes der Versuchung widersteht, ja sie bekämpft, das Verhältnis zwischen Kunst und gesellschaftlichen Prozessen orthodox-marxistisch als Widerspiegelungsverhältnis zu denken. Folglich lassen sich Cultural Studies nach Williams als der Versuch definieren, mithilfe von Methoden der Ethnografie und des close reading die Beziehungen zwischen den Elementen einer bestimmten umfassenden Lebensweise zu rekonstruieren (Williams 98 : 0) und deren Gefühlsstrukturen anhand kultureller Artefakte herauszuarbeiten. Dieser neue Kulturbegriff war für die weitere Debatte von enormer Bedeutung. Doch in vielerlei Hinsicht sind Culture and Society und The Long Revolution Werke des Übergangs. Ähnlich wie Hoggarts Position zur Popularkultur bleibt die von Williams ambivalent. Der scholarship-boy, hin- und hergerissen zwischen den englischen Eliteuniversitäten und dem walisischen Arbeiterdorf, aus dem er stammt, betont auf der einen Seite »die kulturelle Bedeutung der gelebten (Alltags-)Erfahrung der ›ordinary people‹, auf der anderen will er das Beste der (hoch)kulturellen Tradition für sie retten« (Horak 2006: 2 ). Zudem wird sich <?page no="53"?> 4 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite der von den Romantikern ererbte Holismus und Organizismus des Ansatzes als problematisch erweisen, denn Williams zufolge müsse eine Kulturvorstellung gestärkt werden, die dem »natürlichen Wachstum« und dem »Lebensprozeß« ( 999 [ 9 8]: ) seinen Lauf lässt, wenn auch zugleich die notwendige Ausrichtung dieses Prozesses frei und gemeinschaftlich zu steuern sei. An dieser Stelle setzt die spätere Kritik an Hoggart und Williams an. Am frühesten und prominentesten wurde sie von dem Historiker Edward P. Thompson ( 92 - 99 ) geäußert, einem der maßgeblichen Verfechter einer »Geschichte von unten«. Thompson ist mit der Refokussierung der Kulturdebatte auf die Arbeiterkultur durchaus einverstanden - besteht doch sein Hauptwerk, The Making of the English Working Class ( 98 [ 96 ]), genau in der Analyse des aktiven Prozesses (»making«), in dessen Verlauf die englische Arbeiterklasse ihre eigene Geschichte »lebte« und sich als Klasse selbst konstituierte. In den Augen Thompsons ( 9 9a: 2) ist allerdings die Romantisierung der Arbeiterklasse und ihrer Organisationen verantwortungslos, da ein sozialistisches Projekt von einer realistischen Zustandsbeschreibung der Arbeiterbewegung auszugehen habe. Ihm ist jede Nostalgie gegenüber früheren Lebensweisen verdächtig. Er wirft Hoggart vor, seine Ergebnisse nicht mit Erkenntnissen der Geschichtswissenschaft abgeglichen zu haben, und kritisiert ihn für seine impressionistische, sich auf subjektive Kindheitserinnerungen stützende Untersuchungsmethode. Vor allem aber argumentiert Thompson gegen den Holismus des Konzepts der »umfassenden Lebensweise«. Während der frühe Williams die Idee des Klassenkampfes im Sinne eines vereinheitlichenden Prinzips der Arbeiterkultur ablehnt und stattdessen dieses Prinzip in den nachbarschaftlichen Praktiken des wechselseitigen Zusammenhalts sucht (sowie im normativen Ziel der Entwicklung einer »guten« gemeinsamen Kultur, welche die Bevölkerung des Vereinigten Königreichs solidarisch einen soll), will Thompson den Klassenkonflikt im Zentrum des Kulturbegriffs verankert wissen. Das setzt zwar einen stärker marxistisch geprägten Ansatz voraus, doch weist Thompson das Basis-Überbau-Modell des orthodoxen Marxismus ebenfalls zurück. Eine Klasse wird nicht durch ihre Stellung im Produktionsprozess <?page no="54"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite bestimmt, sondern erzeugt sich selbst in einem konfliktreichen Prozess der Bewusstseinsbildung. Kultur ist nicht ein whole way of life, sondern, wie Thompson anmerkt, ein whole way of struggle, eine umfassende Konfliktweise. Wir dürfen uns, so müsste man heute sagen, Kultur nicht als ein in Benetton-Farben getauchtes friedlich-freundliches Nebeneinander vorstellen, sondern die Elemente einer Kultur setzen sich zueinander durch Kampf und Konflikte in Beziehung. Thompson verschiebt also die Priorität von der »umfassenden Lebensweise« zu einer Form des Kampfes zwischen Lebensweisen: Die Geschichte der Arbeiterklasse registriert keine kohärente »umfassende Lebensweise«; sie war immer schon eine Konfliktweise (way of struggle) zwischen konkurrierenden moralischen Einstellungen. Zu jedem gegebenen Zeitpunkt bestimmt ein ganzer Komplex von sowohl objektiven als auch aktiven, subjektiven Faktoren, welche moralische Einstellung dominant ist. (…) Diese Konfliktweise, vor allem gegen Klassenherrschaft gerichtet, aber auch zwischen konkurrierenden moralischen Einstellungen innerhalb der Arbeiterklasse, war niemals ein blinder, spontaner Reflex auf objektive ökonomische Bedingungen. Sie war durchgehend ein bewusster Kampf von Ideen und Werten. (Thompson 19 9a: 2) An diesem Zitat wird deutlich, dass Thompson, obgleich in den Geschichtswissenschaften beheimatet, zu Recht auch den frühen Cultural Studies zugerechnet wird. Klassenkampf, wo er Kampf um das Bewusstsein der eigenen Klassenposition ist, wird auf dem Feld der Kultur ausgetragen. Kulturelle Fragen sind »heute den ›wirklich politischen Themen‹ der Klassenmacht gegenüber nicht peripher, sondern vielmehr zentral für eine ganze Konfliktweise« ( ). Im Gegensatz zum ökonomischen Determinismus setzt Thompson auf die aktive Rolle der Leute als »Akteure sozialer Veränderung«, die ihre eigenen moralischen und intellektuellen Ressourcen in eine umfassende Konfliktweise einbringen. Historische Veränderung, vor allem jeder soziale und politische Fortschritt, sei das Resultat solcher aktiver Kämpfe und der Re-Justierungen, mit denen der Kapitalismus auf sie antwortet. Thompson eigenes Projekt der Gegengeschichtsschreibung zielt darauf ab, einen Sinn für Geschichte zu vermitteln, ohne <?page no="55"?> 6 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 6 den - und hier schimmert wieder die Kritik an Hoggart und Williams durch - die Entwicklung der Arbeiterklasse »als eine instinktive, fast teilnahmslose Evolution erscheint, in der die aktive Rolle der Minorität, als Akteur sozialer Veränderung, heruntergespielt wird«. Denn wenn »Demonstranten sich heute auf dem Trafalgar Square treffen können, dann aufgrund der großen Kämpfe um Rede- und Versammlungsfreiheit, die von radikalen und sozialistischen Arbeitern in der 880er und 890er-Jahren geführt wurden« (ebd.). 2.2. Die erste Neue Linke Der politisierende Einfluss Thompsons auf die Formierung der frühen Cultural Studies ist kaum zu überschätzen. Mit Thompson bekommt der streckenweise nostalgische und holistische Kulturbegriff eine explizit konflikttheoretische und aktivistische Wendung. Zusammen markieren die vier frühen Werke der Cultural Studies - Hoggarts The Uses of Literacy, Williams’ Culture and Society und The Long Revolution, sowie Thompsons The Making of the English Working Class - Hall zufolge ( 999c: ) eine Zäsur. Man könnte auch sagen, sie führten einen epistemischen Bruch herbei, der das Feld der Kultur vom Rand ins Zentrum der Untersuchung historischer und gesellschaftlicher Wandlungsprozesse rückte. Orte der Kultur waren nunmehr weder ausschließlich die Oper, das Theater oder Museum, von der bürgerlichen Thompsons Kulturdefinition, so Hall ( 98 b: 9), »war in den kollektiven Erfahrungen verwurzelt, die die Klasse in ihrem breiteren historischen Verständnis formten«. Durch seine Verabschiedung des ökonomischen Determinismus setzte sich Thompson von der älteren Arbeitergeschichtsschreibung ab und verschob den Fokus von der literarischen Tradition, in welche Williams und Hoggart mit ihrer Kritik von Arnold und Leavis nach wie vor verwickelt waren, auf die radikal populare Tradition der Arbeiterklasse: »Thompson bestand auf der historischen Spezifik von Kultur, auf ihrer pluralen, nicht singularen Definition - ›Kulturen‹, nicht ›KULTUR‹: vor allem auf den notwendigen Kampf, auf die Spannung und den Konflikt zwischen Kulturen und ihren Verbindungen zu Klassenkulturen, Klassenformationen und Klassenkämpfen - den Kämpfen zwischen ›Lebensweisen‹ und weniger der Evolution ›einer Lebensweise‹« (20). <?page no="56"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite Kulturkritik verstanden als Gewächshäuser zur Züchtung hochkultureller Orchideen; noch konnte Kultur, wie in den ökonomistischen Spielarten des orthodoxen Marxismus, auf einen ideologischen Überbau reduziert werden, der sich angeblich über der ökonomischen Basis der Gesellschaft erhob und dessen Erzeugnisse die (Klassen-)Verhältnisse der Basis bloß widerspiegelten. Kultur war zu einer alltäglichen und eigenständigen Dimension des Sozialen geworden. Halls Einschätzung lässt sich dahingehend ergänzen, dass bei genauerer Betrachtung der explorativen Phase der Cultural Studies sogar von einem doppelten Bruch die Rede sein müsste. Einerseits kam es innerhalb der »Hochkulturwissenschaften« zum Bruch mit der strikten Dichotomie von »hoher« und »niederer« Kultur, wodurch mit der Alltags- und Popularkultur ein neues Wissensobjekt in Erscheinung trat. Am Ende dieser Entwicklung stand die Ausdehnung des Einzugsbereichs der Kulturwissenschaften, wobei besonders Hoggart und Williams durchaus weiterhin als Analytiker und Verteidiger der Hochkultur auftraten. Andererseits kam es tendenziell zum Bruch mit den »Hochkulturwissenschaften« im herkömmlichen Sinn. Thompsons Radikalisierung und Politisierung vieler Einsichten Hoggarts und des frühen Williams erleichterten die Entwicklung hin zu einer historisch informierten Sozialanalyse, die in das Vakuum vorstieß, welches die in Britannien damals schwache Soziologie hinterlassen hatte. Die britische Soziologie der Zeit war wenig eigenständig und an der amerikanischen Schule des Funktionalismus bzw. an Parsons orientiert, die Methodologie quantitativ und empiristisch ausgerichtet. In einer klassischen Analyse argumentierte Perry Anderson, dass eine solche Soziologie kein Konzept gesellschaftlicher »Totalität« und damit keines von »Kultur« entwickeln konnte, weshalb andere Disziplinen wie Anthropologie, Literaturwissenschaft und, wie Hall ( 98 b: 2 ) hinzufügt, neue Sozialgeschichte (»oral history«) einsprangen. Cultural Studies entstanden als Kompensationswissenschaft, in der jene Fragen konvergierten, welche die damalige Soziologie unerledigt liegengelassen hatte. Die späteren quasi-soziologischen Arbeiten des CCCS zu Arbeiterjugendkulturen und <?page no="57"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 8 Subkulturen, wie auch jene zur Mediennutzung müssen auch in diesem wissenschaftshistorischen Zusammenhang gesehen werden. Anderson paraphrasierend merkt Hall (2000h: 0) dazu polemisch an: »Perry Anderson hat geschrieben, dass die Literaturkritik zum deplatzierten Feld wurde, auf dem diese Fragen an die Kultur gestellt werden konnten, angesichts der Abwesenheit einer britischen Soziologie, angesichts einer Anthropologie, die vom kolonialen Denken dominiert wurde und einer britischen Philosophie, die in ihrem empirio-linguistischen schwarzen Loch versunken war.« So stellt sich bei genauer Betrachtung heraus, dass aus Perspektive dieses zweiten Bruchs Geschichte, Soziologie oder Ethnografie nicht etwa als Hilfsdisziplinen der (erweiterten) Kulturwissenschaften verstanden wurden, sondern umgekehrt Kulturwissenschaft, wenn schon nicht zur Hilfswissenschaft, so doch zum integralen Bestandteil der historischen Sozialwissenschaften wurde. »Kulturanalyse«, so Williams ( 98 : 6), münde »stets in Gesellschaftsanalyse«. Der zweite Bruch generiert also eine viel grundsätzlichere Perspektivenverschiebung: Nachdem die kulturelle Dimension des Sozialen einmal anerkannt war, rückte das Kulturelle selbst in den Mittelpunkt des sozialwissenschaftlichen Interesses. Im Unterschied zu einer teildisziplinär verstandenen Kultursoziologie bedeutet dies gerade nicht, dass der Gegenstand Kultur einen bestimmten Teilbereich in der Topografie des Sozialen vorstellt, sondern er wird zur unabtrennbaren Dimension des Sozialen selbst. Und schließlich wird sich in der weiteren historischen Entwicklung, angestoßen besonders durch die Übernahme der Hegemonietheorie Gramscis in Williams’ Projekt des »kulturellen Materialismus« sowie in die Arbeit des CCCS, herausstellen, dass Gesellschaftsanalyse von wesentlichen Vertretern der Cultural Studies zugleich als politische Analyse verstanden wird: Was »als Kulturkritik begann, wurde somit zur Gesellschafts- und politischen Kritik« (Williams 98 : ). Die Wende der Kultur führt in letzter Instanz, so muss man schließen, nicht alleine zu einer neuen Form der Kultursoziologie und -theorie, sondern in zumindest gleichem Ausmaß zu einer neuen Form politischer Soziologie bzw. zu einer - vom Fach der Politikwww.Claudia-Wild.de: <?page no="58"?> Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 9 9 wissenschaft leider immer noch kaum wahrgenommenen - politischen Analyse des Kulturellen (sh. Kap. 6). Spätestens durch Thompsons Intervention wurde Kulturanalyse zu einem möglichen Pfad der Gesellschaftsanalyse. Diese Wende ist selbstverständlich nicht allein auf den persönlichen Einfluss Thompsons zurückzuführen, sondern hat mit dem sich rasant politisierenden historischen Kontext der späten 0er Jahre zu tun. Denn wenn die Wurzeln der erwähnten Werke auch weiter zurückreichen, erscheinen sie doch alle während der Hochphase der britischen First New Left (Kenny 99 ). Thompsons historisches Standardwerk The Making of the English Working Class wurde verfasst, während sich der Autor in den täglichen Kämpfen der Neuen Linken und der frühen Anti-Atomkraftbewegung engagierte. So fiel die Pionierphase der Cultural Studies mit der Tagesordnung der britischen New Left zusammen, der in unterschiedlichem Ausmaß Hoggart, Williams, Thompson und Hall selbst zugerechnet werden: »Ein solcher Zusammenhang ließ die ›Politik intellektueller Arbeit‹ von Anfang an in den Brennpunkt der Cultural Studies rücken und machte sie zu einem Anliegen, dem sie sich stets verpflichtet gefühlt haben und von dem sie nicht loszulösen sind« (Hall 999c: ). Der Begriff New Left ist eine direkte Übersetzung der französischen Strömung der nouvelle gauche, die sich um die Wochenzeitung France Observateur und ihren Herausgeber Claude Bourdet versammelt hatte und sich hauptsächlich aus früheren Mitgliedern der kommunistischen und sozialistischen Partei zusammensetzte. Als neue Linke verstand sie sich, weil sie eine dritte sozialistische Ausrichtung zwischen Kommunismus und Sozialismus (der »alten« Linken) zu artikulieren versuchte. Im Hinblick auf internationale Politik war sie auf der Suche nach einem europäischen »Dritten Weg« neben den beiden Blöcken der NATO und des Warschauer Pakts. 9 9 beschreibt Thompson die britische New Left als eine Bewegung, die sich nicht auf die Antagonismen der Vergangenheit festlegen lässt und einen neuen Internationalismus anstrebt, der in der Auflösung aller Lager besteht sowie im Triumph des gewöhnlichen Leute (Thompson 9 9b: ). Im Unterschied zu Frankreich, wo die Gründung einer Partei <?page no="59"?> 60 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 60 der Neuen Linken auf der Tagesordnung stand (Bourdet 9 ), verband sich in Großbritannien die Neue Linke nicht zu einer alternativen Parteiorganisation. Denn was die Neue Linke auszeichnen sollte, das war nach Thompson ( 9 9b: 6) »ihr Bruch mit innerparteilichen Grabenkämpfen und ihre Erneuerung der Tradition offener Assoziationen, sozialistischer Erziehung und Aktivitäten, die auf alle Leute gleichermaßen zielten«. Zu diesem Zweck habe sie nicht nur eine spezifische Propaganda der Ideen zu entwickeln, sondern auch praktische Dienstleistungen - wie Zeitschriften, Clubs und Schulen - anzubieten. Und obwohl die Neue Linke oft auf kulturelle Fragen festgelegt werde (im Unterschied zu den, wie Thompson sagt, »bread-and-butter pre-occupations of the Old Left«, ebd. ), so dürften diese nicht allein als Wertfragen definiert werden, sondern stellten sich vor allem als Fragen politischer Macht. In welchem historischen Kontext erscheint nun die Neue Linke, und welche Konstellation kann, wenn schon nicht als ihr Auslöser, so doch vielleicht als ihr Ausgangspunkt festgemacht werden? Die damaligen Akteure stimmen in der Ansicht überein, dass dem Auftreten der Neuen Linken eine lange Phase der »Großen Apathie« (ebd. ) vorausging. Diese politische Apathie, die Hall ( 9 : 22) auf die Periode zwischen 9 und 9 datiert, war das Ergebnis eines neuen korporatistischen Konsenses, der in der britischen Nachkriegsgesellschaft gefestigt worden war, dessen Wurzeln aber noch in die Kriegswirtschaft zurückreichten. Noch die Kriegsregierung hatte mit dem Butler Education Act von 9 die Gebühren für weiterführende Schulen abgeschafft und das Erziehungssystem damit teilweise demokratisiert. Die Institutionen des modernen Wohlfahrtsstaats wurden von der Labour-Regierung der Nachkriegsjahre eingerichtet, und ein nahezu kostenloser National Health Service für alle Einwohner Großbritanniens wurde eingeführt. Um 9 0 war weitgehend Vollbeschäftigung erreicht. Zu den vieldiskutierten Themen dieser Jahre zählte aufgrund des Einkommenswachstums die Vorstellung, man sei in der »Wohlstandsgesellschaft« angekommen; von der Linken wurde die »Verbürgerlichung« des Proletariats diskutiert, obwohl alle Indikatoren zeigen, dass die <?page no="60"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 6 61 britische Klassengesellschaft weit von einer allgemeinen Verbürgerlichung entfernt war (Marwick 986). Der politische Bruch mit diesem Konsens, in dessen Kontext der epistemische Bruch der frühen Cultural Studies verortet werden muss, wird auf das Jahr 9 6 datiert, in dem die westeuropäische Linke mit drei einschneidenden Ereignissen konfrontiert war. In seiner Rede vor dem 20. Parteitag der KPdSU hatte deren Zentralsekretär Chruschtschow einige Verbrechen Stalins kritisiert, namentlich den Terror der zweiten Hälfte der 0er Jahre und den Personenkult. Diese partielle Entstalinisierung läutete ein kurzes Tauwetter in der Sowjetunion und den anderen Ostblock-Staaten ein, durch das Moskau den Zusammenhalt des Warschauer Pakts gefährdet sah. In Ungarn wurde im November des Jahres die Reformregierung unter Imre Nagy mit Hilfe der Sowjet-Armee entmachtet und ein Aufstand der Bevölkerung niedergeschlagen. Dies war das zweite einschneidende Ereignis. Hatte schon die schließlich im Westen publizierte Rede Chruschtschows viele Mitglieder westeuropäischer kommunistischer Parteien aufhorchen lassen, so war ungebrochene Loyalität mit kommunistischen Parteien, welche ideologisch weiterhin dem Stalinismus verhaftet blieben oder gar den Einmarsch in Ungarn rechtfertigten, für viele endgültig undenkbar geworden. Die dritte Erschütterung brachte die Suez-Krise: die militärische Initiative Großbritanniens (in Allianz mit Frankreich und Israel), den von Nasser in Ägypten verstaatlichten Suez-Kanal wieder unter eigene Kontrolle zu bringen. Die britische Intervention löste in der Bevölkerung eine breite Gegenbewegung und auf Londons Trafalgar Square die bis dahin größte Nachkriegsdemonstration aus. Das Schicksal des ehemaligen britischen Kolonialreichs war mit der Suez-Krise endgültig besiegelt. In der Phase der Herstellung eines neuen sozialen Konsenses - der Installierung des wohlfahrtsstaatlichen Regimes der Nachkriegszeit - lösten diese politischen Ereignisse eine regelrechte »Kulturrevolution« (Marwick 986) aus: Der Höhepunkt des »Wohlstands« fiel 19 6 mit so hochgradig un-konsensuellen Ereignissen zusammen wie: dem Suez-Abenteuer (mit seinem wachrüttelnden Einfluß auf die Arbeiterbewegung); <?page no="61"?> 62 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 62 der Geburt der Neuen Linken; Uses of Literacy, Look Back in Anger und Elvis Presley. Das Erwachen eines Teils der radikalen Intelligenz aus der konformistischen Verkrampfung des Kalten Kriegs, die Geburt außerparlamentarischer Politik in der Anti-Atombewegung, die Entstehung einer florierenden, kommerziell angestoßenen Jugendkultur - all das waren diskrepante Phänomene einer »Wohlstandsgesellschaft«, die im konsensuellen Strom schwamm. (Hall et al. 19 : 233) Die aus diesen Ereignissen hervorgehende erste Neue Linke mischte sich ein in eine politische Situation, in der das Feld der Linken im Wesentlichen zwischen der Labour Party und der viel kleineren Kommunistischen Partei Großbritanniens (CPGB) aufgeteilt war. Innerhalb der CPGB hatten die Ereignisse von 9 6 bei vielen Parteiintellektuellen zu einer Distanzierung geführt. Einige von ihnen, darunter die Historiker Edward P. Thompson, Eric Hobsbawm und John Saville, forderten eine offene Diskussion über die stalinistischen Verbrechen und die anstehende Reform der Partei, die in den offiziellen Parteiorganen nicht zugelassen wurde, woraufhin Thompson und Saville ihre eigene Zeitschrift, The New Reasoner, gründeten. Eine etwas jüngere Generation hatte sich schon vor 9 6 mit einem parteiunabhängigen Verein, der »Sozialistischen Gesellschaft« (Hall 2000b: 9), hervorgetan und sich gegen Stalinismus und Imperialismus gleichermaßen ausgesprochen, sodass die Gruppe das »moralische Kapital« besaß, um gegen die sowjetische Invasion Ungarns und die britisch-französische Intervention in Ägypten aufzutreten. Gemeinsam mit drei weiteren jungen Oxford-Studenten, unter ihnen der später international bekannte kanadische Philosoph Charles Taylor, gründete Stuart Hall, ein früheres Mitglied der »sozialistischen Gesellschaft«, 9 die Zeitschrift Universities and Left Review (ULR). 9 8 wanderte die Redaktion nach London. Hall übernahm als Vollzeitredakteur die Hauptlast der journalistischen Arbeit, während ein Herausgebergremium über die allgemeine Ausrichtung der Zeitung wachte. 6 The New Reasoner 6 Die Frage der Ausrichtung sollte bald kontrovers diskutiert werden, obwohl es im ersten ULR-Editorial hieß: »This journal has no political ›line‹ to offer: it cannot have, for it seeks to provide a forum where the different fruitful <?page no="62"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 6 63 und ULR wurden zu den beiden zentralen Debattenorganen der ersten Neuen Linken und sollten sich 960 zur New Left Review vereinen. Wieder wurde Stuart Hall deren erster Chefredakteur. Obwohl es personelle Überschneidungen gab (vor allem Raymond Williams hatte als Verbindung zwischen beiden Organen fungiert), war schon vor der Vereinigung kaum zu übersehen, dass The New Reasoner von ehemaligen CPGB-Dissidenten gemacht wurde, die einer etwas älteren Generation politischer Intellektueller angehörten, während die ULR-Redaktionsräume wohl nicht ganz zufällig im Künstlerviertel Soho untergebracht waren. Von Anfang an wurde in ULR das enge Verhältnis von Kultur und Politik diskutiert - etwa in Beiträgen zu Kunst und Literatur, vor allem aber auch zur neuen Jugendkultur der 0er Jahre. Obwohl beide Organe gegen den kruden ökonomischen Determinismus der orthodoxen Marxisten anschrieben, waren die Diskussionen zur Popularkultur doch vor allem auf den Seiten von ULR zu finden: Das zunehmende Interesse von ULR an kulturellen Erzeugnissen und Kulturkritik bestärkte ihre Autoren darin, die Annahme einer angeblichen Trennung zwischen den ökonomischen, politischen und kulturellen Dimensionen des sozialen Lebens herauszufordern. Darüber hinaus beschäftigte sich dieser Flügel der Neuen Linken genauer mit den neuen Antagonismen, die von der heutigen Gesellschaft generiert werden, wobei sie die aufkeimenden Strömungen der gegenkulturellen Revolte der Jugend der 19 0er Jahre betonte. (…) Herrschaft wurde als etwas verstanden, das in kulturellen wie politischen Praktiken verwurzelt war, während subkulturellerWiderstand gegenüber dominanten Werten in Form jugendlicher Revolte, der Ideen der »angry writers« und der Solidarität lokaler Gemeinschaften gefeiert wurde. (…) Klasse war nur eine von vielen Determinanten politischer Identität und politraditions of socialist discussion are free to meet in open controversy« (Hall et al. 9 : ii). Darüber, dass die Ausrichtung sozialistisch und radikaldemokratisch sein sollte, bestand allerdings kein Dissens: »That is the problem of how to change contemporary society so as to make it more democratic and more egalitarian, and yet how to prevent it into totalitarianism. (…) This is the breach, beach-head, a small area of which Universities and Left Review is attempting to occupy« (ebd.). <?page no="63"?> 64 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 6 tischen Verhaltens: Alter, »Rasse« und geographische Lokalisierung schienen immer stärker hervorzutreten. (Kenny 199 : ) Diese Hinwendung zum Gegenkulturellen schlug sich in der Gründung eines Cafés und des New Left Club nieder, in dem der politisch-aktivistische Teil der jugendlichen Londoner Gegenkultur der 0er Jahre sich zu Diskussionen mit den Autoren und Autorinnen von ULR genauso versammelte wie zu Jazz- und anderen Musik- und Kulturperformances. Bald schossen dutzende Clubs der New Left in ganz Großbritannien aus dem Boden; Hall (2000b: 2 ) spricht von landesweit 26 Clubs, Kenny ( 99 : 2 ) sogar von 0. Es ist umstritten, ob es sich bei der ersten Neuen Linken um eine soziale Bewegung handelte oder um ein intellektuelles Netzwerk von Clubs und wenigen Zeitschriften, das darüber hinaus nur einen geringen Organisationsgrad aufwies. Jedenfalls wurde das Auftreten der Neuen Linken von der frühen Friedensbewegung begleitet, der Campaign for Nuclear Disarmament (CND), welche die einseitige Aufgabe der nuklearen Bewaffnung Großbritanniens, sowie Neutralität gegenüber den beiden Blöcken forderte. Und wie die seit Ostern 9 8 jährlich stattfindenden Aldermaston-Friedensmärsche bezeugen, handelte es sich bei der Friedensbewegung in der Tat um eine soziale Bewegung, in der sich auch viele der Vertreter der ersten Neuen Linken, allen voran Thompson, engagierten. Selbst wenn also die erste Neue Linke nicht selbst als soziale Bewegung beschrieben werden kann, so agierte sie doch in enger Kooperation mit »einer der frühsten Neuen Sozialen Bewegungen« (Hall 2000b: 2 ). Um 962 begannen ihre Aktivitäten allerdings wieder abzuflauen. Fassen wir einige der wesentlichen Charakteristika der ersten Neuen Linken zusammen. Viele Fragen, die bis heute die Cultural Studies-Debatten bestimmen, wurden bereits hier öffentlich und kontrovers verhandelt: In der Ankündigung des künftigen Programms des Clubs wird die Grundidee vorgestellt: Ein Autor bzw. eine Autorin eines ULR-Artikels stellt das Thema vor und eröffnet damit die Diskussion. Daneben heißt es in der Ankündigung: »Coffee, beer and spirits will be available«. <?page no="64"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 6 6 Zum Ersten ging die Kritik am Stalinismus mit einer Kritik am ökonomischen Determinismus der orthodoxen marxistischen Klassiker einher. Kultur und Politik konnten aus dieser Perspektive nicht länger dem so genannten ideologischen »Überbau« zugerechnet werden, der sich - so die Doxa - über der determinierenden ökonomischen Basis erhob. Mit Bezug auf die noch stark humanistischen Frühschriften von Marx, nicht zuletzt dessen Entfremdungstheorie, wurde das Verhältnis von Kultur und Politik zur Ökonomie nicht-deterministisch neu bestimmt. Wie Thompson ( 9 8: 0 ) anmerkt, handelte es sich bei dieser Kritik des marxistischen Determinismus nicht um irgendeinen Nebenschauplatz, sondern um ein zentrales Kampffeld in den Konflikten der Zeit. Zweitens wurde gegen den ökonomischen Determinismus ein Konzept aktiver Handlungsfähigkeit (agency) der »normalen Leute« stark gemacht. Thompson hatte die erste Nummer des New Reasoner mit einem programmatischen Artikel zum »sozialistischen Humanismus« eröffnet. Dort analysiert er einmal mehr die Struktur der stalinistischen Ideologie (ihren Anti-Intellektualismus, ihren Dogmatismus und ihre Abstraktionen) und stellte sein eigenes Gegenprojekt des sozialistischen Humanismus vor. Abgesehen von Fragen der Moral bestand das Humanistische an diesem Sozialismus darin, dass Thompson ( 9 : 09) wieder »wirkliche Männer und Frauen« und nicht Abstraktionen wie die »Partei«, den »Marxismus-Leninismus-Stalinismus« oder die »Avantgarde der Arbeiterklasse« ins Zentrum sozialistischer Politik rücken wollte - und zwar zugunsten der Kategorie der agency. Es war diese Idee von Handlungsfähigkeit, die im ökonomischen Determinismus und der marxistischen Abstraktion einer angeblichen »historischen Notwendigkeit« keinen Platz fand. Dennoch beantwortet Thompson den orthodoxen Determinismus nicht einfach mit der spiegelbildlichen Illusion eines absoluten Voluntarismus, denn in Thompsons Augen sind die Leute immer gleichzeitig Opfer und Akteure der Bedingungen, unter denen sie leben. Thompson ist an den »kreativen Handlungsmöglichkeiten« interessiert, mit deren Hilfe die Leute ihre eigene Geschichte in Auseinandersetzung mit vorgefundenen Bedingungen gestalten. <?page no="65"?> 66 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 66 Die späteren Argumente innerhalb der Cultural Studies-Debatten um »empowerment« (»Ermächtigung«) und Handlungsmacht finden sich hier bereits vorgeformt. Drittens wurde emanzipatorische, sozialistische Politik, nach der Kritik am Stalinismus und dem Legitimitätsverlust der allwissenden Avantgardepartei, nun in einem radikaldemokratischen Sinne ausgelegt. Damit ist gemeint, dass es nun galt, eine gemeinsame, plurale und inklusive Kultur, einen demokratischen »whole way of life« zu entwickeln, was eine Umwertung der bürgerlich-individualistischen Kontrollgesellschaften voraussetzte. Wie Williams in seinen Schlussbetrachtungen zu Culture and Society schreibt: »Der Kampf für Demokratie liefert das Vorbild für die Umwertung, obwohl immer noch vieles von dem, was sich als demokratisch ausgibt, ideologisch mit der Praxis der erklärten Demokratiegegner verbunden ist« ( 999 [ 9 8]: ). Eine solche Umwertung impliziere die Beseitigung all jener Hindernisse, die der Partizipation aller Gruppen an der gemeinschaftlichen Aushandlung von Werten und Bedeutungen im Wege stehen. Eines der fundamentalsten Hindernisse sah Williams, durchaus marxistisch, im Privateigentum an den Produktionsmitteln. Doch das politische Projekt, das im langfristig angelegten Prozess einer long revolution zu dessen Abschaffung beitragen sollte, wurde nun als eine »Bildungs- und Partizipationsdemokratie« definiert, welche die Idee der sozialistischen Demokratie stützen sollte (Williams 98 : 8f.). Und auch für Hall ( 9 : 22) waren aus dem Suez- Debakel vor allem radikaldemokratische Lehren zu ziehen: »Die Fehler einer ›friedlichen Revolution‹ einerseits, die Deformationen des Sozialismus in Osteuropa andererseits, sollten uns davon überzeugen, dass die soziale Rekonstruktion der Gesellschaft das phantasievolle Experimentieren mit Formen demokratischer Kontrolle und Verantwortung erfordert, wie es bislang von der ›Wohlfahrts‹-Philosophie nicht erträumt wurde.« 8 8 Die Kontinuität in den radikaldemokratischen Überzeugungen Halls ist in der Tat erstaunlich, man vergleiche Halls Aufsatz von 9 mit Hall (2002). <?page no="66"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 6 6 2.3. Die formative Phase: Kulturalismus, Strukturalismus und die zweite Neue Linke Als Vertreterin einer pluralistischen Vorstellung von Politik, die nicht unmittelbar auf die Gründung einer Partei ausgerichtet war und sich kulturellen Themen zuwandte, lässt sich die erste Neue Linke als Vorläuferin partizipatorischer Politikformen späterer Jahre verstehen. Vor allem ihre Kooperation mit der Kampagne zur Nuklearen Entwaffnung, einem der Vorläufer der Neuen Sozialen Bewegungen, platzierte die erste Neue Linke um Köpfe wie Hall, Williams und Thompson »an vorderster Front dessen, was nach 968 die ›Neue Politik‹ werden sollte« (Hall 2000b: 2 ). Doch bereits zu Beginn der 60er Jahre geriet die erste Neue Linke in eine innere Krise. Ihr Erscheinungsbild war zunehmend von internen Verwerfungen bestimmt. Der Kritik u. a. Thompsons an der Ausrichtung der New Left Review folgte Halls Rücktritt und nach einem kurzen personellen Interludium 962 die Übernahme der Zeitschrift durch Perry Anderson. Dieser personelle Wechsel, der eine weit gehende Veränderung der editorischen Ausrichtung mit sich brachte, wird oft als Scheidelinie zwischen der ersten und der zweiten Neuen Linken in Großbritannien dargestellt. Die New Left Review verfolgte nun eine kritische Linie gegenüber dem Humanismus und Populismus Thompsons und anderer Vertreter der ersten Neuen Linken. Die Politik der Befreiungsbewegungen und Themen der so genannten Dritten Welt lösten das Interesse an einer autochthonen britischen Arbeiterkultur ab. Der maßgebliche theoretische Zugang verschob sich vom Kulturalismus und zu den aus Frankreich importierten strukturalistisch-marxistischen Ansätzen, ja zu einer insgesamt stärkeren Betonung von Theoriearbeit im Verhältnis zu politischem Aktivismus. Diese theoretisch interessierte Integration des Strukturalismus sollte die New Left Review, wie wir sehen werden, mit der Arbeit am CCCS der 0er Jahre teilen. Doch bevor die erste Neue Linke sich in der veränderten politischen Konstellation der 0er Jahre auflöste, gab sie 96 ein letztes, beeindruckendes Lebenszeichen. <?page no="67"?> 6 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 68 Der korporatistische Nachkriegskonsens war bereits unter Druck geraten, die Idee der »Wohlstandsgesellschaft« hatte ihre Schrammen abbekommen und obwohl die Ölkrise von 9 noch einige Jahre entfernt war, lag Krisenstimmung in der Luft. Anfangs hatte man auf die 96 wieder an die Macht gekommene Labour- Regierung unter Harold Wilson gesetzt, doch desillusioniert vom technokratischen »Modernisierungsprogramm« Wilsons verfassten die Hauptproponenten der alten, d. h. ersten Neuen Linken 96 ein Manifest, das auf große nationale wie internationale Resonanz stieß und 968 eine weitere Auflage erfuhr. Dieses May Day Manifesto ist wohl das prominenteste explizit politische Manifest, das aus einem Cultural Studies/ New Left-Zusammenhang hervorgegangen ist (Kenny 99 : 8- 62). Zugleich stellt es die »umfassendste sozialistische Analyse der britischen Gesellschaft in den sechziger Jahren« dar, die ökonomische, politische, soziale und kulturelle Aspekte umfasst, »[v]on der Verflechtung des amerikanischen Kapitalismus mit dem europäischen bis zum Kommunikationswesen, von der Rolle des Staates bis zu den Folgen der wissenschaftlich-technischen Revolution« (Klaus 98 : 2 9). Das May Day Manifesto ist kritische Gesellschaftsanalyse und politische Kampfschrift zugleich. Rückblickend erkennen die Autoren - darunter federführend Raymond Williams, Stuart Hall und Edward Thompson - den Grund des Scheiterns der Neuen Linken in ihrem Unvermögen, in den frühen 60er Jahren die unzähligen lokalen Praxen und Analysen zu einer allgemeinen politischen Position zusammenzuführen. Aufgrund des fragmentarischen Charakters der Bewegung konnte die Labour-Rhetorik einzelne Forderungen der Neuen Linken eingemeinden. Doch diese Forderungen sollten nicht isoliert betrachtet werden, standen sie doch in einem globalen politischen, ökonomischen und sozialen Zusammenhang (Williams 968: ). Mit ihrer Analyse der Bruchstellen des sozialen Konsenses der Nachkriegsjahre (der damals wieder in den Vordergrund tretenden Armut, der zunehmenden Ungleichheit, dem schlechten Zustand des Erziehungs- und Gesundheitssystems, etc.) zielen die Autoren des Manifests auf eine neue, totalisierende Beschreibung einer als fragmentiert wahrgenommenen <?page no="68"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 69 69 Wirklichkeit. Damit wollen sie zuallererst Bewusstseinsarbeit leisten und in zweiter Linie zur politischen Selbstorganisation einer nicht weniger fragmentierten Linken aufrufen. Neben dieser Aufsplitterung der eigenen Kräfte kritisieren sie dabei, auf heute erstaunlich aktuell wirkende Weise, auch eine verbreitete Konsensvorstellung von Politik: In der Modernisierungsrhetorik der Wilson-Regierung, die verdächtig an die heutige »Reform«-Rhetorik erinnert, sehen sie die »Theologie« des neuen Kapitalismus: Modernisierung ist die Ideologie der nie endenden Gegenwart. Die ganze Vergangenheit gehört zur »traditionellen« Gesellschaft, und Modernisierung ist das technische Mittel, um mit der Vergangenheit brechen zu können, ohne eine Zukunft zu erschaffen.Alles ist jetzt: atemlos, visionslos, entmutigt: die menschliche Gesellschaft wird auf technische Aspekte reduziert. Keine Konfrontation der Macht, der Werte oder Interessen, keine Wahl zwischen konkurrierenden Prioritäten ist vorgesehen oder wird ermutigt. Es handelt sich um ein technokratisches, konfliktfreies und politisch neutrales Gesellschaftsmodell, das genuine soziale Konflikte und Themen in Abstraktionen von »wissenschaftlicher Revolution«, »Konsens« und »Produktivität« auflöst. (Williams 196 : 4 ) Das Management eines verallgemeinerten Konsenses habe eine sich durch Konflikte definierende Politik ersetzt, was mit ein Grund dafür sei, dass eine progressive Opposition, die zur Formulierung ihrer Forderungen ja vor allem auf das Medium des Konflikts angewiesen ist, sich mit solch widrigen Umständen konfrontiert sähe. Die Absicht des neuen Kapitalismus und der diesen Kapitalismus unterstützenden Regierung, so das Manifest, bestehe deshalb in der Konstruktion einer scheinbaren Interessenübereinstimmung zwischen den verschiedenen Gruppen: »Konsensuspolitik, die für den Erfolg des neuen Kapitalismus notwendig ist, ist in ihrem Wesen eine manipulative Politik, die Politik des Managements von Menschen, und als solche zutiefst undemokratisch«. Obwohl Regierungen nach wie vor gewählt würden, bestehe »das wirkliche Regierungsgeschäft im Management eines Konsenses zwischen den mächtigsten und organisiertesten Eliten« (ebd. ). Administration und Pragmatismus würden alle wirkliche Auseinandersetzungen um die Ziele und <?page no="69"?> 0 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 0 Werte der demokratischen Gemeinschaft im Keim ersticken; statt durch Politik würden Interessenskoalitionen durch Kompromisse und Verhandlungen (bargaining) hinter den Kulissen zusammengezimmert. Diese Diagnose, die kaum etwas von ihrer Aktualität eingebüßt zu haben scheint, wurde im May Day Manifesto von 96 und 968 noch deutlich in den Farben des sozialistischen Humanismus der ersten Neuen Linken präsentiert. In den 0er Jahren sahen sich die holistischen und humanistischen Ansätze Thompsons und Williams’ hingegen mit der stärker werdenden Kritik einer Generation konfrontiert, die sich zunehmend an strukturalistischen Sozialtheorien orientierte, wie sie in Frankreich entwickelt worden waren. Diese unterschiedliche theoretische Orientierung - in der ersten New Left an den Marx ’ schen Frühschriften, in der zweiten an Strukturalisten wie Lévi-Strauss, Althusser und Barthes - schlug sich auch innerhalb der Cultural Studies in einer Differenzierung nieder, die Stuart Hall ( 999c) in einem klassischen Artikel als Differenzierung zwischen Kulturalismus und Strukturalismus beschrieb. Zwar ist die Scheidelinie zwischen erster und zweiter Neuer Linker nicht identisch mit dieser Paradigmendifferenz, aber die zentrale publizistische Institution der zweiten Neuen Linken, die New Left Review unter Perry Anderson, bemühte sich genauso um den Import strukturalistischer Theorieressourcen wie das CCCS unter Stuart Hall in den 0er Jahren. Umgekehrt reagierte Edward Thompson ( 99 ) auf diese Entwicklung durchwegs ablehnend, ja polemisch, während Williams die Strategie wählte, sich mit den neuen Theorien kritisch auseinander zu setzen und zumindest den lingustic turn seinem Projekt eines »kulturellen Materialismus« einzuschreiben. Worin bestehen nun die wesentlichen theoretischen Merkmale der beiden Paradigmen? Die bestimmenden Charakteristika des Kulturalismus wurden bereits dargestellt. Er entwickelt sich als Versuch, die Kategorie der Kultur aus ihrer randständigen Position zu befreien und ihr einen zentralen Platz in der Gesellschaftsanalyse zuzuweisen. Hall fasst die weiteren Merkmale des Kulturalismus bündig zusammen: »Auf unterschiedliche Art wird Kultur als verschlungen mit allen gesellschaftlichen Praktiken betrachtet, und <?page no="70"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 1 diese Praktiken selbst werden der Reihe nach als eine gemeinsame Form menschlicher Aktivität, mittels deren Männer und Frauen ihre Geschichte gestalten.« Im Unterschied zum Basis-Überbau-Modell definiere dieses Paradigma »›Kultur‹ sowohl als die Bedeutungen und Werte, welche innerhalb spezifischer sozialer Gruppen und Klassen auf der Basis ihrer gegebenen historischen Bedingungen sowie Beziehungen entstehen und mittels deren sie ihre Existenzbedingungen ›handhaben‹ und mit ihnen umgehen, als auch als die gelebten Traditionen und Praktiken, durch welche solche ›Deutungen‹ ausgedrückt und verkörpert werden« (Hall 999c: 2 f.). Dabei steht für die Kulturalisten die Kategorie der gelebten Erfahrung im Vordergrund, sowie die Rehabilitierung der kreativen Handlungsfähigkeit der Leute im Umgang mit den vorgefundenen sozialen Bedingungen. Vor allem wird Kultur als Totalität gelebter Praktiken verstanden. Auch der Strukturalismus hängt einer bestimmten Vorstellung von Totalität an: der Totalität eines nach dem Modell der Sprache gebildeten synchron organisierten Bedeutungssystems (zum Strukturalismus vgl. Dosse 999; Wahl 98 ). Gemäß Ferdinand de Saussures (posthum veröffentlichten) Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft (200 [ 9 6]), dem »Urtext« des Strukturalismus, entsteht die Bedeutung eines sprachlichen Elements (sein »Wert«) nur durch seine differenzielle Positionierung innerhalb einer Totalität von Elementen - ähnlich wie der Wert einer Münze die Totalität eines Währungssystems voraussetzt. Isoliert besitzt ein Zeichen deshalb überhaupt keinen Wert, denn seine Bedeutung entsteht für Saussure nicht im pseudo-natürlichen Bezug auf einen außersprachlichen Referenten, sondern ausschließlich innerhalb eines Differenzsystems, d. h. im Verhältnis zu den anderen Zeichen dieses Systems. Um ein einfaches Beispiel zu geben, das uns auch gleich mitten ins Feld der Kultur führt: Um zu verstehen, was das Wort »Vater« bedeutet, müssen wir es im Verhältnis zu Wörtern wie »Mutter«, »Tochter« und »Sohn« betrachten; das Wort »Vater« besitzt also keine positive Bedeutung außerhalb eines Systems differenziell organisierter Verwandtschaftsbeziehungen. Schon an diesem simplistischen Beispiel wird die Attraktivität des Saussure ’ schen Sprachmodells <?page no="71"?> 2 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 2 für die Kulturwissenschaft erkennbar. Vermittelt über die Phonologie Roman Jakobsons wurde die strukturale Linguistik von Claude Lévi-Strauss zur Grundlage der Ethnologie: In seinem Epoche machenden Erstlingswerk Die elementaren Strukturen der Verwandtschaft studierte Lévi-Strauss ( 99 [ 9 9]) die mögliche Kombinatorik von Heiratsverhältnissen bzw. deren Grenzen im Inzesttabu. 9 In seinen späteren Werken untersucht er die Tiefenstruktur von Mythen und kulturellen Klassifikationssystemen, wie z. B. totemistischen Systemen (Lévi-Strauss 9 6; 9 ). In Analogie zu den elementaren Einheiten der Phoneme in der Phonologie spricht er von so genannten Mythemen, die sich zu Mythen zusammensetzen. Diese Übersetzungsleistung hatte dramatische Auswirkungen auf den Kulturbegriff, der sich nunmehr auf die bedeutungserzeugende Praxis der Selektion, Kombination und Artikulation von Elementen bezog: »Kultur war ›wie eine Sprache‹ organisiert: sie konnte deshalb nur in Analogie zur strukturalen Linguistik studiert werden« (Hall 980: 26). Der Strukturalismus versprach, aus Bedeutungselementen entstehende Systeme von Relationen wissenschaftlich auf deren Kombinationsregeln und Klassifikationsschemata hin untersuchen zu können. Aus diesem Grund galt es, die Logik des von Saussure als langue bezeichneten Gesamtsystems der Sprache zu untersuchen, nicht die individuellen Äußerungsakte (von Saussure als parole bezeichnet). Das implizierte die systematische Dezentrierung humanistischer und kulturalistischer Vorstellungen: der »Mensch« war nicht länger die Quelle bedeutungserzeugender Praxis, er war nicht autonomer Sprecher, sondern wurde selbst durch die Codes und Systeme seiner Kultur gesprochen (Hall 98 b: 0 ff.). Diesen linguistic turn trieb in den Kulturwissenschaften nach und neben Lévi-Strauss der frühe Roland Barthes voran, dessen 9 So besteht für Lévi-Strauss ein Verwandtschaftsatom, d. h. die elementarste Verwandtschaftsstruktur, aus einem Mann, seiner Frau, einem Kind und, aufgrund des Inzesttabus, das die Heirat mit unmittelbaren Blutsverwandten verbietet, »einem Vertreter der Gruppe, von dem der Mann die Frau empfangen hat« (Lévi-Strauss 9 : 8 ). Aus der vom Inzesttabu auferlegten Notwendigkeit, den Raum der unmittelbaren »Blutsverwandten« auszudehnen, entsteht menschliche Soziabilität. <?page no="72"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 3 Arbeiten bereits in den 60er und frühen 0er Jahren ins Englische übersetzt und sofort in Cultural Studies-Kreisen rezipiert wurden (Turner 990: 8 ). Im direkten Anschluss an Saussure versuchte Barthes dessen linguistisches Modell in Richtung einer allgemeinen Semiologie auf das Feld der Alltags- und Trivialkultur auszudehnen. In seinen Mythen des Alltags ( 96 ; sh. auch Stivale 2002; Hall 99 b; Barthes 9 9) analysiert er so unterschiedliche Dinge wie den neuen Citroën, Einsteins Gehirn, das Gesicht der Garbo und Beefsteak mit Pommes frites. Der Mythos um jedes dieser Alltagsphänomene ist für Barthes ein semiologisches System zweiter Ordnung, das sich dem »normalen« linguistischen Zeichensystem, das Barthes auch als Objektssprache bezeichnet, aufpropft. Als Mythos bezeichnet »Beefsteak« nicht nur ein Stück Fleisch vom Rind, sondern ein inoffizielles französisches Nationalgericht und damit einen Teil der französischen Identität, deren Glanz auf die dazu gereichten frittierten Kartoffeln übergeht: »Im allgemeinen mit den Pommes frites verbunden, vermittelt das Beefsteak diesen seinen nationalen Glanz: die Frites sind Objekte der Sehnsucht und patriotisch wie das Beefsteak« ( 96 : 8). 20 Auf diese Weise entpolitisiert der Mythos z. B. nationale Identität und lässt sie naturgegeben erscheinen. Diese Naturalisierung sozialer Verhältnisse und Identitäten schlägt sich in den kleinsten Verästelungen des Alltagslebens nieder, wie z. B. auf der Speisekarte im Restaurant, und kann durch semiologische Analysen aufgeschlüsselt werden. Indem sie Sprache zum Paradigma jeder Form von Bedeutungskonstruktion machten, brachten Claude Lévi-Strauss und Roland Barthes »den Begriff ›Kultur‹ von seinen abstrakten Höhen herunter auf die Ebene des ›Anthropologischen‹, des Alltäglichen« (Hall 98 b: 0). Nicht so sehr in Form semiologischer Mikroanalysen als vielmehr auf der Ebene gesellschaftlicher Makrostrukturen bewegt sich hingegen das strukturale Modell des Marxismus, wie es von Louis Althusser und seinen Schülern (Althusser 968; Althusser 20 Muss man zum Beweis der mythologischen Funktion von Pommes frites daran erinnern, dass umgekehrt in den USA in einem Moment nationaler Empörung über Frankreich die French Fries in Freedom Fries umbenannt wurden? <?page no="73"?> 4 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite und Balibar 9 2) ausgearbeitet wurde (Hall 999c: ). Für Althusser war es die Produktionsweise, die wie eine Sprache strukturiert war und nicht länger, wie im traditionellen Marxismus, in eine simple Basis/ Überbau-Unterscheidung aufgespalten. Die Struktur einer Produktionsweise ergibt sich aus der kombinatorischen Verknüpfung der drei Instanzen von Ökonomie, Politik und Ideologie, wobei die Ökonomie (selbst wiederum untergliedert in Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse) keinen direkt determinierenden Einfluss auf die anderen Ebenen geltend machen kann. Einer der Vorteile dieser strukturalistischen Reformulierung des Marxismus besteht, wie Hall (29) anerkennend hervorhebt, darin, dass die kausale Logik der Determinierung zugunsten einer Idee von »strukturaler Kausalität« aufgegeben wurde: »einer Logik der Gruppierung, der internen Beziehungen, der Artikulation von Teilen innerhalb einer Struktur«. Ist es im Strukturalismus die Kombinatorik und das relationale In-Bezug-Setzen von Elementen, welche die komplexe Totalität eines gemeinsamen Systems dieser Elemente - sei es das System der Verwandtschaftsbeziehungen oder das System der Produktionsweise - voraussetzen, so vertritt der kulturalistische Holismus eher die Idee einer gemeinsamen »umfassenden Lebensweise« oder die einer alle Individuen verbindenden anthropologischen Konstante menschlicher Praxis. Der Strukturalismus besitzt kein Sensorium für einen sozialistischen Humanismus à la Thompson, da er apersonale Strukturen analysiert und keine menschlichen Handlungen oder gar Hoffnungen. Umgekehrt ist der Kulturalismus ständig in Gefahr, die gesellschaftlichen Makrostrukturen aus dem Blick zu verlieren, die ihrerseits die menschlichen Handlungsspielräume einschränken, was leicht zu einem naiven Voluntarismus verleiten kann. Ein für den Kulturalismus so zentraler Begriff wie »gelebte Erfahrung« macht aus strukturalistischer Perspektive deshalb, wie Hall ( 0) betont, keinen Sinn: Während im »Kulturalismus« Erfahrung das Fundament - der Bereich des »Gelebten« - war, auf dem sich das Bewußtsein und die Bedingungen überschneiden, betonte der Strukturalismus, daß »Erfahrung« per definitionem nicht das Fundament von irgend etwas sein könne, weil man seine Existenzbedingungen nur in und <?page no="74"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite durch die Kategorien, Klassifikationen und Rahmen der Kultur »leben« und erfahren könne. Diese Kategorien jedoch entstehen nicht aus und basieren nicht auf der Erfahrung: eher ist die Erfahrung ihr »Effekt«. Doch diese Vorstellung birgt ihrerseits wiederum Probleme, lässt sie doch kaum Spielraum für agency (Handungsmacht), wirkt deshalb potenziell passivierend und kann darüber hinaus nicht zureichend erklären, wie überhaupt historischer Wandel geschehen kann, solange allein vom Modell einer statischen Kombinatorik von Elementen innerhalb einer synchronen Systemtotalität ausgegangen wird. Das Fazit lautet, dass weder ein einseitiger Kulturalismus noch ein reiner Strukturalismus den Cultural Studies ein zufrieden stellendes Angebot machen konnte. In der formativen Phase der 0er Jahre scheidet sich also ein strukturalistischer von einem älteren kulturalistischen oder auch »links-kulturalistischen« (Milner 99 ) Strang der Cultural Studies. Obwohl am Centre unter Stuart Halls Leitung zu dieser Zeit, wie wir noch sehen werden, kulturalistische Ansätze durchaus vertreten blieben, verlor das kulturalistische Paradigma doch immer mehr an Bedeutung, während strukturalistische und poststrukturalistische Theorien intensiv durchgearbeitet wurden. Die einzige wirklich bedeutende Weiterentwicklung des Kulturalismus - durchaus unter Berücksichtigung des linguistic turn - war zu dieser Zeit Raymond Williams zu verdanken, der das eigenständige Programm eines Kulturellen Materialismus entwickelte. Schließlich stellte sich heraus, dass die jeweiligen Defizite der Paradigmen weder aus diesen selbst heraus noch durch eine Kombination oder einen schlechten Kompromiss zu beheben waren. Für die Weiterentwicklung beider Paradigmen - des (post-)strukturalistischen Strangs der Cultural Studies wie auch der Spielart eines Kulturellen Materialismus - erwies sich die Hegemonietheorie Antonio Gramscis als entscheidender Antrieb und zugleich als tertium comparationis zwischen Strukturalismus und Kulturalismus. So gelang es Williams mithilfe der stark konflikttheoretisch orientierten Hegemonietheorie nicht nur, die von Thompson urgierte Dimension gesellschaftlicher Kämpfe in sein Modell zu integrieren; darüber hinaus konnte die Makrostruktu- <?page no="75"?> 6 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 6 rierung »umfassender Lebensweisen« - ihr Eingebundensein in hegemoniale Formationen - angemessener erklärt werden. Für die Anhänger des strukturalistischen Paradigmas wiederum lieferte der radikale Kontextualismus und Historizismus Gramscis ein politisches Gegengewicht zum statischen und ahistorischen strukturalen Marxismus eines Althusser. Kurzum, in beiden Fällen versprach die Hegemonietheorie eine Lösung für wesentliche Probleme des jeweiligen Paradigmas, und in beiden Fällen führte ihre Rezeption zur Politisierung des jeweiligen theoretischen Ansatzes. Bevor also der Kulturelle Materialismus Williams’ und die (post-)strukturalistische Arbeit am CCCS etwas genauer vorgestellt werden, scheint es geboten, die wesentlichen Umrisse der Gramsci ’ schen Hegemonietheorie kenntlich zu machen. 2.4. Gramscis Hegemonietheorie als verbindendes Glied zwischen Strukturalismus und Kulturalismus Antonio Gramsci, geboren 89 in Sardinien, in der Turiner Rätebewegung aktiv und 92 Mitbegründer der Kommunistischen Partei Italiens (deren Generalsekretär er 92 werden sollte), wurde 926 von den italienischen Faschisten ins Gefängnis geworfen und starb 9 nach seiner Entlassung, letztlich an den Folgen der Haft. Gramscis Leistung besteht in der Ausarbeitung einer weitgehend nicht-deterministischen und nichtökonomistischen politischen Theorie, die das Feld der Kultur als wesentlichen Austragungsort politischer Kämpfe um Hegemonie konzipiert. So ist verständlich, dass jene Spielarten der Cultural Studies, die Kultur und Macht dem gleichen Ursprung zuschreiben, sich von Gramscis Theorie angesprochen fühlen mussten. Deren Ausformung ist aber nur vor dem historischen Hintergrund der spezifischen politischen Situation der Linken sowie des Zustands des Marxismus in der Zeit nach der russischen Revolution von 9 zu verstehen. Die Ernüchterung, aus der heraus Gramscis Konzept der Hegemonie entwickelt wurde, könnte man vielleicht am besten mit <?page no="76"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite dem Schlagwort vom Ausbleiben der Revolution fassen. Nicht nur hatte die einzige sozialistische Revolution entgegen allen Voraussagen nicht im wirtschaftlich fortschrittlichsten Land Europas mit der stärksten Arbeiterbewegung stattgefunden (Deutschland), sondern in einem der industriell »rückschrittlichsten« (Russland), auch fanden die vorhergesagten Anschlussrevolutionen im Westen nach Ende des Ersten Weltkriegs entweder nicht statt oder scheiterten kläglich. In dieser Phase der Ernüchterung, nachdem der Moment der Revolution ungenutzt vorübergezogen war, drängte sich auf, was Stuart Hall ( 99 ) »Gramscis Frage« nennt: Gramsci musste sich dem Rückfall, dem Scheitern dieses Moments stellen: der Tatsache, dass solch ein Moment, nachdem er vorübergezogen war, niemals in seiner alten Form zurückkehren würde. Gramsci fand sich hier Auge in Auge mit dem revolutionären Charakter von Geschichte selbst. Sobald eine Konjunktur sich entfaltet, gibt es kein »zurück«. Geschichte wechselt die Gänge. Das Terrain verschiebt sich. Man steht in einem neuen Moment. Man muss, »gewaltsam« und mit allem »Pessimismus des Intellekts«, der einem zu Verfügung steht, sich der »Disziplin der Konjunktur« zuwenden. (1991: 11 ) Die neue historische Konjunktur musste Auswirkungen auf den Theoriebau des Marxismus haben, da sie jeden Ökonomismus und Determinismus effektiv widerlegte. Gramscis Antwort darauf bestand in der Weiterentwicklung des Hegemoniebegriffs. Er übernahm diesen aus dem Vokabular Lenins und der russischen Sozialdemokratie, wo Hegemonie die Strategie von Klassenallianzen bezeichnete. Doch für Lenin war Hegemonie noch ein rein äußerliches Bündnis zwischen Klassen (unter Führung der Arbeiterklasse), das einem Nullsummenspiel gleichkam, insofern die in eine Allianz eintretenden Klassen ihre Identität unabhängig von dieser Allianz beibehielten. Das Bündnis des Proletariats mit anderen Klassen ist rein manipulativ und ändert nichts an der Klassenidentität der Arbeiter. Gramsci jedoch erweitert das Konzept hegemonialer Verknüpfung über das leninistische Konzept des Klassenbündnisses hinaus. Eine »Klassenallianz« besteht für ihn nicht aus Klassen, deren Identität immer schon vorgegeben ist, sondern diese Identität muss politisch konstruiert <?page no="77"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 8 werden. Gramsci spricht an dieser Stelle von der Notwendigkeit der Konstruktion eines kollektiven Willens, der eine Vielzahl von Positionen zu einem gemeinsamen politischen Projekt artikuliert, das sich keineswegs automatisch aus deren Klassenzugehörigkeit ergibt. Damit wird der im strengen Sinn politische und strategische Aspekt der Konstruktion sozialer Identität betont: »der Kollektivwille ist ein Resultat der politisch-ideologischen Artikulation verstreuter und fragmentierter historischer Kräfte« (Laclau/ Mouffe 99 : ). Hegemonie bezeichnet diesen politisch-ideologischen Artikulationsprozess. Es handelt sich bei Hegemonie somit nicht um den sprichwörtlichen Blumentopf, den man beim Wettschießen gewinnt (niemand »besitzt« Hegemonie), sondern um ein Verhältnis: um einen aus heterogenen Elementen artikulierten Kollektivwillen. Was ist nun das Ziel eines hegemonialen Projekts und auf welchem Terrain, bzw. mit welchen Mitteln wird dieses Ziel verfolgt? Gramsci geht von der historischen Beobachtung aus, dass, im Unterschied zu Russland, in den Ländern des europäischen Westens Macht offenbar nicht durch die Stürmung eines Winterpalasts zu erlangen ist, sondern jeder Machtgewinn in einem mühsamen und langwierigen Prozess vorbereitet werden muss. Die Ursache dafür liegt in der jeweils unterschiedlich weit fortgeschrittenen Entwicklung der Zivilgesellschaft. Während in einer Gesellschaft wie dem zaristischen Russland die Übernahme der Staatsmacht ein offenbar hinreichendes Kriterium für eine Revolution darstellte, musste in den westeuropäischen Ländern mit ihrer vergleichsweise stärker entwickelten Zivilgesellschaft eine Revolution erst außerhalb des Staatsapparats, das heißt auf dem Terrain der Zivilgesellschaft vorbereitet werden. Unter Zivilgesellschaft versteht Gramsci jenen dem Staat im engeren Sinn vorgelagerten Bereich privater Organisationen, die nicht direkt unter Verwaltung des Staates stehen, also z. B. Erziehungsinstitutionen wie Schulen und Universitäten, die Massenmedien, private Vereine und selbst Gewerkschaften. In den »fortgeschrittensten Staaten« hatte sich die Zivilgesellschaft, wie Gramsci anmerkt, zu einer sehr komplexen Struktur entwickelt, die genauso widerstandsfähig gegenüber ökonomischen Krisen und Depressionen wie gegenwww.Claudia-Wild.de: <?page no="78"?> Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 9 9 über politischen Revolutionsversuchen war: »Im Osten war der Staat alles, die Zivilgesellschaft war in ihren Anfängen und gallertenhaft; im Westen bestand zwischen Staat und Zivilgesellschaft ein richtiges Verhältnis, und beim Wanken des Staates gewahrte man sogleich eine robuste Struktur der Zivilgesellschaft. Der Staat war nur ein vorgeschobener Schützengraben, hinter welchem sich eine robuste Kette von Festungen und Kasematten befand« (Gramsci 99 ff: 8 ). An anderer Stelle vergleicht Gramsci die Zivilgesellschaft mit den Grabensystemen des ersten Weltkriegs. Das Terrain, auf dem die hegemoniale Auseinandersetzung geführt wird, muss als ein hochgradig in sich verkeiltes, komplexes System zivilgesellschaftlicher Institutionen gedacht werden. Der Kampf innerhalb dieses Systems wurde von Gramsci, immer noch in Anlehnung an die Grabenkämpfe des ersten Weltkriegs, metaphorisch als Stellungskrieg bezeichnet. Im Unterschied zum Bewegungskrieg übernimmt eine politische Kraft im Fall des Stellungskriegs nicht mit wehenden Fahnen die Staatsmacht, sondern kämpft sich gleichsam von Graben zu Graben vor, wobei aus der Innenperspektive des Grabensystems oft unklar bleibt, wo überhaupt die Frontlinie verläuft. Die Komplexität und Unübersichtlichkeit dieses Terrains impliziert, dass für politische Strategie und Taktik große Spielräume bleiben. Gramscis Betonung der Funktion der Zivilgesellschaft verleitet ihn gewiss nicht dazu, die Rolle des Staates im herkömmlichen Verständnis herunterzuspielen. Durch die analytische Trennung von ziviler Gesellschaft einerseits und »politischer Gesellschaft« andererseits (der Staat im landläufigen Sinn: Regierung, Justiz, Polizei, Militär) gelingt es ihm, die beiden Funktionen von Hegemonie und Zwang sowohl zu differenzieren als auch unter dem gemeinsamen Dach eines »integralen Staates« zu verbinden. Die einschlägige Formel lautet: »Staat = politische Gesellschaft + Zivilgesellschaft, das heißt Hegemonie, gepanzert mit Zwang« ( 8 ). Eine hegemoniale Allianz kann ihre Herrschaft auf Dauer nur sichern, wenn sie sich auf beide Aspekte - Zwang, ausgeübt durch die politische Gesellschaft, und Hegemonie, ausgeübt in der Zivilgesellschaft - stützen kann. Dabei ist die auf dem Terrain <?page no="79"?> 0 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 80 der Zivilgesellschaft ausgeübte Hegemonie, im Unterschied zum staatlichen Zwang, charakterisiert durch das Bemühen, einen Zustand des allgemeinen Konsenses und der freiwilligen, also eben nicht erzwungenen Zustimmung zum jeweils hegemonialen Projekt herbeizuführen. Aus dieser Perspektive ist Hegemonie der Name für die Organisation von Zustimmung. Die Zwangsmittel der »politischen« Staatsapparate sind schon allein deshalb nicht zureichend für dauerhafte Herrschaft, weil die freiwillige Zustimmung zu einem gegebenen Status quo auch in den Köpfen des Personals dieser Zwangsapparate hergestellt werden muss. Sobald der Konsens hingegen auf breiter Front zu bröckeln beginnt und diese Zerrüttung Polizei und Militär erfasst hat, kann es - scheinbar plötzlich - dazu kommen, dass im Moment einer popularen Erhebung das Personal der Zwangsapparate seine Posten verlässt und zu den Aufständischen überläuft, womit das Schicksal jedes Regimes besiegelt wäre. Dem Verlust der Herrschaft über die politische Gesellschaft geht folglich der Verlust der Hegemonie in der Zivilgesellschaft voraus. Herrschaft kann nur als gesichert gelten, solange die beiden Seiten »des Zwangs und des Konsenses, der Autorität und der Hegemonie, der Gewalt und der Kultur« ( ) integriert bleiben. Hegemonie besteht im engeren Sinn also in der Erzeugung eines Konsenses und freiwilliger Zustimmung auf dem komplexen Terrain der Zivilgesellschaft - und zwar durch Strategien der moralischen und intellektuellen Führung (direzione). Es geht nicht allein um politische Führung innerhalb einer Lenin ’ schen Klassenallianz, sondern es geht um ideologische Überzeugung und »Erziehung«, nicht zuletzt um Hegemonie als »pädagogisches Verhältnis« (vgl. Merkens 200 ; Winter 2006). Anders gesagt, es geht bei Hegemonie um die Reartikulation kultureller Vorstellungsmuster in Richtung eines neuen bzw. zum Zwecke der Beibehaltung eines bestehenden Konsenses. Das »Medium« oder, wenn man so will, »Rohmaterial« dieser Anstrengung bezeichnet Gramscis berühmter Begriff des Alltagsverstands (senso comune). Nirgendwo bei Gramsci kommen wir den späteren Cultural Studies näher als mit diesem Konzept einer »Philosophie der Volksmengen«. Was zeichnet diese aus? Zuallererst betont Gramsci <?page no="80"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 8 1 die Inkohärenz und »heteroklite« Natur des Alltagsverstands, was ihn von der Philosophie unterscheidet und mit der Religion verbindet. In ihm finden sich »Elemente des Höhlenmenschen und Prinzipien der modernsten und fortgeschrittensten Wissenschaft, Vorurteile aller vergangenen, lokal bornierten geschichtlichen Phasen und Intuitionen einer künftigen Philosophie, wie sie einem weltweit vereinten Menschengeschlecht zueigen sein wird« (Gramsci 99 ff.: 6). Aufgrund seines inkohärenten Charakters ist der Alltagsverstand hegemonialen Re-Artikulationen gegenüber empfänglich. Hegemonie bezeichnet geradezu den Kampf um die Aktivierung bestimmter Elemente des Alltagsverstands, ihre Verknüpfung mit dem eigenen hegemonialen Projekt, wie auch die Desaktivierung anderer Elemente. In einer sehr brauchbaren Zusammenfassung wesentlicher Charakteristika definiert Hall Gramscis Hegemoniebegriff folgendermaßen: »Hegemonie« beinhaltet: den Kampf, um eine existierende politische Formation herauszufordern und zu disorganisieren; die Einnahme einer »Position der Führung« (auf welch minoritärer Basis auch immer) gegenüber einer Reihe verschiedener Gesellschaftssphären zugleich - Ökonomie, Zivilgesellschaft, intellektuelles und moralisches Leben, Kultur; das Führen einer breiten und differenzierten Form von Kampf; das Gewinnen, in strategischem Ausmaß, von popularer Zustimmung; und also die Sicherung einer sozialen Autorität, die ausreichend tief reicht, um die Gesellschaft einem neuen historischen Projekt einzufügen. Dieses sollte nie fälschlich als beendet oder vollendet erachtet werden. Es wird immer herausgefordert, muß sich immer selbst sichern, ist immer »im Prozeß«. (Hall 19 : ) Der hegemoniale Stellungskrieg findet also wesentlich auf dieser kulturellen Ebene des Alltagsverstands bzw. um den Alltagsverstand statt. Hier entscheidet sich, ob eine bestimmte Version des Konsenses mit dem Anschein von Plausibilität ausgestattet werden kann. Gelingt das, so wird sie zur »organischen Ideologie«, die unterschiedliche Klassen und Strata der Bevölkerung wie durch Zement aneinander bindet. Das Ergebnis ist, in Gramscis Terminologie, ein »historischer Block« oder, in moderner Terminologie, eine hegemoniale Formation. Diese umschließt sowohl die <?page no="81"?> 2 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 82 ökonomische Basis als auch den so genannten Überbau, womit sich Gramsci vom ökonomischen Determinismus der Orthodoxie absetzt. Denn eine Gesellschaftsformation wird nicht durch ökonomische Gesetze vereinheitlicht, sondern durch die Konstruktion eines »Kollektivwillens«, der sich zu einem historischen Block erweitert. Und so wie ein Kollektivwille die korporative Identität einer einzigen Klasse oder Klassenfraktion übersteigt, so geht Gramscis Konzept von Ideologie als »Zement« eines »historischen Blocks«, in welchem Institutionen und Apparate des erweiterten Staates wie auch der Ökonomie zu einem organischen Ganzen artikuliert sind, über die traditionelle Basis/ Überbau- Unterscheidung hinaus in Richtung einer Theorie hegemonialer Artikulation im Medium der Zivilgesellschaft und des Alltagsverstands, d. h. der Popularkultur. So konnte Stuart Hall ( 989c: 89) schließlich im Anschluss an Gramsci Kultur definieren als »das jeweilige Feld der Praxen, Repräsentationen, Sprachen und Bräuche in jeder historisch bestimmten Gesellschaft«, welches zugleich »die widersprüchlichen Formen des Alltagsbewußtseins« umfasst, »die im alltäglichen Leben verwurzelt sind und dazu beigetragen haben, es zu formen«. 2. . Raymond Williams und der Kulturelle Materialismus Obwohl vereinzelte Übersetzungen bereits früher zu Verfügung standen und Gramsci in der britischen Linken kein Unbekannter war, stand erst mit der zu Beginn der 0er Jahre ins Englische übertragenen Auswahl aus Gramscis Gefängnisheften (Hoare/ Smith 9 , dt. Gramsci 99 ff.) die Grundlage für eine intensivere Rezeption zu Verfügung. Raymond Williams reagierte bereits 9 mit seinem wegweisenden Essay »Zur Basis-Überbau-These in der marxistischen Kulturtheorie« (in Williams 98 ), dessen Thesen in das spätere Hauptwerk der kulturmaterialistischen Phase Williams’, Marxism and Literature ( 9 ), Eingang finden sollten. Dort entwickelte Williams, basierend auf Gramsci, eine eigenständige Kritik des marxistischen Basis-Überbau-Modells, <?page no="82"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 8 3 ohne dieses in seiner Gänze zurückzuweisen: Ökonomische Produktion sei kein Automatismus, sondern entwickle sich genauso wie das Feld der Kultur aus menschlichen Praktiken. Die Vorgänge im »Überbau« dürften ihrerseits nicht als Widerspiegelungen der Basis aufgefasst werden, sondern der Begriff »sollte mit Rücksicht auf das ganze Spektrum kultureller Praktiken revidiert werden«. Und schließlich dürfe »Determination« nicht als rein kausales Verhältnis konzeptualisiert werden, sondern »im Sinne von Grenzen-setzen und Druck-ausüben gefaßt werden, nicht mehr dagegen als ein den Inhalt vorherbestimmender und ihn festlegender Terminus« ( 98 : 86). Der Begriff der Hegemonie könne vermittelnd einspringen, da hegemoniale Praktiken - im Unterschied zu Ideologie im engen Überbausinn - die gesamte Gesellschaft »durchtränken« ( 89). Als Formen kulturellen Handelns müsse man sie zu den Grundprozessen der Formung sozialer und ökonomischer Strukturen zählen ( 9 : ). 2 Vorauszusetzen ist freilich, dass unter »gelebter« Hegemonie ein aktiver, materieller Prozess und keine stabile Struktur verstanden wird. Zwar verfestigt dieser Prozess divergente Bedeutungen und Praktiken zu Traditionen, Institutionen und Formationen; eine hegemoniale Kultur, als ein von Konflikten und Widersprüchen gezeichneter Prozess, sei aber mehr als die Summe ihrer Institutionen. Um dem Missverständnis auszuweichen, Hegemonie könne ein für allemal zu statischer, unhinterfragter Herrschaft werden, schlägt Williams deshalb vor (ohne sich selbst durchgehend daran zu halten), anstelle von Hegemonie vom »Hegemonialen« zu sprechen. Denn Hegemonie müsse »kontinuierlich erneuert, neu erschaffen, verteidigt und modifiziert werden. Ihr wird ebenso kontinuierlich widerstanden, sie wird eingegrenzt, verändert und von Zwängen herausgefordert, die nicht ihr selbst entwachsen« 2 Am pointiertesten findet sich dies in Williams Keywords-Eintrag zum Stichwort »Hegemonie« angesprochen: »Die Betonung von Hegemonie und dem Hegemonialen inkludiert also kulturelle wie politische und ökonomische Faktoren; sie unterscheidet sich in diesem Sinn von der alternativen Idee einer ökonomischen Basis und einem politischen und kulturellen Überbau, wobei Veränderungen der Basis - mit welchem Grad an Indirektheit oder Verzögerung auch immer - auch den Überbau verändern.« (Williams 988: ) <?page no="83"?> 4 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 8 ( 9 : ). Das Hegemoniale ist folglich kein monolithisches Zwangssystem, das von einem allmächtigen Hegemon eingerichtet wurde, sondern beschreibt ein bewegliches Kräfteverhältnis, das in kulturellen Praxen »gelebt«, d. h. verteidigt wie auch angegriffen wird. Angesichts solcher Herausforderung wird eine dominante hegemoniale Formation - eine Dominanzkultur - ständig daran arbeiten müssen, nicht an Terrain zu verlieren. Williams unterscheidet zwei idealtypische Modi der Herausforderung einer dominanten hegemonialen Formation: Gegen- Hegemonie und alternative Hegemonie; oder auch einfacher: Opposition und Alternative. Letztere wird sich an den Rändern einer herrschenden Kultur aufhalten und dort möglicherweise isolierte, zumindest aber eigenständige Lebensformen und Wertevorstellungen entwickeln, Erstere wird der Dominanzkultur offen entgegentreten und aus dem »Wunsch nach einer anderen Existenzform« einen Anspruch ableiten, die Gesellschaft zu verändern ( 98 : 9 ). Eine alternative Praxis, ein alternativer Lebensstil, kann ignoriert werden, solange sie sich nicht in Profit umsetzen lässt oder oppositionell wird. Sollte das jedoch geschehen, muss sich die dominante Kultur zu ihr verhalten und sie möglicherweise bekämpfen. Doch die eigentlich hegemoniale Strategie besteht, wie bereits angemerkt, gar nicht in der Ausübung von Zwang und Unterdrückung, sondern in der Erzeugung von Konsens und freiwilliger Zustimmung. Alternative und vor allem oppositionelle Kulturen werden durch die Dominanzkultur deshalb so weit wie möglich integriert oder, mit Williams’ Begriff, »inkorporiert«. Die Dominanzkultur beruht sogar wesentlich auf diesem Prozess der Inkorporation, der abweichende oder gar oppositionelle Praxen neutralisiert, indem er sie dem herrschenden Konsens einverleibt. Das bedingt die ständige Umformung und Auswahl von Bedeutungen, das ständige Neuschreiben vorgeblich alter Traditionen, Historien, Wissensbestände: »Der Ausbildungsprozeß; das viel umfassendere Training innerhalb von Institutionen wie der Familie; die Definitionen und Organisation von Arbeit; die selektive Tradition auf der intellektuellen und theoretischen Ebene: alle diese Kräfte aktivieren und reaktivieren fortgesetzt die herrschende Kultur« ( 9 ). Diese »Hauptagenturen der Transmission <?page no="84"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 8 einer herrschenden Kultur« (ebd.) fungieren zugleich als Hauptagenturen der Inkorporation alternativer oder oppositioneller Bedeutungen, Werte und Lebensformen. 22 Sowohl oppositionelle als auch alternative Kulturen können nun wiederum in zwei idealtypisch zu unterscheidenden Formen auftreten: in residualer Form und in emergenter, d. h. neu entstehender. Als residual im Verhältnis zur dominanten Kultur definiert Williams »diejenigen Erfahrungen, Bedeutungen und Werte, die mit Begriffen der herrschenden Kultur nicht verifiziert oder ausgedrückt werden können, aber dennoch und auf der Basis von - kulturellen wie gesellschaftlichen - Residuen früherer gesellschaftlicher Formationen gelebt und praktiziert werden« ( 92- ). Ein typisches Beispiel für eine residuale Kultur wäre die organisierte Religion, die zwar weitestgehend der herrschenden Kultur inkorporiert ist, jedoch bestimmte residuale Werte aufweist - etwa religiös motivierter Solidarität mit Schwachen -, die alternative oder gar oppositionelle Form annehmen können (Williams 9 : 22). Auch ländliche Gemeinschaften zählten im Industriekapitalismus zu den weitgehend residualen Kulturen, die von der dominanten Kultur abwichen, aber zugleich - als Fantasie vom Landleben oder heute als Freizeitpark - in sie inkorporiert wurden. Mit dem Begriff der emergenten oder neu entstehenden Kulturen bezieht sich Williams auf die Tatsache der ständigen Entstehung neuer Werte, Praktiken und Erfahrungen, die die herrschende Kultur in der Regel ebenfalls eine Zeitlang entweder ignoriert oder zu inkorporieren versucht. Auch emergente Kulturen können alternative oder oppositionelle Ausformungen annehmen. Eine neu entstehende Klasse wird zum Beispiel neue Formen kultureller Praxis entwickeln, die den dominanten Praxen entgegenlaufen. So wurden die alternativen und oppositionellen Elemente der Arbeiterkultur - wie Gewerkschaften oder der Lebensstil der Arbeiterklasse - in großem Ausmaß, wenn auch 22 Das schließt die Möglichkeit übrigens nicht aus, dass eine Praxis zugleich oppositionell und inkorporiert ist. Oppositionelle Praktiken, welche die Grenzen der Dominanzkultur nicht überschreiten - Williams ( 99 : 92) führt als Beispiel die parlamentarische Politik an -, können durchaus zugleich oppositionell sein und inkorporiert. <?page no="85"?> 6 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 86 nie vollständig, der bürgerlichen Kultur einverleibt: etwa durch den Boulevardjournalismus, Werbung und Unterhaltungsindustrie ( 2 ). Doch insofern keine dominante Kultur je den Raum aller möglichen Praktiken und Bedeutungen abdecken können wird, steht jede dominante Kultur nicht nur unter dem ständigen Druck nachströmender, emergenter Praktiken, sondern wird der Spielraum gegen-hegemonialer oder alternativ-hegemonialer Handlungsfähigkeit seinerseits nie völlig verschwinden. Widerstand gegen die Dominanzkultur ist somit per Definition nicht zwecklos. Sowohl residuale als auch emergente Kulturen können als Reservoir potenziell alternativer oder oppositioneller Artikulationen dienen: »Zu jeder Zeit existieren in der Gesellschaft Formen alternativer oder direkt oppositioneller Politik und Kultur als signifikante Elemente« ( 9 : ). Diese neue Theorie des kulturellen Materialismus unterscheidet sich von Williams’ frühem Kulturalismus in zumindest zweierlei Hinsicht. Erstens bekommt die frühere Idee von Kultur als »umfassende Lebensweise« eine stärker konflikttheoretische Wendung; und zweitens vollzieht Williams den linguistic turn, d. h. er vertritt eine »Kulturauffassung, in der Kultur als ›signifying system‹ - als Bedeutungssystem - aufgefaßt wird« (Göttlich 999: 0). Allerdings führt diese sprachtheoretische Wende Williams’ zu keiner substanziellen Annäherung an den Strukturalismus, dem er vorwirft, die Materialität der Sprachpraxis zu unterschätzen und sich mit der leeren Kombinatorik relationaler Element zufrieden zu geben. Saussure wird für seine Unterscheidung in Sprache als System (langue) und die individuellen Äußerungen (parole) kritisiert. Diese Trennung spiegle erstens die bürgerliche Unterscheidung zwischen den Bereichen des »Sozialen« einerseits und des »Individuellen« andererseits wider; zweitens gerate durch die linguistische Fokussierung auf Sprache (als synchron organisiertes System) Geschichte - und damit soziale Veränderung - in den Hintergrund. Ausgehend von dieser Kritik entwickelt Williams seinerseits eine Vorstellung von Sprache als prozessualer Aktivität und bringt damit gleichsam die Saussure ’ sche parole (diesmal verstanden als kollektive Aktivität) in das starre System der langue zurück. Zu Hilfe kommt ihm dabei die Arbeit des sowwww.Claudia-Wild.de: <?page no="86"?> Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 8 jetischen Linguisten Valentin N. Vološinov ( 9 ), der in den 20er Jahren den Sprach- und Zeichenbegriff marxistisch politisierte, was sich für die späteren Cultural Studies immer wieder als anschlussfähig erweisen sollte. 2 Vološinov wandte sich ab von der orthodox-marxistischen Vorstellung, das Zeichen würde (als Überbauphänomen) das Sein der ökonomischen Basis nur widerspiegeln. Nach Vološinov ( 9 : ) wird das Sein im Zeichen »nicht einfach widergespiegelt, sondern gebrochen«. Diese »Brechung« resultiert aus dem Umstand, dass das Zeichen ideologisch umkämpft ist und nicht eindeutig sein kann: Sie wird bestimmt durch die Überschneidung unterschiedlich orientierter gesellschaftlicher Interessen innerhalb einer Zeichengemeinschaft, d.h., durch den Klassenkampf. Die Klasse fällt nicht mit der Zeichengemeinschaft zusammen, d.h. mit einer Gemeinschaft, welche für die ideologische Kommunikation die gleichen Zeichen benutzt. Denn auch die verschiedenen Klassen benutzen ein und dieselbe Sprache. Infolgedessen überschneiden sich in jedem ideologischen Zeichen unterschiedlich orientierte Akzente. Das Zeichen wird zur Arena des Klassenkampfes. (Vološinov 19 : 1) Die verschiedenen Klassen tragen ihren ideologischen Kampf also mit den gleichen Waffen, d. h. der gleichen Sprache, dem gleichen Zeichenmaterial aus. Dadurch gewinnt das (gleiche) Zeichen unterschiedliche Aktzentuierungen, was Vološinov die »Multiakzentualität« des Zeichens nennt. Diese dem Klassenkampf geschuldete Überschneidung von Bedeutungsschattierungen hält er sogar für die Quelle der Lebendigkeit und Entwicklungsfähigkeit von Zeichen, die, »aus der Spannung des sozialen Kampfes ausgesondert« ( 2), verkümmern würden. Absicht der herrschenden Klasse sei es, einen solchen Zustand herbeizuführen. Sie sei bemüht, »dem ideologischen Zeichen einen über den Klassen stehenden, ewigen Charakter zu verleihen, den in ihm stattfindenden Kampf der gesellschaftlichen Wertungen zu unterdrücken oder nach innen zu verlagern, es eindeutig zu machen« (ebd.). Dies entspricht erstaunlich genau dem von Roland 2 Zur Frage der Identität Vološinovs und der Autorschaft des unter diesem Namen veröffentlichten Buches Marxismus und Sprachphilosophie (dt. 9 ) vgl. Hall (2000g: 26f.). <?page no="87"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 88 Barthes Jahrzehnte später beschriebenen Naturalisierungseffekt mythischer Zeichen und ist nicht weit entfernt von der These Gramscis, jede partikulare Allianz von Klassen oder Klassenfraktionen wolle ihrer Ideologie den Anschein von Universalität und damit Neutralität verleihen. Tatsächlich schlägt Williams mit der Kombination Gramsci/ Vološinov zwei Fliegen mit einer Klappe: Einerseits kann er den linguistic turn in sein Werk integrieren, indem er den kulturellen Materialismus mit einer Sprachtheorie ausstattet, die im Unterschied zum Saussure ’ schen Ansatz der aktivistischen Tendenz des Kulturalismus entgegenkommt; andererseits rückt nun auch in seiner Sprachtheorie das Konfliktbewusstsein ins Zentrum. So gelingt es Williams, der frühen Kritik Thompsons an der Idee einer »gesamten Lebensweise« nun auch theoretisch zu begegnen. Bereits in einem programmatischen Aufsatz des Jahres 96 mit dem Titel »Was heißt ›gemeinsame Kultur‹? « (in 98 : -8 ) hatte Williams rückblickend klargestellt, dass mit seinem früheren »gegen-hegemonialen« Projekt einer gemeinsamen partizipatorischen Kultur keineswegs Konflikt aus dem politischen Handeln verbannt werden sollte. Obwohl Konflikt nur einen, wenn auch wichtigen Teil des Prozesses gesellschaftlicher Veränderung darstelle und nicht isoliert beschworen werden dürfe, müsse doch die »lange Revolution« gegen Widerstände kämpfen, weshalb man sich dem Problem »des ständigen Eingreifens in die Gesellschaft« stellen müsse, um Institutionen zu öffnen und zu transformieren. So stellt Williams ( 98 : 80) schließlich klar, dass mit jener »gemeinsamen Kultur«, um die es gehe, »eine aktive Gemeinschaft des Zugangs und der Partizipation gemeint ist, und in diesem Sinne stellt die bestehende Gesellschaft ganz offensichtlich keine gemeinsame Kultur dar, sondern im Namen einer gemeinsamen Kultur kämpft man gegen sie.« Es ist charakteristisch für Williams wie für die britischen Cultural Studies im Allgemeinen, dass deren Theoriearbeit sich nicht ablösen lässt von einem breiteren radikaldemokratischen Projekt. <?page no="88"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 89 9 2.6. Das Birmingham Centre for Contemporary Cultural Studies Auf die erste Neue Linke sollte spätestens ab dem Mai 968 eine zweite folgen, auf die dann die Frauenbewegung und die Neuen Sozialen Bewegungen der 0er und 80er Jahre aufbauten. Institutionell wurde in dieser Zeit das Centre for Contemporary Cultural Studies, konzipiert als Institut für Postgraduierte, zum Brennpunkt der Forschung und Theorieentwicklung der Cultural Studies. 962 war Hoggart auf eine Professur für moderne englische Literatur an der University of Birmingham berufen worden, wo er, unterstützt durch private Sponsoren wie den Penguin-Verlag, 96 das CCCS ins Leben rief und Stuart Hall als vorerst einzigen wissenschaftlichen Mitarbeiter gewann. Nachdem Hoggart 968 das CCCS verlassen hatte, um Assistant Director-General der UNESCO zu werden, übernahm Stuart Hall die Funktion des Direktors bis zu seinem Ausscheiden 9 9, als er eine Professur in Soziologie an der Open University annahm. Heute ist Hall zweifelsohne der profilierteste aktive Vertreter der Cultural Studies; es wurde sogar gesagt, »er ist praktisch die Cultural Studies« (Barrett 998: 2 ). Rolf Lindner beschreibt die Rolle, die das CCCS für die Cultural Studies spielte, wohl durchaus angemessen, wenn er sagt: Daß das Centre for Contemporary Cultural Studies wie ein Monolith in der Landschaft der Cultural Studies steht, ist darauf zurückzuführen, daß in einem spezifischen historischen Augenblick kulturelle Dissidenz, politisches Engagement und intellektuelle Häresie zusammen kamen, verbunden mit dem intellektuellen Eifer derer, die gemeinsam ein neues akademisches Feld bereiten. (Lindner 2000: 114- ) Für die Universität Birmingham war das Centre, so Lindner ( 6) weiter, »von Anfang an eher ein kentron im griechischen Wortsinne, ein ›Stachel‹ im Fleisch der Akademie, und es hat diese Rolle zeit seiner Existenz glänzend gespielt.« Hall ( 98 b: 2 ) wird sich später beispielsweise erinnern, dass die Eröffnung des Centres von Sozialwissenschaftlern der Birmingham University <?page no="89"?> 90 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 90 mit der Warnung begrüßt wurde, die Cultural Studies mögen sich auf die Untersuchung kultureller Texte beschränken und nicht die disziplinäre Grenze zu den Sozialwissenschaften durchbrechen. Und ein kentron scheint es geblieben zu sein bis zu seiner Schließung am . Juli 2002, nach einer von der Universitätsleitung als nicht zufrieden stellend erachteten Evaluierung im landesweiten Research Assessment Exercise (zur Kontroverse sh. Webster 200 ; Marsh 200 ). In der Entwicklung einer eigenständigen theoretischen Position des CCSS können drei Phasen unterschieden werden (Winter 200 : -9 , weiters Turner 990): In einer von Hoggart geprägten frühen Phase wurde Populärkultur nach wie vor mit überwiegend literaturkritischen Methoden untersucht (die erste finanzierte Studie war der Untersuchung der popularen Presse der Jahre zwischen 9 0 und 960 gewidmet, Hall 98 b: 22). Diese Phase war, folgt man unserer anfänglichen chronologiensch Ordnung, noch dem explorativen Stadium der Cultural Studies verpflichtet, während die beiden folgenden dem formativen Stadium zugerechnet werden können. Durch intensive Lektüre sollten in der ersten Phase popularkulturelle Artefakte in ihrer allgemeingesellschaftlichen Symptomatik erschlossen werden, wobei Hoggart ergänzende soziologische Untersuchungen keineswegs ablehnte. Die für das explorative Stadium charakteristische Ambivalenz im Umgang mit Popularkultur drückte sich darin aus, dass der soziologische Zugang gegenüber dem literaturkritischen noch auf hilfswissenschaftliche Dienstleistungen beschränkt bleiben sollte. Dies sollte sich nach Halls Übernahme der Leitung des Centre in der zweiten Phase ändern, der Phase intensiver Rezeption soziologischer und kultursoziologischer Ansätze. Unter Hall begannen die Cultural Studies innerhalb der Disziplin der Soziologie nach anschlussfähigen Methoden und Ansätzen Ausschau zu halten (Hall 98 b: 2 ; Hall 980). Durchgearbeitet wurden u. a. Webers Protestantische Ethik, Simmels Kultursoziologie, Bergers und Luckmanns auf Alfred Schütz zurückgreifender sozialer Konstruktivismus, die Ethnomethodologie und der symbolische Interaktionismus der Chicago School. Diese Streifzüge waren notwendig geworden, da der in der briwww.Claudia-Wild.de: <?page no="90"?> Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 9 91 tischen Soziologie der Zeit vorherrschende US-amerikanische Strukturfunktionalismus das Problem der Kultur in seiner ganzen Tiefe nicht erfassen konnte. Obwohl er Wissenschaftlichkeit für sich beanspruche, sitze er im Kern ideologischen Vorannahmen auf, so Hall ( 98 b: 20), indem er die US-amerikanische Gesellschaft zum Maßstab aller gesellschaftlichen Entwicklung erkläre, den Triumph des Pluralismus feiere und gegen den »Totalitarismus« ausspiele (wodurch er an der Ideologie des Kalten Kriegs partizipiere). Vor allem besitze er kein Konzept von Ideologie, ja lehne Ideologietheorie sogar explizit ab. Die Frage der Ideologie, die von der strukturfunktionalistischen Soziologie bereits verabschiedet worden war, konnte in der dritten Phase über den Umweg des Westmarxismus wieder von den Cultural Studies aufgegriffen werden. Durch die nicht zuletzt von Perry Anderson angestoßene Übersetzungsarbeit erschienen zentrale Texte des westlichen Marxismus erstmals in englischer Sprache - darunter die Arbeiten von Lukács (der die Rolle des Klassen-Bewusstsein gegenüber der Ökonomie betonte), Sartres »Fragen der Methode«, sowie Arbeiten Walter Benjamins und der Frankfurter Schule. Im General Theory-Seminar des CCCS wurden diese Texte durchgearbeitet und auf ihre Passfähigkeit bezüglich einer neu zu erarbeitenden Kulturtheorie untersucht. Auch wenn deshalb der Vorwurf des Theoretizismus gegen die Cultural Studies erhoben wurde, ist evident, dass sie in ihrer formativen Phase dazu gezwungen waren, den Umweg über die Theorie zu nehmen. Das neue Wissenschaftsobjekt »Kultur« musste theoretisch definiert und durchdacht werden. Weder konnte ein bereits bestehender Kulturbegriff einfach unhinterfragt übernommen werden, noch konnte er theorieblind, wie Hall (2 ) betont, einfach empirisch getestet werden: »Es gab verschiedene Definitionen des Kulturbegriffs. Jede war nur ein Terminus in einer Matrix aufeinander bezogener Konzepte und Thesen. Um das Feld zu etablieren, musste man einen Bruch mit älteren Problematiken herbeiführen und neue konstituieren«. Mit den westmarxistischen Autoren standen die entsprechenden Ressourcen bereit, um den Marxismus von innen her aufzubrechen und einen »komplexen Marxismus« zu erarbeiten. <?page no="91"?> 92 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 92 Die Integration der Hegemonietheorie Gramscis und des Strukturalismus sollte im Weiteren zur Komplexitätssteigerung dieses Marxismus erheblich beitragen. Unter Stuart Hall wurden besonders dem Strukturalismus (und später dem Poststrukturalismus) die Tore des CCCS geöffnet (Weedon et al. 98 ). In Frankreich war der Zenit des Strukturalismus 968 bereits überschritten. Man könnte sagen, dass die Ereignisse des Mai diesen Jahres dem als Modetheorie bereits auf dem Abstieg befindlichen Strukturalismus den Todesstoß versetzt hatten. Nur der Althusserianismus, dessen Ideologietheorie vom Revival des Marxismus in den 0er Jahren getragen wurde, konnte noch für einige Jahre seine Attraktivität behaupten und wurde am CCCS ausgiebig diskutiert. 2 Denn mit Althusser war es nicht nur möglich geworden, die gesellschaftliche Totalität als komplex artikulierte Struktur zu verstehen und zu beschreiben, Althusser lieferte auch eine Ideologietheorie, die unter Ideologie nicht länger Ideengebäude verstand, sondern in Ideologischen Staatsapparaten organisierte materielle Praktiken (Hall 200 c; vgl. Kap. . ). Zugleich war die Annahme des Strukturalismus, die sprachliche und kulturelle Produktion von Bedeutung (Signifikation) bedürfe einer systemhaft geschlossenen regelhaften Totalität, in Frankreich auch inner-theoretisch von den Poststrukturalisten kritisiert worden. Am Centre wurde die Kritik am strukturalistischen Formalismus und Rationalismus durch Jacques Derrida, Julia Kristeva, Michel Foucault und den späteren Roland Barthes genauso rezipiert wie Jacques Lacans Ausdehnung des Strukturalismus auf das Feld der Psychoanalyse. Für die Zwecke der Cultural Studies erwies sich allerdings erneut Gramscis Hegemonietheorie als ergiebigste Quelle für die Strukturalismuskritik des Centres: »Durch die Berücksichtigung historischer Prozesse und ›konjunktureller‹ Ver- 2 In Großbritannien waren strukturalistische Ansätze keineswegs unumstritten, eher waren sie in der Akademie sogar verpönt. Als der spätere Direktor des CCCS Richard Johnson, der innerhalb der Cultural Studies als Vertreter der Geschichtswissenschaft gilt, in der Zeitschrift History Workshop die Vorzüge des Strukturalismus gegenüber der Thompson’schen Kategorie der Erfahrung stark zu machen versuchte, wurde die Redaktion von Briefen überschwemmt, die Johnson eines leeren Theoretizismus und übertriebenen Antihumanismus bezichtigten (Turner 990: ). <?page no="92"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 9 93 änderungen stellt Gramscis Denken ein Korrektiv zu dem ahistorischen, bisweilen hochabstrakten und formalistischen Vorgehen des Strukturalismus dar« (Winter 200 : 9 .). Der Umweg über Gramsci führte beide Strömungen der Cultural Studies - Kulturalismus wie Strukturalismus - aus ihren jeweiligen Sackgassen heraus. Auf der einen Seite gelang es Williams mit Bezug auf Gramsci, seine Position gegenüber der Kritik Thompsons zu schärfen und zu politisieren. Auf der anderen half die Hegemonietheorie den Strukturalisten am CCCS, der Gefahr des Ahistorizismus zu entgehen. Mit Gramscis Arbeiten konnte, so Rainer Winter (92), die »Leerstelle« des Kulturellen bei Althusser ausgefüllt werden: »Während bereits die Kulturalisten im Gegensatz zu den Strukturalisten auf die wichtige Rolle des Kampfes und der sozialen Organisation in der Geschichte hinwiesen, lieferte Gramsci Begriffe, die zwischen den beiden Positionen vermitteln konnten.« Mit der Rezeption Gramscis und des Strukturalismus bzw. Poststrukturalismus in den 0er und frühen 80er Jahren kommt das formative Stadium der Cultural Studies zum Abschluss. In der Kombination aus früheren kulturalistischen Ansätzen, Kultursoziologie, »Westmarxismus« und (Post-)Strukturalismus hatten die Cultural Studies ihren eigenständigen Zugang zum Phänomenfeld Kultur gefunden, der in einer weitergehenden Phase der Konsolidierung seine Internationalisierung wie auch eine gewisse Kanonisierung erlebte. Zugleich begann sich das politische Projekt der Cultural Studies, das zu einem früheren historischen Zeitpunkt mit der ersten Neuen Linken verbunden war, in den 0ern in eine Vielzahl von Strängen und sozialen Bewegungen zu diversifizieren. Der Feminismus, angestoßen durch die sich neu formierende Frauenbewegung, begann die Forschungsagenda des CCCS zu beeinflussen, und das Phänomen des Rassismus wurde zum Gegenstand einer Reihe von Arbeiten am Centre (sh. Kap. . .). Was als vereinigendes Band all dieser Unternehmungen blieb, war nicht so sehr die Idee eines umfassenden gemeinsamen politischen Projekts als ein politisch motiviertes Erkenntnisinteresse, gepaart mit einer mobilen Praxis konkreten Engagements: <?page no="93"?> 94 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 9 Aufgrund der spezifischen Beziehungen zwischen Cultural Studies und der Neuen Linken, den sozialen Bewegungen, Postkolonialismus, Feminismus, usw. kann man nicht leugnen, dass die politische Frage für die Cultural Studies in ihrem eigenen Erkenntnisraum immer zentral war. Selbst während der Auseinandersetzungen im Birmingham Centre wusste jeder und jede, dass die Frage der Politik des Kulturellen für unsere Praxis und für unser Interesse zentral war. Es ging dabei nicht um eine bestimmte sektiererische politische Position - die haben wir immer vermieden - sondern um die Beziehung zwischen Kultur (das heißt die Bedeutungspraxen) und Macht: Politik des Kulturellen. (Hall 2000h: 140) <?page no="94"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 9 9 Kapitel 3: Subcultural Studies: Jugend-, Gegen-, Sub- und Club-Kulturen Die Geschichte der Rockmusik ist, wie die Geschichte Amerikas selbst, eine Geschichte des Klassenkampfes - des Kampfes um das Vergnügen. Simon Frith (19 1: 303) 3.1. Die Entdeckung der Jugend: Subcultural Studies am CCCS Bereits in der Frühzeit der Cultural Studies, in den Tagen der Universities & Left Review unter Stuart Hall, wurde eine der wichtigsten Erscheinungsformen des Popularen in den damaligen Jugendkulturen vermutet. Dieses Interesse an Jugendkulturen war nicht ausschließlich kulturanalytisch motiviert. Es war zugleich Bestandteil der politischen Strategie eines Teils der britischen Neuen Linken. In einem »Politics of Adolescence? « betitelten Artikel berichtet Stuart Hall ( 9 9a), damals selbst erst 2 Jahre alt, von einer irritierenden Begebenheit: Nachdem ein Teddy Boy auf dem Cover der vierten ULR Nummer abgebildet war, wurde die Redaktion von allen Seiten mit der Frage bestürmt, was dies wohl mit Sozialismus zu tun habe. Die Antwort Halls lässt erkennen, dass er in der Jugend gleichsam das trojanische Pferd zur politischen Radikalisierung der Labour Party sah. 2 So wirft Hall 2 Die Labour Party bemühte sich damals auf nur oberflächliche Weise um, wie man heute sagen würde, »Erstwähler«. Halls Kritik der Labour Party, auf deren Radikalisierung durch die Jugend er hoffte, war folgende: Da die Jugend keine natürlichen Bande zur Labour Party habe, müssten Jugendliche erst gewonnen werden. Das gelinge aber nur einer Bewegung, deren politische Linie dem instinktiven Radikalismus der Jugend entspreche (Hall 9 9a: ). Dieses Risiko wolle die Labour Party aber nicht eingehen, da sie befürchte, der instinktive Radikalismus der Jugend würde den Waffenstill- <?page no="95"?> 96 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 96 der Labour-Politik vor, sie sei außerstande, auch nur durch einen einzigen Faden das Private mit dem Öffentlichen zu verknüpfen, weshalb sie für viele junge Leute zutiefst unattraktiv geworden sei. Die Jugend hingegen habe ihre eigene expressive Sprache der Musik, des Rhythmus (Jazz) und der Bewegung (Jive), der Kleidung gefunden. Hall ignoriert dabei keineswegs den Aspekt der Kommerzialisierung (»›Adolescence‹ becomes a business«, ); trotz aller Kommerzialisierung von Jugendkultur sei Jugend aber nicht unpolitisch. Die (heute immer noch verbreitete) These von der angeblichen politischen Apathie der Jugend werde etwa durch deren breite Teilnahme am Aldermaston Marsch der frühen Friedensbewegung widerlegt: »Ist das Apathie? Es hört sich nicht so an. Der zunehmend jugendliche Charakter der Kampagne für Nukleare Abrüstung ist die bedeutsamste politische Tatsache seit dem Beginn des Kalten Krieges« ( ). Aber woher kam diese »Jugend«, die in der Nachkriegszeit einerseits als neu zu erschließender Absatzmarkt, andererseits als politisches Subjekt auf der Bildfläche erschienen war? Folgt man Simon Frith ( 98 : 2 ), dann schob sich bereits im 9. Jahrhundert aufgrund der veränderten Produktionsbedingungen ein neues Stadium zwischen Kindheit und Erwachsenseins, dessen Bedeutung öffentlich verhandelt werden musste: »seit dieser Zeit wurde die Phase des Heranwachsens auf der einen Seite als eine Zeit der Unschuld und des Idealismus gefeiert, in der alle Lebensentscheidungen noch offen sind, auf der anderen Seite aber wurde sie als eine Zeit von Anarchie und Hysterie, Verantwortungslosigkeit und Egoismus verdammt.« Die Geschichte der »moralischen Panik« vor einer von Erwachsenen nicht beeinflussbaren eigenen Welt der Jugend reicht also zurück bis ins 9. Jahrhundert, wobei das Problem ursprünglich in den Unterschichten lokalisiert wurde. Jugendliche Straßenbanden wurden als Sonderform des »sozialen Problems«, der Slums, der Prostitution und Bettelei angesehen. Erst aufgrund des ökonomischen Booms der 0er Jahre und des Einkommenswachstums, die die Jugend zur stand stören, den die damalige Parteiführung mit dem Status quo eingegangen war. <?page no="96"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 9 9 wirtschaftlichen Zielgruppe machten, wurde Jugend als (nach wie vor fiktives bzw. konstruiertes) Gesamtsubjekt wahrgenommen. Diese neue ökonomische Situation der Jugendlichen hatte durchaus emanzipatorische Effekte, die an den US-amerikanischen Colleges von der Mittelschichtjugend bereits in den 20er Jahren vorweggenommen worden waren. Doch mit der Wahrnehmung eines jugendlichen Gesamtsubjekts konnte auch der Jugend als ganzer ein Hang zur Anarchie und Amoralität unterstellt werden. Die Bevölkerungsgruppe »Jugend« wurde zu einem bevorzugten Objekt sozialer Überwachung und polizeiwissenschaftlicher Regulierung. In Ergänzung der sozialhistorischen Erklärung dieses Umstands bietet sich eine psychoanalytisch informierte, bzw. diskurstheoretische Erklärung an. Wie so oft in Prozessen der Identitätszuschreibung und sozialer Repräsentation hat man es mit einer spiegelbildlichen Machtstruktur zu tun, in welcher der anderen Seite Eigenschaften unterstellt werden, die mehr über die den Projektionen zugrunde liegenden jeweiligen Herrschaftsdiskurse aussagen als über die tatsächlichen »anderen«. Was von der Mehrheitsgesellschaft auf das fiktive Gesamtsubjekt Jugend projiziert wird - ungebundene Freiheit, exzessives Vergnügen, sexuelle Hyperaktivität etc. - spiegelt sich von dort wiederum in die Mehrheitsgesellschaft zurück und kann als Defizienz im eigenen Leben und als eine Reihe selbst auferlegter Versagungen erfahren werden, was die Angst vor all jenen, die von dieser Selbstregulierung scheinbar unbeeindruckt bleiben, noch verstärkt. Die Freiheit, die man sich selbst versagt (und die einem versagt wird), wird denjenigen, denen unterstellt wird, sie nähmen sie sich, übel genommen - und letztlich wieder abgesprochen: Die Jugendlichen scheinen in unserer Gesellschaft mehr Freiheit zu genießen als die übrige Bevölkerung, was zum Teil mit der Standard-Erklärung der Soziologie gedeutet werden kann: Die Jugendlichen befinden sich in einer Randposition und sind - anders als die Älteren - nicht in die Zusammenhänge und Strukturen von Familie und Beruf eingebunden. Wichtig dabei ist aber, dass die Jugend nicht wirklich frei ist. Das wahre Wesen der Jugendkultur besteht darin, dass die Jugendlichen die Probleme ihrer Arbeit, ihrer Fami- <?page no="97"?> 9 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 98 lie und ihrer Zukunft auf ihre freie Zeit verlagern; dass sie ihr Leben deshalb als Spiel verstehen und das Schwergewicht auf die Freizeit legen, weil sie eben keine gesellschaftliche Macht haben. Und auch für die ältere Generation ist die Jugendkultur bedeutsam, denn das Freizeitverhalten der Jugendlichen führt die Probleme von Freiheit und Beschränkungen im Kapitalismus aufs deutlichste und nachhaltigste vor Augen. (Frith 19 1: 231). Während »Jugend« also einerseits als Symptom der Diskrepanz zwischen dem kapitalistischen Freiheitsversprechen und seiner realen Versagung gelesen werden kann, so tritt sie andererseits, z. B. in Form von Jugendrevolten, immer wieder als politisches Subjekt hervor. Vor diesem Hintergrund kann es nicht überraschen, dass von der zweiten Hälfte der 60er Jahre an bis gegen Ende der 0er die Beschäftigung mit Jugendsubkulturen zu einem der zentralen Arbeitsbereiche am CCCS wurde (auch die vornehmlich einer Analyse makropolitischer Strukturen verschriebene, maßgebliche Studie Policing the Crisis ging ursprünglich aus diesem Kontext hervor, sh. Kap. 6. .). Als bedeutsam für die weitere Entwicklung der Birmingham Cultural Studies erwiesen sich die Jugendkulturstudien, weil das CCCS, vor allem mit dem 9 in dessen Working Papers-Serie erschienenen Band Resistance through Rituals (Hall und Jefferson 9 6), über Britannien hinaus auf die eigene Arbeit aufmerksam machte. 26 Dieser Band wirkte schulbildend. Bis heute ist es üblich, sich auf den damals am CCCS entwickelten Ansatz mit der Bezeichnung Resistance through Rituals- oder Resistance through Style-Paradigma zu beziehen. Darüber hinaus waren die Subkulturstudien von Bedeutung, da sie zum ersten Forschungsgebiet am CCCS wurden, in dem ein ethnografischer und soziologischer Zugang zur Popularkultur empirisch erprobt wurde, der weit über den literaturkritischen Zugang Hoggarts hinauswies. Hier konnten ethnografische Methoden ausgetestet und später mit der sich am CCCS entwickelnden Rezeption des 26 In Deutschland kam es bereits 9 9 zu einer deutschen Teilübersetzung, herausgegeben von Axel Honneth, Rolf Lindner und Rainer Paris (Clarke et al. 9 9), sowie zur Rezeption vor allem der ethnografischen Arbeiten der Birmingham Subkulturstudien. <?page no="98"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 99 99 französischen Strukturalismus - nicht immer konfliktfrei - abgeglichen werden. Zur Erarbeitung eines eigenständigen ethnografischen Untersuchungsdesigns griff man auf den symbolischen Interaktionismus der Chicago School zurück, besonders auf die 96 erschienene Studie Outsiders (dt. 98 ) des Devianzsoziologen Howard Becker. Vorbildfunktion besaß daneben eine in der Tradition der Chicago School angesiedelte Studie Phil Cohens ( 9 2) zum Verhältnis von Jugendsubkulturen zu der sich partiell auflösenden Arbeiter-»Stammkultur« im Londoner East End. Cohen hatte argumentiert, Subkulturen würden jene Widersprüche zum Ausdruck bringen und auf »magische Weise« lösen, die in ihrer »Stammkultur« verborgen oder ungelöst blieben. Auf je unterschiedliche Weise wollten Jugendkulturen einen Moment sozialen Zusammenhaltes bewahren, der in ihrer eigenen Klassenkultur bereits zerstört war, indem sie diesen mit symbolischen Elementen anderer Klassen oder Klassenfraktionen kombinierten. Cohen betonte die symbolische Natur von Subkulturen, die sich über Kleidung, Musik, Jargon und Rituale konstituieren. Diese Symbolik war, so wurde gemäß des distinkt politischen Zugangs der Cultural Studies behauptet, Machtverhältnissen eingeschrieben. 2 In der Ausarbeitung einer eigenständigen Subkulturtheorie geht man am CCCS davon aus, dass subkulturelle Identität durch die doppelte Dimension von Symbolik und Macht bestimmt wird. Die Subkulturstudien beschreiben die symbolisch-rituell vermittelten Identitätsbildungsprozesse von Subkulturen in einem von Machtverhältnissen geformten sozialen Raum. 2 Auf ihre Art hatte bereits die US-amerikanische Devianzsoziologie die Machtdimension in das Spiel sozialer Interaktion eingeführt: »Abweichung oder Delinquenz werden nun nicht so verstanden, als würden sie auf natürliche Weise aus der Welt der Aussenseiter entstehen, sondern sie werden verstanden als Teil einer zugeschriebenen sozialen Identität, die sich aus der Interaktion von mit ungleicher Macht ausgestatteten Gruppen ergeben. Die ›Devianz‹ einer Gruppe ist nicht ›natürlich‹, sondern Ergebnis einer spezifischen Form sozialer Konstruktion: und einer der Schlüsselmechanismen dieses Prozesses ist die Macht, die Situation für andere zu definieren, die Macht, andere zu ›labeln‹ - und diese labels an ihnen kleben zu lassen.« (Roberts 9 6: 2 8). <?page no="99"?> 100 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 00 3.2. Subkulturstudien als Hegemonietheorie: das Resistance-through-Rituals-Paradigma In ihrer wichtigen programmatischen Einleitung zu Resistance through Rituals, die John Clarke, Stuart Hall, Tony Jefferson und Brian Roberts 9 im Rückblick auf mehrere Jahre Subkulturforschung verfassten, bemühen sich die Autoren, die empirische Forschung, die vom älteren kulturalistischen Ansatz der Cultural Studies sowie vom symbolischen Interaktionismus und den neu eingeführten ethnografischen Methoden inspiriert war, mit den strukturalistischen Ansätzen, besonders mit Althussers strukturalem Marxismus in produktive Beziehung zu setzen - mit Gramsci als Mittelsmann. Noch stark vom Kulturalismus beeinflusst, und explizit auf Thompson und Williams rekurrierend, definieren sie Kultur als jene Praxis, durch die Gruppen ihrer sozialen und materiellen Existenz sinnvoll Ausdruck verleihen. Produkt dieser Praxis sei die spezifische Lebensweise einer sozialen Gruppe oder Klasse, die »Bedeutungen, Werte und Ideale, die in Institutionen, sozialen Verhältnissen und Systemen des Für-Wahr-Haltens, in mores und Gewohnheiten, in der Verwendung von Objekten und im materiellen Leben verkörpert ist«. Augenscheinig ist der »Expressionismus« dieser Kulturdefinition: (Sub-)Kultur drücke eine verborgene und dennoch wirklichere Tiefenstruktur aus; sie wird als ein Formenmuster definiert, in welchem die »materielle und soziale Organisation des Lebens sich ausdrückt« ( 0). Dieses expressive Modell folgt, wie wir sehen werden, aus der zu dieser Zeit noch nicht mit aller Konsequenz durchgeführten Kritik am Klassendeterminismus. Wegweisend sollte jedoch die Betonung der Bedeutungsdimension von Kultur werden: »Eine Kultur beinhaltet ›Landkarten von Bedeutung‹ [›maps of meaning‹], die ihren Mitgliedern gegenüber die Dinge verständlich werden lassen. Diese ›Bedeutungskartographien‹ werden nicht einfach von den Leuten im Kopf mit herumgetragen: sie sind in den Mustern sozialer Organisation und in den Verhältnissen objektiviert, durch die ein Individuum zu einem ›sozialen Individuum‹ wird. Kultur ist die Weise, in der die soziwww.Claudia-Wild.de: <?page no="100"?> Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 0 101 alen Verhältnisse einer Gruppe strukturiert und geformt werden: aber sie ist auch die Weise, in der solche Formen erfahren, verstanden und interpretiert werden« ( 0- ). Zwar werden die Individuen in ein bereits bestehendes Netz aus Institutionen und kulturellen Bedeutungsmustern hineingeboren, sie sind diesen aber nicht für immer ausgeliefert. Ihren Aktionen werden durch die vorgefundenen Verhältnisse Grenzen gesetzt, doch innerhalb dieser Grenzen formen sie die Verhältnisse durch ihre Praktiken selbst um und entwickeln sie weiter. Da das kulturelle Terrain, auf dem gehandelt wird, immer schon von Dominanz- und Machtverhältnissen geformt ist, ergibt sich eine dieser Beschränkungen des eigenen Handelns aus dem Umstand, dass die vorgefundenen Verhältnisse nicht symmetrisch organisiert sind. Vielmehr sind Gruppen und Klassen, und damit auch deren »Kulturen«, auf unterschiedliche Weise zueinander in Beziehung gesetzt. Entlang einer »Skala ›kultureller Macht‹« machen die Autoren drei idealtypische Möglichkeiten aus: ( ) Gruppen können zueinander in Opposition stehen; (2) eine Gruppe kann zu anderen in einem Verhältnis der Beherrschung oder Dominanz stehen; ( ) oder umgekehrt können Gruppen zu anderen in einem Verhältnis der Unterordnung oder Subordination stehen. Eine dominante Kultur verfügt über die größere »kulturelle Macht«, die sich in der besonderen Legitimation ihrer »Bedeutungskartographien« niederschlägt, denn »[d]ie Welt tendiert dazu, in Begriffen und durch Strukturen klassifiziert und geordnet zu werden, die am direktesten die Macht, die Position, die Hegemonie und mächtigen Interessen in dieser Gesellschaft ausdrücken« ( ). Die dominante Weltsicht wird naturalisiert und universalisiert. So stellt sich die dominante Kultur als Inbegriff von Kultur, als die Kultur dar. Das bedeutet natürlich nicht, dass die Hegemonie der Dominanzkultur nicht durch subordinierte Gruppen ständig herausgefordert würde, die ihrerseits durchaus über eigene »Bedeutungskartographien« und eigene, wenn auch subordinierte kulturelle Ordnungen verfügen. Es herrscht ein »kontinuierlicher Kampf um die Verteilung ›kultureller Macht‹« ( 2), und keine dominante Kultur ist in sich so homogen, dass sie nicht offene <?page no="101"?> 102 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 02 Angriffsflanken bieten würde. Schließlich kann keine Klasse für sich alleine auf Dauer Hegemonie erringen, sondern ist auf eine Allianz mit anderen Gruppen und Klassenfraktionen angewiesen, die zuallererst (bzw. immer wieder neu) artikuliert werden muss. Dies lässt prinzipiell natürlich auch die Möglichkeit der gegenhegemonialen Artikulation jeder Allianz offen und damit die Möglichkeit des Widerstands. Andererseits wird eine dominante Allianz - ein »historischer Block« (Gramsci) - ihre Vormachtstellung nicht bloß durch Stärkung der eigenen Organisationen und Institutionen auszubauen versuchen, sondern auch indem sie subordinierte oder gar oppositionelle Gruppen in diese Institutionen integriert und deren Institutionen schwächt. 28 Einer der wichtigsten Aspekte der Produktion von Konsens, den eine dominante Kultur anstrebt, besteht somit darin, den erwähnten Kampf um die Verteilung »kultureller Macht« möglichst stillzulegen. Hegemonie zielt auf Konfliktprävention nicht durch Zwang, sondern durch die Produktion von allgemeinem Konsens und Zustimmung. Dass dies in den modernen Klassengesellschaften ein für allemal gelingen könnte, das stehe allerdings nicht zu befürchten, denn Klassenkonflikt, so Clarke et al. ( ): »wird nie verschwinden«. Die Arbeiterklasse könne nie vollständig von der dominanten Ordnung absorbiert werden, da Klassenkampf durch die Produktionsverhältnisse generiert werde und darüber hinaus tief in den Institutionen der (englischen) Arbeiterkultur verankert sei. Das drücke sich etwa in Form von Arbeitskämpfen und im ganzen Repertoire von Strategien »gegen-hegemonialer Macht« ( 2) aus, wie etwa in Streiks oder Fabrikbesetzungen. Die Arbeiterklasse sei ohnehin durch ein kulturell stark verwurzeltes Bewusstsein ihrer antagonistischen Position gegenüber dem Machtblock charakterisiert (sollte dies heute nicht mehr ganz so überzeugend klingen, muss man sich nochmals in Erinnerung rufen, dass dieser Text im 28 Sollte es einer dominanten sozio-kulturellen Ordnung schließlich weitgehend gelingen, dass die Subalternen ihre eigene, subordinierte Kultur in Begriffen der dominanten zu erfahren beginnen, dann lässt sich, Clarke et al. ( 9 6: 2) zufolge, in einem stärkeren Sinn von einer dominanten »Ideologie« - im Unterschied zu bloßer »Kultur« - sprechen. <?page no="102"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 0 103 England der 9 0er-Jahre verfasst wurde und explizit gegen die These vom »Verschwinden der Arbeiterklasse« gerichtet war). Dieser frühe Birmingham-Ansatz der Subkulturstudien war aufgrund seiner klassendeterministischen Restannahmen nicht unproblematisch, besaß aber den großen Vorteil, dass er auf der umkämpften Natur kultureller Hegemonie bestand. Wenn die Grenze zwischen Dominanz und Subalternität in hegemonialen und gegen-hegemonialen Strategien konfliktorisch verhandelt wird - und zwar ohne dass ein Ergebnis schon vorher feststünde oder der Kampf beendet werden könnte -, dann kann sie auch im fortschrittlichen oder emanzipatorischen Sinne verschoben werden. Das Argument sollte also ermächtigend wirken. Problematisch an diesem Ansatz blieb hingegen, dass man die Frage der Machtverhältnisse durch eine allzu starke Betonung des Klassencharakters von Jugendsubkulturen, bzw. ihres Verhältnisses zu ihren jeweiligen »Stammklassen«, insbesondere der Arbeiterklasse aufzuschlüsseln versuchte. Soziale Konflikte wurden nach wie vor aus der strukturellen Stellung der Klassen im Produktionsprozess abgeleitet und auf deren bloße Effekte im Feld des Sozialen und Kulturellen reduziert ( 8). Auch die drei möglichen Positionen von Opposition, Dominanz und Subordination wurden, wie schon bei Gramsci selbst, von Clarke et al. letztlich an die beiden »fundamentalen Klassen«, d. h. an Kapital und Arbeit rückgebunden, weshalb die Subcultural Studies davon ausgingen, bei den großen kulturellen Konfigurationen in unseren modernen Gesellschaften handle es sich um »Klassenkulturen« ( ). Argumentationsstrategisch war das im damaligen politischen Kontext gegen den Mythos gerichtet, die Arbeiterklasse wäre nach dem Krieg in allgemeinem Wohlstand versunken, obwohl zu den großen Profiteuren eher die Mittelklasse gehörte und strukturelle Armut sich in den 60er Jahren wieder verstärkt bemerkbar machte. So legitim dieses Argument tagespolitisch gewesen sein mag, in der Theorie führte es tendenziell zur Reduktion von Subkulturanalyse auf eine Unterdisziplin von Klassenanalyse, wodurch nicht-klassenförmige Identitäten aus dem Blick gedrängt wurden. Die Rolle von Mädchen innerhalb männlich dominierter Jugendsubkulturen blieb, wie Angela McRobbie (McRobbie 98 ) argumentierte, in den <?page no="103"?> 104 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 0 ethnografischen Untersuchungen ausgeblendet. McRobbie ging es nicht allein darum, ihnen Sichtbarkeit zu geben und die Frage nach An- oder Abwesenheit von Mädchen in männlichen Subkulturen zu stellen, sondern es ging ihr um die »komplementären Weisen, in denen sie miteinander interagieren, um eine distinktive eigene Kultur zu erzeugen« (McRobbie/ Garber 9 6: 2 9). In dieser Hinsicht erweiterten Forscherinnen wie McRobbie, die am CCCS graduierte, die Perspektive der Subkulturforschung hin zu weiblichen Jugendsubkulturen und zur Untersuchung von Mädchenmagazinen (McRobbie 99 ). 3.3. Der Stil ist die Identität: Die Subkultur-Kontroverse Die Überreste des Klassismus, also der essenzialistischen Vorstellung, es stünden sich letztlich zwei durch die Produktionsverhältnisse bestimmte fundamentale Klassen gegenüber, hatten also ungünstige Auswirkungen auf das Subkulturkonzept des CCCS, insofern Subkulturen zu bloßen Teilmengen der beiden fundamentalen Klassenkulturen degradiert wurden. Als Teil der Arbeiterklasse standen deren Subkulturen per definitionem in subordiniertem Verhältnis zur Dominanzkultur der Mittelklasse und des Bürgertums. Damit waren sie zwar doppelt artikuliert: einerseits in ihrem Verhältnis zur Arbeiterkultur, andererseits in ihrem Verhältnis zur Dominanzkultur, sie waren aber in ihrer Artikulation nicht frei, da in letzter Instanz immer auf die beiden fundamentalen Klassen bezogen. Dieser allzu enge Bezug der Subkulturen auf die Klassenkultur, der sie angehörten, wurde im Resistance through Rituals-Paradigma mit Althussers Ideologiekonzept und Phil Cohens Bahn brechendem Artikel argumentiert. Im Anschluss an Cohens Text ist es vor allem der Stil einer Subkultur, über den der Bezug zu anderen (Klassen-)Kulturen hergestellt wird, denn erst durch ihren Stil und ihre Rituale könnten Subkulturen relational eine distinkte Identität gegenüber der eigenen wie gegenüber anderen »Kulturen« und Gruppen herausarbeiten. Das geschieht, indem sie bereits am Markt vorhandene Produkte bzw. <?page no="104"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 0 10 Zeichen aufnehmen und rekombinieren. In loser Anknüpfung an das Lévi-Strauss ’ sche Konzept der bricolage ( 9 ) - der »Bastelei« - wiederum wird davon ausgegangen, dass ein subkultureller Stil sich durch die transformierende Rekombination bereits bestehender Objekte und Zeichen herausbildet. Was immer in den Stil einer Subkultur eingeht - Sicherheitsnadeln, Doc Martens-Stiefel, orangefarbene Kanalarbeiterjacken - ist immer schon mit lebensweltlichen oder kommerziellen Bedeutungen aufgeladen und in einem Gesamtsystem von Bedeutungen lokalisiert. 29 Indem sie aus diesem herausgelöst und neu kombiniert werden, erlangen Subkulturen ihre Identität - darin besteht die Funktion von Stil. Pointiert könnte man sagen: Der Stil ist die Identität. Er liefert einen wesentlichen Beitrag zur Definition des Selbstbilds einer Subkultur nach innen wie nach außen: »Eine der wichtigsten Funktionen eines distinktiven subkulturellen Stils ist es, die Grenzen der Gruppenmitgliedschaft gegenüber anderen Gruppen zu definieren« ( 9 6: 80). Das kann ohne weiteres bis zu brutalen Praktiken territorialer und identitärer Verteidigung reichen, um die Identität der eigenen Gemeinschaft durch den Angriff auf andere Gruppen zu stärken (wie im Fall des berüchtigten Hippie- oder »Paki-Bashing« durch Skinheads). Doch auch bei wesentlich harmloseren Kombinationen von Kleidungsstücken mit bestimmter Musik und sonstigen Utensilien wie etwa Motorrollern bestimmt der Stil die relationale Positionierung der Subkultur gegenüber anderen Gruppen, inklusive der Dominanzkultur. Der Stil offeriert »magische Lösungen« für wirkliche Probleme: Die realen Probleme, die innerhalb der Subkultur (z. B. Arbeitslosigkeit) oder in ihrem Verhältnis zur Dominanzkultur auftreten, werden so auf imaginäre Weise verarbeitet. Natürlich war man am CCCS nicht der Ansicht, dass rein imaginäre Lösungsstrategien von großem Erfolg gekrönt sein würden. Materielle, ökonomische und soziale Bedingungen setzen 29 Es ist interessant, dass Clarke ( 9 6: 8) darauf hinweist, dass auch dieses Gesamtsystem antagonistisch strukturiert ist und der Klassenkonflikt den Waren eingeschrieben bleibt, denn die »ursprünglichen Objekt-Zeichen wurden einer geteilten Gesellschaft aufgesetzt, egal wie sehr ihre bevorzugten Lesarten diese Realität zu maskieren versuchten«. <?page no="105"?> 106 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 06 den subkulturellen »imaginären Lösungen« realer Widersprüche Grenzen (Clarke et al. ). Denn wenn alle Konflikte, Widersprüche und Identitätsprobleme der »Stammkultur« struktureller Natur sind, da sie letztlich immer auf die fundamentalen Klassenwidersprüche zurückweisen, dann werden sie nicht durch subkulturelle Lösungen auf der Ebene des Stils beseitigt werden können. Das heißt, die »magische« Lösung dieser Probleme ist letztlich keine, egal welche Strategie des symbolischen Widerstands gewählt wird. Wie Clarke et al. ( ) ausdrücklich betonen: »Es gibt keine ›subkulturelle Lösung‹ für die Arbeitslosigkeit der Arbeiterjugend, für Benachteiligung im Erziehungssektor, für ›Zwangs-Misserziehung‹, für Jobs ohne Aufstiegsmöglichkeiten, für die Routinisierung und Spezialisierung von Arbeit, für niedrige Löhne und Entwertung von handwerklicher Qualifikation«. In Subkulturen gebe es zum Beispiel keine Karrieren (eine Behauptung, die aus heutiger Sicht - vor dem Hintergrund einer enormen Jugendindustrie samt Ausdifferenzierung in Subkulturindustrien - wohl relativiert werden müsste). Da also an den wirklichen Problemen der »Stammkultur« subkulturell kaum gerührt werden kann, werden Lösungsvorschläge symbolisch auf das Feld der Freizeit verschoben. Die Konflikte, die in anderen Feldern wie Arbeit und Familie ausbrechen, werden so verdrängt und umgangen, ohne dass ihnen mit einer »alternativen gegen-hegemonialen Lösung« (Clarke 9 6: 89) begegnet würde, die mehr als nur Freizeitverhalten einschlösse. Subkulturen verbleiben in dem von Gramsci »korporativ« genannten vorpolitischen Stadium, ohne sich für breitere Allianzen, Felder und Fragestellungen zu öffnen. Obwohl zwischen verschiedenen Subkulturen differenziert werden muss - so hält Clarke ( 9 ) etwa der Subkultur der Hippies durchaus den Versuch zugute, dauerhaftere Alternativen für Bereiche wie Arbeit und Sexualität zu suchen -, scheint Clarke die Hegemoniefähigkeit von Subkulturen prinzipiell pessimistisch zu beurteilen. Von hier aus differenzierte sich das Resistance through Rituals- Paradigma entlang zweier Richtungen aus: einer ethnografischen Tendenz (Grimshaw et al. 98 ), zu deren Pionier am CCCS schon während der späten 60er Jahre Paul Willis wurde, und <?page no="106"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 0 10 einer prominenteren, kulturpopulistischen Tendenz, als deren Hauptvertreter Dick Hebdige gelten kann, der im Vergleich zu Clarke und Hall einen starken Zweckoptimismus bezüglich des widerständigen Potentials von subkulturellen Stilen kultivieren wird. 3.3.1. Paul Willis und die ethnografische Subkulturforschung: Profane Kulturen In seiner wegweisenden Studie Profane Culture (dt. 98 ), die auf eine am CCCS verfertigte Dissertation aus dem Jahre 9 2 zurückgeht, untersucht Willis mit den Methoden von teilnehmender Beobachtung, Interviews und Gruppendiskussion zwei Jugendsubkulturen der späten 60er Jahre: Rocker und Hippies. Schon der Titel der Studie ist Programm. Unter dem »Profanen« dieser Subkulturen ist einerseits ihre Strategie der Profanisierung im Sinne der Aneignung vor allem kommerzieller Objekte zu verstehen, andererseits ist damit auch ein bestimmter Aspekt des Widerständigen gegenüber dem Antonym des »Sakralen« gemeint. Willis spielt mit dieser Wortwahl auf jene spießbürgerliche Mentalität an, der die Freizeit oder die Familie als geheiligt gilt. Das Sakrale, so könnte man sagen, ist für Willis das Alltägliche im hegemonial gefestigten Zustand von Kleinbürgerlichkeit. Heilig ist also nicht, wie man vermuten könnte, das außergewöhnlich Erhabene, sondern heilig sind der Sozialfigur des Kleinbürgers ihre ritualisierten Gewohnheiten samt der »geordneten Verhältnisse«, die den ungestörten Ablauf Ersterer garantieren. Subkulturen betreiben eine Profanisierung dieser geheiligten Abfolge von birth - school - work - death und unterlaufen die Aufteilung des Lebens in strikt getrennte Bereiche von Familie, Freizeit und Arbeit (denn wenn man ständig ein Punk sei, so Willis, mache solche Aufteilung keinen Sinn). 0 Aufgrund ihrer Störfunktion besitzen sie gegenüber der Dominanzkultur einen demonstrativen Charakter: »Die neuen Subkulturen bedeuten, dass das 0 So Willis, poetisch aber pointiert: »Das Ätzende der profanen Kulturen frisst die bourgeoisen Schuppen von dem Alltäglichen« ( 98 : 2 ). <?page no="107"?> 10 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 08 Profane für wichtige soziale Gruppen sichtbar geworden ist: es ist jetzt von vornherein unmöglich zu glauben, daß es nur einige Formen des Daseins gibt - die angemessenen und kontrollierten« ( 98 : 2). Subkulturen seien »die lebendigsten und unberechenbarsten Schauplätze dieses Kampfes zwischen dem Profanen und dem Heiligen« ( ). An der Subkultur der Rocker, dem ersten von Willis untersuchten Schauplatz, beobachtet Willis eine »ontologische Sicherheit«, die jede Ambivalenz, die vor allem die Möglichkeit des Kontrollverlusts aus ihrer Welt ausschließt. Dieser »ontologischen Sicherheit« entsprach ein Männlichkeit signalisierender Identitätsstil. Die Abgrenzung von der »feindlichen« Subkultur der Mods äußerte sich vor allem in der Verachtung gegenüber der angeblichen Feminität ihres Stils. »Männlich« hieß vor allem, die alleinige Kontrolle über das eigene Leben und die eigenen Handlungen zu haben. Aus diesem Grund lehnten die Rocker auch den Konsum von Drogen ab. Symbol dieser Kontrollfähigkeit war das Motorrad. Die Angst vor Kontrollverlust wurde hingegen nach außen projiziert: Typisch für die Rocker war ein weit verbreiteter Rassismus, der in hämischen Witzeleien über MigrantInnen, DrogenkonsumentInnen und Mods zum Ausdruck kam. Dies erklärt Willis damit, dass die Umwelt als Störung der »ontologischen Sicherheit« der eigenen Welt wahrgenommen wird und andere Realitäten deshalb schlichtweg verleugnet oder mit Hass verfolgt werden: »Wenn es andere Welten gäbe, dann wäre die eigene möglicherweise nicht die authentische Welt. Die Beständigkeit der Dinge - und das war nicht nur einfach eine Sache des Kopfes, sondern ein Stil und eine Art und Weise, über eine unbestrittene Identität in der Welt zu verfügen - wäre möglicherweise in Frage gestellt worden. Andere Gegebenheiten - fremdartige Hautfarbe, Gewohnheiten und Gerüche - waren natürlich außerordentlich beunruhigende Beweisstücke; indem man haßte und das Gehaßte zum Objekt machte, negierte man diese Dinge« Wobei Willis aber betonte, dass die Rocker nicht einfach gewalttätig waren, sondern »auf ausgefeiltere Weise maskulin« ( 9), indem sie die Welt in durchaus feine Abstufungen von maskulin/ nicht-maskulin skalierten. <?page no="108"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 09 109 ( ). Allerdings mochte Willis dem Rassismus der Rocker keine allzu große politische Bedeutung zumessen, ja er attestierte dieser proletarischen Subkultur sogar einen gesellschaftlichen Konservatismus, der aus der modifizierten Übernahme von Wertvorstellungen ihrer »Stammkultur«, der »respektablen Arbeiterklasse« hervorgeht. Ihre Einstellung zu Frauen, zu Drogen, zu Arbeit wie auch ihr Rassismus und Ethnozentrismus waren durchaus konformistisch und, im Verhältnis zu ihrem weiteren Umfeld, wenig rebellisch. So akzeptierten sie die Notwendigkeit einer starken Hand und sogar Gefängnisstrafen, auch wo sie selbst von ihnen betroffen waren. Die Sicherheit der Hippies hingegen schien mit ihrer Herkunft aus der Mittelklasse zu tun zu haben und erforderte keine durch Selbstkontrolle rituell zu bestätigende »ontologische Sicherheit«. Im Gegenteil, sie fürchteten sich vor dem für Drogenerfahrungen typischen Kontrollverlust keineswegs. Ihr Stil deutete auf die hohe Wertschätzung subjektiver Erfahrung und auf ein individualistisches und zugleich organizistisches Gesellschaftsideal. Die langen Haare sollten zum Ersten Freiheit, zum Zweiten die für die angestrebte harmonische Gesellschaftsform typische »Natürlichkeit« (»zurück zur Natur«) und zum Dritten die solidarische Nähe zu unterprivilegierten Gruppen symbolisieren ( 2 -8). Beeindruckend ist in diesem Zusammenhang Willis’ Beobachtung - und die gesamte Studie ist voller solch detailgenauer Beobachtungen -, dass die Hippies in ihrer Kleidung sorgfältig Zeichen des Überflusses mit solchen der Armut kombinierten, und zwar gegenläufig: »Besonders prächtige Kleidungsstücke waren fleckig, schmutzig oder zerknittert; damit wurde verleugnet, dass sie einen Stellenwert in irgendeiner konsistenten klassenbedingten Vorstellung von Kleidung hatten. Schlechte Stoffe, farblose Hemden, abgewetzte Jeans, Jacken oder Westen aus Jeansstoff waren sorgfältig gewaschen und gereinigt; so sollte jede Assoziation mit Armut vermieden werden« ( 28-9). Die über Stil und Rituale vermittelte Kritik der Hippies an der Dominanzkultur blieb jedoch unorganisiert und vom Unvermögen gekennzeichnet, »zum politisch Radikalen durchzustoßen« ( 6 ). Ihr Individualismus, Subjektivismus und Organizismus - die Vorstellung einer <?page no="109"?> 110 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 0 Gemeinschaft, die auf natürlich-harmonische Weise wachsen würde, ließe man sie nur - verunmöglichte es ihnen, zu einer kollektiven Form der Organisierung vorzustoßen. Die Politik dieser Subkultur war somit vom Widerspruch gekennzeichnet, »daß sie einen unzweifelhaft radikalen Stil mit politischen Vorstellungen zusammenbrachte, die letztendlich weit davon entfernt waren, radikal zu sein« ( 6 ). 2 Das bringt die Frage nach der tatsächlichen politischen Widerständigkeit dieser Subkulturen auf. Willis ist in dieser Hinsicht unentschieden. Einerseits attestiert er ihnen ihre »Unfähigkeit, aus den kulturellen Formen zu irgendeiner Art von politischer Aktivität oder Machtkampf auszubrechen und so die wesentlichen gesellschaftlichen Institutionen zu verändern oder ihnen den Kampf anzusagen« (2 ). Ein Kampf, der ausschließlich auf der Ebene des Lebensstils ausgetragen wird, stoße in der eigentlichen Politik auf seine Grenzen. Die »materielle Basis« (22 ) der umfassenderen gesellschaftlichen Strukturen, die die Subkulturen umgaben, bleibe von einer Politik des Stils letztlich unberührt. Andererseits würden Subkulturen dadurch noch nicht disqualifiziert, denn, darin stimmt Willis mit der wesentlichen Prämisse des Resistance-through-Rituals-Paradigmas überein, die Kritik an den inneren Widersprüchen des Kapitalismus werde von Subkulturen durch Stil und gelebte Praktiken formuliert und müsse nicht unbedingt explizit verbalisiert werden. Letztlich hält Willis den Subkulturen auch bezüglich ihrer politischen Relevanz ihre demonstrative Funktion zugute: Da wirkliche politische Veränderungen das Alltagsbewusstsein der Leute ergreifen müssten, so sein gramscianisches Argument, sei die »Möglichkeit des Revoluti- 2 Auch der Drogenkonsum - Drogen spielten hier eine ähnlich zentrale Rolle wie das Motorrad für die Rocker - war Willis ( 98 : 66) zufolge einer nachträglichen Politisierung nicht zuträglich und trennte sie von aktiven Gruppen der Linken: »Es ist kein Zufall, daß bei bestimmten radikalen Gruppen Drogen nicht erlaubt sind. Der Drogenkonsum zerrüttet die Kraft zu handeln und nimmt der Wut ihre Schärfe. Die hohe Bewertung der subjektiven Erfahrung ließ jedes theoretische Wissen, das die Hippies über Ungleichheit und Ausbeutung besaßen, umkippen. Solange man nur die Situation als angenehm erlebte, war es nicht von Bedeutung, ob man ausgebeutet wurde.« <?page no="110"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 111 onären im Kleinen, im Nebensächlichen und Alltäglichen« (228), wie sie von den Subkulturen zumindest ansatzweise demonstriert wurde, anzuerkennen. Die im Stil mehr gelebte als politisch verbalisierte Gesellschaftskritik der Subkulturen zeige den kulturellen Bankrott der politischen Linken auf, der darin bestand, dass sie letztlich über »kein Programm für das Kleine und Alltägliche« verfüge (2 ). Der ethnografische Ansatz von Willis lässt sich als »Mittelposition« zwischen Kulturalismus und Strukturalismus bezeichnen (Winter 200 : ), ja weist sogar Merkmale von Zerrissenheit auf: Einerseits wird Kultur im Sinne des Kulturalismus definiert als »gemeinsame materielle Erfahrung«, die dem »direkten Beteiligtsein an einer Alltagswelt« ( 9) entspringt. Ihr wesentliches Merkmal ist die profane Kreativität ( 6), womit gemeint ist, dass subalterne Gruppen keine passiven Opfer der Verhältnisse sind, sondern »Aspekte ihrer Umgebung kreativ ergreifen, weiterentwickeln und transformieren können, um eine eigene, charakteristische Kultur zu schaffen« (ebd.). In dieser Hinsicht entsprechen sie dem, was Raymond Williams mit emergenten Kulturen bezeichnet hatte. Andererseits sah sich Willis in den 0er Jahren mit der strukturalistischen Kritik der Theoriefraktion am CCCS konfrontiert, die er im Anhang zu Profane Culture mit einer nachgeschobenen methodischen Reflexion und der partiellen Übernahme von Kategorien der strukturalen Ethnologie Lévi-Strauss’ beantwortete. Einer der Hauptkritikpunkte betraf den Naturalismus ethnografischer Zugänge, sowie die damit verbundenen methodisch-theoretischen Probleme teilnehmender Beobachtung (Butters 9 6). Dem naturalistischen Zugang zufolge, der im kulturalistisch-ethnografischen Paradigma der Cultural Studies von der Chicago School übernommen worden war, müssen Gruppen in ihrem »natürlichen Umfeld« untersucht werden. Das setzt nicht nur die Annahme voraus, dass überhaupt festgestellt werden kann, was denn das »natürliche Umfeld« einer Gruppe ist, es beruht auch auf der stillschweigenden Annahme, dass soziale Realität unvermittelt zugänglich und unmittelbarer Beobachtung aufgeschlossen sei. Willis gesteht ein, dass es den »unmittelbaren« Zugang natürlich nie geben könne, sondern jeder Zugang immer <?page no="111"?> 112 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 2 schon eine Re- und Dekonstruktion der untersuchten Subkultur darstelle. Doch sein Hauptargument zur theoretischen Validierung der Methode teilnehmender Beobachtung besteht im Verweis auf den großen methodischen Vorteil der Überraschungen, zu denen es bei Untersuchungen im Feld kommen kann ( 98 : 90). Der unschätzbare Gewinn im Feld gewonnener empirischer Evidenz für den Theorieausbau bestehe gerade in der so gewonnenen Möglichkeit, dass Ausgangshypothesen oder vorgefertigte Theoriemodelle durchkreuzt werden können. Folgt man dieser Argumentation, dann könnte der Wert ethnografischer Feldforschung nicht allein im Gewinn von Informationen bestehen, die von der sozialen Realität abgelesen werden, sondern in der Erfahrung des Widerstrebens, ja letztlich der Uneinholbarkeit dieser Realität, die sich im Moment der Überraschung und der Nichterfüllung eigener Vorannahmen zeigt. Auf diese Weise interpretiert, entspräche der Naturalismus des ethnografischen Zugangs von Willis keinem sozialen Objektivismus, wie von seinen Kritikern am CCCS befürchtet, sondern eher einer Art Objektivismus der Überraschung - einem Objektivismus, der sich gewissermaßen der Tücke des Objektiven aussetzt. 3.3.2. Dick Hebdige und The Meaning of Style Besaß Paul Willis - ähnlich wie die Herausgeber des Bandes Resistance through Rituals - noch eine durchaus realistische Einschätzung der politischen Möglichkeiten von Subkulturen, so entwickelte sich in den Arbeiten von Dick Hebdige eine kulturpopulistische Variante. Dass dem Paradigma die Gefahr innewohnt, zu einer Art Wunschdenken bezüglich der Widerstandsmöglichkeiten von Subkulturen überdehnt zu werden, wird an einem der zentralen Texte des Paradigmas, nämlich an Subculture. The Meaning of Style von Dick Hebdige ( 9 9) deutlich. Subculture gilt als eines der erfolgreichsten und meistverkauften Bücher der Cultural Studies überhaupt. Hier untersucht Hebdige vor allem die subkulturellen Stile der Punks und der Rastafari-Bewegung, mit Ausflügen in die Welt der Mods, Skins und Teddy Boys. Auch er geht von dem am CCCS entwickelwww.Claudia-Wild.de: <?page no="112"?> Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 113 ten kombinierten Ansatz aus althusserianischer Ideologietheorie und gramscianischer Hegemonietheorie aus. Wie bei den anderen Subkulturtheoretikern des CCCS wird die zutiefst politische Dimension kultureller Zeichenverwendung hervorgehoben: »Der Kampf zwischen verschiedenen Diskursen, verschiedenen Definitionen und Bedeutungen innerhalb von Ideologie ist deshalb immer zugleich ein Kampf um Signifikation: ein Kampf um den Besitz des Zeichens, der sich auf die banalsten Bezirke des Alltagslebens ausdehnt« ( ). Im Vergleich zu Clarke et al. und vor allem Willis interessiert sich Hebdige stärker für die subkulturelle Zeichenpolitik und ihre Verankerung in der massenmedialen Spektakelgesellschaft, weshalb Roland Barthes’ Semiologie in den theoretisch-methodischen Vordergrund rückte. Sie sollte die beiden konkurrierenden Kulturdefinitionen der Cultural Studies versöhnen und eine Verbindung herstellen »zwischen moralischer Überzeugung (in diesem Fall den marxistischen Grundsätzen Barthes) und popularen Themen: des Studiums der umfassenden Lebensweise einer Gesellschaft« ( 0). Mit Rückgriff auf den späteren Barthes behauptet Hebdige, der Stil der Punks sei einem konstanten Fließen unterworfen und führe »eine heterogene Reihe von Signifikanten ein, die in jedem Augenblick durch andere, nicht weniger produktive Signifikanten verdrängt werden« ( 26). Der Punk-Stil entspreche dem, was Barthes einen flottierenden oder gleitenden Signifikanten genannt habe. Das Konzept des Signifikanten geht ursprünglich auf Saussures Sprachtheorie zurück (sh. einführend Kap. 2. .). Saussure entkoppelt das Zeichen von dessen Bezug auf den Referenten und betont stattdessen die innere Zweiteilung des Zeichens im Bedeutungsbildungsprozess. Signifikation bestehe nicht im indexikalischen Verhältnis des Zeichens zur äußeren Dingwelt, sondern im Spiel zwischen den beiden Ebenen des Zeichens: dem Signifikanten (z. B. dem Lautmaterial eines Zeichens) und dem Signifikat (der mit dem Laut verbundenen Vorstellung). Das Verhältnis zwischen beiden ist nach Saussure arbiträr, da unterschiedliche Signifikanten das gleiche Signifikat besitzen können. So besitzen unterschiedliche Sprachen für die Vorstellung eines Baumes unterschiedliche Signifikanten (/ tree/ , / Baum/ , / arbre/ , etc.). <?page no="113"?> 114 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite Wenn nun die Bindung eines Signifikanten an ein bestimmtes Signifikat weitgehend aufgelöst oder unbestimmt bleibt, haben wir es mit einem gleitenden Signifikanten zu tun, der sich an die unterschiedlichsten Signifikate zugleich andocken kann und somit den Prozess der Bedeutungsfixierung subvertiert. Genau das ist nach Hebdige beim Punk der Fall. Die Kombination von visuellen Signifikanten wie / Sicherheitsnadel/ , / Irokesen-Haarschnitt/ , / Hakenkreuz/ sei in sich völlig beliebig und besitze kein fixierbares gemeinsames Signifikat. Aus diesem Grund sei es so schwierig, einen Schlüssel zum Punk-Stil zu finden: »Statt an dem Punkt anzukommen, an dem wir den Stil verstehen können, haben wir den eigentlichen Ort erreicht, an dem Bedeutung selbst verdampft« ( ). Mit dieser These unterstreicht Hebdige die Beliebigkeit der im Punk artikulierten Signifikanten sowie die Ungreifbarkeit des Punk-Stils. Sobald er allerdings daraus folgert, diese Ungreifbarkeit würde als solche den Prozess der Normalisierung unterbrechen, die soziale Ordnung verletzen und die Kohäsionskraft der »stillen Mehrheit« herausfordern ( 8), entsteht der Eindruck, die widerständige Funktion von Stil, die das Resistancethrough-Style-Paradigma oft hervorhebt, habe sich bei Hebdige verselbstständigt. So lautet eine seiner zentralen Thesen, Subkulturen produzierten im Mainstream der Medien noise, Lärm, Störung und eine Blockade des Repräsentationssystems. Diesem noise schreibt Hebdige eine subversive und widerständige Kraft zu. Zugleich wird unterstellt, die Dominanzkultur müsse sich frühere Kulturen des Widerstands aneignen, um ihre eigene Konsistenz zu bewahren: Gerade in ihrer Funktion als Lärm und Störung gehörten Subkulturen selbst nicht zum Reich der Signifikation und müssten diesem erst durch ihre Integration in den Mainstream eingeschrieben werden. Könnte der Mainstream das nicht leisten, so die Annahme, so bräche die Illusion des sozialen Zusammenhalts auseinander. Der Vereinnahmungsprozess kann dabei nach Hebdige zwei charakteristische Formen annehmen: . die Vereinnahmung subkultureller Zeichen aus Mode und Musik für den Massenkonsum, d. h. ihre Wandlung zu massenerzeugten Objekten, also ihre Wendung zur Warenform; 2. die <?page no="114"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 11 Neudefinition abweichender Verhaltensformen durch die dominanten Gruppen wie Polizei, Medien und Justiz, also die semantisch-ideologische Inkorporation im Unterschied zur kommerziellen. Da die originellen Innovationen der Subkulturen Hebdige zufolge »gefrieren«, sobald sie kommerzialisiert werden, kann er sogar von einem fast überhistorischen Zyklus der ewigen Wiederkehr der Vereinnahmung ausgehen: »Der Zyklus, der von Opposition zu Diffusion, von Widerstand zur Vereinnahmung führt, schließt jede sukzessive Subkultur in sich ein« (Hebdige 99 : 00). Damit aber hätte die These von der notwendigen Vereinnahmung von Subkulturen durch den Mainstream nahezu mythologische Gestalt angenommen. 3.3.3. Die Kritik: Post-Subcultural Studies und Popular Cultural Studies In dieser kulturpopulistischen Variante der Subcultural Studies drückt der Stil einer gegebenen Subkultur - also die Ästhetik der subkulturellen Lebensform - in letzter Instanz die fundamentale Spannung zwischen denen an der Macht und den Subalternen aus. Der Verdacht ist nicht gänzlich von der Hand zu weisen, dass für breite Teile der Cultural Studies der 0er Jahre die Subkulturen - ähnlich wie etwas später für manche Linke die Neuen Sozialen Bewegungen - die Rolle der universalen Klasse des Proletariats übernahmen. Zwar sind im Fall der Subkultur die hohen Ansprüche, die man an das Proletariat gestellt hatte (die welthistorische universale Aufgabe, den Kampf aller untergeordneten Klassen zu repräsentieren), gesunken, aber die versteckte Hoffnung, auf bescheidenerer Ebene doch noch einen authentischen Repräsentanten von Widerständigkeit finden zu können, wurde kompensatorisch auf die jugendlichen Subkulturen zumindest tendenziell verschoben. In diesem Sinne Aus heutiger Sicht betrachtet unterschätzt Hebdige das Ausmaß, in dem Subkulturen immer schon in ökonomische Prozesse verwickelt sind. Manche produktorientierten und mode-, kultur- oder sportindustrienahen Jugendsubkulturen - wie Surfer oder Snowboarder - waren das von Anfang an, worauf Muggleton und Weinzierl (200 : 8) hinweisen. <?page no="115"?> 116 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 6 könnte man von einer politischen Kompensationsfunktion von Subkulturen innerhalb des linken Diskurses der damaligen Zeit sprechen. Vor diesem Hintergrund wirkt es nicht überraschend, dass sich unter dem Titel der Post-Subcultural Studies massive Kritik am Resistance-through-Style-Paradigma bemerkbar machte. Obwohl der Begriff post-subculture selbst älter ist (Chambers 98 ), wird von Post-subcultural Studies im Sinne eines über das Resistancethrough-Style-Paradigma hinausreichenden Ansatzes seit der zweiten Hälfte der 90er Jahre gesprochen (Polhemus 996; Muggleton 2000; Weinzierl und Muggleton 200 ; Marchart 200 ). So kritisiert Muggleton ( 99 : 92), die Birmingham- Subkulturstudien hingen einem modernistischen Tiefenmodell sozialer Formationen an, das auf Binäroppositionen wie Essenz versus Erscheinung, Produktion versus Konsumtion, authentisch versus fabriziert, Stil-als-Widerstand versus Stil-als-Mode, subkulturell versus konventionell etc. basiere. Gerade wenn von der politischen Dimension von Stil die Rede sei, müsse anerkannt werden, dass diese Binäroppositionen inzwischen, unter den »postmodernen« Bedingungen des Eklektizismus und der kulturindustriellen Verfügbarkeit aller Stile, kollabiert seien. Die Birminghamer Subkulturstudien hätten quasi die »organische Ideologie« der von ihnen untersuchten Subkulturen übernommen - ist doch das Selbstverständnis vieler Jugendsubkulturen seinerseits bestimmt von Binäroppositionen wie jenen zwischen Mainstream und Subkultur oder zwischen Big Business und Underground. So lassen sich im Subkulturdiskurs selbst Warnungen vor »Vereinnahmung« oder »Ausverkauf« vernehmen. Auch die akademische Produktion der Subcultural Studies ist nicht vor der normativen Übernahme subkultureller Selbstbeschreibung gefeit, die sie doch eigentlich zu analysieren hätte (Grossberg 2000: 2). Bereits vor Aufkommen der Post-Subcultural Studies war die Vorstellung, eine authentische Jugend- und Subkultur ginge ihrer Übernahme in den so genannten Mainstream voraus, kritisiert worden. Neben Simon Frith ist vor allem Steve Redhead, ein Mitbegründer des Manchester Institute for Popular Culture, als Kriwww.Claudia-Wild.de: <?page no="116"?> Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 11 tiker hervorgetreten. Eine der wesentlichen Thesen Redheads lautet, dass »authentische« Subkulturen von Subkulturtheorien (seien es jene der US-amerikanischen positivistischen soziologischen Schule der 0er und 60er Jahre oder jene der Birmingham School) erst produziert werden. Redheads überraschende Beobachtungen, die diese These stützen sollen, beginnen mit dem britischen »Summer of Love« 988 und dem Phänomen Acid House. Erstaunlich sei, so Redhead, dass die frühe englische Medienberichterstattung zu Acid House keineswegs irgendetwas Neues, irgendeine Irritation, Innovation oder gar irgendwelche Anzeichen von noise im Sinne von Hebdige feststellen konnte. Ganz im Gegenteil, die Medien berichteten, »dass an Acid House nichts neu sei; es handle sich bloß um ein weiteres, vielgepriesenes Glied in der subkulturellen Kette, welches die 9 0er, 60er und 0er - das ›Goldene Zeitalter‹ der Jugendsubkultur - erneut durchspielte und durcharbeitete« (Redhead 990: ). Der Stil der Raver wurde nicht wie noch der Stil der Punks als irritierend wahrgenommen, sondern viel eher als substanzlos: »a style with no substance« hieß es in der Sunday Times. Acid House erschien als genaues Gegenteil des auch von den Medien so lange erwarteten Neuen Punk. Erst im Oktober 988 endete der Sommer der Liebe und mit ihm die weitgehend gleichgültige Phase der Berichterstattung, und die vorgeblich apokalyptischen Dimensionen von Acid House traten in den Vordergrund. Jetzt hieß es in den Medien: »Acid House Horror«, »Ban this Killer Music«, »Girl 2 Drops Dead at Acid Disco« und »Evil of Ecstasy«. Welche Schlüsse zieht Redhead aus dieser Beobachtung? Gegenüber dem Birminghamer Modell betont er, dass subkulturtheoretische Erklärungen, die ein Tiefenmodell voraussetzen, aufgegeben werden müssten. Die Subcultural Studies gingen genauso wie andere Devianztheorien zumeist von einer »realen«, authentischen Subkultur hinter einer deren Bild immer nur verzerrenden Das Institute for Popular Cultural Studies an der Manchester Metropolitan University existierte als Postgraduate Research Centre von 992 bis 99 und verlor im Rahmen einer innerfakultären Reorganisation schließlich diesen Namen. Von Anfang an war das Ziel des Instituts eine Reorientierung der »Popular Cultural Studies« gegenüber der Birmingham-Tradition. <?page no="117"?> 11 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 8 Medienrepräsentation aus. Redhead hält dieser Ansicht entgegen, Punk - die in dieser Hinsicht umstrittenste Jugendkultur - sei weder pure streetculture noch reiner art school fake, sondern vielmehr eine hybride Mischung aus synthetischer Fabrikation und Authentizität. Dabei kann sich Redhead auf einen bestimmten Zweig des Poststrukturalismus berufen, der - von Nietzsche, Foucault und Baudrillard ausgehend - Abschied vom Tiefenmodell genommen hat und nicht länger davon ausgeht, dass etwas Wahres hinter dem Spiegel, der Maske oder der Repräsentationsoberfläche zu finden sei: »Frühere Theoretiker der Nachkriegs- Populärmusik, der Jugendkultur- und Devianzforschung (ob es sich um die Traditionen der Cultural Studies oder die der radikalen oder der neuen Devianztheorie handelt) tendierten dazu, unter oder hinter die Oberfläche des schimmernden Medienschirms zu schauen, um die ›wirkliche‹, authentische Subkultur zu entdecken, welche offenbar immer von den fabrizierten Presse- und des Fernsehbildern verzerrt werde, die ihrerseits ›wirklich‹ werden, indem immer mehr Teilnehmer die Medienstereotypien ausagieren. Dieses Tiefenmodell ist nicht länger angemessen« ( 99 : 2 ). Indem die »früheren Theoretiker« des Birminghamer CCCS, deren Theorie durch den Glauben an die Authentizität ihrer jugendlichen Studienobjekte zusammengehalten wurde, Punk als selbst generierten Ausdruck der Straße missverstanden, der durch ein böses Geschick in den Läden der High Streets gelandet war, hätten sie einen Mythos von Vereinnahmung und Ausverkauf verstärkt, der schließlich zur kulturpessimistischen These vom Ende der Jugendkultur führen sollte. Redhead zufolge sei hingegen nicht etwa eine einstmals rebellische Nachkriegsjugendkultur konformistisch und zur New Fun Generation geworden, sondern es haben sich die Diskurse und Praxen, die Jugendkultur konstruiert hatten, verändert. Die konventionelle Auffassung der 60er und 0er Jahre von einem Machtblock, der eine bestimmte Gemeinschaft über den Einsatz repressiver Staatsapparate unterdrückt, während die entsprechende Community sich ihrerseits um widerständige und abweichende Identitäten (wie z. B. jene der Jugendgegenkultur oder der Bohème) gegen diese Macht mobilisiert, habe mittwww.Claudia-Wild.de: <?page no="118"?> Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 9 119 lerweile an Evidenz verloren. Das Problem sei eben keines der Inkorporation »gegenkultureller Rock-Ideologien und -Praktiken in die Hochglanzwerbewelt der ›Popkultur‹: es ist keine direkte Frage des ›Ausverkaufs‹ oder eines verblassten Idealismus«, denn wie Foucaults Einsicht, dass Macht Widerstand produziere, uns gelehrt habe: »›Gegenkulturen‹ in pop- und rockmusikalischen Diskursen sind in keiner Weise von diesen Diskursen getrennt oder stehen außerhalb dieser Autorität. Sie werden vielmehr von solchen Diskursen produziert« ( 990: 06). Ganz ähnlich argumentiert Simon Frith, wenn er sich gegen einen sowohl traditionell-soziologischen Ansatz als auch gegen den Resistance-through-Rituals-Ansatz wendet, der in kulturellen Produkten wie Musikstücken den homologen Ausdruck einer sozialen Gruppe versteht. Frith schlägt alternativ vor, das Modell umzudrehen: Musikstücke der Popkultur sind kein Ausdruck einer bestimmten Gemeinschaft - der frühe Disco wäre dann kein musikalischer »Ausdruck« der Schwulenszene, Rap kein »Ausdruck« der Schwarzen US-amerikanischen Ghettos, etc. Vielmehr produziere das Musikstück die Identität der Gruppe: »Es geht nicht um die Frage, auf welche Weise ein Musikstück (bzw. seine Aufführung) die Menschen widerspiegelt, sondern wie es diese Menschen produziert; in welcher Weise es eine musikalische Erfahrung, eine ästhetische Erfahrung herstellt und konstruiert, die wir nur verstehen können, indem wir sowohl eine subjektive als auch kollektive Identität annehmen« (Frith 999a: ). Man dürfe allerdings nicht der irrtümlichen Vorstellung verfallen, Individuen würden Identitäten einfach nur passiv übernehmen. Da es sich bei Identifikation um einen aktiven Prozess handelt, ist Identität beweglich und prozessual. Sie ist ein moving target, das im Prozess der Identifizierung zuallererst konstruiert wird: »Mit anderen Worten möchte ich vorschlagen, dass sich soziale Gruppen nicht auf Werte einigen, die sich dann in ihren kulturellen Aktivitäten ausdrücken (das wäre die Annahme der homologischen Modelle), sondern dass sie sich als Gruppen (als eine besondere Organisationsform individueller und sozialer Interessen, von Identität und Differenz) durch kulturelle Aktivitäten, durch ästhetische Urteile erst konstituieren. In der musikalischen <?page no="119"?> 120 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 20 Praxis drücken sich keine Ideen aus, sie stellen eine Möglichkeit her, diese Ideen zu leben« (Frith 999a: ) Damit ist das noch von Willis unterstellte Band einer Homologie zwischen dem »Bewusstsein« der eigenen subkulturellen Identität und den gewählten Objekten und Praxen dieser Subkultur zerschnitten. Und mit diesem zugleich das Band zwischen subkulturellem Stil und Widerstand: »Wenn das Anhören einer Platte umstandslos für etwas Widerständlerisches gehalten wird, dann bedeutet Widerstand rein gar nichts« (Frith 999b: ), denn es sei doch gerade die zentrale These Gramscis, dass eine bestimmte politische Aktivität erst unter ganz spezifischen kontextuellen Bedingungen widerständige Effekte produziere. Die Vorstellung mancher Vertreter der frühen britischen Subkulturstudien, die wildesten Gruppen von Jugendlichen verfügten zugleich über das ausgeprägteste Klassenbewusstsein, hält Frith ( 98 : 29 ) für irreführend, »denn es geht nicht um eine einmalige Entscheidung - wild oder angepasst -, sondern um unterschiedliche Kombinationen von wild und angepasst«. 3.3.4. »Subkulturelles Kapital«: Sarah Thornton und die Club Culture Studies 996 publizierte Sarah Thornton, die bei Frith studiert hatte, unter dem Titel Club Cultures. Music, Media and Subcultural Capital eine Studie, um die man in der heutigen Subkulturforschung kaum herumkommt. Auch Thornton kritisiert an der Birmingham-Tradition deren unhinterfragte Übernahme der Anti-Mainstream-Diskurse der Jugendkulturen, da diese größere Analogien zum politischen Programm des CCCS aufwiesen als zur tatsächlichen sozialen Praxis der Subkulturen. Besonders der romantischen Vorstellung, eine authentische Jugendkultur existiere an Orten außerhalb der Massenmedien und der Jugendindustrie, hält Thornton ( 6) ihre Einschätzung entgegen, die Differenz zwischen Massenmedien und Kommerz auf der einen und widerständigen Subkulturen auf der anderen Seite sei selbst ideologisch. Jugendkulturen entstehen von Anfang an in einem von Medien und Kulturindustrie bestimmten Kontext und werwww.Claudia-Wild.de: <?page no="120"?> Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 2 121 den nicht erst später von diesem aufgesogen. So weist sie den Begriff »Mainstream« überhaupt als inadäquat für kultursoziologische Untersuchungen zurück, da er den vom subkulturellen Weltbild konstruierten Binarismen einerseits und den Klischees der Medien andererseits auf den Leim gehe. Ähnlich wie andere Vertreter und Vertreterinnen der Post-Subcultural Studies erkennt Thornton eine Reihe von binären Oppositionen, die den Diskurs der früheren Subkulturstudien strukturierten (vgl. Abb. 2). wir sie alternativ hip/ cool Independent authentisch rebellisch/ radikal Spezialistengenres Insiderwissen Minderheit heterogen Jugend klassenlos maskuline Kultur Mainstream straight/ spießbürgerlich/ ätzend Kommerz falsch/ unecht konformistisch/ konservativ Pop leicht zugängliche Information Mehrheit homogen Familie klassengebunden feminine Kultur Abb. 2: Der Diskurs der Subkulturstudien (Thornton 996: ) Ihre eigene Studie britischer Clubbingkulturen bezeichnet Thornton als »post-Birmingham« (8). Thornton zufolge subvertieren Subkulturen nicht die Dominanzkultur, sondern errichten an deren Stelle alternative kulturelle Hierarchien, in denen die sozio-ökonomischen Widersprüche ihrer »Stammkulturen« fortgeschrieben und keineswegs imaginär gelöst werden ( ). Authentizität von Subkulturen ist für Thornton keine Substanz, die Subkulturen zu eigen ist und erst nachträglich kommerziell <?page no="121"?> 122 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 22 kolonisiert wird: Authentizität wird von den Medien - und zwar von den Massenmedien, den Nischenmedien der Jungendindustrie, sowie den Fanzines und »Mikro-Medien« der entsprechenden Subkultur - zuallererst produziert. Und das nicht interesselos. Innerhalb von Subkulturen kann Authentizität, in all ihren Varianten, zu einem spezifischen Distinktionsgewinn der In-group beitragen. Zur Erklärung greift Thornton auf den theoretischen Rahmen der Soziologie Pierre Bourdieus und auf dessen Kategorie des kulturellen Kapitals zurück. Tatsächlich unterscheidet Bourdieu, in nicht immer genau geregelter Weise, in seinen Arbeiten zwischen einer Vielzahl von Kapitalformen. Drei Kapitalsorten spielen eine herausgehobene Rolle: ökonomisches, kulturelles und soziales Kapital (sh. genauer Kap. . .). Das kulturelle Kapital eines DJ materialisiert sich beispielsweise in dessen Plattensammlung und kann gegebenenfalls, wenn er/ sie für seine Arbeit als DJ bezahlt wird, in ökonomisches Kapital transferiert werden. Soziales Kapital äußert sich in Clubbingkulturen etwa in guten Kontakten zu anderen relevanten Szene-Mitgliedern. Thornton erweitert nun die Bourdieu ’ sche Liste um einen weiteren Kapitaltypus, den sie als subkulturelles Kapital bezeichnet. So wie sich bei Bourdieu soziale Distinktion im Umgang mit kulturellem Kapital niederschlägt, so schlägt sich subkulturelles Kapital in den verschiedenen Praxen, Stilen und Besitztümern einer Szene nieder, die den Habitus einer bestimmten »hipness« kultiviert. Subkulturelles Kapital verleiht in den Augen seiner relevanten Besitzer den entsprechenden Status. In vielerlei Weise beeinflusst es das Ansehen der Jungen ähnlich wie sein Äquivalent in der Erwachsenenwelt. Subkulturelles Kapital kann objektiviert sein oder verkörpert. So wie Bücher und Gemälde in der Familienwohnung kulturelles Kapital ausstellen, ist subkulturelles Kapital in Form modischer Haarschnitte und guter Plattensammlungen objektiviert (…). So wie kulturelles Kapital mit »guten« Manieren und urbaner Konversation personifiziert wird, so ist subkulturelles Kapital verkörpert in Form von »Bescheidwissen«, der Verwendung (aber nicht Über-Verwendung) der angesagten Szenesprache und einem Aussehen, das vermuten lässt, man sei für den allerneuesten Tanzstil geradezu geboren. (Thornton 1996: 11-12) <?page no="122"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 2 123 Obwohl Subkulturen der Transfer von subkulturellem in ökonomisches Kapital gelegentlich Schwierigkeiten bereiten mag, reicht die Berufspalette, die einen bestimmten Habitus der jeweiligen »hipness« und des Bescheidwissens voraussetzt, von Szene- Musikjournalisten über DJ ’ s, Organisatoren von Clubbings und Modedesignern bis hin zu den Trend-Scouts der Musikindustrie. Subkulturen stehen also keineswegs automatisch außerhalb des Mainstream oder gar des Kapitalkreislaufs. Zugleich ist offensichtlich, dass subkulturelles Kapital den Ausschluss jener mit sich bringt, die über wenig oder keines verfügen - denn damit subkulturelles Kapital seine Eigenschaft als Unterscheidungsmerkmal behält, muss es ungleich verteilt sein. Obwohl sie durchaus in solchen »Instanzen der Macht« wie der des Türstehers verkörpert sein können, bleiben die wahren Ausschlusslinien weitgehend unsichtbar, da habituelle Taxierungen des Gegenübers zumeist vorbewusst ablaufen. Die eingebildete Authentizität von Subkulturen (oft in Abgrenzung gegenüber dem »Mainstream«) besitzt also durchaus Exklusionsfunktion, und die Rhetorik totaler Inklusivität, die etwa die Raves der späten 80er und frühen 90er Jahre auszeichnete, erweist sich vor diesem Hintergrund als Deckerzählung realer Ausschließungspraktiken, beginnend mit dem oft geheim gehaltenen Wissen um die locations der entsprechenden Clubbings. So hat sich bei den von Thornton untersuchten scheinbar inklusiven britischen Clubbingkulturen deren dominanzgesellschaftliche Prägung herausgestellt: Identitär tonangebend waren männliche, heterosexuelle Vertreter der »weißen« britischen Mehrheitsgesellschaft. Die Idee eines über alle Standes- und Geschlechtergrenzen hinwegsehenden »come together« erwies sich bei den sich selbst explizit als integrativ verstehenden Clubbingkulturen als Fiktion. Wo man sich gegen den Mainstream abgrenzte, wurde dieser als »feminin« kodiert und die scheinbare Gefahr der »Vermainstreamung« der eigenen Clubbing-Szene mit deren Feminisierung in Verbindung gebracht (so kam etwa Anfang der 90er Jahre die herablassende Rede von »handbag house« auf ). Hingegen wird die eigene »authentische« Kultur maskulin oder gar gender-frei <?page no="123"?> 124 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 2 kodiert, während sie in Wirklichkeit Spielfeld männlicher Clubbers bleibt ( 0 ). Auch die verbreitete Vorstellung der Klassenlosigkeit - oder der Irrelevanz von Klassenzugehörigkeit - von Clubbing-Events hat sich in Thorntons empirischen Untersuchungen nicht belegen lassen. Die durchaus vorhandenen Trennlinien der Klassenzugehörigkeit werden in Clubbings vielmehr ständig vom Spiel anderer Identitäten überschrieben, ohne deshalb zu verschwinden. Und selbst jene Identität, die für Clubbingkulturen von allgemeiner Gültigkeit zu sein scheint, nämlich »Jugend«, ist in sich selbst wieder differenziert ( 0 -2): Ältere Clubber schauen auf die nachströmenden Jahrgänge herab, doch zu alt sollte man andererseits auch nicht sein (wobei Alter keine biologische Kategorie darstellt, sondern eine soziale, da es durch entsprechende Karrieren, etwa zum Host von Clubbings, abgefedert werden kann). Die Gefahr des Abgehängt-Werdens steht in Clubkulturen immer im Raum. So kommt Thornton ( 0 ) zu dem Schluss, dass in Clubbingkulturen verschiedene Identitäten in flexiblen Formen gegeneinander ausgespielt werden: »Subkulturelles Kapital ist Dreh- und Angelpunkt einer alternativen Hierarchie, in der die Achsen von Alter, Geschlecht, Sexualität und ›Rasse‹ alle eingesetzt werden, um Bestimmungen von Klasse, Einkommen und Beruf möglichst zurückzudrängen«. Um also das täuschende Bild von Inklusivität in Bezug auf die Klassenposition und Einkommenslage der Clubber aufrechterhalten zu können, werden Distinktionslinien entlang anderer Kategorien wie Alter oder Geschlecht gezogen. An keiner Stelle dieser beweglichen Kräftelinien wird man auf eine authentisch-widerständige Subkultur treffen. 3.4. Von Subzu Gegenkulturen An Thorntons Perspektive wurde kritisiert, dass sie die auf Jugendkulturen gerichteten staatlichen Regulationsmaßnahmen nicht berücksichtige und zudem das Ausmaß übersehe, in dem die massenmediale Berichterstattung über scheinbar unkontrollierte Jugendkulturpraktiken - die mediale Konstruktion »morawww.Claudia-Wild.de: <?page no="124"?> Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 2 12 lischer Paniken« - der hegemonialen Herstellung von Konsens diene (Hesmondhalgh 99 : ). Gerade wo es um die Frage nach dem politischen oder widerständigen Potenzial von Subkulturen geht - und in der Tradition der Birmingham Subcultural Studies geht es immer mit um diese Frage, wenn sie auch unterschiedlich beantwortet wird -, ist in der Tat der makropolitische Kontext, innerhalb dessen sie auftauchen, von Relevanz. Ob die Praxis einer gegebenen Subkultur politische oder gar widerständige Effekte zeitigen kann, ist daher nicht von dieser abzulesen, sondern muss vor dem Hintergrund der (gegen-)hegemonialen Formationen, von der sie Teil ist, analysiert werden. Die Subkulturstudien müssen einer breiteren Gesellschaftsanalyse eingebettet werden (sh. Kap. 6. .). Das war und ist in den Subcultural Studies nicht immer der Fall. Solchen genaueren Analysen politischer oder widerständiger Effekte von Subkulturen stand in den frühen Studien die Überzeugung im Wege, dass Subkulturen, sofern sie etwa der Vereinnahmung durch den Mainstream widerstehen, politisch eo ipso seien. Und ihre Politik drücke sich in ihrem Stil aus. Obwohl die frühen Subkulturstudien also bemüht waren, Subkulturen und deren Analyse zu politisieren, bestand das paradoxe Ergebnis dieser Bemühung in deren Depolitisierung. Denn um als These plausibel zu sein, musste unterstellt werden, dass die »Politik« des subkulturellen Stils sich implizit und nicht manifest ausdrückt, dass Subkulturen die hegemoniale Formation nicht direkt und offen herausfordern, sondern konspirativ. So konnte Hebdige behaupten, die Herausforderung der hegemonialen Formation durch die Subkulturen werde von diesen »nicht direkt ausgedrückt, sondern vielmehr indirekt, durch Stil« (Hebdige 98 : ). Statt zu direkter Aktion zu schreiten, konzentrierten sich Subkulturen auf subversive »indirekte« Aktivitäten. Und in Paul Willis berühmter Doch eine solch »indirekte« Artikulationsform kann vernünftigerweise, jedenfalls aus makropolitischer Sicht, nicht »politisch« genannt werden, im besten Fall könnte sie konspirativ genannt werden (wobei der politische Gegenbegriff zu konspirativ hier wohl »konfrontativ« wäre im Sinne einer makropolitischen Form des Widerstands als Protest). Aber wie und warum sollten dann solch indirekte Aktionsformen sich je in Formen »direkter« <?page no="125"?> 126 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 26 Studie spricht die »profane Kreativität« von Subkulturen auch dort ein demonstratives Wort gegen den geheiligten Alltag der Dominanzkultur, wo kaum explizit politische Äußerungen zu finden sind. Auf paradoxe Weise depolitisierend wirken diese Annahmen aufgrund der immer schon-Struktur des Arguments: Jugendkultureller Widerstand-qua-Stil sei immer schon politisch. So konnte subkulturelle Mikropolitik als eine indirekte Form des Widerstands gegen die Mehrheitsgesellschaft bestimmt werden, während man sich selbst zugleich von der Aufgabe entband, die Bedingungen realer Politisierungsprozesse von Subkulturen zu untersuchen. Aufgrund der Struktur des eigenen Arguments war man nicht in der Lage, wirkliche Politisierung zu erfassen, denn solange man einen angeblichen Widerstand gegen eine angebliche ökonomische Kooptierung in den Mainstream postuliert, stellt sich die Frage nach der Übertragung aufs Makropolitische nicht. Was also der traditionellen Subkulturtheorie aufgrund ihrer reduktionistischen Tendenzen entging, war genau die Frage des Politischen, das heißt die Frage nach der eigentlichen Formationslogik, auf deren Grundlage bestimmte implizite Formen von resistance-through-style in manifest politische Formen des Protests übergehen, bzw. rein subversive Formen subkultureller Aktivität zu direkten Formen oppositioneller Aktion werden. Eines der theoretischen Haupthindernisse, die die frühen Subcultural Studies davon abhielten, zu dieser Frage vorzudringen, bestand in ihrer allzu engen Anlehnung an die Klassenanalyse. Denn die manifeste Politisierung von Gegen-Kulturen wurde im Unterschied zur latenten Politisierung proletarischer Subkulturen als ein Mittelklassephänomen angesehen. An Dick Hebdiges klassischer Subkulturstudie sticht genau seine Aversion gegen Formen der direkten politischen Aktion ins Auge - eine Aversion, die ihren Ausdruck darin findet, dass Hebdige Subkulturen den strikten Vorzug vor Gegenkulturen gibt. Letztere definierte Hebdige ( 98 : 8) in einer Fußnote im Anschluss an das politischer Aktion wandeln? Das Resistance through Style-Paradigma kann, obwohl es eine politische Perspektive einzunehmen versucht, darüber letztlich genauso wenig Auskunft geben wie das Paradigma der Post-subcultural Studies. <?page no="126"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 2 12 Resistance-through-Style-Buch (Clarke et al. 9 6) als »Amalgam ›alternativer‹ Mittelklassejugendkulturen - Hippies, Blumenkinder, Yippies -, die den 60er Jahren entwuchsen und in der Periode zwischen 96 - 0 zu Prominenz kamen«. In Kontrast zu Subkulturen stellen sich Gegenkulturen der Dominanzkultur in explizit politischer und ideologischer Weise entgegen, d. h. durch politisches Handeln und den Aufbau von Alternativinstitutionen wie Untergrundpublikationen, Kommunen, Kooperativen etc.: »Während Opposition in der Subkultur, wie wir gesehen haben, zu symbolischen Widerstandsformen hin verschoben ist, tendiert die Mittelklasse dazu, sich gut zu artikulieren, selbstsicherer zu sein und sich direkter auszudrücken« ( 98 : 8). Nicht nur unterstellt Hebdige damit, dass proletarischer Protest sich nur schlecht, unsicher und indirekt artikuliert, was von der Geschichte der Arbeitskämpfe widerlegt wird, vor allem begibt er sich in die Gefahr, Subkulturanalyse zur Spielart einer Klassenanalyse zu machen, die politische Artikulation - z. B. in Form von Protest - aus der Klassenposition der Akteure ableitet. So bestand die Hauptambition der Subcultural Studies in ihrer »heroischen Phase« im Verwischen der Linie zwischen dem Kulturellen und dem Politischen, zwischen subkulturellem Widerstand »auf der Ebene unterhalb des Bewusstseins des individuellen Mitglieds einer spektakularen Subkultur« (Hebdige 98 : 9 ) und der »selbstbewussten« gegenkulturellen Aktion, zwischen dem Mikro- und dem Makro-Aspekt von Politik. Während es sicher in einem bestimmten historischen Moment geboten gewesen sein mag, die Aufmerksamkeit auf die latenten (mikro-)politischen Aspekte der Popularkultur zu lenken, machte es doch selbst zur Hochzeit der Subkulturstudien wenig Sinn, die Linie zwischen dem Mikro- und dem Makropolitischen, also jenem Moment, in dem das »kulturell« Latente »politisch« manifest wird, aus den Analysen auszuschließen. Natürlich wusste man und hatte in Rechnung zu stellen, dass es immer einen Unterschied geben wird zwischen den subkulturellen Ritualen, wie sie aus Bourdieu ’ scher Perspektive von Thornton überzeugend beschrieben wurden, und gegenkultureller Politik. Wenn es an die politische Beurteilung des (gegen-)hegemonialen Potenzials von Subkulturen bzw. Gegen- <?page no="127"?> 12 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 28 kulturen geht, schneiden für die Autoren des programmatischen Einleitungsessays zum Resistance through Rituals-Band die Gegenkulturen der Mittelklasse wesentlich besser ab - vor allem jene Gegenkulturen, die sich einer »härteren, schärferen, intensiveren und fortgesetzten Politik des Protests, des Aktivismus, der Community-Aktion, dem libertären Kampf und letzte der Suche nach einer Konvergenz mit der Politik der Arbeiterklasse« (Clarke et al. 9 6: 68) verschreiben. 6 Hier klingt die Erfahrung der ersten und zweiten Neuen Linken, der Studentenproteste, der Frauen- und der Schwulenbewegung durch. Doch machte man nie den Schritt zur Analyse von Gegenkulturen und begnügte sich stattdessen mit einer - zwar notwendigen, aber vor dem Hintergrund der Hegemonietheorie wohl nicht ausreichenden - Analyse des mikropolitischen Alltagsverstands von Subkulturen, ohne den Moment makropolitischer Reaktivierung zu untersuchen. 6 Nach Auffassung von Clarke et al. ( 9 6) wurden diese in nicht unerheblichem Maße von Teilen der Mittelklasse getragen, die in den Brüchen und Verschiebungen der hegemonialen Formation der 60er Jahre strategisch wesentlich besser positioniert war als die Subkulturen der Arbeiterklasse, welche eher das Territorium des eigenen Ghettos - und der eigenen, wenn auch bedrohten, Identität - verteidigten, statt vorhandene Widersprüche offensiv auszudehnen. Gerade weil Gegenkulturen der Mittelklasse »eine dominante Kultur bewohnen (wenn auch in negativer Weise), sind sie in der strategischen Position (in der die Subkulturen der Arbeiterklasse nicht sind), einen inneren Widerspruch für die Gesellschaft als ganze zu generalisieren. Die Gegenkulturen entwickelten sich aus Veränderungen in den ›realen Verhältnissen‹ ihrer Klasse: sie repräsentierten einen Bruch innerhalb der Dominanzkultur, der dann mit einer Krise der Hegemonie, der Zivilgesellschaft und letztlich des Staates selbst verknüpft wurde. In diesem Sinne sind Gegenkulturen der Mittelklasse, ausgehend von einem Punkt innerhalb der dominanten Klassenkultur, für die ganze Gesellschaft zu einer emergenten Kraft des Bruchs geworden« (69). Damit verkörpern sie, nach Auffassung der Autoren, die aufgebrochenen Widersprüche des Systems selbst - die lang andauernde »organische Krise« (Gramsci) des Fordismus. Obwohl diese Analyse den breiteren hegemonialen Kontext wohl zu erfassen vermag, waren sich die Birmingham Cultural Studies zu diesem Zeitpunkt noch nicht völlig darüber im Klaren, dass die aufbrechenden Antagonismen nicht durchgehend auf Verwerfungen innerhalb der Produktionsverhältnisse zurückzuführen waren und politische Identitäten aus diesem Grund nicht notwendigerweise oder ausschließlich aus Klassenanalyse resultieren, vgl. dazu die Ausführungen in Kapitel 6. <?page no="128"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 29 129 Für eine Aktualisierung politisch verstandener Subkulturstudien wäre heute die Entwicklung eines theoretischen und methodischen Instrumentariums notwendig, das erlaubt, die Passage vom Subkulturellen zur Makropolitik zu verstehen, denn erst durch diese Passage wird der populare Alltagsverstand jeweils politisch rekodiert als z. B. fortschrittlich, konservativ, reaktionär oder widerständig. Erst dann lässt sich also auch der entsprechende Charakter einer gegebenen Subkultur einschätzen. An diesem Punkt wäre es womöglich angebracht, makropolitische Hegemonietheorien wie die von Ernesto Laclau, Chantal Mouffe und der Essex School in einen Dialog mit dem Subkulturparadigma der Birmingham School zu bringen. Denn was Erstere anzubieten haben, ist, neben einem diskursanalytischen Ansatz zur Beschreibung makropolitischer Formationen, eine Theoretisierung der Passage vom Mikrozum Makropolitischen, also jenes Moments der Reaktivierung, in dem Subkulturen sich in politisierte Gegenkulturen verwandeln. Die ausführliche Beantwortung dieser, wie mir scheint, zentralen Frage der Cultural Studies, in welcher Weise nämlich mikropolitische Widerstandsformen zu makropolitischen Formationen werden, muss auf Kapitel 6. . verschoben werden. Vorerst sei nur darauf hingewiesen, dass man dem Phänomen einer solchen politischen Umwandlung nur gerecht wird, wenn man einen starken Begriff des politischen Konflikts oder der Antagonisierung ins Spiel bringt, der im frühen Subkulturparadigma noch fehlte. Im folgenden Kapitel werden wir bei der Frage nach dem potenziell subversiven Gehalt aktiver Medienaneignungspraktiken einem analogen Problem begegnen. Da es auf einer fundamentalen theoretischen Ebene einem kulturalistischen Zugang an einer kohärenten Theorie des Antagonismus mangelt, kann er das Phänomen der Politisierung nicht fassen oder verstehen, sondern nur konstatieren. Dieser Punkt findet sich in Marchart (200 a) ausgeführt. <?page no="129"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 0 <?page no="130"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 131 Kapitel 4: Media Studies: Kultur, Kommunikation, Signifikationspolitik Man erzählt sich, dass zur Zeit von Lord Reith, als BBC-Nachrichtensprecher noch im Smoking und mit schwarzem Schlips erschienen, ein Ansager tatsächlich eines Abends auftrat und sagte: »Es gibt heute keine Nachrichten.« Stuart Hall (19 9e: 12 ) 4.1. Media Studies im Kontext des Postmarxismus Dass der in den vorangegangenen Kapiteln erläuterte politische Kulturbegriff der Cultural Studies auf deren Medienbegriff durchschlägt, ja durchschlagen muss, wird nicht überraschen. Die politische Perspektive der Media Studies (unter denen hier der Kürze halber die medienwissenschaftlich orientierten Cultural Studies verstanden werden sollen) heben sich deutlich von anderen Medientheorien des Postmarxismus ab. Die prominentesten darunter könnte man vielleicht als Massenbetrugsparadigma und als Emanzipationsparadigma der Medientheorie bezeichnen. Die Media Studies unterscheiden sich von diesen konkurrierenden Paradigmen, insofern sie innerhalb des marxistischen Traditionszusammenhangs einem anti-ökonomistischen Blick auf die Medien verpflichtet sind, der zugleich dem in der Medientheorie verbreiteten technologischen Determinismus, der gesellschaftliche Entwicklungen kausal aus der technologischen Struktur oder Entwicklung der Medien ableitet, kritisch gegenüber steht. Dem Manipulationsparadigma lässt sich beispielsweise die frühe Kritische Theorie Horkheimers und Adornos zurechnen ( 988 [ 9 ]). Nach Horkheimer und Adorno lasse sich dem <?page no="131"?> 132 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 2 kapitalistischen Verhängniszusammenhang nicht mehr anders beikommen als durch radikale Kritik. Deren Möglichkeit werde jedoch untergraben von Massenkultur und Massenmedien, die als Technologien des Massenbetrugs verstanden werden. Dies wird weiterhin ökonomistisch argumentiert. Das System der »Kulturindustrie«, das sich von den liberalen Industrieländern her ausbreitete, werde von den allgemeinen Kapitalgesetzen angetrieben. Da aber auf der Suche nach neuen Verwertungsmöglichkeiten des Kapitals das gesamte Feld der Kultur bereits umgegraben wurde, so die These, verwandle sich der Charakter von Kultur als solcher. Kultur werde zu Werbung. Durch das schiere Ausmaß der »Kulturindustrialisierung« schlägt Kultur um in Reklame für das Bestehende, unabhängig vom konkreten Inhalt des jeweils Beworbenen. Die erweiterte Reklamefunktion der Medien bestehe nicht allein im Werbeblock, sondern in der standardisierten Massenfabrikation unkritischen Einverständnisses. Dieses gelte keiner bestimmten Ideologie, sondern Medien machten Reklame für den allgemeinen Verhängniszusammenhang der kapitalistischen Warengesellschaft und die Undurchschaubarkeit der Verhältnisse. Aus den Medien heraus werden die Massen vom kategorischen Imperativ der Kulturindustrie angerufen: »du sollst dich fügen, ohne Angabe worein; fügen in das, was ohnehin ist, und in das, was als Reflex auf dessen Macht und Allgegenwart, alle ohnehin denken« (Adorno 200 : ). So kann Adorno den Gesamteffekt der Kulturindustrie als Anti-Aufklärung bezeichnen. In Form der Kulturindustrie werde Aufklärung als Massenbetrug falsch verwirklicht und die Bildung autonomer Individuen blockiert - eine Theorie, die ihre Fortsetzung später in Jürgen Habermas’ These vom kommerzialisierungsbedingten Zerfall bürgerlicher Öffentlichkeit finden sollte (Habermas 990 [ 962]). Dass im Massenbetrugsparadigma kaum Platz für eine emanzipatorische Medienpraxis bleibt, liegt auf der Hand. Und doch lässt sich ausgehend von marxistischen Prämissen zu optimistischeren Schlussfolgerungen gelangen. Walter Benjamin ( 980 [ 9 6]) zufolge verliert das Kunstwerk aufgrund der modernen Reproduktionstechnologien vor allem des Films an Einzigartigkeit und Aura. Abgelöst von seinem kultischen Fundament <?page no="132"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 133 könne es nun auf Politik gegründet werden. Die vielzitierte Zertrümmerung der Aura zerstöre den Kultwert des Kunstwerks und bilde die Voraussetzung für dessen massenhafte Verbreitung sowie den emanzipatorischen Einsatz der neuen medialen Technologien. Die Möglichkeit des emanzipatorischen Medieneinsatzes bleibt jedoch technologischen Bedingungen geschuldet. Ähnliches vertritt Bertolt Brecht in seiner Radiotheorie. Die Rundfunktechnologie besitze ein kommunikatives Potenzial, das jedoch von der herrschenden Gesellschaftsordnung blockiert werde. Statt als reiner Distributionsapparat zu wirken, der eine zur Passivität angehaltene Masse beliefert, sei der Rundfunk in einen Kommunikationsapparat umzufunktionieren - vorausgesetzt, er verstünde es, »nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen, also den Zuhörer nicht nur hören, sondern auch sprechen zu machen und ihn nicht zu isolieren, sondern ihn in Beziehung zu setzen« (Brecht 999 [ 9 2]: 260). Ähnlich wie Brecht kritisierte später Hans Magnus Enzensberger ( 999 [ 9 0]), dass die Trennung in Sender und Empfänger nicht von der Technik diktiert sei, da jedes Transistorradio technisch problemlos zugleich in einen potenziellen Sender verwandelt werden könne. Werde diese Trennung dennoch beibehalten, so weil die gesellschaftliche Arbeitsteilung zwischen Produzenten und Konsumenten den Grundwiderspruch zwischen Monopolkapital/ Monopolbürokratie und Massen widerspiegle. Eine emanzipatorische Medienpraxis müsse im selbst organisierten Produktivwerden der Massen und in der direkten gesellschaftliche Kontrolle der Medien bestehen. Aus Sicht des Massenbetrugsparadigmas erscheinen die tatsächlichen Umsetzungsmöglichkeiten emanzipatorischen Mediengebrauchs natürlich begrenzt. »Keine Apparatur der Replik hat sich entfaltet«, konstatierten Adorno und Horkheimer ( 988 [ 9 ]: 0) bereits in den späten 0er Jahren mit Seitenblick auf Benjamin und Brecht. Dennoch teilen Manipulations- und Emanzipationsparadigma der Medientheorie einen gewissen Reduktionismus. So wie den Anhängern des Massenbetrugsparadigmas zufolge das manipulative Potenzial der Medien der von den Kapitalgesetzen bestimmten Funktion der Medientechnologie geschuldet ist, so suchen manche Theorien des Emanzipationsparadigmas das ega- <?page no="133"?> 134 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite litäre Potenzial gleichfalls in einer Essenz der Medientechnologie: »Die neuen Medien sind ihrer Struktur nach egalitär«, heißt es bei Enzensberger ( 999 [ 9 0]: 2 ). In beiden Fällen, wenn auch mit jeweils umgekehrten Vorzeichen, tendiert die Argumentation zu deterministischen bzw. technizistischen Verkürzungen. Hiervon heben sich die Media Studies ab, indem sie bewusst nicht-deterministisch, nicht-technizistisch und nicht-ökonomistisch argumentieren. Man könnte ihren Zugang als Paradigma der Politik oder der Hegemonie bezeichnen. So kommt es innerhalb der postmarxistischen Theorietradition zur Verschiebung der eigentlichen Fragestellung. Die Frage, ob eine bestimmte mediale Technologie »in ihrer Struktur« emanzipatorisch oder manipulativ sei, verliert nun ihren Sinn. Genausowenig lässt sich - im Sinne einer marxistischen theory of everything - der Gesamtzustand von Gesellschaft, Geschichte und Medien aus einer abstrakten Formel (wie etwa aus der Warenform, dem Antagonismus zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen oder dem Determinationsverhältnis von Basis und Überbau) ableiten. Mit dem einschlägigen Konzept der Hegemonie verschiebt sich die gesamte Fragestellung weg von Technologie bzw. Ökonomie und hin zu den gesellschaftlichen Machtverhältnissen. Wie wir bereits in Kapitel 2. . sahen, unterlief Gramsci mit seinem Konzept der Hegemonie das klassische Determinationsverhältnis von Basis und Überbau. Eine Klasse oder Klassenallianz kann die Macht nur erringen, erhalten oder ausbauen, wenn sie im Feld der Zivilgesellschaft Konsens und freiwillige Zustimmung zu ihrer Herrschaft erzielt. Die Verfügungsgewalt über die staatlichen Zwangsapparate (Polizei, Justiz, Verwaltung, etc.) allein reicht dazu keineswegs aus; es muss Hegemonie über die Köpfe - den Alltagsverstand (senso comune) - und die alltäglichen Praxen der Menschen errungen werden. Damit steigt die gesellschaftliche Bedeutung der Medien enorm: als zivilgesellschaftliche Hegemonieapparate sind sie sowohl Terrain als auch Durchsetzungsmittel hegemonialer Stellungskämpfe. Die medientheoretischen Fortschritte gelangen den Media Studies in der Birmingham-Tradition nicht zuletzt, weil man diese elementare Funktion der Medien im hegemonialen »Kampf <?page no="134"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 13 um Bedeutung« oder »Kampf im Diskurs« (Hall) erkannt hatte. Als »dominante Mittel sozialer Signifikation in modernen Gesellschaften« spielen sie die zentrale Rolle in jenem Prozess, den Hall auch als Signifikationspolitik bezeichnet. Und, wie noch zu sehen sein wird, sie konstruieren als »signifying institutions« den imaginären Horizont, vor dem die Leute sich politisch, kulturell und sozial orientieren können (Hall 9 9, 982). Sie produzieren soziales Wissen und schaffen ein Inventarium an Werten, Bildern, Klassifikationen und Lebensstilen, das es uns erlaubt, uns im sozialen Raum zurechtzufinden. Mit anderen Worten: sie wirken direkt auf den popularen Alltagsverstand ein. Zugleich sind diese Signifikationsapparate nicht etwa neutrale Vermittler von Ideologemen, sondern sie sind selbst das umkämpfte Terrain hegemonialer Auseinandersetzungen. Welche Funktion ein bestimmtes Medium also erfüllt, ist nie von vornherein ausgemacht. Weder lässt es sich von der Medientechnologie ablesen noch aus einer allgemeinen Gesellschaftstheorie oder Lehrsätzen der politischen Ökonomie ableiten. Aus diesem Grund sind die Effekte konkreten Medieneinsatzes - mögen sie nun manipulativ oder emanzipatorisch sein - nie aprioristisch bestimmbar. Um sie bestimmen zu können, wird eine Analyse der spezifischen hegemonialen Konstellation, also der spezifischen Signifikationspolitik erforderlich, in die Medien verwickelt sind. Das Emanzipatorische (oder Manipulative) steckt also in der emanzipatorischen (oder manipulativen) Politik, nicht in der Apparatur. Die in den 0er Jahren unter Stuart Hall geleistete Arbeit der »Media Group« am Centre for Contemporary Cultural Studies hat wesentliche Grundlagen der Media Studies geschaffen, besonders hinsichtlich einer Dekonstruktion der Annahmen traditioneller Medientheorie. Die mit den Media Studies verbundene postmarxistische wie medientheoretische Verschiebung der Fragestellung, weg von der Apparatur und hin zur Politik, bedeutete eine Befreiung von den Determinismen und Reduktionismen, die das Manipulationswie auch das Emanzipationsparadigma bestimmen. Doch noch viel dringlicher musste die Media Group sich vom damals tonangebenden so genannten »mass communication research« der US-amerikanischen Sozialwissenschaften lösen. <?page no="135"?> 136 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 6 Hall ( 980) spricht von genau vier Brüchen in Bezug auf den kommunikationswissenschaftlichen Mainstream dieser Zeit: Erstens mussten die Media Studies mit dem Reiz-Reaktions-Schema des Behaviorismus brechen, der eine direkte Beeinflussbarkeit des »audience« durch die Medienbotschaft unterstellte. Zweitens wurde mit der Annahme gebrochen, die Botschaft sei ein transparenter Träger von Bedeutung. Von hier aus ergab sich ein verstärktes Interesse an der linguistischen und ideologischen Struktur der Botschaften, was zur Übernahme semiotischer und schließlich diskursanalytischer Modelle führte. Drittens wurden traditionelle Konzeptionen eines passiven Publikums, wie sie etwa der »Zuseherforschung« von TV-Anstalten zugrunde liegen (Morley 999), ersetzt durch die Konzeption eines aktiveren »audience«, das sich die Bedeutung der Botschaften qua Dekodierung selbst erarbeitet, womit auch oppositionelle oder von Seiten des Senders ungewollte Bedeutungen produziert werden können. Und schließlich befasste sich die Media Group mit der Rolle, die die Medien »in der Zirkulation und Sicherung dominanter ideologischer Definitionen und Repräsentationen« (Hall 980: 8) spielen, brach also mit einer Vorstellung von Gesellschaft als ideologiefreiem Raum. 4.2. Kommunikation als Transmission und Ritual: James Carey Um diese Brüche im Detail nachvollziehen zu können, müssen wir sie vor dem Hintergrund einer grundlegenden Modelldifferenz verorten, wie sie die gegenwärtigen Kommunikations- und Medienwissenschaften bestimmt. So hinterfragen die Media Studies die alltagsverständliche Vorstellung, im Kommunikationsprozess würden Botschaften einfach von A nach B transportiert. Diese Vorstellung bildet für die Disziplin der Kommunikationswissenschaften das lebensweltliche Substrat ihres Basismodells von Kommunikation. 8 Da sich in solchen Basismodellen die 8 Damit soll nicht gesagt sein, dass jede Disziplin nur ein einziges theoretisches Grundlagenmodell besitzt, über das ihr jeweiliger Gegenstandsbewww.Claudia-Wild.de: <?page no="136"?> Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 13 Grundannahmen einer Disziplin bezüglich ihres eigentlichen Gegenstandes sedimentiert haben, kann dies zur Folge haben, dass ebendiese sedimentierten Grundannahmen nicht weiter hinterfragt, sondern als innerdisziplinäre Folklore in Gefäßen wie Einführungsdarstellungen und Proseminaren tradiert werden. In den Kommunikationswissenschaften übernimmt die Rolle dieses Basismodells die Lasswell ’ sche Kommunikationsformel (Laswell 9 8), die auf der allgemeineren Vorstellung von Kommunikation als einem Verhältnis zwischen den Instanzen von Sender, Medium, Botschaft und Empfänger beruht. James Carey, einer der ersten US-amerikanischen Proponenten der Cultural Studies, bezeichnete in seinem mittlerweile zum Klassiker avancierten Buch »Communication as Culture« die mit der Laswell-Formel von Kommunikation (ähnlich Grossberg et al. 998) verbundene Sichtweise als »transmission view« oder Transmissionssichtweise von Kommunikation und stellte ihr die »ritual view« oder Ritualsichtweise von Kommunikation gegenüber, wie er anthropologische und kulturwissenschaftliche Ansätze charakterisiert. Der erste Ansatz versteht unter Kommunikation wesentlich den Vorgang der Übermittlung oder Übertragung von Botschaften (deshalb transmission view): »Der Transmissionsgesichtspunkt von Kommunikation ist der in unserer Kultur - vielleicht in allen industriellen Kulturen - am stärksten verbreitete und dominiert gegenwärtige Lexikonträge zu dem Begriff. Er wird durch Begriffe definiert wie ›vermitteln‹, ›senden‹, ›übertragen‹ oder ›Informationen weiterleiten‹. Er wurde aus einer Metapher von Geographie und Transport geformt« (Carey 992: ). Im Ritualmodell von Kommunikation hingegen wird unter Kommunikation eine Praxis verstanden, die auf dem Feld der Kultur Gemeinschaft (community) und Identität konstituiert. Der ritualistischen Definition reich verstanden und untersucht wird, aber es gibt doch Modelle, die sich historisch durchgesetzt haben, dominant wurden, dann als wie auch immer modifizierter Ausgangspunkt weiterer Unternehmungen dienen und als ein solcher Ausgangspunkt tradiert werden. Ein solch disziplinäres Basismodell dient nicht zuletzt dazu, den weitesten Gegenstandshorizont einer Disziplin abzustecken; d. h. im Fall der Kommunikationswissenschaft: die Kommunikation in all ihren Ausformungen und Institutionalisierungen. <?page no="137"?> 13 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 8 gemäß ist Kommunikation mit Ideen von »Zusammenkommen«, »Teilhaben« und »Assoziation« verknüpft ( 8). Wird im ersten Modell Kommunikation wesentlich verstanden als Prozess des Informationsaustauschs, so handelt es sich beim zweiten Modell um eines von Kommunikation als Kultur, was nicht zuletzt im Titel von Careys Buch programmatisch anklingt. Wirft man einen genaueren Blick auf das den Kommunikationswissenschaften als Basismodell dienende Transmissionsmodell, demzufolge Kommunikation als Übermittlung konzeptionalisiert wird, so findet sich die Urform dieses Modells wohl bei Shannon und Weaver ( 9 9) und deren Bemühungen zur Informationsmaximierung in den Bell Telephone Laboratories der späten 0er Jahre. Mit dem Ziel der Effizienzsteigerung von Kommunikation wurde untersucht, welcher Kommunikationskanal die größte Signalmenge transportieren könne. Ergebnis war ein lineares und uni-direktionales Kommunikationsmodell: Von einer Informationsquelle wird eine Botschaft über einen Transmitter in ein Signal umgewandelt und schließlich von einem Receiver empfangen und zur Botschaft zurückverwandelt, wobei sich das Signal auf seinem Weg durch den Kanal zwischen Transmitter und Receiver als störungsanfällig erweist. Shannon und Weaver waren vordringlich an der technologisch-mathematischen Seite der Kommunikation und ihrer »Verbesserung« - der Ausschaltung von Störungsquellen - interessiert, während Harold D. Laswell, von dem wohl die bekannteste Version des Transmissionsmodells stammt, an der Propagandawirkung von Medienbotschaften interessiert war. Seine Formel (ursprünglich Laswell 9 9) beschrieb den Kommunikationsakt entsprechend der folgenden Fragereihe: Who? Says what? In which channel? To whom? With what effect? Hier ist es die aus dem historischen Zusammenhang des zweiten Weltkriegs erklärbare Fokussierung auf die Propaganda-Wirkung von Medien, die notwendigerweise eine instrumentelle und auf Effektivität bedachte Sichtweise des Kommunikationsprozesses forciert. Alle einzelnen Elemente des Prozesses erscheinen in diesem Licht: Dem Sender wird unterstellt, eine intentionale Absicht zu verfolgen, an der die Effektivität der Botschaft, z. B. deren Mobilisierungswirkung, gemessen werden <?page no="138"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 9 139 könne. Der Empfänger dagegen bleibt in Transmissionmodellen der Botschaft weitgehend ausgeliefert. Laswells Modell entspricht darin dem Stimulus-Response-Modell des Behaviorismus, der auch für einen Gutteil der damaligen US-amerikanischen Politikwissenschaften kennzeichnend war: Diesem einfachen Modell des Lernens zufolge, sind Effekte spezifische Reaktionen auf spezifische Stimuli, so dass man eine enge Korrespondenz zwischen Medienbotschaften und Publikumsreaktion erwarten und vorhersagen kann. Die Hauptelemente dieses Modells sind: (a) eine Botschaft (Stimulus, S); (b) ein Empfänger (Organismus, O); und (c) der Effekt (Reaktion, R). Üblicherweise wird das Verhältnis zwischen diesen Elementen folgendermaßen demonstriert: S → O → R. (…) Medienhalte, so die Vorstellung, würden in dieVenen eines Publikums injiziert, das auf uniforme und vorhersagbare Weise reagierte. (McQuail und Windahl 1993: ) Zwar wurde dieses lineare und sehr mechanische Kommunikationsmodell später erweitert, doch die Grundstruktur und die ihr zugrunde liegende alltagsverständliche Vorannahme blieb dieselbe. Es ist mit dem Anschein von Evidenz ausgestattet, weil es mit unserem Alltagsverständnis von Kommunikation als Transmission und Transport kompatibel ist. Letztlich baut schon das mathematische Modell von Shannon und Weaver auf diesem Alltagsverständnis von Kommunikation auf. Laut Carey arbeitet der Transmissionsgesichtspunkt mit Metaphern von »Senden«, »Übertragen«, »Weitergeben von Informationen«, d. h., letztlich mit Metaphern von Geografie und Transport. Ihm liegt der für kolonialistische und industrielle Gesellschaften typische Traum von der Beschleunigung von Informationen oder Materie über räumliche Distanz zugrunde - nicht zuletzt zum Zweck der Kontrolle von Menschen über geografische Distanz (Carey 992: ). Daher auch die spezifische Artikulation dieses Modells mit dem historischen Moment der Kolonisation, dem Zeitalter der »Erkundungen und Entdeckungen«, das nicht zuletzt dem Begehren entsprang, Europas Grenzen auszuweiten. Wodurch ist nun die diesem Modell gegenläufige »ritual view of communication« gekennzeichnet? Zuallererst verweist Carey auf die gemeinsame Wurzel von Begriffen wie »›commonness‹, <?page no="139"?> 140 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 0 ›communion‹, ›community‹, and ›communication‹« ( 8). Während Vertretern des Transmissionsmodells die Übertragung von Botschaften über geografische Distanz als typischer Fall von Kommunikation gilt, so ist der typische Fall eines Kommunikationsereignisses im Kulturmodell das Ritual als Zeremonie, die Menschen zusammenbringt und darüber Gemeinschaft, letztlich soziale Identität stiftet. Aus Perspektive dieses Kulturmodells von Kommunikation verbreiten etwa Tageszeitungen oder Nachrichtensendungen nicht nur Information, sondern sie inszenieren vor allem ein Drama. Sie beschreiben, so Carey, nicht die Welt, wie sie ist, sondern inszenieren ein Schauspiel dramatischer Kräfte und Aktionen, was uns zur Teilnahme an dieser Inszenierung und zur Übernahme bestimmter Rollen auffordert. Statt also von Übertragungsprozessen, d. h. vom Transport einer Nachricht auszugehen, wird hier davon ausgegangen, dass sich im Ritual eines Kommunikationsereignisses gemeinschaftliche Identität herstellt. So sei der exemplarische Fall von Kommunikation als Ritual, Carey zufolge, die Zeremonie der Kommunion, in der durch Zusammenkommen Gemeinschaft (»Kommunität«) gestiftet werde. 9 So erscheint unter dem Ritualgesichtspunkt »Kommunikation als ein Prozess, durch den eine gemeinsame Kultur kreiert, modifiziert und transformiert wird«( ). Betrachtet man zum Beispiel eine Tageszeitung unter dem Transmissionsgesichtspunkt von Kommunikation, könnte man in ihr ein Mittel zur Distribution von Information, von Neuigkeiten und Unterhaltung über geografische Distanz erkennen. Da es in behavioristischen Modellen um die Effekte geht, die von Botschaften hervorgerufen werden, wäre der Leserschaft nur eine passive Rolle als Objekt von Unterhaltung, Belehrung bzw. Verdummung zugewiesen. Unter dem Ritualgesichtspunkt wird hin- 9 Zu einem ganz ähnlichen Ergebnis kam auch Raymond Williams ( 98 : ) im Rahmen seiner kulturmaterialistischen Medientheorie: »Da unsere Sichtweise der Dinge nichts anderes ist als unsere Lebensweise, ist der Prozeß der Kommunikation ein Prozeß zu Gemeinschaft [process of community]: er schließt ein die Partizipation an gemeinsamen Bedeutungen und damit an gemeinsamen Tätigkeiten und Zwecken, das Anbieten, das Akzeptieren und das Abwägen von neuen Bedeutungen und daraus sich ableitend Spannung und Erfolg, Entwicklung und Veränderung.« <?page no="140"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 141 gegen das Lesen (und übrigens auch das Schreiben) einer Zeitung nicht als Aufnahme (oder Abgabe) von Informationen verstanden, sondern als ritueller und dramatischer Akt der Konstitution sozialer Realität. So verstanden, darf Kommunikation nicht allein nach Maßgabe des Informationsgehalt einer Botschaft bzw. der Vollständigkeit oder Effizienz ihrer Übermittlung bewertet werden. Nachrichten - »news« - sind im Ritualmodell eben keine nackten Informationen, sondern Inszenierungen von Kräften und Aktionen in historischer Zeit, die uns an diesem Drama teilhaben lassen, indem sie uns in bestimmte, mit dem Drama verknüpfte soziale Rollen schlüpfen lassen. Mit dieser These von Kommunikation als »symbolischer Prozess, durch den Realität produziert, aufrechterhalten, repariert und transformiert« (2 ) werde, unterstreichen die Media Studies die produktive Funktion von Kommunikation. Dabei sind drei von Carey angerissene Konzepte für den Zugang über das Ritual bestimmend: Realität, Praxis und Text. Erstens wird soziale Realität, dem radikalen Konstruktivismus des Ansatzes gemäß (Berger und Luckmann 966), im Ritualmodell nicht als etwas verstanden, das dem Kommunikationsprozess vorgängig wäre. Sie generiert sich erst in Kommunikationsprozessen und wird nicht von diesen bloß »übermittelt«. Eine wichtige Implikation dieser Annahme besteht in ihrem Anti-Essenzialismus: »Indem ich Kommunikation als einen Prozess untersuche, durch welchen Realität konstituiert, aufrechterhalten und transformiert wird, versuche ich zu betonen, dass Kommunikation als solche keine Essenz und keine universalisierbaren Qualitäten besitzt; sie kann nicht in der Natur repräsentiert werden. Kommunikation stellt einfach eine Reihe historisch variierender Praktiken und Reflexionen über diese Praktiken dar« (8 ). Daraus folgt zweitens, dass es sich bei Kommunikation um keine rein komputative Tätigkeit handeln kann, in der Bits und Bytes miteinander verrechnet werden. Man muss unter Kommunikation eine alltägliche Praxis verstehen. Allerdings sind dieser Praxis Grenzen gesetzt, da die Struktur sozialer Realität nicht allen voluntaristischen Herrichtungsversuchen gegenüber empfänglich ist. Realität sei eine knappe und daher umkämpfte Ressource, <?page no="141"?> 142 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 2 die für »verschiedene Absichten und Projekte bereitgestellt, mit gegebenen Bedeutungen und Potentialen ausgestattet, ausgegeben und konserviert, rationalisiert und verteilt« (8 ) werde. Der Umgang mit dieser Ressource involviert Macht, da nicht alle über den gleichen Zugang zu Kommunikationsmitteln und somit zur Möglichkeit verfügen, Realität allgemeinverbindlich zu definieren. Und er involviert Konflikt, da die knappe Ressource verteilt werden muss: Kommunikation als Kultur sei »der Schauplatz des sozialen Konflikts um das Reale« (ebd.). Und drittens definiert Carey eine gegebene Kultur als Ensemble von Texten, worunter er mit Bezug auf Clifford Geertz (2002) eine Abfolge von Symbolen in Medien wie Sprache, Schrift und Gestik versteht. Kommunikation schließt somit nicht-linguistische, aber dennoch bedeutungsvolle Praktiken mit ein und entspricht darin jener Definition von Diskurs, wie sie von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe vorgebracht wurde und auf die wir in Kapitel 6 noch zurückkommen werden. Eine solch kulturwissenschaftliche Form der Diskursanalyse kann sich um keine Analyse »harter sozialer Fakten« drehen, da die von Carey so genannten Symbole - die kulturelle Realität, von der die Rede war - keine materia prima des Sozialen darstellen. Sie selbst sind ja kommunikativ konstruiert und immer schon von Interpretationen überformt. Folglich könne die Aufgabe der Cultural Studies nur in der Interpretation von Interpretationen bestehen (Carey 992: 60). Kulturwissenschaftliche Interpretation ist selbst nichts anderes als ein Akt der »Kommunikation als Konstruktion« und (re-)konstruiert den zur Interpretation anstehenden Text unter Ausschluss konkurrierender Interpretationen. Hieran zeigt sich nochmals, dass das hermeneutische Modell der Cultural Studies nicht nur konstruktivistisch ist, sondern mit ihrer Version des Konstruktivismus eine Instanz grundlegender Konfliktualität postuliert. Careys Stärkung des Ritualmodells von Kommunikation im Verhältnis zum Transmissionsmodell besitzt also wichtige Implikationen für den Cultural Studies-Begriff von Kommunikation: Kommunikation als Realität besitzt keine Essenz, Kommunikation als Praxis ist konfliktorisch, und Kommunikation als Text führt unsere Analyse zu einer auch nicht-linguistische Praktiken <?page no="142"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 143 einschließenden Diskurstheorie. Diese drei Aspekt wird man in nuce im maßgeblichen Kulturmodell massenmedialer Kommunikation wieder finden, nämlich in Stuart Halls Kodieren/ Dekodieren-Modell, das in den frühen 0er Jahren am CCCS entwickelt wurde. 4.3. Kodieren/ Dekodieren: Bedeutungsstrukturen Ausgehend von ganz ähnlichen Überlegungen erarbeitete man in den 0er Jahren am CCCS ein inzwischen kanonisch gewordenes Kommunikationsmodell, das im Vergleich zu jenem Careys den Vorzug größerer Operationalisierbarkeit besitzt. Die Rede ist vom Kodieren/ Dekodieren-Modell Stuart Halls, wie es von Hall in Abb. gefasst wird. Dieses Ritual- oder Kulturmodell von Kommunikation, wie es Hall (200 d) vorschlägt, scheint auf den ersten Blick wesentliche Programm als »sinntragender« Diskurs kodieren Bedeutungsstrukturen 1 Wissensrahmen Produktionsverhältnisse technische Infrastruktur dekodieren Bedeutungsstrukturen 2 Wissensrahmen Produktionsverhältnisse technische Infrastruktur Abb. 3: Das Kodieren/ Dekodieren-Modell Stuart Halls (200 d) <?page no="143"?> 144 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite Aspekte des Sender/ Medium/ Empfänger-Modells weiterzuführen. So könnte man das Modell aus Transmissionsperspektive folgendermaßen beschreiben: Eine Medienbotschaft nimmt ihren Ausgangspunkt in einem medialen Apparat oder einer Institution - hier dargestellt durch die Trias: Wissensrahmen, Produktionsverhältnisse und Infrastruktur -, wird auf Basis bestimmter Bedeutungsstrukturen oder Diskursregeln kodiert, zirkuliert auf diese Weise als sinntragender Diskurs (als Programm oder Nachricht) und wird von einem Empfänger, der selbst wiederum ausgestattet ist mit einem Apparat aus Wissensrahmen, Produktionsverhältnissen und Infrastruktur, auf Basis eigener Bedeutungsstrukturen dekodiert. Hall setzt sich jedoch explizit ab von dieser Interpretation seines Modells: Die Massenkommunikationsforschung hat den Kommunikationsprozeß traditionellerweise als Kreislauf oder Schleife konzeptualisiert. Aufgrund seiner Linearität - Sender/ Nachricht/ Empfänger -, seiner Ausrichtung auf die Ebene des Nachrichtenaustauschs und des Fehlens einer strukturellen Verbindung der unterschiedlichen Momente als einer komplexen Beziehungsstruktur ist dieses Modell häufig kritisiert worden. Doch ist es denkbar und auch sinnvoll, diesen Prozeß als eine Struktur aufzufassen, die durch die Artikulation miteinander verbundener, aber eigenständiger Momente produziert und aufrechterhalten wird: Produktion, Zirkulation, Distribution/ Konsum, Reproduktion. Dies hieße, den Prozeß als »komplexe, dominante Struktur« zu verstehen, die durch die Artikulation miteinander verbundener Praktiken entsteht, von denen jede in ihrer Unverwechselbarkeit erhalten bleibt und ihre spezifische Modalität, ihre eigenen Existenzformen und -bedingungen hat. (Hall 2004d: 66) Sollten auf den ersten Blick dennoch Ähnlichkeiten zum linearen Sender-Medium-Empfänger-Modell auffallen (ein unidirektionaler Pfeil scheint die sinntragende Botschaft von der Dekodierungszur Kodierungsposition zu befördern), so weil die Modellentwicklung einer strategischen Intervention Halls geschuldet war. Ursprünglich geht der Aufsatz auf einen Vortrag Halls an einem empirisch-positivistisch ausgerichteten Zentrum für Massenkommunikationsforschung an der University of Leiwww.Claudia-Wild.de: <?page no="144"?> Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 14 cester zurück und stellt aus diesem Grund eine Art Kompromissbildung mit herkömmlichen Kommunikationsmodellen dar, die er zugleich polemisch zu unterwandern versucht. Nun entwickelt Hall aus dem Transmissionsmodell wenn schon kein ethnografisches Ritualmodell, so doch ein Modell, das den diskursiven und damit kulturellen Prozess der Bedeutungsproduktion an allen Stationen von Kommunikation ins Zentrum rückt. Er betont ausdrücklich, dass auch die medialen Apparate »in Form von symbolischen Trägern« auftreten, »die gemäß dem Regelwerk der ›Sprache‹ gebildet werden« (66). Dabei sind die einzelnen Stationen des Kodierungs-/ Dekodierungsprozesses relativ autonom. Sie alle sind notwendig, damit Kommunikation zustande kommen kann, und doch kann jede einzelne »eine eigene Bruchstelle oder Störung des Austauschs konstituieren« (6 ). Die alle einzelnen Stationen verbindende Totalität wird Hall zufolge »durch die gesellschaftlichen Beziehungen des umfassenden kommunikativen Prozesses insgesamt gebildet« (68). Wir müssen uns die Bedeutungsstrukturen oder Kodes, die in den beiden Momenten der Kodierung und Dekodierung zum Einsatz kommen, als Bestandteile dieser diskursiven gesellschaftlichen Totalität vorstellen. Der Kommunikationsprozess stellt sich dann wie folgt dar: Ein auftretendes Ereignis wird von einem medialen Apparat auf Basis der diesem Apparat gemäßen Regeln und Diskurse in »Nachrichtenform« gebracht, zugleich aber vor dem Hintergrund des allgemeinen gesellschaftlichen Diskurshorizonts, also bestimmter zu Verfügung stehender Kodes, mit Bedeutung ausgestattet. 0 Kann eine Nachricht mit keinen oder nur mit randständigen Diskursen in Verbindung gebracht werden, besitzt sie keinen Nachrichtenwert. Auf der anderen Seite kann eine Nachricht nur unter Einsatz der dem Empfänger zu Verfügung 0 In einem Artikel zur strukturierten Vermittlung medialer Ereignisse führt Hall diesen Kodierungsprozess genauer aus: »BerichterstatterInnen definieren, was Nachrichten sind, wählen Nachrichten aus, ordnen, redigieren und formen sie, übersetzen Ereignisse in ihre repräsentativen Bilder, transponieren Geschehnisse in eine limitierte Anzahl von Worten und Bildern, um daraus eine ›Geschichte‹ zu machen, und benutzen Interpretationsschemata, um uns die soziale Realität zu erklären« ( 989e: ). <?page no="145"?> 146 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 6 stehenden Bedeutungsstrukturen dekodiert werden. Beide Seiten, die Bedeutungsstrukturen und die Bedeutungsstrukturen 2, können in unterschiedlichem Ausmaß überlappen. Wenn sie das an keinem Punkt tun, wenn also gänzlich unterschiedliche Kodes in Anschlag gebracht werden, kann keinerlei Verständigung und Konsens bezüglich der Bedeutung der Botschaft hergestellt werden (was nicht heißt, dass Kommunikation als solche deshalb schon gescheitert wäre, denn auch Unverständnis oder Radikalopposition gegenüber der Botschaft ist eine Form von Kommunikation). Wenn die Bedeutungsstrukturen oder besser: Lesarten der Botschaft hingegen vollständig überlappen, dann wird die Botschaft in der Tat so »empfangen«, wie sie intendiert war. Im Regelfall wird es allerdings nur zu einer teilweisen Deckung beider Kodes kommen, was notwendigerweise dazu führen wird, dass die Bedeutung der Botschaft ausgehandelt werden muss. Was aber ist mit diesem Modell gegenüber einem Transmissionsmodell gewonnen? Unterscheidet es sich wirklich von Transmissionsmodellen? Hall besteht auf mehreren Differenzen, von denen drei erwähnt werden sollen: Erstens handelt es sich hier nicht um ein technisches, sondern um ein politisches Kommunikationsmodell, denn welche der Kodierung und Dekodierung zugrunde liegenden Bedeutungsstrukturen jeweils dominant und hegemonial sind, das entscheidet sich nicht am Kommunikationsprozess selbst, sondern an den gesellschaftlichen Kräften, die hinter ihnen stehen und sie durchsetzen. Geht man mit Hall davon aus, dass die Massenmedien in den meisten Fällen entlang dominanter bzw. hegemonialer Diskurse kodieren, dann muss eine Dekodierungsposition, die einen nur geringen oder keinen Deckungsgrad mit diesen aufweist, als oppositionell bezeichnet werden. Wo man im Transmissionsmodell also von bloßem Rauschen, von Störung oder Kommunikationszusammenbruch sprechen würde, spricht Hall von »›der Politik des Bezeichnens‹, dem Kampf im Diskurs« (80). Das impliziert zweitens, dass der Empfänger oder Rezipient, bzw. ein gegebenes audience als Gruppe, nicht wie in behavioristischen Modellen als passive Wachsmasse gedacht werden darf, in die sich der Stempel der Nachricht einprägt. Vielmehr greift sie aktiv in den Signifikationsprozess ein <?page no="146"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 14 und bestimmt so die Bedeutung der Botschaft mit. Von hier aus sollte sich in den späteren Cultural Studies die active audience-Forschung oder Aneignungsforschung entwickeln (Hepp 999). Die dritte Differenz schließlich betrifft die eigentlichen Grundannahmen des Modells selbst. Ähnlich wie Carey geht Hall nicht davon aus, dass die Bedeutung einer Nachricht dem Kommunikationsprozess vorgängig ist. Es existiert also nicht zuerst die Botschaft und dann die Übertragung, die möglichst störungsfrei vonstatten gehen muss, damit die Bedeutung der Botschaft bewahrt bleibt. Vielmehr stellt sich die eigentliche Bedeutung des »sinntragenden Diskurses« der Botschaft erst im Aushandlungsprozess zwischen unterschiedlichen Kodes her. Auch Halls Modell ist also radikalkonstruktivistisch: Bedeutung, oder auch soziale Identität, ist nie schon gegeben, sondern stellt sich immer erst her über einen Prozess diskursiver Artikulation. Bleiben wir vorerst bei der ersten Konsequenz. Sie wird in bewusster Abgrenzung vom Transmissionsmodell gezogen. Denn wenn Kommunikation eine kontingente Artikulation zwischen Enkoder- und Dekoderseite voraussetzt, d. h. wenn sie jederzeit scheitern kann, dann muss erklärt werden, warum und wie die Äquivalenz zwischen Enkoder und Dekoder erzeugt werden kann und weshalb nicht ausschließlich Missverständnisse produziert werden. Halls Lösung besteht darin, dass er das tertium comparationis nicht in der Botschaft selbst oder etwa im Medium verortet, sondern es im Bereich der Bedeutungsstrukturen, der Kodes sucht. Doch was garantiert nun, dass die Bedeutungsstrukturen synchronisierbar sind, wenn nichts in der technischen Struktur des Mediums die Synchronizität des Kodes des Senders und des Kodes des Empfängers garantieren kann? Wieder ist es das Konzept der Hegemonie, das die Erklärung liefert: Eine Gesellschaft instituiert eine »dominante kulturelle Ordnung«, in der die verschiedenen sozialen Bereiche in diskursive Domänen aufgeteilt sind, die Hall »hierarchisch organisierte dominante oder bevorzugte Bedeutungen« (preferred meanings) nennt. Solche Bedeutungen sind Sedimente, die als natürliche, möglicherweise rationale, universell gültige und spontane Erklärungen eines gegebenen Phänomens unmittelbar einleuchten. Gramsci würde solche Bedeu- <?page no="147"?> 14 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 8 tungen senso comune, Alltagsverstand nennen. Im Unterschied zu ökonomischen oder technologischen Determinismen sind diese dominanten oder bevorzugten Bedeutungen weder durch eine transdiskursive Instanz determiniert, noch determinieren sie selbst jedes in ihrem Einzugsbereich neu auftretende diskursive Ereignis. Halls Wahl der Terminologie erfolgt nicht unbedacht: »Wir sprechen von dominant, nicht ›determiniert‹, weil es immer möglich ist, ein Ereignis mittels mehr als einer ›Markierung‹ zu ordnen, zu klarifizieren, zuzuschreiben und zu dekodieren. Aber wir sprechen von ›dominant‹, weil es ein Muster ›bevorzugter Lesarten‹ gibt; und diesen ist die institutionelle, politische und ideologische Ordnung einbeschrieben, und sie sind selbst schon institutionalisiert worden« (200 d: ). Den institutionalisierten, universalisierten und naturalisierten bevorzugten Bedeutungen entsprechen auf Seite der Rezipienten also dominant-hegemoniale Leseweisen, wobei davon auszugehen ist, dass Broadcast-Medien ihre Botschaften tendenziell im Sinne von solchen bevorzugten Bedeutungen kodieren und darauf hinarbeiten, dass die Empfänger die Botschaften ebenfalls im Sinne der dominanten bevorzugten Bedeutungen dekodieren. Von einer transparenten oder ungestörten Kommunikation, wie sie das Transmissionsmodell als Ideal annimmt, ließe sich - nach diesem Modell - vor allem dann sprechen, wenn Kodierer wie Dekodierer im gleichen dominanten oder bevorzugten Kode/ Modus operieren. Natürlich ist das keineswegs von vornherein ausgemacht. Hall betrachtet im Anschluss an Parkin ( 9 ) drei Positionen, die ein Dekodierer prinzipiell einnehmen kann: Die erste ist die gerade erwähnte dominant-hegemoniale Position. Aus dieser Position heraus wird die Botschaft im »Idealfall« innerhalb des dominanten Kodes, in dem sie kodiert wurde, auch dekodiert. Der von dominanten Positionen eingenommene hegemoniale Blickwinkel wird (a) das Universum aller möglichen Bedeutungen in seinen Begriffen definieren, und (b) dabei das Zeichen der Legitimität tragen, d. h. als »natürlich«, »unausweichlich« Eine solche vollständige Übereinstimmung ist natürlich höchst unwahrscheinlich. <?page no="148"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 9 149 oder »normal« erscheinen. Die zweite Position bezeichnet Hall als ausgehandelte Position, die einen ausgehandelten Kode in Anschlag bringt: Diese aushandelnde Lektürestrategie akzeptiert die Legitimität des dominant-hegemonialen Kodes zwar im Großen und Ganzen, in bestimmten situationsbedingten Momenten ist sie aber bereit, hegemoniale Bedeutungen herauszufordern, bestimmte Ausnahmen von der Regel einzuklagen, etc. Die dritte schließlich nennt Hall die oppositionelle Position, der eine den hegemonialen Bedeutungen gegenläufige Lesart entspricht. Nehmen wir an, eine TV-Sendung zur Haushaltspolitik der Bundesregierung beschreibt »notwendige harte Reformen« als unausweichlich. Ein Dekodierer (resp. ein bestimmtes Publikum), der in den dominant-hegemonialen Bedeutungsstrukturen operiert, würde sich der Sicht, dass »der Gürtel enger geschnallt« werden müsse, weitgehend anschließen. Ein Dekodierer, der sich dem Programm aus einer verhandelnden Position heraus nähert, würde der Sinnhaftigkeit des Sparens möglicherweise zustimmen, aber bestimmte Modifikationen oder Ausnahmen (z. B. für alleinerziehende Mütter oder für ihn selbst) einfordern. Ein Dekodierer, der einen oppositionellen Kode in Anschlag bringt, würde die Sinnhaftigkeit der Budgetkonsolidierung durch einen Sparkurs generell anzweifeln. Dabei ist hinzuzufügen, dass Hall diese drei Positionen nicht zu Unrecht als hypothetisch und idealtypisch bezeichnet, denn bei genauerer Betrachtung wird sich herausstellen, dass eine völlig dominante Position genauso unmöglich einzunehmen ist wie eine vollständig oppositionelle Position, ist doch keine Hegemonie in einem Ausmaß total, dass sie alle Opposition ausschließen würde, und ist umgekehrt keine Opposition total, da sie immer auch auf dem Terrain der hegemonialen Diskurse operieren muss, gegen die sie sich wendet. In der Praxis wird also jede Position in unterschiedlichem Ausmaß verhandelt werden müssen. Betrachtet man die hegemoniale Funktion der Massenmedien aus Perspektive dieses Modells, so besteht deren eigentliches Ziel in der Konstruktion und Reproduktion eines Konsenses bezüglich dominanter Bedeutungsstrukturen: »die übergreifende Intention ›effektiver Kommunikation‹ muss sicherlich darin bestehen, den <?page no="149"?> 1 0 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 0 Konsens des Publikums gegenüber der bevorzugten Bedeutung zu erringen und es somit dazu zu bringen, innerhalb des hegemonialen Rahmens zu dekodieren« (Hall 9 9: ). Da die Organisation eines Konsenses vor allem dadurch gelingt, dass die Medien den dominanten Bedeutungen Legitimation verleihen, zählen zu den operationalen Grundsätzen der Medien Prinzipien wie Objektivität, Neutralität und Ausgewogenheit, weshalb dem Publikum zu einem bestimmten Thema durchaus auch alternative, manchmal sogar widersprechende oder sogar subversive Gesichtspunkte angeboten werden können. Diese neutralistischen Prinzipien sind erforderlich, um tatsächliche Grenzziehungen und Ausschlüsse mit Legitimität versehen zu können. Genau in der konsensualen Konstruktion von Ausschlüssen und der Konstruktion von Zustimmung bezüglich der Grenzen des legitimerweise Denk- und Formulierbaren besteht ja die Arbeit der Hegemonie: Von entscheidender Bedeutung ist die Funktion, Konsens - eine notwendigerweise komplexe und nicht einfach strukturierte Sache - zu formen und zu organisieren.Was ihn konstituiert, und zwar nicht einfach als ein Feld, sondern als Feld, das in Dominanz strukturiert ist, das ist die Weise, in der seine Grenzen operieren, in der bestimmte Interpretationsweisen ein- oder ausgeschlossen werden, in der seine systematischen Inklusionen (z.B. jener »Definitionen der Situation«, die regelmäßiger-, notwendiger- und legitimerweise Zugang zur Strukturierung jeglichen kontroversiellen Themas finden) und Exklusionen (z.B. jener Gruppen, Interpretationen, Positionen und Realitätsaspekte des Systems, die regelmäßig als »extremistisch«, »irrational«, »sinnlos«, »utopisch«, »unpraktikabel« etc. verdrängt werden) bewirkt werden. (Hall 19 9: 346) Mit den medialen Kodierungs- und Dekodierungspraxen sind die Grenzen der dominanten Bedeutungssysteme, d. h. der hegemonialen Diskurse umkämpft. Doch diese Grenzen, so muss man hinzufügen, sind wesentlich instabiler als es scheint, ist doch der dominante Diskurs selbst in sich widersprüchlich und besteht aus einem »instabilen Gleichgewicht« (Gramsci) aus alliierten, d. h. gemeinsam artikulierten Diskursen. Hinzu kommt, dass etwa Prinzipien wie Neutralität und Balance den Keim ihrer Auflöwww.Claudia-Wild.de: <?page no="150"?> Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 1 1 sung bereits in sich tragen: Einerseits ist der Anschein von Neutralität und Balance notwendig, um bestimmte Ausschlüsse mit Legitimität zu versehen, andererseits lässt sich der Schein von Balance auf Dauer nur wahren, wenn manche oppositionelle Lesarten tatsächlich von Zeit zu Zeit integriert werden. In diesem Moment verschiebt sich aber die Grenze zwischen dem Innen und dem Außen des dominanten Diskurses. So ist es oppositionellen Gruppierungen prinzipiell möglich, im Laufe eines gewissen Zeitraums Positionen zu legitimieren, die vormals als irrational, extremistisch oder weltfremd galten. Man denke nur an die Geschichte der Grünen. Man kann Halls Kodieren/ Dekodieren-Modell als einen weiteren Beitrag zur kommunikationswissenschaftlichen Modellbildung verstehen, der sich in die lange Reihe bestehender Kommunikationsmodelle einreiht, man kann in ihm aber auch eine hegemonietheoretische und, in weiterer Entwicklung, diskursanalytische Reformulierung der Ideologietheorie anhand der Analyse von Massenmedien sehen. Hall (200 e) selbst weist auf die politische Intention des Modells hin. Auf deren Grundlage wären zuallererst zwei Richtungen denkbar, in die weitere Untersuchungen gehen können, je nachdem ob der Aspekt der Kodierung oder jener der Dekodierung eingehender erforscht werden soll. Im ersten Fall würden Massenmedien hinsichtlich ihrer institutionellen Funktion im Dienste der Reproduktion hegemonialer Ideologien beleuchtet. Diese stärker makropolitische Theoretisierung massenmedialer »Signifikationsapparate« wird Hall in den 0er Jahren vor allem im Rückgriff auf die Ideologietheorie Althussers weiterführen. Im zweiten Fall würde die eher mikropolitische Seite der aktiven Medienrezeption, etwa in häuslichen Praktiken der Medienaneignung, mit ethnografisch orientierten Methoden untersucht werden. Der hierzulande oft als Aneignungsforschung bezeichnete Zugang, dem wir uns zuerst zuwenden wollen und der gerade im deutschsprachigen Raum auf fruchtbaren Boden gefallen ist (vgl. u. a. Winter 99 , Hepp 999, Kreutzner 99 , Mikos 99 ), nimmt im Paradigma der Cultural Studies ebenfalls seinen Ausgang von Halls Kodieren/ Dekodieren-Modell und von den daran anschließenden empi- <?page no="151"?> 1 2 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 2 rischen Untersuchungen vor allem des CCCS. Schließlich wäre im Anschluss an Halls Modell noch ein drittes Untersuchungsprogramm denkbar, auf das wir in diesem und den folgenden beiden Kapiteln immer wieder zurückkommen werden. Wendet man sich nämlich der Untersuchung der in Halls Modell mit dem Begriff der Bedeutungsstrukturen bezeichneten Ebene zu, wird sich bald die Notwendigkeit einer hegemonietheoretisch informierten Diskursanalyse erweisen, die von ideologietheoretischen Modellen alleine, d. h. mit dem Instrumentarium des Althusserianismus, nicht geleistet werden kann. 4.4. Das »aktive Publikum«: Rezeptionsstudien Wie wir sahen, bestand eine der Pointen des Kodieren/ Dekodieren-Modells darin, dass dem Medienpublikum relative Autonomie in seiner Dekodierungsarbeit zugestanden wurde. Die Botschaft wird aktiv nochmals vonseiten des Empfängers erzeugt und mit vorhandenen Bedeutungsstrukturen auf dominant-hegemoniale, ausgehandelte oder oppositionelle Weise abgeglichen. Mit David Morleys ( 980a und 992: - 8), ursprünglich mit Charlotte Brunsdon gestarteter, einflussreicher Nationwide-Studie sollte gerade diese These des Kodieren/ Dekodieren-Modells empirisch getestet werden. Nationwide war ein Abendjournal der BBC, das in den frühen 0er Jahren große Popularität genoss, nicht zuletzt weil es auf »weiche Themen« setzte und politische Themen nur nebenbei vorkamen. Hatte Hall ursprünglich vor allem Nachrichtensendungen im Sinn, so geht Morley ( 992: 82) davon aus, dass es »so etwas wie ›einen unschuldigen Text‹« im Fernsehen nicht gibt - auch Unterhaltungsprogramme müssten auf ernsthafte Weise untersucht werden, da sich in ihnen durchaus latente Vorstellungen von der sozialen Struktur unserer Gesellschaft finden, Vorstellungen, die dennoch eine Vielfalt von Interpretationsmöglichkeiten offen lassen. Diese Vielfalt ist jedoch nicht unendlich, und Morley ist auf der Suche nach einem Zugang, »der die unterschiedlichen Interpretationen auf die sozio-ökonomische Struktur der Gesellschaft rückbindet«, um damit zeiwww.Claudia-Wild.de: <?page no="152"?> Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 1 3 gen zu können, »wie Mitglieder unterschiedlicher Gruppen und Klassen, die verschiedene kulturelle Kodes teilen, eine gegebene Botschaft auf verschiedene Weise interpretieren, aber nicht auf einer persönlich-idiosynkratischen Ebene«, wie dies der damals tonangebende uses-and-gratifications-Ansatz postulierte, von dem sich die Cultural Studies absetzen wollten, »sondern in einer systematisch mit ihrer sozio-ökonomischen Position verbundenen Weise« ( 992: 88). Morley spielte Nationwide-Episoden insgesamt 29 Kleingruppen unterschiedlicher Profession vor (von Kunststudenten bis Bankmanagern), die er anschließend zur Feststellung dominanter, verhandelter oder oppositioneller Dekodierungen interviewte oder sie diskutieren ließ. Dabei musste er erkennen, dass die »Klassenposition in keiner Weise direkt mit den Dekodierungsrahmen korreliert« ( 992: 8). Beispielsweise brachten Gewerkschafter keineswegs nur oppositionelle Lesarten in Anschlag. Obwohl also die Kategorie der Klasse in Morleys Untersuchungsdesign nicht so sehr marxistisch als, im Fahrwasser Frank Parkins (und Max Webers), berufsgruppenspezifisch gefasst wurde, konnten Übereinstimmungen zwischen der »objektiven Position der Individuen in der Klassenstruktur« und ihren Dekodierungspositionen empirisch nicht belegt werden. Auch krankte die Untersuchung daran, dass identitäre Achsen jenseits von Klasse - vor allem Alter, Geschlecht und ethnische bzw. rassifizierte Identität - nicht ausreichend berücksichtigt wurden. Sie scheiterte nicht zuletzt an dem Umstand, dass soziale Positionen und Identitäten gewissermaßen »nicht-trivial« sind, sondern sich wechselseitig überlagern: »[D]er gleiche Mann kann zur selben Zeit ein produktiver Arbeiter, ein Konsument, ein Rassist, ein Hausbesitzer, ein Christ und jemand, der seine Frau schlägt, sein« ( 92: ). Selbst wenn diese Identitäten nicht alle von gleichem Gewicht sein mögen, wird die Rezeptionsposition dieses Mannes permanenten Schwankungen zwischen hegemonial-dominant, verhandelt und oppositionell ausgesetzt sein. Rückblickend gesteht auch Hall ein, dass die »Dekodierer« in seinem Modell keinen empirischen sozialen Gruppen entsprechen, sondern schematischen oder hypothetischen Diskurspositionen, die im Fluss sind: »Es ist <?page no="153"?> 1 4 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite wahrscheinlich, dass ein Individuum oder eine Gruppe im einen Moment beim Dekodieren auf das, was ich ›hegemoniale‹ Codes nenne, zurückgreift, und im nächsten Moment oppositionelle Codes verwendet« (Hall 200 e: 8 ). Trotz ihres partiellen Scheiterns am Versuch, eindeutige Korrelationen zwischen Positionierung in der Sozialstruktur und »ideologischer« Position festzustellen, nahm von Morleys Studie ausgehend die Medienwirkungsforschung der Cultural Studies einen großen Aufschwung. In die Reihe der einschlägigen Arbeiten fallen ethnografische Untersuchungen wie jene Dorothy Hobsons zur britischen Seifenoper Crossroads ( 982), die Studie Ien Angs zur Fernsehserie Dallas ( 986), David Buckinghams Studie der Fernsehserie EastEnders ( 98 ) und Janice Radways ( 98 ) Untersuchung der Aneignungspraktiken von Leserinnen trivialer Liebesromane (vgl. Turner 990: - 6 ). Morleys eigene Studie Family Television ( 986) ging einen Schritt weiter hin zur Untersuchung der tatsächlichen Routinen und Praxen von Mediennutzung. Die Nationwide-Studie besaß unter anderem den methodischen Nachteil, dass das Programm außerhalb des üblichen (zumeist häuslichen) Rezeptionskontexts der Zuschauer vorgeführt wurde, ja dass ein Teil der Rezipienten mit dem Programm ohne die Studie gar nicht in Berührung gekommen wäre, da es sie schlicht nicht interessiert hätte. Morley folgerte daraus, dass er vor Ort gehen und den häuslichen Alltag analysieren müsse, in dem die Medienprogramme tatsächlich konsumiert werden. Damit entfernte er sich von der Analyse der Text-Dekodierung und untersuchte stattdessen den TV-Konsum (Programmwahl, Verfügungsgewalt über Geräte, Fernbedienung, Videoaufzeichnung, etc.) entlang von Fragen der inner-familiären Machtverhältnisse etwa zwischen Eltern und Kindern, besonders aber entlang der Frage der Geschlechterkonstruktion. Klasse hingegen spielte nun als Vergleichskategorie eine untergeordnete Rolle, da alle der 8 von Morley interviewten Familien gleichermaßen der unteren Mittelschicht entstammten. Es stellte sich heraus, dass die Fernsehpraxen von Männern und Frauen klar unterschieden werden konnten: Zum Beispiel verbanden Frauen das Fernsehen mit Hausarbeit und genossen dafür umso mehr die Momente, in <?page no="154"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 1 denen sie alleine Programme ihrer Wahl sehen konnten. Männer versuchten Gespräche während des gemeinsamen Fernsehens oft eher zu unterbinden, was von den Familienmitgliedern als oppressiv wahrgenommen wurde und u. a. zum Ausweichen auf Nebengeräte führte. Die feine, kapillare und doch zugleich offensichtliche Struktur patriarchaler Machtverhältnisse wird an folgender Beobachtung Morleys besonders deutlich: In einer Reihe der Familien wird evident, dass maskuline Macht letztbestimmend ist, wenn es zu Situationen des Konflikts um die Programmwahl kommt. (»Wir diskutieren, was wir alles sehen möchten, und der Größte gewinnt. Das bin ich, ich bin der Größte«) Es ist sogar noch offensichtlicher in Familien, die ein Gerät mit Fernbedienung besitzen. Eine Reihe von ihnen beschwerte sich, dass der Ehemann das Gerät obsessiv verwendet und dauernd umschaltet, während die Ehefrau etwas anderes zu sehen versucht. Charakteristischerweise ist die Fernbedienung im symbolischen Besitz des Vaters (oder des Sohnes, in Abwesenheit des Vaters), liegt auf »der Lehne von Daddy’s Sessel« und wird fast ausschließlich von ihm eingesetzt. Es handelt sich um ein hochsichtbares Symbol kondensierter Machtverhältnisse. (Morley 1992: 14 ) Dieser ethnografische Zugang, der sicher einiges an interessanten Beobachtungen zutage fördert, stieß allerdings auch auf Kritik. John Fiske sieht das Problem eines soziologisch-ethnografischen Zugangs in dessen vorschneller Reduktion der »viewers« auf die soziale Entität »Publikum« einerseits und des Bildschirms (»screen«) auf den medialen Text andererseits. Dem hält er entgegen, dass es so etwas wie ein Fernsehpublikum, jedenfalls wenn es als empirisch zugängliches Objekt definiert ist, nicht gibt (Fiske 989b: 6). Schließlich handle es sich beim »Publikum« um keine soziale Identität wie »race«, »class« oder »gender«. So schlägt er vor, von »processes of viewing« zu sprechen und definiert diese als »die Varietät kultureller Aktivitäten, die uns vor einen Bildschirm bringt« ( ). 2 Konsequenter noch als Fiske hat John Hartley ( 98 ) den ethnografischen Begriff des Publikums 2 Und umgekehrt möchte Fiske ( 989b: 6) nicht vom Text der Botschaft sprechen, sondern von »visuellen und auralen Signifikanten, die potentiell Bedeutung und Genuss produzieren«. <?page no="155"?> 1 6 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 6 einer radikal-konstruktivistischen Kritik unterzogen. Hartleys Ansicht zufolge seien Publika in letzter Instanz Erfindungen der Fernsehindustrie, der politischen Regulationsorgane und schließlich der akademischen sowie journalistischen Diskurse. Wie Fiske verneint Hartley die Existenz eines Publikums jenseits diskursiver Konstruktionen: Das Kind, das durch den Konsum von Fernsehmorden zu einem Gewaltverbrecher verkomme, sei eine Fiktion, die bestimmten Interessen diene. Letztlich sei auch Morleys Nationwide-Publikum eine akademische Fiktion, die ihr Objekt auf eine Weise konstruiert, als sei dieses immer schon - d. h. vor seiner Konstruktion - mit beobachtbaren Eigenschaften ausgestattet gewesen, während es doch gerade von der Untersuchung erst konstruiert wurde. Die Annahme einer homogenen sozialen Identität wie der eines Publikums, das als Akteur beobachtbar wäre, ist aus dieser Sicht nicht mehr sinnfällig. Das Publikum kann nicht länger als voluntaristische »Quelle« sozialer Konstruktion theorisiert werden, sondern nur als der Schnittpunkt einer Vielzahl von diskursiven Konstruktionen. 4. . John Fiske und der »Cultural Populism« Ganz so weit geht Fiske in seiner Kritik am Publikumsbegriff nicht. Zwar liegt es durchaus auf der Hand, einer ethnografischen Methode, die etwa Interviews als unhinterfragte, harte empirische Fakten behandelt, mit einer gewissen Skepsis zu begegnen, doch delegiert Fiske seinerseits die Bedeutungsproduktion an die von ihm so genannten »viewer-producers«. Obwohl er also die Kategorie eines soziologisch beschreibbaren Fernsehpublikums ablehnt, führt er ein voluntaristisches Ersatzsubjekt ein, das, so scheint es, weitgehend im Alleingang die Bedeutung der Botschaft redefiniert. Die Betonung der aktiven Aneignungsleistung, die das Ritualmodell auszeichnet, welches ja ursprünglich gegen das vorherrschende behavioristische Paradigma in den Kommunikationswissenschaften gerichtet war, wurde von Fiske jedoch, so die vielfache Kritik (Morley 992: 2 f.), zu einem so genannten »Cultural Populism« überdehnt (McGuigan 992, 99 ). Darunter <?page no="156"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 1 wird die Tendenz zur übertriebenen Autonomisierung der Dekodierungsleistung verstanden, die Vorstellung also, man könne sich die Bedeutung der Botschaft nicht nur weitgehend nach Belieben zurechtkonstruieren, sondern die jeweiligen »viewer-producers« würden dies auch zumeist in einer den bevorzugten Lesarten entgegenlaufenden, subversiven Weise tun. Oppositionelle Lektüren, wie sie in manchen Fällen nachgewiesen werden konnten, wurden so zum Normalfall erklärt, und das Publikum wurde, etwa über eine allzu euphorische Lesart De Certeaus ( 988), zu einem Dissidenzsubjekt romantisiert. Ist diese Kritik an Fiskes Übertreibung der Rezeptionsleistung gerechtfertigt oder ihrerseits überzogen? Halten wir fest, dass Fiske ( 989b) in Anlehnung an den späteren Roland Barthes ( 9 ) auf einen entscheidenden Punkt hinweist, dass nämlich die Aneignung polysemer, also vieldeutiger Medientexte mit Lust und Vergnügen verbunden ist und gegebenenfalls zur jeweiligen »Selbstermächtigung« beitragen kann. Obwohl die (begrenzte) Vieldeutigkeit popularer Medientexte u. a. den strukturellen Bedürfnissen der Medienindustrie geschuldet sein mag, die ja auf größtmögliche Anschlussfähigkeit ihrer Produkte zielt, bildet diese Polysemie zugleich das Einfallstor für populare Aneignungen. Das bedeutet, dass die Leute nicht machtlos den Erzeugnissen der Kulturindustrie ausgeliefert sind, wie dies etwa das Manipulationsparadigma unterstellt, sondern ihre eigenen, gegebenenfalls widerständigen und lustvollen Lektürepraxen entwickeln. So zeigt Fiske ( 999a), um nur ein Beispiel zu nennen, an einer Fernsehshow wie Herzblatt, dass aus der gleichwertigen Behandlung der beiden Geschlechter im Paarbildungsspiel eine progressive und Frauen potenziell aus ihrer passiven Geschlechterrolle befreiende Position herauslesbar ist: »Die Verantwortung für die Initiative zu einer Beziehung, die offene Kontrolle über den Prozeß der romantischen Partnerwahl und die passivere Rolle dessen, der ausgewählt wird, werden explizit zu gleichen die Morley sogar an die christliche Erlösungsvorstellungen erinnert, derzufolge die »Sünden der Industrie (oder der Botschaft) irgendwie im ›Jenseits‹ der Rezeption schon getilgt werden« ( 992: 0) <?page no="157"?> 1 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 8 Teilen auf die Geschlechter verteilt« ( 999a: 8 ), wobei Fiske sich durchaus im Klaren darüber ist, dass eine Serie wie Herzblatt bzw. deren progressive Aneignung weder dem Patriarchat noch dem Kapitalismus einen tödlichen Schlag versetzen wird (und, wie man hinzufügen muss, schon gar nicht dem heteronormativen Paarmodell, sh. Kap. . .): Benachteiligte Gruppen müssen sich mit dem arrangieren, was sie haben, also dem, was das herrschende System ihnen überlässt. (…) Die Erforschung der Populärkultur der benachteiligten Gruppen - und Populärkultur ist immer die Kultur der Benachteiligten, selbst wenn sie die Kulturprodukte der Herrschenden als Rohmaterial verwendet - sollte sich auf die Taktik des Sich-Arrangierens richten. Natürlich sind Quizshows keine radikalen Texte. Patriarchat und Warenkreislauf werden von ihnen nicht mit revolutionärem Eifer angegriffen oder umgestürzt. Sie sind sogar, wie alle Kulturprodukte,Träger der Ideologie desjenigen Systems, das sie fördert und verbreitet. Aber Massenkultur und Populärkultur sind nicht dasselbe: Populärkultur entsteht an der Schnittstelle zwischen dem kulturellen Warensystem der Massenkultur und den Praktiken des Alltagslebens. (1999a: 1 3) So wurde dem Vorwurf des Kulturpopulismus von Verteidigern Fiskes entgegnet, dieser würde die Rezeptionsleistung des Publikums keineswegs überbetonen (Mikos 200 : 6 ), sondern Aneignungsprozesse vielmehr am Schnittpunkt zwischen dem Text und den Feldern der sozialen Alltagsauseinandersetzungen verorten. Tatsächlich spielen im Kampf um Bedeutungen die Kategorien von Macht und Hegemonie auch bei Fiske eine große Rolle. Allerdings lässt sich eine weitgehende Binarisierung des Hegemoniemodells durch Fiske nicht leugnen, die durchaus in einer Romantisierung der von »den Mächtigen« »unterdrückten« popularen Kräfte münden kann. So heißt es bei Fiske, die Kultur des Alltagslebens würde »am besten mit Metaphern des Kampfes oder des Antagonismus beschrieben: Strategien stehen Taktiken gegenüber, der Bourgeoisie das Proletariat, der Hegemonie der Widerstand«, und schließlich postuliert Fiske, der »Macht von oben« würde die »Macht von unten« opponieren (Fiske 99 : ). Wird die hegemonietheoretische Idee eines <?page no="158"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 9 1 9 von einer Vielzahl von Antagonismen durchfurchten Feldes des Sozialen (der Gramscis Metapher des Stellungskriegs entspricht) auf den einen Antagonismus zwischen den Unterdrückern und den Unterdrückten heruntergebrochen, so besteht die Gefahr der Essenzialisierung des Konzepts. Hegemonie, so ließe sich Fiske entgegenhalten, beschriebe dann nicht mehr das Terrain eines beweglichen, instabilen und intern vielfach differenzierten Kräftegleichgewichts, sondern würde zu »der Hegemonie« (bzw. einer oppressiven »dominanten Ideologie«), die in Frontstellung zu »dem Popularen« gebracht wird. Eine solch simplistische Reformulierung der Hegemonietheorie nähert sich letztlich selbst jener Personalierung struktureller Zwangsverhältnisse an, die für viele populare Kämpfe durchaus charakteristisch ist (»die Politiker, die uns betrügen«, »die Ausländer, die unsere Jobs stehlen«, etc.). Zwar gesteht Fiske gelegentlich ein, dass populare Praxen in Spielarten des Rechtspopulismus existieren ( 99 : 6 ), jedoch spiegelt sich diese politische Ambivalenz von Medienerzeugnissen nicht in den Mikroanalysen ihrer Aneignungspraxen. Zu wenig wird in den Untersuchungen Fiskes in Rechnung gestellt, dass das Populare - wie die Kultur selbst - keine an sich positive Kategorie ist, sondern jede politische Einschätzung immer die kontextspezifische hegemoniale Artikulation und also »Färbung« des Popularen mit bestimmten Diskursen, seien diese emanzipatorisch, seien sie reaktiv oder gar rassistisch, berücksichtigen muss. Von dieser, wenn man so will, dunklen Seite der Gegen-Macht ist bei Fiske so gut wie nie die Rede. Schließlich wurde gegen den so genannten Kulturpopulismus vorgebracht, dass die Aktivität der Interpreten von Medientexten nicht vorschnell mit struktureller oder institutioneller Macht verwechselt werden sollte. Der Selbstermächtigungseffekt, der im Alltagskontext erzielt werden mag, ändert nicht notwendigerweise Diese blinde Fleck zeichnet zwar - in unterschiedlichem Ausmaß - die Cultural Studies-Tradition seit Thompson aus, bei Fiske aber wird er aufgrund seiner Tendenz zur Romantisierung des Popularen verstärkt erkennbar. Das dürfte erklären, warum Fiske stärker als alle anderen Vertreter der Cultural Studies auf teils unfaire Weise zum Prügelknaben der Kritiker des Kulturpopulismus erkoren wurde. <?page no="159"?> 160 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 60 etwas an der Marginalität dieser Macht. Ien Ang ( 999: 2 ) fügt dieser Kritik hinzu, dass kulturpopulistische Theorien zwar die mikropolitischen Taktiken der Aneignungspraktiken beschreiben, aber die Grenzen, auf die diese in Form der sozialen und politische Makrostrukturen stoßen, nicht ausreichend berücksichtig würden: »Die Euphorie über die Vitalität der Populärkultur und ihres Publikums hat die Hegemonie-Frage in einigen Zirkeln der Cultural Studies unmodern werden lassen, weil das Populäre nun als eine autonome, positive Größe, als Quelle von Unabhängigkeit, Stärke und Kreativität, als Freiraum außerhalb des hegemonialen Kraftfeldes und als Ort des Widerstands erschien. Doch die Beziehung zwischen dem Hegemonialen und dem Populären ist nicht wechselseitig und äußerlich, sondern das Hegemoniale ist mit der Textur des Populären verwoben« ( 2 ). So kommt Ang zur Schlussfolgerung: »Wir müssen zur Problematik der Hegemonie zurückkehren.« 4.6. Die Medien als Hegemonieapparate: Signifikationspolitik Folgen wir Angs Rat, indem wir abschließend die Funktion der Massenmedien in Bezug auf die Strukturierung hegemonialer Diskursformationen untersuchen. Kommunikationsprozesse sind institutionell strukturiert (Hall 989e), und diese institutionelle Seite der Dekodierungsprozesse, die sich in Stuart Halls Modell der Analyse der Dekoderseite darbietet, blieb bislang undiskutiert. Hall selbst entwickelte in den 0er Jahren ein von Louis Althussers Theorie Ideologischer Staatsapparate inspiriertes Modell massenmedialer Apparate. Wie schon Gramsci, dessen Begriff des integralen Staates sowohl die politische Gesellschaft (die Sphäre der staatlichen Zwangsapparate) als auch die Zivilgesellschaft umfasst, vertritt Althusser ( 9 ) einen ausgesprochen weiten Staatsbegriff. Zum Staat zählen für ihn sowohl die so genannten Repressiven Staatsapparate, zu denen Althusser Regierung, Verwaltung, Armee, Polizei, Gerichte und Gefängnisse rechnet, als auch die Ideologischen Staatsapparate, die wir in unserem Allwww.Claudia-Wild.de: <?page no="160"?> Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 6 161 tagsverständnis normalerweise als nicht-staatlich einstufen würden. Zu Letzteren zählt Althusser den religiösen Ideologischen Staatsapparat der Kirchen, den schulischen der öffentlichen und privaten Bildungseinrichtungen, den familiären, den juristischen, den gewerkschaftlichen und den politischen Ideologischen Staatsapparat (ISA), sowie den »ISA der Information (Presse, Radio, Fernsehen usw.)« und den »kulturelle[n] ISA (Literatur, Kunst, Sport usw.)« ( 9 : 20). Althusser will mit dieser materialistischen Ideologietheorie vor allem Subjektivierungseffekte erklären. Es geht ihm um die Frage, wie die moderne kartesianische Form eines Subjekts des Selbstbewusstseins, das von sich glaubt, es sei Herr im eigenen Haus, ideologisch erzeugt wird. Seine Antwort lautet, dass ein (vorsubjektives) Individuum erst über »Anrufung« durch einen Ideologischen Staatsapparat zu einem sich selbst bewussten Subjekt wird. Althusser illustriert seine Idee der Anrufung mit der kleinen Szene eines Polizisten (hier in Funktion eines ideologischen Staatsapparats), der einem Passanten nachruft: »He, Sie da! « In dem Moment, in dem sich der Passant »angerufen« fühlt und sich umwendet, geschieht zugleich die Wandlung vom Individuum zum Subjekt: Der Passant wird sich, aufgeschreckt aus dem gedankenfernen Dahinschlendern, als Angerufener seiner selbst bewusst. Diese subjektbildende Funktion der Ideologischen Staatsapparate lässt sich auf einer konkreteren Ebene folgendermaßen beschreiben: Individuen werden von ihrer Geburt an durch Ideologische Staatsapparate - der paradigmatische Fall ist die Schule, bzw. die Kombination Familie/ Schule - geschleust und durchlaufen so ihren Subjektbildungsprozess in Form institutioneller Rituale. Denn Ideologie ist für Althusser materiell. Das Im Fall der »ISA der Information« ließe sich allerdings kritisieren, dass Althusser zurückfällt in eine gewöhnliche Ideologiekritik und nur noch die »transmission view of communication« in seiner behavioristischen Form vertritt: Denn Althusser reduziert die Medien auf Informationsapparate, d. h. auf die Funktion der Informationsübermittlung. Der Informationsapparat trägt Althusser zufolge zur Reproduktion der Produktionsverhältnisse bei, »indem er alle ›Bürger‹ durch Presse, Rundfunk und Fernsehen mit einer täglichen Ration Nationalismus, Chauvinismus, Liberalismus, Moralismus usw. vollstopft« ( 9 : 2 ). <?page no="161"?> 162 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 62 Individuum wird nicht im luftleeren Raum der Ideen zum Subjekt, sondern durch seine Disziplinierung, d. h. seine freiwillige Unterwerfung unter materielle, institutionell geregelte Praktiken. So kann Althusser sagen, dass die Ideen des Subjekts materielle Existenz besitzen, »insofern seine Ideen seine materiellen Handlungen sind, die in materielle Praxen eingegliedert sind, die ihrerseits durch den materiellen ideologischen Apparat definiert werden, dem die Ideen dieses Subjekts entstammen« ( 9). Althusser transformiert also die klassischen ideologiekritischen Konzepte wie Bewusstsein oder Glaube zu einem Konzept der Praxis, des Rituals und des ideologischen Apparats: Ein Subjekt konstituiert sich durch Handlungen, die in Praktiken eingegliedert sind, welche »innerhalb der materiellen Existenz eines ideologischen Apparats geregelt werden« ( 8). Althussers Aufsatz zu den Ideologischen Staatsapparaten hat sich bis heute für Kino-, Medienwie Kommunikationstheorien - einschließlich jener der Cultural Studies - als ausgesprochen produktiv erwiesen. In den 0er Jahren hatte die lacanianisch-althusserianische Kinotheorie, die »Screen Theory« oder Apparatustheorie, wie sie damals in der britischen filmtheoretischen Zeitschrift Screen erarbeitet wurde, Vorbildwirkung. Die Screen-Theorie kann verstanden werden als Versuch der Erweiterung des Althusser ’ schen ISA-Kanons um den Cinematischen ISA: das apparative Ensemble des Kinos und der Projektionssituation. Im Anschluss an Lacan und Althusser wandten sich die Screen-Theoretiker dem Kinobesucher als einem Subjekt zu, das durch die Anrufung des cinematischen Apparats erst als solches konstruiert wurde. Französische Filmtheoretiker wie Jean-Louis Baudry ( 992) oder Christian Metz ( 982), deren Arbeiten für das Screen-Magazin übersetzt wurden, verstanden unter diesem cinematischen Apparat das im Kino verknüpfte Ensemble aus Filmtechnologie, der Situation der Filmprojektion (der Positionierung in einem verdunkelten Kino) und schließlich des Films oder Film-»Texts« selbst. Dabei stieß man allerdings bald auf ein Problem, das schon bei Althusser aus der etwas unklaren Beziehung zwischen den einzelnen, konkreten Ideologischen Staatsapparaten und der universalen Form des Subjekts entsteht. Denn <?page no="162"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 6 163 bereits bei Althusser stellt sich eine grundsätzliche Frage: Wie kommt es, dass die Ideologischen Staatsapparate je nach Gesellschaft und Epoche immer andere sind, die Form des angerufenen Subjekts (letztlich das sich selbst bewusste kartesianische Subjekt des cogito) aber immer dieselbe? Wann immer ein Individuum einen Apparat »betritt«, wird es durch die Gesamtheit der ideologischen Praxen, die ihm dieser Apparat auferlegt, als Subjekt angerufen, dessen ideologische Form gleich bleibt, während doch die ideologischen Apparate, durch die das Subjekt konstituiert wird, immer andere sind, d. h. jeweils spezifisch strukturiert sind (Althusser selbst unterteilt sie ja in den schulischen, den politischen, den juristischen ISA, etc.). Wie kommt es, dass die Spezifik der konkreten Ebene der verschiedenen Anrufungspraxen nicht auf die Form des Subjekts durchschlägt? Kann es tatsächlich ein (»leeres«) Subjekt des Selbst-Bewusstseins geben, das nicht durch Markierungen wie z. B. »Rasse«, Klasse oder Geschlecht immer schon überdeterminiert wäre? Hier setzte in den späten 0er Jahren die Kritik der Cultural Studies an der Screen-Theorie (wie auch an Althusser) an, die sich auf Ernesto Laclaus Althusser-Kritik ( 98 ) und auf Halls Kodieren/ Dekodieren-Modell stützten konnte. Das Subjekt als allgemeines kartesianisches Subjekt zu verstehen, heißt dessen Einbindung in soziale und historische Strukturen, sowie in eine Vielzahl von Texten und Praktiken (kulturelle, erzieherische, etc.) zu ignorieren. Der Althusserianerismus würde nicht ausreichend berücksichtigen, so die Kritik der Cultural Studies, dass das Subjekt immer schon in einer Vielzahl von Diskursen und sozialen, kulturellen und institutionellen Verhältnissen verwurzelt sei. Das Subjekt entsteht nicht, wie die Screen-Theoretiker unterstellten, an einem einzigen Punkt der Identifikation mit einem einzigen (cinematischen) Text wie aus dem Nichts, sondern sei in Wahrheit ein Interdiskurs: »das Produkt der Effekte diskursiver Praktiken, die das Subjekt durch seine ganze Geschichte hindurch überschneiden« (Morley 980b: 6 ). Als solches kann es nie nur Effekt eines einzigen cinematischen Texts sein. Ideologie erzeugt nicht die leere Form des Subjekts, sondern vielfach differenzierte Identitäten, die jedes Subjekt durchkreuzen - vorneweg die berühmte Trias von <?page no="163"?> 164 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 6 »race«, class und gender. In deutlicher Abgrenzung von Althusser wird Hall ( 989e: 8) Ideologie schließlich als »die Summe der verfügbaren Wege, die gesellschaftliche Wirklichkeit zu interpretieren, definieren, verstehen und zu erklären« definieren. Diese Rückkehr zu Gramscis Hegemoniebegriff, bzw. das Aufbrechen der Anrufungstheorie mithilfe der Hegemonietheorie, ermöglichte den Cultural Studies, die verzwickten Grabenkämpfe um Identitätsbildung und damit um die Herstellung von Konsens und freiwilliger Zustimmung zu dominanten Identitätsformen in sehr viel differenzierterer Weise zu beschreiben als dies die Anrufungstheorie zu tun in der Lage war. Vor allem konnte mit Letzterer nicht erklärt werden, wie je etwas anderes als die »dominante Ideologie« reproduziert werden könnte (Hall 982: 8); d. h. die Produktion widerständiger, oppositioneller oder auch nur ausgehandelter Bedeutungen - die Verschiebung des hegemonialen Kräfteverhältnisses - blieb in Althussers statischem Universum Ideologischer Staatsapparate unerklärlich. Viel angemessener lässt sich der Prozess von Subjektivierung bzw. Identitätsbildung durch eine hegemonietheoretische Analyse dessen beschreiben, was Hall als »Kampf um Bedeutung« oder »Kampf im Diskurs« paraphrasiert, bzw. als »politics of signification« ( 982: 0). Signifikationspolitik bedeutet, dass die Macht, ein bestimmtes Ereignis mit Bedeutung auszustatten, keineswegs ausschließlich auf Seiten der Mächtigen lokalisiert ist, sondern aus komplizierten Kräfteverhältnissen hervorgeht, die im ständigen Kampf um die wirkungsmächtigste Definition sozialer Realität liegen. Das schließt eine Beschäftigung mit der institutionellen Struktur und Funktion von Massenmedien keineswegs aus, denn in hegemonialen Auseinandersetzungen geht es auch um den »Zugang zu den eigentlichen Signifikationsmitteln« (8 ), wozu besonders die Massenmedien zählen: »die dominanten Mittel sozialer Signifikation in modernen Gesellschaften« (Hall 982: 8 ). Auch mit dieser Akzentverschiebung unterscheidet sich Hall von Althusser, der die dominante Rolle dem schulischen ISA zugeschrieben und den medialen Apparat traditionell ideologiekritisch auf die Verbreitung von »falschem Bewusstsein« reduziert hatte. Hall hingegen definiert - in Anlehnung und zugleich Abgrenzung von Althusser - die Medien nun <?page no="164"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 6 16 als »sozial, ökonomisch und technisch organisierte Apparate zur Produktion von Botschaften, zu komplexen Diskursen arrangierten Zeichen: symbolischen ›Gütern‹« ( 9 9: ). Diesen Apparaten sei es im 20. Jahrhundert aufgrund ihrer ökonomischen, technischen, sozialen und kulturellen Ressourcen gelungen, eine »entscheidende und fundamentale Führerschaft in der kulturellen Sphäre« (Hall 9 9: 0) zu errichten, ja die Medien hätten Schritt für Schritt die kulturelle und ideologische Sphäre »kolonisiert«. Hall spricht ihnen eine dreifache kulturelle Funktion zu: Als »signifying institutions« ( 998: 86), als Signifikationsapparate, stellen sie zum Ersten die Mittel zu Verfügung, die es sozialen Gruppen erlauben, sich eine Vorstellung zu machen von den Werten, Meinungen und Praktiken sowohl ihrer selbst als auch anderer Gruppen und Klassen: »Das ist die erste der großen kulturellen Funktionen moderner Medien: die Bereitstellung und selektive Konstruktion sozialen Wissens, eines sozialen Imaginären, durch welches wir die ›Welten‹, die ›gelebten Realitäten‹ anderer wahrnehmen und deren Leben wie auch unseres in irgendeine intellegible Form der ›Welt-als-Ganzes‹, irgendeine ›gelebte Totalität‹ imaginär rekonstruieren« (Hall 9 9: 0f.). Die Rolle der Medien ist in dieser Hinsicht nur vergleichbar mit der Rolle der katholischen Kirche zu Zeiten ihrer größten Hegemonie, als sie noch »innerhalb eines gemeinsamen Kanons von Glaubensinhalten, Praxen und Doktrinen und durch ihre Hierarchie, ihre Ämter und Organisationen - die Mächtigsten und die Untersten im Lande in einem einzigen religiösen System« integrierte ( 989e: 26). Ähnlich vermitteln die modernen Massenmedien zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen einer Nation und erzeugen damit Vorstellungen der allgemeinen Zugehörigkeit zum nationalen Ganzen. Ein nahe liegendes Beispiel dafür wäre etwa die Taktung der nationalen Zeit durch die täglichen Hauptabendnachrichten, die täglich die gesamte Nation mit Gongschlag vor dem gemeinsamen Lagerfeuer versammeln. 6 6 So ist für David Morley heute nicht mehr - wie noch für Benedict Anderson ( 99 ) - die Tageszeitung, sondern das Fernsehen der primäre Ort, an dem <?page no="165"?> 166 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 66 Zum Zweiten ordnen und inventarisieren sie das Repertoire an kursierenden Bildern und Ideen. Die daraus resultierende Inventarliste erlaubt es uns, die fragmentierten Teile der Gesellschaft nicht nur in Form eines Ganzen zu imaginieren, sondern es werden normative und evaluative Klassifikationen und Hierarchien innerhalb dieses Ganzen erstellt. Eine Aufgabe der Massenmedien besteht somit in der Kartografie eines pluralisierten und fragmentierten Sozialen. Indem sie ihre Botschaften im Sinne bevorzugter Bedeutungsmuster kodieren, konstruieren Medien »Landkarten der Bedeutungen«. In ihrer Eigenschaft als Signifikationsapparate entwerfen sie ein ganzes Inventar an Bildern, Lebensstilen und Klassifikationen, welches es den Leuten erlaubt, die soziale Realität zu kartografieren, zu regeln, sie in eine bestimmte Ordnung und imaginäre Kohärenz zu bringen und sich selbst darin zurechtzufinden: Durch sie wird hier die Linie »zwischen bevorzugten und ausgeschlossenen Erklärungen und Begründungen, zwischen erlaubtem und abweichendem Verhalten, zwischen dem ›Sinnlosen‹ und dem ›Sinnvollen‹, zwischen den inkorporierten und den oppositionellen Praxen, Bedeutungen und Werten ununterbrochen gezogen und neu gezogen, verteidigt und verhandelt: sie ist in der Tat sowohl Ort als auch Einsatz des Kampfes« ( ). Schließlich werden in den Medien die verschiedenen Meinungen zur »mystischen Einheit des ›Konsenses‹« ( 9) reorganisiert (man erinnert sich an die Messe der Kommunianten bei James Carey). Das impliziert, dass die Medien nicht mehr als Institutionen verstanden werden dürfen, die diesen Konsensus bloß reflektieren. Sie produzieren ihn aktiv, sie sind Konsensfabriken, die bestimmen, wie eine gegebene Situation definiert wird und eine bestimmte Nation für ihre Mitglieder konstruiert wird, d. h. an dem ein Identifikationsraum und gemeinsamer Erinnerungsraum eröffnet wird. Auch in diesem Fall ist es das Massenritual und die Zeremonie, die die Kommunion stiften. Wie bei Anderson liegt die Bindekraft des Mediums daher weniger in den nationalen/ nationalistischen »Inhalten«, die möglicherweise übertragen werden, sondern in den ritualisierten »Formen« der Rezeption. Wie Morley ( 992: 268) bezüglich der Abendnachrichten bemerkt: »the fact of watching and engaging in a joint ritual with millions of others can be argued to be at least as important as any informational content gained from the broadcast«. <?page no="166"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 6 16 welche Definition dieser Situation sich gegen andere durchsetzt. Die Institution produziert dabei »self-fulfilling prophecies«: »Indem sie eine bestimmte Definition als ›bestehenden Konsens‹ voraussetzen, tragen BerichterstatterInnen dazu bei, sie erst recht zu machen« (Hall 989e: 8f.). Nehmen wir zur Veranschaulichung das Hauptthema neoliberaler Politik, die »notwendigen Reformen« des Wohlfahrtsstaats, wohinter sich zumeist dessen schrittweiser Abbau verbirgt. Obwohl keineswegs sicher ist, dass neoliberale Politikentscheidungen (z. B. bezüglich der Privatisierung der öffentlichen Nahverkehrsmittel, der Wasserversorgung etc.) in der breiten Bevölkerung konsensfähig sind, werden die meisten dieser Entscheidung in den Medien - etwa in Politiktalkshows, Expertenkommentaren, usw. - behandelt, als wären sie konsenspflichtig. Das heißt, es wird allgemeines Einverständnis darüber vorausgesetzt, dass »notwendige Reformen«, selbst wenn sie schmerzen, vernünftig, ja unausweichlich seien, selbst wo keine der konkreten vorgeschlagenen Maßnahmen auf mehrheitliche Zustimmung in der Bevölkerung zählen kann. Diese massenmedial perpetuierte Fiktion eines Konsenses wird ihrerseits umso realitätsmächtiger, je länger sie aufrechterhalten werden kann. Um die angesprochene Diskrepanz fassen zu können, führt Hall ( 989e: 6 ff.) eine Unterscheidung zwischen Konsens und Zustimmung ein. Konsens etabliert den gemeinsamen Hintergrund, vor dem Zustimmung oder Ablehnung, d. h. auch möglicherweise Konflikte entstehen können. So mag für einige Zeit Konsens bezüglich der abstrakten Idee hergestellt werden, dass »Reformen« eine gute Sache sind, ohne dass Zustimmung zu konkreten »Reformentscheidungen« requiriert werden kann. Hall selbst gibt das Beispiel des Parteienkonflikts innerhalb der parlamentarischen Demokratie: »Konsens« impliziert nicht eine einzelne, einheitliche Position, der sich die gesamte Gesellschaft verschrieben hat. Er bildet den grundsätzlichen gemeinsamen Boden - die zugrunde liegenden Werte und Prämissen -, auf dem die beiden Positionen sich bewegen, die im Detail scharf divergieren können. »Konsens« ist bedingt durch strukturierte Uneinigkeit - all diese gemeinsamen Prämissen, die es ermöglichen, dass »Hinz und Kunz übereinkommen, miteinander <?page no="167"?> 16 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 68 zu streiten«. »Ausgewogenheit« wird daher durch Konsens eingerahmt. Labour und die Konservativen sind sich in bezug auf die richtige Wirtschaftspolitik zutiefst uneinig. Aber beide heißen das Zweiparteien-System gut. Der »Konsens« ist die zugrunde liegende Prämisse (Zweiparteien-Regierung), die die Uneinigkeit über bestimmte politische Linien einrahmt. (19 9e: 14 ) Der vielleicht entscheidende Aspekt an dieser Theorie liegt in dem Umstand, dass die Durchsetzung von Konsens nur durch Konflikt und Ausschluss gelingen kann, was dem Begriff der Signifikationspolitik erst seinen Sinn gibt. Von hier aus wird sich der von Stuart Hall repräsentierte Strang der Cultural Studies immer weiter von semiotischen Ansätzen im engeren Sinn und hin zu diskursanalytischen Ansätzen entwickeln. Das semiotische Konzept des Kodierens (das einen bestehenden Kode voraussetzt, welcher im Moment der Kodierung angewendet wird, ohne dass der Kodierungsprozess den Kode selbst verändern könnte) wird zunehmend ersetzt durch einen strenger gefassten, diskursanalytischen Begriff der Signifikation (worin ein bestehender Diskurs nicht etwa »angewendet« wird, sondern zuallererst konstruiert). Im folgenden Kapitel soll die diskursanalytische Fassung der Cultural Studies genauer vorgestellt werden, vor allem hinsichtlich ihres bedeutsamen Beitrags zur Erklärung sozialer Identitätsbildungsprozesse. <?page no="168"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 69 169 Kapitel : Diskurs und Identität: »race«, class, gender, etcetera Die Dekonstruktion der Identität beinhaltet keine Dekonstruktion der Politik; vielmehr stellt sie gerade jene Termini, in denen sich die Identität artikuliert, als politisch dar. Judith Butler (1991: 21 ) .1. Das Mantra Nirgendwo tritt die politische Perspektive der Cultural Studies deutlicher hervor als in deren Zugang zur Frage sozialer Identität. Denn die »Konstitution sozialer Identität ist«, in Ernesto Laclaus Worten ( 990: ), »ein Akt der Macht; ja Identität als solche ist Macht«. In Kapitel hatten wir das zentrale Postulat der Cultural Studies in der Gleichursprünglichkeit von Identität, Kultur und Macht ausgemacht. Die »Landkarten der Bedeutung«, mit deren Hilfe wir uns alle im sozialen Raum orientieren, gehen aus dem Spiel zwischen diesen drei Registern hervor. Deren »magischer Zirkel« sollte heuristisch die Bewegung beschreiben, durch die Identität über den Einsatz von Machtressourcen und Ein- und Ausschlussmechanismen auf dem Terrain der Kultur produziert und reproduziert wird. Wie in den vorangegangenen Kapiteln wiederholt betont wurde, ist Hegemonie einer der möglichen Namen für das Spiel zwischen den drei Registern. Die Perspektive der Cultural Studies ihrerseits ist von der Annahme bestimmt, dass der Zirkel von Macht - Kultur - Identität an seinen einzelnen Stationen (jedoch nie ohne Berücksichtigung der jeweils anderen) zwar analysiert, aber weder gestoppt noch transzendiert werden kann, wobei die Cultural Studies selbst »Bestandteil des Kreislaufs« sind, »den sie beschreiben wollen« (Johnson <?page no="169"?> 1 0 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 0 999: 8). Wurde in Kapitel der subkulturelle und möglicherweise widerständige Aspekt von Kultur/ Macht/ Identität diskutiert, und wurde im vorangegangen Kapitel die Funktion der Massenmedien als soziale Signifikationsapparate und Hegemoniemaschinen beschrieben, die innerhalb dieses Zirkels einen wesentlichen Beitrag zur (Re-)Produktion von Identität leisten, so soll nun die diskursive Konstruktionslogik von Identität näher beleuchtet und anhand der drei paradigmatischen Achsen von »race«, class und gender, sowie des üblicherweise diesen Achsen hinzugefügten »etcetera«, exemplifiziert werden. Zwar lässt es sich in einer Einführung kaum vermeiden, dass so komplexe Identitäten eine reduzierte, wenn auch hoffentlich nicht reduktionistische Darstellung erfahren, es sollte aber auf keinen Fall der Eindruck entstehen, soziale Identitäten könnten nach einem bestimmten Ordnersystem klassifiziert werden. Dass in den meisten Verweisen auf »race, class, gender, etc.« nur drei Ordner aufgelistet werden, plus des mysteriösen »etc.«, könnte zudem nach Kobena Mercer ( 992: 2 ) eine verarmte Vorstellung von Cultural Studies vermitteln. Doch die Theoretisierung von Identität und Differenz in den Cultural Studies ist keineswegs auf das »›race, class, gender‹-Mantra« (ebd.) beschränkt. Wie sich zeigen wird, ist die Reihe möglicher Identitäten und Identifikationsformen aus prinzipiellen Gründen unabschließbar. Darüber hinaus überschneiden die einzelnen Elemente des Mantras sich und andere Identitäten an unzähligen Stellen. Wenn sich die Darstellung im Wesentlichen auf die drei klassischen Identitäten des Mantras beschränken wird, dann vor allem deshalb, weil die Bedeutung gerade dieser drei identitären Achsen eng mit der Geschichte der britischen Cultural Studies verbunden ist. Betrachten wir also die »Logik« der Produktion von Identität auf dem machtverformten Terrain der Kultur etwas genauer. Aus Perspektive der Cultural Studies ist zuallererst der narzisstische Irrglaube zu erschüttern, jede/ r von uns besäße eine einzige und ausschließlich ihm oder ihr eigene, ganz persönliche, unwandelbare Identität. Dies kann aus mindestens drei Gründen nicht der Fall sein: <?page no="170"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 1 1 Zum Ersten ist die Vorstellung einer uns eigenen, scheinbar singulären Identität irreführend, weil jede Identität erst aus ihrem differenziellen Verhältnis gegenüber anderen Identitäten Bedeutung gewinnt. Dies ist die Lehre des Strukturalismus, die für die Birmingham-Tradition einschlägig wurde. Wir erinnern uns: Die Identität / Vater/ innerhalb der Gemeinschaft »Familie« stellt sich durch ihr differenzielles Verhältnis zu anderen Identitäten wie / Mutter/ , / Sohn/ , / Tochter/ her (sh. Kap. 2. ). Folglich weisen die Cultural Studies die Vorstellung zurück, die Identität eines Individuums oder einer Gruppe entspränge einem präsozialen Wesenskern. Diese Vorstellung wird als Essenzialismus oder Substanzialismus bezeichnet. So sind unsere Geschlechtsidentitäten als »Männer« oder »Frauen« nicht Zeichen einer unwandelbaren biologischen Essenz, die an anatomischen Geschlechtsmerkmalen oder an XX- und XY-Chromosomen ablesbar wäre, sondern sie resultieren aus der fortgesetzten und äußerst machtvollen kulturellen Reproduktion eines Systems binärer Geschlechterdifferenz. Zum »richtigen Mann« wird ein Individuum, indem es in allen Lebenslagen (im Alltag, im Beruf, am Sportplatz, etc.) daran arbeitet, die hegemoniale Idee des »richtigen Mannes« für sich selbst - und damit für die Formation eines hegemoniale Maskulinismus (Connell 999) - zu reproduzieren, selbst wenn dies, aus Gründen, die noch zu diskutieren sein werden, nie ultimativ gelingen kann. Die heute wohl maßgebliche Spielart des Essenzialismus ist nicht länger jener ökonomische Determinismus, von dem sich die Cultural Studies in ihrer formativen Phase so mühsam hatten befreien müssen, sondern ein genetisch reformulierter Biologis- Das heißt aber nicht, dass Ökonomismen oder gar alle Essenzialismen ausgestorben wären. Der Ökonomismus ist im ideologischen Spektrum vielmehr nach rechts und hin zur »radikalen Mitte« (Schröder) gewandert und ist heute im allseits dominanten Diskurs des Neoliberalismus auffindbar: Politik, so heißt es, sei machtlos, da - in »letzter Instanz« - die »Marktzwänge« regierten und gar nicht die gewählten Repräsentanten. Diesem ökonomistischen Prinzip des Neoliberalismus wurde nach Margaret Thatchers Lieblingsausspruch »There is no alternative« in der globalisierungskritischen Bewegung die Bezeichnung TINA-Prinzip gegeben (Marchart 200 a, Marchart/ Weinzierl 2006). <?page no="171"?> 1 2 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 2 mus. Kein Tag vergeht, an dem nicht in den Medien die Entdeckung eines Gens verkündet wird, das angeblich irgendeine soziale Identität bestimmen soll, so z. B. immer wieder gerne das so genannte »Schwulengen«. Der biologische Essenzialismus lebt von der Unterstellung eines von sozialen Konstruktionen unberührten und - es sei denn durch Genmanipulation - unwandelbaren Kerns unserer Identität. Dies gilt nicht zuletzt für rassifizierte Identitäten. Paul Gilroy hat vor diesem Hintergrund auf die Wiedergeburt eines neuen Biologismus hingewiesen, der nichts mehr mit der alten, nach der Niederlage der Nazis für lange Zeit delegitimierten »Rassenlehre« zu tun hat, die »Rassen« nach morphologischen Kriterien durch u. a. Schädelvermessungen festlegen wollte. Ja er hat nicht einmal etwas zu tun mit jener im Alltag immer noch aktuellen »Dermopolitik«, die »Rassen« nach Schattierungen von Hautfarbe unterteilt. Gilroy sieht die Wiederkehr des Biologismus vielmehr in den aktuellen Versuchen, »Rasse« auf der molekularen Ebene der Gene bestimmen zu wollen. Diese beunruhigende Entwicklung der Politik pseudowissenschaftlicher »Rassiologie« - in Gilroys Begriffen (200 : 6): Die Entwicklung von Biopolitik über Dermopolitik zu Nanopolitik - sei Teil einer sehr viel breiteren politisch-kulturellen Transformation, die Vorstellungen unseres Verhältnisses zwischen Kultur und Natur berühre und von der DNA-Revolution angestoßen wurde. Obwohl also die Existenz von so etwas wie »Rasse«, wie wir weiter unten sehen werden, wissenschaftlich gar nicht nachgewiesen werden kann, da es sich um eine kontingente sozial-kulturelle Klassifikation handelt, nach deren Muster Identität konstruiert und nicht einfach von biologischen Merkmalen abgelesen wird, befindet sich der Biologismus nach wie vor auf der Suche nach einer unwandelbaren »Essenz« dieser Identität. Zum Zweiten ist die Vorstellung einer singulären sozialen Identität deshalb unhaltbar, weil jede/ r von uns von mehr als einer, ja von einer Unzahl von Identitätsachsen durchkreuzt wird. Jeder soziale Akteur besteht immer aus einem Netzwerk aus teils widersprüchlichen Identitäten, weshalb wir »alle durch verschiedene Kategorien, durch verschiedene Antagonismen komplex konstruiert sind« (Hall 99 e: 8 ). So wie der Binarismus <?page no="172"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 1 3 Mann/ Frau schon in sich nie endgültig stabilisierbar ist (denn niemand besitzt eine ausschließlich »männliche« oder ausschließlich »weibliche« Identität, schon allein weil jede Identität bedroht ist von der Subversion durch das, wovon sie sich abzugrenzen versucht), so ist niemand auf seine oder ihre Geschlechtsidentität reduzierbar: Niemand ist »Mann« oder »Frau« und sonst nichts. Neben der gender-Achse drehen wir uns um eine Vielzahl weiterer identitärer Achsen, die mit solchen Kennzeichnungen wie Begehren, Nationalität, Alter, Klasse, Gesundheit, »Ethnizität«, ability, lokale oder geografische Zugehörigkeit, usw. nur provisorisch zu benennen sind. Im Unterschied zu jener Welt, die uns der korporative Multikulturalismus präsentiert, existieren all diese Identitäten dem Modell der Cultural Studies zufolge keineswegs in einem bunt-harmonischen Miteinander (und letztlich unverbundenen Nebeneinander). Jede einzelne muss auf einem machtverformten Terrain ständig neu ausgehandelt, gegen Widerstände verteidigt oder neu erschaffen werden. Zugleich produzieren all jene identitäre Tangenten, wo sie sich in einem Individuum oder einer sozialen Gruppe treffen, Widersprüche und folglich Identitätskrisen: Oft konfligieren widersprüchliche Identitäten innerhalb ein und derselben Person - schwule Familienväter oder kapitalismuskritische Bankbeamte sind keine Seltenheit. Und da die Dimension von Macht keiner Identität äußerlich ist, stehen Identitäten zueinander in Verhältnissen der Hierarchie, der Unterordnung, gar des Ausschlusses oder der Unterdrückung. Am Geschlechterbinarismus lässt sich das verdeutlichen. Durch die binäre Identitätskodierung in entweder »Mann« oder »Frau« wird nicht nur eine Unzahl möglicher Zwischenschattierungen auf zwei reduziert, wobei allen Individuen abverlangt wird, dass sie sich auf einer der beiden Seiten dieser Identitätsachse positionieren, zugleich wird auch eine hierarchische Rangordnung festgelegt, die in Beruf wie Alltag reproduziert wird. So macht Hall die Beobachtung, dass die verschiedenen Identitäten »uns einen gesellschaftlichen Platz in vielen Positionen der Marginalität und Unterordnung zuweisen können, ohne daß sie genau in derselben Weise auf uns einwirken«. Daraus folgert er, dass umgekehrt jede <?page no="173"?> 1 4 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite gegen-hegemoniale Politik, »die versucht, Menschen gerade aufgrund der Verschiedenheit der Identifikationen zu mobilisieren, ein positional geführter Kampf sein« müsse: »Es ist der Beginn eines Antirassismus, Antisexismus, Antiklassismus im Sinne eines Kriegs um Stellungen, so wie Gramsci den ›Stellungskrieg‹ verstand« (ebd.). Soziale Identitäten sind somit nie ein für allemal festgelegt, sondern resultieren aus den Kämpfen um Identität, welche auf dem machtverformten Terrain der Kultur ausgetragen werden. Erst das unabstellbare Spiel um Hegemonie, d. h. um die vorübergehende (da möglicherweise schnell verloren gehende) Definitionsmacht in Bezug auf identitäre Konstruktionen, kann als Erklärung für die Verschiebungsphänomene zwischen Identitäten herangezogen werden. Zum Dritten kann von einer singulären Identität keine Rede sein, da jede Identität per Definition kollektiv ist. Bei nationalen Identitäten ist dies offensichtlich: Man ist nie alleine »Deutsche/ r«, sondern nur als Teil eines nationalen Kollektivs von »Deutschen«. Identität kann daher nicht auf ein einzelgängerisches Subjekt zurückgeführt werden, das über seine oder ihre Identitäten frei verfügen könnte oder gar deren Quelle wäre. Den Pass, der die eigene nationale Identität besiegelt, kann man sich in der Regel nicht selbst ausstellen. Wir mögen uns als »Herr im eigenen Haus« unserer Identität imaginieren, doch eine ungebrochene Vorstellung des souveränen Subjekts ist aufgrund einer Reihe wissenschaftlicher und sozialer Entwicklungen, die ihm eine mehrfache narzisstische Kränkung zuführten, unhaltbar geworden. Das neuzeitliche Subjekt war als souveräner »Herr« sowohl seiner Vernunft als auch als alleinige Quelle seiner Willensentscheidungen konzipiert worden. Das kartesianische Subjekt des cogito konnte sich seiner selbst und seiner Geisteskapazitäten sicher sein, nachdem es einmal den Test des nicht bezweifelbaren Zweifels, des dubito ergo sum durchlaufen hatte. Zur selben Zeit wurde in den klassischen Formulierungen von Bodin und Hobbes der absolutistische Souverän zum Inbegriff des politischen Subjekts schlechthin. Aus einer Reihe solcher Entwicklungen ging das neuzeitliche Subjekt hervor, konzipiert als mit sich selbst identische, sowohl rationale als auch voluntaristische Instanz der Souveräniwww.Claudia-Wild.de: <?page no="174"?> Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 1 tät. Dieses moderne Vernunft- und Willenssubjekt wurde in der Spätmoderne vom Platz im Zentrum des Universums, an den es erstmals in der Renaissance gestellt worden war, verdrängt. Stuart Hall ( 99 h) hat fünf Momente der Dezentrierung des neuzeitlichen Subjekts ausgemacht. Das erste Moment folgt aus Marx’ These, Menschen würden ihre eigene Geschichte eben nicht voluntaristisch bestimmen, sondern nur innerhalb der durch die historischen und gesellschaftlichen Bedingungen gesetzten Grenzen der jeweiligen Produktionsverhältnisse. Diese These wurde durch den strukturalen Marxismus Althussers noch radikalisiert. Die zweite Dezentrierung ereignete sich in Folge der psychoanalytischen Revolution. Mit Freuds »Entdeckung« des Unbewussten, das weder unserer bewussten Vernunft noch unserem Willenszugriff gehorcht, war das kartesianische Subjekt des sich selbst bewussten cogito nicht länger »Herr im eigenen Haus«. In der Erweiterung des Freudianismus durch Lacan wurde das Subjekt sogar als gespalten definiert, ja als Mangel selbst, denn indem das Kind in die Ordnung der Sprache (des Symbolischen) eingeführt wird, ist es für immer von jeder vorsprachlich imaginierten Einheit und Fülle abgeschnitten. Aus dieser konstitutiven Entfremdung durch die symbolische Ordnung folgt, dass Identität fürderhin erarbeitet und der Mangel an Fülle immer aufs Neue provisorisch überbrückt werden muss. 8 Aus diesem Grund zieht Hall den Begriff prozessualer Identifikation dem Begriff der Identität vor. Die dritte Dezentrierungsleistung schreibt Hall 8 Dazu Hall ( 99 h: 9 f.): »Identität ist also etwas, das in andauernd wirksamen unbewußten Prozessen über die Zeit hinweg gebildet wird (...). Sie bleibt immer unvollständig, befindet sich immer im Prozeß, im ›Gebildet- Werden‹. Zum Beispiel bleiben die nichtanerkannten ›femininen‹ Teile des männlichen Ich erhalten und finden ihre unbewußten Ausdrucksformen im Erwachsenenalter. Statt von der Identität als einem abgeschlossenen Ding zu sprechen, sollten wir von Identifikation sprechen und dies als einen andauernden Prozeß sehen. Identität besteht nicht bereits in der tiefen Fülle unseres Inneren, sondern entsteht aus dem Mangel an Ganzheit, der in den Formen, in denen wir uns vorstellen, wie wir von anderen gesehen werden, von Außen erfüllt wird. Psychoanalytisch gesehen, suchen wir andauernd nach Identität und konstruieren Biographien, die die verschiedenen Teile unseres gespaltenen Ichs zu einer Einheit verknüpfen, um die Freude an diesem phantasierten Reichtum, dieser Fülle wieder einzufangen.« <?page no="175"?> 1 6 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 6 Saussure und der strukturalen Linguistik zu, denn aus deren Perspektive stellt Sprache (langue) ein gesellschaftliches System dar, dessen Existenz den individuellen Äußerungsakten (parole) vorausgeht. Die Vorstellung von einem Subjekt, das alleiniger Autor seiner Äußerungen wäre, wird damit hinfällig. Wer eine Sprache spricht, aktiviert den Spielraum an Bedeutungen, »die bereits in unseren sprachlichen und kulturellen Systemen eingebettet sind« ( 96). Das Werk Michel Foucaults markiert für Hall die vierte Dezentrierung des Subjekts. Foucault ( 9 ) beschreibt das »Disziplinarregime«, das im späten 8. und im 9. Jahrhundert von Institutionen wie Kasernen, Schulen, Kliniken und Gefängnissen ausgehend das Subjekt disziplinierte und alle Lebensbereiche der Bevölkerung zu administrieren begann. So wird das Subjekt, auch wenn diese Erkenntnis im späteren Werk Foucaults relativiert werden sollte, zum »Produkt ›eines Effekts‹ in Diskursen und hergestellt innerhalb spezifischer diskursiver Formationen« (Hall 200 g: 8). Die fünfte Dezentrierung führt Hall schließlich auf den Feminismus und weitere soziale Bewegungen zurück. Eine Reihe von Merkmalen verbindet den Feminismus mit Studentenbewegung, Friedensbewegung oder Bürgerrechtsbewegung, darunter die Betonung der kulturellen Dimension politischen Handelns und der Appell an die soziale Identität der angerufenen Gruppen. So appellierte der »Feminismus an die Frauen, Sexualpolitik an Schwule und Lesben, Kämpfe gegen Rassismus an die Schwarzen, etc.« ( 98). Die Formung dieser Identitäten wurde zu einer politischen und sozialen Frage. Indem der Feminismus die Grenze zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten dekonstruierte (gemäß des Slogans »Das Private ist politisch«), stand die Verfasstheit scheinbar vorpolitischer Gesellschaftsbereiche wie Familie, Sexualität oder Hausarbeit zur Verhandlung. Der Feminismus »politisierte Subjektivität, Identität und die Prozesse der Identifikation (als Männer/ Frauen, Mütter/ Väter, Söhne/ Töchter)« ( 99). Es ist nicht entscheidend, ob Halls Liste der Dezentrierung neuzeitlicher Subjekt- und Identitätsvorstellungen Vollständigkeit beanspruchen kann. Entscheidend ist, dass der akkumulierte Effekt dieser und weiterer Entwicklungen unser Verständnis von <?page no="176"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 1 Identität radikal verändert hat. Die Cultural Studies - als Projekt einer nicht-essenzialistischen Form der Sozial- und Kulturwissenschaften - können in ihrer eigenen Theoriearbeit auf genau diese Veränderungen bauen. So dürfte es kein Zufall sein, dass Hall mit seiner Aufzählung wissenschaftlicher Subjektdezentrierungen zugleich die wesentlichen theoretischen wie politischen Einflüsse der Cultural Studies in der Birmingham-Tradition rekapituliert: . Marx und der strukturale Marxismus Althussers, 2. Freud und die Lacan’sche Psychoanalyse, . Saussure und der Strukturalismus bzw. Poststrukturalismus, . Foucault und die Diskurstheorie, . der Feminismus und all die anderen Neuen Sozialen Bewegungen. Erst unter Zuhilfenahme dieser theoretischen Ressourcen wird es für die Cultural Studies möglich, etwas »Licht in die Dunkelheit des Offensichtlichen«, nämlich in das augenscheinliche Verhältnis von Identität, Macht und Kultur zu bringen. Identität ist folglich, um es zusammenzufassen, immer plural: Jedes Individuum wird von einer Vielzahl von Identitäten durchkreuzt. Sie ist immer kollektiv: Keine Identität gehört »mir allein«; und sie ist immer umkämpft: Jede Identität stabilisiert sich durch Abgrenzung von anderen Identitäten, was unausweichlich die Frage des Ausschlusses, der Macht und des Widerstands aufwirft. Darüber hinaus entspringt eine gegebene Identität keinem Willens- oder Vernunftsubjekt, sondern wird immer gesellschaftlich - d. h. gerade nicht durch voluntaristische Entscheidungen Einzelner - bestimmt. Kurzum: Identität ist ein sozial umkämpfter Prozess, kein stabiler Monolith. Sie ist immer in Bewegung. Gehen wir diesen Annahmen im Folgenden anhand der Identitäten von »race«, class und gender nach. Obwohl innerhalb der Birmingham-Tradition der Cultural Studies die Frage der Vielzahl identitärer Achsen als solche nie umstritten war, besteht kein Zweifel, dass anfangs Klasse als die dominierende forschungsleitende Kategorie betrachtet wurde. So waren die in Kapitel dargestellten Subkulturstudien der späten 60er und frühen 0er Jahre vor allem am Verhältnis von Jugendsubkulturen zu ihren Klassen-»Stammkulturen« interessiert. Erst mit der internen feministischen Kritik an den durch eine klassenzentrierte Forschungsperspektive produzierten Auslassungen (in diesem Fall <?page no="177"?> 1 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 8 bezüglich der Rolle der Mädchen in Jugendsubkulturen) begann die Frage von Geschlechtsidentität stärker in den Vordergrund zu rücken (Women ’ s Studies Group 9 8; McRobbie 99 ). Innerhalb der Institution des CCCS gingen diese und andere Perspektivenverschiebungen alles andere als friktionsfrei vonstatten. Zeitzeugen berichten von Schreiduellen und knallenden Türen. Doch der damalige Direktor Stuart Hall sieht retrospektiv in solchen Brüchen einen produktiven Stimulus für die Cultural Studies, ja sieht im Begriff der »Unterbrechung« sogar eine Metapher für theoretische Arbeit: »Wieder und wieder wurde die so genannte Entfaltung der Cultural Studies durch einen Riss unterbrochen, durch wirkliche Brüche, durch äußere Kräfte. Es gab Unterbrechungen durch neue Ideen, die das auflösten, was aussah wie eine akkumulierende Praxis« (Hall 2000c: 2). Brüche entlang zweier Identitätsachsen erwiesen sich als besonders produktiv für die Entwicklung der Cultural Studies: einerseits die erwähnte Unterbrechung durch den Feminismus, andererseits die Unterbrechung durch die Frage des Rassismus. Mit diesen beiden Brüchen entlang der Achsen gender und »race«, die das dominante Klassenparadigma der Birmingham Cultural Studies erfuhr, wäre zwar das »Mantra« von »race«, class, gender komplett, man ahnt aber nach dem oben Gesagten, dass die »Frage der Identität« damit nicht abschließend beantwortet ist. Weitere identitäre Achsen drängten in den Blick der Cultural Studies, nachdem sich die gesellschaftlichen Orte der Auseinandersetzung um Identität - nicht zuletzt aufgrund des Entstehens neuer und neuester Sozialer Bewegungen - vervielfältigt hatten. So konstatiert Hall (2000e: 9 ) eine »Proliferation neuer Antagonismen, neuer sozialer Widerstandsbewegungen« und eine »Verallgemeinerung der ›Politik‹ in Sphären, die früher von der Linken für apolitisch gehalten wurden: Familie, Gesundheit, Ernährung, Sexualität, Körper.« Solche neu entstehenden politischen Kämpfe lenken das Augenmerk auf neue Aspekte sozialer und kultureller Identitätsproduktion und haben Auswirkungen auf die theoretische Arbeit. Auch die beiden Unterbrechungen und Neukonfigurationen der theoretischen Arbeit am CCCS standen im Zusammenhang mit dem Aufkommen der Frauwww.Claudia-Wild.de: <?page no="178"?> Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 9 1 9 enbewegung bzw. mit dem Entstehen eines weithin sichtbaren anti-rassistischen Aktivismus. Schließlich können uns neue Formen des politischen Kampfes auch dazu veranlassen, die Art und Weise, in der Identität konzipiert wurde, zu überdenken. In diesem Fall können sich frühere Ansätze der Untersuchung von »race«-, class- oder gender-Identität möglicherweise als theoretisch unbefriedigend herausstellen. Durch einen oft schmerzvollen Prozess innerer Kritik wurde beispielsweise eine allzu rigide Vorstellung von sozialer Identität kritisiert und musste revidiert werden. Mit all diesen Entwicklungen sahen sich die Cultural Studies konfrontiert. .2. Cultural Studies als Diskursanalyse Wenn soziale Identitäten keiner präsozialen Essenz entströmen, sei diese nun biologistisch, klassendeterministisch oder subjektivistisch definiert, wenn sie stattdessen auf dem Terrain der Kultur qua Macht (re-)produziert werden, dann stellt sich die Anschlussfrage nach den Mechanismen sozialer Identitätskonstruktion. Deren Darstellung erfordert den »notwendigen Umweg über die Theorie«, diesmal über die Diskurstheorie. Linguistisch wird unter Diskurs jede bedeutungstragende sprachliche Einheit oberhalb der Satzgrenze verstanden. Aus Sicht des diskurstheoretischen Paradigmas der Cultural Studies, wie es heute am prominentesten von Stuart Hall vertreten wird, geht soziale Identität ausschließlich aus Diskursen hervor. Identität ist nicht in der vorgeblich »objektiven sozialen Realität« empirisch vorfindbar, sondern wird diskursiv konstruiert und repräsentiert, wobei nicht allein die Verkettung sprachlicher Äußerungen, sondern alle Bedeutung tragenden Praxen, ob sie nun mit »Worten« verbunden sind oder »stumm« vollzogen werden, als diskursiv definiert werden. Das Feld der Kultur wird für die Cultural Studies somit gleichumfänglich mit dem Feld des Diskursiven. Darunter ist die Gesamtheit bedeutungserzeugender Praktiken zu verstehen, die sich in einem Repräsentationsregime manifestieren. Erst zu diskursiven Bedeutungssystemen verschränkte Regime der <?page no="179"?> 1 0 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 80 Repräsentation sozialer Identität geben unseren Handlungen Sinn und erlauben uns, die Handlungen anderer zu interpretieren: »Zusammengenommen konstituieren sie unsere ›Kulturen‹. Sie helfen sicherzugehen, dass jede soziale Handlung ›kulturell‹ ist, dass alle sozialen Praxen Bedeutung ausdrücken oder kommunizieren und in diesem Sinne ›Signifikationspraxen‹ sind« (Hall 99 c: 208). Kultur ist in diesem weitesten, diskursanalytischen Sinn als Feld der Signifikation zu verstehen, auf dem gesellschaftliche Bedeutung ausgehandelt wird - mit Identität als instabilem Produkt solcher Aushandlungsprozesse. Zwei Diskurstheorien haben sich für die Cultural Studies als einflussreich erwiesen (Hall 99 g 0), zum einen die Diskursanalyse Michel Foucaults, zum anderen die von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe entwickelte hegemonietheoretische Diskursanalyse. Beide sollen kurz in ihren theoretischen Umrissen vorgestellt werden. Ein Diskurs oder eine »diskursive Formation« setzt sich, im Anschluss an Foucaults so genannte archäologische Phase (Foucault 98 ; Mills 99 ), aus einer Reihe von institutionell vermittelten Aussagen zusammen, die eine gewisse Regelmäßigkeit aufweisen. Erst vor dem Hintergrund einer diskursiven Formation wird es überhaupt möglich, über etwas zu sprechen. In jenem Moment, in dem man einen Diskurs spricht, nimmt man die von der diskursiven Formation, in die man damit eintritt, zugewiesene Subjektposition ein, d. h. man übernimmt eine bestimmte soziale Identität. In Bezug auf den ethnozentrischen Diskurs des Westens weist Hall ( 99 g: ) beispielsweise darauf hin, dass man selbst nicht unbedingt an die Überlegenheit des Westens glauben muss, um den ethnozentrischen Diskurs des Westens zu verwenden und qua Gebrauch zu perpetuieren. Sobald wir im okzidentalistischen Diskursgenre sprechen, werden wir von diesem in unserer Identität positioniert. Die resultierenden Subjektpositionen sind im Diskurs lokalisiert. Zugleich erzeugt ein Diskurs Wissenseffekte. Diskurs, Macht und Wissen stellen Foucault zufolge eine untrennbare Einheit dar: Was als »Wahrheit« gilt, fällt nicht vom Himmel platonischer Ideen, sondern entstammt den irdischen Machtkämpfen konkurrierender Diskursformawww.Claudia-Wild.de: <?page no="180"?> Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 8 1 1 tionen. Dies gilt auch für wissenschaftliche Wahrheit. Edward Said, auf dessen bahnbrechendes Werk Orientalism ( 9 9) sich Hall bezieht, hat mit Rückgriff auf Foucault und Gramsci die Entstehung der wissenschaftlichen Disziplin des Orientalismus nachverfolgt und aufgezeigt, wie der Westen den »Orient« als sein Anderes diskursiv konstruiert. Damit ist nicht gemeint, dass der Westen den Orient aus dem Nichts erfindet, sondern Konstruktion bedeutet hier die gewaltsame Homogenisierung unterschiedlichster Praktiken, Regionen und Traditionen zu einem einzigen homogenen Wissensobjekt namens »Orient«. Diese Produktion eines bestimmten Wissens um den Anderen, in diesem Fall ein orientalistisches Wahrheitsregime, ist dabei nicht auf das Feld der Wissenschaft beschränkt, sondern steht im historischen Zusammenhang der kolonialistischen Entdeckungs-, Eroberungs- und Ausbeutungszüge der europäischen Nationalstaaten. Der in seiner späteren genealogischen Phase ( 98 ) entwickelte Machtbegriff Foucaults ist von kaum zu überschätzender Bedeutung für das Diskurskonzept der Cultural Studies. Folgt man Foucault, dann ist Macht keineswegs in einem staatlichen »Machtzentrum« lokalisiert. Macht darf also nicht mit bloßer Herrschaft - bei Gramsci: mit staatlichem »Zwang« oder bei Althusser: mit »repressiven Staatsapparaten« - verwechselt werden. Unter Macht versteht Foucault, »die Vielfältigkeit von Kraftverhältnissen, die ein Gebiet bevölkern und organisieren; das Spiel, das in unaufhörlichen Kämpfen und Auseinandersetzungen diese Kraftverhältnisse verwandelt, verstärkt, verkehrt; die Stützen, die diese Kraftverhältnisse aneinander finden, indem sie sich zu Systemen verketten - oder die Verschiebungen und Widersprüche, die sie gegeneinander isolieren; und schließlich die Strategien, in denen sie zur Wirkung gelangen und deren große Linien und institutionelle Kristallisierungen sich in den Staatsapparaten, in der Gesetzgebung und in den gesellschaftlichen Hegemonien verkörpern« (Foucault 98 : f.). Die Auswirkungen auf das Verhältnis von Diskurs und Macht sind vielfältig und können hier nicht im Detail dargestellt werden. Das Foucault ’ sche Machtkonzept bedeutet ein wichtiges Komplement zum herrschaftssoziologischen Weberianischen Verständnis von Macht als <?page no="181"?> 1 2 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 82 Prozess des Ausschlusses und der Verhinderung von Alternativen, wenn auch nicht unbedingt dessen Überwindung, wie Foucault nahe zu legen scheint, da ja die Akkumulation oder Verdichtung von Machteffekten durchaus zu Herrschaft in Form von Ausschluss und Unterdrückung führen kann. Vor allem sei darauf hingewiesen, dass in und mit Diskursen Macht sowohl befördert und produziert als auch - in Form von Widerstand bzw. »Gegen- Macht« - unterminiert wird ( 22). Daraus kann man folgern, dass das Identität generierende Verhältnis von Macht/ Widerstand am angemessensten mit Methoden der Diskursanalyse zu beschreiben ist (sh. beispielhaft Fairclough 989; Angermüller et al. 200 ; Wodak et al. 998; Maas 989). Die zweite Form der Diskursanalyse, die in den Cultural Studies einflussreich werden sollte, ist Laclaus und Mouffes diskursanalytisch reformulierte Hegemonietheorie. Obwohl wir im nächsten Kapitel auf sie zurückkommen werden, sei sie bereits jetzt umrisshaft vorgestellt. Sie lieferte den Cultural Studies deren zentrales methodisch-theoretisches Konzept der Artikulation. Fredric Jameson ( 99 : f.) hat Artikulation zu definieren versucht als »eine punktuelle und manchmal sogar ephemere Totalisierung, in der sich die Ebenen von Rasse, Geschlecht, Ethnizität und Sexualität überschneiden, um eine operative Struktur zu formen«. Vielleicht etwas zugänglicher hat Stuart Hall (2000d: 6 ) in seiner Erklärung auf die umgangssprachliche Bedeutung des englischen Adjektivs »articulated« verwiesen. Im Englischen spricht man von einem Lastwagen, bei dem Führerhaus und Anhänger aneinander gekoppelt sind, aber nicht sein müssen, als »articulated lorry«: »Die beiden Teile sind miteinander verbunden, aber durch eine bestimmte Art der Verkoppelung, die gelöst werden kann. Eine Artikulation ist demzufolge eine Verknüpfungsform, die unter bestimmten Umständen aus zwei verschiedenen Elementen eine Einheit herstellen kann. Es ist eine Verbindung, die nicht für alle Zeiten notwendig, determiniert, absolut oder wesentlich ist.« Der daraus resultierende Diskurs stellt sich als prekäre Einheit dar, die aus Elementen artikuliert wurde, welche in keiner notwendigen Verbindung zueinander stehen. Erst durch den Artikulationsprozess werden sie vorüberwww.Claudia-Wild.de: <?page no="182"?> Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 8 1 3 gehend in eine kontingente Einheit gebracht: »Die so genannte ›Einheit‹ eines Diskurses ist in Wirklichkeit die Artikulation verschiedener, unterschiedlicher Elemente, die in sehr unterschiedlicher Weise reartikuliert werden können, weil sie keine notwendige ›Zugehörigkeit‹ haben.« 9 Hall bezieht sich mit diesem Konzept auf Ernesto Laclaus erstes Buch Politik und Ideologie im Marxismus ( 98 ), dessen Ansatz später durch Laclau und Mouffe zu einer diskursanalytischen Version der Hegemonietheorie erweitert werden sollte. Laclau hatte in seinem Erstlingswerk das Konzept der Artikulation gegen die marxistische Basis-Überbau-Theorie ins Feld geführt, die ja eine notwendige Beziehung zwischen der Klassenposition einerseits und der politischen und ideologischen Identität gesellschaftlicher Akteure andererseits unterstellt. In Laclaus Konzeption hingegen ist die Identität von Akteuren Ergebnis einer politischen Konstruktion, »die ungleiche Elemente artikuliert« ( 98 : 20 ). So besitze die Ideologie des Nationalismus beispielsweise keine notwendige Klassenposition, sondern erst durch den politischen Artikulationsprozess der Verknüpfung mit einer bestimmten Klassenposition entstehen links oder auch rechts artikulierte Spielarten des »National-Popularen« (Gramsci). In ihrem Hauptwerk Hegemonie und radikale Demokratie werden Laclau und Mouffe das Konzept der Artikulation zu einer allgemeinen Diskurstheorie von Gesellschaft ausweiten. Für Laclau und Mouffe ( 99 : 98) ist Gesellschaft weder in hierarchisch organisierte Ebenen (wie Basis und Überbau) noch in selbstregulierte Teilsysteme ausdifferenziert, sondern das Soziale ist hegemonial zu diskursiven Formationen artikuliert, die quer zu jeder topografischen System- oder Ebenenunterschei- 9 Damit wird natürlich zugleich bestritten, dass der Diskurs irgendwie der Instanz eines klassischen Subjekts entströmen könnte: »Eine Theorie der Artikulation ist daher zugleich eine Art und Weise zu verstehen, wie ideologische Elemente unter bestimmten Bedingungen sich in einem Diskurs verbinden und eine Art zu fragen, wie sie in bestimmten Konjunkturen mit politischen Subjekten artikuliert oder nicht artikuliert werden. Oder anders gesagt. Die Theorie der Artikulation fragt, wie eine Ideologie ihre Subjekt entdeckt und nicht wie das Subjekt die notwendigen und unvermeidlichen Gedanken denkt, die zu ihm gehören.« (Hall 2000d: 6 f.) <?page no="183"?> 1 4 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 8 dung liegen. Diskurse durchkreuzen all jene Unterscheidungen. Beispielsweise versucht das hegemoniale Projekt des Neoliberalismus unsere Vorstellung von Ökonomie genauso diskursiv zu reartikulieren wie staatliche policies, die öffentliche politische Auseinandersetzung, die zivilgesellschaftlichen Institutionen und den Alltagsverstand. Die Einheit einer Diskursformation geht - wie jede andere Form sozialer Identität auch - aus der Artikulation nicht notwendig verbundener Diskurse oder Diskurselemente hervor. 0 Wie aber operiert Artikulation? Wie wird eine hegemoniale Formation auf diskursive Weise artikuliert? Konkret kann diese Frage natürlich nur für jede gegebene hegemoniale Formation durch Einzelstudien beantwortet werden, doch auf theoretischer Ebene machen Laclau und Mouffe eine allgemeine diskursive »Logik« der Artikulation relationaler Ensembles aus: Im Anschluss an Saussure wird das Soziale (d. h. Diskurse) als ein relationales Feld von Bedeutung und damit von Differenzen verstanden. Die Bedeutung eines diskursiven Elements stellt sich nur her qua relationaler Differenz zu anderen Elementen, und Diskurs selbst ist nichts anderes als ein bedeutungserzeugendes Ensemble von Elementen. Doch wie werden diese differenziellen Diskurselemente 0 Wie man sieht, wird durch Einspeisung des linguistic turn in die gramscianische Hegemonietheorie das Soziale bei Laclau und Mouffe diskursanalytisch zugänglich und Gesellschaftstheorie wird in letzter Instanz zu Diskurstheorie. Dass Laclaus und Mouffes Diskursbegriff dennoch nicht »idealistisch« oder diskurs-»reduktionistisch« gedacht ist (im Sinne des Vorwurfs: »alles wird zu Diskurs«), wird evident, wenn wir berücksichtigen, dass Diskurs bei Laclau und Mouffe nicht dem »ideologischen Überbau« angehört, sondern nicht-linguistische Praxen genauso umfasst wie linguistische, inklusive deren Verfestigung in soziale Institutionen, Strukturen und Funktionen. Diskurse besitzen gewisse Ähnlichkeiten mit den Wittgenstein’schen Sprachspielen, die ebenso linguistische wie nicht-linguistische Aspekte umfassen (Laclau und Mouffe bringen beispielhaft das Sprachspiel »Mauerbau«, das aus einer »stummen« Praxis des Aneinanderfügens von Steinen besteht, aber auch sprachliche Äußerungen integriert und einem letztlich ebenfalls diskursiven, da bedeutungstragenden Plan folgt). Obwohl anfangs gegenüber Laclaus und Mouffes Ausweitung des Diskursbegriffs auf den gesamten Umfang des Sozialen skeptisch (sh. Hall 2000d: ), hat Hall sich inzwischen die Sicht Laclaus und Mouffes angeeignet (sh. Hall 99 c). <?page no="184"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 8 1 miteinander artikuliert? Vielleicht lässt sich die relativ komplexe Theorie Laclaus und Mouffe am besten verstehen, wenn man von einem Beispiel ausgeht. Betrachten wir den abstrahierten Fall eines kolonisierten Landes. Nehmen wir an, dort würde die Unterscheidung zwischen der Identität der Kolonisierten von jener der Kolonialherren durch eine Reihe von Differenzen in der Kleidung, der Sprache, der Umgangsformen etc. ausgedrückt. Obwohl die Identität der Kolonisierten - wie jede Identität - aus Differenzen konstruiert ist, haben diese Differenzen etwas gemeinsam. Sie alle gehören zur Identität der Kolonisierten und bilden eine Äquivalenzkette, so Laclaus und Mouffes Fachbegriff. Was aber verbindet diese Elemente - eine bestimmte Kleidung, eine bestimmte Sprache, bestimmte Umgangsformen - zu einer Äquivalenzkette? Den gemeinsamen Differenzen liegt in dieser Äquivalenzkette etwas Identisches zugrunde, das nicht selbst Teil der Kette sein kann, das keine positive Bestimmung besitzen und keine weitere Differenz sein kann - denn dann wäre die Bildung einer Äquivalenzkette überflüssig. Worum handelt es sich bei diesem Gemeinsamen? Die Erklärung liefert Laclaus und Mouffes innovatives Konzept des Antagonismus: Das Vereinheitlichende ist das durch die Äquivalenzkette Negierte. Die Differenzen, die gemeinsam die Identität der Kolonisierten ausmachen, sind nur miteinander äquivalent aufgrund des ihnen allen gemeinsamen Antagonismus gegenüber der Gruppe der Kolonialherren: »der Kolonisator wird diskursiv als der Nicht-Kolonisierte konstruiert« (Laclau und Mouffe 99 : 8 ). Diskurstheoretisch formuliert: Eine vorübergehende Artikulation relationaler Elemente (Differenzen) stellt sich her durch deren gemeinsame Abgrenzung gegenüber einem antagonistischen Außen. Dieses Außen stellt keine weitere Differenz dar, d. h. kein weiteres »positives« Element innerhalb des Diskurses, denn dann wäre es ja Teil des Felds der Differenzen und nicht dessen Außen. Es muss vielmehr als rein negativer Bezugspunkt gedacht werden, dem gegenüber sich die Differenzen erst zu einem gemeinsamen Ensemble - einer Äquivalenzkette - zusammenschließen. Erst gegenüber einem - aus dem Inneren betrachtet - rein negativen, jedoch zugleich konstitutiven Außen kann <?page no="185"?> 1 6 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 86 sich Identität vorübergehend stabilisieren. Eine Einschränkung muss allerdings hinzugefügt werden: Keine artikulierte Verbindung, aus der z. B. die soziale Identität einer Gruppe resultiert, wird jemals für die Ewigkeit geschmiedet; sie kann jederzeit deartikuliert werden. Es ist also durchaus möglich, dass bestimmte differenzielle Element oder Merkmale aus der Identität der Kolonialherren herausgebrochen werden und sich - z. B. in Form von Mimikry (Bhabha 99 : 8 -92) - in die Äquivalenzkette der Kolonisierten einreihen. In diesem Fall werden diskursive Elemente aus der Kette freigesetzt, die zu neuen Identitäten verknüpft werden können oder vorhandene Identitäten modifizieren. So ist jede Artikulation immer die »Re-Artikulation einer De-Artikulation« (Hall 2000 h. 22 ). Aber ein bestimmtes Ausmaß an Antagonisierung und damit ein gewisser Bezug auf ein Außen ist für jede Identität konstitutiv. Daraus lässt sich mit Chantal Mouffe folgern: Statt die verschiedenen Formen von Identität als Zugehörigkeit zu einem Ort oder als Eigenschaft zu interpretieren, müssen wir realisieren, dass sie den Einsatz in jedem Machtkampf darstellen. Sobald wir eine solche Perspektive einnehmen, erscheint das ganze Feld der Kultur sowohl als Bühne wie auch als Gegenstand politischer Kämpfe. Was tatsächlich als Identität einer Gruppe bezeichnet wird, ist eines der Hauptfelder, auf dem Hegemonie ausgeübt wird. (Mouffe 1999: 0) In den folgenden Unterkapiteln soll diese bislang noch abstrakte Logik diskursiver Artikulation von Identität anhand der Konstruktion spezifischer Identitätsachsen weiterverfolgt werden. Diese Logik ist in der Realität natürlich immer nur graduell operativ. Nur im Extremfall »schafft ein Äquivalenzverhältnis, das alle positiven Bestimmungen des Kolonisators im Gegensatz zu den Kolonisierten absorbiert, kein System positiver differentieller Positionen zwischen beiden, einfach weil sie jede Positivität auflöst« (Laclau und Mouffe 99 : 8 ). Doch selbst in Fällen weniger radikaler Antagonisierung wird jede Identität immer zum Teil auf ein negatives Außen verwiesen bleiben, dem gegenüber sie sich konstituiert, indem einzelne Elemente (Differenzen) in ein gewisses Äquivalenzverhältnis artikuliert werden. <?page no="186"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 8 1 .3. »race« An der Achse rassifizierter Identitäten - der Achse »race« im Mantra von »race«, class, gender, etc. - werden vielleicht mehr noch als an anderen Identitätsachsen die gerade beschriebenen diskursiven Mechanismen deutlich. Die Perspektivenverschiebung hin zur Rassismusanalyse war, wie die feministische Verschiebung, am CCCS mit Widerständen konfrontiert und konnte nur erreicht werden »als Resultat eines langen, zuweilen bitteren - mit Sicherheit bitter umstrittenen - inneren Kampfes gegen ein lautes, aber unbewusstes Schweigen« ( ). In der Studie Policing the Crisis (Hall et al. 9 8, sh. Kap. 6. .) hatte sich die Verschiebung bereits angekündigt, doch wirklich auf die Tagesordnung gesetzt wurde das Thema des Rassismus erst durch den von einer Gruppe um Paul Gilroy herausgegebenen CCCS-Sammelband The Empire Strikes Back ( 982). Die Arbeit dieser Gruppe wurde nicht nur durch den impliziten Klassismus manch älterer Spielarten der Cultural Studies behindert, sondern auch durch einen den frühen Kulturalisten eigenen englischen Ethnozentrismus. Denn die für die formative Phase der Cultural Studies so bedeutenden Ansätze der Ersten Neuen Linke verblieben - trotz Internationalismus - im ethnozentrischen Diskurs der britischen, ja sogar vornehmlich der englischen Linken. So formulierte Gilroy (2002 [ 98 ]; 992) eine harsche Kritik an der kulturalistischen Traditionslinie der Cultural Studies, deren Vertretern - vor allem Williams und Thompson - er vorwarf, ihre Definition einer nicht zuletzt national, d. h. englisch gefassten Kultur der Arbeiterklasse würde karibische und pakistanische Einwanderer strukturell ausblenden. Wenn Williams etwa soziale Identität als Produkt einer »langen Erfahrung« versteht, dann fragt Gilroy (2002 [ 98 ]: ) polemisch: »how long is long enough to become a genuine Brit? « Genausowenig ist Gilroy bereit, sich mit den politischen Strategien Thompsons anzufreunden, der eine links-patriotische Vorstellung von proletarischer »Britishness« vertrat, worin »die fortbestehende Größe der Nation in der Erbschaft popularen Widerstands wie auch in kulturellen Errungenschaften« ( 9) lokalisiert würde. Gilroy zufolge ist »Nation« hingegen kein leerer Container, der <?page no="187"?> 1 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 88 aus strategischen Gründen mit beliebigen, in diesem Fall linkspatriotischen Inhalten gefüllt werden könnte. Stattdessen müsse gefragt werden, wie gerade im Begriff der »Nation« rassistische Politiken reartikuliert werden. Unter welchen Bedingungen, so Gilroy, »ist nationale Identität in der Lage, jene gleichermaßen ›gelebten und geformten‹ Identitäten, die auf Alter, Geschlecht, Religion, Nachbarschaft oder Ethnizität basieren, aus dem Blick zu drängen oder zu dominieren? « ( 2). Zur Entwicklung einer eigenständigen Rassismustheorie am CCCS mussten also Widerstände überwunden werden, die im ursprünglichen Cultural Studies-Projekt selbst angelegt waren. Zuallererst ist im Sinne dieser Rassismustheorie mit Stuart Hall (200 h: 20 ) festzuhalten, dass »Rasse« keine wissenschaftliche Kategorie darstellt, da die genetischen Unterschiede zwischen verschiedenen als »Rassen« klassifizierten Bevölkerungsgruppen nicht größer sind als die innerhalb einer dieser Bevölkerungsgruppen. Daraus folgert Hall, dass es sich bei »Rasse« um eine diskursive, mithin politische und soziale Konstruktion handle, »um die herum ein System sozio-ökonomischer Macht, Ausbeutung und Ausgrenzung organisiert ist, die man Rassismus nennt« (ebd.). Die diskursive Logik des Rassismus bestehe in der Naturalisierung und Biologisierung von Differenz, d. h. in der Gründung kultureller Varianzen in einer biologischen Substanz. Etwas breiter gefasst wird Rassismus definiert als »soziale Praxis, bei der körperliche Merkmale zur Klassifizierung bestimmter Bevölkerungsgruppen benutzt werden, etwa, wenn man die Bevölkerung nicht in Arme und Reiche, sondern z. B. in Weiße und Schwarze einteilt« (2000i: ). In weiterer Folge wird diese Einteilung zu einem Klassifikationssystem ausgeweitet, welches schließlich dazu dient, »soziale, politische und ökonomische Praxen zu begründen, die bestimmte Gruppen vom Zugang zu materiellen oder symbolischen Ressourcen ausschließen« (ebd.). Wird die biologische Gründung nun auf die Ebene der Gene verlagert, steht der Rassismus vor einem Problem, denn Gene sind nicht unmittelbar sichtbar. Somit müssen jene Differenzen, die vorgeblich in der Genstruktur angelegt, im Alltag »von leicht erkennbaren, sichtbaren Zeichen, wie Hautfarbe, physischen <?page no="188"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 89 1 9 Eigenschaften der Haare, der Gesichtszüge (z. B. die jüdische Hakennase), dem Körpertyp, etc.« abgelesen werden, um als Abgrenzungsmechanismen wirken zu können. Zwischen dem kulturellen und dem biologischen Register wird eine, wie Hall mit Bezug auf Laclau und Mouffe festhält, »Äquivalenzkette« artikuliert, »die es erlaubt, die Differenzen in einem Zeichensystem von den Äquivalenzen in der anderen Kette ›abzulesen‹« (20 ). Selbst in einer Welt, in der alle die Wahrheit von »Rasse« in den Genen vermuten, müssten sich rassistische Zuschreibungen nach wie vor an äußerliche Merkmale halten, so sehr diese phantasiert sein mögen. Wirkliche oder zugeschriebene körperliche Merkmale fungieren dabei als Bedeutungsträger, als Signifikanten (als kleinste bedeutungstragende Differenzen oder Elemente eines Diskurses), denen in Form rassistischer Artikulation zu imaginärer Äquivalenz verholfen wird. Aufgrund ihrer wechselseitigen Austauschbarkeit kann jede einzelne Differenz in der Äquivalenzkette für jeweils die anderen einstehen (genetische Differenzen können für kulturelle vorgebliche Eigenschaften einstehen und umgekehrt). 2 Durch die Artikulation von Differenzen, die an sich nichts miteinander zu tun haben müssen - dies war ja eines der Kriterien des Hall ’ schen Konzepts von Artikulation - wird eine soziale Identität »Rasse« überhaupt erst hervorgebracht. Vor diesem Hintergrund gelangt Hall (200 i: ) zur Schlussfolgerung: »›Rasse‹ existiert nicht, aber Rassismus kann in sozialen Praxen produziert werden«. Oder wie Paul Gilroy (2002: xxii) den Umstand auf den Punkt bringt: »Rasse« ist »eine virtuelle Realität, der Bedeutung durch den Umstand gegeben wird, dass Rassismus 2 Wie wir gesehen haben, kann einer diskursiven Äquivalenzkette - d. h. einem Diskurs oder einer sozialen Identität - aber ihrerseits nur dann zu relativer Stabilität verholfen werden, wenn sie sich gegenüber einem konstitutiven Außen abgrenzt, das von allen innerdiskursiven Differenzen scheinbar unberührt bleibt. Wenn rassistische Diskurse eine rassifizierte soziale Identität erzeugen, dann indem sie bestimmte rassistische Zuschreibungen (körperliche Merkmale, bestimmte Charaktereigenschaften, etc.) einerseits zu einer Äquivalenzkette verknüpfen und diese andererseits gegenüber einem von all diesen Differenzen unmarkierten Außen abgrenzen (z. B. »Weißsein« im Verhältnis zu allen Eigenschaften des »Schwarzseins«). Dieses Außen wird als »unmarkiert« bezeichnet, insofern von ihm behauptet wird, es besäße keine der vom rassistischen Diskurs markierten Eigenschaften. <?page no="189"?> 190 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 90 andauert«. Genau deshalb sollte man die Rede von »Rasse« aufgeben und besser von Rassifizierung als Prozess der Zuschreibung einer rassifizierten Identität durch rassistische Diskurse sprechen. Im weiteren Verlauf dieses Kapitels werden wir aus unter anderem diesem Grund von der Verwendung des deutschen Worts »Rasse«, und sei es unter Anführungszeichen, absehen. Betrachten wir den Prozess von Rassifizierung etwas genauer. Nach Hall (200 f ) werden rassifizierte Differenzen wesentlich durch Stereotypisierung markiert. Ein Stereotyp ist die übertreibende Vereinfachung und Verallgemeinerung bestimmter differenzieller Eigenschaften: »Stereotypisierung reduziert, essentialisiert, naturalisiert und fixiert Differenz« ( ). Weiters kommt hinzu, dass ein Stereotyp nur qua Schließung und Ausschluss hergestellt werden kann. Stereotypisierung trennt somit »das Normale und Akzeptable vom Anormalen und Unakzeptablen ab, um letzteres dann als nicht passend und andersartig auszuschließen und zu verbannen.« Daraus folgert Hall: Mit anderen Worten ist Stereotypisierung Teil der Aufrechterhaltung der sozialen und symbolischen Ordnung. Sie errichtet eine symbolische Grenze zwischen dem »Normalen« und dem »Devianten«, dem »Normalen« und dem »Pathologischen«, dem »Akzeptablen« und dem »Unakzeptablen«, dem was »dazu gehört« und dem, was »nicht dazu gehört« oder was »das Andere« ist, zwischen »Insidern« und »Outsidern«, Uns und Ihnen. Sie vereinfacht das »Zusammenbinden« oder »Zusammenschweißen« zu einer »imaginierten Gemeinschaft«; und sie schickt alle »Anderen«, alle diejenigen, die in irgendeiner Weise anders, »unakzeptabel« sind, in ein symbolische Exil. (2004f: 144) Um Ausschluss zu produzieren, ist wiederum der Einsatz von Zwang wie auch von Macht vonnöten. Je größer die Ungleichheit in der Verteilung von Machtressourcen, desto größer die Gefahr der Stereotypisierung jener, die als Ausgeschlossene über keine oder geringe Definitionsmacht verfügen. Dennoch darf man sich diese Macht nicht als der Repräsentation oder Stereotypisierung einer bestimmten Identität äußerlich vorstellen. Nicht unbedacht spricht Hall von Macht in der Repräsentation, »von der Macht zu kennzeichnen, zuzuweisen und zu klassifizieren, von symbolischer <?page no="190"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 9 191 Macht, von ritualisiertem Ausschluß« ( ). Stereotypisierung lässt sich somit definieren als Versuch, die Artikulation nicht notwendig verbundener Elemente zu einer gegebenen sozialen Identität als notwendig und unabänderlich erscheinen zu lassen. Aus Sicht der Ausgeschlossenen produziert dies eine Art »symbolischer Gefangenschaft«. In seinem Buch There Ain ’ t No Black in the Union Jack, der vielleicht wichtigsten vom CCCS ausgegangenen Arbeit, die sich Dieser symbolische Ausschluss wird nie vollständig gelingen, denn die Stereotypisierung des Anderen besitzt ja eine konstitutive Funktion für ein rassistisches Repräsentationsregime: Letzteres stabilisiert seine eigene Identität, indem es sich von jener der stereotypisierten Anderen abgrenzt. Während der Andere also ausgeschlossen wird, bleibt er zugleich im Inneren der Dominanzkultur als Ausgeschlossener repräsentiert. Dieser Umstand setzt jedes Stereotyp einer grundsätzlichen Ambivalenz aus. Es wird selbst nochmals gespalten in eine negativ und eine scheinbar positiv konnotierte Seite: der »Kannibale« und der »gute Wilde« sind zwei Seiten eines Stereotyps: »Das Problem ist, dass Schwarze in der binären Struktur des Stereotyps gefangen sind, das in zwei extreme Gegenteile aufgespalten ist - und sie gezwungen sind, endlos zwischen ihnen hin und her zu pendeln, während sie manchmal als beides zur gleichen Zeit repräsentiert werden. So sind Schwarze sowohl kindlich als auch ›hypersexuell‹, genau wie schwarze Jugendliche ›einfältige Sambos‹ und/ oder ›verschlagene, gefährliche Wilde‹ sind; und ältere Männer ›Barbaren‹ und/ oder ›edle Wilde‹ - Onkel Toms« (Hall 200 f: 0). Obwohl der »gute Wilde« also eine auf den ersten Blick weniger rassistische Stereotypisierung zu sein scheint, ist sie - etwa in Form von Multikulturalismus- Diskursen (vgl. Hall 200 h) - doch zu einem notwendigen Supplement geworden, auf das sich die aggressiv-rassistische Seite der Stereotypisierung stützt. Dieses Motiv ist bekannt aus rassistischen Alltagsdiskursen: Einerseits habe man ja nichts gegen die XYZ im Allgemeinen, ja »einige meiner besten Freunde« seien XYZ, auch würde man gerne mal XYZ-Restaurants und den städtisch organisierten Karneval der XYZ-Kulturen besuchen, andererseits seien die XYZ aber kriminell, laut, arbeitsscheu, würden mit Drogen handeln, würden Hammel im Hinterhof braten und müssten daher schnellstens ausgewiesen werden. Die scheinbar positive Seite der Zuschreibung fungiert als Alibi, welches erst erlaubt, der negativen Seite ungeniert Auslauf zu gewähren. Philosemitismus, um ein anderes Beispiel zu bringen, schreibt Juden vorgeblich positive Eigenschaften zu, die nicht weniger stereotyp sind als die ihnen vom Antisemitismus zugeschriebenen. Selbst ein und dieselbe zugeschriebene Eigenschaft - etwa das Klischee, Juden könnten gut mit Geld umgehen - kann somit sowohl als positive, philosemitische, wie auch als negative, antisemitische Zuschreibung fungieren. In beiden Fällen resultiert sie aus einer Stereotypisierung, die sich auf antisemitische Diskurse stützt. Aus diesem Grund ist Philosemitismus nur eine besondere Spielart des Antisemitismus, nicht dessen Gegenteil. <?page no="191"?> 192 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 92 der Analyse von Rassismus und der Möglichkeit anti-rassistischer Strategien widmet, hat Paul Gilroy diese Logik der Artikulation und Reartikulation hegemonialer Identitäten an konkreten Fallstudien dargestellt (Gilroy 2002 [ 98 ]; McRobbie 200 ). Der »neue Rassismus«, den Gilroy im Großbritannien der späten 0er und 80er Jahre ausmacht, ist »neu« aufgrund der Artikulation einer Reihe vorher nicht oder nicht in gleichem Maße miteinander artikulierter Ideologeme: Patriotismus, Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit, Britishness, Militarismus und Geschlechtsdifferenz werden zu einem komplexen diskursiven System artikuliert, durch das sich die Bedeutung rassifizierter Identität definieren lässt. Auf der politischen Ebene war es, wie Gilroy nachweist, diese neuartige Äquivalenzkette, die den Diskurs des Konservativismus reartikulierte und es Margaret Thatcher erlaubte, zuerst erfolgreich die Führung der Tories zu beanspruchen und diesen schließlich für viele Jahre ihre Popularität und letztlich die Hegemonie zu sichern. Rassistische Stereotypisierungen spielten eine wichtige Rolle in diesem konservativ-nationalistischen Diskurs und begannen sich immer stärker in der öffentlichen Debatte wie auch im britischen Alltagsverstand festzusetzen. Denn wäre diese »Metaphysik der Britishness« - die Artikulation von »Patriotismus, Xenophobie, Militarismus und Nationalismus zu einer Reihe von Aussagen über ›Rasse‹« ( ) - auf das politische System beschränkt geblieben, wäre sie wohl nicht von dauerhafter Wirksamkeit gewesen. So fand und findet sich die Gegenüberstellung und Differenzierung von Bevölkerungsteilen entlang der kombinierten Achsen rassifizierter Identität, Ethnizität und nationaler Zugehörigkeit nicht allein im politischen Diskurs im engeren Sinn, sondern reicht tief hinein in die Medienberichterstattung über scheinbar Unpolitisches wie Sportereignisse oder die Kabale der königlichen Familie (69). Bestimmte Definitionen von Identität mögen hegemonial werden, wie es beim Diskurs des Thatcherismus der Fall war, das bedeutet jedoch nicht, dass sie unumkämpft sind. So untersucht Gilroy anti-rassistische Gegenartikulationen: einerseits die institutionellen anti-rassistischen Maßnahmen, die von der Londoner Stadtverwaltung getroffen wurden, nachdem es 98 zu Unruwww.Claudia-Wild.de: <?page no="192"?> Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 9 193 hen gekommen war, andererseits die anti-rassistischen bzw. antifaschistischen Bewegungen »Rock Against Racism« und »Anti Nazi League«, die eine Reihe linksradikaler Gruppen umschlossen. Obwohl Gilroy solchen Mobilisierungen nicht ohne Sympathie gegenübersteht, verweist er darauf, dass diese Reaktionen auf einen erstarkten Rassismus ihrerseits nicht dem paternalistischen Irrtum unterliegen dürften, sie hätten den Antirassismus erfunden. Denn, so Gilroy, »Schwarze haben sich aktiv in Verteidigung ihres Lebens und ihrer Gemeinschaften organisiert, seit sie ihren Fuß auf britischen Boden gesetzt haben« ( ). Besonders interessiert Gilroy die »expressive Kultur« dieser Gemeinschaften, die er als »Stimme« einer sozialen Bewegung bezeichnet: Funk, Raggae und die Rastafari-Kultur der afro-karibischen Community Großbritanniens. Die soziale oder politische Artikulation dieser Communities gehe aus den unterschiedlichsten Manifestationen Schwarzer britischer Kultur hervor. Explizit politische Statements würden dabei nicht allein in Songtexten manifest, sondern genauso in der symbolischen Praxis der Erzeugung alternativer Öffentlichkeiten in Form etwa von Clubs und Parties. Alternative Öffentlichkeiten entstehen, wo vormals private und passive Erfahrungen durch kulturelle Praxis vergemeinschaftbar werden (2 f.). Wenn Stuart Halls ( 98 : 2 9) Interesse an Popularkultur also seiner Einschätzung entsprang, Popularkultur könne einer der Orte sein, »wo Sozialismus sich konstituieren könnte«, so verdankt sich Gilroys Interesse an Popularkultur der Annahme, hier würden Ressourcen für anti-rassistische Kämpfe bereitstehen. Es ist daher kennzeichnend für die Perspektive der Cultural Studies, dass in der temporären Fixierung jeder Identität das Resultat sozialer Kämpfe gesehen wird. Das Primat des Politischen in Bezug auf »Kultur«, auf das wir im Schlusskapitel zurückkommen werden, zeigt sich gerade dort am deutlichsten, wo die Kämpfe um die Artikulation von Identität als Kämpfe um Selbst- und Fremdbezeichnungen ausgetragen werden: »Schwarz« wird aus dieser Perspektive von einem biologisch-rassistischen Begriff (der auf Hautfarbe rekurriert) bzw. von einem kulturell-rassistischen Begriff (der mit Ethnizität und vorgeblichen kulturellen <?page no="193"?> 194 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 9 Eigenarten argumentiert) zu einem politischen Signifikanten, der sich auf keinerlei Substanz (sei sie biologischer oder »kultureller« Natur) bezieht, sondern seine Bedeutung ausschließlich aufgrund politisch artikulierter Relationen (z. B. Allianzen) erhält. Darauf spielt der ebenfalls in der Birmingham-Tradition arbeitende Schwarze Theoretiker Kobena Mercer an, wenn er die Konsequenzen dieser u. a. von Hall, Gilroy und Laclau und Mouffe geprägten konflikttheoretischen Sicht von Identitätskonstruktion illustriert: Wenn verschiedene Gruppen - asiatischer, afrikanischer oder karibischer Herkunft - sich selbst und gegenseitig als / schwarz/ anrufen, evozieren sie eine kollektive Identität, die auf politischen und nicht auf biologischen Ähnlichkeiten basiert. Mit anderen Worten, es werden die naturalisierten Konnotationen des Begriffs / schwarz/ aus den dominanten Kodes rassistischen Diskurses heraus-artikuliert und als Zeichen der Allianz und Solidarität zwischen verstreuten Gruppen von Leuten artikuliert, die die gemeinsame Erfahrungen des britischen Rassismus teilen. (Mercer 1992: 426f.) Der Cultural Studies-Zugang zu Rassismus und rassifizierter Identität wurde in mehreren angrenzenden »Disziplinen« mit Interesse rezipiert. Besonders Paul Gilroys und Stuart Halls Arbeit konnte den Postcolonial Studies Anregungen geben. Halls Aufsatztitel The West and the Rest (dt. 99 g) wurde zu einem geflügelten Wort, mit dem die gegenüber dem nordatlantischen Westen untergeordnete Stellung der ehemaligen Kolonialländer bündig erfasst ist. Umgekehrt wäre Rassismus und die diskursive Konstruktion »des Anderen« ohne Berücksichtigung des historischen Hintergrunds des Kolonialismus nur unzureichend erklärbar. Es ist im öffentlichen Bewusstsein kaum verankert, dass selbst eine so vergleichsweise wenig bedeutende Kolonialmacht wie Deutschland eine blutige, genozidale koloniale Vergangenheit an der Ost- und Westküste Afrikas besitzt. Eine ausführliche Diskussion der Postcolonial Studies wie auch der aus der indischen So hat sich im anti-rassistischen Diskurs die Großschreibung des Adjektivs »Schwarz« durchgesetzt, um auf die politische Konstruiertheit dieser sozialen Position hinzuweisen. <?page no="194"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 9 19 radikalen Geschichtswissenschaft hervorgehenden, von Gramsci beeinflussten Subaltern Studies würde die Dimension unserer Darstellung sprengen. Uns bleibt hier nur der Hinweis auf weiterführende Literatur zu den Postcolonial Studies (sh. einführend Moore-Gilbert 99 ; Castro Varela/ Dhawan 200 ) und Subaltern Studies (Chaturvedi 2000). .4. class Im Vergleich zu den beiden anderen Identitätsachsen im Mantra von »race«, class, gender figuriert die Kategorie Klasse in den Cultural Studies heute an wesentlich weniger prominenter Stelle. Die Schwarze Theoretikerin bell hooks (2000: vii) sah sich sogar zur Diagnose veranlasst: »Nowadays it is fashionable to talk about race or gender; the uncool subject is class«. In den Cultural Studies hat diese Schieflage ihre Gründe zum Teil darin, dass man sich in der Birmingham-Phase ja gerade vom monoperspektivischen Blick der Klassenanalyse emanzipieren musste, was zu einer vergleichsweise stärkeren Betonung anderer Identitätsachsen führte. Diese Bewegung vollzogen nicht nur die Cultural Studies, war doch der Perspektivenwechsel angestoßen durch das Auftreten neuer sozialer Antagonismen. Eine Theorie wie der orthodoxe Marxismus, der Klassen ökonomisch über den grundsätzlichen Antagonismus zwischen den Eigentümern an den Produktionsmitteln und den Arbeitern definierte, die nichts anderes zu Markte tragen können als ihre eigene Arbeitskraft, konnte zum Verständnis dieser neu auftretenden Antagonismen wenig beitragen. So kam es dazu, dass Klasse letztlich als die »verlorene Identität« (Medhurst 2000: 29) im Zeitalter verallgemeinerter Identitätspolitik bezeichnet werden konnte. Zu diesem Verlust habe, so manch Kritiker der Cultural Studies (Garnham 99 ), die Abkehr von Analysen des Ökonomischen beigetragen. Sie seien, so der Vorwurf, von »bloßer« Kulturanalyse abgelöst worden. Das tendenzielle Verschwinden der Identitätsachse »Klasse« aus dem Portfolio von Cultural Studies-Analysen erscheint dann als Folgeprodukt dieses Defizits der Cultural Studies, also ihrer <?page no="195"?> 196 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 96 vorgeblichen Ignoranz gegenüber ökonomischen Verhältnissen und Veränderungen zu sein. Diese Kritik, manchmal auch als Selbstkritik formuliert (Grossberg 2000), hat eine gewisse Tradition, und es ist keineswegs so, dass ihr aus den Reihen der Cultural Studies noch nie argumentativ begegnet worden wäre. Schon mit einem seiner frühen Texte für die Universities & Left Review (›A Sense of Classlessness‹, 9 8) hatte Stuart Hall die so genannte »Classlessness-Kontroverse« innerhalb der ersten Neuen Linken ausgelöst (sh. auch Kenny 99 : ff.). Doch im Unterschied zu der ihm damals skandalhaft unterstellten These, die Gesellschaft sei ins Stadium der Klassenlosigkeit eingetreten, betonte Hall mit seinem Text »die aktive Rolle, die Kultur in der Gesellschaft spielt, vor allem in der ideologischen Konstruktion der neuen Konsumkultur, die Klassengegensätze keineswegs aufhebt (wie es der common sense nahe zu legen scheint), sondern verdeckt, indem sie den Subjekten eine neue Position als ›Konsumenten‹ zuweist« (Reisenleitner 2006: ). Damit wurde bereits in der explorativen Phase der Cultural Studies die untrennbare Verschränkung von ökonomischen und kulturellen Verhältnissen postuliert. Es wird also in keiner Weise behauptet, die Ökonomie sei von der Kultur abgelöst worden, vielmehr wird die notwendige Überformung Ersterer durch Letztere postuliert (du Gay 99 ). An der Wende zu den 90er Jahren fand die Classlessness- Kontroverse ihre Fortsetzung anlässlich Stuart Halls Analyse der »Neuen Zeiten« (New Times), in der Hall die Unterscheidung zwischen ökonomischen und kulturellen Veränderungen als »ziemlich nutzlos« bezeichnete: Die Kultur ist nicht mehr (falls sie es jemals war, was ich bezweifle) eine dekorative Zugabe zur »harten Welt« der Sachen und der Produktion, die Sahnehaube auf der materiellen Welt. Das Wort ist heute so materiell wie die Welt. Mittels des Design, der Technologie und der Produktion von Stil hat die »Ästhetik« bereits die Welt der modernen Produktion durchdrungen. Durch Marketing, Layout und Stil stellt das »Bild« den Modus der Repräsentation des Körpers und seine fiktionale Verwandlung in eine Erzählung her, von denen ein großer Teil der modernen <?page no="196"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 9 19 Konsumtion abhängt. Die moderne Kultur ist in ihren Praktiken und Produktionsmodi durch und durch materiell. Und die materielle Welt der Waren und Technologien ist zutiefst kulturell. (Hall 2000e: 90f) Diese unaufhebbare Verschränkung zwischen Kultur und Ökonomie führt Hall auf eine Reihe von Veränderungen zurück, die gemeinsam den Epochenwechsel vom Fordismus zum Postfordismus charakterisieren. Der Fordismus, dessen Analyse ursprünglich auf Gramsci zurückgeht, war u. a. durch Massenproduktion, Standardisierung der Produkte und tayloristische Arbeitsorganisation am Fließband gekennzeichnet, wie sie in der frühen Automobilproduktion der Ford-Werke erprobt wurde. Im Postfordismus unterliegt dieses Modell einer Reihe signifikanter Modifizierungen, von denen Hall (2000e: 80, sh. auch Musner 200 ) fünf erwähnt: Erstens werden alte Leitindustrien wie die Schwerindustrie aufgrund des Siegeszugs der Informationstechnologien in ihrer Bedeutung relativiert; zweitens wird der Arbeitsprozess zunehmend flexibilisiert und geografisch dezentriert, was ehemals regional verwurzelte Arbeiterkulturen disloziert; drittens werden immer weitere Funktionen, die vormals im eigenen Unternehmen erfüllt wurden, ausgelagert (outsourcing) und in Form von Dienstleistungen anderen Unternehmen überantwortet; viertens werden Konsumpraxen, wie Hall bereits in seinem frühen Artikel festgestellt hatte, immer bedeutsamer, was zu größerer Produktdiversifizierung und größeren Marketinganstrengungen führt; und fünftens führt die Flexibilisierung der Arbeit und die damit einhergehende zunehmende Prekarisierung von Arbeits- und Lebensverhältnissen zu neuen Formen sozialer Ungleichheit. Diese Entwicklungen dürfen nicht als rein ökonomische Entwicklungen verstanden werden, sind sie doch keineswegs ohne soziale und kulturelle Bedeutung. Diese beinhalte, so Hall (80f.) »eine stärkere soziale Fragmentierung und einen größeren Pluralismus, die Schwächung alter kollektiver Solidaritäten und Blockidentitäten und das Aufkommen neuer Identitäten, sowie die Maximierung individueller Wahlmöglichkeiten in der persönlichen Konsumtion.« Postfordismus ist also kein rein ökonomischer Begriff und stellt schon gar nicht eine <?page no="197"?> 19 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 98 Art Rückkehr des Basis-Überbau-Modells dar, könnte er doch »genauso gut umgekehrt verstanden werden - als Bezeichnung der konstitutiven Rolle, die soziale und kulturelle Beziehungen in jedem ökonomischen System spielen« (8 ). Wenn also Kultur und Ökonomie untrennbar zusammenhängen, dann stellt sich die Frage, wie kulturell-ökonomische Praktiken konkret analysiert werden können. Als wichtiger Impulsgeber erwies sich für die Cultural Studies das Gesellschaftsmodell des französischen Soziologen Pierre Bourdieu, dessen Analysen in vielerlei Hinsicht mit den am CCCS entwickelten Ansätzen kompatibel sind (McRobbie 200 : 2 , zur Rezeption Bourdieus durch die Cultural Studies vgl. die Sondernummer der Zeitschrift Cultural Studies ( / ), 200 , sowie dort Pileggi und Patton 200 ). Für die Cultural Studies wurde Bourdieu vor allem wichtig aufgrund seiner Konzepte des kulturellen Kapitals, des Habitus und der sozialen Distinktion. Im Anschluss an den Strukturalismus geht Bourdieu ( 99 ) davon aus, dass Klassen im sozialen Raum aufgrund ihrer Relation zueinander strukturiert sind. Der soziale Raum wirkt Bourdieu zufolge als ein Kräftefeld, wobei dem Handlungsspielraum der in den Raum Eintretenden durch dessen Kräfteverhältnisse Grenzen gesetzt sind (sh. Bourdieu 98 ; 99 ). Hauptsächliches Machtmittel in diesem Kräftespiel sind verschiedene Kapitalsorten, die von Akteuren strategisch wie Trümpfe beim Kartenspielen eingesetzt werden und damit die Gewinnchancen, d. h. die eigene relationale Positionierung im Raum beeinflussen. Diese Kapitalsorten sind jeweils spezifisch für soziale Felder (das ökonomische Feld, das kulturelle Feld, etc.), die wiederum ihrerseits den mehrdimensionalen Raum ausmachen. Bourdieu unterscheidet im Wesentlichen vier Kapitalsorten, obwohl nach Maßgabe seines jeweiligen Untersuchungsgegenstandes und in definitorisch loser Weise neue hinzugefügt wurden (in Kapitel . . . hatten wir bereits Sarah Thorntons Begriff des »subkulturellen Kapitals« kennen gelernt): ( ) Das ökonomische Kapital umfasst den gesamten in Geldwert angebbaren ererbten Reichtum bzw. das individuelle Einkommen; (2) kulturelles Kapital kann in drei Formen existieren: in objektivierter Form, d. h. in Form kultureller Güter (wie z. B. Kunstwerken), die sich im <?page no="198"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 99 199 eigenen Besitz befinden; in inkorporierter Form, d. h. in Form von durch Bildung im weitesten Sinn verinnerlichten körperlich-geistigen Fähigkeiten; und in institutionalisierter Form, etwa in von Bildungsinstitutionen vergebenen Qualifikationen oder akademischen Titeln; ( ) soziales Kapital wird generiert durch »networking«, also die dauerhafte Arbeit an persönlicher Netzwerkbildung und Gruppenmitgliedschaft; ( ) symbolisches Kapital schließlich beschreibt den Zustand jeder anderen Kapitalsorte, sobald sie als legitim anerkannt wird. Damit eine Kapitalsorte als Machtressource fungieren kann, ist ihre Legitimierung notwendig; soziale Kämpfe drehen sich also besonders um die Legitimierung von Kapitalien, die man bereits im eigenen Besitz wähnt, also um deren Konvertierung in symbolisches Kapital. Das gibt Bourdieus Theorie eine stark konflikttheoretische Note und erinnert - was den Kampf um Legitimität betrifft - an Gramscis Hegemoniebegriff. Klassen können in diesem Modell schließlich je nach ihrem Kapitalvolumen (der Gesamtheit an Kapitalbesitz), der Kapitalzusammensetzung (dem Verhältnis der Kapitalsorten) sowie der sozialen Laufbahn (dem Auf- oder Abstieg einer Klasse) definiert werden. Bourdieu fasst nun die nach diesen Kriterien bestimmten sozialen Positionen zu drei Hauptklassen zusammen: die herrschende Klasse, die sich, je nach Kapitalzusammensetzung, aus den »herrschenden Herrschenden« (die, wie Industrielle oder Unternehmer, über ausreichend ökonomisches Kapital verfügen) und den »beherrschten Herrschenden« (die Intellektuellen, die über ausreichend kulturelles Kapital verfügen) zusammensetzt; das Kleinbürgertum (seinerseits differenziert in ein absteigendes, ein exekutives und ein neues Kleinbürgertum); sowie die (»Volks-«)Klasse der Beherrschten. Fragen der Kultur, des Geschmacks und des Lebensstils kommt in den Auseinandersetzungen zwischen diesen Klassen wie auch innerhalb einzelner Klassen enorme Bedeutung zu. So strebt beispielsweise das Kleinbürgertum danach, den legitimen kulturellen Geschmack der oberen Klassen selbst zu emulieren. Was das Kleinbürgertum aber daran hindert, die im Geschmack symbolisch markierten Klassengrenzen zu überschreiten, das <?page no="199"?> 200 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 200 sind einerseits die Praxen der Distinktion, d. h. der abgrenzenden Bezugnahme auf andere Klassen im Medium des Geschmacks und des Lebensstils, und andererseits das, was Bourdieu ( 996) Habitus nennt und sich in der Art zu sprechen, in der körperlichen Hexis (in Haltung und Gestik) und in all jenen kleinen Details des Verhaltens niederschlägt, die es uns ermöglichen, im direkten Umgang mit anderen deren ungefähre Klassenposition zu erahnen. In Geschmack und Habitus, in dem sich Klassengrenzen permanent symbolisch markieren und wiedermarkieren, schlägt sich die eigene Position im sozialen Raum nieder. Wollte man, um ein Beispiel zu nennen, auf die Frühzeit der Cultural Studies zurückreifen, so könnte man sagen, dass die scholarshipboys Williams und Hoggart an den britischen Eliteuniversitäten mit einem Klassenhabitus und Distinktionspraktiken der Upperclass konfrontiert gewesen sein müssen, die ihnen wohl ständig zu verstehen gaben, dass sie nicht dazugehörten und, so sehr sie sich auch bemühten, nie dazugehören würden, da das kulturelle Kapital der Arbeiterklasse, das sie mitbrachten, im akademischen Feld nicht als symbolisch legitim anerkannt wurde. In gewisser Weise können die Cultural Studies in ihrem Gründungsimpetus geradezu als Versuch der Konvertierung kulturellen Kapitals (der Arbeiterkultur) in symbolisch legitimes (akademisches) Kapital verstanden werden. In die Cultural Studies wurde der Bourdieu ’ sche Ansatz besonders von John Frow ( 99 ) überführt. Frow gesteht durchaus ein, dass die herkömmliche theoretische Klassenanalyse aus guten Gründen in den Cultural Studies außer Mode gekommen sei. Diese Gründe lägen unter anderem in der klassistischen Reduktion politischer und kultureller Kämpfe auf eine einzige Logik der Ökonomie; in der Beschreibung kultureller Gruppen als Subjekte mit angeblich »objektiven« Interessen, die aus ihrer Klassenlage ablesbar seien; sowie in der Unfähigkeit, andere Identitäten wie gender, Ethnizität, Alter oder Religion anders denn als »supplementäre Determinationen, die in den Master- Kode der Klasse« integriert werden müssten, zu verstehen (9 ). Doch andererseits gehe den Kulturstudien mit der Aufgabe jeder Klassenanalyse ein notwendiges analytisches Instrument verlowww.Claudia-Wild.de: <?page no="200"?> Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 20 201 ren. Die Bourdieu ’ sche Theorie, die die Aufgabe von Kultur in ihrer Distinktionsfunktion und in der Stratifizierung von klassenspezifischen Geschmacks- und Lebensweisen sieht, weist hier einen möglichen Ausweg. Allerdings reklamiert Frow, Bourdieu würde die Ebenen der Hoch- und Popularkultur essenzialisieren, während sich diese Differenz im späten 20. Jahrhundert aufgrund der Entwicklung der Kultur- und Medienindustrie bereits weitgehend aufgelöst habe: »Werke der Hochkultur werden heute in exakt den gleichen seriellen Formen hergestellt wie jene der niederen Kultur: das Taschenbuch, die Platte oder CD, Film, Radio und Fernsehen (wo es nun spezifische Hochkulturkanäle gibt). Innerhalb des Kulturmarkts insgesamt formt Hochkultur eine ›Nische‹ - doch das trifft genauso auf viele, zunehmend ausdifferenzierte Produkte niederer Kultur zu« (2 ). Frow zufolge unterschätzt Bourdieu die Effekte der Massenkultur, besonders der Fernsehkultur, die dazu geführt habe, dass das Prestige der Hochkultur für die Arbeiterklasse weitgehend irrelevant wurde. Frow selbst entwickelt mit Bezug auf Bourdieu sowie auf Althusser ein eigenständiges Klassenkonzept. Klassen werden in diesem Modell nicht mehr gefasst als Produkt struktureller, ökonomischer Bedingungen, sondern Klassenidentität ist der akkumulierte Effekt von Kämpfen auf den drei nicht notwendigerweise kongruierenden Ebenen der Ökonomie, der Politik und der Ideologie. Jede einzelne Ebene ist ein Feld spezifischer Kämpfe, die mit Kämpfen auf anderen Ebenen überlappen können oder auch nicht. Damit hat Frow den Cultural Studies einen klassentheoretischen Ansatz vorgeschlagen, demgemäß Klassenidentität aus sehr viel komplexeren Kämpfen hervorgeht als traditionell angenommen. In jüngster Zeit wurde gerade die Berücksichtigung von Komplexität in der Bestimmung jeglicher Klassenidentität immer stärker eingefordert. Der von Sally Munt (2000) herausgegebene Sammelband Cultural Studies and the Working Class leistete in dieser Hinsicht Pionierarbeit. Nicht nur setzt er, von der Prämisse ausgehend, dass Alltagsleben immer von Klassenverhältnissen durchdrungen ist, die Kategorie der »Klasse« wieder auf die Tagesordnung der Cultural Studies, die Beiträge verwei- <?page no="201"?> 202 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 202 gern zugleich jegliche ökonomistische Essenzialisierung der Kategorie und gehen in ihrer Berücksichtigung anderer Identitätsachsen noch über Frow hinaus. Denn wie Munt (2000: 0) betont, existiert schon lange nicht mehr die Arbeiterklasse, sondern es gibt nur viele Arbeiterklassen, die in ihrer Spezifik zu untersuchen seien. Das impliziert zugleich, dass man nie mit Klassenidentität als einziger identitärer Achse konfrontiert sein wird. Einzelne Studien versuchen daher zu beschreiben, wie Klassenidentität mit Geschlechtsidentität und sexueller Orientierung - z. B. im Freizeitverhalten oder in der Eroberung eigener Öffentlichkeiten (vgl. Skeggs 2000; 99 ) - artikuliert ist. . . gender Die erste Unterbrechung der Arbeit am CCCS war, wir erinnern uns, durch die auftretende feministische Bewegung verursacht und sollte in weiterer Folge die Kategorie der Geschlechtsidentität (gender) im Ansatz der Cultural Studies verankern. Zwar hatte die Leitung des Centre schon vor dieser Unterbrechung versucht, feministische Fragestellungen in die Forschungsansätze des CCCS zu integrieren (»patriarchalisch«, wie Hall (2000b: 28) zugesteht), doch war man eher an Geschlechterfragen in der Popularkultur interessiert als an feministischer Politik. Der Einbruch autonomer feministischer Politik, die sich ins akademische Leben des Centre einschaltete, den Kampf um das Curriculum aufnahm und sich gegen die vorherrschende klassenzentrierte Perspektive wandte, geschah vor diesem Hintergrund überraschend. 9 wurde eine eigene feministische Studiengruppe eingerichtet, die sich zwei Jahre später das Recht erkämpfte, als »women-only«-Gruppe zu tagen (Brunsdon 996: 282f., Women’s Studies Group 9 8). Dabei hatten Cultural Studies und feministische Forschung eine durchaus vergleichbare Stoßrichtung, die sich im politisch engagierten Interesse beider an der Beleuchtung von Formen des Ausschlusses, der Diskriminierung und deren Legitimation innerhalb von Herrschaftsverhältnissen manifestierte (Lutter und Reisenleitner 998: 0f.). Der Einfluss des Feminismus auf - im weiwww.Claudia-Wild.de: <?page no="202"?> Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 20 203 testen Sinne - linke Theoriebildung ist, wie Hall betont, daher enorm: Der Feminismus und die sozialen Bewegungen, die sich auf Fragen einer Politik der Sexualität konzentrieren, haben einen verunsichernden Einfluss auf alles gehabt, was im theoretischen Universum der Linken als gesichert galt. (...) Es geht um die Revolutionierung des Denkens, das aus der Einsicht folgt, dass alle sozialen Praxen und Formen der Unterdrückung - einschließlich der linken Politik - immer eingeschrieben sind und in gewissem Ausmaß abgesichert sind durch sexuelle Identitäten und Positionierungen. Wenn wir uns nicht darum kümmern, wie geschlechtsspezifische Identitäten geformt und transformiert und wie sie politisch eingesetzt werden, dann verfügen wir einfach nicht über eine Sprache, die ausreichend Erklärungskraft hat, um die Institutionalisierung der Macht in unserer Gesellschaft und die versteckten Quellen unseres Widerstandes gegen Veränderungen zu verstehen. (Hall 2000e: 9 ) Dieses Zitat Halls reflektiert bereits die Position der aus dem Feminismus - und zugleich in partieller Abgrenzung zu diesem - entwickelten Gender Studies, die sich selbst wahlweise präsentieren »als wissenschaftliche Fundierung, historische Fortführung oder auch kritische Überwindung von Feminismus beziehungsweise Frauenforschung« (Hark 2006: 26). Im Unterschied zu einer als Frauenforschung verstandenen feministischen Wissenschaft beziehen die Gender Studies die Konstruktionsformen männlicher Geschlechtsidentität in die Untersuchungen mit ein. Der Begriff gender verweist dabei auf das ausschließlich soziale Geschlecht, eben die Geschlechtsidentität, nicht auf das biologische. Ein solch anti-essenzialistischer Zugang zu Identität birgt durchaus Folgen auch für feministische Politik. Weit davon entfernt, ein Problem für die Mobilisierung der feministischen Bewegung darzustellen (wie manchmal von feministischer Seite unterstellt), sei ein anti-essenzialischer Zugang, so Chantal Mouffe ( 999), geradezu Voraussetzung für ein besseres Verständnis der Komplexität feministischer Kämpfe. Nicht die Fixierung an einen vorgeblichen biologischen Referenten, wie ihn objektivistische und naturalistische Spielarten des Feminismus (etwa der motherhood-Feminis- <?page no="203"?> 204 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 20 mus der 0er Jahre) vertraten, sei ermächtigend, sondern erst die Berücksichtigung der Vielfalt jener Unterordnungsverhältnisse, denen ein Individuum eingeschrieben sein kann, erlaube sinnvolle Mobilisierung. Daraus ergeben sich forschungsleitende Fragen, die für die Cultural Studies und die mit ihnen streckenweise verbündeten Gender Studies von zentraler Bedeutung sind: »Die zentralen Fragen lauten nun: Wie wird ›Frau‹ als Kategorie innerhalb differentieller kultureller Diskurse konstruiert? Wie wird sexuelle Differenz zu einem durchgehenden Unterscheidungsmerkmal sozialer Verhältnisse gemacht? Welche hegemonialen Prozesse der Artikulation sind für die Fixierung solcher Unterordnungsverhältnisse zentral? « (Mouffe 999: ) Wo nun von Seiten des Feminismus und der Gender Studies unberücksichtigt bleibt, dass wir es nicht länger, so Mouffe weiter, »mit einer homogenen Entität ›Frau‹, die einer anderen homogenen Entität ›Mann‹ gegenübersteht«, zu tun haben, »sondern mit einer Multiplizität sozialer Verhältnisse, in denen sexuelle Differenz immer in sehr unterschiedlicher Weise konstruiert wird« (ebd.), dort entsteht die Gefahr einer neuerlichen Reifizierung von Geschlechtsidentität, diesmal in Form eines rigiden Binarismus. So weisen seit den 980er Jahren die Queer Studies, die sich selbst jenseits solcher Binarismen verorten , »kritisch-solidarisch« auf blinde Flecken früherer Spielarten des Feminismus und der Gendertheorie hin. Die Queer Studies entwickelten sich aus der Kritik an feministischer Identitätspolitik, deren Widerhall in den Women ’ s Studies (Brown 2006), sowie identitätspolitischen Selbstabschließungstendenzen in der Schwulen- und Lesbenszene bzw. in den Gay and Lesbian Studies. Diese Debatten blieben nicht ohne Auswirkungen auf das Feld der Feminist Cultural Studies im engeren Sinn. Deren womöglich wichtigste Vertreterin in der Birmingham-Tradition, Angela McRobbie, hat darauf hingewiesen, dass der Feminismus, um repräsentativ für »alle Frauen« sprechen zu können, die Kategorie der Frau vereinheitlichen musste. Man- Die Selbstbezeichnung »queer«, nicht zuletzt hervorgegangen aus sozialen Bewegungen (Hieber/ Villa 200 ), ergibt sich aus der positiv rekodierenden Übernahme dieses ursprünglich pejorativ konnotierten englischen Adjektivs (im ursprünglichen Wortsinn etwa »seltsam«, »verrückt«, »verdächtig«). <?page no="204"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 20 20 che Feministinnen arbeiteten somit auf Basis der Unterstellung »einer stabilen Kategorie von Frauen, deren untergeordnete Stellung innerhalb des Patriarchats sich der Feminismus zu widmen habe« (McRobbie 200 : 2). Die auf dieser Basis erstellten Forderungskataloge brachten allerdings neue Ausschlüsse hervor. So wurde oft stillschweigend davon ausgegangen, die Kategorie Frau würde vor allem das heterosexuelle Subjekt umfassen. Selbst in durchaus progressiven Forderungen nach geeigneten Mitteln zur Schwangerschaftsverhütung oder der Legalisierung von Abtreibung könnten sich, so McRobbie, Frauen nicht ganz repräsentiert finden, die aufgrund ihres lesbischen Begehrens dafür keinen Bedarf haben. Und auch eine so scheinbar selbstverständliche Forderung nach einer ausreichenden Anzahl von Kinderbetreuungsplätzen kann stillschweigend ein ganzes Set an heteronormativen Annahmen mittransportieren: So bestehe die Gefahr, dass »Frau« vornehmlich als Mutter und die heterosexuelle Kleinfamilie als beschützenswerte Keimzelle der Gesellschaft dargestellt werde. In solchen Fällen würden die Forderungen die implizite Hierarchie mit transportieren, in der manche im Namen aller Frauen oder sogar im Namen universeller Weiblichkeit sprechen (ebd., 6). 6 Die Queer Studies begegnen der Gefahr solcher Ausblendungen durch eine zumindest dreifache Verschiebung der Debatte: Zum Ersten sei die disziplinäre Trennung zwischen Fragen der Geschlechtsidentität (männlich/ weiblich) und Sexualität (hetero- / homosexuell) problematisch. Bedacht werden müsse auch der Zusammenhang zwischen der permanent gesellschaftlich reproduzierten Ordnung der Zweigeschlechtlichkeit einerseits und der so genannten Zwangsheterosexualität, d. h. der Dominanz staatlich, juristisch und kulturell normativ abgesicherter und streckenweise erzwungener Heterosexualität, andererseits. Ja der Geschlechterbinarismus impliziere sogar Heteronormativität. Denn innerhalb dieser »kulturellen Matrix« (Butler 99 : 8) hafte heterosexuelles Begehren an den beiden Geschlechtern 6 Diese Kritik an heteronormativen Spielarten des Feminismus argumentiert analog zur weiter unten erwähnten Kritik des Schwarzen Feminismus an westlichen Feministinnen. <?page no="205"?> 206 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 206 »männlich« und »weiblich« und garantiere deren wechselseitigen, wenn auch asymmetrischen Gegensatz: »Die Instituierung einer naturalisierten Zwangsheterosexualität erfordert und reguliert die Geschlechtsidentität als binäre Beziehung, in der sich der männliche Term vom weiblichen unterscheidet. Diese Differenzierung vollendet sich durch die Praktiken des heterosexuellen Begehrens« ( 6). Auf diese Weise verschieben die Queer Studies das Terrain, indem sie Sexualität und sexuelles Begehren als wesentlichen Aspekt der hegemonialen Geschlechterkonstruktion ausmachen (wie auch umgekehrt den Geschlechterbinarismus als wesentlichen Aspekt der Heteronormativität). Das impliziert neben der Abkehr von jedem Geschlechteressenzialismus die Abkehr von jeglichem »sexuellen Essentialismus«, den Gayle Rubin (200 : ) definiert als die Vorstellung, »daß Sex als natürliche Triebkraft jeder sozialen Existenz vorausgeht und eine eigene Ordnung formt.« (Hetero-)Sexualität sei uns nicht als biologisches Attribut mit in die Wiege gelegt worden, sei nicht überhistorisch und unveränderbar, sondern werde permanent sozial produziert. Sie sei ein menschliches Produkt »gerade so wie Ernährungsvorschriften, Transportmittel, Anstandsregeln, Formen von Arbeit und Unterhaltung, Produktionsprozesse und Modalitäten der Unterdrückung« ( 6). Doch sind ihre Geltung sowie »Definitionen, Bewertungen, Arrangements, Privilegien und der Preis sexuellen Verhaltens« unablässig umkämpft, und zwar zwischen den Hauptagenturen der sexuellen Ideologie (darunter Kirchen, Familie und Medien) und den Gruppen, deren sexuelles Verhalten reguliert werden soll. So kommt Rubin zu dem entscheidenden Schluss: »Wie Geschlecht ist Sexualität eine politische Kategorie. Sie ist in Machtsysteme integriert, die manche Individuen und Aktivitäten ermutigen und belohnen, während sie andere unterdrücken und bestrafen« ( f.). Folglich darf man sich aus Perspektive der Queer Studies unter der »kulturellen Matrix« heteronormativer Macht- und Unterordnungsverhältnisse keinen homogenen ideologischen Block wie etwa »das Patriarchat« vorstellen - eher gleicht sie einer Konsens, Zustimmung und Legitimität regulierenden hegemonialen Formation im Sinne der diskursanalytischen Hegemonietheorie (zur Verbindung von <?page no="206"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 20 20 Butler und der Hegemonietheorie Laclaus und Mouffes vgl. Butler et al. 2000; Smith 998; Engel 2002, sowie den Austausch zwischen Butler und Laclau in Marchart 998). Zum Zweiten wirkt der radikal-konstruktivistische und antiessenzialistische Zugang zu Geschlechtsidentität und Sexualität notwendigerweise zurück auf unsere Vorstellung vom anatomischen Geschlecht. Gemäß der landläufigen Auffassung wird uns unsere soziale bzw. kulturelle Geschlechtsidentität ja zusammen mit den anatomischen Geschlechtsmerkmalen mitgegeben. Dieses deterministische Verhältnis zwischen Anatomie (den Chromosomen) einerseits und sozialem Geschlecht andererseits wurde bereits vom Feminismus dekonstruiert. Zugleich wurde aber die Vorstellung eines der sozialen Geschlechtsidentität vorgelagerten anatomischen Geschlechts beibehalten - nur die deterministische Natur der Verbindung wurde bestritten. Doch spätestens mit Judith Butlers maßgeblichem Buch Gender Trouble wurde nun auch jener Naturalismus kritisiert, der immer noch eine biologisch vorgängige Substanz anatomischer Geschlechtsidentität behauptete. Diese sei der sozialen Identität nicht vorgängig, sondern würde selbst durch den kulturellen Produktions- und Regulationsapparat gestiftet, der auch die gender- Identität konstruiert. Letztere würde Ersterer nicht einfach kulturell zugeschrieben, sondern die naturalistische Vorstellung eines biologischen Geschlechts werde durch diesen Apparat zuallererst konstruiert: »Demnach gehört die Geschlechtsidentität (gender) nicht zur Kultur wie das Geschlecht (sex) zur Natur. Die Geschlechtsidentität umfasst auch jene diskursiven/ kulturellen Mittel, durch die eine ›geschichtliche Natur‹ oder ein ›natürliches Geschlecht‹ als ›vordiskursiv‹, d. h. als der Kultur vorgelagert Zwar wurde die Selbstevidenz der Genderkategorie »Frau« schon vor Butler in Frage gestellt, doch das Erscheinen von Butlers Gender Trouble hatte, wie McRobbie (200 : 68) unterstreicht, einen über die bloße theoretische Kritik hinausgehenden performativen politischen Effekt, was seinen großen Einfluss zumindest teilweise erklärt. Das Buch wurde nicht zuletzt deshalb in aktivistischen Kreisen stark rezipiert, weil es politischer Handlungsfähigkeit neue Spielräume zu eröffnen schien. Zur Rezeption Butlers in den Cultural Studies sh. u. a. Hall (200 h); zu Butlers Verhältnis zu den Cultural Studies und zu Hall sh. Butler ( 998; 2000). <?page no="207"?> 20 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 208 oder als politisch neutrale Oberfläche, auf der sich die Kultur einschreibt, hergestellt und etabliert wird« (2 ). So kann Butler zu jener Schlussfolgerung kommen, die den biologischen Essenzialismus endgültig zu den Akten legt: »Tatsächlich wird sich zeigen, daß das Geschlecht (sex) definitionsgemäß immer schon Geschlechtsidentität (gender) gewesen ist« (26). Selbst der ärztliche Ausruf »Es ist ein Junge! « ist kein Statement zur Anatomie, sondern ein performativer Akt, der das Neugeborene zwangsweise einem binären kulturellen Geschlechtersystem einschreibt und als »Junge« überhaupt erst erzeugt. Die zweite Verschiebung, die die Queer Studies in die Debatte einführen, kann also so verstanden werden, dass sie nicht nur die Gleichung »soziales Geschlecht« = »(hetero-)sexuelles Begehren« angreifen, sondern auch die dreifache Gleichsetzung »anatomisches Geschlecht« = »soziales Geschlecht« = »Sexualität« dekonstruieren. Die Queer Studies setzten an den Scharnieren dieser Äquivalenzkette an und zeigen die kontingente und zugleich machtbasierte Natur der Verknüpfung auf, was manchmal auch als »Praxis des Verqueerens« bezeichnet wird. Zum Dritten verschiebt sich die Debatte, da aufgrund der gerade erwähnten Verschiebungen sowohl die Vorstellung von Zweigeschlechtlichkeit als auch die Vorstellung von ausschließlich zwei Ausrichtungen sexuellen Begehrens (entweder hetero- oder homosexuell) von Grund auf ins Wanken gerät. Kulturelle Identität wird durch Markierungen wie anatomisches Geschlecht, Geschlechtsidentität und Sexualität sowie deren Kohärenzverhältnis stabilisiert und in gewissem Ausmaß abgesichert. Zerschlägt man diese Äquivalenzkette und darüber hinaus deren einzelne Glieder, dann steht, worauf Butler ( 99 : 8) hinweist, der Begriff der »Person«, d. h. individuelle Identität, selbst in Frage. Persönliche Identität wäre dann nicht mehr unmittelbar intelligibel, da sie nicht mehr im heteronormativen und geschlechternormativen Raster eingeordnet werden kann. Weit davon entfernt, diesen Umstand zu bedauern, arbeiten die Queer Studies daran, ihn herzustellen. Die Idee einer einzigen und einheitlichen Identität wird zurückgewiesen, die konstitutive Instabilität und der fließende Charakter aller Identitäten wird betont. So fordert <?page no="208"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 209 209 Butler eine neue Form feministischer Politik, »die den Verdinglichungen von Geschlechtsidentität und Identität entgegentritt: eine Politik, die die veränderlichen Konstruktionen von Identität als methodische und normative Voraussetzung begreift, wenn nicht gar als politisches Ziel anstrebt« (2 ). Queere Theorie und Politik versucht mit ihrer Betonung des fließenden Charakters von Identität, der Gefahr identitätspolitischer Festsetzungen oder Selbst-Ghettoisierungen einzelner Gruppen zu begegnen. Denn »weil die Geschlechtsidentität in den verschiedenen geschichtlichen Kontexten nicht immer übereinstimmend und einheitlich gebildet worden ist und sich mit den rassischen, ethnischen, sexuellen, regionalen und klassenspezifischen Modalitäten diskursiv konstruierter Identitäten überschneidet« (Butler 99 : 8), ist die Idee einer ausschließlich auf gender- und Begehrensfragen reduzierbaren queeren Politik genauso wenig einleuchtend wie das Konzept von Queer Studies als einer ausschließlich mit diesen Fragen beschäftigten akademischen Unternehmung. .6. etcetera Spätestens das Erscheinen der Queer Studies markiert den Punkt, an dem nicht nur das Mantra aus »race«, class und gender zusammenbricht, dessen einzelne Komponenten vorher als getrennt stehende Monolithen betrachtet wurden, sondern an dem auch noch die einzelnen Monolithen in sich zerbröckeln: »Weil die Subjektkonstruktion nicht entlang separater Linien von Nationalität, Race, Sexualität, Gender, Kaste, Klasse etc. stattfindet, sind die Machtverhältnisse innerhalb des Subjekts selbst nicht zu trennen« (Brown 2006: 2). Daraus folgt, dass die Trennung der im Mantra von »race«/ class/ gender versammelten identitären Achsen sich als ausgesprochen schwierig, wenn nicht als unmöglich erweist. Die wechselseitige Artikulation solcher Identitätsachsen, die zugleich als Achsen der Unterdrückung und Unterordnung wirken, darf nicht einfach ignoriert werden. So haben Schwarze Feministinnen (Hill-Collins 990) aufgezeigt, wie der westliche Mittelklassefeminismus nicht nur die von Rassismus betroffene <?page no="209"?> 210 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 2 0 Lage Schwarzer Frauen, sondern auch die spezifisch rassifizierte Klassenlage Schwarzer Frauen der Arbeiterklasse ausblendet oder gar zu einer Art »Nebenwiderspruch« im Patriarchat erklärt. Wie Patricia Hill-Collins ( 996: 86) konstatiert: »bürgerliche Weiße Frauen und afrikanisch-amerikanische Frauen nehmen in den Systemen von ›Rasse‹ und ›Klasse‹ unterschiedliche Positionen ein.« Die zwischen verschiedenen Gruppen von Frauen durchaus bestehenden Dominanz- und Ausschlussverhältnisse können nicht untersucht werden, so lange ihre unterschiedliche soziale Positionierung nicht in Rechnung gestellt wird. So notwendig die Kritik an Ausblendungen dieser Art ist, umgekehrt wäre auch durch eine exzessive Spezifizierung von Identitäten - etwa »durch ein präzises Mapping der gegenwärtigen Formierung einer texanisch-mexikanischen Lesbe, einer Tejana-Lesbe, aus der Mittelklasse« (Brown 2006: 2) - nicht viel gewonnen, denn auch dieses Subjekt wird sich immer dem Phantasma der vollständigen Abbildbarkeit identitärer Artikulationen durch eine listenartige Bestandsaufnahme entziehen. Darüber hinaus werden Machtformen »so als analytische Kategorien still gestellt, zu Adjektiven und Substantiven gemacht, anstatt sie zu historisieren und zu theoretisieren« (ebd.). Wie ließe sich die Unabschließbarkeit identitärer Konstruktionen dann aber im Bewusstsein halten? Hier erweist sich die Verlegenheitsformel des etcetera am Ende nahezu jedes listenartigen Aufzählungsversuchs identitärer Kategorien als auf überraschende Weise hilfreich. Denn was das verlegene etcetra oder usw. immer mitsignalisiert, bzw. signalisieren sollte, ist die konstitutive Offenheit der Reihe. Judith Butler hat in der Formel einen positiven politischen Impuls ausgemacht: »Tatsächlich ist es ebenso ein Zeichen der Erschöpfung wie ein Zeichen für den unbegrenzbaren Bezeichnungsprozeß selbst. Dieses ›usw.‹ ist das supplément, der Überschuß, der zwangsläufig jeden Versuch, die Identität ein für allemal zu setzen, begleitet« ( 99 : 2 0). Was das etcetera also im positiven Sinne signalisieren könnte, wäre ein strukturelles Merkmal von Signifikation und Identitätsbildung schlechthin, die Tatsache nämlich, dass Bedeutung prinzipiell immer veränderbar und nie endgültig fixierbar ist. <?page no="210"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 2 211 Judith Butler leitet diese prinzipielle Offenheit von Identitätsbildungsprozessen aus der Sprachtheorie Jacques Derridas ab. Mit seinem Begriff der Iterabilität postuliert Derrida (200 ), dass ein diskursives Ereignis (z. B. eine Äußerung), damit es überhaupt Bedeutung erlangt, wiederholbar sein muss, eine völlig identische Wiederholung innerhalb eines identischen Kontexts zugleich aber unmöglich ist. Denn dazu müsste, vereinfacht gesagt, die Welt und also der Sinn in ewiger Präsenz stillstehen. Tatsächlich aber ist uns Sinn nie in seiner vollen Präsenz zugänglich, sondern immer nur aufgeschoben/ verschoben, was Derrida mit dem Quasi-Begriff der différance bezeichnet. Wenn die Welt also nicht stillsteht und zur Reproduktion sozialer Identität deren performative Wiederholung erforderlich ist, die dennoch nie zu einer Art Sich-selbst-Gleichheit von Identität führen wird, dann bleibt aufgrund dieser notwendigen Bedingung der Iterabilität Raum für Abweichungen im Wiederholen. Aus Sicht der Hegemonietheorie ist die Nicht-Stillstellbarkeit des Signifikationsprozesses ebenfalls erklärlich: Jede noch so scheinbar naturalisierte Identität ist dem ständigen Ansturm von Reartikulationsversuchen sowie der Konkurrenz differierender Identitätsversionen ausgesetzt, muss sich selbst behaupten (sich »wiederholen«), sich entziehen, sich redefinieren oder andere Identitäten disartikulieren. Die konstitutive Nicht-Stillstellbarkeit des Bezeichnungsprozesses ist zugleich der Grund, weshalb, in Stuart Halls Worten, der »symbolischen Gefangenschaft« im Stereotyp in der Regel niemand völlig hilflos ausgeliefert ist. Widerstand ist nicht zwecklos. Ein dominantes Repräsentationsregime kann etwa durch die strategische Umkodierung negativer Stereotypisierung in positive (»Black is beautiful«) 8 herausgefordert werden, oder es kann subvertiert werden durch parodistische Verschiebungen im Inneren 8 Hall (200 f: 6 ) weist allerdings auf den zugleich problematischen Aspekt dieser Strategie hin: »Das Problem mit der positiv/ negativ-Strategie ist, dass das Hinzufügen positiver Bilder zum weitgehend negativen Repertoire der dominanten Repräsentationsregime zwar die Vielfalt der Art und Weise vergrößert, in der ›Schwarzsein‹ repräsentiert wird, aber das Negative nicht notwendigerweise verdrängt. Da die Gegensätze bestehen bleiben, wird Bedeutung weiterhin von ihnen bestimmt und begrenzt.« <?page no="211"?> 212 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 2 2 des Repräsentationsregimes (z. B. in Form von Drag, wie Judith Butler anregt). Widerstand wird strukturell dadurch ermöglicht, dass jeder Diskurs, der nach Hegemonie strebt, ständig reproduziert werden muss, und dieser Reproduktionsprozess schafft Möglichkeiten für Verschiebung und Reartikulation. Hierin zeigt sich ein weiteres Mal die politisch ermächtigende Dimension eines vom Post-Strukturalismus inspirierten anti-essenzialistischen Ansatzes: Wenn Bedeutung durch Repräsentation endgültig festgelegt werden könnte, gäbe es keinen Wandel - und somit keine Gegenstrategien oder Interventionen. Natürlich vollbringen wir extreme Anstrengungen, um Bedeutung zu fixieren - genau darauf zielen die Strategien des Stereotypisierens, oft für eine bestimmte Zeit mit beträchtlichem Erfolg. Aber letztlich beginnt Bedeutung unweigerlich zu entgleiten; sie beginnt, sich zu verschieben, verdreht oder in neue Richtungen gebogen zu werden. Neue Bedeutungen werden über alte hinüber gestülpt.Wörter und Bilder tragen Konnotationen in sich, die niemand vollständig kontrolliert und diese marginalen oder untergründigen Bedeutungen kommen an die Oberfläche. Sie ermöglichen, dass unterschiedliche Bedeutungen konstruiert, verschiedene Dinge gezeigt und gesagt werden können. (Hall 2004f: 1 ) Mit Butler kann das etcetera somit durchaus legitimerweise als Signifikant der Unabschließbarkeit jeder Signifikation verstanden werden. Allerdings darf darüber nicht vergessen werden, dass das etcetera nach wie vor als Platzhalter nicht nur für eine unabschließbare Reihe möglicher Identitäten fungieren kann, sondern möglicherweise auch als Signifikant, der bestimmte unerwünschte Kategorien verdrängt, indem er sie im Unbenannten lässt. Denn irgendein Ende, das dann vom etcetera markiert wird, muss jede Liste irgendwann finden, und die Frage, wo man die Liste abbrechen lässt, ist keineswegs eine so unschuldige, wie man vielleicht denken mag. So kann es vorkommen, dass man mithilfe des etcetera (in seiner symptomatischen Funktion) eine im gegebenen Diskurs unerwünschte Kategorie ausschließt und gleichsam am hinteren Ende der Liste benennbarer Kategorien unbenannt herausfallen lässt. Das etcetera wäre unter diesen Vorzeichen nicht <?page no="212"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 2 213 der Signifikant der Unabschließbarkeit jeder Identität, sondern das Symptom eines hegemonialen Ausschlusses. Aufgabe der Cultural Studies wäre es, dieses Symptom in den analysierten Diskursen zu entknoten und aufzuschlüsseln. Es ist nun auffällig, um diese Arbeit gleich beim Cultural Studies-Diskurs selbst zu beginnen, dass selbst in der Birmingham-Tradition eine bestimmte Kategorie tatsächlich kaum weitere Erwähnung findet (und spezifischer Analysen für kaum wert befunden wird), da in den meisten Fällen angenommen wird, sie sei bereits in der Kategorie »race« und in rassistischen Artikulationen dieser Identität enthalten. Die Rede ist vom Phänomen des Antisemitismus, in dem zumeist eine bloße Spielart des Rassismus gesehen wurde. Nicht zu Unrecht stellt John Stratton (2000: 6) die Frage: »Warum wurde ›Rasse‹ erst so spät zu einem Thema in der Arbeit des Birmingham Centre, und warum, nachdem es zum Thema geworden war, in Verbindung mit ›Schwarzen‹ und nicht in Verbindung mit Juden? «. Dies sei vor allem verwunderlich, weil Antisemitismus - etwa in der Propaganda der National Front - durchaus öffentlich präsent war: Von den späten 19 0er Jahren an geschah die Entwicklung der Cultural Studies in Großbritannien, geprägt in den 0er Jahren durch des Birmingham Centre, zusammen mit einer Ausarbeitung des allgemeineren westlichen intellektuellen Interesses an race, class und gender, einer Dreiergruppe, die 1994 von Kobena Mercer als »allzu bekanntes ›race-class-gender‹ Mantra« bezeichnet werden konnte. Am Birmingham Centre beinhaltete das eine historische Bewegung, die von class zu gender zu race fortschritt. Bedenkt man die Geschichte der ambivalenten Rassifizierung von Juden im europäischen Denken seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, so hätte man erwarten können, dass sich eine jüdische Stimme in Verbindung mit race erhob. Das war nicht der Fall. (ebd.) Einen Grund für dieses Schweigen vermutet Stratton in dem Umstand, dass am Centre stillschweigend unterstellt wurde, Rassifizierung gehe im Alltag der britischen Gesellschaft hauptsächlich über die Rassifizierung von Hautfarbe vonstatten, womit antisemitische Rassifizierung implizit zu einem weniger typischen Fall von Rassifizierung wurde. Nun ist diese Beobachtung, was <?page no="213"?> 214 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 2 die jüngeren Arbeiten in der Birmingham-Tradition betrifft, nicht ganz zutreffend. Zu den Ausnahmen von der Regel zählt Paul Gilroy, der in Between Camps (2000) den Versuch unternahm, eine Querverbindung zwischen dem Schicksal der Juden Europas und jenem der von Europa Kolonisierten bzw. der afrikanischen Diaspora in Europa herzustellen. Gilroy weist im Anschluss an Hannah Arendt ( 986) und Aimé Césaire ( 968) auf bestimmte Kontinuitäten der Kolonialpolitik in der antisemitischen Politik der Nazis hin. So hatte, um nur ein Beispiel zu nennen, einer der Hauptverantwortlichen der Nazi-Eugenik, der Anthropologe Eugen Fischer, seine »Feldforschungen« 908 in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika betrieben. Die im 8. Jahrhundert einsetzende und im 9. intensiv betriebene Pseudo-Verwissenschaftlichung rassifizierender Diskurse, denen der Geschmack des christlichen Fanatismus genommen und der Anstrich »seriöser« und vorgeblich weltanschaulich-neutraler Wissenschaftlichkeit gegeben wurde, betraf sowohl europäische Juden als auch Kolonisierte. Im prä-genozidalen Terror der Nazis in den 0er Jahren konnten Schwarze Menschen in den USA und in Europa, bzw. in den Kolonien die eigene Unterdrückung wiedererkennen (Gilroy 2000: 8). Gilroy geht es mit seiner Darstellung in keiner Weise darum, Unterdrückungsverhältnisse identitätspolitisch gegeneinander aufzurechnen; vielmehr schlägt er einen strategischen Universalismus und einen radikal nicht-rassifizierten Humanismus vor, der es ermöglichen soll, Solidaritäts- und Allianzverhältnisse zwischen verschiedenen unterdrückten Gruppen herzustellen. Angesichts manch identitätspolitischer Selbsteinschließungen, die Gilroy als »ethnischen Absolutismus« 9 verurteilt, ist dieser Vorschlag durchaus angebracht. Dennoch muss man sich, nachdem Gemeinsamkeiten und Kontinuitäten zugestanden wurden, 9 Die Kritik am »ethnischen Absolutismus« von rechts wie von links (d. h. von rassistischer wie von einer gewissen anti-rassistischen Seite) schließt bei Gilroy die Kritik an Schwarzem Antisemitismus mit ein (Gilroy 2000: 292). Besonders kritisiert Gilroy die ethnischen Separatisten der Nation of Islam, die ein abgeschlossenes Siedlungsgebiet fordern. Sie gingen so weit, »Querfront«-Allianzen, wie man in Deutschland sagen würde, mit Gruppen der »white suprematists«, inklusive des Ku Klux Klan, einzugehen. <?page no="214"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 2 21 fragen, worin denn nun eigentlich die Spezifik des Antisemitismus im Verhältnis zum Rassismus besteht. Diese Frage sollte sich aus historischen Gründen umso dringlicher für die deutsche und österreichische Rezeption bzw. Anwendung der britischen Cultural Studies stellen. Denn in den NS- Nachfolgestaaten verliert ein etcetera als Platzhalter des weitgehend nicht der Analyse, ja nicht einmal der Erwähnung für wert befundenen Antisemitismus seine Unschuld und wird zum Symptom des Verdrängten. Damit soll selbstverständlich nicht gesagt sein, dass in Deutschland keine Beschäftigung mit den kulturellen Aspekten des Nazismus und Antisemitismus stattgefunden hätte. Kulturwissenschaftliche Untersuchungen zum Alltag im Nationalsozialismus gingen beispielsweise vom Ludwig Uhland Institut der Universität Tübingen aus (sh. Kreutzner 989; Hoffmann et al. 2006), und an die Cultural Studies angrenzende Unternehmungen wie etwa der Schwarze Feminismus in Deutschland und die deutschen Queer Studies haben jüngst begonnen, sich dem wechselseitigen Verhältnis von »race«, class, gender, Sexualität und Antisemitismus zuzuwenden (Hügel 999, A.G. Gender-Killer 200 ). Man muss sogar sagen, dass die deutschsprachigen Kulturwissenschaften, die sich nicht zuletzt um das Paradigma des kulturellen Gedächtnisses organisieren, wesentlich mehr zur Diskussion beigetragen haben (Assmann 999, 2006; von Braun et al. 2000; Uhl 200 ; Marchart 200 b). 60 In der Rezeption der britischen 60 Im letzten Jahrzehnt haben sich darüber hinaus im deutschsprachigen Raum unter dem Titel »Jüdische Studien« Lehrgänge, Institute und Zentren etabliert. In welchem Ausmaß diese junge Transdisziplin auch praktisch wie theoretisch politisierende Perspektiven integrieren wird, wie sie etwa für die Birmingham-Tradition der Cultural Studies typisch sind, bleibt abzuwarten. In allgemeiner Hinsicht beschreibt Lutz Musner (200 : f ) die unterschiedlichen Perspektiven der deutschen Kulturwissenschaften und, in diesem Fall, der US-amerikanischen Cultural Studies als Differenz zwischen Memoria und Identitätspolitik: »Während die deutsche Debatte im Schatten des Holocaust unter dem moralischen Vorzeichen von Vergangenheitsbewältigung stattfindet und den Fragen des historischen Gedächtnisses hohe Priorität einräumt, ist die amerikanische Debatte nicht so sehr von der Memoria, sondern von der aktuellen Politik der Minderheiten und des Multikulturalismus bestimmt. Oder anders und prägnanter formuliert - die Auseinandersetzung mit dem Holocaust favorisiert in den USA Jewish Studies und damit identitätspolitische Fragen, während die gleiche Debatte im deutsch- <?page no="215"?> 216 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 2 6 Cultural Studies im engeren Sinn ist jedoch ein Fortschreiben des relativen Schweigens zu Antisemitismus, bzw. dessen Subsumtion unter Rassismus im weitesten Sinn zu beobachten, das mit der gängigen Forderung nach jeweils lokal oder national spezifischer Anwendung von Cultural Studies kaum zu vereinbaren ist. Diese Anwendung würde in Deutschland und Österreich notwendigerweise die intensive Beschäftigung mit Nazismus, Post-Nazismus und Vernichtungsantisemitismus beinhalten. Dass eine Analyse der popularkulturellen Aspekte der Nazi- Herrschaft im Geist der Cultural Studies möglich ist, hat Paul Gilroy (2000) zumindest ansatzweise gezeigt, indem er u. a. die Kulturpolitik der Nazis sowie die Rolle der Medien, besonders des Films und seiner prominentesten Vertreterin Leni Riefenstahl untersuchte. Will man jedoch etwas über die kulturelle Seite des Antisemitismus (und zwar in seiner Spezifik) im NS- Regime erfahren, wird man in den deutschsprachigen Cultural Studies kaum fündig und wird sich der Antisemitismusforschung zuwenden müssen (Benz 200 ). Vor allem Shulamit Volkov (2000) hat mit ihrem Wort von Antisemitismus als »kulturellem Code« einen Aspekt bezeichnet, der für jede potenzielle Cultural Studies-Analyse des deutschen Antisemitismus von wesentlicher Bedeutung sein wird. Volkov beschreibt in ihrer Analyse des kulturellen Hintergrunds des Vernichtungsantisemitismus der Nazis, wie in den 0er Jahren des 9. Jahrhunderts im Wilhelminischen Deutschland der Antisemitismus auf neue Weise artikuliert wurde. Neben der erwähnten Pseudo-Verwissenschaftlichung in so genannten »Rassenlehren« wird Antisemitismus von politischen Splitterparteien aufgegriffen. Mit der seit 8 einsetzenden Depression sahen sich vor allem die kleinen Handwerker, die von keinem anderen der großen Lager (Konservativen, Liberalen, Sozialisten und Katholiken) repräsentiert wurden, vom anti-modernen Programm dieser Parteien vertreten. Hinzu kam eine allgemeine Identitätskrise des Bismarck ’ schen Reiches, das sprachigen Raum der Opfer-Täter-Dialektik folgt. Aus amerikanischer Sicht geht es um Fragen universeller Bürgerrechte, wohingegen es aus deutscher Sicht um Fragen der Schuld und Verantwortung von Generationen geht.« <?page no="216"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 2 21 sich nach der Einigung der deutschen Staaten zu einem gemeinsamen Nationalstaat auf der Suche nach einem neuen diskursiven Integrationsprinzip befand. So wird der politische Diskurs, um die Terminologie der Diskursanalyse zu verwenden, um den Antisemitismus herum neu artikuliert. Es wird eine Äquivalenzkette geschmiedet zwischen Nationalismus, Kolonialismus, Kriegsbegeisterung, Männlichkeitskultur und Antifeminismus. All diese Elemente werden durch den Antisemitismus gleichsam unter ein neues Dach gebracht. In der Figur der Juden, die für die Antisemiten stellvertretend alle Börsenspekulanten und »das Finanzkapital« als ganzes zu signifizieren begannen, konnte der wirtschaftliche Liberalismus kritisiert werden, ohne dass damit der Kapitalismus als solcher von der Kritik betroffen war. Durch die Artikulation mit anderen Gliedern der Kette kam es zur Polarisierung des politischen Diskurses und zugleich der politischen Kultur. Es entstanden zwei hauptsächliche Ideengruppen, zwei konzeptionelle Lager, zwei Systeme von Werten und Normen, kurzum: zwei Kulturen. Zu ihrer Symbolisierung und Bezeichnung dienten oft zwei Begriffe: Antisemitismus und Emanzipation. Der Antisemitismus war also weder identisch mit der umfassenden »germanischen Kultur« des Reiches, noch war er bloß ein Element darin. Da er im wesentlichen verbal blieb und für die Entscheidung der wichtigeren Tagesfragen wenig praktische Bedeutung hatte, war er umso besser geeignet, symbolischen Wert anzunehmen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war er zum »kulturellen Code« geworden. Das Bekenntnis zum Antisemitismus wurde zu einem Signum kultureller Identität, der Zugehörigkeit zu einem spezifischen kulturellen Lager. Man drückte dadurch die Übernahme eines bestimmten Systems von Ideen und die Präferenz für spezifische soziale, politische und moralische Normen aus. Die im deutschen Kaiserreich lebenden und agierenden Zeitgenossen lernten, diese Botschaft zu entschlüsseln. Sie wurde Bestandteil ihrer Sprache, ein vertrautes und handliches Symbol. (Volkov 2000: 23) Den Parteien des politischen Antisemitismus (Pulzer 200 ), die in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts so großen Zulauf erfahren hatten, blieb unmittelbar jedenfalls der Erfolg auf der Bühne der Politik verwehrt. Bis zu Beginn des Ersten Weltkriegs waren <?page no="217"?> 21 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 2 8 sie zersplittert und fast in Bedeutungslosigkeit gefallen. Das hat nach Volkov zur Unterschätzung der antisemitischen Kultur in der Vorzeit des Nazismus geführt. Denn tatsächlich wandelte sich nur die Form des Antisemitismus, nicht die Intensität. Der Antisemitismus war in die Institutionen der Zivilgesellschaft eingesickert und grassierte nun »in Vereinen und Verbänden, in Studentenorganisationen und unter den organisierten Beamten, Lehrern, Rechtsanwälten und Ärzten« (Volkov 2000: 8). Antisemitismus war weniger eine Ideologie im politischen engen Sinn als ein verbreitetes kulturelles Denkmuster geworden: »Um die Mitte der neunziger Jahre war das Bündel von Ideen, Werten und Normen, das im ersten Jahrzehnt des Reichs entstanden war, von einer dafür prädisponierten Gesellschaft absorbiert worden und wurde zu einer einzigartigen, weitverbreiteten Kultur« ( ). Will man den Vorgang in der Terminologie der Hegemonietheorie fassen: Antisemitismus wurde hegemonial im Sinne Gramscis, d. h. er wurde mit Legitimität versehen und konnte sich Konsens und Zustimmung im Feld der Zivilgesellschaft sichern. Erst seine hegemoniale Durchdringung der Kultur erklärt die breite Unterstützung in Wort und Tat, die der nazistische Antisemitismus später finden konnte. Was sich in der nur kursorisch wiedergegebenen Analyse des kulturellen Hintergrunds des nazistischen Antisemitismus gezeigt hat, ist nicht zuletzt die Notwendigkeit einer breiter gefassten politischen Analyse im hegemonietheoretischen Sinn. Wie Stuart Hall (zit. in Grossberg 2006: ) über seine Rassismus-Analysen sagte: »Ich habe nie über ›Rasse‹ und Ethnizität als einer Art Subkategorie gearbeitet. Ich habe immer zur ganzen sozialen Formation, die rassifiziert ist, gearbeitet.« Ähnliches muss zur Analyse des Antisemitismus, aber auch zur Analyse von Sexismus oder Zwangsheterosexualität gesagt werden: Eine Cultural Studies- Analyse darf sich nicht mit impressionistischen Beschreibungen einzelner populärkultureller Texte zufrieden geben, sondern muss jedes untersuchte Objekt innerhalb der sehr viel breiteren hegemonialen Diskursformationen und Kräfteverhältnisse verorten, die ihm seinen Platz zuweisen. Die Umrisse solch makropolitisch orientierter Cultural Studies sollen im folgenden Kapitel gezeichnet werden. <?page no="218"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 2 9 219 Kapitel 6: Gesellschaft und Politik: Cultural Studies als Gesellschaftstheorie und politische Analyse Cultural Studies wollen auf eine bestimmte Weise die Position des Wissenschafters, des Lehrers, des Intellektuellen einnehmen, sie politisieren die Theorie und theoretisieren die Politik. Lawrence Grossberg (2000: 262) 6.1. Die politische Fixierung von Bedeutung Im vorangegangenen Kapitel wurde gezeigt, dass sich ein diskursanalytischer Ansatz durchaus als produktiv für die Analyse sozialer Identitätskonstruktion erweisen kann. Es scheint, dass in der Tradition der Birmingham Cultural Studies dem cultural turn ein linguistic turn zugrunde liegt und diesem wiederum ein discursive turn. Die »linguistische Metapher«, worunter Hall die Übernahme von Modellen der Sprachwissenschaft in die Kulturanalyse versteht, verändert die traditionelle Vorstellung von Kultur. Kultur wird nun konzipiert als Terrain sozialer Bedeutungsproduktion (Signifikation). 6 Gerade eine hegemonietheoretisch erweiterte Diskursanalyse erlaubt es, die Konstruktion sozialer Identitäten innerhalb des breiteren sozialen Zusammenhangs von Kräfteverhältnissen bzw. hegemonialen Formationen zu verorten. Bevor wir uns dieser politischen Makroperspektive der Cultural Studies 6 So wurde die »linguistische Metapher« für konkrete Studien vor allem semiotisch und diskursanalytisch operationalisiert. Bestimmte in den 0er und noch den 80er Jahren im Anschluss an besonders Roland Barthes die Semiotik den Zugang, z. B. in den Arbeiten von Hebdige oder Fiske, so ist es heute - im Anschluss an Foucault einerseits und Laclau und Mouffe andererseits - die Diskursanalyse. <?page no="219"?> 220 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 220 zuwenden, um sie schließlich von rein mikropolitischen Ansätzen innerhalb der Cultural Studies abzugrenzen, ist eine theoretische Scharfstellung der am Schluss des vorigen Kapitels vorgestellten Variante der »linguistischen Metapher« erforderlich. Die Kritik der Cultural Studies oder auch der Queer Studies an identitätspolitischen Fixierungen - etwa an Formen des »ethnischen Absolutismus« (Gilroy) - hatte ja, wie wir sahen, geltend gemacht, dass der Prozess kulturell-diskursiver Bedeutungsproduktion, dem soziale Identität entwächst, aus strukturellen Gründen unabstellbar ist. Keine Identität eines Individuums ist mit dem Mantra aus »race«, class, gender hinreichend beschrieben. Nicht etwa deshalb, weil die Liste nur empirisch ergänzt werden müsste, etwa durch Alter, nationale Identität oder Gesundheit, sondern weil keine der aufgelisteten Identitäten in sich stabilisierbar ist und ihre Verknüpfung nur zu noch instabileren und widersprüchlicheren Identitätskonglomeraten führen kann. Die Identität eines/ einer jeden von uns ist nichts anderes als eine Schnittmenge heterogener Identitätsachsen; und die meiste Zeit unseres Alltags sind wir damit beschäftigt - ohne es, außer in so genannten Identitätskrisen, überhaupt zu bemerken -, die divergierendsten identitären Anrufungen durch Beruf, Familie, Geschlecht, Begehren, etc. in irgendeine Form von prekärer Übereinstimmung zu bringen. In diesem abschließenden Kapitel soll diese Beobachtung ergänzt werden. Denn es ist offensichtlich, dass jede Aufzählung an irgendeiner Stelle abbricht und der Fluss der Bedeutung gestoppt werden muss. Eine soziale Formation oder Identität, die jeglicher Fixierung entkäme, wäre schlicht undenkbar. Anders gesagt: Obwohl der Prozess sozialer Bedeutungskonstruktion prinzipiell unabschließbar und offen ist, bleibt dennoch dessen partielle Schließung notwendige Voraussetzung dafür, dass überhaupt Bedeutung entstehen kann. Die Cultural Studies interessieren sich für diese hegemonialen Fixierungen sozialer Identität im selben Ausmaß wie für ihre Defixierung: Wenn die Signifikation von der endlosen Neupositionierung ihrer unterschiedlichen Ausdrücke abhängt, so resultiert Bedeutung in jedem spezifischen Fall aus dem kontingenten und arbiträren Halt - der notwendigen und temporären »Unterbrechung« in der <?page no="220"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 22 221 unbegrenzten Semiosis der Sprache. Dies beeinträchtigt nicht das ursprüngliche Verständnis von différance. Die Gefahr des Mißverstehens existiert nur dann, wenn wir diesen »Einschnitt« von Identität - diese Positionierung, die Bedeutung erst möglich macht - als natürlich und dauerhaft betrachten, anstatt ihn als das wahrzunehmen, was er ist - ein arbiträres und kontingentes »Ende«. (Hall 1994c: 34) 62 Obwohl die Cultural Studies also die konstitutive Unabschließbarkeit sozialer Identitätsproduktion betonen, sind sie mit dieser Überzeugung doch meilenweit entfernt von einer postmodernen Beliebigkeit. Identitäten sind nicht beliebig verfügbar, denn sie werden hegemonial konstruiert und zu Repräsentationsregimen verschweißt. Und die diskursanalytische Hegemonietheorie, die innerhalb der Cultural Studies besonders von Stuart Hall stark gemacht wurde, untersucht, wie in konkreten Kontexten soziale Bedeutung mehr oder weniger vorübergehend zu hegemonialen Formationen fixiert wird. 6 Aus dieser an politischen Macht- und Ermächtigungseffekten im Feld der Kultur interessierten Untersuchungsperspektive ergibt sich ein ganz anderer Fragenkatalog als aus einer Perspektive, die an Kultur ausschließlich um der Kultur willen Interesse zeigt. Wie, so fragt Larry Grossberg, »wird politische Macht so restrukturiert, dass ideologische und ökonomische Unterordnung in bestimmten Formen kultureller Ermächtigung artikuliert werden? Wie wird Kultur zugleich zum Ort des Kampfes und zu seiner Waffe? Wo haben gegenwärtige Formen kultureller Praxis an einem Kampf um hegemoniale Führerschaft teil? « (Grossberg 2000: 8). 62 Ganz ähnlich Chantal Mouffe: »Was wir normalerweise als ›kulturelle Identität‹ bezeichnen, ist sowohl die Bühne als auch der Gegenstand politischer Kämpfe. Die soziale Existenz einer Gruppe wird immer durch Konflikt konstruiert. Sie ist eine der Hauptgebiete, in dem Hegemonie existiert, denn die Definition der kultureller Identität einer Gruppe spielt eine wesentliche Rolle in der Erzeugung ›hegemonialer Knotenpunkte‹. Diese definieren teilweise die Bedeutung einer ›Signifikantenkette‹, was uns erlaubt, den Strom der Signifikanten zu kontrollieren und das diskursive Feld vorübergehend zu fixieren.« (Mouffe 99 : 0) 6 Wobei, da der Prozess der Bedeutungsproduktion unabstellbar ist, die Möglichkeit zu subversiver oder widerständiger Refixierung natürlich immer bestehen bleibt. <?page no="221"?> 222 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 222 Mit diesen Fragen nähern sich die Cultural Studies politischen Analyseansätzen wie jenen der politischen Soziologie, der Politikwissenschaft und der sozialen Bewegungsforschung. Wenn tatsächlich jede temporäre Fixierung oder Refixierung sozialer Identität den strukturierten Einsatz von Macht und Herrschaft involviert, dann scheint sich endgültig zu erweisen, dass die zentrale Kategorie der Cultural Studies, wenn es denn eine solche gibt, eher die der Politik ist als die der Kultur. Vorausgesetzt natürlich, man versteht Politik im weiten Sinne hegemonialer Fixierungspraktiken, die das gesamte Feld des Sozialen (besonders der Zivilgesellschaft, wie Gramsci sie definiert) umfassen, und nicht notwendigerweise nur das politische System. Das bedeutet nicht, dass Letzteres nicht auch zum Gegenstand von Cultural Studies- Untersuchungen wird. Gelegentlich wird sogar argumentiert, die Theorien und Methoden der Cultural Studies könnten jene der Politikwissenschaft produktiv ergänzen. Andreas Dörner ( 999) hat aus politikwissenschaftlicher Sicht eine Reihe von Anknüpfungspunkten ausgemacht. Neben ihrem Interesse an Alltags- und Populärkultur, der Entwicklung der Zuseherethnografie und ihrer innovativen Theorie der Mediengesellschaft rechnet er den Cultural Studies vor allem an, dass ihr Kulturbegriff grundlegend politisch sei. Wobei auch Dörner darauf besteht, dass wir es bei diesem Kulturbegriff »nicht mit einzelnen Berührungspunkten und Verbindungslinien zwischen Kultur und Politik und auch nicht mit einem separierten Subsystem ›Politische Kultur‹« zu tun haben, »sondern mit einer politischen Perspektivierung jeglicher kultureller Praxis.« 6 Das Politische und das Kulturelle, so sei zu 6 Dies bedeute im Einzelnen: dass Kultur von den Cultural Studies als Forum des Konflikts verstanden wird, in dem »Bedeutungen, Werte, Zielsetzungen, Sinnentwürfe und Identitäten gegeneinander gesetzt und miteinander ausgehandelt« werden; dass symbolische Formen Deutungskämpfen unterworfen sind und »kulturelle Praxis immer im Hinblick auf Machtrelationen und Herrschaftsverhältnisse beleuchtet« wird; dass Kultur politisch folgenreich ist, da sie, Gramscis Theorie kultureller Hegemonie zufolge, »über Integration oder Desintegration, Konsens oder Konflikt entscheidet«; und dass »politisch« schließlich bedeutet, »daß die Wissenschaftler keine wertungsfreie Analyse durchführen«, sondern selbst in den politisch-kulturellen Prozess eingreifen, »um den Machtlosen mehr Möglichkeiten zu verschaffen« (Dörner 999: 22f.). <?page no="222"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 22 223 folgern, »bedingen sich gegenseitig und sind nicht losgelöst voneinander analysierbar« (Dörner 999: 22 f.). Vor dem Hintergrund solch potenzieller Schnittmengen ist es bedauerlich, dass die mainstream political science zwar in der Lage zu sein scheint, Auskunft bezüglich der Strukturierung politischer Systeme zu erteilen, das Feld der Kultur aber weitgehend vernachlässigt (zu den jüngsten Ausnahmen zählen die Artikel in Schwelling 200 und Harrasser et al. 200 ). Wo Kultur in den Vordergrund tritt, etwa im klassischen Ansatz politischer Kulturforschung (Almond/ Verba 96 , mit Berücksichtigung von Fragen der Popularkultur Merelman 99 ; Preston 99 ), bleibt ihr Verständnis behavioristisch verkürzt: Politische Kultur bezieht sich für Almond und Verba auf vorgeprägte Dispositionen und Einstellungen der Bürger zum politischen System (zu Demokratie, Partizipation, Parteilichkeit, etc.), sowie auf die Internalisierung politischer Werte. Zwar gab es innerhalb der Politikwissenschaft jüngst einige wenige Versuche der Erweiterung eines engen Politik- und Kulturbegriffs im Sinne der Cultural Studies (Street 99 ; Finlayson/ Martin 99 ), doch in einen extensiveren Dialog wollte bislang keine der beiden Seiten eintreten. So kann es kaum überraschen, dass in Lawrence Grossbergs Aufzählung jener Disziplinen, in denen in den vergangenen Jahren Cultural Studies betrieben wurden - »Anthropologie, Soziologie, Geschichte, Literaturkritik, Frauenforschung, Black and Ethnic Studies, aber auch Kommunikations- und Erziehungswissenschaft« (2000: 2 ) -, die Politikwissenschaften fehlen. Der engste Anknüpfungspunkt zwischen Cultural Studies und Politikwissenschaften befindet sich deshalb auch nicht im Zentrum der mainstream political science, sondern am Rande der Politikwissenschaft. Als tertium comparationis zwischen mikropolitisch orientierten Cultural Studies und makropolitisch orientierten Politikwissenschaften bietet sich die politische Diskursanalyse und die neuere Hegemonietheorie an. In der Politikwissenschaft sind es Ernesto Laclau und Chantal Mouffe ( 99 ), die eine hegemonietheoretische Diskursanalyse entwickelt haben, die sich inzwischen als Schule konstituiert hat. Die Überlappungen zwischen Cultural Studies und dieser Schule sind nicht überra- <?page no="223"?> 224 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 22 schend, wenn sie auch bislang historisch und theoretisch kaum untersucht wurden (Ausnahmen bilden McRobbie 99 : -60; Bowman 200 ). Denn die diskursanalytische Hegemonietheorie Laclaus und Mouffes entwickelte sich wie die Cultural Studies des Birmingham CCCS unter Stuart Hall, die sich konstant auf sie bezogen, aus dem Gramscianismus der 0er Jahre. Zentrale Konzepte wie Hegemonie, Populismus, Diskurs und Artikulation waren zu dieser Zeit in einem gemeinsamen Diskussionszusammenhang lokalisiert, in dem sich beide Projekte ähnlichen analytischen und theoriebautechnischen Problemen stellten. Während sich jedoch - mit signifikanten Ausnahmen wie Hall ( 988) und Grossberg ( 992) - weite Teile der Cultural Studies zunehmend auf mikropolitische Themen wie Freizeit, Jugendkultur, Haushalt und Medienaneignung konzentrierten, entwickelte sich die Hegemonietheorie Laclaus zu einer Methode der Analyse makropolitischer Diskurse. 6 Das heißt nicht, dass Politik im üblichen Verständnis nicht aus Perspektive der Cultural Studies analysierbar wäre. Eine Brücke zwischen Politik im engeren Sinne und einem hegemonietheoretisch abgesicherten Verständnis von Kultur könnte besonders der Begriff der Macht bilden. So definiert Hall ( 988: ) konventionelle Politik als eine bestimmte Modalität von Macht - im Unterschied zu anderen, etwa moralischen, intellektuellen oder ökonomischen Modalitäten. Das »Spiel der Macht« werde in und zwischen unterschiedlichen Schauplätzen ausgetragen und sei »nur zu bestimmten Momenten in einer ›Partei‹ oder in Wahlen im Verhältnis zum Staat verdichtet«. Unter der Politik des politischen Systems wäre dann eine spezifische institutionelle Verdichtung sozialer Machtpraxen zu verstehen. Doch in gleichem 6 Auch bei Laclau und Mouffe müssen diese makropolitischen Diskurse nicht im politischen System selbst auftreten, sondern können jede Dimension des gesellschaftlichen Raums politisieren. So betonen Laclau und Mouffe ( 99 : 2 2) ausdrücklich, »daß Politik als eine Praxis des Erzeugens, der Reproduktion und Transformation sozialer Verhältnisse nicht auf einer bestimmten Ebene des Gesellschaftlichen verortet werden kann, da das Problem des Politischen das Problem der Einrichtung des Sozialen ist, das heißt der Definition und Artikulation sozialer Beziehungen auf einem kreuz und quer von Antagonismen durchzogenen Feld«. <?page no="224"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 22 22 Ausmaß müssen politische Institutionen im Feld der Kultur - in Gramscis »Zivilgesellschaft« - abgestützt werden. Dortige Praxen hegemonialer Fixierung stellen ihrerseits zwar keine Politik im systemischen Sinn dar, aber sie bezeichnen ein Moment des Politischen in der Kultur. Damit wären wir wieder bei der Leitthese unserer Darstellung angekommen: Die Cultural Studies entwerfen über ihren Kulturbegriff eine Gesellschaftstheorie, die vom Primat des Politischen (im weiten Sinne der Hegemonietheorie) ausgeht. Sie sind also weniger mit »Kultur« im landläufigen Verständnis beschäftigt als mit der politischen d. h. hegemonialen Formierung des Sozialen auf dem Terrain von Kultur, verstanden als Medium bedeutungserzeugender Praxen, mithin: des Diskurses. Damit kann der Status des analytisch-theoretischen Projekts Cultural Studies nun genauer bestimmt werden. Die Cultural Studies sind zum einen, wie es der Untertitel zum . Band der Schriften Stuart Halls nahe legt, ein politisches Theorieprojekt. Sie arbeiten an der Entwicklung einer politisch gefassten Gesellschaftstheorie, die den Anforderungen eingreifender Wissensproduktion gewachsen ist: Seit ihrem Beginn waren die Cultural Studies »ein Projekt, das sich selbst als politisches bekannt hat, indem es den Kulturbegriff ausgeweitet hat und ihn politisch in seinen Verhältnissen zur Sozialstruktur theoretisiert hat« (Lutter und Reisenleitner 2002: 6 ). Die Gesellschaftstheorie, die dem Cultural Studies-Ansatz zugrunde liegt, umfasst folglich nicht eine einzelne gesellschaftliche Sphäre (»die Kultur«), sondern erlaubt die Beschreibung tendenziell aller Teilbereiche der Gesellschaft, wenn auch aus einer spezifischen Perspektive. Dies wird sich im folgenden Kapitelabschnitt an der Darstellung des »kulturellen Kreislaufs« erweisen, wie er an der Open University vor einigen Jahren modellhaft entwickelt wurde. Zum anderen sind innerhalb der Cultural Studies Tendenzen zur Zurücknahme dieses politischen Projekts zu beobachten. Damit ist nicht in erster Linie die übel beleumundete Spielart US-amerikanischer »Mickey Mouse-Studies« oder »Madonna- Studies« gemeint (dilettantische Ausformungen von »bad practice« kommen in jedem anderen akademischen Wissensfeld ebenso vor). Eher sei damit erstens eine Tendenz zur kulturpopu- <?page no="225"?> 226 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 226 listischen Überhöhung des mikropolitischen Widerstandspotenzials entweder von Subkulturen, wie bei Hebdige, oder medialen und populärkulturellen Aneignungspraxen, wie bei Fiske, angesprochen. Obwohl unzweifelhaft von politischem Interesse angeleitet, haben beide Ansätze den paradoxen Effekt, dass durch die Überhöhung der Mikropolitik die Makropolitik völlig aus dem Blick gerät. Zweitens sei auf die Verdrängung der Analyse von Politik zugunsten der Analyse von policy verwiesen, wie sie für den jüngst von Tony Bennett ( 992) maßgeblich bestimmten Zugang der Cultural Studies kennzeichnend ist. Eine genauere Berücksichtigung der Kritik an diesen jüngeren Tendenzen wird es uns abschließend ermöglichen, bislang zugunsten der einfacheren Darstellung liegen gelassene methodische und theoretische Fragen, vor allem die Kategorie des Antagonismus und das Verhältnis von politischer Makro- und kultureller Mikroebene von Cultural Studies betreffend, zu beantworten. 6.2. Der kulturelle Kreislauf - ein heimliches Gesellschaftsmodell In den 90er Jahren wurde Stuart Halls Kodieren/ Dekodieren-Modell, das in Kapitel . . vorgestellt wurde, an der Open University zu einem allgemeinen Modell von Kultur weiterentwickelt: dem »circuit of culture« oder »kulturellen Kreislauf«. 66 Dieses Modell wurde in einer sechsbändigen Lehrbuchreihe mit dem Gesamttitel Culture, Media and Identities vorgestellt (Du Gay et al. 99 ; Hall 99 ; Woodward 99 ; Du Gay 99 ; Mackay 99 ; Thompson 99 ), die auf einen Kurs an der Open University zurückgeht. Zwar ist das Modell nicht dazu gedacht, eine neue soziologische Großtheorie aus der Taufe zu heben, da es vor allem heuristischen und pädagogischen Zwecken dienen soll. Doch da mit dem circuit die möglichst umfassende Abde- 66 Ein vergleichbares Modell findet sich bei Johnson 999; auch kann der kulturelle Kreislauf als soziologische Differenzierung unseres magischen Zirkels aus Kultur/ Macht/ Identität aufgefasst werden. <?page no="226"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 22 22 ckung gesellschaftlicher Teilbereiche ermöglicht werden soll, wird zugleich ein Forschungsprogramm skizziert, das auf einer im kulturellen Kreislauf verbildlichten, wenn auch impliziten Gesellschaftstheorie fußt. Jedes kulturelle oder mediale Artefakt, so die Grundannahme, ist dann und nur dann ausreichend analysiert, wenn es durch alle fünf Stationen des cultural circuit hindurch verfolgt wurde: Repräsentation (wie wird ein gegebenes kulturelles Artefakt öffentlich repräsentiert), Identität (wie trägt es im Gebrauch oder im Rahmen kultureller Praktiken zur Konstruktion sozialer Identitäten bei), Produktion (woher kommt es, was ist der u. a. ökonomische Hintergrund seines Entstehens), Konsum (was sind die Verwendungsweisen, denen es unterliegt) und Regulation (unter welchen institutionellen bzw. strukturellen Bedingungen zirkuliert es, welchen staatlichen Steuerungsversuchen ist es unterworfen). Wie bereits im Fall des Kodieren/ Dekodieren-Modells besteht die eigentliche Pointe dieses Modells in Repräsentation Identität Regulation Konsumtion Produktion Abb. 4: Das Modell des »Kulturellen Kreislaufs« <?page no="227"?> 22 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 228 seiner Multidimensionalität: Von jeder der einzelnen Stationen kann und muss man zu allen anderen springen, d. h. ein bestimmter Aspekt - sei es Repräsentation, Identität, Produktion, Konsum oder Regulation - lässt sich immer nur vorübergehend fokussieren, da er immer alle anderen des cultural circuit mit aufruft. Der Kommunikationsprozess, wie ihn das Kodieren/ Dekodieren- Modell beschrieben hat, erscheint in diesem Modell kristallisiert zu einem multidimensionalen Raum, der jeden Untersuchungsgegenstand in unterschiedliches Licht taucht - je nachdem, von welcher Seite man sich ihm nähert. Die Autoren eines der Bände haben den circuit exemplarisch anhand eines kulturell-medialen Artefakts, des Sony-Walkman, durchgespielt (Du Gay et al. 99 ). So wird in den einzelnen Stationen des Kreislaufs gewidmeten Sektionen gezeigt, wie der Sony-Walkman in der Werbung repräsentiert wird, welche Gruppen und Identitäten mit diesem technischen Artefakt diskursiv assoziiert werden und sich mit ihm identifizieren können, wie es technisch und kulturell produziert wird, in welcher Weise es im Alltagsleben seiner Besitzer konsumiert wird und wie seine Verwendung durch Institutionen reguliert wird. Was alle diese Stationen miteinander verbindet, ist der erweiterte Kulturbegriff der Cultural Studies, der alle sozialen Praktiken, die mit den Stationen verknüpft sind, umfasst: Der Walkman ist also »kulturell«, weil wir ihn als bedeutungstragendes Objekt konstituiert haben. Wir können über ihn reden, nachdenken und ihn uns vorstellen. Er ist weiters »kulturell«, weil er sich mit einer distinkten Gruppe sozialer Praktiken (z.B. Musikhören, während man mit dem Zug oder der U-Bahn fährt) verbindet, die spezifisch für unsere Kultur oder Lebensweise sind. Er ist kulturell, weil er mit einer bestimmten Art von Leuten (z.B. Jugendlichen oder Musikliebhabern) assoziiert wird, sowie mit bestimmten Orten (der Stadt, dem öffentlichen Raum, dem Herumgehen in einem Museum) - weil er ein soziales Profil oder eine Identität angenommen hat oder sie ihm gegeben wurde. Er ist auch kulturell, weil er häufig in unseren visuellen Sprachen und Kommunikationsmedien erscheint und in ihnen repräsentiert wird. Tatsächlich wurde das Bild des SonyWalkman - glatt, high-tech, funktional im Design, miniaturisiert - zu einer Art Metapher, die eine distinktiv spätmoderne, <?page no="228"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 229 229 technologische Kultur oder Lebensweise repräsentiert oder für sie steht. Diese Bedeutungen, Praktiken, Bilder und Identitäten erlauben uns, den Walkman als ein kulturelles Artefakt zu verorten, zu situieren, zu entziffern und zu studieren. (Du Gay et al. 199 : 11). Indem sie die Zirkulation eines kulturell besonders »aufgeladenen« Objekts, einem Vorläufer des mp -Players (Sterne 2006), durch die verschiedenen Stationen des kulturellen Kreislaufs verfolgen, kartografieren die Autoren und Autorinnen der Reihe wesentliche Dimensionen moderner Kultur. Das setzt voraus, dass sich das Studium eines kulturellen Artefakts - gleichgültig, ob es sich dabei um ein technologisches Gadget, einen Film, ein Buch oder ein populäres Musikgenre handelt - nicht mit dessen eindimensionaler Beschreibung im Stillstand begnügt. Mit dieser Buchreihe verlassen die Cultural Studies ein Stück weit die reine Mikroebene und entwickeln eine Untersuchungsmethode, die der Mehrdimensionalität des Sozialen auch auf der gesellschaftstheoretischen Makroebene gerecht zu werden versucht. Die vielfach vorgetragene Kritik, die Cultural Studies würden Ökonomie und/ oder Staatlichkeit vernachlässigen, ist mit der starken Berücksichtigung der Sphären von Produktion, Konsumtion und Regulation erkennbar in das Modell eingegangen, ohne dass eine Rückkehr zum Ökonomismus die Folge wäre. So wird die These vertreten, nicht nur die Kulturökonomie im engeren Sinn gewinne zunehmend an Bedeutung, sondern auch andere Ökonomien seien inzwischen durchgehend »kulturalisiert«. Einerseits könnten unter spätkapitalistischen Bedingungen kulturelle Artefakte nicht mehr von den ökonomischen Prozessen getrennt werden, in die sie eingelassen sind, andererseits dürfe die »Produktion« von Kultur nicht auf deren ökonomische Aspekte reduziert werden, denn »Produktionsprozesse sind selbst kulturelle Phänomene, insofern sie Assemblagen bedeutungstragender Praxen darstellen, die für Menschen bestimmte Möglichkeiten konstruieren, sich in einem organisationellen Kontext zu bewegen und diesen zu verstehen« (Du Gay 99 : ). Obwohl allgemein als unbestritten gilt, dass die Ökonomie in ihren Effekten immer bedeutungstragende Diskurse und damit Kultur impliziert, ist an diesem Ansatz kritisiert worden, dass er <?page no="229"?> 230 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 2 0 zwar in die Lage versetze, die »Kulturen der Produktion« (z. B. Betriebskulturen oder Managerkulturen) zu untersuchen, mit seinem Instrumentarium aber ökonomische Verhältnisse nicht erfassen könne. Die Rückkehr der Cultural Studies zur Ökonomie entspreche, John Kraniasukas’ ( 998: ) marxistisch inspirierter Kritik zufolge, einem Verständnis von »Produktion ohne Produktionsverhältnissen« und damit von »Produktion ohne Produktion«. Politische Ökonomie werde durch Kulturökonomie ersetzt: »Trotz der scheinbaren ›Rückkehr‹ der ökonomischen Instanz in die Cultural Studies verweigert die Serie explizit, diese Instanz politisch zu denken. Der Umtausch des ›Politischen‹ für das ›Kulturelle‹ - in der politischen Ökonomie - bedeutet auch, dass es kein Zeichen politischer Negativität gibt, nur ›lokale‹ Formen organisierten Widerstands innerhalb global-lokaler Konfigurationen des Kapitals« (ebd.). Kraniauskas scheint allerdings zwei mögliche Kritikpunkte miteinander zu vermengen, die besser auseinander gehalten werden sollten. Der erste Kritikpunkt lautet, dass die Ökonomie der Kultur gleichsam symptomatisch für die Gesamtökonomie einstehen müsse, diese ihrerseits aber nur im Rahmen einer politischen Ökonomie erfasst werden könne, welche die Cultural Studies aufgegeben zu haben scheinen. Der zweite Kritikpunkt lautet, die Ersetzung des Politischen durch das Kulturelle lasse keinen Raum für »politische Negativität«. Beide Kritikpunkte müssen getrennt verhandelt werden. Der erste, sollte er denn zutreffen, würde weniger schwer wiegen, da das Problem innerhalb des Modells leicht behoben werden könnte. Eine der Möglichkeiten zu seiner Behebung bestünde in der stärkeren Einbeziehung regulationstheoretischer Ansätze aus der politischen Ökonomie. Durch deren stärkere Berücksichtigung könnte gezeigt werden, wie weitgehend problemlos eine ökonomische Theorie, die das Kulturelle berücksichtigt, in das Modell des kulturellen Kreislaufs integrierbar ist, ja an der Station der »Regulation« - in vielleicht nicht ausreichendem Maße - ohnehin von der Open University-Reihe integriert wurde. 6 6 Die zunächst in Frankreich entwickelte Regulationstheorie (Aglietta 9 9) postuliert, dass ökonomische, soziale und politische Veränderungen nur <?page no="230"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 2 231 Der zweite Kritikpunkt, das Modell des kulturellen Kreislaufs lasse keinen Raum für »politische Negativität«, wiegt hingegen schwerer. Dies hat nicht zuletzt damit zu tun, dass jede Form von Politik, die nicht in staatlicher Regulation aufgeht, aus dem kulturellen Kreislauf entfernt wurde. Es ist auffällig, dass, abseits staatlicher Regulation, weder systemischer Politik noch der Politik sozialer Bewegungen eine Station im Kreislauf gewidmet ist. So produktiv sich das heuristische Modell bei der Analyse kultureller Artefakte erweisen mag, so wenig hat es zur Analyse politischer Diskurse und sozialen Widerstands beizutragen. Darin markiert es eine deutliche Abkehr von wichtigen Vorgängerstudien der Birmingham Cultural Studies, die der Analyse hegemonialer Verschiebungen und Brüche im Feld der Politik gewidmet waren. Paul Gilroys bereits erwähnte Studie zu Rassismus in Großbritannien etwa begenügte sich bewusst nicht mit einer Analyse der rassistischen und anti-rassistischen Artikulationen der Popularkultur. Zwar galt die expressive Kultur der afro-karibischen Community in Britannien Gilroy als »Stimme« einer in ihrem wechselseitigen Konstitutionsverhältnis begriffen werden können (Röttger 200 : 9). Nach den Studien der Regulationsschule führen die im Feld der Ökonomie hervorgerufenen sozialen Krisen, Konflikte und Verwerfungen allein deshalb nicht zum Auseinanderbrechen der Gesellschaft, weil sie durch eine je historisch spezifische Regulationsweise eingegrenzt werden (Aglietta 2000: ). Unter Letzterer ist ein Ensemble aus Normen, Werten und Institutionen (sozialpartnerschaftliche Verbände, Unternehmen, staatliche Administration und Medien) zu verstehen, in dem auftretende Konflikte pazifiziert und konsensual reguliert werden. Die Cultural Studies würden dieses Ensemble als eine bestimmte Kultur oder eine umfassende Lebensweise beschreiben, die sozialen Zusammenhalt auch unter Krisenbedingungen garantiert, obwohl diese Formation selbst hegemonial umkämpft bleibt. Erst durch institutionelle und kulturelle Regulationsweisen reproduzieren sich soziale Verhältnisse trotz ihres konfliktorischen Charakters bzw. durch diesen hindurch (Lipietz 98 : 09). Somit sind die Bedingungen sozialer und kultureller Regulation den ökonomischen Verhältnissen alles andere als äußerlich: »Nicht ein den Marktgesetzen innewohnendes, abstraktes Prinzip sorgt für ein relatives Gleichgewicht der Marktkräfte, sondern ein sozialer Regulationsmodus in Gestalt von Institutionen, Gesetzen, Formen der Arbeits- und Alltagsorganisation sowie Formen des kollektiven und individuellen Handelns reguliert die drohende Anarchie reiner Profitlogik so, sodass eine Phase relativ stabiler Kapitalverwertung und ungefährdeter gesellschaftlicher Reproduktion ermöglicht wird« (Musner 200 : 8 ). <?page no="231"?> 232 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 2 2 sozialen Bewegung, d. h. anti-rassistischer Kämpfe, doch kollektive popularkulturelle Rituale und Gegenöffentlichkeiten, die einen Sinn von Gemeinschaft stiften, machen für sich genommen noch keine soziale Bewegung aus: »Es ist deshalb notwendig, nachdem man durch den Inhalt und die Form der kulturellen Aspekte der Bewegung gegangen ist, deren soziale und politische Position zu erkunden« (Gilroy 2002 [ 98 ]: 0 ). Die mikropolitischen kulturellen Praxen (Parties, Clubbing, Rap, Mode, etc.) müssen zu einer Form makropolitischer Artikulation finden; sind sie doch »die Mittel, durch die Gemeinschaft symbolisch als Teil oder zur Unterstützung von kollektiven Aktionen einer sozialen Bewegung konstruiert ist« ( 2). Das führte Gilroy zu einer intensiven Auseinandersetzung mit der New Social Movement- Forschung, besonders mit Alain Touraine, Manuel Castells und Alberto Melucci, die den kulturellen Aspekt der Neuen Sozialen Bewegungen hervorgehoben hatten. Weitere Studien des CCCS, vor allem Policing the Crisis und Stuart Halls Analysen des Thatcherismus, auf die wir im Folgenden kommen werden, können sogar als hegemonietheoretische Modellanalysen politischer Diskurse bezeichnet werden. Vor dem Hintergrund dieser Studien könnte der Kreislauf als Ausdruck einer Tendenz innerhalb der Cultural Studies verstanden werden, den Bereich der Makropolitik aus dem Blick zu drängen. Genauer: Makropolitik wird hier nur noch in Form staatlicher und institutioneller Regulationsmechanismen untersucht, nicht hingegen als Forum sozialer Kämpfe. 68 Das Politische wird zugunsten eines relativ geschlossen anmutenden 68 Dies entspricht einer Tendenz innerhalb der Cultural Studies, die bereits 992 von Tony Bennett, heute Professor für Soziologie an der Open University, programmatisch eingefordert wurde. In den Augen Bennetts ( 992: 2 ) schenkt der gramscianische Zugang, der die diskursive Organisation von Äquivalenzketten untersucht, »den institutionellen Bedingungen, die verschiedene kulturelle Felder regulieren, keine ausreichende Aufmerksamkeit«. Selbst wenn dies zutreffen sollte, so scheint diese scheinbare »Gefahr« mit der Konzeption des kulturellen Kreislaufs gebannt. Innerhalb dieser Tendenz der Cultural Studies scheint nun eher die umgekehrte Gefahr zu bestehen, dass jede Vorstellung von Artikulation im Sinne von Politik (und im Unterschied zu policy) in Vergessenheit gerät. <?page no="232"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 2 233 Modells des Sozialen zurückgedrängt. Kraniauskas’ Kritik an der Abwesenheit »politischer Negativität« ließe sich also folgendermaßen interpretieren: Das zirkuläre Bild des Sozialen, welches der kulturelle Kreislauf implizit vermittelt, sieht gesellschaftstheoretisch weder einen Platz für Störungen oder Blockaden in der Zirkulation kultureller Bedeutung vor, noch sieht es ein konstitutives Außen der zum Kreislauf - also letztlich zu einer Äquivalenzkette - artikulierten Stationen vor. Ein solches Außen, das im Zirkulieren kultureller Objekte oder Praxen nicht aufgeht, würde aus Perspektive eines zum Kreislauf geschlossenen Sozialen als Negativität erscheinen. In Kapitel .2. war uns im Rahmen der Darstellung von Laclaus und Mouffes Theorie der hegemonialen Artikulation von Äquivalenzketten bereits eine Form reiner Negativität unter dem Titel Antagonismus begegnet. Die offensichtliche Verwerfung der Kategorie des Antagonismus (also der Grundlage sozialer Kämpfe und letztlich der Artikulations-»Logik« des Politischen), die in der Lehrbuchreihe keine erwähnenswerte Rolle mehr spielt, wird begleitet von der Verdrängung der Makropolitik als potenziellem Studienobjekt der Cultural Studies. So interessant der Walkman als kulturelles Artefakt sein mag, eine Analyse des Thatcherismus erfordert andere Instrumentarien als eine des Walkmans oder des mp - Players. Will man also sowohl der Makropolitik (in Form sozialer Bewegungen) als auch dem Politischen (in Form des Antagonismus) zur Rückkehr in die vom cultural circuit implizierte Gesellschaftstheorie verhelfen, empfiehlt sich zum Ersten der Rückgriff auf die bedeutendsten politischen Studien in der Tradition der Birmingham Cultural Studies - Policing the Crisis und Halls Thatcherismus-Analyse - und zum Zweiten die neuerliche Evaluation des hegemonietheoretischen Ansatzes von Laclau und Mouffe, in welchem die Konzepte von Artikulation und Antagonismus ursprünglich entwickelt wurden. <?page no="233"?> 234 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 2 6.3. Policing the Crisis - Politik als Krisenkontrolle Policing the Crisis, eine Studie zum damals von den Medien hochgespielten Phänomen des jugendlichen Straßenraubs (»mugging«), die von Stuart Hall, Chas Critcher, Tony Jefferson, John Clarke und Brian Roberts 9 8 veröffentlicht wurde, muss in mehrfacher Hinsicht als Dreh- und Wendepunkt der Arbeit am CCCS verstanden werden. Zwar schließt sie an die CCCS-typische Beschäftigung mit jugendlichen Devianzkulturen und mit der Funktion der Massenmedien an, doch wurde hier erstmals in einer umfassenden Studie ein konkretes Phänomen in der hegemonialen Makroformation der britischen Gesellschaft und ihrer Entwicklung seit der Nachkriegszeit verortet. Policing the Crisis machte »überdeutlich, dass Kämpfe, die innerhalb der Kultur stattfinden, und selbst solche, die um Kultur stattfinden, in einem breiteren und komplexeren Kontext des hegemonialen Kampfs verortet werden mußten« (Grossberg 2006: ). Diese umfassende Analyse hegemonialer Verschiebungen auf der gesellschaftlichen Makroebene wird unterfüttert mit detailreichen Untersuchungen etwa der Kommentare und Leserbriefspalten der nationalen Presse. Dabei stößt sie auf das vorher weitgehend unbeachtet gebliebene Phänomen des Rassismus, denn Straßenraub wurde in zunehmend rassifizierender Form öffentlich verhandelt. Mit der Hinwendung zur Rassismusanalyse begann sich ein Bruch in der Arbeit des CCCS bemerkbar zu machen (Hall 2000c: 2). Dennoch ging man zur Zeit der Ausarbeitung der Studie nach wie vor davon aus, dass Rassismus und Anti-Rassismus am adäquatesten im Rahmen einer Klassenanalyse erklärbar seien. Die Studie (Hall et al. 9 8) geht von einer umfassenden Analyse der organischen Krise aus, die den hegemonialen Konsens, der mit dem Aufbau des Wohlfahrtsstaates in den unmittelbaren Nachkriegsjahren einhergegangen war, erfasst hatte. Eine organische Krise kann sich Gramsci zufolge über Jahrzehnte erstrecken und immer neue Stabilisierungsversuche nach sich ziehen. Sie ist gekennzeichnet durch eine Akkumulation sozialer, <?page no="234"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 2 23 politischer und ökonomischer Widersprüche, sowie durch den zunehmenden Legitimitäts- und Autoritätsverlust der politischen Führung, die das hegemoniale Bündnis zwischen dominanten und subordinierten Sektoren der Gesellschaft nur mit Mühe aufrechterhalten kann. Genau das war nach Ansicht der Autoren in Großbritannien der Fall. Bereits nach Macmillans Wahlsieg 9 9 begann der Konsens zu bröckeln und wurde Mitte der 60er Jahre durch eine ernste Budgetkrise weiter in Mitleidenschaft gezogen. Zwischen 9 2 und 9 6 kam es zu einer weltweiten Wirtschaftskrise, zur rapiden Verschlechterung der wirtschaftlichen Position Großbritanniens, zu Inflation und zu einer wachsenden Zahl von Arbeitslosen. Auf diese sich vertiefende Krise, die Ökonomie, Politik und Kultur zu erfassen drohte, musste die »herrschende Klassenallianz«, mussten »Staatsapparate und Medien« ( 06) reagieren. In der Reaktion auf die Krise kam es zu diskursiven Verschiebungseffekten. Die mit der Krise einhergehenden sozialen Ängste drückten sich nicht zuletzt im Feld der »Moral« aus, in Form so genannter moralischer Paniken: »die Verbindung zwischen der Krise und der Art, in der die Mehrheit sich die Krise in ihrer sozialen Erfahrung aneignet, durchläuft eine Reihe falscher ›Lösungen‹, die primär die Form moralischer Paniken annehmen« ( 22). Bereits zu einer Zeit, in der, oberflächlich betrachtet, die Welt noch in Ordnung zu sein schien, hatten tieferliegende soziale Ängste bereits ihren Ausdruck zwar nicht im politischen Diskurs, aber doch in »moralischen Paniken« gefunden. Vor allem war es die Jugend, die nach Ansicht der Autoren zu einem Symbol sozialen Wandels und zur Projektionsfläche für die diesen Wandel begleitenden Ängste wurde. Das Jahr 968 hatte einen ersten Kristallisationspunkt all dieser Projektionen markiert. In den Ereignissen und Folgen dieses Jahres verdichteten sich Themen wie Protest, Konflikt, sexuelle und moralische Freizügigkeit und Devianz. 9 2, ein Jahr, das politisch von der Polarisierung der britischen Gesellschaft in landesweiten Arbeitskämpfen zwischen Bergarbeitern und der konservativen Regierung bestimmt war, in dem britische Truppen in Nordirland ein Massaker unter friedlich demonstrierenden Katholiken anrichteten (der Tag ging als <?page no="235"?> 236 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 2 6 »Bloody Sunday« in die Geschichte ein), war nun auch das Jahr, in dem die moralische Panik »jugendlicher Straßenraub« durch die britischen Medien zu geistern begann. Das verbreitete Krisengefühl bereitete der »mugging«-Panik, in der die Erfahrung sozialer Krise verschoben Ausdruck fand, den Boden. Die Studie plausibilisiert diese These mit dem Beleg, dass eine Zunahme des Straßenraubs in den zur Panik hinführenden Jahren statistisch nicht nachweisbar ist. Im Jahr 9 2, dem Ausbruchsjahr der Panik, war der statistische Höhepunkt an Straßenkriminalität bereits überschritten. Eine so genannte Verbrechenswelle, die als unmittelbarer Auslöser der Panik hätte fungieren können, war statistisch nicht ermittelbar. Die direkte Korrespondenz zwischen dem Phänomen des Straßenraubs und der moralischen Panik zu bestreiten, bedeutet natürlich nicht, die reale Existenz von Straßenraub abzustreiten. Den Autoren geht es darum nachzuzeichnen, wie eine Form des urbanen Straßendelikts, die weit ins 9. Jahrhundert zurückreicht, als etwas Neues repräsentiert werden kann, indem über den Import des Labels »mugging« aus den USA ein neuer Begriff dafür gefunden wird. Darüber hinaus lehnen sie es ab, das untersuchte Devianzphänomen isoliert zu betrachten: Straßenkriminalität müsse als Verhältnis zwischen einem devianten Akt einerseits und der öffentlichen Reaktion bzw. dem Agieren der staatlichen Kontrollinstanzen und Zwangsapparate andererseits untersucht werden: »Es gibt nicht so etwas wie Verbrechen hier und Verbrechensvorbeugung dort; es gibt nur ein Verhältnis zwischen den beiden: Verbrechen-und-Kontrolle« ( 8 ). Eine hegemonietheoretische Untersuchung, wie sie die Studie betreibt, wird »mugging« folglich nicht so sehr auf der »Straße« verorten als »im Verhältnis zum Staat, zu den politisch-juridischen Apparaten, der Instanz der Politik, den Formen der Zustimmung, Legitimation, Zwang und Beherrschung - den Elementen, die zur Erhaltung oder Desintegration eines spezifischen Modus der Hegemonie beitragen« ( 96). Staatliche Kontrollinstanzen wie Medien, Gerichte und Polizei, deren Beitrag zur »mugging-Panik« in der Studie genau untersucht wird, »reagieren« nicht einfach auf diese Panik, sondern initiieren und strukturieren Kampagwww.Claudia-Wild.de: <?page no="236"?> Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 2 23 nen und produzieren bestimmte Sichtweisen der Situation, die ihre eigenen Handlungen wiederum legitimieren. Damit wirken sie als Verstärker und tragen bei zur Eskalation der Panik. Die Autoren der Studie sprechen von einer »Signifikationsspirale«. Darunter wird eine sich selbst ausweitende diskursive Sequenz verstanden, in der ein Ereignis durch einen Signifikationsprozess als eskalierend repräsentiert wird und angeblich an Bedrohlichkeit zunimmt (22 ). Eine solche Spirale kann folgende Elemente enthalten: ( ) Identifizierung eines bestimmten »Problemthemas« (2) Identifizierung einer subversiven Minderheit ( ) Artikulation - d. h. Herstellung von »Konvergenz« - des Themas mit anderen gesellschaftlichen Problemen ( ) Einrichtung symbolischer »Schwellen«, deren Überschreitung zur Eskalation der Bedrohung führen kann ( ) Vorhersage noch größerer Probleme, sollten keine Maßnahmen getroffen werden (6) der Ruf nach »strengeren Maßnahmen« Eine notwendige Voraussetzung zur weiteren Eskalation des Problemthemas ist die Konstruktion von Konvergenzen zwischen dem anfangs ausgemachten Problem und anderen Themen, also die Artikulation von Äquivalenzketten. Auf die erste Phase, in der vereinzelte moralische Paniken einer allgemeinen Krisenstimmung Ausdruck geben, folgt eine zweite Phase, in der moralische Paniken zu konvergieren beginnen. »Beunruhigende« Entwicklungen wie Drogenhandel, die Desintegration der Kleinfamilie, das Anwachsen sozialer Proteste und die Straßenkriminalität werden zu einem einzigen imaginären Bedrohungsszenario verschmolzen. In diesen späteren Stadien der Eskalation kommt es zur Artikulation »moralischer Paniken in eine generelle Panik bezüglich sozialer Ordnung« (222). Die Spirale moralischer Paniken könne somit die Entwicklung hin zu einer Law-andorder-Gesellschaft begleiten. In den Augen der Studienautoren war genau das in Großbritannien der Fall. Traten in den frühen 60er Jahren Paniken etwa <?page no="237"?> 23 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 2 8 gegenüber »Mods« und »Rockern« noch isoliert auf, so beschleunigte sich gegen Ende des Jahrzehnts die Abfolge von Paniken. Zur Angst gegenüber Jugendkulturen gesellten sich moralische Ängste u. a. gegenüber Drogen und Pornografie. Moralische Paniken wurden nach und nach miteinander verknüpft, und in der ausgeweiteten Krise der 0er Jahre veränderte sich deren Sequenz. Nicht nur wurden Moralpaniken zum Dauerphänomen, sondern zunehmend unterlagen sie der Strukturierung durch staatliche Kontrollinstanzen, deren Handlungen wiederum durch die Ausweitung moralischer Paniken legitimiert wurde: »Die ›moralische Panik‹ scheint uns eine der Hauptformen des ideologischen Bewusstseins zu sein, durch welche eine ›stille Mehrheit‹ gewonnen wird, um die zunehmenden Zwangsmaßnahmen von Seiten des Staates zu unterstützen und einer über das übliche Maß hinausgehenden Ausübung von Kontrolle Legitimität zu verleihen« (22 ). Worauf die »mugging«-Panik also verweist, ist eine sehr viel weitreichendere Verschiebung in der hegemonialen Formation. Vor dem Hintergrund der organischen Krise kommt es zur Erosion der Autorität des hegemonialen Blocks, die mit der langsamen, sich über Jahre erstreckenden Ausweitung repressiver Maßnahmen beantwortet wird. Es kommt zur zunehmenden Ersetzung der »Verwaltung von Konsens« zur »Verwaltung von Dissens« (»managed dissensus«, 20), und die »mugging«-Panik ist zugleich Resultat und Antrieb des Wechsels von einem konsensuellen zu einem stärker von Zwang und Kontrolle bestimmten Management sozialer Konflikte. In dieser Situation organisiert sich der politische Diskurs neu. Rassistische Diskurselemente begleiten zunehmend die klassischen Themen moralischer Panik. Das Bild des »mugging«, das als eines der Artikulationsprinzipien der Krise dient, erlaubt es, die Themen von Kriminalität und Jugend mit rassistischen Diskursen zu verknüpfen. Das Ergebnis ist die diskursive Rassifizierung des sozialen Phänomens der Straßenkriminalität durch medial mobilisierte Moralpaniken: »Im Vokabular sozialer Angst werden Schwarze und Asiaten zu hausfrei gelieferten Symbolen und Symptomen einer ganzen Abfolge von Dislokationen: am Wohnungsmarkt, in der Nachbarschaft, der Familie, Sexualität, <?page no="238"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 2 9 239 Freizeit, in Recht und Ordnung« ( 60). Da das Phänomen der Straßenkriminalität vor allem in den innerstädtischen Ghettos verortet wird, werden »mugging« und »black crime« zu Synonymen ( 2 ). Soziale Probleme werden im Referenzrahmen rassistischer Diskurse diskutiert: »Die Kontrolle der Schwarzen drohte sich mit dem Problem der Kontrolle der Armen und der Kontrolle der Arbeitslosen zu vermischen« ( 2). So wurde die partikulare Frage der rassistischen »Kontrolle der Schwarzen« in ein Äquivalenzverhältnis gebracht mit dem allgemeinen Problem der »Kontrolle der Krise«. Mithin wurde »Schwarz« zum Signifikanten der Krise selbst: »›Rasse‹ wurde zum objektiven Korrelat der Krise«, auf das sich all jene »komplexen Befürchtungen, Spannungen und Ängste, die durch die Auswirkungen der Krise auf die gesamte Gesellschaft entstanden waren« ( ), projizieren ließen. 6.4. Halls Thatcherismus-Analyse: Politik als hegemoniales Projekt Policing the Crisis erschien ein Jahr vor dem ersten Wahlsieg Margaret Thatchers. Die Restrukturierung des hegemonialen Diskurses der späten 0er Jahre in Großbritannien war nicht allein das Werk der »eisernen Lady«, doch mit der Übernahme der Macht innerhalb der Tory-Party durch Thatcher bemächtigte sich eine besonders extreme Ausformung des neuen Artikulationsprinzips eines großen Parteiapparats. Noch in Policing the Crisis hatten Hall und seine Mitautoren ( 9 8: ) mit Sorge beobachtet, dass zum ersten Mal seit dem Krieg eine Fraktion der radikalen Rechten in die Führungsebene der Konservativen aufgestiegen war: »Mit der Wahl von Mrs. Thatcher und ihrer Entourage gehört diese Fraktion nicht länger den hinteren Reihen und äußeren Ablegern der Tories an. Sie wurde im intellektuellen und politischen Zentrum der Partei installiert.« Nach ihrer Wahl zur Premierministerin gelang es Thatcher durch eine Vielzahl von Privatisierungen, Einschnitte in den öffentlichen Ausgaben und die Bekämpfung der Gewerkschaften, das Paradigma staatlicher Politik in Richtung Neoliberalismus zu verschieben. Selbst nach <?page no="239"?> 240 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 2 0 Übernahme der Regierungsmacht durch Labour musste sich Tony Blair - dessen Politik gelegentlich als »Thatcherism with a human face« beschrieben wurde - auf einem signifikant veränderten hegemonialen Terrain bewegen. In dieser Hinsicht begleitet uns Thatchers Erbe eines inzwischen in den meisten europäischen Ländern dominierenden Neoliberalismus immer noch. Die von Stuart Hall unter dem Titel The Hard Road to Renewal ( 988) vorgelegten und bis heute maßgeblichen Analysen thatcheristischer Politik sind deshalb von andauernder Aktualität. Selbst der Begriff Thatcherismus, der sich zur Beschreibung dieser Politik durchgesetzt hat, wurde von Hall geprägt. Hall zufolge wurde der »verwaltete Dissens« zunehmend auf Kontrolle und Zwang setzender früherer Regierungen, wie Policing the Crisis ihn beschrieben hatte, von Thatcher zu einem autoritären Populismus weiterentwickelt. Was ist darunter zu verstehen? Zum Ersten stellte Thatchers Populismus einen Versuch dar, »das Gravitationszentrum in Gesellschaft und Staat dem ›autoritären‹ Pol der Regulation näherzurücken« (8 ): Kontrolle, Strafe, Überwachung und die Suche nach Sündenböcken wurden zu zentralen politischen Strategien. Populistisch waren diese Strategien, weil sie darauf zielten, einen Widerspruch zwischen den popularen Klassen und dem Machtblock zu artikulieren. Hall bezieht sich damit ein weiteres Mal auf Laclaus Theorie des Populismus. Dieser hatte ja argumentiert, populistische Diskurse besäßen keine intrinsische Klassenzugehörigkeit, sondern seien aus sehr unterschiedlichen Diskurselementen zusammengesetzt. Diese werden als populistisch definiert, weil mit ihrer Hilfe ein »populares« politisches Subjekt im Antagonismus gegenüber dem »Machtblock« konstruiert wird. Besonders in Zeiten organischer Krise werden Diskurselemente aus einer nicht länger gefestigten hegemonialen Formation freigesetzt und für populistische Reartikulationen verfügbar. So kann ein populares Subjekt gegen den »Machtblock« artikuliert werden, es kann aber, worauf Hall hinweist, auch mit dem Machtblock artikuliert werden, z. B. in Form eines »großen nationalen Kreuzzugs, um ›Britannien wieder zur alten Größe zu verhelfen‹« ( 9). In diesem Fall handelt es sich <?page no="240"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 2 241 um eine autoritäre Version des Populismus, wie sie der Thatcherismus repräsentierte: Radikal-populare Gefühle werden aus dem Inneren des Machtblocks angerufen und gegen einen Gegner wie »die Bürokratie« des keynesianischen Wohlfahrtsstaats gewendet, womit sie zugleich reabsorbiert werden und ihre Sprengkraft neutralisiert wird. Dies führe, im Unterschied zu revolutionären Formen des Populismus, nicht zu einem popularen Bruch, also zum Antagonismus zwischen popularen Klassen und Machtblock, sondern zur popularen Einheit des gesamten »Volkes« - natürlich unter Ausschluss »der Bürokratie«, aller »Sozialschmarotzer« und nicht zuletzt der als sozialistisch diffamierten Labour-Politik. Die Strategie Thatchers war noch in anderer Hinsicht populistisch. Nicht nur wurde ein homogenes »Volk« angerufen, um neoliberale Maßnahmen gegenüber einem angeblich versteinerten und ineffizienten Verwaltungsapparat zu legitimieren, auch wurden diese Maßnahmen innerhalb des modifizierten Alltagsverstands der Leute verankert: »Beim Thatcherismus geht es um die Neuartikulation des Alltagsverstands: sein Ziel ist es, zum ›Alltagsverstand unserer Zeit‹ zu werden«. Da der Alltagsverstand unsere ganz gewöhnlichen Überlegungen formt, erscheine er uns »so natürlich wie das Atmen« (8). Aus genau diesem Grund zielt jeder langfristig angelegte hegemoniale Kampf darauf, das eigene Projekt in Form des Alltagsverstands zu naturalisieren. Wenn der Neoliberalismus beispielsweise von »freier Wahl« und »Eigenverantwortung« spricht, dann wird versucht, den Abbau staatlicher Sicherungssysteme und deren Privatisierung mit im Alltagsverstand positiv besetzten Begriffen zu verknüpfen. Sollte der Versuch der Artikulation von / Freiheit/ und / Verantwortung/ mit / freier Marktwirtschaft/ und / privater Vorsorge/ dauerhaft gelingen, dann wird sich auch das Alltagsverständnis von / Freiheit/ und / Verantwortung/ in diese Richtung verschieben. Der Thatcherismus bestand in einer Vielzahl solch diskursiver Operationen, die durch Reartikulation vormals nicht oder anders verknüpfter Elemente neue Äquivalenzketten schmiedeten: Das Monopol, das die Sozialdemokratie im Bereich staatlicher Verwaltung besaß, hatte den Diskursen des Thatcherismus ermöglicht, am negativen Pol Etatismus, Bürokratie, Sozialdemokratie <?page no="241"?> 242 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 2 2 und einen »schleichenden Kollektivismus« zu verdichten. Dieser Repräsentation des »Machtblocks« wurden am positiven Pol verschiedene Verdichtungen aus Besitzindividualismus, persönlicher Initiative, »Thatcherismus« und Freiheit entgegengestellt. So wird es möglich, Labour als Teil der »großen Batallione« darzustellen, die gegen den »kleinen Mann« (und seine Familie), der von ineffizienter Staatsbürokratie unterdrückt wird, auffahren. So wird die Sozialdemokratie mit dem Machtblock in Verbindung gebracht, während Mrs. Thatcher draußen »bei den Menschen« ist. Das hat dem Thatcherismus ermöglicht, den Volk/ Machtblock-Widerspruch zu neutralisieren. (142) Dies konnte nur gelingen, weil es der Thatcherismus zustande brachte, die unterschiedlichen Elemente des konservativen Tory- Diskurses, den er beerbt hatte, mit dem Diskurs des Neoliberalismus zu versöhnen. Die Äquivalenzkette »Nation, Familie, Pflicht, Autorität, Standards, Traditionalismus, Patriarchat« wurde um die Themen des Neoliberalismus - »Eigeninteresse, Konkurrenzindividualismus, Anti-Etatismus« ( ) - erweitert. Doch diese Äquivalenzkette hätte sich nicht stabilisieren lassen, wäre sie nicht offen einem »negativen Pol«, einem äußeren Feind gegenüber artikuliert worden. Hieran zeigt sich, dass keine hegemonietheoretische Analyse ohne den Begriff des Antagonismus auskommen kann, der ja den Pol reiner Negativität markiert, dem gegenüber Äquivalenzketten aus differenziellen Elementen heraus artikuliert werden (sh. Kap. .2.). Wenn in Halls eigenen Worten (2000h: ) das kulturelle Feld »ein Feld wuchernder Antagonismen« darstellt und Antagonismus die einzige Form ist, »in der das endlos widerspruchsvolle Terrain kultureller Produktion und Artikulation erfasst werden kann und in der mit ihm gerungen werden kann«, dann ist Kraniauskas’ Kritik am Fehlen jeglichen Begriffs politischer Negativität im Modell des kulturellen Kreislaufs durchaus ernst zu nehmen. Eine Kulturanalyse, die Kultur meint anders erfassen zu können als antagonismustheoretisch - etwa »in einer monistischen, teleologischen, hegelianischen, positivistischen oder evolutionären Weise« (ebd.) -, die also ohne den Begriff des Antagonismus auszukommen vermeint, könne Hall zufolge nicht als genuine Cultural Studies-Analyse gelten. <?page no="242"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 2 243 6. . Das Mikro/ Makro-Problem und die Passage durch die Negativität Damit wären wir in der politischen Kernzone des Cultural Studies-Projekts angelangt. Der dafür bezeichnende »notwendige Umweg über die Theorie« hat sich in letzter Instanz als Umweg über eine Theorie des Politischen erwiesen, vorausgesetzt, man versteht unter Macht, Hegemonie und Antagonismus die Kategorien des Politischen. Ja die Cultural Studies, zumindest im Umkreis Stuart Halls, erweisen sich selbst als ein »politisches Theorieprojekt« (Hall 2000a). Aus diesem Grund ist es für eine Darstellung des Projekts der Cultural Studies unumgänglich, den vermeintlichen Umweg über die Theorie zu nehmen und das theoretische Konzept des Antagonismus noch etwas genauer zu konturieren. Der erneute Rekurs auf Laclau und Mouffe wird uns abschließend erlauben, das Moment »politischer Negativität« dem Cultural Studies-Paradigma wieder dort einzuschreiben, wo es offenbar verloren gegangen ist, hatte doch vor allem die Hegemonietheorie Laclaus und Mouffes das Hall ’ sche Konzept des Antagonismus ursprünglich geprägt. Dieser Umweg wird uns zugleich ermöglichen, das in Kapitel . . vertagte Problem des Verhältnisses zwischen der Mikroebene kultureller Praxen und der Makroebene hegemonialer Formationen einer Lösung näher zu bringen. Wie erwähnt, liegt beiden Ansätzen, der Birmingham-Tradition wie auch der so genannten Essex School um Laclau und Mouffe, Gramscis Hegemonietheorie und damit ein politisches Verständnis von Kultur zugrunde. Etwa Ende der 0er Jahre strebten beide Ansätze jedoch auseinander, was nicht zuletzt mit Entwicklungen innerhalb der Cultural Studies zu tun hat. Widmeten sich die Cultural Studies auf der einen Seite vornehmlich Fragen der Produktion und Reproduktion hegemonialer Praxen in der Populärkultur und im Alltag - im Sinne des von Raymond Williams proklamierten Kulturbegriffs einer umfassenden Lebensweise -, so zieht die Essex School auf der anderen Seite vornehmlich makropolitische Diskurse zur Analyse heran. Obwohl <?page no="243"?> 244 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 2 das Feld der Kultur in jeder post-gramscianischen Theorie eine wichtige Rolle spielt, sind es nicht die mikropolitischen Analysen des Alltags und der Popularkultur, denen die Aufmerksamkeit der Essex School gilt, sondern die Diskurse des politischen Diskursfelds. So beschäftigt sich zum Beispiel die Studie einer Laclau- Schülerin mit dem Rassifizierungs- und Sexualitätsdiskurs der britischen Neuen Rechten von Powell bis Thatcher (Smith 99 ), eine weitere umfangreiche Studie analysiert den südafrikanischen Diskurs der Apartheid (Norval 996) und andere beschäftigen sich mit dem Diskurs des rechten Neopopulismus in Europa oder verschiedensten nationalen hegemonialen Formationen (Howarth et al. 2000; Marchart 2002b). Andererseits wurde von weiten Teilen der Cultural Studies - besonders von den Subkulturstudien und der Mediennutzungsforschung - gerade der umgekehrte Weg in die Mikropolitikanalyse eingeschlagen. Ohne Zweifel war es zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt notwendig, das Politische am scheinbar Privaten und den mikropolitischen Widerstand im scheinbar apolitischen Alltagsleben aufzuspüren, also ein verkürztes Politikkonzept zu dekonstruieren. Dieses Projekt der Mikropolitikanalyse der Cultural Studies korrelierte historisch mit der Ausweitung des Politischen auf das »Private« und »Persönliche« durch den Feminismus und auf das Alltagsleben und die »Mikrophysik« der Macht durch Foucault und De Certeau. Da aus theoriestrategischen Durchsetzungsgründen dieser neue theoretische Zugang aber so pointiert wie möglich formuliert werden musste, wurden in den Arbeiten der Cultural Studies makropolitische Fragen oftmals ignoriert. Das heißt, Analysen makropolitischer hegemonialer Formationen - wie sie etwa Hall ( 988) zum Thatcherismus oder Grossberg ( 992) zum US-Konservatismus geliefert haben - sind trotz ihrer überragenden Bedeutung im Feld der Cultural Studies Einzelfälle geblieben. Das ist aus folgendem Grund bedauerlich: Zwar steht außer Zweifel, »dass die generellen Makroprozesse nur durch eine Unzahl von Mikroperformanzen von Macht operieren können, von denen keine im vorhinein garantiert werden kann« (Morley 992: 9). Doch aus der Tatsache, dass das Feld der Alltagskultur nicht frei von Politik ist, sondern vielmehr von mikrowww.Claudia-Wild.de: <?page no="244"?> Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 2 24 politischen Praxen (etwa der Disziplinierung und des Widerstands) konstruiert wird, folgt natürlich keineswegs, dass das scheinbar konventionelle Feld der Makropolitik seinerseits an Bedeutung verloren hätte. Das Gegenteil ist der Fall. Politische Artikulationen des Staates, der Parteien, der politischen und sozialen Bewegungen sind nach wie vor von enormer Bedeutung für die Konstruktion hegemonialer oder gegen-hegemonialer Formationen. Dass die Distanz zwischen Laclaus und Mouffes Hegemonietheorie und den Cultural Studies am Maßstab der unterschiedlichen Fokussierung auf entweder Makro- oder Mikropolitik gemessen werden kann, wird gelegentlich von Vertretern der Cultural Studies eingestanden - etwa wenn John Fiske ( 99 : 9) anerkennt, dass Laclau »besonders um das Radikale und das Makropolitische bemüht ist, während ich die Effektivität der Popularkultur vor allem im Progressiven und Mikropolitischen sehe«. Ähnlich wie im Resistance-through-Style-Paradigma der Subcultural Studies wird von Fiske angenommen, man müsse die Verbindungen zwischen Popularkultur und Politik, zwischen dem Taktischen und dem Strategischen nicht als »direkt und unmittelbar ansehen« ( 6 ), sondern vielmehr als diffus und immer verschoben/ aufgeschoben. Obwohl dieser Standpunkt für eine Untersuchung mikropolitischer Widerstandsformen vertretbar ist, und obwohl Fiske zugesteht, dass »die Herstellung produktiver Verknüpfungen zwischen widerständigen Taktiken des Alltags und Aktionen auf der strategischen Ebene zu den wichtigsten und doch liegengelassenen Aufgaben der Linken« ( 62) zähle, wird damit doch nicht erklärt, wie das Populare mit dem Makropolitischen verknüpft wird und indirekte Aktionsformen zu direkten werden. Es gilt, die Transformationsweisen von mikropolitischen Praktiken in Makropolitik zu erklären, da politische Mobilisierung, die einen gewissen Grad öffentlicher Sichtbarkeit und organisatorischer Dichte erfordert, mit einem nur an mikropolitischen Praxen geeichten Instrumentarium nicht mehr analysiert werden kann. 69 Hinzu kommt die Gefahr, dass die Beschreibung von 69 Die Wurzel dieses Problems der Cultural Studies mag bereits in einer selektiven Lektüre Gramscis angelegt gewesen sein. Indem Politik von den Cul- <?page no="245"?> 246 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 2 6 Unterordnungsverhältnissen, wie sie im Feld der Popular- und Alltagskultur etwa entlang der Achsen von »race«, gender oder class reproduziert werden, impressionistisch bleibt, solange diese Unterordnungsverhältnisse nicht im Rahmen der hegemonialen Formation als ganzer verortet werden. Im Feld der Cultural Studies gibt sich folglich ein Desiderat zu erkennen: die klare Bestimmung der Verknüpfungsweise zwischen der »Mikro-Politik des Alltagslebens und der Makro-Politik organisierter Aktion« ( 6 ). Es stellt sich heute für die Cultural Studies die Frage, wie die Artikulation zwischen der Mikroachse und der Makroachse von Politik gedacht werden kann. Es scheint, dass diese Frage am angemessensten durch die Einbeziehung der makropolitischen Hegemonietheorie Laclaus und Mouffes und die Berücksichtigung ihrer für jeden Artikulationsprozess zentralen Kategorie des Antagonismus beantwortet werden kann. Denn was ist unter jenen »wuchernden Antagonismen«, die Hall zufolge das Feld Kultur überformen, zu verstehen? Zuallererst sind darunter soziale Konflikte zu verstehen, die aufbrechen können, sobald es zu krisenhaften Erschütterungen einer hegemonialen Formation kommt. Dislozierte Identitäten und Diskurselemente werden freigesetzt und können zu neuen politischen Subjekten oder Bewegungen artikuliert werden. Alte politische Grenzen oder Lagerbildungen können verschoben werden, neue Allianzen können sich bilden. Dies erfordert eine hegemoniale oder eine gegen-hegemoniale Anstrengung. Wie wir bereits gesehen haben, besteht diese Anstrengung in der Artikulation vormals unzusamtural Studies auf die kulturelle Dimension von Mikropolitik reduziert wurde, kam es gewissermaßen zur Halbierung der gramscianischen Hegemonietheorie: Es wurde übersehen, dass schon bei Gramsci zum Aufbau einer Hegemonie irgendeine Form organisatorischer Makro-Artikulation oder Verdichtung auf Ebene der Politik notwendig ist. Zwar ist diese Dimension allein nicht ausreichend, weshalb Gramsci gegen die reduktionistische Idee eines politischen »Bewegungskrieges« (der bloßen Übernahme der Staatsmacht) sein Konzept kultureller Hegemonie starkmacht, doch ist sie zugleich unabdingbar: Seine Konzepte des »kollektiven Willens« und des »modernen Fürsten« (bei Gramsci die Partei), der die organisatorische Rolle eines kollektiven organischen Intellektuellen übernimmt, deuten auf eine notwendige Dimension des Makropolitischen, die nicht ohne Folgen aus dem Theoriegebäude entfernt werden kann. <?page no="246"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 2 24 menhängender Elemente zu einer Äquivalenzkette. Margaret Thatchers Kombination von konservativen mit neoliberalen und disziplinarstaatlichen Diskursen mag dafür als Beispiel gelten. Äquivalent können differenzielle Elemente aber nur im Verhältnis zu einem sie alle negierenden Außen gemacht werden. Indem Thatcher den keynesianischen Wohlfahrtsstaat als sozialistisch, bürokratisch und ineffizient brandmarkte, konstruierte sie ein Feindbild, das es ihr erlaubte, eine vorübergehende Äquivalenz zwischen der Politik der Konservativen und einer symbolischen Bevölkerungsmehrheit herzustellen, die in gewisser Weise vom Wohlfahrtsstaat profitiert hatte. Am anderen Ende der ideologischen Skala arbeiten viele emanzipatorische oder gegen-hegemoniale Soziale Bewegungen mit denselben diskursiven Mitteln. Auch sie artikulieren politische Forderungen mithilfe antagonistischer Diskurse. Geschieht dies, so werden vormals eingeschliffene identitäre Verhältnisse des Ausschlusses und der Unterordnung politisch thematisiert und über Konfliktartikulation zur Verhandlung gestellt. Für Laclau ( 990) stellt das Soziale einen Raum dar, in dem solche Ausschluss- und Unterordnungsverhältnisse naturalisiert wurden und sich zu Sedimenten früherer Machtkämpfe abgelagert finden. In gleichem Ausmaß, in dem ihr konfliktorischer Ursprung in Vergessenheit geriet, werden sie in Form unhinterfragter Riten und Institutionen perpetuiert. Erst wenn das Politische im strengen Sinne des Antagonismus die Bühne betritt, kann es zur Dislozierung dieser Sedimente kommen. Denn im Konflikt erweist sich, dass die Dinge auch anders liegen könnten, dass der vormals konsensuell gesicherte Status quo auf Dissens stößt und Zustimmung nicht mehr umstandslos garantiert werden kann. Die sedimentierten, d. h. unhinterfragten und für selbstverständlich erachteten sozio-kulturellen Unterordnungsverhältnisse werden, um eine terminologische Unterscheidung Laclaus und Mouffes aufzunehmen, nun plötzlich als zu bekämpfende Unterdrückungsverhältnisse wahrgenommen: Wir verstehen unter einem Unterordnungsverhältnis die Unterwerfung eines soziale Agenten unter die Entscheidungen eines anderen - beispielsweise die Unterwerfung eines Arbeiters unter die <?page no="247"?> 24 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 2 8 Entscheidung eines Unternehmers, oder in bestimmten Formen der Familienorganisation die der Frau unter die Entscheidungen des Mannes und so weiter. Unterdrückungsverhältnisse nennen wir im Gegensatz dazu jene Unterordnungsverhältnisse, die sich zu Orten von Antagonismen transformiert haben. (Laclau und Mouffe 1991: 212f) Diese terminologische Präzisierung hilft zu verstehen, auf welche Weise im Medium des Sozialen und der Kultur sedimentierte Unterordnungsverhältnisse politisch reaktivierbar und veränderbar sind. Aus Cultural Studies-Perspektive muss dabei beachtet werden, dass die Repräsentationen von Unterordnungsverhältnissen innerhalb der Populärkultur - z. B. in Fernsehen und Werbung stereotyp repräsentierte untergeordnete Geschlechterpositionen von Frauen - nur als Indikatoren einer latenten Antagonisierung, respektive eines sedimentierten Geschlechterkonflikts studiert werden können. Während solche Unterordnungsverhältnisse im weitesten Sinne »politische« Wurzeln haben, da sie nur über den Einsatz von Macht perpetuiert werden können, wäre es nicht statthaft, sie deshalb schon als antagonistisch zu beschreiben. In sedimentierter Form bilden sie »nur eine Reihe differentieller Positionen zwischen den sozialen Agenten, und wie wir bereits wissen, kann ein System von Differenzen, das jede soziale Identität als Positivität konstruiert, nicht nur nicht antagonistisch sein, sondern würde die idealen Bedingungen für die Beseitigung aller Antagonismen bewirken - wir wären mit einem genähten sozialen Raum konfrontiert, von dem jede Äquivalenz ausgeschlossen wäre« (2 ). Erst wenn die differenziellen Positionen zu Äquivalenzketten zusammengeschlossen werden, taucht der Antagonismus auf als rein negatives Prinzip ihrer Vereinheitlichung. Mit anderen Worten, ein soziales System, das als ein »genähtes«, geschlossenes oder selbstgenügsames Differenzsystem beschrieben werden könnte, wäre nicht imstande, irgendein antagonistisches, d. h. makropolitisches Verhältnis herzustellen, worin Differenzen gegen einen gemeinsamen Feind zu einer Äquivalenzkette artikuliert würden. Wir verblieben gleichsam für immer im Sumpf sedimentierter Traditionen, Riten, Stereotypisierungen und Klischees in ihrer rein repetitiven und differenziellen Form. Erst <?page no="248"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 2 9 249 durch das Auftauchen sozialer Kämpfe und Antagonismen - vom Feminismus über den Antirassismus bis hin zur gegenwärtigen globalisierungskritischen Bewegung - beginnt sich dieser Sumpf als Sumpf darzustellen, aus welchem soziale Bewegungen sich am eigenen Schopfe herauszuziehen vermögen. 0 Doch das gelingt ihnen letztlich nur über das Medium der Konfliktartikulation, z. B. durch Proteste, Demonstrationen oder Streiks. Aus diesem Grund erweist sich das Konzept des Antagonismus als mögliche Antwort auf die Frage nach dem Verhältnis zwischen der kulturellen Mikroebene und der systemischen Makroebene von Politik. Antagonismus kann als jene Schlüsselkategorie identifiziert werden, die den Moment erklärt, in dem kulturelle Identitäten - in einem Prozess des, wenn man so will, »going macro« - die Erfahrung ihrer Antagonisierung machen, also zugleich die Erfahrung der Frustration ihrer eigenen eingeschliffenen Vorstellungen und Praktiken und die Erfahrung der Äquivalenz mit anderen, neu hinzutretenden Praktiken und Forderungen. Makropolitik ist so gesehen nichts anderes als ein Name für diese Passage durch Negativität und Antagonisierung. Nur in dem Ausmaß, in dem differenzielle kulturelle Positionen entlang einer Äquivalenzkette artikuliert werden, lässt sich z. B. vom Auftreten Sozialer Bewegungen sprechen. Denn von alleine, d. h. ohne den Durchgang durch den Antagonismus, werden die 0 Warum am eigenen Schopf? Weil politische Bewegungen zwar nicht die voluntaristischen Urheber ihrer eigenen Identität sind, die sich ja erst über den Prozess diskursiver Artikulation herstellt (aus dieser radikalkonstruktivistischen Perspektive handelt es sich bei Politik um einen Prozess, der die Identität seiner Akteure konstruiert und nicht umgekehrt, vgl. Laclau 200 ), aber dennoch solch asubjektives Handeln eine Art transzendentale Illusion der eigenen Subjektivität voraussetzt. Würden wir nicht daran glauben, dass wir die »Herren« unseres Willens sind, würden wir nicht zu handeln beginnen. Oder, mit Heidegger und Lacan gesagt: Auch wenn wir selbst von der Sprache gesprochen werden (d. h. auch wenn unsere Identität aus den Diskursen des symbolischen Felds zusammengewürfelt ist), können wir - bei Strafe der Psychose - gar nicht anders, als uns selbst als Urheber unseres Sprechens zu imaginieren. Dass diese Illusion regelmäßig scheitert, etwa in Form der berühmten Freud’schen Fehlleistungen oder in Form politischer Niederlagen, verweist uns immer wieder abrupt darauf, dass wir keineswegs die »Herren« im eigenen Haus der Sprache oder der politischen Subjektivität sind. <?page no="249"?> 2 0 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 2 0 Taktiken des Alltagslebens sich nie zu einer breiteren Strategie addieren, noch werden sich soziale Bedürfnisse je zu politischen Forderungen artikulieren. Ein Begriff von Antagonismus ist folglich unabdingbar, will man jene Prozesse beschreiben, durch die Subkulturen zu Gegenkulturen (vgl. Kap. . .) oder häusliche Mediendekodierungen in breitere Formen der Mobilisierung (vgl. Kap. . .) überführt werden. Unsere sedimentierten kulturellen Identitäten werden erst politisiert, sobald sie auf einen Antagonismus stoßen, also konfliktorisch artikuliert werden. Dieses Phänomen wurde am bündigsten beschrieben in Jerry Rubins Definition des Yippies, also der politischen Version des Hippies: »a Yippie was a Hippie who had been hit on the head by a policeman«. Versteht man unter dem Knüppel der Polizei nicht nur ein Gewaltmittel, sondern ein Symbol politischer Antagonisierung, dann könnte diese Begegnung genau den Augenblick einer politischen Epiphanie beschreiben, in dem das Subjekt der Kultur zur Politik konvertiert. Sie beschreibt den Augenblick der Konversion von Subin Gegenkultur und von mikropolitischen Praxen der Lebensführung in makropolitische Artikulation. <?page no="250"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 2 2 1 Cultural Studies: eine politische Perspektive Nachbemerkung Wenn die politische Aufgabe in dem Nachweis besteht, daß Theorie niemals nur theoria (im Sinne unvoreingenommener Kontemplation) ist und daß sie äußerst politisch (im Sinne von phronesis oder sogar práxis) ist, warum nennen wir diesen Prozeß nicht einfach Politik oder eine notwendige Form derselben? Judith Butler (2003: 146) In unserer Darstellung hatten wir versucht, die Perspektive der Cultural Studies anhand der Leitkategorien von Kultur, Macht und Identität nachzuzeichnen. Man darf sich, das sollte deutlich geworden sein, vom Namen der Cultural Studies nicht irreführen lassen. Denn den Cultural Studies geht es gar nicht in erster Linie um kulturelle Produkte im herkömmlichen Sinn, etwa den Sony- Walkman. Wo diese analysiert werden, gilt die Analyse tatsächlich der breiteren sozialen Formation, den sozialen Macht- und institutionellen Regulationsverhältnissen, in die sie eingelassen sind. Trotz ihres Namens steht also nicht »die Kultur« im Zentrum des Projekts der Cultural Studies, sondern als analytisches Projekt betreiben die Cultural Studies - jedenfalls in jener Tradition, die hier vorgestellt wurde - vielmehr eine »Kritik der Macht« (Winter 200 ). Oder genauer: eine politische Analyse von Machtbeziehungen und sozialen Kämpfen. Das heißt, Cultural Studies betreiben in letzter Instanz keine Kulturanalyse, sondern sie betreiben Machtanalyse anhand popularkultureller Phänomene und Formationen. So unterscheiden sie sich von anderen Ansätzen der Kulturwissenschaft und Kulturanalyse darin, dass aus ihrer Perspektive »popularer Diskurs nicht von Kultur handelt, sondern von den Kämpfen um die Artikulation der Beziehungen zwischen sozialer und ökonomischer Macht, zwischen politischen <?page no="251"?> 2 2 www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 2 2 Formen von Handlungsfähigkeit und Modi diskursiver Praxen« (Grossberg 2000: ). Unter Kultur müsste, so das Fazit, dann letztlich jener (Nicht-)»Ort« des Sozialen verstanden werden, an dem Machtverhältnisse verhandelt werden, an dem um die Definition und Redefinition von Unterordnung und Unterdrückung gekämpft wird, an dem soziale Ausschlüsse produziert und legitimiert werden, an dem aber auch sozialer Einschluss reklamiert werden kann. Im Begriff des Kulturellen verbirgt sich das Primat des Politischen. Ein wesentlicher Punkt bleibt hinzuzufügen. Die Cultural Studies hängen nicht der Illusion an, sie selbst - als intellektuelle Praxis - könnten dem Zugriff des Kulturellen und des Politischen entkommen. Sie stehen selbst mitten im Dreieck aus Kultur- Macht-Identität - sie schweben nicht darüber. Folglich hängen sie auch nicht der Illusion an, die von ihnen eingenommene Perspektive sei gesellschaftlich neutral. Die Wissenspraxis der Cultural Studies ist als eine Form der - mittelbaren - politischen Intervention zu verstehen. Doch jede andere Wissenspraxis, selbst eine aktiv depolitisierende, wäre am Ende des Tages - und sei es uneingestanden - nicht weniger politisch. Richard Johnson, einer der früheren Direktoren des Centre for Contemporary Cultural Studies, hat diesen Umstand folgendermaßen beschrieben: Ob die Cultural Studies sich nun eher mit den abstrakteren öffentlichen Wissens- und Erkenntnisformen und den ihnen zugrunde liegenden logischen und definitorischen Bestimmungen befassen, oder die privaten Bereiche der Kultur zu ihrem Untersuchungsobjekt küren, sind sie doch immer notwendigerweise tief in Machtverhältnisse verstrickt. Die Cultural Studies sind Bestandteil des Kreislaufs, den sie beschreiben wollen. Sie können die Beziehungen zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen kontrollieren und kritisieren. Sie können in die Überwachung untergeordneter Gruppen einbezogen oder in Kämpfe um eine angemessenere Darstellung dieser Gruppen verwickelt werden. Sie können Teil des Problems oder Teil der Lösung werden. (Johnson 1999: 1 f.) Selbst wenn, denkt man an Gramscis Metapher des »Stellungskriegs«, nicht immer so klar sein sollte, wo denn die Grenze zwischen Problem und Lösung verläuft, gehen die Cultural Studies <?page no="252"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 2 2 3 doch davon aus, dass man nicht umhin kommt, ständig Entscheidungen bezüglich der eigenen Position im sozialen Kräftefeld zu treffen. Andere Wissenstraditionen mögen diese Entscheidung verweigern, ignorieren oder gar denunzieren, die Cultural Studies versuchen sie bewusst zu treffen. Von daher erklärt sich ihr historisches Engagement unter anderem in der Erwachsenenbildung oder der britischen Neuen Linken. Aus diesen Gründen wäre es wohl kaum überzeugend, wollte eine Darstellung der Cultural Studies vorgeben, deren neutrales und objektives Bild zeichnen zu können. Selbstverständlich bedeutet das nicht, dass Objektivität nicht weiterhin als ein anzustrebendes Ideal gelten kann (wenn sie auch nicht zur Ideologie erhoben werden sollte), doch die Darstellung jedes Wissensgebietes - schon allein deshalb, weil ihr Umfang immer begrenzt ist - wird eine Auswahl treffen und einen spezifischen Blick auf das Dargestellte bevorzugen müssen. Unsere Darstellung galt der politischen Perspektive der Cultural Studies. Zugleich zielte sie darauf, eine politische Perspektive auf die Cultural Studies zu entwickeln. Wenn diese Perspektive anderen, weniger politischen Perspektiven vorgezogen wurde, so deshalb, weil die Geschichte vor allem der britischen Cultural Studies ein, wie es scheint, unabgegoltenes politisches Moment theoretischer Arbeit exemplarisch vorführt, das im gegenwärtigen Cultural Studies-»Boom« zu verschwinden droht. Cultural Studies mögen durchaus noch anderes sein als nur ein »politisches Theorieprojekt« - doch ganz ohne Politik, Theorie und Projekt sind sie keine Cultural Studies. <?page no="253"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 2 <?page no="254"?> www.Claudia-Wild.de: Marchart/ Cultural Studies/ 26.2.2008/ Seite 255 255 Bibliografie Adolf, M. (2006) Die unverstandene Kultur. Perspektiven einer Kritischen Theorie der Mediengesellschaft, Bielefeld: transcript. Adorno, Th. W. (1966) Negative Dialektik, Frankfurt am Main: Suhrkamp. - (1973) Ästhetische Theorie, hrsg. v. Gretel Adorno und Rolf Tiedemann, Frankfurt am Main: Suhrkamp. - (2003) Gesammelte Schriften, hrsg. von Rolf Tiedemann, Bd. 10.1, Frankfurt am Main: Suhrkamp. A.G. Gender-Killer (Hg.) (2005) Antisemitismus und Geschlecht. Von »effeminierten Juden«, »maskulinisierten Jüdinnen« und anderen Geschlechterbildern, Münster: Unrast Verlag. Aglietta, M. (1979) A Theory of Capitalist Regulation. 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Dieses Buch richtet sich an Studierende wirtschafts- und sozialwissenschaftlicher Studiengänge und eignet sich ebenfalls als Nachschlagewerk für Leser mit kulturellem und geschichtlichem Interesse. Werner Heinrichs Die Moderne Bilanz einer Epoche 2017, 510 Seiten, Hardcover ISBN 978-3-86764-808-0 Bilanz einer Epoche <?page no="279"?> www.uvk.de Neues Vertrauen schaffen Das Vertrauen in unsere Währungen sinkt: Die Zentralbanken fluten die Finanzmärkte mit billigem Geld. In Deutschland boomt die Wirtschaft, während in anderen Euro-Ländern hohe Arbeitslosigkeit und Staatspleiten drohen. Kann ein System mit Niedrigzins, Deflationsgefahr und geliehenem Wohlstand dauerhaft bestehen oder sollte eine Suche nach alternativen Geldsystemen beginnen? Schließlich haben Menschen seit jeher auch andere Tausch- und Finanzsysteme verwandt. Und: Heute sind Miles & More-Punkte, realer Warentausch oder digitale Währungen wie Bitcoins bereits Realität. Auch die Systemfrage stellt sich: Sollten allein Zentralbanken Geld ausgeben oder auch die Geldausgabe frei für Jedermann möglich sein? Lernen Sie durch das Buch mehr über das aktuelle Geldsystem und seine Alternativen in Form von Ersatz- oder Komplementärwährungen, die neues Vertrauen schaffen könnten. Ottmar Schneck, Felix Buchbinder Eine Welt ohne Geld Alternative Währungs- und Bezahlsysteme in einer immer turbulenteren Finanzwelt 2015, 250 Seiten, Flexcover ISBN 978-3-86764-601-7 19,99 €