eBooks

Deutsche Literatur der Frühen Neuzeit

Humanismus, Barock, Frühaufklärung

0715
2019
978-3-8385-5024-4
978-3-8252-5024-9
UTB 
Achim Aurnhammer
Nicolas Detering

Das Buch bietet einen chronologischen Überblick über die Großepochen Renaissance, Barock und Frühaufklärung unter Berücksichtigung der neueren Forschung. Passagen zu den sozial- und ideengeschichtlichen Voraussetzungen und exemplarische Einzelinterpretationen zeigen die deutsche Literatur in ihrem europäischen Kontext und im Verhältnis zu ihren Nachbarliteraturen. Zudem erläutert die Darstellung systematisch den Wandel der Autorschaftskonzepte. Dem illustrierten Darstellungsteil folgt ein Anhang mit repräsentativen Texten der Frühen Neuzeit.

<?page no="0"?> Achim Aurnhammer Nicolas Detering Deutsche Literatur der Frühen Neuzeit Deutsche Literatur der Frühen Neuzeit Aurnhammer | Detering Das Studienbuch führt in die deutsche Literaturgeschichte der Frühen Neuzeit ein und bietet einen chronologischen Überblick über die Großepochen Renaissance, Barock und Frühaufklärung. Unter umfassender Berücksichtigung der Tendenzen der neueren Forschung stellt der Band maßgebliche Autoren und Werke sowie historische Hintergründe vor und richtet sich damit vornehmlich an fortgeschrittene Studierende und Doktoranden. Weiter ausgreifende Passagen zu den sozial- und ideengeschichtlichen Voraussetzungen wechseln sich mit exemplarischen Einzelinterpretationen ab. Neben dem europäischen Kontext der deutschen Literaturgeschichte, die hier erstmals in ihrer longue durée (1450-1750) und im Verhältnis zu ihren Nachbarliteraturen konturiert wird, verfolgt die Einführung systematisch den Wandel der Autorschaftskonzepte. Dem illustrierten Darstellungsteil folgt ein Anhang mit repräsentativen Texten der Frühen Neuzeit. Damit liegt ein Studienbuch vor, das diese Epoche der Literaturgeschichte forschungsgestützt und analytisch neu perspektiviert vorstellt. Literaturwissenschaft ,! 7ID8C5-cfacej! ISBN 978-3-8252-5024-9 Dies ist ein utb-Band aus dem Narr Francke Attempto Verlag. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehrbücher und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen. utb-shop.de QR-Code für mehr Infos und Bewertungen zu diesem Titel 50249 Aurnhammer_Lgeb-5024.indd 1 24.06.19 09: 30 <?page no="1"?> 000012 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 <?page no="2"?> Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Wilhelm Fink · Paderborn Narr Francke Attempto Verlag · Tübingen Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Ernst Reinhardt Verlag · München Ferdinand Schöningh · Paderborn Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlag · München Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen Waxmann · Münster · New York wbv Publikation · Bielefeld utb 0000 UTB (L) Impressum_18.indd 1 22.05.18 09: 19 5 0 2 4 <?page no="3"?> Prof. Dr. Achim Aurnhammer ist Inhaber des Lehrstuhls für Neuere deutsche Literaturgeschichte an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Prof. Dr. Nicolas Detering ist Assistenzprofessor für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Bern. <?page no="4"?> Achim Aurnhammer, Nicolas Detering Deutsche Literatur der Frühen Neuzeit Humanismus, Barock, Frühaufklärung Narr Francke Attempto Verlag Tübingen <?page no="5"?> Umschlagabbildung: Frontispiz zu Grimmelshausens Simplicissimus Teutsch (1668/ 69); Gustav Könnecke: Bilderatlas zur Geschichte der deutschen Nationallitteratur. 2. Aufl. Marburg 1895, S. 189. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. © 2019 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de Satz: pagina GmbH, Tübingen CPI books GmbH, Leck Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart utb-Nr.: 5024 ISBN 978-3-8252-5024-9 (Print) ISBN 978-3-8385-5024-4 (ePDF) ISBN 978-3-8463-5024-9 (ePub) <?page no="6"?> 000005 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 Inhalt Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 I. EINLEITUNG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1. Die frühneuzeitliche Literatur im 21. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 2. Humanismus, Barock, Frühaufklärung - Einheit und Vielfalt der Frühen Neuzeit . 16 3. Zur Charakteristik der frühneuzeitlichen Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 4. Zum Aufbau der Literaturgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 A HUMANISMUS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 A.I. Frühhumanismus italienischer Prägung nach 1460 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 1. Grundlagen: Der italienische Humanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 1.1. Francesco Petrarca als ,Vater‘ des Humanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 1.2. Geburt der Textkritik bei Poggio und Piccolomini . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 1.3. Übersetzungstheorie und Platonismus im Zuge der Wiedergewinnung der griechischen Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 2. Mediale Europäisierung als Rezeptionsbedingung des deutschen Humanismus . . 35 3. Frühe übersetzerische Aneignung des italienischen Humanismus . . . . . . . . . . . . 36 4. Studia humanitatis und peregrinatio academica: Peter Luder und Rudolf Agricola . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 5. Ende des Frühhumanismus. Maximilians gedechtnus-Kult und der ,Erzhumanist‘ Conrad Celtis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 A.II. Der reformerische Humanismus (1500-1520) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 1. Satirische Polemik und innovative Mediennutzung am Oberrhein . . . . . . . . . . . . 52 1.1. Buchkritik und Narrenschelte: Sebastian Brant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 1.2. Der Brant-Prediger: Geilers von Kaysersberg Straßburger Narrenschiff - Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 1.3. Der streitbare Narrenbeschwörer: Thomas Murner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 1.4. Praeceptor Germaniae : Jakob Wimpfeling und das humanistische Schultheater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 1.5. Der Straßburger Verleger Johannes Grüninger und sein Dyl Ulenspiegel . . . . 62 <?page no="7"?> 000006 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 6 | Inhalt 2. Der ,Fürst‘ der europäischen Gelehrtenrepublik: Erasmus von Rotterdam und sein christlicher Humanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 2.1. Erasmus’ moralkritische und kirchenreformerische Schriften . . . . . . . . . . . 65 2.2. Neutralitätswunsch und Eskalation: Erasmus und die Reformation . . . . . . 67 2.3. Erasmus und der italienische Ciceronismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 3. Ulrich von Hutten und der Reuchlin-Streit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 A.III. Reformation und Konfessionspolemik (1520-1570) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 1. Der Medienstar: Martin Luther und die Anfänge der deutschen Reformationsliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 1.1. Luthers Medientheologie: Reformation als Kommunikationsereignis . . . . . 79 1.2. Sola scriptura : Luthers Bibelübersetzung für den ,gemeinen Mann‘ . . . . . . . 81 1.3. „Ein gute wehr vnd waffen“: Luthers Kirchenlieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 1.4. „Nutz“ und „Kurtzweil“: Zum Funktionswandel der humanistischen Fabel in der lutherischen Reformationspädagogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 2. Trionfo: Ein Fallbeispiel für die Konfessionalisierung der humanistischen Bildsprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 3. Der Meistersinger von Nürnberg: Hans Sachs und das reformatorische Schauspiel nach 1520 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 4. Komik als Kurzweil: Volkssprachliche Kurzprosa der Jahrhundertmitte . . . . . . . . . 98 A.IV. Der nachreformatorische Humanismus (1570-1620) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 1. Späthumanismus als Standeskultur: Gymnasien und Universitäten als literarische Institutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 1.1. Lutherische und katholische Bildungsreformen im 16. Jahrhundert . . . . . . 105 1.2. Das protestantische Schultheater: Nicodemus Frischlin . . . . . . . . . . . . . . . . 107 1.3. Das jesuitische Schuldrama: Jakob Bidermann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 2. Latinisierungen volkssprachlicher Vorläufer: Zur Zweisprachigkeit des Späthumanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 3. „Gemälpoesy“: Deutsche Emblematik um 1600 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 4. ,Volksbuch‘ und Historia: Deutschsprachige Prosaerzählungen um 1600 . . . . . . . 115 5. Von Mäusen und Riesen: Gelehrte Sprachspiele in Versepos und Prosaroman . . . 118 5.1. Georg Rollenhagen und das volkssprachliche Tierepos . . . . . . . . . . . . . . . . 118 5.2. Der Wortspieler: Johann Fischart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 <?page no="8"?> 000007 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 7 Inhalt | 6. Alchemisten, Mystiker und Propheten: Esoterische Tendenzen im Späthumanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 6.1. Johann Valentin Andreae und der Rosenkreuzerorden . . . . . . . . . . . . . . . . 122 6.2. Jacob Böhme und die Sprachmystik des 17. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . 124 B BAROCK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 B.I. Normpoetischer Neuanfang: Regulierung der deutschen Literatur nach 1620 . . . 135 1. Voraussetzungen: Gesellschaft und Literatur im Zeitalter des Dreißigjährigen Kriegs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 1.1. Verspätung der „eignen Muttersprache“: Deutsche Selbstdiagnosen im Lichte der Europäisierung um 1600 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 1.2. Kulturpatriotische Institutionalisierung: Romanische Sprachakademien und die Fruchtbringende Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 1.3. Der Dreißigjährige Krieg und die ,Krise des 17. Jahrhunderts‘ . . . . . . . . . . . 141 1.4. „In unzähligen Stücken verändert“: Der Krieg und die Kommunikationsrevolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 2. Der Fahnenträger: Martin Opitz’ Dichtungsreform in Poetik und Praxis . . . . . . . . 145 2.1. Anfänge: Aristarchus und die bildungspolitischen Bedingungen in Beuthen 145 2.2. Buch von der Deutschen Poeterey (1624) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 2.3. Opitz’ Dichtungsauffassung und die Versreform der Deutschen Poeterey . . . 148 2.4. Musterstücke des Martin Opitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 3. „Nicht so bequem“: Standardisierung und Diversität bei den ,Opitzianern‘ . . . . . 152 3.1. Institutionen und Netzwerke der opitzischen Standardisierung . . . . . . . . . . 154 3.2. Poetischer Rechtfertigungsdruck: Prominente Opitz-,Bekehrungen‘ in den 1630er und 40er Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 3.3. Opitz und das deutsche Lied . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 3.4. Opitz’ Beitrag zur Ausbildung eines rhetorischen Formelguts . . . . . . . . . . . 161 4. Paul Fleming und der opitzische Petrarkismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 5. Versreform und Petrarkismus in der geistlichen Barocklyrik . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 B.II. Kulturpatriotische Konsolidierung nach 1640 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 1. Überblick: Poetische Orientierungssuche nach 1640 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 1.1. Alamode-Kritik: Frankreich als Feindbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 1.2. Sprachpurismus: Zesen und die Sprachgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 1.3. „Entdeckte Lung’ / entblöste Hertzen“. Drastik und ,Tumult‘ als Barockstil 181 <?page no="9"?> 000008 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 8 | Inhalt 2. Barocker Pessimismus: Andreas Gryphius und das ,menschliche Elende‘ . . . . . . . 184 2.1. Gryphius’ Versdichtung mit und nach Opitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 2.2. Gryphius’ dramatisches Werk: Übersetzungen und Lustspiele . . . . . . . . . . . 187 2.3. Die Trauerspiele des Andreas Gryphius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 2.3.1. Leo Armenius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 2.3.2. Bewährte Beständigkeit: Die Trauerspiele Catharina von Georgien , Carolus Stuardus , Papinianus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 2.3.3. Anamorphose der Vergänglichkeit: Das vanitas -Trauerspiel Cardenio und Celinde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 3. Pegnitz-Irenik: Die Literatur des Nürnberger Blumen-Ordens . . . . . . . . . . . . . . . . 196 3.1. Harsdörffer, Klaj, Birken: Das Pegnesische Dreigespann und sein Schäfergedicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 3.2. Die Nürnberger Friedensfeiern 1649/ 1650 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 3.3. Georg Philipp Harsdörffer als Vermittler einer europäischen Konversationskultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 4. Mystische Experimente: Geistliche Figurengedichte bei Catharina Regina von Greiffenberg und Anna Hoyers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 5. Patriotisches Erzählen: Zur Typologie des barocken Romans . . . . . . . . . . . . . . . . 208 5.1. Erzählkomplexität im Dienste der Tugend: Der höfisch-historische Roman 209 5.2. Komisch-moralisches Erzählen im Barock . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 6. Der Unbekannte: Grimmelshausen und sein Simplicissimus . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 6.1. Zur Anlage des Simplicissimus Teutsch und der Continuatio . . . . . . . . . . . . . . 214 6.2. Hülse und Kern: Moralsatirisches Programm in den Paratexten zu Simplicissimus Teutsch und Continuatio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 B.III. Der deutsche Manierismus nach 1660 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 1. Der Manierismus als europäische Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 2. Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau und die erotische Lyrik der Schlesier . 227 2.1. Bildkombinatorik: Hoffmannswaldaus metaphorisches Schreibverfahren . . 228 2.2. Die kolonialisierte Geliebte: Hoffmannswaldaus erotische Gedichte . . . . . . 229 2.3. Breslauer Concettismo: Heinrich Mühlpfort, Hans Aßmann von Abschatz und Christian Gryphius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 3. Der Gelehrte: Daniel Casper von Lohenstein und der Lauf der ,gantzen Welt‘ . . . 233 3.1. Lohensteins Trauerspiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 3.1.1. Türkische Trauerspiele: Ibrahim Bassa (1653/ 1689) und Ibrahim Sultan (1679) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 3.1.2. Afrikanische Trauerspiele: Cleopatra (1661 und 1680) und Sophonisbe (1680) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 3.1.3. Römische Trauerspiele: Agrippina (1665) und Epicharis (1665) . . . . . 237 <?page no="10"?> 000009 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 9 Inhalt | 3.2. Blumen : Lohensteins Gedichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 3.3. „Toll gewordene Realenzyklopädie“? Polyhistorisches Erzählen in Lohensteins Arminius -Projekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 4. Affekttheater: Trauerspiel und Oper im Spätbarock . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 4.1. Pathetisierung und ,Veroperung‘ des Schlesischen Trauerspiels: August Adolf von Haugwitz und Johann Christian Hallmann . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 4.2. Hamburger Theatromania : Die Oper am Gänsemarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 5. Der Politiker: Christian Weise im Dienste der Klugheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 6. Dynamiken des Romans im späten 17. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 6.1. Versepos und Prosaroman: Poetologische Bestimmungen . . . . . . . . . . . . . . 251 6.2. „Blitz / Donner / und Hagel“: Ziglers Asiatische Banise als manieristischer Roman . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 6.3. Johann Beer und die Auflösung pikarischen Erzählens . . . . . . . . . . . . . . . . 255 6.4. Wissen in fiktionalem Gewand: Erasmus Franciscis und Eberhard Werner Happels enzyklopädische Romane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 7. Abraham a Sancta Clara und die Poetisierung der Predigt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 C FRÜHAUFKLÄRUNG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 C.I. Galanterie als Frühaufklärung: Poetischer Wandel um 1690 . . . . . . . . . . . . . . . . 273 1. Polemik und Geselligkeit in Europa seit den 1680er Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 2. Der Galant homme: Christian Thomasius und die galante Gelehrsamkeit . . . . . . 277 3. Schwulstkritik und Geschmacksästhetik: Klassizismus bei Canitz, Neukirch und König . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 4. Ästhetik der Aufrichtigkeit: Autorinszenierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 4.1. Affectation und „wahrer Schmertz“: Der Diskurs um die Trauerode . . . . . . . 283 4.2. ,Erlebnisdichtung‘? Johann Christian Günthers autobiographische Lyrik . . 286 5. Pasquillen und Schlüsselromane: Literaturskandale um 1700 . . . . . . . . . . . . . . . . 289 5.1. Christian Reuter und der Schlampampe-Skandal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 5.2. Chroniques scandaleuses : Menantes und der galante Roman . . . . . . . . . . . . . 291 C.II. Hamburg, Leipzig, Zürich: Zentren der Aufklärung um 1730 . . . . . . . . . . . . . . . . 299 1. Der Patrioten-Kreis in Hamburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 1.1. Andacht zum „allerkleinsten Staub“: Barthold Hinrich Brockes . . . . . . . . . 301 1.2. Die Patrioten: Anfänge der Moralischen Wochenschrift . . . . . . . . . . . . . . . . 305 <?page no="11"?> 000010 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 10 | Inhalt 2. Der vernünftige Tadler: Gottsched und die Leipziger Aufklärung . . . . . . . . . . . . . 309 2.1. Rationalistische Regelpoetik: Gottscheds Critische Dichtkunst . . . . . . . . . . . . 311 2.2. Gottscheds Wiederbelebung der Schaubühne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 2.3. Niemand gegen Gottsched: Zur Wirkung im 18. Jahrhundert . . . . . . . . . . . 315 3. Zentrum des Wunderbaren: Bodmer und Breitinger in Zürich . . . . . . . . . . . . . . . . 316 3.1. Der Literaturstreit: Allianzen und Eskalationen zwischen Zürich und Leipzig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 3.2. Schweizerische „Sprachschnitzer“? Patriotismus bei Bodmer, Breitinger und Haller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 4. Robinson der Peripherie: Johann Gottfried Schnabels Stolberger Felsenburg . . . . 321 C.III. Ausblick: Deutsche Literatur um 1750 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 D AUSGEWÄHLTE TEXTE DER FRÜHEN NEUZEIT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 E VERZEICHNISSE UND REGISTER . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 593 Wichtige Textausgaben ausgewählter Autoren der Frühen Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . 595 Auswahlbibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 602 I. Bibliographien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 602 II. Reihen und Periodika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 603 III. Textsammlungen und Anthologien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 604 IV. Nachschlagewerke; Autorenlexika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 604 V. Frühneuhochdeutsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 605 VI. Geschichte und Kulturgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 605 VII. Gesamtdarstellungen und Standardwerke zur frühneuzeitlichen Literaturgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 606 Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 610 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 617 <?page no="12"?> 000011 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 Dank Für sorgfältige Lektüre und hilfreiche Kommentierung der Einzelkapitel danken wir Emma Louise Brucklacher und Dieter Martin. Martin Beichle, Gregor Biberacher, Laura Hagen, Alexandra Hertlein, Susanne Neubrand, Florentine Schaub und Sarah Schwarz haben das gesamte Manuskript und die Anthologie, die im Kern auf C. J. Andreas Kleins umsichtige Arbeit zurückgeht, ebenso geduldig wie gründlich redigiert, die Literaturhinweise und Stellenkommentare ergänzt und vereinheitlicht; dafür sei ihnen herzlich gedankt. Dem Narr Francke Attempto Verlag danken wir für Vertrauen und Entgegenkommen, Vanessa Weihgold für die technische Unterstützung und Frau Dr. Valeska Lembke für die außergewöhnlich engagierte Betreuung, mit der sie unser Buchprojekt von Anfang bis Ende förderte. Freiburg und Bern, Februar 2019 Achim Aurnhammer Nicolas Detering <?page no="13"?> 000012 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 <?page no="14"?> 000013 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 I. EINLEITUNG 1. Die frühneuzeitliche Literatur im 21. Jahrhundert Die deutsche Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts gehört nicht mehr zum Kanon der Allgemeinbildung. Verglichen mit anderen europäischen Literaturen reicht die literarische Erinnerung der Deutschen nicht sehr weit. Während in Italien die Renaissancepoeten Lodovico Ariosto und Torquato Tasso als Nationaldichter gelten, deren Werke gängiger Schulstoff sind, während in England William Shakespeare und Ben Jonson zu den meistgespielten Bühnenautoren zählen, wie in Frankreich Molie`re, Jean Racine und Pierre Corneille, wird die Literatur der Frühen Neuzeit in Deutschland ignoriert. Das Desinteresse betrifft mehr oder weniger alle Gattungen. Am besten ist es vielleicht noch um die barocke Lieddichtung bestellt; man denke nur an Paul Gerhardts Lied „Geh aus, mein Herz, und suche Freud In dieser lieben Sommerzeit“, das heute noch verbreitet ist. Gedichten von Andreas Gryphius, etwa seinen „Threnen des Vatterlandes“, begegnen wir gelegentlich in aktuellen Lyrik-Anthologien. Die Dramen der Frühen Neuzeit sind dagegen weitgehend aus dem Bühnenrepertoire verschwunden: Dies gilt nicht nur für die immense Produktion von Schuldramen, sondern auch für die Masse der Trauerspiele, Schäferdramen und Komödien. Allenfalls der Andreas Gryphius zugeschriebene Peter Squentz (1658), das ins Meistersinger-Milieu versetzte Handwerkerspiel aus Shakespeares A Midsummer Night’s Dreame , wird noch gelegentlich aufgeführt, so zuletzt 2007 im Sommertheater Reutlingen Die Tonne (Regie: Carl-Herbert Braun). Inszenierungen von Daniel Casper von Lohensteins ,türkischen‘ Trauerspielen Ibrahim Bassa und Ibrahim Sultan , wie in der Mainzer Spielzeit 2013/ 2014 (Regie: Johannes Schmitt), werden vom Feuilleton als Besonderheit registriert. Sind die Versepen ohnehin vergessen, werden selbst auch Prosaerzählungen selten als eigenständiges Genre rezipiert: Sie interessieren eher als Quelle späterer Bearbeitungen wie Die Historia von D. Johann Fausten (für Goethes Faust ) oder wie die zu Kinder- und Lesebuchversionen zurechtgestutzten Volksbücher von Eulenspiegel und den Schildbürgern . Von den vielen dickleibigen Romanen des 17. Jahrhunderts wird einzig Grimmelshausens Simplicissimus Teutsch noch gelesen - aber während der spanische Barockroman Don Quijote (1605) allein in den 2000er Jahren fünfmal verfilmt wurde, darunter 2008 als deutscher Fernsehfilm, liegt die letzte Simplicissimus -Verfilmung über vierzig Jahre zurück (Regie: Fritz Umgelter, 1975). Hat die deutsche Literatur der Frühen Neuzeit in der breiteren Öffentlichkeit einen schweren Stand, beziehen sich immerhin Schriftstellerinnen und Intellektuelle auf die Tradition. Aus dem literarischen Gedächtnis waren und sind Humanismus und Barock nie ganz verschwunden. Die Stürmer und Dränger entdeckten die derb-direkte Sprache des 16. Jahrhunderts als kraftgenialische Quelle: Sie speist Goethes Götz von Berlichingen und Hans Sachsens poetische Sendung . Die lange Zeit verpönte Barockliteratur wurde von den Romantikern neu entdeckt: August Wilhelm Schlegel ehrt das Andenken Paul Flemings in zwei Dichtergedichten, Clemens Brentano und Achim von Arnim bearbeiteten Texte des 16. und 17. Jahrhunderts ( Des Knaben Wunderhorn , Der Wintergarten ). Auch das 19. Jahrhundert, vom Poetischen Realismus bis zum Historismus, nahm immer wieder auf die frühneuzeitliche Dichtung <?page no="15"?> 000014 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 14 | I. Einleitung Bezug: Gottfried Keller stellt sein Sinngedicht , das den Stil des 17. Jahrhunderts imitiert, unter das Motto eines Frage-Epigramms von Friedrich von Logau: „Wie wilstu weisse Lilien/ zu rothen Rosen machen? Küß eine Galathee, sie wird erröthet lachen“. Arno Holz imitierte den Barockstil parodistisch in einem Gedichtband mit dem Titel Dafnis , der ein erstaunlicher Bucherfolg zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde. Dem Expressionismus wird eine starke Affinität zum Barock unterstellt. „Frappante Analogien zu dem gegenwärtigen Stande des deutschen Schrifttums“, schreibt Walter Benjamin in seiner berühmt gewordenen Studie zum Ursprung des deutschen Trauerspiels (1928), „haben immer neuen Anlaß zu einer, wenn auch meist sentimentalen so doch positiv gerichteten Versenkung ins Barocke gegeben“ (Benjamin 1978, 36). Auch in der Nachkriegsliteratur finden sich Beispiele intertextueller Bezugnahmen auf die Dichtung des 17. Jahrhunderts. Hubert Fichte begeisterte sich für Lohensteins Theater der Grausamkeit und bearbeitete dessen Agrippina neu. Günter Grass hat seine Schlüsselerzählung auf die Gruppe 47 Das Treffen in Telgte (1979) als fiktives Dichtertreffen der Barockzeit verfremdet, verwendet jedoch die Namen realer Barockdichter und -dichtungen. In jüngerer Zeit häufen sich „Phänomene der Wiederkehr“ der Frühen Neuzeit, die als krisenhafte Übergangszeit durchaus auf die Gegenwartsliteratur Reiz ausübt (Kosˇenina / Martus [Hg.] 2011). Nico Bleutge greift in seinem Gedichtband Fallstreifen (2008) den Alexandriner-Vers spielerisch auf und verknüpft seine Poetik des trügerischen Augenscheins mit Zitaten aus der Barockdichtung. Daniel Kehlmanns Tyll (2017) verpflanzt Till Eulenspiegel in den Dreißigjährigen Krieg, um sein Schicksal in einer an Grimmelshausen orientierten Pikareske zu erzählen, in der unter anderem der Barockdichter Paul Fleming und der Universalgelehrte Athanasius Kircher auftreten. Doch bleiben derartige Bezugnahmen auf die dichterische Tradition der Frühen Neuzeit alles in allem spärlich. Die Indifferenz gegenüber der Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts steht in eklatantem Missverhältnis zum durchaus großen Interesse an den Schwesterkünsten. Musik, Kunst und Architektur aus dieser Zeit finden großen Anklang beim Publikum. Madrigale aus der Zeit um 1600, etwa von Heinrich Schütz, die Oratorien von Johann Sebastian Bach, aber auch Opern von Georg Friedrich Händel werden noch immer erfolgreich aufgeführt. Die Malerei des 16. Jahrhunderts gilt als kunstgeschichtlicher Höhepunkt. Renaissancegemälde von Albrecht Dürer, Hans Baldung Grien oder Mathias Grünewald stellen museale Spitzenobjekte dar. Renaissancegebäude, Barockschlösser oder Reißbrettstädte des 17. Jahrhunderts werden als architektonische Meisterleistungen geschätzt. Dass dagegen die Literatur aus Renaissance und Barock heute nur noch bedingt eine lebendige Tradition darstellt, ist sicher auch auf forschungsgeschichtliche Tendenzen des 19. Jahrhunderts zurückzuführen: Den Gründungsvätern der Germanistik war die Literaturgeschichte Instrument einer nationalen Identitätsstiftung. Mit der imitativen, dezidiert europäischen Literatur der Frühen Neuzeit wussten sie wenig anzufangen. Daneben ist die fundamentale, schwer überbrückbare Andersartigkeit dieser Epoche anzuführen, die sich in zweierlei Hinsicht zeigt. Erstens war die deutsche Sprache des 15. und 16. Jahrhunderts noch keineswegs normiert, sondern zeichnete sich durch regionale Vielfalt aus. Die Sprachgeschichte beschreibt die frühneuhochdeutsche Sprachlandschaft als „breites Varietätenspektrum“, das im Verlauf des <?page no="16"?> 000015 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 15 1. Die frühneuzeitliche Literatur im 21. Jahrhundert | 16. und 17. Jahrhunderts langsam, aber sukzessive vereinheitlicht wurde. Im Jahre 1537 konstatiert Martin Luther diese Diversität und bewertet sie im Hinblick darauf, welcher Dialekt als Norm gelten soll: Deutschland hat mancherley Dialectos, Art zu reden, also, daß die Leute in 30 Meilen Weges einander nicht wol können verstehen. Die Oesterreicher und Bayern verstehen die Thüringer und Sachsen nicht, sonderlich die Niederländer [...]. Die oberländische Sprache ist nicht die rechte deutsche Sprache, nimmt den Mund voll und weit, und lautet hart. Aber die sächsische Sprache gehet fein leise und leicht ab. (Hartweg/ Wegera 2005, 15) Sicher beförderte Luther selbst mit seiner Bibelübersetzung ganz erheblich die Normierung, zu der auch eine überregionale Kanzlei- und Druckersprache beitrug. Eine einheitliche Normierung von Sprache und Schrift Rechtschreibung entwickelte sich seit dem 16. Jahrhundert. Freilich täuscht die Normierung der Schriftkultur über die Zählebigkeit und Fortdauer von Varietäten im Mündlichen hinweg. Um die Mitte des 17. Jahrhunderts, als Justus Georg Schottel seine Teutsche Sprachkunst (1641) veröffentlichte, war dieser Prozess zwar schon ziemlich weit fortgeschritten, kam aber erst im 18. Jahrhundert zu einem gewissen Abschluss. Dieser Prozess der Vereinheitlichung, die Entwicklung des Deutschen zu einer modernen Literatursprache, deckt sich weitgehend mit dem Zeitraum des späten 15. bis frühen 18. Jahrhunderts: Im Allgemeinen datiert man das Frühneuhochdeutsche vom ausgehenden 14. bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts, das Datum 1500 gilt als Zäsur zwischen dem älteren und dem jüngeren Frühneuhochdeutschen. Die Schriftsprache des 15. Jahrhunderts stimmt noch vielfach mit dem Mittelhochdeutschen überein, denn in ihr hat sich die sogenannte Diphthongierung, der wichtigste Lautwandel vom Mittelhochdeutschen zum Neuhochdeutschen (,mı ˆn‘ wird zu ,mein‘), noch nicht durchgesetzt, und die mittelhochdeutschen Diphthonge ,ie‘, ,uo‘ und ,üe‘ sind noch nicht zu den neuhochdeutschen langen Vokalen ,i‘ und ,u‘ verschoben worden (,der guote‘ wird zu ,der gute‘). Neben dem Frühneuhochdeutschen bestand das Lateinische bis weit in das 17. Jahrhundert als Literatursprache fort. So hat Andreas Gryphius einige seiner wichtigsten Werke auf Neulatein verfasst; für die jesuitische Bühne geschriebene Lehrdramen wie Jakob Biedermanns Cenodoxus (1635) wurden in lateinischer Sprache aufgeführt. Erst in jüngerer Zeit haben neuere Editionen und Untersuchungen begonnen, diesen Kontinent von kaum bekannten Texten etwas zu kartieren und durch Übersetzungen einem breiteren Publikum zu erschließen (siehe etwa Kühlmann/ Seidel/ Wiegand [Hg.] 1997; Gryphius 1999). Zweitens aber ist nicht nur die sprachliche Faktur, sondern auch der Gegenstand ,Literatur‘ problematisch. Das Barockzeitalter kennt keine moderne Autonomieästhetik, der zu- Gelegenheitsdichtung statt moderner Autonomieästhetik folge das literarische System sich selbst genügt und mit anderen gesellschaftlichen Funktionssystemen nur gelegentlich interferiert, von ihnen aber nicht abhängig ist. Das Gros der barocken Gedichte ist vielmehr Gelegenheitsdichtung und entstand für gesellschaftliche Anlässe wie Hochzeiten, Beerdigungen oder akademische Feiern. Viele Dramen und Opern wurden eigens für bestimmte Aufführungen an einem Fürstenhof oder einer Schulbühne geschrieben, die meisten Romane sind <?page no="17"?> 000016 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 16 | I. Einleitung Fürsten gewidmet oder wurden sogar von Adeligen verfasst. Hinzu kommt die religiöse Grundierung der Literatur, die ihren Wirkungszweck oft im Unterricht der Tugend sah. Unterhaltende, scheinbar zweckfreie Passagen waren zwar erlaubt, grundsätzlich verschrieben sich aber viele Dramen, Romane und Gedichte der Exemplifizierung eines kaum hinterfragten christlichen Welt- und Menschenbildes. Auch die Vorstellung des Genies, das nur aus sich selbst heraus und ohne sich um Regeln und Konventionen zu scheren ein völlig neuartiges Kunstwerk schafft, kam erst um die Mitte des 18. Jahrhunderts auf. Zwar finden sich im 17. Jahrhundert bereits auratisierte Autor- Orientierung an Regeln und Traditionen modelle, wie sie sich etwa im Personenkult um besonders verehrte Dichterfiguren wie Francesco Petrarca oder Martin Opitz niederschlagen, und antike Modelle inspirierter Autorschaft werden vor allem in der geistlichen Lyrik erneuert. Doch hing ein Großteil der frühneuzeitlichen Schriftsteller der Vorstellung an, literarisches Schreiben müsse sich zum einen an der Tradition - insbesondere der Antike, später dann zunehmend auch der zeitgenössischen Nachbarliteraturen - ausrichten, und habe sich zum anderen an produktionsästhetische Regeln zu halten, die das Gelingen eines Gedichts oder eines Dramas garantieren. Im Unterschied zur Literatur der Moderne schätzt die Frühe Neuzeit Innovation geringer als das Wetteifern mit der Tradition, zieht rhetorischen Feinschliff dem authentischen Erlebnis vor, stellt anlassbewusste biense ´ance über romantische Gesellschaftsferne. ,Lust am Text‘ stellt sich bei der Lektüre daher nur mittelbar ein. Doch vielleicht bietet gerade die Fremdheit, die Alterität der frühneuzeitlichen Literatur eine ästhetische Herausforderung und eine wirkliche Bildungschance, nämlich sich selbst zu erkennen im Anderssein. 2. Humanismus, Barock, Frühaufklärung - Einheit und Vielfalt der Frühen Neuzeit Epochen sind heuristische Konstrukte, mit denen Literaturhistoriker eine Fülle von Einzelwerken bündeln, indem sie in ihnen motivische, gedankliche und stilistische Regelmäßigkeiten oder Reflexe spezifischer Programmatiken ausmachen, um sie von anderen Zeiträumen zu unterscheiden. Als Abstraktionen sollen Epochen zu erkennen helfen, was an einem Werk zeittypisch ist und was individuell, das heißt, welche Elemente durch Autoritäten und Institutionen vermittelt in den Einzeltext flossen, welche schlicht ,in der Luft lagen‘ und welche dagegen als Eigenbeitrag, Akzentverschiebung, Innovation gelten können. Der Konstruktcharakter von Epochenkonzepten bedeutet freilich nicht, dass sie willkürlich wären oder dass die Literaturgeschichtsschreibung ganz ohne sie auskommen sollte. Eine Zeit lang galten Epochen als ungeeignete Schemata, die der Komplexität der Phänomene nicht gerecht würden. Die Absage an historische Ordnungskategorien aber bedeutet eine intellektuelle Verzichtserklärung, die wir nicht unterschreiben: Ohne abstrahierende Gruppierungen wie Epochen oder Strömungen lassen sich die angeblich ubiquitären Sonderwege ja gar nicht erkennen, und wenn bestimmte Begriffe aufgrund ihrer mangelnden Erklärungskraft nicht mehr überzeugen, müssen sie eben differenziert oder ersetzt werden - aber die Periodisierungsarbeit selbst sollte doch nicht verabschiedet werden. <?page no="18"?> 000017 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 17 2. Humanismus, Barock, Frühaufklärung - Einheit und Vielfalt der Frühen Neuzeit | Erst in den letzten Jahrzehnten hat sich in der Literaturgeschichte der Terminus ,Frühe Neuzeit‘ durchgesetzt, der in der Geschichtswissenschaft bereits früher etabliert war (Bremer 2011). Die Periodisierung einer ,Frühzeit‘ betont den Bruch zum Mittelalter, der sich mit der Epochenbezeichnung und Epochengrenzen Medienrevolution des Buchdrucks und der Entwicklung einer reformatorischen Öffentlichkeit des frühen 16. Jahrhunderts vollzog, und sieht in den wissenschaftlichen Revolutionen und der Verfestigung des europäischen Staatensystems im 17. Jahrhundert den entscheidenden Übergang zur Neuzeit. Meist lässt die Geschichtswissenschaft diese Frühphase mit der Hochaufklärung und der Französischen Revolution 1789 enden. In der Literaturgeschichtsschreibung teilt man mittlerweile die Auffassung, dass die frühneuhochdeutsche Dichtung insgesamt mehr durch Gemeinsamkeiten als durch scharfe Brüche zwischen Renaissance, Barock und Frühaufklärung gekennzeichnet ist, und erkennt in der Ereignistrias von Buchdruck, Amerika-Entdeckung und Reformation die Ausgangskonstellation der Epoche: Das flexible Typenverfahren, das Johannes Gutenberg Mitte des 15. Jahrhunderts erfand, ermöglichte größere und kostengünstigere Auflagen, sodass das Druckergewerbe florierte und erste europäische ,Bestseller‘ wie Sebastian Brants Das Narrenschiff (1494) ihre Erfolge verbuchen konnten. Das Medienereignis Reformation 1517 verhalf der Buchproduktion endgültig zum Durchbruch und instrumentalisierte auch die ,schöne‘ Literatur für persuasiv-polemische Zwecke. Die Erkundung des amerikanischen Kontinents ab 1492 schließlich erzeugte ein neues Wissen über die ,exotischen‘ Ränder der Welt und beflügelte die Fantasie - Thomas Morus’ Utopia (1516) ist nur der erste poetische Reflex des neuen Entdeckungszeitalters, der die Destabilisierung tradierter Ordnungen auf politische Fragen übertrug und einen quasi-demokratischen, privatbesitzlosen Idealstaat in der ,Neuen Welt‘ imaginierte. Schwieriger als den Anfangspunkt der Frühen Neuzeit zu bestimmen, ist es, ihr Ende zu datieren: Für die Geschichte der deutschen Literatur ist die historische Wende um 1789 sicher zu spät angesetzt. Eher wird man in der patriotisch-gräzisierenden Selbstinszenierung Klopstocks, dem Aufstieg des Romans zur europäischen Leitgattung, dem empfindsamen Gefühlskult des Gleim-Kreises, der bürgerlichen Mitleidsästhetik Lessings und der Verehrung des regelwidrigen ,Genies‘ Shakespeare ab etwa 1750 einige Tendenzen beobachten können, die sich deutlich von dem imitatio-aemulatio- Paradigma der vorhergehenden Jahrhunderte unterscheiden. In der literarischen Produktion vor ca. 1750 lassen sich zeittypische Ähnlichkeiten relativ leicht konstatieren - gerade auf den ersten Blick scheinen sich viele Renaissancegedichte und Barockdramen zu gleichen, weil sie verwandte Themen aufgreifen, aus demselben Tropeninventar schöpfen und sich weltanschaulich vergleichsweise leicht einer bestimmten Richtung zurechnen lassen. Tatsächlich sind die meisten literarischen Werke seit dem mittleren 15. Jahrhundert und bis in das frühe 18. Jahrhundert einem übergreifenden produktionsästhetischen Prinzip verpflichtet, nämlich der Vorstellung, dass nicht die Schöpfung des völlig Neuen das Prinzip guter Kunst zu sein habe, sondern die anerkennende Überbietung des Alten. Die poetologische Forderung nach imitatio und aemulatio , der Nachahmung von und dem Wetteifern mit vorbildlichen Mustern, bestimmt als Epochensignatur die frühneuzeitliche Literaturproduk- <?page no="19"?> 000018 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 18 | I. Einleitung tion. Poema est imitatio , ,Dichtung ist Nachahmung‘, dekretiert Julius Cäsar Scaliger, der wichtigste Dichtungstheoretiker des Humanismus. Dieser ästhetische Grundsatz bleibt für die gesamte Frühe Neuzeit verbindlich. Das epochenbegründende Traditionsbewusstsein der Frühen Neuzeit bedeutet freilich nicht, dass ihre Literatur statisch gewesen wäre. Schon bei mittlerem Abstraktionsgrad lassen sich mindestens die drei Großepochen Renaissance, Barock und Frühaufklärung unterscheiden, die gemeinsam die frühneuzeitliche Literatur bilden. Allerdings lösen sie sich nicht scharf ab, sondern wirken vielmehr komplex ineinander und bleiben durch affirmative oder polemische Rückgriffe aufeinander bezogen. Zudem sind sie je wieder in Phasen sowie regionale Gruppierungen unterteilbar und verknüpfen sich zugleich mit alternativen Strömungen wie Humanismus, Reformation, Manierismus, Galanterie oder Klassizismus. 3. Zur Charakteristik der frühneuzeitlichen Literatur In der Frühneuzeitgermanistik dominiert noch immer die Einschätzung der sozialgeschichtlichen Forschung seit den 1970er Jahren, der zufolge die enge Orientierung an der präskriptiven Gattungspoetik und einer rigiden, in Schulen und auf Universitäten vermittelten Normative Programmatik und Variationspraxis ,Barockrhetorik‘ das wesentliche Signum der Literatur insbesondere im 17. Jahrhundert gewesen sei. Doch entspricht diese pauschale Charakterisierung nicht der Vielfalt der Epoche. Unverkennbar sind die Varietäten und Regelverstöße, ja Devianzen in der frühneuzeitlichen literarischen Produktion. Statt eines homogenen ,rhetorischen Zeitalters‘ sehen wir wie die neuere Forschung allerorts Konkurrenzen, Lizenzen, häretische Akte und Gattungsmischungen (Wesche 2004; Stockhorst 2008). Dass das Zeitalter der wissenschaftlichen Revolutionen und des philosophischen Anti- Traditionalismus sich in der deutschen Literatur durch eine regelpoetisch garantierte Stabilität der Formen und Motive auszeichne, soll unsere Epochendarstellung relativieren und modifizieren. An der zentralen Rolle von Martin Opitz halten wir allerdings fest: Mit seinen zahlreichen Übersetzungen gab er dem deutschen Barock Vorbilder für die Tragödie, das Versepos, die Prosaekloge und den Prosaroman; mit seinen Teutschen Poemata (1624) und dem Buch von der deutschen Poeterey (1624) reformierte er die deutsche Lyrik und ,erfand‘ eine genuin deutsche Metrik. Und doch: Opitz hatte zahlreiche Vorläufer in der Poetik des Späthumanismus und in der Lyrik des 16. Jahrhunderts. Zudem entspricht dem Lippenbekenntnis der jahrzehntelangen Opitz-Verehrung, die dem „Vater der deutschen Dichtkunst“ (Gottsched) huldigt, die poetische Praxis des Barock überraschend selten. Hier suchte man immerfort Seitenwege, forderte Alternativen und überschritt die engen Gattungsgrenzen spielerisch. Die Epik beispielsweise nahm Impulse aus der Oper auf - etwa in Heinrich Anselm von Ziglers und Kliphausen Asiatischer Banise (1689) -, konnte sich aber wie Eberhard Werner Happels periodisch veröffentlichte ,Zeitungsromane‘ auch mit den neuen Nachrichtenmedien vermengen. Ebenso wenig wie diese Hybridisierungen lässt sich der Erfolg des pikarischen Erzählens noch auf Opitz’ Musterübersetzungen zurückführen. Die neuere Forschung konnte zeigen, wie konstitutiv die Interferenz von ,hohem‘ und ,niederem‘ Erzählen für den Simplicissimus <?page no="20"?> 000019 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 19 3. Zur Charakteristik der frühneuzeitlichen Literatur | Teutsch (1668) ist, spielt Grimmelshausen doch einerseits vielfach auf Opitz’ Arcadia- Übertragung an und gestaltet ein höfisch-historisches Providenzschema, erzählt aber andererseits ,ab ovo‘ und aus der Ich-Perspektive eines schelmischen Vagabunden. Dass sich die Frühe Neuzeit weniger durch rhetorische Formelhaftigkeit als durch normsetzende Programmatik und normbrechende Variationspraxis auszeichnet, möchten wir in unserem literarhistorischen Abriss auf divergierende Autorengenealogien zurückführen. Wie Autorschaftskonzepte und Selbstinszenierungen sehr Autorschaft bereits vor dem 18. Jahrhundert inszeniert wurde, offenbaren nicht nur neuere Untersuchungen zu Konzepten ,inspirierter‘ Dichtung in der Frühen Neuzeit, sondern auch der frühe Personenkult um Petrarca, Erasmus von Rotterdam, Conrad Celtis oder Opitz. Dichtergedichte und Autorenporträts stifteten poetische Autoritäten über Sprachen und Zeiten hinweg und ermöglichten gleichermaßen Verehrung wie Abgrenzung. Das Motiv des Dichterbergs, auf dem die europäischen Autoritäten bereits thronen und zu denen Jüngere den Aufstieg wagen, war als Titelillustration von Gedichtbänden des Barock sehr beliebt. In Paratexten dieser Art wurde das literarische Feld der Zeit vermessen, wurden Vorbilder benannt und künstliche Genealogien konstruiert, mit denen man sich von konkurrierenden und angeblich überholten Mustern abgrenzte. In der Auffassung von Dichtkunst als Wechsel von imitatio und aemulatio liegt eine Konstante der Epochen ,Renaissance‘ und ,Barock‘. Zugleich beförderten die wechselnden Kanons der Dichtervorbilder, die man zu imitieren und zu überbieten versuchte, auch die Dynamik der frühneuzeitlichen Literatur. Stand im frühen Humanismus eher die übersetzerische Aneignung der lateinischen Antike und der italienischen Renaissance im Vordergrund, zeichnete sich das 17. Jahrhundert durch eine zunehmende ,Vergegenwärtigung‘ aus - immer wichtiger wurde die zeitnahe Übertragung neuzeitlicher Werke, immer mehr gewannen jüngere volkssprachige Autoritäten wie Giambattista Marino und Daniel Heinsius, später Nicolas Boileau oder Bernard de Fontenelle an Bedeutung. Von Beginn an aber eignete dem Traditionsbezug eine dialogische, ja polemische Dimension, denn des Einen Held war des Anderen Dämon. Synchrone Differenzen und diachrone Konjunkturen in der Bewertung einzelner Autoren (etwa Hans Sachs, Lohenstein, Marino, Milton) prägten nicht nur das frühe 18. Jahrhundert, als sich eine frühaufklärerische Natürlichkeitsästhetik gegen den barocken ,Schwulst‘ zu richten begann, sondern waren auch für die reformatorischen Jahrzehnte und den Späthumanismus strukturprägend. Polarisierende Autoren stießen Debatten an, die sich zu gesamteuropäischen Kommunikationsereignissen ausweiteten und in denen literarische und bildkünstlerische Selbstinszenierungen breitenwirksam eingesetzt wurden. Wie ironisch man bereits in der Frühen Neuzeit mit Autorschaftskonzepten spielte, hat die neuere Forschung etwa an dem komplexen Verweissystem von Pseudonymen zeigen können. Modelle kollektiver Autorschaft werden in der fiktionalen Handlung poetologisch gespiegelt, und autofiktionale Erzählweisen, wie sie im Simplicianischen Zyklus zum Tragen kommen, offenbaren einen hohen Grad an Selbstreferentialität. Mit unserem Schwerpunkt auf literarischer Gruppierung und Traditionsbildung verknüpft sich eine dezidiert sub- und supranationale Vorstellung von der räumlich-medialen Struktur der Frühen Neuzeit: Wir möchten einerseits die Bedeutung literarischer Zentren wie des Hofs <?page no="21"?> 000020 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 20 | I. Einleitung (z. B. Wien, Stuttgart, Heidelberg, dann vor allem Dresden und Berlin), der Universität (Wittenberg, Leipzig, Leiden) und der Stadt (Straßburg, Heidelberg, Nürnberg, Breslau, Regionalität und europäische Kommunikation später Hamburg) betonen, in denen sich kleinere Dichtergruppen bildeten, deren Werke noch stark von persönlichem Austausch und lokalen Einflüssen geprägt sind. Andererseits zeichnet sich die Frühe Neuzeit durch ein gesamteuropäisches Mediensystem aus Buchdruck, Post-Zeitungen, Zeitschriften und vielem mehr aus, das die Rezeption und Adaptation fremdsprachiger Innovationen erleichterten. Das Zusammenspiel von regionaler Primärkommunikation und europäischer Medialisierung prägte die deutsche Literatur der Frühen Neuzeit entscheidend. 4. Zum Aufbau der Literaturgeschichte Unsere Darstellung richtet sich ebenso an fortgeschrittene Studierende und Promovenden sowie allgemein an literarhistorisch Interessierte. Sie verzichtet nicht auf die Fachterminologie der Frühneuzeitgermanistik - die aufgrund der Quellensprache zu Latinismen neigt -, erläutert sie aber, wo es geboten scheint. Unser Arbeitsbuch schlägt eine systematische Ordnung der frühneuzeitlichen Literatur vor und berücksichtigt den aktuellen Forschungsstand. Die Dynamik der literarischen Praxis in der Frühen Neuzeit nehmen wir zum Anlass, um zum einen die Bedeutung von Autorschaftskonkurrenzen und -genealogien gegenüber der Autorität der Regelpoetiken hervorzuheben und zum anderen die Wirkung der räumlichmedialen Struktur der Frühen Neuzeit zu betonen. Um diesem Anliegen gerecht zu werden, verfahren wir generationengeschichtlich und skizzieren chronologisch die wechselnden Rezeptionsmilieus, in denen je spezifische europäische Vorbilder wirkten. Dass die literarische Produktion in Deutschland wichtige Anregungen aus Italien, Frankreich, den Niederlanden, Spanien, später auch England aufnahm, ist oft bemerkt worden. Wir möchten diese Einsicht neu gewichten, indem wir die Frühe Neuzeit nach drei europäischen Impulsen untergliedern. Der Frühhumanismus italienischer Prägung, erstens, beruht auf der produktiven Adaptation der neulateinischen studia humanitatis , vor allem am Wiener Hof; die Konfessionalisierung der deutschen Literatur seit der Reformation bedingte dagegen zwar eine Abkehr von Rom und den italienischen Vorbildern, etablierte das Deutsche aber als Literatursprache und beförderte ein europäisches Wettbewerbsbewusstsein. Zweitens: Poetische Anregungen gingen noch um 1600 vor allem von der Romania und den Niederlanden aus, diesmal aber stärker von den Volkssprachen. Der Dreißigjährige Krieg führte zu einem beispiellosen Rückgang der Buchproduktion und zu dem patriotischen Fremdwortpurismus der Sprachgesellschaften. Doch begünstigte die politische und mediale Europäisierung, die er mit sich brachte, zugleich die Übersetzungs- und Überbietungspraxis im Hoch- und Spätbarock. Bereits früh deutete sich, drittens, eine durch den britischen Empirismus und die Physikotheologie geprägte Frühaufklärung auch in Deutschland an, in deren Zuge sich im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts der englische Essaystil der Moralischen Wochenschriften und die Robinsonade in Deutschland ausbildeten. Während Gottsched mit seiner Critischen Dichtkunst die französische Klassik des späten 17. Jahrhunderts für Deutschland propagierte, erwies sich die Kontroverse zwischen Leipzig und Zürich um dramatische Regeln und Lizenzen für den Erfolg einer aufklärerischen Wirkungsästhetik als konstitutiv. <?page no="22"?> 000021 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 21 4. Zum Aufbau der Literaturgeschichte | Unsere Darstellung soll keinem mechanistischen Positivismus anheimfallen: Nicht alle Binnenentwicklungen und Einzelleistungen lassen sich auf ein rezeptionsgeschichtliches Aktion-Reaktion-Schema zurückführen. Sowohl in der Dramatik wie in der Epik ahmte die deutsche Literatur keineswegs nur fremdsprachliche Prätexte nach, sondern setzte bisweilen ganz eigene Akzente, etwa mit Grimmelshausens Simplicissimus Teutsch , der seine spanischfranzösischen Vorlagen weit übertrifft. Dennoch scheint uns die Offenheit für fremdsprachige Literaturen, mithin die Dialogizität für die Frühe Neuzeit grundlegend zu sein, und sie hilft, das spannungsvolle Verhältnis von sprachlich-poetischem Normierungswunsch und empirischer Diversifizierung zu verstehen. Unsere zehn Kapitel zu Renaissance, Barock und Frühaufklärung möchten die Geschichte einer streitbaren, ja zerstrittenen Literatur erzählen, die zwischen Europäisierung und patriotischer Selbstfindung changiert, dabei in der Spannung von imitatio und aemulatio stets auf Vorgänger bezogen bleibt, mit denen sie sich nach Maßgabe von Zeitgeist und lokaler Prägung produktiv auseinandersetzt. Gerade wegen ihrer Heteronomie, ihrer Anlass- und Ortsgebundenheit ist der Literaturbegriff für die Frühe Neuzeit problematisch. Die zeitgenössische Poetik vertritt einerseits einen engeren Dichtungsbegriff als heute - so rechnet Opitz zur ,Poeterey‘ nur solche Kunst, die in Versen verfasst ist -, zählt zur ,Litteratur‘ aber andererseits alles schriftlich Verfasste, also neben Briefen und Reden etwa auch das Sachschrifttum. Im Zuge einer kulturgeschichtlichen Ausweitung des Literaturbegriffs hat die neuere Forschung unter anderem die barocke Operngeschichte und das Musiktheater (siehe Jahn 2005; Scheitler 2013-2015), die höfische Festkultur (Watanabe-O’Kelly 2002) oder die Wissensordnungen in der sogenannten Theatrum -Literatur (Schock/ Bauer/ Koller [Hg.] 2008) untersucht. Dieser Extensivierung wollen wir in unserem Epochenüberblick Rechnung tragen, dabei aber das Feld pragmatisch und mit Blick auf heute geläufigere Grenzziehungen umreißen: Die geistliche Dichtung und die Reformationspolemik etwa behandeln wir durchaus, ebenso den Einfluss der Oper auf die deutsche Dramenproduktion. Aber fachwissenschaftliche Diskurse, etwa der Alchemie oder Medizin, sparen wir schon deshalb aus, weil sie unsere Darstellungskompetenz zu deutlich überschreiten. Ereignis-, sozial- und wissensgeschichtliche Grundlagen der jeweiligen Strömungen werden an den Orten nachgereicht, an denen sie für literarische Entwicklungen relevant werden. Einzelne Autoren werden biographisch ausführlicher vorgestellt. Institutionen wie der Wiener Hof oder die Hallenser Universität sind da zu konturieren, wo sie das Profil einer Gruppe zu einer bestimmten Zeit wesentlich geprägt haben. Weiter ausgreifende Passagen zu den sozial- und ideengeschichtlichen Voraussetzungen wechseln mit eingehenden Interpretationen ausgewählter Einzelbeispiele. Dem Darstellungsteil folgt ein anthologischer Anhang, der die frühneuzeitliche Dichtung in Auswahl selbst zu Wort kommen lässt. So entsteht ein Lesebuch, das diese unterschätzte Epoche der Literaturgeschichte forschungsgestützt und in analytischer, durchaus neu akzentuierter Ordnung vorstellt. <?page no="23"?> 000022 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 22 | I. Einleitung Forschung Benjamin, Walter (1978): Ursprung des deutschen Trauerspiels. Gesammelte Schriften I,1. Hg. von Rolf Tiedemann. Frankfurt a. M. Bremer, Kai (2011): „Die Frühe Neuzeit - ein Trümmerfeld. Über Anfänge und Ursprünge der Neueren deutschen Literatur“. In: Entdeckung der frühen Neuzeit. Konstruktionen einer Epoche der Literatur- und Sprachgeschichte seit 1750. Hg. von Marcel Lepper und Dirk Werle. Stuttgart, 39-53. Gryphius, Andreas (1999): Herodes. Der Ölberg. Lateinische Epik. Hg. und übers. von Ralf Georg Czapla. Berlin. Hartweg, Fre´ de´ ric, und Klaus-Peter Wegera (2005): Frühneuhochdeutsch. Eine Einführung in die deutsche Sprache des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit. 2. Aufl. Tübingen. Jahn, Bernhard (2005): Die Sinne und die Oper. Sinnlichkeit und das Problem ihrer Versprachlichung im Musiktheater des nord- und mitteldeutschen Raumes (1680-1740). Tübingen. Kosˇenina, Alexander, und Steffen Martus (Hg.) (2011): Frühe Neuzeit, Späte Neuzeit: Phänomene der Wiederkehr in Literaturen und Künsten ab 1970. Sonderheft der Zeitschrift der Germanistik. Bern u. a. Kühlmann, Wilhelm, Robert Seidel und Hermann Wiegand (Hg.) (1997): Humanistische Lyrik des 16. Jahrhunderts. Lateinisch-deutsch. Frankfurt a. M. Scheitler, Irmgard (2013-2015): Schauspielmusik. Funktion und Ästhetik im deutschsprachigen Drama der Frühen Neuzeit. 2 Bde. Tutzing. Schock, Flemming, Oswald Bauer, Ariane Koller (Hg.) (2008): Ordnung und Repräsentation von Wissen. Dimensionen der Theatrum-Metapher in der frühen Neuzeit. Hannover. Stockhorst, Stefanie (2008): Reformpoetik. Kodifizierte Genustheorie des Barock und alternative Normenbildung in poetologischen Paratexten. Tübingen. Watanabe-O’Kelly, Helen (2002): Court culture in Dresden. From Renaissance to Baroque. Basingstoke. Wesche, Jörg (2004): Literarische Diversität. Abweichungen, Lizenzen und Spielräume in der deutschen Poesie und Poetik der Barockzeit. Tübingen. <?page no="24"?> 000023 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 A Humanismus <?page no="25"?> 000024 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 <?page no="26"?> 000025 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 Die Begriffe ,Renaissance‘ und ,Humanismus‘ werden oft synonym verwendet. Da ,Renaissance‘ aber eher eine kulturgeschichtliche Großepoche bezeichnet, während ,Humanismus‘ eine bestimmte Bewegung innerhalb der Gelehrtenrepublik heißt, die zwar die Renaissance wesentlich mitbestimmte, mit dieser aber nicht identisch ist, möchten wir die Termini unterscheiden. Als französisches Lehnwort bürgerte sich der ,Renaissance‘-Begriff erst Mitte des 19. Jahrhunderts in Deutschland ein. In der Bedeutung von ,Wiedergeburt‘ und ,Erneuerung‘ meint er die geistige Bewegung, die vom 14. bis 16. Jahrhundert, ausgehend von Italien, ganz Europa erfasste und aus der scholastischen Dogmatik des Mittelalters in die Neuzeit hinüberführte. Der Begriff ,Renaissance‘ bringt zum Ausdruck, dass sich diese Bewegung an der Klassischen Antike orientierte und deren Lebensgefühl zu erneuern versuchte. Die italienische Entsprechung rinascita , Vorbild für die französische Prägung, begegnet zum ersten Mal in Giorgio Vasaris Künstlerviten (1559), verstanden als Rückkehr zur Natur wie zur Antike. Wie in Frankreich durch Jules Michelet ( La de ´couverte du monde, la de ´couverte de l’homme , 1855), etablierte sich der Begriff ,Renaissance‘ seit Mitte des 19. Jahrhunderts auch in Deutschland als Stil- und Epochenbegriff. Seit Jacob Burckhardts Die Kultur der Renaissance in Italien (1860) ist die Epochenbezeichnung fast untrennbar mit der italienischen Kultur verbunden. Da die deutsche Literaturgeschichtsschreibung lange die Auffassung einer deutschen ,Eigenrenaissance‘ vertrat und die Reformation als deutsche Besonderheit sah, stand sie diesem Begriff ebenso reserviert gegenüber wie der Epochenbezeichnung ,Humanismus‘, weil auch darin der Vorrang der italienischen Kultur zum Ausdruck zu kommen schien. Die neuere Forschung erkennt mittlerweile die maßgebliche Bedeutung an, die Italien als kulturelles Innovationszentrum auf die deutsche Literatur und Kultur vor 1600 hatte. Zwar ist der Begriff ,Humanismus‘ in Deutschland erst im Jahre 1808 von dem bayerischen Pädagogen Friedrich Emanuel Niethammer geprägt worden, der damit eine auf das Studium der klassischen Sprachen ausgerichtete Bildung gegen ein utilitaristisch-naturwissenschaft- Begriff des ,Humanismus‘ lich orientiertes Schulsystem in Stellung bringen wollte. Aber der Begriff humanista ist viel älter: Seit dem 15. Jahrhundert bezeichnete man so in Italien den Lehrer der studia humanitatis oder studia humaniora , die einen deutlichen Bruch mit der spätmittelalterlichen Scholastik vollzogen. Das scholastische System kannte ein Propädeutikum, das in der Einübung sprachlich-mathematischer Fertigkeiten die Voraussetzung für ein Studium der Philosophie, Theologie, Recht und Medizin sah. Es gliederte sich in die sieben freien Künste, das trivium (Dreiweg: Grammatik, Rhetorik und Dialektik) und das quadrivium (Vierweg: Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik [einschließlich der Physik]). Der magister artium , mit dem man diese Ausbildung erfolgreich abschloss, öffnete erst den Weg zum Studium der vier ,ernsten‘ Fakultäten. Den Doktorgrad zu erlangen, nahm danach oft noch lange Zeit in Anspruch, an der Sorbonne gut sechs Jahre. Im Verlauf des 15. Jahrhunderts jedoch erfuhren die artes eine Aufwertung, insbesondere das sprachliche trivium . Ausgehend von Ciceros These, der Mensch unterscheide sich vom Tier vor allem durch seine Sprache, galten die philologischen Studien künftig als Schlüssel zum Verständnis des Menschen, des menschlichen Denkens und seiner Geschichte. Unter den humaniora verstand man folglich die produktive Aneignung der klassischen Antike und Kenntnis der bonae litterae , die nach Erasmus von Rotterdam erst den ganzen Menschen ausmachen. Des- <?page no="27"?> 000026 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 26 | A.I. Frühhumanismus italienischer Prägung nach 1460 halb heißen die Geisteswissenschaften im englischsprachigen Universitätsraum auch heute noch humanities . Weil wir uns weitgehend auf die gelehrte Literatur in Deutschland beschränken und die europäische Musik und bildende Kunst, die man stärker mit dem Renaissancebegriff verbindet, lediglich streifen, nennen wir die Epoche ,Humanismus‘. Ungeachtet aller Abweichungen und Widersprüche lassen sich für diesen Zeitraum heuristisch grob vier Tendenzen ausmachen: (1) und (2) Einem Frühhumanismus italienischer Prägung nach 1460 folgt zu Beginn des 16. Jahrhunderts eine Allianz der Humanisten und Reformatoren, die sich die klassische Satire zum Vorbild nehmen. (3) Die Konfessionspolemik der Reformation spaltet diese Allianz, und die Rezeption der antiken Literatur wird zugunsten christlicher Traditionen zurückgestutzt. Die Reformatoren werten das Deutsche als Sprache des ,gemeinen Mannes‘ auf und tragen damit zur Vereinheitlichung der frühneuhochdeutschen Schriftsprache bei. (4) Nach 1570 löst sich die lateinisch-deutsche Statuskonkurrenz auf, unter Rückgriff auf die Antike wie auf moderne volkssprachliche Autoren der Romania bahnt sich eine Regulierung des Deutschen an. A.I. Frühhumanismus italienischer Prägung nach 1460 Seit dem 14. Jahrhundert bestimmt der reformatio -Gedanke das religiöse Leben in Deutschland: Von den Niederlanden, wo der Bußprediger Gerhard Groote Anhänger um sich scharte, wirkte die Laienbewegung der devotio moderna auch in Deutschland und forderte um 1400 eine innerlich-spiritualistische, zugleich aber auf alltägliche Tugenden gerichtete Frömmigkeitspraxis. Doch auch die Theologie hatte bereits seit dem Konzil von Vienne (1311) nach einer ,Reformation der Kirche an Haupt und Gliedern‘ gerufen, deren Ausgestaltung eine ganze Reihe von Synoden gewidmet war. Als bedeutendste Kirchenversammlung des Spätmittelalters kann das Konzil von Konstanz (1414-1418) gelten, welches das abendländische Schisma, die Spaltung der Kirche unter dem römischen und dem avignonesischen Papst, aufheben und die christliche Lehre weiter kanonisieren sollte, um Ketzereien zu bekämpfen. An dem Großereignis nahmen 33 Kardinäle, 900 Bischöfe und Ordensmitglieder sowie 2000 Doktoren teil; insgesamt strömten um die 70.000 Besucher in die kleine Stadt am Bodensee, die in diesen Jahren zum intellektuellen Mittelpunkt Europas wurde. Das Konstanzer Konzil, auf dem die kirchenpolitische Ordnung Europas in vier bzw. fünf nationes polemisch debattiert wurde (Swanson 2014), begünstigte auch die kulturelle Europäisierung der Renaissance, indem es als Umschlagplatz für humanistische Bibliophile und als Begegnungsort für Musikanten aus verschiedenen Ländern diente (Bianca 2014, Bruggisser-Lanker 2014). Die Synode beendete zwar das westliche Schisma, vermochte es aber kaum, die reine Lehre ( causa fidei ) durchzusetzen. 1415 wurde der böhmische Prediger Jan Hus als Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrannt, obwohl man ihm zuvor freies Geleit zugesichert hatte. In Böhmen führte dies zu Aufständen und den blutigen Hussitenkriegen, <?page no="28"?> 000027 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 27 A.I. Frühhumanismus italienischer Prägung nach 1460 | die bis 1436 währten und das böhmische Königreich langfristig destabilisierten. Der spätmittelalterliche Reformgedanke wirkte indes durch das ganze 15. Jahrhundert weiter, unter anderem in der Reformatio Sigismundi (1439), einem siebenmal wiederaufgelegten Vorschlag zur verfassungsrechtlichen Generalüberholung des Heiligen Römischen Reichs. Die religionspolitischen gravamina [,Beschwerden‘], die diese Reformprojekte äußerten, koinzidierten erstens mit einem sozioökonomischen Strukturwandel sowie zweitens mit einer Modernisierung universitärer Bildung; gemeinsam prägen die gesellschaftlichen Entwicklungen des 15. Jahrhunderts das Gesicht des frühen Humanismus. Erstens: Nicht nur im urbanen Italien, sondern auch in Deutschland, insbesondere in den süddeutschen Handelsstädten, löste die Geldwirtschaft die traditionelle Naturalwirtschaft ab. Handelsunternehmen wie die Große Ravensburger Handelsgesellschaft oder das Wel- Sozioökonomischer Strukturwandel: Handel mit Waren, Geld und Sünden ser’sche Handelshaus erwirkten eine Kapitalbeteiligung und machten europaweit Geschäfte mit Barchent und Leinen, mit Gewürzen und Öl, später auch mit Rohstoffen wie Silber und Erz. Die banchieri , die Geldhändler, etablierten sich in Oberitalien im Spätmittelalter, vergaben Kredite und übernahmen Investitionsrisiken gegen Gewinnbeteiligung. Monopolkapitalistische Macht schlug in politische Macht um: So stieg die Familie Medici, deren Reichtum auf dem Orient- Handel sowie dem Alaun-Monopol gründete, im 15. Jahrhundert in Florenz zur Regierungsmacht auf. Einen vergleichbaren Aufstieg erlebten die Augsburger Fugger, die als zünftige Weberfamilie begannen, bevor sie die deutsche Edelmetallproduktion kontrollierten und den Quecksilberhandel monopolisierten, um schließlich sogar die Habsburger Kaiser zu finanzieren. Die ökonomischen Veränderungen zeitigen auch literarische Reflexe. So deutete der französische Mediävist Jacques Le Goff die ,Geburt des Purgatoriums‘ als Kompromiss der Kirche mit dem Frühkapitalismus (Le Goff 1981): In Dantes Divina Commedia (1321) wird die allegorische Wanderung des Dichters geschildert, der vom maestro Vergil durch die Hölle ( inferno ) geleitet wird, über den Läuterungsberg ( purgatorio ) steigt und schließlich das Paradies ( paradiso ) schaut. Auch wenn diese Jenseitsvorstellung noch sehr mittelalterlich-geschlossen wirkt, fällt die Differenzierung der Strafen und Vergehen wie des Mitleidens auf. Le Goff hat die Zwischeninstanz des Purgatoriums, aus dem sich die ,leichten‘ Sünder emporarbeiten können, als Angebot der Kirche an die frühkapitalistischen Händler und Bankiers gedeutet, weil es diesen gestattete, trotz berufsbedingten Sündigens - immerhin verstießen sie gegen die kirchlichen Zinsverbote und Wuchererlasse - nicht verdammt zu werden. Zweitens: Zu den frühkapitalistischen Mobilitätserfordernissen wollte die starre Ständegesellschaft mit festen Kleiderordnungen kaum passen. Da sich mit Geld die Standesunterschiede bis zu einem gewissen Grad kompensieren ließen, weichten auch die rigiden Grenzen Gesellschaftlicher Strukturwandel: Aufstiegschancen durch Bildung allmählich auf. Selbst für nichtvermögende Schichten eröffnete die Bildung seit dem 15. Jahrhundert soziale Aufstiegschancen. Der Geburtsadel schien als Elitemodell zunehmend unzeitgemäß, weil die neuen komplizierten Handels- und Verwaltungsaufgaben eine entsprechende Ausbildung erforderten. Eine solche Funktionselite rekrutierte sich aus akademisch Gebildeten, die Positionen einnehmen konnten, die vorher Adligen vorbehalten waren. Historische Lang- <?page no="29"?> 000028 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 28 | A.I. Frühhumanismus italienischer Prägung nach 1460 zeitstudien, etwa über die soziale Zusammensetzung der Domkapitel, belegen die sukzessive Zunahme nichtadliger Graduierter in dieser adlig-akademischen Statuskonkurrenz (Hammerstein/ Buck [Hg.] 1996, 220). Auch in den städtischen Verwaltungspositionen kam der Typus des ,graduierten Ratsherren‘ auf, eines Bürgers, der kraft eines Rechtsstudiums ratsfähig war. Selbst an den Höfen eröffneten sich den Gebildeten Aufstiegschancen, wenngleich dies mehr für den Späthumanismus als für den Frühhumanismus gilt. Angesichts dieser Dynamisierung und Aufweichung der starren Standesgrenzen arrangierten sich die meisten Humanisten mit der gesellschaftlichen Ordnung während sie sich von sozialrevolutionären Bewegungen wie den Bauernkriegen und der Täuferbewegung mit wenigen Ausnahmen distanzierten. Dabei war die neue Funktionselite des ausgehenden 15. Jahrhunderts zunehmend weniger nach dem enzyklopädischen System der christlichen artes -Literatur ausgebildet, sondern widmete sich mehr menschlichen Wirkfeldern der Sprache und Geschichte, wie sie der italienische Humanismus eröffnet hatte. 1. Grundlagen: Der italienische Humanismus Dass der Frühhumanismus in Deutschland an die Tradition einer allgemeinen reformatio -Idee anknüpfte, ist kaum zu bestreiten. Daraus aber eine „Eigenrenaissance“ (Burger 1969) folgern zu wollen und wie die ältere Forschung anzunehmen, der deutsche Frühhumanismus habe sich ganz selbständig entwickelt, wäre verfehlt. Vielmehr bereitete die reformatio -Tradition in Deutschland nur den Boden für die Rezeption des italienischen Humanismus, der sich dort schon seit Mitte des 14. Jahrhunderts etabliert hatte. In Italien träumte um die Mitte des 14. Jahrhunderts der Emporkömmling Cola di Rienzo von der großen Vergangenheit des antiken Rom. Die Hoffnung auf eine renovatio imperii , auf eine Erneuerung des Römischen Imperiums, die er als selbsternannter Volkstribun im Jahre 1347 auf dem Kapitol verkündete, blieb zwar politisch nur eine kurze Episode, sie hatte aber mentalitätsgeschichtliche Konsequenzen. Kein Geringerer als Francesco Petrarca (1304-1374) wurde sein Fürsprecher und empfahl ihn an den Hof Kaiser Karls IV. nach Prag. Petrarca begeisterte sich für die Renaissance-Idee Colas als ad aurei seculi initium via [,Weg zum Beginn eines Goldenen Zeitalters‘], wie er in einem Brief schreibt. Doch im Unterschied zu Cola strebte Petrarca weniger nach einer politischen als nach einer literarischen und künstlerischen Wiederbelebung der Antike. 1.1. Francesco Petrarca als ,Vater‘ des Humanismus Francesco Petrarca verkörpert den Humanisten par excellence . Für die deutsche Rezeption des italienischen Humanismus in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts kommt dem Werk und der Person Petrarcas vorrangige Bedeutung zu. Wie bei keinem Autor zuvor zeigt sich bei Petrarca ein gegenwartskritisches Geschichtsbewusstsein, wird poetische Subjektivität betont, Naturerfahrung evoziert und ein rhetorisches Tropen- und Motivarsenal entwickelt, das für die Lyrik der folgenden Jahrhunderte bestimmend bleiben sollte. Geboren am 20. Juli 1304 in Arezzo, gelangte Francesco Petrarca mit seinen Eltern nach Avignon. Er studierte in Montpellier, ließ sich aber schon während seines Studiums von den klassischen Autoren ablenken. Nach dem Tod seines Vaters lebte er mehr seinen Interessen <?page no="30"?> 000029 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 29 1. Der italienische Humanismus | gemäß und zog sich bald aus dem öffentlichen Leben zurück. In einem einsamen Landhaus im Tal von Vaucluse am Quell der Sorgue widmete er sich ganz der Dichtung. Neben zahlreichen gelehrten lateinischen Werken verfasste Petrarca die Rerum vulgarium fragmenta [,Volkssprachliche Bruchstücke‘] - so bezeichnet er die italienischen Gedichte des Canzoniere , dessen Verse der schönen Laura gewidmet sind. Ihr war Petrarca angeblich am 6. April des Jahres 1327, einem Karfreitag, in der Kirche der heiligen Clara zu Avignon begegnet. Wer diese Herrin seiner poetischen Liebe wirklich war, lässt sich kaum eruieren. Spätere Kommentatoren haben sie mit der Adeligen Laura de Noves identifiziert. Der Canzoniere ist zur Hälfte der Liebe zur lebenden und zur anderen Hälfte der Liebe über das Grab hinaus, zur verstorbenen Laura gewidmet. Laura wird zwar nicht, wie noch Dantes Beatrice, zur marienähnlichen Heilsfigur verklärt, aber ihre individuellen Züge sind eigenartig überformt. Die Schwermut des Liebhabers und sein Schwanken zwischen fleischlichem Begehren und himmlischer Seelenliebe stehen im Zentrum von Petrarcas Gedichten. In Vaucluse dichtete Petrarca die Schrift De vita solitaria [,Vom einsamen Leben‘]. Dem öffentlichen Tagesgeschäft stellte er den Lobpreis des mönchischen Lebens, der vita contemplativa , entgegen. Freilich war Petrarca kein Einzelgänger: Vielmehr widmete er sich seinen Humanistischer Freundschaftskult lebenden und seinen toten Freunden, den geliebten Autoren der Antike, wie der von seinem Malerfreund Simone Martini mit einem Frontispiz versehene Vergil-Codex Ambrosianus bezeugt, den Petrarca auch als Memorial für Persönliches, darunter den Tod der Geliebten Laura, nutzte. In Vaucluse empfing er Freunde zu Gesprächen und wechselte zahlreiche Briefe, in denen der humanistische Freundschaftskult seinen Ausgang nahm. Immer wieder verließ er auch die selbstgewählte Einsamkeit, unter anderem, um sich auf dem Kapitol in Rom am 8. April 1341 zum Dichter krönen zu lassen: eine Zeremonie nach antikem Vorbild, die den Dichter verherrlichte. Durch die anschließende Niederlegung des Lorbeerkranzes auf dem Altar der Peterskirche sollten Antike und Christentum versöhnt werden. Nachdem er bereits im Pestjahr 1347 nach Italien gereist war und politische Sendschreiben verfasst hatte, verließ er im Jahre 1353 endgültig seine „glücklichste transalpinische Einsamkeit“ und übersiedelte nach Italien. Im Dienste der Visconti übernahm er diplomatische Missionen nach Basel und Prag an den Hof Kaiser Karls IV. Dort am Kaiserhof glänzte Petrarca im hohen Stil ciceronianischer Rede. Die letzten Lebensjahre verbrachte Petrarca in der Abgeschiedenheit der Euganeischen Berge in einem kleinen Dorf namens Arqua` , das heute ihm zu Ehren Arqua` Petrarca heißt. Dort soll er, an seinem Tisch über die Bücher gebeugt, gestorben sein. Sein Grab und sein Haus wurden schon im 15. Jahrhundert zu Wallfahrtsorten humanistischer Reisender. In Arqua` ist auch seine mumifizierte Katze ausgestellt, die seine Schriften vor Mäusefraß bewahrt haben soll und in der Literaturgeschichte einen eigenen, bisweilen ironischen Kult losgetreten hat (Aurnhammer 2005). Petrarcas Leben entspricht dem humanistischen Geist seines Werks: Die individuelle Persönlichkeit soll ausgebildet werden, zerstreuende Alltäglichkeiten werden zugunsten eines poetischen Empfindens verbannt. Die Konzentration auf das eigene Gefühl führt zu einem häufig leidvollen Subjektivismus, der sich insbesondere an der paradoxalen Selbsterfahrung als Liebender entspann. Zugleich individualistisch und selbstkritisch entwirft Petrarca sein <?page no="31"?> 000030 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 30 | A.I. Frühhumanismus italienischer Prägung nach 1460 Porträt in einem ,Brief an die Nachwelt‘: „An glühender Liebe, aber nur einer einzigen und ehrbaren, litt ich in meiner Jugend und ich hätte noch länger daran gelitten, wenn nicht ein bitterer, aber nützlicher Tod das schon erkaltende Feuer ausgelöscht hätte“ ( 002). Doch galt Petrarcas Liebe nicht nur seiner Laura, sondern auch den Dichtern der klassischen Antike, vor allem Plato und Cicero. Die eigene Zeit dagegen, schreibt er im ,Brief an die Nachwelt‘, missfalle ihm derart, dass er wünscht, „in jedem andern Zeitalter geboren zu sein; und um die Gegenwart zu vergessen, suchte ich, im Geiste mich in andere Zeiten zu versetzen“. Diese Idealisierung der Antike zum kulturellen Sehnsuchtsort, von dem sich die bald als ,Mittelalter‘ geschmähte, jüngste Vergangenheit abhebt, sollte der Renaissance ihr Leitthema geben. Die epochale Neuerung, die sich mit Petrarca vollzieht, illustriert wohl am besten der ausführliche Brief, in dem er seinem Freund Francesco Dionigi von Borgo San Sepolcro in Paris von seiner Besteigung des Mont Ventoux berichtet ( 003). Zu der Wanderung ließ sich Besteigung des Mont Ventoux: Dialog mit der Antike und ästhetische Selbsterfahrung Petrarca von einer Bergbesteigung des Makedonierkönigs Philipp inspirieren, über die er bei Livius las. Auch wenn die Naturbeschreibung heute eher unanschaulich wirkt, bedeutet sie doch insofern eine Innovation, als die Beschreibung reiner Naturschönheit im Mittelalter verpönt war. In Kirchen etwa waren Landschaftsgemälde verboten, sie galten als Ausdruck der concupiscentia oculorum , der ,Augenlust‘, sowie der sündhaften curiositas , der weltlichen ,Neugierde‘, die den Menschen von dem Wesentlichen, der Besinnung auf Gott, ablenke (Blumenberg 1973). Drückte bereits im Canzoniere die Naturschilderung die persönliche Stimmung aus, so schlägt auch in Petrarcas Brief über seine Wanderung das erhabene Panorama in ästhetisches Vergnügen um. Auf dem Berggipfel blättert Petrarca in den Confessiones , den ,Bekenntnissen‘ des Kirchenvaters Augustinus. Buchweisheit und Naturästhetik gehen eine Synthese ein und begründen die moderne Subjektivitätserfahrung (Ritter 1974). Gegen die ältere Lesart etwa Jacob Burkhardts, der zufolge sich Petrarca in seinem Brief von der Tradition löse und durch die autobiographische Dokumentation der Welterfahrung die moderne Individualität begründe, hat die neuere Forschung betont, dass fast die gesamte Beschreibung ein cento , ein Flickwerk aus Zitaten antiker und patristischer Schriftsteller darstelle und womöglich erst lange nach der Bergbesteigung verfasst worden sei, wenn diese überhaupt stattgefunden habe (Billanovich 1976). Als Allegorie des christlichen Aufstiegs und als Allegorie des Lesens, der Bildungserfahrung, vermittelt der Brief die Rhetorizität von Subjektivität, begibt sich in einen Dialog mit antiken Vorbildern, um Lektüre als ästhetische Erfahrung zu inszenieren (Moser 2006, 687-727). 1.2. Geburt der Textkritik bei Poggio und Piccolomini Was Petrarca nur erhoffte, feierte sein Zeitgenosse Giovanni Boccaccio im Jahre 1372 bereits als erfolgt. Er deutet seine Zeit als neues ,Goldenes Zeitalter‘. Um die gelungene Wiedererweckung der heidnischen Antike zu preisen, zitierte Boccaccio die bekannten Verse aus Vergils vierter Ekloge („Schon kehrt die Jungfrau zurück, es kehrt zurück die Herrschaft Saturns“): ein parodistischer Affront gegen das fromme Mittelalter, das diese Verse als Prophetie der Geburt Christi gedeutet hatte. Immer wieder wurde die Entdeckung antiker Autoren in Klosterbibliotheken als Wiederauferstehung der Antike aus einem ein Jahrtausend <?page no="32"?> 000031 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 31 1. Der italienische Humanismus | währenden Schlaf oder als Rückkehr aus der Verbannung inszeniert. So feierte ein Vicentiner Humanist Anfang des 14. Jahrhunderts den Fund einer Catull-Handschrift als resurrectio Catulli in einem Rollengedicht, in dem der auferstandene Catull verkündet: Ad patriam venio longis a finibus exul Causa mei reditus compatriota fuit [,Zur Heimat komme ich aus der Verbannung von weit her, ein Mitbürger war der Grund meiner Rückkehr‘] (Skinner 2011). Das Aufstöbern von Handschriften in Klosterbibliotheken kulminierte im 15. Jahrhundert. Vor allem das Konstanzer Konzil gilt als die ,heroische Epoche‘ der Handschriftenentdeckungen. Im Gefolge des Pisaner Papstes Johannes XXIII. kamen zahlreiche Huma- Handschriftenfunde nisten als Sekretäre oder Schreiber der Kurie nach Deutschland, unter ihnen Leonardo Bruni und Poggio Bracciolini aus Florenz. Diese nutzten die Konzilspausen zu Bibliotheksreisen, darunter Ausflüge nach St. Gallen, Weingarten und Einsiedeln, wo sie ,aus dem Gefängnis der Barbaren‘ die Argonautica des Valerius Flaccus und Cicero-Codices ,befreiten‘. Auch Poggio berichtet am 15. Dezember 1425 dem Humanistenfreund Guarino von seinen St. Gallener Abenteuern und beklagt den erbärmlichen Zustand der Handschriften: „Jammervoll aber lag er [scil. Quintilian] da und in Trauerkleidern wie ein Totgeweihter, sein Bart war von Schmutz, sein Haar von Staub bedeckt“ (zit. nach Hunger u. a. [Hg.] 1975, 541). Lesenswert ist die historisierende erzählerische Schilderung der bibliomanischen Klosterbesuche in Conrad Ferdinand Meyers Novelle Plautus im Nonnenkloster (1882). Held dieser Erzählung ist ebendieser Poggio Bracciolini, der in einem Frauenkloster eine Handschrift des lateinischen Lustspieldichters Plautus findet und diesen Codex der Äbtissin abluchsen will. In Wirklichkeit wurden die sechzehn Komödien des Plautus von Nikolaus von Kues gefunden, durch den dieser Fund schließlich in die Vatikanische Bibliothek gelangte. Neben der Entdeckung Quintilians gelangen Poggio zwei für die Entwicklung der Renaissance zentrale Handschriftenfunde: Zum einen fand er 1417, wahrscheinlich in der Bibliothek des Klosters Fulda, eine Handschrift von Lukrez’ Lehrgedicht De rerum natura , dem wichtigsten Zeugnis der epikureischen Naturphilosophie. Der atheistische Atomismus, der sich bei Lukrez mit einer lebensbejahenden, diesseitigen Ethik paart, fand Widerhall noch in den Schriften Machiavellis, Montaignes, Morus’ und Shakespeares und bildete einen wichtigen Bezugspunkt für die Wissenschaften der Renaissance (Greenblatt 2011). Den anderen großen Fund, der Poggio glückte, stellen einige bis dahin unbekannte Tacitus-Schriften im Kloster Hersfeld im Jahre 1425 dar, darunter die Germania . Der Fund war insbesondere für die deutsche Renaissance von großer Bedeutung. Als Erster verwertete Enea Silvio Piccolomini die Nachrichten aus Tacitus’ ethnographischer Schrift und stellte das humanistisch gebildete Deutschland der Gegenwart über das barbarische alte Germanien. Enea Silvio Piccolomini (1405-1464) war unter den italienischen Humanisten der wichtigste Mittelsmann zur deutschen Kultur (Reinhardt 2013, Terzoli [Hg.] 2006). Schon Zeit- Enea Silvio Piccolomini: Apostel des Humanismus genossen bezeichneten ihn als ,Apostel des Humanismus in Deutschland‘. Er hatte 1432 als Kardinalssekretär am Basler Reformkonzil teilgenommen, hatte sich als Stilist und Rhetoriker einen Namen gemacht, als ihn Kaiser Friedrich III. mit dem Dichterlorbeer krönte. Während des Reichstages zu Frankfurt trat er in die Dienste des Kaisers. Er wirkte in der Reichskanzlei für eine kurze Zeit, die sich aber als <?page no="33"?> 000032 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 32 | A.I. Frühhumanismus italienischer Prägung nach 1460 wirkungsvoll erwies. In Wiener Universitätsreden und Sendschreiben propagierte er die humanistischen Ideale von ,Lesen und klassischer Bildung‘ auch für den Adel. Daneben veröffentlichte er eine Liebesgeschichte Euryalus und Lucretia sowie die ,Dirnenkomödie‘ Chrysis nach dem Muster des Terenz. Als er sich nach einer erfolgreichen diplomatischen Vermittlung zwischen Kaiser und Papst für den geistlichen Stand entschied, Bischof von Siena und dann als Pius II. gar Papst wurde, distanzierte er sich von dieser sinnenfrohen Literatur mit einer schönen Sentenz: Aeneam rejicite, Pium suscipite [,Gebt Aeneas auf, empfangt Pius! ‘]. Immerhin blieb er auch als Papst dem humanistischen Projekt verbunden und gründete eine Idealstadt in der Nähe von Siena, die noch heute seinen Namen trägt: Pienza. Durch Piccolominis De ritu, situ, moribus et conditione Germaniae [,Beschreibung der Riten, der Lage, der Sitten und allgemeinen Verhältnisse Deutschlands‘], eine mit Tacitus-Paraphrasen durchsetzte Schilderung Deutschlands und der deutschen Sitten, wurden die deut- Tacitus’ Germania: Gründungsmythos der nationalen Identitätssuche schen Humanisten auf die Germania aufmerksam. Auch weil Piccolomini die deutschen Territorien besänftigen wollte, um nach dem Fall Konstantinopels 1453 gemeinsam mit den Nachbarländern gegen die Türken zu ziehen, veröffentlichte er sein schmeichelndes Deutschlandbuch. Es reagierte auf den geläufigen Vorwurf, die römische Kirche nutze die deutsche Nation aus, den Piccolomini mit dem Hinweis auf die barbarische, durch Tacitus bezeugte Vergangenheit und die strahlende Gegenwart der Deutschen zu entkräften suchte (Krebs 2012, 86-106). Von hier aus nahm die folgenreiche und lange Wirkungsgeschichte des Germanenmythos ihren Ausgang: Der deutsche ,Erzhumanist‘ Conrad Celtis (1459-1508) bejubelte Deutschland in seinem Langgedicht Germania generalis unter Berufung auf Tacitus (Müller 2001); Johannes Aventinus widmete sich in seiner Bayerischen Chronik ausführlich dem mythischen Germanengott Tuisco, in dem er einen Sohn Noahs vermutete. Ulrich von Hutten erhob den sagenhaften Cheruskerfürsten Arminius [,Hermann‘], der im Jahre 9 n. Chr. drei römische Legionen unter ihrem Statthalter Varus in der Schlacht im Teutoburger Wald vernichtend besiegte, zum deutschen Nationalhelden und zum Sinnbild des deutschen Widerstands gegen Rom. Der Hermann-Kult dauerte im 17. Jahrhundert fort - u. a. in Daniel Casper von Lohensteins monumentalem Roman Großmüthiger Feldherr Arminius (1689/ 90) -, bevor er in der antinapoleonischen Romantik einen weiteren Höhepunkt erfuhr, am bedeutendsten wohl in Kleists Drama Die Hermannsschlacht (1809). Noch die Nationalsozialisten beriefen sich in ihrer Propaganda auf Tacitus’ Beschreibung der germanischen Sitten (Krebs 2012, 245-283). So formierte sich aus der humanistischen Begeisterung für antike Texte eine nationale Identitätssuche, welche die deutsche Literatur in dem für sie wesentlichen europäischen Anlehnungs- und Abgrenzungsbedürfnis stark beeinflusste. Mit den Handschriftenfunden entwickelten sich im 15. Jahrhundert die Methoden der Textkritik, vor allem der recensio und emendatio von Texten. Recensio meint die Herstellung der glaubwürdigsten Textgrundlage und die Bewertung von Varianten, emendatio die Ergänzung oder Verbesserung von Korruptelen, also verderbter oder fehlender Textstellen. Mit dem Humanismus verband sich eine methodische Philologie, der wir bis heute viele Grundlagenkommentare und Textausgaben verdanken. Wie wenig diese Disziplin reines Gelehrtenspiel war und welche politischen Konsequenzen ihr strenges Urteil haben konnte, zeigt Lorenzo <?page no="34"?> 000033 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 33 1. Der italienische Humanismus | Vallas glänzender Beweis, dass die sogenannte ,Konstantinische Schenkung‘, der zufolge Kaiser Konstantin dem Papst ganz Italien sowie Jerusalem, Alexandrien und Konstantinopel geschenkt habe, eine Fälschung sein musste, weil sie sprachlich nicht in das 4., sondern eher in das 8. Jahrhundert n. Chr. passe. Auch wenn das Dokument bereits zuvor an Bedeutung eingebüßt hatte, erledigte Vallas um 1400 vorgetragene sprachhistorische Kritik endgültig den globalen Herrschaftsanspruch jener Päpste, die sich einst darauf berufen hatten. Sein Nachweis von lateinischen Anachronismen erforderte ein sehr genaues Stilgefühl, ein Sensorium für Unterschiede. Tatsächlich betonten die Humanisten immer wieder die individuelle Schreibweise der antiken Schriftsteller, ja setzten sich mit ihnen in ein geradezu persönliches Verhältnis. In Wahlverwandtschaften über die Zeiten hinweg hielten sie Zwiesprache mit den geliebten Autoren der Antike. Wie Petrarca in seinen Totenbriefen, etwa an Cicero, Homer und Vergil, und Leon Battista Alberti im Teogenio (um 1440), so beschreibt auch Niccolo` Machiavelli diesen imaginären Dialog in einem Brief vom 10. Dezember 1513 an Francesco Vettori: Die Lektüre versetze ihn aus seinem ärmlichen Landgut ,La Strada‘ bei San Casciano in eine andere, große Welt: Wenn der Abend kommt, kehre ich nach Hause zurück und gehe in mein Schreibzimmer. An der Schwelle werfe ich die Bauerntracht ab, voll Schmutz und Kot, ich lege prächtige Hofgewänder an und, angemessen gekleidet, begebe ich mich in die Säulenhallen der großen Alten. Freundlich von ihnen aufgenommen, nähre ich mich da mit der Speise, die allein die meinige ist, für die ich geboren ward. Da hält mich die Scham nicht zurück, mit ihnen zu sprechen, sie um den Grund ihrer Handlungen zu fragen, und herablassend antworten sie mir. Vier Stunden lang fühle ich keinen Kummer, vergesse alle Leiden, fürchte nicht die Armut, es schreckt mich nicht der Tod; ganz versetze ich mich in sie. (Kersting 2006, 22) 1.3. Übersetzungstheorie und Platonismus im Zuge der Wiedergewinnung der griechischen Literatur Die oströmische Kirche des Byzantinischen Reichs hatte sich zwar in den Reformkonzilien des 15. Jahrhunderts wieder der Papstkirche angenähert, von der sie nach dem Morgenländischen Schisma des Hochmittelalters getrennt war. Doch bereits im Jahre 1453 hielt Byzanz Eroberung Konstantinopels 1453: Transfer griechischer Gelehrter und Handschriften nach Italien dem militärischen Übergewicht des Osmanischen Reiches nicht mehr stand und wurde erobert. Unter den Flüchtlingen, die nun nach Italien strömten, waren viele griechische Gelehrte, die auch antike Codices mitbrachten. Sie begannen an italienischen Universitäten zu lehren, fanden dort bedeutende Schüler und propagierten erfolgreich die Kenntnis der griechischen Antike in Italien. Schon vor dem ,Fall‘ aber hatten italienische Humanisten Byzanz bereist und Schriften der griechischen Klassiker für Italien gerettet, während umgekehrt auch byzantinische Gelehrte in den Westen gefahren waren. Giovanni Aurispa beispielsweise brachte eine größere Sammlung von Handschriften nach Italien, darunter den vollständigen Platon, Thukydides und Pindar. Dagegen hatte der byzantinische Gelehrte Georgios Gemistos Plethon bereits 1438 Florenz besucht, um die Wiedervereinigung der West- und Ostkirche zu sondieren. Mit seiner platonischen Aristoteleskritik beeindruckte er Humanisten wie Marsilio Ficino. Der Untergang des Byzantinischen Reichs verstärkte den <?page no="35"?> 000034 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 34 | A.I. Frühhumanismus italienischer Prägung nach 1460 Austausch noch und begünstigte die Verbreitung der griechischen Philosophie im 15. Jahrhundert. Plethons Schüler Basilius Bessarion, welcher der Florentiner Delegation ebenfalls angehört hatte, sah sich durch das osmanische Vordringen dazu gezwungen, dauerhaft nach Italien zu übersiedeln, wo ihn der Papst in den Kardinalsstand erhob. Gegen Ende seines Lebens schenkte er seine umfangreiche Bibliothek, die mehrere hundert griechische Handschriften umfasste, der Republik Venedig. Bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts waren die Kenntnisse der griechischen Literatur in Westeuropa äußerst gering. Petrarca berief sich zwar auf Platon als humanistischen Antipoden zur scholastischen Autorität des Aristoteles, doch kannte er die platonischen Schriften nur sehr fragmentarisch aus lateinischen Übersetzungen. Homer galt bei Dante und Petrarca als summus poeta [,größter Dichter‘], doch gelesen hat man ihn kaum. Petrarca mahnte seinen Freund Boccaccio, eine lateinische Übersetzung des Homer zu versuchen, heraus kam eine kunstlose Interlinearversion. Diesen wörtlichen Homer versifizierte Anfang des 15. Jahrhunderts Antonio Loschi in lateinischen Hexametern. Andere Übersetzer sparten manche ,niedrige‘ Episoden (z. B. die lange Beschreibung des Bettes von Odysseus) einfach aus. Erst die Aneignung der griechischen Literatur ließ unter den Humanisten eine Übersetzungstheorie entstehen und schärfte ihr Stilgefühl sowie ihr ästhetisches Bewusstsein. Neben der Interlinearversion, in der die Wort für Wort übersetzte Fassung zwischen die Zeilen des Originals notiert wird, bildeten sich Paraphrase und eigenständige Bearbeitung als Methoden aus (Kipf/ Robert/ Töpfer [Hg.] 2017). Unbestritten blieb dabei der Vorrang der res vor den verba - der ,Dinge‘ vor den ,Worten‘ -, sodass man die sinngemäße und nicht die wortgetreue Version bevorzugte. Gemeinsamer Maßstab aller Techniken war die elegantia der Übertragungen, die sogar den Stil des Originals überbieten konnten. Um 1500 lagen die wichtigsten griechischen Klassiker in lateinischen Übersetzungen vor. Lorenzo Valla hatte Äsop, Xenophon und Herodot übertragen; Angelo Poliziano, von dem die literarische Vorlage für Sandro Botticellis berühmtes Gemälde Primavera stammt, latini- Einflüsse griechischer Klassiker im Florentiner Neuplatonismus sierte Homer, Epiktet und Plutarch. Wirkungsgeschichtlich besonders wichtig war Marsilio Ficinos Übertragung des gesamten Platon: Sie stellte bis in die Neuzeit die entscheidende Quelle für die Platon-Kenntnisse in Europa dar. Ficino bildete auch das Haupt der sogenannten Platonischen Akademie in Florenz, ein lockerer Zusammenschluss von befreundeten Humanisten unter dem Patronat von Lorenzo de Medici. Legendär ist die Neuinszenierung von Platons Symposion , des Gesprächs über die Liebe geworden: Nach Verlesung der ins Lateinische übersetzten Reden kommentierten die Teilnehmer sie mittels allegorischer und mystischer Deutungen. Dieser Synkretismus, in dem sich christliche Religion, kabbalistisches Ideengut und antike Philosophie versöhnten, charakterisiert den Florentiner Neuplatonismus (Pittrof 2015, 73-103). Man versuchte, Elemente aus verschiedenen Religionen zu harmonisieren, etwa den platonischen Seelenflug des Phaidros mit der christlichen Heilsgeschichte. Dabei fungiert amor , die Liebe, als jene Kraft, welche die im Körper gefangene Seele wieder in die himmlischen Heimatregionen erheben kann. Das Ideal der ,platonischen Liebe‘, von Ficino als Begriff etabliert, wird von der Willensentscheidung des Menschen - für die himmlische oder die irdische Liebe - abhängig gemacht. Die Doppelnatur von Engel und Tier birgt die <?page no="36"?> 000035 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 35 2. Mediale Europäisierung als Rezeptionsbedingung des deutschen Humanismus | wesentliche Lebensentscheidung, die dem Menschen niemand abnehmen kann. Daher betonen die Neuplatoniker wie Giovanni Pico della Mirandola in seiner Oratio de hominis dignitate [,Rede über die menschliche Würde‘, 1486] den freien Willen als Kriterium des Humanen. Über das Konzept der Willensfreiheit gerieten die Neuplatoniker später mit den reformierten, dann auch mit den orthodoxen Christen in Konflikt. 2. Mediale Europäisierung als Rezeptionsbedingung des deutschen Humanismus Die humanistische Renaissance Italiens erfasste im 15. Jahrhundert auch Deutschland. Nicht nur knüpften italienische Humanisten auf ihren Deutschlandreisen Kontakte zu Gelehrten und Fürsten, sondern die Reformkonzilien in Konstanz und Basel wirkten als Umschlagplatz Erfindung des Buchdrucks für neue Ideen, weckten die Antikenbegeisterung und befruchteten die gemeinsame Kommentierung von Handschriften. Der bibliophile Austausch, der von den humanistischen Innovationszentren in Oberitalien ausstrahlte und bald weite Teile des gelehrten Europas umfasste, wurde durch den Buchdruck mit beweglichen Lettern erheblich erleichtert. Durch Johannes Gutenbergs Erfindung eines Handgießinstruments für mobile Bleilettern erübrigte sich seit den 1450er Jahren die aufwändige Herstellung eines je neuen Holzstocks für jeden Seitensatz. Stattdessen wurde es möglich, die beweglichen Lettern zu Zeilen und die Zeilen auf einem Setzschiff zusammenzufügen, um eine Druckform zu erzeugen. Reproduktionen wurden durch dieses flexible Typenverfahren deutlich günstiger, zumal die mechanische Presse, eine schneller trocknende Druckerfarbe und die Verfeinerung des erschwinglichen Papiers das Verfahren weiter ökonomisierten. Die Medienrevolution wurde als deutsche Errungenschaft bald kulturpatriotisch ausgeschlachtet, auch weil der Buchdruck in Italien hauptsächlich von sogenannten Wanderdruckern aus Deutschland getragen wurde. Unter den ,Wiegendrucken‘ oder ,Inkunabeln‘, wie man die Drucke bis 1500 nennt, finden sich viele humanistische Texte, darunter die Schriften Piccolominis. Piccolomini nimmt für den deutschen Humanismus eine Sonderstellung ein. Zum einen legitimierte er den Patriotismus durch seine auf Tacitus referierende Deutschlandschrift. Zum anderen aber appellierte er an den Zusammenhalt aller europäischen Völker, versuchte Die Antike als Grundlage des humanistischen Europagedankens mithin eine politische Europäisierung herbeizuführen, die sich in der humanistischen Gelehrtenrepublik zumindest im Geiste verwirklichen konnte. In einer Rede über den Untergang Konstantinopels, gehalten in Frankfurt 1453, ruft Piccolomini dazu auf, die europäischen Völker müssten gemeinsam gegen die Türken vorgehen. Denn früher sei das Christentum nur in Asien und Afrika bedrängt worden, nunc vero in Europa, id est in patria, in domo propria, in sede nostra percussi caesique sumus [,nun jedoch sind wir in Europa, das heißt im Vaterland, im eigenen Haus, in unserem Sitz erschüttert und getötet worden‘]. Wenn Deutschland den Nachbarn in dieser Zeit nicht beistehe, mahnt Piccolomini, werde Frankreich auch den Deutschen nicht zur Hilfe eilen, werde wiederum Spanien die Franzosen nicht unterstützen, wenn die Türken angreifen. Piccolomini konzipiert eine Verteidigungsgemeinschaft europäischer Nationen, die füreinander eintreten, wenn ein Mitglied oder das gesamte ,Vaterland‘ in Gefahr ist. Auch <?page no="37"?> 000036 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 36 | A.I. Frühhumanismus italienischer Prägung nach 1460 weil Piccolomini in seiner historisch-geographischen Kontinentbeschreibung (1458), gleichsam ein gelehrter Nachtrag zu seinem politischen Appell fünf Jahre zuvor, erstmals einen Begriff für ,die Europäer‘ erfand - lateinisch europaei -, hat man ihn in der neueren Forschung als „Vater des Europagedankens“ bezeichnet (Helmrath 2005). Tatsächlich charakterisiert den gesamten Humanismus diese Suche nach europäischen Gemeinsamkeiten, als deren Lösung eben nicht mehr nur das Christentum, sondern auch das kulturelle Erbe der Antike vorgeschlagen wird. Humanisten wie Juan Luis Vives, Andre´ s Laguna oder Johannes Putsch haben den Europabezug ihrer Gelehrtenrepublik noch in den Konfessionskriegen des frühen 16. Jahrhunderts bekräftigt, indem sie den Kontinent als versehrte Jungfrau personifizierten und ihr antikisierende Distichen in den Mund legten (Detering 2017, 63-76): Während die friedliche Einigkeit ihnen in der politischen Realität noch lange verwehrt blieb, fanden Dichter und Philologen aus ganz Europa im Reich der Literatur zueinander. Bildete die drucktechnische Innovation die mediale Voraussetzung dafür, dass sich antike Schriften und ihre humanistisch-gegenwartskritische Kommentierung über Italien hinaus verbreiten konnten, befeuerte Piccolominis Einsatz für eine europäische Gemeinschaft die Gründung einer lateinischen res publica litteraria über Sprach-, später auch Konfessionsgrenzen hinweg. Latein diente dabei als lingua franca , als gemeinsames Kommunikationsmittel. Doch sollten daneben auch die europäischen Volkssprachen gepflegt werden, wie Dante und Petrarca es für das italienische volgare vorgemacht hatten. Piccolomini prägte daher nicht nur den lateinischen Stil der Reichskanzlei, die 1440 von Prag nach Wien transferiert wurde, sondern er ermunterte deutsche Humanisten, allen voran Niklas von Wyle und mittelbar auch Heinrich Steinhöwel, zur übersetzerischen Aneignung des italienischen Humanismus. 3. Frühe übersetzerische Aneignung des italienischen Humanismus Wie sich an Steinhöwel und Wyle, seinen beiden wichtigsten Übersetzern, zeigt, orientiert sich der deutsche Frühhumanismus eher an lateinischen als an volkssprachlichen Vorbildern (Bernstein 1978). Heinrich Steinhöwel (1412-1482) lernte den italienischen Humanismus Steinhöwels Übersetzungen aus dem Decamerone durch ein Medizinstudium in Padua kennen, dem er eine Anstellung als Stadtarzt in Ulm verdankte - auch sein Werdegang belegt die im 15. Jahrhundert geschaffene Möglichkeit des sozialen Aufstiegs durch ein Auslandsstudium. Steinhöwel übersetzte die letzte Novelle aus Giovanni Boccaccios Decamerone (1353), die Griseldis-Novelle, in die deutsche Sprache. Aber als Vorlage verwendete er nicht das italienische Original Boccaccios, sondern die lateinische Version von Francesco Petrarca. Die lateinische Version mildert das Verhalten des Markgrafen gegenüber seiner fügsamen Frau Griseldis: Markgraf Gualtieri heiratet, von seinen Untertanen zur Ehe gedrängt, eine arme Bauerntochter namens Griseldis. Er verlangt von ihr bedingungslosen Gehorsam, den Griseldis verspricht. Er zeugt mit ihr ein Mädchen und einen Knaben, die er der Mutter wegnehmen lässt, um sie umbringen zu lassen. Griseldis lässt dies zu. Nach dreizehnjähriger Ehe verstößt er Griseldis schließlich, lässt sie jedoch wieder an seinen Hof holen, damit sie seiner neuen Braut, einem dreizehnjährigen Mädchen, diene. Bei der Hochzeit eröffnet der Markgraf schließlich, die vermeintliche zweite Braut sei die gemeinsame Tochter, die ebenso <?page no="38"?> 000037 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 37 3. Frühe übersetzerische Aneignung des italienischen Humanismus | lebe und wohlerzogen sei wie der gemeinsame Sohn, und nimmt nach dieser Geduldsprobe, seiner grausamen Eheprüfung, Griseldis wieder in Gnaden und Ehren als seine Gemahlin auf. Die Griseldis-Novelle spielte im deutschen Frühhumanismus eine bedeutende Rolle: Fünf Übersetzungen bzw. Bearbeitungen aus dem 15. Jahrhundert sind nachgewiesen; bei Albrecht von Eyb wird die Novelle sogar zu einem Ehezucht-Büchlein ausgewalzt (Aurnhammer/ Schiewer [Hg.] 2010). Überhaupt zeigt der deutsche Frühhumanismus eine Vorliebe für die italienische Novellistik: Sie kam als moderne Gattung dem doppelten Bedürfnis nach Nutzen und Unterhaltung entgegen. Zudem konnten die deutschen Bearbeiter an die spätmittelalterliche Schwanktradition anschließen. Den bedeutendsten Beitrag zur translatorischen Vermittlung des italienischen Humanismus hat zweifellos Niklas von Wyle (um 1410-1479) geleistet. Schon Lessing lässt mit ihm und Steinhöwel die gedruckte Literatur in Deutschland beginnen. Geboren in Bremgarten im schweizerischen Aargau, studierte Wyle an italienischen Hochschulen. Er arbeitete anschließend als Notar in Zürich, bevor er als Stadtschreiber in Radolfzell, Nürnberg und Esslingen wirkte. In Esslingen, wo er urkundlich ab 1447 nachweisbar ist, leitete er eine Privatschule mit Internat, wo er junge Männer aus vornehmen Familien in der Kunst des Schreibens und Dichtens, der Stilistik und der Orthographie unterrichtete. Zwanzig Jahre später wirkte er als Kanzler des Grafen Ulrich von Württemberg bis zu seinem Lebensende in Stuttgart. Vielleicht als Übersetzungshilfen für seine Schüler übertrug Wyle seit 1461 lateinische Prosa italienischer Humanisten ins Deutsche. Zunächst erschienen sie als Einzeldrucke; erst 1481 wurden sie gesammelt unter dem Titel Transzlatzion oder Tütschungen in Esslingen ver- Niklas von Wyles Übersetzungen humanistischer Sendschreiben öffentlicht. Das Werk umfasst insgesamt 18 „Translatzen“, die jeweils verschiedenen fürstlichen und geistlichen Personen gewidmet sind. Seine Übersetzungsprinzipien hat Niklas von Wyle ausführlich erläutert. Zum einen imitiert er seinen Ausgangstext sprachlich, soll doch die elegantia des italienischen Humanistenlateins auf die deutsche Übersetzung abfärben. Zu diesem Zweck gibt Wyle den grammatischen Strukturen des lateinischen Originals den Vorrang vor der Verständlichkeit und behält Partizipial- und Akkusativ-mit-Infinitiv-Konstruktionen bei, auch wenn sie bisweilen sperrig wirken. Zum anderen übersetzte Wyle nicht wahllos, sondern konzentrierte sich gezielt auf Stoffe, die für den italienischen Humanismus charakteristisch sind: Neben Novellen von Piccolomini - Euryalus und Lucretia eröffnet die Transzlatzion - und Boccaccio enthält die Sammlung Übersetzungen humanistischer Sendschreiben: Piccolominis Briefe an Potentaten, Poggios humanistische Freundesbriefe, philosophische Traktate wie Petrarcas De remediis utriusque fortunae [,Von den Heilmitteln für Glück und Unglück‘, 1354-1367] und Buonaccorso da Montemagnos Controversia de nobilitate , das den Unterschied zwischen Geburts- und Tugendadel diskutiert. Auch ein griechischer Text findet sich unter Wyles Übersetzungen, nämlich der freizügige Eselsroman von Lukian, den Poggio zuvor ins Lateinische übersetzt hatte. Die „zechende tranzlatze“ ( 004) kann als Beispiel für Wyles Übersetzungstechnik dienen. Es handelt sich um die Übertragung eines Briefes, den Piccolomini 1443 aus Graz an den seinerzeit sechzehnjährigen Erzherzog Sigmund von Österreich gerichtet hat, um ihm die <?page no="39"?> 000038 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 38 | A.I. Frühhumanismus italienischer Prägung nach 1460 humanistische Bildung als angemessene Form der Prinzenerziehung nahezulegen. Er begründet den praktischen Nutzen der humanistischen Bildung und zählt die Vorteile auf, die ein Fürst aus Kenntnis und Lektüre der Klassiker ziehen kann. Als Muster für gebildete Herrscher, welche den Sinn humanistischer Fürstenbildung verbürgen, werden Philipp von Makedonien, Alexander der Große und Augustus genannt, aber auch neuere Figuren wie Lionello d’Este. Vorgeschaltet ist dem übersetzten Brief eine Widmung an Karl Markgraf zu Baden, die von der Forschung bislang vernachlässigt wurde. Dabei verbindet Wyles Widmung und das von ihm übersetzte Sendschreiben dieselbe Intention, nämlich den deutschen Adel für die moderne humanistische Bildung zu gewinnen, die in Italien schon Bestandteil der Fürstenerziehung geworden war. Die humanistischen Bildungsideale, die Wyle für die Erziehung der drei Markgrafensöhne nennt, stimmen wörtlich mit jenen überein, die Piccolomini dem Erzherzog ans Herz legt: Er solle im Lateinischen gelehrt sein und „die poeten vnd oratores [ … ] lesent versteen“. Nicht nur verleiht Wyle dem persönlichen Sendschreiben Piccolominis damit den Charakter einer allgemeingültigen Doktrin humanistischer Prinzenerziehung, sondern er betont gegenüber dem regierenden Markgrafen auch dessen Unbildung - er wünsche sich sicher, er könne selbst „gu˚ t gerecht vnd wolgeziert latin reden“ -, um ihn umso mehr für eine klassisch-humanistische Bildung seiner Söhne zu gewinnen. Der Frühhumanist Wyle lässt an dem Statusgefälle zwischen der lateinischen und der deutschen Sprache keinen Zweifel: Seine deutsche Übersetzung versteht er vorrangig als Übungstext für die Prinzen, die „durch das tütsche dise latinische epistel“ verstehen sollen - aber auch zur Kontrolle für den lateinunkundigen Vater, der „dar ob sin wöll“, also darauf achten solle, mit welchem Erfolg seine Söhne sich humanistisch bilden. Durch den Funktionszusammenhang von Übersetzung und Original erhält auch die Du-Anrede, in Deutschland damals ein Konventionsbruch, neue Bedeutung. Piccolomini rechtfertigt das „dutzen“ gegenüber dem Erzherzog mit der Wiedergeburt der Römischen Antike, hier repräsentiert durch Francesco Petrarca, und der Wiedergeburt der Griechischen Antike, hier repräsentiert durch Johannes Chrysoloras, Griechisch-Lehrer in Florenz. (Von ihm stammt das erste Griechisch-Lehrbuch der Renaissance, die Erotemata , 1471.) Piccolomini begrüßt das Werk dieser beiden als epochale Wende, wenn er die Erneuerung des klassischen Lateins als Indikator nimmt, der aber auch das Süd-Nord-Gefälle anzeige. Denn während die lateinische Renaissance in Italien eine Abkehr vom Mittelalter bewirkt habe, lasse diese in Deutschland noch auf sich warten. Ausdruck des neuen Kulturwandels sei der Gebrauch des Humanisten-Du, einer lateinischen Sitte. Diese Rechtfertigung des Duzens kontrastiert mit der Widmung, und aus diesem Kontrast wächst der Übersetzung entscheidende Bedeutung zu. Indem Wyle in seiner Widmung fast wörtlich auf Piccolominis Rechtfertigung der Fürstenbildung zurückgreift, wird die Differenz der Anredeform Ihrzen und Duzen umso deutlicher, denn Wyle bleibt im Gegensatz zu Piccolominis Humanisten-Du beim mittelalterlichen Ihr. Die italienische Renaissance dient als Gegenbild zur barbarischen Kultur Deutschlands, sie wirkt aber auch als Vorbild und Verheißung. Denn wenn auch der regierende Markgraf kein Renaissance-Fürst ist, so sollen doch die badischen Prinzen einmal „zu˚ gelerten fürsten gera˘ten[ ] ander fürsten vnser landen an kunste vbertreffen[ ]“. <?page no="40"?> 000039 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 39 4. Peter Luder und Rudolf Agricola | Diesen humanistischen Kulturtransfer verheißt Wyle dem Markgrafen mit seinen „Translatzen“. Das sollte durchaus gelingen: Sein latinisierender Übersetzungsstil, der die humanistische elegantia zum Vorbild nimmt, fand viele Nachahmer in Deutschland, darunter die Kanzleischreiber mit ihrem hypotaktischen Stil. Wyles Hauptbedeutung liegt aber in der Vermittlung neuer literarischer Stoffe, Themen und Gattungen. Petrarca, Poggio, Boccaccio und Piccolomini sind die wichtigsten Repräsentanten des italienischen Humanismus, und Wyles Tütschungen hat sie den Deutschen mit einigen Jahrzehnten Verspätung nahegebracht. Seine Vermittlung des italienischen Renaissancehumanismus leitete den deutschen Frühhumanismus ein. 4. Studia humanitatis und peregrinatio academica: Peter Luder und Rudolf Agricola Die Aufwertung der humanistischen Bildung nach dem Vorbild der italienischen Renaissance blieb keinesfalls auf die höfische Welt beschränkt. Seit Mitte des 15. Jahrhunderts ist auch im akademischen Curriculum der Universitäten und Lateinschulen ein deutlicher Wandel zu bemerken. Die akademische Umorientierung um 1450 weg von der aristotelischen Scholastik hin zu den platonisierenden studia humanitatis propagierten an deutschen Universitäten vor allem sogenannte ,Wanderhumanisten‘. Dabei handelte es sich um Bürgersöhne, geboren in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, die durch ein Studium an einer italienischen Hochschule für den Renaissancehumanismus gewonnen wurden und diesen auch an deutschen Universitäten und Lateinschulen verbreiten wollten. Um 1450 mehren sich die Hinweise auf Poetik-Vorlesungen, wie man die Vorlesungen über Dichter der römischen Antike nannte. Da die meisten der frühen Wanderhumanisten mehr mündlich als schriftlich gewirkt haben, liegt ihr Leben und Schaffen vielfach im Dunkeln. Wenig wissen wir etwa über Peter Luder (1415-1472). Mit dem Vermerk pauper [,arm‘] immatrikulierte er sich 1430/ 31 an der Universität Heidelberg. Bald darauf wechselte er an die Universität Ferrara. Die Residenz der Herzöge von Este bildete im 15. und 16. Jahrhundert ein Zentrum der italienischen Renaissance. Hier wurde Luder von Guarino da Verona in die studia humanitatis eingeführt, für die er später als deren Pionier in Deutschland mit missionarischem Eifer warb: „Primus ego in patriam deduxi vertice Musas Italico mecum, fonte Guarino tuo“ [,Ich habe als erster die Musen von ihrem italienischen Gipfel in das Vaterland mitgebracht, indem ich aus deiner Quelle, Guarino, schöpfte‘; Baron 1966, 208]. Er stand in Diensten des Dogen von Venedig, reiste vielleicht auch nach Griechenland und studierte schließlich Medizin in Padua, bevor er 1456 nach Deutschland zurückkehrte. In Heidelberg, Ulm, Erfurt und Leipzig hielt er Vorlesungen über die antiken Dichter, dann wirkte er an der neugegründeten Universität Basel als humanistischer Dichterarzt: Er hielt Vorlesungen sowohl in Klassischer Philologie als auch in Medizin. 1468 trat er in die Dienste des Herzogs Sigismund von Tirol, den Adressaten von Piccolominis Sendschreiben. Von dort wechselte er an die Universität Wien, wo er im Jahre 1472 starb, betrauert von Hartmann Schedel als primus preceptor artis humanitatis [,erster Lehrer des Humanismus‘] in Deutschland. Peter Luder war es, der in seinen Heidelberger Vorlesungen im Jahre 1456 den Begriff der studia humanitatis zum ersten Mal in Deutschland gebrauchte (Baron 1966, Probst/ Metzger <?page no="41"?> 000040 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 40 | A.I. Frühhumanismus italienischer Prägung nach 1460 2003 005). In der Annonce seines Kollegs über die Historien des Valerius Maximus und die satirischen Briefe des Horaz geriert sich Luder als mäzenatisch geförderter Erneuerer. Die studia humanitatis werden definiert als die „Werke der Dichter, Redner und Geschichts- Peter Luder: ,Erster Lehrer des Humanismus‘ in Deutschland schreiber“. Luders Einladung zu seiner Antrittsrede in Leipzig wiederholt diese Definition, nur in umgekehrter Reihenfolge: „Geschichtsschreiber, Redner und Dichter“ ( 006). Er beschäftigte sich jedoch nicht nur mit der klassischen Literatur, sondern verfasste auch selbst Gedichte. Die ältere Literaturgeschichte hat sie als autobiographische Bekenntnisse verstanden und dadurch ihren spezifischen Charakter verkannt, der in einer schöpferischen Nachahmung der italienischen Humanistendichtung besteht. Beispielsweise findet sich in Luders Elegie an Panphila (1460) eine Passage, in der das Ich sein Herkommen schildert ( 007 und 008). Luder spricht hier jedoch weniger persönlich als repräsentativ: Durch die studia humanitatis hat er seine Nationalität (Deutsch) und seinen niederen Stand kompensieren können (Müller 1994). Damit nimmt Luder die im Frühhumanismus brisante Statuskonkurrenz zwischen Geistesadel und Blutsadel selbstbewusst auf und preist den Adel des Geistes, der allein die nobilitas verbürge. Der Zusammenhang von Bildung und Adel war ein zentrales Argument der Zeit, und auch Luders Lob eigener Tüchtigkeit im Kontrast zu ererbter Gunst war gängige humanistische Münze. Um den Kontrast zwischen geringer Herkunft und geistiger Leistung zu betonen, erniedrigt Luder stilistisch Nationalität ( barbara tellus , ,barbarische Erde‘) wie familiäre Herkunft ( humilis sanguis, ,niedriges Blut‘) - allein die virtus (,Tugend‘) bietet dem Humanisten die Himmelsleiter. Obwohl Luder sogar selbst erklärt hat, seine angebliche Liebeselegie an Panphila sei ein allegorisches Fürstenlob an den Pfalzgrafen Friedrich, interpretierte die Forschung sie lange biographisch-erotisch. Allerdings lassen sich in den vorgeblich erotischen Argumenten leicht verhüllte Gemeinplätze humanistischen Fürstenlobs erkennen. So bildet das entscheidende Argument der Liebeselegie die Behauptung, nur der Sänger könne seiner Geliebten ewiges Leben verleihen. Dies entspricht dem memoria -Gedanken, mit dem Humanisten üblicherweise dem Fürsten ein Bündnis von Feder und Schwert offerierten: Heinrich Bebel hat diese Komplementarität auf eine Formel gebracht: scribenda gerere et gesta scribere [,Beschreibungswürdiges vollbringen und Vollbrachtes beschreiben‘]. Nur die Feder des Dichters sichere dem Mächtigen den Nachruhm, wie schon Alexander der Große erkannt haben soll. Ähnlich stilisiert ist auch das scheinbar autofiktionale Distichon in Luders Elegia : Niger sum, fateor, sum parvus corpore toto, candida sunt nostra si petes ingenia [,Schwärzlich bin ich, ich gebe es zu, und klein von Gestalt nur, wenn du jedoch mein Talent siehst, ist es strahlend und hell‘, Schnur [Hg.] 2015, 280f.]. Obwohl es von anderen Humanisten wie Ursinus Velius oder Simon Lemnius fast gleichlautende Verse gibt, hielt die Forschung auch hier an einer biographischen Lesart fest. Indes handelt es sich um eine stilisierte Antithese, denn die semantische Opposition von niger und candida - als Verseingänge besonders prägnant - sowie von corpus und ingenium dienen dem impliziten Lob der studia humanitatis . Dass sie nicht als Selbstaussage gemeint sind, belegt schon die Tatsache, dass der erste Vers eine parodistische Umwandlung aus dem biblischen Hohelied Salomonis ist, wo die Braut sich selbst charakterisiert: nigra sum, sed formosa [,Schwärzlich bin ich, aber schön‘]. Luder nimmt diesen Vers <?page no="42"?> 000041 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 41 4. Peter Luder und Rudolf Agricola | schöpferisch auf, um den Kontrast zwischen unscheinbarem Äußeren und glänzenden Geistesgaben zu betonen. Seine Dichtung ist nicht autobiographisch zu verstehen, sondern dient als Rollenpoesie der Werbung für ein humanistisches Bildungsprogramm. Einer der wenigen deutschen Frühhumanisten, der auch in Italien hoch angesehen war, ist der Friese Rudolf Agricola (1443/ 44-1485). Nach einem Studium der scholastischen Philosophie an den Universitäten Köln und Löwen wechselte er 1468 nach Pavia und Ferrara, wo er über zehn Jahre blieb und sich den Wissenschaften und Künsten widmete. Agricola war nicht nur Gelehrter, sondern auch Dichter, Maler und ein bekannter Organist. Damit verkörperte er das Renaissanceideal des uomo universale , einer vielseitigen Persönlichkeit. Als hochgeehrter Humanist kehrte er im Jahre 1479 nach Deutschland zurück und wurde nach Heidelberg berufen. Bei der Rückkehr von einer Romreise erkrankte er einige Jahre darauf und starb in Heidelberg. Für das Renommee, das Agricola unter den italienischen Renaissancehumanisten genoss, spricht die Tatsache, dass er das akademische Jahr 1476 an der Universität Ferrara mit einer Rede zum Preise der Philosophie eröffnen durfte ( 009). Die Rede lobt enthusiastisch die Rudolf Agricola: Historisierung der jungen humanistischen Bewegung Philosophie als Seelenstärkung. Weniger die antiken Zitate (Cicero, Vergil, Euripides) als vielmehr die historischen Beispiele machen diese Rede zu einem frühen Dokument des erwachenden Neustoizismus: Obwohl die Rede ein Lob auf den Herzog von Ferrara darstellt, verherrlicht Agricola die Philosophie als Lebenshilfe für den Gebildeten, um unter Tyrannei, Willkür und sonstigen Schicksalsschlägen nicht allzu sehr zu leiden. Die Schlusspassage bildet der Tod des Sokrates, der unerschrocken den Schierlingsbecher trinkt. Immer wieder spricht er von ungerechten Herrn und nennt historische Beispiele, die das Selbstbewusstsein des Philosophen am Hof begründen. Die Neubelebung des Stoizismus sollte erst mit Justus Lipsius’ De Constantia (1584) jenen christlich-verhaltensdidaktischen Akzent bekommen, der ihn zur Grundlage der barocken Dramatik werden ließ; Ansätze dazu aber finden sich bereits bei Agricola. Von Agricola stammt auch die erste lateinische Lobrede auf Francesco Petrarca, welche die noch junge Entwicklung des Humanismus bereits historisiert. Zum 100. Todestag des italienischen Dichters 1474 trug Agricola seine Rede in Pavia vor. Petrarcas Leben schildert Agricola legendenhaft als ein memorabile exemplum [,erinnerungswürdiges Beispiel‘] und preist den Autor als vindex restitutorque literarum [,Retter und Erneuerer der Literatur‘]. Auf diese Leitidee ist die Biographie angelegt, auf sie bezieht Agricola Petrarcas platonische Liebe zu Laura, seine autodidaktische Bildung, das einsame Studium nach dem klassischen Topos gelehrter Zurückgezogenheit und schließlich die peregrinatio , die Wanderlust oder Unstete - all diese Stationen werden zu typischen Merkmalen einer Humanistenvita. So überformt Agricola die individuellen Züge zu einem Musterleben der Renaissance, in dem sich auch die deutschen Frühhumanisten wiedererkennen konnten. Wanderhumanisten wie Peter Luder und Rudolf Agricola förderten die Erneuerung der Bildung in Deutschland in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Neben ihren Schülern und Freunden versuchten auch andere, die in Italien studiert und gelebt hatten, die italienische Renaissance in Deutschland nachzuahmen. Dass fast alle Frühhumanisten eine gewisse Zeit in Italien lebten, ist aber keine biographische Zufälligkeit, sondern verdankt sich <?page no="43"?> 000042 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 42 | A.I. Frühhumanismus italienischer Prägung nach 1460 einerseits regionalen Voraussetzungen, andererseits einer intellektuellen Konzentration auf bestimmte Institutionen. Die regen Handelsbeziehungen zwischen süddeutschen und oberitalienischen Städten etwa, insbesondere Augsburgs und Nürnbergs, haben die Renaissancerezeption sicher erleichtert. Deutsche Händler unterhielten in Venedig eine eigene Niederlassung, den Fondaco dei Tedeschi , für deren Kirche sie ein Bild von Albrecht Dürer bestellten. Auf seiner Venedig-Reise 1505 bemerkte Dürer, der sich in seiner Heimat verkannt fühlte, „Hier bin ich Herr, daheim ein Schmarotzer“. Auch Dürers Freund Willibald Pirckheimer hatte in Padua und Pavia studiert und setzte sich als Rechtsgelehrter dafür ein, Nürnbergs Verfassung nach venezianischem Vorbild zu modernisieren. In Nürnberg formierte sich ein italienisch beeinflusster Humanistenkreis, zu dem neben Pirckheimer auch Conrad Celtis und Hartmann Schedel, Verfasser einer großen Weltchronik, gehörten. Sie tauschten sich über literarische, philologische, aber auch historische und geographische Fragen aus. Neben der freien Reichsstadt mit ihren Handelsbeziehungen fungierten vor allem Universitäten wie Heidelberg, Ingolstadt oder Erfurt als Zentren humanistischen Wissenstransfers. Insbesondere die humanistische Universität Ingolstadt, gegründet mit dem Privileg von Papst Pius II. (Piccolomini), zog zahlreiche Gelehrte wie Conrad Celtis, Johannes Aventinus oder Petrus Canisius an. Daneben wurde die Residenzstadt Wien unter Kaiser Friedrich III. und Maximilian I. zum Mittelpunkt des deutschen Frühhumanismus. Sie bildete das Muster für das enge Zusammenspiel von kaiserlichem Mäzenatentum und Universität. 5. Ende des Frühhumanismus: Maximilians gedechtnus-Kult und der ,Erzhumanist‘ Conrad Celtis Zu einem Zentrum der deutschen Renaissancekultur wurden der Wiener Hof und die Wiener Universität um 1500 unter Maximilian I. (1459-1519), der 1493 zum König und 1508 zum Kaiser proklamiert wurde. Maximilian folgte seinem Vater Kaiser Friedrich III. in einer Maximilian I.: Letzter Ritter und erster gelehrter Fürst systematischen Stärkung der Reichsidee. Im Zusammenwirken mit einem kulturpatriotisch orientierten Kreis von Hofhumanisten setzte er Hoffeste wie Ritterspiele, Maskenbälle und andere Huldigungsrituale geschickt ein, um seine Herrschaft symbolisch zu stabilisieren und, besonders in seinem letzten Lebensjahrzehnt, sein „Gedechtnus“ für die Nachwelt festzuhalten (Müller 1982). Maximilian stilisierte sich selbst zum letzten Ritter, indem er sein Leben in Form einer verschlüsselten Heldensage heroisieren ließ. Von drei Projekten wurde zu seinen Lebzeiten einzig der Theuerdank fertiggestellt, Freydal und Weißkunig wurden erst postum veröffentlicht. Gedruckt 1517 in 40 Pergament- und 300 Papierexemplaren in einer eigens erfundenen Drucktype sowie versehen mit über 100 Holzschnitten von namhaften Renaissance-Künstlern, ist der Theuerdank eines der repräsentativen Bücher des höfischen Humanismus in Deutschland (Abb. A.I.1.). Die volkssprachliche Fassung des Versepos sollte auch diejenigen erreichen, die der lateinischen Sprache nicht mächtig waren, damit die heroischen Taten Maximilians allgemein propagiert würden. Darüber hinaus knüpft der Theuerdank auch sprachlich-stilistisch an die deutsche Heldenepik des Mittelalters an, „in form mass und weis der heldenpücher“, wie es in der Vorrede heißt. Der Held als geprüfter miles christianus , als christlicher Ritter, steht zum <?page no="44"?> 000043 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 43 5. Maximilians gedechtnus-Kult und der ,Erzhumanist‘ Conrad Celtis | A.I.1. Holzschnitt aus dem Theuerdank (1517). Kaiser Maximilian (Theuerdank) zwischen dem bösen Schicksal (links) und seinem Schutzengel (rechts). Der gute Engel vereitelt einen Sprengstoffanschlag (Pulversack in der Mitte) auf den Kaiser. Schluss als Bändiger des Schicksals da. Maximilians Apostrophierung als Weißkunig betont dagegen mehr die Bildung des weisen und gelehrten Renaissancefürsten, der als uomo universale alle Künste beherrscht (Müller 2015). Nicht nur im Wort, auch im Bild inszenierte sich der Kaiser als letzter Ritter und erster gelehrter Fürst. Ein von Albrecht Dürer entworfener monumentaler Holzschnitt zeigt eine große „Ehrenpforte“, die das Geschlecht der Habsburger in der Nachbildung eines römischen Triumphbogens feiert (Abb. A.I.2.). An sie schließt der über 100 Meter lange gemalte Triumphzug Albrecht Altdorfers an (Michel 2015), in dem reale Ereignisse und Zeitgenossen Maximilians mit mythischen Fabelwesen zusammenspielen. Den Höhepunkt des Zuges, der in Wirklichkeit niemals stattfand, sondern die antikisierende Überhöhung des Kaisers für die Ewigkeit im Bilde festhalten sollte, bildet der sogenannte ,Große Triumphwagen‘ (Abb. A.I.3.). Albrecht Dürer malte ihn nach einem Entwurf von Willibald Pirckheimer. Maximilian wird dort als Sonnenkönig dargestellt, der über jene Idealtugenden verfügt, welche die Fürstenspiegel der Renaissance bestimmt haben. Überschriften, Tafeln, Spruchbänder mit Reimpaaren und eine expositio Pirckheimers erläutern das ikonographische Programm. Zur Stärkung einer deutschen Nationalkultur und einer humanistischen Bildungselite stiftete Maximilian auch das Collegium poetarum et mathematicorum (Abb. A.I.4.). Dahin berief er unter anderem Conrad Celtis, der als sogenannter ,Erzhumanist‘ idealtypisch den kulturpatriotischen Humanismus am Wiener Kaiserhof verkörperte. Conrad Celtis, dessen Nachname den volkssprachlichen Namen Bickel latinisiert, gehört schon zur zweiten Generation des deutschen Humanismus. Als Sohn eines Winzers im fränkischen Wipfeld bei Schweinfurt geboren, studierte Celtis Griechisch, Hebräisch sowie die artes liberales in Heidelberg, wo er Rudolf Agricolas Vorlesungen besuchte. Er lehrte Poetik an den <?page no="45"?> 000044 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 44 | A.I. Frühhumanismus italienischer Prägung nach 1460 A.I.2. Ehrenpforte der Habsburger. Holzschnitt von Albrecht Dürer (1515). <?page no="46"?> 000045 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 45 5. Maximilians gedechtnus-Kult und der ,Erzhumanist‘ Conrad Celtis | A.I.3. Der große Triumphwagen Kaiser Maximilians [Ausschnitt]. Holzschnitt von Albrecht Dürer (1522). <?page no="47"?> 000046 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 46 | A.I. Frühhumanismus italienischer Prägung nach 1460 A.I.4. Die Insignien des Wiener Collegium poetarum. Holzschnitt von Hans Burgkmair (1504). Dargestellt sind die bei der feierlichen Dichterkrönung verwendeten Herrschaftszeichen: Zepter und Lorbeerkrone (Kaiserkrone mit Apollo und Minerva), dazwischen Ring, Birett und Siegel. Universitäten Erfurt, Rostock und Leipzig und entwarf eine lateinische Metrik, aufgrund derer er 1487 als erster Deutscher in Nürnberg zum poeta laureatus gekrönt wurde. Erst danach begab sich Celtis auf die für Humanisten übliche peregrinatio academica , die Studienreise nach Italien. Dort traf er mit Marsilio Ficino und Julius Pomponius Laetus zusammen, fand also Zugang zu den gelehrten Kreisen und ihren Diskussionen. Celtis’ Italiendichtung feiert das antike Rom, betont aber die Diskrepanz zwischen der großen Vergangenheit und der kargen Gegenwart. Dies kommt in dem schönen Rollengedicht zum Ausdruck, das Celtis einem toten Mädchen aus der Spätantike, dessen Grab geöffnet wurde, in den Mund legt: ,Das in Rom wiedergefundene Mädchen‘ [ De Puella Romae reperta, 010] beklagt die Ruinen des niedergegangenen Imperiums. In mehreren westeuropäischen Städten unterrichtete Celtis Poetik, bevor ihn Maximilian 1497 als Poetik-Professor an die Universität Wien berief, wo er zum Vorstand des Collegium poetarum ernannt wurde: ein epochales Datum der deutschen Literaturgeschichte. Denn mit Celtis wurde der Dichterberuf aufgewertet. War der Begriff poeta zuvor nur antiken Autoren vorbehalten, wurde er nun von Celtis für sich beansprucht, und der Dichter wurde als Vertreter einer universalen Disziplin, der studia humanitatis , zum Herrscher der Artistenfakultät. Er musste nicht nur sein Handwerkszeug, die klassische Poetik, beherrschen, er musste auch <?page no="48"?> 000047 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 47 5. Maximilians gedechtnus-Kult und der ,Erzhumanist‘ Conrad Celtis | A.I.5. Philosophia. Holzschnitt von Albrecht Dürer (1502). Die Philosophen in den vier Medaillons (Ptolemäus für die Ägypter und Chaldäer, Platon für die Griechen, Vergil und Cicero für die Römer, Albertus Magnus für die Deutschen) personifizieren in ihrer Abfolge die translatio studii [‚Weitergabe des Wissens’]. inspiriert sein (Steppich 2002). Mit der inspirationsästhetischen Aufwertung der Dichtung wurde die Bindung der artes an die Theologie deutlich geschwächt. Dies gibt das spöttische Gedicht auf einen Frömmler zu erkennen, in dem Celtis die neuplatonische Formel des Horaz est Deus in nobis [,Es ist ein Gott in uns‘] zitiert. In einem programmatischen Sendschreiben an einen jungen Breslauer legt Celtis die humanistische Erneuerung der Bildung dar: Das klassische Curriculum soll demnach um das Griechische und Hebräische erweitert werden, während die typisch scholastischen Disziplinen Logik und Dialektik fehlen. Es handelt sich um ein aristokratisches Bildungsprogramm für eine intellektuelle Elite. Bereits in seiner berühmten Ingolstädter Antrittsrede hatte Celtis 1492 für eine stärkere Kopplung von Rhetorik und Philosophie plädiert und dafür die Dichtung in den Mittelpunkt des Bildungsstrebens gerückt, da sie als Vorzugsmedium jedes philosophischen Weltwissens zu gelten habe. Ein anspielungsreicher Holzschnitt von Albrecht Dürer, den Celtis entworfen hat und den er seinem Hauptwerk, den Amores , als Illustration beigab, verbild- Aufwertung des Dichterberufs durch Conrad Celtis licht diese Inthronisierung der Poesie als Philosophie, die sich auch in Celtis’ bildungspolitischen Bemühungen spiegelt (Robert 2003, 105-151; Abb. A.I.5.). Die vier Bücher umfassenden Liebeselegien, die Amores , galten in der Forschung lange als autobiographisch gefärbte ,Erlebnislyrik‘. Dagegen betonen neuere Studien das stilisierende Spiel mit biographischen Kernelementen, aus denen ein weit ausgreifendes Geflecht von Topoi der erotischen Dichtungstradition, gelehrter Philosophie und historisch-landeskundlichem Wissen erwächst. Geltungsbewusste Inszenierung und poetische Überformung des eigenen Lebens greifen in den Amores ineinander und bezeugen Celtis’ modernes Autorschaftsverständnis. Damit lässt sich mit Celtis der Frühhumanismus beschließen. Der Humanismus muss sich nicht mehr gegen scholastische Anfeindungen behaupten, sondern genießt die mäzenatische Förderung der Universitäten und des kaiserlichen Hofes. Auf dieser Basis verherrlicht Celtis anders als die Frühhumanisten nicht mehr die italienische Renaissance, sondern stiftet in <?page no="49"?> 000048 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 48 | A.I. Frühhumanismus italienischer Prägung nach 1460 A.I.6. Sterbebild des Conrad Celtis. Holzschnitt von Hans Burgkmair (1507). Das Schriftband lautet: ‚Das Ende krönt das Werk; wer Gutes tat, besitzt es. Alle ruft’s zur Grabesurne: was, Libitina [altrömische Göttin der Bestattung], vernichtest du nicht! ‘ Über seinem zerbrochenen Wappen (er starb kinderlos) steht der Bibelspruch: ‚Ihre Werke folgen ihnen nach‘. Allianz mit dem Kaiserhof einen kulturpatriotischen Humanismus. Sein Lob deutscher Städte, insbesondere die Norimberga , Vorspiel zu einer Germania illustrata , die als deutsches Pendant zu Flavio Biondos Italia illustrata konzipiert ist, versucht den Humanismus patriotisch neu zu begründen: Die deutschen Humanisten fühlten sich nicht mehr als die Nutznießer der Italiener, sondern als deren Erben, die der Renaissancekultur eine neue Heimstatt gaben. Diesen Gedanken vertritt programmatisch das bekannteste Gedicht von Conrad Celtis, eine an Apoll gerichtete Ode ( 011). Es ist ein sogenanntes ,Heischelied‘ ( hymnos kletikos ), mit dem in der Antike ein Gott zum Zwecke kultischer Präsenz herbeigerufen wurde. Vorbild ist der Bitthymnus von Horaz (carm. 1,12), dem Celtis das Orpheusmotiv sowie die Namen der Berge entlehnt. Auch die Form der sapphischen Odenstrophe ist antik: Eine vierzeilige Strophe enthält drei gleichgebaute Elfsilbler (Trochäen mit eingeschobenem Daktylus an dritter Stelle) und als Abschlussvers den charakteristischen Adonius (Daktylus und Trochäus). In Celtis’ Ode wird Apoll gerufen, Deutschland aufzusuchen, um das Barbarenvolk nach dem Vorbild des Orpheus, dem Zähmer der wilden Natur, zu kultivieren. Die Schlussstrophe deutet an, Apolls Übersiedlung von seiner griechischen Heimat zunächst nach Italien werde nun eine Art geistige translatio imperii , ein Wechsel der Dichtkunst nach Deutschland folgen. Die Verheißung einer deutschen Renaissance, die dem barbarischen Dunkel ein Ende bereite, beschließt das Gedicht. In der Inszenierung als patriotischer poeta vates , als Dichterseher einer lichteren Zukunft Deutschlands war sich Celtis seiner kulturpolitischen Rolle bewusst. Im Gedanken an seinen Nachruhm entwarf er 1507 ein Sterbebild, das der Zeichner Hans Burgkmair in einem Holzschnitt verwirklichte (Abb. A.I.6.; Bässler 2018). Es zeigt den Dichter im Pelzmantel, seit alters ein Zeichen des arrivierten Künstlers, auf seine Hauptwerke gestützt. Apoll und Merkur, die Götter der Wissenschaft und Kunst, betrauern den verstorbenen Dichter ebenso wie die Genien in den unteren Bildecken. Deutlich sichtbar ist auch das kaiserliche Wappen, der Doppeladler, am Lorbeerkranz, der anzeigt, dass es sich um einen vom Kaiser ausgezeich- <?page no="50"?> 000049 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 49 5. Maximilians gedechtnus-Kult und der ,Erzhumanist‘ Conrad Celtis | neten poeta laureatus handelt. Diese Zierde krönt die Ehrenpforte, wie auch das Epigramm aus zwei Disticha und einer Inschrift auf die kaiserliche Würdigung hinweist. Die Disticha preisen die Unsterblichkeit seines literarischen Nachruhms. Dass die Werke des Dichters seine Erben sind, deutet der Bibelspruch über dem zerbrochenen Wappen an. Celtis’ nachweltbewusstes Sterbebild bringt den Erfolg des Humanismus um 1500 zum Ausdruck. Mussten die Wanderhumanisten um 1450 sich noch kämpferisch behaupten, ist eine Generation später schon der Siegeszug des Humanismus erfolgt. Quellen Schnur, Harry C. (Hg.) (2015): Lateinische Gedichte deutscher Humanisten. Lateinisch/ Deutsch. 3. Aufl. Mit einem Nachwort von Hermann Wiegand. Stuttgart. Forschung Aurnhammer, Achim (2005): Petrarcas Katze. Die Geschichte des kätzischen Petrarkismus. Heidelberg. Aurnhammer, Achim, und Hans-Jochen Schiewer (Hg.) (2010): Die deutsche Griselda. Transformationen einer literarischen Figuration von Boccaccio bis zur Moderne. Berlin und Boston. Baron, Frank (1966): The Beginnings of German Humanism. The Life and Work of the Wandering Humanist Peter Luder. Diss. Berkeley. Bässler, Andreas (2018): Dichter im Tode. Totenreden wider das Verstummen in humanistischen Memorialbildnissen. In: Bildnispolitik der Autorschaft. Visuelle Inszenierungen von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart. Hg. von Daniel Berndt u. a. Göttingen, 87-107. Bernstein, Eckhard (1978): Die Literatur des deutschen Frühhumanismus. Stuttgart. Bianca, Concetta (2014): Il Concilio di Constanza come centro di produzione manoscritta degli umanisti. In: Das Konstanzer Konzil als europäisches Ereignis. Begegnungen, Medien und Rituale. Hg. von Gabriela Signori und Birgit Studt. Ostfildern, 379-389. Billanovich, Giuseppe (1976 [zuerst 1966]): Petrarca und der Ventoux. Aus dem Italienischen von Elisabeth Piras-Rüegg. In: Petrarca. Wege der Forschung, Bd. 353. Hg. von August Buck. Darmstadt. Blumenberg, Hans (1973): Der Prozeß der theoretischen Neugierde. Frankfurt a. M. Bruggisser-Lanker, Therese (2014): Music goes public. Das Konstanzer Konzil und die Europäisierung der Musikkultur. In: Das Konstanzer Konzil als europäisches Ereignis. Begegnungen, Medien und Rituale. Hg. von Gabriela Signori und Birgit Studt. Ostfildern, 349-378. Burger, Heinz Otto (1969): Renaissance, Humanismus, Reformation. Deutsche Literatur im europäischen Kontext. Bad Homburg. Detering, Nicolas (2017): Krise und Kontinent. Die Entstehung der deutschen Europa-Literatur in der Frühen Neuzeit. Köln, Weimar, Wien. Greenblatt, Stephen (2011): The Swerve. How the World Became Modern. New York. Hammerstein, Notker, und August Buck (Hg.) (1996): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Bd. 1: Das 15. bis 17. Jahrhundert. Von der Renaissance und der Reformation bis zum Ende der Glaubenskämpfe. München. Helmrath, Johannes (2005): Enea Silvio Piccolomini (Pius II.). Ein Humanist als Vater des Europagedankens? In: Europa und die Europäer. Quellen und Essays zur modernen europäischen Geschichte. FS Hartmut Kaelble. Hg. von Rüdiger Hohls u. a. Berlin, 361-369. Hunger, Herbert u. a. (Hg.) (1975): Die Textüberlieferung der antiken Literatur und der Bibel. München. <?page no="51"?> 000050 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 50 | A.I. Frühhumanismus italienischer Prägung nach 1460 Kersting, Wolfgang (2006): Niccolo` Machiavelli. 3. Aufl. München. Kipf, Johannes Klaus, Jörg Robert und Regina Töpfer (Hg.) (2017): Humanistische Antikenübersetzung und frühneuzeitliche Poetik (1480-1620). Berlin und Boston. Krebs, Christopher (2012): Ein gefährliches Buch. Die „Germania“ des Tacitus und die Erfindung der Deutschen. Aus dem Engl. von Martin Pfeiffer. München. Le Goff, Jacques (1981): La naissance du purgatoire. Paris. Michel, Eva (2015): zu ainer gedächtnüß hie auf Erden. Albrecht Altdorfers Triumphzug für Kaiser Maximilian. In: Maximilians Ruhmeswerk. Künste und Wissenschaften im Umkreis Kaiser Maximilians I. Hg. von Jan-Dirk Müller und Hans-Joachim Ziegeler. Berlin und Boston, 381-395. Moser, Christian (2006): Buchgestützte Subjektivität. Literarische Formen der Selbstsorge und der Selbsthermeneutik von Platon bis Montaigne. Tübingen. Müller, Gernot Michael (2001): Die „Germania generalis“ des Conrad Celtis. Studien mit Edition, Übersetzung und Kommentar. Tübingen. Müller, Jan-Dirk (1994): Rede und Schrift. Zu Peter Luders Panegyrikus auf Friedrich d. S., der Chronik des Mathias von Kemnat und der Pfälzer Reimchronik des Michel Beheim. In: Wissen für den Hof. Der spätmittelalterliche Verschriftungsprozeß am Beispiel Heidelberg im 15. Jahrhundert. München, 289-321. Müller, Jan-Dirk (1982): Gedechtnus. Literatur und Hofgesellschaft um Maximilian I. München. Müller, Jan-Dirk (2015): Einleitung. In: Maximilians Ruhmeswerk. Künste und Wissenschaften im Umkreis Kaiser Maximilians I. Hg. von dems. und Hans-Joachim Ziegeler. Berlin und Boston, 1-7. Pittrof, Thomas (2015): „Wir bringen aber die Zeiten, untereinander“. Synkretismus und Epochenschwelle: Stationen einer Modellgeschichte zwischen Spätantike und literarischer Moderne. Mit Interpretationen zu Hölderlin, Heine, Keller, C. F. Meyer und Thomas Mann. Freiburg i. Brsg. Probst, Veit, und Wolfgang Metzger (2003): Zur Sozialgeschichte des deutschen Frühhumanismus: Peter Luders Karriereversuch in Heidelberg 1456-1460. In: Pirckheimer-Jahrbuch für Renaissance- und Humanismusforschung 18, 54-85. Reinhardt, Volker (2013): Pius II. Piccolomini. Der Papst, mit dem die Renaissance begann. Eine Biographie. München. Ritter, Joachim (1974): Landschaft. Zur Funktion des Ästhetischen in der modernen Gesellschaft [1962]. In: Ders.: Subjektivität. Sechs Aufsätze. Frankfurt a. M. 1974, 141-163. Robert, Jörg (2003): Konrad Celtis und das Projekt der deutschen Dichtung. Studien zur humanistischen Konstitution von Poetik, Philosophie, Nation und Ich. Tübingen. Steppich, Christoph J. (2002): Numine afflatur. Die Inspiration des Dichters im Denken der Renaissance. Wiesbaden. Swanson, Robert N. (2014): Gens secundum cognationem et collectionem ab alia distincta? Thomas Polton, two Englands, and the challenge of medieval nationhood. In: Das Konstanzer Konzil als europäisches Ereignis. Begegnungen, Medien und Rituale. Hg. von Gabriela Signori und Birgit Studt. Ostfildern, 57-89. Terzoli, Maria Antonietta (Hg.) (2006): Enea Silvio Piccolomini. Uomo di lettere e mediatore di culture. Gelehrter und Vermittler der Kulturen. Basel. <?page no="52"?> 000051 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 51 A.II. Der reformerische Humanismus (1500-1520) | A.II. Der reformerische Humanismus (1500-1520) In den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts mehren sich Anzeichen einer reichspatriotischen Gelehrtenpolemik, die satirische Formen des frühen Humanismus aufnimmt und auf Missstände im kirchlichen wie im zivilen Leben ummünzt. Wie labil diese Allianz gelehrter antiqui und weltkritischer Satiriker war, deutet sich anfangs schon in der deutsch-lateinischen Sprachenkonkurrenz an. Während die akademisch orientierten Humanisten, die hauptsächlich für Gelehrte schrieben, weiterhin der lateinischen Sprache anhingen, erprobten die kulturpatriotisch ausgerichteten Reformatoren, die auf das Stadtbürgertum zielten, die deutsche Sprache in tradierten volkssprachlichen Formen. Zwar prägt die Statuskonkurrenz zwischen dem Lateinischen und dem Deutschen die gesamte Frühe Neuzeit, sie wurde jedoch besonders im Verlauf des 16. Jahrhunderts virulent. Die Repräsentanten dieser zweiten Humanistengeneration wurden allesamt in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts geboren. Meist bürgerlicher Herkunft, studierten sie nicht mehr alle in Italien, sondern bevorzugten die humanistisch geprägten Universitäten im Reich, Zweite Humanistengeneration um 1500 insbesondere Basel, Erfurt und Heidelberg. Imitierten die deutschen Frühhumanisten nach ihren italienischen Vorbildern den Stil Ciceros, so begann die zweite Generation bei aller Bewunderung für die italienischen Bahnbrecher doch eigene Wege zu beschreiten. Zunehmend suchten sie, gelehrte Philologie, christliche Sittenkritik und nationale Identitätsstiftung in einem eigenständigen Reichspatriotismus zu vereinen. Um das Erbe der Klassischen Antike in Deutschland einzubürgern, akzeptierten sie den Vorrang der italienischen Gelehrten nicht vorbehaltlos, sondern betonten nationale Traditionen wie den Germaniamythos und die Reichsidee. Damit partizipierte der Humanismus an einer frühmodernen Ausdifferenzierung des Gemeinschaftsdenkens, das neben der Geschlossenheit einer allumfassenden Christenheit konkurrierende nationes kannte, einen Wettkampf der Länder und Völker also, deren Unterschiede mit Verweis auf die antike Klimatheorie und gängige Charaktertypologien forciert wurden. Neuerdings wird in der Forschung diskutiert, inwiefern sich in diesem humanistischen Konzept der nationalen Ehrgemeinschaft die ideologischen Wurzeln des modernen Nationalismus finden (Hirschi 2005, Schmidt 2001). Literarhistorisch unstrittig ist, dass der kompetitive Vergleich mit anderen Nationen, deren literarische Leistungen kritisch registriert und übersetzerisch adaptiert wurden, die programmatischen Reformbewegungen des 16. und 17. Jahrhunderts zumindest in Deutschland wesentlich motivierte. Gerade im Reichsgedanken und ,Germanenmythos‘ am Hofe Maximilians I. fanden städtisches Bürgertum und Wiener Hof zu einem symbolischen Bündnis. Hatte in diesem Umfeld bereits Conrad Celtis die päpstliche Kurie epigrammatisch attackiert, führte die ausgeprägte Kaisertreue der zweiten Humanistengeneration zwischen 1500 und 1520 zu einer polemischen Verschärfung. Das Definieren und Aushandeln von Differenzen, der gelehrte Austausch zur Frontenbildung, mithin die kämpferisch-gewitzte Dialogizität wurde nach 1500 zum bestimmenden Merkmal der Literatur und blieb es durch das gesamte 16. Jahrhundert (Baumann/ Becker/ Laureys 2015). Die Literatur rüstete sich für die persuasive Meinungsbildung in einer sich ausbildenden reformatorischen Öffentlichkeit, ein Prozess, der sich der <?page no="53"?> 000052 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 52 | A.II. Der reformerische Humanismus (1500-1520) kommunikativen Europäisierung der Gelehrtenrepublik verdankt, aber im Lichte frühnationaler Selbstverständnisse bereits deren Gegenbewegung erkennen lässt. Zeitgleich mit der Kanonisierung der lutherischen Theologie und dem Tod Kaiser Maximilians I. im Jahre 1519 zerbrach das gelehrt-satirische Bündnis aus Humanismus und Frühreformation und wurde von einem öffentlichen Parteienstreit abgelöst, der freilich lange schon gegoren hatte. 1. Satirische Polemik und innovative Mediennutzung am Oberrhein Die nationale Parteinahme jüngerer Humanisten zeigt sich exemplarisch am Oberrhein, wo Sebastian Brant (1457/ 58-1521), Geiler von Kaysersberg (1445-1510), Thomas Murner (1475-1537), Jakob Wimpfeling (1450-1528) und Johannes Grüninger (um 1455- um 1532) das neue Medium des Buchdrucks nutzten, um ihre kulturpatriotische Moraldidaxe im volkssprachlichen Idiom breitenwirksam zu vertreiben. 1.1. Buchkritik und Narrenschelte: Sebastian Brant Als Sohn eines Gastwirts in Straßburg geboren, studierte Brant nach Besuch der Pfarrschule an der humanistisch ausgerichteten Universität Basel Rechtswissenschaft. Nach seinem Studium wirkte er ebendort als Dozent für Jura und Poesie, später als Professor für Römisches Recht. Verheiratet kehrte er um 1500 aus Basel in seine Vaterstadt Straßburg zurück, wo er bis zu seinem Tod als Stadtschreiber wirkte. In dieser Funktion hatte er diplomatisch zwischen Kaiser und Reichsstadt zu vermitteln und wurde von Kaiser Maximilian I., den Brant wie alle deutschen Humanisten verehrte, zum Kaiserlichen Rat und zum Beisitzer des Hofgerichts ernannt. Brants Werk spiegelt den Übergang vom akademischen Frühhumanismus zu einem vorreformatorischen ,Nationalismus‘. Sebastian Brant beriet zunächst Buchdrucker in Basel, er verfasste Vorreden, Kommentare oder besorgte Druckvorlagen. Diese Lektorentätigkeit setzte er in Straßburg fort: Brant wirkte maßgeblich mit an einer Vergil- und Terenz-Ausgabe (1502 und 1503). Insbesondere beim Straßburger Vergil war Brant bemüht, den Text möglichst getreu in über 200 Holzschnitte bildlich zu ,übersetzen‘, um den Illiteraten einen Zugang zu Vergils Werk und den Gebildeten eine Gedächtnisstütze für das textuelle Wissen der Antike zu bieten (Henkel 2012). Zu Brants Bekanntheit in ganz Europa trugen zudem seine Editionen zweier juristischer Lehrbücher bei, nämlich Ulrich Tennglers Laienspiegel (gedr. 1509) und Conrad Heydens Klagspiegel (gedr. 1516). Brant hatte mit seinen Expositiones (1490) selbst eine erfolgreiche Einführung in das Römische und Kanonische Recht verfasst, die bis in das 17. Jahrhundert aufgelegt wurde. Brants Rechtssummen in deutscher Sprache, die aus seiner universitären Lehrtätigkeit entstanden, bezeugen neben seiner Gelehrsamkeit sein Bemühen um eine Popularisierung von Spezialwissen für ,Laien‘. Wie kaum ein Autor vor ihm erkannte Brant die ökonomischen Vorteile des modernen Buchdrucks, um eine größere Leserschaft zu erreichen und so die Reichweite seiner Werke zu erhöhen. Kulturpatriotische Identitätsbildung und epochenbewusste Medienreflexion finden in Brants lateinischem Lobgedicht auf die Buchdruckerkunst zusammen ( 015). Brant konstatiert die neue Reproduktionsmöglichkeit, die Herausgabe von Büchern nicht nur zu be- <?page no="54"?> 000053 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 53 1. Satirische Polemik und innovative Mediennutzung am Oberrhein | schleunigen - ,was früher in tausend Tagen geschrieben wurde‘, jubelt er hier, ,schafft eine Druckerei nun in einem Tag‘ -, sondern damit gelehrtes Wissen auch ungebildeten Schichten nahezubringen. ,Hatten vormals selbst die Gelehrten nur wenige Bücher‘, schreibt Brant, Kulturpatriotische Identitätsbildung und Medienreflexion bei Brant verfüge nun ,das bescheidenste Haus‘ über Literatur. Die implizite Marktanalyse leitet über zur nationalen Selbstvergewisserung: Brant sieht in der Buchdruckerkunst eine genuin deutsche Erfindung und spielt sie gegen die kulturellen Errungenschaften Italiens, Griechenlands und Frankreichs aus: quae doctos latuit Graecos Italosque peritos, ars nova, Germano venit ab ingenio [,Was den weisen Griechen, den kundigen Welschen verborgen blieb, das erfand das Genie Deutschlands: die neueste Kunst‘, Schnur [Hg.] 2015, 16-19]. Nun könne man die Deutschen nicht länger Barbaren schelten! In die gleiche Kerbe schlägt auch Conrad Celtis, wenn er den Erfinder der Druckkunst als ,neuen Dädalus‘ rühmt und stolz verkündet, die Italiener könnten nun den Deutschen endlich nicht mehr inertia [,Trägheit‘] vorwerfen (Kühlmann/ Seidel/ Wiegand [Hg.] 1997, 56-58; 012). Typisch ist die Emphase des Epochenbruchs, den Brant und Celtis mit der Printrevolution verbinden und der bei beiden die Vision einer translatio studiorum inspiriert: ,Künftig‘, so wieder Brant, ,werde die Dichtkunst und Philosophie in Deutschland blühen, werde auch Deutschland einen Homer hervorbringen‘. Zur Verbesserung des deutschen Literaturstandards wollte Brant auch mit zwei Gedichtbänden beitragen, die geistliche und weltliche Dichtungen umfassen. Insbesondere die weltlichen Varia Carmina (1498) zeigen in ihren Lobgedichten auf Kaiser Maximilian I. wie auf Übersetzungen lateinischer Texte als Grundlage des Unterrichts Petrarca, dass Brant humanistische Tradition und kaisertreuen Kulturpatriotismus zu verbinden sucht. Verfehlt ist daher die ältere Forschungsmeinung, Brant wende sich bereits in den deutschsprachigen Publikationen der 1490er Jahre vom Humanismus ab und neige mittelalterlichen Traditionen zu. Zwar verdeutscht Brant für seine lateinunkundigen Landsleute moraldidaktische Werke des Mittelalters, darunter eine Tischzucht aus dem 13. Jahrhundert, eine Ständedidaxe aus dem 12. Jahrhundert und die Disticha Catonis , moralische Lebensregeln in Versform. Diese Texte aus den 1490er Jahren erschienen als sogenannte ,Bilinguen‘, zweisprachige Paralleldrucke, und gestatten insofern Rückschlüsse auf die lateinisch-deutsche Statuskonkurrenz. Allerdings relativiert Brant in den Vorreden die ästhetische Bedeutung der lateinischen Texte wie der deutschen Übersetzungen: Der Cato solle nicht wegen seines poetischen Wertes, ,nicht wegen der Sprachgewalt des Gedichts oder des Schmucks der Worte‘ [ non propter vim carminis amplaque verba ] studiert werden, sondern damit man ,Ansehen und Heil‘ [ decus atque salus ] daraus gewinne (Wiegand 2000, 80). Erst der charakterlich gefestigte Schüler könne dann zu den wirklich eleganten poetischen Texten eines Vergil geführt werden. Damit stellen Brants Bilinguen keine Abkehr vom humanistischen Bildungsprojekt dar, sondern eine Vorschule zu den studia humanitatis . Relativiert Brant schon den literarischen Wert der lateinischen Originale, so gilt das erst recht für die deutsche Reimpaarübersetzung, schlichte Übungstexte für den schulischen Lateinunterricht. Die Verdeutschungen dienten lediglich als Übersetzungshilfen und beanspruchten kaum einen eigenständigen poetischen Rang: verbum verbo curavimus reddere, quantum Id rhythmus tulit [,Ich habe mich bemüht, Wort für Wort zu übersetzen, soweit dies das Versmaß zuließ‘], so schränkt Brant selbst die <?page no="55"?> 000054 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 54 | A.II. Der reformerische Humanismus (1500-1520) dichterische Qualität seiner deutschen Versübertragungen ein, die lediglich das Memorieren und bessere Verständnis des Textes fördern sollten. Kulturpolitische Bedeutung maß Brant aber zweifellos seinen deutschsprachigen Versionen und Werken bei. Die deutsche Sprache, Reimpaarverse, Illustrationen sowie bildlichliterarische Mischformen sollten den ,gemeinen Mann‘ und das Stadtbürgertum an die lite- Einfache Botschaften in der Volkssprache, anspruchsvolle Dichtung in Latein rarische Kultur heranführen. Doch darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass Brant selbst an dem ästhetischen Vorrang des Lateinischen festhielt. Dies zeigt der Vergleich einer kleinen Verserzählung, die im Jahre 1502 sowohl in lateinischer Sprache ( Somnia domini Sebastiani [! ] Brant ) als auch in deutscher Sprache erschien ( Doctor Sebastianus Brants traum. In tütsch ). Es handelt sich um eine allegorische Traumvision: Brant erzählt zunächst, er habe in seinem Traum ein gigantisches blutendes Kreuz gesehen, das geklagt habe. Diese Vision wird in einem zweiten Teil allegorisch gedeutet, in dem Brant auch in Kaiser Maximilians I. Aufruf zum Kampf der Christen gegen die Türken einstimmt. Diesen Aufruf richtet Brant aber nur an den lateinkundigen Leser, denn in seiner deutschen Version fehlt er. So wird im Deutschen lediglich der religiöse Aspekt der Schrift wiedergegeben, ihre reichspolitische Dimension ist dagegen fast ganz getilgt. Die eindimensionale Bedeutung der deutschen Version gegenüber dem lateinischen Text betont Brant sogar ausdrücklich im Eschatokoll - dem Schlussprotokoll - des deutschen Textes: „Da von zu o tütsch also bedacht nit gantz von wort zu o wort gemacht Das gottes eer und crütz erschyn auch den, die künden nit latyn“ ( 016). Mit seinen Veröffentlichungen und Übersetzungen in deutscher Sprache will Brant folglich nicht die Nationalsprache gegen das internationale Latein der Humanisten aufwerten. Denn das lateinischdeutsche Qualitätsgefälle schlägt sich bei dem Humanisten Brant nicht nur formal, sondern auch inhaltlich nieder. Vielmehr dürfte die Zweisprachigkeit eher auf elitäre Distinktion abzielen: Latein bildete das elegante humanistische Kommunikationsmedium, während dem allgemeinen Publikum die moralischen Inhalte kunstlos in der Muttersprache vermittelt wurden. Dieser humanistisch-volkstümliche Kompromiss prägt auch Brants berühmtestes Werk, das Narrenschiff , das im Jahre 1494 in Basel vom Stapel lief. Es wurde in Deutschland zum Muster einer ganzen Gattung, der Narrensatire. Die zunächst 112 Kapitel des Buches sind mit jeweils einem Holzschnitt versehen, die von renommierten Künstlern, darunter Albrecht Dürer, erstellt wurden. Über die Intention des Werkes belehrt die Versvorrede mit kurzer Prosa-Einführung. Ständische Vorbehalte gegen volksaufklärerische Tendenzen zeigt bereits die „vorred“, die davor warnt, tradierte Schranken aufzugeben und Wissen zu demokratisieren. Brant stellt fest, die Verbreitung der Heiligen Schrift durch den Buchdruck habe die Sitten keineswegs gebessert, im Gegenteil: „Die gantz welt lebt in vinstrer nacht Und du˚ t in sünden blint verharren“ ( 017). Auf diese Weise kontrastiert Brant die quantitative Buchvielfalt mit dem qualitativen Tiefstand der Moral. Das Narrenschiff: Humanistische Moraldidaxe für jedermann Abhilfe soll Brants Schiffsallegorie bringen, denn in ihr werden sämtliche Torheiten als Narren personifiziert vorgestellt, sodass der Leser sich in ihnen spiegeln kann. Im Ausgang des Narrenschiffs steht nämlich ein epistemologisches Problem: Ein jeder ist ein Narr, postuliert Brant, nur merkt <?page no="56"?> 000055 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 55 1. Satirische Polemik und innovative Mediennutzung am Oberrhein | A.II.1. Beginn des Kapitels 108 („Das schluraffen schiff“) aus Sebastian Brants Narrenschiff (1494). es kaum jemand. Nur derjenige kann als weise gelten, der die eigene Narrheit erkennt; das aber ist naturgemäß schwierig. In der Auflistung aller, zwar zahlreichen, doch aber typisierbaren Narrheiten scheint damit die Hoffnung auf, den Menschen durch Literatur bessern zu können. Narrheit ist heilbar, indem man den Menschen eine lange Liste von geläufigen Verhaltensfehlern an die Hand gibt, deren oberste Maxime das delphische Nosce te ipsum ist - ,Erkenne dich selbst! ‘ Damit eignet Brants erkenntniskritischer Moraldidaxe ein egalitäres Moment, denn Narrheit wird als universell und ständeübergreifend vorgestellt. Überhaupt jeder, ganz gleich, ob „arm vnd reich“, gebildet oder nicht, ob Mann oder Frau, jung oder alt, ist betroffen. Brant zog daraus den Schluss, sein Buch müsse sich nicht nur an lateinunkundige Leser, sondern selbst an Analphabeten richten, und ließ sein Buch mit Holzschnitten illustrieren (Abb. A.II.1.). Als biblia pauperum dienen sie als Verständnishilfe für die humanistische Lehre: „Der bildniß jch hab har gemacht Wer yeman der die gschrifft veracht Oder villicht die nit künd lesen Der siecht jm molen wol syn wesen“ ( 017). Satirisch die Wahrheit sagen, mit Vers und Bild sittenbessernd wirken - in dieser Intention, die zudem mit einem Hinweis auf Terenz, den Komödiendichter der Antike, gestützt wird, erweist Brant sich als Humanist. Auch in anderer Hinsicht gilt das: So spielt Brant mehrfach auf die humanistischen Lucubratiuncula an, die ,Nachtwachen‘ als Zeit der Inspiration („Ich hab ettwan gewacht zu˚ nacht Do die schlyeffent der jch gedacht“). Auch lässt sich sein Narrenschiff als Ansammlung gelehrter Gemeinplätze verstehen, wie sie etwa die humanistische Argumentationstheorie etabliert hatte (Wels 2010). Brant hatte selbst eine lateinische Fassung des Narrenschiffs für die Gebildeten anfertigen wollen. Schließlich übernahm es aber sein Schüler Jacob Locher (Philomusus), das Narrenschiff ins Lateinische zu übertragen. Dessen Vorrede zur lateinischen Version ( Stultifera Navis , Straßburg 1497) ist hilfreich für die literarhistorische Bewertung des Narrenschiffs . Auch Locher betont, die Schrift richte sich an alle Stände der mittelalterlichen Stadtgemeinschaft, nobiles , clerus, cives urbani und schließlich rustici, indocti doctique simul [,Adelige, Klerus, Stadtbürger, aber auch Bauern, Gebildete wie Ungebildete‘]. Zudem bestätigt Locher die Gattungszugehörigkeit des Narrenschiffs : er bezeichnet es als satyra . Tatsächlich lässt sich das Werk <?page no="57"?> 000056 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 56 | A.II. Der reformerische Humanismus (1500-1520) in die Tradition der römischen Verssatire einordnen, die sich durch lockere Komposition und eine autoritative Stellung des Autors gegenüber den kritisierten Zuständen auszeichnet (Gaier 1967). Aber Brant rekurriert formal wie inhaltlich auch auf die mittelalterliche Tradition der Ständekritik, deren hierarchische Gesellschaftsgliederung er freilich ebenso durchbricht wie das theologische Schema der Hauptsünden und -tugenden. Selbst thematische Verbindungen werden eher gestört als gestiftet. Überhaupt scheinen sinnhafte Gliederungsprinzipien hinfällig geworden zu sein: Im allgemeinen menschlichen Narrentum ist die Weltordnung auf den Kopf gestellt und sind gängige Einteilungsraster willkürlich geworden. Es verwundert daher nicht, dass der Aufbau des Narrenschiffs in der Forschung kontrovers beurteilt wird. Weder überzeugt die These einer geschlossenen Konzeption, etwa der Theologie des Hafens (Manger 1983), noch die ältere These des rein kompilatorischen, völlig ordnungslosen Charakters, etwa, dass die Kapitel in ihrer diskontinuierlichen Struktur Flugblättern entsprächen (so bereits Zarncke 1854). Tatsächlich ähnelt die Anordnung von Bild und Text zeitgenössischen Einblattdrucken. Brant hat mehrere illustrierte Flugblätter herausgegeben, und noch im 17. Jahrhundert wurde das Motiv der Narrenfahrt in der Flugpublizistik aufgegriffen (Schilling 2008). Bislang hat die Forschung jedoch keinen Einblattdruck als Vorläufer des Narrenschiffs ausfindig machen können. Die ersten Kapitel, die sprachlich-stilistisch vergleichsweise antiquiert wirken, umfassen immer einen Holzschnitt und meist genau 37 Verse; nur ausnahmsweise wird der Text auf der folgenden Doppelseite fortgeführt. In den späteren Kapiteln variiert die Anordnung von Holzschnitt und Text stärker, und gegen Ende werden die Kapitel länger und bedeutungsschwerer. Mit der Auflösung des Flugblattschemas geht eine stärkere Integration der einzelnen Kapitel einher, die sich auch in der Konzentration auf das Schifffahrtsmotiv und das Flottenthema zeigt. Als merkwürdige Summa begegnet das Schifffahrtskonzept, im ersten Teil kaum ausgestaltet und insgesamt wenig strukturprägend, am Ende in Form des schluraffen schiffs . Die unendliche Reise der Narren mündet hier in die Klage: „Vnser vmbfaren ist on end Dann keyner weisz, wo er zu˚ lend Vnd hant doch keyn ru˚ w tag“. (Brant 1986, 291, V. 13-15). Die ruhelose Fahrt der Narren auf dem Schlaraffenschiff symbolisiert somit ein Leben ohne Ziel, und Brant charakterisiert diese ziellose Narrenschifffahrt kontrastiv durch einen humanistisch-gelehrten Exkurs auf den unnärrischen Schifffahrer Ulysses und seinen Dichter Homer. Wie solche gelehrten Einsprengsel zeigen, möchte sich Brant noch immer als Humanist verstanden wissen. So hat ihn sein Umkreis auch inszeniert. Sein lateinischer Übersetzer Jakob Locher apostrophiert Brant als ,zweiten Dante‘ und ,anderen Petrarca‘ und rückt ihn damit in eine Reihe mit Autoritäten des italienischen Humanismus. Auch die deutsche Version lässt humanistisches Standesbewusstsein erkennen, die zur Universalität der Narrheit in gewisser Spannung steht. Insbesondere beklagt Brant nämlich das unkontrollierte Ausbreiten von Halbbildung, die das Ansehen der humanistischen Gelehrten schwäche. Vor dieser Vulgarisierung der Bildung warnt Brant im 103. Kapitel „Vom Endchrist“: „Das ist eyn zeychen, das die kunst Keyn ere me hat, keyn lieb, noch gunst Dann kunst gespyset würt durch ere, Vnd wann man jr keyn ere dut an So werden wenig darnoch stan“ (ebd., 276f., V. 120-124). Die Sorge um das humanistische Erbe erklärt auch, weshalb ausgerechnet ein Büchernarr die <?page no="58"?> 000057 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 57 1. Satirische Polemik und innovative Mediennutzung am Oberrhein | A.II.2. Der Büchernarr aus dem Narrenschiff des Sebastian Brant (1494). Narrenparade anführt und in Form einer Rollendichtung sich selbst preist (Abb. A.II.2.): Er verkörpert den Pseudo- Gelehrten, der meint, allein der Buchbesitz mache den gebildeten Humanisten. Sein hybrider Bildungsanspruch steht in einem grotesken Kontrast zur Wirklichkeit, die sich auf rudimentäre Vokabelkenntnisse beschränkt. Er repräsentiert den Prestigehumanisten, der nur über die äußeren Merkmale eines Gebildeten verfügt, die entscheidenden Kriterien eines wahren Humanisten aber nicht erfüllt. Gerade von solchen Scharlatanen mussten sich die Humanisten absetzen, brachten sie doch ihren Stand insgesamt in Verruf und gefährdeten ihr Sozialprestige. So lässt sich Brant als konkurrenzbewusster Konservativer verstehen, der im Narrenschiff zwar gegen alle Stände austeilt, damit aber vor allem die ,wahre Bildung‘, nämlich die humanistische Selbsterkenntnis, verteidigen möchte. 1.2. Der Brant-Prediger: Geilers von Kaysersberg Straßburger Narrenschiff -Auslegung Der neue Buchdruck ermöglichte mit dem Narrenschiff den wohl ersten literarischen Bestseller der Neuzeit. ,Dir vor allen bin Dank ich schuldig‘, durchschaute Brant die ökonomischen Vorteile des neuen Mediums selbst, ,der meine Stücke Druckt, daß vielen vielleicht möge gefallen mein Werk‘ [ magna tibi hos inter debetur gratia, nostra fragmina qui multis fors placitura premis … , Schnur (Hg.) 2015, 20f.]. ,Vielen gefallen‘ sollte das Narrenschiff in der Tat - allein in den ersten zwei Jahrzehnten nach der Erstveröffentlichung erzielte es siebzehn deutschsprachige, teils dialektal-variante, mithin übersetzte, teils auch interpolierte und erweiterte Neudrucke; Lochers lateinische Stultifera Navis wurde immerhin dreimal gedruckt (Rockenberger 2011, 18-33). In Kunst und Literatur erfreuten sich nicht nur die Narrenfiguren großer Beliebtheit, sondern auch die derb-komische Sittenkritik des ,Grobianismus‘, die auf Brants Verspottung des Sankt Grobian im 72. Kapitel zurückgeht. Selbst die Kirche nahm Brants Narrensatire in ihren Dienst, wie die sogenannten Narrenschiff -Predigten (1498/ 99) demonstrieren, die Geiler von Kaysersberg im Straßburger Münster in deutscher Sprache hielt. Geiler, Theologe an den Universitäten Basel und Freiburg, <?page no="59"?> 000058 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 58 | A.II. Der reformerische Humanismus (1500-1520) wirkte seit 1478 als Prediger in Straßburg. Seinen Predigten legt er Kapitel aus Brants Narrenbuch zugrunde, als wären sie Perikopen des Evangeliums. Er verbindet ihre thematische Narrenschiff-Predigten im Straßburger Münster Vorgabe mit der Ordnung des Kirchenjahres, sodass seine Predigtreihe sinnigerweise an Fastnacht 1498 beginnt und zu Ostern desselben Jahres endet. Die Narrenschiff -Predigten wurden postum gedruckt, zuerst in lateinischer Sprache ( Navicula sive speculum fatuorum , 1511), später in einer verkürzten deutschen Übersetzung ( Narrenschiff , 1520). In dem Predigtzyklus werden die verschiedenen Bedeutungen der einzelnen Narrentypen jeweils als nola [,Glöckchen, Schelle‘] eingeläutet. Geilers Allegorese betont den humanistischen Charakter des Narrenschiffs noch, wie sich exemplarisch an seiner Auslegung von Brants Büchernarren zeigt. Gehalten am sechsten Tag nach dem Fastenabend, eröffnet sie die Predigtserie. Damit folgt Geiler der Reihenfolge Brants und übernimmt im Druck sogar die Holzschnitte. In der Figur des bücherhäufenden Nichtlesers prangert Geiler viele verschiedene Laster an: Das Büchersammeln drücke Ruhmsucht aus, unsinnigen Wissenswahn und sündhafte curiositas [,Neugier‘], es deute auf voluptas oculorum [,Augenlust‘] hin, sei als Geldanlage verwerflich und befördere die Bücherverachtung als größtes Übel. In seiner Auslegung rekurriert Geiler auf Kirchenväter wie Hieronymus, aber auch auf antike Dichter und humanistische Autoritäten wie Francesco Petrarca. In der Nachfolge Brants predigt er damit das Standesbewusstsein eines christlichen Humanisten. Unverkennbar offenbart der Humanist sich am Ende der Auslegung des Büchernarren: Während die ersten Deutungen vor einem falschen Buchverständnis warnen, verurteilt die letzte Deutung die Ablehnung von Bücherweisheit und Bildung unter Adligen. Die aristokratische Unbildung illustriert Geiler bezeichnenderweise am Beispiel eines deutschen Fürsten, des lateinunkundigen regierenden Herzogs Eberhard von Württemberg. Denn dessen Vater hatte auf dem Sterbebett von seinen Räten die eidesstattliche Versicherung verlangt, dass sein Sohn kein Latein lerne - ein Manko, wie Geiler versichert, unter dem der regierende Fürst sehr leide, da er selbst von den Vorteilen humanistischer Bildung überzeugt sei und als prudens princeps [,weiser Fürst‘] die Gelehrten sehr wertschätze. Mit diesem Plädoyer für die humanistische Fürstenerziehung beschließt Geiler seine Predigt, die zur Popularisierung der Narrenkritik beitrug. 1.3. Der streitbare Narrenbeschwörer: Thomas Murner Als bedeutendster Narrensatiriker und Nachfolger Brants kann Thomas Murner gelten, der heute vor allem durch seine antilutherische Reformationspublizistik bekannt ist, allen voran durch seine Verssatire Von dem großen Lutherischen Narren (1522), wo Luther als Monstrum figuriert - eine kritische Edition mit neuhochdeutscher Übertragung liegt inzwischen vor (Murner 2014). Literarisch bedeutender sind jedoch Murners vorreformatorische Satiren Die Narrenbeschwörung und Die Narrenzunft (beide 1512). Wie Brant tat sich auch Murner als Philologe hervor und gab Vergils Aeneis neu heraus (1515); wie Geiler von Kaysersberg war er Theologe. Schon mit fünfzehn Jahren war er in seiner Heimatstadt Straßburg in den Franziskanerorden eingetreten. 1497, im Alter von 22 Jahren, wurde er zum Priester geweiht. Nach dem Studium in Freiburg, Rom, Paris, Krakau und Prag wurde Murner 1506 zum Doktor der Theologie promoviert. Er polemisierte früh gegen die kaisertreuen Humanisten <?page no="60"?> 000059 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 59 1. Satirische Polemik und innovative Mediennutzung am Oberrhein | A.II.3. Titelblatt zur Narrenbeschwörung von Thomas Murner (1512). am Oberrhein, vor allem gegen Jakob Wimpfelings Germania (1501), deren Beweisführung er in der Gegenschrift Germania Nova (1502) entkräftete. Allerdings wurde er selbst zum Opfer polemischer Anfeindungen - den Spottnamen „Mur-nar“ (,närrischer Kater‘), den er sich selbst ironisch verlieh, sollte er nicht mehr loswerden. Obwohl er weltliche wie kirchliche Missstände anprangerte, verteidigte er die Kirche vehement gegen die Partei der Reformatoren. Im Jahre 1505 wurde er in Wien von Kaiser Maximilian I. zum poeta laureatus gekrönt. Nach mehreren Stationen im deutschen Südwesten und in der Schweiz, wo man wegen seiner kämpferischen Publikationen sogar seine Auslieferung forderte, verlebte er die letzten Lebensjahre bis zu seinem Tode als Seelsorger in seinem elsässischen Heimatdorf Oberehnheim. Auch wenn er seinen Ruhm vorrangig seinen deutschen Schriften verdankte, publizierte Murner überwiegend in lateinischer Sprache. Sein Werk repräsentiert zum einen die Spannung zwischen volkssprachlicher Nationsstiftung und lateinischer Gelehrtenrepublik, zum anderen die Ausbildung einer medial begünstigten humanistischen Streitkultur und polemischen Öffentlichkeit. Murners Narrenbeschwörung (1512), in der sich diese Aspekte deutlich spiegeln, systematisiert und forciert Brants Moralsatire: Das Titelblatt stellt den Mönch Murner dar, der als bebrillter Doktor keine Teufel, sondern Narren austreibt, die wie Hornissen und Bremsen den Neophyten verlassen (Abb. A.II.3.). Doch lassen die beiden Gehilfen, selbst Narren, den Sinn des Unternehmens bezweifeln. Auf Brant nimmt Murner auch in seiner Vorrede Bezug. Mit seinem Schiff habe dieser erst die Narren nach Deutschland gebracht, sodass er, Murner, sie nun in ,welsche‘ Länder bannen müsse ( 018). Die Herausgabe seiner Satire ist damit in den Kontext des Nationenwettkampfs gestellt, nimmt zugleich aber Brants öffentlichen Protest gegen die deutschen und europäischen Nachahmer seines Narrenschiffs aufs Korn. Denn Murner richtet Brants Verse als parodistische Hommage gegen diesen: „Vnd kynn nit yeder narren machen, Er heiß dann, wie er sy genant, Der narr sebastianus brandt“. Als Narrenbeschwörer der Narrheit ein Ende bereiten - dieser selbstironische Zug, der bei Brant noch nicht anzutreffen war, verleiht Murners Moralsatire ihre besondere Bedeutung. <?page no="61"?> 000060 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 60 | A.II. Der reformerische Humanismus (1500-1520) Als der in der Vorrede groß angekündigte Narrenbeschwörer präsentiert sich nämlich, wieder in Form eines Rollengedichts, niemand anders als der Büchernarr des Sebastian Brant, und zwar mit demselben Holzschnitt. Der Büchernarr entpuppt sich als der „Doctor Murrnarr“, Selbstironie in Murners Brant-Satire der sich etwas auf seine humanistische Bildung und auf seinen Doktorgrad einbildet. Hatte Brant noch das Narrenwesen aus der sicheren Warte des christlichen Humanisten kritisiert, bezieht Murner sich als Narrenbeschwörer in seine eigene Revue mit ein. Bei aller Ähnlichkeit ihrer Narrensatiren zeigt sich darin eine grundlegende Differenz. Die Narrenbeschwörung entwickelt eine originelle Position und kompiliert nicht nur Brant-Verse. Vielmehr lässt sich auch das intertextuelle Zitatverfahren als Ausdruck einer dialogischen, streitbar-verspielten Tendenz dieser zweiten Humanistengeneration verstehen, die ihr literarisches Können in den Dienst eines moralischen Reformeifers stellt. 1.4. Praeceptor Germaniae : Jakob Wimpfeling und das humanistische Schultheater Das Zusammenwirken von Reformgedanken und Humanismus kam zu Beginn des 15. Jahrhunderts in Deutschland vor allem auf pädagogischem Gebiet zum Tragen. Unter den humanistischen Pädagogen ragt der Murner-Antipode Jakob Wimpfeling heraus. Geboren im Jahre 1450 als Sohn eines Sattlers, gehörte er zu jener Gruppe jüngerer Humanisten, die nicht erst in Italien mit den studia humanitatis vertraut werden, sondern bereits an deutschen Hochschulen im reformhumanistischen Geist erzogen wurden. Die Universitäten Freiburg, Erfurt und Heidelberg, an denen Wimpfeling studierte, waren die Hochburgen des Humanismus in Deutschland. 1481 wurde Wimpfeling Lehrer an der Heidelberger Artistenfakultät und trat in enge Verbindung mit dem kurpfälzischen Hof. Wegen der antihabsburgischen Politik kehrte er um 1500 an den Oberrhein zurück und entfaltete in Straßburg neben Brant und Geiler von Kaysersberg eine rege literarische Produktion, in der die Tradition des spätmittelalterlichen Reformstrebens mit einem prononcierten Nationalbewusstsein zusammenfand (Mertens 2012). Seit 1515 lebte Wimpfeling als Leiter der Lateinschule im heimatlichen Schlettstadt. Ähnlich wie Brant und Murner kritisierte Wimpfeling zwar die politischen und kirchlichen Missstände scharf, ohne aber grundsätzlich an der alten Ordnung zu rütteln, wie es Luther und die Reformatoren taten. So schied die Reformation die Geister und spaltete die Allianz zwischen humanistischen und reformerischen Kräften. 1528 starb Wimpfeling vereinsamt in Schlettstadt. Immerhin: Die Lateinschule in Schlettstadt erfreute sich überregionaler Wertschätzung. Die Schüler korrespondierten unter Wimpfelings Anleitung mit auswärtigen Humanisten, und fremdländische Schüler besuchten Schlettstadt, wie das Beispiel des Schweizers Thomas Platter zeigt, von dem eine aufschlussreiche Autobiographie überliefert ist (Platter 2006). Den Schülern stand die reiche Pfarrbibliothek zur Verfügung, die durch Schenkungen von Wimpfeling erweitert wurde. Später, im Jahre 1547, stiftete der Humanist Beatus Rhenanus seine Büchersammlung der Stadt. Wimpfeling hinterließ ein umfängliches Werk, das kirchenpolitische Einlassungen ebenso umfasst wie editorische Arbeiten und Historiographien. Wie andere Humanisten der Zeit erwies er sich als überaus streitbar und trug publizistische Fehden mit französischen, deut- <?page no="62"?> 000061 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 61 1. Satirische Polemik und innovative Mediennutzung am Oberrhein | schen und schweizerischen Gelehrten und Geistlichen aus (Mertens 2010). Seine größte Bedeutung aber liegt in den Erziehungsschriften. Wimpfeling verfasste einen vielbeachteten Fürstenspiegel, die Agatharchia (1498), die Kaiser Heinrich II. als Vorbild glorifiziert - ein kulturpatriotisches Herrscherideal, das sich von Machiavellis machtpolitischem Il Principe (1513) stark unterscheidet. Daneben gestaltete Wimpfeling auch humanistische Schul- und Erziehungsprogramme, die ihm den Ehrentitel eines Praeceptor Germaniae [,Lehrer Deutschlands‘] eintrugen. Sie lassen erkennen, welche Rolle Wimpfeling der Dichtung im Unterricht zugestand. Während seiner Lehrtätigkeit an der Heidelberger Artistenfakultät ließ Wimpfeling anlässlich einer Promotionsfeier 1480 von den Studenten eine lateinische Prosakomödie mit dem Titel Stylpho aufführen, die er selbst geschrieben hatte ( 019). Die sechs Szenen mit jeweils Christlicher Humanismus in der Studentenkomödie Stylpho zwei bis drei Figuren erschienen 1494 im Druck. Protagonisten des Stücks sind zwei Kontrastfiguren, die Wimpfelings Auffassung eines christlichen Humanismus positiv und negativ repräsentieren. Beide sind angehende Geistliche: zum einen der hochmütige Stylpho - der Name entstammt einer Komödie des Terenz -, der als Romapeta [,Romstreber‘] in Rom mehr gelebt als studiert hat und hofft, ohne Mühe zu einer lukrativen Pfründe zu gelangen, zum anderen der fleißige, rechtschaffene und bescheidene Student Vincentius, der sich verantwortungsvoll und unter großen Entbehrungen auf sein Seelsorgeramt vorbereitet. Nachdem Stylpho sich in einem Examen als Dummkopf erweist, weil seine vorgeblichen Lateinkenntnisse sich als lächerliches Küchenlatein entpuppen, muss er mit dem Amt des Schweinehirten zufrieden sein, während Vincentius, der all sein erspartes Geld für Bücher ausgegeben hat, zum pfalzgräflichen Kanzler, Stiftskanoniker und schließlich zum Bischof ernannt wird. Die Moral der lateinischen Komödie, deren Wahrheitsgehalt Wimpfeling durch die Gattungsbezeichnung verbürgt - sie sei weniger fabula als historia , wie die Vorrede betont -, liegt auf der Hand: Klassisch-humanistische Bildung wird über prätentiöse Halbbildung siegen und auch sozial honoriert werden. In dieser Gegenüberstellung klingt das humanistische Standesbewusstsein an, das auch der Kritik des Büchernarren bei Brant und Geiler zugrunde lag. Wie diese prangert Wimpfeling das korrupte Pfründenwesen in der Kirche, den Dünkel und das Prestigedenken im Bildungswesen an und erweist sich so als humanistischer Reformer. Eine kulturpatriotische Spitze gegen Italien und die italienische Renaissance deutet sich in der Figur des sinnenfrohen Rompilgers Stylpho an, dem die nationaltypologisch besetzte Bescheidenheit des deutschen Studenten Vincentius gegenübergestellt wird. Allerdings bleibt dieser Affront hier noch unausgesprochen und komisch relativiert. Wie Johannes Reuchlin (1455-1522) mit seinem Henno , der 1496 ebenfalls in Heidelberg aufgeführt wurde, wertete Wimpfeling die Dichtung auf, indem er sie zu einem Bestandteil des akademischen Unterrichts machte. Das Schuldrama, das in Deutschland von hier seinen Ausgang nahm, diente zwar vorrangig der sprachpraktischen Übung des Lateinischen, das in dieser Gattung bis in das 17. Jahrhundert die herrschende Sprache blieb. Doch von Anfang an wurde die Dichtung als Vehikel moraldidaktischer Inhalte eingesetzt, hier zur Propaganda eines christlichen Humanismus in reformerischer Absicht. <?page no="63"?> 000062 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 62 | A.II. Der reformerische Humanismus (1500-1520) 1.5. Der Straßburger Verleger Johannes Grüninger und sein Dyl Ulenspiegel Die oberrheinischen Humanisten standen nicht nur über ihre satirischen Themen miteinander in Verbindung, sie waren auch persönlich bekannt. Als Mittler dürfte ihr Verleger Johannes Grüninger fungiert haben, eine Schlüsselfigur des Straßburger Buchdrucks um 1500 (Schulz-Grobert 1999, 92-110). Aus Grüningers Offizin stammten unter anderem Lochers lateinische Übersetzung des Narrenschiffs und die entsprechenden Predigten des Geiler von Kaysersberg. Auch Murners skandalöse Luther-Polemik Von dem großen Lutherischen Narren erschien in seinem Verlag; Grüninger wies in der Vorrede jede Verantwortung an dem Werk von sich und versuchte mit dem Hinweis zu beschwichtigen, Murner habe die Schmähschrift immerhin unter der Narrenkappe verfasst. Grüninger hielt nicht nur Satiren in seinem Programm, sondern verlegte ein sehr weites Spektrum von frühen Prachtbibeln über politische Flugschriften bis zu astrologischen Handbüchern. Am einträglichsten aber waren die beliebten Narrenschwänke, unter denen ein Druck aus Grüningers Sortiment europaweit Erfolge verbuchen konnte, nämlich Ein kurtzweilig lesen von Dyl Vlenspiegel, geboren vß dem land zu Brunßwick, wie er sein leben volbracht hat . Diese um 1510 erstmals gedruckte Schwanksammlung kodifizierte die ältere, vielleicht mündliche Stofftradition des Till Eulenspiegel und stellt damit das erste Druckzeugnis seiner Abenteuer dar. Die früheste Ausgabe des Ulenspiegel , die heute noch erhalten ist, stammt von 1515. Anlass zu Spekulationen hat seit jeher die Frage der Autorschaft gegeben. Die ältere Forschung hatte vorgeschlagen, es könnte sich um ein Werk von Murner handeln; andere wiederum brachten den Namen Hermann Bote ins Gespräch, ein Braunschweiger Chronist, für den immerhin spricht, dass die Initialen der letzten Kapitel des Ulenspiegel das Akrostichon ,ERMANB‘ ergeben (Honegger 1973, 88ff., Bollenbeck 1985, 12-18, Blume 2009). Selbst als reine Kompilation, an der verschiedene oberrheinische Humanisten in der Werkstatt Grüningers beteiligt waren, wurde der Ulenspiegel betrachtet (Schulz-Grobert 1999). Davon zeuge unter anderem die heterogene Typographie des Straßburger Drucks. Der Ulenspiegel nimmt verschiedene populäre Schwanktraditionen auf - unter anderem aus der italienischen Renaissance - und passt thematisch überhaupt gut in das Umfeld der oberrheinischen Narrensatire, auch wenn der Protagonist selbst aus Braunschweig stammt. Zwischen Schwanktradition und Narrensatire Aufgeteilt ist der Druck in 95 ,Historien‘, die chronologisch von Eulenspiegels Kindheit bis zu seinem Tod erzählen. Stets erweist sich der Protagonist als durchtriebener Schalk, der die Obrigkeit mit Wagemut vorzuführen weiß. Typisch für den Eulenspiegel-Witz ist das Wörtlichnehmen von Redewendungen. Ein Beispiel bietet die Episode, wie Eulenspiegel einen Bäckermeister foppt ( 046). Der Bäcker, zünftiges Mitglied des Stadtbürgertums, sucht in Eulenspiegel einen Gehilfen. Als sich dieser als unerfahren erweist, blafft er ihn zornig an, er solle doch einfach Eulen und Affen backen. Eulenspiegel nimmt ihn beim Wort und backt statt der üblichen Brötchen seine Teige in Eulen- und Affenform, die er gewinnbringend am Nikolaustag verkauft. Der Bäcker wird so nicht nur des Jähzorns überführt, sondern auch der Geldgier, denn er verlangt am Ende eine Gewinnbeteiligung für den verbrauchten Teig. Mit Till Eulenspiegel betritt eine Provokationsfigur die Bühne der frühneuzeitlichen Literatur. Im Laufe seines Lebens entfernt er sich aus der Braunschweiger Heimat und bereist <?page no="64"?> 000063 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 63 2. Erasmus von Rotterdam und sein christlicher Humanismus | viele Länder, ja nimmt sogar Könige auf den Arm. Jede Autorität stellt er in Frage, jede Ordnung weiß er zu stürzen. Die Unflätigkeiten, zu denen er neigt, wirken in einer Zeit, die um sprachliche Normierung bemüht ist, subversiv; seine Angriffe auf jede Art der Konvention unterlaufen die zeitgenössische Tendenz zur Moralisierung und Sozialdisziplinierung. Vielleicht deshalb erfreute sich der Stoff einer derart breiten und langanhaltenden Beliebtheit. Schon im 16. Jahrhundert erschienen zahlreiche Neudrucke und Übersetzungen, darunter ins Englische und Französische. Hans Sachs und Johann Fischart legten Bearbeitungen des Ulenspiegel vor. Die facettenreiche Rezeptionsgeschichte reicht über Gerhart Hauptmann ( Des großen Kampffliegers, Landfahrers, Gauklers und Magiers Till Eulenspiegel Abenteuer, Streiche, Gaukeleien, Gesichte und Träume , 1928) und Bertolt Brecht ( Eulenspiegel-Geschichten , 1948) bis in die Gegenwart: Pünktlich zum Jubiläumsjahr 2018 transferierte Daniel Kehlmann die Figur mit seinem Roman Tyll in den Dreißigjährigen Krieg und steckt mit seinen Schelmenstücken den Rahmen auf für ein raffiniert erzähltes Spiel mit historischen Referenzen und wechselnden Perspektiven. 2. Der ,Fürst‘ der europäischen Gelehrtenrepublik: Erasmus von Rotterdam und sein christlicher Humanismus Die Allianz humanistischer und reformerischer Kräfte zeigt sich nicht nur in der oberrheinischen Narrensatire und den pädagogischen Reformbemühungen, sondern auch bei den christlichen Humanisten, die sich konfessioneller Parteinahme lange zu enthalten suchten. Desiderius Erasmus von Rotterdam (um 1469-1536) darf als bedeutendster Vertreter eines dezidiert europäischen, um Neutralität und Friedensstiftung bemühten Humanismus gelten, dem die Reformationskriege eine neue Aktualität verliehen, dann aber auch ein Ende gesetzt haben. Als idealtypischen, geradezu andachtsvollen Gelehrten zeigt ihn das wohl bekannteste Bildnis, ein Holzschnitt von Albrecht Dürer, der rund zehn Jahre vor seinem Tod angefertigt wurde (Abb. A.II.4.). ,Bild des Erasmus von Rotterdam von Albrecht Dürer nach dem Leben gezeichnet‘, lautet die Inschrift im Hintergrund, jedoch: ,Seine Schriften geben ein besseres Bild‘. Inzwischen liegt eine von Werner Welzig besorgte zweisprachige Werkauswahl vor (Welzig [Hg.] 1990-1995); bislang 49 Bände umfasst die lateinische Gesamtausgabe ( Opera omnia ), die 1969 begonnen wurde und noch unabgeschlossen ist. Wer angesichts dieses Mammutwerks eingeschüchtert die Lektüre scheut, mag sich in der bekannten Skizze von Johan Huizinga, Erasmus (1924; deutsch 1928), einen ersten Überblick verschaffen: Unehelich geboren und wohl in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, wurde Erasmus 1487 ins Augustiner-Chorherrenstift Stein bei Gouda aufgenommen. Durch längere Reisen und auswärtige Kontakte, insbesondere durch ein Theologiestudium in Paris und einen längeren Aufenthalt am Hof Heinrichs VIII. in England, entzog er sich dem klösterlichen Leben. Wohl aus den Erfahrungen seines Werdegangs gewann Erasmus früh die Vorstellung von der grundsätzlichen Bildungsfähigkeit des Menschen, die er in seiner Programmschrift Antibarbari entwickelte. In ihr legte er bereits vor 1500 den Grundstein zu einem Erziehungskonzept, dem zufolge die studia humanitatis die christliche Vervollkommnung des Menschen überhaupt erst ermöglichten. <?page no="65"?> 000064 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 64 | A.II. Der reformerische Humanismus (1500-1520) A.II.4. Bildnis des Erasmus von Rotterdam. Holzschnitt von Albrecht Dürer (1526). Dass Erasmus von der Europäischen Union zum Namenspatron eines studentischen Austauschprogramms ernannt wurde, hat durchaus seine Berechtigung: Bereits früh erwies sich sein humanistisches Bildungsstreben als Mobilitätsfaktor und eröffnete Erasmus einen europäischen Horizont, vor dem er sich zeit seines Lebens publizistisch bewegen sollte. In England, wo er eine langjährige Freundschaft mit dem Staatsmann und Dichter Thomas Morus pflegte, hielt er sich mehrmals über Monate auf; in Paris gab er einige seiner Werke heraus, in den südlichen Niederlanden lebte er von 1501 bis 1504; 1506 unternahm er eine lang ersehnte Italienreise und erwarb in Turin den theologischen Doktorgrad; auf seiner Romfahrt einige Jahre später gewann er die Gunst Papst Leos X. Nach einer weiteren Italienreise zog Erasmus um 1515 nach Basel, wo er eine kritische Neuübertragung des Neuen Testaments ins Lateinische übernahm. Als die Reformation nach Basel übergriff, floh Erasmus in das katholische Freiburg, wo er von 1529 bis 1535 lebte. Sein Versuch, sich den religiösen und politischen Konflikten zu entziehen, war freilich zum Scheitern verurteilt. Als Ireniker, ein Mann des Friedens, schrieb er in Freiburg 1533 eine Abhandlung ,Über die liebliche Eintracht der Kirche‘ und suchte mit biederen Predigtanleitungen friedensstiftend zu wirken. Doch seine Stimme verhallte im Streit der Konfessionen. 1535 kehrte Erasmus wieder nach Basel zurück, wo er ein Jahr später im Froben’schen Hause starb. Seinen Grabstein im Basler Münster, den sein Freund Bonifacius Amerbach stiftete, ziert sein persönliches Emblem: der Grenzgott Terminus, dargestellt als Herme. Das dazugehörige Motto lautet: cedo nulli [,ich weiche keinem‘]. Dieser Wahlspruch ist aber nicht als politische, sondern als private Devise gemeint. Es sollte ihn mahnen, auch den Tod nicht zu fürchten. Wie kaum eine andere Gestalt seiner Zeit stand Desiderius Erasmus für die Konsolidierung einer europäischen respublica litteraria , als deren ,Fürst‘ er ehrfürchtig apostrophiert wurde und deren Debatten er befeuerte. Verantwortlich dafür war erstens seine öffentlichkeitswirk- Erasmus als Fürst einer europäischen respublica litteraria same Selbstvermarktung in verschiedenen Medien: Seine Porträts, die er von Freunden wie Quinten Matsijs, Albrecht Dürer und Hans Holbein d. J. in Öl malen, als Medaille gießen oder in Kupfer stechen ließ (Petersen 2015), etablierten das Bild des feingliedrigen, standesbewussten Gelehrten. Gelehrt und fromm - so inszenierte er sich als Wiedergänger des Heiligen Hieronymus, indem er dessen Briefe edierte und in dessen Lebensbeschreibung auch sich selbst porträtierte (Jardine 1993). <?page no="66"?> 000065 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 65 2. Erasmus von Rotterdam und sein christlicher Humanismus | Ähnlich verfuhr Erasmus mit Rudolf Agricola: Er gab dessen Werke heraus und pries ihn mehrfach als seinen wichtigsten Lehrer, um sich mit genealogischer Suggestion selbst zur neuen Autorität der Nordrenaissance zu erklären. Zuträglich war diesem editorischen selffashioning zweitens ein europäisches Netzwerk, das oft zwar durch persönliche Kontakte gegründet, vor allem aber durch briefliche Kommunikation stabilisiert und publik gemacht wurde. Von der Weite seiner Korrespondenz mit allen bedeutenden Köpfen seiner Zeit zeugt heute eine zwölfbändige Ausgabe der über 2000 Briefe (Allen [Hg.] 1906-1965). Seine Freundschaften mit berühmten Druckern wie dem Venezianer Aldus Manutius, dem Pariser Jodocus Badius oder dem Basler Johann Froben begünstigten die überregionale Verbreitung seiner Bücher. Drittens schließlich wusste Erasmus an den richtigen Stellen Kontroversen loszutreten, während er sich an anderen Stellen strategisch zurückhielt. Sein Ruf als Ireniker, als Friedensfreund, fußt vor allem auf der berühmten Querela Pacis (1517), der Klage des personifizierten Friedens, in der er die Fürsten aller Länder dazu aufruft, das unchristliche Blutvergießen zu beenden und zur gottgefälligen Eintracht zu finden. Wenige Jahre darauf von seinem Freund Georg Spalatin verdeutscht, war der Friedensschrift eine beispiellos lange Wirkung vergönnt. Zudem provozierte sie eine Reihe irenischer Fortschreibungen im 16. und 17. Jahrhundert (Eltink 2006). Obschon sie die politische Realität nicht veränderte, stärkte Erasmus’ politische Intervention mit humanistischen Mitteln die öffentliche Wahrnehmung seiner Person als europäische Integrationsfigur. Luthers Reformation kommentierte Erasmus dagegen über Jahre hinweg kaum oder nur mit diplomatischer Vorsicht, auch wenn man ihn von allen Seiten zur Stellungnahme drängte - hier war offenbar Zurückhaltung opportun, jedenfalls solange es möglich war. Der taktische Wechsel von irenischer Wortmeldung und lavierender Wortmeidung bedeutete freilich nicht, dass Erasmus nicht ebenso provokant, ja streitlustig sein konnte wie seine humanistischen Zeitgenossen: Er wusste, wie zuträglich polemischer Austausch der eigenen Bekanntheit wie auch der Konstitutierung der Gelehrtenrepublik war. Das zeigen die drei Konfliktfelder, in denen sich sein Schaffen bewegte: die reformerische Kritik an kirchlichen Missständen, der Konflikt mit Luther und die Distanzierung vom italienischen Humanismus. 2.1. Erasmus’ moralkritische und kirchenreformerische Schriften Bereits in seiner berühmten Narrensatire, dem Moriae Encomium [,Lob der Torheit‘], zeigt Erasmus sich als Renaissancehumanist, der die christliche Moraldidaxe mit dem spitzen Spott eines Lukian zu vereinen weiß und diesen auch gegen die Kirche selbst richtet. Erasmus widmete die Schrift Thomas Morus, als dessen Gast er sie 1509 in London verfasste. Auf den Namen des Freundes spielt der Titel ironisch an (Morus - Moria). Das Encomium ist der antiken Ruhmrede, der declamatio , nachgebildet: Moria, die ,Torheit‘, fungiert als Ruhmrednerin ihrer selbst, und präsentiert sich als glänzende Beobachterin. Wenn sie ihre Macht in allen Lebenslagen, in allen Ständen, besonders in der Religion betont, wenn sie den Unterschied zwischen Schein und Sein, wenn sie die äußere Welt als Bühne und das Leben als Rolle schildert, dann stellt sie damit der Weisheit zugleich ein Armutszeugnis aus. Bestimmend ist folglich der paradoxe Gedanke, dass die Dummheit die klügsten Gedanken äußert, indem sie <?page no="67"?> 000066 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 66 | A.II. Der reformerische Humanismus (1500-1520) ihren eigenen Erfolg bestaunt. Dieses Paradox gipfelt in der verstiegenen Sentenz ,Wie nichts törichter ist als unangebrachte Weisheit, so ist nichts weniger klug als verkehrte Klugheit‘ ( 020). Denn es ist ausgerechnet die Torheit, die diesen Satz schreibt, der damit - den klassischen Paradoxa der Antike vergleichbar („Alle Kreter sind Lügner“ - sagt ein Kreter) - ein unauflösliches Dilemma bildet. Torheit und Weisheit bilden aber nur eine der Dichotomien, welche die Moria unterläuft. Bei genauem Hinsehen, argumentiert sie, entpuppe sich die ganze Welt als Theater, als Schein. Tod sei Leben, arm sei reich, gelehrt ungelehrt, kurz: alles könne sich in sein Gegenteil ,Lob der Torheit‘: paradoxes Spiel mit Gegensätzen verkehren, wenn man an der Oberfläche kratze. Wie ernst diese Lehre gemeint sein kann, bleibt unklar, und diese Ambiguität ist konstitutiv für Erasmus’ Spiel mit Gegensätzen. Besonders deutlich wird das ,törichte‘ Prinzip der coincidentia oppositorum [,Zusammenfall der Gegensätze‘] am Ende, wenn die Torheit die Raserei der Apostel und die der Liebenden heranzieht. Um den furor zu bestimmen, greift Erasmus auf die platonische manı ´a -Lehre zurück, der zufolge Glück im ,Außersich-Sein‘ gründe. Glück gebe einen Vorgeschmack auf die himmlische Glückseligkeit, dem höchsten ,Von-Sinnen-Sein‘. Doch sät Erasmus weiter Zweifel, denn die Torheit verabschiedet sich mit der Aufforderung zum Trinken von ihren Zuhörern. Auf diesem Changieren zwischen Wahrheit und Lüge, Scherz und Ernst beruht der eigentümliche ästhetische Reiz des Encomium Moriae , das mit der eindeutigen Moraldidaxe eines Sebastian Brant gar nicht zu vergleichen ist. Mit seinem ,Lob der Torheit‘ kritisierte Erasmus auch die kirchliche Obrigkeit, obschon unter dem fiktionalen Deckmantel der Torheitsrede. Daher setzte das Konzil von Trient (1545-1563) die Schrift später auf den Index der verbotenen Bücher. Bereits zu Lebzeiten eckte Erasmus aber mit dem Basler Großprojekt einer kritischen Ausgabe des Neuen Testaments an. Zu diesem Zwecke sammelte er verschiedene Ausgaben der Vulgata , der durch das Mittelalter geläufigen Bibelübersetzung des Hieronymus, edierte sie und übersetzte ganze Passagen neu. Vor allem aber ließ er erstmals den griechischen Text drucken und gab damit die erste originalsprachliche Bibelausgabe in den Druck, die noch Luther für seine Verdeutschung verwenden sollte. Damit markiert Erasmus’ Novum Instrumentum omne (1516), wie die zweisprachige Bibeledition heißen sollte, den Anfang der philologischen Bibelkritik, denn Erasmus behandelt die Bibel wie einen Text der Klassischen Antike, gibt ihr annotationes [,Anmerkungen‘] bei und stellt ihr eine Herausgebervorrede voran. Dass er dabei von der offiziellen Exegese abwich, warf ihm die Kirche schnell vor, verkannte aber zunächst die schwerwiegendste Gefahr, die von dem Unternehmen ausging: Erasmus wendete die humanistische Devise ad fontes , ,zurück zu den Quellen‘, auf die Heilige Schrift an, ent-institutionalisierte sie damit und öffnete die Tür für theologisch folgenreiche Neuauslegungen des griechischen Textes. Zwar stieß seine kritische Edition zunächst auf klerikale Gegenliebe, zumal er sie dem Papst in der Widmungsvorrede zueignete. Daran, dass Erasmus aber den Glauben zu einer Sache der Philologie machen wollte, stießen sich die Kirchenvertreter zusehends. Angesichts der Angriffe klagt Erasmus im Jahre 1519, ,dass die Barbaren auf allen Seiten sich untereinander verschworen haben, nichts unversucht zu lassen, um die bonae litterae zu unterdrücken‘ (Zit. <?page no="68"?> 000067 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 67 2. Erasmus von Rotterdam und sein christlicher Humanismus | n. Huizinga 1988, 147). In dieser Zeit verfasste Erasmus die Colloquia familiaria , Modelle vertraulicher lateinischer Konversation, die ursprünglich zu Sprachübungszwecken gedacht waren: Die Dialogsammlung, die immer weiter vermehrt von dem Basler Verleger Johann Froben aufgelegt wurde, erfreute sich lange großer Beliebtheit, auch wenn Erasmus die Dialogform subtil nutzte, um die Unbildung geistlicher Würdenträger aufs Korn zu nehmen. Ein eindrückliches Beispiel bietet das Gespräch zwischen einem Abt und einer gelehrten Frau ( 021), in dem sich der Abt als aufgeblasener Dummkopf entlarvt, seine Gesprächspartnerin Magdalia indes als belesene Humanistin. Sie besitzt eine große Bibliothek, die dem Abt aufstößt; sie liest Griechisch und Latein, während der Abt nur das Französische beherrscht; die Argumente des Abtes, dass Frauen sich nicht bilden sollten, weil dies ,unweiblich‘ sei, weiß sie leicht mit dem Hinweis auf die lesende Muttergottes und die Heiligen Paula und Eustochia zu widerlegen. Schließlich mahnt die gelehrte Magdalia, die Welt habe sich gewandelt - wenn der Abt sich nicht vorsehe, würden bald auch Frauen predigen und Theologie unterrichten. Damit erweist der Dialog nicht nur der femina docta eine Hommage, der ,gelehrten Frau‘, sondern liefert auch den satirischen Nachweis für die Reformbedürftigkeit der kirchlichen Amtsträger, die weiterhin in altmodischer Unbildung verharrten. 2.2. Neutralitätswunsch und Eskalation: Erasmus und die Reformation Mit seiner Kirchen- und Orthodoxiekritik rückte Erasmus nach 1516 zunehmend in die Nähe der Reformatoren. Allerdings blieb er der alten kirchlichen Ordnung zeit seines Lebens treu, so sehr er sie auch für überholungsbedürftig hielt. Luther selbst wandte sich im Jahre 1519 direkt an Erasmus: „Ich spreche so oft mit dir und du mit mir, und wir kennen einander noch nicht“ (Huizinga 1988, 151). So versuchte er Erasmus als prominenten Humanisten, der auch bei Fürsten höchstes Ansehen genoss, für seine Sache zu gewinnen. Seinen persönlichen Freunden gegenüber äußerte sich Luther kritischer über Erasmus: „Die menschlichen Dinge bedeuten ihm mehr als die göttlichen“ (ebd.). Auch Erasmus bemühte sich zunächst um freundliche Enthaltung, indem er sowohl Briefe an Luthers fürstlichen Beschützer, Herzog Friedrich von Sachsen, verfasste, als auch an den großen Feind der Reformation, Kardinal Albrecht von Brandenburg, Erzbischof von Mainz, Humanistische Willensfreiheit (Erasmus) gegen Erbsünde und Gottesgnade (Luther) der die Bestechungsgelder für seine Kurwürde mit einem Ablasshandel kompensierte. Aus seinen Briefen geht hervor, dass Erasmus sich über Luthers aufrührerische Taten ärgerte, während er dessen Kirchenkritik in vielem teilte: Auch er sah die studia humanitatis durch die ,Dummheit der Mönche‘ bedroht. Im September 1520 war Erasmus als Berater des jungen Karl V. gezwungen, sich brieflich von Luther loszusagen. Doch im Oktober des gleichen Jahres wurden gegen Erasmus’ Willen seine ,22 Axiomata für die Sache Martin Luthers‘ veröffentlicht. Noch nach dem Bann gegen Luther auf dem Wormser Reichstag von 1521 versuchte sich Erasmus aus den Streitigkeiten herauszuhalten, wohl auch ein Grund für seinen Abschied aus Löwen und seine Reise nach Basel, wo die Reformation erst Ende der 1520er Jahre Einzug halten sollte. Schließlich kam es doch zu einem Zerwürfnis zwischen ihm und Luther: Dieser hatte ihn 1524 ironisch gebeten, er möge bleiben, „was du immer behauptetest sein zu wollen: ein bloßer Zuschauer unserer Tragödie“ (ebd., 171). Erasmus antwortete darauf mit der Abhand- <?page no="69"?> 000068 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 68 | A.II. Der reformerische Humanismus (1500-1520) A.II.5. Titelblatt zu Martin Luther: Das der freie wille nichts sey (1526). lung De libero arbitrio diatribe [,Abhandlung über den freien Willen‘, 1524]. Darin hält Erasmus nicht mehr an dem fest, was die Humanisten mit den reformatorischen Kräften verband - die Kritik am zeremoniellen Charakter der Kurie etwa, auch am Primat des Papstes -, sondern betont nun eher das Trennende: Gegen Luthers sola gratia -Lehre, nach der die Entscheidung über das menschliche Seelenheil allein der Gottesgnade, nicht dem guten Wirken des Einzelnen obliege, spricht sich Erasmus für das humanistische Konzept der Willensfreiheit aus: Ohne sie gebe es für den Menschen keine ethische Verantwortung. Kraft seiner Wahlfreiheit, die schon Giovanni Pico della Mirandola in seiner ,Rede über die Würde des Menschen‘ (1496) zum Signum des Menschseins erhoben hatte, könne der Mensch entweder den Pfad der Tugend oder die Straße der Untugend beschreiten. Damit verteidigt Erasmus die optimistische Anthropologie der Renaissance gegen die lutherische Theologie der menschlichen Gnadenbedürftigkeit. Luther wirft er vor, zu sehr der Frömmigkeit zugeneigt zu sein und der eruditio [,Gelehrsamkeit‘] abzuschwören - womit das erasmische Erziehungsprojekt eines christlichen Humanismus zu scheitern drohe. Erasmus spielt im Titel auf die Programmschrift des Kirchenvaters Augustinus an ( De libero arbitrio ), die zwar die menschliche Freiheit, sich gegen Gott zu entscheiden, bestritt, aber keinem absoluten Determinismus das Wort sprach. Luther beharrte jedoch auf seiner radikalen Position und antwortete mit seiner anti-erasmischen Kampfschrift unter dem programmatischen Titel De servo arbitrio (1525). Hier postuliert er erneut, „Das der freie wille nichts sey“, wie der Titel der deutschen Übersetzung (1526) lauten sollte. Die Titelillustration (Abb. A.II.5.) zeigt Christus am Kreuz, flankiert von weihrauchschwenkenden Engeln. Christus steht im Zentrum, kein Weg führt an ihm vorbei - das ist auch der Tenor von Luthers Schrift: Die Erbsünde habe den Menschen in seiner Substanz so deformiert, dass er zum Guten schlechterdings unfähig sei. Allein das Opfer Christi könne den Menschen seinem Heil zuführen. Gegenüber der Gottesgnade komme dem sündhaften Menschen keine Willensfreiheit zu, über Erlösung oder Verdammnis entscheide Gott allein. Erasmus antwortete Luther nochmals in einem weiteren Traktat, doch die Brücken zwischen Humanisten und Reformatoren waren schon abgebrochen - das humanistische Konzept der menschlichen Vernunft und Freiheit schien mit der lutherischen Theologie der <?page no="70"?> 000069 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 69 2. Erasmus von Rotterdam und sein christlicher Humanismus | Sündhaftigkeit und der notwendigen Demut des Menschen nicht mehr vereinbar. Von nun an verschärfte sich der Ton und Erasmus galt als Feind der Reformation. 2.3. Erasmus und der italienische Ciceronismus Erasmus’ Fremdbild als unbestechlich-eigensinniger homo pro se [,Mensch für sich‘] wurde durch die Frontstellung zum italienischen Humanismus begünstigt. Die Programmschrift des jungen Erasmus, die Antibarbari , hatte noch ganz dem humanistischen Standesbewusstsein entsprochen. Bereits vor 1500 niedergeschrieben, wenn auch erst Jahrzehnte später in Auszügen veröffentlicht, schildert sie die Versammlung einer Freundesgruppe im Garten eines niederländischen Landhauses. Bei frugalem Mahl und geselligen Spaziergängen in platonischer Heiterkeit werden Klassische Antike und lateinische Dichtkunst als die wahren studia humanitatis gepriesen. Um die Renaissance gegen ihren antichristlichen Ruf zu verteidigen, werden die Kirchenväter Augustinus und Hieronymus zu christlichen Humanisten erklärt. Ihr Beispiel beweise, dass Frömmigkeit und Gelehrsamkeit vereinbar seien. ,Barbarisch‘ ist für Erasmus nicht der Ungebildete, sondern der scholastisch Verbildete und theologisch Verbohrte, der die humanistisch-antike Bildung missachtet. Wenn die Antibarbari ihnen den Kampf ansagen, geschieht dies in parodistischer Anspielung auf die Einnahme und Zerstörung des christlichen Rom durch die Westgoten unter Alarich im Jahre 410. Dagegen verheißen die Antibarbari das Ende des gotischen Mittelalters und die Wiederherstellung des christlichen Rom. Erasmus’ Verteidigung der ,sittenlosen‘ Renaissance und sein Spott über das düstere Mittelalter klangen in späteren Jahren ab. Wohl auch unter dem Eindruck eines humanistischen Wettkampfs der nationes schrieb Erasmus in seiner Basler Zeit gegen die italienischen Humanisten an. Aus der Warte seiner humanitas christiana verfasste er die dialogische Programmschrift Ciceronianus (veröffentlicht 1528), in der er sich gegen die unangefochtene Stilautorität Ciceros richtete: ,Unter allen Arten von Schriftstellern sind mir keine so unausstehlich wie die Affen Ciceros‘. Er argumentiert, das Latein des ,Heiden‘ Cicero eigne sich nicht für theologische Konzepte; dagegen aber sei das mittelalterliche Latein durchaus nicht so barbarisch, wie die italienischen Humanisten behauptet hätten. Neben ihrem stilistischen Anliegen wohnt der Schrift damit auch ein religiöses Kalkül inne: Erasmus rekurriert auf die Opposition zwischen Ciceronianus und Christianus , die er bei dem Heiligen Hieronymus finden konnte, um den Paganismus, das Neuheidentum, anzugreifen, das sich in einem übertriebenen Klassizismus manifestiere. Zudem kritisiert er die Vermischung antiker Mythologie mit dem Christentum. Vom rigorosen imitatio -Postulat der Frührenaissance wandte Erasmus sich folglich ab und forderte stattdessen eine eigenständige aemulatio mit der Klassischen Antike, ihre Assimilation durch Konkurrenz. Allerdings überforderte Erasmus mit seiner Kritik am pagan-klassizistischen Renaissance-Humanismus die Solidarität der humanistischen Gemeinschaft. Besonders aus Italien erntete er scharfe Kritik, galt er dort doch ohnehin als Personifikation eines Kulturwandels, im Zuge dessen die Renaissance von Rom über die Alpen gewandert sei. Als Erasmus lutheranus nahm man ihn als Vertreter der Reformation oder als reformatorische Alternative zum Luthertum wahr. Mit Kampfschriften wie Battista Casalis Invectiva in Eras- <?page no="71"?> 000070 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 70 | A.II. Der reformerische Humanismus (1500-1520) mum Roterodamum (1524) oder Pietro Corsis Defensio pro Italia (1534) reagierten die italienischen Humanisten auf deutsche Versuche, Erasmus als nordalpine Antwort auf die Renaissance zu inthronisieren (Seidel Menchi 1993, 33-67). So zeichnen sich an Erasmus’ Wirken bereits die für das 16. Jahrhundert wesentlichen Konfliktlinien ab: Der eskalierende Konfessionsstreit verstärkte die nationale Polarisierung zwischen Rom und dem deutschen Humanismus. Es bildete sich eine drastisch polemisierende reformatorische Öffentlichkeit aus, die dem neuen Druckmedium zum endgültigen Durchbruch verhalf, während die labile Allianz aus christlich-moraldidaktischem Reformstreben und humanistischer Gelehrtheit, die die zweite Humanistengeneration verkörperte, zerbrach. 3. Ulrich von Hutten und der Reuchlin-Streit Die nationalpatriotische Orientierung der Humanisten, die sich im Gedanken eines ,Wettkampfs der Nationen‘ bei Celtis und Brant andeutete und in der Konfessionspolemik im zweiten Viertel des 16. Jahrhunderts radikalisierte, zeigt sich vielleicht am deutlichsten im Deutscher Ritter und vaterländischer Dichter Werk Ulrich von Huttens (1488-1523). Huttens Leben und Werk sind vor allem durch zwei Faktoren geprägt: zum einen durch sein traditionell reichspatriotisches Standesbewusstsein als Mitglied der Reichsritterschaft, deren politische Bedeutung seit dem 15. Jahrhundert in der frühneuzeitlichen Koalition von Fürsten und Reichsstädten stetig abnahm. Immer wieder stilisierte sich Hutten, der einem fränkischen Adelsgeschlecht entstammte, zum deutschen Ritter ( eques germanus) . Zum andern verstand Hutten sich als der humanistisch-reformerischen Bildungselite zugehörig. Wie die Reformatoren Luther und Melanchthon im letzten Fünftel des 15. Jahrhunderts geboren, hatte er nicht in Italien, sondern an verschiedenen deutschen Universitäten, darunter in Erfurt, der Hochburg des deutschen Humanismus, Poetik und Rhetorik studiert. Den doppelten Selbstbezug Huttens auf den Adel (Ritterrüstung und Schwert) und seine Zugehörigkeit zur Bildungselite (Lorbeerkranz) illustriert sein Bildnis von Hans Baldung Grien (Abb. A.II.6.). Die vier Wappen der Großeltern in den Winkeln des Bildes bezeugen als sogenannte ,Ahnenprobe‘ seinen Adel. Die beiden Tendenzen im Werk Huttens ergänzen sich in vielen Schriften, oft zugespitzt durch seine ausgeprägte Gabe zur Selbststilierung. Dies beginnt schon mit seiner ersten umfassenden Polemik, die er in zwei Büchern unter dem Titel Querelae (1510) veröffentlichte. Sie umfasst zwanzig lateinische Elegien. Darin beschuldigt er die wohlhabende Kaufmannsfamilie Lötz, bei der er in Greifswald Quartier genommen hatte, ihn ausgeraubt zu haben, statt ihn mäzenatisch zu fördern. Sie hätten ihm gedungene Schergen auf den Hals gehetzt, die den Dichter überfielen und ihm seinen Mantel stahlen. Huttens Querelen sind freilich mehr als autobiographische Klageschriften: Um die humanistische Gruppenidentität zu stärken, bauen sie allegorisch ein Feindbild auf, mit dem sich der Autor als geniale Gestalt des deutschen Humanismus kontrastiert (Becker 2008). Hutten überhöht sich zum Inbegriff des leidenden vaterländischen Dichters, indem er sich mit Christus vergleicht ( 022). In Anspielung auf Ovids Exildichtung malt er die enorme Kälte aus, die bei dem Überfall geherrscht habe - die Fische seien im Wasser erfroren -, und stellt so eine Analogie zwischen sich und <?page no="72"?> 000071 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 71 3. Ulrich von Hutten und der Reuchlin-Streit | A.II.6. Bildnis des Ulrich von Hutten. Holzschnitt von Hans Baldung Grien (1521). dem Dichter der Metamorphosen her. Bei seiner Ankunft in Greifswald imaginiert sich der kranke Dichter als umherirrender Odysseus, der bei den Phäaken gastliche Aufnahme findet. Das Brüderpaar Lötz wird dagegen mit klassischen Tyrannen verglichen, sie werden als grausam, geldgierig und skrupellos dargestellt. So schafft Hutten in seiner Dichtung eine allegorische Konfiguration, in der er als leidender, kranker Musensohn in einer kunstfeindlichen Welt erscheint. Der Raub des Mantels, traditionell ein Symbol für die gesellschaftliche Anerkennung des Dichters, stellt den barbarischen Versuch dar, die Literatur und das Altertumsstudium in Deutschland zurückzudrängen. Dass es Hutten darum geht, mittels negativer Integration die gesellschaftliche Reputation der Dichtung wie der Dichter in Deutschland zu erhöhen, zeigt besonders die letzte Elegie, die zehnte Elegie des zweiten Buches. Sie beschreibt eine imaginäre Reise Huttens zu seinen Dichtergenossen in ganz Deutschland und somit einen Bund deutscher Dichter. Die kulturpatriotische Tendenz geht aus dem Anfang der Elegie hervor: ,Nein! Germania’s Dichter besuche mir all’ in der Reih’, Sie auch, Dichter genannt, welche mein Vaterland ehrt‘ ( 023). Indem die humanistischen Poeten stets in regionalen Bezug gerückt werden, entsteht in der Gesamtschau blühender Dichterlandschaften das Konzept einer Nationaldichtung, eines in Vielheit geeinten Deutschlands. Unter anderem werden die oberrheinischen Satiriker Jakob Wimpfeling, Sebastian Brant und sein Schüler Locher sowie der Schwankdichter Heinrich Bebel gepriesen. Antonomastisch verschwiegen wird der Pforzheimer Judaist Johannes Reuchlin, der die hebräische Überlieferung gegen die orthodoxe Kirchenkritik verteidigte und dafür mit Schmähschriften bedacht wurde. An Reuchlins hebraistischem Plädoyer für den überlieferungsgeschichtlichen Wert der jüdischen Schriften und für die Etablierung des Hebräischen als eine der drei heiligen Sprachen entspann sich einige Jahre nach dem Lötze-Streit der wohl bedeutendste Skandal des ,Dunkelmännerbriefe‘: satirische Kritik an kirchlicher Scholastik vorreformatorischen Humanismus, nämlich die Debatte um die satirischen Epistolae obscurorum virorum , die sogenannten ,Dunkelmännerbriefe‘ aus den Jahren 1515/ 16. Hinter den anonymen Verfassern vermutet man neben dem Erfurter Humanisten Crotus Rubeanus auch Ulrich von Hutten. Reuchlin hatte sich mit seiner Verteidigung des Talmuds gegen die Ansicht der Kölner Dominikaner ausgesprochen, alle jüdischen Schriften müssten verbrannt werden. <?page no="73"?> 000072 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 72 | A.II. Der reformerische Humanismus (1500-1520) Besonders der zum Christentum konvertierte Jude Johannes Pfefferkorn hatte in antisemitischen Schmähschriften gegen die Hebraistik gewettert. Reuchlins Gutachten und seine anschließende Rechtfertigung im Augenspiegel (1511) wurden wenig später auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt. Für Reuchlin sprach sich eine Reihe berühmter Humanisten wie Hutten und Crotus aus, deren zustimmende Briefe Reuchlin unter dem Titel Epistolae clarorum virorum [,Briefe berühmter Männer‘] veröffentlichte. Ihr satirisches Gegenstück sind die ,Dunkelmännerbriefe‘: Hutten und seine Humanistenfreunde ließen darin ihre scholastischen Gegner selbst zu Wort kommen, indem sie ihnen fiktive Briefe zuordnen. Als angebliche Absender erscheinen neben historischen Personen wie den Theologen Hardwin von Grätz (Ortwin Gratius) und Jakob van Hoogstraeten auch fiktive Briefschreiber mit sprechenden Namen wie Dollenkopffius, Mistladerius oder Schlauraff. In ungeschliffenem ,Küchenlatein‘ geschrieben, entlarven die Briefe ihre angeblichen Verfasser als vulgäre Trunkenbolde, Eiferer und schlechte Philologen, womit die kirchliche Scholastik als Ganzes lächerlich gemacht wird. Während Humanisten wie Erasmus von Rotterdam den ausgefallenen Witz der Satire lobten, erkannten einige Kirchenvertreter das spöttische Verfahren nicht und stellten sich peinlicherweise auf die Seite der ,Dunkelmänner‘. 1520 setzte Papst Leo X. die satirischen Briefe, die den Graben zwischen scholastischen Klerikern und humanistischen Gelehrten weiter vertieften, auf den Index. Während die ,Dunkelmännerbriefe‘ ein parodistisches Spiel mit fingierter und anonymer Autorschaft betreiben, lassen andere Hutten-Pamphlete eine prononcierte, darin durchaus moderne Tendenz zur Selbststilisierung als Vorreiter einer nationalen Humanistenelite erkennen. Das gilt etwa für den Nemo (1510), den ,Niemand‘. Die Satire schiebt alle Missstände auf den Niemand, den bekannten Sündenbock, den man in sprichwörtlichen Wendungen wie dem „Sankt Nimmerleinstag“ heute noch anruft. Das Frontispiz trägt den griechisch-lateinischen Doppeltitel „OUTIS. NEMO“ [,Niemand‘] und zeigt den einäugigen Riesen Polyphem, in dessen Gefangenschaft sich Odysseus und seine Gefährten befanden (Abb. A.II.7.). Nachdem der Menschenfresser einige der Gefährten verspeist hat, wird er schließlich durch die List des Odysseus überwunden und geblendet. Seinen Ruf um Hilfe gegen den ,Niemand‘, wie sich Odysseus dem Polyphem vorgestellt hat, nehmen die anderen Riesen nicht ernst, sodass der Held entkommen kann. Hatte Hutten sich schon in den Lötze-Klagen mit Odysseus verglichen, so lässt seine satirische Selbstapostrophe als ,Niemand‘ auch hier das stolze Autorbewusstsein der Renaissance erkennen. Den autobiographisch-verspielten Selbstbezug stellte Hutten vor allem in seiner antipäpstlichen Romdichtung in den Dienst eines kämpferischen Nationalpatriotismus. Ein panegyrisches Huldigungsgedicht an den jungen Erzbischof von Mainz, die spätere Reizfigur der Reformation, entlohnte dieser mit 200 Dukaten und einer Studienreise nach Italien. Nach einer Begegnung mit Erasmus in Mainz reiste Hutten nach Rom. Doch anders als bei den Frühhumanisten weckte die peregrinatio in das Mutterland der Renaissance keine Begeisterung, sondern provozierte eine Absage an das Rom der Gegenwart in 15 lateinischen Epigrammen ( De statu Romano , 1516, veröffentlicht 1519; 024), die Hutten an seinen Freund Crotus Rubeanus richtete (Aurnhammer 2006). Die antirömische Tendenz verstärkte sich nach Huttens Rückkehr, wo er als Abgeordneter des Mainzer Erzbischofs 1518 am Reichstag <?page no="74"?> 000073 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 73 3. Ulrich von Hutten und der Reuchlin-Streit | A.II.7. Titelbild zu Ulrich von Huttens ‚Niemand‘. Holzschnitt von Hans Weiditz (1518). zu Augsburg teilnahm. In einer lukianischen Satire verspottet er den päpstlichen Abgeordneten Cajetan, indem er eine imaginäre Reise des Sonnengottes Apoll und seines Sohnes Phaeton schildert, auf der die deutsche Nationaltugend durch ,welsche‘ Tücken wie Luxus und Laster gefährdet wird. Dazu entwickelte Hutten eine neue satirische Form, den Reformationsdialog. Auch hier flicht Hutten die eigene Autorpersona ein, um biographische Stilisierung und humanistische Zeitkritik zur Deckung zu bringen: Nicht zufällig heißen die Dialoge, welche die Dekadenz des päpstlichen Hofes anprangern, Feber (1519/ 1520), also ,Fieber‘, denn Hutten schildert darin, dass er die Syphilis, an der er litt und an der er auch starb, zum Papst schickt. Doch die personifizierte Krankheit kehrt wieder zu ihrem Herrn zurück, da sogar sie Abscheu vor der Kurie empfindet. Trotz seiner zunehmend nationalistischen Kritik an der Kirche blieb Hutten zunächst im Dienst seines geistlichen 1520: vom Humanisten zum Reformator, von Latein zu Deutsch Herren und versuchte, die Dissonanz, unter der er in seiner Rolle als höfischer Humanist litt, in Abrede zu stellen. In einem Brief an den Nürnberger Patrizier Willibald Pirckheimer aus dem Jahre 1518 rechtfertigt sich Hutten, indem er die Gegenwart mit der sprichwörtlich gewordenen Sentenz rühmt: O saeculum! O litterae! Iuvat vivere! [,Oh Jahrhundert! Oh Wissenschaften! Es ist eine Lust zu leben! ‘], eine parodistische Entgegnung auf Ciceros Klage „O tempora! o mores! “. Erst um 1520 sagte er sich von dem Mainzer Erzbischof Albrecht von Brandenburg los und wechselte in das Lager der antipäpstlichen Reformation. In einem Gedicht legt Hutten Rechenschaft ab über seinen epochalen Wandel vom höfisch-lateinischen Humanisten zum deutschen antipäpstlichen Reformationsanhänger. Darin wechselt er mit seiner Parteinahme auch die Sprache, nämlich vom exklusiven Idiom des Lateinischen zur nationalen Volkssprache, dem Deutschen. Bereits in Rom hatte Hutten in den Annales des Tacitus gelesen und sich für den deutschen Helden Arminius (Hermann den Cherusker) begeistert. Dessen Sieg über den römischen Feldherrn Varus verklärte er um 1519 in einem lateinischen Dialog zur ,Befreiung‘ des Vaterlandes. Hutten veröffentlichte 1520 erstmals eine Dichtung nicht erst in lateinischer, sondern gleich in deutscher Sprache. Zudem übersetzte er seine früheren lateinischen Werke konse- <?page no="75"?> 000074 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 74 | A.II. Der reformerische Humanismus (1500-1520) A.II.8. Schlussseite von Ulrich von Huttens Gesprächbüchlin (1521). quent ins Deutsche, so etwa seine Dialogi (1521), die als Gesprächbüchlin (1521) die nationalpatriotische Tendenz bezeugen (Abb. A.II.8.). Erneut präsentiert Hutten sich darin als miles christianus , als Ritter der deutschen Reformation, der wie in einer Privatfehde gegen den ,welschen‘ Papst und dessen „Curtisane“ [,Höflinge‘] zum Kampf schreitet. Anders aber als in seiner früheren Dichtung überformt er nun antike Muster mit selbstbewusster Verve: Aus Cäsars Devise bei Überschreitung des Rubikon 49 v. Chr. Alea iacta est [,Der Würfel ist geworfen/ gefallen‘] wird die antiromanische Devise „Ich habs gewagt mit Sinnen“. Insbesondere die Beschlussrede, mit der Hutten sein Gesprächbüchlin versieht, macht aus der konfessionell-militärischen Allianz im Geiste der Reformation keinen Hehl ( 028). Synoptisch druckt Hutten hier je ein Rollengedicht von sich und von Luther, deren zwei Verspaare wie zwei Variationen eines einzigen Themas klingen, nämlich des lateinischen Mottos laeta libertas [,Fröhliche Freiheit‘]. Mit der Reformation beginnen auch Flugschrift und illustriertes Flugblatt ihren Aufstieg zu Leitmedien einer gespaltenen Öffentlichkeit. Hutten erkannte das Potential der neuen Flugpublizistik und bediente sich nach seinem Wandel vom Humanisten zum engagierten Vorkämpfer der Reformation ihrer Möglichkeiten. Das bekannteste Beispiel ist Ain new Lied herr Vlrichs von Hutten (1521, 027). Hutten fasst dieses siebenstrophige Lied bewusst in eine traditionelle Form, die Minnesangstrophe nämlich, die im Meistersang fortlebte. Die zehn Verse jeder Strophe wirken zweiteilig, einem vierversigen Aufgesang im Kreuzreim folgt ein sechsversiger Abgesang in zwei Schweifreimen. Der Aufbau passt zu der drängenden Dynamik der volkstümlich-nationalen Form, denn es handelt sich um ein Bekenntnis- und Entschlussgedicht, das in einem Appell zur Teilnahme gipfelt. Die epochale Bedeutung des Entschlusses unterstreicht das strukturierende Zeitadverb „nun“ in der zweiten, vierten und sechsten Strophe. Mit der durchgängigen Spielmetapher stellt Hutten sich als Herausforderer des Schicksals dar, der „es mit Sinnen“ gewagt habe, gegen die päpstliche Kirche zu ziehen. Die leitende Bildlichkeit setzt sich in der vierten bis sechsten Strophe fort und verbindet sich mit dem Schlussappell. Hutten versteht sich im Lied als Ritterdichter, der <?page no="76"?> 000075 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 75 3. Ulrich von Hutten und der Reuchlin-Streit | den Schritt vom Wort zur Tat vollzogen hat. Aus dem lateinisch dichtenden Hofhumanisten ist ein agitierender Kriegsdichter geworden. Quellen Allen, Percy S. (Hg.) (1906-1965): Erasmus von Rotterdam: Opvs epistolarvm. 49 Bde. Oxford. Brant, Sebastian (1986): Das Narrenschiff. Nach der Erstausgabe [ … ]. Hg. von Manfred Lemmer. 3. Aufl. Tübingen. Kühlmann, Wilhelm, Robert Seidel und Hermann Wiegand (Hg.) (1997): Humanistische Lyrik des 16. Jahrhunderts. Lateinisch und deutsch. Frankfurt a. M. Murner, Thomas (2014): Von dem grossen Lutherischen Narren (1522). Hg., übers. und kommentiert von Thomas Neukirchen. Heidelberg. Platter, Thomas (2006): Lebensbeschreibung. Hg. von Alfred Hartmann. 3. Aufl. Basel. Schnur, Harry C. (Hg.) (2015): Lateinische Gedichte deutscher Humanisten. Lateinisch/ deutsch. Ausgew., übers. und erl. von Dems. Mit einem Nachwort zur dritten Aufl. von Hermann Wiegand. Stuttgart. Welzig, Werner (Hg.) (1990-1995): Erasmus von Rotterdam: Ausgewählte Schriften. Lateinisch und deutsch. 8 Bde. Darmstadt. Forschung Aurnhammer, Achim (2006): Vom Humanisten zum „Trotzromanisten“. Huttens poetische Rom- Polemik. In: Das alte Rom und die neue Zeit. Varianten des Rom-Mythos zwischen Petrarca und dem Barock. Hg. von Martin Disselkamp, Peter Ihring und Friedrich Wolfzettel. Tübingen, 153-169. Baumann, Uwe, Arnold Becker und Marc Laureys (Hg.) (2015): Polemik im Dialog des Renaissance- Humanismus. Formen, Entwicklungen und Funktionen. Göttingen. Becker, Arnold (2008): Ulrichs von Hutten Querelae in Lossios: Humanistische Streitkultur zwischen Invektive und Elegie. In: Streitkultur. Okzidentale Traditionen des Streitens in Literatur, Geschichte und Kunst. Hg. von Uwe Baumann, Arnold Becker und Astrid Steiner-Weber. Göttingen, 111-130. Blume, Herbert (2009): Hermann Bote. Braunschweiger Stadtschreiber und Literat. Studien zu seinem Leben und Werk. Bielefeld. Bollenbeck, Georg (1985): Till Eulenspiegel, der dauerhafte Schwankheld. Zum Verhältnis von Produktions- und Rezeptionsgeschichte. Stuttgart. Eltink, Irma (2006): Erasmus-Rezeption zwischen Politikum und Herzensangelegenheit. „Dulce bellum“ und „Querela pacis“ in deutscher Sprache im 16. und 17. Jahrhundert. Amsterdam. Gaier, Ulrich (1967): Satire. Studien zu Neidhart, Wittenwiler, Brant und zur satirischen Schreibart. Tübingen. Henkel, Nikolaus (2012): Das Bild als Wissenssumme. Die Holzschnitte in Sebastian Brants Vergil- Ausgabe, Straßburg 1502. In: Schreiben und Lesen in der Stadt. Literaturbetrieb im spätmittelalterlichen Straßburg. Hg. von Stephen Mossman, Nigel F. Palmer und Felix Heinzer. Berlin, 379-411. Hirschi, Caspar (2005): Wettkampf der Nationen. Konstruktionen einer deutschen Ehrgemeinschaft an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit. Göttingen. Honegger, Peter (1973): Ulenspiegel: Ein Beitrag zur Druckgeschichte und zur Verfasserfrage. Neumünster. Huizinga, Johann (1988, zuerst 1928): Erasmus. Dt. von Werner Kaegi. Basel. Jardine, Lisa (1993): Erasmus, Man of Letters. The Construction of Charisma in Print. Princeton. Manger, Klaus (1983): Das Narrenschiff. Entstehung, Wirkung, Deutung. Darmstadt. Mertens, Dieter (2010): Struktur - Konzept - Temperament. Jakob Wimpfelings „Fehden“. In: Die Kunst des Streitens. Inszenierung, Formen und Funktionen öffentlichen Streits in historischer Perspektive. Hg. von Marc Laureys und Roswitha Simons. Göttingen, 317-330. <?page no="77"?> 000076 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 76 | A.III. Reformation und Konfessionspolemik (1520-1570) Mertens, Dieter (2012): Jakob Wimpfeling als zentrale Gestalt des oberrheinischen Humanismus. In: Jahrbuch für badische Kirchen- und Religionsgeschichte 6, 49-72. Petersen, Mariele (2015): Erasmus von Rotterdam. Sein Fortleben im Bild. Berlin. Rockenberger, Annika (2011): Produktion und Drucküberlieferung der editio princeps von Sebastian Brants Narrenschiff (Basel 1494). Eine medienhistorisch-druckanalytische Untersuchung. Frankfurt a. M. u. a. Schilling, Michael (2008): Die Flugblätter Sebastian Brants in der Geschichte der Bildpublizistik. In: Sebastian Brant (1457-1521). Hg. von Hans-Gert Roloff, Jean-Marie Valentin und Volkhard Wels. Berlin. Schmidt, Georg (2001): Die frühneuzeitliche Idee ,deutsche Nation‘. Mehrkonfessionalität und säkulare Werte. In: Nation und Religion in der deutschen Geschichte. Hg. von Heinz-Gerhard Haupt und Dieter Langewiesche. Frankfurt a. M., 33-67. Schulz-Grobert, Jürgen (1999): Das Straßburger Eulenspiegelbuch. Studien zu entstehungsgeschichtlichen Voraussetzungen der ältesten Drucküberlieferung. Tübingen. Seidel Menchi, Silvana (1993): Erasmus als Ketzer. Reformation und Inquisition im Italien des 16. Jahrhunderts. Leiden, New York und Köln. Wels, Volkhard (2010): Sebastian Brants Narrenschiff als Sammlung von Argumenten (loci communes) im Sinne von Rudolf Agricolas De formando studio. In: Sebastian Brant und die Kommunikationskultur um 1500. Hg. von Klaus Bergdolt u. a. Wiesbaden, 273-293. Wiegand, Hermann (2000): Sebastian Brant (1457-1521) - Ein streitbarer Publizist an der Schwelle der Neuzeit. In: Humanismus im deutschen Südwesten. Biographische Profile. Hg. von Paul Gerhard Schmidt. Stuttgart, 77-104. Zarncke, Friedrich (Hg.) (1854): Sebastian Brants Narrenschiff. Leipzig. A.III. Reformation und Konfessionspolemik (1520-1570) Immer deutlicher hatte sich in den Jahren vor 1517 abgezeichnet, dass die alte Kirche auf das gesteigerte Heilsbedürfnis der Bevölkerung keine angemessene Antwort fand (Moeller 1965, Fuchs 2005). Die spätmittelalterliche Agrardepression, eine Folge der ,Kleinen Eiszeit‘, hatte das zeitgenössische Frömmigkeitsbedürfnis verstärkt. Es drückte sich im ausgehenden 15. Jahrhundert einerseits in Satiren auf klerikale Verfehlungen und den äußerlichen Ritualismus der Kirche aus. Andererseits ermöglichte es aber auch jene Glaubensradikalisierung, die sich in der frühen Hexenverfolgung und den Judenpogromen der Hostienschänderprozesse niederschlug. Auf die religiöse ,Unterversorgung‘ in manchen Teilen des Reiches reagierte Luthers Reformation mit anti-institutioneller Verve, indem sie die ,verweltlichte‘ Kirche zu ihren Wurzeln zurückzuführen, zu vereinfachen und von äußeren Fehlentwicklungen zu reinigen suchte. Die Reformationskriege sowie die Konfessionalisierung der päpstlichen und der reformierten Kirchen drängten die Bedeutung des Glaubens keineswegs zurück, sondern weiteten sie aus: Mehr noch als in den beiden Jahrhunderten zuvor totalisierte sich das konfessionalisierte Christentum im 16. Jahrhundert und beanspruchte bald Einfluss auf alle Lebensbereiche. Wo die Religionskultur zuvor vielfältig, aber auch unorganisiert gewesen war, sollten die Gläubigen durch die Reformation in eine straffere Kirchenordnung <?page no="78"?> 000077 Auerx/ Probe / 21.06.19 10: 06 77 A.III. Reformation und Konfessionspolemik (1520-1570) | integriert werden. Auch für die Entwicklung des Humanismus bedeutete das eine Wende: Nicht länger konnte man sich auf die Revitalisierung des antiken Bildungsgutes konzentrieren und Missstände im harmlosen Gewand lukianischer Schelmereien anprangern. Während eine ältere Generation, zu der Sebastian Brant, Willibald Pirckheimer und Erasmus von Rotterdam zählen, trotz anfänglicher Sympathien mit Luther der Alten Kirche treu blieben, kämpften jüngere Humanisten meist an der Seite der Reformatoren (Kaufmann 2016, 107-126, hier 114). Für die Literatur dieser dritten Phase der humanistischen Großepoche hatte die Totalisierung der Konfessionen mindestens fünf Konsequenzen: Erstens wurde sie didaktisch in den Dienst genommen. Die Einprägsamkeit von Vers und Reim hatte mehr noch als zuvor einer christlichen Tugenddidaxe zu dienen, der sich auch das unterhaltsame fiktionale Erzählen unterordnen musste. Zwar gilt das nicht ausnahmslos für alle literarischen Texte - die Panegyrik etwa oder der Schwank eröffneten gewisse Spielräume -, erkennbar aber ist ein Rückgang der literarischen Selbstreferenz, wie sie in der Renaissanceliteratur noch vorherrschte, erkennbar auch die stärker religiös-weltanschauliche Zweckausrichtung. Damit einher ging zweitens die Ausbildung einer „reformatorischen Öffentlichkeit“ (Wohlfeil 1984), die der Literatur einen neuen Absatzmarkt eröffnete. Durch die polemischen Stellungnahmen blühte der neue Buchdruck und bot der Literatur vielfältige Einsatzmöglichkeiten, für die eine oder die andere Seite Partei zu ergreifen, sei es in der Kurzprosa, in der Spruchdichtung oder auf der Schulbühne. Im Zeichen einer neuen Medienlandschaft öffnete sich die Literatur drittens für ihre Nachbarkünste: Aufwändige Holzschnitte, später auch Kupferstiche, schmückten ,Volksbücher‘ und illustrierte Einblattdrucke; Lieder wurden neu betextet und als Flugschriften veröffentlicht. Das 16. Jahrhundert ist die Hochzeit der grotesken Mischwesen und Monstren, wie sie in zahllosen Abbildungen überliefert sind, und eine verspielte Hybridisierung von Prosa und Vers, Ton und Schrift, Bild und Text kennzeichnet auch die meisten Druckerzeugnisse der Zeit. Wohl mehr noch als ihre Gegner zeigte sich die lutherische Seite in den publizistischen Kämpfen versiert, auch weil sie - viertens - in der deutschen Volkssprache veröffentlichte. Das Deutsche war durch Luthers Bibelübersetzung nicht nur nobilitiert, sondern auch stilistisch erneuert worden, sodass es im 16. Jahrhundert wieder zur Literatursprache erhoben werden konnte. Das Lateinische bestand daneben zwar weiterhin fort, eignete sich zur Konfessionspolemik aber schon deshalb weniger, weil es die neue Zielgruppe des ,gemeinen Mannes‘ schlechter erreichte. Es beschränkte sich zunehmend funktional auf die gelehrte Kommunikation, vor allem an Gymnasien und Universitäten. Fünftens: Wie sich etwa bei Ulrich von Hutten zeigt, vollzog der Wechsel ins Deutsche eine humanistische ,Nationalisierung‘ der Literatur, die sich im Zuge der konfessionellen Frontenbildung merklich verstärkte. Die kulturelle Konkurrenz europäischer nationes radikalisierte sich so weit, dass die italienischen Gelehrten oft zur negativen Kontrastfolie des deutschen Charaktertypus abgewertet wurden. Zum Idealbild erhoben wurde stattdessen der ,Karsthans‘, der einfältige, aber rechtgläubige Bauer, während man die Italiener im Lichte einer ständisch grundierten Nationaldichotomie zu Höflingen und Verstellungskünstlern degradierte. War der Humanismus ein Elitenphänomen, verstand sich die Reformation als breite soziale Gemeindebewegung. <?page no="79"?> 000078 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 78 | A.III. Reformation und Konfessionspolemik (1520-1570) Getragen wurde die Reformation von einer jüngeren Generation, die wie Martin Luther im letzten Fünftel des 15. Jahrhunderts geboren wurde. Auch wenn es sich dabei um eine recht heterogene Gruppe handelte, teilte sie ein ganzes Bündel von Auffassungen, die sie publizistisch vehement vertrat: Sie war antipapistisch, mied das Humanistenlatein zugunsten der Volkssprache und sie zeigte Sympathien für sozio-politische Reformen. Vieles spricht dafür, diese ,dritte Phase‘ des Humanismus um 1520 beginnen zu lassen: Mit dem Tod Kaiser Maximilians I. im Jahre 1519 verlor die humanistische Gelehrtenrepublik eine mächtige Integrationsfigur. 1520 entstanden die wichtigsten Schriften Luthers, kurz darauf wurde er auf dem Reichstag zu Worms geächtet. Spätestens damit eskalierte der Streit, der vorher noch als theologisch-gelehrte Debatte gelten konnte. Zudem erschien im gleichen Jahr mit Philipp Melanchthons Loci communes rerum theologicarum die erste evangelische Dogmatik, die der Autor selbst später verdeutschte - ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum Augsburger Bekenntnis von 1530, in dem die lutherischen Reichsstände ihre neuen Glaubensgrundsätze verbindlich festlegten. 1. Der Medienstar: Martin Luther und die Anfänge der deutschen Reformationsliteratur Bereits vor der Reformation hatte sich eine scharfe Kirchen- und Kleruskritik formiert. John Wyclif etwa hatte vor 1400 die Transsubstantiationslehre und den Zölibat verworfen, Jan Hus auf dem Konstanzer Konzil den Ablasshandel und die Bilderverehrung abgelehnt. Aber kein Reformer erschütterte die katholische Kirche wie Martin Luther (1483-1546), zum einen, weil seine theologische Fundamentalkritik in eine ideengeschichtliche Umbruchsituation fiel, die der Humanismus wesentlich mitgeschaffen hatte, zum anderen, weil Luther sich mithilfe neuer Medien weit über die Grenzen der Universität, der Stadt oder des Fürstentums hinaus Gehör verschaffte. Luthers Wirken und seine Bedeutung für den Humanismus seien daher im Folgenden vor allem unter medien- und literarhistorischen Aspekten vorgestellt. Martin Luther profitierte vom sozialen Aufstieg seines Vaters vom Bauern zum Bergmann und Hüttenpächter. Geboren im thüringischen Eisleben, erhielt er eine gute altsprachliche Ausbildung in der Elementarschule in Mansfeld, im Gymnasium in Magdeburg und an der Domschule in Eisenach. So vorbereitet, studierte er von 1501 bis 1505 an der Artistenfakultät der Universität Erfurt, der Hochburg des Humanismus in Deutschland. Das anschließende Studium der Rechte brach Luther wegen eines existentiellen Erlebnisses ab - berühmt ist die Anekdote, wie er nach einem Besuch bei seinen Eltern in Mansfeld auf offenem Feld von einem Unwetter überrascht wird und in Todesangst gelobt, Mönch zu werden, wenn Gott ihm beistehen würde. Mit 22 Jahren trat er in das Kloster der Augustinereremiten in Erfurt ein, wo er intensiv die Bibel sowie theologische Schriften studierte und nach zwei Jahren zum Priester geweiht wurde. Nach einer Rom-Reise (1510/ 1511) studierte er in Wittenberg, wo er zum Doktor der Theologie promoviert wurde und Vorlesungen an der Universität hielt. Bereits ein Jahr vor dem berühmten ,Thesenanschlag‘ zu Wittenberg kritisierte Luther den Ablasshandel, insbesondere die Praxis des Mainzer Erzbischofs Albrecht Kardinal von Brandenburg, der reisende Prediger wie den berüchtigten Dominikaner Johann Tetzel dazu angehalten hatte, Geld zu sammeln, um seine Schulden bei den Fuggern zu begleichen. Wahr- <?page no="80"?> 000079 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 79 1. Martin Luther und die Anfänge der deutschen Reformationsliteratur | scheinlich wurden Luthers lateinische 95 Thesen, die sich unter anderem gegen Tetzels Ablasspredigten wandten, tatsächlich an das Portal der Schlosskirche zu Wittenberg genagelt, wie es damals die Praxis bei akademischen Disputationen war (Schilling 2012, 164f.). Mit dem Thesenanschlag und seinen folgenden Verteidigungen leitete Luther eine erste Phase der Reformation ein, in der er mit verschiedenen Gegnern über die theologischen Grundlagen des Ablasshandels debattierte. In den frühen Jahren beabsichtigte Luther noch keinen Bruch mit der Kurie, auch wenn der Ton seiner Schriften sich weiter verschärfte. Durch die Publikation lateinischer und seit 1518 auch deutschsprachiger Traktate vergrößerte sich sein Anhängerkreis, zumal junge Humanisten wie der Straßburger Martin Bucer von Luthers Auftritten bei den Disputationen in Heidelberg und Leipzig beeindruckt waren (Kaufmann 2016, 182-300, hier 217). Die Jahre 1520 und 1521 markieren die endgültige Wende: Mit ungeheurem Fleiß und Eifer veröffentlichte Luther 27 Werke, darunter seine drei bedeutenden antirömischen Schriften An den christlichen Adel deutscher Nation von des Christlichen standes besserung , Von der Freyheith eines Christenmenschen und De captivitate Babylonica ecclesiae (alle 1520), die mit der scholastischen Theologie erkennbar brechen. Eine Widerrufsfrist ließ Luther verstreichen, und nachdem der Papst eine Bannbulle gegen ihn erlassen hatte, verhängte Kaiser Karl V. nach dem Reichstag zu Worms die Reichsacht. Luther wurde auf Geheiß des sächsischen Kurfürsten Friedrich III. in Schutzhaft auf die Wartburg gebracht, wo er inkognito als ,Junker Jörg‘ die Bibel ins Deutsche übertrug. Nach seiner Rückkehr setzte sich Luther weiter für die Reformation ein, gab seinen Mönchsstand auf und heiratete die vormalige Nonne Katharina von Bora. Fast bis zu seinem Tod 1546 in Eisleben hielt er Vorlesungen und predigte in Wittenberg. 1.1. Luthers Medientheologie: Reformation als Kommunikationsereignis Auch wenn Luther nach der Kanonisierung seiner Lehre weniger aktiv in das Geschehen eingriff als in den Jahren zwischen den Wittenberger Thesen und dem Wormser Edikt, blieb er doch weiterhin die wichtigste Bezugsperson der Reformatoren. Sein Aufstieg zum Medienstar beruht auf dem Ausbau einer reformatorischen Öffentlichkeit, deren Meinung die protestantische Partei leichter beeinflussen konnte, wenn sie Projektionsfiguren wie Luther wirksam in Szene setzte. Daher sind die reformatorische Glaubenskrise und der Letterndruck als technologische Revolution eng aufeinander zu beziehen - die Reformation kann als „erster Anwendungsfall der Medienrevolution der Neuzeit“ gelten (Burkhardt 2002, 15). Nachdem sich die neue Drucktechnik ab 1470 rasch in Oberitalien und den Niederlanden, dann in Frankreich und England ausgebreitet hatte, schien der Markt zunächst gesättigt, Reformation und Medienrevolution: Popularisierung der neuen Lehre durch den Buchdruck beschränkte er sich doch weitgehend auf den religiösen Bedarf, auf Mess- und Gebetsbücher, Heiligenviten oder Ablassbriefe. Schließlich konnte allenfalls ein Viertel der Stadtbevölkerung lesen, im gesamten Reich vielleicht zehn Prozent. In Süddeutschland stagnierte die Buchproduktion um 1500 daher, in Augsburg fiel sie sogar auf unter fünfzig Drucke im Jahr zurück. Als zunächst reichs-, dann europaweites Kommunikationsereignis machte die Reformation die teure Einrichtung neuer Druckereien überhaupt erst wieder lukrativ. In Augsburg <?page no="81"?> 000080 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 80 | A.III. Reformation und Konfessionspolemik (1520-1570) A.III.1. Bildnis des Martin Luther. Holzschnitt von Hans Baldung Grien (1521). etwa versechsfachte sich die Produktion zwischen 1517 und 1525 auf über dreihundert Drucke im Jahr (Burkhardt 2002, 25f.). Allein im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts erschienen rund zehntausend Flugschriftenausgaben mit schätzungsweise elf Millionen Exemplaren (Hamm 1996). In die Kategorie ,Flugschrift‘ fällt eine Vielzahl von Kleingattungen, darunter Sendbriefe, Traktate und Dialoge; medientypologisch gemeinsam ist diesen Druckerzeugnissen ein schmaler Umfang, handliches Format und eine persuasive Wirkabsicht. Die Flugschriften begünstigten den Wiederaufschwung des Buchmarkts, da sie vergleichsweise günstig herzustellen und zu erwerben waren. Als ephemere Produkte prägten sie insofern den reformatorischen Diskurs, als sie rasch auf vorgängige Thesen reagierten und durch polemische Zuspitzung Antwortschriften provozierten. Die reformatorische Flugpublizistik sorgte so für eine Hochkonjunktur des Buchdrucks, der umgekehrt wiederum die Bekanntheit Luthers steigerte und die rasche Verbreitung der neuen Lehre im Reich ermöglichte. Die Hebelwirkung von Luthers Publikationen ist kaum zu überschätzen: Bereits 1519 genügten die Initialen M. L., um einem Buch Erfolg zu verschaffen, ja man druckte sie bald auf Schriften, die gar nicht von ihm stammten. Als der Reichstag zu Worms tagte, waren bereits eine halbe Million Exemplare seiner Werke im Umlauf, allein sein Appell An den Adel deutscher Nation startete mit einer Auflage von viertausend Stück (Burkhardt 2002, 29 und 44). Um 1517 erfand ,Martin Luder‘, wie die Schreibweise seines Namens bis dahin stets gelautet hatte, die Autorpersona ,Luther‘, die auf das griechische Wort eleutherios anspielt, ,der Befreite‘ (Schilling 2012, 144-179). Gelegentlich unterzeichnete Luther ab 1517 mit diesem Wort seine Briefe, nachdem er seinen Familiennamen erstmals auf dem Wittenberger Thesenblatt zu ,Luther‘ gräzisiert hatte - das Fanal für eine wirksame Selbststilisierung, die Text und Bild gleichermaßen zu ,bespielen‘ wusste und integrativ auf die Reformationsbewegung wirkte. Sein Freund Lucas Cranach schuf bald darauf den berühmten Kupferstich des frommen Augustinermönchs, dem zahlreiche Variationen folgen sollten. Ein Holzschnitt von Hans Baldung Grien (1521) rückt den „Diener Jesu Christi“ gar in die Nähe der Heiligenikonographie, indem er ihn im Strahlenkranz und mit der Taube des Heiligen Geistes über dem tonsurierten Haupt zeigt (Abb. A.III.1.). Mit der Verbreitung seines Konterfeis entfaltete sich spätestens im Entscheidungsjahr 1520, als Luthers Produktivität ihren Höhepunkt erreichte, ein regelrechter Personenkult. Seine Anhänger sollen sein Bildnis sogar wie Ikonen geküsst haben (Kaufmann 2016, 296). Zuträglich war der Reformationsvermarktung, dass Luther, anders als Calvin und Zwingli, die Bildpublizistik nicht grundsätzlich ablehnte, sondern sogar seine Bibelübertragung illustrieren ließ. Er erkannte die Prägnanz von Visualisierungen, die er nicht nur als didaktische Mittel für den Glaubensunterricht einsetzte, sondern auch zur <?page no="82"?> 000081 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 81 1. Martin Luther und die Anfänge der deutschen Reformationsliteratur | A.III.2. Papstkarikatur von Lucas Cranach zu Luthers Polemik (1523). Diffamierung des Gegners. Die vernichtenden Holzschnitte, die in den kommenden Jahren die römische Kirche und den Papst trafen, erschütterten das Bild des anbetungswürdigen Vertreters Gottes auf Erden. Sie karikierten ihn wahlweise als Witzfigur, als Antichrist oder, wie Lucas Cranachs Illustration einer polemischen Luther-Flugschrift (1523), als groteskes Monstrum aus Esel, Fisch, Elefant und Vogel (Abb. A.III.2.). Nicht nur erkannte Luther früh die neuen Persuasionsmöglichkeiten des gedruckten Buchs, sondern er nobilitierte das neue Medium in seiner sola scriptura- Theologie gewissermaßen programmatisch. Der lutherische Protestantismus ist eine Religion der Schriftlichkeit, setzt sie doch die Herrschaft des Buches und der Lektüre an die Stelle des ,Menschmediums‘ Priester in der Liturgie (Burkhardt 2002, 47f.). Gott spricht nicht durch Personen oder Institutionen zu den Menschen, so Luthers Kernthese, sondern allein durch die Heilige Schrift, die zugänglich zu machen folglich ein zentrales Anliegen des Theologen sein muss. In dieser Buchgläubigkeit zeigt sich Luther zwar als Humanist, öffnet das Lesepublikum aber weit über die Lateinelite des 15. Jahrhunderts hinaus. Dabei half die neue Drucktechnik, die Bücher beliebig vervielfältigen konnte und erschwinglicher machte. Zu diesem Zweck unternahm Luther auch jenes Projekt, das sich für die deutsche Literatur als höchst folgenreich erweisen sollte: seine Bibelübertragung. 1.2. Sola scriptura : Luthers Bibelübersetzung für den ,gemeinen Mann‘ Martin Luthers Bibelübersetzung förderte die Entwicklung des Deutschen zur Dichtungssprache in entscheidender Weise. Luther sah darin keine theopoetische oder philologische Erlösung durch Glauben, göttliche Gnade, das Opfer Christi und die Heilige Schrift Leistung, sondern die Grundlage seiner theologischen Lehre: Nur durch Glauben ( fide ), göttliche Gnade ( gratia ), durch das Opfer Christi und die Heilige Schrift ( scriptura ) könne der Mensch erlöst werden, nicht jedoch durch gute Taten oder durch Hilfe der Kirche. Um jedem Gläubigen die Möglichkeit zu bieten, durch Bibellektüre sein Heil zu erlangen, musste die Heilige Schrift in deutscher Sprache vorliegen. <?page no="83"?> 000082 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 82 | A.III. Reformation und Konfessionspolemik (1520-1570) Schon vor Luther gab es mehrere Übersetzungen der Bibel ins Deutsche, vierzehn oberdeutsche und vier niederdeutsche. Die letzte Übertragung war 1522 in Halberstadt erschienen, also im gleichen Jahr wie Luthers deutsches Neues Testament . Die erste deutschsprachige Gesamtbibel hatte 1466 Johann Mentel gedruckt, ein Kompagnon Gutenbergs, und auf dieser sogenannten Mentel-Bibel beruhte das Gros der deutschen Bibeln. Sprachlich waren sie meist veraltet, zumal sie als Interlinearversionen Wort für Wort übersetzten und damit allenfalls die Lektüre der Vulgata , der lateinischen Referenzausgabe der Bibel, erleichterten, aber als Text keine Selbständigkeit behaupten konnten. Ohnehin entsprach dies der Doktrin der alten Kirche, die gegenüber der Heiligen Schrift das Auslegungsprimat beanspruchte: Sie bedürfe der Vermittlung durch die Nachfolger Petri, die ungebildete Gemeinde drohe sie sonst misszuverstehen. Mit Luthers Bibelübersetzung verband sich folglich nicht nur ein medientheologisch begründeter Vorrang der Heiligen Schrift, sondern ihr lag implizit auch eine neue, sozialinklusive Hermeneutik zugrunde: Gottes Wort sei allgemein zugänglich, so die Prämisse, es Der ,gemeine Mann‘ als Adressat der deutschen Bibel bedürfe keiner subtilen Interpretation, im Grunde könne jeder die Bibel verstehen. Diese Idee bestimmte die Reformation. Schon 1521 hatte ein anonymes Gesprächbüchlein Neu-Karsthans einen Dialog zwischen dem Ritter Franz von Sickingen und dem Bauern Karsthans - ,Karst‘ bedeutet ,Feldhacke‘ - imaginiert und Letzterem die Klage in den Mund gelegt, er gehe „in grosse[m] hunger des götlichen wortes“ (Kaufmann 2016, 315-317). Durch die deutsche Bibel solle der Laie das ,göttliche Wort‘ unmittelbar erfahren können, der Ritter wie der Bauer. Beide sollten sich, so droht der Neu-Karsthans am Ende in 30 Artikeln, im Kampf gegen die ,Pfaffenherrschaft‘ zusammenschließen. Tatsächlich brach 1525 mit dem Bauernkrieg eine kurze, aber blutige ,Revolution des Gemeinen Mannes‘ aus. Mit dem diffusen Begriff des ,gemeinen Mannes‘, den dutzende Flugschriften der Zeit adressierten, waren Bürger, Bauern und andere nicht-leibeigene Untertanen gemeint. Unter Berufung auf Luthers Von der Freiheit eines Christenmenschen und auf seine Bibelübertragung marschierten sie in Süddeutschland und Thüringen auf (Blickle 1998). Luther distanzierte sich freilich scharf von den bald verebbten Aufständen, aber der Bauernkrieg bewies, welcher politische Sprengstoff der neuen Bibelverdeutschung innewohnte. Das Neue Testament wurde erstmals im September1522 mit der enorm hohen Auflage von 3000 bis 5000 Stück in Wittenberg herausgegeben. Luther legte den griechischen Urtext nach der Edition des Erasmus zugrunde, konsultierte daneben aber auch die Vulgata , die lateinische Chronologie von Luthers Bibelübersetzungen Bibelübersetzung. Als hervorragender Gräzist beriet ihn sein Freund Philipp Melanchthon (gräzisiert für ,Schwarzerd‘), und Lucas Cranach steuerte Holzschnitte bei, deren antipäpstliche Tendenz die Heilige Schrift konfessionell am deutlichsten vereinnahmt. Zum Beispiel zeigt eine Abbildung die ,babylonische Hure‘ mit der Tiara, der dreifachen Papstkrone (Abb. A.III.3.). Das Neue Testament verkaufte sich rasch, sodass bereits im Dezember 1522 eine verbesserte Auflage erscheinen konnte. Die Übertragung des Alten Testaments , an der Luther da bereits arbeitete, erwies sich aber als aufwändiger. Neben Melanchthon unterstützte ihn zusätzlich der Hebraist Matthäus Aurogallus (latinisiert für ,Goldhahn‘), da der hebräische Urtext zugrunde gelegt und die <?page no="84"?> 000083 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 83 1. Martin Luther und die Anfänge der deutschen Reformationsliteratur | A.III.3. Der Papst als ‚babylonische Hure‘ im Neuen Testament Luthers. Holzschnitt von Lucas Cranach (1522). Septuaginta , die griechische Übersetzung, daneben konsultiert wurde. Für den Hiob, schreibt Luther in seinem Sendbrief vom Dolmetschen (1530) stolz, hätten die drei „yn vier tagen zu weilen kaum drey zeilen“ fertig gebracht, so schwer sei die Arbeit gewesen: „Laufft einer ytzt mit den augen durch drey vier bletter vnd stost nicht ein mal an / wird aber nicht gewar welche wacken vnd klötze da gelegen sind / da er ytzt vber hin gehet / wie vber ein gehoffelt bret / da wir haben müssen schwitzen vnd vns engsten / ehe den wir solche wacken vnd klotze aus dem wege reümeten / auff das man kündte so fein daher gehen“ ( 031). In Teilausgaben wurde das Alte Testament sukzessive veröffentlicht, vollständig lag es aber erst 1532 vor. Zwölf Jahre nach dem ,September-Testament‘ erschien im Herbst 1534 bei Hans Lufft in Wittenberg die erste Gesamtbibel in Luthers Übersetzung (Abb. A.III.4.), der mehrere revidierte Fassungen bis zur Ausgabe letzter Hand von 1545 folgten. Allein zu Lebzeiten Luthers waren rund eine Million Exemplare der Bibel im Umlauf - das hatte keine der achtzehn vorigen Übersetzungen auch nur annähernd erreichen können. Der Grund dafür war nicht nur, dass die Lutherbibel von der Popularität ihres Autors profitierte und mit wechselnden Schrifttypen, Glossen und Cranachs Illustrationen ansprechend aufgemacht war. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor war Luthers sprachschöpferische Kongenialität. Noch heute verwenden wir Wörter wie ,friedfertig‘, ,Morgenland‘ oder ,Nächstenliebe‘, die <?page no="85"?> 000084 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 84 | A.III. Reformation und Konfessionspolemik (1520-1570) A.III.4. Titelblatt der Lutherbibel (1534). erstmals von ihm geprägt wurden (Schilling 2012, 532). Der Modernisierungsschub, den Luther dem Deutschen auf dem Weg zu einer Literatursprache gab, lässt sich kaum überschätzen. Luther hat seine Sprachästhetik in übersetzungstheoretischen Schriften erläutert, unter denen der Sendbrief vom Dolmetschen herausragt. Programmatisch fordert er dort, man müsse der Mutter im Haus und dem ,gemeinen Mann‘ auf dem Markt ,auf das Maul sehen, wie sie reden‘ ( 031). Die Forschung konnte jedoch zeigen, dass Luthers Sprache nicht genuin volkstümlich, sondern stark von der antiken Rhetorik geprägt ist (Stolt 2000). Seine Stillage entspricht dem sermo humilis : In Lexik und Syntax bleibt er schlicht, Bilder und Vergleiche entstammen der bäuerlich-bürgerlichen Erfahrungswelt. Luther formuliert in anschaulichem Verbstil, der farblose Abstrakta, nichtssagende Füllsel und umständliche Konstruktionen meidet, und stattdessen Unmittelbarkeit und Deutlichkeit anstrebt. Sein Deutsch ist von klanglicher Schönheit, es eignet sich zum Vorlesen. Anders als die humanistischen Textphilologen räumte Luther dem Geist den Vorrang vor dem Wort ein. Seinem Programm gemäß übersetzte Luther nicht buchstabengetreu, sondern sinngemäß. Luther verteidigt dieses Verfahren exemplarisch an einem Vers aus dem Matthäus-Evangelium (12, 34) mit der Eigenart des Deutschen ( 031). In der Lösung vom Buchstaben und im Primat der Deutlichkeit liegen die beiden wichtigsten Kriterien der Bibelübersetzung Luthers. Im Gegensatz zur humanistischen Übersetzungspraxis, die sogar lateinische Konstruktionen wie Gerundium und Akkusativ getreu nachbildete, reklamierte Luther eine Eigengesetzlichkeit der deutschen Muttersprache. Deutsche Mündlichkeit opponiere mit dem lateinischen Buchstaben, der das Verständnis eher behindere. Indem aber Luther als Idealsprecher den ,gemeinen Mann‘ nennt, assoziiert er die Sprachnorm deutscher Einfachheit mit dem sozialen Stand, für den seine Bibel verfasst war. So gründete er seine inkludierende Schriftlichkeitstheologie programmatisch auf die orale Alltagssprache, die er in der Praxis rhetorisch stark überformte, dem zeitgenössischen Kanzelstil annäherte und dann verschriftlichte, um sie zu verbreiten. Wie stark Luther daneben auch mündliche Verbreitungsformen nutzte, zeigt seine Neigung zum Kirchenlied. <?page no="86"?> 000085 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 85 1. Martin Luther und die Anfänge der deutschen Reformationsliteratur | 1.3. „Ein gute wehr vnd waffen“: Luthers Kirchenlieder Martin Luther hat, wie es der Literarhistoriker Hans-Gert Roloff ausdrückt, durch Literatur Geschichte geprägt (Roloff 2003, 202). Dennoch ist das Verhältnis Luthers zur Literatur keineswegs rein affirmativ, im Gegenteil: Poetische Textformen, wie sie die humanistischen moderni etabliert hatten, vermied Luther weitgehend. In seinem riesigen Œuvre, das in der Kritischen Weimarer Luther-Ausgabe sechzig Bände umfasst, findet sich kein Dialog, keine längere Erzählung, kein Lehrgedicht, selbst die beliebte Moralsatire fehlt. Das Drama, insbesondere die Schulkomödie, schätzte er zwar als didaktische Form, verfasst aber hat Luther keines. Allein als Lieddichter trat er hervor, denn im evangelischen Lied, das er mitbegründete, verband sich sein Gespür für sprachliche Prägnanz mit seiner Liebe zur Musik. Seine Kirchenreform bezog die Gemeinde in die Liturgie ein, und Luthers insgesamt sechsunddreißig geistlichen Lieder dienten diesem Zweck. Komplementär zum absoluten Vorrang der Heiligen Schrift erkannte Luther im Gesang ein wirkungsvolles Mittel, den neuen Glauben auch mündlich zu verbreiten. Zwar sang man im Gottesdienst auch vor der Reformation schon gelegentlich auf Deutsch, Luther aber verfasste Psalmlieder: Bibelzitate in aller Munde seine Liedtexte ganz gezielt, um die Bibelkenntnis der Gemeinde zu verbessern. In Luthers Liedern lassen sich daher fast fünfhundert direkte oder indirekte Bibelzitate finden. Wie bei seiner Übersetzung war er darauf bedacht, die Botschaft möglichst leicht verständlich zu gestalten, um alle Gemeindemitglieder zu erreichen. Pro captu vulgi [,Für die Fassungskraft des Volkes‘] seien seine Psalmlieder gedacht, schreibt Luther an seinen Freund Georg Spalatin, und daher müsse man ,möglichst einfache und volkstümliche Worte‘ gebrauchen (Kemper 1987, 180). Um seine Lieder einprägsam zu gestalten, griff Luther oft auf vorreformatorische Strophenformen zurück, vor allem auf sieben- und neunzeilige Strophen aus Stollen und Abgesang, das heißt, in der Form der mittelalterlichen Kanzone. Metrische Unregelmäßigkeit und unreine Reime, wie sie vor allem im weltlichen Lied üblich waren, nahm er dafür in Kauf. Nur für ganz wenige Lieder Luthers lassen sich keine Vorlagen nachweisen. Den gregorianischen Choral adaptierte er in dem bekannten „Mitten wyr ym leben sind mit dem tod vmbfangen“ ( 032), das auf das mittelalterliche Media vita in morte sumus zurückgeht. Um seine Glaubenslehre in aller Munde zu bringen, unterlegte Luther bisweilen sogar eine populäre weltliche Melodie mit neuem geistlichem Text, wie sein Weihnachtslied „Vom Himmel hoch da komm ich her“ (EG 24, um 1533) zeigt. Es handelt sich um die Kontrafaktur (die Unterlegung einer bekannten Melodie mit einem neuen Text) eines weit verbreiteten Spielmannslieds, in dem ein fahrender Sänger mit exotischen Neuigkeiten aufwartet: „Ich kumm aus frembden landen her und bring euch vil der neuen mär. Der neuen mär bring ich so vil, mer dann ich euch hie sagen wil“ (Jenny 1985, 110). Luther macht daraus in der ersten Strophe: „VOm Himel hoch, da kom ich her; ich bring euch gute neue mehr; der guten mehr bring ich so viel; davon ich singen und sagen wil“ ( 033). Wie der Bänkelsänger die ,Märe‘ aus fremden Ländern, verkündigt der Engel den Menschen die frohe Weihnachtsbotschaft. Den Flug des Engels vom Himmel zur Erde bildet die Melodie ab. Sie beginnt mit dem höchsten Ton („Vom Himmel hoch“) und steigt dann herunter wie der Engel zu den Menschen, bis er mit den Worten „davon ich singen und sagen wil“ schließlich auf dem tiefsten Ton ankommt. <?page no="87"?> 000086 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 86 | A.III. Reformation und Konfessionspolemik (1520-1570) Auch in den folgenden Strophen greift Luther auf volkstümliche Traditionen zurück, wie überhaupt die Melodie mit einer Reihe von gut belegten Tanzliedern übereinstimmt (Jenny 1985, 110). Luthers Lieder wurden derart kanonisch, dass man sie wiederum selbst in weltliche Texte ,kontrafazierte‘, vor allem im 19. Jahrhundert, als der Lutherkult einen neuen Höhepunkt erreichte. Besonders beliebt war das Festlied des Reformationstags, „Ein feste burg ist vnser Gott Ein gute wehr vnd waffen“ ( 034), das den 46. Psalm, Deus noster refugium et virtus [,Gott ist unser Zufluchtsort und unsere Stärke‘] ausdeutet. Darin wird die Auseinandersetzung zwischen alter und neuer Theologie, zwischen römischer Papstkirche und deutscher Reformation kosmisch zum Ringen zwischen Gott und Teufel überhöht: „Vnd wenn die welt vol Teuffel wer / vnd wolt vns gar verschlingen / So fürchten wir vns nicht so sehr / Es sol vns doch gelingen“, lautet die adhortatio , die Ermunterung der Gemeinde, sich dem katholischen Feind zu widersetzen. Dem Papst solle, hofft Luther 1545 in der Vorrede zum Leipziger Gesangbuch , durch die Gesänge „grosser abbruch vnd schaden“ geschehen (Kemper 1987, 178) - in gewisser Weise fungierten sie damit selbst als „gute wehr vnd waffen“ im Konfessionskonflikt. Im 19. und 20. Jahrhundert wurde das kämpferische Lied, das von dem unerschütterlichen Glauben daran zeugt, Gott auf seiner Seite zu haben, nationalistisch umgedeutet. Nun diente es der deutschen Selbstvergewisserung, siegreich gegen eine „welt vol Teuffel“ zu bestehen, was nun bedeutete: gegen Frankreich und England (Fischer 2014). Luthers Kirchenlieder sind nicht um ihrer selbst willen gedichtet worden, sondern eng auf den christlichen Festtagskalender bezogen. Zuerst wohl für den schulischen Chorgesang konzipiert, wurden sie zunehmend für den liturgischen Gebrauch eingesetzt. Nachdem einige Lieder zunächst als Einblattdrucke verbreitet wurden, gingen sie in das von Joseph Klug besorgte Wittenberger Gemeindegesangbuch (1529) ein, das als erstes evangelisches Gesangbuch gelten kann. Es vereint insgesamt knapp dreißig Lieder und liturgische Gesänge Luthers, die geordnet nach Anlass und Funktion mit anderen evangelischen Kirchenliedern zusammengestellt sind. Erst die von Luther autorisierte Neuausgabe (1543) vervollständigte die Sammlung seiner Lieder und verschaffte ihnen jene autoritative Geltung, die sie für einen Gutteil der geistlichen Lyrik in der Frühen Neuzeit behalten sollten. 1.4. „Nutz“ und „Kurtzweil“: Zum Funktionswandel der humanistischen Fabel in der lutherischen Reformationspädagogik Die schroffe Opposition, die Luther gegenüber den neutralen Humanisten bezog, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Reformatoren durchaus einige humanistische Positionen beibehielten. Viele Humanisten sahen Luther anfänglich als einen der ihren an - wie sie lehnte Teilintegration des Humanismus in den lutherischen Bildungsplan er die Scholastik ab, verspottete klerikale Missstände, verstand sich als antirömischer ,Nationalist‘ und beförderte die originalsprachliche Bibelphilologie. Luther selbst, der in Wittenberg, im Zentrum des deutschen Humanismus, studiert hatte, bezog sich zunächst auf bekannte Gelehrte wie Lorenzo Valla, dessen Entlarvung der ,Konstantinischen Schenkung‘ zu belegen schien, wie sehr das Papsttum auf „teuffelisch lugen“ gegründet sei (Kaufmann 2016, 117). Noch in seinem Plan einer Schulreform, den er als Sendschreiben An die Radherrn aller stedte deutsches <?page no="88"?> 000087 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 87 1. Martin Luther und die Anfänge der deutschen Reformationsliteratur | lands richtete, das sie Christliche schulen auffrichten vnd hallten sollen (1524), bekennt Luther sich im Grunde zum humanistischen Bildungsideal. Er nutzte seine Autorität, um für den Unterricht in den Klassischen Sprachen sowie der Poesie und Rhetorik zu plädieren. „Ja wie leyd ist mirs itzt, das ich nicht mehr Poeten und historien gelesen habe und mich auch die selben niemand gelernt hat“, gesteht er bescheiden, um gleich darauf mit typischer Verve auszuteilen: „Habe dafur müst lesen des teuffels dreck, die Philosophos und Sophisten, mit grosser kost, erbeyt und schaden, das ich gnug habe dran aus zufegen“ ( 029). Im Unterschied allerdings zur humanistischen Pädagogik verzichtet Luther auf das elitäre Standesbewusstsein und erweitert den Bildungsgedanken sozial, indem er ihn in seinen Religionsunterricht einbettet. Die Bücherflut verstelle den Blick auf das Wesentliche, es bedürfe eines neuen Kanons im Dienste der Religion. Sein Bildungsplan richtet sich aber nicht gegen die Klassische Antike. Die „Poeten und Oratores, nicht angesehen ob sie Heyden odder Christen weren, Kriechisch odder Lateinisch“ ( 029), stehen noch immer an zweiter Stelle seiner Lektüreempfehlung, direkt hinter der Bibel und deren Auslegungen, dienen sie doch der grammatischen Übung in den Heiligen Sprachen. Luthers Zorn gilt vielmehr den scholastischen und juristischen Schulautoren, die er „gantz ausstossen“ möchte. Aus seinem christlich-didaktischen Kunstverständnis erklärt sich Luthers Affront gegen die Humanisten, denen Luther vorwarf, literarische Bildung als Selbstzweck zu verstehen. Die anfänglichen Sympathien zwischen reformatorischen und humanistischen Kräften schwanden spätestens um 1525 nach der Kontroverse mit Erasmus: „ Ex Erasmo nihil habeo [,Von Erasmus habe ich nichts‘] - Ich hab all mein ding von Doctor Staupitz“ (seinem Beichtvater im Augustinerkloster), mit dieser lateinisch-deutschen Sentenz distanziert sich Luther inhaltlich wie sprachlich vom Humanismus. Die humanistischen Lieblingsgattungen verwendeten die Reformatoren indes weiterhin, allerdings nicht ohne sie neu zu funktionalisieren. Das gilt für den humanistischen Dialog, der spätestens seit den erfolgreichen Dialogflugschriften Karsthans und Neu-Karsthans (Erstdrucke beide Straßburg 1521) zu einem wichtigen Mittel der Konfessionspublizistik wurde, es gilt aber auch für die Fabel, die Luther sehr schätzte und die schon einige Zeit en vogue war. Im italienischen Humanismus lag mit Aldus Manutius’ Edition (1505) erstmals eine vollständige lateinische Äsop-Ausgabe vor, nachdem zuvor unter anderem Lorenzo Valla und Sebastian Brant versucht hatten, die äsopische Fabel durch Übersetzungen und Kommentare wiederzubeleben. An Martin Dorpius’ Projekt einer umfassenden Sammlung antiker und neulateinischer Gattungsbeispiele, das als Aesopus Dorpii 1513 abgeschlossen wurde, hatte unter anderem Erasmus mitgewirkt (Elschenbroich 1990, 35-42). Luther nutzte die Fabel zum einen für seine antipäpstliche Polemik. In seinen Tischreden (1566) etwa vergleicht er den Papst mit einem Kuckuck, welcher der Grasmücke falsche Eier ins Nest lege, bis diese schlüpfen und ihre Ziehmutter fressen. Laut Luther bedeute dies, dass der Papst der Kirche Kardinäle in den Schoß ,scheißt‘, die diese bald zerstören. Neben ihrem polemischen Einsatz erhielt die Fabel zum anderen einen wichtigen Platz im Schulunterricht, den Luther gemeinsam mit Melanchthon zu erneuern suchte. Melanchthon warb in seinem Traktat De utilitate fabularum ([,Von der Nützlichkeit der Fabeln‘], 1526) für ihre Verwendung, und in der von Luther ausgegebenen Visitationsordnung für das Kurfürstentum Sach- <?page no="89"?> 000088 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 88 | A.III. Reformation und Konfessionspolemik (1520-1570) sen (1528) wird Äsop ebenfalls zur Erziehung der Jugend empfohlen. Zwei Jahre später widmete sich Luther dem Esopus (1476) des Frühhumanisten Heinrich Steinhöwel, dessen veraltete deutsche Übersetzung er modernisieren, straffen und moralisch vereindeutigen wollte, um sie der geistlichen Lehre dienstbar zu machen. Die dreizehn Fabeln, die Luther fertigstellte, erschienen allerdings erst elf Jahre nach seinem Tod. Wie die Vorrede offenbart, versuchte er, Steinhöwels Fabelbuch von den „schendliche[n] vnnzuechtige[n] Bubenstueck“ zu reinigen, an denen sich die Humanisten ergötzt hätten, „denn sie nicht den Nutz vnd Kunst in den Fabeln gesucht / sondern allein ein Kurtzweil vnd Gelechter daraus gemacht [ … ]. Es sind Sew vnd bleiben Sew / fuer die man ja nicht solt Berlen werffen“ (Walz 1988, 144f.). Luther beschränkt die Fabel ganz auf ihren Nutzen, sie ist ihm attraktive Einkleidung ethischer Didaxe: Weil der verdorbene Mensch die Wahrheit meide, müsse man sie eben „schmuecken / vnd vnter einer lustigen Lvgenfarbe vnd lieblichen Fabeln kleiden“ (ebd.). Die Fiktion hat in der lutherischen Poetik keinen Eigenwert, sondern ist auf ihre ,Verzuckerungsfunktion‘ beschränkt, sie muss dem Leser über den Umweg des anschaulichen Gleichnisses ethische Grundregeln vermitteln. Die Fabel mit ihrer leicht zu entschlüsselnden Parabolik eignete sich dafür bestens. Wie Luthers Fabel vom Teilen der Beute demonstriert ( 035), warnt die reformatorische Fabeldichtung insbesondere vor Hochmut („FAre nicht hoch“) und sozialem Aufstiegswillen („Halt dich zu deines Gleichen“). Die ,niederen‘ Nutztiere Rind, Ziege und Schaf maßen sich an, gemeinsam mit dem Löwen, dem König des Tierreichs, zu jagen, bevor sie von diesem mit fadenscheinigen Argumenten und roher Gewaltandrohung um ihren Teil gebracht werden. Die Maxime „Es ist mit Herrn nicht gut Kirschen essen“ richtete sich weniger gegen den Adel - der Löwe der Fabel verhält sich zwar rücksichtslos, aber artgerecht - als vielmehr an den ,gemeinen Mann‘, der angewiesen wird, die Grenzen seines sozialen Standes anzuerkennen. Während Luthers Fabeln sozialdisziplinierend wirken sollten - sie lehren, wie man sich „in vnd gegen der Oberkeit vnd Vnterthanen“ schicke (Walz 1988, 145), so Luther in der Äsop- Vorrede -, zielen andere reformatorische Gattungsvertreter eher auf allgemeine menschliche Laster und Tugenden. Unklar ist, ob Erasmus Alberus bereits als von Luther beeinflusst gelten darf. In seinen Etlichen Fabeln Esopi, verdeutscht und in Reime gebracht (1534, 2. verm. Ausgabe 1550) metrisiert der überzeugte Lutheraner Alberus, der ebenfalls in Wittenberg studiert hatte, das äsopische Vorbild, setzt es in Paarreime und begründet damit die deutsche Versfabel. Alberus löst sich erkennbar von seinem Prätext, indem er die Tierdialoge stark erweitert, poetisch ausschmückt und mit längeren Erzählerkommentaren versieht. Unerbittlich rechnen hingegen manche Fabeln mit der Alten Kirche und mit Luthergegnern verschiedener Lager ab, sodass die Sammlung zwischen universeller Sittenlehre und konkreten konfessionellen Tagesstreitigkeiten changiert. Mit seinen Fabeln inspirierte Alberus weitere Gattungsbearbeitungen wie den Esopus. Ganz neugemacht und in Reime gefaßt (1548) des lutherischen Fastnacht- und Schwankdichters Burkhard Waldis. In vier Büchern bietet Waldis über vierhundert Versfabeln, von denen er viele selbst erfunden hat (Elschenbroich 1990, 74-89). <?page no="90"?> 000089 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 89 2. Trionfo: die Konfessionalisierung der humanistischen Bildsprache | A.III.5. Tizians ‚Triumph des Glaubens‘ [Ausschnitt] (1508). 2. Trionfo: Ein Fallbeispiel für die Konfessionalisierung der humanistischen Bildsprache Nicht nur in der Pädagogik, auch in der Bildpolemik lebte das Vokabular des Renaissance- Humanismus fort. Eindrücklich zeigt dies die Geschichte der antiken Triumphidee, die in der Renaissance unter anderem durch Petrarcas allegorischen Zyklus Trionfi (um 1350) wiederentdeckt wurde. Zunächst hatte die altgläubige Theologie das Motiv zur Verherrlichung der Kirche genutzt. In einem allegorischen Triumphwagen der Theologie illustriert ein grober Holzschnitt zu Jakob Lochers Carmina varia (1506), den Dürers Mitarbeiter Wolf Traut anfertigte, das harmonische Zusammenspiel von Altem und Neuem Testament. Die Repräsentanten der Kirche, der an der Tiara erkennbare Papst und seine Bischöfe, fungieren als Räder. Mit dieser Bildidee stimmt Tizians Holzschnittfolge Trionfo della fede (1508) überein, die Christus selbst als triumphierenden salvator mundi [,Retter der Welt‘] in der Mitte präsentiert, flankiert von Kirchenfürsten (Abb. A.III.5.). Ihm folgen Apostel, Märtyrer und Kirchenleute, voraus gehen das Kreuz und die Figuren des Alten Testaments in chronologischer Folge; Adam und Eva eröffnen den Zug. Solchermaßen theologisch konnotiert, wurde die Triumphidee bereits im vorreformatorischen Reuchlin-Streit (vgl. Kapitel A.II.3.) parteilich vereinnahmt. So verherrlichen Holzschnitte in dem wohl von Ulrich von Hutten verfassten Lobgedicht Triumphus Capnionis [,Der Triumph Reuchlins‘; ,kapnos‘, gr. ,Rauch‘ für ,Reuchlin‘] (1518, entstanden um 1514) den von der Kirche bekämpften Humanisten Johannes Reuchlin auf einem Triumphwagen, gefolgt von lorbeerbekränzten Humanisten und Doktoren (Abb. A.III.6.). Das Bild stellt Reuchlins Einzug in seine Heimatstadt Pforzheim dar. Doch der Humanist wird nicht nur auf den Thron gehoben, sondern seine theologischen Gegner, die obscuri viri [,Dunkelmänner‘] der Kölner Dominikaner, werden als Gefangene vorgeführt, Johannes Pfefferkorn liegt ge- <?page no="91"?> 000090 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 90 | A.III. Reformation und Konfessionspolemik (1520-1570) A.III.6. Reuchlin als Triumphator. Holzschnitt zu Ulrich von Huttens Triumphus Capnionis (1518). A.III.7. Trivmphvs Reuchlein . Pfefferkorns parodistische Antwort auf Reuchlins ‚Triumph‘ (1521). martert am Boden, ein Hund frisst seine Zunge. Auf einer Lade werden die besiegten Abgötter (Aberglaube, Barbarei, Unwissenheit und Neid) getragen. Dass der Kölner Dominikaner Pfefferkorn seinem Widersacher Reuchlin diesen Triumph nicht gönnte, belegen illustrierte Streitschriften, die er kurz darauf veröffentlichte und mit denen er den Triumphus Capnionis parodierte. Reuchlins Triumphwagen bricht, sodass der Humanist nun im Dreck liegt (Abb. III.7.). Mehr noch: Auf einem weiteren Holzschnitt vierteilt Pfefferkorn sogar seinen humanistischen Widersacher. <?page no="92"?> 000091 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 91 2. Trionfo: die Konfessionalisierung der humanistischen Bildsprache | A.III.8. Himmelswagen und Höllenwagen des Andreas Bodenstein von Karlstadt. Holzschnitt von Lucas Cranach (1519). An der humanistischen Aktualisierung der Triumphidee orientierten sich kurz darauf die reformatorischen Indienstnahmen. Von Lucas Cranach stammt eine bildliche Reaktion auf die Leipziger Disputation, die der Papist Johannes Eck mit Luther sowie mit dessen Parteigänger Andreas Bodenstein von Karlstadt 1519 in Leipzig austrug. Die unversöhnlichen Positionen werden im antithetischen Bildaufbau wiedergegeben: oben ist die reformatorische Gnadentheologie, unten die romanistische Lehre der Werkheiligkeit abgebildet (Abb. A.III.8.). Als trionfi sind beide dargestellt, doch unterscheiden sie sich im Kernproblem der Willensfreiheit: Während der obere Zug mit dem bußfertigen Mann unter dem Motto „Dein Wille geschehe“ zum Kreuz Christi fährt, rollt der Wagen mit dem feisten selbstzufriedenen Kleriker unter dem scholastischen Theorem „Eigner Will“ geradewegs in die Hölle. Die Schrift über der als Öldose vorgestellten Ablassbüchse trägt den zynischen Kommentar: „Wer smirt der fert“. Der Schnitt offenbart die Bildstrategien, mit denen Karlstadt, Cranach und andere Lutheraner versuchten, die komplizierten Streitfragen der Leipziger Disputation leichter fassbar zu machen, um für ihren Standpunkt zu werben (Kaufmann 2016, 236-240). Reformatorisch umgemünzt wird das Renaissancemotiv auch auf einem anonymen Holzschnitt mit dem Titel Trivmphvs Veritatis , der 1524 in einer Flugschrift des pseudonymen Hans Heinrich Freiermut gedruckt wurde (Abb. A.III.9.). Das lateinische Distichon als Unter- <?page no="93"?> 000092 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 92 | A.III. Reformation und Konfessionspolemik (1520-1570) A.III.9. Trivmphvs Veritatis: Die Vertreibung Papst Hadrians VI. aus dem Himmel durch Luther (1524). schrift stammt von Hermann von dem Busche, der dem Freundkreis um Reuchlin angehörte. Im Bildaufbau spielt der Holzschnitt deutlich auf Huttens Triumphus Capnionis an, verherrlicht allerdings statt Reuchlin Christus, flankiert von Luther und Karlstadt als Begleiter. Links wird die Heilige Schrift als Bundeslade nach Jerusalem überführt, nachdem sie, wie die Flugschrift begründet, vom ,römischen Türken‘ gestohlen worden war. Tatsächlich sind die Kirchenfürsten und Streittheologen - leicht zu erkennen ist etwa Luthers Antagonist Thomas Murner als ,kätzischer‘ Mönch (,Murr-Narr‘) - als Gefangene abgebildet, ihre Niederlage macht den Triumphzug möglich (Kühlmann 2010). Auf einem Einblattdruck des Nürnberger Künstlers Hans Sebald Beham wird das trionfo -Motiv noch drastischer gegen den Papst gewendet (1524, Abb. A.III.10.). Vorgestellt wird der Ritt der Papstkirche in die Hölle. Der mit der Tiara gekrönte Papst sitzt im vornehmen Mantel auf einem Zugpferd, angestachelt von Teufeln, die auch den Wagen besetzt haben. Im Wagen selbst, den ein Baumstamm mit päpstlichen Bullen ziert, befinden sich Repräsentanten und Würdenträger der katholischen Kirche, die durch Mitra und Galero-Hut als Bischöfe und Kardinäle zu bestimmen sind. Beham hat seinen verkehrten Triumph als eine ,kontinuierende‘ Darstellung gestaltet: Den höllischen Papst sieht man oben bereits als Gast des Teufels in der Loggia der italienischen Renaissance-Architektur. Die kleine Figur im Mönchsgewand im linken Bildhintergrund könnte den antireformatorischen Mönch Murner darstellen. Am Beispiel der Triumphallegorie offenbart sich, wie komplex Renaissance-Humanismus und Reformation ineinandergreifen. Die antikisierende Bildsprache des 15. Jahrhunderts lebte nach dem Kirchenbruch fort, wurde aber konfessionell neu funktionalisiert und diente künftig, wie der humanistische Dialog und die Fabel, der polemischen Abgrenzung, der Definition von Feind und Freund. Nach der Formulierung des evangelischen Glaubensbekenntnisses verhärteten sich die Fronten auf dem Augsburger Reichstag ( Confessio Augustana , 1530). Mit dem Wirken Huldrych Zwinglis und Heinrich Bullingers in Zürich sowie Johannes Calvins in Genf tritt der katholischen und der lutherischen nun die reformierte <?page no="94"?> 000093 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 93 2. Trionfo: die Konfessionalisierung der humanistischen Bildsprache | A.III.10. Des Papstes Höllenfahrt. Holzschnitt von Hans Sebald Beham (1524). Glaubensrichtung an die Seite. Damit beginnt in den 1530er Jahren die eigentliche ,Konfessionalisierung‘ im Reich, das heißt die Kodifizierung dogmatischer Grundsätze - im Katholizismus geschah dies vor allem auf dem Konzil von Trient (1545-1563) -, die Durchsetzung religiöser Normen im Alltag sowie eine umfassende Sozialdisziplinierung, die sich auch auf literarische Vorlieben und den Sprachgebrauch auswirkte (Reinhard 1983). Im Schmalkaldischen Krieg eskalierte der Konflikt zwischen Kaiser Karl V., der eine Rekatholisierung des Reichs anstrebte, und den protestantischen Fürsten, die sich zu einem Bund zusammengeschlossen hatten. Erst der Augsburger Religionsfrieden von 1555 fand mit der Formel Cuius regio, eius religio [,wer dem Territorium vorsteht, der bestimmt den Glauben‘] eine mittelfristige Lösung, die bis zum Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges bestehen sollte. Die Spaltung aber war unumkehrbar: Spätestens ab dem zweiten Viertel des 16. Jahrhunderts war der Humanismus in die Glaubenskämpfe eingespannt - auch wenn man immer wieder nach Gemeinsamkeiten suchte -, und sein literarisches und druckgraphisches Forminventar wurde konfessionspolitisch vereinnahmt. <?page no="95"?> 000094 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 94 | A.III. Reformation und Konfessionspolemik (1520-1570) 3. Der Meistersinger von Nürnberg: Hans Sachs und das reformatorische Schauspiel nach 1520 Bis auf wenige Ausnahmen - wie Murners gewitzter Reimpaardialog Von dem großen Lutherischen Narren (1522) - fand die katholische Literatur nur schwer Anschluss an den neuen Zeitgeist, weshalb ihr Beitrag zum 16. Jahrhundert heute weitgehend vergessen ist. Dagegen Heroisierung Luthers, Erklärung seiner Lehre, Appell zur Nachfolge in der Wittenbergisch Nachtigall blieb die reformatorische Literatur zumindest in den 1520er Jahren recht eng in den Bahnen, die Luther vorgezeichnet hatte: Sie wertete das Deutsche auf und verwendete es zur Adaptation humanistischer Stoffe, nahm aber in ihr glaubensdidaktisches Repertoire auch volkstümliche Traditionen auf. Das Wechselspiel aus Formdiversität und konfessioneller Normierung zeigt sich am deutlichsten im Werk des Nürnberger Spruchdichters und Meistersingers Hans Sachs (1494-1576). Der Sohn eines Schneidermeisters besuchte die Lateinschule in Nürnberg, bevor er das Schuhmacherhandwerk erlernte. Er unternahm eine mehrjährige Gesellenreise und verbrachte einige Zeit am Hofe Kaiser Maximilians I. Nach seiner Rückkehr in die Heimatstadt reüssierte er im Meistersang, einer zünftig reglementierten Liedform, die insbesondere vom spätmittelalterlichen Stadtbürgertum kultiviert wurde. Die Reformation, die um 1520 in Nürnberg Einzug hielt, empfand Sachs als Schlüsselerlebnis. Drei Jahre lang dichtete er gar nicht, dann trat er mit vier Reformationsdialogen sowie der „Wittenbergisch Nachtigall / Die man yetzt höret vberall“ an die Öffentlichkeit. Das Gedicht, erst noch als Meisterlied, dann als selbständige Spruchdichtung konzipiert, machte ihn schlagartig bekannt. Der Titel wurde bald zum geflügelten Wort, die Eingangsverse nahm Richard Wagner in seine Oper Die Meistersinger von Nürnberg (1868) auf, in der Hans Sachs die Hauptfigur ist. Die „Wittenbergisch Nachtigall“ steht für Luther. Sachs trägt damit zur frühen literarischen Heroisierung des Reformators bei, wie sie Lazarus Spenglers Schützred [ … ] warumb Doctor Martini Luthers leer nitt samm unchristenlich verworffen [ … ] werden soll (1518) und Eobanus Hessus’ Elegien auf Luther (1521) begründet hatten. Zum hundertjährigen Reformationsjubiläum sollte die Verehrung mit Martin Rinckarts Der Eißlebische Christliche Ritter (1613) den orthodoxen Höhepunkt erreichen, bevor die Aufklärung begann, Luther zum „Held der Freiheit“, so Lessing, zu mystifizieren (Luserke-Jaqui 2016, Mecklenburg 2016). Hans Sachs’ siebenhundert Verse umfassendes Spruchgedicht verherrlicht Luther im Bild des Singvogels, der die Morgenröte ankündigt. Wie der Titelholzschnitt zeigt (Abb. A.III.11.), wird der Vogel von einer Herde wilder Tiere unter Führung des Löwen angefeindet. Es handelt sich um „Waldesel, schwein, böck, katz und schnecken“, „Die wider die Nachtigall blecken“: „Aber jr heülen ist als fell, Die nachtigall singt in zu hel Und thut sie all niderlegen“ ( 036). Sachs beleiht hier die Fabeltradition - wie er selbst im anti-romanischen Mittelteil entschlüsselt, bezeichnet sein Tierensemble prominente Luther-Gegner von Papst Leo X. über Johannes Eck, Hieronymus Emser, Thomas Murner, Augustin von Alefeld bis zu Johannes Cochleus. Das ,Rätsel‘, wer mit der Nachtigall gemeint ist, löst Sachs zahlensymbolisch im hundertsten Vers, der zudem als Waise, als ungereimter Vers hervorsticht: „Ist Doctor Martinus Luther“, denn dieser habe den Menschen aus dem Mondschein geführt. Im letzten Teil bietet Hans Sachs eine kurze Zusammenfassung der lutherischen Lehre, damit „man versteh, was er thu lehren“. In einfacher Sprache werden die Gnadentheologie, die Besinnung auf die Heilige <?page no="96"?> 000095 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 95 3. Hans Sachs und das reformatorische Schauspiel nach 1520 | A.III.11. Titelholzschnitt zu Hans Sachs: Die Wittenbergisch Nachtigall (1523). Schrift sowie die Bedeutung der Barmherzigkeit und der Nächstenliebe erläutert. Sachs beschließt den folgenden kurzen Abriss des jüngsten Reformationsgeschehens mit dem Appell an die Leser, sich von der Papstkirche loszusagen und dem Gesang der ,Nachtigall‘ zu folgen. Auch wenn er nach den Bauernaufständen von der reformatorischen Polemik Abstand nahm, versuchte Sachs zeit seines Lebens, Kunst und Theologie zu versöhnen. Dieses Anliegen beherrscht noch sein allegorisches Trauergedicht, Ein epitaphium oder klag-red ob der leych D. Martini Luthers (1546, 037). Die lyrische ,Grabschrift‘ gliedert sich in drei Teile: Dem Eingang, in dem das Sprecher- Ich in einen schwermütigen Schlaf fällt (V. 1-8), folgt die Vision einer Kapelle mit Totenschild, das die Luther-Rose ziert. Den Mittelteil beherrscht die Personifikation der klagenden Theologia (V. 28-73), die den toten Luther adressiert. „Wer wirt nun mein verfechter sein“, verzweifelt die Trauernde, worauf das lyrische Ich mit Trostworten antwortet ( consolatio ), Gottes schützende Hand werde das Werk des verstorbenen Reformators erhalten. Erneut wird Luther als „Uberwinder und siger“ (V. 91) im Kampf gegen den Antichrist gefeiert, als eine Art Hercules germanicus , wie ihn die Flugpublizistik und Druckgraphik schon zu Lebzeiten bezeichnet hatte (Kaufmann 2012, 266-329). Das heroisierende Epitaph bezeugt nicht nur die literarische Produktivität von Luthers multimedialer Stilisierung, sondern auch das wachsende Selbstbewusstsein des Autors Sachs, denn zu seiner Antwort an die trauernde Theologia scheint ihn Luthers Geist inspiriert zu Autor- und Werkbewusstsein: Signatur und Inventarisierung der Werke haben. Stolz unterzeichnet Sachs sein Trauergedicht mit seinem Namen („das wünscht Hans Sachs“), wie er auch seine Fastnachtsspiele beendet. Das führt meist zu einer eigenartigen Interferenz von Figuren- und Autorrede. In seinem Stück Das Kelberbruten (1551) zum Beispiel ist es die gewitzte Bäuerin, die, nachdem ihr törichter Mann ein Kalb ertrinken ließ und vergeblich versuchte, es in einem Käsebottich neu auszubrüten, versöhnlich dazu aufruft, alles Ungemach beim Wein zu vergessen. „Glück bringt als wider / spricht H. Sachs“ (Thomke [Hg.] 1996, 481), lautet der letzte Vers, den paradoxerweise die Bäuerin spricht. Dass ein Autor sein Fastnachtsspiel ,signierte‘, war zwar kein Einzelfall; auch der Nürnberger Meistersinger Hans Folz beispielsweise schloss seine Pauren heyrat und sein Pauren spill , beide aus dem späten <?page no="97"?> 000096 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 96 | A.III. Reformation und Konfessionspolemik (1520-1570) 15. Jahrhundert, auf diese Weise (ebd., 41 und 53). Aber bei Sachs reicht das Werkbewusstsein weiter. Bereits 1558 hatte Sachs sich in der von ihm besorgten Nürnberger Folioausgabe seiner Sehr herrliche[n] Schöne[n] vnd warhaffte[n] Gedicht um eine Systematisierung seiner Dichtungen bemüht, die stofflich zwischen biblischen, historischen und moralisch-allegorischen Themen unterschied. In einer Summa all meiner gedicht vom MDXIII jar an biß ins 1567 jar inventarisiert Sachs sein umfassendes Schaffen erneut. Mit biographischen Details rekapituliert er seinen Weg zum Meistersang, „der löbling kunst“ (Sachs 2003, 21), die er während seiner Wanderschaft in verschiedenen Städten erlernt habe. Während seines langen Lebens dichtete Sachs geschätzt viertausend Meistergesänge, die üblicherweise drei Strophen umfassen, von denen die ersten beiden, ,Stollen‘ genannt, metrisch übereinstimmen, während die dritte als ,Abgesang‘ anders gebaut ist. Daneben schrieb er rund zweitausend Spruchgedichte, also nicht-strophische Lehrdichtung in Knittelversen (Paarreime aus meist acht oder neun Silben), etwa sechzig Tragödien und weitere sechzig Komödien sowie über achtzig Fastnachtsspiele, von denen ein Großteil in einem späten Lebensjahrzehnt nach 1550 entstanden ist. In der Summa all meiner gedicht betont Sachs, er sei ein „ungelehrte[r] Mann, Der weder latein noch griechisch kan“ (Sachs 2003, 28). Nur mit Fleiß und Gottes Hilfe habe er erreicht, dass seine Dichtung „nun weit erkandt In teutschem land, bey jung und alten“ (ebd., 23), Satiren, Narrendichtung und klassische Stoffe nach humanistischem Vorbild und dass sie „dem guthertzig gemeinen Mann“ (ebd., 27) helfe, sich christlich-moralisch zu bessern. Tatsächlich war Sachs kein Gelehrter, sondern fühlte sich der Volkstradition verpflichtet. Auch wenn er im reformatorischen Geist für den ,gemeinen Mann‘ schrieb, schätzte er die humanistische Literatur (Füssel [Hg.] 1995). So übersetzte er humanistische Satiren wie Reuchlins Scaenica progymnasmata (genannt Henno , 1497) und Georgius Macropedius’ Hecastus (1539) aus dem Lateinischen, schrieb eine Griseldis -Komödie in der Boccaccio-Nachfolge, adaptierte aber auch klassische Stoffe wie den Lucretia-Mythos oder die Zerstörung Trojas. In seiner Narrendichtung eiferte Sachs dem Humanisten Sebastian Brant nach, wie sein Fastnachtsspiel Das narren-schneyden (Erstaufführung 1536, Erstdruck 1558) zeigt, das noch Goethe in Weimar aufführen ließ. Darin bringt Sachs einen eigenartigen chirurgischen Eingriff auf die Bühne. Ein aufgeblähter Kranker sucht einen Quacksalber auf, der sich offenbar auf die Operation von Narrheiten spezialisiert hat. Nach und nach ,schneidet‘ ihm dieser die Todsünden Hochmut, Geiz, Neid, Unkeuschheit, Völlerei und Zorn aus dem Bauch. Einer Episode aus Brants Narrenschiff spürt auch Sachs’ Spruchgedicht Das Schlaweraffen-land (1530, Erstdruck 1558) nach, die berühmte Beschreibung eines Volks von faulen, unnützen und gefräßigen Hedonisten, die in bratwurstumzäunten Lebkuchenhäusern wohnen und sich gebratene Tauben in den Mund fliegen lassen. Den Faulsten von allen wählen sie zum König. Etwas unverbunden schließt sich die moralisatio an. Durch das Schlaraffenbild werde die Jugend karikiert, damit sie sich auf die Arbeit konzentriere, „[w]eyl faule weiß nye gutes bracht“ (Sachs 2003, 80). Wie das Beispiel zeigt, gehen Sachs’ Werke in der Moralisierung nie völlig auf, sondern gestehen der Kurzweil ein Eigenrecht zu. Stets bemüht Sachs sich um einen Ausgleich von Didaxe und Unterhaltung. Die spöttisch-strengen Gesichtszüge, die er sich in einem Gemälde verleihen ließ (Abb. A.III.12.), kennzeichnen auch die Physiognomie <?page no="98"?> 000097 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 97 3. Hans Sachs und das reformatorische Schauspiel nach 1520 | A.III.12. Andreas Herneisen porträtiert Hans Sachs und dessen Katze (1574). seines Werks. Das Porträt auf Goldgrund des 81-jährigen Dichters, das der Maler Andreas Herneisen dem Betrachter als Bild im Bild präsentiert, steht im ironischen Kontrast zu dem ebenfalls dargestellten Entstehungskontext, der dunklen Studierstube des Hans Sachs. Ein integrierter Bildkommentar verweist scherzhaft auf den Disput zwischen Maler und Dichter, ob die Katze, die auf dem Schreibpult balanciert, mit ins Bild kommen solle oder nicht. Herneisen löst das Dilemma, indem er das repräsentative Bildnis ins Zentrum des privaten, kätzischen Interieurs rückt, dessen Teil er selbst ist, so dass er Porträt- und Freundschaftsbild glücklich kombiniert. Zwischen karnevalesker Volksnähe, humanistischer Adaptation und christlicher Erbauung bewegen sich auch andere Schauspiele im zweiten Viertel des 16. Jahrhunderts. In der reformatorischen Hochphase wurde der Berner Maler und Dichter Niklaus Manuel mit seinen Dramatisierungen theologischer Streitfragen bekannt, unter anderem in seinen antiklerikalen Stücken Vom Papst und seiner Priesterschaft (1524) sowie in Der aplaß kremer (1525). Während das erste noch an der konventionellen Sprecherrevue festhält, wartet das zweite Stück mit einer verknappten Handlung auf: Eine Gruppe von Bauern setzt sich gegen den ruchlosen Ablassprediger Rychardus Hinderlist zur Wehr, knüpft ihn an Pfählen auf und beschimpft ihn wüst, bis er seine Geldtreiberei gesteht. Heftiger noch als Manuel polemisiert der Lu- <?page no="99"?> 000098 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 98 | A.III. Reformation und Konfessionspolemik (1520-1570) theraner Thomas Naogeorg gegen das Papsttum. Seine lateinischen Dramen wurden meist sofort nach Erscheinen eingedeutscht. Das erfolgreichste unter ihnen, die Tragoedia nova Pammachius (1538), wurde nicht nur viermal ins Deutsche übertragen, sondern auch ins Tschechische und Englische. Das Drama erzählt die Geschichte der Papstkirche als heilsgeschichtlichen Kampf zwischen Gut und Böse. Christus gestattet Satan, den Menschen in Versuchung zu führen. Als Satan darin scheitert, den Römischen Kaiser zum Abfall vom Christentum zu überreden, wendet er sich an Papst Pammachius, der einen teuflischen Pakt schließt und mithilfe eines Heers von Bischöfen, Priestern und Mönchen seine weltliche Macht ausbauen kann. In einem orgiastischen Fest zelebrieren der Papst und Satan ihren Triumph, bis Christus selbst die personifizierte Wahrheit aussendet, die nach Wittenberg weist. Dort entsteht die neue Lehre, die dem päpstlichen Antichristen endlich gefährlich wird. Der fünfte Akt wird ausgespart, weil, wie ein Epilog erklärt, die Lösung des Konflikts erst mit dem Jüngsten Gericht eintreten kann. Neben Nürnberg, wo der Fastnachtsspieldichter Jakob Ayrer gegen Ende des Jahrhunderts die Nachfolge Sachs’ antrat, und Bern wurden Basel und Augsburg zu Zentren des reformatorischen Schauspiels. In beiden Städten machte der lutherische Humanist Sixt Birck mit der Dramatisierung alttestamentlicher Stoffe Schule. Während seiner Basler Zeit verfasste Birck noch deutschsprachige Stücke, die für ein Laienpublikum öffentlich aufgeführt wurden, im Falle des Bibeldramas Judith (1534) sogar zur Fastnacht; nach seiner Rückkehr nach Augsburg übersetzte er seine frühen Stücke ins Lateinische, um mit seinen evangelischen Schuldramen die Lateinkenntnisse am St. Anna-Gymnasium zu befördern, dem er als Rektor vorstand. In seiner Judith vereint Birck Elemente der stadtbürgerlichen Spielkultur mit der evangelischen Bibelpädagogik. Mit der Figur der femme forte Judith, die den assyrischen Feldherrn Holofernes verführte und ermordete, da dieser ihre Heimatstadt Bethulia unterwerfen wollte, appellierte die Renaissance gerne daran, geschlossen gegen die heidnischen Osmanen zu kämpfen. Auch Birck nutzt die Überhöhung Judiths als weiblichen miles christianus [,christlicher Soldat‘] für einen irenischen Appell an die Christenheit, die Religionsstreitigkeiten beizulegen (Bremer 2006). Für die reformatorische Neugestaltung des Gemeinwesens, etwa für die Basler Ehegerichtsordnung, warb Birck in seinen alttestamentlichen Spielen Susanna (1532), die zu Unrecht des Ehebruchs verdächtigt wird, sowie im ersten Joseph -Drama (1533) deutscher Sprache (Pfeiffer 2016). 4. Komik als Kurzweil: Volkssprachliche Kurzprosa der Jahrhundertmitte Im Zuge der Konfessionalisierung wurde die deutsche Literatur insofern normativer, als sie ethische Verhaltensmuster exemplifizierte, um ihre Leser zu disziplinieren und so ordnungsstabilisierend zu wirken. Doch bedeutet dies nicht, dass sie sich ausschließlich in den engen Grenzen bewegt hätte, die ihr die katechetische Nützlichkeit ( utilitas ) setzte. Schon in Sachs’ Fastnachtsspielen wird der freien Unterhaltung ( delectatio ), wird Wortwitz und Slapstick breiter Raum zugestanden. Insbesondere die kompilatorische Kurzprosa der Jahrhundertmitte wertete die ,Kurzweil‘ merklich auf, schwächte also die edukative Funktion aller Erzählelemente zugunsten eines reinen Lesevergnügens ab. Auf den Titelblättern und in Vor- <?page no="100"?> 000099 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 99 4. Volkssprachliche Kurzprosa der Jahrhundertmitte | reden wird nun öfter betont, wie ,lustig‘, ,ergötzlich‘ oder ,schimpflich‘ die präsentierten Texte sind, dass sie die Schwermut vertreiben, dem Leser die Langeweile verkürzen und seine Kräfte erquicken. Neben der erzählerischen Pointierung trägt schon die Zusammenschau verschiedener Textsorten als Prinzip der varietas zur Unterhaltung bei (Meierhofer 2010, 19-59). So vermengt die nachreformatorische Prosasammlung den volkstümlichen Schwank mit der Novellistik Boccaccios und schließt die humanistischen Fazetien Poggio Bracciolinis (zuerst 1470) an eher lehrhafte Kleingattungen wie religiöse Exempla, Fabeln und Predigtmären an. Als prägend für den Erfolg komischer Kurzprosa im 16. Jahrhundert erwies sich Schimpf und Ernst (1522) von Johannes Pauli, eine Zusammenstellung von rund siebenhundert „kurtzweiligen Exemplen / Parabolen vnnd Hystorien / nützlich vnnd gu˚ t zu˚ Besserung der Menschen“ (Pauli 1972), wie der Untertitel lautet. Pauli präsentiert eine bunte Mischung thematisch grob gruppierter Texte aus ganz disparaten Kontexten. Er schlachtet Heinrich Bebels Fazetien (1508-1512) ebenso aus wie den Dil Ulenspiegel (1515) und die Straßburger Predigten Geilers von Kaysersberg. Insgesamt dominiert neben witzigen Anekdoten die exemplarische Verspottung von Alltagsverfehlungen und Lastern. Allerdings waren nicht alle Kurzerzählungen humorig. Einige trugen legendarische, andere homiletische Züge, ähnelten also den Heiligenviten und der Predigt. Paulis Schimpf und Ernst war nicht nur ein Auflagenerfolg - bis Mitte der 1550er Jahre wurde es vierundzwanzig Mal neu aufgelegt -, sondern es führte mittelbar, rund drei Jahrzehnte nach seinem Erstdruck zu einer regelrechten Schwank- Konjunktur, die mit Jörg Wickrams Rollwagenbüchlein (1555) einsetzte und mit Jakob Freys Gartengesellschaft (1556), Martinus Montanus’ Wegkürtzer (1557), Michael Lindeners Rastbüchlein und Katzipori (1558) sowie Hans Wilhelm Kirchhofs Wendunmuth (1. Teil 1563, vier weitere Teile bis 1602) anhielt. Unter diesen Gattungsvertretern entfalteten Wickrams elsässische Kurzerzählungen wohl die größte Wirkung. Die Vorrede versichert, der Autor habe sie „allein von gu˚ ter kurtzweil wegen an tagen geben / niemants zu˚ underweysung noch leer“ (Wickram 1973, 5), obschon sich darin auch moralisierende Schwänke finden. Wie Pauli und Sebastian Brant, dem Wickram in seinem Colmarer Fastnachtsspiel Das Narren Giessen (1538) nacheifert, lebten auch Frey und Montanus in Straßburg beziehungsweise im oberrheinischen Raum (Colmar, Schlettstadt), der somit zum Zentrum der nachreformatorischen Erzählkunst aufstieg. Die verschiedenen Kompilationen der Jahrhundertmitte präsentieren ihre Kurztexte als loses Ensemble. Im Lichte dieser Sammlungen lassen sich einige Typen des Schwanks feststellen. Seine erzählerische Spannung beruht meist auf der Konfrontation von Figuren un- Standesunterschiede im Schwank terschiedlicher Stände, deren soziokulturelle Normen aufeinanderprallen und konfliktreich ausgetragen werden. In der Forschung hat sich Hermann Bausingers Taxonomie schwankhafter Plot-Konstellationen durchgesetzt, der zufolge ,Ausgleichstyp‘, ,Steigerungstyp‘ und ,Spannungstyp‘ zu unterscheiden sind. Im ersten Fall erscheint eine Partei zu Beginn unterlegen, kann die Asymmetrie aber im Laufe der Erzählung umkehren; im zweiten Fall verstärkt sich das anfängliche Gefälle noch, oft weil eine Partei gerade damit scheitert, ihre Unterlegenheit zu kompensieren; im dritten Fall bleibt die Kontroverse ungelöst, sodass die Machtverhältnisse am Schluss der Erzählung unklar sind (Bausinger 1967). <?page no="101"?> 000100 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 100 | A.III. Reformation und Konfessionspolemik (1520-1570) Den ,Ausgleichstyp‘ vertritt beispielsweise Wickrams Schwank Von einem lantzknecht der nur drey wort begert mit seinem hauptmann zu˚ reden ( 039). Die Erzählung beruht auf einem sozialen Ungleichgewicht. Dem armen hungernden Landsknecht stehen der selbstherrliche Hauptmann und seine Saufkumpanen gegenüber. Die Not des Landsknechts veranlasst eine Wette des Hauptmanns mit seinen Kumpanen. Ihre Bedingung, dass der Landsknecht es schaffe, sein Anliegen in nur drei Worten vorzutragen, wird durch dessen lakonisch-selbstbewusste Forderung nach Lohn oder Abschied („Gelt / oder / urlaub“) erfüllt. Da der Konflikt zuvor in einem Spiel ,gerahmt‘ war, kann die soziale Spannung im Lachen des Hauptmanns und seiner Gäste entschärft werden. Wie die Erzählung zeigt, bedürfen Wickrams Schwänke nicht notwendig mehr einer moralisatio , sondern finden in der Komik ihren Selbstzweck. Anders verfährt ein Beispiel aus Hans Wilhelm Kirchhofs Wendunmuth , betitelt Ein mönch predigt ( 040). Ein Ordensbruder möchte die Einzigartigkeit des Heiligen Franziskus betonen, indem er in umständlich wiederholten rhetorischen Fragen imaginiert, wo dieser auf dem Himmelsthron sitzen werde: weder bei den Jungfrauen noch bei den Märtyrern und so weiter. Die überfigurierte Rhetorik wird durch einen einfachen Bauern entlarvt: Dem reformatorischen Ideal unverstellter Einfalt gemäß bietet dieser dem Heiligen kurzerhand den eigenen Platz an, er gehe derweil „deß wirts wein“ probieren. Kirchhof teilt die Moral nicht nur in einem prosaischen Epimythion (der Schlusslehre) mit - „Also haben die pfaffen mit iren narrichten fabeln sich selber den leuten zum gespött dargebotten“ -, sondern auch in vier gleich gereimten Versen, die dem Leser die antiklerikale Botschaft metrisch einprägen. Auch in den Historien des Wendunmuth zeigt sich Kirchhof als scharfer Kritiker des Papsttums (Meierhofer 2010, 67f.). Nicht immer gehen Schwänke in asymmetrischen Konstellationen auf. So bietet Martin Montanus einen Schwank von einem armen Ehepaar, das sich über die Haltung von Ferkeln, die sie gar nicht besitzen, in die Haare gerät ( 041). Die Moral erschöpft sich wohl nicht in der bloßen Mahnung, über Luftschlösser nicht zu streiten. Vielmehr beginnt die Verfehlung der beiden Eheleute schon in ihrem Müßiggang, der den Streit einleitet. Das faule ,Im- Fenster-Liegen‘ und die Augenlust galten in der lutherischen Arbeitsethik als sündhaft. Tatsächlich erwachsen aus der Neugier unziemliche Begehrlichkeiten: Der Mann sieht in den Ferkeln keinen praktischen Nutzen, sondern erfreut sich an ihrem Anblick („so hüpsche thierlin! “). Seine Frau, der concupiscentia oculorum [,Begierde der Augen‘] ebenfalls verfallen, missgönnt ihrem Ehemann seine Träumerei. So entspringt die Komik vordergründig zwar dem Streit über imaginäre Verhältnisse, hintergründig werden aber die Sündenquellen des Müßiggangs und der Augenlust getadelt. Die christlich-moraldidaktische Botschaft wird anders als im Wendunmuth nicht explizit vermittelt, sondern lediglich implizit nahegelegt. Nicht alle Schwänke steuern auf eine schnelle Pointe hin. Wie die neuere Forschung gezeigt hat, zerdehnt etwa Freys Gartengesellschaft den Überraschungsmoment seiner Vorlagen - vor allem Poggios und Bebels Fazetien -, indem er neue Erzählsequenzen einfügt, die Wendung ausgreifend kommentiert oder die Pointe wiederholend variiert. Oft versucht Frey dadurch, im Akt des Erzählens religiöse Selbstverständlichkeiten zu hinterfragen und Einverständnis zwischen seinen Figuren herzustellen (Röcke 2011). Auch Wickram schwächt die aggressive <?page no="102"?> 000101 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 101 4. Volkssprachliche Kurzprosa der Jahrhundertmitte | Pointierung bisweilen ab oder zögert den schnellen Schluss hinaus, um den erzählten Konflikt zu harmonisieren und sich ausführlicher den Beweggründen seiner handelnden Figuren zu widmen (Kartschoke 1993). Damit bezeugt die komische Kurzprosa eine wachsende Erzähllust, die sich von der Notwendigkeit zur christlichen moralisatio ebenso löst wie vom raffenden Zuspitzungsprinzip ihrer Vorläufer. Quellen Jenny, Markus (1985): Luthers geistliche Lieder und Kirchengesänge. Vollständige Neuedition in Ergänzung zu Bd. 35 der Weimarer Ausgabe. Köln und Wien. Pauli, Johannes (1972): Schimpf und Ernst. 2 Bde. Hg. von Johannes Bolte. Nachdruck der Ausgabe von 1924. Hildesheim und New York. Sachs, Hans (2003): Meisterlieder, Spruchgedichte, Fastnachtsspiele. Auswahl. Hg. von Hartmut Kugler. Stuttgart. Thomke, Hellmut (Hg.) (1996): Deutsche Spiele und Dramen des 15. und 16. Jahrhunderts. Frankfurt a. M. Wickram, Georg (1973): Sämtliche Werke. Hg. von Hans-Gert Roloff. Bd. 7: Das Rollwagenbüchlein. Berlin und New York. Forschung Bausinger, Hermann (1967): Bemerkungen zum Schwank und seinen Formtypen. In: Fabula 9, 118-136. Blickle, Peter (1998): Der Bauernkrieg. Die Revolution des Gemeinen Mannes. München. Bremer, Kai (2006): Religiöse Dimension, Geschlechtlichkeit und politisches Moment. Zu Sixt Bircks Judith. In: Daphnis 35, 321-334. Burkhardt, Johannes (2002): Das Reformationsjahrhundert. Deutsche Geschichte zwischen Medienrevolution und Institutionenbildung 1517-1617. Stuttgart. Elschenbroich, Adalbert (1990): Die deutsche und lateinische Fabel der Frühen Neuzeit. Bd. 2: Grundzüge einer Geschichte der Fabel in der Frühen Neuzeit. Kommentar zu den Autoren und Sammlungen. Tübingen. Fischer, Michael (2014): Religion, Nation, Krieg. Der Lutherchoral „Ein feste Burg ist unser Gott“ zwischen Befreiungskriegen und Erstem Weltkrieg. Münster. Fuchs, Thomas (2005): Spätmittelalterliche Frömmigkeit und Rationalisierung der Religion - Beobachtungen in der süddeutschen Städtelandschaft. In: Die Säkularisation im Prozess der Säkularisierung Europas. Hg. von Peter Blickle und Rudolf Schlögl. Epfendorf, 67-83. Füssel, Stephan (Hg.) (1995): Hans Sachs im Schnittpunkt von Antike und Neuzeit. Nürnberg (Pirckheimer-Jahrbuch 10). Hamm, Berndt (1996): Die Reformation als Medienereignis. In: Jahrbuch für biblische Theologie 11, 137-166. Kartschoke, Dieter (1993): Vom erzeugten zum erzählten Lachen. Die Auflösung der Pointenstruktur in Jörg Wickrams ,Rollwagenbüchlein‘. In: Kleinere Erzählformen des 15. und 16. Jahrhunderts. Hg. von Walter Haug und Burghart Wachinger. Tübingen, 71-106. Kaufmann, Thomas (2012): Der Anfang der Reformation. Studien zur Kontextualität der Theologie, Publizistik und Inszenierung Luthers und der reformatorischen Bewegung. Tübingen. Kaufmann, Thomas (2016): Geschichte der Reformation in Deutschland. Berlin. Kemper, Hans-Georg (1987): Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit. Bd. 1: Epochen- und Gattungsprobleme. Die Reformationszeit. Tübingen. <?page no="103"?> 000102 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 102 | A.IV. Der nachreformatorische Humanismus (1570-1620) Kühlmann, Wilhelm (2010): Ulrich von Huttens Triumphus Capnionis - Der Triumph Reuchlins. Bildzeichen, Gruppenbildung und Textfunktionen im Reuchlin-Streit. In: Reuchlins Freunde und Gegner. Kommunikative Konstellationen eines frühneuzeitlichen Medienereignisses. Hg. von dems. Ostfildern, 89-107. Luserke-Jaqui, Matthias (2016): „Ein Nachtigall die waget“. Luther und die Literatur. Tübingen. Mecklenburg, Norbert (2016): Der Prophet der Deutschen. Martin Luther im Spiegel der Literatur. Stuttgart. Meierhofer, Christian (2010): Alles neu unter der Sonne. Das Sammelschrifttum der Frühen Neuzeit und die Entstehung der Nachricht. Würzburg. Moeller, Bernd (1965): Frömmigkeit in Deutschland um 1500. In: Archiv für Reformationsgeschichte 56, 5-30. Pfeiffer, Judith (2016): Christlicher Republikanismus in den Bibeldramen Sixt Bircks. Theater für eine ,neu entstehende‘ Bürgerschaft nach der Reformation in Basel und Augsburg. Berlin und Boston (Frühe Neuzeit 202). Reinhard, Wolfgang (1983): Zwang zur Konfessionalisierung? Prolegomena zu einer Theorie des konfessionellen Zeitalters. In: Zeitschrift für Historische Forschung 10, 257-277. Röcke, Werner (2011): Die Zerdehnung der Pointe. Inszenierte Mündlichkeit und sozialer common sense in Jacob Freys Gartengesellschaft. In: Erzählen und Episteme. Literatur im 16. Jahrhundert. Hg. von Beate Kellner, Jan-Dirk Müller und Peter Strohschneider. Berlin und New York, 287-303. Roloff, Hans-Gert (2003 [zuerst 1987]): Luthers literarische Leistung. In: Ders.: Kleine Schriften zur Literatur des 16. Jahrhunderts. Hg. von Christiane Caemmerer u. a. Amsterdam und New York (Chloe 35), 201-227. Schilling, Heinz (2012): Martin Luther. Rebell in einer Zeit des Umbruchs. München. Stolt, Birgit (2000): Martin Luthers Rhetorik des Herzens. Tübingen. Walz, Herbert (1988): Deutsche Literatur der Reformationszeit. Eine Einführung. Darmstadt. Wohlfeil, Rainer (1984): Reformatorische Öffentlichkeit. Literatur und Laienbildung im Spätmittelalter und in der Reformationszeit. In: Literatur und Laienbildung im Spätmittelalter und in der Reformation. Hg. von Ludger Grenzmann und Karl Stackmann. Stuttgart, 41-54. A.IV. Der nachreformatorische Humanismus (1570-1620) Ungeachtet demonstrativer Absagen an traditionelle Vorgaben blieben auch nach der reformatorischen Konfessionspolemik manche Errungenschaften des Humanismus bewahrt. Nachdem sich der Protestantismus in vielen Territorialstaaten als systemstabilisierender Faktor und Staatsreligion etabliert hatte, verringerten sich die reformatorischen Vorbehalte gegen den Humanismus. Der Augsburger Religionsfrieden von 1555 beendete die polemische Intensivphase und trug zur Konsolidierung der Konfessionsspaltung bei, indem er festlegte, dass die Untertanen dem Bekenntnis ihrer Landesherren folgen müssen. Nur freie Reichsstädte erhielten religiöse Toleranz. Katholiken und Protestanten konnten dort „friedlich und ruhig bey- und neben einander wohnen“ (Buschmann [Hg.] 1984, S. 229). Mit der vorläufigen Einhegung des Religionskonflikts wandelte sich die Literatur. Als die konfessionspolitische Indienstnahme gegen Mitte des 16. Jahrhunderts abnahm, gewann das ästhetische Vergnügen an Bedeutung, eine Entwicklung, die sich schon in der volkssprach- <?page no="104"?> 000103 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 103 A.IV. Der nachreformatorische Humanismus (1570-1620) | lichen Kurzprosa seit 1550 angekündigt hatte. Das letzte Drittel des 16. Jahrhunderts stand unter dem Zeichen eines nachreformatorischen Späthumanismus, der noch das erste Viertel des 17. Jahrhunderts bestimmte, bevor die konfessionellen Gegensätze und langschwelenden Hegemoniekämpfe im Dreißigjährigen Krieg eskalierten. Die Repräsentanten dieser vierten Humanistengeneration wurden allesamt im Zeitalter der Glaubensspaltung geboren, meist im zweiten Drittel des 16. Jahrhunderts. Auch wenn sie verschiedenen sozialen Hintergründen entstammten, verbindet sie ein ähnliches Curriculum: ein Universitätsstudium in Deutschland, eine Bildungsreise ins europäische Ausland, lateinische Gelehrsamkeit mit Kenntnis der Klassiker, zugleich aber die Offenheit für volkssprachliche Traditionen. Das Latein war die bevorzugte Sprache, in der man freundschaftlich korrespondierte. Doch hatte sich seine Funktion im Vergleich zum vorreformatorischen Humanismus deutlich gewandelt. Dem Späthumanismus diente das Latein als allgemeine Wissenschaftssprache, wie sie eine internationale scientific community erfordert. Zwar repräsentierte der Späthumanist noch das Ideal umfassender Bildung, tatsächlich war er aber bereits spezialisierter Experimentalwissenschaftler. Auch sah er sich als unabhängigen Freigeist, auch wenn er oft noch Fürstendiener war. Ungeachtet ihres sozialen Prestiges litten viele Repräsentanten an dem Widerspruch zwischen dem Ideal der humanistischen Gelehrtenrepublik und der Praxis des absolutistischen Fürstenstaates (Kühlmann 1982). Die späthumanistische Phase ist in der Literaturgeschichte lange unterbelichtet geblieben. Zu augenfällig ist wohl der ästhetische Rückstand der deutschsprachigen Autoren um 1600 gegenüber ihren europäischen Zeitgenossen Michel de Montaigne, William Shakespeare und Christopher Marlowe, Miguel de Cervantes und Fe´ lix Lope de Vega, deren globale Wirkung bis heute anhält. Dagegen sind deutsche Schriftsteller wie Georg Rollenhagen (1542-1609) und Johann Fischart (1546/ 47-1590) weitgehend aus der öffentlichen Wahrnehmung verdrängt. Immerhin liegen zu ihnen neuere Forschungen vor, während viele andere Schuldramatiker, neulateinische Lyriker, Reiseschriftsteller und Übersetzer so gut wie unbehandelt geblieben sind. Eine Wiederentdeckung könnte sich lohnen, spiegeln sich in ihren Werken doch jene schillernden Signaturen einer späthumanistischen Achsenzeit, die man wissenschaftsgeschichtlich als „Genesis der kopernikanischen Welt“ (Blumenberg 1975) gewürdigt hat. Die Editionspraxis und die traditionskritische Historiographie des Humanismus hatten neue Bedingungen zur Beglaubigung von wissenschaftlichen Wahrheitsansprüchen geschaf- Wegbereiter wissenschaftlichen Denkens: Neugier und Zweifel an Autoritäten fen. Im Verlauf der Frühen Neuzeit wurde die Neugierde, die man vormals als lasterhaften Ausdruck menschlicher Hybris diskreditiert hatte, neu legitimiert (Blumenberg 1966, 201-433). Historische Tatsachenbehauptungen konnten in der Folge nicht mehr nur durch Autoritäten (Aristoteles, Plinius, Galen) oder durch formale Logik belegt werden, sondern ihnen musste durch kritischen Quellenbezug Evidenz verliehen werden, oft in ausufernden Fußnotenapparaten. Damit läutete das späte 16. Jahrhundert ein Zeitalter des Zweifels ein, in dem die aristotelische Wissenschaftstradition zwar von vielen Vertretern beibehalten, von einigen aber radikal in Frage gestellt wurde. Mit dem ,Pyrrhonismus‘ - der Auffassung, dass menschliches Wissen schwer bis unmöglich zu sichern, jedes Dogma daher abzulehnen, jede Gewissheit als Trugbild zu entlarven sei - und dem experimentellen Empirismus, der methodischen Erprobung <?page no="105"?> 000104 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 104 | A.IV. Der nachreformatorische Humanismus (1570-1620) von Erfahrungswissen, lassen sich zwei Innovationsstränge unterscheiden, die im späten 16. Jahrhundert ihren Ausgang nahmen: Zum einen hatten neue Ausgaben und Übersetzungen der Werke des Sextus Empiricus seit den 1560er Jahren zu einer grundlegenden Skepsis, insbesondere der Möglichkeit historischer Erkenntnis gegenüber, geführt, die zuerst in Montaignes Essais (1580) einen literarischen Niederschlag fand und im späten 17. Jahrhundert mit Pierre Bayles Dictionnaire historique et critique (1697) einen vorläufigen Höhepunkt erreichte (Borghero 1983, Popkin 2003). Zum anderen formulierte Francis Bacon in seinem Novum Organum (1620) erstmals die Prinzipien der Induktion, der Beobachtung und Generalisierung, die von der Fehleranfälligkeit menschlicher Sinneswahrnehmung ausgingen und dem Aufschwung der Wissenschaften im 17. Jahrhundert den Weg bereiteten. Wenngleich Nikolaus Kopernikus’ Modell des heliozentrischen Universums ( De revolutionibus orbium coelestium , 1543) und Andreas Vesalius’ Untersuchung der menschlichen Anatomie ( De humani corporis fabrica libri septem , 1543) die aristotelischen und galenischen Traditionen bereits ins Wanken gebracht hatten, beschleunigte die schiere Fülle von Entdeckungen um 1600 diesen Paradigmenwechsel deutlich. Die im 17. Jahrhundert neuen Instrumente des Teleskops und des Mikroskops erweiterten das Reich des Wahrnehmbaren. Mit Galileo Galileis Sidereus Nuncius (1610), einer Mitteilung der wichtigsten astronomischen Beobachtungen des Pisaner Mathematikprofessors, und William Harveys De Motu Cordis (1628), in dem der Londoner Arzt seine Entdeckung des Blutkreislaufs vorstellte, lagen zwei Pionierschriften der ,wissenschaftlichen Revolution‘ vor (Shapin 1996). Später erhellte Robert Boyle, der als Sceptical Chymist (1661) die Anwendung experimenteller Methoden gefordert hatte, das sogenannte ,Gasgesetz‘, vorbereitet durch Otto von Guerickes Neuen Magdeburger Versuch (1657), der mit vakuumierten Halbkugeln die Pneumatik begründete. Diese Schriften führten nicht nur zu Umbrüchen in den naturkundlichen Disziplinen, sondern auch zu einer veränderten Gefühls- und Geschmackskultur. Darunter sei weniger eine bloße Reproduktion entsprechender Inhalte in der Literatur verstanden, wie das im 17. Jahrhundert aufkommende Genre der Mondreisen, zu dem Johannes Kepler mit seinem Somnium [,Traum‘, 1608] beitrug, als vielmehr eine stärkere Orientierung an neuen Formen der europäischen Literaturen, ein spielerischer Umgang mit Sprache und ein Experimentieren mit traditionellen literarischen Sujets. Neugierde, die Lust an der Entgrenzung des Bekannten, kennzeichnet die ,ludische Ästhetik‘ um 1600, und die Balance zwischen aristotelischem Systemglauben und kopernikanischer Selbstrelativierung das anbrechende Barockzeitalter. 1. Späthumanismus als Standeskultur: Gymnasien und Universitäten als literarische Institutionen Der Späthumanismus bildet einen eigenen konfessionsübergreifenden Stand, der sich, wie zuerst Erich Trunz in einer bedeutenden Studie dargelegt hat, durch eine markante Abgrenzungspraxis auszeichnet, durch habituelle Distinktion in Kleidung, Verhalten und Ausdrucksformen, durch weiträumige Netzwerkpflege und die Sozialnormierung des Privaten (Trunz 1965). Die Späthumanisten bekleideten meist öffentliche Ämter. Sie waren Professoren an Gymnasien oder Universitäten, Juristen in staatlichen und städtischen Institutionen <?page no="106"?> 000105 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 105 1. Gymnasien und Universitäten als literarische Institutionen | oder Beamte an Fürstenhöfen. Ihren Rang markierten sie durch ,symbolische Handlungen‘ (Füssel 2006). Dazu zählten neben dem ostentativen Einsatz lateinischer Gelehrsamkeit auch standesspezifische Kommunikationsformen, die dem humanistischen Freundschaftsideal verpflichtet waren: ausgreifende Korrespondenzen, Stammbucheinträge, Widmungen und wechselseitige Geleitgedichte für Druckschriften, die eine Art Zitierkartell schufen. 1.1. Lutherische und katholische Bildungsreformen im 16. Jahrhundert Dass die konfessionellen Gegensätze im postreformatorischen Späthumanismus mit der allmählichen Verstaatlichung der Religion an Bedeutung verloren, zeigt sich nirgends so deutlich wie im Bildungswesen, und zwar im katholischen wie im lutherischen. In den deutschsprachigen Grund- und Schreibschulen wurde der Katechismusunterricht eingeführt. Durch die Kombination des Elementarunterrichts mit religiöser Unterweisung änderten die vormaligen Schreibschulen ihren Charakter. Da der Katechismusunterricht Pflicht war, lernten die Kinder auf diesem Wege auch Lesen und Schreiben. Dadurch nahm das Deutsche als Muttersprache einen erheblichen Aufschwung. Außerdem erreichte es die bürgerlichen Schichten, die somit seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zum Lesepublikum wurden. In den höheren Lateinschulen und Gymnasien schaffte man die Klassische Bildung jedoch keineswegs ab. Schon Luthers Sendschreiben an die Ratherren aller Städte deutsches Landes, daß sie christliche Schulen aufrichten und halten sollen (1524) ( 029) plädierte für die Bewahrung der humanistischen Bildung. Luther wünschte lediglich, das Bildungswesen zu demokratisieren und den Religionsunterricht in das humanistische Curriculum zu integrieren. Das reformatorische Erziehungs- und Bildungswesen organisierte der humanistisch gebildete Philipp Melanchthon (1497-1560). Melanchthon, geboren im kurpfälzischen Bretten, war nach dem Besuch der Lateinschule in Pforzheim von dem gelehrten Gräzisten Johannes Reuchlin gefördert worden, dem er auch seine griechische Namensform ,Melanchthon‘ für seinen eigentlichen Familiennamen Schwarzerd verdankte. Auf Reuchlins Empfehlung immatrikulierte er sich zwölfjährig an der Universität Heidelberg, wo er 1511 das Bakkalaureat ablegte. Das anschließende Studium in Tübingen beendete er mit dem Magister Artium, unterrichtete aber schon Griechisch und publizierte kleinere Schriften. 1518 wurde er von Kurfürst Friedrich dem Weisen auf den ersten Griechisch-Lehrstuhl an die Universität Wittenberg berufen. In seiner Antrittsrede De corrigendis adolescentiae studiis [,Über die Verbesserung des Studiums der Jugend‘, 1519] proklamierte er eine humanistische Reform der Universität ( 030). Seine Freundschaft mit Luther trug wesentlich zum Erfolg der Reformation in Deutschland bei. Er beteiligte sich an den theologischen Schriften und betrieb eine Bildungsreform, die Protestantismus und Humanismus verband. Melanchthons Bedeutung für die Reformation entspricht, dass er nach seinem Tod im Jahr 1560 neben Luther in der Wittenberger Schlosskirche begraben wurde. Melanchthon beriet Städte wie Magdeburg oder Nürnberg, die ihre Schulen neu einrichteten. Sein Drei-Klassen-Modell wurde zum Muster für viele Schulen und letztlich zum Leitbild des deutschen altsprachlichen Gymnasiums. In der ersten Klasse sollten die Schüler Lesen und Schreiben sowie Grundkenntnisse der lateinischen Grammatik und Sprache erlernen; die zweite Klasse diente dazu, die Lateinkenntnisse zu vertiefen, während die dritte <?page no="107"?> 000106 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 106 | A.IV. Der nachreformatorische Humanismus (1570-1620) neben dem Studium der lateinischen Klassiker Metrik, Dialektik und Rhetorik vorsah, um so auf die Universität vorzubereiten. Melanchthon verfasste neben Grammatiken für den Grie- Reformatorisches Bildungswesen: Religion, Moral, antike exempla chisch- und Lateinunterricht mehrere Schulbücher, unter anderem zur Dialektik und Rhetorik, die auch nach seinem Tod die Standardlehrbücher an deutschen und europäischen Schulen blieben (Kuropka 2002; Wels 2000). In den Gymnasien standen religiöse und moralische Bildung gleichberechtigt nebeneinander. Die Morallehre umfasste das Studium der alten Sprachen und Literaturen, boten sie doch nach damaliger Überzeugung das reichste Beispielmaterial für sozialethische Normen (Arnhardt/ Reinert 1997). Die antike Mythologie, Geschichte und Dichtung wurden nicht aus dem Bildungskanon verbannt, sondern in exempla umgemünzt, an denen man richtiges oder falsches Verhalten erlernen sollte. Das exemplum vermittelte zwischen Humanismus und Reformation und wurde zum wichtigsten Einfallstor für klassische Dichtung. Die antiken Anekdoten, Sentenzen und literarischen exempla , die Philipp Melanchthon in seine Vorlesungen und Tischgespräche einstreute, hat Johannes Manlius - mit deutlicher Titelanspielung auf Melanchthons maßgebliche Dogmatik Loci communes rerum theologicarum (,Gemeinplätze der Theologie‘, 1521 und öfter) - in den Locorum communium collectanea (1562) gesammelt, die durch Neudrucke und Übersetzungen die wichtigste reformatorische Exempel-Sammlung werden sollte (Wachinger 1991). In der Sammlung ist auch Melanchthons Ratio Studiorum abgedruckt, seine Studienordnung, die ein Nebeneinander religiöser und humanistischer Bildung fordert. Der Lehrplan Johann Sturms, der als Rektor das Straßburger Gymnasium im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts maßgeblich prägte, fußte ebenfalls auf der Rhetorik und der imitatio oratoria [,rednerischen Nachahmung‘] antiker Klassiker, welche die Schüler anhand der loci communes [,Gemeinplätze‘], einem Vorrat topischer Muster, analysieren und nachahmen sollten. Die Methode der Topik, die Sturm propagierte, war ein überkonfessionelles Vorbild und wurde sowohl an lutherischen als auch an calvinischen und jesuitischen Gymnasien praktiziert (Schindling 1977). Wie die Gymnasien entwickelten sich auch die Universitäten zu Bildungsstätten der Rhetorik, Poesie und der antiken Sachdisziplinen. Das Bildungsprogramm, das Melanchthon vorgegeben hatte, vereinigte Bildung und Frömmigkeit. Die Form eines staatskirchlichen Späthumanismus findet sich jedoch nicht nur in den protestantischen Territorien, sondern auch in den katholischen Ländern, wo seit Mitte des 16. Jahrhunderts, im Zuge der Gegenreformation, der 1534 gegründete Jesuitenorden als Bildungsinstitution Einfluss gewann. Die ratio studiorum , das Schulprogramm der Jesuiten aus dem Jahre 1599, unterscheidet sich gar nicht so sehr von Melanchthons Reformationspädagogik. Neben der Theologie gab es dem Studium der Klassischen Antike breiten Raum. In der Philosophie, die zwischen Theologie und den studia inferiora [,niederen Studienfächern‘] vermittelte, war Aristoteles die unumstrittene Autorität. Zudem war die performative Vermittlung des Lehrstoffes in ästhetisch gefälliger Form, d. h. durch die Künste, ein wesentlicher Aspekt des jesuitischen Lehrprogramms. Dazu zählten Disputationen und vor allem die Bühne. Das Jesuitentheater konkurrierte mit dem protestantischen Schultheater, von dem es sich weniger in den rhetorischen Mitteln als in der konfessionellen Zielrichtung unterschied. Erst in jüngerer Zeit ist das Schultheater in seiner Breite und Vielfalt genauer untersucht worden (Meier et al. [Hg.] 2008, Hanstein 2013, Nahrendorf 2015, 342-393). <?page no="108"?> 000107 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 107 1. Gymnasien und Universitäten als literarische Institutionen | 1.2. Das protestantische Schultheater: Nicodemus Frischlin Lehr- und Erziehungsfunktion des exemplum prägten die reformatorische Aneignung der Klassischen Antike wie das Literaturverständnis der etablierten Reformation überhaupt. So forderte um 1540 ein Lutheraner, dass man der „tollen Welt [...] jetzund Gottes Wort, Lehre Lateinische Schuldramen nach antiken Mustern mit christlichem Inhalt und gute Sitten [ … ] mit Gesängen, Reimen, Liedern, Sprüchen, Spielen der Komödien“ vermitteln soll, damit „vielleicht die, die das Predigen nicht hören noch sonst Zucht leiden wollen, durch Spiele oder Gesänge könnten erworben werden“ (Wenzeslaus Linck zit. nach Könneker 1975, 52). Tatsächlich geht die dramatische Literatur des zweiten Drittels des 16. Jahrhunderts vor allem auf das Konto von Pfarrern, Schulmeistern und Rhetorikprofessoren, die in der Dichtung mehr ein moraldidaktisches als ein ästhetisches Instrument sahen. Sie verfassten lateinische Schuldramen nach antiken Mustern, aber mit christlichem Inhalt. Nirgends zeigt sich der christlich-humanistische Kompromiss so deutlich wie in den vielen Dramen, die an Gymnasien, Jesuitenschulen und Universitäten im 16. Jahrhundert aufgeführt wurden. Sie befriedigten die Schaulust des stadtbürgerlichen Publikums sowie die Lehrziele des Lateinunterrichts durch Massenszenen, an denen viele Schüler beteiligt waren. In dieser Zeit dominierten zwar Bibeldramen, die ihre Stoffe vorzugsweise dem Alten Testament entnahmen, sie aber kritisch auf zeitgenössische Verhältnisse bezogen. Konfessionelle Polemik blieb die Ausnahme, während der nationale Ehrgeiz des deutschen Späthumanismus ebenso zum Tragen kam wie die auch gegen den eigenen Stand gerichtete Gesellschaftskritik. Diese Tendenzen begegnen paradigmatisch im dramatischen Werk des streitbaren Tübinger Professors Nicodemus Frischlin (1547-1590), das die zunehmende Auffächerung des theatralischen Genres bezeugt. Das Bibeldrama Susanna (1577) sowie das komplementäre Geschichtsdrama Hildegardis Magna (1579), das die wegen vermeintlicher Untreue angeklagte Gemahlin Karls des Großen porträtiert, preisen die Frauentreue. Hildegardis erweist ihre Größe, indem sie in der Hosenrolle eines Arztes den verleumderischen Intriganten entlarvt und die Huld ihres Gatten wiedererlangt. Späthumanistisches Standesbewusstsein im Kampf gegen die ignorantia zeigt Frischlins Gelehrtensatire Priscianus vapulans [,Der malträtierte Priscian‘] (1578), das zum hundertjährigen Jubiläum der Universität Tübingen aufgeführt wurde (Leonhardt 2008). Es versetzt den spätantiken Grammatiker Priscian in die zeitgenössische Gegenwart, wo ihn das fehlerhafte Latein der Akademiker buchstäblich verletzt, bis Erasmus und Melanchthon ihn als wahre Humanisten und Koryphäen eines reinen Lateins erretten (Leonhardt 2008). Der nationale Ehrgeiz des deutschen Späthumanismus prägt Frischlins Julius redivivus (1584). Die phantastische Komödie konfrontiert die Klassische Antike mit der Gegenwart, indem sie Cäsar und Cicero durch Mercurius aus der Unterwelt ins frühhumanistische Deutschland versetzt, wo beide den geistigen, militärischen und technischen Fortschritt bewundern. Besonders gelobt werden die beiden wichtigsten deutschen Erfindungen der Neuzeit, Schwarzpulver und Buchdruck. So präsentiert ein schwäbischer Herzog Hermann, Wiedergänger des Nationalhelden Arminius, den antiken Größen ein Schießgewehr, während der Nürnberger Dichter Eoban Hessus, in dem sich Frischlin wohl selbst porträtiert, Cicero in eine Druckerei führt, ihm die gedruckten Werke der deutschen Neulateiner vorweist und die Kunst der Typographie schildert. Den nationalen Lobpreis <?page no="109"?> 000108 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 108 | A.IV. Der nachreformatorische Humanismus (1570-1620) profilieren kontrastiv zwei unmoralische komische Figuren, ein savoyischer Krämer und ein italienischer Kaminfeger, welche ein schlechtes Bild der romanischen Nationen abgeben (Leeker 1999). In seinem späthumanistischen Standesbewusstsein, seiner polemischen Schärfe und Gesellschaftskritik verletzte Frischlin jedoch immer wieder die Grenzen des Zulässigen. Als er nicht nur Missstände der Kirche, sondern auch des Adels, insbesondere der Ritterschaft anprangerte und sogar gegen den württembergischen Hof polemisierte, wurde er auf der Burg Hohenurach eingekerkert, wo er bei einem Fluchtversuch tödlich verunglückte (Kühlmann 2000). Die Dramen des Späthumanismus wurden hauptsächlich in lateinischer Sprache verfasst und aufgeführt. Dem lateinunkundigen Publikum wurden sie durch Übersetzungen zugänglich gemacht, durch deutschsprachige Inhaltsangaben (sog. Periochen) vermittelt oder es wurde, wie beim Straßburger Ajax , eine deutschsprachige Parodie des tragischen Inhalts in Form von Zwischenakten aufgeführt. Auch wenn die Schuldramen bisher nur selektiv gemustert und die religiösen Aspekte einseitig in den Vordergrund gerückt wurden, darf die moraldidaktische Zeitkritik der Bibeldramen als allgemeines Charakteristikum des späthumanistischen Theaters verstanden werden (Washof 2007). Sie bestimmt die Studentenkomödie - etwa Albert Wichgreves Cornelius relegatus (1600), das den Titelhelden als gewissenlosen Epikureer präsentiert - wie die Aktualisierung antiker Dramenstoffe auf der Schulbühne (Hanstein 2013). So wurden im Späthumanismus vermehrt griechische und römische Tragiker und Komödiendichter aufgeführt, übertragen oder auch antike Stoffe dramatisiert. Gut untersucht ist die Sophokles-Rezeption im frühneuzeitlichen Deutschland (Daskarolis 2000). In seinem Ödipus (1596) hat der Altdorfer Schulrektor Wolfgang Waldung verschiedene Tragödien des Sophokles, vorzugsweise die Antigone , den Ödipus und den Ajax , zu einem siebenaktigen Drama verarbeitet. Waldungs cento [,Flickwerk‘] liegt ein spezifisches Wirkungsprinzip zugrunde; es ist auf Oppositionen, auf weltlich-religiöse Gegensätze angelegt. Außerdem vereindeutigt Waldung die Konfiguration und Handlung. Kreon ist die Rolle des Tyrannen zugewiesen, Antigone figuriert als christliche Märtyrerin, während Ödipus als reuiger Sünder zwischen Gut und Böse changiert. Diese einfache Konstellation bestimmt das Schuldrama, während Nebenaspekte und Ambiguitäten systematisch zugunsten moralischer Eindeutigkeit getilgt werden. 1.3. Das jesuitische Schuldrama: Jakob Bidermann Von der Moraldidaxe der protestantischen Schuldramen und ihrer Kritik an einem säkularen Humanismus unterscheiden sich die Jesuitendramen zunächst kaum, lässt man die konfessionelle Polemik außer Acht. Doch mit der technischen Vervollkommnung der Inszenierung, mit stehenden Bühnen und einer gezielten elitären Ausrichtung anstelle populärer Breitenwirkung überwand das Jesuitentheater bald das protestantische Schultheater. Berühmtestes Beispiel des späthumanistischen Jesuitentheaters ist der Cenodoxus (1602), eine Tragödie des seinerzeit europaweit bekannten neulateinischen Dichters und Jesuiten Jakob Bidermann (1578-1639), die häufig aufgeführt und 1635 von Joachim Meichel in Knittelversen „verteutscht“ wurde als „ein sehr schöne Comœdie / von einem verdambten Doctor zu Pariß“ (Gier 2005; 042). Bidermanns Drama, dem eine Episode aus der Legende des Heiligen <?page no="110"?> 000109 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 109 1. Gymnasien und Universitäten als literarische Institutionen | Bruno, Gründer des Kartäuserordens, zugrunde liegt, behandelt das tragische Ende eines gefeierten Pariser Gelehrten, dessen Verfehlung bereits sein sprechender Name (gr. kenodoxia für ,eitle Ruhmsucht‘) vorwegnimmt. Zwar rühmt sich Cenodoxus seiner rhetorischen Kunst und wird auch von seinen Freunden, Kollegen und Dienern wegen seiner Gelehrsamkeit bewundert; doch eröffnet die Hypocrisis , die personifizierte „Gleißnerey“, den Teufeln die Selbstüberschätzung als Kehrseite. Ruhm und guter Ruf des eitlen Gelehrten seien nur „simulier[t] / dissimulier[t] [ … ] vnd fingier[t]“ ( Probum Turba facit; ubi abit arbiter, virtus abit. Simulare, dissimulare, fingere [ … ] Cenodoxus didicit ) (I, 2). Als ihn sein Schutzengel im Traum zur Demut auffordert und ihm sein Sündenregister vorhält, zeigt Cenodoxus ebenso wenig wahre Reue wie auf dem anschließenden Krankenlager. Als Engel und Teufel um seine Seele streiten, bis Christus schließlich das Urteil der ewigen Verdammnis erklärt, wendet sich die Nebenfigur Bruno von der akademischen Gelehrsamkeit ab und gründet den Kartäuserorden. In der Figur des Cenodoxus hat die Forschung einen persönlichen Angriff auf den niederländischen Gelehrten Justus Lipsius sehen wollen; allerdings dürfte der Affront insgesamt dem selbstbewussten Späthumanismus gelten, der ganz auf seine Bildung abhebt und die Religion allenfalls als Lippenbekenntnis übt. Die Ähnlichkeiten im Bildungssystem, die Integration frühhumanistischer Motive ebenso wie der christlichen Moraldidaxe sowie die Parallelen in der performativen Ausgestaltung zeigen: Im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts haben sich die Späthumanisten wieder neu als Gelehr- Späthumanistischer Wettstreit zwischen Antike und Neuzeit tenstand formiert, dessen sozioliterarische Gemeinsamkeiten die konfessionellen Unterschiede überlagern. Freilich drohen in der Charakterisierung der Späthumanisten als homogene, sich standesbewusst abgrenzende Führungsschicht auch die Widersprüche zu kurz zu kommen, die sich schon in der Gelehrtenkritik der Dramen eines Frischlin oder Bidermann andeuten. Nimmt man die symbolischen Bestätigungsrituale nicht für bare Münze, lässt die literarische Produktion dieser Gruppe einige Dissonanzen erkennen, die sich um 1600 verschärften. Sie offenbaren sich besonders in der ambivalenten Haltung zur Klassischen Antike, die den Späthumanisten nicht mehr als alleiniger Maßstab galt. In den Naturwissenschaften, vor allem in der Medizin, hatte der neue Empirismus die antiken Autoritäten schon vor 1600 erschüttert. Auch die Entdeckung und Kolonialisierung fremder Kontinente sowie die technischen Erfindungen des Buchdrucks und des Schießpulvers, die oft gemeinsam hervorgehoben wurden, dienten manchen Dichtern als Argumente, um die Überlegenheit der Moderne über die Klassische Antike zu preisen. In poetischen Lobliedern auf moderne technische Errungenschaften wie Johann Fischarts Bildgedicht (1574) und Nicodemus Frischlins Lehrgedicht (1575) auf die astronomische Uhr des Straßburger Münsters manifestiert sich ein markanter Modernismus (Kühlmann 2016), der in den romanischen Ländern auch schon auf Sprache und Literatur übertragen wurde. Als etwa der italienische Dichter Torquato Tasso dafür getadelt wurde, er habe mit seiner Gerusalemme Liberata [, Befreites Jerusalem ‘] (1580) ein Epos verfasst, das mit seinen märchenhaften Wundern und amourösen Nebenhandlungen nicht den Regeln des klassischen Epos gehorche, rechtfertigte der italienische Dichter diese angeblichen Fehler als gezielte Innovationen. Sie sollten die antike Gattung den modernen Erfordernissen anpassen. Wie der <?page no="111"?> 000110 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 110 | A.IV. Der nachreformatorische Humanismus (1570-1620) Romanzo , die Renaissance-Version des antiken Epos, so reklamierte man auch die Form der Tragicommedia , einer Gattung mittlerer Stillage, und lyrische Formen wie Sonett und Madrigal als moderne Errungenschaften, mit denen man die Antike übertreffe. Die volkssprachlichen Literaturen Italiens und Frankreichs waren gegen Ende des 16. Jahrhunderts aus dem Schatten der antiken Vorbilder getreten, hatten das Postulat der imitatio gelockert und waren so in eine neue, produktive aemulatio mit der Antike getreten. 2. Latinisierungen volkssprachlicher Vorläufer: Zur Zweisprachigkeit des Späthumanismus Orientierte sich der deutsche Frühhumanismus an der lateinischen Literatur der Romania, so öffnete sich der deutsche Späthumanismus den volkssprachigen Einflüssen. Bereits im 16. Jahrhundert erschienen medizinische und naturkundliche Fachschriften in deutscher Sprache. Theophrastus Bombastus von Hohenheim, der sich Paracelsus nannte, hielt 1527 in Basel erstmals medizinische Vorlesungen in deutscher Sprache und veröffentlichte die meisten seiner naturkundlichen Fachschriften auf Deutsch, wobei er häufig mit dem Problem zu kämpfen hatte, über keine angemessene deutsche Fachterminologie zu verfügen. Mit dem Wechsel der Sprache ging auch ein neues Wissenschaftsverständnis einher. Seine Absage an die antike Säftelehre demonstrierte Paracelsus, indem er in Basel öffentlich die Bücher von Galen und Avicenna verbrannte und als erster Deutscher die ,Erfahrenheit‘ [ experientia ] statt der Buchweisheit propagierte. Es sei in der Medizin verfehlt, schreibt er - hier allerdings auf Latein -, sein Wissen vom Hörensagen zu schöpfen. Sicher blieb die Zunft der orthodoxen Mediziner den antiken Autoritäten und dem Latein länger treu. Lange übersetzte man die volkssprachlichen Veröffentlichungen französischer und italienischer Ärzte ins Lateinische, um sie in Deutschland zu verbreiten. Solche volks- und wissenschaftssprachlichen Wechselbeziehungen schärften das Bewusstsein der deutsch-lateinischen Statuskonkurrenz. Ähnliche Tendenzen lassen sich auch in der schönen Literatur feststellen. Der lateinische Späthumanismus behielt in einem Kompromiss die Errungenschaften der lateinischen Bil- Neue Stoffe in alter Sprache: lateinische Übersetzungen volkssprachlicher Literatur dungskultur zwar bei, öffnete sie aber zugleich für moderne Inhalte und neue Gattungen der romanischen Literatur. Überspitzt formuliert, richtete sich die lateinische Literatur um 1600 mehr an der volkssprachlichen Literatur der Renaissance aus als an der Poesie der Klassischen Antike. Die beiden epochemachenden italienischen Tragikomödien, Torquato Tassos Aminta (1580) und Giambattista Guarinis Pastor Fido (1590), erschienen in Deutschland zuerst in lateinischer Sprache. Der Stettiner Jurist Jurga Valentin Winther übersetzte den Pastor Fido 1607 zur Hochzeit des pommerschen Herzogs mit einer Schleswig-Holsteinischen Prinzessin, wenige Jahre später folgte der Arzt Andreas Hiltebrandt mit seiner Latinisierung von Tassos Aminta (1616, 2 1624). Symptomatisch für die sukzessive Annäherung des Lateinischen und Deutschen als Literatursprachen um 1600 ist auch die Tatsache, dass Hiltebrandt seiner eleganten lateinischen Versübertragung deutschsprachige Inhaltsangaben beigesellte (Aurnhammer 1994). Die lateinische Rezeption der neuen Sujets und Gattungen dauerte bis ins erste Viertel des 17. Jahrhunderts fort. Caspar von Barth, dessen Korrespondenz und Bibliothek noch weitgehend unausgewertet in der Zwickauer Ratsschulbibliothek liegen, übersetzte unter <?page no="112"?> 000111 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 111 3. Deutsche Emblematik um 1600 | dem Titel Pornodidascalus (1623) den ,dritten Tag‘ der Ragionamenti [,Kurtisanengespräche‘] des Pietro Aretino ins Lateinische, und schloss später mit einem lateinischen Lesedrama Pornoboscodidascalus Latinus (1624) daran an. Die Gelehrtensprache eröffnete hier den Freiraum für erotische Grenzverletzungen. Auch deutschsprachige Werke wurden ins Lateinische übersetzt. So übertrug man etwa den Till Eulenspiegel , die anonyme Schwanksammlung, die unter dem Titel Ein Kurtzweilig lesen von Dil Ulenspiegel erstmals 1510 gedruckt worden war, zwischen 1558 und 1567 gleich zweimal ins Lateinische. Zuerst veröffentlichte Joannes Nemius eine antikisierende Versbearbeitung in jambischen Trimetern unter dem Titel Triumphus humanae stultitiae (1558, Titel im Zweitdruck von 1563 erweitert um Ulularum speculum , den lateinischen Ausdruck für ,Eulenspiegel‘). Darin wird der Stoff zwar moraldidaktisch aufbereitet, aber keineswegs in seinen fäkalischen Grobianismen gemildert, die wohl gerade den ästhetischen Reiz ausmachten (Winkler 1995). Die rege lateinische Rezeption volkssprachiger Werke im letzten Drittel des 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts zeigt, wie der Späthumanismus trotz der Aufwertung des Deutschen als Literatursprache am Lateinischen festhielt, es aber zugleich nutzte, um sich inhaltlich zusehends vom klassischen Gattungs- und Regelkanon zu befreien. 3. „Gemälpoesy“: Deutsche Emblematik um 1600 Die lateinisch-deutsche Zweisprachigkeit schlägt sich auch in der Emblematik nieder, die sich auch medial durch Interferenzen auszeichnet. Bild und Text gehen hier eine untrennbare Verbindung ein. Begründet hatte die Gattung der italienische Jurist Andreas Alciatus mit seinem Emblematum Liber (Augsburg 1531), den er seinem Augsburger Humanistenfreund Konrad Peutinger als ,Liebespfand‘ [ pignus amoris ] gewidmet hatte. Alciatus hatte zwei Jahre zuvor eine Sammlung lateinischer Übersetzungen von griechischen Epigrammen herausgegeben, für die er zwar bereits knappe, mottohafte Überschriften verfasst, die er aber noch nicht illustriert hatte. Die Holzschnitte zu seinem Emblembuch stammen wahrscheinlich von Hans Schäufelin, der sie nach Zeichnungen von Jörg Breu dem Älteren anfertigte. Die Zusammenarbeit erwies sich als erfolgreich: Von den Emblemata erschienen im 16. und 17. Jahrhundert mehr als 170 Ausgaben und Übersetzungen. Alciatus’ Erstausgabe enthält 104 Embleme, die alle dreiteilig aufgebaut sind. Die typische Struktur sei exemplarisch erläutert an Alciatus’ zwölftem Emblem (Abb. A.IV.1.). Es besteht aus (1) einer inscriptio , einer sentenziösen Formulierung ( Amicitia etiam post mortem durans [,Die über den Tod hinausdauernde Freundschaft‘]), (2) einer pictura in Form eines Holzschnitts oder Kupferstichs, der das Motto symbolisch exemplifiziert und konkretisiert, hier eine verdorrte Ulme, die von einem Trauben tragenden Weinstock umfangen ist, und (3) einer subscriptio , welche die in Wort und Bild dargestellte Idee epigrammatisch auslegt und auf das Leben bezieht. In unserem Beispiel sind es drei lateinische Distichen, die sich folgendermaßen paraphrasieren lassen: ,Ein dunkler Weinstock mit grünem Laub umrankt eine vor Alter verdorrte und entblätterte Ulme. Im natürlichen Wechsel vergilt er seiner Stütze dankbar die ihm geleisteten Dienste. Das Exempel lehrt, nur solche Freunde zu suchen, die immer treu bleiben‘. <?page no="113"?> 000112 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 112 | A.IV. Der nachreformatorische Humanismus (1570-1620) A.IV.1. Amicitia etiam post mortem durans [‚Todüberdauernde Freundschaft‘]. Emblem aus dem Emblematum Liber des Andreas Alciatus (1542). Das Emblem des Alciatus geht auf ein Epigramm der Anthologia Graeca zurück und entspricht in seiner Feier der Freundschaft ganz dem Standesbewusstsein des Späthumanismus. Auch wenn die Doppelfunktion des Darstellens und Auslegens sich im Verlauf der Zeit änderte, blieb die humanistische Prägung der Gattung erhalten. Der bisweilen rätselhafte Charakter des Emblems war lange ein gattungstypisches Merkmal, zumal die Renaissance sich für Hieroglyphen zu interessieren begann, die altägyptische Bilderschrift. Maßgeblich dafür war die vielfach aufgelegte Edition der Hieroglyphica, sive de sacris Aegyptiorum aliarumque gentium litteris commentariorum libri LVIII (zuerst Basel 1556) des Giovanni Piero Valeriano, ein umfassendes Symbollexikon, das die Bedeutung von Tier-, Pflanzen- und Menschenwelt darstellt und erläutert. Obwohl die Emblematik in ihrer Motivwahl grundsätzlich keine Grenzen kennt - die ganze Welt wurde ihr zur Signatur -, waren Tiere, Pflanzen und Dinge besonders beliebt (siehe die Sammlung von Henkel/ Schöne [Hg.] 1967). Mit ihren pagan-mysteriösen Chiffren Verrätselnde Belehrung für die intellektuelle Elite zielte die frühe Emblematik vorrangig auf die intellektuelle Elite als Käufer; auch die spezifisch humanistischen Themen wie Freundschaft, stoische Haltung und Weltklugheit deuten auf eine gelehrte Leserschaft. Zwar wurde Alciatus’ Emblembuch Emblematum liber bereits 1542 mit deutschen Übersetzungen als Bilingue verlegt, doch blieb die Emblematik lange ein humanistisches Genre. Erst im Ausgang des 16. Jahrhunderts entdeckte die volkssprachliche Literatur die vormals lateinische Gattung für sich. Das erste von einem deutschen Autor verfasste Emblembuch stammt von Christliche Moraldidaxe in zweisprachigen Emblembüchern Mathias Holtzwart. Es trägt mit Emblematum Tyrocinia: Sive Picta Poesis Latinogermanica. Das ist. Eingeblümete Zierwerck / oder Gemälpoesy (Straßburg 1581) nicht nur einen lateinisch-deutschen Doppeltitel, sondern führt die Zweisprachigkeit im Hauptteil fort. Der lateinische Titel Tyrocinia [,Probestücke‘] verweist zwar auf eine lateinische Tradition, doch der deutschsprachige Vorbericht / von Vrsprung / Namen vnd Gebrauch der Emblematen / oder Eingeblömeten Zierwercken , <?page no="114"?> 000113 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 113 3. Deutsche Emblematik um 1600 | A.IV.2a und 2b. „Amor coniugalis / Liebe soll sein im Ehstand“. Emblem aus Mathias Holtzwarts Tyrocinia. Zeichnung von Tobias Stimmer (1581). den Johann Fischart beigesteuert hat, reklamiert einen ,teutschen Anteil‘ an der Begründung der Gattung. Illustriert hat den Band der seinerzeit bekannte Buchkünstler Tobias Stimmer, ein Freund Fischarts. Holtzwarts Tyrocinia unterscheiden sich von den humanistischen Vorläufern dadurch, dass sie keine lose Anthologie mehr darstellen, sondern die Stationen eines idealen curriculum vitae verfolgen (Lailach 2000). Damit wird sowohl der moralische Gehalt stärker betont als auch der Zusammenhang der Einzelembleme. Das biographische Muster, das von der Erziehung und dem Ruhmerwerb durch Bildung über den Eheschluss bis hin zum gottgefälligen Sterben reicht, organisiert die gesamte Abfolge. Dass Holtzwart sich dabei aus dem Motivschatz der humanistischen Tradition bedient, die Esoterik der frühen Emblematik hingegen aufklart, zeigt sein 35. Emblem mit der Inschrift Amor coniugalis [,Eheliche Liebe‘] (Abb. A.IV.2a und 3b). Die lateinische subscriptio besteht aus einem Rollengedicht, das einer liebenden Ehefrau in den Mund gelegt ist: Da ich als Gattin die Freude und zugleich den Schmerz teile, wollte ich ohne dich, dass mich die blutdürstigen Pfeile töteten, ohne dich wünschte ich, dass mich das grausame Schicksal dahinraffe und der Tod schnell meinen Leib erlöse, damit die zwei Körper, die die Liebe durch den gemeinsa- <?page no="115"?> 000114 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 114 | A.IV. Der nachreformatorische Humanismus (1570-1620) men Bund des Bettes zusammenfügte, auch die Urne vereine, so dass das Grab einst die in fast der gleichen Lage verbundenen Gebeine - als ein Zeugnis ehrwürdiger Liebe - bedecke [Übers. aus Holtzwart 1968, 184]. Das Bekenntnis zum gemeinsamen Sterben als Beweis ehelicher Liebe referiert zwar auf die biblische Eheformel ,Zwei in einem Leib‘ (Gen. 2, 24), widmet sie aber zum Liebestod um. Die pictura illustriert die eheliche Einigkeit des ,einzigen Leibs‘ durch ein nacktes Paar. Mann und Frau blicken einander liebend an und halten sich mit den Armen eng umschlungen. Obschon die Körpermitte verhüllt ist, lässt die Beinstellung auf eine geschlechtliche Vereinigung schließen. Die eheliche Liebe illustriert der neben dem Paar dargestellte Baumstamm, um den sich eine Weinrebe rankt. Diente dieses Naturbild bei Alciatus noch als Inbegriff todüberdauernder Freundschaft, wird es bei Holtzwart zum Sinnbild ehelicher Liebe abgewandelt. Damit wird das humanistische Freundschaftsideal mit der christlichen Ehemoral synthetisiert und die eheliche Liebe aufgewertet. Die deutsche Unterschrift in paargereimten Knittelversen unterscheidet sich von der lateinischen subscriptio merklich. Hier ist die personale Perspektive des Rollengedichts einer liebenden Ehefrau aufgegeben zugunsten der lehrhaften Beschreibung in dritter Person. Während die lateinischen Verse ganz auf den Liebestod abheben, betont das deutsche Pendant lediglich das Verbot der Ehescheidung und beglaubigt das Gebot zur ehelichen Treue nur im abschließenden Paarreim. Er fordert die eheliche Einheit „biß inn den todt“, aber nicht darüber hinaus. Das Nebeneinander von humanistisch-lateinischen und deutschsprachigen, stärker der christlichen Moralistik verpflichteten Elementen kennzeichnet Holtzwarts Gemälpoesy . In der biographischen Anlage eignete es sich als album amicorum , als Stammbuch, in dem sich Freunde und Kommilitonen verewigten (Lailach 2000, 140-142). Auf einen solchen Gebrauch zielte auch das etwas später erschienene zweisprachige Emblemata nobilitati et vulgo scitu digna (Frankfurt 1592) des bedeutenden Kupferstechers Theodor de Bry. Die leeren Wappen auf den zwischen den Bildern eingebundenen Seiten richteten sich auch an nichtadlige Käufer, die den Adel in Form eines Wappenbuches nachahmen wollten. So erweist sich die Sprachenkonkurrenz in der frühen Emblematik auch schon als Standeskonkurrenz von Adel und Bürgertum. Nach 1600 differenzierte sich das thematische Spektrum der Emblembücher weiter. Die Tier- und Pflanzenbilder konnten in geistlichen Kontexten als Figurationen des Gottessohnes oder moralisch zur Erbauung des Christenmenschen ausgedeutet werden. Geistliche Gattungsvertreter wie die europaweit rezipierte Pia Desideria Emblematis, Elegiis & affectibus (1624) des Jesuiten Hermann Hugo hielten sich allerdings mit konfessioneller Polemik zurück und deuteten ihre Sinnbilder theologisch vergleichsweise neutral (Osterkamp 1999, 242-245). Für die deutsche Liebessemantik des frühen Barock dienten die vielsprachigen Amor-Emblemata des Daniel Heinsius ( Quaeris quid sit Amor, quid amare [1605]) sowie Jacob Cats Sinneen minnebeelden (auch Proteus , 1618) als Inspiration und poetische Nachschlagewerke. Eine politisch-philosophische Sammlung legte der Opitz-Freund Julius Wilhelm Zincgref mit seiner Emblematum ethico-politicorum centuria (1619) vor, die deutlich vom Neustoizismus des Justus Lipsius beeinflusst war (ebd., 247). <?page no="116"?> 000115 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 115 4. Deutschsprachige Prosaerzählungen um 1600 | Auf diese Weise wurde die Emblematik vielfältig funktionalisierbar. Der Literatur diente sie nicht nur als Motivreservoir, sondern auch die Struktur vieler Gedichte und Romanpassagen lässt sich als emblematisch auffassen (Daly 1979). Kontrovers diskutiert wurde Albrecht Schönes These, das barocke Trauerspiel gehorche einer emblematischen Ordnung. Der Titel und die ,Reyen‘ bei Andreas Gryphius und Daniel Casper von Lohenstein stünden analog zu inscriptio und subscriptio ; sie deuteten folglich die dramatische Handlung, die sich funktionsäquivalent zur pictura verhalte (Schöne 1964). Unbestritten ist die enorme, über ganz Europa reichende Verbreitung von Emblembüchern und -traktaten gerade im 17. Jahrhundert; auch wenn eine vollständige Bibliographie wohl lange noch Desiderat bleiben wird, sind im Digitalzeitalter mehr europäische Emblembücher denn je leicht zugänglich (vgl. Emblematica Online: 〈 http: / / emblematica.grainger.illinois.edu/ 〉 ). 4. ,Volksbuch‘ und Historia: Deutschsprachige Prosaerzählungen um 1600 Mit der wechselseitigen Beeinflussung von volkssprachlicher und neulateinischer Dichtung ging auch eine ständisch-stilistische Diversifikation des Deutschen als Literatursprache einher. Die Forschung ebnet das literarische Feld allzu sehr ein, wenn sie diese Phase mit der Prosa-Auflösung älterer Versepen in sogenannten ,Volksbüchern‘ gleichsetzt. Man hält an dem Begriff ,Volksbuch‘ fest, den Joseph Görres 1807 prägte, ohne freilich die romantische Auffassung zu teilen, es handelte sich um Literatur aus dem Volke für das Volk. Die neuere Forschung bemüht sich vielmehr darum, die individuellen Aspekte in der angeblich volkstümlichen Überlieferung hervorzuheben, und hat zudem auf die Diversität der Druckerzeugnisse eines ,niederen Marktsegments‘ hingewiesen, die sich keiner einheitlichen Gattung zuschlagen lassen. Ein Beispiel bietet das Buch der Liebe (1587), herausgegeben vom Frankfurter Verleger Sigmund Feyerabend. Es enthält eine Prosa-Sammlung von dreizehn beliebten Volksbüchern unterschiedlicher Herkunft und Gestalt. Die Skala dieses „Literaturspeichers en miniature “ (Braun 2001, 46) bezeugt die Europäisierung des Literaturgeschmacks. Bei den Texten, auf deren sozialen und politischen Nutzen der Kompilator Feyerabend in der Widmungsvorrede hinweist, handelt es sich um Liebesgeschichten aus historisch und kulturell sehr unterschiedlichen Kontexten. Sie reichen vom antiken Liebesroman wie Heliodors Theagenes und Chariclia über das mittelalterliche Epos und den spätmittelalterlichen Artusroman Wigoleis , den Prosaromanen von Magelone und Melusine bis zu Boccaccios moderner Version des Florio und Bianceffora -Stoffes und zu Georg Wickrams fast noch zeitgenössischem Prosaroman Gabriotto und Reinhart . Vielen der Geschichten liegen französische Versepen zugrunde (Veitschegger 1991), aber oft eben auch Prosaromane der Antike und des Mittelalters, sodass die für das ausgehende 16. Jahrhundert oft pauschal gebrauchte Charakterisierung ,Prosa-Auflösung‘ nur eine bestimmte Tendenz trifft. Noch heute bekannt sind die sogenannten Schildbürgerstreiche, die auf das anonyme Lalebuch (1597) zurückgehen, in der zweiten Ausgabe als Schiltbürger-Buch (1598) bezeichnet. Die Lalen, so heißt es, seien einstmals für ihre Klugheit bekannt gewesen und mussten deshalb derart oft die leidliche Position des königlichen Ratgebers bekleiden, dass sie sich bald dumm gestellt hätten, um nicht mehr belangt zu werden. An ihre zur Schau gestellten Narrheiten <?page no="117"?> 000116 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 116 | A.IV. Der nachreformatorische Humanismus (1570-1620) gewöhnen sie sich allerdings, sodass sie ihnen zur zweiten Natur werden. So bauen sie ein dreieckiges Rathaus ohne Fenster, suchen die Sonne in Säcke einzufangen und hineinzutragen, bis sie schließlich aus Furcht vor dem Maushund ihre Häuser anzünden und sich in alle Welt verteilen. Auch wenn die einzelnen Schwänke auf Vorlagen zurückzuführen sind, lässt das Vorwort keinen Zweifel an der Geschlossenheit und Eigenständigkeit der Schöpfung - thematisches Zentrum ist die Frage nach der öffentlichen Ordnung, nach der bürgerlichen Verfassung und dem im Lalebuch öfter diskutierten ,gemeinen Nutzen‘ in der Stadt. Aus diesem Grund setzt der anonyme Verfasser seine Sammlung, die nur zum Teil „zu ehrlicher Kurtzweil vnd Zeitvertreibung“ dienen soll, ausdrücklich gegen die grobianische Schwankliteratur ab, gegen die „groben Zotten im Rollwagen / Gartengesellschafft / Cento Lalebuch: volkstümliche Schwankliteratur vor humanistischem Hintergrund Nouella, Katzipori, vnd andern vnreinen Scribenten / welche wol außschneidens bedörfften“ (Ertz [Hg.] 1998, 8). Nicht nur geht der Verfasser mit der volkstümlichen Schwankliteratur selektiv um, er kombiniert seine Scherzerzählungen auch mit humanistischen Literaturgattungen. So spielt er mehrfach auf die Utopia von Thomas Morus an, dem Prototyp der humanistischen Gattung (Müller 1985; Dicke 2011). Die Hauptstadt der Lalen heißt „Uthen“, der Kaiser „Udeys“ [,Niemand‘]. Des Weiteren spielt der Verfasser auf die didaktische Exempelliteratur der Reformationszeit an, wenn er behauptet, das Lalebuch diene „Vns allen zu einem augenscheynlichen Exempel / darauß zu lehrnen / welcher massen wir vnsern lieben vnd frommen Eltern in guten Sitten vnd Tugenden nachschlagen / vnnd etwan auß der Noth ein Tugend machen sollen“ ( 043). Und schließlich parodiert er die Gattung der etymologisch gestützten Genealogie-Literatur, wenn er augenzwinkernd die Lalen von den alten Griechen herleitet. Seine Etymologie ,LALE‘ aus dem Griechischen zeigt, dass es sich um einen humanistisch gebildeten Verfasser handelt. Tatsächlich bedeutet im Griechischen laleo ,ich lalle‘ und lalema heißt ,das Geschwätz‘. Diese etymologische Erklärung verträgt sich durchaus mit einem anderen Verständnis der Protagonisten, nämlich ,LALE‘ als Anagramm für ,ALLE‘ zu lesen. Eine solche parodistische Inversion der humanistischen ,Nemo‘- und ,Utopia‘-Literatur ist durchaus plausibel angesichts der hochgradigen und mehrschichtigen Intertextualität des Werks, die in zahlreichen Zitaten zum Ausdruck kommt. Ein bedeutender Teil der ,volkstümlichen‘ Prosaerzählungen im späten 16. Jahrhundert versteht sich selbst als sogenannte historia . Der faktuale Gattungsbegriff historia wurde seit Lukians ,wahren Geschichten‘, den ᾽Αληθη῀ διηγη´ ματα ( Verae Historiae ), einer Sammlung fantastischer Reisefiktionen, auch ironisch gebraucht. Im Deutschen ursprünglich für biblische und chronographische Geschichtsschreibung reserviert, wurde der Terminus schon im 15. Jahrhundert auf Fiktionen angewandt (Knape 1984). Man begann, mit der referentiellen Ambiguität der wundersamen Erzählungen zu spielen: Waren sie wahr oder erfunden? Thüring von Ringoltingens Melusine (1473) etwa greift den Mythos der schönen Jungfrau auf, deren Unterleib sich regelmäßig in eine Schlange verwandelt. „Vnd mich beduncket aller der hy¨storien keine frömder noch abentewrlicher zesein dann dise“, bekennt die Nachrede des Romans, „besunder so halt ich auch dauon mer dann von den andern allen / von sach wegen das dy¨e vorgemelten grosse geschlächt da her kommen vnd verboren seind“. Weil also die <?page no="118"?> 000117 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 117 4. Deutschsprachige Prosaerzählungen um 1600 | Nachfahren der Melusine noch lebten, sei das Buch „für ein warheit“ zu halten (Ringoltingen 1990, 176). Es ist schwer zu bestimmen, wie viele Zeitgenossen diese Wahrheitsbekräftigungen glaubten. Martin Luther immerhin hielt Melusine für eine Inkarnation des Teufels (Knape 1984, 359). Mit der Ausweitung des Buchdrucks wurden faktuale Ansprüche jedoch zu einer wichtigen Werbestrategie, und immer mehr sensationelle Flugschriften über Wunder, Morde und Missgeburten vermarkteten sich mit Titeln wie ,Warhafftige Newe Zeitung‘. Auch wenn viele dieser Nachrichten unglaubwürdig waren, betonten sie ihre Wahrhaftigkeit doch nachdrücklich, eine Konvention, die bereits die Zeitgenossen aufs Korn nahmen. Der Satiriker Michael Lindener beispielsweise parodierte das Genre mit einem Bericht über einen Riesen, dessen Körperglieder angeblich so groß seien wie verschiedene europäische Städte und der als Geschenk dem König von Frankreich gesandt worden sei. Der augenzwinkernde Titel dieser abstrusen Geschichte: Warhafftige newe zeytung von einem gar vnerhörten Mann (1558). Eine angeblich völlig wahre historia präsentiert auch das vielleicht bedeutendste Prosawerk der Zeit, nämlich die Historia von D. Johann Fausten / dem weitbeschreyten Zauberer und Schwarzkünstler (1587) ( 044). Angeblich aus den „eygenen hinderlassenen Schrifften“ des berüchtigten Magiers kompiliert, so das Titelblatt, kann die bei dem Frankfurter Verleger Johann Spies erschienene Sammlung von Episoden als wichtigste Quelle für spätere Faustbearbeitungen gelten - und stiftete damit der deutschen Literaturgeschichte einen ihrer einprägsamsten Stoffe. In der Vorrede werden allerlei weitere Quellen wie Augenzeugenberichte genannt, um die Erzählung zu beglaubigen. Um sämtliche denkbaren Erfahrungen zu machen, so die Handlung, verbündet sich Faust mit dem Teufel, der ihm als Mephistophiles zu Diensten ist. Er führt ihn zu schönen Frauen, fernen Ländern und schließlich auch auf eine Himmelsreise, wie sie Alexander der Große unternommen hat. So wie dieser alle horizontalen und vertikalen Grenzen überschritten hat, sich von Greifen in himmlische Höhen tragen ließ, so opfert auch Faust in seinem unstillbaren Wissensdurst, seiner curiositas , alles, sogar sein Seelenheil: „Wie abgemeldt worden / stunde D. Fausti Datum dahin / das zu lieben / das nicht zu lieben war / dem trachtet er Tag und Nacht nach / name an sich Adlers Flügel / wolte alle Gründ am Himmel und Erden erforschen“. Die Forschung betont heute den eindeutig reformatorischen Standpunkt des anonymen Verfassers und seine moralische Distanz zu der Faust-Figur, die ein schon zu Lebzeiten legendär überformtes Vorbild in der historischen Wirklichkeit hat (Martin 2018; Münkler 2011). So eindeutig der Text von dem moralischen Verdikt geprägt ist - im Sinne des Neugierdeverbots der Frühen Neuzeit, quae supra nos, nihil ad nos , ,[zu wissen] was über uns ist, ist nicht für uns gedacht‘ (Blumenberg 1966) -, so sehr meldet sich die literarische Phantasie zu Wort. Wenn Faust von Neugier getrieben ist, Unerhörtes zu schauen, so gilt das auch für die Leser, die Unerhörtes lesen wollen. Um Fausts Sichtweise zu übermitteln, ist die Himmelsreise in Form eines Briefes geschildert. Bemerkenswert neben dieser subjektiven Perspektivierung ist, dass weniger die Sicht der himmlischen Regionen, als vielmehr der panoramatische Blick auf die Erde erprobt wird. Aus der ästhetischen Distanz - man erinnere sich an Petrarcas Besteigung des Mont Ventoux ( 003) - wird die Erde in kühnen Metaphern geschildert. Perspektive und Wahrnehmung sowie die ästhetische Aneignung der Landschaft <?page no="119"?> 000118 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 118 | A.IV. Der nachreformatorische Humanismus (1570-1620) beginnen auch in der deutschen Literatursprache zu entscheidenden Faktoren zu werden. So sehr die frühen Großformen der ,Volksbücher‘ Einzelelemente aneinanderfügen, so spürbar sind doch ein integrativer Gestaltungswille und eine Tendenz zu literarischer Umformung und Entwicklung. 5. Von Mäusen und Riesen: Gelehrte Sprachspiele in Versepos und Prosaroman Neben der partiellen Prosa-Auflösung finden sich um 1600 auch gegenläufige Tendenzen, nämlich die Versifizierung volkssprachlicher Prosavorlagen. Damit verbindet sich die Absicht, das qualitative Gefälle zwischen lateinischer Versdichtung und deutscher Prosa zu verringern. Dies zeigt sich nicht nur formal, also in der versepischen Gestaltung, sondern auch inhaltlich. In der deutschsprachigen Dichtung des Späthumanismus begegnen vermehrt gelehrte mythologisch-literarische Anspielungen. Der Bildungsgehalt der volkssprachlichen Dichtung gleicht sich dem der lateinischen Dichtung an. Zu den ambitionierten Beispielen dieser Art gehören Georg Rollenhagens Froschmeuseler (1595) und Johann Fischarts Eulenspiegel Reimensweiß (1572). 5.1. Georg Rollenhagen und das volkssprachliche Tierepos Beim Froschmeuseler des Georg Rollenhagen handelt es sich um ein riesiges Tierepos, das etwa zwanzigtausend Reimverse umfasst. Geschildert wird die Unterredung zwischen dem Froschkönig Bausback und dem Mäuseprinzen Bröseldieb. Bei einem Staatsbesuch ertrinkt der Mäuseprinz durch Verschulden des Froschkönigs (er muss einer Wasserschlange ausweichen). Wegen dieses Vorfalls erklären die Mäuse den Fröschen den Krieg, aus dem Letztere siegreich hervorgehen. Doch liefert die Handlung nur den äußeren Rahmen für eine enzyklopädische Behandlung aller Fragen aus dem privaten und öffentlichen Leben. Auch die antike Mythologie, humanistische Bildung und literarisches Wissen werden in das Tierepos integriert. Dies zeigt exemplarisch etwa der Passus, in dem der Mäuseprinz Bröseldieb das Mausleben mythologisch aufwertet ( 045). Der durch die Zauberin Kirke in eine Maus verwandelte Gefährte des Odysseus preist dem Helden die Vorzüge des Mäuselebens. Aus Sicht der Maus erscheint das menschliche Dasein hingegen wenig erstrebenswert. Formal wie thematisch orientiert sich Rollenhagen an der pseudohomerischen Batrachomyomachia [,Kampf der Frösche und Mäuse‘], einem komischen Tierepos der Antike. Simon Lemnius hatte durch seine lateinische Version aus der Mitte des 16. Jahrhunderts das Interesse für diese komische Gattung neu angefacht. Indem Rollenhagen die antik-späthumanistische Gattung mit volkssprachigen Traditionen kombiniert und in deutsche Verse bringt (Lieb 2004), trägt er dazu bei, die hergebrachte Statuskonkurrenz zwischen dem Humanistenidiom und der Sprache des Volkes aufzuheben. Neu ist neben den virtuosen Wechseln in der Erzählperspektive die Bedeutung der Vielen im Verhältnis zum Einzelnen. Rollenhagens komisches Tierepos relativiert und kritisiert insofern das klassische Epos, als es weniger auf einen Einzelhelden abhebt, als vielmehr die militärische Bedeutung der Masse ins Licht rückt (Jahn 2004, 215). <?page no="120"?> 000119 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 119 5. Gelehrte Sprachspiele in Versepos und Prosaroman | 5.2. Der Wortspieler: Johann Fischart In noch stärkerem Maße gilt das Verdienst einer ästhetischen Innovation für Johann Fischart. Fischarts Werk ist bis heute nicht vollständig ediert. Die kritische Ausgabe der Sämtlichen Werke (Fischart 1993-2012) ist noch nicht abgeschlossen und harrt der Kommentarbände, ganz zu schweigen davon, dass bei vielen Werken Fischarts Autorschaft ungesichert ist, da er oft anonym und unter verschiedenen Pseudonymen publizierte. Der 1546 geborene Sohn eines wohlhabenden Gewürzkaufmanns besuchte in seiner Vaterstadt Straßburg das renommierte Gymnasium und immatrikulierte sich an der Universität Tübingen, bevor er sich auf eine Reise durch Europa, u. a. nach Paris und Siena, begab und 1574 die juristische Promotion in Basel ablegte. Innerhalb zweier Jahrzehnte, von 1570 bis 1590, hat Fischart eine Fülle satirischer, publizistischer und wissensvermittelnder Werke verfasst, daneben vieles herausgegeben und redigiert. Vor allem durch die enge Zusammenarbeit mit seinem Schwager, dem auf Einblattdrucke und Flugschriften spezialisierten Straßburger Drucker Bernhard Jobin, und seine Kooperation mit dem Künstler Tobias Stimmer entstanden zahlreiche illustrierte Werke und Einblattdrucke (Brockstieger 2018, 71-176). Das konfessionspolemische Flugblatt Gorgoneum Caput (1. Fassung 1574, 2. Fassung 1577) spielt im deutschen Titel satirisch mit der Fiktion der Neuentdeckung eines bislang unbekannten Wesens in der Neuen Welt: Der Gorgonisch Meduse Kopf. Ain fremd Römisch Mörwunder [ … ] von etlichen Jesuitern daselbs / an jre gute Gönner abcontrafait heraus geschickt (Abb. A.IV.3.). Tatsächlich präsentiert es ein Papstbildnis, welches als Kompositporträt aus einer Vielzahl liturgischer Elemente zusammengesetzt ist. Die flankierenden Tierfiguren, die anstelle der vier Evangelisten gesetzt sind, repräsentieren naive Gläubige oder ihrem Amt zuwider handelnde Würdenträger. Vorbild für Stimmers Darstellung waren wohl Giuseppe Arcimboldos aus heterogenen Objekten zusammengestellte Porträts, die seinerzeit beliebt waren und die Fischart nachweislich kannte. In dem arcimboldesken Papstbildnis kritisiert Stimmer die Missstände der katholischen Kirche, die in Materialismus, Ablasswesen und Reliquienkult den christlichen Glauben verrät. In seiner Versunterschrift, welche die untere Hälfte des emblematisch aufgebauten Flugblatts (Motto/ Titel, Bild, Deutung) einnimmt, sucht Fischart dem hybriden Bildnis sprachlich zu entsprechen. So gewinnt seine Deutung durch semantische Verschiebungen, Klang- und Wiederholungsfiguren eine sprachspielerische Eigenständigkeit, die sich in ihrer artifiziellen Machart mit Stimmers bildkünstlerischem Stil messen kann. Das Gorgoneum Caput ist ein Sinnbild von Fischarts literarischem Œuvre, das ebenso lustvoll grotesk wie vielfältig gemischt erscheint. Es finden sich darin politische Satiren, herbe Konfessionspolemiken, Kalenderparodie wie Aller Praktik Großmutter (1572) sowie Verherrlichungen reichsstädtischen Lebens wie Das Glückhafft Schiff von Zürich , das den Transport eines heißen Breis auf einem Rheinschiff von Zürich ins befreundete Straßburg feiert. Unabhängig davon, ob es sich um Originalwerke oder Bearbeitungen handelt: Immer zeigt sich eine sprachspielerische Begabung, die in der deutschen Literatur kaum ihresgleichen findet und der Grund ist, weshalb man Fischart bisweilen dem europäischen ,Manierismus‘ zurechnet, der in Deutschland so recht erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts aufkommt. Von Fischart stammt beispielsweise der erste Sonettzyklus in deutscher Sprache. Seine Etlich Sonnet aus dem Jahre 1575 beruhen in ihrer scharfen Polemik gegen die Herrschaft der <?page no="121"?> 000120 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 120 | A.IV. Der nachreformatorische Humanismus (1570-1620) A.IV.3. Gorgoneum Caput . Einblattdruck von Johann Fischart mit Zeichnung von Tobias Stimmer (1577). <?page no="122"?> 000121 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 121 5. Gelehrte Sprachspiele in Versepos und Prosaroman | französischen Katharina von Medici auf antimonarchischen Pamphleten der Hugenotten. Fischart kombiniert in den sieben Sonetten virtuos die neue Form der modernen französischen Pamphlet-Propaganda mit der deutschen Reimpaarsatire (Aurnhammer 2000). Zweischichtig intertextuell ist auch Fischarts Epos Eulenspiegel Reimensweiß (1572). Fischart stützt sich nicht nur auf das Volksbuch „von Dyl Vlenspiegel“ ( 046), sondern auch auf eine lateinische Fassung des Eulenspiegel ( Noctuae speculum ). In der Kombination deutsch-lateinischer Narrenzunft, in der ironischen Behandlung der klassischen Mythologie und dem ironischen Perspektivenwechsel von Erzähler und Held kommt eine ästhetische Umorientierung zum Tragen, die in der Dichtung um 1600 keine Frage der Sprachenwahl, Deutsch oder Latein, mehr ist. Deutlich zeigt dieses Vexierspiel die Vorrede, in der Eulenspiegel dem „Leser“ seine groteske mythologische Maskerade erläutert ( 047). Mit dieser Vorrede rückt Fischart seine Helden-Vita in die Tradition ironischer Lobreden von Homer bis Erasmus und fragt nach der angemessenen Stilhöhe für einen niederen Helden (Seelbach 2012). Durch sogenannte Schüttelbilder, in denen Bildspender und Bildempfänger ineinander übergehen, entsteht ein sprachspielerisches Gebilde. Eulenspiegel präsentiert sich als geflügeltes Pferd, vergleicht sich mit Pegasus, diesen mit seinem Esel, kommt so auf den künstlichen Flieger Dädalus, und wieder zu den Eseln, zu denen er fliegt. Die „Poetisch flügel“, anders als die „Adlers Flügel“, die Faust wünscht, machen dieses kaleidoskopartige Verwirrspiel möglich. Fast alle Bearbeitungen fremder Werke durch Fischart zeichnen sich durch eigenständige Erweiterungen, durch Hinzufügungen und Abschweifungen aus. Der parodistische Umgang mit literarischen Traditionen und Gattungen zeigt sich insbesondere im komischen Genre. Die bedeutendste innovatorische Leistung in der deutschen Literaturgeschichte des 16. Jahrhunderts stellt aus heutiger Sicht Fischarts Affentheurlich Naupengeheurliche Geschichtklitterung dar (zuerst 1575), eine ausschweifende Übersetzung und Fortführung des ersten Buchs des Gargantua von Franc¸ ois Rabelais (1532). Auch dieser Text bietet eine ungewohnte Sicht auf die Dinge des Lebens. Rabelais schildert hier Geburt, Erziehung und Taten eines jungen Helden. Nur: Dieser Held ist ein Riese. Entsprechend monströs fallen die Schilderungen aus. In der Abtei The´ le`me gipfelt und schließt der Roman. Rabelais entwirft in satirischer Zuspitzung ein Kloster als verkehrte Welt. Männer und Frauen leben hier gemeinsam, frönen dem Kleiderluxus, Spielen und Festen. Fischart wiederum verstärkt noch die epikureischen Aspekte der The´ le`me, die bei ihm Abtei ,Willigmut‘ heißt und deren Ordensdevise lautet: „Thu, was du wilt“ (56. Cap.). Die Vergleiche mit dem französischen Original lassen Sprachspiele aus Homonymen- und Synonymenhäufungen sowie Assoziationsketten in Fischarts deutscher Version erkennen. Fischart breitet, ohne dass ein organisierendes Prinzip erkennbar würde, das Wissen seiner Ästhetische Autonomie des Sprachartisten Zeit aus, wobei fachsprachliche Wortansammlungen seine Katalogtechnik kennzeichnen. So präsentiert er eine Liste von über 600 Spielen und Unterhaltungsaktivitäten - etwa dreimal so viele wie auf Rabelais’ Liste -, die im poetischen Überschwang und in sprachspielerischer Verselbständigung alle Regeln der Wissensorganisation und Ordnung bricht (Bulang 2013). Fischart selbst, der sich seines familiären Ursprungs aus Mainz wegen auch „Mentzer“ nannte, erfand für diese Sprachkombinatorik, die an James Joyce oder Arno Schmidt denken lässt, die Bezeichnung „Mentzer- <?page no="123"?> 000122 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 122 | A.IV. Der nachreformatorische Humanismus (1570-1620) kletten“. In dieser Hinsicht ragt die sogenannte „Truncken Litanei“ heraus, die ohne Vorbild bei Rabelais ist ( 048). Nie zuvor ist in deutscher Sprache ästhetische Autonomie so weit gegangen wie in diesem Wortkatarakt, in dem sich Sprache verselbständigt, ihre Inhalte weit hinter sich lässt und ein eigenständiges Gewebe wird: ein moderner literarischer Text, der einen spielerischen Leser erfordert (Brockstieger 2018, 217-229; Seelbach 2000). Wie die imitatorische Amplifikation zu einem eigenen Werk wird, zeigt eindrucksvoll der Catalogus Catalogorum (1590), das letzte zu Lebzeiten des Autors veröffentlichte Werk. Darin hat Fischart das 7. Kapitel von Rabelais’ Pantagruel bearbeitet, das die in der librairie de Saint Victor verwahrten 140 Lieblingsbücher des Pantagruel fast vervierfacht. Fischarts Catalogus zählt 526 Titel von erfundenen Büchern. Doch mit der quantitativen Vermehrung geht auch eine qualitative Differenz einher. Fischart nutzt den Katalog zu eigenständigen Titel-Verballhornungen, grotesken Verfremdungen, neuen Zusammenstellungen und Titel-Kombinationen, die antike wie moderne Werke in ein neues Licht rücken und den Leser zu einer skeptischen Distanz nötigen (Schilling 2011; Werle 2007, 170-201). 6. Alchemisten, Mystiker und Propheten: Esoterische Tendenzen im Späthumanismus Etwa zeitgleich mit den neuen Wissenschaften formierten sich um 1600 einige einflussreiche esoterische Bewegungen. Sie postulierten eine geheime Ordnung der Welt und versuchten diese durch Naturbeobachtungen sowie durch mystische Spekulationen aufzudecken. Die Krise der spätmittelalterlichen Naturphilosophie, welche die Wirklichkeit mithilfe antiker Autoritäten wie Aristoteles, Galen oder Ptolemäus zu verstehen suchte, machte den Weg frei nicht nur für den modernen Empirismus, sondern auch für einen naturkundlichen Hermetismus, der wesentliche Anregungen durch die Schriften des Arztes und Alchemisten Paracelsus erhielt. Viele literarisch tätige Autoren verfassten um 1600 auch naturmystische, theologische und alchemische Werke, und meist sind diese selbst von poetischer Qualität. Die Interferenz, ja partielle Identität von Dichtkunst und Sachschrifttum sei exemplarisch an Johann Valentin Andreae (1586-1654) und Jacob Böhme (1575-1624) erläutert, den wichtigsten Vertretern einer späthumanistischen Esoterik. Ihre Arbeiten dominierten entsprechende Entwicklungen im 17. Jahrhundert. 6.1. Johann Valentin Andreae und der Rosenkreuzerorden Johann Valentin Andreae zählt zu den Protagonisten der ,voropitzischen‘ Modernisierung und gilt als „Intellektueller von gesamteuropäischem Zuschnitt“ (Brecht 2008, 316). Seine Kenntnis der Sprachen und Literaturen sowie sein breites Wissen in Theologie, Humanismus und Naturwissenschaften verdankt er einem mehrjährigen Studium an der Universität Tübingen sowie seinen Studienreisen ins Ausland. Andreae machte sich mit drei esoterischen Gründungsschriften einen Namen, weswegen er bis heute den zweifelhaften Ruhm genießt, den Rosenkreuzerorden gestiftet zu haben, eine geheime Glaubensbewegung zur christlichen Erneuerung von Gesellschaft und Wissenschaft. In seiner anonym veröffentlichten Chymischen Hochzeit Christiani Rosencreutz. Anno 1459 (1616) warnt Andreae davor, ,dass Geheimnisse, wenn sie publik würden, ent- <?page no="124"?> 000123 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 123 6. Esoterische Tendenzen im Späthumanismus | wertet und profaniert würden‘, und leitet daraus die esoterische Devise ab, ,keine Perlen vor die Säue zu werfen oder einem Esel Rosen preiszugeben‘ [„Arcana publicata vilescunt; & gratiam prophanata amittunt. Ergo: ne Margaritas obijce porcis, seu Asino substerne rosas“, Andreae 2010, 254]. Tatsächlich sind viele Passagen dieses märchenhaften Romans kaum recht entschlüsselbar. Rätselhafte Symbole werden eingeführt, architektonische Strukturen werden beschrieben, alchemische Formeln zitiert. Den Rahmen bildet die Erzählung von sieben Tagen aus dem Leben des Forschers Christian Rosenkreutz, die mal als Traumvision, mal als siebenaktiges ,Schauspiel‘, mal als (an Boccaccio orientierte) Konversation über Liebesfragen gestaltet ist. Auch weil Andreaes selbstreflexives Spiel mit Fiktion oft überraschend modern wirkt - der offene Schluss besteht in der Behauptung, „Hie manglen ungefehr zwey Quart Bletlein“ (Andreae 2010, 417) -, hat man seine Rosenkreuzer-Schriften von Herder und Goethe bis zu Rudolf Steiner und C. G. Jung immer wieder auszulegen versucht. Neben seinen Rosenkreuzerschriften entwarf Andreae mit seiner neulateinischen Reipublicae Christianopolitanae descriptio (1619) auch eine der ersten Utopien im deutschen Kulturraum. Der Engländer Thomas Morus hatte diese in ganz Europa wirksame Gattung 1516 mit seiner Utopia [wörtl. ,Nicht-Ort‘] begründet - in Dialogform schildert Morus hier die Erzählungen eines Reisenden, der angeblich längere Zeit bei den ,Utopiern‘ gelebt hat und seinen Grundzüge der Utopie bei Morus und Andreae staunenden Gesprächspartnern von der idealen Einrichtung von deren Republik berichtet. Privateigentum kennt man in Utopia nicht, es herrschen die Grundsätze der Gleichheit, des Fleißes, des kollektiven Wirkens am Gemeinwohl. Wie ernst es Morus mit seiner Utopie war, ist umstritten, und schon der Name seines Erzählers, Raphael Hythlodaeus [,Schwätzer‘], weist daraufhin, dass er mit seiner Satire nicht nur die misslichen Zustände in England, sondern auch die absurden Phantasmen zeitgenössischer Philosophen aufs Korn nehmen wollte. Immerhin belegt aber der Erfolg der Idealstaatsfiktion in der Frühen Neuzeit auch das große Interesse am Gedankenexperiment. Immer öfter konzipierte man im Modus der Literatur radikale Alternativen zur eigenen Gegenwart und projizierte diese auf exotische Länder in weiter Ferne. Andreae bezieht sich in der Leservorrede seiner Insel-Utopie Christianopolis ausdrücklich auf Thomas Morus und ahmt dessen Spiel mit Rahmen- und Binnenerzählung nach. Eindeutiger noch als Morus markiert Andreae, dass es sich bei dem angeblichen Bericht des Ich- Erzählers lediglich um eine intellektuelle Entdeckungsreise auf dem ,Schiff der Phantasie‘ [„phantasiae navis“] im ,akademischen Meer‘ [„academicum mare“] handelt (Andreae 2018a, 112-115). Bezeichnenderweise spart er die Rückfahrt von der imaginären Inselrepublik aus. So sehr Andreaes Christianopolis der lutherischen Orthodoxie entspricht und dem Himmlischen Jerusalem gleicht (Bernet 2007), so sehr erinnert sie streckenweise auch an die utopische Civitas Solis [,Sonnenstaat‘] des italienischen Philosophen Tommaso Campanella. Diese Utopie erschien zwar erst später im Druck, doch kannte Andreae das Werk des wegen Ketzerei in Neapel inhaftierten Campanella, da es als Manuskript in Deutschland kursierte (Schmidt-Biggemann 2018). Andreae, der in seiner Geistlichen Kurtzweil (1619) auch Campanellas Sonette hat, darunter ein autobiographisches Bekenntnisgedicht, verdankt dem ita- <?page no="125"?> 000124 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 124 | A.IV. Der nachreformatorische Humanismus (1570-1620) A.IV.4. Plan von Johann Valentin Andreaes Christianopolis (1619). lienischen Dichterphilosophen unter anderem die zahlensymbolisch fundierte Struktur der Idealstadt (Thompson 1999, 30-44). Der mühlebrettartige Grundriss von Christianopolis, den ein anonymer Kupferstich visualisiert (Abb. A.IV.4.), könnte von der planquadratischen Anlage von Freudenstadt im Schwarzwald angeregt sein, die der mit Andreae bekannte Heinrich Schickhardt entworfen hatte (Kruft 1989, 68-82). 6.2. Jacob Böhme und die Sprachmystik des 17. Jahrhunderts Zu den deutschsprachigen Autoren um 1600 von europäischem Rang zählt auch der Görlitzer Schuhmacher Jacob Böhme. Das Bild des angeblich ungelehrten und armen Schusterpropheten hat die Forschung längst korrigiert (Kemp 1983, Kühlmann/ Vollhardt [Hg.] 2012). Keineswegs unvermögend und durchaus belesen, war Böhme mit der Tradition theologischalchemischer Geheimlehren vertraut und unternahm ausgedehnte Reisen. Auch wenn die Werke Böhmes, der nach seiner ersten Schrift Aurora oder Morgen-Röte im Aufgangk (1612) mit einem Schreibverbot belegt wurde, großenteils handschriftlich verbreitet wurden, wurde er als inspirierter Mystiker und Theosoph ebenso berühmt wie angefeindet. Eine Schar von Gefährten, darunter Kirchengegner und Anhänger des Paracelsus, unterstützten Böhme in seinem Kampf gegen die Repräsentanten der lutherischen Orthodoxie in der Lausitz. Böhme hat immer wieder die göttliche Inspiration seiner Schriften betont. Gerade in der Ausschmückung des inneren Schreibtriebs zeigt sich der poetologische Aspekt seiner Mystik. Im zehnten Send-Brief von 1620 stilisiert er sich zum Sprachrohr des Heiligen Geistes, als bloßen Schreiber „von einer einfältigen Hand [ … ] mit keiner Kunst oder grossem Verstande“ (Böhme 1682, 48). Zu diesem Autorschaftskonzept eines göttlich inspirierten Dichters gehört es aber auch, dass Böhme die Schwierigkeiten reflektiert, welche es ihm bereitete, seine innere göttliche Schau ,auszuwickeln‘, zu entäußern und zu versprachlichen: „Im inneren sahe ich es <?page no="126"?> 000125 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 125 6. Esoterische Tendenzen im Späthumanismus | wohl / als in einer grossen Tieffe / dann ich sahe hindurch als in ein Chaos , da alles inne lieget / aber seine Außwickelung war mir unmüglich. Es eröffnete sich aber von Zeit in mir / als in einem Gewächse: wiewol ich 12 Jahr damit umging / und dessen in mir schwanger war / und einen hefftigen Trieb in mir befand / ehe ich es konte in das äussere bringen“ (Böhme 1682, 75f.). Dass nach der langen Inkubationszeit der „feurige Trieb“ aber dann wie ein heftiger „Platz-regen“ wirkte, bezeugt der Umfang seines Werks. Obschon größtenteils in der knappen Frist zwischen 1618 und 1624 entstanden, umfasst es in der Amsterdamer Ausgabe von 1682 fast 4000 Druckseiten. Die forcierte Gewissheit, mit der Böhme die Präsenz Gottes zu erweisen sucht, lässt sich als eine Reaktion auf den Beginn der wissenschaftlichen Revolution und auf ihre Konsequenzen für das frühneuzeitliche Welt- und Menschenbild verstehen. Böhme bekennt in seiner Mor- Böhmes inspirierte Autorschaft und die magischhermetische Tradition gen-Röte, wie sehr es ihn in „melancholey und traurigkeit“ gestürzt habe, als er „anschawete die grosse Tieffe dieser Welt / darzu die Sonne und Sternen“ (Böhme 1997, 335). Einige Vertreter der empirischen Naturwissenschaften, etwa „die Medicos , sonderlich aber die Anatomicos und Menschenschinder“, lehnt Böhme aus seiner magisch-hermetischen Position als Irrweg ab, da sie „durch ihre schinderey haben wollen die geburt und aufgang des menschlichen lebens erfahren“ (ebd., 481). Zugleich integriert Böhme aber das naturkundliche Wissen seiner Zeit und versucht, Gottes Wirken in der natürlichen Schöpfung zu erweisen - Mensch, Gott und Schöpfung sind für ihn harmonisch verbunden. So entwirft er in der Morgen-Röte im Aufgangk die komplexe Eingangsallegorie eines „köstlichen Baum[s] [ … ] in einem schönen Lustgarten“, die dann detailliert ausgedeutet wird: Der Garten stelle die Welt, der Acker die Natur, der Baumstamm die Sterne, die Äste die Elemente, die Früchte die Menschen dar, und „der Safft in dem Baume / bedeut die klare Gottheit“ (ebd., 23). Die Allegorie zeigt exemplarisch, wie Böhme die biblische Schöpfungsgeschichte der Genesis mit alchemistisch-naturkundlichen Einsichten verbindet. So greift er auf Paracelsus’ Transmutationslehre über die Entstehung und Veredelung von Metallen zurück, um eines seiner Hauptanliegen zu formulieren, dass der Mensch sich nämlich darum bemühen müsse, die durch Adam verlorene paradiesische Vollkommenheit wiederzugewinnen. Böhme parallelisiert Christus mit dem lapis philosophorum , dem ,Stein der Weisen‘, sowie mit dem das Quecksilber repräsentierenden Mercurius. Zudem nutzt er die alchemistische Terminologie und Symbolik des Paracelsus, etwa die Metalle oder Verbildlichungen von chemischen Prozessen, um eine mystische Wandlung zu propagieren: „Was Mercurius zerbricht mit seinem wütenden Rade“, heißt es zum Beispiel, „das heilet die Lust der liebe des Oels wieder“ ( De signatura rerum , 566). Böhme entwickelte auch eine Sprachlehre, der zufolge jedes Wort und jede Silbe die Signatur dessen trägt, was es bezeichnet. Die menschliche Sprache stellt er folglich nicht als arbiträr vor, sondern als ,natürlich‘, liegt die Essenz der Dinge doch in ihr verborgen und lässt sich an ihr rekonstruieren (Haferland 1989). Hieraus erklärt sich Böhmes poetischer Enthusiasmus sowie seine Freude an eigenwilligen Analogien und Korrespondenzen, an Anagrammen und drastischen Antithesen sowie insbesondere an sprachspielerischen Wort- und Synonymaketten. Ein Passus über die göttliche Grundkraft der Schöpfung, genannt „Salniter“, illustriert Böhmes Versuch, Natur- und Selbstandacht sprachlich zu evozieren: <?page no="127"?> 000126 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 126 | A.IV. Der nachreformatorische Humanismus (1570-1620) „So du nun die himlische göttliche pomp und herrligkeit willst betrachten / wie die sey / [ … ] so schawe mit fleiß an diese welt / was für frücht und gewächse auß dem Salniter der Erden wächst von bäumen / stauden / kraut / wurtzlen / blumen / öhle / wein / getreide / und alles was da ist / und dein hertze nur forschen kann / das ist alles ein vorbilde der Himlischen pomp “ ( Morgen-Röte , 84). Böhmes europaweiter Ruhm setzte erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ein, als seine Schriften im Druck und in Übersetzungen verbreitet wurden, und kulminierte in der Romantik, die ihn als ,deutschen Philosophen‘ verehrte. Im deutschen Sprachraum beriefen sich jedoch schon seit den 1650er Jahren viele theosophische und sektiererische Autoren auf Böhme. Sie ahmten seine eigenwillige Schreibweise nach oder versuchten gar, sie zu überbieten und zu verfeinern. Unter die bedeutendsten Vermittler der poetischen Böhme-Rezeption sind Abraham von Franckenberg (1593-1652) und Daniel Czepko (1605-1660) zu zählen. Franckenberg etwa paraphrasiert Böhme in seinem Traktat Raphael oder Artzt-Engel (1639 verfasst, 1676 gedruckt) nicht nur, sondern überbietet ihn in den Klangfiguren und der kabbalistischen Buchstabenspekulation. Beispielsweise leitet Franckenberg das hebräische „Ruach Elohim“, den ,Geist Gottes‘, über das gleich klingende „Rauch“ und dessen semantische Entsprechung „Nebel“ her, um daraus seinerseits als Palindrom das „Leben“ zu lesen (Mohr 2012, 114). Möglicherweise über Franckenberg vermittelt, finden sich in Daniel Czepkos Dichtungen augenfällige Entsprechungen zu Böhmes Theosophie. Gerade in seinen Trostschriften, etwa Rezeption von Böhmes Sprachmystik bei Franckenberg und Czepko in einer Leichenrede auf den Tod eines Kindes, betont Czepko die erstrebenswerte Rückkehr zum Ursprung, die Böhmes Theosophie prägt. Auch die zwischen 1640 und 1647 entstandenen Sexcenta Monodisticha Sapientum , sechshundert zweizeilige religiöse wie naturphilosophische Epigramme, zeigen in extremer Verdichtung den Einfluss von Paracelsus und Jacob Böhme. So greift Czepko in einem Epigramm Böhmes Unterscheidung von Mens [,Verstand‘, ,Vernunft‘] und Ens [,Sein‘] auf, indem er mit diesem Gleichklang buchstäblich die kreatürlich-geistige Doppelnatur nachweisen will, die dem Wort ,Mensch‘ innewohnt: M - - ens M - - eins. Ens: Das gemeint dich Mensch: Mens sondert dich in dir: Denn Mens das bringt mein Ens, und Mens mein Eins herfür. (Czepko 1989, vi 69) Diese sprachmystische Kombinatorik, die sich an Böhme orientiert, ähnelt dem Ideal der argutia , der Spitzfindigkeit, das sich ebenfalls um 1600 im Manierismus formiert. Deutlich später als Franckenberg und Czepko hat Quirinus Kuhlmann (1651-1689) sich mit seiner enthusiastischen Schreibart in die Nachfolge Böhmes gestellt. Kuhlmann wandte sich vom Luthertum ab und entwarf eine neue europäische Einheitsreligion in Gestalt eines „Thatchristenthums“ (vs. „Wortchristen“), bevor er in Moskau als Ketzer hingerichtet wurde. In seinem theosophischen Entwurf einer „Kühlmonarchie“ gab er sich selbst die Rolle eines neuen Gottessohnes, der Gottvater in seinem Kampf gegen die Höllenhitze des Teufels als „Kühlemann“ unterstützt. Kuhlmanns Selbstlegitimation als „Auserwählter“ zeigt sich in <?page no="128"?> 000127 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 127 6. Esoterische Tendenzen im Späthumanismus | seinem Neubegeisterten Böhme (1674), in dem er sich als Wiedergänger seines Vorbilds präsentiert. Doch anders als Böhme präsentiert er sich sogar als Prophet, wie seine superlativisch und sprachspielerisch gesteigerte Zuschrift zeigt: „Ich bringe euch wider di allerhelleste Sonne der ewigen Weisheitsonne / welche eure Finsternisse mit wahrem Erkänntnisschein von Gott unmittelbar und mittelbar empfangen / kann übersonnen / und eure Gefängnisse zerbrechen! “ (Kuhlmann 1995, 34). Kuhlmanns Schrift förderte die späte Böhme-Rezeption entscheidend. Die Stilisierung des ,Poeten‘ zum ,Propheten‘ - ein beliebter Reim seit der Frühen Neuzeit - bildete eine eigene Tradition in den frühneuzeitlichen Autorschaftskonzepten, trug aber auch allgemein zum Prestige inspirierter Dichtung im 17. Jahrhundert bei. Mit der Verbreitung von Epigrammsammlungen und Emblembüchern, den manieristischen Wort- und Assoziationsketten eines Rollenhagen und Fischart sowie der sprachmytischen Kombinatorik sind die Grundzüge einer Ästhetik der Verrätselung benannt, wie sie die Literatur um 1600 insgesamt kennzeichnet. Diese späthumanistische Vorliebe für Subtilitäten und Experimente könnte eine teils verspielte, teils häretisch-radikale Antwort auf die zeitgenössischen Rationalisierungs-, Verwissenschaftlichungs- und sozialen Normierungstendenzen darstellen, die im 17. Jahrhundert auf fast alle Lebensbereiche ausgreifen sollten. Quellen Andreae, Johann Valentin (2010): Gesammelte Schriften. Bd. 3: Rosenkreuzerschriften. Hg. von Roland Edighoffer. Stuttgart-Bad Cannstatt. Andreae, Johann Valentin (2018a): Gesammelte Schriften. Bd. 14: Reipublicae Christianopolitanae descriptio (1619). Hg., übers. und komm. von Frank Böhling und Wilhelm Schmidt-Biggemann. Stuttgart-Bad Cannstatt. Andreae, Johann Valentin (2018b): Gesammelte Schriften. Bd. 8: Turbo, sive moleste et frustra per cuncta divagans ingenium (1616). Hg., übers. und komm. von Herbert Jaumann. Stuttgart-Bad Cannstatt. Böhme, Jacob (1682): Theosophische Send-Briefe. Amsterdam. Böhme, Jacob (1997): Werke: „Morgenröte“ und „De Signatura Rerum“. Hg. und komm. von Ferdinand van Ingen. Frankfurt a.M. Czepko, Daniel (1989): Sexcenta Monodisticha Sapientum. In: Sämtliche Werke. Hg. von Hans-Gert Roloff und Marian Szyrocki. Bd. I,2: Lyrik in Zyklen. Berlin und New York, 517-672. Ertz, Stefan (Hg.) (1998): Das Lalebuch nach dem Druck von 1597 mit den Abweichungen des Schiltbürgerbuchs von 1598 und zwölf Holzschnitten von 1680. Stuttgart. Fischart, Johann (1993-2012): Sämtliche Werke. 3 Bde. Hg. von Hans-Gert Roloff, bearbeitet von Ulrich Seelbach. Bern und Stuttgart-Bad Cannstatt. Franckenberg, Abraham (1676): Raphael oder Artzt-Engel. Amsterdam. Holtzwart, Mathias (1968): Emblematum Tyrocinia. Mit einem Vorwort über Ursprung, Gebrauch und Nutz der Emblematen von Johann Fischart und 72 Holzschnitten von Tobias Stimmer. Hg. von Peter von Düffel und Klaus Schmidt. Stuttgart. Kuhlmann, Quirinus (1995): Der Neubegeisterte Böhme. Hg. von Jonathan Clark. 2 Bde. Stuttgart Thüring von Ringoltingen (1990): Melusine. In: Romane des 15. und 16. Jahrhunderts. Nach den Erstdrucken mit sämtlichen Holzschnitten. Hg. von Jan-Dirk Müller. Frankfurt a. M., 9-177. <?page no="129"?> 000128 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 128 | A.IV. Der nachreformatorische Humanismus (1570-1620) Forschung Arnhardt, Gerhard, und Gerd-Bodo Reinert (1997): Philipp Melanchthon. Architekt des neuzeitlichchristlichen deutschen Schulsystems. Donauwörth. Aurnhammer, Achim (1994): Andreas Hiltebrand - ein pommerscher Dichterarzt zwischen Späthumanismus und Frühbarock. In: Pommern in der Frühen Neuzeit. Literatur und Kultur in Stadt und Region. Hg. von Wilhelm Kühlmann und Horst Langer. Tübingen, 199-225. Aurnhammer, Achim (2000): Johann Fischarts Spottsonette. In: Simpliciana 22, 145-165. Bernet, Claus (2007): Johann Valentin Andreaes Utopie „Christianopolis“ als Himmlisches Jerusalem. Ein Deutungsversuch. In: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 66, 147-182. Blumenberg, Hans (1966): Die Legitimität der Neuzeit. Frankfurt a. M. Blumenberg, Hans (1975): Genesis der kopernikanischen Welt. Frankfurt a. M. Borghero, Carlo di (1983): La Certezza e la Storia. Cartesianesimo, Pirronismo e Conoscenza storica. Mailand. Braun, Manuel (2001): Ehe, Liebe, Freundschaft. Semantik der Vergesellschaftung im frühneuhochdeutschen Prosaroman. Tübingen. Brecht, Martin (2008): Johann Valentin Andreae 1586-1654. Eine Biographie. Mit einem Essay von Christoph Brecht: „Johann Valentin Andreae. Zum literarischen Profil eines deutschen Schriftstellers im 17. Jahrhundert.“ Göttingen. Brockstieger, Sylvia (2018): Sprachpatriotismus und Wettstreit der Künste. Johann Fischart im Kontext der Offizin Bernhard Jobin. Berlin und Boston. Bulang, Tobias (2013): Die andere Enzyklopädie: Johann Fischarts ,Geschichtklitterung‘. In: Arcadia 48/ 2, 262-281. Buschmann, Arno (Hg.) (1984): Kaiser und Reich. Klassische Texte zur Verfassungsgeschichte des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation vom Beginn des 12. Jahrhunderts bis zum Jahre 1806. München, 215-282. Daly, Peter M. (1979): Literature in the Light of the Emblem. Structural Parallels between the Emblem and Literature in the Sixteenth and Seventeenth Centuries. Toronto, Buffalo und London. Daskarolis, Anastasia (2000): Die Wiedergeburt des Sophokles aus dem Geist des Humanismus. Studien zur Sophokles-Rezeption in Deutschland vom Beginn des 16. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts. Tübingen. Dicke, Gerd (2011): Morus und Moros - Utopia und Lalebuch. Episteme auf dem Prüfstand lalischer Logik. In: Erzählen und Episteme. Literatur im 16. Jahrhundert. Hg. von Beate Kellner, Jan-Dirk Müller und Peter Strohschneider. Berlin und New York, 197-225. Ertzdorff, Xenja von (1989): Romane und Novellen des 15. und 16. Jahrhunderts in Deutschland. Darmstadt. Füssel, Marian (2006): Gelehrtenkultur als symbolische Praxis. Rang, Ritual und Konflikt an der Universität der Frühen Neuzeit. Darmstadt. Gier, Helmut (Hg.) (2005): Jakob Bidermann und sein „Cenodoxus“. Der bedeutendste Dramatiker aus dem Jesuitenorden und sein erfolgreichstes Stück. Regensburg. Haferland, Harald (1989): Mystische Theorie der Sprache bei Jacob Böhme. In: Theorien vom Ursprung der Sprache. Hg. von Joachim Gessinger und Wolfert von Rahden. Berlin und New York, 89-130. Hanstein, Michael (2013): Caspar Brülow (1585-1627) und das Straßburger Akademietheater. Lutherische Konfessionalisierung und zeitgenössische Dramatik im akademischen und reichsstädtischen Umfeld. Berlin und Boston. Henkel, Arthur, und Albrecht Schöne (Hg.) (1967): Emblemata. Handbuch zur Sinnbildkunst des XVI. und XVII. Jahrhunderts. Stuttgart. <?page no="130"?> 000129 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 129 A.IV. Der nachreformatorische Humanismus (1570-1620) | Jahn, Bernhard (2004): Taktische Masse und zorniger Held. Das Tierepos des 16. Jahrhunderts und der militärische Paradigmenwechsel in der Frühen Neuzeit. In: Tierepik und Tierallegorese. Studien zur Poetologie und historischen Anthropologie vormoderner Literatur. Hg. von dems. und Otto Neudeck. Frankfurt a. M., 187-215. Kemp, Friedhelm (1983): Jakob Böhme in Holland, England und Frankreich. In: Studien zur europäischen Rezeption deutscher Barockliteratur. Hg. von Leonard Forster. Wiesbaden, 211-226. Knape, Joachim (1984): ,Historie‘ in Mittelalter und Früher Neuzeit. Begriffs- und gattungsgeschichtliche Untersuchungen im interdisziplinären Kontext. Baden-Baden. Könneker, Barbara (1975): Die deutsche Literatur der Reformationszeit. Kommentar zu einer Epoche. München. Kruft, Hanno-Walter (1989): Städte in Utopia: Die Idealstadt vom 15. bis zum 18. Jahrhundert zwischen Staatsutopie und Wirklichkeit. München. Kühlmann, Wilhelm (1982): Gelehrtenrepublik und Fürstenstaat. Entwicklung und Kritik des deutschen Späthumanismus in der Literatur des Barockzeitalters. Tübingen. Kühlmann, Wilhelm (2000): Nicodemus Frischlin (1547-1590). Der unbequeme Dichter. In: Humanismus im deutschen Südwesten. Biographische Profile. Stuttgart 2 2000, 265-288. Kühlmann, Wilhelm (2016): Poesie und Mechanik als Weltmodell. Zu Faktur und ideengeschichtlichem Gehalt von Nicodemus Frischlins Lehrgedicht (1575) über die Straßburger Münsteruhr. In: Scientia Poetica 20, 1-26. Kühlmann, Wilhelm, und Friedrich Vollhardt (Hg.) (2012): Offenbarung und Episteme. Zur europäischen Wirkung Jakob Böhmes im 17. und 18. Jahrhundert. Berlin und Boston. Kuropka, Nicole (2002): Philipp Melanchthon. Wissenschaft und Gesellschaft: Ein Gelehrter im Dienst der Kirche (1526-1532). Tübingen. Lailach, Michael (2000): „Der Gelehrten Symbola“ - Studien zu den ,Emblematum Tyrocinia‘ von Mathias Holtzwart (Straßburg 1581). Tübingen. Leeker, Joachim (1999): Frischlins Cäsar-Stücke im Spiegel der Tradition. In: Nicodemus Frischlin (1547-1590). Poetische und prosaische Praxis unter den Bedingungen des konfessionellen Zeitalters. Hg. von Sabine Holtz und Dieter Mertens. Stuttgart-Bad Cannstatt, 563-591. Leonhardt, Jürgen (2008): Frischlins „Priscianus vapulans“ und die zeitgenössische Lateinkultur. In: Das lateinische Drama der Frühen Neuzeit. Exemplarische Einsichten in Praxis und Theorie. Hg. von Reinhold F. Glei und Robert Seidel. Tübingen, 155-164. Lieb, Ludger (2004): Krieg der Sprichwörter. Zur fragwürdigen Autorität von Erfahrung und Lehre in Georg Rollenhagens Froschmeuseler. In: Tierepik und Tierallegorese. Studien zur Poetologie und historischen Anthropologie vormoderner Literatur. Hg. von Bernhard Jahn und Otto Neudeck. Frankfurt a. M., 251-277. Martin, Dieter (2018): Literatur. In: Faust-Handbuch. Konstellationen - Diskurse - Medien. Hg. von Mathias Mayer, Carsten Rohde und Thorsten Valk. Stuttgart, 62-71. Meier, Christel, Bart Ramakers und Hartmut Beyer (Hg.) (2008): Akteure und Aktionen. Figuren und Handlungstypen im Drama der Frühen Neuzeit. Münster. Mohr, Jan (2012): Konvergenzen in der ,poetischen‘ Böhme-Rezeption Abraham von Franckenbergs und Daniel Czepkos. In: Offenbarung und Episteme. Zur europäischen Wirkung Jakob Böhmes im 17. und 18. Jahrhundert. Hg. von Wilhelm Kühlmann und Friedrich Vollhardt. Berlin und Boston, 93-123. Müller, Jan-Dirk (1985): Volksbuch/ Prosaroman im 15./ 16. Jahrhundert. Perspektiven der Forschung. In: IASL 1. Sonderheft Forschungsreferate. Tübingen, 1-128. Münkler, Marina (2011): Narrative Ambiguität. Die Faustbücher des 16. bis 18. Jahrhunderts. Göttingen. <?page no="131"?> 000130 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 130 | A.IV. Der nachreformatorische Humanismus (1570-1620) Nahrendorf, Carsten (2015): Humanismus in Magdeburg. Das Altstädtische Gymnasium von seiner Gründung bis zur Zerstörung der Stadt (1524-1631). Berlin, München und Bochum. Osterkamp, Ernst (1999): Emblematik. In: Die Literatur des 17. Jahrhunderts. Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur. Hg. von Albert Meier. Bd. 2. München, 233-255. Popkin, Richard H. (2003): The History of Scepticism. From Savonarola to Bayle. Revised and Expanded Edition. Oxford. Rädle, Fidel (1999): Frischlin und die Konfessionspolemik im lateinischen Drama des 16. Jahrhunderts. In: Nicodemus Frischlin (1547-1590). Poetische und prosaische Praxis unter den Bedingungen des konfessionellen Zeitalters. Hg. von Sabine Holtz und Dieter Mertens. Stuttgart-Bad Cannstatt, 495-524. Schilling, Michael (2011): Skeptizistische Amplifikation des Erzählens. Fischarts Antworten auf die epistemische Expansion der Frühen Neuzeit. In: Erzählen und Episteme. Literatur im 16. Jahrhundert. Hg. von Beate Kellner, Jan-Dirk Müller und Peter Strohschneider. Berlin und New York, 69-89. Schindling, Anton (1977): Humanistische Hochschule und freie Reichsstadt. Gymnasium und Akademie in Strassburg 1538-1621. Wiesbaden. Schmidt-Biggemann, Wilhelm (2018): Einleitung. Andreaes christliche Utopien im europäischen Kontext. In: Johann Valentin Andreae: Gesammelte Schriften. Bd. 14: Reipublicae Christianopolitanae descriptio (1619). Hg., übers. und komm. von Frank Böhling und dems. Stuttgart-Bad Cannstatt, 7-84. Schöne, Albrecht (1964): Emblematik und Drama im Zeitalter des Barock. München. Sease, Virginia Caroll (1969): A Study of Daniel von Czepko’s „Sexcenta Monodisticha Sapientium“. Dissertation, University of Southern California. Seelbach, Ulrich (2000): Ludus lectoris. Studien zum idealen Leser Johann Fischarts. Heidelberg. Seelbach, Ulrich (2012): Art. Fischart, Johann. In: Frühe Neuzeit in Deutschland 1520-1620. Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon [VL 16]. Hg. von Wilhelm Kühlmann, Jan-Dirk Müller, Michael Schilling u. a. Bd. 2. Berlin, 358-383. Shapin, Steven (1996): The Scientific Revolution. Chicago und London. Sommer, Johannes (2011): Cornelius relegatus (1605). Krit. Ausgabe. Hg. von Moritz Ahrens u. a. Mit einer Einleitung von Thomas Wilhelmis u. a. Sandersdorf-Brehna. Thompson, Edward H. (1999): [Introduction]. In: Andreae, Johann Valentin (1999): Christianopolis. Hg. von dems. Dordrecht, Boston und London, 1-133. Trunz, Erich (1965): Der deutsche Späthumanismus um 1600 als Standeskultur [zuerst 1932]. In: Deutsche Barockforschung. Dokumentation einer Epoche. Hg. von Richard Alewyn. Köln und Berlin, 147-181. Veitschegger, Thomas (1991): Das Buch der Liebe. Ein Beitrag zur Buch- und Verlagsgeschichte des 16. Jahrhunderts. Hamburg. Wachinger, Burghard (1991): Der Dekalog als Ordnungsschema für Exempelsammlungen. Der ,Große Seelentrost‘, das ,Promptuarium exemplorum‘ des Andreas Hondorff und die ,Locorum communium collectanea‘ des Johannes Manlius. In: Exempel und Exempelsammlungen. Hg. von Walter Haug und dems. Tübingen, 239-264. Washof, Wolfram (2007): Die Bibel auf der Bühne. Exempelfiguren und protestantische Theologie im lateinischen und deutschen Bibeldrama der Reformationszeit. Münster. Wels, Volkhard (2000): Triviale Künste. Die humanistische Reform der grammatischen, dialektischen und rhetorischen Ausbildung an der Wende zum 16. Jahrhundert. Berlin. Werle, Dirk (2007): Copia librorum. Problemgeschichte imaginierter Bibliotheken 1580-1630. Tübingen. Winkler, Martin M. (1995): Der lateinische Eulenspiegel des Ioannes Nemius: Text und Übersetzung, Kommentar und Untersuchungen. Tübingen. <?page no="132"?> 000131 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 B Barock <?page no="133"?> 000132 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 <?page no="134"?> 000133 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 Die Unterscheidung der Großepochen ,Humanismus‘ und ,Barock‘ ist in gewisser Weise künstlich, zumal was das exakte Datum ihrer Schwelle betrifft. Nimmt man jedoch das Ende der Barockzeit zum Maßstab, sind die erheblichen Differenzen zur Literatur um 1600 nicht zu verkennen: Die Gedichte und Dramen des frühen 18. Jahrhunderts heben sich sprachlich, poetologisch und weltanschaulich deutlich von jenen des späten 16. Jahrhunderts ab, während der ,realistische‘, bürgerlich-alltagsnahe Roman, der zur Leitgattung des 18. Jahrhunderts werden sollte, kaum Vorläufer im 17. Jahrhundert hatte. Etwas ändert sich in den über hundert Jahren zwischen 1620 und 1740, und diesen ästhetischen Wandel sucht die Literaturgeschichte zu erfassen und in Begriffe zu übersetzen. Bei Epochenkategorien wie Humanismus, Barock und Aufklärung handelt es sich um Konstrukte, die immer wieder auf ihre Adäquatheit und ihren Erklärungswert hin befragt und gegebenenfalls auch differenziert und modifiziert werden müssen. Das gilt insbesondere für die Bezeichnung ,Barock‘, die, anders als ,Rinascimento‘, nicht zeitgenössisch, sondern jüngeren Datums ist. In anderen Sprachen wie dem Englischen und Französischen ist sie für die Literatur des 17. Jahrhunderts zudem ungebräuchlicher und Barockbegriff: ,schiefe Perlen‘ und ,bizarrer Prunk‘ konkurriert mit Begriffen wie ,Classicisme‘ oder ,Restoration Literature‘. Die wahrscheinlichste Etymologie von ,Barock‘ ist nach Benedetto Croce ( Storia dell’eta` barocca in Italia , 1929) die mit dem portugiesischen Überseehandel aufkommende Bezeichnung für schiefrunde Perlen, tropfenförmige Schillergebilde, wie sie in der Schmuckherstellung - etwa für Anhänger - seit der Spätrenaissance sehr beliebt waren. Im Deutschen nennt man solche Perlen ,Barock- oder Brockenperle‘. Das Schiefe und Exzentrische ist nicht nur dieser, sondern allen etymologischen Ableitungen gemeinsam. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, kam die Übertragung des Begriffs auf die Künste erst in den Dreißigerjahren des 18. Jahrhunderts auf, als man besonders vom Standpunkt eines klassizistischen Purismus aus stilisiertes Dekor, ,bizarre‘ und überreiche Verzierung als gouˆt baroque verwarf: So kritisierten 1734 der Mercure de France Jean-Philippe Rameaus Oper Hippolyte et Aricie und 1739 Charles de Brosses die Fassade des Palazzo Pamphili in Rom. Für den bürgerlichen Kunstgeschmack und den aufgeklärten Klassizismus diente der ,Barock‘-Begriff zur pejorativen Sammelbezeichnung für höfisch-allegorische Kunstformen, von denen man sich mit dieser Etikettierung distanzierte (Jaumann 1975). Bereits um 1750 karikiert Lessing den Formenkult der Rokoko-Lyrik als „Barockgeschmack [ … ] deutsche[r] Poeten“, die „ihre Leyre nicht mehr an gerade stehende Bäume , noch nach der Regel der Schwere aufhenken“ ( Hamburger gelehrte Neuigkeiten 1750, 251). Das Ornament wurde zum Hauptbelastungszeugen barocken Ungeschmacks. Mit Jacob Burckhardt und Friedrich Nietzsche setzte die epochengeschichtliche Verwendung des Barockbegriffs ein, die sich mit Heinrich Wölfflins stiltypologischer Gegenüberstellung von Renaissance und Barock (1888) sowie in den Kunstgeschichtlichen Grundbegriffen (1915) einbürgerte. Bereits bei Wölfflin zeichnen sich in der Analogiebildung zu Architektur und Malerei sowie mit der Abgrenzung ,barocken‘ Stils von der formstrengen Renaissance die wesentlichen Tendenzen im Epochenverständnis der nachfolgenden Jahrzehnte ab. Problematisch ist der ursprünglich pejorative Barockbegriff schon deshalb, weil er klischierte Stilvorstellungen von Antithetik, Formsprengung und Anti-Klassizismus transpor- <?page no="135"?> 000134 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 134 | B. Barock tiert. Zugunsten formaler Gemeinsamkeiten mit den Schwesterkünsten löst er literarische Werke aus geistesgeschichtlichen Kontexten wie der wissenschaftlichen Revolution sowie philosophischen Umbrüchen, und er droht gesamteuropäische Tendenzen der Literatur zu verdecken. Zudem unterscheiden sich die Autoren des 17. Jahrhunderts zunächst nicht sehr von den Späthumanisten. Die Dichtungslehren des Barock schreiben das Prinzip der aemulatio veterum [,Überbietende Nachahmung der Alten‘] fort, der ehrerbietenden Nachahmung älterer Vorbilder, die es graduell zu überbieten statt schroff zu verabschieden gilt. Wenn wir daher das weite Feld des Barock in drei Phasen untergliedern, geschieht dies in dem Bewusstsein, dass Älteres und Neues über den gesamten Zeitraum ineinandergreifen: (1) 1620 bis 1650: Da die Gründung der Fruchtbringenden Gesellschaft , der Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges und Martin Opitz’ poetologische Anfänge in die Jahre 1617/ 18 fallen, lässt sich hier sinnvollerweise eine Zäsur setzen. Opitz’ Buch von der Deutschen Poeterey bewegt sich zwischen einem späthumanistischen Klassizismus und einem metrisch-generischen Modernisierungsanspruch. Seine Poetik sowie seine Musterstücke zeitigten in den 1630er und 40er Jahren trotz vereinzelter Kritik einen Homogenisierungsschub, vor allem in den mitteldeutschen Universitätsstädten sowie in Hamburg, Nürnberg, Preußen und Schlesien. (2) 1640 bis 1670: Gegen Opitz’ Orientierung an zeitgenössischen Tendenzen der Nachbarliteraturen opponierte nach dem Westfälischen Frieden eine patriotische Selbstbesinnung, die sich unter anderem bei den Autoren Johann Michael Moscherosch, Andreas Gryphius, Philipp von Zesen und Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen ausdrückt. Statt auf romanische und niederländische Muster beriefen sie sich vorrangig auf deutsche Traditionen und Autoren, und schärfer erklang nun die sozial grundierte Kritik an Frankreich. Den irenischen Nürnbergern Georg Philipp Harsdörffer und Sigmund von Birken kommt allerdings eine Sonderstellung zu. Etwas später als die Lyrik setzte um 1650 eine nennenswerte barocke Dramatik ein, die erst nach 1690 wieder merklich abebbte. Vor allem in den 1660er Jahren nahm auch der deutsche Roman so recht an Fahrt auf, nachdem das Feld der Prosaepik bis dahin durch kurze Satiren und kompilatorische Kolloquien dominiert war. (3) 1660 bis 1710: Das letzte Jahrhundertdrittel bildet eine Phase manierierter Stilisierung. Deren Repräsentanten Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau, Daniel Casper von Lohenstein und Johann Christian Hallmann hielten sich wieder vornehmlich an europäische Moden und orientierten sich am höfischen Geschmack, dessen asiatisch-afrikanischer Exotismus Drama und Roman, dessen rhetorisch gezähmter Erotismus eher die Lyrik dominierte. In den Städten indes verdingten sich erste Berufsschriftsteller und Journalisten mit enzyklopädischen Romanen, die erstmals ganz auf marktwirtschaftliche Leserbedürfnisse zugeschnitten waren und die ,galante‘ Literatur der Frühaufklärung vorbereiteten. <?page no="136"?> 000135 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 135 B.I. Regulierung der deutschen Literatur nach 1620 | B.I. Normpoetischer Neuanfang: Regulierung der deutschen Literatur nach 1620 B.I.1. Stadtansicht Karlsruhe von Norden. Kolorierter Kupferstich von Christian Thran (1739). Allenthalben zeigen sich im 17. Jahrhundert Tendenzen einer institutionellen Rationalisierung und Normierung. Im Zeitalter andauernder Kriege und einschneidender Agrar- und Glaubenskrisen suchte man nach übergreifenden Organisationsformen, strebte nach politischer und ästhetischer Stabilität. Politisch drückte sich diese Struktursehnsucht im monarchischen Zentralismus aus, der sich in einigen europäischen Ländern - am deutlichsten in Frankreich unter Kardinal Richelieu, aber auch in Spanien, Schweden und Brandenburg- Preußen - durch den Ausbau eines souveränen Flächenstaats mit funktionalem Verwaltungsapparat und stehendem Heer entwickelte. Jean Bodins Les six livres de la Re ´publique (1576) und Thomas Hobbes’ Leviathan (1651) propagierten das Gewalt- und Gesetzgebungsmonopol in der Figur des Souveräns, der die Zentrifugalkräfte komplexer Rationalisierung und Normierung in Politik, Architektur und Literatur Gesellschaften zu binden vermag und angesichts drohender Bürgerkriege für Ruhe und Frieden sorgt. Wirtschaftlich entsprach dem barocken Integrationsprozess der Merkantilismus, wie er in Frankreich unter dem Ökonomen Jean-Baptiste Colbert seinen Höhepunkt erreichte. Streng unterschied er zwischen Inland und Ausland, baute deshalb Binnenzölle ab, förderte heimische Produkte und besteuerte Importe. Auch die Architektur gehorchte dem straffen Systemdenken der Zeit und stiftete Ordnung in Planstädten wie Karlsruhe oder Mannheim. Bereits 1607 schematisierte der pfälzische Kurfürst Friedrich IV. das Dorf um seine Festung Friedrichsburg in das heute noch erhaltene Quadratnetz Mannheims, während in der fächerförmigen Anlage der 1715 errichteten Stadt Karlsruhe das absolutistische Motiv der Sonne anklingt. Die Stadtbezirke sind allesamt auf das Residenzschloss des Markgrafen Karl Wilhelm von Baden-Durlach ausgerichtet (Abb. B.I.1). In der deutschen Literatur ist dieser Regulierungswunsch ebenfalls früh erkennbar. Martin Opitz’ Buch von der Deutschen Poeterey (1624) kodifizierte die deutsche Verssprache im Geiste <?page no="137"?> 000136 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 136 | B.I. Regulierung der deutschen Literatur nach 1620 des humanistischen Klassizismus. Er ersetzte die quantitierende Metrik der Antike, die lange und kurze Silben unterschied, durch ein akzentuierendes Verfahren, das zwischen betonten und unbetonten Silben unterscheidet. In der Folge war der lyrische Ausdruck in Hebung und Senkung gleichmäßig rhythmisiert. Gerade der Alexandrinervers, ein jambischer Sechsheber, spiegelt mit seiner Mittelzäsur die Harmonie der Gegensätze und bekundet so, wie die ältere Forschung formulierte, das „antithetische Lebensgefühl“ des Barock (Hübscher 1922). Für das Drama legten Opitz und seine Schüler rhetorische Prinzipien sozialer Angemessenheit fest und buchstabierten Gattungsgesetze aus, welche die volksliterarischen Wucherungen stutzen und die deutsche Dichtung auf ein europäisches Niveau heben sollten. Doch ähnlich wie die Geschichtswissenschaft in den vergangenen Jahren das Paradigma der absolutistischen Machtzentralisierung differenziert hat (Henshall 1992, Freist 2008), bezweifelt die Literaturgeschichte inzwischen auch die schulrhetorische Rigidität der deutschen Barockdichtung. Im Unterschied zur sozialgeschichtlichen Forschung der 1970er und 1980er Jahre sind mittlerweile die ,Spielräume‘ und ,Normierungslücken‘ ebenso vermehrt in den Blick gerückt wie die Abweichungen und die Etablierung unterschiedlicher Maßstäbe in Vorreden. Auf diese Weise wurde die ästhetische Vielfalt und widersprüchliche Dynamik schon des frühen 17. Jahrhunderts neu akzentuiert (u. a. Wesche 2004, Stockhorst 2008). 1. Voraussetzungen: Gesellschaft und Literatur im Zeitalter des Dreißigjährigen Kriegs 1.1. Verspätung der „eignen Muttersprache“: Deutsche Selbstdiagnosen im Lichte der Europäisierung um 1600 In Italien hatte bereits im 14. Jahrhundert das berühmte Dreigestirn Dante Alighieri, Francesco Petrarca und Giovanni Boccaccio viele Dichtungen in der lingua volgare , der Volkssprache, verfasst, für deren Verwendung Dante in seiner sprachpolitischen Schrift De vulgari eloquentia (1303/ 04) plädierte. Im 16. Jahrhundert scheint die Questione della lingua [,Sprachendebatte‘] zwischen Latein und der Volkssprache entschieden. Während Petrarca wichtige Werke noch in lateinischer Sprache verfasst hatte, dichteten Ludovico Ariosto, Torquato Tasso und Giambattista Marino ausschließlich auf Italienisch. Ganz ähnlich verlief die Entwicklung einer nationalsprachlichen Kultur in Frankreich. Die Gruppe der Ple ´iade , des ,Siebengestirns‘, mit Pierre de Ronsard als Wortführer, hatte das Dichten in der französischen Sprache verteidigt. Joachim Du Bellay behauptete in seinem Manifest La deffence, et illustration de la langue francoyse (1549) selbstbewusst, dass das Französische „puisse compe´ temment communiquer toute doctrine“ (Du Bellay 1876, 21), dass es ,den ganzen Bereich der Wissenschaft adäquat wiederzugeben‘ vermöge. Tatsächlich war kurz zuvor (1529) das französischsprachige Colle `ge de France als Gegenstück zur lateinischen Sorbonne gegründet worden. Mit dem Reformedikt von Villers-Cottereˆts (1539) erklärte Franz I. das Französische zur offiziellen Verwaltungs-, Rechts- und Hofsprache. Damit setzte ein beispielloser Standardisierungsprozess ein, von dem das Deutsche um 1600 weit entfernt war. Denn im Reich hielten die Funktionseliten lange an der lateinischen Sprache und Literatur fest. Zwar wertete die Reformation im Zuge ihrer antirömischen Sprach- und Konfessionsallianz die Volkssprache auf, doch blieb das Deutsche unter den humanistischen Gebildeten als Ausdrucksmittel <?page no="138"?> 000137 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 137 1. Gesellschaft und Literatur im Zeitalter des Dreißigjährigen Kriegs | verpönt, zumal nach der Relatinisierung im Späthumanismus. In den Territorialstaaten, die nach dem Augsburger Religionsfrieden 1555 konfessionell bestimmt waren, mussten die Entwicklungsmöglichkeiten für eine überkonfessionelle, überparteiliche Nationalliteratur notwendig beschränkt sein. Das Heilige Römische Reich deutscher Nation war kein durch Außengrenzen und legislative Kompetenzen definierbarer Staat im modernen Sinn, sondern ein sprachlich, kulturell und politisch höchst heterogener Verbund politisch selbständiger Kleinstaaten. Als mäzenatische Schicht fiel der territorialabsolutistische Adel im Vergleich mit Italien und Frankreich zudem weit weniger ins Gewicht. Erst nach 1600 wurde die Volkssprache im Bildungskanon der späthumanistischen Stadtregimenter sowie am frühabsolutistischen Hof merklich aufgewertet. Bürgertum und Adel orientierten sich sprachlich und kulturell an den weiter entwickelten Nachbarländern. Die Nach 1600: Zunahme des kulturellen und sprachlichen Austauschs durch Handelsbeziehungen engen Handelsverbindungen, die das Patriziat der deutschen Städte mit französischen und italienischen Wirtschaftszentren unterhielt, brachten auch kulturelle Anregungen. In der Freien Reichsstadt Nürnberg, die sich eine patrizische Verfassung nach venezianischem Vorbild gab und als wichtiger Umschlagplatz für den deutsch-italienischen Handel und Kulturaustausch diente, erschienen zahlreiche italienisch-deutsche Sprachlehrbücher, didaktische Beispielsammlungen (Chrestomathien) und Grammatiken. Das Stadtbürgertum suchte auf diese Weise die reformierte Adelserziehung zu imitieren; zu diesem Zweck stellte man sogar ,Hofmeister‘ ein und brach zu sogenannten ,Kavalierstouren‘ durch Europa auf. Begleitet von ihren Privatlehrern reisten viele Patriziersöhne nach Italien, Frankreich, in die Niederlande, nach England, Italien und Österreich, und häufig immatrikulierten sie sich in Italien oder in den Niederlanden an einer Universität, etwa in Padua oder in Leiden. Die Akademisierung des städtischen Regiments, die dem patrizischen Kaufmann den graduierten Juristen als Ratsherrn beigesellte, setzte sich bereits vor 1600 allgemein durch. Ein Studium in Italien erleichterte Juristen den Aufstieg in die städtischen Führungsschichten, Moritz von Hessen: gelehrter Fürst und Begründer der ,Ritterakademie‘ Medizinern sicherte es einen beträchtlichen Prestigegewinn. Um den Gelehrtenstand stärker in die patrizische Verfassung einzubinden, unterstützte die Stadtregierung bisweilen solche Auslandsstudien mit Stipendien. So reiste etwa Abraham Boxbarter im Sommer 1606 auf Befehl des Nürnberger Rates von Altdorf nach Padua, um dort für mehr als zwei Jahre Medizin zu studieren. Den deutschen Bürger- und Patriziersöhnen, die in Italien studierten, dienten Texte italienischer Dichter, vor allem von Dante, Petrarca und Tasso, zur Erlernung der Sprache. Da die aristokratische Oberschicht in Europa italienisch und französisch konversierte, war die Kenntnis dieser Sprachen selbst für einen nur militärisch ambitionierten Prinzen unabdingbar. Ähnliches gilt für den Hochadel. Als Prototyp des gebildeten Fürsten um 1600 kann Moritz (1572-1632) gelten, seit 1592 Landgraf von Hessen. Er erhielt eine umfassende humanistische Ausbildung, verfasste schon in jungen Jahren Gelegenheitsgedichte, vertonte die Psalmen und übersetzte sie in lateinische Verse. Moritz frönte seinem Repräsentationswillen in aufwändigen Festen und Ritterspielen in italienischer Manier, deren Szenare er selbst ersann. Für die ritterromantische Einkleidung der Kartelle - insbesondere anlässlich der Taufe der <?page no="139"?> 000138 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 138 | B.I. Regulierung der deutschen Literatur nach 1620 B.I.2. Aufzug allegorischer Ritter [Ausschnitt] anlässlich der Taufe der Prinzessin Elisabeth von Hessen (1596). Prinzessin Elisabeth im Jahre 1596 - hat der Landgraf wohl auf die italienische Ritterepik zurückgegriffen (Abb. B.I.2.). Für den hessischen Adel hatte Moritz schon 1599 eine Hofschule gestiftet; das Außschreiben [ … ] zu beforderung der Studierenden Rittermäßigen Jugend (1618) öffnete das Mauritianum auch dem auswärtigen Adel. Die Kasseler Ritterakademie konkurrierte nicht mit der Universität Marburg, sie war vielmehr ein propädeutisches Institut. Noch vor Reiten, Fechten, Tanzen, Zeichnen und Musizieren standen die studia litteraria im Mittelpunkt. Den höfischen Anforderungen entsprechend sollten die jungen Adligen auch die modernen Fremdsprachen wie das Italienische erlernen. Als Lerntext diente beispielsweise Torquato Tassos Schäferspiel Aminta , das eigens für den Italienisch- und Französisch-Unterricht bearbeitet wurde (Aurnhammer 1994, 75). In diesem Sinne förderte Moritz auch das Theaterleben in Kassel. Das nach seinem Sohn, dem hessischen Prinzen Otto, benannte Ottoneum ist das erste feststehende Theater in Deutschland. Gebildetes Patriziat und Adel orientierten sich also zu Beginn des 17. Jahrhunderts erneut an den Fortschritten in Italien und Frankreich, bemängelten jedoch nachdrücklicher als in den Jahrzehnten zuvor, dass die deutsche Sprache literarisch nicht konkurrieren könne. Der Topos von einem deutschen ,Nachholbedarf‘, einer Art kultureller Verspätung, schien in dieser Zeit plausibler als zuvor. <?page no="140"?> 000139 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 139 1. Gesellschaft und Literatur im Zeitalter des Dreißigjährigen Kriegs | 1.2. Kulturpatriotische Institutionalisierung: Romanische Sprachakademien und die Fruchtbringende Gesellschaft Hatten sich die romkritischen Humanisten um 1600 der mythisch-ethnographischen Profilierung der Nation verschrieben und versucht, das Lateinische zugunsten der Volkssprache zu verdrängen, so institutionalisierten sich diese Bestrebungen im frühen 17. Jahrhundert in sogenannten Sprachgesellschaften, unter denen die Fruchtbringende Gesellschaft die bedeutendste ist. Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen hatte auf seiner Kavalierstour die italienischen Akademien kennengelernt, die ihre Nationalsprache in Grammatiken, Poetiken, Wörterbüchern und Kritiken pflegten. In die florentinische Accademia della Crusca war er im Jahr 1600 sogar selbst aufgenommen worden; man hatte ihm den Gesellschaftsnamen L’Acceso [,Der Entzündete‘] verliehen. Auf Anregung seines Hofmarschalls Kaspar von Teutleben gründete Ludwig 1617 anlässlich der Begräbnisfeier für seine Schwester die Fruchtbringende Gesellschaft . Ihr Programm erklärt sich aus dem Gesellschaftsbuch von 1629 ( 055), das mit früheren Vorberichten weitgehend übereinstimmt. Die Pflanzenembleme hat der bekannte Künstler Matthaeus Merian in Kupfer gestochen, so auch die Gesellschaftsimprese mit dem Motto „Alles zu Nutzen“ (Abb. B.I.3.). Wie ein ,Klinggedicht‘ - ein Sonett - illustriert, sind sämtliche Bestandteile der Palme nützlich und verwertbar, und ganz in diesem Sinne sollen auch die Mitglieder der Gesellschaft wirken ( 055). Obwohl Fürst Ludwig in seiner Sozietät prinzipiell Nutzbringende aller Stände aufnahm, ist doch das Überwiegen des Adels unverkennbar, besonders im Vergleich zu anderen zeitgenössischen Sprachgesellschaften. Bürgerlicher oder bäuerlicher Herkunft waren nur 6 Prozent der Mitglieder, während 63 Prozent aus alt- oder uradeligem Stand stammten, 14 Prozent gar aus Fürstenhäusern (Conermann 1985, 31). Trotz der sozialen Asymmetrie ist zunächst bemerkenswert, dass die Statuten einer durch Fürstenhand protegierten Akademie überhaupt für soziale Offenheit plädierten, dass sie ihre Mitglieder zumindest prinzipiell „ohn Unterschied des Standes und Wuerden“ aufnahm, „damit der vorgallende Ehrengepraegsstreit dadurch aufgehoben“ werde (Hille 1970, 68f.), wie es in Carl Gustav von Hilles Der Teutsche Palmbaum (1647) heißt, einer frühen Aktenpublikation aus dem Fruchtbringer- Kreis. Diesem Zweck sollte auch das gesellschaftliche Incognito aus botanischer Metaphorik dienen, das Herkunft und Titel (scheinbar) zu übertünchen half. Beispielsweise befanden sich unter den bekannten Dichtern der Gesellschaft August Buchner, der den Decknamen „Der Genossene“ trug, Gryphius („Der Unsterbliche“), Harsdörffer („Der Spielende“), Friedrich von Logau („Der Verkleinernde“), Zesen („Der Wohlsetzende“) und Opitz („Der Gekrönte“). War es noch Ludwigs ausdrückliches Anliegen, den Zweck „alleine auf die Deutsche sprache und löbliche tugenden“ zu richten, „nicht aber auf Ritterliche thaten alleine“, so verwandelte sich die Fruchtbringende Gesellschaft unter seinen Nachfolgern immer stärker in eine sozialexklusive Ritterakademie (Stöckmann 2001, 127f., zit. n. ebd., 128). Auch konfessionell stand die Gesellschaft zwar Katholiken grundsätzlich offen - der kaiserliche Feldherr Octavio Piccolomini etwa wurde akzeptiert -, doch befanden sich die Protestanten zumindest in den ersten Jahren mit über 90 Prozent in der erdrückenden Mehrheit. Lutheraner und Reformierte hielten sich in etwa die Waage (Conermann 1985, 27f.). <?page no="141"?> 000140 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 140 | B.I. Regulierung der deutschen Literatur nach 1620 B.I.3. Gesellschaftsimprese der Fruchtbringenden Gesellschaft . Kupferstich von Matthaeus Merian (1629). Angesichts dieser Verteilung hat die Forschung kontrovers über das utopische Potential der barocken Sprachgesellschaften diskutiert, in ihnen frühe Instanzen einer ,Verbürgerlichung‘ gesehen oder sogar einen Zusammenhang von „europäischer Sozietätsbewegung“ und „demokratischer Tradition“ hergestellt (in diesem Sinne etwa Garber 1996 [zit. n. ebd.] und van Ingen 1978; kritisch dazu Jahn 1999 und Stöckmann 2001, 129-131). Anders als die Fruchtbringer rekrutierten einige Folgeinstitutionen ihre Mitglieder vorrangig aus dem städtischen Bürgertum. Im Straßburger Studentenmilieu schlossen sich Moscherosch, Jesaias Rompler von Löwenhalt und Johann Matthias Schneuber 1633 zur Aufrichtigen Gesellschaft von der Tannen zusammen (Bopp 1998, Kühlmann/ Schäfer 2001, 97-161); in der Freien Reichsstadt Nürnberg gründete Harsdörffer mit seinem Kollegen Johann Klaj 1644 den Pegnesischen Blumenorden , den Birken später fortführte; in Hamburg schufen Zesen 1643 die Deutschgesinnte Genossenschaft - sie war unter wechselndem Präses in Zünfte unterteilt - und Soziale Zusammensetzung der Fruchtbringenden Gesellschaft Johann Rist 1656 den Elbschwanenorden . Noch 1697 bildete sich in Görlitz das Collegium Poeticum , aus dem einige Jahre später Johann Christoph Gottscheds Leipziger Deutsche Gesellschaft hervorging. Tatsächlich erprobten diese Gesellschaften unter der Fiktion bukolischer Einfachheit versuchsweise die Kritik an gesellschaftlichen Hierarchien und Verhaltensnormen. Herrschaftskritische Verkleidungsspiele dieser Art erinnern jedoch eher an karnevaleske Traditionen, deren soziale Egalisierung ebenfalls auf bestimmte Räume, Anlässe und Personenkreise beschränkt, politisch indes folgenlos war. Subversiv jedenfalls waren die Sprachgesellschaften keineswegs, und ihr Streben nach gesellschaftlicher Emanzipation erstreckte sich allenfalls auf die Konversation. Die meisten Sprachgesellschaften, die sich im Programm und in der patriotischen Schärfe durchaus voneinander absetzten (siehe Kapitel B.II.1.2.), hatten nur wenige Jahre Bestand. Im Unterschied zur italienischen Accademia della Crusca und zur 1635 gegründeten Acade ´mie Deutsche Sprachgesellschaften als Verfechter und Motor kulturellen Austauschs Franc ¸aise gelang es der Fruchtbringenden Gesellschaft nicht recht, verbindliche Maßstäbe für die Kunstdichtung und Sprachpflege zu etablieren. Die mit insgesamt 890 Mitgliedern größte der europäischen Akademien büßte schon um die Mitte des 17. Jahrhunderts ihren Vorrang in der literarischen <?page no="142"?> 000141 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 141 1. Gesellschaft und Literatur im Zeitalter des Dreißigjährigen Kriegs | Diskussion ein. Um 1680 wurde kein neues Oberhaupt mehr gewählt, und die Akademie starb aus. Trotz ihrer Kurzlebigkeit kommt dem ,Palmen-Orden‘, wie die Fruchtbringer sich nach ihrer Gemeinschaftspflanze nannten, und ihren Schwesterinstitutionen für die Barockliteratur eine wichtige Bedeutung zu. Denn das Bedürfnis nach Austausch und Gruppenbildung, das die literarischen Assoziationen bekunden, rührt aus der konstitutiven Bindung der literarischen Produktion an bestimmte Städte, Höfe und Universitäten. Die meisten Schriftsteller konnten von dem Verkauf ihrer Werke nicht leben, sondern übten einen akademischen Beruf aus. Sie waren Pfarrer, Juristen und Professoren oder verdingten sich als Hauslehrer oder Hofmeister. Die Barockliteratur entstand daher nicht in einer kulturellen Metropole wie Paris oder London, sondern dezentral im bürgerlichen Patriziat von Breslau, Heidelberg, Nürnberg, Leipzig und Hamburg oder an den Musenhöfen der Zeit wie Stuttgart, Dresden, Rudolstadt und Berlin. Diese Regionalität, ja Provinzialität des kulturellen Lebens um 1600 versuchte man zum einen durch die Gründung überterritorialer Institutionen wie der Fruchtbringenden Gesellschaft auszugleichen, zum anderen durch das Plädoyer für eine deutsche Nationalsprache; drittens entfalteten die Gesellschaften eine rege Übersetzungstätigkeit und stifteten der deutschen Literatur neue europäische Vorbilder (Lange 2002). Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen selbst übersetzte Petrarca ( Triumphi , 1643), der als „der Vielgekörnte“ bezeichnete Fruchtbringer Diederich von dem Werder übertrug die italienischen Ritterepen von Torquato Tasso ( Gottfried von Bulljon, Oder Das Erlösete Jerusalem , 1626) und Ludovico Ariosto ( Die Historia vom Rasenden Roland , 1636). Werder behielt dabei die komplizierte Stanzenform bei, die er damit in Deutschland einbürgerte (Aurnhammer 1994, 313-353). Auch Harsdörffer beteiligte sich maßgeblich an der Übersetzertätigkeit der Fruchtbringenden Gesellschaft , indem er dem Fürsten geeignete Texte vorschlug und in seinen Frauenzimmer Gesprechspielen (1644) die italienische und französische Novellistik verarbeitete. Seine eigenständige Übersetzungspraxis illustriert die eindeutschende Umdichtung des allegorischen Schauspiels Europe (1643), mit dem der französische Adelige Jean Desmarets de Saint-Sorlin die Europapolitik des Kardinals Richelieu propagiert hatte. Harsdörffer moralisiert das französische Stück, das er unter dem Namen Japeta anonym veröffentlichte, und verschleiert den tagesaktuellen Bezug (Detering 2017, 265-289). Damit trug er gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges dazu bei, das politische Europabewusstsein seiner Zeitgenossen zu schärfen. 1.3. Der Dreißigjährige Krieg und die ,Krise des 17. Jahrhunderts‘ Man hat die Zeit zwischen 1600 und 1700, „von welcher man glaubt / daß es die letzte seye“, wie es in Grimmelshausens Simplicissimus Teutsch (1669) heißt, ein Jahrhundert der globalen Krise genannt. Schätzungsweise ein Drittel der Weltbevölkerung starb an den Folgen der ,kleinen Eiszeit‘, erfror in kalten Wintern, verhungerte nach Missernten oder erlag einer der vielen epidemischen Krankheiten (Parker 2013, 77-111). Im gesamten Jahrhundert gab es in Europa nur drei einzelne Jahre, in denen keine Schlacht gefochten wurde, nämlich 1610, 1670 und 1682. Ganz gleich, welche Faktoren man berücksichtigt - räumliche Ausdehnung, zeitliche Dauer, Intensität der Kampfhandlungen, Stadtzerstörungen oder Verluste von Menschenleben -, übertrafen die Kriege des 17. und frühen 18. Jahrhunderts sowohl jene des <?page no="143"?> 000142 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 142 | B.I. Regulierung der deutschen Literatur nach 1620 Spätmittelalters wie auch des späten 18. und 19. Jahrhunderts um ein Vielfaches (ebd., 26-28). Zwischen 1580 und 1750 überlagerten sich in Europa zunächst der achtzigjährige Spanisch-Niederländische Krieg (seit 1568) und die Konfliktkette des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648). Die vier ludovizianischen Teilkriege als ,Zweiter Dreißigjähriger Krieg‘ (1667-1697), die parallel verlaufenden Schlachten des Spanischen Erbfolgekrieges (1701-1714) sowie des Großen Nordischen Krieges (1701-1721) ließen das politische Feld vollends unübersichtlich werden. Die für Deutschland folgenreichste Konfliktkette war der Dreißigjährige Krieg, in dessen Folge rund ein Drittel der deutschen Bevölkerung in Schlachten und Plünderungen, dann vor allem durch Hungersnöte und Seuchen starb. Der Krieg begann 1618 in Prag als konfessioneller Konflikt, als sich die protestantischen Stände in Böhmen gegen die Rekatholisierungsversuche des Römischen Kaisers wehrten, weitete sich bald aber auf das ganze Reich aus und avancierte spätestens durch den Eintritt Schwedens und Frankreichs zum Kampf um die europäische Hegemonie (Arndt 2009). Der Westfälische Friede 1648 schuf eine neue Reichsordnung, besiegelte die Unabhängigkeit der Niederlande von Spanien und beendete das konfessionelle Zeitalter. Er galt im 17. Jahrhundert als Vorbild für gelungene Diplomatie, konnte zahlreiche weitere Kriege in den Folgejahrzehnten - insbesondere die diversen Angriffskriege Ludwigs XIV. seit den 1660er Jahren - jedoch nicht verhindern. Der Dreißigjährige Krieg in der deutschen Literatur Der Dreißigjährige Krieg prägte auch die deutsche Literatur entscheidend. Einige der wichtigsten Werke wie Martin Opitz’ Gedichtzyklus Trostgedichte in Widerwertigkeit deß Krieges (1633) oder Grimmelshausens Simplicissimus Teutsch (1669) zeugen davon, wie tief die Kriegsschrecken die Zeitgenossen erschütterten. Im 17. Jahrhundert schrieb man noch alle Kriegs- und Friedensentwicklungen dem Eingriff Gottes zu. Den Krieg verstand man als Strafe Gottes für die menschliche Sündhaftigkeit; der Westfälische Frieden bedeutete mithin einen Akt göttlicher Gnade. Das vorherrschende Gefühl, auf der Welt in einem instabilen ,Jammertal‘ zu leben, das vom Untergang stets bedroht ist und für den Menschen eine Bewährungsprobe darstellt, auf die das eigentliche, nämlich ewige Leben im Jenseits folgt, drückt sich vielgestaltig aus und ist unter anderem auf den dauernden Kriegszustand zurückzuführen. Die barocke Geringschätzung des ,Erdenlebens‘ sowie die Mahnung, stets an den Tod zu denken und auf ein besseres Jenseits zu hoffen, wichen erst im frühen 18. Jahrhundert einem frühaufklärerischen Optimismus. 1.4. „In unzähligen Stücken verändert“: Der Krieg und die Kommunikationsrevolution Bei allen Zerstörungen beförderte der Krieg jedoch auch die Etablierung einer räsonierenden Öffentlichkeit, die sich mit der Drucktechnik und der Flugpublizistik im frühen 16. Jahr- Aktuell, flexibel, preisgünstig: Flugschrift als Medium des ,Meinungskriegs‘ hundert gebildet hatte. War die Zahl der publizierten Flugschriften allein im Reformationsjahr 1517 um mehr als 500 Prozent gewachsen, flaute die Produktion um 1525 wieder ab und erhielt neuen Aufwind erst wieder nach Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges (Rosseaux 2010, 99f.). Die Flugschrift, die sich formal als mehrblättriges, in der Regel im handlichen Oktavformat gedrucktes Heftchen definieren lässt, zeichnet sich funktional durch ihre rasche Herstellung, <?page no="144"?> 000143 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 143 1. Gesellschaft und Literatur im Zeitalter des Dreißigjährigen Kriegs | niedrige Produktionskosten, vergleichsweise niedrige Verkaufspreise und mittelhohe Auflagen aus. Da Flugschriften akzidentiell - d. h. nicht-periodisch - erscheinen, beziehen sie sich in der Regel auf ein aktuelles Ereignis oder einen aktuellen Ereigniszusammenhang. Ihr Erfolg bemisst sich daher an der Debattendichte, und in dieser Hinsicht bedeutete der Dreißigjährige Krieg einen medialen Glücksfall. Gleich nach Ausbruch der böhmischen Revolte 1618 zeichnete sich ein breites Interesse an der frontenbestimmenden Frage der Kriegsschuld ab. Fast alle politischen und konfessionellen Gruppierungen erkannten die Notwendigkeit publizistischer Einflussnahme und bedienten sich der (vergleichsweise) neuen medialen Mittel (Körber 2001). Die frühe Mobilmachung über mehrblättrige Flugschriften und bebilderte Einblattdrucke wirkte zweifellos ideologisierend und verstärkte den Willen zur kriegerischen Auseinandersetzung auch in größeren Teilen der Bevölkerung. Jüngere Autoren wie Paul Fleming versuchten sich zu profilieren, indem sie sich am Meinungskrieg mit Versen beteiligten. So verfasste Fleming 1632 ein längeres Trauergedicht auf den Tod des schwedischen Königs Gustav II. Adolph, das er, mit einem Kupferstich des Trauerzugs illustriert, als Flugblatt veröffentlichte (Abb. B.I.4.). Doch nicht nur der Einblattdruck kommentierte und bebilderte die Kriegsereignisse, um die Öffentlichkeit propagandistisch zu beeinflussen (Harms/ Schilling 2008, 277-289), sondern der Krieg sorgte auch für den Durchbruch der im Ton neutraleren, in der Selektion aber durchaus parteiischen Wochenzeitung. Als erste Zeitung im engeren Sinne - also den Definitionskriterien Universalität, Publizität, Periodizität und relativer Aktualität entsprechend - gilt die 1605 gegründete Straßburger Relation des Druckers Johann Carolus (Weber 1999). Im gleichen Jahr wurde mit dem Wolfenbütteler Aviso die zweite deutsche Wochenzeitung gegründet. Nach den ersten Unternehmen in Straßburg und Wolfenbüttel vermehrte sich die Zeitungsproduktion rapide. Der erste „Gründungsboom“ fand zwischen 1615 und 1640 statt, als über 80 meist kurzlebige Zeitungen gegründet wurden (Behringer 2003). Seit Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges erschienen einige Zeitungen bereits mehrmals die Woche. Nach manchen Kalkulationen erreichten die Wochenzeitungen im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts über 200 000 Menschen; das waren zwischen 20 und 25 Prozent der Lesefähigen und damit rund ein Viertel der Gelehrtenrepublik und Funktionselite (Weber 1999). „Gantz Europa hat sich durch die allenthalben angelegten Posten in unzähligen Stücken verändert“, notiert Zedlers Universal-Lexicon 1749, „und man hat in grossen und vielen kleinen Städten angefangen, Zeitungen zu drucken, welche die vornehmsten Begebenheiten in der Welt enthalten: wo man doch vor Zeiten kaum wuste, was sechs Meilen weit vorfiel“ (Behringer 2003, 436). Der Dreißigjährige Krieg brachte folglich mit der Medienrevolution des Nachrichtenwesens auch eine Europäisierung der Öffentlichkeit mit sich (Detering 2017, 91-198). Diese infrastrukturelle Entwicklung beeinflusste auch die deutsche Literatur entscheidend, denn Martin Opitz’ Poetik notierte den Modernisierungsrückstand erstmals mit dem patriotischen Blick auf einen europäischen Standard, den die Kommunikationsrevolution um 1600 wesentlich mitbestimmte. <?page no="145"?> 000144 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 144 | B.I. Regulierung der deutschen Literatur nach 1620 B.I.4. Flugblatt Triumph vnd Leichgepränge zum Tod des Schwedenkönigs Gustav II. Adolph (1632). <?page no="146"?> 000145 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 145 2. Martin Opitz’ Dichtungsreform in Poetik und Praxis | 2. Der Fahnenträger: Martin Opitz’ Dichtungsreform in Poetik und Praxis Martin Opitz wurde 1597 als Sohn eines Fleischermeisters im schlesischen Städtchen Bunzlau geboren. Er genoss eine humanistische Ausbildung an der Lateinschule, besuchte dann das angesehene Maria-Magdalenen-Gymnasium in Breslau. Dort verfasste er bereits Gedichte in lateinischer Sprache. Von Breslau wechselte er - Schlesien besaß keine eigene Landesuniversität - an das moderne Beuthener Gymnasium, um sich hier auf ein auswärtiges Universitätsstudium vorzubereiten. Im geistig progressiven Klima Beuthens verfasste Opitz im Jahre 1617 seine erste programmatische Schrift, den Aristarchus . Zum Studium ging Opitz nach Heidelberg, wo er die kurze Blütezeit der Kurpfälzer Dynastie vor Beginn des Dreißigjährigen Krieges miterlebte. Opitz bewegte sich dort im Kreise neuhumanistischer Gelehrter, darunter Jan Gruter und Georg Michael Lingelsheim. Als der junge Kurfürst Friedrich V. von der Pfalz die böhmische Königskrone annahm (weil er nur eine Saison regierte, nannte man ihn spöttisch ,Winterkönig‘), läutete dies den Beginn des Dreißigjährigen Krieges ein. Heidelberg wurde von bayerischen Truppen eingenommen und zerstört. Die berühmte Biblioteca Palatina erhielt der Papst zum Geschenk. Opitz floh aus Heidelberg in die Niederlande. Dort geriet er unter den Einfluss des niederländischen Neustoizismus, dessen Theoretiker vor allem Justus Lipsius war und in dessen Geist Opitz seine Trostgedichte in Widerwertigkeit deß Krieges verfasste (Kühlmann 2001, 37-56; Aurnhammer 2008, 711-729). Sein Wanderleben führte ihn über Jütland und Siebenbürgen nach Schlesien, wo er in die Dienste des katholischen Grafen Dohna trat. In seinem Dienst übersetzte er sogar eine jesuitische Tendenzschrift. Ob dies aus Opportunismus, Indifferenz oder als Akt konfessionspolitischer Diplomatie geschah, bleibt fraglich. In den Augen protestantischer Literarhistoriker des 19. Jahrhunderts stellte die Eindeutschung von Martin Becanus’ Manuale controversarium jedenfalls ein Skandalon dar. Im Jahre 1624 veröffentlichte Opitz sein wegweisendes Buch von der Deutschen Poeterey . Im selben Jahr erschienen in Straßburg die Teutschen Poemata , die sein älterer Freund Julius Wilhelm Zincgref gegen seinen Willen herausgegeben hatte; Opitz reagierte ein Jahr später mit seinen autorisierten Acht Büchern, Deutscher Poematum . Diplomatische Missionen führten Opitz an den Wiener Kaiserhof, wo er 1625 zum Poeta laureatus gekrönt wurde. 1627 folgte die Nobilitierung ,von Boberfeld‘. Als die schwedischen Truppen Breslau bedrohten, floh sein Dienstherr Graf Dohna, und Opitz wechselte zum polnischen König Władysław IV. nach Danzig, wo er das Amt eines polnischen Hofhistoriographen ausübte. In Danzig starb Opitz 1639 an der Pest (Garber 2018). 2.1. Anfänge: Aristarchus und die bildungspolitischen Bedingungen in Beuthen Dass der Dichterruhm sein Lebensziel war, erweist schon die erste erhaltene Poesie von Martin Opitz, ein lateinischer Stammbucheintrag aus dem Jahre 1614. Er trägt in der Unterschrift die selbstbewusste Formel aut homo aut poeta [,Entweder Mensch oder Dichter‘]. Auch Aristarchus als nationalpatriotisches Gründungsdokument der deutschen Barockliteratur Opitz’ erste selbständige Publikation, sein der Heimatstadt Bunzlau gewidmeter Gedichtband Strenae [,Neujahrsgeschenk‘], ist in lateinischer Sprache verfasst. Erst in Beuthen gelangte der Zwanzigjährige, veranlasst durch die dort wirkenden Reformpädagogen Jonas Milde und Caspar Dor- <?page no="147"?> 000146 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 146 | B.I. Regulierung der deutschen Literatur nach 1620 nau, zu der Ansicht, die volkssprachliche, also deutsche Dichtung sei ein Feld, auf dem sich Ruhm erwerben ließ. Den Wechsel von der lateinischen zur deutschen Sprache propagiert Opitz in seiner programmatischen Schrift Aristarchus, sive de contemptu linguae Teutonicae (1617). Obwohl nur 13 Blätter umfassend, ist diese Schrift eines der bedeutendsten Manifeste der deutschen Literatur, denn sie kann zusammen mit der im gleichen Jahr gestifteten Fruchtbringenden Gesellschaft als Gründungsdokument der deutschen Barockliteratur gelten. Wie schon der Titel Aristarchus anzeigt, verfolgen beide, Opitz und die Fruchtbringer, ein gemeinsames Ziel. Er spielt auf den Sprachmeister Aristarchos von Samothrake an, Bibliothekar in Alexandria, der sich als Homer-Philologe derart profiliert hatte, dass sein Name zu einer allgemeinen Bezeichnung für Sprachgenauigkeit und Gewissenhaftigkeit wurde. Dementsprechend rühmt Opitz im Aristarchus das Alter der deutschen Sprache, betont ihre Eigenständigkeit und erweist ihre Eignung zur Dichtungssprache. Die sprachpatriotische Tendenz seiner Schrift hat Opitz durch das vorausgeschickte Widmungsgedicht unterstrichen, das Ad Germaniam adressiert ist ( 056). Freilich entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass Opitz sein Plädoyer für das Deutsche in lateinischer Sprache verfasst hat - wie allerdings schon Dante in seiner lateinischen Schrift De vulgari eloquentia für die italienische Volkssprache plädiert hatte. Die sprachpatriotische Erneuerung, die Opitz mit dem Aristarchus verfolgte, orientierte sich ausdrücklich am Vorbild der Romania: „Wir wollen eifrig dafür sorgen“, schreibt er auf Latein, „daß wir von den Franzosen und Italienern, von denen wir Bildung und feine Sitten entlehnen, auch erlernen, unsere Sprache mit Sorgfalt auszubilden und zu schmücken“ (Opitz 2002b, 81). Opitz rühmt die deutsche Dichtung des Mittelalters, um den sprachlichkulturellen Nachholbedarf gegenüber der Romania zu illustrieren. Es sei wahrlich zu beklagen, daß diese glückliche dichterische Begabung inzwischen ganz abgebrochen ist, während Italien so viele Petrarcas, Ariosts und Tassos, Frankreich so viele Marots, Bartas’, Ronsards und andere treffliche Dichter zu unserer Schande und Schmach hervorgebracht hat, während auch die Niederländer, von demselben edlen Triebe durchglüht, Gleiches zu erreichen versucht haben, und zwar mit recht viel Glück. [ … ] Wir aber, wir schlafen ruhig weiter mit offenen Augen. Dabei wären wir doch in der Lage, nicht nur ebenso erfolgreich, sondern auch in denselben Versmaßen und mit ähnlicher Würde wie jene andern Völker zu dichten. (ebd., 87) Mit seiner Zeitdiagnose bewegt sich Opitz im Denkhorizont der humanistischen Konkurrenz der Nationen, einer Art europäischen Wettkampfs, in dem Deutschland die Staffel fallengelassen hat und den Anschluss zu versäumen droht. Man möge sich auf die germanische Widersprüchliches Programm: ,Wiederentdeckung‘ des Deutschen in romanischen Versmaßen Einfachheit besinnen, so der Vorschlag, den freiheitsliebenden heroischen Geist der Vorfahren, um im europäischen Agon zu bestehen. Wenn man nur die „edle, vornehme Sprache“ des Deutschen wiederentdecke, schreibt Opitz, die „bis auf den heutigen Tag unvermischt und unverfälscht den Zungen der Nachkommen verblieben“ sei, „so wie die Treue und Einfalt ihren Herzen“ (ebd., 78 und 81), erweise man der Nation einen großen Dienst. Opitz’ Programm ist durchaus widersprüchlich. Die deutsche Sprache sei unvermischt und intakt, heißt es, und müsse doch wiederentdeckt und gepflegt werden, weil sie zu viele Wörter aus anderen Sprache entlehne (ebd., 82). Die deutsche Literatur solle Anschluss finden an die <?page no="148"?> 000147 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 147 2. Martin Opitz’ Dichtungsreform in Poetik und Praxis | alten Germanen, die „in alten Liedern“ die „Heldentaten ihrer Väter“ besangen (ebd., 86), aber als Beweis für die Eignung des Deutschen führt Opitz seine eigene Fortuna -Elegie an, die ausgerechnet im französischen Alexandriner verfasst ist, nämlich in Versen aus zwölf bzw. dreizehn Silben je nach männlichem oder weiblichem Versschluss. Der französische vers commun wird ebenso vorgestellt wie die moderne romanische Strophenform des Sonetts an einem Beispiel von Ernst Schwabe von der Heyde ( 052). Die im Aristarchus angelegte Spannung zwischen sprachpuristischem Patriotismus und der Orientierung an romanischen Vorbildern, zwischen Germanennostalgie und modernem Reformstreben sollte Opitz’ Poetik insgesamt bestimmen. 2.2. Buch von der Deutschen Poeterey (1624) Die dichterische Entwicklung, die der junge Opitz zwischen 1617 und 1624, zwischen dem Aristarchus und dem Buch von der Deutschen Poeterey , vollzogen hat, ist nicht zweifelsfrei geklärt. Unstrittig ist aber, dass die Gelegenheitsdichtungen aus diesem Zeitraum metrisch noch keineswegs einheitlich alternierend sind. Als 1624 die Teutschen Poemata erschienen, im Wesentlichen die Dichtungen, die Opitz während seines Heidelberger Studienaufenthalts 1619/ 20 verfasst hatte, war Opitz diesen jugendlichen Versuchen entwachsen. Daher reagierte er gereizt auf die von ihm nicht autorisierte Herausgabe seiner veralteten Dichtung und versuchte ihr mit dem Buch von der Teutschen Poeterey (1624) entgegenzuwirken. Die Wirkung dieser relativ schmalen Schrift - Opitz will sie in nur fünf Tagen verfasst haben - war durchschlagend. Die Gründe dieses Erfolgs liegen in ihrer programmatischen Klarheit. Die Originalität hält sich freilich in engen Grenzen. Opitz nennt in seiner Vorrede einige Autoritäten, darunter Aristoteles, Horaz und Scaliger, in deren Schuld seine Poetik steht (Opitz 2002a, 13). Allerdings verschweigt Opitz, wie sehr er der französischen Poetik von Ronsard verpflichtet ist, besonders dessen Abbre ´ge ´ de l’art poe ¨tique Franc ¸ois (1565/ 1585). So sind viele Passagen bei Opitz kaum mehr als Übersetzungen aus Ronsards Poetik. Selbst der häufig zitierte Anfangssatz des zweiten Kapitels, der die Dichtung religiös aufwertet - „Die Poeterey ist anfanges nichts anders gewesen als eine verborgene Theologie / vnd vnterricht von Göttlichen sachen“ (ebd., 14) -, stammt von Ronsard. Wie im Aristarchus verfolgt Opitz mit seiner schmalen Poetik ein patriotisches Anliegen, hegt nämlich die „hoffnung / es werde nicht alleine die Lateinische Poesie [ … ] sondern auch die Deutsche / zue welcher ich nach meinem armen vermögen allbereit die fahne auffge- Voraussetzungen eines Dichters: lateinische Bildung und poetische Begabung steckt / von stattlichen gemütern allso außgevbet werden / das vnser Vaterland Franckreich vnd Italien wenig wird bevor dörffen geben“ (ebd., 22). Fällt die lateinische Sprache als Ausweis gelehrter Bildung fort, so muss der muttersprachliche Dichter seine Gelehrtheit wenigstens materialiter beweisen, nämlich durch Wahl gelehrter Themen und durch Beherrschen der poetischen Technik. Deswegen verlangt Opitz, jeder deutsche Dichter müsse lateinisch gebildet sei. Allerdings hält Opitz bei allem Nachdruck, den er auf die Notwendigkeit von rhetorischer Bildung und die Kenntnis der poetischen Tradition legt, doch an der platonischen Auffassung fest, man müsse zum Dichter geboren sein. Dem Dichten liege ein furor poeticus zugrunde, eine Form höheren Wahnsinns, zu dem vor allem Melancholiker prädisponiert seien, wie die inspirationstheo- <?page no="149"?> 000148 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 148 | B.I. Regulierung der deutschen Literatur nach 1620 retische manı ´a -Lehre der Antike behauptet hatte. Man könne niemanden „durch gewisse regeln vnd gesetze zu einem Poeten machen“ (ebd., 13), gesteht die Vorrede des Buchs von der deutschen Poeterey daher; vielmehr müsse der Dichter rhetorische Bildung und poetische Begabung vereinen. Die ersten vier Kapitel der Poetik haben allgemeinen Charakter, sie skizzieren die Geschichte der Literatur, rechtfertigen sie gegen geläufige Vorwürfe und entwerfen die Grundlagen literarischer Autorschaft in Deutschland. Die anschließenden vier Kapitel sind praktischer Natur, sie etablieren Regeln für die poetische Produktion und geben dem Leser einige (meist aus eigener Feder stammende) Musterstücke an die Hand. Im praktischen Teil unterscheidet Opitz, wie seit der antiken Rhetorik üblich, die Erfindung und Anordnung des Stoffes ( inventio und dispositio ) von seiner sprachlich-formalen Einkleidung ( elocutio ). Was die Gattungen betrifft, behandelt er knapp das Epos, die Tragödie, die Komödie, die Satire, das Epigramm, die Ekloge (Schäfergedichte), die Elegie und das Echogedicht, ein im Barock sehr beliebter Typ des Scherzgedichts, in dem ein Fragevers durch die Wiederholung des Reimworts am Versende beantwortet wird ( 070). Schließlich streift Opitz die Hymnen, die Anlassgedichte - nach römisch-antikem Vorbild auch sylven [,Wälder‘] genannt - und die Lieder (,Oden‘). Wie die Gattungsliste zeigt, ist dem Barock die Einteilung des literarischen Feldes in die Goethe’schen ,Naturformen‘ Lyrik, Drama und Epik noch fremd. Geordnet sind Opitz’ Kategorien stattdessen nach einer sozialen Hierarchie der Stilhöhen. Die generische Rangordnung führt das „Heroisch getichte“, das Epos, an. Ihm ist an der „maiestet“, an rhetorischstilistischer Würde, die Tragödie „gemeße“, also ebenbürtig (ebd., 30). Denn beide Gattungen, Epos und Tragödie, handeln von hohen Standespersonen und pathetischen Materien; sie verwenden daher prächtige und hohe Worte, den stilus altus oder stilus gravis . Dagegen besteht die Komödie „in schlechtem [schlichtem] wesen vnnd personen“, sie bedient sich dementsprechend der niederen Rede ( stilus levis ). Der übrige Vorrat an Versgattungen kann in der Stilhöhe variieren und ist stilistisch insgesamt einem Mittelbereich, dem stilus medius , zuzurechnen. 2.3. Opitz’ Dichtungsauffassung und die Versreform der Deutschen Poeterey Opitz zufolge knüpft sich der literarische Kunstanspruch an die Versform, weshalb das Buch von der Deutschen Poeterey Prosaerzählungen nicht behandelt. Der Roman blieb daher bis zum Ende des 17. Jahrhunderts poetologisch unterbestimmt. Opitz folgt in diesem Literaturverständnis seinem Vorbild Scaliger, der in seinen Poetices libri septem (1561) dekretiert hatte, der Dichter erhalte seinen Namen nicht von der Erfindung, der Fiktivität des Geschilderten, sondern durch die Verwendung des Verses ( Poetae igitur nomen non a fingendo [ … ] , sed initio a faciendo versu ductum est [,Das Wort „Dichter“ ist nicht vom Erfinden, sondern anfangs vom Versemachen abgeleitet‘]; Scaliger 1994, I, 2, 72). Lucan und Livius wären beide Geschichtsschreiber, führt Scaliger als Beispiel an, doch da Lucan Verse verwendet habe, sei er unter die Dichter zu rechnen ( differt autem versu. Hoc vero poetae est ; ebd., I, 2, 88). Die autonome Fiktion, in der glaubwürdige, nicht-allegorische, erfundene Figuren in einer Welt agierten, die der zeitgenössischen europäischen Alltagswirklichkeit ähnelte, war im 17. Jahrhundert tat- <?page no="150"?> 000149 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 149 2. Martin Opitz’ Dichtungsreform in Poetik und Praxis | sächlich eher die Ausnahme und, wenn überhaupt, auf ,niedere‘ Gattungen wie die Komödie oder die Satire beschränkt. Während die deutsche Poetik des 17. Jahrhunderts daher im Fiktionsverständnis kaum Fortschritte machte - anders als etwa die englische Literatur, in der auf diesem Gebiet mit Philip Sidneys The Defence of Poesy (1579) schon früh ein Klassiker vorgelegt worden war -, bedeuteten Opitz’ Vorschläge zur metrischen Verbesserung der deutschen Literatursprache eine echte Neuerung. Sein Plädoyer für die Verwendung der deutschen ,Hochsprache‘, sein Verbot von unreinen Reimen, der Häufung von einsilbigen Wörtern und der metrisch erzwungenen Tilgung von Silben (Apokope) führten zu einer Kodifizierung des lyrischen Ausdrucks, die mit der eher dialektal-unregelmäßigen Liedsprache des 16. Jahrhunderts brach. Um unnatürlich klingende Reime zu vermeiden, reguliert Opitz den Versschluss dahingehend, dass er nach französischem Vorbild die Verse je nach Versausgang bzw. je nach Toncharakter der letzten Silbe als männlich oder weiblich einteilt. Nur gleichgeschlechtliche Verse können sich reimen. Für die Metrik schlug Opitz ein akzentuierendes Verfahren vor, das sich von der romanischen Prosodie der Silbenzählung und dem quantitierenden Verfahren der Antike absetzte, das lange und kurze Silben unterscheidet ( 057). Entscheidend war nun, ob eine Silbe Optiz’ Metrik: natürlicher Wortakzent und Alternation von Hebung und Senkung betont oder unbetont sei. Dabei schrieb Opitz eine Alternation von Hebung und Senkung vor, gemäß dem natürlichen Wortakzent in der Alltagssprache. Die natürlich betonte Silbe (die nach Opitz den „accent“ hat) ist hoch zu setzen (in die Arsis, die Hebung des Verstones), die unbetonte ist niedrig (in die Thesis, die Senkung des Verstones). Die Umwidmung des quantitierenden in das akzentuierende Verfahren ermöglichte es, die hochentwickelte metrische Technik und Nomenklatur der antiken Metrik, die an Universitäten gelehrt und studiert wurde, beizubehalten. Ein Jambus bezeichnet nun aber nicht mehr die Kombination einer kurzen und langen, sondern einer unbetonten und einer betonten Silbe (Opitz gibt als Beispiel einen Luther-Vers: „Erha´ lt uns He´ rr bei deı´nem wo´ rt“), während ein Trochäus aus einer betonten und einer unbetonten Silbe besteht (Beispiel ist wieder ein Luther-Vers: „Mı ´tten wı ´r im le´ ben sı ´nd“). Deutsches Pendant zum Hexameter, dem heroischen Vers der Antike, wurde mit Opitz der Alexandriner - vermittelt über Frankreich und die Niederlande, aber seit Opitz verstanden als jambischer Sechsheber mit prägnanter Mittelzäsur -, daneben etablierte er auch den jambischen Fünfheber ( vers commun ). Der Alexandriner behauptete seinen Vorrang als maßgeblicher Dramenvers bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts, bevor er sukzessive vom Blankvers abgelöst wurde. Opitz engte den metrischen Spielraum der Antike im Deutschen auf die Alternation ein: „Nachmals ist auch ein jeder verß entweder ein iambicus oder trochaius“ (Opitz 2002a, 52). Wie die Forschung spekuliert hat, könnte dieser strenge Rhythmus durch das Gleichschrittprinzip der neuen Marschexerzitien inspiriert sein, welche die oranische Heeresreform einige Jahre zuvor in den Niederlanden eingeführt hatte (Kaminski 2004). Tatsächlich ließ Opitz sich von der niederländischen Prosodie anregen, die Daniel Heinsius in seinen Nederduytschen Poemata (1616) erprobt hatte, und tatsächlich passt die oranische Aufrüstung gegen Spanien zu der kriegerischen Eroberungsmetaphorik, die sich durch Opitz’ Poetik zieht. Der militä- <?page no="151"?> 000150 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 150 | B.I. Regulierung der deutschen Literatur nach 1620 risch-metrische Takt von Hebung und Senkung könnte in diesem Sinne „der triumphalen Einnahme ausländischer Versarten und Gedichtformen“ dienen (ebd., 45), während die Doppelsenkung von Daktylus und Anapäst aus der Reihe tanzt. Wie fragwürdig diese Mutmaßung auch sei - dreisilbige Versfüße erklärte Opitz jedenfalls zur Ausnahme, eine Regel, die selbst treue Opitzianer nicht einhalten wollten. 2.4. Musterstücke des Martin Opitz Den praecepta , den theoretischen Vorschriften und Regeln seiner Deutschen Poeterey , schickte Opitz die exempla , die praktischen Beispiele nach. Dabei folgt Opitz als Dichter dem eigenen Rezept: Nachahmung sprachlich-literarischer Vorbilder zum Zwecke der Geschmacksbildung. Er lieferte für alle Gattungen, die er in seiner Poetik normativ bestimmte, regelrechte Musterstücke, an denen sich deutsche Dichter orientieren sollten. Schon zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges verfasste er mit den Trostgedichten in Widerwertigkeit deß Krieges (1621 entworfen, 1633 erschienen) ein an Vergils Georgica orientiertes Epos, in dem er die Kriegszerstörungen beklagt, über Gottes Gründe für diese Strafe spekuliert, in neostoizistischem Geist für die Einsicht in das providentielle Wirken Gottes wirbt und zu Tugend und Weltabkehr mahnt (Aurnhammer 2008). Obwohl er den Roman im Buch von der Deutschen Poeterey nicht behandelt, hat Opitz auch für die Prosa-Epik Vorbilder gesucht und mit John Barclays Argenis (1621, Opitz’ Übersetzung 1626) einen neulateinischen Staats- und Schlüsselroman empfohlen. Mit der nach italienischen Vorbildern eigenständig verfassten Schäfferey Von der Nimfen Hercinie (1630) führte er die prosimetrische Mischform des Schäferromans in Deutschland ein; daneben redigierte er eine deutsche Übersetzung von Sidneys Schäferroman, der Arcadia (1638). Offen zeigte Opitz sich auch für moderne intermediale Gattungen wie die Oper, zu deren Aufstieg er mit dem schäferlichen Singspiel Daphne (1627) beitrug. Das Libretto griff zu weiten Teilen auf Ottavio Rinuccinis gleichnamige Oper zurück; die nicht erhaltene Musik zu Opitz’ Daphne komponierte Heinrich Schütz. Für die hohe Gattung der Tragödie warb Opitz mit eigenen Übersetzungen antiker Musterstücke. 1625 übertrug er Senecas Trojanerinnen , 1636 Sophokles’ Antigone . Mit seinen deutschen Versionen etablierte Opitz den Alexandriner als den maßgeblichen deutschen Dra- Barockes Trauerspiel: Mäßigung und Beständigkeit durch aristotelische katharsis und christlichen Neustoizismus menvers, auch wenn er die Chöre in gereimte Kurzverse übersetzte. In der Vorrede zu seiner Seneca-Übersetzung knüpft Opitz an die aristotelische Wirkungsästhetik an, erweitert sie aber. „Solche Beständigkeit aber wird vns durch beschawung der Mißligkeit des Menschlichen Lebens in den Tragedien zu föderst eingepflantzet“, schreibt Opitz dort, „dann in dem wir grosser Leute / gantzer Städte vnd Länder eussersten Vntergang zum offtern schawen vnd betrachten / tragen wir zwar / wie es sich gebühret / erbarmen mit jhnen / können auch nochmals mit wehmuth die Thränen kaum zu rück halten“. Er fügt hinzu: „[W]ir lernen aber daneben auch aus der stetigen besichtigung so vielen Creutzes vnd Vbels das andern begegnet ist / das vnserige / welches vns begegnen möchte / weniger fürchten vnd besser erdulden“ ( 074). Mit der Doppelformel, der Zuschauer empfinde „erbarmen“ und „wehmuth“, ist auf die aristotelische Affektreinigung ( katharsis ) angespielt, die auf Jammer ( eleos ) und Schaudern ( phobos ) beruht. Opitz stellt ihr die Erziehung zur Beständigkeit ( constantia ) zur Seite, <?page no="152"?> 000151 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 151 2. Martin Opitz’ Dichtungsreform in Poetik und Praxis | die bald zum wichtigsten Zweck des barocken Trauerspiels avancieren sollte (Schings 1974). Ideengeschichtliche Grundlage war Lipsius’ Neubelebung der stoizistischen Verhaltenslehre im Zeichen des Christentums. Justus Lipsius hatte in De Constantia (1584) für eine affektkontrollierende Ethik des Christenmenschen plädiert. Angesichts der Widrigkeiten der Welt solle der Mensch auf den Willen Gottes vertrauen, sich vorsichtig und tugendhaft zeigen und dadurch „weniger fürchten vnd besser erdulden“ lernen, wie Opitz formuliert. Dieser Maxime folgen insbesondere die deutschen Märtyrerdramen, die den Zuschauern exempla zur Bewunderung und Nachahmung boten. Wie Richard Alewyn in einer zum Standardwerk avancierten Studie postuliert hat, ,dämpft‘ Opitz in seiner Sophokles-Übertragung die pathetisch-drastischen Elemente zugunsten einer christlichen Heilslehre. Seine Antigone sei stilistisch zurückgenommener, „normalisierter“ als die griechische Vorlage und eigne sich so zur christlichen Verhaltensdidaxe (Alewyn 1962 [1926], 32). Die neuere Forschung hat Alewyns These eines ,vorbarocken Klassizismus‘ rhetorikgeschichtlich präzisiert, indem sie Opitz’ parataktischen Stil und seine Auflösung dunkler Oxymora in Antithesen mit der stilistischen Forderung nach Klarheit ( perspicuitas ) begründet (Harst 2012). Allerdings schreibt die Dramatik des 17. Jahrhunderts Opitz’ Poetik und seine Musterwerke keineswegs nur aus, sondern arbeitet sich an ihr ab und nutzt sie als Ausgangspunkt, um eigenständige Positionen zu suchen und zu finden (Stockhorst 2008, 212-275). So hält sich schon Johann Rist nicht an eine klare Trennung der dramatischen Genres und untermischt seine „newe Tragœdie“ Perseus (1634) mit komischen Personen und Situationen. Gryphius’ Cardenio und Celinde (1657) verletzt die Ständeklausel und die Forderung nach ,hohem Stil‘, indem das verspukte „Trauer-Spiel“ mit bürgerlichem Handlungspersonal aufwartet und die „Art zu reden“ „gleichfalls nicht vil über die gemeine“ ist, wie Gryphius einräumt (Gryphius 1991, 230). Daniel Casper von Lohensteins Trauerspiele schwächen den tragischen Effekt der Katastrophe im fünften Akt durch einen zusätzlichen (Schluss-)Reyen allegorischer Figuren ab (Flüsse, Länder, Weltzeitalter) und integrierten damit Elemente des höfischen Festspiels, bevor die Tragödie des späten 17. Jahrhunderts schließlich in musikalisch-theatralischen Mischformen aufging. Diese Ästhetik der Regelwidrigkeit gilt selbst für die Lyrik, bei der Opitz’ Einfluss wohl am stärksten war. Er reüssierte sowohl als weltlicher wie als geistlicher, religiöser Dichter, wie seine Psalter- und die Hohe-Lied-Übersetzung belegen. Opitz beweist darin formale Vielseitigkeit; er erprobt fast jede Strophenform der Antike (Oden, elegisches Versmaß) wie der Neuzeit (Sonett, Sestine, Echogedicht). Doch schon Georg Rodolf Weckherlin erachtete das jambisch-spondeische Versmaß im Deutschen „nicht so bequem“, es zieme eher dem Englischen oder Niederländischen (Weckherlin 1641, Bl. A 3). Und Buchner fügte dem opitzischen Alternationsprinzip kurzerhand den Daktylus hinzu, weil, wie er schreibt, dessen Verwendung durchaus nicht „übel und wiederwärtig“ klinge (Buchner 1966, 33), sondern der deutschen Sprache gemäß sei - „[n]un wunderts mich nicht wenig / daß sich niemand unterwindet / dieser Art Verse weiter auszuarbeiten“ (Zesen 1971, 35), legitimierte darauf Zesen weitere Versuche in dieser Richtung ( 088). <?page no="153"?> 000152 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 152 | B.I. Regulierung der deutschen Literatur nach 1620 3. „Nicht so bequem“: Standardisierung und Diversität bei den ,Opitzianern‘ In vielen von Opitz’ Werken, besonders im Buch von der Deutschen Poeterey , ist ein selbstbewusster Pionieranspruch erkennbar. Angesichts des Umstands, dass „biß jetzund niemandt vnder vns gefunden worden / so der Poesie in vnserer Muttersprach sich mit einem rechten fleiß vnd eifer angemasset“, habe er, schreibt Opitz in der Vorrede zu seinen Teutschen Poemata , sich vorgenommen, „die Bahn zu brechen / vnd durch diesen anfang vnserer Sprache Glückseeligkeit zu erweisen“ (Opitz 2002c, 95 und 98). Das Frontispiz zu der Breslauer Ausgabe der Poemata unterstreicht diesen Anspruch (Abb. B.I.5.). Im Giebelfeld zeigt es einen nackten, schlafenden Jüngling in einer kultivierten Landschaft mit einem kunstvollen Brunnen. Die Erläuterung et secura quies et nescia fallere vita [,sorglose Ruhe und Leben in redlicher Einfalt‘] entstammt Vergils Georgica (II, V. 467). Damit idealisiert Vergil nicht nur Opitz’ Pionieranspruch das pastorale Leben, sondern leitet auch seine Berufung zum Dichter ein. Dadurch inszeniert das Titelblatt Martin Opitz, dessen Name durch die Antiqua-Type exklusiv hervorgehoben wird, als inspirierten Dichter in der Nachfolge der Römischen Klassik. Diesem Selbstverständnis tragen auch die Statuen vor den Pfeilern Rechnung, die durch Sockelinschriften bezeichnet sind: „Germania“ und „Fama“. Ein Lorbeerkranz, der Germanias Haupt ziert, ersetzt als Zeichen der nunmehr in Deutschland florierenden Kunst und Literatur den Kriegshelm, den Germania in der Rechten hält. Die geflügelte Fama, der personifizierte Ruhm, hält mit der Linken, halbverborgen, die übliche Tuba und bläst einen Serpent, ein barockes Blechblasinstrument. Die Kombination beider Personifikationen auf dem Frontispiz weist Martin Opitz als ruhmwürdigen Nationaldichter aus, der Deutschland wieder in den Rang einer konkurrenzfähigen Kulturnation gehoben hat. Viele Barockautoren teilten dieses Bild. Sie sahen in Opitz den Fahnenträger der deutschen Literatur, ganz nach seiner Selbsteinschätzung, er habe ihr „nach meinem armen vermögen allbereit die fahne auffgesteckt“ (Opitz 2002a, 22). Zum Gemeinplatz wurde die Apostrophe als ,deutscher Apoll‘, oft gestaltet auf Titelblättern wie Andreas Tschernings Deutscher Getichte Früling (1642), wo der Musenfürst auf der linken, der gekrönte Opitz auf der rechten Seite zu sehen ist (Abb. B.I.6.). Die deutschen Lobgedichte von Weckherlin, Rist und Tscherning, die lateinischen von Zincgref, Hugo Grotius und Buchner bezeugen die Verehrung seiner Zeitgenossen. Noch für Gottsched, der 1739 eine Lob- und Gedächtnisrede auf Opitz hielt, war der Schlesier fraglos der „Vater der deutschen Dichtkunst“ (Gottsched 2009, 212). Ohne Widerspruch blieb dieser Selbstentwurf nicht. In gewisser Weise hatte schon ein Anhange Vnderschiedlicher außgesuchter Getichten anderer mehr teutschen Poeten , den Julius Wilhelm Zincgref seiner Edition von Opitz’ Teutschen Poemata beigab, dessen epochale Leistung relativiert. Immerhin versammelte die Auswahl allerlei deutschsprachige Mustergedichte, die Kritische Relativierung seiner ,Pioniertat‘ und zeitgenössischer Widerspruch Jahre und Jahrzehnte vor Opitz entstanden waren, etwa originäre Sonette von Ernst Schwabe von der Heyde und Georg Rodolf Weckherlin ( 051 bis 054). Auch Zincgref selbst war mit zahlreichen Gelegenheitsgedichten vertreten. Für die Prosodie, die Opitz neu begründet haben möchte, nennt Zincgref in der Einleitung zu seinem Anhang Vorgängerprojekte von Johannes Clajus und Johannes Engerd, und schmälert auch damit Opitz’ Pioniertat. In die gleiche Kerbe schlägt <?page no="154"?> 000153 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 153 3. Standardisierung und Diversität bei den ,Opitzianern‘ | B.I.5. Frontispiz zu Martin Opitz’ Teutschen Poemata (1625). einige Jahre später der Straßburger Dichter Jesaias Rompler von Löwenhalt, wenn er in der Vorrede zu seinen Reim-getichten (1647) einige „tapfere männer“ aufzählt, die sich um die Hebung der deutschen Literatur verdient gemacht hätten. Unter ihnen habe vor allem Weckherlin mit seinen Oden und Gesängen (2 Bde., 1618-1619) „ein groses stuck amm eiß gebrochen“ - „derer lesung nachmahls dem Martin Opitzen / zur nachfolge / gar wol bekommen“. Nach Weckherlin und noch vor Opitz habe außerdem Ernst Schwabe von der Heyde deutsche Gedichte auf höchstem Niveau verfasst, und danach seien „bald von tag zu tag mehr andere gekommen“ (Rompler 1647, Bl. ii v f.). Tatsächlich wurde Petrarcas berühmtes Einleitungssonett erstmals vollständig von Schwabe übersetzt ( 052), und noch vor Opitz verwendet er dort den aus Frankreich entlehnten Alexandriner für den italienischen Elfsilbler. In Romplers Genealogie deutscher Dichter wird Opitz deutlich herabgestuft, ja an dritter Stelle erst genannt und als Weckherlin-Epigone verbucht. Auch andere Belege zeigen, dass diese Minderungen keine Einzelfälle waren (Mannack 2002, Aurnhammer 2011). So unumstritten, wie die Literaturgeschichte früher annahm, war Opitz weder zu Lebzeiten noch danach, und oft mischte sich unter die Ehrbekundungen verhaltener Spott über den großen ,Schwan von Boberfeld‘. Die neuere Forschung betont eher die Kontinuitäten als den opitzischen Durchbruch, vor allem zwischen der Lieddichtung um 1600 und der Gesangslyrik des Barock. Ausländische Formen wie die Villanelle, die Kanzonette oder das Madrigal waren in Deutschland bereits etabliert, und selbst Versuche im Alexandriner und im vers commun datieren früher als 1624 (Scheitler 2014). Auch wenn man anerkennt, dass Opitz’ ,bahnbrechende‘ Poetik einer Selbstproklamation entsprang, dass sie langschwelende Tendenzen vereinnahmte und nicht nur deshalb manchen Zeitgenossen ärgerte, so war sein Einfluss auf die nachfolgende Generation doch durchschlagend. Das Verb ,opitzieren‘, eine Analogbildung zu Opitz’ Neologismus ,pindarisie- <?page no="155"?> 000154 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 154 | B.I. Regulierung der deutschen Literatur nach 1620 B.I.6. Kupfertitel zu Andreas Tschernings Deutscher Getichte Früling (1642). ren‘ (von dem griechischen Odendichter Pindar), wurde im 17. Jahrhundert gleichbedeutend mit ,schön singen‘. Opitz gelang es nicht nur, eine Metrik zu etablieren, welche die Zeitgenossen zwar früh modifizierten, nach der aber im Grunde noch heute skandiert wird. Mit seinen Musterstücken popularisierte er außerdem ein europäisches Form- und Motivinventar, welches das literarische Wetteifern in der deutschen Volkssprache recht eigentlich befeuerte. Er gab der Barocklyrik zumindest zwischen den 1630er und 1650er Jahren eine fassbare Identität. Mit seiner Normpoetik diagnostizierte er einen Missstand, formulierte das Fernziel - den Anschluss an einen europäischen Standard - und wies mit seinen Übersetzungen einen Weg dorthin, den in der Folge nicht jeder beschritt, der auch Abzweigungen und Seitenpfade eröffnete, der umgestaltet und verlassen wurde, der aber für Jahre richtungsweisend bleiben sollte. 3.1. Institutionen und Netzwerke der opitzischen Standardisierung Opitz konnte auf die breite Unterstützung der Universitätsgelehrten zählen. Der akademische Einfluss der Opitzianer trug erheblich zur Ausarbeitung und Durchsetzung der Regelpoetik bei (Arend/ Steiger [Hg.] 2019). Viele Dichtungstheoretiker wirkten an bedeutenden Bildungsinstitutionen und verfassten Poetiken im Geiste des Schlesiers. Andreas Tscherning ist hier zu nennen, der als Professor für Poesie an der Universität Rostock lehrte und zuerst mit seiner Deutscher Getichte Früling (1642) reüssierte - Opitz trug ein Widmungsgedicht bei -, später mit seiner Poetik Unvorgreiffliches Bedencken über etliche mißbräuche in der deutschen Schreib- und Sprach-Kunst / insonderheit der edlen Poeterey (1659) Schule machte. Chris- <?page no="156"?> 000155 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 155 3. Standardisierung und Diversität bei den ,Opitzianern‘ | B.I.7. Frontispiz zu Constantin Christian Dedekinds Aelbianischer Musen-Lust (1657). toph Köler, der erste Biograph Martin Opitz’, unterrichtete als Professor am Breslauer Elisabeth-Gymnasium, sein Schüler Johann Peter Titz als Konrektor am Danziger Mariengymnasium, wo er Zwey Bücher Von der Kunst Hochdeutsche Verse und Lieder zu machen (1642) verfasste. Viele akademische Lehrer publizierten zwar keine Poetik, wohl aber Gedichte nach den opitzischen Regeln, so etwa Enoch Gläser, der als Professor für Jurisprudenz an der Universität Helmstedt lehrte und mit seiner Schäffer-Belustigung oder Zur Lehr und Ergetzligkeit angestimmter Hirthen-Lieder Erstes und Andres Buch (1653) die deutsche Schäferdichtung vorantrieb, ähnlich auch Christoph Kaldenbach, der als Altphilologe an der Universität Tübingen wirkte und sich mit mehreren Gedichtsammlungen einen Namen als Opitzianer machte. Unter den Professoren für Poesie war August Buchner vielleicht der bedeutendste. Bei ihm an der Universität Wittenberg studierten viele junge Dichter, darunter Simon Dach, Paul Gerhardt, Ernst Christoph Homburg, Zacharias Lund, Paul Fleming, Johann Klaj, Georg Greflinger, David Schirmer, viel später noch Heinrich Mühlpfort. An den freundschaftlichen Geleitgedichten, die ihre Veröffentlichungen in der Regel schmücken, zeichnen sich die Umrisse eines gelehrten Netzwerks ab. Man gratulierte sich in Versen zum Namenstag und zur akademischen Magisterfeier, wünschte Glück für die Reise im propemptikon (Reiseabschiedsgedicht), prostete dem Freund und seiner Braut zur Hoch- <?page no="157"?> 000156 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 156 | B.I. Regulierung der deutschen Literatur nach 1620 B.I.8. Sibylla Schwarz, „die Deutsche Sibylla“ (1650). zeit in sogenannten epithalamia (Hochzeitsgedichten) zu und stand ihm oder ihr lyrisch mit epicedia (Trauergedichten) bei, wenn ein Verwandter verstorben war. Als Anlassdichtung (Casualpoesie) hatte die Lyrik einer jungen, zunächst studentischen Generation einen festen Sitz im städtisch-universitären Leben (Adam 1988, Keller u. a. [Hg.] 2010). Auch deshalb gleichen sich die frühen Gedichtsammlungen in Ton, Stil und Formen wie etwa Johann Rists Musa Teutonica (1634), Zacharias Lunds Deutsche Gedichte (1636) und Ernst Christoph Homburgs Schimpff- und Ernsthaffte Clio (1638) - Lund kannte Homburg aus Wittenberger Studententagen, Rist nahm Homburg später in seinen Elbschwanenorden auf, als dieser für kurze Zeit nach Hamburg zog; der gleichen ,Clique‘ gehörten wohl auch Paul Fleming sowie die Komponisten Andreas Hammerschmidt und Constantin Christian Dedekind an. Bei unterschiedlicher, meist aber bürgerlicher Herkunft teilten diese Dichter einen vergleichbaren Werdegang, und mit der Pflege der deutschen Literatur verfolgten sie ein gemeinsames Anliegen. Ihr Idol war Martin Opitz, auf den immer wieder namentlich referiert und aus dessen Teutschen Poemata oft wörtlich zitiert wird. Prägnant ist Opitz’ Rolle auf einem poetologischen Frontispiz zu Dedekinds Liedersammlung Aelbianischer Musen-Lust (1657) (Abb. B.I.7.) verbildlicht. Es parallelisiert den antiken Helicon mit dem entsprechend hierarchisierten deutschen Parnass. Auf Opitz, der als deutscher Apoll auf dem Gipfel des Musenbergs thront, folgen Fleming, Rist, Tscherning und andere aus der Gefolgschaft des Dichtergottes. War der nord- und mitteldeutsche Kreis noch recht mobil, formierten sich andernorts regionale Gruppen, deren Dichtung zwar ebenfalls auf Opitz bezogen blieb, aber örtliche Eigenarten ausbildete. In Nürnberg beispielsweise schlossen sich Georg Philipp Harsdörffer, Sigmund von Birken und Johann Klaj zu ihrem lokalpatriotischen Blumenorden zusammen. Im pommerschen Greifswald scharte die jung verstorbene Bürgermeisterstochter und Opitz- Jüngerin Sibylla Schwarz, die zur „Deutschen Sibylla“ verklärt wurde (Abb. B.I.8.; vgl. Siebenpfeiffer 2016, Schneikart 2018), einen Kreis von Freundinnen um sich. Auf dem väterlichen Gut Fretow suchte sie das Ideal der Freundschaft im schäferlichen Gewand zu leben und bedichtete die Fretowische Fröligkeit , bis die Schweden 1637 ihren Lieblingsort zerstörten. Immer wieder bezieht sich Schwarz in ihren Dichtungen auf Opitz und muss auch ein Gedicht auf Opitz’ Besuch in Greifswald verfasst haben (Schwarz 1980 [1650], I, 5), der wohl nur wegen des frühen Todes der siebzehnjährigen Dichterin nicht zustande kam. Im preußischen Königsberg gründeten die Opitz-Freunde Robert Roberthin und Simon Dach 1636 die Gesellschaft der Sterblichkeit Beflissener , die sich in Roberthins ,Kürbishütte‘ traf und einander Gedichte vorlas. Nachdem die Kürbishütte 1641 zerstört wurde, verfasste Dach eine längere Elegie, die am alttestamentlichen Motiv des hinfälligen Kürbisses die Vergänglichkeit alles Irdischen vor Augen stellt und den Leser neustoisch mahnt, sein Schicksal zu akzeptieren (Heyde 2010, 27-79). Albrecht Schöne hat dieses Gedicht ,sozialgeschichtlich entziffert‘ und <?page no="158"?> 000157 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 157 3. Standardisierung und Diversität bei den ,Opitzianern‘ | mit seiner Interpretation wichtige Anregungen für Günter Grass’ Treffen in Telgte (1979) gegeben (Schöne 1975). Wie seine Studie zeigt, ist die opitzische Barockdichtung oft orts- und institutionsbezogen, sie entspringt konkreten Anlässen und spielt auf freundschaftliche Netzwerke an; doch transzendiert sie ihre Entstehungswirklichkeit, indem sie in ihr stets das Allgemeine erkennt: Der Mikrokosmos der Wittenberger Universität oder der Königsberger Kürbishütte birgt das allegorische Potential, zum Sinnbild der verderbten Welt zu werden. Spezifische Lebenserfahrungen werden rhetorisch eingekleidet und in traditionelle Schemata gefügt - in schäferliche Rollengedichte etwa, in das studentische Trinklied oder in petrarkistische Liebesgleichnisse. 3.2. Poetischer Rechtfertigungsdruck: Prominente Opitz-,Bekehrungen‘ in den 1630er und 40er Jahren Opitz’ patriotische Forderungen nach einem metrischen Standard entfalteten eine erstaunliche normative Kraft. Die klare Innovationsgrenze, mit der Opitz Alt und Neu trennte, brachte auch bekanntere Autoren dazu, sich von ihren früheren Gedichten loszusagen oder sie zu überarbeiten. Zu diesen Opitz-Konvertiten zählt beispielsweise Diederich von dem Werder. Dieser hatte sich in seiner Stanzenübertragung von Torquato Tassos Epos Gerusalemme Liberata aus dem Jahre 1626 bereits auf Martin Opitz, den „Fürst aller Teutschen Poeten“, berufen, um gewisse metrische Freiheiten, wie etwa den unreinen Reim, zu rechtfertigen. Aber erst die Neuauflage aus dem Jahre 1651, also nach Ende des Dreißigjährigen Krieges, konnte beanspruchen, „den Deutschen Poetischen Regeln ebenmässiger“ zu sein, wie die Widmung verkündet (zit. n. Aurnhammer 1994, 226f.). Tatsächlich beherzigt Werder nun alle poetischen Gesetze, wie ein Vergleich der beiden Versionen der 13. Stanze im 16. Gesang zeigt ( 077). Schon im ersten Vers der berühmten Papagei-Strophe hatte Werder 1626 nicht nur ignoriert, dass Epitheta im Deutschen nicht nachgestellt werden - dies hat „bey vns gar ein vbel außsehen“ (Opitz 2002a, 38) -, sondern auch das Anastrophe-Verbot missachtet, demzufolge die aus metrischen Erfordernissen verdrehte Satzstellung sich „bey vns sehr garstig“ (ebd., 40) ausnehme. Der Vers lautete: „MJt einem Schnabel roth umbher ein Vöglein fleugt“. Auch aus heutiger Sicht gelungener nimmt sich seine opitzisch ,geeichte‘ Neufassung von 1651 aus: „Ein kleines Vöglein fleucht / mit rothem Schnabel / rüm“ ( 078), wenngleich es einen unreinen Reim erzwingt („rüm“ - „Stimm’“). Auch die Kontraktion von „einem“ zu „eim“, derer Werder sich in der Erstfassung bedient hatte (V. 3), war regelwidrig und wurde in der späteren Ausgabe getilgt. In diesem Sinne revidierten mehrere Dichter ihre Werke. Andreas Gryphius etwa änderte zwischen 1637 und 1643 eine ganze Reihe seiner Lissaer Sonette (1637), darunter sein bekanntes Vanitas-Sonett „Es ist alles eitel“, um die laut Opitz unzulässige Apokopierung von Silben im Nebenton zu vermeiden (Szyrocki 1964, 50). Ähnlich verfährt Ernst Christoph Homburg, der wie seine Zeitgenossen Georg Greflinger und Gottfried Finckelthaus zahlreiche Kontrafakturen auf niederländische, französische und deutsche Liedmelodien verfasst und in seiner Schimpff- und Ernsthafften Clio (1638) daher notwendig mit ,mengtrittigen‘ Metren aufwartete. Eine vier Jahre später publizierte Zweitfassung reguliert die dichterische Sprache nach Maßgabe nicht nur von Opitz’ Poetik, sondern auch von Philipp von Zesens Deutschem <?page no="159"?> 000158 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 158 | B.I. Regulierung der deutschen Literatur nach 1620 B.I.9. Tanz der Spiegelmacher beim Stuttgarter Hoffest (1616). Kupferstich von Matthaeus Merian. Helicon (1641). Systematisch beseitigt nun Homburg alle Reminiszenzen an das Volkslied - v. a. die „tun“-Periphrase -, und korrigiert alle Stellen, an denen der poetische Wortgebrauch zu deutlich von der alltagssprachlichen Prosodie abgewichen war, zum Beispiel in den metrischen Streckungen durch starke Präteritalformen wie „entzoge“ oder „sahe“. Homburg vermeidet in der Zweitfassung die Betonung des Pronomens, beachtet die Reinheit des Endreims und lässt Vers- und Wortakzent übereinstimmen. Zudem legt er die Mittelzäsur im trochäischen und jambischen Versmaß auf eine männliche Endung und vermeidet nach Maßgabe der zeitgenössischen Poetik den Hiatus zwischen vokalischer Wortendung und vokalischem Anfang des Folgewortes. Seine Bearbeitung stellt daher den Versuch dar, die kodifizierte Poetik Opitz’, Buchners und Zesens in der Praxis zu befolgen und sich von der volkstümlich-mündlichen Unregelmäßigkeit der Liedtradition zu distanzieren (van Ingen 1983). Ein schlagendes Beispiel für die Wirkung der Normpoetik liefert Georg Rodolf Weckherlin. In seinen Gaistlichen und Weltlichen Gedichten (1641 und 1648) gestaltete er seine frühen Gedichte von 1616 und 1618 erheblich um (Wagenknecht 1971, 28-32). Weckherlin, der seit Vor und nach der Versreform: Weckherlins Spiegelmacher-Sonett 1620 in London unter König Karl I. als Fremdsprachensekretär tätig war und später seinem Amtsnachfolger John Milton assistierte, hatte zuvor am Stuttgarter Hof gedient und dort unter anderem die opulenten Feste orchestriert und in Festbeschreibungen dokumentiert. Aus seiner Stuttgarter Zeit stammt ein Gelegenheitsgedicht anlässlich einer fürstlichen Kindtaufe, nämlich ein „Sonnet. Die spiegelmacher an das Frawenzimmer“ ( 053), das bereits 1616 veröffentlicht <?page no="160"?> 000159 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 159 3. Standardisierung und Diversität bei den ,Opitzianern‘ | wurde. Zwei Quartetten mit umarmendem Reim, im männlich-weiblichen Wechsel, folgen die kreuzgereimten Terzette. Der abschließende Paarreim erinnert an den englischen Sonetttyp, wie ihn Shakespeare pflegte. Die umgearbeitete Fassung ( 054) gebraucht dagegen nur zwei Reime in den Terzetten, indem sie statt des Paarreims der ersten Fassung den Kreuzreim fortsetzt. Es handelt sich um ein Rollengedicht: Die beim Fest anwesenden Damen werden von tanzenden und singenden Spiegelmachern, die ihre Waren feilbieten, als Nymphen gepriesen (Abb. B.I.9.). Dabei wird der „Spiegel“ wortspielerisch eingesetzt: im ersten Quartett metaphorisch auf das weibliche Angesicht, im zweiten als konkreter Verkaufsgegenstand. Das Wortfeld des leuchtenden Glanzes verbindet Augen und Spiegel als tertium comparationis auch in den Terzetten. Die Augen der ,Nymphen‘ blenden die männlichen Tänzer wie Spiegel und schlagen sie in ihren Bann („entfreyhen“ im Sinne von ,der Freiheit berauben‘). Das Faszinosum des glänzenden Scheins deutet die Doppelnatur der weiblichen Liebe an („hailen oder versehren“, „forcht / mit hofnung“ bzw. „lust / vnd pein“). Die Neufassung hat den Schluss inhaltlich geändert und in versus rapportati - Verse mit verschränkter Aufzählung der Satzglieder - überführt, in denen der „schönheit glantz“ sich dem Verbum „verblinden“ und „ewrer haaren schein“ dem Verb „verstricken“ zuordnet. Der sentenziöse Schlussvers bringt Spiegler und Nymphen in einen Binnenreim: „Euch der Krantz / Uns die Schantz“, wobei „Kranz“ als weiblicher Ehrenpreis, „Schantz“ als ,Liebesglück‘ zu verstehen ist. Vor allem fallen metrische Fassungsunterschiede ins Auge. In der frühen Version fällt die jambische Hebung in mehreren Fällen nicht mit dem deutschen Wortakzent zusammen, so im trochäischen Eingang des ersten, vierten, achten und neunten Verses. Auch im Versinnern läuft die Skansion dem Wortakzent zuwider (V. 2, 7, 10). Hingegen lässt die spätere Fassung Vers- und Wortakzent zusammenfallen. Lediglich der Schlussvers verstößt gegen das strenge Alternationsprinzip, denn man muss ihn mit einem Hebungsprall in der Versmitte lesen. Auch spät noch erlaubte Weckherlin sich also gewisse Freiheiten, wenngleich er sich in seiner Vorrede gegen das strenge Alternationsprinzip verwehrt - „die Verse auß lauter Spondæen oder Jamben [ … ] zu machen / erachte ich [ … ] nicht so bequem in andern / als in der Engelländischen vnd Niderländischen Sprachen“ (Weckherlin 1641, Bl. A 3 r ) - und auch sonst verhaltene Kritik an der opitzischen Strenge übte (Haberkamm 2013). 3.3. Opitz und das deutsche Lied Opitz’ Versreform beeinflusste insbesondere das deutsche Lied, das als besonders anfällig für dialektale Einsprengsel, für Tonbeugungen und überhaupt eine regellose Sprache galt. Allerdings nahmen volkssprachliche Liedanthologien bereits um 1600 vielfältige Einflüsse aus der Romania auf. Repräsentativ ist die Gedichtsammlung Schönes Blumenfeldt (1601) des Theobald Höck (auch Hock), der im Dreißigjährigen Krieg als Sekretär eines böhmischen Politikers für die protestantische Union stritt. Wie andere deutschsprachige Lied- und Gedichtanthologien um 1600 steht sie unter dem Eindruck der italienischen Renaissancedichtung, darunter Petrarcas Canzoniere . Dessen berühmtes Eingangsgedicht „Voi ch’ascoltate in rime sparse il suono“ wird in Höcks Blumenfeldt gleich zu Beginn paraphrasiert und ausgebaut. Öfter folgt Höck den populären Liebesliedern der Italiener, übernimmt etwa Melodien und <?page no="161"?> 000160 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 160 | B.I. Regulierung der deutschen Literatur nach 1620 B.I.10. Johann Nauwach vertont Opitz’ Liedtext „ACh Liebste laß vns eilen“ (1627). Themen. Allmählich werden solche Einbürgerungen um 1600 auch von strophengetreuen Übertragungen abgelöst. Opitz selbst dichtete viele seiner Teutschen Poemata auf beliebte Melodien oder formte bekannte Lieder aus den europäischen Nationalsprachen um. Seine Lieder wurden ihrerseits von Komponisten, welche die Sangbarkeit seiner Dichtung schätzten, neu vertont. Wie viele es sind, ist unbekannt, da die Vertonungen seiner Gedichte bis heute nicht systematisch erfasst sind. Für Opitz’ erfolgreiche Lieddichtung beispielhaft ist sein bekanntes „ACh Liebste laß vns eilen Wir haben Zeit“ ( 067). Zugrunde liegt diesem amourösen Persuasionsgedicht, in dem ein lyrisches Ich seine Geliebte unter Verweis auf das drohende Altern zur Gegenliebe zu überreden sucht, ein anonymes französisches Lied (Incipit: „Ma belle je vous prie“) aus einer zeitgenössischen Sammlung (Gabriel Bataille: Airs de differents autheurs , 1609-1614). Opitz reduziert und konzentriert die Vorlage und verstärkt den sentenziösen Schluss. Dieses Lied war im 17. Jahrhundert bereits populär und ist deshalb vertont worden - Opitz-Vertonungen und -Parodien etwa schon 1627 als Sololied von Johann Nauwach (Abb. B.I.10.), längst bevor es Johann Gottfried Herder unter dem Titel „Eile zum Lieben“ (1779) in seinen Volksliedern wieder veröffentlicht hat. Enormen Erfolg konnte Opitz’ autobiographisches Lied „Galathee“ („Coridon der gieng betrübet / An der kalten Cimbersee“) verbuchen, das wie viele Opitz-Gedichte mehrfach vertont wurde - prominent von Caspar Kittel - und dessen Strophenform aus sechs Trochäen, den sogenannten ,Coridon-Ton‘, unter anderem Paul Fleming, Johann Rist, Philipp von Zesen und David Schirmer adaptierten. Die niederländische Gedichtsammlung Bloemhof van de Niederlantsche Ieught (1608) war Vorbild für Opitz’ Etablierung der trochäischen Liedstrophe im Deutschen. Ähnliches gilt für Opitz’ Pierre Ronsard-Umdichtung „Ich empfinde fast ein grawen“ ( 068), in dem das barocke Lieblingsthema des carpe diem [,Ergreife den Tag‘] aufgegriffen wird. Das Ich bereut das Brüten über den Büchern und beschließt angesichts der Vergänglichkeit irdischen Seins, sich künftig mehr den Leibesgenüssen zuzuwenden. Das Gedicht wurde im 17. Jahrhundert oft parodiert, der bekannte Vers „Hola / <?page no="162"?> 000161 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 161 3. Standardisierung und Diversität bei den ,Opitzianern‘ | Junger / geh’ vnd frage Wo der beste trunck mag sein“ avancierte geradezu zum geflügelten Wort. Einen bemerkenswerten Gegenentwurf legte David Schirmer in seinem Poetischen Rosen-Gepüsche vor (1657). Die Opitz-Parodie „Marnia und ein Buch“ wendet gegen den weltverfallenen Hedonismus ein, Bücher seien doch die größte Lust im Leben und in ihnen verewige sich der Dichter, sodass sein Ruhm unvergänglich sei. Allerdings erweist Schirmer seinem Vorbild mit der Parodie eher Reverenz, lautet doch seine Abwandlung des berühmten Verses „Holla / Junger / geh und frage / Wo das beste Buch mag seyn“, und die Antwort: „laß den Opitz binden ein“ ( 069). 3.4. Opitz’ Beitrag zur Ausbildung eines rhetorischen Formelguts Wie die genannten Lieder zeigen, erwies sich Opitz auch für lyrische Gattungen, Motive, Figuren und Gemeinplätze als stilprägend. Das zeigt sich nicht nur in den Lobgedichten auf Orte wie Brunnen, Bauwerke oder Städte, wie sie die antik-humanistische Tradition vorgebildet hatte. Opitz lieferte dafür in seinen Teutschen Poemata einige Beispiele, darunter ein Berg- und ein Flusslob an die Donau, das öfter umgewidmet wurde. Überdies nahm er auch bukolische, d. h. schäferliche Settings aus der zeitgenössischen Liedtradition auf, etwa aus Johann Hermann Scheins Musica boscareccia, Wald-Liederlein Auff Italian-Villanellische Invention (1621), und verhalf ihrem (freilich ebenfalls antik-humanistischen) Figurenensemble aus Hirten und Nymphen, Satyrn und antiken Gottheiten zu einem festen Platz in der Barocklyrik. Die Ablösung einzelner Verse und Wendungen aus Opitz’ Poemata weist auf den hohen Grad an Rhetorisierung, der die Barocklyrik insgesamt kennzeichnet. Es gehört zu den wichtigen Einsichten der sozialgeschichtlichen Literaturwissenschaft, dass es sich bei der Lyrik des Barock nicht um ,Erlebnisdichtung‘ im Verständnis des 18. und 19. Jahrhunderts handelt, sondern dass ihre Textproduktion auf rhetorischen Prinzipien basiert (Dyck 1966, Barner Rhetorische Hilfsmittel zur Textproduktion 1970). Nicht die Authentizität des biographischen Gefühls ist ihr Anliegen, sondern das Beherrschen formaler Konventionen, die auf Schulen und Universitäten zu erlernen waren. „Die Renaissance durchforstet den Weltraum, das Barock die Bibliotheken“ (Benjamin 1978, 319), hat Walter Benjamin in seiner wirkmächtigen Studie Ursprung des deutschen Trauerspiels (1928) festgestellt, und bei aller Verkürzung steckt darin ein Körnchen Wahrheit. Zwar konnten auch die neulateinischen Humanisten auf Adagien und Exempelsammlungen zurückgreifen, im Barock aber kam den Reimlexika, poetischen Kompendien und sogenannten aerarien [,Schatzkammern‘] strukturelle Bedeutung zu. In diesen Florilegien wurden, heißt es in einer ihrer Vorreden, „aus guten Poeten allerhand schöne Worte und Redens-Arten / zierliche Beschreibungen / wohlständige Gleichnisse / und was dessen mehr ist / dadurch ein Gedicht anmuthig wird“ zusammengesucht, „[d]amit ein ieder nach Nothdurfft und Belieben / insonderheit aber die angehende der Poeterey liebende Jugend / sich desselben bescheidentlich gebrauchen / und erfahrnen Meistern glücklicher folgen könne“ (Titz 1663, 8). Solche Erläuterungen gründen in der Annahme, dass literarische Kunst erlernbar sei, dass ein Werk in formelhafte Einzelelemente zu zerlegen ist, die der junge Poet, wenn er einmal nicht weiterweiß, „bescheidentlich“ zusammenklauben könne, um daraus ein „anmuthig“ Ganzes zu schmieden - wenig <?page no="163"?> 000162 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 162 | B.I. Regulierung der deutschen Literatur nach 1620 könnte dem naturkraftgläubigen Raptus, wie er als Genieästhetik rund hundert Jahre später zur Mode werden sollte, ferner liegen als diese Sätze. Den Anfang dieser barockrhetorischen Hilfsmittel machte Georg Philipp Harsdörffers Pindus poeticus (1626), herausgegeben im Auftrag der Fruchtbringenden Gesellschaft . Noch in späteren Nachschlagewerken, etwa Gotthilf Treuers Deutschem Dädalus / Begreiffendt ein vollständig außgefuhrtes Poetisch Lexicon und Wörter-Buch (1660) oder Michael Bergmanns Deutschem Aerarium Poeticum (1662), ist Martin Opitz der wichtigste Gewährsmann. Wollte man der Schönheit einer Frau lyrische Form geben, konnte man unter Körperteilen wie ,Stirn‘, ,Mund‘, ,Brust‘ und so weiter nachschlagen, um dort als Musterbeispiele jeweils geeignete Epitheta, Attribute, Vergleiche oder Metaphern zu finden. So waren etwa unter dem Handbuch-Eintrag ,Mund‘ opitzische Wendungen wie ,Lippen von Corall‘ oder ,der rote Rosenmund‘ verzeichnet. Die poetischen Blütenlesen trugen dazu bei, den von Opitz und den Opitzianern etablierten Formelschatz zu kanonisieren, einzelne Wendungen aus ihrem Gedichtkontext zu lösen und sie als „barocke Datenbanken“ (Stöckmann 2001, 235-244) bis in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts zu konservieren. Hier wurzelt der Vorwurf des barocken ,Schwulst-Stils‘, denn tatsächlich erfreuten sich die periphrastischen Bilderreihen, die Stilmittel der accumulatio (,Häufung‘) und amplificatio (,Erweiterung‘), besonders in der zweiten Jahrhunderthälfte wachsender Beliebtheit. Sie sind allerdings schon bei Opitz anzutreffen, etwa in der Beschluß-Elegie , in der Opitz die Liebesgöttin Venus apostrophiert: Du aber / Venus / selbst ein’ edle Kuplerin. Dein wesen ist ein Marck da Leid wird feil getragen / Ein Winckel da Verdruß vnd Wehmuth jnnen steht / Ein’ Herberg’ aller Noth / ein Siechhauß vieler Plagen / Ein Schiff der Pein / ein Meer da Tugend vntergeht. (Opitz 1978, S. 740, V. 16-20) Immer wieder scheinen die Verse zur Definition anzusetzen, finden aber stets nur weitere Blickpunkte - eine Art ,barocker Perspektivismus‘, im Zuge dessen ein Gedicht von Gleichnis zu Gleichnis, Metapher zu Metapher je von neuem Anlauf nimmt, dabei jedoch das proprium , den umschriebenen Gegenstand, nie ganz zu fassen scheint. Auch hier sollen gleich sechs Metaphern das Leidwesen der Liebe illustrieren. Sie beruhen aber im Grunde alle auf derselben Analogie, die sie lediglich variieren, nämlich der Raumanalogie der Orte und Schauplätze. Gerade in der Gleichartigkeit der Bildersequenz, wie sie Opitz einsetzt, wird die Tendenz zum rhetorischen Selbstzweck augenfällig. Wer derart elaboriert kunstvolle Metaphern über die unglückliche Liebe knüpft, dem glaubt man die unglückliche Liebe nicht mehr, für den ist die amplificatio literarisches Spiel. Die Handreichungen dienten als poetisches Arsenal, mit dem man sich für die aemulatio wappnen konnte, nämlich für die Aufgabe, die vorbildlichen Dichter in bildlicher Finesse und gedanklicher Spitzfindigkeit zu überbieten. Es kam zu regelrechten Opitz-Verschnitten im Stile eines cento [,Flickengedicht‘]: So entschuldigt sich die Dichterin Sibylla Schwarz in der Widmungsvorrede ihres Gedichts „Von trewer Freundschafft“ dafür, dass sie „kein Opitz oder Buchner“ sei (Schwarz 1980 [1650], II, fol. N4 r -O1 r , hier N4 v ); doch bestreitet sie den <?page no="164"?> 000163 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 163 4. Paul Fleming und der opitzische Petrarkismus | Schluss ihres Freundschaftsgedichts mit einer Opitz-Anleihe (ebd., fol. O2 r ). Sie übernimmt aus dessen Trostgedichten in Widerwertigkeit deß Krieges (1633) sieben Verse aus dem zweiten Buch (V. 566-572), um dann mit einer eigenen christlichen Sinngebung in vier Versen zu schließen. Auch Henrich Hudemanns Versepos Jonas (1625) ist streckenweise ganz aus Versatzstücken von Opitz’ Teutschen Poemata zusammengesetzt und versucht mit diesem intertextuellen Kombinationsverfahren, Opitz’ Liebesdichtung in Form eines religiösen Epos zu überbieten. Nachahmen und Übertreffen, imitatio und aemulatio als produktionsästhetische Leitkategorien der Zeit konnten aber auch zu rhetorischen Automatismen in endlosen Bilderketten führen, wie sie insbesondere das Spätbarock kennzeichnet. Ein Definitionsgedicht Ernst Christoph Homburgs, inspiriert durch eine niederländische Vorlage, gibt ein frühes Beispiel ( 061). Die metaphorische Bestimmung, „Was die Liebe“ sei, erfolgt über acht Alexandriner. Die ersten fünf Verse kombinieren jeweils zwei Liebesbilder, die durch die metrische Mittelzäsur getrennt und das anaphorische ,Ein‘ der Reihungen verbunden sind. Die letzten Verse lockern das Schema auf, indem die Konjunktion ,vnd‘ hinzugefügt und der pointierende Schlussvers vorbereitet wird. In selbstironischer Abbreviatur („kürtzlich“) verweist er das Wesen der Liebe bündig in das Reich der Einbildung. Der Katalog antithetischer Liebessemantik, den Homburgs Liebesgedicht bietet, hat Methode. Mit Ausnahme des ersten Bildes („EIn Fewer / sonder Fewr“), das als tautologisches Paradoxon die Richtung weist, handelt es sich bei den dreizehn folgenden durchgängig um Oxymora, also um widersprüchliche Verbindungen von Adjektiv und Substantiv, etwa „ein Feder-leichtes Joch“, eine „süsse Bitterkeit“. Diese Sinnfigur, um 1640 in poetischen Hilfsbüchern längst eingebürgert, verband sich vor allem mit dem Literatursystem des Petrarkismus, waren doch Oxymora wie viva morte [,lebend tot‘], das in Homburgs erstem Vers anklingt, Petrarcas Canzoniere entlehnt und über die Rezeption, vor allem durch Opitz, in Deutschland beliebt geworden. 4. Paul Fleming und der opitzische Petrarkismus Ein Frontispiz zu Johann Rists Florabella (1656) zeigt den Parnass, auf dem mit Francesco Petrarca, Pierre Ronsard und Lope de Vega die wichtigsten Vertreter der europäischen Dichtung der Neuzeit thronen (Abb. B.I.11.). Den Weg zum Gipfel weist Martin Opitz dem Nachfolger Johann Rist, der ehrerbietig seinen Hut abgenommen hat. Tatsächlich war es neben der Versreform Opitz’ vielleicht wichtigstes Verdienst, nicht nur antike Autoren zur Nachahmung zu empfehlen, sondern auch einen Kanon von neuzeitlichen Dichtern zu stiften, unter denen Petrarca eine Vorrangstellung genoss (Aurnhammer 2018). Der Begriff ,Petrarkismus‘ ist zeitgenössisch. Schon im 16. Jahrhundert hat Pierre Ronsard das Verbum „petrarquiser“ verwendet, um die Liebesdichtung im Stil des großen Renaissancepoeten zu bezeichnen. Am Beispiel seiner Liebe zu Donna Laura bietet Petrarcas Canzoniere , sein ,Buch der Lieder‘, eine Sammlung von Canzonen und Sonetten, einen minutiösen Gang durch die verschiedenen psychischen Stadien eines Liebenden. Sein Werk ist antiken und mittelalterlichen Traditionen zwar verpflichtet, vor allem der Troubadour-Lyrik und ihrer Spiritualisierung im italienischen dolce stil nuovo . Sie zeichnet sich allerdings durch <?page no="165"?> 000164 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 164 | B.I. Regulierung der deutschen Literatur nach 1620 B.I.11. Auf dem Weg zum Parnass. Frontispiz zu Johann Rists Florabella (1656). einige Eigenheiten aus, die im Laufe der Jahrzehnte von Petrarcas Verehrern aufgenommen und ausgeprägt wurden. Konstitutiv ist unter ihnen vor allem der Denkstil der Antinomie, des unlösbaren Widerspruchs. Er betrifft das Liebesobjekt Laura, der bei aller idealischen Vergöttlichung doch auch sinnliche Schönheit zukommt; er betrifft den Liebenden, der zwischen Entsagung und rettungslosem Dienst schwankt; und er betrifft das Wesen der Liebe, das gegensätzlich als sündige Leidenschaft und als unbedingter Lebenssinn bewertet wird. Der Widerstreit von christlicher Askese und antik-heidnischer Sinnlichkeit wird im lyrischen Ich selbst ausgetragen, das an der Spannung von Leidenschaft und Kontrollwunsch zu zerreißen droht. Das antithetische Prinzip des Canzoniere wurde von europäischen Petrarkisten der Hochrenaissance nachgebildet, aber manieristisch forciert. Unter ihnen waren Matteo Boiardo und Pietro Bembo in Italien, Pierre de Ronsard und Joachim Du Bellay in Frankreich sowie Thomas Wyatt und William Shakespeare in England die einflussreichsten. Ihre Gedichte schematisierten die ungleiche erotische Konfiguration zwischen Mann und Frau - sie erscheint nun als Zauberin und Tyrannin, er als willenloser Sklave und lebender Toter. Konventionell wurden auch die Mittel der sprachlichen Gestaltung. Im Petrarkismus verwob sich das Schönheitslob der unerreichbaren Dame, oft unter Isolierung einzelner Körperteile (Haare, Haut, Mund) und unter Verwendung preziöser Metaphorik (Gold, Elfenbein, Rubin), mit der paradoxen Beschreibung subjektivistischer Selbsterfahrung. Wie in der Frühen Neuzeit durchaus üblich, erlaubte das vertraute Schema augenzwinkernde Subversion. Der sogenannte Antipetrarkismus kündigte mit großer Geste die <?page no="166"?> 000165 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 165 4. Paul Fleming und der opitzische Petrarkismus | Liebe zur Donna auf oder vertauschte die metaphorischen Attribute im Schönheitspreis. „Dein’ Augen trutzen wohl den edelsten Rubin“, spottet beispielsweise Martin Opitz in seinem antipetrarkistischen Sonett „Dv schöne Tyndaris“, „Vnd für den Lippen muß ein Türckiß auch verbleichen / Die zeene kan kein goldt an hoher farb’ erreichen / Der mundt ist Himmelweit / der halß sticht Attstein hin“ (Opitz 2002a, 56f.). Übernahme und Steigerung petrarkistischer Antithetik Opitz war wohl durch den niederländischen Petrarkismus beeinflusst, mit dessen Hauptvertreter Daniel Heinsius er befreundet war. Das von Opitz übersetzte Sonett 132 des Canzoniere - „S’amor non e` , che dunque e` quel ch’io sento? “ [,Wenn es nicht Liebe ist, was ist es dann, das ich fühle? ‘] ( 059) - gehörte bereits im 16. Jahrhundert zu den direkten Vorbildern der Petrarkisten und war zuvor in mehrere europäische Sprachen übertragen worden (eine Auswahl bietet Keller [Hg.] 1974). Opitz verändert die Struktur des Mustersonetts leicht ( 060). Während bei Petrarca traditionell die Reime des ersten Quartetts im zweiten wiederholt werden, beginnt Opitz im fünften Vers mit einer neuen Reimfolge, wie es die französische Renaissanceliteratur vorgemacht hatte. Zudem betont Opitz die Grenze zwischen Oktett und Sextett stärker, denn während Petrarca die lange Kette von Fragen nicht vor dem neunten Vers beendet, schließt Opitz sie schon im achten ab. So bemüht er sich, den Aufbau übersichtlicher zu gestalten. Auf die Fragen des Oktetts antwortet nun das Sextett mit einer metaphorischen Illustration des paradoxen Zustands, der sich jeder kategorialen Einordnung entzieht. Durch die Enjambements an den Grenzen des neunten und zehnten sowie des elften und zwölften Verses bildet Opitz die Willenlosigkeit des Ichs ab, das als schwankendes Gras dem Wind, als Schiff dem Spiel der Wellen preisgegeben ist. Durch zusätzliche Parallelismen wie ,bald hin … bald her‘ und besonders durch die sentenziöse Antimetabole (syntaktischer Parallelismus mit lexikalischem Chiasmus) im abschließenden Paarreim bringt Opitz die komplexeren Antithesen des Vorbildes auf eine Sentenz. Durch das Bekenntnis „ich will nicht was ich weiß“ gesteht das lyrische Ich, dass eine Befreiung von der Liebe und damit das Ende seiner Liebesqualen gerade nicht das ist, was es „will“. So bringt Opitz deutlicher als seine Vorlage den petrarkistischen Grundgedanken in eine einprägsame rhetorische Formel - eine Grundtendenz zur pointenhaften Zuspitzung, die der barocken Annäherung des Sonetts an das Epigramm entspricht (Borgstedt 2009, 211-269). Mit seiner Petrarca-Übertragung animierte Opitz neben Sibylla Schwarz zahlreiche Dichter wie Friedrich von Logau, Fleming, Homburg und Schirmer zu Nachahmungen und Neuschöpfungen ( 061 bis 066) (Aurnhammer 2006). Unter den Petrarkisten in Deutschland ist Paul Fleming (1609-1640) wohl der eigenständigste. Fleming stammte aus einem protestantischen Pfarrhaus und besuchte die Thomasschule in Leipzig, wo ihn der bedeutende Musikerdichter Johann Hermann Schein förderte. Bekannt wurde Fleming mit Opitz während seiner Studienjahre an der Universität Leipzig, die er 1633 mit dem Magistergrad in Medizin abschloss. Wohl durch Vermittlung des Theologen und Mathematikers Adam Olearius nahm Fleming an der diplomatischen Gesandtschaft des Herzogs von Schleswig-Holstein-Gottorf teil, die eine Orienthandelsroute über Russland nach Persien erschließen sollte. Das Unternehmen scheiterte zwar, doch wurde es in Olearius’ bedeutender Reisebeschreibung verewigt ( Beschreibung Der Newen Orientalischen Reise , 1647), zu der Fleming viele Gedichte beisteuerte. Im Jahre 1635/ 36 hielt sich die Rei- <?page no="167"?> 000166 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 166 | B.I. Regulierung der deutschen Literatur nach 1620 segesellschaft in Reval auf, wo Fleming in engere Beziehung zur Familie des Kaufmanns Heinrich Niehusen trat. Fleming zeigte sich dessen Tochter Elsabe zugeneigt, deren Name er in seinen Liebesgedichten anagrammatisch als Salvie, Basile, Salibene und Salibande verschlüsselte. Nachdem er mit der holsteinischen Gesandtschaft Moskau und Isfahan bereist hatte, kehrte er nach Reval zurück, heiratete allerdings nicht Elsabe, die sich zwischenzeitlich verehelicht hatte, sondern ihre Schwester Anna. An der Universität Leiden wurde er zum Doktor im Fach Medizin promoviert, verstarb jedoch kurz darauf im Alter von nur dreißig Jahren in Hamburg. Flemings frühe neulateinische und deutsche Gedichte erschienen seit dem Jahr 1630 in zahlreichen Einzeldrucken. Schon seine neulateinischen Gelegenheitsgedichte auf akademische Anlässe, Hochzeiten und Begräbnisse lassen Flemings metrische Versatilität erkennen. Das gilt auch für sein Schreiben vertriebener Frauen Germanien , veröffentlicht auf Latein und auf Deutsch, mit dem Fleming mitten im Dreißigjährigen Krieg auf den 1630 tagenden Leipziger Konvent Einfluss nehmen wollte, indem er an das erasmische Friedensdenken anknüpfte und das personifizierte Deutschland in drastischen Bildern sein Schicksal beklagen ließ (Entner 1989, 193-210; Becker-Cantarino 2012). Ebenfalls in die ,Frühphase‘ - wenn man bei dem Jungverstorbenen davon sprechen kann - fällt eine Reihe neulateinischer Kuss-Gedichte (1631), die bereits eine deutliche Tendenz zum antithetischen Stil des Petrarkismus verraten. Der ganze Umfang von Flemings deutscher Lyrik, vor allem seiner wichtigen Oden- und Sonettdichtung, wurde erst durch die postume Ausgabe Poetischer Gedichten (1641) bekannt, die der Autor kurz vor seinem Tod selbst noch vorbereitet hatte. Die von Olearius besorgten Teütschen Poemata (1646) vermehrten das Korpus und festigten Flemings Ruhm im 17. Jahrhundert (Abb. B.1.12.). Ein charakteristisches Beispiel für Flemings Petrarkismus ist „In Ihrem Abwesen; Auf deroselben Augen“ ( 085). Das Motiv des Augenlobs und der Vergleich der Augen mit der Sonne war im 17. Jahrhundert topisch; vielleicht wurde es an Fleming durch Opitz vermittelt, der ein ähnliches Sonett der italienischen Dichterin Veronica Gambara übersetzt hat. Flemings Augengedicht entspricht in dem Reimwechsel zwischen Oktett und Sextett der traditionellen Bauform des Sonetts. Der orientierungslose Sprecher vergleicht sich mit einem auf nächtigem Meer umherirrenden Seefahrer und ruft die Mädchenaugen als Leitsterne an - wohl eine Anspielung auf den Mythos des jugendlichen Leander, der jede Nacht heimlich den Hellespont durchschwimmt, um zu seiner Geliebten Hero zu gelangen, eine Aphrodite- Priesterin, die ihm in einem Leuchtturm zur Orientierung ein Feuer anzündete. Sein Tod durch Ertrinken deutet das klägliche Ende von Flemings Ich-Sprecher an. Auf die Abwesenheit seiner Gestirne reagiert das lyrische Ich mit anaphorisch verstärkten Klagen und mit Tränenregen. Die zweite Strophe setzt das paradoxe Spiel mit Hell und Dunkel fort, und gipfelt in einer weiteren mythologischen Anleihe. Neben der Tautologie „fünckelnden Laternen“ beschwört eine anaphorische Antonomasie das Licht der „Brüder Helene“: Gemeint sind die Dioskuren Kastor und Pollux, an denen sich nach antiker Überlieferung die ,Schiffe in Bedrängnis‘ orientierten (Ovid: Fasti 5, 720). Wie der Schiffer in Not die Sterne der Dioskuren, verlangt das lyrische Ich die Rückkehr des Augenpaars. <?page no="168"?> 000167 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 167 4. Paul Fleming und der opitzische Petrarkismus | B.I.12. Frontispiz zu Paul Flemings Teütschen Poemata (1646). Fleming beherrschte die komplexe Verbindung möglichst widersprüchlicher Bildbereiche, wie sie fast zeitgleich im romanischen Manierismus Giambattista Marinos und Baltasar Gracia´ ns vorangetrieben wurde. Seine Neigung zur Pointe verdankt sich der Annäherung von Sonett und Epigramm, die sich beispielsweise in seinem petrarkistischen Sonett „Er redet ihre Thränen an“ ( 086) zeigt. Dort wird über mehrere Verse das Konzept der Tränen der Geliebten variiert, die paradoxerweise das unlöschbare Liebesfeuer des Ichs entfachen und sein Herz verdorren lassen. Allerdings finden sich gerade bei Fleming auch ungewöhnlich schlichte, persönlich wirkende Verse, die vor allem in seinen Liedern hervorstechen. Bereits die ältere Forschung hat diese Eigenheit erkannt, in ihr aber teleologisch den Vorläufer einer ,innerlichen‘ Erlebnislyrik sehen wollen (Pyritz 1932). Nach Jahrzehnten kritischer Zurückweisung dieses Psychologismus widmet sich die neuere Forschung wieder vermehrt der Subjektivität des Ausdrucks, der sprachgestisch inszenierten Erinnerung oder dem Unmittelbarkeit suggerierenden Kolloquialstil in Flemings Lyrik (Pohl 1993, 26-88; Koch 2000; Borgstedt 2009, 315-332). Dieser Stil zeigt sich auch in seinen vielleicht berühmtesten beiden Sonetten, „An Sich“ und „Grabschrifft [ … ] so er jhm selbst [ … ] gemachet“ ( 083 und 087). Beide zeugen in prägnanten, parataktischen Sätzen vom Geist des Neo- Stoizismus, empfehlen Beständigkeit und Selbstkontrolle angesichts des unwägbaren Schicksals („Nim dein Verhängnüß an“) und mahnen mit dem senecaischen Argument „An mir ist minder nichts / das lebet / als mein Leben“ zu Gleichmut gegenüber dem Tod. Allerdings lassen sich Flemings Gedichte keineswegs schlicht nach erotischen und philosophischen Themen aufteilen. Vielmehr kommt es in seiner Liebeslyrik zu geistreichen Diskurskreuzungen, indem antipetrarkistische Konzepte aufgerufen werden, um den Liebesschmerz mit der stoischen Forderung nach Affektdämpfung zu konfrontieren (Schmidt 2008). <?page no="169"?> 000168 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 168 | B.I. Regulierung der deutschen Literatur nach 1620 5. Versreform und Petrarkismus in der geistlichen Barocklyrik Der weltlichen Lyrik des 17. Jahrhunderts steht ein mindestens ebenso großes Korpus von geistlichen Gedichten gegenüber, die zwar weit weniger erforscht sind, teilweise aber heute noch in Kirchenliederbüchern fortleben. Die Kirchenlieder waren fest in die Liturgie integriert und sind daher nach Anlässen unterscheidbar. Sie wurden zu verschiedenen Sonn- und Feiertagen gesungen oder dienten der Begleitung von Taufen, Begräbnissen und Hochzeiten. Vorbild für Paul Gerhardt, den bedeutendsten Kirchenlieddichter des 17. Jahrhunderts, waren die Erbauungslieder Martin Luthers und Johann Heermanns, der Opitz’ Versreform in die geistliche Lyrik eingeführt hatte. Gerhardts Lieder wurden gesammelt erst 1666 unter dem Titel Geistliche Andachten veröffentlicht, kursierten aber vorher in diversen Gelegenheitsschriften. Seine protestantisch-lutherischen Lieder beziehen sich meist auf biblische Texte und Ereignisse, zeugen aber von einer neuen Innerlichkeit und subjektiven Frömmigkeit, die sich auch in seinem bekannten Christuslied „O Häupt voll Blut und Wunden“ ausdrückt ( 098). Gerhardts geistliches Sommerlied („Geh aus, mein Herz, und suche Freud“, 1653) vermittelt in den ersten sieben Strophen die Schönheit der sommerlichen Natur, zu dessen Lobpreis sich das lyrische Ich in der Mittelstrophe bekennt, da „des grossen Gottes grosses thun“ seine Sinne „erweckt“ habe. Die zweite Hälfte transzendiert dann die Schönheit des irdischen Gartens, indem sie zur Vorahnung auf den himmlischen Garten, das Paradies, erklärt wird. Doch trotz dieser metaphysischen Sinngebung gewinnt die Schönheit der Natur, in der sich Gott offenbart, einen ästhetischen Eigenwert im Kirchenlied. Ein früher Vertreter der katholischen Barocklyrik ist indes Friedrich von Spee (1591-1635), der als Professor für Theologie in Köln, Trier und Paderborn wirkte. Mit seiner Cautio Criminalis (1631) setzte er sich gegen die Hexenprozesse ein und argumentierte insbesondere gegen den Einsatz der Folter bei der Befragung. Etwa im gleichen Zeitraum entstand seine Liedsammlung, die Trutznachtigall Oder Geistlichs-Poetisch Lust-Wäldlein , die allerdings erst postum 1649 veröffentlicht, danach bis 1709 öfter wiederaufgelegt wurde. In der Vorrede entwirft Spee unabhängig von Opitz eine Art Poetik, in der er die Übereinstimmung des Versakzents mit der natürlichen Wortbetonung fordert. Spees christliche Lyrik vermengt religiöse mit erotischen Motiven und steht damit in der Tradition der christlichen Mystik sowie des biblischen Hohelieds mit seiner schäferlichen Liebesmetaphorik. In vielen Gedichten imaginiert das lyrische Ich sich als ,Braut‘ Christi, die sich eine Liebesvereinigung mit dem Gottessohn ersehnt. Im erotisierten Lob der Schönheit Christi und in der Klage über den christlichen Liebesschmerz beleiht Spee auch petrarkistische Formeln, so dass die Trutznachtigall (1649) mit Recht als „religiöse Kontrafaktur des Petrarkismus“ gelten kann (Eicheldinger 1991, 344). Vor allem in der Romantik wurden Spees ekstatisch-erotische Andachtsgedichte sehr geschätzt und manche von ihnen in Des Knaben Wunderhorn aufgenommen. Wie Spee stand auch der Konvertit Johannes Scheffler (1624-1677) der Mystik nahe. Nach seinem Übertritt zum Katholizismus, den er in der Schrift Gründtliche Vrsachen vnd Motiven, Warumb er Von dem Luthertumb abgetretten Vnd sich zu der Catholischen Kyrchen bekennet hat (1653) ausführlich begründete, nahm er den Namen ,Angelus Silesius ‘ an und engagierte sich für die schlesische Gegenreformation. Diesem Anliegen sollte auch sein Cherubinischer Wan- <?page no="170"?> 000169 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 169 5. Versreform und Petrarkismus in der geistlichen Barocklyrik | dersmann (zuerst 1657, erweitert 1675) dienen, der hunderte meist zweizeilige Alexandrinerepigramme versammelt. Ihre apodiktische Knappheit wirkt bewusst hermetisch und faszinierte noch die Expressionisten ( 095 bis 097). So zitiert Ernst Stadler in seinem Gedicht „Der Spruch“ (1914, 100) folgendes bekannte Epigramm des Angelus Silesius: Mensch werde wesentlich: denn wann die Welt vergeht / So fällt der Zufall weg / das wesen das besteht. (Angelus Silesius 1984, 76). Die beiden Verse mahnen dazu, sich von der oberflächlichen Vergänglichkeit der Welt, dem Akzidens („Zufall“), abzuwenden und sich stattdessen auf das beständige Wesen der Dinge, also auf den ewigen Gott zu besinnen - eine ,typisch barocke‘ Auffassung der menschlichen Lebensaufgabe. Quellen Angelus Silesius (d. i. Johannes Scheffler) (1984): Cherubinischer Wandersmann. Kritische Ausgabe. Hg. von Louise Gnädinger. Stuttgart. Buchner, August (1966): Anleitung zur deutschen Poeterey. Wittenberg 1665. Hg. von Marian Szyrocki. Neudruck Tübingen. Du Bellay, Joachim (1876): De´ fense et illustration de la langue franc¸ aise (1549). In: Ders.: Œuvres choisies de Joachim Du Bellay. Hg. von L. Becq de Fouquie`res. Paris, 1-67. Gottsched, Johann Christoph (2009): Gedächtnisrede auf Martin Opitzen von Boberfeld. In: Ders.: Schriften zur Literatur. Hg. von Horst Steinmetz. Stuttgart, 212-239. Gryphius, Andreas (1991): Dramen. Hg. von Eberhard Mannack. Frankfurt a. M. Hille, Carl Gustav von (1970): Der teutsche Palmbaum (Nürnberg 1647). Nachdruck München. Opitz, Martin (1978): Acht Bücher Deutscher Poematum (Sammlung B). Buch VIII. In: Gesammelte Werke. Kritische Ausgabe. Hg. von George Schulz-Behrend. Bd. II: Die Werke von 1621 bis 1626, Tl. 2. Stuttgart (Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart 300), 721-748. Opitz, Martin (2002a): Buch von der deutschen Poeterey. Studienausgabe. Hg. von Herbert Jaumann. Stuttgart. Opitz, Martin (2002b): Aristarch oder Wider die Verachtung der deutschen Sprache. In: Ders. (2002a), 77-94. Opitz, Martin (2002c): Teutsche Poemata. In: Ders. (2002a), 95-100. Opitz, Martin (2002d): Trojanerinnen; Deutsch übersetzt. In: Ders. (2002a), 113-115. Rompler von Löwenhalt, Jesaias (1647): Erste gebüsch seiner Reim-getichte. Straßburg. Scaliger, Julius Caesar (1994): Poetices libri septem. Hg. von Luc Deitz und Gregor Vogt-Spira. Bd. 1. Stuttgart-Bad Canstatt. Schwarz, Sibylla (1980): Deutsche Poe¨tische Gedichte. Hg. von Helmut W. Ziefle. (Danzig 1650) Bern u. a. Titz, Johann Peter (1663): Vorrede An den deutschliebenden Leser. In: Gottfried von Peschwitz: Jüngst- Erbauter Hoch-Teutscher Parnaß / Das ist / Anmuthige Formeln / Sinn-reiche Poetische Beschreibungen [ … ] Der Poetisirenden Jugend zu Nutz herausgegeben. Jena, 8-11. Weckherlin, Georg Rodolf (1641): Gaistliche und weltliche Gedichte. Amsterdam. Zesen, Philipp von (1971): Deutscher Helicon [1641]. Sämtliche Werke. Hg. von Ulrich Mache´ . Bd. 9. Berlin u. a. <?page no="171"?> 000170 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 170 | B.I. Regulierung der deutschen Literatur nach 1620 Forschung Adam, Wolfgang (1988): Poetische und kritische Wälder. Untersuchungen zu Geschichte und Formen des Schreibens ,bei Gelegenheit‘. Heidelberg. Alewyn, Richard (1962) [1926]: Vorbarocker Klassizismus und griechische Tragödie. Analyse der Antigone-Übersetzung des Martin Opitz. Darmstadt. Arend, Stefanie, und Johann Anselm Steiger (Hg.) (2019): Martin Opitz (1597-1639). Autorschaft, Konstellationen, Netzwerke. Berlin und New York. Arndt, Johannes (2009): Der Dreißigjährige Krieg 1618-1648. Stuttgart. Aurnhammer, Achim (1994): Torquato Tasso im deutschen Barock. Tübingen. Aurnhammer, Achim (2006): Martin Opitz’ petrarkistisches Mustersonett Francisci Petrarchae (Canzoniere 132), seine Vorläufer und Wirkung. In: Francesco Petrarca in Deutschland. Seine Wirkung in Literatur, Kunst und Musik. Hg. von dems. Tübingen, 189-210. Aurnhammer, Achim (2008): Martin Opitz’ Trost-Getichte ([1621] 1633): Ein Gründungstext der deutschen Nationalliteratur aus dem Geist des Stoizismus. In: Stoizismus in der europäischen Philosophie, Literatur und Politik. Eine Kulturgeschichte von der Antike bis zur Moderne. Hg. von Barbara Neymeyr, Jochen Schmidt und Bernhard Zimmermann. Bd. 2. Berlin, 709-727. Aurnhammer, Achim (2011): Zincgref, Opitz und die sogenannte Zincgref’sche Gedichtsammlung. In: Julius Wilhelm Zincgref und der Heidelberger Späthumanismus. Zur Blüte- und Kampfzeit der calvinistischen Kurpfalz. Hg. in Verb. mit Hermann Wiegand von Wilhelm Kühlmann. Ubstadt- Weiher u. a., 263-283. Aurnhammer, Achim (2018): Frühneuzeitliche Porträtpolitik. Das Dichterbildnis des Martin Opitz in Selbst- und Fremdinszenierungen. In: Bildnispolitik der Autorschaft. Visuelle Inszenierungen von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart. Hg. von Daniel Berndt u. a. Göttingen, 173-208. Barner, Wilfried (1970): Barockrhetorik. Untersuchungen zu ihren geschichtlichen Grundlagen. Tübingen. Becker-Cantarino, Barbara (2012): Paul Flemings Schreiben vertriebener Frauen Germanien. Zu Ikonographie und Konzept von ,Germania‘ im 17. Jahrhundert. In: Was ein Poe¨te kan! Studien zum Werk von Paul Fleming (1609-1640). Hg. von Stefanie Arend und Claudius Sittig. Berlin und Boston, 233-257. Behringer, Wolfgang (2003): Im Zeichen des Merkur. Reichspost und Kommunikationsrevolution in der Frühen Neuzeit. Göttingen. Benjamin, Walter (1978): Ursprung des deutschen Trauerspiels. Gesammelte Schriften I, 1. Hg. von Rolf Tiedemann. Frankfurt a. M. Bopp, Monika (1998): Die ,Tannengesellschaft‘: Studien zu einer Straßburger Sprachgesellschaft von 1633 bis um 1670. Johann Matthias Schneuber und Jesaias Rompler von Löwenhalt in ihrem literarischen Umfeld. Frankfurt a. M. u. a. Borgstedt, Thomas (2009): Topik des Sonetts. Gattungstheorie und Gattungsgeschichte. Tübingen. Conermann, Klaus (1985): Die Fruchtbringende Gesellschaft und ihr Köthener Gesellschaftsbuch. Eine Einleitung. Weinheim. Detering, Nicolas (2017): Krise und Kontinent. Die Entstehung der deutschen Europa-Literatur in der Frühen Neuzeit. Köln, Weimar und Wien. Dyck, Joachim (1966): Ticht-Kunst. Deutsche Barockpoetik und rhetorische Tradition. Bad Homburg u. a. Eicheldinger, Martina (1991): Friedrich Spee. Seelsorge und poeta doctus. Die Tradition des Hohenliedes und Einflüsse der ignatianischen Andacht in seinem Werk. Tübingen. Entner, Heinz (1989): Paul Fleming. Ein deutscher Dichter im Dreißigjährigen Krieg. Leipzig. Freist, Dagmar (2008): Absolutismus. Darmstadt. <?page no="172"?> 000171 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 171 B.I. Regulierung der deutschen Literatur nach 1620 | Garber, Klaus (1996): Sozietät und Geistes-Adel. Von Dante zum Jakobiner-Club. Der frühneuzeitliche Diskurs de vera nobilitate und seine institutionelle Ausformung in der gelehrten Akademie. In: Europäische Sozietätsbewegung und demokratische Tradition. Die europäischen Akademien der Frühen Neuzeit zwischen Frührenaissance und Spätaufklärung. Hg. von dems. und Heinz Wismann. 2 Bde. Bd. 1. Tübingen, 1-39. Garber, Klaus (2018): Der Reformator und Aufklärer. Martin Opitz (1597-1639). Ein Humanist im Zeitalter der Krisis. Berlin und Boston. Haberkamm, Klaus (2012): Georg Rodolf Weckherlin als Advokat von „reichtumb und schönheit“ der deutschen Sprache. Zur Kontroverse mit Opitz um die prosodische Suprematie. In: Simpliciana 35, 263-283. Harms, Wolfgang, und Michael Schilling (2008): Das illustrierte Flugblatt der Frühen Neuzeit. Traditionen, Wirkungen, Kontexte. Stuttgart. Harst, Joachim (2012): Mit gespaltener Zunge. Zur Sprachfindung in Opitz’ Antigone-Übersetzung. In: Daphnis 41/ 1, 177-202. Henshall, Nicholas (1992): The Myth of Absolutism. Change and Continuity in Early Modern European Monarchy. London. Heyde, David (2010): Subjektkonstitution in der Lyrik Simon Dachs. Berlin und New York. Hübscher, Arthur (1922): Barock als Gestaltung antithetischen Lebensgefühls. In: Euphorion 24, 517-562. Ingen, Ferdinand van (1978): Die Erforschung der Sprachgesellschaften unter sozialgeschichtlichem Aspekt. In: Sprachgesellschaften - Sozietäten - Dichtergruppen. Hg. von Martin Bircher und dems. Hamburg, 9-26. Ingen, Ferdinand van (1983): Die singende Muse und der „Kunst-Verstand“. Zu Ernst Christoph von Homburg. In: Virtus et Fortuna. Zur deutschen Literatur zwischen 1400 und 1720. FS Hans-Gert Roloff. Hg. von Joseph P. Strelka und Jörg Jungmayr. Bern u. a., 406-426. Jaumann, Herbert (1975): Die deutsche Barockliteratur. Wertung - Umwertung. Eine wertungsgeschichtliche Studie in systematischer Absicht. Bonn. Jahn, Bernhard (1999): Zur Typologie und Funktion von Sozietäten. In: IASL 2, 153-160. Kaminski, Nicola (2004): Ex Bello Ars oder Ursprung der „Deutschen Poeterey“. Heidelberg. Keller, Andreas u. a. (Hg.) (2010): Theorie und Praxis der Kasualdichtung in der Frühen Neuzeit. Amsterdam. Keller, Luzius (Hg.) (1974): Übersetzung und Nachahmung im europäischen Petrarkismus. Studien und Texte. Stuttgart. Koch, Manfred (2000): Die erinnerte Geliebte. Zu einem Petrarca-Motiv in der deutschen Lyrik des 17. und frühen 18. Jahrhunderts. In: Meditation und Erinnerung in der Frühen Neuzeit. Hg. von Gerhard Kurz. Göttingen, 327-357. Körber, Esther-Beate (2001): Deutschsprachige Flugschriften des Dreißigjährigen Krieges 1618 bis 1629. In: Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte 3, 1-47. Kühlmann, Wilhelm (2001): Martin Opitz. Deutsche Literatur und deutsche Nation. Heidelberg. Kühlmann, Wilhelm, und Walter E. Schäfer (2001): Literatur im Elsaß von Fischart bis Moscherosch. Gesammelte Studien. Tübingen. Lange, Winfried (2002): Fruchtbringende Gesellschaft und Übersetzung im 17. Jahrhundert. In: Geschichte der Übersetzung. Beiträge zur Geschichte der neuzeitlichen, mittelalterlichen und antiken Übersetzung. Hg. von Bogdan Kovtyk, Hans-Joachim Solms und Gerhard Meiser. Berlin, 89-107. Mannack, Eberhard (2002): Opitz und seine kritischen Verehrer. In: Martin Opitz (1597-1639). Nachahmungspoetik und Lebenswelt. Hg. von Thomas Borgstedt und Walter Schmitz. Tübingen, 272-278. <?page no="173"?> 000172 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 172 | B.I. Regulierung der deutschen Literatur nach 1620 Parker, Geoffrey (2013): Global Crisis. War, Climate Change and Catastrophe in the Seventeenth Century. New Haven und London. Pohl, Maria Cäcilie (1993): Paul Fleming. Ich-Darstellung, Übersetzungen, Reisegedichte. Münster. Pyritz, Hans (1932): Paul Flemings deutsche Liebeslyrik. Leipzig. Rosseaux, Ulrich (2010): Flugschriften und Flugblätter im Mediensystem des Alten Reiches. In: Das Mediensystem im Alten Reich der Frühen Neuzeit (1600-1750). Hg. von Johannes Arndt und Esther-Beate Körber. Göttingen, 99-115. Scheitler, Irmgard (2014): Melodien und Gattungen anderer Nationen und die deutsche Gesangslyrik. In: Klang - Ton - Musik. Theorien und Modelle (national)kultureller Identitätsstiftung. Hg. von Wolf Gerhard Schmidt, Jean-Franc¸ ois Candoni und Ste´ phane Pesnel. Hamburg, 171-209. Schings, Hans-Jürgen (1974): Seneca-Rezeption und Theorie der Tragödie. Martin Opitz’ Vorrede zu den „Trojanerinnen“. In: Historizität in Sprach- und Literaturwissenschaft. Hg. von Walter Müller- Seidel. München, 521-537. Schmidt, Jochen (2008): Petrarkismus und Stoizismus. Die Kreuzung konträrer Diskurse in Paul Flemings Liebeslyrik. In: Stoizismus in der europäischen Philosophie, Literatur, Kunst und Politik. Eine Kulturgeschichte von der Antike bis zur Moderne. Hg. von Barbara Neymeyr, Jochen Schmidt und Bernhard Zimmermann. Bd. 2. Berlin und New York, 771-787. Schneikart, Monika (2018): Die Bedeutung des Autorenporträts für weibliche Autorschaft im 17. Jahrhundert am Beispiel der Edition Deutsche Poe ¨tische Gedichte von Sibylla Schwarz. In: Bildnispolitik der Autorschaft. Visuelle Inszenierungen von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart. Hg. von Daniel Berndt u.a. Göttingen, 149-171. Schöne, Albrecht (1975): Kürbishütte und Königsberg. Modellversuch einer sozialgeschichtlichen Entzifferung poetischer Texte; am Beispiel Simon Dach. München. Siebenpfeiffer, Hania (2016): Sibylle - Clio - Thalia. Inszenierungen mythopoetischer Autorschaft im Titelkupfer und in Gedichten von Sibylla Schwarz. In: Überschreibungen / Überschreitungen - Zum literarischen Werk von Sibylla Schwarz (1621-1638). Hg. von ders. Sonderheft zu Daphnis 44/ 1-2, 199-222. Stockhorst, Stefanie (2008): Reformpoetik. Kodifizierte Genustheorie des Barock und alternative Normenbildung in poetologischen Paratexten. Tübingen. Stöckmann, Ingo (2001): Vor der Literatur. Eine Evolutionstheorie der Poetik Alteuropas. Tübingen. Szyrocki, Marian (1964): Andreas Gryphius. Sein Leben und Werk. Tübingen. Wagenknecht, Christian (1971): Weckherlin und Opitz. Zur Metrik der deutschen Renaissancepoetik. München. Weber, Johannes (1999): Der große Krieg und die frühe Zeitung. Gestalt und Entwicklung der deutschen Nachrichtenpresse in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. In: Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte 1, 23-61. Wesche, Jörg (2004): Literarische Diversität. Abweichungen, Lizenzen und Spielräume in der deutschen Poesie und Poetik der Barockzeit. Tübingen. <?page no="174"?> 000173 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 173 B.II. Kulturpatriotische Konsolidierung nach 1640 | B.II. Kulturpatriotische Konsolidierung nach 1640 Nach Erscheinen des Buchs von der Deutschen Poeterey (1624) und der Teutschen Poemata (1624) galt Martin Opitz bei seinen Zeitgenossen in Dichtungstheorie und -praxis als maßgebliche Autorität. Die meisten jüngeren Dichter zwischen etwa 1630 und 1650 beachteten seine Regeln, imitierten seine Musterstücke und orientierten sich an seinem Kanon musterhafter Poeten. Dazu zählten weiterhin die Vertreter der Klassischen Antike sowie die Speerspitzen der weiter entwickelten westlichen Literaturen. Erst die nachfolgende Generation, zu der neben dem mehr als zwanzig Jahre nach Opitz geborenen Andreas Gryphius auch Philipp von Zesen, Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen und Sigmund von Birken gerechnet werden können, begann sich von der europäischen Renaissance zu entfernen und nahm sich die deutschen Dichter selbst zum Vorbild. Diese Phase lässt sich als ,kulturpatriotische Konsolidierung‘ beschreiben. Sie ist vor allem durch drei Tendenzen gekennzeichnet: Erstens werden die deutsche Sprache und der deutsche ,Charakter‘ gegenüber allem Fremden erhöht. Statt der exotischen Palme, dem Sinnbild der Fruchtbringenden Gesellschaft , wählte die Straßburger Tannengesellschaft die deutsche Tanne zum Emblem. Wie zuvor schon der Frühhumanismus um 1500 entdeckte man noch einmal Tacitus’ Germania , um den dort erwähnten mythischen Gott Teuto oder Tuisco als Stammvater der Deutschen zu verherrlichen. Zweitens verfestigen sich in der Lyrik jene Formen und Gehalte, die Weckherlin, Opitz und andere etabliert hatten; die Idiosynkrasien des Barockstils, ihre Mischung aus radikalem Weltekel und rhetorischem Pathos sind in dieser Zeit besonders ausgeprägt. Zugleich aber, drittens, verschieben sich um 1650 die gattungspoetischen Präferenzen: Während man in der Lyrik bereits Mitte der 1630er Jahre ,opitzierte‘, setzte eine nennenswerte deutsche Dramatik, die Opitz’ klassizistische Prinzipien und seine Musterübersetzungen berücksichtigte, erst rund zehn Jahre später ein. Johann Rists Perseus (1634) steht noch unter dem Eindruck der Wanderbühnen und vermischt auf regelwidrige Weise Komisches mit Tragischem. Erst mit Christoph Kaldenbachs Babylonischem Ofen / Oder Tragoedie / Von den drey Judischen Fürsten in dem glüenden Ofen zu Babel (1646) liegt ein originäres, ,echt‘ barockes Trauerspiel in deutscher Sprache vor ( 115), das kurz darauf von Gryphius’ Leo Armenius (entstanden 1646, gedruckt 1650) überboten wurde. Die Hochphase der Barockdramatik liegt denn auch in den 1650er bis 1670er Jahren - etwa in der Zeit also, als mit Philipp von Zesens Adriatischer Rosemund (1645) und seiner Assenat (1670), mit Anton Ulrichs Durchleuchtiger Syrerinn Aramena (1669-1673) und schließlich mit Grimmelshausens Simplicissimus Teutsch (1668) auch die wichtigsten Vertreter des barocken Romans veröffentlicht wurden. Zwanzig bis dreißig Jahre nach Opitz: Die betont deutsche Dichtung der Jahrhundertmitte ist nicht nur patriotischer, sie ist religiöser, drastischer und pessimistischer als die europäische Renaissance, in deren Geist noch Weckherlin, Zincgref, Opitz und einige der Opitzianer sozialisiert waren. Die wichtigsten thematischen und stilistischen Merkmale dieser Phase seien zunächst in einem extensiven Überblick erläutert, bevor dann mit Gryphius, Harsdörffer und Grimmelshausen drei der bedeutendsten Repräsentanten dieser Jahrzehnte vorgestellt werden. <?page no="175"?> 000174 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 174 | B.II. Kulturpatriotische Konsolidierung nach 1640 1. Überblick: Poetische Orientierungssuche nach 1640 Aufgewachsen in der Leidenszeit des Dreißigjährigen Krieges und abgestoßen von der rücksichtslosen Machtpolitik der europäischen Herrscher in Deutschland, entwickelten viele Autoren in den 1640er bis 60er Jahren einen überparteilichen und überkonfessionellen Europäische Einflüsse als Bedrohung Nationalstolz, der fremdsprachige Einflüsse weitgehend ablehnte. Während Opitz gefordert hatte, die deutsche Literatur müsse den Anschluss an die Romania finden, neigt die Poetik der zweiten Generation eher dazu, den Akzent auf das Eigene, auf das ,Teutsche‘ zu legen, das vor fremden Einflüssen geschützt und bewahrt werden müsse. Die neue nationale Orientierung illustriert ein Vergleich der Paratexte von Georg Rodolf Weckherlins Oden vnd Gesäng (1618) mit den Reimgetichten (1647) des Straßburger Dichters Jesaias Rompler von Löwenhalt (1605-1647). Weckherlin eröffnet seine Oden mit dem vielsprachigen Aufgebot verschiedener Nationalmusen, die um die Inspiration für Weckherlins Lieder wetteifern - die Musa latina auf Latein, The English Muse auf Englisch, La Muse Franc ¸oise auf Französisch, Die Teutsche Musa auf Deutsch (Weckherlin 1618, 7-10). Dieser internationale Tenor bestimmt noch eine spätere Vorrede zu den überarbeiteten Oden, den Gaistlichen und Weltlichen Gedichten (1641), der zufolge viele „hohe vnd fürtreffliche Personen [ … ] in Engelland / Franckreich / Italien / Hispanien / vnd anderen Landen / so wol als in Teutschland“ (Weckherlin 1641, fol. A 2 v ) seine Gedichte gelobt hätten. Um den „viel[en] Frembde[n]“, die „vnsere Sprach zu lernen begihrig“, aber mit ihrer Gezwungenheit zu kämpfen hätten (ebd., fol. A 3 r f.), den Zugang zu erleichtern, befolgt Weckherlin die poetischen Prinzipien der Einfachheit und der Gefälligkeit. Ganz anders klingt dagegen die Vorrede zu Romplers Reimgetichten : Sie eröffnet eine lange Klage über die „Höll-funcken“ des Krieges sowie über das unglückliche Deutschland, das „ein sammelplatz des Heers aller völcker“ geworden sei, „ein näst viler tausend raubvögel“, „ein lustbad der bösen gaister“ (Rompler 1647, fol. ** ij v -**** iij r ). Rompler zieht daraus den Schluss, die deutsche Poesie, die mittlerweile ihren Rückstand gegenüber den Nachbarn aufgeholt habe, müsse sich nun der äußeren Einflüsse, vor allem der vielen Fremdwörter entledigen. In seinem „Kuchen“ jedenfalls werde man „ausländisch lekkerhaftes gewürtz“ nicht finden (ebd.): Er habe vorrangig solche Wörter verwendet, die „in ainem platz des Teütschlands gäng-und-gäb seyn“ (ebd.). Überdies versucht er, altdeutsche Wörter, die durch Unachtsamkeit aus dem Gebrauch gekommen seien, wiederzubeleben, „Minne“ etwa, „Magt“ oder „Räcken“ (ebd.). Lehnwörter aus dem Lateinischen oder Griechischen werden konsequent durch Neologismen ersetzt. Der Unterschied zwischen den beiden Vorreden ist nicht allein auf persönliche Ansichten zurückzuführen, wenngleich Weckherlin sicher durch seine jahrzehntelange Tätigkeit in England, der Straßburger Rompler durch die französische Expansion im Elsass und die verheerenden Landzerstörungen beeinflusst wurden. Vielmehr ist die Divergenz zwischen Weckherlins Forderung, die deutsche Literatur möge, um europäischer zu werden, sich stärker von Frankreich, England und Italien anregen lassen, und Romplers patriotischem Purismus charakteristisch für einen allgemeineren Geisteswandel, der sich etwa in der Mitte des Dreißigjährigen Krieges vollzog. Der Prager Frieden zwischen dem Kaiser und der Protestantischen <?page no="176"?> 000175 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 175 1. Poetische Orientierungssuche nach 1640 | B.II.1. Titelblatt zu Johann Rists Friedewünschendem Teutschland (1647). Union hatte 1635 erste Hoffnungen auf ein Ende des Krieges geweckt und den interkonfessionellen Teilstreit vorerst beigelegt. Im gleichen Jahr jedoch wendete sich das Blatt erneut, als sich das katholische Frankreich mit dem protestantischen Schweden im Vertrag von Wismar gegen das Reich und Spanien verbündete und sich der Krieg endgültig zum „Konflikt europäischer Mächte in Deutschland“ ausweitete (Burkhardt 1992, 16). Was vorher nur wenige Flugschriften raunten, war nun offensichtlich: Es handelte sich nicht mehr nur um einen Konfessionskrieg oder einen deutschen Bürgerkrieg zwischen Kaiser und Fürsten, sondern um einen politischen Machtkampf um die Hegemonie in Europa. Während das Friedewünschende bzw. Friedejauchzende Teutschland (1647 und 1653) - so der Titel zweier Friedensspiele von Johann Rist - gegen Ende des Krieges immer stärker ,pazifiziert‘ wurde, sah man in den europäischen Nachbarn zunehmend eine Gefahr und verband mit ,Europa‘ immer öfter Krieg und Gewalt. So zeigt das Titelkupfer zu Rists Friedewünschendem Teutschland (Abb. B.II.1) das kniend flehende Deutschland, das von den Personifikationen Spaniens, Frankreichs, Schwedens, Kroatiens und des Osmanischen Reichs bedroht wird - eine Szene, die im Schauspiel selbst dramatisiert wird: Der fünfte Aufzug des zweiten Aktes beschreibt, wie Don Antonio (Spanien), Monsieur Gaston (Frankreich), Signoro Bartholomeo (Kroatien) und Karel (Schweden) auf Mars’ Bitten hin herbeieilen, um Deutschland zu überwinden und dem Kriegsgott zu übergeben, damit es gefoltert werde. Dieser Verteidigungsimpuls erstreckte sich bald auch auf die Poetik. „Es scheinet über die Teutschen durch ein sonderbares Geschikke verhangen zu seyn“, stellt Sigmund von Birken in Deutsches Sprachbewusstsein als Grundpfeiler eines friedlich geeinten Nationalstaats seiner Fortsetzung der Pegnitz-Schäferey (1645) fest, „daß sie zwar iederzeit in Künsten und Wissenschaften alle Völker weit hinter sich gelassen / in Ausübung aber eigner Muttersprache eine Zeitlang andern williglich den Vorzug eingeräumet“ (Birken 1645, Bl. 3 v ). Das deutsche Sprach- und Nationalbewusstsein, so ein Gemeinplatz barocker Poetik und Sprachtheorie, sei im Vergleich zu seinen Nachbarländern ,verspätet‘, habe einen erklärungsbedürftigen Sonderweg eingeschlagen, den es nun mit Blick auf den fortgeschrittenen europäischen Stan- <?page no="177"?> 000176 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 176 | B.II. Kulturpatriotische Konsolidierung nach 1640 dard - vor allem in Italien, den Niederlanden und Frankreich - zu korrigieren gelte. Ansätze dazu, schreibt Birken weiter, seien seit Opitz bereits reichlich vorhanden, da „viel ädle Teutsche Gemüter“ durch den Gebrauch ihrer Muttersprache „bezeuget / daß Teutschland unter einem ja so milden Himmel lige / als Frankreich / Spanien / Welschland / und andere“ (ebd.). Birkens Befund ist eines von vielen Beispielen, die das erstarkende deutsche Nationalbewusstsein im Lichte europäischer Kulturkämpfe bezeugen. Nach dem Tod des Dichterfürsten Opitz (1639) und seines bedeutendsten Schülers Paul Fleming (1640) änderte sich der Dichterkanon der zweiten Generation merklich. Man berief sich nun vorrangig auf deutsche Autoren, die zu Nationaldichtern verklärt wurden. Mit Weckherlin, Opitz und Fleming beglaubigte man die Ebenbürtigkeit, wenn nicht gar die Überlegenheit der deutschen Literatur im europäischen Vergleich. Denn auf der Grundlage des antiken, aber bis in die Neuzeit fortgeltenden Geschichtsmodells der translatio imperii folgte die Weitergabe von Weltherrschaft und Kulturblüte einem vorgegebenen Plan, demzufolge die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Nationalliteratur die friedliche politische Zukunft eines deutschen Nationalstaates verhieß. Auch die leitenden produktionsästhetischen Kategorien des 17. Jahrhunderts, imitatio und aemulatio , ,Nachahmung‘ und ,Überbietung‘, wurden der ethnozentrischen Umorientierung angepasst. So galt das Deutsche als ein poetisch-moralisches Qualitätskriterium, mit dessen Hilfe man Vorbilder zu übertreffen suchte. Thematisch vollzog sich dieses Unterfangen im Lichte einer antifranzösischen Hofkritik, sprachlich durch puristisches Reformstreben, stilistisch durch Drastik und religiöses Pathos. 1.1. Alamode-Kritik: Frankreich als Feindbild Da der französische Hof während des Dreißigjährigen Krieges im Zuge seiner antihabsburgischen Außenpolitik militärische Bündnisse mit den protestantischen Fürsten in Deutschland schloss, verstärkte sich in diesem Zeitraum der Einfluss französischer Moden auf Deutschland. Insbesondere der Adel und die städtische Führungsschicht imitierten den raffinierten französischen Hof in Sprache, Kleidung und Benehmen. Gegen dieses französierende a`-la-mode -Wesen - im Deutschen meist ,Alamode‘ geschrieben - formierte sich eine Spottbewegung, die soziales mit ethnischem Ressentiment verband. Die Satiren bekunden auch ein neues Bewusstsein für die Gegenwart als transitorischen Zeitraum kurzlebiger und oberflächlicher Moden (Landwehr 2014, 205-255), wetterten vor allem aber gegen die angebliche Korruption der deutschen Kultur. Ein genuin deutsches Phänomen waren diese Invektiven dennoch nicht: Paradoxerweise wurzeln sie ihrerseits in einer französischen Adels- und Hofkritik (Fink 1991; vgl. auch Schäfer 2002). Die Alamode-Schelte nimmt ihren Ausgang in den 1620er Jahren, vor allem mit satirischen Einblattdrucken in der Art von Wie sich ein Teutscher Monsieur All’modo Kleiden soll (1628; Abb. B.II.2.) - hier werden in unverständlichem Kauderwelsch Bartwuchs, Kleidung und Verhalten des adeligen Kavaliers aufs Korn genommen -, oder mit kulturkritischen Polemiken wie Johann Ellingers Breitseite gegen die Allomodische KleyderTracht (1629). Zahllose weitere Flugschriften und bissige ,Diskurse‘ folgten bis in die 1680er Jahre - etwa Johann Ludwig Hartmanns Alamode-Teuffel (1675) oder Michael Freuds gleichnamiger Traktat (1682). Sie entwarfen eine Verhaltenslehre für den Alltag, die viele Laster der Zeitgenossen, <?page no="178"?> 000177 Auerx/ Probe / 21.06.19 10: 06 177 1. Poetische Orientierungssuche nach 1640 | B.II.2. Wie sich ein Teutscher Monsieur All’modo Kleiden soll. Flugblatt (1628). vom übermäßigen Tabakkonsum über eine manierierte Ausdrucksweise bis zur weiblichen ,Schmink-Sucht‘, maßregelten und zu bessern suchten. Diese Schriften dienten zugleich der ethnozentrischen Identitätsstiftung, wie insbesondere in der häufigen Opposition des deutschen Nationalcharakters mit einem alamodisierenden Kavalier deutlich wird. Die in der kulturpatriotischen Phase besonders beliebte Konfiguration wird meist durch sprechende Namen wie ,Herr Biedermann‘ und ,Herr von Dünkelwitz‘ angezeigt. Niederschlag fand die Konvention vor allem in den wirkmächtigen Gesichten des Philanders von Sittewalt (1640) des Willstätter Dichters Johann Michael Moscherosch (1601-1669) (Abb. B.II.3.); das Pseudonym „Sittewalt“, das den Verfasser als ,Walter/ Hüter der Sitten‘ ausgibt, ergibt sich durch Buchstabenumsetzung aus dem oberrheinischen Geburtsort ,Willstaedt‘. Moscherosch, wie Rompler von Löwenhalt Mitglied der Straßburger Tannengesellschaft , hat darin die moralsatirischen Suen˜os y discursos (1627) des spanischen Dichters Francisco de Quevedo (1580-1645) bearbeitet, die er aus der französischen Übersetzung des Sieur de la Geneste ( Les visions de Don Francesco [1633]) kannte. In zunächst sieben episodischen ,Träumen‘, die in späteren Auflagen (1643, 1650) um sieben erweitert wurden und sich nach und nach von dem Ausgangstext entfernten, reist der Ich-Erzähler Philander durch Frankreich und Deutschland. In einem Rundumschlag beklagt er die ,verkehrte Welt‘, von den Verirrungen seiner närrischen Zeitgenossen über den mangelnden Ernst des Klerus bis zur sündhaften Eitelkeit der Reichen. Besonders in der Traumsatire Ala mode Kehrauß , die den Anderen Theil (1643) eröffnet, findet sich die antagonistische Konfrontation von natürlicher deutscher Einfalt mit dem Laster modischer Finesse, die als französische Unart gebrandmarkt wird. In der satirischen Episode gelangt der durchaus modeanfällige Protagonist auf die elsässische Burg Geroltzeck. Dort trifft er auf den „Teutschen Helden-Rath“, ein Tribunal sittenstrenger Helden der deutschen Vorzeit, die in nationalen Krisenzeiten über die Zukunft <?page no="179"?> 000178 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 178 | B.II. Kulturpatriotische Konsolidierung nach 1640 B.II.3. Satirische Entlarvung. Titelblatt zu Johann Michael Moscheroschs Gesichten des Philanders von Sittewalt, Anderer Theil (1643). des Reichs beraten. Philander ist wegen seiner international orientierten „Gesichte“ angeklagt und wird in einem Schiedsspruch verpflichtet, künftig nicht nur dem französischen Tagesgeschmack zu entsagen, sondern auch aktiv „wider solche new vnd wälschsüchtige Sprachverderber und Namenflicker / in Teutscher sprach [ … ] zu schreiben“ (Moscherosch 1643, 135). Der König Airovest fasst seine Vorwürfe in einem Merkspruch zusammen: „Teutsch Hertz vnd wälsches Maul [ … ] zusammen sich nicht schicken“ (ebd., 121). Aus dem kulturpatriotischen Blickwinkel wird der Bürgerkrieg als angebliche Französierung des deutschen Nationalcharakters beklagt, um eine negative Integration zu bewirken. So ergeht sich Philander von Sittewalt nach einer Duellforderung durch einen modischen Kavalier in folgenden Antithesen: „O deß heillosen tausches / da wir die frembde laster mit Teutscher Tugent / Welsche Vnreinigkeit gegen Teutsche Keuschheit / Welsche Vntrew gegen Teutsche Redlichkeit außwechßlen! “ (Moscherosch 1640, 599f.). Paradoxerweise zitiert Philander daraufhin eine längere lateinische Passage und spielt, wie eine Marginalie erläutert, auf Montaignes Essais an - auch die Klage über den Zerfall des Deutschen war folglich ,nur‘ rhetorisch und bediente sich ähnlicher Topoi wie der Humanismus. Die antithetische Völkertypologie wirkte nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges fort; mit ihr befestigte man die friedliche Eintracht der Deutschen. So konfrontiert Sigmund von Birken in seinem Festspiel Teutscher Kriegs Ab- und Friedens Einzug (Nürnberg 1650) aus Anlass des Friedensschlusses einen frankophonen Soldaten mit einem einfachen Schäfer. Während der Schäfer die friedliche Zukunft seiner nunmehr geeinten Heimat verkörpert, repräsentiert der alamodisierende Soldat die kriegerische Vergangenheit eines zerstritten-überfremdeten Deutschlands, der nun, wie er in seiner „makaronischen“ Rede - so die zeitgenössische Bezeichnung für Sprachenmischung - bekundet, außerdeutsche Betätigungsfelder suchen muss: „ Adieu , Messieurs Alemans , und eure Guarnisonen ! Mein tour sich embarquirt , trägt mich zu Nationen , wo noch zu kriegen ist. Adieu ! “ ( 118). <?page no="180"?> 000179 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 179 1. Poetische Orientierungssuche nach 1640 | 1.2. Sprachpurismus: Zesen und die Sprachgesellschaften Die Alamode-Abwehr ging Hand in Hand mit dem Vorhaben, die deutsche Sprache zu ,retten‘, indem man sie von romanischen Einflüssen ,reinigte‘. Ursprung dieser Sprachreform war die zuerst von Justus Georg Schottel (latinisiert Schottelius) (1612-1676) vertretene Göttlicher Ursprung der deutschen Sprache Theorie von Alter und Würde der verschiedenen Nationalsprachen. Nach Schottels Ansicht, zuerst in der Teutschen Sprachkunst (1641) unterbreitet und in der Ausführlichen Arbeit Von der Teutschen HaubtSprache (1663) ausgeführt, ließen sich die verschiedenen Sprachen sämtlich auf eine Urform zurückführen, die sogenannte lingua adamica , die Sprache des ersten Menschen Adam, von der sie sich bei der babylonischen Sprachverwirrung - Gottes Strafe für den anmaßenden Versuch, einen Turm bis zum Himmel zu bauen (Gen 11, 1-9) - allesamt entfernt hätten. Nach Schottel komme das Deutsche dieser Ursprache noch am nächsten. Während andere Theoretiker wie Georg Philipp Harsdörffer lediglich behauptet hatten, das Deutsche sei mit dem Hebräischen nah verwandt und sein Prestige beruhe daher auf dem Alter, geht Schottel weiter. Er nobilitiert seine Muttersprache, indem er ihr eine göttliche Quelle nachzuweisen sucht (Hundt 2000). Daraus leitet Schottel die beinahe schon religiöse Pflicht ab, das Deutsche zu pflegen, und schlägt allerlei Übertragungen vor, von denen sich manche - wie ,Wörterbuch‘ für ,Lexikon‘, ,Mundart‘ für ,Dialekt‘ oder ,Redensart‘ für ,Phrase‘ - bis heute gehalten haben. Schottels Geistesverwandter Philipp von Zesen (1619-1689) gehört zu den eigenwilligsten Dichtern des 17. Jahrhunderts. Er studierte bei August Buchner in Wittenberg, bevor er über Hamburg in die Niederlande übersiedelte, wo ihn die stadtbürgerliche Kultur prägte. Seine Adriatische Rosemund (1645) gilt als erster deutscher Originalroman. Er passt nicht recht in das traditionell zweiteilige Gattungssystem aus ,höfisch-historischem‘ und ,niederem‘ Roman, sondern nimmt Elemente aus beiden Traditionen auf und durchzieht sie mit längeren gelehrten Exkursen, bukolischen Episoden sowie Anleihen aus dem französischen ,Seelenroman‘ (van Ingen 2013, 87-121). Ein Großteil des Romans besteht aus geselligen Dialogen, Briefen und eingestreuten Gedichten, welche die Haupthandlung auflockern und die spezifisch prosimetrische Textur des Romans erzeugen. Der Roman spielt nicht im Hochadel einer idealisierten Vergangenheit, wie sonst üblich, sondern im Amsterdamer Bürgertum der Entstehungsgegenwart. Er handelt von der interkonfessionellen Beziehung zwischen der Titelheldin Rosemund, einer venezianischen Katholikin, und dem reformierten Dichter Markhold. Aufgrund der konfessionellen Hürden, die Rosemunds strenger Vater dem Heiratswunsch der beiden Liebenden entgegenstellt, müssen sie sich immer wieder trennen. Vor den Problemen flieht Markhold nach Paris und Utrecht, während Rosemund, die am Ende krank und schwermütig zurückbleibt, sich in eine Schäferei zurückzieht. Offen bleibt, ob die letzte Trennung endgültig ist, denn die von Zesen angekündigte Fortsetzung ist nie erschienen. Zesen veröffentlichte Die Adriatische Rosemund unter dem Pseudonym ,Ritterhold von Blauen‘, das sich leicht enträtseln lässt: ,Ritterhold‘ entspricht dem griechischen ,Philipp‘, ,Blauen‘ lehnt sich an das lateinische Adjektiv caesius [,blau‘] an. Der Biographie Zesens ähneln auch die Lebensstationen des Protagonisten Markhold. Denn wie jener kannte der Autor die Städte Amsterdam und Paris. Seinem europäischen Bildungsgang verdankt sich die Entstehung der Rosemund. Er habe bemerkt, erklärt er in der Vorrede, wie „gärn“ die „Hohch- <?page no="181"?> 000180 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 180 | B.II. Kulturpatriotische Konsolidierung nach 1640 deutschen ohren“ „von der Libe“ hörten, „weil ihnen selbige durch übersäzzung der spanischen und wälschen Libes-geschichte so gänge gemacht sein“; da diese aber gegen den Anstand verstießen, habe er dafür gehalten, „daß es wohl das bäste wäre / wan man was eignes schribe / und der fremden sprachen bücher nicht so gahr häuffig verdeutschte“ (Zesen 1993, 9f.). Auch wenn Zesen später selbst noch drei Romane aus dem Französischen übersetzte, darunter den wichtigen Ibrahim ou l’illustre Bassa (1641) der Madeleine de Scude´ ry (1607-1701) - sein Anliegen, „was eignes“ zu schreiben, um der ,welschen Wollust‘ die ,deutsche Ernsthaftigkeit‘ entgegenzusetzen, entspricht dem kulturpatriotischen Programm einer literarisch-sprachlichen Selbstbesinnung. Zu diesem Zweck gründete Philipp von Zesen 1643, im Erscheinungsjahr der Rosemund , in Hamburg auch die Deutschgesinnete Genossenschaft , mit deren Hilfe er die opitzische Sprach- und Literaturreform endgültig durchsetzen wollte. Sie verpflichtete ihre Mitglieder dazu, die Autorinnen im „Deutschen Helikon“ deutsche Sprache zu fördern. Den Anspruch auf seinen Ehrenplatz im „Deutschen Helikon“ erhebt Zesen in einem mythologischen Lobgedicht auf Lustinne (1645) - gemeint ist die Liebesgöttin Venus. Darin schaltet er einen Dichterkatalog ein, der vierzig männliche und acht weibliche Autoren umfasst (V. 144-192). Martin Opitz, der „Held von Boberfäld“, führt die Reihe an, worauf chronologisch die namhaftesten Vorläufer seiner eigenen Person folgen. Doch seine besondere Bedeutung gewinnt Zesens Katalog durch die „ädlen Tichterinnen / dadurch das Deutsche Reich und seine Freije blüht“, indem er nämlich die literaturhistorische Prominenz von Frauen im 17. Jahrhundert dokumentiert (Zesen 1980, 246). Zesens Liste von Autorinnen führt die frühverstorbene Sibylla Schwarz (1621-1638) an. Ihr folgen unter anderen Dorothea Eleonore von Rosenthal sowie Hildegond von Westhon, die beide mit Zesen korrespondierten, und Magdalena van Bevervoorden aus dem Künstlergeschlecht de Passe (Baehr 2018; Czarnecka 1997). Zesen verschrieb sich, wenngleich erst zögerlich, einem radikalen Sprachpurismus, in dessen Zuge er durch Neubildungen und Lehnübertragungen alle Fremdwörter ausmerzen wollte (Jones 1995, 198f.). Heute wirken seine Vorschläge, für ,Nonnenkloster‘ künftig „Jungfern- Zesens Aminta-Übersetzung: Sprachpatriotismus in der poetischen Praxis zwünger“ zu verwenden, für ,Natur‘ „Zeuge-mutter‘ oder für ,Lieutenant‘ „Stälhalter“ eher skurril. Auch die Referenzen auf die antike Mythologie, die Opitz in Anlehnung an die Klassische Antike und an die avancierten romanischen Sprachen übernommen hatte, fielen allmählich Zesens Verdikt zum Opfer. Hatte er um 1640 die liberale Praxis des Martin Opitz noch als notwendiges Übel toleriert, so dekretierte er kurz darauf, der Gebrauch der heidnischen Götternamen sei mit dem christlichen Glauben unvereinbar, und forderte, „den tugenden / künsten / und herschenden kräften der natur deutsche nahmen [zu] geben“ (zit. nach ebd., 229). Wie wirkte sich dieser Sprachpatriotismus in der poetischen Praxis aus? Dies zeigt exemplarisch Zesens Überarbeitung einer Tasso-Übersetzung des Buchner-Schülers Michael Schneider. Schneider hatte im Jahre 1639 für seine Sprachschüler im Italienischen und Französischen eine Übersetzung von Torquato Tassos Schäferspiel Aminta (1573) veröffentlicht. Dabei hatte er, wie es bei englischen und italienischen Texten bis in das 18. Jahrhundert <?page no="182"?> 000181 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 181 1. Poetische Orientierungssuche nach 1640 | gängige Praxis war, nicht das italienische Original, sondern eine französische Übersetzung zugrunde gelegt. Dementsprechend wimmelt es in Schneiders Übersetzung von Gallizismen. Zesen legte 1646 mit seinem Der herzlich-verliebte schmerzlich-betrübte beständige Roselieb eine eigene Version vor, die Schneiders Übertragung geradezu programmatisch überarbeitet. Er beseitigt sämtliche Fremdwörter, ersetzt Substantive wie „reverentz“ durch „ehrerbietigkeit“, „respect“ durch „bescheidenheit“; ,undeutsche‘ Verben wie „discurrieren“ werden zu „urteilen“, „dictiren“ zu „gebieten“. Sogar die Namen der auftretenden Götter verdeutscht Zesen: Venus wird zur „Libinne“, Diana zu „Weidinne“. Und aus den antikisierenden Hirtennamen werden germanische: aus Dafne macht Zesen „Klugemunde“, aus Silvia „Roselinde“, aus Aminta „Roselieb“ (Aurnhammer 1994, 180-193). Die Kurzcharakterisierung seiner verbesserten Aminta -Version soll Zesen keineswegs ins Lächerliche ziehen - viel zu lang hat die Forschung ihn als Sonderling abgetan, ohne seiner literarhistorischen Bedeutung gerecht zu werden. Zesens Übersetzung ist stilistisch viel gelungener als Schneiders holprige Version, in der die grammatischen Bezüge oft unklar bleiben. Vor allem aber illustriert der Vergleich exemplarisch die sprachlich-stilistischen Verschiebungen, die sich mit dem barocken Patriotismus vollzogen. 1.3. „Entdeckte Lung’ / entblöste Hertzen“. Drastik und ,Tumult‘ als Barockstil Die zweite Phase des Barocks zeichnet sich durch eine naturalistische Explizitheit aus, die Sujet und Sprache verknüpft und die Epoche ähnlich bestimmt wie der patriotische Purismus und die Alamode-Kritik. Die Tragödien und Romane werden blutiger, es dominieren au- Simplicissimus: literarische Zitate als authentische Erfahrungsberichte ßeralltägliche Szenen, die jede bürgerliche Norm von Mäßigung und Anstand verletzen. Exaltierter tönen die Klagen der Figuren, verzweifelter klingen die Christusanreden in der geistlichen Lyrik, während der derbe Ton in scherzhaften Erzähltexten an den reformatorischen Grobianismus erinnert. Wie die neuere Forschung gezeigt hat (Mourey/ Hengerer [Hg.] 2018; Tschachtli 2017; Steiger [Hg.] 2005), steht der menschliche Körper überraschend oft im Zentrum einer unverblümten, vielleicht gerade darin aber ,vormodernen‘ Literatur, die sich fasziniert zeigt von der physischen Funktionsweise und metaphysischen Hinfälligkeit des Leibes, seiner ausschweifenden Genuss- und asketischen Leidensfähigkeit, seiner geheimnisvollen Verbindung mit Mikro- und Makrokosmos sowie der Durchlässigkeit körperlicher Außengrenzen für Marterinstrumente aller Art. Bereits Walter Benjamin erwähnte die „Greuel- und Marterszenen, in denen die barocken Dramen schwelgen“, und sah in der Fragmentierung der Leichen ein Indiz für den barocken Hang zur Allegorie, zur melancholischen Entleerung der Welt als Ensemble von Verweisen (Benjamin 1978, 192-195). Als effektheischender Stil hat die ,Drastik‘ der frühneuzeitlichen Literatur ihre Wurzeln eventuell in der spätmittelalterlichen Karnevalskultur sowie deren humanistischen Reflexionen, etwa bei Franc¸ ois Rabelais (Bachtin 1987), aber nirgends zeigt sie sich so deutlich wie in den zahlreichen Körpersezierungen des Barocks. Möglicherweise hängt diese Radikalisierung mit den Leidenserfahrungen des Dreißigjährigen Krieges zusammen. Hier allerdings ist Vorsicht geboten, damit man die Barockrhetorik nicht mit den Maßstäben einer modernen ,Erlebnisdichtung‘ misst. Dazu mahnt ein bekann- <?page no="183"?> 000182 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 182 | B.II. Kulturpatriotische Konsolidierung nach 1640 tes Beispiel aus der Grimmelshausen-Forschung: Lange Zeit nämlich galt Grimmelshausens Schilderung der Kriegsgräuel während der Schlacht bei Wittstock 1636 als authentischer Erfahrungsbericht. Die Erde sei übersät gewesen, liest man dort, mit „Köpff“, „welche ihre natürliche Herren verloren hatten / und hingegen Leiber / die ihrer Köpff mangleten; etliche hatten grausam- und jämmerlicher Weis das Jngeweid herauß / und andern war der Kopff zerschmettert / und das Hirn zerspritzt“. Man habe „abgeschossene Aerm“ gesehen, „an welchen sich die Finger noch regten / gleichsam als ob sie wieder mit in das Gedräng wollten“, während an anderem Ort „abgelöste Schenckel“ einen grauenvollen Anblick boten. Da „sahe man zerstümmelte Soldaten umb Beförderung ihres Todts / hingegen andere umb Quartier und Verschohnung ihres Lebens bitten. Summa Summarum , da war nichts anders als ein elender jämmerlicher Anblick! “ ( 123). Die visuellen Wahrnehmungen und die detaillierte Darstellung schaffen eine Anschaulichkeit, die Authentizität vermittelt. Auch die Literaturgeschichte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts übersah die Rhetorik der evidentia , die hier bemüht wird, und las die Stelle als Beleg dafür, dass Grimmelshausen aus dem Leben selbst schöpfe. Wie die frühe Grimmelshausen-Biographik postulierte, musste der Simplicissimus - Dichter an der Schlacht bei Wittstock 1636 unbedingt teilgenommen haben (so Könnecke 1926, 198-203, den Quellenwert der Schilderung allerdings bereits bezweifelnd). Erst in den 1960er Jahren konnte belegt werden, dass Grimmelshausen diese Stelle wörtlich aus einer längeren Passage in Martin Opitz’ Übersetzung von Philipp Sidneys Arcadia (Ende des 16. Jahrhunderts) kopiert hatte, einem der meist gelesenen Schäferromane des Barock (Geulen 1969). Die „Köpff / die jhre natürliche Herrn verlohren hatten“ finden sich dort ebenso wie die „abgehawene Arm / deren Finger sich noch bewegten“ und die „abgelöste Schenckel“ ( 124). Offenbar fand Grimmelshausen Gefallen an Sidneys Schilderungen und verspürte auch keinen Authentifizierungsdruck. Es war weder befremdlich, noch verletzte es ethische Grenzen, wenn man eine zeitgenössische Schlacht in einer geborgten Sprache darstellte. Andere Zeugnisse jedoch weisen deutlicher auf den Zusammenhang von Kriegserfahrung und thematisch-stilistischer Brutalisierung. Ein Beispiel bieten die Schuldramen des Johann Sebastian Mitternacht (1613-1679), der in den vierziger Jahren die Gymnasien in Bautzen Johann Sebastian Mitternacht: Vergewaltigung und Folter auf offener Bühne und Plauen leitete und dort das Schultheater pflegte. In unüberbietbarer Drastik verschränkt sein Trauer-Spiel / Der Unglückselige Soldat und Vorwitzige Barbirer (1662; 2 1670) den Bezug auf den Dreißigjährigen Krieg mit einem christlichen Stoff. Inspiriert wurde Mitternacht durch eine Zeitungsmeldung, eine Mordtat, die sich angeblich in Padua zugetragen hat ( 104). In seinem Stück aktualisiert er das biblische Gleichnis vom Verlorenen Sohn (Lk 15, 11-32), den er hier als ein Opfer des Dreißigjährigen Krieges präsentiert. Der Protagonist gerät, vom äußeren Glanz des Soldatenlebens verlockt, zum Militär, verliert seine Habe, desertiert und wird von einem Barbier - der Berufsstand übernahm damals auch chirurgische Aufgaben - scheinbar gastfreundlich aufgenommen, in Wahrheit aber als Versuchsobjekt missbraucht. Der Barbier will ihn bei lebendigem Leibe ,aufschneiden‘, um die Bewegung des Herzens zu studieren. Mitternacht gestaltet die Figur des skrupellosen Arztes nach dem Vorbild des englischen Mediziners William Harvey, der durch Vivisektionen unzähliger Kleintiere den Blutkreislauf nachgewiesen hat. Harveys Entdeckung, De motu cordis (1628), durch Experimente an leben- <?page no="184"?> 000183 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 183 1. Poetische Orientierungssuche nach 1640 | den Tieren gewonnen, revidierte die antike Schulmedizin eines Hippokrates oder Galen (Aurnhammer 1999). Dass eine Tragödie eine verabscheuungswürdige Tat präsentiert, ist nicht ungewöhnlich, doch zeigte man Grausames seit der Antike in der Regel nicht auf der Bühne, sondern vermittelte es dem Zuschauer in Form von Botenbericht oder Teichoskopie (Mauerschau). Horaz’ Ars Poetica verbot den Gräuelmord auf der Bühne - Ne coram populo, pueros Medea trucidet , Medea dürfe ihre Kinder nicht vor den Augen des Publikums töten (Hor. ars, V. 182-188). Mit dieser dramatischen Konvention bricht Mitternacht - auf offener Bühne seziert sein Chirurgus den armen Soldaten bei lebendigem Leibe ( 105). Auch explizite Inszenierungen von Vergewaltigungen oder Foltern auf der Bühne waren vordem weniger üblich als seit der Mitte des 17. Jahrhunderts. Gleich im ersten Akt von Daniel Casper von Lohensteins Ibrahim Sultan (1673) versucht der wollüstige Sultan, seine Schwägerin zu übermannen, kurz darauf entführt und vergewaltigt er die fünfzehnjährige Tochter des Muftis. In grausamen Details stellt auch das beliebte Märtyrerdrama die Folterpraktiken auf die Bühne, während die Figuren lange Wehklagen mit Gräuelkatalogen anstimmen. „[S]terben war vns leicht“, seufzen die von Schach Abas erwürgten Fürsten in Gryphius’ Catharina von Georgien (1657), „er [Schach Abas] kont vns erst den Tod vergällen / Durch aller Folter Art. Sein Grimm entbrand als Glut der Hellen. Pfahl / Mörsel / Spiß / Bley / Beil vnd Stangen / Rohr / Säge / Flamm / zuschlitzte Wangen / Entdeckte Lung’ / entblöste Hertzen / Das lange zappeln in den schmertzen / Wenn man vns Darm vnd Zung entrückte! Das war was Abas Aug’ erquickte“ (Gryphius 1991a, 169f.). In Wehrufen und ,Pathosformeln‘ dieser Art drückt sich eine pessimistische Weltsicht aus, der zufolge das Erdenleben einem chaotischen Jammertal gleiche, auf das erst nach dem Tod die ewige Seligkeit folge (Burschel 2004, 83-117). Richard Alewyn hat darauf hingewiesen, Pathos, Kulissen und Feuerwerk: die Welt als Illusion und Inszenierung dass es der Logik der pessimistischen Weltskepsis paradoxerweise gerade entsprach, im Drama die Bühne weitestmöglich zu expandieren und mit dem sinnlichen Schaugetümmel der Elemente, der Menschen und der Götter zu bevölkern. Seit 1605 gab es in Deutschland feste Theaterhäuser. Im 17. Jahrhundert setzte sich die Kulissenbühne durch, eine tiefe Hauptbühne, in die perspektivisch bemalte Kulissen eingeschoben werden konnten und die von dem Proszenium mit einem Bühnenvorhang abgeschlossen war. Komplizierte Bühnenmaschinerien verstärkten den neuen Illusionismus und konnten dramatische Effekte wie überraschende Verwandlungen erzielen. Die aufwändigen Kulissen und Bühnenapparate, die Wasserspiele, Feuerwerke, Licht- und Windeffekte, die Reihenauftritte zahlreicher Allegorien, Personifikationen und mythischer Gestalten, schließlich die Tänze, Arien und szenischen Intermezzi erzeugten einen „szenischen Tumult“ (Alewyn 1985, 64), durch den die Entlarvung der Welt als Täuschung und Illusion umso wirkungsvoller erschien. Systematisch stellte das Barocktheater die Wirklichkeit des Diesseits in Frage, um den Weg in das Jenseits zu bereiten - und je größer die Akkumulation von Material, je weiter die Dimensionen, je verblüffender die Effekte, je ostentativer auch die Schilderung von Körpermartern und -lüsten, desto durchdringender wirkte ihre Negation durch die implizite Desillusionierung. Es war ja alles nur Schein, keine Wirklichkeit, es war alles nur Aufführung, nur Traum, ,nur‘ theatrum mundi : das Theater der Welt. <?page no="185"?> 000184 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 184 | B.II. Kulturpatriotische Konsolidierung nach 1640 2. Barocker Pessimismus: Andreas Gryphius und das ,menschliche Elende‘ Im Werk des Andreas Gryphius (1616-1664), dem bedeutendsten Dramatiker der Barockzeit, verschränken sich pessimistischer Weltentwurf und stilistische Drastik, Expansion und Exaltiertheit, „Trauer und Ostentation“ (Benjamin 1978, 121). Obwohl sein Werk gründlich erforscht ist, wirft es immer noch Deutungsfragen auf (Kaminski/ Schütze 2016). Als Sohn eines lutherischen Geistlichen wurde Gryphius im niederschlesischen Glogau geboren. Kindheit und Jugend waren von existentieller Not und Leid geprägt, da Schlesien in ganz besonderem Maße unter dem Dreißigjährigen Krieg zu leiden hatte, denn das Haus Habsburg forcierte mit Gewalt die Rekatholisierung des unter seinen Einfluss geratenen Schlesien. Der junge Gryphius litt darunter, zumal er schon früh Vollwaise wurde. Im Alter von nur fünf Jahren verlor er seinen Vater, im Alter von zwölf Jahren seine Mutter. So folgte Andreas Gryphius bald seinem Stiefvater Michael Eder, Magister am Evangelischen Gymnasium, als dieser im Zuge der jesuitischen Repressionen Glogau verlassen musste und nach Fraustadt zog, dem Sammelplatz der schlesischen Protestanten. Nachdem dort eine Pestepidemie ausgebrochen war, besuchte Gryphius das akademische Gymnasium in Danzig und verdingte sich anschließend als Hauslehrer der Söhne des Gelehrten Georg von Schönborner, eines seinerzeit bedeutenden Juristen, der eine prudentia mixta , einen am Gemeinwohl orientierten gemäßigten Macchiavellismus vertrat (Bach 2014, 148-154). Schönborner, der als Hofpfalzgraf das Recht hatte, Dichter zu krönen, verlieh Gryphius den Ehrentitel poeta laureatus caesareus , nachdem dieser mit den Lissaer Sonetten (1637) seinen ersten Gedichtband veröffentlicht hatte. In zwei „Eugenien“-Sonetten [gr. ,Schöngeborne‘] huldigt Gryphius seinem Gönner, der im Entstehungsjahr 1637 verstarb. Die Familie Schönborner ermöglichte Gryphius ein Universitätsstudium in Leiden, das er, gemeinsam mit den Söhnen seines Mäzens, 1638 antrat. Leiden war nicht nur ein Zentrum des modernen Neustoizismus - Justus Lipsius (1547-1606) hatte dort viele Jahre unterrichtet -, sondern auch der Naturwissenschaften. Gryphius, der am anatomischen Theater studierte und in Privatkollegs unterrichtete, kam in den Niederlanden mit bedeutenden Gelehrten in Verbindung. Zur Welt- und Sprachenkenntnis des Andreas Gryphius trug eine grand tour durch Europa bei. Gryphius begleitete einen Stettiner Kaufmannssohn auf dessen zweijähriger Kavalierstour nach Frankreich und Italien. Aufenthalte in Paris, Rom, Ferrara und Venedig sind ebenso bezeugt wie die Station Straßburg im Jahre 1646, wo er die Trauerspiele Leo Armenius und Catharina von Georgien abschloss. Danach schlug Gryphius mehrere Universitätsrufe aus, um in der Nachkriegszeit seine schlesische Heimat wiederaufzubauen, zunächst in Fraustadt, wo er heiratete, dann seit 1650 als Stadtsyndikus in Glogau. Als kaisertreuer Beamter vertrat er in dieser bedeutenden politischen Position die protestantischen Interessen gegen die habsburgische Rekatholisierung und wirkte weiterhin als Gelehrter, etwa indem er in der Stadt Breslau eine vielbeachtete Mumien-Sektion durchführte ( Mumiae Wratislavienses , 1658). Im Jahre 1664 starb er während einer Sitzung der Landstände. <?page no="186"?> 000185 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 185 2. Andreas Gryphius und das ,menschliche Elende‘ | 2.1. Gryphius’ Versdichtung mit und nach Opitz Gryphius’ Frühwerk entstand unter dem Eindruck der humanistischen Bildungstradition, es orientiert sich maßgeblich an antiken Vorbildern und bleibt in den Grenzen der opitzischen Regelpoetik. Der junge Gryphius verfasste geistliche Dichtung, religiöse Versepen in lateinischer Sprache. Zwei pathetische Herodes -Epen mit den Titeln Herodis Furiæ & Rahelis lachrymæ [,Herodes’ Wut und Rahels’ Tränen‘] sowie Dei Vindicis Impetus et Herodis Interitus [,Gottes Rachesturm und Herodes’ Untergang‘] entstanden um 1633 für das Fraustädter Gymnasium und wählen mit dem Bethlehemitischen Kindsmord einen beliebten biblischen Stoff der Zeit. Die äußerste Grausamkeit der Sujets - unter anderem ersticht ein Soldat ungeborene Zwillinge im Mutterleib - antizipiert ein Kennzeichen von Gryphius’ späterem Wirken. Sprachlich-stilistisch können die Epen als Fingerübungen gelten, da sie sich eng an die Empfehlungen humanistischer Lehrbücher halten (Czapla 2016). An die Bibelepik seiner Schülerjahre schloss Gryphius während seiner Italienreise 1646 mit seinem lateinischen Ölberg-Epos Olivetum an, in dessen Zentrum der leidende Christus steht. Unter dem Eindruck der Verhandlungen in Münster und Osnabrück überarbeitete er diese Friedensdichtung 1648 zu einer zweiten Fassung. Daneben betätigte sich der junge Gryphius als lateinischer Epigrammatiker sowie als Gelegenheitsdichter von Epithalamien (Hochzeitsgedichten) oder Epicedien (Trauergedichten). Gryphius’ erste lyrische Sammlung, ein Zyklus von 31 Sonetten aus dem Jahre 1637, nach ihrem Erscheinungsort Lissaer Sonette genannt, ahmt in Wortgebung und Bildlichkeit Martin Opitz nach (Borgstedt 2016, 97f.). Besonders augenfällig wird die Opitzimitatio in den we- Spielerische Experimente mit opitzischen Regeln nigen petrarkistischen Sonetten. In den späteren Sonettbüchern und Überarbeitungen der frühen Gedichte löste sich Gryphius langsam von der zeitgenössischen Regelpoetik. Wählte er in den Lissaer Sonetten noch vorrangig Alexandriner (jambische Sechsheber mit fester Zäsur nach der dritten Hebung und festem Wechsel männlicher und weiblicher Versausgänge) sowie vers communs (jambische Fünfheber), so erweiterte er, wie auch schon andere Opitz-Schüler zuvor, sukzessive sein metrisches Repertoire. Bisweilen dichtete er nun Sonette in Versen, die kürzer oder länger als Alexandriner sind, bisweilen ersetzte er das jambische Metrum durch Trochäen oder Daktylen und verfasste sogar heterometrische Gedichte, wie exemplarisch das Sonett „Die Hölle“ zeigt ( 106). Indem im Oktett trochäische Dreiheber mit Alexandrinern wechseln, im Sextett daktylische Achtheber mit vers communs , werden durch die unterschiedlichen Verslängen die infernalischen Flammen typographisch abgebildet. Auch in den weniger erforschten vier Oden -Büchern (1643, 1650, 1652, 1657), meist Bibel-Paraphrasen, variiert und bricht Gryphius die opitzischen Regeln spielerisch. So modifiziert er eigenständig die dialektisch aufgebauten Pindarischen Oden (Satz, Gegensatz, Zusatz), indem er den Zusatz weglässt, oder er ordnet Alexandriner zu komplexen Sestinen anstatt zu Reimpaaren (Jeßing 2016). Die Alternation von Hebung und Senkung bewahrt er insofern vor eintönigem Gleichklang, als er mit Spannungen zwischen Metrum und Rhythmus, sogenannten Tonbeugungen, arbeitet. Charakteristisch für die reife Lyrik des Andreas Gryphius sind die rhythmischen Beschleunigungen und Stauungen, hervorgerufen durch asyndetische Reihen seiner ,Zentnerworte‘, die Pausen in der Rezitation erfordern. Hatte Opitz von der Häufung einsilbiger Wörter <?page no="187"?> 000186 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 186 | B.II. Kulturpatriotische Konsolidierung nach 1640 abgeraten - „Es siehet nicht wol auß“ (Opitz 2002, 41) -, erhebt Gryphius sie mit Versen wie „Jst Fewr / Pest / Mord vnd Todt / hier zwischen Schantz vnd Korb“ ( 112) zum Prinzip, zum Ausdruck einer aus den Fugen geratenen Welt. Auch in der heilsgeschichtlichen vanitas -Thematik, wie sie zur bestimmenden Signatur seiner Lyrik wird, zeigt sich Gryphius’ Eigenständigkeit gegenüber den frühen Opitzianern. In idealtypischer Weise gestaltet er seine Vergänglichkeitsvorstellung in den „Gedancken / Vber den Kirchhoff“ aus dem Jahre 1657 ( 107), ein Lehrgedicht über die Nichtigkeit des Lebens und den Ernst des Sterbens (Steiger 2016). In den fünfzig Strophen der meditatio mortis , dem Nachsinnen über den Tod, vermischen sich Wirklichkeit und Vision, Gegenwart und Zukunft, Tod und Auferstehung. Aber selbst in dieser Totentanzrevue, die detailliert und in makabrer Ausführlichkeit die Verwesung der einzelnen Toten schildert, schwingt ein moralisches Moment mit, denn die drastische Schilderung von Tod und Verwesung ruft zur Andacht auf, sie fordert die Besinnung auf das Wesentliche und die Abkehr von der vergänglichen Erscheinungsoberfläche der Welt. Charakteristisch für das gesamte lyrische Werk des Andreas Gryphius ist die heilsgeschichtliche Deutung öffentlichen wie privaten Leids (Mauser 1976, 152-167), wie sie die beiden Tränen-Gedichte „Thränen in schwerer Kranckheit“ und „Threnen des Vatterlandes / Anno Heilsgeschichtliche Deutung öffentlichen und privaten Leids 1636“ unternehmen. Unter „Threnen“ sind hier nicht nur subjektive Leidensäußerungen zu verstehen. Als lyrische Gattung (gr. thränoi ) seit der Antike etabliert, bezeichnet die frühneuzeitliche Tränen-Dichtung eine Klage, die den Leser durch die intensive Beschreibung von Leid und Grausamkeit zum Mitleiden bewegen will. Gryphius’ Alexandrinersonett „Threnen des Vatterlandes / Anno 1636“ (1643), eine Revision seiner früheren „Trawrklage des verwüsteten Deutschlandes“ ( 112 und 113), bietet das bekannteste Beispiel seiner Verskunst. Gryphius beginnt sein Gedicht mit dem hyperbolischen Ausruf des Vaterlands, es sei ,mehr als ganz‘ verwüstet. Es folgt eine die beiden Quartette umfassende Aufzählung der Instrumente der Zerstörung (die Heere, Posaunen, Schwerter und Geschütze), sodann der zerstörten Objekte (Türme, Kirche, Rathaus, Wehrbefestigung), die metonymisch für weltliche und geistliche Stabilität stehen, schließlich der Kriegsfolgen (Vergewaltigungen, Pest, Brände, später Hungersnot). Mit der doppelten Flussmetapher im ersten Terzett (V. 9 und 10) ruft Gryphius das Motiv der Vergänglichkeit auf, als Warnung, wie schnell die Pracht der Städte falle, zivilisatorische Ordnung zusammenbreche und Leben erlösche. Wie sehr in den „Threnen“ öffentliches und privates Leid ineinander übergehen, zeigt das zweite, adversativ eingeleitete („Doch“, V. 12) Terzett. Es wechselt vom Wir in die Ich-Aussage und leitet die Pointe durch das rhetorische Mittel der praeteritio ein. Verschwiegen - aber genau dadurch hervorgehoben - werde der Schaden für das Seelenheil, der schlimmer als die weltlichen Zerstörungen wiege und den die Menschen davontrügen, indem sie sich an dem Blutvergießen beteiligten oder indem ihnen der Konfessionswechsel aufgezwungen werde. Gegenüber seiner frühen „Trawrklage“ konkretisiert Gryphius einige Abstrakta wie „Die alte Redligkeit vnnd Tugend ist gestorben“ (V. 5) zu anschaulichen Wendungen wie: „Die thürme stehn in glutt / die Kirch ist umgekehret“, um die Zerstörung der ständischen Ordnung im Dreißigjährigen Krieg zu verdeutlichen. Andererseits tilgt er den konkreten Bezug auf die Stadt Straßburg und verallgemeinert so die „Threnen“ zur patriotischen Klage. <?page no="188"?> 000187 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 187 2. Andreas Gryphius und das ,menschliche Elende‘ | 2.2. Gryphius’ dramatisches Werk: Übersetzungen und Lustspiele Die Forschung konstatiert zwar die Übergänge von den lateinisch-humanistischen Anfängen zu dem drastischen Pathos des Hauptwerks, bietet jedoch kaum Erklärungen für diesen Wandel. Die gehaltlich-stilistische Umorientierung des Andreas Gryphius um die Mitte der Vierzigerjahre hängt wohl mit den Erfahrungen seiner holländischen Studienjahre und, vielleicht mehr noch, seiner romanischen Bildungsreise zusammen. Inwieweit Gryphius auf seiner Reise auch mit der französischen und italienischen Literatur, Theater- und Opernkultur bekannt geworden ist, verdient eine eigene Untersuchung. Der Auktionskatalog der Bibliothek seines Sohnes Christian Gryphius, in dem auch die Bücher seines Vaters Andreas aufgeführt sind ( Catalogus Bibliothecae Gryphianae , 1707), verzeichnet zwar die wichtigsten Repräsentanten der romanischen Literaturen in originalsprachlichen Ausgaben, ist allerdings in der Gryphius-Forschung bislang kaum konsultiert worden. Soviel ist aber gewiss: Zur großen Leistung des Andreas Gryphius auf dramatischem Gebiet zählt seine Aneignung der avancierteren Literaturen der Niederlande, Frankreichs und Italiens. Mit seinen Übersetzungen aus dem Neulateinischen (Nicolaus Caussinus, Felicitas ), Niederländischen (Joost van den Vondel, Gibeoniter [Saul und David] [ Gebroeders ]), Französischen (Thomas Corneille, Schwermender Schäffer [ Le Berger extravagante ]) und Italienischen (Girolamo Razzi, Seugamme [ La Balia ]) bereicherte Gryphius den Vorrat der dramatischen Poesie in Deutschland. Zudem erneuerte er mit seinen Übersetzungen alle drei dramatischen Gattungen: Trauerspiel, Mischspiel, Lustspiel. Das Drama bildet eindeutig den Schwerpunkt im Werk des Andreas Gryphius, und auf diesem Gebiet ragt das Trauerspiel heraus. Drei Festspiele, zwei Friedensspiele aus Anlass des Westfälischen Friedens ( Majuma [1653] und Piastus [um 1660]) und ein Mischspiel anlässlich einer fürstlichen Hochzeit, das Doppeldrama Verlibtes Gespenst / Die gelibte Dornrose (1660), bleiben im Rahmen der üblichen Huldigungs- und Gelegenheitsdramatik. Etwa zeitgleich, nämlich wohl Ende der 1640er Jahre und damit in jener produktiven Schaffensphase, in der auch die Trauerspiele Catharina von Georgien und Carolus Stuardus entstanden, verfasste Gryphius seine beiden Lustspiele Absurda Comica oder Herr Peter Squentz (gedruckt 1657) und Horribilicribrifax Teutsch (gedruckt 1663). Wie die pseudonyme Vorrede bekennt, bearbeitete Gryphius mit dem Peter Squentz wohl eine Posse des Altdorfer Mathematikers Daniel Schwenter. Allerdings konnte die Forschung die entsprechende Vorlage bislang nicht ermitteln. Eventuell handelt es sich um ein Stück für das Studententheater in Altdorf, wo Schwenter als Professor tätig war (Michelsen 1969; dagegen Kaminski 1998, 158-178). Zugrunde liegt ohnehin eine englische Stofftradition, nämlich Shakespeares Midsummer Night’s Dream (um 1595), das über wandernde Schauspieltruppen vermittelt wurde. Wie bei Shakespeare leitet auch bei Gryphius ein einfacher Handwerker, nämlich Peter Squentz - im Englischen: Peter Quince - eine Gruppe von Laienschauspielern, die dem König versprechen, Ovids Erzählung von Pyramus und Thisbe auf die Bühne zu bringen und sich dabei blamieren. Wie weit die in der jüngeren Forschung stark betonten metapoetischen Elemente reichen, sei dahingestellt - es handelt sich um eine solide Bearbeitung des komischen Theaters im Theater, die, unabhängig von Rang oder Originalität, mit ihren obszönen Anspielungen, Grobianismen und der derben Situationskomik von der aufkommenden Tendenz zur Drastik zeugt. Weitgehend <?page no="189"?> 000188 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 188 | B.II. Kulturpatriotische Konsolidierung nach 1640 konventionell ist auch der Horribilicribrifax Teutsch , mit dem Gryphius sich im Typentheater der Commedia dell’arte versucht. Die Titelfigur und sein Kompagnon Dardiridatumtarides zeichnen sich durch maßlose Angeberei und abenteuerliche Sprachmischerei aus. Beides, ihr rasch entlarvtes ,Heldentum‘, das sie im Dreißigjährigen Krieg bewiesen haben wollen, sowie ihr falsches Deutsch, wird über einen mehrfach multiplizierten Liebesreigen decouvriert, an dessen Ende die sechsfache Hochzeit der diversen Paare steht. 2.3. Die Trauerspiele des Andreas Gryphius Gryphius’ fünf Trauerspiele haben bis heute kaum an Faszination eingebüßt. Gryphius verfasste sie erst nach der Bildungsreise durch Frankreich und Italien, genauer zwischen 1646 und 1659. Sie zählen daher zu den frühen Zeugnissen einer Barockdramatik ,nach‘ Opitz. Im Wetteifer mit Opitz’ Eindeutschungen der Trojanerinnen und der Antigone auf der einen Seite, mit dem jesuitischen Märtyrerdrama seiner Zeit auf der anderen, repräsentieren sie die religiös-kulturpatriotische Gegenströmung zur ersten Phase der deutschen Barockdichtung. Gryphius gestaltet den Handlungsverlauf seiner historischen Stoffe nach Gesetzen der disputatorischen Logik zum Zwecke einer moralischen Lehre. Die Barocktragödie ist ihrer Theorie und Praxis nach eine Schule der Affekte. Sie folgt den Vorgaben des Aristoteles insofern, als die Steigerung von Leidenschaften auf der Bühne kathartischen Zwecken dient: entweder als Reinigung der Leidenschaften oder - in separativer Auffassung, die sich im 17. Jahrhundert durchsetzte - als Reinigung von den Leidenschaften. Diese aristotelische Wirkungsbestimmung wurde im 17. Jahrhundert christlich-moralisch umgedeutet. Gereinigt werden sollten die tragischen Affekte durch die Mahnung an die Vergänglichkeit des Irdischen ( vanitas ) und den schnellen Glückswechsel auf Erden ( fortuna ) sowie durch den anschließenden christlichen Trost ( consolatio ) (Schings 1980). Der Wechsel von Vergänglichkeitsdemonstration und Trost findet sein geistesgeschichtliches Fundament zum einen in dem Weltekel ( contemptus mundi ) des barocken Christentums; zum anderen gründet er in dem neustoischen Ideal der Unerschütterlichkeit, das, von dem niederländischen Humanisten Justus Lipsius wiederbelebt, in ganz Europa Anhänger gefunden hatte. Lipsius setzte dem akzidentiellen Wandel der Welt die göttliche Vorsehung entgegen; was Gott beschlossen habe, sei, heißt es in einer deutschen Übertragung von Lipsius’ De Constantia (1583), „gewies vnd unbeweglich [ … ] / von ewigkeit her in alle ewige ewigkeit. Aus welchem dann die Notwendigkeit entstehet / vnd das Fatum“ (Lipsius 1599, 50 v ). Lipsius’ Providenzlehre zielte vorrangig darauf, Unglückseinbrüche zu rationalisieren und ihnen mit Beständigkeit ( constantia ) zu begegnen; die irdische Zeit aber wertete sie damit zum Jammertal ab, in dem sich Schicksalsschlag an Schicksalsschlag reihe. Diese Vorstellung steht auch im Hintergrund von Gryphius’ Tragödien, in denen sich christliche vanitas -Didaxe und stoische Bewährungslehre verbinden (Rühl 1967; zum Einfluss des senecaischen Stoizismus siehe auch Arend 2003). Zur praktischen Umsetzung der katharsis -Auffassung boten sich zwei Tragödientypen an. Der eine operiert provokatorisch und ex negativo , der andere geht das Ziel der consolatio unvermittelt an, mit Hilfe exemplarischer Modelle richtiger Haltung. Auch wenn sich vielfältig Überschneidungen ergeben und die neuere Forschung von der schematischen Klassifikation deutlich abgerückt ist, lassen sich die drei Märtyrertrauerspiele mit ihrer je ver- <?page no="190"?> 000189 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 189 2. Andreas Gryphius und das ,menschliche Elende‘ | schiedenen Umsetzung der constantia -Lehre heuristisch dem zweiten Typus zurechnen, während die , vanitas - und fortuna -Tragödie‘, wie sie Cardenio und Celinde repräsentiert, eher den ersten Weg einschlägt (Schings 1980). Kaum zuzuordnen ist allerdings Gryphius’ Erstlingstragödie Leo Armenius . 2.3.1. Leo Armenius Auf das erste deutsche Trauerspiel des Andreas Gryphius, Leo Armenius Oder Fürsten-Mord (1650), trifft weder die Bezeichnung , vanitas -‘ noch ,Märtyrertragödie‘ ganz zu. Gryphius verfasste seinen Erstling wohl während seiner Kavalierstour durch Frankreich und Italien, und bereits 1646 wurde die Arbeit in Straßburg abgeschlossen, bevor das Stück vier Jahre später veröffentlicht wurde. Von dem Eindruck, den die Theaterkultur der Romania auf ihn gemacht haben muss, zeugt neben seinen eigenen Übersetzungen zeitgenössischer Stücke die Tatsache, dass Gryphius sich für sein erstes Originaldrama Leo Armenius von einer seinerzeit in Rom gespielten Jesuitentragödie inspirieren ließ, nämlich Joseph Simons Leo Armenius seu Impietas punita (1645). Gryphius entlehnt der Vorlage ganze Szenenanordnungen (Harring 1907, 74-126), gestaltet seine Titelfigur aber deutlich ambivalenter. Anders als Martin Opitz, der mit seinen Seneca- und Sophokles-Übersetzungen antike Autoren als Muster empfahl, orientierte sich Gryphius’ Dramatik vorwiegend an den französischen, italienischen und niederländischen Zeitgenossen. Erhofft man sich Aufschlüsse Vanitas-Didaxe in Zeiten von Leid und Zerstörung über diese programmatische Umorientierung von der Antike zur Moderne, so ist man bei Gryphius, der anders als Opitz keine Poetik verfasst hat, auf die Vorreden zu seinen Dichtungen angewiesen. Anhaltspunkte gewährt die Leser-Adresse des Leo Armenius ( 116), in der Gryphius seine Entscheidung für die Gattung des Trauerspiels als kulturpatriotische Pflicht und moralisches Gebot in Kriegszeiten begründet. Er wolle, nachdem „vnser gantzes Vatterland sich nuhmehr in seine eigene Aschen verscharret / vnd in einen Schawplatz der Eitelkeit verwandelt“ habe, dem Leser „die vergänglichkeit menschlicher sachen in gegenwertigem / und etlich folgenden Trauerspilen“ vor Augen stellen. Explizit entfaltet Gryphius seine Auffassung der Tragödie als vanitas - Didaxe, implizit seine konsolatorische Absicht. Glückswandel und Leid auf der Bühne sollen die Deutschen über die elendige Gegenwart hinwegtrösten. Doch lässt die Berufung auf den hohen Gattungsrang der Tragödie kein Bekenntnis zur Vorbildlichkeit der Alten erkennen, und selbst bei dem byzantinischen Dramenstoff betont Gryphius nicht die historisch-kulturelle Distanz, sondern die Nähe des byzantinischen Kaisers Leo Armenius (d. i. Leo V., 775-820) zu den „jetzt regierenden Fürsten“, die wie dieser oft so handelten, dass es „theils nicht gelobet / theils nicht gestattet“ werden könne. Im programmatischen zweiten Teil der Vorrede legt er seine poetischen Erfindungen offen. Die byzantinische Historiographie, die er konsultiert habe, sei so gründlich, dass „nicht vonnöthen gewesen viel andere Erfindungen einzumischen“. Allerdings gebe er das Kreuz, an das sich Leo klammert und das er bei seiner Ermordung küsst, als das originale Kreuz Christi aus. Gewisse Freiheiten der Fiktion waren von der humanistischen Poetik zwar stets zugestanden worden - der Tragödienautor dürfe die Sequenz historischer Ereignisse leicht verändern oder kleinere Handlungselemente und -figuren erfinden, deklarierte Julius Cäsar Sca- <?page no="191"?> 000190 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 190 | B.II. Kulturpatriotische Konsolidierung nach 1640 liger (Scaliger 1994, I,2, 88) -, aber Opitz hatte gewarnt, man solle „sich in dieser freyheit zue tichten vorsehen / das man nicht der zeiten vergeße / vnd in jhrer warheit irre“ (Opitz 2002, 29). Wie Gryphius in seiner Vorrede konzediert, dürfe man sich insbesondere in geistlichen Dingen, zu denen auch das Kreuz des Leo Armenius gehört, eigentlich „wenig freyheit nehmen“. Aber er verteidigt seine Erfindung als maßvolle poetische Lizenz in Hinblick auf viel weitergehende Freiheiten, die sich moderne Autoren wie Pierre Corneille im Polyeucte (1643) genommen hätten, wenn sie Märtyrern Ehefrauen und Nebenbuhler andichteten. Damit spielt Gryphius neuere Tendenzen der französischen Dramatik gegen Opitz’ Strenge aus und schlägt selbst den Mittelweg ein. Auch auf die Nobilitierung des Dichterstands verzichtet Gryphius. Während sich Opitz als Trauerspieldichter auf die antike Ahnenreihe „dichtender Keyser / Fürsten / grosser Helden und Weltweiser Leute“ (Opitz 1979, 429) beruft, reklamiert Gryphius für sich und sein erstes Gryphius’ dichterische Freiheit und poetische Eigenständigkeit Trauerspiel das Privileg der eigenen Schöpfung. Er setze sein Drama nicht nach Sophokles oder Seneca auf - eine metonymische Spitze gegen deren Übersetzer Martin Opitz, mit der Gryphius seine poetische Eigenständigkeit unterstreicht. Mit einem ironischen Selbstwiderspruch schließt Gryphius seine Vorrede. Er gehöre nicht zu jenen Autoren, die „von der Außländer Erfindungen den Nahmen wegreissen und den seinen darvor setzen“, setzt er patriotisch an, um sich dann aber ausgerechnet das Motto eines „Außländer[s]“ zu eigen zu machen, nämlich das bekannte Distichon, das Ludovico Ariosts Haus in Ferrara schmückte: „Daß Hauß ist zwar nicht groß: doch kennt es mich allein: Es kostet frembde nichts: es ist nur rein vnd mein“ (im Original: „Parva, sed apta mihi, sed nulli obnoxia, sed non sordida; parta meo sed tamen aere domus“). So zeichnet sich Gryphius’ programmatische Vorrede durch eine Gratwanderung zwischen Quellenreverenz und Originalitätsanspruch, Opitz-Nachahmung und kulturpatriotischer Neubesinnung aus. Auch formal konkurriert Gryphius’ Leo Armenius mit Opitz’ Übertragungen, wenngleich die Anlage dem Modell noch weitgehend folgt. Nicht nur die Handlung, sondern auch Ort und Zeit genügen den aristotelischen Einheiten. Der „Schawplatz ist Constantinopel / und Vornemblich die Keyserliche Burg“, die Handlungsdauer beträgt einen Tag. Das Stück beginnt am Mittag vor Weihnachten und endet am Weihnachtsmorgen. Die Handlung ist in fünf „Abhandelungen“ (Akte) gegliedert, die wiederum in „Eingänge“ (Auftritte) unterteilt sind. Diese Einteilung rechtfertigt Gryphius in der Erklärung am Ende des Dramas. Den Akten zwischengeschaltet sind sogenannte „Reyen“, welche die Rolle des antiken Chors erfüllen und die Handlung kommentieren. Während die Auftritte in Alexandrinern verfasst sind, sind die Reyen metrisch uneinheitlich. Die Reyen nach dem Ersten Akt, dem Dritten und dem Vierten Akt stehen in der triadischen Odenform aus „Satz“, „Gegensatz“ und „Zusatz“; eine Lösung, die sich im späteren Barockdrama einbürgerte. Den zweiten Akt beschließt ein mehrstrophiges Chorlied in trochäischen Vierhebern. Berühmt ist Gryphius’ „Reyen der Höfflinge“ am Ende des Ersten Akts, welche Kraft und Gefahr der Zunge, also der Rede besingen - sie müsse der Mensch zu zähmen wissen und mit Bedacht einsetzen, denn „Dein Leben / Mensch / und Todt hält stäts auf deiner Zungen“ (Gryphius 1991b, 36; vgl. Bogner 1997, 1-44). Der Zungen-Reyen parodiert zugleich das erste Chorlied (Stasimon) aus <?page no="192"?> 000191 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 191 2. Andreas Gryphius und das ,menschliche Elende‘ | der Antigone des Sophokles, die Opitz übersetzt hat. In beiden Liedern wird der Mensch zwischen Witz und Hybris vorgeführt. Bei Sophokles ist es Größe und Fall des homo ingeniosus , des geistreichen Menschen, bei Gryphius Glanz und Elend des homo eloquens , des Beredten (Barner 1968). Gryphius kommt in seiner Variante dem sophokleischen Original freilich näher als der Übersetzer Opitz, denn während dieser die sophokleische Radikalität und tragische Hyperbolik abschwächt, erweckt sie Gryphius wieder zum Leben. Das dialektische Prinzip der Ode, wie Gryphius sie für die Reyen verwendet, fügt sich gut zum Charakter des Stücks. Viele Auftritte sind Dialogkonflikte, die mit rhetorischen Argumentationstechniken durchgeführt werden; mit wiederholten Parallelismen und Antithesen, auffälligen Wiederholungen eines Wortes in aufeinanderfolgenden Versen (Anaphern) und der Wiederaufnahme eines Versschlusses zum Beginn des nächsten Verses (Anadiplose). Die Sprecherwechsel von Vers zu Vers (Stichomythien) zwischen Leo und Michael oder Leo und seiner Gemahlin Theodosia verstärken den disputatorischen Eindruck und steigern die Spannung. Vor allem stofflich geht Gryphius eigene Wege, indem er eine Episode aus den höfischen Machtkämpfen im mittelalterlichen Byzanz behandelt. Kaiser Leo, einst selbst gewaltsam zur Krone gelangt, hat seinen früheren Kampfgefährten Michael Balbus als überführten Verschwörer einkerkern und zum Tode verurteilen lassen. Doch ein Aufschub der Exekution dreht den Fortgang der Ereignisse um, Michael Balbus kann sein Komplott aus dem Kerker heraus in Gang setzen. Der Kaiser wird während der Christmesse überfallen, am Altar gemeuchelt und stirbt am Kreuz Christi, während der Anführer sich zum neuen Kaiser krönen lässt. Wie dieses tragische Ende, insbesondere Leos Kreuzestod zu bewerten ist, beschäftigt die Gryphius-Forschung bis heute. Schon Walter Benjamin hatte die Ambivalenz der Figurencharakterisierung betont und bemerkt, es sei im Grunde „unentschieden, ob ein Tyrannendrama oder eine Märtyrerhistorie vorliegt“ (Benjamin 1978, 65). Zu dem Dilemma trägt wesentlich die „strukturelle Umstrittene Deutung aufgrund ambivalenter Figurenzeichnung Symmetrie zwischen den Konfliktparteien im Stück“ bei (Koschorke 2016, 191), eine „Unentscheidbarkeit“ zwischen den antithetischen vorgebrachten Positionen der Figuren und ein Zaudern vor allem des Protagonisten selbst (ebd., 198-201). Drei Forschungspositionen lassen sich erkennen. Der ersten Auffassung zufolge (vertreten am radikalsten von South 1975, modifiziert von Burgard 2001 und Koschorke 2006) handelt es sich um ein rein innerweltliches Drama. Leo ist einst selbst Usurpator gewesen, wie es Michael Balbus wird - vorgeführt werden somit Aufstieg und Fall eines Tyrannen, reflektiert werde die Tatenlosigkeit des melancholischen Souveräns, wie ihn Walter Benjamin geschildert hat. Die Weihnachtsmesse gebe lediglich das christliche Gegenmodell zu der heillosen Geschichte, doch vor „der existentiellen Sinnlosigkeit versagt selbst die Erlösermacht des Kreuzes“ (South 1975, 182). Im Lichte dieser Deutung erscheint Gryphius als barocker Nihilist. Einer zweiten Forschungsrichtung zufolge, prominent vertreten von Peter Szondi (1961), wird die christliche Botschaft weniger radikal infrage gestellt. Indem das Stück Glückswechsel von kurzer Dauer vorführt, zeige es, wie fortuna im göttlichen Heilsplan über die Providenz nur scheinbar dominiert. Ein dritter Forschungsstrang deutet Leo Armenius als religiöse „Weihnachtsdichtung“ (Kaiser 1968). Bis <?page no="193"?> 000192 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 192 | B.II. Kulturpatriotische Konsolidierung nach 1640 zum Schluss herrsche das Muster eines Tyrannendramas, doch mit dem Todeskuss Leos auf das Altarkreuz erfolge die Umkehr des Sünders, der vom Blitz der Gnade getroffen werde. Das typologische Namensspiel „Leo“ - ,Löwe von Juda‘ (d. i. Jesus Christus) bereite diese Umkehr vor, gestützt durch texinterne und textexterne Parallelen (Schäublin 1974). Auch bei dieser Deutung, die das lutherische Gnadenkonzept ins Zentrum der Dramenkonzeption stellt, bleiben Fragen offen. So ist zweifelhaft, ob die abschließende Schmerzensrede der Kaiserin Theodosia am Ende des Stücks als religiöse Verzückung zu lesen ist oder, wie die Verschwörer um Balbus sie deuten, als schierer Wahnsinn - die erste Deutung spricht für das Verständnis des Stücks als Märtyrerdrama, die zweite hingegen passt zum Konzept der vanitas -Tragödie. 2.3.2. Bewährte Beständigkeit: Die Trauerspiele Catharina von Georgien , Carolus Stuardus , Papinianus Die deutschsprachige Märtyrertragödie hat Gryphius mit seinen Dramatisierungen historisch verbürgter Leidensgeschichten entscheidend geprägt. Insbesondere die enge Verschränkung von Tyrannen- und Märtyrerdrama ist bei ihm ausgesprägt, da der Tyrann als Gegenspieler des duldsamen Helden stärker profiliert wird. Für das 17. Jahrhundert ist ungewöhnlich, dass er nicht nur antike, sondern auch zeitgenössische Stoffe auf die Bühne gebracht hat. So inszeniert er in Catharina von Georgien oder Bewehrte Beständigkeit (1657) die Tötung der georgischen Königin durch den persischen Schah Abbas aus dem Jahre 1624. Weil Catharina weder ihrem christlichen Glauben noch ihrem Vaterland, noch ihrem verstorbenen Mann untreu werden kann, versagt sie sich den erpresserischen Werbungen des Tyrannen. Es handelt sich um die übliche Konfiguration des Märtyrerdramas: weltliche Machtwillkür versus duldende Weltverachtung und Heilsgewissheit. Allerdings hegt Catharina zu Beginn selbst noch weltlich-politische Interessen und kämpft gleichermaßen für „Gott vnd Ehr vnd Land“ (I, 88). Wie in Leo Armenius bricht auch hier die starre Dichotomie von Politik und Religion, Tyrannei und Martyrium auf. Noch aktueller ist das 1649/ 50 entstandene Trauerspiel Ermordete Majestät oder Carolus Stuardus, König von Groß Brittannien (Fassung A: 1653, Fassung B: 1663). Darin werden der Sturz und die Hinrichtung des englischen Stuart-Königs Charles I. durch Oliver Cromwell dargestellt. Auch wenn Gryphius der Frage, ob die Absetzung und Ermordung des Königs gerechtfertigt war, breiten Raum zugesteht - der dritte Akt gilt ihr ganz -, lässt das Ende des Trauerspiels an der Antwort keinen Zweifel. Karl wird in einer Postfiguration Christi verklärt, und sein Ende erscheint als Wiederholung der Passionsgeschichte, während seine rebellischen Widersacher typologisch auf Judas bezogen werden. Damit passt Gryphius das zeitgenössische Ereignis in das Märtyrermodell und ordnet Rebellen und Monarchisten seinem antithetischen Schema zu. Wie Carolus Stuardus ist auch Gryphius’ Römerdrama Großmüttiger Rechts-Gelehrter oder Sterbender Ämilius Paulus Papinianus (1659) dem Typus der Märtyrertragödie zuzurechnen, wenngleich auch dieses von der jesuitischen Gattungsnorm abweicht. Denn Gryphius’ Titelheld ist kein christlicher Glaubensheld, sondern Papinian, einer der bedeutendsten römischen Juristen unter dem tyrannischen Kaiser Caracalla. Er weigert sich, den Mord, den Caracalla an seinem Stiefbruder Geta verübt, mit der Staatsraison zu rechtfertigen. Wie ein <?page no="194"?> 000193 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 193 2. Andreas Gryphius und das ,menschliche Elende‘ | Märtyrer hält Papinian unbeirrbar an seinem Rechtsstandpunkt fest und ist bereit, für die Gerechtigkeit zu sterben. Gryphius bedient sich auch in diesem Trauerspiel der neuen Drastik und bühnenwirksamen Affektdramatik. So wird auf der Bühne dargestellt, wie Kaiser Caracalla seinen Stiefbruder Geta in den Armen seiner Mutter mit vielen Stichen ermordet, und ebenfalls auf offener Bühne wird die Hinrichtung Papinians durch das Schwert gezeigt. In der Forschung war die Bewertung des tragischen Konflikts im Papinianus lange umstritten. Da Papinian nicht für den christlichen Glauben, sondern für das innerweltliche Prinzip des Rechts in den Tod gehe, müsse man ihn, so die ältere Forschung unter Bezug auf Walter Benjamin, als „säkularisierte Figur des Heiligen“ verstehen (Heckmann 1959). Während die stoisch-patristische Tradition für das Märtyrerdrama ins Feld geführt und sein „martyriologischer Grundriß“ betont wurde (Kaminski 1998, 143), wiesen neuere Studien nach, dass in der Frühen Neuzeit an der Figur Papinians die Grundzüge absolutistischer Politik erörtert wurden, vor allem die Frage, ob man gegen einen Tyrannen Widerstand üben und ob man sich seiner Herrschaft durch Selbstmord entziehen dürfe (vgl. zu den rechtshistorischen Grundlagen Bach 2014, 464-530; Kühlmann 1982). Im Papinianus verschränken sich somit verschiedene politische, theologische und naturrechtliche Diskurse zu einem komplexen ,Synkretismus‘ (Bornscheuer 1997), der dem Trauerspiel eine Sonderstellung in Gryphius’ dramatischer Martyrologie zukommen lässt. 2.3.3. Anamorphose der Vergänglichkeit: Das vanitas -Trauerspiel Cardenio und Celinde Dem Typ des vanitas- und fortuna- Dramas entspricht bei Gryphius das fünfaktige „Trauer- Spiel“ Cardenio und Celinde Oder Unglücklich Verliebete (1657). Cardenio liebt Olympia und beschließt, ihren Ehemann Lysander zu ermorden, da dieser sich ihre Liebe erschlichen hat; zugleich ist Celinde in Cardenio verliebt und möchte sich seiner habhaft machen, indem sie aus dem Herz des Marcellus, der wiederum sie geliebt hat und von Cardenio erdolcht wurde, einen Liebestrank braut. Beide Titelhelden werden von ihrem verbrecherischen Treiben durch zwei Geistererscheinungen abgebracht und entschließen sich zur reuigen Weltabkehr. Auch wenn Gryphius sich an die seit der Renaissance geläufigen aristotelischen Einheiten der Zeit und des Ortes hält, fällt Cardenio und Celinde aus dem traditionellen Tragödienschema in mehrfacher Hinsicht heraus, wie Gryphius selbst dem Leser in einer dramentheoretisch innovativen Vorrede kundtut. Erstens spielt die Handlung, die ihm „in Italien vor eine wahrhaffte Geschicht mitgetheilet“ worden sei, in der (relativen) Gegenwart der italienischen Renaissance. Tatsächlich entlehnt Gryphius den Stoff Juan Pe´ rez de Montalva´ ns Novelle La fuerc ¸a del desengan˜o , die er wahrscheinlich in italienischer Übersetzung las. Mit dem Argument, es handle sich um eine mündlich kolportierte, wahre Geschichte, rechtfertigt Gryphius zweitens seine das Bürgerliche Trauerspiel vorwegnehmende Abweichung von der Ständeklausel - die Personen seien „fast zu nidrig vor ein Traur-Spiel“ (Gryphius 1991c, 230) - und drittens von dem Postulat der Stilhöhe: Während Opitz in der Tragödie einen hohen Stil forderte, erklärt Gryphius, dass die „Art zu reden“, derer sich seine Dramenpersonen befleißigen, „gleichfalls nicht vil über die gemeine“ hinausreicht (ebd.). Und viertens, können wir ergänzen, fehlt dem Trauerspiel Cardenio und Celinde ein wirklich tragischer Schluss. Cardenio und Celinde entsagen am Ende den Liebesleidenschaften, ohne in Schuld verstrickt zu <?page no="195"?> 000194 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 194 | B.II. Kulturpatriotische Konsolidierung nach 1640 B.II.4. Hans Holbein: Die Gesandten (1533). werden oder zu sterben. Um ihre Bekehrung als Affektreinigung darzustellen, überdehnt Gryphius die Gattungslizenzen des Trauerspiels. Das „verwirrete[ ] Leben“ (ebd.) der Ich-befangenen „Unglücklich Verliebete[n]“, so der Untertitel, spiegelt sich in den kriminellen Vorhaben, Cardenios Mordplan und Celindes Liebeszauber. Es ist bezeichnend für dieses Trauerspiel der Liebe, dass die Protagonisten nicht langsam durch Vernunft, sondern erst durch plötzliche Geistererscheinungen zur Besinnung kommen. Die Wendepunkte in dem Drama werden ebenso spektakulär wie überraschend inszeniert (Mahlmann-Bauer 2016, 241f.). Charakteristisch für die kathartische Desillusion des Barock ist die Peripetie im vierten Akt, in der Cardenio erkennen muss, dass die scheinbar verführte Olympia ein bloßes Gespenst ist ( 117). Dieser Wandel von Amor in Mors, von Liebe in Tod, führt den Protagonisten wie den Zuschauern vor Augen, wie nichtig ihr Treiben <?page no="196"?> 000195 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 195 2. Andreas Gryphius und das ,menschliche Elende‘ | B.II.5a./ b. Der Totenschädel als Anamorphose. Detail aus Hans Holbein: Die Gesandten (1533). ist. Wie lässt sich die unverhoffte optische Täuschung, welche die „unglücklich Liebenden“ zur Besinnung bringt, verstehen? Für die Ästhetik der Frühen Neuzeit stellte die ,Anamorphose‘ eine maßgebliche Kategorie dar. In der Bildenden Kunst versteht man darunter verzerrte Darstellungen, deren richtige Wahrnehmung vom Blickwinkel des Betrachters abhängt, oder die eines Instruments, etwa eines Spiegels bedürfen, um entschlüsselt zu werden. Seit der Renaissance begegnet die Anamorphose als Verkürzungstechnik vor allem in sakraler Deckenmalerei, auch aber im Porträt. Erinnert sei an Hans Holbeins Doppelporträt Die Gesandten von 1533 (Abb. B.II.4.), das zwei Gesandte des französischen Königs am englischen Hof Heinrichs VIII. neben einem Regal mit Büchern, Musikinstrumenten und mathematischen Objekten zeigt. An prominenter Stelle in diesem illusionistischen Gemälde findet sich ein merkwürdiges Gebilde in einer eigenartigen Form. Betrachtet man das Bild jedoch aus einem spitzen Blickwinkel, erkennt man plötzlich: Es ist ein Totenschädel (Abb. B.II.5a./ b.). Dieser Schädel verweist auf einen am oberen linken Bildrand zu sehenden Kruzifixus und relativiert damit die Scheinwelt des äußeren Lebens (North 2002). Auf ähnliche Weise wie Holbeins Gemälde mit dem Totenschädel stellt Gryphius den „Wahn“, der die Protagonisten beherrscht, anamorphotisch richtig. Ihre vormalige Affektverfallenheit wird durch die Todesvision demaskiert, sodass Cardenio und Celinde als „genesen“ erscheinen (V, V. 74; Gryphius 1991c, 295). Der theatralisch übersetzte Illusionismus kann als das eigentlich Neue im Trauerspiel des Andreas Gryphius gelten. Er dramatisiert das Erzählelement des desengan˜o , der Ent-Täuschung, wie es in Montalva´ ns Vorlage und im spanischen Pikaro-Roman verbreitet war, und erhebt es zum Mittel der tragischen anagnorisis , des entscheidenden Erkenntniswechsels seiner Figuren, denen er durch den Umschlag von Liebe in Tod vor Augen führt, wie nichtig ihre Leidenschaften sind. Die zweite Geistererscheinung, Marcellus’ Mahnung an Celinde, die seinen Leichnam schänden möchte, um Cardenio zu verzaubern, vertieft die Einsicht in die ,Eitelkeit‘ menschlichen Strebens noch. Einen christlichen Sinn erhält das Geschehen schließlich durch die allegorischen Reyen, in denen die Jahreszeiten und Lebensalter die Vergänglichkeit irdischer Güter illustrieren und an das Jenseits erinnern. <?page no="197"?> 000196 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 196 | B.II. Kulturpatriotische Konsolidierung nach 1640 3. Pegnitz-Irenik: Die Literatur des Nürnberger Blumen-Ordens Bereits im Humanismus war Nürnberg, die Stadt Albrecht Dürers und Willibald Pirckheimers, ein Zentrum der Gelehrsamkeit und der Künste gewesen. Die Freie Reichsstadt, politisch neutral, war im Dreißigjährigen Krieg zwar nicht zerstört worden, doch durch die mehrjährigen Stellungskriege zwischen kaiserlichen und schwedischen Truppen im Umland war sie wirtschaftlich stark geschädigt. Kulturell indes brachte die lange Bedrohung eine florierende Friedens- und Gesprächsdichtung hervor, die man vor allem mit dem Dichtertrio Georg Philipp Harsdörffer, Johann Klaj und Sigmund von Birken verbindet. Als sich nach den ersten Verhandlungen allmählich das Kriegsende abzeichnete, gründeten sie 1644 den Pegnesischen Blumen-Orden . Die Mitglieder nannten sich ,Pegnitz-Schäfer‘, verkleideten sich als Hirten und gaben sich in ihrem Spiel mit Wirklichkeit und Fiktion bukolische Gesellschaftsnamen. Als Signum literarisch verbürgter Egalität traten dem Nürnberger Blumen-Orden auch gebildete Frauen bei (Jürgensen 1994). So waren unter den acht neuen Mitgliedern, die im Jahre 1668 aufgenommen wurden, vier junge Frauen, darunter Maria Catharina Stockfleth (1634-1692). Von ihr stammt der zweite Teil des allegorischen Schäferromans Die Kunst- und Tugendgezierte Macarie (1673), dessen erster Teil 1669 unter dem Namen ihres Ehemanns Heinrich Arnold Stockfleth erschienen war (Hirsch 1957, 107-117, Garber 2012, 328-341). Zu den weiblichen Mitgliedern zählte auch Gertrud Möller alias Mornille, von Erdmann Neumeister seinerzeit als Poetria Prussorum celeberrima gepriesen, ,berühmteste Dichterin der Preußen‘, deren Parnaßblumen oder geistliche und weltliche Gedichte (1672) mit Noten des Kapellmeisters Johann Sebastiani erschienen (Jürgensen 2006, 395-399). Die antike Hirtendichtung Theokrits und Vergils eignete sich als Bezugspunkt der Nürnberger, weil sich in ihr die Sehnsucht nach Ursprünglichkeit und Natürlichkeit bereits zivilisationskritisch äußerte. Die bukolische Norm der ,einfachen‘ Tugend konnte leicht gegen Urban-höfische Gesprächskultur im Gewand schäferlicher Einfalt die durch Machtambition, Technikmissbrauch und Zerstörungswut gekennzeichnete Kriegsgegenwart gewendet werden (Garber 2009, 43-87). Das sozialutopische Potential dieser Gründung reicht dennoch nicht sehr weit. Die Pegnitz-Schäfer hatten einen festen ständischen Rückhalt im Nürnberger Patriziat, auf dem die geschmackswie stilbildende Bedeutung des Ordens beruhte. Selbst die pastorale Verkleidung war im Grunde die Aneignung eines aristokratischen Zeitvertreibs, die Annäherung des Stadtbürgertums an die Hofmode schäferlicher Kostümierung. Allerdings offenbart sich darin die wichtige Vermittlerfunktion der Nürnberger für den ständisch-kulturellen Antagonismus, der sich im Verlauf des Dreißigjährigen Krieges in Deutschland herausgebildet hatte. Denn die Nürnberger Dichter nutzten das literarische Bild schäferlich-bäuerlicher Einfalt und Tugend - schlechterdings das Charakterideal des Barockpatriotismus - als Hohlform, um in Deutschland eine urban-höfische Gesprächskultur nach romanischem Vorbild zu etablieren. <?page no="198"?> 000197 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 197 3. Die Literatur des Nürnberger Blumen-Ordens | 3.1. Harsdörffer, Klaj, Birken: Das Pegnesische Dreigespann und sein Schäfergedicht Als Zentrum des Nürnberger Kreises kann der Patrizierspross Georg Philipp Harsdörffer gelten, mit einem Abstand von fast zehn Jahren zu Klaj und fast zwanzig Jahren zu Birken der Älteste der Freunde. In Altdorf und Straßburg hatte er studiert, unter anderem noch bei dem berühmten Philologen Matthias Bernegger, der gute Kontakte zu den Heidelberger Gelehrten um Julius Wilhelm Zincgref und Janus Gruter pflegte und in Straßburg mit den Patrioten Moscherosch und Rompler verkehrte. Diese Einflüsse sind in Harsdörffers Werken durchaus greifbar, er verbindet die erste und die zweite Strömung der Barockdichtung. Auf die Studienzeit folgten jahrelange Bildungsreisen durch Frankreich, die Niederlande und England, die Schweiz und vor allem Italien. Auch dort nahm er am literarischen Leben teil, besonders in Siena und Venedig. Harsdörffer gründete den Pegnesischen Blumen-Orden nach dem Vorbild der italienischen Akademien und speziell der Accademia degli Intronati in Siena (das dortige Archiv verwahrt seinen Briefwechsel). Zurück in Nürnberg betätigte er sich in der städtischen Administration, bevor er Mitglied des Inneren Rats wurde. An Harsdörffers Seite stand der gebürtige Meißener Johann Klaj, der in Wittenberg bei August Buchner studiert hatte und auf diese Weise mit vielen Opitzianern in Kontakt gekommen war. In Nürnberg wurde er mäzenatisch gefördert, gesellschaftlich scheint er jedoch eher ein Außenseiter geblieben zu sein. Seine geistlichen Dichtungen und Redeoratorien, etwa Der leidende Christus / In einem Trauerspiele vorgestellet (1645), trug er persönlich nach der Predigt vor, allerdings nicht in der Kirche, sondern vor einem vorwiegend akademischen Publikum (Meid 2009, 474-476). Sie offenbaren eine metrische Experimentierfreude und Begeisterung für die Musikalität der deutschen Sprache, die Klaj in einer Lobrede der Teutschen Poeterey (1645) programmatisch postulierte. Bei der Ausbildung der sprachspielerischen Nürnberger Manier war er wohl federführend. Der Jüngste im Bunde der Pegnitz-Schäfer, Sigmund von Birken, wurde in Böhmen als Sohn eines Dorfpfarrers geboren, wuchs aber in Nürnberg auf. Harsdörffer vermittelte ihm eine Stelle als Prinzenerzieher am Wolfenbütteler Hof. Mit zwanzig Jahren war er bereits kaiserlich gekrönter Poet, 1655 erfolgte die Nobilitierung, drei Jahre später die Aufnahme in die Fruchtbringende Gesellschaft unter dem doppeldeutigen Namen ,Der Erwachsene‘. Der äußere Ruhm war nur eine Seite; die andere bestand in einträglichen Auftragsarbeiten, „poetische[n] Dienstleistungen“ wie panegyrischen Gedichten zu festlichen Anlässen und historiographischen Genealogien verschiedener Herrscherhäuser (Laufhütte 2013). Seine weite Korrespondenz, die bis in den Ostseeraum reichte und neuerdings ediert vorliegt (Birken 2012), belegt seine kulturpolitische Bedeutung. Den Vorsitz der Pegnitzschäfer übernahm er 1662, und unter seiner Ägide florierte der Orden, weil Birken das Stadtbürgertum in die Dichtervereinigung zu integrieren wusste, indem er die Satzung liberalisierte und zugleich die geistliche Ausrichtung verstärkte (Laufhütte [Hg.] 2013). Das zeigt sich schon in der Veränderung des Ordensemblems: Birken christianisiert die siebenpfeifige Panflöte, indem er ihr ursprüngliches, deutlich an den Fruchtbringern orientiertes Motto „Mit Nutzen erfreulich“ in die irenische Maxime ,Alle zu einem Thon einstimmend‘ ( Melos conspirant singuli in unum ) abwandelt. Vor allem aber führte Birken neben dem ursprünglichen Symbol der Panflöte die Passionsblume als Ordenszeichen ein, deren religiösen Charakter die Devise „Alles zur Ehre <?page no="199"?> 000198 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 198 | B.II. Kulturpatriotische Konsolidierung nach 1640 B.II.6. Dichtertreff in Nürnberg. Der Irrhain des Pegnesischen Blumen-Ordens. des Himmels“ betonte. Birken ließ auch einen ,Irr-Hain‘, ein Labyrinth vor den Toren Nürnbergs anlegen, in dem jedes Mitglied eine Schäferhütte unterhielt. Dort traf man sich in bukolischem Aufzug und sprach sich mit Hirtennamen an (Abb. B.II.6.). Der verstorbenen Mitglieder wurde mit einer Sterbetafel gedacht. Als Dokument der Freundschaft zwischen Harsdörffer, Klaj und Birken sowie zugleich als Gründungsschrift der Nürnberger Sprachgesellschaft gilt das Pegnesische Schäfergedicht in den Berinorgischen Gefilden angestimmet von STREFON und CLAJUS (1644). Der Titel lässt bereits Nürnberger Pastoraldichtung: historische Realität vermischt mit poetischer Phantasie ein Spezifikum der Nürnberger Pastoraldichtung erkennen, nämlich dass sich in ihr die historische Realität mit poetischer Phantasie vermischt. Die Schäfermaske eröffnet keine andere Welt, sondern verklärt die bestehende - ,Berinorg‘ verrätselt anagrammatisch die Heimatstadt Nürnberg (,Noriberg‘), während sich hinter den Schäfernamen ,Strefon‘ und ,Clajus‘, die aus Philipp Sidneys Schäferroman Arcadia (1590/ 1593) stammen, Harsdörffer und Klaj verbergen. In einer Vorrede an den Leser führen die Verfasser wichtige Autoritäten der antiken und frühneuzeitlichen Bukolik an und nennen auch Opitz, Fleming und Zesen. Tatsächlich war die Ekloge mit ihrem stereotypen Figuren- und Motivinventar in der literarischen Renaissance bereits weit verbreitet, als Opitz mit seiner Schäfferey von der Nimfen Hercinie (1630) einen deutschsprachigen Ableger gegründet hatte. Sein Einfluss aber wird von den Nürnbergern etwas ge- <?page no="200"?> 000199 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 199 3. Die Literatur des Nürnberger Blumen-Ordens | schmälert, erscheint er doch jetzt nur noch als einer unter vielen, die sich der modischen Imagination eines simplen, naturnahen Lebens spielender Nymphen und Satyrn hingaben. Das Pegnesische Schäfergedicht ist eine stadtbürgerliche Gelegenheitsdichtung. Sie entstand anlässlich einer Doppelhochzeit in der Nürnberger Patrizierfamilie Tetzel. Harsdörffer hatte den Abgeordneten Johann Jakob Tetzel einst auf diplomatischer Mission begleitet. Seine poetische Aufwartung zu Ehren von Tetzels Söhnen schildert, wie der Schäfer Klajus aus der Provinz Sesemin an die Pegnitz und zur altadeligen Neronsburg gelangt, vom rasenden Schwert des Krieges vertrieben. Hinter der pastoralen Erzählung lässt sich unschwer Johann Klajs Flucht vor dem Dreißigjährigen Krieg aus Meißen nach Nürnberg erkennen, wo er Strefon alias Harsdörffer begegnet. Beide treffen auf die melancholische Schäferin Pamela, die sich wahnhaft für das ,bejochte Teutschland‘ hält und es in ihrem Klagegesang personifiziert. Gemeinsam gelangen sie in einen allegorischen Garten und zu einem ,Tempel der Ehrengedächtnis‘, einer Art Familien-Pantheon der Brautpaare. Die Göttin Fama, das Gerücht, fordert die beiden Schäfer zu einem Sängerwettstreit über das Thema ,Liebe‘ heraus. In Wechselgesängen, in Stichomythien und verteilten Versen preist Strefon die Liebe, Klajus spielt den Gegenanwalt. Doch einigen sie sich schließlich im Lob der Ehe und der ehelichen Liebe ( 119). Ein Jahr nach Erscheinen des Schäfergedichts verfasste Sigmund von Birken gemeinsam mit Klaj eine Fortsetzung, in der sich Birken unter dem Figurenpseudonym ,Floridan‘ fiktionalisierte. Bemerkenswert sind diese Texte nicht nur als Zeugnisse für die bürgerliche Klangmalerei, kunstvolle Reime und daktylisches Metrum Geselligkeit des Barock, sondern auch, weil sie eine ausgesprochene Sprachfreude bekunden. Das Pegnesische Schäfergedicht ist prosimetrisch verfasst, der erzählerische Rahmen steht in Prosa, die gesanglichen Einlagen in Versen. Vielleicht begünstigt die Interaktion von gebundener und ungebundener Rede den leichten Ton. Als ,Nürnberger Manier‘ galt der älteren Forschung ihre Klangmalerei aus Assonanzen, Alliterationen und onomatopoetischen Wortschöpfungen, ergänzt durch die vielfältige Kunst des Binnenreims und des reichen Reims. „Es lisplen und wisplen die schlupfrigen Brunnen / Von ihnen ist diese Begrünung gerunnen“ ( 119) - derart sprachmusikalisch klingt die barocke Lyrik sonst selten. Für ihre Zwecke verabschiedeten die Nürnberger das strenge Alternationsdiktat, das Opitz aufgestellt und das Buchner und seine Schüler infrage gestellt hatten. Zu diesen zählte auch Klaj, der seinem Lehrer im Pegnesischen Schäfergedicht selbst Reverenz erweist. „Ach mein Vater (aber jetzt nicht mein) Land“, seufzt Klajus einmal, „wann werd ich doch wiederüm auf den weissen Bergen [scil. Wittenberg] [ … ] / den Urheber der Dactylischen Lieder den Weltberühmten Buchner singen hören? “ (Harsdörffer/ Klaj 1988, 25). Doch findet Klajus in Nürnberg auch deshalb so gute Aufnahme, weil man auch dort den Daktylus favorisierte. Harsdörffer preist die ,hüpfenden‘ Verse und beruft sich auf Buchner, dessen Etablierung des daktylischen Metrums im Deutschen durch den bukolischen Sängerwettbewerb entschieden aufgewertet wird. Bereits der Wechselgesang des programmatischen Eingangsgedichts setzt mit Hebung und Doppelsenkungen ein, und unausgesprochen richtet sich die Erprobung des Daktylus in allen möglichen Strophenformen auch gegen Opitz. Wenn Klajus fordert, „wir wollen noch eins von der Vierten Zahl Buchnerisiren“ (ebd., 60), so spiegelt sich darin ein all- <?page no="201"?> 000200 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 200 | B.II. Kulturpatriotische Konsolidierung nach 1640 B.II.7. Königlich Schwedisches Friedensmahl im Nürnberger Rathaus (1649). Kupferstich nach einem Gemälde von Joachim von Sandrart (1650). mählicher Autoritätsverlust des schlesischen Dichterfürsten, zumindest eine Pluralisierung poetischer Optionen und Vorbilder aus der deutschen Literatur, wie sie gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges typisch wurde. 3.2. Die Nürnberger Friedensfeiern 1649/ 1650 Nach mehrjährigen Verhandlungen wurde 1641 der Hamburger Präliminarfrieden geschlossen, der den Grundstein legte für die Friedensverhandlungen von Münster und Osnabrück. Sie begannen 1644 und endeten 1648 mit den Westfälischen Verträgen, die dem jahrzehntelangen Krieg tatsächlich ein Ende setzten (Kampmann 2008, 128-180). Die komplizierten Ausführungsbestimmungen wurden dann nochmals über Monate diskutiert, und zwar auf einem ,Exekutionstag‘ in Nürnberg. Mit einem denkwürdigen Friedensmahl, von dem das Theatrum Europaeum , die große Chronik der Zeitgeschichte, ausführlich berichtet, feierte man den Abschluss dieser Nachverhandlungen. Joachim von Sandrart hat 1650 das Schaubankett - und sich selbst rechts vorne - in einem Gemälde dargestellt (Abb. B.II.7.), dem entsprechende Kupferstiche folgten. Die Kosten für die Nürnberger Feier sollen insgesamt sechstausend Reichstaler betragen haben, auch wegen der Veranstaltung eines aufwändigen ,Ringel-Stechens‘ und der Errichtung von achtzehn Kanonen, deren Schüsse das gegenseitige Zutrinken die ganze Nacht begleiteten (Bramenkamp 2009, 299). <?page no="202"?> 000201 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 201 3. Die Literatur des Nürnberger Blumen-Ordens | B.II.8. Nürnberger Friedensfeuerwerk (1650). Das örtliche Patriziat spannte die einheimischen Künstler und Dichter für die Organisation der Feierlichkeiten ein, sodass die irenischen Pegnitz-Schäfer an der symbolischen Ausschmückung des Friedensschlusses direkt beteiligt waren. Das Hauptfest begann mit einem ,Lustigen Feldbanquet‘ in einem Zelt, das Mitglieder des Blumen-Ordens emblematisch dekoriert und zu einem Tempel des Friedens stilisiert hatten. Auf der Gegenseite stand das ,Castell des Unfriedens‘, der discordia , die „in Gestalt eines alten / verhagerten / runtzlichten Weibes über die Pforte dieses Castells gestellet“ war. „Vnten im Thor hat der Kriegsgott seinen Stand mit einem blutigen Schwert und blancken Schild“ (Klaj 1988, 169), dazwischen befand sich die Säule mit der Friedensstatue. Höhepunkt des Abends war das prächtige Feuerwerk, das durch eine als Cupido geformte Rakete eröffnet wurde. Sie entzündete auf einer Laufschnur eine Friedensstatue, von der wiederum Raketen auf das Castell der Discordia abgefeuert wurden (Abb. B.II.8.). Klaj hat darüber sein Castell des Vnfriedens verfasst, das die allegorische Handlung des Feuerwerks metrisch abbildet: Daktylen zeigen die Bewegung an, in die der Friede gerät ( 120). Von Klaj stammt auch die Festbeschreibung, die im Folgejahr unter dem Titel Irene / Das ist / Vollständige Außbildung Deß zu Nürnberg geschlossenen Friedens 1650 (1651) veröffentlicht wurde. Sigmund von Birken trug ebenfalls zu der Veranstaltung bei. Sein bukolisch-allegorisches Festspiel Teutscher Kriegs- Abvnd Friedens Einzug , das in Anwesenheit des Vorsitzenden der kaiserlichen Delegation nach dem Festschmaus aufgeführt wurde, feiert den Sieg der Eintracht über den Krieg. Birkens anderes Friedensspiel Margenis oder Das vergnügte bekriegte und wiederbefriedigte Teutschland (aufgeführt 1651, gedruckt 1679) dramatisiert die Intrigen der europäischen Großmächte Spanien, Frankreich und des Osmanisches Reichs gegen das friedliebende Deutschland, anagrammatisch als ,Margenis‘ (Germanis) verschlüsselt, und deutet <?page no="203"?> 000202 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 202 | B.II. Kulturpatriotische Konsolidierung nach 1640 das Zeitgeschehen damit in polemisch-patriotischer Absicht. Erst am Ende ist Deutschland die Hochzeit mit Irenian, dem personifizierten Frieden, vergönnt, sind die Aggressionen der Nachbarländer in die Schranken verwiesen. Damit schließt Birken an den zeitgenössischen Patriotismus an und dramatisiert die Skepsis gegenüber einer europäischen Kriegspolitik, vor der die Pegnitz-Schäfer sich in ihre arkadische Fiktion zurückzogen (Silber 2000). Somit versinnbildlichen die Nürnberger Friedensfeiern, jedenfalls für einige Jahre, den Sieg der Hirtenidylle über die Politik. 3.3. Georg Philipp Harsdörffer als Vermittler einer europäischen Konversationskultur Unter den Nürnberger Barockdichtern hat die Forschung Georg Philipp Harsdörffer die größte Aufmerksamkeit gewidmet, auch weil er das wohl umfangreichste Werk aufzuweisen hat, darunter wissensvermittelnde Prosakompilationen, emblematische und historiogra- Dichtkunst als Lernstoff phische Werke sowie die umfangreiche dreibändige Poetik Der Poetische Trichter (1647-1653). Im Zentrum seiner literarischen Bemühungen steht die Didaxe. Anders als Opitz, der trotz des Wechsels in die Volkssprache am Primat einer elitären Humanistengelehrsamkeit festhielt, versucht Harsdörffer, die Dichtkunst zu popularisieren, die „Teutsche Dicht und Reimkunst“, wie der Untertitel seines Trichters werbend verkündet, „in VI. Stunden einzugiessen“. Der Umfang seiner Werke und ihr unverblümter Zweck, ,curieuses‘ Wissen breitenwirksam zu vermitteln, trugen Harsdörffer bereits bei seinen Zeitgenossen den zweifelhaften Ruf eines Vielschreibers ein. Er pflege „einen Bogen zufüllen und also backwarm unter die presse zujagen“, mokiert sich Sigmund von Birken einmal brieflich über seinen Kollegen, „sonder das concept zu limiren, oder 9 tage, zugeschweigen 9 Jahre, wie Horatius will, ligen zulassen“ (zit. n. Meierhofer 2014, 30). Trotz dieser Einwände steht Harsdörffers literarhistorische Bedeutung außer Frage. Sie besteht vor allem in seiner regen Übersetzungstätigkeit sowie in der Etablierung einer deutschen Dialogliteratur, in der sich Frühformen ritualisierter Geselligkeit und einer diskursiven Verständigung über Geschmacks- und Urteilsfragen in der Volkssprache ausbildeten. In der Fruchtbringenden Gesellschaft , wo er den schönen Beinamen ,Der Spielende‘ trug, fungierte Harsdörffer als enger Berater des Fürsten Ludwig von Anhalt-Köthen. Wegen seiner Sprachkenntnisse und internationalen Verbindungen musterte er literarische Neuerscheinungen auf ihren Wert und schlug sie gegebenenfalls zur Übersetzung vor. Er selbst übertrug mehrere Schäferromane aus dem Italienischen und Spanischen, so Giovanni Francesco Loredanos Dianea (1634) und Gaspar Gil Polos Diana enamorada (1646), eine Fortsetzung zu Jorge de Montemayors Diana , deren seit 1619 vorliegende Eindeutschung Harsdörffer ebenfalls neu herausbrachte. Rätsel geben seine Übertragungen von profranzösischen Flugschriften auf. 1641 übersetzte ,der Spielende‘ einen französischen Emblemtraktat mit dem Titel Peristromata Turcica [,Türkische Teppiche‘] ins Lateinische, in dem Kardinal Richelieu als Inbegriff politischer Klugheit dargestellt wird und Frankreich unter Ludwig XIII. als das einzige europäische Land, das die Christen gegen die neuerdings wachsende Türkengefahr vereinigen könne. Im Jahr darauf hingegen unterstützte Harsdörffer die Publikation einer lateinischen Gegenschrift, die Aulaea Romana (,Römische Teppiche‘, 1642), in der jedes Argument der Peristromata Abschnitt für Abschnitt widerlegt wird (Reinhart 2013). Die Aulaea <?page no="204"?> 000203 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 203 3. Die Literatur des Nürnberger Blumen-Ordens | erschien im Umfeld der Fruchtbringenden Gesellschaft , und Harsdörffer schrieb ein apologetisches Nachwort. So groß kann die Reue freilich nicht gewesen sein, sendet er mit Japeta , seiner Übersetzung des allegorischen Schauspiels Europe (1643), doch nur wenige Monate später erneut seine Übersetzung einer richelieuistischen Werbeschrift an die Fruchtbringer (Detering 2017, 265-289). Die Mitglieder, Harsdörffer eingeschlossen, interessierten sich anscheinend für das ganze Meinungsspektrum aktueller Politik, besonders wenn es danach fragte, durch wen und auf welche Weise sich der europäische Krieg beenden und eine stabile Einigung erreichen lasse. Als „Sohn Europas“ bemühte sich Harsdörffer um den romanisch-deutschen Literaturtransfer, er gilt als Schlüsselfigur für die deutsche Aneignung fremdsprachiger Tendenzen (Battafarano 1995). Überdies trug Harsdörffer mit seinen Dialogen dazu bei, dass sich in Deutschland eine gebildete Gesprächskultur formierte. Hervorzuheben sind vor allem seine Frauenzimmer Gesprechspiele (1641-1649), rund 300 gelehrte Diskurse zur Erziehung der Damen, in denen Harsdörffer enzyklopädisches Wissen aus Kunst, Literatur, Musik und den Naturwissenschaften kompiliert, erörtern lässt und auf unterhaltsame Weise präsentiert. Insgesamt acht Bände publizierte Harsdörffer über mehrere Jahre. Mit dieser Fortsetzungsarbeit antizipierte er die seriellen und periodischen Wissensspeicher des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts. Die Gesprechspiele erzielten hohe Auflagen von je tausend Exemplaren und verkauften sich rasch (Meierhofer 2014, 31). Nach dem Vorbild der italienischen Kolloquialliteratur, etwa Baldassare Castigliones Il Cortegiano (1528) und Stefano Guazzos La Civil Conversatione (1574), erzählt Harsdörffer in der Rahmenhandlung von einer sechsköpfigen Runde bürgerlicher und adeliger Personen, die sich mit geistreichen Ratespielen und kultivierten Konversationen die Zeit angenehm vertreiben. Der Freundeskreis umfasst Herren wie Damen, deren sprechende Namen bereits ihre Tugenden erkennen lassen. Zum Gespräch finden sich zusammen: „Angelica von Keuschewitz / eine Adeliche Jungfrau“, „Reymund Discretin / ein gereist und belesener Student“, „Julia von Freudenstein / ein kluge Matron“, „Vespasian von Lustgau / ein alter Hofmann“, „Cassandra Schönlebin / eine Adeliche Jungfrau“ sowie „Degenwert von Ruhmeck / ein verständiger und gelehrter Soldat“ (Harsdörffer 1968, 22). Für fast alle Gesellschaftsspiele, die in den Gesprechspielen zur Sprache kommen, hat man italienische oder französische Quellen ausfindig machen können. In Dialogform werden alle Gesprechspiele als Schule patrizischer Geselligkeit möglichen Themen traktiert, um sprachliche Versatilität, also Geschicklichkeit und Schlagfertigkeit, zu üben. So werden die Teilnehmer dazu angehalten, eine Geschichte zu schildern, ohne dabei einen bestimmten Buchstaben zu verwenden, oder die Moral einer Erzählung zu erraten. Neben solchen gefälligeren Unterhaltungen werden auch ,trockenere‘ Sachgebiete betreten. Bildungsgut wie Mythologie oder Astrologie wird ausgebreitet, Fachsprachen, sei es Jägerei oder Rhetorik, werden systematisch erläutert. In diesem Sinne erzählt Reymund in dem ,Gesprechspiel‘ Die Sprachkunst (V, 185-199), dass es Kriege nicht nur zwischen den Menschen, sondern auch zwischen Wörtern gibt. Damit adaptiert er die Allegorie des Sprachenkriegs, wie sie der Italiener Andrea Guarna in seinem Grammaticale bellum Nominis et Verbi (1511) gestaltet hatte, um im Friedensschluss der Zwillingsbrüder „Poeta“ und „Amo“ das Humanistenlatein zu <?page no="205"?> 000204 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 204 | B.II. Kulturpatriotische Konsolidierung nach 1640 rechtfertigen. Doch dient bei Harsdörffer der Krieg zwischen dem König der Nennwörter „Mensch“ und dem König der Zeitwörter „Hör“ eher dazu, die Prinzipien von Justus Georg Schottels Grammatik unterhaltsam zu veranschaulichen (Bramenkamp 2009, 64-75). Zur Wissensvermittlung der Gesprechspiele gehört auch ihre Kombination von Bild, Musik und Literatur. Mehrere Kupferstiche lockern die Darstellung auf und veranschaulichen das Erörterte. Im vierten Teil fügt Harsdörffer den Notensatz zu Seelewig ein, der ältesten Oper deutscher Sprache, die sich - eben wegen ihrer Überlieferung in den Gesprechspielen - erhalten hat. (Zu Opitz’ Dafne , der ersten Übersetzung eines italienischen Librettos, ist die Partitur von Heinrich Schütz verloren gegangen.) Nach dem Vorbild eines italienischen Sprechdramas des Jesuiten Niccolo` Negri verfasste Harsdörffer das Libretto zu diesem allegorischen Pastoral, das der Nürnberger Organist Sigmund Theophil Staden vertonte (Caemmerer 1998, 244-246). Dargestellt wird die Standhaftigkeit der braven Nymphe Seelewig gegen die Werbungsversuche verschiedener Satyrn und Schäfer, deren sprechende Namen wie ,Trügewalt‘, ,Künstling‘ und ,Reichimuht‘ allerlei Laster anzeigen. Das abwechslungsreiche Stück wartet mit strophischen Liedern, Instrumental- und Ballettpartien auf und schließt jeden Akt mit einem Chor von Nymphen und Schäfern. Nach dem Ende der Oper diskutieren die fiktiven Gesprächspartner gar verschiedene Aufführungsoptionen und liefern damit zugleich eine Art Theorie der Oper, die vorher noch gänzlich unbestimmt war und die Harsdörffer später in seinem Poetischen Trichter als erster deutscher Poetiker behandelte (Scheitler 2011, 220f.). Seelewig wurde 1654 am Wolfenbütteler Hof aufgeführt und beeinflusste unter anderem Herzog Anton Ulrich von Braunschweig-Lüneburg, der mit seiner Amelinde, Oder: Dy Triumphirende Seele (1657) selbst ein allegorisches Singspiel vorlegte. Das Projekt einer literarischen Konversationsschule, einer Art Anweisung zum zivilisierten Umgang, setzte Harsdörffer mit seinem mehrteiligen Grossen Schau-Platz jämmerlicher Mordgeschichte (1649-1659) sowie dem Grossen Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte (1650-1651) fort. Diese Sammlungen von je über zweihundert Kurzerzählungen sind der theatrum -Literatur zuzuordnen, einer im 17. Jahrhundert zunehmend verbreiteten Textsorte zur literarischen Wissensorganisation (Jakob 2011). Die ,Schauplätze‘ ( theatra ) reagierten auf das Informations- und Unterhaltungsbedürfnis einer wachsenden Leserschaft, indem sie verstreute Anekdoten und historisch ,Curieuses‘ - so ein Modebegriff der Zeit - meist in Kurzerzählungen als praktische Morallehre ungeordneter, assoziativer und abwechslungsreicher Weise präsentierten. Harsdörffer entlehnt seine Stoffe vorrangig französischen Quellen, besonders Jean-Pierre Camus’ L’amphithe ´aˆtre sanglant (1630), amplifiziert oder paraphrasiert die dortigen Fundstücke jedoch frei. In die Mordgeschichten mischen sich enzyklopädische Diskurse, wird physiologisches, medizinisches, astrologisches und mythologisches Wissen integriert, sodass das Erzählen bisweilen hinter den sachkundlichen Unterricht zurücktritt (Manns 2013, 217-249). Über der Fülle des Mitteilenswerten gerät aber der moralische Zweck, die Ausrichtung auf eine christliche Lehre, nie aus den Augen, auch weil jede Erzählung mit einem knappen Epimythion endet, einer versifizierten Auslegung in einer Sentenz, einem Sprichwort oder Bibelzitat. Mithin sammelte Harsdörffer seine ,jämmerlichen Mordgeschichten‘ zwar mit Blick auf den entstehenden Buchmarkt, der reißerischkurzweilige Erzählungen bevorzugte. Die Forschung hat daher diskutiert, inwiefern es sich <?page no="206"?> 000205 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 205 4. Geistliche Figurengedichte bei Catharina Regina von Greiffenberg und Anna Hoyers | bei den Mordgeschichten um einen Vorläufer der Kriminalliteratur handelt (Siebenpfeiffer 2006; Halisch 1999). Doch verfolgt Harsdörffer ganz ausdrücklich das Ziel, dem Leser historisch verbürgte Exempel abschreckenden und tugendhaften Verhaltens als Richtschnur für ihr eigenes Leben zu geben. Seine Zuschrift an den „Neugierigen Leser“ bekräftigt die Faktualität der Geschichten, die, gerade weil sie „privat Personen“ zugestoßen sind, sich hervorragend als „Tugendexempel“ eignen. Besser als wirklichkeitsferne Tierfabeln, argumentiert Harsdörffer, läuterten den Leser solche Geschichten, „welche warhafftig und würklich geschehen und uns fast täglich für Augen schweben“ (Harsdörffer 1656, Vorrede). Tatsächlich scheint er damit einen Nerv getroffen zu haben: Den beiden Schauplatz -Projekten war ein außerordentlicher Erfolg vergönnt, sie wurden bis 1700 je siebenmal wieder aufgelegt (siehe Übersicht bei Manns 2013, 81-88) und prägten auch novellistische und pikarische Erzählformen des späten 17. Jahrhunderts. 4. Mystische Experimente: Geistliche Figurengedichte bei Catharina Regina von Greiffenberg und Anna Hoyers Mit ihrer Klang- und Lautmalerei werteten die Nürnberger die sprachliche Form auf und stärkten somit die Tendenz zum ästhetischen Experiment in der deutschen Literatur. Das reizte auch die geistliche Dichtung, wie das umfängliche Werk von Catharina Regina von Greiffenberg (1633-1694) belegt. Wie ihre literarisch bedeutenden Standes- und Glaubensgenossen Wolf Helmhardt von Hohberg und Johann Wilhelm von Stubenberg entstammte Greiffenberg dem lutherischen Landadel Niederösterreichs, und wie diese stand sie mit den Nürnberger Pegnitz-Schäfern in engem Austausch, auch wenn sie dem Blumen-Orden nicht als Mitglied angehörte. Schon vor ihrer endgültigen Übersiedlung nach Nürnberg 1679 korrespondierte sie mit Sigmund von Birken, der ihre geistliche Dichtung maßgeblich prägte (Birken/ Greiffenberg 2005). Von dem Nürnberger Einfluss zeugen vor allem Greiffenbergs Figurengedichte, die sich in den Geistlichen Sonetten / Liedern / und Gedichten (1662) finden. Der erste Part enthält insgesamt 250 Sonette, aufgeteilt in alttestamentliche, neutestamentliche sowie nur auf Christus bezogene Gedichte; der zweite Part besteht aus Liedern und Bildgedichten. Birken hatte die typographische Figurierung von Gedichten in seiner Teutschen Rede-bind- und Dicht-Kunst (1679) empfohlen, und als Beispiel für solche „Bildgebände“ ein Kreuzgedicht vorgeschlagen: „Wer seinen JEsum recht kennet und liebet / wird neben-stehendem Creutz noch viele nachmachen“ (Birken 1679, 144; Abb. B.II.9.). Kunstvolle Verbindung von Religion, sinnlicher Sprache und anspruchsvoller Form Birken redigierte wohl auch ein Kreuzgedicht Greiffenbergs, von dem sogar eine handschriftliche Vorlage erhalten ist, für das Barock eine eher seltene Überlieferungslage (Abb. B.II.10.). Es enthält gegenüber der gedruckten Version zwei zusätzliche Verse (Wels 2013, 118-121). Dem Gedicht liegt die Form des lateinischen Kreuzes zugrunde. Den Längsarm bilden trochäische Vierheber, den Querarm trochäische Achtheber. Die oberen vier Verse präsentieren mit dem Superlativ „Der König[e] König“ den Kreuz-Titulus, der Querarm nennt „Händ“, „Hertz“ und „Haupt“, während der untere Teile des Längsarms an Jesus’ „Striemen und Wunden“ (V. 13) erinnert. Mit dem Übergang zum Kreuzessockel erfolgt ein Sprecherwechsel vom <?page no="207"?> 000206 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 206 | B.II. Kulturpatriotische Konsolidierung nach 1640 B.II.9. Kreuzgedicht aus Sigmund von Birkens Teutscher Rede-bind- und Dicht-Kunst (1679). B.II.10. Kreuzgedicht der Catharina Regina von Greiffenberg (1662). kollektiven Wir zum subjektiven Ich und eine Apostrophe an den Gekreuzigten: „Ja sein Sterben / hat das Leben mir uns aller Welt gegeben. Jesu Christ! Dein Tod und Schmerzen leb’ und schweb mir stets im Herzen! “ (V. 21-24). Damit bildet Greiffenbergs Figurengedicht nicht nur das Kruzifix ab, sondern bezeugt in einem Credo auch dessen heilsgeschichtliche Bedeutung für das Ich. Greiffenbergs späte Prosawerke, die fast fünftausend Seiten umfassenden Andächtigen Betrachtungen der Passion (1672) sowie die Betrachtungen Von Allerheiligster Menschwerdung / Geburt und Jugend [ … ] JESU Christi (1678), sind als mystische Erbauungsbücher konzipiert und verbinden die homiletische Auslegung des Evangeliums mit einer sinnlich-metaphernreichen Sprache von hoher Expressivität (Pumplun 1995). Das zeigt sich schon in ihrem poetologischen Sonett „Auf die unverminderliche Art der edlen Dicht-Kunst“ ( 103), das auf <?page no="208"?> 000207 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 207 4. Geistliche Figurengedichte bei Catharina Regina von Greiffenberg und Anna Hoyers | B.II.11. Buchstabenkreuz aus den Geistlichen und weltlichen Poemata der Anna Ovena Hoyers (1650). das Recht zu dichten pocht und die eigene Dichtung in paradoxen Komposita verbildlicht, in Formulierungen wie „Englisch [engelhaftes] Menschenwerk“ (V. 3), „Geistreich wunder-Lust“ (V. 6) und „Sonn in Mitternacht“ (V. 7) (Arend 2015). Im Gegensatz zu Greiffenbergs anspielungsreicher Lyrik findet sich in der barocken Mystik gelegentlich ein fast bildungsfeindlicher Tenor, der die intellektuellen oder ästhetischen Errungenschaften einem gottgefälligen Leben unterordnet. Eine Repräsentantin dieser religiösen Einfachheit und Wahrheitssuche ist Anna Ovena Hoyers (1584-1655), die, seit 1625 verwitwet, 1632 als sektiererische Schwenckfeldianerin von Nordfriesland nach Schweden emigrierte. Dort dichtete und komponierte sie weiter fromme Lieder, aber auch ihr häretisches Bekenntnisgedicht Judicium [ … ] Uber [ … ] Caspari Schwenckfelds Buch vom Worte Gottes (1642) (Hoyers 1650, 157-168). Hoyers Versdialog Gespräch eines Kindes mit seiner Mutter (ebd., 3-40) zeigt in seiner Verinnerlichung des Glaubens deutlich den Einfluss von Johann Arndts Wahrem Christentum (1605), einem wichtigen Erbauungsbuch des anbrechenden Pietismus. Zugleich betont Hoyers ihre Treue gegenüber der Obrigkeit. So widmet sie 1634 der schwedischen Königin Maria Eleonora eine Versifizierung des biblischen Buches Ruth (ebd., 77-130) und greift als dezidiert staatstreue Christin in ihrem Schreiben [ … ] An die Gemein in Engelandt (ebd., 263-271) die Königsmörder Fairfax und Cromwell scharf an: „o ihr Menschliche Teuffel! Teuffelsche Menschen“ (ebd., 269). Religion statt Kunst: Bildungsfeindlichkeit und Mahnungen in bewusst schlichter Form In den einfachen Liedern ihrer Sammlung Geistliche und weltliche Poemata (Amsterdam 1650 [Ndr. Tübingen 1986, mit informativem Nachwort]) hält Hoyers sich nicht an die opitzische Versreform, sondern gebraucht rhythmisch unregelmäßige Knittelverse nach silbenzählendem Verfahren. Die antiquierte Form passt zu dem Tenor der Lieder. Die Einfältige Warheit verachtet humanistische Errungenschaften („Meint ihr daß das recht weißheit sey / Wann man viel sprachen lernet frey / Grichsch und Latein kann schwatzen? “ [Hoyers 1650, 51]) und verurteilt die allzu weltlichen Kleriker. De Denische Dörp-Pape , eine plattdeutsche Verssatire, kanzelt die falschen Dorfpfarrer ab, die sich mehr für das Diesseits als für das Jenseits interessieren. Dagegen inszeniert sich Hoyers als einsame Warnerin und Buß- <?page no="209"?> 000208 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 208 | B.II. Kulturpatriotische Konsolidierung nach 1640 prophetin, indem sie ihre Dichtungen und Lieder autobiographisch grundiert. Zusätzlich resümiert Hoyers immer wieder den Nutzen ihrer poetischen Mahnungen in Form von spiegelsymmetrischen Buchstabenkreuzen, die aus den Initialen des jeweiligen Incipits zusammengesetzt und oft mit symbolischer Bedeutung aufgeladen sind (Abb. B.II.11.). In ihrem unzeitgemäßen Dichten verschreibt sich Hoyers nicht der Kunst, sondern der Religion, wie ihre antiakademische Variante des beliebten Reims ,Poet-Prophet‘ ausdrücklich bekundet: „Man findet wol Poe¨ten, Aber keine Propheten / Auff Universiteten“ ( Poemata , 50 [Marginalie]). Ihr Glaube an das Tausendjährige Reich Christi bestimmt die polemische, drastische und bewusst kunstlose Form ihrer mit litaneihaften Wiederholungs- und Klangfiguren durchzogenen Texte. Die nur zum Teil veröffentlichten Lieder einer Stockholmer Sammelhandschrift ähneln einander in ihrer einfachen, sangbaren Faktur (Becker-Cantarino 1984). 5. Patriotisches Erzählen: Zur Typologie des barocken Romans Da poetische Nobilität in der humanistischen Poetik an den Gebrauch des Verses gebunden war, behandelt Opitz’ Poetik zwar das Epos („Heroisch getichte“), nicht aber den Prosaroman. Vielleicht aufgrund der anfänglichen Programmlosigkeit der Gattung nahm die deutsche Romangeschichte erst in der zweiten Hälfte, genauer sogar erst im letzten Drittel des Jahrhunderts so recht an Fahrt auf. Bis dahin dominierten in der Prosaepik Übersetzungen, episodische Satiren wie Moscheroschs Gesichte und Gesprächskompilationen wie Harsdörffers Frauenzimmer Gesprechspiele . Neben diesen epischen Kurzformen entstand noch während des Dreißigjährigen Krieges mit Philipp von Zesens Adriatischer Rosemund (1645) auch der erste deutsche Originalroman des 17. Jahrhunderts. Er blieb jedoch zunächst ein Einzelfall und scheint auf den späteren Barockroman wenig Eindruck gemacht zu haben. Erst in den 1660er Jahren, immerhin fast vierzig Jahre nach dem opitzischen Doppelschlag von Poetik und Poemata wurde die deutsche Romanproduktion durch Andreas Heinrich Bucholtz’ (1607-1671) gelehrten Heldenroman Herkules und Valiska (1659-1660) sowie Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausens Schelmenroman Simplicissimus Teutsch (1668) beflügelt. Die Romanlandschaft des Barock lässt sich grob in drei Felder unterteilen, den hohen (auch: höfisch-historischen), den niederen (auch: pikarischen) sowie den bukolischen (auch: Schäfer-)Roman, wobei der dritte Typus in Deutschland bis auf eine Ausnahme - Maria Catharina und Heinrich Arnold Stockfleths Die Kunst- und Tugend-gezierte Macarie (1669-1673) - weniger wirkungsvoll blieb. So hilfreich die Typologie des ,niederen‘ und ,hohen‘ Romans grundsätzlich ist, zeichnet sich die Prosaepik des 17. Jahrhunderts durch Überschneidungen zwischen den traditionellen Konstruktionsweisen aus. So ist der Simplicissimus Teutsch zwar der Pikareske zuzuordnen, doch spielt Grimmelshausen mehrfach auf Opitz’ eher bukolisch anmutende Arcadia -Übertragung an und adaptiert auch Elemente des ,hohen‘ Romans. Dort wiederum wird bisweilen die Ständeklausel nicht eng ausgelegt, komplementieren doch allenthalben lustige Figuren das Ensemble aus Königen und Fürsten. Mit dem ,galanten Roman‘ entsteht um 1700 schließlich ein neues, an französischen Vorbildern <?page no="210"?> 000209 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 209 5. Zur Typologie des barocken Romans | orientiertes Erzählmodell, das sich keinem der drei Typen zuordnen lässt. Wegen dieser Klassifikationsprobleme gilt die Aufmerksamkeit im Folgenden den idealtypischen Tendenzen des hohen und niederen Romans seit der Jahrhundertmitte. 5.1. Erzählkomplexität im Dienste der Tugend: Der höfisch-historische Roman Der höfisch-historische Roman folgt in Aufbau und Thema dem griechisch-römischen Epos sowie dem antiken Roman, wie ihn seit der Mitte des 16. Jahrhunderts Heliodors Liebesroman Aithiopika (3./ 4. Jahrhundert, deutsche Übers. 1554) repräsentierte. Wie im Trauerspiel ist das Personal meist auf Könige und Fürsten beschränkt, wobei die zahlreichen Nebenfiguren sozial abgestuft werden können, vom Edelmann bis zum lustigen Diener. Die Handlung verknüpft eine historische Staatsgeschichte mit Liebeswirren. Wie im antiken Epos vorgegeben, setzt der Roman medias in res ein - oft mit der Figurenrede des klagenden Verliebten - und reicht die Geschichte von Zusammenfinden und Trennung der Protagonisten in einer intradiegetischen Rückblende nach. Die Haupthandlung wird heterodiegetisch, in dritter Person erzählt, den Figuren allerdings werden lange Lebensberichte in Ich- Form zugestanden. Der Handlungsstrang von Verlust und Wiedergewinn der Liebenden ist bis zur finalen Wiederkennungsszene ( anagnorisis ) beliebig multiplizierbar und wird oft an den Figuren der Nebenhandlung gespiegelt. Gelehrte Digressionen steigern die tektonische Komplexität noch, sodass der hohe Roman viele hunderte oder sogar tausende Seiten füllen kann. Beispielsweise umfasst die Römische Octavia (1677) des Herzogs von Braunschweig- Wolfenbüttel Anton Ulrich (1633-1714) in der kürzeren unvollendeten Fassung bereits 7000 Seiten. Die potenzierten Figurengruppen und Ortswechsel, Nebenstränge und enzyklopädischen Exkurse erzeugen den Eindruck höchster Artifizialität, ja einer labyrinthischen Unförmigkeit, die der ,tumulthaften‘ Weltanhäufung auf der höfischen Bühne entspricht. Wie dort dient die Ästhetik der Fülle ( copia rerum ), die den Barockroman insgesamt bestimmt, einer christlichen Entlarvung des irdischen Schauplatzes. Die Wirren der fortuna , die alles Diesseits durcheinander zu wirbeln scheint, sind bloß akzidentell, dahinter wirkt Gott mit sicherer Hand, und es obliegt dem Menschen, auf seinen Willen zu vertrauen (Frick 1988, 25-100). Wie das Trauerspiel soll auch der hohe Roman erbaulich wirken, indem dem Leser Bewunderung abgerungen wird für die Protagonisten, die beständig auf die göttliche Providenz bauen, auch wenn ihnen ihre Schicksalsschläge unverständlich erscheinen. Der höfisch-historische Roman spielt meist in der fernen Vergangenheit oder in den exotischen Kulturen Asiens und Afrikas. Anders als die Pikareske, die im Entstehungsland und in der Gegenwart angesiedelt ist, liegt dem höfisch-historischen Roman eine klassizistische Poetik der Distanzierung, des l’e ´loignement , zugrunde (Pavel 1996, 19-59). Wollte die Erzählung Bewunderung für die tugendhafte Standhaftigkeit ihrer Helden erzeugen, so die Annahme, sollte sie die Handlung möglichst weit entfernt von der Alltagswirklichkeit des Lesepublikums ansiedeln. Daran halten sich die wichtigsten Repräsentanten des hohen Romans in Frankreich. Madeleine de Scude´ rys Artame `ne ou le Grand Cyrus (1649-1653) und ihre Cle ´lie, histoire romaine (1654-1660) spielen im Persien Kyros’ II. bzw. in der römisch-etruskischen Frühzeit; Cassandre (1642-1645) und Cle ´opaˆtre (1647-1658) von Gautier de Costes de La Calprene`de in Mazedonien, dem Amazonenreich und Babylon zur Zeit Alexanders des Gro- <?page no="211"?> 000210 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 210 | B.II. Kulturpatriotische Konsolidierung nach 1640 ßen bzw. Ägyptens während der augusteischen Regierung. So auch die deutschen Nachfolger: Daniel Casper von Lohensteins Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann (1689-1690) romanisiert die Varusschlacht der Cherusker gegen die Römer; Heinrich Anselm von Ziglers und Kliphausen Asiatische Banise (1689) spielt im fernen Pegu, im heutigen Myanmar. Die ethische und soziale Distanz der Protagonisten wird durch die raumzeitliche Entfernung der erzählten Welt zur Wirklichkeit verstärkt. Dabei nutzte man das exotische Setting allerdings kaum, um kulturelle Differenz zu reflektieren oder die Handlung mit historischem Kolorit auszuschmücken. Zum historischen Roman des 19. Jahrhunderts führt aus dem Barock kein direkter Weg. Vielmehr werden die Orte und Figuren raumzeitlich entkonkretisiert. Ihre Motivationen, ihr Handeln und ihre Redeweisen entsprechen dem barocken Europäer, sollen aber idealisch-universal wirken. Literarische Versuche, einen Perser gänzlich anders sprechen und denken zu lassen, einen antiken Römer aufgrund seiner Gebundenheit an ein historisches Wertesystem anders agieren zu lassen als einen europäischen Christen der Entstehungsgegenwart - solche Versuche finden sich erst im frühen 18. Jahrhundert, etwa in Montesquieus Lettres Persannes (1721) oder in Gottscheds Sterbendem Cato (1732). Sie setzen ein kulturelles und historisches Kontingenzbewusstsein voraus, das der Barock bei allem bunten Exotismus nicht ausbildet. Die deutsche Geschichte des hohen-historischen Originalromans beginnt mit Andreas Heinrich Bucholtz’ Herkules und Valiska (1659-1660), einem bis weit in das 18. Jahrhundert aufgelegten Bestseller. In den Jahren vor 1650 hatten sich Übersetzungen vor allem französischer und italienischer Romane gemehrt, unter denen Philipp von Zesens Scude´ ry-Übersetzung Ibrahims oder Des Durchleuchtigen Bassa Und Der Beständigen Isabellen Wunder-Geschichte (1645) sowie Johann Wilhelm von Stubenbergs Eindeutschung von Giovanni Francesco Biondis La Eromena (1624, dt. 1650-1652) stilbildend wirkten. Bucholtz, zunächst Theologieprofessor in Rinteln, dann protestantischer Superintendent in Braunschweig, erzählt von deutschen Helden, aber die Handlung spielt dem Distanzprinzip entsprechend im dritten Jahrhundert, zunächst in Rom, dann in Griechenland, Syrien, Mesopotamien und Persien. Christliche Erbauung, Patriotismus und Exotismus gehen konzeptuell Hand in Hand, denn Bucholtz verfolgt ausdrücklich das Anliegen, die alte Ritterepik, die für ihn der vielgescholtene Amadı ´s- Roman verkörpert, zu verabschieden und die französischen Romane, die er für anzüglich und unmoralisch hält und an denen er sich doch orientiert, mit seinem Projekt zu überbieten. In seinen Protagonisten, dem deutschen Fürstensohn Herkules und der böhmischen Prinzessin Valiska, entwirft er Idealtypen christlicher Heroen. Die Romanhandlung bietet dementsprechend eine ganze Reihe von Exempeln der seelisch-religiösen wie der militärischen Bewährung (Disselkamp 2007, 83-158). Die Suche und Rettung der entführten Titelheldin nimmt einen Großteil des mehrere tausend Seiten langen Romans ein, bevor die Helden am Ende mit der (fiktiven) Christianisierung Böhmens und Sachsens triumphieren. Auch Anton Ulrichs Die Durchleuchtige Syrerinn Aramena (1669-1673) und seine Römische Octavia (1677-1679) sind in zeitlicher und räumlicher Ferne angesiedelt, nämlich im kaum recht datierbaren, jedenfalls vorgeschichtlichen Syrien und Mesopotamien bzw. in Rom und Dakien zur Zeit der Christenverfolgung. Die Octavia erschien in sechs Bänden zwischen 1677 und 1707, bevor der Herzog sie in den Jahren vor seinem Tod 1714 erneut überarbeitete. <?page no="212"?> 000211 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 211 5. Zur Typologie des barocken Romans | Vollendet wurde sie nie, und gerade in den späten Bänden neigt der Roman einer strukturellen Offenheit zu und verstrickt sich so deutlich in Widersprüche, dass ein endgültiger Schluss kaum noch möglich scheint - womöglich schlägt sich in diesem Wandel das neue Geschichtsbild einer ,offenen Zukunft‘ nieder (Kraft 2004, 137-157). Ganz allein hat Anton Ulrich an seinen Mammutunterfangen nicht gearbeitet, sondern mehrere Mitarbeiter eingespannt, unter denen sich auch Sigmund von Birken befand. Birken verfasste für die Aramena eine programmatische Vorrede, in der er die rhetorische Begriffs- Birkens Vorrede zur Aramena als frühe Romanpoetik trias von historia , argumentum und fabula variiert, von wirklich geschehenen, möglichen und unmöglichen Geschichten. Demnach unterschieden sich die Jahrbücher, welche die Geschichte „in ihrer angebornen ordnung“ erzählten, von den „Gedicht-geschicht-Schrifften“, in denen „zwar die warhafte Historie mit ihren haupt-umständen“ beibehalten werde, die „aber mehr neben umstände hinzu“ dichteten und „die sachen nicht in der ordnung / wie sie sich zugetragen“, darstellten (Birken 1669, fol. )( iij v ). Als Paradebeispiele nennt Birken die homerischen Epen und Vergils Aeneis . Den dritten Typus repräsentieren nach Birken die „Geschichtgedichte“, die, neben weiteren Unterkategorien, vor allem solche „Historien“ umfassen, „welche der Verfasser erfunden“ hat, um seine Sprache zu üben oder „durch lehr-hafte beispiele / von lastern ab- und zur Tugend anzumahnen“ (ebd., fol. )( iiij v ). Gerade darin aber, in ihrer didaktischen Wirkung, könnten die ,Geschichtgedichte‘ „weit nützlicher / als die warhafte Geschichte-schriften“ sein, denn sie dienten durch poetische Freiheit mehr der Erbauung als die der historischen Wirklichkeit verpflichteten Annalen. Ganz aristotelisch legitimiert Birken die Romanfiktion hier mit dem Hinweis auf ihr Potential, moralische Botschaften - das Allgemeine - prägnanter und anschaulicher zu illustrieren als die Geschichtsschreibung, die an das Besondere gebunden sei. Recht früh deutet sich damit in Birkens Vorrede der Versuch einer Poetik des Romans an. 5.2. Komisch-moralisches Erzählen im Barock Der niedere Roman steht zum einen in der Nachfolge der lateinischen Satire, Apuleius’ Metamorphosen etwa oder Petrons Satyricon , zum anderen ist er der spanischen Pikareske verpflichtet. Die zweite, eher weltfeindliche Spielart repräsentieren der anonyme Lazarillo de Tormes (1554), Mateo Alema´ ns Guzma´n de Alfarache (1599) sowie Francisco de Quevedos Buscon (1626). Der aus niedrigen sozialen Verhältnissen stammende Ich-Erzähler schildert seine derben Schelmenstücke meist ab ovo , von Kindheitstagen an. Der pikarische Roman folgt einer weitgehend episodischen, unverschachtelten Erzählstruktur und gipfelt in der Bekehrung des reuevollen (Anti-)Helden. Am Ende des pikarischen Idealtyps stehen das desengan˜o - wörtlich die Ent-Täuschung, die Desillusionierung - als Erkenntnisziel sowie die Weltabsage als Konsequenz. Der Schelm zieht sich in die Eremitage eines Waldes oder auf eine ferne Insel zurück und entsagt dem gesellschaftlichen Treiben. Weil er im Europa der Entstehungsgegenwart spielt und mit einfachem Personal aufwartet, erscheint der Schelmenroman deutlich alltagsnäher als der höfisch-historische Roman, auch wenn die Handlung mit allegorischen und fantastischen Elementen durchzogen sein kann. <?page no="213"?> 000212 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 212 | B.II. Kulturpatriotische Konsolidierung nach 1640 Mit seinen Übersetzungen von John Barclays lateinischem Staatsroman Argenis (1621, übers. 1626) sowie Philip Sidneys Arcadia (1590/ 1593, übers. 1638) hatte Martin Opitz die wesentlichen Muster für den höfisch-historischen Roman und den Schäferroman vorgegeben; den pikarischen Roman indes ließ er links liegen, vielleicht auch, da mit Aegidius Albertinus’ 1615 veröffentlichter Übertragung von Alema´ ns Guzma´n bereits ein Vorbild vorlag, an dem man sich hätte orientieren können. Der Landstörtzer Gusman , so der deutsche Titel, durchkreuzt in seinem sündhaften Wirken halb Europa, um sich schließlich von seinem Tun abzukehren und in Reue zu üben. Ganz konzentriert sich der Roman auf die Erfahrungen des Ich-Erzählers, ein illusionsloser Realist ohne moralische Grundsätze, der sich mit Schelmen und Narren, Hochstaplern und Glücksrittern umgibt. Abenteuer reiht sich an Abenteuer - sie exemplifizieren die Verdorbenheit der Welt, die dem Christenmenschen nur Zumutung sein kann und vor der er sich zu hüten hat. Trotz Albertinus’ Übersetzung, trotz auch eines zweiten Teils, den Albertinus selbständig verfasst hat, sowie einem dritten Teil (1626), der wohl nicht aus seiner Feder stammt, trotz also dieser Bemühungen dauerte es Jahrzehnte, bis sich der Schelmenroman in Deutschland etablierte. Seine Wiederentdeckung ist ganz wesentlich das Verdienst von Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen, dessen Simplicissimus Teutsch , veröffentlicht 1668 in Nürnberg und auf 1669 vordatiert, als das wichtigste Prosawerk des deutschen Barock gelten kann. 6. Der Unbekannte: Grimmelshausen und sein Simplicissimus Dass der Verfasser des Simplicissimus und der sogenannten Simplicianischen Schriften Grimmelshausen mit Namen heißt, war den Zeitgenossen nicht bewusst. Erst 1837 gelang es dem Bibliothekar Heinrich Kurz, das Pseudonym ,German Schleifheim von Sulsfort‘, das sich auf Spiel mit der Autorinstanz dem Titelblatt des Romans findet, aufzulösen und als anagrammatische Variante von Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen zu dechiffrieren. Für seine biblischen und heroisch-historischen Romane, zu denen die heute weniger bekannten Histori vom Keuschen Joseph in Egypten (1666) und Dietwalts und Amelinden anmuthige Lieb- und Leids-beschreibung (1670) zählen, wählte Grimmelshausen andere Decknamen wie ,Melchior Sternfels von Fuchshaim‘ und ,Samuel Greifnson von Hirschfeld‘. Nur wenige Schriften veröffentlichte Grimmelshausen unter seinem Klarnamen, zum Beispiel den höfischen Roman Des Durchleuchtigen Printzen Proximi und seiner ohnvergleichlichen Lympidae Liebs- Geschicht-Erzehlung (1672). Das Versteckspiel erschwerte die Identifikation seines Hauptwerks lange und ließ die Konturen seines Schaffens im Unklaren. Die Lösung des Rätsels führte zu einer biographistischen Gegenbewegung. Nun erschien der Simplicissimus als Quelle für das Leben des Autors, obschon viele Episoden eher als Lesefrüchte denn als gestaltete Erlebnisse gelten müssen. Nur wenige Daten von Grimmelshausens Werdegang sind tatsächlich gesichert, insbesondere seine Jugend liegt weitgehend im Dunkeln: Geboren wurde er 1621/ 22 in der hessischen Kleinstadt Gelnhausen. Als seine Geburtsstadt 1634 von kaiserlichen Kroaten eingenommen wurde, floh er in die schwedische Festung Hanau. Ob er wie sein Romanheld Simplicius als Soldat für die Kaiserlichen Truppen an der fürchterlichen Eroberung Magdeburgs und der <?page no="214"?> 000213 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 213 6. Grimmelshausen und sein Simplicissimus | Schlacht bei Wittstock teilgenommen hat, ist ungewiss. Unter dem kaiserlichen Regiment Götz gelangte er anschließend nach Süddeutschland, wo um die Rheinfestungen Rheinfelden, Offenburg und Breisach erbittert gekämpft wurde. Unter Hans von Schauenburg erhielt Grimmelshausen einen Sekretärsposten; seit 1644 sind Schriftstücke von seiner Hand überliefert. Nach der Entlassung zu Kriegsende ließ sich Grimmelshausen in Offenburg nieder, heiratete und bekleidete den Posten eines Verwalters bei den Grafen Hans Reinhard und Claus von Schauenburg. Er konvertierte zum Katholizismus und betrieb im Nebenverdienst eine Weinwirtschaft in Gaisbach. In Oberkirch-Gaisbach gibt es heute noch das Gasthaus zum „Silbernen Stern“, das Grimmelshausen einst geführt hat. Seit 1667 versah er die Stelle eines Schultheißen - eine Art Bürgermeister - im benachbarten Renchen, wo er bis zu seinem Tod im Jahr 1676 im Alter von 55 Jahren lebte. Nachdem er 1666 sein Erstlingswerk, den Satyrischen Pilgram , veröffentlicht hatte, entfaltete Grimmelshausen in seinen letzten zehn Lebensjahren eine rege schriftstellerische Tätigkeit. Dabei bewegte er sich jenseits der üblichen literarischen Institutionen im 17. Jahrhundert. Er verkehrte nicht bei Hof, gehörte keiner Universität, keinem Gymnasium, auch nicht den stadtbürgerlichen Vereinen oder Orden an. In der Fruchtbringenden Gesellschaft war er nie Mitglied, über etwaige Gelehrtenfreundschaften ist kaum etwas bekannt (immerhin war er mit Quirinus Moscherosch, dem jüngeren Bruder von Johann Michael befreundet). Obwohl sein Werk von großer Belesenheit zeugt, ist unklar, ob und wo er formalen Unterricht im Lateinischen genossen hat. Als ,Samuel Greifnsohn‘ bekennt er in der Vorrede zum Satyrischen Pilgram , „daß Er selbst nichts studirt, gelernet noch erfahren“ habe, „sondern so bald er kaum das ABC begriffen hatt / in Krieg kommen / in zehenjährigen Alter in rotziger Musquedirer worden“ (zit. n. Meid 2009, 597). Lange hat man Grimmelshausen deshalb zum deutschen Volksschriftsteller verklärt, der sich im stillen Schwarzwald und am Oberrhein inspirieren ließ. Inzwischen konnten zahlreiche Untersuchungen aufzeigen, wie viele Episoden seines Simplicissimus Teutsch die euro- Quellen und Vorbilder: Schelmenroman, roman comique, historischhöfischer Roman, Novellen päischen Literaturen seiner Zeit kompilieren und nachahmen. So ist etwa das Initiationsritual, mit dem Simplicius zum Narren im Kalbsfell gemacht wird, ganz dem entscheidenden Vorbild, dem spanischen Schelmenroman Guzma´n de Alfarache , nachgebildet. Daneben haben Novellensammlungen wie Tommaso Garzonis Piazza Universale (1585) oder Georg Philipp Harsdörffers Schau-Platz jämmerlicher Mordgeschichte als Vorbilder gedient. Schon strukturell speist sich der Simplicissimus Teutsch nicht nur aus dem spanischen Schelmenroman, sondern er integriert Bestandteile des französischen roman comique (namentlich Charles Sorels Francion , 1623), übernimmt aber zugleich, wie jüngere Untersuchungen betont haben, auch Merkmale des höfisch-historischen Romans, so das Providenzschema mit Orakelspruch und finaler anagnorisis (Zeller 2007, Martin 2007). Sicher wurde Grimmelshausen auch von dem Kulturpatriotismus der nahegelegenen Stadt Straßburg beeinflusst, am deutlichsten von Moscheroschs Gesichten , denen er unter anderem das Motiv des Höllenkonzils entlehnt. In seinem sprachpflegerisch-satirischen Teutschen Michel (1670) beteiligt Grimmelshausen sich ironisch an der stilistischen ,Reinigung‘ des Deutschen von fremdsprachlichen Wörtern und trägt zur zeitgenössischen Alamode-Kritik bei. <?page no="215"?> 000214 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 214 | B.II. Kulturpatriotische Konsolidierung nach 1640 6.1. Zur Anlage des Simplicissimus Teutsch und der Continuatio Die Lebensgeschichte des Simplicissimus nimmt zunächst fünf Bücher ein und wird als Autobiographie des Titelhelden präsentiert, als selbstkritische Lebensrückschau, die, wie ein später nachgereichtes sechstes Buch ausführt, der geläuterte Simplicius in seinem Inselexil verfasst hat. Zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges, so beginnt der Roman, wird der zehnjährige Simplicius, ein einfältiger Bauernsohn aus dem Spessart, durch plündernde Soldaten vom Hof seines Vaters vertrieben und gelangt zu einem alten Einsiedler, bei dem er aufwächst und der sich später als sein eigentlicher Vater entpuppt. Nach dessen Tod kommt er zum Stadtkommandanten von Hanau, der ihm den Namen ,Simplicius Simplicissimus‘ verleiht und der den noch unschuldig-frommen Knaben verspottet, indem er ihm weismachen möchte, er sei verrückt. In einer vorgetäuschten Teufelszeremonie wird er vorgeblich in ein närrisches Kalb verwandelt. Doch Simplicius spielt mit und begibt sich von nun an in die Narrenrolle, erkennt er doch, dass „die närrische Welt will betrogen seyn / hat man dir deine Witz noch übrig gelassen / so gebrauche dich derselben zu deinem Vortheil“ (Grimmelshausen 2005, 142). Mit dieser Einsicht vollzieht sich im Einfältigen ein Sinneswandel; künftig wird er sich listig in der Welt behaupten und dabei so manche Sünde begehen. Nach verschiedenen Zwischenfällen wird Simplicius Soldat, findet einen Freund in Gestalt seines Kameraden Herzbruder und einen Feind im durchtriebenen Soldaten Olivier. Simplicius kämpft in mehreren Schlachten und Belagerungen und verfällt schließlich ganz dem liederlichen Soldatenleben, zu dem Buhlerei, Raubzüge und Glückspiel gehören. Immer neue Rollen nimmt der närrische Weltbetrüger an: in Frauenkleidern verfallen ihm die Männer, als „Beau Aleman“ verdingt er sich in Paris als bezahlter Liebhaber bei Damen der französischen Hofaristokratie, als Quacksalber, Musketier, Pilger und Schwarzwaldbauer ist ihm Erfolg beschieden. Nachdem er von seiner adligen Abkunft erfährt (er war ein Findelkind), unternimmt er eine Reise nach Moskau an den Hof des Zaren, wo er erneut verschleppt und als Sklave durch die ganze Welt geführt wird. Nach seiner glücklichen Heimkehr nach Deutschland, wo inzwischen Frieden herrscht, wendet er sich mit einer pauschalen Litanei von der Welt ab, die er weitgehend aus Antonio de Guevaras Menosprecio de corte y alabanza de aldea (1539, übers. Aegidius Albertinus) entlehnt: „Adjeu O Welt / O schnöde arge Welt / O stinckendes elendes Fleisch“ (ebd., 550), lautet das Fazit, mit dem Simplicius sich in die Einsiedelei zurückzieht. In den Rahmen der fiktiven Autobiographie fügt Grimmelshausen allerhand fantastischallegorische Binnenerzählungen ein, die den Blick auf Fragen der Gesellschaftsordnung, der politischen Gestalt des Alten Reichs und der Möglichkeit der Utopie, des idealen Staats, richten. Insbesondere mit der Ständebaum-Allegorie, der Begegnung mit einem Wahnsinnigen, der sich für den Gott Jupiter hält, sowie mit Simplicius’ Reise in den von Sylphen bewohnten Mummelsee eröffnet Grimmelshausen in den ersten fünf Büchern überraschende Perspektiven auf seine Gegenwart. Sie gehören zu den vielschichtigen, von der Forschung zu Recht besonders beachteten Episoden des simplicianischen Werks (Drügh 2000, 31-113). Aufgrund des rasanten Absatzes drängte der Verleger Felsecker den Autor bald zu einer Fortsetzung, und diese Continuatio des abentheurlichen Simplicissimi oder Schluß desselben erschien als sechstes Buch gleichzeitig mit der zweiten Auflage des Simplicissimus Teutsch im <?page no="216"?> 000215 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 215 6. Grimmelshausen und sein Simplicissimus | Jahre 1669. Die Continuatio greift zunächst wieder auf das bekannte Reisemotiv zurück. Der Held blickt zurück auf seine Einsiedelei auf dem Mooskopf und beschließt nach Vorbild des Heiligen Alexius gen Jerusalem zu pilgern. Über die Schweiz und Italien geht es beinahe bis Jerusalem, doch landet Simplicius wegen einer Routensperrung in Ägypten, wo er erneut entführt, dann wieder befreit wird. Schließlich erleidet Simplex Schiffbruch und strandet auf einer Insel, wo er sich in einer vorweggenommenen Robinsonade häuslich einrichtet und seine Lebensbeichte beschließt. Nachgeschaltet ist der Bericht eines holländischen Kapitäns, der mit seinen Leuten zufällig auf die Kreuzinsel gelangt und dort den Einsiedler als ,wilden Mann‘ kennenlernt, der seine Umwelt mit frommen Sprüchen und Bibelzitaten bedeckt hat. Trotz der mehrfachen Aufforderung, mit ihm nach Europa zurückzukehren, weigert Simplicius sich standhaft: „mein GOtt was wolt ihr mich zeichen hier ist Fried / dort ist Krieg; hier weiß ich nichts von Hoffart / vom Geitz / vom Zorn / vom Neyd / vom Eyfer / von Falschheit / von Betrug / von allerhand Sorgen beydes umb Nahrung und Klaydung noch umb ehr und Reputation “ (Grimmelshausen 2005, 695). Wie bereits in den ersten Büchern flicht Grimmelshausen auch in die Fortsetzung allegorische Reflexionspassagen; so schildert er in einer Traumvision einen verzweifelten Höllenrat, der unter Luzifers Vorsitz über das Schicksal Europas nach dem Westfälischen Frieden berät, oder er imaginiert die Ökonomie der Rohstoffverwertung anhand der Lebensgeschichte eines ,Schermessers‘, eines einfachen Toilettenpapiers. In der älteren Forschung wertete man die Continuatio zunächst ab, weil sie die befriedigende Rundheit eines ursprünglich auf fünf Teile angelegten ,Entwicklungsromans‘ avant la lettre zu gefährden schien, in welchem man die lineare Reifung des Helden von der Sünde zur Bekehrung erkennen wollte. Später ist die Continuatio in das Zentrum der Grimmelshausen- Forschung gerückt, nun sah man in ihr den poetologischen „Kommentar“ zum Hauptteil, eine Art „erläuternde[s] und rechtfertigende[s] Nachwort[ ]“ zum Simplicissimus Teutsch (Gersch 1973, 160; zur Forschungsgeschichte siehe Jakob 2008). Tatsächlich wiederholt und variiert das sechste Buch viele Motive seiner Vorgänger, und zeichnet sich vielleicht deshalb durch stärkere Selbstbezüglichkeit aus. Andererseits entwickelt es die Figurenanlage auch weiter, schon indem Simplicius nun nicht mehr an seiner Bekehrung zweifelt (Trappen 1994, 268f.; Eickmeyer 2005). Der Continuatio kommt daher durchaus die Rolle einer ,echten‘ Fortsetzung zu. Vier weitere Romane zählt man zu Grimmelshausens pikarischem Erzähluniversum, für dessen nunmehr zehn Teile sich die Bezeichnung ,Simplicianischer Zyklus‘ durchgesetzt hat. Demnach werden die fünf Bücher Simplicissimus Teutsch sowie die Continuatio durch den Trutz Dialogizität des ,Simplicianischen Zyklus‘ Simplex oder Ausführliche und wunderseltzame Lebensbeschreibung der Ertzbetrügerin und Landstörtzerin Courasche (1670), durch den Seltzamen Springinsfeld (1670) sowie durch die zwei Bücher des Wunderbarlichen Vogel-Nests (1672 und 1675) ergänzt. Die Bücher weisen das gleiche Handlungspersonal auf und sind ähnlich gestrickt. Im Springinsfeld , der Lebensgeschichte von Simplicius’ invalidem Weggefährten, begegnet der Held der ersten Bücher selbst überraschend in einem Wirtshaus wieder - offenbar hat er seinem Inselexil den Rücken gekehrt und den Weg zurück nach Deutschland gefunden. <?page no="217"?> 000216 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 216 | B.II. Kulturpatriotische Konsolidierung nach 1640 B.II.12. Titelkupfer zu Grimmelshausens Trutz Simplex oder […] Lebensbeschreibung der Ertzbetrügerin und Landstörtzerin Courasche (1670). Unter diesen ,Fortsetzungen‘ sticht die Courasche hervor, das weibliche Gegenstück zum Simplicissimus Teutsch , das mit Bertolt Brechts kriegskritischem Drama Mutter Courage und ihre Kinder (1941) prominent wiederentdeckt wurde. Grimmelshausen lässt hier die von Simplicius gescholtene Libuschka zu Wort kommen - ihr Spitzname ,Courasche‘ bezeichnet ihr Geschlechtsteil -, um gegen die abschätzige Darstellung ihrer Person nun die eigene Lebensgeschichte zu schildern. Aus Rache, dass er sie verlassen hat, schiebt sie Simplicius ein Kind unter und legt in ihrer Autobiographie offen, mit wem er sich eingelassen hat: mit einer gottlosen Landstreicherin nämlich, die im Dreißigjährigen Krieg viele Leiden und Leidenschaften erfährt, wenn sie als Dirne und Marketenderin von Schlacht zu Schlacht, von Mann zu Mann zieht, bevor sie am Ende beschließt, sich nicht zu bekehren, sondern sich den ,Zigeunern‘ anzuschließen. Das emblematische Titelkupfer (Abb. B.II.12.) zeigt die Courasche, eine Marketenderin im Gefolge der Soldateska des Dreißigjährigen Krieges. Sie sitzt auf <?page no="218"?> 000217 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 217 6. Grimmelshausen und sein Simplicissimus | einem distelfressenden Maulesel, umgeben von negativ konnotierten Kreaturen wie Fledermaus, Eule, Basilisk und Heuschrecke. Die ,Zigeuner‘ im Hintergrund repräsentieren das unstete Wanderleben, der junge Vagabund im Vordergrund steht für die ungleiche, sündhafte Liebe, in der ihr zeitweiliger Pro-Forma-Ehemann, besagter Springinsfeld, zu ihr entbrennt. Die Objekte, die aus Courasches Mantelsack purzeln - Puderquaste, Kamm, Spiegel, Schere oder Brenneisen -, verweisen auf den eitlen Schein der Welt, den der Roman entlarven will. Der Zweig, der dem Baum links entspringt, wurde als das pythagoreische Y-Zeichen gedeutet, das seit alters die Wahl zwischen zwei Wegen symbolisiert, zwischen dem leichten, aber falschen und dem schwierigen, aber richtigen (Breuer 1999, 79). Das Frontispiz entwirft für seinen Roman ein poetologisches Deutungsprogramm und führt damit eine paratextuelle Selbstauslegung fort, die Grimmelshausen seit dem ersten Buch des simplicianischen Zyklus betrieben hatte. 6.2. Hülse und Kern: Moralsatirisches Programm in den Paratexten zu Simplicissimus Teutsch und Continuatio Die diversen Spannungen, die Grimmelshausens Erzählweise kennzeichnen, gehen auf verschiedene Erzählmuster zurück. Die simplicianischen Romane bestimmt ein markantes Wechselspiel aus erlebendem, ,erzähltem‘ Ich der Vergangenheit und reflektierendem Ich in Erzähltes und erzählendes Ich der Erzählgegenwart; dem „begrenzten“, „chorographischen Horizont des erzählten Helden“ und „dem sozusagen geographischen Überblick des Erzählers“ (Cordie 2001, 25). Dieser Opposition entspricht der schillernde Wechsel aus burleskem Schwank und Hintersinn, aus bunter Welthaltigkeit, karnevalesker Sequentialität, alltagsnaher Detailfülle auf der einen Seite, bilanzierender Verallgemeinerung in Leseradressen und kunstvollen Allegorien auf der anderen Seite. Insbesondere die Frage, wie selbständig die novellistischen Einzelsegmente im Roman stehen, und ob sie sich nicht doch teleologisch zur sukzessiven Selbstfindung als Bekehrung fügen, beschäftigt die Literaturgeschichte seit ihren Anfängen und scheint noch heute ungeklärt (Menkhaus 2011). Eher abgekommen ist man allerdings von den allzu subtilen Versuchen der älteren Forschung, im Simplicissimus eine astrologisch-alchemistische Tiefenstruktur zu entschlüsseln. Dass Grimmelshausen sich auch als Kalenderschriftsteller und -herausgeber ( Des Abenteurlichen Simplicissimi Ewigwährender Calender , 1670) betätigte, veranlasste die Suche nach im Romanwerk versteckten Planetensymbolen und Tierkreiszeichen (Weydt 1968). Plausibler ist es, sein Werk weniger als hermetisches Manifest denn als erbauliche Moralsatire zu verstehen. Die poetologische Metapher von Hülse und Kern, die Grimmelshausen in der Vorrede zur Continuatio bemüht, signalisiert wohl weniger eine versteckte Geheimlehre, sondern meint das Verhältnis von unterhaltsamer Oberfläche und christlicher Didaxe. Das zeigt sich schon in den Paratexten des Romans. Das Frontispiz des Simplicissimus Teutsch zählt zu den berühmtesten Frontispizen der deutschen Literatur. Das merkwürdige Titelkupfer: gattungspoetisches Programm der Moralsatire mit Bezug auf Horaz Mischwesen gab schon immer zu Spekulationen Anlass (Abb. B.II.13.). Es präsentiert ein mixtum compositum , dessen Oberleib einen Satyr zeigt, erkennbar an den Bockshörnern und Ohren. Er präsentiert ein aufgeschlagenes Buch. Doch der Unterleib passt so gar nicht zu der oberen Hälfte: <?page no="219"?> 000218 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 218 | B.II. Kulturpatriotische Konsolidierung nach 1640 B.II.13. Satyrisches Mischwesen. Frontispiz zu Grimmelshausens Simplicissimus Teutsch (1669). Flügelpaar, Paarhuf und Gänsefuß laufen in einen Fischschwanz aus. Erst um 1970 wurde vermutet, dass es sich bei dem Monstrum um eine bildliche Umsetzung des Anfangs von Horaz’ Epistula ad Pisones handeln könnte (Gersch 2004). Die These blieb zwar nicht unwidersprochen und wird neuerdings um den Hinweis ergänzt, dass sich ähnliche Mischwesen auch bei Lukian und anderen Satirikern der lateinischen Antike finden (Bässler 2006). Doch ist der Brief des Horaz, auch als Ars Poetica bekannt, für die barocke Dichtungstheorie eine unumstrittene Autorität. Horaz warnt in dem Brief, man möge das „Haupt eines Menschen und Nacken des Pferdes“ nicht zusammenfügen: „Tät’ dies ein Maler, schüf’ dazu Flügel mit schillernden Farben, Glieder von überall her, daß unten ein schwärzlicher Fischleib, Häßlich zu sehen, doch oben ein herrliches Weib sich uns zeige: Könntet ihr da beim Betrachten das Lachen verbeißen, o Freunde? “ (Horaz 2000, 253). So nimmt Grimmelshausen Horaz’ Vorwurf eines Sammelsuriums auf sich, rechtfertigt es aber in Gestalt des Satyrs, mit dem man in der Frühen Neuzeit die literarische Gattung der Satire personifizierte. Dazu passt der satyrische Spottgestus, die corna [ital. ,Hörner‘], mit dem der Satyr auf die Seiten des aufgeschlagenen Buches weist. Die Abbildungen in dem Buch lassen sich auf Romanepisoden beziehen. Grimmelshausens satirisches Titelkupfer hat bereits Vorläufer, beispielsweise Moscheroschs Gesichte , die Übersetzung von Quevedos Visiones (vgl. Abb. B.II.3.). Die große Freiheit der satirischen Gattung, die Grimmelshausen für seinen Simplicissimus in Anspruch nimmt, dient einem moralischen Zweck, der Entlarvung. Darauf weisen die Masken am Boden hin. Somit lässt sich das Frontispiz als gattungspoetisches Programm der Moralsatire verstehen. Dieses Verständnis wird auch durch das Epigramm bestätigt, das die Illustration moralisch kommentiert. „[D]amit sich der Leser gleich wie ich itzt thue entferne der Thorheit und lebe in Rhue“ ( 122) - das sei das Ziel seines Buches. Auch die nachgereichte Continuatio bestätigt die moralsatirische Grundtendenz des Romans, denn sie beginnt mit einer Vorrede, in der Grimmelshausen sein satirisches Schreiben rechtfertigt. Grimmelshausen räumt zwar ein, dass er die „Leut zum lachen bewöge[ ]“ und <?page no="220"?> 000219 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 219 6. Grimmelshausen und sein Simplicissimus | dass er „zu zeiten etwas possierlich“ aufziehe; doch weist er ausdrücklich darauf hin, dass er den Lesern „etwas nutzlichs beybringen will“. Durch den Eindruck „einer kurtzweiligen Histori“ dürfe sich das Publikum nicht über dasjenige hinwegtäuschen lassen, „was ich ihn zuberichten aigentlich bedacht gewesen“ ( 125). Auch in diesen Wendungen der Vorrede spielt Grimmelshausen auf den Grundsatz der Ars Poetica des Horaz an, der zufolge Dichtung ,entweder nutzen oder erfreuen‘ solle ( aut prodesse [ … ] aut delectare , Ep. II, 3, 333). Grimmelshausen überführt die Alternative in ein ,Sowohl als auch‘: ,nutzen und erfreuen‘. Dass Moraldidaxe sich eines unterhaltsamen Stiles statt trockener Belehrung bedienen müsse, illustriert Grimmelshausen anhand eines Vergleichs: Das Pillen-Gleichnis, am Ende der Vorrede modifiziert in das Verhältnis von Hülse und Kern, gehört seit Lukrez zum Rechtfertigungsarsenal der literarischen Unterhaltungsliteratur, die auf diesem süßen Weg heilsame Lehren mitteilte (Krämer 2009). Quellen Birken, Sigmund von (1645): Fortsetzung Der Pegnitz-Schäferey / behandlend / unter vielen andern rein-neuen freymuhtigen Lust-Gedichten und Reimarten / derer von Anfang des Teutschen Krieges verstorbenen Tugend-berümtesten Helden Lob-Gedächtnisse abgefasset und besungen durch Floridan den Pegnitz-Schäfer. Nürnberg. Birken, Sigmund von (1650): Teutscher Kriegs Ab- und Friedens Einzug / In etlichen Aufzügen [ … ]. Nürnberg. Birken, Sigmund von (1669): Vor-Ansprache zum Edlen Leser. In: Herzog Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel: Die Durchleuchtige Syrerinn Aramena. Der Erste Theil: Der Erwehlten Freundschaft gewidmet. Nürnberg, fol. )( iij r -)( )( iij r . Birken, Sigmund von (1679): Teutsche Rede-bind- und Dicht-Kunst, oder Kurze Anweisung zur Teutschen Poesy, mit Geistlichen Exempeln: verfasset durch Ein Mitglied der höchstlöblichen Fruchtbringenden Gesellschaft Den Erwachsenen. Samt dem Schauspiel Psyche und Einem Hirten-Gedichte. Nürnberg. Birken, Sigmund von (2012): Der Briefwechsel zwischen Sigmund von Birken und Mitgliedern des Pegnesischen Blumenordens und literarischen Freunden im Ostseeraum. Hg. von Hartmut Laufhütte. 2 Bde.: Text und Apparat. Berlin. Birken, Sigmund von, und Catharina Regina von Greiffenberg (2005): Der Briefwechsel zwischen Sigmund von Birken und Catharina Regina von Greiffenberg. Hg. von Hartmut Laufhütte. Tübingen. Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von (2005): Simplicissimus Teutsch [1668]. Hg. von Dieter Breuer. Frankfurt a. M. Gryphius, Andreas (1991a): Catharina von Georgien. In: Ders.: Dramen. Hg. von Eberhard Mannack. Frankfurt a. M., 117-227. Gryphius, Andreas (1991b): Leo Armenius. In: Ders.: Dramen. Hg. von Eberhard Mannack. Frankfurt a. M., 9-117. Gryphius, Andreas (1991c): Cardenio und Celinde. In: Ders.: Dramen. Hg. von Eberhard Mannack. Frankfurt a. M., 227-307. Harsdörffer, Georg Philipp (1656): Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mordgeschichte. Bestehend in CC. traurigen Begebenheiten Mit vielen merkwürdigen Erzehlungen. Hamburg. Harsdörffer, Georg Philipp (1968): Frauenzimmer Gesprächspiele. 8 Tle. Nachdruck der Ausgabe Nürnberg 1643-1649. Hg. von Irmgard Böttcher. Tübingen. <?page no="221"?> 000220 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 220 | B.II. Kulturpatriotische Konsolidierung nach 1640 Harsdörffer, Georg Philipp, und Johann Klaj (1988): Pegnesisches Schäfergedicht. In: Die Pegnitz- Schäfer. Nürnberger Barockdichtung. Hg. von Eberhard Mannack. Stuttgart, 18-65. Hoyers, Anna Ovena (1650): Geistliche und Weltliche Poemata. Ndr. d. Ausg. Amsterdam 1650. Hg. von Barbara Becker-Cantarino. Tübingen 1986. Klaj, Johann (1988): Castell des Vnfriedens. In: Die Pegnitz-Schäfer. Nürnberger Barockdichtung. Hg. von Eberhard Mannack. Stuttgart, 168-173. Lipsius, Justus (1599): Von der Bestendigkeit Zwey Bücher. Deutsch von Andreas Viritius, Leipzig. Moscherosch, Johann Michael (1640): Les Visiones de Don Francesco de Quevedo [ … ]. Oder Wunderbahre satyrische gesichte verteutscht durch Philander von Sittewalt. Straßburg. Moscherosch, Johann Michael (1643): Anderer Theil der Gesichte Philanders von Sittewalt. Straßburg. Opitz, Martin (1979): Senecae Trojanerinnen. In: Gesammelte Werke. Kritische Ausgabe. Hg. von George Schulz-Behrend. Bd. 2: Die Werke von 1621 bis 1626. 2. Teil. Stuttgart, 424-522. Opitz, Martin (2002): Buch von der deutschen Poeterey. Studienausgabe. Hg. von Herbert Jaumann. Stuttgart. Rompler von Löwenhalt, Jesaias (1647): Erstes gebüsch seiner Reim-getichte. Straßburg. Scaliger, Julius Caesar (1994): Poetices libri septem. Bd. 1. Hg. von Luc Deitz. Stuttgart-Bad Cannstatt. Sidney, Philipp (1642): Arcadia Der Gräffin von Pembrock [Ende 16. Jhd.]. [ … ] Übers. von Martin Opitz. Leiden. Weckherlin, Georg Rodolf (1618): Oden vnd Gesäng. Stuttgart. Weckherlin, Georg Rodolf (1641): Gaistliche und Weltliche Gedichte. Amsterdam. Zesen, Philipp von (1980): Sämtliche Werke. Hg. von Ferdinand van Ingen. Bd. I, 1: Lyrik 1. Bearb. von Ulrich Mache´ und Volker Meid. Berlin und New York. Zesen, Philipp von (1993): Sämtliche Werke. Hg. von Ferdinand van Ingen. Bd. IV, 2: Adriatische Rosemund. Bearb. von Volker Meid. Berlin und New York. Forschung Alewyn, Richard (1985 [zuerst 1959]): Das große Welttheater. Die Epoche der höfischen Feste. München. Arend, Stefanie (2003): Rastlose Weltgestaltung. Senecaische Kulturkritik in den Tragödien Gryphius’ und Lohensteins. Tübingen. Arend, Stefanie (2015): Begriff des Unbegreiflichen. Rhetorik des Paradoxen in Text und Bild. In: Das Wunderpreisungsspiel. Zur Poetik von Catharina Regina von Greiffenberg (1633-1694). Hg. von Mireille Schnyder. Würzburg, 47-61. Aurnhammer, Achim (1994): Torquato Tasso im deutschen Barock. Tübingen. Aurnhammer, Achim (1999): Harvey und der Paduaner Herzaufschneider. Zur Resonanz der Vivisektion in der deutschen Barockdichtung (Mitternacht, Ernst, Wiedemann). In: Iliaster. Literatur und Naturkunde in der Frühen Neuzeit. FS Joachim Telle. Hg. von Wilhelm Kühlmann. Heidelberg, 13-39. Bach, Oliver (2014): Zwischen Heilsgeschichte und säkularer Jurisprudenz. Politische Theologie in den Trauerspielen des Andreas Gryphius. Berlin und Boston. Bachtin, Michail (1987): Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur. Übers. von Gabriele Leupold. Frankfurt a. M. Baehr, Antonius (2018): Die Frauen im Dichterkatalog in Philipp von Zesens Lustinne (1645). In: Akten des XIII. Internationalen Germanistenkongresses Shanghai 2015: Germanistik zwischen Tradition und Innovation. Bd. 8. Hg. von Jianhua Zhu, Michael Szurawitzki und Jin Zhao. Frankfurt a. M. u. a., 153-158. Barner, Wilfried (1968): Gryphius und die Macht der Rede. Zum ersten Reyen des Trauerspiels „Leo Armenius“. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 42, 325-358. <?page no="222"?> 000221 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 221 B.II. Kulturpatriotische Konsolidierung nach 1640 | Bässler, Andreas (2006): Eselsohren in der Grimmelshausen-Philologie. Die Kontroverse um das Titelkupfer des Simplicissimus. Vom horazischen zum lukianesken monstrum in litteris. In: Simpliciana 28, 215-243. Battafarano, Italo Michele (1995): Vom Dolmetschen als Vermittlung und Auslegung. Der Nürnberger Georg Philipp Harsdörffer - ein Sohn Europas. In: Der Franken Rom. Nürnbergs Blütezeit in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Hg. von John Roger Paas. Wiesbaden, 196-213. Becker-Cantarino, Barbara (1984): Die Stockholmer Liederhandschrift der Anna Ovena Hoyer. In: Barocker Lust-Spiegel. Studien zur Literatur des Barock. FS Blake Lee Spahr. Hg. von Martin Bircher, Jörg-Ulrich Fechner und Gerd Hillen. Amsterdam, 329-344. Benjamin, Walter (1978): Ursprung des deutschen Trauerspiels. Hg. von Rolf Tiedemann. Frankfurt a. M. Bogner, Ralf Georg (1997): Die Bezähmung der Zunge. Literatur und Disziplinierung der Alltagskommunikation in der frühen Neuzeit. Tübingen. Borgstedt, Thomas (2016): Sonette. In: Gryphius-Handbuch. Hg. von Nicola Kaminski und Robert Schütze. Berlin und Boston, 90-112. Bornscheuer, Lothar (1997): Diskurs-Synkretismus im Zerfall der Politischen Theologie. Zur Tragödienpoetik der Gryphschen Trauerspiele. In: Studien zur Literatur des 17. Jahrhunderts. Gedenkschrift für Gerhard Spellenberg. Hg. von Hans Feger. Amsterdam und Atlanta, 489-529. Bramenkamp, Hedwig (2009): Krieg und Frieden in Harsdörffers „Frauenzimmer Gesprächspielen“ und bei den Nürnberger Friedensfeiern 1649 und 1650. 2. Aufl. München. Breuer, Dieter (1999): Grimmelshausen-Handbuch. München. Burgard, Peter J. (2001): König der Doppeldeutigkeit. Gryphius’ „Leo Armenius“. In: Barock. Neue Sichtweisen einer Epoche. Hg. von dems. Wien u. a., 121-141. Burkhardt, Johannes (1992): Der Dreißigjährige Krieg. Frankfurt a. M. Burschel, Peter (2004): Sterben und Unsterblichkeit. Zur Kultur des Martyriums in der frühen Neuzeit. München. Caemmerer, Christiane (1998): Siegender Cupido oder triumphierende Keuschheit. Deutsche Schäferspiele des 17. Jahrhunderts dargestellt in einzelnen Untersuchungen. Stuttgart-Bad Cannstatt. Cordie, Ansgar (2001): Raum und Zeit des Vaganten. Formen der Weltaneignung im deutschen Schelmenroman des 17. Jahrhunderts. Berlin und New York. Czapla, Ralf Georg (2016): Lateinische Werke. In: Gryphius-Handbuch. Hg. von Nicola Kaminski und Robert Schütze. Berlin und Boston, 68-89. Czarnecka, Mirosława (1997): Die „verseschwangere“ Elysie. Zum Anteil der Frauen an der literarischen Kultur Schlesiens im 17. Jahrhundert. Wrocław. Detering, Nicolas (2017): Krise und Kontinent. Die Entstehung der deutschen Europa-Literatur in der Frühen Neuzeit. Köln, Weimar und Wien. Disselkamp, Martin (2007): Barockheroismus. Konzeptionen politischer Größe in Literatur und Traktatistik des 17. Jahrhunderts. Tübingen. Drügh, Heinz J. (2000): Anders-Rede. Zur Struktur und historischen Systematik des Allegorischen. Freiburg i. Br. Eickmeyer, Jost (2005): Intratextuelle Beziehungen zwischen Grimmelshausens Continuatio und Simplicissimus Teutsch. In: Simpliciana 27, 103-135. Fink, Gonthier-Louis (1991): Vom Alamodestreit zur Frühaufklärung. Das wechselseitige deutschfranzösische Spiegelbild 1648-1750. In: Recherches Germaniques 21, 3-47. Frick, Werner (1988): Providenz und Kontingenz. Untersuchungen zur Schicksalssemantik im deutschen und europäischen Roman des 17. und 18. Jahrhunderts. Tübingen. Garber, Klaus (2009): Arkadien. Ein Wunschbild der europäischen Literatur. München. <?page no="223"?> 000222 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 222 | B.II. Kulturpatriotische Konsolidierung nach 1640 Garber, Klaus (2012): Wege in die Moderne. Historiographische, literarische und philosophische Studien aus dem Umkreis der alteuropäischen Arkadien-Utopie. Hg. von Stefan Andres und Axel E. Walter. Berlin und Boston. Gersch, Hubert (1973): Geheimpoetik. Die Continuatio des abentheurlichen Simplicissimi interpretiert als Grimmelshausens verschlüsselter Kommentar zu seinem Roman. Tübingen. Gersch, Hubert (2004): Literarisches Monstrum und Buch der Welt. Grimmelshausens Titelbild zum ,Simplicissimus Teutsch‘. Tübingen. Geulen, Hans (1969): „Arcadische“ Simpliciana. Zu einer Quelle Grimmelshausens und ihrer strukturellen Bedeutung für seinen Roman. In: Euphorion 63, 426-437. Halisch, Alexander (1999): Barocke Kriminalgeschichtensammlungen. In: Simpliciana 21, 105-124. Heckmann, Hebert (1959): Elemente des barocken Trauerspiels am Beispiel des Papinian von Andreas Gryphius. Darmstadt. Hirsch, Arnold (1957): Bürgertum und Barock im deutschen Roman. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des bürgerlichen Weltbildes. 2. Aufl. Hg. von Herbert Singer. Köln und Graz. Hundt, Markus (2000): „Spracharbeit“ im 17. Jahrhundert. Studien zu Georg Philipp Harsdörffer, Justus Georg Schottelius und Christian Gueintz. Berlin. Ingen, Ferdinand van (2013): Philipp von Zesen in seiner Zeit und seiner Umwelt. Berlin und Boston. Jakob, Hans-Joachim (2008): „Viel Köpff viel Sinn“. Grimmelshausens Simplicissimus und die Continuatio in der Forschung von 1997 bis 2007. In: Text und Kritik VI/ Sonderband: Grimmelshausen, 263-274. Jakob, Hans-Joachim (2011): Die Schauplatz- und Theater-Bildlichkeit in Georg Philipp Harsdörffers Grossem Schau-Platz jämmerlicher Mordgeschichte. In: Georg Philipp Harsdörffers Universalität. Beiträge zu einem uomo universale des Barock. Hg. von Stefan Keppler-Tasaki und Ursula Kocher. Berlin und New York, 83-115. Jeßing, Benedikt (2016): Oden. In: Gryphius-Handbuch. Hg. von Nicola Kaminski und Robert Schütze. Berlin und Boston, 113-130. Jones, William Jervis (1995): Sprachhelden und Sprachverderber. Dokumente zur Erforschung des Fremdwortpurismus im Deutschen (1478-1750). Berlin und New York. Jürgensen, Renate (1994): Utile cum dulci. Die Blütezeit des Pegnesischen Blumenordens in Nürnberg, 1644 bis 1744. Wiesbaden. Jürgensen, Renate (2006): Melos conspirant singuli in unum. Repertorium bio-bibliographicum zur Geschichte des Pegnesischen Blumenordens in Nürnberg (1644-1744). Wiesbaden. Kaiser, Gerhard (1968): Leo Armenius. Oder Fürsten-Mord. In: Die Dramen des Andreas Gryphius. Eine Sammlung von Einzelinterpretationen. Hg. von dems. Stuttgart. Kaminski, Nicola (1998): Andreas Gryphius. Stuttgart. Kaminski, Nicola, und Robert Schütze (Hg.) (2016): Gryphius-Handbuch. Berlin und Boston. Kampmann, Christoph (2008): Europa und das Reich im Dreißigjährigen Krieg. Geschichte eines europäischen Konflikts. Stuttgart. Könnecke, Gustav (1926): Quellen und Forschungen zur Lebensgeschichte Grimmelshausens. Bd. 1. Weimar. Koschorke, Albrecht (2016): Leo Armenius. In: Gryphius-Handbuch. Hg. von Nicola Kaminski und Robert Schütze. Berlin und Boston, 185-202. Koschorke, Albrecht (2006): Das Problem der souveränen Entscheidung im barocken Trauerspiel. In: Urteilen / Entscheiden. Hg. von Cornelia Vismann. München, 175-195. Krämer, Jörg (2009): Pflaumen und Kerne, Schleckwerck und Pillen? Funktionen unterhaltenden Erzählens bei Harsdörffer, Grimmelshausen und Beer. In: Delectatio. Unterhaltung und Vergnügen zwischen Grimmelshausen und Schnabel. Hg. von Franz M. Eybl und Irmgard M. Wirtz. Bern, 65-85. <?page no="224"?> 000223 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 223 B.II. Kulturpatriotische Konsolidierung nach 1640 | Kraft, Stephan (2004): Geschlossenheit und Offenheit der ,Römischen Octavia‘ von Herzog Anton Ulrich. „Der roman macht ahn die ewigkeit gedencken, den er nimbt kein endt“. Würzburg. Kühlmann, Wilhelm (1982): Der Fall Papinian. Ein Konfliktmodell absolutistischer Politik im akademischen Schrifttum des 16. und 17. Jahrhunderts. In: Hof, Staat und Gesellschaft in der Literatur des 17. Jahrhunderts. Hg. von Elger Blühm, Jörn Garber und Klaus Garber. Amsterdam, 223-252. Landwehr, Achim (2014): Geburt der Gegenwart. Eine Geschichte der Zeit im 17. Jahrhundert. Frankfurt a. M. Laufhütte, Hartmut (Hg.) (2013a): Der pegnesische Blumenorden unter der Präsidentschaft Sigmund von Birkens. Gesammelte Studien der Forschungsstelle Frühe Neuzeit an der Universität Passau. Passau. Laufhütte, Hartmut (2013b): Sigmund von Birken als literarischer Dienstleister. In: Der pegnesische Blumenorden unter der Präsidentschaft Sigmund von Birkens. Gesammelte Studien der Forschungsstelle Frühe Neuzeit an der Universität Passau. Hg. von Hartmut Laufhütte. Passau, 9-77. Mahlmann-Bauer, Barbara (2016): Cardenio und Celinde. In: Gryphius-Handbuch. Hg. von Nicola Kaminski und Robert Schütze. Berlin und Boston, 233-259. Manns, Stefan (2013): Grenzen des Erzählens. Konzeption und Struktur des Erzählens in Georg Philipp Harsdörffers Schauplätzen. Berlin. Martin, Dieter (2007): ,Ab ovo‘ versus ,in medias res‘. Strukturelle Spannungen in Grimmelshausens autobiographischem Erzählen. In: Simpliciana 29, 57-71. Mauser, Wolfram (1976): Dichtung, Religion und Gesellschaft im 17. Jahrhundert. Die ,Sonnete‘ des Andreas Gryphius. München. Meid, Volker (2009): Die deutsche Literatur im Zeitalter des Barock. Vom Späthumanismus bis zur Frühaufklärung 1570-1740. München. Meierhofer, Christian (2014): Georg Philipp Harsdörffer. Hannover. Menkhaus, Torsten (2011): „O große Liebe gegen uns undankbare Menschen! “ Aspekte der Selbstfindung und Menschwerdung in Grimmelshausens Simplicissimus Teutsch und in der Continuatio. Marburg. Michelsen, Peter (1969): Zur Frage der Verfasserschaft des Peter Squentz. In: Euphorion 63, 54-65. Mourey, Marie-The´ re` se, und Mark Hengerer (Hg.) (2018): Der Körper in der frühen Neuzeit: Praktiken - Rituale - Performanz. Wiesbaden. North, John David (2002): The Ambassadors’ Secret, Holbein and the World of the Renaissance. London. Pavel, Thomas (1996): L’art de l’e´ loignement. Essai sur l’imagination classique. Paris. Pumplun, Christina M. (1995): ,Begriff des Unbegreiflichen‘. Funktion und Bedeutung der Metaphorik in den Geburtsbetrachtungen der Catharina Regina von Greiffenberg (1633-1694). Amsterdam und Atlanta. Reinhart, Max (2013): Georg Philipp Harsdörffer and the Emblematic Pamphlets of 1641-42: Peristromata Turcica and Aulaea Romana. In: Emblematica 20, 277-375. Rühl, Peter (1967): Lipsius und Gryphius. Ein Vergleich. Berlin. Schäfer, Walter E. (2002): Isaac Clauß. „Le Royaume de la Cocqueterie oder Beschreibung des newentdeckten Schnäblerlandes“ (1659). In: Daphnis 31, 317-348. Schäublin, Peter (1974): Andreas Gryphius’ erstes Trauerspiel Leo Armenius. In: Daphnis 3, 1-40. Scheitler, Irmgard (2011): Harsdörffer und die Musik. Seelewig im Kontext deutschsprachiger Musikdramatik. In: Georg Philipp Harsdörffers Universalität. Beiträge zu einem uomo universale des Barock. Hg. von Stefan Keppler-Tasaki und Ursula Kocher. Berlin und New York, 213-237. Schings, Hans-Jürgen (1980 [zuerst 1971]): Consolatio Tragoediae. Zur Theorie des barocken Trauerspiels. In: Deutsche Dramentheorien. Hg. von Reinhold Grimm. Bd. 1. Wiesbaden, 19-56. <?page no="225"?> 000224 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 224 | B.III. Der deutsche Manierismus nach 1660 Siebenpfeiffer, Hania (2006): Narratio criminis - Georg Philipp Harsdörffers Der Grosse Schau-Platz jaemmerlicher Mord-Geschichte und die frühneuzeitliche Kriminalliteratur. In: Harsdörffer-Studien. Mit einer Bibliografie der Forschungsliteratur von 1847 bis 2005. Hg. von Hans-Joachim Jakob und Hermann Korte. Frankfurt a. M. u. a., 157-176. Silber, Karl-Bernhard (2000): Die dramatischen Werke Sigmund von Birkens (1626-1681). Tübingen. South, M. S. (1975): Leo Armenius oder die Häresie des Andreas Gryphius. Überlegungen zur figuralen Parallelstruktur. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 94, 162-183. Steiger, Johann Anselm (Hg.) (2005): Passion, Affekt und Leidenschaft in der Frühen Neuzeit. 2 Bde. Wiesbaden 2005. Steiger, Johann Anselm (2016): „Gedancken / Vber den Kirchhoff [ … ]“. In: Gryphius-Handbuch. Hg. von Nicola Kaminski und Robert Schütze. Berlin und Boston, 146-152. Szondi, Peter (1961): Leo Armenius. In: Ders.: Versuch über das Tragische. Frankfurt a. M., 80-84. Trappen, Stefan (1994): Grimmelshausen und die menippeische Satire. Eine Studie zu den historischen Voraussetzungen der Prosasatire im Barock. Tübingen. Tschachtli, Sarina (2017): Körper- und Sinngrenzen. Zur Sprachbildlichkeit in Dramen von Andreas Gryphius. Paderborn. Turk, Horst (1968): Cardenio und Celinde. Die Dramen des Andreas Gryphius. Eine Sammlung von Einzelinterpretationen. Hg. von Gerhard Kaiser. Stuttgart, 73-116. Wels, Ulrike (2013): Meditatio crucis. Catharina Regina von Greiffenbergs Kreuzgedicht. In: Scharfsinn und Frömmigkeit. Zum Werk von Catharina Regina von Greiffenberg (1633-1694). Hg. von Gesa Dane. Frankfurt a. M., 101-121. Weydt, Günther (1968): Nachahmung und Schöpfung im Barock. Studien um Grimmelshausen. Bern u. a. Zeller, Rosmarie (2007): Verhängnis und Fortuna als Konstruktionsprinzipien des hohen und des niederen Romans. Zur Position des Simplicissimus Teutsch im Gattungssystem des Romans. In: Simpliciana 29, 177-192. B.III. Der deutsche Manierismus nach 1660 Nach dem Westfälischen Frieden kehrte in Europa keine Ruhe ein. England focht nach dem Ende des Bürgerkrieges mehrjährige Seekonflikte mit den Niederlanden und mit Spanien aus, während das Vordringen der Osmanen 1663/ 64 die alten Ängste vor der ,Türkengefahr‘ wieder auflodern ließ, die 1683 in der Belagerung Wiens kulminierten. Vor allem im letzten Jahrhundertdrittel hielt der ambitionierte ,Sonnenkönig‘ Ludwig XIV. den Kontinent in Atem. Er hatte nach dem Tod des Kardinals und regierenden Ministers Jules Mazarin 1661 die Regierungsgeschäfte übernommen und suchte den französischen Einfluss durch aggressive Expansionen zu erweitern. Wie keine andere Figur prägte er die europäische Hofkultur des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts: den symmetrischen Klassizismus der Versailles- Architektur, die pompöse Repräsentation in Bild und Musik, die Kleidermode der gepuderten Allongeperücke und faltenreichen Rheingrafenhose, die galante Conduite und Komplimentierkunst der Hofleute, ihre aufwändigen Maskeraden und Ballette. Indes geriet Ludwigs hegemoniale Kriegspolitik außerhalb Frankreichs schnell in Verruf und galt der deutschen und europäischen Publizistik als machiavellistisch und tyrannisch (Wrede 2004, 330-484). <?page no="226"?> 000225 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 225 B.III. Der deutsche Manierismus nach 1660 | Die deutsche Literatur nach 1660 blieb von all dem nicht unbeeindruckt. Stärker noch als zuvor öffnete sie sich den Tendenzen der französischen, italienischen, englischen und spanischen Literatur. Die meisten Autoren, die das literarische Feld im Ausgang des 17. Jahr- Nachahmung und Überbietung der höfischen Literatur der Romania hunderts beherrschten, wurden gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges oder nach dem Westfälischen Frieden geboren. Die Erfahrung der Kriegsschrecken spielt in ihren Werken keine wesentliche Rolle. Stattdessen schrieben sie stärker selbstbezogen und übten sich in der Nachahmung und Überbietung der höfischen Literatur der Romania. So wurde neben Torquato Tasso vor allem Giambattista Marino zum Gewährsmann des neuen Zierstils. Auf ihn beruft sich Daniel Casper von Lohenstein (1635-1683) für die Pathetisierung und Erotisierung seiner Dramen. Noch deutlicher wirkte sich Marinos Einfluss auf die Lyrik des ausgehenden 17. Jahrhunderts aus. Gleichzeitig avancierten Monumentalwerke des europäischen Manierismus wie die mehrbändigen Romane von Madeleine de Scude´ ry, Gautier de Costes de La Calprene`de oder Luca Assarino zu Vorbildern der polyhistorisch überbordenden und exotisch verfremdeten Gegenwelten des höfischen Romans. Viele Autoren dieser Phase lebten in Breslau oder stammten aus schlesischen Familien, darunter Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau (1616-1679) - generationell gehört er zu den Älteren, doch setzt seine Wirkung erst postum ein -, Lohenstein, Christian Knorr von ,Schlesische Dichterschule‘ oder überregionale Netzwerke? Rosenroth (1636-1689), Heinrich Mühlpfort (1639-1681), Johann Christian Hallmann (1640-1704), Hans Aßmann Freiherr von Abschatz (1646-1699) und Benjamin Neukirch (1665-1729). Schlesien pflegte enge politische Beziehungen zum Wiener Hof, denn als Teil des Königreichs Böhmen war es trotz seiner protestantischen Bevölkerungsmehrheit dem Hause Habsburg unterstellt. Die Bindung an Leopold I., seit 1658 Römischer Kaiser, beförderte den höfischen Geschmack in Breslau und seiner Umgebung (Garber 2014). Wegen des regionalen Profils dieser Phase verwendete die ältere Literaturgeschichte den Begriff ,Zweite Schlesische Schule‘, mit dem man die Hoffmannswaldau-Nachfolger als spätere, den Opitzianern aber vergleichbare Kohorte des Barock charakterisierte. Die Nationalphilologie des 19. Jahrhunderts sah diese Zeit als epigonale Talphase, in der ,Schwulst‘ und untertänige ,Speichelleckerei‘ jeden Geschmack verdorben hätten, eine Einschätzung, die sich auf die Polemik der Aufklärung zurückführen lässt. Nicht nur wegen seines pejorativen Beiklangs ist der Terminus ,Schlesische Dichterschule‘ heute umstritten. Die genannten Autoren waren mitnichten schulisch organisiert, sondern in freundschaftlichen Netzwerken verbunden, die weit über ihre Heimat hinausreichten. Die erfolgreichen Werke von Eberhard Werner Happel (1647-1690), Johann von Besser (1654-1729) und Heinrich Anselm von Zigler und Kliphausen (1663-1697) weisen starke Gemeinsamkeiten mit denen der Schlesier auf, obwohl ihre Verfasser ebenso wenig in Breslau lebten wie die meisten Beiträger von Benjamin Neukirchs Anthologie der Gedichte Hoffmannswaldaus und seiner Anhänger. Komplexe Verdichtungen, ein ausgefeilter rhetorischer Apparat ( ornatus ), überhaupt ostentative Virtuosität im Sprachlichen - diese Phänomene beschränken sich nicht auf schlesische Texte. Mag auch die ästhetische Alterität den Zugang erschweren, so begünstigt sie die analytische Distanz zu den Errungenschaften dieser Zeit, die in autor- und gattungsspezifischen Fallstudien erläutert werden. <?page no="227"?> 000226 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 226 | B.III. Der deutsche Manierismus nach 1660 1. Der Manierismus als europäische Bewegung Indem sich das späte 17. Jahrhundert der zeitgenössischen europäischen Literatur öffnete, löste es sich von der humanistischen Orientierung an der Antike ebenso wie von der Abwehr aller ausländischen Einflüsse, wie sie für den barocken Kulturpatriotismus um 1650 typisch war. Hatte Opitz sich von der Renaissance des 15. und 16. Jahrhunderts inspirieren lassen, so rezipierte man gut ein halbes Jahrhundert später jene europäische Literaturströmung, die unmittelbar vor und zu Lebzeiten Opitz’ aufgekommen war, nämlich den Manierismus in seinen nationalen Ausprägungen. Der auf England beschränkte Begriff des ,Euphuismus‘ geht auf den Roman Euphues: The Anatomy of Wit (1578; Bd. 2: Euphues and His England , 1580) von John Lyly zurück. Dieser Roman ist voll von komplizierten Satzgefügen, Parallelismen und Periphrasen, gesuchten Vergleichen, spitzfindigen Wortspielen und pathetischen Floskeln. Der Inhalt ist nebensächlich - der hübsche und kluge, aber unmoralische Jüngling Euphues (griech. ,der Wohlgestaltete‘) lernt durch eine enttäuschte Liebe den Wert der Weisheit kennen - und dient lediglich dazu, ein manieriertes Reden und Verhalten zu propagieren, das sich Lylys Romanheld auf seiner Kavalierstour nach Italien aneignet und nach England importiert. Als elisabethanische Mode hielt sich der euphuistische Stil bis in das frühe 17. Jahrhundert und dient in einigen Dramen Shakespeares zur (teilweise parodistischen) Figurencharakterisierung . Auch in Frankreich bürgerte sich zu Beginn des 17. Jahrhunderts, gefördert durch die italienischen Königinnen Caterina und Maria de’ Medici, ein preziöser Stil ein. Aristokratische Autorinnen wie Madeleine de Scude´ ry und Madame de La Fayette kultivierten die überschwängliche Gefühlsrhetorik, deren Imitation durch das Bürgertum Molie`re (1622-1673) in seiner einaktigen Farce Les Pre ´cieuses ridicules (1659) verspottet. In Spanien wiederum nennt man eine vergleichbare Richtung ,Gongorismus‘, nach dem Dichter Luis de Go´ ngora y Argote, der einen gezierten Stil mit paradoxen Vergleichen („roter Schnee“) kultivierte. Auch seine Schreibweise zeichnet sich durch eine artifizielle, verschachtelte Syntax, kühne Metaphorik, Neologismen und raffinierte Periphrasen aus (Alonso 1978-1984). In Italien etablierte sich im ausgehenden 16. Jahrhundert an den Fürstenhöfen eine Gesprächskunst, in der Brillanz und hedonistischer Glanz dominierten. Ausgehend von Il Libro del Cortegiano [,Das Buch vom Hofmann‘] (zuerst 1528, dt. 1565 und öfter), Baldassare Castigliones europaweit erfolgreicher Verhaltenslehre, wurde die adelige Konversation zunehmend raffinierter. In dieser Welt des Scheinens und Paradierens wurden meraviglia [,Überraschung‘] und stupore [,Staunen‘] zu Programmpunkten gesellschaftlich erfolgreichen Auftretens und zu Normen der Dichtung. Vor allem Giambattista Marino exzellierte in dieser Manier. Sein mythologisches Epos L’Adone (1623), das in über 40.000 Versen die Liebe von Venus und Adonis besingt, galt auch in Deutschland als Muster des künstlichen Stils, den man nach ihrem maßgeblichen Vertreter als ,Marinismus‘ bezeichnet (Ley 1991). Da Euphuismus, Pre´ ciosite´ , Gongorismus und Marinismus eine ähnliche Ästhetik zugrunde liegt, liegt es nahe, den Manierismus als europäische Mode zu betrachten, die bis in die <?page no="228"?> 000227 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 227 2. Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau und die erotische Lyrik der Schlesier | Moderne wirkt (Hauser 1964 und Hocke 1987). Insbesondere in Spanien und Italien entwickelten Traktate die theoretischen Grundlagen dieser Verfahren. Wie Matteo Pellegrini Virtuosität und Überraschungseffekte als Merkmale des Manierismus ( Delle Acutezze , 1639), Baltasar Gracia´ n ( Arte de Ingenio , 1642) und Emanuele Tesauro ( Il Cannocchiale Aristotelico , 1655) ausführen, liegt der Grund des Wohlgefallens in der überraschenden Verbindung entlegener Bildbereiche, in der scharfsinnigen Pointe also, der acutezza oder argutia , die zu erzeugen dem ingeniösen Dichter obliegt (Blanco 1992; Beetz 1980, 209-284). Die zur Schau gestellte künstlerische Virtuosität soll Staunen und Bewunderung hervorrufen (Zymner 2014, 145). Nicht die mimetische Wirklichkeitsnähe oder authentische Gefühlsdarstellung bilden demnach die Ziele der manieristischen Ästhetik, sondern das Auffinden und die Kombination ungewöhnlicher Tropen ( concetti ). Dieser verspielte Intellektualismus, der sich im scharfsinnigen Epigramm und in der erotischen Dichtung des späten 17. Jahrhunderts niederschlägt, führt freilich oft an die Grenzen der Verständlichkeit. Marino, Scude´ ry und ihre Nachfolger waren daher in der auf Natürlichkeit und Klarheit bedachten Poetik der klassizistischen Frühaufklärung dem Vorwurf des Bombasts, der Geziertheit und der schwülstigen Dunkelheit ausgesetzt (Schwind 1977; Windfuhr 1966). 2. Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau und die erotische Lyrik der Schlesier In der Lyrik wurde das manieristische Programm der Pointenfülle bereits früh praktiziert, vor allem in den Gedichten Christian Hoffmann von Hoffmannswaldaus. Obschon deutlich älter als andere Autoren der hier als ,dritte Phase‘ vorgestellten Literatur, ist seine Schreibweise doch eher typisch für das späte 17. Jahrhundert. Das hat Gründe: Er fand erst mit etwa dreißig Jahren zur Poesie, eine autorisierte Ausgabe seiner Deutschen Ubersetzungen und Getichten erschien erst nach seinem Tod im Jahr 1679 und ein Großteil seiner Lyrik wurde sogar erst Ende des Jahrhunderts in der sogenannten ,Neukirch’schen Anthologie‘ veröffentlicht. Diese Sammlung von Herrn von Hoffmannswaldau und andrer Deutschen auserlesener und bißher ungedruckter Gedichten gab Benjamin Neukirch erstmals 1695 heraus, bevor sie von anderen Redakteuren bis 1727 in sieben Bänden fortgesetzt wurde, allerdings mit abnehmendem Anteil von Hoffmannswaldaus Texten. Während der erste Band noch 78 seiner Gedichte enthält, findet sich im letzten lediglich ein einziges; während in den ersten Bänden noch die meisten Autoren seine ,galante‘ Schreibweise imitierten - sie veröffentlichten meist pseudonym oder monogrammatisch (Heiduk 1971 hat die meisten Beiträger identifizieren können) -, vollzieht sich mit den späteren Teilen ein Geschmackswandel hin zu klassizistischer Einfachheit und Natürlichkeit, der Hoffmannswaldaus ästhetische Autorität beendete. Hoffmannswaldau entstammte dem Breslauer Patriziat. Seine Herkunft prädestinierte ihn für ein hohes politisches Amt, sodass er eine vorzügliche Ausbildung genoss: zunächst am renommierten Breslauer Elisabeth-Gymnasium, dann am Akademischen Gymnasium in Danzig, wo er Martin Opitz begegnete. Im Jahre 1638 bezog er zeitgleich mit Andreas Gryphius die Universität Leiden. Darauf folgte eine fürstliche Kavalierstour nach England, Frankreich und Italien, auf der er nicht nur die wichtigsten europäischen Sprachen erlernte, <?page no="229"?> 000228 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 228 | B.III. Der deutsche Manierismus nach 1660 sondern auch gesellschaftliche und literarische Kontakte knüpfte. Mit vierundzwanzig Jahren kehrte Hoffmannswaldau nach Breslau zurück, heiratete standesgemäß eine Adelige und begann seine politisch-administrative Karriere. In wechselnder Funktion als Schöffe oder Konsul war er seit 1657 Mitglied des Breslauer Rates, und in den letzten beiden Jahren vor seinem Tod wirkte er sogar als Bürgermeister von Breslau. Mehrere diplomatische Missionen führten Hoffmannswaldau an den Kaiserhof nach Wien, was ihm die Ernennung zum Kaiserlichen Rat durch Leopold I. eintrug. Die Leichenrede hielt sein jüngerer Freund Daniel Casper von Lohenstein. Hoffmannswaldau orientierte sich an der modernen Dichtung der Romania und machte sich zuerst als deren Übersetzer verdient, was ihm später den nicht eben lobend gemeinten Namen eines „Schlesischen Marin“ (Bodmer 1737, 635) eintrug. Die raffinierte Einfachheit von Battista Guarinis (1538-1612) Il Pastor Fido (1590), einem im Barock oft übersetzten Schäferspiel, ahmte er in seiner deutschen Version Der getreue Schäffer (1652) nach (Schwarz 1972, Noack 1999, 245-254). Seine Helden-Briefe (1664) folgen Ovids Heroiden und malen die hochgestimmten „Liebes-Regungen“ berühmter Liebespaare von Eginhard und Emma bis zu Abälard und Heloı ¨se in versifizierten Briefen aus (Noack 1999, 325-366). 2.1. Bildkombinatorik: Hoffmannswaldaus metaphorisches Schreibverfahren Das manieristische Verfahren scharfsinniger Bildverschränkung dominiert besonders seine erotischen Gedichte, die zu Lebzeiten wohl nur handschriftlich kursierten, für die Hoffmannswaldau aber heute am bekanntesten ist. Sie bilden das Kernstück des ersten Bandes von Neukirchs Anthologie und inspirierten das Wiedererstarken des Petrarkismus. Erstens ist für seine ,Brunst‘-Gedichte charakteristisch, dass Hoffmannswaldau Metaphern und Metonymien verschiedener Herkunftsbereiche zu komplexen Gebilden schichtet, die sich nicht mehr einfach ,übersetzen‘ lassen, sondern lediglich gewisse „Assoziationsspielräume“ eröffnen (Schöberl 1972, 62f.). Das lässt sich an der ersten Strophe aus „Albanie, gebrauche deiner Zeit“ illustrieren ( 128): ALbanie / gebrauche deiner zeit / Und laß den liebes-lüsten freyen zügel / Wenn uns der schnee der jahre hat beschneyt / So schmeckt kein kuß / der liebe wahres siegel / Im grünen may grünt nur der bunte klee. Albanie. Schon in den ersten fünf Versen häuft Hoffmannswaldau mindestens vier Metaphern an, nämlich den erotischen Genuss als ,Zügel Loslassen‘, das Alter als ,Schnee der Jahre‘, den Kuss als ,Siegel der Liebe‘ und die Jugend als ,Frühling‘. Doch kompliziert Hoffmannswaldau diese Bildhäufung, denn das Alter teilt mit ,Schnee‘ kein tertium comparationis , es ähnelt diesem gar nicht. Die Metapher funktioniert nur über das geläufige Bild des ,Winters des Lebens‘ (Analogie: fortgeschrittene Zeit), das hier doppelt metonymisch als ,Schnee‘ (für Winter) und ,Jahre‘ (für Leben) imaginiert wird. Zugleich verdoppelt Hoffmannswaldau das Bild durch die etymologische Figur ,der Schnee hat beschneit‘, die pleonastisch wirkt. Auch der fünfte <?page no="230"?> 000229 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 229 2. Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau und die erotische Lyrik der Schlesier | Vers kombiniert gleich mehrere Figuren und Tropen, nämlich die Metapher der Jugend als Lebensfrühling, das Polyptoton ,grüner Mai grünt‘ und das epithetische Oxymoron ,bunter Klee‘: Farbverb (,grünen‘) und Farbadjektiv passen nicht zueinander. Das Prinzip setzt sich fort: In Versen wie „Die aepffel / so auff deinen brüsten prangen / Sind unsre lust / und süsse anmuths-see“ ( 128) gleitet die Apfelfast unvermittelt in die See-Metapher, wobei die Konstruktion durch das Epitheton ,süß‘ noch verunklart wird. Diese Technik der „doppelten Metaphorisierung“, in der ein Tropus einen anderen nur scheinbar aufhellt (Rusterholz 1973, 274), wird von der Aufklärungspoetik als unverständlich verworfen. „Er pflanzt Metaphoren aus metaphorschen Worten“, moniert Johann Jakob Bodmer in einem Versabriss der deutschen Literatur, „hier wird er ungereimt, und unerträglich dorten“ (Bodmer 1737, 636). Zugleich erweist sich Hoffmannswaldaus sinnzerstörende Ambiguisierung als überraschend modern. Zweitens zeichnen sich Hoffmannswaldaus Gedichte durch die gewagte Interferenz von anzüglicher Erotik und religiöser Bildlichkeit aus, vor allem mit alttestamentlichen Bezügen. In dieser heterodoxen Frivolität sahen Hoffmannswaldaus Zeitgenossen die Signatur seines Werks. So behauptet Erdmann Neumeister 1695, Hoffmannswaldau habe seine erotischen Gedichte deshalb unveröffentlicht gelassen, quia sententiae Biblicae haud raro ad res profanas, ne dicam lascivas, applicantur [,weil biblische Sentenzen nicht selten auf profane Dinge, um nicht zu sagen laszive Themen angewandt werden‘] (zit. n. Schubert 1996, 457). Die religiösen Formeln und Floskeln dienen dazu, die Unbedingtheit der Liebesleidenschaft zu verbürgen. Die Vermischung sakraler und lasziver Elemente kommt der wirkungsvollen Pathosdarstellung entgegen, die durch Märtyrergebärden und Suiziddrohungen noch gesteigert wird. Das metaphorische Verbergen und Enthüllen sowie das Spiel mit Paradoxa von Leid und Lust entsprechen dem höfischen Code des amour passion , in dem Niklas Luhmann eine wichtige Phase der europäischen Liebessemantik gesehen hat (Luhmann 1982, 71-97). 2.2. Die kolonialisierte Geliebte: Hoffmannswaldaus erotische Gedichte Hoffmannswaldau erprobt wie wenige vor ihm den erotischen Affekt als literarisches Hauptthema (Fröhlich 2005, 150); selten zuvor wurde in deutscher Sprache so deutlich und so undeutlich zugleich über Sexualität gedichtet. Einige Beispiele können dies veranschaulichen: Das strophisch nicht gegliederte Gedicht „Florida“, das sich im zweiten Band von Neukirchs Anthologie findet ( 129), besteht aus zwanzig Alexandrinern. Über die Doppelreferenz von ,Florida‘ als Landschafts- und Frauenname assoziiert das Gedicht zwei männliche Unterwerfungsphantasien, nämlich die kolonialistische Besiedelung des ,wilden‘ Amerika und die sexuelle ,Eroberung‘ der sich sträubenden Dame, die mit der Phallusmetapher des „steiffen ancker“ bereits im zweiten Vers angedeutet wird. Wie in anderen Gedichten - etwa in „Albanie, gebrauche deiner Zeit“ ( 128), wo die Frau als ,unbebauter‘ Acker vorgestellt wird - verdinglicht Hoffmannswaldau seine Geliebte und imaginiert ihren Körper als „leere“ (V. 6) Gestaltungsmasse, über die sich beliebig verfügen lässt. In seinem Florida-Gedicht erhält dieses Muster noch eine soziale Dimension, denn dem Sprecher scheint es gar nicht um die ,hohe‘, aber unerfüllte Liebe zu gehen, wie sie die petrarkistischen Preziosenmetaphern konnotieren, sondern um die sexuelle Erfüllung in einem gesellschaftsfernen Milieu („Gold / <?page no="231"?> 000230 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 230 | B.III. Der deutsche Manierismus nach 1660 perlen / helffenbein begehrt mein hertze nicht / Das leere Florida soll mir die augen füllen“). Mit den Schlussversen, in denen das Ich Venus als Schutzpatronin anruft und sich „ihren kleinen“, gemeint ist Cupido, zum „steuermann“ wählen möchte, verwischen sich die metaphorischen Zuordnungen: Erhofft sich das lyrische Ich, dass ,Florida‘ sich in ihn verlieben und ihm den Beischlaf dauerhaft gestatten möge? Oder hofft er vielmehr, dass er selbst Gefühle für die mittellose Dame empfinde, um künftig glücklicher „auff blosser erde“ zu liegen? Sogar das abschließende Treueversprechen, er wolle, falls Venus ihn „an port“ bringe und „ans land“ setze, „täglich [s]ich zu ihrem tempel fügen“ (V. 17-18), gehorcht oberflächlich noch dem Motiv der Entdeckungsreise und ist nicht eindeutig aufzulösen. Damit bezeugt das Florida-Gedicht nicht nur Hoffmannswaldaus Technik der Bildkopplung, sondern auch die Genderstereotype und Liebesvorstellungen der galanten Zeit. Immer wieder nimmt seine Lyrik den ,männlichen Blickpunkt‘ des Voyeurs ein, der sich den weiblichen Körper als Objekt von Wiss- und Sexualbegierde konstruiert, ihn in einzelne Glieder zerteilt und in die stabilen Beschreibungsmuster des Petrarkismus fügt. Zentral für das galante Liebessystem ist die Imago der passiven oder wehrlosen Frau. Mehrfach erscheint sie daher als Schlafende, die sich versehentlich entblößt oder dem ,curieusen‘ Blick des Jünglings Genderstereotype und Liebesvorstellungen auf andere Weise preisgibt. „Du schläffst in sichrer ruh / ich aber wach allhier / Verirret in den schrancken Voll schlüpffriger gedancken“ (Neukirch [Hg.] 1961ff., I 435; V. 13-15), lauten typische Verse bei Hoffmannswaldau, und „Er schauet der Lesbie durch ein loch zu“ (ebd., I 45; 131) oder „Als er die Lesbia sich entkleiden sehen“ (ebd., VI 19) entsprechende Titel. Bisweilen mündet die Phantasie auch in handfeste Übergriffe, wie in Hoffmannswaldaus „Er ist ein unglücklicher Wecker“: „Ich wolte meine hand auff ihre brüste strecken / Es that ein nasser kuß ihr meine geilheit kund. Es ruffte Lesbie: Ist dein verstand gesund / So führe keine brunst in meine keusche hecken“ (ebd., I 46). Hoffmannswaldaus Nachfolger in der Neukirch’schen Anthologie verstärken diese Tendenz noch. Die scherzhaften Menstruationsgedichte von Johann von Besser („NIcht schäme dich / du saubere Melinde / Daß deine zarte reinligkeit Der feuchte mond verweist in eine binde“, 150) oder Celanders Masturbationsgedicht „Als einer im Schlaff verschwenderisch gewesen“ (Celander 1716, 125) verletzen ganz bewusst die Konventionen des Schicklichen. An den Grenzen der biense ´ance bewegt sich auch ein Hoffmannswaldau-Gedicht mit dem Incipit „So soll der purpur deiner lippen“ ( 130). Wie viele seiner Erotica changiert es zwischen Eindeutigkeitssignalen und Ambiguität - die anzügliche Metaphorik scheint leicht Widersprüchliche Erotik: Pornographie, Liebeswerben oder christliche Heilslehre? durchschaubar, nämlich bruchlos auf sexuelle Akte hin auflösbar; doch die direkte ,Übersetzung‘ des Bildes verstrickt sich oder eröffnet immerhin verschiedene Möglichkeiten. Daher hat dieses Gedicht in der Forschung widersprüchliche Interpretationen hervorgerufen. Während frühere Interpreten den sexuellen Gehalt kaum auszusprechen wagten (Rusterholz 1973; Ketelsen 1982), vereinfachen neuere Studien das Bildspiel vielleicht über Gebühr, wenn sie es ausschließlich pornographisch lesen (so Regener 2001, 182f.; Fröhlich 2005, 218). Auf den ersten Blick legt das früh eingeführte Phallussymbol des Mastes (V. 4) folgende Auflösung nahe: Das Ich bereut in der ersten Strophe, bei der Fellatio zum Höhepunkt <?page no="232"?> 000231 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 231 2. Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau und die erotische Lyrik der Schlesier | gekommen zu sein (,Stranden‘ als Piccola morte ), bevor er das ,süße Land‘, nämlich die Scham der Geliebten erreicht hat. Er rechtfertigt sein Scheitern ironisch dadurch, dass ihre schönen Augen ihn auf Irrwege gebracht, ihre weißen Brüste ihm die Havarie immerhin ,versüßt‘ hätten (zweite und dritte Strophe). In der vierten und fünften Strophe, adversativ mit „Nun wohl! “ eingeleitet, akzeptiert das Ich seinen Schiffbruch und sammelt neue Kräfte. Er wolle mit seinem „ruder“ doch noch im Schoß der Geliebten ,landen‘ und ihr dort einen „altar“ aufbauen. Offen bleibt, was genau damit gemeint ist, ob Koitus oder Cunnilingus - die Metapher des Ruders als ,Zunge‘ ist neutestamentlichen Ursprungs (Jak. 3,3-5) -, oder ob gar ein Eheversprechen gegeben wird (Borgstedt 1994, 309f.; Noack 1999, 172). So transparent die einzelnen Metaphern des Masts, der Klippen und des süßen Landes auch zu sein scheinen, verdunkelt ihre Kombination doch die Lesart des gesamten Gedichts. Hinzu kommt, dass die Schifffahrt traditionell den Lebensweg des Christenmenschen verbildlicht, sodass der „morrsche[ ] nachen“ (V. 11) hier auch für das drohende Ausgeliefertsein des lyrischen Ichs an seine Passion stehen könnte. Demnach würde das Lebensschiff „auf die Klippen der Lust geworfen, so daß alles Heil dahin ist“ (Ketelsen 1982, 351). Diese Bildverwendung war im Petrarkismus geläufig. Wie ein steuerloses Schiff wird das Ich hin- und hergetrieben, vom rechten Weg abgebracht durch die ,irrlichternden‘ Augen der Geliebten. Gegen diese „ethisch-theologische Lesart“ (ebd.) spricht, dass die nautische Bildlichkeit in der Neukirch’schen Sammlung so häufig in erotischem Kontext eingesetzt wird, dass ihre christliche Funktion als „Daseinsmetapher“ (Blumenberg 1979) weitgehend verblasst. Doch auch die Gleichsetzung des ,Masts‘ mit dem Phallus wird unsicher, wenn man die Renaissancetradition des Kussgedichts bedenkt, in der Hoffmannswaldaus Gedicht steht. Eine direkte Quelle ist zwar nicht bekannt, doch erprobt Marino in seinem Sonetto amoroso über eine sich kämmende Frau in ähnlicher Weise die nautische Bildlichkeit, wenn er die Haare als ,Wellen‘ („Onde dorate, e l’onde eran capelli“) und die erotische Hingabe als Schiffbruch („ricco naufragio“) verbildlicht (Borgstedt 1994, 303). Vor dem Hintergrund der lateinisch-italienischen Kussdichtung könnte der ,Mast‘ schlicht synekdochisch für das Ich selbst stehen. Indem es petrarkistisch über den Verlust der Freiheit klagt, fordert es die Geliebte auf, nicht beim Küssen stehenzubleiben („Auff deinem schönen munde“ zu stranden), sondern das Ich ,anlanden‘ zu lassen. Im Bild eines heidnischen Venuskults teilt der errettete Schiffbrüchige seiner Dame mit, dass er seine erotische Landung nicht als einmalige Aktion erachte, sondern in einer dauerhaften Verehrung „mit fettem opffer“ fortzuführen gedenke - womöglich gar in der Ehe, die zu schließen Hoffmannswaldaus lyrische Sprecher öfter versprechen (ebd., 309-312). Damit gerät die Sexualisierung der nautischen Metaphorik nicht völlig eindeutig, sondern gewinnt vielmehr ihren concettistischen Reiz gerade durch ihre Doppeldeutigkeit. Überraschend explizit scheinen Hoffmannswaldaus Gedichte zu sein, eben frivole ,Männerfantasien‘ in der Mode der Zeit, nur um sich dann als ebenso überraschend facettenreich und widersprüchlich zu entpuppen. <?page no="233"?> 000232 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 232 | B.III. Der deutsche Manierismus nach 1660 2.3. Breslauer Concettismo: Heinrich Mühlpfort, Hans Aßmann von Abschatz und Christian Gryphius Zu dem Breslauer Freundeskreis der Jahrhundertmitte zählten Heinrich Mühlpfort und Hans Aßmann Freiherr von Abschatz. Wie Hoffmannswaldau veröffentlichten beide zu Lebzeiten wenig, sondern ließen ihre Gedichte unter Bekannten sowie als Beiträge zu Gelegenheitsdrucken zirkulieren. Erst nach ihrem Tod erschienen umfängliche Ausgaben ihrer Werke, weil manieristische Lyrik im letzten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts sehr gefragt war. Mühlpforts Teutsche Gedichte (1686, zweiter Teil unter dem Titel Poetische Gedichte , 1687) umfassen vorrangig Casualcarmina und Geistliche Lieder, aber auch einige manieristische Erotica. Mit Hoffmannswaldaus Lyrik teilen manche die ambige Schifffahrtsmetaphorik, etwa ein kurzversiges Kussgedicht, das Neukirch im ersten Teil seiner Anthologie abdruckt: „Asterie / laß deine lippen Mir nur nicht harte felsen seyn; Ein schiffer flieh’t sonst hohe klippen / Bey dir lauff ich im hafen ein. Dein kuß der bleibet Mein lust-magnet / Zu dem mich treibet Die treu / so steht / Und nicht vergeht“ (Neukirch [Hg.] 1961ff., I 400; V. 28-36). In der Neukirch’schen Anthologie finden sich auch einige von Mühlpforts epigrammatischen Casus-Gedichten - das sind scherzhafte Verse auf besonders kuriose Liebesbegebenheiten, wie sie in Italien und Frankreich beliebt waren. „An seinen guten freund / welchem von seiner liebsten Agnes der puls mit einer nadel gestochen worden“ (Neukirch [Hg.] 1961ff., III 11), lautet beispielsweise Mühlpforts Variante eines Topos romanischen Ursprungs, der um 1700 oftmals verwendet wird. Meist sind diese anzüglichen Witze mit ,Als er … ‘ betitelt und deuten das erotische Ereignis metaphorisch aus. Aßmann von Abschatz, der mit Hoffmannswaldau und mit Lohenstein befreundet war, publizierte zu Lebzeiten lediglich Der Teutsch-redende Treue Schäffer / Des berühmten Welschen Guarini (1672), eine elegante deutsche Version von Guarinis Pastor Fido (Schwarz 1972). Dass seinen Poetischen Übersetzungen und Gedichten (1704) überhaupt eine postume Ausgabe vergönnt war, verdankt sich wohl auch der Hoffmannswaldau-Begeisterung um 1700, in deren Zuge Abschatz’ erotische Lyrik wiederentdeckt wurde. Herausgegeben wurde die umfangreiche Sammlung von Christian Gryphius (1649-1706), Sohn von Andreas, selbst Autor von Gelegenheitsdichtung und Schuldramen sowie Professor am berühmten Elisabethgymnasium in Breslau. Abschatz’ Gedichte umfassen Casualcarmina und geistliche Gedichte sowie einige poetische Übersetzungen aus dem Italienischen. Auch wenn sich Abschatz gegen „die mit allzuvielem Venus-Salz marinirten Speisen einiger Welschen“ (Abschatz 1704, II 247) verwahrt, zeigen neben seinen Marino-Übertragungen vor allem die Schertz-Sonnette über die auch bey ihren Mängeln vollkommene Schönheit des Frauenzimmers (ebd., II 177-244) eine manierierte Faktur. Es handelt sich um die Übertragung einer Sammlung von fünfzig Sonetten, La Tersicore overo scherzi, e paradossi poetici sopra la belta` delle donne (1637), des Florentiner Dichters Alessandro Adimari, der diverse Makel weiblicher Schönheit dialektisch zum Lob ummünzt und mit Verweisen auf Seneca ironisch abstützt. Die Reihe beginnt mit dem „Schönen Kind“ und reicht über „Die Schöne Hinckende“, „Die schöne Pockengrübigte“, „Die schöne Groß-Nase“ und „Die Schöne Alte“ bis zur „Schönen Toten“, ja sogar bis zur „Schönen im Grabe“. In der Umdeutung körperlicher Gebrechen und Makel zu Schönheitsmerkmalen folgt Abschatz den paradoxen Gedichten des Adimari und <?page no="234"?> 000233 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 233 3. Daniel Casper von Lohenstein und der Lauf der ,gantzen Welt‘ | befeuert den bizarren Manierismus in Deutschland. Wie Abschatz die konventionellen Vergleiche des Petrarkismus steigert und mit Sekundärmetaphern seine abstrakten Bildwelten baut, zeigt exemplarisch das Lob der schönen grauen Haare im 46. „Schertz-Sonnett“ ( 121). Abschatz kombiniert hier Bilder aus dem Reich der Preziosen (Gold, Silber), Jahreszeiten (Schnee, Sommer), Temperaturen (Hitze, Kühle), Meteorologie (Wind, Wolken), Astronomie (Sonne, Himmel) und Botanik (Rosen, Lilien) zu einem Gebilde von hoher Selbstbezüglichkeit. Gepaart mit einer manieristischen Lust an der Groteske ist diese Komplexität das Grundmerkmal der grellen Effektästhetik im späten Barock, und am deutlichsten offenbart sie sich im Werk des Daniel Casper von Lohenstein. 3. Der Gelehrte: Daniel Casper von Lohenstein und der Lauf der ,gantzen Welt‘ Neben Andreas Gryphius ist Daniel Casper von Lohenstein der bedeutendste Dramatiker des 17. Jahrhunderts. Als Sohn des wohlhabenden Gutsbesitzers und kaiserlichen Steuereinnehmers Johann Casper wurde er 1635 im Städtchen Nimptsch im schlesischen Fürstentum Brieg geboren. Sein bürgerlicher Name ist Daniel Casper, doch üblicherweise führt man ihn unter seinem Adelsnamen ,von Lohenstein‘, auch wenn er den Adelstitel - er erklärt sich aus dem Flüsschen Lohe, das den Familienbesitz durchfloss - erst später erlangt hat. Seine Jugend verbrachte Daniel Casper im nahen Breslau, wo er schon als Achtjähriger das lutherische Magdalenengymnasium besuchte, eine bedeutende Ausbildungsstätte mit beachtlicher Bibliothek. Überdies erlernte er „fast ohn [ … ] Anleitung“ die modernen Fremdsprachen Französisch, Italienisch und Spanisch (Lohenstein 1701, fol. A7 r ). Sechzehnjährig begann er sein Jurastudium in Leipzig, das er in Tübingen mit einer Disputation über die Willensfreiheit De voluntate (1655) abschloss. Danach begleitete er zwei junge schlesische Adlige auf einer ausgedehnten Kavalierstour durch die Schweiz, die Niederlande und Ungarn; die Pest verhinderte die geplante Weiterreise nach Frankreich und Italien. Nach seiner Rückkehr in die schlesische Heimat heiratete Daniel Casper eine reiche Gutsbesitzerwitwe und ließ sich als freiberuflicher Anwalt in Breslau nieder. Die Anwaltspraxis gab er im Zuge einer politischen Karriere auf. 1668 wurde er zum Regierungsrat des Fürstentums Oels ernannt, zwei Jahre später zum Syndikus der Stadt Breslau. In dieser Funktion leitete er zusammen mit Hoffmannswaldau die Geschicke der Stadt Breslau. In demselben Jahr erfolgte auch die Erhebung in den Adelsstand. Nach dem Heimfall des Herzogtums Brieg an das Haus Habsburg vertrat er die Interessen der Stadt Breslau am Wiener Kaiserhof und in anderen diplomatischen Missionen. Dies trug ihm den Titel eines Kaiserlichen Rates und eines Protosyndikus ein. 1683, in seinem achtundvierzigsten Lebensjahr, starb Daniel Casper an einem Schlaganfall. Ein Lebens-Lauff Deß sel[igen] Autoris , den sein Bruder Johann Casper von Lohenstein verfasste, wurde anonym in die frühen Sammelausgaben aufgenommen. Wie Hoffmannswaldau verkörpert Lohenstein in seiner politisch-literarischen Doppelbegabung den Typus des weltgewandten Dichters, ein Ideal des 17. Jahrhunderts. Die Religiosität des Lutheraners Lohenstein ist strittig. So hat er sich nie explizit über seine Konfession geäußert; beeinflusst durch die katholischen Verhaltens- und Klugheitslehren des spanischen Jesuiten Baltasar Gracia´ n sowie die taciteischen Embleme des Diego de Saavedra Fajardo, hat <?page no="235"?> 000234 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 234 | B.III. Der deutsche Manierismus nach 1660 er sich mit Bedacht konfessionell bedeckt gehalten, vielleicht aus politischem Kalkül. Schließlich erweisen ihn einige seiner Veröffentlichungen als machtbewusst, wie die Übersetzung von Gracia´ ns Fürstenspiegel El polı ´tico D. Fernando el Cato´lico (1640) unter dem Titel Lorentz Gratians staats-kluger catholischer Ferdinand (1672), die Lohenstein dem schlesischen Herzog Georg Wilhelm I. von Liegnitz, Brieg und Wohlau gewidmet hat. Lohensteins Interesse für den überzeitlichen Vergleich politischer Konstellationen mag mit Schlesiens Nähe zum Hause Habsburg zusammenhängen, auch wenn sein angeblicher Machiavellismus in der jüngeren Forschung relativiert wurde (Wichert 1991, 145; Borgstedt 1992, 450; Arend 2003, 157-159). Zwar gipfelt Lohensteins Staats-Kluger Catholischer Ferdinand in einer Apotheose des Hauses Habsburg, und er stilisiert Kaiser Leopold I. unter der Figur des Arminius zum vorbildlichen Fürsten, der Saavedra Fajardos Lehren der prudentia , der politischen Klugheit befolgt. Jedoch verherrlicht Lohenstein den Kaiser nicht schlicht, sondern stellt ihm mit seinem Roman ein Ideal vor Augen, dem er zu folgen habe, damit sich das heilsgeschichtliche Versprechen seiner glorreichen Herrschaft erfülle (Borgstedt 1992, 209-214). So erscheint er eher als lutherischer Ireniker denn als zynischer Opportunist. 3.1. Lohensteins Trauerspiele Lohensteins immense polyhistorische und polyglotte Bildung beeindruckte die Zeitgenossen. Er beherrschte die Klassischen Sprachen ebenso wie die modernen Nationalsprachen Italienisch, Französisch und Spanisch. Sein umfangreiches Werk umspannt alle Gebiete und Gattungen, wobei das Drama fraglos den Schwerpunkt seines literarischen Schaffens bildet. Seine Dramen überbieten pathetisch das im Vergleich dazu geradezu nüchtern wirkende Theater eines Andreas Gryphius. Lohenstein verfasste sechs Dramen, allesamt Trauerspiele, allesamt Geschichtsdramen, denen ein historischer, von Lohenstein in Anmerkungen meist quellenreich dokumentierter Stoff zugrunde liegt (Niefanger 2005, 193-214). Sie lassen sich nach ihren Handlungsorten in drei Gruppen gliedern - die Türkischen, Afrikanischen und Römischen Trauerspiele -, und erkennbar ist in dieser Ordnung neben dem globalen Anspruch das exotistische ,Distanzprinzip‘, dem zufolge Trauerspiele und hohe Romane stets auf fremden Kontinenten oder in weit zurückliegenden Zeiten spielen. Lohenstein weitet seine Dramatik universalhistorisch aus und versucht, Gestalt und Lauf der ,ganzen Welt‘ auf die Bühne zu bringen, weil diese ja selbst stets Theater spielt, weil, wie der Theatrum mundi - Topos in der Widmung des Ibrahim Sultan lautet, „die gantze Welt einen Schauplatz / Menschen die Spielenden / ihr Leben das Spiel / der Himmel den urtheilenden Zuschauer fürstellet“ (Lohenstein 2013, SW II 3,1; 7, V. 43-45). 3.1.1. Türkische Trauerspiele: Ibrahim Bassa (1653 / 1689) und Ibrahim Sultan (1679) Das Trauerspiel Ibrahim (1653), später (1689) Ibrahim Bassa betitelt, verfasste Lohenstein wohl schon als Gymnasiast. Das Stück beruht auf Madame de Scude´ rys höfischem Roman Ibrahim ou L’illustre Bassa (1641), den Philipp von Zesen 1645 ins Deutsche übersetzt hatte. Weil er dessen Geliebte begehrt, ermordet der schwache Sultan Soliman den italienischstämmigen Großwesir Ibrahim, eine Tat, zu der ihn die Kaiserin und ein Höfling angestiftet haben. Lohenstein erprobt in diesem Frühwerk bereits den Reiz des Osmanensujets, steht allerdings <?page no="236"?> 000235 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 235 3. Daniel Casper von Lohenstein und der Lauf der ,gantzen Welt‘ | noch ganz unter dem Einfluss Andreas Gryphius’. Eigensinniger zeigt Lohenstein sich dagegen in seinem anderen türkischen Trauerspiel, Ibrahim Sultan (1679), welches das Schicksal der wollüstigen und grausamen Titelfigur vorstellt, ein von seinen Trieben und Träumen Besessener, der nach mehreren Vergewaltigungen einer Revolte zum Opfer fällt und hingerichtet wird. Lohenstein interessiert weniger das Gute als vielmehr das Böse. Dementsprechend sind seine Trauerspiele dem Typ des Tyrannendramas zuzuordnen, das er sprachlich wie thematisch pathetisch auflädt und ins Extreme steigert. In seiner auf die damalige ,Türkengefahr‘ anspielenden Widmungsschrift des Ibrahim Sultan deutet Lohenstein an, dass sich die dramatisierten Begebenheiten auf Gegenwart und Nachwelt übertragen lassen. Nur Kaiser Leopold I. könne den ,finsteren‘ Osmanen entgegentreten („Diß Schauspiel entwirfft die Gemüths-Flecken und die zu unserer Zeit sichtbare Verfinsterung eines Oßmanischen Mohnden; umb durch Ew. Käyserl. Majest. Gegensatz der Welt für Augen zu stellen: wie [ … ] die Geschichtsdramen mit Gegenwartsbezug: der türkische Tyrann und die Habsburger Sonnen von Oesterreich aber aller Vergrösserung überlegen sind“ [Lohenstein 2013b, S. 8]). Aus dieser Betrachtung der Geschichte erklärt sich auch, warum Lohenstein viele seiner Trauerspiele mit einem fünften Reyen beschließt, während bei Gryphius nur die ersten vier Akte mit einer Allegorienrevue enden. Lohensteins Reyen perspektivieren das dramatisierte Geschehen universalhistorisch, etwa indem wie in Sophonisbe (1680) die vier Weltreiche und das „Verhängnis“ auftreten, um die Habsburger Herrschaft als teleologisches Ziel der Geschichte zu präsentieren. 3.1.2. Afrikanische Trauerspiele: Cleopatra (1661 und 1680) und Sophonisbe (1680) Noch deutlicher als in den Türkischen Trauerspielen prägt Lohensteins Geschichtsteleologie seine beiden afrikanischen Frauendramen. Sie greifen bekannte Stoffe aus der römischen Geschichtsschreibung auf, nämlich den Selbstmord von Antonius und Cleopatra nach der Belagerung Alexandrias durch Octavian sowie den Selbstmord der numidischen Königin Sophonisbe im zweiten Punischen Krieg. Thema in beiden Stücken ist folglich der Konflikt des römischen Imperiums mit untergehenden afrikanischen Reichen, deren Herrscherinnen Cleopatra und Sophonisbe mit allen Mitteln für den Erhalt ihrer Macht kämpfen. In der Wahl von skrupellosen Femmes fortes als Protagonistinnen folgt Lohenstein der europaweiten aristokratischen Mode, traditionelle Geschlechterrollen umzukehren. Ihre männlichen Gegenspieler, Scipio in Sophonisbe und Augustus in Cleopatra , treten spät auf und verstärken als relativ blasse Kontrastfiguren in ihrem stoischen Gleichmaß eher noch die pathetischen Leidenschaften, erotischen Abhängigkeiten und krassen Affektwechsel, welche die Handlung bestimmen. Auch wenn Affektbeherrschung indirekt als Voraussetzung für erfolgreiches politisches Handeln gefordert wird, gewinnen die afrikanischen Herrscherinnen, nicht zuletzt wegen ihres selbstgewählten Freitods, heroische Größe. Damit kommentieren die Dramen das seit Niccolo` Machiavelli und Justus Lipsius vieldiskutierte Problem, inwieweit politisches Handeln sich von den Normen der Moral und der Religion lösen darf. Unter Bezug auf zeitgenössische Affekt- und politische Klugheitslehren zeigen und verurteilen die Trauerspiele Wollust und Ehrgeiz als Triebfeder menschlichen Handelns. <?page no="237"?> 000236 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 236 | B.III. Der deutsche Manierismus nach 1660 Lohensteins Trauerspiel Sophonisbe präsentiert die Protagonistin, eine afrikanische Fürstin, als skrupellosen, mit allen Mitteln sein Ziel verfolgenden Machtmenschen (Dane 2013). Nachdem sie ihren Ehemann, den Numiderkönig Syphax, zum Bruch des mit den Römern geschlossenen Vertrags angestiftet hat, gerät dieser in die Gewalt des Satrapen Masanissa, eines römischen Statthalters. Doch Sophonisbe gelingt es, Masanissa zu becircen und ihrem Mann Syphax zur Freiheit zu verhelfen. Rasch arrangiert sich Sophonisbe in politischer Klugheit mit den geänderten Umständen und willigt ein, Masanissa zu ehelichen - unter der Bedingung, dass er sie nie den Römern überlasse. Syphax, der sie noch immer liebt, begeht darauf Selbstmord. Da jedoch der römische Feldherr Scipio seinem Vasallen Masanissa untersagt, die abtrünnige Sophonisbe zu heiraten, bleibt auch dessen Schutzversprechen unsicher. Aus diesem Dilemma befreit sich Sophonisbe, indem sie mit Gift, das ihr Masanissa zugespielt hat, sich und ihre beiden Söhne tötet: „Recht so! wer hertzhaft stirbt / lacht Feinde / Glück und Zeit; Verwechselt Ruh und Ruhm mit Angst und Eitelkeit“ (Lohenstein 2013c, SW II 3,1, V, V. 479f.). Schließlich gestattet Scipio es Masanissa, die heroische Sophonisbe ehrenvoll zu bestatten. Die Affektwechsel, die Lohenstein durch pagane Tempelszenen noch exotisch verfremdet, gipfeln in zahlreichen Verkleidungsszenen, einem der Theatermode der Zeit entsprechenden cross-dressing , das dem heroischen Ende jedoch keinen Abbruch tut (Watanabe-O’Kelly 2010, 194-198). Vermina etwa, ein Stiefsohn Sophonisbes, muss sich erst als Frau verkleiden (I, V. 375: „Vermina schmücke dich mit unserm Frauen-Kleide“), sodann als römischer Legionär. Sophonisbe wappnet sich ihrerseits als Amazone: „Legt uns den Harnisch an. Den Helm her! schneidet mir Nun das unnütze Haar zu Seenen auf die Bogen Von Stirn und Scheutel ab [ … ]“ (I, V. 346-348). Die häufigen Verkleidungen deuten auf das unbedingte Machtkalkül und die Inkonstanz der Figuren, die sich jeder Situation chamäleonhaft anpassen. Zudem unterstreicht das Spiel mit Geschlechterrollen die raschen Stimmungswechsel und erotischen Spannungen. Mehr noch als Sophonisbe zeichnen die plötzlichen Gefühlsumschwünge ihren männlichen Konterpart aus, wie Szene II,4, zeigt, in der Masanissa seinen Gefangenen Syphax im Gefängnis aufsucht, um ihn umzubringen. Masanissa ahnt nicht, dass Sophonisbe ihrem Mann zur Freiheit verholfen hat, indem sie selbst in Männerkleidung dessen Gefangenenrolle spielt ( 137). Lohensteins Dramaturgie beruht auf Überraschungen, die sich eng mit manieristischen Wendungen verknüpft. Dem entgeisterten Masanissa entfällt angesichts der weiblichen Brüste der als Mann verkleideten Sophonisbe der Dolch; zunächst vermutet er einen Geschlechtswechsel des Syphax, bevor er die Erotik der Situation goutiert: „Wie? hat der Syphax sich in eine Frau verstellt? Laß’ uns dis Wunder-Werck was eigen doch betrachten! “ (II, V. 322f.). Mindestens ebenso concettistisch muten die petrarkistischen Paradoxe an, mit denen Masanissa sodann Sophonisbes Schönheit lobt: „Das Bein von Elefanten Ist schwartz bey ihrer Haut“ (IV, V. 386f.), soll heißen: Ihre Haut ist derart weiß, dass Elfenbein daneben wie schwarz erscheint. Verstiegene Vergleiche wie diese sind das stilistische Analogon der Verkleidungs- und Entpuppungsszenen. Handlungslogisch wie sprachlich übersteigert Lohenstein den Verblüffungseffekt des entlarvten Scheins; er verflicht die metaphorischen Gegensätze so weit, bis die Figuren (und der Leser) kaum noch wissen, wer Mann und Frau, was schwarz und weiß ist. <?page no="238"?> 000237 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 237 3. Daniel Casper von Lohenstein und der Lauf der ,gantzen Welt‘ | In diesem Treibhaus der Affekte repräsentiert der Römer Scipio, der seine Leidenschaften im Zaume hält, die einzig stabile Gegenfigur. Zugleich verkörpert er die Instanz, die alle Intrigen und Anstrengungen als dem „Verhängnüs“ gegenüber vergeblich erweist. Den not- Treibhaus der Affekte als Empfehlung politischer Klugheit wendigen Gang der Geschichte, die translatio imperii [,Wechsel der Weltherrschaft‘], können selbst die politisch Handelnden nicht ändern, sondern allenfalls heroisch hinnehmen. Dies gelingt Sophonisbe, indem sie sich durch Gift römischer Gefangenschaft entzieht. Im Lichte dieses Aspekts hat die neuere Forschung diskutiert, wie strukturprägend die Verherrlichung des Hauses Habsburg ist, die in der Widmungsvorrede und den aktschließenden Reyen betrieben wird. Diente das Stück hauptsächlich als Hochzeitsgabe für die Vermählung Leopolds I. mit der spanischen Infantin (Valentin 1996) oder ist die Habsburg-Panegyrik lediglich „Oberfläche“ (Loos 2000, 135; Mourey 2010, 31), hinter der sich ein spätes Märtyrerdrama verbirgt? Für die erste These spricht die Nähe zur höfischen Maskerade, eine Art ,Veroperung‘, die sich vor allem in den Affektallegorien der Reyen zeigt. Allein vier der fünf Reyen in Sophonisbe sind mit personifizierten oder mythologisch verkleideten Passionen besetzt, welche die Abhandlungen ausdeuten. Da die personifizierten Leidenschaften ihren Streit in kleinen abgeschlossenen Bühnenhandlungen austragen, ergeben sich selbständige Affektballette, die sorgfältig choreographiert den Mechanismus menschlicher Regungen offenlegen. Nicht nur ihr Kampf gegen Vernunft und Tugend, sondern auch der Zank der Passionen untereinander wird dargestellt. Im ersten Reyen streiten acht Leidenschaften (Zwietracht, Liebe, Hass, Freude, Schrecken, Begierde, Neid und Furcht) um Sophonisbes Seele, während es im vierten Reyen Tugend und Wollust sind, zwischen denen der mythische Herkules am Scheideweg hin- und hergerissen ist. Lohenstein lässt in seiner Revue der Leidenschaften die höfische Empfehlung anklingen, stets vorsichtig zu sein, wenig preiszugeben, um sich nicht angreifbar zu machen. Prudentia tritt an die Stelle der constantia . Lohensteins Trauerspiele wollen nicht trösten, sondern zur politischen Klugheit erziehen (Schings 1983). Wer in der Welt der Verstellung seine wahre Empfindung zeigt, ist verloren. 3.1.3. Römische Trauerspiele: Agrippina (1665) und Epicharis (1665) In den Türkischen und Afrikanischen Trauerspielen kam den Leidenschaften eine gegenbildliche Funktion zu. Mit ihrer Darstellung plädierte Lohenstein ex negativo für die Vernunft und eine vernunftgeleitete, dem Gemeinwohl verpflichtete Herrschaft. Das gilt erst recht für die wollüstig-grausamen Bühnenhandlungen der Römischen Trauerspiele. Zeigen die Afrikanischen Trauerspiele den Aufstieg der Weltmacht Rom, so präsentieren ihre Römischen Gegenstücke den Niedergang des Imperiums, nämlich die dekadente Herrschaft Kaiser Neros. Agrippina und Epicharis behandeln Episoden aus der neronischen Gewaltherrschaft - das bedeutet ein entfesseltes Theater sexueller Perversionen, ungehemmter Machtgier und drastischer Gewalt, in dem die Tugend nur noch im Untergang sichtbar wird. Die heimliche Christin Epicharis entfacht eine Palastrevolution, die auf der Bühne zu einer wahren Blutorgie führt. Dazu zählt auch die Hinrichtung des Epikers Lucan, der im Bewusstsein stirbt, im „Buch der Ewigkeit“ rehabilitiert zu werden (V, V. 397). Nachdem Epicharis einen heroischen Freitod „in der Folter binden“ (V, V. 735) gestorben ist, hat Nero das letzte <?page no="239"?> 000238 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 238 | B.III. Der deutsche Manierismus nach 1660 Wort. Er wähnt sich als Sieger und ordnet neben „tausend Freuden-Zeichen“ an, „den Göttern“ Tiere zu opfern und den Leichnam der Epicharis im Tiber zu versenken (V, V. 751f.). Doch der Zuschauer, der die Geschichte Roms und das schmähliche Ende Neros kannte, benötigt keinen Abschlussreyen zum Fortgang der Geschichte, um zu wissen, wie sehr Nero sich über das „Verhängnüs“ irrt. Noch bewegter gestaltet sich die Bühnenhandlung der Agrippina , die als ehrgeizige Kaiserinmutter ihren Sohn Nero in inzestuöser Abhängigkeit hält, bis sie selbst dem Intrigenspiel Lust am Skandal einer noch kälteren Frau, der Sabina Poppäa, zum Opfer fällt. Der skandalträchtige Dialog zwischen Agrippina und Nero, in dem die lüsterne Mutter ihren Sohn zum Inzest überredet ( 136), als Höhepunkt des dritten Akts zugleich Zentrum des Stücks, erhellt sowohl thematisch wie stilistisch die innovative Leistung von Lohensteins Dramatik. In dem Inzestdialog wird die sexuelle Affekterregung nach den klassischen fünf Stadien erotischer Liebe ( quinque lineae amoris ) minuziös vorgeführt. Auf den Anblick ( visus ) folgt das Gespräch ( colloquium ), dann die Berührung ( tactus ) und der Kuss ( osculum oder basium ), bevor die Partner in der Vereinigung ( coitus oder actus ) zusammenfinden. Die Sinneslüste eskalieren hier sprachlich und pantomimisch: Agrippina nutzt die petrarkistische Feuer-Schnee-Formel, um damit ihren Sohn zu überreden, nicht beim Küssen haltzumachen (V. 137-145). Durch die Verbildlichung des Zungenkusses in der züngelnden Natter wird zwar das Sündhafte dieses Ansinnens angedeutet, doch bleibt Nero diese moralische Warnung verborgen. Darauf sucht Agrippina ihren Sohn mit sophistischen Naturrechtsargumenten von der Natürlichkeit des Inzests zu überzeugen (V. 170-192): „Wer sol die Mutter-Brust mehr liben / als ihr Kind? “ (V. 175). Agrippina behält danach ihre persuasive Sprechhaltung bei, doch wechselt sie die Tonart - von der sophistischen Argumentation zur erotischen Aufforderung, die sie mit der doppeldeutigen Anrede „Mein Licht“ einleitet und mit drei Imperativformen untermauert: „komm lasse [ … ], schmeck’“ (V. 245-252). Wieder setzt sie hier das Feuer-Flammen-Argument ein. Wie der Sohn als Kleinkind Nahrung mit der Muttermilch erhielt, soll er nun „Öl“, also Nahrung für seine erotischen Liebesflammen, aus der mütterlichen Brust saugen. Nun ist Nero von Agrippinas Liebeswerben derart infiziert, dass er sich nicht mehr wehren kann. Sein Entschlussmonolog, eher ein Dokument der Willenlosigkeit, bedient sich wieder der bekannten Feuer-Eis-, Brand-Wasser-Paradoxa, doch in concettistischer Verkehrung: nicht als Klage über die spröde Geliebte, sondern als Eröffnung des Geschlechtsakts. Neros Antwort zeigt im Wechsel der Anrede - von der Verwandtschaftsbezeichnung „Mutter“ über die Apostrophe der ambivalenten „Brüst“ (Mutter-Geliebte) zum Kosenamen „Mein Licht“ -, wie erfolgreich die Überredungskünste Agrippinas waren (V. 257-264). Neros Entschlussrede gipfelt in der Aposiopese „Entblöß’ - - - - - -“: Die Grenze seines ästhetischen Wagemuts und des auf der Bühne damals Darstellbaren hat Lohenstein mit Gedankenstrichen angedeutet. Die überlieferten Szenare, die zeitgenössischen Programmhefte, lassen erkennen, dass bei Rezeption im Spannungsfeld moralischer Kritik und psychologischer Attraktion Schulaufführungen von Lohensteins Dramen im 17. Jahrhundert einige der explizit sexuellen Szenen gestrichen wurden, weil sie Anstoß erregten (Spellerberg 1978). Denn bei dieser kaum zu überbietenden Radikalisierung von Wollust und Gewalt scheint jedes moralische Regulativ zu ver- <?page no="240"?> 000239 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 239 3. Daniel Casper von Lohenstein und der Lauf der ,gantzen Welt‘ | blassen. Im bürgerlichen Zeitalter führte dies zu einer ästhetischen Abwertung von Lohensteins Dramatik. „Am widerwärtigsten“, so Ludwig Tieck im Deutschen Theater (1817), sei sein „Hang zur Grausamkeit, denn er scheut sich nicht, alle Arten von Tortur und Hinrichtungen auf die Bühne zu bringen, so wie die anstößigsten Situationen, die er oft als wahrer Cyniker schildert, alles in ziemlich wohllautenden Versen“ (zit. n. Meyer-Kalkus 1986, 22). Doch gerade das für das 19. Jahrhundert Abstoßende reizte die Postmoderne, in der Lohensteins Dramen eine kleine Renaissance erfuhren. So hat Hubert Fichte in seiner rund um die Hälfte gekürzten Bearbeitung der Agrippina (1977) fast ausschließlich auf die Psychopathologie der Figuren abgehoben. Fichte sieht in Lohenstein und dessen Protagonisten einen Revolutionär, den er durch Kürzungen und Vereindeutigungen ins rechte Licht rücken will (ebd., 18-25). 3.2. Blumen : Lohensteins Gedichte Im Vergleich zu seiner Epik und Dramatik hat die Forschung Lohensteins Lyrik eher stiefmütterlich behandelt. Doch lohnte das lyrische Werk, das Lohenstein 1680 unter dem Titel Blumen veröffentlichte, eine eingehende Behandlung, insbesondere aus komparatistischem Blickwinkel. Der Titel der Sammlung nimmt die konventionelle Floralmetaphorik auf, in ihm klingt die Bezeichnung ,Wälder‘ [ silvae ] ebenso an wie die ursprüngliche Bedeutung von ,Anthologie‘ [griech. ,Blütenlese‘]. Diese Metaphorik führen die Blumen in der Binnengliederung fort. Hochzeitsgedichte und Heldenbriefe sind unter dem Abschnitt Rosen versammelt, Trauergedichte werden Hyazinthen genannt, geistliche Gedichte HimmelSchlüssel . Nicht nur in den weltlichen Liebesgedichten, auch in seiner geistlichen Dichtung passt sich Lohenstein der Geschmacksmode an, beispielsweise, wenn er das humanistische Genre der Lagrime , der Thränen , nachahmt sowie mehrere Gedichte Marinos und Claudio Achillinis übersetzt. Die manieristische Tendenz erweist ein Vergleich des HimmelSchlüssel -Eingangsgedichts, des Weihnachtsgedichts „Wunder-Geburth Unsers Erlösers“ mit dem Lobgesang „Vber den Frewdenreichen Geburtstag vnsers HErren vnd Heylandes JEsu Christi“, der die Acht Bücher Deutscher Poematum (1625) des Martin Opitz eröffnet. Lohensteins Weihnachtsgedicht ist mit 646 Versen mehr als doppelt so lang wie Opitz’ exakt 300 Verse umfassendes Gedicht, und unterscheidet sich auch stilistisch von dem klassizistischen Vorgänger. Lohenstein vervielfacht die Figuren und Bilder in den deskriptiven Passagen, indem er etwa die Armut des Stalls von Bethlehem ausmalt oder die jungfräuliche Geburt Jesu umständlich umschreibt. Zudem mischt er pagane und christliche Referenzen, wenn er die klassische Mythologie zur Vorahnung der biblischen Offenbarung erklärt (V. 178-214), und er steigert die sprachliche Manieriertheit durch Paradoxa. Das zeigt sich beispielsweise an seiner Umgestaltung einer misogynen Passage, die sich schon bei Opitz fand. Kontrastiert werden hier jeweils die wegen ihrer Eitelkeit und Wollust gescholtenen Frauen mit der Heiligen Mutter Maria; Lohenstein verwendet dazu Formulierungen wie „Und die ihr züchtig nicht auch ausser Unzucht seyd“ (V. 606) oder: „Im Hertzen auf einmal so Hur’ als Hurer seyd“ (V. 614). Als Freund des hyperbolischen Ornats gibt sich Lohenstein auch in seinem fast zweitausend Alexandrinerverse umfassenden Lobgedicht auf Venus, das Benjamin Neukirch 1695 postum in den ersten Band seiner Anthologie aufnahm ( 141). Darin vermengt Lohenstein <?page no="241"?> 000240 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 240 | B.III. Der deutsche Manierismus nach 1660 antike Mythologie, Kosmologie, Theologie und Naturphilosophie. Seine polyhistorische Belesenheit demonstriert er in zahlreichen intertextuellen Anleihen, die er oft gegen den Sinn des Ausgangstexts in seine Feier der Liebe in der Natur integriert. Lohenstein zitiert sowohl antike Autoritäten wie Lukrez ( De rerum natura ) als auch zeitgenössische Autoren wie Giambattista Marino oder Martin Opitz . Auch wenn die Zitate dank neuerer Studien besser erschlossen sind (Brancaforte 1974, Dane 2015), wurde die allusive Technik, mit der sich Lohenstein die Vorlagen aneignet, insbesondere die Passagen aus Marinos Adonis-Epos, noch nicht erschöpfend behandelt. Wie viele Formulierungen und die Übernahme einzelner Namen und Sujets zeigen, steht Lohensteins Lyrik nicht nur in der Schuld der Italiener, sondern zeugt bereits von dem frühen Einfluss Hoffmannswaldaus, mit dem Lohenstein in Breslau befreundet war. Auf Hoffmannswaldaus Tod und Leichenbegängnis verfasste er eine Lob-Rede , die weit über die übliche Kasualdichtung hinausreicht. Lohenstein wertet die Autorschaft seines Dichterfreundes inspirationsästhetisch auf und ordnet sie in den Kontext des europäischen Manierismus ein. Schon das Incipit „Der große Pan ist tot“ überblendet pathetisch Mythos und Historie und machte noch auf die experimentelle Lyrik Helmut Heißenbüttels Eindruck (Thiers 2016, 197). 3.3. „Toll gewordene Realenzyklopädie“? Polyhistorisches Erzählen in Lohensteins Arminius -Projekt Als Epiker erwarb sich Lohenstein großes Ansehen wegen seines Arminius -Romans, der 1689/ 90 in zwei Teilen von rund dreitausend Seiten postum erschien - als Lohenstein 1683 starb, war der Roman noch unvollendet. Nachdem sein Bruder Hans Casper an der Vollendung gescheitert war, schrieb der Leipziger Theologe Christian Wagner das letzte der insgesamt achtzehn Bücher, die der Roman umfasst; er ergänzte auch einige der wertvollen Anmerkungen sowie genealogische Tabellen und das Namensregister, die auch separat veröffentlicht wurden. Geschmückt werden die beiden Teile außerdem durch Frontispize, die Johann Jacob von Sandrart (1655-1698) erstellte, Sohn des bekannteren Joachim. Das erste Frontispiz stellt die hilflose Mutter Germania dar, der ein Römer das Joch der Unfreiheit reicht (Abb. B.III.1.), während im Vordergrund der Feldherr Arminius sein Schwert hebt - dies in nuce die Aussage des Großmüthigen Feldherrn Arminius oder Hermann / Als Ein tapfferer Beschirmer der deutschen Freyheit / nebst seiner Durchlauchtigen Thußnelda , wie der vollständige Titel des Monumentalwerks lautet ( 138). Als höfisch-historischer Roman nimmt er seinen Ausgang medias in res in der Varus-Schlacht, in der Arminius die Römer besiegt, und erzählt sodann von der Liebesgeschichte des Helden und der Cheruskerin Thußnelda, deren Vermählung den lang hinausgezögerten Höhepunkt des ersten Teils bildet. Der zweite Teil schildert die Zwietracht der germanischen Stämme, welche gegenüber der verflochtenen Liebeshandlung eher nebensächlich wirkt, auch wenn der Roman erneut mit dem Zusammenfinden der mehrfach getrennten Hauptfiguren Hermann und Thußnelda endet. Wie die Humanisten greift Lohenstein die taciteische Beschreibung Germaniens und den Hermann-Mythos zu einer patriotischen Reflexion der Geschichte und Gestalt Deutschlands auf. Allerdings präsentiert er anhand des historischen Stoffs nicht nur eine ethnologisch- <?page no="242"?> 000241 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 241 3. Daniel Casper von Lohenstein und der Lauf der ,gantzen Welt‘ | B.III.1. Germania unter römischem Joch. Frontispiz zum 1. Band von Lohensteins Roman Großmüthiger Feldherr Arminius (1689). politische Gesamtdarstellung des Reichs, sondern nahezu der gesamten Welt. Schon der Untertitel Staat- Liebes- und Heldengeschichte deutet an, dass es sich nicht nur um eine historische Erzählung handelt, sondern um einen komplexen Schlüsselroman in der Art von John Barclays (1582-1621) Argenis (1621). Der germanisch-römische Krieg und die innerdeutschen Zwistigkeiten stellen verkleidet die Reformationswirren sowie den Dreißigjährigen Krieg und den Englischen Bürgerkrieg dar, aber auch aktuellere Konflikte der Entstehungszeit wie die Bedrohung durch Ludwig XIV. und das Wiederaufflammen des Türkenkonflikts seit den 1660er Jahren. Viele Ereignisse und Figuren referieren erkennbar auf die zeitgenössische Wirklichkeit. So repräsentieren die germanischen „Druiden“ die Katholiken, während der polnische König Jan Casimir anagrammatisch als „Rakimis“, Christine von Schweden als „Tirchanis“ vorgestellt werden (Szarota 1970; Borgstedt 1992, 149-215). Germanicus wurde als General Turenne entschlüsselt, Marbod als Karl Gustav von Schweden, während dem Protagonisten Arminius Kaiser Leopold I. entspricht, der mit Paraphrasen nach Saavedra Fajardos Fürstenspiegel zum Musterherrscher stilisiert wird (Mulagk 1973). Die spätrömische Welt dient Lohenstein als ein willkommener Hintergrund, um wie schon in den Trauerspielen Sexualität und Verbrechen, Gewalt und Leidenschaft zu verknüpfen. Darüber hinaus füllt er die Haupthandlung mit weit ausgreifenden enzyklopädischen Exkursen auf, die seine Belesenheit und sein kompilatorisches Talent demonstrieren. Die Figuren führen gelehrte Dialoge, die bis über hundert Seiten ausgreifen und die Erzählung damit zum Stillstand kommen lassen. Organisiert sind die Digressionen nach einer kalkulierten Anordnung von Personen, Orten und historischen Zeiten. Jede Information hat ihren festen Platz in der Romanhandlung, wird also nicht chaotisch-assoziativ, sondern systematisch präsentiert, wahrscheinlich nach den Prinzipien der Topik (Borgstedt 1992, 279-333). In den Handlungsverlauf nach strenger Ordnung integriert, streifen die Wissenspassagen <?page no="243"?> 000242 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 242 | B.III. Der deutsche Manierismus nach 1660 nicht nur die römisch-deutsche Geschichte, sondern auch die Völkerkunde, Religionslehre, Topographie, politische Staatskunst von außereuropäischen Völkern und Landschaften, so dass der Leser sich in dem patriotischen Roman unverhofft über China, Indien, die Tataren oder die Amazonen informiert sieht. Quellennachweise und Verstehenshilfen geben Christian Wagners Anmerkungen, die Lohenstein sicher bereits vorgesehen, eventuell auch selbst zum Teil verfasst hat. Bereits seine Trauerspiele zeichneten sich durch einen detaillierten Apparat aus ( 136). Der vom Autor Systematische Darstellung der ganzen Welt selbst erstellte Kommentar verleiht dem Text den Nimbus eines auslegungsbedürftigen ,Klassikers‘ und hebt ihn in den Rang der antiken Werke, die schon in der Frühen Neuzeit von philologischer Explikation begleitet wurden. In der Beigabe der selbstauslegenden Paratexte ist mithin Lohensteins Anspruch erkennbar, eine geschlossene Gesamtschau der deutschen und europäischen Geschichte zu entwerfen, in der zugleich der Lauf der ganzen Welt reflektiert wird. Das rückt sein Arminius - Projekt in die Nähe nicht nur der gewaltigen Erzählkompilationen von Erasmus Francisci (1627-1694) und Eberhard Werner Happel, sondern sein Globalroman ähnelt dem Universalanspruch etwa der zeitgenössischen Philosophie Gottfried Wilhelm Leibniz’. Der Versuch der älteren Forschung, Lohenstein aufgrund dieser vernünftigen Wissbegier in die Nähe der Frühaufklärung zu rücken, verkennt den gerade für das 17. Jahrhundert bezeichnenden Systemglauben, der sich aus älteren juristischen und theologischen Traditionen speist (Wichert 1991, 280-296). Mit anderen Worten: Lohensteins Unternehmen, mit gelehrtem Sammeleifer die ganze Welt auf die Bühne zu stellen oder in einer tausende Seiten umfassenden Erzähltektonik zu komprimieren, macht ihn nicht zum Vorläufer vermeintlich rationalerer Zeiten, sondern zum typischen Vertreter eines barocken Rationalismus. Die Dehnung des Romanumfangs überforderte schon Lohensteins Zeitgenossen, wenngleich die Bedeutung des Arminius bald erkannt wurde. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts ,entkernte‘ Johann Christoph Männling (1658-1723) den Roman und stellte unter dem Titel Arminius Enucleatus (1708) Auszüge daraus für jene Leser zusammen, die „den großen Arminium zu erkauffen nicht vermögend“ waren, „noch Zeit und Gelegenheit“ hatten, „ihn durch zu blättern“ (Martino 1978, 58, siehe auch ebd., 246-253). Immerhin kam es noch 1731 zu einer zweiten Auflage des vollständigen Romantexts, bevor der bewunderte Lohenstein in der Natürlichkeitsästhetik des 18. Jahrhunderts dem Verdikt des ,Schwulstes‘ anheimfiel. Sowohl Johann Christoph Gottsched als auch seine Schweizer Widersacher sahen im Arminius den Inbegriff regelwidrigen, unklassischen Schreibens (ebd., 291-434), und auch die romantische Literaturgeschichte des 19. Jahrhunderts konnte diesen „poetische[n], gewissermaßen tollgewordene[n] Realenzyklopädien“, wie eine wirkmächtige Formulierung Joseph von Eichendorffs lautet, wenig abgewinnen (Eichendorff 1990, 906). 4. Affekttheater: Trauerspiel und Oper im Spätbarock Es erscheint der modernen Ästhetik der Authentizität rätselhaft, dass der passionierte Mensch auf der Bühne des ausgehenden 17. Jahrhunderts sich einer rhetorisierten Sprache bedient. Schon die Aufklärung nahm daran Anstoß, wie die vernichtende Kritik der Unnatürlichkeit <?page no="244"?> 000243 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 243 4. Trauerspiel und Oper im Spätbarock | zeigt, die Lessing in seiner Hamburgischen Dramaturgie (1767-1769) an Pierre Corneilles Rodogune (1644) übt. Doch der Kunstauffassung des 17. Jahrhunderts widersprach es nicht, wenn sich vehemente Gefühle in einem virtuosen Stil ausdrückten. Das manieristische Thea- Grammatik der Affekte ter basiert auf einer stabilen Grammatik der Affekte, einem Arsenal stereotyper Gefühlszustände, dem auf der Ausdrucksoberfläche ein festes Ensemble lesbarer Zeichen korrespondiert. Einer subtil nachempfindenden Auslegungskunst, wie sie die Hermeneutik des 18. Jahrhunderts entwickeln sollte, bedurfte das Barock nicht. Stattdessen half die „Seelenbewegungssemiotik“ der Pathologie und der Physiognomik dem Autor dabei, Figuren paradigmatisch handeln zu lassen, sodass der Zuschauer sie sich erklären konnte (Campe 1990, XI). Emotionen standen als sprachliche Schemata zur Verfügung, und entsprechend scheinen die Figuren sie auch zu nutzen: Liebe wird fingiert, Verzweiflung gespielt, mit Selbstmord wird gedroht, Mitleid wird geheuchelt. Schon ihre ,echten‘ Gefühle sind als Muster vorgeprägt, und dass die Figuren sie leichthin gegen andere Affektmuster austauschen, erweist lediglich ihre grundsätzlich rhetorische Beschaffenheit. Es ist sicher kein Zufall, dass zuerst die schlesischen Dichter zur Pathetisierung des Dramas beitrugen, denn Breslau pflegte enge Verbindungen zum Habsburger Hof, traditionell ein Einfallstor für italienische Kunst- und Geschmacksmoden. Wien entwickelte sich im ausgehenden 17. Jahrhundert zum Zentrum eines pathetischen Kunststils (Sommer-Mathis 2016). Italienische Theaterarchitekten, Komponisten und Librettisten wie Lodovico Ottavio Burnacini, Antonio Draghi und Nicolo` Minato - Letzterer verfertigte allein 170 Libretti für das Haus Habsburg - versorgten die höfische Gesellschaft im Wien Kaiser Leopolds I. mit aufwändigen Maschinenopern. Sie kamen der Sensationslust mit einem Höchstmaß an theatralischen Effekten entgegen. So schwebten Götter auf Wolkenkulissen vom Bühnenhimmel, Theaterdonner und Farblichtwechsel vergrößerten die Bühnenwunder. Prächtige Opern wie Il pomo d’oro , die Antonio Cesti zur Hochzeit Leopolds I. mit der spanischen Infantin Margarita Teresa 1668 komponierte, waren feste Bestandteile der höfischen Repräsentationspolitik und dienten der Herrschaftslegitimierung. Die Hofgesellschaft und der Kaiser selbst nahmen in entsprechender Kostümierung an theatralen Ereignissen wie Rossballetten, Schlittenfahrten und Verkleidungsbanketten wie den Wirtschaften und Bauernhochzeiten teil (Rode-Breymann 2010; Schnitzer 1999). Seit Mitte des 17. Jahrhunderts setzte sich in Wien immer mehr der Typ der höfischen Prunkoper durch, die auf die Darstellung heroischer Leidenschaften abhebt (Sommer- Mathis/ Franke/ Risatti [Hg.] 2016). Die Leidenschaftsopern akzentuierten die Sinnlichkeit, verknüpften sich mit Diskursen der Galanterie und bereiteten die Augenblicksemphase der aufkommenden Empfindsamkeit vor (Jahn 2005, 275-351, auch 393f.). Meist fallen Frauengestalten, Heroinen, in übergroße Leidenschaft, sei es Liebe oder Hass, und bringen männliche Helden in einen Konflikt zwischen Pflicht und Neigung. Odysseus und Kirke, Jason und Medea, Äneas und Dido, Rinaldo und Armida - die beliebtesten Opernstoffe des ausgehenden 17. Jahrhunderts entsprechen dieser Konfiguration. Sie gipfeln in der Klage oder im Racheschwur der verlassenen Geliebten, die entweder Selbstmord begeht oder als sittsame Ehefrau gemäßigt wird. Musikalische Formen wie Rezitativ, Arie oder Duett untermalen die gesteigerten Gefühlslagen. Die Arie wurde zu einer reinen Affektform, während der alles <?page no="245"?> 000244 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 244 | B.III. Der deutsche Manierismus nach 1660 äußere Geschehen ruht. Sänger oder Sängerin treten statuarisch an die Zuschauerrampe und bieten einen Gefühlszustand dar. Melodie und Figurik richten sich nach dem jeweiligen Affektgrund aus. Dies gilt auch für die Tonart. Während die Heldenarie in D-Dur steht, erklingt die Rachearie in c-Moll. Da-capo-Wiederholungen verlängern die Dauer der zur Schau gestellten Passion. Personifizierte Affekte wie Liebe und Hass treten auf und kommentieren auf allegorischer Ebene den Kampf der Gefühle und inneren Zwiespalt der Protagonisten. 4.1. Pathetisierung und ,Veroperung‘ des Schlesischen Trauerspiels: August Adolf von Haugwitz und Johann Christian Hallmann Im Trauerspiel führte die Konzentration auf die Affekte dazu, dass sich die Gattungsnormen, die Gryphius und Lohenstein bereits gedehnt hatten, allmählich auflösten und sich das Sprechtheater sukzessive dem höfischen Musiktheater annäherte. Vor allem zwei schlesische Dramatiker waren an der Vermischung des Tragischen mit anderen dramatischen Formen beteiligt: Johann Christian Hallmann (1640-1704) und August Adolf von Haugwitz (1645-1706). Von Haugwitz sind zwei Dramen überliefert, eine Maria-Stuart-Tragödie und ein Soliman- Drama, beide veröffentlicht in der Werksammlung Prodromus Poeticus (1684). Wie der Titel seiner Maria-Stuart-Tragödie Schuldige Unschuld (1683) andeutet, lässt Haugwitz im Unterschied zur Tradition des Märtyrerdramas die Schuldfrage offen. Entscheidend ist die heroische Haltung der Protagonistin. Haugwitz inszeniert das Gefühlsleben der Mary Stuart im Stile eines bewegenden Seelendramas. Den Ibrahim Bassa-Stoff, von Lohenstein noch als Trauerspiel gestaltet, bearbeitet Haugwitz als ein „Misch-Spiel“: Obsiegende Tugend Oder Der Bethörte doch wieder Bekehrte Soliman (1684). Zwar entsprechen Konstellation und Form dem barocken Tyrannendrama, doch Haugwitz gibt dem tragischen Stoff ein glückliches Ende, indem sein Dramenheld sich zum „Bekehrten Soliman“ wandelt. Der türkische Sultan, der sich zu der Geliebten seines christlichen Freundes Ibrahim hingezogen fühlt, sieht (anders als bei Lohenstein) die Unstatthaftigkeit seiner erotischen Wünsche ein. Als die „Vernunfft nach ausgestandenen Gemüths-Kampffe [über die] Begierden“ siegt (Haugwitz 1984, 8), schenkt Soliman den Liebenden die Freiheit. Das glückliche Ende zeigt neben Liedeinlagen und madrigalischen Chor-Partien, dass sich Haugwitz in seinem „Misch-Spiel“ an der Oper orientierte. Noch stärker trug der schlesische Dramatiker Johann Christian Hallmann zur sogenannten ,Veroperung‘ des deutschen Trauerspiels nach 1660 bei, der Angleichung der Tragödie an die modische Oper (Aurnhammer 2011; Aikin 1997). Als freischaffender Literat auf Mäzene und Protektoren angewiesen, suchte Hallmann die Förderung durch den Wiener Hof. Als kaisertreuer Dichter wirkte er lange in Breslau und durfte gar Kaiser Leopold I. und Claudia Felicitas in einer Privataudienz ein Festspiel auf deren Hochzeit überreichen. Warum er nach 1700 die Gunst des Kaiserhauses verloren haben und in Wien verarmt gestorben sein soll, ist unbekannt. Für die Wiener Oper übersetzte Hallmann venezianische Opernlibretti wie Nicolo` Bereganis Heraclius (1671) und Pietro Dolfinos Adelheide (1672, übers. 1684). Die Dominanz des <?page no="246"?> 000245 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 245 4. Trauerspiel und Oper im Spätbarock | Alexandriners relativierte er durch eine Vielfalt sangbarerer Verse, und auch das zeitgenössische Trauerspiel lockerte Hallmann auf, indem er es mit anderen dramatischen Formen mischte. Das zeigt sich insbesondere an seinem Drama Antiochus und Stratonica (1669). Es basiert auf dem europaweit erfolgreichen italienischen Roman von Luca Assarino, La Stratonica (1635), der im zweiten Drittel des 17. Jahrhunderts gleich zweimal verdeutscht worden war (Schwarzenbach 2002). Die Dreiecksgeschichte endet nicht tragisch, sondern glücklich, da König Antiochus seine Braut Stratonica großmütig seinem vor Liebe todkranken Sohne Seleucus überlässt. Dementsprechend bezeichnet Hallmann sein gemischtes Drama im Untertitel mit der neuartigen Gattungsbezeichnung „Trauer-Freudenspiel“. Nicht nur am glücklichen Ende, sondern auch im losen Zusammenhang der Szenen, Lied- und Balletteinlagen wird die opernhafte Einrichtung deutlich. Trauerspiel mit glücklichem Ausgang, komischen Figuren und spektakulärer Bühnentechnik Hallmann fügt seinen Trauerspielen mit dem Rezitativ, der Arie, dem Duett/ Terzett, dem Chor, der Sinfonie und dem Tanz alle Elemente der Oper hinzu. Madrigalische Rezitative fungieren meist als Monologe und übermitteln die affektive Gestimmtheit der Protagonisten, wenn sich etwa die Titelheldin der Catharina (1684) in ihren Tod fügt (III,3). Als Rezitative hat Hallmann auch die Geisterszenen und Traumgesichte gestaltet, die in allen seinen Dramen vorkommen; in der Catharina sind es gar deren drei. Ihnen folgen häufig gesungene strophenreiche Arien, für die Hallmann die Ritornello-Form verwendet. So singt Antiochus, wie eine Szenenanweisung in Antiochus und Stratonica (II,4) lautet, „in die darzu gespielte Laute folgendes Liedchen sehr beweglich / nebst untergemischtem Ritornello von submissen Violen di Gamba & di Braccio und einem Stort“ (Hallmann 1987, 196). Neben solchen mit einem Instrumentalensemble versehenen Liedern finden sich in Hallmanns Dramen aber auch Arien mit nur einem Begleitinstrument, die sowohl als Schlaflieder der Beruhigung dienen oder die Gefühlshingabe noch steigern können. Auch in der Handlungsführung orientiert sich Hallmann insofern an der Oper, als er dem lieto fine folgt, dem glücklichen Ausgang. Nicht nur lässt er in Antiochus und Stratonica die Rivalität zwischen Vater und Sohn um dieselbe Frau glücklich enden, sondern selbst das Märtyrerdrama Die groszmüthige Prinzeszin Liberata (1699) schließt friedlich mit der Reue des tyrannischen Vaters. Dazu passt die Einführung einer Komischen Person, wie sie für die italienische Oper am Wiener Hof schon vor Mitte des 17. Jahrhunderts typisch war. Die italienische Provenienz dieser Figuren macht Hallmann in der Liberata deutlich, indem er seine „kurtzweiligen Hoff-Bedienten“ römischer Herkunft sein und Italienisch sprechen lässt: „Denn bey traurigen Sachen müssen derogleichen Personen / wie ich bin / nur wie die Würtze in der Speise gebrauchet werden“ (Hallmann 1975a, 354). Zu Hallmanns manieristischer Veroperung des Sprechtheaters gehören schließlich die spektakulären Theatereffekte, welche die Möglichkeiten barocker Bühnentechnik ausschöpfen. Gemäß dem Vorbild der Maschinenoper schießen im vierten Reyen von Antiochus und Stratonica die Furien „aus der Erden mit Donner und Blitzen hervor“ (Hallmann 1987, 245). Derweil steigert Hallmann die Leidenschaftsausbrüche, die Lohensteins manieriertes Theater auszeichneten, durch eine geschickte Kontrasttechnik, die in seinem berühmtesten Trauerspiel zum Tragen kommt, Mariamne (1670). König Herodes wird von seiner Schwester <?page no="247"?> 000246 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 246 | B.III. Der deutsche Manierismus nach 1660 Salome dazu angestiftet, die Brüder und den Großvater seiner Gattin Mariamne zu ermorden, bevor er sie schließlich selbst zum Tode verurteilt und enthaupten lässt. Wie sehr Hallmann den historischen Stoff auf dramatische Affektwechsel hin bearbeitet, zeigt die zweite Szene der vierten Abhandlung, die folgendermaßen zusammengefasst wird: Der Geist deß Königes David verweiset dem schlummernden Herodes sein Blut-dürstiges Gemüte / und verkündiget jhm die unaußbleibliche Rache GOttes. Der erschrockene Herodes läst Mariamnen holen / welche / in dem sie den Beyschlaf verweigert / und mit jhme wegen jhres unschuldig hingerichteten Bruders und Groß-Vaters eifert / vom wüttenden Könige weggestossen und zu entweichen gezwungen wird (Hallmann 1975b, 210). Vier gegensätzliche Affekte wechseln sich im Gemüt des Königs Herodes ab - Angst, Wollust, Zorn und Hass sowie Selbstmitleid: „Verwirrte Seelen Pein! Unglückligster Herod! Jch weiß nicht / wo ich bin / im Leben oder Tod! “ (ebd., 283). Dieses Wechselbad der Gefühle innerhalb einer einzigen Szene ist charakteristisch für die auf Pathoswechsel angelegten Dramen Hallmanns, die er an das dramma per musica angleicht. 4.2. Hamburger Theatromania : Die Oper am Gänsemarkt Um 1700 nivellierten sich die ständischen Geschmacksunterschiede allmählich, und die vormals exklusiv höfische Kunst erreichte stadtbürgerliche Kreise. War die Prunkoper mit italienischen Libretti, aufwändigen Maschinen und fürstlichen Kapellen in der Mitte des 17. Jahrhunderts noch ein Privileg der Höfe in Wien oder Dresden, so öffnete sich Hamburgs Oper am Gänsemarkt dem Publikum. Als erstes bürgerliches Theater im deutschen Sprachraum wurde es 1678 gegründet und galt bald nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa als Muster einer städtischen Musik- und Theaterkultur (Gauthier 2012, 650). Der Erfolg der Gänsemarktoper währte etwa fünfzig Jahre, bis sie etwa zeitgleich zu dem ästhetischen Paradigmenwechsel um 1740 schloss, als Gottsched die Oper als Gattung ab- und das Schauspiel als Wortkunst aufwertete. Vorbild war die Venezianische Oper, die ebenfalls für jedermann zugänglich war und höfische mit volkstümlichen Elementen verschmolz. Die Hamburger Oper bereicherte den Vorrat der dramatischen Poesie in Deutschland um 1700 erheblich, und bedeutende Opernkomponisten des 18. Jahrhunderts wie Georg Friedrich Händel oder Johann Adolph Hasse begannen ihre Karriere in Hamburg. Mit zwei bis drei Vorstellungen pro Woche kam man auf etwa neunzig Aufführungen im Jahr. Ungeachtet vieler Wiederholungen sind weit über 300 Textbücher, doch nur wenige Partituren überliefert (Marx/ Schröder 1995). Der Hamburger Kontext prägt die Handlung vieler Stücke, und die urbanen wie ökonomischen Aspekte mit Jahrmarktsszenen als Schauplätzen kritisieren nicht selten die Wirtschaftsmoral und Geschlechterrollen der Trägerschicht (Eschenbach 2012, Kiupel 2010). Zur Eröffnung des Opernhauses, das zweitausend Zuschauer fasste, wurde das geistliche Singspiel Adam und Eva oder Der Erschaffene, Gefallene und Aufgerichtete Mensch (1678) von Debatte um die ästhetische Autonomie der Oper Johann Theile aufgeführt. Doch trotz des biblischen Sujets zog die neue Oper den Zorn der Hamburger Pastorenschaft auf sich. Der pietistische Pastor Anton Reiser veröffentlichte bald seine Polemik Theatromania, oder <?page no="248"?> 000247 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 247 4. Trauerspiel und Oper im Spätbarock | die Wercke der Finsterniß in denen öffentlichen Schau-Spielen (1681), weitgehend eine Collage aus Zitaten, die aber derart montiert sind, dass Reisers Missbilligung sowohl der Trauerals auch der Lustspiele zum Ausdruck kommt (Jahn 2005, 126-146). Gegen diese pauschale Ächtung der Schauspielkunst formierte sich aber Widerstand unter den lutherischen Pfarrern. So verteidigte Heinrich Elmenhorst, selbst Librettist mehrerer Opern, die Musikdramen gegen den Vorwurf der Unmoral: „Eine Opere ist ein Sing-Spiel / auf dem Schau-Platz vorgestellet / mit erbaren Zurüstungen / und anständigen Sitten / zu geziemender Ergetzligkeit der Gemühter / Ausübung der Poesie / und Fortsetzung der Music“ (Elmenhorst 1688, 101f.). Und obschon Christoph Rauch, ein Opernsänger, in seiner Gegenschrift Theatrophania (1682) die Opern als „indifferente Werck“ rechtfertigte, „so an sich selbst nicht gut und nicht bös sein“ (Rauch 1682, fol. 15 r , Sdzuj 2005, 254-256), musste das Hamburger Opernhaus zwischen 1686 und 1688 kurzfristig den Spielbetrieb einstellen. Die ,Opere‘, die in Hamburg aufgeführt wurden, setzen die Tendenzen der sogenannten ,Veroperung‘ des Trauerspiels im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts fort. So werten sie vor allem das musikalische Moment auf, bevorzugen eine affekthaft gesteigerte Deklamation und ,Veroperung‘ des Trauerspiels mindern die Dominanz des Alexandriners zugunsten kürzerer und madrigalischer Verse. Sie integrieren Tanzszenen und Ballette in die Handlung, fügen neben Volksszenen eine komische Person ein und mildern das tragische Ende. Die Nähe zum schlesischen Kunstdrama fällt auf. Nachdem Barthold Feind, einer der bedeutendsten Hamburger Textdichter, in seinem Libretto L’Amore ammalato. Die kranckende Liebe. Oder: Antiochus und Stratonica (1708) Johann Hallmanns Antiochus und Stratonica (1684) verarbeitet hatte, wurde auch Hallmanns Schaubühne des Glücks oder die unüberwindliche Adelheid (1684) für einen weiteren Hamburger Operntext, die Adelheid (1727), verwendet. Überdies entlehnten die Hamburger Textdichter viele ihrer Libretti der europäischen Literatur. So liegt Christian Heinrich Postels Printz Sigismundus, oder das menschliche Leben wie ein Traum (1693) Caldero´ ns La vida es suen˜o (1636) zugrunde, und Don Pedro oder die abgestraffte Eyffersucht (1679) des Kapellmeisters Johann Wolfgang Franck folgt Molie`res Komödie Le Sicilien, ou l’amour peintre (1667). Für Händels Rinaldo , der 1715 in Hamburg inszeniert wurde und dessen Libretto auf Torquato Tassos Gerusalemme Liberata beruht, hatte Barthold Feind die Rezitative und meisten Arien ins Deutsche übersetzt. Bisweilen führte die Adaptation literarischer Texte über italienische Opernbearbeitungen, wie bei Das unmöglichste Ding (1684) des Hamburger Bürgermeisters Lucas von Bostel, in Musik gesetzt von Johann Philipp Förtsch. Es geht nicht direkt auf Lope de Vegas Komödie El major imposible (1684) zurück, sondern hat ein italienisches Libretto von Matteo Noris ( Bassiano, overo il maggior impossibile [1682]) zur Vorlage. Die biblischen Opern dominierten nur am Anfang, während mythologische Sujets durchgängig beliebt waren (Haufe 1994). Aber auch historische Ereignisse der deutschen und europäischen Geschichte waren gefragt. Zudem bildeten die Alterität des Orients und der islamischen Türkei ein beliebtes Sujet. Den Stil der Hamburger Oper mag exemplarisch Lucas von Bostels Doppeloper Cara Mustapha charakterisieren, die, vertont von Johann Wolfgang Franck, 1686 an zwei aufeinander folgenden Tagen aufgeführt wurde. Ihr liegt ein zeitgeschichtlicher Stoff zugrunde. Sie behandelt den Aufstieg ( Der Glückliche Groß-Vezier Cara Mustapha , 1686) und Fall ( Der Un- <?page no="249"?> 000248 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 248 | B.III. Der deutsche Manierismus nach 1660 B.III.2. Hinrichtung des türkischen Feldherrn Cara Mustapha. Bühnenbild als Frontispiz zu Lucas von Bostels Doppeloper (1686). glückliche Cara Mustapha , 1686) des türkischen Feldherrn, der nach der erfolglosen Belagerung Wiens im Jahre 1683 vom türkischen Sultan hingerichtet wurde. Bostel entfaltet in vielen Auftritten mit insgesamt 46 Änderungen des Bühnenbilds einen exotischen Prunk, den bereits das Frontispiz des Drucks erahnen lässt (Abb. B.III.2.). Formal unterscheiden sich die beiden dreiaktigen Stücke vom Modell der Schlesischen Tragödie. Anstelle des durchgängigen Alexandriners bietet Bostel eine Vielfalt an Vers- und Reimformen. Die sogenannten „Vorstellungen“, die in einer Mischung von Pantomime und sprechender Figur das Geschehen reflektieren und deuten, gehen nicht in der Kommentarfunktion der Reyen in der Barocktragödie auf. Zwar perspektivieren sie die Handlung im ersten Teil noch heilsgeschichtlich, doch die „Vorstellungen“ im zweiten Teil verselbständigen sich und präsentieren weitere spektakuläre Kriegsszenen. Mit der Aktualität der auf historischen Ereignissen beruhenden Handlung rechtfertigt Bostel den Verstoß gegen die klassischen Einheiten von Ort und Zeit. Nach dem aristotelischen Kriterium der Wahrscheinlichkeit habe er nur die „Umstände“ hinzugedichtet, „welche sich nicht begeben / aber doch vermuthlich hätten begeben können“ (Bostel 1686, 6). Tatsächlich hat Bostel die politisch-militärische Haupthandlung um mehrere Liebesgeschichten erweitert. Neben der erfüllten Liebe des gräflichen Paares Don Gasparo und Manuela beherrschen die unglücklichen Amouren des Großveziers selbst die Szene. Er liebt zwar Zaime, die verwitwete Mutter des Sultans, doch viel leidenschaftlicher dessen verheiratete Schwester Baschalari. Aus dem Liebeskonflikt resultiert letztlich die militärische Niederlage vor Wien und das tragische Ende des Titelhelden. Im Finale wird Cara Mustapha zum Tode verurteilt und auf offener Bühne stranguliert. Auch in einer weiteren Hinsicht entfernt Bostel sich von den Vorgaben der Trauerspielpoetik. Er kombiniert in seinem Singspiel Elemente der Tragödie und der Komödie. Die komischen Elemente verdichten sich in Barac (türk. ,Esel‘), dem lustigen Diener Cara Mustaphas. Im A-la-mode-Sprechen, das mit einem niederdeutschen Lied kontrastiert, im Paradieren auf einem hölzernen Steckenpferd, im weitschweifigen Botenbericht oder als betrügerischer Krämer erweist sich Barac als Synthese verschiedener klassischer Dramenfiguren wie dem miles gloriosus , dem Parasit und dem Harlekin. Zudem sind Baracs komische Auftritte nicht mehr Elemente der Nebenhandlung, sondern in die Haupthandlung integriert, wo <?page no="250"?> 000249 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 249 5. Christian Weise im Dienste der Klugheit | sie eine gewisse Eigendynamik gewinnen. Somit dokumentiert Bostels Cara Mustapha in seinem musikalischen Anteil, der Abkehr vom Alexandriner, seinem Exotismus, dem spektakulären Bühnengeschehen und mit der Mischung von tragischen und komischen Elementen den Übergang vom Trauerspiel ins Musiktheater. 5. Der Politiker: Christian Weise im Dienste der Klugheit Lohenstein rezipierte die Klugheitslehren seiner Zeit und ließ sowohl seine tugendhaften Figuren als auch Tyrannen und verschlagene Höflinge kalkuliert handeln, das heißt nicht mit Blick auf christliche Normen, sondern hinsichtlich des eigenen Selbsterhalts oder Fortkommens in der Welt. Im Verlauf des 17. und frühen 18. Jahrhunderts wurde die prudentia- Lehre zunehmend mit dem berechnenden Verbergen und Vortäuschen von Gefühlen verbunden, mit einem diesseitigen Machiavellismus. Als solche wurde sie in der ,politischen‘ Literatur des Spätbarocks reflektiert, zu der auch das staatstheoretische Schultheater von Christian Weise (1642-1708) zählt. Weise, der in Leipzig Theologie studiert hatte, lehrte als Gymnasialprofessor zunächst in Weißenfels, dann seit 1678 als Rektor des Gymnasiums in Zittau. Für die dortige Schulbühne verfasste er rund sechzig Prosaschauspiele, veröffentlichte pseudonym aber auch Romane, unter denen Die drey ärgsten Ertz-Narren in der gantzen Welt (1672) der bekannteste ist. Der Roman steht in der Tradition der Narrensatire, setzt sich aber von Grimmelshausen ab, der in der Vorrede namentlich genannt wird. Erzählt wird die Geschichte des jungen Adeligen Florindo und seiner Begleiter, die auf der Suche nach den größten Narren der Welt durch ganz Europa reisen, da diese, einem Testament gemäß, im Saal ihres Schlosses als Mahnung abgebildet werden sollen. Die episodische Handlung eröffnet nicht nur ein Panorama des Narrentums, sondern gibt dem Leser auch eine Leitschnur richtigen Handelns, nämlich die politische Umsicht. Gemeint ist eine weltlich-praktische, auf das persönliche Glück und den gesellschaftlichen Erfolg zielende Lehre, wie man die eigene Unvernunft erkennen, die Affekte kontrollieren und damit Zufälle beherrschen könne (Frühsorge 1974). Diesem didaktischen Ziel dienen auch andere Romane Weises, etwa Der Politische Näscher (1678) und sein Politischer Redner (1677), eine kompilatorische oft wiederaufgelegte Rhetorik. Während Weises Romane einen schlichten, metaphernarmen Stil aufweisen, treiben seine Schuldramen die manieristische Tendenz zum Regelbruch auf die Spitze. Johann Christoph Gottsched mutmaßt deshalb gar, ausgerechnet dem Rhetor und Gymnasialprofessor Weise Masaniello: Rebellion als Thema im Schultheater seien „überhaupt die Regeln der alten Redekunst und Poesie unbekannt gewesen“ (Gottsched 1973, 347). Die aristotelischen Einheiten beachtet Weise in der Tat kaum, sondern wartet mit bis zu 80 Dramatis personae auf, die von Schülern gegeben wurden. Zudem vermischen seine Schuldramen meist Komik und Tragik, halten sich nicht an die Ständeklausel und sind in Prosa verfasst. Weises bekanntestes „Trauer-Spiel“ Masaniello (1683) hat einen neapolitanischen Fischeraufstand von 1647 zum Gegenstand und kritisiert die Politik des spanischen Königs von Neapel, die das Volk aufgebracht habe. Die in fünf Aufzügen strukturierte Episodenvielfalt zeichnet ein breites Gesellschaftspanorama und präsentiert die verschiedenen Stände mit realistischem Differenzie- <?page no="251"?> 000250 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 250 | B.III. Der deutsche Manierismus nach 1660 rungsvermögen. Der Titelheld Masaniello, Anführer der Fischer, scheitert mit seiner Rebellion, weil er sich nicht vorsichtig, eben politisch ,klug‘ verhält, sondern von seinen hinterhältigen Feinden vergiften lässt, dadurch wahnsinnig wird und den Tod findet. In der Forschung ist umstritten, wie Weise die Rebellion bewertet - handelt es sich um ein mitfühlendes Revolutionsstück oder verteidigt Weise die absolutistische Ordnung (Ort 2003, 121-136; Krämer 1994)? Zum Bild der verkehrten Welt, wie es Weises Stück entwirft, passt freilich der Umstand, dass es an einem Faschingsdienstag (11. Februar 1682) aufgeführt wurde. Der Stoff ist bereits vor Weise in den Niederlanden dramatisiert worden (Richter 2010) und wurde später als Masagniello Furioso (1706) von Barthold Feind in ein Hamburger Opernlibretto transponiert, das Reinhard Keiser vertonte. Im Gymnasialtheater war es üblich, dass man drei Tage hintereinander drei verschiedene Stücke spielte, eins mit einem biblischen Stoff, eins mit politisch-historischem Inhalt und eine Komödie. Weise reüssierte in allen drei Gattungen, sodass einige seiner geschichtlichen Dramen noch bis ans Ende des 18. Jahrhunderts auf deutschen Schulbühnen gespielt wurden. Während Weises Bibeldramen in Vergessenheit geraten sind, können seine satirischen Lustspiele als wichtige Vertreter der Barockkomödie gelten. Sie sind stark von der italienischen Commedia dell’arte beeinflusst. Sein allegorischer Sechsakter Bäurischer Machiavellus (1679), von Trajano Boccalinis Ragguagli di Parnaso angeregt, ironisiert die politische Klugheitslehre der Schuldramen und berichtet von einer Wette, die Machiavelli auf dem Parnass mit Apollo hält, ob sich nämlich die einfachen Bürger und Bauern nicht listiger und intriganter verhielten als die Hofleute selbst, obwohl sie die machiavellistischen Schriften gar nicht kennen. Erprobt und bejaht wird diese Frage an drei Kleinbürgern, die sich mit allen Mitteln um die Position des Pickelhärings, des Spaßmachers bewerben, über die der durchtriebene und bestechliche Schulmeister zu entscheiden hat. Als Gymnasialprofessor hatte Weise viele Schüler. Laut einem Zeitgenossen seien „fast wenige Schulen in Teutschland mehr anzutreffen / darinnen nicht[ … ] ein Weisianer dociret“ (zit. n. Barner 1984, 691). Als Weises Nachfolger wurde Johannes Riemer (1648-1714) an das Weißenfelser Gymnasium berufen, wo er die Tradition des politischen Schultheaters fortführte. Riemer präsentiert politische ,Discurse‘ zu monarchischer Souveränität, Staatsräson und Naturrecht in Dramenform, etwa am Beispiel der Regentschaft und des Falls Maria Stuarts ( Von hohen Vermählungen und Von Staats-Eiffer , in: Der Regenten Bester Hoff-Meister , 1681). Wie Weise dramatisierte er aber auch zeitgeschichtliche Stoffe. Sein allegorisches Redespiel Von der Erlösten Germania (1679) etwa verarbeitet die Teilnahme des Heiligen Römischen Reichs am Holländischen Krieg (1672-1679) und die Allianzen mehrerer Staaten gegen Ludwig XIV. Darin besteht eine Eigenart des ausgehenden 17. Jahrhunderts - hatte man zunächst eher exotische, historisch weit zurückliegende oder mythische Stoffe zum Gegenstand des Trauerspiels gemacht, so entstehen mit Bostels Cara Mustapha (1686, siehe oben B.III.4.2.) oder Weises Masaniello in den 1680er Jahren einige Dramen, die sich dezidiert der rezenten europäischen Zeitgeschichte zuwenden. Ähnliches geschieht zur gleichen Zeit im Roman: Man begann, sich für aktuelle Geschehnisse in Europa zu interessieren, die im Rahmen der Fiktion diskutiert und auf ihre Ursachen und möglichen Folgen hin befragt wurden. <?page no="252"?> 000251 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 251 6. Dynamiken des Romans im späten 17. Jahrhundert | 6. Dynamiken des Romans im späten 17. Jahrhundert 6.1. Versepos und Prosaroman: Poetologische Bestimmungen In Anlehnung an die humanistische Tradition verstand Martin Opitz unter ,Poesie‘ nur Versdichtungen, und unter ihnen gestand er dem Epos, dem „Heroisch getichte“, neben der Tragödie den ersten Platz zu. Trotz seiner Nobilitierung in der Theorie - viele andere Poetiken folgten Opitz in dieser Bestimmung (Stockhorst 2008, 275-308) - spielte das Versepos in der poetischen Praxis eine vergleichbar geringe Rolle. Als bedeutende Vertreter gelten lediglich Georg Greflingers Der Deutschen Dreißigjähriger Krieg (1657) sowie der Habspurgische Ottobert (1664) des Wolfgang Helmhard Freiherr von Hohberg. Greflinger (1620-1677) beginnt zwar mit dem gattungstypischen Musenanruf, aber versteht sein Werk in der Folge wohl eher als Verschronik, denn es erzählt die Schlachten und politischen Verstrickungen des Dreißigjährigen Krieges weitgehend chronologisch. Anders verhält es sich mit dem Habspurgischen Ottobert , mit dem Hohberg in 36 Büchern von insgesamt 40.000 Alexandrinern erkennbar versucht, ein Nationalepos in der Tradition von Vergils Aeneis und Tassos Gerusalemme Liberata vorzulegen. Mit dem Heldenpaar Ottobert und Ruremunde, den mythischen Begründern der Habsburgerdynastie, huldigt Hohberg dem regierenden Kaiser Leopold I. und dessen Gemahlin. Hohberg (1612-1688), der als niederösterreichischer Landadeliger gesamteuropäisch gebildet war, verfasste zudem einen erfolgreichen Hausväterratgeber unter dem Titel Georgica curiosa (1682); er führte damit die römisch-griechische Tradition der Oikonomie fort. Anhand dieses Werks hat die Geschichtswissenschaft das Konzept des ,ganzen Hauses‘ entwickelt, des subsistenzwirtschaftlichen adeligen Hausstands, dem alle auf dem Gut lebenden Menschen und Sachen angehören (Brunner 1949). Hohbergs Unterfangen, eine originäre deutsche Linie des Epos zu begründen, scheiterte letztlich, wohl auch, weil der Prosaroman zunehmend als Kunstform anerkannt wurde (Rohmer 1998, 257-347). Damit fiel Hohbergs erfolgloser Ottobert einem veränderten Fiktionsverständnis zum Opfer. Von Ausnahmen wie Christian Heinrich Postels fragmentarischem Heldengedicht Der grosse Wittekund (entstanden 1698, veröffentlicht 1724) abgesehen, verabschiedete man sich künftig von den weltumfassenden, mythischen Geschichtsentwürfen des klassischen Epos und wandte sich vermehrt einer zeitgenössischen Wirklichkeit zu, wie sie der ,realistische‘ Prosaroman präsentierte. Erst gegen Mitte des 18. Jahrhunderts unternahm Friedrich Klopstock mit seinem Messias (1748-1773) wieder einen nennenswerten Neustart in epischer Richtung. Die generische Unbestimmtheit eines wachsenden Korpus von Romanen, d. h. von längeren Erzählungen in ungebundener Rede, ließ der Praxis lange relativ freies Spiel. Zugleich reflektierten Titelblätter und Vorreden Thema, Gestalt und Funktion der neuen Romane, Definition des Romans bei Huet (1670) sodass sich die Normierungslücke im Laufe des Jahrhunderts verengte (Stockhorst 2008, 308-409). Mit Pierre-Daniel Huets Traitte ´ de l’Origine des Romans (1670) lag schließlich eine Gattungsgeschichte und -theorie im Geiste der französischen Klassik vor. Huets Traktat grenzt den Roman vom Versepos ab und legt ihn thematisch auf Liebeshandlungen fest. Huet beruft sich auf Aristoteles, wenn er postuliert, dass die Fiktion, nicht die Versfaktur, das eigentliche Merkmal der Literatur sei. <?page no="253"?> 000252 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 252 | B.III. Der deutsche Manierismus nach 1660 Weil sowohl die Handlungsdetails als auch der Hauptstrang des Plots erfunden seien, könne der Roman gänzlich fiktional genannt werden („je veux dire [ … ] que la faussete´ pre´ domine tellement dans les romans qu’ils peuvent meˆme eˆtre entie`rement faux, et en gros et en de´ tail“, Huet 1971 [1670], 48). Er unterscheidet sich daher von Tragödie und Epos, deren Stoffe meist einen historischen Kern enthalten, während lediglich Nebenstränge und -figuren erfunden sind. Durch die Behauptung, Literatur zeichne sich durch Fiktionalität, nicht durch den Vers aus, wertet Huet den Roman poetologisch auf. Zugleich legt er ihn auf das Kriterium der ,Wahrscheinlichkeit‘ fest, der vrai-semblance , ein aristotelisches Konzept, das in der zeitgenössischen Debatte in Frankreich oft erörtert wurde. Romane sollten einfach und natürlich sein, der Autor sollte also keine übertriebenen Handlungsumschwünge präsentieren, sich keiner Kunstgriffe wie der plötzlichen Errettung der Protagonisten bedienen oder ein unmotiviertes Figurenhandeln präsentieren (Simons 2001, 165-172). Huets Romanpoetik entfaltete auch in Deutschland große Wirkung (Stockhorst 2008, 285-303; Voßkamp 1973, 72-96). Eberhard Werner Happel übersetzte sie rund zehn Jahre nach Erscheinen und integrierte sie in seinen Roman Der Insulanische Mandorell (1682; siehe Lämmert [Hg.] 1988, 30-32). Mit Albrecht Christian Rotths Vollständiger Deutscher Poesie (1688) lag schließlich erstmals eine deutsche Poetik vor, die ausführlich „Von den Romainen oder Liebes-Gedichten“ handelte (ebd., 34f.), bevor man sich der Gattung um 1700 immer eingehender zuwandte (Niefanger 2012). Noch Gottscheds Critische Dichtkunst (1729, 4 1751) übernimmt aber ganz weitgehend den Kriterienkatalog des französischen Traitte ´ , um die ,milesischen Fabeln‘ zu umreißen, wie er die Romane in Anlehnung an sein Vorbild nennt. Polemische Reaktionen ließen ebenfalls nicht auf sich warten. Der Vorwurf, der Roman erzeuge im Leser unrealistische Welt- und Liebesvorstellungen, verstärke sinnliche Affektivität und gefährde die christliche Moral, kursierte in der europäischen Auseinandersetzung nicht erst seit Don Quixote , gewann aber um 1700 durch die calvinistische Fiktionskritik des Schweizer Theologen Gotthard Heidegger (1666-1711) eine neue Wendung. In seiner Mythoscopia romantica (1698) warf Heidegger der Gattung vor, durch das Schaffen fiktionaler Welten den Alleingeltungsanspruch göttlicher Wahrheit in Frage zu stellen. Damit diskreditierte er die Fiktionalität des ,lügenhaften‘ Romans gegenüber dem Faktizitätsanspruch der Historien. Durch seine ausufernde Länge und die komplexe Unüberschaubarkeit des Heliodor’schen Fabelschemas überfordere der Barockroman den Leser außerdem, zumal ihm die Liebesgedanken die Zeit stehlen, die er besser auf Andacht und Selbstreflexion zu verwenden habe. Heideggers pauschale Kritik stieß bald auf Gegenwehr und befeuerte damit eine Debatte um den Wert der Romanlektüre, die sich bis weit in das 18. Jahrhundert fortsetzte. Sie erinnert ein wenig an den Hamburger Theaterstreit der 1680er Jahre (siehe Kapitel B.III.4.2.); in beiden Fällen empörte man sich aus christlicher Warte über den Zuwachs an Unterhaltungsformen wie Oper, Theater und Roman, und in beiden Fällen führten die Stellungnahmen eher zur gattungspoetischen Schärfung der jeweiligen Kunstformen, als dass sie die Produktion hätten eindämmen können. <?page no="254"?> 000253 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 253 6. Dynamiken des Romans im späten 17. Jahrhundert | 6.2. „Blitz / Donner / und Hagel“: Ziglers Asiatische Banise als manieristischer Roman Eine zentrale Rolle in der deutschen Gattungsdiskussion kam der Asiatischen Banise (1689) zu, dem erfolgreichsten deutschen Roman vor Goethes Werther . Heinrich Anselm von Zigler und Kliphausen hieß der Autor, den man um 1700 oft in einem Atemzug mit Lohenstein nannte. Tatsächlich ähnelt die Banise dem Arminius in mancher Hinsicht, wenngleich es sich um einen relativ kurzen Roman handelt, der in einer neuen Historisch-Kritischen Ausgabe keine fünfhundert Seiten füllt (Zigler 2010). Manieristisch ist Ziglers Banise zunächst hinsichtlich der komplexen, über mehrere Figurenpaare gespiegelten Handlung, die dem höfisch-historischen Schema entspricht. Auf Grundlage von akribisch nachgewiesenen Quellen zur südostasiatischen Geschichte des 16. Jahrhunderts erzählt der Roman die Geschichte des Prinzen Balacin von Ava (heute nordwestlicher Teil Myanmars), der seine Geliebte Banise, Prinzessin von Pegu (südwestliches Myanmar), befreien muss, nachdem sie und ganz Pegu dem hässlichen und wollüstigen Usurpator Chaumigrem in die Hände gefallen sind. Durch eine List und mithilfe seines tollpatschigen Dieners Scandor gelingt Balacin die Befreiung, woraufhin eine vierfache Hochzeit die zuvor getrennten Helden und Neben-Helden ihrem Glück zuführt. Die Asiatische Banise zeichnet sich durch eine grelle Mischung von Erotik und Grausamkeit aus, durch exzessive Emotionen und schiere Ereignisfülle in exotischem Setting. Immer wieder streut Zigler vergnügliche Abenteuerepisoden ein, die schon in der Erstausgabe mit wirkungsvollen Kupferstichen illustriert wurden. So kämpft Balacin einmal gegen einen heranstürzenden Panther, der seine Prinzessin bedroht (ebd., 114f.; Abb. B.III.3.); an anderer Stelle wird eine mit wilden Kriegselefanten gefochtene Schlacht um die Krone Pegus geschildert (ebd., 38-40, Abb. B.III.4.). Die Prosaerzählung wird zudem durch eingeschobene Briefe und zahlreiche Lieder aufgelockert, welche die spätere Dramatisierung des Romans in eine Oper begünstigten (Maul 2013). Eine von Zigler bearbeitete Komödie Johann Christian Hallmanns mit dem Titel Der Tapffere Heraclius wird am Ende des Romans zu Ehren des Hochzeitspaars aufgeführt und im Roman in voller Länge wiedergegeben. Variatio delectat , ,die Abwechslung erfreut‘, war offenkundig Ziglers Maxime. Manieristisch ist aber nicht allein die durch Affektwechsel vorangetriebene Handlung, sondern auch die bildreiche Sprache des Romans. Sie ist von Lohenstein inspiriert, aus dessen Trauerspielen Zigler öfter zitiert. Berühmt geworden ist die Klagerede des seiner Prinzessin beraubten Balacin, mit dem der Roman medias in res einsetzt: BLitz / Donner / und Hagel / als die rächenden Werckzeuge des gerechten Himmels / zerschmettere den Pracht deiner Gold-bedeckten Thürme / und die Rache der Götter verzehre alle Besitzer der Stadt [ … ]. Wolten die Götter! es könten meine Augen zu Donner-schwangern Wolcken / und diese meine Thränen zu grausamen Sünd-Fluthen werden: Ich wolte mit tausend Keilen / als ein Feuerwerck rechtmässigen Zorns / nach dem Hertzen des vermaledeyten Blut-Hundes werffen / und dessen gewiß nicht verfehlen [ … ]. (Zigler 2010, 11) Die Häufung von intensivierenden Epitheta („grausamen“, „tausend“, „vermaledeyten“) und verschränkten Metaphern wie die Analogie von Augen zu Wolken, die wiederum bildlich mit Donner ,schwanger‘ gehen sollen, diese tropische Kombinatorik wirkte nach Auffassung <?page no="255"?> 000254 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 254 | B.III. Der deutsche Manierismus nach 1660 B.III.3. Balacins Kampf gegen einen Panther. Kupferstich aus der Asiatischen Banise (1689). B.III.4. Kriegselefanten in der Schlacht um die Krone Pegus. Kupferstich aus der Asiatischen Banise (1689). der Aufklärer schlicht schwulstig. Seine „Gedanken und Ausdrückungen zum wenigsten sind so hochtrabend und gekünstelt“, spottet Gottsched in einer Rezension der Asiatischen Banise , „daß man ihn eher für einen Peguaner, als für einen Meißner erkennen sollte“ (Gottsched 1733, 282). Dennoch erfreute sich Ziglers Roman gerade im frühen 18. Jahrhundert einer außergewöhnlich breiten Rezeption, wurde fortgesetzt und dramatisiert sowie noch 1764 zum elften (! ) Mal neu aufgelegt, stilistisch freilich modernisiert. Besonders ungewöhnlich für einen deutschen Barocktext ist seine europäische Wirkung - die Asiatische Banise wurde ins Schwedische, Niederländische, Französische und sogar ins Russische übersetzt (Martin/ Vorderstemann [Hg.] 2013). <?page no="256"?> 000255 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 255 6. Dynamiken des Romans im späten 17. Jahrhundert | 6.3. Johann Beer und die Auflösung pikarischen Erzählens Auf dem Gebiet des ,niederen Romans‘ tritt im späten 17. Jahrhundert der österreichische Komponist und Schriftsteller Johann Beer (1655-1700) hervor. Wie sein Vorbild Grimmelshausen veröffentlichte Beer unter wechselnden Pseudonymen, die seine Zeitgenossen nicht entschlüsseln konnten. Es ist das große Verdienst des Germanisten Richard Alewyn, in einer wegweisenden Studie rund zwanzig Romane diesem Autor zugeschrieben und ihn damit überhaupt ,entdeckt‘ zu haben. Seine Pionierarbeit wurde jedoch auch kritisiert (Solbach 1994, 31-49; Kremer 1991), denn Alewyn verspürte in Beers Romanen eine durch Kindheitserfahrungen bedingte „selbstlose[ ] Freude des Erzählers“ (Alewyn 2012 [zuerst 1932], 194f.). Beer schreibe nicht, um den Leser zu belehren, sondern aus zweckloser Lust am Fortspinnen seiner Geschichten; diese Eigenschaft führe zu einem „Durchbruch zur Wirklichkeit“ (ebd., 201), einer unkonventionellen, von moraldidaktischer Rhetorik freien Weltdarstellung, die ihn von allen anderen Barockautoren, insbesondere aber von Grimmelshausen unterscheide. Grimmelshausen sei, so Alewyn, eher Naturalist, er beschreibe bewusst derb und drastisch, verzerre die Wirklichkeit ins Groteske, während Beer Realist sei, Details um ihrer selbst willen schildere und sich auf den schmucklosen Alltag seiner Zeit konzentriere (ebd., 186-208). Zwar ist Alewyns Gegenüberstellung von Grimmelshausen und Beer sicher zu forciert, und manche Kategorien beruhen auf unhistorischer Projektion. Aber einige wichtige Charakteristika von Beers Erzählen hat er doch trefflich beobachtet. Tatsächlich nehmen seine Romane die allegorischen Episoden, die im Simplicissimus politische und poetologische Reflexionen ermöglichten, ganz zurück. Ebenso lassen sie kaum noch den narrativen Bogen von der Sünde zur Reue erkennen, den der spanische Pikaroroman vorgegeben und von dem sich freilich schon Grimmelshausen distanziert hatte. Stattdessen dominiert bei Beer die Sequenz kurzweiliger Erzählung. Stets sind seine Episoden ähnlich gebaut, oft beruhen sie auf stereotypen Motiven und Elementen, die aber kaum je befriedigend schließen, sondern im letzten Moment wieder neue Erzählsegmente eröffnen. Am ehesten als ,pikarisch‘ lässt sich der frühe Schelmenroman Der Simplicianische Welt-Kucker oder Abentheuerliche Jan Rebhu (1677-1679) lesen, nicht nur, weil schon der Titel Grimmelshausen Reverenz erweist. In loser Sukzession wird von Abenteuern und Streichen erzählt, von erotischen Eskapaden und immer wieder scheiternden Heiratsversuchen, bevor sich der Held Jan Rebhu am Ende doch glücklich verehelicht und nach einigen Jahren zufriedenen Glücks an einem Rebhuhn erstickt. Unterscheidet sich schon dieses bürgerlich-ironische Ende von dem mit großer Bußgeste gewählten Inselexil, in das es Grimmelshausens Simplicius am Ende seiner Lebensgeschichte verschlägt, so entfernt sich Beer in seinen folgenden Romanen noch weiter von den Konventionen pikarischen Erzählens. Stattdessen wendet er sich stärker dem roman comique zu, wie ihn Charles Sorels Francion (1623) repräsentiert. Dessen Einfluss zeigt sich vor allem in Beers Doppelroman Teutsche Winternächte (1682) und Die Kurtzweiligen Sommer-Täge (1683), die man auch als ,Willenhag‘-Dilogie bezeichnet. Der Erzähler der Sommer-Täge Wolffgang von Willenhag ist mit Zendorius, dem Erzähler der Winternächte , identisch; gelegentlich vertauscht Beer sogar die Namen. Infolge einer Verwechslung findet Zendorius sich zu Beginn der Winternächte in einem Kerker wieder, aus dem er unverhofft befreit wird - Grund seiner Verhaftung wie Errettung ist der junge Adelige Isidoro, mit dem er sich rasch befreundet und <?page no="257"?> 000256 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 256 | B.III. Der deutsche Manierismus nach 1660 gemeinsam diverse Späße erlebt. Dabei verliebt er sich in die schöne Caspia. Obwohl von höherem Stand, willigt sie ein, Zendorius zu heiraten, doch dieser schämt sich seiner niedrigen Abkunft und verlässt seine Braut Hals über Kopf. Sie stirbt daraufhin vor Unglück, doch diese Meldung entpuppt sich als ebenso falsch wie Zendorius’ Herkunft. Als Edelmann bestätigt, kann er seine Caspia heiraten, nachdem er einen Widersacher ausgestochen hat - und zwar im letzten Augenblick an dessen Hochzeitstag, der somit zu Zendorius’ eigenem wird. Der Rest des Romans besteht aus Binnenerzählungen zum Feste, bis ein Einsiedler den versammelten Freundeskreis zu bekehren scheint. Hier setzt die Fortsetzung ein: In den Kurtzweiligen Sommer-Tägen wird der Kreis erneut vorgestellt und berichtet, man habe sich vorgenommen, „in die kühle und schattige Wälder zu gehen / auch in solchen zu versuchen / wie das Einsiedlerische Leben schmäckte“ (Beer 1997 [1683], 9). Die pikarische Schlussgebung des Weltrückzugs wird damit an den Anfang gesetzt und in der Folge verworfen. Die Freunde versammeln sich wieder, um einander zu erzählen, wie sie vom mönchischen Dasein nach und nach Abstand nahmen. Es sei schlicht zu langweilig gewesen, so der Konsens: „Jch bin“, bekennt der Adelige Gottfried, „all mein Lebenlang nit so melancholisch / als in dem Wald / gewesen“ (ebd., 42). Das Erzählen von Lebensgeschichten, Anekdoten und Schwänken vertreibt den Figuren jedoch die Schwermut. Die Sommer-Täge enden offen, denn Wolffgang entscheidet sich erneut für den Wald, „ob ich aber darinnen bleiben [ … ] werde / das muß man der künfftigen Zeit anheim stellen“ (ebd., 332). Die Teutschen Winternächte setzen wie der ,hohe Roman‘ medias in res ein und spielen im adeligen Milieu. Aber in der Sequenz komischer Erzählungen sowie dem ironisch variierten Motiv der monastischen Buße klingt auch der spanisch-deutsche Schelmenroman nach. Beers Willenhag-Dilogie widerstrebt damit der üblichen Gattungsklassifikation (Krämer 1991, 95-99), deren Geltung die neuere Forschung allerdings ohnehin in Frage gestellt hat. Bemerkenswert an Beers Romanen ist die einfache, rhetorisch zurückgenommene Sprache sowie die hohe Anschaulichkeit, die durch den geschickten effet de re ´el scheinbar zufälliger, für den Handlungsfortgang unnötiger Details erzeugt wird. Beispielhaft demonstriert dies die Einfache Sprache und große Anschaulichkeit Anfangspassage des Jucundi Jucundissimi Wunderliche Lebens-Beschreibung (1680; 143). Die Szene wirkt in der ganzen Anlage eigentümlich retardiert. Überflüssig ist etwa der Hinweis, dass die Edelfrau zweimal rufen muss, um auf sich aufmerksam zu machen; auch die assoziative Erläuterung, weshalb die Mutter ihre Wäsche aufhängt, sowie die Namensnennung „Tschaukker (also hieße der Berg)“ verlangsamen das Erzähltempo weiter. Solche Nebensächlichkeiten, die für die weitere Handlung keine Rolle mehr spielen, dienen allein der evidentia , der Konkretion der erzählten Welt (Alewyn 2012 [1932], 207f.; Solbach 2003, 131-133). Neben seinen Romanen hat Beer satirische Kurzerzählungen verfasst, die ausgesprochen misogyn sind. Unter klangvollen Titeln wie Des berühmten Spaniers Francisci Sambelle wolauspolirte Weiber-Hächel (1680) oder Der Neu ausgefertigte Jungfer-Hobel (1681) eifern sie gegen die angebliche Liederlichkeit der affektverfallenen Frauen und breiten die üblichen Stereotype der Zeit aus, die auch in den Romanen begegnen (Solbach 2003, 154-191). Beers politische Schriften, darunter ein Ritterroman Der verliebte Europeer (1684), sind eher kompilatorischer Natur. Dagegen lohnt sich noch heute die Lektüre der genannten komischen Romane. Beer <?page no="258"?> 000257 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 257 6. Dynamiken des Romans im späten 17. Jahrhundert | entdidaktisiert das simplicianische Schema, wählt einen schlichten Stil von hoher Anschaulichkeit und bezeugt mit seinem Einfallsreichtum, dass er sich als geselliger Erzähler versteht, der sich strukturell mündliche Traditionen narrativen Zeitvertreibs aneignet (Vellusig 2008). 6.4. Wissen in fiktionalem Gewand: Erasmus Franciscis und Eberhard Werner Happels enzyklopädische Romane Im Laufe der Neuzeit wurde die in der mittelalterlichen Theologie als sündhaft verworfene curiositas [,Neugier‘] sukzessive aufgewertet. Die Fremde zu erkunden, die Natur zu erforschen, auch jene dem Auge verborgenen Sphären wie die Sterne, die Höhle oder das winzig Kleine verstehen zu wollen, das galt seit der Renaissance nicht mehr nur als hochmütig, sondern als spezifische Stärke des Menschen (Blumenberg 1966, 201-433; Benedict 2001). Die neu legitimierte Lust am Geheimen und Neuen, das Sensationsbedürfnis der „Gernwisser“ (Stieler 1695, 8) wurde zwar zeitgenössisch noch kritisiert, spätestens ab der Jahrhundertmitte war aber das Unbekannte überaus lukrativ. Zugleich warf die Wissensflut das Problem der Ordnung auf: Wie ließ sich die ungeheure Datenmenge noch überblicken, wie blieb man am besten auf dem Laufenden? Bereits in der Renaissance und im Frühbarock waren literarische Kompendien erschienen, die versprachen, Kuriositäten aus aller Welt in einer fiktionalen Handlung zu präsentieren. Auf unterhaltsame Weise werde der Leser so informiert. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts formierte sich daneben eine Gruppe von Autoren, die in der neueren Forschung als ,Buntschriftsteller‘ bezeichnet werden (Schock [Hg.] 2012). In ungeordneter, vor allem auf die Zerstreuung der ,gernwissenden‘ Leser zielenden Darstellung präsentierten sie teils Legendarisches, teils aber auch neue Forschungen und Entdeckungen. Anekdoten aus den ,beiden Indien‘ fielen darunter, ,Gräuliches‘ wie spektakuläre Morde oder Missgeburten, politische Nachrichten ebenso wie naturkundliche Merkwürdigkeiten. Die neuen populären Formate gaben sich werbende Namen wie Die lustige Schau-Bühne von allerhand Curiositäten (1663) oder Täglicher Schau-Platz der Zeit (1695), spielten also mit der etablierten Theatrum mundi -Metapher, die als eine Art Gattungssignal fungierte. Erst neuerdings hat die Forschung das Korpus dieser Texte erschlossen und genauer untersucht (Roßbach/ Stäcker [Hg.] 2011; Baum/ Roßbach [Hg.] 2013). Die beiden genannten Titel stammen von Zigler, dem Autor der Asiatischen Banise , sowie von Erasmus Francisci, einem Nürnberger Verlagskorrektor. Francisci verfasste fast 70 selbständige, teils voluminöse Publikationen. Seine Werke zeichnen sich durch polyhistorische Diversität von Kenntnissen verschiedener Kulturen aus. Neben seiner Lustigen Schau-Bühne veröffentlichte er einen Ost- und West-Indischen wie auch Sinesischen Lust- und Stats-Garten (1668) sowie einen Neu-polirten Sitten-Spiegel ausländischer Völcker (1670), in denen er geographische, ethnographische und historische Informationen aus Reiseberichten, Kosmographien und Geschichtswerken sammelte. Die fiktionale Rahmenhandlung konnte dabei durchaus raumgreifend sein, umfasst jedenfalls in seinem Lust- und Stats-Garten mehrere hundert Seiten. Auf ihnen erzählt Francisci, wie sich vor dem Hintergrund des Englisch- Niederländischen Krieges ein Freundeskreis formiert, der im Dialog auf den folgenden 1800 Seiten alle möglichen Sachthemen streift, sie kontrovers erörtert oder anekdotisch ausschmückt. <?page no="259"?> 000258 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 258 | B.III. Der deutsche Manierismus nach 1660 Deutlicher noch als Franciscis Kompilationen sind die Werke Eberhard Werner Happels als Romane zu klassifizieren. Nach Philipp von Zesen und Sigmund von Birken zählt Happel zu den ersten Berufsschriftstellern der deutschen Literatur. Kommerzielle Absichten erklären Relationes Curiosae, eine Frühform der Zeitschrift nicht nur seine enorme Produktivität, sondern auch seine Orientierung am Publikumsgeschmack. Als Frühform der Zeitschrift setzen Happels Relationes Curiosae (1683-1691) eine bedeutende Wegmarke in der Geschichte des frühen Journalismus (Schock 2011; Meierhofer 2010). Die Relationes erschienen in Hamburg als Beilage zum bekannten Relations-Courier , einer Wochenzeitung. Zwar sind sie der Selektionspraxis der älteren Florilegien durchaus verpflichtet, zielen jedoch mehr auf Abwechslung als auf Klassifikation. Beispielsweise bilden sie eine mikroskopisch vergrößerte Laus ab, um ihren Körperbau detailliert zu beschreiben (Abb. B.III.5.). Was aufklärerisch scheint, wird durch die Kolportage mythischer Zauberwesen und menschenverschlingender brasilianischer Riesen konterkariert (Abb. B.III.6.). Happel teilte in seinen Relationes wahllos Wissenswertes mit, in assoziativer, gerade dadurch aber anregender Zusammenschau. In seinen Romanen verbindet Happel eine heroische Liebeserzählung mit geographischem und historischem Konversationswissen. Das Romanwerk lässt sich untergliedern in einen Vierteiler über alle Erdteile - nämlich Der Afrikanische Tarnolast (entstanden um 1670, veröffentlicht 1689), Der Asiatische Onogambo (1673), Der Europäische Toroan (1676) und Der Insulanische Mandorell (1682) - sowie die Serie der Sogenannten Europäischen Geschicht-Romane , zu denen etwa der Italiänische Spinelli (1685/ 86), der Spanische Quintana (1686/ 87), der Frantzösische Cormantin (1687/ 88) zählen. Die Erdteilromane gehorchen dem höfisch-historischen Erzählmuster und sind handlungslogisch abgeschlossen. Sie geben für den jeweiligen Kontinent einen geographisch-politischen Abriss jedes Landes, und zwar im Gewand einer heroischen Liebesgeschichte. Beispielsweise wolle sein Asiatischer Onogambo , so das Titelblatt werbend, in „alle in Asien gelegene Königreiche und Länder / sampt deren Beschaffenheiten / Ordnung ihrer Regenten / und deren vornehmsten Thaten etc. kürtzlich mit“ einführen (Happel 1673). „Kürtzlich“ und „alle“ sind die Signalworte dieser Werbung, die systematische Vollständigkeit mit darstellerischer Effizienz zu verbinden versprechen - und beides noch im Rahmen einer Liebes- und Heldenerzählung. Den fiktiven Protagonisten durch ausnahmslos alle Länder eines Kontinents reisen und sich dort jeweils über Geographie, Geschichte und Politik belehren zu lassen, das war mit dem Kriterium ,wahrscheinlichen‘ plottings schlechterdings nicht zu vereinen, zumal wenn die Handlungsorte wie im Insulanischen Mandorell ausschließlich auf Inseln liegen durften. Happel behalf sich zwar mit ausführlichen Binnenerzählungen und fasste verschiedene Länder, die unter einer Regierung standen, bisweilen großzügig zusammen. Doch bleibt es ein Widerspruch, dass ausgerechnet sein Mandorell die erste Übersetzung von Huets klassizistischer Romanpoetik enthält, deren Prinzipien Happel so offenkundig missachtete. Für seine Europäischen Geschicht-Romane wählte Happel ein anderes Strukturprinzip und Publikationsverfahren, nämlich die offene, periodische Veröffentlichung. Die jeweils vierteilig konzipierten Romane erschienen viermal im Jahr und nahmen sich pro Jahr je ein europäisches Land vor, das städte- und provinzweise beschrieben wird. Seitenblicke auf andere Länder kamen jedoch durchaus vor, wenn sich dort im laufenden Jahr etwas Bemerkens- <?page no="260"?> 000259 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 259 6. Dynamiken des Romans im späten 17. Jahrhundert | B.III.5. Mikroskopische Abbildung einer Laus aus Eberhard Werner Happels Relationes Curiosae (1683). wertes zugetragen hatte. Die enzyklopädischen Exkurse, die Happel meist einer einheimischen Figur oder einem weisen Cicerone in den Mund legt, bestehen zwar noch immer in listenweise präsentierten Sachinformationen, aber diese bilden nun den Hintergrund für das Verständnis neuester Zeitungsnachrichten. Die Europäischen Geschicht-Romane sind nicht nur aufgrund der erforderlichen Arbeitsdisziplin des Autors erstaunlich - wenngleich Happel großzügig aus verschiedenen Quellen zusammenschrieb, kam er doch pro Jahr auf ca. zweitausend Seiten Geschicht-Roman -, sondern auch wegen ihrer originellen Journalisierung des ,hohen Romans‘. Ein heldenhafter Ritter besteht bald tollkühne Abenteuer, bald diskutiert er im Wirtshaus jüngste Zeitungsmeldungen. Diese Amalgamierung zeugt von einem markanten Gegenwarts-, aber auch von Dienstleister einer literarischen Unterhaltungsindustrie: aktuell und kommerziell einem Europabewusstsein, das sich aus der zeitgenössischen Annalistik sowie den Wochenzeitungen des 17. Jahrhunderts speist (Detering 2017, 409-464). Happels periodische Europaromane spielen ganz präsentisch im Veröffentlichungsjahr, ja sogar in genau dem Quartal, in dem sie publiziert wurden. Konstitutiv bleibt insofern wie in den vorigen Romanen die Mischung von Faktualität und Fiktionalität (Scholz Williams 2013; Dammann 2012), nur dass die Europäischen Geschicht-Romane durch die serielle Veröffentlichung deutlich aktueller waren. Die Romanfiguren leben in der gleichen, medial vermittelten Wirklichkeit wie Happels Leser. ,Curieus‘ erscheint ihnen nicht mehr nur das Exotische oder historisch Ferne, sondern ihre eigene, <?page no="261"?> 000260 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 260 | B.III. Der deutsche Manierismus nach 1660 B.III.6. Wundersame Wasserwesen aus Eberhard Werner Happels Relationes Curiosae (1685). beispiellos ereignisreiche Lebenswelt. So verwundert es nicht, wenn Happel schon im ersten Teil des Italienischen Spinelli seine Leser zum Mitmachen auffordert. Wer „da Lust hätte / eine oder andere Materie gerne in unserm Geschicht- Roman angeführet und abgehandelt zu wissen“, so Happel, „der hat mich allemahl zu seinen bereitwilligen Diensten / und kan sothane Materie entweder an mich / allhieher nach Hamburg / oder nach Ulm an den Verleger senden“ (Happel 1685, fol. ** r ). Die Integration des Publikums in die Buchproduktion zeugt davon, dass Happel seine Kunst als Brotberuf und Dienstleistung verstand. Sein Angebot an die Leser reagiert auf einen kompetitiven Buchmarkt, in dem nicht mehr mäzenatische Förderung, sondern nur mehr der schiere Absatz zählt. Es indiziert die Entstehung einer literarischen Unterhaltungsindustrie. <?page no="262"?> 000261 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 261 7. Abraham a Sancta Clara und die Poetisierung der Predigt | 7. Abraham a Sancta Clara und die Poetisierung der Predigt Die spätbarocke Predigtliteratur öffnete sich im ausgehenden 17. Jahrhundert der Literatur. Aufgrund ihrer Mischung von gelehrten Anspielungen und mündlicher Expressivität, von Scherz und Ernst, von radikaler Weltabkehr und Anspielungen auf zeitgenössische Literatur haben die spätbarocken Predigten in jüngerer Zeit wieder vermehrt forscherliches Interesse gewonnen. Die spezifische Gattungsmischung und Poetisierung zeigt sich charakteristisch im umfänglichen Predigtwerk des Augustiner-Priors Abraham a Sancta Clara, bürgerlich Johann Ulrich Megerle (1644-1709), eines seinerzeit in Wien äußerst populären Kanzelredners. Nach der Wiener Pestepidemie von 1679 erschienen seine erfolgreichen Predigten Mercks Wienn (1680), die sich durch den dialogischen Sprecherwechsel zwischen der Stimme des Predigers, des Todes und der Sterblichen auszeichnen. Allerdings behält der Tod in jedem Kapitel das letzte Wort, indem Abraham ihm jeweils ein ständesatirisches Emblem in den Mund legt (Abraham 1680, 286f.). Mit großem rhetorischen Aufwand, mit Zitaten, Wortspielen und drastischen Bildern wird das diesseitige Leiden als göttliche Strafe oder Prüfung ausgelegt. Während Mercks Wienn traditionelle Gattungen aufgreift und mischt, verfolgt Abraham mit seiner Türkenschrift Auff, auff, Ihr Christen! Das ist: Eine bewegliche Anfrischung der christlichen Waffen wider den Türckischen Bluet-Egel (1683) eine stärker politische Predigtstrategie. Eberhard Werner Happel verwendete die eindrückliche Türkenschrift als Einlage in den dritten Teil seines Ungarischen Kriegs-Romans (1683), wo sie gerühmt, romanintern verlesen und zitiert wird (Eybl 1992, 278-280). Abraham argumentiert in seinen Predigten weniger, als dass er assertorisch, also behauptend vorgeht. Zu diesem Zweck verwendet er tautologische Stilfiguren, die oft auf sprachspielerischen Gleichklang abheben. Er nutzt volksetymologische Erklärungen, Sentenzen und Sprichwörter wie „je gelehrter / je verkehrter“ (Abraham 1680, 203) und ordnet sie in komplexe Reihen an. Einprägsame Wiederholungsfiguren, pathetische und dialektale Wendungen intensivieren in ihrer Mischung die kraftvolle Suada, die Friedrich Schiller zur Kapuzinerpredigt in Wallensteins Lager (1798) inspiriert hat. Den unmerklichen Übergang von der Kanzel zur Dichtung zeigt neben den vielen poetischen Zitaten der Umstand, dass Abraham sogar über poetische Texte predigt. So findet sich im Heilsamen Gemisch-Gemasch (1704) eine recht eigenständige Paraphrase von Giovanni Boccaccios Griselda-Novelle, der letzten Erzählung des Decamerone , die in Petrarcas lateinischer Übersetzung als Griseldis europaweit Furore machte. Abraham lobt die bedingungslos treue Griseldis als Muster für eine glückliche Ehe (Abraham 1704, 173-176): „Wann die Welt dergleichen mehrer hätt / so wurde dieses Handwerck umb ein merckliches geringer“ (ebd., 176). Abrahams Affinität zur Dichtung ist kein Einzelfall. Der Kapuzinerprediger Prokop von Templin hat in Kirchweihpredigten seines Encaeniale: Das ist Hundert Kirch-Tag-Predigen (1671) mehrfach Grimmelshausens Roman Simplicissimus Teutsch herangezogen. Ob es sich bei den Spukgeschichten, die er dem Roman entnimmt, um „ein Geticht oder eine wahre Geschicht “ handelte, lässt er offen, betont aber: „Simplicius schreibets für eine wahre Histori von ihm selber“ (Prokop 1671, 255b; Herzog 1984/ 1985). Auch der Kapuziner Clemens von Burghausen hat eine Exempelgeschichte aus Grimmelshausens Springinsfeld zum Gegenstand einer Predigt gemacht (Martin 2015). <?page no="263"?> 000262 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 262 | B.III. Der deutsche Manierismus nach 1660 Quellen Abraham a Sancta Clara (1680): Mercks Wienn / das ist Deß wütenden Todts ein vmständige Beschreibung Jn Der berühmten Haubt vnd Kayserl. Residentz Statt in Oesterreich. Wien 1680. Abraham a Sancta Clara (1704): Heilsames Gemisch Gemasch / Das ist: Allerley seltsame und verwunderliche Geschichten. Würzburg. Abschatz, Hans Aßmann Freiherr von (1704): Poetische Übersetzungen und Gedichte. Leipzig und Breslau. Beer, Johann (1997 [1683]): Die kurtzweiligen Sommer-Täge. Sämtliche Werke. Bd. 8. Hg. von Ferdinand van Ingen und Hans-Gert Roloff. Bern. Bodmer, Johann Jakob (1737): Character der deutschen Gedichte. In: Beyträge zur Critischen Historie der Deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit. Bd. 5. 17. Stück. Leipzig, 624-659. Bostel, Lucas von (1686): Der Glückliche Groß-Vezier Cara Mustapha, Erster Theil [ … ]. Hamburg. Celander (1716): Verliebte-Galante- / Sinn-Vermischte und Grab-Gedichte. Hamburg und Leipzig. Eichendorff, Joseph von (1990): Geschichte der poetischen Literatur Deutschlands. In: Ders.: Werke. Bd. 6: Geschichte der Poesie. Schriften zur Literaturgeschichte. Hg. von Hartwig Schultz. Frankfurt a. M., 805-1075. Elmenhorst, Heinrich (1688): Dramatologia Antiqvo-Hodierna, Das ist: Bericht von denen Oper- Spielen. Hamburg. Gottsched, Johann Christoph (1733): Herrn Heinrich Anselm von Ziegler und Kliphausen Asiatische Banise [ … ]. In: Beyträge Zur Critischen Historie der Deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit [ … ]. Fünftes Stück. Leipzig, 274-292. Gottsched, Johann Christoph (1973): Versuch einer Critischen Dichtkunst: Anderer Besonderer Theil. Ausgewählte Werke. Bd. 6,2. Hg. von Joachim Birke und Brigitte Birke. Berlin und New York. Hallmann, Johann Christian (1975a): Die unüberwindliche Keuschheit oder Die groszmüthige Prinzeszin Liberata. In: Ders.: Sämtliche Werke. Bd. 2. Hg. von Gerhard Spellerberg. Berlin und New York, 238-366. Hallmann, Johann Christian (1975b): Mariamne. In: Ders.: Sämtliche Werke. Bd. 1. Hg. von Gerhard Spellerberg. Berlin und New York, 198-347. Hallmann, Johann Christian (1987): Antiochus und Stratonica. In: Ders.: Sämtliche Werke. Bd. 3, Teil 1. Hg. von Gerhard Spellerberg. Berlin und New York, 155-280. Happel, Eberhard Werner (1673): Der Asiatische Onogambo. Hamburg. Happel, Eberhard Werner (1685): Der Italiänische Spinelli, Oder So genanter Europaeischer Geschichtroman, Auff Das 1685. Jahr. Ulm. Haugwitz, Adolph von (1984): Obsiegende Jugend oder der bethörte doch wieder bekehrte Soliman. In: Ders.: Prodromus poeticus, oder: Poetischer Vortrab [1684]. Hg. von Pierre Behar. Tübingen, 1-112. Hoffmannswaldau, Christian Hoffmann von (1679): Werke und Übersetzungen. Breslau. Huet, Pierre-Daniel (1971 [1670]): Lettre-traite´ de Pierre-Daniel Huet sur l’origine des romans. Hg. von Fabienne Ge´ gou. Paris. Lohenstein, Daniel Casper von (1680): Blumen. Breslau. Lohenstein, Daniel Casper von (2005ff.): Sämtliche Werke. Historisch-Kritische Ausgabe. Hg. von Lother Mundt, Wolfgang Neuber und Thomas Rahn. Berlin. Lohenstein, Daniel Casper von (2013a): Agrippina (1665). In: Ders.: Sämtliche Werke II, 2, 1. Hg. von Lothar Mundt. Berlin und Boston. Lohenstein, Casper von (2013b): Ibrahim Sultan (überarbeitete Neuausgabe 1679). In: Ders.: Sämtliche Werke II,3,1. Hg. von Lothar Mundt. Berlin und Boston, 1-343. Lohenstein, Daniel Casper von (2013c): Sophonisbe (1680). In: Ders.: Sämtliche Werke II, 3, 1. Hg. von Lothar Mundt. Berlin und Boston, 389-784. <?page no="264"?> 000263 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 263 B.III. Der deutsche Manierismus nach 1660 | Lohenstein, Johann Casper von (1701): Kurtz Entworffener Lebens-Lauff des sel. Autoris. In: Daniel Caspers von Lohenstein Ibrahim Sultan Schauspiel [ … ] Und andere Poetische Gedichte / so noch mit Bewilligung des S. Autoris Nebenst desselben Lebens-Lauff und Epicediis, zum Druck verfertiget. Breslau. Neukirch, Benjamin (Hg.) (1961-1991 [1697-1727]): [Anthologie]. Herrn von Hoffmannswaldau und andrer Deutschen auserlesener und bißher ungedruckter Gedichte. Hg. von Angelo George de Capua u. a. 7 Teile. Tübingen. Prokop von Templin (1671): Encaeniale, Das ist: Hundert Kirch-Tag-Predigen. 2 Bde., Salzburg. Rauch, Christoph (1682): Theatrophania. Entgegen gesetzet Der so genanten Schrifft Theatromania [ … ]. Hannover. Stieler, Kaspar von (1695): Zeitungs Lust und Nutz / Oder: derer so genanten Novellen oder Zeitungen / wirckende Ergetzlichkeit / Anmut / Notwendigkeit und Frommen [ … ]. Hamburg. Zigler und Kliphausen, Heinrich Anselm von (2010): Die Asiatische Banise. Historisch-Kritische und Kommentierte Ausgabe des Erstdrucks (1689). Hg. von Werner Frick, Dieter Martin und Karin Vorderstemann. Berlin. Forschung Aikin, Judith P. (1997): What Happens When Opera Meets Drama, and Vice Versa? J. C. Hallmann’s Experiments and their Significance. In: Studien zur Literatur des 17. Jahrhunderts. Hg. von Hans Feger. Amsterdam und Atlanta, 137-158. Alewyn, Richard (2012 [1932]): Johann Beer. Studien zum Roman des 17. Jahrhunderts. Hg. von Klaus Garber. Heidelberg. Alonso, Da´ maso (1978-1984): Go´ ngora y el Gongorismo. 3 Bde. Madrid. Arend, Stefanie (2003): Rastlose Weltgestaltung. Senecaische Kulturkritik in den Tragödien Gryphius’ und Lohensteins. Tübingen. Aurnhammer, Achim (2011): Melpomene musiziert. Vom Einzug der Oper in das schlesische Schauspiel des Barock. In: Wort und Ton. Hg. von Günter Schnitzler und dems., Freiburg, 43-57. Barner, Wilfried (1984): Christian Weise. In: Deutsche Dichter des 17. Jahrhunderts. Ihr Leben und Werk. Hg. von Harald Steinhagen und Benno von Wiese. Berlin, 690-726. Baum, Constanze, und Nikola Roßbach (Hg.) (2013): Theatralität von Wissen in der Frühen Neuzeit. Wolfenbüttel: 〈 http: / / diglib.hab.de/ ebooks/ ed000156/ start.htm 〉 . Beetz, Manfred (1980): Rhetorische Logik. Prämissen der deutschen Lyrik im Übergang vom 17. zum 18. Jahrhundert. Tübingen. Benedict, Barbara (2001): Curiosity. A Cultural History of Early Modern Inquiry. Chicago. Blanco, Mercedes (1992): Les Rhe´ toriques de la Pointe. Baltasar Gracia´ n et la Conceptisme en Europe. Paris. Blumenberg, Hans (1966): Die Legitimität der Neuzeit. Frankfurt a. M. Blumenberg, Hans (1979): Schiffbruch mit Zuschauer. Paradigma einer Daseinsmetapher. Frankfurt a. M. Borgstedt, Thomas (1992): Reichsidee und Liebesethik. Eine Rekonstruktion des Lohensteinschen Arminiusromans. Tübingen. Borgstedt, Thomas (1994): Kuß, Schoß und Altar. Zur Dialogizität und Geschichtlichkeit erotischer Dichtung (Giovanni Pontano, Joannes Secundus, Giambattista Marino und Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau). In: Germanisch-Romanische Monatsschrift N.F. 44, 288-323. Brancaforte, Charlotte (1974): Lohensteins Preisgedicht „Venus“. Kritischer Text und Untersuchung. München. Brunner, Otto (1949): Adeliges Landleben und europäischer Geist. Leben und Werk Wolf Helmhards von Hohberg 1612-1688. Salzburg. <?page no="265"?> 000264 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 264 | B.III. Der deutsche Manierismus nach 1660 Campe, Rüdiger (1990): Affekt und Ausdruck. Zur Umwandlung der literarischen Rede im 17. und 18. Jahrhundert. Tübingen. Dammann, Günter (2012): Fakten und Fiktionen im Roman bei Eberhard Werner Happel, Schriftsteller in Hamburg. In: Hamburg. Eine Metropolregion zwischen Früher Neuzeit und Aufklärung. Hg. von Johann Anselm Steiger und Sandra Richter. Berlin, 461-474. Dane, Gesa (2013): Die schwarze Königin. Zu Lohensteins ,Sophonisbe‘. In: Liebe als Metapher. Eine Studie in elf Teilen. Hg. von Walter Delabar und Helga Meise. Frankfurt a. M., 65-76. Dane, Gesa (2015): Christlicher Epikureismus? Lohensteins Preisgedicht Venus. In: Religiöses Wissen in der Lyrik der Frühen Neuzeit. Hg. von Peter-Andre´ Alt und Volker Wels. Wiesbaden, 117-127. Detering, Nicolas (2017): Krise und Kontinent. Die Entstehung der deutschen Europa-Literatur in der Frühen Neuzeit. Köln, Weimar und Wien. Eschenbach, Gunilla (2012): Darstellung und Funktionen von Urbanität in Hamburger Opernlibretti um 1720. In: Hamburg. Eine Metropolregion zwischen Früher Neuzeit und Aufklärung. Hg. von Johann Anselm Steiger und Sandra Richter. Berlin, 627-637. Eybl, Franz M. (1992): Abraham a Sancta Clara. Vom Prediger zum Schriftsteller. Tübingen. Fröhlich, Harry (2005): Apologien der Lust. Zum Diskurs der Sinnlichkeit in der Lyrik Hoffmannswaldaus und seiner Zeitgenossen mit Blick auf die antike Tradition. Tübingen. Frühsorge, Gotthardt (1974): Der politische Körper. Zum Begriff des Politischen im 17. Jahrhundert und in den Romanen Christian Weises. Stuttgart. Garber, Klaus (2014): Das alte Breslau: Kulturgeschichte einer geistigen Metropole. Köln, Weimar und Wien. Gauthier, Laure (2012): Ausstrahlung der Hamburger Oper um 1700. Zirkulation und Verbreitung neuer Kunstformen und -praktiken. In: Hamburg. Eine Metropolregion zwischen Früher Neuzeit und Aufklärung. Hg. von Johann Anselm Steiger und Sandra Richter. Berlin, 639-650. Haufe, Eberhard (1994): Die Behandlung der antiken Mythologie in den Textbüchern der Hamburger Oper 1678-1738. Hg. von Hendrik Birus und Wolfgang Harms. Frankfurt a. M. Hauser, Arnold (1964): Der Manierismus. Die Krise der Renaissance und die moderne Kunst. München. Heiduk, Franz (1971): Die Dichter der galanten Lyrik. Studien zur Neukirchschen Sammlung. Berlin und München. Heiduk, Franz (1975): Hoffmannswaldau und die Überlieferung seiner Werke. In: Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts, 1-72. Herzog, Urs (1984/ 1985): Der Roman auf der Kanzel. Prokop von Templin (um 1608-1680), ein erster Leser von Grimmelshausens „Simplicissimus“. In: Simpliciana 6/ 7, 99-110. Hocke, Gustav Rene´ (1987): Die Welt als Labyrinth. Manierismus in der europäischen Kunst und Literatur. Hg. von Curt Grützmacher. Reinbek. Jahn, Bernhard (2005): Die Sinne und die Oper. Sinnlichkeit und das Problem ihrer Versprachlichung im Musiktheater des nord- und mitteldeutschen Raumes (1680-1740). Tübingen. Ketelsen, Uwe-K. (1982): „Die Liebe bindet Gold an Stahl und Garn zu weisser Seyde“. Zu Hoffmannswaldaus erotischem Lied „So soll der purpur deiner lippen“. In: Gedichte und Interpretationen. Bd. 1: Renaissance und Barock. Hg. von Volker Meid. Stuttgart, 346-355. Kiupel, Birgit (2010): Zwischen Krieg, Liebe und Ehe. Studien zur Konstruktion von Geschlecht und Liebe in den Libretti der Hamburger Gänsemarkt Oper (1678-1738). Freiburg. Krämer, Jörg (1991): Johann Beers Romane. Poetologie, immanente Poetik und Rezeption ,niederer‘ Texte im späten 17. Jahrhundert. Frankfurt a. M. Krämer, Jörg (1994): „Dabey die Politique mit jhren alten Regeln nicht zulangen wil“ - Normenkonflikte in Christian Weises Masaniello-Trauerspiel. In: Weißenfels als Ort literarischer und künstlerischer Kultur im Barockzeitalter. Hg. von Roswitha Jacobsen. Amsterdam, 241-260. <?page no="266"?> 000265 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 265 B.III. Der deutsche Manierismus nach 1660 | Kremer, Manfred K. (1991): Wirklichkeitsnähe in der Barockliteratur. Zur Gestaltung der Realität bei Grimmelshausen und Beer. In: Simpliciana 13, 143-156. Lämmert, Eberhard u. a. (Hg.) (1988 [1971-1975]): Romantheorie. Dokumentation ihrer Geschichte in Deutschland. Bd. 1: 1620-1880. Frankfurt a. M. Ley, Klaus (1991): Marinismus - Antimarinismus. Zur Diskussion des Stilproblems im italienischen Barock und zu ihrer Rezeption in der deutschen Dichtung. In: Europäische Barock-Rezeption. Hg. von Klaus Garber. Bd. 2. Wiesbaden, 857-879. Loos, Helmut (2000): Daniel Casper von Lohenstein: Sophonisbe. In: Dramen vom Barock bis zur Aufklärung. Stuttgart, 134-153. Luhmann, Niklas (1982): Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität. Frankfurt a. M. Martin, Dieter (2015): „Obriste Lumpus“. Springinsfelds Erzählen zwischen Authentizitätsanspruch und Exemplarik. In: Simpliciana 37, 121-141. Martin, Dieter, und Karin Vorderstemann (Hg.) (2013): Die europäische Banise. Rezeption und Übersetzung eines barocken Bestsellers. Berlin u. a. Martino, Alberto (1978): Daniel Casper von Lohenstein. Geschichte seiner Rezeption. 2 Bde. Bd. 1: 1661-1800. Übers. Heribert Streicher. Tübingen. Marx, Hans Joachim, und Dorothea Schröder (1995): Die Hamburger Gänsemarkt-Oper, Katalog der Textbücher. Laaber. Maul, Michael (2013): Banise auf der Opernbühne. Chronologie, Autorschaft und musikalische Einblicke. In: Die europäische Banise. Rezeption und Übersetzung eines barocken Bestsellers. Hg. von Dieter Martin und Karin Vorderstemann. Berlin u. a., 3-35. Meierhofer, Christian (2010): Alles neu unter der Sonne. Das Sammelschrifttum der Frühen Neuzeit und die Entstehung der Nachricht. Würzburg. Meyer-Kalkus, Reinhart (1986): Wollust und Grausamkeit. Affektenlehre und Affektdarstellung in Lohensteins Dramatik am Beispiel von Agrippina. Göttingen. Mourey, Marie-The´ re` se (2010): Die literarische Landschaft in Schlesien um 1660-1680. Ein Frontenkrieg und seine Opfer. In: Um Lohensteins „Sophonisbe“ 1669/ 1680. Hg. von Marie-The´ re` se Mourey. Wiesbaden. Mulagk, Karl-Heinz (1973): Phänomene des politischen Menschen im 17. Jahrhundert. Propädeutische Studien zum Werk Lohensteins unter besonderer Berücksichtigung Diego Saavedra Fajardos und Baltasar Gracia´ ns. Berlin. Niefanger, Dirk (2005): Geschichtsdrama der Frühen Neuzeit (1495-1773). Tübingen. Niefanger, Dirk (2012): Romane als Verhaltenslehren. Zur galanten Poetik von Christian Thomius und Erdmann Neumeister. In: Die Kunst der Galanterie. Facetten eines Verhaltensmodells in der Literatur der Frühen Neuzeit. Hg. von Ruth Florack und Rüdiger Singer. Berlin und Boston, 341-355. Noack, Lothar (1999): Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau (1616-1679): Leben und Werk. Tübingen. Ort, Claus-Michael (2003): Medienwechsel und Selbstreferenz. Christian Weise und die literarische Epistemologie des späten 17. Jahrhunderts. Tübingen. Regener, Ursula (2001): Gedanken über Rosen. Galantes bei Johann Christian Günther. In: Der galante Diskurs. Kommunikationsideal und Epochenschwelle. Hg. von Thomas Borgstedt und Andreas Solbach. Dresden, 181-198. Richter, Sandra (2010): Der herkulische Charakter und seine Gegenspieler: Christian Weises „Masaniello“. In: Innovation durch Wissenstransfer in der Frühen Neuzeit. Hg. von Johann Anselm Steiger u. a. Amsterdam, 17-53. Rode-Breymann, Susanne (2010): Musiktheater eines Kaiserpaars. Wien 1677 bis 1705. Hildesheim. Rohmer, Ernst (1998): Das epische Projekt. Poetik und Funktion des „carmen heroicum“ in der deutschen Literatur des 17. Jahrhunderts. Heidelberg. <?page no="267"?> 000266 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 266 | B.III. Der deutsche Manierismus nach 1660 Roßbach, Nikola, und Thomas Stäcker (Hg.) (2011): Welt und Wissen auf der Bühne. Die Theatrum- Literatur der Frühen Neuzeit. Repertorium. Wolfenbüttel: 〈 http: / / diglib.hab.de/ edoc/ ed000132/ startx.htm 〉 . Rusterholz, Peter (1973): Der Liebe und des Staates Schiff. Christian Hoffmann von Hoffmannswaldaus „Verliebte Arie“: „So soll der purpur deiner lippen … “. In: Deutsche Barocklyrik. Gedichtinterpretationen von Spee bis Haller. Hg. von Martin Bircher und Alois Haas. Bern und München, 265-289. Schings, Hans-Jürgen (1983): Constantia und Prudentia. Zum Funktionswandel des barocken Trauerspiels. In: Daphnis 12, 403-439. Schnitzer, Claudia (1999): Höfische Maskeraden. Funktion und Ausstattung von Verkleidungsdivertissements an deutschen Höfen der frühen Neuzeit. Tübingen. Schock, Flemming (2011): Die Text-Kunstkammer. Populäre Wissenssammlungen des Barock am Beispiel der ,Relationes Curiosae‘ von E. W. Happel. Köln, Weimar, Wien. Schock, Flemming (Hg.) (2012): Polyhistorismus und Buntschriftstellerei. Populäre Wissensformen und Wissenskultur in der Frühen Neuzeit. Berlin. Schöberl, Joachim (1972): „Liljen-milch und rosen-purpur“. Die Metaphorik in der galanten Lyrik des Spätbarock. Frankfurt a. M. Scholz Williams, Gerhild (2013): Mediating Culture in the Seventeenth-Century German Novel. Eberhard Werner Happel, 1647-1690. Ann Arbor. Schubert, Anselm (1996): Auf der Suche nach der menschlichen Natur. Zur erotischen Lyrik Hoffmannswaldaus. In: Daphnis 25, 423-465. Schwarz, Alba (1972): „Der Teutsch-redende Treue Schäfer“. Guarinis „Pastor Fido“ und die Übersetzungen von Eilger Mannlich 1619, Statius Ackermann 1636, Hofmann von Hoffmannswaldau 1652, Assman von Abschatz 1672. Bern und Frankfurt a. M. Schwarzenbach, Stina Rahel (2002): „Stratonica“ und „Demetrius“. Zwei Barockromane, Italienisch und Deutsch. Eine vergleichende Untersuchung der Assarino-Übersetzungen von Veit Daniel von Colewaldt (1652), Johann Wilhelm von Stubenberg (1653) und Johanna Laurentia von Adlershelm (1663). Bern. Schwind, Peter (1977): Schwulst-Stil. Historische Grundlagen von Produktion und Rezeption manieristischer Sprachformen in Deutschland 1624-1738. Bonn. Simons, Olaf (2001): Marteaus Europa oder der Roman, bevor er Literatur wurde. Eine Untersuchung des deutschen und englischen Buchangebots der Jahre 1710 bis 1720. Amsterdam u. a. Solbach, Andreas (1994): Die Forschungsliteratur zu Johann Beer. 1932-1992. Ein Literaturbericht. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur. Sonderheft 6: Forschungsreferate 3, 27-91. Solbach, Andreas (2003): Johann Beer. Rhetorisches Erzählen zwischen Satire und Utopie. Tübingen. Sommer-Mathis, Andrea, Daniela Franke und Rudi Risatti (Hg.) (2016): Spettacolo barocco! Triumph des Theaters. Petersberg. Spellerberg, Gerhard (1978): Szenare zu den Breslauer Aufführungen Lohensteinscher Trauerspiele. In: Daphnis 7, 629-645. Stockhorst, Stefanie (2008): Reformpoetik. Kodifizierte Genustheorie des Barock und alternative Normenbildung in poetologischen Paratexten. Tübingen. Szarota, Elida Maria (1970): Lohensteins Arminius als Zeitroman. Sichtweisen des Spätbarock. Bern und München. Thiers, Bettina (2016): Experimentelle Poetik als Engagement. Konkrete Poesie, visuelle Poesie, Lautdichtung und experimentelles Hörspiel im deutschsprachigen Raum von 1945 bis 1970. Hildesheim u. a. <?page no="268"?> 000267 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 267 B.III. Der deutsche Manierismus nach 1660 | Valentin, Jean-Marie (1996): Spiel, Trauerspiel, Schauspiel. Lohensteins Sophonisbe als theatralisiertes Epithalamion. In: Aspekte des politischen Theaters und Dramas von Caldero´ n bis Georg Seidel. Deutsch-Französische Perspektiven. Hg. von Horst Turk und dems. Bern u. a., 69-92. Vellusig, Robert (2008): Johann Beer und die Poetik des Zeitvertreibs. Zur Medien- und Kulturgeschichte des kurzweiligen Erzählens. In: Daphnis 37, 487-522. Voßkamp, Wilhelm (1973): Romantheorie in Deutschland. Von Martin Opitz bis Friedrich von Blanckenburg. Stuttgart. Watanabe-O’Kelly, Helen (2010): Beauty or beast? The woman warrior in the German imagination from the Renaissance to the present. Oxford. Wichert, Adalbert (1991): Literatur, Rhetorik und Jurisprudenz im 17. Jahrhundert. Daniel Casper von Lohenstein und sein Werk. Eine exemplarische Studie. Tübingen. Windfuhr, Manfred (1966): Die barocke Bildlichkeit und ihre Kritiker. Stilhaltungen in der deutschen Literatur des 17. und 18. Jahrhunderts. Stuttgart. Wrede, Martin (2004): Das Reich und seine Feinde. Politische Feindbilder in der reichspatriotischen Publizistik zwischen Westfälischem Frieden und Siebenjährigem Krieg. Mainz. Zymner, Rüdiger (2014): Manierismus und Metapher. In: Epoche und Metapher. Systematik und Geschichte kultureller Bildlichkeit. Hg. von Benjamin Specht. Berlin, 145-157. <?page no="269"?> 000268 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 <?page no="270"?> 000269 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 C Frühaufklärung <?page no="271"?> 000270 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 <?page no="272"?> 000271 Auerx/ Probe / 21.06.19 10: 06 Die Frage, wann ,das‘ Barock endet und ,die‘ Aufklärung beginnt, hat die Literaturgeschichtsschreibung lange bewegt, weil sie mit der Datierung der Moderne zusammenhängt. Mit dem Anbruch des 18. Jahrhunderts habe ein ,Zeitalter der Vernunft‘ begonnen: Das Bürgertum habe seine Werte der Moral, der Disziplin und der Transparenz gegen den Adel gerichtet und eine Ära politischer, rechtlicher und ökonomischer Reformen initiiert. Mit den Wissenschaftsinnovationen und Glaubenserschütterungen habe sich ein in Frankreich wurzelnder, von dort über ganz Europa fortgepflanzter Säkularisierungsprozess vollzogen, der sich dem „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ verschrieb (Kant 1923 [1784], 35). Kurzum: Das 18. Jahrhundert habe jeder staatlichen und politischen Autorität den Krieg erklärt, insbesondere aber die Kirche kritisiert. Die Aufklärung münde daher in die Französische Revolution, oder, um mit Heinrich Heine zu sprechen, „wie hier in Frankreich jedes Recht, so muß dort in Deutschland jeder Gedanke sich justificieren, und wie hier das Königthum, der Schlußstein der alten socialen Ordnung, so stürzt dort der Deismus, der Schlußstein des geistigen alten Regimes“ (Heine 1979 [1834], 77). Dieses Epochenverständnis hat die deutsche Literaturgeschichtsschreibung vor Probleme gestellt. Ein Großteil der poetischen Werke scheint im frühen bis mittleren 18. Jahrhundert eher auf empfindsame Sentimentalität und urkräftige Genialität zu zielen denn auf rationale Argumentation; man bestaunt die gewaltige Erhabenheit der Natur, wie Albrecht von Haller in seinem Lehrgedicht Die Alpen (1729), oder revitalisiert die Christusepik, wie es Friedrich Klopstock in seinem seit 1748 veröffentlichten Messias (vollendet 1773) versucht. Anstatt materialistisch das christliche Gottesbild zu attackieren, nimmt die aufklärerische Typenkomödie gerade den Atheisten und den Gelehrten aufs Korn, wie Gotthold Ephraim Lessings Einakter Der Freigeist (1749) und Luise Adelgunde Victorie Gottscheds Lustspiel Der Witzling (1745) belegen. Wie passen solche Tendenzen zum ,Zeitalter der Vernunft‘? Die neuere Aufklärungsgeschichte hat die Ursprünge ihrer Epoche weit früher datiert und damit ein komplexeres Bild ihrer Kernphase gezeichnet. Man unterscheidet eine radikale Frühaufklärung, die auf den heterodoxen Materialismus Thomas Hobbes’ und Baruch de Differenziertes Verständnis der Frühaufklärung in der neueren Forschung Spinozas zurückgeht, von einer gemäßigten, eher empiristisch-deistischen Strömung, zu der die englische Philosophie John Lockes zählt (Israel 2001, Schröder 1987, Jacob 1981). Die radikale Religionskritik kursierte in Deutschland bereits um 1700 in studentischen, lokal begrenzten Netzwerken, vermittelt über Handschriften oder im Kaffeehausgespräch (Mulsow 2007 und Mulsow 2002). Derweil sind die Hauptvertreter der deutschen Aufklärung, Lessing etwa oder Moses Mendelssohn, nach dieser Klassifikation eher als moderat einzustufen. Andere Untersuchungen haben weitere Klischees in der Bewertung der aufklärerischen Epoche hinterfragt. So wird neben der Universität neuerdings auch der Hof um 1700 als kulturelles Zentrum reformerischer Bewegungen hervorgehoben (Martus 2015, 23-92; Daniel 2002); damit muss die ältere These differenziert werden, dass die Entstehung einer aufklärerischen Öffentlichkeit vor allem vom lutherischen Bürgertum getragen worden sei, das sich gegen die aristokratische Obrigkeit gewendet habe (sog. ,Verbürgerlichung‘). Auch die jüdische und katholische, sogar die Aufklärung der Mönchsorden - früher ein Oxymoron - ist neuerdings beleuchtet worden (Lehner 2016, Lehner 2013, Sorkin 2008), wie man nun mit den Geheim- <?page no="273"?> 000272 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 272 | C. Frühaufklärung gesellschaften und der Esoterik überhaupt stärker das Obskure, die ,Schattenseite‘ des Sie `cle des Lumie `res , als wesentliches Merkmal der Epoche betont (Fleming 2013, Doering-Manteuffel 2008, 71-139; Neugebauer-Wölk [Hg.] 2008). Der polemische Schlagabtausch, der für die Aufklärung insgesamt charakteristisch ist, führt immer wieder zu Widersprüchen; gegen den Intellektualismus der Cartesianer opponierten andere Gruppen mit einer ,Rehabilitation der Sinnlichkeit‘ (Kondylis 1981). Angesichts eines derart diversifizierten Epochenbilds greift auch für die Literatur die einseitige Rubrik des ,Zeitalters der Vernunft‘ zu kurz. Viel eher als eine strikte Rationalisierung aller Lebensbereiche entwerfen poetische Texte der Frühaufklärung eine optimistische Anthropologie, exemplifizieren moralphilosophisch begründete Tugendlehren sowie das epikureische Ideal diesseitiger Zufriedenheit und kleinfamilialen Privatglücks. Gerade die literarische Aufklärung richtet sich in Deutschland durchaus nicht gegen Religion und Christentum im Allgemeinen, sondern kritisiert religiösen Fanatismus ebenso wie weltferne Melancholie und Spekulation (Spiekermann 2015, Hilliard 2011). Die sozial- und ideengeschichtliche Reformbewegung fungiert lediglich als epochaler Generalbass des späten 17. bis späten 18. Jahrhunderts, begleitet von diversen Spielarten, die aufklärerische Teiltendenzen konterkarieren, spiegeln, komplementieren oder aufnehmen. Aus diesen Tendenzen ergeben sich drei Epochenphasen, die sich freilich überlagern: (1) die Galanterie im frühen 18. Jahrhundert, (2) der französische Klassizismus in Berlin und Leipzig sowie der englische Essayismus und die Physikotheologie, (3) die Anakreontik und Empfindsamkeit in den 1740er bis 1760er Jahren. (1) Die an der französischen Hofkultur orientierte Galanterie begleitet die deutsche Rezeption des französisch-klassizistischen Rationalismus. Diese setzt viel früher ein als allgemein bekannt und ist um 1730, als Johann Christoph Gottscheds Versuch einer critischen Dichtkunst erscheint, bereits etabliert. Weit vor Gottsched wird auch die Autorpersona neu zentriert, formiert sich mithin ein neuer, im Verlauf des 18. Jahrhunderts poetologisch aufgewerteter Biographismus sowie eine skandalträchtige Problematisierung von Fiktion. (2) Gottsched vermag den französischen Klassizismus mit seiner Poetik und seinen Übersetzungen zu popularisieren, wenngleich seine Wirkung bereits seit den 1740er Jahren verblasst. Ein anderer Strang der Frühaufklärung ist dagegen vom englischen Empirismus geprägt und artikuliert sich in freier assoziierenden Erzählformen wie Moralischer Wochenschrift und Roman. Volle Wirkung entfaltet der anglophile Zweig der Aufklärung mit Johann Jakob Bodmers und Johann Jakob Breitingers Rehabilitierung der ,wunderbaren‘ Barockepik John Miltons. (3) Da der Beginn sowohl der klassizistischen Stilkritik als auch der rationalen Vernunft- und Tugenddidaxe früh anzusetzen ist und sich zudem bereits vor 1700 eine räsonierende Öffentlichkeit mit entsprechenden Organen formiert, möchten wir die Aufklärung noch der Großepoche der ,Frühen Neuzeit‘ zurechnen. Ihr Beginn fällt jedenfalls mit deren Ende nicht zusammen. Wie wir in einem abschließenden Essay skizzieren, vollzieht sich vielmehr erst gegen 1750, folglich mitten im Zeitalter der Aufklärung, ein maßgeblicher Paradigmenwechsel, der einige wesentliche Voraussetzungen der deutschen Literatur seit dem Humanismus beseitigt. <?page no="274"?> 000273 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 273 1. Polemik und Geselligkeit in Europa seit den 1680er Jahren | C.I. Galanterie als Frühaufklärung: Poetischer Wandel um 1690 Die Jahre um 1690 gehören europaweit zu den dynamischsten Zeiträumen der Frühen Neuzeit. Viele Tendenzen, die für das frühe 18. Jahrhundert bestimmend wurden, nahmen hier ihren Ausgang. Das hat die Ideengeschichte bereits früh konstatiert (Hazard 1935), aber erst in den letzten Jahren ist die Zeit um 1700 als „Epochenschwelle“ (Borgstedt/ Solbach [Hg.] 2001) und Phase der „Formierung der europäischen Aufklärung“ (Fulda/ Steigerwald [Hg.] 2016) auch von der deutschen Literaturgeschichte neu gewürdigt worden. Inzwischen liegen mehrere Studien zum deutsch-französischen Kulturtransfer um 1700 vor, speziell zum galanten Roman (Barthel 2016, Rose 2012a, Gelzer 2007, Simons 2001) sowie zur Ethik und Poetik des Galanten (Stauffer 2018, Florack/ Singer [Hg.] 2012, Steigerwald 2011). Auch kommunikationsgeschichtlich wurde die Jahrhundertschwelle 1700 neuerdings profiliert. So hat man die Rolle von Medienskandalen und politischen Konflikten für die Ausbildung einer frühaufklärerischen Öffentlichkeit betont (Bellingradt 2011, Arndt 2013, Rose 2012b) oder die polemische Streitkultur in Rezensionsorganen als Schritt zur Durchsetzung einer negativen Literaturkritik (Martus 2004) untersucht. 1. Polemik und Geselligkeit in Europa seit den 1680er Jahren Seit Charles Perrault im Jahr 1687 in einem Lobgedicht an Ludwig XIV. postuliert hatte, das gegenwärtige Zeitalter sei der Epoche des Augustus überlegen, die Neuzeit also habe die Antike übertroffen, bewegte die Querelle des Anciens et des Modernes die Gemüter in Frank- Querelle des Anciens et des Modernes: Streit zwischen Verfechtern des Altertums und der Neuzeit reich. Der klassizistische Dichter und Theoretiker Nicolas Boileau-Despre´ aux widersprach vehement, Perrault legte daraufhin mit einem vierbändigen Vergleich ( Paralle `le des anciens et des modernes , 1688) nach - eine Debatte war ausgebrochen, die bald auch in anderen Ländern Europas Wellen schlug (Bullard/ Tadie´ [Hg.] 2016). Auch wenn bereits die Renaissance die Vorzüge der Gegenwart und des Altertums gegeneinander abgewogen hatte, erhielt die Frage nun eine geschichtsphilosophische Dimension. Während die eine Partei an die Möglichkeit einer kulturellen Verbesserung glaubte, hielt die andere an der Vorbildhaftigkeit der Klassischen Dichtung fest und forderte Demut vor der Autorität des Altertums. Die Literatur lieferte das bevorzugte Beispiel, um den strittigen Fortschritt der Kultur, ja die Legitimität von Innovation und Veränderung überhaupt zu diskutieren (Landwehr 2014, 147-205). In England verspottete Jonathan Swift in seiner Satire The Battle of the Books (1704) diesen ,Krieg der Bücher‘; auch in Deutschland reagierte man früh, wenngleich nicht immer erkennbar ist, ob die deutsche Debatte zwischen Antiqui und Moderni von den Franzosen angeregt ist oder sich auf ältere Vergleiche dieser Art bezieht (Kapitza 1981, Pago 2003). Schon 1688 berichteten die Acta Eruditorum über Perrault und die Querelle , 1690 dann Christian Thomasius’ Monatsgespräche in mehreren Heften (Jaumann 2004). Zu den Vertretern der Modernen gehören Pierre Bayle und Bernard le Bovier de Fontenelle, zwei der Gründungsväter der französischen Aufklärung. Bayle ist heute vor allem für sein monumentales Dictionnaire historique et critique (1697) bekannt, das Johann Christoph Gott- <?page no="275"?> 000274 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 274 | C.I. Galanterie als Frühaufklärung: Poetischer Wandel um 1690 sched fast ein halbes Jahrhundert später ins Deutsche übertrug ( Historisches und Critisches Wörterbuch , 1741-1744). Bayles Dictionnaire ist Ausdruck eines radikalen Skeptizismus, in dessen Zeichen er alle bisherigen Einsichten prüft und, wenn nötig, als falsch brandmarkt. Pierre Bayles radikaler Skeptizismus Zunächst hatte Bayle sich an einer Enzyklopädie sämtlicher Fehler der herkömmlichen Geschichtsschreibung versucht, sein Projekt dann jedoch verändert und sein alphabetisches Verzeichnis antiker, mittelalterlicher und zeitgenössischer Personen sowie zentraler Ideen vorgelegt. Berühmt geworden sind die Fußnoten zu seinen Einträgen, die meist umfänglicher als der Haupttext sind. Bayle verweist dort auf seine Quellen, belegt jede Ansicht sorgfältig, korrigiert seine Vorläufer und wägt verschiedene Meinungen ab. Schon die schiere Dimension seines kritischen Apparats bezeugt Bayles skeptische Auffassung, dass mehr oder weniger jede historische Darstellung fehlerhaft, widersprüchlich oder ungenau sei (Grafton 1997, 192-194). Mit dem Lexikon ist eine Gattung benannt, die mit ihrer Tendenz zur Bestandsaufnahme und Fundamentalkritik, dann aber auch zur ordnenden Neubestimmung und definitorischen Grundlegung von Wissen eine besondere Affinität zur Aufklärung bewies. Auf Bayle folgten zahllose enzyklopädische Projekte, unter denen Johann Heinrich Zedlers Grosses vollständiges Universal-Lexicon (64 Bde., 1732-1754) sowie Denis Diderots und Jean Baptiste le Rond d’Alemberts Encyclope ´die (144 Bde., 1751-1780) nur die bedeutendsten sind. Als zweites Leitgenre des frühen 18. Jahrhunderts kann der philosophische Dialog gelten, den Fontenelle mit seinen Dialogue des morts (1683) und den Entretiens sur la pluralite ´ des mondes (1686) popularisierte. Dass man eine fiktive Konversation zwischen berühmten Verstorbenen imaginierte, war nicht neu, sondern geht auf die römische Sammlung satirischer Dialoge des Lukian zurück ( Nekrikoi dialogoi , um 166 n. Chr.). Fontenelle passte dieses Muster an die Mode seiner Gegenwart an. Er trug insofern maßgeblich zur Querelle bei, als er bisweilen einen Vertreter der Antike und der Neuzeit in einem Dialog paart, die sich über ein aktuelles Problem des kulturellen oder wissenschaftlichen Lebens austauschen. Sokrates und Montaigne zum Beispiel streiten darüber, ob es unter den Alten tugendhaftere und größere Männer gegeben habe, während der griechische Anatom Erasistratos und der englische Arzt William Harvey über die Vorzüge der modernen Medizin diskutieren. In Frankreich und Deutschland erwiesen sich die Totengespräche gerade im 18. Jahrhundert als Verkaufsschlager. So konnte ein diesem Muster folgendes Monatsjournal, David Faßmanns Gespräche in dem Reiche derer Todten (1718-1740), über zwanzig Jahre lang erscheinen (Dreyfürst 2011, Baumbach 2002). Die gefällige literarische Form des Dialogs trug dazu bei, einer breiteren Leserschaft neuere naturwissenschaftliche Erkenntnisse zu vermitteln und deren philosophische Implikationen offen zu legen. Beispielsweise erläutern Fontenelles Entretiens in Gesprächen die kopernikanische Astronomie, um kurz darauf zu erörtern, ob der Mond und andere Planeten nicht wie die Erde bewohnt sein könnten. Doch nicht nur in Frankreich, auch in anderen Ländern waren die 1690er Jahre eine Zeit des Umbruchs. In England hatte man kurz nach der Glorious Revolution von 1688, nach der sich die Monarchie geschwächt sah gegenüber dem beispiellos mächtigen Parlament, eine Bill of Rights erlassen, die unter anderem das Recht der freien Meinungsäußerung im Parlament festschrieb. Als 1695 die Vorzensur aufgehoben wurde, entstand in England eine europaweit <?page no="276"?> 000275 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 275 1. Polemik und Geselligkeit in Europa seit den 1680er Jahren | einzigartig freie Presse. Da alle drei Jahre Wahlen stattfanden, explodierte die Zahl der Zeitungen und Flugschriften, welche die öffentliche Meinung zu beeinflussen suchten (Melton 2001, 17-45). 1702 erschien in London die erste britische Tageszeitung. Ihr größter Konkur- England: Pressefreiheit als Motor der Kritik rent, der dreimal die Woche publizierte Post-Man , setzte wenig später schon fast viertausend Exemplare ab. Das Lektürepublikum vergrößerte sich auf geschätzt zweieinhalb Millionen Zeitungsleser im Jahr 1713 (ebd., 29). Die Idee der kritischen Auseinandersetzung und der politischen Partizipation erhielt dadurch mediales Futter und verschaffte Autoren wie Daniel Defoe, der sich zeitweise journalistisch verdingte, ein Auskommen. Zugleich bildeten sich unter König Wilhelm III. von Oranien einige der Grundpfeiler der aufklärerischen Philosophie aus. John Lockes An Essay Concerning Humane Understanding (1690) begründete eine empiristische Erkenntnistheorie, deren Konzept der tabula rasa die Didaktik der Aufklärung motivierte. War das menschliche Bewusstsein bei Geburt ,leer‘, nicht also durch angeborene Ideen bestimmt, sondern durch die Erfahrung formbar, so konnte sich der Mensch durch Anleitung verändern, ein Gedanke, den Locke später in Some Thoughts Concerning Education (1694) zu einer pädagogischen Psychologie ausarbeitete: „I think I may say that, of all the Men we meet with, Nine Parts of Ten are what they are, Good or Evil, useful or not, by their Education“ (Locke 1989, 1) - als Leitsatz könnte dies über dem optimistischen Bestreben vieler Aufklärer stehen, den Leser mit poetischen Mitteln zu erziehen, ihn moralisch zu bessern. Locke war befreundet mit Isaac Newton, mit dem er viele Ansichten teilte, die Sympathien für die Whig Partei wie den moderaten Deismus. Newtons Hauptwerk, die Principia Mathematica (1687), revolutionierte die Physik, wirkte mit der Formulierung der bekannten Gesetze aber auch auf das kosmologische Denken der Zeit. Popularisiert wurden seine Erkenntnisse durch seinen Cambridger Kollegen Richard Bentley sowie durch den Theologen William Derham. Beide interpretierten Newtons System im Hinblick auf Religion und Gesellschaft, ,widerlegten‘ gleichsam mit naturwissenschaftlichen Beweisen den Atheismus und begründeten auf diese Weise die sogenannte Physikotheologie, die später auch in Deutschland rezipiert wurde (siehe C.II.1.1.). Überhaupt blieb man in den deutschsprachigen Ländern einmal nicht zurück hinter den europäischen Nachbarn. Auch hier formierte sich im späten 17. Jahrhundert eine Geselligkeitskultur in städtischen Wirts- und Kaffeehäusern. Sie schlug sich in Unterhaltungsjournalen wie dem Courieusen Caffee-Haus zu Venedig (3 Hefte, 1698) nieder. Es seien neuerdings, da „das siebenzehende Seculum nunmehro auf die Neige gehen wolte“, so notiert der Verfasser Philipp Balthasar Sinold von Schütz zeitkritisch, „die Caffe ´- und The- Schencken äusserst bemühet / den lüsternen Einwohnern und vorwitzigen Frembden die Grund-Suppe von dem Venetianischen Cisternen-Wasser fein appetitlich vorzusetzen / wesßwegen an allen Ecken der vornehmsten Plätze und Gassen schwartze Tafeln mit abgeschilderten Türcken und Indiandern heraushiengen“ (Sinold 1698, 4). Wie kontrovers die Konversation bei der obligatorischen Tabakspfeife verlaufen konnte, davon gibt nicht nur Sinolds witziges Journal beredtes Zeugnis ab, sondern das dokumentieren auch die Romane des Hamburger Journalschriftstellers Eberhard Werner Happel (B.III.6.4.), in denen die Figuren öfter im Wirtshaus über das Tagesgeschehen streiten, von dem sie gerade in der Zeitung erfahren haben. Eine Zeitschrift namens Der Europäische Mercurius (1690) hebt auf dem Frontispiz auf die <?page no="277"?> 000276 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 276 | C.I. Galanterie als Frühaufklärung: Poetischer Wandel um 1690 C.I.1. Merkur im Wirtshaus. Frontispiz zur Januar-Ausgabe des Europäischen Mercurius oder Götter-Both (Nürnberg 1690). schichtenübergreifende Zusammensetzung der Wirtshausgänger ab. Wie die Kleidung und die Haltung der Figuren zeigen, sitzen hier Vertreter aus allen Ständen qualmend zur Diskussion beisammen (Abb. C.I.1.). Auch wenn solche Darstellungen überzeichnet sein mögen und die Schilderung von Kaffeehausgesprächen in Romanen sicher kein unmittelbares Abbild der Realität bietet, so ist dennoch festzuhalten, dass sich insbesondere in den Medienstädten des Reichs - in Frankfurt, Leipzig, Hamburg - eine räsonierende Öffentlichkeit ausbildete. Ungeachtet aller Kritik an Jürgen Habermas’ geschöntem Bild der egalitären Diskurskultur im 18. Jahrhundert (siehe C.II.1.2.), war diese Öffentlichkeit doch Bedingung und Effekt zugleich des aufklärerischen Bemühens um Austausch, um Kontroverse wie Dialog (Böning 2002). Man hat von einem „Jahr- Räsonierende Öffentlichkeit im Kaffeehaus hundert der Freundschaft“ gesprochen (Pott [Hg.] 2004, Adam 2000, Meyer-Krentler 1991), das um 1700 anbreche. Die öffentlichen Institutionen, später auch die halbprivaten Salons und Clubs, schließlich die esoterischen Logen, in denen sich die gebildete Elite, das Bürgertum wie der Adel, traf, sie alle trugen zur Stiftung des Geselligkeitsideals bei. Zugleich begründeten die Naturrechtslehren der Zeit die socialitas als Norm. Samuel Pufendorfs De officio hominis et civis (1673) entwarf eine Anthropologie, die stark auf die moraldidaktische Literatur des 18. Jahrhunderts wirkte. Nur auf sich gestellt, sei der Mensch schwach, er bedürfe der Gesellschaft schon zur Selbsterhaltung. Die Entfaltung individueller Neigungen und die Pflicht zum Gemeinwohl sind folglich eng aufeinander bezogen - es ist geradezu im existentiellen Interesse des Einzelnen, gesellig zu sein (Vollhardt 2001, 67-95). Dem Leser die Triftigkeit dieses gegen Thomas Hobbes’ misanthropische Staatsphilosophie gerichteten Menschenbildes vor Augen zu führen, bezweckten viele Schriftsteller der Frühaufklärung. Auch die Praxis der Galanterie, die in zahlreichen Traktaten vermittelt, in Gedichten und Romanen exemplifiziert wird, richtet sich auf den richtigen Umgang der Menschen miteinander. Sie nimmt sich vor, das angemessene Verhalten in guter Gesellschaft zu bestimmen und adaptiert dazu die höfische Etikette Frankreichs. <?page no="278"?> 000277 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 277 2. Christian Thomasius und die galante Gelehrsamkeit | 2. Der Galant homme: Christian Thomasius und die galante Gelehrsamkeit Kaum ein Wort wird um 1700 öfter verwendet als ,galant‘. Das Modewort findet sich in Romanen wie Menantes’ (d. i. Christian Friedrich Hunold) Die verliebte und galante Welt (1700), in Poetiken wie Erdmann Neumeisters Allerneuester Art zur reinen und galanten Poesie zu gelangen (1707) sowie als Titel von Zeitschriften wie dem berühmten Pariser Mercure Galant (1672-1714). Vor allem aber dient es als Epitheton eines Verhaltensideals, einer Conduite , deren Modellierung sich zahllose Traktate der Zeit verschrieben. Zum Zieltypus erklärte man den Galant homme - so der Titel eines Leipziger Ratgebers von 1699, der dem Leser anschaulich vor Augen stellen wollte, Wie mann sich in der Galanten Welt Inn Worten und Geberden / inn Aufwarten / gehen / sitzen / essen / trincken / Habis / etc. Manierlich aufführen und beliebt machen soll . Der vollständigen Habitus- und Kommunikationsnormierung verschrieben sich Briefsteller, unter denen Benjamin Neukirchs Anweisung zu Teutschen Briefen (1709) bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts wiederaufgelegt wurde, Konversationsbücher wie Friedrich Wilhelm Scharffenbergs Die Kunst complaisant und galant zu conversiren (1716) und Tanzlehren wie Meleatons (d. i. Johann Leonhard Rost) Von der Nutzbarkeit des Tantzens (1713). Was meinte der Begriff ,galant‘ um 1700? Zur Klärung empfiehlt sich ein Blick in Christian Thomasius’ Discours Welcher Gestalt man denen Frantzosen in gemeinem Leben und Wandel nachahmen solle (1687), der wesentlich dazu beitrug, die französische Mode in Deutschland ein- Galanterie als Lehre gesellschaftlichen Verhaltens zubürgern. Thomasius notiert, das Wort ,galant‘ werde derart beliebig gebraucht, „daß es von Hund und Katzen / von Pantoffeln / von Tisch und Bäncken / von Feder und Dinten / und ich weiß endlich nicht / ob nicht auch von Aepffel und Birn zum öfftern gesagt wird“ (Thomasius 1687, 11), um sich dann für eine in Frankreich geläufige Deutung zu entscheiden: ,Galanterie‘ sei „etwas gemischtes“, „so aus dem je ne scay qvoy , aus der guten Art etwas zu thun / aus der manier zu leben / so am Hoffe gebräuchlich ist / aus Verstand / Gelehrsamkeit / einen guten judicio , Höfflichkeit / und Freudigkeit zusammen gesetzet werde / und deme aller zwang / affectation, und unanständige Plumpheit zuwieder sey“ (ebd., 12). Systematisiert man Thomasius’ Ausführungen, lassen sich vor allem vier Definitionselemente erkennen: Bei der Galanterie handelt es sich erstens um eine auf die gesellschaftliche Praxis, nicht also auf das christliche Seelenheil bezogene Ethik, deren Normen zweitens der französischen Hofkultur sowie der romanischen Traktatkunst der Renaissance entnommen sind - insbesondere Baltasar Gracia´ ns Ora´culo manual y arte de prudencia (1647), auf das sich Thomasius prominent bezieht (ebd., 37f.; vgl. Achermann 2003); drittens fordert diese Ethik die Konventionsadäquatheit des Handelns, das Decorum , verzichtet also auf eine überzeitliche, etwa religiös verankerte Morallehre. Stattdessen bindet sie sich an die jeweils aktuell geltenden, durchaus als wandelbar verstandenen Spielregeln der guten Gesellschaft: den richtigen Ton im Gespräch, die situative Gewandtheit, das Beherrschen auch der üblichen Unterhaltungsformen (Tanz, Reiten, Fechten, Gesellschaftsspiel). Viertens fordert die galante Ethik, ihre eigenen Vorgaben derart zu internalisieren, dass sie ungezwungen und natürlich wirken. Auch dies war in Renaissancetraktaten mit Begriffen wie sprezzatura (Baldassare Castiglione) vorgeprägt gewesen. Jede affectation , jeder Anschein von Bemühtheit ist zu vermeiden, und unmerklich soll das rhetorische Gerüst bleiben, dessen es doch bedarf, um das Verhalten gesellschaftskonform zu steuern. <?page no="279"?> 000278 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 278 | C.I. Galanterie als Frühaufklärung: Poetischer Wandel um 1690 Seinen Discours hielt Christian Thomasius 1687 als Antrittsvorlesung an der Leipziger Universität - und löste damit einen kleinen, aber wohlkalkulierten Skandal aus. Nicht nur war es unüblich, dass ein Universitätsprofessor auf Deutsch las statt auf Latein, sondern mit seiner programmatischen Vorlesung richtete sich Thomasius gegen den Kulturpatriotismus ,Nachahmung der Franzosen‘ als Programm des Thomasius seiner Zeit, indem er proklamierte, die Deutschen könnten sehr wohl von der Nachahmung der Franzosen profitieren. Diese seien ihren Nachbarn in Sachen des Bel esprit , des Witzes und des Geschmacks, um einiges voraus. Sie seien „heut zu tage die geschicktesten Leute / und wissen allen Sachen ein recht Leben zugeben“ (Thomasius 1687, 6). Der Zeitgeist wandele sich ständig, argumentiert Thomasius, „die Sitten und Manieren zu leben“ hätten sich „hin und wieder verändert“, und die „alten Teutschen“, von denen Tacitus schreibe, könnten in der Gegenwart kein Muster mehr abgeben (ebd., 4f.). Thomasius, Sohn eines Philosophieprofessors und selbst Absolvent der Leipziger Universität, wusste zu provozieren, und das nicht nur mit seiner berühmt gewordenen Vorlesung. Anders als seinerzeit üblich, trug er an der Universität bunte Kleidung und gab sich betont weltgewandt. Überdies kritisierte er die lutherische Orthodoxie und schien zeitweise sogar mit den Pietisten gemeinsame Sache zu machen (Martus 2015, 97-118; Maurer 1997). Auch mit seinen Monats-Gesprächen (1688-1690), einem monatlich als Dialogfiktion erscheinenden Rezensionsorgan unter wechselndem Haupttitel, sorgte Thomasius für Ärger, weil er in seinen Kritiken ausgesprochen scharf urteilte und etwa den überholten, aber noch dominanten Aristotelismus seiner Kollegen schalt. Auch seine galante Verhaltenslehre trieb Thomasius in den Monats-Gesprächen voran, indem er immer wieder Liebesromane rezensierte - insbesondere jene der Madeleine de Scude´ ry - und in deren Liebeskonzepten zwischen wahrer und falscher Galanterie zu unterscheiden suchte. Propagiert wurde nun eine ,vernünftige Liebe‘, deren Gefühls- und Handlungsmuster man aus den besprochenen Romanen selbst extrahieren und nachahmen konnte. Deshalb konnte man die galanten Romane bald auch für die Liebesvernarrtheit des Lesepublikums verantwortlich machen (Stauffer 2018, 81-97; Steigerwald 2011, 260-298). Die Monats-Gespräche setzten eine Wegmarke in der Geschichte der deutschen Literaturkritik. Ihr Modell, neuere Romane in fiktiven Konversationen zu besprechen, beeinflusste unter anderem Nicolaus Hieronymus Gundling, der mit seinen monatlichen Neuen Unterredungen (1702) ein ähnliches Projekt verfolgte (Jaumann 1995, 276-304). Doch Thomasius machte sich nicht nur Freunde, und als er 1689 in einem Streit um eine Fürstenhochzeit juristisch aufseiten der Brandenburger Stellung bezog, musste er ins kurbrandenburgische Halle umsiedeln, wo er die Gründung der modernen Friedrichsuniversität (eröffnet 1694) vorantrieb. Dort unterrichtete er forthin und beeinflusste die Studentenschaft mit seiner Naturrechtslehre (Schneiders 1971). Praktisch sollte die Gelehrsamkeit sein, nicht pedantisch. Statt einer christlich-neustoischen Beständigkeitsethik anzuhängen, verfocht Thomasius eine innerweltliche Klugheitslehre, welche der Biense ´ance , der gesellschaftlichen Schicklichkeit, hohen Wert beimaß. An ihr musste sich der kalkulierende Mensch bewähren, ihre Regeln zu befolgen, hieß, ,galant‘ zu sein. <?page no="280"?> 000279 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 279 3. Klassizismus bei Canitz, Neukirch und König | 3. Schwulstkritik und Geschmacksästhetik: Klassizismus bei Canitz, Neukirch und König Dass 1694 ausgerechnet im kurbrandenburgischen Halle eine neue Universität gegründet wurde, die für den neuen Zeitgeist stand, war kein Zufall. Das Kurfürstentum Brandenburg- Preußen hatte im Laufe des 17. Jahrhunderts einen beispiellosen Aufstieg erlebt. Seit der Aufnahme von rund zwanzigtausend hugenottischen Flüchtlingen, die Ludwig XIV. ihrer Bürgerrechte beraubt hatte, als er 1685 den Katholizismus zur alleinigen Staatsreligion erklärte, florierten in Brandenburg Wirtschaft und Kulturleben. Entsprechend selbstbewusst war der neue Markgraf Friedrich III., der dem Hause Hohenzollern seit 1688 vorstand. Seine Ambitionen erfüllten sich mit der Rangerhebung in den Königsstand. Als Friedrich I. durfte er sich seit 1701 ,König in Preußen‘ nennen. Die Ränkespiele an seinem Berliner Hof wurden bald schon sprichwörtlich, aber für Dichter wie den späteren Oberzeremonienmeister Johann von Besser eröffnete der Hofstaat auch Chancen. Besser verfasste für die Minister und die Fürstenfamilie zahlreiche panegyrische Gedichte, die zum wichtigen Bestandteil der preußischen Repräsentation avancierten. Seine Ceremonial-Acta und die Preussische Krönungsgeschichte liegen neuerdings in einer kritischen Ausgabe vor (Besser 2009-2016, 4 Bde.). Ausgerechnet in diesem Umfeld, in dem höfische Zier und Verstellung fraglos opportun waren, etablierte sich um 1700 die Ästhetik der französischen Klassik. Bereits in den 1680er Jahren waren erste Stimmen laut geworden, die sich gegen den ,Schwulst‘ des barocken Manierismus richteten. Der Begriff wurde erstmals 1682 in Daniel Georg Morhofs Unterricht von der Teutschen Sprache und Poesie eingeführt; Morhof prangert hier die „Uberklugen“ an (Morhof 1682, 654), die sich derart in ihren Gedanken verstiegen, dass sie jedes Gefühl für Angemessenheit und Verständlichkeit verlieren würden. Mit dem Vorwurf, „schwülstig“ zu sein, bedenkt Morhof insbesondere die Nürnberger um Johann Klaj (ebd., 657). Morhofs Schüler Christian Wernicke mokiert sich einige Jahre später über die stereotype Metaphorik des Petrarkismus: „Ich habe mich offtmahls verwundert“, heißt es in der Einleitung zu seinen Epigrammen, dass die deutschen Poeten „so viel Schönheit in Marmor-Brüsten / und Wangen von Alabast gefunden / und daß so gar alle an diese Stein gestossen haben. Es ist in der that ein gantz abgeschmackter und falscher Entwurff der Dinge die sie uns vor Augen stellen wollen / und kommt allein von ihrer selbst-eignen ungereimten Erfindung her“ (Wernicke 1697, 14f.). Über Wernickes Kritik an der schlesischen Dichtung, die in seinem epischen Spottgedicht Hans Sachs (1702) gipfelt, entbrannte bald ein Streit über den ,richtigen‘ Stil, in dem besonders die Nachfolger Hoffmannswaldaus unter Beschuss gerieten (Rose 2012a, 115-125). Die Belege für eine Abkehr von der komplexen Bildlichkeit, für die Marino und Hoffmannswaldau standen, mehren sich im späten 17. Jahrhundert (Schwind 1977, Windfuhr 1966). Während die eigentliche Hochphase der Hoffmannswaldau-Rezeption mit der Veröffentlichung von Benjamin Neukirchs Anthologie seit 1695 gerade erst begann, setzte bereits scharfe Kritik an ihm und den anderen Marino-Adepten ein. Orientierten sich einige Poetiken bereits punktuell an dem Prinzip der Deutlichkeit und der Einfachheit, so ordnete man diese Konzepte doch erst um 1700 in die Ästhetik des Klassizismus ein, wie sie am französischen Hof herrschte. Erst in diesem Kontext gewinnen die sporadischen Einlassungen ihr poetologisches Fundament. Im Lichte des französischen <?page no="281"?> 000280 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 280 | C.I. Galanterie als Frühaufklärung: Poetischer Wandel um 1690 Klassizismus dokumentiert die Schwulstschelte einen Geschmackswandel, in dessen Folge der ,Barockstil‘ bis weit in das 20. Jahrhundert hinein als minderwertig gelten sollte. Den maßgeblichen Anstoß für die frühaufklärerische Kritik am rhetorischen Ornat gab der fran- Deutlichkeit und Einfachheit als Stilmerkmale des Klassizismus zösische Satiriker Nicolas Boileau-Despre´ aux, der sich selbst als neuen Horaz inszenierte und in der Querelle erbittert gegen die Modernen wetterte. Mit seiner L’Art poe ´tique (1674) belebte er die Regelpoetik, forderte die vraisemblance [,Wahrscheinlichkeit‘] als wichtigstes Kriterium, um die Erfindung einer Dichtung zu beurteilen, sowie Naivität und Einfachheit als wesentliche Gattungs- und Stilkriterien. Boileaus Richtlinien wurden auch für die deutsche Literatur maßgeblich. Johann Christoph Gottsched sah sich ihnen zeit seines Lebens verpflichtet und beteiligte sich am letzten Band von Neukirchs Anthologie mit der Übersetzung mehrerer Satiren Boileaus. Bereits einige Zeit zuvor hatte man die französische Poetik am Berliner Hof für sich entdeckt und die Kritik an der ,schwülstigen‘ Barockrhetorik mit ihr begründet. Als wichtiger Mittler erwies sich der preußische Diplomat und Geheime Rat Friedrich Rudolph Ludwig Freiherr von Canitz (1654-1699), dessen Neben-Stunden Unterschiedener Gedichte (1700) zunächst anonym erschienen, bevor eine postume, von Johann Ulrich König (1688-1744) besorgte Ausgabe den Canitz-Kult der Frühaufklärung beförderte (Niefanger 1995). Canitz sei, so König in einer Vorrede, „einer von denenjenigen Dichtern“, „welche zuerst die in Teutschland eingerissene schwülstige Schreib-Art vermieden, und daher, mit einem Worte, ein Poete von gutem Geschmack zu nennen ist“ (König 1727, 58). Tatsächlich hatte Canitz in seinen Neben- Stunden Juvenal und Horaz, vor allem aber Boileau übersetzt (Canitz 1700, 73-78). In einer eigenen Satire Von der Poesie (veröffentlicht 1700) übte Canitz sich in der Polemik gegen den wortreichen Barockstil. Hier wettert er auf der einen Seite gegen den gezwungenen, allein auf Schmuckeffekte zielenden Stil, der sich von Natur und Vernunft entfernt habe und „auf Steltzen geht“. „Man denckt und schreibt nicht mehr / was sich zur Sache schicket“, heißt es, „Es wird nach der Vernunfft kein Einfall ausgedrücket“, und: „So künstlich trifft itzund kein Tichter die Natur / Sie ist ihm viel zu schlecht / er sucht ihm neue Spuhr: Geußt solche Thränen aus die Lachens-würdig scheinen / Und wenn er lachen wil so möchten andre weinen“ ( 154). Auf der anderen Seite eifert Canitz gegen eine käufliche Gelegenheitsdichtung, der er, wie in den zitierten Versen bereits anklingt, mangelnde Ehrlichkeit vorwirft. So spottet er über die exaltierte Klagetopik in Trauergedichten sowie die Konvention, die römische Mythologie über Gebühr zu bemühen. Auch der Liebesdichtung und der höfischen Panegyrik wirft er rhetorische Maßlosigkeit, „hundert Gauckel Possen“ und mangelnden Ernst vor. „Was er von Kindheit an aus Büchern abgeschrieben“, so Canitz über den schlechten Poeten, „Das wird mit Müh und Zwang in einen Verß getrieben“. „So bald er einen merckt / der ihm die Arbeit lohnet / Wird seinem Pegasus der Sattel aufgelegt / Der ein erkaufftes Lob biß an den Himmel trägt“ ( 154). Mit ihren stereotypen Formeln und ihrer verstiegenen Metaphorik lässt die Gelegenheitsdichtung an der Authentizität des Autors zweifeln, an seiner Trauer im Epicedium, an seiner Zuneigung im Liebesgedicht, an seiner Fürstentreue in der Panegyrik. <?page no="282"?> 000281 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 281 3. Klassizismus bei Canitz, Neukirch und König | Der wohlfeile Vorwurf, die Hofdichtung sei bezahlt und entstehe daher nicht aus eigener Motivation, weist auf weitreichende Erschütterungen der poetischen Ordnung hin. Das frühneuzeitliche Gattungssystem mit seiner elaborierten Topik wird als im Grunde ,uneigent- Krise der Gelegenheitsdichtung lich‘ verworfen, die argutia -Lehre der spitzfindigen Bildlichkeit als gezwungen, in ihrer Komplexitätstendenz als widernatürlich dargestellt. Wie Wulf Segebrecht zeigen konnte, beruhte die Formierung des literarischen Felds im mittleren 18. Jahrhundert weitgehend auf dieser Abwertung der ,Gelegenheitsdichtung‘. Hatte sie zuvor als Folie gedient, wurde sie künftig als dilettantische Massenware verstanden, während das genialische Kunstwerk aus der erlebten Wirklichkeit zu schöpfen hatte. Diese Aufspaltung von Gelegenheitsdichtung und ,Erlebnislyrik‘ erwuchs um die Mitte des 18. Jahrhunderts aus den kontroversen Selbststilisierungen jener Autoren, die das Künstlerische vom Populären zu scheiden suchten und dazu die Opposition von Rollenspiel und authentischer Expression, Rhetorik und Natürlichkeit, Zweckgebundenheit und Selbstzweck schärften (Segebrecht 1977). Dass die Forderung nach Unverstelltheit derart früh ausgerechnet den absolutistischen Hof erreichen sollte, darf als eigenartige, wohl deshalb auch wenig beachtete Pointe der Literaturgeschichte gelten. Die Dresdner Hofdichter Benjamin Neukirch und Johann Ulrich König ,konvertierten‘ beide regelrecht. Neukirch hatte mit dem ersten Band seiner Anthologie noch zum Aufblühen des ,Marinismus‘ in Deutschland beigetragen. Seit 1710 jedoch betätigte er sich stattdessen als klassizistischer Lehrdichter, übersetzte Boileaus Satiren (Neukirch 1744, 157-176) und distanzierte sich völlig von Marino, der „dem Bilde der Natur die Schminke vorgezogen“ habe (ebd., 143). Auch König hatte es noch 1715 für ausgemacht gehalten, „daß niemahl ein Dichter gebohren worden / dem die Natur ihre wunderbahre Gaben reichlicher mitgetheilet“ hat als Giambattista Marino, dem er eine eigene Lebensbeschreibung widmet (König 1715, 31); 1727 aber wirft er „der Schule des Marino“ vor, sie habe den „Italiänische[n] Parnaß“ „mit schwülstigen Metaphoren, falschen Gedancken, gezwungenen Künsteleyen, lächerlichen Spitzfindigkeiten, läppischen Wort- und Buchstaben-Spielen, seltsamen Mischmasch [ … ] und hundert anderen kindischen und geschminckten Auszierungen“ angesteckt und so sei „dieses Gifft, mit den Marinischen Schrifften, auch nach Teutschland“ gezogen (König 1727, 379). Aus Anlass und auf Grundlage von Canitz’ Poesie entwickelte König in der Folge seine Untersuchung von dem guten Geschmack in der Dicht- und Redekunst (1727). Es handelt sich um einen frühen systematischen Versuch, mit dem bon gouˆt [,guter Geschmack‘] eine ästhetische Basiskategorie im Deutschen zu etablieren, die im Ausland bereits seit längerem erörtert wurde (Dehrmann 2008, 167-175; Gabler 1982). König bezieht sich auf zeitgenössische englische, französische und italienische Denker, entwickelt aber durchaus eine eigene Position. Anstatt den ,guten Geschmack‘ schlicht als gegeben zu akzeptieren, versucht er ihn als erlernbare menschliche Fähigkeit zu bestimmen. Zugleich verwahrt er sich aber gegen den Relativismus des französischen Sensualisten Jean-Baptiste Dubos, dem zufolge ästhetische Qualität im Auge des Betrachters liege und geschichtlicher Veränderung unterworfen sei. Stattdessen unterscheidet König zwischen dem besonderen Geschmack, der sich auf die Präferenz zwischen verschiedenen Objekten bezieht (beispielsweise zwischen süßen und <?page no="283"?> 000282 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 282 | C.I. Galanterie als Frühaufklärung: Poetischer Wandel um 1690 C.I.2. Der schlesische Musentempel um 1750. Frontispiz zu Christian Gottlob Stöckels Gedichten (1748). sauren Speisen), und dem allgemeinen Geschmack, welcher die abgestufte Qualität eines Objekts betreffe (wie etwa gut zubereitete und schlecht zubereitete Speisen). Der allgemeine Geschmack könne als universalgültig, als „unwandelbar“ (König 1727, 425) gelten, denn er entspringe der „Eigenschafft der Dinge und ihrer Würckungen“ (ebd., 459). Anstatt den Geschmack als reine Empfindung zu verstehen, kommen für König Vernunft und Gefühl zur Deckung. Die vor-rationale Empfindung sei lediglich schneller als das Verstandesurteil, das jene aber begründen könne (ebd., 421f.). Damit verankert König den neuen Klassizismus Boileaus und Canitz’ in einer rationalistischen Ästhetik, die auf der Höhe eines gesamteuropäischen Diskurses argumentiert. Auf dem deutschen Parnass wurde von nun an aufgeräumt. Man entsorgte alle ,schwülstigen‘ Autoren wie Hoffmannswaldau und Lohenstein und restituierte stattdessen das Ansehen des Horaz und des Martin Opitz. Diese Rekanonisierung illustriert augenfällig das Titelkupfer zu einer Gedichtsammlung des Schlesiers Christian Gottlob Stöckel (1746). Es stellt das poetische Schlachtfeld in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts dar. Einige wenige Büsten von Autoren wie Opitz, Andreas Gryphius, Tscherning, Christian Gryphius und Johann Christian Günther stehen noch auf dem Architrav des Tempels der deutschen Dichtkunst, während Satyrn die Büsten von Assmann von Abschatz, Heinrich Mühlpfort, Hoffmannswaldau, Friedrich von Logau sowie die Gedichtbände von Lohenstein und anderen hinwegtragen (Abb. C.I.2.). <?page no="284"?> 000283 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 283 4. Ästhetik der Aufrichtigkeit: Autorinszenierungen | 4. Ästhetik der Aufrichtigkeit: Autorinszenierungen Im Zuge einer ,Rückkehr des Autors‘ als literaturwissenschaftlicher Kategorie hat die Forschung neuerdings nach den Inszenierungsweisen barocker Poeten gefragt (Niefanger/ Schnabel [Hg.] 2017). Als biographisch verbürgte Person scheint der Autor um 1700 zunächst eine geringe Rolle gespielt zu haben, jedenfalls im Vergleich mit dem Opitz-Kult des Frühbarock. In Benjamin Neukirchs Anthologie etwa sind die Namen der Beiträger entweder ausgespart oder nur mit Initialen bezeichnet. Überhaupt fällt auf, wie sehr zwischen ca. 1690 und 1730 Anthologien den literarischen Markt beherrschen, während Gedichtsammlungen einzelner Dichter vergleichsweise rar sind. Auch die konventionellen Pseudonyme wie ,Talander‘ (August Bohse) oder ,Menantes‘ (Christian Friedrich Hunold) deuten auf die Nebensächlichkeit der biographischen Autorperson hin, zumal sich ein Pseudonym sogar mehrere Autoren teilen konnten, wie bei ,Celander‘, hinter dem sich sowohl Christoph Woltereck als auch Johann Georg Gressel verbargen. Auch in der Gelegenheitsdichtung wurden die Namen des Adressaten und des Absenders meist getilgt - veröffentlicht wurde ,im Namen eines anderen‘ -, weil es offenkundig weniger wichtig war, für welche Person das Gedicht verfasst war und an wen es sich richtete, als dass es das entsprechende Gattungsschema elegant erfüllte. Dagegen zeichnet sich am Berliner Hof im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts eine neue Aufwertung des Autors und dessen Lebens als Grundlage des Dichtens ab. Deutlich betont wird nun die ,Echtheit‘ des Gefühls, das in Einleitungen, auf Frontispizen oder mittels Stellenkommentaren authentisiert wird. Sie setzt sich in Johann Christian Günthers lyrischer Ausstellung der eigenen Biographie fort. Die rhetorische Abrüstung im Zeichen des Klassizismus geht mit neuen Inszenierungsformen des Autors und seines Lebens einher. 4.1. Affectation und „wahrer Schmertz“: Der Diskurs um die Trauerode Der Diskurs um zwei bekannte Trauergedichte, die Canitz und sein gleichaltriger Freund Johann von Besser (1654-1729) jeweils auf ihre verstorbenen Ehefrauen verfassten ( 155), demonstriert eindrücklich die Akzentverschiebung von der Nachahmungszur Ausdrucksästhetik. Die beiden Klageoden waren im frühen 18. Jahrhundert berühmt, ja sie wurden, wie Gottsched in seiner Critischen Dichtkunst vermerkt, als „besondere Muster schön ausgedruckter Affecten angesehen“ (Gottsched 1972, 198; vgl. Krummacher 2013, Guthke 1989). Gottsched lobt zwar die bestechende Wirkung der beiden Gedichte, doch selbst „in diesen zweyen Meisterstücken“ könne man noch „manchen gar zu gekünstelten Gedanken, und gezwungenen Ausdruck, entdecken; den gewiß ein wahrer Schmertz nimmermehr würde hervorgebracht oder gelitten haben“ (ebd., 146). Dass Gottsched jedoch überhaupt davon ausgeht, dass ein „wahrer Schmertz“ auch eine bestimmte Art der Schreibweise hervorbringen müsse, nämlich eine natürlich-ungezwungene, und dass daher „gekünstelte[ ] Gedanken“ auf mangelnde Spontaneität verwiesen, war keineswegs selbstverständlich. Die Analogie von Gefühl und Ausdruck verdankt sich nämlich bereits einer längeren Geschichte der Auslegung von Canitz’ und Bessers Epicedien. <?page no="285"?> 000284 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 284 | C.I. Galanterie als Frühaufklärung: Poetischer Wandel um 1690 C.I.3. Trauer um Doris im Dienste poetischer Inspiration. Frontispiz zu Johann Ulrich Königs Ausgabe von Canitz’ Gedichten (1727). Schon in seiner Edition von Canitz’ Gedichten hatte Johann Ulrich König die Lyrik des Berliner Hofmanns auf dessen Leben bezogen, indem er der Sammlung eine umfassende Biographie sowie diverse Anmerkungen beigab. Insbesondere Canitz’ Trauer über den Tod seiner Frau Doris wird darin hervorgehoben, und auch das Frontispiz streicht dieses zentrale biographische Ereignis heraus, wenn es einen Amorknaben den Namen der Verblichenen auf eine Urne zeichnen lässt (Abb. C.I.3.). Links zeigt der Kupferstich Canitz selbst, wie er, mit einer Tabakspfeife am Kaminfeuer sitzend, der personifizierten Dichtkunst diktiert - übrigens wohl der Pionierfall in der ikonographischen Tradition des ,rauchenden Schriftstellers‘. Wie König erläutert, werde damit auf Canitz’ Vorliebe angespielt, „bei dem Versemachen insgemein zu schmauchen“ (König 1727, 5), weswegen der Dichter auch ein lyrisches ,Lob der Tabakspfeife‘ verfasst habe. Es war im 17. Jahrhundert eher unüblich, die Schreibsituation selbst auszuschildern, um Text und Autor szenisch zu verknüpfen. Ebenso unüblich war die Beigabe ausführlicher Lebensbeschreibungen des Autors, wie sie König über Canitz vorlegt. Zwar hatte man bereits in der Renaissance die Biographien Dantes oder Boccaccios geschrieben, doch blieben Viten von deutschen Autoren im 17. Jahrhundert überraschend selten und beschränkten sich auf Funeralschriften oder Lobreden zur Begräbnisfeier, wie Christoph Colers Vita Opitii (1639) oder Lohensteins Trauerrede auf Hoffmannswaldau (1679). Schon in dieser Hinsicht stellen Königs Canitz-Biographie sowie der ausgreifende Apparat, in dem er die Gedichte biographisch annotiert, ein Novum dar. Ähnliche Unter- <?page no="286"?> 000285 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 285 4. Ästhetik der Aufrichtigkeit: Autorinszenierungen | C.I.4. Poetologisches Frontispiz zu Johann Ulrich Königs Ausgabe von Bessers Schrifften. Zweiter Theil (1732). fangen wie Benjamin Wedels Geheime Nachrichten und Briefe von Herrn Menantes Leben und Schrifften (1731) und Johann Christoph Gottscheds Vorrede von dem Leben des Dichters (1744) zu seiner Edition der Gedichte Benjamin Neukirchs belegen diesen Trend. 1732 gab König erneut die Gedichte eines verstorbenen Mitglieds des Berliner Hofstaats heraus, nämlich die Schrifften von Johann von Besser, erneut mit einer schmeichelhaften Biographie. Zudem fügte er seiner Ausgabe ein poetologisch aufschlussreiches Titelkupfer hinzu (Abb. C.I.4.), das sich ganz auf Bessers berühmtes Trauergedicht auf dessen verblichene Gemahlin bezieht. Es zeigt die personifizierte Beredsamkeit und die Dichtkunst, die gemeinsam das Bildnis von Bessers Ehegattin stützen. Auf zwei Bildsäulen im Hintergrund sind Petrarcas Laura und Canitz’ Doris abgebildet. Die Beredsamkeit ist mit entblößtem Arm dargestellt, um die „Schönheit des natürlichen Ausdrucks“ zu bezeichnen, wie Ausdrucksästhetik: bewegende Wirkung durch ,natürlichen‘ Stil eines ,aufrichtigen‘ Autors König erklärt, während ihr anderer Arm, „gantz geharnischt“, „das erhabene in dieser Kunst und ihre plötzliche Eindringung in die Gemüther der Leser und Zuhörer“ andeutet (König 1732, 5). Der Amorknabe soll das „betrübte Angedencken“ vorstellen und trägt eine Trauerdecke auf dem Kopf. Eine „noch nicht ausgebrannte[ ] Liebes-Fackel“, die er hält, symbolisiert die Dauer von Bessers Liebe (ebd.). Damit markiert das Frontispiz die Gefühlsechtheit des Gedichts und verknüpft sie mit dem produktionsästhetischen Prinzip stilistischer Natürlichkeit sowie dem rezeptionsästhetischen Ziel der Gemütsregung beim Leser. Der aufrichtige Autor, eine ihm gemäße Schreibweise und der affizierte Rezipient begründen eine Kommunikationstrias, wie sie bereits Horaz gefordert hatte und wie sie für das 18. Jahrhundert grundlegend werden sollte (Stenzel 1974). Der lyrische Text, so die Vorstellung, dient als transparentes Medium von Gefühl, wer ihn in die Hand nimmt, wird just von dem Impuls ergriffen, aus dem er entsprungen ist. <?page no="287"?> 000286 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 286 | C.I. Galanterie als Frühaufklärung: Poetischer Wandel um 1690 4.2. ,Erlebnisdichtung‘? Johann Christian Günthers autobiographische Lyrik Es wäre sicher anachronistisch, in Canitz’ und Bessers Klageoden die Vorläufer einer ,Erlebnisdichtung‘ zu sehen, wie es die ältere Germanistik unter dem Eindruck von Wilhelm Diltheys Das Erlebnis und die Dichtung (1906) zu tun pflegte. Sie lassen die Unmittelbarkeit vermissen, die für den Sturm und Drang so eminent wichtige Inszenierung von Spontaneität. In diesem Zusammenhang verdient auch das lyrische Werk Johann Christian Günthers (1695-1723) eine kritische Revision, denn gerade die ältere Forschung sah darin verkürzt eine Vorstufe der ,Erlebnislyrik‘ des späten 18. und 19. Jahrhunderts. Später hob man zwar eher die Rhetorisierung und Topik seiner Dichtung hervor, bemerkte aber dennoch die ,Individualität‘, Authentizität und die biographischen Selbstreferenzen als besondere Merkmale seiner Lyrik (Drux 1997, Zymner 1997, Osterkamp 1985). Tatsächlich gewinnen Liebe und Klage bei Günther einen durch sein unglückliches Leben gedeckten eigenständigen Ton, der sich der poetischen Umorientierung um 1700 verdankt. Günther nennt die neuen Autoritäten der Frühaufklärung in einem poetologischen Freundschaftsgedicht (1720), in dem er rät, man möge „dem aufgegangnen Lichte“ folgen und „eifrig auf den Grund“ bauen, „den Wolf und Leibniz“ gelegt hätten: „Lis, prüfe, denck und schreib; was eigner Fleiß nicht regt, Das, wär es noch so gut, kriegt selten reife Früchte“ ( 158). Als Dichter werden die französischen Klassizisten „Boileau, Racin und Moliere“ anerkannt, während der „Welschen hohe Grillen“ - gemeint ist wohl Marino - abgewertet sind (ebd., 615). Die deutsche Poesie komme „fein spät“, doch genannt werden immerhin Opitz, Gryphius, Fleming, Gottlieb Wilhelm Rabener und: „Jm Canitz find ich Gold“ (ebd.). Dennoch schließt Günther in seiner Kasualpoesie wie in der galanten Liebesdichtung an den Manierismus an, durchaus auch unter Verwendung typischer petrarkistischer Metaphorik. Seine Traditionsverhaftung zeigt sich an dem konventionellen Casus-Schema der Günthers Gedichte zwischen manieristischer Tradition und individueller Gestaltung Neukirch’schen Sammlung, dem Günther in seinen galanten Gedichten oft folgt, wie etwa „Als sie ins Kloster ziehen wollte“ (Günther 1998, 777f.) oder „Als er sich der ehemals von Flavien genossenen Gunst noch erinnerte“ (ebd., 790f.). Die musikalischen Gattungsangaben ,Aria‘ und ,Cantata‘ entsprechen ebenso dem Zeitgeschmack wie die galanten Decknamen ,Philimen‘, ,Flavia‘, ,Magdalis‘, der oft gebrauchte Alexandrinervers oder die Preziosenmetaphorik des Schönheitspreises. Zugleich ist es richtig, dass Günthers Gedichte sich erstaunlich oft auf konkrete biographische Ereignisse beziehen, die wenig konventionalisiert scheinen. Beispielsweise wirkt der verzweifelte Versuch einer lyrischen Aussprache mit dem Vater durchaus persönlich (Günther 1998, 260-263; 157). Oft sind seine Verse in einem parataktischen, bilderarmen und alltagssprachlichen Duktus gehalten, und ebenso oft bekräftigen sie die emotionale Involviertheit des Sprechers durch Interjektionen oder Satzabbrüche. Berühmt geworden sind Günthers Leonore-Gedichte. Günther, Arztsohn aus Striegau (Schlesien) und Gymnasiast in Schweidnitz, verliebte sich noch vor seinem Medizinstudium in Wittenberg in die sechs Jahre ältere Leonore Jachmann, der er dutzende Gedichte widmete. Aus der Schweidnitzer Zeit datiert wohl auch eine vielgewürdigte „Abschieds-Aria“ an Leonore ( 156). Die direkte Du-Anrede, Deiktika („Jetzt“, „hier“) und eine ungewöhnliche Affektvehemenz, die den „tieffen Riß“ bekundet, suggerieren, dass Sprech- und Erlebnisge- <?page no="288"?> 000287 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 287 4. Ästhetik der Aufrichtigkeit: Autorinszenierungen | genwart miteinander verschmelzen. In den zehn sechsversigen Strophen beklagt das lyrische Ich vor allem seinen eigenen Trennungsschmerz, während er sich vorstellt, „Daß die, so mich in Gegenwart geküßt, Entfernt vergißt“. In der zweiten Hälfte des Gedichts malt der Sprecher seine Vertreibung aus dem Paradies (ebd., V. 19) aus, indem er abschließend seinen Tod imaginiert und von dem geliebten Du eine Grabschrift als „Liebespfand“ verlangt (Stenzel 1982, 387). Zitieren der pathetische Eingang und weitere Wendungen des Gedichts vor allem Topoi der antiken Liebesdichtung (Ovid, Catull), so imitiert die vom lyrischen Ich vorformulierte Grabschrift (V. 55-60) ein Epitaph, mit dem Properz’ Elegie II, 13 die Anweisungen für die eigene Beisetzung beschließt: „Der jetzt nur hässliche Asche, er war sein Leben hindurch Diener des Amor allein“ (Regener 1989, 47). Dadurch erhält die Schlussstrophe eine lakonische Tragik, die freilich intertextuell vermittelt ist. Auch in anderen Leonore-Gedichten dieser frühen Zeit zeigt sich die sprachlich-stilistische Direktheit. Sie schöpfen eine breite Gefühlsskala zwischen Hoffen, Bangen und Verzweiflung aus. Oft behaupten sie die Identität von Autor und Sprecher, indem Günther seinen eigenen Namen erwähnt (vgl. Günther 1998, 869-872, V. 19) und seine Gedichte mit Ort und Tag im Titel datiert. Drastische Wendungen („Jch fresse mir das Hertz“, ebd., V. 47]), Paradoxa („daß mein Hertz noch in der Asche brennet“, ebd., V. 32) und ungewöhnliche Komposita („Hofnungsbaum“, V. 35) unterstreichen seine persönliche Affiziertheit und die Echtheit des bedichteten Gefühls. Nachdem Günther 1716 in Wittenberg zum Poeta laureatus Caesareus gekrönt worden war, geriet er in Schuldhaft und fiel bei seinem Vater in Ungnade. Drei Jahre lebte er danach in Leipzig, wo er eine neue Liebe in den sogenannten Rosetten-Liedern besang und mit Gelegenheits- und Lobgedichten um mäzenatische Unterstützung warb. So dichtete er aus Anlass des Friedens von Passarowitz von 1718, der den Venezianisch-Österreichischen Türkenkrieg beendete, eine umfängliche Ode zu Ehren von Prinz Eugen, dem siegreichen Oberbefehlshaber des Habsburgerreichs. In den fünfzig zehnversigen Strophen huldigt Günther allerdings nicht nur ihm, sondern auch dem seinerzeit regierenden „gröste[n] Kayser“ Karl VI. Warum Günthers Gedicht am Wiener Hof aber unbeachtet blieb, während in Breslau sogar eine Einzelausgabe gedruckt wurde, ist umstritten. Man erklärt die mangelnde Resonanz mit der übertriebenen Selbststilisierung des Lobdichters, der allzu sehr seine Armut hervorhebt, derweil aber ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein an den Tag legt, wenn er sich mit Ovid und Vergil vergleicht (Günther 1998, V. 168 und V. 421-430). Bereits im Gottsched-Kreis rügte man die ,Nachbar-Hans-Strophe‘ der heroischen Ode: Dort spitzt ein voller Tisch das Ohr / Und horcht / wie Nachbars Hanns erzehle; Hans ißt / und schneidet doppelt vor / Und schmiert sich dann und wann die Kehle. Da spricht er: Schwäger / seht nur her / Als wenn nun dieß die Donau wär / (Hier macht er einen Strich von Biere,) Da streiften wir / da stund der Feind / Da ging es schärffer als man meynt / GOtt straf’ / ihr glaubt mir ohne Schwüre. (Günther 1998, 346, V. 201-210) <?page no="289"?> 000288 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 288 | C.I. Galanterie als Frühaufklärung: Poetischer Wandel um 1690 Die „zwar sehr natürliche, aber vor eine erhabene Ode viel zu niederträchtige Beschreibung von Nachbars Hansen“ (zit. nach Günther 1998, 1140), wie Gottsched urteilte, erhellt zugleich den realistischen Tenor in Günthers Dichtung, den schon die Zeitgenossen als sein Markenzeichen erkannten. Günther zog 1719 nach Breslau, wo sein Wiedersehen mit Leonore Jachmann neuerliche Liebes- und Abschiedsarien zeitigte. Der Rückweg nach Leipzig endete im Armenhaus von Lauban, von wo aus Günther die große Folge seiner bitteren Klage- und Bittgedichte schrieb. Die Unerschütterlichkeit, die Günther seinen Freunden und sich selbst verordnet, wirkt wie der Versuch, den Glauben an Gottes Güte selbst dann nicht aufzugeben, „Als er beynahe ungedultig werden wolte“: „Du Himmel! Kennst mein Hertz, es liebt dich auch im Straffen, Schlag, nimm mir alles weg, und wirff mich hin und her! Nach Arbeit, Müh und Schmertz erfolgt ein süsses Schlaffen, Und wenn es eher nicht, als in dem Sarge wär“ (Günther 1998, 263-265, hier V. 33-36; vgl. Kersten 2006). Als Günther sich um eine berufliche Existenz als Landarzt bemühte, lernte er eine Pfarrerstochter kennen, die er als ,Phillis‘ in seinen Gedichten besang. Nachdem er seinen Vater vergeblich um Versöhnung und Zustimmung zur Verlobung gebeten hatte, starb er bald darauf, im Alter von nur 27 Jahren. Mit seinem unsteten Lebensweg faszinierte die Figur Günther früh schon andere Autoren, wohl auch, weil er versuchte, von seiner Kunst zu leben und damit als gesellschaftsfernes ,Genie‘ zu deuten war. Dieser Überzeichnung haben Goethes Erwähnungen in Dichtung und Wahrheit sicher Vorschub geleistet. Günther sei ein „entschiedenes Talent“, heißt es dort, der alles besessen habe, „was dazu gehört, im Leben ein zweites Leben durch Poesie hervorzubringen“. „Das Rohe und Wilde“ gehöre „seiner Zeit, seiner Lebensweise und besonders seinem Charakter oder, wenn man will, seiner Charakterlosigkeit. Er wußte sich nicht zu zähmen, und so zerrann ihm sein Leben wie sein Dichten“ (Goethe 1986, 290). Goethes Miniatur beeinflusste viele Autoren und Literaturhistoriker im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Der völkische Literaturhistoriker Adolf Bartels heroisierte das angebliche Kraftgenie Günther sogar in einem Trauerspiel, das 1889 auf die Bühne kam. Zu den anrührenden Wertschätzungen gehört eine späte Unterhaltung Georg Trakls mit seinem Innsbrucker Mäzen, als dieser den sterbenden Dichter im Oktober 1914 im Krakauer Spital besuchte. Trakl zeigt seinem Freund ein Reclam-Heft mit Gedichten von Günther: „Er ist wert, dass man ihn kennt, gerade heute in Deutschland [ … ]. Obschon manche seiner Verse von einer Herbheit ist, die kaum mehr erträglich und auch kaum mehr gerecht ist. [ … ] Es sind die bittersten Verse, die ein deutscher Dichter geschrieben hat“ (Trakl 1983, 72). Die Forschung scheut sich heute zu Recht, aus Günthers Lyrik ,echtes Erlebnis‘ destillieren zu wollen. Dennoch zeichnen sich bei ihm wie bei manchen seiner Zeitgenossen einige Konstellationen ab, die für das 18. Jahrhundert bestimmend bleiben sollten. Darunter fallen Autorzentrierung, ,Aufrichtigkeit‘ und Rhetorikkritik die forcierte Zentrierung des Autors, seines Lebens und seines Empfindens; ein Ethos der Echtheit, insbesondere im Hinblick auf Liebe und Trauer; schließlich die Ablehnung übertriebener Rhetorik und ,Affectation‘. Wer seine Gefühle im Gedicht bekundet, so der neue Imperativ, muss es ernst meinen - wer es aber eigentlich ernst meint, das ist so leicht nicht zu erkennen, bedarf jedenfalls der Plausibilisierung. Günther leistet dies deutlicher als viele seiner Zeitgenossen, indem er weniger bildhaft <?page no="290"?> 000289 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 289 5. Literaturskandale um 1700 | formuliert, ein kolloquiales, verknapptes Deutsch schreibt und unkonventionelle Motive verwendet. 5. Pasquillen und Schlüsselromane: Literaturskandale um 1700 Eine andere Art der Wirklichkeitsreferenz zeichnet sich zur gleichen Zeit im Drama und Roman ab - die Verschlüsselung realer Figuren und Ereignisse in skandalträchtigen Satiren. Die Verbreitung einer galanten Klatschliteratur lässt sich als Symptom eines neuen Fiktions- Überblendung von Fakten und Fiktionen verständnisses deuten. Denn das Kriterium der ,Wahrscheinlichkeit‘, das Pierre-Daniel Huet in seiner Romanpoetik (1670) bekräftigte, führte dazu, dass man den idealischen Abenteuer- und Tugendroman abwertete. Das Distanzprinzip, dem zufolge der Roman moralische Bewunderung für seine Helden hervorrufen konnte, indem er sie möglichst weit von der Lebenswelt seines Publikums, in entfernten Ländern und früheren Epochen ansiedelte, verlor an Gewicht. „L’esprit n’est point e´ mu de ce qu’il ne croit pas“ [,Der Geist wird nicht von etwas bewegt, das er nicht glaubt‘; Boileau 1872 (1674), 223], hatte Boileau deklariert und erhob mit dieser rezeptionsästhetischen Maxime die Glaubwürdigkeit der Handlung zum wichtigsten Kriterium. Künftig zählte mimetische Nähe zur Wirklichkeit, ja täuschende Simulation der Welt bis zur Verwischung von Fiktion und Realität. Nimmt man sich einen historischen Stoff zum Gegenstand, so Christian Thomasius, so solle man beachten, „daß solche nicht alleine [ … ] demjenigen, so die wahre Historie weiß, wahrscheinlich vorkömmet, sondern, daß auch einer der der wahren Historien unkündig, nicht mercken kan, das ertichtete von dem wahrhafftigen zu unterscheiden“ (Thomasius 1971 [1688], 40). Fakt und Fiktion sind um 1700 stärker denn je verschränkt, in England und Frankreich wie in Deutschland (Paige 2011, Davis 1983). Die Journale der Zeit boten reale Nachricht im fiktionalen Gewand einer Reiseerzählung, während die Romane in Anmerkungen ihre historischen Quellen nachwiesen. Im Zuge solcher Interferenzen kam es im frühen 18. Jahrhundert zu mehreren Skandalen in Europa, und zwar in zwei Richtungen. Daniel Defoe beispielsweise behauptete in Robinson Crusoe (1719), er habe lediglich die reale Autobiographie seines Protagonisten herausgegeben - „the editor believes the thing to be a just history of fact“, heißt es in der Vorrede, „neither is there any appearance of fiction in it“ (Defoe 2003 [1719], 3). Als er nach einiger Kritik zugeben musste, die Geschichte lediglich erfunden zu haben, hielt er doch daran fest, dass seine Episoden immerhin wahren Begebenheiten gefolgt seien (Gallagher 2006, 339). Spiegelverkehrt zu dieser beliebten Herausgeberfiktion verhält sich der zeitgenössische Schlüsselroman, der ebenfalls für Aufregung sorgte. Während die angeblich wahre Geschichte sich dort als erfunden herausstellt, entpuppen sich hier scheinbar fiktive Figuren und Ereignisse als real. Mary Delarivier Manleys Secret Memoirs and Manners of Several Persons of Quality of Both Sexes, from the New Atlantis (1709) sorgte für den bekanntesten Skandal eines Schlüsselromans. Im Gewand eines allegorischen Göttergesprächs über die sexuellen Eskapaden und Intrigen auf einer fiktiven Mittelmeerinsel legt Manley das unmoralische Verhalten prominenter Politiker ihrer Zeit offen. Die Autorin wurde wegen Verleumdung verhaftet, hielt aber standhaft an der Behauptung fest, ihre Figuren seien gänzlich fiktiv. Da ihre Gegner ihr kaum das Gegenteil beweisen <?page no="291"?> 000290 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 290 | C.I. Galanterie als Frühaufklärung: Poetischer Wandel um 1690 konnten, ohne sich selbst zu belasten, wurde keine Klage erhoben. Manleys Roman avancierte zum Bestseller (Hultquist/ Mathews [Hg.] 2017, Simons 2001, 218-246; Davis 1983, 110-122). Der Erfolg signalisiert zum einen die Sensationslust einer medialen Öffentlichkeit, die sich für aktuelle Gerüchte, insbesondere die intimen Geheimnisse bekannter Personen interessierte; zum anderen zeigt er an, wie geschickt Autorinnen wie Manley mit der referentiellen Unbestimmtheit des Romans spielen konnten. Während sie stets suggerierten, dass sich hinter dem Geschilderten doch noch anderes verberge, konnten sie sich leicht hinter den Schutz der Fiktionsbehauptung zurückziehen, wenn man ihnen an den Kragen wollte. Auch in Deutschland kam es früh schon zu ähnlichem, in der Forschung weniger behandelten Aufruhr um die Fraglichkeit der Fiktion. Zwei Fälle seien knapp gemustert, um an ihnen zugleich zwei Autoren dieser Epoche vorzustellen, nämlich Christian Reuter und Menantes. 5.1. Christian Reuter und der Schlampampe-Skandal Christian Reuter (1655- um 1711), Sohn einer wohlhabenden Bauernfamilie, gehört zu den eigenartigen Gestalten der Barockliteratur. Einen bürgerlichen Beruf hat er nie ausgeübt. Ungewöhnlich spät, erst mit 23 Jahren, studierte er ungewöhnlich lang an der Universität Leipzig, wo er einen ausschweifenden Lebensstil gepflegt haben soll. Ohne akademischen Abschluss hielt er sich einige Jahre am Dresdner, dann am Berliner Hof Friedrichs I. auf, für den er panegyrische Gelegenheitsdichtungen verfasste. Genaueres ist nicht dokumentiert, nicht einmal das Sterbedatum ist bekannt. Aufsehen erregte Reuter schon als Student, nämlich mit seinem Lustspiel L’Honne ´te Femme Oder die Ehrliche Frau zu Plißine (1695), dessen Handlung sich an Molie`res Les Pre ´cieuses ridicules (1659) anlehnt. Allerdings löst Reuter sich von der französischen Komödie und präsentiert stattdessen eine lose Szenenfolge, die ganz der Charakterisierung der Hauptfiguren, ihrer Liederlichkeit, Torheit und vulgären Sprechweise dient. Im Mittelpunkt steht die Gastwirtin Schlampampe, die in Leipzig den ,Goldenen Maulaffen‘ betreibt und als geizig, ungehobelt und betrügerisch dargestellt wird, trotz ihres Beharrens darauf, eine „ehrliche Frau“ zu sein (Abb. C.I.5.). Sie kündigt den beiden sprachgewandten Jurastudenten die Unterkunft, worauf sie sich mit einer von Molie`re übernommenen Intrige rächen. Kurz nach Veröffentlichung des Stücks meldete sich Reuters ehemalige Wirtin, die Gasthausbesitzerin Anna Rosine Müller, beim Leipziger Universitätsgericht und klagte Reuter als ,Pasquillanten‘ an. ,Pasquillen‘ waren justiziable ad personam -Schmähschriften, die man poetologisch scharf von der allgemein gehaltenen Satire zu scheiden suchte, auch wenn die beiden Spottformen oft ineinander übergingen (Rose 2012b). Nachdem sie Reuter und dessen Kommilitonen wegen ausstehender Miete vor die Tür gesetzt habe, sei sie in der Figur der Schlampampe verleumdet worden, beschwerte sich die Wirtin. Der Angeklagte stritt zwar ab und schwor, „daß alles fingiret“ sei (zit. n. Hecht 1966, 14), wurde jedoch zu mehrwöchiger Karzerhaft verurteilt. Unbeeindruckt verfasste er zwei weitere Schmähschriften gegen die Familie Müller, die ihn ihrerseits erneut anzeigte und wieder in Haft brachte, bis er 1699 Leipzig endgültig verlassen musste. Auch wenn Schlampampes Familienbeziehungen durch den Hausstand der Wirtin zweifellos angeregt wurden - wie jene hatte diese zwei Töchter und zwei Söhne -, zielt Reuter mit seiner Satire doch auf einen gesamten Stand, karikiert dessen <?page no="292"?> 000291 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 291 5. Literaturskandale um 1700 | C.I.5. Die Gastwirtin Schlampampe, Frontispiz zu Christian Reuters Lustspiel L’Honnéte Femme Oder die Ehrliche Frau zu Plißine (1695). Vulgarität, Hochmut und sozialen Aufstiegswunsch, während er die galanten Umgangsformen der Leipziger Studenten in den Figuren Edward und Fidele idealisiert. Unter den beiden Fortsetzungen ragt der Schelmuffsky (1696) heraus, Reuters einziger Roman. Er nimmt sich den großsprecherischen Sohn der Schlampampe zum Gegenstand, der in münchhausenscher Manier eine Curiose und Sehr gefährliche Reiße-beschreibung zu Wasser und Land zusammenfantasiert. Reuter entlarvt ihn als unzuverlässigen Erzähler, der versucht, in Habitus und Ausdruck den Kavalier zu mimen, sich stattdessen jedoch in albernen Angebereien verfängt. Statt die närrische Welt zu entlarven und den Leser zu christlicher Moral zu erziehen, wie es im satirischen Roman des Barock üblich war, nimmt Reuter mit seiner Satire einen bestimmten Sozialtypus aufs Korn, den kleinbürgerlichen Aufschneider. Strukturell dem episodischen Pikaroschema verpflichtet (Grimm 1996), parodiert Reuter damit auch die Unglaubwürdigkeit der übertriebenen Indienreisebücher seiner Zeit (Bergengruen 2007). Bei aller Intertextualität verdankt sich die realistische Detaillierung seiner Gesellschaftskritik, vor allem die Parodie soziolektischer Eigenheiten, aber wohl dem Vorbild einer realen Person und damit Reuters gewagter ,Fiktionalisierung‘ seines Leipziger Umfelds. 5.2. Chroniques scandaleuses : Menantes und der galante Roman Obgleich Reuters Schelmuffsky eine galante Conduite propagiert - wenn auch im Zerrbild eines eher unkultivierten Erzählers -, ist er doch nicht als ,galanter Roman‘ zu klassifizieren. Dieses Modell entstand etwa zeitgleich, orientiert sich dagegen mehr an französischen Vorbildern. So ganz lässt es sich keinem der drei klassischen Typen, dem bukolischen, heroisch-historischen und pikarisch-satirischen Roman, zuordnen. Obschon die Romanproduktion im Zuge der galanten Mode enormen Aufschwung erhielt, sind die meisten Repräsentanten heute vergessen. <?page no="293"?> 000292 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 292 | C.I. Galanterie als Frühaufklärung: Poetischer Wandel um 1690 Viele galante Romane folgen einem ähnlichen Schema. Erstens verabschieden sie die Monumentalisierung des Barockromans, sind im Vergleich etwas kürzer - soll heißen: eher fünfhundert bis tausend als mehrere tausend Seiten lang -, stilistisch vereinfacht, überhaupt Verschachtelte Liebeshandlung und galante Komplimentierkunst im Ton flotter, frivoler, oft scherzhaft. Die enzyklopädischen Digressionen werden getilgt oder verknappt. Zweitens warten sie meist mit einer Liebeshandlung auf, die bei den älteren Mustern noch eher auf den höfischhistorischen Roman zurückweist, wenn sie nach einem medias in res -Einstieg in die verschachtelt erzählten Intrigen, Trennungen und Abenteuer mündet. Später sind die Liebeswirren im europäischen Raum und in der Jetztzeit angesiedelt, manchmal sogar im studentischen Milieu. Typisch ist drittens die generische Mischung, sind doch in die Rahmen- und Binnenerzählungen längere Konversationen, Briefe oder Lieder eingestreut. Die galante Conduite der Figuren wird dem Leser somit über sämtliche Kommunikationskanäle vorgeführt. Viertens: Wie im politischen Roman Christian Weises, der sich mit dem galanten Roman teilweise überschneidet, allerdings stärker auf ,niedere‘ Erzähltraditionen zurückgreift, besteht das didaktische Ziel nicht mehr in der Demonstration heroischer Standhaftigkeit, folglich auch nicht vorrangig in der moralisch-christlichen Besserung der Leser. Stattdessen exemplifizieren die Romane mit ihren Protagonisten eine ursprünglich aristokratische, eben galante Komplimentierkunst, die dadurch im städtischen Publikum wirksam wird (Gelzer 2007, 116-147). Als Musterautor verehrten die Galanten den Weißenfelser Hofsekretär und späteren Rhetorikprofessor August Bohse, dessen an den griechischen Komödiendichter Menander erinnerndes Pseudonym ,Talander‘ paradigmatisch wurde. Menantes, Celander, Meleaton, Amarantes (d. i. Gottlieb Siegmund Corvinus) lauten die klingenden Wahlnamen der jüngeren Generation. Sie wurden allesamt um 1680 geboren und veröffentlichten ihre Romane in den 1700er und 1710er Jahren, oft noch als Studenten. Mit ihren fiktiven Heldinnen und unter Aufbietung amüsanter Kleider- und Geschlechtertauschszenen entwickelten sie durchaus neue Gender- und Liebesnormen (Barthel 2016). Talander/ Bohse repräsentiert den älteren, stärker an Madeleine de Scude´ ry geschulten Typus. Seine Unglückselige Prinzessin Arsinoe ¨ (1687) und Die Durchlauchtigste Alcestis aus Persien (1689) etablierten den ,asiatischen Roman‘, für den auch Ziglers Asiatische Banise (1689) ein „Leitmodell“ lieferte (Gelzer 2007, 316-332). Bohses Liebesromane Der Liebe Irrgarten (1684) und Liebes-Cabinet der Damen (1694) erzählen von Intrigen und Treuebrüchen, ohne daraus aber noch eine christliche Moral ableiten zu wollen. Die heroische constantia tritt hier ganz hinter das weltliche Wechselbad der Gefühle zurück. Bohses wichtigster Nachfolger ist Christian Friedrich Hunold, der unter dem Pseudonym ,Menantes‘ Erfolge als Gelegenheitsdichter, Ratgeberautor, Anthologieherausgeber, Opernlibrettist sowie als Romancier verbuchen konnte. In seiner Jugend besuchte Hunold das Weißenfelser Gymnasium illustre, an dem nur wenige Jahre zuvor Christian Weise und Johannes Riemer gelehrt hatten. Auch Bohse wirkte zu dieser Zeit am Weißenfelser Hof, für dessen Oper er Libretti verfasste. Hunold konnte sich in diesem Umfeld früh mit den wichtigsten Tendenzen des politisch-galanten Erzählens sowie der Oper vertraut machen. Im Jahr 1700 siedelte er nach Hamburg über, schon damals eine Medienstadt, die mit der Oper am <?page no="294"?> 000293 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 293 5. Literaturskandale um 1700 | C.I.6. Namensschlüssel (1731) zu Christian Friedrich Hunolds Roman Der Europäischen Höfe Liebes- und Helden-Geschichte (1705). Gänsemarkt soeben kulturell aufblühte. Hier verfasste Hunold unter anderem den Text für ein von Reinhard Keiser vertontes Passionsoratorium (1704). Er sparte den liturgischen Evangelientext kurzerhand aus und näherte das Oratorium und seine Aufführung derart eng der weltlichen Oper an, dass sich nicht nur die Pastoren empörten, sondern man sich allgemein „darüber formalisiret ja gar scandalisiret“ habe, wie ein Zeitgenosse schreibt (Rose 2012a, 288-293, hier 290). Provokationen scheint der streitbare Wahlhamburger generell gesucht zu haben. Mit Christian Wernicke lieferte er sich eine vielbeachtete Fehde über die schlesische Tradition des scharfsinnigen (arguten) Stils (ebd., 115-125), mit dem Opernlibrettisten Friedrich Christian Feustking einen öffentlich ausgetragenen Flugschriftenstreit über die Poetologie der Oper (ebd., 110-115). Zum Verhängnis aber wurde ihm erst sein Satyrischer Roman (1706), nach dessen Publikation und Konfiskation der Autor die Stadt verlassen musste. „Ich war jung; von Tugenden besaß ich nichts“ (Hunold 1713, fol. A 3 v ), bereute er später sein schlüpfriges Frühwerk, und ließ sich zu Studienzwecken in Halle nieder, wo er mit einundvierzig Jahren verstarb. Hunolds viertem, dem Satyrischen Roman , vorausgegangen war Der Europäischen Höfe / Liebes- und Helden-Geschichte (1705). Zu diesem Schlüsselroman veröffentlichte Hunolds Verleger Benjamin Wedel später sogar eigens eine clavis nominum [,Namensschlüssel‘], mittels derer man jeden fiktiven Namen ,übersetzen‘ konnte (Wedel 1731, 177-184; Abb. C.I.6.). In seinen Europäischen Höfen ,romanisierte‘ Menantes öffentliche Figuren und Ereignisse, neben der idealisierten Liebesgeschichte Augusts des Starken von Sachsen - oder ,Gustavus‘, wie Hunold ihn nennt - noch Dutzende weitere Amouren hoher europäischer Häuser (darunter die Seitensprünge Ludwigs XIV.). Dagegen verarbeitete der Satyrische Roman die privaten, lokalen Affären in Hamburg, teilweise aus dem unmittelbaren Bekanntenkreis des Autors (Simons 2001, 247-256 und 325-330). Den Rahmen bildet die Reise der Freunde Tyrsates und Seladon von Weißenfels über Leipzig nach Hamburg, wo sie teils als Beobachter, teils auch als Beteiligte das frivole Treiben der Gesellschaft erleben. Am Ende zieht Seladon sich <?page no="295"?> 000294 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 294 | C.I. Galanterie als Frühaufklärung: Poetischer Wandel um 1690 mit seiner Geliebten nach England auf ein Landgut zurück und genießt seinen Ruhesitz. Hunold schildert Seeabenteuer, Dreiecksgeschichten und Treuebrüche, er gibt gelehrte und galante Gespräche wieder und streut schwankartige Parodien auf vorgängige Erzählkonventionen ein. Doch es sind vor allem die nächtlichen Stelldicheins des Romans, die, da sie auf reale Vorbilder hin entschlüsselbar waren, den Voyeurismus der Leser anstachelten und einen handfesten Skandal auslösten. Insbesondere die Suggestion, die bekannte Hamburger Opernsängerin Conradi (im Roman: Caelia) habe einen erotischen „Schreib-Calender“ geführt, in dem sie sich notiert habe, „was vor lustige Tage sie ihren Galans verschaffet“, welche kleinen Aufmerksamkeiten sie von den Betrogenen angenommen und wie sie sich „davor erkenntlich erwiesen“ (Hunold 1706, 206f.), spannte den Bogen zu weit. In seiner Hunold- Biographie teilt Benjamin Wedel mit, der Autor habe diese Gerüchte von einer ehemaligen Geliebten erfahren, an der er sich mit den Szenen habe rächen wollen (Barthel 2016, 242-248). Jedenfalls sei „nicht zu sagen / was dieser Roman für einen Alarm in Hamburg machte / und wie ein jedweder diesem oder jenem darinnen eine Historie zueignete“ (Wedel 1731, 95). Der Eklat um Hunolds galanten Schlüsselroman offenbart die Dynamiken einer wachsenden Öffentlichkeit, die Romane und Theaterstücke als Kolportagemedien zu nutzen versteht, mit denen man sich über lokale Berühmtheiten und ihr Intimleben mokiert. Zudem zeigt die Verdichtung skandalöser Grenzgänge zwischen Historie und Fiktion um 1700, nicht nur in Hamburg, auch in Leipzig, London und Paris, ein verändertes Funktionsverständnis von Literatur. Nicht mehr streng moraldidaktisch soll der Roman sein, sondern lebenspraktisch über gefällige Umgangsformen unterrichten. Zu diesem Zwecke muss er näher an die Wirklichkeit seines Publikums gerückt werden, eventuell sogar ununterscheidbar von ihr sein, indem er sie verschlüsselt verarbeitet. Überdies soll der Roman weniger pedantisch-gelehrt sein, sondern unterhalten, und er soll in ebenso elegantem, dabei unaffektiertem Deutsch verfasst sein, wie man idealiter eine Konversation führt. Dass gesellschaftsbewusste Schicklichkeit als Wirkabsicht und öffentliche Empörung als Resultat die gleiche Wurzel teilen, die galante Geschmacks- und Stilreform nämlich, gehört zu den eigentümlichen Spannungen dieser Schwellenzeit. Quellen Besser, Johann von (2009-2016): Schriften. 4 Bde. Hg. von Peter-Michael Hahn und Knut Kiesant. Heidelberg. Boileau, Nicolas (1872) [1674]: L’Art poe´ tique. In: Ders.: Œuvres poe´ tiques. Paris. Canitz, Friedrich Rudolf Ludwig von (1700): Neben-Stunden Unterschiedener Gedichte. Berlin. Defoe, Daniel (2003) [1719]: Robinson Crusoe. Hg. von John Richetti. London. Goethe, Johann Wolfgang (1986): Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Hg. von Klaus-Detlef Müller. Sämtliche Werke, I 14. Frankfurt a. M. Gottsched, Johann Christoph (1972): Versuch einer Critischen Dichtkunst: Erster Allgemeiner Teil. Ausgewählte Werke. Bd. 6,1. Hg. von Joachim Birke und Brigitte Birke. Berlin und New York. Günther, Johann Christian (1998): Werke. Hg. von Reiner Bölhoff. Frankfurt a. M. Heine, Heinrich (1979): Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland [1834]. In: Ders.: Historisch-Kritische Gesamtausgabe der Werke. Bd. 8,1: Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland. Die romantische Schule. Hg. von Manfred Windfuhr. Hamburg, 9-121. <?page no="296"?> 000295 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 295 C.I. Galanterie als Frühaufklärung: Poetischer Wandel um 1690 | Hunold, Christian Friedrich (1706): Satyrischer Roman, oder allerhand wahrhaffte, lustige, lächerliche und galante Liebes-Begebenheiten. Hamburg. Hunold, Christian Friedrich (1713): Academische Neben-Stunden allerhand neuer Gedichte. Halle und Leipzig. Kant, Immanuel (1923): Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? In: Ders.: Werke. Akademie- Ausgabe. Bd. VIII: Abhandlungen nach 1781. Berlin und Leipzig, 33-42. König, Johann Ulrich (1715): Leben des Ritters Marino. In: Barthold Heinrich Brockes: verteutschter Bethlehemitischer Kinder-Mord des Ritters Marino. Nebst etlichen von des Herrn Ubersetzers Eigenen Gedichten. Cölln und Hamburg, 1-40. König, Johann Ulrich (1727): [Div. Einleitungen]. In: Des Freyherrn von Caniz Gedichte, [ … ] Nebst dessen Leben und Einer Untersuchung Von dem guten Geschmack in der Dicht- und Rede-Kunst. Leipzig und Berlin. König, Johann Ulrich (1732): [Div. Paratexte]. In: Des Herrn von Besser Schrifften Beydes in gebundener und ungebundener Rede; Zweiter Theil. [ … ] Leipzig. Locke, John (1989): Some Thoughts Concerning Education. Clarendon Edition. Hg. von John W. Yolton und Jean S. Yolton. Oxford. Morhof, Daniel Georg (1682): Unterricht Von der Teutschen Sprache und Poesie / deren Uhrsprung / Fortgang und Lehrsätzen. [ … ] Kiel. Neukirch, Benjamin (1744): Auserlesene Gedichte aus verschiedenen poetischen Schriften gesammlet und mit einer Vorrede von dem Leben des Dichters begleitet von Johann Christoph Gottscheden. Regensburg. Sinold von Schütz, Philipp Balthasar (1698): Das Courieuse Caffee-Haus zu Venedig. Darinnen die Mißbräuche und Eitelkeiten der Welt / nebst Einmischung verschiedener so wol zum Staat als gemeinem Leben gehörige Merckwürdigkeiten / vermittelst einiger ergötzlicher Assemble´ en von allerhand Personen / vorgestellet. Freyburg [fing.]. Thomasius, Christian (1687): Discours Welcher Gestalt man denen Frantzosen in gemeinem Leben und Wandel nachahmen solle? [E]in Collegium über des Gratians Grund-Regeln / Vernünfftig / klug und artig zu leben. Leipzig. Thomasius, Christian (1701): Ob Wahrhaffte Liebe zwischen Ehe-Leuten / sich nothwendig in anderer Gesellschafft / kund geben müsse? In: Ders.: Kleine Teutsche Schrifften [ … ]. Halle, 321-340. Thomasius, Christian (1971) [1688]: Schertz- und Ernsthaffte [ … ] Gedancken über allerhand Lustige und nützliche Bücher. In: Romantheorie. Dokumentation ihrer Geschichte in Deutschland 1620-1880. Hg. von Eberhard Lämmert u. a. Köln und Berlin, 39-46. Trakl, Georg (1983): Gedichte, Dramenfragmente, Briefe. Hg. von Franz Fuehmann. Wiesbaden. Wedel, Benjamin (1731): Geheime Nachrichten und Briefe von Herrn Menantes Leben und Schrifften. Cöln. Wernicke, Christian (1697): Überschriffte Oder Epigrammata [ … ]. Amsterdam [fing.]. Forschung Achermann, Eric (2003): Substanz und Nichts. Überlegungen zu Baltasar Gracia´ n und Christian Thomasius. In: Thomasius im literarischen Feld. Neue Beiträge zur Erforschung seines Werkes im historischen Kontext. Hg. von Manfred Beetz und Herbert Jaumann. Tübingen, 7-35. Adam, Wolfgang (2000): Freundschaft und Geselligkeit im 18. Jahrhundert. In: Katalog des Freundschaftstempels im Gleimhaus in Halberstadt. Hg. vom Gleimhaus Halberstadt. Leipzig, 9-34. Arndt, Johannes (2013): Herrschaftskontrolle durch Öffentlichkeit. Die publizistische Darstellung politischer Konflikte im Heiligen Römischen Reich: 1648-1750. Göttingen. Barthel, Katja (2016): Gattung und Geschlecht. Weiblichkeitsnarrative im galanten Roman um 1700. Berlin. <?page no="297"?> 000296 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 296 | C.I. Galanterie als Frühaufklärung: Poetischer Wandel um 1690 Baumbach, Manuel (2002): Lukian in Deutschland. Eine forschungs- und rezeptionsgeschichtliche Analyse vom Humanismus bis zur Gegenwart. München. Bellingradt, Daniel (2011): Flugpublizistik und Öffentlichkeit um 1700. Dynamiken, Akteure und Strukturen im urbanen Raum des Alten Reiches. Stuttgart. Bergengruen, Maximilian (2007): Der große Mogol oder der Vater der Lügen des Schelmuffsky. Zur Parodie des Reiseberichts und zur Poetik des Diabolischen bei Christian Reuter. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 126/ 2, 161-183. Böning, Holger (2002): Welteroberung durch ein neues Publikum. Die deutsche Presse und der Weg zur Aufklärung. Hamburg und Altona als Beispiel. Bremen. Borgstedt, Thomas, und Andreas Solbach (Hg.) (2001): Der galante Diskurs: Kommunikationsideal und Epochenschwelle. Dresden. Bullard, Paddy, und Alexis Tadie´ (Hg.) (2016): Ancients and Moderns in Europe. Comparative Perspectives. Oxford. Daniel, Ute (2002): Höfe und Aufklärung in Deutschland - Plädoyer für eine Begegnung der dritten Art. In: Hofkultur und aufklärerische Reformen in Thüringen. Die Bedeutung des Hofes im späten 18. Jahrhundert. Hg. von Marcus Ventzke. Köln, 11-33. Davis, Lennard J. (1983): Factual Fictions. The Origins of the English Novel. New York. Dehrmann, Mark-Georg (2008): Das „Orakel der Deisten“. Shaftesbury und die deutsche Aufklärung. Göttingen. Doering-Manteuffel, Sabine (2008): Das Okkulte. Eine Erfolgsgeschichte im Schatten der Aufklärung. München. Dreyfürst, Stephanie (2011): Stimmen aus dem Jenseits. David Fassmanns historisch-politisches Journal ,Gespräche in dem Reiche derer Todten‘ (1718-1740). Berlin. Drux, Rudolf (1997): Die Selbstreferenz des Autors in Johann Christian Günthers Kasualpoesie. In: Johann Christian Günther (1695-1723). Oldenburger Symposium zum 300. Geburtstag des Dichters. Hg. von Jens Stüben. München, 101-113. Fleming, John V. (2013): The Dark Side of the Enlightenment. Wizards, Alchemists, and Spiritual Seekers in the Age of Reason. New York. Florack, Ruth, und Rüdiger Singer (Hg.) (2012): Die Kunst der Galanterie. Facetten eines Verhaltensmodells in der Literatur der Frühen Neuzeit. Berlin und Boston. Fulda, Daniel, und Jörn Steigerwald (Hg.) (2016): Um 1700: Die Formierung der europäischen Aufklärung. Zwischen Öffnung und neuerlicher Schließung. Berlin. Gabler, Hans-Jürgen (1982): Geschmack und Gesellschaft. Rhetorische und sozialgeschichtliche Aspekte der frühaufklärerischen Geschmackskategorie. Frankfurt a. M. Gallagher, Catherine (2006): The Rise of Fictionality. In: The Novel. Bd. 1. Hg. von Franco Moretti. Princeton, 336-363. Gelzer, Florian (2007): Konversation, Galanterie und Abenteuer. Romaneskes Erzählen zwischen Thomasius und Wieland. Tübingen. Grafton, Anthony (1997): The Footnote. A Curious History. London. Grimm, Gunter E. (1996): Christian Reuter: Schelmuffskys warhafftige curiöse und sehr gefährliche Reisebeschreibung zu Wasser und Lande. Kapriolen eines Taugenichts. Zur Funktion des Pikarischen. In: Romane des 17. und 18. Jahrhunderts. Interpretationen. Stuttgart, 47-78. Guthke, Karl S. (1993) [zuerst 1989]: Die Entdeckung des Ich in der Lyrik. Von der Nachahmung zum Ausdruck der Affekte. In: Ders.: Die Entdeckung des Ich. Studien zur Literatur. Tübingen und Basel, 9-38. Hazard, Paul (1935): La Crise de la conscience europe´ enne (1680-1715). Paris. Hecht, Wolfgang (1966): Christian Reuter. Stuttgart. <?page no="298"?> 000297 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 297 C.I. Galanterie als Frühaufklärung: Poetischer Wandel um 1690 | Hilliard, Kevin (2011): Freethinkers, Libertines and Schwärmer. Heterodoxy in German Literature, 1750-1800. London. Hultquist, Aleksondra, und Elizabeth J. Mathews (Hg.) (2017): New Perspectives on Delarivier Manley and Eighteenth Century Literature. Power, Sex, and Text. London und New York. Israel, Jonathan I. (2001): Radical Enlightenment. Philosophy and the Making of Modernity 1650-1750. Oxford, New York. Jacob, Margaret C. (1981): The Radical Enlightenment. Pantheists, Freemasons and Republicans. London u. a. Jaumann, Herbert (1995): Critica. Untersuchungen zur Geschichte der Literaturkritik zwischen Quintilian und Thomasius. Leiden. Jaumann, Herbert (2004): Der alt/ neu-Diskurs (Querelle) als kulturelles Orientierungsschema: Charles Perrault und Christian Thomasius. In: Kulturelle Orientierung um 1700. Traditionen, Programme, konzeptionelle Vielfalt. Hg. von Sylvia Heudecker, Dirk Niefanger und Jörg Wesche. Tübingen, 85-100. Kapitza, Peter H. (1981): Ein bürgerlicher Krieg in der gelehrten Welt. Zur Geschichte der Querelle des Anciens et des Modernes in Deutschland. München. Kersten, Sandra (2006): Die Freundschaftsgedichte und Briefe Johann Christian Günthers. Berlin. Kondylis, Panajotis (1981): Die Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus. Stuttgart. Krummacher, Hans-Henrik (2013): „Ich öffne meines Herzens Wunden“. Wandlungen des Epicediums in den Gedichten auf den Tod der eigenen Ehefrau bei Besser, Canitz und Haller und ihre Wirkungsgeschichte im 18. Jahrhundert. Eine Skizze. In: Ders.: Lyra. Studien zur Theorie und Geschichte der Lyrik vom 16. bis zum 19. Jahrundert. Berlin, 273-330. Landwehr, Achim (2014): Geburt der Gegenwart. Eine Geschichte der Zeit im 17. Jahrhundert. Frankfurt a. M. Lehner, Ulrich L. (2013): Enlightened Monks. The German Benedictines 1740-1803. Oxford. Lehner, Ulrich L. (2016): The Catholic Enlightenment. The Forgotten History of a Global Movement. New York und Oxford. Martus, Steffen (2004): Negativität im literarischen Diskurs um 1700. System- und medientheoretische Überlegungen zur Geschichte der Kritik. In: Kulturelle Orientierung um 1700. Traditionen, Programme, konzeptionelle Vielfalt. Hg. von Sylvia Heudecker, Dirk Niefanger und Jörg Wesche. Tübingen, 47-66. Martus, Steffen (2015): Aufklärung - Das deutsche 18. Jahrhundert. Ein Epochenbild. Berlin. Maurer, Michael (1997): Christian Thomasius oder: Vom Wandel des Gelehrtentypus im 18. Jahrhundert. In: Christian Thomasius (1655-1728). Neue Forschungen im Kontext der Frühaufklärung. Hg. von Friedrich Vollhardt. Tübingen, 429-444. Melton, James van Horn (2001): The Rise of the Public in Enlightenment Europe. Cambridge. Meyer-Krentler, Eckhardt (1991): Freundschaft im 18. Jahrhundert. Zur Einführung in die Forschungsdiskussion. In: Frauenfreundschaft - Männerfreundschaft. Literarische Diskurse im 18. Jahrhundert. Tübingen, 1-22. Mulsow, Martin (2002): Moderne aus dem Untergrund. Radikale Frühaufklärung in Deutschland 1680-1720. Hamburg. Mulsow, Martin (2007): Freigeister im Gottsched-Kreis: Wolffianismus, studentische Aktivitäten und Religionskritik in Leipzig 1740-1745. Göttingen. Neugebauer-Wölk, Monika (Hg.) (2008): Aufklärung und Esoterik. Rezeption, Integration, Konfrontation. Tübingen. Niefanger, Dirk (1995): Sfumato. Traditionsverhalten in Paratexten zwischen ,Barock‘ und ,Aufklärung‘. In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 98, 94-118. <?page no="299"?> 000298 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 298 | C.I. Galanterie als Frühaufklärung: Poetischer Wandel um 1690 Niefanger, Dirk, und Werner Wilhelm Schnabel (Hg.) (2017): Positionierungen. Pragmatische Perspektiven auf frühneuzeitliche Literatur und Musik. Göttingen. Osterkamp, Ernst (1985): Perspektiven der Günther-Forschung. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der Literatur (IASL). 1. Sonderheft, 129-159. Pago, Thomas (2003): Johann Christoph Gottsched und die Rezeption der Querelle des Anciens et des Modernes in Deutschland, München. Paige, Nicholas D. (2011): Before Fiction. The Ancien Re´ gime of the Novel. Philadelphia. Pott, Ute (Hg.) (2004): Das Jahrhundert der Freundschaft. Johann Wilhelm Ludwig Gleim und seine Zeitgenossen. Göttingen. Regener, Ursula (1989): Stumme Lieder? Zur motiv- und gattungsgeschichtlichen Situierung von Johann Christian Günthers Verliebten Gedichten. Berlin und New York. Rose, Dirk (2012a): Conduite und Text. Paradigmen eines galanten Literaturmodells im Werk von Christian Friedrich Hunold (Menantes). Berlin und Boston. Rose, Dirk (2012b): Pasquille, Pseudonyme, Polemiken. Skandalöse und literarische Öffentlichkeit in Hamburg um 1700. In: Hamburg. Eine Metropolregion zwischen Früher Neuzeit und Aufklärung. Hg. von Johann Anselm Steiger und Sandra Richter. Berlin, 443-461. Schneiders, Werner (1971): Naturrecht und Liebesethik. Zur Geschichte der praktischen Philosophie im Hinblick auf Christian Thomasius. Hildesheim. Schröder, Winfried (1987): Spinoza in der deutschen Frühaufklärung. Würzburg. Schwind, Peter (1977): Schwulst-Stil. Historische Grundlagen von Produktion und Rezeption manieristischer Sprachformen in Deutschland 1624-1738. Bonn. Segebrecht, Wulf (1977): Das Gelegenheitsgedicht. Ein Beitrag zur Geschichte und Poetik der deutschen Lyrik. Stuttgart. Simons, Olaf (2001): Marteaus Europa oder der Roman, bevor er Literatur wurde: eine Untersuchung des deutschen und englischen Buchangebots der Jahre 1710-1720. Amsterdam. Sorkin, David (2008): The Religious Enlightenment. Protestants, Jews, and Catholics from London to Vienna. Princeton. Spiekermann, Björn (2015): Der Freigeist auf dem Sterbebett. Ein Kapitel aus der Literaturgeschichte des Unglaubens im 18. Jahrhundert. In: Der ,Ungläubige‘ in der Rechts- und Kulturgeschichte des 18. Jahrhunderts. Hg. von Ulrich Kronauer und Andreas Deutsch. Heidelberg. Stauffer, Isabelle (2018): Verführung zur Galanterie. Benehmen, Körperlichkeit und Gefühlsinszenierungen im literarischen Kulturtransfer 1664-1772. Wiesbaden. Steigerwald, Jörn (2011): Galanterie. Die Fabrikation einer natürlichen Ethik der höfischen Gesellschaft (1650-1710). Heidelberg. Stenzel, Jürgen (1974): „Si vis me flere … “ - „Musa iocosa mea“. Zwei poetologische Argumente in der deutschen Diskussion des 17. und 18. Jahrhunderts. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 48/ 4, 650-671. Stenzel, Jürgen (1982): „Welch Pflaster kan den tieffen Riß verbinden? “ Johann Christian Günthers Abschieds-Aria. In: Gedichte und Interpretationen. Bd. 1: Renaissance und Barock. Hg. von Volker Meid. Stuttgart, 391-402. Vollhardt, Friedrich (2001): Selbstliebe und Geselligkeit. Untersuchungen zum Verhältnis von naturrechtlichem Denken und moraldidaktischer Literatur im 17. und 18. Jahrhundert. Tübingen. Windfuhr, Manfred (1966): Die barocke Bildlichkeit und ihre Kritiker. Stilhaltungen in der deutschen Literatur des 17. und 18. Jahrhunderts. Stuttgart. Zymner, Rüdiger (1997): Literarische Individualität. Vorstudien am Beispiel Johann Christian Günthers. In: Johann Christian Günther (1695-1723). Oldenburger Symposium zum 300. Geburtstag des Dichters. Hg. von Jens Stüben. München, 249-289. <?page no="300"?> 000299 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 299 C.II. Zentren der Aufklärung um 1730 | C.II. Hamburg, Leipzig, Zürich: Zentren der Aufklärung um 1730 Anders als die Florentiner Renaissance strahlte die Aufklärung nicht von einer Metropole nach Europa aus, sondern entwickelte sich polyzentrisch. Freilich waren Paris und London die führenden Zentren, aber gerade im Reich konkurrierten mehrere Städte miteinander in ihren aufklärerischen Tendenzen. Die verzweigte Raumstruktur der deutschen Aufklärung beruhte auf lokalen Bildungs- und Geselligkeitseinrichtungen, ortsspezifischen Verdienst- und Anstellungschancen sowie der Mediendichte in bestimmten Städten. Auf dieser Grundlage formierten sich freundschaftliche Netzwerke, die den regionalen Austausch von Ideen begünstigten. Neben den bedeutenden Musenhöfen Berlin und Dresden unter Friedrich I. und August dem Starken avancierten die Universitäten Leipzig und Halle bereits seit den 1690er Jahren zu den wichtigsten Institutionen der galanten Frühaufklärung. Die Freie Reichsstadt Hamburg trat ebenfalls früh schon durch ihre Oper hervor und bildete neben Leipzig, wo Johann Christoph Gottsched in der Mitte der 1720er Jahre an Einfluss gewann, einen intellektuellen Knotenpunkt der deutschen Frühaufklärung. In Zürich schlossen spätestens um 1740 Johann Jakob Bodmer und Johann Jakob Breitinger eine schweizerische Allianz gegen die Leipziger. Man hat die lokalkulturelle Diversität der deutschen Frühaufklärung lange unterschätzt. Dabei spielten patriotische Befindlichkeiten bei den ästhetischen Debatten der Zeit eine wichtige Rolle. Beispielsweise erzürnte Gottscheds Abwertung der Schweizer Mundart seine Zürcher Kontrahenten und befeuerte so die poetologischen Polemiken gegen den sächsischen Normanspruch (Döring 2009, 64-81; Schlosser 1985). Angesichts der zunehmenden Standardisierung des Deutschen, die seit Opitz auch die Poesie betraf, regten sich im frühen 18. Jahrhundert allenthalben Gegenbewegungen, die zur Pflege der regionalen Literatur und dialektalen Sprache aufriefen. In München gründeten drei Augustinerpater den Parnassus Lokalpatriotische Dialektpflege als Reaktion auf die Standardisierung des Deutschen Boicus (1722-1740), eine das Bairische propagierende Gelehrtenzeitschrift, die eine eigene Dichtungslehre vorlegte, Neuerscheinungen zur bayerischen Geschichte und Poesie rezensierte und oberdeutsche Gedichte abdruckte - Gottsched war empört (Reiffenstein 1989). In Breslau veröffentlichte man die Anthologie Schlesischer Helikon (2 Bde., 1699-1700), in Nürnberg die Poesie der Franken (1730), und in Hamburg legte der Gelehrte Michael Richey das Mundartwörterbuch Idioticon Hamburgense (1743) vor, während sein Freund Christian Friedrich Weichmann die besten norddeutschen Gedichte in einer Poesie der Nieder-Sachsen (6 Bde., 1721-1738) sammelte. Zum ersten Band von Weichmanns Anthologie steuerte Barthold Heinrich Brockes eine Beurtheilung einiger Reim-Endungen / welche von etlichen Mund- Ahrten in Teutschland / absonderlich in Ober- und Nieder-Sachsen / verschiedentlich gebraucht werden (1721) bei, in der er sich gegen das Obersächsische als poetischer Hauptsprache verwahrte (Schröder 2017). Im Gegenzug kritisierte Gottsched in seinen Vernünftigen Tadlerinnen (35. Stück, 1725) ein Brockes-Gedicht als Beispiel für den barocken ,Schwulst-Stil‘ (Zelle 1987, 226f.). Sowohl gegen die Hamburger als auch die Leipziger Schreibart richtete wiederum Bodmer wenig später eine Anklagung des verderbten Geschmackes oder Critische Anmerckungen über den Hamburgischen Patrioten, Und die Hallischen Tadlerinnen (1728). Kurz: Die aufklärerische Gelehrtenrepublik war in viele Richtungen gespalten. <?page no="301"?> 000300 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 300 | C.II. Zentren der Aufklärung um 1730 Stilistisch-ästhetische Differenzen überlagerten sich mit regionalpatriotischen Parteinahmen und mit unterschiedlichen Rezeptionsvorlieben. Während man in Hamburg eher dem essayistischen Empirismus englischer Couleur zuneigte, früher schon als in Leipzig und Halle die Moralischen Wochenschriften adaptierte und englische Romane las (Maurer 1987, 41-44), setzte sich in Leipzig ein systematisierender Rationalismus durch, der eher der französischen Klassik folgte. Auch wenn man sich diese Zuteilung nicht zu schematisch vorstellen darf, schlagen ortsspezifische Bedingungen in der Tendenz durchaus zu Buche. Im Folgenden kartographieren wir die deutsche Frühaufklärung unter dieser Perspektive, stellen mit Hamburg, Leipzig und Zürich die wichtigsten Zentren vor, um dann einen Blick in die Peripherie zu werfen: In der kleinen Stadt Stolberg im Südharz entstand mit Johann Gottfried Schnabels Insel Felsenburg der wichtigste Roman des frühen 18. Jahrhunderts. 1. Der Patrioten-Kreis in Hamburg Hamburg, nach Wien die zweitgrößte Stadt im Reich, hatte im Laufe des 17. Jahrhunderts nicht nur seine Einwohnerzahl verdreifacht, sondern auch an kultureller Bedeutung gewonnen (Krieger 2012, Kopitzsch 1982). Es besaß zwar keine Universität, beherbergte mit dem 1613 gegründeten Akademischen Gymnasium aber eine höhere Schule, die universitäre Funktionen erfüllte und sich als wichtige Stätte des intellektuellen Austauschs erwies (Steiger [Hg.] 2017). Zugleich eröffnete die florierende Oper am Gänsemarkt neue Möglichkeiten für Komponisten und Schriftsteller. Sie zog ausländische Künstler an und bot eine Attraktion für Reisende auf ihrer grand tour . Die günstige Elblage und der Hafen verschafften der Stadt ohnehin ein internationales Flair. Georg Greflinger berichtet in einer Beschreibung von Hamburg im Jahre 1674 von dem „continuirlichen Auf- und Abgang der unzählichen grossen und kleinen Schiffe, derer grosse meistens aus Spanien, [ … ] aus Portugal, aus Franckreich, Engeland, Schott- und Irrland, aus Dennemarck, Schweden, Norwegen [ … ], auch von Archangel und Grönland, ja Guinea und America kommen, und eines jeden Landes Früchte und Wahren reichlich einbringen“ (zit. n. Poettering 2012, 781). Als Handelszentrum lud der Standort dazu ein, fremdsprachige Zeitungen zu vertreiben und journalistische Anregungen aus dem Ausland aufzunehmen. Sowohl der Nordische Mercurius , die von Georg Greflinger begründete wichtigste Zeitung im Norden, als auch der Relations-Courier , dem Eberhard Werner Happel seine populären Wissenssammlungen beifügte (siehe B.III.3.6.4.), richteten sich an ein kaufmännisches Publikum. Mit dieser Zielgruppe erreichten die Wochenzeitungen um 1730 eine Auflage von bis zu zweitausend Exemplaren. Früher als in anderen Städten setzte sich so in Hamburg die allgemeine Zeitungslektüre durch (Böning 2012, 401, 411, 413). Daraus erwuchs mit Anbruch des 18. Jahrhunderts eine kritische Öffentlichkeit, die ihre Streitigkeiten in Flugschriften und Pasquillen ausfocht (Bellingradt 2011, 139-252). „Der Elbe Schiff-Fahrt macht uns reicher; Die Alster lehrt gesellig sein! Durch jene füllen sich die Speicher; Auf dieser schmeckt der fremde Wein“ (Hagedorn 1747, 174), zeichnet Friedrich Hagedorn in der Mitte des 18. Jahrhunderts das Bild seiner Stadt. Tatsächlich entwickelte sich im prosperierenden Umfeld der internationalen Medien- und Wirtschafts- <?page no="302"?> 000301 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 301 1. Der Patrioten-Kreis in Hamburg | metropole eine literarische Geselligkeitskultur, der sich die Lehrdichtung Barthold Heinrich Brockes’ ebenso verdankt wie die Gründung des Patrioten (1724-1726), der bedeutendsten Moralischen Wochenschrift der Frühaufklärung. Beide Werke charakterisiert ein lebensfroher Grundzug, der bald zum Signum der literarischen Frühaufklärung wurde. 1.1. Andacht zum „allerkleinsten Staub“: Barthold Hinrich Brockes Wie widersprüchlich stilistischer Geschmackswandel und thematisch-weltanschauliche Brüche nebeneinander bestehen, zeigt das Werk von Barthold Hinrich Brockes (1680-1747), dem wichtigsten Vertreter der frühaufklärerischen Lehrdichtung. Brockes entstammte einer alteingesessenen Hamburger Kaufmannsfamilie. Sein Name wird nach norddeutschem Dehnungs-ck mit langer erster Silbe, meist auch mit getilgtem Auslautvokal gesprochen: ,Brookes‘ oder ,Brooks‘. Er studierte Recht in Halle, wo er bei Christian Thomasius hörte. Nach einer Bildungsreise durch Italien, Frankreich und die Niederlande kehrte er nach Hamburg zurück und prägte dort für Jahrzehnte das kulturelle und politische Leben. 1720 wurde er zum Ratsherrn gewählt und bereiste auf diplomatischen Missionen halb Europa; später diente er als Amtmann in Ritzenbüttel, als oberster Verwaltungsvorsitzender der Stadt, bevor er seine letzten Lebensjahre in Hamburg verbrachte. Eine lesenswerte Selbstbiographie ist neuerdings in einer kritischen, noch unabgeschlossenen Werkausgabe greifbar (Brockes 2012-2016). Brockes machte sich in vielen Belangen um seine Heimat verdient. Er verfolgte als Mitglied verschiedener Gesellschaften sprachpflegerische und gemeinnützige Anliegen. Sein Passionsoratorium Der für die Sünde der Welt gemarterte und sterbende Jesus (1713) wurde zeitgenössisch oft in Musik gesetzt und wird noch heute in Georg Friedrich Händels Vertonung als ,Brockes-Passion‘ aufgeführt. Wie sein gleichaltriges Vorbild Menantes [d. i. Christian Friedrich Hunold], der einige Jahre zuvor ein gänzlich poetisches Oratoriumslibretto ohne Verwendung des Evangelientexts vorgelegt hatte, dichtete auch Brockes seine Passion neu, allerdings ohne dass es wieder zu Aufregungen kam. Seine 1715 erschienene Übersetzung von Giambattista Marinos Bethlehemitischem Kinder-Mord (1620) wurde bis 1753 immer wieder aufgelegt. Als das Hauptwerk des Hamburger Ratsherrn gilt die neunbändige Gedichtsammlung Irdisches Vergnügen in Gott , die zwischen 1721 und 1748 veröffentlicht wurde und nur auf den ersten Blick eine Sammlung von Naturlyrik ist. Viele Gedichte tragen autobiographische, teilweise sogar diaristische Züge und dokumentieren Brockes’ breiten Lektüre- und Geisteshorizont. Das Irdische Vergnügen kennzeichnen ein emphatischer Gegenwartsbezug sowie ein ausgeprägter Optimismus. Beides war im 17. Jahrhundert durchaus ungewöhnlich, denn ein Großteil der Barocklyrik verwob die pessimistische Weltabkehr mit der eschatologischen Hoffnung auf das Jenseits. Doch wer sich „mit leeren Hoffnungs-Früchten“ abspeist, mahnt Brockes, drohe, die „gegenwärt’ge Kost beglückter Augenblicke“ zu verschmähen (Brockes 2012-2016, I, 313). Die Welt ist für ihn kein Gryphianisches ,Tränental‘, sondern eine Art irdisches Paradies, das es zu erkunden gilt. Als Haltung wird die „Pflicht-mässige Aufmercksamkeit“ empfohlen (ebd., IV, 476f.), die Zuwendung zur Welt als Bedingung jeder Erkenntnis von Gottes Kraft und Güte, während „Undanckbarkeit“ die schwerste Verfehlung darstellt <?page no="303"?> 000302 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 302 | C.II. Zentren der Aufklärung um 1730 (ebd., IV, 389). Dieser Denkrichtung entspricht es, dass Brockes grundsätzlich nichts, „was irdisch ist“, für „zu unwehrt, zu geringe“ hält, um bestaunt zu werden, wird doch Gottes Allmacht gerade „in dem kleinsten Dinge“, im „allerkleinsten Staub“ sichtbar (ebd., IV, 668). Daher zelebriert Brockes das Nebensächliche, Kleine, scheinbar Unbedeutende der natürlichen Welt und erweitert damit das Inventar der deutschen Lyrik um Sujets wie den „Goldkäfer“, den gezogenen „Zahn“ oder die „Geranie“ (Brockes 2012-2016, I, 85f.; II, 757-760; IV, 504f.). Diese Andacht zum Unbedeutenden antizipiert die Hymnik der Empfindsamkeit, die mit Friedrich Klopstocks Versen „Halleluja Halleluja! Der Tropfen am Eimer Rann aus der Hand des Allmächtigen auch! “ („Frühlingsfeier“, 1759) ihr Motto fand. Brockes’ lyrisches Verfahren lässt sich anhand eines frühen Gedichts auf die „Erd-Beere“ illustrieren, das sich bereits im Ersten Theil (1721) des Irdischen Vergnügens findet ( 159). Im Vergleich zum barocken Lehrgedicht fällt zunächst der Gebrauch freierer Verse mit wechselnder Hebungszahl auf. Die strophische Gestaltung deutet eine triadische Odenform an, gibt aber kein klares Reimmuster vor. Der Rhythmus ist jambisch, mit gelegentlichem Rückgriff noch auf den alexandrinischen Langvers, der aber durch suggestiv eingesetzte metrische Varianz aufgelockert wird. Im vorliegenden Beispiel durchbricht etwa der trochäische Vierheber in den abschließenden ,Merkversen‘ den jambischen Grundton. Typisch für Brockes’ Lyrik ist der strophische Wechsel von narrativen, deskriptiven und reflexiven Passagen. So situiert Brockes seinen Lobpreis auf die Erdbeere zu Beginn erzählerisch, indem er einen Gartenspaziergang schildert, während dessen er einen Erdbeerstrauch abgebrochen habe. Es folgt, unter höchster Detailkonkretion, der Abriss des Pflanzenbaus, dessen göttliche Beschaffenheit die enthusiastisch-exklamatorischen Verse bestaunen. Unterbrochen wird die Beschreibung durch mehrere Reflexionsstrophen, die den kleinen Anlass auf große Fragen lenken, hier sogar auf die gesellschaftliche Aufgabe der Armenfürsorge. Die diskursiven Verse mahnen aber in der Regel zu mehr Achtsamkeit auf Gottes „sonst nie bemerckte Wunder“. Ihr Modus ist der Imperativ, mit dem der Sprecher an sich selbst wie an den Leser appelliert, Gottes Schöpfung in ihrer ganzen Pracht wahrzunehmen und dankbar wertschätzen zu lernen. Moralisierende Zwischenresümees wie „Mache dich, gerührte Seele, Von der Blindheit Banden los! Man kann in den kleinsten Wercken Mit erstaunter Ehrfurcht mercken, Gott sey auch im kleinen groß“, formulieren diese Botschaft in endloser Variation. In stilistischer Hinsicht galt Brockes bei seinen Zeitgenossen eher als altmodisch (Zelle 1987, 205-213), und Gottsched schilt in der Critischen Dichtkunst mehrfach seine „matte[ ] Feder“ (Gottsched 1973, 506). „Die Erd-Beere“ bietet dafür viele Belege, denn sie bedient sich einer durchaus gesuchten Metaphorik, zu der gut passt, dass der junge Brockes Giambattista Marino übersetzt hat. Verse wie „Der reiffen Erd-Beer holdes Roht Vergleichet sich dem Schmuck, womit die Wangen Der Rosen-reichen Jugend prangen“ könnten mit ihrer Technik der Bildverschachtelung ebenso gut von Lohenstein stammen, zumal Brockes in den folgenden Versen sich geläufiger Preziosenmetaphern wie Gold, Rubin, Purpur bedient. Es ist gar nicht gesagt, dass dieser Erdbeerpetrarkismus ironisch gemeint ist; vielleicht war das Schönheitslob um 1720 noch derart konventionalisiert, dass Brockes, um Makelloses auszudrücken, in die üblichen Beschreibungsschemata und Bildassoziationen verfiel. <?page no="304"?> 000303 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 303 1. Der Patrioten-Kreis in Hamburg | Neben den mit naturkundlichen Gegenständen befassten Lehrgedichten finden sich im Irdischen Vergnügen einige Übersetzungen, darunter Edward Youngs berühmte Night-Thoughts on Life, Death, & Immortality (1742-1745), die in den Fünften Teil integriert sind, und Auszüge Übersetzungen englischer Lyriker und Philosophen aus Shaftesburys Moralists (1709) im achten Band (Chraplak 2015, 130-168). Brockes’ Anglophilie regte ihn noch zu weiteren Übertragungen an. Bei der Auswahl bewies er stets ein Gespür für die wesentlichen Tendenzen im britischen Kulturraum, wie auch seine inzwischen rekonstruierte Bibliothek belegt (Kemper/ Ketelsen/ Zelle [Hg.] 1998). Als „Anhange des Irdischen Vergnügens in Gott“ verdeutschte er 1745 die Seasons (1730) des James Thomson, ein Schlüsselwerk der englischsprachigen Naturlyrik, das im 18. Jahrhundert großen Eindruck machte und noch 1801 von Joseph Haydn vertont wurde. Alexander Popes Essay on Man (1734) erschien 1740 in Brockes Übertragung. Mit Thomson und Pope wählte Brockes sich zwei Gewährsleute seiner eigenen Philosophie. In seinen sentenziösen, antithetisch zugespitzten Reimpaaren (sog. heroic couplets mit prägnanter Mittelzäsur) entfaltete Popes Versuch vom Menschen eine optimistische Theodizee. Was dem Menschen schlecht erscheine, habe in Wahrheit einen funktionalen Ort auf der großen Stufenleiter der Natur. Auf Grundlage seiner eingeschränkten Sicht könne der Mensch Gottes Treiben nicht beurteilen. Es wirke das Gesetz der Notwendigkeit, dem zufolge alle Widersprüche sich in Wohlgefallen auflösen, weil jedem Teil eine unentbehrliche Aufgabe im großen Spiel der Kräfte zukomme: „One truth is clear; Whatever Is, is Right“ [,So ist die Wahrheit offenbar: daß alles das, was ist, ist gut‘; Brockes 1740, 30f.]. Auch Thomsons Seasons hängen diesem Glauben an, gestalten ihn aber durch die minutiöse Erfassung der Naturläufe, die sich mit mythologischen Allusionen verwebt. Fast als wollte er Lockes empiristische Assoziationstheorie beweisen, springt Thomson in seiner Idealisierung des ruhigen Landlebens von Anspielung zu Anspielung, während er den natürlichen Zyklus der Jahreszeiten besingt. Die Ähnlichkeit zwischen den ersten Teilen von Brockes’ Irdischem Vergnügen und den zur gleichen Zeit in England entstehenden Lehrgedichten Thomsons und Popes ist kein Zufall. Sie verdankt sich zum einen der populären Adaptation von Newtons Physik in der englischen Physikotheologie: Harmonische Einrichtung der Welt als Gottesbeweis Philosophie um 1700, nämlich der sogenannten Physikotheologie, mit der sich unter anderem die Namen John Ray ( The Wisdom of God Manifested in the Works of the Creation , 1691) und William Derham verbanden. Ray und Derham entwickelten ein teleologisches Argument für die Existenz Gottes, indem sie aus der harmonischen Einrichtung der Natur einen Artificial Clockmaker (1696), so der Titel von Derhams vielrezipierter Schrift, herleiteten. Nicht nur betätigten sich im frühen 18. Jahrhundert auch viele deutsche Autoren als Physikotheologen - mit teilweise sehr speziellem Gebietszuschnitt wie der Insecto-Theologie -, sondern Rays und Derhams Werke kursierten auch in Brockes’ Hamburger Umfeld und befanden sich in seiner Bibliothek (Kemper 1991, 47-52). Seine Gedichte argumentierten durchgängig physikotheologisch und trugen dadurch zur Popularisierung dieser Lehre in Deutschland bei (Chraplak 2015; Michel 2008, 163-172; Trepp 2009, 306-373; Zelle 1990). <?page no="305"?> 000304 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 304 | C.II. Zentren der Aufklärung um 1730 C.II.1. Poetologisches Frontispiz zu Johann Heinrich Stuß’ Anthologie (1734). Zum anderen bezieht sich Brockes wie Pope öfter auf Gottfried Wilhelm Leibniz’ Metaphysik. Der Universalgelehrte Leibniz hatte früh schon Vernunft und Religion zu vereinen versucht. Die Schöpfung bestehe demnach in unendlich vielen, infinitesimalen Substanzen, den Monaden, zwischen denen Gott eine ,prästabilisierte Harmonie‘ geschaffen habe. Die Welt gehorche damit einer rationalen Ordnung, sie bilde ein komplexes System, in dem sämtliche Teile sich zwar dynamisch, aber harmonisch zueinander verhalten. Mit dieser mathematischen Kosmologie begründet Leibniz seine Gottesrechtfertigung. Aus der Vielfalt möglicher Welten habe Gott die bestehende Welt geschaffen, und da Gott nur als vollkommen und gut vorstellbar ist, müsse die existente Welt die bestmögliche sein. Es fällt leicht, diesen Optimismus zu verlachen, der sich weniger als empirische Beobachtung denn als logische Deduktion verstand, und das ist öfter auch geschehen. Am prominentesten hat Voltaire in Candide ou l’optimisme (1759) die Leibnizische Theodizee verspottet. Sein Doktor Pangloss, Candides Lehrer, beharrt selbst dann stur auf der Ansicht, in der ,besten aller möglichen Welten‘ zu leben, als beim Erdbeben von Lissabon 1755 die Menschen um ihn wie Fliegen sterben. Brockes jedoch scheint Leibniz’ Philosophie viel abgewonnen zu haben (Totok 1992, 250-252). Von ihrer Wirkung zeugen einige Passagen, in denen Brockes für eine prästabilisierte Harmonie in der besten aller Welten plädiert und Leibniz’ Begriff der ,Monade‘ verwendet (z. B. Brockes 2012-2016, VI, 755). „Das Böse, welches wir von uns entfernet sehn, Ist selbst ein grosses Theil von unserm Wohlergehn“, heißt es da, oder „Wenn du dich hier auf Erden Gelassen GOtt ergiebst, so glaube sicherlich, Daß alle Dinge dir zum Besten dienen werden“ (ebd., I, 317). Brockes’ Irdisches Vergnügen in Gott vereint mit seinem enthusiastischen Impetus, seinem didaktischen Gestus und dem optimistischen Grundtenor alle typischen Züge der Frühaufklärung. Von der Literaturkritik eher missbilligt, wurde er bis ins letzte Drittel des 18. Jahrhunderts allgemein hochgeschätzt, ja zählte zeitweilig zu den „meistgelesenen deutschen“ Autoren, wie Erinnerungen und Bibliotheksverzeichnisse bezeugen (Guntermann 1980, 20). Obwohl er sich der Kritik am ,schlesischen Stil‘ nicht anschloss und nie bei Hof tätig war, <?page no="306"?> 000305 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 305 1. Der Patrioten-Kreis in Hamburg | wurde Brockes öfter mit Canitz, Besser und König in Verbindung gebracht, wie ein poeto- Brockes’ Frühaufklärung: Enthusiasmus, Optimismus, Didaxe logisches Frontispiz zu Johann Heinrich Stuß’ Anthologie (1734) zeigt (Abb. C.II.1.). Auf dem deutschen Helikon, dem Musenberg, thronen die Genannten neben einigen anderen Dichtern, unter denen sich überraschend auch noch Hoffmannswaldau findet. Damit weist der Kupferstich auf ein Charakteristikum dieser Jahrzehnte hin, nämlich die Uneinheitlichkeit zeitgenössischer Rekanonisierungen, die bestimmte Autoritäten verabschiedeten und andere neu installierten. Sinnbildlich illustriert diese Runde von Dichtern die Schwierigkeit, Barock und Frühaufklärung streng voneinander abzugrenzen. 1.2. Die Patrioten: Anfänge der Moralischen Wochenschrift Wie Brockes’ Irdisches Vergnügen in Gott zeigt, vertiefte sich das Interesse an der englischen Literatur, und spätestens seit Mitte des 18. Jahrhunderts sollte sie die Vorherrschaft der französischen Literatur ablösen und zum wesentlichen Impulsgeber in Deutschland werden. Neben der Lehrdichtung schätzte man in Hamburg früh schon den englischen Roman und die kürzere Erzählprosa. Hier legte der Reiseschriftsteller Ludwig Friedrich Vischer 1720 die erste Verdeutschung von Daniel Defoes epochemachendem Robinson Crusoe (1719) vor, hier erschienen die frühen Übersetzungen von Defoes Moll Flanders (1722, übers. 1723) und später Samuel Richardsons Pamela (1740, übers. 1742). Die beiden letztgenannten Übertragungen stammen von Johann Mattheson (1681-1764), einem Mittler der frühaufklärerischen Anglophilie und einer Schlüsselgestalt im Hamburger Kulturleben des frühen 18. Jahrhunderts (Hirschmann/ Jahn [Hg.] 2010). Er machte sich als Komponist und Musiktheoretiker im Umkreis der Gänsemarktoper einen Namen, und als Händel-Freund und -Rivale ist er auch heute noch bekannt. Als Sekretär des englischen Neue Impulse aus England: Moralische Wochenschrift als Leitgattung der deutschen Aufklärung Gesandten in Hamburg war Mattheson, der mit einer Engländerin verheiratet war, für den Transfer literarisch-publizistischer Innovationen bestens geeignet. So war es Mattheson, der den Grundstein zu einer der Leitgattungen der deutschen Aufklärung legte, dem aus England importierten Modell der Moralischen Wochenschrift. 1709 hatte Richard Steele mit seinem Tatler den Prototyp geschaffen. Unter Mitarbeit seiner Freunde Joseph Addison und Jonathan Swift veröffentlichte Steele zwei Jahre lang elegante Essays mit Reflexionen zum Londoner Alltag. Gemeinsam mit seinen Ko-Autoren verwendete er das bereits früher etablierte Pseudonym ,Isaac Bickerstaff, Esquire‘, der seine Leser vertrauensvoll adressiert, um sie als Ich-Erzähler über das Tagesgespräch in den Kaffee- und Wirtshäusern seiner Heimatstadt auf dem Laufenden zu halten und ihnen seine sittenkritischen Beobachtungen mitzuteilen. Steele stellte den dreimal wöchentlich ausgegebenen Tatler bereits nach knapp zwei Jahren ein und gründete gemeinsam mit Addison den Spectator , der den Erfolg seines Vorgängers noch übertraf. Zeitweise setzte er bis zu zwanzigtausend Exemplare am Tag ab, die laut Addison fast viermal so viele Leser gefunden hätten (Martens 1968, 112; Cowan 2004, 346). Johann Mattheson scheint früh schon davon erfahren zu haben, denn bereits 1713 publizierte er mit seinem Vernünfftler eine Kompilation aus Übersetzungen des Tatlers und des Spectators . Er veränderte die Ordnung der englischen Vorlagen, kürzte sie um ganze Passagen, <?page no="307"?> 000306 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 306 | C.II. Zentren der Aufklärung um 1730 fügte einige Nummern hinzu und änderte auch sonst viele Details, um die Essays seiner Hamburger Leserschaft schmackhafter zu machen. Dabei konzentrierte er sich auf die moralistische Tendenz und schwächte den scharfen Witz der Engländer ab - vielleicht auch deshalb erwies sich der Vernünfftler zunächst als wirkungslos (Hempel 2010). Erst zu Beginn der 1720er Jahre setzte sich die Gattung auch im deutschen Sprachraum durch. In Zürich gaben Johann Jakob Bodmer und Johann Jakob Breitinger die Discourse der Mahlern (1721-1722) heraus, und in Hamburg entstand mit dem Patrioten (1724-1726) das bekannteste Projekt seiner Art. Der Patriot erwuchs aus dem Zusammenschluss einiger Freunde zu einer wöchentlich zusammentreffenden Abendrunde, der Patriotischen Gesellschaft (gegr. 1723), der neben Barthold Heinrich Brockes auch Johann Albert Fabricius und Michael Richey angehörten, beide Professoren am Akademischen Gymnasium. Im Unterschied zu den barocken Sprachgesellschaften begrenzten die Sozietäten des 18. Jahrhunderts die Zahl ihrer Mitglieder. Während die Fruchtbringende Gesellschaft fast neunhundert Mitglieder aus weit entlegenen Teilen des Reichs vereinigte, strebte in der Patriotischen Gesellschaft ein gerademal sechsköpfiger, untereinander freundschaftlich verbundener Kreis von Hamburger Honoratioren nach der Verbesserung des Gemeinwohls, vor allem ihrer Heimatstadt (Krieger 2008, 96-118). Man pflegte einen weltbürgerlich-optimistischen ,Patriotismus‘, wie ihn die erste Nummer des Patrioten in der Selbstcharakterisierung des Ich-Erzählers vorstellt. In Hamburg verwurzelt, sieht er „die gantze Welt, als sein Vaterland, ja als eine eintzige Stadt“ an; von früh auf mit weltlichen wie geistlichen Schriften erzogen, weiß er sich nun „gegen alle Gewohnheit, Vorurtheile und Leidenschafften“ ( 160) gewappnet. Er hängt einem moderaten, christlich gefärbten Deismus an, verachtet religiösen Eifer aber zutiefst. Während ausgiebiger Aufenthalte unter allen Völkern der Welt hat sich der neunzehnsprachige (! ) Erzähler einen transkulturellen Eindruck von Tugend und Laster verschafft, sich in das „grosse Buch der Natur“ vertieft und ein Urteil über die Eigenheiten der Europäer wie aller anderen Völker gebildet. Durch „Erb-Fälle“ begünstigt und zur Affektkontrolle befähigt, hat er sich in Hamburg einen epikureischen Ruhesitz gewählt, wo er sich künftig darauf konzentriert, „mit Vergnügen zu sehen, daß es jedermann wohl gehe“. Keine zynische Gesellschaftsverachtung, keine weltliche Ambition, sondern sanft spöttelnde Zufriedenheit mit dem Leben im mittleren Stand kennzeichnen seine Haltung, und in dieser privilegierten Position muss er täglich mit ansehen, wie schwer es seinen Mitmenschen fällt, sich maßvoll, vernünftig und geschmackssicher zu verhalten. Stattdessen konstatiert er allenthalben Torheiten und Missbräuche, und diese zu beheben, lautet von nun an seine Aufgabe, der er sich „mit einer vernünfftigen liebreichen Überzeugung, und aus rechtschaffener Neigung zu meinen Mit- Bürgern“ zu widmen verspricht. Diese wenigen Zeilen, die den Patrioten eröffnen, offenbaren Grundzüge der Moralischen Wochenschriften. Zum Leser spricht ein gutsituierter Junggeselle, der mit ironischer Leich- Charakterideal des ,Patrioten‘ tigkeit und betonter Milde seinen Sittentadel vorbringt. Anders als in der barocken Moralsatire wird das menschliche Fehlverhalten nicht sündentheologisch begründet, sodass als Konsequenz auch nicht die pathetische Weltabkehr steht; weil der Patriot an die Verbesserungsfähigkeit der Menschen glaubt, bejaht er den geselligen Umgang mit ihnen. Anders als in den Klugheitslehren des späten 17. Jahr- <?page no="308"?> 000307 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 307 1. Der Patrioten-Kreis in Hamburg | hunderts wird nicht zu Vorsicht und Kalkül geraten, sondern zu Bescheidenheit und Wohlwollen. Anders wiederum als die galanten Ratgeber schätzt der Patriot weniger die habituelle Gefälligkeit von Sprache, Bewegung und Kleidung, sondern argumentiert moralisch-charakterologisch. Jede höfische Geziertheit lehnt er ab, wie bereits die zweite Nummer belegt. Ein bankrotter Bürger mit dem sprechenden Namen ,Matz Schaamroth‘ teilt in einer Liste die Ausgaben seines verschwenderischen Sohnes mit. Wer sich, wie dort aufgeführt wird, mehrere Perücken, modische Sommerkleider, einen Tanzmeister, Spielmeister und Singmeister zugleich gönnt, wer dazu die Asiatische Banise binden lässt und „für galante Depensen“ fünfzig Dukaten verschwendet, wer, mit anderen Worten, ,galant‘ zu sein versucht, muss sich nicht wundern, wenn sein Glück sich wendet (Martens [Hg.] 1969, 14-17). Von den seit dem 17. Jahrhundert etablierten gelehrten Journalen, die wie Thomasius’ Monatsgespräche meist der humanistisch-barocken Gesprächsliteratur verpflichtet waren, unterscheidet sich der englische Typus der Moralischen Wochenschriften in mehrerer Hinsicht, Merkmale der Moralischen Wochenschrift wie sich an dem Beispiel des Patrioten zeigen lässt. Als neuartig erscheinen erstens schon einige äußerliche, medienspezifische Eigenheiten (Martens 1968, 100-123). Moralische Wochenschriften wurden meist wöchentlich, also in vergleichsweise kurzer Frequenz veröffentlicht; eine Jahresausgabe setzte die Einzelhefte erneut zusammen. Nach dem englischen Vorbild bestanden die Wochenschriften meistens etwa zwei Jahre, dann gründete man ein neues Magazin. Als Titel wählte man eine knappe Figurenbezeichnung ohne die umständlichen Werbeuntertitel der Barockzeit: Der Biedermann (1727-1729), Der Menschenfreund (1737-1739), Der Gesellige (1748-1750) und so weiter (Doms/ Walcher [Hg.] 2012). Jede Nummer ist wie eine Zeitungsmeldung mit Ort und Tag datiert; vor dem Beitrag steht oft ein Motto, vorzugsweise aus der lateinischen Antike, dann aber auch aus der Lehrdichtung zeitgenössischer Autoren. Schließlich und vor allem: Die Beiträge sind kurz, umfassen meist nur wenige Seiten und sind damit deutlich knapper gehalten als die meisten Monatsgespräche des späten 17. Jahrhunderts. Zweitens unterscheidet sich die Moralische Wochenschrift von ihren deutschen Vorläufern durch die Charakterisierung der fiktiven Herausgeber-Persona. Wenn frühere Journale überhaupt einen pseudonymen Ich-Erzähler aufwiesen - eine Seltenheit, meist behielt man die satirische Dialogfiktion bei -, so fehlte doch dessen ausführliche Vorstellung und biographisch-ideologische Ausstattung, wie sie die erste Nummer des Patrioten leistet. Diese charakterologische Tendenz geht auf das zeitgenössische Interesse am good humour zurück, wie es die Essaysammlung Characteristicks of Men, Manners, Opinions, Times (1711) des Anthony Ashley Cooper, Third Earl of Shaftesbury angestoßen hatte. Mit seiner gutmütigen, stets abwägenden, dabei idealistischen Schreibweise beförderte Shaftesbury europaweit die Ideen des common sense , der Heiterkeit, der Kunst der Entlarvung durch Spott ( test of ridicule ), der praktischen Vernunft, des Geschmacks und der persönlichen Moral. Diese Werte verkörpern auch die Ich-Erzähler der Wochenschriften, und zwar nicht nur mit ihrem Charakter und Lebensstil, sondern auch stilistisch. Shaftesbury gab hier ebenfalls ein Vorbild ab. Seine mäandernden Essays, die sich durch flüssigen Sprachrhythmus, Ironie und direkte Leseradressen auszeichneten, versuchte man in Deutschland zu imitieren (Dehrmann 2008). Tatler [,Plauderer‘] war nicht umsonst der Titel von Steeles Wochenschrift - der lockere Plauderton, <?page no="309"?> 000308 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 308 | C.II. Zentren der Aufklärung um 1730 das charmante Gespräch wirkte stilbildend auf die Gattung, auch wenn die deutschen Repräsentanten tendenziell ernsthafter-didaktischer waren als ihre Vorbilder. Drittens spiegeln die Moralischen Wochenschriften auf vielfältige Weise das städtische Milieu, in welchem sie entstanden. Das gesellige Kaffeehaus- und Wirtshausgespräch, der Spaziergang, der gemeinsame Ausflug bilden die Anlässe für die Mitteilung lokaler Gerüchte und allgemeinere Reflexionen über den richtigen Umgang oder moralisches Verhalten. Der fiktive Herausgeber umgibt sich mit wiederkehrenden Freunden, Verwandten und Briefpartnern, sodass die erzählte Welt deutlich plastischer, mit mehr Lokalkolorit gezeichnet wird als in den auf ihre räsonierende Funktion beschränkten Vorläufern. Die Moralischen Wochenschriften urbanisieren den herkömmlichen Moralkodex und lösen ihn aus dem höfischen oder gelehrten Rahmen, in dem einige frühere Journale standen. Viertens bezog das neue Wochenmagazin die Leser stärker ein als im 17. Jahrhundert üblich, nicht nur, indem es sie direkt ansprach, sondern indem es sie in (wohl weitgehend fingierten) Briefen vermeintlich selbst zu Wort kommen ließ, wie es das oben erwähnte Klageschreiben des Herrn Schaamroth belegt. Über den Leserbrief ließ sich die Schulung in Geschmacks-, Moral- und Stilfragen exemplifizieren, denn meist schilderten die Absender knapp ihre Lebensumstände und baten dann um konkreten Rat, etwa um Lektüreempfehlungen, oder wiesen die ,Herausgeber‘ auf ein Problem hin, das diese passend traktieren konnten. Die Einfügung von Briefen, Listen, Gedichten unterstreicht die Offenheit der Periodika und bedingt ihre plurale Textgestaltung. Besonderes Augenmerk galt, fünftens, der Frauenbildung. Einige Moralische Wochenschriften wie Gottscheds Vernünfftige Tadlerinnen (1725-1726) waren ausdrücklich als Gegenstück zur männlichen Perspektive des Patrioten konzipiert, nahmen sich „nach dem Exempel der Manns-Personen“ vor, „von mancherley Fehlern der Menschen überhaupt, insonderheit aber von den Schwachheiten des weiblichen Geschlechtes“ zu handeln (Gottsched 1725, 2). Auch andere Wochenschriften richteten sich an die Damenwelt, die man offenbar für besonders schulungsbedürftig hielt. Schon im dritten Heft des Patrioten wird eine „für Frauenzimmer anzurichtende Academie“ entworfen, auf der junge Mädchen nicht nur die Grundlagen der Haushaltsführung erlernen, sondern sich auch in den Künsten, Wissenschaften und der Sittenlehre bilden sollten. Der Tagesablauf sollte einer rigiden Taktung unterworfen sein, auf Schmuck und Schminke müssten die jungen Damen verzichten (Martens [Hg.] 1969, 18-34). Um den weiblichen Geschmack zu befördern, erstellten viele Wochenschriften sogenannte Frauenzimmer-Bibliotheken, das sind als Liste präsentierte Lektüreempfehlungen, wie sie sich bereits im Tatler und Spectator gefunden hatten. Was dort allerdings der Diffamierung trivialer Literatur diente, wenden die deutschen Nachfolger ins Positive, indem sie neue Kanons des Lesenswerten für Frauen aufstellten. Romane, weltliche Gedichtsammlungen, allerhand Lexika und philosophische Neuerscheinungen fanden dort ebenso einen Platz wie die weit verbreitete Ratgeberliteratur, und zwar gleichberechtigt neben den christlichen Erbauungsschriften, die nach traditioneller Ansicht die Hauptlektüre des Frauenzimmers darzustellen hatten (Nasse 1976, Martens 1975). Mit dem Patrioten schaffte die Gattung auch in Deutschland den Durchbruch. Innerhalb der ersten Monate konnte die Wochenschrift ihre Auflage mehr als verzehnfachen und über <?page no="310"?> 000309 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 309 2. Gottsched und die Leipziger Aufklärung | fünftausend Stück drucken (Böning 2002, 233). Die deistische Ausrichtung der Zeitschrift rief bald schon evangelisch-lutherische Gegner auf den Plan. Eine zeittypische Flugschriftendebatte mit über sechzig Wortmeldungen entbrannte, tat indes der Popularität des Patrioten keinen Abbruch, eher im Gegenteil (ebd., 246-251). Im Laufe des 18. Jahrhunderts entstanden über hundert weitere Moralische Wochenschriften im deutschsprachigen Raum (Martens 1968, 162). In ihrer Wirkung lange unterschätzt, rückte die Gattung seit den 1960er Jahren ins Zentrum der germanistischen Sozialgeschichte. Angeregt wurde die Forschung von Jürgen Habermas’ einflussreicher Studie Strukturwandel der Öffentlichkeit (1962). Laut Habermas bildete sich im Laufe des 18. Jahrhunderts eine öffentliche Sphäre der Gesellschaft aus, in der sich Privatleute zusammenfanden und sich, idealtypisch gesprochen, gegen die Obrigkeit von Staat und Hof wandten. Die Voraussetzung dieses Prozesses sei ein neues Verständnis des Privaten gewesen, das sich im Wesentlichen dem Privatrecht, der Marktwirtschaft sowie dem Modell der patriarchalischen Kleinfamilie verdankte. Vor allem der Bildungsroman propagierte die bürgerlichen Normen der Intimität, der Liebe, der Freiheit und der sentimentalen Menschlichkeit. Solcherart ideologisch ausgestattet, fanden sich die Stadtbürger in öffentlichen Institutionen wie Gesellschaften, Salons oder Kaffeehäusern zusammen und übten sich dort im egalitären Meinungsaustausch. Was zählte, war nicht der Stand, sondern das bessere Argument. Mit Organen wie der Moralischen Wochenschrift wurde diese Art der kritischen Kommunikation in die Publizistik transferiert, die mithin ein „Übungsfeld“ des öffentlichen Räsonnements bot (Habermas 1971, 44), bevor es sich im Laufe des 18. Jahrhunderts politisierte und gegen den Staat richtete. Demnach wertete Habermas die Moralische Wochenschrift neben der Literaturkritik auf als „Schlüsselphänomen“ (ebd., 59) und wichtigen Faktor der modernen Demokratiegeschichte. Während die historische Forschung insbesondere Habermas’ Bild einer egalitären Salonkultur infrage stellte und seine Behauptung differenzierte, vor der Aufklärung hätte es lediglich eine ,repräsentative Öffentlichkeit‘ von Fürst und Hofstaat gegeben, avancierte die Moralische Wochenschrift in der Sozialgeschichte der 1970er Jahren zum Modethema (Nasse 1976, Brandes 1974, Scheibe 1973, Gühne 1973 u. v. m.), bevor das Interesse wieder abflaute. Eine Wiederentdeckung, etwa unter medientheoretischer oder genderkritischer Perspektive, könnte sich lohnen. 2. Der vernünftige Tadler: Gottsched und die Leipziger Aufklärung Gemeinhin schlägt man in der deutschen Literaturgeschichte mit den maßgeblichen programmatischen Dichtungstheoretikern Martin Opitz und Johann Christoph Gottsched (1700-1766) die beiden Eckpfeiler des ,Barock‘ ein. ,Barock‘ dauert demgemäß von 1624, dem Erscheinungsjahr von Martin Opitz’ Buch von der Deutschen Poeterey , bis 1730, als Johann Christoph Gottsched mit seinem Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen eine klassizistische Natürlichkeitsästhetik zu etablieren suchte. Der Leipziger Professor für Poetik orientiert sich in seinen kritischen Schriften vor allem an der französischen Klassik des mittleren und späten 17. Jahrhunderts, besonders an Nicolas Boileaus L’Art poe ´tique (1674). Die Kritik am barocken ,Schwulst‘ kursierte zwar bereits seit längerem in Deutschland (siehe <?page no="311"?> 000310 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 310 | C.II. Zentren der Aufklärung um 1730 C.I.3.). Allerdings war es Gottscheds Verdienst, die Poetik der französischen Klassik mit der Philosophie seines Lehrers Christian Wolff verknüpft und damit auf eine neue Grundlage gestellt zu haben. Beeindruckend sind vor allem die Breite seines Schaffens und seine Wirkung auf eine ganze Generation von Leipziger Studenten, von denen sich freilich spätestens um 1750 viele von ihrem Lehrer abwandten. Gottscheds Leben ist eng mit Leipzig und der dortigen Universität verbunden. Die Stadt stellte das wirtschaftliche Zentrum des Kurfürstentums Sachsen dar und behauptete ihre kulturelle Vorrangstellung durch die gesamte Frühe Neuzeit, obschon die fürstliche Residenz Leipzig: wirtschaftliches, wissenschaftliches und mediales Zentrum in Dresden lag (Döring 2012). Ein wesentlicher Grund dafür bestand in dem florierenden Buchmarkt, der mit der dreimal jährlich stattfindenden Messe verbunden war. Zu ihr reisten im 18. Jahrhundert tausende Menschen in die Stadt und beförderten nicht nur das Verlags- und Zeitungswesen - die halbjährlich veröffentlichten Messrelationen gehören zu den ersten Nachrichtenperiodika -, sondern auch die Unterhaltungsbranche. Im Verlauf des 18. Jahrhunderts überholte Leipzig sogar den Messkonkurrenten Frankfurt als wichtigster Umschlagplatz des Buchvertriebs im Reich (ebd., 1283f.). Als dem Verlagsgeschäft zuträglich erwiesen sich die breiten Absatzmöglichkeiten in der Kaufmannsstadt sowie die einflussreiche Universität. 1409 gegründet, reüssierte sie schon im Humanismus und konnte ihre überregionale Strahlkraft über den Dreißigjährigen Krieg hinaus bewahren. Das antipietistische Klima in der streng lutherisch-orthodoxen Stadt sorgte zwar um 1700 dafür, dass Leipzig einige prominente Professoren wie Christian Thomasius und August Hermann Francke an die neugegründete Universität Halle verlor, auch weil man dort ein zeitgemäßeres Bildungskonzept vertrat. Dennoch staunte ein Zeitgenosse im frühen 18. Jahrhundert, man finde „eine confluenz von solchen gelehrten“ wie in Leipzig „in keinem theil der welt noch Statt“: „Es sind über 100 Doctores und Magistri Legentes. Es sind mehr als 300 buchläden an dieser Leipziger meß. alle arten der Marchandise, alle nationes, zungen und sprachen“ (zit. n. ebd., 1263). Hier sah Gottsched den Nährboden für seine publizistische Tätigkeit; von hier aus entwickelte er eine rege Korrespondenz, die seit einigen Jahren in einer noch unabgeschlossenen Ausgabe vorliegt (Gottsched 2007-2017). Als ostpreußischer Pfarrersohn hatte er zunächst in Königsberg studiert und war 1724 nach Leipzig gewechselt, wo ihm mit vierunddreißig Jahren eine ordentliche Professur für Logik und Metaphysik übertragen wurde. Seiner Lehrposition entsprechend veröffentlichte Gottsched eine Vielzahl rhetorischer und populärphilosophischer Gesamtdarstellungen, etwa eine Grundlegung der Deutschen Sprachkunst (1748), die sich als Grammatik über Jahrzehnte im Gymnasialunterricht und in den Hörsälen hielt (Marti 2014). Neben der Universität stellte die Deutsche Gesellschaft in Leipzig einen wesentlichen Resonanzraum für Gottscheds pädagogisches Wirken dar. Er gehörte ihr seit 1727 elf Jahre lang an, bis er nach einem Zerwürfnis austrat (Döring 2002). Auch nach dem Bruch fungierte er weiterhin als Herausgeber der Beyträge zur Critischen Historie der Deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit (1732-1744), einer Rezensionszeitschrift, in der Gottsched selbst viele seiner Urteile über literarische und wissenschaftliche Neuerscheinungen fällte (Ball 2000, 100-123). Daneben besorgte er mit den Vernünfftigen Tadlerinnen (1724-1726) und dem Biedermann (1727-1729) zwei bedeutende Moralische Wochenschriften, die sich ins- <?page no="312"?> 000311 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 311 2. Gottsched und die Leipziger Aufklärung | C.II.2. Dichter- und Liebespaar: Johann Christoph und Luise Adelgunde Victorie Gottsched. Gemälde (um 1750). besondere der Verbesserung des weiblichen Geschmacks verschrieben. In seiner Ehefrau Luise Adelgunde Victorie, einer Arzttochter, die er als Sechzehnjährige kennenlernte und 1735 heiratete, fand Gottsched nicht nur eine intellektuell ebenbürtige Lebensgefährtin, sondern auch eine Partnerin für seine aufklärerischen Projekte (Abb. C.II.2.). Manchmal wirkte sie als Sekretärin; daneben aber legte sie unter eigenem Namen auch Übertragungen aus dem Englischen vor, darunter Alexander Popes Rape of the Locke (1712, als Der Lockenraub, ein scherzhaftes Heldengedicht , 1744) sowie eine vollständige Eindeutschung des Spectator und des Guardian ( Der Zuschauer , 1739-1743; Der Aufseher, oder Vormund , 1745). An zahlreichen anderen Werken ihres Gatten beteiligte sie sich mit Vorarbeiten und der eigenständigen Abfassung ganzer Beiträge. Auf der Grundlage ihres sozialhistorisch aufschlussreichen Briefwechsels (Gottsched 1999) ist ihre Beziehung von der Forschung öfter beleuchtet worden (Ball [Hg.] 2006, Kord 2000, Goodman 1999) und wurde sogar selbst Gegenstand eines Romans. Renate Feyls Idylle mit Professor (1986) schildert den Konflikt zwischen dem zunehmend angefeindeten Gelehrten und seiner nach Selbstverwirklichung strebenden Gattin (Reinthal 2000). 2.1. Rationalistische Regelpoetik: Gottscheds Critische Dichtkunst Gottscheds wesentliches Verdienst ist es, die barocke Normpoetik auf eine neue Grundlage gestellt zu haben. Zugleich verkannte er aber, dass gerade der emphatische Bruch mit rhetorischen Regeln zu den entscheidenden Innovationen im 18. Jahrhundert gehören sollte. Sein Hauptwerk, der Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen (1730), unterscheidet sich auf den ersten Blick gar nicht so sehr von der humanistisch-barocken Poetik, wie sie Opitz’ Buch der Deutschen Poeterey vertreten hatte. In dessen Nachfolge waren dutzende Lehrbücher der Dichtkunst erschienen, allein im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts lassen sich über zwanzig zählen (siehe die Bibliographie bei Wesche 2004, 299-302). Wie seine Vorläufer beruft sich auch Gottsched an vielen Stellen auf Opitz und gibt unter anderem dessen Lob des Selbstinszenierung als Opitz-Nachfolger Feldlebens als Musterbeispiel wieder (Gottsched 1973, 260-265). Zu Opitz’ hundertstem Todesjahr verfasste Gottsched eine Gedächtnisrede (1739), in der er sich als Nachfolger des „unsterblichen Opitz“ inszeniert. Er rühmt <?page no="313"?> 000312 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 312 | C.II. Zentren der Aufklärung um 1730 den „Vater der deutschen Poesie“ und bedauert, dass man ihm keine Denkmäler errichtet habe: „Deutschland hat seit zweihundert Jahren unzählige gelehrte Männer von allerlei Arten hervorgebracht, mit welchen es allen andern Ländern von Europa Trotz bieten kann. Aber es hat nur einen einzigen Opitz aufzuweisen, der, da er in allen übrigen Arten der Gelehrsamkeit hätte groß werden können, dennoch die Ehre seines Vaterlandes der seinigen vorgezogen und seiner Muttersprache Dienste geleistet hat, die sie von niemanden anders so gut hätte erwarten können“ (Gottsched 2009a, 223). Wie die Barockpoetik ist Gottsched vor allem Horaz’ Ars poetica verpflichtet, die er in eigener Übersetzung zu Beginn seiner Poetik präsentiert. Ihr folgend setzt er dann mit einer Geschichte der Poesie ein, bevor er wie Horaz den Hauptteil auf die inventio, dispositio und elocutio verwendet, d. h. auf die Erfindung der Fabel, ihre Ordnung sowie die Reglementierung der „poetischen Worte[ ]“ und „verblümten Redensarten“ (Gottsched 1972, 283-351). Ein wichtiges Kapitel widmet Gottsched der Metrik (ebd., 455-493). Seine Gattungslehre, die den Anderen Theil ausmacht, unterscheidet sich zwar in der Reihenfolge von früheren Listen, umfasst aber doch vorrangig das übliche Formenspektrum wie Ode, Ekloge, Elegie, Satire, Epigramm und Epos, das erst in der vierten Auflage von 1751 erheblich erweitert wird. Den Roman, der in Deutschland seit etwa 1650 stetig an Bedeutung gewann und zur Leitgattung des 18. Jahrhunderts werden sollte, spart Gottsched zunächst aus, auch weil deren Verfasser „oft die Regeln der Poesie so wenig“ verstünden, „als die wahre Sittenlehre“ (ebd., 221). Erst die umfängliche Viertauflage weist ein eigenes, durchaus polemisches Kapitel über die „milesischen Fabeln, Ritterbücher und Romanen“ (Gottsched 1973, 453-478) auf. Hier resümiert er die Romanpoetik des Pierre-Daniel Huet von 1670 (siehe B.III.6.1.) und schilt die meisten deutschen Vertreter der Gattung als unwahrscheinlich und schwülstig. Neu ist hingegen, dass Gottsched mehrere Kapitel auf die Einbildungskraft und den Geschmack verwendet, den ein guter Dichter mitbringen müsse. Er verankert seine Poetik damit viel stärker anthropologisch als Opitz und seine Nachfolger. Ein Dichter müsse mit Witz und Rationalistische Begründung der Poetik Phantasie begabt sein, natürliche Anlagen also, die durch „Kunst und Gelehrsamkeit“ eher ausgebildet als ursächlich geschaffen werden (ebd., 154). In diesen Teilen orientiert Gottsched sich terminologisch an der Philosophie seines Lehrers Christian Wolff (1679-1754), dem bedeutenden Vertreter des Rationalismus in Deutschland. In seiner Philosophie hatte Christian Wolff die rationale Deduktion des Rene´ Descartes und die optimistische Metaphysik von Gottfried Wilhelm Leibniz in einem mathematisch-logischen System der Welterkenntnis vereint, das er in erfolgreichen Schriften sowie als Universitätslehrer in Halle propagierte. Erkennbar erhebt Wolff den Anspruch, den Leser zum Selbstdenken anzuregen, wie besonders in seiner Hauptschrift zum Tragen kommt, den Vernünfftigen Gedancken von den Kräfften des menschlichen Verstandes und ihrem richtigen Gebrauche in Erkäntnis der Wahrheit (1713). Mit seiner Begriffslehre versuchte Wolff sich bald auch als Ethiker, geriet aber in Konflikt mit der Theologie, weil er die chinesische Philosophie des Konfuzius als in allen Grundzügen moralisch charakterisierte. Da Wolffs Ethik nicht auf der christlichen Offenbarung gründete, sondern auf rationalen Prinzipien, konnte ihr folglich auch der (vermeintlich) atheistische Konfuzianismus entsprechen - das war für die Hallenser Pietisten untragbar, und Wolff musste die Universität Halle öffentlichkeitswirksam verlassen. <?page no="314"?> 000313 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 313 2. Gottsched und die Leipziger Aufklärung | Gottsched blieb zeitlebens ein Anhänger von Wolff und popularisierte die rationalistische Philosophie als Hochschullehrer sowie mit seinen Werken, vor allem mit seiner Metaphysik, den Ersten Gründen der gesamten Weltweisheit (2 Bde., 1733 und 1734), sowie mit seiner Poetik. Die eigentliche Innovation der Critischen Dichtkunst bestand denn auch weniger im Inhalt der poetischen Regeln als vielmehr in ihrer Begründung. Gottsched leitet seine Lehre nicht mehr nur aus der klassischen Rhetorik, sondern aus rationalen Prinzipien ab (Stiening 2014, Grimm 2007, Birke 1966). Die Dichtung muss nach Gottsched die vernünftige Einrichtung der Welt mimetisch abbilden, und deren naturgesetzlich verbürgte Ordnung darf auch im Reich der Fiktion nicht verletzt werden. Ein wichtiger Teil der Mimesis (,Nachahmung‘) bestehe demzufolge in der Darstellung jener Prinzipien, die der Natur und dem Gesellschaftsbau zugrunde liegen. Sie kann der Dichter wiedergeben, indem er eine moralische Handlung („Fabel“) präsentiert. Folglich geht Gottsched in seiner Poetik deduktiv vor - er überträgt das rationalistische Kausalitätsprinzip auf die poetische Wahrscheinlichkeitslehre und empfiehlt, die Fabel auf der Grundlage eines „moralischen Lehrsatz[es]“ zu konstruieren, sich sodann aus der Geschichte „berühmte Leute“ zu suchen, „denen etwas Ähnliches begegnet ist“, um ihnen schließlich erfundene Nebenpersonen zur Seite zu arrangieren ( 163). Mit diesem Rat übersetzte Gottsched Wolffs philosophisches System in ein literarisches Programm und vermengte es mit den ursprünglich aristotelischen Leitbegriffen der Französischen Klassik, mit der vraisemblence (,Wahrscheinlichkeit‘). Der Autor sollte also keine übertriebenen Handlungsumschwünge ersinnen, sich keiner Kunstgriffe wie der plötzlichen Errettung der Protagonisten bedienen oder die Figuren unmotiviert handeln lassen. Insbesondere sollte die Dichtung auf Gespenster oder Zauberwesen verzichten, denn diese verführten den Leser zu Irrglauben und behinderten die Erkenntnis der in der Wirklichkeit selbst wirksamen Vernunft und Tugend. Indem er Wolffs Philosophie in seine Critische Dichtkunst integrierte, reformierte Gottsched die Opitzische Regelpoetik. Zugleich blieb er der Vorstellung verhaftet, den Dichter philosophisch-rhetorisch erziehen zu können. Wie die Poetik des Humanismus und des Frühbarocks entfaltete Gottsched klassizistische Standards, die unverbrüchlich gelten sollten und an denen sich auszurichten hatte, wer zur Feder greift. Wie Opitz vertrat er die Auffassung, ein begabter Dichter habe bedeutende Vorbilder aus Antike und Neuzeit zu imitieren und bestenfalls zu überbieten, müsse sich also in einen Wettkampf mit der Tradition begeben. Poetische Normen wie die Gattungssysteme mit den ihnen inhärenten Konventionen reglementierten diesen spielerischen Wettstreit. Damit verfasste Gottsched eine der letzten Regelpoetiken der Frühen Neuzeit. 2.2. Gottscheds Wiederbelebung der Schaubühne Den größten Einfluss übte Gottscheds Poetik auf das Drama aus, das in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts fast völlig an Bedeutung verloren hatte, quantitativ wie qualitativ. Gottsched sah die Tragödie als Leitgattung aller handlungsbasierten Dichtung an. Er definierte sie als „allegorische Fabel, die eine Hauptlehre zur Absicht hat und die stärksten Leidenschaften ihrer Zuhörer, als Verwunderung, Mitleiden und Schrecken, zu dem Ende erreget, damit sie dieselben in ihre gehörige Schranken“ bringe ( 162). Gottscheds Verständnis der <?page no="315"?> 000314 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 314 | C.II. Zentren der Aufklärung um 1730 Tragödie ist streng aristotelisch. Er besteht auf den drei Einheiten von Ort, Zeit und Handlung, betont die Notwendigkeit einer kausal hinreichend motivierten Handlungsführung mit plausiblen Charakteren (Kriterium der ,Wahrscheinlichkeit‘) und hält an der Ständeklausel fest. Wie für alle poetischen Fabeln gilt auch für Trauerspiele die Verpflichtung auf einen moralischen Lehrsatz, welcher der Wahl und dem Arrangement des historischen Stoffes vorausgeht. Wie die französische Klassik stellt Gottsched die Bewunderung für den Helden neben die aristotelischen Wirkungskategorien e ´leos [,Jammer‘] und pho´bos [,Schaudern‘], um die dramatischen Techniken in den Dienst einer Tugenddidaxe zu nehmen (Meier 1993, 36-95; Ranke 2009). Als Gegenmodell zu den pathetischen Leidenschaftstragödien eines Lohenstein schuf Gottsched unter dem Titel Deutsche Schaubühne nach den Regeln und Exempeln der Alten (1742-1745) eine sechsbändige Sammlung von Musterstücken, meist Übersetzungen aus dem Französischen, darunter jedoch auch einige Originaldramen (Hollmer 1994). Der erste Band der Schaubühne enthält Gottscheds Trauerspiel Sterbender Cato , mit dem der Autor zugleich den Pionieranspruch erhebt, in Deutschland eine neue Dramatik zu begründen. Gottsched führte den Cato zuerst 1731 in Leipzig auf und gab ihn ein Jahr später in den Druck. Weitgehend handelt es sich um eine Alexandriner-Übertragung von Franc¸ ois Deschamps’ Caton d’Utique (1715) und Joseph Addisons Cato (1713), sodass man Gottsched später vorwarf, er habe das Drama ,mit Schere und Kleister verfertigt‘. Zugrunde liegt dem Trauerspiel ein antiker Stoff. Der republikanisch gesinnte Titelheld, Statthalter von Utica, hat sich im römischen Bürgerkrieg gegen Caesar nach Afrika zurückgezogen und versucht nun, seine politische Freiheit gegen den Diktator zu verteidigen. Nachdem er seine Unterlegenheit erkennen muss, begeht Cato stoisch Selbstmord. Als Nebenhandlung muss sich Catos verschollen geglaubte Tochter Portia gegen die Verführungen des verliebten Caesar standhaft wehren. Erkennbar steht diese Figurenkonstellation aus Held und Tyrann in der Tradition des barocken Märtyrerdramas, das auf die neustoische Haltung der Beständigkeit ausgerichtet war. Allerdings unterscheidet sich Gottscheds Cato von den Leidensfiguren des 17. Jahrhun- Nachahmung des französischen Klassizismus derts, denn nicht das christliche Gottvertrauen, sondern die republikanisch-freiheitliche Gesinnung motiviert seine Beständigkeit, und statt den Martertod zu erleiden, legt Cato unchristlich Hand an sich selbst. Auch deshalb ist sein Verhalten nicht tadellos, sondern mit einem tragischen Fehler behaftet, dessen Notwendigkeit bereits in der aristotelischen Kategorie der hamartia [,Verfehlung‘] hervorgehoben war. Gottsched nimmt Abstand von der Figurenkonzeption der Barocktragödie und betont stattdessen in der Vorrede, er habe mit seinem Cato kein „vollkommenes Tugendmuster anzupreisen“ versucht, sondern mit dessen übertriebener Liebe zur Freiheit dem Publikum die Möglichkeit zum Mitleid gegeben ( 164). Damit nimmt Gottsched einen Teil von Lessings Kritik an den Idealcharakteren des Märtyrerdramas vorweg. Auch im Lustspiel hielt sich Gottsched an die französische Klassik. Für die Deutsche Schaubühne verfassten er und seine Frau Luise Adelgunde Victorie diverse Übersetzungen von französischen Theaterstücken (Brown 2012, 108-136). Vor allem schätzten die Gottscheds die Charakterkomödien Molie`res. Die Handlung beruhte darin weniger auf der situations- <?page no="316"?> 000315 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 315 2. Gottsched und die Leipziger Aufklärung | komischen Interaktion althergebrachter Typen - des Hanswursts, des Bauern, des Doktors -, wie sie im Stegreiftheater der Commedia dell’arte oder im Fastnachtspiel üblich war, sondern kreist ganz um einen einzigen Charakter wie den Geizigen, den Hypochonder, den Verschwender oder den Scheinheiligen. Dessen sozialtypische Schrullen veranlassen das Gelächter und werden von den Figuren des Stücks sukzessive entlarvt. In ihrer Komödie Die Pietisterey im Fischbein-Rocke; Oder die Doctormäßige Frau (1736) folgte die Gottschedin ihrem Vorbild Molie`re und dessen französischen Nachahmern. Die Figuren des Stücks tragen sprechende Namen. Ziel des Spotts ist die pietistische Frömmelei im Bürgertum. Während der Hausvater im Ausland weilt, hat sich bei der Familie Glaubeleicht der durchtriebene Magister Scheinfromm niedergelassen. Durch eine Intrige versucht er, sich des Familienvermögens zu bemächtigen. Erst durch die Intervention eines guten Schwagers können die Machenschaften des Pseudo-Gelehrten aufgedeckt, kann die frömmelnde Frau Glaubeleicht von ihrer Verblendung geheilt werden. Auch in anderen Komödien wie dem zuerst in der Deutschen Schaubühne publizierten Einakter Der Witzling (1745) schließt die Gottschedin an die französische Klassik an. Mit dem Ehepaar Gottsched avancierte die Charakterkomödie in der deutschen Frühaufklärung zu einer wichtigen Gattung der satirischen Belehrung. Unterstützung fanden sie in der Theatertruppe von Johann und Friederike Caroline Neuber, die ihre Stücke effektvoll inszenierten. In einer skandalträchtigen Zeremonie prügelten sie 1737 in Leipzig die Figur des Harlekins, der in der Commedia dell’arte für grobianische Belustigungen gesorgt hatte, von der Bühne - eine programmatische Offensive gegen die volkstümliche Unterhaltungsbühne, wie sie in Deutschland verbreitet war (Neuber 1997, 171-181). Auch nachdem sich Gottsched von der Neuberin im Streit getrennt hatte, vermochte ihre Schauspieltruppe sein Reformtheater durchzusetzen und mit mancher Tradition aufzuräumen. 2.3. Niemand gegen Gottsched: Zur Wirkung im 18. Jahrhundert Die Literaturgeschichte des 19. Jahrhunderts hat den ,Literaturpapst‘ Gottsched gern ins Lächerliche gezogen, seit Goethe ihn in einer vernichtenden Anekdote in Dichtung und Wahrheit (1811) als „ansehnliche[n] Altvater“ schilderte, als öden Glatzkopf, der seinem Diener eine schallende Ohrfeige verpasst, nachdem dieser ihm zu spät die Allongeperücke gereicht hat (Goethe 1989, 294; Abb. C.II.3.). Dagegen hat die jüngere Forschung den Leipziger Aufklärer in immer neuen Anläufen zu ,retten‘ versucht und in ihm „eine, wenn nicht die zentrale Figur der deutschen Frühaufklärung“ gesehen (Achermann 2014, 16; vgl. Martus 2015, 295). Tatsächlich begannen viele Protagonisten der Empfindsamkeit und der ,Geniezeit‘ ihre literarischen Karrieren während ihres Leipziger Studiums bei Gottsched. Aus dem Kreis seiner Hörer ragen Johann Elias Schlegel und Friedrich Gottlieb Klopstock heraus. Schlegel verfasste mit seinem Trauerspiel Canut (1746) eine klassizistische Tragödie nach Gottscheds Vorgaben (Ranke 2009, 267-346), bereitete jedoch mit einer Vergleichung Shakespears und Andreas Gryphs (1741) den Weg für die emphatische Shakespeare-Rezeption im 18. Jahrhundert. Denn obwohl er die Regelverstöße des Engländers und die ,schwülstige‘ Sprache schilt, bewundert Schlegel doch Shakespeares Figurenkonzeption, vor allem seine komplexen Charaktere. Auch der Theologiestudent Klopstock besuchte in Leipzig Gott- <?page no="317"?> 000316 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 316 | C.II. Zentren der Aufklärung um 1730 C.II.3. Goethe und sein Schwager Johann Georg Schlosser besuchen Gottsched. Stich nach einer Zeichnung von Theobald von Oer (1865). scheds Vorlesungen, veröffentlichte aber mit den ersten Gesängen seines Messias (1748, vollendet 1773) das wichtigste Werk der anbrechenden Empfindsamkeit, ein schwelgerisches, mäanderndes Hexameterepos von hoher Musikalität und frommer Emphase, das sich von Gottscheds Poetik völlig löste und in der Schweiz, wo sich die Gegner der Leipziger Schule organisierten, nachdrücklich begrüßt wurde (Meyer 2009). Schließlich war es nicht zuletzt Gotthold Ephraim Lessing, der ehemals von Neuber begeisterte Alumnus der Universität Leipzig, der in seinem Siebzehnten Brief, die neueste Litteratur betreffend (1759) mit Gottsched abrechnete: Dieser habe mit seiner einseitigen Orientierung an Frankreich und seiner rigiden Regelfixiertheit das Theater Shakespeares übersehen, das, wenn es den Deutschen als Vorbild wäre empfohlen worden, sicher mehr zur Kultivierung der Dramatik beigetragen hätte. „Niemand“ werde Lessings Polemik gegen Gottsched leugnen, so die berühmte Eröffnung von Lessings Polemik, „daß die deutsche Schaubühne einen großen Teil ihrer ersten Verbesserung dem Herrn Professor Gottsched zu danken habe. Ich bin dieser Niemand; ich leugne es gerade zu“ ( 165). Künftig galten Gottsched und sein Klassizismus als schlechterdings das Negativ der Genieästhetik und der Shakespeare-Verehrung, welche die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts beherrschen sollten. 3. Zentrum des Wunderbaren: Bodmer und Breitinger in Zürich Mit seinem ungottschedischen Messias und seinen frühen Oden zog Klopstock die Aufmerksamkeit von Johann Jakob Bodmer (1698-1783) und Johann Jakob Breitinger (1701-1776) auf sich, die ihn 1750 zu einem mehrmonatigen Aufenthalt nach Zürich einluden. Die Einladung ist durchaus symptomatisch: Zürich avancierte in den 1740er Jahren zum Zentrum der Gottsched-Opposition, von hier strahlte bald eine neue, wieder eher auf englische Einflüsse zurückzuführende Ästhetik des Wunderbaren nach Deutschland. Der heftige ,Literaturstreit‘ zwischen Gottsched und den Schweizern legte den Grundstein für viele literarische Entwicklungen im 18. Jahrhundert. <?page no="318"?> 000317 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 317 3. Bodmer und Breitinger in Zürich | 3.1. Der Literaturstreit: Allianzen und Eskalationen zwischen Zürich und Leipzig Zu Beginn waren die erbitterten Gegner noch Verbündete. Bodmer und Breitinger, beide Professoren am Collegium Carolinum, der Gelehrtenschule im republikanischen Zürich, standen in den 1720er Jahren in engem Austausch mit Christian Wolff und Gottsched. Mit Gemeinsamkeiten: Opitz- Verehrung und Kritik am Spätbarock Gottsched teilen Bodmer und Breitinger nicht nur ihre Verachtung für die angeblich ,unnatürlichen‘ Repräsentanten des schlesischen Spätbarocks, allen voran Lohenstein und Hoffmannswaldau, sondern auch ihre Verehrung für Martin Opitz. In dem Character der Teutschen Gedichte (1734), einem literaturhistorischen Abriss in Alexandrinern, stilisiert Bodmer ihn zum epochalen Erneuerer, zum Apollo der deutschen Literatur, der die Musen auf den Dichterberg Helicon geführt habe (Bodmer/ Breitinger 1980, 57). Auch in den Discoursen der Mahlern (1721-1723), Periodikum der Zürcher Gesellschaft der Mahler und frühes Beispiel einer moralischen Wochenschrift, wird Opitz oft als Autorität angerufen. Die Discourse sind jeweils unter Maler- Pseudonymen erschienen. Bodmer unterzeichnet als Albrecht Dürer und Peter Paul Rubens, Breitinger als Annibale Carracci und Hans Holbein. Im Ersten Discours des zweiten Teils wird Opitz ausdrücklich als ästhetisches Vorbild in Anspruch genommen. In einer Traumszene, die Dantes Jenseitsreise mit Vergil nachgebildet ist, entwirft ,Rubens‘ (d. i. Bodmer) eine allegorische Wanderung mit Opitz in das Reich der dichterischen Einbildungskraft. Er [Martin Opitz] nahme mich [ … ] bey der Hande / und führte mich [ … ] einen Wege den ich mich nicht besonne hiebevor jemahls betretten zu haben; ich folgte ihm stillschweigend nach voll Ehrfurcht / und voll Verwunderung mich in der Gesellschaft des größten Poeten in Deutschland zu sehen / und es währete nicht lange daß wir uns auf der Spitzen einer Höhe befanden / auf welcher sich dem Gesichte die wunderlichsten Gestalten von Bergen eröffneten von denen das schönste Land der Erde bezirckt ward. (Bodmer/ Breitinger 1727, 3) In der Vision einer arkadischen, von Nymphen bevölkerten Traumlandschaft, in die der Erzähler geführt wird, deutet sich eine Aufwertung der „Imagination“ (ebd., 2 und 8) an, die in den Dreißigerjahren des 18. Jahrhunderts zum Angelpunkt eines tiefgreifenden Geschmackswandels wurde - und zugleich den Streit zwischen Leipzig und Zürich auslöste. In ihrer Schrift Von dem Einfluß und Gebrauche der Einbildungs-Kraft (1727), die nicht zufällig dem Aufklärer Christian Wolff gewidmet ist, treten die Schweizer zwar fast pflichtgemäß dem ,dunklen‘ Barockstil entgegen, sprechen sich aber für den sinnlichen Charakter der Dichtung Differente Bewertung dichterischer Phantasie aus. Auch wenn sie in ihren ästhetischen Prinzipien ,Natur‘ und ,Nachahmung‘ auf Gottscheds Linie blieben, dehnten sie sukzessive den Spielraum zwischen beiden Kategorien aus (Bender 1973, 72). So erweiterten sie das Nachahmungsprinzip, indem sie darunter nicht nur die poetische Übersetzung von Wirklichkeit verstanden, sondern auch die Darstellung „möglicher Welten“ rechtfertigten, wie Breitinger in seiner Critischen Dichtkunst (1740) erläutert (Kowalik 1992, 37-62). Dichten sei nichts anderes, „als sich in der Phantasie neue Begriffe und Vorstellungen formieren, deren Originale nicht in der gegenwärtigen Welt der würcklichen Dinge, sondern in irgend einem andern möglichen Welt-Gebäude zu suchen sind. Ein jedes wohlerfundenes Gedicht ist darum nicht anders anzusehen, als eine Historie aus einer andern möglichen Welt“ (Breitinger <?page no="319"?> 000318 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 318 | C.II. Zentren der Aufklärung um 1730 1740 [Ndr. 1966], 59f.). Damit gesteht Breitinger der Einbildungskraft den wichtigsten Platz in der Produktion des literarischen Kunstwerks zu, während Gottsched sie als ein von den klassizistischen Regeln gezügeltes Element erachtete. Der Streit entfachte jedoch nicht an der Theorie, sondern am Beispiel. 1732 hatte Bodmer eine Prosaübersetzung von John Miltons Blankversepos Paradise Lost (1667) vorgelegt, Johann Miltons Verlust des Paradieses, ein Helden-Gedicht in ungebundener Rede übersetzet (1732, 2 1742). Miltons über zehntausend Verse lange Erzählung der satanischen Verführung und des Falls Adams und Evas umspannt ein großes Ensemble von Engeln, Teufeln und allegorischen Figuren. Es ist in einer komplexen, bildreichen Sprache verfasst und lässt sich heute umstandslos als ,barock‘ einstufen, auch wenn der Begriff für die englische Literatur weniger gebräuchlich ist. Dass Gottsched an diesem Dichter, der ihn an den „lohensteinischen und zieglerischen Schwulst“ erinnerte (Gottsched 1740, 663), keinen Gefallen fand, verstand sich von selbst. Im Einverständnis mit der französischen Kritik - 1728 hatte Voltaire Milton aufgrund seiner ,unwahrscheinlichen‘ und ,geschmacklosen‘ Einfälle angegangen (Stöckmann 2001, 348f.) - tadelte Gottsched das „Unwahrscheinliche“ und „Wunderbare“ in den Epen des Ludovico Ariosto, Torquato Tasso und eben auch John Miltons. Vor lauter „Abscheulichkeiten“ und „Thorheiten“ verliere Miltons „Fabel die Wahrscheinlichkeit“ und damit ihren poetischen Wert (Gottsched 1972, 272). Trotz einiger Reserven rezensierte Gottsched die neue schweizerische Übersetzung des Paradise Lost zunächst wohlwollend, wie er überhaupt die frühen kunsttheoretischen Schriften der Schweizer durchaus in Einklang mit seiner eigenen rationalistischen Poetik sah. Erst als Bodmer auf die Rezension antwortete, Gottsched erneut replizierte, Bodmer schließlich in einer Critischen Abhandlung von dem Wunderbaren (1740) gerade die „regellose Einbildungskraft“ in Miltons Epos verteidigte, eskalierte die Meinungsverschiedenheit. Bodmer relativiert die Vernunft als ästhetische Kategorie und bemängelt, bei den aufgeklärten Deutschen hätten „die Lustbarkeiten des Verstandes [ … ] ihr gantzes Gemüthe eingenommen, und diese unterdrucken die Lustbarkeiten der Einbildungskraft“ (Bodmer 1740, Vorrede). Außerdem sei das Prinzip der ,Wahrscheinlichkeit‘ mit dem ,Wunderbaren‘ zu vereinbaren - das „Wunderbare ist demnach nichts anders, als ein vermummetes Wahrscheinliches“, assistiert ihm Breitinger (1740, 132). Bodmer stützte seine Rehabilitation der dichterischen Phantasie dadurch, dass er das ,Wunderbare‘ dem ,Erhabenen‘ gleichsetzte. Diese Kategorie geht auf die spätantike Poetik Peri hypsous [griech. ,Über das Erhabene‘] zurück, die dem Longinos zugeschrieben wurde (heute: Pseudo-Longinos). Nachdem der französische Klassizist Nicolas Boileau sie 1674 übersetzt hatte, stand die Abhandlung vor allem in der englischen Gefühlsästhetik hoch im Kurs (Till 2006, Zelle 1987, 75-203). Mit dem Erhabenen, das als Kategorie in der Ästhetik Edmund Burkes und Immanuel Kants eine große Rolle spielen sollte, bezeichnete man Phänomene der Überwältigung, der Größe und Unermesslichkeit, die den Betrachter in Schrecken versetzen. Neben dem erhabenen Sujet - wie dem Sturm, der Wildnis oder den Alpen - nannte Pseudo-Longinos vor allem den großen Gedanken sowie die Neigung zum Pathos und eine stark rhetorisierte Diktion als Mittel erhabener Kunst. Das Bemühen der Schweizer, die ästhetisch legitime Figuren- und Gleichnisrede des Wunderbaren von dem ,Schwulst‘ des <?page no="320"?> 000319 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 319 3. Bodmer und Breitinger in Zürich | Lohenstein zu unterscheiden, ist zwar aus heutiger Sicht nicht zwingend, wurde aber produktiv wirksam. Ihre Aufwertung der künstlerischen Phantasie bestärkte Klopstock und die junge Dichtergeneration in ihrer Abkehr von Gottscheds rationalistischer Poetik. So sehr die Schweizer in den Dreißigerjahren des 18. Jahrhunderts noch Parteigänger Gottscheds waren, so radikal vollzogen sie ihre Absage. 1739 endet der Briefwechsel zwischen Bodmer und Gottsched. Um 1750 waren die Fronten hoffnungslos verhärtet, nachdem über Jahre eine Polemik die nächste gejagt hatte (siehe die Zeugnisse bei Waniek 1897). Gottsched beharrte mit der erweiterten vierten Auflage der Critischen Dichtkunst auf seiner Position, während Bodmer bereits ein christliches Noah-Epos im Stile Miltons vorbereitete, dessen erste Fassung 1752 erschien (Reiling 2010, 125-193). Seine Polemik gipfelt in dem Spottspiel Gottsched. Ein Trauerspiel in Versen oder der parodirte Cato (1765), wo aus dem ernsten Cato eine komisch nörgelnde Figur namens Gottsched wird. Es gelang den Zürchern bald, auch jüngere Autoren wie Klopstock oder Jakob Immanuel Pyra - mit seinem Erweis, dass die G*ttsch*dianische Sekte den Geschmack verderbe (1743) schoss er seine Salve gegen die Leipziger - auf ihre Seite zu ziehen, sodass Gottsched in der öffentlichen Wahrnehmung zunehmend als ,Verlierer‘ der Fehde angesehen wurde (Horch/ Schulz 1988). 3.2. Schweizerische „Sprachschnitzer“? Patriotismus bei Bodmer, Breitinger und Haller In der Kontroverse zwischen Leipzig und Zürich überlagern sich mehrere Schlachtfelder. Unter anderem divergierte die Bewertung der antiken Mythologie und der christlichen Epik, mithin allgemein der Rolle der Religion für die Literatur - die Schweizer bejahten religiöse Umkämpfte Felder: Religion und Sprachnorm Stoffe, Gottsched lehnte sie tendenziell ab (ebd., 39-54; Döring 2009, 89-97). Außerdem schloss man unterschiedliche Allianzen im europäischen Umbau der Poetik. Blieb Gottsched zeitlebens dem französischen Klassizismus zugetan, so dominierten bei den Schweizern eher der italienische Sensualismus, wie ihn Lodovico Antonio Muratori vertrat (Gisi 2009), sowie der englische Empirismus. Die stärkere Orientierung an England zeigt sich im Mahler der Sitten (1746), der stark redigierten Neuausgabe der Discourse der Mahlern . Eine Frauenzimmerbibliothek, die den Kanon der gebildeten Dame repräsentiert, wird in der frühen Version noch von der französischsprachigen Literatur dominiert; dagegen enthält die umfangreichere Neufassung ( Verzeichniß einer Frauen-Bibliotheck ) ausnahmslos deutschsprachige Texte, davon etliche Übersetzungen aus dem Englischen (Bodmer/ Breitinger 1980, 18f. und 26-28). Schließlich handelte es sich bei der Debatte auch um einen patriotischen Kampf um die Standardisierung des Deutschen als Dichtungssprache. Brachte jede Landschaft eine spezifische Kunst mit besonderen Voraussetzungen hervor oder galten für alle die gleichen Regeln? Darüber schieden sich die Geister. Bodmer vertrat mit der Zeit immer selbstbewusster die Auffassung, der Charakter der Schweizer und ihre Mundart stellten landschaftlich-klimatische Eigenheiten dar, die sich vor dem Sächsischen nicht zu verstecken brauchten (Döring 2009, 64-81; Gisi 2007, 24-80). Gottsched indessen mokierte sich mehrfach über die „Sprachschnitzer“ der „Herrn Zürchern“ und plädierte für eine überregionale Sprachnorm auch für die Schweiz (ebd., 76). In einer Nummer der Mahler der Sitten (1746) echauffiert sich Bodmer über „die tyrannische[n] Sprachrichter aus Sachsen“, die ihren „Geschmack an Verdeut- <?page no="321"?> 000320 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 320 | C.II. Zentren der Aufklärung um 1730 schungen“ „allen übrigen Kreisen und Provintzen Deutschlandes aufdringen wollen“ (Bodmer/ Breitinger 1746, 612 und 619). Zu ihrem republikanischen Patriotismus passt, dass Bodmer und Breitinger seit 1735 mit der Helvetischen Bibliothek eine Zeitschrift herausgaben, die sich der Kulturpflege der Schweiz verschrieb. Wie sein Hamburger Zeitgenosse Barthold Hinrich Brockes betätigte sich auch Bodmer stadtpolitisch, wirkte als Mitglied im Großen Rat von Zürich. Auch andernorts betonte man den literarischen Sonderweg der Schweiz. In Bern veröffentlichte Albrecht von Haller seinen Versuch Schweizerischer Gedichten (1732). Darin fand sich das bedeutende Lehrgedicht Die Alpen , das auf eine botanische Studienreise im Jahr 1728 zurückgeht. In fast fünfzig Strophen aus je zehn Alexandrinerversen schildert Haller erstmals die Erhabenheit der schweizerischen Berglandschaft, die schroffen Felsen und verschneiten Gipfel ebenso wie das beschauliche Bauernleben: „Entfernt vom eiteln Tand der mühsamen Geschäfften / Wohnt hier die Seelen-Ruh und flieht der Stätten Rauch. Ihr thätig Leben stärkt der Leiber reiffe Kräfften / Der träge Müßiggang schwellt niemals ihren Bauch“ ( 166). Seine Kritik des städtischen Treibens und die Idealisierung naturnaher Einfalt greifen Topoi der barocken Landlebendichtung auf (Lohmeier 1981), doch überträgt Haller diese Gattungsformeln auf das neue Sujet der Schweizer Alpen und erweitert die üblichen Naturbeschreibungen erheblich. Nicht auf den lieblichen Hain und die arkadischen Hügel, sondern auf die überwältigende, beängstigende Größe der Berge stützt sich Hallers Ästhetik des Erhabenen: „Ein sanffter Schwindel schließt die allzuschwachen Augen / Die den zu fernen Kreiß nicht durchzustrahlen taugen“. Wie Brockes legt Haller, der Naturwissenschaftler und Mediziner, Wert auf konkrete Details, gibt in Anmerkungen sogar die wissenschaftlichen Namen der beschriebenen Pflanzen an und zieht aus dem Staunen über Gottes Schöpfung seine moralischen Konsequenzen, darunter seine Kritik an der Hektik des unsittlichen Stadtlebens. Hallers Schweizerische Gedichte wurden mit großem Beifall aufgenommen. Selbst Gottsched zeigte sich zunächst angetan, obwohl sich in Hallers Gedichten offenkundig noch viele Spuren der barocken Bildlichkeit finden. Erst später mehrten sich die Angriffe der Gottschedianer auf Haller, zumal dieser zunehmend zum Gewährsmann der Zürcher Poetik wurde. Breitingers Vertheidigung der Schweitzerischen Muse, Hrn. D. Albrecht Hallers (Zürich 1744) reagierte auf die Kritik, die sich auch auf die Verwendung des Schweizerdeutschs erstreckt hatte. In Neuauflagen der Gedichte versuchte Haller zwar, seine gescholtenen Helvetismen auszumerzen, rechtfertigte aber seinen Sprachgebrauch auch selbstbewusst: „[I]ch bin ein Schweizer, die deutsche Sprache ist mir fremd“, schreibt er 1748 (zit. n. Siegrist 1967, 18). Dabei war Haller keineswegs ein Provinzler, sondern hatte selbst als Arzt in London gewirkt und unterrichtete als Professor für Chirurgie und Botanik über siebzehn Jahre lang an der fortschrittlichen Universität Göttingen (Elsner/ Rupke [Hg.] 2009). Seine weitläufige Korrespondenz und seine Rezensionstätigkeit bezeugen die Wertschätzung dieses Gelehrten in ganz Europa (Profos Frick 2009; Stuber/ Hächler/ Steinke [Hg.] 2005). Der Streit zwischen Gottsched und den Schweizern entschied eine Grundspannung der frühneuzeitlichen Literatur, nämlich den Widerspruch zwischen programmatischer Norm und praktischen Lizenzen. Die Poetik des 17. und frühen 18. Jahrhunderts hatte allenthalben <?page no="322"?> 000321 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 321 4. Johann Gottfried Schnabels Stolberger Felsenburg | nach poetischen Standards gesucht, hatte die deutsche Rückständigkeit im europäischen Kontext beklagt, um theoretisch ,aufzuräumen‘ mit allen Wucherungen der volkssprachlichen Literatur. Ganz durchgesetzt hatten sich die strengen Prinzipien nie. Gottsched fühlte sich der barocken Suche nach dem Standard noch verpflichtet und beharrte mit philosophischen Argumenten auf einem französischen Klassizismus, der allerdings seit Jahren schon im Umlauf war. Mit der Zürcher Poetik des Wunderbaren und mit Hallers emphatischer Alpendichtung hingegen offenbarte sich, dass die herkömmliche Richtschnur der Poetik im 18. Jahrhundert nicht mehr recht überzeugte, sondern Konzepte des produktiven Regelbruchs gefragt waren. Die folgenden Jahrzehnte betonten subjektive Gefühlsechtheit, dichterische Individualität und regionale Eigenständigkeit. Gottscheds Versuch einer Modernisierung mit barocken Mitteln geriet darüber ins Hintertreffen. 4. Robinson der Peripherie: Johann Gottfried Schnabels Stolberger Felsenburg Die metropolitanen Frühaufklärer in Hamburg, Leipzig und Zürich pflegten Kontakte auch zu eher kleinstädtisch verwurzelten Geistesgenossen. Die Anakreontiker Johann Peter Uz und Johann Ludwig Wilhelm Gleim beispielsweise zogen sich nach ihrer Hallenser Studienzeit in den 1740er Jahren nach Ansbach und Halberstadt zurück, wo sie sich im ganzen Reich freundschaftlich vernetzten und auf diese Weise mit vielen Größen der Zeit bekannt blieben (Rohmer/ Verweyen [Hg.] 1998, Pott [Hg.] 2004). Als Solitär der Provinz hingegen erscheint Johann Gottfried Schnabel (1692-1744), der Verfasser der Insel Felsenburg (1731-1743) . Unter dem Titel Wunderliche Fata einiger See-Fahrer veröffentlichte Schnabel in Nordhausen den ersten Teil, der erst seit der 1828 erschienenen Bearbeitung durch Ludwig Tieck als Insel Felsenburg bekannt ist. Schnabel wuchs als Waise auf und besuchte als Knabe die pietistisch geprägten Franckeschen Stiftungen in Halle. Später verdingte er sich als Barbier und militärischer Wundarzt, bevor er sich in der Grafschaft Stolberg niederließ. Dort gab er eine örtliche Zeitung heraus; sein Todesdatum ist unbekannt, wahrscheinlich starb er Mitte der 1740er Jahre (die greifbaren Daten hat Dammann 1997 zusammengetragen). Wie sein Vorbild Grimmelshausen gibt der Autor Schnabel biographische Rätsel auf. Sieht man vom Waisenhaus ab, ist er mit keiner der bekannten Institutionen des 18. Jahrhunderts enger verbunden, weder mit einer Universität oder einem Gymnasium noch mit der Kirche oder dem Hof. Er scheint auch keinen Kontakt zu den Gelehrten und Schriftstellern seiner Zeit gepflegt zu haben. In der Insularität seiner Stolberger Heimat dachte er sich zu Beginn der 1730er Jahre die Geschichte seiner felsenburgischen Seefahrer aus, die auf einer Insel im Südatlantik eine bessere Gesellschaft errichten. Zwar verfasste Schnabel noch zwei weitere Romane, unter denen Der im Irr- Garten der Liebe herum taumelnde Cavalier (1738) neuerdings wissenschaftlich aufgewertet wurde (Dammann [Hg.] 2017), doch blieb sein Erstlingsroman eher ein One-Hit-Wonder . In den Wunderlichen Fata , die Schnabel unter dem galanten Pseudonym ,Gisander‘ veröffentlichte, verflechten sich vorrangig drei Gattungsstränge: Robinsonade, Utopie und Pikareske. Die Robinsonade geht auf Daniel Defoes Robinson Crusoe (1719) zurück. Dessen Titelheld, ein Kaufmannssohn, ignoriert die Mahnung seines Vaters, dem mittleren Stand im <?page no="323"?> 000322 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 322 | C.II. Zentren der Aufklärung um 1730 Leben stets treu zu bleiben und keine großen Ambitionen zu hegen. Er beschließt stattdessen übermütig, zur See zu fahren. Nachdem er in Brasilien zu Geld gekommen ist, erleidet er Schiffbruch bei dem Versuch, für seine Plantagen afrikanische Sklaven zu beschaffen, und Insel Felsenburg als Robinsonade strandet auf einer einsamen Insel. Im Vertrauen auf die menschliche Fähigkeit, seiner Umwelt stets Herr werden zu können, baut er sich hier sukzessive eine neue Zivilisation auf. Er zäunt Land ein, pflanzt Getreide an und hält sich Vieh. Damit erweist sich Defoes Roman nicht nur als unterhaltsame Abenteuererzählung, sondern als aufklärerisches Gedankenexperiment. Wenn der Mensch plötzlich all seiner technischen Hilfsmittel beraubt würde, so die optimistische Hypothese, könne er dank seiner Kenntnisse der Naturgesetze, mit berechnender Vorsorge, protestantischer Arbeitsethik und göttlicher Providenz nicht nur überleben, sondern im Grunde eine neue europäische Ordnung in der Fremde errichten. Zugleich dokumentiert Defoes Roman den dialektischen Umschlag der Aufklärung in einen kolonialen Unterwerfungswunsch. Die gewaltbereite Beiläufigkeit, mit der Robinson zunächst einige Kannibalen tötet und gegen Ende des Romans einen Bären quälen lässt, und die Selbstgewissheit, mit der er sich den ,wilden‘ Freitag zum Diener nimmt, um ihn zu ,zivilisieren‘, hat spätere Leser und Forscher verstört. Bei Schnabels Wunderlichen Fata handelt es sich zwar nicht um die erste deutsche Adaptation von Defoes Roman (Stach 1991), wohl aber um die eigenständigste. Denn bei Schnabel stellt die robinsonadische Schiffbruchs- und Besiedlungserzählung nur einen kleinen Teil der Gesamthandlung dar. Deren Grundzüge sehen wie folgt aus: Der Leipziger Student Eberhard Julius, Held und Ich-Erzähler des Romans, erfährt, dass sein Urgroßonkel Albert Julius auf einer fernen Insel die Kolonie Felsenburg gegründet hat und ihn bittet, ihn dort zu besuchen. Gemeinsam mit einem erfahrenen Schiffskapitän macht Eberhard sich auf die lange Fahrt, während der die Reisenden erstmals von der Einrichtung der wundersamen Insel hören. Völlig abgelegen im südatlantischen Ozean und von hohen, nur durch einen kleinen Gang durchlässigen Felsen geschützt, eröffnet sich dort ein paradiesischer Ort, ja „eine der allerschönsten Gegenden von der Welt“ (Schnabel 1997, I, 110). Wenig später kann sich Eberhard Julius davon selbst überzeugen, denn sie erreichen die Felsenburg, wo sie von dem über neunzigjährigen Altvater und seinen zahllosen Sprösslingen auf das Herzlichste empfangen werden ( 167). Seine eigene Lebensgeschichte schildert der Patriarch in einer längeren Binnenerzählung, die als Robinsonade im engeren Sinne gelten kann. Die Vita des Albert Julius beginnt nicht umsonst in den Unruhen des Dreißigjährigen Krieges, in dem seine Eltern umkommen und er selbst als Vollwaise zu einem Leben am Bettelstab verurteilt ist. Gemeinsam mit einem Niederländer, einer Engländerin und einem Franzosen strandet er nach einem Schiffbruch auf der besagten Insel; der katholische Franzose, vom Teufel besessen, mordet den Niederländer und fällt schließlich von eigener Hand, worauf Albert und Concordia sich nach einiger Zeit ehelich zusammenschließen und dutzende Nachkommen zeugen. Man hat diese Gründungsgeschichte der Felsenburg verschiedentlich gedeutet: als Allegorie der politischen Zeitläufte Europas, als Beitrag zu rechtlichen Debatten um den Naturstand und die Zivilisationsgeschichte der Menschheit oder als Absage an die absolutistische Staatstheorie (Detering 2017, 516-540; Dammann 1997, 155-176; Braungart 1989, 235-246; Fischer 1987). <?page no="324"?> 000323 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 323 4. Johann Gottfried Schnabels Stolberger Felsenburg | C.II.4. Plan der Insel Felsenburg (1731). Zurück in der Rahmenhandlung, wird die Felsenburg von Eberhard und seinen Reisegesellen einer ,General-Visitation‘ unterzogen, einer ausführlichen Tour über die in diverse ,Pflanz-Städte‘ unterteilte Insel. Eine Karte, die dem Roman beigegeben ist, hilft dem Leser, Insel Felsenburg als Utopie und Pikareske sich zu orientieren (Abb. C.II.4.). Während der Besichtigung kommt die Haupthandlung des Romans fast zum Erliegen, denn Schnabel wechselt hier in das Genremuster der Utopie und schildert die Vorzüge der Felsenburger deskriptiv oder dialogisch. Dabei kommt der Ich-Erzähler Eberhard aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Die Inselgesellschaft ist auf Tugend und Vernunft, Bescheidenheit und Christlichkeit gegründet. Sie folgt einem rigiden Moralkodex - Perücken, Schminken, Liederlichkeit und Getratsche sind nicht erlaubt -, erfreut sich dafür aber einer erstaunlichen Prosperität und eines friedlichen Miteinanders. Die längeren Lebensberichte der Felsenburger unterbrechen diese Inventur der Glückseligkeit und sorgen für schauderhafte Unterhaltung, indem sie die unzumutbaren Zustände in Europa rekapitulieren. Dort herrscht allenthalben Krieg, Elend und allgemeine Sündhaftigkeit, in welche die meisten Felsenburger als <?page no="325"?> 000324 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 324 | C.II. Zentren der Aufklärung um 1730 Opfer, manche aber auch als Mitwirkende verstrickt waren. Auf der Insel selbst bereuen sie ihr sündhaftes Leben, sagen sich von der Vergangenheit los und finden zu Gott und zur Tugend. In diesen episodischen Einschüben zeigt sich der Einfluss der simplicianischen Pikareske am deutlichsten, neben der Robinsonade und der Utopie das dritte Gattungselement, aus dem die Wunderlichen Fata komponiert sind (Dammann 1997, 87-97). Grimmelshausens Einfluss auf Schnabel ist unverkennbar; nicht zuletzt war Simplicissimus am Ende der Continuatio ja selbst auf eine Insel geflüchtet und hatte dort als ,Robinson‘ avant la lettre zur christlichen Ruhe gefunden. Über die drei Fortsetzungen, die Schnabel vorlegte, wächst der Anteil der Binnenbiographien immer weiter an (Grohnert 1997, 86-127). Sie bereichern die utopische Anlage um ein multiperspektivisches Panorama des europäischen Zeitgeschehens im späten 17. und frühen 18. Jahrhundert. Zugleich markieren sie einen bedeutsamen Unterschied zur barocken Utopie eines Johann Valentin Andreae. Dort hatten die Reisenden den fremden Idealstaat schon vollendet vorgefunden und seine Vorzüge peu a` peu mit den unchristlichen Verhältnissen in Europa kontrastiert. Dagegen handelt es sich bei der Insel Felsenburg um eine von Europäern Schnabels Umdeutung der unerreichbaren Utopie zum konkreten Vorbild der Gegenwart selbst errichtete Gesellschaft, deren in der jüngeren Vergangenheit liegende Konstruktion ausführlich resümiert wird - dazu dient insbesondere die eingefügte Robinsonade. Immer näher rückt Schnabel seine utopische Felsenburg an die eigene Wirklichkeit, indem er sie in den Fortsetzungen mit neuen Ankömmlingen konfrontiert, die bald auf einer weiteren Insel, Klein-Felsenburg genannt, eine zweite, allerdings minderwertige Kolonie gründen. Insbesondere der dritte und der vierte Teil erscheinen düsterer als der erste Part, und versponnen sind die Spukgeschichten, die Schnabel dort herbeidichtet, um an den kommerziellen Erfolg des Erstlings anzuknüpfen. Im vierten Teil schließlich wird der Frieden der Insulaner sogar durch eine Fregatte portugiesischer Kriegsschiffe gestört, gegen welche die Felsenburger die Waffen erheben müssen, um sich zu verteidigen (Grohnert 1997, 127-179; Dammann 1997, 186-228). Es ist eben nicht alles perfekt auf der Insel: Schnabel nimmt Abstand von dem statuarischen Idealentwurf früherer Utopien und stuft ihn graduell ab. Ein gutes Stück besser hat es die Felsenburg als die europäischen Länder, und erscheint damit ein ebenso gutes Stück erreichbarer als vorgängige Vertreter der Gattung. Bei Schnabel wandelt sich die Utopie vom „Gegenbild zum Vorbild“ der europäischen Gegenwart, eine Tendenz, die sich zuvor bereits in der französischen Gattungsgeschichte abgezeichnet hatte (Kuon 1986, 405; vgl. auch Stockinger 1981, 399-444; Braungart 1989, 217-247; Müller 1989, 47-83). Erst vor einigen Jahren, so die Fiktion, hat eine Reihe von armen, teils verzweifelten, teils selbst sündhaften Deutschen, Niederländern, Schweden und so weiter eine neue, christliche Gemeinschaft errichtet. Quellen Bodmer, Johann Jacob (1740 [Ndr. 1966]): Critische Abhandlung von dem Wunderbaren in der Poesie. Mit einem Nachwort von Wolfgang Bender. Stuttgart. Bodmer, Johann Jacob, und Johann Jakob Breitinger (1727): Die Discourse der Mahlern. Zweyter Theil. Zürich. Bodmer, Johann Jakob, und Johann Jakob Breitinger (1746): Der Mahler der Sitten. Der zweyte Band. Zürich. <?page no="326"?> 000325 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 325 C.II. Zentren der Aufklärung um 1730 | Bodmer, Johann Jakob, und Johann Jakob Breitinger (1980): Schriften zur Literatur. Hg. von Volker Meid. Stuttgart. Breitinger, Johann Jacob (1740 [Ndr. 1966]): Critische Dichtkunst. Mit einer Vorrede von Johann Jacob Bodmer. Stuttgart. Brockes, Barthold Hinrich (1740): Aus dem Englischen übersetzter Versuch vom Menschen, des Herrn Alexander Pope. [ … ]. Hamburg. Brockes, Barthold Heinrich (2012-2016): Werke. 4 Bde. Hg. von Jürgen Rathje. Göttingen [Röm. Ziffern beziehen sich auf den Teil des Irdischen Vergnügens in Gott]. Goethe, Johann Wolfgang (1989): Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Hg. von Klaus-Detlef Müller. Sämtliche Werke, I, 14. Frankfurt a. M. Gottsched, Johann Christoph (1725): Die Vernünftigen Tadlerinnen. Halle. Gottsched, Johann Christoph (1740): Joh. Jacob Bodmers Critische Abhandlung von dem Wunderbaren in der Poesie [ … ]. In: Ders.: Beyträge zur Critischen Historie der Deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit. 24. Stück. Leipzig, 652-668. Gottsched, Johann Christoph (1972): Versuch einer Critischen Dichtkunst: Erster Allgemeiner Teil. Ausgewählte Werke. Bd. 6,1. Hg. von Joachim Birke und Brigitte Birke. Berlin und New York. Gottsched, Johann Christoph (1973): Versuch einer Critischen Dichtkunst: Anderer Besonderer Theil. Ausgewählte Werke. Bd. 6,2. Hg. von Joachim Birke und Brigitte Birke. Berlin und New York. Gottsched, Johann Christoph (2007-2017): Briefwechsel, unter Einschluß des Briefwechsels von Luise Adelgunde Victorie Gottsched. Historisch-Kritische Ausgabe. Hg. von Detlef Döring und Manfred Rudersdorf. 11 Bde. [noch nicht abgeschlossen]. Berlin und New York. Gottsched, Johann Christoph (2009a): Gedächtnisrede auf Martin Opitzen von Boberfeld. In: Ders.: Schriften zur Literatur. Hg. von Horst Steinmetz. Stuttgart, 212-239. Hagedorn, Friedrich von (1747): Oden und Lieder in fünf Büchern. Hamburg. Martens, Wolfgang (Hg.) (1969): Der Patriot. Nach der Originalausgabe Hamburg 1724-26 in drei Textbänden und einem Kommentarband. Berlin. Schnabel, Johann Gottfried (1997): Insel Felsenburg. Wunderliche Fata einiger Seefahrer. Hg. und mit einem Nachwort von Günter Dammann. 3 Bde. Frankfurt a. M. Waniek, Gustav (1897): Gottsched und die deutsche Litteratur seiner Zeit. Leipzig. Forschungen Achermann, Eric (2014): Einleitung. Johann Christoph Gottsched - Philosophie, Poetik, Wissenschaft. In: Johann Christoph Gottsched (1700-1766). Philosophie, Poetik und Wissenschaft. Hg. von dems. Berlin, 13-27. Ball, Gabriele, Helga Brandes und Katherine R. Goodman (Hg.) (2006): Diskurse der Aufklärung. Luise Adelgunde Victorie und Johann Christoph Gottsched. Wiesbaden. Bellingradt, Daniel (2011): Flugpublizistik und Öffentlichkeit um 1700. Dynamiken, Akteure und Strukturen im urbanen Raum des Alten Reiches. Stuttgart. Bender, Wolfgang (1973): Johann Jakob Bodmer und Johann Jakob Breitinger. Stuttgart. Birke, Joachim (1966): Christian Wolffs Metaphysik und die zeitgenössische Literatur- und Musiktheorie. Gottsched, Scheibe, Mizler. Berlin. Böning, Holger (2002): Welteroberung durch ein neues Publikum. Die deutsche Presse und der Weg zur Aufklärung. Hamburg und Altona als Beispiel. Bremen. Böning, Holger (2012): Eine Stadt lernt das Zeitungslesen. Leser, Auflagen und Reichweite der Hamburger und Altonaer Zeitungen im ersten Jahrhundert des Zeitungswesens. In: Hamburg. Eine Metropolregion zwischen Früher Neuzeit und Aufklärung. Hg. von Johann Anselm Steiger und Sandra Richter. Berlin 2012, 391-417. <?page no="327"?> 000326 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 326 | C.II. Zentren der Aufklärung um 1730 Brandes, Helga (1974): Die Gesellschaft der Maler und ihr literarischer Beitrag zur Aufklärung. Eine Untersuchung zur Publizistik des 18. Jahrhunderts. Bremen. Braungart, Wolfgang (1989): Die Kunst der Utopie. Vom Späthumanismus zur frühen Aufklärung. Stuttgart. Brown, Hilary (2012): Luise Gottsched the Translator. Rochester, New York. Chraplak, Marc (2015): B. H. Brockes’ fröhliche Physikotheologie. Poetische Strategien gegen Weltverachtung und religiösen Fanatismus in der Frühaufklärung. Bielefeld. Cowan, Brian (2004): Mr. Spectator and the Coffeehouse Public Sphere. In: Eighteenth-Century Studies 37/ 3, 345-366. Dammann, Günter (1997): Über J. G. Schnabel. Spurensuche, die Plots der Romane und die Arbeit am Sinn. In: Johann Gottfried Schnabel: Wunderliche Fata einiger Seefahrer. Bd. 3: Anhang. Frankfurt a. M., S. 7-300. Dammann, Günter (Hg.) (2014): Das Werk Johann Gottfried Schnabels und die Romane und Diskurse des frühen 18. Jahrhunderts. Tübingen. Dammann, Günter (Hg.) (2017): Johann Gottfried Schnabels Cavalier-Roman: Vermessung eines lange unterschätzten Werks. Würzburg. Dehrmann, Mark-Georg (2008): Das „Orakel der Deisten“. Shaftesbury und die deutsche Aufklärung. Göttingen. Detering, Nicolas (2017): Krise und Kontinent. Die Entstehung der deutschen Europa-Literatur in der Frühen Neuzeit. Köln, Weimar, Wien. Doms, Misia Sophia, und Bernhard Walcher (Hg.) (2012): Periodische Erziehung des Menschengeschlechts. Moralische Wochenschriften im deutschsprachigen Raum. Bern u. a. Döring, Detlef (2002): Die Geschichte der Deutschen Gesellschaft in Leipzig. Von der Gründung bis in die ersten Jahre des Seniorats Johann Christoph Gottscheds. Tübingen. Döring, Detlef (2009): Der Literaturstreit zwischen Leipzig und Zürich in der Mitte des 18. Jahrhunderts. Neue Untersuchungen zu einem alten Thema. In: Johann Jakob Bodmer und Johann Jakob Breitinger im Netzwerk der europäischen Aufklärung. Hg. von Anett Lütteken und Barbara Mahlmann-Bauer. Göttingen, 60-105. Döring, Detlef (2012): Leipzig. In: Handbuch kultureller Zentren der Frühen Neuzeit. Städte und Residenzen im alten deutschen Sprachraum. Hg. von Wolfgang Adam und Siegrid Westphal. Berlin, 1253-1298. Elsner, Norbert, und Nicolaas A. Rupke (Hg.) (2009): Albrecht von Haller im Göttingen der Aufklärung. Göttingen. Fischer, Bernhard (1987): Der moralische Naturzustand und die Vernunft der Familie. Eine Studie zu Schnabels Wunderlichen FATA. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 61/ 1, 68-89. Gisi, Lucas Marco (2007): Einbildungskraft und Mythologie. Die Verschränkung von Anthropologie und Geschichte im 18. Jahrhundert. Berlin und Boston. Gisi, Lucas Marco (2009): „Ein geraubtes Siegel“? Die Bedeutung von Bodmers und Breitingers Rezeption italienischer Poetiken und Poesie für den Literaturstreit mit den ,Gottschedianern‘. In: Bodmer und Breitinger im Netzwerk der europäischen Aufklärung. Hg. von Anett Lütteken und Barbara Mahlmann-Bauer. Göttingen, 105-126. Goodman, Katherine (1999): Amazons and Apprentices. Women and the German Parnassus in the Early Enlightenment. Rochester, New York. Grimm, Gunter E. (2007): Christian Wolff und die deutsche Literatur der Frühaufklärung. In: Christian Wolff und die europäische Aufklärung. Hg. von Jürgen Stolzenberg und Oliver-Pierre Rudolph. Bd. 4. Hildesheim, Zürich, New York, 221-245. <?page no="328"?> 000327 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 327 C.II. Zentren der Aufklärung um 1730 | Grohnert, Dietrich (1997): Aufbau und Selbstzerstörung einer literarischen Utopie. Untersuchungen zu Johann Gottfried Schnabels Roman Die Insel Felsenburg. St. Ingbert. Gühne, Ekkehard (1973): Gottscheds Literaturkritik in den Vernünfftigen Tadlerinnen. Stuttgart. Guntermann, Georg (1980): Barthold Heinrich Brockes’ „Irdisches Vergnügen in Gott“ und die Geschichte seiner Rezeption in der deutschen Germanistik. Zum Verhältnis von Methode und Gegenstand literaturwissenschaftlicher Forschung. Bonn. Habermas, Jürgen (1971): Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. 5. Aufl. Neuwied und Berlin. Hempel, Dirk (2010): Der Vernünfftler - Johann Mattheson und der britisch-deutsche Kulturtransfer in der Frühaufklärung. In: Johann Mattheson als Vermittler und Initiator. Wissenstransfer und die Etablierung neuer Diskurse in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Hg. von Wolfgang Hirschmann und Bernhard Jahn. Hildesheim, 99-114. Hirschmann, Wolfgang, und Bernhard Jahn (Hg.) (2010): Johann Mattheson als Vermittler und Initiator. Wissenstransfer und die Etablierung neuer Diskurse in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Hildesheim. Hollmer, Heide (1994): Anmut und Nutzen. Die Originaltrauerspiele in Gottscheds ,Deutscher Schaubühne‘. Tübingen. Horch, Hans Otto, und Georg-Michael Schulz (1988): Das Wunderbare und die Poetik der Frühaufklärung. Gottsched und die Schweizer. Darmstadt. Kemper, Hans-Georg (1991): Deutsche Lyrik der Frühen Neuzeit. Bd. 5, 2: Frühaufklärung. Tübingen. Kemper, Hans-Georg, Uwe-K. Ketelsen und Carsten Zelle (Hg.) (1998): Barthold Heinrich Brockes (1680-1747) im Spiegel seiner Bibliothek und Bildergalerie. 2 Bde. Wiesbaden. Kopitzsch, Franklin (1982): Grundzüge einer Sozialgeschichte der Aufklärung in Hamburg und Altona. Hamburg. Kord, Susanne (2000): Little Detours. The Letters and Plays of Luise Gottsched (1713-1762). Rochester, New York. Kowalik, Jill Anne (1992): The Poetics of Historical Perspectivism. Breitinger’s Critische Dichtkunst and the Neoclassic Tradition. Chapel Hill und London. Krieger, Martin (2008): Patriotismus in Hamburg. Identitätsbildung im Zeitalter der Frühaufklärung. Köln. Krieger, Martin (2012): Hamburg. In: Handbuch kultureller Zentren der Frühen Neuzeit. Städte und Residenzen im alten deutschen Sprachraum. Hg. von Wolfgang Adam und Siegrid Westphal. Berlin, 797-830. Kuon, Peter (1986): Utopischer Entwurf und fiktionale Vermittlung. Studien zum Gattungswandel der literarischen Utopie zwischen Humanismus und Frühaufklärung. Heidelberg. Lohmeier, Anke-Marie (1981): Beatus ille. Studien zum „Lob des Landlebens“ in der Literatur des absolutistischen Zeitalters. Tübingen. Lütteken, Anett, und Barbara Mahlmann-Bauer (2009): Johann Jakob Bodmer und Johann Jakob Breitinger im Netzwerk der europäischen Aufklärung. Göttingen. Martens, Wolfgang (1968): Die Botschaft der Tugend. Die Aufklärung im Spiegel der deutschen Moralischen Wochenschriften. Stuttgart. Martens, Wolfgang (1975): Leserezepte fürs Frauenzimmer. Die Frauenzimmerbibliotheken der deutschen Moralischen Wochenschriften. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens 15, 1143-1200. Marti, Hanspeter (2014): Gottsched als Universitätslehrer. Johann Christoph Gottsched (1700-1766). Philosophie, Poetik und Wissenschaft. Hg. von Eric Achermann. Berlin, 269-293. Martus, Steffen (2015): Aufklärung - Das deutsche 18. Jahrhundert. Ein Epochenbild. Berlin. Maurer, Michael (1987): Aufklärung und Anglophilie in Deutschland. Göttingen. <?page no="329"?> 000328 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 328 | C.II. Zentren der Aufklärung um 1730 Meier, Albert (1993): Dramaturgie der Bewunderung. Untersuchungen zur politisch-klassizistischen Tragödie des 18. Jahrhunderts. Frankfurt a. M. Meyer, Urs (2009): Der Messias in Zürich. Die Klopstock-Rezeption bei Bodmer, Breitinger, Waser, Hess und Lavater im Lichte des zeitgenössischen Literaturmarkts. In: Bodmer und Breitinger im Netzwerk der europäischen Aufklärung. Hg. von Anett Lütteken und Barbara Mahlmann-Bauer. Göttingen, 474-497. Michel, Paul (2008): Physikotheologie. Ursprünge, Leistung und Niedergang einer Denkform. Zürich. Müller, Götz (1989): Gegenwelten. Die Utopie in der deutschen Literatur. Stuttgart. Nasse, Peter (1976): Die Frauenzimmer-Bibliothek des Hamburger Patrioten von 1724. Zur weiblichen Bildung in der Frühaufklärung. Stuttgart. Neuber, Friederike Caroline (1997): Das Lebenswerk der Bühnenreformerin. Poetische Urkunden. 2 Teile. Hg. von Bärbel Rudin und Marion Schulz. Reichenbach. Poettering, Jorun (2012): „In die äusserste Welt Oerther“. Die Hamburger Kaufmannsschaft und ihre frühneuzeitlichen Handelsbeziehungen. In: Hamburg. Eine Metropolregion zwischen Früher Neuzeit und Aufklärung. Hg. von Johann Anselm Steiger und Sandra Richter. Berlin 2012, 781-793. Pott, Ute (Hg.) (2004): Das Jahrhundert der Freundschaft. Johann Wilhelm Ludwig Gleim und seine Zeitgenossen. Göttingen. Profos Frick, Claudia (2009): Gelehrte Kritik. Albrecht von Hallers literarisch-wissenschaftliche Rezensionen in den Göttingischen Gelehrten Anzeigen. Basel. Ranke, Wolfgang (2009): Theatermoral. Moralische Argumentation und dramatische Kommunikation in der Tragödie der Aufklärung. Würzburg. Reiffenstein, Ingo (1989): Gottsched und die Bayern. Der Parnassus Boicus, die Bayerische Akademie der Wissenschaften und die Pflege der deutschen Sprache im 18. Jahrhundert. In: Soziokulturelle Kontexte der Sprach- und Literaturentwicklung. FS Rudolf Große. Hg. von Sabine Heimann u. a. Stuttgart, 177-184. Reiling, Jesko (2010): Die Genese der idealen Gesellschaft. Studien zum literarischen Werk von Johann Jakob Bodmer (1698-1783). Berlin. Reinthal, Angela (2000): Engagierte Vereinnahmung. Die Gottschedin in Renate Feyls „Idylle mit Professor“. In: Fakten und Fiktionen. Strategien fiktionalbiographischer Dichterdarstellungen in Roman, Drama und Film seit 1970. Hg. von Christian von Zimmermann. Tübingen, 131-147. Rohmer, Ernst, und Theodor Verweyen (Hg.) (1998): Dichter und Bürger in der Provinz. Johann Peter Uz und die Aufklärung in Ansbach. Tübingen. Scheibe, Jörg (1973): Der Patriot (1724) und sein Publikum. Untersuchungen über die Verfasserschaft und die Leserschaft einer Zeitschrift der frühen Aufklärung. Göppingen. Schlosser, Horst Dieter (1985): Sprachnorm und regionale Differenz im Rahmen der Kontroverse zwischen Gottsched und Bodmer/ Breitinger. In: Mehrsprachigkeit in der deutschen Aufklärung. Hg. von Dieter Kimpel. Hamburg, 52-68. Schröder, Ingrid (2017): Michael Richey und die Teutsch-übende Gesellschaft. In: Das Akademische Gymnasium zu Hamburg (gegr. 1613) im Kontext frühneuzeitlicher Wissenschafts- und Bildungsgeschichte. Hg. von Johann Anselm Steiger. Berlin und Boston, 195-217. Siegrist, Christoph (1967): Albrecht von Haller. Stuttgart. Stach, Reinhard (1991): Robinson und Robinsonaden in der deutschsprachigen Literatur. Eine Bibliographie. Würzburg. Steiger, Johann Anselm (Hg.) (2017): Das Akademische Gymnasium zu Hamburg (gegr. 1613) im Kontext frühneuzeitlicher Wissenschafts- und Bildungsgeschichte. Berlin und Boston. Stiening, Gideon (2014): „[D]arinn ich noch nicht völlig seiner Meynung habe beipflichten können“. Gottsched und Wolff. In: Johann Christoph Gottsched (1700-1766). Philosophie, Poetik und Wissenschaft. Hg. von Eric Achermann. Berlin, 39-61. <?page no="330"?> 000329 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 329 C.III. Ausblick: Deutsche Literatur um 1750 | Stockinger, Ludwig (1981): Ficta Respublica. Gattungsgeschichtliche Untersuchungen zur utopischen Erzählung in der deutschen Literatur des frühen 18. Jahrhunderts. Tübingen. Stöckmann, Ingo (2001): Vor der Literatur. Eine Evolutionstheorie der Poetik Alteuropas. Tübingen. Stuber, Martin, Stefan Hächler und Hubert Steinke (Hg.) (2005): Hallers Netz. Ein europäischer Gelehrtenbriefwechsel zur Zeit der Aufklärung. Basel. Till, Dietmar (2006): Das doppelte Erhabene. Eine Argumentationsfigur von der Antike bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts. Tübingen. Totok, Wilhelm (1992): Die ,beste Welt‘ in der Dichtung der deutschen Aufklärung. In: Leibniz. Le Meilleur des Mondes. Hg. von Albert Heinekamp und Andre´ Robinet. Stuttgart, 247-261. Trepp, Anne-Charlott (2009): Von der Glückseligkeit alles zu wissen: Die Erforschung der Natur als religiöse Praxis in der Frühen Neuzeit. Frankfurt 2009. Wesche, Jörg (2004): Literarische Diversität. Abweichungen, Lizenzen und Spielräume in der deutschen Poesie und Poetik der Barockzeit. Tübingen. Zelle, Carsten (1987): „Angenehmes Grauen“. Literaturhistorische Beiträge zur Ästhetik des Schrecklichen im 18. Jahrhundert. Hamburg. Zelle, Carsten (1990): Das Erhabene in der deutschen Frühaufklärung. Zum Einfluß der englischen Physikotheologie auf Barthold Heinrich Brockes’ „Irdisches Vergnügen in Gott“. In: Arcadia. Zeitschrift für Vergleichende Literaturwissenschaft 25, 225-240. C.III. Ausblick: Deutsche Literatur um 1750 Wann hört die Neuzeit auf, ,früh‘ zu sein? Die Frage scheint müßig, wenn man sich den Konstruktionscharakter jeder Epoche, insbesondere aber von Makroetiketten wie ,Frühe Neuzeit‘ vergegenwärtigt, die gleich mehrere Jahrhunderte bezeichnen sollen. Kategorien wie diese, so ein wohlfeiler Vorwurf, drohen die komplexe Mannigfaltigkeit von widersprüchlichen Positionen, von Konstellationen oder Schichtungen aus Alt und Neu zu verdecken. Zugleich gehört es aber zu den Aufgaben der Literaturgeschichtsschreibung, in der Vielzahl der Phänomene formale Ähnlichkeiten zu erkennen und für eine begrenzbare Phase bestimmte Tendenzen herauszupräparieren, auf die man sich rückblickend besonders oft bezogen hat, sei es in positiver oder negativer Absicht. Das bedeutet nicht, einen literarhistorischen Strang zu konstruieren, der linear oder gar teleologisch von einem Autor oder Text in ,die‘ Moderne führt, wohl aber, dass man zu erklären hat, warum bestimmte Gruppen in der deutschen Literatur manche ästhetische Optionen verworfen, andere wiederentdeckt und neue eröffnet haben - im Bewusstsein, dass andere Gruppen womöglich zur gleichen Zeit andere Präferenzen hegten und andere Praktiken pflegten. In der Mitte des 18. Jahrhunderts veränderte sich die deutsche Literatur rasant. Selten zuvor wurde so ostentativ mit Konventionen gebrochen, die das literarische Feld bis dato beherrschten, wenn auch nie unhinterfragt. Das zeigt bereits ein Blick auf den Buchmarkt. Die alte Statuskonkurrenz zwischen dem Deutschen und dem Lateinischen entschied sich Zunahme der Belletristik auf dem Buchmarkt erst in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Wie aus statistischen Auswertungen von Messkatalogen erhellt, waren noch im 17. Jahrhundert ca. sechzig Prozent der gedruckten Schriften lateinisch. Ihr Anteil war 1740 auf <?page no="331"?> 000330 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 330 | C.III. Ausblick: Deutsche Literatur um 1750 ein Drittel gesunken und lag gegen Ende des Jahrhunderts kaum noch bei vier Prozent. Auch thematisch verlagerten sich die Verhältnisse: Akademische Veröffentlichungen aus der Theologie, dem Rechtswesen und der Medizin verloren massiv an Gewicht - von rund sechzig Prozent im Jahr 1740 auf 26 Prozent im Jahr 1800 -, während die Belletristik ihren Anteil an den Gesamtpublikationen von knapp fünf Prozent auf zwanzig Prozent steigern konnte (Martino 1990, 3-5). In der Mitte des 18. Jahrhunderts erlebte die Institution der Leihbibliothek, die auf das wachsende Interesse an ,schöner‘ Literatur reagierte und es zugleich beförderte, ihre erste Blütezeit, nachdem der Verleih von Büchern um 1700 nur sehr vereinzelt angeboten worden ,Leserevolution‘: Alphabetisierungsschub, Teilhabe von Frauen und unteren Schichten war (ebd., 61-110). Die Bibliotheken wurden zu einem wichtigen Instrument der sogenannten ,Leserevolution‘. Mit diesem (durchaus umstrittenen) Begriff ist zum einen der zweite Alphabetisierungsschub nach der Reformation gemeint. Wenngleich historische Schriftbeherrschung notorisch schwierig zu bestimmen ist, lässt sich zumindest für die Signierfähigkeit - d. h. die Fähigkeit, amtliche Urkunden persönlich zu unterschreiben - im 18. Jahrhundert ein deutlicher Zuwachs verzeichnen, nicht nur in Frankreich und England, sondern auch in vielen deutschen Regionen, vor allem in den Städten, aber auch auf dem Land. In urbanen Gegenden des Reichs könnte die Alphabetisierung gegen Ende des 18. Jahrhunderts sogar höher gewesen sein als in französischen und englischen Städten (Melton 2001, 81-86). Mit ,Leserevolution‘ ist zum anderen die soziale Erweiterung der Leserschaft um solche Gesellschaftsschichten gemeint, die zuvor kaum Zugang zur Bildung hatten. Der wachsende Anteil von Frauen wurde von vielen Autoren attackiert, ja schon die Moralischen Wochenschriften hatten auf die Gefahren des weiblichen Lektüreverhaltens hingewiesen. Die ,Lesewut‘, vor allem von Frauen, wurde zum Klischee des 18. Jahrhunderts. Schließlich partizipierte die Aufklärung aber auch an einem breiten Wandel des Leseverhaltens selbst - hatte man sich früher auf die vertiefte und wiederholte Lektüre meist nur weniger Bücher konzentriert (etwa geistlicher Andachtsbücher oder einzelner Ratgeber), so kennzeichnet die moderne Leserschaft ein extensives Bedürfnis nach vielen Büchern, die allerdings meist nur einmal ,verschlungen‘ wurden, um bald schon dem nächsten zu weichen (Engelsing 1973). Mit der seriellen Lektüre ging der Erfolg des Prosaromans einher, der leichter konsumierbare, unterhaltsame, zugleich aber der Tugend förderliche Stoffe zu liefern versprach. Der Roman avancierte zum Leitgenre des 18. Jahrhunderts, ja nach Ansicht Hegels zur repräsen- Erfolg des Prosaromans tativen Gattung der bürgerlichen Moderne überhaupt. War die Zahl der Romanleser zuvor auf einen kleinen Kreis beschränkt gewesen, so erfuhr die Produktion durch den moralischen Erbauungsroman seit den 1740er Jahren einen stürmischen Anstieg (Spiegel 1967, 50f.). Samuel Richardsons Pamela, or Virtue Rewarded (1740) lieferte das Modell, an dem sich viele Nachfolger orientierten. Zwischen 1730 und 1740 erschienen lediglich rund hundert deutsche Originalromane; die Zahl sprang im folgenden Jahrzehnt bereits auf 187 und stieg zwischen 1770 und 1780 auf 574 (Weber/ Mithal 1983, 79). Die Daten divergieren in anderen Erhebungen leicht, aber insgesamt scheint unstrittig, dass sich der deutsche Romanbestand innerhalb von vier Jahrzehnten fast verfünffachte. Mit Christian Fürchtegott Gellerts moralischem Roman Das Leben der schwedischen Gräfin von <?page no="332"?> 000331 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 331 C.III. Ausblick: Deutsche Literatur um 1750 | G*** (1747/ 1748) und Christoph Martin Wielands frühem Bildungsroman Geschichte des Agathon (1766/ 1767) erschienen zudem zwei Klassiker der Gattung, die an die europäische, insbesondere englische Entwicklung anschlossen. Kennzeichen des modernen Romans, der sich in Deutschland spätestens mit Goethes Briefroman Die Leiden des jungen Werthers (1774) etablierte, ist nicht mehr die schnelle Ereignisfolge von Abenteuern und Liebschaften, sondern das Seelenleben der Protagonisten, deren psychologisch komplexe Individualpersönlichkeiten an die Stelle der affektgeleiteten oder affektkontrollierenden Bösewichter und Helden im Barockroman treten. Frei erfunden sind diese Figuren, nicht aus der Geschichte oder dem Mythos entnommen, und zugleich tragen sie keine sprechenden Namen, exemplifizieren folglich nicht allgemeinmenschliche Laster und Tugenden. Viel stärker als zuvor sind sie der Alltagswirklichkeit der zeitgenössischen Leserschaft angenähert und stehen weder sozial noch moralisch höher als diese. Im Roman des 18. Jahrhunderts tritt die Vermittlung enzyklopädischen Wissens gegenüber der philosophischen Anthropologie zurück: Der Mensch in seinen Erkenntnisbedingungen und seinem Handlungsvermögen steht im Zentrum des empfindsam-aufklärerischen Romans. Etwa im gleichen Zeitraum, in den drei Jahrzehnten zwischen 1740 und 1770, erfuhren auch Drama und Lyrik weitreichende Neudefinitionen. Gotthold Ephraim Lessing legte mit Miß Sara Sampson (1755) das erste bürgerliche Trauerspiel vor. Nicht das unerbittliche Lessings Ästhetik des Mitleids im bürgerlichen Trauerspiel Schicksal lenkt Vater und Tochter ihrem Untergang entgegen, sondern menschliches Verfehlen, und nicht mit heroischer Standhaftigkeit, sondern mit moralischem Gefühl sehen sie ihm entgegen. Lessing begründete sein neues Theaterkonzept in dem von ihm geleiteten Rezensionsorgan Briefe, die neueste Literatur betreffend (1759-1765) sowie später in seiner Hamburgischen Dramaturgie (1767-1769). Man habe die Poetik des Aristoteles stets missverstanden, so Lessings Prämisse, denn zum Zwecke der Affektreinigung habe das Trauerspiel vorrangig auf Mitleid abzuzielen. Um aber Mitleid zu erwecken, müsse der Zuschauer sich mit den Figuren identifizieren können, sie müssten ihm ähnlich sein, ,von gleichem Schrot und Korne‘. Die soziale Ständeklausel entfalle daher ebenso wie die Wirkabsicht der asymmetrischen Bewunderung, die der Zuschauer dem Märtyrer im französischen Trauerspiel entgegen zu bringen habe. Lessing revolutionierte mit seiner psychologisch begründeten Ästhetik des Mitleids nicht nur die Tragödie, sondern förderte auch die Komödienproduktion, indem er in den 1740er Jahren gleich sieben Lustspiele vorlegte. Die komische Literatur, die auf deutschen Bühnen nie recht heimisch wurde, erlebte mit dem empfindsamen Lustspiel um 1750 immerhin eine kurze „Blütezeit“ (Lukas 2005, 116). Forderte Lessing mit seiner Dramaturgie eher eine Annäherung an das bürgerliche Theaterpublikum, so tendierte die Lyrik eher zur elitären Distanzierung. Die im Barock vorherrschende Gelegenheitspoesie war bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts in eine Krise geraten. Mit Friedrich Klopstocks ersten Gesängen des Messias (1748) und seinen Oden (1750) erhielt zudem ein dunkel-rhapsodischer Sprachduktus Aufwind, der sich auf das antike Konzept des poeta vates , des inspirierten Dichtersehers zurückführen lässt und sich schärfer denn je abgrenzte von der gefälligen Versemacherei. Formale Komplexität, anspruchsvolle Bildlichkeit und der kunstreligiöse Anspruch auf Auserwähltheit charakterisieren Klopstocks Versepos, <?page no="333"?> 000332 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 332 | C.III. Ausblick: Deutsche Literatur um 1750 das sich vom Massengeschmack abzuheben sucht. „Ich behaupte, daß ein Gedicht von der höchsten Art, von dem gemeinen Manne, gar nicht müsse verstanden werden können, weil es über den Horizont desselben weit erhaben ist“ (Meier 1993, 25), rechtfertigte der Philosoph Georg Friedrich Meier in einer Untersuchung einiger Ursachen des verdorbenen Geschmacks der Deutschen (1743) solche Bestrebungen. Meier befeuerte mit einer wohlwollenden Rezension des Messias auch den Klopstock-Kult der Empfindsamkeit. Spätestens diese Bewegung verabschiedete Gottscheds rationalistische, auf die vernünftige Klarheit ausgerichtete Poetik, die 1751 in einer überarbeiteten letzten Fassung erschien. Dass Lyrik auch bei heutigen Studierenden oft als schwierig gilt, als dunkel und unzugänglich, verdankt sich mitunter dem Abgrenzungsgestus moderner Dichter von der barocken Kasualpoesie. Mit Klopstocks Neubelebung des nationalliterarischen poeta vates verband sich eine Akzentuierung der Autorpersönlichkeit überhaupt. Autorinszenierungen waren für die Vermittlung poetologischer Normen zwar auch im Humanismus und Barock wichtig, doch spielten die persönliche Lebensgeschichte und die realen Umstände der literarischen Produktion eine untergeordnete Rolle, und selten wurden biographische Authentizität und traditionsbewusste aemulatio antithetisch gegeneinandergehalten. Anders im 18. Jahrhundert: Gegen die Poetik der Raffinesse setzten nun viele Autoren das angeblich spontane Erlebnis und die genialische Naivität des Neuen. Beispielhaft zeigt dies Lessings patriotisches Vorwort zu Johann Wilhelm Ludwig Gleims Preußischen Kriegsliedern in den Feldzügen 1756 und 1757 von einem Grenadier (1758). Gleim nahm an dem Siebenjährigen Krieg (1756-1763) nicht selbst teil, war aber durch Briefe mit dem Kampfgeschehen vertraut und konzipierte seine Lieder als Rollenlyrik. Die Kriegslieder sind fingiert, den Grenadier, dem sie auf dem Titelblatt zugeschrieben werden, hat es wohl nie gegeben. Entscheidend aber ist das poetologische Programm, mit dem die Sammlung im Vorwort aufwartet. „Der Verfasser ist ein gemeiner Soldat“, schreibt der Herausgeber Lessing im Vorwort, „dem eben so viel Heldenmuth als poetisches Genie zu Theil geworden. Mehr aber unter den Waffen, als in der Schule erzogen, scheinet er sich eher eine eigene Gattung von Ode gemacht, als in dem Geiste irgend einer schon bekannten gedichtet zu haben. [ … Die] charakteristischen Schönheiten des Horaz, setzen den feinsten Hofmann voraus; und wie weit ist dieser von einem ungekünstelten Krieger unterschieden! “ (Lessing 1997, 90). Lessing konstruiert hier eine Opposition zwischen der affektierten Schönheit, die er dem Hof zuordnet und für die der im französischen Klassizismus beliebte Satiriker Horaz steht, und genialisch-unverbrauchter Erhabenheit, die den heroisch-deutschen Grenadier auszeichnet. Indem Lessing den Heldenmut seines Grenadiers mit „poetische[m] Genie“ assoziiert, führt er ein Schlüsselkonzept des 18. Jahrhunderts ins Feld. Zwar kannten auch die Poetiken der Renaissance und des Barock verschiedene Inspirationsvorstellungen und behandelten den ,Enthusiasmus‘ des Dichters öfter. Die Rhetorik hatte dem Ingenium allerdings enge Grenzen gesetzt. In der Mitte des 18. Jahrhunderts entstand mit dem Geniegedanken ein radikalerer Begriff inspirierten Dichtens. Er griff auf antike Tendenzen zurück, wendete sie Genie jenseits aller Regeln und Traditionen jedoch neu: Mit der Forderung nach ,Genie‘ richtete man sich gegen jede Tradition und Schicklichkeit, gegen poetische Regeln und Schulen. Ein Genie hatte sein Werk allein aus sich selbst heraus, aus der eigenen Natur zu <?page no="334"?> 000333 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 333 C.III. Ausblick: Deutsche Literatur um 1750 | schaffen und konnte damit leicht als gesellschaftsferner Außenseiter vorgestellt werden, wie dies im Sturm und Drang und in der Romantik geschah. In Deutschland verknüpfte sich die Genieästhetik mit einem rasch ausgreifenden Shakespeare-Kult. Die Verehrung begann mit Johann Elias Schlegels Vergleichung Shakespears und Andreas Gryphs (1741), setzte sich mit Lessings häufigen Ehrerbietungen an den Engländer fort und wurde durch Wielands Übersetzung mehrerer Dramen Shakespeares in den 1760er Jahren begünstigt. So galt Shakespeare, der im deutschen Barock nahezu unbekannt war, bald als prototypisches, weil unverbildetes und allein der eigenen Phantasie verpflichtetes Genie, das man dem Theater der französischen Klassik gegenüberstellen konnte, durchaus mit nationalpolemischer Spitze. Die Segmentverschiebungen auf dem Buchmarkt und die Änderung des Lektüreverhaltens, die Vervielfältigung und der qualitative Wandel der Romane, das Konzept des bürgerlichen Theaters und die kunstreligiöse Überhöhung lyrischen Sprechens, der Umbau von einer vornehmlich normativen auf eine individualzentrierte Poetik, schließlich die zunehmende Autonomisierung der Dichtkunst, die nicht mehr externen, d. h. christlich-erbaulichen oder politisch-repräsentativen Zwecken dienen, sondern als Kunstwerk sich selbst genügen sollte, das alles sind Symptome eines fundamentalen Wandels, der sich sukzessive in den Jahrzehnten um 1750 vollzieht. Unsere einleitende Charakteristik der frühneuzeitlichen Literatur erlaubte es, bei allen Verschiedenheiten doch Gemeinsamkeiten zwischen Humanismus, Barock und Frühaufklärung zu sehen, die für die Literatur des späten 18. Jahrhunderts nur bedingt noch gelten. Dazu zählen die konstitutive Zweisprachigkeit aus Latein und Deutsch; die stark bildhafte, schon im Schriftbild zur Zier neigende, aufwändig illustrierende Buchkultur; die regionale Gruppenbildung mit ihrem sozialfunktionalen, daher institutionsspezifischen Profil; der wiederholte Abtausch zwischen der kulturpatriotischen Diagnose, die deutsche Literatur sei rückständig und müsse im europäischen Vergleich ,aufholen‘, und der kulturpatriotischen Abschottung als zuverlässig erfolgendem Gegenschlag; die genealogische Stiftung von antiken und neuzeitlichen Autoritäten, in deren Namen man fremdsprachige Innovationen ,importieren‘ konnte; schließlich die Spannung zwischen der normsetzenden Poetik und der breiten Variationspraxis, dem Spiel mit Konvention und Abweichung. Quellen Lessing, Gotthold Ephraim (1997): Preußische Kriegslieder in den Feldzügen 1756 und 1757 von einem Grenadier [ … ]. In: Ders.: Werke und Briefe in zwölf Bänden. Bd. 4: Werke 1758-1759. Hg. von Gunter E. Grimm. Frankfurt a. M., 90-94. Meier, Georg Friedrich (1993 [1746]): Untersuchung einiger Ursachen des verdorbenen Geschmacks der Deutschen [ … ]. Hg. von Günter Schenk. Halle. Forschung Engelsing, Rolf (1973): Analphabetentum und Lektüre. Zur Sozialgeschichte des Lesens in Deutschland zwischen feudaler und industrieller Gesellschaft. Stuttgart. Lukas, Wolfgang (2005): Anthropologie und Theodizee. Studien zum Moraldiskurs im deutschsprachigen Drama der Aufklärung (ca. 1730-1770). Göttingen. Martino, Alberto (1990): Die deutsche Leihbibliothek. Geschichte einer literarischen Institution (1756-1914). Mit einem zusammen mit Georg Jäger erstellten Verzeichnis der erhaltenen Leihbibliothekskataloge. Wiesbaden. <?page no="335"?> 000334 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 334 | C.III. Ausblick: Deutsche Literatur um 1750 Melton, James van Horn (2001): The Rise of the Public in Enlightenment Europe. Cambridge. Spiegel, Marianne (1967): Der Roman und sein Publikum im frühen 18. Jahrhundert: 1700-1767. Bonn. Weber, Ernst, und Christine Mithal (1983): Deutsche Originalromane zwischen 1680 und 1780. Eine Bibliographie mit Besitznachweisen. Berlin. <?page no="336"?> 000335 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 D Ausgewählte Texte der Frühen Neuzeit <?page no="337"?> 000336 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 <?page no="338"?> 000337 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 Inhalt Bemerkungen zur Textredaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 001 Hedwig Heger [Laut Lesen! ] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 002 Francesco Petrarca (1304-1374) Brief an die Nachwelt [Posteritati] . . . . . . . . . . . . . 344 003 Francesco Petrarca Die Besteigung des Mont Ventoux [Epistolae familiares, IV, 1] An Francesco Dionigi von Borgo San Sepolcro in Paris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 004 Niklas von Wyle (um1415-1479) [Rede an Herzog Sigismund von Österreich von Enea Silvio Piccolomini] X. 〈 Zechende 〉 tranzlatze [De studiis et litteris] . . . . . . . . . . 349 005 Peter Luder (um 1410-nach 1474) [Peter Luders erster Anschlag am Schwarzen Brett zu Heidelberg] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 006 Peter Luder [Einladung zu seiner Antrittsrede in Leipzig] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 007 Peter Luder Elegia ad Panphilam („Niger sum“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 008 Peter Luder Elegia ad Panphilam („Barbara me tellus genuit“) . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 009 Rudolph Agricola (1444-1485) Rede zum Preise der Philosophie und der übrigen Wissenschaften [Oratio in laudem philosophiae et reliquarum artium] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 010 Conrad Celtis (1459-1508) De Puella Romae reperta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 011 Conrad Celtis Ad Apollinem repertorem poetices ut ab Italis ad Germanos veniat 358 012 Conrad Celtis Laudat germanum inventorem artis impressoriae . . . . . . . . . . . . . . . . 360 013 Francesco Petrarca, Peter Stahel († 1520), Georg Spalatin (1484-1545) Von Menge und vile der bücher Das XLIII. Kapitel [De remediis utriusque fortunae, I 43: De librorum copia] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 014 Sebastian Brant (um 1457-1521) De Francisci Petrarchae laude et praestantia . . . 361 015 Sebastian Brant Ad dominum Iohannem Bergmann de Olpe, de praestantia artis impressoriae a Germanis nuper inventae Elogium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 016 Sebastian Brant Doctor Sebastianus Brants traum Jn tütsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 017 Sebastian Brant Das Narrenschiff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 018 Thomas Murner (1475-1537) Narrenbschwerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 019 Jakob Wimpheling (1450-1528) Stylpho . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 020 Erasmus von Rotterdam (um 1466-1536) Das Lob der Torheit [Moriae encomium, id est, Stultitiae laus] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 021 Erasmus von Rotterdam Der Abt und die gelehrte Frau [Colloquia Familiaria, Abbatis et Eruditae] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 022 Ulrich von Hutten (1488-1523) Querelae in Lossios, I 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 023 Ulrich von Hutten [Querelae in Lossios, II, 10] Ad Poetas Germanos . . . . . . . . . . . . . 391 024 Ulrich von Hutten Ad Crotum Rubianum, de statu Romano . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 025 Ulrich von Hutten Vlrichi de Hvtten eqvitis ad Bilibaldvm Pirckheymer patricivm Norimbergensem epistola vitæ svæ rationem exponens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 <?page no="339"?> 000338 Auerx/ Probe / 21.06.19 10: 06 338 | Ausgewählte Texte 026 Ulrich von Hutten Clag vnd vormanung gegen dem übermässigen vnchristlichen gewalt des Bapsts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 027 Ulrich von Hutten Ain new Lied herr Vlrichs von Hutten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 028 Ulrich von Hutten Gespräch büchlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 029 Martin Luther (1483-1546) An die Ratherren aller Städte deutsches Lands . . . . . . 403 030 Philipp Melanchthon (1497-1560) Über die Neugestaltung des Universitätsstudiums [De corrigendis adolescentiae studiis] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 031 Martin Luther Ein Sendbrieff Doktor M. Luthers von Dolmetzschen vnd Fürbitt der Heiligen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406 032 Martin Luther „Mitten wyr ym leben sind … “ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 033 Martin Luther Ein kinder Lied auff die Weinacht Christi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 034 Martin Luther Der xlvj. Psalm / Deus noster refugium et virtus / etc. . . . . . . . . . . . . 411 035 Martin Luther Frevel. Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 036 Hans Sachs (1494-1576) Die Wittenbergisch Nachtigall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 037 Hans Sachs Ein epitaphinum oder klag-red ob der leych D. Martini Luthers . . . . . 414 038 Heinrich Bebel (1472-1518) De quodam in tempestate maris deprehenso . . . . . . . 416 039 Georg Wickram (um 1500-vor 1562) Von einem lantzknecht der nur drey wort begert mit seinem hauptmann zu˚ reden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 040 Hans Wilhelm Kirchhof (um 1525-um 1603) Ein mönch predigt . . . . . . . . . . . . . . . . 417 041 Martin Montanus (nach 1530-nach 1566) Ein weib und ein mann zanckend und schlagend einander . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418 042 Jakob Bidermann (1579-1638) Cenodoxus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 043 Anonymus Das Lalebuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 044 Anonymus Historia von D. Johann Fausten. Dem weitbeschreyten Zauberer und Schwarzkünstler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428 045 Georg Rollenhagen (1542-1609) Froschmeuseler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430 046 Anonymus Ein kurtzweilig lesen von Dyl Vlenspiegel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 047 Johann Fischart (1546/ 7-1589/ 90) Eulenspiegel Reimensweiß . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434 048 Johann Fischart Geschichtklitterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 049 Theobald Höck (1573-nach 1624) Von Art der Deutschen Poeterey . . . . . . . . . . . . . 436 050 Paul Melissus Schede (1539-1602) Poetis Italis, Gallis, Hispanis . . . . . . . . . . . . . . . . . 438 051 Ernst Schwabe von der Heyde (um 1598-1626) Zwey Sonnet Auff die Krönung Deß Durchleuchtigsten [ … ] Herrn Matthiæ deß II. zu Vngern vnd Bohemen König / Gekrönet zum Römischen König und Keyser. Den 14 / 24 [.] Junij / Anno M.DC.XII. in Franckfurt am Mayn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 052 Ernst Schwabe von der Heyde Sonnet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 053 Georg Rodolf Weckherlin (1584-1653) Sonnet. Die spiegelmacher an das Frawenzimmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 054 Georg Rodolf Weckherlin Für [der Spiegler] Balleth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442 055 Der Fruchtbringenden Gesellschafft Vorhaben / Nahmen / Gemählde Vnd Wörter . 443 056 Martin Opitz (1597-1639) Ad Germaniam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 <?page no="340"?> 000339 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 339 Inhalt | 057 Martin Opitz Buch von der Deutschen Poeterey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446 058 Martin Opitz Daß die Poeterey vnsterblich sey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450 059 Francesco Petrarca Canzoniere, Sonetto LXXXVIII [resp. 132] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 060 Martin Opitz Sonnet. Auß dem Italienischen Petrarchæ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452 061 Ernst Christoph Homburg (1605-1681) Epigramma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452 062 Paul Fleming (1609-1640) Auff eine Hochzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453 063 Sybilla Schwarz (1621-1638) Sonett . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453 064 Sybilla Schwarz „JSt Lieb ein Feur / und kan das Eisen schmiegen“ . . . . . . . . . . . . . 454 065 Friedrich von Logau (1604-1655) In Person eines Wittibers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 454 066 David Schirmer (1623-1686) Vber seine Träume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455 067 Martin Opitz Liedt / im thon: Ma belle je vous prie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456 068 Martin Opitz „Ich empfinde fast ein grawen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456 069 David Schirmer Marnia und ein Buch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457 070 Martin Opitz Echo oder Wiederschall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 071 Martin Opitz Das Fieberliedlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460 072 Martin Opitz Beschluß-Elegie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461 073 Julius Caesar Scaliger (1484-1558) [Greuel-Katalog] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461 074 Martin Opitz [Vorrede zu: ] Senecae Trojanerinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462 075 Martin Opitz Horatii: Exegi monumentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463 076 Torquato Tasso (1544-1595) La Gerusalemme Liberata, XVI, 13 . . . . . . . . . . . . . . . . . 464 077 Diederich von dem Werder (1584-1657) Gottfried von Bulljon, oder Das erlösete Jerusalem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464 078 Diederich von dem Werder Gottfried oder Erlösetes Jerusalem, XVI, 13 . . . . . . . . . 465 079 Diederich von dem Werder Krieg vnd Sieg Christi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465 080 Johannes Plavius (auch Plauen) (vor 1600-nach 1630) Courante oder drähe-tantz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 466 081 Johannes Plavius Lehr-sonnette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468 082 Sybilla Schwarz „Mein Alles ist dahin / mein Trost in Lust und Leiden“ . . . . . . . . . . 468 083 Paul Fleming An Sich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469 084 Paul Fleming Wie Er wolle geküsset seyn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469 085 Paul Fleming In Ihrem Abwesen; Auf deroselben Augen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470 086 Paul Fleming Er redet ihre Thränen an . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 471 087 Paul Fleming Des seligen Herrn D. Paul Flemingi Grabschrifft / . . . . . . . . . . . . . . . . . 472 088 Philipp von Zesen (1619-1689) Dactylisch Sonnet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472 089 Philipp von Zesen Ein Jambisch Echonisch Sonnet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473 090 Philipp von Zesen Alexandrinisch Sonnet Welchs ein männlicher Vers anfäht . . . . 474 091 Philipp von Zesen Wechsel-Gesang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474 092 Simon Dach (1605-1659) Anno 1647 des Nachts, da ich vor Engbrüstigheit nicht schlaffen können . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477 093 Simon Dach Alß ich Anno 1650 d. 25. Augstm. in der Nacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477 094 Johann Rist (1607-1667) Als er einsmalen bei gar schönem Wetter auf seinem Parnaß sitzend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479 <?page no="341"?> 000340 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 340 | Ausgewählte Texte 095 Angelus Silesius (Johannes Scheffler, 1624-1677) Auß dem Hohen Lied . . . . . . . . . 480 096 Angelus Silesius Gott ist in mir / und ich in Jhm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480 097 Angelus Silesius Ohne warumb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481 098 Paul Gerhardt (1607-1676) „Christuslied“: An das Angesicht („Salve caput cruentatum“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481 099 Paul Gerhardt „Nun ruhen alle Wälder“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483 100 Ernst Stadler (1883-1914) Der Spruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486 101 Catharina Regina von Greiffenberg (1633-1694) Vorgebildete Erblickung der Herrlichkeit Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486 102 Catharina Regina von Greiffenberg Gott-Lobende Frülings-Lust . . . . . . . . . . . . . . . . 487 103 Catharina Regina von Greiffenberg Auf die unverhinderliche Art der edlen Dicht- Kunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488 104 [Nachricht vom Paduaner Herz-Aufschneider] Wochentliche Donnerstags Zeitung und Ordinari Dienstags Zeitung (Hamburg) Nr. 28, Appendix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488 105 Johann Sebastian Mitternacht (1613-1679) Trauer-Spiel / Der Unglückselige Soldat und Vorwitzige Barbirer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489 106 Andreas Gryphius (1616-1664) Die Hölle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492 107 Andreas Gryphius Gedancken / Vber den Kirchhoff vnd Ruhestädte der Verstorbenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492 108 Andreas Gryphius Menschliches Elende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494 109 Andreas Gryphius VANITAS, VANITATUM, ET OMNIA VANITAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495 110 Andreas Gryphius Es ist alles eitell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495 111 Andreas Gryphius An sich Selbst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 112 Andreas Gryphius Trawrklage des verwüsteten Deutschlandes . . . . . . . . . . . . . . . . . 497 113 Andreas Gryphius Threnen des Vatterlandes / Anno 1636 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497 114 Andreas Gryphius Abend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 498 115 Christoph Kaldenbach (1613-1698) [Vorrede zu: ] Babylonischer Ofen . . . . . . . . . . . 499 116 Andreas Gryphius [Vorrede zu: ] Leo Armenius, oder Fürsten-Mord. Trauerspiel . . 503 117 Andreas Gryphius Cardenio und Celinde oder Unglücklich Verliebete. Trauer-Spiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505 118 Sigmund von Birken (1626-1681) Teutscher Kriegs Ab- und Friedens Einzug . . . . . 509 119 Georg Philipp Harsdörffer (1607-1658), Johann Klaj (1616-1656) Pegnesisches Schäfergedicht / in den Berinorgischen Gefilden / angestimmet von Strefon und Clajus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512 120 Johann Klaj Castell des Vnfriedens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 518 121 Hans Assmann Freiherr von Abschatz (1646-1699) Die schönen grauen Haare . . . 520 122 Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen (1621-1676) [Epigramm auf dem Titelkupfer des Simplicissimus] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 520 123 Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen Simplicissimus Teutsch . . . . . . . . . . . . . 521 124 Philip Sidney (1554-1586) [Übers. Martin Opitz] Arcadia der Gräffin von Pembrock . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 522 <?page no="342"?> 000341 Auerx/ Probe / 21.06.19 11: 07 341 Inhalt | 125 Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen Continuatio des abentheuerlichen Simplicissimi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523 126 Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau (1616-1679) [Grabschrift] Opitii / der edlen teutschen Poesin Erfinders . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524 127 Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau [Grabschrift] Eines Alchimisten . . . . . 524 128 Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau „Albanie / gebrauche deiner Zeit“ . . 525 129 Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau Florida . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 526 130 Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau „So soll der purpur deiner lippen“ . . 527 131 Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau Sonnet. Er schauet der Lesbie durch ein loch zu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 528 132 Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau Rede der schreibe-feder . . . . . . . . . . . 528 133 Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau Sonnet. Vergänglichkeit der Schönheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529 134 Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau An die Phillis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 530 135 Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau Die Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 530 136 Daniel Casper von Lohenstein (1635-1683) Agrippina. Trauerspiel . . . . . . . . . . . . . . 531 137 Daniel Casper von Lohenstein Sophonisbe / Trauerspiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 536 138 Daniel Caspar von Lohenstein Großmütiger Feldherr Arminius oder Herrmann . . 540 139 Daniel Casper von Lohenstein Ο ΒΙΟΣ ΕΣΤΙ ΚΟΛΟΚΥΝΘΗ („Dis Leben ist ein Kürbs“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541 140 Daniel Casper von Lohenstein Umbschrifft eines Sarches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 542 141 Daniel Casper von Lohenstein Venus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543 142 Johann Beer (1655-1700) Der Teutschen Winter-Nächte / Erstes Buch . . . . . . . . . . . 544 143 Johann Beer Jucundus Jucundissimus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 546 144 August Adolph von Haugwitz (1647-1706) Schuldige Unschuld oder Maria Stuarda. Trauer-Spiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547 145 Johann Christian Hallmann (1640- um 1716) Mariamne. Trauerspiel . . . . . . . . . . . . 549 146 Christian Weise (1642-1708) Trauer-Spiel von dem Neapolitanischen Haupt- Rebellen Masaniello . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 553 147 Christian Weise Bäurischer Machiavellus in einem Lust-Spiele vorgestellet . . . . . . . 556 148 Christian Heinrich Postel (1658-1705) Scherenschleifer-Arie aus dem Singspiel Ariadne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 558 149 Benjamin Neukirch (1665-1729) An Sylvien auf ihren namens-tag . . . . . . . . . . . . . . 559 150 Johann von Besser (1654-1729) „NIcht schäme dich / du saubere Melinde“ . . . . . . 560 151 Anonymus Verkehrtes sonnet der schreibe-feder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 561 152 Christian Gryphius (1649-1706) Ungereimtes Sonett . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 562 153 August Adolf von Haugwitz An seine Bücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 562 154 Friedrich Rudolph Ludwig Freiherr von Canitz (1654-1699) Von der Poesie . . . . . . 563 155 Friedrich Rudolph Ludwig Freiherr von Canitz Klag-Ode über den Tod seiner ersten Gemahlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 566 156 Johann Christian Günther (1695-1723) Abschieds-Aria . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 568 <?page no="343"?> 000342 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 342 | Ausgewählte Texte 157 Johann Christian Günther Nach der Beichte an seinen Vater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 570 158 Johann Christian Günther An Herrn M(arckard) von R(iedenhausen) Anno 1720 . 573 159 Barthold Heinrich Brockes (1680-1747) Die Erd-Beere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 575 160 Der Patriot Mittwochens, den 5ten Jenner, 1724 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 577 161 Christiana Mariana von Ziegler (1695-1760) Das männliche Geschlechte, im Namen einiger Frauenzimmer besungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 580 162 Johann Christoph Gottsched (1700-1766) Die Schauspiele und besonders die Tragödien sind aus einer wohlbestellten Republik nicht zu verbannen . . . . . . . . . . . 581 163 Johann Christoph Gottsched Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen 582 164 Johann Christoph Gottsched [Vorrede zu: ] Sterbender Cato . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 582 165 Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) Briefe, die neueste Litteratur betreffend. Siebzehnter Brief . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583 166 Albrecht von Haller (1708-1777) Die Alpen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 584 167 Johann Gottfried Schnabel (1692-1744/ 1748) Insel Felsenburg. Wunderliche Fata einiger Seefahrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 585 Nachweise zur Anthologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589 <?page no="344"?> 000343 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 343 Ausgewählte Texte | Bemerkungen zur Textredaktion Der Anhang ist grob chronologisch gegliedert und folgt der Anlage des Darstellungsteils. Hinter den laufenden Nummern angebrachte Verweise auf die entsprechenden Kapitel (z. B. A.III.3.1.) zeigen an, wo der Text jeweils besprochen wird. Wiedergegeben werden die Texte des Anhangs nach Kritischen Editionen. Falls solche fehlen, wird nach den Originaldrucken zitiert. Offensichtliche Druckfehler sind stillschweigend korrigiert. Manche Besonderheiten des Fraktursatzes wie die ,u/ v‘-Distribution oder die ,w‘-Verwendung (z. B. „Bawren“) werden beibehalten; ebenso verfahren wir mit ,i‘/ ,j‘. Die ,tz‘-Ligatur des Fraktursatzes wird ebenso aufgelöst wie die Antiqua-Ligaturen ,œ‘, ,æ‘ etc., während ,ß‘ wiedergegeben wird. Bei Umlauten wird das e-Superskript in die moderne Umlauttype des Vokalbuchstabens mit Trema (z. B. ,ö‘) überführt. Virgeln (/ ) sind jeweils durch ein Spatium vorher und nachher vereinheitlicht, der Doppel-Divis des Fraktursatzes wird als einfacher Bindestrich wiedergegeben. Titel und Überschriften sind ggf. gekürzt, Auszüge entsprechend angegeben, die Punkte hinter den Titeln getilgt. Die Kommentare beschränken sich auf Wort- und Sacherklärungen. <?page no="345"?> 000344 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 344 | 001 - Hedwig Heger: [Laut Lesen! ] 001 Hedwig Heger [Laut Lesen! ] Die Beibehaltung der originalen Orthographie einschließlich der diakritischen Zeichen kann diese Texte der Übergangszeit zum Neuhochdeutschen auch für die Linguistik, speziell für die Lautgeschichte brauchbar machen, ruft bei Nichtphilologen allerdings eine Art ,Verfremdungseffekt‘ hervor. Wenn das moderne Auge die Vielheit und Häufung der Buchstaben in den völlig regellosen orthographischen Varianten nicht gleich zu durchdringen vermag, ge- 5 nügt zur Unterstützung meistens die Aufnahme über das Ohr. Durch den Lautklang fällt das optisch verwirrende Buchstabenbild ab und das Wort wird verständlich. Die damalige Literatur war trotz der Tendenz zur stillen Lektüre immer noch zu einem nicht unbeträchtlichen Maß zum Vorlesen und Anhören bestimmt. In: Heger (Hg.) (1978), XXIIf. 002 A. I.1.1. Francesco Petrarca (1304-1374) Aus: Brief an die Nachwelt [Posteritati] (um 1370) Vielleicht hörst du einmal etwas über mich - obwohl ein so kleiner und dunkler Name durch die vielen Jahre und Länder kaum zu dir gelangen mag -, und dann wünschest du vielleicht zu wissen, was für ein Mensch ich war und wie es meinen Werken ergangen, besonders jenen, von denen ein Gerücht zu dir drang oder deren armen Namen du gehört hast. Die Menschen werden über mich verschieden urteilen; denn jeder spricht ja in der Regel so, wie es ihm die 5 Lust, nicht die Wahrheit eingibt, und man hält weder im Lob noch im Tadel Maß. [ … ] An glühender Liebe, aber nur einer einzigen und ehrbaren, litt ich in meiner Jugend und ich hätte noch länger daran gelitten, wenn nicht ein bitterer, aber nützlicher Tod das schon erkaltende Feuer ausgelöscht hätte. Ich wünschte sagen zu können, daß ich mich von Aus- 10 schweifungen rein gehalten habe; ich kann es nicht, ohne zu lügen. Aber das darf ich offen sagen, daß ich jenes niedrige Laster, wenn mich auch Jugendglut und Fleischesschwäche dazu verführten, tief im Innern stets verabscheut habe. Und bald darauf, seit meinem 40. Lebensjahre, da ich noch genug Leidenschaft und Kraft besaß, habe ich nicht nur jede unzüchtige Tat, sondern auch jeden Gedanken davon so fern von mir gehalten, als hätte ich nie ein Weib 15 angeschaut. Und ich halte dies für mein höchstes Glück, Gott dankend, daß er mich noch immer, trotz Gesundheit und Kraft, vor einer so niedrigen und mir immer verhaßten Sklaverei bewahrt hat. <?page no="346"?> 000345 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 345 003 - Francesco Petrarca: Die Besteigung des Mont Ventoux | [ … ] Meine geistigen Fähigkeiten führten mich eher zu ruhiger Betrachtung als zu scharfer Pole- 20 mik. Zu jedem guten und wertvollen Studium geeignet, neigte ich besonders zur Moralphilosophie und Poesie. Die letztere vernachlässigte ich im Laufe der Zeit und erfreute mich an heiliger Wissenschaft, in der ich eine verborgene Süßigkeit verspürte, die ich früher verachtet hatte. Die schöne Literatur dient mir nur noch zum schönen Zeitvertreib. In ganz einziger Weise trieb ich das Studium des Altertums, weil mir meine eigene Zeit immer so sehr mißfiel, 25 daß - wäre nicht die Liebe zu den mir Teuren gewesen - ich wünschte, in jedem andern Zeitalter geboren zu sein; und um die Gegenwart zu vergessen, suchte ich, im Geiste mich in andere Zeiten zu versetzen. Deshalb liebte ich die Lektüre von Geschichtsschreibern, wenngleich mich bei ihnen der Mangel an Übereinstimmung störte. In zweifelhaften Fällen folgte ich dem, auf dessen Seite mich die größere Wahrscheinlichkeit der Darstellung oder die 30 größere persönliche Autorität zog. Meine Redeweise war, wie Einige sagen, klar und wuchtig, wie es mir selbst den Eindruck machte, kraftlos und verschwommen. Ich strebte auch in der Unterhaltung mit Freunden und Bekannten nie nach Beredsamkeit und wundere mich, daß Kaiser Augustus solche Sorgen kannte. Wenn es aber das Thema, der Ort oder das Publikum zu verlangen schien, 35 strengte ich mich etwas an; mit welchem Erfolg, weiß ich nicht; das mögen die beurteilen, vor denen ich gesprochen habe. Es liegt mir nichts daran, gut gesprochen zu haben - hätte ich nur gut gelebt! Es ist ein windiges Streben, allein durch den Glanz der Rede sich einen Namen verschaffen zu wollen. 8 An glühender Liebe [ … ] Jugend] Laura, Petrarcas Jugendliebe und dichterische Inspirationsquelle 21 Moralphilosophie] Petrarcas lat. Schriften 23 heiliger Wissenschaft] christliche Moralphilosophie 24 schöne Literatur] weltliche Dichtung 30 größere Wahrscheinlichkeit [ … ] persönliche Autorität] Prinzipien humanistischer Quellenkritik und Geschichtsschreibung 34 Kaiser Augustus] röm. Kaiser (63 v. Chr.-14 n. Chr.) In: Petrarca (1910), 2-11, hier: 2-5. 003 A. I.1.1. Francesco Petrarca Aus: Die Besteigung des Mont Ventoux [Epistolae familiares, IV, 1] (26. April 1336) An Francesco Dionigi von Borgo San Sepolcro in Paris Den höchsten Berg dieser Gegend, den man nicht zu Unrecht Ventosus, „den Windigen“, nennt, habe ich am heutigen Tag bestiegen, allein vom Drang beseelt, diesen außergewöhnlich hohen Ort zu sehen. Viele Jahre lang hatte mir diese Besteigung im Sinn gelegen; seit meiner Kindheit habe ich mich nämlich, wie Du weißt, in der hiesigen Gegend aufgehalten, wie eben das Schicksal mit dem Leben der Menschen sein wechselvolles Spiel treibt. Dieser 5 Berg aber, der von allen Seiten weithin sichtbar ist, steht mir fast immer vor Augen. <?page no="347"?> 000346 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 346 | 003 - Francesco Petrarca: Die Besteigung des Mont Ventoux Es ergriff mich nun das ungestüme Verlangen, endlich einmal auszuführen, was ich täglich hatte ausführen wollen, besonders nachdem mir am Vortag, als ich die römische Geschichte bei Livius nachlas, zufällig jene Stelle begegnet war, wo Philipp, der König von Makedonien - derselbe, der mit dem römischen Volk Krieg geführt hat - den Haemus, einen Berg in Thes- 10 salien, bestieg. [ … ] Mir schien für einen jungen Mann, der nichts zu tun hat mit der Leitung des Staates, entschuldbar zu sein, was man bei einem greisen König nicht rügt. Als ich aber nach einem Begleiter Ausschau hielt, da schien mir, so eigenartig es klingt, kaum einer der Freunde in 15 jeder Beziehung geeignet: so selten ist, selbst unter lieben Freunden, jener vollkommene Einklang aller Wünsche und Charakterzüge. [ … ] Was glaubst du wohl? Schließlich wende ich mich um Unterstützung an den mir Nächststehenden und eröffne meinem einzigen Bruder, der jünger ist und den Du recht gut kennst, 20 mein Vorhaben. Keine frohere Botschaft hätte er hören können, und er dankte mir freudig, daß er bei mir gleichzeitig die Stelle eines Freundes und eines Bruders einnähme. Am festgesetzten Tag brachen wir von zu Hause auf und kamen gegen Abend nach Malauce`ne; dieser Ort liegt am Fuße des Berges, gegen Norden. Dort verweilten wir einen Tag und bestiegen heute endlich, jeder mit einem Diener, den Berg, nicht ohne große Schwierigkeit: er 25 ist nämlich eine schroffe und beinahe unzugängliche Felsmasse; doch trefflich hat der Dichter gesagt. Rastlose Müh besiegt alles . Ein langer Tag, liebkosende Luft, Spannkraft der Seelen, Stärke und Behendigkeit der Körper und was dergleichen mehr ist, standen uns Wanderern hilfreich zur Seite; einzig die 30 Beschaffenheit des Ortes bot uns Widerstand. Einen uralten Hirten trafen wir an den Hängen des Berges, der uns wortreich von der Besteigung abzuhalten suchte, indem er sagte, er habe vor fünfzig Jahren mit demselben Ungestüm jugendlichen Feuers den höchsten Gipfel erstiegen, habe aber nichts von dort zurückgebracht außer Reue und Mühsal und einen von Felszacken und Dornsträuchern zerfetzten Leib und Mantel, und weder jemals vor jener Zeit 35 noch nachher habe man bei ihnen davon gehört, daß irgendwer Ähnliches gewagt habe. Während jener dies uns zurief, wuchs uns, ungläubig wie eben jugendliche Herzen Warnern gegenüber sind, am Verbot das Verlangen. Daher schritt der Greis, als er die Erfolglosigkeit seiner Bemühungen bemerkte, ein wenig vorwärts zwischen den Felsen und wies uns mit dem Finger einen steilen Bergpfad, indem er viele Ermahnungen aussprach und vieles in unserem 40 Rücken wiederholte, als wir schon weggegangen waren. Wir lassen bei ihm alles zurück, was irgend an Kleidern oder sonst einem Gegenstand hinderlich sein könnte, machen uns einzig für den Aufstieg fertig und steigen beschwingt in die Höhe. Aber wie es fast immer der Fall ist, folgt dem kolossalen Anlauf schnell die Ermattung auf dem Fuß. 45 [ … ] Nicht ohne das Gelächter meines Bruders passierte mir dies mindestens dreimal innerhalb weniger Stunden. So ließ ich mich denn, oft genarrt, in einem Tale nieder. Dort schwang ich <?page no="348"?> 000347 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 347 003 - Francesco Petrarca: Die Besteigung des Mont Ventoux | mich auf den Flügeln des Geistes vom Körperlichen zum Unkörperlichen hinüber und ging mit mir selbst mit ungefähr folgenden Worten ins Gericht: »Was du heute so oft bei der 50 Besteigung dieses Berges erfahren hast, wisse, daß dies dir und vielen widerfährt, die das selige Leben zu gewinnen suchen. Aber es wird deswegen nicht leicht von den Menschen richtig gewogen, weil die Bewegungen des Körpers offensichtlich sind, die Seele jedoch unsichtbar und verborgen. In der Tat liegt das Leben, das man das selige nennt, auf hohem Gipfel, und ein schmaler Pfad, so heißt es, führt zu ihm hin. Auch viele Hügel ragen dazwischen auf, und von 55 Tugend zu Tugend muß man mit erhabenen Schritten wandeln; auf dem Gipfel ist das Ende aller Dinge und des Weges Ziel, auf das hin unsere Pilgerreise ausgerichtet ist. Dorthin gelangen wollen alle, doch, wie Ovid sagt: Wollen, das ist zu wenig, Begehren erst führt dich zum Ziele. [ … ] Dieses Nachdenken hat mir in unglaublicher Weise Seele und Leib für den Rest des 60 Weges aufgerichtet. [ … ] Der Berg ist von allen der höchste; die Waldbewohner nennen ihn „Söhnlein“, warum, weiß ich nicht - es sei denn nach dem Prinzip des Gegensinns, wie meiner Vermutung nach noch manches andere bezeichnet wird -, denn in Wahrheit scheint er der Vater aller benachbarten Anhöhen zu sein. Auf seinem Gipfel ist ein kleines Plateau. [ … ] 65 Zuerst stand ich, durch den ungewohnten Hauch der Luft und die ganz freie Rundsicht bewegt, einem Betäubten gleich da. Ich schaue zurück nach unten: Wolken lagen zu meinen Füßen, und schon wurden mir der Athos und der Olymp weniger sagenhaft, wenn ich schon das, was ich über sie gehört und gelesen, auf einem Berg von geringerem Ruf zu sehen bekomme. Ich wende dann meine Blicke in Richtung Italien, wohin mein Herz sich stärker 70 hingezogen fühlt. Die Alpen selber, eisstarrend und schneebedeckt - über die einst jener wilde Feind des römischen Volkes stieg, der, wenn wir der Überlieferung glauben dürfen, mit Essig sich durch die Felsen einen Weg brach - sie zeigten sich mir ganz nah, obwohl sie weit entfernt sind. [ … ] 75 Die Rhone lag geradezu unter meinen Augen. Während ich dies eins ums andre bestaunte und bald an Irdischem Geschmack fand, bald nach dem Beispiel des Körpers die Seele zu Höherem erhob, kam ich auf den Gedanken, in das Buch der Bekenntnisse des Augustinus hineinzuschauen, eine Gabe, die ich Deiner Wertschätzung verdanke. Ich bewahre es auf zur Erinnerung an den Verfasser wie an den Geber und habe es stets zur Hand: ein faustgroßes 80 Werklein, von winzigstem Format, aber voll unendlicher Süße. Ich öffne es, um zu lesen, was mir gerade vor die Augen trefen würde. Was denn könnte mir wohl vor die Augen außer Frommem und Gottergebenem? Zufällig aber bot sich mir das zehnte Buch dieses Werkes dar. Mein Bruder stand voller Erwartung, durch meinen Mund etwas von Augustinus zu hören, mit gespitzten Ohren da. Gott rufe ich zum Zeugen an und ihn eben, der dabei war, daß an der 85 Stelle, auf die ich zuerst die Augen heftete, geschrieben stand: Und es gehen die Menschen hin, zu bewundern die Höhen der Berge und die gewaltigen Fluten des Meeres und das Fließen der breitesten Ströme und des Ozeans Umlauf und die Kreisbahnen der Gestirne - und verlassen dabei sich selbst. <?page no="349"?> 000348 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 348 | 003 - Francesco Petrarca: Die Besteigung des Mont Ventoux Ich war wie betäubt, ich gestehe es, und ich bat den Bruder, der darauf brannte, weiter zu 90 hören, er solle nicht in mich dringen, schloß das Buch, zornig auf mich selber, daß ich jetzt noch Irdisches bewunderte, ich, der ich schon längst selbst von den Philosophen der Heiden hätte lernen müssen, daß nichts bewundernswert ist außer der Seele: Im Vergleich zu ihrer Größe ist nichts groß. Dann aber wandte ich, zufrieden, vom Berg genug gesehen zu haben, die inneren Augen auf 95 mich selbst, und von jener Stunde an konnte keiner mich reden hören, bis wir ganz unten angelangt waren; jenes Wort hatte mir genügend stumme Beschäftigung gebracht. Ich konnte nicht glauben, daß dies zufällig sich so gefügt hätte, nein, alles, was ich dort gelesen hatte, so glaubte ich, sei für mich und für keinen andern gesagt. Ich rief mir dabei ins Gedächtnis zurück, daß dasselbe einst Augustinus betreffs seiner selbst vermutet hätte, als ihm beim 100 Lesen eines Apostelbriefes, wie er selbst berichtet zuerst folgende Stelle vor die Augen trat: Nicht in Gelagen und Saufereien, nicht in Beischlaf und Unzucht, nicht in Streit und Eifersucht [wollen wir wandeln]; vielmehr zieht den Herrn Jesus Christus an, und kümmert euch nicht zu sehr um euren Körper, damit ihre nicht von seinen Lüsten geknechtet werdet. [ … ] 105 Unter solchen Bewegungen meines aufgewühlten Herzens kehrte ich in tiefer Nacht, ohne den mit spitzen Steinen besäten Weg wahrzunehmen, zu jener kleinen bäuerlichen Herberge zurück, von wo ich vor dem ersten Sonnenstrahl aufgebrochen war, und der Mond erwies uns Wanderern die ganze Nacht hindurch seinen willkommenen Dienst. Während das Bereiten des Mahls die Diener in Beschlag nahm, ging ich unterdessen allein in einen abgelegenen Teil 110 des Hauses, um Dir dies in hastiger Eile und aus dem Stegreif zu schreiben, damit nicht, wenn ich es aufschöbe, durch den Ortswechsel sich die innere Stimmung vielleicht entsprechend ändere und der Vorsatz zum Schreiben verglühe. 8f. römische Geschichte bei Livius] Titus Livius (wohl 59 v. Chr.-17 n. Chr.), röm. Geschichtsschreiber der Augusteischen Zeit 9 Philipp, der König von Makedonien] Philipp V., König von Makedonien 221-179 v. Chr. 10 mit dem [ … ] Krieg geführt hat] Erster (215-205 v. Chr.) und Zweiter (200-196 v. Chr.) Römisch-Makedonischer Krieg 10 Haemus] antike Bezeichnung für das Balkangebirge 10 Thessalien] Region im Norden Griechenlands 28 Rastlose Müh besiegt alles] Vergil: Georgica 1,145f. „Labor omnia vincit improbus“ 58 Ovid] Publius Ovidius Naso (43 v. Chr. - wohl 17 n. Chr.), röm. Dichter der Augusteischen Zeit 59 Wollen [ … ] zum Ziele] Ovid: Epistulae ex Ponto 3,1,35: „Velle parum est: cupias ut re potiaris oportet“ 68 Athos] ,heiliger Berg‘ auf der Chalkidiki-Halbinsel, heute Mönchsrepublik Olymp] Berg in Griechenland, Sitz der Götter in der griech. Mythologie 71f. wilde Feind des römischen Volkes] Hannibal (um 247-183 v. Chr.), karthagischer Feldherr während des Zweiten Punischen Krieges (218-201 v. Chr.) 72f. Mit Essig [ … ] einen Weg brach] vgl. Livius: Ab urbe condita 21,37,2 78 Buch der Bekenntnisse] Confessiones (,Bekenntnisse‘), Autobiographie des Augustinus Augustinus] Augustinus von Hippo (354-430), christlicher Kirchenvater 86 Und es gehen [ … ] sich selbst] Augustinus: Confessiones 10,8,15 92 Philosophen der Heiden] antike, vornehmlich griech. Philosophie 102-104 Nicht in Gelagen [ … ] geknechtet werdet] Röm. 13,13f. In: Petrarca (1995), 5-29. <?page no="350"?> 000349 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 349 004 - Niklas von Wyle: [Rede an Herzog Sigismund von Österreich] | 004 A. I.3. Niklas von Wyle (um 1415-1479) [Rede an Herzog Sigismund von Österreich von Enea Silvio Piccolomini] X. 〈 Zechende 〉 tranzlatze [De studiis et litteris] (1478) 〈 Inhaltsangabe im Inhaltsverzeichnis: 〉 Item in der zechenden translatze an den durlüchtigen hertzog sigmunden von österrych gestellet etc. wirt funden ain ra˘te zu lernung der geschriften vnd was nutzes vnd frucht hiervon entsteen mugen vnd besunder fürsten vnd herren so land vnd lütte regieren söllen vnd des gelychen [2b] den landen selbs vnd Iren vndertaˇnen. [133 b ] 〈 Widmung: 〉 Dem durlüchtigen fürsten vnd herren herrn Karlin Marggrauen zu˚ 5 Baden etc. Vnd zu˚ spanheim Minem gnedigosten herren Enbüt Ich nicla˘s von wyle der zyt Stattschriber zu˚ Esselingen min vndertenig willig dienste all zyt zeuor. Ich hab nechst gnedigoster herre ain latinische epistel gelesen von babst Pio (wylant do der kaiserlicher Secretari was) gemachet vnd dem durlüchtigen fürsten hertzog Sigmunden von österrych etc. zu˚ gesandt @ ˙ na˘ch dem mir aber dise epistel gefiel @ ˙ vnd Ich die main Jungen fürsten fruchbar sin @ ˙ 10 dero üwer fürstlich gna˘d yetz dryg ha˘t @ ˙ die nu zema˘l in. Irer Junglikait ze enpfelhen sint ainem leer maister daz der die gu˚ ter künsten züchten vnd tugenden vnderwyse. darzu˚ ich dann vsz schuldiger danckbarkait, der manigfaltigen gu˚ thait, mir von üwern gna˘den bewysen @ ˙ ouch gern fürdern ra˘ten vnd helffen wölt @ ˙ so hab ich die selben obgemelten epistel transferyeret vnd in disz na˘chfolgend tütsche gebra˘cht @ ˙ die ich bede zu˚ tütsch vnd zu˚ latine. 15 üwern gna˘den hier by zwifaltig schick, vndertenig bittende. daz üwern gna˘d dar ob sin wöll @ ˙ daz denselben üwern gna˘den sünen minen gnedigen herren sölich schriften zu˚ gebürlichen zyten für gehalten werden vnd so sy durch das tütsche dise latinische epistel verstanden haben @ ˙ Sy ouch als dann den leren vnd vnderwysungen dar Inne begryffen na˘chkoment vnd da mite zu˚ gelerten fürsten gera˘tent @ ˙ ander fürsten vnser landen an kunste vbertreffende @ ˙ 20 Vnd üwern fürstlich gna˘de hierInne sich selbs bedenck vnd erwege @ ˙ wie grosz vnd vile Ir yetz darumb geben wölten @ ˙ daz ir der latine so vil gelert weren @ ˙ daz ir die poeten vnd oratores wo Ir [134] die lesent versteen möchten vnd selbs vsz kunste gu˚ t gerecht vnd wolgeziert latin reden könden. Das aber in den gemelten minen Jungen herren nit wol beschechen mag a˘ne üwer gna˘den hilffe jrem pedagogen vnd leer maister zetu˚ n. gegen den selben üwern sünen mit 25 vätterlicher vnderwysung vnd gütiger stra˘ffe zu˚ leschung der gailigkait Irer Jugend @ ˙ die gewonlich hier Inne jrren tu˚ nt @ ˙ als das üwer durlüchtig hohe vernunft basz waisz vnd kan ermessen danne Ich dar von schriben mug @ ˙ der üwer gna˘den bin vnd sin vnd belyben wil getrüw bisz in min ende etc. 〈 Übersetzung: 〉 Dem durlüchtigen fürsten vsz kaiserlichem blu˚ te entsprossen herren Sig- 30 munden hertzogen zu˚ österrych zu˚ styr zu˚ kernten vnd zu˚ krain etc. grauen zu˚ tyrole @ ˙ sinem andern herren Enbüt Eneas Siluius poet vnd kaiserlicher secretari vil hails. Des ersten als jch an den kaiserlichen hofe komen bin @ ˙ ist mir grosz begird zu˚ gestanden dir etwas zeschriben. jch hab aber gefürcht die sitten diser nüwen wölte, dero nützit gefelt danne was sich ir allermaist tu˚ t gelychen. danne zu˚ der zyte ist ain sölich gewonhait @ ˙ daz gar na˘ch alle die so 35 yemant schriben tu˚ nt (ob sy wol in sölichem schriben nit mer dann ain ainige persone <?page no="351"?> 000350 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 350 | 004 - Niklas von Wyle: [Rede an Herzog Sigismund von Österreich] anreden wöllen) sich gebruchent jrtzens. Ir vnd nit du sprechende. Gelycher wyse, Als ob sy hie durch der selben persone me eeren tügen zu˚ fügen vnd bewysen. Welcher gewohnhait wyte in tütschen landen pflegen wirt ouch die in welschen landen etwa lang geweret hat. aber als darna˘ch Franciscus petrarcha die grobkait [134 b ] sölicher zyte verlies vnd anhu˚ b na˘chzefol- 40 gen dem loblichen wolgezierten schryben der alten. Vnd darby ouch vil andern also gefiel zeschriben vnd zereden wie das küscher alter vor zyten geredt vnd geschriben hat @ ˙ do kam her vs @ ˙ vsz kriechischen landen Johannes Crisoloras, der da zu˚ costentz Im consily starb vnd alda vergraben ligt ain man grosser kunst des alt fordern von ro˘ m bürtig @ ˙ Vor zyten dem grossen Constantino gen bisuntze (daz man yetz constantinoppel nennet) na˘chfolgtent. Der 45 selb Crisoloras vil der gelerten in Italia tett füren vnd bringen zu˚ rechter vnd wa˘rer kunst zierlichs gedichtes redens vnd schribens. Also daz vf hütigem tage der selben walchen in Italia hoflich vnd künstlich gedicht red vnd schriften gesechen werden sich gelychen den reden vnd schriften lobs wirdig @ ˙ so zu˚ zyten des kaisers Octauiani Augusti gewesen sint. Dann ob yemant liset leonardum aretinum, guarinum veronensem, poggium florentinum, aurispam 50 sicculum, anthonium Vincentinum vnd etlicher ander so yetz in Italia lebent @ ˙ So findet er in den selben wa˘rlich erschynnen den guldin flusse zierlicher gesprechnüsz Marci Tuly Ciceronis vnnd den milchin bachhe lobliches gedichtes Titi Liuy Patauini. Disz alle obgeschriben yetz tu˚ nt dutzen in Iren schriften, die, zu˚ denen sy dann schribent. Vnd sagent das bede die kriechen vnd latinischen also zu˚ obgerürter zyte geschriben haben. Als das die brief vnd 55 missiuen der hochgelerten maistern Socratis demostinis Ciceronis vnd Macenatis, den aller grösten vnd mechtigosten mannen zu˚ gesand tu˚ nt bezügen. vnd sprechent daz sy hierjnne nit allain den haiden na˘chfolgent sun-[135]der ouch denen, die wir als hailigen anru˚ ffent vnd eerent daz ist Jeronimo Augustino Ambrosio vnd Gregorio. [ … ] [136] [ … ] Ich hoff aber hiedurch beschechen sin, daz du mit mir diser dingen obstenden gehellest, oder aber mir zu˚ 60 kainem argen vermerckest, daz Ich den alten na˘chfolgende, dich in minen schriften dutzen tu˚ n vnd ob du das nit vsz obgemelten vrsachen tu˚ n werdest, So tüg doch din angeborn gütigkait dich des bewegen. [ … ] [137 b ] [ … ] Vnd darumb wyle die natur dise gauben dir verlichen ha˘t vnd dins vatters sorg vnd flysse, die in dir ha˘t gemeret @ ˙ So vil ich dich des sin gewarnet daz du behaltest sölich gu˚ te so in dir ist. Zu˚ welichem dinge ich main aller maist 65 notdürftig sin lernung der geschrift, dar Inne du gu˚ ten anfange geta˘n ha˘st Aber siddem ma˘le du gesechen wirst sölich lernung der geschrift yetz gelych als ain Joch vnd burde ab dir geworffen han So ist nit fremd @ ˙ ob Ich mich flysses gebruch dich widerumb hier zu˚ zebringen. Danne die fürsten nit darumb (als etlich mainen) Die geschrift lernent, daz sy der latine vnder richtet, mit fremden lüten reden vnd gemainsame mit Inen haben mögen @ ˙ Danne ob 70 wol das nutzbar vnd fruchtsam ist @ ˙ So ist doch des ain ander vnd edler vrsache. Dann wyle all leere vnd vnderwysung [138] rechtz lebens in kunst der geschrift vnd besunder latinischer wirt begriffen. Darumb gebürt sich die zekönnen vnd ist nit gnu˚ g allain gelernet han die regel vnd anfänge diser dingen man gange dann hier Inne wyter. Aber die fürsten vnser zyt tu˚ nt oft sölichs schetzen wysen vnd laiten zu˚ dem maistern der philophie vnd der rechten @ ˙ glycher- 75 wyse, als ob sich nit gebürr den fürsten recht zeleben. Darumb ich dich bitt @ ˙ du wöllest den selben nit vflosen danne niemand zu˚ ainem lobwirdigen man oder verrümpten fürsten gera˘ten noch werden mag Er habe dann mit den gauben der nature Im selbs ouch zu˚ gefüget leer <?page no="352"?> 000351 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 351 004 - Niklas von Wyle: [Rede an Herzog Sigismund von Österreich] | vnd kunste. Vnd für wa˘r, alle fürsten die vor alten zyten in gro˘ ssem lobe erschynen sint @ ˙ Sint gewesen der geschrift wol gelert. philippus Macedo (als sin sune Alexander der gro˘ sz geborn 80 was) fro˘ wt sich daz er zu˚ der zyt ainen sune hatt @ ˙ do aristoteles in leben was. Der selb Allexander tett sich ouch zu˚ den zyten söliches alters als du yetz bist, nit üssern noch entschlachen der kunst der geschriften @ ˙ Sunder als er asiam zoch @ ˙ fu˚ rt Er mit Im die maister Aristotilem vnd calistenem vnd lies nit ab vnder dem gerüsche der waˇffen vnd des harnüschs zehören vnd zelernen die kunst der philosophie, deshalb er überusz vast selig gewesen wer, wo 85 er allain das laster der trunckereye nit an jm gehept hett @ ˙ Alcibiades vnd temistocles @ ˙ die da by den kriechen durchlüchtig vnd verrümpt gewesen sint @ ˙ wa˘ren gelert vnd geübt in der kunst der philosophie. Epaminides ain tebanischer, der zu˚ kriechen für ainen fürpüntlichen fürsten gehalten was, tett nit minder [138 b ] flysses zu˚ lernung vnd studierung schriftlicher kunste danne zu˚ übung der wa˘ffen vnnd ritterlicher dingen … Ich kum nu vf die römer. Was 90 mag schöner bas vnd zierlicher geschriben werden @ ˙ danne die bücher commentaria die Julius der kaiser von jm selbs geschriben ha˘t? der selb do er in franckrych vnd tütschen landen stryttens, pflag, nachtz anschraib was er tags hatt begangen. Sin erb Augustus tett machen vnd setzen bede frye vnd vngemessne gedicht vnd ouch gedicht der gemessnen mensuren vnd findt man ouch noch sines gedichtes schon lobwirdig gemessen geschrift die Er zu˚ lobe des 95 bu˚ chs Eneidos virgily gemachet ha˘t. [ … ] [139] [ … ] Aber du mainst vnd wännest villicht dise ding mären sin so geschriben sint von den alten (die als man sagt, in mu˚ sse arbait vnd in arbait mu˚ sse flissenklich gesu˚ cht haben. Aber disen dinen wa˘ne mugent dir benemen etlich yetz lebend menschen. Welche ob sy wol an gewalte gemaines nutzes mit grosser vnmu˚ sz beladen sint @ ˙ noch dann die kunst der geschrift nit versumment. Leonellus yetz Marggrafe estensis 100 schribt so schone hoflich vnd zierlich gedicht, daz du nit ützit vnderschaides berüfen magst zwüschen siner vnd Ciceronis geschriften. [ … ] Ich gee wyter vsz welschen landen [139 b ] vnd verla˘ssz all ander vmbkraisz der welte, Vnnd kum gen Britania do ain hertzog ist Cleocestrie, der vil Ja˘r her geregieret ha˘t das küngrych das wir yetz nennent Engelland, dem selben ist so vil liebe zu˚ kunst der geschrift, daz er vsz ytalia zu˚ Im berüft ha˘t, etlich maister der poetrye vnd 105 oratorie künnend vnd wol gelert Sichst du nu? daz ouch dise vnser zyt zu˚ la˘sset duldet vnd ha˘t, gelert fürsten vnd herren vnd vnder denen du magst gezellet werden @ ˙ wo du in der lernung der geschrift wie du angefangen ha˘st, füro tu˚ st vol faren. Vnd Ich nenne dich darumb nit gelert daz du latin reden kanst @ ˙ Danne ob wol das hüpsch ist [ … ] Aber noch hüpscher wirdt daz sin, vnd denne wirt jch dich nennen [140] gelert, so du versteen wirst die oratores vnd die 110 maister der philosophie vnd du von dir selbs überla˘ffest vnd mercken magst die poeten. Disz bedunckt dich aber villicht zegrosz sin vnd zevil schwer. Es ist aber nit also ich wil dich nit tag vnd nacht bücher vmbziechen, sunder beger ich allain ains yeden tags ainer stu˚ nd, die du gebest der geschrifte. Aber das wil ich dir sin zu˚ sorge @ ˙ daz der gelert syg, den du hörest vnd wyse vnd erfaren den du vfnemest zu˚ dinem maister vnd vnderwyser.. [ … ] [140 b ] [ … ] Du 115 fra˘gst villicht was nutzes? Ich sag dirs mit wenig worten, Vmb daz du nit sölichen nutze der geschrift tügest verachten. Wenne du die manlichen ja˘re erraichet ha˘st @ ˙ So wirt dir die eere vnd der nutze hieruon entsteen @ ˙ daz so du in dem ra˘te redest @ ˙ die andern alle schwygent. wyle du ainiger me danne die andern alle kanst waist vnd versteest. Niemant mag dich [141] betriegen, niemant geta˘r sprechen das ist recht das ist vnrecht, das billich das vnbillich, Es syge 120 <?page no="353"?> 000352 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 352 | 004 - Niklas von Wyle: [Rede an Herzog Sigismund von Österreich] dann daz er aigenlich vnd wa˘rlich wissz sölichs also wa˘r sin. Ist daz aincher Im fürnimpt etwas vnerbers zera˘ten oder zefürdern @ ˙ So bist du berait da, sölichs mit gegründten vrsachen zewiderreden vnd zeuerwerffen. Wilt du anreden das folcke? Welcher ma˘ssz zereden syg @ ˙ tu˚ nt dich die geschriften vnderwysen. Wilt du aber yemant loben oder schelten, das tu˚ nt dich Quintilianus vnd tulius leren. Ist krieg vfzenemen? vnd sich der wa˘ffen oder der weere 125 zegebruchen? des tu˚ t dir vegecius (welcher ma˘ssz das beschechen söll) vnderrichtung. ouch des gelychen Titus Liuius vnd quintus Curcius vnd Justinus vnd Lucius Flaccus vnd swetonius vnd Salustius Crispus vnd die gantz schare der schribern der historien. DarInne du die stercke des grossen Alexanders vnd die listikait hanibals vnd die behendikait vnd vfsetze Faby vnd die wyshait Cipionis vnd kriegens maisterschaft July des kaisers vnd die türstikait Sertory vnd 130 Marcelli vnd die geschidikait Jugurte vnd die kunst aller dero, die kriegens vnd strytbarer dingen gepflegen hant, finden wirdest. Vnd magst durch aigen erfarung niemer so vil erlernen, als vil du des mit lesung der geschriften wirdest vnderrichtet. [ … ] [141 b ] [ … ] Wilt du der küngen vnd fürsten sitten vnd die vnseligkait der herschenden erfaren? So lise senecam in tragedys. Wilt du die menschen des gemainen püfels vnd die ritter Inen selbs vsz hoffart 135 wolgefellig vnnd der bu˚ ben vnd riffian vf setze vnd der dienenden knechten betrugnüsz (Vmb daz du dich [142] dar vor hüten mugest) erkennen? So nim dir für plautum vnd Terencium. [ … ] [146] [ … ] Mit disen fabeln 〈 Dädalus und Ikarus, Apollo und Phae¨ton 〉 warnent die poeten ainen yetklichen daz er vor vnd ee vf das genäwest erweg vnd er messz sin kunst craft vnd macht ee er sich vnderstand zeherschen vnd zeregieren vmb daz er nit vnder der burde fall 140 vnd nider gelig, Danne Es ist ain burde vnd nit [146 b ] ain wollust vnd kurtzwyle zeregieren so ferre wir das mit vernunft vnd na˘ch billicher schulde wöllen volbringen vnd in das ende tu˚ n deshalb dann die küng vnd fürsten angesechen vnd vfgesetzet worden sint, Danne die küngrych vnd fürstentu˚ m nit sint von wegen der küngen vnd fürsten @ ˙ Sunder sint die die küng vnd fürsten von wegen sölicher Irer landen. [ … ] 2 hertzog sigmunden von österrych] Herzog Si(e)gmund von Tirol (1427-1496) 5 Karlin Marggrauen zu˚ Baden] Karl I., Markgraf von Baden (1427-1475) 6 Enbüt Ich] Entbiete ich, melde ich, übermittle ich 8 babst Pio] Papst Pius II. (1405-1464), ursprünglich Enea Silvio Piccolomini; bedeutender Humanist und Sekretär von Kaiser Friedrich III. in Wien und wurde von diesem zum poeta laureatus gekrönt 8 wylant] weiland, einst 10 @ ˙ ] Von Wyle Virgel genannt, soll einen größeren Einschnitt als ein Komma anzeigen, aber einen kleineren Sinnzusammenhang als ein Punkt 14 obgemelten] oben genannten 15 transferyeret] übertragen 24 beschechen] geschehen a˘ne] ohne 26 leschung der gailigkait] Dämpfung des Übermuts 34 nüwen wölte] modernen Welt nützit] nichts 36 ain ainige] eine einzige 37 sich gebruchent jrtzens] man die Ihr-Anrede verwendet 38 me eeren tügen zu˚ fügen] größere Ehrerbietung täten zukommen lassen wyte] weit(verbreitet) 39 in welschen landen] in romanischen Ländern, insbesondere Italien 40 Franciscus petrarcha] Francesco Petrarca (1303-1374), gehört mit Dante und Boccaccio zu den klassischen Dichtern der frühen italienischen Literatur 42 küscher] keusche, sittsame, vernünftige 43 Johannes Crisoloras] Manuel Chrysoloras (1353-1415), byzantischer Diplomat und Gelehrter constentz] Konstanz, Ort des Konzils 1414-1418 44 alt fordern] Ahnen 45 Constantino] Konstantin der Große, röm. Kaiser 306-337 gen bisuntze] nach Byzanz; nachmals Konstantinopel, heute Istanbul 49 Octauiani Augusti] Augustus, geboren als Gaius Octavius, von 31 v. Chr. bis 14 n. Chr. erster röm. Kaiser 50 leonardum aretinum] Leonardo Bruni (um 1369-1444), nach seiner Heimatstadt Aretino benannt, italienischer Humanist guarinum veronensem] Guarino da Verona (1374-1460), italienischer Humanist poggium florentinum] Gianfrancesco Poggio Bracciolini (1380-1459), lat. Poggius (Florentinus), italienischer Humanist aurispam sicculum] Giovanni Aurispa (1376-1459), italienischer Humanist aus Sizilien 51 anthonium Vincentinum] Antonio Loschi (um 1365-1441), italienischer Humanist aus Vicenza 52 guldin] goldenen Marci Tuly Ciceronis] Marcus Tullius Cicero (106-43 v. Chr.), röm. Philosoph und Diplomat, gilt als Inbegriff der Beredsamkeit 53 Titi Liuy Patauini] Titus Livius (wohl 59 v. Chr. - um 17 n. Chr.), geboren und gestorben in Patavium, <?page no="354"?> 000353 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 353 004 - Niklas von Wyle: [Rede an Herzog Sigismund von Österreich] | dem heutigen Padua, röm. Geschichtsschreiber 55 zu˚ obgerürter zyte] zu der angeführten Zeit 56 missiuen] Sendschreiben 56f. Socratis demostinis Ciceronis vnd Macenatis [ … ] zu˚ gesand] an Sokrates, Demosthenes, Cicero und Maecenas gerichtet 59 Jeronimo Augustino Ambrosio vnd Gregorio] die Kirchenväter Hieronymus, Augustinus, Ambrosius von Mailand und Gregor der Große 60 gehellest] zustimmst 77 nit vflosen] nicht aufhorchen, nicht ablauschen 80 philippus Macedo] Philipp II. (359-336 v. Chr.), König von Makedonien; Vater Alexanders des Großen Alexander der gro˘ sz] Alexander der Große (366-323 v. Chr.), König von Makedonien, Eroberer Asiens 81 aristoteles] Aristoteles (384-322 v. Chr.), gilt neben Sokrates und Platon als der größte Philosoph der Antike, Lehrer Alexanders des Großen 82 tett sich [ … ] nit üssern noch entschlachen] ließ sich weder abweisen noch abhalten 83 asiam zoch] nach Asien zog 84 calistenem] Kallisthenes von Olynth (um 370-327 v. Chr.), Mitschüler, Freund und Hofhistoriker Alexanders des Großen; verherrlichte ihn in den ,Taten Alexanders‘ 86 Alcibiades] Alkibiades (um 450-404 v. Chr.), griech. Staatsmann temistocles] Themistokles (um 524-um 459 v. Chr.), griech. Staatsmann, Sieger der Schlacht von Salamis, Wegbereiter der attischen Demokratie 88 Epaminides] Epaminondas (um 418-362 v. Chr.), gilt als größter thebanischer Staatsmann fürpüntlichen] vortrefflichen 91 bas] besser bücher commentaria] Commentarii de bello Gallico von Gaius Julius Caesar (100-44 v. Chr.) 96 Eneidos virgily] Die Aeneis des Publius Vergilius Maro (70-19 v. Chr., spätantik und mittellat. Virgilius) 97 mären sin] Märchen seien 98 flissenklich] angestrengt 100 Leonellus yetz Marggrafe estensis] Leonello d’Este (1407-1450), seit 1441 Marchese (Markgraf) von Ferrara aus dem Hause d’Este 101 ützit] irgendeinen 104 geregieret ha˘t das küngrych [ … ] Engelland] vielleicht Heinrich III. (1207-1272) 108 füro] weiterhin 111 überla˘ffest] durchblätterst, durchsiehst 113 vmbziechen] intensiv studieren 114 syg] sei 119 mag] kann 120 geta˘r] getraut, wagt 121 Im fürnimpt] sich vornimmt 122 vnerbers] Unehrenhaftes 125 Quintilianus] Marcus Fabius Quintilianus (um 35-90 n. Chr.), sein Lehrbuch der Redekunst Institutio oratoria war im Mittelalter und in der Renaissance das einflussreichste Werk zur Rhetorik tulius] Marcus Tullius Cicero (106-43 v. Chr.) 126 vegecius] Publius Flavius Vegetius Renatus, Kriegstheoretiker des ausgehenden 4. Jhs. 127 quintus Curcius] Quintus Curtius Rufus, röm. Geschichtsschreiber der Kaiserzeit, schrieb eine Geschichte Alexanders des Großen Justinus] Marcus Iunianus Iustinus, röm. Geschichtsschreiber des 2. oder 3. Jhs., schrieb eine im Mittelalter weit verbreitete Weltgeschichte Lucius Flaccus] wohl Lucius Flavius Arrian (um 85 bis nach 145 n. Chr.), griechischsprachiger röm. Politiker und Geschichtsschreiber, verfasste eine Geschichte Alexanders des Großen swetonius] Gaius Suetonius Tranquillus (um 70 bis nach 120 n. Chr.), röm. Geschichtsschreiber, berühmt sind seine Kaiserviten 128 Salustius Crispus] Gaius Sallustius Crispus, deutsch Sallust (86-34 v. Chr.), röm. Geschichtsschreiber 129 hanibals] Hannibal (um 247-183 v. Chr.), karthagischer Feldherr, einer der gefährlichsten Feinde Roms vfsetze Faby] List des Fabius; Quintus Fabius Maximus Verrucosus (um 275-203 v. Chr.), gen. Cunctator („Zögerer“), setzte die Taktik des hinhaltenden Widerstandes im Zweiten Punischen Krieg erfolgreich ein 130 Cipionis] Publius Cornelius Scipio Aemilianus Africanus minor Numantius (185-129 v. Chr.), röm. Feldherr und Staatsmann, Cicero rühmte seine Verbindung von griech. und röm. Geist in den Dialogen De re publica und Laelius de amicitia July des kaisers] Gaius Iulius Caesar (100-44 v. Chr.) türstikait Sertory vnd Marcelli] die Verwegenheit von Sertorius und Marcellus; Quintus Sertorius (123-72 v. Chr.) und Marcellus († 366 v. Chr.) gelang es eine Zeitlang, sich gegen Rom zu behaupten 131 geschidikait Jugurte] Verschlagenheit Jughurtas; dem numidischen König Jughurta (um 160-104 v. Chr.) gelang es mehrfach, röm. Politiker zu bestechen und Gegner ermorden zu lassen 134 senecam] Lucius Annaeus Seneca (um 1-65 n. Chr.), röm. Philosoph und Tragödiendichter 135 des gemainen püfels] des gemeinen Volkes, des Pöbels hoffart] Hybris, Selbstüberhebung 136 der bu˚ ben vnd riffian vf setze] der Spitzbuben und Rüpel Arglist 137 plautum vnd Terencium] Plautus (um 254- um 184 v. Chr.) und Terenz (um 190-158 v. Chr.) sind die berühmtesten Komödiendichter der antiken Literatur; ihre Figuren gehören meist zu den unteren Schichten 139 genäwest] Genaueste 140 burde] Bürde, Last 142 ferre] weit In: Wyle (1861), 198-216. <?page no="355"?> 000354 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 354 | 005 - Peter Luder: [Peter Luders erster Anschlag am Schwarzen Brett zu Heidelberg] 005 A. I.4. Peter Luder (um 1410-nach 1474) [Peter Luders erster Anschlag am Schwarzen Brett zu Heidelberg] (1456) Der Herr Friedrich, der ruhmreichste Fürst am Rhein und Reichsverweser des Römischen Reiches, der keinem der Alten an Mannestugend nachsteht und der in die Fußstapfen seiner Vorfahren tritt, wünscht auf den recht vernünftigen Vorschlag seines Hofrates hin die schon fast in Barbarei verwandelte und verfallene lateinische Sprache an seiner Universität zu erneuern und hat deshalb angeordnet und durch seinen Erlaß bekräftigt, daß die humanisti- 5 schen Studien, das heißt die Werke der Dichter, Redner und Geschichtsschreiber, öffentlich behandelt werden sollen. Daher wird Peter Luder, der in der Besoldung ebendieses unseres ruhmreichsten Fürsten steht, an bestimmten Tagen, Ort und Stunden, die später bekanntgegeben werden sollen, öffentliche Vorlesungen über die Briefe des Dichters und Satirikers Flaccus Venusia und über die Geschichten des Valerius Maximus 1 Reichsverweser] althochdeutsch firwesan: vertreten, Stellvertreter des Herrschers in dessen Abwesenheit 10 Flaccus Venusia] Horaz (65-8 v. Chr.); röm. Dichter und Philosoph der Augusteischen Zeit 10 Valerius Maximus ] röm. Schriftsteller zur Zeit des Kaisers Tiberius und Verfasser der Facta et dicta memorabilia (Sammlung historischer Anekdoten) In: Trillitzsch (1981), 149f. 006 A. I.4. Peter Luder [Einladung zu seiner Antrittsrede in Leipzig] (1462) Mit Zustimmung der Spektabilitäten dieser hohen Universität, des allergerechtesten Herrn Rektors … und des hochwürdigsten Herrn Dekans … der berühmten Artistenfakultät wird Peter Luder, Lehrer der Dichtkunst, heute zur zweiten Stunde im Hörsaal für ordentliche Disputationen des Größeren Collegiums eine öffentliche Rede halten: Darin wird er mit zwingenden Gründen und Beweisen darlegen, daß die humanistischen Studien, nämlich die 5 Geschichtsschreiber, Redner und Dichter, allen angelegen sein müßten. Aus diesem Grunde nun möchte er alle Studenten und Liebhaber der Wissenschaften inständigst bitten und beschwören, anwesend zu sein und ihm wohlwollend und geduldig ihr Ohr zu leihen. Laß den Zettel hängen! Es lauert ein Aufpasser im Versteck, der dich zur Rechenschaft 10 ziehen wird. 1 Spektabilitäten] (lat. spectabilitas: Würde, Ansehen), Titel für einen Dekan an einer Hochschule 4 Größeren Collegiums] (lat. Collegii maiori), Nennung des Vorlesungsortes: Raum der Universität zu Leipzig In: Trillitzsch (1981), 150. <?page no="356"?> 000355 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 355 008 - Peter Luder: Elegia ad Panphilam („Barbara me tellus genuit“) | 007 A. I.4. Peter Luder Aus: Elegia ad Panphilam („Niger sum“) (1460) Niger sum, fateor, sum parvus corpore toto, candida sunt nostra si petes ingenia. [Sein Äußeres] Schwärzlich bin ich, ich gebe es zu, und klein von Gestalt nur. Betrachtest du aber mein Talent, so ist es strahlend und hell. 2 Betrachtest du … hell.] wenn du jedoch mein Talent siehst, ist es strahlend und hell. In: Schnur (1967), 280f. 008 A. I.4. Peter Luder Aus: Elegia ad Panphilam („Barbara me tellus genuit“) (1460) Barbara me tellus genuit, mater quoque talis 35 ipsa fuit, sed nec rusticus invenior. ex humili genitum me sanguine credere nec fas, notus uterque parens nam probitate fuit. inclita quemque facit praestantem nobilitate virtus, et extollit nec veterum soboles. 40 quem penes est virtus superis aequandus, et ista quaemet non facimus, nostra nec esse puto. [Seine Abkunft] Mich erzeugte barbarisches Land, es war meine Mutter, aber als Bauer fürwahr gelte ich selber doch nicht. Daß von niederem Blute ich stamme, das soll man nicht glauben, denn durch Rechtschaffenheit waren die Eltern bekannt. Tugend allein verleiht einem jeglichen Würde und Adel, 5 uns erhöht nicht allein, daß wir aus uraltem Stamm. Wer die Tugend besitzet, der gleichet den Himmlischen, aber was wir selber nicht tun, das ist nicht unser Verdienst. 1 barbarisches Land] Deutschland; die Wendung barbara me tellus [...] spielt auf Ovids Exildichtung an: vgl. Tristia 3,2,11 und 5,2,31 In: Schnur (1967), 280f. <?page no="357"?> 000356 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 356 | 009 - Rudolph Agricola: Rede zum Preise der Philosophie und der übrigen Wissenschaften 009 A. I.4. Rudolph Agricola (1444-1485) Aus: Rede zum Preise der Philosophie und der übrigen Wissenschaften [Oratio in laudem philosophiae et reliquarum artium] (1476) [ … ] Die Philosophie bietet allem die Stirn und behauptet, daß dies gar keine Widrigkeiten sind. Andere haben gelehrt, auf welche Weise man durch eine den Sinnen verliehene Lethargie unter Schmerzen und Qualen Geduld aufbringen kann. Sie aber lehrt auf bessere Art, wie wir vielmehr bei vollem Bewußtsein und Fühlen diese Dinge verachten können. Daher steht sie uns überall und jederzeit bei und schützt uns treu, freundlich, hochgemut, erhabenen und 5 ungebeugten Sinnes gegen die Angriffe des Schicksals. Sie scheut nicht die Armut, flieht nicht vor der Verbannung, erschrickt nicht vor dem Kerker, steigt selbst mit auf die Folterbank, vertreibt die Qualen und bietet Trost und Beistand angesichts des Todesurteils. Irgendeine Macht droht mit der Todesstrafe. „Ich habe gelebt“, läßt sie dich sagen, „und den Lauf vollendet, den das Schicksal mir gewährte“; nur ganz kurz hat es Gelegenheit, seine Macht 10 auszuüben, und überhaupt keine, wenn du es nicht brauchst. Das Schicksal nimmt dir dein Vermögen: „Du hast keinen Grund“ (sagst du ihm), „dich deines Einfalls zu rühmen und so zu tun, als ob du mir damit Beschwernis bereitest; ich habe es genommen, um es zu gebrauchen - du darfst dir deine Gabe wiedernehmen! “ Ein Tyrann droht mit Folterqualen: „Ich bin dem Schicksal dankbar“, sagt man, „daß es mich nicht vielmehr selbst mit Hinfälligkeit und 15 Krankheiten prüfen wollte; nun habe ich wenigstens jemanden, dem ich Vorwürfe machen und über den ich Klage führen kann.“ Krankheiten befallen einen: „In diesem Punkte“, wird er sagen, „bin ich dem Walten der Natur unterworfen, das ich ertragen werde, wenn es Erträgliches auferlegt; wenn es aber zu heftig wütet, ist die Freiheit nahe, in die ich mich wie vor einem ungerechten Herrn flüchten kann.“ Kann denn irgendeine Macht gewaltiger sein 20 als die derjenigen, die all das überwindet, was man so sehr fürchtet? Manche finden wir, die wegen der Entdeckung von einzelnen (Heil)kräutern oder wegen der von ihnen ersonnenen Heilung einer einzigen Krankheit entweder unter die Götter gerechnet werden oder bei den Menschen einen unsterblichen Namen erlangt haben; doch welche göttliche Erhabenheit und welcher unsterbliche Ruhm wird zu finden sein, der der Philosophie angemessen wäre? Sie, 25 die nicht nur das eine oder andere Heilmittel gegen Übel hervorgebracht, sondern alle ohne Unterschied aufgesucht, entdeckt und gezeigt hat, und die nicht einigen wenigen Krankheiten Hilfe bringt, sondern in einem einzigen Zuge alles das niederwirft, bei dessen Erwähnung die Menschen schaudern und was sie mit furchtbaren Begriffen erschreckt. Die Knechtschaft, so hat unser größter Redner (Demosthenes) gesagt, ist mehr zu fürchten als der Tod. Doch 30 Diogenes hat sie nicht nur tapfer, sondern bereitwillig ertragen, da er von Seeräubern gefangengenommen und verkauft wurde; und als ihm von Verwandten Geld zu seinem Freikauf angeboten wurde, hat er sich mit seiner Lage zufrieden erklärt und damit gezeigt, daß man keine Lebensform für ein Übel halten dürfe, in der der Weg zu einer guten Gesinnung nicht versperrt sei. Den Platon hat die Philosophie überzeugt und dazu veranlaßt, nach Sizilien zu 35 segeln; und er hat auf ihr Geheiß weder das Meer noch die Seeräuber oder den Hochmut des <?page no="358"?> 000357 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 357 010 - Conrad Celtis: De Puella Romae reperta | Tyrannen und die noch viel schlimmeren sizilischen Lüste gefürchtet. Plotin, der lange das Schicksal allzu heftig herausgefordert hatte, wurde schließlich von einer schweren, langwierigen Krankheit ergriffen, so daß sich sein Körper allmählich durch schlimme Auszehrung auflöste und die schreckliche Krankheit ihn schrittweise zerstörte. Aber er blieb dennoch bei 40 seinen Angriffen gegen das Schicksal, und dies geschah nun freilich mit um so größerem Gewicht, weil er für die Sache, deren Anwalt er vorher nur gewesen war, jetzt auch als Zeuge diente. Sokrates ging im Bewußtsein seines Todes selbst in seinen Kerker und schritt seinem Begleiter festen und aufrechten Ganges voran; man erlaubte und riet ihm zu fliehen, er aber lehnte ab: So viel schlimmer als der Tod selbst erschien es ihm, den entmachteten Tod zu 45 fürchten. Darauf nahm er mit fester Hand das Gift und trank es unerschrocken, heiter und wie ein Durstiger, lobte auch den, der es ihm gereicht hatte, und tröstete und stärkte die anwesenden Freunde, als sei er als Zuschauer beim Tode eines anderen zugegen. Woher nahmen diese Männer eine solche Festigkeit, eine so wirksame und bewundernswerte Seelenstärke? Doch nur daher, weil sie die Philosophie gelehrt hatte, daß alles das, vor 50 dem die Unwissenden zittern und was alles mit nichtigen Schrecken erfüllt, keine Übel sind, es sei denn für diejenigen, die nicht wissen, was die wahren Güter sind. [ … ] 30 Demosthenes] Demosthenes (384-322 v. Chr.,) athenischer Redner und Staatsmann 31 Diogenes] Diogenes Laertios, antiker Geschichtsschreiber, wirkte im 3. Jh. v. Chr. 30-35 Doch Diogenes [ … ] versperrt sei] vgl. Diogenes Laertios: Über Leben und Lehren der Philosophen 6, 29-6, 31; vgl. Cicero: Tusculanae disputationes 5,92 35 Platon] Platon (wohl 428-um 347 v. Chr.), griech. Philosoph 37 Plotin] Plotin (205-270 n. Chr.), griech. Philosoph, Begründer des Neuplatonismus 43 Sokrates] Sokrates (469-399 v. Chr.), griech. Philosoph 46-48 Darauf [ … ] zugegen] vgl. Platon: Phaidon 115a-118a In: Trillitzsch (1981), 159-183, hier 167-169. 010 A. I.5. Conrad Celtis (1459-1508) De Puella Romae reperta (1500) Annos mille sub hoc tumulo conclusa iacebam; haec nunc Romanis extumulata loquar: non veteres video Romano more Quirites, iustitia insignes nec pietate viros. sed tantum magnas tristi cum mente ruinas 5 conspicio, veterum iam monumenta virum. si mihi post centum rursus revideberis annos, nomen Romanum vix superesse reor. <?page no="359"?> 000358 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 358 | 011 - Conrad Celtis: Ad Apollinem repertorem poetices ut ab Italis ad Germanos veniat Das römische Mädchen Tausend Jahre lag ich unter diesem Hügel begraben; jetzt, da das Grab mich entließ, sage den Römern ich dies: „Nicht mehr erblicke ich Römer wie einst die stolzen Quiriten, Männer von rechtlichem Sinn, fromm ihrer Bürgerpflicht treu Trauervoll sehe ich überall nur gewalt’ge Ruinen, 5 Denkmäler sind sie jetzt nur Männern, wie einstmals es gab. Könnte noch einmal ich dich nach hundert Jahren erblicken, fände ich, glaube ich, kaum selbst deinen Namen noch, Rom.“ Titel] Im Jahre 1485 grub man an der Via Appia die wohlkonservierte Leiche einer schönen Römerin aus, die auf dem Kapitol ausgestellt wurde. Celtis legt ihr seinen bitteren Vergleich der Gegenwart mit der glorreichen Antike als Rollengedicht in den Mund 3 Quiriten] Römische Bürger In: Schnur (1967), 42f. 011 A. I.5. Conrad Celtis Ad Apollinem repertorem poetices ut ab Italis ad Germanos veniat (1486) Phoebe qui blandae citharae repertor, linque delectos Helicona, Pindum et, ac veni in nostras vocitatus oras carmine grato. cernis ut laetae properent Camenae, 5 et canant dulces gelido sub axe. tu veni incultam fidibus canoris visere terram. barbarus quem olim genuit, vel acer, vel parens hirtus, Latii leporis 10 nescius, nunc sic duce te docendus dicere carmen. Orpheus qualis cecinit Pelasgis, quem ferae atroces, agilesque cervi, arboresque altae, nemorum secutae 15 plectra moventem. tu celer vastum poteras per aequor laetus a Graecis Latium videre, <?page no="360"?> 000359 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 359 011 - Conrad Celtis: Ad Apollinem repertorem poetices ut ab Italis ad Germanos veniat | invehens Musas, voluisti gratas pandere et artes. 20 sic velis nostras rogitamus oras Italas ceu quondam aditare terras, barbarus sermo fugiatque, ut atrum subruat omne. An Apollo, den Erfinder der Dichtkunst, daß er aus Italien nach Deutschland kommen möge Phoebus, der erfunden die holde Lyra, laß dein teures Heim, Helicon und Pindus, komm, von Dichtung, wie du sie liebst, gerufen, in unsre Lande. Sieh wie unsre Musen zu dir mit Freuden 5 eilen, singend süß unter kaltem Himmel. Unser Land, das roh noch - mit Harfenklängen komm und besuch es. Der Barbar, abstammend von rauhen Kriegern oder Bauernvolk, der des Römers Künste 10 noch nicht kennt, er lern unter deiner Führung nunmehr die Dichtkunst, so wie einstmals vor den Pelasgern Orpheus sang, da wilde Tiere und flinke Hirsche, ja sogar am Berghang die hohen Bäume 15 tanzten zum Liede. Hast du doch geruht, übers Meer zu fahren, freudig kamst du nach Latium aus Hellas, deine Musen mit dir, und gnädig lehrtest du deine Künste. 20 Komm, so beten wir, drum zu unsern Küsten, wie Italiens Lande du einst besuchtest; mag Barbarensprache dann fliehn, und alles Dunkel verschwinden. 1 Phoebus] griech. Phoibos, ,der Leuchtende‘, Beiname des Gottes und Musenführers Apollon 2 Helicon] Helikon, Gebirge in Griechenland, Sitz der Musen in der griech. Mythologie Pindus] Pindos, Gebirge in Griechenland, dem Apollon und den Musen geheiligt 13 Pelasgern] frühgeschichtliche Einwohner Griechenlands Orpheus] Sänger in der griech. Mythologie 18 Latium] Gegend in Mittelitalien, in der Rom liegt Hellas] Griechenland In: Schnur (1967), 54f. <?page no="361"?> 000360 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 360 | 012 - Conrad Celtis: Laudat germanum inventorem artis impressoriae 012 A.II.1.1. Conrad Celtis Laudat germanum inventorem artis impressoriae (1513) QVid tantis strepitat Graecia laudibus? Inuenisse suis ingenijs canens, Qua natura potens lege coerceat Coeli fulgida sydera. Non est inferior credite Dedalo, 5 Aut qui Cecropias protulerat notas, Ex Mogunciacis ciuibus editus Nostri gloria nominis. Qui sculpsit solidas aere citus notas, Et versis docuit scribere litteris, 10 Quo nasci vtilius non poterat magis Cunctis (credite) saeculis. Iam tandem Italici non poterunt viri Germanos stolida caroere inertia, Cum nostris videant crescere ab artibus 15 Romanis saecula litteris. Quae tandem Emilio gratia Maximo Soluenda est? genitus qui patre Caesare, Sub quorum imperio creuit & extitit Nostris ingenium viris. 20 Er lobt den deutschen Erfinder der Druckkunst Was lärmt Griechenland mit so großem Selbstlob und tönt, durch seine hochbegabten Kenner habe es gefunden, nach welchem Gesetz die Natur die strahlenden Gestirne des Himmels lenke? Nicht geringer als Dädalus, glaubt mir, oder als Kekrops, der die Buchstaben fand, ist der, der von Mainzer Bürgern herstammt, der Ruhm unseres Namens. Er goß in kurzer Zeit feste Typen aus Erz und lehrte, mit beweglichen Lettern zu drucken. Nichts Nützlicheres, glaubt mir, konnte in allen Jahrhunderten 5 erfunden werden! Nunmehr werden endlich die Italiener die Deutschen nicht mehr stumpfer Trägheit zeihen können, da sie sehen, daß durch unsere Kunstfertigkeit der römischen Literatur vieler Jahrhunderte Dauer zuwächst. Wie sehr müssen wir schließlich Maximilian danken, der von einem kaiserlichen Vater stammt; unter ihrer beider herrlicher Herrschaft erwachte unseren Männern die geniale Begabung. 10 3 Dädalus] myth. Handwerker, Bildhauer, Erfinder Kekrops] legendärer Urkönig von Athen, dem die Entdeckung des Alphabets zugeschrieben wurde (vgl. Tacitus: Annales 11,14,2) von Mainzer Bürgern herstammt] Johannes Gutenberg, Erfinder des modernen Buchdrucks, geboren um 1400 in Mainz 8 Maximilian] Kaiser Maximilian I. In: Harms / Worstbrock (1997), 56-59. <?page no="362"?> 000361 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 361 014 - Sebastian Brant: De Francisci Petrarchae laude et praestantia | 013 Francesco Petrarca Peter Stahel († 1520), Georg Spalatin (1484-1545) Aus: Von Menge und vile der bücher Das XLIII. Kapitel (1532) [De remediis utriusque fortunae, I 43: De librorum copia] freud. Ich hab vil Bücher. vernunfft. Ey wie gantz füglich entsprinngt disen dingen ursach zu˚ reden / dann zu˚ gleicher weiß / als etliche Bücher zu˚ zucht / also auch andere zu˚ ru˚ mretigkeit / die Bücher su˚ chen / Es sind etliche die disen seyten zieren ire kamern mit Büchern / wölliche doch zu˚ zierd der gemüth erfunden ist / sollend gleich wol nicht anderst dieser bücher sich gebrau- 5 chen / dann der ehrenen gefäß / gemalter taflen / geschniter Bylder / und anderer ding / davon hievor rede geschehen ist [ … ]. freude. Groß ist die menge meiner bücher. vernunfft. Dabey ist auch groß die menge der arbait / unnd armu˚ t der ru˚ we / yetzund mu˚ ßt du here / dann dort hyn / dein vernunfft wenden / yetz in dem / dann in einem 10 anderen / dein gedechtnus durch forstchen / soll ich dir sagen was du wilt / die bücher haben / die etliche zu˚ kunst / etliche zu˚ unsinigkait gefürt haben / dieweil sie mere in sich fassen dann sie dewen mügen / der widerwill hat gleich wie den mägen / also auch den kunstreichen vernunfften offtermals mer dann der hunger schadet / der brauch der bücher soll geleych wie die speyß nach gelegennheyt des brauchenden gemässiget weerden / Sich 15 begibt in allen dingen / was dem wenig / ist einem andern zu˚ vil. Hierumb begert der weiß man nicht die uberflüssigkeit / sonder die notturfft / dann uberfluß ist schedlich / aber genügung alle mal nutz. [ … ] 3 ru˚ mretigkeit] Prahlerei 4 disen seyten] zu diesen Zeiten wölliche] welche 6 geschniter Bylder] geschnittene Bilder, Holzschnitte 9 ru˚ we] Ruhe 13 dewen] verdauen 15 geleych] gleich In: Petrarca (1983), LVIf. 014 Sebastian Brant (um 1457-1521) De Francisci Petrarchae laude et praestantia (1499) Gloria Petrarchae tanto est cumulata decore, ut sibi nil addi nil minuive queat; quicquid enim humanis potuit complectier usquam usibus excultis arte vel ingenio, <?page no="363"?> 000362 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 362 | 014 - Sebastian Brant: De Francisci Petrarchae laude et praestantia D.1. Francesco Petrarca, De remediis utriusque fortunae hoc † meus ingenue † novit bonus ille poeta, 5 calluit hic cunctas funditus historias. omnibus his spretis sed enim haec fucata veneno saecula mortifero liquit et illecebras, et nemora et montes habitans colit atque frequentat, secreti calles et loca sola placent. 10 proinde sibi obtinuit famamque decusque perenne, et fieri meruit carior inde deo. illic solus enim tot digna volumina scripsit, quae vitiata quidem et sparsa fuere prius. pressimus haec nuper, sed adhuc nonnulla supersunt, 15 tangere quae nostras non potuere manus. plurima Amorbachio debes, Francisce, labori, multa etiam nobis, quod bene tersus abis. sed tua te virtus, tua te praestantia dignum reddidit hoc nostro crede labore. vale. 20 <?page no="364"?> 000363 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 363 015 - Sebastian Brant: Ad dominum Iohannem Bergmann de Olpe | Über Petrarcas Ruhm und Größe Derart groß ist der Ruhm, damit Petrarca gezieret, daß hinzu man nichts fügen noch wegnehmen kann. Denn was irgendwo menschlicher Geist vermag zu umfassen, sei’s durch verfeinerte Kunst, sei es durch hohes Genie, dieses begriff mit edlem Verstand der treffliche Dichter: 5 jegliches Wissensgebiet ist ihm aufs beste bekannt. Alles verwarf er jedoch: die Zeit, die mit giftiger Schminke Tod bringt, ließ er zurück und ihre Lockungen auch. Bergeshaine bewohnt er und weilet oftmals in ihnen, da ihm verborgener Steig einsam im Walde behagt. 10 Dadurch erwarb er sich Ruhm und schuf sich ewige Zierde, und er wurde mit Fug teurer dem Gotte dadurch. Ganz allein schrieb dort er so viele vortreffliche Bände, welche durch Fehler entstellt waren bis jetzt, und zerstreut. Kürzlich druckten wir sie, doch gibt es ihrer noch manche, 15 welche in meine Hand heute noch nicht sind gelangt. Viel verdankst du, Franciscus, des Amerbach Arbeit und Mühe, manches verdankst du auch mir: fehlerfrei ließ ich dich gehn. Doch es verdiente dein Wert, deine Größe, glaube mir, daß ich mich um dieses bemüht habe. So fahre denn wohl! 20 5 † … †] Die ,cruces‘ schließen einen ,locus desperatus‘ ein, eine Stelle, die grammatisch oder metrisch nicht korrekt ist, für die aber keine befriedigende Konjektur gefunden wurde 9f. et nemora [ … ] placent] Anspielung auf das neue Natur- und Landschaftsgefühl in Petrarcas Werk und auf seine Besteigung des Mont Ventoux, derentwegen Petrarca als erster Alpinist gilt 17 Amorbachio] Johann Amerbach war der Drucker der Ausgabe von Petrarcas Gedichten, die Sebastian Brant 1498 herausgab In: Schnur (1967), 14f. 015 A.II.1.1. Sebastian Brant Ad dominum Iohannem Bergmann de Olpe, de praestantia artis impressoriae a Germanis nuper inventae Elogium (1498) Quid sibi docta cohors, sibi quid studiosa caterva gratius, utilius commodiusve petet, quam sanctum et nuper compertum opus atque litturas quo premere edocuit grammata multa simul? <?page no="365"?> 000364 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 364 | 015 - Sebastian Brant: Ad dominum Iohannem Bergmann de Olpe quodque prius scripsit vix ullus mille diebus, 5 nunc uno solus hac aget arte die. rara fuit quondam librorum copia doctis, rara, inquam, et paucis bibliotheca fuit. singula perque olim vix oppida pagina docta: nunc per quasque domos multiplicata iacet. 10 nuper ab ingenio Rhenanae gentis et arte librorum emersit copia larga nimis, et qui divitibus vix regi obvenerat olim, nunc liber in tenui cernitur esse casa. gratia diis primum, mox impressoribus aequa 15 gratia, quorum opera haec prima reperta via est. quae doctos latuit Graecos Italosque peritos, ars nova, Germano venit ab ingenio. dic age, si quid habes, Latialis cultor agelli, quod tali invento par sit et aequivalens? 20 Gallia tuque adeo recta cervice superbam quae praefers frontem: par tamen exhibe opus! dicite si posthac videatur barbara vena Germanis, quorum hic prodiit arte labor? crede mihi, cernes (rumparis, Romule, quamvis) 25 pierides Rheni mox colere arva sui, nec solum insigni probitate excellere et armis Germanos: orbis sceptra tenere simul. quin etiam ingenio, studiis, musisque beatis praestare et cunctos vincere in orbe viros. 30 iam pridem incepit doctos nutrire Platones Theutonia: invenies mox quoque Maeonidas. mox tibi vel Celsum dabimus, iurisque peritum Messalam, aut quales Roma vetusta tulit. iam Cicero in nostra reperitur gente Maroque; 35 novimus Ascraei et caecutientis opes. nil hodie nostram prolem latet atque iuventam, Rhenus et Eurotae fert modo noster aquas. Cyrrha Heliconque sacer nostras migravit ad Alpes, Hercynium ingressa est Delphica silva nemus. 40 iure igitur pineta ferunt laurumque hederamque, Rhaetica tellus habet nectar et ambrosiam. idque impressorum processit ab arte operaque nostrorum, hoc fruimur quippe beneficio. namque volumina tot, totque exemplaria, libros 45 praestiterant nobis: gratia multa viris. <?page no="366"?> 000365 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 365 015 - Sebastian Brant: Ad dominum Iohannem Bergmann de Olpe | magna tibi hos inter debetur gratia, nostra fragmina qui multis fors placitura premis … An Herrn Johannes Bergmann von Olpe, über den Vorzug der kürzlich von Deutschen erfundenen Druckerkunst; ein Preislied von S. Brant. Was wär praktischer wohl, was besser und nützlicher, das sich wünscht die gelehrte Welt und der Studierenden Schar, als das gepriesene Werk, das, jüngst erfunden, uns Zeichen und Geschriebnes zugleich vielfach zu drucken gelehrt? Was zuvor kaum einer in tausend Tagen geschrieben, 5 schafft mit Hilfe der Kunst heute ein einziger Tag. Spärlich waren vordem der Gelehrten Bücherbestände, selten traf man nur an Bibliotheken im Land. Viele Städte besaßen vormals kaum einzelne Bücher, heut aber findet man sie auch im bescheidensten Haus. 10 Jüngst gelang es des rheinischen Volks Genie und Erfindung, daß man Bücher nunmehr leicht und in Fülle erhält. Früher Besitz der Reichen, kaum Königen einstmals erhältlich, sieht man im kleinsten Haus Bücher zur heutigen Zeit. Dank den Göttern zuvor, und gleichermaßen den Druckern: 15 durch ihr Werk zuerst ward uns eröffnet der Weg. Was den weisen Griechen, den kundigen Welschen verborgen blieb, das erfand das Genie Deutschlands: die neueste Kunst Sage mir, der du Italiens Boden bebauest: was hast du, das mit gleichem Wert solcher Erfindung sich mißt? 20 Frankreich, das du so stolz erhebest Nacken und Stirne, zeige du vor doch ein Werk, das sich mit diesem vergleicht! Sagt, ob weiterhin noch Barbaren ihr nennet die Deutschen, da doch allein ihrer Kunst ist zu verdanken dies Werk? Glaube mir, bald wirst du sehen (ja, platze nur, Römer, vor Neide! ), 25 wie die Musen den Sitz nehmen am Ufer des Rheins; wie die Deutschen nicht nur durch Treue und Waffen sich vortun, sondern wie ihnen zugleich zufällt die Herrschaft der Welt; wie sie, begabt und gelehrt und glücklichen Musen ergeben, allen voraus, besiegt haben die übrige Welt. 30 Deutschland begann schon früh, Gelehrte wie Platon zu zeugen, bald aber findest du auch Dichter, so groß wie Homer. Bald geben auch einen Celsus wir dir oder einen Messalla, kundig des Rechts, wie sie Roma dereinsten erzeugt. <?page no="367"?> 000366 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 366 | 016 - Sebastian Brant: Doctor Sebastianus Brants traum Jn tütsch Schon besitzt unser Volk einen Cicero, einen Vergil auch, 35 und eines blinden Hesiod Werke sind bei uns bekannt. Nichts ist heut unsern Kindern, nichts unserer Jugend verborgen, auch des Eurotas Naß führet mit sich unser Rhein. Cyrrha und Helicon sind in unsere Alpen gewandert, und der delphische Hain zog zum Herzynischen Wald. 40 Fichtenwälder und Lorbeer und Efeu krönen zu Recht sie, Nektar, Ambrosia auch fließen im rätischen Land. Unserer Drucker Kunst und Arbeit bewirkte dies alles, und von ihrem Bemühn wird uns der Nutzen zuteil; denn sie lieferten uns so viele Bände und Bücher, 45 daß verschuldigter Dank stets diesen Männern gebührt. Dir vor allen bin Dank ich schuldig, der meine Stücke druckt, daß vielen vielleicht möge gefallen mein Werk … 33 Celsus] wahrscheinlich meint Brant nicht den berühmten Arzt, sondern zwei hervorragende Juristen dieses Namens Messalla] da Brant hier ausdrücklich auf einen Rechtsgelehrten Bezug nimmt, kann es sich nicht um den als Förderer der Literatur und Gönner vieler Dichter im Augusteischen Zeitalter bekannten Mesalla handeln, sondern wahrscheinlich um den um 400 wirkenden hohen Verwaltungsbeamten und Redner dieses Namens, der im Corpus Iuris erwähnt wird. 36 Ascraei [ … ] caecutientis / Hesiod] eigentl. ,des blinden Ascraeer‘; hier vielleicht Hybridbildung des ,blinden Homer‘ („caecutiens Maeonius“) und des ,askräischen Seherdichters‘ Hesiod, der nicht blind war 38 Eurotas] der Fluss Spartas 39 Cyrrha] unklar; vielleicht ist Cyrene gemeint? 40 Hercynium [ … ] nemus / Herzynischen Wald] röm. Bezeichnung für das deutsche Mittelgebirge In: Schnur (1967), 16-21 und 418. 016 A.II.1.1. Sebastian Brant Doctor Sebastianus Brants traum Jn tütsch (1502) Des crützes clag schmach er und stat wie in latyn geschriben hat Doctor Sebastianus Brant zu˚ gu˚ ten wercken uns ermant. In kurtz was mein gemuet erkyckt 5 mit mancher sach als es sich schickt Und ward in minem gmuet erschreckt das mir der schlaff myn augen deckt Und lyb, doch wacht ich innerlich in sölchen sorgen kam für mich 10 Ein tryfachs holtz das ich erschrack der vierteil in der erden stack <?page no="368"?> 000367 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 367 016 - Sebastian Brant: Doctor Sebastianus Brants traum Jn tütsch | Ein crütz breit schwer und dar zu˚ hoch der gipffel sich ind wolcken zoch Ein tafel wol daran vergatt 15 von dryen gschrifften die sie hat Ebreiysch kriechisch und latyn was es bedütet laß ich syn Vol scharten wunden was das crütz und floß von blu˚ t forn und besytz 20 Von allen orten und zu˚ rück fast ich erschrack von dem anblick Dat nit weiß ich wie mir geschach da ich das gru˚ sam crütz ansach [ … ] da ich gefragt und mich bedacht ein stim mir würd zu˚ oren bracht 35 Hör sun nun merck was ich dir sag myn schmertz und iamer so ich clag Ee dann gots sun ward mensch geborn zu˚ gru˚ ß und straff was ich erkorn Den übeltetern forcht und schand 40 wie sy vertriben warn im land Was sunst kein grösser schreck dan ich biß das got hat getragen mich Und ich yn auch, biß er an mir den todt bestreit nach seiner bgir 45 Da ward versuenet gottes zorn und ward der mensch erst nüw geborn [ … ] Wer nimt syn crütz und volgt mir nach durch mich vervolgung lyt und schmach Der wirt mit mir ergetzung han do iedem geben wirt sein lan Wie er uff erden hat gelept 260 und sein wercken hat nach gestrept Da gottes sun wirt richter syn da wirt nit manglen crützes schyn [ … ] Nun sy vermant ein ieder christ so uns der türck so gar nach ist Und kam uns nie so nach in thür 425 da ist kein schloß noch rigel für Stelt üch zu˚ wer stryt nun mit got <?page no="369"?> 000368 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 368 | 017 - Sebastian Brant: Das Narrenschiff ee das wir werden gantz zu˚ spot Und sprech dann iede nation was hand die christen got gethan 430 Wo ist nun syn barmhertzigkeit da sie so vil hand von geseit Das er sie ietz verlassen hat Und kum der rew mit schad und spot Ein jeder nem das crütz in mu˚ t 435 des schechers crütz dunct mich auch gu˚ t Der got hieng zu˚ der rechten handt Mit rew und leid sy er ermant [ … ] Diß hat uns auch vor lang vermant doctor Sebastianus brant Jn beiden rechten wol gelert der gantzen flyß hat an gekert 480 [ … ] Diß büchlyn ward mit flyß geendt und bald darnach gen rom gesendt Eim hern und fründ, so sagt er mir der ims vergalt nach syner bgir Da von zu˚ tütsch also bedacht 505 nit gantz von wort zu˚ wort gemacht Das gottes eer und crütz erschyn auch den, die künden nit latyn Got laß uns ymer selig syn Amen. 510 5 erkykt] erquickt 15 vergatt] gefügt 20 forn und besytz] vorn und an den Seiten 427 Stelt üch zu˚ ] kommt dazu 432 hand geseit] gesprochen haben 436 schecher] Räuber, insbesondere die mit Jesus gekreuzigten Übeltäter; der zur Rechten Jesu bereute seine Taten, der zur Linken schmähte ihn In: Wilhelmi (Hg.) (1998), 510-524. 017 A.II.1.1. Sebastian Brant Aus: Das Narrenschiff (1494) Ein vorred in das narren schyff Zu˚ nutz vnd heylsamer ler / vermanung vnd ervolgung der wyßheit / vernunfft vnd gu˚ ter sytten: Ouch zu˚ verachtung vnd straff der narheyt / blintheyt yrrsal vnd dorheit / aller stät / vnd / geschlecht der menschen: mit besunderem flyß ernst vnd arbeyt / gesamlet / zu˚ Basell: durch Sebastianum Brant. / in beyden rechten doctor. <?page no="370"?> 000369 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 369 017 - Sebastian Brant: Das Narrenschiff | All land syndt yetz voll heylger geschrifft Und was der selen heyl antrifft / Bibel / der heylgen vätter ler Und ander der glich bu˚ cher mer / In maß / das ich ser wunder hab 5 Das nyemant bessert sich dar ab / Ja würt all gschrifft vnd ler veracht Die gantz welt lebt in vinstrer nacht Und du˚ t in sünden blint verharren All strassen / gassen / sindt voll narren 10 Die nüt dann mit dorheit vmbgan Wellen doch nit den namen han Des hab ich gdacht zu˚ diser früst Wie ich der narren schiff vff rüst Galleen / füst / kragk / nawen / parck 15 Kiel / weydling / hornach / rennschiff starck Schlytt / karrhen / stoßbären / rollwagen Ein schiff möcht die nit all getragen Die yetz sindt jn der narren zal Ein teil kein fu˚ r hant überal 20 Die stieben zu˚ her wie die ymmen Vil vnderstont zu˚ dem schiff schwymmen Ein yeder der wil vorman syn Vil narren / doren kumen dryn Der bildniß jch hab har gemacht 25 Wer yeman der die gschrifft veracht Oder villicht die nit künd lesen Der siecht jm molen wol syn wesen Und fyndet dar jnn / wer er ist Wem er glich sy / was jm gebrist / 30 Den narren spiegel ich diß nenn In dem ein yeder narr sich kenn Wer yeder sy wurt er bericht Wer recht in narren spiegel sicht Wer sich recht spiegelt / der lert wol 35 Das er nit wis sich achten sol Nit vff sich haltten / das nit ist / Dan nyeman ist dem nütz gebrist Oder der worlich sprechen tar Das er sy wis / vnd nit ein narr 40 <?page no="371"?> 000370 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 370 | 017 - Sebastian Brant: Das Narrenschiff Dann wer sich für ein narren acht Der ist bald zu˚ eym wisen gmacht Aber wer ye wil witzig syn Der ist fatuus der gfatter myn Der du˚ t mir ouch dar an gewalt 45 Wann er dyß bu˚ chlin nit behalt Hie ist an narren kein gebrust Ein yeder findt das in gelust Und ouch war zu˚ er sy geboren Und war vmb so vil sindt der doren / 50 Was ere vnd freyd die wißheit hat / Wie sörglich sy der narren stat / Hie findt man der welt gantzen louff Diß büchlin wurt gu˚ t zu˚ dem kouff Zu˚ schympff vnd ernst vnd allem spil 55 Findt man hie narren wie man wil / Ein wiser findt das in erfreydt Ein narr gern von syn bru˚ dern seyt / Hie findt man doren arm vnd rich Schlym schlem / ein yeder findt sin glich / 60 Ich schrot ein kapp hie manchem man Der sich des doch nit nymet an Het ich in mit sym namen gnent Er sprech / ich het in nit erkent / Doch hoff jch das die wisen all 65 Werdent harjnn han wolgefall Und sprechen vß jr wissenheit Das jch hab recht vnd wor geseit Sydt jch sollch kuntschafft von jn weiß So geb jch vmb narren eyn schweyß 70 Sie müssen hören worheit all Ob es jnn joch nit wol gefall Wie wol Terencius spricht / das Wer worheit sag / verdienet haß Ouch wer sich langzyt schnützen du˚ t 75 Der würfft ettwan von jm das blu˚ t Und wann man Coleram anreygt So würt die gall gar offt beweygt Dar vmb acht ich nit / ob man schon Mit worten mich wirt hindergon 80 Und schelten / vmb myn nutzlich ler Ich hab der selben narren mer <?page no="372"?> 000371 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 371 017 - Sebastian Brant: Das Narrenschiff | Den wißheit nit gefallet wol Dyß büchlin ist der selben vol Doch bitt jch yeden / das er mer 85 Wil sehen an vernunfft vnd er Dann mich oder min schwach gedicht Warlich hab jch on arbeit nicht So vil narren zu˚ samen bracht Ich hab ettwan gewacht zu˚ nacht 90 Do die schlyeffent der jch gedacht Oder villicht by spyl vnd win Sassent / vnd wenig dochtent myn / Eyn teyl jn schlitten umbher fu˚ ren Im schne / das sie wol halb erfru˚ ren 95 Eyn teyl vff kalbß füss gingen sust / Die andern rechten jr verlust Den sie den tag hetten gehan Und was jnn gewyns dar vß möcht gan Oder wie sie morn wolten liegen 100 Mit gschwätz / verkouffen / manchen triegen Den selben noch zu˚ dencken all Wie mir jr wys / wort / werck / gefall Ist wunder nit / ob ich schon offt Do mit myn gdicht nit würd gestrofft 105 Gewacht hab / so eß nyeman hofft In disen spiegel sollen schowen All gschlecht der me¯sche¯ man vnd frowe¯ Je eyns ich by dem andern meyn Die man sint narren nit allein 110 Sunder findt man ouch närrin vil Den ich die schleyer / sturtz vnd wile Mit narren kappen hie bedeck Metzen hant ouch an narren röck Sie wellen yetz tragen on das 115 Was ettwan mannen schäntlich was / Spitz schu˚ / vnd vßgeschnytten röck Das man den milchmerck nit bedeck Wicklen vil hudlen jn die zöpff Groß hörner machen vff die köpff 120 Als ob es wer ein grosser stier Sie gänd har wie die wilden thier / Doch sollen erber frowen mir Verzyhen / dann ich gantz nit jr <?page no="373"?> 000372 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 372 | 017 - Sebastian Brant: Das Narrenschiff Gedencken zu˚ keym argen wyl 125 Den bösen ist doch nit zu˚ vil Der selben man ein teil hie fyndt Die jnn dem narren schiff ouch syndt Dar vmb mit flyß sich yedes su˚ ch Fyndt eß sich nit jn dysem bu˚ ch 130 So mag es sprechen / das es sy Der kappen vnd des kolben fry Meint yemant das jch jnn nit rür Der gang zu˚ n wysen für die thür Und lyd sich / vnd sy gu˚ ter dyng 135 Byß ich ein kapp von Franckfurt bryng 6 dar ab] davon 11 nüt dann] nichts als vmbgan] umgehen 12 Wellen doch nit den namen han] wollen es auch nicht zugestehen 14 vff rüst] ausrüste 15 Galleen] Galeere füst] leichtes Schiff kragk] Lastschiff nawen] Nauen, Nachen parck] Barke 16 weydling] Fischerkahn hornach] ,Schmutznachen‘ (Baggerprahm) 17 stoßbären] Schubkarren rollwagen] Reisewagen 18 Ein] d. h. ein einziges 20 fu˚ r] Fuhre, Gelegenheit zu fahren hant] hat 21 zu˚ her] herbei 22 vnderstont] unternehmen, auf sich nehmen 23 vorman] der erste 25 Der] deren har] hier 26 Wer] wäre yeman] jemand 28 siecht] sieht jm molen] im Bilde, d. h. in den (z. T. vom jungen Dürer stammenden) Holzschnitten, die jedem Kapitel vorangestellt sind und wesentlich zur Popularität des Narrenschiffs beigetragen haben 33 wurt] wird bericht] belehrt 35 lert] lernt 36 wis] weise 38 nütz] nichts 39 tar] darf 44 fatuus] ein Narr (Wortspiel mit gfatter) 45 gewalt] unrecht 47 gebrust] Mangel 49 war zu˚ ] wozu 52 sörglich] sorgenvoll, gefährlich stat] Stand 55 schympff] Scherz 58 seyt] sagt 60 Schlym schlem] aus similis (quaerit) similem entstanden, d. h. gleich (sucht) gleich 61 schrot] schneide zu, schneidere 62 nymet an] bekümmert 63 gnent] genannt 65 wisen] Weisen 66 harjnn] hierin han] haben 67 wissenheit] Einsicht, Wissen, Kenntnis 69 Sydt] weil, da jn] ihnen 70 eyn schweyß] d. h. nichts 72 joch] auch 73 Terencius] Andria (166 v. Chr.) 1, 1, 41: veritas odium parit. 75 schnützen] schneuzen (vgl. Spr. 30, 33) 76 ettwan] entlich, zuletzt 77 Coleram] coleram, den Zorn anreygt] anregt 80 hindergon] hinter dem Rücken angreifen 93 dochtent] gedachten 96 vff kalbß füss gingen] tollten wie die Kälber umher, trieben Kindereien sust] sonst 97 rechten] errechneten 100 morn] morgen liegen] lügen 101 triegen] betrügen 105 gestrofft] getadelt 112 Den] denen sturtz] (Trauer-)Schleier wile] (Nonnen-)Schleier 114 Metzen] (leichtfertige) Mädchen 118 milchmerck] Milchmarkt 119 hudlen] Lappen, Lumpen 123 erber] ehrbare 125 zu˚ keym argen] in keiner argen Art, nicht boshaft 132 Der kappen vnd des kolben] d. h. der Zeichen des Narren 133 rür] berühre, (mit dem Tadel) treffe 134 gang] möge gehen zu˚ n] zu den für] vor 135 lyd sich] gedulde sich 136 von Franckfurt] von der Frankfurter Messe (der damals berühmtesten) [1.] Den vordantz hat man mir gelan Dann ich on nutz vil bücher han Die jch nit lyß / vnd nyt verstan Von vnnutzen buchern Das jch sytz vornan jn dem schyff 5 Das hat worlich eyn sundren gryff On ursach ist das nit gethan Uff myn libry ich mych verlan Von büchern hab ich grossen hort <?page no="374"?> 000373 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 373 017 - Sebastian Brant: Das Narrenschiff | Verstand doch drynn gar wenig wort 10 Und halt sie dennacht jn den eren Das ich jnn wil der fliegen weren Wo man von künsten reden du˚ t Sprich ich / do heym hab jchs fast gu˚ t Do mit loß ich benügen mich 15 Das ich vil bücher vor mir sych / Der künig Ptolomeus bstelt Das er all bücher het der welt Und hyelt das für eyn grossen schatz Doch hat er nit das recht gesatz 20 Noch kund dar vß berichten sich Ich hab vil bücher ouch des glich Und lys doch gantz wenig dar jnn Worvmb wolt ich brechen myn synn Und mit der ler mich bkümbren fast 25 Wer vil studiert / würt ein fantast Ich mag doch sunst wol sin eyn here Und lonen eym der für mich ler Ob ich schon hab eyn groben synn Doch so ich by gelerten bin 30 So kan ich jta sprechen jo Des tütschen orden bin ich fro Dann jch gar wenig kan latin Ich weyß das vinum heysset win Gucklus ein gouch / stultus eyn dor 35 Und das ich heyß domne doctor Die oren sint verborgen mir Wan säh sunst bald eins mullers thier. 1-3 Mottoverse, wie sie bei jedem Kapitel über dem zugehörigen Holzschnitt stehen 3 darunter Holzschnitt: der Büchernarr. Ein dürrer Gelehrter (mit Schlafmütze, Brille und zurückgestreifter Narrenkappe) sitzt vor einem vollbelegten Bücherpult, in der Rechten einen Wedel, um damit (V. 12) von einem aufgeschlagenen großen Buch die Fliegen zu verscheuchen. - Die Figur des Büchernarren (keine Eigenverspottung Brants! ) war durch die Erzeugnisse der aufblühenden Kunst des Buchdrucks besonders aktuell 6 sundren] besonderen gryff] Kunstgriff, Kniff, Absicht 8 libry] Bibliotheke verlan] verlassee 12 der fliegen weren] die Fliegen abwehren, d. h. bei einer Sache kein Amt haben, nichts dabei zu schaffen haben (sprichwörtl. Redensart) 13 von künsten reden] wissenschaftliche Gespräche führen 14 fast] sehr, völlig 17 Ptolomeus] König Ptolemäus II. Philadelphus (285-247 v. Chr.), der Hauptförderer der berühmten Alexandrinischen Bibliothek bstelt] sorgte, richtete es ein 20 das recht gesatz] d. h. das Gesetz Gottes, die Hl. Schrift 24 brechen myn synn] mir den Kopf zerbrechen 27 eyn here] ein Herr (als Standesbezeichnung des Gelehrten) 28 lonen] entlohnen, zahlen ler] lerne 31 jta] so (ita) 32 Des tütschen orden] d. h. der Gemeinschaft, deren einziger Zweck ist, lediglich die deutsche Sprache zu verstehen 35 Gucklus] d. i. cuculus (eigentlich Kuckuck) 36 domne doctor] d. i. domine doctor, mein Herr Doktor (in der Anrede) In: Brant (1986), 597-627. <?page no="375"?> 000374 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 374 | 018 - Thomas Murner: Narrenbschwerung 018 A.II.1.3. Thomas Murner (1475-1537) Narrenbschwerung (1512) [1.] Vorrede Ich hab so manche nacht gewacht Vnd alle ständt der welt betracht, Manch hurnüß vnd manch bremmen stich Hab heimelich erlitten ich, Biß ich zu˚ disen eren kam 5 Vnd mich beschwörens ane nam, Die narren von den lütten zu˚ bringen. Gloub mir, das ich in disen dingen Verröret hab manch suren schweiß Vnd kratzt mich, do mich niendert beiß. 10 Ich hab durch su˚ chet / vnd durch lesen, Ob yendert wer ein man gewesen, Der mich die rechte kunst möcht leren, Wie ich die narren solt beschweren, Und hab durch wandelt manches landt, 15 Ee ich die rechte kunst erfandt, Darinn ich yetz bin meister worden, Ein narr in aller narren orden. Der narren orden ist so groß, Das er fült all weg vnd stroß, 20 Dörffer / stett / flecken, landt; Die hat vns all sebastian brandt Mit im bracht im narren schiff Vnd meint, es hab ein sundern griff, Ouch syent bsunder künstrych sachen 25 Vnd kynn nit yeder narren machen, Er heiß dann, wie er sy genant, Der narr sebastianus brandt. Ist er ein narr, als er das schrybt, So weiß ich nit, wer wyß belybt. 30 Er durt mich, das im wyßheit brist, Vnd er so gantz einfeltig ist; Doch hab ich in für wyß geacht, Das er sich selbs zu˚ m narren macht. <?page no="376"?> 000375 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 375 018 - Thomas Murner: Narrenbschwerung | Er hat ein schiff fart vffgerist, 35 Do findt ein yeder, wer er ist; Was yeder sy, würdt er bericht, Der eben war nympt syn gedicht. Doctor brandt hat manchem man Die narren schellen knipffet an, 40 Der das ließ tusent guldin gelten, Man dörfft in keinen narren schelten. Narren machen ist kein kunst, Es macht sich selber dick vmb sunst; An boumen wachsens vnd an esten, 45 So sindt die narren yetz die besten. Salomon spricht, der narren zal Vnwißlich sy gantz überall, Darumb es mir kein wunder ist, Das doctor brandt kein narre brist; 50 Dann wa die narren brot nit essen, Man würd den rocken wölfler messen. Vil narren haben ist ein bürden; Das wir der narren ledig würden, Hab ich ein nüwe kunst vnd leren 55 Erdicht: dieselben zu˚ beschweren, Vß vnsern landen tryben dannen Vnd in die welschen lender bannen Mit wyser vnd künstrycher ler, Das sy keim menschen schaden mer. 60 Der narren bschwerer bin ich gnant Vnd kenn ein narren durch ein wandt. Tütsch landt hett nie werdern man Dann mich, so ich beschwören kan; Es dett kein sach nie also nott, 65 So ietzünd narren gond in rott; Fürsten, herren narren sindt, In clöstren ich auch narren findt. Wo ich hyn greiff, do findt ich narren, Die zu˚ schiff vnd ouch zu˚ karren 70 Kummen sindt mit doctor brandt Vnd handt gefült alß dütsches landt; Wir sindt der narren vber laden. Nerrsche gest sindt nit on schaden. Yederman des narren lacht, 75 On der in bherbergt vbernacht. <?page no="377"?> 000376 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 376 | 018 - Thomas Murner: Narrenbschwerung Die alten, die das gsehen handt, Sagendt, das in dütsches landt Der gecken kam ein grosses here, Die sy vertriben handt mit were; 80 Jetz sindt die gecken wider kummen Vnd handt fill narren mit in genummen Vnd sindt mit doren so gerist, Als wie ein jocobs bru˚ der ist Mit müschlen allenthalb behenckt. 85 Nu˚ n raten zu˚ , lu˚ gt vnd gedenckt, Das wir der narren vns entlieden, Vff das sy vns nit weyter schieden; Den narrheit ist ein schedlich dingk, Das gar bald vnd ouch gar ringk, 90 Ein grossen, weyten einbruch du˚ t, So sy besitzt eins menschen mu˚ t Vnd wurtzlet eyn so heffteclich, Das du nymmer erwerest dich Vnd mu˚ st der narrheyt sterben dot; 95 Dann hilffet nüt zu˚ disser not. 2 ständt] Stände 3 hurnüß] Hornisse bremmen] Bremse, Stechfliege 6 Vnd mich beschwörens ane nam] und ich die Beschwörung vornahm 7 lütten] Menschen 9 Verröret] vergossen suren] sauern 10 niendert] nirgens 12 yendert] irgendwo 13 möcht] vermöchte, könnte 18 orden] Gemeinschaft, Stand 20 stroß] Straßen 22f. sebastian brandt [ … ] narren schiff] Brants Narrenschiff (EA Basel 1494) 24 sundern] besonderen griff] Kunstgriff, Kniff, Absicht 25 syent] seien 26-28 Vnd kynn nit [ … ] narr sebastianus brandt] Zitat aus Brants „Protestation“ (der dritten Ausgabe des Narrenschiffes, Basel 1499, vorangestellt) 29 als] wie 30 wyß] weise belybt] bleibt 31 durt] dauert brist] gebricht, mangelt 35 vffgerist] ausgerüstet 37 bericht] berichtet, belehrt 38 eben] genau, sorgsam 40 knipffet an] angeknüpft, -heftet 41 gelten] sich kosten 44 dick] oft 47 Salomon spricht, der narren zal] Pred. 1,15 48 Vnwißlich] nicht zu wissen 51f. Dann wa [ … ] messen] sprichwörtl. Redensart wa] sofern, wenn 52 rocken] Roggen wölfler] wohlfeiler 53 bürden] Bürde 55 leren] Lehre 56 Erdicht] erfunden 58 welschen lender] Italien und Frankreich 66 gond] gehen 72 alß] alles, das Gesamte 76 On] ausgenommen (der) 77 handt] haben 79 gecken] Wortspiel gecken (,Narren‘) und armengecken (,Armagnacs‘, französische Söldnertruppen, die 1439 und 1444 das Elsass verwüstet hatten) 80 were] den Waffen 82 in] sich 83 doren] Toren 84 jocobs bru˚ der] Wallfahrer nach Santiago de Compostela (Spanien) 85 müschlen] die ,Pilgermuschel‘ war Schmuck und Kennzeichen des Gewandes der Jakobspilger 86 raten] ratet lu˚ gt] seht zu 87 entlieden] entledigten 88 schieden] schadeten 90 ringk] leicht, schnell 95 der narrheyt sterben dot] an der Narrheit sterben 96 nüt] nichts [3.] Ein wechsen nase machen Das ich hie sitz der vordrist dran, Das macht, das ich beschwören kan; Ob es nit yedem würdt gefellen, Noch kan ich mich zu˚ m ersten stellen. <?page no="378"?> 000377 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 377 018 - Thomas Murner: Narrenbschwerung | Ich het min warlich schier vergessen, 5 Das ich myn ort nit het versessen. Ich bins der selbig geückelman, Der vnser narren bschwören kan Vnd der gschrifft ein nasen machen, Glosieren ouch zu˚ allen sachen. 10 Wen ich nit selber her wer kummen, Wer wolt myn örtlin yn hon gnummen? Darumb bin ich yetz beneuenut Vnd stell mich her in eigner hut. Man nent vns meister der geschrifft, 15 Die heilig ist vnd sele antrifft; Darumb londt wir vns doctor schelten Vnd wissendt nit, was die ru˚ ben gelten. Wir dörfften daß eins narren bschwerers, Dan der ley eins gu˚ tten lerers. 20 Wen wir vnser bibel lesen, Christi, der zwölffbotten wesen, Der heilgen gschrifft sindt wir so fro, Als wen du küwtest bonenstro; Wir achtendt nit das götlich recht, 25 Es macht vns im houpt schwampellecht. Wir sindt die ersten vndern gelerten, Die bösen valschen vnd verkerten, Vnd zeigendt dir das ewig leben, So wir wyt louffen irr dar neben. 30 Wir gloubendt als, das gschriben stat, Vnd handlent doch mit vnser that, Als ob daran kein zwyffel were, Es wer als sampt ein valsche lere. Wir sind die ersten, die verspotten, 35 Das wir dich leren vnd dir roten. Gott hat vns geben kunst vnd ere, Erkantnüß der götlichen lere; Darumb wir meister sindt genant, Das wir dir geben ein verstandt 40 Dyns heils vnd vnser nit vergessen, So sindt wir ouch mit narren bsessen. Wir wysent dich den rechten weg, Vnd louffent wir den affen steg. Der selbig weg / die hymel stroß, 45 Jetz ist er eng, dann ist er groß, <?page no="379"?> 000378 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 378 | 018 - Thomas Murner: Narrenbschwerung Jetz ist er lang / yetz ist er wyt, Nach dem ein yeder opffer gyt. Dann redent wir nach vnserm bduncken, Darnach wir etwan habent truncken, 50 Wir hondt sant peters schlüssel noch, Wie wol das schloß hat aber doch Gott durch syn gwalt verendern lon, Das selten me würt vffgethon. Gott mu˚ ß vns yetz barmhertzig syn, 55 Darnach erzürnent wir in fyn, Gu˚ tter ding mu˚ ß mit vns lachen, Wir hondt beuelch in synen sachen; Was wir thu˚ ndt, das ist gethon Vff erden vnd in hymels thron. 60 Er wer vns gantz ein eben man, Truwt er vns wol vnd schribs nit an! Wir vnd er sindt gschwister kindt, Dann syner gschrifft wir meister sindt, So er offt ist vnser knecht; 65 Als das wir wendt, ist mit im schlecht. Der gschrifft mach ich ein wechsen naß. Do ich vor mals herr thoman was, Do bsorgt ich all zyt, das ich hett Geprediget me / vnd me geredt, 70 Dann ich das selb geschriben fandt; Mit flyß su˚ cht ich rechten verstandt; Jetz so ich doctor murner heiß, Wann ich schon ein ding nit weiß, So blemper ich do mit herfür 75 Vnd lerne das, ouch sag ichs dir, Verlaß mich vff myn doctoradt; Das hat mir offt vnd dick geschadt. Ich schetzt mich dick für ein doctor, Do was ich ein narr noch als vor. 80 Die warheit schwygen, deller schlecken, Vil lassen in der feder stecken: Wan dich der todt würt strecken baß, Vor gott mu˚ st alles sagen das. Wir solten die vnwysen leren, 85 Das irrendt schäflin wider keren Zu˚ des rechten hirten stall: So bringen wirs den wölffen all, Von gott dem tüfel in syn huß; <?page no="380"?> 000379 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 379 019 - Jakob Wimpheling: Stylpho | Was wil zu˚ letst doch werden druß? 90 Ich wolt, wer vns beuelhen wolt Syn sel, das er ouch selber solt Darzu˚ lu˚ gen offt vnd dick. Die tüfel sindt vns yetz zu˚ gschickt, Das der für war einfeltig ist, 95 Dem durch myn ler ein sel entwischt. Es ist ein zyttiger reg gewesen, Die zecken mir ouch ab zu˚ lesen. Ich mocht nit lenger hie verharren, Das ich nit meldt myn eigen narren; 100 Noch hab ich mer dann tusent par, Die ich yetzundt nit sagen dar. Titel] Ein wechsen nase machen] sprichwörtl. Redensart wechsen] aus Wachs (das sich nach allen Seiten biegen lässt) 3 gefellen] gefallen 4 Noch] dennoch 5 min] meiner schier] fast 6 ort] Platz, Ecke, Winkel versessen] besetzt 7 geückelman] Gaukler 9 gschrifft] Hl. Schrift 10 Glosieren] Glossen machen (sinnverkehrende Zusätze) 12 örtlin] Plätzchen yn hon gnummen] eingenommen haben 13 beneuenut] willkommen 14 hut] Haut 15 meister] Magister 16 antrifft] betrifft 17 londt] lassen 18 sprichwörtl. Redensart gelten] kosten (d. h. das Nächstliegende nicht wissen) 19 dörfften] bedürften, brauchten daß] eher 20 ley] Laie 22 zwölffbotten] Apostel 24 küwtest bonenstro] Bohnenstroh (d. h. etwas Ungenießbares) kautest (mit Widerwillen); sprichwörtl. Redensart 26 schwampellecht] schwindlig, verwirrt 27 vndern] unter den 27f. gelerten [ … ] verkerten] Variation der bekannten sprichwörtl. Redensart 40 verstandt] Verständnis 43 wysent] weisen 44 affen steg] Narrenweg 45-47 Der selbig weg [ … ] yetz ist er wyt] vgl. Mt 7, 13f. 48 gyt] gibt 50 Darnach wir etwan] je nachdem wir gerade 51 hondt] haben; vgl. Mt 16, 19. 54 me] mehr 58 Wir hondt beuelch] wir haben die Obsorge, uns ist anvertraut 61 eben] rechter, bequemer 62 Truwt] vertraut 66 wendt] wollen mit im] durch ihn (als in seinem Sinne geschehen) schlecht] recht und einfach, gut 73 doctor murner] Murner war seit 1506 Doktor der Theologie, seit 1519 auch Doktor beider Rechte 75 blemper] platze heraus 76 lerne] lehre 78 offt vnd dick] sehr häufig 80 noch als vor] dennoch wie vorher 81 schwygen] verschweigen deller schlecken] speichellecken, schmeicheln 82 Vil lassen in der feder stecken] viel ungeschrieben lassen 83 strecken baß] besser foltern (um die Wahrheit zu erzwingen) 86 wider keren] zurückzuführen 93 lu˚ gen] sehen, achten 97 zyttiger reg] Regen zur rechten Zeit 98 sprichwörtl. Redensart (d. h. mich auch gehörig vorzunehmen) 102 dar] wage In: Heger (Hg.) (1978), 530-536. 019 A.II.1.4. Jakob Wimpheling (1450-1528) Aus: Stylpho (1494) [Die Protagonisten der kurzen Komödie sind die Lizentiaten Stylpho und Vincentius, der eine lernfaul, jedoch mit Empfehlungen aus Rom, der andere wissbegierig, beide auf der Suche nach Anstellung. Stylphos Unbildung wird im Verlauf mehrerer Gespräche entlarvt und der fleißige und lerneifrige Vincentius kann den Konkurrenten schließlich ausstechen.] <?page no="381"?> 000380 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 380 | 019 - Jakob Wimpheling: Stylpho Pro licentia in artibus viae modernorum anno [MCCCC]LXXX J. Wimphelingius Zur Erteilung des Lizentiatengrades der Artistenfakultät neuen Stils im Jahre [14]80 J. Wimpheling Wir haben beschlossen, heute eine Lobrede auf die Lizentianden zu halten. [ … ] Ja, ich habe 5 Angst, euch ins Gesicht zu loben, da man meinen könnte, ich hätte es mehr aus Schmeichelei getan denn zum Beweis der Wahrheit. [ … ] Um daher nicht zum Wegbereiter verwerflichen Ehrgeizes und Zwistes um Ehrungen zu werden, steige ich hinab zum Schauspiel, oder besser, einem Histörchen: das wird augenscheinlich beweisen, wie wohl ihr daran getan habt, euch dem Studium der freien Künste ganz zu weihen; auch wird diese Geschichte allen nahelegen, 10 niemals die Lippen, haben sie einmal an ihm genippt, vom Kelch der Philosophie abzusetzen oder abzuziehen. [ … ] [ Zweite Szene] Lambert. Stylpho. Vincentius. [ … ] vincentius. Wir Akademiker wissen recht wohl, wie hart und heftig wir von Leuten, die nie 15 studiert haben, verurteilt werden; doch wird ein falsches Gerücht schnell unterdrückt, wenn es nur möglich wäre, daß einer seines Lebens Lauf vollende, ohne von den Leuten bissig angefeindet zu werden. Es ist der Trost der Ungebildeten, an den Gebildeten zu nörgeln, denn sie vermeinen, ihre Fehler minderten sich, weil so viele fehlen; dagegen aber trägt bei Klugen und Verständigen das Verdienst und das Wissen hochberühmter Gelehrter 20 den Sieg über die üble Nachrede des Pöbels davon. Ihr fragt, wem die Jünger der Philosophie von Nutzen sind? Schaffet die Universitäten ab, und ihr werdet Rom abschaffen, den Papst absetzen und den Klerus samt seiner Herde auf Irrwege zwingen. Was, glaubt Ihr, geschähe mit dem rechten Glauben, wenn nicht der Unwissenheit der Pfarrer durch die Lehrsätze und Auslegungen der Gelehrten gesteuert und sie belehrt würden? Profecto 25 verbum hoc verum est: scientia non habet inimicum nisi ignorantem. Wahrlich, das Wort trifft zu: der Wissenschaft ist nur der Unwissende feind. Wie gar verhaßt ist doch das Wissen den Ungebildeten, und der Narr hat in ihm seines Bleibens nicht. Insipiens odit libros ut noctua solem, Delicias stulto dat littera quas lyra capro, 30 Et velut ad citharam longa manet aure prunellus, Sic audit cuculus doctorum dogmata mutus. Bücher hasset der Tor so wie die Eule die Sonne, Narren freut Literatur so wie die Leier den Geißbock, Und wie der Esel sitzt mit langem Ohr bei der Zither, 35 So hört der Gimpel stumm dem Vortrage zu der Gelehrten. lambert. Wenn ich wollte, könnte ich auch durchaus studieren. Ginge ich auf die Hochschule, so zahlte man mir auch in meiner Abwesenheit aus meiner Pfarrei jährlich sechzig Gulden aus. <?page no="382"?> 000381 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 381 019 - Jakob Wimpheling: Stylpho | vincentius. Vom Quell des Wissens trinkt man nicht nur, weil man bemittelt ist. Nicht 40 jeder, der eine fette Pfründe hat, schickt sich zur Schulung in der Philosophie, denn ihr Studium erfordert Talent, Gedächtnis, Fleiß, Verstandesschärfe, stets wachsames Bemühen und häufige Übung. lambert. Ich gebe zu: ich bin schon zu alt, um die Geißel der Bildung zu ertragen: ich werde leben wie bisher, da ich weiß, es geht mir nichts ab von dem, was nach allgemeiner Ansicht 45 zum frohen Leben gehört. Ich habe Geld und Hausrat, Wein und Freunde und volle Speicher. Doch was willst du nun endlich hier tun, Vincentius? vincentius. Ich möchte mir ein Dekretalenbuch kaufen sowie ein Manuskript über Rechtsgelehrsamkeit aus Palermo und fünfzig Bände Digesten, wobei mir mein Vater hoffentlich aushelfen wird. 50 lambert. Ach die armen, die unglücklichen Eltern von Universitätsstudenten! Immer müssen sie hergeben, immer bleibt etwas, das ihre Söhne verlangen. In deinem Alter habe ich meine Eltern nicht so behelligt: in Hildesheim, in Deventer, in Zwickau und Zwolle hab ich mir Partecken verdient - wenn man sie hertragen könnte, wäre in dieser Stube nicht Platz genug. 55 vincentius. Freilich weiß ich, daß ich von meiner Familie manches bekommen habe, doch wankte meine Hoffnung nie, daß ich ihnen so Gott will schließlich alles durch Großzügigkeit und sanfte Liebe vergelten kann. Auch braucht man Minervas Glorie nicht mit viel Geld zu erwerben. Ein jeder, der verständig ist, stellt Wissenschaft vor Geld, und nur wer die nicht erlangen kann, verwirft sie. Ein Füchslein sah einmal eines Esels Hoden, wie sie 60 herunterhingen, und glaubte, sie seien schon im Begriff, abzufallen; so folgte er ihm in der Hoffnung auf Beute lange nach. Doch als der Fuchs sich enttäuscht sah, da die Hoden nicht abfielen, sprach er: ,Ei, wie schwarz die doch sind; nimmer hätt’ ich sie fressen mögen! ‘ lambert. Du aber hast es gut, Stylpho. Du bist nicht hergekommen, um bei deinen Eltern etwas herauszuholen, sondern um sie mit dir zu sichern; wieviel besser ist es doch, sich um 65 den Erwerb von Pfründen statt der Philosophie zu mühen! stylpho. Ganz davon zu schweigen, daß ich schon gegenwärtiger Not entronnen bin, gelobe ich auch, meinen Verwandten und Freunden ein Rettungsanker zu werden. [ … ] [Vierte Szene] Stylpho. Petrucius. 70 [ … ] petrucius. Es freut mich, daß du im Trubel und den Stürmen Roms die Wissenschaften nicht vernachlässigt hast. Heißt es doch, daß der nicht leicht an Wissen zunimmt, der sich im Maultierstalle oder an der Seite von Kardinälen aufhält. Man sagt, daß solche Leute sich herumtreiben, hin- und herrennen, Marktschreier und Zuträger, Köche, Metzger, Bäcker 75 und Stallknechte sind, aber die hochheilige Minerva vernachlässigen. stylpho. Ich will ja zugeben, daß die Bewohner jenes Ortes nicht gerade im Lesen und Hören der Literatur sich hervortun, aber ich habe mich zumeist nach Kräften beflissen, dem Studium der Bücher nachzugehen. <?page no="383"?> 000382 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 382 | 019 - Jakob Wimpheling: Stylpho petrucius. Ich glaube, daß in Rom, wie man sagt, das Studium der schönen Künste weit 80 verbreitet ist; drum sind dir, wie ich meine, die hervorragendsten Dichter sicherlich wohlbekannt. So sage mir: wie fängt das Hirtengedicht bei Vergil an? stylpho. ,Tı ´tyre, tu pa´ tulae re´ cubans su´ b tegı ´mine fa´ gi.‘ petrucius. Wenn du so Verse zu skandieren pflegst, machst du mir ja zwei aus einem. Ich wußte wohl, daß die Franzosen regel- und betonungswidrig vortragen und hörte auch 85 unlängst, daß auch in Italien eine verworrene und undifferenzierte Aussprache der Wörter eingerissen ist. Doch will der Bischof nicht, daß ich dich darin prüfe, sondern es kommt mehr darauf an, herauszufinden, was du in der Lehre des Evangeliums leistest. Lies doch hier das zwölfte Kapitel im Lukas. stylpho. ,Stecket an vom Korn der Pharisäer.‘ 90 petrucius. Lies weiter in der Mitte. stylpho. ,Gegürtet seien eure Lenden, und brennende Latrinen habet in den Händen.‘ petrucius. ,Dixit‘: wie heißt die erste Person Präsens, Indikativ? stylpho. Dixo, dixis. petrucius. Was ist das Präsens von ,narraverunt‘? 95 stylpho. Narvo, narvas, narvare. petrucius. Kommst du von legaler Ehe? stylpho. Nein, ich komme von Laudenburg. petrucius. Was ist ein Sakrament? stylpho. Das ist ein hochedler Ausdruck, der aus griechischen Quellen stammt. 100 petrucius. Geh zurück zum Bischof und bringe ihm diesen Brief, in dem ich ihm meinen Befund über dich mitteile. [ Fünfte Szene] Stylpho. Assverus. stylpho. Hochwürdiger Bischof, Petrucius hieß mich Euch diesen Brief bringen, worin er mir hoffentlich ausreichendes Wissen bescheinigt. 105 assverus. Soweit ich aus Petrucius’ Brief ersehen kann, Stylpho, eignest du dich besser dazu, Schweine zu hüten als Menschen. In unserer Diözese wird dir keinerlei Amt offenstehen können, noch glaube ich, daß unser Suffragan dich in den Ordensstand befördern kann. [ Sechste Szene] Stylpho. Schultheiß. 110 stylpho. Satis etiam durus est sacerdotum status, plenus curarum, plenus periculi. Der Priesterstand ist ja auch recht hart und voller Sorgen und Gefahren. Was habe ich nicht in Rom gesehen? [ … ] [ … ] Schluß des Dichters 115 Welch erstaunlicher Schicksalswandel! Vom Höfling ward er zum Dörfler, vom Freund von Kardinälen zum Bauernknecht, vom Hohen zum Erniedrigten, vom Seelenhirten zum Sau- <?page no="384"?> 000383 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 383 020 - Erasmus von Rotterdam: Das Lob der Torheit | hirten. Solch elend Ende bringt Unwissenheit. Dem Vincentius halfen seine Eltern aus, er ging zurück zur Universität, studierte eifrig die Rechte und wurde dann zuerst in des Fürsten Kanzlei aufgenommen und darauf durch dessen Fürspruch zum Domherrn befördert; 120 schließlich wurde er einstimmig zur Bischofswürde erhoben und regierte glücklich. Lebt wohl und klatscht Beifall! Ende Zu euch, Bakkalaurei, wende ich jetzt vornehmlich Augen und Stimme. Glaubt nicht, ihr habet schon aller Wissenschaften Ziel erreicht: viel Nützliches verbleibt euch noch zu lernen, 125 und was ihr schon gelernt, müßt ihr mit Eifer pflanzen, auf das es Wurzel schlage. 3 Artistenfakultät] Die älteste Fakultät der 1386 eingeweihten Universität Heidelberg war die facultas artium [der Freien Künste]; sie entsprach der heutigen Philosophischen Fakultät. Der Grad des Lizentiaten stand zwischen dem Bakkalaureus und dem Magister bzw. Doktor und befähigte zum Unterricht. Wimpfeling hatte das Stück bereits 1480 zur Lizentiatenfeier verfasst, 1494 erschien es erstmals im Druck 31 prunellus] die Verse stammen wohl von Wimpheling. Prunellus (,brunellus‘) ist in einem mittelalterlichen Scherzgedicht der Esel, der studieren will, aber nur die Vokale ,ii-aa‘ lernt 48 Dekretalen] kanonisches (Kirchen)Recht 49 Digesten] die in 50 Bänden zusammengefassten Digesten (oder Pandekten) sind ein Teil des röm. bürgerlichen Rechtskanons 54 Partecken] Gaben, Almosen an Geld und Speisen, die sich die Schüler vor den Türen ersangen 58 Minerva] Göttin der Weisheit und der Wissenschaft 90 Stecket an vom Korn der Pharisäer] Stylpho liest frumento (Korn) statt fermento (Sauerteig), accendite (steckt an) statt attendite (hütet euch), ebenso wie nachher luternas (Latrinen) statt lucernas (Öllampen) 108 Suffragan] ein dem Erzbischof unterstehender stimmberechtigter Bischof derselben Kirchenprovinz Wimpheling (1971). Anmerkungen nach ebd. 020 A.II.2.1. Erasmus von Rotterdam (um 1466-1536) Aus: Das Lob der Torheit [Moriae encomium, id est, Stultitiae laus] (1511) Der Weise nimmt seine Zuflucht zu den Büchern der Alten und lernt daraus nichts als in Worten kramen; der Tor packt frisch die Dinge selbst an und schlägt sich mit ihnen herum, und so erwirbt er sich das, was ich wahre Klugheit nenne. [ … ] Denn vornehmlich zweierlei hindert den Menschen, sich zur Kenntnis der Welt durchzukämpfen: die Scham, die ihm eine Rauchwolke in die Augen bläst, und die Furcht, die ihm die Gefahr enthüllt und vom Aben- 5 teuer abrät. Gegen beides gegen Scham und Furcht hilft mit glänzendem Erfolg die Torheit. Nur wenige Menschen sehen ein, wieviel Nutzen es allerdings bringt, von Scheu und Bedächtigkeit frei zu sein. Wenn man lieber jene Klugheit annehmen will, die im Urteilsvermögen besteht, dann vernehmt bitte, wie weit davon alle entfernt sind, die sich etwas darauf auf Scheu und Hemmungen zugute tun. Es steht doch nun einmal fest, daß alles im mensch- 10 lichen Leben seine zwei grundverschiedenen Seiten hat wie die Silene des Alkibiades. Was obenhin als Tod erscheint, entpuppt sich bei näherem Zusehen als Leben und umgekehrt. Mit Wohlgestalt und Unförmigkeit, mit Reichtum und Armut, mit Nichtigkeit und Ruhm, Gelehrtheit und Ungelehrtheit, Stärke und Schwäche, Adel und Namenlosigkeit, Freude und <?page no="385"?> 000384 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 384 | 020 - Erasmus von Rotterdam: Das Lob der Torheit Trauer, Glück und Unglück, Heil und Schaden ist es genauso, kurz, man findet alles unver- 15 sehens ins Gegenteil verkehrt, wenn man den Silen aufdeckt. Sollte das jemand allzu philosophisch gesagt scheinen, will ich es handgreiflich darstellen für die Dickköpfe: Mit Geistesgütern ist er nicht ausgestattet, und es dünkt ihn freilich nichts genug, also ist er wohl sehr arm. Dann ist er seelisch in vielerlei Laster verstrickt, und damit lebt er schon in schändlicher Knechtschaft. Ähnlich könnte man in allen anderen Fällen philosophieren. Doch mag das als 20 Beispiel genügen. Was soll das nun, könnte jemand fragen. Nun, gebt acht, worauf wir hinauswollen! Wenn einer versuchen wollte, Schauspielern auf der Bühne die Masken herunterzureißen und den Zuschauern die wirklichen Gesichter zu zeigen, würde er nicht das ganze Stück verderben und verdienen, wie ein Besessener von allen mit Steinen aus dem Theater verjagt zu werden? Es könnte so allzu plötzlich ein neues Bild der Verhältnisse 25 erscheinen: wer eben noch Frau war, ist jetzt ein Mann, wer eben noch Jüngling war, gleich Greis, wer kurz vorher ein König war, entpuppt sich nun als der namenlose Dama des Horaz, wer eben noch Gott war, erscheint plötzlich als Menschlein. Zerstört man aber die Illusion, so ist das Spiel verdorben - gerade Maske und Schminke fesseln den Zuschauer. Was ist denn das menschliche Leben schon anderes als ein Schauspiel, in dem die einen vor 30 den anderen in Masken auftreten und ihre Rolle spielen, bis der Regisseur sie von den Brettern abruft? Oft genug steckt der Regisseur denselben Spieler in verschiedene Kostüme, so daß er bald als purpurgeschmückter König, bald als dürftig gekleideter Sklave erscheint. Schein ist zwar alles, aber dieses Stück wird nicht anders gegeben. Nun denkt euch, es fiele ein Weiser vom Himmel und finge an zu schreien: „Der da, zu dem alle wie Gott dem Herrn 35 aufschauen, ist kaum noch ein Mensch; denn wie ein Stück Vieh läuft er am Leitseil der Triebe! Ein Sklave ist er, verächtlich wie nur einer; denn freiwillig front er einer Menge der abscheulichsten Herren! Und du, was weinst du um den verstorbenen Vater? Lache doch lieber! Er fängt ja erst an zu leben, dieweil das Leben hienieden nichts ist als ein Tod.“ Einen Adelsstolzen könnte er namenlos und Bankert nennen, weil er kein Verhältnis zur Tugend 40 hätte, die allein die Quelle der Vornehmheit sei. So könnte unser Weiser über alles sonst seine Sprüche machen. Bitte, was hätte er aber anderes getan als sich vor allen verrückt und besessen gebärdet? Wie nichts törichter ist als unangebrachte Weisheit, so ist nichts weniger klug als verkehrte Klugheit. Verkehrt handelt nämlich, wer sich der augenblicklichen Lage nicht anpaßt und seine Fahne nicht nach dem Wind stellt, sich nicht wenigstens des η´ πιυι, η´ α´ πιυι 45 „Sauf oder lauf! “ Adagia I 10, 47 erinnert und fordert, daß das Spiel nicht mehr Spiel sei. Dagegen zeugt es für die rechte Klugheit, wenn du als Mensch nicht über deinen Grenzen hinaus weise sein willst und mit dem gemeinen Haufen gern ein Auge zudrückst oder und munter irrst. Das aber, sagen sie, sei gerade das Merkmal der Torheit. Ich will es nicht einmal abstreiten, nur sollen jene ihrerseits zugeben, daß man so das Bühnenstück des Lebens spielt. 50 Ihr Götter, soll ich tatsächlich das andere auch noch erwähnen, oder soll ich schweigen? Doch warum sollte ich die lauterste Wahrheit verschweigen? Vielleicht ist es angemessen, bei solchem Vorhaben die Musen vom Helikon herabzubemühen, wie das die Dichter oft genug bei faden Nichtigkeiten tun. Steht mir also ein wenig zur Seite, ihr Töchter des Zeus, indes ich meinen Beweis führe, daß keiner zu jener trefflichen Weisheit und angepriesenen Burg der 55 Glückseligkeit gelangt ohne das Geleit der Torheit. <?page no="386"?> 000385 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 385 021 - Erasmus von Rotterdam: Der Abt und die gelehrte Frau | 11 Silene des Alkibiades] in Platons Symposium (,Das Gastmahl‘) erklärt der Politiker Alkibiades, der Philosoph Sokrates sei wie ein Silen (eine Unheil abwehrende Statuette zur Aufbewahrung von Schmuck) - außen unscheinbar, aber im Inneren ein großer Geist 40 Bankert] nicht eheliches Kind (veraltet, stark abwertend) 53 Helikon] Gebirge in der griech. Landschaft Böotien, Sitz der Musen In: Erasmus (1995), 61-65. 021 A.II.2.1. Erasmus von Rotterdam Der Abt und die gelehrte Frau [Colloquia Familiaria, Abbatis et Eruditae] (1524) Antronius. Magdalia. antronius. Was ist das für eine Einrichtung? magdalia. Ist sie nicht geschmackvoll? antronius. Vielleicht geschmackvoll schon; aber sie paßt wohl weder zu einem Mädchen noch zu einer verheirateten Frau. 5 magdalia. Warum denn? antronius. Weil alles mit Büchern vollgestopft ist. magdalia. Du bist schon so alt, außerdem Abt und ein Mann von Welt; hast du noch nie Bücher im Haus hochgestellter Frauen gesehen? antronius. Schon, aber französisch geschriebene; hier sehe ich griechische und lateinische. 10 magdalia. Kann man Bildung nur aus französischen Büchern lernen? antronius. Allerdings sollen hochgestellte Frauen etwas haben, woran sie sich in ihren Mußestunden erfreuen können. magdalia. Dürfen etwa nur hochgestellte Frauen gebildet sein und angenehm leben? antronius. Du bringst Dinge zusammen, die nicht zusammengehören: gebildet sein und 15 angenehm leben. Gebildet zu sein ist unweiblich. Sache hochgestellter Frauen ist es, angenehm zu leben. [ … ] magdalia. Es gilt doch als völlig normal, wenn eine Deutsche Französisch lernt? antronius. Natürlich. 20 magdalia. Und weshalb? antronius. Damit sie mit denen sprechen kann, die Französisch können. magdalia. Und für mich, glaubst du, ist es unpassend, wenn ich Latein lerne, um täglich mit so vielen Autoren, so beredten, gebildeten, vernünftigen und zuverlässigen Ratgebern Zwiesprache zu halten? 25 antronius. [Libri adimunt multum cerebri foeminis, quum alioqui parum illis supersit.] Die Bücher rauben den Frauen viel von ihrem Verstand, und sie haben ohnehin zu wenig. magdalia. Wieviel ihr Männer habt, weiß ich nicht. Ich möchte jedenfalls das wenige, das ich habe, lieber für ordentliche Studien verwenden als für das sinnlose Hersagen von Gebeten, für nächtelange Trinkgelage und das Leeren riesiger Humpen. 30 30 <?page no="387"?> 000386 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 386 | 021 - Erasmus von Rotterdam: Der Abt und die gelehrte Frau antronius. Der Umgang mit Büchern bringt die Leute um den Verstand. magdalia. Und das Gerede von Saufbrüdern, Possenreißern und Hanswursten bringt dich nicht um den Verstand? antronius. Nein, es vertreibt die Langeweile. magdalia. Wie wäre es dann möglich, daß so liebenswürdige Gesprächspartner mich um 35 den Verstand brächten? antronius. Man sagt es jedenfalls. magdalia. Aber die Wirklichkeit spricht eine andere Sprache. Um wieviel größer ist die Zahl derer, die unmäßiges Trinken, endlose Gelage, durchzechte Nächte und triebhafte Unbeherrschtheit um den Verstand gebracht haben? 40 antronius. [Ego sane nollem uxorem doctam.] Ich jedenfalls möchte keine gelehrte Frau. magdalia. [At ego mihi gratulor, cui contigerit maritus tui dissimilis. Nam et illum mihi, et me illi cariorem reddit eruditio.] Und ich beglückwünsche mich, daß ich einen Mann bekommen habe, der anders ist als du. Denn die Bildung macht uns einander nur noch lieber. 45 [ … ] antronius. [Frequenter audivi vulgo dici, foeminam sapientem bis stultam esse.] Ich habe oft sagen hören, eine gebildete Frau sei doppelt dumm. magdalia. [Isthuc quidem dici solet, sed a stultis.] Das wird oft behauptet, aber von Narren. [ … ] 50 antronius. Irdendwie ist es doch so: Wie ein Sattel nicht zum Ochsen, so paßt die Bildung nicht zur Frau. magdalia. Aber du kannst nicht leugnen, daß ein Sattel noch eher zum Ochsen paßt, als die Mitra zum Esel oder Schwein. - Was denkst du von der Jungfrau Maria? antronius. Das beste. 55 magdalia. Las sie nicht oft Bücher? antronius. Sicher; aber nicht solche. magdalia. Was las sie dann? antronius. Die Stundengebete. magdalia. In welcher Fassung? 60 antronius. In der des Benediktinerordens. magdalia. Mag sein. Wie steht es mit Paula und Eustochium? Lasen die nicht oft heilige Bücher? antronius. Aber das ist heutzutage selten. magdalia. [Sic olim rara avis erat Abbas indoctus, nunc nihil vulgatius … ] Ebenso war 65 früher einmal ein ungebildeter Abt ein seltener Vogel; heutzutage ist nichts häufiger als das. Früher zeichneten sich Fürsten und Kaiser nicht minder durch ihre Bildung als durch ihre Macht aus. Und doch ist es nicht ganz so selten, wie du glaubst. Es gibt in Spanien und in Italien nicht wenige sehr vornehme Frauen, die es mit jedem Mann aufnehmen könnten. Es gibt in England solche in der Familie Morus, in Deutschland in den Familien Pirckheimer 70 und Blarer. Wenn ihr euch aber nicht in acht nehmt, wird es noch soweit kommen, daß wir in den theologischen Schulen den Vorsitz führen und in den Kirchen predigen. Wir werden eure Mitren in Besitz nehmen. <?page no="388"?> 000387 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 387 022 - Ulrich von Hutten: Querelae in Lossios, I 1 | antronius. Das möge Gott verhüten. magdalia. Nein, es wird an euch liegen, es abzuwenden. Wenn ihr euch weiterhin so 75 verhaltet wie bisher, werden eher die Gänse auf die Kanzel steigen, als daß sie noch länger euch stumme Hirten ertragen. Ihr seht, daß die Weltszene sich von Grund auf wandelt. Man muß entweder abtreten oder seine Rolle spielen. antronius. Daß ich diesem Weib begegnen mußte! - Wenn du uns einmal besuchst, werde ich dich höflicher empfangen. 80 magdalia. [Quibus modis? ] Wie denn? antronius. [Saltabimus, bibemus affatim, venebimur, ludemus, ridebimus.] Wir werden tanzen, reichlich trinken, jagen, spielen und lachen. magdalia. [Mihi quidem iam nunc ridere libet.] Ich habe allerdings Lust, schon jetzt zu lachen. 54 Mitra] traditionelle Kopfbedeckung für Bischöfe und andere hohe Würdenträger, Bischofsmütze 62 Paula und Eustochium] Röm. Heilige (Mutter und Tochter); beide studierten unter der Anleitung des Hl. Hieronymus die Bibel und übernahmen dessen asketischen Ideale 70 Familie Morus] Thomas Morus, engl. Dichter (Utopia, 1516) und Freund des Erasmus von Rotterdam 70f. Pirckheimer und Blarer] Willibald Pirckheimer, Nürnberger Humanist; Gerwig Blarer, Reformator aus Schwaben In: Erasmus (1976). 022 A.II.3. Ulrich von Hutten (1488-1523) Querelae in Lossios, I 1 (1510) Dii, quibus extremi diffusa potentia mundi Cessit, et hoc totum est omnia quidquid habent, Vos miser Huttenus lacrymis accersit inultis, Et querula, si qua est, voce requirit opem. Respice, Christe, meos, ita tu quoque passe, labores, 5 Cum tibi mundanus indueretur homo; Respice non veteres casus, sed temporis hujus, Quam sind fortunis omnia dura meis. Ecce furit teneros vehemens quartana per artus, Et caput exhaustum est viribus omne suis; 10 Atque, ubi desaevit tremebundum in corpore frigus, Ingruit Aetnaeo non minor igne calor. Ipsa etiam est imis vis morbi incussa medullis, Siccaque concusso pendet ab osse cutis; Si pedibus conor malefirmum attollere corpus, 15 Fessa sub hoc tenui pondere crura labant; <?page no="389"?> 000388 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 388 | 022 - Ulrich von Hutten: Querelae in Lossios, I 1 Si manuum officio consuetos molior usus, Vix possunt siccas brachia ferre manus. Nunc humero caput est fultum hoc, nunc incubat isti, Nulla mihi potus gratia, nulla cibi. 20 Haec graviora facit lapsis penuria rebus, Quaeque metum dubiae cura salutis habet. Quoque minus valeam, nullis hic fungor amicis, Qui possent tantis me relevare malis; Et patria careo, nimiumque iis urbibus absum, 25 Quas bonus implicito flumine Moenus adit; Undique tristitia est, ex omni angustia parte, Circumquaque aliquid me facit esse gravem. Haec tamen ut patiar, superat longum omnia tempus; Non tantum morbo pauperieque premor. 30 Bis fera cessit hiems, toties aestate peracta, Et valetudo manet, quae fuit ante mihi; Nec levius patior, morbus quoque tempore crescit, Foedaque crescendo est viribus aucta lues; Sic vaga continuis augentur flumina rivis, 35 Sic rogus insurgit, qui modo parvus erat. Non querar ista tamen, neque enim, quae ferre necesse est, Haec indignato pectore ferre licet; Sed movet in nobis miserandam Lossius iram, Diis notum est, liceat quam mihi jure queri. 40 Ille febres praeter mortali vulnere presso, Accincto longae, Sorte iubente, viae, Infandum! Misero foturas corpore vestes Abstrahit, et, morbum quod gravet, addit onus. Nulla viro pietas, neque enim miseratur euntem, 45 Ut decuit, longum per grave frigus iter. Dii, notum est vobis, quantum isto ex tempore pestis Aucta sit, in nobis quae fuit ante minor. Ipsum etiam vulnus concepti frigoris intus Intendit vitae prompta pericla meae. 50 Qui iacui, durum vehementi frigore corpus Semineces morbo concutiente manus; Quique peregrinos in concava vulnera fletus Commovi, ut varia sum revocatus ope! Quem non permoveam? cui non miserabilis essem? 55 Res foret haec duris illachrimanda feris. Tunc Phalaris potuit posito flevisse iuvenco, Busiris moestum congemuisset opus; <?page no="390"?> 000389 Auerx/ Probe / 21.06.19 10: 06 389 022 - Ulrich von Hutten: Querelae in Lossios, I 1 | Tunc ferus Eurystheus, tunc Thracius ore tyrannus Dixissent: poenis est minor ille suis. 60 Movissem torvumque Sinim, crudumque Procrustem, Traxissem rabidas a feritate tigres. Omnia movissem, sed enim, qui caetera vincit, Saevior in nobis Lossius esse potest. Hunc rupes inter duraeque ad robora quercus 65 Nutriit uberibus Afra leaena suis; Huic, ubi natus erat, quo nil crudelius esset, Dispositrix vitae saxea corda dedit. Haec queror, o Superi, donisque ad templa relatis, Ferre pias iusta vos precor aure preces: 70 Dura ferat, qui dura dedit, quique undique saevit, Cuncta habeat, quae sint saeva inimica sibi! Ille meas febres, ille horrida vulnera sumat, Ille ferat casus ordine quemque meos! Imprecor ista quidem, sed adhuc graviora meretur; 75 Omnia sunt vestrae debita iustitiae. In: Hutten (1862), 21-23. [Elegie I, 1] Götter, der äussersten Welt allmächtige, hohe Gebieter, Denen nichts sich entzeucht, was in sich fasset das All, Euch mit Thränen der Angst naht Hutten sich, ach, der Gekränkte, Und sein klagender Mund schreit um Errettung zu euch. Blick’ auf mein Jammergeschick, der du selber littest, oh Christe, 5 Als du, Göttlicher, dich hülltest in Menschengestalt; Nicht die früheren Leiden, den jetzigen Jammer betrachte, Und wie jeglicher Schmerz dringt auf mich Elenden ein. Siehe, mit Wuth durchstreift viertägig das Fieber die Glieder, Und erschöpft ist das Haupt von der gewöhnlichen Kraft; 10 Und, wann den Körper verlässt die Wuth des zitternden Frostes, Dringt mit Aetnaeischer Gluth brennendes Feuer hinein. Selbst das innerste Mark zerschellt die gewaltige Krankheit, Und am zerschlagnen Gebein hängt die vertrocknete Haut; Wenn ich versuch’ auf den Füssen den schwachen Leib zu erheben, 15 Wankt das ermüdete Knie unter der winzigen Last; Wenn zum gewohnten Dienst mit Müh’ ich strecke die Hände, Können die Arme kaum tragen die trockene Hand; Und es wankt mir das Haupt und stützt sich auf jegliche Schulter, Und nicht labt mich die Speis’, und nicht erquickt mich der Trank. 20 <?page no="391"?> 000390 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 390 | 022 - Ulrich von Hutten: Querelae in Lossios, I 1 Noch vermehrt dies Leid nach verlorenem Gute die Armuth, Und Besorgniss, dass nie möge die Heilung gedeihn. Schwerer wird die Genesung, da hier des Freund’s ich entbehre, Der in dem Jammergeschick lindernde Hülfe mir brächt’. Ferne der Heimath bin ich, entfernt gar weit von den Städten, 25 Welche der liebliche Mayn netzt mit gewundenem Fluss; Nirgend verlässt mich die Angst, und nirgend verlässt mich die Trauer, Alles um mich herum presst mich mit drückender Last. Dies jedoch noch ertrüg’ ich, die Zeit besieget ja Alles, Aber nicht Krankheit und Noth quälen mich Armenallein. 30 Denn zwei Winter entflohn, zwei Sommer sind ja verstrichen, Und das Siechthum bleibt, so wie es früher mir war; Nicht wird minder das Weh’, es wächst mit den Jahren die Krankheit, Und an Kräften sogar wuchs noch die garstige Seuch’; Also wächst der Fluss, dess Ufer weiter sich ausdehnt, 35 So die Flamme, wiewohl klein im Beginnen sie war. Doch nicht dieses beklag’ ich, denn, was zu tragen die Noth heischt, Ist mit erbittertem Sinn nimmer zu tragen erlaubt; Aber Lossius dringt auf uns ein mit grässlichem Zorne, Götter, ihr wisst es, wie viel Recht zu der Klage mir ist. 40 Er, da ausser dem Fieber noch das tödtliche Wunde mich quälte, Mich, den weit noch zu ziehn rief der Befehl des Geschicks, Zieht, o schändliche That! er vom kläglichen Leibe Warme Gewand’ hinweg, macht so noch läst’ger die Last. Ohne Gefühl ist der Mensch, denn hätt’ ihn sonst nicht gejammert 45 Ich, dem weit noch der Weg war in dem grimmigen Frost! Götter, ihr wisst, wie viel seit jenen Zeiten die Krankheit, Schlimmer geworden, die sonst lange so schlimm noch nicht war. Selber die Wunde des Frostes, den tief mein Inneres fühlte, Drohte dem Leben sogar schnelle und sichre Gefahr. 50 Wie doch lag ich am Weg’, erstarrt in der grimmigen Kälte, Ringend die Hände vor Schmerz, denen das Leben gebrach; Fremde benetzten mit Thränen die tiefgeschlagenen Wunden Mitleidsvoll, wie so viel Linderung ward mir zu Theil! Wer wohl wär’ nicht gerührt? wem wär’ ich nicht kläglich erschienen? 55 Grimmige Thiere sogar hätten geweint ob der That; Phalaris hätte daselbst, dem Stier zur Seite, geweinet, Und Busiris geklagt über das traurige Werk; Thraciens König hätte daselbst, es hätte Eurystheus: Nein, die Straf’ ist zu schwer, sicher mit Thränen gesagt; 60 Sinis, den wilden, hätt’ ich gerührt, den grausen Prokrustes, <?page no="392"?> 000391 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 391 023 - Ulrich von Hutten: [Querelae in Lossios, II, 10] Ad Poetas Germanos | Reissende Tiger sogar hätt’ ich zu Lämmern gemacht; Alles hätt’ ich gerührt, doch Er, der Alles besieget, Wilder zu seyn vermag gegen mich Lossius nur. Ihn erzog im Geklüft und tief im wildesten Forste 65 Africas Löwin einst, reichend die Brüste ihm hin; Ihm, da geboren er ward, dass nichts so Grausames wäre, Gab ein steinernes Herz Mutter Natur in die Brust. Dieses klag’ ich, ihr Götter! o nehmt, was gern ich euch spende, Hört mit gerechtem Ohr, was ich in Frömmigkeit fleh’: 70 Hartes erdulde, wer Hartes verübt, der Grimmige fühle Alles, was nur ihm selbst feindlich und grimmig erscheint! Er bekomme mein Fieber, und er die grässlichen Wunden, All mein Ungemach wird’ ihm zu Theil nach der Reih’! Dies zwar fleh’ ich von euch, doch Härteres wahrlich verdient er, 75 Eurer Gerechtigkeit ja stell’ ich es Alles anheim. 2 entzeucht] entzieht 12 Aetneo [ … ] igne / Aetnaeischer Gluth] Ätna, Vulkan auf Sizilien 39 Lossius] Wedeg und Henning Lötz, Greifswalder Kaufmänner, die Hutten beschuldigt, anstelle der erwarteten Förderung Schergen auf ihn angesetzt zu haben, die ihm den Mantel geraubt hätten 43f. vestes Abstrahit / Zieht [...] Last] Raub des Mantels; der Mantel gilt traditionell auch als Symbol für die gesellschaftliche Anerkennung des Dichters 57 Phalaris] Phalaris, für seine Grausamkeit berühmter Tryann von Akragas (Stadt in Sizilien), der seine Feinde in einen bronzenen Stier gesperrt und sie darin geröstet haben soll; ihre Schmerzensschreie sollen wie die Laute des Stiers geklungen haben 58 Busiris] ägyptischer König und Menschenopfer durchführender Priester des Osiris aus der Heraklessage 59 Thracius [ … ] tyrannus / Thraciens König] wohl Diomedes, König von Thrakien in der Heraklessage, der seinen Pferden Menschenfleisch zum Fraß vorwirft Eurystheus] König von Mykene in der Heraklessage; für ihn erfüllt Herakles seine zwölf Arbeiten 61 Sinim / Sinis] Sinis, Räuber aus der Theseussage, der seine Opfer mit Armen und Beinen an heruntergebogene Bäume fesselt, dass sie so zerrissen werden Procrustem / Prokrustes] Räuber aus der Theseussage, der seine Opfer in seinem riesigen Bett wie auf einer Streckbank dehnt, bis sie die Größe des Bettes erreicht haben Titel Klagen gegen die Kaufleute Wedeg und Henning Lötze (Lossius), von denen sich Hutten schlecht und ungerecht behandelt fühlte In: Hutten (1838), 22-35. 023 A.II.3. Ulrich von Hutten [Querelae in Lossios, II, 10] Ad Poetas Germanos Grande, Elegia, iterum, nec onus vulgare subibis: Semper habes tua quod crura fatiget iter; Tu tamen ire para, et nostris nil detrahe iussis: Hoc mihi non vilis munere surgit honor; Labere per totos commisso Teutonas orbe 5 <?page no="393"?> 000392 Auerx/ Probe / 21.06.19 10: 06 392 | 023 - Ulrich von Hutten: [Querelae in Lossios, II, 10] Ad Poetas Germanos Et patriæ gentes ruraque culta meæ, Non quod ibi merces fulvum tibi congerat aurum, Aut loca quod videas cognita sæpe prius, Sed pete Germanos ex ordine quemque poetas, Patria vel quos hoc nomine terra colit: 10 Ut quemque invenies, pro condicione saluta; Non referendus erit omnibus unus honor: Pars onerat Claria vivacia tempora lauro, Pars vegeto ipsa sibi consulit ingenio. [ … ] Contentus parvo Nemetis prope moenia Spirae Incolis angustas, Wiviphelinge, domos, Non nisi quod sacrum est, studio complexe frequenti, Qui, quicquid scribas, utilitate scates. 210 Multa, Iacobe, tibi debet Germana iuventus, Profeci monitis ipse ego saepe tuis. Sturmis ei comes est et Gallinarius illi, Et tu, qui nomen principis arce tenes. Plurima praeterea iuvenum consortia vatum, 215 Quos sibi doctrinis allicit ille suis. Hoc etiam Angustus, quondam meus, orbe vagatur, Wolphus, Plautino clarus in eloquio. Branthus ab iis paulum semotus considet oris, Qui Germana nova carmina lege facit, 220 Barbaraque in numeros compellit verba ligatos, Edit et ingenio carmina facta novo: Pulchre illi latum classis deducta per aequor Convehit insipidos quolibet orbe viros. Et, qui materiam sumens, Philomusus ab illo 225 Spem sibi ventura posteritate facit. Armat et adversos furibundum carmen in hostes, Turpe viris censens omnia velle pati. Barbariem contra pugnace Bebelius ore Non sine victuro nomine castra locat, 230 Quique suae nomen parit invioliabile Phorcae, Dum triplici sacros explicat ore libros, Inter Germanos ad comica scripta poetas Primum ausus vetitas explicuisse manus. In: Hutten (1862), 64-81. <?page no="394"?> 000393 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 393 023 - Ulrich von Hutten: [Querelae in Lossios, II, 10] Ad Poetas Germanos | [Elegie II, 10] An die deutschen Dichter Wiederum, o Elegie! harrt keine gewöhnliche Last dir, Immer zu reisen hast du, und zu ermüden den Fuß. Doch sey rüstig, zu geh’n, entziehe dich meinem Gebot nicht, Ehre, zumal nicht gering, keimt mir aus diesem Geschäft. Schweb’ im befohlenen Kreis umher bei allen Teutonen, 5 Bei den Völkern der Flur, wo mir das Vaterland blüht, Nicht um blinkendes Gold dir daselbst zum Lohne zu sammeln, Oder um Orte zu schau’n, die du schon früher geseh’n, Nein! Germania’s Dichter besuche mir all’ in der Reih’, Sie auch, Dichter genannt, welche mein Vaterland ehrt. 10 Jeden, wenn du ihn triffst, begrüße nach seinem Verhältniß, Denn nicht allen gebührt einerlei Ehrentribut. Einige decken die muntern Schläfe mit Clarischem Lorbeer, Andere bilden an sich sorgsam das rege Talent. [ … ] Froh bei Wenigem, nahe der Stadt, dem Remetischen Speyer, Wohnst, o Wimpheling! Du, eng in dem kleinen Gebäu, Nur das Heilige stets mit fleißigem Eifer umfassend, Der Du, was Du auch schreibst, Quelle des Nützlichen bist 210 Vieles verdankt, o Jacobus, Dir die Germanische Jugend, Und ich selber gewann oft aus den Lehren von Dir. Sturmis und Gallinarius sind ihm Gefährten, und Du auch, Der Du vom Fürstenberg Dich mit dem Namen benennst. Groß ist außerdem noch der jungen Dichter Gesellschaft, 215 Die er an sich mit dem Reiz seiner Gelehrsamkeit lockt. Wolfgang Angst auch wandelt, mein Freund vor Zeiten, in dieser Gegend umher, und berühmt ist er in Plautus Manier. Etwas weiter von da wohnt Brand in geringer Entfernung, Der nach teutschem Gesetz neue Gedichte verfaßt, 220 Und die noch ungebildete Sprach’ in gebundenen Vers zwingt, Originell an Geist sind die Gesänge von ihm. Herrlich führt ihm das Schiff, worauf er zur offenen See fährt, Ueberall her zu Hauf mancherlei Narren der Welt. Auch Philomusus, welcher den Stoff von jenem in Arbeit 225 Nahm, gibt Hoffnung zum Ruhm, dauernd in kommender Zeit. Stürmisch bewaffnet er auch sein Lied gegenüber von Feinden, Schmach ist’s ihm, wenn ein Mann alles gefallen sich läßt. <?page no="395"?> 000394 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 394 | 024 - Ulrich von Hutten: Ad Crotum Rubianum, de statu Romano Gegen barbarischen Geist zieht Bebel zu Felde, gerüstet, Wacker mit streitbarem Mund, leben wird immer sein Ruhm. 230 Er auch, der zur Unsterblichkeit weiht den Namen von Pforzheim, Da er die heilige Schrift dreifach in Sprachen erklärt, Der von Germaniens Dichtern zuerst nach dem komischen Griffel Auszustrecken die Hand wagte, dem Banne zum Trotz. 5 Teutonen] urspr. germanisches Volk der Antike aus Jütland, hier als Kollektivbegriff für die Deutschen gebraucht 208 Wimpheling] Jakob Wimpfeling (1450-1528), elsässischer Dichter und Humanist 213 Sturmis und Gallinarius] Jacobus Sturmius (Schüler Wimpfelings) und Johannes Gallinarius (1475-1516; Humanist, Lehrer und Prediger sowie Verwandter, Freund und Schüler Wimpfelings) 217 Wolfgang Angst] (um 1485-1523), Humanist, Buchdrucker und Schriftsteller 218 Plautus] Titus Maccius Plautus (um 254-184 v. Chr.), röm. Komödiendichter 219 Brand] Sebastian Brant (1458-1521), Dichterjurist und Verfasser des Narrenschiffs 225 Philomusus] Jakob Locher (auch bekannt als Jacobus Philomusus, 1471-1528), Humanist, Dramatiker und Schüler Sebstian Brants und Konrad Celtis’ 229 Bebel] Heinrich Bebel (1472-1518), Humanist und Verfasser der Oratio [ … ] de laudibus atque amplitudine Germaniae (,Lobrede über die Bedeutsamkeit der Germania [Deutschlands]‘) vor Kaiser Maximilian 1501 231-234 Er auch [ … ] Trotz] Johannes Reuchlin In: Münch (1838), 82-92, hier 82f. und 90f. 024 A.II.3. Ulrich von Hutten Ad Crotum Rubianum, de statu Romano (1516) Vidimus Ausoniae semieruta moenia Romae, hic ubi cum sacris venditur ipse Deus. ingentem, Crote, Pontificem, sacrumque Senatum, et longo proceres ordine Cardineos. tot sribas, vulgusque hominum nihil utile rebus, 5 quos vaga contecto purpura vestit equo. tot, Crote, qui faciunt, tot qui patiuntur, et illos, orgia qui vivunt, cum simulent Curios. rursum illos, qui nec simulant bona, nec bene vivunt, qui rident mores exsibilantque bonos. 10 quos iuvat esse malos, quibus et licet, in iuga quorum consentit miseris Teutona terra modis. qui dant, quique vetant, qui quos clausere recludunt arbitrio caelos distribuuntque suo. Romanas, neque enim Romanos! omnia luxu, 15 omniaque obscenis plena libidinibus. atque haec post Curios, Pompeios atque Metellos, - o mores atque o tempora - Roma tulit! Desine velle sacram imprimis, Crote, visere Romam: Romanum invenies hic, ubi Roma, nihil. <?page no="396"?> 000395 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 395 025 - Ulrich von Hutten: Vlrichi de Hvtten eqvitis ad Bilibaldvm Pirckheymer Norimbergensem epistola | An Crotus Rubeanus, über den Zustand Roms Des ausonischen Rom verfallenes Mauerwerk sah ich, hier, wo nicht Heiliges nur, wo man Gott selber verkauft. Crotus, den mächtigen Papst, das heil’ge Collegium sah ich, fürstlich zogen in Reihn auch Kardinäle vorbei; Schreiber zuhauf auch und nutzloses Volk, in Purpur gekleidet, 5 der, da sie hoch zu Roß, auch ihre Pferde bedeckt; die sich aktiv und die sich passiv hingeben der Wollust; Orgien frönen sie, doch Curius spiegeln sie vor. Jene auch sah ich, die lasterhaft leben und Tugend nicht heucheln, lachend nur über Moral, pfeifen den Anstand sie aus. 10 Laster ergötzt sie: sie dürfen es ja - und dies sind die Herren, denen heut unter das Joch Deutschland, das arme, sich beugt. Je nach Belieben erteilen, verweigern sie Ablaß; des Himmels Tor, wie es ihnen behagt, öffnen und schließen sie zu. Römische Weiber, nicht Römer sind sie, die in Prunksucht hier gleißen, 15 und es stinkt diese Stadt gänzlich von schamloser Brunst. Dieses duldet ein Rom, wo Curius einst und Pompeius, wo ein Metellus gelebt? O welch verkommene Zeit! Komme nur ja nicht, Crotus, dies „heilige“ Rom zu besuchen: Rom mag es heißen, doch hier findest du Römertum nicht. 20 Titel der Adressat Crotus Rubeanus (1480-1545) war Mitglied des Erfurter Humanistenkreises 1 Ausoniae [ … ] Romae] des alten, antiken Rom 7f. tot [ … ] Curios] Anklang an Juvenal 2, 3 „qui Curios simulant et Bacchanalia vivunt“; diese Satire verurteilt die männliche Homosexualität Manius Curius Dentatus] röm. Konsul und siegreicher Feldherr, galt als Sinnbild altröm. Sittenstrenge 18 o mores atque o tempora] der berühmte Ausruf von Cicero: In Catilinam 1,2 In: Schnur (1967), 220f. und 449 025 Ulrich von Hutten Aus: Vlrichi de Hvtten eqvitis ad Bilibaldvm Pirckheymer patricivm Norimbergensem epistola vitæ svæ rationem exponens (1518) Vlrichvs de Hvtten Bilibaldo Pirckheymer salvtem / Ulrich von Hutten seinen Gruß! seinen Gruß! [ … ] <?page no="397"?> 000396 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 396 | 025 - Ulrich von Hutten: Vlrichi de Hvtten eqvitis ad Bilibaldvm Pirckheymer Norimbergensem epistola [216] [ … ] Gestern kam zu mir von Basel ein Mann, den ich vorher noch nicht gesehen hatte, Oekolampadius, ein Theologe mit scharfen Zähnen, die so eifrig die Schriften aller drei 5 Sprachen klein machen, daß ihn jene bekannten zahnlosen Gesellen darum beneiden. Er erzählte mir, daß Erasmus nach seinem Brabant zurückgekehrt sei und daß mein „Niemand“ in der Frobenschen Druckerei in zweiter Auflage gedruckt wird. O, über dies törichte, diensteifrige Druckervolk, es ist ein leichtsinniger Menschenschlag! Bald werden sie beide Gallien mit meinem Produkt überschwemmen und meine Possen jenen wunden Theologen zu kos- 10 ten geben, die auch bei der leisesten Berührung schon zu zucken pflegen. Dann wird es mit dem armen Hutten schlimm stehen! Ich komme um, es ist vorbei mit mir! Mir ist schon schlimm zumute, das ist die Folge solcher Narreteien. Rate mir zum Guten, mein Willibald: ich brauche einen Freund, Rat ist mir vonnöten. Eck hat meinen Landsmann Karlstadt kurz und klein gerissen, einen rechtschaffenen Theologen; ebenso hat er mit Luther Streit, Luther 15 aber mit vielen: Da siehst Du, wie die Theologen wacker aufeinander losziehen. Eck drängt den Erasmus, wobei sich jener als Erasmus zeigt - wie könnte er auch anders? Vorgestern machten mir die Ärzte Leib - damit wird diese Kur abgeschlossen, denn nachher wird Luft und Wein zugelassen, letzterer freilich darf nur sehr verdünnt genossen werden. Auch ein reichlicheres Frühstück wird gewährt, obgleich man immer noch dem empfundenen Appetit 20 nach Essen nicht Genüge tun darf, damit nicht plötzliche Dünnleibigkeit eintritt. Oekolampadius läßt Dich grüßen; ich glaube, daß er als Prediger hier verweilt. Wilhelm Budäus, von den Edlen in Frankreich der gelehrteste, von den Gelehrten der edelste, schreibt Anmerkungen zu den Pandekten. Ich war außer mir vor Freude, als ich die Sache erfuhr. Da hast Du zu gleicher Zeit zwei Herkules, welche die grimmigste Pest verfolgen, dreifache Abwehrer des 25 Unheils, den Budäus und Erasmus, zwischen denen ich keinen Vergleich anzustellen wage. Jener hat des Accursius Nachkommenschaft in Frankreich bekriegt und mit der Wurzel das ganze Geschlecht der Bartholisten ausgerottet, dieser ist gegen die Barbaren zu Felde gezogen, welche den Dunst der Theologie verbreiten; er hat den heiligen Wissenschaften wieder Licht und Luft verschafft. Füge noch den Faber hinzu, der durch seine Erläuterung des Aristoteles 30 der Philosophie wichtige Dienste geleistet, füge Kopp und Ruellius hinzu: [217] Dieser bearbeitet den Dioscorides, jener den Galenus. O seculum! o literæ! Iuvat vivere, etsi quiescere nondum iuvat, Bilibalde. Vigent studia, florent ingenia. Heus tu, accipe laqueum, barbaries, exilium prospice. O Jahrhundert! O Wissenschaften! Es ist eine Freude, zu leben, wenn auch noch nicht, sich zur Ruhe zu setzen, mein Willibald! Es blühen die Studien, die Geister regen 35 sich! Du nimm den Strick, Barbarei, und mache Dich auf Verbannung gefaßt! So weit ist nun der Umfang dieses Briefes gediehen und darum ist er so lang geworden, weil ich auch von Dir recht ausführliche Schreiben zu erhalten wünsche. Erfülle meine Erwartung. Grüße in meinem Namen Deine Landsleute, die vorzüglich, mit denen ich bekannt bin, dann alle, die es wert sind und lebe Du selbst wohl, so wohl, wie Du es verdienst: Du verdienst aber das Beste. 40 Augsburg, den 25. Oktober 1518. 〈 telos 〉 ende 5 Oekolampadius] Johannes Oekolampadius (1482-1531), Humanist, Reformator und evangelischer Theologe 5f. drei Sprachen] Hebräisch, Latein und Griechisch 7 mein „Niemand“] Nemo, Gedicht Ulrich von Huttens (EA Augsburg <?page no="398"?> 000397 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 397 026 - Ulrich von Hutten: Clag vnd vormanung gegen dem übermässigen vnchristlichen gewalt des Bapsts | 1518) 14 Eck] Johann Eck (1486-1543), katholischer Theologe, Pfarrer und Humanist; Gegner Luthers und der Reformation Karlstadt] Andreas Bodenstein, gen. Karlstadt (um 1480-1541) 17 als Erasmus zeigt 〈 Erasmum præstat 〉 ] d. h., Erasmus schweigt 18 Leib] d. h. Durchfall (mittels Klistier) 22 Budäus] Guillaume Bude ´ (1468-1540), Humanist und Jurist, Mitbegründer der neuzeitlichen Rechtswissenschaft 24 Pandekten] die Pandekten, Bestandteil des Corpus juris civilis 27 Accursius] wahrscheinlich der berühmte Bologneser Jurist und Glossator Accursius d. Ä. (um 1182- um 1260) 28 Bartholisten] Anhänger des italienischen Rechtsgelehrten und Glossators Bartolus de Sassoferrato (1314-1357) 30 Faber] Jacobus Faber Stapulensis (Jacques Lefe `vre d’Etaples; 1455-1536), bedeutender französischer Humanist 31 Kopp] Guillaume Copus (1471-1532), Arzt, Humanist und Professor der Medizin in Basel und Paris Ruellius] Johannes Ruellius (1474-1537), namhafter französischer Mediziner 32 Dioscorides] Pedianos Dioskorides (1. Jh. n. Chr.), Verfasser eines maßgeblichen Werks über die Heilkräuterkunde Galenus] der Grieche Galenos (129-199), die medizinische Autorität der Antike In: Heger (1978), 184-193, hier 191-193. 026 A.II.3. Ulrich von Hutten Clag vnd vormanung gegen dem übermässigen vnchristlichen gewalt des Bapsts (1520) Man sicht wol wie ein yeder lebt, nach gottes eer der Bapst nit strebt, allein in zeytlich gu˚ t erhebt. Drumb auch zwey schwert er meynt zu˚ han vnd läßt die schlüssel hinden gan. 5 Dich wolt vor zeyten werffen auff zu˚ künig, ein großmächtig hauff. do bist du weyt geflohen hjn. [ … ] Vnd schleyfft das purper hinden nach, in demu˚ t hat er kein gemach, 15 mit hoffart treibt allein sein sach. [ … ] Dem sey nu˚ n wie jm werden kan, so mu˚ sß man doch ye gryffen an das nutz vnd auch von nöten ist, vnd das der cörpel bleib in frist, 130 die krancken glider schniden ab. Latein ich vor geschriben hab, das was eim yeden nit bekandt. Yetzt schrey ich an das vatterlandt Teütsch nation in irer sprach, 135 zu˚ bringen dißen dingen rach. <?page no="399"?> 000398 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 398 | 027 - Ulrich von Hutten: Ain new Lied herr Vlrichs von Hutten 4f. schwert [und] schlüssel] Symbole der weltlichen und geistlichen Gewalt han] haben, besitzen 6-8 Dich wolt vor zeyten [ … ] geflohen hjn] Joh 6, 15. 130 cörpel] Körper in frist] vor Schaden bewahrt 132 Latein ich vor geschriben hab] Hutten deklariert seinen Sprachenwechsel: Es ist sein erstes Werk, dessen Niederschrift gleich in deutscher (nicht mehr in lat.) Sprache erfolgte vor] früher In: Heger (1978), 206-210. 027 A.II.3. Ulrich von Hutten Ain new Lied herr Vlrichs von Hutten (1521) Ich habs gewagt mit sinnen vnd trag des noch kain rew Mag ich nit dran gewinnen noch mu˚ ß man spüren trew, Dar mit ich main 5 nit aim allain Wen man es wolt erkennen: Dem land zu˚ gu˚ t, Wiewol man thu˚ t ain pfaffen feyndt mich nennen. 10 Da laß ich yeden liegen, vnd reden was er wil, Het wahrheit ich geschwigen, Mir weren hulder vil: Nun hab ichs gsagt, 15 Bin drumb verjagt, Das klag ich allen frummen, Wie wol noch ich Nit weyter fleich, Vileycht werd wider kummen. 20 Vmb gnad wil ich nit bitten, Die weyl ich bin on schult, Ich het das recht gelitten, So hindert vngedult, Das man mich nit 25 Nach altem sit Zu˚ ghör hat kummen lassen; Vileycht wils got, Vnnd zwingt sie not, Zu˚ handlen diser massen. 30 <?page no="400"?> 000399 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 399 027 - Ulrich von Hutten: Ain new Lied herr Vlrichs von Hutten | Nun ist offt diser gleychen Geschehen auch hie vor, Das einer von den reychen Ain gu˚ tes spil verlor; Offt grosser flam 35 Von füncklin kam, Wer wais ob ichs werd rechen; Stat schon im lauff, So setz ich drauff: Mu˚ ß gan oder brechen. 40 Dar neben mich zu˚ trösten Mit gu˚ tem gwissen hab, Das kainer von den bösten Mir eer mag brechen ab, Noch sagen das 45 Vff ainig maß Ich anders sey gegangen, Dan Eren nach; Hab dyse sach In gu˚ tem angefangen. 50 Wil nun yr selbs nit raten Dyß frumme Nation, Irs schadens sich ergatten, Als ich vermanet han: So ist mir layd; 55 Hie mit ich schayd, Wil mengen baß die karten, Byn vnuerzagt, Ich habs gewagt Vnd wil des ends erwarten. 60 Ob dan mir nach thu˚ t denken Der Curtisanen list, Ain herz last sich nit krenken, Das rechter maynung ist. Ich wais noch vil 65 Wöln auch ins spil, Vnd soltens drüber sterben: <?page no="401"?> 000400 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 400 | 028 - Ulrich von Hutten: Gespräch büchlin Auff landßknecht gu˚ t, Vnd reutters mu˚ t, Last Hutten nit verderben! 70 Getruckt ym Jar XXI. 1 Ich habs gewagt] Huttens Wahlspruch 2 rew] Reue 4 noch] dennoch 5 main] meine 6 aim] einem 11 liegen] lügen 19 fleich] fliehe 23 das recht gelitten] mich einem Richterspruch unterworfen 26 sit] Sitte, Herkommen 38 Stat schon im lauff] schon ist die Sache im Laufen 40 gan] geben, gelingen 44 mag] vermag, kann 46 Vff ainig maß] nur einmal 51 yr] sich 53 ergatten] erholen, Genugtuung verschaffen (für den erlittenen Schaden) 54 han] habe 57 baß] besser 61 nach thu˚ t denken] nachstellt 62 Curtisanen] päpstliche Höflinge, Pfründenjäger 63 krenken] krank, schwach machen In: Heger (1978), 210-212. 028 Ulrich von Hutten Aus: Gespräch büchlin (1521) Zu den Leßeren dißer gesprächbüchlin, herr Vlrichs vom Hutten beschlusß red. Ich hab eüchs gsagt, ir habts gehört, wir seind gewesen lang betört, bitz das vns doch hatt gott bedacht, 5 vnd widerumb zu˚ synnen bracht. Ich weisß nit wie ich kumm ins spil, Allein ich eins veriehen wil, vnd schweren bey der letsten not, als warlich mu˚ sß mir helffen Gott, 10 das mich kein lon noch nutz bewegt, do ich mich erst zu˚ m handel legt. Vnd bger auch noch des keinen gnyesß. Allein mir schalckheit thu˚ t verdryesß, darmit die welt betrogen würt, 15 vnd mancher jämerlich verfürt. So wär es auch on schaden mir, ob dißer, oder der regir. Ob sey der Bapst ein herr der welt, vnd jm das gott hab zu˚ gestelt. 20 Ob alles, das ein yeder leügt, mit keiner waren schrifft bezeügt, <?page no="402"?> 000401 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 401 028 - Ulrich von Hutten: Gespräch büchlin | für wor mög werden gsehen an. Allein ich alles hab gethan dem vatterland zu˚ nutz vnd gu˚ t. 25 Die warheit mich bewegen thu˚ t. do kan ich nyemmer lassen von, Hab ich des nye entpfangen lon, ja mer zu schaden kommen binn. Dann farh vnd not ist mein gewinn. 30 Das steet nunmer in Gottes handt, dem alle hertzen seind bekandt. Vnnd ich mein sach nit bergen kan. Wie wol die weisß auch yederman, also, das nymants widerspricht, 35 er habs dann schandtlich vor erdicht. Als dann ich weisß einn pfaffen frech, kan ich, ichs werds noch an jm rech. hatt heymlich hinter meinem ruck, vff mich gesagt vil böser stuck. 40 Dran leügt er als ein Curtisan. So wil ich jn gescholten han. Doch bin ich hoffen auch der zeyt (dann gu˚ t, vnd böß, got nimpt vnd geyt) das ers müsß wider fressen ein, 45 vnd sprechens als gelogen sein. Ich wölt auch hören gern den man, der mich dörfft frölich sehen an, vnd schelten so auß billicheit. Hyerrumb ich wart vnd bin bereitt, 50 zu˚ hören yeden, was er sag. damit die warheit komm an tag. Dann sölt ich andern sagen war, vnd mögen selbs nit hören gar der gleichen auch, so wär ich werd, 55 das mich nit lenger trüg die erd. Die warheit mu˚ sß herfür, zu˚ gu˚ t dem vatterland, das ist mein mu˚ t. Kein ander vrsach ist noch grund, drumb ich hab aufgethan den mund; 60 vnd mich gesätzt in armuts not, Das weysß von mir der ewig gott. Der helff mir bey der warheit sach, laß gehen auß sein götlich rach, <?page no="403"?> 000402 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 402 | 028 - Ulrich von Hutten: Gespräch büchlin da mit der böß nit triumphir, 65 Vnd das auch werd vergolten mir, ob ich villeycht on fu˚ g, vnd glimpf, hett gfangen an ein solchen schimpf. der nyemant grössern schaden bringt dann mir, als noch die sach gelingt, 70 dohin mich gott, vnd warheit dringt. Ich habs gewagt. M. Luther Warheit die red ich, kauff des neyd an mich. 75 Gott geb mir den lon, hab ichs falsch gethon. Ulr. von Hutten Vmb warheit ich ficht, niemant mich abricht, 80 Es brech, oder gang, gots geist mich bezwang. Læta Libertas. Beschlußrede der von Hutten selbst als Gespächsbüchlin herausgegebenen Übersetzung seiner (bereits 1520 publizierten) lateinischen Dialogi. 8 veriehen] bekennen, erklären 9 schweren] schwören 11 nutz] Eigennutz 12 do ich mich erst zu˚ m handel legt] als ich mich zuerst der Sache annahm 13 gnyesß] Nutzen, Lohn 14 schalckheit] Bosheit, niedrige Gesinnung verdryesß] Verdruss, Leid 21 leügt] lügt 23 wor] wahr 30 farh] Gefahr 33 bergen] verbergen 37 einn pfaffen frech] wohl ein in den Epistolae obscurorum virorum (1515 / 1517) als Dunkelmann karikierter Pfarrer 38 rech] rächen 41 Curtisan] päpstlicher Höfling 42 han] haben 44 geyt] gibt 46 vnt sprechens als gelogen sein] und es alles für gelogen erklären 58 mu˚ t] Absicht 67 fu˚ g] Recht glimpf] Billigkeit, Rechtmäßigkeit 68 schimpf] Streit, Kampf 70 als noch] je nachdem wie 72 Ich habs gewagt] im Originaldruck wird Huttens Wahlspruch hervorgehoben durch eine daraufzeigende Humanistenhand; Huttens früherer Wahlspruch lautete: „Sinceriter citra pompam“; nach David Friedrich Strauß zu übersetzen mit: ,Redlich und ohne Prunk‘. Erst im März 1517 machte sich Hutten Cäsars berühmten Ausspruch beim Überschreiten des Rubikon „Iacta est alea“ (,Der Würfel ist gefallen‘) zu eigen; Huttens Übertragung „Ich habs gewagt“ entspricht der bekannten burgundischen Devise „Je l’ay emprins“ 73-77 Paralleldruck; unter den Namen jeweils kleiner Holzschnitt mit ganzer Figur (Wiederholung vom Titelblatt) 75 kauff des neyd an mich] erwerbe mir dadurch Hass abricht] (davon) abbringt 81 gang] gehe, gelinge 83 beglückende Freiheit In: Heger (1978), 204-206. <?page no="404"?> 000403 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 403 029 - Martin Luther: An die Ratherren aller Städte deutsches Lands | D.2. Ulrich von Hutten, Gespräch büchlin 029 A.III.1.4. Martin Luther (1483-1546) An die Ratherren aller Städte deutsches Lands (1524) ,Ja‘, sprichstu aber mal, ,ob man gleich sollt und müste schulen haben, was ist uns aber nütze, lateynisch, kriechisch und ebreyisch zungen und andere freye künste zu leren? künden wyr doch wol deutsch die Bibel und Gottis wort leren, die uns gnugsam ist zur selickeyt’. Antwort: Ja ich weys leyder wol, das wyr deutschen müssen ymer bestien und tolle thier seyn und bleyben, wie uns denn die umbligende lender nennen und wyr auch wol verdienen. Mich 5 wundert aber, warumb wyr nicht auch ein mal sagen ,Was sollen uns seyden, wein, würtze und der frembden auslendischen ware, so wyr doch selbs weyn, korn, wolle, flachs, holtz und steyn ynn deutschen landen nicht alleyn die fülle haben zur narung, sondern auch die kür und wal zu ehren und schmuck? ’ Die künste und sprachen, die uns on schaden, ja grösser <?page no="405"?> 000404 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 404 | 029 - Martin Luther: An die Ratherren aller Städte deutsches Lands schmuck, nutz, ehre und frumen sind beyde zur heyligen schrifft zuverstehen und welltlich 10 regiment zu füren, wöllen wyr verachten, und der auslendischen ware, die uns wider not noch nütze sind, dazu uns schinden bis auff den grat, der wöllen wyr nicht geratten: heyssen das nicht billich deutsche narren und bestien? [ … ] Ja wie leyd ist mirs itzt, das ich nicht mehr Poeten und historien gelesen habe und mich auch 15 die selben niemand gelernt hat. Habe dafur müst lesen des teuffels dreck, die Philosophos und Sophisten, mit grosser kost, erbeyt und schaden, das ich gnug habe dran aus zufegen. [ … ] Am letzten ist auch das wol zu bedencken allen den yenigen, so lieb und lust haben, das solche schulen und sprachen ynn Deutschen landen auffgericht und erhallten werden, das man fleys 20 und koste nicht spare, gutte librareyen odder bücher heuser sonderlich ynn den grossen stedten, die solichs wol vermügen, zuverschaffen. Denn so das Euangelion und allerley kunst soll bleyben, mus es yhe ynn bücher und schrifft verfasset und angebunden seyn (Wie die Propheten und Apostel selbs gethan haben, alls ich droben gesagt habe), Und das nicht alleyne darumb, das die yenigen, so uns geystlich und welltlich fürstehen sollen, zu lesen und 25 studirn haben, sondern das auch die guten bücher behallten und nicht verloren werden sampt der kunst und sprachen, so wyr itzt von Gottis gnaden haben. Hierynnen ist auch S. Paulus fleyssig gewesen, da er Timotheo befilhet, er solle anhallten am lesen, und auch befilht, er solle das pergamen zu Troada gelassen mit sich bringen. [ … ] 30 Aber meyn rad ist nicht, das man on unterschied allerley bücher zu hauff raffe und nicht mehr gedencke denn nur auff die menge und hauffen bücher. Ich wollt die wal drunder haben, das nicht nott sey, aller Juristen comment, aller Theologen Sententiarum und aller Philosophen Questiones und aller Müniche Sermones zu samlen. Ja ich wollt solchen mist gantz ausstossen und mit rechtschaffenen büchern meyne librarey versorgen und gelerte leut darüber zu rad 35 nemen. Erstlich sollt die heylige schrifft beyde auff Lateinisch, Kriechisch, Ebreisch und Deutsch, und ob sie noch ynn mehr sprachen were, drynnen seyn. Darnach die besten ausleger und die Elltisten beyde Kriechisch, Ebreysch und Lateinisch, wo ich sie finden künde. Darnach solche bücher, die zu den sprachen zu lernen dienen, alls die Poeten und Oratores, nicht angesehen ob sie Heyden odder Christen weren, Kriechisch odder Lateinisch. Denn aus 40 solchen mus man die Grammatica lernen. Darnoch sollten seyn die bücher von den freyen künsten und sonst von allen andern künsten. Zu letzt auch der Recht und Ertzeney bücher, Wiewol auch hie unter den Commenten eyner gutten wal not ist. Mit den fürnemsten aber sollten seyn die Chronicken und Historien, waserley sprachen man haben künde. Denn die selben wunder nütz sind, der wellt lauff zu erkennen und zu 45 regiren, Ja auch Gottis wunder und werck zu sehen. O wie manche seyne geschichte und sprüche sollt man itzt haben, die ynn Deutschen landen geschehen und gangen sind, der wyr itzt gar keyns wissen: das macht, niemand ist da gewesen, der sie beschrieben, oder, ob sie schon beschrieben gewest weren, niemand die bücher gehallten hat, darumb man auch von uns Deutschen nichts weys ynn andern landen, und müssen aller wellt die Deutschen bestien 50 heyssen, die nichts mehr künden denn kriegen und fressen und sauffen. Aber die Kriechi- <?page no="406"?> 000405 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 405 030 - Philipp Melanchthon: Über die Neugestaltung des Universitätsstudiums | schen und Lateinischen, Ja auch die Ebreischen haben yhr ding so gnaw und fleyssig beschrieben, das, wo auch eyn weyb oder kind ettwas sonderlichs gethan odder geredt hat, das mus alle wellt lesen und wissen, die weyl sind wyr Deutschen noch ymer Deutschen und wöllen deutsche bleyben. 55 Weyl uns denn itzt Gott so gnediglich beratten hat mit aller fülle beyde der kunst, gelerter leutte und bücher, so ists zeyt, das wyr erndten und eynschneytten das beste, das wyr künden, und schetze samlen, damit wyr ettwas behallten auff das zukunfftige von disen gülden jaren und nicht dise reyche erndte verseumen. Denn es zu besorgen ist und itzt schon widder ansehet, das man ymer new und ander bücher macht, das zu letzt da ynn kome, das durch des 60 teuffels werck die gutten bücher, so itzt durch den druck erfur bracht sind, widderumb unterdruckt werden und die losen heylosen bücher von unnützen und tollen dingen wider eyn reissen und alle winckel füllen. Denn damit geht der teuffel gewislich umb, das man sich widderumb mit eyttel Catholicon, Floristen, Modernisten und des verdampten Münichen und Sophisten mists tragen und martern müsse, wie vorhyn, und ymer lernen und doch 65 nymer nichts erlernen. 10 frumen] Frömmigkeit 12 grat] Rückgrat 17 erbeyt] Arbeit 27 S. Paulus] Paulus von Tarsus (10 v. Chr. - 60 n. Chr.), urchristlicher Missionar, nach seiner Bekehrung Apostel des christlichen Evangeliums, die Paulus-Briefe bilden einen wesentlichen Teil des Neuen Testaments 28 Timotheo] Timotheus begleitete Paulus auf seinen Missionsreisen 29 er solle das pergamen zu Troada gelassen mit sich bringen] vgl. 2. Timotheus 4, 13 34 Müniche] Mönche 38 Elltisten] Ältesten 52 gnaw] genau 64 Catholicon] grammatisch-lexikalische Enzyklopädie des ital. Dominikaners Johannes Balbus (vollendet 1286), Standardwerk bis ins 15. Jh. Floristen] vermutl. Anhänger des Florus, Historiker und Epitomator der Römischen Geschichte In: Luther (1899), 9-53, hier 36, 46, 49 und 51-53. 030 A.IV.1.1. Philipp Melanchthon (1497-1560) Aus: Über die Neugestaltung des Universitätsstudiums [De corrigendis adolescentiae studiis] (1518) [ … ] Da nun die Theologie teils hebräisch, teils griechisch ist - denn wir trinken als Lateiner nur aus ihren Quellflüssen -, muß man die fremden Sprachen erlernen, damit man nicht als „stumme Person“ mit den Theologen umgeht. Dann wird sich uns die Schönheit und die eigentliche Bedeutung der Worte erschließen, und es wird uns wie am hellen Mittag der wahre und echte Schriftsinn aufgehen. 5 Wenn wir den Buchstaben verstanden haben, werden wir unvermittelt auch den Sinn des Inhalts erfassen. Dann mögen sich all die vielen frostigen Glossen, Parallelstellen und Widersprüche fortscheren und was es sonst noch für Hemmnisse einer freien Geistesentfaltung gibt. Und wenn wir unseren Sinn auf die Quellen richten, dann beginnen wir Christus zu verstehen; sein Gebot wird uns klarwerden, und es durchströmt uns jener beglückende Nek- 10 tar göttlicher Weisheit. <?page no="407"?> 000406 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 406 | 031 - Martin Luther: Ein Sendbrieff Doktor M. Luthers von Dolmetzschen vnd Fürbitt der Heiligen [ … ] Wer daher in das Göttliche eingeweiht werden will, der muß den alten Adam ablegen, um den neuen, unverdorbenen Adam anzulegen, das heißt, er muß die menschlichen Leidenschaften und damit das Joch der listigen Schlange mit siegreicher Tugend zerbrechen und abschütteln, 15 auf daß er zur Ehre des Herrn verwandelt werde in alle Unendlichkeit. Das war der Grund, weshalb ich sagte, die der wahren Wissenschaft entfremdete Kirche habe allenthalben die echte und innere Frömmigkeit mit menschlicher Überlieferung vertauscht. Als uns die Satzungen der Menschen zu gefallen begannen und wir aus Liebe zu unseren Werken anstelle von Himmelsbrot lieber Götzenfleisch aßen, da hörten wir auf, 20 wahre Christen zu sein. Ich möchte, daß ihr mich so versteht, wie ich es meine. Ich meine durchaus nichts anderes, als was der evangelischen Wahrheit entspricht, wie sie die Kirche verkündet, und es wird auch mir, wie jene behaupten, „des Herrn Wahrheit Schirm und Schild“ sein (Ps. 91, 4). Habt ihr nun eine ungefähre Vorstellung davon, welche Bedeutung in der Neubelebung der Studien liegt und wie sehr sie dazu beitragen, die rechte Geis- 25 teshaltung herauszubilden? [ … ] Melanchthons Antrittsrede De corrigendis adolescentiae studiis enthält sein akademisches Programm: Bekämpfung der Spätscholastik und Erneuerung der Bildung durch Quellenstudium der antiken Autoren sowie der Bibel. Diese mutige Rede begründete die Freundschaft Melanchthons mit Martin Luther. In: Trillitzsch (1981), 511f., 614f. 031 A.III.1.2. Martin Luther Aus: Ein Sendbrieff Doktor M. Luthers von Dolmetzschen vnd Fürbitt der Heiligen (1530) [ … ] Jm Hiob erbeiten wir also / M. Philips / Aurogallus vnd ich / das wir yn vier tagen zu weilen kaum drey zeilen kundten fertigen. Lieber / nu es verdeutscht vnd bereit ist / kans ein yeder lesen vnd meistern / Laufft einer ytzt mit den augen durch drey vier bletter vnd stost nicht ein mal an / wird aber nicht gewar welche wacken vnd klötze da gelegen sind / da er ytzt vber hin gehet / wie vber ein gehoffelt bret / da wir haben müssen schwitzen vnd vns engsten / 5 ehe den wir solche wacken vnd klotze aus dem wege reümeten / auff das man kündte so fein daher gehen. Es ist gut pflugen / wenn der acker gereinigt ist. Aber den wald vnd die stöcke aus rotten / vnd den acker zu richten / da will niemandt an. Es ist bey der welt kein danck zu verdienen / Kan doch Got selbs mit der sonnen / ja mit himel vnd erden / noch mit seines eigen sons tod keinen danck verdienen / sie sey vnd bleibt welt deß teuffels namen / weil sie ja 10 nicht anders will. [ … ] den man mus nicht die buchstaben inn der lateinischen sprachen fragen / wie man sol Deutsch reden / wie diese esel thun / sondern / man mus die mutter jhm hause / die kinder auff der gassen / den gemeinen man auff dem marckt drumb fragen / vnd den selbigen auff das maul sehen / wie sie reden / vnd darnach dolmetzschen / so verstehen sie es den / vnd 15 mercken / das man Deutsch mit jn redet. <?page no="408"?> 000407 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 407 031 - Martin Luther: Ein Sendbrieff Doktor M. Luthers von Dolmetzschen vnd Fürbitt der Heiligen | Als wenn Christus spricht / Ex abundantia cordis os loquitur. Wenn ich den Eseln sol folgen / die werden mir die buchstaben furlegen / vnd also dolmetzschen / Auß dem vberflus des hertzen redet der mund. Sage mir / Jst das deutsch geredt? Welcher deutscher verstehet solchs? Was ist vberflus des hertzen fur ein ding? Das kan kein deutscher sagen / Er wolt denn 20 sagen / es sey das einer allzu ein gros hertz habe / oder zu vil hertzes habe / wie wol das auch noch nicht recht ist / denn vberflus des hertzen ist kein deutsch / so wenig / als das deutsch ist / Vberflus des hauses / vberflus des kacheloffens / vberflus der banck / sondern also redet die mutter ym haus vnd der gemeine man / Wes das hertz vol ist / des gehet der mund vber / das heist gut deutsch geredt / des ich mich geflissen / vnd leider nicht allwege erreicht noch 25 troffen habe / Denn die lateinischen buchstaben hindern aus der massen seer gut deutsch zu reden. Also / wenn der verrether Judas sagt / Matthei. 26. Vt quid perditio hec? Vnd Marci. 14. Vt quid perditio ista vngenti facta est? Folge ich den Eseln vnd buchstabilisten / so mus ichs also verdeutschen / Warumb ist dise verlierung der salben geschehen? Was ist aber das fur deutsch? 30 Welcher deutscher redet also / verlierung der salben ist geschehen? Vnd wenn ers wol verstehet / so denckt er / die salbe sey verloren / vnd musse sie etwa wider suchen / Wiewol das auch noch tunckel vnd vngewiß lautet. Wenn nu das gut deutsch ist / warumb tretten sie nicht erfur / vnd machen vns ein solch fein hubsch new deutsch Testament / vnd lassen des Luthers Testament ligen? Jch meine ja sie solten yhre kunst an den tag bringen / Aber der deutsche 35 man redet also / Vt quid etc. Was sol doch solcher vnrat? odder / was sol doch solcher schade? Nein / Es ist schade vmb die salbe / das ist gut deutsch / daraus man verstehet / das Magdalene mit der verschutten salben sey vnrethlich vmbgangen vnd habe schadenn gethan / das war Judas meinung / denn er gedacht bessern rat damit zu schaffen. Jtem da der Engel Mariam grüsset vnd spricht / Gegrüsset seistu Maria vol gnaden / der 40 Herr mit dir? Wolan / so ists biß her / schlecht den lateinischen buchstaben nach verdeutschet / sage mir aber ob solchs auch gut deutsch sey? Wo redet der deutsch man also / du bist vol gnaden? Vnd welcher Deutscher verstehet / was gsagt sey / vol gnaden? Er mus dencken an ein vas vol bier / oder beutel vol geldes / darumb hab ichs vordeutscht. Du holdselige / da mit doch ein Deutscher / dester meher hin zu kan dencken / was der engel meinet mit seinem 45 grus. Aber hie wöllen die Papisten toll werden vber mich / das ich den Engelischen grus verderbet habe. Wie wol ich dennoch da mit nicht das beste deutsch habe troffen. Vnd hette ich das beste deutsch hie sollen nemen / vnd den grus also verdeutschen / Gott grusse dich du liebe Maria (denn so vil wil der Engel sagen / vnd so wurde er geredt haben / wan er hette wollen sie deutsch grussen) ich halt sie solten sich wol selbs erhenckt haben fur grosser 50 andacht / zu der lieben Maria / das ich den grus so zu nichte gemacht hette. Aber was frage ich darnach? sie toben oder rasen / jch wil nicht wehren / das sie verdeutschen was sie wöllen / ich wil aber auch verdeutschen / nicht wie sie wöllen / sonder wie ich wil / wer es nicht haben wil / der las mirs stehen / vnd halt seine meisterschafft bey sich / denn jch wil ir weder sehen noch hören / sie dorffen fur mein dolmetzschen nicht antwort geben / 55 noch rechenschafft thun / Das hörestu wol / ich wil sagen / du holdselige Maria / du liebe Maria / vnd las sie sagen / du vol gnaden Maria. Wer Deutsch kan / der weis wol / welch ein hertzlich fein wort das ist / die liebe Maria / der lieb Gott / der liebe Keiser / der liebe fürst / <?page no="409"?> 000408 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 408 | 032 - Martin Luther: „Mitten wyr ym leben sind“ der lieb man / das liebe kind. Vnd ich weis nicht / ob man das wort liebe / auch so hertzlich vnd gnugsam in Lateinischer oder andern sprachen reden müg / das also dringe vnd klinge 60 ynns hertz / durch alle sinne wie es thut in vnser sprache. 1 erbeiten wir] mühten uns ab M. Philips] (M[agister]) Philipp Melanchthon Aurogallus] Matthäus Aurogallus (eig. Goldhahn, um 1490-1543), Professor für Hebräisch an der Universität Wittenberg, seit 1521 Mitarbeiter Luthers 2 bereit] fertig 4 wacken] Feldsteine 5 gehoffelt] gehobeltes engsten] abmühen 7 Es ist gut pflugen / wenn der acker gereinigt ist] Redensart 7f. stöcke aus rotten] Wurzelstöcke roden 10 deß teuffels namen] in des Teufels Namen 16 mit jn] mit ihnen 17 Als wenn Christus spricht / Ex abundantia cordis os loquitur] Matth. 12, 34 (Luthers Übersetzung: „Wes das hertz voll ist, des geht der mund über“ beruht auf einer schon früher belegten Wendung) 25 geflissen] befleißigt allwege] immer 26 aus der massen] über die Maßen, außerordentlich 28f. Vt quid perditio hec [ … ] facta est? ] Mt 26, 8; Mk 14, 4 (Luthers Übersetzung: „wo zu dienet [bzw.: was soll doch] diser vnradt? “) (vnradt: Verschwendung) 29 buchstabilisten] Buchstabengelehrten 38 vnrethlich vmbgangen] verschwenderisch umgegangen 39 bessern rat damit zu schaffen] besser zu verwenden 40 Gegrüsset seistu Maria vol gnaden] Luk. 1, 28 (Luthers Übersetzung: „Gegrusset seystu holdselige“) 43 gsagt sey] bedeutet 45 meher] mehr 51 andacht / zu] Schwärmerei für 55 dorffen [ … ] nicht antwort geben] brauchen nicht die Verantwortung zu übernehmen 60 gnugsam] genügend, hinreichend das also dringe vnd klinge ynns hertz] dass es also dringe ins Herz In: Heger (1978), 240-249. 032 A.III.1.3. Martin Luther „Mitten wyr ym leben sind“ (1524) Mitten wyr ym leben sind / mit dem tod vmbfangen / Wen suchen wyr der hulffe thu / das wyr gnad erlangen / Das bistu Herr alleyne / 5 vns rewet vnser missethat / die dich Herr erzurnet hat / Heyliger herre Gott / Heyliger starcker Gott / Heyliger barmhertziger Heyland / 10 du ewiger Gott / las vns nicht versincken / ynn des bittern todes not / Kyrieleyson. Mitten ynn dem tod anficht / 15 vns der Hellen rachen / Wer will vns aus solcher not / frey vnd ledig machen / <?page no="410"?> 000409 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 409 032 - Martin Luther: „Mitten wyr ym leben sind“ | Das thustu Herr alleyne / Es iamert deyn barmhertzikeyt / 20 vnser klag vnd grosses leyd / Heyliger Herre Gott / Heyliger starcker Gott / Heyliger barmhertziger Heyland / du ewiger Gott / 25 las vns nicht verzagen / fur der tieffen hellen glut / Kyrieleyson. Mitten ynn der Hellen angst / vnser sund vns treyben / 30 Wo soln wyr denn flihen hyn / da wyr mugen bleyben. / Zu dyr herr Christ alleyne / Vergossen ist deyn thewres blut / das gnug fur die sunde thut / 35 Heyliger Herre Gott / Heyliger starcker Gott / Heyliger barmhertziger Heyland / du ewiger Gott / las vns nicht entfallen / 40 von des rechten glaubens trost / Kyri. Vgl. dazu die anonyme Übersetzung im Gilgengart (um 1520, siehe Heger 1, 159). Gedichtet Juli 1524 im Anschluss an die weitverbreitete und oft übersetzte Antiphona de morte („Media vita in morte sumus“) des Notker I. Balbulus († 912) unter Erweiterung um zwei Strophen; erstmals (? ) gedruckt 1524 sowohl in den beiden Erfurter Enchiridien als auch im Wittenbergischen Chorgesangbuch [Joseph Klug]. 14 Kyrieleyson] griech. ,Herr, erbarme dich‘, christliche Litaneiformel 16 Hellen] Hölle 27 fur] vor 30 sund] Sünden treyben] umhertreiben, unruhig machen 32 mugen] können, dürfen 40 entfallen] abfallen In: Heger (1978), 325f. <?page no="411"?> 000410 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 410 | 033 - Martin Luther: Ein kinder Lied auff die Weinacht Christi 033 A.III.1.3. Martin Luther Ein kinder Lied auff die Weinacht Christi (1534) [Strophe 1-5] VOm Himel hoch, da kom ich her; ich bring euch gute neue mehr; der guten mehr bring ich so viel; davon ich singen und sagen wil. Euch ist ein kindlin heut geborn 5 von einer jungfrau auserkorn, Ein kindelein so zart und fein, Das sol eur freud und wonne sein. Es ist der Herr Christ, unser Gott; Der wil euch fürn aus aller not. 10 Er wil eur Heiland selber sein, Von allen sunden machen rein. Er bringt euch alle seligkeit, Die Gott der Vater hat bereit, Das jr mit uns im himel Reich 15 Solt leben nu und ewiglich. So mercket nu das zeichen recht: Die krippen, windelein so schlecht; da findet jr das kind gelegt, Das alle welt erhelt und tregt. In: Jenny (1985), 287-289. <?page no="412"?> 000411 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 411 034 - Martin Luther: Der xlvj. Psalm / Deus noster refugium et virtus | 034 A.III.1.3. Martin Luther Der xlvj. Psalm / Deus noster refugium et virtus / etc. (1529) Ein feste burg ist vnser Gott Ein gute wehr vnd waffen / Er hilfft vns frey aus aller not / die vns jtzt hat betroffen / Der alt böse feind / 5 mit ernst ers jtzt meint / gros macht vnd viel list / sein grausam rüstung ist / auff erd ist nicht seins gleichen. Mit vnser macht ist nichts gethan / 10 wir sind gar bald verloren / Es streit für vns der rechte man / den Gott hat selbs erkoren / Fragstu wer der ist? Er heist Jhesus Christ / 15 der Herr Zebaoth / Vnd ist kein ander Gott / das felt mus er behalten. Vnd wenn die welt vol Teuffel wer / vnd wolt vns gar verschlingen / 20 So fürchten wir vns nicht so sehr / Es sol vns doch gelingen / Der Fürst dieser welt / wie sawr er sich stellt / thut er vns doch nicht / 25 das macht / er ist gericht / Ein wörtlein kan jn fellen. Das wort sie sollen lassen stahn / vnd kein danck da zu haben / Er ist bey vns wol auff dem plan / 30 mit seinem Geist vnd gaben / Nemen sie den leib / gut / ehr / kind vnd weib / las faren dahin / <?page no="413"?> 000412 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 412 | 035 - Martin Luther: Frevel. Gewalt sie habens kein gewin / 35 das Reich mus vns doch bleiben. Titel Deus noster [ … ]] Gott ist unsere Zuflucht und Stärke [Ps 45 (46), 2] 3 frey] frei zu werden 5 der alt böse feind] der Erbfeind, der Teufel (vgl. Offb 12,9), der Fürst dieser welt (V. 23), der Antichrist, von Luther gleichgesetzt mit dem Papst und den Türken (das jtzt in V. 4 und 6 bezieht sich wohl auf die 1529 drohende Türkengefahr) 6 mit ernst ers jtzt meint] er macht jetzt Ernst 8 grausam] grauenhaft, Schrecken erregend 16 der Herr Zebaoth] alttestamentl. Bezeichnung Gottes 18 felt] (Schlacht-)Feld behalten] behaupten, d. h. siegreich bleiben 19 wenn] selbst wenn 20 vgl. 1 Petr 5,8 und 23; vgl. Joh 12,31, 14,30 und 16,11 24 sawr] grimmig sich stellt] sich gebärden, auftreten mag 25 nicht] nichts 26 gericht] gerichtet; sein Urteil ist gesprochen 27 Ein wörtlein] d. i. der ,Hauch des Mundes‘ (Js 11,4; 2 Thess 2,8) oder das Wort Jesu (Mt 4,10) 28 Das wort] das Gotteswort sie] die Schwarmgeister und sonstigen Widersacher 30 Er] d. i. der rechte man (V. 12), Christus plan] Kampfplatz 35 habens] haben davon Das bekannteste Lutherlied; gedichtet 1526/ Mitte 1528, aufgenommen in die Augsburger Form und Ordnung Gaystlicher Gesang vnd Psalmen 1529; danach (? ) in Michael Blums erstes Leipziger Gesangbuch, das undatierte Enchiridion [um 1530? ], seither unzählige Nachdrucke. In: Heger (1978), 328f. 035 A.III.1.4. Martin Luther Frevel. Gewalt ([1530] 1557) Es geselleten sich ein Rind, Ziegen und Schaf zum Lewen und zogen mit ein ander auff die Jaget in einen Forst. Da sie nu einen Hirs gefangen und in vier Teil gleich geteilet hatten, sprach der Lewe, Ir wisset, das ein Teil mein ist als ewrs Gesellen. Das ander gebürt mir, als eim Könige unter den Thieren. Das dritte wil ich haben darumb, das ich stercker bin und mehr darnach gelauffen und geerbeitet habe denn jr alle drey. Wer aber das vierdte haben wil, der 5 mus mirs mit gewalt nemen. Also mussten die drey für jre mühe das Nachsehen und den schaden zum Lohn haben. Lere. FAre nicht hoch, Halt dich zu deines Gleichen. Dulcis inexpertis cultura potentis Amici. Es ist mit Herrn nicht gut Kirschen essen, sie werffen einen mit den Stielen. Ulpia. L. Si non fuerint. 10 Das ist ein Geselschafft mit dem Lewen, wo einer allein den Genies, der ander allein den Schaden hat. Luther verfasste die Etliche Fabeln aus Esopo von D. M. Luther verdeutscht bereits im Jahre 1530, erstmals gedruckt wurden sie postum 1557. In: Luther (1914), 457. <?page no="414"?> 000413 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 413 036 - Hans Sachs: Die Wittenbergisch Nachtigall | 036 A.III.3. Hans Sachs (1494-1576) Aus: Die Wittenbergisch Nachtigall Die man yetzt höret vberall (1523) Nun hat der löw viel wilder thür, Die wider die Nachtigall blecken, Waldesel, schwein, böck, katz und schnecken. 55 Aber jr heülen ist als fell, Die nachtigall singt in zu hel Und thut sie all niderlegen. [ … ] Nun das jr klärer mügt verstan Wer die lieplich nachtigall sey Die vns den liechten tag auß schrey Ist Doctor Martinus Luther 100 Zu Wittenberg Augustiner Der vns auffwecket von der nacht Darein der Monschein vns hat bracht Der Monschein deüt die menschen lere Der Sophisten hin vnde here 105 [ … ] Schlüssel der ,wilden Tiere‘ in V. 54-65: löw] Papst Leo X. Waldesel] Augustin von Alfeld schwein] Doktor Johannes Eck böck] Hieronymus Emser katz] Thomas Murner schnecken] Johannes Cochleus 53 thür] Tiere 54 blecken] schreien 56 als fell] verfehlt 57 zu hel] zur Hölle 98 klärer mügt verstan] klarer mögt verstehen In: Heger (1978), 378-381. <?page no="415"?> 000414 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 414 | 037 - Hans Sachs: Ein epitaphium oder klag-red ob der leych D. Martini Luthers 037 A.III.3. Hans Sachs Ein epitaphium oder klag-red ob der leych D. Martini Luthers (1546) Als man zelt fünffzehen hundert jar Und sechs und viertzig, gleich als war Der sibenzehend im hornung, Schwermütigkeit mein hertz durch drung Und west doch selb nit, was mir was. 5 Gleich traurig auff mir selber saß, Legt mich in den gedancken tieff Und gleich im unmut groß entschlieff. Mich daucht, ich wer in eynem tempel, Erbawt nach sechsischem exempel, 10 Der war mit kertzen hell beleucht, Mit edlem reuchwerck wol durch-reucht. Mitten da stund bedecket gar Mit schwartzem tuch ein todten-par. Ob dieser par da hieng ein schildt, 15 Darinn ein rosen war gebild. Mitten dardurch so gieng ein creutz. Ich dacht mir: Ach Gott, was bedeuts? Erseufftzet darob traurigkleich. Gedacht: Wie wenn die todten-leich 20 Doctor Martinus Luther wer? Inn dem tratt auß dem chor daher Ein weib in schnee-weissem gewand, Theologia hoch genand. Die stund hin zu der todten-par. 25 Sie wand ihr hend und raufft ir har, Gar kläglich mit weynen durch brach. Mit seufftzen sie anfieng und sprach: Ach das es müß erbarmen Got! Ligst du denn yetz hie und bist tod? 30 O du trewer und küner heldt, Von Gott, dem Herren, selb erwelt, Für mich so ritterlich zu kempffn, Mit Gottes wort mein feind zu dempffn, Mit disputirn, schreybn und predigen, 35 Darmit du mich denn thetst erledigen Auß meiner trübsal und gezwencknuß, <?page no="416"?> 000415 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 415 037 - Hans Sachs: Ein epitaphium oder klag-red ob der leych D. Martini Luthers | Meyner babylonischen gfencknuß, Darinn ich lag so lange zeyt Biß schier inn die vergessenheyt 40 Von mein feinden in hertzen leyd, Von den mir mein schnee-weisses kleyd Vermayligt wurd schwartz und besudelt, Zerrissen und scheutzlich zerhudelt, Die mich auch hin und wider zogen, 45 Zerkrüppelten, krümbten und bogen! Ich wurd geradprecht, zwickt und zwagt, Verwundt, gemartert und geplagt Durch ir gotlose menschen lehr, Das man mich kaum kund kennen mehr. 50 Ich galt endtlich gar nichts bey in, Biß ich durch dich erledigt bin, Du thewrer held, auß Gottes gnadn, Da du mich waschen thetst und badn Und mir wider reynigst mein wat 55 Von iren lügen und unflat. Mich thetst du auch heylen und salben, Das ich gesund steh allenthalben, Gantz hell und reyn, wie im anfang. Darinn hast [d]ich bemühet lang, 60 Mit schwerer arbeyt hart geplagt, Dein leben offt darob gewagt, Weil babst, Bischöff, künig und fürsten Gar sehr nach deinem blut was dürsten, Dir hindter-dückisch nach gestelt. 65 Noch bist du als ein Gottes held Blieben warhafft, trew und bestendig, Durch kein gefar worden abwendig Von wegen Gottes und auch mein. Wer wirt nun mein verfechter sein, 70 Weyl du genummen hast ein end? Wie wird ich werden so ellend? Verlassen in der feinde mit? Ich sprach zu ir: O fürcht dir nit, Du heylige! sey wolgemut! 75 Got hat dich selbs in seyner hut, Der dir hat überflüssig geben Vil treflich männer, so noch leben. Die werden dich handhaben fein <?page no="417"?> 000416 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 416 | 038 - Heinrich Bebel: De quodam in tempestate maris deprehenso Sampt der gantz christlichen gemeyn; 80 Der du bist worden klar bekand Schir durchauß in gantz teutschem land. Die all werden dich nicht verlassen, Dich reyn behalten aller massen On menschen lehr, wie du yetz bist. 85 Darwider hilfft kein gwalt noch list. Doch sollen die pforten der hellen Nicht überweltigen noch fellen. Darumb so laß dein trawren sein, Das doctor Martinus allein 90 Als ein uberwinder und siger, Ein recht apostolischer krieger, Der seynen kampff hie hat verbracht Und brochen deiner feinde macht Und ietz auß aller angst und not 95 Durch den milt barmhertzigen Got Gefordert zu ewiger rhu! Da helff uns Christus allen zu, Da ewig freud uns aufferwachs Nach dem elend! das wünscht Hans Sachs. 100 [Anno salutis 1546, am 22. tag Martij] 3 hornung] Februar (Luther starb am 18. Februar) 5 west] wusste mir was] mir war 6 auff mir selber] in mich gekehrt 9 daucht] dünkte tempel] wohl Schlosskirche in Wittenberg 16f. Luthers Wappen: eine Rose mit einem Kreuz durch den Kelch 27 mit weynen durch brach] in Weinen ausbrach 36 erledigen] befreien 37 gezwencknuß] Bedrängnis 38 gfencknuß] Gefangenschaft (vgl. AT); Anspielung auf Luthers Schrift De captivitate Babylonica ecclesiae praeludium (Wittenberg 1520) 43 Vermayligt] befleckt, beschmutzt 44 scheutzlich] abscheulich zerhudelt] arg mitgenommen 47 geradprecht] gerädert 50 kund] konnte 51 in] ihnen 55 wat] Gewand 66 Noch] dennoch 72 wird] werde 73 mit] Mitte 74 fürcht dir nit] sei nicht um dich besorgt 77 überflüssig] im Übermaß 87 hellen] Hölle; vgl. Mt 16,18 93 verbracht] vollbracht In: Heger (1978), 256-258. 038 Heinrich Bebel (1472-1518) De quodam in tempestate maris deprehenso (1514) Quidam orta tempestate in mari coepit avidissime comedere carnes salitas dicens: hodie plus se habiturum ad bibendum quam nunquam antea. <?page no="418"?> 000417 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 417 040 - Hans Wilhelm Kirchhof: Ein mönch predigt | Von einem, der in einem Sturm auf dem Meer gewesen ist: Wie sich erhoben hatte ein Sturm auf dem Meer, fing einer an, gierigst gesalzen Fleisch zu essen und saget, er würde heut so viel zu trinken haben wie vorher nie. In: Bebel (1931), 18. Übersetzung nach Wesselski (1907). 039 A.III.4. Georg Wickram (um 1500-vor 1562) Von einem lantzknecht der nur drey wort begert mit seinem hauptmann zu˚ reden (1555) EIn armer einfacher lantzknecht leidet grossen hunger / wiewol proviant gnu˚ g im leger war / so hat er doch kein gelt / daß ers kauffet / derhalben treib in die not dahin / daß er für den hauptmann begert / in hoffnung er solt im etwas fürsetzen. Es hat aber der hauptmann etlich groß Hansen zegast geladen / deßhalben die trabanten disen armen knecht nit für in lassen wolten. 5 Als er aber nun on underlaß batt man solt in doch für den hauptmann lassen / er hette nit mer dann drey wort mit im zu˚ reden / was da auch ein nasser vogel under den trabanten / den wundert was er doch mit drey worten könte außrichten / und sagt es dem hauptmann bey der leng wie sich die red hat zu˚ getragen. Der hauptmann mit sampt seinen gesten / die auch wol bezecht waren / sprachen: „Laß in hereyn / und redt er mer dann drey wort / so wöllen wir in 10 in die eysen schlahen lassen.“ Also ward er für den hauptmann in den sal gelassen / der in fragt / „Was begerst du / das du mit drey worten wilt außrichten? “ Antwort der lantzknecht / „Gelt / oder / urlaub.“ Do lachet der hauptmann und alle seine gest / und satzt im der hauptmann ein monat sold für biß zu˚ r bezalung. 1 leger] Lager 2 für] vor 3 fürsetzen] vorstrecken, leihen 4 groß Hansen] (abfällig für: ) hohe Herren trabanten] Leibwächter 7 nasser vogel] Bruder Liederlich; gerissener, übler Geselle, auch Zechbruder und Spaßmacher 8f. bey der leng] vollständig, ausführlich 11 schlahen] schlagen 13 urlaub] Entlassung In: Wickram (1973), 32. 040 A.III.4. Hans Wilhelm Kirchhof (um 1525-um 1603) Ein mönch predigt (1563) Franciscaner ordens ein minorita wolte den heiligen Franciscum gern vor dem volck seiner wirdigkeit halber in der predig hoch mit lob erheben, darumb fragt und antwort er im selber: O heiliger Francisce, bey wem wilt du im thron deß himmels sitzen, bey den jungkfrauen? <?page no="419"?> 000418 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 418 | 041 - Martin Montanus: Ein weib und ein mann zanckend und schlagend einander Nein. Weiter fragte er: Heiliger herr sanct Francisce, wo wilt du sitzen, bey den beichtigern? Nein. Wiltu bey den martyrern sitzen? Nein. Bey den nothelffern? etc. Antwortet er im immer 5 selber nein. Do nun das fragen kein auffhören wolt haben, und er im niergent wolte zu˚ sitzen vergunnen, stu˚ nd ein beuwrlein auff und sagte: Ach, lasset den gu˚ ten herren allhie auff meiner stette ru˚ wen, denn er wirdt freilich sehr müd seyn, weil er so lang noch hat gestanden; ich wil on das hingehen und deß wirts wein versu˚ chen. Also haben die pfaffen mit iren narrichten fabeln sich selber den leuten zum gespött dargebotten. 10 Wer selber nit weiß was er lallt, Und doch im selbst darmit gefallt, Der hat im selbst ein netz gestallt, Darin spotvögel in beschnallt. 1 minorita] Minderbruder 4 beichtigern] Beichtvätern 5 nothelffern] gemeint bei den ,vierzehn Nothelfern‘, vierzehn Heiligen aus dem 2. bis 4. Jh. 14 spotvögel in beschnallt] Spötter ihn täuschen In: Kirchof (1869), Bd. 1, 44. 041 A.III.4. Martin Montanus (nach 1530-nach 1566) Ein weib und ein mann zanckend und schlagend einander (1557) Ein armes par völklin, ydie ir leben mit genu˚ g kleinem gewinn vertriben, lagen uff ein zeit am fenster unnd sahen die gassen auff unnd ab etliche klaine fäcklin oder sewlin lauffen. Dem mann gefielen die klainen thierlin so wol, das er bald anhu˚ b unnd sprach: ,Lu˚ g, mein liebe haussfraw, sind das so hüpsche thierlin! Weren sie unser, so wolt ich sie für den hirten treiben, damit sie der andern härd auch gewonten.‘ - ,Ein dreck‘, sprach die fraw, ,sie sind noch vil zu˚ 5 klein, sie müsten dahaimen bleiben.‘ - ,Sie sind nicht zu˚ klain‘, sprach der mann, ,sie müsten für den Hirten.‘ Die fraw wider sprach: ,Sie sind zu˚ klain und müsten dahaimen bleiben.‘ Und solche red baidenthalben sovil triben, das es inen selbst nicht mehr zu˚ dulden war; Uff stu˚ nden unnd einander dapffer abschmierten, biss sie bald darob erlagen, unnd hatten dannocht kaine fäcklin. 1 uff ein zeit] einmal 3 das er bald anhu˚ b] dass er sogleich anhob 4 für den hirten treiben] zum Hirten treiben 5 damit sie der andern härd auch gewonten] damit sie sich an die andere Herde gewöhnten 9 bald darob erlagen] bald darniederlagen In: Montanus (1972), 337f. <?page no="420"?> 000419 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 419 042 - Jakob Bidermann: Cenodoxus | 042 A.IV.1.3. Jakob Bidermann (1579-1638) Aus: Cenodoxus (1602) Actus V. Scena V. Christus, cum reliquis judicibus. Spiritus cenodoxi. Panurgus. christus. Revocate; producite scelestum: ut ultimo Hinc jure proscribatur; aevitatibus Arsurus omnibus. omnes. Satis diu hactenus Impune scelerato fuit. christus. Adesdum scelus; 5 Et digna factis accipe tuis praemia. spiritus. Saevire noli, o Judicum mitissime. christus. Quae te libido praecipitem in hanc compulit Vesaniam, sceleste; Numen ut tuum Contemneres? hostisque profugeres mei 10 Ad castra? quo maleficio te laeseram? Quo te beneficio hostis affecit meus? Ineamus, ingrate, rationem. Condidi Te, cum cinis, pulvis, nihilque esses, mea Ut imperata facere sic assuesceres. 15 Sed tibi nefando pestifera placuit sequi Consilia veteratoris, exclusis meis. Nec vero spretus benefacere tibi desij; Caepique magis amare, quo tu me oderas Magis: parumque facere me putaveram, 20 Nisi nimium facerem. Ideoque sidera Deserueram, ut tu sidera coleres: humum Ideo colebam, ut tu relinqueres humum. Contemsi honores, ut meo contemneres Exemplo honores. Te meum jejunium 25 Dolebat; atque vigiliae tibi meae Quondam excubabant. [ … ] Quibus Exaudientur: inde nulla aeternitas Eripiet. spiritus. Heu, heu, heu; Cadite montes super Me, obruiteque una. omnes, judices. Justa judicia DEI. 30 Pereat scelestus. panurgus. Captus es; meus es; eris; Nec esse desines. spiritus. Pereat utinam dies, Pereatque quisquis fecit, & vidit diem. <?page no="421"?> 000420 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 420 | 042 - Jakob Bidermann: Cenodoxus [ … ] Scena VII. Panurgus. Asteroth. Asempholoth. Hypocrisis. Philautia. Spiritus Cenodoxi. panurgus. Ha ha; quid horres? inter alienos tibi 35 Videris esse? noster es; tui sumus. spiritus. Hostes mei estis. asteroth. Hospites imo tui. asempholoth. Quid jam ferocis? placidior fueras heri. spiritus. Impostor es. asempholoth. Pridem sciebas; cur fidem Tamen habuisti? spiritus. Non habebo in posterum. 40 omnes. Cenodoxe salve. spiritus. Salvus esse desij. Perij. panurgus. Perire non potes. spiritus. Perij. asteroth. Vales, Valebis. spiritus. Heu, perij. panurgus. Medebor ocyus; Jam senties te non perisse: Poculum hoc Haurito. spiritus. Potitare jam nihil lubet. 45 omnes. Ho, ho; lubere nostra debent. panurgus. Hauries: Inverge. spiritus. Male sit mortualibus; male Superis & inferis. philautia. Ut istaec potio Sapuit? spiritus. Male sit & tibi, lues, pestis mea. hypocrisis. Nec tu ita resiste: noscis Hypocrisin tuam? 50 spiritus. Male tibi, Hypocrisis; Philautiae male. Parentibus male sit meis; rebus male Sit omnibus. asteroth. Quam bella comprecatio! hypocrisis. Divina: nam divinus est. panurgus. Advertere Novit suum egregie animum ad nostrum. asteroth. Bene 55 Docilis es ingenij. philautia. Potissimus fuit, Nempe, omnium & prudentium & sapientium. hypocrisis. Quasi corculum & prudentiae & sapientieae. panurgus. Antistes ergo litteris creabitur phlegethonicis. spiritus. Male litteris: & artibus 60 Male universis. hypocrisis. Hinc tibi tamen gloriam Tu comparasti! spiritus. Ah, comparavi miseriam. asteroth. Pollere consilijs solebat; Lucifer Meus Imperatur, illius egebit opera. panurgus. Perenne protinus dabit salarium. 65 philautia. Quam tu beatus? spiritus. Quam miser? philautia. Nescis tuam Beatitatem. spiritus. Heu, nescio miser, nescio. panurgus. Jam jam scies. asempholoth. Cruciantur inferi mora; Expectat Imperator; atque dexterum Avet hunc recipere sessum, honoris gratia. 70 spiritus. Male sit honori. omnes. Agite, rapite; praeducite <?page no="422"?> 000421 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 421 042 - Jakob Bidermann: Cenodoxus | Ad inferorum aeterna domicilia. spiritus. Solum Caelumque, quicquid uspiam est, perat male. panurgus. Cadaver evolvamus itidem huc in lutum Caenumque, donec Orcus illud afferat. 75 Scena VIII. Bruno, Cum sex Socijs. Hugone, Laudwino, Guarino, Stephano, Philareto, Andrea, Chorus. bruno. Nihil est necesse, credo, multis dicere, Cur vos potissimum evocarim. Nam docet Loquiturque caussam, me tacente, mortui Vox viva: quae me vosque noctes ac dies 80 Terrefacit; inque gaudijs gaudia negat: Suamque metuit vita vitam; animum animus: Suspecta sunt, quaecunque sunt. Molestiam Creant amoena; & inopiam faciunt opes. Tormenta deliciae novant; premitque spem 85 Timor perennis. Esitare, litteris Vacare, disputare, legere, colloqui Cenodoxus arcet: dormientem me excitat; Vigilem exanimat: adest mihi, quoties abest. Quid multa? vivere, prohibet; terret, mori. 90 [ … ] Nihil tenet abeuntem. Saccus istuc induet Inane, mortuale corpus. Cilicio Torquebitur; jejunio vexabitur, Precibusque flagrisque cicurabitur meis; 95 Ne forte me pessundet, ego pessundabo. Stat solitudinem asperam sectarier; Atque inde liberare animum, ubi perdidit Cenodoxus. omnes. Idem est animus, est eademque mens. bruno. Beate Rector Orbis, animos robora 100 Caeptumque nostrum prospera. Tibi sedet Vitam dicare, consecrare, ducere. omnes. Valete; Mundi disperite gaudia. In: Bidermann (1967), 111-123. <?page no="423"?> 000422 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 422 | 042 - Jakob Bidermann: Cenodoxus Joachim Meichel (um 1590-1637) [Aus der deutschen Übersetzung von Bidermanns] Cenodoxus, der Doctor von Pariß (1635) Summarischer Innhalt der Geschicht vom Parisischen Doctor. Im Jahr Christi 1082. war ein weitberümbter Doctor zu Pariß / welcher als er gestorben / vnnd man die Leich besingen wollen / hat er bey anfang der Lection Responde mihi, Gib mir Antwort / etc. sich in der Todenbaar aufgericht / vnd mit mennigklichs entsetzung geschryen: Auß gerechtem Vrthel Gottes bin ich anklagt. Deßwegen hat man die Vigil auff folgenden Tag 5 verschoben / an welchem der zuelauff von Leuten noch grösser worden / die warteten was darauß werden wolt. Die Vigil fangt widerumb an / vnd zu den Worten Responde mihi, hebt sich hder Tode widerumb auff vnd schreyt / Auß gerechtem Vrthel GOttes bin ich gerichtet. Dieweil man aber noch nicht wissen kund / was der strenge Richter vber disen Menschen geurthelt hett / so erwartet man auch deß dritten Tags. Vnd als man widerumb anfienge 10 zusingen Responde mihi, richtet sich der Leichnamb abermal auff / vnd mit erschröcklicher Stimm schreyt er: Auß gerechtem Vrthel Gottes bin ich Ewig verdambt. Dises gieng Brunoni zu Hertzen / verließ die Welt / begab sich sampt andern Sechs seinen Mitgesellen in ein Wildnuß / vnd hat allda den Carthäuser Orden angefangen. [ … ] Der V. Act. Die 5. Scena Christus sampt den andern Richtern. Spiritus deß Doctors Seel. Panurgus der Teufel. 15 Christus / nach dem er dem Sünder sein Vndanckbarkeit mit einer scharpfen Red verwisen / verdambt er jhn mit dem erschröcklichen Vrthel zu den ewig vnd jmmerwehrenden Peynen. christus. Ruefft wider her den Schalck so znicht / Vnd stellet jhn dar / fürs Gericht / Das Vrthel streng zu hören an / 20 Das jhm werd sein verdienter Lohn / Die ewigwehrend Höllisch Peyn / Zu welcher er verdambt muß seyn. omnes. Es ist dem Bößwicht nach seim Sinn Lang gnueg vngstraffet gangen hin. 25 christus. Komb her du Gottvergessner Mann / Empfang da dein verdienten Lohn. spiritus. O Richter höchster Miltigkeit / Straff nit nach strenger Grechtigkeit. christus. Du Schalck / wo hast doch hingedacht / 30 Daß du mich also hast veracht? Daß du so gar vermessenlich Hast meinem Feind ergeben dich? Was hab ich dir doch böses thon? Was hat dir mein Feind guets gethon? 35 <?page no="424"?> 000423 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 423 042 - Jakob Bidermann: Cenodoxus | Nun / du Vndanckbarer / wolan / Wir wöllen drüber Rechnung han; Auß Staub / auß Aschen hab je ich / Ja gar auß nichts erschaffen dich / Damit du also solst gewohn / 40 Mein Willen vnd Befelch zuthon / Dir aber doch gefiel vilmehr Zufolgen des Betriegers Lehr / [ … ] Die Hoffart groß der Engel mein / Da sie noch höher wolten seyn / 45 Die hab ich streng gestrafft vor zeiten / Vnd mainst man soll dein Hoffart leiden? So geh nun hin zu deinen Gsöllen / Von mir hinunter in die Höllen. Hin in das Höllisch Fewer / 50 Hin in die Flammen vngehewer. Allda in ewiglicher Peyn / Wird heulen vnd zähnklappern seyn. Gehe hin du bist in Ewigkeit Verfluecht / verdambt / vermaledeyt. 55 spiritus. Ach weh / ach weh / ach ewigs laid / Ach Jammer / ach Noth in Ewigkait. omnes. Verfluecht / verdambt / vermaledeyt / Sey diser in all Ewigkeit. panurgus. Jetzt bist mein Gfangner / jetzt bist mein / 60 Vnd wirst nit enden mein zuseyn. spiritus. Ach wehe verfluecht sey Tag vnd Nacht / Vefluecht sey wer sie hat gemacht / Verfluecht sey nochmal Stund vnd Tag / Vnd wer den Tag ansehen mag. 65 [ … ] Die 7. Scena Panurgus, Astherot, Asempholot, die Teufel. Hypocrisis die Gleißnerey. Philautia die Aigne Lieb. Spiritus deß Doctors Seel. Das Höllisch Hofgsind lacht vnd spottet deß Verdambten / bringt jhm ein Trunck von Schwefel vnnd Pech zu einem Willkumb. Darnach ziehen vnd zancken jhn die Teufel mit sich in Abgrund der Höllen. panurgus. Ha / ha / wie thuest? Wie kombts dir für? 70 Was ist allda zuwider dir? <?page no="425"?> 000424 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 424 | 042 - Jakob Bidermann: Cenodoxus Gedunckst dich vnter frembden seyn? Du bist doch vnser / wir seynd dein. spiritus. Ach nain / nain. Meine Feind seyd jhr. astherot. Ey / deine Herbergherrn seynd wir. 75 Wie stelst dich jetzund erst so wild? Warst gestern doch fein güetig mild. spiritus. Ein Lieger vnd Betrieger bist. asempholot. Das hast vorhin schon langst gewüst. Warumb hastu vns glaubt so sehr? 80 spiritus. Ich will euch glauben nimmermehr. omnes. Wilkomb / Wolauff Jhr Excellent. spiritus. Mein wolauff seyn das hat ein Endt. Ich bin verdorben gantz vnd gar. panurgus. Verderben kanst nit mehr fürwar. 85 spiritus. Ach / Ach / ich bin verdorben schon! astherot. Wird dir noch wolgehn / lieber Gspon. spiritus. Ach / ach / ich bin verdorben schon! [ … ] Die 9. Scena Bruno sambt seinen Gsellen. Bruno weil er disem erschröcklichen Spectacl beygewohnt / ist jm solches starck zu Hertzen gahgen / nimbt jhm derwegen für / sich auß der Statt in die Wildtnuß zubegeben / erwöhlet hierzue etlich außerleßne Jüngling: Erklärt jhnen sein Gemüet / wirfft allen Pracht vnd Eytelkeit diser Welt von sich / nimbt von seinen Gsellen Vrlaub; die aber auch sampt jhme die Welt verlassen. Ist also Cenodoxus jhme selber höchstschädlich / Brunoni aber höchstnutzlich gewesen. bruno. Warumb ich euch geruefft herein / 95 Wird zsagen vnuonnöten seyn / Weil ohne das ist wißlich euch / Das vursach ist die schröchlich Leich: Vnd wann gleich ich schon schwige still / Redt doch der Todt mehr als zu vil. 100 Sein Stimb die mir groß schrecken macht / Ligt mir in Ohren Tag vnd Nacht. Mitten in Kurtzweil vnd in Frewd / Wird mir all Lust vnd Frewd erleydt. Alls was auff Erden ist / kombt mir 105 Fast allessamb verdächtlich für. All Weltlich Kurtzweil / alle Freid / Ist mir nur ein Verdrießlichkeit. <?page no="426"?> 000425 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 425 042 - Jakob Bidermann: Cenodoxus | Vil Gold vnd Silber / Guet vnd Haab / Vertreibt mich an den Bettelstab. 110 All Weltliche Wollustbarkeit / Ist mir ein Peyn vnd Bitterkeit. Forthin jetzund so lang ich leb / Nur zwischen Forcht vnd Hoffnung schweb. Thue was ich wöll / trinck oder eß / 115 Sitz oder gehe / schreib oder leß / Ich sinne oder ich studier / Ich concipier vnd meditier / Halt Ansprach / oder disputier / So kombt mir Cenodoxus für. 120 Der ligt mir Tag vnd Nacht im Sinn / Wie er dort in der Höllen brinn. Schlaf ich / vnd gehn mir dAugen zue / So weckt er mich auff auß der Rhue. Wach ich / so macht er mir sehr bang / 125 In Summ / was will ich sagen lang / Zum leben ich kain Lust mehr hab / Zum sterben schröcket Er mich ab. [ … ] andrea. Herr Bruno gebt vns guten rath / Dem wollen wir auch geben stat. 130 [ … ] bruno. Wolt Gott das der verdambte Mann / Hett klärlicher gezaiget an / Die Vrsach der Verdambnuß sein / Vnd was jhn bracht hab in die Pein / So hetten wir dieselbig Sünd / 135 Die jhn verderbt / geflohen gschwind. Doch wann mans recht erwegen will / In dem ers hat geschwigen still / Hat er die Vrsach besser gmelt / Vnd hailsamblicher fürgestelt. 140 Hett er gesagt / der Neid vnd Haß / Die hetten jhm verursacht das / Wir wurden gwißlich vns alßbalden / Vor Neyd vnd Haß mit fleiß enthalten: Die andern Laster truegen wir / 145 Dannoch im Buesen für vnd für. Vnd saget er / sein Vbermuet <?page no="427"?> 000426 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 426 | 043 - Anonymus: Das Lalebuch Hat jhn gebracht zur Höllen Gluet / So wolten wir vns hüetten sehr / Vor Vbermuet vnd eytler Ehr. 150 Vnd mainten wir / es wäre gar / Bey andern Lastern kein gefahr / So hat er nun verschwigen recht / Der Sünden aigentlichs Geschlecht: Vnd kaine gnennt jnsbesonderhait / 155 Die jhn gebracht in ewigs laid: Damit wir hüetten vns vor allen / Vnd gar in kaine Sünden fallen. [ … ] bruno. kniet nieder vnd beschleust : O Gott gib vns dein Krafft vnd Sterck / 160 Zu disem angefangnen Werck / Gib Gnad vnd Segen Jesu Christ / Der du der wahre Heyland bist. Seel / Hertz vnd Gmüet / sambt Leib vnd Leben / Sey dir in Ewigkeit ergeben. 165 Fahr hin / O Welt / mit Guet vnd Gelt / Fahr hin all Frewd auff diser Welt. Ende. 5 Vigil] Totenfeier in der Nacht der Beerdigung 12 Brunoni] der Heilige Bruno von Köln, Begründer des Kartäuserordens 15 Spiritus] Geist, Seele Panurgus] Name eines Teufels 18 znicht] zernichtet 78 Lieger] Lügner 96 vnuonnöten] nicht vonnöten 126 In Summ] zusammengefasst In: Bidermann (2000), 134-150. 043 A.IV.4. Anonymus Aus: Das Lalebuch (1597) [Die Lalen, weithin ob ihrer Weisheit berühmt, in Griechenland als Berater an Fürstenhöfen tätig, haben beschlossen, fortan ihre Weisheit hinter Narrheit zu verbergen und im heimatlichen Laleburg - gelegen im Königreich Utopia - das Leben von vorgeblich dummen Bauern zu führen.] <?page no="428"?> 000427 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 427 043 - Anonymus: Das Lalebuch | [1. Cap.] Von dem Vrsprung / herkommen vnd Namen der Lalen von Laleburg / im Königreich Vtopien gelegen Es haben die Alten vor viel hundert jaren disen spruch / welcher auch noch zu disen vnsern zeiten warhafft / vnd deßhalben gelten soll / gehabt / da sie also gesprochen: Eltern wie die geartet sind / Also sind gmeinlich jhre Kind: Sind sie mit Tugenden begabt / 5 An Kindern jhr deßgleichen habt. Kein guter Baum gibt böse Frucht. Der Mutter nach schlegt gern die Zucht. Ein gutes Kalb / ein gute Kuh: Das Jung thuts gern dem Vatter zu. 10 Hat auch der Adler hoch von Muht Forchtsame Tauben je gebrut? Doch merck mich recht / merck mich mit fleyß / Was man nicht wescht wirdt selten weiß. Eben dieses kan von den Lalen von Laleburg (welches ort hinder Kalecut / in dem großmech- 15 tigen Königreich Vtopien gelegen) mit grossem jhrem Rhum vnd Lob auch wol mit guten fugen gesagt werden. Dann auch sie in jhrer lieben Vorältern fußstaffeln getretten / darinnen verharret / vnnd davon mit nichten abgewichen: biß sie die grosse noht / deren kein gesetze fürgeschrieben worden / dieweil sie keins halten könnte / deßgleichen auch die erhaltung vnd fürderung des lieben Vatterlandes vnnd gemeinen Nutzens / deme man alle Trewe vorauß 20 zuleisten schuldig / davon abgetrieben / vnd dahin genötiget / daß sie einen andern weg für sich nemmen vnd tretten müssen / jnmassen jhr der lenge nach kurtzlich solt vernemmen. Vns allen zu einem augenscheynlichen Exempel / darauß zu lehrnen / welcher massen wir vnsern lieben vnd frommen Eltern in guten Sitten vnd Tugenden nachschlagen / vnnd etwan auß der Noth ein Tugend machen sollen. 25 Dann so wir dem gemeinen Geschrey vnd Reden / welche von jhnen im gantzen Land vnter den Leuten vmbgehen / wöllen glauben geben: welches wir wol thun müssen / in betrachtung / daß keine Schreybenten mehr vorhanden / die darvon geschrieben hetten / als welcher Geschrifften vnd Geschichtregister inn der vngehewren Brunst / da Laleburg sampt allem was darinnen / darunter auch jhre Chronicken gewesen / verbrunnen / als hernach auff seinem 30 ort soll vermeldet werden: So wir / spriche ich nachmaln / dem gemeinen Geschrey / welches nicht allzeit lär vnd nichtig / sonder gemeinlich wa nicht gar / doch zum theil wahr ist / glauben geben / werden wir befinden / daß jre erste Vorältern auß Griechenland herkommen / vnnd von der weysen Meystern einem erbohren seyen. Welches dann, / laut obgesetzten Spruchs / auß jhrer edlen art vnnd hohen Weyßheit leichtlich abzunemmen: als dann der 35 Namen lale / welcher Griechisch ist / vnd einen Schwetzer (wie die Griechen gemeinlich <?page no="429"?> 000428 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 428 | 044 - Anonymus: Historia von D. Johann Fausten sind / doch nicht alle) heisset / dessen auch etlicher massen zeugnuß gibt. Welcher auch vnter den gemeldten Weysen Meystern jhr Anherr gewesen / ist jhnen eben so vnbewußt / als dem Juden Schmoll vnbekant ist / von welchem Stammen der Kindern Israel er abgestiegen. [ … ] Titel Vtopien] Verweis auf Thomas Morus’ Utopia (1516) 4 Also sind gmeinlich jhre Kind] sprichwörtl.: ,Wie die Mutter, so auch die Kinder‘ (Wander 3, 813) 10 Das Jung thuts gern dem Vatter zu] entspricht der sprichwörtl. Wendung: ,Der apffel felt nicht weit vom baum, und das kalb gereth gewönigklich nach der kue‘ 11f. Hat auch der Adler [ … ] je gebrut] Adler brüten keine Tauben (Wander 1, 31) 15 Kalecut] ,Kalekut‘ im 16. Jh. als eine ganz fern liegende Gegend angeführt 20 gemeinen Nutzens] im Lalebuch häufig für ,Gemeinwesen‘ („res publica“) 29 Brunst] Feuersbrunst 32 wa nicht gar] wenn nicht gar 34 weysen Meystern] Anspielung auf das populäre Buch von den Sieben weisen Meistern 36f. wie die Griechen gemeinlich sind / doch nicht alle] vgl. Sebastian Franck: Sprichwörter 2, 45 b : „Die Athener hetten Demosthenem vnd vil gelerter berhümpter leut, da leret iederman wol reden vnd schwetzen, wenig ehr ward aber da mit der that eingelegt; die Lacedämonier dargegen waren gewont gar wenig wort, aber vil mit der that zu beweisenn.“ 39 Schmoll] jidd. für ,Samuel‘ In: Anon.: Das Lalebuch (1998), 10-12. 044 A.IV.4. Anonymus Aus: Historia von D. Johann Fausten. Dem weitbeschreyten Zauberer und Schwarzkünstler (1587) 〈 Fortführung Titel 〉 Wie er sich gegen dem Teufel auff eine benandte zeit verschrieben / Was er hierzwischen für seltzame Abentheuwer gesehen / selbs angerichtet vnd getrieben / biß er endtlich seinen wol verdienten Lohn empfangen. Mehrerteils auß seinen eygenen hinderlassenen Schrifften / allen hochtragenden / fürwitzigen vnd Gottlosen Menschen zum schrecklichen Beyspiel / abscheuwlichen Exempel / vnd treuwhertziger Warnung zusammen gezo- 5 gen / vnd in den Druck verfertiget. D. Fausti dritte Fahrt in etliche Königreich vnnd Fürstenthumb / auch fürnembste Länder vnd Stätte. Doct. Faustus nimpt jm im 16. jar eine Reyß oder Pilgramfahrt für / vnd befiehlt also seinem 10 Geist Mephostophili / daß er jn / wohin er begerte / leyte vnd führe. Derhalben sich Mephostophiles zu einem Pferde vekehret vnnd veränderte / doch hatt er flügel wie ein Dromedari / vnd fuhr also / wohin jn D. Faustus hin ländete. Faustus durchreisete vnd durchwandelte manch Fürstenthumb / als das Landt Pannoniam / Osterreich / Germaniam / Behem / Schlesien / Sachssen / Meissen / Düringen / Franckenlandt / Schwabenlandt / 15 Beyerlandt / Littaw / Liefflandt / Preussen / Moscowiterlandt / Frießland / Hollandt / Westphalen / Seelandt / Brabandt / Flandern / Franckreich / Hispaniam / Portugall / Welschland / Polen / Vngern / vnnd dann wider in Düringen / war 25. Tag aussen / darinnen er nit viel sehen kondte / darzu er Lust hette. Derhalben name er ein Widerfuhr / vnd ritte auff <?page no="430"?> 000429 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 429 044 - Anonymus: Historia von D. Johann Fausten | seinem Pferde auß / kam gen Trier / dann jm diese Statt erstlich einfiel zusehen / weil sie so 20 altfränckisch anzusehen war / da er nichts sonderlichs gesehen / dann einen Pallast / wunderbarlichs Wercks / welcher auß gebacken Ziegeln gemacht / vnd so fest / daß sie keinen feind zu fürchten haben. Darnach sahe er die Kirchen / darinnen Simeon vnd der Bischoff Popo begraben war / welche auß vnglaublichen grossen steinen mit Eysen zusammen gefüget / gemacht ist. Darnach wendet er sich gen Pariß in Franckreich / vnd gefielen jm die Studia 25 vnnd hohe Schul gar wol. Was nu dem Fausto für Stätt vnd Landschafften in Sinn fielen / die durchwandert er. Als vnter andern auch Meyntz / da der Mayn in Rhein fleußt / er saumpt sich aber da nicht lang / vnd kam in Campanien / in die Statt Neapolis / darinnen er vnsäglich viel Klöster vnd Kirchen gesehen [ … ]. Fürters kam er gen Rom / welche ligt bey einem Fluß Tyberis genannt / so mitten durch die Statt fleußt / vnd jenseyt der rechten Seyten / begreifft 30 die Statt sieben Berg vmb sich / hat eilff Pforten vnd Thor / Vaticanum / ein Berg / darauff S. Peters Münster oder Thumb ist. Dabey ligt deß Bapsts pallast / welcher herrlich mit einem schönen Lustgarten vmbfangen / dabey die Kirchen Lateranensis / darinnen allerley Heylthumbs [ … ]. Deßgleichen sahe er viel Heydnische verworffene Tempel. Jtem / viel Seulen / Steigbogen / etc. welches alles zu erzehlen zu lang were / also daß D. Faustus sein Lust vnnd 35 kurtzweil dran sahe. Er kam auch vnsichtbar für deß Bapsts Pallast / da sahe er viel Diener vnd Hoffschrantzen / vnd was Richten vnd Kosten man dem Bapst aufftruge / vnd so vberflüssig / daß D. Faustus darnach zu seinem Geist sagte: Pfuy / warumb hat mich der Teuffel nicht auch zu einem Bapst gemacht. Doct. Faustus sahe auch darinnen alle seines gleichen / als vbermut / stoltz / Hochmut / Vermessenheit / fressen / sauffen / Hurerey / Ehebruch / vnnd alles Gott- 40 loses Wesen deß Bapsts vnd seines Geschmeiß / also / daß er hernach weiters sagte: Jch meynt / ich were ein Schwein oder Saw des Teuffels / aber er muß mich länger ziehen. [ … ] [D. Faustus begibt] sich wider in die höhe / gen Orient zu / vnd reiset für vil Königreich / Stätt vnd Landschafften / wandelte also auch auff dem Meer etliche Tage / da er nichts dann Himmel vnd Wasser sahe / vnd kame in Thraciam oder Griechenlandt / gen Constantinopel / 45 die jetzundt der Türck Teucros nennet / allda der Türckische Keyer Hoff helt / vnd vollbracht daselbst viel Abenthewr / wie hernach etlich erzehlt werden / so er dem Türckischen Keyer Soliman zugefügt. Constantinopel hat jren Namen von dem grossen Keyer Constantino. Diese Statt ist mit weiten Zinnen / Thürnen vnd Gebäwen auffgericht vnd geziert / daß mans wol new Rom mag nennen / vnd fleußt neben an beyden orten das Meer. [ … ] [Auf] einen 50 Abend / als der Türckische Keyser vber der Tafel saß vnd asse / macht jm D. Faustus ein Affenspiel vnd Abenthewr / denn in deß Türckischen Keysers Saal herumb giengen grosse Fewerstromen / daß ein jeglicher zulieff zu leschen / in dem hub es an zu Donnern vnd Blitzen. Er verzaubert auch den Türckischen Keyser so sehr / daß er weder auffstehen oder man jn von dannen tragen kondt. Jn dem wurde der Saal so hell / als wann die Sonnen 55 darinnen wohnete / Vnd D. Fausti Geist tratt in gestalt / zierd vnd geschmuck eins Bapsts für den Keyser / vnd spricht: Gegrüsset seystu Keyser / der je so gewürdiget / daß ich dein Mahomet vor dir erscheine. [ … ]. Der Keyser fiel nach dieser Bezauberung auff die Knie nieder / rüfft also seinen Mahomet an / lob vnd preißt jn / daß er jn so gewürdiet / vnd vor jm erschienen were. [ … ] Von Erfurt lendet er sich widerumb auff Wittemberg zu / vnd kam also 60 da er anderhalb jar aussen war / wider heim / vnd hatt also viel Landschafften gesehen / so nit alle zubeschreiben sind. In: Anon.: Historia von D. Johann Fausten (2006), 60-70. <?page no="431"?> 000430 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 430 | 045 - Georg Rollenhagen: Froschmeuseler 045 A.IV.5.1. Georg Rollenhagen (1542-1609) Aus: Froschmeuseler (1608) [Das erste Zusammentreffen „der manhaften frösch und meushelden“ findet völlig friedlich statt. Als der Mäuseprinz Bröseldieb, König Partekfressers Sohn, an einem Waldsee seinen Durst stillt, wird er vom Froschkönig Bausback zu dem prächtigen Fest eingeladen, das die Frösche am Seeufer feiern. Freundlich befragt, gibt Bröseldieb bereitwillig und wohlgesittet Auskunft über seine Abstammung; „Bausback lobet, das Bröseldieb sein meusgeschlechte erlich [in Ehren] helt, und erzelt, was sich mit des Ulysses Gesellschaft bei der Circe zugetragen habe“ (Anfang bis V. capitel)]. Das erste buch. Das erste teil. Das VI. capitel. Ulysses fraget seine verwandelten diener, ob sie wider wollen menschen werden Darauff wird Ulysses gewar, Das seins geschlechts einer da war, Der hüpfet ihm auf seine schuh, 5 Als ob er ihm wolt sprechen zu, Dabei er merkt, es wer sein knecht, Wiewol ers nicht kont wissen recht, Und rürt ihn an mit Circes rut, Fragt, was ihm deuchte lieb und gut 10 Ob er nicht wider mensch wolt sein Er wer ja seiner diener ein. Der antwortet, er wer der held, Der vor auf kundschaft war bestelt, Die er kont meisterlich erfaren, 15 Wie ser sie auch verborgen waren; Nun wolt er bleiben eine maus Und wonen in der Circe haus, Lieber in fried die brocken essen, Die sie von der speis könt vergessen, 20 Denn nach so vielen kriegesjaren, Mit gefar auf dem mer umfaren. Ulysses sprach: Es ist mir leid Deine große unsinnigkeit; Weist du nicht, das der katzen orden 25 <?page no="432"?> 000431 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 431 045 - Georg Rollenhagen: Froschmeuseler | Die meus bei tag und nacht ermorden? Das man sie mit den fallen fengt, Erwürgt oder im wassr ertrenkt? Das auch des giftes ist ser vil, Damit man sie tödt one zil? - 30 Es gehet also in der welt, Eim jeden seine weis gefelt, Sprach die maus, bis ers lernet baß. Bei menschen mich vil übler was, Ich must bei tag und nacht umkriechen, 35 Bei allen menschen hören, riechen, Was sie für rathschleg vorgenommen, Uns zu schaden, ihnen zu frommen, Vornemlich bei der feinde schar, Da ich alzeit hat todsgefar 40 Von pfeilen, schwertern, spieß und stangen Und bin kaum lebendig entgangen, Von leuen, beren, wölfen, hunden, Deren jeder gern mich het geschunden. Jetzt fürcht ich nur der katzen zen, 45 Den ich im loch wol kan entgehen. Des menschen schif sind überal Auch geferlicher denn die meusfal: Da rümt man ihn ein hand vol er, Ein wenig geld und anders mer, 50 Damit macht man sie so verwent, So unsinnig, so gar verblendt, Das sie auf solch stelhölzlein mausen, Dawider wind und wasser brausen, Davon auch keiner kan entlaufen, 55 Bis sie mit ihrm meister ersaufen. Es ist auf erden auch kein gift, Das nicht den menschen mer betrift Denn eben sonst die andre tier: Wie denn ist widerfaren mir. 60 Wenn ich nicht wer ein mensch gewesen, Ich het für Circe wol genesen; Darumb bleib ich jetzt wer ich bin, Far du mit guter wolfart hin. - [ … ] Wer hie viel zu lang zu beschreiben, Wir lassens der kürz halben bleiben. 215 <?page no="433"?> 000432 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 432 | 046 - Anonymus: Ein kurtzweilig lesen von Dyl Vlenspiegel 3 Darauff wird Ulysses gewar] vgl. Homer: Odyssee, 10. Die Zauberin Kirke hat die Gefährten des Odysseus in Tiere verwandelt. Sie will ihnen ihre Menschengestalt wiedergeben, wenn sie selbst es wünschen. Odysseus solle seine Gefährten deshalb fragen 9 rut] Zauberstab 12 ein] einer 14 vor] vorher, früher 25 der katzen orden] die Katzen 30 zil] Ende 33 baß] besser 34 mich] es für mich 43 leuen] Löwen 44 geschunden] die Haut abgezogen 45 zen] Zähne 46 Den] denen 49 er] Ehre 51 verwent] verwöhnt 53 stelhölzlein] Gestellen 62 Ich het für Circe wol genesen] ich wäre vor Kirke wohl davongekommen In: Heger (1978), 634-640. 046 A.II.1.5. Anonymus Aus: Ein kurtzweilig lesen von Dyl Vlenspiegel (1515) Die XIX. history sagt wie Vlenspiegel zu˚ Brunßwick sich verdingt zu˚ einem brotbecker für ein beckerknecht, vnd wie er ülen vnd merkatzen bu˚ ch Da nun vlnspiegel wider gon Brunßwick kam, zu˚ der beckerstuben, da wont ein becker nach darbei, der rüfft ym in sein huß vnd fragt in was er für ein geselle wer. er sprach ich bin ein beckerknecht. Der brotbecker der sprach. Ich hab eben keinen knecht wilt du mir dienen. 5 Vlnspiegel sagt ia. Als er nun zwen tag bei im was gewesen, da hieß in der becker bachen vff den abent, den er kunt im nit helffen bis an den morgen. Vlenspiegel [25 r ] sprach ia wz sol ich aber bachen, der becker wz ein schimpfig man vnd wz zornig vnd sprach in spot, bistu ein beckknecht vnd fragst erst wz du bachen solt, wz pfligt man zu˚ bachen eulen oder merkatzen vnd gieng damit schlaffen, da gieng Vlenspiegel in die bachstuben vnd macht den deick zu˚ ytel 10 eulen vnd merkatzen die bachstub vol vnd bu˚ ch die Der meister stund des morgens vff vnd wolt im helfen, vnd da er in die bachstuben kam so fint er weder weck noch semlen nur ytel eulen vnd merkatzen. Da ward der meister zornig vnd sprach, wie der iar rit, wz hastu da gebachen. Vlenspiegel sprach das ir mich geheissen hon, eulen vnd merkatzen, der beck sprach waz sol ich nun mit der narey thu˚ n solich brot ist mir niergen zu˚ nütz ich mag dz nit zu˚ 15 gelt bringen vnd ergreiff in bei dem halß vnd sprach bezal mir mein deick, vlenspiegel sprach ia wan ich euch den deick bezal sol dan die war mein sein die dauon gebachen ist der meister sprach wz frag ich nach solicher war eulen vnd merkatzen dienen mir nit vff meinem laden also bezalt er im sein deick, vnd nam die gebachnen eulen vnd merkatzen in ein korb vnd tru˚ g sie vß dem huß in die herberg zu˚ dem wilden man vnd Vlenspiegel gedacht in im selber du 20 hast offt gehört man künd nüt so seltzems dings geen Brunschwick bringen man lößt gelt daruß vnd wz an der zeit das am andern tag sant Niclaus abent was da gieng Vlenspiegel für die kirchen ston mit seiner kouffmanschafft vnd verkoufft die eulen vnnd merkatzen alle vnnd lößt vil mer geltz daruß dan er dem becken für den deick het geben [25 v ] Das ward dem becker kunt gethon, den verdroß es, vnd lieff für sant Niclauß kirchen, vnd wolt in an forderen vmb 25 das holtz vnd für den kosten, die ding zebachen. Da was Vlenspiegel erst hinweg mit dem gelt, vnd hat der becker das nach sehen. <?page no="434"?> 000433 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 433 046 - Anonymus: Ein kurtzweilig lesen von Dyl Vlenspiegel | D.3. Ein kurtzweilig lesen von Dyl Vlenspiegel 1 Brunßwick] Braunschweig (vgl. zu dieser ,history’ den Eulenspiegel-Brunnen auf dem Braunschweiger Bäckerklint) 2 vnd wie er ülen vnd merkatzen bu˚ ch] darunter Holzschnitt: links gerahmtes Bild, rechts architektonische Leiste. Im Rahmen: Blick in die gewölbte Backstube mit Butzenscheiben; auf einem Tisch im Hintergrund die bereits geformten Tierfiguren; rechts im Vordergrund Eulenspiegel, der eben einige davon in den großen Backofen einschiebt. beckerknecht] Bäckergeselle merkatzen] eine Affenart 3 beckerstuben] Zunftstube, Herberge der wandernden Bäckergesellen 4 nach] nahe wer] war 8 wz] waz, was schimpfig] scherzhafter, leicht erregbarer 10 ytel] eitel, nur 13 wie der iar rit] zum Teufel! (wörtlich: wie das jähe Fieber) 14 hon] habt 15 narey] Narretei 15f. mag dz nit zu˚ gelt bringen] kann das nicht verkaufen 20 zu˚ dem wilden man] Hausname der Herberge 21 lößt gelt] erzielt Gewinn 22 sant Niclaus abent] 5. Dezember 22f. für die kirchen ston] und stellte sich vor der Kirche auf 23 kouffmanschafft] Ware 25 sant Niclauß kirchen] Braunschweig besaß nur eine Nikolaus-Kapelle In: Heger (1978), 663f. <?page no="435"?> 000434 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 434 | 047 - Johann Fischart: Eulenspiegel Reimensweiß 047 A.IV.5.2. Johann Fischart (1546/ 7-1589/ 90) Aus: Eulenspiegel Reimensweiß (1572) Der Eulenspiegel zum Leser Nvn hab ich guter Eulenspiegel Bekommen auch Poetisch flügel, Wie Pegasus, welchs war ein pferd, Soviel ist auch mein Esel wehrt. 5 Und gzimpt sich jm viel baß der flug, Dann einem gaul, so ghört zum zug Oder eim Ochsen in dem pflug, Das macht mein Eulenspieglisch trug! Durch kunst fliegt dannocht Dædalus, 10 Da ein Roß bleibt Bucephalus, So wag ichs nun, ich Eulenspiegel. Flieg zu Esel, on zaum und ziegel Durch alle Land vnd werd bekannt All Leuten in eim jeden stand 15 Vnd nicht allein dem Volk von künsten, Sonder den Layen vnd den minsten, Dann weil ich seltzam heiß und reyt, Hat mit mir jederman sein freud. [ … ] Vgl. das Volksbuch Ein kurtzweilig lesen von Dyl Vlenspiegel (1515, Heger 2, 662ff.) 4 Pegasus] geflügeltes Ross der griech. Sage, das Dichterross 6 gzimpt] geziemt, ist angemessen baß] besser flug] Pflug 7 Dann] als so ghört zum zug] der (im Geschirr) als Zugvieh geht 8 eim] einem 10 dannocht] dennoch Dædalus] Gestalt der griech. Sage, erbaute auf Kreta das Labyrinth für den Minotaurus; selbst hineingesperrt, verfertigte er für sich und seinen Sohn Ikarus Flügel aus Federn und Wachs und konnte so fliehen 11 Da] während Bucephalus] Bukephalos, Pferd Alexanders des Großen 13 Flieg zu Esel] ich fliege auf meinem Esel ziegel] Zügel 17 minsten] schlichten Leuten In: Heger (1978), 640. <?page no="436"?> 000435 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 435 048 - Johann Fischart: Geschichtklitterung | 048 A.IV.5.2. Johann Fischart Aus: Geschichtklitterung 8. Capitel: Truncken Litanei (1590) [Fischarts überschäumende Freude an virtuos-groteskem Wortspiel macht jeglichen Kommentierungsversuch zumindest problematisch, wenn nicht nahezu aussichtslos. Der Leser wird die rasante, sich immer mehr steigernde Schilderung eines grölenden Zechgelages am ehesten dann nachvollziehen können, wenn er sie als Hörbericht nimmt und sich vom Wortrausch des Dichters zum Lob des edlen Rebensaftes mitreißen lässt.] 5 Das Truncken Gespräch, oder die gesprächig Trunckenzech, ja die Truncken Litanei, unnd der Säuffer unnd guten Schlucker, Pfingstag, mit ihrer unfeurigen doch dürstigen Weingengen Zungenlös, schönem gefräß und gethös. AUff solche wolerschnauffte und errammelte abdauung, entschlossen sie sich eben auff der selben kampffmartischen Walstatt auch die abendzech zu vollbringen: Da het einer wunder 10 gesehen, wie da die Gleser, Becher und allerley Trinckgeschirr umbgiengen, wie man allda die Kandel übet, da schar man den Schuncken, da zog man den Käß producten, dem Ferlin die Hartzhaub ab, da griff man den Hespen auff die hauben, da stachen sie einander die Pocal auff die Prust, da flogen die mühele, da stibeten die Römercken, da raumt man die dickelbächer, da soffen je zwen und zwen auß doppleten: die man von einander bricht, ja sie soffen auß 15 gestifleten Krügen, da stürtzt man die Pott, da schwang man den Gutruff, da trähet man den Angster, da riß und schält man den wein auß Potten, auß Pinten, auß Kelchen, Napffen, Gonen: Kellen: Hofbechern: Tassen: Trinckschalen: Pfaffenmasen: Stauffen von hohen stauffen: Kitten: Kälten: Kanuten: Köpffen: Knartgen: Schlauchen: Pipen: Nussen: Fiolen: Lampeten: Kufen: Nüsseln: Seydeln: Külkesseln: Mälterlin: Pleisäcken, Peuscheln, Straßmeiern, 20 Muscasnussen, Mörkrebsschalen, Stübichen, Melckgelten, Spitzmasen, Zolcken, Kannen, Schnaulzenmas, Schoppenkännlein, Stotzen: Da klangen die Gläser, da Funckelten die Krausen. Holla schenck ein, Wirtsknecht: gib, reych, hol, lang, biet, zeig: weiß: stürtzs umb: streichs: klopffs nägelin, machts voll, so werden wir voll, nach dem Streichholtz: den Willkomm her, Auff kundschafft, auff du, Latz und Nestel abschneiden, den dran, den drauff, den 25 darbei, so sind der guten drei, Korn umb Saltz, nichts umbsonst. Also gefelst mir, hau mir das glaß dapffer zu. Hör Weinschenck, pring mir den Roten, pleich sehen die Todten, Mir ein frischen Glaßschwitzigen, darvon das Glaß wie Catharinaberg öl weint. Also kan man ein anstand mit dem durst treffen. 7 Weingengen] weingewohnten 8 gefräß] Mundwerk, betriebsame Wichtigkeit 9 errammelte] rammeln: wiederholt stoßen, von der Begattung bei Tieren abdauung] Verdauung 10 kampffmartischen] von Mars, röm. Kriegsgott 12 Kandel] Krug schar] Präteritum von scheren Schuncken] Nebenform zu Schinken; altes Buch, Schmöker Ferlin] Ferkel 13 Hartzhaub] Harzkappe: kurzer Leinwandkittel der Harzscharrer; Überwurf der Frauen Hespen] Schenkel, Schinken stachen] vgl. ,eine Flasche Wein stechen‘: eine Flasche mit Zechgenossen gemeinsam ausleeren; vom Bild des Turniers genommen 14 mühele] Meiel: Becher aus Ton 15 doppleten] Doplet: doppelter Becher, aus dem man <?page no="437"?> 000436 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 436 | 049 - Theobald Höck: Von Art der Deutschen Poeterey von beiden Seiten trinken kann 16 gestifleten] Stiefel: Trinkgefäß Gutruff] Flasche mit weitem Bauch und engem Hals 16f. trähet man den Angster] ein Trinkgefäß mit engem Hals drehen 17 schält] spülen, hin und her schwenken Pinten] Flüssigkeitsmaß 18 Gonen] Schöpfgefäß mit Stiel Pfaffenmasen] Pfaffenmaß Stauffen] Becher, großes Trinkgefäß ohne Fuß 19 Kitten] Grube, Loch Kälten] Küferkübel, Zwölflitermaß Kanuten] frz. canut: Traubenart Köpffen] Kopf als Trinkgefäß, kugel- oder halbkugelförmig mit Fuß Pipen] Röhre mit Drehhahn am Fass 20 Lampeten] Porzellankanne, Wasserbehälter für den Waschtisch Kufen] Gefäß aus Holz, Fass, Trinkgeschirr aus Ton oder Glas mit Henkel und Deckel Mälterlin] Getreidemaß, Hohlmaß Pleisäken] Bleisack: halbes Stübchen (s. u.) Peuscheln] schwerer Fausthammer der Bergleute; übertragen für schweres Trinkgefäß, das sich die Bergleute im Streit an die Köpfe schlagen 21 Stübichen] Hohlmaß für Flüssigkeit; Bierkrug Zolcken] Schnauze an einem Gefäß 22 Stotzen] holzgeschnitztes Trinkgefäß 23 Krausen] Krug 24 klopffs nägelin] Nagelprobe Streichholtz] Holzgerät zum Abstreichen gefüllter Gläser 24f. Willkomm] Willkommenstrunk, Willkommensbecher Auff kundschafft] Kundschaft: Brüderschaft 26 Korn umb Saltz] Redensart im Sinne von ,kein Dienst ohne Gegendienst‘ 29 anstand] elsäss. Waffenstillstand; Einverständnis In: Fischart (1590). 049 B. I.3.3. Theobald Höck (1573-nach 1624) Von Art der Deutschen Poeterey (1601) Die Deutschen haben ein bsonder art vnd weise / Daß sie der frembden Völcker sprach mit fleisse / Lernen vnnd wöllen erfahrn / Kein müh nicht sparn / Jn jhren Jahren. 5 Wie solches den ist an jhm selbs hoch zloben / Drauß man jhr geschickligkeit gar wol kan proben / Wenn sie nur auch jhr eygene Sprachen / Nit vnwerth machen / Durch solche sachen. 10 Den ander Nationen also bscheide / Jhr Sprach vor andern loben vnd preisen weidte / Manch Reimen drin dichten / So künstlich schlichten / Vnd zsammen richten. 15 Wir wundern vns daß die Poeten gschriben / So künstlichVers vnnd Meisterstück getrieben / Daß doch nit ist solch wunder / Weil sie gschrieben bsunder / Jhr Sprach jetzunder. 20 <?page no="438"?> 000437 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 437 049 - Theobald Höck: Von Art der Deutschen Poeterey | Den sein Ouidius vnd Maro Glerte / Nit gwesen Reimer also hoch geehrte / Die sie in der Mutter Zungen / Lateinisch gsungen / Daß jhnen glungen. 25 Warumb sollen wir den vnser Teutsche sprachen / Jn gwisse Form vnd Gsatz nit auch mögen machen / Vnd Deutsches Carmen schreiben / Die Kunst zutreiben / Bey Mann vnd Weiben. 30 So doch die Deutsche Sprach vil schwerer eben / Alß ander all / auch vil mehr müh thut geben / Drin man muß obseruieren / Die Silben recht führen / Den Reim zu zieren. 35 Man muß die Pedes gleich so wol scandiren, Den Dactilum vnd auch Spondeum rieren / Sonst wo das nit würd gehalten / Da sein dReim gespalten / Krumb vnd voll falten. 40 Vnd das nach schwerer ist so sollen die Reime / Zu letzt grad zsammen gehn vnd gleine / Das in Lateiner Zungen / Nit würdt erzwungen / Nicht dicht noch gsungen. 45 Drumb ist es vil ein schwerer Kunst recht dichten / Die Deutsche Reim alls eben Lateinisch schlichten / Wir mögen new Reym erdencken / Vnd auch dran hencken / Die Reim zu lencken. 50 Niembt sich auch billich ein Poeten nennet / Wer dGriechisch vnd Lateinisch Sprach nit kennet / Noch dSingkunst recht thut richen / Vil Wort von Griechen / Jns Deutsch her kriechen. 55 <?page no="439"?> 000438 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 438 | 050 - Paul Melissus Schede: Poetis Italis, Gallis, Hispanis Noch dürffen sich vil Teutsche Poeten rühmen / Sich also schreiben die besser zügen am Riemen / Schmiden ein so hinckets Carmen, Ohn Füß vnnd Armen / Das zuerbarmen. 60 Wenn sie nur reimen zsammen die letzte Silben / Gott geb wie die Wörter sich vberstilben / Das jrret nicht jhre zotten / Ein Handt voll Notten / Jst baldt versotten. 65 O wenn sie sollen darfür an dHacken greiffen / Vnd hacken Holtz / wenn es nit khride zu Pfeiffen / Khridts doch zu Poltzen selber / Sie trügen doch gelber / Für Lorber Felber. 70 6 an jhm selbs] an sich 11 Den] denn bscheide] mit Bedacht 12 weidte] weithin 14 schlichten] glattlegen, gerade setzen 19 bsunder] einzeln 21 Maro] Vergil 27 Gsatz] Gesetz, auch: Strophe 42 gleine] still, geschmeidig 63 jrret] stört 66 dHacken] die Axt 67 khride] unklar, vielleicht ,geräi‘, passt 68 Poltzen] Bolzen, Klopfstange für den Takt im Meistersang 70 Für Lorber Felber] statt Lorbeer [einen] Weide[nkranz] In: Höck (1601), Cap[itel] 19. 050 Paul Melissus Schede (1539-1602) Poetis Italis, Gallis, Hispanis (1574) Perfacile est vobis, cultissima turba poe¨tae, iungere disparibus verba Latina modis. sugitis immulso nutricis ab ubere, quae nos vix bibimus brumis aure patente novem. haud tamen abiungens exotica pectora Phoebus 5 arcet ab Aonii caelite fontis aqua. Francia Germanis celebres, tria sidera, vates, Celtin et Huttenum Lotichiumque tulit. additus his patriae numerer nisi quartus, ut inter sidera perpetuo stella decore micem, 10 at stellam referens, aliquo quae tempore saltem duret, honorifica luce Cometa fruar. <?page no="440"?> 000439 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 439 051 - Ernst Schwabe von der Heyde: Zwey Sonnet Auff die Krönung Deß Durchleuchtigsten | An die Dichter Italiens, Frankreichs und Spaniens Überaus leicht fällt es euch, ihr hochgebildeten Dichter, Worte zum Distichonvers und auf Lateinisch zu reihn. Sauget ihr doch mit der Muttermilch ein, was wir erst erlernen, was unser Ohr erst vernimmt, wenn wir neun Jahre alt sind. Trotzdem aber verwehrt nicht Phoebus dem Fremden den Zugang, 5 daß aus aonischem Quell göttliches Wasser er schöpf. Franken brachte den Deutschen hervor drei Sterne, drei Dichter: Celtis und Hutten nach ihm und den Lotichius auch. Rechnet man mich, der aus selbigem Land, nicht als vierten zu ihnen, ewig funkelnd als Stern, schönen Gestirnen gesellt, 10 bin ich vielleicht einem Stern doch ähnlich, der zeitweilig leuchtet: ehrenvoll werde vielleicht scheinen ich dann als Komet. 5 Phoebus] griech. Phoibos, ,der Leuchtende‘, Beiname des Musengottes Apollon 6 aonisch] Aonia bezeichnet die Landschaft Böotien, wo sich nahe am Musenberg Helikon der durch einen Hufschlag des Pegasus entstandene Hippokrene-Quell befindet 8 Celtis] Conrad Celtis (1459-1508), deutscher Humanist und Dichter Hutten] Ulrich von Hutten (1488-1523), deutscher Renaissance-Humanist, Dichter und Publizist Lotichius] Petrus Lotichius Secundus (1528-1560), Gelehrter und neulat. Dichter In: Schnur (1967), 292f. und 460. 051 Ernst Schwabe von der Heyde (um 1598-1626) Zwey Sonnet Auff die Krönung Deß Durchleuchtigsten [ … ] Herrn Matthiæ deß II. zu Vngern vnd Bohemen König / Gekrönet zum Römischen König und Keyser. Den 14 / 24 [.] Junij / Anno M.DC.XII. in Franckfurt am Mayn (1612) [Das erste] M Atthia / der du bist / vnter allem Herkommen Der Teutschen Götter / der Allergröste allein: A uff dich hat das Gestirn gestimmet vberein / Vnd allen Widersatz von dir hinweg genommen: T hu dich herfür / nimb wahr / was dir jetzund thut kommen 5 Von oben her: Die Edle Kron mit hellem Schein. H eut will der höchste Gott / daß du solt Herrscher sein Der gantzen Christenheit: Ein Beschützer der frommen. I n dir erzeiget sich / daß du zu vnsern Zeiten / Die Grentzen deiner Vorfahren wirst weit ausbreiten. 10 A lso bezeuget es gar einig das Gestirn. <?page no="441"?> 000440 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 440 | 051 - Ernst Schwabe von der Heyde: Zwey Sonnet Auff die Krönung Deß Durchleuchtigsten O starcker Hercules dich hat Gott thun erwecken / S o / das du solt viel Zungen vnd Völcker erschrecken / Habend Jovem im Hertzen Martem in der Stirn. Die kursivierten Anfangsbuchstaben ergeben als Akrostichon den Namen des Kaisers MATHIAS Titel Matthiæ] Kaiser Matthias (1557-1619), der seinen Bruder, Kaiser Rudolf II., entmachtete und sein Nachfolger wurde 14/ 24[.] Junij] Nebeneinander der Zeitrechnung ,alten‘ (Julianischer Kalender) und ,neuen Stils‘ (Gregorianischer Kalender) 12 Hercules] Herakles, griech. Heros, berühmt für seine Stärke 13 Zungen vnd Völcker] Hendiadyoin, das die Vielfalt der Sprachen und Völker im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation bezeichnet 14 Jovem] Akkusativ von Jupiter, röm. Göttervater Martem] Akkusativ von Mars, röm. Kriegsgott Das ander JAuchtze vor Freuden / Singe und thu Jubiliren / O verlassene Witwe / O armes Teutschlandt / Lege hin all dein Leidt / vnd dein trawer Gewand / Vnd thu dein Haupt mit einem Lorbeer Kräntzlein zieren: Denn an stat deines Herrn den du hast thun verlieren / 5 Giebet jetzt Gott der HERR den Scepter in die Handt / Einem Thewrbaren Helden / welcher deinen Stand Verbessern wird / und dich glückseeliglich regieren. Die Saturnischen Zeiten bringet er herwieder: Die Halciones werden nun jhre Gefieder / 10 Ohn forcht deß Vngestümmes sicher können schwingen. Matthias ist allein der Großmächtige Heldt / Welcher mit seinen Thaten / den Vmbkreiß der Welt Erfüllen soll. Gott lasse es jhm wol gelingen. Unterzeichnet ist der poetische Anhang der Krönungsschrift mit den Initialen „E. S. V. D. H. Borussus“. Das Monogramm und die landsmannschaftliche Zuordnung als Preuße passen auf Ernst Schwabe von der Heide. Die poetische Form des Alexandriners erinnert an Schwabes Sonett, welches Martin Opitz im Aristarchus (1618) zitiert. 7 Thewrbaren] theuerbar: kostbar, teuer 9 Die Saturnischen Zeiten] saturnisch: störrisch, eigensinnig, mürrisch 10 Halciones] Eisvögel; als halkyonische Tage bezeichnete man im alten Griechenland die Wintersonnenwende sowie metaphorisch eine friedliche und glückliche Zeit In: Anon.: Relatio von der Wahl vnd Krönung [ … ] Matthiae des Andern (1612), B(1) r -B(2) r . <?page no="442"?> 000441 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 441 053 - Georg Rodolf Weckherlin: Sonnet | 052 B. I.3.3. Ernst Schwabe von der Heyde Sonnet (1618) Ihr die ihr höret an wie mancher sturmwind wehet / Durch seufftzen ohne zahl in meinen reimelein / Vnd einen weiten bach darin / vol trenelein / Vnd ein vorletztes hertz vol tausent wunden sehet. Erlernet wol hierauß was man in Lieb’ ausstehet / 5 Darin die junge zeit mich lies ergeben sein / Als ich für wahre lust hielt’ einen falschen schein / Darüber mich jetzund hertzliche rew’ umbfehet: Vnd fliehet solche brunst vnd jhre süsse Gifft / Der eiteln schönheit glantz / die vns das Hertz schnell trifft / 10 Vnd angst vnd schmertzen vol witzlos herummer leitet: Ohn Tugend ist schönheit nur ein triegliches Kleidt; Wer solcher dienstbar ist / dem lohnet rew’ vnd leidt: Auß Tugend wahre lust allein wird zubereitet. Von Opitz zitierte dt. Version von Petrarcas Proömialgedicht im Canzoniere 8 umbfehet] umfängt 11 herummer] verstärktes herum 12 triegliches] trügerisches In: Opitz (2009), 82f. 053 B. I.2.1. Georg Rodolf Weckherlin (1584-1653) Sonnet Die spiegelmacher an das Frawenzimmer (1616) Nymfen / deren anblick mit wunderbarem schein Kan vnser hertz zugleich hailen oder versehren; Und deren angesicht / ein spiegel aller ehren / Vns erfüllet mit forcht / mit hofnung / lust / vnd pein: Wir bringen vnsern kram von spiegeln klar vnd rein, 5 Mit bit / jhr wollet euch zuspieglen nicht beschweren: Die spiegel / welche vns ewere schönheit lehren / Lehren euch auch zumahl barmhertziger zusein. So gelieb es euch nun / mit lieblichen anblicken Erleuchtend gnädiglich vnsern leuchtenden dantz / 10 Vnd spieglend euch in vns / uns spiegler zu erquicken: <?page no="443"?> 000442 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 442 | 054 - Georg Rodolf Weckherlin: Sonnet Wan aber vngefehr ewerer augen glantz Vns gar entfreyhen solt / so wollet vns zugeben / Das wir in ewerm dienst fürhin stehts mögen leben. 5 kram] Kaufladen In: Weckherlin (1894), 8. 054 B. I.2.1. Georg Rodolf Weckherlin Für [der Spiegler] Balleth Sonnet (1641) JHr Nymfen / deren blick mit wunderbarem schein Kan unser hertz zugleich erlaben und versehren / Und deren angesicht / ein spiegel aller ehren / Erfüllet Uns mit forcht / mit hofnung / lust und pein: Wir bringen unsern kram von Spieglen klar und rein / 5 Mit bit / ihr wollet euch zu spieglen nicht beschweren; Die spiegel, die so klar Uns ewre schönheit lehren, Die lehren euch zumahl barmhertziger zu sein. Wol. So belieb es Euch mit lieblichen anblicken Erleuchtend freindlich Uns und unsern leichten Dantz 10 Und spieglend Euch zumahl in Uns / Uns zu erquicken: Solt aber ungefehr Uns ewrer Schönheit glantz / Unnd ewrer haaren schein verblinden unnd verstricken / So tröste beederseits Euch der Krantz / Uns die Schantz. 14 Krantz] Ehrenzeichen, Festschmuck Schantz] Aussicht auf Erfolg In: Weckherlin (1641), 273. <?page no="444"?> 000443 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 443 055 - Der Fruchtbringenden Gesellschafft Vorhaben / Nahmen / Gemählde Vnd Wörter | 055 B. I.1.2. Aus: Der Fruchtbringenden Gesellschafft Vorhaben / Nahmen / Gemählde Vnd Wörter (1617) Nach dem jhrer viel von der Fruchtbringenden Gesellschafft was dero eigentlicher zweck / auch wie und worzu sie auffgerichtet / und angestellet / bericht zu haben / begehret; Als ist gut befunden worden / nachfolgendes kürtzlich zu jedes begehrenden underricht / zu verfassen. Ist also zu wissen / daß im Jahr 1617. bey einer vornehmen / wiewol trawrigen Fürstlicher und Adelicher Personen zusammenkunfft / zu ergetzung vorgangenen leids / und anreitzung der 5 löblichen Jugend / zu allerley hohen tugenden / unterschiedener Academien, die in frembden Landen / so wol zu erhaltung guten vertrawens / und erbawung wolanständiger Sitten / als nützlicher ausübung jedes Volcks Lands sprachen auffgerichtet / erwehnung geschehen: Darbey aber ferner erwogen worden / weil unsere weitgeehrte hochdeutsche Muttersprache / so wol an alter / schönen und zierlichen reden / als an überfluß eigentlicher und wolbedeutlicher 10 Wort so jede sachen besser als die frembden recht zu verstehen geben können / einen nicht geringen vorzug hat; Das ebener gestalt darauff möchte gedacht werden / wie eine sothane Gesellschaft zu erwecken und anzustellen / darinnen man in gut rein deutsch reden / schreiben / auch anders so bey dergleichen zusammensetzung und erhebung der Muttersprache (darzu jeder von Natur verpflichtet) gebräuchlich und dienlich / vornehmen möchte. 15 Worauff dann geschlossen worden / diese Gesellschaft / wiewol anfangs in der enge / doch also anzurichten / damit jedermänniglichen so ein liebhaber aller Erbarkeit / Tugend und Höfligkeit / vornemlich aber des Vaterlands / durch anleitung der darzu erkornen überflüssigen Matery / anlaß hette / desto eher nach einnehmung dieses guten vorhabens / sich freywilliglich hinein zu begeben. Vnd weil bey dergleichen zusammenthun nicht ungewöhnlich 20 und zu mehrer auffmunterung dienlich / daß anfänglich die gantze Gesellschafft / nicht allein auff eine besondere Matery jhren Nahmen richten / sondern auch ein darzu bequemes Gemähld jhr wehlen / und ein darauff sich wolschickendes Wort / den zweck und die bedeutung meldende / drüber austrucken lasse / wie solchem zu folge ein jedweder Gesellschaffter / der hinein zu treten gesinnet / auch zu thun schuldig: Also ist diese Gesellschafft / Die Frucht- 25 bringende / genennet / jhr zum Gemählde ein Indianischer Palmen oder Nußbaum verordnet / und zum Wort / Alles zu Nutzen / gesetzet worden. Der Name Fruchtbringende darumb / damit ein jedweder / so sich hinein begiebet oder zu begeben gewillet / anders auch nicht / als was fruchtmässig / zu Früchten / Bäwmen / Blumen / Kräutern oder dergleichen gehörig / und aus der Erde wachsende / oder davon ent- 30 stehend / jhme erwehlen könne / und darneben überall Frucht zu schaffen geflissen seyn solle. Das Gemählde aus ursachen / daß wie bey den Thieren keines gefunden wird / so in allem / auch den geringsten / nützlicher zu gebrauchen als das Schaf / dergleichen ebener gestalt bey diesem Indianischen Palmen oder Nußbaum vollkömlich sich ereuge / inmassen die Bäum- und Kräuterbücher / sonderlich aber die OstIndianische Beschreibungen / mit mehren sol- 35 ches bezeugen. Das Wort aber zu dem ende / daß in und bey dieser Gesellschafft alles zu nutzen / frommen / und ergetzung / niemand aber zu leide / schaden oder verdruß gerichtet seyn soll. <?page no="445"?> 000444 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 444 | 055 - Der Fruchtbringenden Gesellschafft Vorhaben / Nahmen / Gemählde Vnd Wörter Worauff dann folgends alsbald unterschiedliche Personen in diese Gesellschafft eingetreten / und deren eigentlicher zweck und vorhaben kürtzlich auff nechstfolgende zwey puncten 40 gerichtet / und zusammen gezogen worden. Erstlich / daß sich ein jedweder in dieser Gesellschafft / erbar / nütz- und ergetzlich bezeigen / und also überall handeln solle / bey Zusammenkunfften gütig / frölich / lustig und verträglich in worten und wercken seyn / auch wie darbey keiner dem andern ein ergetzlich wort für übel auffzunehmen / also soll man sich aller groben verdrießlichen reden und 45 schertzes enthalten. Fürs ander / daß man die Hochdeutsche Sprache in jhrem rechten wesen und standt / ohne einmischung frembder ausländischer wort / auffs möglichste und thunlichste erhalte / und sich so wol der besten aussprache im reden / als der reinesten und deutlichsten art im schreiben und Reimen -dichten befleissige. 50 Diesem nach ist auch beliebet worden / daß jedweder aus mehrgemelter Gesellschafft deren in gold geschmeltztes Gemählde / Namen und Wort auff der einen / wie auch sein selbst eigenes / auff der ander seiten an einem sittich grünen seidenem band tragen solle. Wie nun sie der zeit / nach dem alter der eintretung / und nicht des Standes Vorzug / die Gesellschafft in ordnung sich vermehret / geben angefügte in kupffer gestochene Gemählde / 55 nechst der darauff in Reimen gefaster erklärung genungsam zu erkennen. 1 Fruchtbringenden Gesellschafft] Die erste deutsche Sprachakademie, am 24. August 1617 in Weimar gegründet 3 underricht] ,Unterricht‘ im Sinne von ,Information‘ 4f. trawrigen Fürstlicher [ … ] zusammenkunfft] Der Mitgründer Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen (1579-1650) hatte die Bestattung seiner Schwester Dorothea Maria von Anhalt auf seiner Reise verpasst, weshalb die Trauerbezeugung auf der Gründungsveranstaltung der Gesellschaft stattfand 12 sothane] so beschaffene 17 jedermänniglichen] wie jedermann 19 Matery] Stoff 26 Indianischer Palmen oder Nußbaum] Kokospalmenbaum 34 ereuge] sich erweise, sich erzeige 53 sittich] papagei Kling-gedicht Auff die Fruchtbringende Gesellschafft / deren Nahmen / Wort und Gemählde Kompt / lerne vom Palmenbaum / jhr die jhr euch begeben Jn die Gesellschafft wolt / wie jhr es stellet an Daß euch Fruchtbringend heiß und halt ein jederman / Jhr müsset seiner frucht in allem folgen eben: Fast alles / was bedarff / der Mensch / in seinem leben 5 Bringe vor der baum / draus man Nehnadlen machen kan / Garn / Stricke / Seide / Schiff / auch Mast / und Segel dran Wein / Eßig / Brandtewein / öhl seine früchte geben / Brot / Zucker / Butter / Milch / Kees: Aus der Rinde wird Ein Becher / Leffel / Topff; Ein blat von jhm formirt 10 <?page no="446"?> 000445 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 445 056 - Martin Opitz: Ad Germaniam | Dachschindeln / Matten auch von jhm geflochten werden: Jn jedem Monat er / vornewe früchte bringt: Wol dem / der gleich wie er darnach nur strebt und ringt Daß er / in allem frucht und nutzen bring auff erden. 6 Nehnadlen] Nähnadeln In: Conemann (Hg.) (1985), A 2 r -A 4 r . 056 B. I.2.1. Martin Opitz (1597-1639) Ad Germaniam (1617) ACcipe, festino quae deproperavimus aestu, Vindicias linguae, Teutona terra, tuae. Heroos patriae charae qui commodet ausus Atque mares animos, unus et alter erit. Haud etenim totam virtus Alemana reliquit 5 Se, sed et in sera Posteritate viget. Ast ego, sancta Parens, cordis monimenta fidelis Do tibi, doctrinae munera parva meae. Ingenium fervor tui sine fine laborans, Has Sors divitias, haec mihi dona dedit, 10 Non pomposa quidem, tumidoque superba nitore, Nec tamen haud plane de meliore nota. Caetera mortales patiuntur singula casus: Quae venit e chartis Fama, perennis erit. Quis Germanorum tot fortia nomina nosset? 15 Quis sciret vires, Carole Magne, tuas, Ni vatum gens dia sequens servasset in aevum, Et duraturum composuisset opus? Vivunt carminibus reges regumque triumphi: Vindicibus nobis res nequit ulla mori. 20 Tu quoque, magna parens, versu celebrabere nostro, Transibit dotes pagina nulla tuas. En tibi promissi pignus levidense laboris: Illud laudis, at hoc sit pietatis opus. <?page no="447"?> 000446 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 446 | 057 - Martin Opitz: Buch von der Deutschen Poeterey An Deutschland. Empfange, was ich in eilender Hitze schleunig zu Papier gebracht habe, die Verteidigung deiner Sprache, deutsche Erde. Es wird den einen und den anderen geben, der der teuren Heimat heldenhafte Unternehmungen und mannhaften Sinn zuteil werden läßt. Denn die deutsche Tugend hat sich nicht einfach aufgegeben, sondern wird auch in später Zukunft noch gedeihen. Aber ich, heilige Mutter, widme dir ein Denkmal meines treuen Herzens, die geringen Gaben meiner Bildung: einen 5 Geist, der sich aus glühender Liebe zu dir ohne Ende müht; (10) diesen Reichtum, diese Gaben hat mir das Schicksal verliehen, bestimmt nicht voll Pomp oder hochfahrend in aufgeblasenem Glanz; dennoch nicht ganz entfernt von der besseren Sorte. Alles Übrige erleidet das Los des Sterblichen; doch der Ruhm, der aus den Schriften kommt, wird unvergänglich sein. Wer kennte noch so viele Namen von tapferen Deutschen? Wer wüßte noch von deiner Macht, Großer Karl, wenn nicht die 10 göttergleiche Schar der Dichter dies für die nachfolgende Zeit bewahrt und ein Werk geschaffen hätte, das die Zeiten überdauern wird. Es leben durch Gesänge die Könige und Triumphe der Könige: (20) Unter unserer Obhut kann nichts sterben. Auch du, große Mutter, wirst durch unseren Vers gefeiert werden, keine Seite wird deine Gaben unbeachtet lassen. Da hast du also nun einen bescheidenen Ertrag meiner versprochenen Mühe. Jenes sei ein Werk des Ruhms, aber dieses eines 15 der Ergebenheit. 1 festino [ … ] aestu] Anspielung auf den Topos von der fliegenden Feder bzw. dem feurigen Inspiriertsein des Dichters durch den erhabenen Gegenstand 12 de meliore nota] vgl. Catull: carmen 68, 27 13f. Caetera mortales [ … ] perennis erit] vgl. das berühmte horazische „Exegi monumentum aere perennius“ (Horaz: Oden 3, 30, 1) oder den Schluss von Ovids Metamorphosen (vor allem 15, 873-876) 15-18 Wohl konkreter Bezug auf die Historiographie der Zeit; den Aristarchus selbst beginnt Opitz mit einem Lob der „tapferen Germanen“ 18 duratum composuisset opus] vgl. zum Beispiel Ovid: Amores 3, 9, 28 f. „Defugiunt avidos carmina sola rogos / Durat opus vatum“ 19 Vivunt carminibus [ … ] triumphi] Opitz nimmt hier den humanistischen Verewigungstopos auf, dessen ursprüngliche Formulierung auf Ciceros Rede Pro Archia poeta, 24, zurückgeht: Der Ruhm großer Herrscher und ihrer Taten überlebt nur dann die Zeiten, wenn er in den Werken der Dichter niedergelegt wird In: Opitz (2009), 62-63; 325-326. 057 B. I.2.3. Martin Opitz Aus: Buch von der Deutschen Poeterey (1624) [VII. Capitel] Das wir nun weiter fortfahren / so ist erstlich ein jeglicher verß / wie sie die Frantzosen auch abtheilen / (denn der Italiener zarte reimen alleine auf die weibliche endung außgehen) entweder ein fœmininus, welcher zue ende abschiessig ist / vnd den accent in der letzten sylben ohne eine hat / Als: <?page no="448"?> 000447 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 447 057 - Martin Opitz: Buch von der Deutschen Poeterey | Er hat rund vmb sich her das wasser außgespreitet / 5 Den köstlichen pallast des Himmels zue bereitet; Oder masculinus, das ist / männlicher verß / da der thon auff der letzten sylben in die höhe steiget; als: Den donner / reiff vnd schnee / der wolcken blawes zelt / Ost / Norden / Sud vnd West in seinen dienst bestelt. 10 Nachmals ist auch ein jeder verß entweder ein iambicus oder trochaicus, nicht zwar das wir auff art der griechen vnnd lateiner eine gewisse grösse der sylben können inn acht nemen; sondern das wir aus den accenten vnnd dem thone erkennen / welche sylbe hoch vnnd welche niedrig gesetzt soll werden. Ein Jambus ist dieser: Erhalt vns Herr bey deinem wort. 15 Der folgende ein Troche´ us: Mitten wir im leben sind. Dann in dem ersten verse die erste sylbe niedrig / die andere hoch / die dritte niedrig / die vierde hoch / vnd so fortan / in dem anderen verse die erste sylbe hoch / die andere niedrig / die dritte hoch / etc. außgesprochen werden. Wiewol nun meines wissens noch niemand / ich 20 auch vor der zeit selber nicht / dieses genawe in acht genommen / scheinet es doch so hoch von nöthen zue sein / als hoch von nöthen ist / das die Lateiner nach den quantitatibus oder grössen der sylben jhre verse richten vnd reguliren. Denn es gar einen übelen klang hat: Venus die hat Juno nicht vermocht zue obsiegen; weil Venus vnd Juno Jambische / vermocht ein Troche´ isch wort sein soll: obsiegen aber / weil die erste sylbe hoch / die andern zwo niedrig 25 sein / hat eben den thon welchen bey den lateinern der dactylus hat / der sich zueweilen (denn er gleichwol auch kan geduldet werden / wenn er mit vnterscheide gesatzt wird) in vnsere sprache / wann man dem gesetze der reimen keine gewalt thun wil / so wenig zwingen leßt / als castitas, pulchritudo vnd dergleichen in die Lateinischen hexametros vnnd pentametros zue bringen sind. Wiewol die Frantzosen vnd andere / in den eigentlichen namen sonderlich / die 30 accente so genawe nicht in acht nemen wie ich dann auch auff art des Ronsardts in einer Ode geschrieben: Bin ich mehr als Anacreon / Als Stesicho´r vnd Simonı ´des / Als Antima´chus vnd Bion / 35 Als Philet oder Bacchylı ´des? Doch / wie ich dieses nur lust halben gethan / so bin ich der gedancken / man solle den lateinischen accenten so viel möglich nachkommen. Vnter den Jambischen versen sind die zue föderste zue setzen / welche man Alexandrinische / von jhrem ersten erfinder / der ein Italiener soll gewesen sein / zue nennen pfleget / vnd 40 werden an statt der Griechen vnd Römer heroischen verse gebraucht: Ob gleich Ronsardt die <?page no="449"?> 000448 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 448 | 057 - Martin Opitz: Buch von der Deutschen Poeterey Vers communs oder gemeinen verse / von denen wir stracks sagen werden / hierzue tüchtiger zue sein vermeinet; weil die Alexandrinischen wegen jhrer weitleufftigkeit der vngebundenen vnnd freyen rede zue sehr ähnlich sindt / wann sie nicht jhren mann finden / der sie mit lebendigen farben herauß zue streichen weiß. Weil aber dieses einem Poeten zuestehet / vnd 45 die vber welcher vermögen es ist nicht gezwungen sind sich darmit zue ärgern / vnsere sprache auch ohne diß in solche enge der wörter wie die Frantzösiche nicht kan gebracht werden / mussen vnd können wir sie an statt der heroischen verse gar wol behalten: inmassen dann auch die Niederländer zue thun pflegen. Der weibliche verß hat dreyzehen / der männliche zwölff sylben; wie der iambus trimeter. 50 Es muß aber allezeit die sechste sylbe eine caesur oder abschnitt haben / vnd masculinae terminationis, das ist / entweder ein einsylbig wort sein / oder den accent in der letzten sylben haben; wie auch ein vornemer Mann / der des Herren von Bartas Wochen in vnsere sprache vbersetzt hat / erinnert. Zum exempel sey dieses: Dich hette Jupiter / nicht Paris / jhm erkohren / 55 Vnd würd’ auch jetzt ein Schwan wann dich kein schwan gebohren Du heissest Helena / vnd bist auch so geziehrt / Vnd werest du nicht keusch / du würdest auch entführt. Hier sind die ersten zweene verß weibliche / die andern zween männliche: Denn mann dem weiblichen in diesem genere carminis gemeiniglich die oberstelle leßt; wiewol auch etliche 60 von den männlichen anfangen. Bey dieser gelegenheit ist zue erinnern / das die caesur der sechsten syllben / sich weder mit dem ende jhres eigenen verses / noch des vorgehenden oder nachfolgenden reimen soll; oder kürtzlich; es sol kein reim gemacht werden / als da wo er hin gehöret: als: Ein guet gewissen fragt nach bösen mäulern nicht / 65 Weil seiner tugend liecht so klar hereiner bricht Als wie Aurora selbst / etc. Dann solches stehet eben so vbel als die reimen der lateinischen verse; deren exempel zwar bey den gutten Autoren wenig zue finden / der Mönche bücher aber vor etzlich hundert Jahren alle voll sindt gewesen. 70 So ist es auch nicht von nöthen / das der periodus oder sententz allzeit mit dem verse oder der strophe sich ende: ja es stehet zierlich / wann er zum wenigsten biß zue des andern / dritten / vierdten verses / auch des ersten in der folgenden strophe cæsu´ r behalten wird. Zum exempel: 1. nein nein / wie bleich ich bin / 75 Nicht vom studiren nur / so bleibt doch wie vorhin Mein vorsatz vnbewegt; 2. ich wil mein glücke tragen So lang’ ich kan vnd mag [ … ] Weil die Sonnet vnnd Quatrains oder vierversichten epigrammata fast allezeit mit Alexandrinischen oder gemeinen versen geschrieben werden / (denn sich die andern fast darzue 80 nicht schicken) als wil ich derselben gleich hier erwehnen. <?page no="450"?> 000449 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 449 057 - Martin Opitz: Buch von der Deutschen Poeterey | Wann her das Sonnet bey den Frantzosen seinen namen habe / wie es denn auch die Italiener so nennen / weiß ich anders nichts zue sagen / als dieweil Sonner klingen oder wiederschallen / vnd sonnette eine klingel oder schelle heist / diß getichte vielleicht von wegen seiner hin vnd wieder geschrenckten reime / die fast einen andern laut als die gemeinen 85 von sich geben / also sey getauffet worden. Vnd bestetigen mich in dieser meinung etzliche Holländer / die dergleichen carmina auff jhre sprache klincgetichte heissen: welches wort auch bey vnns kan auffgebracht werden; wiewol es mir nicht gefallen wil. Ein jeglich Sonnet aber hat viertzehen verse / vnd gehen das erste / vierdte / fünffte vnd achte auff eine endung des reimens auß; der andere / dritte / sechste vnd siebende auch auff 90 eine. Es gilt aber gleiche / ob die ersten vier genandten weibliche termination haben / vnd die andern viere männliche: oder hergegen. Die letzten sechs verse aber mögen sich zwar schrencken wie sie wollen; doch ist am bräuchlichsten / das der neunde vnd zehende einen reim machen / der eilffte vnd viertzehende auch einen / vnd der zwölffte vnd dreyzehende wieder einen. Zum exempel mag dieses sein / welches ich heute im spatzieren gehen / durch 95 gegebenen anlaß / ertichtet. [ … ] 2 Italiener zarte reimen [ … ] außgehen] das Italienische besitzt nur wenig endbetonte oder solche einsilbigen Wörter, die am Ende eines Satzes oder syntaktischen Abschnitts stehen können 3 ende abschiessig ist] mit fallendem Ton 3f. den accent [ … ] hat] in der letzten Silbe unbetont ist 11 jeder verß [ … ] trochaicus] Versfüße mit Doppelsenkungen, also etwa Daktylen oder Anapäste, werden damit ausgeschlossen 12 grösse der sylben] Länge der Silben 15-17 Erhalt vns Herr [ … ] Mitten wir im leben sind] Anfänge von Kirchenliedern Luthers 18 in dem ersten verse [ … ] hoch] eine konsequentere Terminologie müsste ,unbetont‘ und ,betont‘ gebrauchen, da die Tonhöhe hier nicht entscheidend ist 28 so wenig zwingen leßt] Opitz betont ,obsiegen‘ auf der ersten Silbe. Anfangsbetonte dreisilbige Wörter fügen sich nicht in streng alternierende (rein jambische oder trochäische) Reimverse 29 castitas, pulchritudo] die Wörter castitas und pulchritudo (Keuschheit und Schönheit) haben die Silbenlängen lang-kurz-lang und lang-kurz-lang-lang, lassen sich also an keiner Stelle in daktylisch-spondeische Verse einfügen 33-36 Bin ich mehr als [ … ] Bacchylı ´des] vgl. die sechste Strophe von Ronsards Ode La mercerie que je porte: „Mon grand Pindare vit encore / Et Simonide et Stesichore“. Die von Opitz gesetzten Akzente markieren die vom Versmaß erzwungenen falschen Betonungen in den Namen der griech. Dichter 39f. Alexandrinische] der Name ist durch den Gebrauch des Verses in der französischen Alexanderepik des 12. Jhs. zu erklären 41 heroischen verse] Hexameter 50 Der weibliche verß] Alexandriner mit weiblichem Reim 50 der iambus trimeter] der jambische Trimeter (aus drei jambischen Doppelfüßen bestehend) ist der Vers der griech. Tragödie 53 ein vornemer Mann] Tobias Hübner (1578-1636), Lyriker und Übersetzer der Werke von Guillaume de Salluste, Seigneur Du Bartas (1544-1590) (seit 1619) erwägt schon vor Opitz die Möglichkeiten einer deutschen Verwendung des Alexandriners, wagt aber noch nicht, eine völlige Deckung von Wort- und Verston zu fordern 72f. wann er [periodus, Satz] biß zue des andern [ … ] cæsu´ r behalten wird] Enjambement 93 doch ist am bräuchlichsten] Opitz berücksichtigt nicht, dass das hier zum Vorbild erhobene französische Sonett in der Reimordnung von der ursprünglichen italienischen Form (abba abba cdc dcd) schon abweicht. - Opitzens Werbung für das Sonett erwies sich durch das ganze 17. Jh. als erfolgreich, auch wenn man von der Reimordnung für die Terzette, wie sie Opitz vorschrieb, immer wieder abwich In: Opitz (1970), 48-53 und 89f. <?page no="451"?> 000450 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 450 | 058 - Martin Opitz: Daß die Poeterey vnsterblich sey 058 Martin Opitz Daß die Poeterey vnsterblich sey (1624) WAs wirffstu / schnöder Neid / mir für die Lust zu schreiben Von Venus / vnd mit jhr die Jugend zu vertreiben? Ich achte deiner nicht / du liebest Eitelkeit: Mein Lob vnd Name wird erklingen weit vnd breit. Cupido führet mich in eine grüne Wüsten / 5 Da der Poeten Volck / weit von Begier vnd Lüsten / Vorzeiten hat gelebt / wie noch die erste Welt Nichts von den Städten wust’ / vnd wohnet vmb das Feld. Die Nymphen werden mir den Lorberkrantz auffsetzen / Mit meinen Versen wird sich Erato ergetzen: 10 So weit die grüne Lust vnd hohen Wälder gehn / So weit wird mein Gedicht’ an allen Bäumen stehn. Jhr örter voller Frewd’ / jhr Auffenthalt der Hirten / Jhr Bäch’ / jhr Ahornbäum’ / jhr Quell / jhr zarten Myrten / Jhr Thäler / jhr Gebirg’ / jhr Blumen vnd jhr Stein’ / 15 Jhr Wohnhauß aller Rhu / bey euch wüntsch ich zu seyn; Sonst nirgends als bey euch: von ewrer Lust besessen Wil ich deß jrrdischen / vnd meiner selbst / vergessen. Wie Perseus als er erst Andromeden erblickt / Ward mitten in der Lufft durch jhre Ziehr verzückt / 20 So daß er kaum das Roß vermochte zu regieren: So soll auch mich von euch kein andre Liebe führen / Biß mich der Letzte Todt hier vnversehens kriegt / Vnd Venus mich begräbt wo jhr Adonis liegt. 19 Perseus] Sohn des Zeus und der Danae; er besiegte die Medusa und rettete Andromeda aus der Gewalt eines Seeungeheuers 24 Adonis] Geliebter der Venus, der von deren Gatten Ares in der Gestalt eines Ebers zerrissen wurde; Venus beweint sein Grab In: Opitz (1975), 314. <?page no="452"?> 000451 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 451 059 - Francesco Petrarca: Canzoniere, Sonetto LXXXVIII | 059 Francesco Petrarca Canzoniere, Sonetto LXXXVIII [resp. 132] (vor 1370) Vorrebbe spiegare il perche` di tanti effetti contrari in Amore, e nol sa. S’amor non e` , che dunque e` quel ch’io sento? ma s’egli e` amor, per Dio, che cosa e quale? se bona, ond’e` l’effetto aspro mortale? se ria, ond’e` sı ` dolce ogni tormento? S’a mia voglia ardo, ond’e` ’l pianto e lamento? 5 s’a mal mio grado, il lamentar che vale? O viva morte, o dilettoso male, come puoi tanto in me, s’io nol consento? E s’io ’l consento, a gran torto mi doglio. Fra sı ` contrari venti in frale barca 10 mi trovo in alto mar senza governo: sı ` lieve di saver, d’error sı ` carca, ch’i’ medesmo non so quel ch’io mi voglio, e tremo a mezza state, ardendo il verno. Ists Liebe nicht, was ists denn, was ich fühle? Doch ist es Liebe, o Gott, was ist sie, welcher Art? Ists gute: warum die rauhe tödliche Wirkung? Ists schlechte: warum so süß jede Qual? Brenn ich aus eigenem Willen: warum das Weinen und das Klagen? 5 Tu ichs gegen meinen Willen: wozu dann die Klage? O Tod voller Leben, o Leiden voller Lust, wie vermagst du so viel über mich, stimm ich nicht selber zu? Und stimm ich zu, beklag ich mich zu Unrecht. Zwischen so widerstreitenden Winden 10 treib ich auf hoher See im zerbrechlichen Boot ohne Steuer, so leicht an Wissen und mit Irrtum so beladen, daß ich selber nicht weiß, was ich denn will, im Sommer schaudernd und im Winter glühend. In: Staub (Hg.) (1980), 16f. <?page no="453"?> 000452 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 452 | 060 - Martin Opitz: Sonnet 060 B. I.4. Martin Opitz Sonnet Auß dem Italienischen Petrarchæ (1624) ISt Liebe lauter nichts / wie daß sie mich entzündet? Ist sie dann gleichwol was / wem ist ihr thun bewust? Ist sie auch recht vnd gut / wie bringt sie böse Lust? Ist sie nicht gut / wie daß man Freudt auß jhr empfindet? Lieb ich gar williglich / wie daß ich Schmertzen trage? 5 Muß ich es thun / was hilffts / daß ich solch trawren führ? Thue ichs nicht gern / wer ists / der es befihlet mir? Thue ich es gern / warumb / daß ich mich dann beklage? Ich wancke / wie das Gras / so von den kühlen Winden Vmb Vesperzeit bald hin geneiget wirdt / bald her. 10 Ich walle wie ein Schiff / daß in dem wilden Meer Von Wellen vmbgejagt nicht kan zu rande finden. Ich weiß nicht was ich will / ich will nicht was ich weiß / Im Sommer ist mir kalt / im Winter ist mir heiß. 10 Vesperzeit] Zeit der kirchlichen Vesper; nachmittags 11 walle] hier auch i. S. v. „heimatlos umherziehen“ In: Opitz (1624), 26f. 061 B. I.3.4. und B. I.4. Ernst Christoph Homburg (1605-1681) Epigramma Was die Liebe? (1642) EIn Fewer / sonder Fewr / ein lebendiger Todt / Ein Zorn / doch ohne Gall / ein angenehme Noth / Ein Klagen ausser Angst / ein vverwundner Sieg / Ein vnbehertzter Muht / ein Frewden-voller Krieg; Ein Feder-leichtes Joch / ein nimmerkranckes Leid / 5 Ein zweiffel-haffter Trost / vnd süsse Bitterkeit / Ein vnvergiffter Gifft / vnd kluge Narrethey / Ja kürtzlich: Lieben ist nur blosse Phantasey. In: Homburg (2013), Bd. 1, 279. <?page no="454"?> 000453 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 453 063 - Sybilla Schwarz: Sonett | 062 B. I.4. Paul Fleming (1609-1640) Auff eine Hochzeit (1646) WIe? ist die Liebe nichts? was liebt man denn im Lieben? was aber? alles? Nein. Wer ist vergnügt mit ihr? nicht Wasser: Sie erglüt die Hertzen für und für. Auch Feuer nicht. Warümm? Was ist für Flammen blieben? Was denn? Gut? aber sagt / woher kömt ihr betrüben? 5 denn böse? mich dünckts nicht / nichts solches macht Begier. Den Leben? Nein. Wer liebt / der stirbt ab seiner Zier / und wird bey Leben schon den Todten zu geschrieben. So wird sie todt denn seyn? nichts minder als diß eben. Was todt ist / das bleibt todt. Aus lieben kömmet Leben. 10 Ich weiß nicht / wer mir sagt / was? wie? wo oder wenn? Ist nun die Liebe nichts? als Alles? Wasser? Feuer? Gut? Böse? Leben? Todt? Euch frag ich neuer Freyer / sagt ihr mirs / wenn ihrs wißt / was ist die Liebe denn? 13 Freyer] Freier, ein um die Gunst einer Frau Werbender In: Fleming (1646), 574. 063 B. I.4. Sybilla Schwarz (1621-1638) Sonett (1650) ISt Lieben keusch? wo kompt denn Ehbruch her? Ist Lieben guht / nichts böses drinn zu finden / wie kan sein Feur dan so gahr viel entzünden? Ist Lieben Lust / wer bringt dan das Beschwär? Wer Lieben liebt / fährt auff der Wollust Meer / 5 und lässet sich ins Todes Netze binden / das nicht zerreist / er lebet nuhr den Sünden / liebt Eitelkeit / und ist der Tugend leer. Das ewig lebt / dem stirbt er gäntzlich ab / sieht seine Noht erst / wan er siht sein Grab. 10 <?page no="455"?> 000454 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 454 | 064 - Sybilla Schwarz: „JSt Lieb ein Feur / und kan das Eisen schmiegen“ Wer dan nuhn wird in Liebes Brunst gefunden / der fliehe bald / und hasse / die er liebt; ist Lieb ihm süß? so werd er drümb betrübt; ist sie sein Brodt? so geb er sie den Hunden. 4 Beschwär] Last, Schmerz 11 Brunst] Brand, Glut; wilde Leidenschaft In: Schwarz (1650), P 1 v . 064 B. I.4. Sybilla Schwarz „JSt Lieb ein Feur / und kan das Eisen schmiegen“ (1650) JSt Lieb ein Feur / und kan das Eisen schmiegen / bin ich voll Feur / und voller Liebes Pein / wohrvohn mag doch der Liebsten Hertze seyn? wans eisern wär / so würd eß mir erliegen / wans gülden / so würd ichs können biegen 5 durch meine Gluht; solls aber fleischern seyn / so schließ ich fort: Eß ist ein fleischern Stein: doch kan mich nicht ein Stein / wie sie / betriegen. Ists dan wie Frost / wie kalter Schnee und Eiß / wie presst sie dann auß mir den Liebesschweiß? 10 Mich deucht: Jhr Herz ist wie die Loorberblätter / die nicht berührt ein starcker Donnerkeil / sie / sie verlacht / Cupido / deine Pfeil; und ist befreyt für deinem Donnerwetter. 3 wohrvohn] woraus 11 Mich deucht] mir scheint 13 Cupido] Amor, Liebesgott In: Schwarz (1650), O 3 r . 065 B. I.4. Friedrich von Logau (1604-1655) In Person eines Wittibers (1654) Bringt lieben etwa Lust, bringt Lust von Liebe sagen, Bringt beydes dennoch mir nichts als nur Bittrigkeit; Was andren Hertzens-Wonn ist mir nur Hertzens-Leid; Dann meine Lieb ist längst zu Grab weg getragen, <?page no="456"?> 000455 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 455 066 - David Schirmer: Vber seine Träume | Wiewol, wer recht geliebt, pflegt nichts darnach zu fragen; 5 Er liebet fort und fort und hat erst auß geliebt, Wann ihm sein Ende selbst des liebens Ende gibt. Die Liebe war nicht stark, die sich verzehrt von Tagen. Ich liebe, weil ich bin! die nicht mehr ist zu lieben, Erfodert ihre Treu; ihr Werth ist ewig werth, 10 Daß mehr als nur von ihr mein Mund kein Wort begehrt, Mein Sinn sonst keine Lust; hieran wil ich mich üben! Geht dieses lieben gleich bey andren bitter ein, Soll mir um Liebe doch lieb auch das bittre seyn. 6 auß geliebt] zu Ende geliebt In: Logau (1872), 343 [II 6, 84]. 066 B. I.4. David Schirmer (1623-1686) Vber seine Träume (1657) SInd Träume lauter nichts / wie daß sie mich bewegen? sind sie denn Freud und Lust / wie daß ich traurig bin? sind sie vol Lieblichkeit / wie daß mein toder Sinn sich muß / O Marnie / zu deinen Füssen legen. Ich sahe heint zu Nacht dich deiner Liebe pflegen. 5 Du warst es ja gewiß / O schöne Halb-Göttin. Ein nacket Nymphen-Bild lief zu den Schwanen hin / zun Schwanen / die im Thal stets ihre Lieder hegen / Und küsset eines Mund. Ich fühlte Süssigkeit. Die Liebe stieß alsbald nach meinem krancken Hertzen. 10 Drauf ließ ich meinen Schlaff. Nichts blieb als tausend Schmertzen / die ich noch klagen muß bey später Abends-Zeit. Sie sind nun was sie sind / so gläub in vollen Sorgen / im Traume-Nebel liegt die Warheit doch verborgen. 4 Marnie] Marnia, Name der angesprochenen Geliebten und wiederkehrende Frauenfigur in Schirmers Gedichtzyklus Poetische Rosen-Gepüsche 7 Nymphen-Bild] weibliche Gottheit / Naturgeist in der griech. und röm. Mythologie, welche das Zarte, Graziöse, Empfindsame der Natur verkörpert den Schwanen] Schwan; traditionelles Wappentier der Dichter In: Schirmer (1657), 167. <?page no="457"?> 000456 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 456 | 067 - Martin Opitz: Liedt / im thon: Ma belle je vous prie 067 B. I.3.3. Martin Opitz Liedt / im thon: Ma belle je vous prie (1624) ACh Liebste laß vns eilen Wir haben Zeit: Es schadet das verweilen Vns beider seit. Der schönen Schönheit gaben Fliehn fuß für fuß Daß alles / was wir haben / Verschwinden muß / Der Wangen zier verbleichet / Das Haar wird greiß / 5 Der äuglein fewer weichet / Die flamm wird Eiß. Das Mündlein von Corallen Wird vngestallt. Die Händ / alß Schnee verfallen / Vnd du wirst Alt. Drumb laß vns jetz geniessen Der Jugent frucht / Eh dann wir folgen müssen Der Jahre flucht. 10 Wo du dich selber liebest / So liebe mich / Gib mir / daß / wann du gibest / Verlier auch ich. Viel parodiertes Lied nach Pierre de Ronsards „Cependant que ce beau mois dure“. Vgl. etwa Simon Dachs „Mai-Liedchen“ und Homburgs Ode „Auf die besagte Sylvia“ (Haufe 1, 311 und 401). 1 Zeit] Eile 5 greiß] grau 7 vngestallt] hässlich In: Opitz (1624), 100. 068 B. I.3.3. Martin Opitz „Ich empfinde fast ein grawen“ (1625) Ich empfinde fast ein grawen Das ich / Plato / für vnd für Bin gesessen vber dir; Es ist zeit hienauß zue schawen / Vnd sich bey den frischen quellen 5 In dem grünen zue ergehn / Wo die schönen Blumen stehn / Vnd die Fischer netze stellen. Worzue dienet das studieren / Als zue lauter vngemach? 10 Vnter dessen laufft die Bach Vnsers lebens das wir führen / Ehe wir es innen werden / Auff ihr letztes ende hin; <?page no="458"?> 000457 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 457 069 - David Schirmer: Marnia und ein Buch | Dann kömpt (ohne geist vnd sinn) 15 Dieses alles in die erden. Hola / Junger / geh’ vnd frage Wo der beste trunck mag sein; Nim den Krug / vnd fülle Wein. Alles trawren leidt vnd klage / 20 Wie wir Menschen täglich haben Eh’ vns Clotho fortgerafft Wil ich in den süssen safft Den die traube giebt vergraben. Kauffe gleichfals auch melonen / 25 Vnd vergiß des Zuckers nicht; Schawe nur das nichts gebricht. Jener mag der heller schonen / Der bey seinem Gold vnd Schätzen Tolle sich zue krencken pflegt 30 Vnd nicht satt zue bette legt; Ich wil weil ich kan mich letzen. Bitte meine guete Brüder Auff die music vnd ein glaß Nichts schickt / dünckt mich / nicht sich baß 35 Als guet tranck vnd guete Lieder. Laß ich gleich nicht viel zue erben / Ey so hab’ ich edlen Wein; Wil mit andern lustig sein / Muß ich gleich alleine sterben. 40 Das Gedicht erschien in der Deutschen Poeterey (1624) als Musterbeispiel einer Ode, die „zue der fröligkeit“ anregen soll. Viel parodierte Musterode nach Pierre de Ronsards „J’ai l’esprit tout ennuye ´ … “, vgl. etwa Schirmers Ode „Marnia und ein Buch“ ( 069). 22 Clotho] Schicksalsgöttin, Spinnerin des Lebensfadens In: Opitz (2002), 33f. 069 B. I.3.3. David Schirmer Marnia und ein Buch (1657) NUn empfind ich keinen Grauen / daß ich / Phöbus / für und für bin gesessen neben dir. Andre mögen ümb sich schauen / <?page no="459"?> 000458 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 458 | 069 - David Schirmer: Marnia und ein Buch und bey jenen Springe-Quellen 5 in den Wiesen sich ergehn / ich wil bey den Büchern stehn / und auf sie mein Tichten stellen. Artlich läst es sich studiren / Wenn man weit vom Ungemach 10 leitet seinen Lebens-Bach / er / weil wir ihn weißlich führen / wird kein Theil dem Tode werden / denn der kluge Geist und Sinn Schwingt sich durch die Wolcken hin / 15 und kömmt gar nicht in die Erden. Holla / Junger / geh und frage / Wo das beste Buch mag seyn / laß den Opitz binden ein / diese Friest der kurtzen Tage / 20 die wir Menschen auf uns haben / wil ich in den Bienen-Safft / den die Musen abgerafft / tieffer / als in Sand / vergraben. Kauffe gleichfals andre Sachen / 25 und vergiß den Tscherning nicht! schau das keiner dir gebricht. Jener mag recht thörlich lachen / der bey seinen Gold und Schätzen tolle sich zu kräncken pflegt / 30 und ohn Lust sich schlaffen legt / ich wil mich mit Büchern letzen. Bitte die gelehrten Brüder auf die Music / und auf das / wobey stets der Plato saß. 35 Bringe mit die schönen Lieder. Marnia / dich laß ich erben / bey den Büchern und bey dir wil ich bleiben für und für / Bücher lassen keinen sterben. 40 2 Phöbus] lat. Phoebus, griech.: Phoibos, ,der Leuchtende‘, Beiname des griech. Gottes und Musenführers Apollon 8 Tichten] Dichten 9 Artlich] angemessen, kunstgerecht, ordentlich 19 Opitz] Martin Opitz (1597-1639), bedeutender Dichter des Barock 20 Friest] Frist, Dauer 22 Bienen-Safft] Honig 23 Musen] Göttinen der Künste in der griech. Mythologie 26 Tscherning] Andreas Tscherning (1611-1659), Dichter in Opitzens Nachfolge 28 thörlich] töricht 30 tolle] dumm, stumpfsinnig 35 Plato] Platon (wohl 428- um 347 v. Chr.), griech. Philosoph 37 Marnia] wiederkehrende Frauenfigur in Schirmers Gedichtzyklus Poetische Rosen-Gepüsche In: Schirmer (1657), 77f. <?page no="460"?> 000459 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 459 070 - Martin Opitz: Echo oder Wiederschall | 070 B. I.2.2. Martin Opitz Echo oder Wiederschall (1624) DIß Ort mit Bäumen gantz vmbgeben / Da nichts als Furcht’ vnnd Schatten schweben / Da Trawrigkeit sich hin verfügt / Da alles wüst’ vnd öde liegt / Da auch die Sonne nicht hin weichet / 5 Da gifftig Vngezieffer schleichet / Da gar kein Wasser sich ergeust / Als daß aus meinen Augen fleust / Da gar kein Liecht nicht wird erkennet / Als daß aus meinem Hertzen brennet / 10 Bedüncket mich bequeme seyn / Da ich mich klag’ ab meiner Pein / Ab meiner Pein vnd tieffstem Leiden / Daß mich jetzund wird von mir scheiden; Doch ehe der gewündschte Tod 15 Mit Frewden abhilfft meiner Noth / Wil ich von meiner Liebe klagen / Vnd / ob schon gantz vergeblich / fragen. Ist dann niemand der tröste mich / Weil ich so trawer’ inniglich? Ich . 20 O Echo / wirst nur du alleine Hinfort mich trösten / vnd sonst keine? eine . Wie soll sie leschen meinen Brandt / Ist sie mir doch noch vnbekandt? bekandt . Sie wil es aber nicht verstehen / 25 Lest mich in Angst ohn Ablaß gehen. laß gehen . Verleuret sich denn ja mein Leidt / Wem soll ichs dancken mit der Zeit? der Zeit. So ist nun Noth daß ich verscharre Das Fewer / vnd der Stund’ erharre? harre . 30 Wenn ich zu lange harren solt’ / Hülff’ etwas meiner Vngedult? Gedult . Vielleichte möcht’ ich sterben ehe / Weil ich im höchsten Elend gehe? entgehe . So folg’ ich deinem Rathe schlecht / 35 <?page no="461"?> 000460 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 460 | 071 - Martin Opitz: Das Fieberliedlin Hoff’ alles werde gut vnd recht. recht . Nun bin ich vieler Noth entbunden / Vnd habe guten Trost empfunden. Du vnbewohnte Trawrigkeit / Ihr Hecken voll von meinem Leid’ / 40 Ihr schwartzen Hölen vnd jhr Wüsten / Da Eulen / Natern / Schlangen nisten / Du ödes Ort / gehabt euch wol; Ich bin für Trawren Frewde voll / Für Finsternüß such’ ich die Sonnen / 45 Für Threnen einen kühlen Bronnen: Die so Vertröstung mir gethan / Gewißlich nicht betriegen kan. In: Opitz (1625), V, 149f. 071 Martin Opitz Das Fieberliedlin (1624) NEchst als zugleiche lagen Zwey lieb in fiebers schmertz, Sprach er: ich bin zutragen Für dich bereit / mein hertz / Für dich bin ich bereit zu leiden / 5 Vnd soll sich meine Seele scheiden. Er lag in heisser flammen / Die Sprache ließ schon nach / Die Hitze kam zusammen / Der Puls schlug sehr gemach; 10 Empfund doch mitten in dem leiden / Weil er bey jhr wahr / lust vnd freuden. Sie schlug die augen nieder / Als er fiel in den todt / Er wandte hin vnd wider 15 Sein haupt in letzter noth / Sein Hertz wurd matt / die adern sprungen / Der Geist würd auß zufahrn gezwungen. <?page no="462"?> 000461 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 461 073 - Julius Caesar Scaliger: [Greuel-Katalog] | Sie sprach: mein lieb / mein leben / Jch schwimme wegen dein / 20 Vnd ich / er sagt / muß geben Für dich mein Seelelein. So ist er in der Schoß gestorben / Die er so treulich hatt erworben. In: Opitz (1624), 93f. 072 Martin Opitz Beschluß-Elegie (1625) Das blinde Liebeswerck / die süsse Gifft der Sinnen / Vnd rechte Zauberey hat letzlich hier ein End’: [ … ] Du aber / Venus / selbst ein’ edle Kuplerinn. Dein wesen ist ein Marckt da Leid wird feil getragen / Ein Winckel da Verdruß vnd Wehmuth innen steht / Ein’ Herberg’ aller Noth / ein Siechhaus vieler Plagen / Ein Schiff der Pein / ein Meer da Tugend vntergeht. 20 [ … ] 17 feil getragen] zum Verkauf angeboten 19 Siechhauß] Lazarett In: Opitz (1625), V, 237f. 073 B. I.2.4. Julius Caesar Scaliger (1484-1558) [Greuel-Katalog] (1561) Res Tragicae atroces, iussa Regum, caedes, desperationes, suspendia, exilia, orbitates, parricidia, incestus, incendia, pugnae, occaecationes, fletus, ululatus, conquestiones, funera, epitaphia, epicedia. Die tragischen Stoffe sind erhaben und schreckenerregend: Befehle von Königen, Blutbäder, Verzweiflung, Erhängung, Verbannung, Verwaisung, Verwandtenmord, Inzeste, Feuersbrünste, Kämpfe, Blendungen, Weinen, Heulen, Klagen, Begräbnisse, Leichenreden, Trauerlieder. In: Scaliger (1995), 24. <?page no="463"?> 000462 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 462 | 074 - Martin Opitz: [Vorrede zu: ] Senecae Trojanerinnen 074 B. I.2.4. Martin Opitz [Vorrede zu: ] Senecae Trojanerinnen (1625) An den Leser GVnstiger Leser / Trawerspiele tichten yist vorzeiten Keyser / Fürsten / grosser Helden vnd Weltweiser Leute thun gewesen. Aus dieser zahl haben Julius Cesar in seiner jugend den Oedipus / Augustus den Achilles vnd Ajax / Mecenas den Prometheus / Cassius Severus Parmensis / Pomponius Secundus / Nero vnd andere sonsten was dergleichen vor sich genommen; von welchen jetzt nicht zeit zu reden ist. Eschylus / der Erlöser seines Griechen- 5 landes / hat diese art zu schreiben / welche jhm Thespis von Athen / Phrynichus / Alceus / Apollophanes vnd andere sehr vngestalt / raw vnd verwirret hinterlassen / zum ersten in eine bessere Forme gegossen / vnd davor gehalten / seine löbliche Thaten weren noch vnvollkommen / wann er nicht erwiese / daß eben die Handt so den Feinden anzusiegen gewehnet war / etwas auff zu setzen vermöchte / mit welchem man nicht weniger auch die Feinde des ger- 10 hüglichen Lebens / nemlich die Verwirrung des Gemüthes / vnterdrücken vnd dämpffen köndte. Dann eine Tragedie / wie Epictetus sol gesagt haben / ist nichts anders als ein Spiegel derer / die in allem jhrem thun vnd lassen auff das blosse Glück fussen. Welches wir Menschen ins gemeine zum gebrauche haben; wenig außgenommen / die eine vnd andere vnverhoffte Zufälle voran sehen / vnd sich also wider dieselbigen verwahren / daß sie jhnen weiter nicht 15 schaden mögen als an eusserlichem Wesen / vnd an denen Sachen / die den Menschen eigentlich nicht angehen. Solche Beständigkeit aber wird vns durch beschawung der Mißligkeit des Menschlichen Lebens in den Tragedien zu föderst eingepflantzet: dann in dem wir grosser Leute / gantzer Städte vnd Länder eussersten Vntergang zum offtern schawen vnd betrachten / tragen wir zwar / wie es sich gebühret / erbarmen mit jhnen / können auch nochmals aus 20 wehmuth die Thränen kaum zu rück halten; wir lernen aber daneben auch aus der stetigen besichtigung so vielen Creutzes vnd Vbels das andern begegnet ist / das vnserige / welches vns begegnen möchte / weniger fürchten vnd besser erdulden. Wer wird nicht mit grösserem Gemüthe als zuvor seines Vaterlandes Verderb vnd Schaden / den er nicht verhüten mag / ertragen / wann er die gewaltige Stadt Troja / an welcher / wie die Meynung gewesen / die 25 Götter selbst gebawet haben / sihet im Fewer stehen / vnd zu Staube vnd Asche werden? Wer wil nicht eines theils seiner Freyheit getroster vergessen / wann er Hecuben / die Fraw vnd Mutter so werther Helden / sihet überwunden vnd gefangen hinweg führen? Ich sage nichts vom Astyanax vnd der edelesten Polyxenen; welche begieriger zu sterben sind / als die jenigen zu leben / derer Leben doch weder andern noch jhnen selbst gar viel zu statten kömpt. In 30 erwegung nun derer vnd anderer herrlichen Nutzbarkeiten / welche vns diese fürnemste art der Poeterey an die Handt giebet / habe ich mich vnterwunden hiesige Trojanerinnen in vnsere Sprache zu versetzen: weil sie nicht allein die schönste vnter den Römischen Tragedien ist / welche zwar von so vielen biß hieher noch übrig sind blieben; sondern sich auch auff jetzige Zeiten / da es von nöthen seyn wil / daß man das Gemüthe mit beständigen Exempeln 35 <?page no="464"?> 000463 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 463 075 - Martin Opitz: Horatii: Exegi monumentum | verwahre/ am allerbesten zu fügen scheinet. Der Lateinischen Meynung bin ich so viel als thuelich ist gewesen nachgefolget; ein jegliches Wort aber außzudrucken / vnd sich an die zahl der Verse zu binden / habe ich fast vnmüglich zu seyn befunden. Solches werden mir auch alle zustehen / denen bekandt ist / auff was für art Seneca / sonderlich allhier / zu schreiben pfleget. So hat auch die Lateinische Sprache viel Eigenschafften / derer vnsere / vnd vnsere 40 viel / derer jene nicht fähig ist; wie ich dann verhoffe / daß zum wenigsten aus etlichen Orten dieser Verdolmetschung in Gegenhaltung wird zu spüren seyn. Die Außlegungen (welche mir bey abschreibung des Textes eingefallen) habe ich für die jenigen alleine hinzusetzen müssen / denen die Städte / Flüsse / Länder / Gebirge / Fabeln vnd Historien nicht allerdinges bekandt sind; vnd wir schreiben nunmehr Deutsch / da es erstlich einer kleinen Erklerung wil von 45 nöthen seyn / biß wir vns etwas besser werden eingerichtet haben / wo es Gott verleihet; dem / günstiger Leser / ich euch befehle. 3 Oedipus] Nachweis auf Cäsars Oedipus-Drama bei Sueton: Divus Julius, 56,7 Achilles vnd Ajax] Hinweise auf ein Dramenschaffen des Kaisers Augustus bei Suidas (Adler, ed.), Bd. I, 410; nach Sueton: Augustus, 85,2, blieb der ,Ajax‘ unvollendet Prometheus] vermutlich eine Prosaschrift des Maecenas 3f. Cassius Severus Parmensis] von Augustus getöteter Mörder Cäsars, soll Tragödien gedichtet haben 4 Pomponius Secundus] Tragiker im 1. Jh. n. Chr. Neros Tätigkeit als Dramatiker beruht wohl auf Verwechslung mit Germanicus 5 Erlöser] Aischylos kämpfte 490 v. Chr. bei Marathon gegen die Perser 6 Thespis] Thespis gilt als ,Erfinder‘ der Tragödie; Phrynichos war sein Schüler; Alkaios und Allophanes werden in der byzantinischen Suda-Enzyklopädie als Tragiker genannt 10f. gerhüglichen] geruhsam 12 Epictetus] Diss. I, 4, 26 15 voran] voraus 22 Creutzes] Elends 32 hiesige] vorliegend 36 verwahre] versehen 46 wir vns] man sich werden] werde In: Opitz (1979), 429-431. 075 Martin Opitz Horatii: Exegi monumentum (1625) Ich hab’ ein Werck vollbracht dem Ertz nicht zu vergleichen / Dem die Pyramides an Höhe müssen weichen / Das keines Regens Macht / kein starcker Nortwind nicht / Noch Folge vieler Jahr vnd flucht der Zeit zubricht. Ich kan nicht gar vergehn. man wird mich rühmen hören 5 So lange man zu Rom den Jupiter wird ehren: Mein Lob soll Aufidus der starck mit rauschen fleußt / Vnd Daunus wissen auch / der selten sich ergeußt. Dann ich bin der durch den der Griechen schönes Wesen / Was jhre Verß anlangt / jetzt Römisch wird gelesen: 10 Setz’ / O Melpomene / mir auff zu meinem Rhum Den grünen Lorberkrantz / mein rechtes Eigenthumb. <?page no="465"?> 000464 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 464 | 076 - Torquato Tasso: La Gerusalemme Liberata 7 Aufidus] Fluss in Apulien, der Heimatregion des Horaz 8 Daunus] es lässt sich kein antiker Fluss dieses Namens belegen, womöglich wurde aber der Fürst Daunus zur Flussgottheit erhoben 11 Melpomene] Muse der tragischen Dichtung und des Trauergesangs Nach Horaz: Carmina, III, 30. In: Opitz (1625), V, 244. 076 Torquato Tasso (1544-1595) Aus: La Gerusalemme Liberata (1581), XVI, 13 Vola fra gli altri un che le piume ha sparte di color vari ed ha purpureo il rostro, e lingua snoda in guisa larga, e parte la voce sı ` ch’assembra il sermon nostro. Questi ivi allor continovo` con arte 5 tanta il parlar che fu mirabil mostro. Tacquero gli altri ad ascoltarlo intenti, e fermaro i susurri in aria venti. In: Tasso (1581), XVI 13. 077 B. I.3.2. Diederich von dem Werder (1584-1657) Aus: Gottfried von Bulljon, oder Das erlösete Jerusalem (1626), XVI, 13 „MJt einem Schnabel roth umbher ein Vöglein fleugt “ MJt einem Schnabel roth umbher ein Vöglein fleugt / Welchs mit sein Flügeln bund sich in die Höhe schwinget / Es macht sein Schnäblein auff / und (wie eim eben deucht) Viel Wort / die unsrer Sprach nicht ungleich / es fürbringet / Mit seiner süssen Stim es alles an sich zeucht / 5 Sehr wunderlich und schön sein Sprach und Rede klinget. Die andern die seynd still / und hören fleissig zu / Es stehn auch in der Lufft damals die Wind in Ruh. In: von dem Werder (1626), 186 v . <?page no="466"?> 000465 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 465 079 - Diederich von dem Werder: Krieg vnd Sieg Christi | 078 B. I.3.2. Diederich von dem Werder Aus: Gottfried oder Erlösetes Jerusalem (1651), XVI, 13 „Ein kleines Vöglein fleucht mit rothem Schnabel rüm“ Ein kleines Vöglein fleucht / mit rothem Schnabel / rüm / Jn dem es sich hinauff / mit bunten Flügeln / schwinget. Sein Schnäblein macht es auff / führt solche süsse Stimm’ Vnd Wort’ / auch zwar also / wie unsre Sprache klinget / Es stimmet lieblich an und singt: vernim / vernim / 5 Wie so was schönes dir jetzt meine Rede singet. Die andern die seynd still’ / und hören fleissig zu / Es stehn auch / in der Lufft das mal / die Wind’ in Ruh. In: von dem Werder ( 2 1651), 376. 079 Diederich von dem Werder Krieg vnd Sieg Christi (1631) Eingang Von Christi Krieg’ vnd Sieg’ erfrew ich mich zu singen / Der seiner Kriege last mit Sieg’ ertragen hatt / Vnd Sieghafft auff den Hals der Kriegesfeinde tratt: Ja vnser Sieg vnd Krieg soll drunter mit erklingen / Wie ich vnd jeder Christ durch Krieg zum Siege dringen 5 Sieghafften Kriegern gleich; verleih’ hier deinen rath Du Kriegsvnd Sieges Fürst / steh bey mir in der that / Vnd hilff mir einen Sieg in diesem Krieg’ erringen. Du großer SiegesHeld / ErtzHertzog Heervnd Kriegs / Der Krieges Heere Herr vnd geber jedes Siegs / 10 Gib daß sich jeder Vers mit Sieg vnd Krieg zerstreite / Das spielend’ ich Krieg Sieg in alle reimen leg’ / Vnd mache Siegen mich / auff das den Krieg / den heute Ich kriegend’ hier anheb’ / bald Siegend’ enden mög. <?page no="467"?> 000466 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 466 | 080 - Johannes Plavius: Courante oder drähe-tantz [I.] GEsiegt hab’ ich; vnd zwar den Sieg durch Krieg / erstritten / Mein gantzes leben war nur lauter Sieg vnd Krieg / Gekrieget vnd gesiegt hab’ ich in meiner Wieg’ / Vnd in der Jugendzeit mit Siege Krieg erlitten / So Kriegt’ vnd Siegt’ ich fort; ja ich hab in der mitten 5 Des Kriegs im Vaterland’ erhalten meinen Sieg Vnd obgesiegt der Welt; Als Krieg in mir auffstieg / Gab Krieg und Sieg es viel in allen schrittvnd tritten. Der Sieg mir blieb’ als mich bekriegt der Hellen not / Im Sünden Krieg’ hab’ ich auch Sieg durch Christum funden / 10 Mit Krieg’ vnd vollem Sieg’ gieng ich letzt durch den todt / Hab’ also allen Krieg gantz Sieghafft überwunden / Leb’ ohne Krieg nunmehr / vnd Sieg’ jetzt immer fort. Sieg war mein letztes werck / Sieg Sieg mein letztes wort. 9 der Hellen] der Hölle In: von dem Werder (1631) B1 r und A2 v f. 080 Johannes Plavius (auch Plauen) (vor 1600-nach 1630) Courante oder drähe-tantz (1630) 1. Gedencket / wie kräncket vnd lencket einn doch Die lieb’ vnd jhr trübe-betrübtes joch! Vor dacht’ ich: wer macht mich / wer achtt mich / mit fug / Wie Plato / wie Cato / wie Crates / so klug / Nu reisst meinen sinn / 5 Als ich nu werd’ inn’ / Jn liebe die liebe beliebete-hin. So zwinget / so dringet / so bringet vns weh Mit tücken / mit blicken / mit stricken in d’ eh. 2. Vor wust’ ich von Lust nicht / drumb must’ ich in frewd’ 10 Jn singen / in klingen hinbringen die zeit: <?page no="468"?> 000467 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 467 080 - Johannes Plavius: Courante oder drähe-tantz | Mein hertze / von schmertzen / von kertzen befreyt / War einig / alleinig vnd schleunig geneigt Zu der musen konst / Die ich achte donst / 15 Aus liebe der lieben beliebeten gonst So zwinget / so dringet / so bringet vns weh Mit schmertzen / mit schertzen / mit hertzen in d’ eh. 3. Vor dacht’ ich / was acht’ ich die macht vnd die krafft Der liebe / da üben betrüben verschafft / 20 Vor dacht’ ich / verlacht mich / verachtt mich Amor / So lehrt mich / so neert mich / so ehrt mich davor Aller Musen schaar / Den’ ich gantz vnd gar Jm leben gar eben ergeben / fürwar. 25 Nu zwinget / nu dringet / nu bringet mich weh Gantz völlig / gutwillig vnd billich in d’ eh. 4. O krone nu schone / belohne mir nun / Jn frewden mein leiden / mein meiden mein thun Es mehret- / es nähret- / es mehrtsich in mir 30 Durch bangen / gefangen verlangen nach dir. O mein ander ich / Der ich williglich Mein leben gar eben ergeben / sieh mich Ernewe / befrey’ vnd erfrewe mein weh / 35 So spring’ ich mit singen vnd klingen in d’ eh. Titel Courante] schneller französischer Tanz 4 Cato] vermutlich Marcus Porcius Cato der Ältere (234-149 v. Chr.), konservativer röm. Staatsmann, Redner und Historiker von sprichwörtlicher Sittenstrenge Crates] Krates (um 150 v. Chr.), stoischer Grammatiker In: Plavius (1630). <?page no="469"?> 000468 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 468 | 081 - Johannes Plavius: Lehr-sonnette 081 Johannes Plavius Lehr-sonnette (1630) 100. Gedenck an die hölle Jn ewigkeit mit schand’ vnd spott sich kleiden / Jn ewigkeit nicht wissen aus noch ein / Jn ewigkeit vermeiden liechtes schein / Jn ewigkeit den wurm des hertzens weiden / Jn ewigkeit des Herren antlitz meiden / 5 Jn ewigkeit erfahren höllen pein / Jn ewigkeit von Gott verstossen seyn / Jn ewigkeit die gröste marter leiden Jst mehr als daß es menschen können fassen. Drumb wilt du nicht daß dich Gott soll verlassen / 10 So lass jhn nicht / sonst ist es bald geschehn / Bitt jhn vielmehr / daß er dir wolle geben / Durch seinen geist mit fleiß darnach zustreben / Wo durch man kan der höllen pein entgehn. 10 wilt] willst 11 lass] verlass In: Plavius (1930). 082 B. I.3.1. Sybilla Schwarz „Mein Alles ist dahin / mein Trost in Lust und Leiden“ (1650) Mein Alles ist dahin / mein Trost in Lust und Leiden / mein ander Ich ist fort / mein Leben / meine Zier / mein liebstes auff der Welt ist wegk / ist schon vohn hier. (die Lieb’ ist bitter zwahr / viel bittrer ist das Scheiden) Ich kann nicht vohn dir seyn / ich kan dich gantz nicht meiden / 5 O liebste Dorile! Ich bin nicht mehr bey mir / Ich bin nicht der ich bin / nuhn ich nicht bin bey dir Ihr Stunden lauft doch fort / wolt ihr mich auch noch neiden? Ey Phoebus halte doch die schnelle Hengste nicht! fort / fort / ihr Tage fort / komb bald du Monden Licht! 10 <?page no="470"?> 000469 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 469 084 - Paul Fleming: Wie Er wolle geküsset seyn | Ein Tag ist mir ein Jahr / in dem ich nicht kan sehen mein ander Sonnenlicht! fort / fort / du faule Zeit / spann doch die Segel auff / und bring mein Lieb noch heut / und wan sie hier dan ist / so magstu langsam gehen. 6 Dorile] Alias für Judith, eine Freundin der Dichterin, der sie hier wie auch in anderen Gedichten ihre Liebe bekundet 9 Phoebus] Beiname des Apollon, griech. Gott der Dichtkunst schnelle Hengste] neben Helios wurde auch Phoebus Apollon als Sonnengott und Lenker des mit schnellen Pferden bespannten Sonnenwagens verehrt In: Schwarz (1650), O P 2 v . 083 B. I.4. Paul Fleming An Sich (1646) SEY dennoch unverzagt. Gieb dennoch unverlohren. Weich keinem Glücke nicht. Steh’ höher als der Neid. Vergnüge dich an dir / und acht es für kein Leid / hat sich gleich wieder dich Glück’ / Ort / und Zeit verschworen. Was dich betrübt und labt / halt alles für erkohren. 5 Nim dein Verhängnüß an. Laß’ alles unbereut. Thu / was gethan muß seyn / und eh man dirs gebeut. Was du noch hoffen kanst / das wird noch stets gebohren. Was klagt / was lobt man doch? Sein Unglück und sein Glücke ist ihm ein ieder selbst. Schau alle Sachen an. 10 Diß alles ist in dir / laß deinen eiteln Wahn / und eh du förder gehst / so geh’ in dich zu rücke. Wer sein selbst Meister ist / und sich beherschen kan / dem ist die weite Welt und alles unterthan. 5 labt] belebt, vergnügt erkohren] auserkoren, durch göttlichen Plan vorherbestimmt 7 gebeut] gebietet, befiehlt 12 förder] weiter, vorwärts In: Fleming (1646), 576. 084 Paul Fleming Wie Er wolle geküsset seyn (1646) NIrgends hin / als auff den Mund / da sinckts in deß Hertzen grund. <?page no="471"?> 000470 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 470 | 085 - Paul Fleming: In Ihrem Abwesen; Auf deroselben Augen Nicht zu frey / nicht zu gezwungen / nicht mit gar zu fauler Zungen. Nicht zu wenig nicht zu viel. 5 Beydes wird sonst Kinder-spiel. Nicht zu laut / und nicht zu leise / Bey der Maß’ ist rechte weise. Nicht zu nahe / nicht zu weit. Diß macht Kummer / jenes Leid. 10 Nicht zu trucken / nicht zu feuchte / wie Adonis Venus reichte. Nicht zu harte / nicht zu weich. Bald zugleich / bald nicht zugleich. Nicht zu langsam / nicht zu schnelle. 15 Nicht ohn Unterscheid der Stelle. Halb gebissen / halb gehaucht. Halb die Lippen eingetaucht. Nicht ohn Unterscheid der Zeiten. Mehr alleine / denn bey Leuten. 20 Küsse nun ein Iedermann wie er weiß / will / soll und kan. Ich nur / und die Liebste wissen / wie wir uns recht sollen küssen. 12 wie Adonis Venus reichte] im griech. Mythos nimmt die Liebesgöttin Aphrodite (lat. Venus) den Hirtenjüngling Adonis zum Geliebten. Ihr eifersüchtiger Ehemann Ares tötet ihn daraufhin in der Gestalt eines Ebers bei einer Jagd In: Fleming (1646), 535f. 085 B. I.4. Paul Fleming In Ihrem Abwesen; Auf deroselben Augen (1646) IHR irdne Sonn’ und Mon / ihr meiner Augen Augen / wo laßt ihr euren mich? seht ihr mich gar nicht an / Ach / ach so ist es gantz und gar um mich gethan. Ich regne für und für mit scharffer Thränen Laugen. Für mich wil gantz kein Liecht / als nur das eure / taugen. 5 Der Mittag wird zur Nacht. Ihr / ihr habt Schuld daran / daß ich sonst keinen Glantz / denn euren / sehen kan / und dessen Krafft von euch / als Brunnen / aus muß saugen. Ich seh’ / und bin doch blind. Ich irre hin und her. <?page no="472"?> 000471 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 471 086 - Paul Fleming: Er redet ihre Thränen an | Ich weiß nicht / wo ich bin / in diesem finstern Meer. 10 Erscheint / erscheint mir doch / ihr fünckelnden Laternen! Ihr Brüder Helene / und zeigt mir euer Licht. Wo nicht so hilffet mich gantz keine Flamme nicht. Bey Tage kein Mittag / bey Nachte keine Sternen. 7 denn] als, außer 12 Brüder] Brüder der Helena; gemeint sind die Dioskuren Castor und Pollux, die als Sternbild an den Himmel versetzt wurden und schon in der Antike als Retter in Seenot angerufen wurden (Ovid: Fasti 5, 720) Helene] Helenae, Genitivform; seit dem 12. Jh. wird der Diphtong ae als einfaches e geschrieben In: Fleming (1646), 602f. 086 B. I.4. Paul Fleming Er redet ihre Thränen an (1646) VErsieget doch einmahl / ihr sieden-heisse Tropffen / die / wie das fremde Pech / mein Feuer stecket an / das ohne das für sich kein Wasser löschen kan. Schliest euer’ Adern zu / und lasst sie sich verstopffen. Ihr seyd der herbe Safft aus Wermuth / Gall’ und Hopffen 5 Für meinen Durst erpresst. Was Labsal hab ich dran. Hört auff. Sonst wird mir noch von euch der Todt gethan! In dem ihr mir erweckt ein solches Hertzen-Klopffen. Was könnt ihr anders tun / ihr Schmertzen-Kinder ihr / als daß ihr Schmertzen auch / und Pein erweckt in mir / 10 die wieder von mir aus in eure Brunnen quellen. O Angst-Thau / der mein Hertz’ hat matt und welck gemacht / Ists noch nicht gnung / daß du bisher dich um hast bracht / wilst du dich / mich und sie in eine Grube fällen. 3 das ohne das für sich kein Wasser löschen kan] das überhaupt kein Wasser löschen kann 5 Wermuth / Gall’ und Hopffen] Die Verbindung von Wermut und Galle wird in biblischen Wendungen oftmals zur Beschreibung besonderer Bitterkeit verwendet; auch Hopfen erzeugt einen bitteren Geschmack 6 Labsal] Erfrischung, Erquickung 12 Angst-Thau] Tränen In: Fleming (1646), 620. <?page no="473"?> 000472 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 472 | 087 - Paul Fleming: Des seligen Herrn D. Paul Flemingi Grabschrifft 087 B. I.4. Paul Fleming Des seligen Herrn D. Paul Flemingi Grabschrifft / So er jhm selbst drey Tage vor seinem Tode gemachet. Jn Hamburg den 20. Tag des mertzen 1640 ICh war an Kunst / und Gut / und Stande groß und reich. Deß Glückes lieber Sohn. Von Eltern guter Ehren. Frey. Meine. Kunte mich aus meinen Mitteln nehren. Mein Schall floh überweit. Kein Landsman sang mir gleich. Von reisen hochgepreist, für keiner Mühe bleich. 5 Jung / wachsam / unbesorgt. Man wird mich nennen hören. Biß daß die letzte Glut diß alles wird verstören. Diß / deutsche Klarien / diß gantze danck’ ich Euch. Verzeiht mir / bin ichs werth / Gott / Vater / Liebste / Freunde. Jch sag’ euch gute Nacht / vnd trette willig ab. 10 Sonst alles ist gethan / biß an das schwarze Grab. Was frey dem Tode steht / Das thu er seinem Feinde. Was bin ich viel besorgt / den Othem auffzugeben? An mir ist minder nichts / das lebet / als mein Leben. Titel den 20. Tag] richtig: den 28., wie es auch in der Ausgabe von 1642 heißt; Fleming starb am 2. April 1640 5 hochgepreist] gepriesen 7 verstören] zerstören 8 Klarien] Musen 13 Othem] Atem In: Fleming (1646), 670. 088 B. I.2.4. Philipp von Zesen (1619-1689) [Kling-gedichte in verschiedenen Metren: ] Dactylisch Sonnet (1641) Heilige Hertzen und heilige Sinnen / Schmäcket und sehet die geistliche Lust / Welche soll Ihnen seyn billich bewust; Salomons Geistlichen Heliconinnen Läßet das heilige Brünnelein rinnen 5 Nectar / und labet die durstige brust: Reichlich ergießet sich selbiger must: Laßet uns Diesen mit Liebe gewinnen Welchen uns Salomon artlich beschreibt / <?page no="474"?> 000473 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 473 089 - Philipp von Zesen: Ein Jambisch Echonisch Sonnet | Welcher uns schmertzen im hertzen vertreibt: 10 Dencket doch aber und mercket darneben / Daß Ihn entzündet der Heilige Geist / Solche geheimnüß kein Mensche beweist / Daß er ergründe das Göttliche Leben. Titel Kling-gedichte] Sonette (von lat. sonare, klingen, tönen) 3 billich] rechtmäßig, verdientermaßen 4 Salomons] vgl. dazu „Das Hohelied Salomos“ im Alten Testament Heliconinnen] nach Helikon, dem Sitz der Musen 7 must] Most In: Zesen (1971), 66. 089 Philipp von Zesen Ein Jambisch Echonisch Sonnet (1641) Ach könnt ich doch den busch erreichen! E 〈 cho: 〉 eichen. Da wo mein Liebster innen sitzt! Ech. itzt. Mein hertz vor lieb’ ist auf geritzt. Ech. ritzt. und wil vor angst fast gar ver bleichen. E. leichen. Ich ruff euch an Ihr schönsten Eichen / 5 Die Ihr die Wälder zieret itzt. Doch hör’ ich nichts als wie da blitzt. Ech. itzt. Der Wider-ruff auff mich mit keichen. Ich komme zu den klüften auch. E. lüften auch. und schrey nach meinem alten brauch / 10 Da ist auch gäntzlich nichts zu hoffen / Ech. zu hoffen / Als nur der bloße wieder schall / Ech. hall / der sich ereignet überall; Mein mund steht mir ohn ablaß offen. Ech. laß hoffen. Titel Echonisch] nach der Weise des Echos 8 keichen] keuchen In: Zesen (1971), 67. <?page no="475"?> 000474 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 474 | 090 - Philipp von Zesen: Alexandrinisch Sonnet Welchs ein männlicher Vers anfäht 090 Philipp von Zesen Alexandrinisch Sonnet Welchs ein männlicher Vers anfäht Über Wittenberg (1641) Was ist dis für ein Sitz? Was ist dis für ein ort? Ist hier nicht Tullius? nein. Buchner der Beredte / den mann zu rühmen weis / wo Titan geht zu bette / und wider auffersteht: Was hört man für ein wort? Der Götter Ausspruch? nein. Hier ist derselbe port / 5 Luther erstmahls hatt gestritten ümb die wette und ritterlich zerbrach des Pabstes starcke kette / der uns gefangen hielt: Der Ablas muste fort; Das wort / das edle wort quoll lauter rein und klar / hier hier erwehlte Gott sein Feuer und Altar; 10 Nun quillt noch weiter fort die himmelische Lehre; Hier lehrt der Alten Fürst der große Mann Martin / Herr Röber / Hülseman / Scharff / Sperling viel erzihn / So dann auch werden seyn der Wittenberger Ehre. 2 Tullius] Marcus Tullius Cicero (106 v. Chr.-43 v. Chr.), berühmtester Redner Roms, hier Vergleichsfigur für Augustus Buchner Buchner] Augustus Buchner (1591-1661), Dichter und Professor der Poesie. Er durchbrach noch zu Lebzeiten von Opitz den Zwang des Alternierens, indem er neben Jambus und Trochäus auch den Daktylus in die deutsche Dichtung einführte und so die poetischen Ausdrucksmöglichkeiten erweiterte 3 mann] man 3f. wo Titan [ … ] auffersteht] überall auf der Welt; wo die Sonne (hier personifiziert im Sonnengott Titan) untergeht und aufgeht 5 port] Zufluchtsort 7 Pabstes] Papstes 8 Ablas] Ablasshandel 13 Röber] Paul Röber, lutherischer Theologe Hülseman] Johann Hülsemann, lutherischer Theologe Scharff] Johannes Scharff, lutherischer Theologe Sperling] Johann Sperling, Zoologe, Physiker, Mediziner In: Zesen (1971), 277. 091 Philipp von Zesen Wechsel-Gesang (1642) Auff die Melodey des Opitzianischen Liedes. Corydon / der ging betrübet / etc. Thyrsis . AMaryllis laß uns gehen nach dem kühlen schatten zu / zur gewünschten Mittags-Ruh; <?page no="476"?> 000475 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 475 091 - Philipp von Zesen: Wechsel-Gesang | weil am Mittel-puncte stehen 5 Phöbus Pferd’ im vollen schein und die Hitze bricht herein. Amaryllis Ja wir wollen uns hin machen / wo die kühlen Wälder stehn 10 und des Sudens Kinder gehn / Wo die gülden Thäler lachen / wo der süße Widerschall streitet mit der Nachtigall. Thyrsis . 15 Ach! wie hefftig brennt die Sonne / laß uns eylen alsobald in den nächst-gelegnen Wald; Amaryllis / meine Wonne / Komm der Schatten findet sich / 20 nun wohlan! erquicke dich. Amaryllis . Ey so will ich frischer singen / weil ich nun in süßer Ruh kann dem Buhlen hören zu; 25 Ich will meine Stimm’ erschwingen / Thyrsis / meine Freud’ und Zier / liegt in meinen Armen hier. Thyrsis . Sonne / kann ich diß erlangen / 30 Ach! so eyle nicht so sehr nach dem blauen Westen-Meer / daß ich desto mehr ümbfangen Meine Liebste kann und mag; Ach verlängre diesen Tag! 35 Amaryllis . Brennt und flammt das Wolkenfeuer gleich so starck zur sommers Zeit Auff den Feldern weit und breit / kommet ihnen doch zur Steuer 40 drauff der Tau / das Kind der Nacht / daß die Rose wider lacht. Also wenn gleich brennt und hitzet Noch so sehr der Liebe-Gluth und entzündet Hertz und Muth; 45 Dennoch wenn zur Seiten sitzet <?page no="477"?> 000476 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 476 | 091 - Philipp von Zesen: Wechsel-Gesang Mein Geliebter werd’ ich kühl’ / daß ich keine Schmertzen fühl. Thyrsis . Ja ich muß es auch bejahen / 50 daß die Liebe stärker flammt / alß die Strahlen ingesammt / wann sich Titan pflegt zu nahen / Wann die Sonn am höchsten steht / und die Hitze sich anfäht. 55 Starck ist ein Magnet im zihen; Stärcker ist ein Liebes-Blick; Ein Magnet ziht Stahl zurück / doch wann LiebesRosen blühen in der Buhlschafft Eugelein / 60 kann die Liebe stärcker seyn. Amaryllis . Ey was wollen wir viel singen von der Liebe Gluth und Hitz und der Liebsten Augenblitz / 65 der ein hartes Hertz kann zwingen / daß es wird vor Liebe kranck! Seyn wir doch nun frey und franck! Thyrsis . Amaryllis meine Sonne / 70 Nim nun hin mein treues Hertz / Durch dich lindert sich mein Schmertz / Du bist meine Freud’ und Wonne / Meine Liebe schenck’ ich dier / Amaryllis / meine Zier. 75 Amaryllis . So will ich auch diß mein Leben / meine Liebe / meinen Sinn / mein Gemüth / Dier zum Gewinn / Thyrsis / eigenthümlich geben; 80 Also dörffen wir nicht mehr dencken / daß die Liebe schwer. Titel Corydon] typischer griech. Name aus der Schäferdichtung, etwa bei Theokrit und Vergil 1 Thyrsis] männlicher Hirtenname aus der Schäferdichtung, zuerst bei Theokrit (Eip. 1) 2 AMaryllis] weiblicher Name aus der Schäferdichtung 6 Phöbus] griech. phoibos, ,der Leuchtende‘, Beiname des griech. Gottes Apollon, unter dem er auch als Sonnengott und Lenker des mit Pferden bespannten Sonnenwagens verehrt wurde 25 Buhlen] Lieben, um Liebe werben 53 Titan] Beiname des Sonnengottes Helios 60 Buhlschafft] Geliebte In: Zesen (1993), 17-21. <?page no="478"?> 000477 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 477 093 - Simon Dach: Alß ich Anno 1650 d. 25. Augstm. in der Nacht ... nicht schlaffen kunte | 092 B. I.3.1. Simon Dach (1605-1659) Anno 1647 des Nachts, da ich vor Engbrüstigheit nicht schlaffen können, auff dem Bette gemacht (1647) Wie? ist es denn nicht gnug, gern einmal sterben wollen? Natur, Verhängnüs, Gott, waß haltet ihr mich auff? Kein Säumnüs ist bey mir, vollendet ist mein Lauff, Soll ich die Durchfahrt euch denn tausentmahl verzollen? Waß kränckt es, fertig seyn vnd sich verweilen sollen! 5 Ist Sterben ein Gewinn? o mir ein thewrer Kauff, Mich tödten so viel Jahr vnd Kranckheiten zu hauff, Ich lebe noch vnd bin wol zehnmahl tod erschollen. Weib, Kinder, macht es ihr? Verlängert ihr mein Licht? Seht meinen Jammer an, ist dieses LiebesPflicht, 10 Zu schlechtem Vortheil euch mein Vortheil mir nicht gönnen? Ach kräncket mich nicht mehr durch ewer Angesicht! Die allerletzte Pein ist, gläub ich, ärger nicht, Alß leben müssen, todt seyn wollen vnd nicht können. In: Dach (1936), 203f. 093 Simon Dach Alß ich Anno 1650 d. 25. Augstm. in der Nacht für grosser Engbrüstigkeit nicht schlaffen kunte (1650) Die Nacht, die vnsre Sorgen Durch süssen Schlaff bezwingt, Rufft schon dem lichten Morgen, Der sachtlich zu vnß dringt, Der Sternen Glantz muß weichen 5 Vnd macht dem Tage Bahn: Ich habe noch für Keichen Kein Auge zugethan. Alß alles ist entschlaffen, Kutsch ich mich gleichfalls ein, 10 Weiß aber nichts zu schaffen, <?page no="479"?> 000478 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 478 | 093 - Simon Dach: Alß ich Anno 1650 d. 25. Augstm. in der Nacht ... nicht schlaffen kunte Zu ängstig ist die Pein: Vnd darauff schlag ich Fewer Vnd lese mit Verdruß, Weil ich mein Vngehewer 15 Nur so betriegen muß. Die Glocken hör ich schlagen: Zwölff, eines, zwey, drey, vier, Ich muß mich immer plagen, Kein Schlaffwunsch hülffet mir, 20 Mein Häupt sinckt offt danieder, Die Augen mach ich zu, Krieg Ohnmacht in die Glieder, Nicht aber etwas Ruh. Ist dieß nicht grosser Jammer? 25 Ein iedes hüllt sich ein Vnd schläfft in seiner Kammer, Auch selbst der Mondenschein: Kein Windchen ist verhanden, Der Pregel ruht begnügt, 30 Auch schläfft in seinen Banden Der so gefangen liegt. Nur ich sitz über ende Vnd nehme mit Beschwer Mein Häupt in beyde Hände 35 Vnd winßle so daher: Solt jemand ietzt mich schawen, Er hätt ob meiner Quahl Mitleiden oder Grawen, Auch wär er harter Stahl. 40 Erbarmt euch meiner Schmertzen, Ihr Ärtzte, kompt zuhauff, Nehmt meine Noht zu Hertzen, Schlagt ewre Bücher auff, Waß ewer Raht wirdt bringen, 45 Auch wär es GassenKoht, Ich wil ihn in mich schlingen, So groß ist meine Noht. <?page no="480"?> 000479 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 479 094 - Johann Rist: Als er einsmalen bei gar schönem Wetter auf seinem Parnaß sitzend | Ach das ich nur verdrossen Mach ewre Wissenschaft, 50 Ich hab vmbsonst genossen So manchen Tranck vnd Safft, Mein Leid ist nicht zu heben, Es kriegt den SiegesPreiß, Ich muß verlohren geben, 55 Vmbsonst ist Kunst vnd Fleiß. Mein Fieber ist verschwunden, Mich hungert allgemach, Ich gebe den Gesunden Fast nirgends etwas nach, 60 Mein Durst hat sich geleget, Nur daß der zähe Wust Die Athems-Kürtz erreget In meiner engen Brust. Mein Ampt muß gantz erliegen, 65 Vieleicht läst manches Maul Von mir ein Vrtheil fliegen, Ich sey so Arbeit-faul: Gott lasse mich genesen, So soll es kuntbar seyn, 70 Weß hie die Schuld gewesen, Der Kranckheit oder mein. 7 für Keichen] vor Keuchen 10 Kutsch] sich einkauern, ins Bett einwickeln 13 schlag ich Fewer] zünde ich ein Feuer an 15 Vngehewer] Unglück 30 Pregel] Fluss bei Königsberg 46 GassenKoht] Kot aus der Gasse 62 Wust] Sekret, Schleim 70 kuntbar] kundbar, bekannt In: Dach (1936), 252f. 094 Johann Rist (1607-1667) Als er einsmalen bei gar schönem Wetter auf seinem Parnaß sitzend von ganzem Herzen bekümmert war (1652) Wie bin ich itzt auf dir so traurig, mein Parnaß? Das Wetter ist ja gut, es machet gleichsam lachen Die Wiesen, welche stehn geziert mit tausend Sachen. <?page no="481"?> 000480 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 480 | 095 - Angelus Silesius: Auß dem Hohen Lied Dich selber schmücket ein lichtgrüner Rock von Gras, Der Acker nah hiebei wird nicht für Hitze blaß, 5 Der Himmel ist fein klar. Was soll ich gleichwohl machen? Ich fühle ja mein Herz für Angst vnd Trauren krachen. Mir schmecket gar kein Brot, auch wünsch ich mir kein Glas. Wie? schöner Elbe-Strom, daß ich auch dich muß scheuen? Wie? leichtes Feder-Volk, kannst du mich nicht erfreuen? 10 Ach nein! Noch Kastalis, noch das begrünte Feld, Noch dieser schöne Fluß, den Dafnis oft gepriesen, Noch du Parnassus selbst mit deinen bunten Wiesen Gefallen mir. Warum? Ich haß itzt gar die Welt. 1 mein Parnaß] Rists Poetenhügel in der Nähe des Hafens Schulau südlich von Wedel (nach dem griech. Musenberg) 7 Trauren] Trauer 10 Feder-Volk] Vögel 11 Kastalis] die kastalische Quelle am Fuße des Parnassos verlieh der Sage nach dem Trinkenden die Gabe der Dichtkunst 12 Dafnis] Daphnis, Hirte in der griech. Mythologie, der häufig in der Schäferdichtung auftritt In: Rist (1652), 721. 095 B. I.5. Angelus Silesius (Johannes Scheffler, 1624-1677) Auß dem Hohen Lied (1657) Der König führt die Braut inn Keller selbst hinein / Daß sie jhr mag erwöhln den allerbesten Wein. So machts GOtt auch mit dir / wann du bist seine Braut / Er hat nichts in sich selbst / das er dir nicht vertraut. Titel Hohen Lied] das Hohe Lied der Liebe aus dem Alten Testament; vgl. Hld 2, 4 In: Silesius (1657), 133. 096 B. I.5. Angelus Silesius Gott ist in mir / und ich in Jhm (1657) GOtt ist in mir das Feur / und ich in Jhm der schein: Sind wir einander nicht gantz jnniglich gemein? In: Silesius (1657), 22. <?page no="482"?> 000481 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 481 098 - Paul Gerhardt: „Christuslied“: An das Angesicht („Salve caput cruentatum“) | 097 B. I.5. Angelus Silesius Ohne warumb (1657) Die Ros’ ist ohn warumb / sie blühet weil sie blühet / Sie achtt nicht jhrer selbst / fragt nicht ob man sie sihet. In: Silesius (1657), 55. 098 B. I.5. Paul Gerhardt (1607-1676) „Christuslied“: An das Angesicht („Salve caput cruentatum“) (1667) 1. O Häupt voll Blut und Wunden, Voll Schmerz und voller Hohn! O Häupt, zu Spott gebunden Mit einer Dornen Kron! O Häupt, sonst schön gezieret 5 Mit höchster Ehr und Zier, Itzt aber hoch schimpfiret! Gegrüßet seist du mir. 2. Du edles Angesichte, Davor sonst schrickt und scheut 10 Das große Weltgewichte, Wie bist du so bespeit? Wie bist du so erbleichet? Wer hat dein Augenlicht, Dem sonst kein Licht nicht gleichet, 15 So schändlich zugericht? 3. Die Farbe deiner Wangen, Der rothen Lippen Pracht Ist hin und ganz vergangen: Des blassen Todes Macht 20 Hat alles hingenommen, <?page no="483"?> 000482 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 482 | 098 - Paul Gerhardt: „Christuslied“: An das Angesicht („Salve caput cruentatum“) Hat alles hingerafft, Und daher bist du kommen Von deines Leibes Kraft. 4. Nun, was du, HErr, erduldet, 25 Ist alles meine Last, Ich hab es selbst verschuldet, Was du getragen hast. Schau her, hie steh ich Armer, Der Zorn verdienet hat, 30 Gieb mir, o mein Erbarmer, Den Anblick deiner Gnad. 5. Erkenne mich, mein Hüter, Mein Hirte, nimm mich an! Von dir, Quell aller Güter, 35 Ist mir viel Guts getan: Dein Mund hat mich gelabet Mit Milch und süßer Kost, Dein Geist hat mich begabet Mit mancher Himmelslust. 40 6. Ich will hie bei dir stehen, Verachte mich doch nicht; Von dir will ich nicht gehen, Wann dir dein Herze bricht; Wann dein Herz wird erblassen 45 Im letzten Todesstoß, Alsdann will ich dich fassen In meinen Arm und Schoß. 7. Es dient zu meinen Freuden, Und kömmt mir herzlich wohl, 50 Wenn ich in deinem Leiden, Mein Heil, mich finden soll. Ach, möcht ich, o mein Leben, An deinem Kreuze hier Mein Leben von mir geben, 55 Wie wohl geschähe mir! <?page no="484"?> 000483 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 483 099 - Paul Gerhardt: „Nun ruhen alle Wälder“ | 8. Ich danke dir von Herzen, O JEsu, liebster Freund, Für deines Todes Schmerzen, Da dus so gut gemeint. 60 Ach gieb, daß ich mich halte Zu dir und deiner Treu, Und, wann ich nun erkalte, In dir mein Ende sei. 9. Wann ich einmal soll scheiden, 65 So scheide nicht von mir; Wann ich den Tod soll leiden, So tritt du dann herfür. Wann mir am allerbängsten Wird um das Herze sein, 70 So reiß mich aus den Aengsten, Kraft deiner Angst und Pein. 10. Erscheine mir zum Schilde, Zum Trost in meinem Tod, Und laß mich sehn dein Bilde 75 In deiner Kreuzesnoth. Da will ich nach dir blicken, Da will ich glaubensvoll Dich vest an mein Herz drücken. Wer so stirbt, der stirbt wohl. 80 In: Gerhardt (1866), 157-159. 099 Paul Gerhardt „Nun ruhen alle Wälder“ (1667) Abend-Lieder. Im Thon: O Welt, ich muß dich lassen. <?page no="485"?> 000484 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 484 | 099 - Paul Gerhardt: „Nun ruhen alle Wälder“ 1. NUn ruhen alle Wälder / Vieh Menschen Städt und Felder Es schläft die gantze Welt. Ihr aber meine Sinnen / Auf / auf ihr solt beginnen 5 Was eurem Schöpffer wohl gefällt. 2. Wo bist du Sonne blieben? Die Nacht hat dich vertrieben / Die Nacht / des Tages Feind: Fahr hin / ein andre Sonne 10 Mein Jesus / meine Wonne / Gar hell in meinem Hertzen scheint. 3. Der Tag ist nun vergangen: Die güldnen Sternlein prangen Am blauen Himmelssaal. 15 So / so werd ich auch stehen / Wann mich wird heissen gehen Mein GOtt aus diesem Jammerthal. 4. Der Leib der eilt zur Ruhe Legt ab das Kleid und Schuhe 20 Das Bild der Sterbligkeit: Die zieh ich aus / dargegen Wird Christus mir an legen Den Rock der Ehr und Herrligkeit. 5. Das Häupt die Füß und Hände / 25 Sind froh daß nun zum Ende Die Arbeit kommen sei: Herz freu dich: du solst werden Vom Elend dieser Erden Vnd von der Sünden Arbeit frey. 30 <?page no="486"?> 000485 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 485 099 - Paul Gerhardt: „Nun ruhen alle Wälder“ | 6. Nun geht ihr matten Glieder / Geht / geht und legt euch nieder / Der Betten ihr begehrt: Es kommen Stund und Zeiten / Da man euch wird bereiten 35 Zur Ruh ein Bettlein in der Erd. 7. Mein Augen stehn verdrossen Im huy sind sie verschlossen / Wo bleibt dann Leib und Seel? Nim sie zu deinen Gnaden / 40 Sey gut vor allen Schaden / du Aug und Wächter Israel. 8. Breit aus die Flügel beide O JEsu meine Freude / Vnd nim dein Küchlein ein: 45 Will Satan mich verschlingen / So laß die Englein singen Diß Kind sol unverletzet seyn. 9. Auch euch ihr meine Lieben Sol heute nicht betrüben 50 Kein Unfall noch Gefahr: Gott laß euch ruhig schlaffen / Stell euch die güldnen Waffen Umbs Bett / und seiner Helden Schaar. Im Thon: O Welt, ich muß dich lassen.] geistliche Kontrafaktur von Johann Hesse (vor 1547) nach dem Volkslied „Insbruck, ich muß dich lassen“ mit Melodie von Heinrich Isaac (zuerst um 1480) 38 Im huy] Im Nu 45 Küchlein] Küken In: Gerhardt (1667), 202f. <?page no="487"?> 000486 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 486 | 100 - Ernst Stadler: Der Spruch 100 B. I.5. Ernst Stadler (1883-1914) Der Spruch (1914) In einem alten Buche stieß ich auf ein Wort, Das traf mich wie ein Schlag und brennt durch meine Tage fort: Und wenn ich mich 5 an trübe Lust vergebe, Schein, Lug und Spiel zu mir anstatt des Wesens hebe, Wenn ich gefällig mich mit raschem Sinn belüge, 10 Als wäre Dunkles klar, als wenn nicht Leben tausend wild verschlossne Tore trüge, Und Worte wiederspreche, deren Weite nie ich ausgefühlt, Und Dinge fasse, 15 deren Sein mich niemals aufgewühlt, Wenn mich willkommner Traum mit Sammethänden streicht, Und Tag und Wirklichkeit von mir entweicht, 20 Der Welt entfremdet, fremd dem tiefsten Ich, Dann steht das Wort mir auf: Mensch, werde wesentlich! In: Stadler (1954), 109f. 101 B.II.4. Catharina Regina von Greiffenberg (1633-1694) Vorgebildete Erblickung / der Herrlichkeit GOttes (1662) O Glanz der ganz durchhellt! ach ausgestrahltes All / entdeckte Göttlichkeit / entblöste Wunder-Mänge / du lieblichst zarte Lieb / du Pracht und Macht-Gepränge! <?page no="488"?> 000487 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 487 102 - Catharina Regina von Greiffenberg: GOtt-lobende Frülings-Lust | du all-erleuchtends Liecht / du Geist-durchblitzter Strahl / nur Fünklein-weiß erkandt in jenem Erden-Ball! 5 dort warestu verhüllt in Wort- und Bunds-Vorhänge: Nun bistu offenbar. Die Jubel-Lob-Gesänge erheben deinen Ruhm mit offt erholtem Schall / O Heilig-hoher GOtt, verzuckbar schönes Wesen / du aller Gier und Wunsch / allein bezieltes Ziel! 10 du machst auf alle weiß / wie man nur will / genesen. Mit Güt-Austheilung hast dein Ewigs Freuden-Spiel / und willst mit Fleiß den Preiß der Tugend auserlesen / die dir aus Gunst in uns zu würken vor gefiel. Titel Vorgebildete] Vorgestellte 5 Fünklein-weiß] das Konzept des göttlichen Funkens stammt aus der antiken Philosophie und begegnet in verschiedenen religiösen und mystischen Strömungen, etwa in der Gnosis, im Neuplatonismus und in der Mystik des Mittelalters In: Greiffenberg (1662), 249. 102 B.II.4. Catharina Regina von Greiffenberg GOtt-lobende Frülings-Lust (1662) JAuchzet / Bäume / Vögel singet! danzet / Blumen / Felder lacht! springt / ihr Brünnlein! Bächlein rauscht! spielet ihr gelinden Winde! walle / Lust-bewegtes Träid! süsse Flüsse fliest geschwinde! opffert Lob-Geruch dem Schöppfer / der euch frisch und neu gemacht! jedes Blühlein sey ein Schale / drauff Lob-Opffer ihm gebracht / 5 jedes Gräslein eine Seul / da sein Namens-Ehr man finde. an die neu-belaubten Ästlein / GOttes Gnaden-Ruhm man binde! daß / so weit sein Güt sich strecket / werd’ auch seiner Ehr gedacht. Du vor alles / Menschen Volck / seiner Güte Einfluß Ziele! aller Lieblichkeit Genießer; Abgrund / wo der Wunderfluß 10 endet und zu gut verwendet seinen Lieb-vergulten Guß. GOtt mit Hertz / Hand / Sinn und Stimm / lobe / preiße / dicht’ und spiele. Laß / vor Lieb’ und Lobes-Gier / Muht und Blut zu Kohlen werden / lege Lob und Dank darauff: Gott zum süssen Rauch auf Erden. 3 Träid] Getreide 6 Seul] Säule 11 vergulten] vergoldeten In: Greiffenberg (1662), 225. <?page no="489"?> 000488 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 488 | 103 - Catharina Regina von Greiffenberg: Auf die unverhinderliche Art der edlen Dicht-Kunst 103 B.II.4. Catharina Regina von Greiffenberg Auf die unverhinderliche Art der edlen Dicht-Kunst (1662) TRutz / daß man mir verwehr / des Himmels milde Gaben / den unsichtbaren Strahl / die schallend’ Heimligkeit / das Englisch Menschenwerk; das in und nach der Zeit / wann alles aus wird seyn / allein bestand wird haben / das mit der Ewigkeit / wird in die wette traben / 5 die Geistreich wunder-Lust / der Dunkelung befreyt; die Sonn in Mitternacht / die Strahlen von sich streut / die man / Welt-unverwehrt / in allem Stand kann haben. Diß einig’ ist mir frei / da ich sonst schier leibeigen / aus übermachter Macht des Ungelücks / muß seyn. 10 Es will auch hier mein Geist / in dieser Freyheit zeigen / was ich beginnen wurd / im fall ich mein allein: daß ich / O Gott / dein’ Ehr vor alles würd’ erheben. Gieb Freyheit mir / so will ich Ewigs Lob dir geben. 2 Heimligkeit] Vertraulichkeit 3 Englisch] den Engeln gleich 12 im fall] falls In: Greiffenberg (1967), 88. 104 B.II.1.3. [Nachricht vom Paduaner Herz-Aufschneider] Wochentliche Donnerstags Zeitung und Ordinari Dienstags Zeitung (Hamburg) Nr. 28, Appendix (1661) Aus Padua vom 13. Junij. Dieser Tage hat sich ein schrecklicher Casus alhie zugetragen: in dem ein sonst wol erfahrner / und in seiner Kunst uber die massen geübter Chirurgus / welcher alle mahl hiebevor schon drauff bedacht gewesen / wie er einen lebendigen Menschen auffschneiden / und die Bewegung seines Hertzens erforschen möchte / Und zu dem Ende auch bey dem Magistrat zu 5 unterschiedlichen mahlen umb eine Malefitz Person angehalten / daß ihm aber jedesmahl abgeschlagen / und er dardurch desto begieriger worden / für 6. oder 7. Wochen ein von der jüngsten nach Spanien wider Portugal destinirten Mayländischen Soldatesca zurück gebliebenen armen / aber wol proportionirter Soldaten / der sich demselben præsentiret / und umb ein Allmosen angeredet / den er auch zu sich in sein Hauß genommen / und ihm drey Tage 10 lang sehr heimblichen die Kost geben / Unterdessen aber ihm einige Gehülffen erkaufft / ihn in den Keller bringen / daselbsten binden lassen / und lebendig auffgeschnitten / da er dann solcher gestalt in ihm / was er lang zu sehen begierig gewesen / besehen. Allein wie ein Mord <?page no="490"?> 000489 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 489 105 - Johann Sebastian Mitternacht: Trauer-Spiel | nicht leicht verborgen bleiben kan / also geschahe es / daß einer von denen Gehülffen umb anderer Missethaten wegen eingezogen / und uff die Tortur gebracht wurde / da er dann 15 unter andern das oberzehlte auch bekante. Die andern Gehülffen wurden darauff alle gefangen / ingleichen auch der Chirurgus / welcher die That alsbald bekante / und seine Sache durch allerhand Motiven (so ich / weil sie gar zu weitläufftig sind / hier nicht erzehlen wil) disputirlich zu machen sich unterstunde. Es halff aber alles nichts / sondern es wurde über den Chirurgum dieses Urtheil gefält / daß ihm erstlichen die rechte Hand / darnach der Kopff 20 abgehawen / und dann der gantze Leib uffs Rad gelegt werden sollt / wie dann auch die Execution darauff erfolget. 2 Casus] Vorfall, Begebenheit 5 Magistrat] hoher Beamter 6 Malefitz] Straftat, Verbrechen 8 Soldatesca] Söldnerheer 15 uff die Tortur gebracht] gefoltert 16 oberzehlte] das zuvor Erzählte 19 disputirlich] streitig 105 B.II.1.3. Johann Sebastian Mitternacht (1613-1679) Aus: Trauer-Spiel / Der Unglückselige Soldat und Vorwitzige Barbirer (1662) [Der Kaufmannssohn Ariophilus weigert sich, ein Studium aufzunehmen und wird gegen den Willen seines Vaters Soldat. Ernüchtert von den Erfahrungen des Krieges will der Geläuterte nach Hause zurückkehren, gerät aber unterwegs in die Fänge eines skrupellosen Chirurgen, des titelgebenden Barbierers. Für einen unbedeutenden Soldaten gehalten, muss Ariophilus dem Barbier als Versuchsobjekt herhalten, denn dieser sieht endlich die Gelegenheit gekommen, das Herz und den Blutkreislauf am lebenden Objekt zu studieren. In der folgenden Szene kommt es zu der Vivisektion des unglückseligen Soldaten.] Actus IV, Scena IV chirurgus. Ihr wißt / redliche Kerls / was ihr mir drinnen in meiner Kammer vor einen theuren Eyd abgeleget / und wie hoch ihr euch verschwohren habet / keinem einzigen Menschen / wer der auch sey / Zeit eures Lebens etwas von meinem Vorhaben und bevorstehender That zu eröfnen. Seyd ihr nun redliche Gemühter / wie ich euch dafür halte / so werdet ihr eurem Eyde treulichst nachkommen / und gäntzlich der Meynung seyn / daß / 5 daferne diese That durch euch ausbrechen solte / ihr so wohl / als ich / euren Lohn und Marter zu empfangen habet. barbirgesell. Herr / er hat sich meinetwegen nicht im geringsten zu besorgen. Ich habe zwar ein Maul / es ist aber gewöhnet / daß es schweigen kan / wenn es schweigen soll. der andere gehülfe. Habt ihr / Herr / noch einigen Zweifel gegen mich / so legt mir noch 10 einen erschreklichern Eyd vor. Dann will ich auch denselbigen ablegen. der dritte gehülfe. Ich bin so verschwiegen in anvertrauten Heimlichkeiten / daß ich / als ich noch in die Schule gieng / und meine condiscipul / auf des Praeceptors hartes zureden verrahten solte / lieber eine gute Tracht Stösse / und endlich gar einen product außstunde / als daß ich aus der Schulen geschwatzet / und die redlichen Kerls verrahten hätten. 15 15 <?page no="491"?> 000490 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 490 | 105 - Johann Sebastian Mitternacht: Trauer-Spiel der vierte gehülfe. So wenig ein Klotz oder Stein etwas von diesem Handel ausklatschen wird; so wenig werde ich etwas davon austragen oder offenbahren. Seht ihr nur getrost dran / und trauet uns. chirurgus. Auff euer Eyd / und ietzt gegebene Parole will ichs endlich wagen. So gehet hin und holet den Kerls her / sehet aber ja zu / daß ihr euch an sein Schreyen / bitten / und 20 flehen nicht kehret. (Darauf gehen sie ab / und bringen Ariophilum.) ariophilus. Ach! um Gottes willen / schonet meiner! schonet meiner! Ich hab euch ja niemals etwas gethan. barbirgesell. Hier ist kein Schonen zu hoffen. fort / fort / mein Kerlat / fort. 25 ariophilus. Was wollt ihr denn mit mir armen Soldaten machen? der andere gehülfe. Wir wollen dich schlachten. ariophilus. Ich bin ie kein Schwein nicht. der dritte gehülfe. Hast du nicht wohl ehe neben andern Soldaten gesungen: Ein Soldat und ein Mast-Schwein 30 Sollen immer lustig seyn. Denn sie wissen beyde nicht / Wenn man ihnn den Hals absticht? ariophilus. Das hab ich freylich wohl ehe gesungen. der vierdte gehülfe. Drum soll ietzt erfullet werden / was du gesungen hast. Sperre dich 35 nur nicht groß. Du kriegst sonst 14. Maulschellen nach einander / und eine zur Zugabe / daß die Mandel voll werde. ariophilus. Ach! erbarmet euch doch! erbarmet euch doch um Gottes willen / erbarmet euch doch über mich junges Blut! barbirsgesell. Ich habe nie gewust / was erbarmen sey. Barmhertzig seyn / und einen 40 Barbirer agiren / stallen nicht zusammen. ariophilus. Ihr werdet ja nicht Christenblut vergiessen. der andere gehülfe. Nicht Christenblut / sondern Soldatenblut wollen wir vergiessen. ariophilus. Die Soldaten werden ja auch Christen seyn. der dritte gehülfe. Hier ist nicht disputirenssondern schlachtens-Zeit. 45 ariophilus. Ach schonet doch meiner Eltern. der vierdte. Was gehen uns deine Eltern an? ariophilus. Lasset mich lebendig / und bringet mich nach Trient. Ich will euch 600. Kronen vor mein Leben geben. chirurgus. Was wechselt ihr viel Wort mit dem Soldaten? werffet ihn straks zu Boden. 50 Haltet ihn fest an Händen und Füssen. Kniehet auf seine Schenkel und Arme / und halte ihm einer das Maul zu. ariophilus. Ach mein Herr / ist dies das gute / das ihr mir zu thun versprochen habt? Ach vergeb euchs Gott / daß ihr mich junges Blut so grausamlich aufopfern wollet. Was hab ich euch denn zuwieder gethan? warum dürstet euch denn so sehr nach meinem Blute? 55 chirurgus. Es antworte ihm nur niemand nicht. <?page no="492"?> 000491 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 491 105 - Johann Sebastian Mitternacht: Trauer-Spiel | ariophilus. Ach hertzliebster Vater! Ach hertzliebste Mutter! Ach hertzliebster Praeceptor ! Ach was hab ich gethan? Jetzo denk ich erst an eure Worte / die ich zu unterschiedenen mahlen von euch gehöret habe. Ach daß ich doch nur so glükselig seyn solte / daß ich euch eine Abbitte thun könte! Ach hertzliebster Vater! Ach hertzliebste Mutter! Ach hertzliebster 60 Praeceptor ! chirurgus. Haltet dem Hunde das Maul zu. ariophilus. Ach! ich bitte ums jüngsten Gerichts willen / wenn ihr mich ja umbs Leben bringen wollet / gönnet mir doch einen Priester / dem ich meine grossen Sünden beichten / und absolution von ihm erlangen könne. 65 chirurgus. Bey dieser Sachen / die ich vorhabe / sind die Pfaffen nichts nütze. Sie verstehen sich auch nicht drauf. Wissen viel weniger davon / als der blinde von der Farbe. ariophilus. Ach die Angst meines Herzens ist groß! Ach schonet doch! chirurgus. Die Hertzens-angst soll dir bald benommen werden. Jetzo will ich gleich den ersten Schnitt in deine Brust thun / und dir Raum zu deinem Hertzen machen. 70 ariophilus. O ihr Steine erbarmet euch meiner / weil sich die Menschen nicht erbarmen wollen! Gute Nacht hertzliebster Vater! gute Nacht / hertzliebste Mutter! Ach daß nur mein Bruder wissen solte / wie mirs ergangen: daß er euch desto fleissiger gehorchte. chirurgus. Seht doch / seht doch / wie sich das Hertz beweget. barbirgesell. Zappele nur nicht / du guter Kerl / wenn wir dein Hertz gnug besehen 75 haben / wollen wir dich wieder gehen lassen / wo du hin wilst. (Ariophilus röchelt.) der andere gehülfe. Soll ich ihm das Maul zu halten? chirurgus. Es ist unvonnöhten. Er wird nicht mehr schreyen. So hab ich auch schon gesehen / was ich so lange begehret. Nun will ich ihm das Hertze gar heraus nehmen. 80 Sehet / so siehet des Menschen Hertz aus. Aber kommt / kommt / wir müssen den Leib begraben / ehe dann es Tag wird. (Darauf pakken sie ihn an / und tragen ihn weg.) Titel Vorwitzige] neugierige 11 erschreklichern] abschreckenden 13 condiscipul] Mitschüler Praeceptors] Lehrers 14 product] nicht ermittelt, offenbar Strafmaßnahme 16 ausklatschen] weitersagen, tratschen 19 Parole] mündliche Zusicherung, Ehrenwort 25 Kerlat] Kerle 36 Maulschellen] Ohrfeigen 37 daß die Mandel voll werde] Redensart: damit du genug hast 41 agiren] darstellen 65 absolution] Freisprechung von einem Verbrechen, Vergebung der Sünden nach der Beichte In: Mitternacht (1972), 104-109. <?page no="493"?> 000492 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 492 | 106 - Andreas Gryphius: Die Hölle 106 B.II.2.1. Andreas Gryphius (1616-1664) Die Hölle (1650) ACh! und Weh ! Mord! Zetter! Jammer / Angst / Creutz! Marter! Würme! Plagen. Pech! Folter! Hencker! Flamm! Stanck! Geister! Kälte! Zagen! Ach vergeh! Tiff’ und Höh’! 5 Meer! Hügel! Berge! Felß! wer kan die Pein ertragen? Schluck Abgrund! ach schluck’ ein! die nichts denn ewig klagen. Je und Eh! Schreckliche Geister der tunckelen Hölen / ihr die ihr martert und Marter erduldet Kan denn der ewigen Ewikeit Feuer / nimmermehr buessen diß was ihr verschuldet? 10 O grausamm’ Angst stets sterben / sonder sterben! Diß ist Flamme der grimmigen Rache / die der erhitzete Zorn angeblasen: Hir ist der Fluch der unendlichen Straffen / hir ist das immerdar wachsende Rasen: O Mensch! Verdirb / umb hir nicht zu verderben. In: Gryphius (2012), 62. 107 B.II.2.1. Andreas Gryphius Aus: Gedancken / Vber den Kirchhoff vnd Ruhestädte der Verstorbenen (1657) [Das lyrische Ich befindet sich auf einem Friedhof, den es als ,Garten‘ (vgl. 13) erfährt, der „trägt [ … ] / wornach mich verlanget“ (23), und als Ort des Lernens: ] 4. O Schul / in der die höche Kunst 25 Vns Sterblichen wird vorgetragen! In der nicht Blätter voll von Dunst / Kein Buch voll Wahn wird auffgeschlagen! Wie vbel hab ich meine Zeit In lauter Eitelkeit verschwendet! 30 Wer seine Stunden hier anwendet / Erlernt den Weg der Ewigkeit. <?page no="494"?> 000493 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 493 107 - Andreas Gryphius: Gedancken / Vber den Kirchhoff vnd Ruhestädte der Verstorbenen | [Schließlich erlebt das lyrische Ich in einer Vision die Vorboten des Jüngsten Gerichts: Die Erde bebt, reißt auf und alle Särge springen auf. In anatomischer Genauigkeit werden in vier Strophen die Gebeine der Toten beschrieben: ] 23. Der Halsvnd Rückenbeiner Rey Hangt ja noch so vnd so beysammen / Von Adern / Fell vnd Mausen frey / Die Rippen so herausser stammen 180 Beschlissen nicht mehr ihre Brust / Die Ihrer Schätze gantz entleret / Die Eingeweide sind verzehret / Verzehrt deß Busens doppel-Lust. [ … ] 27. Der Locken Schmuck fleucht vnd verfällt / Die Flechten sind verwirrt vnd stieben; 210 Kaum was die feuchte Haut anhelt / Ist vmb die öffnen Schläffe blieben! Der Augen außgeleschtes Licht Beginnt sich scheußlich zu bewegen / Durch innerlicher Würmer regen / 215 Die Nase rümpft sich vnd zerbricht. [Durch die vielfältigen Schrecken erkennt das lyrische Ich, dass beim Jüngsten Gericht viele Mächtige, „die man groß vnd heilig schätzt“ (369), durch „Gottes Außspruch“ (370) verworfen werden, während viele, „die man schmeht / verspeyt / verletzt“ (371), „zu dem grossen Reich erkohren“ (372) sind. Die Betrachtung einer Leiche zeigt ihm die Vergänglichkeit des Irdischen. Das Ich vertraut sich der Obhut des Weltenrichters an, der als Einziger „weiß, wer nach der letzten Noth Sol ewig-jauchtzen oder leiden“ (387f.).] 50. Ach Todten! Ach! was lern ich hier! Was war ich vor! was werd’ ich werden! Was ewig; bleibt vns für vnd für! 395 Vnd ich bekümmer mich vmb Erden! O lehrt mich / die ihr lieget / stehn! Daß / wenn ich Jahr vnd Zeiten schlisse / Wenn ich die Welt zum Abscheid grüsse / Mög’ auß dem Tod ins Leben gehn! 400 In: Gryphius (1964), 5-18, 199. <?page no="495"?> 000494 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 494 | 108 - Andreas Gryphius: Menschliches Elende D.4. Handschrift des Andreas Gryphius im Album des Konstantin Linderhausen 108 Andreas Gryphius Menschliches Elende (1637) WAs sind wir Menschen doch! ein Wonhauß grimmer Schmertzen? Ein Baal des falschen Glücks / ein Irrliecht dieser zeit / Ein Schawplatz aller Angst / vnnd Widerwertigkeit / Ein bald verschmeltzter Schnee / vnd abgebrante Kertzen / Diß Leben fleucht darvon wie ein Geschwätz vnd Schertzen. 5 Die vor vns abgelegt des schwachen Leibes kleid / Vnd in das TodtenBuch der grossen Sterbligkeit Längst eingeschrieben sind; sind vns auß Sinn’ vnd Hertzen: Gleich wie ein eitel Traum leicht auß der acht hinfält / Vnd wie ein Strom verfleust / den keine Macht auff-helt; 10 So muß auch vnser Nahm / Lob / Ehr vnd Ruhm verschwinden. <?page no="496"?> 000495 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 495 110 - Andreas Gryphius: Es ist alles eitell | Was itzund Athem holt; fält vnversehns dahin; Was nach vns kompt / wird auch der Todt ins Grab hin-zihn / So werden wir verjagt gleich wie ein Rauch von Winden. 2 Baal] Ball 5 fleucht] flieht 10 verfleust] verfließt In: Gryphius (1963), 9. 109 Andreas Gryphius VANITAS, VANITATUM, ET OMNIA VANITAS (1637) Es ist alles gantz eytel. Eccl. 1. v. 2. ICh seh’ wohin ich seh / nur Eitelkeit auff Erden / Was dieser heute bawt / reist jener morgen ein / Wo jtzt die Städte stehn so herrlich / hoch und fein / Da wird in kurtzem gehn ein Hirt mit seinen Herden: Was jtzt so prächtig blüht / wird bald zutretten werden: 5 Der jtzt so pocht vnd trotzt / läst vbrig Asch vnd Bein / Nichts ist / daß auff der Welt könt vnvergänglich seyn / Jtzt scheint des Glückes Sonn / bald donnerts mit beschwerden. Der Thaten Herrligkeit muß wie ein Traum vergehn: Solt denn die Wasserblaß / der leichte Mensch bestehn 10 Ach! was ist alles diß / was wir vor köstlich achten! Alß schlechte Nichtigkeit? als hew / staub / asch vnnd wind? Als eine Wiesenblum / die man nicht widerfind. Noch wil / was ewig ist / kein einig Mensch betrachten! Titel VANITAS [ … ] VANITAS] lat. Bibelzitat [Prediger Salomo, 1, 2]; von Luther frei übersetzt: „Es ist alles ganz eitel, sprach der Prediger, es ist alles ganz eitel“ [,eitel‘ im Sinne von ,nichtig‘] 5 zutretten] zertreten 10 Wasserblaß] Luftblase im Wasser 14 einig] einzig Erstfassung aus den Lissaer Sonneten (1637) In: Gryphius (1963), 7f. 110 Andreas Gryphius Es ist alles eitell (1643) DV sihst / wohin du sihst nur eitelkeit auff erden. Was dieser heute bawt / reist jener morgen ein: Wo itzund städte stehn / wird eine wiesen sein <?page no="497"?> 000496 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 496 | 111 - Andreas Gryphius: An sich Selbst Auff der ein schäffers kind wird spilen mitt den heerden. Was itzund prächtig blüht sol bald zutretten werden. 5 Was itzt so pocht und trotzt ist morgn asch vnd bein. Nichts ist das ewig sey / kein ertz kein marmorstein. Itz lacht das gluck vns an / bald donnern die beschwerden. Der hohen thaten ruhm mus wie ein traum vergehn. Soll den das spiell der zeitt / der leichte mensch bestehn. 10 Ach! was ist alles dis was wir für köstlich achten / Als schlechte nichtikeitt / als schaten staub vnd windt. Als eine wiesen blum / die man nicht wiederfindt. Noch wil was ewig ist kein einig mensch betrachten. 5 zutretten] zertreten Überarbeitete Fassung aus der Sammlung Sonnete. Das erste Buch (Leiden 1643) In: Gryphius (1963), 33f. 111 Andreas Gryphius An sich Selbst (1643) Mir grawet vor mir selbst / mir zittern alle glieder, Wen ich die lipp’ vnd naß’ vnd beider augen kluft, Die blindt vom wachen sindt / des athems schwere luft Betracht / vndt die nun schon erstorbnen augen-lieder: Die zunge, schwartz vom brandt felt mitt den worten nieder / 5 Vndt lalt ich weis nicht was; die müde Seele ruft / Dem grossen Tröster zue / das Fleisch reucht nach der gruft / Die ärtzte lassen mich / die schmertzen kommen wieder / Mein Cörper ist nicht mehr als adern / seel / vndt bein. Das sitzen ist mein todt / das liegen meine pein. 10 Die schenckel haben selbst nun träger woll von nöthen! Was ist der hohe ruhm / vndt jugendt / ehr vnd kunst? Wen diese Stunde kompt: wirdt alles rauch vndt dunst. Vnd eine noth mus vns mitt allem vorsatz tödten. 7 grossen Tröster] Christus reucht] riecht 11 woll] wohl In: Gryphius (1963), 61. <?page no="498"?> 000497 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 497 113 - Andreas Gryphius: Threnen des Vatterlandes / Anno 1636 | 112 B.II.2.1. Andreas Gryphius Trawrklage des verwüsteten Deutschlandes (1637) WIr sind doch numehr gantz / ja mehr alß gantz vertorben. Der frechen Völcker schar / die rasende Posaun / Daß vom Blutt feiste Schwerd / die donnernde Carthaun / Hat alles diß hinweg / was mancher sawr erworben / Die alte Redligkeit vnnd Tugend ist gestorben; 5 Die Kirchen sind vorheert / die Starcken umbgehawn / Die Jungfrawn sind geschänd; vnd wo wir hin nur schawn / Jst Fewr / Pest / Mord vnd Todt / hier zwischen Schantz vnd Korb Dort zwischen Mawr vnd Stad / rint allzeit frisches Blutt Dreymal sind schon sechs Jahr als vnser Ströme Flutt 10 Von so viel Leichen schwer / sich langsam fortgedrungen. Jch schweige noch von dehm / was stärcker als der Todt / (Du Straßburg weist es wol) der grimmen Hungers noth / Vnd daß der Seelen-Schatz gar vielen abgezwungen. 3 feiste] fette, triefende Carthaun] Kartaune, schweres Geschütz des 15. und 16. Jhs. 6 vorheert] verheert, verwüstet, zerstört 8 Schantz] Schanze, Befestigung aus aufgeworfener Erde Erstfassung aus den Lissaer Sonneten (1637) In: Gryphius (1963), 19. 113 B.II.2.1. Andreas Gryphius Threnen des Vatterlandes / Anno 1636 (1643) WIr sindt doch nuhmehr gantz / ja mehr den gantz verheret! Der frechen völcker schaar / die rasende posaun / Daß vom blutt fette schwerdt / die donnernde Carthaun / Hatt aller schweis / vnd fleis / vnd vorrath auff gezehret. Die türme stehn in glutt / die Kirch ist vmbgekehret. 5 Das Rahthaus ligt im graus / die starcken sind zerhawn. Die Jungfrawn sindt geschändt / vnd wo wir hin nur schawn Jst fewer / pest / vnd todt der hertz vndt geist durchfehret. Hier durch die schantz vnd Stadt / rint alzeit frisches blutt Dreymall sindt schon sechs jahr als vnser ströme flutt 10 <?page no="499"?> 000498 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 498 | 114 - Andreas Gryphius: Abend Von so viel leichen schwer / sich langsam fortgedrungen. Doch schweig ich noch von dem was ärger als der todt. Was grimmer den die pest / vndt glutt vndt hungers noth Das nun der Selen schatz / so vielen abgezwungen. 3 fette] triefende, strotzende Carthaun] Kartaune, schweres Geschütz des 15. und 16. Jhs. 5 vmgekehret] zu Boden geworfen, zerstört 9 schantz] Schanze, Befestigung aus aufgeworfener Erde Überarbeitete Version aus der Sammlung Sonnete. Das erste Buch (Leiden 1643) In: Gryphius (1963), 48. 114 Andreas Gryphius Abend (1650) DEr schnelle Tag ist hin / die Nacht schwingt jhre fahn / Vnd führt die Sternen auff. Der Menschen müde scharen Verlassen feld vnd werck / Wo Thier vnd Vögel waren Trawrt jtzt die Einsamkeit. Wie ist die zeit verthan! Der port naht mehr vnd mehr sich / zu der glieder Kahn. 5 Gleich wie diß licht verfiel / so wird in wenig Jahren Ich / du / vnd was man hat / vnd was man siht / hinfahren. Diß Leben kömmt mir vor alß eine renne bahn. Laß höchster Gott mich doch nicht auff dem Laufplatz gleiten / Laß mich nicht ach / nicht pracht / nicht lust / nicht angst verleiten. 10 Dein ewig heller glantz sey vor vnd neben mir / Laß wenn der müde Leib entschläfft / die Seele wachen Vnd wenn der letzte Tag wird mit mir abend machen / So reiß mich auß dem thal der Finsternuß zu Dir. 5 port] Hafen In: Gryphius (1963), 66. <?page no="500"?> 000499 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 499 115 - Christoph Kaldenbach: [Vorrede zu: ] Babylonischer Ofen | 115 B.II. Christoph Kaldenbach (1613-1698) [Vorrede zu: ] Babylonischer Ofen (1646) Edle / Ehrenveste / Groß-Achtbare / Hochvnd Wolgelahrte / Wolweise / Insonders Vielgeehrte Herren / vnd Mächtige Beförderer / Im fall hiesige Bletter / von den Börnsteinreichen Samen abgefertiget / so bald sie in die Gemeinschafft so ansehnlicher Hände vnd Augen gebracht / eine Röthe ihrem Poeten entlehnen / vnd an sich nemen werden: bitte ich / solche nicht anders / als / wie Diogenes an 5 einem Jüngling eh gethan / für eine Farbe der Tugend zu deuten. Denn wie mag ich ohne Entfärbung dieser Wangen / bey annoch so zarter Jugend der Deutschen Poe¨sie / (damit ich meiner selbst geschweige) zu derselben Art der Getichte mich bekennen / welche / gleich wie sie gemeiniglich von den Edelsten vnd fürtrefflichsten Leuten geübet / also jederzeit für eine der höchsten vnd vollkommensten gehalten worden? Und zwar / man sehe entweder an die 10 Personen / so in dergleichen Trawerspielen auffgeführet werden; oder die Geschichte vnd Händel / so ihnen zukommen; oder auch die Redens-Art / vnd Hoheit der Sprüche vnd Wörter / die sie erfordern: so ereuget sich vnschwer von allen Theilen deroselben Vorzug für andern Getichten. Also / daß eben dasselbe bey den Poe¨ten eine Tragoedie mit recht ihr zuschreibet / was ein Poe¨t sonst bey den Gelehrten. Worinnen dann daß insonderheit die 15 alten Griechen vnd Römer es so hoch gebracht / desto minderer Verwunderung von nöthen / je grösser der Fleiß gewesen / den sie hierauff geleget; vnd die Belohnung / so dißfals ergangen. Dann / anderer Poe¨tischen Schrifften vorjtzo nicht zu gedencken / wer siehet nicht fürs erste / mit welcher Embsigkeit die Tragoedien geschrieben worden / wenn er so grosse Anzahl einem vnd dem andern Poe¨ten zugeschrieben lieset / deren doch so wenig das Glück gehabt / 20 auff offentlichen Kampffspielen zu gefallen / oder zu siegen? Aeschylus / ob ihn schon einen Vater der Tragoedien sein erlösetes Vaterland / dessen Vater er zugleich heissen kundte / nennete / hat er doch von 90. Tragoedien nur mit 28. den Preiß behalten. Und scheinet doch Aeschylus glückselig zu seyn / wann er in Vergleichung der anderen kommet / die zwar mehr geschrieben / aber weniger gefallen. So hat Astydamas jhrer 240. herauß gegeben / vnd mit 15. 25 nur gewonnen; Choerilus von Athen 150: der mit 13. nur bestanden; Eripides 92 : dem es mit 15. oder / wie Suidas wil / mit 5. nur gelungen. Wiewol bey diesem letzten die Mißgunst der Richter die gröste Schuld gehabt. Sophocles / der Fürst dieser Getichte / dem wegen seiner Liebligkeit im reden der Name einer Bienen worden / vnangesehen er sich mit 123. Tragoedien hervorgethan / haben doch die 23. nur den Krantz jhrem Poe¨ten erworben: die andern 30 sind vngeehret blieben. Des Sosiclis / Aristarchi / Carcini / vnd Pratinae zu geschweigen / deren der erste von 73. sieben; der ander von 70. zwey; der dritte von 160. eine; der vierdte von vnzehlbahren auch nur eine angebracht. Was sage ich nun von der Ehr vnd Belohnung / so dieser Art Scribenten jederzeit gefolget? Phrynichus / vmb daß er in einer Tragoedien die Verse recht auff Kriegerisch gesetzet / ist er zu einem Feld-Obersten von den Atheniensern 35 erwehlet worden. Bey denen auch die offentlich gesetzten Ehrenseulen bezeuget / wie viel die obberührten Aeschylus vnd Sophocles jhnen gegolten. Ich schweige / was den Tragischen <?page no="501"?> 000500 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 500 | 115 - Christoph Kaldenbach: [Vorrede zu: ] Babylonischer Ofen Poe¨ten / vnd deroselben Agenten Könige vnd Fürsten für Gunst vnd Geschencke entlehnet. Wie insonderheit dem Choerilo Lysander / vnd dem Euripidi Archelaus gethan. Welcher letzte / als er eins mahls vom Euripide gebeten / eine Tragoedie von jhm zu schreiben / hat 40 jhm der Poe¨t geantwortet: Solch Ubel verhüte Jupiter: beständige Glückseligkeit / die sich in Tragoedien nicht schicket / hiermit dem Könige wündschend. Und ist jhnen solche Ehre nicht allein bey Lebens Zeiten / sondern auch / vnd zwar allermeist / nach jhrem Tode widerfahren. Also hat der Grosse Alexander des Theodectis Ehrenseule / der bey Einweihung des Grabes Mausoli / dessen Namens er auch eine Tragoedie geschrieben / sol das beste 45 gethan haben / auff offentlichem Marckt in Lycien / als er im Anzug wider die Persen so weit gekommen / gekrönet / vnd mit gewöhnlichen Solenniteten demselben parentiret. So ist auch nicht vnbekandt / welchen Reichthumb der Tragoedienspieler Aesopus / der gleich dem Roscio sonst mit dem Cicerone gute Freundschafft gehalten / gesamlet / vnd seinem Sohne dem Apitio hinterlassen; von welchem zwar gezweiffelt wird / ob er den Vater / oder der Vater 50 jhn in leckerhaffter Verschwendung übertroffen. Doch scheinet fast nichts zu seyn / welches das Lob der Tragischen Getichte mehr darthue vnd beweise / als daß sie / bevorab bey den Griechen / andern Ritterlichen Ubungen gleich / auff offentlichen Kampffspielen / die sie zu Olympien / zu Delphis / vnd anderswo / dem Jovi / Baccho / Apollini / Neptuno / vnd andern Göttern zu Ehren gehalten / Platz gefunden. Denn / ob schon auch anderer Art Poe¨ten 55 allhier gehöret vnd geehret worden / sind doch die Tragoedien vmb so viel lieber gewesen / weil solche Spiele mehrentheils zum Gedächtniß trawriger Todesfälle angestellet worden. Von den Griechen ist deroselben Preiß / wie sonst vieler andern Dinge / wiewol etwas später / in Italien kommen: vnd zwar mit so viel grösserm Auffwachs / je mehr es an Macht vnd Tapfferkeit den Griechen die Römer zuvorgethan. Und sol insonderheit Nero die fünffjährigen 60 Schawspiele aus Griechenland zu erst nach Rom gebracht / vnd dem Jovi Capitolino zugeweyhet haben; auff welchen zugleich Mars vnd Apollo jhre Ubungen gehabt; vnd dieser zwar in Lateinischer Sprache / so wol frey / als gebunden. Denen gleich auch zu Neapels gehalten worden; wie denn auch zu Leon in Franckreich / woselbsten in Griechischer so wol / als Lateinischer Beredtsamkeit jhre Kräffte zu versuchen / den Gelehrten Caligula nachmals frey 65 gegeben. Wiewol aber auch in Lateinischer Sprache nicht weniger / als in Griechischer viel Tragoedien geschrieben: hat doch den grösten Theil derselben vns die Zeit mißgönnet. Unter denen / die auff vns bracht / sind insonderheit des Senecae berühmt; (welchen Namen vnterschiedlichen Trawerspielen die Gelehrten recht zuzulegen wissen.) Welche dann auch bey den Alten schon so viel gegolten / dz / je mehr Verß einer aus denselben herzusagen wissen / je 70 gelehrter man jhn gehalten. Gleich wie nun der Werth einer guten Tragoedien vor Jahren dermassen groß gewesen: also ist auch nicht wunder / daß durch erfolgten Fleiß mit der Zeit so viel schöner Tragoedien hervor gekommen / die wir jtzo mehr preisen / als nachschreiben können. Denn gleich wie durch den Wind eine Fewersbrunst: also werden durch erhaltenes Lob vnd Lohn die freyen Künste gleichsam auffgeblasen vnd befördert. Mit welcher Begier 75 müssen gleichsam angeflammet die Tragischen Poe¨ten / von der Artemisia beruffen / vmb jhr Mausoleum zu ehren / zusammen kommen seyn? deren sie zwar in die hundert vnd drey vnd achtzig gezehlet. Welchen Zulauff muß Ptolemaeus / der Stiffter so berühmter Bibliotheck / an seinem Hof zu Alexandrien gespüret haben / als er daselbst den Gelehrten einen offenen <?page no="502"?> 000501 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 501 115 - Christoph Kaldenbach: [Vorrede zu: ] Babylonischer Ofen | Streit außgeschrieben? So wird es auch bey Theseus Grabe an vnseren Poeten nicht gemangelt 80 haben / als sie dahin die Athenienser zu gleichem Kampff eingeladen. Unsere Zeiten zu berühren / so haben zwar / nach dem in verflossener hundertjährigen Frist die freyen Künste wiederumb in etwas empor kommen / auch die statlichsten Gemüter an diese Art zu schreiben sich gewagt; vnter denen dann anderer zu geschweigen / Heinsius / Grotius / Zevecotius leicht die Oberstelle verdienen: ist aber mehrentheils nur / mit solchen Tragoedien zwar / die 85 bastand weren / in Lateinischer Sprache geschehen. Die Deutschen / wie sie zur Richtigkeit vnd Zier jhrer Muttersprachen fast langsam gekommen; also haben sie solcher Getichte / die etwan den Alten gleich kemen / eigener Erfindung meines Wissens noch zur Zeit wenig auffzuweisen. Wannenhero ich dann mit hiesiger Tragoedien an mich zu halten desto mehr veranlasset were / wo ich nicht gedacht hette / daß in Versuchung einer gefährlichen Furt / 90 durch welche etwan einem gantzen Heer glücklich nachzusetzen / dem jenigen / der den ersten Antrit thut / es gerahte mit jhm / zu welchem Außgang es wolle / dennoch so fern sein Lob nicht könne entzogen werden. Was sonst die Richtigkeit der Verse betrifft / so verneine ich zwar nicht / daß ich in einem vnd dem andern dem Gebrauch vnd Gesetzen vnserer Poeten entgegen komme: bitte aber solches für keine Unwissenheit anzunehmen / welches 95 mit wolbedachtem Rath beliebet. Daß ich nun solche Tragoedie E. E. Groß-A. vnd W. zuzuschreiben mich vnterwinden dürffen / ist nicht allein darumb geschehen / alldieweil deroselben weitberühmte Anseevnd Handel-Stadt vielen andern / in deren einer mir anjtzo bey Ruinirung meineß höchst gewündschten Vaterlandes zu hausen vergönnet / weit vorgehet: sondern auch / weil kegenwertiger Herr Andraeas Gärtner / durch dessen Hand solche 100 Tragoedie bey E. E. Groß-A. vnd W. eingehändiget wird / vnd dem in Praesentirung anderer Schawspiele allhier zu Königsberg schon nicht ein geringes Lob entstanden / nach erlangeter Vollmacht dieselbe vor jhren Augen mit dazu gehörigem Schmuck vnd gebührlicher Zubereitung zu spielen versprochen. Bitte nur / solchem Ansinnen bey sich geneigten Raum vnd Platz zu vergönnen: Und / gleich wie ich / nach hertzlichem Wundsch aller selbst gewünd- 105 schten Ersprießligkeit / mein geringes Vermögen forthin zu deroselben Schuldigkeit gantz verknüpffe / also ins künfftige zuzugeben / daß ich seyn vnd heissen möge Königsberg / den 3. Sept. 1646. E. E. Groß-A. vnd W. höchst befliessener Diener Christoff Kaldenbach / der Altstädt. Schulen daselbst ProR[ektor]. 3 von den Börnsteinreichen Samen abgefertiget] mit ,bernsteinreichen Samen‘ ist wohl das harzreiche Holz gemeint, aus dem feines Buchpapier gewonnen wird 4f. eine Röthe ihrem Poeten entlehnen] ihren Autor erröten lassen 5f. Diogenes an einem Jüngling eh gethan] Diogenes von Sinope, griech. Philosoph; er soll einen errötenden Knaben mit den Worten ermutigt haben, „Mut, mein Sohn, das ist die Farbe der Tugend“ (Diog. Laert. de clarorum philosophorum vitis 6, 54) 13 ereuget sich] wird ersichtlich, offenbar 21 offentlichen Kampffspielen] im Rahmen der Dionysien, Festspielen zu Ehren des Gottes Dionysos, wurden im antiken Athen mehrtägige Tragödienwettbewerbe (tragische Agone) abgehalten; die erhaltenen Siegerlisten sind wichtige Quellen der Forschung Aeschylus] Aischylos, griech. Dramatiker. Mit Sophokles und Euripides Teil des „attischen Dreigestirns“ der drei bedeutendsten antiken Tragödiendichter 23 von 90. Tragoedien [ … ] behalten] Aischylos werden insgesamt zwischen 70 und 90 Dramen (nicht nur Tragödien, sondern auch Komödien und Satyrspiele) zugeschrieben. Zu Lebzeiten siegte er 13 Mal im Agon; die Suda (s. u.) zählt 28 Siege, zu denen wohl auch die posthumen Ehrungen zählen 25 Astydamas] Astydamas der Jüngere, griech. Dramatiker, dem die Suda 240 Dramen und 15 Siege zuschreibt 26 Choerilus von Athen] Choirilos von Athen, griech. Dramatiker Eripides] Euripides, griech. Dramatiker 27 Suidas] sagenhafter Verfasser der Suda, des umfangreichsten erhaltenen byzantinischen Lexikons <?page no="503"?> 000502 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 502 | 115 - Christoph Kaldenbach: [Vorrede zu: ] Babylonischer Ofen (10. Jh.) 28 Sophocles] Sophokles, griech. Dramatiker 29 Name einer Bienen] wegen der Qualität („Süße“) seiner Werke wurde Sophokles, wie viele andere antike Dichter, mit einer Biene verglichen 31 Sosiclis / Aristarchi / Carcini / vnd Pratinae] griech. Dramatiker: Sosiphanes, Sohn des Sosikles; Aristarchos von Tegea; Karkinos von Thorikos; Pratinas 34 Phrynichus] Phrynichos ist der Name sowohl eines athenischen Tragikers (6. Jh.) als auch eines athenischen Politikers und Heerführers (5. Jh.); hier liegt wohl eine Verwechslung vor 39 dem Choerilo Lysander] Choirilos von Samos, griech. Epiker, der an einem Agon zu Ehren des spartanischen Staatsmannes Lysander teilnahm Euripidi Archelaus] der griech. Tragödiendichter Euripides lebte in seinen letzten Jahren am Hofe des makedonischen Königs Archelaos I., zu dessen Ehren er ein fragmentarisch überliefertes Drama schrieb 44 Grosse Alexander] Alexander der Große, makedonischer König und berühmter Eroberer, der sein Reich über Persien bis nach Indien ausdehnte Theodectis] Theodektes, griech. Rhetoriker und Tragödiendichter aus Lykien; seine Statue soll nach Plutarch von Alexander dem Großen mit Ehrenkränzen bekrönt worden sein (Plut. Alexandros 17,9,674a) 45 Mausoli] Maussolos, persischer Satrap (Provinzfürst), der sich in Halikarnassos ein prächtiges Grabmal, das Maussoleion (Mausoleum), errichten ließ. Theodektes schrieb ihm zu Ehren eine gleichnamige Tragödie, die bei seiner Leichenfeier aufgeführt wurde 46 Lycien] Lykien, Region im Südwesten Kleinasiens 47 Solenniteten] Festakte parentiret] von lat. parentare, ,Totenopfer darbringen‘ 48 Aesopus] nicht der griech. Fabeldichter Äsop, sondern Clodius Aesopus, ein berühmter und reicher röm. Tragödienschauspieler zur Zeit Ciceros 49 Roscio] Quintus Roscius Gallus, berühmter röm. Schauspieler, der Cicero rhetorischen Unterricht erteilte Cicerone] Marcus Tullius Cicero, röm. Philosoph und Diplomat, gilt als Inbegriff der Beredsamkeit 50 Apitio] der Sohn des Clodius Aesopus hieß Marcus Clodius Aesopus. Hier wird er wohl mit Caelius Apicius, dem Autor eines röm. Kochbuches aus dem 4. Jh. verwechselt 51 leckerhaffter] maßloser 54 Olympien] die olympischen Spiele, das größte Sportfest der Antike, wurden zu Ehren des Zeus im Hain von Olympia abgehalten Delphis] Delphi, Stätte des berühmten Apollon-Orakels; dort wurden auch die Pythischen Spiele zu Ehren dieses Gottes abgehalten Jovi] Form von Jupiter, dem lat. Namen für den Göttervater Zeus Baccho] Bacchus, Gott des Weines, des Rausches und der Fruchtbarkeit Apollini] Apoll, Gott der Künste und der Dichtkunst Neptuno] Neptun, Gott des Meeres; ihm zu Ehren wurden bei Korinth die Isthmischen Spiele abgehalten 59 in Italien] nach Italien; Nachbildung der lat. Konstruktion (in Italiam) Auffwachs] Wachstum, Steigerung 61 Jovi Capitolino] Iuppiter Optimus Maximus Capitolinus, nach dem Haupttempel Jupiters auf dem Kapitol in Rom. Kaiser Nero konzipierte die Neronischen Spiele nach dem Vorbild des griech. Wettbewerbs, aber in einem fünfjährigen Turnus. Sie wurden allerdings nur zweimal abgehalten. Die Kapitolinischen Spiele zu Ehren des Iuppiter Capitolinus hingegen wurden nicht von Nero, sondern von Domitian instituiert 62 Mars] Gott des Krieges 64 Leon in Franckreich] Lyon; nach Sueton soll Caligula dort einen rhetorischen Wettbewerb abgehalten haben, bei dem die Teilnehmer zwischen Griechisch und Lateinisch wählen durften (Suet. Cal. 10) 65 Caligula] Gaius Caesar Augustus Germanicus, röm. Kaiser, in der Antike zum Prototypen des wahnsinnigen Herrschers stilisiert; der Name (,Stiefelchen‘) wurde ihm von seinen Soldaten gegeben 68 Senecae] Lucius Annaeus Seneca, röm. Philosoph und Erzieher Neros; er verfasste auch Tragödien 76 Artemisia] Artemisia, Frau des Maussolos und nach dessen Tod seine Nachfolgerin in der Herrschaft. Zur Vollendung des Maussoleion ließ sie berühmte griech. Künstler kommen 78 Ptolemaeus] Ptolemaios I., einer der Feldherren (Diadochen) Alexanders, der nach dessen Tod die Herrschaft über Alexandria übernahm. Begründer der ägyptischen Herrscherdynastie der Ptolemäer berühmter Bibliotheck] die Bibliothek von Alexandria, entstanden kurz nach der Gründung der Stadt, war die größte und bedeutendste Bibliothek der Antike 79 Alexandrien] Alexandria, Stadt in Ägypten, die von Alexander dem Großen gegründet wurde 80 Theseus] Held aus der griech. Mythologie, am bekanntesten ist sein Kampf mit dem Minotauros auf Kreta. In der Spätantike glaubte man, seine Gebeine seien im Dionysostempel in Athen bestattet, den man daher auch als Theseion bezeichnete. Auch dort wurden Agone abgehalten 84 Heinsius] Daniel Heinsius, niederländischer Gelehrter der Renaissance Grotius] Hugo Grotius, niederländischer Theologe und Rechtsgelehrter der Renaissance Zevecotius] Jacob van Zevecote, niederländischer Dichter 86 bastand] imstande 90 Furt] flache Stelle im Fluss, die zur Überquerung genutzt werden kann 96 E. E. Groß-A. vnd W] „Edle / Ehrenveste / Groß-Achtbare / Wohlgelahrte“ Adressaten der Widmung (s. o.) 98 Ansee] Hanse- 100 kegenwertiger] gegenwärtiger Andraeas Gärtner] Andreas Gärtner, Modellmeister am kurfürstlichen Hof von Sachsen, der im Umkreis der „Kürbishütte“ auch an der Realisation von Theaterproduktionen beteiligt war In: Kaldenbach (1977), 14-16. <?page no="504"?> 000503 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 503 116 - Andreas Gryphius: [Vorrede zu: ] Leo Armenius, oder Fürsten-Mord. Trauerspiel | 116 B.II.2.3.1. Andreas Gryphius [Vorrede zu: ] Leo Armenius, oder Fürsten-Mord. Trauerspiel (1650) Großgünstiger Leser. JNdem vnser gantzes Vaterland sich nuhmehr in seine eigene Aschen verscharret / und in einen Schawplatz der Eitelkeit verwandelt; bin ich geflissen dir die vergänglichkeit menschlicher sachen in gegenwertigem / und etlich folgenden Trauerspilen vorzustellen. Nicht zwar / weil ich nicht etwas anders und dir villeicht angenehmers unter Händen habe: Sondern weil 5 mir noch dieses mal etwas anders vorzubringen so wenig geliebet / als erlaubet. Die Alten gleichwohl haben diese Art zu schreiben nicht so gar geringe gehalten / sondern als ein bequemes Mittel menschliche Gemütter von allerhand unartigen und schädlichen Neigungen zu säubern / gerühmet; Wie zu erweisen unschwer fallen solte / wenn nicht andere vor mir solches weitläuftig dargethan / vnd ich nicht Eckel trüge / dieses zu entdecken / was 10 niemand verborgen. Vil weniger bin ich gesonnen mit prächtigen und umbschweiffenden Vorreden dieses zu rühmen / was frembden Urtheilen nuhmmehr untergeben wird. Böse Bücher werden durch kein Lob gebessert / und angeborne Schönheit bedarff keiner Schmincke. Gleichwol muß ich nur erinnern das / wie vnser Leo ein Grichischer Kayser / also auch viel seinem Leser auffweisen wird / was bey jetzt regierenden Fürsten / theils nicht 15 gelobet / theils nicht gestattet wird. Den gantzen verlauff seines Vntergangs erklären umbständlich Cedrenus vnd Zonaras. Welche nicht nur von seinem Tode schier mit einer Feder schreiben / sondern auch so eigentlich alles entwerffen / daß nicht vonnöthen gewesen viel andere Erfindungen einzumischen. Was man in selbigen Oertern auff Träume / Gesichter / frembde Bilder / und derogleichen 20 gehalten: weisen alle dieser Völcker Geschichten aus. Ja mir selbst ist noch vor wenig Jahren ein ziemlich Buch vol frembder Gemälde zukommen / aus welchem etliche denen das Gehirne mit erforschung zukünfftiger Dinge schwanger / nicht wenig (ihrer Einbildung nach) von wieder Eröberung der vorhin herrlichen / nuhmehr (leider! ) dienenden Stadt / dem Vntergang des Türcken / Einigkeit der Christen in Glaubenssachen und allgemeinen Bekeh- 25 rung der Juden gelernet. Darff derowegen Niemand für gantz eitel halten / was gedachte Zonaras und Cedrenus und wir aus ihnen von etwa dergleichen Buch erwehnen. Auch ist so unerhört nicht; daß man durch Vorwendung geheimer Offenbarungen / Auffruhr und Krieg stiffte / Königreich und Zepter an sich reisse / ja gantze Länder mit Blut als einer newen Sündfluth überschwemme. Nicht nur Europa, gantz Asien und Africa werden für ein Beyspiel 30 dieser Warheit wol hundert geben / und in der Neuen Welt ist diese Pest so wenig / als bey uns neue unter dem Schein deß Gottes dienstes / (wie Michael vnd seine Bundgenossen) ungeheure Mord und Bubenstück ins werck zu richten. Daß der sterbende Kayser / bey vor Augen schwebender Todes Gefahr ein Creutz ergriffen / ist unlaugbar: daß es aber eben dasselbe gewesen / an welchem unser Erlöser sich geopffert / saget der Geschichtschreiber nicht / ja 35 vielmehr wenn man seine Wort ansiehet / das Widerspiel; gleichwol aber / weil damals die übrigen Stücker des grossen Söhn-Altares oder (wie die Griechen reden) die heiligen Hölt- <?page no="505"?> 000504 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 504 | 116 - Andreas Gryphius: [Vorrede zu: ] Leo Armenius, oder Fürsten-Mord. Trauerspiel zer / zu Constantinopel verwahret worden: haben wir der Dichtkunst / an selbige sich zu machen / nachgegeben / die sonsten auff diesem Schauplatz ihr wenig Freyheit nehmen dürffen. Die jenigen welche in diese Ketzerey gerathen / alß könte kein Trauerspiel sonder 40 Liebe und Bulerey vollkommen seyn: werden hierbey erinnert / daß wir diese / den Alten unbekandte Meinung noch nicht zu glauben gesonnen / und desselben Werck schlechten Ruhms würdig achten / welcher unlängst einen heiligen Märterer zu dem Kampff geführet / und demselben wider den Grund der Warheit eine Ehefrau zu geordnet / welche schier mehr mit ihrem Bulen / als der Gefangene mit dem Richter zu thun findet / und durch Mitwürck- 45 ung ihres Vatern eher Braut als Wittbe wird. Doch umb daß wir derselben Gunst nicht gantz verlieren; versichern wir sie hiermit / daß auffs eheste unser Chach Abas in der bewehrten Beständigkeit der Catherine von Georgien reichlich einbringen sol / was dem Leo nicht anstehen können. Welcher da er nicht von dem Sophocles oder dem Seneca auffgesetzet / doch unser ist. Ein ander mag von der Außländer Erfindungen den Nahmen wegreissen und 50 den seinen darvor setzen! Wir schliessen mit denen Worten / die jener weitberühmbte und lobwürdigste Welsche Poet über seinen Vördergiebel geschrieben: Das Hauß ist zwar nicht groß: doch kenn’t es mich allein: Es kostet Frembde nichts: es ist nur rein und mein. 2 JNdem [...] verwandelt] gemeint sind die Zerstörungen des bei der Abfassung des Dramas noch nicht beendeten Dreißigjährigen Krieges 3 Eitelkeit] Vergänglichkeit, Vergeblichkeit des Weltlichen 6 geliebet] beliebt 6-9 Die Alten [...] zu säubern] Anspielung auf das Konzept der Katharsis aus der aristotelischen Poetik 10 entdecken] aufzudecken 11 umbschweiffenden] ausführlichen 12 untergeben] unterworfen 14 Leo] Leo V., Kaiser von Byzanz, der aufgrund seiner Religionspolitik am Weihnachtsabend 820 in der Kapelle des Palastes ermordet wurde Grichischer Kayser] das byzantinische Reich, das aus dem Oströmischen Reich hervorging, war stark von der griech. Kultur und Sprache geprägt; der Begriff stammt aus der modernen Forschung, der zeitgenössische lateinischsprachige Westen Europas bezeichnete die Byzantiner als Griechen 16f. umbständlich] ausführlich 17 Cedrenus und Zonaras] Georgios Kedrenos und Johannes Zonaras, byzantinische Geschichtsschreiber des 11. und 12. Jhs., in deren Werken auch der Tod Leos V. beschrieben wird 20 Gesichter] Erscheinungen 22 ziemlich] stattliches 24 wieder Eröberung [...] Stadt] Konstantinopel (Byzanz) wurde 1453 vom Osmanischen Reich erobert vorhin] früher 28 durch Vorwendung] unter dem Vorwand 32 Michael] Michael Psellos, (,der Stotterer‘) Gegner Leos V., der nach dessen Ermordung als Michael II. byzantinischer Kaiser wurde. Im Stück mit seinem lat. Beinamen Michael Balbus genannt 34 unlaugbar] nicht zu leugnen 37 Stücker des grossen Söhn-Altares] Sühne-Altars, das Heilige Kreuz bzw. Wahre Kreuz Christi 47 Chach Abas] Schah Abbas I., persischer Herrscher, der in Gryphius’ Märtyrerdrama Catharina von Georgien oder Bewehrete Beständigkeit in die titelgebende Herrscherin verliebt ist 48 Catherine von Georgien] Catharina von Georgien, Königin von Georgien, Hauptfigur in Gryphius’ gleichnamigem Drama 49 anstehen] ziemen Sophocles] Sophokles, antiker griech. Dramatiker Seneca] Lucius Annaeus Seneca, röm. Philosoph und Erzieher Neros, der auch Tragödien verfasste 52 Welsche Poet] italienische Dichter, gemeint ist Ludovico Ariosto, der an seinem Haus in Ferrara das Distichon anbringen ließ: Parva, sed apta mihi, sed nulli obnoxia, sed non sordida, parta meo, sed tamen aere domus [,Klein, aber passend für mich, niemandem zinsbar, hübsch, und mit meinem Geld erworben‘] In: Gryphius (1991), 11-13, 894f. <?page no="506"?> 000505 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 505 117 - Andreas Gryphius: Cardenio und Celinde oder Unglücklich Verliebete. Trauer-Spiel | 117 B.II.2.3.3. Andreas Gryphius Aus: Cardenio und Celinde oder Unglücklich Verliebete. Trauer-Spiel (1657) [Cardenio liebt Olympia und Celinde liebt Cardenio. Aufgrund unglücklicher Umstände scheint die Liaison zwischen Olympia und Cardenio gescheitert, woraufhin Cardenio sich auf eine Liebschaft mit Celinde einlässt, die er jedoch bald bereut und beendet. In der ersten Szene aus dem zweiten Akt sehen wir die soeben zurückgewiesene Celinde, deren Liebeskummer sie zum Äußersten treibt. In den beiden folgenden Szenen aus dem vierten Akt versucht eine Geistererscheinung in Olympiens Gestalt, Cardenio davon abzuhalten, seinem Widersacher Lysander, Mitbewerber um Olympiens Gunst, etwas anzutun.] Die Andere Abhandelung Der Schaw-Platz bildet einen Lust-Garten ab. celinde singend vnd spielend auff der Laute. Fleuch bestürtzter Fürst der Sternen Meiner Seelen Lust vnd Ruh! Eilt von mir sich zu entfernen. Himmel steht jhr dieses zu! Vberfällt mich diese Pein! 5 So verkehrt sich mein entseelter Leib in Stein. Falscher! hat mein feurig lieben Nie dein frostig Eiß erweicht Hab ich diese Klipp erreicht Auff der mein Hertz gantz zutrieben 10 Vnd durch dein verkehrt Gesicht In verzweiffelns-Sturm auff tausend Stücken bricht. Flisst jhr herben Threnen-Bäche / Lescht der Augen Fackeln auß / Deß gekränckten Leibes Hauß 15 Sinckt vnd stürtzt. Ich selbst zubreche / Weil der Donner vmb mich kracht / Vnd mich in dem nun / zur Handvoll Aschen macht / Fleuch mein Geist! fleuch vnd verschwinde Eh die raue Stund ankömmt 20 Die mir Zeit vnd Leben nimmt Daß ich mich nicht in mir finde! <?page no="507"?> 000506 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 506 | 117 - Andreas Gryphius: Cardenio und Celinde oder Unglücklich Verliebete. Trauer-Spiel Macht daß meine Seel entreist! Was verzeuchst du mehr durch auß verwäister Geist. Sie reist die Seiten von der Lauten / vnd wirfft sie von sich. Fleuch Geist / fleuch. Kont ich mich der Vntrew je vermutten! 25 So hätt ich mir gewüntscht / durch schwitzen / tod zu blutten / Durch Flammen zu vergehn! auff Felsen auß der Höh Zusplittern Brust vnd Bein / in nie erdachtem Weh Zu suchen meinen Tod: Es hätte mich der Degen Der dich Marcell erstieß auch müssen niederlegen: 30 Marcell ach! der du mich nur gar zu trew geliebt / Den mehr Celindens Angst / denn eigner Tod betrübt! Komm blasser Geist komm vor / auß deiner Ruhe-Kammer / Vnd schaw auff deine Rach’ vnd meiner Seelen Jammer. In den ohn eine Schuld mich der Verräther setzt; 35 Der vmb Celinden dich voll Eifers hat verletzt. Ha grimmer-grauser Mensch! zu meinem Ach geboren! Durch den ich Freyheit / Lust / Trost / Ruh vnd mich verloren / Vnd nur zu meiner Pein in diesem Leibe schmacht’ Denn / wenn ein Tod vor mich / ich Augenblicks bedacht 40 Zu reissen auß der Zeit! ich die bey frischen Jahren Vnd Blüte der Gestalt / so hart beschimpfft erfahren; Daß Liebe Drachen-Gifft vor Honig vns gewehr’ Vnd falschen Wanckelmut vor treue Gunst bescher’ Die Erden stinckt mich an! wie kan ich sonder Grauen 45 Das Auge dieser Welt / die lichte Sonn anschauen Die vorhin meine Freud / jetzt meine Schmach bestralt Vnd mein bestürtzt Gesicht mit scheuer Röthe mahlt. Die bleiche Cynthia, vor Zeugin meiner Lüste: Verweist mir jene Zeit in der man mich begrüste 50 In der Cardenio mir in die Armen fiel Vnd diesen Geist erquickt durch süsse Seitenspiel / Was Anmut gaben vor / die Sorgen-freyen Nächte / Was schreck’ vnd grauen jetzt? Bald klingt mir das gefechte (Indem Marcell erblast) durch mein verletztes Ohr: 55 Bald kommt er mir durchnetzt von Blut vnd Threnen vor. Rufft heischer vnd verweist daß ich nun selbst verlassen Die ich vorhin verließ: Bald hör ich durch die Gassen Ein kläglich Abend-Lied vnd wein’ vmb daß man singt: Vnd mein recht lebend Leid auff frembde Seiten bringt / 60 Biß ein Verstarren schleust die nassen Augenlieder: Denn fällt mich Morpheus an: Vnd reist mich hin vnd wieder <?page no="508"?> 000507 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 507 117 - Andreas Gryphius: Cardenio und Celinde oder Unglücklich Verliebete. Trauer-Spiel | Durch Hecken-volle Berg’ / in ein Cypressen Thal: Vnd vnbewohntes Feld / vnd mahlt die raue Qual Verliebter Seelen ab! Mede` en seh’ ich rasen: 65 Ich seh auff Didus Brust von Blut geschwellte Blasen: Die bleiche Phyllis hangt von jhrem Mandelbaum / Alcione sucht Ruh auff toller Wellen Schaum. Doch wenn ich dich mein Hertz / Cardenio, erblicket Schiß ich noch schlummernd auff / bald wirst du mir entrücket 70 Vnd gehest fern von mir durch eine raue Bahn; Ich folge! doch vmbsonst: Es ist vmb mich gethan. Du schlägst mein Winseln auß: Doch / kanst du mehr nicht lieben; Warumb denn muß dein Bild auch traumend mich betrüben! Was red’ ich vnd mit wem! wie wenn die heisse Macht 75 Der Seuchen vns besiegt / ein zagend Hertze schmacht / In hart entbrandter Glut; vnd die geschwächten Sinnen Empfinden nach vnd nach wie Krafft vnd Geist zerrinnen / Indem die inn’re Flamm nunmehr den Sitz anfällt In welchem sich Vernunfft gleich als beschlossen hält / 80 Denn taumelt der Verstand / denn jrren die Gedancken / Denn zehlt die schwartze Zung deß abgelebten Krancken Viel vngestalte Wort in stetem schwermen her / Die Augen blind von Harm / von stetem wachen schwer Sehn was sie doch nicht sehn! die Ohren taub von sausen! 85 Die hören hier Trompet; hier Schwerdt vnd Drommel brausen / So handelt mich die Noth! was Rath! komm Gifft vnd Stahl; Vnd end’ / (ich bin mein selbst nicht mehr) die lange Qual. Cardenio ist taub! mich soll der Tod erhören Den ich in meiner Faust - - - - - - 90 Sie erwischt ein Messer. [ … ] Vierte Abhandlung Cardenio. Das Gespenst in Gestalt Olympiens. Der Schaw-Platz verwandelt sich in einen Lust-Garten. cardenio. Mein Trost! wir gehn so fern! vnd wechseln keine Worte! Treugt mich das Auge nicht / so sind wir an dem Orte Den sie bey stiller Nacht zu trauren jhr erwehlt! 195 Mein Engel! dessen Grimm mein reuend Hertze quält; Ist jhr gerechter Zorn denn nicht zu überbitten! Ich hab / es ist nicht ohn / weit ausser Pflicht geschritten! Mehr auß verzweiffeln / denn aus Abgunst gegen jhr! <?page no="509"?> 000508 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 508 | 117 - Andreas Gryphius: Cardenio und Celinde oder Unglücklich Verliebete. Trauer-Spiel Sie Göttin! sie verzeih! die Seel’ erstirbt in mir! 200 Wofern sie Schönste nicht hier wil den Haß ablegen / Den meine Schuld entsteckt; sie lasse sich bewegen Der heissen Threnen Fluß! der sanffte Westen-Wind / Der durch die Sträucher rauscht beseuffzet vnd empfindt Die vnaußsprechlich’ Angst die meine Seele drücket / 205 Diane die bestürtzt vnd tunckel vns anblicket / Bejammert meine Noth vnd bittet / wie es scheint / Vor diesen / der für ihr auff seinen Knien weint: Sie gönne mir doch nur jhr lieblich Angesichte / Das Mond vnd Sternen trotzt! vnd mach in mir zu nichte 210 Durch einen süssen Kuß wo etwas allhier lebt Das nicht Olympen lieb! die Nacht so vmb vns schwebt Sey jhr statt einer Wolck der zart-gewirckten Seiden! Mein Engel! ja sie wird von jhrem Diener leiden! Daß er / dafern jhr Haß beständig zürnen wil / 215 Doch nur die Hüll abzieh’ / vnd recht das blitzen fühl So auß den Augen stralt - - - - Der Schaw-Platz verändert sich plötzlich in eine abscheuliche Einöde / Olympie selbst in ein Todten- Gerippe / welches mit Pfeil vnd Bogen auff den Cardenio zielet. cardenio. - - - O Himmel ich verschwinde! olympie. Schaw an so blitzt mein Stral / dein Lohn / die Frucht der Sünde. [ … ] cardenio. Ach! tödtlich Anblick! ach! abscheulichstes Gesicht! Ach grausamstes Gespenst! vmbringt mich noch das Licht? Wie! oder ist der Geist bereits der Last entbunden Vnd hat die Frucht der Schuld / der Sünden Sold gefunden? Wo bin ich! faul ich schon in einer finstern Grufft? 275 Trägt mich die Erden noch? Zieh’ ich noch frische Lufft In die erschreckte Brust! ich schaw den Himmel zittern; Ich schaw der Sternen Heer Blut-rothe Stralen schittern! Wo bin ich! ists ein Traum / heischt mich der Richter vor? Klingt seine Rechts-Posaun durch mein erschälltes Ohr? 280 Wie! oder geh ich wol durch dunckel grause Wege So einsam / so allein / durch vngebähnte Stege / Wo deß Gewissens Wurm stets die Verbrecher nagt: Wo ein verdammter Geist der von sich selbst verklagt / Vnd durch sich überzeugt in ewig-neuem Schrecken 285 Sucht seine Missethat vergebens zu verstecken? Ach Gott! der Götter Gott! geh ich noch in der Zeit? Beschleust mich schon das Ziel der langen Ewigkeit? <?page no="510"?> 000509 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 509 118 - Sigmund von Birken: Teutscher Kriegs Ab- und Friedens Einzug | Ich fühle ja daß ich mit Gliedern noch vmbgeben! Ists möglich: Daß ich kan nach solchem Anblick leben! 290 Doch ja! du grosser Gott du trägst mit mir Geduld Vnd gönnst mir etwas Frist / die übermaste Schuld In die ich mich verteufft dir weinend abzubitten: Ich HErr / bin von der Bahn der Tugend abgeglitten: Ich bins der in dem Koth der Laster sich gewühlt 295 Mehr viehisch als ein Vieh / der nimmermehr gefühlt (Wie hart du angeklopfft) dein innerlich anschreyen / Der mehr denn lebend tod / (ob schon du wilst befreyen) Doch an der Sünden Joch / die schwere Ketten zeucht! Der vor dir (Heil der Welt) in sein Verterben fleucht / 300 Mein Vater! ich kehr’ vmb! ich knie vor diese Thüren Vor dein geweihtes Hauß. [ … ] 1 Fürst der Sternen] Sonne 10 zutrieben] zerschlagen 17 Weil] während 18 nun] Nu, Augenblick 19 Fleuch] entflieh; unsere Strophenfolge weicht von der Kritischen Gryphius-Ausgabe ab, die der Erstausgabe folgt, in der die Strophen 3 und 4 vertauscht sind; in der Ausgabe Letzter Hand ist die Strophenfolge, die durch das gleiche Incipit der Anfangs- und Schlussstrophe von Celindes markiert ist, korrekt 28 Zusplittern] zersplittern 40 vor] für 49 Cynthia] Mond 50 Verweist] gemahnt an 57 heischer] heiser, rauh 62 Morpheus] Gott der Träume, Sohn des Schlafs 65 Mede` en] Medea: laut griech. Mythologie ermordet die Königstochter ihre eigenen Kinder, um sich an ihrem Mann Jason zu rächen, der sie verstoßen hat 66 Didus] Dido, Königin von Karthago, wird von ihrem Geliebten Aeneas verlassen und begeht Suizid 67 Phyllis] laut griech. Mythologie nimmt sie sich in Trauer über die Abwesenheit ihres Geliebten Demophon das Leben, wird in einen Mandelbaum verwandelt und treibt erst wieder Blätter, als Demophon sie umarmt 68 Alcione] Alkyone, Tochter des Atlas und der Okeanide Pleone, ist eine der Plejaden und die Geliebte des Poseidon 70 Schiß … auf] fahre … hoch 82 schwartze Zung] Sympton der Pest 199 Abgunst] Missgunst 206 Diane] Diana, röm. Göttin der Jagd 208 Vor] für 272 vmbringt] umgibt 278 schittern] glitzern 279 heischt [ … ] vor] fordert ein 280 erschälltes] erschüttertes 288 Beschleust] beschließt 299 zeucht] zieht 300 fleucht] flieht In: Gryphius (1995), 64f. und 67f. 118 B.II.1.1. Sigmund von Birken (1626-1681) Aus: Teutscher Kriegs Ab- und Friedens Einzug (1650) [Der Dreißigjährige Krieg ist endlich vorüber. Eintracht, Friede und Gerechtigkeit haben die Zwietracht daran gehindert, neue Konflikte auszulösen, sie unterworfen und schließlich abführen lassen. Bei den Menschen ist die Friedensbotschaft jedoch noch nicht überall durchgedrungen, wie die folgende Szene zwischen einem Soldat und einem Schäfer zeigt.] <?page no="511"?> 000510 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 510 | 118 - Sigmund von Birken: Teutscher Kriegs Ab- und Friedens Einzug Erster Aufzug. Ein Soldat und Schäfer Der Soldat / als ein teutscher Reuter aufziehend / fängt alsbald trotziglich also auf macaronisch an zu reden: der soldat. Hie bin ich arrivirt , ein Mann de bon Courage , Bericht zu nehmen ein von dieses Orts passage , da man parlirt vom Fried. Ihr Waffen / eur Estat 5 muß fallen par ma foy , weil Teutschland Leute hat / die Frieden schmieden aus. Ist das auch raisonable , daß die profession der Waffen favorable nicht länger heissen soll / da sie das höchste Bret erstiegen / und itzund recht in æstime steht. 10 Das ist nicht resolut . Polite Cavaliere Changirn nicht ihr propos . Das mein ich hazardire , das ist par tout contrair der resolution . Messieurs , vostre serviteur , ich bitte gebt perdon , ich rede / wie ichs denk / ihr dapfren Colonellen . 15 Mich wundert / daß ihr euch zu denen möcht gesellen / die eurer Faust Valor verdunkeln / und den Krantz euch gönnen nicht / der euch mit bässer importantz hätt eternellisirt . Ist nicht considerabler der Degen / als ein Buch / das nirgend zu capabler 20 als zu der faulen Ruh und für Calmeuser ist. Viel bässer seinen Mut mit Blut geschrieben list ein Cavalier im Feld / wo die Armee chargiret und in bataille hält / wo er oft ruiniret und in disordre bracht der Feinde stoltzes Heer 25 und rümlich maintenirt die Ehr mit dem Gewehr / das Leben mit dem Tod. Nun ihr mögt souhaitiren was anders / als den Krieg / im Fried euch engagiren , ihm werden obligat . Ich bleib ein Cavalier , der seinen Degen hält allstäts für sein plaisir , 30 und eurer Chosen lacht. Sa ! Viva la Guerre ! Ich lobe die fac ¸on des Volks von Angleterre , die ihr Contentement den Waffen adressirn und ihre Kriegs costhum’ in keinen Fried changirn , Adieu, Messieurs Alemans, und eure Guarnisonen ! 35 Mein tour sich embarquirt , trägt mich zu Nationen , wo noch zu kriegen ist. Adieu ! Ist niemand hier / der mich mit Leib und Herz dahin accompaignir ? <?page no="512"?> 000511 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 511 118 - Sigmund von Birken: Teutscher Kriegs Ab- und Friedens Einzug | Er sihet sich um und ersihet den Schäfer. Sih da / wen seh ich dort? Mein Schäfer / wo so spate? 40 comment vous portes vous ? Wer ist mit euch im Rahte? hop hey? alegrement ! wie da / so alterirt ? Weil Fried ist ausgeschmidt / muß frölich seyn ein Hirt. der schäfer (der indessen gestanden / und seinen Gedanken mehr als diesem Thraso Gehör gabe, hat ein weisses Kleid an mit roten Bändern schön aus gemacht / seinen Schäferstab in der Hand / 45 und die Tasche samt der Sackpfeiffen und Schalmeyen am Gürtel tragend. Sein Hut ist mit Laub / Rosen und andern Blumen gezieret / redet also gegen dem Soldaten: ) Soldat / hier steht eur Knecht. Was aber dörft ihr sagen vom Frieden / da man doch hat weiter Lust zu schlagen. Ein Monat ist vorbey / seit mich rief ausser Lands 50 ein nötiges Geschäft. Damals wolt sich der Dantz vom neuen fangen an. Man butzte schon die Degen. Man warf Olivenzweig hinweg / und nahm dargegen Zipressen in die Hand. Die Trifft / in der ich weid / und selbst mein frommes Vieh / wie war es voller Leid! 55 Itzt da ich aus der Fern zu Hause wiederkommen / hab ich mir von dem Fried zu fragen vorgenommen den Gegenhall hierüm. Wolt ihr / so hört mir zu: wo nicht / so hintert doch nicht dieses / was ich thu. der soldat. Hab ich credit bey euch / so lasst euch persuadiren . 60 Es ist schon Fried / was Lust habt ihr zu lamentiren ? doch / Schäfer plärren gern. Mein Ohr a` vostre servis . Thut auf den Liedersack / kocht uns ein Reimgemüß. der schäfer (stellet sich auf eine Seite und fänget gegen einem Gebüsche / daraus ihm Echo antwortet / also an: ) 65 Edle Nymfe / die ich ehre / Echo mach daß ich dich höre? E.ich höre. Weist du auch / der so gar greulich / von dem Teutschen Krieg / sag treulich? 70 E.freylich. Soll dann nicht einmal auf Erden ein End an dem Elend werden. E.entwerden. Ach solt ich den Tag bald sehen! 75 Sag? Ach wär es schon geschehen! E.geschehen. <?page no="513"?> 000512 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 512 | 119 - Georg Philipp Harsdörffer: Pegnesisches Schäfergedicht Sollen dann die Waffen rosten? Wer gibt uns den Fried zu kosten? E.Osten. 80 Ost und Süd sind nicht alleine. gibt es dann auß Norden keine? E.Eine. Wer hat dann gestillt ihr Toben. Wer ist er? daß wir ihn loben. 85 E.Oben. Aber ist auch so was süsses solche Zeitung was gewißes? E.wiß es. Wer ist / dem ich mich verpflichte / 90 der mich auch hiervon berichte? E.Gerüchte. 1 macaronisch] Vermischung diverser Sprachen 3 arriviert] angekommen, emporgekommen sein bon Courage] guten Mutes 4 passage] Verlauf 5 parlirt] spricht Estat] Stand, Staat 6 par ma foy] meiner Treu! 7 raisonable] vernünftig 8 profession [ … ] favorable] dass der Waffenberuf nicht beliebt ist 10 in æstime] in der Wertschätzung 11 resolut] beschlossen Polite] höfliche 12 Changirn] ändern propos] Bestimmung hazardire] gewagt 13 par tout contrair] völlig gegen resolution] Beschluss 14 vostre serviteur] Euer Diener perdon] pardon, Vergebung 15 Colonellen] Sg. Colonel, frz. Oberst 17 Valor] Wert 19 eternellisirt] verewigt considerabler] ratsamer 20 capabler] fähiger 21 Calmeuser] arbeitsloser, armer Gelehrter 23 chargiret] in Uniform auftritt 24 bataille] Kampfbereitschaft 25 disordre] Unordnung 26 maintenirt] aufrecht hält 27 souhaitiren] wünschen 29 obligat] verpflichtet 30 plaisir] Vergnügen 31 Chosen] (abwertend) Spielchen Viva la Guerre! ] Es lebe der Krieg! 32 fac¸ on] Haltung, Benehmen Angleterre] England 33 Contentement] Zufriedenheit adressirn] zuschreiben 36 embarquirt] verabschieden, losgehen 38 accompaignir] begleitet 41 comment vous portes vous] Wie geht es Ihnen? 42 alegrement] fröhlich auf! alterirt] verärgert 44 Thraso] prahlerischer Soldat; Figur aus einer Komödie des Terenz 46 Sackpfeiffen] Dudelsäcke Schalmeyen] Die Schalmei ist ein Holzblasinstrument mit Doppelrohrblatt; Schäferinstrument 54 Trifft] Weide 60 credit] Ansehen persuadiren] überreden 61 lamentiren] beklagen 62 a` vostre servis] zu Euren Diensten 88 Zeitung] Nachricht In: Birken (1650), 20-23. 119 B.II.3.1. Georg Philipp Harsdörffer (1607-1658) Johann Klaj (1616-1656) Aus: Pegnesisches Schäfergedicht / in den Berinorgischen Gefilden / angestimmet von Strefon und Clajus (1644) Als sie nun solchem Geschrey nachgiengen / funden sie in der Nähe die Melancholische Schäferin Pamela / die ihr sicherlich einbildete / sie were das arme und in letzten Zügen liegende Teutschland. In dieser Raserey ließ sie sich vernemen nachfolgender Schwarmreden: <?page no="514"?> 000513 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 513 119 - Georg Philipp Harsdörffer: Pegnesisches Schäfergedicht | Es schlürfen die Pfeiffen / es würblen die Trumlen / Die Reuter und Beuter zu Pferde sich tumlen / 5 Die Donnerkartaunen durchblitzen die Lufft / Es schüttern die Thäler / es splittert die Grufft / Es knirschen die Räder / es rollen die Wägen / Es rasselt und prasselt der eiserne Regen / Ein jeder den Nechsten zu würgen begehrt / 10 So flinkert / so blinkert das rasende Schwert. Ach wer wird mir Ruhe schaffen / Wann die niemals müde Waffen / Wüten mit Nahm / Raub und Brand / In des Kriegers Mörderhand. 15 Welche meine Schmertzenflamme Treiben / sind vom Teutschen Stamme: Kein Volk hat mich nie bekriegt Und den Meinen obgesiegt. Sehet an die freyen Anken / 20 Welche man heut nennet Franken / Haben sie der Galljer Kron Nicht erhaben in den Thron? Sehet an der Gothen Ahnen / Kennet ihr die Löwenfahnen? 25 Sind sie nicht von alter Zeit Von der Teutschen Adelheit? Wie kan dann die Drachengallen Unter Nahgesipten wallen? Wie hat doch der Haß forthin 30 Gantz durchbittert ihren Sinn? Meine Söhne / jhr seyd Brüder / Leget eure Degen nieder! Schauet doch mein Mutterherz Threnen / ob dem Heldenscherz! 35 Last ihr euch nicht erbitten erbitterte Brüder? Sind das dann Freundesitten vereinigter Glieder? Mein Bitten ist ümsunst / Umsonst ist alles Bitten / Die hohe Kriegesbrunst 40 Läst sich nicht so entschütten. Sie flammet liechterloh / Geschwinder als das Stroh / Die Zehren fliesset ab Und gräbt der Städte Grab. 45 45 <?page no="515"?> 000514 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 514 | 119 - Georg Philipp Harsdörffer: Pegnesisches Schäfergedicht Sol dann mich / mich Mutterland / meiner Söhne Schand beflekken ? Und als eine Mördergrub mit verruchten Greul bedekken? Muß ich dan zum Raube werden / als des Krieges Jamerbeute / Und zwar nicht durch fremde Waffen / sondern meiner Landesleute. Ihr nicht so meine Söhn’ / erweichet euren Sinn / 50 Bedenket wer ihr seyd und wer ich Arme bin. Strefon und Klajus stunden bestürtzt ob dem / daß die Klugheit in einen so verrükten Gehirn Stat gefunden / winketen deßwegen einander üm sie ihre Rede vollenden zu lassen. Pamela fuhr mit etwas sanfftmütigeren Geberden fort: Entzwischen tröstet mich / daß so viel neue Feben 55 Erhalten meine Sprach’ und Wolken an erheben; Was neulich Opitzgeist beginnet auß dem Grund / Ist ruchtbar und am Tag auß vieler Teutschen Mund. Sie wendete ihr Angesicht gegen die Schäfer / sagend; Was steht ihr beyde hier? stimmt an ein Todenlied! 60 Ich segne diese Welt; zwar nicht in gutem Fried’ / Ach wundert ihr hierob? das rohe Sündenleben Kan in der bösen Stund kein gutes Ende geben. Hör Pamela / sagte Strefon / wir haben deinen seltzamen Einfällen lang gnug zugehöret [ … ]. [S]atzten sie sich unter den nechsten Baum / und fieng Strefon an also zu fragen: 65 Was ist die Lieb’? - - - - klajus. - - - - ein ungeheure Glut / Die glimmt und flammt in jedem jungen Blut. Was ist die Lieb’? - - - - - - - - strefon. Ein brünstiges Verlangen / 70 In Gegenhuld die Liebste zu ümfangen. Was ist die Lieb’? - - - - - - - - klajus. Ein Traum der Eitelkeit / Der Pfeil geschwind verrauschet mit der Zeit. Was ist die Lieb’? - - - - 75 - - - - strefon. Ein Band vereinter Hertzen / In Freud und Leid / in Schertzen und im Schmertzen. Was ist die Lieb’? - - - - - - - - klajus. Ein eitle Hoffnungssucht / Wie Tantalus geneust der schnöden Frucht. 80 Was ist die Lieb’? - - - - <?page no="516"?> 000515 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 515 119 - Georg Philipp Harsdörffer: Pegnesisches Schäfergedicht | - - - - strefon. Ein Anker der Gewissen / Den in der Eh kein Unglük ausgerissen. Was ist die Lieb’? - - - - - - - - klajus. Ein windgetriebnes Rad / 85 Das in der Flucht sein schnelles Wesen hat. Was ist die Lieb’? - - - - - - - - strefon. Ein Schatz / den man besitzet Mit Tugendgeitz und niemals sat benützet. Was ist die Lieb’? - - - - 90 - - - - klajus. Ein unbewandert Kind / Das auch in nichts verlachte Freude findt. Was ist die Lieb’? - - - - - - - - strefon. Ein stets versüstes Leben / Das Gott der HERR den Frommen pflegt zu geben. 95 Was ist die Lieb’? - - - - - - - - klajus. Die kurtze Tyranney Von der Verstand uns machet Fesselfrey. Was ist die Lieb’? - - - - - - - - strefon. Ich weiß nicht mehr zu sagen / 100 Wir wollen früh die beyden Bräute fragen. Klajus gabe darauf zur Antwort: Es ist ein grosser Unterschied zwischen Bulen- und Ehelichen Lieben / und solcher gestalt haben wir beyde recht. Wol / sagte Strefon / so wollen wir nun von dem Ehstand allein sagen: strefon. Alles was lebet und webet / das liebet / 105 klajus. Alles was liebet / ist stetig betrübet. strefon. Alles was wächset / besämet sich auch. klajus. Dichtet jhr solches nach Fabelgebrauch? strefon. Einsame Menschen das ärgste beginnen. klajus. Freylich nach irdischn und fleischlichen Sinnen. 110 strefon. Sonder die Ehe zergienge die Welt. klajus. Mittelst der Ehe zerschmiltzet das Geld. / strefon. Fallen wir / lieber wer hilfet uns wieder. klajus. Solche Gehülffen die stossen uns nieder. strefon. Weiberlein bleiben den Männeren treu. 115 klajus. Weiber Betrügen wird täglichen neu. strefon. Sehet / wir leben in unseren Söhnen. klajus. Selbe sich öffters zum Bösen gewöhnen. strefon. Kinderlein mehren uns hertzliche Freud. klajus. Kinder die machen auch schmertzliches Leid. 120 strefon. Frauen erfreuen die Männer im Hertzen. <?page no="517"?> 000516 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 516 | 119 - Georg Philipp Harsdörffer: Pegnesisches Schäfergedicht klajus. Eva gebahre den Männeren Schmertzen. strefon. Selbe ward Adam vom HErren gemacht / klajus. Selbe hat alles Verderben gebracht. strefon. Es werden auch solches die Bräutgam bekennen / 125 klajus. Strefon pflegt richtige Zeugen zu nennen. [ … ] Ach, Gegenhall, ich will dich etwas fragen: Ich bitte dich, die Wahrheit anzusagen, Werd ich wohl so verbleiben lang allein? 130 Geg. Nein Ich habe mich im Lieben nicht geübt, Das blinde Kind hat mich noch nie betrübt, So liebet mich auf dieser Welt ja keine? Geg. Eine. 135 Wann wird es sein? Es macht sich forthin kälter, Die Zeit verrinnt, und ich werd täglich älter, Die Jugend stirbt, es bleichet die Gestalt. Geg. Bald. Ich hab bisher geliebt der Musen Schar 140 Und ihr mein Herz vertrauet ganz [und] gar, Ich achte nicht das schlaue Frauenzimmer? Geg. Nimmer. Wo werd ich doch des Glückes Fußsteig finden? Wird man mich dort mit Liebesbanden binden? 145 Ach was erwirbt mir Fremden solche Gunst? Geg. Kunst. Was sagst du? Kunst, ich bin mir nichts bewußt. Was ich erdicht, geschicht aus freier Lust. Ich glaube dir, du redest ja verträulich? 150 Geg. Freilich. So will ich nun scheiden mit Freuden von dir, Du stillest und füllest mir Herzensbegier. Ich danke dir, Nymphe, daß du mich bericht. Schweig nimmer, befragen dich meine Gedicht 155 Geg. Nicht. [ … ] <?page no="518"?> 000517 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 517 119 - Georg Philipp Harsdörffer: Pegnesisches Schäfergedicht | Sie befunden sich nun auf einer aus der Massen lustigen und von der Vogel hellzwitscherenden und zitscherenden Stimmlein erhallenden / Wiesen Reyhenweise besetzet mit gleich ausgeschossenen / krausblätrichten / dikbelaubten hohen Linden / welche / ob sie wol glei- 160 ches Alters / schienen sie doch zu streiten / als wenn eine die andere übergipflen wolte. Unter denselben waren drey hellqwellende Springbrunnen zu sehen / die durch das spielende überspülen ihres glatschlüpfrigen Lägers lieblich platscheten und klatscherten. Bey solchem Spatzierlust sange Klajus: Hellgläntzendes Silber / mit welchem sich gatten 165 Der astigen Linden weitstreiffende Schatten / Deine sanfftkühlend-beruhige Lust Ist jedem bewust. Wie solten Kunstahmende Pinsel bemahlen Die Blätter? die schirmen vor brennenden Strahlen / 170 Keiner der Stämme / so grünlich beziert / Die Ordnung verführt. Es lisplen und wisplen die schlupfrigen Brunnen / Von ihnen ist diese Begrünung gerunnen / Sie schauren / betrauren und fürchten bereit 175 Die schneyichte Zeit. Titel Berinorgischen] Nürnberger 4 würblen die Trumlen] wirbeln die Trommeln 6 Donnerkartaunen] Kartaune: Belagerungs- und Festungsgeschütz 14 Nahm] Raub, gewaltsame Wegnahme 20 Anken] Nacken 25 Löwenfahnen] der Löwe war das Wappentier der Wittelsbacher, aus deren Geschlecht die bayerischen Kurfürsten hervorgingen 28 Drachengallen] die Galle steht in der Humoralpathologie für Wut und aufbrausendes Verhalten, die Wendung ,Drachengalle‘ ist in Mose 5, Deut. 32, überliefert 29 Nahgesipten] Engverwandte 38 ümsunst] umsonst, vergebens 41 entschütten] abschütteln 44 Zehren] Tränen 55 Feben] Phöben, nach Phöbus, dem Beinamen von Apoll, Gott der Dichtkunst 57 Opitzgeist] nach Martin Opitz (1597-1639) 58 ruchtbar] berühmt, durch Gerücht allgemein bekannt 80 Tantalus] der griech. Mythologie zufolge stahl Tantalos den Göttern Nektar und Ambrosia und wurde dafür mit ewigen Qualen bestraft: Verbannt in die Unterwelt, sind ihm Wasser und Früchte stets in greifbarer Nähe, doch unerreichbar geneust] genießt 89 sat] satt, genug 102 Bulen-] die unerlaubte, hier: uneheliche Liebe 111 sonder] ohne 116 Weiber Betrügen wird täglichen neu] täglich wieder werden Frauen betrogen 149 geschicht] geschieht 150 verträulich] vertrauenswürdig, zuverlässig 169 Kunstahmende] die Kunst nachahmend 176 schneyichte] schneeige In: Mannack (Hg.) (1968), 31-38 und 47f. <?page no="519"?> 000518 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 518 | 120 - Johann Klaj: Castell des Vnfriedens 120 B.II.3.2. Johann Klaj Aus: Castell des Vnfriedens (1650) Die Liebe / die Liebe geflügelt / gewindet / die rennet / die brennet / die Seulen entzündet / drauf schwermet / drauf lermet das gläntzende Heisse / es hitzet / es schwitzet das Feuergegleisse / es lauffen / es schnauffen die Räder mit Schlägen / 5 ohn Wehen / ohn Drehen der Winde sich wegen: Es zieret / es führet die Lincke die Rechte blitzhaglendes-schweflendes-Schwertergefechte / die Sternen von fernen sich Erdenwarts neigen / Racqveten / Musqveten / Lustkugeln aufsteigen / 10 es blincken / es flincken von Flammen die Lüffte / es schimmert / es flimmert der Erden Getüffte. Der schöne Fried stund schön in solchen Freudenflammen / damit nun alle Lust und Freude käm zusammen / hat der Fried ein Racqvet von seiner Hand gesandt / 15 der Zwitracht Mord-Castell zu setzen in den Brand. Bald blitzen / bald blatzen die Spanischen Reiter / die Pfosten der Posten die gehen zu Scheiter / zwölff Pumpen die plumpen heissiedende Fluten / Stacketen / Racqveten sprutz-spratzen von Gluten / 20 die Ballen im Fallen lustfreüdig sich sprengen / sie schertzen / wie Kertzen auf Leuchtern abhängen / die Lermer / die Schwermer der Bienen sich mühen / die Mauren nicht dauren die Thore schon glüen / die Zinnen von innen und aussenwarts schmauchen / 25 Gemächer und Dächer vom Brande schon rauchen / die Blitzer die Schützer deß Schlosses ergreiffen / sie richten / vernichten und gäntzlich zerschleiffen. Die Zwitracht ist entzwey / der Kriegsgott ist bekrieget / die / die / die siegen wolt / in ihr besiegten liget / 30 es ist noch nicht genug: Der Mann ist übermannt / deß Mannes Schloß muß auch geschleifft seyn / außgebrant. <?page no="520"?> 000519 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 519 120 - Johann Klaj: Castell des Vnfriedens | Trompeten / Clareten Tartantara singen / die Paucken die paucken / die Kessel erklingen / so sauset / so brauset kein schaumichtes Wallen / 35 kein Stürmen so stürmet / wann Berge zerfallen. so reisset / zerschmeisset kein Hagel die Blätter / so rasselt / so prasselt kein donnern des Wetter / so prallet / so knallet kein fallend Gemäuer / als knicket und knacket das knisternde Feuer. 40 die Spitzen die sprützen hellfünckelnde Keile / die Flanckquen die blancken spitzfeurige Keile / Racqveten / Racqveten einander nach jagen / Blitzschläge mit Schlägen erzürnet sich schlagen. Der Thürne Räder auch schön spielen in der Höhe: 45 Der Mittelthurn ist auf / zu sehen / wie es stehe / als er den Ernst vernimmt / den Friede hier verübt / er zu der Gegenwehr viel tausend Salven gibt: Der Doppelhacken Grimm / der Zorn der Pulverröhren / die werden loßgebrant / vergnügen Sehn und Hören; 50 Die Flammen wehren sich und flammen Himmelan / als wolten sie nicht seyn den Flammen unterthan. Die Stücke hell blicken / es donnern Carthaunen / daß Felder und Wälder und Menschen erstaunen / es zittern / es splittern die felsichten Klüffte / 55 es schallen / erhallen die mosichten Grüffte: IRENE / die schöne / hat männlich gekämpfet / das Kriegen mit Siegen und Feuer gedämpfet / das rasende / blasende / blutige Kriegen ist schmauchend / ist rauchend zu Himmel gestiegen. 60 [ … ] Gedichtet auf das Feuerwerk zu Ehren der Friedensfeier in Nürnberg von 1648. 10 Musqveten] Langgewehre der Soldaten 17 Spanischen Reiter] Barriere aus Holz, die dazu dient, die feindliche Kavallerie abzuhalten 18 Scheiter] größeres Holzstück zur Verbrennung 20 Stacketen] Latten eines Zaunes 28 zerschleiffen] dem Erdboden gleich machen 33 Clareten] Blasinstrument Tartantara] onomatopoetisch: Tatarata 53 Carthaunen] schweres Geschütz 57 IRENE] Eirene ist in der griech. Mythologie die Göttin des Friedens In: Klaj (1968), 160-164. <?page no="521"?> 000520 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 520 | 121 - Hans Assmann Freiherr von Abschatz: Die schönen grauen Haare 121 B.III.2.3. Hans Assmann Freiherr von Abschatz (1646-1699) Die schönen grauen Haare (1704) Du klagest dich / warum? weil dir so früh / Melinde / Durch deiner Haare Gold manch Silber-Faden sticht: Weil sich der kalte Schnee um deine Scheitel flicht / Da noch des Sommers Brand erhitzet deine Gründe: Ich nicht: indem ich noch die alte Glutt empfinde / 5 Ob schon der kühle Reiff aus deinen Schläffen bricht / Mein heißes Athem-ziehn und Seufftzen kühlt sich nicht / Weist dein Gebirge gleich das Zeichen kalter Winde. Weiß Haar zeigt weißen Sinn / und krönt ein kluges Haubt. Damit der Augen Sonn’ ein Himmel sey erlaubt / 10 Sieht man ein graues Haar gleich Wolcken ob ihr prangen. Drum sag ich offtermahls: Ihr angenehmen Wangen / (Verwundert übers Haar / das keinem Schnee giebt nach / ) Hier deckt den Rosen-Stock ein weisses Liljen-Dach. 6 Reiff] kristalliner Belag, filigrane Eisablagerungen 14 Liljen-Dach] Lilie als Symbol der Jungfräulichkeit und Reinheit, vgl. die ,Madonnen-Lilie‘ In: Abschatz (1704), 237. 122 B.II.6.2 Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen (1621-1676) [Epigramm auf dem Titelkupfer des Simplicissimus] (1669) Ich wurde durchs Fewer wie Phoenix geborn Ich flog durch die Lüffte! wurd doch nit verlorn Ich wandert durchs Wasser / Ich raißt über Landt, in solchem Umbschwermen macht ich mir bekandt was mich offt betrüebet und selten ergetzt. 5 was war das? Ich habs in diß Buche gesetzt damit sich der Leser gleich wie ich itzt thue entferne der Thorheit und lebe in Rhue. In: Grimmelshausen (2005), 10. <?page no="522"?> 000521 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 521 123 - Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen: Simplicissimus Teutsch | 123 B.II.1.3. Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen Aus: Simplicissimus Teutsch (1669) [Da] geriethen die Banierische den Unserigen in die Haar / gleich anfänglich kämpfften die Armeen umb den Vorthel / und gleich darauff umb das schwere Geschütz / dessen die Unserige strack verlustigt wurden: [ … ] als eine Schwedische Esquadron auff die unserige traff / waren wir so wol als die Fechtende selbst in Todtsgefahr / dann in einem Augenblick floge die Lufft so häuffig voller singenden Kugeln über uns her / daß es das Ansehen hatte / als ob die 5 Salve uns zu gefallen gegeben worden wäre / darvon duckten sich die Forchtsame / als ob sie sich in sich selbst hätten verbergen wollen; die jenige aber / so Courage hatten / und mehr bey dergleichen Schertz gewesen / liessen solche ohnverblichen über sich streichen; Jm Treffen selbst aber / suchte ein jeder seinem Todt mit Nidermachung deß Nächsten / der ihm auffstieß / vorzukommen / das greuliche schiessen / das gekläpper der Harnisch / das krachen der 10 Biquen / und das Geschrey beydes der Verwundten und Angreiffenden / machten neben den Trompeten / Trommeln und Pfeiffen ein erschröckliche Music! da sahe man nichts als einen dicken Rauch und Staub / welcher schiene / als wolte er die Abscheulichkeit der Verwundten und Todten bedecken / in demselbigen hörete man ein jämmerliches Weheklagen der Sterbenden / und ein lustiges Geschrey der jenigen / die noch voller Muth stacken / die Pferd 15 selbst hatten das Ansehen / als wenn sie zu Verthedigung ihrer Herrn je länger je frischer würden / so hitzig erzeigten sie sich in dieser Schuldigkeit / welche sie zu leisten genötiget waren / deren sahe man etliche unter ihren Herrn todt darnider fallen / voller Wunden / welche sie unverschuldter Weis zu Vergeltung ihrer getreuen Dienste empfangen hatten; [ … ] wiederumb andere / nachdem sie ihrer hertzhafften Last / die sie commandirt haate / entla- 20 den worden / verliessen die Menschen in ihrer Wut und Raserey / rissen auß / und suchten im weiten Feld ihr erste Freyhet: Die Erde / deren Gewonheit ist / die Todten zu bedecken / war damals an selbigem Ort selbst mit Todten überstreut / welche auff unterschiedliche Manier gezeichnet waren / Köpff lagen dorten / welche ihre natürliche Herren verloren hatten / und hingegen Leiber / die ihrer Köpff mangleten; etliche hatten grausam- und jämmerlicher Weis 25 das Jngeweid herauß / und andern war der Kopff zerschmettert / und das Hirn zerspritzt; da sahe man / wie die entseelte Leiber ihres eigenen Geblüts beraubet / und hingegen die lebendige mit fremdem Blut beflossen waren / da lagen abgeschossene Aerm / an welchen sich die Finger noch regten / gleichsam als ob sie wieder mit in das Gedräng wollten / hingegen rissen Kerles auß / die noch keinen Tropffen Blut vergossen hatten / dort lagen abgelöste Schenckel / 30 welche ob sie wol der Bürde ihres Cörpers entladen / dannoch viel schwerer worden waren / als sie zuvor gewesen; da sahe man zerstümmelte Soldaten umb Beförderung ihres Todts / hingegen andere umb Quartier und Verschohnung ihres Lebens bitten. Summa Summarum, da war nichts anders als ein elender jämmerlicher Anblick! <?page no="523"?> 000522 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 522 | 124 - Philip Sidney: Arcadia der Gräffin von Pembrock 1 Banierische] schwedische Truppen, nach ihrem Oberbefehlshaber Johan Banier 3 Esquadron] Truppeneinheit der Kavallerie 7 Courage] Mut 10 Harnisch] Brustpanzer 11 Biquen] Picken, Spieße 33 Summa Summarum] Alles in allem In: Grimmelshausen (2005), 215f. 124 B.II.1.3 Philip Sidney (1554-1586) [Übers. Martin Opitz] Aus: Arcadia der Gräffin von Pembrock (1629) Ein jeder versucht seinem Tode zufürkommen / durch Auffopfferung deß allerersten der ihm auffstieß. das Getümmel der Waffen / Schwingung der Piquen / Geschrey der verwundten / vnd Fühlung der außgetheilten Püff / componirten zusammen die vier Partes ihrer erschröcklichen Music / da sahe man nichts als ein dicken Staub / welcher schiene / als wolt er die Abschewligkeit der beyderseits empfangenen Wunden / verbergen: Man hörete nicht als 5 ein jämmerliches Weeklagen der sterbenden Soldaten: Summa Summarum / da war durch vnd durch auß nichts anders abzunemmen / als ein erschröckliche Bildnuß deß vor Augen schwebenden Todtes. Die Pferd selber hatten das ansehen als ob sie zu Verthädigung ihrer Herrn je länger je munterer würden / so gar hitzig erwiesen sie sich in dieser letzten Schuldigkeit / welche sie zulaisten genöthiget waren: Ja es schiene / daß sie zu einem Theil deß 10 Triumphs über erhaltene victorien, rechtmässigen Anspruch hetten. Deren sahe man etliche vnter ihren Herrn todt darnider fallen / voller Hieb vnd Wunden / welche sie vnverschuldter wiß zur Recompenß ihrer trewen Dienst empfangen hatten: Andere waren vmb gleicher Vrsachen willen auff ihre Reutter gefallen [ … ] Wiederumb andere / demnach sie der hertzhafften Last / die ihnen commandirt hatte / entluden worden / schämbten sich gleichsamb 15 der Menschen rasenden Wüth / rissen auß / lieffen übers weite Feld / vnd suchten ihre erste Libertet vnd Freyheit. Die Erden / welcher Gewohnheit sonst ist / daß sie die Todten bedeckt / war damahls selbst allenthalben bedeckt mit Todten / so auff vnterschiedliche Manier gezeichnet worden. Etlich örter lagen voller Köpff / die jhre natürliche Herrn verlohren hatten; Andere waren mit todten Cörpern überstrewt / deren Hertzen (so ehemal voll aller Dapffer- 20 keit gewesen) nun mehr alles Geblüts vnd natürlicher Wärme beraubt waren. Etlichen hienge / wegen eines abschewlichen vnd jämmerlichen Todtes / das Eingeweid auß dem Leib. Da sahe man abgehawene Arm / deren Finger sich noch bewegten / als wann sie wider mit in das Geträng wolten; Dorten sahe man abgelöste Schenckel / welche / ob sie wol ihres Cörpers Bürde entladen / dannoch [ … ] viel schwerer worden waren / als sie zuvor gewesen. Kurtz 25 zumelden / da war nichts anders / als lauter schröcklicher vnd erbärmlicher Jammer. 2 Piquen] Stangenwaffen der Fußsoldaten 8 Verthädigung] Verteidigung 13 Recompenß] Ausgleich, Gegengabe In: Sidney (1642), 611f. <?page no="524"?> 000523 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 523 125 - Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen: Continuatio des abentheuerlichen Simplicissimi | 125 B.II.6.2. Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen Aus: Continuatio des abentheuerlichen Simplicissimi (1669) das 1. capitel. 〈 Jst ein kleine Vorrede und kurtze Erzehlung / wie dem neuen Einsidler sein Standt zuschlug. 〉 WAnn ihm jemand einbildet / ich erzehle nur darumb meinen Lebens-Lauff / damit ich einem und anderem die Zeit kürtzen: oder wie die Schalcks-Narrn und Possen-Reisser zu 5 thun pflegen / die Leut zum lachen bewögen möchte; so findet sich derselbe weit betrogen! dann viel lachen ist mir selbst ein Eckel / und wer die edle ohnwiederbringliche Zeit vergeblich hinstreichen läst / der verschwendet die jenige Göttliche Gaab ohnnützlich / die uns verliehen wird / unserer Seelen Hail in: und vermittelst derselbigen zuwürcken; Warumb solte ich dann zu solcher eytelen Thorheit verholffen: und ohne Ursach vergebens anderer 10 Leut kurtzweiliger Rath seyn? Gleichsamb als ob ich nicht wiste / daß ich mich hierdurch frembder Sünden teilhafftig machte; mein lieber Leser / ich bedüncke mich gleichwohl zu solcher profession umb etwas zugut zu seyn / wer derowegen einen Narren haben will / der kaufft ihm zween so hat er einen zum besten; daß ich aber zu zeiten etwas possierlich auffziehe / geschiehet der Zärthling halber / die keine heilsame Pillulen können verschlucken / sie 15 seyen dann zuvor überzuckert vnd vergült; geschweige daß auch etwann die aller gravitetischte Männer / wann sie lauter ernstliche Schrifften lesen sollen / das Buch ehender hinweg zulegen pflegen / als ein anders / daß bey ihnen bißweilen ein kleines Lächeln herauß presset; Jch möchte vielleicht auch beschuldigt werden / ob gienge ich zuviel Satyrice ` drein; dessen bin ich aber gar nicht zuverdencken / weil männiglich 〈 jeder 〉 lieber gedultet / daß die allgemeine 20 Laster Generaliter durch gehechlet und gestrafft: als die aigne Untugenden freundlich corrigirt werden; So ist der Theologische Stylus beym Herrn Omne (dem ich aber diese meine Histori erzehle) zu jetzigen Zeiten leyder auch nicht so gar angenehm / daß ich mich dessen gebrauchen solte; solches kan man an einem Marckschreyer oder Quacksalber (welche sich selbst vornehme Aertzt / Oculisten / Brüch: und Steinschneider nennen / auch ihre gute perga- 25 mentine Brief und Sigel drüber haben) augenscheinlich abnehmen / wann er am offnen Marckt mit seinem Hanß Wurst oder Hanß Supp auftritt / und auf den ersten Schray und phantastischen krummen Sprung seines Narren mehr Zulauffs und Anhörer bekombt / als der eyferigste Seelen-Hirt / der mit allen Glocken dreymahl zusammen leuthen lassen / seinen anvertrauten Schäfflein ein fruchtbare heilsame Predig zuthun. 30 Dem sey nun wie ihm wolle / ich prostetire hiemit vor aller Welt / kein schuld zuhaben / wann sich jemand deßwegen ärgert / daß ich den Simplicissimum auf die jenige mode außstaffirt / welche die Leut selbst erfordern / wann man jhnen etwas nutzlichs beybringen will; läst sich aber in dessen ein und anderer der Hülsen genügen und achtet deß Kernen nicht / der darinnen verborgen steckt / so wird er zwar als von einer kurtzweiligen Histori seine Zufrie- 35 denheit: Aber gleichwohl das jenig bey weitem nicht erlangen / was ich ihn zuberichten aigentlich bedacht gewesen; fahe demnach widerum an / wo ichs im End deß fünfften Buchs erwinden lassen. <?page no="525"?> 000524 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 524 | 126 - Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau: [Grabschrift] Opitii Daselbst hat der geliebte Leser verstanden / daß ich widerumb ein Einsidler worden / auch warumb solches geschehen; gebühret mir derowegen nunmehr zuerzehlen / wie ich mich in 40 solchem Standt verhalten; die erste baar Monat alldieweil auch die erste Hitz noch tauret / giengs treflich wol ab / die Begierde der fleischlichen Wollüste oder besser [ … ]. Titel Continuatio] Fortsetzung 4 ihm] sich 13 profession] Beruf 15 Pillulen] Pillen; Anspielung auf das seit der Antike gebräuchliche Gleichnis der überzuckerten Pillen zur Rechtfertigung der unterhaltsamen Schreibart 16 vergült] vergoldet 19 Satyrice`] satirisch 21 Generaliter] im Allgemeinen 22 Herrn Omne] Herr Jedermann 25 Oculisten] Augenärzte Brüch: und Steinschneider] Chirurgen von oft zweifelhaftem Ruf 25f. pergamentine] auf Pergament geschriebene 27 Hanß Wurst oder Hanß Supp] stereotype Figuren in Schwänken 29 dreymahl] Glockengeläut am Sonntagnachmittag zur Andacht 34 Hülsen [ … ] Kernen] wie das Pillengleichnis poetologische Metapher für Oberfläche und tieferen Sinn eines Textes 41 baar] paar In: Grimmelshausen (2005), 563f., 1004-1007. 126 Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau (1616-1679) [Grabschrift] Opitii / der edlen teutschen Poesin Erfinders (1663) Mich hat ein kleiner Ort der teutschen Welt gegeben / Derwegen meiner wird mit Rom die wette leben / Ich suche nicht zu viel / ich bin genug gepriesen / Daß ich die Venus selbst in teutschen unterwiesen. In: Hoffmannswaldau (1663), Nr. 28. 127 Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau [Grabschrift] Eines Alchimisten (1663) Jch war ein Alchimist / ich dachte Tag und Stunden / Auf eine neue Kunst des Todes frey zu seyn / Diß was ich stets gesucht / das hab ich nicht gefunden / Und was ich nicht gesucht / das stellt sich selbsten ein. In: Hoffmannswaldau (1663), Nr. 45. <?page no="526"?> 000525 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 525 128 - Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau: „Albanie / gebrauche deiner Zeit“ | 128 B.III.2.1. Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau „Albanie / gebrauche deiner Zeit“ (1695) 1. ALbanie / gebrauche deiner zeit / Und laß den liebes-lüsten freyen zügel / Wenn uns der schnee der jahre hat beschneyt / So schmeckt kein kuß / der liebe wahres siegel / Im grünen may grünt nur der bunte klee. 5 Albanie. 2. Albanie / der schönen augen licht / Der leib / und was auff den beliebten wangen / Ist nicht vor dich / vor uns nur zugericht / Die äpffel / so auff deinen brüsten prangen / 10 Sind unsre lust / und süsse anmuths-see. Albanie. 3. Albanie / was quälen wir uns viel / Und züchtigen die nieren und die lenden? Nur frisch gewagt das angenehme spiel / 15 Iedwedes glied ist ja gemacht zum wenden / Und wendet doch die sonn sich in die höh. Albanie. 4. Albanie / soll denn dein warmer schooß So öd und wüst / und unbebauet liegen? 20 Im paradieß da gieng man nackt und bloß / Uhnd durffte frey die liebes-äcker pflügen / Welch menschen-satz macht uns diß neue weh? Albanie. 5. Albanie / wer kan die süßigkeit 25 Der zwey vermischten geister recht entdecken? Wenn lieb und lust ein essen uns bereit / Das wiederholt am besten pflegt zu schmecken / <?page no="527"?> 000526 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 526 | 129 - Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau: Florida Wünscht nicht ein hertz / daß es dabey vergeh? Albanie. 30 6. Albanie / weil noch der wollust-thau Die glieder netzt / und da geblüte springet / So laß doch zu / daß auff der Venus-au Ein brünstger geist dir kniend opffer bringet / Daß er vor dir in voller andacht steh. 35 Albanie. In: Neukirch (Hg.) I (1961), 70f. 129 B.III.2.2. Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau Florida (1697) MEin schiff treibt lufft und wind / mich treibet lieb und brunst / Ich muß in Florida den steiffen ancker sencken / Beseegel ich die see vergebens und umsonst / Sol ich denn ohne frucht das schwere ruder lencken? Gold / perlen / helffenbein begehrt mein hertze nicht / 5 Das leere Florida soll mir die augen füllen / Und ob dem lande gleich der diamant gebricht / So ist es doch genung mir meine brunst zu stillen. Da soll mein wohnhauß seyn / da sollen leib und geist In höchster freundlichkeit zusammen sich ergötzen / 10 Da will ich / wann und wie es das verhängnüß heist / Mich in die grosse zahl der todten lassen setzen. Doch weil so manches schiff auff dieser reise bleibt / Da alles ist umzirckt mit klippen und mit steinen / So ruff ich Venus an / daß sie die wellen treibt / 15 Und vor den steuermann mir sendet ihren kleinen. Bringt Venus mich an port / und setzet mich ans land / So will ich täglich mich zu ihrem tempel fügen / Und ich verspreche ihr mit sinnen / hertz und hand / Daß ich ins künfftig will auff blosser erde liegen. 20 Titel Florida] Frauenname und zugleich Bezeichnung der amerikanischen Halbinsel 5 helffenbein] Elfenbein 16 ihren kleinen] Amor, Venusknabe, Gott der Liebe In: Neukirch (Hg.) II (1965), 10. <?page no="528"?> 000527 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 527 130 - Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau: „So soll der purpur deiner lippen“ | 130 B.III.2.2. Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau „So soll der purpur deiner lippen“ (1695) SO soll der purpur deiner lippen Itzt meiner freyheit bahre seyn? Soll an den corallinen klippen Mein mast nur darum lauffen ein / Daß er an statt dem süssen lande / 5 Auff deinem schönen munde strande? Ja / leider! es ist gar kein wunder / Wenn deiner augen sternend licht / Das von dem himmel seinen zunder / Und sonnen von der sonnen bricht / 10 Sich will bey meinem morrschen nachen Zu einen schönen irrlicht machen. Jedoch der schiffbruch wird versüsset / Weil deines leibes marmel-meer Der müde mast entzückend grüsset / 15 Und fährt auff diesem hin und her / Biß endlich in dem zucker-schlunde Die geister selbsten gehn zu grunde. Nun wohl! diß urthel mag geschehen / Daß Venus meiner freyheit schatz 20 In diesen strudel möge drehen / Wenn nur auff einem kleinen platz / In deinem schooß durch vieles schwimmen / Ich kan mit meinem ruder klimmen. Da will / so bald ich angeländet / 25 Ich dir ein altar bauen auff / Mein hertze soll dir seyn verpfändet / Und fettes opffer führen drauff; Ich selbst will einig mich befleissen / Dich gött- und priesterin zu heissen. 30 11 nachen] kleines Boot 14 marmel] Marmor 19 urthel] Urteil 20 Venus] Liebesgöttin In: Neukirch (Hg.) I (1961), 449f. <?page no="529"?> 000528 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 528 | 131 - Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau: Sonnet. Er schauet der Lesbie ... 131 B.III.2.2. Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau Sonnet Er schauet der Lesbie durch ein loch zu (1695) ES dachte Lesbie / sie sässe gantz allein / Indem sie wohl verwahrt die fenster und die thüren; Doch ließ sich Sylvius den geilen fürwitz führen / Und schaute durch ein loch in ihr gemach hinein. Auf ihrem lincken knie lag ihr das rechte bein / 5 Die hand war höchst bemüht / den schuch ihr zuzuschnüren / Er schaute / wie der moß zinnober weiß zu zieren / Und wo Cupido will mit lust gewieget seyn. Es ruffte Sylvius: wie zierlich sind die waden Mit warmem schnee bedeckt / mit helffenbein beladen! 10 Er sahe selbst den ort! / wo seine hoffnung stund. Es lachte Sylvius / sie sprach: du bist verlohren / Zum schmertzen bist du dir / und mir zur pein erkohren: Denn deine hoffnung hat ja gar zu schlechten grund. 3 fürwitz] Neugierde 6 schuch] Schuh 7 zinnober] Verbindung von Quecksilber und Schwefel, leuchtend rot 8 Cupido] Sohn der Venus, röm. Liebesgott 10 helffenbein] Elfenbein Die Ausgabe M 216 weist bedeutsame semantische Unterschiede auf: 12 Es lachte Sylvius] Es lachte Lesbia 13 Zum schmertzen] Zum schertzen In: Neukirch (Hg.) I (1961), 45. 132 Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau Rede der schreibe-feder (1695) MJch hat ein schwaches thier zwar zu der welt gebracht / Doch kan ich thron und kron durch meine kunst besiegen / Es wird des scepters stab zu meinen füssen liegen / Wo ihn der kluge kiel durch sich nicht schätzbar macht. Rom war bey aller welt durch mich so groß geacht / 5 Daß / wenn sich könige und fürsten musten biegen / So stieg ich über diß. Den lorbeer-krantz von kriegen Hat eintzig und allein vermehret meine pracht. Der himmlische Virgil saß in Augustus schooß / <?page no="530"?> 000529 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 529 133 - Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau: Sonnet. Vergänglichkeit der Schönheit | Und Cicero hat offt durch reden Rom beweget. 10 Itzt wird Germanien noch tausendmahl so groß / Weil es den helden-muth auff freye künste leget. Manch hut / der mich zwar trägt / wird nur durch mich verstellt / Weil sich nicht kunst und witz zu seinem strauß gesellt. 9 Virgil saß in Augustus schooß] Vergil schrieb während der Herrschaft von Kaiser Augustus, der u. a. die Aeneis als Verewigung seines Ruhms in Auftrag gab; vgl. auch Verkehrtes sonnet der schreibe-feder ( 151) 10 Cicero] Marcus Tullius Cicero (106-46 v. Chr.), röm. Politiker und Anwalt; gilt als Inbegriff der Beredsamkeit In: Neukirch (Hg.) I (1961), 363. 133 Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau Sonnet. Vergänglichkeit der Schönheit (1695) ES wird der bleiche tod mit seiner kalten hand Dir endlich mit der zeit um deine brüste streichen / Der liebliche corall der lippen wird verbleichen; Der schultern warmer schnee wird werden kalter sand / Der augen süsser blitz / die kräffte deiner hand / 5 Für welchen solches fällt / die werden zeitlich weichen / Das haar / das itzund kan des goldes glantz erreichen / Tilgt endlich tag und jahr als ein gemeines band. Der wohlgesetzte fuß / die lieblichen gebärden / Die werden theils zu staub / theils nichts und nichtig werden / 10 Denn opffert keiner mehr der gottheit deiner pracht. Diß und noch mehr als diß muß endlich untergehen / Dein hertze kan allein zu aller zeit bestehen / Dieweil es die natur aus diamant gemacht. In: Neukirch (Hg.) I (1961), 46f. <?page no="531"?> 000530 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 530 | 134 - Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau: An die Phillis 134 B.III.2.1. Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau An die Phillis (1697) DEr und jener magt vor mir Das gelobte land ererben; Laß mich / Phillis / nur bey dir Auf den hohen hügeln sterben. In: Neukirch (Hg.) II (1965), 12. 135 Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau Die Welt (1679) WAs ist die Welt / und ihr berühmtes gläntzen? Was ist die Welt und ihre gantze Pracht? Ein schnöder Schein in kurtzgefasten Gräntzen / Ein schneller Blitz bey schwartzgewölckter Nacht. Ein bundtes Feld / da Kummerdisteln grünen; 5 Ein schön Spital / so voller Kranckheit steckt. Ein Sclavenhauß / da alle Menschen dienen / Ein faules Grab / so Alabaster deckt. Das ist der Grund / darauff wir Menschen bauen / Und was das Fleisch für einen Abgott hält. 10 Komm Seele / komm / und lerne weiter schauen / Als sich erstreckt der Zirckel dieser Welt. Streich ab von dir derselben kurtzes Prangen / Halt ihre Luft vor schwere Last. So wirstu leicht in diesen Port gelangen / 15 Da Ewigkeit und Schönheit sich umbfast. 8 Alabaster] marmorähnliche Gipsart 15 port] Hafen In: Hoffmannswaldau (1968), 251. <?page no="532"?> 000531 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 531 136 - Daniel Casper von Lohenstein: Agrippina. Trauerspiel | 136 B.III.3.1.2. Daniel Casper von Lohenstein (1635-1683) Aus: Agrippina. Trauerspiel (1665) [Der römische Kaiserhof ist eine Brutstätte für Eifersucht, Intrigen und Dekadenz. Kaiser Nero hat ein Auge auf die Gemahlin des Höflings Otho geworfen. Diese setzt umgehend alles daran, ihre neue Stellung zu festigen und stiftet Nero dazu an, seine Gemahlin Octavia und seine Mutter Agrippina aus dem Weg zu räumen. Als es so aussieht, als könne nichts mehr den Entschluss des Kaisers umstoßen, greift Agrippina zu drastischen Maßnahmen und versucht, ihren Sohn zu verführen.] Dritte Abhandlung [ … ] Der Schauplatz verändert sich in des Käysers Schlaff-Gemach. Agrippina. Nero. agrippina. Mein Kind / mein süsses Licht / was hällt’st du länger mir Der halb geschmeckten Lust mehr reiffe Früchte für? Die Libe die sich noch läß’t in den Augen wigen / Läß’t sich mit lauter Milch der Küsse zwar vergnügen: Wenn aber schon diß Kind biß zu der Seele wächs’t / 135 So siht man: Daß sein Durst nach stärckerm Nectar lächs’t. Mein Schatz / es sätig’t nicht des Küssens reitzend Kosen. Die Purper-Lippen sind die rechten Zukker-Rosen / Darunter stets die Zung’ als eine Natter wach’t / Biß uns ihr züngelnd Stich hat Brand und Gifft beybracht / 140 Den nur der glatte Schnee der Schooß weiß abzukühlen. Warumb denn lissestu mich deinen Liebreitz fühlen / Wenn du dein Labsal mir zeuchst für dem Munde weg? Ach! so erkwick’ uns doch der Libe letzter Zweck! Die Anmuth ladet uns selbst auf diß Purper-bette. 145 nero. Ja / Mutter / wenn mich nicht der Schooß getragen hätte. agrippina. Die Brüste / die du oft geküß’t hast / säugten dich: Was hat nun Brust und Schooß für Unterscheid in sich? nero. Es hält uns die Natur selbst bey dem letzten wieder. agrippina. Wirf / was die Freyheit hemm’t / der Thorheit Kap-zaum nider / 150 Der für den Pöfel nur / für Sclaven ist erdacht. Wenn der Begierden Pferd uns Bügel-loß gemacht / So muß ihm die Vernunfft den Zügel lassen schüßen Biß sich’s nach Müdigkeit selbst wider ein läß’t schlüßen / <?page no="533"?> 000532 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 532 | 136 - Daniel Casper von Lohenstein: Agrippina. Trauerspiel Wenn es nicht stürtzen sol. 155 nero. Man sorge / wenn es spring’t: Daß uns der Wille nicht einst aus dem Bügel bring’t. Denn soll man allererst den Zügel ihm enthengen / Kan’s über Stock und Stein uns leicht in Abgrund sprengen. agrippina. Was für ein Abgrund kan hier wol befürchtet seyn? nero. Die Sünde. 160 agrippina. Bilde dir solch alber Ding nicht ein. Wer unter Satzung leb’t / kan nur Verbrechen üben. Wer aber hat Gesätz’ je Fürsten vorgeschriben? nero. Mein’t sie: Daß Göttern nicht die Sünde mißgefällt? agrippina. Jm Himmel herrschet Gott / der Käyser auf der Welt. nero. Hier dämpf’t selbst die Natur Scham-röthend die Begierde. 165 agrippina. Nein! Jhr Magnet zeucht sich zum Nord-stern reiner Zierde nero. Absteigendes Geblütt’ ist über’n Mittags-Kreiß / Darüber kein Magnet von ein’ger Würckung weiß. agrippina. Der Liebe mehr denn viel / die ihre Flammen sämen Jn alle Seelen kan. Sol sich die Mutter schämen 170 Zu liben ihren Sohn? Die mit der Milch ihm flöß’t Die Libes-Ader ein. Der Unhold Gift-Maul stöß’t So herbe Schleen aus / und such’t die Libes-Kwällen / Die in der Kinder Hertz’ entspringen / zu vergällen. Wer sol die Mutter-Brust mehr liben / als ihr Kind? 175 nero. Ja / aber daß darzu nicht gifft’ge Wollust rinn’t. agrippina. Wo Libes-Sonnen steh’n folg’t auch der Wollust Schatten. nero. Pfleg’t doch der Storch sich mit der Mutter nicht zu gatten. agrippina. Einfält’ger! Wer gib’t dir so alb’re Fabeln ein? Worwider Stern und Welt selbst müssen Zeugen seyn. 180 Wir müssen die Natur der Dinge Zirckel nennen. Denn würde nicht ihr Lauff zu seinem Uhrsprung rennen / So würd’ ihr Uhrwerck bald verwirr’t und stille steh’n. Des Himmels Umb-trieb muß nach Osten widergeh’n / Wo sein Bewegungs-Kreiß den Uhrsprung hat genommen. 185 Der Frühling muß zum Lentz / der Fluß zum Kwälle kommen. Die Sonne rennet stets der Morgen-röthe nach / Und ihrer Mutter Schoos ist auch ihr Schlaf-Gemach. Warumb sol denn diß Thun als Unthat seyn verfluchet / Wenn ein holdreicher Sohn die Schoos der Mutter suchet? 190 Den Brunnen der Geburth? Da er der Libe Frucht Und die Erneuerung des matten Lebens such’t. nero. Es läß’t hierinnen sich aus Gleichnüssen nicht schlüssen. <?page no="534"?> 000533 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 533 136 - Daniel Casper von Lohenstein: Agrippina. Trauerspiel | agrippina. Der Käyser mach’t ihm nur ein allzu zart Gewissen / Und läß’t sich binden diß / was ihn nicht binden kan. 195 Ward ein Gesätze doch auch damahls abgethan / Als Claudius mit uns vermählet wolte leben. Warumb kan Nero denn nicht auch Gesätz’ aufheben? nero. Von’s Brudern Tochter schick’t zur Mutter sich kein Schluß. agrippina. Jst ichtwas / das sich nicht den Fürsten schicken muß? 200 Zu dem / wird denn von uns / was unerhört / begehret. Hat Macareus nicht der Canacen gewehret / Was er auf so viel Thrän’ und Säufzen uns nicht gib’t. Als sich Antiochus in’s Vatern Frau verlib’t / Hat ihm Seleucus stracks die Mutter abgetretten. 205 nero. Kan frembder Jrrthum uns von dem Verbrechen retten? agrippina. Der Persen Recht läß’t zu: daß eine Mutter sich Jn’s Sohnes Bette lägt. Und du besorgest dich: Daß / was den Pöfel nicht bestrickt / uns Fürsten binde. nero. Viel / was der Perse lob’t / ist bey den Römern Sünde. 210 agrippina. Gesätzt: Daß unsre Lieb’ je ein Verbrechen sey; Gesätzt: Daß Müttern nicht was Frembden stehe frey / So dencke: Daß wir ja hier nicht aus Vorsatz irren. Sol sich der Vogel nicht in’s Netze lassen kirren / So pflantz’ ihm die Natur nicht das Gelüsten ein; 215 So tilge sie den Baum / wo schöne Beeren seyn. Wenn in den Augen schon der Schönheit Schwefel stecket / Wird in dem Hertzen leicht ein solcher Brand erwecket / Der nicht zu leschen ist / biß Licht und Tacht entgeh’t / Und der Vernunfft Gesicht’ in vollem Rauche steh’t. 220 Sol der nun strafbar seyn / der nicht durch Nebel sihet. Der sich nicht leschen kan / wie sehr er sich bemühet? Erwege doch mein Kind: Man nimm’t geweyhtes Brodt Zuläßlich vom Altar bey ärgster Hungers-Noth: Jch aber / die ich doch der Brunn bin deines Lebens / 225 Bitt’ umb die Nahrungs-Milch der Libe so vergebens. Werd’ also nur für Brunst erdürstende vergeh’n / Wo tausend Kwällen doch beliebten Nectars steh’n. nero. Kan wol ein Mutter-Hertz empfinden solche Schmertzen? agrippina. Jch libe dich mit mehr als Mütterlichem Hertzen 230 Jch nehme nun nicht mehr den Nahmen Mutter an / Weil keine Mutter doch so hefftig liben kan. Er zittert / er erblaß’t / ihm beben alle Glieder / Jtzt säuftz’t / itzt lächelt er; itzt komm’t die Farbe wider! <?page no="535"?> 000534 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 534 | 136 - Daniel Casper von Lohenstein: Agrippina. Trauerspiel Jch merck’ es: Agrippin’ ist allzu zaghaft noch. 235 Wo Worte Kraft-loß sind / da fruchten Wercke doch. Jch falle dir zu Fuß’ / ich küsse Knie und Hände. Mein Kind / erbarm dich doch / und kühle Brunst und Brände? Wie? oder muß ich gar in Asche seyn verkehr’t / Jn dem dein Hertze Schnee / dein Antlitz Feuer nehr’t? 240 Schau / wie der Seele Dampff in Thränen schon zerflüße? Die Lippe schwitzet Oel und Balsam heisser Küsse! Die rothe Flamme krön’t der Brust geschwellte See; Und Nerons Leib bleib’t Eiß / und Nerons Hertz’ ist Schnee? Mein Licht / komm lasse doch aus diesen Marmel-Brüsten / 245 So wie vor Milch / itzt Oel zu säugen dich gelüsten: Schmeck’ / ob hier nicht was mehr als Milch für Kinder rinn’t; Weil diese Berge doch der Richt-Platz Jda sind / Da Hoheit und Verstand von Schönheit wird besiget. Komm schmeck’: ob man hier nicht mehr güldner Aepffel kriget / 250 Als wol Granaten sind. Der Garten meiner Schooß Jst schöner / als wormit sich Hesperis macht groß. Die Frucht / die hier wird reif / ist Himmel-Brod der Erden / Jst Nectar aller Welt. nero. Wer hier nicht lüstern werden / Wer hier nicht naschen wil / muß ein entseelter Stein / 255 Nicht Agrippinens Kind / nicht ihr Geblütte seyn. Komm / Mutter / labe mich mit deinen Mund-Corallen / Wo mein verlibter Geist nicht sol in Ohnmacht fallen! Ich brenn’ / ihr Brüst’ / ich brenn’ / itzt hab ich erst geschmeck’t: Daß in dem Schneegebirg’ ein feurig Etna steck’t. 260 Mein Licht / so lasse nun mit kühlen Anmuths-Wellen Dis Alabaster-Meer sich gegen mir aufschwellen / Darinnen sich der Brand der Seele leschen kan; Entblöß’ - - - - - - Die fünffte Abhandlung [ … ] agrippina. Stoß / Mörder / durch das Glied / das es verschuldet hat / Stoß durch der Brüste Milch’! Di solch ein Kind gesäuget / Stoß durch den nackten Bauch / der einen Wurm gezeuget / Der grimmer als ein Drach’ und gift’ger als ein Molch! 155 [Aus den „Anmerckungen“ Lohensteins: ] GEneigter Leser. Es wird in gegenwärtigem Trauer-Spiele vorgestellet ein Schauplatz grausamster Laster / und ein Gemählde schrecklicher Straffen. Unkeuschheit und Ehrsucht kämpffen mit einander umb den Sieges-Krantz. <?page no="536"?> 000535 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 535 136 - Daniel Casper von Lohenstein: Agrippina. Trauerspiel | Alleine beyden muß endlich Kind und Hölle zum Hencker / Myrthen und Lorber-Zweige aber in Cypressen verwandelt werden. Ihre boßhafften Gemüths-Regungen habe ich mit 160 schönern Farben nicht abmahlen dörffen. [ … ] 〈 III 〉 V. 202. Hat Macareus nicht der Canacen gewehret] Diese Verliebte waren Bruder und Schwester. Naso hat ein schön Send-Schreiben der Canace an den Macareus in Heroid. 〈 III 〉 V. 204. Als sich Antiochus ins Vatern Frau verliebt] Die Geschichte ist berühmt: Das sich Antiochus in des Seleucus seines Vatern Gemahlin Stratonice verliebet: Daß er auch 165 todtkranck darüber worden. Welches der Arzt Erasistratus wahrgenommen und dem Seleucus offenbahret / darauff er seinem Sohne die Gemahlin abgetreten. Appian. in Syriaco. Diese Geschichte führet artlich ein Petrarca nel cap. 2. del Trionfo d’Amore p. m. 168. [ … ] 〈 III 〉 V. 210. Viel / was der Perse lobt / ist bey den Römern Sünde] Hiervon redet die gantze 170 Præfatio Æmilii Probi. 〈 V 〉 V. 122. Im Fall du / wies ihr geht. &c.] Dieses alles hat Tacit. 14. Ann. c. 9. n. 5. 6. Xiphilin. in Neron. p. 164. meldet noch: Daß Agrippine vom Bette auffgesprungen sey / sich entblösst und das Kleid zerrissen habe / sagende: Durchstich den Bauch / denn er hat den Nero gebohren. 133 die sich [ … ] wigen] die noch in der Wiege liegt (d. h. am Anfange steht), da sie bisher auf Blicke beschränkt ist 134 vergnügen] zufriedenstellen 145 Die Anmuth] Begierde 149 wieder] zurück 150 Kap-zaum] Zaum für widerspenstige Pferde 158 enthengen] locker lassen 161 Wer [ … ] üben] alter Rechtsgrundsatz, in lat. Form Nullum crimen, nulla poena sine lege [,Denn wo das Gesetz nicht ist, da ist auch keine Übertretung‘] 164 Jm Himmel [ … ] Welt] Sprichwort 167 Absteigendes Geblütt] Verwandtschaft in absteigender Linie, hier zwischen Mutter und Sohn übern Mittags-Kreiß [ … ] weiß] Meridian, Kreis vom Nordzum Südpol. Das Bild ist so zu verstehen: Wie die Magnetnadel nur die Nord-Süd-Richtung angeben kann, so richtet sich die geschlechtliche Begierde nur auf Personen, zwischen denen keine gerade Blutsverwandtschaft besteht; gäbe es zwischen Mutter und Sohn eine Begierde, wäre es so, als würde der Kompass versagen 169 Der Liebe mehr denn viel] ,Der Magnet der Liebe kennt mehr als viel Wirkung‘ sämen] säen 172 Unhold] Missgunst 178 Pfleg’t [ … ] zu gatten] im Altertum glaubte man, daß die Störche ihren Eltern mit besonderer Pietät begegneten 184 Umb-trieb] Umlauf 186 Lentz] hier wohl im Sinne von ,Frühlingsanfang‘ 193 aus Gleichnüssen nicht schlüssen] Gleichnisse belegen kein Argument 196f. Ward ein Gesätze [ … ] wolte leben] die Eheschließung Agrippinas mit ihrem Onkel Kaiser Claudius war erst durch eine Gesetzesänderung möglich geworden 200 ichtwas] irgend etwas 202 Macareus nicht der Canacen] Canace verliebte sich in ihren Bruder Macareus und wurde von ihm schwanger. Nach der Geburt ihres Kindes beging sie auf Geheiß ihres Vaters Selbstmord 204f. Als sich [ … ] abgetretten] Seleukos, der Gründer des Seleukidenreiches, trat 293 v. Chr. nach fünfjähriger Ehe seine Frau Stratonike an seinen Sohn Antiochos ab, der, wie es heißt, vor unerfüllter Liebe zu seiner Stiefmutter krank geworden war und nur durch eine Ehe mit Stratonike gerettet werden konnte 207 Der Persen Recht läß’t zu] der Partherkönig Phraataces heiratete seine Mutter Musa im Jahre 2 n. Chr. Musa war ursprünglich eine Sklavin, die Kaiser Augustus dem König Phraates zur Konkubine geschenkt hatte; sie vergiftete ihn und setzte den gemeinsamen Sohn auf den Thron 209 bestrickt] fesselt 214 kirren] locken 219 Tacht] Docht entgeh’t] vergeht 220 Gesicht] Sehkraft 243 rothe Flamme] Brustwarzen 248 der Richt-Platz Jda] Anspielung auf das Paris-Urteil, das im Ida-Gebirge (Phrygien) stattgefunden hat. Laut griech. Mythologie musste der Jüngling Paris entscheiden, wer von den drei Göttinnen Juno, Minerva und Venus die schönste ist; Venus bietet ihm die schöne Helena zur Frau, daher überreicht er ihr den Apfel mit der Aufschrift ,die Schönste‘ 249 Hoheit [ … ] Schönheit] Hoheit, Verstand und Schönheit werden Juno, Minerva und Venus zugeordnet 250 güldner Aepffel] Anspielung auf die goldenen Äpfel im Garten der Hesperiden: Nymphen, benannt nach Hesperia, einem sagenhaften Land am westlichen Ende der Welt 252 Hesperis] Singular von ,Hesperides‘ (eine stellvertretend für alle) 154 Wurm] Schlange, Drachen In: Lohenstein (2005) II: Dramen, Bd. 2,1, S. 88-93, 136, 166, 210 und 223. Anmerkungen nach ebd., II: Dramen, Bd. 2,2. <?page no="537"?> 000536 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 536 | 137 - Daniel Casper von Lohenstein: Sophonisbe / Trauerspiel 137 B.III.3.1.3. Daniel Casper von Lohenstein Sophonisbe / Trauerspiel (1680) [Es herrscht Krieg in den zwei Numiderreichen. Masinissa, König von Ost-Numidien und im Bund mit Rom, hat die west-numidische Hauptstadt Cyrtha eingenommen und plant deren Herrscher, den mittlerweile eingekerkerten König Syphax, in dessen Zelle zu ermorden. Um diesen Plan zu vereiteln, nimmt Syphax’ Gemahlin, Königin Sophonisbe, in einer Verkleidung den Platz ihres Ehemannes im Kerker ein und sieht ihrem Tod entgegen.] Die andere Abhandlung [ … ] Masinissa. Sophonisbe masinissa. Was schwermet Syphax noch in dieser Einsamkeit? Was zanckt er mit sich selbst? Verräther / itzt ist’s Zeit: 310 Daß deine Herschens-sucht so Gift als Geist ausblase; Daß Masanissens Stahl in deinen Därmern rase / Den du / Friedbrüchiger / des Reiches hast entsetzt. Was seuftz’t? was murmelt er? laßt hören / was er schwätzt? sophonisbe. Ja! Masinissa / ja! vollstrecke deine Rache! 315 Du hast nicht schlechten Grund / ich eine böse Sache. masinissa. Reitzt der Verzweifelte mich selbst zum straffen an? sophonisbe. Weil / ausser durch den Tod / ich nicht genesen kan. masinissa. Weil du dich selbst verdammst und deine böse Lüste / So kriege Tod und Stich. 320 sophonisbe. Ja stoß durch diese Brüste! masinissa. Hilf Himmel! ich erstarr! sophonisbe. Wie? daß der Dolch entfällt? Masinissa. Wie? hat der Syphax sich in eine Frau verstellt? Laß’ uns dis Wunder-Werck was eigen doch betrachten! sophonisbe. Will Masinissa nicht mich Sophonisbe schlachten? masinissa. Jhr Götter! bin ich noch bei Witze? träumet mir? 325 Jst Sophonisbe dis? ist Syphax nicht mehr hier? sophonisbe. Sie ist es / grosser Fürst / sie kniet für Masanissen. masinissa. Ließ mein Manastabel sie in den Kercker schlüssen? Der Schwefel sol sein Lohn / die Faust sein Hencker sein! sophonisbe. Nein! meine Treu schleust mich in diesen Fesseln ein. 330 masinissa. Die Treue? leg’ uns aus dein seltzam Ebentheuer. sophonisbe. Welch Ertzt zerschmeltzet nicht durch heisses Liebes-Feuer? <?page no="538"?> 000537 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 537 137 - Daniel Casper von Lohenstein: Sophonisbe / Trauerspiel | masinissa. Es dünckt mich / was du sagst / ein leer- und blosser Traum. sophonisbe. Verzeihe / grosser Fürst. Jch darf mein Laster kaum Eröfnen. 335 masinissa. Sag’s / was ist’s? was nennst du dein Verbrechen? sophonisbe. Die Zunge stammelt mir / wenn ich es aus will sprechen. masinissa. So starrt der Mund für dem / was Hertz und Hand vollbracht? sophonisbe. Jch hab’ aus dieser Kluft den Syphax loos gemacht. masinissa. Und sie hat sich für ihn in Ketten schrauben lassen? sophonisbe. So ist’s! weil ich für ihn mir wünsche zu erblassen. 340 Großmächt’ger Herr und Fürst! verzücke nicht den Stich; Bepurper diese Brust. Nimm für den Syphax mich Zu deinem Opfer an. Jch weiß: daß mein Beginnen Halsbrüchig Laster sey. Jch werde viel gewinnen / Wenn deine blöde Magd / die für dir säuftzend kniet / 345 Und nach dem Tode girrt / durch deine Faust sich siht Durch keinen Römer falln. masinissa. Durchlauchste Sophonisbe. Machstu die Fabel wahr von der getreuen Thisbe? O Demant-feste Treu! O Liebe / die für ihr Kein gleiches Beyspiel hat! die Tugend wigt in dir 350 Noch deine Schönheit weg. Was starrst du / Masanisse? Läst du die Göttin noch umbarmen deine Füsse? Brich der Andromede verdammten Stahl entzwey! Verschweig ihr länger nicht: daß Sophonisbe sey Des Masinissa Sonn’ / Aug-Apffel / Göttin / Engel; 355 Er tieffster Sclav’ und Knecht. sophonisbe. Jch kenne meine Mängel. Entweihe deinen Mund durch eiteln Lobspruch nicht. masinissa. Jch fange Flamm’ und Glutt von deiner Tugend Licht’. Jch brenne durch den Blitz der Schönheit angezündet! Wie bald wird nicht besiegt / der mehrmals überwindet? 360 Wie fällt in Fässel der / der sie löst andern auf! Schau: wie der Liebe Blitz durch Pfeil-geschwinden Lauf Den Grimm wie Wachs zerschmeltzt / des Siegers eificht Hertze Wie Schwefel zündet an; wie der Begierden Kertze Des Hasses Rauch zertreibt! wie Masanissa brennt; 365 Der dich die Siegerin / sich den Besiegten nennt! sophonisbe. Verfinster deinen Glantz nicht in so düstrer Höle. Die ersten Regungen in einer zarten Seele Sind keine Wolcken nicht / nur leichter Hägerauch / <?page no="539"?> 000538 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 538 | 137 - Daniel Casper von Lohenstein: Sophonisbe / Trauerspiel Den Sonn’ und Wind bald tilgt. Und er / mein Fürst / wird auch / 370 Eh als es Mittag wird / mit klärern Augen sehen. masinissa. Nein! meine Flammen wird Vernunft und Zeit aufwehen! Jch habe dieser Glutt zwar Anfangs widerstrebt; Doch ich floh wie ein Reh / in dem der Pfeil schon klebt. Jch wollte mit Gewalt die Augen von dir kehren. 375 Doch ich empfand: daß sie von Arth der Adler weren / Du ihr schön Sonnenradt. Ja hette meine Pein Mir Ruh und Schlaff vergönnt / würd’ es ein Traum zu sein Mich düncken! aber ach! ich brenn’ und werde brennen! Das Epheu läßt sich nicht gantz von der Staude trennen / 380 Jch nicht beseelt von dir! Ja / ausser dir bin ich Todt. Denn ich habe ja kein ander Hertz als dich. Mein Abgott / Sophonisb’; Jch falle dir zu Fusse; Ach! kühle meinen Brand mit einem feichten Kusse! Geuß in mein siedend Hertz zwey Tropfen reiner Gunst. 385 Wie wird mir? Himmel hilf! kreucht durch so heisse Brunst Das Eis des Todes uns und Ohnmacht in das Hertze? Mein Lebens-Wachs zerrinnt / weil meine Liebes-Kertze Mit allzu grosser Glutt das Adern-Oel greift an. Ach! daß sich nicht die Seel’ in dich verwandeln kan! 390 sophonisbe. Mein Fürst / mein Augen-Trost; zwar mein Seele schwimmet Jn diesen Flammen auch / worvon dein Hertze glimmet: Der Himmel aber spricht uns diesen Brand nicht gutt / Entzeucht den Ampeln’s Oel / geust Wasser auf die Glutt. masinissa. Welch Unmensch mag so schwartz dir Stern und Himmel mahlen? 395 sophonisbe. Mein Auge wirft mit fug nur auf den Syphax strahlen. masinissa. Der flüch’ge Syphax ist dir ein verlohrnes Ziel? sophonisbe. Jch blieb sein Eh-Gemahl / als gleich sein Glücke fiel masinissa. Die Stratonice freyt noch bey Seleucus leben. sophonisbe. Seleucus hat mit will’n dem Sohne sie gegeben. 400 masinissa. Auch Syphax kan nun nicht mehr eyfersichtig sein. sophonisbe. Das Unglück äschert nicht der Liebe Pfeiler ein. masinissa. Hat Asdrubal mich dir zum Bräut’gam doch erwehlet. sophonisbe. Carthago aber hat mich ihm / nicht dir vermählet. masinissa. Zernichtet Kaccabe mit Fug der Eltern Schluß? 405 sophonisbe. Das Vaterland geht für / dem alles weichen muß. masinissa. Das Kriegs-Recht scheidet sie / und schenckt sie meinen Händen. sophonisbe. Wil er umb meine Gunst sein gantzes Heil verschwenden? masinissa. Wahrhafte Liebe scheut ein scheles Auge nicht. sophonisbe. Er weiß / mein Fürst / was Rom für strenges Urtheil spricht. 410 <?page no="540"?> 000539 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 539 137 - Daniel Casper von Lohenstein: Sophonisbe / Trauerspiel | masinissa. Hat Rom im Lieben uns Gesätze vorzuschreiben? sophonisbe. Jch werde Scipions Gefang’ne sollen bleiben. masinissa. Nimmt Cyrtha Scipio / nicht Masinissa ein? sophonisbe. Die grösten Fürsten solln der Römer Werckzeug sein. masinissa. Jch bin Roms Sclave nicht / es heißt mich Bunds-Genossen. 415 sophonisbe. Sie wolln stets erndten ein / wo andre gleich gegossen. masinissa. Dich Sophonisbe nicht / weil Masinissa lebt. sophonisbe. Jch sorge: daß mir dis den Sterbekittel webt! masinissa. Jch wil den Bund mit Rom / eh als den Eyd dir brechen. sophonisbe. Jch darf / mein Schutz-Gott / dir nun nicht mehr widersprechen. 420 Die Flamme läßt in mir sich länger nicht verhöln. Laß einen heissen Kuß den todten Mund beseeln. Denn Küssen ist der Kern / die Seele ja der Liebe. Jtzt folgt nach Thränen Lust / und Sonnenschein aufs Trübe. Jch bin aus mir entzückt / ersäuft von Glück und Lust! 425 Jch opfere mein Hertz und wiedme meine Brust Zum Tempel - masinissa. Himmel hilf! wil sie in Ohnmacht fallen? sophonisbe. Laß Labsal saugen mich aus deinen Mund-Korallen. masinissa. Streut zweyer Sonnen Nacht der Thränen Thau von sich? sophonisbe. Mein Brand zerschmeltzt die Seel’ und fleucht aus mir in dich! 430 masinissa. Und meine lächst nach dir! Jch sincke für dir nieder! Jch gebe dir dein Reich mit meiner Seele wieder. Das Einhorn lägt sein Horn / das Zepter seiner Macht / So in der Frauen Schoos. Laß uns / mein Licht / bedacht Stracks auf die Hochzeit sein / und aus dem Kercker gehen. 435 Vollzogner Heyrath kan Rom schwerer wiederstehen. 309 schwermet] phantasiert 323 was eigen] etwas genauer 325 bei Witze] bei Verstand 327 für] vor 330 schleust] schließt 331 Ebentheuer] Abenteuer 337 starrt [ … ] für dem] stockt angesichts dessen 338 Kluft] hier im Sinne von ,Kerker‘, ,Verlies‘ 341 verzücke] halte zurück 342 Bepurper] färbe rot 345 blöde] hier: schwach oder auch verzagt 346 girrt] schmerzlich verlangt 348 Fabel [ … ] Thisbe] laut Ovids Metamorphosen (4,55-166) verabredet sich das Liebespaar Pyramus und Thisbe nächtens an einem Grabmal; Thisbe wird von einer Löwin überrascht, kann aber fliehen. Als Pyramus zum Treffpunkt kommt, findet er nur noch ihren blutigen Mantel und tötet sich im Glauben, seine Geliebte sei gestorben. Als Thisbe zurückkehrt, findet sie den Sterbenden und nimmt sich mit seinem Schwert ebenfalls das Leben 351 starrst] zögerst, zauderst 353 der Andromede verdammten Stahl] Masinissa vergleicht sich mit Perseus, der die an Klippen gefesselte Andromeda vor dem Seeungeheuer rettet 357 eiteln] nichtigen 361 Fässel] Fessel 369 Hägerauch] Höhenrauch, leichter Neber oder Dunst am Sommerhimmel 372 aufwehen] auflodern lassen 377 Sonnenradt] die Sonne 384 feichten] feuchten 385 Geuß] Gieß 389 das Adern-Öl] das Blut 393 spricht [ … ] nicht gutt] heißt nicht gut, billigt nicht 399 Stratonice [ … ] dem Sohne sie gegeben] Seleukos, der Gründer des Seleukidenreiches, trat 293 v. Chr. nach fünfjähriger Ehe seine Frau Stratonike an seinen Sohn Antiochos ab, der, wie es heißt, vor unerfüllter Liebe zu seiner Stiefmutter krank geworden war und nur durch eine Ehe mit Stratonike gerettet werden konnte 403 Hat Asdrubal [ … ] dir vermählet] nach Appian hat Hasdrubal seine Tochter mit Masinissa verlobt und dann zusammen mit diesem in Spanien Krieg gegen die Römer geführt. Unterdessen habe Syphax, der Sophonisbe ebenfalls liebte, karthagisches Gebiet geplündert und ein Bündnis mit Rom vorbereitet. Um dieses zu hintertreiben, hätten die Karthager Sophonisbe ohne Wissen ihres Vaters mit Syphax verheiratet. Hasdrubal habe daraufhin versucht, Masinissa töten <?page no="541"?> 000540 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 540 | 138 - Daniel Caspar von Lohenstein: Großmütiger Feldherr Arminius oder Herrmann zu lassen. 405 Kaccabe] griech. Name Karthagos 406 für] vor 409 scheles] missgünstiges 417 weil] solange 421 verhöln] verhehlen 425 aus mir entzückt] mir selbst entrückt 429 zweyer Sonnen [ … ] Thau] Sophonisbes Augen werden mit zwei Sonnen verglichen, ihre Tränen dem nächtlichen Tau 433 Das Einhorn] Fabeltier, das sich nur von einer reinen Jungfrau einfangen lässt In: Lohenstein (2013) II: Dramen, Bd. 3,1, S. 465-471. Anmerkungen nach ebd., II: Dramen, Bd. 3,2. 138 B.III.3.3. Daniel Caspar von Lohenstein Aus: Großmütiger Feldherr Arminius oder Herrmann (1689/ 90) Weßwegen August nicht so wol umb den Anfang aller von Rom außgehenden Meilen zu rechnen / als das Reichthum seines güldnen Reiches zu bezeichnen / auff den Marckt zu Rom eine Säule aus Golde setzte. Ja nicht nur das Reich überstieg die Schrancken allervorigen / sondern Rom selbst das Maaß aller Städte; dessen Umbkreyß zwey und viertzig Römische Meilen betrug; dessen Häuser sechs Millionen Menschen beherbergten; und derogestalt das 5 übrige Jtalien nicht nur öde und einsam machte / sondern schier aller Völcker der Welt Aufenthalt war; und in einem Tage der vorwitzigen Eitelkeit zehen tausend Pfund zusammen gelesener Spinnen liefern konte. Diesemnach denn die Welt sie für ihr gröstes Wunder / das menschliche Geschlechte sie für ihre Gebieterin zu verehren gezwungen ward / nach dem Glücke und Zeit ihr die Oberhand und die Ewigkeit enträumte. Bey solcher Beschaffenheit 10 schickte Phraates dem Kayser die dem Crassus und Antonius abgenommene Adler wieder / und trat ihm gantz Armenien als ein Kauff-Geld des Friedens ab. Die Parther versicherten ihm ihre Treue durch Geissel / und vertraueten ihm die Auferziehung ihrer Könige. Die herrschsüchtige Candace meynte Egypten zu gewinnen / und büssete ihren Königlichen Sitz Tanape ein. Largus drang biß ins Hertze deß glückseligen Arabiens / und König Samos blieb in 15 seinen Sand-Bergen nicht von den Römischen Waffen unbeirret. Der Jndianische König Porus schickte nach Rom die ersten Tieger / Pirimal auß der Jnsel Taprobana Würtzen / und Edel-Gesteine / umb hierdurch sich beym Augustus einzulieben / und der Römer Freundschafft zu erlangen. Die Deutschen / welche der Kayser und andere grosse Könige wegen ihrer Treue und Tapferkeit ins gemein zu ihrer Leib-Wache erkieseten / stunden den Römern in 20 ihren Kriegen zu Dienste. Die Cimbrer beschenckten ihn mit dem bey ihrem Reiche für das gröste Heyligthum und Kleinod gehaltenem Tiegel / und die / welche ihre Kräfften über die Gewalt der unsterblichen Götter herauß strichen/ lernten nach und nach verschmertzen: daß Drusus deß Kaysers Stief-Sohn durch etliche zwantzig am Rhein-Strome erbauete Festungen ihrer Freyheit gleichsam einen Kap-Zaum anlegte; daß Tiberius biß an die Elbe drang / die 25 Chauzen für seinem Stule die Waffen niederlegten / ja daß deß Kaysers Feld-Hauptmann Quintilius Varus sie nicht so wol mehr mit den Waffen im Zaume hielt / als täglich nach der Schärffe der Römischen Gesetze / oder vielmehr nach dem Wahne seiner lüsternen Begierden verurtheilte. <?page no="542"?> 000541 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 541 139 - Daniel Casper von Lohenstein: Ο ΒΙΟΣ ΕΣΤΙ ΚΟΛΟΚΥΝΘΗ | Unter diesem Joche schmachtete die Welt und Deutschland / so daß nach dem allererst 30 gebändigten Dalmatien niemand war / der wider die Römer einen Degen zuckte / denn der großmüthige Hertzog Melo mit seinen Sicambern und Angrivariern; als zu dem großmüthigen Herrmann der Cherusker Hertzoge sich ein Ausbund der Deutschen Fürsten (welche Quintilius Varus wider den seiner Meynung nach aufrührischen Melo guten theils verschrieben hatte) eingefunden / und auf seine bewegliche Aufmunterungen in dem Deutschburgi- 35 schen Forst an der Lippe ihre Heer-Spitzen versammlet hatten. Die Sonne trat gleich in die Wage / und war selbigen Tag schon zu Golde gegangen / nach Mitternacht solte auch gleich der volle Mond eintreten / als Hertzog Herrmann die Grossen in dem Häyn der Göttin Tanfana einleiten ließ. 1 August] röm. Kaiser Augustus 11 Phraates] Phraates IV., König der Parther Crassus] Marcus Licinius Crassus, röm. Politiker, der infolge einer fehlgeschlagenen Kampagne gegen die Parther die röm. Feldzeichen verlor, was für die Römer eine große Schmach darstellte Antonius] Marcus Antonius, röm. Politiker; er scheiterte bei dem Versuch, die Feldzeichen von den Parthern wiederzugewinnen 12 Die Parther] mit Rom verfeindetes mesopotamisches Großreich 14 Candace] Titel der Königsmutter im nubischen Reich, in der Antike fälschlicherweise als Name der nubischen Königin angenommen; Strabon (Geographica 17, 54) berichtet von einer nubischen (damals „äthiopischen“) Königin dieses Namens, die gegen Augustus Krieg führte. Wahrscheinlich handelt es sich bei ihr um die regierende Königin Amanirenas 15 Tanape] Napata, Hauptstadt des nubischen Reiches. Umstritten ist die Verwüstung durch Publius Petronius 23/ 22 v. Chr., also unter augusteischer Herrschaft Largus] vermutlich Aelius Gallus, Präfekt von Ägypten, der 25/ 24 v. Chr. einen gescheiterten Feldzug zur Eroberung Arabiens unternahm 17 König Porus] Poros, indischer König, der gegen Alexander den Großen kämpfte. Durch den Indienfeldzug wurden die Griechen erstmals mit Tigern bekannt Pirimal] legendärer König von Ceylon (Sri Lanka) Taprobana] altgriech. Bezeichnung für die Insel Ceylon (Sri Lanka) 20 erkieseten] erwählten 21 Die Cimbrer] Kimbern, germanischer Volksstamm 24 Drusus] Nero Claudius Drusus, Stiefsohn des Augustus und jüngerer Bruder des Tiberius, der mehrere Feldzüge gegen die Germanen führte 25 Tiberius] Tiberius Claudius Nero, adoptierter Stiefsohn des Augustus und später dessen Nachfolger als röm. Kaiser; er führte mehrere Feldzüge gegen die Germanen 26 die Chauzen] Chauken, germanischer Volksstamm 27 Quintilius Varus] Feldherr unter Augustus, der in der Schlacht im Teutoburger Wald dem Arminius unterlag 31 Dalmatien] Region an der Adria, von Augustus unterworfen und ins Römische Reich eingegliedert 32 Melo] Maelo, König der Sugambrer, der den Feldzügen des Drusus Widerstand leistete Sicambern und Angrivariern] Sugambrer und Angrivarier, germanische Volksstämme 33 Herrmann der Cherusker] Arminius, Fürst der Cherusker, der die röm. Legionen in der Schlacht im Teutoburger Wald vernichtend schlug 39 Tanfana] Tamfana, laut Tacitus (Annales 1, 51) eine germanische Göttin In: Lohenstein (1689), 55. 139 Daniel Casper von Lohenstein Ο ΒΙΟΣ ΕΣΤΙ ΚΟΛΟΚΥΝΘΗ („Dis Leben ist ein Kürbs“) (1680) Dis Leben ist ein Kürbs / die Schal’ ist Fleisch und Knochen; Die Kerne sind der Geist / der Wurmstich ist der Tod; Des Alters Frühling mahlt die Blüthe schön und roth / Jm Sommer / wenn der Saft am besten erst sol kochen / So wird die gelbe Frucht von Kefern schon bekrochen / 5 Die morsche Staude fault / der Leib wird Asch’ und Koth; <?page no="543"?> 000542 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 542 | 140 - Daniel Casper von Lohenstein: Umbschrifft eines Sarches Doch bleibt des Menschen Kern der Geist aus aller Noth / Er wird von Wurm’ und Tod und Kranckheit nicht gestochen. Er selbst veruhrsacht noch: Daß eine neue Frucht / Ein unverweßlich Leib aus Moder Asch’ und Erde / 10 Auf jenen grossen Lentz im Himmel wachsen werde. Warumb denn: daß mein Freind mit Thränen wieder sucht Die itzt entseel’te Frau? die Seel’ ist unvergraben / So wird Er auch den Leib dort schöner wieder haben. Der Hofnungs-Bau ist Fall / die Blüthe faulend Most / 15 Eis / Trübsand ist das Feld / wo unser Muth ausblühet. Wenn man den Ehren-Zweck beym Lichten recht besiehet / Hat Erde / Sand und Sarch Uns so viel Müh gekost. Wir etzen Marmel aus nur für der Zeiten Rost / Der Wurm ist / was er spinnt / der Mensch / was er erziehet 20 Ja was er betet an / selbst zuzerstörn bemühet / Und unser Sonnenschein hegt morgen Haß und Frost. So wendet sich das Blatt. Wol dem der ihm nicht traut! Mein Freind / der nichts als sich im Leben wolln besiegen / Muß durch den gift’gen Hauch des Todes zwar erliegen 25 Wol aber ihm! daß er kein Luft-Schloß hat gebaut! Denn seiner Seele Bau / worinnen er itzt wohnet / Bleibt von der Zeit und Tod / und Untergang verschonet. Titel Dis Leben ist ein Kürbs] der Kürbis ist im Barock ein beliebtes Motiv für die Vergänglichkeit des Lebens, insb. in Emblemen; der Ursprung ist alttestamentlich (Jona 4, 6-10) 12 Freind] Freund 16 Trübsand] Treibsand 19 etzen] meißeln Marmel] Marmor In: Wagenknecht (Hg.) ( 3 1982), 303f. 140 Daniel Casper von Lohenstein Umbschrifft eines Sarches (1680) IRdisches und Sterblich Volck / lebend-todte Erden-Gäste / Ihr Verwürfflinge des Himmels / ihr Gespenste dieser Welt / Denen nichts als falsche Waare / nichts als Rauch und Wind gefällt / Närrsche klettert / und besteigt / die bepalmten Ehren-Aeste / Setzt euch Seulen von Porphyr mauert euch aus Gold Paläste / 5 Festigt Tempel euch aus Marmel / der der Zeit die Wage hält / Rafft zu euch mit gicht’gen Klauen den verdammten Klumpen Geld / Macht euch euer stoltzes Lob durch gelehrte Schrifften feste. <?page no="544"?> 000543 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 543 141 - Daniel Casper von Lohenstein: Venus | Aber wist: wann das Verhängnüs euer Lebens-Garn reisst ab / Schwindet Wissenschafft und Kunst / Schätze / Reichthum / Ehr und Tittel / 10 Und ihr nehmet nichts mit euch / als den nackten Sterbe-Kittel: Wo ihr auch noch aus dem allen noch erschwitzet Sarch und Grab. Tausend / tausend sind gewest / die mich nicht erlangt noch haben / Die die Lüfte / die die Glutt / die der blaue Schaum begraben. 2 Verwürfflinge] Verstoßene 4 Närrsche] Verrückte 5 Porphyr] vulkanisches Gestein 6 Marmel] Marmor 7 gicht’gen Klauen] von der Gicht befallene, verformte Hände 9 Lebens-Garn] Motiv der Parzen, die als Schicksalsgöttinnen den Lebensfaden spinnen und durchtrennen In: Lohenstein (1680), darin: Hyacinthen, 64f. 141 B.III.3.2. Daniel Casper von Lohenstein Aus: Venus (1697) [ … ] Denn lieben ist nichts mehr / als eine schifferey / 95 Das schiff ist unser hertz / den seilen kommen bey Die sinn-verwirrungen. Das meer ist unser leben / Die liebes-wellen sind die angst / in der wir schweben/ Die segel / wo hinein bläst der begierden wind / Ist der gedancken tuch. Verlangen / hoffnung sind 100 Die ancker. Der magnet ist schönheit. Unser strudel Sind Bathseben. Der wein und überfluß die rudel. Der stern / nach welchem man die steiffen segel lenckt / Ist ein benelckter mund. Der port / wohin man denckt / Ist eine schöne frau. Die ufer sind die brüste. 105 Die anfahrt ist ein kuß. Der zielzweck / süsse lüste. Wird aber hier umwölckt / durch blinder brünste rauch / Die sonne der vernunfft / so folgt der schiffbruch auch / Der seelen untergang / und der verderb des leibes: Denn beyde tödtet uns der lustbrauch eines weibes. 110 [ … ] 102 Bathseben] Batseba, Mutter von König Salomo, war die Frau des Hethiters Urija. König David sah Batseba eines Tages beim Baden, ließ sie zu sich holen, um mit ihr zu verkehren. Als Batseba schwanger wurde und es keine Möglichkeit gab, dies auf Urija zurückzuführen, ließ David diesen hinterlistig töten und holte Batseba als seine 8. Frau zu sich 104 benelckter] rotblühend port] Hafen In: Neukirch (Hg.) I (1961), 290-346, hier: 293f. <?page no="545"?> 000544 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 544 | 142 - Johann Beer: Der Teutschen Winter-Nächte / Erstes Buch 142 B.III.6.3. Johann Beer (1655-1700) Der Teutschen Winter-Nächte / Erstes Buch (1682) Cap. I. Es war allgemach Mitternacht / als ich mich gantz ledig ausser dem Schloß befande / darinnen ich biß dahero mit tausend Sorgen und Grillen gefangen gesessen. Eines Theils verwunderte ich mich über meine unverhoffte Begebenheit / andern Theils über den Zettel / welcher mir durch eine Gräffin in das Gefängnis geschickt worden; aber über dieses alles nicht 5 so sehr / als über der grossen Sorgfalt und Treu des Jägers / welcher alle Kräfften angewandt / mich meiner Fessel zu befreyen. Die finstre und dunkele Nacht taugte mir zu einem vortrefflichen Deckmantel / meine Person dahinter zu verstecken / deswegen eilete der Jäger mit mir zu dem Dorffe hinaus / und weil wir grosse Sprüng gethan / hatten wir nicht viel Zeit / uns zu unterreden / so sehr mich auch verlangte / der Sache auf den Grund zu kommen. Ich hatte 10 nunmehr die Landstrasse erreichet / deswegen heisset mich der Jäger geschwinde fort eilen / damit ich mich durch mein längers aufhalten nicht aufs neue in die Fässel brächte / und also das letztere ärger / als das erste / machte / hiermit eilete er zurücke / und liesse mich ganz bestürzet an der Strasse stehen voll Verlangen und Begierde zu wissen / wie und aus was Ursachen ich in dieses Gefängnis gesetzet worden. 15 Ich machte mir wol huntert tausend vergebene Einbildungen / aber es taugte keine zur Sache / weil ich dadurch mir meine Verwunderung vielmehr verstärkte / als solche verringerte / und aus dieser Ursach wurde ich leichtlich gezwungen / zu glauben / daß meine Verweilung keine geringe Gefahr nach sich ziehen dörffte. Derohalben fienge ich an zu lauffen / so gut es meine Beine vermochten / welche allgemach von dem Eisen angegriffen und be- 20 schunden worden / solcher Gestalten verbrachte ich einen ziemlichen Theil der übrigen Nacht / also zwar / daß ich mich bey anbrechendem Tage in einer weitschichtigen Irre befunden / und nicht gewust / in welcher Gegend ich dazumahl herum wandelte. Die Glieder waren mir ziemlich matt / theils wegen der zuvor angelegten schweren Banden / theils auch wegen meiner schnellen und continuirlichen Flucht / dahero eilete ich auf ein 25 nechst gelegenes Dorff / daselbst ein wenig auszuruhen / und mich wiederum auf die rechte Strasse zu fragen. Ich erhielt gar leichtlich / was ich verlanget / und nachdem ich in dem Dorff ausgeruhet / wiesen mich die Bauren über die Höhe eines Berges / allwo ich auf diejenige Strasse zu gelangen / versichert wurde / dahin sich mein bekandter Weg erstreckte. In solchem Fortwandeln verwunderte ich mich ohne Unterlaß meiner Geschicht / und 30 konnte die Gedancken auf keine Art noch Weise aus dem Kopffe verjagen / biß ich endlich einen adelichen Sitz vor mir sahe / welcher trefflich altvätterisch gebauet und aufgeführet war. Ich hatte meines Erachtens noch eine gute halbe Stund dahin / deswegen suchte ich mein Testimonium hervor / mich mit demselben auf den Ort zu machen / und um ein Viaticum zu betteln / welcher Gebrauch bey den Trivial -Studenten ein gemeines Handwerck zu seyn 35 pfleget / damit sie sich von Ort zu Ort promovi ren. Hiermit richtete ich meinen Weg auf das Schloß zu / und weil die Bettler nichts umzugehen pflegen / achtete ich es nicht gar groß / ob ich eine halbe oder Viertelmeil Weges von der Land-Straß abgewichen. <?page no="546"?> 000545 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 545 142 - Johann Beer: Der Teutschen Winter-Nächte / Erstes Buch | Nach einer kurtzen Zeit traffe ich an den Ort / und wischte mit meinem Testimonio hervor / dasselbe dem Thorwärter bester massen zu recommendi ren / gestaltsam ich zu meinem Behuff 40 die stattlichsten Worte hervorbringen / und demselben um das Maul schmieren konnte / damit er mich bey dem Edelmann anmelden möchte. Aber ich fande den Gesellen gantz in einem andern Laun / und weil er dazumahl denen Dorf-Bettlern das Brod austheilete / kan es seyn / daß er sich in seinen nöthigen Amts-Geschäfften nicht gerne zurück halten noch verwirren lassen. Er sagte mir auch mit widerwärtigen Minen / daß der Herr dieses Schlosses 45 schon vor 6. Jahren gestorben seye / und die Edelfrau / so solches besässe / wäre dermalen über Land verreiset. Wie ich nun gesehen / daß ich die Insul Bonæ Spei vorbey geseegelt / gienge ich meinen Weg wiederum zurücke / zumalen mir der Thorwärter zum Uberfluß nachgeruffen / daß man einem so wol Bekleideten kein Almosen zu geben / schuldig wäre / ich sollte davor meinen 50 Caput-Rock verkauffen / und vor solchen ein Stück Brod schaffen / das wäre besser vor den Magen / als ein Gansflügel. Uber solche Wort des ehrvergessenen Roth-Barths wollte ich mich nicht viel bekümmern / zumalen ich ohne dem von Natur dahin inclinirt , über solche Narren- Possen zu lachen / welche mir an diesem Ort weder schaden / noch nachtheilig seyn konnten / gienge dahero immer meinen Weg von dem Schlosse hinweg / und stackte das Testimonium 55 wieder in meine Tasche. „ Domine, Domine, Domine , allo he / Domine, Signor, Monsieur ,“ ruffte ein junger Edelmann / so ober dem Thor an einem Fenster gantz ausgezogen stunde / und als ich mich umgesehen / meinte er mich. Er deutete mir wol zweinzigmal mit dem Haubt / und winkte mit der Hand / was er nur winken konnte. Ich nahme den Hut herunter / machte mein Reverentz / und 60 gienge eilends zurück / an das Thor / allwo ich ihn fragte / was seines Begehren seye. „Saprament / Domine per Dieu ,“ sagte der Edelmann / „wet der Teuffel / was macht der Herr da? “ Ich erstaunte über diese Rede nicht ein geringes / und hielte den Menschen vor rechtschaffen wahnwitzig. Auf dieses verlohr er sich an dem Fenster / und da ich aus Meinung / als wär es nur Vexirung / fortgehen wollte / kame dieser junge vom Adel zu mir herunter / und führte 65 mich mit sich über eine lange Treppe hinauf. Ich liesse es immer gut seyn / und weil ich einmal in eine unordentliche Verwirrung gerathen / truge ich keinen Scheu / mich ferner in dergleichen Begebenheiten zu verwickeln. Wir kamen in eine ziemliche enge Stube / darinnen dieser seine Bibliothek stehen hatte / daselbst empfinge er mich sehr höfflich / und sagte / daß ihme die Zeit seines Lebens kein solches Wunder / als in Ansehung meiner Person / zuge- 70 stossen / derohalben solle ich mir belieben lassen / nieder zu setzen / und wiese mir einen absonderlich wolausgewirkten Sessel. Nach solchem truge er mit eigener Hand einen Krug Spannischen Wein herauf / und erwiese mir allerley Höffligkeiten / über welche ich mich rechtschaffen verwundert. „ Monsieur ! “ sagte er / „ich sehe es ihme an / daß ihn seine widrige Gedancken hefftig peinigen / darum ist es ihme nicht zuwider / mir sein Anliegen zu offen- 75 bahren / so lebe er versichert / daß ich solche Affection vor ein absonderliches Stück seiner Höffligkeit erkennen werde.“ „Mein Herr“ / gabe ich zur Antwort: „die Gedancken / welche mich gäntzlich eingenommen / verhindern mich anitzo / höfflich zu seyn / damit ich aber nicht vor undanckbar angesehen werde / finde ich mich verbunden / mein Geschicke zu eröffnen / dem jenigen / welcher mich / aus unbekannter Freundschafft / nicht allein unver- 80 <?page no="547"?> 000546 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 546 | 143 - Johann Beer: Jucundus Jucundissimus schuldet / sondern über dieses / ausdermassen freundlich tractirt. Vom Anfangs meiner Geburt / und geführten Schul-Jugend würde dieser Tag zu wenig seyn/ meinem Patron ausführlichen Bericht abzustatten / und weil sich solches Leben nur mit lächerlichen / zum Theil kindischen / zum Theil auch eitlen Historien verwickelt / schreite ich vielmehr zur Erzehlung einer Sache / die mich vor ungefehr fünff Tagen in einen recht abentheuerlichen 85 Stand gebracht. [ … ] 3 Grillen] Launen 12 Fässel] Fessel 24 Banden] Bänder 32 altvätterisch] nach Art der Vorfahren 34 Testimonium] Zeugnis der Reise für die Universität, Beglaubigungsschreiben Viaticum] Reisegeld, Wegzehrung 35 Trivial-Studenten] das Trivium bildet zusammen mit dem Quadrivium, den mathematischen Fächern, das Grundstudium an der Universität. Zum Trivium zählen Grammatik, Dialektik, Rhetorik 36 promoviren] befördern, bes. zu akademischen Würden 40 recommendiren] empfehlen zu meinem Behuff] zu meinem Nutzen 48 Bonæ Spei] guter Hoffnung 51 Caput-Rock] Soldatenmantel, Oberrock mit einer Kappe vor] für 53 inclinirt] zu etwas geneigt sein 60 Reverentz] höfische Ehrenbezeugung, genau bemessene Verbeugung 61f. Saprament] Fluch; Abschwächung von Sakrament 65 Vexirung] Belästigung, Neckerei 76 Affection] Erregung In: Beer (1963), 12-14. 143 B.III.6.3. Johann Beer Aus: Jucundus Jucundissimus (1680) Eines Abends / als ich nächst an der Mühle gesessen / und daselbsten meiner Gänse gehütet / damit sie mir nicht in das Wasser / und also unter die Räder geriethen / ritte eine Frau den hohen Berg herunter. Ich hab zuvor gemeldet / welcher Gestalten zu diesem Dorf ganz keine Land-Straß gienge / derowegen hatte diese Frau große Mühe und Arbeit über die ungebahnten Klippen abzusteigen / und sich durch die hoch-aufgeschoßene Thannen-Zweige herunter 5 zu machen. Sie stunde endlich ab / sahe hin und wider um sich / und wie ich vermerkte / so ruffte sie ins zweyte mal / konte es aber eines Theils wegen der Ferne / vors andere wegen der klappernden Mühle nicht verstehen noch vernehmen / nach was sie geruffen. Es war so leutselig in unserm Dorfe / daß man des Tages kaum drey Menschen hin und wider gehen sehen / dahero muste sie mit ihrem Geschrey eine geraume Zeit anhalten / und wurde doch 10 von Niemand gehöret noch gesehen / denn allein von mir. Ich hatte gleichwol das Herz nicht / von meinen Gänsen hinweg zu lauffen / sondern ruffte meiner Mutter / welche auf dem Gang ihre alte Lappen zusammen gesuchet / so sie diese Woche gewaschen hatte / denn es war des folgenden Tages ein Feyertag / und weil zu solchen Zeiten gemeiniglich eine Predigt in unserer Dorf-Kirche pflegte gehalten zu werden / als wolte sie uns morgen mit weißen 15 Hemden anziehen / und mit sich in die Kirch führen / so religios war meine Mutter. Sie hatte gleich das letzte Paar Strümpf von der Stange genommen / als ich das lezte mal geruffen / und ihr zu verstehen geben / welcher Gestalten eine Frau mit einem Pferd auf dem Tschaukker (also hieße der Berg) hielte / und gegen das Dorf herunter ruffte: damit gieng sie die Treppe herab und halff der Frauen / so viel ihr müglich / von der Höhe / denn sie hatte sich mit dem 20 Pferd ein merckliches verstiegen [ … ]. <?page no="548"?> 000547 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 547 144 - August Adolph von Haugwitz: Schuldige Unschuld oder Maria Stuarda. Trauer-Spiel | 9 leutselig] wenig bevölkert In: Beer (1992), 107. 144 B.III.4.1. August Adolph von Haugwitz (1647-1706) Schuldige Unschuld oder Maria Stuarda. Trauer-Spiel (1683) [Die katholische Maria Stuart ist die rechtmäßige Königin von Schottland, aber machtlos gegen die konkurrierenden Adelsfamilien. Sie befindet sich im Exil in England. Von Königin Elisabeth I., ihrer Tante, hat sie sich dort politische Unterstützung erhofft. Stattdessen ist Maria seit vielen Jahren dem Wankelmut ihrer Tante ausgesetzt, der zwischen herzlicher Zuneigung und tiefer Ablehnung schwankt. Selbst dann, als sie der Beteiligung an einem Anschlag auf Elisabeths Leben für schuldig befunden wird, will sich die englische Königin auf kein eindeutiges Urteil festlegen. Schließlich aber ist Maria Stuarts Hinrichtung nicht mehr aufzuhalten … ] Die V. Abhandlung [ … ] maria. Weint nicht umb meinen Tod / Nicht umb der Güter Koth / Nicht umb Creutz / Verlust und Leiden; Sondern umb das Himmel meiden. Last das edle Tränen fliessen. 350 Nicht umb zeitliches Vergiessen; [ … ] Vor mich und meine Seel / seyd dermahleines Zeugen / Daß ich Catholisch sterb’. Bet’t vor mich / wie ihr thut / 360 Daß Gott mir kämpffen helff’ / und Stärck’ und Trost und Muth Und Todes Freudigkeit in dieser Angst verleihe / Daß Er begangne Schuld / die uns befleckt / verzeihe. Und uns im Tod’ erqvick’ / und rett’ aus diesem Leid. Ade! mit diesem Creutz biß in die Ewigkeit! 365 Ade! Zu guter Nacht! Ade seyd Gott befohlen! Mein Jesus wird mich bald / ja bald / ach balde! holen. Langt uns die letzte Cron / was so die Augen deckt. Du! wann nach dem Gebeth wir uns recht ausgestreckt / Verrichte deinen Streich - - - - - - - - - - 370 <?page no="549"?> 000548 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 548 | 144 - August Adolph von Haugwitz: Schuldige Unschuld oder Maria Stuarda. Trauer-Spiel Nun Erde gute Nacht! Du unerschöpffte Macht! Auff die ich jederzeit / Wann Unglück mich betroffen / Gestellt mein gantzes Hoffen / 375 Damit in Ewigkeit / Man mich nicht kan beschämen / Du wolst nun meinen Geist / Der aus dem Cörper reist / In deine Wohnung nehmen / 380 Den Geist / den ich biß an mein Ende Befehl in deine Hände. decan. - - - - - - - - - - - - nun ruffe die Gemeinde Von England mit mir aus: So stürtz’ Gott alle Feinde Von unser Königin: So müsse / der uns hasst / 385 Und wieder unser Haupt / verdeckten Rathschlag fasst / Wie die / zu Grunde gehn. Es ruffe die Gemeinde Von England mit mir aus: So stürtz’ Gott alle Feinde Von Englands Königin - - - - - - - - - - - - Elisabeth, Davidson, die Königlichen Engl. Räthe / die Trabanten der Königin. elisabeth. Was hör ich! was bedeut das ungewohnte singen? 390 Was giebt der Pöfel an? was soll das Glockenklingen? der i. rath. Es weist der Unterthan / wie lieb ihm sey sein Haupt. elisabeth. Was ists / das Ihn jetzund zu solchem Dancke treibt? Uns ist kein Sieg bewust / mit dem man könne prangen? der ii. rath. Die grosse Noth / der Sie und wir zugleich entgangen. 395 elisabeth. Ich halt ihr traumt; was meint ihr dann vor eine Noth? der iii. rath. Die / derer wir befreyt durch der Marien Tod. elisabeth. Wie ist Maria nicht / was hör ich! mehr bey Leben? der iv. rath. So ists: Sie hat durchs Beyl den Geist schon auffgegeben. elisabeth. Treulose! habt ihr so vor meinen Thron gewacht / 400 Und unsern guten Ruff und Namen nicht bedacht? Ist das der treue Dienst / den ich von euch zuhoffen? Ach Schwester! hat dich denn ein solcher Todt betroffen / Den deine Treffligkeit bey weiten nicht verdient. Vertrauter! was hat dich zu diesem Werck erkühnt? 405 Dich / den wir den Verzug so offtmahls anbefohlen? Ach daß ich dir das Hertz solt’ aus dem Busen holen! [ … ] <?page no="550"?> 000549 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 549 145 - Johann Christian Hallmann: Mariamne. Trauerspiel | Elisabeth tritt ab; die andern bleiben. davidson. Ist das nun der Gewinn Vor meine Dienst’? ist das / worauff ihr Doppel-Sinn Und Wanckelmuth bißher so tückisch abgeziehlet. 430 Jetzt seh ich erst zuspät / worauff man es gespielet / Warumb (ach daß mich doch der falsche Hof verführt! ) Man mich mit diesem Schmuck und Würde außgeziert / In der ich leider! ach! gar kurtze Zeit geschienen. der i. rath. Gedult! Den Fürsten kan man auch in Ketten dienen. 435 Es kan wohl dieser Fall noch dein groß Glücke seyn: Du weist was Franckreich sucht. Sie thut es nur zum Schein. 378 wolst] willst vor 390 Trabanten] Leibwächter, Diener 391 Pöfel] Pöbel In: Haugwitz (1974), 72-75. 145 B.III.4.1. Johann Christian Hallmann (1640- um 1716) Aus: Mariamne. Trauerspiel (1670) [Der jüdische König Herodes hegt eine zwanghafte Obsession für seine Gemahlin, die schöne Mariamne. Des Königs machthungrige Schwester Salome weiß diesen Umstand für sich auszunutzen und manipuliert Herodes mit der erfundenen Geschichte eines angeblichen Seitensprunges seiner Frau. Nachdem der König wutentbrannt nicht nur Salomes Gemahl Josephus, sondern auch Mariamnes Bruder Aristobulus III. und beider Vater Hyrcanus hat grausam hinrichten lassen, bestellt er seine Ehefrau zu sich in das gemeinsame Schlafgemach: Die Begierde hat ihn gepackt … ] Die Vierdte Abhandlung [ … ] Herodes. Der Haupt-Mann mit den Trabanten. Mariamne. herodes. Was blitzt und donnert hier! Wer raast in unsrem Zimmer! Welch kühner Teuffel bricht mit hell entbrandtem Schimmer Jns fürstliche Gemach! auff! auff Trabanten! auff! Bringt Fackeln / Spieß’ und Schwerd mit Pfeil geschwindem Lauff! Hat niemand euch erschreckt? Sind Thür’ / und Schloß versehret? 95 haupt-mann. Wir haben / grosser Fürst / im minsten nichts gehöret. herodes. Jm minsten nichts gehört! So seyd jhr taub und blindt. <?page no="551"?> 000550 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 550 | 145 - Johann Christian Hallmann: Mariamne. Trauerspiel haupt-mann. Wir schweren / daß kein Schlaf die sinnen uns verbind. herodes. Wolan! So ist’s ein Traum! Was achten wir die Träume / Die nichts als Dampff und Dunst und Wurtzel-lose Bäume 100 Und Fantasien seyn! Was aber schertzen wir! Es ist ein frembder Rauch ja noch zu sehen hier. Gesetzt auch / daß Gespenst’ und Geister uns erschrecken: Wie viel Palläste giebts / die solche Gäste hecken! Die Burg Antonia wird auch nicht seyn befreyt. 105 Gnug / daß der Himmel schützt das Diamantne Kleid. Jedoch das Hertze klopfft! ich muß mich fast erschüttern! Es überlaufft die Brust ein ungewohntes Zittern! Der Angst-Schweiß dringt hervor! Rufft bald die Fürstin her / Daß sie die Traurigkeit in Freuden uns verkehr’ 110 Durch jhre Gegenwart und Zucker-süsse Lippen! Behütt’ uns Adonay vor falschen Schiff-Bruchs Klippen / Daß unser Reichs-Schiff nicht zu scheitern möge gehn! Laß Jdumæens Sonn’ in lichten Wolcken stehn / Ob derer Strahlen sich der Adler selbst erfreuet! 115 GOTT Lob! Der Artzt erscheint! Nun werden wir verneuet! Nun wird der grimme Schmertz auß unsrer Seel’ entrückt / Weil unsre Göttin uns mit holdem Strahl’ anblickt! Printzessin sonder Fleck! Printzessin sonder Mängel! Mein Täubchen! Meine Perl’! Mein Leit-Stern / Trost und Engel! 120 Du Venus dieser Welt / gantz Palæstinens Zier / Ach Mariamne! ach! komm’ näher was zu mir! Komm näher was zu mir! Erquicke meine Seele Mit deinem Purpur Mund! Hier ist die sanffte Höle / Hier ist das Paradieß / die Rosen-volle Bahn / 125 Wo deine Göttligkeit mich satt vergnügen kan! Wie / Fürstin! Wendet sie jhr himmlisches Gesichte Von unsrer Demuth ab? Sind jhr die Liebes-Früchte / So jhr Herodes gibt / nicht überzuckert recht? Mein Kind! Sie prüfe mich! Wie? Oder ist zu schlecht 130 Der Juden grosser Printz in Mariamnens Augen? mariamne. Man woll’ uns ferner nicht so Blut als Lieb’ außsaugen. herodes. Wir sind kein Habicht nicht / der Turtel-Tauben frißt. mariamne. Durch deine Habichts-Klau ist Stadt und Feld verwüst. herodes. Nicht so! Printzeß! Nicht so! laßt uns der Wollust pflegen! 135 mariamne. Ein traurig Hertz läßt sich zur Liebe nicht bewegen. herodes. So bald die Lieb’ erscheint / muß Schmertz und Trauren fort. mariamne. Der Nachen deiner Brunst verfehlt den rechten Port. <?page no="552"?> 000551 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 551 145 - Johann Christian Hallmann: Mariamne. Trauerspiel | herodes. Wir können keinen Port als Mariamnen suchen. mariamne. Nein! Mariamne muß dein Liebes-Schiff verfluchen. 140 herodes. Jn dem die lichte Glut der reinen Ehe brennt? mariamne. Das Seegel fester Eh hat selbst der Fürst zertrennt. herodes. Mein Liebes-Segel trotzt Ost / Westen / Sud und Norden. mariamne. Ach währ’ es (leider! ) nicht zu einem Blut-Fahn worden! herodes. Der Liebe Kleid ist roth / sie führet Hitz’ und Glut. 145 mariamne. Nicht aber einen Rock mit reichbesprütztem Blut. herodes. Blut ist jhr Opffer ja / jhr Tempel Leib und Seele. mariamne. Offt kehrt sich jhr Altar in eine Folter-Höle. herodes. Nein! Jhre Flamme leucht auch bey stockfinstrer Nacht. mariamne. Auß Hymens Kertze wird ein Jrrlicht meist gemacht. 150 herodes. Wer Fürst und Eh-Bett trotzt / wird schmecken bittre Mandeln. mariamne. Man muß die Venus nicht in Furien verwandeln. herodes. Hier ist kein Zaubrer ja / kein schwartzer Teuffel nicht / Der unsre Zythere / die Mariamn’ anficht. Mein Schatz! Sie jage weg die schädlichen Gedancken! 155 Sie geb’ uns doch Gehör’ / und öffne Thür und Schrancken Der Schönheit / welche mich biß auff den Tod verletzt! Es wird’ auff diesem Sammt mein schmachtend Hertz ergetzt! Ey folge doch / mein Kind! Wo unsre Thränen Bitte Nur was bey dir verfängt / so zeig’ uns deine Gütte 160 Mit einem Kuß doch an! Wird dieser auch versagt? mariamne. Untreuer! Laß mich gehn! Wir sind vorhin geplagt! herodes. Ha! trotzigs Frauen-Bild! Halsstarriges Gemüte! Wer siht nicht Assamons hoffärtiges Geblüte! Bin ich nicht dein Gemahl / dem du die Liebes-Pflicht 165 Zu leisten schuldig bist? mariam. Dir aber / Mörder / nicht! Tod-Schläger! Lügen-Freind! Patron verfluchter Laster! Der stets in Gifft verkehrt das Mithridaten-Pflaster / Der reines Korn verterbt / und Unkraut lässet blühn; Wie soll die Liebe doch in meine Seel’ einziehn! 170 Der du den Bruder mir / als er zum Gipffel kommen Deß hohen Priesterthums / recht diebisch weggenommen / Und in der Linden Flut verräthrisch hast ersäufft? Dein mördrischer Verdacht hat Schimpff mit Schimpff gehäufft / Als Josephs Unschuld sich umb Mariamnens willen 175 Must’ auff dem Hencker-Platz ins Leich-Tuch lassen hüllen. Mein älter-Vater / (ach! ) der heilige Hyrcan Fiel durch dein Buben-Stück in Charons Todten-Kahn! Ja Mariamne selbst ist stündlich dir verdächtig / <?page no="553"?> 000552 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 552 | 145 - Johann Christian Hallmann: Mariamne. Trauerspiel Weil Geilheit mehr in dir als reine Brunst ist mächtig. 180 Soll ich dem Wüttrich nun anjtzt zu willen seyn / Der mir und meinem Stamm den blut’gen Grabe-Stein Stets henckrisch richtet auff? Soll ich in dessen Armen Mich küssend schlüssen ein / der sich nicht läßt erbarmen Noch Alters / noch Geschlechts? Ha! Wer sich so vergeht / 185 Jst keines Weibes werth! Das Eh-Bett wird erhöht Durch keusche Liebes-Glut / nicht Blut-bemahlte Kertzen! Wie solt’ ich / Mörder / nun dein gifftig Antlitz Hertzen / Das von deß Bruders Blut’ und Vaters rauchet noch? Nein! solche Küsse sind ein unerträglichs Joch! 190 Denn wer sein Eh-Gemahl nur henckert / martert / plaget / Dem wird Mund / Brust und Schoß mit höchstem recht versaget. herodes. Sind solche Furien in dem so schönen Leib? Welch Teuffel reitet dich / vermaledeites Weib? Vergießt du der Natur? Verschmähst du deinen König? 195 Schlag Blitz und Donner her! bin ich dir denn zu wenig? Hat mich das grosse Rom mit Lorbern nicht gekrönt? Daß du / hoffärt’ger Balg / nebst deinem Fürst verhöhnt? Seht / wie ein stoltzes Weib den Braut-Krantz kan entweihen / Wenn Gleichheit deß Geschlechts in dem so engen Reyen 200 Nicht anzutreffen ist! Pfuy! schäme selber dich! Daß uns dein Aberwitz gibt solchen Hertzens-Stich Du darffst mir! aber ach! Wer kan sich doch vergreiffen / Wer kan die Klinge doch auff schwache Weiber schleiffen! Nun! Die Geduld reißt auß! Die Liebe / so bißher 205 Stets Rach’ und Grimm verjagt / ist nun von Pfeilen leer / Und weicht gerechtem Zorn! geh! packe dich von hinnen / Eh wir was Aergers thun in heiß-erhitzten Sinnen! Verwirrte Seelen Pein! Unglückligster Herod! Jch weiß nicht / wo ich bin / im Leben oder Tod! 210 Soll mich mein Eh-Gemahl / mein Eh-Gemahl verlachen? Und in dem Eh-Bett zwar? Jn solchen Liebes Sachen / Die selbst Natur / und GOtt / Vernunfft und Recht zuläßt? Die Leuin sucht der Leu / der Storch den Storch im Nest / Die Sonnen-Wende kehrt sich stets nach jhrer Sonne; 215 Und einem König soll gebrechen Lust und Wonne; Die unsern Anherr selbst im Paradieß erquickt? Verfluchter Weiber Trotz! Jedoch was wird geschickt? vor 91 Trabanten] Leibwächter, Diener 97 im minsten] wenigstens, im Mindesten 105 Burg Antonia] befestigtes Schloss in der Nähe des Tempels 112 Adonay] hebr. „meine Herren“, auch Umschreibung für Gott 114 Jdumæens] die <?page no="554"?> 000553 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 553 146 - Christian Weise: Trauer-Spiel von dem Neapolitanischen Haupt-Rebellen Masaniello | Idumäer besiedelten in der Antike ein Gebiet südlich von Judäa 119 sonder] ohne 121 Venus] röm. Göttin der Liebe 138 Nachen] kleines Boot 140 Port] Hafen 150 Hymens Kertze] Hymenaios, griech. Gott der Hochzeit, wird meist mit Hochzeitsfackel dargestellt 154 Zythere] Beiname der Venus, Göttin der Liebe 168 Mithridaten-Pflaster] Mithridat, Universalheilmittel und Gegenmittel. Da das Mithridat innerlich angewendet wurde, ist „Pflaster“ hier in uneigentlicher Weise gebraucht 173 Linden] linden 217 Anherr] Vorfahr, Stammesvater In: Hallmann (1975), 279-285. 146 B.III.5. Christian Weise (1642-1708) Aus: Trauer-Spiel von dem Neapolitanischen Haupt-Rebellen Masaniello (1682) [Die Bewohner von Neapel leiden unter Hunger und sind gewaltigem Steuerdruck ausgesetzt. Es kommt zur Rebellion: Im Handstreich übernimmt das Volk unter der Führung des Fischers Tommaso Aniello, von allen Masaniello gerufen, unblutig die Herrschaft über die Stadt.] Erste Handlung, Anderer Auftritt [Rhoderigo, Herzog und Vizekönig von Neapel, unterhält sich mit dem Hauptmann Anaclerio über den Fischeraufstand unter Masaniellos Führung. Während der Hauptmann aus Sorge seinen Dienst quittieren möchte, versucht der Herzog, ihn zu beschwichtigen und spielt den Aufstand bewusst herunter.] anaclerio. Jhr Excellentz halten mir es zu Gnaden / daß ich so unverschämt herein gehe: Ich begehre meines Amptes erlassen zu seyn. rhoderigo. Und warum dieses? sind unsere Dienste nunmehr zu geringe / daß sie euch nicht weiter vergnügen können? anaclerio. Wo der Respect und der Gehorsam gefallen ist / da wird ein Hauptmann auf 5 dem Marckte nicht weiter von nöthen seyn. Ich habe vor wenig Tagen Spott und Verdruß genung empfinden müssen / als mich die kleinen Knaben mit faulen Aepffeln / Feigen und Pflaumen von dem Marckte weg steinigten / also daß ich die Früchte nothwendig ohne Zoll muste passiren, lassen: Ach! nun muß ich etwas erfahren / dagegen ich viel zuschwach bin. Denn die Zollhütten stehen allenthalben in lichter Flammen / die Rechnungen werden 10 zurissen / und wo ein Hauffen Bürger beysammen stehen / so ist dieses die Losung: GOtt gebe dem Könige in Spanien langes Leben / und das böse Regiment hole der Teuffel. rhoderigo. Es ist eine Wolcke / die bald verschwinden wird. Wo die Rebellion kein Haupt erwehlen kan / da ist an dem glücklichen Wiederstande nicht zu zweiffeln. anaclerio. Ach das Unglück hat schon ein Haupt gefunden / der verfluchte Nahme Ma- 15 saniello, welcher allbereit vor hundert Jahren ein leichtfertiges Gedächtnis in dieser Stadt erworben hat / wil nunmehr wieder lebendig werden. rhoderigo. Ich kenne keinen Fürsten / der Masaniello heist. <?page no="555"?> 000554 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 554 | 146 - Christian Weise: Trauer-Spiel von dem Neapolitanischen Haupt-Rebellen Masaniello anaclerio. Jhr Exellentz / es ist kein Fürst / aber er ist ein Fischer / der sich rühmt / er wolle den Fürsten die Hälse brechen. Er hat unlängst ein Possen-Spiel mit Kindern angefangen / 20 welche die wohlfeyle Zeit in der Stadt ausruffen solten. Nun stehet er auff dem Marckte gleich als ein Qvacksalber auff einen erhabenen Tische / und wil das gesamte Volck bereden; gleich wie Petrus der Fischer die Stadt Rom aus der Geistlichen Dienstbarkeit gerissen hat: also wolte er als ein Fischer die berühmte Stadt Neapolis von der unerträglichen Dienstbarkeit befreyen. 25 rhoderigo. Eine eitele Vergleichung / davor sein boßhafftiger Hals an dem Galgen sol belohnet werden. anaclerio. Ich muthmasse wohl / daß er einen unglückseligen Ausgang zuerwarten hat / indessen kan ich nicht beschreiben / was er vor Macht in seinen Reden gebraucht / und wie das Volck über seiner unverhofften Kühnheit gleichsam entzücket wird. 30 rhoderigo. Unsre Mußqvetirer sollen dieser Entzückung gar bald abhelffliche Masse geben. anaclerio. Die Gegenverfassung wird sehr geschwinde von nöthen seyn / weil die Raserey noch den blossen Marckt eingenommen hat; wo sie Zeit gewinnet / biß das Gifft auch in andern Gassen seine Operation ausbreitet / so werden die treuesten Diener das wenigste 35 verrichten können. rhoderigo. So geht demnach / bringet unsre Ordre an die sämbtlichen Hauptleute / daß sie auff jhren Posten parat stehen / wenn man auf den Nothfall zu einer schleunigen Gegenwehr greiffen müste. anaclerio. Ich bin gehorsam. 40 ( Geht ab .) [ … ] Erste Handlung, Achter Auftritt [Das Volk konnte seine Macht behaupten und hat Forderungen an den Vizekönig gestellt. Der Herzog Rhoderigo sinniert gemeinsam mit seinem Reichssekretär Donatus, dem Herzog Ferrante von Caracciolo sowie seinem Diener Allegro über Möglichkeiten, die aufgebrachte Menschenmenge zu beschwichtigen.] donatus. Sie stehen vor dem Thore / und begehren absolute Erlassung des Frucht- und Mehl-Zolles / und ich besorge / wo jhre Excellentz durch dero hohe Autorität keinen Nachdruck giebet / so möchte hernachmahls die Sache noch schlimmer werden. rhoderigo. Wohl / ich wil mich an dem Fenster zeigen / und dem Volcke mit süssen Versprechungen begegnen. 45 allegro. Nun hat das Volck auch einmahl die Ehre / daß sich der Vice-Roy an ein Fenster fodern läst: sonst waren die Audientzen nicht so wohlfeil. ferrante. Was rath man Herr Secretari? donatus. Hätte man bißhero guten Rath angenommen / so dürffte man nun keine vergebene Sorge. 50 <?page no="556"?> 000555 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 555 146 - Christian Weise: Trauer-Spiel von dem Neapolitanischen Haupt-Rebellen Masaniello | ferrante. Was hätte man aber thun sollen? donatus. Man hätte das Armuth nicht so beschweren sollen. ferrante. Wer wil dem Könige die Intraden beschneiden? donatus. Jhr Gnaden halten mir es zu gute / daß sind gewiß keine Königliche Intraden, davon geringe Personen so grosse Palläste bauen können. 55 ferrante. Der Adel muß unterhalten werden. donatus. Aber nicht mit Ruin des andern Volcks. ferrante. Das Volck ist dessentwegen gebohren / damit es dienen sol. Wenn ein solcher Bube sechs Pfennige mehr im Sacke hat / als er verzehren kan / so wird er hoffärtig. donatus. Und wenn ein armer Mann sechs Pfennige des Tages weniger hat / als er verzehren 60 soll / so wird er ungeduldig / biß die Ungedult zu einer Raserey hinaus schläget. [ … ] Fünffte Handlung, Zwey und zwantzigster Aufftrit [Zehn Tage sind seit Masaniellos Staatsstreich vergangen. Die Obrigkeit hat dem Volk weitreichende Zugeständnisse gemacht. Die neapolitanischen Adeligen Salvador, Angelo, Laudato und Afflitto ermorden den mittlerweile geistig umnachteten Rebellenanführer Masaniello.] salvador. Jhr Brüder / die Zeit ist kommen / daß sich der Adel von Neapolis aus der eusersten Schande wickeln soll. angelo. Wir wollen den Nahmen verdienen / daß wir einen schändlichen Drachen erleget haben / davon gantz Neapolis hätte sollen vergifftet werden. 65 laudato. Und wenn er Stahleysen feste wäre / so wil ich seinen verfluchten Cörper mit diesem Gewehr auflösen. afflitto. Wir wollen jhn verfolgen biß auff den Tod / darnach mag der Cörper andern in die Hände geliefert werden. salvador. Aber er ist nicht allein: wenn sich das Lumpen-Gesindel zur Wehre setzte? 70 angelo. Wer das Monstrum beschützen wil / der ist unser Feind. laudato. Sie bilden sich ein / alß wäre keine Gefahr verhanden. Ehe sie an einige Gegenwehr gedencken / so wird die Bestie über den Hauffen liegen. afflitto. Und wie leicht ist es / daß wir mit freundlichen Minen in das Gemach geschlichen kommen / biß die Gelegenheit erscheinet das Gewehr zu zucken. 75 salvador. So gehts drauff loß: Wie wir uns verschworen haben / so stehen wir beisammen. angelo. Derselbe sey in Ewigkeit geschimpffet / der anitzo verzagt ist. laudato. Und der bleib ein ewiger Feinde des Königreiches / der anitzo barmhertzig ist. afflitto. Und damit werden wir die Kammer suchen. salvador. Holla / ist niemand hier / der uns den Ort weiset / wo sich Herr Masaniello 80 aufhält? ( Die mittelste Scene eröffnet sich .) masaniello. Hier bin ich / jhr lieben Brüder / was habt jhr zu thun? <?page no="557"?> 000556 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 556 | 147 - Christian Weise: Bäurischer Machiavellus in einem Lust-Spiele vorgestellet salvador. Dieses haben wir zu thun. ( Sie geben alle Vier zu gleich Feuer .) 85 masaniello. ( In dem er fällt .) O jhr Verräther und Undanckbaren Leute! ( Er fällt in die mittelste Scene hinein. Die umstehenden schreyen.) Ach weh unser Haupt ist todt / das Volck und die gantze Bürgerschafft ist verrathen. ( Die Scene fällt zu .) salvador. So last uns nunmehr die tapffere That durch alle Gassen Ausrufen. 90 angelo. GOtt gebe dem Könige in Spanien langes Leben! laudato. Masaniello ist todt. afflitto. Und wer seinen Nahmen nennen wird / der soll sterben. salvador. Und wer sein Geschlecht nicht mit Schwerdt und Feuer verfolgt / der soll unter unsre Feinde gezehlt werden. 95 laudato. Auff und helffet mir das Haupt Hertzogs Caraffa von dem Thore herunter langen. Ich weiß / es wird mir an Cavallieren nicht mangeln / die mir beystehn / und wenn es dem gantzen Volcke solte ein Stachel im Auge seyn. afflitto. Ich werde mich nicht ausschliessen. Hört zu jhr Leute: der verfluchte Masaniello ist todt. 100 20 Possen-Spiel] derbes Lustspiel 21 wohlfeyle] wohlfeil: mühelos erhältlich, aber auch ,abgedroschen, platt‘ 31 Mußqvetirer] ein mit der Muskete (Langgewehr) bewaffneter Soldat 54 Intraden] Einkünfte 59 hoffärtig] stolz, übermütig 78 anitzo] jetzt In: Weise (1972), 20-22; 30-31; 171-172. 147 B.III.5. Christian Weise Aus: Bäurischer Machiavellus in einem Lust-Spiele vorgestellet (1681) [Der Staatsphilosoph Machiavelli wird von Apoll, Richter des Musenbergs Parnass, beschuldigt, mit seinen Schriften den Sittenverfall befördert zu haben. Machiavelli hingegen ist sich sicher, dass die wahren Machiavellisten die Bauern sind - obwohl sie seine Schriften niemals gelesen haben.] Erste Handlung [ … ] machiavellus. Durchlauchtigster Apollo auff allergnädigste Citation erscheine ich / und will anhören / wessen ich mit Grund der Warheit könne beschuldiget werden. <?page no="558"?> 000557 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 557 147 - Christian Weise: Bäurischer Machiavellus in einem Lust-Spiele vorgestellet | apollo. Hier ist ein Advocat / der soll die Klage kürtzlich vorbringen. gentiletus. Durchlauchtigster Apollo , dieser gegenwärtige Machiavellus hat alle Falschheit / List und Betrügerey in der Welt eingeführet / daß numehr ein tugendhaffter Mensch der 5 Welt eher Feind wird / als er mit schuldigen Diensten einige Freundschafft erweisen kan. machiavellus. Ein anders ist anklagen / ein anders die Klage durch Beweiß befestigen. gentiletus. Liegen die Schrifften nicht an Tage? es wäre schädlich / wenn man die Tugend im Hertzen hätte: Wohl aber könte es nützlich seyn / wenn man sich äusserlich durch einen Tugendhafften Schein Recommandir te / wiewohl mit diesem Bedinge / daß man auff dem 10 Nothfall zu den Lastern greiffen / und die Tugend ohne Beschwerung des Gewissens verjagen könte. machiavellus. Was mein Buch betrifft / davor hab ich vor diesen Durchlauchtigsten Richter-Stuhl meine Straffe erlitten. Denn ob ich wohl durch eine Satyrische Schrifft die gewöhnliche Tyranney der Italienischen Fürsten vor der gantzen Welt Prostitui ren wolte; So 15 hätte ich doch besser gethan / wenn ich in der Schrifft nicht so ernstlich und gleich als mit einer gewissen Meynung auffgezogen wäre. Allein wo kömmt diese neue Klage her? gentiletus. So lange das Buch nicht aus der gantzen Welt verbannet wird / so lange kan ein neuer Schaden erwachsen / und so lange muß der Autor des Buchs davor stehen. Ich meine / die Parisische Blut-Hochzeit wäre nachblieben / wenn die damahligen Statisten 20 den Machiavellum nicht fleissiger gelesen hätten als die Bibel. machiavellus. Aus welchen Buche Studir ten die Sicilianer ihre Vesper? Denn ich werde mein Buch nicht etliche 100. Jahr zuvor geschrieben haben / eh ich gebohren bin. Oder aus welchen Buche Studir te Cain / daß er in Gegenwart seines Vaters mit dem Abel freundlich reden / und ihm hernach mit guter Gelegenheit den Hals brechen solte? 25 gentiletus. Ich habe genung / was in dem Buche steht / das wird jetzund in der Welt Practicirt : Also müssen wir den jenigen beschuldigen / welcher den ärgsten Verdacht auff sich geladen hat. machiavellus. Was vor meiner Zeit gewesen ist / darinn kan ich nimmermehr der Anfänger seyn. 30 gentiletus. Vor Zeiten lebten andre Leute / die haben ihre Verführer vor sich gehabt / und darum lassen wir uns unbekümmert: genung / daß wir wissen / woher die jetzige Welt betrogen wird. machiavellus. Gleich als könte die jetzige Welt den alten Verführern nicht folgen. gentiletus. Mahomet wird dessentwegen gleichwohl ein Verführer genennet / wenn er 35 gleich seinen Alcoran von den alten Jüden Ketzern und Heyden geborget hat: und desto schlimmer ist ein solches Buch / darinne die alte Betrügerey gleichsam In Quinta Essentia wiederumb zu Marckte getragen wird. machiavellus. Ich höre nichts als eitle Muthmassungen. apollo. Nein / Machiavelle , auf diese Klage muß etwas deutlicher geantwortet werden. 40 machiavellus Durchlauchtigster Apollo , die Boßheit der verkehrten Welt wird meinen geringen Buche zugeschrieben: allein ich will die Klage leicht von mir weltzen / wenn ich spreche / die Bauern sind nach Innhalt der eingegebnen Klage die ärgsten Machiavelli sten / und ich will mich hoch verwetten / daß kein eintziger meine Schrifft gelesen und dergestalt den Namen eines würcklichen Machiavelli sten verdienet hat.[23] 45 45 <?page no="559"?> 000558 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 558 | 148 - Christian Heinrich Postel: Scherenschleifer-Arie aus dem Singspiel Ariadne apollo. Nehmt einen Abtritt / der Bescheid soll euch in kurtzen entdecket werden. Die Scene fällt zu. gentiletus. So muß sich numehr ein Fürstlicher und Päpstlicher Secretarius auff die Bauern beruffen? machiavellus. In dem Vorgemache geb ich einem Parteyischen Advocaten keine Antwort. 50 Ich erwarte / was der durchlauchtigste Richter beschliessen wird. Curiosus, Eusebius, Uranius, Politicus, Civilis. curiosus. Auff erhobene Klage wider den Machiavellum und auf erfolgte Antwort / giebt der Durchlauchtigste Apollo diesen Bescheid/ daß Eusebius und Politicus als verordnete Commissari en in der Welt herumb ziehen / und daselbst bey den Bauren Achtung geben sollen / 55 ob sie alle Boßheit mit den andern Menschen gemein haben; darnach / ob sie solches von dem Machiavello , oder von einem andern Lehrmeister begriffen haben: daran geschiehet ihrer Majestät ernster Wille / und sie haben biß auff den künfftigen Gerichts-Tag ihren Abschied. [ … ] 1 Apollo] Gott der Künste und der Dichtkunst Citation] Vorladung 3 Advocat] Anwalt 10 Recommandirte] empfahl 15 Prostituiren] hinstellen, öffentlich preisgeben 20 Parisische Blut-Hochzeit] auch Bartholomäusnacht, Pogrom an den französischen Hugenotten 1572 Statisten] Staatsmänner, Politiker 22 Vesper] christliches Abendgebet 23-25 Oder aus welchen Buche [ … ] solte] Brudermord des Kain an Abel, vgl. Gen. 4, 1-24 35 Mahomet] Mohammed (ca. 570-632), Prophet des Islam 36 Alcoran] Koran 37 Quinta Essentia] Quintessenz, das Wesentliche 54f. Commissarien] Beauftragte In: Weise (1976), 21-24. 148 Christian Heinrich Postel (1658-1705) Scherenschleifer-Arie aus dem Singspiel Ariadne (UA 1691) 1. Was kann der edlen Schleifer-Kunst Von andern Künsten gleichen? Sie kann die allererste Gunst Bei großen Herrn erreichen. Am Hofe wird nur ausgelacht, 5 Wer nicht vom Schleifen Handwerk macht. 2. Der König schleifet seinen Rat, Der Rat die armen Schreiber, <?page no="560"?> 000559 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 559 149 - Benjamin Neukirch: An Sylvien auf ihren namens-tag | Und wenn man nichts zu schleifen hat, So schleifet man die Weiber. 10 Da ist bald Rock, bald Wams zu groß, Bald geht’s auf die Fontange los. 3. Da schleift man manchen Dudenkopf, Die Tölpel und die Toren, Da wird der Wurm und Hasenkopf 15 Geschliffen und geschoren. Viel tausend macht von Phantasei Die edle Kunst des Schleifers frei. 4. Und wer nicht andre schleifen kann, Der muß sich schleifen lassen, 20 Drum wer das Handwerk gehet an, Der muß es gründlich fassen. Sonst wird er als ein Stümper stehn Und oft nach Buxtehude gehn. 12 Fontange] hohe, übereinandergesteckte Kopfhaube auf Drahtgestell 13 Dudenkopf] alberner Mensch, auch: Hahnrei 24 Buxtehude] Stadt bei Hamburg, sprichwörtl. Provinzort In: Postel (1691), Akt I, 15 (Arie des Dieners Pamphilius, als Scherenschleifer ausmontiert). 149 B.III.2. Benjamin Neukirch (1665-1729) An Sylvien auf ihren namens-tag (1695) DEin edler namens-tag zeigt heute seinen schein; Mir aber meine pflicht / dich würdig anzubinden; Allein wo soll ich was bey meiner armuth finden / Weil federn und papier für dich zu wenig seyn? Mein wollen ist zwar groß / doch mein vermögen klein / 5 Drum laß mich / was ich kan / dir zum geschencke winden: Denn wer die liebe will auff gold und reimen gründen / Schleust nur viel prahlerey und wenig freundschafft ein. Ich biete dir mein hertz zum opffer selber an / Mein hertze / das dich zwar nicht / schönste / binden kan; 10 <?page no="561"?> 000560 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 560 | 150 - Johann von Besser: „NIcht schäme dich / du saubere Melinde“ Weil du es schon vorlängst mit ketten angebunden / Legst du es aber nur zu deinen füssen hin / So glaube / daß ich auch in ketten lustig bin; Weil es nach so viel angst doch einen ruh-platz funden. In: Neukirch (Hg.) I (1961), 106. 150 B.III.2.2. Johann von Besser (1654-1729) „NIcht schäme dich / du saubere Melinde“ (1697) 1. NIcht schäme dich / du saubere Melinde / Daß deine zarte reinligkeit Der feuchte mond verweist in eine binde / Und dir den bunten einfluß dräut. Der große belt hegt ebb’ und flut / 5 Was wunder / wenns der mensch der kleine thut. 2. Die röthligkeit bei deinen bunten sachen Hat niemahls deinen schooß versehrt. Wie muscheln sich durch purpur theuer machen / So macht dein schnecken-blut dich werth. 10 Wer liebt dein dinten-meer wohl nicht / Weil man daraus corallen zincken bricht? 3. Nur einmahl bringt das gantze jahr uns nelcken / Dein blumen-busch bringts monatlich / Dein rosen-strauch mag nicht verwelcken / 15 Sein dorn der hält bey dir nicht stich / Denn was die sanfften blätter macht / Das ist ein thau von der johannis-nacht. 4. Kanst du gleich nicht die lenden hurtig rühren / Lobt man dich doch im stille stehn / 20 Der augenblau wird leichtlich sich verlieren / Denn wirst du seyn noch eins so schön. <?page no="562"?> 000561 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 561 151 - Anonymus: Verkehrtes sonnet der schreibe-feder | Man sammlet / spricht die gantze welt / Viel besser frucht / wenn starcke blüte fällt. 5. Laß mich darum doch keine fasten halten / 25 Ein könig nimmt den schranck zwar ein / Doch muß er fort / wann sich die wasser spalten / Der geist muß ausgestossen seyn. Man geht / wie iedermann bekandt / Durchs rothe meer in das gelobte land. 30 5 Der große belt] Meeresstraße in der Ostsee 10 schnecken-bluth] die rote Purpurfarbe wird aus der Purpurschnecke gewonnen 18 thau von der johannis-nacht] galt in der Volksüberlieferung als stärkendes Mittel 21 augenblau] blutunterlaufenes Auge; „Bisweilen entstehet solches [ … ] von innerlichen Ursachen, als Vollblütigkeit, scharffen, hitzigen und wallenden Geblüte [ … ] und andern grossen Leibes-Bewegungen“ (Zedlers Universal-Lexicon, Bd. 40, 1791) 26 nimmt den schranck zwar ein] nimmt die Einschränkung zwar hin 27-30 wann sich die wasser spalten [ … ] gelobte land] während der Flucht vor den Ägyptern spaltet sich vor Moses und den Israeliten das Rote Meer, sodass sie es passieren und in das gelobte Land reisen können In: Neukirch (Hg.) I (1697), 69f. 151 Anonymus Verkehrtes sonnet der schreibe-feder (1697) DJe kunst ist ohne macht / wo sich nicht Mars gesellet / Die feder hat den stahl offt bloß aus furcht verstellet / Und ob sich itzt ein held auff freye künste leget; Doch ward Germanien noch 1000 mahl so groß / Als seiner waffen blitz das stoltze Rom beweget. 5 Es sey / daß ein Virgil saß in Augustus schooß / So stand die majestät nur auff der schwerdter pracht. Diß käysers purpur stieg durch glücke von den kriegen / Offt muß beredsamkeit sich vor dem fürsten biegen / Und ein schlecht feder-kiel wird nicht so groß geacht / 10 Als wenn ein tapffrer muth den feind zu nichte macht / Vor dem sein unterthan gebücket muste liegen: Der harnisch und der stahl kan ja die welt besiegen / Durch diß hat Rom die welt zur dienstbarkeit gebracht. Titel schreibe-feder] Das Gedicht lehnt sich an Hoffmannswaldaus Rede der schreibe-feder ( 132) an 6 Virgil saß in Augustus schooß] Vergil schrieb während der Herrschaft von Kaiser Augustus, der u. a. die Aeneis als Verewigung seines Ruhms in Auftrag gab ( 132) 13 harnisch] Teil der Rüstung zum Schutz des Oberleibs In: Neukirch (Hg.) I (1961), 363f. <?page no="563"?> 000562 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 562 | 152 - Christian Gryphius: Ungereimtes Sonett 152 Christian Gryphius (1649-1706) Ungereimtes Sonett (1698) Obgleich Cloridalis auf ihre Marmor-Kugeln Die / wie ein ieder sagt / der Himmel selbst gewölbt / Und auf ihr Angesicht / das Sternen gleichet / trotzt / Obschon / wie sie vermeynt / des Paris göldner Apffel Vor sie allein gemacht; obgleich viel altes Silber 5 In ihrem Kasten ruht / doch ists ein eitler Wurff / Den sie nach mir gethan; Ich bin gleich wie ein Fels / Und lieb ein kluges Buch mehr als der Venus Gürtel. Die Liebe reimet sich so wenig mit Minerven / Als eine Sterbe-Kunst zu Karten und zu Würffeln / 10 Das Braut-Bett in die Grufft / Schalmeyen zu der Orgel / Ein Mägdchen und ein Greiss / als Pferde zu den Eseln / Als Messing zum Smaragd / als Rosen zu den Disteln / Als diese Verse selbst / ja fast noch weniger. 1 Marmor-Kugeln] Brüste 4 Paris göldner Apffel] laut griech. Mythologie muss der Jüngling Paris entscheiden, wer von den drei Göttinnen Juno, Minerva und Venus die schönste ist; Venus bietet ihm die schöne Helena zur Frau, daher überreicht er ihr den Apfel 9 Minerven] röm. Göttin der Klugheit, Schutzgöttin der Dichter 11 Schalmeyen] Holzblasinstrument mit Doppelrohrblatt; Schäferinstrument In: Gryphius ( 3 1718), 826. 153 August Adolf von Haugwitz An seine Bücher Diß ist der traute Sitz den ich mir auserwehlt / Was acht ich Sorgen-Last / was acht ich Unglücks-Wetter / Hier diese stumme Zunfft ist meiner Seelen Retter / Hier such und find ich das / was andern Leuten fehlt / Hier stirbt und schwindet das / was meinen Geist sonst qvält / 5 Hier hab ich trotz der Welt und ihrer blinden Spötter Nechst Gott dem grösten / selbst der Sinnen wahre Götter Den’n sich mein Hertz und Geist auff ewig anvermählt. <?page no="564"?> 000563 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 563 154 - Friedrich Rudolph Ludwig Freiherr von Canitz: Von der Poesie | Hier hab ich meinen Sitz / hier hab ich meine Reise / Hier hab ich meinen Tranck / hier hab ich meine Speise / 10 Hier hab ich meinen Schatz und theuren Edelstein / Hier hab ich meinen Ruhm / mein Reichthum und mein Prangen Hier hab ich / was ich wil / und was ich kan verlangen / Ach / daß doch nicht auch hier mein letztes Grab soll seyn. 12 Prangen] Pracht zeigen In: Kircher (Hg.) (1979), 109. 154 C. I.3. Friedrich Rudolph Ludwig Freiherr von Canitz (1654-1699) Von der Poesie (1700) AUf! seume nicht mein Sinn ein gutes Werck zu wagen / Und aller Lichteren auf ewig abzusagen; Gib weiter kein Gehör / wenn die Syrene singt / Und such ein ander Spiel / das bessern Nutzen bringt. Wie? sprichst du / soll ich schon ein Zeitvertreib verschweren / 5 Dadurch ich bin gewohnt die Grillen abzukehren / Das mir in Sicherheit bisher die Stunden kürzt / An statt daß mancher sich aus Lust in Unlust stürtzt / Der / weil ein schwartzer Punct im Würffeln ausgeblieben / Zuletzt aus dem Besitz der Güter wird getrieben. 10 Ich thu mir schon Gewalt / wenn ich viel Thorheit seh / Die ich bescheidentlich mit schweigen übergeh; Das aber ding‘ ich aus / nicht zu des Nechsten Schaden / Nein; sondern nur mein Hertz der Bürde zu entladen / Daß ich durch einen Reim / was ich den gantzen Tag / 15 Geduldig angemerckt / mir selbst vertrauen mag. Denn schenck‘ ichs keinem nicht / kein Ort ist den ich schone / Von schlechten Hütten an / biß zu des Königs Throne. [ … ] Ists müglich / kan dir noch die Tichter-Kunst gefallen? 20 Gib Achtung / bitt ich dich / wie unsre Lieder schallen / Und was für eine Bruth / man allenthalben heckt / So weit sich das Gebieth des Teutschen Bodens streckt. Durch Opitzs stillen Bach gehn wir mit trocknen Füssen / Wo sieht man Hoffmanns Brunn / und Lohnsteins Ströhme fliessen? 25 Und / nehm ich Bessern aus / wenn ist wol mehr vergönnt / <?page no="565"?> 000564 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 564 | 154 - Friedrich Rudolph Ludwig Freiherr von Canitz: Von der Poesie Daß er den wahren Quell der Hyppocrene kennt? Wer itzt aus Pfützen trinckt / tritt in Poeten Orden’; So daß der Helicon ein Blocksberg ist geworden / Auf welchem das Geheul des wilden Pans erthönt / 30 Der seine Sänger-Zunfft mit Hafen-Pappeln krönt. Vor alters / wo mir recht / ward nie ein Held besungen / Wenn er nicht durch Verdienst sich in die Höh geschwungen; Und eine Redens-Art die göttlich solte seyn / Die ward zu solcher Zeit den Sclaven nicht gemein, 35 Wo lebt itzt der Poet / der dis Geheimniß schonet? So bald er einen merckt / der ihm die Arbeit lohnet / Wird seinem Pegasus der Sattel aufgelegt / Der ein erkaufftes Lob biß an den Himmel trägt; Den wir mit solcher Post so offt zum Zorne reitzen / 40 Und öffter noch vielleicht / als sich die Sterne schneutzen; Daß grossen theils die Welt in träger Lust verdirbt / Und sich um wahren Ruhm so selten mehr bewirbt / Ist der Poeten Schuld: Der Weyrauch wird verschwendet / Und manchem Leib und Seel um die Gebühr verpfändet / 45 Daß die Unsterblichkeit ihm nimmer fehlen kan / Der wie ein Erden Schwam sich kaum hervor gethan / Und den sonst anders nichts vom Pöbel unterscheidet / Als daß ein blöder Fürst ihn an der Seite leidet / Da er für jedes Loth das ihm an Tugend fehlt / 50 Ein Pfund des eitlen Glücks / und schnöden Soldes zehlt. Man denckt und schreibt nicht mehr / was sich zur Sache schicket / Es wird nach der Vernunfft kein Einfall ausgedrücket; Der Bogen ist gefüllt / eh man an sie gedacht; Was groß ist / das wird klein / was klein ist / groß gemacht; 55 Da doch ein jeder weiß / daß in den Schildereyen Allein die Aehnlichkeit das Auge kan erfreuen / Und eines Zwerges Bild die Artigkeit verliert / Wenn er wird in Gestalt das Riesen aufgeführt. Wir lesen ja mit Lust Aeneas Abentheur / 60 Warum? stößt ihm zur Hand ein grimmig Ungeheur / So hat es sein Virgil so glücklich vorgestellt / Daß uns / ich weiß nicht wie / ein Schrecken überfällt. Und hör‘ ich Dido dort von Lieb und Undanck sprechen / So möchte ich ihren Hohn an den Trojanern rächen; 65 So künstlich trifft itzund kein Tichter die Natur / Sie ist ihm viel zu schlecht / er sucht ihm neue Spuhr: Geußt solche Thränen aus die Lachens-würdig scheinen / <?page no="566"?> 000565 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 565 154 - Friedrich Rudolph Ludwig Freiherr von Canitz: Von der Poesie | Und wenn er lachen wil so möchten andre weinen. Ein Teutscher ist gelehrt / wenn er sein Teutsch versteht / 70 Kein Wort kömmt für den Tag das nicht auf Steltzen geht. Fällt das geringste vor in diesen Krieges Zeiten / So dünckt mich hör ich schon / die Wetter-Klocke leuten / Ein Flammen-schwangrer Dampff beschwärtzt das Lufft-Revier / Der Straal-beschwäntzte Blitz / bricht überall herfür / 75 Der grause Donner brüllt / und spielt mit Schwefel-Keilen; Der Leser wird betrübt / beginnet fort zu eylen / Biß er ins truckne kommt / weil doch ein Wolcken-Guß / Auf solchen starcken Knall / nothwendig folgen muß / Und läßt den armen Tropff der Welt zur Straffe reimen 80 Wie ein Beseßner pflegt in seiner Angst zu scheumen / Seht wo ein Schul-Regent in einem Flecken ab / Mein GOtt! wie rasen nicht die Tichter um sein Grab; Der Tod wird ausgefiltzt / daß er dem theuren Leben / Nicht eine längre Frist / als achtzig Jahr gegeben; 85 Die Erde wird bewegt / im Himmel Lerm gemacht / Minerva wenn sie gleich in ihrem Hertzen lacht / Auch Phöbus und sein Chor / die müssen wider Willen / Sich traurig / ohne Trost / in Flohr und Boy verhüllen. Mehr Götter sieht man offt auf solchem Zettel stehn / 90 Als Bürger in der That mit zu der Leiche gehn; Ein andrer von dem Pfeil des Liebens angeschossen / Eröfnet seinen Schmertz mit hundert Gauckel Possen / Daß man gesundern Witz bey jenem Täntzer spührt / Den die Tarantula mit ihrem Stich berührt; 95 Was er von Kindheit an aus Büchern abgeschrieben / Das wird mit Müh und Zwang in einen Verß getrieben; Die Seuffzer / wie er meynt / erweichen Kieselstein / Die voll Gelehrsamkeit und wohl belesen seyn. Das Aetna Feuer-Klufft muß seiner Liebe gleichen / 100 Und aller Alpen Eyß / der Liebsten Kälte weichen / Indessen aber wird das arme Kind bethört / Und weiß nicht was sie fühlt / wenn sie dergleichen hört; Ja wenn ihr Coridon gebückt vor ihren Füssen / Der Klage Bitterkeit ein wenig zu versüssen / 105 Nichts anders als Zibeth und Ambra von sich haucht / Und sie kein Biebergeil zum Gegenmittel braucht / So mag das Mörders Hand was ihm von seinem Tichten Noch etwan übrig bleibt / auf ihre Grabschrifft richten. <?page no="567"?> 000566 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 566 | 155 - Friedrich Rudolph Ludwig Freiherr von Canitz: Klag-Ode über den Tod seiner ersten Gemahlin 2 Lichteren] Irrlichter 3 Syrene] in der Odyssee locken diese Fabelwesen die Seeleute mit ihrem schönen Gesang an, damit sie an den Felsen scheitern 5 verschweren] abschwören 6 Grillen] Launen 9 schwartzer Punct] Augenzahl auf dem Würfel 24 Opitzs] Martin Opitz 25 Hoffmanns] Christian Hoffmann von Hoffmanswaldau Lohnsteins] Daniel Casper von Lohenstein 26 Bessern] Johann von Besser 27 Hyppocrene] Inspirationsquelle auf dem Musenberg Helikon 29 Blocksberg] Hexen- und Teufelsberg 30 Pans] Hirtengott, Gott der Schäferdichtung; Mischwesen aus Mensch und Ziegenbock 31 Hafen-Pappeln] Malve, Kraut 38 Pegasus] geflügeltes Pferd, auch Musenross; steht für die dichterische Phantasie 41 schneutzen] die Nase putzen 50 Loth] Maßeinheit 56 Schildereyen] Beschreibungen, Gemälde 60 Aeneas] trojanischer Held, Gründungsvater Roms, dessen Leben Virgils Epos Aeneis erzählt 62 Virgil] röm. Dichter 64 Dido] Königin von Karthago, wird von ihrem Geliebten Aeneas verlassen und begeht Suizid 82 Schul-Regent] Schulrektor 84 ausgefiltzt] ausgescholten 87 Minerva] röm. Göttin der Klugheit, Schutzgöttin der Dichter 88 Phöbus] Beiname des Apoll, Gott der Dichtkunst 89 Flohr und Boy] Trauerbekleidung 93 Gauckel Possen] albernes Spiel 94 gesundern] gesünderen 100 Aetna] Vulkan auf Sizilien 104 Coridon] stereotype Figur des Hirten, prominent bei Opitz 106 Zibeth] Duftstoff Ambra] süßlicher Duftstoff 107 Biebergeil] Bieberhoden, Heilmittel In: Canitz (1700), 60-66. 155 C. I.4.1. Friedrich Rudolph Ludwig Freiherr von Canitz Klag-Ode über den Tod seiner ersten Gemahlin (1700) SOll ich meine Doris missen? Hat sie mir der Tod entrissen? Oder bringt die Phantasey Mir vielleicht ein Schrecken bey? Lebt sie? Nein, sie ist verschwunden; 5 Meine Doris deckt ein Grab. Schneid, Verhängniß, meinen Stunden Ungesäumt den Faden ab! Solt ich dich noch überleben! Der ich mehr, als mir, ergeben, 10 Die ich in mein Hertz gedrückt; Dich, die du mich so beglückt, Daß die Welt mit Kron und Reichen Mich zu keinem Neid gebracht, Weil ich sie, dir zu vergleichen, 15 Niemahls groß genug geacht? [ … ] Was für Wellen und für Flammen 25 Schlagen über mich zusammen! Unaussprechlicher Verlust, <?page no="568"?> 000567 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 567 155 - Friedrich Rudolph Ludwig Freiherr von Canitz: Klag-Ode über den Tod seiner ersten Gemahlin | Wie beklemmst du meine Brust! Und wie kömmts? da ich mich kräncke, Werd ich gleichsam wie ergötzt, 30 Wenn ich nur an die gedencke, Die mich in diß Leid gesetzt. Möchte mir ein Lied gelingen, Sie nach Würden zu besingen: Doch ein untermengtes Ach 35 Macht mir Hand und Stimme schwach; Worte werden mir zu Thränen, Und so muß ich mir allein, In dem allergrösten Sehnen, Der betrübte Zeuge seyn. 40 Ihr, die ihr mit Schrifft und Tichten Könnt die Sterblichkeit vernichten, Singt die Angst, die mich verzehrt, Und der Doris ihren Werth; Daß man sie, nach langen Jahren, 45 Mag bedauren, und auch mich. Doch ihr könnt die Arbeit spahren; Wer kennt beydes so, wie ich? [ … ] Helffte meines matten Lebens, Doris! ists denn gantz vergebens, Daß ich kläglich um dich thu? Kanst du noch in deiner Ruh, Die getreuen Seuffzer hören? 165 Rührt dich meiner Schickung Grimm? Ach so laß dein Schlummern stöhren! Sieh dich einmahl nach mir üm! [ … ] Denn will ich, nach langem Schmachten, 200 Dich in Sions Burg betrachten. Brich, erwünschter Tag, herein! Und mein sterbliches Gebein Soll, biß künfftig unsre Seelen Wieder in die Cörper gehn, 205 Nechst bey dir, in einer Höhlen, Die Verwesung überstehn. <?page no="569"?> 000568 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 568 | 156 - Johann Christian Günther: Abschieds-Aria Wie geschicht mir? Darff ich trauen? O du angenehmes Grauen! Hör ich meine Doris nicht? 210 Die mit holder Stimme spricht: Nur drey Worte darff ich sagen: Ich weiß, daß du traurig bist; Folge mir! Vergiß dein Klagen, Weil dich Doris nicht vergißt. 215 8 den Faden] Motiv der Parzen, die als Schicksalsgöttinnen den Lebensfaden spinnen und durchtrennen 201 Sions] Zion, Wohnsitz Gottes In: Canitz (1982), 325-334. 156 C. I. 4.2. Johann Christian Günther (1695-1723) Abschieds-Aria (1715) SChweig du doch nur, du Hellfte meiner Brust! Denn was du weinst, ist Blut aus meinem Hertzen; Jch taumle so und hab an nichts mehr Lust, Als an der Angst und den getreuen Schmertzen, Womit der Stern, der unsre Leiber trennt, 5 Die Augen brennt. Die Zärtligkeit der innerlichen Quaal Erlaubt mir kaum ein gantzes Wort zu machen; Was dem geschieht, um welchen Keil und Strahl Bey heisser Lufft in weitem Felde krachen, 10 Geschieht auch mir durch dieses Donner-Wort: Nun muß ich fort. Ach harter Schluß! der unsre Musen zwingt, Des Fleisses Ruhm in fremder Lufft zu gründen, Und der auch mich mit Furcht und Angst umringt, 15 Welch Pflaster kan den tieffen Riß verbinden? Den tieffen Riß, der dich und mich zuletzt Jn Kummer setzt. Der Abschieds-Kuß verschliest mein Paradieß, Aus welchem mich Zeit und Verhängniß treiben; 20 <?page no="570"?> 000569 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 569 156 - Johann Christian Günther: Abschieds-Aria | So viel bißher dein Antlitz Sonnen wieß, So mancher Blitz wird jetzt mein Schrecken bleiben. Der Zweiffel wacht und spricht von deiner Treu: Sie ist vorbey. Verzeih mir doch den Argwohn gegen dich, 25 Wer brünstig liebt, dem macht die Furcht stets bange. Der Menschen Hertz verändert wunderlich; Wer weiß, wie bald mein Geist die Post empfange: Daß die, so mich in Gegenwart geküßt, Entfernt vergißt. 30 Gedenck einmahl, wie schön wir vor gelebt, Und wie geheim wir unsre Lust genossen; Da hat kein Neid der Reitzung widerstrebt, Womit du mich an Halß und Brust geschlossen: Da sah uns auch bey selbst erwüntschter Ruh 35 Kein Wächter zu. Genung! ich muß; die Marter-Glocke schlägt, Hier liegt mein Hertz, da nimm es aus dem Munde, Und heb es auf, die Früchte, so es trägt, Sind Ruh und Trost bey mancher bösen Stunde, 40 Und ließ, so offt dein Gram die Leute flieht, Mein Abschieds-Lied. Wohin ich geh, begleitet mich dein Bild, Kein fremder Zug wird mir den Schatz entreissen; Es macht mich treu und ist ein Hoffnungs-Schild, 45 Wenn Neid und Noth Verfolgungs-Steine schmeissen, Biß daß die Hand, die uns hier Dörner flicht, Die Myrthen bricht. Erinnre dich zum öfftern meiner Huld, Und nähre sie mit süssem Angedencken! 50 Du wirst betrübt, diß ist des Abschieds Schuld, So muß ich dich zum erstenmahle kräncken, Und fordert mich der erste Gang von hier, So sterb ich dir. Jch sterbe dir, und soll ein fremder Sand 55 Den offt durch dich ergötzten Leib bedecken, <?page no="571"?> 000570 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 570 | 157 - Johann Christian Günther: Nach der Beichte an seinen Vater So gönne mir das letzte Liebes-Pfand, Und laß ein Creutz mit dieser Grab-Schrifft stecken: Wo ist ein Mensch, der treulich lieben kan? Hier liegt der Mann. 60 9 Keil und Strahl] Donner und Blitz 49 Myrthen] immergrüner Strauch, Symbol der Liebe In: Günther (2013), 241-243. 157 C. I.4.2. Johann Christian Günther Nach der Beichte an seinen Vater (1720) Mit dem im Himmel wär es gut, Ach! wer versöhnt mir den auf Erden? Wofern es nicht die Liebe thut, Wird alles blind und fruchtlos werden; Wer glaubt wohl, hartes Vaterherz! 5 Daß so viel Unglück, Flehn und Schmerz Der Eltern Blut nicht rühren sollen. Ich dächt, ich hätt in kurzer Zeit Die allerhärtste Grausamkeit Bloß durch mein Elend beugen wollen. 10 Ich bin, und bin auch nicht verwayßt; Dieß Rätzel kostet mich viel Thränen; Ach! Vater, bist du, was du heißt, So höre mein gerechtes Sehnen, Ich küsse dich mit Mund und Hand; 15 Du kannst ja wohl dieß Ehrfurchtspfand Nicht ganz und gar zurücke schlagen. Verschmähst auch du dieß Lösegeld Zu welchem soll ich auf der Welt, Mehr Neigung, Herz und Zuflucht tragen! 20 Ich bitte, prüfe Straf und Schuld. Dein Eifer streckt sich in die Länge, Er stiehlt mir aller Gönner Huld, Er mehrt der Feinde Spott und Menge, Mein künftig Wohlseyn geht in Grund, 25 Verleumdet uns der Eltern Mund, <?page no="572"?> 000571 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 571 157 - Johann Christian Günther: Nach der Beichte an seinen Vater | Was wollen Fremde thun und glauben? Behält dein Herz noch eine Spur Der ehmals gütigen Natur; So mußt du mir die Frag erlauben: 30 Wer sündigt mit Entschuldigung, Der alle Rechte Statt vergönnen? Die Strafe dient zur Besserung, Ja, wenn wir sie gebrauchen können; Allein, wer gar zu Boden liegt, 35 Und nirgends Rath noch Hülfe kriegt, Der ist den Kranken beyzuzählen, Die, wenn der Brand das Haupt gewinnt, Ohn eigne Schuld vernunftlos sind Und Gift vor Mithridat erwählen. 40 Was bringen dich vor Laster auf, Und was vor Bosheit reizt die Rache? Was ist, wodurch mein Lebenslauf Der Eltern Zucht zu Schanden mache? Ich falle, ja, wie jeder fällt, 45 Dem Fleisch und Jugend Netze stellt: Und hätt ich etwas Grobs begangen; So würde nach bewiesner That Ein Strafbrief und geheimer Rath Vielmehr als Fluch und Schimpf verfangen. 50 Was zwischen uns vor Streit geschehn, Was darf denn dieß die Misgunst hören? Sie wird sich desto stolzer blehn, Auch dir gereicht es nicht zu Ehren; Sie misbraucht deinen frommen Sinn, 55 Und schwärzt mich anders, als ich bin; Ach! schone doch dein eignes Herze, Der Himmel weis, ich klage dich; Du weinst und traurest über mich, Und machst dir Lüg’ und List zum Schmerze. 60 Sieh endlich, wenn du ja so willst, So will ich mich verlohren nennen, Und, weil du mich in Larven hüllst, Auch mehrers, als ich weis, bekennen, <?page no="573"?> 000572 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 572 | 157 - Johann Christian Günther: Nach der Beichte an seinen Vater Hält Demuth oft die Tyranney, 65 Und macht die Busse Sklaven frey; So muß auch dir das Herze brechen: Ich falle dir in Zorn und Arm, Ach! Vater, Vater, ach! erbarm, Und laß die Thränen weiter sprechen. 70 Du hast mit großer Lieb und Müh Gezeugt, ernährt, gelehrt, gezogen, Und daß ich schon an Künsten blüh, Das zeigt, dein Fleiß sey nicht betrogen; Verwirfst du ietzo deinen Sohn; 75 So kommst du endlich um den Lohn, Wer wird dein Trost im Alter bleiben? Wer wird dein Frommsein und dein Leid, Dein Wohlthun, deine Redlichkeit Der Nachwelt zum Exempel schreiben? 80 Ach! mach uns nicht das Ende schwer; Ich will mit Lust noch größre Plagen, Und wenn es selbst dein Sterben wär, Als solchen Haß noch länger tragen. Der Nothzwang lehrt uns freylich viel: 85 Versöhnt dich weder Mund noch Kiel; So ist doch nichts umsonst geschrieben; Die Welt erfährt den treuen Sinn, Womit ich dir ergeben bin; Du magst mich hassen oder lieben. 90 32 Der alle Rechte Statt vergönnen] alle Rechte lassen die Entschuldigung zu (erachten sie für statthaft) 40 Mithridat] Universalheilmittel oder Gegengift, benannt nach König Mithridates VI., der Giftanschläge aus seiner Familie fürchtete 53 blehn] blähen 63 Larven] Masken In: Günther (1998), 260-263. <?page no="574"?> 000573 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 573 158 - Johann Christian Günther: Herrn M(arckard) von R(iedenhausen) Anno 1720 | 158 C. I.4.2. Johann Christian Günther An Herrn M(arckard) von R(iedenhausen) Anno 1720 Gesundheit, Glück und Trost und alles ist nun hin. Mich wundert, daß ich noch der Feder mächtig bin; Allein sie merckt es fast, wer da, nicht ich, geschrieben: Der Himmel sey verehrt, der, da mich vieles preßt, Mir gleichwohl noch den Schaz von wenig Freunden läst, 5 Die nicht aus Eigennuz noch blinder Einfalt lieben. Du bist, ich rühme mich auch bey der Spötter Hohn, Von meiner Poesie der erstgebohrne Sohn Und crönst dadurch mein Haupt mit neuen Lorbeerzweigen, Mein Herz ist von Natur so gut und treu gesinnt; 10 Sobald ein Mensch nur Lust zur Wißenschaft gewinnt, So wallt es vor Begier, ihm Rath und Weg zu zeigen. Ich hab ein kleines Pfund an Weißheit und Verstand; Es würde dann und wann mit Nuzen angewand, Wofern nur Feind und Noth den Vorsaz nicht betrögen. 15 Jedennoch wenn auch nur ein einzig Wort bekleibt Und mancher, der mir buhlt, dem Zwecke näher treibt, So tröstet sich mein Geist, er wuchre nach Vermögen. Ein grob- und rauher Stein macht Eisen blanck und scharf. Dies Gleichnüß zieh auf mich. Wofern ich rathen darf, 20 So folge, werther Freund, dem aufgegangnen Lichte, Bau eifrig auf den Grund, den Wolf und Leibniz legt, Lis, prüfe, denck und schreib; was eigner Fleiß nicht regt, Das, wär es noch so gut, kriegt selten reife Früchte. Erkennestu auch dich und vieles, was die Welt 25 Der forschenden Vernunft zur Übung vorgestellt, So fang behutsam an, dein Glücke fest zu sezen, Versorge Seel und Leib und sez ihr Heil in Ruh. Rast außen Neid und Sturm, so sieh mit Großmuth zu Und lerne Farben, Schein, Beweis und Warheit schäzen. 30 <?page no="575"?> 000574 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 574 | 158 - Johann Christian Günther: Herrn M(arckard) von R(iedenhausen) Anno 1720 Bewirb dich um den Kranz der wahren Dichterkunst; Sie ist der Weißheit Schmuck und bringt der Nachwelt Gunst; Wir leben, stirbt das Fleisch, im klugen Angedencken; Sie weckt, besänftigt, straft, erbaut, ergözt und nüzt, Giebt Enckeln Lust und Muth und macht den Geist erhizt, 35 Der Warheit, die man hast, ein gütig Ohr zu schencken. Die Alten gehn dir vor; die nimm und lis mit Fleiß. Ihr Vorzug kostet sie viel Nächte, Kunst und Schweiß. Virgil beschreibt genau, Homer bewegt und lodert, Anacreon macht voll, Catull kan zärtlich seyn, 40 Horaz ist reich und hoch, der Schwan von Sulmo rein, Und was der Sappho fehlt, ist, daß man mehrers fodert. Der Neuen Kunst fällt ab; doch geht Petrarcha mit, Der nebst noch wenigen die rechte Straße tritt. Sonst haß ich insgemein der Welschen hohe Grillen. 45 Was Ludwigs Gnadenglanz in Franckreich aufgeweckt, Im Boileau, Racine und Moliere steckt, Das kan ja auch die Lust gelehrter Sehnsucht stillen. Der Deutsche kommt fein spät. Vom Opiz halt ich viel; Der Geist des alten Gryph und Flemmings gründlich Spiel 50 Verdient die Ewigkeit so gut als Neukirchs Flöthe; Im Caniz find ich Gold; die edle Lindenstadt Versteht nicht, was sie schon an Rabners Satyr hat; Und manchem fehlt August, sonst würd er ein Poete. Verdirb dein Urtheil nicht durch vielerley Geschmack, 55 Hab einen weisen Freund, der scharf erinnern mag. Schreib wenig, aber gut, und schreite nicht auf Stelzen. Und da der Phoebus stets dem Volcke, das er liebt, So wie auch Helden, nichts als Ruhm und Lorbeer giebt, So halt es dir vor Schimpf, mit Reimen Geld zu schmelzen. 60 Du wilst nunmehr Bericht. Sobald ich Dresden lies, Beweint ich brünstiglich der Sachsen Paradies. Bis Hirschberg hielt der Fuß, drauf hinckt er, doch mit Freuden, In Meinung, sich davor in Striegau Guts zu thun. Hier dacht ich mir einmahl mit Frieden auszuruhn 65 Und in der Eltern Schoos der Lästrer Pfeil zu meiden. <?page no="576"?> 000575 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 575 159 - Barthold Heinrich Brockes: Die Erd-Beere | Ich gieng, ich kam und sah, ach, leider nichts als Leid. Kein Vater lies mich vor. So viel vermag der Neid Und List und Eigensinn und Haß und Aberglauben. Die treue Mutter lag, die Schwester weint und schwieg. 70 Ich zog mit Wehmuth aus; lieg, armes Striegau, lieg, Ich mag schon keinen Scherf aus deiner Asche klauben. Zwo Meilen führten mich nach Schweidniz bey der Nacht; Die Ankunft ward sogleich der Misgunst zugebracht, Der Misgunst, der ich dort viel Hecheln angehangen. 75 Die Feinde drohten Lerm und schritten schon zur That. Bleib, Schweidniz, was du bist, ich kenne deinen Rath Und habe schon in dir mein Gutes längst empfangen. Mit Sorgen, ohne Geld und durch die krümmste Bahn Gelangt ich wunderlich im großen Breßlau an. 80 Ich zecht auf Kreide los. Was hilft’s? Die Noth lehrt bethen. Man sperrte mir das Maul mit viel Befördrung auf; Der Wind kam hinten nach und trieb mich hintern Lauf, Eh Wafen, Feind und Schuld den kurzen Paß vertreten. [ … ] 85 9 Und crönst [ … ] Lorbeerzweigen] antik-frühneuzeitlicher Brauch der Dichterkrönung mit einem Lorbeerkranz (poeta laureatus) 16 bekleibt] Wurzeln schlägt, fruchtet 22 Wolf] Christian Wolff, Philosoph der Aufklärung Leibniz] Gottfried Wilhelm Leibniz, Philosoph der Aufklärung 37 Die Alten] antike Autoren 39 Virgil [ … ] Sappho] antike Dichter 41 der Schwan von Sulmo] Schwan als Symbol des Dichters; meint den röm. Dichter Ovid, nach seinem Geburtsort Sulmo 43 Petrarcha] Francesco Petrarca, italienischer Dichter 45 Welschen] Exonym für die romanischen Völker, in diesem Fall bezogen auf die Franzosen Grillen] Launen 46 Ludwigs] Ludwig XIV., König von Frankreich 47 Boileau [ … ] Moliere] Vertreter der französischen Klassik 49 Opiz [ … ] Caniz] deutsche Barockdichter 52 Lindenstadt] Leipzig 53 Rabners] Gottlieb Wilhelm Rabner, Satiriker 54 August] röm. Kaiser Augustus, Mäzen der Dichter; seine Herrschaft führte zur kulturellen Blüte Roms 58 Phoebus] Beiname des Apoll, Gott der Dichtkunst 63 Hirschberg] schlesische Stadt 64 Striegau] schlesische Stadt 72 Scherf] kleinste Münze 73 Schweidniz] schlesische Stadt 75 Hecheln] höhnen, spotten 81 Ich zecht auf Kreide los] auf Schulden trinken In: Günther (1998), 614-617. 159 C. I.1.1. Barthold Heinrich Brockes (1680-1747) Die Erd-Beere (1721) Nachdem ich jüngst der Bäume krause Höhen Mit Lust im Garten angesehen; Betrachtet’ ich mit nicht gering’rer Lust <?page no="577"?> 000576 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 576 | 159 - Barthold Heinrich Brockes: Die Erd-Beere Und inn’rer Regung meiner Brust, Das niedrig-wachsende Gesträuch, 5 So auch nicht minder Wunder-reich. Der niedern Erd-Beer weisse Blühte, Die wie ein Schnee auf dichten Blättern lag, Ergetzte mein Gesicht, vergnüg’te mein Gemühte, Daß ich, wie ich nicht selten pflag, 10 Mir Feder und Papier hieß bringen, Um dieß’ Gewächs, und in desselben Pracht, Geruch und Süßigkeit, Den, Der die Welt gemacht, Den grossen Schöpfer, zu besingen, Drauf brach ich einen Strauch mit Blüht’ und Blättern ab, 15 Ob gleich ein närr’scher Geiz aus Furcht, die Frucht zu mindern, An diesem Vorsatz mich zu hindern; Die Hand vom schon gefassten Stiel herab, Und wieder rückwärts, ziehen wollte. Wie, schämest du dich nicht, rief ich ihm aber zu, 20 Gedächtest du, Unzeit’ger Sparsamkeit verfluchte Brut, zu wehren, Daß ich, dem grossen HErrn zu Ehren, Den einen Strauch nicht opfern sollte, Der uns, obs mans gleich nicht gedeckt, 25 Umsonst viel tausend tausend schenckt? Hierüber fiel mir gleichfalls ein, Wie unbesonnen karg wir oft mit Armen seyn, Wenn der Mensch sich noch der Armen Will erbarmen; 30 Sucht’s der hungrige Geitz zu hindern Durch die schwartze Höllen-Lehr’: Halt! du wirst dein Gut vermindern. Willt du aber, GOtt zur Ehr, Deiner Güter dich gebrauchen; 35 Laß, statt Heb-, Geb-Opfer rauchen! Murrt der Geitz, so dencke du: Alles gehör’t dem Schöpfer zu. Drauf wand ich nun den Andacht-vollen Sinn, Zum Erd-Beer-Strauch, den ich gepflücket, hin, 40 Worauf mein Aug’ und forschender Verstand Von mir sonst nie bemerckte Wunder fand. <?page no="578"?> 000577 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 577 160 - Der Patriot: Mittwochens, den 5ten Jenner, 1724 | [ … ] Der reiffen Erd-Beer holdes Roht Vergleichet sich dem Schmuck, womit die Wangen 45 Der Rosen-reichen Jugend prangen. Zuweilen funckeln sie, zumahl Wenn sie der Blätter Grün beschattet und bedeckt, Und sie sodann ein Sonnen-Strahl, Von ungefehr bescheint, wie ein Rubin, 50 Der mich gar sehr vergnügt, wenn ihn mein Auge schaut. Absonderlich, Wenn nahe bey dem Stengel sich, In der daselbst so glatten Haut, Recht wie ein rohtes Glas voll güld’ner Körner zeiget, 55 Und wir darin ein unbeschreiblich schön Hell gläntzend Roht, bey duncklem Purpur sehn. [ … ] Wenn der süssen Erd-Beer Saft Lippen, Zung’ und Aug’ erquickt, 60 Nahrung und Vergnügen schafft Wircket er auch zugleich die Kraft Der Betrachtung in der Seele, Daß auch sie genährt, entzückt, Gottes Wunder-Werck erzähle! In: Brockes (2013), 80-84. 160 C. I.1.2. Der Patriot Mittwochens, den 5ten Jenner, 1724 An alle meine Mit-Bürger in und ausser Hamburg / in Städten / Flecken und Dörffern Ich bin ein Mensch, der zwar in Ober-Sachen gebohren, und in Hamburg erzogen, worden: der aber die gantze Welt, als sein Vaterland, ja als eine eintzige Stadt, und sich selbst als einen Verwandten oder Mit-Bürger jedes andern Menschen, ansiehet. Es hindert mich weder Stand, noch Geschlecht, noch Alter, daß ich nicht jedermann für meines gleichen, und, ohne den 5 geringsten Unterschied, für meinen Freund, halte. [ … ] <?page no="579"?> 000578 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 578 | 160 - Der Patriot: Mittwochens, den 5ten Jenner, 1724 Ich dancke GOtt, daß Er mich von gesunden und vernünfftigen Eltern lassen auffgebracht werden, auch mir eine Seele gegeben, die jederzeit mehr nach eigenem Triebe, als durch anderer Anweisung, zum Guten sich führen lassen. Bis ins vier und zwantzigste Jahr habe ich mein Leben mit emsiger Lesung der Bibel, der vornehmsten Welt-Weisen und Geschicht- 10 Schreiber, auch in Untersuchung so wohl meiner Leibesals Gemühts-Beschaffenheit zugebracht, und gegen alle Gewohnheit, Vorurtheile und Leidenschafften mich zu bewaffnen gesuchet. In mir selbst habe ich gar bald eine feste Überzeugung gefunden von einem höchsten ewigen Wesen, welches mich auf diese Welt gesetzet, um, nach Seiner Vorschrifft, meine eigene und anderer Wohlfahrt möglichst zu befördern. Zu dessen Erfüllung habe ich, ausser 15 mir, auch andere Menschen zu kennen, und die übrigen theils leblosen, theils unvernünfftigen Geschöpffe meines Gottes mit Fleiß zu erforschen, mich bemühet. Wie mir bereits in den ersten Jahren auf eine leichte und gantz ausserordentliche Weise neunzehn itzt herrschende Sprachen beygebracht worden; so fand ich hierin desto weniger Hindernissen. Ich habe nicht nur sieben Jahr lang unter den berühmtesten Völckern unsers Europäischen Welt- 20 Theils gelebet, sondern mein Eiffer führte mich so gar auch zu den fast unbekannten Lappländern, Grönländern, Tartarn, Molucken, Indianern, Sinesen, Japanen, Moren, ja selbst den Hottentotten und Cannibalen. Diese weitläufftigen Reisen haben mir etliche zwantzig Jahr gekostet, wovon allein bey den Americanischen Menschen-Fressern zwey Jahre darauf gegangen. Auf diese Weise habe ich nicht nur überhaupt die Klugheiten und Thorheiten, die 25 Tugenden und Laster, die Gesetze, Ordnungen und Gewohnheiten meiner entfernten, mehrentheils für so einfältig und wild gehaltenen, Landes-Leute entdeckt, sondern zugleich solche besondere Exempel von vernünfftigen und tugendhafften Leuten darunter bemerckt, die wir hochmüthigen Europäer nicht vollkommener werden aufweisen können. Bey den meisten dieser Nationen habe ich gleichfalls mit ihren Welt-Weisen eine genaue Bekanntschafft ge- 30 stifftet, und die Schrifften ihrer beruffensten Sitten-Lehrer mir angeschafft, auch bis itzo mit verschiedenen ihrer Philosophen einen so nützlichen, als starcken, Brieff-Wechsel unterhalten. So offt ich, welches häuffig geschehen, unter Wegens, allein, und ohne andere Bücher gewesen; hat mir das grosse Buch der Natur, nebst der Bibel, zu meiner stärcksten Bibliothec, und ein mit mir selbst darüber angestelletes Gespräch zu meinem angenehmsten Umgange, 35 gedienet. Durch diese und andere sorgfältige Auffmercksamkeit und Bemühungen ist meine Begierde, zu lernen, so weit vergnüget, und bin ich nunmehro mit mir selber in Gelassenheit zu frieden. So sehr ich mich bestrebe, gegen die täglichen Wunderwercke und Wohltaten meines GOttes nicht unempfindlich zu seyn; so wenig kan auch etwas widriges mich empfindlich, 40 oder mein Wohlstand mich trotzig, machen. Ich fürchte nichts, ich betrübe mich nicht unmäßig, ich schweiffe nicht aus in meiner Freude, ich zürne nicht, ich beneide niemand, und kurtz, mein eintziges Bemühen, ja meine gantze Leidenschafft ist, mit Vergnügen zu sehen, daß es jedermann wohl gehe. [ … ] Ich lebe demnach seit einigen Jahren in einer angenehmen Stille, mitten unter dem Lärmen 45 einer unruhigen volckreichen Stadt, wo die kleinen Thorheiten des Pöbels, und die grossen Ausschweiffungen der Reichen, mich bald zum Gelächter bald zum Mitleid bewegen. [ … ] Was jene auf prächtige Gärten und Palläste, kostbahren zerbrechlichen Haußraht, Zeit- und <?page no="580"?> 000579 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 579 160 - Der Patriot: Mittwochens, den 5ten Jenner, 1724 | Seelen-verderbliche Spiele, Fürsten-mäßige Kleidung und Gastereyen, ohne einigen Nutzen, verschwenden; damit mache ich manchem Menschen sein Glück, und gebe es unter der Hand 50 dürfftiger Leute Kindern, bald was tüchtiges zu lernen bald zur Aussteuer, bald zu einem Dienste bald zu Einrichtung ihres Hauß-Wesens. Indessen kennet mich hieselbst fast niemand. Ich aber habe hiebey die beste Gelegenheit gehabt, die Einwohner dieser Stadt, ja den gantzen Zustand derselben, desto mehr und so viel genauer kennen zu lernen. Ich beobachte hieselbst gleichsam einen Sammel-Platz aller derselben Untugenden und Schwachheiten, so 55 mir jemahls auf meinen vielfältigen Reisen vorgekommen. Ja ich verspüre unter uns solche fast allgemeine Kaltsinnigkeit oder vielmehr Widerwärtigkeit gegen das wahre Gute, daß auch hier, bey einer so grossen Menge von Menschen, ein Diogenes mit Recht die Menschen suchen könnte. Zwar fehlet es nicht an einer starcken Anzahl von rechtschaffenen, gelehrten, tüchtigen und exemplarischen Geistlichen, welche ihr gantzes Leben bloß zu deren Abhal- 60 tung vom bösen, in heiligem Dienste, auffopffern, und ich kann nicht sagen, daß man ermangele, ihre täglichen Ermahnungen, dem Schein nach, eiffrig genug anzuhören; man hält aber auch mit dem blossen Anhören davon seiner Pflicht überflüßig erfüllet, ohne noch zu melden, wie dasselbe bey den allermeisten den gantzen Gottesdienst ausmache. Ich erstaune, wenn ich die grosse Sicherheit, und das durchgängige Vertrauen zu sich selbst, bey diesem so 65 unzulänglichen Betragen meiner Mit-Einwohner, wahrnehme. Ich sehe täglich, daß aus diesen und andern Uhrsachen ein allgemeiner Verfall bey unserer Stadt einreisset. [ … ] Wundert euch nicht, meine Leser, daß ich um alle Geheimnisse der Stadt weiß, und daß mir die umständlichste Beschaffenheit der meisten von meinen Mit-Einwohnern besser bekannt, als vielleicht ihnen selber! [ … ] Wer demnach nicht haben will, daß wir Fehler oder Thorheiten 70 an ihm sollen auszusetzen wissen, muß nohtwendig entweder keine an sich haben, oder sich bessern und sie ablegen. Dieses ist auch der Endzweck meiner kostbahren Bemühung, und das eintzige, worauff alle meine weitläufftige Anstalt abzielet. Die gantze Frucht meines Lesens, meines Nachsinnens, meiner Reisen, und meines Brieffwechsels, ja alle meine Kräffte, gedencke ich dahin anzu- 75 wenden, daß die bey meinen Mit-Bürgern, insonderheit den Teutschen, und unter denen bey unsern Hamburgern, eingewurtzelte Irrthümer, Mißbräuche und übele Gewohnheiten, wo nicht ausgeräutet, wenigstens nach ihrer lächerlichen oder gefährlichen Wirckung vor Augen gestellet, werden mögen. [ … ] Bey dem Römischen Volke war die Auffsicht über die Sitten und das häußliche Betragen der Einwohner eins von den ansehnlichsten und einträglichsten 80 Ämtern. Ich nehme dieses Amt, als ein rechtschaffener Patriot, bey meiner, der Teutschen, Nation von selbst über mich, und zwar so wenig aus einiger Geld- oder Ehr-Begierde, daß ich vielmehr die Besoldung der vielen hin- und wieder dazu nöthigen Schreiber, nebst den täglichen Post-Geldern, aus eigenem Beutel herschiesse, und immer hiebey verborgen zu bleiben verlange. Da jenes Amt nicht anders, als mit Schärffe und Zwang, geführet wurde; so 85 werde ich dieses bloß mit einer vernünfftigen liebreichen Überzeugung, und aus rechtschaffener Neigung zu meinen Mit-Bürgern, verwalten. Der Tugend-Weg ist nicht so beschwehrlich und rauh, als viele sich denselben vorstellen. Daher werde ich meine Leser auf keine verdrießliche, sondern angenehme, Ahrt durch denselben zu führen, ja was noch mehr, ihnen Ansehen, Reichthum und gute Tage dabey zu verschaffen, suchen. Ich weiß, daß die inner- 90 <?page no="581"?> 000580 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 580 | 161 - Christiana Mariana von Ziegler: Das männliche Geschlechte liche Beschaffenheit der Menschen ebenso unterschiedlich, als ihre äusserliche Bildung, und daß so vielfältige Mischungen in ihrem Gemühte, als in ihrem Angesichte, herrschen. Hiernach werde ich mich ins besondere richten, und, bloß zu ihrem so viel grösseren Vortheile, ihnen allen alles zu werden, mich bemühen. Bald werde ich ihnen einige Brieffe meiner Japanen, Peruaner, und übriger entfernten Völcker, bald Stücke meines inländischen Brieff- 95 Wechsels, bald etwas aus meinen Tartarischen, Persianischen, Sinesischen, Egyptischen, Abissynischen, und andern zusammen gekaufften Welt-Weisen, bald auch einige Gedacken aus meinem eigenen Gehirne, mittheilen; doch alles so ausgesuchet, daß es deutlich, lebhafft und erbaulich sey, insonderheit aber zu besserer Einrichtung unserer Kinder-Zucht, unseres Haushaltens und täglichen Wandels, auch zu richtigern Vorstellungen von GOtt, der Welt 100 und uns selber, uns anführe. 10 Welt-Weisen] Philosophen 22 Tartarn] Tataren, Bezeichnung für verschiedene Turkvölker in Eurasien Molucken] abwertende Sammelbezeichnung für die Einwohner der indonesischen Molukkeninsel 23 Hottentotten] abwertende Bezeichnung für die Völkerfamilie der Khoikhoi in Südafrika 34 grosse Buch der Natur] Metapher der Lesbarkeit der Welt; hier: die Natur 49 Gastereyen] Gastmahl, Gelage 51 Aussteuer] Mitgift 59 ein Diogenes [ … ] suchen könnte] Verweis auf Diogenes Laertius’ Sentenzen (VI, 41): Diogenes begibt sich mit einer Laterne in der Hand auf dem Markplatz von Athen auf die Suche nach einem wahren Menschen 78 ausgeräutet] ausgerottet 97 Abissynischen] Abessinien, ehem. Monarchie auf dem Gebiet der heutigen Staaten Äthiopien und Eritrea In: Martens (Hg.) (1969), 1-8. 161 Christiana Mariana von Ziegler (1695-1760) Das männliche Geschlechte, im Namen einiger Frauenzimmer besungen (1739) Du Weltgepriesenes Geschlechte, Du in dich selbst verliebte Schaar, Prahlst allzusehr mit deinem Rechte, Das Adams erster Vorzug war. Doch soll ich deinen Werth besingen, 5 Der dir auch wirklich zugehört; So wird mein Lied ganz anders klingen, Als das, womit man dich verehrt. [ … ] Kommt her, und tretet vor den Spiegel: Und sprechet selbst, wie seht ihr aus? 10 Der Bär, der Löwe, Luchs, und Igel Sieht bey euch überall heraus. <?page no="582"?> 000581 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 581 162 - Johann Christoph Gottsched: Die Schauspiele | Vergebt, ich muß die Namen nennen, Wodurch man eure Sitten zeigt. Ihr mögt euch selber wohl nicht kennen, 15 Weil man von euren Fehlern schweigt. [ … ] In: Ziegler (1739), 67-71. 162 C.II.2.1. Johann Christoph Gottsched (1700-1766) Die Schauspiele und besonders die Tragödien sind aus einer wohlbestellten Republik nicht zu verbannen (1729) Ein Trauerspiel, meine Herren, ist ein lehrreiches moralisches Gedichte, darin eine wichtige Handlung vornehmer Personen auf der Schaubühne nachgeahmet und vorgestellet wird. Es ist eine allegorische Fabel, die eine Hauptlehre zur Absicht hat und die stärksten Leidenschaften ihrer Zuhörer, als Verwunderung, Mitleiden und Schrecken, zu dem Ende erreget, damit sie dieselben in ihre gehörige Schranken bringen möge. Die Tragödie ist also ein Bild 5 der Unglücksfälle, die den Großen dieser Welt begegnen und von ihnen entweder heldenmütig und standhaft ertragen oder großmütig überwunden werden. Sie ist eine Schule der Geduld und Weisheit, eine Vorbereitung zu Trübsalen, eine Aufmunterung zur Tugend, eine Züchtigung der Laster. Die Tragödie belustiget, indem sie erschrecket und betrübet. Sie lehret und warnet in fremden Exempeln; sie erbauet, indem sie vergnüget und schicket ihre Zu- 10 schauer allezeit klüger, vorsichtiger und standhafter nach Hause. Ich rede also hier, meine Herren, von einer regelmäßigen und wohleingerichteten Tragödie, nicht aber von denjenigen Mißgeburten der Schaubühne, die unter dem prächtigen Titel der Haupt- und Staatsaktionen mit untermischten Lustbarkeiten des Harlekins pflegen aufgeführet zu werden. Weit gefehlt, daß ich diese verächtliche Art der Schauspiele verteidigen 15 und loben sollte: So muß ich sie vielmehr verabscheuen und verwerfen. Denn sie sind keine Nachahmungen der Natur, da sie sich von der Wahrscheinlichkeit fast überall entfernen. Sie sind nicht in der Absicht verfertiget, daß der Zuschauer erbauet werde. Sie erregen keine große Leidenschaften, geschweige, daß sie selbige in ihre Schranken bringen sollten. Sie sind nicht fähig, edle Empfindungen zu erwecken oder die Gemüter der Zuschauer zu einer 20 großmütigen Verachtung des Unglückes zu erheben; sondern sie befördern vielmehr die Kleinmut und Zaghaftigkeit durch die Beispiele ohnmächtiger und verächtlicher Helden. [ … ] 14 Harlekins] Figur des Narren in der Commedia dell’Arte, lustige Bühnenfigur In: Gottsched (2009), 5f. <?page no="583"?> 000582 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 582 | 163 - Johann Christoph Gottsched: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen 163 C.II.2.1. Johann Christoph Gottsched Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen (1729) Die Fabel ist hauptsächlich dasjenige, so die Seele der ganzen Dichtkunst ist [ … ]. Und wer die Fähigkeit nicht besitzt, gute Fabeln zu erfinden, der verdient den Namen eines Poeten nicht: wenn er gleich die schönsten Verse von der Welt machte. [ … ] Ich glaube derowegen eine Fabel am besten zu beschreiben, wenn ich sage: Sie sei eine unter gewissen Umständen mögliche, aber nicht wirklich vorgefallene Begebenheit, darunter eine nützliche moralische 5 Wahrheit verborgen liegt. [ … ] Bei allen diesen poetischen Fabeln fragt sich’s nun, ob sie notwendig moralische Absichten haben müssen? Man antwortet darauf, daß es freilich wohl möglich sei, Fabeln zur bloßen Belustigung zu ersinnen, dergleichen manches Märlein ist, so die Ammen ihren Kindern erzählen, ja dergleichen die meisten Romanschreiber in ihren Büchern ausbrüten. Allein da es möglich ist, die Lust mit dem Nutzen zu verbinden, und ein 10 Poet nach der bereits gegebenen Beschreibung auch ein rechtschaffener Bürger und redlicher Mann sein muß: So wird er nicht unterlassen, seine Fabeln so lehrreich zu machen, als es ihm möglich ist; ja keine einzige ersinnen, darunter nicht eine wichtige Wahrheit verborgen läge. [ … ] Der Poet wählet sich einen moralischen Lehrsatz, den er seinen Zuschauern auf eine 15 sinnliche Art einprägen will. Dazu ersinnt er sich eine allgemeine Fabel, woraus die Wahrheit eines Satzes erhellet. Hiernächst suchet er in der Historie solche berühmte Leute, denen etwas Ähnliches begegnet ist: und von diesen entlehnet er die Namen, für die Personen seiner Fabel; um derselben also ein Ansehen zu geben. Er erdenket sodann alle Umstände dazu, um die Hauptfabel recht wahrscheinlich zu machen: und das werden die Zwischenfabeln, oder Epi- 20 sodia nach neuer Art, genannt. Dieses theilt er dann in fünf Stücke ein, die ohngefähr gleich groß sind, und ordnet sie so, daß natürlicher Weise das letztere aus dem vorhergehenden fließt; bekümmert sich aber weiter nicht, ob alles in der Historie wirklich so vorgegangen, oder ob alle Nebenpersonen wirklich so, und nicht anders geheißen haben. 8 Märlein] Märchen In: Gottsched (2009), 85f., 94, 96f. 164 C.II.2.2. Johann Christoph Gottsched [Vorrede zu: ] Sterbender Cato (1732) Ich unterstehe mich, eine Tragödie yin Versen drucken zu lassen, und zwar zu einer solchen Zeit, da diese Art von Gedichten seit dreißig und mehr Jahren ganz ins Vergessen geraten und <?page no="584"?> 000583 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 583 165 - Gotthold Ephraim Lessing: Briefe, die neueste Litteratur betreffend. Siebzehnter Brief | nur seit kurzem auf unserer Schaubühne sich wieder zu zeigen angefangen hat. Diese Verwegenheit ist in der Tat so groß, daß ich mich deswegen ausführlich entschuldigen muß. [ … ] Endlich muß niemand denken, als wenn die Absicht dieses Trauerspieles diese wäre, den Cato 5 als ein vollkommenes Tugendmuster anzupreisen, nein, den Selbstmord wollen wir niemals entschuldigen, geschweige denn loben. Aber eben dadurch ist Cato ein regelmäßiger Held zur Tragödie geworden, daß er sehr tugendhaft gewesen, doch so, wie es Menschen zu sein pflegen; daß sie nämlich noch allezeit gewisse Fehler an sich haben, die sie unglücklich machen können. So will Aristoteles, daß man die tragischen Hauptpersonen bilden soll. 10 Durch seine Tugend erwirbt sich Cato unter den Zuschauern Freunde. Man bewundert, man liebet und ehret ihn: Man wünscht ihm daher auch einen glücklichen Ausgang seiner Sachen. Allein, er treibet seine Liebe zur Freiheit zu hoch, so daß sie sich in einen Eigensinn verwandelt. Dazu kommt seine stoische Meinung von dem erlaubten Selbstmorde. Und also begeht er einen Fehler, wird unglücklich und stirbt: Wodurch er also das Mitleiden seiner Zuhörer 15 erwecket, ja Schrecken und Erstaunen zuwege bringet. Titel Cato] Cato Uticensis, röm. Staatsmann, tötet sich als überzeugter Anhänger der stoischen Philosophie selbst 10 Aristoteles] griech. Philosoph 14 stoische] unerschütterlich, durch die Stoa geprägt In: Gottsched (2009), 197, 210. 165 C.II.2.3 Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) Briefe, die neueste Litteratur betreffend. Siebzehnter Brief (1759) „Niemand“, sagen die Verfasser der Bibliothek, „wird leugnen, daß die deutsche Schaubühne einen großen Teil ihrer ersten Verbesserung dem Herrn Professor Gottsched zu danken habe.“ Ich bin dieser Niemand; ich leugne es gerade zu. Es wäre zu wünschen, daß sich Herr Gottsched niemals mit dem Theater vermengt hätte. Seine vermeinten Verbesserungen betreffen entweder entbehrliche Kleinigkeiten, oder sind wahre Verschlimmerungen. Als die Neuberin 5 blühte, und so mancher den Beruf fühlte, sich um sie und die Bühne verdient zu machen, sahe es freilich mit unserer dramatischen Poesie sehr elend aus. Man kannte keine Regeln; man bekümmerte sich um keine Muster. Unsre Staats- und Helden-Actionen waren voller Unsinn, Bombast, Schmutz und Pöbelwitz. Unsre Lustspiele bestanden in Verkleidungen und Zaubereien; und Prügel waren die witzigsten Einfälle derselben. Dieses Verderbnis einzusehen, 10 brauchte man eben nicht der feinste und größte Geist zu sein. Auch war der Herr Gottsched nicht der erste, der es einsahe; er war nur der erste, der sich Kräfte genug zutraute, ihm abzuhelfen. Und wie ging er damit zu Werke? Er verstand ein wenige Französich und fing an zu übersetzen; er ermunterte alles, was reimen und Oui Monsieur verstehen konnte, gleichfalls zu übersetzen; er verfertigte, wie ein Schweitzerischer Kunstrichter sagt, mit Kleister und 15 Schere seinen Cato [ … ]; er ließ den Harlequin feierlich vom Theater vertreiben, welches selbst die größte Harlequinade war, die jemals gespielt worden; kurz, er wollte nicht sowohl unser <?page no="585"?> 000584 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 584 | 166 - Albrecht von Haller: Die Alpen altes Theater verbessern, als der Schöpfer eines ganz neuen sein. Und was für einen neuen? Eines Französierenden; ohne zu untersuchen, ob dieses französierende Theater der deutschen Denkungsart angemessen sei, oder nicht. [ … ] 20 Wenn man die Meisterstücke des Shakespear , mit einigen bescheidenen Veränderungen, unsern Deutschen übersetzt hätte, ich weiß gewiß, es würde von bessern Folgen gewesen sein, als daß man sie mit dem Corneille und Racine so bekannt gemacht hat. Erstlich würde das Volk an jenem weit mehr Geschmack gefunden haben, als es an diesen nicht finden kann; und zweitens würde jener ganz andere Köpfe unter uns erweckt haben, als man von diesen zu 25 rühmen weiß. Denn ein Genie kann nur von einem Genie entzündet werden; und am leichtesten von so einem, das alles bloß der Natur zu danken zu haben scheinet, und durch die mühsamen Vollkommenheiten der Kunst nicht abgeschrecket. [ … ] 5 Neuberin] Friederike Caroline Neuber, Schauspielerin und Theaterprinzipalin, unterstützte zeitweilig Gottsched bei seiner Theaterreform 15 ein Schweitzerischer Kunstrichter] Johann Jakob Bodmer 23 Corneille] Pierre Corneille, französischer Dramatiker Racine] Jean Baptiste Racine, französischer Dramatiker In: Lessing (1997), 499f. 166 C.II.3.2. Albrecht von Haller (1708-1777) Aus: Die Alpen (1729) Entfernt vom eiteln Tand der mühsamen Geschäfften / Wohnt hier die Seelen-Ruh und flieht der Stätten Rauch. Ihr thätig Leben stärkt der Leiber reiffe Kräfften / Der träge Müßiggang schwellt niemals ihren Bauch. Die Arbeit wekt sie auf / und stillet ihr Gemüthe / 165 Die Lust macht sie gering / und die Gesundheit leicht / Dann durch ihr Hertze fließt ein unverfälscht Geblüte / Darinn kein erblich Gifft von siechen Vättern schleicht. Das Kummer nicht vergällt / der Jähzorn nicht befeuret / Kein geiles Eiter fäult / das Schwelgen nicht versäuret. 170 [ … ] Wenn Titans erster Strahl der Felsen Höh’ vergüldet / Und sein verklärter Blik die Nebel unterdrükt / So wird / was die Natur am prächtigsten gebildet / Von dem erhobnen Siz von einem Berg erblikt. Durch den zerfahrnen Dunst von einer dünnen Wolke / 325 Eröffnet sich im nu das Schauspiel einer Welt / Der weite Auffenthalt von mehr als einem Volke / <?page no="586"?> 000585 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 585 167 - Johann Gottfried Schnabel: Insel Felsenburg. Wunderliche Fata einiger Seefahrer | Zeigt alles auf einmahl, was sein Bezirk enthält. Ein sanffter Schwindel schließt die allzuschwachen Augen / Die den zu fernen Kreiß nicht durchzustrahlen taugen. 330 [ … ] Verblendte Sterbliche! die biß zur nahen Baare Geiz / Ehr’ und Wollust stäts an eiteln Hamen hält / Die ihr die vom Geschik bestimmte Handvoll Jahre Mit immer neuer Sorg’ und lährer Müh vergällt / Die ihr die Seelen-Ruh in stäten Stürmen suchet / 445 Und an die Klippen nur das irre Steuer richt / Die ihr was schadet / wünscht / und was euch nuzt / verfluchet / Ach öffnet ihr zulezt die schlaffen Augen nicht! Seht ein verachtet Volk bey Müh und Armuth lachen / Und lernt / daß die Natur allein kan glüklich machen. 450 [ … ] O selig / wer wie Ihr mit selbst-gezognen Stieren Den angestorbnen Grund von eignen Ackern pflügt. Den reine Wolle dekt / belaubte Kränze zieren / Und ungewürzte Speis aus süsser Milch vergnügt. Den Zephirs leis Gezisch bei kühlen Wasser-Fällen 485 In leichten Schlaff gewiegt / auf weichen Rasen strekt. Den nie in hoher See das Brausen wilder Wellen / Noch der Trompeten-Schall in blut’gen Lagern wekt. Der seinen Zustand liebt und ihn nicht wünscht zu bessern / Gewiß der Himmel kan sein Glüke nicht vergrössern. 490 161 Entfernt vom eiteln Tand der mühsamen Geschäfften] Anspielung auf das Incipit von Horaz’ zweiter Epode („Beatus ille qui procul negotiis”) 170 geiles Eiter] wollüstiges Gift 321 Titans] Sonnengott Helios aus dem Göttergeschlecht der Titanen; symbolisiert den Lauf der Sonne 441 Baare] Bahre 442 Hamen] (Fang-)Netz, Fanggarn 482 angestorbnen] ererbten 485 Zephirs] Personifikation des Westwindes In: Haller (1732), 1-25. 167 C.II.4. Johann Gottfried Schnabel (1692-1744/ 1748) Aus: Insel Felsenburg. Wunderliche Fata einiger Seefahrer (1731) Wenig Tage hernach fiel ein verdrüßliches Wetter ein, yund ob es wohl nicht beständig hinter einander her regnete, so verfinsterte doch ein anhaltender gewaltig-dicker Nebel fast die gantze Lufft, und konten wir um Mittags-Zeit die Sonne sehr selten und trübe durch die <?page no="587"?> 000586 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 586 | 167 - Johann Gottfried Schnabel: Insel Felsenburg. Wunderliche Fata einiger Seefahrer Wolcken schimmern sehen. [ … ] Und gewißlich diese Allmachts-Geschöpffe erweckten in uns desto grössere Verwunderung, weil wir ausser denselben sonst nichts sehen konten als 5 unser Schiff, die offenbare See, und dann und wann einige schwimmenden Kräuter. Wir bekamen zwar einige Tage hernach auch verschiedene Seltsamkeiten, nemlich See-Kühe, See- Kälber und See-Löwen, Delphine, rare Vögel und dergleichen zu Gesichte, aber nichts fiel mir mit mehrern Vergnügen in die Augen, als, da der Capitain Wolffgang eines Tages sehr frühe mit aufgehender Sonne mir sein Perspectiv gab, und sagte: Sehet, mein Sohn! dorten von ferne 10 denjenigen Felsen, worauf nächst GOtt eure zeitliche Wohlfahrt gegründet ist. [ … ] Es war am 12. Novemb. 1725. allbereit nach Untergang der Sonnen, da wir in behöriger Weite vor dem Felsen die Ancker sincken liessen, weil sich der Capitain vor den ihm gantz wohlbekandten Sand-Bäncken hütete. So bald dieses geschehen, ließ er kurtz auf einander 3. 15 Canon-Schüsse thun, und bald hernach 3. Raquet en steigen. [ … ] Es bestunde aber unsere gantze Gesellschafft aus folgenden Personen: 1. Der Capitain Leonhard Wolffgang , 45. Jahr alt. 2. Herr Mag. Gottlieb Schmeltzer , 33. Jahr alt. 20 3. Friedrich Litzberg ein Literatus , der sich meistens auf die Mathematique legte, etwa 30. Jahr alt. 4. Johann Ferdinand Kramer , ein erfahrner Chirurgus , 33. Jahr alt. 5. Jeremias Heinrich Plager , ein Uhrmacher und sonst sehr künstlicher Arbeiter, in Metall und anderer Arbeit, seines Alters 34. Jahr. 25 6. Philipp Harckert , ein Posamentirer von 23. Jahren. 7. Andreas Klemann , ein Pappiermacher, von 36. Jahren. 8. Willhelm Herrlich , ein Drechsler, 32. Jahr alt. 9. Peter Morgenthal , ein Kleinschmied, aber dabey sehr künstlicher Eisen-Arbeiter, 31. Jahr alt. 30 10. Lorentz Wetterling , ein Tuchmacher, 34. Jahr alt. 11. Philipp Andreas Krätzer , ein Müller, 36. Jahr alt. 12. Jacob Bernhard Lademann , ein Tischler, 35. Jahr. 13. Joh. Melchior Garbe , ein Büttner, von 28. Jahren. 14. Nicolaus Schreiner , ein Töpffer-Geselle, von 22. Jahren. 35 15. Ich, Eberhard Julius , damals alt, 19 1 / 2 Jahr. Was wir an Geräthschafften, Thieren und andern Sachen mit ausgeschifft hatten, wird gehöriges Orts vorkommen, derowegen erinnere nur nochmals das besondere Verlangen so wir allerseits hegten, nicht allein das Gelobte Land, darinnen wir wohnen solten, sondern auch die berühmten guten Leute zu sehen. Capitain Wolffgang merckte solches mehr als zu 40 wohl, sagte derowegen: wir möchten uns nur diese Nacht noch auf dieser Städte zu bleiben gefallen lassen, weiln es ohnedem schon späte wäre, der morgende Tag aber solte der Tag unsers frölichen Einzugs seyn. Indem er nun wenig Worte verlieren durffte, uns alle nach seinen Willen zu lencken, setzte sich ein Theil der Unsern bey das angemachte Feuer nieder, dahingegen Herr M. Schmeltzer, 45 <?page no="588"?> 000587 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 587 167 - Johann Gottfried Schnabel: Insel Felsenburg. Wunderliche Fata einiger Seefahrer | ich und noch einige mit dem Capitain am Fusse des Felsens spatzieren giengen und den herabschiessenden Wasser-Fluß betrachteten, welches gewiß in dieser hellen Nacht ein besonderes Vergnügen erweckte. Wir hatten uns aber kaum eine halbe Stunde hieran ergötzt, als unsere zurückgelassenen Leute, nebst dreyen Frembden, die grosse Fackeln in den Händen trugen, zu uns kamen. 50 Ermeldte Frembde hatten bey den Unserigen, nach dem Capitain Wolffgang gefragt, und waren nicht allein dessen Anwesenheit berichtet, sondern auch aus Neugierigkeit biß zu uns begleitet worden. So bald die Frembden den Capitain erblickten, warffen sie sogleich ihre Fackeln zur Erden, und lieffen hinzu, selbigen alle drey auf einmal zu umarmen. Der Capitain, so die 3. Angekommenen sehr wol kennete, umarmete und küssete einen 55 nach dem andern, worauf er nach kurtz gefasseten Grusse sogleich fragte: Ob der Altvater annoch gesund lebte? Sie beantworteten dieses mit Ja, und baten, er möchte doch alsofort nebst uns allen zu ihm hinauff steigen. [ … ] Erlaubet uns solches, fuhr er fort, und empfanget zuförderst diesen euren Bluts-Freund Eberhard Julium, welchen ich aus Teutschland mit anhero geführet habe. 60 Kaum hatte er diese Worte gesprochen, als sie vor Freuden in die Höhe sprungen, und einer nach dem andern mich umfiengen und küsseten. [ … ] Ich vor meine Person, da in vergangenen 2. Nächten nicht ein Auge zugethan hatte, konte nunmehro, da ich den Hafen meines Vergnügens erreicht haben solte, unmöglich mehr wachen, sondern schlieff bald ein, ermunterte mich auch nicht eher, biß mich der Capitain 65 beym Aufgange der Sonnen erweckte. Meine Verwunderung war ungemein, da ich etliche 30. ansehnliche Männer in frembder doch recht guter Tracht um uns herum sahe, sie umarmeten und küsseten mich alle ordentlich nach einander, und redeten so feines Hoch-Teutsch, als ob sie gebohrne Sachsen wären. Der Capitain hatte indessen das Früh-Stück besorgt, welches in Coffee ´, Frantz-Brandtewein, Zucker-Brod und andern Confitu ren bestund. So bald dieses 70 verzehret war, blieben etwa 12. Mann bey unsern Sachen, die übrigen aber giengen mit uns nach der Gegend des Flusses, bey welchen wir gestern Abend gewesen waren. [ … ] Nunmehro waren wir einigermassen überzeugt, daß uns der Capitain Wolffgang keine Unwahrheiten vorgeschwatzt hatte, denn man sahe allhier, in einem kleinen Bezierck, das schönste Lust-Revier der Welt, so, daß unsere Augen eine gute Zeit recht starr offen stehen, 75 der Mund aber, vor Verwunderung des Gemüths, geschlossen bleiben muste. Unsern Seel-Sorger, Herr M. Schmeltzern, traten vor Freuden die Thränen in die Augen, er fiel nieder auf die Knie, um dem Allerhöchsten gebührenden Danck abzustatten, und zwar vor die besondere Gnade, daß uns derselbe ohne den geringsten Schaden und Unfall gesund anhero geführet hatte. Da er aber sahe daß wir gleiches Sinnes mit ihm waren, nahm er seine 80 Bibel, verlaß den 65. und 84. Psalm Davids, welche beyden Psalmen sich ungemein schön hieher schickten, Betete hierauf einige kräfftige Gebete, und schloß mit dem Liede: Nun dancket alle GOTT &c. Unsere Begleiter konten so gut mit singen und beten als wir, woraus sogleich zu muthmassen war, daß sie im Christenthum nicht unerfahren seyn müsten. [ … ] Es ist unmöglich dem Geneigten Leser auf einmal alles ausführlich zu beschreiben, was vor 85 Annehmlichkeiten uns um und um in die Augen fielen [ … ]. Jedoch ich wende mich ohne weitläufftige Entschuldigungen zu meiner Geschichts-Erzählung, und gebe dem Geneigten <?page no="589"?> 000588 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 588 | 167 - Johann Gottfried Schnabel: Insel Felsenburg. Wunderliche Fata einiger Seefahrer Leser zu vernehmen: daß wir fast eine Meilwegs lang zwischen einer Allee ´, von den ansehnlichsten und fruchtbarsten Bäumen, die recht nach der Schnur gesetzt waren, fortgiengen, welche sich unten an dem ziemlich hoch erhabenen Hügel endigte, worauf des Alberti Schloß 90 stund. Doch etwa 30. Schritte lang vor dem Ausgange der Allee ´, waren die Bäume mit Fleiß dermassen zusammen gezogen, daß sie oben ein rechtes Europäisches Kirchen-Gewölbe formir ten, und an statt der schönsten Sommer-Laube dieneten. Unter dieses ungemein propre und natürlich kostbare Verdeck hatte sich der alte Greiß, Albertus Julius, von seiner ordentlichen Behausung herab, uns entgegen bringen lassen, denn er konte damals wegen eines 95 geschwollenen Fusses nicht gut fortkommen. [ … ] Ich wüste nicht Worte genung zu ersinnen, wenn ich die zärtliche Bewillkommung, und das innige Vergnügen des Albert Julii und der Seinigen vorstellen solte. [ … ] Alle andern Neuangekommenen wurden mit nicht weniger Freude und Aufrichtigkeit empfangen, so daß die ersten Höfflichkeits-Bezeugungen biß auf den hohen Mittag daureten, worauff wir Ein- 100 kömmlinge mit dem Albert Julio, und denen 5. Alten, in dem auf dem Hügel liegenden Hause, die Mittags-Mahlzeit einnahmen. [ … ] Es war bey diesen Leuten nicht Mode lange zu Tische zu sitzen, derowegen stunden wir nach ordentlicher Ersättigung auf, der Altvater betete nach seiner Gewohnheit, so wol nachals vor Tische selbst, ich küssete ihm als ein Kind die Hand, er mich aber auf den Mund, nach diesen spatziereten wir um das von festen Steinen erbauete 105 Hauß, auf dem Hügel herum, allwo wir bey nahe das gantze innere Theil der Insul übersehen konten, und des Merckwürdigsten auf derselben belehret wurden. Von dar ließ sich Albert Julius auf einem Trag-Sessel in seinen angelegten grossen Garten tragen, wohin wir ingesammt nachfolgeten, und uns über dessen annehmliche, nützliche und künstliche Anlegung nicht wenig verwunderten. [ … ] 110 Wie brachten in diesem kleinen Paradiese, die Nachmittags-Stunden ungemein vergnügt zu, und kehreten etwa eine Stunde vor Untergang der Sonnen zurück auf die Albertus -Burg, speiseten nach der Mittäglichen Art, und setzten uns hernachmals vor dem Hause auf artig gemachte grüne Rasen-Bäncke nieder, allwo Capitain Wolffgang dem Altvater von unserer letzten Reise ein und anderes erzehlte, biß uns die hereinbrechende Nacht erinnerte: Beth- 115 Stunde zu halten, und die Ruhe zu suchen. 10 Perspectiv] Fernrohr 16 Raqueten] Raketen 26 Posamentirer] auch Bortenmacher, fertigt Posamente (Borten, Schnüre und ähnliche Arbeiten) an 29 künstlicher] kunstvoll, geschickt 34 Büttner] auch Küfer oder Fassbinder, Hersteller von Holzfässern 56 Altvater] Patriarch 60 anhero] hierher 68 feines Hoch-Teutsch [ … ] Sachsen wären] Sprachruhm Sachsens, im 18. Jh. gilt das meißnische Obersächsisch als Vorbild für das Standarddeutsch 93 propre] gepflegt In: Schnabel (1997), 113-126. <?page no="590"?> 000589 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 589 Nachweise zur Anthologie | Nachweise zur Anthologie Abschatz, Hans Aßmann Freiherr von (1704): Poetische Ubersetzungen und Gedichte. Leipzig und Breslau. Angelus Silesius (1657): Geistreiche Sinn- und Schlussrime. Wien. Anon. (1612): Relatio von der Wahl vnd Krönung [ … ] Matthiae des Andern [ … ]. Frankfurt am Main. [Wolfenbüttel HAB: J 71a (31) Helmst.]. Anon. (1998): Das Lalebuch nach dem Druck von 1597 mit den Abweichungen des Schiltbürgerbuchs von 1598 und zwölf Holzschnitten von 1680. Hg. von Stefan Ertz. Stuttgart. Anon. (2006): Historia von D. Johann Fausten. Text des Druckes von 1587. Kritische Ausgabe. Hg. von Stephan Füssel und Hans Joachim Kreutzer. Stuttgart. Bebel, Heinrich (1931): Facetien. Drei Bücher. Hg. von Gustav Bebermeyer. Leipzig. Beer, Johann (1963): Die teutschen Winter-Nächte & Die kurzweiligen Sommer-Täge. Nachdruck. Leipzig. Beer, Johann (1992): Jucundus Jucundissimus [1680]. In: Ders.: Sämtliche Werke. Bd. 4. Pokazi. Jucundus Jucundissimus. Hg. von Ferdinand van Ingen und Hans-Gert Roloff. Bern u. a. Bidermann, Jakob (1967): Ludi theatrales. 1666. Hg. von Rolf Tarot. Band 1. Tübingen. Bidermann, Jakob (2000): Cenodoxus. Deutsche Übers. von Joachim Meichel. Hg. von Rolf Tarot. Stuttgart. Birken, Sigmund von (1650): Teutscher KriegsAb- und FriedensEinzug : in etlichen Auffzügen bey allhier gehaltenem hochansehnlichen Fürstlichen Amalfischen Frewdenmahl. Wien. Brant, Sebastian (1986): Das Narrenschiff. Nach der Erstausgabe [ … ]. Hg. von Manfred Lemmer. 3. Auflage. Tübingen. Brockes, Barthold Heinrich (2013): Werke. Hg. und komm. von Jürgen Rathje. Bd. 2.I: Irdisches Vergnügen in Gott. Teil 1/ 2. Göttingen. Canitz, Friedrich Rudolph Ludwig Freiherr von (1700): Neben-Stunden Unterschiedener Gedichte. Berlin: 〈 http: / / digitale.bibliothek.uni-halle.de/ vd17/ content/ pageview/ 62413 〉 . Canitz, Friedrich Rudolph Ludwig von (1982): Gedichte. Hg. von Jürgen Stenzel. Tübingen. Conemann, Klaus (Hg.) (1985): Der Fruchtbringenden Gesellschaft geöffneter Erzschrein. 3 Bde. Bd. 1. Weinheim. Dach, Simon (1936): Gedichte. Hg. von Walther Ziemer. Bd. 1: Weltliche Lieder. Hochzeitsgedichte. Halle an der Saale. Dedekind, Constantin Christian (1985): Allegorisch Sonnet [Erstdruck in einer Sammlung von neun Hochzeitsgedichten von 1667]. In: Wir vergehn wie Rauch von starken Winden. Deutsche Gedichte des 17. Jahrhunderts, Bd. 2. Hg. von Eberhard Haufe. München. Erasmus, Desiderius (1976): Colloquia familiaria. Vertraute Gespräche. Hg. und übers. von Herbert Rädle. Stuttgart. Erasmus, Desiderius (1995): Ausgewählte Schriften. Lateinisch und deutsch. 8. Bde. Bd. 2: Morias enkomion sive Laus Stultitiae, Erstausgabe Paris [1511]. Hg. von Werner Welzig. Übers. von Wendelin Schmidt-Dengler. Darmstadt. Fischart, Johann (1590): Affentheurlich Naupengeheurliche Geschichtklitterung. Straßburg. Fleming, Paul (1646): Teütsche Poemata. Lübeck [Reprint 1969]. Fleming, Paul (1863): Lateinische Gedichte. Hg. von Johann Martin Lappenberg. Stuttgart. Gerhardt, Paul (1667): Geistliche Andachten. Bestehend in hundert und zwantzig Liedern [...] mit neuen sechsstimmigen Melodeyen gezieret. Berlin. Gerhardt, Paul (1866): Geistliche Lieder. Historisch-kritische Ausgabe. Hg. von J. F. Bachmann. Berlin. Gottsched, Johann Christoph (2009): Schriften zur Literatur. Hg. von Horst Steinmetz. Stuttgart. <?page no="591"?> 000590 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 590 | Nachweise zur Anthologie Greiffenberg, Catharina Regina von (1662): Geistliche Sonette. Nürnberg. Greiffenberg, Catharina Regina von (1967): Geistliche Sonette, Lieder und Gedichte. Mit einem Nachwort zum Neudruck von Heinz-Otto Burger. Darmstadt. Grimmelshausen, Hans Christoffel von (2005): Simplicissimus Teutsch [1668]. Hg. von Dieter Breuer. Neudruck des Bd. 1,1 nach der Ausgabe von 1989. Hg. von dems. Frankfurt am Main. Grob, Johann (1678): Dichterische Versuchgabe Bestehend In Teutschen und Lateinischen Aufschriften / Wie auch etlichen Stimmgedichten oder Liederen [ … ]. Basel. Gryphius, Andreas (1963): Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Hg. von Marian Szyrocki. Bd. 1: Sonette. Tübingen. Gryphius, Andreas (1964): Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Hg. von Marian Szyrocki. Bd. 3: Vermischte Gedichte. Tübingen. Gryphius, Andreas (1991): Dramen. Hg. von Eberhard Mannack. Frankfurt am Main. Gryphius, Andreas (1995): Cardenio und Celinde oder Unglücklich Verliebete. Trauerspiel. Hg. von Rolf Tarot. Stuttgart. Gryphius, Andreas (2012): Gedichte. Hg. von Thomas Borgstedt. Stuttgart. Gryphius, Christian ( 3 1718): Poetische Wälder [1698]. Breßlau und Leipzig. Günther Johann Christian (2013): Textkritische Werkausgabe in vier Bänden und einer Quellendokumentation. Bd. 1: Dichtungen der Schuljahre 1710-1715. Teil 1. Texte. Hg. von Reiner Bölhoff. Berlin und Boston. Günther, Johann Christian (1998): Werke. Hg. von Reiner Bölhoff. Frankfurt am Main. Haller, Albrecht von (1732): Versuch schweizerischer Gedichten. Bern. Harms, Wolfgang, Franz-Josef Worstbrock (Hg.) (1997): Literatur im Zeitalter des Humanismus und der Reformation. Zwölf Bände. Bd. 5. Frankfurt am Main. Harsdörfer, Georg Philipp, Sigmund von Birken und Johann Klaj (1966): Pegnesisches Schäfergedicht [1644-1645] (Deutsche Neudrucke Barock, Bd. 8). Hg. von Klaus Garber. Tübingen. Haugwitz, August Adolf von (1974): Schuldige Unschuld oder Maria Stuarda. Hg. von Robert R. Heitner. Nachdruck des Druckes von 1683. Bern und Frankfurt a. M., S. 60-77. Heger, Hedwig (Hg.) (1978): Spätmittelalter, Humanismus, Reformation. Texte und Zeugnisse. Teilband 2: Blütezeit des Humanismus und Reformation. München. Höck, Theobald (1601): Schönes Blumenfeldt [ … ]. Lignitz. Hoffmannswaldau, Christian Hoffman von (1663): Der grauen Ewigkeit Siegs- Zeichen / Auffgehängt unter 100 erhabenen Leichensteinen [ … ]. [s. l.]. Hoffmannswaldau, Christian Hoffman von (1680): Poetische Grab-Schriften. Leipzig und Breßlau. Hoffmannswaldau, Christian Hoffman von (1968): Die Welt. In: Das Zeitalter des Barock. Texte und Zeugnisse. Hg. von Albrecht Schöne. 2. verb. und erw. Aufl. München. Homburg, Ernst Christoph (2013): Schimpff- und Ernsthafte Clio. Historisch-kritische Edition nach den Drucken von 1638 und 1642. Hg. von Achim Aurnhammer, Nicolas Detering und Dieter Martin. Stuttgart. Hutten, Ulrich von (1862): Opera. Hg. von Eduard Böcking. Bd. 3: Poetische Schriften. Leipzig. Hutten, Ulrich von (1838): Jugend-Dichtungen. Übers. von Ernst Münch. Stuttgart. Jenny, Markus (1985): Luthers geistliche Lieder und Kirchengesänge. Vollständige Neuedition in Ergänzung zu Bd. 35 der Weimarer Ausgabe. Köln und Wien. Kaldenbach, Christoph (1977): Auswahl aus dem Werk. Hg. von Wilfried Barner. Tübingen. Kircher, Hartmut (1979): Deutsche Sonette. Stuttgart. Kirchof, Hans Wilhelm (1869): Wendunmuth [1563]. 5. Bde. Hg. von Hermann Österley. Stuttgart. Klaj, Johann (1968): Friedensdichtungen und kleinere poetische Schriften. Hg. von Conrad Wiedemann. Tübingen. <?page no="592"?> 000591 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 591 Nachweise zur Anthologie | Lessing, Gotthold Ephraim (1997): Werke und Briefe. Bd. 4: Werke 1758-1759. Hg. von Gunter E. Grimm. Frankfurt am Main. Logau, Friedrich von ([1654] 1872): Sämmtliche Sinngedichte. Hg. von Gustav Eitner. 2 Bde. Tübingen. Lohenstein, Daniel Casper von (1689): Großmütiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leip- Lohenstein, Daniel Casper von (2005-2017): Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Hg. von Lothar Mundt, Wolfgang Neuber und Thomas Rahn. Berlin und New York. Lohenstein, Daniel Casper von, und Johann Jakob von Sandrart (1680): Blumen. Breßlau. Luther, Martin (1899): Werke. Kritische Gesamtausgabe. Bd. 15. Weimar. Luther, Martin (1914): Werke. Kritische Gesamtausgabe. Bd. 50. Weimar. Mannack, Eberhard (Hg.) (1968): Die Pegnitz-Schäfer. Nürnberger Barockdichtung. Stuttgart. Martens, Wolfgang (Hg.) (1969): Der Patriot. Nach der Originalausgabe Hamburg 1724-26 in drei Textbänden und einem Kommentarband. Berlin. Mencke, Johann Burkhard (1713): Philanders von der Linde Schertzhaffte Gedichte. Darinnen So wol einige Satyren, als auch Hochzeit- und Schertz-Gedichte, Nebst einer Ausführlichen Vertheidigung Satyrischer Schrifften enthaltend. Leipzig. Mitternacht, Johann Sebastian (1972): Der unglückselige Soldat. In: Dramen. Nachdruck der Ausg. Leipzig [1662-1667]. Hg. von Marianne Kaiser. Tübingen. Montanus, Martin (1972): Schwankbücher (1557-1566). Hg. von Johannes Bolte. Hildesheim und New York. Neukirch, Benjamin (Hg.) (1961): Anthologie. Hern von Hoffmannswaldau und andrer Deutschen auserlesener und bißher ungedruckter Gedichte: Sieben Theile [1697-1727]. Hg. von Angelo George de Capua u. a. Tübingen. Opitz, Martin (1624): Deutsche Pöemata und Aristarchus. Straßburg. Opitz, Martin (1624): Buch von der Deutschen Poeterey [ … ]. Breslau. Opitz, Martin (1625): Acht Bücher Deutscher Poematum. Breslau. Opitz, Martin (1968): Gesammelte Werke. Kritische Ausgabe. Bd. 1: Die Werke von 1614 bis 1621. Hg. von George Schulz-Behrend. Stuttgart. Opitz, Martin (1970): Buch von der Deutschen Poeterey. Hg. von Cornelius Sommer. Stuttgart. Opitz, Martin (1975): Weltliche Poemata. Bd. 2. Hg. von Erich Trunz. Opitz, Martin (1979): Gesammelte Werke. Kritische Ausgabe. Bd. 2.: Die Werke von 1621 bis 1626. Hg. von George Schulz-Behrend. Stuttgart. Opitz, Martin (2002): Buch von der Deutschen Poeterey. Studienausgabe. Hg. von Herbert Jaumann. Stuttgart. Opitz, Martin (2009): Aristarchus. In: Ders.: Lateinische Werke. Hg. von Veronika Marschall und Robert Seidel. Bd. 1. Berlin und New York. Petrarca, Francesco (1910): Brief an die Nachwelt. Gespräche über die Weltverachtung. Übers. und eingel. von Hermann Hefele. Jena. Petrarca, Francesco (1983): De remediis utriusque fortunae. Hg. von Manfred Lemmer. Übers. von Peter Stahel und Georg Spalatin. Neudruck nach der Ausgabe Heinrich Steiner 1532. Leipzig. Petrarca, Francesco (1995): Die Besteigung des Mont Ventoux. Übers. und hg. von Kurt Steinmann. Stuttgart. Plavius, Johannes (1630): Trawr- und Treu-Gedichte. Danzig. Postel, Christian Heinrich und Johann. G. Conradi (1691): Die Schöne und Getreue ARIADNE In einem Singe-Spiel vorgestellet. Hamburg. Rist, Johann (1652): Neüer Teütscher Parnass, Auff welchem befindlich Ehr’- und Lehr-, Schertz- und Schmertz-, Leid- und Freüden-Gewächse [ … ]. Lüneburg. <?page no="593"?> 000592 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 39 592 | Nachweise zur Anthologie Scaliger, Julius Caesar (1995): Poetices libri septem. Sieben Bücher über die Dichtkunst. Hg. von Luc Deitz und Gregor Vogt-Spira. 4. Bde. Bd. 3: Buch 3, Kapitel 95-126, Buch 4. Stuttgart. Schirmer, David (1657): Poetische Rosen-Gepüsche. Dresden. Schnabel, Johann Gottfried (1997): Insel Felsenburg. Wunderliche Fata einiger Seefahrer. Teil I. Hg. von Günter Dammann. Frankfurt am Main. Schnur, Harry C. (1967): Lateinische Gedichte deutscher Humanisten. Stuttgart. Schwarz, Sibylla (1650): Deutscher Poe¨tischer Gedichten [ … ] Ander Teil. Hg. und mit einem Nachwort von Helmut W. Ziefle. Danzig [Reprint 1980]. Sidney, Philipp (1642): Arcadia Der Gräffin von Pembrock [Ende 16. Jhd.]. Übers. von Martin Opitz. Leiden. Stadler, Ernst (1954): Dichtungen. Hg. von Karl Ludwig Schneider. Bd. 1. Hamburg. Staub, Hans (Hg.) (1980): Poesie der Welt. Renaissance-Sonette. Berlin. Tasso, Torquato (1581): La Gerusalemme Liberata. Parma. Trillitzsch, Winfried (Hg.) (1981): Der deutsche Renaissance-Humanismus. Frankfurt am Main. Wagenknecht, Christian (Hg.) ( 3 1982): Gedichte 1600-1700. Nach den Erstdrucken in zeitlicher Folge [1969] (Epochen der deutschen Lyrik. Hg. von Walther Killy, Bd. 4). München. Weckherlin, Georg Rodolf (1894): Gedichte. Hg. von Hermann Fischer. Bd. 1. Tübingen. Werder, Diederich von dem (1626): Gottfried von Bulljon, Oder das Erlösete Jerusalem. Frankfurt am Main. Hg. von Gerhard Dünnhaupt. Tübingen. [Faksimile-Reprint 1974] Werder, Diederich von dem (1631): Krieg vnd Sieg Christi. Gesungen in 100. Sonetten. Da in jedem vnd jeglichem Verse die beyden Wörter / Krieg vnd Sieg auffs wenigste einmahl / befindlich seyn. Wittenberg. Werder, Diederich von dem ( 2 1651): Gottfried. Oder Erlösetes Jerusalem. Deutsch. Verbessert. Frankfurt am Main. Wesselski, Albert (Hg.) (1907): Heinrich Bebels Schwänke. Zum ersten Male in vollständiger Übertragung. München. Wickram, Georg (1973): Sämtliche Werke. Hg. von Hans-Gert Roloff. Bd. 7: Das Rollwagenbüchlein. Berlin und New York. Wilhelmi, Thomas (Hg.) (1998): Kleine Texte. Sebastian Brant. Bd. 1,2. Stuttgart. Wimpheling, Jakob (1971): Stylpho. Lateinisch und deutsch. Übersetzt und hg. von Harry C. Schnur. Frankfurt am Main. Wochentliche Donnerstags Zeitung und Ordinari Dienstags Zeitung (1661), Nr. 28, Appendix. Hamburg. Wyle, Niklas von (1861): Translationen. Hg. von Adelberg von Keller. Stuttgart. Zesen, Philipp von (1971): Sämtliche Werke. Hg. von Ferdinand van Ingen. Bd.9: Deutscher Helicon (1641). Bearbeitet von Ulrich Mache´ . Berlin. Zesen, Philipp von (1993): Sämtliche Werke. Hg. von Ferdinand van Ingen. Bd. 3,1: Lyrik und Schäferdichtung. Berlin. Ziegler, Christiana Mariana von (1739): Vermischte Schriften. In gebundener und ungebundener Rede. Göttingen. <?page no="594"?> 000593 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 44 E Verzeichnisse und Register <?page no="595"?> 000594 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 44 <?page no="596"?> 000595 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 44 Wichtige Textausgaben ausgewählter Autoren der Frühen Neuzeit Abschatz, Hans Aßmann von (1646-1699) Poetische Übersetzungen und Gedichte. Faksimile nach der Gesamtausgabe von 1704 mit der Vorrede von Christian Gryphius. Hg. von Erika Alma Metzger. Bern 1970. Enthält Vorwort, Anmerkungen und eine Bibliographie. Gedichte. Eine Auswahl. Hg. von Erika Alma Metzger. Bern 1973. Auswahlausgabe in Antiqua. Enthält kurzes Nachwort und Anmerkungen. Andreae, Johann Valentin (1586-1654) Gesammelte Schriften. Hg. von Bernd Roling und Wilhelm Schmidt-Biggemann. 24 Bde. geplant, bislang 11 erschienen. Stuttgart-Bad Canstatt 1994ff. Kritische Ausgabe mit Übers. der lat. Schriften und ausführlichem Sachkommentar sowie Einleitung zu jedem Teilbd. Balde, Jacob (1604-1668) Deutsche Dichtung. Hg. von Rudolf Berger. Amsterdam 1983. Opera poetica omnia. Nachdruck der Ausgabe München 1729. Hg. und eingel. von Wilhelm Kühlmann und Hermann Wiegand. 8 Bde. Frankfurt a. M. 1990. Immer noch maßgebliche Gesamtausgabe. Beer, Johann (1655-1700) Sämtliche Werke. Hg. von Ferdinand van Ingen und Hans-Gert Roloff. 12 Bde. Bern u. a. 1981-2005. Textkritische Ausgabe; jedoch ohne Texterläuterungen. Besser, Johann von (1654-1729) Schriften. Hg. von Peter-Michael Hahn und Knut Kiesant. 5 Bde. Heidelberg 2009-2019. Historisch-kritische Ausgabe. Enthält Informationen zu Autor und Werk sowie editorischen Bericht. Bidermann, Jakob (1578-1639) Ludi theatrales 1666. Hg. von Rolf Tarot. 2 Bde. Tübingen 1967. Einzige Gesamtausgabe des dramatischen Werkes. Fotomechanische Wiedergabe des Drucks von 1666 ohne textkritische Anmerkungen. Cenodoxus. Deutsche Übersetzung von Joachim Meichel (1635). Hg. von Rolf Tarot. Stuttgart 2000. Historische Übersetzung. Cenodoxus. Comico-Tragoedia. Aus dem Lateinischen übers. und komm. von Christian Sinn. Konstanz u. a. 2004. Birken, Sigmund von (1626-1681) Werke und Korrespondenz. Hg. von Klaus Garber, Ferdinand van Ingen, Hartmut Laufhütte und Johann Anselm Steiger. Mitbegr. von Dietrich Jöns. 14 Bde. Tübingen 2007-2009; Berlin u. a. 2010-2018. Textkritische und kommentierte Gesamtausgabe. Brant, Sebastian (1457-1521) Das Narrenschiff. Mit allen 114 Holzschnitten des Drucks Basel 1494. Hg. von Joachim Knape. Stuttgart 2005. Studienausgabe mit ausführlicher, sehr hilfreicher Kommentierung. Das Narrenschiff. Nach der Erstausgabe (Basel 1494) mit den Zusätzen der Ausgaben von 1495 und <?page no="597"?> 000596 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 44 596 | Wichtige Textausgaben ausgewählter Autoren der Frühen Neuzeit 1499 sowie den Holzschnitten der deutschen Originalausgaben. Hg. von Manfred Lemmer. 4., erw. Aufl. Tübingen 2004 [zuerst 1962]. Als kritische Edition immer noch gültig. Kleine Texte. Hg. von Thomas Wilhelmi. 3. Bde. Stuttgart-Bad Cannstatt 1998. Canitz, Friedrich Rudolph Ludwig Freiherr von (1654-1699) Gedichte. Nachdruck der Ausgabe Leipzig und Berlin 1727. Hg. von Jürgen Stenzel. Tübingen 1982. Kritische Ausgabe mit Wirkungsgeschichte und Bibliographie. Celtis, Conrad (1459-1508) Fünf Bücher Epigramme. Hg. von Karl Hartfelder. Reprografischer Nachdruck der Ausgabe Berlin 1881. Hildesheim 1963. Erste Veröffentlichung der von Celtis selbst besorgten, aber nicht mehr zum Druck gelangten und daher handschriftlich überlieferten Sammlung seiner Epigramme. Konrad Celtis. Poeta laureatus. Ausgew., übers. und eingel. von Kurt Adel. Graz und Wien 1960. Knappe Auswahl, Ausgabe mit Übersetzung in deutscher Sprache. Die „Germania generalis“ des Conrad Celtis. Studien mit Edition, Übersetzung und Kommentar. Hg. von Gernot Michael Müller. Tübingen 2001. Czepko von Reigersfeld, Daniel (1605-1660) Sämtliche Werke. Unter Mitarbeit von Ulrich Seelbach hg. von Hans-Gert Roloff. 6 Bde. in 8 Tln. Berlin 1980-1997. Maßgebliche historisch-kritische Gesamtausgabe. Dach, Simon (1605-1659) Gedichte. Hg. von Walther Ziesemer. 4 Bde. Halle (Saale) 1936-1938. Chronologisch angeordnete Gesamtausgabe der deutschen Gedichte einschließlich der beiden Opern; lateinische Gedichte nur in knapper Auswahl, aber mit vollständiger Übersicht zum überlieferten Bestand. Erasmus von Rotterdam (1466/ 69-1536) Ausgewählte Schriften. Hg. von Werner Welzig. 8 Bde. Darmstadt 1968-1980. Lateinisch-deutsche Ausgabe in synoptischem Druck. Opera omnia Desiderii Erasmi Roterodami. Sous le patronage de l’Union Acade´ mique Internationale et l’Acade´ mie royale ne´ erlandaise des sciences et des sciences humaines. Amsterdam u. a. 1969-2015. Maßgebliche, textkritische Ausgabe. Bisher erschienen 47 Bände in 9 ordines. Wird fortgeführt. Text lateinisch, Kommentar englisch. Fischart, Johann (1546-1590) Sämmtliche Dichtungen. Hg. und mit Erläuterungen versehen von Heinrich Kurz. 3 Bde. Leipzig 1866-1867. Titel irreführend, da nur Auswahl: Nur Versdichtung und auch diese nicht vollständig; aus Prosawerk nur gereimte Partien. Sämtliche Werke. Hg. von Ulrich Seelbach u. a. Bislang: Bd. 1. Bern u. a. 1993, Bd. 2-3. Stuttgart-Bad Cannstatt 2002, 2012. Kritische Ausgabe. Bd. 4 und Kommentar zu 1-3 in Vorbereitung. Geschichtklitterung (Gargantua). Text der Ausgabe letzter Hand von 1590. Mit einem Glossar hg. von Ute Nyssen. Nachwort von Hugo Sommerhalder. Düsseldorf 1963 und 1964. Da Fischarts Hauptwerk in der Kritischen Ausgabe noch fehlt, empfehlenswerte Ausgabe mit hilfreichem, umfangreichem Glossarband. <?page no="598"?> 000597 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 44 597 Wichtige Textausgaben ausgewählter Autoren der Frühen Neuzeit | Fleming, Paul (1609-1640) Lateinische Gedichte. Hg. von Johann Martin Lappenberg. Stuttgart 1863. Neudruck Amsterdam 1969. Gesamtausgabe. Deutsche Gedichte. Hg. von Johann Martin Lappenberg. 2 Bde. Stuttgart 1865. Gesamtausgabe, editionsphilologisch veraltet. Deutsche Gedichte. Hg. von Volker Meid. Stuttgart 1986. Auswahlausgabe. Folz, Hans (um 1440-1513) Die Meisterlieder. Hg. von August L. Mayer. Berlin 1908. Gesamtausgabe der Meisterlieder unter Einschluss des Fraglichen. Aufgebaut nach dem vom Hg. angenommenen Grad der Echtheit. Die Reimpaarsprüche. Hg. von Hanns Fischer. München 1961. Edition der gesamten Reimpaardichtung, insg. 46; geordnet nach Gattungskriterien. Franck, Sebastian (1499-1542) Sämtliche Werke. Kritische Ausgabe mit Kommentar. Hg. von Hans-Gert Roloff u. a. Bislang: Bd. 1: Frühe Schriften. Bern 1993; Bd. 4: Die vier Kronbüchlein. Ebd. 1992; Bd. 11: Sprichwörter. Ebd. 1993; Komm. zu Bd. 1. Stuttgart-Bad Cannstatt 2005. Geplant sind 16 Text- und 14 Kommentarbände. Frischlin, Nicodemus (1547-1590) Deutsche Dichtungen. Theils zum erstenmal aus den Handschriften, theils nach alten Drucken. Hg. von David Friedrich Strauß. Stuttgart 1857. Reprografischer Nachdruck Darmstadt 1969. Gesamtausgabe der deutschen Dichtungen. Orthografie weitgehend originalgetreu, Interpunktion modernisiert. Sämtliche Werke. Kritische Ausgabe mit Übersetzungen und Kommentaren. Erarbeitet von Adalbert Elschenbroich, Lothar Mundt, David Price, Fidel Rädle und Hans-Gert Roloff. Bislang: Bd. 1 in 2 Teilen. Berlin u. a. 1992; Bd. 3 in 3 Teilen. Stuttgart-Bad Cannstatt 2003, 2007, 2014. Geplant sind 20 Text- und 6 Kommentarbände. Gerhardt, Paul (1607-1676) Wach auf, mein Herz, und singe. Vollständige Ausgabe seiner Lieder und Gedichte. Hg. von Eberhard von Cranach-Sichart. Wuppertal 4 2007 [ED 1982]. Geistliche Lieder. Hg. von Dorothea Wendebourg in Zusammenarbeit mit Andreas Stegmann. Stuttgart 2013. Auswahlausgabe mit Nachwort und Literaturhinweisen. Greiffenberg, Catharina Regina von (1633-1694) Sämtliche Werke. Unveränderter Nachdruck der Erstausgabe 1662-1693. Hg. von Martin Bircher und Friedhelm Kemp. 10 Bde. Millwood 1983. Bislang einzige Gesamtausgabe der Werke G.s. Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von (1621/ 22-1676) Werke. Hg. von Dieter Breuer. 3 Bde. Frankfurt a. M. 1989-1997. Maßgebliche Ausgabe. Gesamtes erzählerisches Werk, nach den Erstdrucken wiedergegeben. Durch Spracherläuterungen und präzise Kommentare erschlossen. Mit Originalillustrationen. Gryphius, Andreas (1616-1664) Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Hg. von Marian Szyrocki und Hugh Powell. 8 Bde. Tübingen 1963-1972. 3 Erg.-Bde. Tübingen 1983 und 1987. Gesamtausgabe nach den Erstdrucken mit wenigen Anmerkungen. <?page no="599"?> 000598 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 44 598 | Wichtige Textausgaben ausgewählter Autoren der Frühen Neuzeit Dramen. Hg. von Eberhard Mannack. Frankfurt a. M. 1991. Kritische Ausgabe mit Kommentar. Günther, Johann Christian (1695-1723) Textkritische Werkausgabe und Quellendokumentation. Hg. von Reiner Bölhoff. 4 Bde. Berlin und Boston 2013. Maßgebliche Gesamtausgabe mit umfangreichem Kommentar. Hallmann, Johann Christian (um 1640-1704) Sämtliche Werke. Hg. von Gerhard Spellerberg. 3 Bde. Berlin 1975-1987. Maßgebliche, textkritische Ausgabe. Harsdörffer, Georg Philipp (1607-1658) Jämmerliche Mord-Geschichten. Ausgewählte novellistische Prosa. Hg. und mit einem Nachwort versehen von Hubert Gersch. Holzschnitte von Günther Stiller. Neuwied 1964. Leseausgabe. Kurze Wort- und Sacherläuterungen im Anhang. Kurze Unterrichtung über Leben und Werk im Nachwort. Georg Philipp Harsdörffer, Sigmund von Birken und Johann Klaj: Pegnesisches Schäfergedicht. Nachdruck der Ausgabe Nürnberg 1644. Hg. von Klaus Garber. Tübingen 1966. Verzeichnis der im Faksimile nicht korrigierten Druckfehler und schwer leserlicher Stellen im Anhang. Frauenzimmer Gesprächspiele. 8 Tle. Nachdruck der Ausgabe Nürnberg 1643-1649. Hg. von Irmgard Böttcher. Tübingen 1968-1969. Fotomechanischer Nachdruck des gesamten Werkes nach den Originaldrucken. Poetischer Trichter. 3 Tle. in 1 Bd. Reprograf. Nachdruck der Ausgabe Nürnberg 1648-1653. Hildesheim und New York 1971. Höck, Theobald (1573-1624) Schönes Blumenfeld. Kritische Textausgabe von Klaus Hanson. Bonn 1975. Enthält ausführliche Einleitung mit Informationen zu Leben und Werk Höcks. Außerdem finden sich zu jedem Gedicht Anmerkungen zu „Metrik und Reim“ sowie „Texterklärungen“. Hoffmannswaldau, Christian Hofmann von (1616-1679) Gesammelte Werke. Hg. von Franz Heiduk und Marie-The´ re` se Mourey. Bislang: 2 Bde. Hildesheim u. a. 1984 und 1993. Reprint der Ausgabe Breslau 1679. Edition mit kritischem Apparat und Kommentar. Bislang unvollendet. Gedichte. Auswahl und Nachwort von Manfred Windfuhr. Stuttgart 1964. Bibliogr. ergänzte Ausgabe 1994. Neukirchs Anthologie. Hg. von Angelo George de Capua u. a. 7 Bde. Tübingen 1961-1991. Reprint Berlin und Boston 2017-2018. Textkritische Ausgabe. Homburg, Ernst Christoph (1605-1681) Schimpff- und ernsthaffte Clio. Historisch-kritische Edition nach den Drucken von 1638 und 1642. Hg. und komm. von Achim Aurnhammer, Nicolas Detering und Dieter Martin. 2 Bde. Stuttgart 2013. Textkritische Ausgabe mit editionsphilologischem Apparat und Kommentar. Hoyer, Anna Ovena (1584-1655) Geistliche und weltliche Poemata. Nachdruck der Ausgabe Amsterdam 1650. Hg. von Barbara Becker- Cantarino. Tübingen 1986. Enthält umfangreiches Nachwort. <?page no="600"?> 000599 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 44 599 Wichtige Textausgaben ausgewählter Autoren der Frühen Neuzeit | Hutten, Ulrich von (1488-1523) Schriften. Hg. von Eduard Böcking. 5 Bde. Leipzig 1859-1862. Nachdruck Aalen 1963. Operum supplementum. Hg. von Eduard Böcking. 2 Bde. Leipzig 1864 und 1869. Nachdruck Osnabrück 1966. Bd. 1 enthält eine historisch-kritische Ausgabe der Epistolae obscurorum virorum einschließlich späterer Zusätze. Bd. 2 bietet eine Reihe grundlegender bibliografischer Verzeichnisse und Register sowie den Kommentar. Deutsche Schriften. Hg. und mit Anm. versehen von Peter Ukena. Nachw. von Dietrich Kurze. München 1970. Größter Teil der von H. auf Deutsch verfassten oder von ihm bzw. von Zeitgenossen übersetzten Texte. Leseausgabe mit sprachlichen Erläuterungen. Ausführlich kommentiertes Personenregister. Klaj, Johann (1616-1656) Redeoratorien und Lobrede der teutschen Poeterey. Hg. von Conrad Wiedemann. Tübingen 1965. Friedensdichtungen und kleinere poetische Schriften. Neudruck der Originalausgabe 1642-1650. Hg. von Conrad Wiedemann. Tübingen 1968. Enthält eine Bibliographie. Weihnachtsdichtung. Das Freudengedichte von 1650. Mit einer Einführung seinen Quellen gegenübergesetzt und komm. von Martin Keller. Berlin 1971. Kritische Ausgabe. Umfangreich kommentiert. Kuhlmann, Quirinus (1651-1689) Himmlische Libes-Küsse. Repr. der Ausgabe Jena 1671. Hg. von Birgit Biehl-Werner. Tübingen 1971. Wichtigste Druckfehler im Anhang korrigiert. Der Kühlpsalter. 1.-15. und 73.-93. Psalm. Hg. von Heinz Ludwig Arnold. Stuttgart 1973. Der neubegeisterte Böhme. Hg. und erl. von Jonathan Clark. 2 Bde. Stuttgart 1995. Im Anhang photomechanischer Nachdruck des Quinarius (1680). Logau, Friedrich von (1605-1655) Sämmtliche Sinngedichte. Hg. von Gustav Eitner. Repr. der Ausgabe Stuttgart und Tübingen 1872. Hildesheim und New York 1974. Umfangreiches Wort- und Sachregister. Sinngedichte. Hg. von Ernst-Peter Wieckenberg. Stuttgart 1984. Reimensprüche und andere Werke in Einzeldrucken. Hg. und mit einem Nachw. vers. von Ulrich Seelbach. Tübingen 1992. Enthält Bibliographie. Lohenstein, Daniel Casper von (1635-1683) Türkische Trauerspiele. Römische Trauerspiele. Afrikanische Trauerspiele. Hg. von Klaus Günther Just. 3 Bde. Stuttgart 1953-1957. Reich an Erläuterungen und Anmerkungen. Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Hg. von Lothar Mundt, Wolfgang Neuber und Thomas Rahn. Bislang: 4 Bde. Berlin und New York 2005-2017. Geplant sind 25 Bde. Luther, Martin (1483-1546) D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe. Abt. 1-4. Bd. 1ff. Weimar 1883ff. Maßgebliche, historisch-kritische Luther-Ausgabe. <?page no="601"?> 000600 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 44 600 | Wichtige Textausgaben ausgewählter Autoren der Frühen Neuzeit Melanchthon, Philipp (1497-1560) Opera. Hg. von Karl Gottlieb Bretschneider. 28 Bde. Halle 1834-1860. Fotomechanischer Nachdruck New York und Frankfurt a. M. 1963. Werke in Auswahl. Hg. von Robert Stupperich. 7 Bde. Gütersloh 1951-1975. Studienausgabe. Kritisch editierter Text. Umfassend angelegte wissenschaftliche Edition. Moscherosch, Johann Michael (1601-1669) Visiones De Don Quevedo. Wunderlich und Warhafftige Gesichte Philanders von Sittewalt. Straßburg 1642. Neudruck Hildesheim und New York 1974. Faksimileausgabe ohne Anmerkungen. Wunderliche und wahrhafftige Gesichte Philanders von Sittewalt. Ausgew. und hg. von Wolfgang Harms. Stuttgart 1986. Auswahlausgabe. Murner, Thomas (1475-1537) Deutsche Schriften mit den Holzschnitten der Erstdrucke. Hg. von Franz Schultz unter Mitarbeit von Gustav Bebermeyer. 9 Bde. Berlin und Leipzig 1918-1931. Von dem grossen Lutherischen Narren (1522). Hg., übers. und komm. von Thomas Neukirchen. Heidelberg 2014. Enthält Nachwort mit Informationen zur Editionsgeschichte. Naogeorg (eig. Kirchmayer), Thomas (1508-1563) Sämtliche Werke in neun Bänden. Hg. von Hans-Gert Roloff. Bislang: Bde. 1-6. Berlin und New York 1975-2015. Historisch-kritische Gesamtausgabe. Lateinische Werke synoptisch zweisprachig. Opitz, Martin (1597-1639) Gesammelte Werke. Kritische Ausgabe. Hg. von George Schulz-Behrend. 4 Bde. Stuttgart 1968-1990. Mit kritischem Apparat, Vorbemerkungen zu den einzelnen Veröffentlichungen sowie Beschreibungen der Frontispize. Ausgabe unvollendet, bietet nur die Werke bis 1630, soll fortgeführt werden. Lateinische Werke. Hg. von Veronika Marschall und Robert Seidel. 3 Bde. Berlin und New York 2009-2011. Ausführlich kommentierte zweisprachig-synoptische Ausgabe. Buch von der Deutschen Poeterey. Studienausgabe. Hg. von Herbert Jaumann. Stuttgart 2013. Studienausgabe mit hilfreichen Anmerkungen. Enthält ebenso den Aristarch (1617), die Vorreden zu den Teutschen Poemata (1624 und 1625) und zur Übersetzung der Trojanerinnen (1625). Reuchlin, Johannes (1455-1522) Hugo von Holstein: Johann Reuchlins Komödien. Ein Beitrag zur Geschichte des lateinischen Schuldramas. Halle 1888. Nachdruck Leipzig 1973. Editorisch veraltet, Einleitung teilweise überholt, aber bisher einzige Ausgabe. Sämtliche Werke. Kritische Ausgabe mit Kommentar. Hg. von Widu-Wolfgang Ehlers, Reimund Leicht und Hans-Gert Roloff. Bislang: Bde. I.1, II.2 und IV.1. Stuttgart-Bad Cannstatt 1996-2010. Geplant sind 11 Text- und 6 Kommentarbände. Rist, Johann (1607-1667) Sämtliche Werke. Hg. von Eberhard Mannack. Seit 2017 hg. von Alfred Noe und Hans-Gert Roloff. Bislang: 8 Bde. Berlin und New York 1967-2018. Kritische Ausgabe. Geplant sind 12 Bde. <?page no="602"?> 000601 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 44 601 Wichtige Textausgaben ausgewählter Autoren der Frühen Neuzeit | Johann Rist und Johann Schop: Himmlische Lieder (1641/ 42). Kritisch hg. und komm. von Johann Anselm Steiger und Konrad Küster. Berlin 2012. Johann Rist und Martin Coler: Neue Hochheilige Passions-Andachten (1664). Kritisch hg. und komm. von Johann Anselm Steiger. Berlin 2015. Rollenhagen, Georg (1542-1609) Froschmeuseler. Mit den Holzschnitten der Erstausgabe. Hg. von Dietmar Peil. Frankfurt a. M. 1989. Kritische Ausgabe mit ausführlichem Kommentar. Sachs, Hans (1494-1576) Werke. Hg. von Adelbert von Keller. 26 Bde. Tübingen 1870-1908. Nachdruck Hildesheim und New York 1964. Kritische Gesamtausgabe. Registerband dazu: Roger A. Crockett: Hans Sachs. Werke. Alphabetischer Registerband. Hildesheim und New York 1982. Werke in der Reihenfolge ihrer Entstehung. Hg. von Wolfgang F. Michael und Roger A. Crockett. 3 Bde. Bern u. a. 1994-1996. Ausgewählte Texte. Von Worterklärungen abgesehen, keine Anmerkungen. Meisterlieder, Spruchgedichte, Fastnachtsspiele. Auswahl. Eingel. und erläutert von Hartmut Kugler. Stuttgart 2003. Mit Worterklärungen. Scheffler, Johann (gen. Angelus Silesius) (1624-1677) Sämtliche poetische Werke und eine Auswahl aus seinen Streitschriften. Hg. von Georg Ellinger. 2 Bde. Berlin 1923. Ausführliche Einleitung. Wenige Erläuterungen, dafür umfangreiches Glossar. Sämtliche poetische Werke. Hg. von Hans Ludwig Held. 3 Bde. München 1922-1924. Neu überarb. 3. Aufl. 1949-1952. Mit Anmerkungen, Urkunden und Literaturverzeichnis. Keine textkritische Ausgabe. Cherubinischer Wandersmann. Kritische Ausgabe. Hg. von Louise Gnädinger. Stuttgart 1984. Textkritische Ausgabe mit Anmerkungen, Bibliographie, Glossar und Nachwort. Schwarz, Sibylla (1621-1638) Deutsche poetische Gedichte. Faksimiledruck der Ausgabe Danzig 1650. Hg. und mit einem Nachwort versehen von Helmut W. Ziefle. Bern 1980. Das schnöde Tun der Welt. Gedichte aus der Barockzeit. Hg. von Horst Langer. Mesekenhagen 2009. Bislang einzige neue (Auswahl-)Ausgabe. Spee von Langenfeld, Friedrich (1591-1635) Sämtliche Schriften. Historisch-kritische Ausgabe. Hg. von Theo G. M. van Oorschot. 4 Bde. Bd. 1: Bern 1985; Bd. 2: München 1968; Bd. 3: Tübingen und Basel 1992, 2. Aufl. Ebd. 2005; Bd. 4: Ebd. 2005. Tscherning, Andreas (1611-1659) Auserlesene Gedichte von Julius Wilhelm Zincgref, Andreas Tscherning, Ernst Christoph Homburg und Paul Gerhardt. Hg. von Wilhelm Müller. Leipzig 1825. Bislang liegt keine moderne Tscherning-Ausgabe vor. Weckherlin, Georg Rudolf (1584-1653) Gedichte. Hg. von Hermann Fischer. 3 Bde. Tübingen 1894. Nachdruck Darmstadt 1968. Kritische Gesamtausgabe. <?page no="603"?> 000602 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 44 602 | Auswahlbibliographie Gedichte. Ausgewählt und hg. von Christian Wagenknecht. Stuttgart 1972. Mit Glossar und Erläuterungen. Weise, Christian (1642-1708) Bäurischer Machiavellus. Hg. von Werner Schubert. Berlin 1966. Angehängt finden sich „Materialien zum Verständnis des Textes“. Masaniello. Trauerspiel. Hg. von Fritz Martini. Stuttgart 1972. Mit kurzem Nachwort. Sämtliche Werke. Bislang: Bde. 1-6, 8, 11-13, 15-19, 21. Hg. von John D. Lindberg, später von Hans- Gert Roloff. Berlin und New York 1971-2005. Textkritische Gesamtausgabe. Wickram, Georg (Jörg) (um 1505-1555/ 60) Sämtliche Werke. Hg. von Hans-Gert Roloff. 13 Bde. Berlin 1967-1990. Historisch-kritische Gesamtausgabe mit Originalillustrationen. Bd. 14 nicht erschienen. Wimpfeling, Jacob (1450-1528) Stylpho. Lateinisch-deutsch. Übers. und hg. von Harry C. Schnur. Stuttgart 1971. Zweisprachige Ausgabe mit textkritischem Anhang. Opera Selecta. Bislang: 3 Bde. Begr. von Otto Herding. Hg. von Dieter Mertens. München 1965-2007. Kritisch-kommentierte Ausgabe. Zesen, Philipp von (1619-1689) Sämtliche Werke. 18 Bde. Unter Mitwirkung von Ulrich Mache´ und Volker Meid hg. von Ferdinand van Ingen. Berlin und New York 1980-2019. Historisch-kritische Gesamtausgabe. Übersetzung der lateinischen Werke. Letzter Teilband (XVIII/ 2) erscheint 2019. Zincgref, Julius Wilhelm (1591-1635) Gesammelte Schriften. Hg. von Dieter Mertens und Theodor Verweyen. 4 Bde. Tübingen 1978-1993 und Berlin 2011. Kritisch-kommentierte Ausgabe. Bd. 1 nie erschienen. Hochwertige Abbildungen der Emblemata ethicopolitica. Auswahlbibliographie I. Bibliographien Arbeitsgemeinschaft Sammlung Deutscher Drucke (AG SDD) [online unter: http: / / www.ag-sdd.de]. Bogel-Hauff, Else, und Elger Blühm (1971-1985): Die deutschen Zeitungen des 17. Jh.s. 3 Bde. Bremen und München. Bircher, Martin, und Thomas Bürger (1977-2000): Deutsche Drucke des Barock 1600-1720 in der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel. Nendeln und München. Dünnhaupt, Gerhard (1990-1993): Personalbibliographien zu den Drucken des Barock. 2., verb. und wesentlich vermehrte Auflage des Bibliographischen Handbuchs der Barockliteratur. 6 Teile. Stuttgart. Einblattdrucke der Frühen Neuzeit [online unter: https: / / www.bayerische-landesbibliothek-online.de/ einblattdrucke]. <?page no="604"?> 000603 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 44 603 II. Reihen und Periodika | Estermann, Monika, und Thomas Bürger (1992/ 1993): Verzeichnis der gedruckten Briefe deutscher Autoren des 17. Jh.s. Teil 1: Drucke zwischen 1600 und 1750. Wiesbaden. Goedeke, Karl (1886/ 1887): Grundriß zur Geschichte der deutschen Dichtung aus den Quellen. 2., ganz neu bearb. Auflage. Bd. 2: Das Reformzeitalter. Dresden. Bd. 3: Vom Dreißigjährigen bis zum Siebenjährigen Kriege. Dresden. Hausmann, Frank-Rutger (1992): Bibliographie der deutschen Übersetzungen aus dem Italienischen von den Anfängen bis 1730. 2 Bde. Tübingen. Hoffmann, Walter u. a. (1985): Bibliographie frühneuhochdeutscher Quellen. Ein kommentiertes Verzeichnis von Texten des 14.-17. Jh.s (Bonner Korpus). 2., überarb. Auflage. Bern und Frankfurt a. M. Jaumann, Herbert (2004): Handbuch Gelehrtenkultur der Frühen Neuzeit. Bd. 1: Bio-bibliographisches Repertorium. Berlin. Scheitler, Irmgard (Hg.) (2013-2015): Schauspielmusik. Funktion und Ästhetik im deutschsprachigen Drama der Frühen Neuzeit. 2 Bde., Material- und Darstellungsteil. Tutzing und Beeskow. Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke des 16. Jh.s (VD 16). Hg. von der Bayerischen Staatsbibliothek in München in Verbindung mit der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel. Abteilung 1: Verfasser, Körperschaften, Anonyma. Stuttgart 1983ff. [online unter: www.vd 16.de]. Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke des 17. Jh.s (VD 17) [online unter: www.vd17.de]. Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke des 18. Jh.s (VD 18) [online unter: www.vd18.de]. II. Reihen und Periodika Berliner Mittelalter- und Frühneuzeitforschung. 1ff. (2007ff.). Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart. 1ff. (1842-1941; 1953ff.). Bibliothe`que d’humanisme et renaissance. Travaux et documents. 1ff. (1941ff.). Chloe. Beihefte-Reihe zum Daphnis. 1ff. (1984ff.). Daphnis: Zeitschrift für mittlere deutsche Literatur und Kultur der frühen Neuzeit (1400-1750). u. a. (1972ff.). Frühe Neuzeit. Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext. Hg. von Achim Aurnhammer, Wilhelm Kühlmann, Jan-Dirk Müller, Martin Mulsow und Friedrich Vollhardt. 1ff. (1989ff.). Morgen-Glantz. Zeitschrift der Christian-Knorr-von-Rosenroth-Gesellschaft. 1ff. (1991ff.). Neo-Latina. 1ff. (2000ff.). Renaissance Quarterly. 20ff. (1967ff.). Simpliciana. Schriften der Grimmelshausen-Gesellschaft. 1ff. (1979ff.). Spee-Jahrbuch. 1ff. (1994ff.). Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung. Hg. von der Herzog-August-Bibliothek. 1ff. (1981ff.). Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung. Hg. von der Herzog-August-Bibliothek. 1ff. (1978ff.). Wolfenbütteler Barocknachrichten (WBN). 1-43 (1974-2016). Wolfenbütteler Renaissance-Mitteilungen. 1ff. (1977ff.). Zeitsprünge: Forschungen zur Frühen Neuzeit. (1997ff.). <?page no="605"?> 000604 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 44 604 | Auswahlbibliographie III. Textsammlungen und Anthologien Alewyn, Richard, und Rainer Gruenter (Hg.) (1961ff.): Neudrucke deutscher Literaturwerke des 16. und 17. Jh.s. N.F. Tübingen und Berlin. Bircher, Martin, und Klaus Conermann (Hg.) (1991ff.): Die deutsche Akademie des 17. Jh.s. „Fruchtbringende Gesellschaft“. Tübingen u. a. Browning, Robert M. (1980): Deutsche Lyrik des Barock 1618-1723. Stuttgart. Harms, Wolfgang u. a. (Hg.) (1987-2005): Deutsche illustrierte Flugblätter des 16. und 17. Jh.s. 8 Bde. Tübingen u. a. Harms, Wolfgang u. a. (Hg.) (1989-1998): Bibliothek der Frühen Neuzeit. Abt. 1: Literatur im Zeitalter des Humanismus und der Reformation. Hg. von dems. und Franz-Josef Worstbrock. Abt. 2: Literatur im Zeitalter des Barock. Hg. von Conrad Wiedemann. Frankfurt a. M. Killy, Walther, Hedwig Heger und Albrecht Schöne (Hg.) (1963-1988): Die deutsche Literatur. Texte und Zeugnisse. 3 Bde. München. Kindermann, Heinz (Hg.) (1928-1950): Deutsche Literatur. Sammlung literarischer Kunst- und Kulturdenkmäler in Entwicklungsreihen. 110 Bde. Leipzig und Stuttgart. Kühlmann, Wilhelm (Hg.) (1997): Humanistische Lyrik des 16. Jh.s. Ausgew., übers., erl. von dems. u. a. Frankfurt a. M. Lindberg, John D. (Hg.) (1973ff.): Nachdrucke deutscher Literatur des 17. Jh.s. Bern u. a. Szyrocki, Marian (Hg.) (1977): Poetik des Barock. Stuttgart. IV. Nachschlagewerke; Autorenlexika Arend, Stefanie u. a. (Hg.) (2018ff.): Frühe Neuzeit in Deutschland 1620-1720. Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon (VL 17). 8 Bde. Berlin und Boston. Bietenholz, Peter G., und Thomas B. Deutscher (Hg.) (1985-1987): Contemporaries of Erasmus. A biographical register of the Renaissance and Reformation. 3 Bde. Toronto. Conermann, Klaus (1985): Die Mitglieder der Fruchtbringenden Gesellschaft 1617-1650. Weinheim u. a. Jaeger, Friedrich (Hg.) (2005-2012): Enzyklopädie der Neuzeit. Im Auftr. des Kulturwissenschaftlichen Instituts (Essen) und in Verbindung mit den Fachwissenschaftlern. 15. Bde. Stuttgart und Weimar. Flood, John L. (2006): Poets laureate in the Holy Roman Empire: a bio-bibliographical handbook. 4 Bde. Berlin und New York. Füssel, Stephan (Hg.) (1993): Deutsche Dichter der Frühen Neuzeit (1450-1600). Ihr Leben und Werk. Berlin u. a. Henkel, Arthur (Hg.) (1978) [zuerst 1967]: Emblemata. Handbuch zur Sinnbildkunst des 17. Jh.s. Sonderausgabe. Stuttgart. Kühlmann, Wilhelm u. a. (Hg.) (2008-2012): Killy Literaturlexikon: Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraumes. 2. Aufl. Berlin u. a. 2008-2012 [Online eingeschränkt verfügbar unter: https: / / www.degruyter.com/ view/ serial/ 21826]. Kühlmann, Wilhelm (Hg.) u. a. (2011-2018): Frühe Neuzeit in Deutschland 1520-1620. Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon (VL 16). 8 Bde. Berlin und Boston. Pigler, Andor (1974): Barockthemen. Eine Auswahl von Verzeichnissen zur Ikonographie des 17. und 18. Jh.s. 3 Bde. 2. Aufl. Budapest und Berlin. Steinhagen, Harald, und Benno von Wiese (Hg.) (1984): Deutsche Dichter des 17. Jh.s. Ihr Leben und Werk. Berlin. <?page no="606"?> 000605 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 44 605 VI. Geschichte und Kulturgeschichte | Woods, Jean M., und Maria Fürstenwald (1984): Schriftstellerinnen, Künstlerinnen und gelehrte Frauen des deutschen Barock. Ein Lexikon. Stuttgart. V. Frühneuhochdeutsch Anderson, Robert R., Ulrich Goebel, Ania Lobenstein-Reichmann und Oskar Reichmann (Hg.) (1989ff.): Frühneuhochdeutsches Wörterbuch. 11ff. Bde. Berlin u. a. Baufeld, Christa (1996): Kleines frühneuhochdeutsches Wörterbuch. Tübingen. Grimm, Jacob, und Wilhelm Grimm (1854-1971): Deutsches Wörterbuch. 33 Tl.bde. Leipzig [online unter: http: / / woerterbuchnetz.de/ DWB/ ]. Götze, Alfred (1967 [ED 1912]): Frühneuhochdeutsches Glossar. 7. Aufl. Berlin. VI. Geschichte und Kulturgeschichte Abel, Günter (1978): Stoizismus und frühe Neuzeit. Zur Entstehungsgeschichte modernen Denkens im Felde von Ethik und Politik. Berlin und New York. Asch, Ronald G. (Hg.) (2001): Der europäische Adel im Ancien Re´ gime. Von der Krise der ständischen Monarchien bis zur Revolution (ca. 1600-1789). Köln, Weimar und Wien. Asch, Ronald G. (2008): Europäischer Adel in der Frühen Neuzeit. Eine Einführung. Köln u. a. Bergdolt, Klaus, Berndt Hamm und Andreas Tönnesmann (Hg.) (2008): Das Kind in der Renaissance. Wiesbaden. Blühm, Elger, Jörn Garber und Klaus Garber (Hg.) (1982): Hof, Staat und Gesellschaft in der Literatur des 17. Jh.s. Amsterdam. Brockpähler, Renate (1964): Handbuch zur Geschichte der Barockoper in Deutschland. Emsdetten/ Westf. Brunner, Otto (1949): Adeliges Landleben und europäischer Geist. Leben und Werk Wolf Helmhards von Hohberg 1612-1688. Salzburg. Buck, August (Hg.) (1981): Europäische Hofkultur im 16. und 17. Jh. 3 Bde. Hamburg. Buck, August, und Tibor Klan Czay (Hg.) (1987): Das Ende der Renaissance. Europäische Kultur um 1600. Wiesbaden. Buck, August (Hg.) (1989): Höfischer Humanismus. Weinheim. Burkhardt, Johannes (2006): Handbuch der deutschen Geschichte. Bd. 11: Frühe Neuzeit bis zum Ende des Alten Reiches (1495-1806): Vollendung und Neuorientierung des frühmodernen Reiches 1648-1763. Stuttgart. Conrads, Norbert (1982): Ritterakademien der frühen Neuzeit: Bildung als Standesprivileg im 16. und 17. Jh. Göttingen. Disselkamp, Martin, Peter Ihring und Friedrich Wolfzettel (Hg.) (2006): Das alte Rom und die neue Zeit. Varianten des Rom-Mythos zwischen Petrarca und dem Barock. Tübingen. Duchhardt, Heinz (2007): Barock und Aufklärung. 4. Aufl. des Bd. „Das Zeitalter des Absolutismus“. München. Dülmen, Richard van (1994): Kultur und Alltag in der Frühen Neuzeit. Bd. 3: Religion, Magie, Aufklärung. 16.-18. Jh. München. Elias, Norbert (1969): Die höfische Gesellschaft. Untersuchungen zur Soziologie des Königtums und der höfischen Aristokratie. Neuwied und Berlin. Elias, Norbert (1969): Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. 2 Bde. 2. Aufl. Bern und München. Evans, Robert J. (1986): Das Werden der Habsburgermonarchie 1550-1700. Gesellschaft, Kultur, Institutionen. Wien u. a. <?page no="607"?> 000606 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 44 606 | Auswahlbibliographie Garber, Klaus (Hg.) (1989): Nation und Literatur im Europa der Frühen Neuzeit. Akten des I. Internationalen Osnabrücker Kongresses zur Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit. Tübingen. Garber, Klaus (Hg.) (1998): Stadt und Literatur im deutschen Sprachraum der Frühen Neuzeit. 2 Bde. Tübingen. Hammerstein, Notker (1995): Staatsdenker in der frühen Neuzeit. Hg. von Michael Stolleis. 3. Aufl. München. Hammerstein, Notker (2003): Bildung und Wissenschaft vom 15. bis zum 17. Jh. München. Klueting, Harm (2007): Das konfessionelle Zeitalter: Europa zwischen Mittelalter und Moderne. Kirchengeschichte und allgemeine Geschichte. Darmstadt. Kühlmann, Wilhelm (1982): Gelehrtenrepublik und Fürstenstaat. Entwicklung und Kritik des deutschen Späthumanismus in der Literatur des Barockzeitalters. Tübingen. Lanzinner, Maximilian, und Gerhard Schormann (2001): Handbuch der deutschen Geschichte. Bd. 10: Frühe Neuzeit bis zum Ende des Alten Reiches (1495-1806). Konfessionelles Zeitalter 1555-1618, Dreißigjähriger Krieg, 1618-1648. 10. Aufl. Stuttgart. Leinkauf, Thomas (Hg.) (2005): Der Naturbegriff in der Frühen Neuzeit: Semantische Perspektiven zwischen 1500 und 1700. Tübingen. Lutz, Heinrich (1997): Reformation und Gegenreformation. 4. Aufl. München. Maass, Christiane (Hg.) (2005): Mehrsprachigkeit in der Renaissance. Heidelberg. Mertens, Dieter (2006): Der Preis der Patronage. Humanismus und Höfe. Göttingen. Neumeister, Sebastian (Hg.) (1987): Res Publica Litteraria. Die Institutionen der Gelehrsamkeit in der Frühen Neuzeit. 2 Bde. Wiesbaden. Oestreich, Gerhard (1969): Politischer Neustoizismus und Niederländische Bewegung in Europa und besonders in Brandenburg-Preußen. In: Ders.: Geist und Gestalt des frühmodernen Staates. Ausgewählte Aufsätze. Berlin, 101-156. Reinhard, Wolfgang (2001): Handbuch der deutschen Geschichte. Bd. 9: Frühe Neuzeit bis zum Ende des Alten Reiches (1495-1806). Probleme deutscher Geschichte 1495-1806. Reichsreform und Reformation 1495-1555. Stuttgart. Schmidt-Biggemann, Wilhelm (1983): Topica universalis. Eine Modellgeschichte humanistischer und barocker Wissenschaft. Hamburg. Schnitzer, Claudia (1999): Höfische Maskeraden. Funktion und Ausstattung von Verkleidungsdivertissements an deutschen Höfen der Frühen Neuzeit. Tübingen. Sottili, Agostino (2006): Humanismus und Universitätsbesuch. Die Wirkung italienischer Universitäten auf die Studia Humanitatis nördlich der Alpen. Leiden u. a. Völker-Rasor, Anette (Hg.) (2000): Frühe Neuzeit. München. Wollgast, Siegfried (1988): Philosophie in Deutschland zwischen Reformation und Aufklärung 1550-1650. Berlin. VII. Gesamtdarstellungen und Standardwerke zur frühneuzeitlichen Literaturgeschichte Adam, Wolfgang (1988): Poetische und kritische Wälder. Untersuchungen zu Geschichte und Formen des Schreibens „bei Gelegenheit“. Heidelberg. Alexander, Robert J. (1984): Das deutsche Barockdrama. Stuttgart. Auerbach, Erich (1988) [zuerst 1946]: Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur. 8. Aufl. Bern und Stuttgart. Aurnhammer, Achim (1994): Torquato Tasso im deutschen Barock. Tübingen. Barner, Wilfried (1970): Barockrhetorik. Untersuchungen zu ihren geschichtlichen Grundlagen. Tübingen. <?page no="608"?> 000607 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 44 607 VII. Gesamtdarstellungen und Standardwerke zur frühneuzeitlichen Literaturgeschichte | Baur, Rolf (1982): Didaktik der Barockpoetik. Die deutschsprachigen Poetiken von Opitz bis Gottsched als Lehrbücher der „Poeterey“. Heidelberg. Benjamin, Walter (1978) [zuerst 1928]: Ursprung des deutschen Trauerspiels. Gesammelte Schriften I,1. Hg. von Rolf Tiedemann. 2. Aufl. Frankfurt a. M. Bennewitz, Ingrid, und Ulrich Müller (Hg.) (1991): Von der Handschrift zum Buchdruck: Spätmittelalter, Reformation, Humanismus 1320-1572. Reinbek. Benthien, Claudia (2006): Barockes Schweigen. Rhetorik und Performativität des Sprachlosen im 17. Jh. München. Bernstein, Eckhard (1978): Die Literatur des deutschen Frühhumanismus. Stuttgart. Bremer, Kai (2008): Literatur der Frühen Neuzeit: Reformation - Späthumanismus - Barock. Paderborn. Breuer, Dieter (1979): Oberdeutsche Literatur 1565-1650. Deutsche Literaturgeschichte und Territorialgeschichte in frühabsolutistischer Zeit. München. Breyl, Jutta (2006): Pictura loquens - poesis tacens. Studien zu Titelbildern und Rahmenkompositionen der erzählenden Literatur des 17. Jh.s von Sidneys „Arcadia“ bis Ziglers „Banise“. Wiesbaden. Buck, August (Hg.) (1972): Renaissance und Barock. 2 Bde. Frankfurt a. M. Classen, Carl Joachim (2003): Antike Rhetorik im Zeitalter des Humanismus. München und Leipzig 2003. Conrady, K. Otto (1962): Lateinische Dichtungstradition und deutsche Lyrik des siebzehnten Jh.s. Bonn. Curtius, Ernst Robert (1993) [zuerst 1948]: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter. 11. Aufl. Tübingen und Basel. Dyck, Joachim (1991): Ticht-Kunst. Deutsche Barockpoetik und rhetorische Tradition. 3. Aufl. Tübingen. Ellinger, Georg (1929-1933): Geschichte der neulateinischen Literatur Deutschlands im 16. Jh. 3 Bde. Berlin und Leipzig. Emrich, Wilhelm (1981): Deutsche Literatur der Barockzeit. Königstein/ Taunus. Enenkel, Karl A. E. (2008): Die Erfindung des Menschen: die Autobiographik des frühneuzeitlichen Humanismus von Petrarca bis Lipsius. Berlin u. a. Ertzdorff-Kupffer, Xenja von (1989): Romane und Novellen des 15. und 16. Jh.s. in Deutschland. Darmstadt. Elschenbroich, Adalbert (1990): Die deutsche und lateinische Fabel in der frühen Neuzeit. Tübingen. Fechner, Jörg-Ulrich (1966): Der Antipetrarkismus. Studien zur Liebessatire in barocker Lyrik. Heidelberg. Fischer-Lichte, Erika (1999): Semiotik des Theaters. Bd. 2: Vom „künstlichen“ zum „natürlichen“ Zeichen. Theater des Barock und der Aufklärung. 4. Aufl. Tübingen. Gaede, Friedrich (1971): Humanismus, Barock, Aufklärung. Geschichte der deutschen Literatur vom 16. bis zum 18. Jh. Bern und München. Grimm, Gunter E. (1983): Literatur und Gelehrtentum in Deutschland. Untersuchungen zum Wandel ihres Verhältnisses vom Humanismus bis zur Spätaufklärung. Tübingen. Hahn, Reinhard (1985): Meistergesang. Leipzig. Hammerstein, Notker (Hg.) (2000): Späthumanismus. Studien über das Ende einer kulturhistorischen Epoche. Göttingen. Hauser, Arnold (1979): Der Ursprung der modernen Kunst und Literatur. Die Entwicklung des Manierismus seit der Krise der Renaissance. München. Herzog, Urs (1976): Der deutsche Roman des 17. Jh.s. Eine Einführung. Stuttgart u. a. Hinck, Walter (1965): Das deutsche Lustspiel des 17. und 18. Jh.s. und die italienische Komödie. Stuttgart. <?page no="609"?> 000608 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 44 608 | Auswahlbibliographie Hoffmeister, Gerhart (1973): Petrarkistische Lyrik. Stuttgart. Hoffmeister, Gerhart (1987): Deutsche und europäische Barockliteratur. Stuttgart. Kemper, Hans-Georg (1987-2006): Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit. 6 Bde. Tübingen. Könneker, Barbara (1991): Satire im 16. Jh. Epoche - Werke - Wirkung. München. Kühlmann, Wilhelm, und Wolfgang Neuber (Hg.) (1994): Intertextualität in der Frühen Neuzeit. Studien zu ihren theoretischen und praktischen Perspektiven. Frankfurt a. M. Lohmeier, Anke-Marie (1981): Beatus ille. Studien zum „Lob des Landlebens“ in der Literatur des absolutistischen Zeitalters. Tübingen. Maler, Anselm, Angel San Miguel und Richard Schwaderer (Hg.) (2002): Theater und Publikum im europäischen Barock. Frankfurt a. M. u. a. Markwardt, Bruno (1964): Geschichte der deutschen Poetik. Bd. 1: Barock und Frühaufklärung. 3. Aufl. Berlin. Martin, Dieter (2000): Barock um 1800. Bearbeitung und Aneignung deutscher Literatur des 17. Jahrhunderts von 1770 bis 1830. Frankfurt a. M. Martino, Alberto (Hg.) (1990): Beiträge zur Aufnahme der italienischen und spanischen Literatur in Deutschland im 16. und 17. Jh. Amsterdam u. a. Meid, Volker (2008): Barocklyrik. 2. Aufl. Stuttgart. Meid, Volker (2009): Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart. Bd. 5: Die deutsche Literatur im Zeitalter des Barock. Vom Späthumanismus bis zur Frühaufklärung. München. Meier, Albert (Hg.) (1999): Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jh. bis zur Gegenwart. Bd. 2: Die Literatur des 17. Jh.s. München u. a. Michael, Wolfgang F. (1984): Das deutsche Drama der Reformationszeit. Bern u. a. Newald, Richard (1967): Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart. Bd. 5: Die deutsche Literatur vom Späthumanismus zur Empfindsamkeit 1570-1750. 6. Aufl. München. Niefanger, Dirk (2012): Barock: Lehrbuch Germanistik. 3., aktual. und erw. Aufl. Stuttgart und Weimar. Reichelt, Klaus (1981): Barockdrama und Absolutismus. Studien zum deutschen Drama zwischen 1650 und 1700. Frankfurt a. M. und Bern. Reinhart, Max (Hg.) (2007): The Camden House History of German literature. Bd. 4: Early modern German literature 1350-1700. Rochester [NY] u. a. Rupprich, Hans (1970/ 1973): Die deutsche Literatur vom späten Mittelalter bis zum Barock (1370-1570). 2 Bde. München. Schings, Hans-Jürgen (1971): Consolatio Tragoediae. Zur Theorie des barocken Trauerspiels. In: Deutsche Dramentheorien. Beiträge zu einer historischen Poetik des Dramas in Deutschland. Bd. 1. Hg. von Reinhold Grimm. Frankfurt a. M., 1-44. Schmidt, Paul G. (Hg.) (1993): Humanismus im deutschen Südwesten. Biographische Profile. Sigmaringen. Schöne, Albrecht (1993): Emblematik und Drama im Zeitalter des Barock. 3. Aufl. München. Singer, Herbert (1963): Der deutsche Roman zwischen Barock und Rokoko. Köln und Graz. Steinhagen, Harald (Hg.) (1985): Zwischen Gegenreformation und Frühaufklärung: Späthumanismus, Barock. 1572-1740. Reinbek. Stockhorst, Stefanie (2008): Reformpoetik. Kodifizierte Genustheorie des Barock und alternative Normenbildung in poetologischen Paratexten. Tübingen. Szyrocki, Marian (1997): Die deutsche Literatur des Barock. Eine Einführung. Bibliograph. erneuerte Ausgabe. Stuttgart. <?page no="610"?> 000609 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 44 609 VII. Gesamtdarstellungen und Standardwerke zur frühneuzeitlichen Literaturgeschichte | Trunz, Erich (1931): Der deutsche Späthumanismus um 1600 als Standeskultur. Berlin. Wagenknecht, Christian (1971): Weckherlin und Opitz. Zur Metrik der deutschen Renaissancepoesie. München. Waldberg, Max von (1888): Die deutsche Renaissance-Lyrik. Berlin. Walz, Herbert (1988): Deutsche Literatur der Reformationszeit. Eine Einführung. Darmstadt. Wesche, Jörg (2004): Literarische Diversität. Abweichungen, Lizenzen und Spielräume in der deutschen Poesie und Poetik der Barockzeit. Tübingen. Willems, Gottfried (2012): Humanismus und Barock. Wien u. a. <?page no="611"?> 000610 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 44 610 | Abbildungsverzeichnis Abbildungsverzeichnis A.I.1: Holzschnitt aus dem Theuerdank (1517); Gustav Könnecke: Bilderatlas zur Geschichte der deutschen Nationallitteratur. Marburg 2 1895, 129. 43 A.I.2: Ehrenpforte der Habsburger aus 42 Holzschnitten von Albrecht Dürer (1515); National Gallery of Art: online database: entry 1991.200.1, https: / / commons.wikimedia.org/ w/ index.php? curid=24094955. 44 A.I.3: Der große Triumphwagen Kaiser Maximilians [Ausschnitt]. Holzschnitt von Albrecht Dürer (1522); Klaus Albrecht Schröder und Marie Luise Sternath (Hrsg.): Albrecht Dürer. Wien 2003, 468, Abb. 161. 45 A.I.4: Die Insignien des Wiener Collegium Poetarum. Holzschnitt von Hans Burgkmair (1504); BSB München, Rar. 759, Bl. B 1 v , urn: nbn: de: bvb: 12-bsb00007496-5, http: / / daten.digitale-sammlungen.de/ bsb00007496/ images/ index.html? id=00007496&groesser=&fip=yztsewqxdsydsdaseay axdsydeneneayafsdrfsdr&no=6&seite=8. 46 A.I.5: Philosophia. Holzschnitt von Albrecht Dürer (1502); BSB München, Rar. 446, Bl. 6 v , urn: nbn: de: bvb: 12-bsb00007499-6, http: / / daten.digitalesammlungen.de/ bsb00007499/ images/ index.html? id=00007499&groesser= &fip=yztsewqxdsydsdaseayaxdsydeneneayafsdrfsdr&no=20&seite=20. 47 A.I.6: Sterbebild des Konrad Celtis. Holzschnitt von Hans Burgkmair (1507); ÖNB Wien, Inventar-Nr. PORT 00091390 01, digitaler Portraitindex http: / / www.portraitindex.de/ docum-ents/ obj/ oai: baa.onb.at: 7684292. 48 A.II.1: Beginn des Kapitels 108 aus Sebastian Brants Narrenschiff (1494); BSB München, Rar. 121, Bl. t 4 r , urn: nbn: de: bvb: 12-bsb00036978-3, http: / / daten.digitale-sammlungen.de/ 0003/ bsb00036978/ images/ index.html ? id=00036978&groesser=&fip=yztsewqxdsydsdaseayaxdsydeneneayafs drfsdr&no=19&seite=299. 55 A.II.2: Der Büchernarr aus Sebastian Brants Narrenschiff (1494); BSB München, Rar. 121, Bl. a 4 v , urn: nbn: de: bvb: 12-bsb00036978-3, http: / / daten. digitale-sammlungen.de/ 0003/ bsb00036978/ images/ index.html? id=000 36978&groesser=&fip=yztsewqxdsydsdaseayaxdsydeneneayafsdrfsdr& no=12&seite=12. 57 A.II.3: Titelblatt zur Narrenbeschweerung von Thomas Murner (1512); ÖNB Wien, 35.R.149, Frontispiz, http: / / data.onb.ac.at/ rec/ AC07494226. 59 A.II.4: Bildnis des Erasmus von Rotterdam. Kupferstich von Albrecht Dürer (1526); Städtisches Graphik-Kabinett Backnang, https: / / bawue. museum-digital.de/ index.php? t=objekt&oges=4300&navlang=de. 64 A.II.5: Titelblatt zu Martin Luther: Das der freie wille nichts sey (1526); BSB München, Res./ Polem. 3127 p., Titelblatt: A i r , urn: nbn: de: bvb: 12-bsb 00027194-9, http: / / daten.digitale-sammlungen.de/ 0002/ bsb00027194/ images/ index.html? id=00027194&groesser=&fip=yztsewqxdsydsdaseay axdsydeneneayafsdrfsdr&no=5&seite=5. 68 <?page no="612"?> 000611 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 44 611 Abbildungsverzeichnis | A.II.6: Bildnis des Ulrich von Hutten. Holzschnitt von Hans Baldung Grien (1521); Gustav Könnecke: Bilderatlas zur Geschichte der deutschen Nationallitteratur. Marburg 2 1895, 134. 71 A.II.7: Titelbild zu Ulrich von Huttens ,Niemand‘. Holzschnitt von Hans Weiditz (1518); BSB München, 4 Opp. 90,II,14, Frontispiz, urn: nbn: de: bvb: 12-bsb00086788-4, http: / / daten.digitale-sammlungen.de/ ∼ db/ 0008/ bsb 00086788/ images/ . 73 A.II.8: Schlussseite von Ulrich von Huttens Gespräch büchlin (1521); HAB Wolfenbüttel, A: 118.4 Quod. (13), Schlussseite, http: / / diglib.hab.de/ drucke/ 118-4-quod-13s/ start.htm? image=00179. 74 A.III.1: Bildnis des Martin Luther. Holzschnitt von Hans Baldung Grien (1521); BSB München, Res./ H.ref. 750 k, Bl. I r , urn: nbn: de: bvb: 12-bsb 00027453-2, http: / / daten.digitale-sammlungen.de/ 0002/ bsb00027453/ images/ index.html? id=00027453&groesser=&fip=yztsewqxdsydsdaseay axdsydeneneayafsdrfsdr&no=4&seite=6. 80 A.III.2: Papstkarikatur von Lucas Cranach zu Luthers Polemik (1523); SLUB Dresden, Deutsche Fotothek, Hist.eccl.E.322,34, Bl. I v , http: / / www. deutschefotothek.de/ documents/ obj/ 90048501. 81 A.III.3: Der Papst als ,Babylonische Hure‘ im Neuen Testament Luthers. Holzschnitt von Lucas Cranach (1522); Biblia Germanica. Wittenberg 1545. Die Offenbarung S. Johannis. Cap. XVII. 83 A.III.4: Titelblatt der Lutherbibel (1534); Gustav Könnecke: Bilderatlas zur Geschichte der deutschen Nationallitteratur. Marburg 2 1895, 141. 84 A.III.5: Tizians ,Triumph des Glaubens‘ [Ausschnitt] (1508), https: / / upload. wikimedia.org/ wikipedia/ commons/ 0/ 08/ Andrea Andreani Trionfo d ella fede G 0011 II.jpg. 89 A.III.6: Reuchlin als Triumphator. Holzschnitt zu Ulrich von Huttens Triumphus Capnionis (1518); Gustav Könnecke: Bilderatlas zur Geschichte der deutschen Nationallitteratur. Marburg 2 1895, 133. 90 A.III.7: Trivmphvs Reuchlein . Pfefferkorns parodistische Antwort auf Reuchlins ,Triumph‘ (1521); Gustav Könnecke: Bilderatlas zur Geschichte der deutschen Nationallitteratur. Marburg 2 1895, 133. 90 A.III.8: Himmelwagen und Höllenwagen des Andreas Bodenstein von Karlstadt. Holzschnitt von Lucas Cranach d. Ä. (1519), http: / / www.zeno.org/ nid/ 2000395983X. 91 A.III.9: Trivmphvs Veritatis : Die Vertreibung Papst Hadrians VI. aus dem Himmel durch Luther (1524); BSB München, 1137956 Res/ 4 P.o.germ. 231,41, S. 6, urn: nbn: de: bvb: 12-bsb10907296-3, https: / / reader.digitale-samm lungen.de/ de/ fs1/ object/ display/ bsb10907296 00006.html? zoom=0.300 00000000000004. 92 A.III.10: Des Papstes Höllenfahrt. Holzschnitt von Hans Sebald Beham (1524), http: / / www.zeno.org/ nid/ 20003886050. 93 <?page no="613"?> 000612 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 44 612 | Abbildungsverzeichnis A.III.11: Titelholzschnitt zu Hans Sachs: Die Wittenbergisch Nachtigall (1523); BSB München, Rar. 1535, Titelblatt, urn: nbn: de: bvb: 12-bsb00025702-6, http: / / daten.digitale-sammlungen.de/ 0002/ bsb00025702/ images/ index. html? id=00025702&groesser=&fip=yztsewqxdsydsdaseayaxdsydenenea yafsdrfsdr&no=3&seite=5. 95 A.III.12: Andreas Herneisen porträtiert Hans Sachs und dessen Katze (1574); HAB Wolfenbüttel, B 111 r , http: / / diglib.hab.de/ wdb.php? dir=gemaelde/ b-111. 97 A.IV.1: Amicitia etiam post mortem durans . Emblem aus dem Emblematum liber des Andreas Alciatus (1542); Glasgow University Emblem Website, GUL SM 26, 40, http: / / www.emblems.arts.gla.ac.uk/ alciato/ facsimile.php? id=sm 26-C4v. By permission of University of Glasgow Library, Special Collections. 112 A.IV.2a: „Amor coniugalis / Liebe soll sein im Ehstand“. Emblem aus Mathias Holtzwarts Tyrocinia . Zeichnung von Tobias Stimmer (1542); HAB Wolfenbüttel, H: T 355.8 ° Helmst. (2), Bl. F3 r+v , http: / / diglib.hab.de/ drucke/ t-355-helmst-8f-2/ start.htm. 113 A.IV.2b: „Amor coniugalis / Liebe soll sein im Ehstand“. Emblem aus Mathias Holtzwarts Tyrocinia . Zeichnung von Tobias Stimmer (1542); HAB Wolfenbüttel, H: T 355.8 ° Helmst. (2), Bl. F3 r+v , http: / / diglib.hab.de/ drucke/ t-355-helmst-8f-2/ start.htm. 113 A.IV.3: Gorgoneum Caput . Einblattdruck von Johann Fischart mit Zeichnung von Tobias Stimmer (1577); ZB Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv, PAS II 25/ 18. 120 A.IV.4: Plan von Johann Valentin Andreaes Christianopolis (1619); Internet Archive, https: / / archive.org/ details/ reipublicaechris00andr. 123 B.I.1: Stadtansicht Karlsruhe von Norden. Kolorierter Kupferstich von Christian Thran (1739); Stadt Karlsruhe, https: / / web1.karlsruhe.de/ bilderbogen neu/ Chronik-Stadtplaene/ #6. 135 B.I.2: Aufzug allegorischer Ritter [Ausschnitt] anlässlich der Taufe der Prinzessin Elisabeth von Hessen (1596); BSB München, Cod.icon. 340, 21, urn: nbn: de: bvb: 12-bsb00001352-2, http: / / daten.digitale-sammlungen. de/ bsb00001352/ images/ index.html? id=00001352&groesser=&fip=yzts ewqxdsydsdaseayaxdsydeneneayafsdrfsdr&no=17&seite=21. 138 B.I.3: Gesellschaftsimprese der Fruchtbringenden Gesellschaft . Kupferstich von Mathaeus Merian (1629); Gustav Könnecke: Bilderatlas zur Geschichte der deutschen Nationallitteratur. Marburg 2 1895, 173. 140 B.I.4: Flugblatt Triumph vnd Leichgepränge zum Tod des Schwedenkönigs Gustav Adolph (1632); Print Room des British Museum, Inv. 1880,0710,454 - PPA76766. Bild: AN81583001, https: / / www.bmimages.com/ preview. asp? image=00815853001. 144 <?page no="614"?> 000613 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 44 613 Abbildungsverzeichnis | B.I.5: Frontispiz zu Martin Opitz’ Deutschen Poemata (1625); SB Berlin, Bibl. Diez qu. 2635, Frontispiz, http: / / resolver.staatsbibliothekberlin.de/ SBB 00009C2200000005. 153 B.I.6: Kupfertitel zu Andreas Tschernings Deutscher Getichte Früling (1642); SB Berlin, 19 ZZ 9295, Frontispiz, http: / / resolver.staatsbibliothekberlin.de/ SBB00016ECA00000000. 154 B.I.7: Frontispiz zu Constantin Christian Dedekinds Aelbianischer Musen-Lust (1657); BSB München, Mus.pr. 9729, Frontispiz, urn: nbn: de: bvb: 12-bsb 00089978-1, https: / / stimmbuecher.digitale-sammlungen.de/ view? id= bsb00089978. 155 B.I.8: Sibylla Schwarz, „die Deutsche Sibylla“ [Ausschnitt] (1650); SB Berlin - PK, Abteilung Historische Drucke, Yi 1801, https: / / digital.staatsbiblio thekberlin.de/ werkansicht? PPN=PPN838746802&PHYSID=PHYS 000 7&DMDID=DMDLOG 0001. 156 B.I.9: Tanz der Spiegelmacher beim Stuttgarter Hoffest (1616). Kupferstich von Matthaeus Merian; Esaias van Hulsen und Matthäus Merian: Repraesentatio der fvrstlichen Avfzvg vnd Ritterspil. Die Kupferstichfolge von 1616. Hg. von Ludwig Krapf und Christian Wagenknecht. Tübingen 1979 (= Stuttgarter Hoffeste. Texte und Materialien zur höfischen Repräsentation im frühen 17. Jahrhundert), 9. 158 B.I.10: Johann Nauwach vertont Opitz’ Liedtext „Ach Liebste / laß vns eilen“ (1627); SLUB Dresden, Deutsche Fotothek, Mus. 1499.G.1, S. 15, digital. slubdresden.de/ werkansicht/ dlf/ 59157/ 25/ 0/ . 160 B.I.11: Auf dem Weg zum Parnass. Frontispiz zu Johann Rists Florabella (1656); BSB München, 1973885 P.o.germ. 1168 ys, S. 7, urn: nbn: de: bvb: 12-bsb 10117234-1, https: / / reader.digitale-sammlungen.de/ de/ fs1/ object/ dis play/ bsb10117234 00007.html. 164 B.I.12: Frontispiz zu Paul Flemings Teütschen Poemata (1646); Gustav Könnecke: Bilderatlas zur Geschichte der deutschen Nationallitteratur. Marburg 2 1895, 178. 167 B.II.1: Titelblatt zu Johann Rists Friedewünschendem Teutschland (1647); Gustav Könnecke: Bilderatlas zur Geschichte der deutschen Nationallitteratur. Marburg 2 1895, 184. 175 B.II.2: Wie sich ein Teutscher Monsieur All’modo Kleiden soll . Flugblatt (1628); UB Erlangen-Nürnberg, H62/ Einblattdruck A X 11, urn: nbn: de: bvb: 29- einblatt-0395-8, http: / / digital.bib-bvb.de/ view/ bvb single/ single.jsp? dvs=1548861327863 ∼ 307&locale=de&VIEWER URL=/ view/ bvb sing le/ single.jsp? &DELIVERY RULE ID=39&bfe=view/ action/ singleView er.do? dvs=&frameId=1&usePid1=true&usePid2=true. 177 B.II.3: Titelblatt zu Johann Michael Moscheroschs Gesichten Philanders von Sittewald, Anderer Theil (1666); BSB München, 2652447 P.o.germ. 955 b-2, Titelblatt, urn: nbn: de: bvb: 12-bsb10114910-7, https: / / reader.digitalesammlungen.de/ de/ fs1/ object/ display/ bsb10114910 00005.html. 178 <?page no="615"?> 000614 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 44 614 | Abbildungsverzeichnis B.II.4: Hans Holbein: Die Gesandten (1533); The national Gallery, London, NG 1314, https: / / upload.wikimedia.org/ wikipedia/ commons/ 9/ 9d/ Holbeinambassadors.jpg. 194 B.II.5a/ b: Der Totenschädel als Anamorphose. Detail aus Hans Holbein: Die Gesandten (1533); The national Gallery, London, NG1314, https: / / upload.wikimedia.org/ wikipedia/ commons/ 9/ 9d/ Holbein-ambassado rs.jpg, https: / / commons.wikimedia.org/ wiki/ File: Holbein Skull.jpg. 195 B.II.6: Labyrinthischer Dichtertreff in Nürnberg. Der Irrhain des Pegnesischen Blumenordens; Die Gartenlaube (1894), 372, https: / / commons. wikimedia.org/ wiki/ File: Die Gartenlaube (1894) 372.jpg. 198 B.II.7: Königlich Schwedisches Friedensmahl im Nürnberger Rathaus (1649). Kupferstich nach einem Gemälde von Joachim von Sandrart (1650); Johann Klaj: Friedensdichtungen und kleinere poetische Schriften. Hg. von Conrad Wiedemann. Tübingen 1968, Anlage zu 53. 200 B.II.8: Nürnberger Friedensfeuerwerk (1650); Johann Klaj: Friedensdichtungen und kleinere poetische Schriften. Hrsg. von Conrad Wiedemann. Tübingen 1968, Anlage zu 160. 201 B.II.9: Kreuzgedicht aus Sigmund von Birkens Teutscher Rede-bind- und Dicht- Kunst (1679); BSB München, 1255666 P.o.germ. 126 u, S. 145, urn: nbn: de: bvb: 12-bsb10105781-2, https: / / reader.digitale-sammlungen.de/ de/ fs 1/ object/ display/ bsb10105781 00235.html. 206 B.II.10: Kreuzgedicht der Catharina Regina von Greiffenberg (1662), https: / / commons.wikimedia.org/ wi-ki/ File: Greiffenberg Figurengedicht Ha ndschrift.png. 206 B.II.11: Buchstabenkreuz aus den Geistlichen und weltlichen Poemata der Anna Ovena Hoyers (1650); Anna Ovena Hoyers: Geistliche und Weltliche Poemata. Amsterdam 1650, 125. 207 B.II.12: Titelkupfer zu Grimmelshausens Trutz Simplex: Oder [ … ] Lebensbeschreibung Der Ertzbetrügerin und Landstörtzerin Courasche (1670); SUB Göttingen, 8 FAB 6. 1755 (1) RARA, Frontispiz, http: / / resolver.sub.uni-goet tingen.de/ purl? PPN661036375. 216 B.II.13: Satyrisches Mischwesen. Frontispiz zu Grimmelshausens Simplicissimus Teutsch (1668/ 69); Gustav Könnecke: Bilderatlas zur Geschichte der deutschen Nationallitteratur. Marburg 2 1895, 189. 218 B.III.1: Germania unter römischem Joch. Frontispiz zum Ersten Theil von Lohensteins Roman Großmüthiger Feldherr Arminius (1689); SUB Göttingen, 8 FAB VI, 1820: 1, Frontispiz, http: / / resolver.sub.uni-goettingen.de/ purl? PPN719707005. 241 B.III.2: Hinrichtung des türkischen Feldherrn Cara Mustapha. Bühnenbild zu Lucas von Bostels Doppeloper (1686); ÖNB, Musiksammlung, 4390-B.1, Frontispiz. 248 <?page no="616"?> 000615 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 44 615 Abbildungsverzeichnis | B.III.3: Balacins Kampf gegen einen Panter. Kupferstich aus der Asiatischen Banise (1689); Heinrich Anshelm von Zigler und Kliphausen: Die Asiatische Banise. Historisch-kritische und komm. Ausgabe des Erstdrucks (1689). Hg. von Werner Frick u.a. Berlin 2010, Abb. 5. 254 B.III.4: Kriegselefanten in der Schlacht um die Krone Pegus. Kupferstich aus der Asiatischen Banise (1689); Heinrich Anshelm von Zigler und Kliphausen: Die Asiatische Banise. Historisch-kritische und komm. Ausgabe des Erstdrucks (1689). Hg. von Werner Frick u.a. Berlin 2010, Abb. 3. 254 B.III.5: Mikroskopische Abbildung einer Laus aus Eberhard Werner Happels Relationes Curiosæ (1683); Universität Turin, ark: / 13960/ t1ck11n71, 62, https: / / archive.org/ details/ imageGIX360MiscellaneaOpal. CC0 1.0 Universal. 259 B.III.6: Wundersame Wasserwesen aus Eberhard Werner Happels Relationes Curiosæ (1685); Universität Turin, ark: / 13960/ t84j34g57, 14, https: / / archive. org/ details/ imageGIX360bMiscellaneaOpal. CC0 1.0 Universal. 260 C.I.1: Merkur im Wirtshaus. Frontispiz zur Januar-Ausgabe des Europäischen Mercurius oder Götter-Both (Nürnberg 1690); HAAB Weimar, Scha BS 1 A 05098 (1), Frontispiz, urn: nbn: de: gbv: 32-1-10023762473, https: / / haabdigital.klassik-stiftung.de/ viewer/ object/ 1514534010 1690000000/ 7/ . 276 C.I.2: Der schlesische Musentempel um 1750. Frontispiz zu Christian Gottlob Stöckels Gedichten (1748); BSB München, 994804 P.o.germ. 1421, Frontispiz, urn: nbn: de: bvb: 12-bsb10120814-1, https: / / reader.digitalesammlungen.de/ de/ fs1/ object/ display/ bsb10120814 00008.html. 282 C.I.3: Trauer um Doris im Dienste poetischer Inspiration. Frontispiz zu Canitz’ Gedichten (1727); SSB Augsburg, LD 982, Frontispiz, urn: nbn: de: bvb: 12-bsb11259540-7, https: / / reader.digitale-sammlungen.de/ de/ fs1/ object/ display/ bsb11259540 00005.html. 284 C.I.4: Poetologisches Frontispiz zu Johann von Bessers Schriften. Zweiter Theil (1732); ZB Zürich, 25.101-25.101: a, http: / / doi.org/ 10.3931/ e-rara- 70974 / . 285 C.I.5: Die Gastwirtin Schlampampe. Frontispiz zu Christian Reuters Lustspiel L’Honne ´te Femme Oder die Ehrliche Frau (1695); ULB Halle, Pon Yc 5814, Frontispiz, http: / / vd17.bibliothek.uni-halle.de/ pict/ 2003/ 3: 640002Y/ . 291 C.I.6: Namensschlüssel zu Hunolds Roman Der Europäischen Höfe Liebes- und Helden-Geschichte (1731); SLUB Dresden, Digitale Sammlungen, Biogr. erud.D.3635, 177, http: / / digital.slubdresden.de/ werkansicht/ dlf/ 50731/ 189/ . 293 C.II.1: Poetologisches Frontispiz zu Johann Heinrich Stuß’ Anthologie (1734); WLB Stuttgart, D.D.oct.10299. 304 C.II.2: Dichter- und Liebespaar: Johann Christoph und Luise Adelgunde Victorie Gottsched. Gemälde (um 1750); Staatliche Museen zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz. 311 <?page no="617"?> 000616 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 44 616 | Abbildungsverzeichnis C.II.3: Goethe und sein Schwager Johann Georg Schlosser besuchen Gottsched. Stich nach einer Zeichnung von Theobald von Oer (1865); Gartenlaube (1865), 741. 316 C.II.4: Plan der Insel Felsenburg (1726), https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Insel Felsenburg#/ media/ File: Insel Felsenburg map.jpg. 323 D.1: Von Menge und vile der bücher. Holzschnitt zu Francesco Petrarcas Von der Artzney bayder Glueck, des guten vnd widerwertigen [De remediis utriusque fortunae], übers. von Peter Stahel und Georg Spalatin (1532). Neudruck, hg. und komm. von Manfred Lemmer. Leipzig 1983, I, Bl. LVIr. 362 D.2: Ulrich von Hutten, Gespräch büchlin ; Gustav Könnecke: Bilderatlas zur Geschichte der deutschen Nationallitteratur. Marburg 2 1895, 135. 403 D.3: Ein kurtzweilig lesen von Dyl Vlenspiegel ; Gustav Könnecke: Bilderatlas zur Geschichte der deutschen Nationallitteratur. Marburg 2 1895, 110. 433 D.4: Handschrift des Andreas Gryphius im Album des Konstantin Linderhausen; Andreas Gryphius: Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Bd. 1: Sonette. Hrsg. von Marian Szyrocki. Tübingen 1963, Abb. 2. 494 <?page no="618"?> 001233 Auerx/ Probe / 14.06.19 14: 58 617 Personenregister Abschatz, Hans Assmann Freiherr von (1646 -1699) 225, 232, 282, 520 Achillini, Claudio (1574 -1640) 239 Addison, Joseph (1672 -1719) 305, 314 Adimari, Alessandro (1579 -1649) 232 Agricola, Rudolf (1443/ 44 -1485) 65, 356 Alberti, Leon Battista (1404 -1472) 588 Albertinus, Aegidius (1560 -1620) 212, 214 Alberus, Erasmus (um 1500 -1553) 88 Albrecht von Brandenburg, Kardinal, Erzbischof von Mainz (1490 -1545) 67, 72f., 78 Alciatus, Andreas (1492 -1550) 111f., 114 Alefeld, Augustin von (um 1480 -um 1535) 94 Alema´ n, Mateo (1547-um 1615) 211f. Alembert, Jean Baptiste le Rond d’ (1717-1783) 274 Alexander der Große (356 v. Chr. -323 v. Chr.) 117, 351, 353, 500, 502 Alighieri, Dante (1265 -1321) 56, 136f., 146, 284, 317, 352 Amarantes siehe Corvinus, Gottlieb Siegmund 292 Amerbach, Bonifacius (1495 -1562) 64, 363 Andreae, Johann Valentin (1586 -1654) 122f., 324 Anton Ulrich, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg (1633 -1714) 173, 204, 209ff. Apuleius (um 125 n. Chr. -um 170 n. Chr.) 211 Arcimboldo, Giuseppe (1526 -1593) 119 Aretino, Pietro (1492 -1556) 111, 352 Ariosto, Lodovico (1474 -1533) 136, 141, 318, 504 Aristarchos von Samothrake (ca. 220 -143 v. Chr.) 146 Aristoteles (384 -322 v. Chr.) 103, 106, 122, 147, 188, 251, 331, 353, 396, 583 Arminius, Fürst der Cherusker (17 v. Chr. -21 n. Chr.) 73, 107, 234, 541 Arndt, Johann (1555 -1621) 142, 207, 273 Äsop [Clodius Aesopus] (1. Jhd. v. Chr.) 502 Äsop [Aisopos] (ca. 6. Jhd. v. Chr.) 87f. Assarino, Luca (1602 -1672) 225, 245 Augustinus, Aurelius (354 - 430) 68f., 347f., 353 Augustus, Kaiser Römisches Reich (63 v. Chr. -14 n. Chr.) 235, 273, 345, 351f., 463, 502, 528f., 535, 540f., 561, 575 Aurispa, Giovanni (1376 -1459) 352 Aurogallus, Matthäus (1490 -1543) 82, 406, 408 Avicenna (980 -1037) 110 Ayrer, Jakob (1545 -1605) 98 Bach, Johann Sebastian (1685 -1750) 184 Bacon, Francis (1561-1626) 104 Badius, Jodocus (1462 -1535) 65 Baldung Grien, Hans (1484/ 85 -1543) 70f., 80 Barclay, John (1582 -1621) 150, 212, 241 001234 Auerx/ Probe / 14.06.19 14: 58 Personenregister | Barth, Caspar von (1587-1658) 110 Bayle, Pierre (1647-1706) 104, 273f. Bebel, Heinrich (1472 -1518) 71, 99f., 394, 416f. Beer, Johann (1655 -1700) 255f., 302, 544, 546 Beham, Hans Sebald (1500 -1550) 92, 94 Bembo, Pietro (1470 -1547) 164 Benjamin, Walter (1892 -1940) 161, 181, 184, 191, 193 Bentley, Richard (1662 -1742) 275 Beregani, Nicolo` (1627-1713) 244 Bernegger, Matthias (1582 -1640) 197 Besser, Johann von (1654 -1729) 225, 230, 279, 283, 285f., 305, 560, 566 Bevervoorden, Magdalena van (zuvor de Passe) (1600 -1638) 180 Bidermann, Jakob (1578 -1639) 108f., 419, 422 Biondi, Giovanni Francesco (1572 -1644) 210 Birck, Sixt (1501-1551) 98 Birken, Sigmund von (1626 -1681) 134, 140, 156, 173, 175, 176, 178, 196, 197, 198, 199, 201, 202, 205, 206, 211, 258, 509 Boccaccio, Giovanni (1313 -1375) 96, 99, 115, 123, 136, 261, 284, 352 Boccalini, Trajano (1556 -1613) 250 Bodin, Jean (1529 -1596) 135 Bodmer, Johann Jakob (1698 -1783) 228f., 272, 299, 306, 316 -319, 584 Böhme, Jacob (1575 -1624) 122, 124ff. Bohse, August [Ps. Talander] (1661-1740) 283, 292 Boiardo, Matteo (1441-1494) 164 Boileau-Despre´ aux, Nicolas (1636 -1711) 273, 280ff., 286, 289, 309, 318, 574f. Bora, Katharina von (1499 -1552) 79 Bostel, Lucas von (1649 -1716) 247f., 250 Bote, Hermann (um 1450 -um 1520) 62 Boxbarter, Abraham (1580 -1625) 137 Boyle, Robert (1627-1691) 104 Bracciolini, Poggio (1380 -1459) 99, 352 Brant, Sebastian (1457/ 58 -1521) 56 - 61, 66, 70f., 77, 87, 96, 99, 361, 363, 365f., 368, 373, 376, 394 Brecht, Bertolt (1898 -1956) 63, 122, 216 Breitinger, Johann Jakob (1701-1776) 272, 299, 306, 316 -320 Breu d. Ä., Jörg (um 1475 -1537) 111 Brockes, Barthold Heinrich (1680 -1747) 299, 301-306, 320, 575 Brosses, Charles de (1709 -1777) 133 Bruni, Leonardo (1369 -1444) 352 Bry, Theodor de (1528 -1598) 114 Bucer, Martin (1491-1551) 79 Buchner, August (1591-1661) 139, 151f., 155, 158, 162, 179f., 197, 199, 474 <?page no="619"?> 001235 Auerx/ Probe / 14.06.19 14: 58 618 Bucholtz, Andreas Heinrich (1607-1671) 208, 210 Bullinger, Heinrich (1504 -1575) 92 Burckhardt, Jacob (1818 -1897) 133 Burke, Edmund (1729 -1797) 318 Burnacini, Lodovico Ottavio (1636 -1707) 243 Busche, Herrmann von dem (1468 -1534) 92 Cajetan, Thomas (1469 -1534) 73 Calvin, Johannes (1509 -1564) 80, 92 Campanella, Tommaso (1568 -1639) 123 Camus, Jean-Pierre (1584 -1652) 204 Canitz, Friedrich Rudolph Ludwig Freiherr von (1654 -1699) 279ff., 283 -286, 305, 563, 566 Carracci, Annibale (1560 -1609) 317 Casali, Battista (1473 -1525) 69 Castiglione, Baldassare (1478 -1529) 203, 226, 277 Cats, Jacob (1577-1660) 114 Catull [Gaius Valerius Catullus] (ca. 84 v. Chr. - 55 v. Chr.) 287, 446, 574 Caussinus, Nicolaus (1583 -1651) 187 Celander [Ps.] siehe Woltereck, Christoph, und Gressel, Johann Georg 230, 283, 292 Celtis, Conrad (1459 -1508) 70, 357f., 360, 394, 439 Cervantes, Miguel de (1547-1616) 103 Cesti, Antonio (1623 -1669) 243 Chrysoloras, Johannes (um 1350 -1415) 352 Cicero [Marcus Tullius Cicero] (106 v. Chr. - 43 v. Chr.) 69, 73, 107, 350 -353, 357, 364, 366, 395, 446, 474, 502, 529 Clajus, Johannes (1535 -1592) 152, 512 Cochleus, Johannes (1479 -1552) 94, 413 Colbert, Jean-Baptiste (1619 -1683) 135 Coler, Christoph (1602 -1658) 284 Corneille, Pierre (1606 -1684) 190, 243, 584 Corneille, Thomas (1625 -1709) 187 Corsi, Pietro (ca. 16. Jhd.) 70 Corvinus, Gottlieb Siegmund [Ps. Amarantes] (1677-1746) 292 Cranach, Lucas (1472 -1553) 80 - 83, 91, 93 Cromwell, Oliver (1599 -1658) 192, 207 Crotus Rubeanus (Rubianus) (d. i. Johannes Jäger) (1480 -1545) 71f., 394f. Czepko, Daniel (1605 -1660) 126 Dach, Simon (1605 -1659) 155f., 456, 477 Dedekind, Constantin Christian (1628 -1715) 155f. Defoe, Daniel (1660 -1731) 275, 289, 305, 321f. Derham, William (1657-1735) 275, 303 Descartes, Rene´ (1596 -1650) 312 Deschamps, Franc¸ ois (1683 -1747) 314 Diderot, Denis (1713 -1784) 274 Dilthey, Wilhelm (1833 -1911) 286 Dolfino, Pietro (ca. 2. Hälfte des 17. Jhd.) 244 001236 Auerx/ Probe / 14.06.19 14: 58 | Personenregister Dornau, Caspar (1577-1632) 146 Dorpius, Martin (1485 -1525) 87 Draghi, Antonio (1635 -1700) 243 Du Bellay, Joachim (1522 -1560) 136, 164 Dubos, Jean-Baptiste (1670 -1742) 281 Dürer, Albrecht (1471-1528) 63f., 89, 196, 317, 372 Eberhard I., Herzog von Württemberg und Teck (1445 -1496) 58 Eck, Johannes (1486 -1543) 91, 94, 396f., 413 Eichendorff, Joseph von (1788 -1857) 242 Ellinger, Johann (1594 - nach 1631) 176 Elmenhorst, Heinrich (1632 -1704) 247 Emser, Hieronymus (1478 -1527) 94, 413 Engerd, Johannes (1546 -1587) 152 Erasistratos (vor 258) 274 Erasmus von Rotterdam [Desiderius Erasmus] (1469 -1536) 63 -70, 72, 77, 82, 87f., 107, 121, 383, 385, 387, 396f. Fabricius, Johann Albert (1668 -1736) 306 Fairfax, Thomas (1612 -1671) 207 Faßmann, David (1685 -1744) 274 Feind, Barthold (1678 -1721) 67, 69, 86, 92, 214, 247, 250, 287, 348 Felsecker, Wolfgang Eberhard (1626 -1680) 214 Feustking, Friedrich Christian (1678 -1739) 293 Feyerabend, Sigmund (1528 -1590) 115 Fichte, Hubert (1935 -1986) 239 Finckelthaus, Gottfried (1614 -1648) 157 Fischart, Johann (1546/ 47-1590) 63, 103, 109, 112, 118f., 121, 127, 434, 435 Fleming, Paul (1609 -1640) 143, 155f., 160, 163, 165ff., 176, 198, 272, 286, 453, 469 - 472 Folz, Hans (um 1440 -1513) 95 Fontenelle, Bernard le Bovier de (1657-1757) 273f. Förtsch, Johann Philipp (1652 -1732) 247 Francisci, Erasmus (1627-1694) 242, 256ff., 361 Franck, Johann Wolfgang (1644 -1710) 247, 428 Francke, August Hermann (1663 -1727) 310 Franckenberg, Abraham von (1593 -1652) 126 Franz I., König von Frankreich (1494 -1547) 136 Freud, Michael (1620 -1692) 168, 176, 277, 475 Frey, Jakob (vor 1520 -1562) 99f. Friedrich I., König von Preußen (1657-1713) 279, 290, 299 Friedrich III., Kaiser Heiliges Römisches Reich (1415 -1493) 352 Friedrich III., Kurfürst von Sachsen (1463 -1525) 67, 79 Friedrich IV. [gen. der Aufrichtige], Kurfürst von der Pfalz (1574 -1610) 135 <?page no="620"?> 001237 Auerx/ Probe / 14.06.19 14: 58 619 Friedrich V. [gen. Winterkönig], Kurfürst von der Pfalz (1596 -1632) 145 Frischlin, Nicodemus (1547-1590) 107, 109 Froben, Johann (1460 -1527) 64f., 67 Galen [Aelius Galenus] (ca. 129 -ca. 199) 103, 110, 122, 183 Galileo Galilei (1564 -1642) 104 Gambara, Veronica (1485 -1550) 166 Garzoni, Tommaso (1549 -1589) 213 Geiler von Kaysersberg, Johannes (1445 -1510) 57f., 60ff., 99 Gellert, Christian Fürchtegott (1715 -1769) 330 Geneste, Sieur de la [Ps.] (1. H. 17. Jhd.) 177 Gerhardt, Paul (1607-1676) 155, 168, 481, 483 Gläser, Enoch (1628 -1668) 155, 436 Gleim, Johann Wilhelm Ludwig (1719 -1803) 321, 332 Goethe, Johann Wolfgang von (1749 -1832) 96, 123, 148, 253, 288, 315, 331 Go´ ngora y Argote, Luis de (1561-1627) 226 Görres, Joseph (1776 -1848) 115 Gottsched, Johann Christoph (1700 -1766) 140, 152, 210, 242, 246, 249, 252, 254, 272, 274, 280, 283, 285, 287f., 299, 302, 308 -320, 332, 581- 584 Gottsched, Luise Adelgunde Victorie (1713 -1762) 271, 311f., 314 Gracia´ n, Baltasar (1601-1658) 167, 227, 233, 277 Grass, Günter (1927-2015) 157 Grätz, Hardwin von [Ortwin Gratius] (1475 -1542) 72 Greflinger, Georg (1620 -1677) 155, 157, 251, 300 Greiffenberg, Catharina Regina von (1633 -1694) 205ff., 486ff. Gressel, Johann Georg [Ps. Celander] (1675 -1771) 283 Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von (1621/ 22 -1676) 134, 141f., 173, 182, 208, 212 -218, 249, 255, 261, 321, 324, 520f., 523 Grüninger, Johannes (um 1455 -1532) 62 Gruter, Janus (1560 -1627) 145, 197 Gryphius, Andreas (1616 -1664) 115, 134, 139, 151, 157, 173, 183 -193, 195, 227, 233ff., 244, 282, 286, 315, 333, 492, 494 - 498, 503ff., 509 Gryphius, Christian (1649 -1706) 184, 232, 562 Guarini, Giovanni Battista (1538 -1612) 110, 228, 232 Guarino da Verona (1374 -1460) 352, 421 Guarna, Andrea (1470 -1517) 203 Guazzo, Stefano (1530 -1593) 203 Guericke, Otto von (1602 -1686) 104 Guevara, Antonio de (1480 -1545) 214 Gundling, Nicolaus Hieronymus (1671-1729) 278 Günther, Johann Christian (1695 -1723) 282f., 286ff., 568, 570, 573 Gutenberg, Johannes (1400 -1468) 82, 360 001238 Auerx/ Probe / 14.06.19 14: 58 Personenregister | Hagedorn, Friedrich von (1708 -1754) 300 Haller, Albrecht von (1708 -1777) 271, 319ff., 584 Hallmann, Johann Christian (1640 -1704) 134, 225, 244 -247, 253, 549 Hammerschmidt, Andreas (1611-1675) 156 Händel, Georg Friedrich (1685 -1759) 246, 247, 301, 305 Happel, Eberhard Werner (1647-1690) 225, 242, 252, 257ff., 261, 275, 300 Harsdörffer, Georg Philipp (1607-1658) 134, 139ff., 156, 162, 173, 179, 196 -199, 202ff., 208, 213, 512 Hartmann, Johann Ludwig (1640 -1680) 176 Harvey, William (1578 -1657) 104, 182, 274 Hasse, Johann Adolph (1699 -1783) 246 Haugwitz, August Adolf von (1645 -1706) 244, 547, 562 Hauptmann, Gerhart (1862 -1946) 63, 540 Haydn, Joseph (1732 -1809) 303 Heermann, Johann (1585 -1647) 168 Heidegger, Gotthard (1666 -1711) 252 Heine, Heinrich (1797-1856) 271 Heinrich II., Kaiser Heiliges Römisches Reich (973 -1024) 61 Heinrich VIII., Tudor, König von England (1491-1547) 63, 195 Heinsius, Daniel (1580 -1655) 114, 149, 165, 501f. Heliodor [Heliodoros] (3. oder 4. Jhd.) 115, 209, 252 Herder, Johann Gottfried von (1744 -1803) 123, 160 Herneisen, Andreas (1538 -1610) 97 Hessus, Eobanus (1488 -1540) 94, 107 Heyden, Conrad (um 1385 -1444) 87 Hieronymus, Kirchenvater (345 - 420) 58, 64, 66, 69, 353 Hiltebrandt, Andreas (1581-1637) 110 Hippokrates (um 460 v. Chr. -um 370 v. Chr.) 183 Hobbes, Thomas (1588 -1679) 135, 271, 276 Hoffmann von Hoffmannswaldau, Christian (1616 -1679) 134, 225, 227-233, 240, 279, 282, 284, 305, 317, 524 - 530, 561 Hohberg, Wolfgang Helmhard Freiherr von (1612 -1688) 205, 251 Hohenheim, Theophrastus Bombastus von [Ps. Paracelsus] (um 1493 -1541) 110, 122, 124ff. Holbein, Hans d. J. (1497-1543) 64, 317 Holtzwart, Mathias (um 1540 - nach 1589) 112, 114 Homburg, Ernst Christoph (1607-1681) 155ff., 163, 165, 452, 456 Homer (ca. 8. Jhd. v. Chr.) 56, 121, 146, 365f., 432, 574 Hoogstraeten, Jakob van (1460 -1527) 72 Horaz [Quintus Horatius Flaccus] (65 v. Chr. - 8 n. Chr.) 147, 183, 217ff., 280, 282, 285, 312, 332, 354, 384, 446, 464, 574, 585 Hoyers, Anna Ovena (1584 -1655) 205, 207f. <?page no="621"?> 001239 Auerx/ Probe / 14.06.19 14: 58 620 Huet, Pierre-Daniel (1630 -1721) 251f., 258, 289, 312 Hugo, Hermann (1586 -1629) 114, 152 Hunold, Christian Friedrich [Ps. Menantes] (1681-1721) 277, 283, 285, 290 -294, 301 Hus, Jan (1369 -1415) 78 Hutten, Ulrich von (1488 -1523) 70 -74, 77, 89f., 92, 387, 389, 391, 394 -398, 400, 402, 439 Jobin, Bernhard (1545 -1593) 119 Jung, Carl Gustav (1875 -1961) 123 Juvenal [Decimus Iunius Iuvenalis] (um 60/ 90 -140) 280, 395 Kaldenbach, Christoph (1613 -1698) 155, 173, 499, 501 Kant, Immanuel (1724 -1804) 271, 318 Karl I. [d. i. Karl der Große], Kaiser Heiliges Römisches Reich (747- 814) 107 Karl I., König von England (1600 -1649) 158, 352 Karl V., Kaiser Heiliges Römisches Reich (1500 -1558) 67, 79, 93 Karl Wilhelm III., Markgraf von Baden-Durlach (1679 -1738) 135 Karlstadt, Andreas Bodenstein von (um 1480 -1541) 91, 92, 93, 396f. Kehlmann, Daniel (* 1975) 63 Keiser, Reinhard (1674 -1739) 250, 293 Keller, Gottfried (1819 -1890) 156, 165 Kirchhof, Hans Wilhelm (1525 -1605) 99f., 417 Kittel, Caspar (1603 -1639) 160 Klaj, Johann (1616 -1656) 140, 155f., 196 -199, 201, 279, 512, 518 Klopstock, Friedrich Gottlieb (1724 -1803) 251, 271, 302, 315f., 319, 331f. Klug, Joseph (um 1490 -1552) 86, 409 Knorr von Rosenroth, Christian (1636 -1689) 225 König, Johann Ulrich (1688 -1744) 279ff., 284f., 305 Kopernikus, Nikolaus (1473 -1543) 104 Kuhlmann, Quirinus (1651-1689) 126 Kurz, Heinrich (1805 -1873) 212 La Calprene`de, Gautier de Costes de (1609 -1663) 209, 225 La Fayette, Marie-Madeleine Pioche de La Vergne de (1634 -1693) 226 Leibniz, Gottfried Wilhelm (1646 -1716) 242, 286, 304, 312, 573, 575 Lemnius, Simon (1511-1550) 118 Leo X., Papst (1475 -1521) 72, 94, 413 Leopold I., Kaiser Heiliges Römisches Reich (1640 -1705) 225, 228, 234f., 241, 251 Lessing, Gotthold Ephraim (1729 -1781) 94, 133, 243, 271, 314, 316, 331f., 583 Lindener, Michael (1520 -1562) 99, 117 001240 Auerx/ Probe / 14.06.19 14: 58 | Personenregister Lingelsheim, Georg Michael (1556 -1636) 145 Lionello d’Este, Markgraf von Ferrara (1407-1450) 353 Lipsius, Justus (1547-1606) 109, 114, 145, 151, 184, 188, 235 Livius [Titus Livius] (59 v. Chr. -um 17 v. Chr.) 148, 346, 348, 352 Locher, Jacob [Philomusus] (1471-1528) 56f., 62, 71, 89, 394 Locke, John (1632 -1704) 271, 275, 303, 311 Logau, Friedrich von (1605 -1655) 139, 165, 282, 454 Lohenstein, Daniel Casper von (1635 -1683) 115, 134, 151, 183, 210, 225, 228, 232 -242, 244f., 249, 253, 282, 284, 302, 314, 317, 319, 531, 534, 536, 540 - 543, 566 237, 238, 239, 240, 241, 242, 244, 245, 249, 253, 282, 284, 302, 314, 317, 319, 531, 534, 536, 540, 541, 542, 543, 566 Longinos (um 212 -272) 318 Lope de Vega, Fe´ lix (1562 -1635) 103, 163, 247 Loredano, Giovanni Francesco (1607-1661) 202 Loschi, Antonio (1365 -1441) 352 Luder, Peter (1415 -1472) 80, 354f. Ludwig I, Fürst von Anhalt-Köthen (1579 -1650) 139, 141, 202, 444 Ludwig XIII., König von Frankreich (1601-1643) 202 Ludwig XIV., König von Frankreich (1638 -1715) 224, 241, 250, 273, 279, 575 Lufft, Hans (1495 -1584) 83 Lukian (von Samosata) (um 120 -nach 180) 65, 116, 218, 274 Lukrez [Titus Lucretius Carus] (94 v. Chr. - 55 v. Chr.) 219, 240 Lund, Zacharias (1608 -1667) 155f. Luther, Martin (1483 -1546) 58, 60, 62, 65 - 68, 70, 74, 76 - 88, 90ff., 94f., 105, 117, 149, 168, 396f., 402f., 406ff., 410 - 414, 416, 449, 474, 495 Lyly, John (ca. 1554 -1606) 226 Machiavelli, Niccolo` (1469 -1527) 61 Macropedius, Georgius (1487-1558) 96 Manley, Mary Delarivier (1663 -1724) 289 Männling, Johann Christoph (1658 -1723) 242 Manuel, Niklaus (ca. 1484 -1530) 97, 352 Manutius, Aldus (1449 -1515) 65, 87 Maria Eleonora von Brandenburg, Königin von Schweden (1599 -1655 207 Marino, Giambattista (1569 -1625) 136, 167, 225ff., 231f., 239f., 279, 281, 286, 301f. Marlowe, Christopher (1564 -1593) 103 Martini, Simone (1284 -1344) 94f., 414 Matsijs, Quinten [Quentin Massys] (1466 -1530) 64 Mattheson, Johann (1681-1764) 305 <?page no="622"?> 001241 Auerx/ Probe / 14.06.19 14: 58 621 Maximilian I., Kaiser Heiliges Römisches Reich (1459 -1519) 59, 78, 94, 360, 394 Medici, Lorenzo de’ (1449 -1492) 121, 226 Meichel, Joachim (1590 -1637) 108, 422 Meier, Georg Friedrich (1718 -1777) 332 Melanchthon, Philipp (1497-1560) 70, 78, 82, 87, 105ff., 405f., 408 Meleaton siehe Rost, Johann Leonhard 277 Menantes siehe Hunold, Christian Friedrich 283 Mendelssohn, Moses (1729 -1786) 271 Mentel, Johann (1410 -1478) 82 Milton, John (1608 -1674) 158, 272, 318f. Minato, Nicolo` (1630 -1698) 243 Mirandola, Giovanni Pico della (1463 -1494) 68 Mitternacht, Johann Sebastian (1613 -1679) 182, 207, 489 Molie`re [d. i. Jean-Baptiste Poquelin] (1622 -1673) 226, 247, 286, 290, 314f., 574f. Möller (auch Moller), Gertrud alias Mornille (1641-1705) 196 Montaigne, Michel Eyquem de (1533 -1592) 103f., 178, 274 Montalva´ n, Juan Pe´ rez de (1602 -1638) 193, 195 Montanus, Martinus (1537-1566) 99f., 418 Montemayor, Jorge de (1520 -1561) 202 Montesquieu, Charles-Louis de Secondat, Baron de la Bre`de et de (1689 -1755) 210 Morhof, Daniel Georg (1639 -1691) 279 Moritz, Landgraf von Hessen (1572 -1632) 137 Morus, Thomas (1478 -1535) 64f., 116, 123, 386f., 428 Moscherosch, Johann Michael (1601-1669) 134, 140, 177f., 197, 208, 213, 218 Moscherosch, Quirinus (1623 -1675) 213 Mühlpfort, Heinrich (1639 -1681) 155, 225, 232, 282 Müller, Anna Rosine (gest. 1697) 290 Muratori, Lodovico Antonio (1672 -1750) 319 Murner, Thomas (1475 -1537) 58ff., 62, 92, 94, 374, 379, 413 Naogeorg, Thomas (1508 -1563) 98 Negri, Niccolo` (um 1600) 204 Nemius, Joannes (1530 -1600) 111 Neuber, Friederike Caroline (1697-1760) 315f., 584 Neukirch, Benjamin (1665 -1729) 225, 227-232, 239, 277, 279ff., 283, 285f., 559, 574 Neumeister, Erdmann (1671-1756) 196, 229, 277 Newton, Isaac (1643 -1727) 275, 303 Nietzsche, Friedrich (1844 -1900) 133 Noris, Matteo (1640 -1714) 247 Olearius, Adam (1599 -1671) 165f. Opitz, Martin (1597-1639) 114, 134f., 139, 142f., 145 -154, 156f., 159 -163, 165f., 168, 173f., 176, 180, 001242 Auerx/ Probe / 14.06.19 14: 58 Personenregister | 182, 185, 188ff., 193, 198f., 202, 204, 208, 212, 226f., 239f., 251, 282f., 286, 299, 309, 311ff., 317, 440f., 445f., 449f., 452, 456, 458 - 463, 474, 517, 522, 566 Ovid [Publius Ovidius Naso] (43 v. Chr. -17 n. Chr.) 70, 166, 187, 228, 287, 347f., 446, 471, 539, 575 Paracelsus siehe Hohenheim, Theophrastus Bombastus von 110 Pauli, Johannes (um 1455 -um 1530) 99 Pellegrini, Matteo (1595 -1652) 227 Perrault, Charles (1628 -1703) 273 Petrarca, Francesco (1304 -1374) 56, 58, 89, 117, 136f., 141, 146, 153, 159, 163, 165, 261, 285, 344f., 352, 361, 363, 441, 451, 535, 575 Petron [Titus Petronius Arbiter] (um 14 - 66) 211 Peutinger, Konrad (1465 -1547) 111 Pfefferkorn, Johannes (1469 -1521) 72, 89, 92 Piccolomini, Enea Silvio [Papst Pius II.] (1392 -1463) 349, 352 Piccolomini, Octavio, Herzog von Amalfi (1599 -1656) 139 Pindar [Pindaros] (517 v. Chr. - 438 v. Chr.) 154 Pirckheimer, Willibald (1470 -1530) 73, 77, 196, 386f. Plato [Platon] (ca. 428 v. Chr. -348 v. Chr.) 353, 356f., 364f., 385, 456, 458, 466 Platter, Thomas (1499 -1582) 60 Plutarch [Lucius Mestrius Plutarchus] (45 -120) 502 Polo, Gaspar Gil (1535 -1591) 202 Pope, Alexander (1610 -1691) 303f., 311 Postel, Christian Heinrich (1658 -1705) 247, 251, 558 Properz [Sextus Aurelius Propertius] (50 -15 v. Chr.) 287 Ptolemäus [Claudius Ptolemäus] (um 100 -nach 160) 122 Pufendorf, Samuel von (1632 -1694) 276 Pyra, Jakob Immanuel (1715 -1744) 319 Quevedo, Francisco de (1580 -1645) 177, 211, 218 Rabelais, Franc¸ ois (1494 -1553) 121, 181 Rabener, Gottlieb Wilhelm (1714 -1771) 286 Racine, Jean (1639 -1699) 286, 574, 584 Rameau, Jean-Philippe (1683 -1764) 133 Ray, John (1627-1705) 303 Razzi, Girolamo (1527-1611) 187 Reiser, Anton (1628 -1686) 246 Reuchlin, Johannes (1455 -1522) 61, 70f., 89f., 92, 96, 105 Reuter, Christian (1655 -um 1711) 290f. Rhenanus, Beatus [Beat Bild] (1485 -1547) 60 Richardson, Samuel (1689 -1761) 305, 330 Richelieu, Armand Jean du Plessis de, franz. Kardinal (1585 -1642) 135, 141, 202 <?page no="623"?> 001243 Auerx/ Probe / 14.06.19 14: 58 622 Richey, Michael (1678 -1761) 299, 306 Riemer, Johannes (1648 -1714) 250, 292 Rinckart, Martin (1586 -1649) 94 Rist, Johann (1607-1667) 140, 151f., 156, 160, 163, 165, 173, 175, 479, 480 Roberthin, Robert (1600 -1648) 156 Rollenhagen, Georg (1542 -1609) 103, 118, 127, 430 Rompler, Jesaias von Löwenhalt (1605 -1647) 140, 153, 174, 177, 197 Ronsard, Pierre de (1525 -1585) 136, 146, 147, 160, 163f., 447, 449, 456f. Rosenthal, Dorothea Eleonore von (vor 1600 -um1649) 180 Rost, Johann Leonhard [Ps. Meleaton] (1688 -1727) 277, 292 Rotth, Albrecht Christian (1651-1701) 252 Rubens, Peter Paul (1577-1640) 317 Saavedra Fajardo, Diego de (1584 -1648) 233, 241 Sachs, Hans (1494 -1576) 63, 94 -98, 279, 413f., 416 Sandrart, Joachim von (1606 -1688) 200 Sandrart, Johann Jacob von (1655 -1698) 240 Scaliger, Julius Cäsar (1484 -1558) 147f., 190, 461 Scharffenberg, Friedrich Wilhelm (18. Jhd.) 277 Schauenburg, Graf Claus von (1589 -1655) 213 Schauenburg, Graf Hans Reinhard von (vmtl. 1581-1642) 213 Schäufelin, Hans (um 1480 -um 1540) 111 Scheffler, Johannes [Angelus Silesius] (1624 -1677) 168f., 480f. Schein, Johann Hermann (1586 -1630) 161, 165, 439 Schickhardt, Heinrich (1558 -1635) 124 Schirmer, David (1623 -1686) 155, 160, 165, 455, 457f. Schlegel, August Wilhelm (1767-1845) 315 Schlegel, Johann Elias (1719 -1749) 315, 333 Schnabel, Johann Gottfried (1692 -1750) 157, 283, 300, 321-324, 585 Schneider, Michael (1612 -1639) 180 Schönborner, Georg von (1579 -1637) 184 Schottel, Justus Georg (1612 -1676) 179, 204 Schütz, Heinrich (1585 -1672) 150, 204, 275 Schwarz, Sibylla (Sibylle) (1621-1638) 156, 162, 165, 180, 453f., 468 Schwenckfeld, Kaspar von Ossig (1490 -1561) 207 Schwenter, Daniel (1585 -1636) 187 Scude´ ry, Madeleine de (1607-1701) 180, 209f., 225ff., 234, 278, 292 Sebastiani, Johann (1622 -1683) 196 Seneca [Lucius Annaeus Seneca] (4 v. Chr. - 65 n. Chr.) 150, 189f., 232, 352f., 462f., 500, 502, 504 Shaftesbury, Anthony Ashley Cooper, Third Earl of (1671-1713) 303, 307 Shakespeare, William (1564 -1616) 103, 159, 164, 187, 226, 315f., 333 001244 Auerx/ Probe / 14.06.19 14: 58 | Personenregister Sidney, Philipp (1554 -1586) 149f., 182, 198, 212, 522 Simon, Joseph (1593 -1671) 189 Sinold von Schütz, Philipp Balthasar (1657-1742) 275 Sokrates (380 - 440) 274, 353, 357, 385 Sophokles (496 v. Chr. - 406 v. Chr.) 108, 150, 189ff., 501f., 504 Sorel, Charles (1602 -1674) 213, 255 Spalatin, Georg (1484 -1545) 65, 85, 361 Spee, Friedrich von (1591-1635) 168 Spengler, Lazarus (1497-1534) 94 Spinoza, Baruch de (1632 -1677) 271 Staden, Sigmund Theophil (1607-1655) 204 Steele, Richard (1672 -1729) 305 Steiner, Rudolf (1861-1925) 123 Steinhöwel, Heinrich (1412 -1482) 88 Stimmer, Tobias (1539 -1584) 113f., 119 Stöckel, Christian Gottlob (1722 -1774) 282 Stockfleth, Heinrich Arnold (1643 -1708) 196, 208 Stockfleth, Maria Catharina (1634 -1692) 196 Stubenberg, Johann Wilhelm von (1619 -1663) 205, 210 Sturm, Johann (1507-1589) 106, 417 Stuß, Johann Heinrich (1686 -1775) 303, 305 Swift, Jonathan (1667-1745) 273, 305 Tacitus [Publius Cornelius Tacitus] (55 -120) 73, 173, 278, 360, 541 Talander siehe Bohse, August 283 Tasso, Torquato (1544 -1595) 109f., 136ff., 141, 146, 157, 180, 225, 247, 251, 318, 464 Tesauro, Emanuele (1592 -1675) 227 Tetzel, Johann Jakob (1595 -1646) 78, 199 Tetzel, Johann (um 1465 -1519) 78, 199 Teutleben, Kaspar von (1576 -1629) 139 Theile, Johann (1646 -1724) 246 Theokrit (ca. 315 v. Chr. -ca. 250 v. Chr.) 196, 476 Thomasius, Christian (1655 -1728) 273, 277f., 289, 301, 307, 310 Thomson, James (1700 -1748) 303 Thran, Christian (1701-1778) 135 Thüring von Ringoltingen (1415 -1483) 116 Tieck, Ludwig (1773 -1853) 239, 321 Titz, Johann Peter (1619 -1689) 155, 161 Tizian [Tiziano Vecellio] (1488 -1576) 88f. Trakl, Georg (1887-1914) 288 Traut, Wolf (um 1486 -1520) 89 Tscherning, Andreas (1611-1659) 152ff., 156, 282, 458 Uz, Johann Peter (1720 -1796) 321 Valeriano, Giovanni Piero (1477-1558) 112 Valerius Maximus (ca. Ende 1. Jhd. v. Chr. -1. H. 1. Jhd.) 354 Valla, Lorenzo (1405 -1457) 86f. <?page no="624"?> 001245 Auerx/ Probe / 14.06.19 14: 58 623 Vergil [Publius Vergilius Maro] (70 v. Chr. -19. v. Chr.) 58, 150, 152, 196, 211, 251, 287, 317, 348, 353, 366, 382, 438, 476, 529, 561 Vesalius, Andreas (1515 -1564) 104 Vischer, Ludwig Friedrich (1677-1743) 305 Vondel, Joost van den (1587-1679) 187 Wagner, Richard (1813 -1883) 94, 240 Waldis, Burkhard (um 1490 -1556) 88 Waldung, Wolfgang (1555 -1621) 108 Weckherlin, Georg Rodolf (1584 -1653) 151f., 158f., 173f., 176, 441f. Wedel, Benjamin (1673 -1735) 285, 293 Weichmann, Christian Friedrich (1698 -1770) 299 Weiditz, Hans (1495 -1536) 73 Weise, Christian (1642 -1708) 249f., 292, 553, 556 Wernicke, Christian (1661-1725) 279, 293 Westhon, Hildegond von 180 Wichgreve, Albert (1575 -1619) 108 Wickram, Jörg (um 1505 -vor 1562) 99f., 115, 417 Wieland, Christoph Martin (1733 -1813) 331, 333 001246 Auerx/ Probe / 14.06.19 14: 58 Personenregister | Wilhelm III. von Oranien, König von England (1650 -1702) 275 Wimpfeling, Jakob (1450 -1528) 59ff., 71, 383, 394 Winther, Jurga Valentin (1578 -1623) 110 Wolff, Christian (1679 -1754) 310, 312f., 317, 575 Woltereck, Christoph [Ps. Celander] (1686 -1735) 283 Wyatt, Thomas (1503 -1542) 164 Wyclif, John (um 1330 -1384) 78 Wyle, Niklas von (1410 -1479) 349, 352 Young, Edward (1683 -1765) 303 Zedler, Johann Heinrich (1706 -1751) 143, 274 Zesen, Philipp von (1619 -1689) 134, 139f., 151, 157, 160, 173, 179f., 198, 208, 210, 234, 258, 472ff., Zigler und Kliphausen, Heinrich Anselm von (1663 -1696) 210, 225, 253f., 257, 292 Zincgref, Julius Wilhelm (1591-1635) 114, 145, 152, 173, 197 Zwingli, Huldrych (1484 -1531) 80, 92 <?page no="625"?> 000012 Auerx/ Probe / 19.06.19 13: 41 <?page no="626"?> Achim Aurnhammer Nicolas Detering Deutsche Literatur der Frühen Neuzeit Deutsche Literatur der Frühen Neuzeit Aurnhammer | Detering Das Studienbuch führt in die deutsche Literaturgeschichte der Frühen Neuzeit ein und bietet einen chronologischen Überblick über die Großepochen Renaissance, Barock und Frühaufklärung. Unter umfassender Berücksichtigung der Tendenzen der neueren Forschung stellt der Band maßgebliche Autoren und Werke sowie historische Hintergründe vor und richtet sich damit vornehmlich an fortgeschrittene Studierende und Doktoranden. Weiter ausgreifende Passagen zu den sozial- und ideengeschichtlichen Voraussetzungen wechseln sich mit exemplarischen Einzelinterpretationen ab. Neben dem europäischen Kontext der deutschen Literaturgeschichte, die hier erstmals in ihrer longue durée (1450-1750) und im Verhältnis zu ihren Nachbarliteraturen konturiert wird, verfolgt die Einführung systematisch den Wandel der Autorschaftskonzepte. Dem illustrierten Darstellungsteil folgt ein Anhang mit repräsentativen Texten der Frühen Neuzeit. Damit liegt ein Studienbuch vor, das diese Epoche der Literaturgeschichte forschungsgestützt und analytisch neu perspektiviert vorstellt. Literaturwissenschaft ,! 7ID8C5-cfacej! ISBN 978-3-8252-5024-9 Dies ist ein utb-Band aus dem Narr Francke Attempto Verlag. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehrbücher und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen. utb-shop.de QR-Code für mehr Infos und Bewertungen zu diesem Titel 50249 Aurnhammer_Lgeb-5024.indd 1 24.06.19 09: 30