Recht im Gesundheitswesen
für Juristen und Nichtjuristen
0114
2019
978-3-8385-5082-4
978-3-8252-5082-9
UTB
Sandra Hobusch
Die Regeldichte im Gesundheitswesen ist hoch. Schließlich geht es um den Schutz der Bevölkerung. Diese gesetzlichen Vorgaben zu kennen, ist für die Akteure im Gesundheitswesen unumgänglich.
Das Buch führt in die Querschnittmaterie ein und skizziert die Einsatzfelder - etwa in Krankenhäusern, Pflegeheimen oder pharmazeutischen Unternehmen.
Berücksichtigt werden auch der rechtliche Rahmen der Kranken- und Pflegekassen sowie der privaten Versicherungsunternehmen.
Das Buch richtet sich an Studierende des Gesundheitsmanagements, der Gesundheits- und Pflegewissenschaften sowie der Medizin.
<?page no="0"?> Sandra Hobusch Recht im Gesundheitswesen für Juristen und Nichtjuristen Recht im Gesundheitswesen Hobusch Die Regeldichte im Gesundheitswesen ist hoch. Schließlich geht es um den Schutz der Bevölkerung. Diese gesetzlichen Vorgaben zu kennen, ist für die Akteure unumgänglich. Sandra Hobusch führt in die Querschnittsmaterie ein und skizziert die Einsatzfelder etwa in Krankenhäusern, Pflegeheimen oder pharmazeutischen Unternehmen. Sie berücksichtigt die rechtlichen Rahmenbedingungen der im Gesundheitswesen tätigen Anbieter von Dienstleistungen und Waren sowie der Kostenträger. Auch auf den Öffentlichen Gesundheitsdienst geht sie im Detail ein. Zahlreiche Abbildungen und Beispiele illustrieren den Stoff. Ein Glossar hilft dabei, Fachbegriffe zu verstehen. Das Buch richtet sich an Juristen, Mediziner, Gesundheits-, Pflege- und Wirtschaftswissenschaftler in Studium und Praxis. Recht | Medizin Gesundheits- und Pflegewissenschaften ,! 7ID8C5-cfaicj! ISBN 978-3-8252-5082-9 Dies ist ein utb-Band aus dem UVK Verlag. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehrbücher und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen. utb-shop.de QR-Code für mehr Infos und Bewertungen zu diesem Titel Mit Aufgaben und Lösungen 50829 Hobusch_Lgeb-5082.indd 1 18.12.18 11: 16 <?page no="1"?> Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Wilhelm Fink · Paderborn A. Francke Verlag · Tübingen Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Ernst Reinhardt Verlag · München Ferdinand Schöningh · Paderborn Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlag · München Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen Waxmann · Münster · New York wbv Publikation · Bielefeld utb 5082 <?page no="3"?> Sandra Hobusch Recht im Gesundheitswesen für Juristen und Nichtjuristen UVK Verlag • München <?page no="4"?> Prof. Dr. Sandra Hobusch lehrt im Studiengang »Management im Gesundheitswesen« an der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften (Standort Wolfsburg). Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www.utb-shop.de. Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.ddb.de> abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © UVK Verlag 2019 - ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH & Co. KG Lektorat: Rainer Berger, München Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Einbandmotiv: © mbortolino, iStock Druck und Bindung: CPI - Clausen & Bosse, Leck UVK Verlag Nymphenburger Str. 48 80335 München Telefon: 089/ 452174-66 www.uvk.de Narr Francke Attempto Verlag GmbH & Co. KG Dischingerweg 5 72070 Tübingen Telefon: 07071/ 9797-0 www.narr.de UTB-Nr. 5082 ISBN 978-3-8 385 -5082- 4 Zusatzmaterialien online Sie können Zusatzmaterialien zum Buch auf Titelebene unter www.utb-shop.de (Reiter »Zusatzmaterial«) herunterladen! <?page no="5"?> Vorwort Das vorliegende Werk richtet sich an Studierende der nicht juristischen Bachelor- oder Masterstudiengänge, die eine berufliche Tätigkeit im Gesundheitswesen anstreben, und an Jurastudenten, die sich in ihrem Schwerpunktbereich mit dem Recht im Gesundheitswesen beschäftigen möchten. Für Personen, die bereits beruflich im Gesundheitswesen tätig sind, ist es gleichfalls geeignet, sich die rechtlichen Rahmenbedingungen zu erschließen. Seinen Ursprung hat das Werk bereits in meiner Anfangszeit als Professorin. Auf der Suche nach passenden Lehrbüchern für die Studierenden der Studiengänge Krankenversicherungsmanagement, Management im Gesundheitswesen und Augenoptik wurde ich nicht fündig. Somit mussten sich „meine“ Studierenden mit einer langen Liste von Lehr- und Handbüchern, Gesetzeskommentaren und Zeitschriftenaufsätzen begnügen, von denen sie regelmäßig nur einen Bruchteil benötigten. In dieser Zeit reifte in mir der Gedanke, dass ich selbst ein Buch zum Recht im Gesundheitswesen schreiben müsste. Das war im Jahre 2001! Nach vielen Jahren, in denen es bei dem „Ich-müsste-Vorsatz“ geblieben war, erhielt ich eine Verlagsanfrage, die mir endlich den nötigen Ansporn gab, meinen Vorsatz in die Tat umzusetzen. Für diesen Ansporn und die gute Zusammenarbeit möchte ich dem Verlag danken. Zwischenzeitlich sind bereits einige Lehrbücher zum Medizin- und Gesundheitsrecht sowie zu Teilbereichen, wie beispielsweise Pflege- und Pharmarecht, erschienen. Gleichwohl ist, wenn man die Fülle der vorhandenen Lehrbücher zu den traditionellen Rechtsgebieten, wie beispielsweise zum Bürgerlichen Recht, als Vergleichsmaßstab anlegt, keine Marktsättigung zu verzeichnen. Die Struktur des vorliegenden Werkes orientiert sich an den Berufsfeldern der verschiedenen Akteure des Gesundheitswesens, Krankenhäuser, Pflegeheime, Pharmaunternehmen, Krankenkassen usw. Es führt die Regelungen der verschiedenen Rechtsgebiete, die für den jeweiligen Akteur relevant sind, zusammen. All diese Regelungen werden im Kontext und aus der Perspektive des Akteurs erörtert. Dieses Vorgehen beruht auf der didaktischen Idee, den Leser mit dem spezifischen Rechtsrahmen der Tätigkeit in einem bestimmten Arbeitsumfeld (z. B. in der Krankenhausverwaltung) vertraut zu machen. Wolfsburg, Dezember 2018 Sandra Hobusch <?page no="7"?> Inhalt Vorwort ........................................................................................................................................ 5 Abkürzungsverzeichnis ........................................................................................................ 15 1 Einführung ........................................................................................................... 23 Akteure, Leistungen und Finanzierung 1.1 des deutschen Gesundheitswesens ................................................................ 23 Recht im Gesundheitswesen als juristische Querschnittsmaterie........... 31 1.2 Lern- und Studienhinweise................................................................................. 35 1.3 2 Rechtliche Rahmenbedingungen für die im Gesundheitswesen tätigen Anbieter von Dienstleistungen und Waren ...................................................................... 38 Niedergelassene Ärzte, Zahnärzte, Psychologische 2.1 Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten und Heilpraktiker .................................................................................................. 38 2.1.1 Heilkundliches Berufsrecht ............................................................................... 39 2.1.1.1 Allgemeines ........................................................................................................... 39 2.1.1.2 Ärzte, Zahnärzte, Psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten...................................... 40 2.1.1.3 Heilpraktiker ......................................................................................................... 46 2.1.2 Vertrags(zahn-)ärztliche Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung .......................................................... 47 2.1.2.1 Die ärztliche und zahnärztliche Versorgung als Versichertenanspruch................................................................................... 47 2.1.2.2 Bedarfsplanung ..................................................................................................... 48 2.1.2.3 Zulassung und Ermächtigung als Zugangsvoraussetzung ........................ 52 2.1.2.4 Rechte und Pflichten der zugelassenen und ermächtigten Leistungserbringer............................................................................................... 56 2.1.2.5 Beendigung der vertragsärztlichen Tätigkeit ............................................... 59 2.1.3 Anforderungen aus weiteren gesundheitsrechtlichen Vorschriften....... 61 2.1.4 Behandlungsvertrag mit dem Patienten......................................................... 62 ❋ Wichtige Schlagwörter ....................................................................................................... 64 ✎ Wiederholungsaufgaben.................................................................................................... 64 Krankenhäuser ...................................................................................................... 66 2.2 2.2.1 Einführung ............................................................................................................. 66 2.2.2 Notwendigkeit einer Gewerbeerlaubnis bei gewerbsmäßiger Tätigkeit .......................................................................... 68 <?page no="8"?> 8 Inhalt 2.2.3 Leistungserbringung im System der gesetzlichen Krankenversicherung .......................................................... 72 2.2.3.1 Krankenhausbegriff ............................................................................................. 72 2.2.3.2 Zulassung eines Krankenhauses zur Behandlung gesetzlich Versicherter........................................................................................ 73 2.2.3.3 Investitionsförderung zugelassener Krankenhäuser................................... 77 2.2.3.4 Arten und Umfang der Krankenhausbehandlung ....................................... 79 2.2.3.5 Inhalt der voll- und teilstationäre Krankenhausleistungen ...................... 80 2.2.3.6 Vergütung der allgemeinen teil- und vollstationären Krankenhausleistungen durch Pflegesätze ...................... 82 2.2.3.7 Ambulante Krankenhausleistungen und ihre Vergütung ......................... 91 2.2.3.8 Qualitätsmanagement und Qualitätssicherung ............................................ 95 2.2.4 Betrieb und Anwendung von Medizinprodukten ........................................ 97 2.2.5 Pflichten des Krankenhauses und seiner Mitarbeiter aus weiteren gesundheitsrechtlichen Vorschriften ................................... 101 2.2.6 Rechtsverhältnis zwischen Krankenhausträger und Patient .................. 102 2.2.6.1 Allgemeines ......................................................................................................... 102 2.2.6.2 Pflichten des Krankenhausträgers ................................................................. 103 2.2.6.3 Pflichten des Patienten ..................................................................................... 105 2.2.7 Arzthaftungsrecht .............................................................................................. 108 ❋ Wichtige Schlagwörter ..................................................................................................... 115 ✎ Wiederholungsaufgaben.................................................................................................. 115 Heilmittelerbringer ............................................................................................. 118 2.3 2.3.1 Berufsrecht und die Bedeutung des Heilpraktikergesetzes..................... 118 2.3.2 Leistungserbringung im System der gesetzlichen Krankenversicherung........................................................................................ 121 2.3.2.1 Heilmittelanspruch des Versicherten............................................................ 121 2.3.2.2 Zulassung des Heilmittelerbringers zur Versorgung gesetzlich Versicherter .............................................................. 122 2.3.2.3 Anforderungen an die Leistungserbringung............................................... 124 2.3.3 Rechtsverhältnis zum Patienten ..................................................................... 128 ❋ Wichtige Schlagwörter ..................................................................................................... 131 ✎ Wiederholungsaufgaben.................................................................................................. 131 Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen, Rehabilitationsdienste 2.4 und Erbringer ambulanter medizinischer Vorsorgeleistungen ............... 132 2.4.1 Der Versichertenanspruch auf medizinische Vorsorge und medizinische Rehabilitation in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung .................................................................................. 132 2.4.1.1 Begriffsverständnis ............................................................................................ 132 <?page no="9"?> Inhalt 9 2.4.1.2 Leistungen der medizinischen Vorsorge in der gesetzlichen Krankenversicherung ................................................... 133 2.4.1.3 Leistungen der medizinischen Rehabilitation in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung................................ 134 2.4.2 Rechtsstellung einer Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtung........... 139 2.4.2.1 Notwendigkeit einer Gewerbeerlaubnis ...................................................... 139 2.4.2.2 Die Leistungserbringung als Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtung in der gesetzlichen Krankenversicherung........................................................................................ 140 2.4.2.3 Die Leistungserbringung als Rehabilitationseinrichtung in der gesetzlichen Rentenversicherung ...................................................... 145 2.4.2.4 Anforderungen an das Qualitätsmanagement und die Qualitätssicherung in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung........................................................................................... 149 2.4.3 Rechtsstellung eines Rehabilitationsdienstes.............................................. 151 2.4.3.1 Begriff des Rehabilitationsdienstes................................................................ 151 2.4.3.2 Versorgungsberechtigung und Vergütung in der gesetzlichen Krankenversicherung ................................................... 152 2.4.3.3 Versorgungsberechtigung und Vergütung in der gesetzlichen Rentenversicherung ...................................................... 154 2.4.3.4 Leistungserbringung in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung ............................................................... 154 2.4.4 Erbringer von ambulanten medizinischen Vorsorgeleistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung ................................................... 156 2.4.5 Behandlungsvertrag mit dem Patienten....................................................... 157 ❋ Wichtige Schlagwörter ..................................................................................................... 159 ✎ Wiederholungsaufgaben.................................................................................................. 159 (Pflege-)Heime .................................................................................................... 160 2.5 2.5.1 Heimrecht............................................................................................................. 160 2.5.1.1 Einführung ........................................................................................................... 160 2.5.1.2 Heimbegriff und Anwendungsbereich des NuWG.................................... 162 2.5.1.3 Anforderungen an ein Heim ........................................................................... 163 2.5.1.4 Mitwirkung der Bewohner .............................................................................. 166 2.5.1.5 Zuständige Aufsichtsbehörde und deren Befugnisse ............................... 167 2.5.2 Leistungserbringung im System der sozialen Pflegeversicherung und gesetzlichen Krankenversicherung .................. 170 2.5.2.1 Einführung und Begriff des Pflegeheims ..................................................... 170 2.5.2.2 Inhalt der teil- und vollstationären Leistungen einer Pflegeeinrichtung .................................................................................... 171 2.5.2.3 Zulassung zur Versorgung gesetzlich Versicherter .................................. 173 2.5.2.4 Heimentgelte und Pflegesatzvereinbarung.................................................. 176 <?page no="10"?> 10 Inhalt 2.5.2.5 Qualitätsmanagement und Qualitätssicherung .......................................... 180 2.5.3 Öffentliche Investitionsförderung ................................................................. 183 2.5.4 Leistungserbringung im System der Sozialhilfe......................................... 185 2.5.5 Heimvertrag zwischen (Pflege-)Heim und Bewohner.............................. 189 ❋ Wichtige Schlagwörter ..................................................................................................... 192 ✎ Wiederholungsaufgaben.................................................................................................. 192 Pflegedienste ....................................................................................................... 194 2.6 2.6.1 Einführung ........................................................................................................... 194 2.6.2 Berufsrecht und Gewerberecht....................................................................... 194 2.6.3 Leistungserbringung im System der sozialen Pflegeversicherung und gesetzlichen Krankenversicherung ....................................................... 196 2.6.3.1 Begriff des Pflegedienstes ................................................................................ 196 2.6.3.2 Inhalt der pflegerischen Versorgung nach dem SGB XI .......................... 197 2.6.3.3 Inhalt der häuslichen Krankenpflege nach dem SGB V ........................... 198 2.6.3.4 Zulassung des Pflegedienstes zur Versorgung gesetzlich Versicherter...................................................................................... 199 2.6.3.5 Pflegesatz und Pflegesatzvereinbarung nach dem SGB XI ...................... 200 2.6.3.6 Vergütung der häuslichen Krankenpflege nach § 37 SGB V .................. 202 2.6.3.7 Qualitätsmanagement und Qualitätssicherung .......................................... 203 2.6.4 Öffentliche Investitionsförderung ................................................................. 204 2.6.5 Leistungen des Pflegedienstes im System der Sozialhilfe........................ 205 2.6.6 Rechtsverhältnis zum Pflegebedürftigen ..................................................... 205 ❋ Wichtige Schlagwörter ..................................................................................................... 207 ✎ Wiederholungsaufgaben.................................................................................................. 207 Gesundheitshandwerker................................................................................... 208 2.7 2.7.1 Einführung ........................................................................................................... 208 2.7.2 Bedeutung des Gewerbe- und Handwerksrechts....................................... 208 2.7.2.1 Eintragung in die Handwerksrolle als Zugangsvoraussetzung.............. 208 2.7.2.2 Ausübung des Handwerks ............................................................................... 212 2.7.2.3 Ende der handwerklichen Tätigkeit .............................................................. 213 2.7.3 Bedeutung des Heilpraktikergesetzes ........................................................... 215 2.7.4 Bedeutung des Medizinprodukterechts ........................................................ 215 2.7.4.1 Herstellung und Inverkehrbringen von Medizinprodukten.................... 215 2.7.4.2 Betreiben und Anwenden von Medizinprodukten .................................... 218 2.7.5 Leistungserbringung im System der gesetzlichen Krankenversicherung........................................................................................ 218 2.7.5.1 Anspruch des Versicherten auf Hilfsmittel ................................................. 218 2.7.5.2 Zulassung des Gesundheitshandwerkers zur Versorgung der gesetzlich Versicherten ............................................................................. 222 <?page no="11"?> Inhalt 11 2.7.5.3 Anforderungen an die Herstellung, Abgabe und Anpassung der Hilfsmittel durch die Gesundheitshandwerker .... 223 2.7.5.4 Vergütung der abgegebenen Hilfsmittel ...................................................... 224 2.7.6 Rechtsverhältnis zum Kunden ........................................................................ 225 ❋ Wichtige Schlagwörter ..................................................................................................... 226 ✎ Wiederholungsaufgaben.................................................................................................. 226 Industrielle Hersteller von Medizinprodukten ............................................. 228 2.8 2.8.1 Einführung ........................................................................................................... 228 2.8.2 Begriff und Einteilung der Medizinprodukte .............................................. 229 2.8.3 Klinische Bewertung von Medizinprodukten ............................................. 232 2.8.4 Leistungsbewertung von In-vitro-Diagnostika .......................................... 234 2.8.5 Konformitätsbewertungsverfahren und CE-Kennzeichnung ................. 235 2.8.6 Inverkehrbringen von Medizinprodukten ................................................... 237 2.8.7 Vertriebswege für Medizinprodukte ............................................................. 239 2.8.8 Risikobeobachtungs- und -meldesystem...................................................... 241 2.8.9 Staatliche Aufsicht über den Medizinproduktehersteller ........................ 243 2.8.10 Haftung der Hersteller von Medizinprodukten.......................................... 244 2.8.11 Anspruch der Versicherten auf Medizinprodukte im System der gesetzlichen Krankenversicherung.................................... 245 2.8.12 Anspruch der Versicherten auf Medizinprodukte im System der sozialen Pflegeversicherung ................................................ 249 ❋ Wichtige Schlagwörter ..................................................................................................... 251 ✎ Wiederholungsaufgaben.................................................................................................. 251 Unternehmen der pharmazeutischen Industrie.......................................... 252 2.9 2.9.1 Einführung ........................................................................................................... 252 2.9.2 Begriff des Humanarzneimittels..................................................................... 253 2.9.3 Klinische Prüfung von Arzneimitteln ........................................................... 256 2.9.4 Inverkehrbringen eines Arzneimittels .......................................................... 262 2.9.5 Nationale Zulassung eines Fertigarzneimittels .......................................... 263 2.9.6 Europäisches zentralisiertes Verfahren zur Zulassung eines Arzneimittels ................................................................ 270 2.9.7 Das europäisches Verfahren der gegenseitigen Anerkennung und das dezentralisierte Zulassungsverfahren ........................................... 272 2.9.8 Zulassungsüberschreitender Einsatz von Arzneimitteln ......................... 274 2.9.9 Herstellung von Arzneimitteln....................................................................... 275 2.9.10 Import von Arzneimitteln ................................................................................ 278 2.9.11 Arzneimittelpreise ............................................................................................. 281 2.9.12 Pharmakovigilanz............................................................................................... 282 2.9.13 Arzneimittelhaftung .......................................................................................... 287 <?page no="12"?> 12 Inhalt 2.9.14 Bedeutung des Heilmittelwerbegesetzes...................................................... 290 2.9.15 Arzneimittelversorgung der gesetzlich Versicherten und die Rechtsposition des pharmazeutischen Unternehmers in der gesetzlichen Krankenversicherung ................................................... 292 2.9.15.1 Von der Versorgung erfasste zugelassene Arzneimittel .......................... 292 2.9.15.2 Zulassungsüberschreitender Einsatz von Arzneimitteln ......................... 294 2.9.15.3 Regulierung der Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelversorgung ......... 295 ❋ Wichtige Schlagwörter ..................................................................................................... 299 ✎ Wiederholungsaufgaben.................................................................................................. 300 Arzneimittelgroßhandel .................................................................................... 302 2.10 2.10.1 Großhandelserlaubnis ....................................................................................... 302 2.10.2 Tätigkeit als Arzneimittelgroßhändler ......................................................... 304 ❋ Wichtige Schlagwörter ..................................................................................................... 306 ✎ Wiederholungsaufgaben.................................................................................................. 306 2.11 Apotheken und Arzneimitteleinzelhandel .................................................... 307 2.11.1 Betrieb einer öffentlichen Apotheke ............................................................. 307 2.11.2 Versandhandel .................................................................................................... 311 2.11.3 Verkauf von Arzneimitteln im Einzelhandelsgeschäft, das keine Apotheke ist...................................................................................... 311 2.11.4 Rechtsposition des Apothekers in der gesetzlichen Krankenversicherung ................................................... 312 2.1 1. 5 Rechtsverhä lt ni s zum Kunden .... ... .. .... ... .. .... ... .. .... ... .. .... ... .. .... ... .. .... ... .. .... ... .. 31 5 ❋ Wichtige Schlagwörter ..................................................................................................... 317 ✎ Wiederholungsaufgaben.................................................................................................. 317 3 Rechtliche Rahmenbedingungen für die Kostenträger................ 319 Kranken- und Pflegekassen ............................................................................. 319 3.1 3.1.1 Kranken- und Pflegekasse im Spannungsverhältnis zwischen Selbstverwaltung und Staatsaufsicht.......................................... 319 3.1.2 Verbände der Kranken- und Pflegekassen................................................... 323 3.1.3 Errichtung und Organisationsveränderungen der Kranken- und Pflegekassen...................................................................... 325 3.1.4 Mitglieder und Versicherte der Krankenkasse ........................................... 331 3.1.5 Mitglieder und Versicherte der Pflegekasse ................................................ 333 3.1.6 Finanzierung und Verwendung der Mittel einer Krankenkasse ............ 334 3.1.7 Finanzierung und Verwendung der Mittel einer Pflegekasse................. 339 3.1.8 Nach außen gerichtete öffentlich-rechtliche Handlungsformen der Kranken- und Pflegekasse ..................................... 341 3.1.9 Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung ........................... 343 3.1.10 Leistungserbringungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung..... 348 <?page no="13"?> Inhalt 13 3.1.11 Leistungsrecht der sozialen Pflegeversicherung ........................................ 348 3.1.12 Leistungserbringungsrecht der sozialen Pflegeversicherung ................. 352 3.1.13 Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung und Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen ............................................................................................ 352 ❋ Wichtige Schlagwörter ..................................................................................................... 354 ✎ Wiederholungsaufgaben.................................................................................................. 354 Private Krankenversicherungsunternehmen............................................... 356 3.2 3.2.1 Einführung ........................................................................................................... 356 3.2.2 Zulässige Rechtsformen der Krankenversicherungsunternehmen ....... 358 3.2.3 Aufnahme des Geschäftsbetriebes durch ein Krankenversicherungsunternehmen.......................................... 359 3.2.4 Zustandekommen eines Versicherungsvertrages ...................................... 360 3.2.4.1 Vertragsfreiheit und Kontrahierungszwang ............................................... 360 3.2.4.2 Vorvertragliche Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers .................. 362 3.2.4.3 Vorvertragliche Informationspflicht des Versicherers ............................. 367 3.2.4.4 Abschluss des Versicherungsvertrages ........................................................ 368 3.2.4.5 Versicherungsbedingungen und Tarifbestimmungen als Vertragsbestandteil...................................................................................... 369 3.2.4.6 Bedeutung des Versicherungsscheins........................................................... 371 3.2.5 Versicherungsfall und Leistungsbegrenzungen ......................................... 371 3.2.6 Pflichten und Obliegenheiten der Vertragsparteien ................................. 374 3.2.6.1 Pflichten des Versicherers................................................................................ 374 3.2.6.2 Pflichten und Obliegenheiten des Versicherungsnehmers...................... 376 3.2.7 Änderung des Versicherungsvertrages ........................................................ 379 3.2.8 Beendigung des Versicherungsvertrages ..................................................... 382 3.2.8.1 Beendigung des Vertrages durch den Versicherer .................................... 382 3.2.8.2 Beendigung des Vertrages durch den Versicherungsnehmer................. 384 3.2.8.3 Automatische Beendigung des Vertrages .................................................... 385 3.2.9 Rechts- und Finanzaufsicht während des Geschäftsbetriebes des Krankenversicherers .................................................................................. 386 3.2.9.1 Einführung ........................................................................................................... 386 3.2.9.2 Geschäftsorganisation....................................................................................... 387 3.2.9.3 Prämienkalkulation und Risikoausgleich..................................................... 389 3.2.9.4 Anforderungen an die Kapitalanlagen.......................................................... 392 3.2.9.5 Solvabilität ........................................................................................................... 392 3.2.9.6 Regelmäßige aufsichtliche Berichterstattung ............................................. 399 3.2.9.7 Sicherungsfonds ................................................................................................. 400 3.2.9.8 Befugnisse der Aufsichtsbehörde................................................................... 400 <?page no="14"?> 14 Inhalt 3.2.10 Widerruf der Erlaubnis zum Geschäftsbetriebes des Krankenversicherers .................................................................................. 402 ❋ Wichtige Schlagwörter ..................................................................................................... 403 ✎ Wiederholungsaufgaben.................................................................................................. 403 4 Öffentlicher Gesundheitsdienst .............................................................. 405 Öffentlicher Gesundheitsdienst als zentraler 4.1 Teil des öffentlichen Gesundheitswesens .................................................... 405 Gesetzgebungskompetenz für den öffentlichen Gesundheitsdienst .... 406 4.2 Struktur des öffentlichen Gesundheitsdienstes ......................................... 407 4.3 Aufgaben des öffentlichen Gesundheitsdienstes....................................... 409 4.4 4.4.1 Überblick über die Aufgaben .......................................................................... 409 4.4.2 Wahrnehmung der Aufgaben am Beispiel des Infektionsschutzes ....... 414 ❋ Wichtige Schlagwörter ..................................................................................................... 420 ✎ Wiederholungsaufgaben.................................................................................................. 420 Glossar ..................................................................................................................................... 421 Literaturverzeichnis............................................................................................................. 443 Index......................................................................................................................................... 447 <?page no="15"?> Abkürzungsverzeichnis a. A. ǀ andere Ansicht a. a. O. ǀ am angegebenen Ort Abb. ǀ Abbildung AbGrV ǀ Abgrenzungsverordnung ABl. ǀ Amtsblatt (der EU) Abs. ǀ Absatz Ärzte-ZV ǀ Zulassungsverordnung für Vertragsärzte AEUV ǀ Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union AG ǀ Amtsgericht, Aktiengesellschaft AGG ǀ Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz AIDS ǀ Acquired Immune Deficiency Syndrome AktG ǀ Aktiengesetz ALG ǀ Arbeitslosengeld AltPflG ǀ Altenpflegegesetz AMD ǀ altersbedingte Makuladegeneration AMG ǀ Arzneimittelgesetz AM-HandelsV ǀ Arzneimittelhandelsverordnung AMPreisV ǀ Arzneimittelpreisverordnung AMRabG ǀ Gesetz über Rabatte für Arzneimittel AM-RL ǀ Arzneimittel-Richtlinie AMSachKV ǀ Verordnung über den Nachweis der Sachkenntnis im Einzelhandel mit freiverkäuflichen Arzneimitteln AMVerkRV ǀ Verordnung über apothekenpflichtige und freiverkäufliche Arzneimittel AMVV ǀ Arzneimittelverschreibungsverordnung Anm. ǀ Anmerkung AO ǀ Abgabenordnung AOK ǀ Allgemeine Ortskrankenkasse AOP-Vertrag ǀ Vertrag Ambulantes Operieren und sonstige stationsersetzende Eingriffe im Krankenhaus ApBetrO ǀ Apothekenbetriebsordnung ApoG ǀ Apothekengesetz ART ǀ Kommission Antiinfektiva, Resistenz und Therapie Art. ǀ Artikel AT ǀ Allgemeiner Teil AT BGB ǀ BGB 1. Buch Allgemeiner Teil A & R ǀ Arzneimittel und Recht (Zeitschrift) AVB/ BT ǀ Allgemeine Versicherungsbedingungen für den Basistarif AVB/ NLT ǀ Allgemeine Versicherungsbedingungen für den Notlagentarif BA ǀ Bundesagentur für Arbeit BÄO ǀ Bundesärzteordnung BaFin ǀ Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht <?page no="16"?> 16 Abkürzungsverzeichnis BAG ǀ Bundesarbeitsgericht BAnz ǀ Bundesanzeiger BApO ǀ Bundes-Apothekerordnung BAR ǀ Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation e. V. BayVBl. ǀ Bayerische Verwaltungsblätter (Zeitschrift) BayVGH ǀ Bayerischer Verwaltungsgerichtshof BBK ǀ Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe Bd. ǀ Band BeckRS ǀ Beck´sche Rechtsprechungssammlung Bek. ǀ Bekanntmachung Beschl. ǀ Beschluss Beschl-E ǀ Beschlussempfehlung BfArM ǀ Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte BfR ǀ Bundesinstitut für Risikobewertung BfS ǀ Bundesamt für Strahlenschutz BGB ǀ Bürgerliches Gesetzbuch BGBl. I, III ǀ Bundesgesetzblatt Teil I, Teil III BGH ǀ Bundesgerichtshof BGHZ ǀ Entscheidungssammlung des BGH in Zivilsachen BKK ǀ Betriebskrankenkasse, Die Betriebskrankenkasse (Zeitschrift) BLE ǀ Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung BMG ǀ Bundesministerium für Gesundheit BMGS ǀ Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung BMFSFJ ǀ Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend BMV-Ä ǀ Bundesmantelvertrag-Ärzte BMV-Z ǀ Bundesmantelvertrag- Zahnärzte BPflV ǀ Bundespflegesatzverordnung BRat-Drucks. ǀ Drucksachen des Bundesrates BRD ǀ Bundesrepublik Deutschland Breith ǀ Breithaupt Sammlungen von Entscheidungen aus dem Sozialrecht BReg ǀ Bundesregierung BSG ǀ Bundessozialgericht BSGE ǀ Entscheidungssammlung des Bundessozialgerichts BTag-Drucks. ǀ Drucksachen des Bundestages Buchst. ǀ Buchstabe BVerfG ǀ Bundesverfassungsgericht BVerwG ǀ Bundesverwaltungsgericht BVerwGE ǀ Entscheidungssammlung des Bundesverwaltungsgerichts BVA ǀ Bundesversicherungsamt BVL ǀ Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit BZgA ǀ Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung CE ǀ Communauté Européenne CHMP ǀ Ausschuss für Humanarzneimittel (Committee for Human Medicinal Products) <?page no="17"?> Abkürzungsverzeichnis 17 CMS ǀ betroffener Mitgliedstaat (concerned member state) CP ǀ Zentralisiertes Verfahren (Centralised Procedure) CT ǀ Computertomographie DAV ǀ Deutscher Apothekerverband e. V. DCP ǀ Dezentralisiertes Verfahren (Decentralised Procedure) DESTATIS ǀ Statistisches Bundesamt DiätAssG ǀ Diätassistentengesetz DIMDI ǀ Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information DIP ǀ Dokumentations- und Informationssystem DKG ǀ Deutsche Krankenhausgesellschaft DÖV ǀ Die Öffentliche Verwaltung (Zeitschrift) DRG ǀ Diagnosis Related Groups DRK ǀ Deutsches Rotes Kreuz e. V. DRV ǀ Deutsche Rentenversicherung DRVKnBS ǀ Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See EBM ǀ Einheitlicher Bewertungsmaßstab EG ǀ Europäische Gemeinschaften EGVVG ǀ Einführungsgesetz zum Versicherungsvertragsgesetz e. K. ǀ eingetragener Kaufmann EK ǀ Ersatzkasse EMA ǀ Europäische Arzneimittelagentur (European Medicines Agency) Erg.-lfg. ǀ Ergänzungslieferung ErgthG ǀ Ergotherapeutengesetz EU ǀ Europäische Union EuGH ǀ Europäischer Gerichtshof EuZW ǀ Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht EWG ǀ Europäische Wirtschaftsgemeinschaft EWR ǀ Europäischer Wirtschaftsraum Fn . ǀ Fußnote Frakt-E ǀ Fraktionsentwurf (eines Gesetzes) G ǀ Gesetz GBA ǀ Gemeinsamer Bundesausschuss GbR ǀ Gesellschaft bürgerlichen Rechts GG ǀ Grundgesetz GmbH ǀ Gesellschaft mit beschränkter Haftung GmbHG ǀ Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GenDG ǀ Gendiagnostikgesetz GewArch ǀ Gewerbearchiv (Zeitschrift) GewO ǀ Gewerbeordnung GKV-FQWG ǀ Gesetz zur Weiterentwicklung der Finanzstruktur und der Qualität in der gesetzlichen Krankenversicherung GKV-Spitzenverband ǀ Spitzenverband Bund der Krankenkassen Gliedergs-Nr. ǀ Gliederungsnummer <?page no="18"?> 18 Abkürzungsverzeichnis GOÄ ǀ Gebührenordnung für Ärzte GOP ǀ Gebührenordnung für Psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten GOZ ǀ Gebührenordnung für Zahnärzte GRUR ǀ Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (Zeitschrift) GVBl. ǀ Gesetz- und Verordnungsblatt GVOBl. ǀ Gesetz- und Verordnungsblatt HeilM-RL ǀ Heilmittel-Richtlinie HeilprG ǀ Heilpraktikergesetz HeilprGDV ǀ Durchführungsverordnung zum Heilpraktikergesetz HeimG ǀ Heimgesetz HeimMindBauV ǀ Heimmindestbauverordnung HeimmwV ǀ Heimmitwirkungsverordnung HeimPersV ǀ Heimpersonalverordnung HeimsicherungsV ǀ Verordnung über die Pflichten der Träger von Altenheimen, Altenwohnheimen und Pflegeheimen für Volljährige im Falle der Entgegennahme von Leistungen zum Zweck der Unterbringung eines Bewohners oder Bewerbers HGB ǀ Handelsgesetzbuch HilfsM-RL ǀ Hilfsmittel-Richtlinie HIV ǀ Humanes Immundefizienz- Virus HKP-RL ǀ Häusliche Krankenpflege- Richtlinie Hrsg. ǀ Herausgeber Hs. ǀ Halbsatz HWG ǀ Heilmittelwerbegesetz HwO ǀ Handwerksordnung ICD-10-GM ǀ Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision, German Modification i. d. F. d. Bek. ǀ in der Fassung der Bekanntmachung IfSG ǀ Infektionsschutzgesetz IKK ǀ Innungskrankenkasse InEK ǀ Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus InsO ǀ Insolvenzordnung i. S. d. ǀ im Sinne des/ der i. V. m. ǀ in Verbindung mit juris ǀ juris Das Rechtsportal KBV ǀ Kassenärztliche Bundesvereinigung KG ǀ Kammergericht (Berlin) KHEntgG ǀ Krankenhausentgeltgesetz KHG ǀ Krankenhausfinanzierungsgesetz KLVG ǀ Zweites Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte KRINKO ǀ Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention KrPflG ǀ Krankenpflegegesetz <?page no="19"?> Abkürzungsverzeichnis 19 KVHilfsmV ǀ Verordnung über Hilfsmittel von geringem Nutzen oder geringem Abgabepreis in der gesetzlichen Krankenversicherung KZBV ǀ Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung LG ǀ Landgericht LogopG ǀ Gesetz über den Beruf des Logopäden LSG ǀ Landessozialgericht m. H. a. ǀ mit Hinweis auf m. w. N. ǀ mit weiteren Nachweisen MBO ǀ Musterberufsordnung MB/ KK ǀ Musterbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung MB/ KT ǀ Musterbedingungen für die Krankentagegeldversicherung MB/ PPV ǀ Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Private Pflegepflichtversicherung MDK ǀ Medizinischer Dienst der Krankenversicherung MDS ǀ Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen MedR ǀ Medizinrecht (Zeitschrift) MPAV ǀ Medizinprodukte- Abgabeverordnung MPBetreibV ǀ Medizinprodukte- Betreiberverordnung MPG ǀ Medizinproduktegesetz MPhG ǀ Gesetz über die Berufe der Physiotherapie MPKPV ǀ Verordnung über klinische Prüfungen von Medizinprodukten MPSV ǀ Medizinprodukte- Sicherheitsplanverordnung MPV ǀ Medizinprodukte-Verordnung MRP ǀ Verfahren der gegenseitigen Anerkennung (Mutual Recognition Procedure) MRSA ǀ Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus MRT ǀ Magnetresonanztomographie MVZ ǀ Medizinisches Versorgungszentrum Nds . ǀ Niedersächsisch Nds. GVBl. ǀ Niedersächsisches Gesetze- und Verordnungsblatt Nds. KHG ǀ Niedersächsisches Krankenhausgesetz Nr. ǀ Nummer NuWG ǀ Niedersächsisches Gesetz über unterstützende Wohnformen NJOZ ǀ Neue Juristische Online- Zeitschrift NJW ǀ Neue Juristische Wochenschrift NJW-RR ǀ NJW-Rechtsprechungs- Report (Zeitschrift) NVwZ ǀ Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NZS ǀ Neue Zeitschrift für Sozialrecht NuWG ǀ Niedersächsisches Gesetz über unterstützende Wohnformen OHG ǀ Offene Handelsgesellschaft OPS-301 ǀ Operationen- und Prozedurenschlüssel nach § 301 SGB V OLG ǀ Oberlandesgericht <?page no="20"?> 20 Abkürzungsverzeichnis OVG ǀ Oberverwaltungsgericht PartG ǀ Partnerschaftsgesellschaft PatG ǀ Patentgesetz PEI ǀ Paul-Ehrlich-Institut PflBG ǀ Pflegeberufegesetz PflR ǀ Pflegerecht (Zeitschrift) PharmR ǀ Pharmarecht (Zeitschrift) PKV ǀ Verband der Privaten Krankenversicherung e.V. PodG ǀ Podologengesetz PsychThG ǀ Psychotherapeutengesetz Qb-R ǀ Regelungen zum Qualitätsbericht der Krankenhäuser Qesü-RL ǀ Richtlinie zur einrichtungs- und sektorenübergreifenden Qualitätssicherung QM-RL ǀ Qualitätsmanagement- Richtlinie QSKH-Richtlinie ǀ Richtlinie über Maßnahmen der Qualitätssicherung in Krankenhäusern RegE ǀ Regierungsentwurf (eines Gesetzes) RKI ǀ Robert Koch-Institut RL ǀ Richtlinie/ n RMS ǀ Referenzmitgliedstaat (reference member state) Rn. ǀ Randnummer/ n r+s ǀ Recht und Schaden (Zeitschrift) RVO ǀ Rechtsverordnung S. ǀ Satz, Seite SG ǀ Sozialgericht, Soldatengesetz SGB ǀ Sozialgesetzbuch (mit römischen Zahlen für die einzelnen Bücher) SPZ ǀ Sozialpsychiatrisches Zentrum StGB ǀ Strafgesetzbuch STIKO ǀ Ständige Impfkommission beim RKI SVLFG ǀ Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau Tab. ǀ Tabelle UBA ǀ Umweltbundesamt UWG ǀ Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb Urt. ǀ Urteil v. ǀ vom VAG ǀ Versicherungsaufsichtsgesetz veröff. bereinigte F. ǀ veröffentlichte bereinigte Fassung VersR ǀ Versicherungsrecht (Zeitschrift) VG ǀ Verwaltungsgericht VGH ǀ Verwaltungsgerichtshof VO ǀ (Rechts)Verordnung VVaG ǀ Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit VVG ǀ Versicherungsvertragsgesetz VVG-InfoV ǀ VVG- Informationspflichtenverordnung WBVG ǀ Gesetz zur Regelung von Verträgen über Wohnraum mit Pflege- und Betreuungsleistungen <?page no="21"?> Abkürzungsverzeichnis 21 Zahnärzte-ZV ǀ Zulassungsverordnung für Vertragszahnärzte z. g. d. ǀ zuletzt geändert durch z. g. a. ǀ zuletzt geändert am ZHG ǀ Gesetz über die Ausübung der Zahnheilkunde ZHR ǀ Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht ZuStVO-Wirtschaft ǀ Niedersächsische Verordnung über Zuständigkeiten auf dem Gebiet des Wirtschaftsrechts sowie in anderen Rechtsgebieten <?page no="23"?> 1 Einführung Akteure, Leistungen und Finanzierung des deutschen Ge- 1.1 sundheitswesens Das Gesundheitswesen ist der gesellschaftliche Bereich, der der Gesunderhaltung sowie der kurativen, medizinisch-rehabilitativen und pflegerischen Versorgung der Bevölkerung dient. Das deutsche Gesundheitswesen ist sehr komplex und heterogen. Es lässt sich am ehesten erfassen, wenn es anhand der beteiligten Akteure, der angebotenen Leistungen sowie der Finanzierung der gesundheitlichen Versorgung betrachtet wird. Erstens lässt sich das Gesundheitswesen durch die beteiligten Akteure strukturieren. Zu den Beteiligten gehören zum einen die Anbieter der Dienstleistungen und Waren. Das sind z. B. die niedergelassenen Ärzte und Krankenhäuser, Pflegedienste und Pflegeheime, pharmazeutischen Unternehmen und Apotheken (siehe Abschnitt 2). Die Anbieter befinden sich in unterschiedlicher Trägerschaft. Insoweit werden die öffentlichen, freigemeinnützigen und privaten Träger unterschieden. Als öffentliche Träger gelten juristische Personen des öffentlichen Rechts. Zu ihnen gehören die Bundesrepublik, die Bundesländer und Gemeinden sowie die Sozialversicherungsträger, die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind. Die Bundesrepublik ist Träger der Bundeswehrkrankenhäuser, die Länder sind Träger von Universitätskliniken und psychiatrischen Landeskrankenhäusern, die Gemeinden von kommunalen Krankenhäusern. Ferner betreiben z. B. die Rentenversicherungsträger Rehabilitationskliniken. Die freigemeinnützigen Dienste und Einrichtungen befinden sich in der Trägerschaft der kirchlichen Wohlfahrtspflege (z. B. Caritas, Diakonie), der freien Wohlfahrtspflege (z. B. Arbeiterwohlfahrt, DRK) oder gehören gemeinnützigen Stiftungen und Vereinen. Zur dritten Gruppe der privaten Träger zählen die berufs- oder gewerbsmäßig tätigen Einzelpersonen (z. B. niedergelassener Arzt), Personengesellschaften (z. B. Augenoptiker in der Rechtsform der OHG) und juristische Personen des Privatrechts (z. B. Krankenhaus in der Rechtsform einer AG). Soweit die Anbieter von Waren und Dienstleistungen die Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung und sozialen Pflegeversicherung versorgen, werden sie auch als Leistungserbringer bezeichnet. Sie schließen sich regelmäßig in Verbänden auf Landesund/ oder Bundesebene zusammen, die die beruflichen Interessen der Anbieter fördern und gegenüber anderen Akteuren vertreten. So sind beispielsweise die Krankenhäuser in Landeskrankenhausgesellschaften organisiert, die ihrerseits Mitglieder der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) sind. Zum anderen sind die Kostenträger, wie z. B. die Kranken- und Pflegekassen, Beteiligte des Gesundheitswesens (siehe Abschnitt 3). Sie finanzieren sich über Beiträge der Mitglieder und Arbeitgeber und organisieren die Gesundheitsversorgung der Mitglieder und (Familien-)Versicherten. Die Kostenträger sind ebenfalls in Verbänden organisiert. Beispielsweise sind alle Kranken- und Pflegekassen Mit- <?page no="24"?> 24 Recht im Gesundheitswesen glied des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband), der in der Pflegeversicherung als Spitzenverband Bund der Pflegekassen auftritt. In der gesetzlichen Krankenversicherung bilden vier Spitzenorganisationen - die KBV, KZBV, DKG und der GKV-Spitzenverband - den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA). Dieser ist ein gemeinsames Selbstverwaltungsgremium mit umfassender Richtlinienkompetenz (zur Besetzung und Beschlussfassung vgl. § 91 SGB V 1 ). Der GBA beschließt gem. § 92 SGB V Richtlinien über die Gewährung für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der gesetzlich Versicherten, z. B. die Arzneimittel-Richtlinie, Qualitätsmanagement-Richtlinie, Zahnersatz-Richtlinie. Er wird bei seiner Arbeit von zwei fachlich unabhängigen, wissenschaftlichen Instituten unterstützt, dem Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (vgl. § 137a SGB V) und dem Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (vgl. § 139a SGB V). Ferner prägen die Europäische Union, der Bund und die Bundesländer das Gesundheitswesen mit ihrer Rechtssetzung. Die Tätigkeit der Europäischen Union ist gem. Art. 168 AEUV 2 u. a. auf die Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung, die Verhütung von Humankrankheiten, die Beseitigung von Ursachen für die Gefährdung der Gesundheit, Bekämpfung schwerwiegender grenzüberschreitender Gesundheitsgefahren gerichtet. In diesem Sinne hat die Europäische Union beispielsweise Qualitäts- und Sicherheitsstandards für Arzneimittel geregelt, vgl. dazu Abschnitte 2.9.3, 2.9.6 und 2.9.7). Für die Organisation des Gesundheitswesens, die medizinische Versorgung der Bevölkerung und die Sozialversicherungssysteme ist die Europäische Union dagegen nicht zuständig. Diese Bereiche bleiben kraft ausdrücklicher Regelung in Art. 168 Abs. 7 AEUV in der Verantwortung der Mitgliedstaaten. In der Bundesrepublik Deutschland gehört das Gesundheitswesen in vielerlei Hinsicht zur konkurrierenden Gesetzgebung. Das gilt z. B. für die Sozialversicherung, die Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen und zum Heilgewerbe sowie für das Recht des Apothekenwesens, der Arzneien, der Medizinprodukte, der Heilmittel, der Betäubungsmittel und Gifte (vgl. Art. 74 Abs. 1 Nr. 12, 19 GG 3 ). Konkurrierende Gesetzgebung bedeutet gem. Art. 72 GG, dass die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung haben, solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit nicht durch Gesetz Gebrauch gemacht hat. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) v. 20.12.1988, BGBl. I S. 2477, z. g. d. G. v. 17.8.2017, BGBl. I S. 3214. 2 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union v.9.5.2008, ABl. C 115 S. 47, z. g. d. Beschl. v. 11.7.2012, ABl. L 204 S. 131. 3 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland v. 23.5.1949, i. d. i. BGBl. III, Gliedergs-Nr. 100-1 veröff. bereinigte F., z. g. d. G. v. 13.7.2017, BGBl. I S. 2347. <?page no="25"?> Einführung 25 Abb. 1: Akteure des Gesundheitswesens Europäische Union, Bund, Bundesländer Gemeinsamer Bundesausschuss s t a a t l i c h e A u f s i c h t Spitzenverband und Verbände auf Landesebene Bundes- und Landesverbände der Leistungserbringer Ärzte, Krankenhäuser, Pflegeheime und andere Leistungserbringer s t a a t l i c h e A u f s i c h t Kranken- und Pflegekassen Sozialhilfeträger Verträge Mitgliedschaft Mitgliedschaft Verträge Verträge subsidiäre Leistungsgewährung Regulierung Regulierung Regulierung Verträge Anbieter von Waren und Dienstleistungen außerhalb der GKV und SPV Patient/ Heimbewohner/ Versicherter privates Versicherungsunternehmen <?page no="26"?> 26 Recht im Gesundheitswesen Der Bund und die Länder wirken nicht nur legislatorisch, sondern auch exekutiv im Gesundheitswesen mit. Ihre Verwaltungsbehörden nehmen insbesondere die staatliche Aufsicht über die Einrichtungen, Unternehmen und Sozialversicherungsträger wahr (vgl. z. B. Abschnitte 2.9.5, 3.1.1 und 3.2.9). Bestimmte Aufgaben nehmen - je nach landesrechtlicher Ausgestaltung - die Landkreise, kreisfreien Städte, Gemeinden als untere Verwaltungsbehörden im übertragenden Wirkungskreis wahr. So ist beispielsweise das Gesundheitsamt ein wichtiger Akteur des öffentlichen Gesundheitsdienstes (vgl. Abschnitt 4). Die Gesamtheit der staatlichen Stellen des Bundes und der Bundesländer, der Gemeinden und Sozialversicherungsträger, die Aufgaben der gesundheitlichen Versorgung der Bevölkerung wahrnehmen, wird auch als öffentliches Gesundheitswesen bezeichnet. Innerhalb des öffentlichen Gesundheitswesens spielt der öffentliche Gesundheitsdienst, dem bevölkerungsmedizinische Aufgaben zugewiesen sind, eine zentrale Rolle; vgl. dazu Abschnitt 4. Zweitens lässt sich das Gesundheitswesen anhand der angebotenen Leistungen verschiedenartig unterteilen. Die Leistungen können im Sinne des betriebswirtschaftlichen Begriffs der Güter in Dienstleistungen sowie Waren unterschieden werden. Abb. 2: Unterscheidung der Gesundheitsleistungen in Dienstleistungen und Waren Leistungen Dienstleistungen, wie z. B. ärztliche Behandlung nichtärztliche Behandlung, wie z. B. Physiotherapie Krankenhausbehandlung pflegerische Versorgung Waren, wie z. B. Arzneimittel Medizinprodukte <?page no="27"?> Einführung 27 Ferner lassen sich die Leistungen danach differenzieren, mit welchem Ziel sie der gesundheitlichen Versorgung dienen. Diese Differenzierung führt zu einer Einteilung des Gesundheitswesens in verschiedene Versorgungsbereiche, nämlich (Primär-)Prävention, Kuration, Rehabilitation und Pflege. Wenn von Prävention gesprochen wird, ist häufig die Primärprävention gemeint. Sie umfasst die Leistungen, die auf die Verhinderung und Verminderung von Krankheitsrisiken sowie auf die Förderung eines gesundheitsorientierten Handelns gerichtet sind. Die kurativen Leistungen zielen auf die (Früh-)Erkennung und Behandlung von Krankheiten, insbesondere Heilung, Schmerzlinderung und Verzögerung des Krankheitsverlaufs, ab. Diese Ziele werden auch mit den Leistungen der Rehabilitation verfolgt. Die Rehabilitationsmaßnahmen sind aber zugleich darauf gerichtet, die Folgen der Krankheit, die die Teilhabe des Betroffenen an der Gesellschaft einschränkt, zu beseitigen oder zu minimieren. Die pflegerischen Leistungen zielen darauf ab, Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten des Pflegebedürftigen zu beseitigen oder zu mindern und eine Verschlimmerung der Pflegebedürftigkeit zu verhindern. Abb. 3: Unterscheidung der Versorgungsbereiche Innerhalb dieser Versorgungsbereiche werden die (Dienst-)Leistungen in verschiedenen Versorgungsformen - ambulant, teilstationär und vollstationär - erbracht. Eine ambulante Versorgung ist zeitlich begrenzt. Der Kontakt zwischen dem Leistungsempfänger (z. B. Patient) und dem Leistungserbringer (z. B. Arzt) besteht nur in der Zeit, in dem die Leistung (z. B. Behandlung) erbracht wird. Dagegen bedeutet eine teilstationäre oder vollstationäre Versorgung, dass der Empfänger (z. B. Patient) in das betriebliche Organisationsgefüge des Leistungserbringers (z. B. Krankenhaus) integriert wird, und zwar entweder Tag und Nacht (= vollstationär) oder nur tagsüber oder nur nachts, aber wiederkehrend (= teilstationär). Weiterführende Erläuterungen zur Abgrenzung der ambulanten, teil- und vollstationären Krankenhausbehandlung finden Sie im Abschnitt 2.2.3.4. (Primär-) Prävention Pflege Kuration (medizinische) Rehabilitation <?page no="28"?> 28 Recht im Gesundheitswesen Abb. 4: Unterscheidung der Versorgungsformen Wenn es um die rechtlichen Rahmenbedingungen der Leistungserbringer in den einzelnen Versorgungsbereichen und -formen geht, zeigt sich die Heterogenität des deutschen Gesundheitswesens besonders deutlich. So erbringen beispielsweise die meisten Pflegedienste sowohl die häusliche Krankenpflege als auch die häusliche Pflegehilfe. Während Letztere den Regeln der Pflegeversicherung unterliegt, wird die häusliche Krankenpflege als kurative Leistung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht. In beiden Bereichen unterliegen sie sehr unterschiedlichen Regelungen, vgl. dazu Abschnitt 2.6. Selbst innerhalb eines Versorgungsbereichs sind sehr differenzierte Regeln anzutreffen, wie es z. B. bei der stationären und ambulanten Krankenhausbehandlung zu beobachten ist (vgl. im Einzelnen Abschnitte 2.2.3.5 bis 2.2.3.7). Drittens ist die Finanzierung der gesundheitlichen Versorgung im deutschen Gesundheitswesen differenziert. ambulante Versorgung Beispiele: ■ Behandlung eines Patienten durch einen niedergelassenen Arzt ■ Physiotherapie ■ ambulante Operation im Krankenhaus ■ ambulante Rehabilitationsmaßnahme ■ Versorgung eines Pflegebedürftigen im häuslichen Bereich durch den Pflegedienst teilstationäre Versorgung Beispiele: ■ Behandlung im Krankenhaus (z. B. in der psychiatrischen Abteilung eines Krankenhauses) ■ Versorgung eines Pflegebedürftigen in einer Tagespflegeeinrichtung vollstationäre Versorgung Beispiele: ■ Behandlung eines Patienten im Krankenhaus ■ stationäre Rehabilitationsmaßnahme ■ Versorgung eines Pflegebedürftigen im Pflegeheim <?page no="29"?> Einführung 29 Abb. 5: Finanzierung der gesundheitlichen Versorgung Die Sozialversicherung dient der sozialen Sicherung gegen Krankheit, Arbeitsunfall, Berufskrankheit, Minderung der Erwerbsfähigkeit, Mutterschaft und Alter. Sie ist Ausdruck der in Art. 20 Abs. 1 GG verankerten Staatszielbestimmung, dass die Bundesrepublik ein Sozialstaat ist, und hat die nachfolgenden charakteristischen Merkmale: Die Sozialversicherung ist staatlich organsiert. Die Aufgaben werden von Versicherungsträgern wahrgenommen, die rechtsfähige Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung sind (vgl. Näheres zu den Kranken- und Pflegekassen Abschnitt 3.1.2). Die Sozialversicherung dient vor allem der sozialen Sicherung der gegen Arbeitsentgelt beschäftigen Arbeitnehmer. Sie beruht im Grundsatz auf einer Pflichtmitgliedschaft der Versicherten (vgl. zur Kranken- und Pflegeversicherung Abschnitt 3.1.4 und 3.1.5). Sie beruht auf dem Solidarprinzip. Die Mitglieder der Solidargemeinschaft gewähren sich bei Eintritt des geschützten Risikos gegenseitig Unterstützung. Die finanziellen Mittel werden hauptsächlich durch die Beiträge der Versicherten und der Arbeitgeber aufgebracht (vgl. zur Kranken- und Pflegeversicherung Abschnitte 3.1.6 und 3.1.7). Da die Höhe der Beiträge nicht vom Alter und Gesundheitszustand, sondern vom Einkommen des Einzelnen abhängt, erfolgt ei- Finanzierungsarten steuerfinanzierte staatliche Gesundheitsfürsorge beitragsfinanzierte Versicherung gesundheitliche Versorgung durch eigene Mittel des Betroffenen Sozialversicherung, z. B. Kranken- und Pflegeversicherung Private Kranken- und Pflegeversicherung Beispiele: ■ Beihilfe für Beamte ■ Heilfürsorge für Polizeibeamte, Justizvollzugsbeamte, Feuerwehrleute, Soldaten ■ Sozialhilfe für Bedürftige Beispiele: ■ Zuzahlungen im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung ■ eigenfinanzierte (zusätzliche) Leistungen <?page no="30"?> 30 Recht im Gesundheitswesen ne Umverteilung innerhalb der Solidargemeinschaft, und zwar von Gesunden zu Kranken, von Älteren zu Jüngeren und von höher zu weniger Verdienenden. Die Sozialversicherung gliedert sich in die gesetzliche Kranken-, Renten- und Unfallversicherung, soziale Pflegeversicherung und Arbeitsförderung (inkl. Arbeitslosenversicherung). Letztere wird nach § 1 Abs. 1 SGB IV 4 nicht als Versicherungszweig der Sozialversicherung angesehen. Das Sozialgesetzbuch verwendet folglich einen engeren Sozialversicherungsbegriff. Gleichwohl finden verschiedene Vorschriften des SGB IV, das die allgemeinen Bestimmungen für die Sozialversicherung enthält, auf die Arbeitsförderung ebenfalls Anwendung (vgl. § 1 Abs. 1 SGB IV). Von allen Sozialversicherungszweigen sind die Kranken- und Pflegeversicherung von zentraler Bedeutung für das Gesundheitswesen. Ihr sachlicher Schutzbereich sind die Krankheit und Pflegebedürftigkeit (siehe Näheres dazu in den Abschnitten 3.1.10 und 3.1.11). In den anderen Sozialversicherungszweigen ist unter bestimmten Voraussetzungen ebenfalls eine gesundheitliche Versorgung der Versicherten bei Eintritt bestimmter Risiken vorgesehen. Für die Risiken Berufskrankheit und Arbeitsunfall sind die Unfallversicherungsträger zuständig. Zu den Aufgaben der Unfallversicherungsträger gehört es u. a. die Gesundheit und die Leistungsfähigkeit der Versicherten nach Eintritt von Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten mit allen geeigneten Mitteln wiederherzustellen (vgl. § 1 SGB VII 5 ). Dementsprechend gewähren die Unfallversicherungsträger Leistungen zur Heilbehandlung und Rehabilitation (vgl. §§ 26 ff. SGB VII). Für die Risiken der Minderung der Erwerbsfähigkeit und Alter sind die Rentenversicherungsträger zuständig, zu deren Leistungen u. a. Prävention und medizinische Rehabilitation gehören, um Krankheiten und Behinderungen zu begegnen und die Erwerbsfähigkeit zu erhalten (vgl. §§ 9 ff. SGB VI 6 ). Neben der Sozialversicherung besteht der Bereich der privaten Kranken- und Pflegeversicherung (siehe Abschnitt 3.2). Die private Kranken- und Pflegeversicherung bietet für den Einzelnen ebenfalls die Möglichkeit, sich für den Fall der Krankheit und Pflegebedürftigkeit abzusichern. Sie ist wie die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung beitragsfinanziert. Sie unterscheidet sich von der gesetzlichen Versicherung vor allem durch folgende charakteristischen Merkmale: Die Versicherung wird von privaten Unternehmen (Aktiengesellschaften, Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit) angeboten, die der staatlichen Aufsicht unterliegen (Näheres in den Abschnitten 3.2.3 und 3.2.9). Die Versicherung beruht nicht auf einer gesetzlich vorgegebenen Pflichtmitgliedschaft, sondern auf dem Abschluss eines Vertrages. Allerdings besteht für die Personen mit Wohnsitz im Inland ein Kontrahierungszwang zum Abschluss eines Kranken- und Pflegeversicherungsvertrages, wenn sie keine andere Absi- 4 Sozialgesetzbuch (SGB) Viertes Buch (IV) v. 3.12.1976, BGBl. I S. 3845, z. g. d. G. v. 18.7.2017, BGBl. I S. 2757. 5 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch v. 7.8.1996, BGBl. I S. 1254, z. g. d. G. v. 17.7.2017, BGBl. I S. 2575. 6 Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) v. 18.12.1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337, z. g. d. G. v. 17.7.2017, BGBl. I S. 2575. <?page no="31"?> Einführung 31 cherung (z. B. in der gesetzlichen Versicherung) haben (Näheres im Abschnitt 3.2.4). Die Kalkulation der Beiträge erfolgt nach dem Äquivalenzprinzip, nach dem die Summe der Beitragseinnahmen eines Tarifkollektivs äquivalent zu der Summe der für das Kollektiv anfallenden Versicherungsleistungen sein muss. Daraus folgt, dass die Höhe der Beiträge für den Einzelnen nicht von der Höhe des Einkommens, sondern von seinem Alter und Gesundheitszustand abhängig ist (Näheres im Abschnitt 3.2.9.3). Die private Versicherung ist vom Kostenerstattungsprinzip geprägt. Der Versicherte beschafft sich die Leistungen der Gesundheitsversorgung selbst und lässt sich seine Aufwendungen vom Versicherungsunternehmen erstatten (Näheres im Abschnitt 3.2.6.1). Neben dem Dualismus von gesetzlicher und privater Versicherung existiert die aus Steuermitteln finanzierte staatliche Gesundheitsfürsorge. Zu dieser gehört die Beihilfe der Dienstherren für Beamte. Im Rahmen der Beihilfe werden die finanziellen Aufwendungen des Beamten für seine Heilbehandlung zu einem bestimmten Prozentsatz, z. B. 50 %, erstattet. Für den nicht zu erstattenden Anteil muss der Beamte selbst vorsorgen, z. B. durch den Abschluss eines privaten Krankenversicherungsvertrages. Die beihilfefähigen Aufwendungen, die beihilfeberechtigten Personen, der Beihilfeumfang und weitere Einzelheiten werden in der Bundesbeihilfeverordnung und den Beihilfevorschriften der Länder geregelt. Weitere staatliche Gesundheitsfürsorgesysteme sind die Heilfürsorge für Polizeibeamte, Justizvollzugsbeamte, Feuerwehrleute und Soldaten, die Sozialhilfe für Bedürftige, die Kinder- und Jugendhilfe, die Kriegsopferfürsorge, die Asylbewerberleistungen, die Gesundheitsfürsorge im Straf- und Maßregelvollzug. Recht im Gesundheitswesen als juristische Querschnitts- 1.2 materie Die Rechtsordnung, auch objektives Recht genannt, umfasst alle Gesetze, Rechtsverordnungen und untergesetzliche Vorschriften, wie z. B. Richtlinien des GBA oder Satzungen der Krankenkassen oder der Ärztekammern. Das objektive Recht kann in drei Säulen - Privatrecht, öffentliches Recht und Strafrecht - eingeteilt werden. Das Privatrecht regelt die Rechtsbeziehungen zwischen Privatrechtssubjekten, wie z. B. Unternehmen und Bürger. Die Beziehungen der Privatrechtssubjekte zum Staat sowie die Organisation innerhalb des Staatswesens sind Gegenstand des öffentlichen Rechts. Das Strafrecht regelt die Ahndung des straffälligen Verhaltens eines Rechtssubjektes durch den Staat. Es kann auch dem öffentlichen Recht zugeordnet werden, weil es ebenfalls um die Hoheitsgewalt des Staates gegenüber dem Einzelnen geht. Das Privatrecht und das öffentliche Recht lassen sich des Weiteren in verschiedene Teilgebiete untergliedern. <?page no="32"?> 32 Recht im Gesundheitswesen Privatrecht Öffentliches Recht Teilgebiete z. B.: ■ Bürgerliches Recht ■ Wettbewerbsrecht ■ Versicherungsvertragsrecht Teilgebiete z. B.: ■ Recht der Europäischen Union ■ Staats- und Verfassungsrecht ■ Sozialversicherungsrecht ■ Sozialhilferecht ■ Gewerbe- und Handwerksrecht ■ Arzneimittelrecht ■ Medizinprodukterecht ■ Infektionsschutzrecht ■ Krankenhausrecht ■ Versicherungsaufsichtsrecht Tab. 1: Unterteilung des Privatrechts und des öffentlichen Rechts Das Recht im Gesundheitswesen ist eine Querschnittsmaterie, die sowohl das Privatrecht als auch das öffentliche Recht und Strafrecht berührt. Es umfasst alle Bestimmungen zur Regelung der Erwerbstätigkeit der Anbieter von Waren und Dienstleistungen zur gesundheitlichen Versorgung der Bevölkerung, der Geschäftstätigkeit der Kranken- und Pflegekassen sowie der anderen Träger der Sozialversicherung, soweit diese präventive, kurative, medizinischrehabilitative und pflegerische Leistungen erbringen, der Tätigkeit der Verbände, Zusammenschlüsse und Arbeitsgemeinschaften der genannten Sozialversicherungsträger sowie der Selbstverwaltungsgremien, die von den Sozialversicherungsträgern und Leistungserbringern gebildet werden, der Geschäftstätigkeit der Krankenversicherungsunternehmen und ihrer Verbände, der Rechtsstellung des Einzelnen als Nachfrager der gesundheitsbezogenen Waren und Dienstleistungen sowie als Mitglied oder Familienversicherter in der Sozialversicherung oder als Versicherungsnehmer oder Versicherter in der privaten Kranken- und Pflegeversicherung oder als Empfänger von steuerfinanzierten Leistungen, der ehrenamtlichen Tätigkeit von Personen und Selbsthilfegruppen im Gesundheitswesen, des Handelns des Bundes, der Länder, Landkreise und Gemeinden im Gesundheitswesen in Form von Planung (z. B. Krankenhausplanung), Beaufsichtigung der beteiligten Akteure (z. B. Zulassung zum Beruf, Einschreiten bei Verstößen), Schutz der Bevölkerung (z. B. Infektionsschutz), Förderung (z. B. Investitionsförderung von Krankenhäusern) und Fürsorge (z. B. Hilfe bei Pflege bei Bedürftigkeit) und Ahndung straffälligen Verhaltens. Das Recht im Gesundheitswesen besteht aus einer Vielzahl von Rechtsvorschriften. Diese werden je nach Urheber dem Recht der Europäischen Union (Unionsrecht) und dem nationalen Recht, dieses wiederum unterteilt in Bundes- und Lan- <?page no="33"?> Einführung 33 desrecht, zugeordnet. Für den Fall, dass es Widersprüche zwischen den verschiedenen Rechtsvorschriften gibt, besteht für die Vorschriften eine Rangordnung, auch Normenhierarchie genannt. Innerhalb dieser Hierarchie gehen die oberen den unteren Vorschriften vor. Abb. 6: Normenhierarchie Das Unionsrecht wird in primäres und sekundäres Unionsrecht differenziert. Die Verträge, die die Mitgliedstaaten schließen, bilden das primäre Unionsrecht, das innerhalb des Unionsrechts den obersten Rang einnimmt. Zu den Verträgen gehört z. B. der im vorherigen Abschnitt 1.1 erwähnte AEUV. Das sekundäre Recht wird von den Organen der Europäischen Union gesetzt. Die beiden wichtigsten Rechtsquellen sind die Verordnungen und Richtlinien. Die Verordnungen gelten unmittelbar in jedem Mitgliedstaat (Art. 288 AEUV). Im Abschnitt 2.9.6 lernen Sie die VO 726/ 2004 kennen, die u. a. das zentralisierte Arzneimittelzulassungsverfahren regelt. Dagegen ist eine Richtlinie nur für die Mitgliedstaaten hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, die Umsetzung der Vorgaben in das nationale Recht bleibt jedoch den Mitgliedstaaten überlassen (Art. 288 AEUV). Im Abschnitt 2.9.7 lernen Sie die Richtlinie 2001/ 83/ EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel und die Umsetzung in Deutschland kennen. Im deutschen Recht existieren angesichts der föderalen Struktur das Bundesrecht und das Recht der Bundesländer, Landesrecht genannt. Den obersten Rang des Bundesrechts nimmt das Grundgesetz ein. Ihm nachgeordnet sind die Gesetze, die der Bundestag (unter Einbeziehung des Bundesrates) beschließt, sowie die Rechtsverordnungen, die gem. Art. 80 GG von der Exekutive erlassen werden und in der Rangordnung unter den Gesetzen stehen. ◉ Beispiel Gesetze: Sozialgesetzbücher I-XII, Krankenhausfinanzierungsgesetz, Arzneimittelgesetz, Gewerbeordnung (= Gesetz, auch wenn es Gewerbeordnung heißt) Recht der Europäischen Union (Unionsrecht) Bundesrecht Landesrecht <?page no="34"?> 34 Recht im Gesundheitswesen Rechtsverordnungen: Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (erlassen vom BMG mit Zustimmung des Bundesrates), Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Psychologische Psychotherapeuten (erlassen vom BMG) Das Landesrecht hat eine ähnliche Hierarchie wie das Bundesrecht, die Landesverfassungen im obersten Rang, nachfolgend die vom Landtag (bzw. Bürgerschaft, Abgeordnetenhaus in den Stadtstaaten) beschlossenen Gesetze sowie weiter nachfolgend die Rechtsverordnungen der Exekutive. In den Abschnitten 2 bis 4 lernen Sie eine Vielzahl von bundesrechtlichen Vorschriften sowie einige Landesgesetze kennen. In der gesetzlichen Krankenversicherung und sozialen Pflegeversicherung gibt es zudem eine Normsetzung durch die Kollektivverträge der an der Selbstverwaltung beteiligten Verbände (z. B. die KBV und der GKV-Spitzenverband). Diese Rechtssetzung beruht auf dem Naturalleistungsprinzip, das beide Sozialversicherungszweige prägt. Danach erhalten die Versicherten die Leistungen grundsätzlich als Sach- und Dienstleistungen und nur in Ausnahmefällen in Form einer Kostenerstattung (vgl. § 2 Abs. 2 SGB V, § 4 Abs. 1 SGB XI 7 ). Um den Versichertenanspruch zu erfüllen, müssen die dafür erforderlichen Regeln zwischen den Kassen und den Leistungserbringern vereinbart werden. Dafür sehen die Gesetze entweder Einzelverträge oder von den Verbänden geschlossene Kollektivverträge vor. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass die an der Selbstverwaltung Beteiligten sachkundig sind und selbst am besten beurteilen können, wie sie ihre Beziehungen zueinander ausgestalten. Zu diesem gesetzlichen Regelungskonzept gehört, dass die Kollektivverträge der Verbände gegenüber den Leistungserbringern, Kranken- und Pflegekassen, Versicherten und Dritten bindende Wirkung haben, so dass sie auch als Normsetzungsverträge bezeichnet werden. 8 In der gesetzlichen Krankenversicherung ist ferner der GBA zur Normsetzung befugt. Seine Befugnis dient der Konkretisierung des Wirtschaftlichkeitsgebots gem. § 12 Abs. 1 SGB V. Dieses verlangt einerseits, dass die Versicherten ausreichend und zweckmäßig, also mit allen notwendigen und geeigneten Leistungen, versorgt werden. Andererseits bedeutet es, dass die Versicherten keine unnötigen oder unwirtschaftlichen Leistungen beanspruchen können. Über die Gewährung einer ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung der Versicherten beschließt der GBA gem. § 92 SGB V Richtlinien über die (zahn-)ärztliche Behandlung, über Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmittel, über die Krankenhausbehandlung u. v. m. Um die Funktionsfähigkeit der Versorgung der Versicherten mit Sach- und Dienstleistungen zu sichern, kommt den Richtlinien wie den Kollektivverträgen eine normative Wirkung gegenüber den Leistungserbrin- 7 Sozialgesetzbuch (SGB) - Elftes Buch (XI) v. 26.5.1994, BGBl. I S. 1014, z. g. d. G v. 18.7.2017, BGBl. I S. 2757. 8 Vgl. zur Normsetzung durch Kollektivverträge sowie durch Richtlinien des GBA z. B. BSG, Urt. v. 20.3.1996, 6 RKa 62/ 94, BeckRS 1996, 30760740, Urt. v. 9.12.2004, B 6 KA 44/ 03 R, NJOZ 2005, 2476, Urt. v. 31.5.2006, B 6 KA 13/ 05 R, BeckRS 2006, 43912. <?page no="35"?> Einführung 35 gern, Krankenkassen, Versicherten und Dritten (z. B. pharmazeutische Unternehmen) zu. 9 Allerdings setzt Gültigkeit der Kollektivverträge und der Richtlinien voraus, dass sie inhaltlich mit dem höherrangigen Recht, also beispielsweise mit dem GG oder dem SGB V, vereinbar sind. Im Abschnitt 2 werden Ihnen verschiedene Kollektivverträge und Richtlinien begegnen. Lern- und Studienhinweise 1.3 Im Abschnitt 2 lernen Sie die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Erwerbstätigkeit verschiedener Anbieter von Waren und Dienstleistungen kennen. Dabei werden die Regelungen der verschiedenen Rechtsgebiete, die für den jeweiligen Anbieter relevant sind, zusammengeführt und im Kontext erörtert. Mit anderen Worten: Die rechtlichen Vorgaben werden aus der Perspektive des Anbieters erörtert. Dieses Vorgehen beruht auf der didaktischen Idee, Sie mit dem spezifischen Rechtsrahmen für eine Tätigkeit in einem bestimmten Arbeitsumfeld (z. B. in der Krankenhausverwaltung) vertraut zu machen. Auf der Grundlage dieser Kenntnisse sollen Sie Sachverhalte des Arbeitsumfeldes rechtlich einordnen und unter Berücksichtigung der rechtlichen Folgen steuern können. Die Erläuterungen zu den einzelnen Anbietern haben in der Regel folgende Struktur. Sie beginnen mit dem Gewerbe- oder Berufsrecht als Grundlage für den Berufszugang. Daran schließen sich die Erläuterungen zur Ausübung der Tätigkeit an. Die diesbezüglichen Vorgaben folgen aus dem Sozialversicherungs- und Privatrecht sowie aus weiteren Rechtsgebieten, wie z. B. dem Arzneimittel- oder Medizinprodukterecht. Im Abschnitt 3 lernen Sie zum einen die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Kranken- und Pflegekassen kennen, die aus der Perspektive der Kasse erörtert werden. Die Ausführungen beziehen sich insbesondere auf die Rechtsstellung der Kassen in der Staatsverwaltung, ihre Errichtung, Fusion und Schließung, ihre Mitglieder sowie die Finanzierung und die Mittelverwendung. Hinsichtlich der Leistungen der Kranken- und Pflegekassen sowie ihrer Rechtsbeziehungen zu den Leistungserbringern finden Sie überwiegend Querverweise in den Abschnitt 2, weil die relevanten Regelungen bei dem jeweiligen Anbieter der Leistungen erläutert werden. Zum anderen werden im Abschnitt 3 das für die Krankenversicherungsunternehmen maßgebliche Versicherungsvertragsrecht und Versicherungsaufsichtsrecht erläutert. Im Abschnitt 4 lernen Sie den öffentlichen Gesundheitsdienst kennen. Dieser hat eine Vielzahl von Aufgaben wahrzunehmen, von denen eine, und zwar der Schutz der Bevölkerungen vor übertragbaren Krankheiten, näher betrachtet wird. Das vorliegende Werk ist keine erschöpfende Darstellung des gesamten Rechts im Gesundheitswesen. Dafür ist die Materie zu umfangreich. Das Gesundheitswesen gehört zum Schutz der Bevölkerung zu den am stärksten regulierten Bereichen 9 Ebd. <?page no="36"?> 36 Recht im Gesundheitswesen der Gesellschaft. Im Spannungsverhältnis des Umfangs möglicher Erläuterungen einerseits und einer vertretbaren Seitenzahl andererseits ist es unausweichlich, einige Fragestellungen unerörtert zu lassen. Deshalb wird auf Erläuterungen des Rechtsrahmens einiger Anbieter von Leistungen, z. B. Hebammen und Zahntechniker, sowie auf die steuerfinanzierten Fürsorgesysteme, wie z. B. Beihilfe oder Heilfürsorge, nicht eingegangen. Ferner müssen einige spezifische Rechtsfragen unerörtert bleiben, wie z. B. die Bedeutung des Patentrechts für pharmazeutische Unternehmer, die Bedeutung der unionsrechtlichen Grundfreiheiten für die Anbieter von Waren und Dienstleistungen oder die Ausgestaltung des Sozialverwaltungsverfahrens der Kranken- und Pflegekassen. Die Erläuterungen in den Abschnitten 2 bis 4 werden Sie besser verstehen, wenn Sie die angegebenen Rechtsvorschriften parallel lesen. Den einzelnen Abschnitten ist eine Zusammenstellung der Gesetze vorangestellt, die im Wesentlichen benötigt werden. Wenn Sie den Umgang mit dem Gesetzestext trainieren und Erfahrungen sammeln, werden Sie feststellen, dass viele Fragen unmittelbar vom Gesetz beantwortet werden. Das Gesetz ist in der Prüfung sozusagen der legale Spickzettel! Aber so wie man den Spickzettel selbst schreiben muss, um ihn zu verstehen, muss man auch das Gesetz selbst lesen. Die für die Erläuterungen relevanten Rechtsvorschriften sind beim ersten Zitat mit der Quelle im Amtsblatt der EU, im Bundesgesetzblatt oder Gesetzblatt des Bundeslandes angegeben. Die Angabe der Verkündungsblätter (bitte beachten: nicht Verkündigung) entspricht dem Standard des Zitierens, den Sie beim Anfertigen von Haus-, Studien- und Abschlussarbeiten ebenfalls berücksichtigen sollten. Der Umgang mit den Verkündungsblättern ist jedoch schwierig. Bei der Änderung eines Gesetzes wird grundsätzlich nur die Änderung verkündet. Das hat zur Folge, dass sich die aktuelle Fassung eines Gesetzes je nach Zahl der Änderungen aus mehreren Verkündungsblättern ergibt. Deshalb wird bei der „alltäglichen Arbeit“ auf Gesetzessammlungen zurückgegriffen, die im Buchhandel oder im Internet (z. B. www.gesetze-im-internet.de) verfügbar sind. Hierbei müssen Sie jedoch beachten, dass diesen Gesetzessammlungen im Unterschied zu den amtlichen Quellen nicht die Vermutung der Richtigkeit des Textes innewohnt. Wenn dem Herausgeber einer Gesetzessammlung ein Fehler unterläuft, den Sie nicht bemerken, geht das zu Ihren Lasten. Glücklicherweise kommen solche Fehler selten vor, aber ganz ausgeschlossen sind sie nicht. In einer im Buchhandel verfügbaren Ausgabe der Sozialgesetzbücher heißt es bereits seit einigen Auflagen (auch in der aus 2018) in § 150 SGB V, dass sich die Betriebskrankenkassen auf Beschluss ihrer Verwaltungssätze (statt Verwaltungsräte) zu einer gemeinsamen Betriebskrankenkasse vereinigen können. Die Richtlinien des GBA finden Sie „inoffiziell“ unter www.g-ba.de sowie „offiziell“ im Bundesanzeiger, dem Verkündungsblatt der Bundesbehörden. Der Bundesanzeiger ist seit geraumer Zeit ebenfalls online - www.bundesanzeiger.de - verfügbar. Die bereits im Abschnitt 1.2 erwähnten Kollektivverträge finden Sie auf den Internetseiten des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (www.gkvspitzenverband.de), anderer Spitzenorganisationen oder der Krankenkassen. So- <?page no="37"?> Einführung 37 weit in den Abschnitten 2 und 3 Bezug auf die Kollektivverträge genommen wird, ist in der dazugehörigen Fußnote eine Veröffentlichungsquelle angegeben. Die amtlichen Quellen für die Unterlagen bei Entstehung eines Bundesgesetzes - z. B. der Gesetzentwurf der Bundesregierung - sind die Bundestags- und Bundesratsdrucksachen. Sie sind ebenfalls online verfügbar, und zwar im Dokumentations- und Informationssystem (DIP) auf den Internetseiten des Bundestages sowie unter der Rubrik Dokumente auf den Internetseiten des Bundesrates. Recht im Gesundheitswesen ist eine sehr komplexe und heterogene Materie. Das vorliegende Buch soll Ihnen helfen, sich in dieser Materie zurechtzufinden. Die Erläuterungen in den Abschnitten 2 bis 4 sind mit Lernhinweisen, Aufgaben, Beispielen, Tabellen, Prüfungsschemas und Übersichten „aufgelockert“. Die Erfahrung zeigt, dass sich Gesetzesinhalte leichter erfassen lassen, wenn Grafiken zur Visualisierung und Beispiele zur Veranschaulichung verwendet werden. Mit den Aufgaben können Sie Ihren Lernfortschritt kontrollieren. Die Lösungen zu den Aufgaben finden Sie im Web-Service. Zur besseren Lesbarkeit des Textes wird nur die männliche Form der Personen- und Berufsbezeichnungen verwendet; gemeint sind gleichwohl alle Geschlechter. <?page no="38"?> 2 Rechtliche Rahmenbedingungen für die im Gesundheitswesen tätigen Anbieter von Dienstleistungen und Waren Lernziele Im Abschnitt 2 lernen Sie die rechtlichen Rahmenbedingungen für die verschiedenen Leistungserbringer im Gesundheitswesen kennen. Diese Kenntnisse benötigen Sie für eine spätere Tätigkeit in der Verwaltung oder in den Wirtschafts-, Versorgungs- und technischen Diensten eines solchen Unternehmens, damit Sie Ihr künftiges Handeln unter Beachtung der rechtlichen Anforderungen analysieren und steuern können. Gleiches gilt, wenn Sie sich selbständig machen wollen, z. B. als Inhaber eines Pflegedienstes. Niedergelassene Ärzte, Zahnärzte, Psychologische Psycho- 2.1 therapeuten, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten und Heilpraktiker Lernhinweise Die nachfolgenden Erläuterungen werden Sie besser verstehen, wenn Sie die angegebenen Paragrafen der nachfolgenden Vorschriften parallel zum Lehrbuch lesen: Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) 10 , Bundesärzteordnung (BÄO) 11 , Erste Durchführungsverordnung zum Gesetz über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung (HeilprGDV 1) 12 , Gesetz über die Ausübung der Zahnheilkunde (ZHG) 13 , Gesetz über die Berufe des Psychologischen Psychotherapeuten und des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (PsychThG) 14 , Heilpraktikergesetz (HeilprG) 15 , Richtlinie des GBA über die Bedarfsplanung sowie die Maßstäbe zur Feststellung von Überversorgung und Unterversorgung in der vertragsärztlichen Versorgung (Bedarfsplanungs-Richtlinie) 16 , Richtlinie des GBA über die Bedarfsplanung in der vertragszahnärztlichen Versorgung (Bedarfsplanungs-Richtlinie Zahnärzte) 17 , Sozialgesetzbuch 5. Buch (SGB V), Zulassungsverordnung für Ver- 10 BGB i. d. F. d. Bek. v. 2.1.2002, BGBl. I S. 42, 2909; 2003 I S. 738, z. g. d. G v. 12.7.2018, BGBl. I S. 1151. 11 BÄO i. d. F. d. Bek. v. 16.4.1987, BGBl. I S. 1218, z. g. d. G v. 23.12.2016, BGBl. I S. 3191. 12 HeilprGDV 1, BGBl. III Gliedergs-Nr. 2122-2-1, z. g. d. G v. 23.12.2016, BGBl. I S. 3191. 13 ZHG i. d. F. d. Bek. v. 16.4.1987, BGBl. I S. 1225, z. g. d. G v. 23.12.2016 BGBl. I S. 3191. 14 PsychThG 16.6.1998, BGBl. I S. 1311, z. g. d. G v. 23.12.2016 BGBl. I S. 3191. 15 HeilprG, BGBl. III, Gliedergs-Nr. 2122-2 z. g. d. G v. 23.12.2016, BGBl. I S. 3191. 16 Bedarfsplanungs-Richtlinie v. 20.12.2012, BAnz AT 31.12.2012 B7, z. g. a. 15.2.2018, BAnz AT 11.5.2018 B3. 17 Bedarfsplanungs-Richtlinie Zahnärzte v. 14.8.2007, BAnz Nr. 185 v. 2.10.2007 S. 7673, z. g. a. 16.6.2016, BAnz AT 06.09.2016 B2. <?page no="39"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 39 tragsärzte (Ärzte-ZV) 18 , Zulassungsverordnung für Vertragszahnärzte (Zahnärzte-ZV) 19 . Viele gesetzliche Regelungen sind für die Ärzte und Zahnärzte gleich, so dass im Kapitel 2.1 beide Berufsgruppen gemeinsam als „Ärzte“ bezeichnet werden. Soweit es Unterschiede zwischen den jeweiligen Berufsgruppen gibt, wird darauf hingewiesen. Ebenso werden die Psychologischen Psychotherapeuten und die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten zur sprachlichen Vereinfachung in den nachfolgenden Texten als Psychotherapeuten bezeichnet; auf relevante Unterschiede zwischen den Berufsgruppen wird ebenfalls hingewiesen. 2.1.1 Heilkundliches Berufsrecht 2.1.1.1 Allgemeines Ärztliche und andere Heilberufe, wie z. B. Psychotherapeuten, werden als freie Berufe ausgeübt. Freie Berufe sind dadurch gekennzeichnet, dass sie eine höhere Bildung (in der Regel eine akademische Bildung) erfordern und Dienstleistungen erbringen, bei denen der Betriebsinhaber persönlich mitwirkt. 20 Mit diesem Begriff erfolgt eine Abgrenzung zum Gewerbe. Freiberufler üben kein Gewerbe aus, so dass auf sie die Gewerbeordnung keine Anwendung findet (vgl. § 6 GewO). Etwas anderes gilt allerdings für das Betreiben einer Privatklinik. Dieses (nicht die ärztliche Tätigkeit selbst) gilt als Gewerbe, auf das die GewO Anwendung findet. Erläuterungen dazu finden Sie im Abschnitt 2.2.2. Ferner haben die freien Berufe keinen Gewerbebetrieb, so dass die Ärzte und Heilberufe kein (Ist-)Kaufmann im Sinne des § 1 HGB 21 sind. Wenn allerdings die Freiberufler eine GmbH gründen, so ist diese ein (Form-)Kaufmann gem. § 6 HGB i. V. m. § 13 GmbHG 22 , weil es in diesem Fall nicht auf den Zweck, sondern nur auf die Rechtsform der Gesellschaft ankommt. Der Begriffsbestandteil „frei“ ist jedoch nicht dahingehend zu verstehen, dass die Freiberufler keinen rechtlichen Vorgaben unterliegen. Gerade die Heilberufe unterliegen zum Schutze der Patienten vielfach besonderen Anforderungen. So ist die Ausübung der Heilkunde in Deutschland erlaubnispflichtig. 18 Ärzte-ZV i. d. i. BGBl. III, Gliedergs-Nr. 8230-25 veröff. bereinigten F., z. g. d. VO v. 7.7.2017, BGBl. I S. 2842. 19 Zahnärzte-ZV i. d. i. BGBl. Teil III, Gliedergs-Nr. 8230-26 veröff. bereinigten F. z. g. d. VO v. 7.7.2017, BGBl. I S. 2842. 20 Weber, Creifelds Rechtswörterbuch, 481 f. 21 Handelsgesetzbuch i. d. i. BGBl. III, Gliedergs-Nr. 4100-1 veröff. bereinigten F., z. g. d. G v. 10.7.2018, BGBl. I S. 1102. 22 Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung i. d. i. BGBl. III, Gliedergs-Nr. 4123-1 veröff. bereinigten F., z. g. d. G v. 17.7.2017, BGBl. I S. 2446. <?page no="40"?> 40 Recht im Gesundheitswesen ❋ Wissen │ Heilkunde Unter Heilkunde wird jede berufs- oder gewerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden bei Menschen verstanden, auch wenn sie im Dienste von anderen ausgeübt wird (§ 1 Abs. 2 HeilprG). Dieser recht weite Begriff ist angesichts der grundrechtlich geschützten Berufsfreiheit durch die Rechtsprechung dahingehend eingeschränkt worden, dass er nur die Tätigkeiten erfasst, die eine ärztliche Fachkenntnis voraussetzen und eine gesundheitliche Schädigung verursachen können. 23 Dadurch stellen handwerklichtechnisch geprägte Tätigkeiten, wie z. B. die Sehschärfenbestimmung durch den Augenoptiker, keine erlaubnispflichtige Heilkunde dar. 24 2.1.1.2 Ärzte, Zahnärzte, Psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten Die Heilkunde bezieht sich sowohl auf somatische als auch psychische Krankheiten. Die psychotherapeutische Behandlung hat die Besonderheit, dass sie sowohl von Ärzten (Fachärzten für Psychiatrie und Psychotherapie) als auch von Psychologischen Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (für Patienten unter 21 Jahren) erbracht werden kann. Für die Tätigkeit als Arzt oder Psychotherapeut wird eine Erlaubnis benötigt, die als Approbation bezeichnet wird (§ 2 BÄO, § 1 ZHG, § 1 PsychThG). Die Erteilung der Approbation ist an folgende Voraussetzungen geknüpft: Der Antragsteller darf sich nicht eines Verhaltens schuldig gemacht haben, aus dem sich seine Unzuverlässigkeit oder Unwürdigkeit zur Ausübung des Berufs ergibt. Der Antragsteller ist unzuverlässig, wenn er nicht willens oder fähig ist, seine Tätigkeit unter Beachtung der rechtlichen Anforderungen ordnungsgemäß auszuüben. Insoweit ist anhand von Tatsachen aus der Zeit vor der Antragstellung eine Prognoseentscheidung zu treffen, ob der Arzt bzw. Psychotherapeut die berufsspezifischen Vorschriften einhalten wird. 25 Unwürdigkeit bedeutet, dass der Antragsteller wegen eines schwerwiegenden Fehlverhaltens nicht das Ansehen und Vertrauen besitzt, das für die Ausübung seines Berufs unabdingbar nötig ist. In diesem Zusammenhang ist nicht nur das berufsspezifische Handeln relevant. Die Unwürdigkeit kann sich auch aus Verhaltensweisen (z. B. Straftaten) ergeben, die nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit stehen. 26 23 Vgl. BVerwG, Urt. v. 14.10.1958, I C 25/ 56, NJW 1959, 833 f. [834]. 24 Vgl. BVerwG, Urt. v. 20.1.1966, I C 73/ 64, NJW 1966, 1187 ff., BGH, Urt. v. 4.2.1972, I ZR 104/ 70, NJW 1972, 1132 f., BSG, Urt. v. 18.9.1973, 6 RKa 2/ 72, BSGE 36, 146 ff. 25 Vgl. BayVGH, Urt. v. 15.2.2000, 21 B 96.1637, BeckRS 2000, 24054; VG Regensburg, Urt. v. 28.4.2016, RN 5 K 15.1137, MedR 2017, 64 ff. [65]. 26 Vgl. BVerwG, Beschl. v. 14.4.1998, 3 B 95-97, NJW, 1999, 3425 ff. [3426]; BVerwG, Beschl. v. 2.11.1992, 3 B 87/ 92, NJW 1993, 806 [806]. <?page no="41"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 41 Ebenso wenig darf der Antragsteller nicht in gesundheitlicher Hinsicht (z. B. wegen einer Alkohol- oder Drogensucht) zur Ausübung des Berufs ungeeignet sein. Ferner muss er über die für die Ausübung der Berufstätigkeit erforderlichen Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen. Die Approbation setzt voraus, dass der Antragsteller die gesetzlich vorgesehene Ausbildung in Deutschland sowie die ärztliche oder staatliche Prüfung erfolgreich absolviert hat. Die Mindestanforderungen an die Ausbildung - insbesondere an das einschlägige Medizin- oder Psychologiestudium - regeln die jeweiligen Approbationsordnungen. 27 Anerkannte (zahn-)ärztliche Abschlüsse aus einem EU-/ EWR-Mitgliedstaat sind in der Anlage des ZHG sowie in der Anlage der BÄO aufgelistet. Andere Abschlüsse werden bei Gleichwertigkeit anerkannt. Hinsichtlich die Approbation nach dem PsychThG muss der Antragsteller eine Ausbildung abgeschlossen haben, die in dem jeweiligen EU-/ EWR-Mitgliedstaat für den unmittelbaren Zugang zu einem Beruf erforderlich ist, der dem deutschen Psychologischen Psychotherapeuten oder dem Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten entspricht. (Zahn)ärztliche oder psychotherapeutische Ausbildungen aus Drittstaaten werden anerkannt, wenn ihre Gleichwertigkeit zur vorgesehenen deutschen Ausbildung nachgewiesen ist. Die Einzelheiten der Approbationsvoraussetzungen regeln § 3 BÄO, § 2 ZHG, § 2 PsychThG. Wenn der Antragsteller alle Voraussetzungen erfüllt, hat er einen Rechtsanspruch auf die Erteilung der Approbation. Die Entscheidung trifft die zuständige Behörde des Bundeslandes, in dem der Antragsteller seine berufsbezogene Prüfung abgelegt hat (§ 12 BÄO, § 16 ZHG, § 10 PsychThG). 28 Durch die erteilte Approbation erlangt der Arzt bzw. Psychotherapeut Zugang zur Berufsausübung. Ferner darf er die jeweilige Berufszeichnung führen. Währenddessen der Zugang zum ärztlichen und zu anderen Heilberufen gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz zwischen Bund und Ländern gehört und der Bund mit den vorgenannten Vorschriften von seiner Kompetenz Gebrauch gemacht hat, gehören das Standes- und Weiterbildungsrecht der Heilberufe zum Landesrecht. Dementsprechend gibt es dafür kein Bundesgesetz, sondern in jedem Bundesland eigene Vorschriften. Ärzte, Zahnärzte sowie Psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten sind in Kammern organisiert, die in entsprechen- 27 Approbationsordnung für Ärzte v. 27.6.2002, BGBl. I S. 2405, z. g. d. G v. 17.7.2017 BGBl. I S. 2581, Approbationsordnung für Zahnärzte v. 26.1.1955, BGBl. III, Gliederungsnummer 2123-2 z. g. d. G v. 27.6.2017, BGBl. I S. 1966, Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Psychologische Psychotherapeuten v. 8.12.1998, BGBl. I S. 3749, z. g. d. G v. 18.4.2016, BGBl. I S. 886, Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten v. 18.12.1998, BGBl. I S. 3761, z. g. d. G v. 18.4.2016, BGBl. I S. 886. 28 Beispielsweise ist in Niedersachsen der Niedersächsische Zweckverband zur Approbationserteilung zuständig, den die Zahnärzte, Ärzte- und Psychotherapeutenkammer gegründet haben; vgl. § 1 VO zur Übertragung von staatlichen Aufgaben auf die Kammern für Heilberufe v. 25.11.2004, Nds. GVBl. S. 516, z. g. d. VO v. 21.7.2015, Nds. GVBl. S. 158, i. V. m. § 9 Abs. 4 Kammergesetz für Heilberufe v. 8.12.2000, Nds. GVBl. S. 301, z. g. d. G. v. 15.9.2016, Nds. GVBl. S. 192. <?page no="42"?> 42 Recht im Gesundheitswesen den Landesgesetzen geregelt sind. 29 Die Ärzte-, Zahnärzte-, Psychotherapeutenkammern sind öffentlich-rechtliche Körperschaften. Ihnen gehören die approbierten Angehörigen des jeweiligen Heilberufs als Pflichtmitglied an, die im Kammerbezirk als Selbständige, Beamte oder Angestellte den Beruf ausüben. Die Kammern sind zum einen die Interessenvertretung ihrer Mitglieder, zum anderen aber auch die berufsrechtliche Aufsichtsbehörde gegenüber ihren Mitgliedern. Ihnen ist kraft (Landes-)Gesetzes eine Satzungsbefugnis eingeräumt, aufgrund derer sie für ihre Mitglieder verbindliches Recht (in Form von Satzungen) setzen können. So regeln die Kammern das berufsrechtliche Verhalten ihrer Mitglieder durch Berufsordnungen 30 , die sich üblicherweise an den Musterberufsordnungen der Bundesärztekammer 31 , der Bundeszahnärztekammer 32 und Bundespsychotherapeutenkammer 33 orientieren. In den Berufsordnungen der Kammern werden insbesondere folgende Pflichten der Ärzte und Psychotherapeuten statuiert: persönliche Ausübung des Berufs unter Berücksichtigung des fachliche Standards, Beachtung der für die Berufsausübung geltenden Vorschriften, berufliche Fortbildung, qualitätsgerechte Berufsausübung und Teilnahme an den Maßnahmen der Qualitätssicherung, die Kammer einführt, Meldung von unerwünschten (Neben-)Wirkungen von Arzneimitteln und Medizinprodukten, Verschwiegenheit über Behandlungsverhältnisse und über das, was ihnen im Zusammenhang mit der Behandlung des Patienten anvertraut und bekannt geworden ist, Teilnahme am Notfall- und Bereitschaftsdienst, Abschluss einer ausreichenden Haftpflichtversicherung für ihre berufliche Tätigkeit. Ferner regeln die Berufsordnungen verschiedene Ge- und Verbote. Beispielsweise ist es nicht gestattet, für das Zuweisen von Patienten Vergünstigungen zu verlangen oder zu gewähren. Ebenso wenig ist es erlaubt, sich derartige Vergünstigung versprechen oder gewähren zu lassen. Die Werbung für die berufliche Tätigkeit ist ebenfalls reglementiert. Sie muss sachlich und berufsbezogen sein. Eine anprei- 29 Vgl. beispielsweise Niedersächsisches Kammergesetz für Heilberufe v. 8.12.2000, GVBl. 2000 S. 301, z. g. d. G. v. 15.9.2016, Nds. GVBl. S. 192. 30 Vgl. z. B. Berufsordnung der Ärztekammer Niedersachsen i. d. F. d. Neubekanntmachung v. 1.6.2018, https: / / www.aekn.de/ fileadmin/ media/ Downloadcenter/ Amtliche_Bekanntmachungen/ 4_Berufsordnung_de r_AErztekammer_Niedersachsen/ BO_komplett_01_06_2018.pdf (Abruf am 1.7.2018). 31 (Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte i. d. F. d. Beschlüsse des 121. Deutschen Ärztetages 2018, http: / / www.bundesaerztekammer.de/ recht/ berufsrecht/ muster-berufsordnungaerzte/ (Abruf am 1.7.2018). 32 Musterberufsordnung der Zahnärztekammer, Stand 11.11.2017, https: / / www.bzaek.de/ fileadmin/ PDFs/ recht/ mbo.pdf (Abruf am 1.7.2018). 33 Musterberufsordnung der Psychologischen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten i. d. F. d. Beschlüsse 24. Deutschen Psychotherapeutentages 2014, https: / / www.bptk.de/ recht/ satzungenordnungen.html (Abruf am 1.7.2018). <?page no="43"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 43 sende, irreführende, vergleichende oder auf andere Weise berufswidrige Werbung ist verboten. Für Ärzte sowie Psychotherapeuten bestehen nach der erteilten Approbation Weiterbildungsmöglichkeiten. Die Einzelheiten regeln ebenfalls die Satzungen der Kammern auf Landesebene, wobei sie sich an den Musterweiterbildungsordnungen der Kammern auf Bundesebene orientieren. Für Ärzte ist die Weiterbildung zum Erwerb einer Facharztbezeichnung letztlich unumgänglich, weil sie nur mit einer abgeschlossenen Facharztausbildung an der vertragsärztlichen Versorgung der gesetzlichen Krankenversicherung teilnehmen können. Im Allgemeinen werden folgende Facharztrichtungen unterschieden: Facharzt für … Allgemeinmedizin Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie Anästhesiologie Mund-Kiefer-Chirurgie Anatomie Neurochirurgie Arbeitsmedizin Nuklearmedizin Augenheilkunde Öffentliches Gesundheitswesen Biochemie Pathologie Chirurgie Pharmakologie Frauenheilkunde und Geburtshilfe Physikalische und Rehabilitative Medizin Haut- und Geschlechtskrankheiten Physiologie Humangenetik Psychiatrie und Psychotherapie Hygiene und Umweltmedizin Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Innere Medizin Radiologie Kinder- und Jugendmedizin Rechtsmedizin Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Strahlentherapie Laboratoriummedizin Urologie Abb. 7: Facharztrichtungen Anders verhält es sich bei den Zahnärzten und Psychotherapeuten. Zahnärzte können nach erfolgter Weiterbildung den Abschluss als Fachzahnarzt für Oralchirurgie und Fachzahnarzt für Kieferorthopädie erwerben. Für Psychotherapeuten sind Zusatzbezeichnungen der Klinischen Neuropsychologie, Systemische Therapie und Gesprächspsychotherapie vorgesehen. Diese Weiterbildungen sind jedoch keine Voraussetzung für die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung, vgl. Abschnitt 2.1.2.3. <?page no="44"?> 44 Recht im Gesundheitswesen Verstöße gegen die berufsrechtlichen Bestimmungen können geahndet werden. Die Kammer- und Heilberufegesetze der Bundesländer sehen zum einen berufsgerichtliche Maßnahmen vor, wie z. B.: Verweis, Geldbuße, Aberkennen des passiven und aktiven Wahlrechts für die Kammerorgane, Feststellung der Unwürdigkeit, den Heilberuf auszuüben. Für die Verhängung der vorgenannten Maßnahmen ist ein spezifisches gerichtliches Verfahren vor einem Berufsgericht vorgesehen. Zum anderen ist im Allgemeinen eine Rüge durch die Kammer geregelt, wenn die Schuld gering ist und der Antrag auf Einleitung eines berufsgerichtlichen Verfahrens nicht erforderlich erscheint. Die Aufhebung der Approbation ist als berufsgerichtliche Maßnahme nicht vorgesehen. Gleichwohl kann der Verstoß gegen die berufsrechtlichen Bestimmungen ebenso wie anderes Fehlverhalten zu einer Aufhebung der Approbation führen. ✎ Aufgabe Die in eigener Praxis niedergelassene Fachärztin für Allgemeinmedizin A erschlich sich Versicherungsleistungen aus einer privaten Krankentagegeldversicherung. Sie hatte über drei Jahre hinweg eine Arbeitsunfähigkeit für 22 Zeiträume angezeigt, obwohl sie in ihrer Praxis oder als Schiffsärztin tätig war. Das Versicherungsunternehmen zahlte für diese gemeldeten Zeiträume Krankengelder in Höhe von insgesamt 70.000,- Euro. Nach Bekanntwerden der Straftaten wurde die Fachärztin A rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt. Die Freiheitsstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Erörtern Sie, ob ein Grund für den Widerruf der Approbation der Fachärztin A vorliegt. Die Lösung finden Sie im Web-Service Die Aufhebung knüpft daran an, dass eine Voraussetzung für die Approbation noch nie vorgelegen hat (dann Rücknahme) oder nicht mehr vorliegt (dann Widerruf). Je nach Bedeutung der fehlenden Voraussetzung besteht entweder eine Pflicht oder ein Ermessen der Behörde, die Approbation aufzuheben (vgl. § 5 BÄO, § 4 ZHK, § 3 PsychThG). Über die Aufhebung der Approbation entscheidet die nach dem Landesrecht zuständige Behörde des Bundeslandes, in dem der ärztliche Beruf ausgeübt wird oder zuletzt ausgeübt worden ist (§§ 12 BÄO, § 16 ZHG, § 10 PsychThG). <?page no="45"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 45 Rücknahme einer Approbation Widerruf einer Approbation zwingend im Ermessen zwingend im Ermessen Arzt, Zahnarzt, Psychologe hat das in Deutschland vorgesehene Studium nicht absolviert oder die ärztliche, zahnärztliche oder staatliche Prüfung nicht bestanden Unzuverlässigkeit, Unwürdigkeit oder fehlende gesundheitliche Eignung war bereits bei Erteilung der Approbation gegeben Unzuverlässigkeit oder Unwürdigkeit nach Erteilung der Approbation eingetreten fehlende gesundheitliche Eignung nach Erteilung der Approbation eingetreten Arzt, Zahnarzt hat die aus EU-/ EWR- Mitgliedstaat anerkannte Ausbildung nicht abgeschlossen irrtümliche Feststellung der Gleichwertigkeit des zahnärztlichen oder ärztlichen Abschlusses aus dem EU-/ EWR- Mitgliedstaat oder Drittstaat Psychologe hat die aus EU-/ EWR- Mitgliedstaat anerkannte Ausbildung nicht abgeschlossen oder deren Gleichwertigkeit war nicht gegeben Tab. 2: Rücknahme und Widerruf einer Approbation Im Übrigen endet die Approbation durch Verzicht des Inhabers (§ 9 BÄO, § 7 ZHK, § 3 Abs. 4 PsychThG). Der Verzicht und die Aufhebung der Approbation haben zur Folge, dass der Arzt, Zahnarzt bzw. Psychologe seine (angestellte oder selbständige) Tätigkeit beenden muss. <?page no="46"?> 46 Recht im Gesundheitswesen 2.1.1.3 Heilpraktiker Heilpraktiker benötigen ebenfalls eine Erlaubnis zur Berufsausübung (vgl. § 1 HeilprG). Für diese Erlaubnis ist kein spezifisches Studium vorgesehen. Dennoch muss der Anwärter in einer Prüfung beim Gesundheitsamt ausreichende Kenntnisse und Fähigkeiten für die Ausübung der Heilkunde nachweisen. Die Einzelheiten der Prüfung sind in den Heilpraktikerprüfungsleitlinien 34 verankert. Ferner muss er weitere Voraussetzungen erfüllen, die im Einzelnen in § 2 HeilprGDV 1 geregelt sind. Über die Erlaubnis entscheidet die untere Verwaltungsbehörde 35 , in deren Bezirk der Beruf ausgeübt werden soll, im Benehmen mit dem dortigen Gesundheitsamt (§ 3 Abs. 1 HeilprGDV 1). Der Inhaber der Erlaubnis darf die Berufsbezeichnung Heilpraktiker führen (§ 1 Abs. 3 HeilprG) und ist grundsätzlich berechtigt, ohne fachliche Einschränkung, die Heilkunde auszuüben. Eine Beschränkung der Erlaubnis auf die Ausübung der Psychotherapie ist nach der Rechtsprechung des BVerwG 36 allerdings zulässig. Sie kommt zum Tragen, wenn ein Heilpraktikeranwärter zwar eine ausreichende Vorbildung für die psychotherapeutische Behandlung der Patienten hat (z. B. als Diplom-Pädagoge), dagegen nicht über allgemeine heilkundliche Kenntnisse (inkl. Kenntnisse der Anatomie, Physiologie, Pathologie und Arzneimittelkunde) verfügt. Da heilkundliche Kenntnisse für die psychotherapeutische Tätigkeit nicht zwingend notwendig sind, würde es nach Ansicht des BVerwG eine unverhältnismäßige Einschränkung der grundrechtlich geschützten Berufsfreiheit sein, wenn dem Anwärter der Zugang zum Beruf des Heilpraktikers gänzlich verwehrt werden würde. Allerdings darf sich der Inhaber einer eingeschränkten Heilpraktikererlaubnis nicht als Psychotherapeut bezeichnen, weil diese Bezeichnung denjenigen vorbehalten ist, die eine Approbation nach dem PsychThG haben (vgl. § 1 Abs. 1 PsychThG). In der Regel wird für die Berufsausübung der Ausdruck Heilpraktiker beschränkt auf das Gebiet der Psychotherapie verwendet. Bestimmte Tätigkeiten unterliegen dem Arztvorbehalt und sind somit allen Heilpraktikern gesetzlich verboten, wie beispielsweise: Zahnheilkunde (§ 6 HeilprG), Geburtshilfe (§ 4 Abs. 1 HebG 37 ), Schwangerschaftsabbruch (§§ 218, 218a StGB 38 ), Anwendung von Röntgenstrahlung am Menschen (§ 24 Abs. 1 RöV 39 ) und Anwendung von radioaktive Stoffe oder ionisierende Strahlung am Menschen (§ 82 Abs. 1 StrlSchV 40 ), 34 Bekanntmachung von Leitlinien zur Überprüfung von Heilpraktikeranwärterinnen und -anwärtern nach § 2 des Heilpraktikergesetzes i. V. m. § 2 Absatz 1 Buchstabe i der Ersten Durchführungsverordnung zum Heilpraktikergesetz v. 7.12.2017, BAnz AT 22.12.2017 B5. 35 Das sind beispielsweise in Niedersachsen die Landkreise, kreisfreie Städte und die Region Hannover gem. § 2 VO über die Zuständigkeiten auf den Gebieten des Gesundheits- und Sozialrechts v. 1.12.2004, Nds. GVBl. S. 526, z. g. d. VO v. 5.10.2017, Nds. GVBl. S. 430. 36 Vgl. BVerwG, Urt. v. 21.1.1993, 3 C 34/ 90, NJW 1993, 2395 ff. 37 Gesetz über den Beruf der Hebamme und des Entbindungspflegers v. 4.6.1985, BGBl. I S. 902, z. g. d. G v. 23.12.2016 I 3191. 38 Strafgesetzbuch i. d. F. d. Bek. v. 13.11.1998, BGBl. I S. 3322, z. g. d. G v. 30.10.2017, BGBl. I S. 3618. <?page no="47"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 47 Verordnung von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln (§ 48 Abs. 1 AMG). Für die Berufsausübung haben die großen Berufsverbände eine Berufsordnung 41 vereinbart. Diese ist jedoch nicht für alle in Deutschland tätigen Heilpraktiker verbindlich, sondern als Vereinssatzung nur für die Mitglieder der Berufsverbände. Wenn nachträglich Tatsachen eintreten oder bekannt werden, die eine Versagung der Heilpraktikererlaubnis rechtfertigen würden, so kann die Erlaubnis aufgehoben werden (§ 7 HeilprGDV). 2.1.2 Vertrags(zahn-)ärztliche Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung 2.1.2.1 Die ärztliche und zahnärztliche Versorgung als Versichertenanspruch Das ambulante ärztliche Leistungsspektrum, das die gesetzlich Versicherten beanspruchen können, ist sehr vielschichtig: Zu den Leistungen zur Verhütung von Krankheiten gehören z. B. bestimmte Schutzimpfungen gem. § 20i SGB V, die Zahnprophylaxe gem. §§ 21, 22 SGB V und die ambulanten Vorsorgeleistungen gem. § 23 SGB V. Zur Früherkennung von Krankheiten sind Gesundheitsuntersuchungen sowohl für Kinder und Jugendliche (§ 26 SGB V) als auch für Erwachsende (§§ 25, 25a SGB V) vorgesehen. Die ärztliche Betreuung gehört ebenfalls zu den Leistungen bei Schwangerschaft (§§ 24c ff. SGB V). Eine besonders große Bedeutung hat die ärztliche und zahnärztliche Tätigkeit zur Behandlung von Krankheiten (§§ 27a-29 SGB V). Der ausreichende und zweckmäßige Leistungsumfang ergibt sich aus der vorliegenden Erkrankung und dem jeweils aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft. Die ärztliche Behandlung schließt die psychotherapeutische Behandlung durch einen Psychologische Psychotherapeuten oder Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten ein (§ 28 Abs. 3 SGB V). Dagegen gehört die Behandlung durch den Heilpraktiker nicht zum Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenversicherung. Zur zahnärztlichen Behandlung gehört gem. § 28 Abs. 2, § 29 SGB V ebenfalls die kieferorthopädische Behandlung von Kiefer- und Zahnfehlstellungen. In der Regel haben nur Kinder und Jugendliche Anspruch auf eine kieferorthopädische Versorgung. Ab Vollendung des 18. Lebensjahres setzt die Versorgung zulasten der Krankenkasse schweren Kieferanomalien voraus, die kombinierte kieferchirurgische und kieferorthopädische Behandlungsmaßnahmen erforderlich machen. Ferner umfasst die zahnärztliche Behandlung die konservierend- 39 Verordnung über den Schutz vor Schäden durch Röntgenstrahlen i. d. F. d. Bek. v. 30.4.2003, l. I S. 604, z. g. d. VO v. 11.12.2014 BGBl. I S. 2010. 40 Verordnung über den Schutz vor Schäden durch ionisierende Strahlen v. 20.7.2001, BGBl. I S. 1714; 2002 I S. 1459 z. g. d. G v. 27.1.2017, BGBl. I S. 114, 1222. 41 Vgl. https: / / www.heilpraktiker.org/ die-berufsordnung-fuer-heilpraktiker (Abruf am 1.7.2018). <?page no="48"?> 48 Recht im Gesundheitswesen chirurgischen Leistungen und Röntgenleistungen, die im Zusammenhang mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen erbracht werden. Die übrige zahnärztliche Tätigkeit zur Versorgung mit einem Zahnersatz wird von dem Festzuschuss der Krankenkasse des Patienten gem. §§ 55, 56 SGB V erfasst. Die vertragsärztliche Versorgung der gesetzlich Versicherten und deren Übereinstimmung mit den gesetzlichen und vertraglichen Bestimmungen haben die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen gegenüber den Krankenkassen und ihren Verbänden sicherzustellen (§ 75 Abs. 1 SGB V). Diesem sog. Sicherstellungsauftrag kommen die Kassenärztlichen Vereinigungen durch ihre in § 77 Abs. 3 SGB V genannten Mitglieder nach. Zu den Mitgliedern gehören nicht nur die zugelassenen Vertragsärzte, sondern auch die zugelassenen Psychotherapeuten. 2.1.2.2 Bedarfsplanung Zur Sicherstellung der Versorgung hat die Kassenärztliche Vereinigung im Einvernehmen mit den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen für ihren Bezirk einen Bedarfsplan aufzustellen und jeweils der Entwicklung anzupassen (§ 99 Abs. 1 S. 1 SGB V). Die Grundlage für den Bedarfsplan bildet die Bedarfsplanungs-Richtlinie für die Ärzte, inkl. Psychotherapeuten, bzw. die Bedarfsplanungs- Richtlinie Zahnärzte des GBA, die verschiedene Vorgaben für die Planung enthalten. Zwischen der Bedarfsplanung im vertragsärztlichen und vertragszahnärztlichen Bereich besteht ein wesentlicher Unterschied. Im Fall einer Überversorgung ist die Anordnung einer Beschränkung der Zulassung weiterer Zahnärzte nicht vorgesehen, weil Leistungsausweitungen und eine angebotsinduzierter Versorgung in der zahnärztlichen Versorgung eher nicht zu befürchten sind. 42 Die Bedarfsplanungs-Richtlinie legt vier Versorgungsebenen mit den dazugehörigen Arztgruppen fest. Dabei bilden die überwiegend oder ausschließlich psychotherapeutisch tätigen Ärzte und Psychotherapeuten eine Arztgruppe. Ferner bestimmt sie für jede Versorgungsebene den Zuschnitt der Planungsbereiche als räumliche Grundlage. 42 Vgl. Frakt-E eines Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-WSG), BTag-Drucks. 16/ 3100, S. 135. <?page no="49"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 49 Abb. 8: Versorgungsebenen, Arztgruppen und Planungsbereiche Ferner regelt die Richtlinie für jede Arztgruppe Allgemeine Verhältniszahlen, die das bedarfsgerechte Verhältnis zwischen Einwohnerzahl und Anzahl der Ärzte ausdrückt. Von den Allgemeinen Verhältniszahlen dürfen die Kassenärztlichen Vereinigungen aus demografischen Gründen abweichen. ◉ Beispiel│ allgemeinen Verhältniszahlen in der vertragsärztlichen Versorgung 1 Hausarzt auf 1.671 Einwohner 1 Augenarzt auf 13.399 Einwohner im Kreistyp 1 1 Augenarzt auf 20.664 Einwohner im Kreistyp 5 1 fachärztlicher Internist auf 21.508 Einwohner 1 Laborarzt auf 102.001 Einwohner Versorgungsebenen hausärztliche Versorgung allgemeine fachärztliche Versorgung spezialisierte fachärztliche Versorgung gesonderte fachärztliche Versorgung z. B. Augen-, Frauen-, Kinderärzte, Orthopäden z. B. Radiologen, fachärztliche Internisten z. B. Laborärzte, Humangenetiker, Strahlentherapeuten Allgemeinmediziner, hausärztliche Internisten 883 Mittelbereiche Landkreise/ kreisfreie Städte (5 Typen) 96 Raumordnungsregionen KV-Bezirk <?page no="50"?> 50 Recht im Gesundheitswesen Die Bedarfsplanungs-Richtlinie Zahnärzte bestimmt die Landkreise, kreisfreien Städte und Kreisregionen als regionalen Planungsbereich für die zahnärztliche und kieferorthopädische Versorgung. Ferner enthält sie folgende allgemeine Verhältniszahlen: 1 Zahnarzt auf 1.280 Einwohner in den Städten, die in Anlage 6 der Bedarfsplanungs-Richtlinie Zahnärzte genannt sind, 1 Zahnarzt auf 1.680 Einwohner in den anderen Planungsbereichen, 1 Kieferorthopäde auf 4.000 Einwohner, wobei hier nur auf die Bevölkerungsgruppe der 0bis 18-Jährigen abgestellt wird. Im Bedarfsplan der Kassenärztlichen Vereinigung werden für jede Arztgruppe und jeden Planungsbereich der Bedarf (SOLL-Versorgung) sowie die vorhandenen Ärzte (IST-Versorgung) festgehalten. Dabei kann von den Allgemeinen Verhältniszahlen wegen regionaler Besonderheiten gem. § 2 Bedarfsplanungs-Richtlinie bzw. § 5 Abs. 1 Bedarfsplanungs-Richtlinie Zahnärzte abgewichen werden. Ferner ist in der vertragsärztlichen Versorgung vorgesehen, dass die Verhältniszahlen in den Planungsbereichen mit einem überdurchschnittlich hohen Anteil an Versicherten, die 65 Jahre und älter sind, durch einen Demografiefaktor gem. § 9 Bedarfsplanungs-Richtlinie angepasst werden. Je nach Versorgungsgrad ergibt die Bedarfsplanung schließlich eine Unter-, Normal- oder Überversorgung. Eine Unterversorgung der Versicherten liegt vor, wenn in bestimmten Planungsbereichen Vertragsarztsitze, die im Bedarfsplan für eine bedarfsgerechte Versorgung vorgesehen sind, nicht nur vorübergehend nicht besetzt werden können und dadurch eine unzumutbare Erschwernis in der Inanspruchnahme vertragsärztlicher Leistungen eintritt (§ 28 Bedarfsplanungs- Richtlinie bzw. § 6 Abs. 1 Bedarfsplanungs-Richtlinie Zahnärzte). Dieser Fall liegt vor, wenn der Stand der hausärztlichen Versorgung den ausgewiesenen Bedarf um mehr als 25 % und der Stand der allgemeinen oder spezialisierten fachärztlichen Versorgung den ausgewiesenen Bedarf um mehr als 50 % unterschreitet (§ 29 Bedarfsplanungs-Richtlinie). Für die gesonderte fachärztliche Versorgung ist kein Prozentsatz vorgesehen. Im zahnärztlichen Bereich wird eine Unterversorgung vermutet, wenn der Bedarf den Stand der zahnärztlichen Versorgung um mehr als 100 v. H. überschreitet (§ 6 Bedarfsplanungs-Richtlinie Zahnärzte). Wenn Anhaltspunkte für eine drohende oder vorhandene Unterversorgung in einem Planungsbereich vorliegen, so müssen die Kassenärztliche Vereinigung, die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen eine gemeinsame Prüfung des Standes der ärztlichen Versorgung vornehmen und den Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen über die Ergebnisse informieren (§ 30 Bedarfsplanungs-Richtlinie bzw. § 6 Abs. 2 Bedarfsplanungs-Richtlinie Zahnärzte). Wenn die Prüfung eine drohende oder vorhandene Unterversorgung ergibt, so ist diese vom Landesausschuss festzustellen. Damit verbunden ist eine Fristsetzung gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung zur Schließung der Versorgungslücke (§ 100 SGB V). Zu den zu ergreifenden Maßnahmen der Kassenärztlichen Vereinigung <?page no="51"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 51 gehören beispielsweise die Zahlung von Sicherstellungszuschlägen an die Vertragsärzte in den unterversorgten Gebieten oder das Betreiben von eigenen Einrichtungen (§ 105 SGB V). Wenn die Unterversorgung trotz solcher Maßnahmen fortbesteht, ist der Landesausschuss gem. § 100 Abs. 2 SGB V verpflichtet, in anderen Gebieten Zulassungsbeschränkungen anzuordnen. Diese Anordnung zielt darauf ab, die Zulassungswünsche der Bewerber einer Arztgruppe örtlich „umzuleiten“. In der vertragszahnärztlichen Versorgung sind Zulassungsbeschränkungen wie eingangs erwähnt nicht vorgesehen, so dass eine solche Anordnung ausscheidet. Dadurch erübrigt sich zudem eine vorherige Fristsetzung zur Beseitigung oder Abwendung der Unterversorgung durch die Kassenzahnärztliche Vereinigung (§ 100 Abs. 4 SGB V). Gleichwohl kann die Kassenzahnärztliche Vereinigung die Fördermaßnahmen nach § 105 SGB V ergreifen, um die Versorgungslücke zu schließen. Wenn der allgemeine bedarfsgerechte Versorgungsgrad bzgl. einer Arztgruppe eines Planungsbereichs um 10 % überschritten ist (die IST-Versorgung übersteigt also die SOLL-Versorgung um 10 %), liegt eine Überversorgung vor (§ 101 Abs. 1 S. 3 SGB V). Planungsbereich XYZ, Arztgruppe Hausärzte, Stand: 31.08.2018 Ein wo hn er im Pla nun gsbe reic h Verhältniszahl im Planungsbereich (lt. Bedarfsplanungs-Richtlinie) Verhältniszahl angepasst 50. 250 1.671 1.636 Zahl der Vertragsärzte Zahl der angestellten Ärzte Zahl der ermächtigten Ärzte Gesamtzahl Ärzte 30,00 4,75 0,00 34,75 Versorgungsgrad Planungsbereich gesperrt 113,1 % ja Tab. 3: Beispiel einer Überversorgung Bei Überversorgung ist der Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen verpflichtet, eine Zulassungsbeschränkung anzuordnen (§ 103 Abs. 1-3 SGB V). Diese hat zur Folge, dass kein weiterer Vertragsarzt der betroffenen Arztgruppe an der Versorgung der Versicherten in dem betroffenen Planungsbereich teilnehmen kann, solange die Beschränkung besteht (§ 19 Abs. 1 S. 2 Ärzte-ZV). Ein solcher Planungsbereich wird auch als „gesperrter Bezirk“ bezeichnet. Hierbei ist wiederum zu beachten, dass zwar im vertragszahnärztlichen Bereich ebenfalls eine Überversorgung vorliegen kann. Gleichwohl sind die Feststellung der Überversorgung und Anordnung einer Zulassungsbeschränkung durch den Landesausschuss nicht vorgesehen (§ 103 Abs. 8 SGB V). <?page no="52"?> 52 Recht im Gesundheitswesen 2.1.2.3 Zulassung und Ermächtigung als Zugangsvoraussetzung Wenn ein Arzt oder Psychotherapeut gesetzlich versicherte Patienten behandeln möchte, benötigt er eine entsprechende Zulassung (§ 95 Abs. 1 SGB V). ✎ Aufgabe Der in W wohnhafte 30-jährige Friedrich Fleißig ist Kinderarzt und im Arztregister eingetragen. Nunmehr beantragt er (unter Beifügung aller gem. § 18 Ärzte-ZV notwendigen Unterlagen) im Planungsbereich W eine Zulassung als Vertragsarzt. In W sind 10 Kinderärzte zugelassen. Für W gilt eine Sollzahl von 14 Ärzten, so dass eine Zulassungsbeschränkung nicht ausgesprochen ist. Aus dem Führungszeugnis des Friedrich Fleißig ergibt sich, dass er Anfang des Jahres rechtskräftig wegen Erwerbs kinderpornografischer Schriften in Tateinheit mit dem Besitz kinderpornografischer Schriften zu einer Geldstrafe in Höhe von 180 Tagessätzen verurteilt worden ist. Aus der Akte des Strafverfahrens ergibt sich, dass sich mindestens 850 kinderpornografische Bilddateien in den drei Jahren vor der Verurteilung auf dem häuslichen Computer von Fleißig befanden. Diese Dateien waren jeweils nach gezielter Suche über einschlägige Suchbegriffe von kinderpornografischen Internetseiten betrachtet und sodann heruntergeladen worden. Die Darstellungen geben vielfältige Formen von Missbrauch von Kindern unter 14 Jahren wieder, einschließlich von Darstellungen unter Einbeziehung von Hunden. Wird der Zulassungsausschuss den Fleißig als Vertragsarzt zulassen? Begründen Sie Ihre Entscheidung. Die Lösungen finden Sie im Web-Service. Gem. §§ 96, 97 SGB V entscheiden über die Zulassungen und Ermächtigungen ein Zulassungs- und Berufungsausschuss. Der Zulassungsausschuss besteht aus Vertretern der Ärzte und der Krankenkassen in gleicher Zahl. Er beschließt mit einfacher Stimmenmehrheit, bei Stimmengleichheit gilt ein Antrag als abgelehnt. Gegen die Entscheidung des Zulassungsausschusses können die am Verfahren beteiligten Ärzte und Einrichtungen, die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Landesverbände der Krankenkassen sowie die Ersatzkassen den Berufungsausschuss anrufen. Dieser besteht ebenfalls aus Vertretern der Ärzte und der Krankenkassen in gleicher Zahl sowie aus einem Juristen als unparteiischer Vorsitzender. Die Mitglieder der beiden Ausschüsse sind ehrenamtlich tätig und an Weisungen nicht gebunden. Ein Arzt oder Psychotherapeut, der eine Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung begehrt, muss einen entsprechenden Antrag stellen und folgende Voraussetzungen erfüllen: Er muss die in § 18 Ärzte-ZV bzw. § 18 Zahnärzte-ZV vorgesehenen Unterlagen einreichen. Dazu gehören z. B. der Lebenslauf und das polizeiliche Führungszeugnis. <?page no="53"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 53 Der Arzt muss in das von der Kassenärztlichen Vereinigung geführte Arztregister eingetragen sein (§§ 95 II SGB V, §§ 1-10 Ärzte-ZV, §§ 1-10 Zahnärzte-ZV). Bei Ärzten setzt die Eintragung in das Arztregister die Approbation als Arzt sowie den erfolgreichen Abschluss einer fachärztlichen Weiterbildung, einen anerkannten Ausbildungsnachweis eines EU-/ EWR-Mitgliedstaats oder den früheren Abschluss als „Praktischer Arzt“ voraus (§ 95a SGB V). Die Eintragung eines Psychotherapeuten setzt die Approbation als Psychotherapeut und den Fachkundenachweis über eine vertiefte Ausbildung in einem vom GBA anerkannten Behandlungsverfahren (z. B. Verhaltenstherapie) voraus (§ 95c SGB V). Voraussetzungen für die Eintragung eines Zahnarztes sind die Approbation als Zahnarzt und die Ableistung einer mindestens zweijährigen Vorbereitungszeit (§ 95 Abs. 2 S. 3 SGB V). Eine anderweitige Beschäftigung oder nicht ehrenamtliche Tätigkeit des Antragstellers darf nicht so umfangreich sein, dass er seinen Versorgungsauftrag nicht erfüllen kann (§ 20 Abs. 1 Ärzte-ZV, § 20 Abs. 1 Zahnärzte-ZV). Nach der Rechtsprechung des BSG 43 steht eine andere Vollzeittätigkeit einer Zulassung als Vertragsarzt immer entgegen, auch wenn der Arzt nur einen hälftigen Versorgungsauftrag gem. 19 Abs. 2 Ärzte-ZV bzw. § 19 Abs. 2 Zahnärzte-ZV begehrt. Wenn die andere Tätigkeit in einem geringeren Umfang als Vollzeit ausgeübt wird, so sind seit dem Inkrafttreten des GKV-Versorgungsstrukturgesetzes 44 die Umstände des Einzelfalls maßgeblich. Mit diesem Gesetz wurden die vom BSG zuvor entwickelten starren Zeitgrenzen gelockert. 45 Zuvor hatte das BSG eine anderweitige Tätigkeit im Umfang von 13 Wochenstunden neben einem vollen Versorgungsauftrag und 26 Wochenstunden neben einem hälftigen Versorgungsauftrag für zulässig erachtet. 46 Nunmehr kommt es vor allem darauf an, ob der Vertragsarzt (trotz seiner anderen Tätigkeit) Sprechstunden für die Patienten zu den in der vertragsärztlichen Versorgung üblichen Zeiten anbieten kann und in der Praxis zu den Zeiten präsent ist, in denen das ihm nachgeordnete Personal delegierte Aufgaben wahrnimmt, die der Vertragsarzt beaufsichtigen muss. 47 Zur Vermeidung von Interessen- und Pflichtenkollisionen darf der Vertragsarzt bzw. Psychotherapeut gem. § 20 Abs. 2 Ärzte-ZV bzw. § 20 Abs. 2 Zahnärzte- ZV keine andere ärztliche Tätigkeit ausüben, die ihrem Wesen nach mit der Tätigkeit des Vertragsarztes am Vertragsarztsitz nicht zu vereinbaren ist; die Tätigkeit in einem zugelassenen Krankenhaus oder einer zugelassenen Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtung ist hiervon ausgenommen. Dagegen wäre bei- 43 Vgl. BSG, Urt. v. 16.12.2015, B 6 KA 19/ 15 R, NZS 2016, 554 ff. 44 Gesetz zur Verbesserung der Versorgungstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung v. 22.12.2011, BGBl. I S. 2983. 45 Vgl. RegE des Gesetzes zur Verbesserung der Versorgungstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung, BTag-Drucks 17/ 6906, S. 104. 46 Vgl. BSG, Urt. v. 30.1.2002, B 6 KA 20/ 01 R, NZS 2003, 270 ff., BSG, Urt. v. 13.10.2010, B 6 KA 40/ 09 R, MedR 2011, 605 ff. 47 Vgl. BSG, Urt. v. 16.12.2015, B 6 KA 19/ 15 R, NZS 2016, 554 ff. <?page no="54"?> 54 Recht im Gesundheitswesen spielsweise eine Tätigkeit als Arzt beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung eine solche unzulässige Tätigkeit. 48 Der Antragsteller darf zudem nicht ungeeignet sein, seine vertragsärztliche Tätigkeit ordnungsgemäß auszuüben (§ 21 Ärzte-ZV bzw. § 21 Zahnärzte-ZV). Hierbei geht es nicht um die fachliche Eignung, sondern darum, ob der Arzt willens und fähig ist, an der Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung ordnungsgemäß mitzuwirken. 49 Die fehlende Eignung kann sich zum einen aus gesundheitlichen Einschränkungen ergeben, wie z. B. Drogen- oder Alkoholabhängigkeit innerhalb der letzten fünf Jahre vor seiner Antragstellung. Zum anderen können sonstige in der Person liegende schwerwiegende Gründe einer vertragsärztlichen Tätigkeit entgegenstehen. Zu diesen Gründen gehören z. B. einschlägige Straftaten oder Verletzungen von ärztlichen Berufspflichten, die ihn für das Versorgungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung untragbar machen. Des Weiteren darf bei Antragstellung keine Zulassungsbeschränkung (siehe oben) für die Arztgruppe und den Planungsbereich, in dem sich der Arzt bzw. Psychotherapeut niederlassen möchte, bestehen (§ 19 Abs. 1 S. 2 Ärzte-ZV). Der Zulassungsausschuss ist an die Anordnung einer Zulassungsbeschränkung durch den Landesausschuss gebunden. Diese Voraussetzung gilt nur für die Vertragsärzte. Die Zahnärzte sind davon ausgenommen (§ 103 Abs. 8 SGB V). Wenn eine Zulassungsbeschränkung besteht, kommen nur noch Sonderbedarfszulassungen in Betracht, um einen zusätzlichen lokalen oder einen qualifikationsbezogenen Versorgungsbedarf in der Arztgruppe in dem Planungsbereich zu decken (Näheres dazu in § 100 Abs. 3, § 101 Abs. 1 Nr. 3, 3a SGB V, §§ 36, 37 Bedarfsplanungs-Richtlinie). Neben einzelnen Ärzten bzw. Psychotherapeuten können medizinische Versorgungszentren zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen werden. ❋ Wissen │ medizinisches Versorgungszentrum Ein medizinisches Versorgungszentrum ist eine ärztlich geleitete Einrichtung, in der Ärzte, die in das Arztregister eingetragen sind, als Angestellte oder Vertragsärzte tätig sind (§ 95 Abs. 1 S. 2 SGB V). Es kann in verschiedenen Konstellationen in Erscheinung treten. Beispielsweise können sich mehrere Vertragsärzte als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) zusammenschließen und jeweils als Gesellschafter die ärztliche Behandlung erbringen. Alternativ können die Ärzte eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) gründen, an der sie als Gesellschafter beteiligt sind. Im Hinblick auf die zu erbringenden ärztlichen Dienstleistungen wären sie Angestellte der GmbH, da diese eine rechtlich selbständige juristische Person ist. Ebenso können Krankenhäuser oder Gemeinden eine GmbH gründen, bei der die Ärzte als Angestellte beschäftigt sind. 48 Vgl. Scholz, Beck´scher Online-Kommentar Sozialrecht, Ärzte-ZV § 20 Rn. 17. 49 Vgl. BSG, Urt. v. 29.10.1986, 6 RKa 32/ 86, BeckRS 1986, 05838. <?page no="55"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 55 Wenn ein medizinisches Versorgungszentrum eine Zulassung begehrt, muss es neben den vorgenannten sechs Voraussetzungen noch weitere spezifische Bedingungen erfüllen: Der ärztliche Leiter, der in medizinischen Fragen kraft Gesetzes weisungsfrei ist, muss in dem medizinischen Versorgungszentrum selbst als angestellter Arzt oder als Vertragsarzt tätig sein. Wenn verschiedene Berufsgruppen (z. B. Facharzt für Allgemeinmedizin und Zahnarzt) vertreten sind, kann die ärztliche Leitung aus mehreren Personen bestehen (§ 95 Abs. 1 S. 3, 4 SGB V). Der Träger der Einrichtung muss zu dem gründungsberechtigten Personenkreis gem. § 95 Abs. 1a SGB V gehören. Das sind zugelassene Ärzte, zugelassene Krankenhäuser, Erbringer nichtärztlicher Dialyseleistungen nach § 126 Absatz 3 SGB V, gemeinnützige Träger, die aufgrund von Zulassung oder Ermächtigung an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen und Kommunen (Gemeinden, Städte, Landkreise). Der gründungsberechtigte Personenkreis ist durch das GKV-Versorgungsstrukturgesetz zum 01.01.2012 eingeschränkt worden. Die medizinischen Versorgungszentren, die zuvor von jetzt nicht mehr berechtigten Trägern gegründet worden waren, haben jedoch Bestandsschutz und können weiterhin an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen. Ferner ist in § 95 Abs. 1a SGB V die zulässige Rechtsform vorgegeben. Das medizinische Versorgungszentrum darf nur als eingetragene Genossenschaft, Personengesellschaft (GbR, PartG), als GmbH oder in öffentlich rechtlicher Rechtsform (Eigenbetrieb, Regiebetrieb) betrieben werden. Wenn die GmbH als Rechtsform gewählt wird, setzt die Zulassung voraus, dass die Gesellschafter eine selbstschuldnerische Bürgschaft der Gesellschafter oder andere Sicherheitsleistung gem. § 232 BGB abgegeben haben (§ 95 Abs. 2 S. 6 SGB V). Einri chtungen , di e vor dem 01 .0 1. 20 12 in ein er and eren Re chtsfo rm g eg rün det worden waren, haben wiederum Bestandsschutz. Wenn der Arzt, Psychotherapeut oder das medizinische Versorgungszentrum alle Voraussetzungen erfüllt, so besteht ein Rechtsanspruch auf die Zulassung. Die Zulassung erfolgt für den Ort der Niederlassung (§ 95 Abs. 1 S. 5 SGB V). Sie hat folgende Wirkungen: Der Vertragsarzt, Psychotherapeut und das medizinische Versorgungszentrum sind im Rahmen ihres Versorgungsauftrages zur Versorgung der gesetzlich versicherten Patienten berechtigt und verpflichtet (§ 95 Abs. 3 S. 1, 2 SGB V). Der Vertragsarzt, Psychotherapeut und die beim medizinischen Versorgungszentraum angestellten Ärzte sind (kraft Gesetzes) Mitglied bei der für den Vertragsarztsitz zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung (§ 95 Abs. 3 S. 1, 2 SGB V). Die vertraglichen Bestimmungen über die vertragsärztliche Versorgung sind für alle verbindlich (§ 95 Abs. 3 S. 3 SGB V). Der Vertragsarzt, Psychotherapeut und das medizinische Versorgungszentrum sind berechtigt, an der Honorarverteilung durch die Kassenärztliche Vereinigung teilzunehmen (§ 85 Abs. 4 S. 1, § 87b Abs. 1 S. 1 SGB V). Neben den zugelassenen Leistungserbringern können ermächtigte Ärzte und ermächtigte Einrichtungen an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen. Bei <?page no="56"?> 56 Recht im Gesundheitswesen der Ermächtigung handelt es sich um eine eingeschränkte Form der Zulassung. Die Einschränkungen können in zeitlicher Hinsicht (z. B. zweijährige Befristung), in Bezug auf die abrechenbaren Leistungen der Diagnostik und Therapie oder in Bezug auf den zu versorgenden Personenkreis (z. B. nur geriatrische Patienten) bestehen. Nach dem SGB V sind folgende Ermächtigungen möglich: Abb. 9: Ermächtigte Ärzte und Einrichtungen Über die Ermächtigung entscheiden ebenfalls der Zulassungs- und Berufungsausschuss. Die Ärzte und Einrichtungen, die eine bestimmte Ermächtigung beantragen, müssen die jeweils spezifisch geltenden Zugangsvoraussetzungen erfüllen. 2.1.2.4 Rechte und Pflichten der zugelassenen und ermächtigten Leistungserbringer Die Aufgaben, Rechte und Pflichten der Leistungserbringer ergeben sich nicht nur aus den gesetzlichen, sondern auch aus den untergesetzlichen Regelungen (vgl. zu den Kollektivverträgen und Richtlinien auch Abschnitt 1.2). So schließen die Kassenärztlichen Vereinigungen mit den für ihren Bezirk zuständigen Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen Gesamtverträge (§ 83 SGB V) über die Details der vertragsärztlichen Versorgung, insbesondere über Rechte und Pflichten der Beteiligten. Diese Verträge sind sowohl für die Vertragsärzte als auch für die Krankenkassen verbindlich (§ 95 Abs. 3 S. 3, § 83 S. 1 SGB V). Die auf der Bundesebene geschlossenen Bundesmantelverträge 50 sind ebenfalls Bestand- 50 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä), unter https: / / www.gkv-spitzenverband.de/ krankenversicherung/ aerztliche_versorgung/ bundesmantelvertrag/ bundesmantelvertrag.jsp (Abruf am 8.7.2018), § 119 SGB V: sozialpädiatrische Zentren § 119a SGB V: Einrichtungen der Behindertenhilfe mit ärztlich geleiteter Abteilung § 119b SGB V: stationäre Pflegeeinrichtung mit angestellten Ärzten § 119c SGB V: medizinische Behandlungszentren § 116 SGB V: ermächtigte Krankenhausärzte § 116a SGB V: ermächtigte Krankenhäuser § 117 SGB V: Hochschulambulanzen § 118 SGB V: psychiatrische Institutsambulanzen § 118a SGB V: geriatrische Institutsambulanzen ermächtigte Ärzte und Einrichtungen <?page no="57"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 57 teil der Gesamtverträge und teilen deren Verbindlichkeit (§ 82 Abs. 1 SGB V). Weitere Einzelheiten der ärztlichen Versorgung regeln die Richtlinien des GBA. Diese Richtlinien gelten gem. § 92 Abs. 8 SGB V als Bestandteil der Bundesmantelverträge und damit letztlich ebenfalls als Teil der Gesamtverträge. Um den Versichertenanspruch zu erfüllen, haben die Vertragsärzte bzw. Psychotherapeuten gem. § 73 Abs. 2 SGB V folgende Aufgaben: ärztliche Behandlung, zahnärztliche Behandlung und kieferorthopädische Behandlung, Versorgung mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen, Maßnahmen zur Früherkennung von Krankheiten, ärztliche Betreuung bei Schwangerschaft und Mutterschaft, ärztliche Beratung zur Empfängnisverhütung, medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft, ärztliche Maßnahmen zum Schwangerschaftsabbruch und zur Sterilisation, Anordnung der Hilfeleistung anderer Personen, Verordnung von Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln, Verordnung von Krankentransporten, Verordnung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, Verordnung von Krankenhausbehandlung oder Behandlung in Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen, Verordnung häuslicher Krankenpflege, Verordnung von Soziotherapie, Verordnung von spezialisierter ambulanter Palliativversorgung, Abgabe einer ärztlichen Zweitmeinung zu einem planbaren Eingriff, Ausstellung von Bescheinigungen und Erstellung von Berichten, die die Krankenkassen oder der Medizinische Dienst zur Durchführung ihrer gesetzlichen Aufgaben benötigen, Ausstellung von Bescheinigungen, die die Versicherten für den Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts benötigen. Der Leistungserbringer hat die vertragsärztliche Tätigkeit persönlich in freier Praxis auszuüben (§ 32 Abs. 1 S. 1 Ärzte-ZV bzw. § 32 Abs. 1 S. 1 Zahnärzte-ZV). Die Anstellung eines Arztes bedarf der Genehmigung des Zulassungsausschusses (§ 95 Abs. 9-9b SGB V, § 95 Abs. 2 S. 7 SGB V). Der Vertragsarzt mit vollem Versorgungsauftrag muss mindestens 20 Stunden wöchentlich Sprechstunden für die Patienten anbieten, bei hälftigem Versorgungsauftrag mindestens zehn Stunden (§ 17 Abs. 1a BMV-Ä). Im zahnärztlichen Bereich sind keine festen Stundenzahlen vorgegeben. Der Zahnarzt soll seine Sprechstunden entsprechend dem Bedürfnis nach einer ausreichenden und zweckmäßigen vertragszahnärztlichen Versorgung und den Gegebenheiten seines Praxisbereiches festsetzen (§ 6 Abs. 2 BMV-Z). Dem Vertragsarzt bzw. Psychotherapeut steht bei der Versorgung der Patienten eine sog. Therapiefreiheit zu, nach der es primär Sache des Arztes ist, die zu ergrei- Bundesmantelvertrag-Zahnärzte (BMV-Z), unter https: / / www.gkv-spitzenverband.de/ krankenversicherung/ zahnaerztliche_versorgung/ bmv_z_ekv_z/ bmv_z.jsp (Abruf am 8.7.2018). <?page no="58"?> 58 Recht im Gesundheitswesen fende diagnostische und therapeutische Maßnahme unter Berücksichtigung des ärztlichen Standards auszuwählen. Diese Freiheit ist jedoch nicht grenzenlos. Wenn es mehrere geeignete Methoden gibt, die sich hinsichtlich der Risiken und Erfolgschancen unterscheiden, muss er den Patienten darüber aufklären und diesem die Auswahl überlassen. Allerdings verhindert die Therapiefreiheit, dass der Arzt zur Vornahme einer bestimmten Behandlung gezwungen ist. Abgesehen von Notfällen kann der Vertragsarzt die vom Patienten gewünschte Methode auch ablehnen. Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden darf der Vertragsarzt zulasten der Krankenkassen erst erbringen, wenn der GBA die Methode gem. § 135 SGB V anerkannt hat. 51 Neu ist eine Methode, wenn sie sich von den bisherigen Methoden dergestalt unterscheidet, dass ihr ein eigenes theoretischwissenschaftliches Konzept zugrunde liegt, und sie nicht im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (siehe unten) aufgeführt ist. 52 Gem. § 70 SGB V ist der Vertragsarzt wie alle Leistungserbringer in der gesetzlichen Krankenversicherung verpflichtet, seine Leistungen in der fachlich gebotenen Qualität zu erbringen. Das schließt ein, dass er in seiner Praxis ein einrichtungsinternes Qualitätsmanagement einführen und weiterentwickeln muss (§ 135a Abs. 2 Nr. 2 SGB V). Das Qualitätsmanagement stellt ein systematisches Vorgehen dar, mit dem die Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität der Patientenversorgung gezielt beeinflusst werden soll. Einzelheiten des Qualitätsmanagementsystems sind in der gleichnamigen Richtlinie 53 des GBA geregelt. Ferner hat der Vertragsarzt bzw. Psychologische Psychotherapeut die Beschlüsse und Richtlinien des GBA zur Qualitätssicherung 54 bei seiner Tätigkeit zu berücksichtigen. Ferner sind die Leistungserbringer nach § 95d SGB V verpflichtet, sich regelmäßig fortzubilden, damit sie ihre Fachkenntnisse auf dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse erhalten oder weiterentwickeln. Aller fünf Jahre muss gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung der Nachweis über die Pflichterfüllung erbracht werden. Unterlässt der Arzt oder Psychotherapeut die Fortbildung, so drohen ihm Honorarkürzungen und im schlimmsten Fall die Entziehung der vertragsärztlichen Zulassung. Wie bereits erwähnt erlangen die Leistungserbringer mit der Zulassung das Recht, an der Honorarverteilung durch die Kassenärztliche Vereinigung teilzunehmen. Die Kassenärztliche Vereinigung erhält von den Krankenkassen für die gesamte vertragsärztliche Versorgung ihrer Mitglieder (inkl. der mitversicherten Familienangehörigen) mit Wohnort im Bezirk der Kassenärztlichen Vereinigung quartalsweise eine Gesamtvergütung (§ 85 Abs. 1 SGB V). Die Gesamtvergütung ist das Ausgabenvolumen für die Gesamtheit der zu vergütenden vertragsärztlichen Leis- 51 Vgl. Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung vom 17.1.2006, BAnz Nr. 48, S. 1523, z. g. a. 15.02.2018, BAnz AT 11.05.2018 B6. 52 Vgl. BSG, Urt. v. 19.2.2002, B 1 KR 16/ 00 R, NZS 2003, 206 ff. [208]. 53 Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über grundsätzliche Anforderungen an ein einrichtungsinternes Qualitätsmanagement für Vertragsärztinnen und Vertragsärzte, Vertragspsychotherapeutinnen und Vertragspsychotherapeuten, medizinische Versorgungszentren, Vertragszahnärztinnen und Vertragszahnärzte sowie zugelassene Krankenhäuser (QM-RL) vom 17.12.2015, BAnz AT 15.11.2016 B2. 54 Vgl. Aufstellung der Beschlüsse und Richtlinien unter https: / / www.g-ba.de/ informationen/ richtlinien/ (Abruf am 11.7.2018). <?page no="59"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 59 tungen und wird von der Kassenärztlichen Vereinigung mit den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen jeweils für das Folgejahr vereinbart (§ 85 Abs. 2 SGB V). Mit der Zahlung der vereinbarten Gesamtvergütung sind alle Vergütungsansprüche der Kassenärztlichen Vereinigung, die aus ihrem Sicherstellungsauftrag resultieren, abgegolten. Eine Nachforderung seitens der Kassenärztlichen Vereinigung ist somit grundsätzlich ausgeschlossen, es sei denn, sie ist nach den gesetzlichen Regelungen zugelassen. So regelt beispielsweise § 87a Abs. 3 S. 4 SGB V für die vertragsärztliche Versorgung (nicht aber für die vertragszahnärztliche Versorgung) eine Nachzahlungsverpflichtung der Krankenkassen für den Fall eines nicht vorhersehbaren Anstiegs des morbiditätsbedingten Behandlungsbedarfs (z. B. durch eine Grippeepidemie). Die Verteilung der Gesamtvergütung an die Leistungserbringer, die die gesetzlich versicherten Patienten behandeln, erfolgt nach einem Honorarverteilungsmaßstab, den die Kassenärztliche Vereinigung im Benehmen mit den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen festgesetzt hat (§ 85 Abs. 4, § 87b Abs. 1 S. 2 SGB V). Abb. 10: Gesamtvergütung und Honorarverteilung Die Vertragsärzte und Psychotherapeuten werden hinsichtlich der Erfüllung ihrer Aufgaben und Pflichten von den Kassenärztlichen Vereinigungen beaufsichtigt. Verfehlungen können je nach der Schwere mit Verwarnung, Verweis, Geldbuße oder mit der Anordnung des Ruhens der Zulassung bis zu zwei Jahren geahndet werden (§ 75 Abs. 2, § 81 Abs. 5 SGB V). 2.1.2.5 Beendigung der vertragsärztlichen Tätigkeit Die vertragsärztliche Tätigkeit endet dadurch, dass die Zulassung entweder gem. § 95 Abs. 6 SGB durch den Zulassungsausschuss entzogen wird oder gem. § 95 Abs. 7 SGB V endet: KV EK/ KK Vertragsarzt Vereinbarung der Gesamtvergütung Zahlung des Honorars EK und LV der KK <?page no="60"?> 60 Recht im Gesundheitswesen Abb. 11: Beendigung der vertragsärztlichen Tätigkeit Die Zulassung ist zu entziehen, wenn die oben beschriebenen Zulassungsvoraussetzungen nicht oder nicht mehr vorliegen. Hinsichtlich einer Zulassungsbeschränkung ist dabei zu beachten, dass eine solche der Zulassung nur entgegensteht, wenn sie bereits bei Antragstellung durch den Arzt angeordnet war (§ 19 Abs. 1 S. 2 Ärzte-ZV). Somit führt die spätere Anordnung einer Zulassungsbeschränkung nicht dazu, dass die Voraussetzungen nicht mehr vorliegen. Eine gröbliche Verletzung vertragsärztlicher Pflichten, die ebenfalls zur Entziehung der Zulassung führt, liegt vor, wenn der Verstoß des Vertragsarztes bzw. Psychotherapeuten so schwer wiegt, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Krankenkassen und Kassenärztlicher Vereinigung langfristig gestört ist und eine weitere Zusammenarbeit nicht mehr möglich erscheint. 55 55 Ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. z. B. BSG Urt. v. 21.3.2012, B 6 KA 22/ 11 R, MedR 2013, 66 ff. [67] m. w. N. Beendigung der vertragsärztlichen Tätigkeit Entziehung gem. § 95 Abs. 6 SGB V Ende gem. § 95 Abs. 7 SGB V Zulassungsvoraussetzungen liegen nicht (mehr) vor keine Aufnahme oder Ausübung der Tätigkeit gröbliche Verletzung vertragsärztlicher Pflichten Tod des Arztes/ Auflösung des MVZ Verzicht Wegzug aus dem Bezirk des Vertragsarztsitzes <?page no="61"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 61 ◉ Beispiel Ein medizinisches Versorgungszentrum rechnete 1.023 Gebührenordnungspositionen unter drei lebenslangen Arztnummern (LANR) ab, die bundesweit nicht vergeben waren. Ferner berechnete es Leistungen einer Ärztin, die erst später angestellt worden ist, sowie Leistungen einer Ärztin, die gar nicht dem medizinischen Versorgungszentrum angehörte. Darin sah das LSG Berlin- Brandenburg eine gröbliche Pflichtverletzung, da die peinlich genaue Abrechnung eine essentielle Grundlage des vertragsärztlichen Vergütungssystems ist. Die Revision beim BSG hatte keinen Erfolg. 56 Wenn die Zulassung eines Vertragsarztes bzw. Psychotherapeuten (gilt nicht für Vertragszahnärzte) in einem Planungsbereich, für den Zulassungsbeschränkungen angeordnet sind, durch Tod, Verzicht oder Entziehung endet und die Praxis von einem Nachfolger weitergeführt werden soll, entscheidet der Zulassungsausschuss auf Antrag des Vertragsarztes oder seiner Erben, ob ein sog. Nachbesetzungsverfahren für den Vertragsarztsitz durchgeführt werden soll. Die Einzelheiten dieses Verfahrens sind in § 103 Abs. 3a, 4 SGB V geregelt. 2.1.3 Anforderungen aus weiteren gesundheitsrechtlichen Vorschriften Ärzte, Psychotherapeuten, Heilpraktiker haben eine Vielzahl weiterer Pflichten zu erfüllen, die aus verschiedenen Rechtsvorschriften folgen. Einige von denen sollen nachfolgend benannt werden: Wenn Medizinprodukte (z. B. EKG-Geräte, Blutdruckmessgerät, Spritzen, Tupfer) betrieben und angewendet werden, müssen die Anforderungen aus der MPBetreibV beachtet werden, vgl. dazu Abschnitt 2.2.4. Beim Einsatz von Geräten und Stoffen mit ionisierender Strahlung (z. B. Röntgeneinrichtung) müssen die Röntgenverordnung und die Strahlenschutzverordnung eingehalten werden, vgl. dazu Abschnitt 2.2.5. Für die Anwendung von nichtionisierender Strahlung, z. B. bei der Magnet-Resonanz-Tomographie (MRT), ist das Gesetz zum Schutz vor nichtionisierender Strahlung bei Anwendung am Menschen einschlägig, vgl. dazu ebenfalls Abschnitt 2.2.5. Aus dem Infektionsschutzrecht ergeben sich zum einen Meldepflichten bzgl. verschiedener übertragbarer Krankheiten und Krankheitserreger sowie zum anderen Hygieneanforderungen zur Vermeidung von nosokomialen Infektionen, vgl. dazu Abschnitt 2.2.5. Die Werbung für die eigenen Dienstleistungen zur Krankenbehandlungen wird zum einen durch die Berufsordnungen reglementiert (vgl. Abschnitt 2.1.1.2). Zum anderen sind das Heilmittelwerbegesetz sowie das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb einschlägig. Die diesbezüglichen Erläuterungen im Abschnitt 2.9.14 (zur Arzneimittelwerbung) lassen sich weitestgehend auch auf die Werbung der Heilberufe für ihre therapeutischen Leistungen übertragen. 56 Vgl. BSG, Urt. v. 21.3.2012, B 6 KA 22/ 11 R, MedR 2013, 66 ff. <?page no="62"?> 62 Recht im Gesundheitswesen 2.1.4 Behandlungsvertrag mit dem Patienten Die Patienten dürfen zwischen allen niedergelassenen Ärzten bzw. Psychotherapeuten frei wählen; das gilt nach § 76 SGB V auch für die gesetzlich Versicherten. Die Patienten können sich ebenso von einem Heilpraktiker behandeln lassen, auch wenn diese Behandlung nicht zu den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung gehört. Zwischen dem Leistungserbringer und dem Patienten besteht ein privatrechtlicher Vertrag, und zwar ein Behandlungsvertrag gem. § 603a ff. BGB. Das gilt sowohl für den selbstzahlenden als auch für den gesetzlich versicherten Patienten. Der Vertrag wird in der Regel mündlich oder konkludent geschlossen; eine Schriftform ist gesetzlich nicht vorgegeben. Gem. § 630a BGB hat der Arzt, Psychotherapeut oder Heilpraktiker den Patienten nach dem allgemein anerkannten fachlichen Standard zu behandeln. Die Behandlung zielt darauf ab, die körperliche und gesundheitliche Integrität des Patienten wiederherzustellen, Beschwerden zu lindern, den Krankheitsverlauf zu verzögern oder Verschlimmerungen vorzubeugen. Sie umfasst die Anamnese, Diagnose und Therapie sowie die notwendigen Verordnungen von Arzneimitteln oder anderen therapeutischen Leistungen. Weitere Pflichten der Behandler sind vor allem die Aufklärungs-, Dokumentationspflicht, Schweigepflicht, vgl. dazu Abschnitt 2.2.6.2. Wenn der Arzt bzw. Psychotherapeut eine Behandlungs- oder Aufklärungsfehler begeht, kommt sowohl die deliktische als auch vertragliche Haftung nach dem BGB in Betracht, vgl. dazu Abschnitt 2.2.7. Der Heilpraktiker haftet ebenfalls nach § 280 Abs. 1 BGB und § 823 Abs. 1 BGB für Aufklärungs- und Behandlungsfehler. Er ist zwar nicht an die allgemein anerkannten wissenschaftlichen Methoden gebunden und kann auch Außenseitermethoden einsetzen. Gleichwohl handelt er pflichtwidrig, wenn er nicht über die Kenntnisse und Befähigung verfügt, die für die angewendeten diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen notwendig sind. Ebenso begeht er eine Pflichtverletzung, wenn er eine Therapie wählt, die für die Behandlung des Patienten offensichtlich ungeeignet ist. 57 ◉ Beispiel Ein Heilpraktiker wendete eine Öl-Eiweiß-Therapie bei einer krebserkrankten Patientin an, der kurz zuvor der Übergangsbereich vom Dünnzum Dickdarm entfernt worden war. Zu der Therapie gehört u. a. die Verordnung einer Öl- Eiweiß-Kost und von Obstsäften, die jedoch wegen der entzündlich veränderten Darmschleimhaut kontraindiziert war. Da der Heilpraktiker seiner therapeutischen Verantwortung nicht nachgekommen war, haftete er auf Schmerzensgeld und weiteren Schadenersatz. 58 Dem Patienten obliegt es, dem Behandler die notwendigen Informationen zu geben und den therapeutischen Anordnungen Folge zu leisten (§ 630c Abs. 1 BGB). 57 Vgl. Wagner, Münchner Kommentar zum BGB, § 630a BGB Rn. 135 m. w. N. 58 Vgl. OLG Stuttgart, Urt. v. 21.4.1998, 14 U 25/ 97, VersR 1999, 1027 f. <?page no="63"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 63 Ferner besteht für den Patienten die Pflicht, die Behandlung zu vergüten (§ 630a Abs. 1 BGB). Für die notwendigen Leistungen der Behandlung eines gesetzlich versicherten Patienten erhält der Arzt bzw. Psychotherapeut ein Honorar der Kassenärztlichen Vereinigung, der er angehört (vgl. auch Abschnitt 2.1.2.4). Für individuelle Gesundheitsleistungen (sog. IGeL-Leistungen), die nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gehören, muss der Patient selbst aufkommen. Gegenüber selbstzahlenden (privat versicherten) Patienten rechnet der Arzt nach der GOÄ 59 oder der GOZ 60 ab. Für die Vergütung des Psychotherapeuten ist die GOP 61 maßgeblich, deren Regelungsgehalt sich im Wesentlichen darauf beschränkt, die GOÄ für anwendbar zu erklären. Der privat versicherte Patient ist Schuldner der Vergütung und muss für die Erstattung der Aufwendungen durch seine Krankenversicherung selbst Sorge tragen. Wenn der Behandler weiß, dass eine Leistung nicht von der privaten Versicherung übernommen wird, muss er den Patienten darüber aufklären (§ 630c Abs. 3 BGB). Eine Besonderheit besteht bei einem Patienten, der eine private Krankenversicherung im Basistarif abgeschlossen hat. In diesem Fall hat der Arzt bzw. Psychotherapeut einen Direktanspruch gegenüber dem Versicherungsunternehmen, so dass dieses zusammen mit dem Patienten gesamtschuldnerisch haftet (vgl. § 192 Abs. 7 VVG). Für die Vergütung eines Heilpraktikers gilt § 612 BGB. Danach kann sich die Höhe der Vergütung aus einer entsprechenden Vereinbarung zwischen dem Heilpraktiker und dem Patienten ergeben. Beispielsweise kann die analoge Anwendung der GOÄ vereinbart werden. Es existiert zwar ein Gebührenverzeichnis für Heilpraktiker. 62 Dennoch handelt es sich dabei nicht um eine Gebührentaxe, sondern um eine Darstellung der durchschnittlichen Vergütungen, die auf einer Umfrage bei niedergelassenen Heilpraktikern beruht und deren Sätze seit 1985 nicht mehr aktualisiert worden sind. 63 Wenn eine Vergütungsvereinbarung zwischen dem Heilpraktiker und dem Patienten fehlt, ist die übliche Vergütung als vereinbart anzusehen. Die übliche Vergütung orientiert sich an der Vergütung, die für gleiche oder ähnliche Dienstleistungen an dem betreffenden Ort mit Rücksicht auf die persönlichen Verhältnisse gezahlt wird. Insoweit kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an. 64 Für die Vergütung eines Heilpraktikers muss der gesetzlich versicherte Patient selbst aufkommen, da die Behandlung nicht zu den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung gehört. Anders kann es in der privaten Krankenversicherung sein. Hier kann in den Versicherungs- und Tarifbedingungen vorgesehen sein, dass die Kosten eines Heilpraktikers erstattet werden (vgl. z. B. § 4 Abs. 2 MB/ KK 2009 65 ). 59 Gebührenordnung für Ärzte i. d. F. d. Bek. v. 9.2.1996, BGBl. I S. 210, z. g. d. G v. 27.6.2017, BGBl. I S. 1966. 60 Gebührenordnung für Zahnärzte 22.10.1987, BGBl. I S. 2316, z. g. d. VO v. 5.12.2011, BGBl. I S. 2661. 61 Gebührenordnung für Psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten v. 8.6.2000, BGBl. I S. 818, z. g. d. VO v. 18.10.2001, BGBl. I S. 2721. 62 Vgl. http: / / www.heilpraktiker.org/ gebuehrenverzeichnis-fuer-heilpraktiker (Abruf am 8.7.2018). 63 Vgl. Rauscher, VersR 2016, 217 ff. [220]. 64 Vgl. BGH, Urt. v. 24.10.1989, X ZR 58/ 88, NJW-RR 1990, 349 f. [350]. 65 Vgl. Musterbedingungen 2009 für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung, https: / / www.pkv.de/ service/ broschueren/ musterbedingungen/ (Abruf am 8.7.2018). <?page no="64"?> 64 Recht im Gesundheitswesen ❋ Wichtige Schlagwörter ❋ Approbation ❋ Bedarfsplanung ❋ Behandlungsvertrag ❋ Ermächtigung ❋ Heilkunde ❋ Medizinisches Versorgungszentrum ❋ Zulassung ✎ Wiederholungsaufgaben [1] Erläutern Sie den Begriff Heilkunde. [2] Ein Zahnarzt erhält eine Approbation nur, wenn er sich keines Verhaltens schuldig gemacht hat, aus dem sich seine Unzuverlässigkeit oder Unwürdigkeit zur Ausübung des Berufs ergibt. Erläutern Sie, was unter Unzuverlässigkeit und Unwürdigkeit in diesem Sinne zu verstehen ist. [3] Erläutern Sie die Unterscheidung zwischen einer Zulassung und einer Ermächtigung zur vertragsärztlichen Versorgung der gesetzlichen Krankenversicherung. [4] Erläutern Sie die Grundzüge des Entstehens einer Zulassungsbeschränkung in der vertragsärztlichen Versorgung der gesetzlichen Krankenversicherung. [5] Erläutern Sie, was unter einem medizinischen Versorgungszentrum zu verstehen ist. [6] In der Kleinstadt K sind die beiden zuletzt noch tätigen Hausärzte in den Ruhestand gegangen. Nunmehr möchte die Gemeinde ein medizinisches Versorgungszentrum (MVZ), in dem zwei Fachärzte für Allgemeinmedizin tätig sein sollen, gründen und einen Antrag auf Zulassung des MVZ zur vertragsärztlichen Versorgung stellen. Erläutern Sie unter Einbeziehung dieses Beispiels die spezifischen Zulassungsvoraussetzungen für ein medizinisches Versorgungszentrum sowie die Rechtsfolgen, wenn die Zulassung für das MVZ erteilt wird. [7] Emma Emsig ist Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe und Chefärztin der Klinik für Gynäkologie eines Krankenhauses, das zur Versorgung gesetzlicher versicherter Personen gem. § 108 Nr. 2, § 109 SGB V zugelassen ist. Ihre Arbeitszeit ist arbeitsvertraglich auf 13 Stunden pro Woche beschränkt. Sie beabsichtigt, im 3. Obergeschoss des Krankenhauses, abgetrennt von den Räumlichkeiten des Krankenhauses eine ärztliche Niederlassung zu eröffnen. Sie begehrt eine vertragsärztliche Zulassung als Frauenärztin. Steht § 20 Ärzte-ZV der Zulassung von Emma Emsig zur vertragsärztlichen Versorgung entgegen? Begründen Sie Ihre Entscheidung. <?page no="65"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 65 [8] Der in W wohnhafte 45-jährige Friedrich Fleißig ist als Augenarzt zur vertragsärztlichen Versorgung der gesetzlichen Krankenversicherung zugelassen. Ihm ist durch die zuständige Behörde die Approbation entzogen worden, woraufhin er von der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung im Arztregister (gem. § 7 Buchst. c, § 3 Abs. 2 Buchst. a Ärzte- ZV) gelöscht worden ist. Grund für den Entzug der Approbation war, dass Fleißig zuvor wegen Steuerhinterziehung rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt worden war. Fleißig hatte über fünf Jahre 1,5 Mill. Euro Steuern hinterzogen. Er hatte seine Einnahmen aus seiner Praxis nicht vollständig in der Steuererklärung angegeben und Betriebsausgaben fingiert. Ferner hatte er Einkünfte aus Kapitalvermögen, die er in der Schweiz erzielt hatte, nicht versteuert. Nachdem der zuständige Zulassungsausschuss von den Vorgängen Kenntnis erlangt hat, möchte er dem Friedrich Fleißig die Zulassung gem. § 95 Abs. 6 SGB V entziehen. Erörtern Sie, ob ein Grund für die Entziehung der Zulassung vorliegt. [9] Anton Arm suchte den niedergelassenen Radiologen Rudi Reich auf, um für eine weitere Diagnostik eine Röntgenkontrastuntersuchung des Darms vornehmen zu lassen. Bei einer solchen Untersuchung wird dem Darm zur Verbesserung der röntgenologischen Darstellung ein Kontrastmittel zugeführt. Dabei kann, auch bei sorgsamster Ausführung, beispielsweise wegen vorhandener Geschwüre, die Gefahr einer Darmperforation (Darmdurchbruch) bestehen. Deshalb hat der untersuchende Arzt nach den Regeln der ärztlichen Kunst in einem derartigen Fall ein wasserlösliches Kontrastmittel zu verwenden, das bei Austritt in die Umgebung des Darms vom Körper abgebaut werden kann. Obwohl eine solche Perforationsgefahr bei Arm bestand, führte Reich kein wasserlösliches, sondern ein bariumhaltiges Kontrastmittel zu. Nachdem der Darm des Arm perforierte, drang das Kontrastmittel in die Bauchhöhle des Arm ein und verursachte Entzündungen und Nierenbeeinträchtigungen, die im Krankenhaus X stationär behandelt werden mussten. Erörtern Sie, ob ein Behandlungsfehler seitens Rudi Reich vorliegt. (Hinweis: Erläuterungen zur Arzthaftung finden Sie im Abschnitt 2.2.7). Die Lösungen finden Sie im Web-Service. <?page no="66"?> 66 Recht im Gesundheitswesen Krankenhäuser 2.2 Lernhinweis Die Erläuterungen im Abschnitt 2.2 werden Sie besser verstehen, wenn Sie die angegebenen Paragrafen der nachfolgenden Rechtsvorschriften parallel zum Lehrbuch lesen: Abgrenzungsverordnung (AbGrV) 66 , Abgabenordnung (AO) 67 , Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), Bundespflegesatzverordnung (BPflV) 68 , Gewerbeordnung (GewO) 69 , Grundgesetz (GG), Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) 70 , Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) 71 , Medizinproduktegesetz (MPG) 72 , Medizinprodukte-Betreiberverordnung (MPBetreibV) 73 , Sozialgesetzbuch 1. Buch (SGB I) 74 , 5. Buch (SGB V). 2.2.1 Einführung Im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung zwischen Bund und Ländern ist der Bund für die Sozialversicherung und die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser und die Regelung der Krankenhauspflegesätze zuständig (Art. 74 Abs. 1 Nr. 12, 19a GG). Dies bedeutet für die Länder, dass sie die Befugnis zur Gesetzgebung nur solange und soweit haben, wie der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit nicht durch Gesetz Gebrauch gemacht hat (Art. 72 Abs. 1 GG). Von der Gesetzgebungskompetenz zur Ausgestaltung der gesetzlichen Krankenversicherung als Teil der Sozialversicherung hat der Bund vor allem durch Erlass des SGB V umfänglich Gebrauch gemacht. Die Krankenhausversorgung der gesetzlich versicherten Patienten wird insbesondere durch die §§ 39, 107 ff. SGB V geregelt. Im Hinblick auf die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser und das Pflegesatzrecht kann der Bund zum einen sein Gesetzgebungsrecht nur ausüben, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht (Art. 72 Abs. 2 GG). Zum anderen folgt aus der Begrenzung auf die wirtschaftliche Förderung der Krankenhäuser, dass die Kompetenz zur gesetzlichen Regelung der Krankenhausplanung, -organisation, -aufsicht etc., soweit die wirtschaftliche Förderung nicht betroffen ist, nicht beim Bund, sondern bei den Ländern liegt. Deshalb gibt es 66 AbGrV v. 12.12.1985, BGBl. I S. 2255, z. g. d. G. v. 21.7.2012, BGBl. I S. 1613. 67 AO v. 1.10.2002, BGBl. I S. 3866; 2003 I S. 61, z. g. d. G v. 18.7.2017, BGBl. I S. 2745. 68 BPflV v. 26.9.1994, BGBl. I S. 2750, z. g. d. G v. 17.7.2017, BGBl. I S. 2581. 69 GewO i. d. F. d. Bek. v. 22.2.1999, BGBl. I S. 202, z. g. d. G v. 17.10.2017, BGBl. I S. 3562. 70 KHEntgG v. 23.4.2002, BGBl. I S. 1412, 1422, z. g. d. G. v. 17.7.2017, BGBl. I S. 2615. 71 KHG i. d. F. d. Bek. v. 10.4.1991, BGBl. I S. 886, z. g. d. G. v. 17.7.2017, BGBl. I S. 2581. 72 MPG i. d. F. d. Bek. v. 7.8.2002, BGBl. I S. 3146 z. g. d. G v. 18.7.2017, BGBl. I S. 2757. 73 MPBetreibV v. 29.6.1998 i. d. F. d. Bek. v. 21.8.2002, BGBl. I S. 3396, z. g. d. VO v. 7.7.2017, BGBl. I S. 2842. 74 SGB I v. 11.12.1975, BGBl. I S. 3015, z. g. d. G. v. 14.8.2017 BGBl. I S. 3214. <?page no="67"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 67 neben den bundesrechtlichen Vorschriften - wie dem KHG, KHEntgG und der BPflV - Krankenhausgesetze der Länder. Krankenhäuser können unterschiedlich - nach ihrem Versorgungsgrad, ihrer Organisationsstruktur und Trägerschaft sowie nach ihrem Zulassungsstatus in der gesetzlichen Krankenversicherung - klassifiziert werden: Versorgungsgrad Organisationsstruktur Trägerschaft Zulassungsstatus in der gesetzlichen Krankenversicherung Krankenhäuser der Grundversorgung Krankenhäuser der Regelversorgung Krankenhäuser de r Sch we rpunktversorgung Krankenhäuser der Maximalversorgung Anstaltskrankenhäuser Belegkrankenhäuser Praxiskliniken Tageskliniken Nachtkliniken private Krankenhäuser freigemeinnützige Krankenhäuser öffentliche Krankenhäuser Plankrankenhäuser Hochschulkliniken Vertragskrankenhäuser Tab. 4: Klassifizierung der Krankenhäuser Die Unterscheidung nach dem Versorgungsgrad geht auf § 23 Abs. 2 KHG zurück, d e r al le rd ings durch das Fallpauscha lenge setz 75 aufgehoben worden ist. Die Krankenhäuser der Grundversorgung sind Orts- und Stadtkrankenhäuser, die der Versorgung der örtlichen Bevölkerung dienen und in der Regel über die Fachabteilungen der Inneren Medizin, Allgemeinchirurgie und Anästhesie verfügen. Darüber hinaus bieten (Kreis-)Krankenhäuser der Regelversorgung Leistungen der Gynäkologie und Geburtshilfe, Hals-Nasen-Ohrenkunde, Augenheilkunde und Orthopädie an und dienen einer überörtlichen Versorgung. Die Krankenhäuser der Schwerpunktversorgung verfügen noch über weitere Fachabteilungen, wie z. B. Neurologie, Pädiatrie, und dienen der überregionalen Versorgung. Die Krankenhäuser der Maximalversorgung sind insbesondere die Hochschulkliniken. Sie bieten diagnostische und therapeutische Leistungen zahlreicher Fachrichtungen und sind in der Lage, schwere und seltene Erkrankungen zu behandeln. 76 Belegkrankenhäuser sind Einrichtungen, die niedergelassenen Vertragsärzten (sog. Belegärzten nach § 121 SGB V) ermöglichen, ihre Patienten teil- oder vollstationär 75 Gesetz zur Einführung des diagnose-orientierten Fallpauschalensystems für Krankenhäuser vom 23.4.2002, BGBl. I S. 1412. 76 Vgl. statt vieler: Schlichtner, Grundlagen des Medizinrechts, S. 136 f., Simon, Das Gesundheitssystem in Deutschland, S. 234. <?page no="68"?> 68 Recht im Gesundheitswesen zu behandeln. Sie stellen hierfür das nichtärztliche Personal, die Sachmittel, Unterkunft und Verpflegung bereit. Dagegen verfügen Anstaltskrankenhäuser über eigenes ärztliches Personal für die Behandlung der Patienten. In der Praxis kommen in der Regel Mischformen vor, und zwar in Form von Anstaltskrankenhäusern, die einzelne Belegabteilungen haben. Praxiskliniken sind Einrichtungen, die von mehreren Vertragsärzten (z. B. von einem Chirurgen, Internisten und Anästhesisten) betrieben werden und in denen die Patienten ambulant und stationär versorgt werden (§ 115 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 SGB V). Tages- und Nachtkliniken haben keine 24-stündigen Betriebszeiten. Die Patienten werden nur tagsüber oder nachts aufgenommen. Die Kliniken erbringen teilstationäre Leistungen, typischerweise in den Fachrichtungen der Geriatrie, Psychiatrie und Schlafmedizin. 77 Private Krankenhäuser werden von natürlichen oder juristischen Personen oder Personengesellschaften getragen, die gewerbsmäßig tätig sind (vgl. Abschnitt 2.2.2). Öffentliche Trägerschaft bedeutet, dass die Krankenhäuser von einer juristischen Person des öffentlichen Rechts getragen werden. Dazu gehören die Krankenhäuser der Kommunen, Länder (z. B. Universitätskliniken) und des Bundes (z. B. Bundeswehrkrankenhäuser). Daneben gibt es Krankenhäuser anderer öffentlicher Träger, wie z. B. die berufsgenossenschaftlichen Unfallkrankenhäuser. Freigemeinnützige Krankenhäuser befinden sich in der Trägerschaft der kirchlichen und freien Wohlfahrtspflege, gemeinnützigen Stiftungen und Vereinen. Die Erläuterungen zu den Plankrankenhäusern, Hochschulkliniken und Vertragskrankenhäusern finden Sie im Abschnitt 2.2.3.2. 2.2.2 Notwendigkeit einer Gewerbeerlaubnis bei gewerbsmäßiger Tätigkeit Die Marktwirtschaft der Bundesrepublik wird u. a. von der Gewerbefreiheit geprägt, die in § 1 GewO geregelt ist. Nach dieser Vorschrift darf grundsätzlich jeder gewerblich tätig sein. Dieser Grundsatz darf nur durch Gesetz oder auf der Basis einer gesetzlichen Grundlage eingeschränkt werden. Eine solche Einschränkung enthält § 30 GewO für bestimmte Krankenhäuser. § 30 GewO hat zwei Regelungsbereiche. § 30 Abs. 1 S. 1 GewO regelt, ob eine Erlaubnis notwendig ist. S. 2 regelt, ob die Erlaubnis erteilt wird. ✎ Aufgaben Der Facharzt Friedrich Fleißig und die Diplom-Kauffrau Kornelia Klug wollen ein Krankenhaus gründen, um ihren Lebensunterhalt zu sichern und richtig reich zu werden. Sie gründen die Fleißig & Klug Klinik GmbH, die im Bereich der plastischen Chirurgie Operationen anbieten soll. 77 Vgl. statt vieler: Rehborn, Handbuch Medizinrecht, § 30 Rn. 32 ff. <?page no="69"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 69 Gutes Personal ist angeworben. Ein geeignetes Grundstück nebst Gebäude, in dem die Patienten nicht nur moderne Operationssäle und Behandlungsräume, sondern auch prächtige Krankenzimmer vorfinden, ist vorhanden. Für das leibliche Wohl der Patienten soll eine hauseigene Küche sorgen. Benötigt die Fleißig & Klug Klinik GmbH eine Gewerbeerlaubnis? Begründen Sie Ihre Entscheidung. Die Lösungen finden Sie im Web-Service. Eine Gewerbeerlaubnis ist notwendig, wenn die drei nachfolgend genannten Voraussetzungen kumulativ vorliegen. Wenn dagegen eine Voraussetzung fehlt, ist die gewerbliche Tätigkeit nicht nach § 30 GewO zulassungspflichtig (ggf. aber nach einer anderen Vorschrift). Die Einrichtung ist als Privatkranken-, Privatentbindungsanstalt oder Privatnervenklinik zu qualifizieren. Diese Begriffe entsprechen nicht mehr unserem heutigen Sprachgebrauch. Anstelle einer Privatkrankenanstalt sind heute die Begriffe der Privatklinik oder des privaten Krankenhauses gebräuchlich, die sowohl die somatischen als auch die psychiatrischen Fachrichtungen (also die Privatnervenklinik) einschließen. Die Privatentbindungsanstalt wird aktuell als Geburtshaus bezeichnet. Die gesetzlichen Begriffe erklären sich aus dem Alter der GewO, deren erste Fassung bereits im Jahre 1869 erlassen wurde. Es ist ein Unternehmer tätig. Es handelt sich um eine gewerbsmäßige Tätigkeit. Die drei genannten Voraussetzungen werden im Gesetzestext nicht erläutert. Sie werden von der Rechtsprechung und Literatur wie folgt verstanden: ❋ Wissen │ Privatkranken-, Privatentbindungsanstalt und Privatnervenklinik 78 Die Privatkrankenanstalt erbringt ärztliche Dienstleistungen zur Behandlung einer Krankheit oder gesundheitlichen Schwächung oder zur kosmetischen Behandlung. Ferner ist sie durch eine stationäre Aufnahme der Patienten geprägt. Das bedeutet, dass die Versorgung der Patienten Unterbringungs- und Verpflegungsleistungen einschließt. Die Privatnervenklinik ist eine Form einer Privatkrankenanstalt, in der Patienten mit geistigen und seelischen Erkrankungen behandelt werden. Die Privatentbindungsanstalt erbringt Leistungen eines Entbindungspflegers oder Arztes zur Geburtshilfe. Sie ist darauf ausgerichtet, Schwangere bzw. Wöchnerinnen stationär aufzunehmen, so dass sie ebenfalls über Unterbringungs- und Verpflegungsmöglichkeiten verfügen muss. 78 Vgl. zu den Begriffen z. B. BVerwG, Urt. v. 18.10.1984, 1 C 36/ 83, NJW 1985, 1414; BayVGH, Urt. v. 8.11.2001, 22 B 01.1790, GewArch 2002, 74 ff.; Lässig, Beck´sches Wirtschaftsrechts-Handbuch, S. 685 f.; Marcks, Landmann/ Rohmer, GewO § 30 Rn. 6, 8-11. <?page no="70"?> 70 Recht im Gesundheitswesen Die stationäre Aufnahme von Personen ist für alle drei Einrichtungen wesentliches Merkmal, so dass ambulante Versorgungsformen nicht nach § 30 GewO erlaubnispflichtig sind. Aus dem Wortteil „Privat“ folgt, dass Einrichtungen in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft der Gemeinden, Länder, Krankenkassen etc. von dem Begriff nicht erfasst werden. Im Übrigen fehlt diesen Trägern in der Regel ebenso die Gewinnerzielungsabsicht, so dass auch das dritte Merkmal der gewerbsmäßigen Tätigkeit nicht erfüllt ist. ❋ Wissen │ Unternehmer 79 Als Unternehmer gilt derjenige, in dessen Namen und Verantwortung sowie auf dessen Rechnung die Klinik oder Anstalt am Wirtschaftsverkehr teilnimmt. Auf die Eigentumsverhältnisse am Gebäude und Grundstück oder an den Einrichtungsgenständen kommt es dabei nicht an. Vom Unternehmer zu unterscheiden sind die Angestellten, die nicht im eigenen Namen tätig werden, und somit keine Erlaubnis nach § 30 GewO einholen müssen. ❋ Wissen │ gewerbsmäßige Tätigkeit 80 Eine gewerbsmäßige Tätigkeit ist eine auf Dauer angelegte, selbständige Tätigkeit mit Gewinnerzielungsabsicht, die nicht sozial unwertig ist. Diese dritte Voraussetzung ist dem Wortlaut des § 30 Abs. 1 GewO nicht zu entnehmen. Sie ist jedoch als ungeschriebenes Merkmal hineinzulesen, weil die GewO nur auf derartige Tätigkeiten Anwendung findet. Wenn insbesondere die Gewinnerzielungsabsicht fehlt - wie es bei den kirchlichen oder kommunalen Krankenhäusern der Fall ist - liegt keine gewerbsmäßige Tätigkeit vor, so dass es für den Betrieb der Anstalt oder Klinik keiner Gewerbeerlaubnis bedarf. Wenn die gewerbliche Tätigkeit erlaubnispflichtig ist, so ist die Gewerbeerlaubnis zu erteilen, wenn ihr weder § 35 noch § 30 Abs. 1 S. 2 GewO entgegenstehen. Nach § 35 Abs. 1 GewO ist der Betrieb eines privaten Krankenhauses zu untersagen, wenn der Unternehmer oder einer mit der Leitung des Krankenhauses beauftragte Person unzuverlässig ist und die Untersagung zum Schutz der Allgemeinheit (z. B. Leben und Gesundheit der Patienten) oder der im Betrieb Beschäftigten erforderlich ist. Unzuverlässig ist, wer nicht willens und nicht in der Lage ist, sein Gewerbe ordnungsgemäß nach Recht und Gesetz auszuüben. 81 Ins oweit muss die zuständige Behörde eine Prognoseentscheidung anhand zurückliegender Tatsachen, wie z. B. einschlägige strafrechtliche Verurteilungen, vorenthaltene Sozialversicherungsabgaben oder Steuerschulden, treffen. Ferner darf kein Versagungsgrund gem. § 30 Abs. 1 S. 2 GewO vorliegen: 79 Vgl. zum Begriff z. B. Marcks, Landmann/ Rohmer, GewO § 30 Rn. 5. 80 Vgl. zum Begriff z. B. Marcks, Landmann/ Rohmer, GewO § 14 Rn. 13. 81 Vgl. Marcks, Landmann/ Rohmer, Gewerbeordnung, GewO § 35 Rn. 29. <?page no="71"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 71 Es liegen Tatsachen dafür vor, dass der Unternehmer im Hinblick auf die Leitung und Verwaltung des Kranken- oder Geburtshauses unzuverlässig ist. (Hier ist der Begriff der Unzuverlässigkeit enger, er bezieht sich nur auf die Leitung und Verwaltung.) Es liegen Tatsachen vor, die eine ausreichende medizinische und pflegerische Versorgung der Patienten als nicht gewährleistet erscheinen lassen. Die baulichen und sonstigen technischen Einrichtungen des Kranken- oder Geburtshauses entsprechen nicht den gesundheitspolizeilichen Anforderungen. Das Kranken- oder Geburtshaus soll in einem Gebäude betrieben werden, in dem auch andere Personen wohnen, und diese Personen können erhebliche Nachteile oder Gefahren durch die Einrichtung erleiden. Das Krankenhaus, das für Patienten mit ansteckenden oder psychischen Krankheiten bestimmt ist, kann durch seine Lage für die Eigentümer oder Bewohner der benachbarten Grundstücke zu erheblichen Nachteilen oder Gefahren führen. Für die Ablehnung der Gewerbeerlaubnis genügt es, dass einer dieser fünf Gründe zu bejahen ist. Wenn indes keiner dieser Versagungsgründe erfüllt ist und keine Anhaltspunkte für eine Unzuverlässigkeit des Unternehmers oder der Unternehmensleitung vorhanden sind, muss die zuständige Behörde die Erlaubnis zum Betrieb des Krankenhauses oder des Geburtshauses erteilen. Sie hat in diesem Fall keinen Ermessensspielraum für eine ablehnende Entscheidung. Wer die zuständige Behörde ist, regelt § 30 GewO nicht. Die GewO gehört zu den Bundesgesetzen, die die Bundesländer ausführen, so dass diese jeweils für ihr Gebiet regeln, welche Behörde die Entscheidungen nach der GewO trifft. 82 Die Gewerbeerlaubnis gilt personenbezogen (d. h. für eine bestimmte natürliche, juristische Person oder rechtsfähige Personengesellschaft), raumbezogen (d. h. für ein bestimmtes Gebäude und Grundstück) und betriebsartbezogen (d. h. für die Einrichtungsart als Krankenhaus einer bestimmten medizinischen Fachrichtung oder als Entbindungsanstalt). Wesentliche Änderungen - z. B. ein Rechtsformwechsel des Unternehmens oder ein Umzug in ein anderes Gebäude - führen zum Erlöschen der Erlaubnis, so dass diese neu beantragt werden muss. Ferner erlischt die Erlaubnis gem. § 49 GewO, wenn von ihr innerhalb eines Jahres kein Gebrauch gemacht worden ist. Die Jahresfrist kann seitens der zuständigen Behörde aus wichtigem Grund, beispielsweise unverschuldete Bauverzögerungen, verlängert werden (vgl. § 49 GewO). Wenn der Unternehmer sein Kranken- oder Geburtshaus ohne die erforderliche Gewerbeerlaubnis betreibt, weil er die Erlaubnis nicht beantragt hat oder sie ihm versagt worden ist, die Erlaubnis erloschen ist oder 82 In Niedersachsen sind die Landkreise, kreisfreien Städte, die großen selbständigen Städte sowie die selbständigen Gemeinden zuständig (vgl. § 1 i. V. m. Anlage 1 ZustVO-Wirtschaft v. 18.11.2004, Nds. GVBl. S. 482 z. g. d. VO v. 20.09.2016, Nds. GVBl. S. 214). <?page no="72"?> 72 Recht im Gesundheitswesen die Erlaubnis gem. §§ 48, 49 VwVfG 83 aufgehoben worden ist, muss er mit gewerberechtlichen und strafrechtlichen Konsequenzen rechnen. Die zuständige Behörde kann eine Verbots- und Schließungsverfügung gem. § 15 Abs. 2 GewO erlassen, die für den Unternehmer bedeutet, dass er seine Tätigkeit beenden und seine Einrichtung schließen muss. Wenn der Unternehmer nicht freiwillig der Verfügung nachkommt, kann diese behördlicherseits mit Vollstreckungsmaßnahmen durchgesetzt werden. ◉ Beispiel Wilhelm Wichtig ist Inhaber und Leiter einer Privatklinik. Als Arzt ist er eine internationale Koryphäe in der schonenden Schlüsselloch-Chirurgie. Seit einigen Jahren stellte er aus purem Gewinnstreben falsche Diagnosen und führte unnötige Operationen durch. Er ist rechtskräftig verurteilt, in 60 Fällen eine vorsätzliche Körperverletzung begangen zu haben. In weiteren fünf Fällen hatte die Körperverletzung wegen eines ärztlichen „Kunstfehlers“ den Tod der Patienten zur Folge, so dass er wegen Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt ist. Die zuständige Behörde widerruft gem. § 49 II VwVfG seine Gewerbeerlaubnis für den Betrieb der Privatklinik und erlässt zugleich eine Verbots- und Schließungsverfügung nach § 15 Abs. 2 GewO. Wenn der Unternehmer das Kranken- oder Geburtshaus fahrlässig oder vorsätzlich ohne die erforderliche Gewerbeerlaubnis betreibt, so handelt es sich dabei um eine Ordnungswidrigkeit, die mit einer Geldbuße bis zu 5.000,- Euro geahndet werden kann (§ 144 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b, Abs. 4 2.Hs GewO). Die beharrliche Wiederholung der erlaubnislosen Tätigkeit stellt eine Straftat dar, die mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr gesetzlich sanktioniert ist (§ 148 Nr. 1 GewO). 2.2.3 Leistungserbringung im System der gesetzlichen Krankenversicherung 2.2.3.1 Krankenhausbegriff § 107 Abs. 1 SGB V enthält eine Legaldefinition des Krankenhauses für die Anwendung des SGB V und damit für die Leistungserbringung im System der gesetzlichen Krankenversicherung. Lernhinweis Lesen Sie die Definition in § 107 Abs. 1 SGB V! Der Krankenhausbegriff erfasst auch Tages- und Nachtkliniken, die ausschließlich teilstationäre Leistungen erbringen. Die jederzeitige Verfügbarkeit des Personals 83 Verwaltungsverfahrensgesetz i. d. F. d. Bek. v. 23.1.2003, BGBl. I S. 102, z. g. d. G. v. 18.7.2017, BGBl. I S. 2745. <?page no="73"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 73 und die Unterbringung der Patienten werden insoweit nicht rund um die Uhr, sondern nur für die Betriebszeiten der Klinik verlangt. 84 Der Begriff in § 107 Abs. 1 SGB V hat mit dem der Privatkrankenanstalt gem. § 30 GewO sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede. Beiden gemein ist das stationäre Element, also die Unterbringungs- und Verpflegungsmöglichkeit des Patienten. Wesentlicher Unterschied ist zum einen, dass vom Krankenhausbegriff des SGB V nur Einrichtungen erfasst werden, die der Krankenbehandlung dienen. Dagegen können Privatkrankenanstalten auch kosmetische Operationen anbieten. Zum anderen verlangt § 107 Abs. 1 SGB V das Arbeiten nach wissenschaftlich anerkannten Methoden (sog. Schulmedizin), währenddessen für eine Privatkrankenanstalt gesetzlich kein bestimmtes Methodenspektrum vorgegeben ist. Die Bedeutung des Krankenhausbegriffs liegt vor allem darin, dass ein Krankenhaus zur Versorgung der gesetzlich Versicherten nur zugelassen werden kann, wenn es die in § 107 Abs. 1 SGB V normierten Merkmale erfüllt. 2.2.3.2 Zulassung eines Krankenhauses zur Behandlung gesetzlich Versicherter Gem. § 108 SGB V muss die Krankenhausbehandlung der gesetzlich Versicherten in einer der drei zugelassenen Krankenhausarten erfolgen: Abb. 12: Zugelassene Krankenhäuser gem. § 108 SGB V Die Zulassung als Plankrankenhaus setzt die Aufnahme des Krankenhauses in den Krankenhausplan des jeweiligen Bundeslandes 85 und einen Feststellungsbescheid der zuständigen Behörde über die Aufnahme in den Krankenhausplan (§ 8 Abs. 1 S. 3 KHG) voraus. 84 Vgl. BSG, Urt. v. 28.1.2009, B 6 KA 61/ 07 R, BeckRS 2009, 66418. 85 Vgl. z. B. Krankenhausplan des Landes Niedersachsen, http: / / www.ms.niedersachsen.de/ themen/ gesundheit/ krankenhaeuser/ krankenhausplanung/ krankenhauspl anung-14156.html (Abruf am 12.7.2018). zugelassene Krankenhäuser (§ 108 SGB V) Hochschulkliniken (§ 108 Nr. 1 SGB V) Vertragskrankenhäuser (§ 108 Nr. 3 SGB V) Plankrankenhäuser (§ 108 Nr. 2 SGB V) <?page no="74"?> 74 Recht im Gesundheitswesen ❋ Wissen │ Krankenhausplan Bei dem Krankenhausplan handelt es sich um eine behördeninterne Analyse des zu versorgenden Bedarfs der Bevölkerung eines Bundeslandes mit Krankenhausleistungen. Es werden die Anzahl der (vollstationären) Betten und (teilstationären) Plätze je medizinischer Fachrichtung (z. B. Allgemeinmedizin, Orthopädie) geplant. Für die Einteilung der Fachrichtungen orientiert sich die Planungsbehörde in der Regel an der ärztlichen Weiterbildungsordnung des jeweiligen Bundeslandes. Sie ist an die Weiterbildungsordnung jedoch nicht gebunden und kann eine abweichende Klassifikation vornehmen. Die behördliche Zuständigkeit für die Aufstellung des Plans regeln die Bundesländer. Der Krankenhausplan wird jährlich fortgeschrieben. Nach der Rechtsprechung des BVerwG 86 hat die Aufstellung bzw. Fortschreibung des Krankenhausplans zweistufig zu erfolgen: 1. Stufe: Zunächst sind alle für die bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung in Betracht kommenden leistungsfähigen und wirtschaftlichen Krankenhäuser (konkret deren Betten je Fachrichtung) zu ermitteln. Der Versorgungsbedarf wird anhand verschiedener Faktoren, wie z. B. Größe und Struktur der Bevölkerung, Krankenhaushäufigkeit, Verweildauer im Krankenhaus, Bettennutzungsgrad und ambulante Behandlungsmöglichkeiten, bestimmt. Die zu berücksichtigenden Krankenhäuser müssen leistungsfähig und wirtschaftlich sein. Insoweit wird von den Krankenhausträgern verlangt, dass sie mit ihren personellen, räumlichen sowie medizinisch-technischen Ressourcen in der Lage sind, die Patienten dauerhaft nach dem anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu versorgen. Für die Beurteilung sind insbesondere die Bettenzahl der jeweiligen Fachabteilung sowie die dazu passende Zahl und Qualifikation des ärztlichen und nichtärztlichen Personals von Bedeutung. Das Merkmal der Wirtschaftlichkeit zielte vor der Einführung des DRG-Systems darauf ab, die Höhe der Pflegesätze der einzelnen Krankenhäuser bei der Planung zu berücksichtigen. Durch die einheitlichen Fallpauschalen ist das wirtschaftliche Risiko stärker auf die Krankenhausträger verlagert worden, so dass dem Kriterium der Wirtschaftlichkeit mittlerweile eine geringere Bedeutung zukommt. Es ermöglicht jedoch der Planungsbehörde, sparsam wirtschaftende Krankenhausträger, die sich neu um eine Planaufnahme bewerben, gegenüber vorhandenen teureren Planbetten vorzuziehen, um vorhandene Kostenstrukturen nicht zu zementieren. 87 Wenn der Krankenhausplan planungsrelevante Qualitätsindikatoren oder andere Qualitätsvorgaben für die Krankenhausbehandlung enthält, so müssen diese vom Krankenhaus erfüllt werden. Andernfalls kann das Krankenhaus nicht in den Krankenhausplan aufgenommen werden (§ 8 Abs. 1a KHG). Die planungsrelevanten Qualitätsindikatoren werden gemäß § 136c Absatz 1 SGB V vom GBA beschlossen. Bislang sind Qualitätsindikatoren für gynäkologische Operationen, 86 Ständige Rechtsprechung des BVerwG, vgl. z. B. BVerwG, Urt. v. 25.7.1985, 3 C 25.84, BVerwGE 72, 38 ff. [46 ff.]. 87 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 4.3.2004, 1 BvR 88/ 00, NJW 2004, 1648 ff. [1649]. <?page no="75"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 75 Geburtshilfe und Mammachirurgie beschlossen worden. 88 Die Relevanz der Qualitätsindikatoren für die Krankenhausplanung ist jedoch von einer entsprechenden Entscheidung des Landesgesetzgebers gem. § 6 Abs. 1a KHG abhängig. 2. Stufe: Nach der Bestimmung des Versorgungsbedarfs und der vorhandenen Betten in den leistungsfähigen und wirtschaftlichen Krankenhäusern sind beide miteinander zu vergleichen. Wenn die Gesamtbettenzahl in den Krankenhäusern die benötigte Bettenzahl nicht übersteigt, hat jedes Krankenhaus einen Anspruch auf die Aufnahme seiner Betten in den Krankenhausplan. Wenn dagegen die Gesamtbettenzahl die Zahl der benötigten Betten übersteigt, muss die Behörde eine Auswahlentscheidung im pflichtgemäßen Ermessen treffen. Die gesetzlichen Kriterien für diese Auswahl sind die öffentlichen Interessen und die Trägervielfalt, die jedoch unter dem Vorbehalt der gleichwertigen Qualität steht (§ 8 Abs. 2 S. 2 KHG). Zu den öffentlichen Interessen gehören beispielsweise die wohnortnahe Versorgung der Bevölkerung 89 , Vermeidung von Fehlinvestitionen öffentlicher Fördergelder 90 , höhere Auslastung eines Krankenhauses 91 . Mit der geforderten Trägervielfalt soll gewährleistet werden, dass für die Versorgung der Bevölkerung öffentliche (z. B. der Gemeinden), freigemeinnützige (z. B. der Träger der kirchlichen oder freien Wohlfahrtspflege) und private Krankenhäuser (mit gewerblicher Konzession gem. § 30 GewO) vorhanden sind. Die Auswahl kann zu verschiedenen Ergebnissen führen, z. B. zur Schließung einer Fachabteilung eines Krankenhauses oder zur Reduzierung einiger Betten in den Fachabteilungen aller Krankenhäuser. Da es sich bei dem Krankenhausplan um eine behördeninterne Analyse ohne unmittelbare Wirkung gegenüber den Krankenhäusern handelt, muss die Aufnahme oder Nichtaufnahme der Krankenhausbetten durch einen Bescheid festgestellt werden (§ 8 Abs. 1 S. 3 KHG). Soweit dieser Bescheid die Aufnahme von Krankenhausbetten in den Krankenhausplan feststellt, hat er folgende Wirkungen: Der Feststellungsbescheid fingiert einen Versorgungsvertrag zwischen dem Plankrankenhaus einerseits und den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen andererseits (§ 109 Abs. 1 S. 2 SGB V). Gem. § 109 Abs. 1 S. 3 SGB V ist dieser nicht ausgehandelte, aber fingierte Versorgungsvertrag für alle Krankenkassen im gesamten Bundesgebiet (nicht nur für das Bundesland, für den der Krankenhausplan aufgestellt ist) verbindlich. Das Krankenhaus ist, solange der Feststellungsbescheid gilt, berechtigt, die gesetzlich Versicherten zu behandeln (§ 109 Abs. 4 S. 1 SGB V). Gem. § 109 Abs. 4 S. 2 SGB V ist das Krankenhaus, solange der Feststellungsbescheid gilt, verpflichtet, die gesetzlich Versicherten im Rahmen des Versorgungsauftrages zu behandeln (vgl. zum Versorgungsauftrag Abschnitt 2.2.3.6). 88 Richtlinie zu planungsrelevanten Qualitätsindikatoren gemäß § 136 Abs. 1 SGB V i. V. m. § 136c Abs. 1 und Abs. 2 SGB V1 vom 5.12.2016, BAnz AT 23.03.2017 B2, unter https: / / www.gba.de/ informationen/ richtlinien/ 91/ (Abruf am 8.3.2018). 89 Vgl. OVG Niedersachsen, Beschl. v. 28.4.2014, 13 ME 170/ 13, BeckRS 2014, 50821. 90 Vgl. Thüringer OVG, Urt. v. 25.9.2006, 2 KO 73/ 05, BeckRS 2007, 20557. 91 Vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 25.1.2011, 13 B 1712/ 10, MedR 2011, 674 ff. <?page no="76"?> 76 Recht im Gesundheitswesen Gem. § 109 Abs. 4 S. 3 SGB V sind die Krankenkassen verpflichtet, die regelkonforme voll- oder teilstationäre Krankenhausbehandlung zu vergüten (vgl. dazu Abschnitt 2.2.3.6). Die Zulas sung eines Krankenhau ses als Hochs chul klinik se tzt eine en tspre chende Anerkennung in landesrechtlichen Vorschriften, z. B. in einem Hochschulgesetz, voraus. Diese landesrechtliche Anerkennung entfaltet für die Hochschulklinik ebenfalls die Wirkungen des § 109 Abs. 1 S. 2, 3, Abs. 4 SGB V, die der Feststellungsbescheid für ein Plankrankenhaus hat (vgl. vorstehende Aufzählung). Die Hochschulkliniken werden regelmäßig auch im Krankenhausplan ausgewiesen, soweit sie der Versorgung der Bevölkerung mit Krankenhausleistungen dienen. Gleichwohl begründet nicht diese Planaufnahme, sondern die landesrechtliche Anerkennung den Zulassungsstatus einer Hochschulklinik. Die dritte Gruppe der zugelassenen Krankenhäuser sind die Vertragskrankenhäuser, die keinen fingierten, sondern einen ausgehandelten Versorgungsvertrag abgeschlossen haben. ❋ Wissen │ Versorgungsvertrag der Vertragskrankenhäuser Für den Versorgungsvertrag der Vertragskrankenhäuser gelten folgende Parameter: Vertragspartner: Krankenhausträger sowie Landesverbände der Krankenkassen und Ersatzkassen gemeinsam (§ 109 Abs. 1 S. 1 SGB V) Form: Schriftform (§ 109 Abs. 1 S. 1 SGB V) Voraussetzungen für den Vertragsschluss: Das Krankenhaus muss die in § 107 Abs. 1 SGB V gesetzlich vorgegebenen Merkmale eines Krankenhauses erfüllen (z. B. die ständige ärztliche Leitung). Gem. § 109 Abs. 3 SGB V darf der Versorgungsvertrag nur abgeschlossen werden, wenn das Krankenhaus leistungsfähig und wirtschaftlich ist sowie die planungsrelevanten Qualitätsindikatoren erfüllt (vgl. diesbezügliche Ausführungen zu den Plankrankenhäusern). Ferner muss ein Bedarf für die Leistungserbringung durch das Vertragskrankenhaus bestehen. Im Hinblick auf den Bedarf gilt es zu beachten, dass die Krankenhausplanung bereits auf eine bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit Krankenhausleistungen abzielt (vgl. § 1 KHG). Daraus folgt, dass die Vertragskrankenhäuser das Angebot der Plankrankenhäuser lediglich ergänzen. Diesen Vorrang der Krankenhausplanung haben die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen zu beachten. Sie dürfen nicht unabhängig von der staatlichen Planung agieren. Wenn das Bettenangebot der zu berücksichtigenden Krankenhäuser, die sich um einen Versorgungsvertrag bewerben, den Bedarf nicht übersteigt, so haben alle Krankenhäuser Anspruch auf Abschluss eines Versorgungsvertrages. Wenn dagegen das Angebot den Bedarf übersteigt, haben die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen gemeinsam gem. § 109 Abs. 2 SGB V eine Auswahlentscheidung im pflichtgemäßen Ermessen zu treffen. Die dafür vorgesehenen Kriterien sind die öffentlichen Interessen und die Trägervielfalt (vgl. diesbezügliche Erläuterungen zu den Plankrankenhäusern). <?page no="77"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 77 Mindestinhalt des Vertrages: Der Vertrag muss mindestens den Versorgungsauftrag, also die Bettenzahl der jeweiligen medizinischen Fachrichtung(en), beinhalten. 92 Zusätzliche Wirksamkeitsvoraussetzung: Der Vertrag wird erst durch die Genehmigung der Behörde, die den Krankenhausplan aufstellt, wirksam (§ 109 Abs. 3 S. 1 SGB V). Damit soll der Vorrang der Krankenhausplanung gewährleistet werden. Wirkungen des Vertrages: Der Vertragsschluss hat die bereits oben bei den Plankrankenhäusern beschriebenen Wirkungen des § 109 Abs. 1 S. 3, Abs. 4 SGB V. Die Zulassung eines Krankenhauses zur Versorgung der gesetzlich Versicherten endet durch Kündigung des (fingierten oder ausgehandelten) Versorgungsvertrages sowie beim Plankrankenhaus durch Aufhebung des Feststellungsbescheides (§ 11 0 SG B V) . 2.2.3.3 Investitionsförderung zugelassener Krankenhäuser 1972 erfolgte ein Wechsel von der monistischen zur dualen Finanzierung der Krankenhäuser. 93 Das bedeutet, dass die Investitionskosten im Wege der staatlichen Förderung durch die Bundesländer 94 und die laufenden Betriebskosten durch die von den Patienten bzw. Krankenkassen zu zahlenden Pflegesätze finanziert werden (§ 4 KHG). Die Grundsätze der Investitionsförderung enthält das Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG), das vom Bund auf der Grundlage des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19a GG erlassen worden ist. Die Ausgestaltung der Grundsätze erfolgt durch die Gesetze der einzelnen Bundesländer, z. B. durch das Niedersächsische Krankenhausgesetz. 95 Für die Anwendung des KHG ist weder der Krankenhausbegriff der GewO noch der des SGB V maßgeblich. Für die wirtschaftliche Förderung stellt das KHG auf folgendes Begriffsverständnis ab: Als Krankenhäuser im Sinne des KHG gelten Einrichtungen, in denen durch ärztliche und pflegerische Hilfeleistung Krankheiten, Leiden oder Körperschäden festgestellt, geheilt oder gelindert werden sollen oder Geburtshilfe geleistet wird und in denen die zu versorgenden Personen untergebracht und verpflegt werden können (§ 2 Nr. 1 KHG). Dieser Krankenhausbegriff ist weiter als der nach § 107 Abs. 1 SGB V. Er schließt beispielsweise auch Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen ein, die nach dem SGB V keine Krankenhäuser sind. Der weite Krankenhausbegriff wird jedoch von einschränkenden Paragrafen begleitet, die bestimmte Krankenhäuser von der Investitionsförderung ausschließen, auch wenn sie ein Krankenhaus im Sinne des § 2 Nr. 1 KHG sind. So 92 Vgl. BSG, Urt. v. 24.1.2008, B 3 KR 17/ 07 R, BeckRS 2008, 52040. 93 Vgl. Gesetz zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze (KHG) v. 29.6.1972, BGBl. I S. 1009. 94 Bis zum Inkrafttreten des Krankenhaus-Neuordnungsgesetzes vom 20.12.1984, BGBl. I S. 1716 bestand eine Mischfinanzierung von Bund und Ländern. 95 Niedersächsisches Krankenhausgesetz v. 19.1.2012, Nds. GVBl. S. 21065, z. g. d. G. v. 14.7.2015, Nds. GVBl. S. 148. <?page no="78"?> 78 Recht im Gesundheitswesen sind gem. § 5 KHG Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen, (Privat-)Kliniken, die mehr als 60 % selbstzahlende Patienten behandeln, und weitere Krankenhäuser von der Investitionsförderung kraft Gesetzes ausgeschlossen. Ferner gibt es Krankenhäuser, auf die das KHG - wie z. B. Polizeikrankenhäuser oder Krankenhäuser des Straf- und Maßregelvollzugs - keine Anwendung findet (vgl. § 3 KHG). Einen Anspruch auf Investitionsförderung hat ein Krankenhaus nur, soweit und solange es im Krankenhausplan oder bei einer geplanten Errichtung im Investitionsprogramm des Landes aufgenommen worden ist (§ 8 Abs. 1 KHG). Die Aufnahmeentscheidung trifft die zuständige Landesbehörde im pflichtgemäßen Ermessen (§ 8 Abs. 2 KHG). Die Investitionskosten werden in § 2 Nr. 2, 3 KHG definiert. Die dortige Terminologie ist etwas ungenau, weil Wirtschafts-, Anlage- und Verbrauchsgüter vermengt werden. Aus dem Zusammenspiel mit den §§ 9, 17 Abs. 4, 4b KHG sowie der Abgrenzungsverordnung (zur Abgrenzung der Investitionskosten und der pflegesatzfähigen Kosten) lassen sich die Investitionskosten allgemein wie folgt beschreiben: ❋ Wissen │ Investitionskosten Investitionskosten umfassen: [a] Kosten der Errichtung (Neubau, Umbau, Erweiterungsbau) von Krankenhäusern sowie der Erstausstattung mit den für den Krankenhausbetrieb notwendigen Anlagegütern, inkl. Finanzierungs- und Kapitalkosten, [b] Kosten der Erstbeschaffung der zum Krankenhaus gehörenden Anlagegüter außerhalb der vorgenannten Errichtung, inkl. Finanzierungs- und Kapitalkosten sowie Nutzungsentgelten, [c] Kosten der Wiederbeschaffung der Anlagegüter bei einer durchschnittlichen Nutzungsdauer von über drei Jahren (ohne abnutzbare bewegliche, selbständig nutzbare Anlagegüter mit Anschaffungs- oder Herstellungskosten bis zu 150,- Euro netto), inkl. Finanzierungs- und Kapitalkosten sowie Nutzungsentgelten, [d] Kosten zur Erhaltung oder Wiederherstellung von Anlagegütern dergestalt, dass das Gut in seiner Substanz wesentlich ergänzt oder vermehrt, in seinem Wesen erheblich verändert, seine Nutzungsdauer wesentlich verlängert oder über seinen bisherigen Zustand hinaus deutlich verbessert wird. 96 Im Hinblick auf die Investitionskosten gehören die verbundenen Ausbildungsstätten gem. § 2 Nr. 1a KHG in der Trägerschaft des Krankenhauses (z. B. Krankenpflegeschulen) ebenfalls zum Krankenhaus. 96 Vgl. Stollmann, Quaas, Dietz, Krankenhausfinanzierungsgesetz, § 9 KHG Anm. III. 1. <?page no="79"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 79 Die Kosten (inkl. Finanzierungskosten) des Grundstücks, des Grundstückserwerbs und der Grundstückserschließung sowie die Kosten der Telematikinfrastruktur für die elektronische Gesundheitskarte (vgl. § 291a Abs. 7 Satz 4 SGBV) stellen keine Investitionskosten im Sinne des Gesetzes dar. Die Investitionsförderung gibt es in den Formen der Pauschal- und Einzelförderung. Mit jährlichen Pauschalbeträgen werden die Wiederbeschaffung kurzfristiger Anlagegüter und kleine bauliche Maßnahmen gefördert (§ 9 Abs. 3 KHG). Die Höhe der Pauschalen wird in landesrechtlichen Gesetzen oder Verordnungen geregelt. Dabei orientiert sich die Höhe beispielsweise an der Anzahl der Betten im Krankenhausplan oder an den Fallzahlen des Krankenhauses. Maßnahmen mit einem höheren finanziellen Aufwand, wie z. B. Neubau eines Krankenhauses oder die Sanierung der OP-Säle, werden im Wege der Einzelförderung vollständig oder teilweise durch die Bundesländer finanziert. Für eine solche Förderung stellen die Bundesländer Investitionsprogramme 97 auf (§ 6 Abs. 1 KHG). Die Details der Einzel- oder Pauschalförderung, wie z. B. Fördervoraussetzungen und -höhe, Verfahrensfragen, werden in den Gesetzen der Bundesländer geregelt. 2.2.3.4 Arten und Umfang der Krankenhausbehandlung Die Krankenhausbehandlung umfasst lt. § 39 Abs. 1 S. 3 SGB V alle Leistungen, die im Einzelfall nach Art und Schwere der Krankheit für die medizinische Versorgung der Versicherten im Krankenhaus notwendig sind, insbesondere ärztliche Behandlung, Krankenpflege, Versorgung mit Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln, Unterkunft und Verpflegung. Sie wird in drei Arten eingeteilt: Abb. 13: Arten der Krankenhausbehandlung 97 Siehe z. B. Investitionsprogramm 2018 des Landes Rheinland-Pfalz https: / / msagd.rlp.de/ de/ service/ presse/ detail/ news/ detail/ News/ land-foerdert-krankenhaeuser-mit-66millionen-euro/ (Abruf am 6.3.2018). Arten der Krankenhausbehandlung (§ 39 Abs. 1 S. 1 SGB V) ambulant teilstationär vollstationär <?page no="80"?> 80 Recht im Gesundheitswesen Die Arten der Krankenhausbehandlung lassen sich wie folgt voneinander abgrenzen: ❋ Wissen │ Behandlungen Die ambulante Behandlung ist zeitlich begrenzt und dadurch gekennzeichnet, dass der Patient die Nacht vor und nach dem Eingriff nicht im Krankenhaus verbringt. 98 Bei einer vollstationären Behandlung wird der Patient für mindestens einen Tag und eine Nacht in das spezifische Versorgungssystem des Krankenhauses eingegliedert, das durch die ständige ärztliche Leitung, das jederzeit verfügbare Personal, die Möglichkeit der Unterbringung und Verpflegung sowie durch die apparative Mindestausstattung geprägt ist. 99 Wenn eine ambulant geplante Behandlung z. B. wegen Komplikationen über die Nacht hinaus verlängert wird, so wandelt sich die ambulante in eine vollstationäre Behandlung um. 100 Die teilstationäre Behandlung hat vor allem Bedeutung in der Geriatrie und Psychiatrie. Sie ist wie die vollstationäre Behandlung dadurch gekennzeichnet, dass der Einsatz der besonderen Mittel des Krankenhauses nötig ist. Mit einer ambulanten Leistung hat sie gemein, dass sie zeitlich begrenzt ist, entweder tagsüber oder nachts. Jedoch erfolgt die Behandlung nicht nur einmalig, sondern einem Behandlungsplan entsprechend über einen längeren Zeitraum in regelmäßigen Abständen, z. B. einmal wöchentlich. Im Unterschied zur vollstationären Behandlung ist wiederum keine ununterbrochene Anwesenheit des Patienten notwendig. 101 2.2.3.5 Inhalt der voll- und teilstationäre Krankenhausleistungen Die voll- und teilstationären Krankenhausleistungen umfassen lt. § 2 Abs. 1 KHEntgG, § 2 Abs. 1 BPflV insbesondere die ärztliche Behandlung, Krankenpflege, Versorgung mit Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln, Unterkunft und Verpflegung. Dabei dürfen neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, die sich aufgrund eines eigenen theoretisch-wissenschaftlichen Konzepts von den bisherigen Methoden unterscheiden, nicht zulasten der Krankenkassen erbracht werden, wenn der GBA entsprechendes entschieden hat. ◉ Beispiel Die Hyperbare Sauerstofftherapie bei einem Schädelhirntrauma darf nicht zulasten der Krankenkassen erbracht werden (§ 4 Richtlinie Methoden Krankenhaus 102 ). 98 Vgl. BSG, Urt. v. 4.3.2004, B 3 KR 4/ 03 R, NZS 2005, 93 ff. [96]. 99 Vgl. BSG, Urt. v. 19.9.2013, B 3 KR 34/ 12 R, BeckRS 2014, 65251 Rn. 13. 100 Vgl. BSG, Urt. v. 19.9.2013, a. a. O. Rn 15. 101 Vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 31.1.2007, L 9 KR 1168/ 05, BeckRS 2007, 44159. 102 Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im Krankenhaus i. d. F. v. 21.3.2006, BAnz 2006 S. 4466, z. g. a. 21.9.2017, BAnz AT v. 10.01.2018 B3. <?page no="81"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 81 Soweit und solange ein solches Verbot nicht vorliegt, dürfen neue Methoden im Krankenhaus angewendet werden, wenn sie das Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative bieten und ihre Anwendung nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgt (§ 137c SGB V). Dies ist anders als in der vertragsärztlichen Versorgung, in der eine neue Methode vom Vertragsarzt erst nach einer Anerkennung durch den GBA anwenden darf (vgl. Abschnitt 2.1.2.4). Zu den voll- und teilstationären Krankenhausleistungen gehört ferner ein Entlassmanagement, in dessen Rahmen z. B. Arznei-, Heil- und Hilfsmittel, häusliche Krankenpflege verordnet werden können, um den Übergang des Patienten in andere kurative, in rehabilitative oder pflegerische Bereichen zu unterstützen (§ 39 Abs. 1a SGB V). Die voll- und teilstationären Leistungen werden wie folgt unterteilt: Abb. 14: Voll- und teilstationäre Krankenhausleistungen Bei den allgemeinen Krankenhausleistungen handelt es sich um Leistungen, die für die Versorgung des Patienten notwendig sind. Sie werden als Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht. Die Leistungen, die nicht notwendig sind, aber vom Patienten gewünscht werden, werden als Wahlleistungen bezeichnet. Diese muss der Patient selbst bezahlen (vgl. Abschnitt 2.2.6.3). Die regulative Ausgestaltung der voll- und teilstationären Krankenhausbehandlung (in Form der allgemeinen Krankenhausleistungen) erfolgt auf Landesebene. Die Landesverbände der Krankenkassen und Ersatzkassen gemeinsam schließen mit der Landeskrankenhausgesellschaft (oder einer anderen Landesvereinigung der Krankenhausträger) Verträge 103 , die für die Krankenhausträger und Krankenkassen im Land verbindlich sind (§ 112 Abs. 2 S. 2 SGB V). In diesen Verträgen werden beispielsweise geregelt (vgl. zum Vertragsinhalt § 112 Abs. 2 S. 1 SGB V): 103 Vgl. z. B. Niedersächsischer Vertrag zu den Bereichen des § 112 Abs. 2 Ziff. 1, 2, 4 und 5 SGB V, http: / / www.aok-gesundheitspartner.de/ nds/ krankenhaus/ vertraege_regional/ index.html (Abruf am 4.3.2018). voll- und teilstationäre Krankenhausleistungen allgemeine Krankenhausleistungen (§ 2 II KHEntgG, § 2 II BPflV) Wahlleistungen (§ 17 KHEntgG, § 16 BPflV) <?page no="82"?> 82 Recht im Gesundheitswesen Bedingungen für die Aufnahme und Entlassung des Patienten, Zusammenarbeit bei der Durchführung eines ständig einsatzbereiten Notdienstes, Mitteilungspflichten des Krankenhauses gegenüber dem weiterbehandelnden (Haus-)Arzt und der Krankenkasse, Abrechnungsmodalitäten für das Krankenhaus, Zahlungsmodalitäten für die Krankenkasse (vgl. zum Vertragsinhalt § 112 Abs. 2 S. 1 SGB V). 2.2.3.6 Vergütung der allgemeinen teil- und vollstationären Krankenhausleistungen durch Pflegesätze Für die erbrachten allgemeinen teil- und vollstationären Leistungen erhält ein Krankenhaus zur Finanzierung der laufenden Betriebskosten Pflegesätze. Bei diesen handelt es sich um die Entgelte, die die Patienten bzw. ihre Kostenträger für stationäre und teilstationäre Leistungen des Krankenhauses entrichten müssen (§ 2 Nr. 4 KHG). Von den Pflegesätzen zu unterscheiden sind die Wahlleistungsentgelte, die die Patienten für zusätzliche Behandlungsleistungen gem. § 17 KHEntgG bzw. § 16 BPflV zahlen. Zu den pflegesatzfähigen Kosten gehören nach § 2 Nr. 5 KHG die Kosten des Krankenhauses, deren Berücksichtigung im Pflegesatz nicht nach dem KHG ausgeschlossen ist. Derartige gesetzliche Ausschlüsse bestehen z. B. für die Kosten der wissenschaftlichen Forschung und Lehre, die über den normalen Krankenhausbetrieb hinausgehen, oder für Investitionskosten, mit Ausnahme der Kosten der Wiederbeschaffung von Wirtschaftsgütern mit einer durchschnittlichen Nutzungsdauer bis zu drei Jahren (vgl. § 17 Abs. 3, 4 KHG). Typische pflegesatzfähige Kosten sind die Instandhaltungskosten, die der Erhaltung oder Wiederherstellung von Anlagegütern dienen, ohne diese deutlich zu verbessern, zu vermehren, wesentlich zu verändern oder ihre Nutzungsdauer zu verlängern (vgl. § 17 Abs. 4b KHG, § 4 AbgrV). Die Pflegesätze sind für die somatischen Krankenhäuser als (fall-)pauschalierte Pflegesätze (§ 17 Abs. 1a KHG) sowie für die psychiatrischen und psychosomatischen Krankenhäuser als tagesgleiche Pflegesätze (§ 17 Abs. 2 KHG) ausgestaltet. Die Pflegesätze der psychiatrischen und psychosomatischen Krankhäuser sind gegenwärtig einem Wandel unterworfen. Das budgetbasierte System mit pauschalierten tagesbezogenen Entgelten für die voll- und teilstationären Leistungen galt zunächst ab 2013 freiwillig, seit dem 1.1.2018 ist es verbindlich. Bis Ende 2019 wird es budgetneutral durchgeführt, so dass der Wechsel des Vergütungssystems in dieser Zeit keine Nachteile für die Krankenhäuser zur Folge hat. Die Einzelheiten der Vergütung der psychiatrischen und psychosomatischen Einrichtungen werden in § 17d KHG, der BPflV, der auf der Bundesebene getroffenen PEPP- Vereinbarung sowie dem PEPP-Entgeltkatalog 104 geregelt. 104 Vereinbarung über die pauschalierenden Entgelte für die Psychiatrie und Psychosomatik 2018 (PEPPV 2018) zwischen dem GKV-Spitzenverband, dem Verband der Privaten Krankenversicherung und der Deut- <?page no="83"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 83 Die pauschalierten Pflegesätze im somatischen Bereich setzen sich gem. § 7 KHEntgG wie folgt zusammen: Abb. 15: Pflegesätze (Entgelte) der somatischen Krankenhäuser Seit Einführung des diagnose-orientierten Fallpauschalensystems 105 (auch DRG- System genannt) im somatischen Bereich sind die Fallpauschalen von zentraler Bedeutung für die Vergütung eines Krankenhauses. Die Einzelheiten des Fallpauschalensystems werden jährlich von dem GKV-Spitzenverband und dem Verband der privaten Krankenversicherung gemeinsam sowie der DKG vereinbart (§ 17b Abs. 2 KHG). Die Fallpauschalenvereinbarung, inkl. Anlagen, 106 enthält insbesondere: Abrechnungsbestimmungen, Regelungen zur Verlegung und Wiederaufnahme, Fallpauschalenkatalog, inkl. DRG-Leistungsdefinition, Bewertungsrelation, untere, mittlere, obere Grenzverweildauer, schen Krankenhausgesellschaft sowie der PEPP-Entgeltkatalog 2018 unter http: / / www.g-drg.de/ PEPP- Entgeltsystem_2018 (Abruf am 8.3.2018). 105 Gesetz zur Einführung des diagnose-orientierten Fallpauschalensystems für Krankenhäuser (Fallpauschalengesetz, FPG) v. 23.4.2002, BGBl. I S. 1412. 106 Vgl. z. B. Fallpauschalenvereinbarung 2018 unter http: / / www.g-drg.de/ G-DRG- System_2018/ Abrechnungsbestimmungen/ FPV_2018 (Abruf am 4.3.2018). Fallpauschalen Zusatzentgelte nach Entgeltkatalog für Ausnahmefälle (z. B. Arzneimittel, Dialyse, wenn Behandlung des Nierenversagens nicht die Hauptleistung ist Zusatzentgelte für nicht sachgerecht vergütete Leistungen Zu- und Abschläge, z. B. zur Finanzierung von Ausbildungskosten Vergütung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden Versorgungszuschlag Pflegesätze (Entgelte) für allgemeine Krankenhausleistungen (§ 7 KHEntG) <?page no="84"?> 84 Recht im Gesundheitswesen Zusatzentgelte für Ausnahmefälle gem. § 17b Abs. 1 S. 13 KHG (z. B. für Arzneimittel oder Dialyse, wenn die Behandlung des Nierenversagens nicht die Hauptleistung ist), Leistungen, deren Entgelte krankenhausindividuell zu vereinbaren sind (§ 6 Abs. 1 S. 1 KHEntgG). Das Fallpauschalensystem funktioniert in seinen Grundzügen wie folgt: Jeder Behandlungsfall wird abhängig von der Hauptdiagnose einer Behandlungsfallgruppe zugeordnet. Die Haupt- und behandlungsbedingten Nebendiagnosen werden nach einer Diagnose-Klassifikation, der ICD-10-GM, erfasst. Dazu wird die Diagnose-Klassifikation (ICD-10), die international von der Weltgesundheitsorganisation herausgegeben wird, durch das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) für Deutschland modifiziert. Die am Patienten zu erbringenden Leistungen werden nach einem vom DIMDI herausgegebenen Operationen- und Prozedurenschlüssel, dem OPS-301, kodiert. Die Einzelheiten der Erfassung der Diagnosen, Operationen und Prozeduren regeln die Deutschen Kodierrichtlinien, die für jedes Jahr verabschiedet werden. 107 Auf dieser Basis wird jeder Behandlungsfall einer DRG zugeordnet. Eine DRG setzt sich aus einem vierstelligen Code zusammen, im dem die Hauptdiagnose, die Operationen und Prozeduren sowie der Ressourceneinsatz zum Ausdruck kommen. Abb. 16: Aufbau einer DRG am Beispiel B21A Für jede DRG gibt es eine Bewertungsrelation, die den Behandlungsaufwand der Patienten der jeweiligen Gruppe widerspiegelt. Je höher die Bewertungsrelation 107 Vgl. z. B. Deutsche Kodierrichtlinien 2018 der DKG, dem GKV-Spitzenverband, PKV und der InEK GmbH, https: / / www.g-drg.de/ G-DRG-System_2018/ Kodierrichtlinien (Abruf am 9.6.2018). Hauptdiagnosegruppe (Major Diagnostic Category, MDC) B = Krankheiten und Störungen des Nervensystems Partition Partition O 01-39 operative Fallpauschale Partition A 40-59 andere Fallpauschale Partition M 60-99 medizinische Fallpauschale der vom Schweregrad abhängige Ressourceneinsatz A = höchster Einsatz … Z = geringster Einsatz Implantation eines Neurostimulators zur Hirnstimulation, Mehrelektrodensystem , mit Sondenimplantation B 21 A B21A <?page no="85"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 85 ist, umso höher ist der Aufwand und daraus folgend schließlich die Vergütung. Die Bewertungsrelationen beruhen auf einer Kostenkalkulation und werden vom Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) erstellt. DRG Bezeichnung Bewertungsrelation B21A Implantation eines Neurostimulators zur Hirnstimulation, Mehrelektrodensystem, mit Sondenimplantation 9,851 B21B Implantation eines Neurostimulators zur Hirnstimulation, Mehrelektrodensystem, ohne Sondenimplantation 4,624 Tab. 5: Beispiel zweier DRG mit Bewertungsrelation gem. Fallpauschalenkatalog 2018 108 Die Fallpauschale ergibt sich aus der Multiplikation der Bewertungsrelation der DRG mit dem Landesbasisfallwert. Dieser wird jährlich für das folgende Kalenderjahr zwischen der Landeskrankenhausgesellschaft, den Landesverbänden der Krankenkassen, den Ersatzkassen und dem Landesausschusses des Verbandes der privaten Krankenversicherung gem. § 10 KHEntgG vereinbart. Beispielsweise ist für 2018 für Niedersachsen ein Landesbasisfallwert in Höhe von 3.443,30 Euro vereinbart worden. 109 ◉ Beispiel Der Erlös für die DRG B21A für eine zehntägige Behandlung eines Patienten in einem niedersächsischen Krankenhaus im Jahr 2018 würde somit 33.919,95 Euro (3.443,30 Euro · 9,851) betragen. Die Fallpauschalen sind für eine mittlere Verweildauer des Patienten im Krankenhaus kalkuliert. Wenn die tatsächliche Liegezeit des Patienten kürzer als die sog. untere Grenzverweildauer ist, wird ein Abschlag berechnet. Für Langlieger erhält das Krankenhaus bei Überschreiten der oberen Grenzverweildauer einen Zuschlag. Somit nimmt die Verweildauer des Patienten im Krankenhaus bei einer bestimmten Kürze oder Länge ebenfalls Einfluss auf die Vergütung. 108 Siehe http: / / www.g-drg.de/ G-DRG-System_2018/ Fallpauschalen-Katalog/ Fallpauschalen-Katalog_2018 (Abruf am 3.3.2018). 109 Vgl. https: / / www.gkvspitzenverband.de/ media/ dokumente/ krankenversicherung_1/ krankenhaeuser/ budgetverhandlungen/ landesbasisfallw erte/ KH_LBFW_2018_2018_04_10.pdf (Abruf am 9.6.2018). <?page no="86"?> 86 Recht im Gesundheitswesen DRG erster Tag mit Abschlag mittlere Verweildauer erster Tag des zusätzlichen Entgelts B21A 3 12,4 21 B21B 1 4,2 10 Tab. 6: Verweildauer gem. Fallpauschalenkatalog 2018 Neben den Fallpauschalen beeinflussen weitere Größen, wie Zusatzentgelte, Zu- und Abschläge, die Höhe der Entgelte, die das Krankenhaus für seine stationären Leistungen erhält, vgl. dazu obige Abb. 15. Für Krankenhäuser, die zur Versorgung gesetzlich versicherter Patienten zugelassen sind, ohne dass sie eine öffentliche Investitionsförderung erhalten, ist ferner geregelt, dass sie von den Krankenkassen keine höhere Vergütung als geförderte Krankenhäuser verlangen dürfen (§ 17 Abs. 5, § 20 KHG). Somit sind diese Krankenhäuser ebenfalls dem DRG-System unterworfen. ◉ Beispiel Ein privates Krankenhaus mit Gewerbekonzession nach § 30 GewO, das Plankrankenhaus ist und mehr als 60 % Privatpatienten behandelt, erhält keine Investitionsförderung (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 2 KHG i. V. m. § 67 AO). Gleichwohl kann es keine höhere Vergütung als geförderte Krankenhäuser gegenüber der Krankenkasse des Patienten abrechnen. Zwischen dem Krankenhausträger und den Krankenkassen sowie anderen Sozialleistungsträgern wird eine Pflegesatzvereinbarung gem. § 18 KHG, § 11 KHEntgG bzw. § 11 BPflV geschlossen. Die Sozialleistungsträger sind jedoch nur Pflegesatzpartei, wenn auf sie jeweils im Jahr vor Beginn der Pflegesatzverhandlungen mehr als 5 % der Belegungs- und Berechnungstage des Krankenhauses entfallen. In der Vereinbarung werden prospektiv folgende Regelungen getroffen: Erlösbudget, in dem die Entgelte der voraussichtlich zu erbringenden Leistungen nach Art und Menge eingehen, sowie Mehr- und Mindererlösausgleiche (§ 4 und Anlage 1 des KHEntgG), Erlössumme für die krankenhausindividuellen Entgelte (§ 6 Abs. 3 KHEntgG), Summe der Bewertungsrelationen (§ 6 KHEntgG), sonstige Entgelte (§ 6 KHEntgG), Zu- und Abschläge entsprechend der Fallpauschalenvereinbarung (§ 5 Abs. 1, § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 KHEntgG) und krankenhausindividuelle Zu- und Abschläge (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 KHEntgG). Über die im konkreten Behandlungsfall berechnungsfähige Vergütung wird keine Vereinbarung geschlossen. Sie ergibt sich letztlich aus den oben erläuterten gesetzlichen und vertraglichen Regelungen des DRG-Systems. Für den Vergütungsanspruch des Krankenhauses ist es auch nicht notwendig, dass die Krankenkasse des Patienten vorab eine Kostenübernahmeerklärung abgibt. Wenn eine solche <?page no="87"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 87 erklärt wird, hat sie lediglich deklaratorischen Charakter. 110 Die Rechtsgrundlage für den Vergütungsanspruch des Krankenhauses für jeden einzelnen Behandlungsfall bildet § 109 Abs. 4 S. 3 SGB V i. V. m. § 7 KHEntgG bzw. § 7 BPflV und die Pflegesatzvereinbarung zwischen dem Krankenhausträger und den Pflegesatzparteien gem. § 11 KHEntgG bzw. § 11 BPflV. ✎ Aufgaben Dr. Paul Prinz betreibt eine Privatklinik P im Bundesland N. Für diese Klinik weist der Krankenhausplan 2018 des Bundeslandes N 20 Betten Orthopädie, 20 Betten Chirurgie, 10 Betten Frauenheilkunde und Geburtshilfe sowie 10 Betten Kinder- und Jugendmedizin aus. Dementsprechend hat das zuständige Sozialministerium durch Bescheid vom 20.12.2017 die Aufnahme der genannten Betten in den Krankenhausplan festgestellt. Der Krankenhausplan orientiert sich bzgl. der Fachrichtungen an der ärztlichen Weiterbildungsordnung des Landes N und unterscheidet neben den oben genannten Fachrichtungen Augenheilkunde, Hals-Nasen-Ohren- Heilkunde, Innere Medizin, Orthopädie und Urologie. In der Weiterbildungsordnung ist die Kinder- und Jugendmedizin wie folgt beschrieben: „Das Gebiet der Kinder- und Jugendmedizin umfasst die Erkennung, Behandlung, Prävention, Rehabilitation und Nachsorge aller körperlichen, neurologischen, psychischen und psychosomatischen Erkrankungen, Verhaltensauffälligkeiten, Entwicklungsstörungen und Behinderungen des Säuglings, Kleinkindes, Kindes und Jugendlichen.“ Die Fachrichtung Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde umfasst nach der Weiterbildungsordnung „die Vorbeugung, Erkennung, konservative und operative Behandlung, Nachsorge und Rehabilitation von Erkrankungen, Verletzungen, Fehlbildungen, Formveränderungen und Tumoren des Ohres, der Nase, der Nasennebenhöhlen, der Mundhöhle, des Pharynx und Larynx und von Funktionsstörungen der Sinnesorgane dieser Regionen sowie von Stimm-, Sprach-, Sprech- und Hörstörungen.“ Der am 1. Juni 1998 geborene und im Bundesland N wohnhafte Student S, der bei der Krankenkasse K versichert ist, wurde wegen einer Mittelohrentzündung bereits 2007 und 2013 in der Klinik P behandelt. Vom 2. Juni (Aufnahmetag) bis 12. Juni 2018 (Entlassungstag) wurde S erneut wegen einer Mittelohrentzündung in der Privatklinik P vollstationär behandelt. Die Behandlung erfolgte nicht als Notfall. Gegenüber der Krankenkasse K rechnete die Klinik P die Fallpauschale D62Z (Blutung aus Nase und Rachen oder Otitis media oder Infektion der oberen Atemwege, Alter > 2 Jahre) ab. Die Krankenkasse K lehnt die Begleichung der Rechnung ab. 110 Ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. z. B. BSG, Urt. v. 23.6.2015, B 1 KR 26/ 14 R, NZS 2015, 704 ff. [704]. <?page no="88"?> 88 Recht im Gesundheitswesen Erörtern Sie auf den Fall bezogen folgende Voraussetzungen des Vergütungsanspruchs des Dr. Paul Prinz gegen die Krankenkasse K: [a] Zulassung der Privatklinik des Dr. Paul Prinz zur Versorgung gesetzlich versicherter Patienten, [b] § 8 Abs. 1 S. 3 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG). Die Lösungen finden Sie im Web-Service. Folgende elf Voraussetzungen müssen für den Vergütungsanspruch des Krankenhauses gegenüber der Krankenkasse erfüllt sein: Das Krankenhaus muss zugelassen sein (vgl. Abschnitt 2.2.3.2) oder auf der Grundlage einer Satzungsregelung der Krankenkasse gem. § 11 Abs. 6 SGB V in Anspruch genommen worden sein (vgl. Abschnitt 3.1.9). Der Patient muss Versicherter der in Anspruch genommenen Krankenkasse sein. Die abgerechnete voll- oder teilstationäre Krankenhausleistung muss erbracht worden sein. Der Patient muss krankenhausbehandlungsbedürftig gewesen sein. Die Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit bezeichnet einen Krankheitszustand, dessen Behandlung den Einsatz der besonderen Mittel eines Krankenhauses erforderlich macht. Zu diesen Mitteln gehören die apparative Mindestausstattung, Möglichkeit der Unterbringung und Verpflegung, geschultes und jederzeit verfügbares Personal und ständige ärztliche Leitung gem. § 107 I SGB V. 111 Für die Beurteilung sind nur medizinische Erfordernisse maßgeblich. Andere Aspekte, wie z. B. das Fehlen alternativer Versorgungs- oder Unterbringungsmöglichkeiten, sind nicht zu berücksichtigen. 112 Ferner sind die voll- oder teilstationäre Leistungen nicht erforderlich, wenn das Behandlungsziel auf andere Weise, z. B. ambulant oder durch häusliche Krankenpflege, erreicht werden kann (§ 39 Abs. 1 S. 2 SGB V). Bei der Feststellung der Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit ist auf die anamnetischen und diagnostischen Informationen abzustellen, die dem Krankenhausarzt zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Aufnahme oder Weiterbehandlung des Patienten vorliegen. 113 Erst später erlangte Kenntnisse bleiben unberücksichtigt. Im Übrigen ist der aufnehmende Krankenhausarzt nicht an eine Einweisung des Patienten durch einen Vertragsarzt gebunden. Er trifft eine eigenverantwortliche Entscheidung. Das Krankenhausbehandlung muss dem Wirtschaftlichkeitsgebot gem. § 12 Abs. 1 SGB V entsprechen. „Das Wirtschaftlichkeitsgebot zwingt alle Leistungserbringer, auch Krankenhäuser, bei der Behandlungsplanung die Möglichkeit wirtschaftlichen Alternativverhaltens zu prüfen. Die Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots erfordert, 111 Ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. z. B. BSG, Urt. v. 13.5.2004, B 3 KR 18/ 03 R, NZS 2005, 366 [368], Urt. v. 19.09.2013, B 3 KR 34/ 12 R, BeckRS 2014, 65251 Rn. 13. 112 Vgl. Großer Senat des BSG, Beschl. v. 25.9.2007, GS 1/ 06, NZS 2008, 419 ff. [421]. 113 Vgl. Großer Senat des BSG, Beschl. v. 25.9.2007, a. a. O. [423]. <?page no="89"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 89 dass bei Existenz verschiedener gleich zweckmäßiger, ausreichender und notwendiger Behandlungsmöglichkeiten die Kosten für den gleichen zu erwartenden Erfolg geringer oder zumindest nicht höher sind.“ 114 Wenn beispielsweise ein Krankenhaus bei einer Herzklappenoperation Apheres-Thrombozytenkonzentrate von einem Einzelspender verabreicht, weil es Pool-Thrombozytenkonzentrate (gepoolt von 4 bis 6 Spendern) nicht vorrätig hat, diese aber ausreichend gewesen wären, hat es keinen Anspruch auf ein entsprechendes Zusatzentgelt für das teurere Konzentrat eines Einzelspenders. 115 Die Behandlung muss entweder im Rahmen des Versorgungsauftrages des Krankenhauses oder als Notfall erfolgt sein (§ 8 Abs. 1 S. 3 KHEntgG bzw. § 8 Abs. 1 S. 3 BPflV). Die Ermittlung des Versorgungsauftrages einer Hochschulklinik, eines Plan- oder Vertragskrankenhauses ist in § 8 Abs. 1 S. 4 KHEntgG geregelt. Beispielsweise ergibt sich der Versorgungsauftrag eines Plankrankenhauses aus den Festlegungen des Krankenhausplans i. V. m. dem Feststellungsbescheid über die Aufnahme einer bestimmten Anzahl von Planbetten je medizinischer Fachrichtung sowie aus einer ggf. vorhandenen Ergänzungsvereinbarung nach § 109 Abs. 1 S. 4 SGB V. In diesem Sinne hat z. B. ein chirurgisches Plankrankenhaus ohne Planbetten für die Orthopädie keinen Vergütungsanspruch für die DRG- Fallpauschale I44B für endoprothetische Leistungen, die zur Orthopädie gehören, 116 es sei denn, es läge eine Notfallbehandlung eines Patienten vor. Die angewendete Untersuchungs- und Behandlungsmethode darf nicht durch eine Richtlinie des GBA gem. § 137c Abs. 1, 2 SGB V ausgeschlossen sein (siehe Abschnitt 2.2.3.5). Die Behandlung eines Patienten mit einer ausgeschlossenen Methode ist gegenüber einer Krankenkasse nicht abrechenbar. Wenn der Patient die Anwendung einer solchen Methode (als Wahlleistung) wünscht, muss er für die Vergütung selbst aufkommen. Wenn die angewendete Untersuchungs- und Behandlungsmethode nicht gem. § 137c Abs. 1, 2 SGB V ausgeschlossen ist, kann der Vergütungsanspruch dennoch wegen Nichtbeachten von Qualitätsvorgaben ausgeschlossen sein. Diese Vergütungsvoraussetzung beruht auf einer umstrittenen Entscheidungspraxis des BSG, nach der die Krankenhausleistungen dem Qualitätsgebot gem. § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V entsprechen müssen. Das BSG verweist darauf, dass die Anwendung des § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V durch § 137c SGB V nicht ausgeschlossen werde. In diesem Sinne hat ein Krankenhaus keinen Vergütungsanspruch für eine Behandlung, die nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht. Ferner kann es keine Vergütung verlangen, wenn es eine Behandlung durchführt, für die es die personellen, fachlichen, medizinisch-technischen oder organisatorischen Anforderungen, die in einer Qualitätssicherungsrichtlinie des GBA vorgegeben sind, nicht erfüllt. 117 Trotz aller Kritik an dieser Rechtsprechung ist festzustellen, dass auch der Gesetzge- 114 BSG, Urt. v. 21.4.2015, B 1 KR 6/ 15 R, NZS 2015, 615 ff. [616]. 115 Vgl. BSG, Urt. v. 10.3.2015, B 1 KR 2/ 15 R, MedR 2015, 984 ff. 116 Vgl. BSG, Beschl. v. 12.7.2013, B 1 KR 74/ 12 B, MedR 2014, 157 f. 117 Vgl. BSG, Urt. v. 21.3.2013, B 3 KR 2/ 12 R, MedR 2013, 820 ff; BSG Urt. v. 1.7.2014, B 1 KR 15/ 13 R, BeckRS 2014, 72767; kritisch z. B.: Bielitz, NZS 2015, 606 ff.; Hambüchen, das krankenhaus 2017, 978 ff. <?page no="90"?> 90 Recht im Gesundheitswesen ber eine Verknüpfung von Qualitätsverstößen und Vergütungsabschlägen anstrebt. Er hat den GBA ermächtigt, Vergütungsabschläge und andere Folgen bei Nichteinhaltung von Qualitätsanforderungen zu regeln (vgl. § 137 SGB V und Abschnitt 2.2.3.8). Bei planbaren Operationen, für die eine Mindestmenge festgelegt ist, muss das Krankenhaus diese Mindestmenge voraussichtlich im Kalenderjahr erreichen (§ 136 Abs. 4 SGB V). Der GBA ist lt. § 136b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB V befugt, für planbarer Leistungen, bei denen die Qualität des Behandlungsergebnisses von der Menge abhängt, Mindestmengen festzulegen; z. B. sind 25 Nierentransplantationen (inkl. Lebendspende) pro Jahr und Krankenhaus vorgesehen. 118 Wenn das Krankenhaus die Mindestmenge voraussichtlich im Kalenderjahr nicht erreicht, darf es die Leistung erbringen und gegenüber der Krankenkasse abrechnen. Der Vergütungsanspruch darf nicht verjährt sein. Bei der Verjährung handelt es sich um einen „Zeitablauf, der für den Schuldner das Recht begründet, die Leistung zu verweigern“ 119 . Die Verjährungsfrist beträgt analog § 45 SGB I vier Jahre und beginnt mit dem Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Vergütungsanspruch des Krankenhauses entstanden ist. 120 Der Vergütungsanspruch darf nicht verwirkt sein. Die Frage der Verwirkung wird relevant, wenn das Krankenhaus seine Schlussrechnung korrigiert und gegenüber der Krankenkasse eine weitere Vergütung des Behandlungsfalls geltend macht. In diesem Fall ist zunächst zu prüfen, ob der einschlägige Landesvertrag nach § 112 SGB V eine Regelung enthält, die eine solche Nachforderung ausschließt. In Ermangelung einer solchen Regelung finden die Rechtsgedanken des § 242 BGB (Treu und Glauben) Anwendung. Die Verwirkung ist ein Unterfall der unzulässigen Rechtausübung, durch die ein zunächst Berechtigter seine Rechte verliert. Sie kommt zum Tragen, wenn ein Krankenhaus vorbehaltlos eine Schlussrechnung erteilt, die nicht offensichtlich unschlüssig ist (also z. B. keinen Schreibfehler oder Zahlendreher enthält). Wenn in einem solchen Fall das Krankenhaus weder im laufenden noch im nachfolgenden Haushaltsjahr eine Nachforderung gegenüber der Krankenkasse erhebt, schafft es ein Vertrauen der Krankenkasse darauf, dass mit weiteren Forderungen für die Behandlung des Versicherten nicht zu rechnen sei und haushaltsrelevante Vorkehrungen nicht getroffen werden müssen. 121 Das bedeutet vereinfacht ausgedrückt, dass das Krankenhaus nach Ablauf des Haushaltsjahres, das auf die vorbehaltlose Schlussrechnung folgt, Nachforderungen verwirkt hat. 118 Vgl. Regelungen des Gemeinsamen Bundesausschusses gem. § 136b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB V für nach § 108 SGB V zugelassene Krankenhäuser (Mindestmengenregelungen) v. 20.12.2005, BAnz. 2006 S. 1373 z. g. a. 17.5.2018, BAnz AT 07.06.2018 B3. 119 Ellenberg, Bürgerliches Gesetzbuch, Überbl v § 194 Rn. 5. 120 Ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. z. B. BSG, Urt. v. 23.6.2015, B 1 KR 26/ 14 R, NZS 2015, 704 ff. [706]. 121 Vgl. BSG, Urt. v. 5.7.2016, B 1 KR 40/ 15 R, BeckRS 2016, 72355 Rn. 21. <?page no="91"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 91 Wenn alle genannten Voraussetzungen erfüllt sind, bestehen der Vergütungsanspruch des Krankenhauses und somit zugleich die Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse für die Behandlung ihres Versicherten. Die Rechnung des Krankenhauses an die Krankenkasse muss mindestens die Angaben des § 301 Abs. 1 SGB V enthalten. Wenn sie unvollständig ist, ist die Vergütung nicht fällig. 122 Die Landesverträge nach § 112 SGB V können ggf. noch weitere Abrechnungsvorgaben enthalten. Die Krankenkassen können die Krankenhausleistung, insbesondere deren Notwendigkeit, durch den MDK gem. § 275 Abs. 1, 1c SGB V prüfen lassen. Die Einzelheiten der Prüfung sind in der Prüfverfahrensvereinbarung 123 geregelt, die der GKV-Spitzenverband und die DKG abgeschlossen haben. Über Vergütungsstreitigkeiten zwischen dem Krankenhausträger und der Krankenkasse entscheiden die Sozialgerichte (vgl. § 51 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG). Vor Klageerhebung besteht gem. § 17c KHG die Möglichkeit eines außergerichtlichen Schlichtungsverfahrens. 2.2.3.7 Ambulante Krankenhausleistungen und ihre Vergütung Ein Krankenhausträger ist berechtigt, verschiedene ambulante Leistungen zu erbringen. Einen Überblick darüber gibt die Abbildung 17. Einige der ambulanten Krankenhausleistungen sollen nachfolgend erläutert werden. Die vorstationäre Behandlung setzt die Verordnung einer Krankenhausbehandlung durch einen Vertragsarzt voraus und zielt darauf ab, die Erforderlichkeit einer stationären Krankenhausbehandlung zu klären oder eine solche vorzubereiten (§ 115a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB V). Sie ist auf drei Behandlungstage innerhalb von fünf Tagen vor der stationären Aufnahme des Patienten begrenzt (§ 115a Abs. 2 S. 1 SGB V). Die vorstationäre Behandlung ist mit der Fallpauschale für die anschließende vollstationäre Aufnahme grundsätzlich abgegolten (§ 8 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 KHEntgG). Sie ist jedoch gesondert abrechenbar, wenn es nicht zu einer vollstationären Behandlung kommt, weil diese z. B. nach den Ergebnissen der Voruntersuchungen nicht erforderlich ist. In diesem Fall richtet sich die Vergütung entweder nach einer Vereinbarung auf Landesebene gem. § 115a Abs. 3 S. 1 SGB V, wenn eine solche besteht, oder nach der Empfehlung über die Vergütung für vor- und nachstationäre Behandlung nach § 115 a Abs. 3 SGB V, die zwischen der DKG und den Bundesverbänden der Krankenkassen vereinbart worden ist. 124 122 Ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. z. B. BSG, Urt. v. 21.4.2015, B 1 KR 10/ 15 R, NZS 2015, 578 ff. [578 f.]. 123 Vereinbarung über das Nähere zum Prüfverfahren nach § 275 Absatz 1c SGB V, https: / / www.gkvspitzenverband.de/ krankenversicherung/ krankenhaeuser/ krankenhaeuser_abrechnung/ abrechnungspruefung/ abrechn ungspruefung.jsp (Abruf am 13.7.2018). 124 Vgl. Gemeinsame Empfehlung über die Vergütung für vor- und nachstationäre Behandlung nach § 115a Abs. 3 SGB V vom 30.12.1996/ 24.5.2005, http: / / www.kgrp.de/ uploads/ download/ GemEmpfehlung_Vor_und_Nachstation%E4r_1996.pdf (Abruf am 10.3.2018). <?page no="92"?> 92 Recht im Gesundheitswesen Abb. 17: Ambulante Leistungen eines Krankenhausträgers Die nachstationäre Behandlung erfolgt im Anschluss an eine vollstationäre Behandlung, um diese zu sichern oder zu festigen (§ 115a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB V). Für sie ist eine Dauer von maximal 7 Behandlungstagen innerhalb eines Zeitfensters von grundsätzlich 14 Tagen bzw. 3 Monaten bei Organtransplantationen nach Beendigung des Krankenhausaufenthalts vorgesehen (§ 115a Abs. 2 S. 2 SGB V). ◉ Beispiel │ nachstationäre Behandlung Vollstationäre Tumorentfernung und anschließende innerhalb von 14 Tagen nach der Krankenhausentlassung stattfindende ambulante Operation zur Implantation eines Ports für die Applikation von Zytostatika im Rahmen der Chemotherapie Die nachstationäre Behandlung ist neben der Fallpauschale abrechenbar, soweit die stationären, vor- und nachstationären Behandlungstage die Grenzverweildau- § 115b SGB V: ambulante Operationen § 115d SGB V: stationsäquivalente psychiatrische Behandlung § 95 Abs. 1, 1a SGB V: Krankenhausträger als Träger eines medizinischen Versorgungszentrums § 116b SGB V: ambulante spezialfachärztliche Versorgung § 119 SGB V: ambulante sozialpädiatrische Behandlung § 118a SGB V: geriatrische Institutsambulanzen § 118 SGB V: psychiatrische Institutsambulanzen § 117 SGB V: Hochschulambulanzen § 75 Abs. 1b, § 115 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3a SGB V: ambulante Notfallbehandlung ambulante Leistungen durch Krankenhausträger § 119c SGB V: medizinische Behandlungszentren §§ 140a SGB V: im Rahmen der integrierten Versorgung § 116a SGB V: bei Unterversorgung § 115a SGB V: vor- und nachstationäre Behandlung § 137f Abs. 7 SGB V: im Rahmen eines strukturierten Behandlungsprogramms <?page no="93"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 93 er der Fallpauschale übersteigen (§ 8 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 KHEntgG). Für die Vergütung ist die vorgenannte Empfehlung über die Vergütung für vor- und nachstationäre Behandlung nach § 115 a Abs. 3 SGB ebenfalls relevant. 125 Die zugelassenen Krankenhäuser sind im Rahmen ihres stationären Versorgungsauftrages ferner berechtigt, die ambulanten Operationen des Kataloges, den der GKV-Spitzenverband, die DKG und die KBV vereinbart haben 126 , anzubieten (§ 115b Abs. 2 S. 1 SGB V). Für diese ambulanten Operationen bedürfen sie keiner gesonderten Zulassung. Sie müssen die Durchführung der ambulanten Operationen den Landesverbänden der Krankenkassen, den Ersatzkassen, der Kassenärztlichen Vereinigung und dem Zulassungsausschuss lediglich anzeigen (§ 115b Abs. 2 S. 2 SGB V). Die Vergütung und weitere Einzelheiten sind in dem AOP-Vertrag 127 geregelt. Die Vergütung berechnet sich nach dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab (§ 7 AOP-Vertrag). Sie gehört zum vereinbarten Krankenhausbudget und wird unmittelbar von der Krankenkasse an das Krankenhaus gezahlt (§ 115b Abs. 2 S. 4 SGB V, § 18 Abs. 4 AOP-Vertrag). Sie ist anders als bei den ambulant operierenden Vertragsärzten kein Bestandteil der vertragsärztlichen Gesamtvergütung, die die Krankenkassen an die Kassenärztliche Vereinigung zahlt (§ 7 Abs. 1 S. 1 AOP-Vertrag). Die zugelassenen Krankenhäuser sind neben Vertragsärzten, medizinischen Versorgungszentren, ermächtigten Ärzten und Einrichtungen berechtigt, die Leistungen der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung anzubieten (§ 116b Abs. 2 S. 1 SGB V). Diese Versorgungsform umfasst lt. § 116b Abs. 1 SGB V die Diagnostik und Therapie von Erkrankungen mit besonderen Krankheitsverläufen (z. B. onkologische Erkrankungen, HIV/ Aids, Multiple Sklerose) und seltene Erkrankungen (z. B. Tuberkulose, Mukoviszidose) sowie hochspezialisierte Leistungen (z. B. CT/ MRT-gestützte interventionelle schmerztherapeutische Leistungen). Der Krankenhausträger muss die Teilnahme an der Versorgungsform lediglich anzeigen und nachweisen, dass er die erforderlichen Voraussetzungen erfüllt (vgl. § 116b Abs. 2 SGB V). Die Einzelheiten der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung sind in der einschlägigen ASV-Richtlinie 128 des GBA geregelt. Die erbrachten Leistungen des Krankenhauses werden gem. § 116b Abs. 6 SGB V unmittelbar durch die Krankenkasse vergütet. Die Krankenhäuser nehmen mit ihren Notfallambulanzen/ Notaufnahmen an der ambulanten Notfallversorgung teil. Diese ist von der notärztlichen Versorgung im 125 Ebd. 126 Katalog ambulant durchführbarer Operationen und stationsersetzender Eingriffe gemäß § 115b SGB V im Krankenhaus, https: / / www.gkvspitzenverband.de/ krankenversicherung/ krankenhaeuser/ ambulante_kh_leistungen/ ambulantes_operieren_115_b/ am bulantes_operieren_115_b.jsp (Abruf am 9.3.2018). 127 Vertrag nach § 115b Abs. 1 SGB V - Ambulantes Operieren und stationsersetzende Eingriffe im Krankenhaus - (AOP-Vertrag), https: / / www.gkvspitzenverband.de/ krankenversicherung/ krankenhaeuser/ ambulante_kh_leistungen/ ambulantes_operieren_115_b/ am bulantes_operieren_115_b.jsp (Abruf am 9.3.2018). 128 Vgl. Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die ambulante spezialfachärztliche Versorgung nach § 116b SGB V v. 21.3.2013, BAnz AT 19.07.2013 B1, z. l. g. a. 16.3.2018, BAnz AT 22.06.2018 B1. <?page no="94"?> 94 Recht im Gesundheitswesen Rettungsdienst und vom kassenärztlichen Notdienst abzugrenzen. Beim Rettungsdienst handelt es sich um eine Versorgung in medizinischen Notfällen (akute lebensbedrohliche Erkrankungen oder Verletzungen) durch einen Notarzt und/ oder Notfallsanitäter/ Rettungsassistenten vor Ort und während des Transports in ein Krankenhaus. Der Rettungsdienst wird den Landesgesetzen der Bundesländer näher ausgestaltet. Der kassenärztliche Notdienst (auch Bereitschaftsdienst genannt) dient der ambulanten medizinischen Versorgung der Patienten in dringenden (Not-)Fällen außerhalb der üblichen Sprechzeiten der Vertragsärzte. Die Behandlung der Patienten erfolgt durch Vertragsärzte. Der Notdienst gehört zur vertragsärztlichen Versorgung, den die kassenärztlichen Vereinigungen sicherstellen müssen (§ 75 Abs. 1, 1b SGB V). Die Krankenhäuser dürfen im Rahmen der ambulanten Notfallversorgung alle ärztlichen Maßnahmen erbringen, die zur Behandlung der Erkrankung oder Verletzung des Patienten notwendig und bis zur Weiterbehandlung durch einen Vertragsarzt oder stationären Krankenhausaufnahme unaufschiebbar sind. Die ambulante Notfallversorgung durch ein Krankenhaus beruht entweder auf einer entsprechenden Regelung im Landesvertrag nach § 112 SGB V (siehe Abschnitt 2.2.3.5) oder auf § 76 Abs. 1 S. 2 SGB V. Nach dieser Vorschrift dürfen die Versicherten in Notfällen andere Ärzte als Vertragsärzte aufsuchen. Die Behandlung eines Versicherten im Rahmen der ambulanten Notfallversorgung begründet einen Vergütungsanspruch des Krankenhauses gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung. Die Abrechnung erfolgt nach dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab, der die berechnungsfähigen Leistungen der vertragsärztlichen Versorgung regelt. Innerhalb der heterogenen Strukturen der Patientenversorgung im Notfall ist bundesweit festzustellen, dass Patienten die Notaufnahmen der Krankenhäuser anstelle des kassenärztlichen Notdienstes aufsuchen. Dieses Phänomen führt zu negativen Begleiterscheinungen, wie z. B. Überlastung der Mitarbeiter in Notaufnahmen und lange Wartezeiten für die Patienten. In den Jahren 2015/ 16 hat der Bundesgesetzgeber reagiert 129 und den Kassenärztlichen Vereinigungen aufgegeben, dass sie bei der Organisation des Notdienstes auch mit zugelassenen Krankenhäusern kooperieren sollen. Sie sollen entweder Notdienstpraxen in oder an Krankenhäusern einrichten oder Notfallambulanzen der Krankenhäuser unmittelbar in den Notdienst einbinden (§ 75 Abs. 1b SGB V). Dementsprechend werden die Strukturen der Notfallversorgung in den nächsten Jahren einem Wandel unterworfen sein. Sofern der Krankenhausträger gem. § 95 Abs. 1a S. 1 SGB V zugleich ein medizinischen Versorgungszentrum betreibt, unterliegt er den vertragsärztlichen Regelungen (vgl. dazu im Einzelnen Abschnitte 2.1.2.3 und 2.1.2.4). 129 Einführung des Kooperationsgebots durch das Gesetz zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-VSG) v. 16.7.2015, BGBl. I S. 1211 sowie das Gesetz zur Reform der Strukturen der Krankenhausversorgung (KHSG) v. 10.12.2015, BGBl. I S. 2229. <?page no="95"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 95 2.2.3.8 Qualitätsmanagement und Qualitätssicherung Die §§ 135 ff. SGB V enthalten zahlreiche Regelungen zur Sicherung der Qualität der Leistungserbringung im System der gesetzlichen Krankenversicherung. So ist der Krankenhausträger wie andere Leistungserbringer verpflichtet, ein einrichtungsinternes Qualitätsmanagement - inkl. eines patientenorientierten Beschwerdemanagements - einzuführen und weiterzuentwickeln (§ 135a Abs. 2 Nr. 2 SGB V). Ein Qualitätsmanagement umfasst alle Maßnahmen der Organisationsentwicklung, die darauf angelegt sind, die Krankenhausleistungen nicht dem Zufall zu überlassen. Es handelt sich um ein systematisches Vorgehen, um die Strukturqualität (personelle und sachliche Ausstattung, bauliche Gegebenheiten sowie Aufbauorganisation des Krankenhauses), Prozessqualität (Ablauforganisation, Art und Weise der Leistungserbringung), Ergebnisqualität (erreichte Behandlungsziele und Patientenzufriedenheit) der Krankenhausleistungen gezielt zu beeinflussen. Die diesbezüglichen Einzelheiten sind in der Qualitätsmanagement-Richtlinie des GBA geregelt. Ferner muss der Krankenhausträger gem. § 135a Abs. 2 Nr. 1 SGB V i. V. m. der QSKH-RL 130 des GBA an einer einrichtungsübergreifenden Qualitätssicherung teilnehmen. Hierbei werden die Leistungen der teilnehmenden Krankenhäuser bzgl. qualitätsrelevanter Daten - z. B. Komplikationsrate - miteinander verglichen. Die Auswertung der Daten wird dem Krankenhausträger zur Verfügung gestellt. Bei Auffälligkeiten wird grundsätzlich ein sog. Strukturierter Dialog durchgeführt, mit dem im Ergebnis der Verbesserungsbedarf in Hinweisen, Mitteilungen, Gesprächen oder einer Zielvereinbarung herausgearbeitet wird (vgl. §§ 11-13 QSKH-RL). Darüber hinaus ist der Krankenhausträger auch zur Teilnahme an einer sektorenübergreifenden Qualitätssicherung verpflichtet (§ 136 SGB V). Hierbei geht es um eine Bewertung der Leistungen in verschiedenen - z. B. ambulanten und stationären - Bereichen des Gesundheitswesens sowie um sektorenübergreifend abgestimmte Qualitätsanforderungen, um die Versorgungsqualität zu erhöhen. Näheres dazu, z. B. die Erfassung und Auswertung der Daten sowie die relevanten Themen, regelt die Qesü-RL 131 des GBA. Das erste Verfahren der sektorenübergreifenden Qualitätssicherung wurde 2015 für die Herzkathetereingriffe Koronarangiographie und Perkutane Koronarintervention beschlossen 132 , die sowohl von Krankenhäusern als auch von Vertragsärzten erbracht werden. 130 Richtlinie gem. § 136 Abs. 1 i. V. m. § 135a SGB V über Maßnahmen der Qualitätssicherung für nach § 108 SGB V zugelassene Krankenhäuser v. 15.8.2006, BAnz v. 20.9.2006 Nr. 178 S. 6 361, z. g. a. 16.3.2018, BAnz AT 26.4.2018 B2. 131 Richtlinie nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 13 i. V. m. § 137 Abs. 1 Nr. 1 SGB V über die einrichtungs- und sektorenübergreifenden Maßnahmen der Qualitätssicherung v. 19.4.2010, BAnz 2010 S. 3995, z. g. a. 19.10.2017, BAnz AT 7.2.2018 B2. 132 Bekanntmachung eines Beschlusses des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Änderung der Richtlinie zur einrichtungs- und sektorenübergreifenden Qualitätssicherung, BAnz AT 14.07.2015 B7. <?page no="96"?> 96 Recht im Gesundheitswesen Der Krankenhausträger ist ebenfalls verpflichtet, jährlich einen strukturierten Qualitätsbericht zu veröffentlichen (§ 136b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB V i. V. m. den Qb-R 133 ). Dieser Qualitätsbericht muss insbesondere die Struktur- und Leistungsdaten des Krankenhauses und der einzelnen Organisationseinheiten und Fachabteilungen (z. B. Anzahl der Betten, Fallzahlen), die Maßnahmen und den Stand der Qualitätssicherung und einen Berichtsteil mit speziellen Informationen für die Patienten (z. B. Risiko- und Fehlermanagement, Hygienestandard) enthalten (vgl. § 136b Abs. 6 SGB V). Der Bericht ermöglicht es dem Krankenhausträger, seine Leistungen transparent zu machen. Zugleich dient er der Information des Patienten und der anderen Akteure des Gesundheitswesens, beispielsweise den Vertragsärzten für die Krankenhauseinweisung ihrer Patienten (vgl. § 1 Qb-R). Weitere Verpflichtungen des Krankenhausträgers im Qualitätsbereich betreffen den Hygienestandard (§ 136a Abs. 1 SGB V), die Personalausstattung von psychiatrischen und psychosomatischen Einrichtungen (§ 136a Abs. 2 SGB V), di e Erfüllun g der ä rztli chen Fortb il dun gspfli cht (§ 136 b SG B V), die Mindestmengen planbarer Operationen, bei denen die Qualität des Behandlungsergebnisses von der Menge der erbrachten Leistungen abhängt (§ 136b SGB V), die Einhaltung von Qualitätsindikatoren zur Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität (§ 136c SGB V). Für die Nichteinhaltung von Qualitätsanforderungen soll der GBA ein gestuftes Rechtsfolgensystem entwickeln, das dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gerecht wird. § 137 Abs. 1 S. 2, 3 SGB V zählt beispielhaft folgende Konsequenzen auf: Beratung und Unterstützung, vollständiger oder teilweiser Verlust der Vergütung, Information Dritter (z. B. Krankenhausplanungsbehörden) über die Verstöße, einrichtungsbezogene Veröffentlichung von Informationen zur Nichteinhaltung von Qualitätsanforderungen. Ebenso ist der GBA ermächtigt, eine Richtlinie über Qualitätsprüfungen durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung zu erlassen (§ 137 Abs. 3 SGB V). Dementsprechend verabschiedete der GBA eine MDK-Qualitätskontroll-Richtlinie. 134 133 Regelungen des Gemeinsamen Bundesausschusses gem. § 136b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB V über Inhalt, Umfang und Datenformat eines strukturierten Qualitätsberichts für nach § 108 SGB V zugelassene Krankenhäuser v. 16.3.2013, BAnz AT 24.7.2013 B5, z. g. a. 19.4.2018, BAnz AT 28.5.2018 B1. 134 Beschluss einer MDK-Qualitätskontroll-Richtlinie v. 21.12.2017 und Änderungsbeschluss vom 20.9.2018, https: / / www.g-ba.de/ informationen/ beschluesse/ 3178/ (Abruf am 27.10.2018). <?page no="97"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 97 Die Richtlinienbefugnisse des GBA bzgl. des Rechtsfolgensystems und der Qualitätskontrolle sind 2016 durch das Krankenhausstrukturgesetz 135 eingeführt worden, so dass die weitere Entwicklung abzuwarten bleibt. 2.2.4 Betrieb und Anwendung von Medizinprodukten Im Krankenhaus kommen zahlreiche Medizinprodukte zu Einsatz: Operationstische, EKG-Geräte, Beatmungsgeräte, Dialyse-Einrichtungen, Wundauflagen, Tupfer u. v. m. (zum Begriff des Medizinprodukts vgl. Abschnitt 2.8.2). Die Medizinprodukte dürfen nur unter Berücksichtigung der MPBetreibV betrieben und angewendet werden (§ 14 S. 1 MPG, § 1 MPBetreibV). 136 Adressatenkreis dieser Verordnung sind der Betreiber und der Anwender der Medizinprodukte: ❋ Wissen │ Betreiber und Anwender Nach der Definition in § 2 Abs. 2 MPBetreibV werden drei Betreiberarten unterschieden. Betreiber eines Medizinproduktes ist jede natürliche oder juristische Person, die für den Betrieb der Gesundheitseinrichtung verantwortlich ist, in der das Medizinprodukt durch dessen Beschäftigte betrieben oder angewendet wird, also z. B. der Krankenhausträger. Wenn ein Angehöriger der Heilberufe oder des Heilgewerbes ein eigenes Medizinprodukt zur Verwendung in eine Gesundheitseinrichtung mitbringt, so ist er selbst und nicht die Gesundheitseinrichtung Betreiber. Dies gilt z. B. für einen Belegarzt, der mit seinem eigens mitgebrachten Skalpell einen Patienten operiert. Als Betreiber gilt auch, wer außerhalb von Gesundheitseinrichtungen in seinem Betrieb oder seiner Einrichtung oder im öffentlichen Raum Medizinprodukte zur Anwendung bereithält. In diesem Sinne gelten beispielsweise Unternehmen, die auf ihrem Gelände einen Defibrillator aufhängen, als dessen Betreiber. Anwender ist derjenige, der ein Medizinprodukt am Patienten einsetzt (§ 2 Abs. 3 MPBetreibV), also z. B. der im Krankenhaus angestellte Arzt oder Krankenpfleger. Von der Vielzahl der zu beachtenden Pflichten sollen nachfolgend einige aufgezeigt werden. § 4 Abs. 1 MPBetreibV gibt allgemeingültig vor, dass die Zweckbestimmung des Medizinprodukts, die Vorschriften der MPBetreibV und die allgemein anerkannten Regeln der Technik 135 Gesetz zur Reform der Strukturen der Krankenhausversorgung (KHSG) v. 10.12.2015, BGBl. I S. 2229. 136 Vgl. zum Betreiben und Anwenden von Medizinprodukten auch Hobusch, Handbuch Gesundheitsrecht, S. 291 ff. [304 ff.]. <?page no="98"?> 98 Recht im Gesundheitswesen beim Betreiben und Anwenden eines Medizinprodukts zu beachten sind. Zudem dürfen nur ausreichend qualifizierte Personen tätig und beauftragt werden (§ 4 Abs. 2, 5 MPBetreibV). Wenn das Medizinprodukt nicht selbsterklärend ist, muss das Personal in die Handhabung eingewiesen werden (§ 4 Abs. 3 MPBetreibV). Das Krankenhauspersonal, das ein Medizinprodukt anwendet, muss sich zuvor von dessen Funktionsfähigkeit und ordnungsgemäßem Zustand zu überzeugen. Zudem hat es die Gebrauchsanweisung und die sonstigen sicherheitsbezogenen Informationen zu beachten (§ 4 Abs. 6 MPBetreibV). Ferner dürfen Medizinprodukte nicht betrieben und angewendet werden, wenn sie Mängel aufweisen, durch die Patienten, Beschäftigte oder Dritte gefährdet werden können (§ 14 S. 2 MPG), der begründete Verdacht besteht, dass sie die Sicherheit und die Gesundheit der Patienten, der Anwender oder Dritter bei sachgemäßer Anwendung, Instandhaltung und ihrer Zweckbestimmung entsprechender Verwendung über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaften vertretbares Maß hinausgehend unmittelbar oder mittelbar gefährden (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 MPG) oder das Datum abgelaufen ist, bis zu dem eine gefahrlose Anwendung nachweislich möglich ist (§ 4 Abs. 1 Nr. 2 MPG). Verstöße gegen diese drei Verbote werden zum einen als Ordnungswidrigkeit oder Straftat geahndet (vgl. im Einzelnen § 40 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 sowie § 42 Abs. 2 Nr. 1 MPG). Zum anderen können sie zu einer vertraglichen Haftung gem. §§ 280 ff. BGB und einer deliktischen Haftung gem. §§ 823 ff. BGB führen (vgl. Abschnitt 2.2.7). ◉ Beispiel Ein im Krankenhaus angestellter Arzt setzt bei einem Patienten eine Injektion. Bei der Entnahme der Injektionskanüle aus der Verpackung hatte er auf das aufgedruckte Verfalldatum nicht geachtet. Deshalb war ihm entgangen, dass dieses bereits abgelaufen war. Wegen der nicht mehr gegebenen Sterilität der Kanüle erleidet der Patient einen Infekt sowie infolge der Behandlung des Infekts einen Verdienstausfall. Den Schaden müssen der Arzt als Handelnder und der Krankenhausträger, der für den Arzt als Erfüllungsgehilfen einstehen muss, ersetzen. Der Krankenhausträger muss für die nötige Instandhaltung der Medizinprodukte sorgen. Eine solche umfasst Instandhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen: <?page no="99"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 99 Abb. 18: Instandhaltung von Medizinprodukten Die durchzuführenden Maßnahmen ergeben sich aus den allgemein anerkannten Regeln der Technik und den Angaben des Herstellers (§ 7 Abs. 1 MPBetreibV). Die Personen, die der Krankenhausträger mit der Instandhaltung beauftragt (eigenes Personal oder Fremdunternehmen), müssen dafür ausreichend qualifiziert sein, hinsichtlich der Instandhaltung weisungsfrei arbeiten können und über die erforderlichen Gerätschaften und Räume verfügen (§ 7 Abs. 2, § 5 MPBetreibV). Nach Abschluss der Instandhaltung sind die für die Sicherheit und Funktionstüchtigkeit wesentlichen konstruktiven und funktionellen Merkmale des Produkts zu prüfen, soweit sie durch die durchgeführten Maßnahmen beeinträchtigt worden sind oder sein können (§ 7 Abs. 3 MPBetreibV). Bestimmte Medizinprodukte dürfen nur eingesetzt werden, wenn sie keimarm oder steril sind. ◉ Beispiel Infusionsnadeln, Skalpelle, Wundhaken Der Prozess der Reinigung, Desinfektion und Sterilisation des Medizinprodukts, inkl. der damit zusammenhängenden Prüfung und (Wieder-)Herstellung der technisch-funktionellen Sicherheit, wird als Aufbereitung bezeichnet (vgl. § 3 Nr. 14 MPG). Die Aufbereitung muss in einem validierten Verfahren erfolgen. Wenn die Aufbereitung entsprechend der Empfehlung zu den Anforderungen an die Hygiene bei der Aufbereitung von Medizinprodukten 137 erfolgt, wird vermutet, dass sie ordnungsgemäß ist (§ 8 Abs. 2 MPBetreibV). Wenn sich der Krankenhausträger nicht an diese Empfehlung hält, muss er gewährleisten und nachweisen können, dass sein Aufbereitungsprozess jederzeit die Keimarmut bzw. Sterilität des Medizinprodukts herbeiführt und somit Gefahren für Patienten, Anwender und Dritte 137 Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention beim Robert Koch-Institut (RKI) und Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), Anforderungen an die Hygiene bei der Aufbereitung von Medizinprodukten, Bundesgesundheitsblatt 2012, 1244 ff. Instandhaltung Instandhaltungsmaßnahmen Instandsetzungsmaßnahmen Inspektion und Wartung Reparatur und Wiederherstellung <?page no="100"?> 100 Recht im Gesundheitswesen ausgeschlossen sind. Die Personen, die der Krankenhausträger mit der Aufbereitung beauftragt (eigenes Personal oder Fremdunternehmen), müssen dafür ausreichend qualifiziert sein, hinsichtlich der Aufbereitung weisungsfrei arbeiten können und über die erforderlichen Gerätschaften und Räume verfügen (§ 8 Abs. 4, § 5 MPBetreibV). Für die Aufbereitung von Medizinprodukten „Kritisch C“ (z. B. ERCP-Katheter) muss der Krankenhausträger zudem ein zertifiziertes Qualitätsmanagementsystem vorweisen können (§ 8 Abs. 3 MPBetreibV). Gem. § 6 MPBetreibV hat der Krankenhausträger einen Beauftragten für Medizinproduktesicherheit zu bestellen. Dieser muss sachkundig sowie zuverlässig sein und über eine medizinische, naturwissenschaftliche, pflegerische, pharmazeutische oder technische Ausbildung verfügen. Im Hinblick auf Risikomeldungen für Medizinprodukte und die Umsetzung von korrektiven Maßnahmen (siehe Abschnitt 2.8.8) ist der Beauftragte für Medizinproduktesicherheit die Kontaktperson des Krankenhauses für Behörden, Hersteller und Vertriebsunternehmen. Ferner muss er die diesbezüglichen internen Prozesse im Krankenhaus koordinieren. Für alle aktiven nichtimplantierbaren Medizinprodukte (vgl. zum Begriff Abschnitt 2.8.2.) hat der Krankenhausträger ein Bestandsverzeichnis mit den in § 13 MPBetreibV vorgesehenen Angaben zu führen. Zu diesen gehören z. B. Bezeichnung, Anschaffungsjahr, Standort des Medizinprodukts, Fristen für sicherheitstechnische Kontrollen. Weitere spezifische Pflichten bestehen für die in den Anlagen 1 und 2 der MPBetreibV genannten Medizinprodukte: Medizinprodukt Pflichten In Anlage 1 sind z. B. Defibrillatoren, Säuglingsinkubatoren, externe aktive Komponenten aktiver Implantate genannt. Der Krankenhausträger muss für eine Funktionsprüfung vor Ort und eine spezifische Einweisung gem. § 10 MPBetreibV, sicherheitstechnische Kontrollen gem. § 11 MPBetreibV sowie das Führen eines Medizinproduktebuchs gem. § 12 MPBetreibV sorgen. In Anlage 2 sind z. B. Ton- und Sprachaudiometer, Augentonometer genannt. Der Krankenhausträger muss für das Führen eines Medizinproduktebuchs gem. § 12 MPBetreibV, für messtechnische Kontrollen gem. § 14 MPBetreibV und für die Einhaltung der Fehlergrenzen gem. § 4 Abs. 8 MPBetreibV sorgen. Tab. 7: Spezifische Pflichten nach den §§ 4, 10, 11, 12, 14 MPBetreibV <?page no="101"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 101 Wenn dem Patienten ein aktives implantierbares Medizinprodukt (z. B. Herzschrittmacher), Herzklappen, nichtresorbierbare Gefäßprothesen oder -stützen, ein Gelenkersatz für Hüfte oder Knie, Wirbelkörperersatzsysteme oder Bandscheibenprothesen oder Brustimplantate eingesetzt wurden, ist ihm eine schriftliche Dokumentation mit den in § 15 MPBetreibV vorgesehenen Daten zu übergeben. Zu diesen gehören insbesondere Verhaltensanweisungen zur Sicherheit des Patienten, Maßnahmen, die im Fall einer Funktionsstörung zu treffen sind, sowie der Zeitpunkt der nachfolgenden Kontrolluntersuchungen. Fahrlässige oder vorsätzliche Verstöße gegen die MPBetreibV können als Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße bis zu 30.000,- Euro geahndet werden (vgl. im Einzelnen § 17 MPBetreibV i. V. m. § 42 Abs. 2 Nr. 16, Abs. 3 MPG). Dabei ist zu beachten, dass nicht nur Pflichtverletzungen des Krankenhausträgers als Betreiber, sondern auch die des Personals als Anwender bußgeldbewehrt sind. 2.2.5 Pflichten des Krankenhauses und seiner Mitarbeiter aus weiteren gesundheitsrechtlichen Vorschriften Die Krankenhäuser haben eine Vielzahl weiterer Pflichten zu erfüllen, die aus verschiedenen Rechtsvorschriften folgen. Einige von denen sollen nachfolgend benannt werden: Röntgenverordnung und Strahlenschutzverordnung: Der Einsatz radioaktiver Stoffe mit ionisierender Strahlung ist ein nicht mehr wegzudenkender Bestandteil der heutigen Diagnostik und Therapie: Röntgenuntersuchung, Positronen-Emissions- Tomographie (PET), Single-Photon-Emissions-Computertomographie (SPECT), Strahlentherapie bei Krebserkrankungen u. v. m. Der Betrieb einer Röntgeneinrichtung ist anzeige- oder genehmigungspflichtig (vgl. §§ 3, 4 RöV). Der Betrieb von Anlagen zur Erzeugung ionisierender Strahlen, für die die RöV nicht gilt, ist genehmigungspflichtig (§ 11 StrlSchV). Ebenso muss der Umgang mit radioaktiven Stoffen genehmigt werden (§ 7 StrlSchV). Beim Betrieb der Geräte und Stoffe muss der Krankenhausträger gem. § 13 RöV bzw. § 31 StrlSchV unter Beachtung des Standes von Wissenschaft und Technik dafür zu sorgen, dass alle notwendigen Maßnahmen zum Schutz des Personals, der Patienten und der Umwelt ergriffen werden (vgl. § 15 Abs. 1 RöV, § 33 Abs. 1, 3 StrlSchV zu den einzelnen Pflichten). Die Anwendung radioaktiver Stoffe und ionisierender Strahlung zur Untersuchung oder Behandlung eines Patienten ist Ärzten vorbehalten, die auch über die erforderliche Fachkunde im Strahlschutz verfügen (sog. fachkundige Ärzte). Andere Ärzte unterliegen dessen Aufsicht (§ 24 Abs. 1 RöV bzw. § 82 Abs. 1 StrlSchV). Nichtärztliches Personal darf nur technisch mitwirken (§ 24 Abs. 2 RöV bzw. § 82 Abs. 2 StrlSchV). Ferner setzt die Anwendung radioaktiver Stoffe und ionisierender Strahlung am Menschen eine rechtfertigende Indikation durch den fachkundiger Arzt voraus. Dafür muss der gesundheitliche Nutzen der Anwendung dem Strahlenrisiko überwiegen (§ 23 Abs. 1 RöV bzw. § 80 Abs. 1 StrlSchV). 138 138 Ausführlicher zum Strahlenschutz in der Medizin: Hobusch, Handbuch Gesundheitsrecht, S. 291 ff. [310- 315]. <?page no="102"?> 102 Recht im Gesundheitswesen Gesetz zum Schutz vor nichtionisierender Strahlung bei Anwendung am Menschen: Der Einsatz von nichtionisierender Strahlung, z. B. bei der Magnet-Resonanz- Tomographie (MRT), hat zwar gegenüber der ionisierender Strahlung ein geringeres Gefährdungspotenzial. Gleichwohl gibt es hierfür ebenfalls rechtliche Vorgaben, die der Krankenhausträger beachten muss. Beispielsweise dürfen die Anlagen, die nichtionisierende Strahlung aussenden, ab einem bestimmten Referenzwert am Menschen nur angewendet werden, wenn ein fachkundiger (Zahn-)Arzt eine rechtfertigende Indikation gestellt hat (§ 2 Abs. 1, 2 NiSG). 139 Infektionsschutzgesetz: Dieses Gesetz regelt den Schutz der Bevölkerung vor übertragbaren Erkrankungen. Dabei geht es zum einen um die Verhütung dieser Krankheiten und zum anderen um frühzeitige Erkennen einer Infektion und das Verhindern deren Verbreitung. Um Maßnahmen zur Bekämpfung von Infektionskrankheiten einleiten zu können, müssen die zuständigen staatlichen Behörden verlässliche Informationen über relevante Vorkommnisse erhalten. Deshalb statuiert das Gesetz Meldepflichten für Ärzte, Krankenpfleger und Laborleiter, wenn sie bestimmte Infektionskrankheiten und Krankheitserreger feststellen; vgl. dazu Abschnitt 4.4.2. Ferner müssen im Krankenhaus gem. § 23 IfSG alle erforderlichen Maßnahmen getroffen werden, um nosokomiale Infektionen zu verhüten und die Weiterverbreitung von Krankheitserregern, insbesondere solcher mit Resistenzen, zu vermeiden. Dabei sind die veröffentlichten Empfehlungen der beim RKI bestehenden Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) und der Kommission Antiinfektiva, Resistenz und Therapie (ART) zu beachten. Nosokomiale Infektionen sind Infektionen mit lokalen oder systemischen Infektionszeichen als Reaktion auf das Vorhandensein von Erregern oder ihrer Toxine, die im zeitlichen Zusammenhang mit einer stationären oder einer ambulanten medizinischen Maßnahme stehen, soweit die Infektion nicht bereits vorher vorhanden war (§ 2 Nr. 8 IfSG). Eine der wichtigsten Maßnahmen zur Verhütung dieser Infektionen ist eine regelmäßige Händedesinfektion. 140 Heilmittelwerbegesetz und Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb: Wenn das Krankenhaus für seine Dienstleistungen zur Krankenbehandlungen werben möchte, muss es die Grenzen beachten, die aus den beiden genannten Gesetzen resultieren. Die Erläuterungen im Abschnitt 2.9.14 (zur Arzneimittelwerbung) lassen sich weitestgehend hierauf übertragen. 2.2.6 Rechtsverhältnis zwischen Krankenhausträger und Patient 2.2.6.1 Allgemeines Der Krankenhausträger geht nicht nur mit den selbstzahlenden Patienten, sondern mit allen Patienten eine vertragliche Beziehung ein, und zwar einen Behandlungsvertrag nach §§ 630a ff. BGB. Diese Vorschriften gelten sowohl für die ambulante als auch stationäre Behandlung. Für den Behandlungsvertrag ist grundsätzlich 139 Ebd. 140 Ausführlicher zum Hygiene- und Infektionsschutzrecht: Hobusch, Sandra, Handbuch Gesundheitsrecht, S. 291 ff. [319-321]. <?page no="103"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 103 keine Form vorgeschrieben, so dass er konkludent, mündlich oder schriftlich geschlossen werden kann. Eine Ausnahme davon besteht, wenn der Patient im Rahmen einer stationären Behandlung eine Wahlleistung, z. B. die sog. Chefarztbehandlung, wünscht. Eine solche Wahlleistungsvereinbarung muss schriftlich abgeschlossen werden (§ 17 Abs. 2 KHEntgG, § 16 BPflV). Wenn der Krankenhausträger keine ambulanten, sondern voll- oder teilstationäre Krankenhausleistungen erbringt (siehe oben Abschnitt 2.2.3.5), wird der Behandlungsvertrag als Krankenhausaufnahmevertrag bezeichnet. Dieser wird in drei verschiedene Arten unterteilt: 141 ❋ Wissen │ totaler Krankenhausaufnahmevertrag Die Vertragspartner sind der Patient und der Krankenhausträger. Das Personal des Krankenhausträgers ist Erfüllungsgehilfe gem. § 278 BGB. Der Krankenhausträger schuldet alle Krankenhausleistungen, also sowohl die allgemeinen als auch die ggf. vereinbarten Wahlleistungen. ❋ Wissen │ gespaltener Krankenhausaufnahmevertrag Der Hauptanwendungsfall dieses Vertragstyps ist Krankenhausbehandlung eines Patienten durch einen niedergelassenen Arzt als Belegarzt (vgl. § 121 SGB V). Der Patient geht einen Vertrag zum Belegarzt ein, der die ärztliche Behandlung schuldet. Des Weiteren schließt er einen Vertrag mit dem Krankenhausträger, der die Unterkunft, Verpflegung, Krankenpflege und nichtärztliche Therapie erbringt. ❋ Wissen │ totaler Krankenhausaufnahmevertrag mit Arztzusatzvertrag Der Hauptanwendungsfall ist sog. Chefarztbehandlung als Wahlleistung, die der Patient wünscht. Der Patient hat zwei vertragliche Beziehungen, und zwar zum Krankenhausträger sowie zum liquidationsberechtigten (Chef- )Arzt. Der Arzt verpflichtet sich zur persönlichen Erbringung der ärztlichen Leistung. Der Krankenhausträger schuldet alle Krankenhausleistungen, inkl. der ärztlichen Behandlung. Somit hat der Patient zwei Schuldner für die ärztliche Leistung, die jedoch wegen der Zweckidentität nur einmal (entweder vom Arzt oder vom Krankenhausträger) zu erbringen ist. 2.2.6.2 Pflichten des Krankenhausträgers Im Mittelpunkt des Behandlungsvertrages steht die medizinische Behandlung des Patienten gegen Entgelt. Die Rechte und Pflichten der Vertragspartner ergeben sich aus den gesetzlichen und vertraglichen Regelungen. Die wichtigsten Pflichten des Krankenhausträgers sind: Behandlungspflicht gem. § 630a BGB Die (ambulante oder stationäre) Behandlung des Patienten zielt darauf ab, dessen körperliche und gesundheitliche Integrität wiederherzustellen. Sie umfasst die Anamnese, Diagnose und Therapie. Die Leistungspflicht des Krankenhaus- 141 Vgl. statt vieler: Brox, Walker, Besonderes Schuldrecht, S. 326 ff. <?page no="104"?> 104 Recht im Gesundheitswesen trägers erstreckt sich auf die ärztlichen Maßnahmen, nichtärztlichen therapeutischen Leistungen, Krankenpflege, Einsatz von Arznei-, Verbands-, Heil und Hilfsmitteln. Der Umfang der Leistungspflicht ergibt sich aus der Art der Erkrankung und aus dem Stand der medizinischen Erkenntnisse. Bei den voll- und teilstationären Behandlungen werden diese Leistungen, soweit sie notwendig sind, als allgemeine Krankenhausleistungen bezeichnet (vgl. § 2 Abs. 2 KHEntgG bzw. § 2 Abs. 2 BPflV). Ferner schuldet der Krankenhausträger die Krankenhausleistungen als vom Patienten gewünschte Wahlleistungen, wenn diese vor der Erbringung schriftlich und unter Berücksichtigung des § 17 KHEntgG bzw. § 16 BPflV vereinbart worden sind. Wahlleistungen können beispielsweise die sog. Chefarztbehandlung, d. h. die Behandlung durch einen bestimmten Arzt des Krankenhauses, oder medizinische Wahlleistungen sein, z. B. zusätzliche diagnostische Maßnahmen oder eine kosmetische Operation im Zusammenhang mit einem notwendigen Eingriff oder die Anwendung einer Behandlungsmethode, die vom GBA für die gesetzliche Krankenversicherung ausgeschlossen worden ist. Aufklärungspflicht Der Krankenhausträger bzw. behandelnde Arzt ist zur Eingriffsbzw. Selbstbestimmungsaufklärung verpflichtet. Der Patient muss über den ärztlichen Befund, die Art und Schwere, Heilungs- und Besserungschancen der Behandlung, Folgen einer Nichtbehandlung, über bestehende Behandlungsalternativen sowie über Risiken und Nebenwirkungen der Behandlung aufgeklärt werden (§ 630e Abs. 1 BGB), damit er selbstbestimmt in die medizinische Behandlung einwilligen kann. Ohne die Einwilligung des Patienten ist die Behandlung rechtswidrig und kann zur Haftung des Krankenhausträgers führen. Die Eingriffsbzw. Selbstbestimmungsaufklärung hat so rechtzeitig zu erfolgen, dass der Patient seine Entscheidung über die Einwilligung wohlüberlegt treffen kann (§ 630e Abs. 2 BGB), bei stationären Eingriffen z. B. am Vortag. Ferner besteht die Verpflichtung zur Sicherungsaufklärung (§ 241 Abs. 2, § 630c Abs. 2 S. 1 BGB). Das bedeutet, dass der Patient darüber informiert werden muss, wie er sich zur Sicherung des Heilerfolges zu verhalten hat (z. B. Änderung der Lebensführung, Aufsuchen eines Arztes zur Nachbehandlung). Wenn der Krankenhausträger weiß, dass die Kosten der Behandlung durch einen Dritten, z. B. private Krankenversicherung, nicht oder nicht vollständig übernommen werden, muss er den Patienten darüber gem. § 630c Abs. 3 BGB aufklären (sog. wirtschaftliche Aufklärung). Dokumentationspflicht Der Krankenhausträger muss Maßnahmen und Ergebnisse, die aus fachlicher Sicht für die derzeitige und künftige Behandlung notwendig sind, insbesondere die Anamnese, Diagnosen, Untersuchungen, Untersuchungsergebnisse, Befunde, Therapien und ihre Wirkungen, Eingriffe und ihre Wirkungen, Einwilligungen und Aufklärungen aufzeichnen (§ 630f BGB). Diese Aufzeichnungen darf der Patient gem. § 630g BGB einsehen. Die Krankenkasse des Patienten hat kein eigenes Einsichtsrecht. Sie muss sich gem. § 275 SGB V des MDK bedienen. <?page no="105"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 105 Schweigepflicht Nach § 203 StGB wird derjenige, der unbefugt ein fremdes Geheimnis offenbart, das ihm als Arzt, Zahnarzt, Berufspsychologe oder Angehörigen eines anderen Heilberufs, der für die Berufsausübung oder die Führung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung erfordert, anvertraut worden oder sonst bekanntgeworden ist, mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. Gleiches gilt für diejenigen, die den Arzt bzw. die anderen genannten Berufsgruppen unterstützen, also z. B. Krankenpfleger. Daraus resultiert für die genannten Personen eine Schweigepflicht über die zur Individualsphäre des Patienten gehörenden und geheimen Informationen, die sie im Rahmen des Behandlungsverhältnisses erfahren haben. Erbringung der sog. Hotelleistungen beim Krankenhausaufnahmevertrag. Bei einer voll- oder teilstationären Behandlung muss der Krankenhausträger für die Verpflegung und Unterkunft (sog. Hotelleistungen) sorgen. Diese gehören zu den allgemeinen Krankenhausleistungen. Zudem können in diesem Bereich auch gem. § 17 KHEntgG bzw. § 16 BPflV Wahlleistungen vereinbart werden, wie z. B. Einzelzimmer, Balkon, Fernseher, Videogerät, besondere Verpflegung. 2.2.6.3 Pflichten des Patienten Dem Patienten obliegt es, im eigenen Interesse den Erfolg der Behandlung zu ermöglichen. Das bedeutet, dass er dem behandelnden Arzt die nötigen Informationen geben und die ärztlichen Anordnungen befolgen soll (§ 630c Abs. 1 BGB). Ferner schuldet der Patient die Vergütung der Behandlung, soweit nicht ein Dritter dafür aufkommen muss (§ 630a Abs. 1 BGB). Für die teil- und vollstationäre Behandlung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung zahlt die Krankenkasse des Patienten die im Abschnitt 2.2.3.6 erläuterte Vergütung. Der gesetzlich versicherte volljährige Patient muss eine Zuzahlung in Höhe von 10 Euro pro Kalendertag, begrenzt auf max. 28 Tage pro Kalenderjahr zahlen (§ 39 Abs. 4 SGB V). Im Unterschied zur gesetzlichen Krankenversicherung ist der privat versicherte Patient gegenüber dem Krankenhaus selbst Schuldner der Vergütung, und zwar unabhängig davon, welche Aufwendungen er von seinem privaten Krankenversicherer erstattet bekommt. Eine Besonderheit besteht jedoch bei einem Patienten, der eine private Krankenversicherung im Basistarif abgeschlossen hat. In diesem Fall hat der Krankenhausträger einen Direktanspruch gegenüber dem Versicherungsunternehmen, so dass dieses zusammen mit dem Patienten gesamtschuldnerisch haftet (vgl. § 192 Abs. 7 VVG). Ferner gibt es ein sog. Klinik-Card-Verfahren. Bei diesem handelt es sich um ein Direktabrechnungsverfahren, das auf Verträgen beruht, die der Verband der Privaten Krankenversicherung im Namen der beteiligten Versicherungsunternehmen mit einzelnen Krankenhäusern schließt. Im Rahmen dieses Verfahrens erhält der Patient von seinem Versicherungsunternehmen eine sog. Klinik-Card, die er im Krankenhaus vorlegen kann. Durch Vorlage der Karte wird dem Krankenhaus zugesichert, dass die Vergütung für eine medizinisch notwendige Behandlung dem aufgedruckten Versicherungstarif gemäß erstattet wird. Dadurch entfällt die <?page no="106"?> 106 Recht im Gesundheitswesen in § 8 Abs. 7 KHEntgG bzw. § 8 Abs. 4 BPflV vorgesehene Vorleistungspflicht des Patienten. Ferner kann der Krankenhausträger unmittelbar gegenüber dem Versicherungsunternehmen, bei dem der Patient versichert ist, abrechnen. 142 Die Vergütung einer teil- und vollstationären Behandlung muss ein Krankenhausträger im Anwendungsbereich des KHG gegenüber allen Patienten (also auch gegenüber den privat Versicherten) einheitlich bemessen (§ 17 Abs. 1 KHG, § 8 Abs. 1 S. 1 KHEntgG, § 8 Abs. 1 S. 1 BPflV). ◉ Beispiel Eine private Klinik, die jeweils zur Hälfte gesetzlich versicherte und selbstzahlende Patienten behandelt und als Plankrankenhaus eine Investitionsförderung nach dem KHG erhält, muss gegenüber allen Patienten nach dem KHEntgG bzw. BPflV abrechnen (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 2 KHG i. V. m. § 67 AO). Wenn das Krankenhaus gem. § 5 Abs. 1 Nr. 2 KHG nicht gefördert wird, muss der Krankenhausträger gegenüber dem selbstzahlenden Patienten nicht nach den DRG-Regeln abrechnen (beachten: gilt nicht gegenüber der Krankenkasse, vgl. Abschnitt 2.2.3.6). Ebenso wenig muss er die GOÄ bzw. GOZ anwenden, weil sie nur für die beruflichen Leistungen der (Zahn-)Ärzte gilt (§ 1 Abs. 1 GOÄ, § 1 Abs. 1 GOZ). Dagegen finden diese Gebührenordnungen keine Anwendung für die Vergütung der Leistungen eines Krankenhausträgers im Rahmen des Krankenhausaufnahmevertrages. 143 Der Krankenhausträger schuldet nicht nur ärztliche, sondern alle weiteren medizinisch erforderlichen Leistungen, wie z. B. nichtärztliche therapeutische, pflegerische Leistungen sowie die Unterbringung und Verpflegung. Der Krankenhausträger kann deshalb die Höhe der Vergütung (unter Beachtung des Wucherverbots nach § 138 BGB 144 ) selbst bestimmen und seine Leistungen z. B. nach eigenen Fallpauschalen abrechnen (vgl. § 20 KHG). Davon ausgenommen ist jedoch der Fall, dass das nicht geförderte Krankenhaus in räumlicher Nähe zu einem geförderten Krankenhaus liegt und mit diesem organisatorisch verbunden ist und Krankenhausleistungen erbringt, die dem Versorgungsauftrag des geförderten Krankenhauses entsprechen (§ 17 Abs. 1 S. 5, 6 KHG). In diesem Fall muss nach den DRG-Regeln abgerechnet werden. Damit soll verhindert werden, dass Kliniken ausgegliedert werden, um die Bestimmungen des KHG zu umgehen und höhere Entgelte zu erzielen. Wenn der Krankenhausträger Wahlleistungen erbracht hat, können diese sowohl dem gesetzlich versicherten als auch selbstzahlenden Patienten in Rechnung gestellt werden. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die Wahlleistungsvereinbarung den Anforderungen des § 17 KHEntgG gerecht wird; andernfalls schuldet der Patient die Vergütung nicht. Die Wahlleistungen müssen schriftlich und vor der Erbringung vereinbart werden. Vor dem Abschluss der Vereinbarung muss der Patient zudem schriftlich über die Entgelte der Wahlleistungen und deren Inhalt im Einzelnen unterrichtet werden. 142 Vgl. Patt, Wilde, Krankenhausrecht, § 8 Rn. 46. 143 Vgl. BSG, Urt. v. 11.9.2012, B 1 KR 3/ 12 R, BeckRS 2012, 76104 Rn. 38 ff. 144 Vgl. BGH, Urt. v. 12.3.2003, IV ZR 278/ 01, NJW 2003, 1596 ff. <?page no="107"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 107 Für die Abrechnung der (zahn-)ärztlichen Wahlleistungen des liquidationsberechtigen (Zahn-)Arztes gilt die GOÄ bzw. GOZ. Für die Bemessung der nichtärztlichen Wahlleistungen (z. B. Einzelzimmer) haben die DKG und der Verband der privaten Krankenversicherung eine gemeinsame Empfehlung vereinbart. 145 Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass für die Höhe der Vergütung für teil- und vollstationären Leistungen verschiedene Bemessungsgrundlagen relevant sind: Abb. 19: Bemessungsgrundlagen der Vergütung für teil- und vollstationären Krankenhausleistungen 145 Vgl. Gemeinsame Empfehlung des PKV und der DKG gemäß § 22 Absatz 1 BPflV/ § 17 Absatz 1 KHEntgG zur Bemessung der Entgelte für eine Wahlleistung Unterkunft, http: / / www.dkgev.de/ media/ file/ 7801.DKG- PKV_Empfehlung_gem_%C2%A7_22_BPflV_Wahlleistung_Unterkunft.pdf (Abruf am 16.3.2018). Bemessungsgrundlage der Vergütung allgemeine Krankenhausleistungen Wahlleistungen KHG, KHEntgG bzw. BPflV gegenüber der Krankenkasse des gesetzlich versicherten Patienten GOÄ bzw. GOZ für Leistungen des liquidationsberechtigten Ar zt und im Übrigen krankenhauseigene Pauschalen gegenüber dem Patienten Anwendung des KHG keine Förderung des Krankenhauses nach KHG krankenhauseigene Pauschalen gegenüber dem selbstzahlenden Patienten (außer bei Ausgliederung) KHG, KHEntgG bzw. BPflV gegenüber der Krankenkasse des gesetzlich versicherten Patienten <?page no="108"?> 108 Recht im Gesundheitswesen Die Vergütung für die ambulanten Leistungen bemisst sich in der gesetzlichen Krankenversicherung nach den vertraglichen Regelungen der Selbstverwaltungspartner, z. B. dem einheitlichen Bewertungsmaßstab gem. § 87 SGB V oder bei ambulanten Operationen nach dem AOP-Vertrag gem. § 115b SGB V (vgl. Abschnitt 2.2.3.7). Gegenüber den selbstzahlenden (privatversicherten) Patienten richtet sich die Höhe der Vergütung für die ambulanten Leistungen nach den vertraglichen Absprachen zwischen dem Krankenhausträger und dem Patienten. Für Bestimmung der Vergütungshöhe muss sich der Krankenhausträger nicht an der GOÄ bzw. GOZ orientieren, weil der üblicherweise als juristische Person agierende Krankenhausträger vom Anwendungsbereich der Gebührenordnungen nicht erfasst ist. Die Anwendung der Gebührenordnungen ist, wie bereits bei den stationären Leistungen erwähnt, auf den Arzt als Vertragspartner und Erbringer der Leistungen beschränkt. Deshalb kann der Krankenhausträger einen eigenen Haustarif für ambulante Behandlungen entwickeln, der sich z. B. am Tarifwerk der Deutschen Krankenhausgesellschaft, dem DKG-NT Band I 146 , oder der GOÄ bzw. GOZ orientiert. 2.2.7 Arzthaftungsrecht Für die Haftung eines Krankenhausträgers und/ oder des Arztes gegenüber dem Patienten sind die Vorschriften des BGB heranzuziehen. Das BGB unterscheidet zwischen einer vertraglichen Haftung gem. §§ 280 ff. BGB und einer deliktischen Haftung gem. §§ 823 ff. BGB, für die das Vorhandensein eines Vertrages nicht notwendig ist. ✎ Aufgaben Bei der Patientin P trat in der linken Brust ein Abszess auf, der im Krankenhaus K gespalten wurde. Nach der Operation wurde die Wunde täglich mit Octenisept gespült. An einem Tag spülte der Arzt A die Wunde versehentlich mit dem Flächendesinfektionsmittels Terralin Liquid (bestehend aus Ethanol und Propanol), das ebenfalls auf dem Wagen mit den Verbandsmaterialien und Desinfektionsmitteln zur Behandlung der Patienten stand. Octenisept und Terralin Liquid waren jeweils mit einem Etikett gekennzeichnet und vom Hersteller in gleichartigen Flaschen abgefüllt. Obwohl die Wunde sofort und an den nachfolgenden Tagen mit einer Kochsalzlösung gespült wurde, verzögerte sich die Wundheilung, weil es zu oberflächlichen Verätzungen des Gewebes gekommen war. Ferner litt die Patientin über längere Zeit an Schmerzen in der äußerst berührungsempfindlichen linken Brust. Erörtern Sie, ob [1] der Arzt A und [2] der Krankenhausträger K gegenüber der Patientin P zum Schadenersatz verpflichtet sind. Die Lösungen finden Sie im Web-Service. 146 Vgl. https: / / www.dkg-nt-online.de/ (Abruf am 20.7.2018) oder Deutsche Krankenhausgesellschaft (Hrsg.), DKG-NT Band I/ BG-T, 36. Auflage, Stuttgart 2017. <?page no="109"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 109 Im Mittelpunkt der deliktischen Arzthaftung steht § 823 Abs. 1 BGB. Nach dieser Regelung müssen sieben Voraussetzungen bejaht werden, damit der Arzt als Schädiger zum Schadenersatz verpflichtet ist: Abb. 20: Schadenersatzpflicht nach § 823 Abs. 1 BGB Es muss (1) ein geschütztes Rechtsgut, wie z. B. Leben, Gesundheit, Körper, verletzt sein. Die Beeinträchtigung des Lebens bedeutet den Tod eines Menschen. Als Körperverletzung gilt die Verletzung der körperlichen Unversehrtheit. Die Störung der inneren Funktionen oder die Beeinträchtigung des körperlichen und psychischen Wohlbefindens gelten als Verletzung der Gesundheit. 147 Die Rechtsgutverletzung wird zur Abgrenzung des unter (6) zu prüfenden Schadens auch als Primärschaden des Patienten bezeichnet. Es muss (2) eine Verletzungshandlung vorliegen. Dafür ist nicht nur aktives Handeln, also ein Tun, relevant. Ein Unterlassen kann ebenso eine Verletzungshandlung darstellen, wenn eine Pflicht zum Handeln bestand. Im ärztlichen Bereich tritt die Verletzungshandlung in der Regel entweder in Form eines Aufklärungs- oder Behandlungsfehlers zutage. Ein Aufklärungsfehler, im Konkreten ein Fehler bei der Selbstbestimmungsaufklärung, bedeutet, dass der Arzt den Patienten nicht hinreichend aufgeklärt hat, so dass die mit der Behandlung verbundene Körper- oder Gesundheitsverletzung wegen der fehlenden Einwilligung des Patienten rechtswidrig und vom Arzt zu vertreten ist. 148 Ein Behandlungsfehler liegt vor, wenn der Arzt nicht die ärztliche Maßnahme ergreift, die in der konkreten Situation nach den Kenntnissen und Erfahrungen, 147 Vgl. Müssig, Wirtschaftsprivatrecht, S. 318; Sprau, Bürgerliches Gesetzbuch, § 823 Rn. 4. 148 Vgl. Sprau, Bürgerliches Gesetzbuch, § 823 Rn. 148, 150. (4) schuldhaftes Handeln (1) geschütztes Rechtsgut (5) widerrechtliches Handeln (2) Verletzungshandlung und (3) haftungsbegründende Kausalität (6) Schaden (7) haftungsausfüllende Kausalität § 823 Abs. 1 BGB: Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstandenen Schadens verpflichtet. <?page no="110"?> 110 Recht im Gesundheitswesen die den jeweils gültigen medizinischen Standard seines Fachgebiets bilden, geboten ist. 149 Er umfasst insbesondere folgende Fehlertypen: Befunderhebungsfehler: Der Arzt unterlässt die Erhebung medizinisch gebotener Befunde. 150 Diagnosefehler: Der Arzt interpretiert die erhobenen Befunde falsch und erkennt eine erkennbare Krankheit und die Symptome, die die Krankheit kennzeichnen, nicht. Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Symptome bei den Patienten unterschiedlich ausgeprägt sind, so dass nicht jede unerkannte Krankheit einen Diagnosefehler bedeutet. 151 Therapiefehler: Die therapeutische Maßnahme des Arztes weicht von der Vorgehensweise ab, die nach dem maßgeblichen Standard eines Fachgebietes medizinisch geboten ist. 152 Fehlende oder fehlerhafte Sicherungsaufklärung: Der Arzt unterlässt es, den Patienten nicht über die Dringlichkeit einer (weiter angeratenen) diagnostischen oder therapeutischen Maßnahmen oder darüber aufzuklären, wie sich der Patient zur Sicherung des Heilerfolges zu verhalten hat. 153 Übernahmeverschulden: Der Arzt übernimmt die Behandlung, obwohl er - für ihn erkennbar - nicht über ausreichende Kenntnisse und Erfahrungen oder über die notwendige Medizintechnik verfügt und die Gefährdung des Patienten hätte voraussehen müssen. 154 Organisationsfehler: Der Arzt bzw. der Krankenhausträger schafft nicht die nötigen Voraussetzungen für eine angemessene und gefahrlose Behandlung des Patienten. Ein solcher Fehler kann sich beispielsweise darin äußern, dass die Geräte nicht funktionstüchtig, sauber oder steril sind oder, dass die Operation einem dafür nicht ausreichend qualifizierten Arzt übertragen wird. 155 (3) Die Verletzungshandlung muss ursächlich für die Rechtsgutverletzung sein (sog. haftungsbegründende Kausalität). Insoweit wird verlangt, dass nicht die vom Arzt behandelte Erkrankung des Patienten, sondern der Fehler des Arztes zum Tod oder zur Verletzung der Gesundheit oder des Körpers geführt hat. Den Einstieg in die Prüfung der Kausalität erfolgt mit der Äquivalenztheorie, nach der jede Bedingung ursächlich ist, die nicht hinweg gedacht werden kann, ohne dass der (negative) Erfolg entfiele, 156 zur Veranschaulichung: 149 Vgl. BGH, Urt. v. 10.3.1987, VI ZR 88/ 86, NJW 1987, 2291 [2292]; Sprau, Bürgerliches Gesetzbuch, § 823 Rn. 148, 149. 150 Vgl. BGH, Urt. v. 21.12.2010, VI ZR 284/ 09, NJW 2011, 1672 [1672]. 151 Vgl. BGH, Urt. v. 8.7.2003, VI ZR 304/ 02, NJW 2003, 2827 ff. [2827 f.]. 152 Vgl. BGH, Urt. v. 6.5.2003, VI ZR 259/ 02, NJW 2003, 2311 ff. [2313]. 153 Vgl. BGH, Urt. v. 17.11.2015, VI ZR 476/ 14, NJW 2016, 563 f. [564]. 154 Vgl. BGH, Urt. v. 12.7.1994, VI ZR 299/ 93, NJW 1994, 3008 ff. [3008]. 155 Vgl. BGH, Urt. v. 15.6.1993, VI ZR 175/ 92, NJW 1993, 2989 ff. [2990]; BGH, Urt. v. 20.3.2007, VI ZR 158/ 06, r+s 2007, 519 f. [519]. 156 Vgl. BGH, Urt. v. 11.5.1951, I ZR 106/ 50, NJW 1951, 711 f. [711]. <?page no="111"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 111 Abb. 21: Äquivalenztheorie Da die Äquivalenztheorie sehr weitgehend ist und zu einer fast endlosen Kausalkette führen kann, muss die Kausalität durch weitere Kriterien begrenzt werden. Nach der Adäquanztheorie ist die Rechtsgutverletzung nur zurechenbar, wenn die von der Handlung gesetzte Bedingung im Allgemeinen und nicht nur unter ganz besonderen, eigenartigen, ganz unwahrscheinlichen Umständen zur Herbeiführung der Verletzung geeignet war. 157 Des Weiteren erfolgt eine Begrenzung durch die Lehre vom Schutzzweck der Norm. Danach müssen die äquivalenten und adäquaten Schadensfolgen aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen wurde; dies muss durch eine wertende Betrachtung ermittelt werden. 158 ◉ Beispiel Eine Patientin unterzog sich in einem Krankenhaus einem arthroskopischen Einriff am Knie. Nach der Operation kam es zu Einblutungen im Knie mit Fieber und Krämpfen. Wegen einer bekannten Blutgerinnungsstörung der Patientin hatten der Chirurg und Anästhesist, die die Operation durchführten, zuvor besprochen, dass Minirin, ein die Blutungszeit verkürzendes Arzneimittel, gegeben werden solle. Jedoch verabreichte keiner der beiden Ärzte das Medikament, weil sich jeder auf die Medikamentengabe durch den anderen Arzt verließ. Das OLG Koblenz bejahte einen groben Behandlungsfehler beider Ärzte. Allerdings haftete nur der Chirurg, nicht der Anästhesist. Dessen Haftung scheiterte daran, dass sein Behandlungsfehler im Sinne der Lehre vom Schutzzweck der Norm nicht kausal für den Gesundheitsschaden der Patientin war. Die Gabe des 157 Vgl. BGH, Urt. v. 11. 1. 2005, X ZR 163/ 02, NJW 2005, 1420 ff. [1421]. 158 Vgl. BGH, Urt. vom 22.5.2012, VI ZR 157/ 11, NJW 2012, 2024 [2025] m. w. N. B1 B2 B3 E Wegfall B2 und E, somit ist B2 ursächlich für E B1 B2 B3 E Wegfall B2, E bleibt, somit B2 nicht ursächlich für E <?page no="112"?> 112 Recht im Gesundheitswesen genannten Arzneimittels durch den Anästhesisten soll Narkoserisiken, wie z. B. blutungsbedingte Schädigungen von Rückenmark und Nerven, verhindern. Derartige Schäden waren jedoch durch die Operation nicht eingetreten, die Anästhesie verlief ohne Zwischenfälle. 159 Der Arzt muss (4) schuldhaft gehandelt haben. § 823 Abs. 1 BGB unterscheidet zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit. Die Annahme eines Vorsatzes setzt das Wissen und Wollen der Verletzung des geschützten Rechtsgutes voraus. 160 Da ein solches Wissen und Wollen eines Arztes bei der Behandlung eines Patienten in der Regel nicht vorkommt, ist die Frage nach einem fahrlässigen Handeln in der Praxis von größerer Bedeutung. Fahrlässigkeit ist gem. § 276 Abs. 2 BGB das Außer-Acht-Lassen der gebotenen Sorgfalt. Die von einem Arzt zu beachtende Sorgfalt bestimmt sich nach dem medizinischen Standard seines Fachgebiets, auch als Facharztstandard bezeichnet. Zu diesem gehören alle Kenntnisse und Erfahrungen, die dem gesicherten Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechen und in der medizinischen Praxis zur Behandlung der jeweiligen Erkrankung anerkannt sind. 161 Wenn die gebotene Sorgfalt in besonders schwerem Maße außer Acht gelassen wird, wird eine grobe Fahrlässigkeit angenommen. Das ist der Fall, wenn „der Arzt eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen und einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er dem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf.“ 162 Des Weiteren muss das Handeln des Arztes (5) rechtswidrig sein. Eine Verletzungshandlung ist grundsätzlich rechtswidrig, weil die Verletzung eines fremden Rechtsgutes regelmäßig der Rechtsordnung widerspricht. Die Rechtswidrigkeit entfällt nur ausnahmsweise, wenn ein Rechtfertigungsgrund vorliegt, wie z. B. Notwehr, Notstand und Selbsthilfe gem. §§ 227-231 BGB. Bei der Einwilligung des Verletzten in die Schädigung (denken Sie z. B. an einen Boxkampf) handelt es sich ebenfalls um einen Rechtfertigungsgrund. Damit gemeint ist jedoch nicht die Einwilligung des Patienten in die Behandlung. Die Einwilligung des Patienten bezieht sich nur auf die regelgerechte Versorgung, nicht aber auf eine Schädigung durch einen Aufklärungs- oder Behandlungsfehler. Es muss (6) ein (Sekundär-)Schaden eingetreten sein, der in zwei verschiedene Arten unterteilt wird: Der materielle Schaden wird als unfreiwilliges Vermögensopfer, das jemand infolge eines bestimmten Ereignisses erleidet, definiert. 163 Hierzu gehören z. B. der Verdienstausfall oder Heilbehandlungskosten. Der immaterielle Schaden bedeutet ein unfreiwilliges Opfer in sonstigen rechtlich geschützten Gütern, 164 wie z. B. die mit der o. g. Rechtsgutverletzung verbundenen Beschwerden, Verschlimmerung der Erkrankung, Verzögerung des Heilungsverlaufs, Folgeerkrankungen, Entstellungen etc. 159 Vgl. OLG Koblenz, Urt. v. 21.10.2015, Az. 5 U 263/ 15, MedR 2016, 277 ff. 160 Vgl. Grüneberg, Bürgerliches Gesetzbuch, § 276 Rn. 10. 161 Vgl. Grundmann, Münchner Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, § 276 Rn. 111 m. w. N. 162 BGH, Urt. v. 25.10.2011, VI ZR 139/ 10, r+s 2012, 150 f. [150] m. w. N. 163 Vgl. Grüneberg, Bürgerliches Gesetzbuch, Vorb v § 249 Rn. 9; Müssig, Wirtschaftsprivatrecht, S. 183. 164 Ebd. <?page no="113"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 113 (7) Der Aufklärungs- oder Behandlungsfehler muss auch für den Sekundärschaden ursächlich sein (sog. haftungsausfüllende Kausalität). Für die Ermittlung dieser Kausalität sind die o. g. Äquivalenz-, Adäquanztheorie und die Lehre vom Schutzzweck der Norm ebenfalls maßgeblich. Wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind, schuldet der schädigende Arzt dem Patienten den Ersatz des materiellen Schadens gem. §§ 249-252, §§ 842-844 BGB: Dieser Schadenersatz erstreckt sich zum einen auf die Vermögensnachteile des Patienten, z. B. auf die zusätzlich anfallenden Heilbehandlungskosten, Verdienstausfall, dauernde Nachteile infolge verminderter Erwerbsfähigkeit, vermehrte Aufwendungen für dauerhaft einzunehmende Medikamente. Zum anderen können Ansprüche Dritter entstehen, wie z. B. Unterhaltszahlungen an Kinder oder Beerdigungskosten. ein sog. Schmerzensgeld für den immateriellen Schaden gem. § 253 BGB: Die Höhe des Schmerzensgeld wird durch verschiedene Faktoren beeinflusst, vor allem durch die Schwere und Dauer der Schmerzen und Leiden, das Ausmaß der Entstellungen, Dauer der stationären Behandlung, Dauer der Arbeitsunfähigkeit, Trennung von der Familie, Fraglichkeit der Heilung, chronische Folgen, Grad des Verschuldens des Schädigers und Verhalten des Schädigers nach der Schädigung. Wenn ein Mitverschulden des Patienten vorliegt, weil er sich z. B. nicht an ärztliche Weisungen gehalten hat, reduziert sich der Schadenersatz gem. § 254 BGB entsprechend. Als Schadenersatzverpflichteter kommt nicht nur der behandelnde Arzt, sondern auch der Krankenhausträger in Betracht. Nach § 831 Abs. 1 S. 1 BGB haftet jemand, der einen anderen zu einer Verrichtung bestellt, für den Schaden, den der andere in Ausführung der Verrichtung einem Dritten widerrechtlich zufügt. Die Bedeutung dieser deliktischen Haftung ist im Arzthaftungsrecht jedoch gering, weil sich der Krankenhausträger regelmäßig auf eine sorgfältige Auswahl seines Personals berufen kann und sich somit gem. § 831 Abs. 1 S. 2 BGB exkulpieren kann. Eine derartige Exkulpationsmöglichkeit fehlt im vertraglichen Haftungsrecht, so dass diesem im Verhältnis zwischen dem Krankenhausträger und dem Patienten eine größere Bedeutung zukommt. Der geschädigte Patient kann seinen Schadenersatzanspruch auf verschiedene Rechtsgrundlagen stützen: Abb. 22: Rechtsgrundlagen des Schadenersatzanspruchs des Patienten Patient Arzt Krankenhausträger <?page no="114"?> 114 Recht im Gesundheitswesen Der Krankenhausträgers ist gegenüber dem Patienten gem. § 280 Abs. 1 BGB zum Ersatz des materiellen und/ oder immateriellen Schadens verpflichtet, wenn alle nachfolgenden Voraussetzungen erfüllt sind. Diese Voraussetzungen ähneln denen des § 823 Abs. 1 BGB, so dass an verschiedenen Stellen auf die obigen Ausführungen verwiesen wird. Lernhinweis Lesen Sie § 280 Abs. 1 BGB und arbeiten Sie zunächst die Voraussetzungen des Schadenersatzes aus dem Gesetz heraus, bevor Sie weiterlesen. (1) Zwischen dem Patienten und dem Krankenhausträger muss ein Schuldverhältnis bestehen. Bei einem solchen handelt es sich um ein Rechtsverhältnis, in dem sich mindestens zwei Personen dergestalt gegenübersehen, dass sie einander zu mindestens einer Leistung berechtigt und verpflichtet sind (vgl. § 241 I BGB). Durch den Behandlungsvertrag bzw. Krankenhausaufnahmevertrag kommt typischerweise ein Schuldverhältnis zustande. (2) Des Weiteren stellt § 280 Abs. 1 BGB darauf ab, dass eine schuldhafte Pflichtverletzung des Schuldners vorliegt. Allerdings handelt der Schuldner im arbeitsteiligen Wirtschaftsleben häufig nicht selbst, sondern bedient sich seiner Mitarbeiter, um seine Verbindlichkeiten zu erfüllen. Dies trifft regelmäßig auch für einen Krankenhausträger zu. Die Arbeitsteilung ändert jedoch nichts daran, dass der Krankenhausträger Schuldner der medizinischen Behandlung des Patienten ist. Deshalb muss er für Personen, derer er sich zur Erfüllung seiner Verbindlichkeiten bedient (sog. Erfüllungsgehilfen) gem. § 278 BGB einstehen. Erfüllungsgehilfe ist derjenige, der nach den tatsächlichen Gegebenheiten des Falls mit dem Willen des Schuldners bei der Erfüllung einer diesem obliegenden Verbindlichkeit als seine Hilfsperson tätig wird. 165 Die Zurechnung setzt voraus, dass das Fehlverhalten des Gehilfen in Erfüllung der übertragenden Aufgaben erfolgte. Wenn der Gehilfe nur eine passende Gelegenheit nutzt, um einen anderen (vorsätzlich) zu schädigen, muss der Schuldner dafür nicht einstehen. Ferner muss der Erfüllungsgehilfe schuldhaft gehandelt haben, vgl. insoweit obige Ausführungen zur Fahrlässigkeit und zum Vorsatz unter (4). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Krankenhausträger nach § 278 BGB für einen Arzt, dem im Rahmen seiner Tätigkeit schuldhaft ein Aufklärungs- oder Behandlungsfehler unterläuft, einstehen muss, und zwar in gleichem Umfang als habe er selbst schuldhaft gehandelt. (3) Die Pflichtverletzung des Krankenhausträgers bzw. das ihm zugerechnete ärztliche Handeln muss ebenfalls rechtswidrig sein. Da eine Pflichtverletzung einem Vertrag und/ oder einem Gesetz widerspricht, indiziert sie eine Rechtswidrigkeit. Sie ist nur dann nicht rechtswidrig, wenn ein Rechtfertigungsgrund vorliegt; vgl. dazu die obigen Erläuterungen zu (5). (4) Der Patient muss einen Schaden erlitten haben, siehe obige Erläuterungen zur Voraussetzung (6) (Sekundär-)Schaden. 165 Ständige Rechtsprechung des BGH, vgl. z.B. BGH, Urt. v. 9.10.1986, I ZR 138/ 84, BGHZ 98, 330 ff. [334]. <?page no="115"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 115 (5) Die Pflichtverletzung bzw. das dem Krankenhausträger zugerechnete Handeln des Arztes muss ursächlich für den Schaden sein. Die Ursächlichkeit beurteilt sich nach der Äquivalenz-, Adäquanztheorie und Lehre vom Schutzzweck der Norm; siehe oben unter (3) und (7). Der Umfang des geschuldeten Schadenersatzes ergibt sich schließlich aus den §§ 249-254 BGB. ❋ Wichtige Schlagwörter ❋ Allgemeine Krankenhausleistungen ❋ Ambulante Krankenhausbehandlung ❋ Aufklärungsfehler ❋ Behandlungsfehler ❋ Behandlungsvertrag ❋ Hochschulklinik ❋ Krankenhaus ❋ Krankenhausaufnahmevertrag ❋ Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit ❋ Krankenhausplanung ❋ Pflegesätze ❋ Plankrankenhaus ❋ Privatkrankenanstalt ❋ Privatentbindungsanstalt ❋ Privatnervenklinik ❋ Teilstationäre Krankenhausbehandlung ❋ Versorgungsauftrag ❋ Versorgungsvertrag ❋ Vertragskrankenhaus ❋ Vollstationäre Krankenhausbehandlung ❋ Wahlleistungen ❋ Wirtschaftlichkeitsgebot ✎ Wiederholungsaufgaben [1] Das Medizinische Versorgungszentrum (siehe Abschnitt 2.1.2.3) möchte eine Dialysestation einrichten, in der sich die Patienten während der Dialyse mehrere Stunden aufhalten und Getränke erhalten. Die Geschäftsführerin bittet Sie als Mitarbeiter/ in zu prüfen, ob dafür eine Gewerbeerlaubnis nach § 30 GewO benötigt wird. Nehmen Sie eine entsprechende Erörterung vor. [2] Nennen Sie zwei Versagungsgründe für die Erteilung einer Erlaubnis zum Betrieb einer Privatkrankenanstalt. [3] Erläutern sie die Rechtsfolgen, wenn ein Unternehmer eine Privatklinik ohne die erforderliche Gewerbeerlaubnis betreibt. [4] Erläutern Sie, was unter einem Krankenhausplan zu verstehen ist. [5] Die Aufnahme eines Krankenhauses in den Krankenhausplan eines Landes und die Bekanntgabe eines entsprechenden Feststellungsbescheides fingieren für das Krankenhaus einen Versorgungsvertrag nach § 109 SGB V. Erläutern Sie das Vorgehen der zuständigen Landesbehörde beim Aufstellen des Krankenhausplanes und die Kriterien, nach denen die Behörde über die Aufnahme der Krankenhäuser in den Plan entscheidet. [6] Erläutern Sie die Vertragsparteien sowie die Voraussetzungen für den Abschluss eines ausgehandelten Versorgungsvertrages, durch den ein Krankenhaus zur Versorgung der gesetzlich versicherten Personen zugelassen wird. <?page no="116"?> 116 Recht im Gesundheitswesen [7] Die Patientin P wurde am 31. März um 20.38 Uhr notfallmäßig in das Krankenhaus K eingeliefert. Zunächst war geplant, sie nach wenigen Stunden zu entlassen, was jedoch wegen einer akuten hypertonen Kreislaufdisregulation (plötzlich auftretende Fehlregulation des Blutkreislaufes, verbunden mit hohem Blutdruck) verschoben wurde. Stattdessen wurde die Patientin P auf die innere Station aufgenommen. Die Aufnahme erfolgte mit der Hauptdiagnose A09.0 (sonstige und nicht näher bezeichnete Gastroenteritis und Kolitis infektiösen Ursprungs) und Nebendiagnose E86 (Volumenmangel, Dehydration). In der Krankenakte wurde vom aufnehmenden Arzt vermerkt, dass die Entlassung für den 2. April geplant sei. Nachdem sich der Zustand der P stabilisiert hatte, wurde sie schließlich am 1. April um 12.28 Uhr entlassen. Mitte April rechnete das Krankenhaus K gegenüber der Krankenkasse der Patientin P die DRG G67D (Ösophagitis, Gastroenteritis und verschiedene Erkrankungen der Verdauungsorgane) mit einem Abschlag für das Unterschreiten der unteren Grenzverweildauer ab. Erörtern Sie, ob eine ambulante oder vollstationäre Krankenhausbehandlung vorliegt. [8] Nennen Sie die Anspruchsvoraussetzungen für die Vergütung einer vollstationären Krankenhausbehandlung sowie die dazugehörigen Rechtsvorschriften soweit vorhanden. [9] K ist ein im Land L ansässiges Krankenhaus mit verschiedenen Fachabteilungen. Dem Krankenhausplan des Landes L entsprechend stellte das zuständige Sozialministerium mit bestandskräftigem Bescheid die Aufnahme von 120 Betten des Krankenhauses K für das Fachgebiet der Chirurgie sowie bestimmte Bettenzahlen für die Fachrichtungen Innere Medizin, Urologie, Augenheilkunde und Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde fest. Der Krankenhausplan orientiert sich bzgl. der Fachrichtungen an der ärztlichen Weiterbildungsordnung des Landes L. Diese Weiterbildungsordnung unterscheidet zum einen das Fachgebiet der Chirurgie mit den Schwerpunkten Gefäß-, Thorax-, Unfall- und Visceralchirurgie. Zum anderen regelt die Weiterbildungsordnung die Herzchirurgie, die die Erkennung, operative und postoperative Behandlung von chirurgischen Erkrankungen, Verletzungen und Fehlbildungen des Herzens, der herznahen Gefäße und des angrenzenden Mediastinums sowie der Lunge im Zusammenhang mit herzchirurgischen Eingriffen einschließlich der Voruntersuchungen und der Nachsorge umfasst. Das Krankenhaus K legte der Patientin P, die bei der Krankenkasse X versichert ist, im Rahmen eines planmäßigen Eingriffs zwei Bypässe. Durch die Bypässe wurden die stark verengten Herzkranzgefäße überbrückt, um eine ausreichende Blutversorgung des Herzmuskels zu sichern. Die Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit der Patientin P für diesen Eingriff lag vor. Für die Operation rechnete K gegenüber der Krankenkasse X die DRG-Fallpauschale F32Z (Koronare Bypass-Operation ohne invasive Diagnostik, ohne komplizierte Prozeduren, ohne Karotiseingriff, ohne interoperative Ablation) in Höhe von 9.786,72 Euro ab. Die Krankenkasse X lehnt die Bezahlung der Rechnung ab. Erörtern Sie auf den Fall bezogen folgende zwei Voraussetzungen eines Anspruchs des <?page no="117"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 117 Krankenhauses K auf Vergütung der vollstationären Leistung gegen die Krankenkasse K: [a] Zulassung des Krankenhauses K zur Versorgung gesetzlicher Versicherter sowie [b] Behandlung der Patientin im Rahmen des Versorgungsauftrages des Krankenhauses K. [10] Benennen Sie die drei verschiedenen Typen des Krankenhausaufnahmevertrages und nehmen Sie eine Abgrenzung vor. [11] Anton Arm begab sich zwecks Darmoperation ins Krankenhaus X. Er unterschrieb bei Aufnahme den Vertrag zwischen ihm und der Krankenhaus X GmbH sowie, nachdem er untersucht und über die Operation ordnungsgemäß aufgeklärt worden war, die Einverständniserklärung zur Durchführung der Operation. Am nächsten Tag begann um 8.00 Uhr die Operation. Während dieser schloss der bei der Krankenhaus X GmbH angestellte Facharzt für Anästhesiologie Emil Emsig, der bis 3.00 Uhr seinen Geburtstag gefeiert hatte, unwillkürlich die Augen und nickte ein. So verpasste er, dass der Blutdruck des Anton Arm plötzlich abfiel. Nachdem die operierende Ärztin den Anästhesisten unsanft geweckt hatte, konnte zwar das Schlimmste noch verhindert werden. Gleichwohl kam es infolge des Blutdruckabfalls zu Durchblutungsstörungen des Gehirns und schließlich zu zerebralen Ausfällen (Kopfschmerzen, Schwindelgefühl, Krämpfe etc.), die einen um drei Wochen längeren Krankenhausaufenthalt des Herrn Arm und eine anschließende dreiwöchige Rehabilitationsmaßnahme nötig machten. Den in diesem Zeitraum erlittenen Verdienstausfall in Höhe von 2.700,- Euro sowie ein Schmerzensgeld verlangt Arm von der X GmbH. [a] Liegt ein Behandlungsfehler des Anästhesisten vor? [b] Wenn ja, muss dafür die Krankenhaus X GmbH gegenüber dem Patienten einstehen? Begründen Sie Ihre Antworten. Die Lösungen finden Sie im Web-Service. <?page no="118"?> 118 Recht im Gesundheitswesen Heilmittelerbringer 2.3 Lernhinweis Die nachfolgenden Erläuterungen werden Sie besser verstehen, wenn Sie die angegebenen Paragrafen der nachfolgenden Vorschriften parallel zum Lehrbuch lesen: Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), Diätassistentengesetz (DiätAssG), Ergotherapeutengesetz (ErgthG), Gesetz über den Beruf des Logopäden (LogopG) Gesetz über die Berufe in der Physiotherapie (MPhG), Richtlinie des GBA über die Verordnung von Heilmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (HeilM-RL) 166 , Podologengesetz (PodG), Sozialgesetzbuch 5. Buch (SGB V). 2.3.1 Berufsrecht und die Bedeutung des Heilpraktikergesetzes Bei den Heilmitteln handelt es sich um nichtärztliche therapeutische Dienstleistungen, die von entsprechend ausgebildeten Personen erbracht werden. Zu ihnen gehören insbesondere die physikalische Therapie Die Maßnahmen der physikalischen Therapie entfalten ihre Wirkung insbesondere nach physikalisch-biologischem Prinzip durch überwiegend von außen vermittelte kinetische, mechanische, elektrische und thermische Energie (§ 17 Abs. 1 HeilM-RL). podologische Therapie Die Behandlung umfasst das verletzungsfreie Entfernen von krankhaften Hornhautverdickungen, das Schneiden, Schleifen und Fräsen von krankhaft verdickten Zehennägeln sowie die Behandlung von Zehennägeln zur Behandlung des diabetischen Fußsyndroms (§ 28 Abs. 1 HeilM-RL). Stimm-, Sprech- und Sprachtherapie (Logopädie) Die Therapie zielt darauf ab, die Kommunikationsfähigkeit, die Stimmgebung, das Sprechen, die Sprache und den Schluckakt bei krankheitsbedingten Störungen wiederherzustellen, zu verbessern oder eine Verschlimmerung zu vermeiden (§ 30 Abs. 1 HeilM-RL). Ergotherapie Die ergotherapeutischen Maßnahmen dienen der Wiederherstellung, Entwicklung, Verbesserung, Erhaltung oder Kompensation der krankheitsbedingt gestörten motorischen, sensorischen, psychischen und kognitiven Funktionen und Fähigkeiten (§ 35 Abs. 1 HeilM-RL). Ernährungstherapie Ernährungstherapie ist eine ernährungstherapeutische Behandlung von Erkrankungen (nicht zu verwechseln mit der Ernährungsberatung für Gesunde). 166 HeilM-RL v. 19.5.2011, BAnz. Nr. 96 S. 2247, z. g. a. 21.9.2017, BAnz AT 23.11.2017 B1. <?page no="119"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 119 Sie ist Teil eines ärztlichen Behandlungsplans und umfasst insbesondere die Beratung zur Auswahl und Zubereitung natürlicher Nahrungsmittel und zu krankheitsspezifischen Diäten sowie die Erstellung und Ergänzung eines Ernährungsplans. Seit 1.1.2018 gehört die Ernährungstherapie zu den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung, allerdings nur, wenn sie der Behandlung seltener angeborener Stoffwechselerkrankungen oder Mukoviszidose (Cystische Fibrose) dient und sie als medizinische Maßnahme (gegebenenfalls in Kombination mit anderen Maßnahmen) zwingend erforderlich ist, da ansonsten schwere geistige oder körperliche Beeinträchtigungen oder Tod drohen (§ 41 Abs. 1 HeilM-RL). Das jeweils einschlägige Berufsrecht der in der Heilmittelversorgung tätigen Dienstleister ist in verschiedenen Gesetzen enthalten: Berufsbezeichnungen Gesetze und Verordnungen Masseur, medizinischer Bademeister, Physiotherapeut Gesetz über die Berufe in der Physiotherapie (MPhG) v. 26.5.1994, BGBl. I S. 1084, z. g. d. Gesetz v. 23.12.2016, BGBl. I S. 3191 Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für den Physiotherapeuten (PhysTh-APrV) v. 6.12.1994, BGBl. I S. 3786, z. g. d. Gesetz v. 18.4.2016, BGBl. I S. 886 Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Masseure und medizinische Bademeister (MB-APrV) v. 6.12.1994, BGBl. I S. 3770, z. g. d. Gesetz v. 18.4.2016, BGBl. I S. 886 Podologe Podologengesetz (PodG) v. 4.12.2001, BGBl. I S. 3320, z. g. d. Gesetz v. 18.4.2016, BGBl. I S. 886 Ausbildungs- und Prüfungsverordnung (PodAPrV) v. 18.12.2001, BGBl. I 2002 S. 12, z. g. d. Gesetz v. 18.4.2016, BGBl. I S. 886 Logopäde Gesetz über den Beruf des Logopäden (LogopG) v. 25.11.2003, BGBl. I 529, z. g. d. Gesetz v. 23.12.2016, BGBl. I S. 3191 Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Logopäden (LogAPrO) v. 1.10.1980, BGBl. I 1892, z. g. d. Gesetz v. 18.4.2016, BGBl. I S. 886 Ergotherapeut Ergotherapeutengesetz (ErgthG) v. 25.5.1976, BGBl. I 1246, z. g. d. Gesetz v. 23.12.2016, BGBl. I S. 3191 Ergotherapeuten-Ausbildungs- und Prüfungsordnung (ErgthAPrV) v. 2.8.1999, BGBl. I S. 1731, z. g. d. Gesetz v. 18.4.2016, BGBl. I S. 886 <?page no="120"?> 120 Recht im Gesundheitswesen Diätassistent Hochschulstudium der Ökotrophologie, Ernährungswissenschaft oder Ernährungsmedizin oder eine andere einschlägige Aus- und Weiterbildung der Ernährungstherapie Diätassistentengesetz (DiätAssG) v. 8.3.1994, BGBl. I S. 446, z. g. d. Geset z v. 18.4.2016 , BGBl. I S. 886 Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Diätassistentinnen und Diätassistenten (DiätAss- APrV) v. 1.8.1994, BGBl. I S. 2088, z. g. d. Gesetz v. 18.42016, BGBl. I S. 886 Die Studiengänge, Aus- und Weiterbildungsangebote verschiedener Einrichtungen unterliegen keiner einheitlichen Ausbildungsregulierung. Tab. 8: Berufsrechtliche Regelungen der Heilmittelerbringer Die in der Tabelle genannten Berufsgesetze sehen jeweils in § 1 vor, dass die Tätigkeit unter der Berufsbezeichnung erlaubnispflichtig ist. Die Erlaubnis knüpft wiederum an verschiedene Voraussetzungen an (vgl. § 2 MPhG, § 2 PodG, § 2 LogopG, § 2 ErgThG, § 2 DiätAssG): Der Heilmittelerbringer muss die vorgeschriebene Ausbildung abgeleistet und die staatliche Prüfung bestanden haben. Er darf nicht unzuverlässig und in gesundheitlicher Hinsicht nicht ungeeignet zur Ausübung des Berufs sein. Ferner muss er über die für die Ausübung der Berufstätigkeit erforderlichen Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen. Die Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung berechtigt den Heilmittelerbringer sowohl zur angestellten als auch zur selbständigen beruflichen Tätigkeit. Sie berechtigt allerdings nicht zur Krankenbehandlung ohne ärztliche Verordnung. Grund dafür ist, dass die jeweilige Ausbildung nicht zur selbständigen Erstdiagnose befähigt. 167 Eine eigenverantwortliche Krankenbehandlung des Patienten (ohne ärztliche Verordnung des Heilmittels) setzt eine auf das Berufsfeld beschränkte Heilpraktikererlaubnis voraus. Die Möglichkeit, eine solche Erlaubnis zu erlangen, ist in den letzten Jahren von der Rechtsprechung für die Physiotherapeuten 168 , Logopäden 169 , Podologen 170 und Ergotherapeuten 171 bejaht worden. Die Erteilung der beschränkten Heilpraktikererlaubnis setzt jedoch gem. § 2 HeilprGDV 1 voraus, dass die Überprüfung der Kenntnisse und Fähigkeiten des Antragstellers durch das Gesundheitsamt ergibt, dass die Ausübung der Heilkunde durch den Antragsteller keine Gefahr für die Volksgesundheit bedeuten würde (zur Heilpraktikererlaubnis siehe Abschnitt 2.1.1.3). Etwas anders ist die Situation für die 167 Vgl. BVerwG, Urt. v. 26.8.2009, 3 C 19/ 08, NVwZ-RR 2010, 111 ff. für die Physiotherapeuten. 168 Vgl. BVerwG, Urt. v. 26.8.2009, 3 C 19/ 08, NVwZ-RR 2010, 111 ff.; OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 21.11.2006, 6 A 10271/ 06, BeckRS 2006, 27339; OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 13.6.2012, 13 A 668/ 09, BeckRS 2012, 52419 und nachgehend BVerwG, Beschl. v. 11.7.2013, 3 B 64/ 12, BeckRS 2013, 53603. 169 Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 23.3.2017, 9 S 1899/ 16, juris. 170 Vgl. Sächsisches OVG, Urt. v. 14.3.2017, 4 A 703/ 16, juris. 171 Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 23.3.2017, 9 S 1034/ 15, juris. <?page no="121"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 121 Masseure und medizinischen Bademeister. Sie können keine Heilpraktikerlaubnis erlangen, weil ihre Tätigkeit keine Heilkunde i. S. d. HeilprG darstellt. Heilkunde in diesem Sinne knüpft daran an, dass die betreffende Behandlung ärztliche (oder heilkundliche) Fachkenntnisse erfordert und die Behandlung gesundheitliche Schäden verursachen kann. An Letzterem fehlt es bei den Behandlungen der Masseure und medizinischen Bademeister. Ihren Behandlungen wohnen keine nennenswerten Gesundheitsgefahren inne. 172 Bei Aufhebung der Erlaubnis zur Berufsausübung (gem. § 3 LogopG, § 3 ErgThG oder VwVfG des jeweiligen Bundeslandes) muss der Betroffene seine Tätigkeit einstellen. Eine Berufsausübung ohne Erlaubnis stellt eine Ordnungswidrigkeit dar (vgl. § 15 MPhG, § 9 PodG, § 7 ErgThG, § 7 LogopG, § 10 DiätAssG). 2.3.2 Leistungserbringung im System der gesetzlichen Krankenversicherung 2.3.2.1 Heilmittelanspruch des Versicherten Nach § 32 SGB V hat der Versicherte Anspruch auf die Versorgung mit Heilmittel. Die Ausgestaltung einer ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Heilmittelversorgung der Versicherten überlässt der Gesetzgeber dem GBA, der auf der Grundlage des § 92 SGB V die HeilM-RL erlassen hat. In dieser werden Heilmittel wie folgt definiert: ❋ Wissen │ Heilmittel Heilmittel sind persönlich zu erbringende medizinische Leistungen. Sie umfassen Maßnahmen der physikalischen Therapie, podologischen Therapie, der Stimm-, Sprech- und Sprachtherapie und der Ergotherapie (§ 2 Abs. 1 HeilM-RL). Die Leistungspflicht der Krankenkasse setzt gem. § 3 HeilM-RL voraus, dass das Heilmittel ärztlich verordnet worden ist und es einem der folgenden Leistungszwecke dient: Heilung einer Krankheit, Verhütung ihrer Verschlimmerung oder Linderung von Krankheitsbeschwerden, Beseitigung einer gesundheitlichen Schwächung, die in absehbarer Zeit voraussichtlich zu einer Krankheit führen würde, Entgegenwirken einer Gefährdung der gesundheitlichen Entwicklung eines Kindes, Vermeidung oder Minderung einer Pflegebedürftigkeit. Der Zweite Teil der HeilM-RL enthält einen indikationsbezogenen Katalog verordnungsfähiger Heilmittel, den sog. Heilmittelkatalog. Neue Heilmittel oder zugelassene Heilmittel für Indikationen, die nicht im Heilmittelkatalog genannt sind, 172 Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 19.3.2009, 9 S 2518/ 08, BeckRS 2009, 32779 und nachgehend BVerwG, Beschl. v. 28.10.2009, 3 B 39/ 09, BeckRS 2009, 41579. <?page no="122"?> 122 Recht im Gesundheitswesen dürfen nur verordnet oder gewährt werden, wenn der GBA zuvor in der HeilM-RL den therapeutischen Nutzen anerkannt und Empfehlungen für die Sicherung der Qualität bei der Leistungserbringung abgegeben hat (§ 138 SGB V, § 4 Abs. 4 HeilM-RL). Ferner enthält Anlage 1 des Ersten Teils der HeilM-RL einen (Negativ-)Katalog ausgeschlossener Heilmittel, wie z. B. Fußreflexzonenmassage, Ganzkörpermassage. Bei geringfügigen Erkrankungen - wie z. B. Erkältungen - dürfen Heilmittel nicht als Ersatz für die in diesen Fällen ausgeschlossenen Arzneimitteln verordnet werden; also beispielsweise keine physikalische Therapie anstelle eines Erkältungsmittels (§ 6 Abs. 1 HeilM-RL). Im Übrigen gilt für die Heilmittelversorgung wie für alle anderen Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung das Wirtschaftlichkeitsgebot gem. § 12 Abs. 1 SGB V. 2.3.2.2 Zulassung des Heilmittelerbringers zur Versorgung gesetzlich Versicherter Um Heilmittel zulasten der Krankenkassen abgeben zu können, muss der Heilmittelerbringer zugelassen sein. Nach § 124 Abs. 2 SGB V ist die Zulassung an folgende Voraussetzungen geknüpft: Der Leistungserbringer verfügt über die erforderliche Qualifikation. Darunter fallen üblicherweise die Ausbildung sowie die zur Führung der Berufsbezeichnung berechtigende Erlaubnis (siehe Abschnitt 2.3.1) oder andere einschlägige Abschlüsse, wie z. B. ein abgeschlossenes Hochschulstudium der Ernährungswissenschaften für die Ernährungstherapie. Die Einzelheiten sind in den Zulassungsempfehlungen des GKV-Spitzenverbandes 173 aufgeführt. Die Ausstattung der Praxis gewährleistet eine zweckmäßige und wirtschaftliche Leistungserbringung. Die Anforderungen an die Praxis (z. B. Mindestgröße) und an die Geräte und Einrichtungsgegenstände sind ebenfalls in den Zulassungsempfehlungen des GKV-Spitzenverbandes näher 174 ausgestaltet. Ferner muss der Heilmittelerbringer persönlich die Gewähr für eine bedarfsgerechte, zweckmäßige, wirtschaftliche und qualitätsgerechte Versorgung der Versicherten mit Heilmitteln bieten. Dabei handelt es sich um eine ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung, die das BSG aufgestellt hat. 175 Das BSG verweist darauf, dass die Zuverlässigkeit des Heilmittelerbringers zwar bereits bei Erteilung der berufsrechtlichen Erlaubnis geprüft werde (vgl. Abschnitt 2.3.1). Gleichwohl würden die §§ 2 Abs. 4, 12 Abs. 1, 70 Abs. 1 SGB V spezifische An- 173 Zulassungsempfehlungen des GKV-Spitzenverbandes gemäß § 124 Abs. 4 SGB V für Heilmittelerbringer v. 22.5.2018 sowie Zulassungsempfehlungen des GKV-Spitzenverbandes gemäß § 124 Abs. 4 SGB V für Heilmittelerbringer der Ernährungstherapie v. 13.12.2017, https: / / www.gkvspitzenverband.de/ krankenversicherung/ ambulante_leistungen/ heilmittel/ zulassungsempfehlungen/ zulassungsempfeh lungen.jsp (Abruf am 9.6.2018). 174 Ebd. 175 Vgl. BSG, Urt. v. 13.12.2001, B 3 KR 19/ 00 R, NZS 2002, 535 ff. bzgl. eines alkoholabhängigen Krankengymnasten, der die Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung Krankengymnast besaß, aber unter Betreuung stand. <?page no="123"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 123 forderungen an die Heilmittelversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung aufstellen, so dass den Krankenkassen ein eigenständiges Prüfungsrecht zukomme, ob die persönliche Eignung und Zuverlässigkeit des Antragstellers im Hinblick auf diese Anforderungen gegeben seien. Der Leistungserbringer erkennt die für die Versorgung der Versicherten geltenden Vereinbarungen an. Das sind zum einen die Rahmenempfehlungen, die der GKV-Spitzenverband mit den Verbänden der Heilmittelerbringer auf Bundesebene (z. B. Deutschen Verband der Ergotherapeuten e.V., VDB- Physiotherapieverband e. V., Verband Deutscher Podologen e. V., Deutscher Bundesverband für Logopädie e.V.) gem. § 125 Abs. 1 SGB V 176 vereinbart. Zum anderen gehören die Verträge dazu, die die Krankenkassen bzw. ihre Verbände mit den Leistungserbringern bzw. deren Verbänden gem. § 125 Abs. 2-3 SGB V über die Einzelheiten der Heilmittelversorgung abschließen (vgl. dazu nachfolgenden Abschnitt). Für eine Praxis, die mehrere Heilmittelarten (z. B. Physiotherapie, Logopädie und Ergotherapie) anbietet, muss der Leistungserbringer die Voraussetzungen für alle Arten erfüllen. Wenn er über die verschiedenen notwendigen Berufsabschlüsse nicht selbst verfügt, muss er eine oder mehrere andere Personen mit den Abschlüssen beschäftigen. Zum Nachweis der Voraussetzungen muss der Heilmittelerbringer verschiedene Unterlagen, wie z. B. Zeugnisse, polizeiliches Führungszeugnis, Mietvertrag, vorlegen. Wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind, hat der Heilmittelerbringer einen Rechtsanspruch auf Erteilung der Zulassung. Die Zulassung erfolgt anders als in der Hilfsmittelversorgung nicht als Vertrag. Die Entscheidung über sie ergeht einseitig als Verwaltungsakt gem. § 31 SGB X, und zwar für jede Kassenart getrennt. Zuständig für die Entscheidung sind gem. § 124 Abs. 5 SGB V die Landesverbände. Diese können jedoch die Entscheidungsbefugnis auch auf andere Landesverbände übertragen. ◉ Beispiel Die Landesvertretungen des Verbandes der Ersatzkassen (vdek) entscheiden über die Zulassung der Heilmittelerbringer sowohl für die dem Verband angehörenden Ersatzkassen als auch für die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See sowie für die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau. 177 Die Zulassung bewirkt, dass der Leistungserbringer Heilmittel an die Versicherten der jeweiligen Kassenart abgeben darf (§ 124 Abs. 5 S. 2 SGB V). Sie wird zwar von einem Landesverband erteilt, gilt aber bundesweit für diese Kassenart. 178 Das 176 Rahmenempfehlungen veröffentlicht unter: https: / / www.gkvspitzenverband.de/ krankenversicherung/ ambulante_leistungen/ heilmittel/ vereinbarungen_mit_heilmittelerbringern/ v ereinbarungen_mit_heilmittelerbringern.jsp (Abruf am 9.6.2018). 177 Siehe https: / / www.vdek.com/ vertragspartner/ heilmittel/ zulassung.html (Abruf am 9.6.2018). 178 Vgl. BSG, Urt. v. 23.1.2003, B 3 KR 7/ 02 R, NZS 2004, 38 ff. [41 f.] für die Zulassung eines Hilfsmittelerbringers, als § 126 Abs. 3 SGB V noch auf § 124 Abs. 5 S. 2 SGB V verwies. <?page no="124"?> 124 Recht im Gesundheitswesen heißt der Heilmittelerbringer darf auch Versicherte der Kassenart aus anderen Bundesländern versorgen. Die Zulassung ist an die Person des Zulassungsinhabers und an eine bestimmte Betriebsstätte gebunden, da die Zulassungsvoraussetzungen personen- und betriebsstättenbezogen geprüft werden. 179 Diesbezügliche Änderungen (z. B. Umzug in andere Räumlichkeiten) führen zur Notwendigkeit, eine neue Zulassung einzuholen. Wenn der Heilmittelerbringer die Voraussetzungen der Zulassung nicht mehr erfüllt, kann die Zulassung entzogen werden (§ 124 Abs. 6 S. 1 SGB V), so dass er keine gesetzlich Versicherten mehr behandeln kann. ◉ Beispiel Der Physiotherapeut P ist seit einigen Jahren für die Versorgung der Versicherten mit Leistungen der physikalischen Therapie durch den Landesverband der Betriebskrankenkassen L zugelassen. Er ist von Geldsorgen geplagt und zieht zur Kostensenkung in preiswertere und kleinere Praxisräume um, die eine Nutzfläche von 40 m 2 haben; davon entfallen 30 m 2 auf die Therapiefläche. Als der Landesverband davon erfährt, teilt er dem P mit, dass seine neuen Räume nicht die notwendige Mindestgröße aufweisen. Nach den Vereinbarungen, die P bei Zulassung anerkannt hat, muss eine Physiotherapiepraxis eine Therapiefläche von 32 m 2 und insgesamt eine Nutzfläche von 50 m 2 aufweisen. Da P die Anmietung größerer Räume ablehnt, widerruft der Landesverband die Zulassung, weil P nicht über eine Praxisausstattung verfügt, die eine zweckmäßige und wirtschaftliche Leistungserbringung gewährleistet (= Zulassungsvoraussetzung gem. § 124 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 SGB V). Ein weiterer Widerrufstatbestand ist für den Fall vorgesehen, dass der Heilmittelerbringer seiner Fortbildungsverpflichtung nicht nachkommt (§ 124 Abs. 6 S. 2 SGB V). 2.3.2.3 Anforderungen an die Leistungserbringung Der zugelassene Heilmittelerbringer ist nicht zur persönlichen Leistungserbringung verpflichtet. Die Leistungen gegenüber dem Kunden können auch angestellte oder freie Mitarbeiter erbringen, die ebenfalls über eine einschlägige Berufsausübungserlaubnis verfügen. Nichtsdestotrotz bleibt der Zulassungsinhaber für die Heilmittelversorgung verantwortlich. 180 Die Modalitäten der Leistungserbringung werden zum einen in den Rahmenempfehlungen festgelegt, die der GKV-Spitzenverband mit den Verbänden der Heilmittelerbringer auf Bundesebene (z. B. Deutschen Verband der Ergotherapeuten e.V., VDB-Physiotherapieverband e. V., Verband Deutscher Podologen e. V., Deutscher Bundesverband für Logopädie e.V.) vereinbart. 181 Diese Rahmenempfehlungen sollen gem. § 125 Abs. 1 SGB V insbesondere folgende Modalitäten regeln: 179 Siehe auch BSG Urt. v. 23.1.2003, B 3 KR 7/ 02 R, NZS 2004, 38 ff. [41]. 180 Vgl. BSG, Urt. v. 29.11.1995, 3 RK 33/ 94, BeckRS 1995, 30758303. 181 Rahmenempfehlungen veröffentlicht unter: https: / / www.gkvspitzenver- <?page no="125"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 125 Abb. 23: Inhalt der Rahmenempfehlungen nach § 125 Abs. 1 SGB V Zum anderen werden die Modalitäten in den Verträgen, die die Krankenkassen bzw. ihre Verbände mit den Leistungserbringern bzw. deren Verbänden der Heilmittelerbringer schließen 182 , geregelt. Für diese Verträge ist gem. § 125 Abs. 2-3 SGB V folgender Inhalt vorgesehen: Abb. 24: Inhalt der Verträge nach § 125 Abs. 2-3 SGB V band.de/ krankenversicherung/ ambulante_leistungen/ heilmittel/ vereinbarungen_mit_heilmittelerbringern/ v ereinbarungen_mit_heilmittelerbringern.jsp (Abruf am 9.6.2018). 182 Zwei Beispiele: Vereinbarung zwischen dem Deutschen Verband der Ergotherapeuten e. V. und den Ersatzkassen über die Versorgung mit ergotherapeutischen Leistungen und deren Vergütung, https: / / www.vdek.com/ vertragspartner/ heilmittel/ rahmenvertrag.html Abruf am 9.6.2018) sowie Rahmenvertrag über die Durchführung podologischer Leistungen zwischen AOK und dem Verband Deutscher Podologen e. V. und Zentralverband der Podologen und Fußpfleger Deutschlands e. V, http: / / www.aokgesundheitspartner.de/ bund/ heilberufe/ vertraege/ podologie/ index.html, Abruf am 9.6.2018). Rahmenempfehlungen auf Bundesebene Inhalt, Umfang und Häufigkeit des Heilmittels Fortbildungspflichten der Heilmittelerbringer Qualitätssicherung Vorgaben für die notwendigen Angaben der Heilmittelverordnung Regelungen zur Abrechnung des Heilmittels Wirtschaftlichkeitsprüfung Vorgaben für die Vergütungsstruktur Verträge Einzelheiten der Heilmittelversorgung Fortbildungspflichten der Heilmittelerbringer, inkl. Vergütungsabschläge bei Nichteinhaltung (Höchst-)Preise der Heilmittel Regelungen zur Abrechnung des Heilmittels <?page no="126"?> 126 Recht im Gesundheitswesen Der Leistungserbringer muss die für seine Berufstätigkeit maßgeblichen vertraglichen Regelungen kennen und bei der Behandlung der gesetzlich Versicherten beachten. Sie gelten für ihn, auch wenn er kein Mitglied der vertragsschließenden Berufsverbände ist, da er nur zur Versorgung der Versicherten zugelassen wird, wenn er sie anerkennt (vgl. Abschnitt 2.3.2.2). In den Verträgen können auch Sanktionen für die Nichterfüllung von Pflichten, z. B. Vergütungsabschläge oder Vertragsstrafen, geregelt sein. Für die Erfüllung der öffentlich-rechtlichen Leistungspflicht erlangt der Heilmittelerbringer einen durch die genannten Normenverträge näher ausgestalteten Vergütungsanspruch gegen die Krankenkasse des Versicherten. Die Rechtsgrundlage für den Vergütungsanspruch bildet § 125 Abs. 2 SGB V i. V. m. den konkretisierenden Rahmenverträgen, inkl. Preisvereinbarung. 183 Der Vergütungsanspruch ist an mehrere Voraussetzungen geknüpft: Erste Voraussetzung: Der Leistungserbringer ist zur Heilmittelversorgung der gesetzlich Versicherten zugelassen sowie berechtigt, das konkrete Heilmittel abzugeben 184 . ◉ Beispiel Nach § 17 Abs. 2 HeilM-RL dürfen bestimmte Maßnahmen der physikalischen Therapie nur erbracht werden, wenn spezielle Qualifikationen, die über die im Rahmen der Berufsausbildung erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten hinausgehen, erworben worden sind. Dementsprechend ist in verschiedenen Rahmenverträgen nach § 125 Abs. 2 SGB V vorgesehen, dass die manuelle Therapie nur von Physiotherapeuten mit einem bestimmten Weiterbildungsabschluss abgerechnet werden kann. Daraus folgt, dass weder zugelassene Physiotherapeuten ohne die vorgegebene Weiterbildung 185 noch zugelassene Masseure/ Bademeister, die die geforderte Weiterbildung erfolgreich absolviert haben, 186 die manuelle Therapie gegenüber den Krankenkassen abrechnen dürfen. Zweite Voraussetzung: Die erbrachte Heilmittelversorgung muss von einem Vertragsarzt verordnet worden sein (§ 15 Abs. 1 S. 2 SGB V). Mit der Verordnung übernimmt der Vertragsarzt gegenüber der Krankenkasse und dem Heilmittelerbringer die Verantwortung dafür, dass die Voraussetzungen für den Anspruch des Versicherten auf das verordnete Heilmittel erfüllt sind 187 (zu den Voraussetzungen siehe Abschnitt 2.3.2.1). Allerdings darf der Heilmittelerbringer nicht blindlings darauf vertrauen, dass die ärztliche Verordnung gültig ist. Da er gem. § 2 Abs. 4 SGB V ebenfalls darauf zu achten hat, dass die Leistungen wirksam und wirtschaftlich erbracht und nur im notwendigen Umfang in Anspruch genommen werden, hat er die Vollständigkeit und Plausibilität der Verordnung zu prüfen und 183 Vgl. BSG, Urt. v. 13.9.2011, B 1 KR 23/ 10 R, NZS 2012, 296 ff. [297]. 184 Vgl. BSG, Urt. v. 16.3.2017, B 3 KR 14/ 16 R, BeckRS 2017, 121765 sowie B 3 KR 15/ 16 R, BeckRS 2017, 121856. 185 Vgl. BSG, Urt. v. 22.7.2004, B 3 KR 12/ 04 R, BeckRS 2004, 41889, BSG, Urt. v. 12.8.2010, B 3 KR 9/ 09 R, BeckRS 2010, 75848. 186 Vgl. BSG, Urt. v. 16.3.2017, B 3 KR 14/ 16 R, BeckRS 2017, 121765 sowie B 3 KR 15/ 16 R, BeckRS 2017, 121856. 187 Vgl. BSG, Urt. v. 13.9.2011, B 1 KR 23/ 10 R, NZS 2012, 296 ff. [297]. <?page no="127"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 127 zu bejahen, bevor er die Behandlung durchführt. 188 Erweist sich die Verordnung erkennbar als falsch, muss der Heilmittelerbringer auf eine Berichtigung hinwirken. Ansonsten verliert er seinen Vergütungsanspruch teilweise oder vollständig. ◉ Beispiel Ein Vertragsarzt verordnete zehn krankengymnastische Behandlungen mit dem Indikationsschlüssel EX3a, für die im Regelfall jedoch nur sechs Behandlungen vorgesehen sind (siehe Heilmittelkatalog). Eine Genehmigung der Krankenkasse für die Abweichung vom Regelfall lag nicht vor. Der Physiotherapeut erbrachte zehn Behandlun gen, die er gegen ü ber der Krankenkasse abrechnete . Diese beglich jedoch nur die Rechnung für sechs Behandlungen. Eine weitergehende Vergütung verneinte auch das BSG. 189 Dritte Voraussetzung: Der Heilmittelerbringer hat seine Leistung ordnungsgemäß erbracht. Das bedeutet, dass er die o. g. Vereinbarungen nach § 125 SGB V, die die Leistungserbringung näher ausgestalten, und die HeilM-RL beachtet hat. Ein Verstoß gegen die einzuhaltenden Pflichten kann zum teilweisen oder vollständigen Verlust der Vergütung führen. ◉ Beispiel │ Verletzung der Fortbildungsverpflichtung Ziffer 11 der Anlage 4 des Vertrages zwischen dem Deutschen Verband der Ergotherapeuten und den Ersatzkassen vom 1.1.2017 190 lautet: Erfüllt die zur Fortbildung verpflichtete Person die vereinbarte Fortbildungsverpflichtung nicht fristgerecht innerhalb des Betrachtungszeitraumes von vier Jahren, so hat sie diese unverzüglich nachzuholen. Ergibt sich bei der Überprüfung durch den vdek, dass der Fortbildungsverpflichtete die Fortbildungspunkte für jeden abgeschlossenen Betrachtungszeitraum dennoch ganz oder teilweise nicht nachweisen kann, setzt ihm der vdek eine Nachfrist von 12 Monaten. Die nachgeholten Fortbildungen werden nicht auf die laufende Fortbildungsverpflichtung angerechnet. Vom Beginn der Frist an können die Ersatzkassen die Vergütung bis zum Monatsende der Vorlage des Nachweises über die erforderliche Fortbildung um pauschal 7,5 % des Rechnungsbetrages kürzen, nach einem halben Jahr verdoppelt sich dieser v. H.-Satz. Dieser gilt bei Wiederholungsfällen in der Heilmittelpraxis von Beginn an. Vierte Voraussetzung: Der Vergütungsanspruch darf nicht verjährt sein. Bei der Verjährung handelt es sich um einen „Zeitablauf, der für den Schuldner das Recht begründet, die Leistung zu verweigern.“ 191 Die Verjährungsfrist beträgt analog § 188 Vgl. BSG, Urt. v. 13.9.2011, B 1 KR 23/ 10 R, NZS 2012, 296 ff. [298]. 189 Vgl. BSG, Urt. v. 13.9.2011, B 1 KR 23/ 10 R, NZS 2012, 296 ff. 190 Vereinbarung unter: https: / / www.vdek.com/ vertragspartner/ heilmittel/ rahmenvertrag/ _jcr_content/ par/ download_18/ file.res/ Ra hmenvertrag_Ergotherapeuten.pdf (Abruf am 9.6.2018). 191 Ellenberger, Bürgerliches Gesetzbuch, Überbl v § 194 Rn. 5. <?page no="128"?> 128 Recht im Gesundheitswesen 45 SGB I vier Jahre und beginnt mit dem Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Vergütungsanspruch des Heilmittelerbringers entstanden ist. 192 Die Abrechnung der Vergütung gegenüber der Krankenkasse erfolgt gem. §§ 303 f. SGB V. Für die von den Krankenkassen zu zahlenden Vergütungen gibt es keine Festbeträge wie in der Hilfsmittelversorgung. Die Preise werden in den genannten Verträgen nach § 125 Abs. 2 SGB V geregelt, und zwar als Höchstpreise. Das bedeutet, dass eine Krankenkasse mit (einzelnen) Leistungserbringern auch einen geringeren Preis vereinbaren kann. Für die Jahre 2016 bis 2021 sind jedoch Untergrenzen (resp. Mindestpreise) vorgesehen, die nicht unterschritten werden dürfen. Durch diese Untergrenzen soll das Preisniveau, das historisch bedingt bei den Ersatzkassen höher als bei anderen Kassen ist, innerhalb von fünf Jahren soweit angeglichen werden, dass keine Wettbewerbsverzerrungen mehr bestehen. 193 Die Untergrenze ist der Betrag, der sich jeweils aus dem niedrigsten Preis zuzüglich zwei Drittel der Differenz zwischen dem niedrigsten und dem höchsten Preis des betreffenden Landes ergibt (§ 125 Abs. 3 S. 1 SGB V). ◉ Beispiel niedrigster Preis (beispielweise Manuelle Therapie) = 17,10 Euro höchster Preis = 18,60 Euro zwei Drittel der Differenz = 1,00 Euro Preisuntergrenze = 18,10 Euro Die Preisuntergrenzen werden vom GKV-Spitzenverband jährlich erstellt und sind zusammen mit den Höchstpreisen im GKV-Heilmittel-Informationsportal 194 abrufbar. Der in den Jahren 2016 bis 2021 zu vereinbarende Preis muss sich zwischen der jeweiligen Preisuntergrenze und dem Höchstpreis bewegen. Zum Erreichen der Preisuntergrenze ist der Grundsatz der Beitragsstabilität im genannten Zeitraum außer Kraft gesetzt. Die Vertragsparteien können eine höhere Vergütung, als sie unter Berücksichtigung der Veränderungsrate nach § 71 Absatz 3 SGB V zulässig wäre, vereinbaren. 2.3.3 Rechtsverhältnis zum Patienten Gegenstand des in den §§ 630a ff. BGB geregelten Behandlungsvertrages ist die medizinische Behandlung eines Menschen. Eine solche Behandlung umfasst alle „Maßnahmen und Eingriffe am Körper eines Menschen, um Krankheiten, Leiden, Körperschäden, körperliche Beschwerden oder seelische Störungen nicht krankhafter Natur zu verhüten, zu erkennen, zu heilen oder zu lindern.“ 195 Relevant ist nicht nur die ärztliche, sondern auch die nichtärztliche Heilbehandlung durch z. B. Masseure und medizinische Bademeister, Ergotherapeuten, Logopäden, Physio- 192 Ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. z. B. BSG, Urt. v. 23.6.2015, B 1 KR 26/ 14 R, NZS 2015, 704 ff. [706]. 193 Vgl. Beschl-E zum GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG), BTag-Drucks. 18/ 5123 S. 134. 194 Http: / / www.gkv-heilmittel.de/ fuer_heilmittelerbringer/ hmpug/ hmpug.jsp (Abruf am 9.6.2018). 195 RegE eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten, BTag-Drucks. 17/ 10488, S. 17. <?page no="129"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 129 therapeuten. 196 Folglich besteht zwischen dem Heilmittelerbringer und dem Patienten ein Behandlungsvertrag. Das gilt sowohl für den Selbstzahler als auch für den gesetzlich Versicherten. Der Vertrag wird in der Regel mündlich oder konkludent geschlossen; eine Schriftform ist gesetzlich nicht vorgegeben. Die Rechte und Pflichten der Vertragspartner ergeben sich aus den gesetzlichen und vertraglichen Regelungen. Eine zentrale Bedeutung hat die Behandlungspflicht des Heilmittelerbringers gem. § 630a BGB. Der Heilmittelerbringer muss den Patienten nach dem allgemein anerkannten fachlichen Standard seiner Therapierichtung behandeln. Dagegen muss er keine Anamnese vornehmen und keinen Befund erheben, die über seinen in der ärztlichen Verordnung ausgewiesenen Therapieauftrag hinausgehen. Er kann sich darauf verlassen, dass der überweisende Arzt die Indikation auf der Basis der nötigen Abklärung der Krankengeschichte und Befunde getroffen hat. 197 Ähnlich verhält es sich mit der Pflicht zur Eingriffsbzw. Selbstbestimmungsaufklärung (§ 630e BGB). Diese gehört vorrangig zu den Aufgaben des behandelnden Arztes, der das Heilmittel verordnet hat. Nur der Arzt hat aufgrund der Anamnese und Diagnostik die nötigen Informationen über den Patienten und seine Erkrankung, um ihn im erforderlichen Umfang aufzuklären. Den Heilmittelerbringer trifft eine Aufklärungspflicht allenfalls, wenn er im Rahmen der verordneten Behandlung eine Auswahl zwischen mehreren risikobehafteten Maßnahmen trifft. In Unkenntnis der Auswahlentscheidung kann der verordnende Arzt den Patienten darüber nicht vorab aufklären. Im Übrigen muss sich der Heilmittelerbringer lediglich vergewissern, dass eine Aufklärung durch den Arzt, sofern sie erforderlich ist, durchgeführt wurde. Wenn er Anzeichen für eine unzureichende Eingriffsbzw. Selbstbestimmungsaufklärung hat, muss er denen nachgehen. 198 ◉ Beispiel Ein Patient begehrte von einem Physiotherapeuten Schadenersatz wegen eines Hirnstamminfarkts, der 24 Stunden nach einer Mobilisationsbehandlung der Halswirbelsäule nach Sachse/ Schildt-Rudloff eingetreten war. Das OLG Jena 199 konnte weder einen Behandlungsnoch einen Aufklärungsfehler feststellen. Hinsichtlich der Aufklärungspflicht ließ es offen, ob es notwendig sei, den Patienten über die Mobilisationsbehandlung nach Sachse/ Schildt-Rudloff aufzuklären. Zum einen haften der verordneten Mobilisierung keine Risiken an, die über Alltagsrisiken des Patienten hinausgehen würden. Zum anderen sei eine Aufklärung vor dieser Behandlung weltweit nicht üblich. Jedenfalls, so das OLG, treffe die Aufklärungspflicht nicht den arbeitsteilig hinzugezogenen Physiotherapeuten. Eine Aufklärung sei vorrangig Aufgabe des Arztes, weil er die not- 196 Vgl. RegE eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten, BTag-Drucks. 17/ 10488, S. 18. 197 Vgl. OLG Zweibrücken, Urt. v. 2.11.1999, 5 U 12/ 99, BeckRS 2000, 03574 Rn.27; OLG Jena, Urt. v. 18.5.2005, 4 U 641/ 04, NJOZ 2005, 4626 ff. [4631]. 198 Vgl. OLG Zweibrücken, Urt. v. 2.11.1999, 5 U 12/ 99, BeckRS 2000, 03574 Rn.28; OLG Jena, Urt. v. 18.5.2005, 4 U 641/ 04, NJOZ 2005, 4626 ff. [4631]. 199 Vgl. OLG Jena, Urt. v. 18.5.2005, 4 U 641/ 04, NJOZ 2005, 4626 ff. <?page no="130"?> 130 Recht im Gesundheitswesen wendigen Informationen habe, um den Patienten in geeigneter Weise aufzuklären. Des Weiteren bestehen seitens des Heilmittelerbringers die Pflicht zur Sicherungsaufklärung und zur wirtschaftlichen Aufklärung sowie Schweige- und Dokumentationspflichten; insoweit wird auf die Erläuterungen im Abschnitt 2.2.6.2 verwiesen. Dem Patienten obliegt es, dem Heilmittelerbringer die notwendigen Informationen zu geben und den therapeutischen Anordnungen Folge zu leisten (§ 630c Abs. 1 BGB). Ferner besteht für den Patienten die Pflicht, die Behandlung zu vergüten (§ 630a Abs. 1 BGB). Damit die Vergütungspflicht seiner Krankenkasse entsteht, muss er die ärztliche Verordnung vorlegen. Für die Behandlung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung zahlt die Krankenkasse des Patienten die Vergütung an den Leistungserbringer (vgl. Abschnitt 2.3.2.3). Der gesetzlich versicherte volljährige Patient muss eine Zuzahlung in Höhe von 10 % der Kosten sowie 10 Euro je Verordnung leisten (§ 32 Abs. 3, § 61 S. 3 SGB V). Für die Vergütung, die ein (privat versicherter) Selbstzahler leisten muss, gilt § 612 BGB. Danach ergibt sich die Höhe der Vergütung aus der Vereinbarung zwischen dem Heilmittelerbringer und dem Patienten. Wenn eine solche Vereinbarung nicht besteht, ist die übliche Vergütung als vereinbart anzusehen. Die übliche Vergütung orientiert sich an der Vergütung, die für gleiche oder ähnliche Dienstleistungen an dem betreffenden Ort mit Rücksicht auf die persönlichen Verhältnisse gezahlt wird. Insoweit kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an. 200 Die Erstattung der Aufwendungen des Selbstzahlers durch seine Krankenversicherung richtet sich schließlich nach den vertraglichen Versicherungs- und Tarifbedingungen. 200 Vgl. BGH, Urt. v. 24.10.1989, X ZR 58/ 88, NJW-RR 1990, 349 f. [350]. <?page no="131"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 131 ❋ Wichtige Schlagwörter ❋ Behandlungsvertrag ❋ Heilmittel ❋ Heilmittelkatalog ❋ Zulassung ✎ Wiederholungsaufgaben [1] Die Tätigkeit unter der Bezeichnung Logopäde ist erlaubnispflichtig. Erläutern Sie, welche Voraussetzungen der Berufsanwärter erfüllen muss, damit er die Erlaubnis bekommt. [2] Lesen Sie die Zulassungsempfehlung des GKV-Spitzenverbandes gemäß § 124 Abs. 4 SGB V für Heilmittelerbringer v. 22.5.2018 (z. B. unter https: / / www.gkv-spitzenverband.de/ krankenversicherung/ ambulante_leistungen/ heilmittel/ zulassungsempfehlungen/ zulassungsempfehlungen.jsp; Abruf am 10.6.2018). Arbeiten Sie heraus, welche Praxisausstattung für die Zulassung eines Ergotherapeuten zur Heilmittelversorgung der gesetzlich Versicherten empfohlen wird. [3] Erläutern Sie die Bedeutung der Rahmenempfehlungen und Rahmenverträge nach § 125 SGB V für den Heilmittelerbringer. [4] Erläutern Sie die Aufklärungs- und Behandlungspflichten eines Physiotherapeuten gegenüber dem Patienten. Die Lösungen finden Sie im Web-Service. <?page no="132"?> 132 Recht im Gesundheitswesen Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen, Rehabilitati- 2.4 onsdienste und Erbringer ambulanter medizinischer Vorsorgeleistungen Lernhinweis Die nachfolgenden Erläuterungen werden Sie besser verstehen, wenn Sie die angegebenen Paragrafen der nachfolgenden Rechtsvorschriften parallel zum Lehrbuch lesen: Sozialgesetzbuch 5. Buch (SGB V), 6. Buch (SGB VI), 9. Buch (SGB IX) 201 , 10. Buch (SGB X) 202 . 2.4.1 Der Versichertenanspruch auf medizinische Vorsorge und medizinische Rehabilitation in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung 2.4.1.1 Begriffsverständnis Im Mittelpunkt des Abschnittes 2.4 stehen die medizinische Vorsorge und medizinische Rehabilitation. Diese beiden Begriffe stehen in einer Reihe mit anderen Begriffen, wie Prävention, Gesundheitsförderung und Prophylaxe, so dass zunächst eine definitorische Klärung und Abgrenzung angezeigt ist. Die Prävention wird international in Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention eingeteilt. Die Primärprävention bezweckt, die Neuerkrankungsrate von Krankheiten zu senken. Als primärpräventive Leistungen bieten die Krankenkassen gem. §§ 20 ff. SGB V Leistungen zur Verhinderung und Verminderung von Krankheitsrisiken (z. B. Schutzimpfungen, Gruppen- und Individualprophylaxe zur Verhütung von Zahnerkrankungen) sowie Leistungen zur Förderung des selbstbestimmten gesundheitsorientierten Handelns der Versicherten (Gesundheitsförderung) an. Die Rentenversicherungsträger erbringen medizinische Leistungen zur Prävention 203 und zur Sicherung der Erwerbsfähigkeit an Versicherte, die erste gesundheitliche Beeinträchtigungen aufweisen, die aber noch keinen Krankheitswert haben (vgl. § 14 SGB VI). Die Sekundärprävention zielt darauf ab, die Krankenbestandsrate zu senken. Zu ihr gehören Leistungen zur Früherkennung von bevölkerungsmedizinisch bedeutsamen Krankheiten gem. §§ 25 ff. SGB V und zur frühzeitigen Behandlung von Krankheiten, um den Krankheitsverlauf abzukürzen oder umzukehren. 201 SGB IX v. 23.12.2016, BGBl. I S. 3234, z. g. d. G v. 17.7.2017, BGBl. I S. 2509. 202 SGB X i. d. F. d. Bek. v. 18.1.2001, BGBl. I S. 130, z. g. d. G v. 10.7.2018, BGBl. I S. 1117. 203 Rahmenkonzept der Deutschen Rentenversicherung zur Umsetzung der medizinischen Leistungen zur Prävention und Gesundheitsförderung nach § 14 Abs. 1 SGB VI, https: / / www.deutscherentenversicherung.de/ Allgemein/ de/ Inhalt/ 3_Infos_fuer_Experten/ 01_sozialmedizin_forschung/ downloads/ konzepte_syst emfragen/ konzepte/ rahmenkonzept_Med_Leistungen_Praevention.html (Abruf am 29.6.2018). <?page no="133"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 133 Die medizinische Vorsorge, die Gegenstand des Abschnittes 2.4 ist, gehört je nach Zielrichtung zur primären oder sekundären Prävention. Die medizinische Rehabilitation gehört dagegen in der Regel zur Tertiärprävention, die darauf abzielt, die Schwere einer vorhandenen Krankheit zu minimieren und die Verschlimmerung der Krankheit zu verhindern, um letztlich die Teilhabe des Erkrankten am Leben in der Gesellschaft wiederherzustellen oder zu erhalten. In Betracht kommt gleichwohl auch ein sekundärpräventiver Ansatz, wenn die Rehabilitation zugleich dazu dient, eine andere Krankheit zu verhindern. 2.4.1.2 Leistungen der medizinischen Vorsorge in der gesetzlichen Krankenversicherung Die Leistungen der medizinischen Vorsorge - so der gesetzliche Sprachgebrauch - sind in der Alltagssprache besser als Kuren bekannt. Typische Bereiche der Vorsorgeleistungen sind Herz-Kreislauf-Störungen, Beschwerden am Bewegungs- und Stützapparat, Atemwegsbeschwerden oder Erschöpfungszustände. Mit der medizinischen Vorsorge werden gem. § 23 Abs. 1 SGB die nachstehenden Ziele verfolgt: Schwächung der Gesundheit beseitigen, die in absehbarer Zeit voraussichtlich zu einer Krankheit führen würde, Krankheiten verhüten oder deren Verschlimmerung vermeiden, Gefährdung der gesundheitlichen Entwicklung eines Kindes oder Jugendlichen entgegenwirken oder Pflegebedürftigkeit vermeiden. Die medizinische Vorsorge knüpft somit zum einen primärpräventiv an eine Schwächung der Gesundheit an, ohne dass diese bereits eine Krankheit bedeutet. Eine solche Schwächung kann sowohl aus dem eigenen Verhalten des Versicherten als auch aus Umweltfaktoren resultieren. Zum anderen kommt die Vorsorge sekundärpräventiv zum Tragen, wenn es darum geht, die Krankheit - z. B. bei einem rezidivierenden bzw. progredienten Verlauf - aufzuhalten. Das bedeutet, dass die medizinische Vorsorge im Unterschied zu den Leistungen der Krankenbehandlung nicht in jedem Fall das Vorhandensein einer Krankheit voraussetzt. Gem. §§ 23, 24 SGB V hat die medizinische Vorsorge folgende Kennzeichen: <?page no="134"?> 134 Recht im Gesundheitswesen ambulante Leistung am Wohnort ambulante Leistung in anerkanntem Kurort stationäre Vorsorgeleistung stationäre Mutter/ Vater- Kind- Maßnahme Leistungsinhalt komplexe Leistung (je nach Notwendigkeit) aus: ■ ärztliche Behandlung ■ Arznei- und Verbandmittel ■ Hilfsmittel ■ Heilmittel Unterkunft und Verpflegung? Unterkunft und Verpflegung in der Eigenverantwortung des Versicherten, ggf. Zuschuss durch Krankenkasse Übernahme der Kosten für Unterkunft und Verpflegung; Zuzahlung des Versicherten Leistungserbringer verschiedene Leistungserbringer, z. B. Ärzte, Physiotherapeuten verschiedene Leistungserbringer, wie z. B. Kurärzte, ortssp ez i fi sc he He i lm ittelerbringer, Vorsorgeeinrichtungen mit ambulanten Therapiezentren Leistungserbringer si nd zu gel as se ne Vorsorgeeinrichtungen zugelassene Einrichtungen des Müttergenesungswerks oder gleichartige Einrichtungen Pflicht- oder Ermessensleistung? Pflichtleistung der Krankenkasse, aber Auswahlermessen bzgl. Dauer und Durchführung der Leistung Ermessensleistung der Krankenkasse (Ermessen bzgl. „ob“ und „wie“) Pflichtleistung der Krankenkasse, aber Auswahlermessen bzgl. Dauer und Durchführung der Leistung Tab. 9: Medizinische Vorsorgeleistungen gem. §§ 23, 24 SGB V Die ambulanten Leistungen am Wohnort haben eine eher geringere praktische Bedeutung, da die Einzelleistungen (ärztliche Behandlung, Heilmittel etc.) auch als Leistungen der Krankenbehandlung erbracht und vergütet werden. 204 2.4.1.3 Leistungen der medizinischen Rehabilitation in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung Die medizinische Rehabilitation verfolgt als Teil der Krankenbehandlung deren Zwecke, wie Heilung, Linderung etc. Darüber hinaus zielt sie (kumulativ) darauf ab - und insoweit unterscheidet sie sich von den anderen Leistungen der Krankenbehandlung -, die Folgen der Krankheit in Form von Fähigkeitseinschränkungen und daraus resultierenden Benachteiligungen zu minimieren oder zu beseiti- 204 Vgl. Gerlach, Sozialgesetzbuch - Gesamtkommentar, SGB V 23 Rn. 32. <?page no="135"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 135 gen 205 oder drohende Einschränkungen und Benachteiligungen abzuwenden. Sie soll m. a. W. die Teilhabe des Betroffenen am familiären, beruflichen und gesellschaftlichen Leben sicherstellen. Erst durch diese zweite Zielsetzung wird eine Maßnahme zur Rehabilitationsleistung. Die medizinische Rehabilitation gehört damit zu den Teilhabeleistungen, die im SGB IX geregelt sind: Abb. 25: Leistungen der Teilhabe Neben den Krankenkassen und den Rentenversicherungsträgern sind weitere in § 6 SGB IX aufgezählte Rehabilitationsträger (z. B. Träger der Eingliederungshilfe, Träger der öffentlichen Jugendhilfe) für die medizinische Rehabilitation zuständig. Nachfolgend wird jedoch nur die medizinische Rehabilitation der beiden insoweit größten Rehabilitationsträger - den Krankenkassen und Rentenversicherungsträgern - aufgegriffen. Die medizinische Rehabilitation stellt in beiden Sozialversicherungszweigen allgemein eine Komplexleistung dar, die je nach Notwendigkeit aus Einzelleistungen wie z. B. Behandlung durch Ärzte und Zahnärzte, Psychotherapie als ärztliche und psychotherapeutische Behandlung, Arznei- und Verbandmittel, Heilmitteln, Hilfsmitteln, Belastungserprobung und Arbeitstherapie, Vermittlung von Kontakten zu örtlichen Selbsthilfe- und Beratungsmöglichkeiten, Training lebenspraktischer Fähigkeiten besteht (vgl. im Einzelnen § 42 SGB IX). Die Leistungen der medizinischen Rehabilitation werden unter Beachtung des SGB IX erbracht, soweit für die Krankenkassen im SGB V und für die Rentenversicherungsträger im SGB VI nichts anderes bestimmt ist (§ 11 Abs. 2 S. 3 SGB V, § 7 SGB IX). 205 Vgl. Frakt-E eines Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahr 2000 (GKV- Gesundheitsreform 2000), BTag-Drucks. 14/ 1245, S. 61. Leistungen der Teilhabe medizinische Rehabilitation Teilhabe am Arbeitsleben (berufliche Rehabilitation) Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft (soziale Rehabilitation) ergänzende Leistungen <?page no="136"?> 136 Recht im Gesundheitswesen Die Verteilung der Zuständigkeit der einzelnen Rehabilitationsträger bestimmt sich gem. § 7 Abs. 1 S. 2 SGB IX nach den jeweiligen Leistungsgesetzen, also nach dem SGB V für die Krankenkassen und dem SGB VI für die Rentenversicherungsträger. Für die Leistungsgewährung sehen die §§ 14, 15 SGB IX eine zügige Zuständigkeitsklärung vor. Der erstangegangene Rehabilitationsträger muss innerhalb von zwei Wochen klären, ob er nach dem für ihn geltenden Leistungsgesetz für die beantragte Leistung zuständig ist, oder den Antrag des Versicherten an den zuständigen Rehabilitationsträger weiterleiten. Die Krankenkassen erbringen die Leistungen mit dem Ziel, eine Behinderung oder Pflegebedürftigkeit abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern (§ 11 Abs. 2 SGB V). Gem. § 40 Abs. 4 SGB V sind sie jedoch grundsätzlich nur dann leistungspflichtig, wenn die Rehabilitation nach den für andere Sozialversicherungsträger geltenden Vorschriften nicht erbracht werden kann. Damit wird eine Nachrangigkeit der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung gegenüber anderen Sozialversicherungszweigen - u. a. gegenüber der Rentenversicherung - begründet. Die Leistungen der medizinische Rehabilitation der Rentenversicherungsträger zielen auf die Erhaltung und Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit sowie auf die Verminderung der gesundheitlichen oder behinderungsbedingten Einschränkung der Erwerbsfähigkeit ab (§ 9 Abs. 1 S. 1, § 10 Abs. 1 SGB VI). Das gilt auch für Kinder, wenn durch die Rehabilitation eine Gesundheitsbeeinträchtigung vermieden wird, die Einfluss auf die spätere Erwerbstätigkeit haben kann (§ 15a SGB VI). Somit sind die Krankenkassen nicht zuständig, wenn es bei der Rehabilitation um den Erhalt der Erwerbsfähigkeit geht. Dies führt beispielsweise im Fall einer Suchterkrankung zu folgender Zuständigkeitsverteilung: 206 Suchterkrankung Zuständigkeit der Krankenkasse für die medizinische Entzugsbehandlung Zuständigkeit des Rentenversicherers für die Entwöhnungsbehandlung, die die Abkehr von der Sucht bezweckt Tab. 10: Zuständigkeit der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung bei Behandlung einer Suchterkrankung Umgekehrt stellt § 13 Abs. 2 SGB VI zum einen klar, dass der Rentenversicherungsträger grundsätzlich nicht für eine akute Krankenbehandlung zuständig ist. Ausgenommen ist davon nur der Fall, dass die Behandlungsbedürftigkeit während der Ausführung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation eintritt. Zum anderen darf die medizinische Rehabilitation nicht anstelle einer sonst erforderlichen Krankenhausbehandlung erbracht werden. Von der vorgenannten Nachrangigkeit der Rehabilitationsleistungen der Krankenversicherung sind jedoch gem. § 40 Abs. 4 SGB V die Kinderrehabilitation gem. § 15a SGB VI sowie die Nachsorge gem. § 17 und § 31 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI 206 Vgl. Kater, Kasseler Kommentar, SGB VI § 15 Rn. 14. <?page no="137"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 137 ausgenommen, so dass die Krankenkasse und der Rentenversicherungsträger nebeneinander zuständig sind. Sowohl die ambulante als auch die stationäre Rehabilitation ist eine Pflichtleistung der Krankenkasse bzw. des Rentenversicherungsträgers. Die Entscheidung über Art, Umfang und Durchführung, Beginn und Dauer der Leistungen sowie über den Rehabilitationsdienst oder die Rehabilitationseinrichtung, der/ die die Leistung erbringen soll, liegt jedoch im pflichtgemäßen Ermessen der Krankenkasse bzw. des Rentenversicherungsträgers (§ 40 Abs. 3 SGB V, § 13 Abs. 1 SGB VI). Berechtigte Wünsche des Versicherten, die z. B. aus der persönliche Lebenssituation, dem Alter oder aus religiösen Bedürfnissen resultieren, und die Belange der Angehörigen, die den Versicherten pflegen, sind bei der Ermessensausübung zur berücksichtigen (§ 8 Abs. 1 SGB IX). ◉ Beispiel │ stationäre neurologische Rehabilitation Eine dialysepflichtige Versicherte mit einer schweren Sehbeeinträchtigung benötigt eine stationäre neurologische Rehabilitation. Bei der Ermessensausübung wird neben der zur Indikation passende Rehabilitationsmaßnahme auch ermittelt, welche neurologische Einrichtung dialysepflichtige Patienten aufnehmen kann und für Sehbehinderte geeignet ist. 207 Für die Inanspruchnahme der medizinischen Rehabilitation muss der Versicherte bestimmte persönliche und versicherungsrechtliche Voraussetzungen erfüllen. Diese ergeben sich nicht aus dem SGB IX, sondern gem. § 7 Abs. 1 S. 2 SGB IX aus den konkreten Leistungsgesetzen. Das sind z. B. § 40 Abs. 3 S. 4 SGB V für die Krankenversicherung oder die §§ 10, 11 SGB VI für die Rentenversicherung. Die Rehabilitation ist wegen des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit vorrangig in ambulanter Form zu erbringen. Wenn diese aus medizinischen Gründen für die Versorgung des Versicherten nicht ausreichend ist, so wird die Rehabilitation stationär durchgeführt. Die teilstationäre Versorgung gilt ebenfalls als ambulant. Das ist anders als im Krankenhausbereich, in dem die teil- und vollstationären Behandlungen vergleichbaren Regelungen unterworfen sind. Grund dafür ist, dass es sich bei einer Rehabilitation nicht um eine Einzelleistung (wie z. B. zehnmal Krankengymnastik), sondern um eine Komplexleistung handelt. Angesichts dieser Charakteristik unterscheiden sich ambulante/ teilstationäre Maßnahmen von einer vollstationären Rehabilitation im Kern nur dadurch, dass keine Unterkunft und Verpflegung gewährt werden. 208 ◉ Beispiel │ ambulante medizinische Rehabilitationsleistung Eine ambulante orthopädische-traumatologische Rehabilitation (AOTR) ist eine besondere Kombination aus Krankengymnastik, physikalischer Therapie und medizinischer Trainingstherapie unter ständiger ärztlicher Verantwortung zur Behandlung von Erkrankungen des Bewegungsapparates. Die ambulante Rehabilitation wird wohnortnah entweder durch einen Rehabilitationsdienst oder durch eine (stationäre) Rehabilitationseinrichtung erbracht (§ 40 207 Beispiel in Anlehnung an: Blatt, Hohmann, Ahlrichs, Die Ersatzkasse 2005, 422 ff. [424]. 208 Vgl. BSG, Urt. v. 5.7.2000, B 3 KR 12/ 99 R, NZS 2001, 357 ff. [359]. <?page no="138"?> 138 Recht im Gesundheitswesen Abs. 1 SGB V, § 28 Abs. 1 SGB IX). Wohnortnah bedeutet, dass die Fahrzeit des Versicherten mit öffentlichen Verkehrsmitteln insgesamt für An- und Abfahrt eine Stunde beträgt; eine ausnahmsweise Abweichung ist allerdings möglich. 209 Für die ambulante Rehabilitation im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung sind grundsätzlich bis zu 20 Behandlungstage vorgesehen; eine Verlängerung ist aus medizinischen Gründen möglich (§ 40 Abs. 3 S. 2 SGB V). Für die Rentenversicherung ist die Behandlungsdauer der ambulanten Rehabilitation nicht gesetzlich beziffert. Sie wird abhängig von der jeweiligen Indikation vom Rentenversicherungsträger im Rahmen seines Ermessens bestimmt. Wenn eine ambulante Rehabilitation nicht ausreichend ist, erbringt die Krankenkasse gem. § 40 Abs. 2, 3 SGB V bzw. der Rentenversicherungsträger gem. § 15 Abs. 2 SGB VI eine stationäre Rehabilitation (also inkl. Unterkunft und Verpflegung). Für diese ist grundsätzlich eine Maximaldauer von 21 Tagen vorgesehen; eine Verlängerung aus medizinischen Gründen ist möglich (§ 40 Abs. 3 S. 2 SGB V, § 15 Abs. 3 SGB VI). ◉ Beispiel │ stationäre medizinische Rehabilitationsleistung Eine vollstationäre Einrichtung mit 42 Betten erbringt Leistungen der geriatrischen Rehabilitation für Patienten, die an Funktionsverlusten mit psychosozialer Beeinträchtigung, an chronisch rezidivierenden Erkrankungen mit akuter Verschlimmerung, an akuten oder therapieresistenten und chronischen Schmerzerkrankungen oder an unheilbaren Erkrankungen leiden. Ein Arzt erstellt nach einer Untersuchung des Patienten einen Behandlungsplan, der verschiedene heiltherapeutische Maßnahmen, wie z. B. Krankengymnastik in Einzel- und Gruppentherapie, Behandlung nach Bobath bzw. nach Brügger, medizinische Trainingseinheiten, ergotherapeutische Behandlung und Massagen umfasst. Je nach Indikation werden ca. 10 bis 15 Behandlungen pro Patient und Woche durch ein multiprofessionelles Team erbracht. Die jeweilige Koordination obliegt einem Arzt. 210 Die Abgrenzung zwischen einer stationären Krankenhausbehandlung und einer stationären Rehabilitation ist nicht immer einfach. Zur Krankenhausbehandlung gehören sowohl die Akutbehandlung als auch die Frührehabilitation gem. § 39 Abs. 1 S. 3 SGB V, die innerhalb der erforderlichen Verweildauer der Akutbehandlung ebenfalls zu erbringen ist. Durch die Frührehabilitation sollen die Basisfähigkeiten des Patienten (Mobilität, einfache Aktivitäten des täglichen Lebens, Kommunikation, Orientierung in der Umwelt) wiederhergestellt werden. 211 Da sie zur Krankenbehandlung gehört, ist sie keine Leistung der gesetzlichen Rentenversicherung. Dagegen gehört die Anschlussrehabilitation (auch als Anschlussheilbehandlung bekannt), die sich bei schweren Krankheiten, wie z. B. Schlaganfall, Herzoperationen, unmittelbar an den Krankenhausaufenthalt anschließt, zur me- 209 Vgl. Krauskopf, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung Kommentar, § 111c SGB V Rn. 4.; RPK- Empfehlungsvereinbarung und Handlungsempfehlungen, Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (Hrsg.), Abschnitt 2.4, https: / / www.bar-frankfurt.de/ publikationen/ rahmenempfehlungen/ (Abruf am 29.6.2018). 210 Vgl. zu dem Beispiel: BSG, Urt. v. 23.7.2002, B 3 KR 63/ 01 R, BeckRS 2002, 30274189. 211 Vgl. Frakt-E eines Sozialgesetzbuchs Neuntes Buch, BTag-Drucks. 14/ 5074 S. 117. <?page no="139"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 139 dizinischen Rehabilitation. Durch sie sollen die verloren gegangenen Fähigkeiten des Patienten wiederhergestellt werden, damit er nach Möglichkeit in sein gewohntes alltägliches, familiäres und berufliches Umfeld zurückkehren kann. Die Unterscheidung zwischen Krankenhausbehandlung und stationärer Rehabilitation erfolgt im Wesentlichen nach der Art der Einrichtung, den Behandlungsinhalten und -methoden sowie dem Hauptziel der Behandlung und unter Berücksichtigung der Definitionen in § 107 SGB V. 212 Abb. 26: Abgrenzung stationäre Krankenhausbehandlung und Rehabilitationsmaßnahme Die Leistungen der medizinischen Rehabilitation werden gem. § 11 Abs. 2 S. 1 SGB V bzw. § 15 Abs. 1 SGB VI von unterhaltssichernden und anderen ergänzenden Leistungen flankiert. Dazu gehören beispielweise das Krankengeld gem. §§ 44 ff. SGB V oder Übergangsgeld gem. § 20 f. SGB VI bei Teilnahme an einer stationären Rehabilitationsmaßnahme. Ferner werden zur Sicherung des Erfolgs der medizinischen Rehabilitation Nachsorgeleistungen gem. § 43 Abs. 2 SGB V oder § 17 SGB VI angeboten. 2.4.2 Rechtsstellung einer Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtung 2.4.2.1 Notwendigkeit einer Gewerbeerlaubnis Anstelle der gesetzlichen Begriffe der Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen werden in der Praxis auch die Bezeichnungen als Kurklinik, Rehabilitationsklinik oder Fachklinik verwendet. In einer solchen Einrichtung werden üblicherweise ärztliche und nichtärztliche therapeutische Leistungen, wie z. B. Massagen, Kran- 212 Vgl. BSG, Urt. v. 20.1.2005, B 3 KR 9/ 03 R, BSGE 94, 139 ff. [142 f.]. Heilung, Linderung der Beschwerden, Verzögerung des Krankheitsverlaufs Art der Einrichtung? zugelassene Rehabilitationseinrichtungen Hauptziel der Behandlung? zugelassenes Krankenhaus ärztliche Tätigkeit im Mittelpunkt Minimierung der Fähigkeitseinschränkungen Heilmittel im Mittelpunkt stationäre Krankenhausbehandlung stationäre Rehabilitationsbehandlung Behandlungsinhalte und -methoden? <?page no="140"?> 140 Recht im Gesundheitswesen kengymnastik, erbracht sowie Unterkunft und Verpflegung für die Patienten bereitgehalten, so dass es sich um eine Privatkrankenanstalt im Sinne des § 30 GewO handelt. Das gilt auch für eine Einrichtung, die unter ärztlicher Leitung ausschließlich Vorsorgeleistungen erbringt, um eine Schwächung der Gesundheit des Patienten zu behandeln, die noch keine Krankheit ist, aber in absehbarer Zeit voraussichtlich zu einer Krankheit führen würde. Für den Begriff der Privatkrankenanstalt kommt es nicht darauf an, dass die Patienten krank oder bettlägerig sind. Prägend für den Begriff ist, dass die Unterkunft und Verpflegung mit einer ärztlichen oder ärztlich angewiesenen Behandlung verbunden sind. Die in § 30 GewO vorgesehene Erlaubnispflicht soll die Allgemeinheit vor Gefahren schützen, die mit der Eingliederung des Patienten in das betriebliche Organisationsgefüge und der Abhängigkeit von der ärztlichen Leitung verbunden sind, so dass es auf den Zustand der Krankheit nicht ankommt. 213 Wenn der (private) Träger zudem gewerbsmäßig tätig ist, benötigt er eine entsprechende Gewerbeerlaubnis. Anders verhält es sich bei den Eigeneinrichtungen der Rehabilitationsträger, insbesondere der Rentenversicherer. Ihnen fehlen angesichts der öffentlich-rechtlichen Trägerschaft die Eigenschaft als Privatkrankenanstalt und die Gewerbsmäßigkeit, so dass sie keine Gewerbeerlaubnis benötigen. Nähere Erläuterungen zu § 30 GewO finden Sie im Abschnitt 2.2.2. 2.4.2.2 Die Leistungserbringung als Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtung in der gesetzlichen Krankenversicherung Angesichts des Naturalleistungsprinzips schließen die Krankenkassen bzw. ihre Verbände mit den Leistungserbringern Verträge zur Versorgung der Versicherten (§ 2 Abs. 2 SGB V). Von einem solchen Vertragsschluss sind die Eigeneinrichtungen der Krankenkassen ausgenommen. Kasseneigene Kliniken gibt es in der Praxis jedoch nur noch, wenn sie bereits am 1. Januar 1989 bestanden; eine Neugründung ist gem. § 140 SGB V grundsätzlich nicht mehr erlaubt. Für Einrichtungen, die die medizinische Vorsorge und medizinische Rehabilitation in vollstationärer Form zulasten der Krankenkassen erbringen möchten, ist der Abschluss eines Versorgungsvertrages gem. § 111 SGB V vorgesehen. ❋ Wissen │ Versorgungsvertrag der Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtung Für diesen Versorgungsvertrag der Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtung über vollstationäre Leistungen gelten gem. § 111 SGB V folgende Parameter: Vertragspartner: Träger der Einrichtung sowie Landesverbände der Krankenkassen und Ersatzkassen gemeinsam (§ 111 Abs. 2 S. 1 SGB V) Form: Schriftform (§ 111 Abs. 2 S. 2 i. V. m. 109 Abs. 1 S. 1 SGB V) 213 Vgl. BVerwG, Urt. v. 9.2.1967, I C 128/ 64, GewArch 1967, 164 ff. [165 f.]; Landesberufsgericht für Heilberufe Münster, Urt. v. 27.9.1989, ZA 1/ 88, GewArch 1990, 210 ff. [210]; a. A.: Neft, BayVBl. 1996, 40 ff. [41]. <?page no="141"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 141 Voraussetzungen für den Vertragsschluss: Die Einrichtung muss die in § 107 Abs. 2 SGB V gesetzlich vorgegebenen Merkmale einer Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtung erfüllen (z. B. die ständige ärztliche Verantwortung der Behandlung der Versicherten). Wenn die Einrichtung zusammen mit einem zugelassenen Krankenhaus betrieben wird, muss sie wirtschaftlich und organisatorisch selbständig sein; eine juristische Selbständigkeit wird dagegen nicht verlangt (§ 111 Abs. 6 SGB V). Gem. § 111 Abs. 2 S. 1 SGB V darf der Versorgungsvertrag nur abgeschlossen werden, wenn die Einrichtung leistungsfähig und wirtschaftlich ist. Leistungsfähigkeit bedeutet, dass die Einrichtung über ausreichende personelle, sachliche und räumliche Mittel verfügt, um ihr vollstationäres Leistungsangebot zu erbringen und dieses dem allgemein anerkannten Stand der medizinisch-pflegerischen Erkenntnisse entspricht. 214 Bei der Wirtschaftlichkeit geht es einerseits um die Frage, ob die Einrichtung mit der voraussichtlich zu erzielenden Vergütung in der Lage ist, ihre Investitions-, Personal- und Sachkosten zu decken. Ferner ist eine Gewinnerzielung nicht ausgeschlossen. Andererseits dürfen keine Anhaltspunkte gegeben sein, dass den Patienten aus wirtschaftlichen Gründen notwendige Leistungen vorenthalten werden. Insoweit muss die Einrichtung ein plausibles Konzept haben. Dagegen kommt es für den Vertragsschluss nicht auf die konkrete Höhe des kalkulierten Tagessatzes an, weil dieser erst in der nachgelagerten Vergütungsvereinbarung festgelegt wird (vgl. § 111 Abs. 5 SGB V). Für das Erbringen von Rehabilitationsleistungen muss die Einrichtung über ein zertifiziertes einrichtungsinternes Qualitätsmanagementsystem gem. § 40 Abs. 2 S. 1 SGB V i. V. m. § 37 Abs. 2 SGB IX verfügen. 215 Ferner muss ein Bedarf für die Leistungserbringung durch die Einrichtung bestehen. Dieses Kriterium ist anders als im Krankenhaussektor nicht als Höchst-, sondern als Mindestbedarfs zu sehen. Die Krankenkassen müssen gem. § 36 Abs. 1 SGB IX dafür sorgen, dass die fachlich und regional erforderlichen Rehabilitationseinrichtungen in ausreichender Zahl und Qualität zur Verfügung stehen. Da sie über die dem Versicherten im Einzelfall zu gewährenden medizinischen Vorsorge- und Rehabilitationsmaßnahme entscheiden, trägt die Einrichtung das Belegungsrisiko. Deshalb ist es unter Berücksichtigung der grundrechtlich geschützten Berufsfreiheit der Einrichtung nicht gerechtfertigt, leistungsfähige, wirtschaftliche und zertifizierte Einrichtungen von der Versorgung vollständig auszuschließen. 216 214 Vgl. BSG, Urt. v. 23.7.2002, B 3 KR 63/ 01 R, BeckRS 2002, 32074189. 215 Vgl. Vereinbarung der Rehabilitationsträger zum internen Qualitätsmanagement nach § 20 Abs. 2a SGB IX, http: / / www.bar-frankfurt.de/ rehabilitation-und-teilhabe/ qualitaet-in-derrehabilitation/ qualitaetsmanagement-und-zertifizierung/ (Abruf am 29.6.2018). 216 Vgl. BSG, Urt. v. 23.7.2002, B 3 KR 63/ 01 R, BeckRS 2002, 32074189. <?page no="142"?> 142 Recht im Gesundheitswesen Beteiligung der für die Krankenhausplanung zuständigen Landesbehörde: Die Wirksamkeit des Versorgungsvertrages ist (anders als bei den Krankenhäusern) nicht von der Genehmigung der Planungsbehörde abhängig. Ihr Einvernehmen ist gem. § 111 Abs. 4 S. 3 SGB V nur anzustreben. Das bedeutet, dass die Planungsbehörde lediglich ein „verfahrensrechtliches Beteiligungsrecht“ 217 hat. Der Vertrag kommt auch ohne ihr Einvernehmen zustande. Mindestinhalt des Vertrages: Der Vertrag muss mindestens die Art, den Inhalt und Umfang der Leistungen festlegen, die die Einrichtung für die Versicherten erbringen muss. 218 Wirkungen des Vertrages: Der Vertragsschluss bewirkt, dass die Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtung für die Dauer des Vertrages zur Versorgung der Versicherten mit stationären medizinischen Leistungen zur Vorsorge oder Rehabilitation berechtigt und im Rahmen ihrer Kapazität verpflichtet ist (§ 111 Abs. 4 S. 1 SGB V). Der Vertrag ist für die vertragsschließenden Krankenkassen und die Mitgliedskassen der vertragsschließenden Landesverbände verbindlich (§ 111 Abs. 2 S. 1 SGB V). Andere Landesverbände der Krankenkassen oder Ersatzkassen können dem Vertrag beitreten (§ 111 Abs. 2 S. 3 SGB V). Allerdings bewirkt der Vertrag keine Verpflichtung der Krankenkassen, die Leistungen der Einrichtung in Anspruch zu nehmen. Über die Belegung entscheidet die Krankenkasse im pflichtgemäßen Ermessen nach den medizinischen Erfordernissen des Einzelfalls. Ferner erwirbt die Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtung einen Anspruch darauf, dass die vertragsschließenden Krankenkassen und die Mitgliedskassen der Landesverbände mit ihr eine Vereinbarung über die Vergütung schließen (§ 111 Abs. 5 SGB V). Kündigungsmöglichkeit: Der Vertrag kann von den Landesverbänden der Krankenkassen und Ersatzkassen gemeinsam mit einer Frist von einem Jahr gekündigt werden, wenn die o. g. Voraussetzungen nicht mehr vorliegen (§ 111 Abs. 4 S. 2 SGB V). Bzgl. der Kündigung ist wie für den Vertragsschluss das Einvernehmen mit der Planungsbehörde anzustreben (§ 111 Abs. 4 S. 3 SGB V). Für den Einrichtungsträger ist keine Kündigungsmöglichkeit in § 111 SGB V geregelt. Eine solche ergibt sich indes aus § 59 SGB X, der für alle öffentlich-rechtlichen Verträge gilt. Im Übrigen kann die Kündigungsmöglichkeit für beide Seiten vertraglich geregelt werden. Für die Versorgungsverträge mit einer Einrichtung des Müttergenesungswerks oder einer gleichartigen Einrichtung hinsichtlich der Mutter/ Vater-Kind- Maßnahmen gelten die vorgenannten Parameter - mit Ausnahme der Notwendigkeit eines zertifizierten Qualitätsmanagements und der Beteiligung der Planungsbehörde - ebenfalls (vgl. § 24 Abs. 1 S. 3, § 41 Abs. 1 S. 3, 4, § 111a SGB V). Die (bundeseinheitlichen) Anforderungen an die Einrichtungen haben die Bundesver- 217 BSG, Urt. v. 5.7.2000, B 3 KR 12/ 99 R, NZS 2001, 357 ff. [358]. 218 Vgl. Knittel, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung Kommentar, § 111 SGB V Rn. 3c. <?page no="143"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 143 bände der Krankenkassen, die Elly-Heuss-Knapp-Stiftung „Deutsches Müttergenesungswerk“ und der Bundesverband Deutscher Privatkrankenanstalten e.V. vereinbart. 219 Die Vereinbarung über die Vergütung schließt der Einrichtungsträger im Unterschied zum Versorgungsvertrag nicht mit den Krankenkassenverbänden, sondern mit den einzelnen Krankenkassen (§ 111 Abs. 5 SGB V). Für die Vergütungshöhe gelten folgende Grundsätze: Die Preisgestaltung orientiert sich nicht am Selbstkostendeckungsprinzip, sondern an den im Versorgungsvertrag vereinbarten Leistungen der Einrichtung. 220 Diese sind nach den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, insbesondere zu angemessenen Vergütungssätzen, ausführen (§ 36 Abs. 2 S. 3 i. V. m. § 51 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB IX). Folglich muss die Vergütung so bemessen sein, dass die Einrichtung bei wirtschaftlicher Betriebsführung ihren vereinbarten Versorgungsauftrag erfüllen kann. 221 In diesem Sinne muss sie ihre notwendigen Aufwendungen für Personalkosten, für Sachkosten, wie z. B. Energie, medizinische Geräte, finanzieren sowie einen Gewinn erzielen können. Hinsichtlich der Personalkosten ist gesetzlich klargestellt, dass bei Zahlung von tarifvertraglich vereinbarten Arbeitsentgelten diese bei der Bemessung der Vergütung zu berücksichtigen sind (§ 38 Abs. 2 SGB IX). Allerdings hat die Einrichtung, da das Selbstkostendeckungsprinzip nicht gilt, keinen Anspruch darauf, dass alle Betriebskosten refinanziert werden. Eine unwirtschaftliche Betriebsführung kann zu nicht gedeckten Kosten und somit letztlich zu einem unternehmerischen Verlust führen. Bei der Vergütung müssen ferner die notwendigen Investitionskosten berücksichtigt werden, weil es für Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen keine Investitionsförderung wie für Krankenhäuser gibt. 222 Gem. § 71 SGB V müssen die Krankenkassen bei der Bemessung der Vergütungen beachten, dass ihre Leistungsausgaben die Beitragseinnahmen nicht übersteigen (sog. Grundsatz der Beitragsstabilität). Dieser Grundsatz gilt für alle Vergütungsvereinbarungen, die die Krankenkassen abschließen. Wenn eine bestehende Vereinbarung neu verhandelt wird, orientieren sich die Krankenkassen zur Einhaltung des Grundsatzes der Beitragsstabilität an der sog. Grundlohnrate. Diese bildet die Veränderungsrate der beitragspflichtigen Einnahmen aller Mitglieder der Krankenkasse ab und wird jährlich aktualisiert (vgl. § 71 Abs. 3 SGB V). Da der Einrichtungsträger die Vergütung mit jeder Kasse gesondert verhandelt, können die von den Kassen zu zahlenden Vergütungen voneinander abweichen. Das ist anders als bei anderen Leistungserbringern, wie z. B. Pflegeheimen, bei denen die Pflegesätze nicht nach den Kostenträgern differenziert wer- 219 Anforderungsprofil für stationäre Rehabilitationseinrichtungen nach § 111a SGB V sowie Anforderungsprofil für stationäre Vorsorgeeinrichtungen nach § 111 a SGB V, http: / / www.aokgesundheitspartner.de/ bund/ reha/ leistungen/ mutter_vater_kind/ index.html (Abruf am 29.6.2018). 220 Vgl. Frakt-E eines Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen, BTag-Drucks 11/ 2237, S. 199. 221 Vgl. auch Stellungnahme des BRates zum RegE eines Gesetzes zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes und weiterer Gesetze, BTag-Drucks. 17/ 5708, S. 13. 222 Vgl. Hess, Kasseler Kommentar, SGB V § 111 Rn. 6. <?page no="144"?> 144 Recht im Gesundheitswesen den dürfen (vgl. Abschnitt 2.5.2.4). Dagegen sind die Krankenkassen nach der Rechtsprechung des BSG gehalten, die Vergleichbarkeit der Preise der Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen, mit denen sie vertraglich verbunden sind, zu gewährleisten. 223 Wenn sich die Vertragsparteien nicht einigen können, so wird die Vergütung von der Landesschiedsstelle gem. § 111b SGB V festgesetzt. Ein Verhandlungserfolg des Einrichtungsträgers in Form einer hohen Vergütung ist letztlich allerdings ein Pyrrhussieg für ihn, da er trotz Versorgungs- und Vergütungsvertrag keine Sicherheit hat, tatsächlich belegt zu werden. Die Entscheidung über Art, Dauer, Umfang, Beginn und Durchführung der Leistungen und somit über die Belegung einer Einrichtung liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Krankenkasse (siehe auch Abschnitt 2.4.1). Die Auswahl zwischen den Einrichtungen erfolgt zwar vor allem danach, welche Einrichtung die Leistung in der am besten geeigneten Form ausführen kann (§ 36 Abs. 2 SGB IX). Jedoch ist die Krankenkasse bei ihrer Entscheidung auch dem Wirtschaftlichkeitsgebot verpflichtet. Daraus folgt für Einrichtungen mit höheren Vergütungssätzen, dass sie erst belegt werden, wenn die preisgünstigeren Einrichtungen mit einem vergleichbaren Leistungsangebot keine Kapazitäten mehr haben. 224 Dieser Zusammenhang führt für den Einrichtungsträger zu einer „Gratwanderung“ zwischen Vergütungshöhe und Auslastung seiner Einrichtung. Die Regelung der Einzelheiten zur Durchführung der Vorsorge- und Rehabilitationsleistungen überlässt der Gesetzgeber den Krankenkassen und den Rentenversicherungsträgern. Die Rehabilitationsträger haben sich zu einer Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation e. V. zusammengeschlossen und gem. § 26 SGB IX Empfehlungen zur Rehabilitation abgegeben, wie beispielsweise eine Empfehlungsvereinbarung und Handlungsempfehlungen für die Rehabilitation psychisch kranker Menschen oder ein Gemeinsames Rahmenkonzept der Gesetzlichen Krankenkassen und der Gesetzlichen Rentenversicherung für die Durchführung stationärer medizinischer Leistungen der Vorsorge und Rehabilitation für Kinder und Jugendliche. 225 In derartigen Empfehlungen sind die Anforderungen an die ärztliche Leitung und die Qualifikation der anderen Fachkräfte, an den für den Patienten aufzustellenden Rehabilitationsplan, an die räumliche und apparative Ausstattung sowie die Vorgaben für die Inhalte der einzelnen Leistungen zu entnehmen. Wenn Physiotherapie, Logopädie oder andere Heilmittel von der Einrichtung erbracht werden, ist § 124 Abs. 3 SGB V zu beachten. Danach müssen die Personen, die die Dienstleistungen erbringen, über die erforderliche Ausbildung sowie die zur Führung der Berufsbezeichnung berechtigende Erlaubnis verfügen (siehe Abschnitt 2.3.1). Zudem müssen die Räume, Geräte und Einrichtungsgegenstände für die Leistungserbringung geeignet sein und die Einrichtung muss die für die Heilmittelversorgung geltenden Vereinbarungen, die auf Bundes- oder Landesebene geschlossen worden sind, anerkennen (vgl. Abschnitte 2.3.2.2 und 2.3.2.3). 223 Vgl. BSG, Urt. v. 23.7.2002, B 3 KR 63/ 01 R, BeckRS 2002, 30274189. 224 Vgl. BSG, Urt. v. 7.5.2013, B 1 KR 12/ 12 R, BSGE 113, 231 ff. 225 Vgl. Verschiedene Empfehlungen auf https: / / www.bar-frankfurt.de/ publikationen/ rahmenempfehlungen/ (Abruf am 29.6.2018). <?page no="145"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 145 Ferner können die Leistungen der medizinischen Vorsorge und Rehabilitation, zu denen sich die Einrichtung verpflichtet, in dem o. g. Versorgungsvertrag näher ausgestaltet werden. Wenn die Einrichtung ebenfalls ambulante (inkl. teilstationäre) Rehabilitationsleistungen zulasten der Krankenkassen erbringen möchte, benötigt sie einen weiteren Versorgungsvertrag, und zwar nach § 111c SGB V. Für diesen gelten im Wesentlichen die Parameter des o. g. Versorgungsvertrages ebenfalls. Die Einzelheiten des Vertrages nach § 111c SGB V finden Sie im Abschnitt 2.4.3.2. Für das Erbringen von ambulanten Vorsorgeleistungen ist gesetzlich kein weiterer Vertrag vorgesehen. Insoweit wird die Einrichtung auf kurärztliche Veranlassung tätig, vgl. dazu Abschnitt 2.4.4. 2.4.2.3 Die Leistungserbringung als Rehabilitationseinrichtung in der gesetzlichen Rentenversicherung Nach § 28 Abs. 1 SGB IX liegt es in der Verantwortung der Rentenversicherungsträger, ob die medizinische Rehabilitation durch trägereigene Einrichtungen oder durch Dritte erbracht wird, mit denen ein Belegungsvertrag nach § 38 SGB IX besteht (Vertragseinrichtungen). ❋ Wissen │ Belegungsvertrag Für den Belegungsvertrag der Vertragseinrichtung gelten nach § 38 SGB IX folgende Parameter: Vertragspartner: Träger der Einrichtung und der Rentenversicherungsträger 226 Voraussetzungen für den Vertragsschluss: Dem Rentenversicherungsträger ist ein Ermessen eingeräumt, ob er die medizinische Rehabilitation durch eigene Einrichtungen erbringt oder dafür frei-gemeinnützige oder private Einrichtungen in Anspruch nimmt (§ 28 Abs. 1 S. 1 SGB IX). Kriterien für die Ermessensausübung sind gem. § 28 Abs. 1 S. 3 SGB IX die Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung. Ferner muss der Rentenversicherungsträger beachten, dass er dafür Sorge zu tragen hat, dass fachlich und regional erforderliche Rehabilitationseinrichtungen in ausreichender Zahl und Qualität zur Verfügung stehen (§ 36 Abs. 1 SGB IX). Wenn sich der Rentenversicherungsträger für eine vertragliche Bindung einer fremden Einrichtung entscheidet, muss diese verschiedene Voraussetzungen erfüllen. 226 Rentenversicherungsträger sind: Deutsche Rentenversicherung Bund, Knappschaft-Bahn-See, Regionalträger der Deutschen Rentenversicherung, wie z. B. Deutsche Rentenversicherung Braunschweig-Hannover, vgl. § 125 SGB VI. <?page no="146"?> 146 Recht im Gesundheitswesen Die Behandlung der Versicherten muss unter ständiger ärztlicher Verantwortung stehen, es sei denn, die Art der Behandlung erfordert es nicht (§ 15 Abs. 2 SGB VI). Der Leiter der Einrichtung muss dagegen kein Arzt sein. 227 Ferner muss die Einrichtung über ausreichend geschultes Personal (§ 15 Abs. 2 SGB VI) und über ein zertifiziertes einrichtungsinternes Qualitätsmanagementsystem gem. § 37 Abs. 2, 3 SGB IX verfügen. 228 In der Praxis der Rentenversicherungsträger haben alle Rehabilitationseinrichtungen, die ihre Eignung für die Leistungserbringung nachweisen, einen Anspruch auf Abschluss des Vertrages. 229 Inhalt des Vertrages: Die Einrichtungen erbringen die Leistungen der medizinische Rehabilitation überwiegend stationär. Gleichzeitig können auch ambulante Leistungen vereinbart werden. Nach dem Gesetz soll der Vertrag insbesondere Regelungen über [1] Qualitätsanforderungen an die Ausführung der Leistungen, das beteiligte Personal und die begleitenden Fachdienste, [2] die Übernahme von Grundsätzen der Rehabilitationsträger zur Vereinbarung von Vergütungen, [3] Rechte und Pflichten der Teilnehmer an der Rehabilitationsmaßnahme, [4] angemessene Mitwirkungsmöglichkeiten der Teilnehmer an der Ausführung der Leistungen, [5] die Geheimhaltung personenbezogener Daten sowie [6] die Beschäftigung eines angemessenen Anteils behinderter, insbesondere schwerbehinderter Frauen, enthalten (§ 38 Abs. 1 SGB IX). Die Aufzählung ist nur beispielhaft, so dass die Vertragspartner einen weitergehenden Gestaltungsspielraum für den abzuschließenden Vertrag haben. Die Deutsche Rentenversicherung verwendet einen einheitlichen Basisvertrag. 230 Wirkungen des Vertrages: Der Vertragsschluss bewirkt, dass die Rehabilitationseinrichtung für die Dauer des Vertrages zur Versorgung der Versicherten mit vereinbarten (stationären und ambulanten) medizinischen Leistungen zur Rehabilitation berechtigt und im Rahmen ihrer Kapazität verpflichtet ist (§ 28 Abs. 1 S. 1 SGB IX). 227 Vgl. BeschlE zum Entwurf eines Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen (GRG), BTag-Drucks. 11/ 3480 S. 60. 228 Vgl. Vereinbarung der Rehabilitationsträger zum internen Qualitätsmanagement nach § 20 Abs. 2a SGB IX, http: / / www.bar-frankfurt.de/ rehabilitation-und-teilhabe/ qualitaet-in-derrehabilitation/ qualitaetsmanagement-und-zertifizierung/ (Abruf am 29.6.2018). 229 Vgl. Meyer-Hofmann, Bördner, Kruse, NZS 2018, 473 ff. m. H. a. Bundesvorstandsentscheidung der DRV v. 16.3.2017. 230 Basisvertrag abrufbar unter: https: / / www.deutscherentenversicherung.de/ Allgemein/ de/ Inhalt/ 2_Rente_Reha/ 02_reha/ 05_fachinformationen/ infos_fuer_reha_anbieter/ _dow nloads/ basisvertrag_pdf.html (Abruf am 4.5.2018). <?page no="147"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 147 Allerdings bewirkt der Vertrag keine Verpflichtung des Rentenversicherungsträgers, die Leistungen der Einrichtung in Anspruch zu nehmen. Er entscheidet über die konkrete Belegung im pflichtgemäßen Ermessen, welche Einrichtung die Leistung am besten ausführen wird (§ 36 Abs. 2 SGB IX). Die Einrichtung erlangt durch den Belegungsvertrag folglich nur ein Recht darauf, bei der Entscheidung des Rentenversicherungsträgers über Leistung des Versicherten berücksichtigt zu werden. Mit der Inanspruchnahme im konkreten Einzelfall entsteht schließlich der Anspruch der Einrichtung auf Zahlung der vereinbarten Vergütung. Kündigung des Vertrages: Öffentlich-rechtliche Verträge können gem. § 59 SGB X gekündigt werden. Im Übrigen kann die Kündigungsmöglichkeit für beide Seiten vertraglich geregelt werden. Als Vergütung vereinbaren die Vertragseinrichtung und der Rentenversicherungsträ ge r in der Regel einrich tungsspe zifisc he pauschalie rte Tages s ä tze . Im Hin blick auf die Vergütungshöhe müssen sie folgende gesetzlichen Grundsätze beachten: Die Vergütungssätze müssen angemessen sein (§ 36 Abs. 2 S. 3, § 51 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB IX). Das bedeutet, dass die Vergütungshöhe die Einrichtung in die Lage versetzen muss, ihre Leistungen, zu denen sie sich verpflichtet, finanzieren zu können. Das angemessene Verhältnis zwischen der Leistung und der Vergütung als Gegenleistung beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalls. Dazu gehören insbesondere die gemeinsam definierten Ziele, die vereinbarten Therapiekonzepte und -standards sowie Maßnahmen und Ergebnisse der Qualitätssicherung. 231 Die Forderung nach der Angemessenheit der Vergütung ist jedoch nicht damit gleichzusetzen, dass die Vergütung alle Kosten der Einrichtung deckt. Es gelten die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit (§ 36 Abs. 2 S. 3, § 51 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB IX). In diesem Sinne muss die Einrichtung ihre notwendigen Aufwendungen für Personalkosten, für Sachkosten, wie z. B. Energie, für medizinische Geräte sowie für Investition finanzieren sowie einen Gewinn erzielen können. Hinsichtlich der Personalkosten ist gesetzlich klargestellt, dass bei Zahlung von tarifvertraglich vereinbarten Arbeitsentgelten diese bei der Bemessung der Vergütung zu berücksichtigen sind (§ 38 Abs. 2 SGB IX). Allerdings hat die Einrichtung keinen Anspruch darauf, dass alle Betriebs- und Investitionskosten refinanziert werden. Eine unwirtschaftliche Betriebsführung kann zu nicht gedeckten Kosten und somit letztlich zu einem unternehmerischen Verlust führen. Ferner müssen die Rentenversicherungsträger die gesetzlich vorgegebene Steigerungsrate der Ausgaben für die Leistungen der Teilhabe, zu denen die medizinische Rehabilitation gehört, beachten. Gem. § 220 Abs. 1 S. 1 SGB VI dürfen die jährlichen Ausgaben für die Leistungen der Teilhabe nur entsprechend der voraussichtlichen Entwicklung der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer multipliziert mit der Demografiekomponente gem. § 287b Abs. 3 SGB VI festgesetzt werden. 231 Vgl. Seiter, Hubert, DRV Baden-Württemberg, 18.2.2011, zitiert nach Wilke, NZS 2012, 444 ff. [446]. <?page no="148"?> 148 Recht im Gesundheitswesen Für die Eigeneinrichtungen des Rentenversicherungsträgers gelten die Bestimmungen des Belegungsvertrages bzgl. der Qualitätsanforderungen an die Ausführung der Leistungen, das beteiligte Personal und die begleitenden Fachdienste, der Rechte, Pflichten und Mitwirkungsmöglichkeiten der Rehabilitanden, der Geheimhaltung personenbezogener Daten sowie der Beschäftigung von behinderten Frauen, die der Rentenversicherungsträger mit Vertragseinrichtungen vereinbart, gem. § 38 Abs. 4 SGB IX ebenfalls. Insoweit müssen die trägereigenen Einrichtungen folglich die gleichen Anforderungen wie die Vertragseinrichtungen erfüllen. Die trägereigenen Einrichtungen werden aus den Einnahmen des Rentenversicherungsträgers (Beitragseinnahmen, Zuschüsse etc.) finanziert. Die Ausgaben für die Einrichtungen kann der Rentenversicherungsträger eigenständig unter Beachtung der Vorgaben in §§ 219-221 SGB VI verwalten. Insbesondere dürfen Mittel für die Errichtung, die Erweiterung und den Umbau von Gebäuden der Eigeneinrichtungen nur aufgewendet werden, wenn diese Vorhaben auch unter Berücksichtigung des Gesamtbedarfs aller Träger der Rentenversicherung erforderlich sind. Die konkrete Belegungsentscheidung, welche Rehabilitationseinrichtung die medizinische Rehabilitation für den einzelnen Versicherten erbringt, muss der Rentenversicherungsträger nach pflichtgemäßem Ermessen treffen (§ 13 Abs. 1 S. 1 SGB VI). Bei der Ermessensausübung hat er gem. § 36 Abs. 2 SGB IX folgende Kriterien zu beachten: Abb. 27: Gesetzliche Kriterien der Ermessensausübung (§ 36 Abs. 2 SGB IX) Welche Einrichtung führt die Rehabilitationsmaßnahme am besten aus? Eignung der Einrichtung Einrichtung mit angemessenem und wirtschaftlichem Vergütungssatz Beachtung der Selbstständigkeit, des Selbstverständnisses und der Unabhängigkeit der Einrichtungsträger Wahrung der Vielfalt der Einrichtungsträger Berücksichtigung freigemeinnütziger Träger <?page no="149"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 149 Die Regelung der Einzelheiten zur Durchführung der Rehabilitationsleistungen überlässt der Gesetzgeber den Rehabilitationsträgern. Diese haben sich zu einer Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation e. V. zusammengeschlossen und gem. § 26 SGB IX Empfehlungen zur Rehabilitation abgegeben, wie beispielsweise eine Empfehlungsvereinbarung und Handlungsempfehlungen für die Rehabilitation psychisch kranker Menschen oder ein Gemeinsames Rahmenkonzept der Gesetzlichen Krankenkassen und der Gesetzlichen Rentenversicherung für die Durchführung stationärer medizinischer Leistungen der Vorsorge und Rehabilitation für Kinder und Jugendliche. 232 In derartigen Empfehlungen sind die Anforderungen an die ärztliche Leitung und die Qualifikation der anderen Fachkräfte, an den für den Patienten aufzustellenden Rehabilitationsplan, an die räumliche und apparative Ausstattung sowie die Vorgaben für die Inhalte der einzelnen Leistungen zu entnehmen. Ferner können die Rehabilitationsleistungen, zu denen sich die Einrichtung verpflichtet, in dem o. g. Belegungsvertrag näher ausgestaltet werden. 2.4.2.4 Anforderungen an das Qualitätsmanagement und die Qualitätssicherung in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung Die Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen sind gem. § 135a Abs. 2 SGB V und § 37 Abs. 2 SGB IX verpflichtet, ein einrichtungsinternes Qualitätsmanagement zu betreiben. Ein Qualitätsmanagement umfasst alle zielgerichteten und systematischen Verfahren und Maßnahmen, durch die die Qualität der Versorgung gewährleistet und kontinuierlich verbessert wird (vgl. § 37 Abs. 2 S. 1 SGB IX). Es handelt sich um ein systematisches Vorgehen, um die Strukturqualität (personelle und sachliche Ausstattung, bauliche Gegebenheiten sowie Aufbauorganisation der Einrichtung), Prozessqualität (Ablauforganisation, Art und Weise der Leistungserbringung), Ergebnisqualität (erreichte Behandlungsziele und Patientenzufriedenheit) der Patientenversorgung gezielt zu beeinflussen. Die Rehabilitationseinrichtungen sind zudem verpflichtet, ihr einrichtungsinternes Qualitätsmanagementsystem zertifizieren zu lassen, weil der Abschluss und die Aufrechterhaltung des Versorgungsvertrages eine solche Zertifizierung voraussetzt (§ 40 Abs. 2 S. 1 SGB V i. V. m. § 37 Abs. 2, 3 SGB IX). Für den Belegungsvertrag zwischen der Rehabilitationseinrichtung und dem Rentenversicherungsträger gilt das ebenfalls (§ 37 Abs. 2, 3 SGB IX). Anders verhält es sich bei Einrichtungen, die keine Rehabilitation, sondern ausschließlich Vorsorgeleistungen in gesetzlichen Krankenversicherungen erbringen. Die Vorsorgeeinrichtungen müssen ihr Qualitätsmanagement aller drei Jahre ei- 232 Vgl. Verschiedene Empfehlungen auf https: / / www.bar-frankfurt.de/ publikationen/ rahmenempfehlungen/ (Abruf am 29.6.2018). <?page no="150"?> 150 Recht im Gesundheitswesen ner Selbstbewertung unterziehen und dokumentieren (§§ 4b, 4c der Vereinbarung nach § 137d SGB V 233 ). Die nähere Ausgestaltung der gesetzlichen Vorgaben überlässt der Gesetzgeber den Spitzenverbänden der Beteiligten, die insbesondere folgende Vereinbarungen getroffen haben: Gemeinsame Empfehlung der Rehabilitationsträger zur Qualitätssicherung nach § 20 Abs. 1 SGB IX 234 , Vereinbarung der Rehabilitationsträger zum internen Qualitätsmanagement nach § 20 Abs. 2a SGB IX 235 , Vereinbarung zur externen Qualitätssicherung und zum einrichtungsinternen Qualitätsmanagement, die der GKV-Spitzenverband mit den Spitzenorganisationen der Einrichtungen auf Bundesebene geschlossen hat (Vereinbarung nach § 137d SGB V 236 ). Zudem sind alle Erbringer von stationären Vorsorge- oder Rehabilitationsmaßnahmen verpflichtet, sich an der externen Qualitätssicherung zu beteiligen. Das folgt für die Vorsorge- und Rehabilitationskliniken in der gesetzlichen Krankenversicherung aus § 135a Abs. 2 SGB V und für die Rehabilitationskliniken in der gesetzlichen Rentenversicherung aus § 37 Abs. 1 SGB IX. In beiden Versicherungszweigen gibt es ein eigenes Qualitätssicherungsverfahren. Jede Einrichtung bzw. ihre einzelnen Fachabteilungen nehmen nur an einem Qualitätssicherungsverfahren teil, und zwar an dem ihres Hauptbelegers. 237 Das Qualitätssicherungsprogramm der gesetzlichen Krankenversicherung wird als QS-Reha®-Verfahren 238 bezeichnet. Im Rahmen des Programms werden bestimmte Daten der Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität sowie der Patientenzufriedenheit durch Erhebungsbögen, die die Einrichtung und der Patient ausfüllen, und durch ggf. stattfindenden Visitationen erfasst. Auf der Grundlage der Daten werden die Einrichtungen miteinander verglichen. Die Ergebnisse der Qualitätssicherung erhalten sowohl die Einrichtung als auch die Krankenkassen. Bei Auffälligkeiten findet ein Qualitätsdialog zwischen der Einrichtung und den Kassenverbänden statt, in dem der Verbesserungsbedarf mit Hinweisen, Mitteilungen, Ge- 233 Vgl. Vereinbarung zur externen Qualitätssicherung und zum einrichtungsinternen Qualitätsmanagement in der stationären und ambulanten Rehabilitation und der stationären Vorsorge nach § 137d Absätze 1, 2 und 4 SGB V, https: / / www.gkvspitzenverband.de/ krankenversicherung/ rehabilitation/ rehabilitation_qualitaetsmanagement/ rehabilitation_qualitaets management.jsp (Abruf am 29.6.2018). 234 Vgl. https: / / www.bar-frankfurt.de/ publikationen/ gemeinsame-empfehlungen/ (Abruf am 29.6.2018). 235 Vgl. https: / / www.bar-frankfurt.de/ publikationen/ rahmenempfehlungen/ (Abruf am 29.6.2018). 236 Vgl. https: / / www.gkv-spitzenverband.de/ krankenversicherung/ rehabilitation/ rehabilitation_qualitaetsmanagement/ rehabilitation_qualitaetsmanagement.jsp (Abruf am 29.6.2018). 237 Vgl. Ziffern 7, 8 der Vereinbarung des GKV-Spitzenverbandes und der Träger der Deutschen Rentenversicherung über die weitere Zusammenarbeit in der Qualitätssicherung der medizinischen Rehabilitation vom Oktober 2013, https: / / www.gkvspitzenverband.de/ krankenversicherung/ rehabilitation/ rehabilitation_qualitaetsmanagement/ rehabilitation_qualitaets management.jsp (Abruf am 29.6.2018). 238 Nähere Informationen unter: http: / / www.qs-reha.de/ startseite/ startseite.jsp (Abruf am 29.6.2018). <?page no="151"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 151 sprächen oder einer Zielvereinbarung herausgearbeitet wird (vgl. §§ 5 ff. der Vereinbarung nach § 137d SGB V). Das „Reha-Qualitätssicherung der Rentenversicherung“ erfasst sowohl die eigenen Einrichtungen der Rentenversicherungsträger als auch die vertraglich gebundenen Einrichtungen, für die die Rentenversicherungsträger die Hauptbeleger sind. Bei diesem Qualitätssicherungsprogramm geht es ebenfalls um eine Analyse der Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität sowie der Patientenzufriedenheit und eine entsprechende Rückmeldung an die Einrichtung. Dafür werden wie in der gesetzlichen Krankenversicherung Erhebungs- und Fragebögen zu den Einrichtungsmerkmalen, Therapiekonzepten und Behandlungsverläufen verwendet. Darüber hinaus kommen weitere Instrumente zum Einsatz: 239 So werden zum Qualitätsvergleich Peer-Review-Verfahren durchgeführt, in deren Rahmen Therapiepläne und Entlassungsberichte begutachtet werden. Als Teil der Qualitätssicherung werden Therapiestandards für definierte Patientenklassen eines Indikationsbereichs entwickelt, die Empfehlungen für die Behandlung spezifischer Patientenklassen geben und somit einer zielorientierten und wissenschaftlichen Rehabilitation dienen. Ferner werden die Leistungen, die ein Rehabilitand erhält, in eine Klassifikation therapeutischer Leistungen eingeordnet, so dass das therapeutische Leistungsspektrum der Einrichtung sowohl für sie selbst als auch für den Rentenversicherungsträger transparent ist. 2.4.3 Rechtsstellung eines Rehabilitationsdienstes 2.4.3.1 Begriff des Rehabilitationsdienstes Der Leistungserbringer einer ambulanten (inkl. teilstationären) Rehabilitationsmaßnahme wird im Rehabilitationsrecht als Rehabilitationsdienst bezeichnet (siehe z. B. § 36 SGB IX). In der Praxis ist auch der Begriff des Rehabilitationszentrums anzutreffen. Im SGB V ist die Begrifflichkeit ungenau, weil sowohl die ambulanten als auch die stationären Leistungserbringer als Rehabilitationseinrichtung bezeichnet werden. Die gesetzliche Definition einer Rehabilitationseinrichtung in § 107 Abs. 2 SGB V schließt jedoch ein, dass „Patienten untergebracht und verpflegt werden können“. Genau darin unterscheiden sich jedoch die (voll-)stationären und ambulanten Leistungen. Deshalb wird nachfolgend der aus dem SGB IX folgende Begriff des Rehabilitationsdienstes verwendet. Das Team eines Rehabilitationsdienstes setzt sich entsprechend den indikationsspezifischen Anforderungen interdisziplinär zusammen. Die Leitung und Verantwortung der Rehabilitation muss in den Händen eines Arztes mit der Gebietsbezeichnung der Hauptindikation des Rehabilitationsdienstes liegen. Ferner wirken nichtärztliche Fachkräfte, wie z. B. Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Logopä- 239 Vgl. Farin-Glattacker, Jäckel, Rehabilitation in Orthopädie und Unfallchirurgie, S. 372 ff. sowie https: / / www.deutsche-rentenversicherung.de/ Allgemein/ de/ Navigation/ 3_Infos_fuer_Experten/ 01_Sozialmedizin_Forschung/ 02_reha_qualitaetssicherung/ reha_qualitaetssicherung_index_node.html (Abruf am 29.6.2018). <?page no="152"?> 152 Recht im Gesundheitswesen den, Sozialpädagogen, Diätassistenten und Sporttherapeuten, an der Rehabilitation mit. 240 2.4.3.2 Versorgungsberechtigung und Vergütung in der gesetzlichen Krankenversicherung Der Rehabilitationsdienst erlangt seine Berechtigung, gesetzlich Versicherte zu versorgen, durch einen Versorgungsvertrag nach § 111c SGB V. Die nachfolgenden Parameter des Vertrages gelten für eine (stationäre) Rehabilitationseinrichtung, die ambulante Leistungen anbieten möchte, ebenfalls. ❋ Wissen │ Versorgungsvertrag mit dem Rehabilitationsdienst Für den Versorgungsvertrag mit dem Rehabilitationsdienst über ambulante Rehabilitationsleistungen gelten gem. § 111c SGB V folgende Parameter: Vertragspartner: Die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen gemeinsam schließen den Vertrag mit einem Rehabilitationsdienst (§ 111c Abs. 1 S. 1 SGB V). Form: Schriftform (§ 111c Abs. 2 S. 2 i. V. m. 109 Abs. 1 S. 1 SGB V) Voraussetzungen für den Vertragsschluss: Der Vertrag mit einer Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtung über ambulante Rehabilitationsleistungen setzt voraus, dass mit dieser bereits ein Versorgungsvertrag nach § 111 SGB V über die stationären Leistungen abgeschlossen wurde (siehe Abschnitt 2.4.2.2). Das Vorliegen eines solchen Versorgungsvertrages wird dagegen für den Rehabilitationsdienst, der wohnortnahe Rehabilitationsleistungen für die Versicherten erbringt, nicht verlangt (§ 111c Abs. 1 S. 2 SGB V). Gem. § 111c Abs. 1 S. 1 SGB V darf der Versorgungsvertrag nur abgeschlossen werden, wenn der Dienst leistungsfähig und wirtschaftlich ist. Leistungsfähigkeit bedeutet zum einen, dass der Dienst die Voraussetzungen des § 107 Abs. 2 Nr. 2 SGB V (z. B. die ständige ärztliche Verantwortung, vorwiegende Anwendung von Heilmitteln, Vorgehen nach Behandlungsplan) erfüllt. 241 Zum anderen muss der Dienst über ausreichende personelle, sachliche und räumliche Mittel verfügen, um sein ambulantes Leistungsangebot zu erbringen und dieses muss den dem allgemein anerkannten Stand der medizinisch-pflegerischen Erkenntnisse entsprechen. 242 Bei der Wirtschaftlichkeit geht es um die Frage, ob der Rehabilitationsdienst mit der voraussichtlich zu erzielenden Vergütung in der Lage ist, seine Investitions-, Personal- und Sachkosten zu decken. 240 Vgl. zu den personellen Anforderungen die BAR-Rahmenempfehlung zur ambulanten medizinischen Rehabilitation - Allgemeiner Teil, Abschnitte 9.5 und 9.6, https: / / www.barfrankfurt.de/ publikationen/ broschueren-med-reha/ (Abruf am 29.6.2018). 241 Vgl. BSG, Urt. v. 5.7.2000, B 3 KR 12/ 99 R, NZS 2001, 357 ff. [360], BSG, Urt. v. 1.9.2005, B 3 KR 3/ 04 R, NZS 2006, 485 ff. [487]. 242 Vgl. BSG, Urt. v. 23.7.2002, B 3 KR 63/ 01 R, BeckRS 2002, 32074189; BAR-Rahmenempfehlung zur ambulanten medizinischen Rehabilitation - Allgemeiner Teil, https: / / www.barfrankfurt.de/ publikationen/ broschueren-med-reha/ (Abruf am 29.6.2018). <?page no="153"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 153 Ferner ist eine Gewinnerzielung nicht ausgeschlossen. Andererseits dürfen keine Anhaltspunkte gegeben sein, dass den Patienten aus wirtschaftlichen Gründen notwendige Leistungen vorenthalten werden. Insoweit muss der Dienst ein plausibles Konzept haben. Dagegen kommt es für den Vertragsschluss nicht auf die konkrete Höhe des kalkulierten Tagessatzes an, weil dieser erst in der nachgelagerten Vergütungsvereinbarung festgelegt wird (vgl. § 111c Abs. 3 SGB V). Ferner muss ein Bedarf für die ambulante Leistungserbringung durch den Dienst bestehen. Dieses Kriterium ist nicht als Höchst-, sondern als Mindestbedarf zu sehen. Die Krankenkassen müssen gem. § 36 Abs. 1 SGB IX dafür sorgen, dass die fachlich und regional erforderlichen Rehabilitationseinrichtungen und -dienste in ausreichender Zahl und Qualität zur Verfügung stehen. Da sie über die dem Versicherten im Einzelfalls zu gewährende Rehabilitationsmaßnahme entscheiden, trägt der Leistungserbringer das Belegungsrisiko. Deshalb ist es unter Berücksichtigung der grundrechtlich geschützten Berufsfreiheit der Leistungserbringer nicht gerechtfertigt, leistungsfähige und wirtschaftliche Dienste von der Versorgung vollständig auszuschließen. 243 Beteiligung der für die Krankenhausplanung zuständigen Landesbehörde: Die Wirksamkeit des Versorgungsvertrages ist (anders als bei den Krankenhäusern) nicht von der Genehmigung der Planungsbehörde abhängig. Ihr Einvernehmen ist gem. § 111c Abs. 2 S. 5 SGB V nur anzustreben. Das bedeutet, dass die Planungsbehörde lediglich ein „verfahrensrechtliches Beteiligungsrecht“ 244 hat. Der Vertrag kommt auch ohne ihr Einvernehmen zustande. Mindestinhalt des Vertrages: Der Vertrag muss mindestens die Art, den Inhalt und Umfang der Leistungen festlegen, die der Rehabilitationsdienst für die Versicherten erbringen muss. 245 Wirkungen des Vertrages: Der Vertragsschluss bewirkt, dass der Rehabilitationsdienst für die Dauer des Vertrages zur Versorgung der Versicherten mit ambulanten Leistungen zur Rehabilitation berechtigt und im Rahmen seiner Kapazität auch verpflichtet ist (§ 111c Abs. 2 S. 3 SGB V). Der Vertrag ist für die vertragsschließenden Krankenkassen und die Mitgliedskassen der vertragsschließenden Landesverbände verbindlich (§ 111c Abs. 1 S. 1 SGB V). Andere Landesverbände der Krankenkassen oder Ersatzkassen können dem Vertrag beitreten (§ 111c Abs. 2 S. 2 SGB V). Allerdings bewirkt der Vertrag keine Verpflichtung der Krankenkassen, die Leistungen der Einrichtung in Anspruch zu nehmen. Über die Belegung entscheidet die Krankenkasse im pflichtgemäßen Ermessen nach den medizinischen Erfordernissen des Einzelfalls. 243 Vgl. BSG, Urt. v. 23.7.2002, B 3 KR 63/ 01 R, BeckRS 2002, 32074189. 244 BSG, Urt. v. 5.7.2000, B 3 KR 12/ 99 R, NZS 2001, 357 ff. [358]. 245 Vgl. Krauskopf, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung Kommentar, § 111c SGB V Rn. 3. <?page no="154"?> 154 Recht im Gesundheitswesen Mit Abschluss des Versorgungsvertrages erwirbt die Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtung einen Anspruch darauf, dass die vertragsschließenden Krankenkassen und die Mitgliedskassen der Landesverbände mit ihr über die Vergütung (bei Belegung) eine Vereinbarung schließen (§ 111c Abs. 3 SGB V). Kündigungsmöglichkeit: Der Vertrag kann von den Landesverbänden der Krankenkassen und Ersatzkassen gemeinsam mit einer Frist von einem Jahr gekündigt werden, wenn die o. g. Voraussetzungen nicht mehr vorliegen (§ 111c Abs. 2 S. 4 SGB V). Bzgl. der Kündigung ist wie bei Vertragsschluss das Einvernehmen mit der Planungsbehörde anzustreben (§ 111c Abs. 2 S. 5 SGB V). Für den Dienst ist keine Kündigungsmöglichkeit in § 111c SGB V geregelt. Eine solche ergibt sich indes aus § 59 SGB X, der für alle öffentlichrechtlichen Verträge gilt. Die Vereinbarung über die Vergütung schließt der Träger des Rehabilitationsdienstes im Unterschied zum Versorgungsvertrag nicht mit den Krankenkassenverbänden, sondern mit den einzelnen Krankenkassen (§ 111c Abs. 3 SGB V). Für die Bemessung der Vergütungshöhe gelten die im Abschnitt 2.4.2.2 genannten Grundsätze ebenfalls. Wenn sich die Vertragsparteien nicht einigen können, so wird die Vergütung von der Landesschiedsstelle gem. § 111b SGB V festgesetzt. 2.4.3.3 Versorgungsberechtigung und Vergütung in der gesetzlichen Rentenversicherung Anders als bei den Rehabilitationseinrichtungen betreiben die Rentenversicherungsträger keine eigenen Rehabilitationsdienste. Ein Rehabilitationsdienst muss mit dem Rentenversicherungsträger einen Belegungsvertrag nach § 38 SGB IX abschließen, um ambulante Rehabilitationsleistungen für die Versicherten anbieten zu können. Die im Abschnitt 2.4.2.3 erläuterten Parameter für den Belegungsvertrag gelten mit einer Ausnahme für den Rehabilitationsdienst ebenfalls. Im Unterschied zur Rehabilitationseinrichtung muss der Rehabilitationsdienst sein einrichtungsinternes Qualitätsmanagement nicht zertifizieren lassen (Umkehrschluss aus § 37 Abs. 2 S. 2 SGB IX). Die im Abschnitt 2.4.2.3 erläuterten Grundsätze für die Bemessung der Vergütung der Vertragseinrichtungen gelten für den Rehabilitationsdienst ebenfalls. 2.4.3.4 Leistungserbringung in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung Die Entscheidung über Art, Dauer, Umfang, Beginn und Durchführung der Rehabilitationsleistungen liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Krankenkasse bzw. des Rentenversicherungsträgers (siehe Abschnitt 2.4.1.3). Deshalb hat der Rehabilitationsdienst trotz seiner Versorgungsberechtigung keine Sicherheit, dass er Leistungen für die Versicherten erbringen kann. Das Risiko einer zu geringen Auslastung trägt er. <?page no="155"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 155 Die nähere Ausgestaltung der Rehabilitationsleistungen überlässt der Gesetzgeber den Rehabilitationsträgern (§ 26 SGB IX). Diese haben sich zu einer Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation e. V. zusammengeschlossen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft hat Rahmenempfehlungen zur ambulanten medizinischen Rehabilitation beschlossen, und zwar einen allgemeinen Teil, der für alle Indikationen gilt, sowie indikationsspezifische Empfehlungen zu muskuloskeletalen Erkrankungen, neurologischen Erkrankungen, kardiologischen Erkrankungen, psychischen und psychosomatischen Erkrankungen, onkologischen Erkrankungen, dermatologischen Erkrankungen, pneumologischen Erkrankungen. 246 Diesen Empfehlungen sind die Anforderungen an die ärztliche Leitung und die Qualifikation der anderen Fachkräfte, an den für den Patienten aufzustellenden Rehabilitationsplan, an die räumliche und apparative Ausstattung sowie an die Vorgaben für die Inhalte der einzelnen Leistungen zu entnehmen. Zudem ist im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung § 124 Abs. 3 SGB V zu beachten, wenn Physiotherapie, Logopädie oder andere Heilmittel vom Rehabilitationsdienst erbracht werden. Nach dieser Vorschrift müssen die Personen, die die Dienstleistungen erbringen, über die erforderliche Ausbildung sowie die zur Führung der Berufsbezeichnung berechtigende Erlaubnis verfügen (siehe Abschnitt 2.3.1). Zudem müssen die Räume, Geräte und Einrichtungsgegenstände für die Leistungserbringung geeignet sein und die Einrichtung muss die für die Heilmittelversorgung geltenden Vereinbarungen, die auf Bundes- oder Landesebene geschlossen worden sind, anerkennen (vgl. Abschnitte 2.3.2.2 und 2.3.2.3). Der Rehabilitationsdienst ist gem. § 135a Abs. 2 SGB V und § 37 Abs. 2 SGB IX verpflichtet, ein einrichtungsinternes Qualitätsmanagement zu betreiben, das er aller drei Jahre einer Selbstbewertung unterziehen und dokumentieren muss (§§ 4b, 4c der Vereinbarung nach § 137d SGB V 247 ). Ferner ist er nach § 135a Abs. 2 SGB V und § 37 Abs. 1 SGB IX verpflichtet, sich an der externen Qualitätssicherung in gesetzlichen Kranken- oder Rentenversicherungen zu beteiligen. Die Erläuterungen für die Rehabilitationseinrichtung im Abschnitt 2.4.2.4 gelten für den Rehabilitationsdienst ebenfalls. 246 Rahmenempfehlungen zur ambulanten medizinischen Rehabilitation, Allgemeiner Teil und die indikationsspezifischen Rahmenempfehlungen unter https: / / www.barfrankfurt.de/ publikationen/ rahmenempfehlungen/ (Abruf am 29.6.2018). 247 Vgl. Vereinbarung zur externen Qualitätssicherung und zum einrichtungsinternen Qualitätsmanagement in der stationären und ambulanten Rehabilitation und der stationären Vorsorge nach § 137d Absätze 1, 2 und 4 SGB V, https: / / www.gkv-spitzenverband.de/ krankenversicherung/ rehabilitation/ rehabilitation_qualitaetsmanagement/ rehabilitation_qualitaets management.jsp (Abruf am 29.6.2018). <?page no="156"?> 156 Recht im Gesundheitswesen 2.4.4 Erbringer von ambulanten medizinischen Vorsorgeleistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung Die ambulante medizinische Vorsorge am Wohnort wird in der Regel in Verbindung mit der ärztlichen Behandlung erbracht, indem der Vertragsarzt weitere notwendige Maßnahmen - wie z. B. Physiotherapie - verschreibt. Damit verliert sie den in § 23 Abs. 1 SGB V beschriebenen Charakter einer Komplexleistung und ist letztlich eine aus Einzelleistungen bestehende sekundärpräventive Behandlung. Die Einzelleistungen werden von den zugelassenen Vertragsärzten (vgl. Abschnitt 2.1), Heilmittelerbringern (vgl. Abschnitt 2.3), Hilfsmittelerbringern (vgl. Abschnitt 2.7) und Apotheken (vgl. Abschnitt 2.11) erbracht. Die ambulante medizinische Vorsorge am Kurort gem. § 23 Abs. 2 SGB V wird in der Verantwortung von sog. Kurärzten erbracht. An der kurärztlichen Behandlung können Ärzte teilnehmen, die durch eine Weiterbildung die Zusatzbezeichnung Kur- oder Badearzt oder Physikalische Therapie und Balneologie erworben haben. Diese und weitere Voraussetzungen sind in § 9 Abs. 1 Kurarztvertrag (Anlage 25 des BMV-Ä 248 ) geregelt. Über die Teilnahme an der kurärztlichen Tätigkeit entscheidet die für den Kurort zuständige Kassenärztliche Vereinigung (§ 9 Abs. 2 Kurarztvertrag). Die Tätigkeit des Kurarztes umfasst gem. § 3 Kurarztvertrag folgende Tätigkeiten: Anamneseerhebung und Untersuchung des Patienten, Beratung und Motivierung zu ggf. notwendigen verhaltenspräventiven Maßnahmen (z. B. Raucherentwöhnung, Ernährungsberatung), Aufstellen eines individuellen Vorsorgeplans, Verordnung der notwendigen (kurortspezifischen) Heilmittel, z. B. Maßnahmen der physikalischen Therapie, Physiotherapie, Überwachung und Kontrolluntersuchungen, Abschlussuntersuchung mit Beurteilung der Ergebnisse der Maßnahmen, Abschlussbericht über die durchgeführten Maßnahmen sowie deren Ergebnisse und Abgabe von spezifischen Empfehlungen für weitere Maßnahmen am Wohnort. Die Anforderungen an die Kurarztbehandlung sowie deren Vergütung sind ebenfalls im Kurarztvertrag geregelt. Die vom Kurarzt veranlassten (kurortspezifischen) Heilmittel werden entweder von selbständigen Physiotherapeuten, Masseuren, Ergotherapeuten und anderen Heilmittelerbringern oder von ambulanten Therapiezentren, die entsprechendes Personal für die Heilmittelanwendungen beschäftigen, oder als ambulante Leistung von Vorsorgeeinrichtungen erbracht. Die Vertragsärzte und anderen Leistungserbringer der medizinischen Vorsorge sind gem. § 135a Abs. 2 SGB V verpflichtet, ein einrichtungsinternes Qualitätsmanagement 248 Vertrag über die kurärztliche Behandlung zwischen der KBV und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen v. 1.7.2013 i. d. F. v. 1.1.2015, http: / / www.kbv.de/ media/ sp/ 25_Kurarztvertrag.pdf (Abruf am 29.6.2018). <?page no="157"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 157 zu betreiben. Zu den Anforderungen an das Qualitätsmanagement hat der GKV- Spitzenverband mit der KBV und den maßgeblichen Bundesverbänden der Leistungserbringer gem. § 137d Abs. 3 SGB V eine Vereinbarung 249 geschlossen. 2.4.5 Behandlungsvertrag mit dem Patienten Gegenstand des in den §§ 630a ff. BGB geregelten Behandlungsvertrages ist die medizinische Behandlung eines Menschen. Eine solche Behandlung umfasst alle „Maßnahmen und Eingriffe am Körper eines Menschen, um Krankheiten, Leiden, Körperschäden, körperliche Beschwerden oder seelische Störungen nicht krankhafter Natur zu verhüten, zu erkennen, zu heilen oder zu lindern“. 250 Relevant ist nicht nur die ärztliche, sondern auch die nichtärztliche Heilbehandlung durch z. B. Masseure und medizinische Bademeister, Ergotherapeuten, Logopäden, Physiotherapeuten. 251 Da sowohl die medizinische Vorsorge als auch medizinische Rehabilitation Komplexleistungen sind, die vor allem eine ärztliche Behandlung und Heilmittel einschließen, ist der Vertrag zwischen dem Leistungserbringer und dem Patienten als Behandlungsvertrag zu qualifizieren. Zudem besteht der Vertrag zu allen Patienten, nicht nur zum Selbstzahler. Eine besondere Form ist für den Behandlungsvertrag nicht vorgesehen, so dass er auch konkludent zustande kommen kann. Die Rechte und Pflichten der Vertragspartner ergeben sich aus den gesetzlichen und vertraglichen Regelungen. Eine zentrale Bedeutung hat die Behandlungspflicht der Einrichtung oder des Dienstes gem. § 630a BGB. Bei der medizinische Vorsorge und Rehabilitation handelt es sich um Komplexleistungen, mit denen der Gesundheitszustand des Patienten auf der Grundlage eines ärztlichen Behandlungsplans vorwiegend durch Anwendung von Heilmitteln einschließlich Krankengymnastik, Bewegungs-, Sprach-, Arbeits- und Beschäftigungstherapie sowie durch andere geeignete Hilfen verbessern und dem Patienten bei der Entwicklung eigener Abwehr- und Heilungskräfte helfen sollen (vgl. § 107 Abs. 2 Nr. 2 SGB V). Angesichts dieser Zielrichtung haben die nichtärztlichen therapeutischen Leistungen im Rahmen einer Vorsorge- oder Rehabilitationsmaßnahme ein stärkeres Gewicht als bei einer Krankenbehandlung, in deren Mittelpunkt die ärztliche Behandlung steht. Zudem spielt - vor allem bei der Vorsorge und Rehabilitation im psychiatrischen und psychosomatischen Bereich - der krankenhausspezifische apparative Einsatz eine geringere Bedeutung. 252 Letztlich ergibt sich der Umfang der Behandlungspflicht aus der Art der Erkrankung und den Fähigkeitseinschränkungen des Patienten sowie aus der standardgerechten Behandlungsmethode. 249 Vereinbarung nach § 137d Abs. 3 SGB V zu den grundsätzlichen Anforderungen an ein (einrichtungs-) internes Qualitätsmanagement für die Erbringung von ambulanten Vorsorgeleistungen nach § 23 Abs. 2 SGB V, unter http: / / www.kbv.de/ media/ sp/ Anforderungen_internes_QM.pdf. (Abruf am 29.6.2018). 250 RegE eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten, BTag-Drucks. 17/ 10488, S. 17. 251 Vgl. RegE eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten, BTag-Drucks. 17/ 10488, S. 18. 252 Vgl. BSG, Urt. v. 20.1.2005, B 3 KR 9/ 03 R, BSGE 94, 139 ff. [142 f.]. <?page no="158"?> 158 Recht im Gesundheitswesen Des Weiteren bestehen seitens der Leistungserbringer Aufklärungs-, Schweige- und Dokumentationspflichten; insoweit wird auf die Erläuterungen in den Abschnitten 2.1.4 und 2.3.3 verwiesen. Für die Behandlung im Rahmen der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung zahlt die Krankenkasse bzw. der Rentenversicherungsträger des Patienten die Vergütung an den Leistungserbringer (vgl. Abschnitte 2.4.2.2, 2.4.2.3, 2.4.3.2 und 2.4.3.3). Der gesetzlich versicherte volljährige Patient muss eine Zuzahlung leisten. Diese fällt nicht für jede Einzelleistung, sondern für die Behandlungstage an, da die Vorsorgebzw. Rehabilitationsmaßnahme Komplexleistungen darstellen. Die Zuzahlung beträgt 10 Euro pro Kalendertag einer stationären medizinischen Vorsorge zulasten der Krankenkasse gem. § 23 Abs. 6, § 24 Abs. 3 SGB V, einer ambulanten oder stationären Rehabilitation zulasten der Krankenkasse gem. § 40 Abs. 5, 6, § 41 Abs. 3 SGB V und einer stationären Rehabilitation zulasten des Rentenversicherers gem. § 32 SGB VI. Für eine Anschlussrehabilitation, die sich unmittelbar an eine Krankenhausbehandlung anschließt, ist die Zuzahlung gem. § 32 Abs. 1 S. 2 SGB V auf 14 Tage bzw. gem. § 40 Abs. 6 SGB V auf 28 Tage abzüglich der Krankenhaustage begrenzt. Im Unterschied zur gesetzlichen Krankenversicherung ist der privat krankenversicherte Patient selbst Schuldner der Vergütung, und zwar unabhängig davon, welche Aufwendungen er von seinem privaten Krankenversicherer erstattet bekommt. Die Erstattungsfähigkeit richtet sich nach den Versicherungs- und Tarifbedingungen des Versicherungsvertrages (vgl. z. B. § 5 Abs. 1 Buchst. d MB/ KK 2009 253 ). Eine Besonderheit besteht jedoch bei einem Patienten, der eine private Krankenversicherung im Basistarif abgeschlossen hat. In diesem Fall hat die Einrichtung bzw. der Dienst einen Direktanspruch gegenüber dem Versicherungsunternehmen, so dass dieses zusammen mit dem Patienten gesamtschuldnerisch haftet (vgl. § 192 Abs. 7 VVG). Die Erstattungsfähigkeit kann auch von einer vorherigen Leistungszusage des Versicherungsunternehmens abhängig sein (vgl. z. B. Teil II A. Nr. 10 und 11 AVB/ BT 2009 254 ). 253 Vgl. Musterbedingungen 2009 für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung, unter https: / / www.pkv.de/ service/ broschueren/ musterbedingungen/ (Abruf am 8.7.2018). 254 Vgl. Allgemeine Versicherungsbedingungen für den Basistarif, unter https: / / www.pkv.de/ service/ broschueren/ musterbedingungen/ (Abruf am 8.7.2018). <?page no="159"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 159 ❋ Wichtige Schlagwörter ❋ Belegungsvertrag ❋ Medizinische Rehabilitation ❋ Medizinische Vorsorge ❋ Rehabilitationsdienst ❋ Versorgungsvertrag ❋ Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtung ✎ Wiederholungsaufgaben [1] Erläutern Sie die wesentlichen Merkmale der medizinischen Vorsorge gem. § 23 SGB V. [2] Erläutern Sie die allgemeine Zielrichtung der medizinischen Rehabilitation. [3] Nehmen Sie eine Abgrenzung zwischen der Zuständigkeit der Krankenkassen und der Rentenversicherungsträger für die medizinische Rehabilitation vor. [4] Erläutern Sie die Vertragsparteien sowie die Voraussetzungen für den Abschluss eines Versorgungsvertrages, durch den eine Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtung zur stationären Versorgung der gesetzlich krankenversicherten Personen zugelassen wird. [5] Erläutern Sie den Inhalt und die Wirkungen eines Belegungsvertrages zwischen einem Rentenversicherungsträger und einer Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtung. Die Lösungen finden Sie im Web-Service. <?page no="160"?> 160 Recht im Gesundheitswesen (Pflege-)Heime 2.5 Lernhinweis Die nachfolgenden Erläuterungen werden Sie besser verstehen, wenn Sie die angegebenen Paragrafen der nachfolgenden Rechtsvorschriften parallel zum Lehrbuch lesen: Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), Heimgesetz des Bundes ((Bundes-) HeimG) 255 , Heimpersonalverordnung (HeimPersV) 256 , Heimmindestbauverordnung (HeimMindBauV) 257 , Heimmitwirkungsverordnung (HeimmwV) 258 , Niedersächsischen Gesetzes über unterstützende Wohnformen (NuWG) 259 , Sozialgesetzbuch 1. Buch (SGB I), 5. Buch (SGB V), 11. Buch (SGB XI), 12. Buch (SGB XII) 260 , Verordnung über die Pflichten der Träger von Altenheimen, Altenwohnheimen und Pflegeheimen für Volljährige im Falle der Entgegennahme von Leistungen zum Zweck der Unterbringung eines Bewohners oder Bewerbers (HeimsicherungsV) 261 , Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG) 262 . 2.5.1 Heimrecht 2.5.1.1 Einführung Das Heimrecht ist eine spezielle Materie des Gewerberechts, das die Anforderungen an die Träger von Heimen und deren Überwachung zum Schutze der Bewohner des Heims regelt. Bis zum Jahre 2006 gehörte das Heimrecht gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG zur konkurrierenden Gesetzgebung zwischen Bund und Ländern. Der Bund hatte von seiner Befugnis zur Gesetzgebung durch Erlass eines Heimgesetzes Gebrauch gemacht. Mit der Föderalismusreform 2006 263 ging die Gesetzgebungszuständigkeit auf die Bundesländer über, die mittlerweile eigene Heimgesetze erlassen haben: 255 Heimgesetz i. d. F. d. Bek. v. 5.11.2001, BGBl. I S. 2970, z. g. d. G v. 29.07.2009, BGBl. I S. 2319. 256 HeimPersV v. 19.7.1993, BGBl. I S. 1205, z. g. d. VO v. 22.06.1998, BGBl. I S. 1506. 257 HeimMindBauV v. 27.1.1978, BGBl. I S. 189, z. g. d. VO v. 25.11.2003, BGBl. I S. 2346. 258 HeimmwV i. d. F. d. Bek. v. 25.7.2002, BGBl. I S. 2896. 259 NuWG v. 29.6.2011, Nds. GVBl. S. 196, z. g. d. G v. 14.4.2016, Nds. GVBl. S. 70. 260 SGB XII v. 27.12.2003, BGBl. I S. 3022, z. g. d. G v. 17.8.2017, BGBl. I S. 3214 261 HeimsicherungsV v. 24.4.1978, BGBl. I S. 553, z. g. d. G v. 27.12.2003, BGBl. I S. 3022. 262 WBVG v. 29.7.2009, BGBl. I S. 2319, z. g. d. G v. 23.12.2016, BGBl. I S. 3234. 263 Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 22, 23, 33, 52, 72, 73, 74, 74a, 75, 84, 85, 87c, 91a, 91b, 93, 98, 104a, 104b, 105, 107, 109, 125a, 125b, 125c, 143c) v. 28.8.2006, BGBl. I S. 2034. <?page no="161"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 161 Bundesland Heimgesetz Baden- Württemberg Wohn-, Teilhabe- und Pflegegesetz (WTPG) vom 31.05.2014, GBI. 2014, S. 241 Bayern Pflege- und Wohnqualitätsgesetzes (PfleWoqG) vom 08.07.2008, GVBl. 2008, S. 346 Berlin Wohnteilhabegesetz (WTG) vom 17.06.2016, GVBl. 2016, S. 336 Brandenburg Brandenburgisches Pflege- und Betreuungswohngesetz (BbgPBWoG) vom 08.07.2009, GVBl. 2009, Teil I, S. 298 Bremen Bremisches Wohn- und Betreuungsgesetz (BremWoBeG) vom 12.12.2017, Brem. GBl. 2017, S. 730 Hamburg Hamburgisches Wohn- und Betreuungsqualitätsgesetz (HmbWBG) vom 15.12.2009, HmbGVBl. 2009, S. 494 Hessen Hessisches Gesetz über Betreuungs- und Pflegeleistungen (HGBP) vom 07.03.2012, GVBl. 2012 S. 34 Mecklenburg- Vorpommern Einrichtungenqualitätsgesetz (EQG M-V) vom 17.05.2010, GVOBl. M-V 2010, S. 241 Niedersachsen Niedersächsisches Gesetz über unterstützende Wohnformen (NuWG) vom 29.06.2011, Nds. GVBl. 2011, S. 196 Nordrhein- Westfalen Wohn- und Teilhabegesetz (WTG) vom 02.10.2014, GV. NRW. S. 625 Rheinland-Pfalz Landesgesetz über Wohnformen und Teilhabe (LWTG) vom 22.12.2009, GVBl. 2009, S. 399 Saarland Landesheimgesetz Saarland (LHeimGS) vom 06.05.2009, Amtsblatt 2009, S. 906 Sachsen Sächsisches Betreuungs- und Wohnqualitätsgesetz (SächsBeWoG) vom 12.07.2012, SächsGVBl. 2012, S. 397 Sachsen-Anhalt Wohn- und Teilhabegesetz des Landes Sachsen-Anhalt (WTG LSA) vom 17.02.2011, GVBl. LSA 2011, S. 136 Schleswig- Holstein Selbstbestimmungsstärkungsgesetz (SbStG) vom 17.07.2009, GVOBl. 2009, S. 402 Thüringen Thüringer Wohn- und Teilhabegesetz (ThürWTG) vom 10.06.2014, GVBl. 2014, S. 161 Tab. 11: Heimgesetze der Bundesländer <?page no="162"?> 162 Recht im Gesundheitswesen 2.5.1.2 Heimbegriff und Anwendungsbereich des NuWG Der Anwendungsbereich der Heimgesetze der Länder knüpft zunächst an den traditionellen Heimbegriff an. Darüber hinaus werden weitere heimähnliche Wohnformen, die sich in den letzten Jahrzehnten herausgebildet haben, dem Heim gleichgestellt und der Anwendung des Heimrechts unterworfen. Die nachfolgenden Erläuterungen beziehen sich auf die Regelungen des Niedersächsischen Gesetzes über unterstützende Wohnformen (NuWG). Viele von ihnen finden sich jedoch ebenso in anderen Landesgesetzen wieder. ✎ Aufgabe Der Altenpfleger und Diplom-Kaufmann Emil Emsig möchte in Wolfsburg eine Einrichtung gründen, in der er pflegebedürftige Volljährige gegen Entgelt betreuen und pflegen möchte. Er will mit dieser Tätigkeit seinen Lebensunterhalt sichern und richtig reich werden. Emsig hat bereits gutes Personal angeworben und ein geeignetes Grundstück nebst Gebäude erworben, in dem die Bewohner der Einrichtung gut ausgestattete Zimmer und Gemeinschaftsräume vorfinden. Für das leibliche Wohl der Bewohner soll eine hauseigene Küche sorgen. Benötigt Emsig eine staatliche Erlaubnis für den Betrieb dieser Einrichtung? Begründen Sie Ihre Entscheidung. Die Lösungen finden Sie im Web-Service. Nach § 2 Abs. 2 NuWG wird das Heim wie folgt definiert: ❋ Wissen │ Heime Heime sind Einrichtungen für Volljährige, die in ihrem Bestand unabhängig von Wechsel und Zahl ihrer Bewohnerinnen und Bewohner dem Zweck dienen, gegen Entgelt [1] ältere, pflegebedürftige oder Menschen mit Behinderungen aufzunehmen, [2] ihnen Wohnraum zu überlassen und [3] für sie Pflege- oder Betreuungsleistungen zur Verfügung zu stellen und vorzuhalten. Um zu vermeiden, dass die gesetzlichen Vorschriften mit bestimmten Vertragskonstruktionen umgangen werden, werden ambulant betreute Wohngemeinschaften und Formen des betreuten Wohnens, bei denen die Bewohner zur Abnahme bestimmter Leistungen verpflichtet sind, ebenfalls als Heim angesehen: <?page no="163"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 163 ❋ Wissen │ ambulant betreute Wohngemeinschaften Ambulant betreute Wohngemeinschaften, in denen volljährigen Personen Wohnraum zum Zweck des Lebens in einer Haushaltsgemeinschaft überlassen wird und in der sie von Dienstleistern aufgrund einer mit dem Mietverhältnis verbundenen vertraglichen Verpflichtung entgeltliche ambulante Pflege- oder Betreuungsleistungen in Anspruch nehmen, gelten ebenfalls als Heim (§ 2 Abs. 3 NuWG). Sie sind nur dann kein Heim, wenn die Wohngemeinschaften maximal zwölf Personen umfasst und die Bewohner spätestens ein Jahr nach der Gründung der Wohngemeinschaft die Dienstleister für die Pflege- und Betreuungsleistungen frei wählen können (§ 2 Abs. 5 S. 1 NuWG). ❋ Wissen │ Formen des betreuten Wohnens Formen des betreuten Wohnens, in denen volljährigen Personen Wohnraum überlassen wird, gelten als Heim, wenn die Bewohner von Dienstleistern aufgrund einer mit dem Mietverhältnis verbundenen vertraglichen Verpflichtung Leistungen in Anspruch nehmen, die über allgemeine Unterstützungsleistungen wie Notrufdienste, Informations- und Beratungsleistungen oder die Vermittlung von Leistungen der hauswirtschaftlichen Versorgung, Pflege- oder Betreuungsleistungen hinausgehen (§ 2 Abs. 4 NuWG). Wenn die Bewohner allerdings spätestens ein Jahr nach ihrem Einzug die Dienstleister für die hinausgehenden Leistungen frei wählen können, gelten die Wohnformen nicht als Heim (§ 2 Abs. 5 S. 2 NuWG). Für die ambulant betreuten Wohngemeinschaften und für die Formen des betreuten Wohnens, die als Heim gelten, findet das NuWG Anwendung. Abweichungen vom NuWG sind lediglich für einige bauliche, personelle Anforderungen und für die Mitwirkung der Bewohner vorgesehen (vgl. dazu § 17 Abs. 3 NuWG). Ferner findet das NuWG auf Kurzzeitheime, in denen die Bewohner nur bis zu drei Monate aufgenommen werden, sowie auf (teilstationäre) Einrichtungen der Tagespflege weitestgehend Anwendung; zu den Ausnahmen vgl. § 2 Abs. 7 NuWG sowie die nachfolgenden Abschnitte 2.5.1.3 und 2.5.1.4. Dagegen sind Krankenhäuser, Hospize, Einrichtungen der Nachtpflege sowie Internate, Berufsbildungs- und Berufsförderungswerke von der Anwendung des NuWG ausgenommen (vgl. § 2 Abs. 8 NuWG). 2.5.1.3 Anforderungen an ein Heim Für den Betrieb eines Heimes gilt die Gewerbefreiheit (vgl. zum Begriff Abschnitt 2.2.2). Folglich bedürfen Einschränkungen dieser unternehmerischen Tätigkeit - wie z. B. die Notwendigkeit einer Erlaubnis - eines Gesetzes. Die für die privaten Träger eines Heimes geregelte Erlaubnispflicht ist 1997, also noch während der Geltung des Bundesgesetzes, abgeschafft worden 264 , so dass die Eröffnung eines Heimes seitdem nur anzeigepflichtig war. Das NuWG sieht ebenso keine Erlaub- 264 Zweites Gesetz zur Änderung des Heimgesetzes v. 3.2.1997, BGBl. I S. 158. <?page no="164"?> 164 Recht im Gesundheitswesen nispflicht, sondern nur eine Anzeigepflicht vor. Gem. § 7 Abs. 1 NuWG muss der Inhaber der zuständigen Behörde spätestens drei Monate vor der Inbetriebnahme insbesondere Folgendes mitteilen: Name und Anschrift des Heimbetreibers, Name, Anschrift und die Nutzungsart des Heims, Zahl, Größe und Lage der Räume des Heims, geplante Belegung der Wohnräume, Name, Ausbildung und beruflicher Werdegang der Heimleitung sowie bei Pflegeheimen der Pflegedienstleitung geplante personelle Ausstattung des Heims. Die geplanten Verträge mit den Heimbewohnern sind als Muster vorzulegen (§ 7 Abs. 1 S. 4 NuWG). Der Betreiber eines Heims muss sowohl bei Eröffnung als auch während des Betriebs verschiedene Anforderungen erfüllen. Wenn er die Anforderungen nicht erfüllt, kommt eine Untersagung des Heims - auch bereits vor der Inbetriebnahme - in Betracht; Nä her es dazu im Abschnitt 2.5 .1 .5 . Abb. 28: Anforderungen an den Betrieb eines Heims Insbesondere muss der Betreiber des Heims die erforderliche Zuverlässigkeit besitzen (§ 5 Abs. 3 Nr. 1 NuWG). Zuverlässigkeit bedeutet, dass der Betreiber willens und fähig ist, das Heim ordnungsgemäß nach den geltenden Gesetzen und anderen Rechtsvorschriften zu betreiben. 265 Ferner muss der Betreiber sicherstellen, dass die Zahl der Beschäftigten und deren persönliche und fachliche Eignung für die zu leistende Tätigkeit ausreicht (§ 5 Abs. 3 Nr. 2 NuWG). Die Zahl der Beschäftigten hängt von der Größe und vom Betreuungsbedarf der Bewohner ab. Personalrichtwerte für das Verhältnis von Pflegekräften zu Bewohnern werden beispielsweise in den Versorgungsverträgen des Heimträgers und den Landesverbänden der Pflegekassen (siehe Abschnitt 2.5.2.3) oder in den Landesrahmenverträgen zwischen den Landesverbände der Pflegekassen und den Vereinigungen der Einrichtungsträger (siehe Abschnitt 2.5.2.2) vereinbart. 265 Vgl. Marcks, Landmann/ Rohmer, GewO § 35 Rn. 29. HeimMindBauV HeimPersV HeimmwV § 5 NuWG § 17 NuWG § 14 (Bundes-)HeimG HeimversicherungsV <?page no="165"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 165 Im Hinblick auf die Beschäftigtenzahl hat der Heimbetreiber auch die sog. Fachkraftquote zu berücksichtigen, die dazu führt, dass mindestens die Hälfte der Beschäftigten einen einschlägigen Berufsabschluss haben muss. Die Fachkraftquote ergibt sich aus der HeimPersV, die in Niedersachsen gem. § 17 Abs. 2 Nr. 2 NuWG weiterhin gültig ist. Sie bedeutet lt. § 5 Abs. 1 HeimPersV, dass betreuende Tätigkeiten nur durch Fachkräfte oder unter angemessener Beteiligung von Fachkräften wahrgenommen werden dürfen. Konkret wird verlangt, dass mindestens einer, bei mehr als 20 nicht pflegebedürftigen Bewohnern oder mehr als vier pflegebedürftigen Bewohnern mindestens jeder zweite weitere Beschäftigte eine Fachkraft ist. In Heimen mit pflegebedürftigen Bewohnern muss auch bei Nachtwachen mindestens eine Fachkraft ständig anwesend sein. Im Übrigen regelt die HeimPersV die Eignung der Heimleitung, Pflegedienstleitung sowie der Pflegekräfte. ✎ Aufgaben Lesen Sie die HeimPersV und beantworten Sie folgende Fragen: [1] Der Heimleiter muss persönlich und fachlich geeignet sein. Welche Umstände schließen eine persönliche Eignung aus? [2] Welche Berufsabschlüsse gelten nicht als Fachkraftabschlüsse? Die Lösungen finden Sie im Web-Service. Ferner muss der Heimbetreiber gem. § 17 Abs. 2 Nr. 1 NuWG die HeimMindBauV beachten, in der bauliche Anforderungen an die Räume, Flure, Treppen, Aufzüge, Heizung seiner Gebäude etc. geregelt sind. ✎ Aufgaben Lesen Sie die HeimMindBauV und beantworten Sie folgende Fragen: [1] Welche Mindestgröße ist für einen Gemeinschaftsraum im Pflegeheim vorgesehen? [2] Welche Mindestgröße müssen Wohnschlafräume im Altenheim haben? [3] Welche Mindestgröße müssen Wohnschlafräume im Pflegeheim haben? Die Lösungen finden Sie im Web-Service. Wenn sich der Betreiber des Heims Geld oder geldwerte Leistungen zum Bau, Erwerb und Betrieb sowie zur Instandsetzung und Ausstattung der Einrichtung von den Bewohnern gewähren lässt, die über das laufende Heimentgelt hinausgehen, so muss er § 14 (Bundes-)HeimG und die dazu erlassende HeimsicherungsV beachten. Davon ausgenommen sind lediglich die Einrichtungen der Tagespflege und Kurzzeitheime (§ 2 Abs. 7 NuWG). <?page no="166"?> 166 Recht im Gesundheitswesen ✎ Aufgaben Lesen Sie § 14 (Bundes-)HeimG sowie die HeimsicherungsV und beantworten Sie folgende Fragen: [1] Wie hoch muss der Eigenanteil des Heimbetreibers an den Kosten der zu finanzierenden Maßnahme sein? [2] Wie hoch darf der Anteil der Leistungen der Bewohner an den Kosten der zu finanzierenden Maßnahme sein? [3] Welche Pflichten hat der Heimbetreiber gegenüber dem Bewohner, der das Geld oder die geldwerte Leistung gewährt? Die Lösungen finden Sie im Web-Service. Neben den vorgenannten Leistungen zum Bau, Erwerb und Betrieb sowie zur Instandsetzung und Ausstattung der Einrichtung ist es dem Heimbetreiber grundsätzlich untersagt, sich andere Leistungen als das Heimentgelt versprechen oder gewähren zu lassen. Gleiches gilt für den Leiter und die Mitarbeiter des Heims. Ausgenommen sind lediglich geringwertige Aufmerksamkeiten oder Leistungen, die die zuständige Behörde im Einzelfall ausnahmsweise genehmigt. Diese Verbote folgen aus dem in Niedersachsen weiterhin geltenden § 14 (Bundes-)HeimG. Sie sollen den Heimfrieden schützen, weil Zuwendungen dazu führen können, dass der Zuwendende gegenüber anderen Bewohnern bevorzugt wird. Eine besondere Bedeutung in der Praxis erlangen diese Verbote, wenn der Betreiber eines Heims oder ein Beschäftigter durch das Testament eines Bewohners als Erbe eingesetzt wird. Die Wirksamkeit einer solchen Erbeinsetzung setzt voraus, dass der Begünstigte von ihr bis zum Eintritt des Erbfalls keine Kenntnis hatte (sog. stilles Testament). Dies leitet die Rechtsprechung daraus ab, dass es verboten ist, sich eine Leistung versprechen oder gewähren zu lassen. Sich etwas versprechen oder gewähren zu lassen, setzt eine Annahmeerklärung des Begünstigten voraus. Eine solche Erklärung fehlt jedoch, wenn der Begünstigte keine Kenntnis von der Erbeinsetzung hatte. 266 Lernhinweis Weitere Anforderungen an den Betreiber eines Heims finden Sie in § 5 Abs. 1, 2, 3 Nr. 3 NuWG. Bitte lesen! 2.5.1.4 Mitwirkung der Bewohner Die Bewohner eines Heims können eine Bewohnervertretung bilden, die an der Gestaltung der Lebensverhältnisse im Heim mitwirkt (§ 4 NuWG). Die Bewohnervertretung hat beispielsweise folgende Aufgaben: Maßnahmen, die den Bewohnern des Heims dienen, bei der Leitung oder dem Betreiber des Heims zu beantragen (§ 29 HeimmwV), 266 Vgl. BGH, Beschl. v. 26.10.2011, IV ZB 33/ 10, NJW 2012, 155 f. m. w. N. <?page no="167"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 167 Anregungen und Beschwerden von Bewohnern entgegennehmen und ggf. durch Verhandlungen mit der Leitung auf ihre Erledigung hinwirken (§ 29 HeimmwV), zur Information der Bewohner mindestens einmal jährlich eine Versammlung durchführen (§ 4 Abs. 1 S. 4 NuWG), Mitwirkung bei der Änderung der Heimverträge, bei der Änderung der Heimentgelte, bei der Planung und Durchführung von Veranstaltungen, bei Maßnahmen zur Verbesserung der Betreuung (§ 30 HeimmwV). Weitere Aufgaben und die Einzelheiten zur Größe, Wahl, Amtszeit der Bewohnervertretung etc. regelt die HeimmwV, die in Niedersachsen gem. § 17 Abs. 2 Nr. 3 NuWG weiterhin gilt. In der Praxis zeigt sich u. a. wegen der wachsenden Zahl der gerontopsychiatrisch erkrankten Heimbewohner allerdings die Schwierigkeit, Heimbewohner für ein Engagement in der Bewohnervertretung zu gewinnen. Für den Fall, dass eine Vertretung nicht gebildet werden kann, ist die Bestellung eines ehrenamtlichen Heimfürsprechers vorgesehen, der die Aufgaben der Heimvertretung wahrnimmt. Die Einsetzung erfolgt durch die Heimaufsichtsbehörde im Einvernehmen mit der Heimleitung (§ 4 Abs. 4 NuWG). Die Bestellung eines Heimfürsprechers ist auch für Einrichtungen der Tagespflege und Kurzzeitheime vorgesehen, die in der Regel mindestens sechs Personen aufnehmen; ansonsten sind diese beiden Einrichtungen von der Notwendigkeit einer Heimvertretung freigestellt (§ 2 Abs. 7 NuWG). 2.5.1.5 Zuständige Aufsichtsbehörde und deren Befugnisse Die Zuständigkeit der Heimaufsichtsbehörden ist jeweils landesrechtlich geregelt. So bestimmt beispielsweise § 19 NuWG die Zuständigkeit des Landesamtes für Soziales, Jugend und Familie sowie der Landkreise und kreisfreien Städte für die verschiedenen Heime in Niedersachsen. Zur Feststellung, ob die an das Heim zu stellenden Anforderungen erfüllt werden (siehe oben Abschnitt 2.5.1.3), führt die Heimaufsichtsbehörde grundsätzlich einmal jährlich oder bei besonderen Anlässen eine Prüfung des Heims gem. § 9 NuWG durch. Die Prüfung kann angemeldet und unangemeldet stattfinden. Eine nächtliche Prüfung ist ebenfalls zulässig, wenn das Prüfungsziel tagsüber nicht erreicht werden kann. Das ist beispielsweise für die Feststellung notwendig, ob genügend Personal in der Nacht eingesetzt ist. Während der Prüfung hat die Behörde verschiedene Rechte, die der Heimbetreiber dulden muss (vgl. § 9 NuWG): Besichtigung der Einrichtung, Einsicht in die Unterlagen, die das Heim vorhalten muss, wie z. B. die Pflegedokumentation, Befragung der Heimleitung, Pflegedienstleitung sowie der Beschäftigten, Kontaktieren der Bewohner und der Bewohnervertretung, Inaugenscheinnahme des Pflegezustandes der Bewohner mit deren Einverständnis. <?page no="168"?> 168 Recht im Gesundheitswesen Wenn bei der Prüfung Mängel zutage treten, stehen der Behörde vier verschiedene Reaktionsmöglichkeiten zur Verfügung: Abb. 29: Befugnisse der Heimaufsichtsbehörde zur Behebung festgestellter Mängel Bei der Beratung gem. § 10 NuWG handelt es sich um die mildeste Maßnahme, die darauf gerichtet ist, dass der Heimbetreiber den Mangel freiwillig behebt. Wenn sie Erfolg verspricht, hat sie wegen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes 267 Vorrang vor allen anderen Maßnahmen. Wenn der Betreiber den Mangel nicht selbst abstellt, so kann die Behörde die erforderlichen Maßnahmen anordnen (§ 11 NuWG). Eine solche Anordnung muss der Betreiber befolgen, es sei denn, er erreicht im Wege des Rechtsschutzes eine Änderung oder Aufhebung der Anordnung. ◉ Beispiel │ Anordnung Anordnung der Heimaufsichtsbehörde gegenüber dem Heimbetreiber, ■ das Duschen und Baden der Bewohner (mindestens einmal wöchentlich) sowie ■ die Ablehnung des Duschens oder Badens durch die Bewohner zu dokumentieren. 268 Wenn der Mangel seine Ursache in der fehlenden Eignung des Heimleiters oder eines anderen Beschäftigten hat, so hat die Heimaufsichtsbehörde die Befugnis, dem Heimbetreiber die Weiterbeschäftigung dieser Person zu untersagen (§ 12 NuWG). ◉ Beispiel │ Weiterbeschäftigungsverbot Die Heimaufsichtsbehörde sprach ein Weiterbeschäftigungsverbot für einen Heimleiter vor allem aus folgenden Gründen aus: Die Überprüfung der Dienstpläne ergab, dass eine Pflegefachkraft nicht durchgängig anwesend war. 40 % der Arzneimittel hatten ein abgelaufenes Haltbarkeitsdatum. Es lagen Mängel 267 Der aus dem Grundgesetz abgeleitete Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verlangt, dass eine staatliche Maßnahme einen legitimen Zweck verfolgt sowie geeignet, erforderlich und angemessen ist, um diesen Zweck zu erreichen. 268 Vgl. VG Göttingen, Urt. v. 8.1.2009, 2 A 3/ 08, PflR 2009, 256 ff. Befugnisse Beratung Anordnung Beschäftigungsverbot Untersagung des Betriebs <?page no="169"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 169 in der pflegerischen Betreuung der Bewohner vor. Beispielsweise erfolgten das Waschen und die Mundpflege von einem Drittel der Bewohner nachts. Das VG Dresden sah das Beschäftigungsverbot als rechtmäßig an. 269 Wenn eine Anordnung nach § 11 NuWG oder ein Weiterbeschäftigungsverbot nach § 12 NuWG zur Mängelbeseitigung nicht ausreichen, ist der Heimbetrieb gem. § 13 Abs. 1 NuWG zu untersagen. ◉ Beispiel │ Untersagung X betrieb ein privates Altenheim mit 18 Betten. In dem Altenheim waren zuletzt X als Leiterin sowie ihr Ehemann, eine Altenpflegerin sowie drei bis vier Hilfskräfte als Teilzeitbeschäftigte tätig. Bei den Bewohnern handelte es sich überwiegend um chronisch alkoholkranke Personen. Die Bewohnerin H zog im November 1982 in das Altenheim. Zum 31.12.1995 hatte ihr bei der Sparkasse eingerichtetes Wertpapierdepot einen Gesamt- Kurswert von 218.686,06 DM. Das Geld wurde bei Fälligkeit jeweils auf das Girokonto von H gezahlt. Für dieses Konto hatte der Ehemann der X Kontovollmacht. 2001 hatte die Bewohnerin H noch ein Bankguthaben von etwas über 2.000 DM. Recherchen ergaben, dass der Ehemann der X in der Zeit von 1996 bis 1998 insgesamt 168.500 DM auf das Konto der X überwiesen hat, ohne dass diese Überweisungen einen Rechtsgrund im Heimvertrag hatten. 5.500 DM hatte sich der Ehemann bar auszahlen lassen. Für einen weiteren Betrag von 20.200,- DM legte der Ehemann 9 Quittungen über Auszahlungen an H vor, die von H unterschrieben waren. H konnte sich nicht daran erinnern, Quittungen unterschrieben zu haben. Es wurde überdies festgestellt, dass H sehr stark sehbehindert war. Bei einem durchgeführten Test konnte sie weder Zahlen noch Buchstaben auf einem Quittungsblock erkennen. Die Aufsichtsbehörde untersagte der X den Betrieb des Altenheimes. Das OVG Bremen sah die Untersagung als rechtens an. 270 Lernhinweis Die Frage, ob eine Untersagung des Heimbetriebs gem. § 13 Abs. 1 NuWG zulässig ist, wird gemäß dem nachfolgenden Schema geprüft. Einen Fall zum Üben finden Sie in den Wiederholungsaufgaben. Tatbestandsvoraussetzungen: [1] Das NuWG ist für die in Rede stehende Einrichtung gem. § 2 NuWG anwendbar. [2] Das Heim erfüllt die Anforderungen, die sich aus § 5 NuWG oder aus den gem. § 17 NuWG geltenden Verordnungen ergeben, nicht. 269 Vgl. VG Dresden, Urt. v. 3.6.2005, 13 K 1670/ 03, BeckRS 2005, 34848. 270 Vgl. OVG Bremen, Beschl. v. 12.3.2002, 1 B 23/ 02, NJW 2002, 3119 ff. <?page no="170"?> 170 Recht im Gesundheitswesen [3] Eine Anordnung nach § 11 NuWG oder ein Weiterbeschäftigungsverbot nach § 12 NuWG reichen nicht aus, um sicherzustellen, dass das Heim die genannten Anforderungen erfüllt. Wenn der Sachverhalt die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt, tritt die gesetzlich vorgesehene Rechtsfolge ein: Die Behörde ist verpflichtet, den Heimbetrieb zu untersagen. Daneben gibt es nach § 13 Abs. 2 NuWG eine Untersagungsmöglichkeit, die im Ermessen der Heimaufsichtsbehörde steht. Wenn der Heimbetreiber seiner Anzeigepflicht nach § 7 Abs. 1 NuWG nicht oder nicht vollständig nachkommt, eine Anordnung nach § 11 NuWG nicht rechtzeitig erfüllt oder eine Person trotz Weiterbeschäftigungsverbot nach § 12 NuWG weiterhin für ihn tätig ist, kann die Heimaufsichtsbehörde den Heimbetrieb untersagen. Es liegt jedoch in ihrem Ermessen, eine andere Entscheidung zu treffen. Beispielsweise kann sie im Fall der nicht rechtzeitigen Erfüllung einer Anordnung anstelle der Untersagung eine Nachfrist setzen. 2.5.2 Leistungserbringung im System der sozialen Pflegeversicherung und gesetzlichen Krankenversicherung 2.5.2.1 Einführung und Begriff des Pflegeheims Wenn in dem Heim nicht nur ältere Personen, sondern auch gesetzlich versicherte Pflegebedürftige aufgenommen werden, so kommt neben dem landesrechtlichen Heimgesetz das SGB XI zur Anwendung; zum Begriff der Pflegebedürftigkeit siehe Abschnitt 3.1.11. Wenn ein Heimträger Leistungen für gesetzlich versicherte Pflegebedürftige erbringen möchte, muss er die Merkmale der im SGB XI enthaltenen Definition eines Pflegeheims erfüllen und durch einen Versorgungsvertrag zur Leistungserbringung zugelassen sein. Für die soziale Pflegeversicherung gilt gem. § 71 Abs. 2 SGB XI folgender Pflegeheimbegriff: ❋ Wissen │ Pflegeheim Eine stationäre Pflegeeinrichtung (Pflegeheim) ist eine selbständig wirtschaftende Einrichtung, in der Pflegebedürftige [1] unter ständiger Verantwortung einer ausgebildeten Pflegefachkraft gepflegt werden und [2] ganztägig (vollstationär) oder tagsüber oder nachts (teilstationär) untergebracht und verpflegt werden können. <?page no="171"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 171 Die Definition stellt nicht auf eine juristische, sondern „nur“ auf eine wirtschaftliche Selbständigkeit ab. Deshalb kann ein Träger ein Pflegeheim zusammen mit anderen Einrichtungen, z. B. einer Rehabilitationsklinik, betreiben, sofern die wirtschaftliche und finanzielle Eigenverantwortung des Pflegeheims gewahrt ist. 271 Ferner wird verlangt, dass der Pflegebereich (nicht das Heim insgesamt) von einer ausgebildeten Pflegefachkraft geleitet wird. Die Pflegefachkraft muss eine abgeschlossene pflegerische Ausbildung, mindestens eine zweijährige Berufserfahrung und eine abgeschlossene Weiterbildung zur Pflegedienstleitung mit mindestens 460 Stunden vorweisen können (vgl. zu den Details § 71 Abs. 3 SGB XI). Zu den Pflegeheimen gehören die Einrichtungen der Tages- oder Nachtpflege (§ 41 SGB XI), Einrichtungen, die die vollstationäre Kurzzeitpflege gem. § 42 SGB XI erbringen, Einrichtungen, die die vollstationäre Dauerpflege gem. § 43 SGB XI erbringen. Dagegen gehören Krankenhäuser, Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen sowie stationäre Einrichtungen der Eingliederungshilfe nicht zu den Pflegeheimen (§ 71 Abs. 4 SGB XI). 2.5.2.2 Inhalt der teil- und vollstationären Leistungen einer Pflegeeinrichtung Gem. § 41 SGB XI erfolgt die teilstationäre Pflege des Pflegebedürftigen in einer Einrichtung der Tages- oder Nachtpflege. Sie ist entweder eine Ergänzung der häuslichen Pflege, weil bestimmte Verrichtungen vom pflegenden Angehörigen nicht erbracht werden können, oder ein Ersatz der häuslichen Pflege, weil diese während der Aufenthaltszeit, z. B. wegen der Berufstätigkeit des pflegenden Angehörigen nicht erbracht werden kann. Die teilstationäre Pflege umfasst ebenfalls die Beförderung des Pflegebedürftigen zwischen Wohnort und Einrichtung (§ 41 Abs. 1 SGB XI). Die Beförderung muss von der Einrichtung organisiert und erbracht werden. Ihre Vergütung erfolgt entsprechend der Pflegesatzvereinbarung. Die vollstationäre Pflege wird in die bis zu acht Wochen dauernde Kurzzeitpflege (§ 42 SGB XI oder § 39c SGB V) und in die Dauerpflege (§ 43 SGB XI) unterschieden. Die vollstationäre Dauerpflege ist gegenüber den anderen Leistungen der Pflegeversicherung nachrangig. Sie kommt erst zum Tragen, wenn die häusliche und teilstationäre Pflege ausscheiden. Die Kurzzeitpflege wird entweder im Anschluss an eine stationäre Krankenhausbehandlung erbracht, weil z. B. ein Dauerpflegeplatz noch nicht vorhanden ist, oder in einer vorübergehenden Krisensituation, in der eine häusliche oder teilstationäre Pflege nicht ausreicht oder möglich ist. Ferner ist seit 1.1.2016 eine Kurzzeitpflege als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung vorgesehen, die nicht an eine vorliegende Pflegebedürftigkeit, sondern an eine schwere Krankheit oder eine akute Verschlimmerung einer Krankheit anknüpft, bei der die häusliche Krankenpflege für die Versorgung des Betroffenen nicht mehr genügt. Diese Kurzzeitpflege nach § 39c SGB V entspricht im Wesentlichen der nach § 42 SGB XI. 271 Vgl. Neumann, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd. 4, § 20 Rn. 12. <?page no="172"?> 172 Recht im Gesundheitswesen Die teil- und vollstationären Pflegeeinrichtungen erbringen (im Einzelfall abhängig vom Hilfebedarf des Pflegebedürftigen) insbesondere folgende Leistungen: Abb. 30: Leistungen der teil- und vollstationären Pflegeeinrichtungen Leistungen der teil- und vollstationären Pflegeeinrichtungen Betreuungs- und Pflegeleistungen zusätzliche Betreuung und Aktivierung, § 43b SGB XI Sterbebegleitung, § 28 Abs. 4 SGB XI Unterkunft und Verpflegung im Bereich der Mobilität im Bereich der Selbstversorgung im Bereich der kognitiven und kommunikativen Fähigkeiten im Bereich der Verhaltensweisen und psychischen Problemlagen im Bereich der Alltagsgestaltung Positionswechsel im Bett Halten einer stabilen Sitzposition Umsetzen Fortbewegen innerhalb des Wohnbereichs Treppensteigen Waschen, Duschen, Baden Körperpflege An- und Auskleider Zubereitung der Nahrung Essen und Trinken Blasen- und Darmentleerung Personelle, örtliche und zeitliche Orientierung Erinnerungshilfe Gestaltung des Alltags (Alltagshandeln, Treffen von Entscheidungen, Informationsverständnis, Erlernen von Risiken und Gefahren etc.) Hilfe bei motorisch geprägte Verhaltensauffälligkeiten Hilfe bei auto- und fremdaggressiven Verhalten Hilfe bei Ängsten und Antriebslosigkeit u.a. psychischen Störungen Gestaltung eines Tagesablaufs Interaktion zu anderen Personen Zukunftsorientierte Planung im Bereich der krankheits- und therapiebedingten Anforderungen Verabreichen von Medikamenten Verbandswechsel, Injektionen und andere Leistungen zur Unterstützung der ärztlichen Behandlung Hilfe beim An- und Ablegen von Körperersatzstücken Organisation, Planung und Begleitung von Arztbesuchen <?page no="173"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 173 Neben den im Einzelfall notwendigen Leistungen können die Pflegeheime Zusatzleistungen gem. § 88 SGB XI erbringen, für die der Pflegebedürftige finanziell selbst aufkommen muss (siehe auch Abschnitt 2.5.5). Zusatzleistungen können zum einen Komfortleistungen bei Unterkunft und Verpflegung sein, beispielsweise ein Einzelzimmer, wenn ansonsten Doppel- oder Mehrbettzimmer den Standard des Heims bilden. Zum anderen können zusätzliche pflegerisch-betreuende Leistungen, z. B. eine zusätzliche Maniküre, angeboten werden. Die voll- und teilstationären Pflegeleistungen werden auf Landesebene durch einen Rahmenvertrag im Detail ausgestaltet. Gem. § 75 SGB XI schließen die Landesverbände der Pflegekassen (gemeinsam) mit den Vereinigungen der Einrichtungsträger im Land (gemeinsam) unter Beteiligung des Verbandes der privaten Krankenversicherung und des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung einen Rahmenvertrag. 272 Dieser Vertrag bestimmt beispielsweise den Inhalt der allgemeinen Pflegeleistungen, der Unterkunft und Verpflegung sowie der Zusatzleistungen, die Personalrichtwerte (Verhältnis zwischen Pflegepersonal und Bewohnerzahl), die Anforderungen an die Pflegedokumentation und Abrechnungs- und Zahlungsmodalitäten. Der Rahmenvertrag ist die für die Pflegeheime und die Pflegekassen im Inland verbindlich (§ 75 Abs. 1 S. 4 SGB XI). 2.5.2.3 Zulassung zur Versorgung gesetzlich Versicherter Um die vorgenannten Leistungen zulasten der Kranken- und Pflegekassen erbringen zu können, muss der Träger eines Heimes als Leistungserbringer zugelassen sein. Diese Zulassung erlangt er in der sozialen Pflegeversicherung durch einen Versorgungsvertrag nach §§ 72, 73 SGB XI. Für die gesetzliche Krankenversicherung benötigt er einen Versorgungsvertrag als Kurzzeitpflegeeinrichtung gem. § 132h SGB V (dazu am Ende des Abschnitts). ❋ Wissen │ Versorgungsvertrag Für den Versorgungsvertrag nach den §§ 72, 73 SGB XI gelten folgende Parameter: Vertragspartner: Heimträger oder eine Vereinigung, der er angehört, auf der einen Seite und die Landesverbände der Pflegekassen auf der anderen Seite (§ 72 Abs. 2 S. 1 SGB XI) Form: Schriftform (§ 73 Abs. 1 SGB XI) 272 Übersicht über die Landesrahmenverträge auf der Internetseite der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege: http: / / www.bagfw.de/ qualitaet/ gesetze/ landesrahmenvertraege-nach-75-abs-1-sgb-xi/ (Abruf am 7.2.2018). <?page no="174"?> 174 Recht im Gesundheitswesen Voraussetzungen für den Vertragsschluss: 273 Gem. § 72 Abs. 3 SGB XI darf der Versorgungsvertrag nur abgeschlossen werden, wenn die Pflegeeinrichtung den im Abschnitt 2.5.2.1 erläuterten Begriff erfüllt, sie also eine Pflegeeinrichtung im Sinne des Gesetzes ist. Ferner muss die Einrichtung leistungsfähig und wirtschaftlich sein. Damit wird verlangt, dass eine humane und aktivierende Pflege unter Achtung der Menschenwürde erbracht wird, das Leistungsangebot der Einrichtung dem allgemein anerkannten Stand der medizinisch-pflegerischen Erkenntnisse entspricht und für dieses Angebot ausreichende personelle und sachliche Mittel vorgehalten werden. Zudem muss die Einrichtung so aufgestellt sein, dass sie mit der voraussichtlichen Vergütung ihre Aufwendungen finanzieren und die Leistungen für die Pflegebedürftigen erbringen kann. Eine Gewinnerzielung ist nicht ausgeschlossen. Andererseits dürfen keine Anhaltspunkte gegeben sein, dass den Pflegebedürftigen aus wirtschaftlichen Gründen notwendige Leistungen vorenthalten werden. 274 Im Unterschied zum Krankenhaussektor findet vor der Zulassung eines Pflegeheims keine Bedarfsprüfung statt. Der Wortlaut des § 72 Abs. 3 S. 2 SGB XI lässt zwar etwas anderes vermuten, weil dort von einer notwendigen Auswahl gesprochen wird. Eine bedarfsabhängige Zugangsbeschränkung ist jedoch für eine wirtschaftliche Leistungserbringung nicht erforderlich, so dass sie unter Berücksichtigung der grundgesetzlich geschützten Berufsfreiheit der Einrichtungsträger nicht zulässig ist. Angesichts des Teilleistungsprinzips der Pflegeversicherung besteht bei der Versorgung der Bevölkerung mit pflegerischen Leistungen (anders als bei den Krankenhausleistungen) keine Gefahr einer unnötigen Leistungsausweitung. Zur Sicherung einer wirtschaftlichen Leistungserbringung genügen die marktwirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten. 275 Der Versorgungsvertrag setzt zudem voraus, dass den Beschäftigten in der Pflege die Mindestentgeltsätze 276 und den anderen Beschäftigten (z. B. in der Küche oder Wäscherei) die ortsübliche Arbeitsvergütung gezahlt wird. Die Pflegeeinrichtung muss sich verpflichten, ein einrichtungsinternes Qualitätsmanagement gem. § 113 SGB XI einzuführen und weiterzuentwickeln sowie alle Expertenstandards gem. § 113a SGB XI anzuwenden; Näheres dazu in Abschnitt 2.5.2.5. 273 LSG Bayern, Urt. v. 11.11.2015, L 2 P 14/ 13, BeckRS 2016, 65227 sieht die positive Prognose, dass der Einrichtungsträger seine Verpflichtungen gegenüber den Pflegebedürftigen und den Kostenträgern erfüllen wird, als weitere ungeschriebene Voraussetzung für den Abschluss eines Vertrages an. Dem ist jedoch entgegenzutreten, da die Zuverlässigkeit des Trägers eine heimrechtliche Anforderung ist und somit der Prüfung der Heimaufsichtsbehörde unterliegt. Eine Unzuverlässigkeit des Trägers führt zur Untersagung des Heimbetriebs, ggf. auch bereits vor der Eröffnung des Heims. Siehe zur Zuverlässigkeit Abschnitt 2.5.1.3. 274 Vgl. Neumann, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd. 4, § 21 Rn. 15 f. 275 Vgl. BSG, Urt. v. 28.6.2001, B 3 P 9/ 00 R, BSGE 88, 215 ff. [221]. 276 Vgl. Dritte Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche (3. PflegeArbbV) v. 1.8.2017, BAnz AT v. 11.8.2017, V1. <?page no="175"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 175 Wenn die Pflegeeinrichtung alle Voraussetzungen erfüllt, hat sie einen Rechtsanspruch auf Abschluss eines Versorgungsvertrages. Mindestinhalt des Vertrages: Der Vertrag muss mindestens den Versorgungsauftrag regeln. Darunter werden Art, Inhalt und Umfang der allgemeinen Pflegeleistungen verstanden, die die Einrichtungen während der Vertragsdauer zu erbringen hat (§ 72 Abs. 1 S. 2 SGB XI). In diesem Sinne werden die Zahl der Pflegeplätze, die Einrichtungsart - teil- oder vollstationär und/ oder Kurzzeit- oder Dauerpflege - sowie die Pflegegrade der aufzunehmenden Bewohner festgelegt. 277 Die Vergütung des Pflegeheims wird dagegen im Versorgungsvertrag nicht geregelt. Sie ist Gegenstand der Pflegesatzvereinbarung. Zusätzliche Wirksamkeitsvoraussetzung: Der Vertrag ist nur wirksam, wenn der zuständige Sozialhilfeträger sein Einvernehmen erteilt hat (§ 72 Abs. 2 S. 1 SGB XI). Wirkungen des Vertrages: Der Versorgungsvertrag ist für die Pflegeeinrichtung und alle Pflegekassen in der Bunderepublik, nicht nur für die Kassen der vertragsschließenden Landesverbände, verbindlich (§ 72 Abs. 2 S. 2 SGB XI). Mit Abschluss des Vertrages ist die Pflegeeinrichtung berechtigt, die gesetzlich Versicherten pflegerisch zu versorgen. Im Rahmen des Versorgungsauftrages ist sie auch zur Versorgung verpflichtet. Ferner hat die Pflegeeinrichtung einen Anspruch auf Vergütung (§ 72 Abs. 4 SGB XI). Die Zulassung einer Pflegeeinrichtung zur Versorgung der gesetzlich Versicherten endet durch Kündigung des Versorgungsvertrages gem. § 74 SGB XI. Ein Kündigungsgrund ist insbesondere gegeben, wenn die Einrichtung nicht nur vorübergehend eine der oben genannten Voraussetzungen für den Abschluss des Vertrages nicht mehr erfüllt. Des Weiteren benötigt der Heimträger einen Versorgungsvertrag nach § 132h SGB V, wenn er zulasten der Krankenkassen die Kurzzeitpflege nach § 39c SGB V erbringen möchte. § 132h SGB V macht nur wenige Vorgaben für den Abschluss des Vertrages. Als Vertragspartner des Einrichtungsträgers benennt er die Krankenkassen oder deren Landesverbände. Ferner setzt der Abschluss des Vertrages voraus, dass die Einrichtung geeignet ist. Diese Eignung ist bei Einrichtungen, die einen Versorgungsvertrag mit den Landesverbänden der Pflegekassen abgeschlossen haben, zu bejahen. Hingegen ist offen, nach welchen Kriterien sich die Eignung der Einrichtungen beurteilt, die ausschließlich die Kurzzeitpflege nach § 39c SGB V erbringen. Allerdings ist das Klärungsbedürfnis der Frage gering, weil es derartige Einrichtungen kaum geben wird. 277 Vgl. Neumann, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd. 4, § 21 Rn. 28. <?page no="176"?> 176 Recht im Gesundheitswesen ◉ Beispiel Die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen haben mit den Vereinigungen der Träger eine Landesvereinbarung für den Freistaat Sachsen über die Kurzzeitpflege (Leistungsgrundlagen, Vergütung und deren Abrechnung) geschlossen, der alle vollstationären Einrichtungen mit einer Zulassung nach § 72 SGB XI beitreten können. 278 Der Abschluss des Versorgungsvertrages nach § 132h SGB V (oder der Beitritt zum Vertrag wie im vorgenannten Beispiel) bewirkt, dass der Heimträger die gesetzlich Versicherten mit der Kurzzeitpflege wegen schwerer oder akut verschlimmerter Krankheit versorgen darf; zum Vergütungsanspruch siehe Abschnitt 2.5.2.4. 2.5.2.4 Heimentgelte und Pflegesatzvereinbarung Neben den steuerfinanzierten Fördergeldern für Investitionsaufwendungen (siehe Abschnitt 2.5.3) vereinnahmt eine teil- oder vollstationäre Pflegeeinrichtung ein Gesamtheimentgelt, ggf. ein Entgelt für Zusatzleistungen sowie sonstige Einnahmen. Das Gesamtheimentgelt setzt sich wie folgt zusammen: Abb. 31: Gesamtheimentgelt (§ 87a Abs. 1 S. 1 SGB XI) 278 Vgl. Landesvereinbarung im Freistaats Sachsen zur Kurzzeitpflege nach § 132h i. V. m. § 39c SGB V für vollstationäre Pflegeinrichtungen mit Zulassung nach § 72 SGB XI, http: / / www.aokgesundheitspartner.de/ sac/ pflege/ stationaer/ kurzzeit/ index.html (Abruf am 7.2.2018). Gesamtheimentgelt (§ 87a Abs.1 S.1 SGB XI) Pflegesatz (= Pflegeentgelt) § 82 Abs.1 S.1,3 § 84 Abs.1 S.1 Entgelt für Unterkunft und Verpflegung § 87 SGB XI Entgelt für berechenbare Investitionsaufwendungen § 82 Abs.3, 4 SGB XI Entgelt für allgemeine Pflegeleistungen, inkl. Betreuung, sowie medizinische Behandlungspflege, soweit diese nicht Krankenpflege nach § 37 SGB V ist Zuschlag für zusätzliche Betreuung § 84 Abs. 8 SGB XI Entgelt für Ausbildungsvergütung, § 82a SGB XI <?page no="177"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 177 Die Pflegesätze werden vom Träger des Heims und folgenden Kostenträgern Pflegekassen oder ihre gebildeten Arbeitsgemeinschaften, sonstige Sozialversicherungsträger (z. B. Berufsgenossenschaft) oder ihren gebildeten Arbeitsgemeinschaften und die Sozialhilfeträger, die für die Bewohner des Heims zuständig sind, oder deren Arbeitsgemeinschaften vereinbart. Die Kostenträger sind jedoch nur dann Vertragspartei, wenn auf sie im Jahr vor der Pflegesatzverhandlung 5 % der Berechnungstage entfallen (§ 85 Abs. 1, 2 SGB XI). Damit soll eine zu große Anzahl der Verhandlungspartner vermieden werden. Der Vertragsschluss setzt aufseiten der Kostenträger keine Einigkeit, sondern eine mehrheitliche Entscheidung voraus (§ 85 Abs. 4 S. 1 SGB XI). Die Vereinigungen der Pflegeheime im Land, die Landesverbände der Pflegekassen und der Verband der privaten Krankenversicherung können sich an den Verhandlungen beteiligen, ohne dass sie Vertragspartner werden (§ 85 Abs. 2 S. 3 SGB XI). Die Pflegesätze werden für jedes Pflegeheim gesondert sowie schriftlich vereinbart (§ 85 Abs. 2 S. 2, Abs. 4 S. 2 SGB XI). Die Vertragspartner haben für die Festlegung der H ö he de r Pflege s ä tz e fo lg en de Be me ss un gs grund s ä t ze zu be r ü ck si ch ti ge n: Die Pflegesätze, auch Pflegevergütung genannt, sind gem. § 84 Abs. 1 SGB XI ein Entgelt für die teil- und vollstationären Pflegeleistungen, für die Betreuung sowie für die medizinische Behandlungspflege, soweit diese nicht von Krankenpflege nach § 37 SGB V erfasst wird. Mit ihnen werden weder die Investitionsaufwendungen der Einrichtung noch die Unterkunft und Verpflegung vergütet. Die Pflegesätze müssen leistungsgerecht sein (§ 84 Abs. 2 S. 1 SGB XI). In diesem Sinne werden die Leistungs- und Qualitätsmerkmale der Einrichtung, also die zu erbringenden Pflege- und Betreuungsleistungen, der zu versorgende Personenkreis sowie das vorzuhaltende Personal, vereinbart (§ 84 Abs. 5 SGB XI). Da der Versorgungsaufwand für jeden Pflegebedürftigen von seinem Pflegegrad abhängig ist, werden die Pflegesätze den fünf Graden entsprechend festgelegt. Die Pflegesätze müssen lt. § 84 Abs. 2 SGB XI so bemessen sein, dass die Einrichtung bei wirtschaftlicher Betriebsführung ihren Versorgungsauftrag erfüllen, ihre Aufwendungen für Personalkosten, inkl. Ausbildungsvergütung gem. § 82a SGB XI, für Sachkosten, wie z. B. Energie, medizinische Geräte, Lebensmittel, finanzieren sowie einen Gewinn erzielen kann. Es besteht jedoch kein Selbstkostendeckungsprinzip. Das Heim hat keinen Anspruch darauf, dass alle Betriebskosten refinanziert werden. Eine unwirtschaftliche Betriebsführung kann zu nicht gedeckten Kosten und somit letztlich zu einem unternehmerischen Verlust führen. Die Wirtschaftlichkeit der Betriebsführung wird im Vergleich mit den anderen zugelassenen gleichartigen Pflegeeinrichtungen ermittelt. Dieser sog. externe Vergleich 279 bedeutet, dass die von der Einrichtung verlangten Pflegesätze den vereinbarten Pflegevergütungen gleichartiger Einrichtungen gegenüber gestellt werden, die vor Ort - in der Regel auf den Landkreis 279 Grundlegend zum externen Vergleich: BSG, Urt. v. 29.01.2009, B 3 P 7/ 08 R, NZS 2010, 35 ff. <?page no="178"?> 178 Recht im Gesundheitswesen oder die kreisfreie Stadt bezogen - zugelassen sind. Die verlangten Pflegesätze sind ohne weitere Prüfung wirtschaftlich, wenn sie im unteren Drittel der Pflegesätze aller vergleichbaren Einrichtungen liegen. Oberhalb des unteren Drittels sind sie wirtschaftlich, wenn es dafür berechtigte Gründe gibt. Wenn der Einrichtungsträger beispielsweise sein Personal nach Tarifvertrag (inkl. der kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen) entlohnt, so gilt dies als wirtschaftlich, auch wenn dadurch seine Personalkosten höher als die anderer Heime sind. Die tarifvertragliche Bezahlung ist gesellschaftlich erwünscht, so dass sie auch mit den Pflegesätzen zu refinanzieren ist. Andere Gründe für ein höheres Entgelt sind insbesondere ein besonderer Versorgungsauftrag (z. B. Pflege von Wachkomapatienten) oder Lage, Größe und Zuschnitt der Einrichtung. Da die Pflegeversicherung nicht die gesamten Kosten der teil- und vollstationären Pflege übernimmt, müssen sich die Pflegebedürftigen an den Pflegesätzen beteiligen. Der Eigenanteil ergibt sich aus der Differenz zwischen dem für den jeweiligen Pflegegrad vereinbarten Pflegesatz und den Leistungen, die die Pflegekasse gem. §§ 41-43 SGB XI erbringt. Für die vollstationäre Dauerpflege besteht seit dem 1.1.2017 die Besonderheit, das für alle Bewohner des Heims einrichtungseinheitliche Eigenanteile zu regeln sind (§ 84 Abs. 2 S. 3 SGB XI). Zuvor waren die Eigenanteile abhängig von der Pflegestufe unterschiedlich hoch. Da der Eigenanteil mit zunehmender Pflegebedürftigkeit stieg, erwies er sich als Hemmnis für einen Antrag des Pflegebedürftigen auf Zuerkennung einer höheren Pflegestufe. Seit der Neuregelung wird nunmehr bezogen auf das Pflegeheim für die Pflegegrade 2 bis 5 ein einheitlicher Eigenanteil vereinbart, der letztlich eine Quersubvention der Bewohner mit einem niedrigeren Pflegegrad zu denen mit höheren Pflegegrade bedeutet. Für die Bewohner mit dem Pflegegrad 1 ist eine solche Vereinbarung nicht vorgesehen und nicht notwendig, weil diese Bewohner gem. § 28a Abs. 3 SGB XI ohnehin nur einen Anspruch auf einen monatlichen Zuschuss von 125,- Euro haben und den darüber hinaus gehenden Betrag allein zahlen müssen. Ferner dürfen die Pflegesätze nicht nach den Kostenträgern differenziert werden (§ 84 Abs. 3 SGB XI). Das bedeutet, dass die verhandelten Pflegesätze auch für die Pflegebedürftigen gelten, die privat versichert sind und das Entgelt selbst zahlen. Gem. §§ 70, 84 Abs. 2 S. 7 SGB XI müssen die Pflegekassen bei der Bemessung der Pflegesätze beachten, dass ihre Leistungsausgaben die Beitragseinnahmen nicht übersteigen (sog. Grundsatz der Beitragsstabilität). Dieser Grundsatz gilt für alle Vergütungsvereinbarungen, die die Pflegekassen abschließen. Wenn eine bestehende Pflegesatzvereinbarung neu verhandelt wird, orientieren sich die Pflegekassen zur Einhaltung des Grundsatzes der Beitragsstabilität an der sog. Grundlohnrate. Diese bildet die Veränderungsrate der beitragspflichtigen Einnahmen aller Mitglieder der Krankenkasse ab und wird jährlich aktualisiert (vgl. § 71 Abs. 3 SGB V). Wenn die Pflegeeinrichtung zusätzliche Leistungen zur Betreuung und Aktivierung der Pflegebedürftigen gem. § 43b SGB XI erbringt, werden Vergütungszuschläge vereinbart, die von der Pflegekasse ohne Beteiligung des Pflegebedürftigen zu zahlen sind (§ 84 Abs. 8, § 85 Abs. 8 SGB XI). Gleiches gilt für den Krankenversicherer, wenn der Pflegebedürftige privat versichert ist. <?page no="179"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 179 Darüber hinaus vereinbaren die o. g. Pflegesatzparteien gem. § 87 SGB XI die (getrennten) Entgelte für Unterkunft und Verpflegung, die der Pflegebedürftige oder bei fehlender Leistungsfähigkeit der für ihn zuständige Sozialhilfeträger bezahlen muss. Für diese Entgelte kommen die Pflegekassen nicht auf, es sei denn, es liegt der (seltene) Ausnahmefall des § 43 Abs. 2 S. 3 SGB XI vor. Nach dieser Vorschrift übernimmt die Pflegekasse auch die Aufwendungen für Unterkunft und Verpflegung, soweit die von der Pflegekasse zu zahlende Vergütung für Pflege, Betreuung und medizinische Behandlungspflege geringer als der jeweilige Leistungsbetrag ist, den der Versicherte nach § 43 SGB XI beanspruchen kann. Angesichts der Identität der Vertragsparteien werden die Entgelte für Unterkunft und Verpflegung üblicherweise zusammen mit den Pflegesätzen verhandelt, in den oben beschriebenen externen Vergleich einbezogen und vereinbart. In dieser Vereinbarung werden zugleich die Leistungsmerkmale der Unterkunft und Verpflegung bestimmt. Die Pflegesätze sowie die Entgelte für Unterkunft und Verpflegung werden im Voraus, also vor der jeweiligen Wirtschaftsperiode vereinbart (§ 85 Abs. 3 S. 1 SGB XI). Für die Verhandlungen muss die Pflegeeinrichtung zum einen die Pflegedokumentation und die Stellungnahme der Interessenvertretung der Bewohner zu den verlangten Pflegesätzen vorlegen. Zum anderen muss sie ihre Kalkulation und ggf. notwendige Erläuterungen der Personalkosten den Kostenträgern zukommen lassen, und zwar nicht nur für die Beschäftigten in der Pflege, sondern auch für das Leitungs-, Verwaltungs- und technische Personal. Die Kalkulation der Sachkosten, wie z. B. Wasser, Energie und Lebensmittel, ist ebenfalls mit geeigneten Unterlagen darzulegen. Die voraussichtlich entstehenden Kosten müssen für die Vertragspartner plausibel und nachvollziehbar sein. 280 Wenn das nicht der Fall ist, können die Kostenträger für die Prüfung der Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit weitere Unterlagen und Auskünfte, z. B. zur tatsächlichen Stellenbesetzung und tariflichen Eingruppierung des Personals (§ 85 Abs. 3 S. 3, 4 SGB XI) verlangen. Wenn sich die Pflegesatzparteien innerhalb von sechs Wochen nicht einigen können, hat jede Partei die Möglichkeit, die im Bundesland errichtete Schiedsstelle anzurufen (§ 85 Abs. 5, § 76 SGB XI). Auf den Pflegesatz zahlt die Pflegekasse die Leistung, die ihrem Versicherten gem. §§ 41 bis 43 SGB XI zusteht, unmittelbar an die Einrichtung (§ 87a Abs. 3 SGB XI). Den Differenzbetrag zum vereinbarten Pflegesatz plus Entgelt für Unterkunft und Verpflegung zahlt der Pflegebedürftige oder bei dessen fehlender Leistungsfähigkeit der zuständige Sozialhilfeträger (siehe auch Abschnitte 2.5.4. und 2.5.5). Gem. § 88 SGB XI vereinnahmt die Pflegeeinrichtung wie bereits eingangs erwähnt ein Entgelt für Zusatzleistungen, wenn sie solche anbietet (siehe Abschnitt 2.5.2.2). Das Entgelt für diese Zusatzleistungen zahlt nicht die Pflegekasse, sondern der Pflegebedürftige selbst (siehe auch Abschnitt 2.5.5). Zu den sonstigen Einnahmen zählen beispielsweise die Anerkennungsprämie gem. § 87a Abs. 4 SGB XI für eine vollstationäre Einrichtung, wenn ein Bewohner in 280 Grundlegend zur Vorlagepflicht eines Pflegeheims: BSG, Urt. v. 29.01.2009, B 3 P 7/ 08 R, NZS 2010, 35 ff. <?page no="180"?> 180 Recht im Gesundheitswesen einen geringeren Pflegegrad zurückgestuft wird, oder Betriebskostenzuschüsse gem. § 82 Abs. 5 SGB XI. Die Vergütung für die Kurzzeitpflege nach § 39c SGB V muss der Einrichtungsträger mit den Krankenkassen oder deren Landesverbänden vereinbaren. Die im Abschnitt 2.5.2.3 erwähnte Landesvereinbarung für den Freistaat Sachsen sieht beispielsweise eine Vergütung vor, die der jeweils nach § 85 SGB XI vereinbarten Vergütung des Pflegegrades 3 entspricht. 281 2.5.2.5 Qualitätsmanagement und Qualitätssicherung Der Träger der Pflegeeinrichtung ist für die Pflegequalität verantwortlich. Er muss für eine ausreichende Ergebnisqualität (Wirksamkeit der Pflege- und Betreuungsmaßnahmen), Prozessqualität (Organisation, Durchführung und Evaluation der Pflege- und Betreuungsmaßnahmen) sowie Strukturqualität (personelle und sachliche Ausstattung, bauliche Gegebenheiten sowie Aufbauorganisation der Einrichtung) sorgen. Die wesentlichen Leistungs- und Qualitätsmerkmale der Einrichtung werden in der Pflegesatzvereinbarung festgehalten. Die Pflegeleistungen sind unter Beachtung des medizinisch-pflegerischen Standards zu erbringen. Für die Dekubitus- und Sturzprophylaxe, das Schmerz-, Ernährungs- und Entlassungsmanagement, die Förderung der Harnkontinenz sowie Versorgung chronischer Wunden hat das Deutsche Netzwerk für Qualitätssicherung in der Pflege (DNQP) Expertenstandards entwickelt. 282 Diese geben den allgemein anerkannten Stand der medizinisch-pflegerischen Erkenntnisse wieder und haben folgende charakteristischen Merkmale: 283 Sie zeigen den Beitrag der Pflege für die gesundheitliche Versorgung der Patienten und Bewohner auf. Sie stellen ein professionell abgestimmtes Leistungsniveau dar, das an den Bedarf und die Bedürfnisse der Patienten und Bewohner angepasst ist. Sie enthalten auch Kriterien zur Erfolgskontrolle der Pflege. Sie sind evidenzbasiert und mono- oder multidisziplinär. Seit dem Inkrafttreten des Pflege-Weiterentwicklungsgesetz 284 im Jahre 2008 ist vorgesehen, dass der Spitzenverband Bund der Pflegekassen, die Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe, die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände und die Vereinigungen der Träger der Pflegeeinrichtungen auf Bundesebene die Expertenstandards vereinbaren (vgl. § 113a SGB XI). Dazu haben sie eine Verfahrensordnung für die Entwicklung der Expertenstandards verabschiedet. 285 Seit 2014 liegt der Entwurf eines Expertenstandards 281 Vgl. § 3 Landesvereinbarung im Freistaats Sachsen zur Kurzzeitpflege nach § 132h i. V. m. § 39c SGB V für vollstationäre Pflegeinrichtungen mit Zulassung nach § 72 SGB XI, http: / / www.aokgesundheitspartner.de/ sac/ pflege/ stationaer/ kurzzeit/ index.html (Abruf am 7.2.2018). 282 Siehe https: / / www.dnqp.de/ de/ expertenstandards-und-auditinstrumente/ (Abruf am 15.7.2018). 283 Siehe Theuerkauf, MedR 2011, 72 ff. [72]. 284 Gesetz zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung v. 28.5.2008, BGBl. I S. 874. 285 Vgl. Vereinbarung nach § 113a Abs. 2 Satz 2 SGB XI über die Verfahrensordnung zur Entwicklung von Expertenstandards zur Sicherung und Weiterentwicklung in der Pflege vom 30.3.2009 https: / / www.gkvspitzenver- <?page no="181"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 181 zur Erhaltung und Förderung der Mobilität 286 vor, der allerdings noch nicht beschlossen worden ist. Wenn die Expertenstandards von den genannten Akteuren auf der Bundesebene verabschiedet werden, sind diese für die Pflegeinrichtung wie auch für die Pflegekassen und deren Landesverbände verbindlich (§ 113a Abs. 3 SGB XI). Zudem ist die Einhaltung der Standards eine Voraussetzung sowohl für den Abschluss als auch für die Aufrechterhaltung des Versorgungsvertrages (§ 72 Abs. 3, § 74 Abs. 1 S. 1 SGB XI). Im Übrigen kann die Missachtung der Expertenstandards zur Schadenersatzpflicht des Heimträgers gegenüber dem Bewohner führen. Die Haftungstatbestände der § 280 Abs. 1, § 823 Abs. 1 BGB (vgl. Abschnitt 2.2.7) gelten auch für Pflegeeinrichtungen. Um die Qualität der Leistungen zu sichern, muss der Einrichtungsträger jederzeit (auch z. B. bei krankheitsbedingten Engpässen) das vereinbarte und notwendige Personal sicherstellen (§ 84 Abs. 5, 6 SGB XI). Ferner muss er ein Qualitätsmanagement betreiben (§ 112 Abs. 2, § 113 SGB XI). Ein Qualitätsmanagement umfasst alle Maßnahmen der Organisationsentwicklung, die darauf angelegt sind, die Leistungen der Pflegeeinrichtung nicht dem Zufall zu überlassen. Es handelt sich um ein systematisches Vorgehen, um Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität der Leistungen gezielt zu beeinflussen. An den Maßnahmen der internen und externen Qualitätssicherung (z. B. Qualitätszirkel, Visiten, Audits oder Qualitätskonferenzen) soll sich der Einrichtungsträger ebenfalls beteiligen. Die Einzelheiten des Qualitätsmanagements und der Qualitätssicherung sind in den auf Bundesebene vereinbarten Maßstäben und Grundsätzen gem. § 113 SGB XI in der vollstationären Pflege 287 und in der teilstationären Pflege 288 geregelt. Das Betreiben eines Qualitätsmanagements ist nicht nur Voraussetzung für den Abschluss des Versorgungsvertrages, sondern auch für dessen Aufrechterhaltung (§ 74 Abs. 1 S. 1 SGB XI). Das bedeutet, dass bei fehlendem Qualitätsmanagement die Landesverbände der Pflegekassen den Vertrag kündigen können und die Einrichtung damit ihre Zulassung zur Versorgung gesetzlich Versicherter verlieren würde. Die Einhaltung der Leistungs- und Qualitätsmerkmale durch die Pflegeeinrichtung unterliegt den gesetzlich vorgesehenen Qualitätsprüfungen, an denen die Einrichtung mitwirken muss (§ 112 Abs. 2 SGB XI). Die Prüfungen werden vom Mediziniband.de/ media/ dokumente/ pflegeversicherung/ qualitaet_in_der_pflege/ expertenstandard/ Vereinbarung_Ve rfahrensordnung_fuers_Internet.pdf (Abruf am 11.2.2018). 286 Expertenstandard nach § 113a SGB XI Erhaltung und Förderung der Mobilität in der Pflege https: / / www.gkv-spitzenverband.de/ media/ dokumente/ pflegeversicherung/ qualitaet_in_der_pflege / expertenstandard/ Pflege_Expertenstandard_Mobilitaet_Abschlussbericht_14-07-14_finaleVersion.pdf (Abruf am 11.2.2018). 287 Vgl. Maßstäbe und Grundsätze für die Qualität und die Qualitätssicherung sowie für die Entwicklung eines einrichtungsinternen Qualitätsmanagements nach § 113 SGB XI in der vollstationären Pflege vom 27.5.2011 https: / / www.gkv-spitzenverband.de/ media/ dokumente/ pflegeversicherung/ richtlinien__vereinbarungen__formulare/ richtlinien_und_grundsaetze_zur_qualitaetssicherung/ 2011_06_09_MuG_stat_Fassung_nach_Schiedsspruch.pdf (Abruf am 9.2.2018). 288 Vgl. Maßstäbe und Grundsätze für die Qualität und die Qualitätssicherung sowie für die Entwicklung eines einrichtungsinternen Qualitätsmanagements nach § 113 SGB XI in der teilstationären Pflege (Tagespflege) vom 10.12.2012 https: / / www.gkv-spitzenverband.de/ media/ dokumente/ pflegeversicherung/ richtlinien__vereinbarungen__formulare/ richtlinien_und_grundsaetze_zur_qualitaetssicherung/ 2013-02- 08_Pflege_Massstaebe_und_Grundsaetze_teilstationaer.pdf (Abruf am 9.2.2018). <?page no="182"?> 182 Recht im Gesundheitswesen schen Dienst der Krankenversicherung und sowie im Umfang von 10 % vom Prüfdienst des Verbandes der privaten Krankenversicherung 289 grundsätzlich unangemeldet durchgeführt (§ 114a Abs. 1 SGB XI). Sie erfolgen als Regel-, Anlass- oder Wiederholungsprüfung (§ 114 Abs. 1 S. 3 SGB XI). Abb. 32: Qualitätsprüfungen Die näheren Einzelheiten zur Durchführung der Qualitätsprüfungen sind in den Qualitätsprüfungs-Richtlinien des GKV-Spitzenverbandes 290 verankert. Über die Ergebnisse der Prüfungen werden die Landesverbände der Pflegekassen, der zuständige Sozialhilfeträger sowie die Heimaufsichtsbehörde informiert (§ 115 Abs. 1 SGB XI). Die Landesverbände der Pflegekassen veranlassen zur Information der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen die Veröffentlichung der von der Pflegeeinrichtung erbrachten Leistungen in fünf Qualitätsbereichen: Pflege und medizinische Versorgung, Umgang mit demenzkranken Bewohnern, Betreuung und Alltagsgestaltung, Wohnen, Verpflegung, Hauswirtschaft und Hygiene, Befragung der Bewohner 289 Prüfdienst des Verbandes der privaten Krankenversicherung ist die MEDICPROOF GmbH, siehe auch www.medicproof.de. 290 Richtlinien des GKV-Spitzenverbandes (als Spitzenverband Bund der Pflegekassen) über die Prüfung der in Pflegeeinrichtungen erbrachten Leistungen und deren Qualität nach § 114 SGB XI (Qualitätsprüfungs- Richtlinien - QPR) v. 27.9.2017, https: / / www.gkvspitzenverband.de/ media/ dokumente/ pflegeversicherung/ richtlinien__vereinbarungen__formulare/ richtlinien_und_gr undsaetze_zur_qualitaetssicherung/ qpr_2017/ 2017_11_27_QPR_Teil_1_und_2_genehmigt.pdf (Abruf am 9.2.2018). Qualitätsprüfungen Regelprüfung § 114 Abs. 2, 3 SGB XI in jährlichem Abstand Prüfungsschwerpunkt Ergebnisqualität, aber auch Struktur- und Prozessqualität Anlassprüfung § 114 Abs. 4 S. 1-3 SGB XI anlassbezogener Zeitpunkt Prüfungsschwerpunkt Ergebnisqualität Wiederholungsprüfung § 114 Abs. 4 S. 2, 4 SGB XI nach vorheriger Regel- oder Anlassprüfung Prüfung, ob zuvor festgestellte M ä ngel bes eit ig t worden sind <?page no="183"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 183 (vgl. § 115 Abs. 1a SGB XI, Pflege-Transparenzvereinbarung stationär 291 ). Die Veröffentlichungen sind einheitlich gestaltet und beinhalten für jeden Qualitätsbereich eine Note sowie eine Gesamtnote (sog. Pflegenoten). Wenn bei einer Qualitätsprüfung mangelhafte Leistungen der Pflegeeinrichtung zutage treten, so sieht das Gesetz verschiedene Rechtsfolgen vor: Abb. 33: Rechtsfolgen mangelhafter Leistungen 2.5.3 Öffentliche Investitionsförderung Die Bundesländer sind im Rahmen der Daseinsvorsorge für ihre Bürger für das Vorhandensein ausreichender Pflegeeinrichtungen verantwortlich, so dass die Planung und Förderung der Einrichtungen zu ihren Aufgaben gehören (Art. 30, 70 Abs. 1 GG, § 9 SGB XI). Die Einführung der Pflegeversicherung bedeutet eine finanzielle Entlastung der Länder im Bereich der Sozialhilfe. Diese Einsparungen sollen die Länder für die finanzielle Förderung der Pflegeeinrichtungen einsetzen. Jedoch gibt es nicht in allen Bundesländern eine Investitionsförderung. Zum Stichtag 31.12.2015 bezuschussten zwölf von sechzehn Ländern die Investitions- 291 Vereinbarung nach § 115 Abs. 1a Satz 8 SGB XI über die Kriterien der Veröffentlichung sowie die Bewertungssystematik der Qualitätsprüfungen nach § 114 Abs. 1 SGB XI sowie gleichwertiger Prüfergebnisse in der stationären Pflege v. 17.12.2008 i. d. F. v. 11.08.2016, https: / / www.gkvspitzenverband.de/ media/ dokumente/ pflegeversicherung/ richtlinien__vereinbarungen__formulare/ transparenzvereinb arungen/ pvts_neu_ab_2017_01_01_stationaer/ 16_08_11_PTVS_FINAL_Gesamt.pdf (Abruf am 11.2.2018). SCR SCR Der Pflegebedürftige kann bei schwerwiegenden, kurzfristig nicht behebbaren Mängel gem. § 115 Abs. 4, 6 SGB XI die Vermittlung einer anderen Pflegeeinrichtung verlangen. Die Landesverbände der Pflegekassen erlassen gem. § 115 Abs. 2 SGB XI Anordnungen zur Beseitigung der Mängel. Kommt die Einrichtung der angeordneten Mängelbeseitigung nicht nach, so können die Landesverbände den Versorgungsvertrag gem. § 115 Abs. 2 S. 2, § 74 SGB XI kündigen. Die Pflegeeinrichtung macht sich ggf. gegenüber dem Pflegebedürftigen schadenersatzpflichtig (§ 115 Abs. 3 S. 7 SGB XI, § 280 Abs. 1, § 823 BGB). Die Pflegevergütung kann gem. § 115 Abs. 3 SGB XI gekürzt werden. Rechtsfolgen mangelhafter Leistungen <?page no="184"?> 184 Recht im Gesundheitswesen aufwendungen der teil- und vollstationären Einrichtungen. 292 Die Investitionsförderung wird durch das Recht des jeweiligen Bundeslandes geregelt. Die Förderung bedeutet insbesondere eine finanzielle Unterstützung im Hinblick auf die Investitionskosten, währenddessen für die Vergütung der Pflegeleistungen die Pflegekassen und die Versicherten aufkommen. In diesem Sinne werden die Pflegeeinrichtungen (ähnlich wie die Krankenhäuser) dual finanziert. Dabei sind folgende Arten der Investitionsförderung zu unterscheiden: Abb. 34: Investitionsförderung Der öffentlichen Investitionsförderung unterliegen - je nach landesrechtlicher Regelung - Aufwendungen der Pflegeeinrichtung für: Herstellung, Anschaffung, Wiederbeschaffung, Ergänzung, Instandhaltung oder Instandsetzung der für den Betrieb notwendigen Gebäude und sonstigen abschreibungsfähigen Anlagegüter (z. B. Fahrzeuge), Erwerb und Erschließung von Grundstücken, Miete, Pacht, Erbbauzins, Nutzung oder Mitbenutzung von Grundstücken, Gebäuden oder sonstigen Anlagegütern, den Anlauf oder die innerbetriebliche Umstellung von Pflegeeinrichtungen, die Schließung von Pflegeeinrichtungen oder ihre Umstellung auf andere Aufgaben. Dagegen sind die zum Verbrauch bestimmten Güter nicht förderfähig. Sie werden mit den Pflegesätzen vergütet (vgl. § 82 Abs. 2 Nr. 1 SGB XI und Abschnitt 2.5.2.4). 292 Vgl. Sechster Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung der Pflegeversicherung und den Stand der pflegerischen Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland, S. 180, 283, https: / / www.bundesgesundheitsministerium.de/ ministerium/ meldungen/ 2016/ sechster-pflegebericht.html (Abruf am 6.2.2018). Investitionsförderung Objektförderung Subjektförderung = Unterstützung der Pflegeeinrichtung bei der Tragung der betriebsnotwendigen Investitionsaufwendungen = Unterstützung des Pflegebedürftigen bei der Tragung der ihm von der Pflegeeinrichtung berechneten betriebsnotwendigen Investitionsaufwendungen <?page no="185"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 185 ◉ Beispiel Die Aufwendungen für den Bau eines Wohngebäudes (= Aufwendungen für die Herstellung) und für die Reparatur der Heizungsanlage (= Aufwendungen für Instandsetzung) sind bei entsprechender landesrechtlicher Regelung förderfähig. Dagegen sind die Zahlungen der Pflegeeinrichtung an den Energieversorger für Strom und Fernwärme nicht förderfähig, sie gehen in die Kalkulation der Pflegesätze ein. Soweit das Heim keine öffentliche Investitionsförderung erhält, kann es dem Pflegebedürftigen seine betriebsnotwendigen Investitionsaufwendungen gem. § 82 Abs. 3, 4 SGB XI in Rechnung stellen. Näheres dazu finden Sie im Abschnitt 2.5.5. Weitere Aspekte der Investitionsförderung, wie z. B. behördliche Zuständigkeit, Verfahrensablauf, Förderhöhe, sind ebenfalls in den landesrechtlichen Regelungen enthalten. 2.5.4 Leistungserbringung im System der Sozialhilfe Soweit die Pflegeversicherung oder ein anderer Sozialleistungsträger für das vom Bewohner zu zahlende Gesamtheimentgelt nicht aufkommen und der Heimbewohner (einschließlich seiner einstandspflichtigen Angehörigen) selbst kein ausreichendes Einkommen oder Vermögen hat, um das Entgelt zu zahlen, entsteht die Leistungsverpflichtung für den Sozialhilfeträger gem. SGB XII. Zum Gesamtheimentgelt hören beispielsweise die Kosten der Unterkunft und Verpflegung, die keine Leistung der Pflegeversicherung, sondern vom Bewohner selbst zu tragen sind (vgl. § 82 Abs. 1 S. 4 SGB XI). Ferner übersteigen die an das Heim zu zahlenden Pflegesätze im Allgemeinen die gesetzlich vorgesehenen Leistungen der Pflegeversicherung an den Versicherten. Zur Erfüllung seiner Aufgaben soll der Sozialhilfeträger keine eigenen Einrichtungen schaffen, sondern mit vorhandenen geeigneten Einrichtungen Verträge zur Leistungserbringung schließen (§ 75 Abs. 2 SGB XII). Zwischen den Beteiligten entsteht somit folgendes sozialhilferechtliches Dreiecksverhältnis: <?page no="186"?> 186 Recht im Gesundheitswesen Abb. 35: Sozialhilferechtliches Dreiecksverhältnis Die sachliche Zuständigkeit für den Abschluss des Vertrages bzw. der Verträge mit dem Einrichtungsträger liegt je nach Regelung im Landesrecht beim örtlichen oder überörtlichen Sozialhilfeträger (vgl. § 97 SGB XII). Die örtliche Zuständigkeit wird durch den Sitz der Einrichtung bestimmt (§ 77 Abs. 1 S. 2 SGB XII). ❋ Wissen │ Leistungs-, Prüfungs- und Vergütungsvereinbarung Die Vereinbarungen zwischen Sozialhilfeträger und Einrichtungsträger werden prospektiv geschlossen und müssen den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit und Leistungsfähigkeit entsprechen. Sie sollen folgende Bereiche regeln: Leistungsvereinbarung (§ 75 Abs. 3 S. 1 Nr. 1, § 76 Abs. 1 SGB XII) Der Inhalt, Umfang und die Qualität der Leistungen sind mindestens mit folgenden Leistungsmerkmale festzulegen: betriebsnotwendige Anlagen der Einrichtung, zu betreuender Personenkreis, Art, Ziel und Qualität der Leistung, Qualifikation des Personals sowie die erforderliche sächliche und personelle Ausstattung. Prüfungsvereinbarung (§ 75 Abs. 3 S. 1 Nr. 3, § 76 Abs. 3 SGB XII) Es sind die Grundsätze und Maßstäbe für die Wirtschaftlichkeit und die Qualitätssicherung der Leistungen sowie für den Inhalt und das Verfahren zur Durchführung von Wirtschaftlichkeits- und Qualitätsprüfungen zu vereinbaren. Leistungsbewilligung Heimvertrag Vereinbarungen zur Leistungserbringung und Vergütung Sozialhilfeträger Einrichtungsträger Sozialhilfeempfänger <?page no="187"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 187 Vergütungsvereinbarung (§ 75 Abs. 3 S. 1 Nr. 2, § 76 Abs. 2 SGB XII) Die Vergütung wird in Form von Pauschalen vereinbart, und zwar als Grundpauschale für die Unterkunft und Verpflegung, als Maßnahmepauschale für die Hilfeleistungen sowie als Investitionsbetrag für die betriebsnotwendigen Anlagen einschließlich ihrer Ausstattung, also z. B. Kosten für die Herstellung oder den Erwerb von Gebäuden und sonstigen abschreibungsfähigen Anlagegütern (z. B. Fahrzeuge), Miet- oder Pachtzahlungen für Grundstücke oder Gebäude. Wenn das Heim Mittel aus der öffentlichen Investitionsförderung erhält, sind diese zu berücksichtigen. Für die Vereinbarungen mit einer Pflegeeinrichtung, die zur Versorgung der gesetzlich Versicherten zugelassen ist, bestehen gem. § 75 Abs. 5 SGB XII zwei Besonderheiten: Die erste Besonderheit betrifft die pflegerischen Leistungen, Unterkunft und Verpflegung sowie Zusatzleistungen. Deren Inhalt, Umfang sowie Vergütung richten sich nach der Pflegesatzvereinbarung, die mit den Pflegekassen gem. §§ 82 ff. SGB XI getroffen worden ist. Dies gilt allerdings nicht, wenn die Pflegesatzvereinbarung nicht im Einvernehmen mit dem Sozialhilfeträger geschlossen worden ist. Ein solcher Fall tritt ein, wenn der Sozialhilfeträger entweder bei den Pflegesatzverhandlungen von den Pflegekassen überstimmt worden ist, oder er an den Verhandlungen nicht beteiligt war, weil er die fünfprozentige Belegung der Einrichtung gem. §§ 85 Abs. 2 SGB XI nicht erreicht hat. Für den ersten Fall, dass der Sozialhilfeträger überstimmt worden ist, gibt es eine gesetzliche Konfliktregelung: Der Sozialhilfeträger hat die Möglichkeit, die Pflegesatzvereinbarung durch die Schiedsstelle für die Pflegeversicherung (in der Besetzung ohne Vertreter der Pflegekassen und Pflegeeinrichtungen) gem. § 85 Abs. 5 SGB XI und ggf. in einem anschließenden Gerichtsverfahren überprüfen zu lassen. Wählt er diesen Weg nicht, gilt die Vereinbarung auch für ihn. Für den zweiten Fall, dass der Sozialhilfeträger an den Pflegesatzverhandlungen nicht beteiligt war, gibt es keine derartige Regelung, jedenfalls nicht nach dem Wortlaut des § 85 Abs. 5 SGB XI. Die Frage, ob § 85 Abs. 5 SGB XI trotzdem anzuwenden ist, ist umstritten und vom BSG bislang offen gelassen worden. 293 Für die analoge Anwendung dieser Vorschrift spricht, dass die Pflegesätze für alle Bewohner eines Pflegeheimes nach einheitlichen Grundsätzen zu bemessen sind und eine Differenzierung nach Kostenträgern unzulässig ist (vgl. § 84 Abs. 3 SGB XI). Deshalb wird der Sozialhilfeträger, der an der Pflegesatzverhandlung nicht beteiligt war, auch die Schiedsstelle zur Prüfung der Pflegesätze anrufen können bzw. müssen, wenn er die vereinbarten Pflegesätze nicht gegen sich gelten lassen will. Im Übrigen gilt die mit den Pflegekassen getroffene Pflegesatzvereinbarung nicht, soweit der Sozialhilfeträger Hilfeleistungen zur Pflege (§§ 61 ff. SGB XII) erbringen muss, die weiter gehen als die der Pflegeversicherung. In diesem Fall verbleibt die Regelungskompetenz beim Sozialhilfeträger und Einrichtungsträger. 293 Vgl. BSG, Urt. v. 22.3.2012, B 8 SO 1/ 11 R, BeckRS 2012, 71072 Rn. 18 m. w. N., Schellhorn, Kommentar zum SGB XII - Sozialhilfe, § 75 SGB XII Rn. 63 m. w. N. <?page no="188"?> 188 Recht im Gesundheitswesen Die zweite Besonderheit betrifft die Investitionsförderung. Pflegeeinrichtungen, die nicht nach Landesrecht gefördert werden, können ihre betriebsnotwendigen Investitionsaufwendungen gegenüber dem Pflegebedürftigen gem. § 82 Abs. 4 SGB XI ohne Zustimmung der zuständigen Landesbehörde gesondert berechnen (vgl. dazu Abschnitt 2.5.5). Die gesonderte Berechnung muss nur bei der Behörde angezeigt werden. In diesem Fall liegt somit - anders als bei einer geförderten Einrichtung - keine behördliche Zustimmung zur gesonderten Berechnung gegenüber dem Pflegebedürftigen vor. Mangels behördlicher Entscheidung ist der Sozialhilfeträger zur Übernahme der Aufwendungen nur verpflichtet, wenn zwischen ihm und der nicht geförderten Pflegeeinrichtung eine entsprechende Vereinbarung besteht (§ 75 Abs. 5 S. 3 SGB XII). Wenn die nach dem SGB XII zu schließende Vergütungsvereinbarung zwischen dem Sozialhilfeträger und dem Einrichtungsträger nicht innerhalb von sechs Wochen nach schriftlicher Aufforderung zur Vertragsverhandlung zustande kommt, hat jede Vertragspartei die Möglichkeit, die im Bundesland errichtete Schiedsstelle anzurufen (§ 77 Abs. 1 S. 3, § 80 SGB XII). Für die Leistungs- und Prüfungsvereinbarungen ist ein Schiedsstellenverfahren dagegen nicht vorgesehen, so dass insoweit für die Beteiligten unmittelbar der Sozialgerichtsweg eröffnet ist. Lernhinweis Die Schiedsstelle gem. § 80 SGB XII darf nicht mit der oben genannten Schiedsstelle für die Pflegeversicherung gem. § 76 SGB XI verwechselt werden. Durch den Abschluss der Vereinbarungen erwirbt der Einrichtungsträger noch keinen Vergütungsanspruch gegen den Sozialhilfeträger. Erst die Bewilligung der Leistungen an den Sozialhilfeempfänger bewirkt einen sog. Schuldbeitritt des Sozialhilfeträgers, durch den die Einrichtung einen unmittelbaren Zahlungsanspruch gegen den Sozialhilfeträger erlangt. 294 Eine Einrichtung ohne die vorgenannten Vereinbarungen kann nur im Ausnahmefall Leistungserbringer im System der Sozialhilfe sein. Nach § 75 Abs. 4 SGB XII darf der Sozialhilfeträger seine Leistungen durch eine solche Einrichtung nur erbringen, wenn dies nach der Besonderheit des Einzelfalls geboten ist. ◉ Beispiel │ Ausnahmefall Ein Sozialhilfeempfänger wohnt bereits seit vielen Jahren in einem vertraglosen Heim, dessen Entgelte er zuvor selbst bezahlt hat. Wegen seines hohen Alters ist ihm ein Umzug in eine vertragliche Einrichtung nicht zumutbar. Die Höhe der Vergütung der vertraglosen Einrichtung richtet sich nach der der anderen Einrichtungen, die in der Umgebung vergleichbare Leistungen anbieten (§ 75 Abs. 4 SGB XII). 294 Vgl. BSG, Urt. v. 28.10.2008, B 8 SO 22/ 07 R, NJOZ 2009, 2324 ff. [2330]. <?page no="189"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 189 2.5.5 Heimvertrag zwischen (Pflege-)Heim und Bewohner Der Heimvertrag ist ein privatrechtlicher Vertrag zwischen dem Bewohner und dem Betreiber der Einrichtung. Er ist im Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG) geregelt. Im Übrigen finden das BGB sowie in dem Fall, dass der Bewohner Leistungen nach dem SGB XI oder SGB XII bezieht, auch diese Gesetze auf ihn Anwendung (§ 15 WBVG). Vor Vertragsschluss muss der Heimbetreiber den Bewohner über die Leistungen, die dieser in Anspruch nehmen kann, informieren. Dazu gehören z. B. Informationen über die Ausstattung des Heims, über den Wohnraum sowie über die Pflege- und Betreuungsleistungen (§ 3 WBVG). Zudem kann ein Pflegebedürftiger von seiner Pflegekasse gem. § 7 Abs. 3 SGB XI bzw. von seinem privaten Versicherungsunternehmen gem. § 4 Abschnitt I. MB/ PPV 2017 295 eine Vergleichsliste über die Preise und Leistungen der zugelassenen Einrichtungen verlangen. Der Heimvertrag ist schriftlich abzuschließen (§ 6 Abs. 1 S. 1 WBVG). Ein Formverstoß führt nicht zur Unwirksamkeit des gesamten Vertrages, sondern nur der Vereinbarungen, die zuungunsten des Bewohners von den gesetzlichen Regelungen abweichen (§ 6 Abs. 2 S. 1 WBVG). Ferner kann der Bewohner den Vertrag fristlos kündigen (§ 6 Abs. 2 S. 2 WBVG). Für den Vertrag ist in § 6 Abs. 3 WBVG gesetzlich ein Mindestinhalt vorgesehen. Dazu gehören insbesondere die konkreten Beschreibungen der einzelnen Leistungen des Heimbetreibers - Wohnraum, Verpflegung, Pflege und Betreuung - sowie die jeweils dafür anfallenden Entgelte. Ferner sind die Investitionskosten aufzuschlüsseln, wenn für diese der Bewohner aufkommen soll. Gem. § 82 Abs. 3, 4 SGB XI können dem Bewohner Aufwendungen, inkl. Kapitalkosten, für die Herstellung, Anschaffung, Wiederbeschaffung, Instandhaltung und Instandsetzung der notwendigen Gebäude und sonstigen abschreibungsfähigen Anlagegüter sowie Zahlungen für Miete, Pacht, Erbbauzins, Nutzung oder Mitbenutzung von Grundstücken, Gebäuden oder sonstigen Anlagegütern in Rechnung gestellt werden, soweit die Aufwendungen nicht durch die öffentliche Förderung gedeckt sind (zur Investitionsförderung siehe Abschnitt 2.5.3). Wenn das Pflegeheim auch Mittel der öffentlichen Investitionsförderung erhält, bedarf die gesonderte Berechnung der Aufwendungen gegenüber dem Bewohner der Zustimmung der zuständigen Landesbehörde (§ 82 Abs. 3 SGB XI), um zu verhindern, dass dem Bewohner Aufwendungen in Rechnung gestellt werden, die bereits über öffentliche Zuschüsse gedeckt sind. 296 Anders verhält es sich bei nicht geförderten Heimen. Diese müssen die gesonderte Berechnung von Investitionsaufwendungen gegenüber dem pflegebedürftigen Heimbewohner der zuständigen Behörde zu Informationszwecken lediglich anzeigen (§ 82 Abs. 4 SGB XI). 295 Vgl. Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Private Pflegepflichtversicherung, unter https: / / www.pkv.de/ service/ broschueren/ musterbedingungen/ (Abruf am 8.7.2018). 296 Vgl. BSG, Urt. v. 24.7.2003, B 3 P 1/ 03 R, NZS 2004, 313 ff. [315]. <?page no="190"?> 190 Recht im Gesundheitswesen Mit dem Heimvertrag werden auf beiden Seiten Leistungspflichten begründet. Der Heimbetreiber muss den Wohnraum in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand überlassen und diesen Zustand während der Vertragsdauer aufrechterhalten. Ferner muss er die Pflege- und Betreuungsleistungen dem fachlichen Standard entsprechend erbringen (§ 7 Abs. 1 WBVG). Wenn sich der Pflege- und Betreuungsbedarf des Bewohners während der Vertragslaufzeit erhöht, hat der Betreiber ihm entsprechend angepasste Leistungen anzubieten (§ 8 WBVG). Wenn der Träger des Heims seine vertraglichen Leistungen nicht oder nicht ordnungsgemäß erfüllt, kann der Heimbewohner zum einen gem. § 10 WBVG eine Kürzung des vereinbarten Entgelts verlangen. Zum anderen kann der Bewohner, der z. B. durch eine mangelhafte Pflege, geschädigt wird, Schadenersatz verlangen, wenn die Voraussetzungen der § 280 Abs. 1 oder § 823 Abs. 1 BGB erfüllt sind (vgl. zu den Haftungstatbeständen Abschnitt 2.2.7). Der Bewohner muss das vereinbarte Entgelt entrichten (§ 7 Abs. 2-5 WBVG). Wenn der Bewohner Leistungen der sozialen Pflegeversicherung in Anspruch nimmt, ergibt sich die Höhe der Entgelte für Pflege, Betreuung, Unterkunft und Verpflegung aus der Vereinbarung des Heimbetreibers mit den anderen Pflegesatzparteien (siehe Abschnitt 2.5.2.4). Gleiches gilt, wenn der Betreiber Vereinbarungen mit dem zuständigen Sozialhilfeträger nach den §§ 75 ff. SGB XII getroffen hat (siehe Abschnitt 2.5.4). Die auf der Grundlage des SGB XI und SGB XII vereinbarten Entgelte gelten als angemessen und wirken sich letztlich auch auf die privat versicherten Heimbewohner aus, wenn in dem Heim gesetzlich Versicherte mit oder ohne Sozialhilfeanspruch leben, da der Heimbetreiber die Entgelte für alle Bewohner nach einheitlichen Grundsätzen zu bemessen hat (§ 7 Abs. 3 S. 1 WBVG). Eine Differenzierung der Entgelte ist gem. § 7 Abs. 3 S. 2, 3 WBVG nur in Abhängigkeit einer unterschiedlichen öffentlichen Investitionsförderung möglich. Auf die Entgelte für Pflege und Betreuung zahlt die Pflegekasse die Leistungen, die der Bewohner nach den §§ 41-43b SGB V beanspruchen kann. Die Zahlung der Pflegekasse erfolgt gem. § 87a Abs. 3 SGB XI unmittelbar an das Pflegeheim. Den Differenzbetrag muss der Bewohner zahlen. Wenn das Einkommen und Vermögen des Bewohners (bzw. seiner Angehörigen) nicht ausreichend sind, muss der für den Bewohner zuständige Sozialhilfeträger den Differenzbetrag übernehmen. Die Entgelte für Unterkunft und Verpflegung muss der Bewohner oder der für ihn zuständige Sozialhilfeträger vollständig zahlen; die Pflegekassen kommen dafür (abgesehen von dem Fall des § 43 Abs. 2 S. 3 SGB XI) nicht auf. Wenn der Bewohner und der Heimbetreiber sog. Zusatzleistungen (vgl. § 88 SGB XI) vereinbart haben, so kommen dafür weder die Pflegekasse noch der Sozialhilfeträger auf. Bei den Zusatzleistungen handelt es sich beispielswiese um besondere Komfortleistungen bei der Unterkunft und Verpflegung oder zusätzliche (nicht notwendige) pflegerisch-betreuende Leistungen, wie z. B. Fußpflege. Die dafür anfallenden Entgelte muss der Bewohner selbst bezahlen. Der privatversicherte Bewohner erhält die Leistungen seines Versicherers gem. § 6 Abs. 5 MB/ PPV 2017 selbst und muss für die Entrichtung des Heimentgelts selbst sorgen. <?page no="191"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 191 Wenn sich die Berechnungsgrundlagen der Entgelte, z. B. durch Lohnerhöhungen für die Beschäftigten, ändern, so kann der Heimbetreiber die anderen Pflegesatzparteien zur Neuverhandlung der Pflegesätze auffordern (§ 86 SGB XI). Gegenüber dem Bewohner kann er das Erhöhungsverlangen ebenfalls geltend machen. Insoweit muss er die Veränderungen bzgl. der Berechnungsgrundlagen konkret darlegen. Wenn sein Erhöhungsverlangen nebst Begründung den Anforderungen des § 9 WBVG entspricht, schuldet der Bewohner das erhöhte Entgelt nach Ablauf von vier Wochen nach Zugang des hinreichend begründeten Erhöhungsverlangens. Wenn sich die Pflegebedürftigkeit des Bewohners erhöht, muss ihm der Heimbetreiber eine Anpassung der Leistungen anbieten. Wenn der Bewohner die Anpassung vollständig oder teilweise annimmt, verändert sich das diesbezügliche Leistungsentgelt gem. § 8 WBVG. Ferner kann der Heimbetreiber verlangen, dass der gesetzlich versicherte Bewohner bei seiner Pflegekasse eine Einstufung in einen höheren Pflegegrad beantragt (§ 87a Abs. 2 SGB XI). Der Heimvertrag kann von beiden Seiten gekündigt werden. Wenn der Bewohner bis zum dritten Werktag eines Monats kündigt, so wirkt seine Kündigung zum Ende desselben Monats (§ 11 Abs. 1 S. 1 WBVG). Die Kündigung muss schriftlich erfolgen, der Bewohner muss aber keinen Grund für seine Kündigung angeben. Während der ersten zwei Wochen des Heimvertrages kann der Bewohner sogar fristlos kündigen (§ 11 Abs. 2 WBVG). Später ist eine fristlose Kündigung nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes möglich (§ 11 Abs. 3 WBVG). Der Heimbetreiber kann nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes kündigen. Die Kündigung muss schriftlich erfolgen und den Grund angeben (§ 12 Abs. 1 S. 1 WBVG). Wichtige Gründe sind z. B. die Schließung des Heims oder schuldhafte gröbliche Pflichtverletzung seitens des Bewohners (§ 12 Abs. 1 S. 2 WBVG). Bei der Schließung des Heims ist die Kündigung zum dritten Werktag eines Kalendermonats zum Ablauf des nächsten Monats zulässig; aus anderen Gründen ist eine Kündigung ohne Einhaltung einer Frist möglich (§ 12 Abs. 4 WBVG). <?page no="192"?> 192 Recht im Gesundheitswesen ❋ Wichtige Schlagwörter ❋ Fachkraftquote ❋ Gesamtheimentgelt ❋ Heim ❋ Heimvertrag ❋ Pflegeeinrichtung ❋ Pflegeheim ❋ Pflegesätze ❋ Versorgungsvertrag ✎ Wiederholungsaufgaben [1] Unter welcher Voraussetzung ist die Prüfung eines niedersächsischen Heims durch die Heimaufsichtsbehörde in der Nacht zulässig? Welche Prüfungsbefugnisse hat die Heimaufsichtsbehörde? [2] Emil Emsig betreibt in Niedersachsen ein Pflegeheim mit 150 Betten, von denen durchschnittlich 146 belegt sind. Das Pflegeheim ist ein Heim im Sinne des Niedersächsischen Gesetzes über unterstützende Wohnformen (NuWG). Bei den Bewohnern handelt es sich um volljährige Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 und 3. Emsig beschäftigt eine Pflegefachkraft als Pflegedienstleitung sowie 17 Altenpfleger/ innen und 16 Altenpflegehelfer/ innen (alle in Vollzeit). Für Emsigs Einrichtung gilt folgender Personalschlüssel, der auch den Pflegesatzvereinbarungen zugrunde gelegt ist: ■ eine Pflegefachkraft in Vollzeit als Pflegedienstleitung sowie ■ weiteres Personal nach dem Richtwert 1 : 3,65 (bezogen auf Vollzeitstellen mit einer durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden). Nach diesem Personalschlüssel müsste Emsig neben der Pflegedienstleitung mindestens 40 Pflegekräfte beschäftigen. Deshalb ordnet die zuständige Heimaufsichtsbehörde am 1.9. an, dass Emsig ab 1.11. neben der Pflegedienstleitung 40 Vollzeitstellen (oder Teilzeitstellen in entsprechend höherer Anzahl) zu besetzen habe. Mindestens die Hälfte davon müssen Fachkräfte sein. Gegen diese Anordnung legt Emsig keinen Widerspruch ein. Eine Prüfung durch die Heimaufsichtsbehörde im Dezember ergibt, dass Emsig nur eine Altenpflegerin neu eingestellt hat. Zur Begründung der nicht besetzten Stellen verweist Emsig darauf, dass er in der Tageszeitung der Region eine Stellenanzeige habe veröffentlichen lassen. Auf diese hätten sich 20 Personen beworben, von den er aber nur die eingestellte Altenpflegerin für geeignet gehalten habe. Für weitere Initiativen einer Bewerbersuche habe er keine Zeit gehabt. Im Übrigen könne er sich mehr Personal finanziell nicht leisten. Liegt ein Untersagungsgrund nach § 13 Abs. 1 NuWG vor? Begründen Sie Ihre Antwort. [3] Erläutern Sie [a] die Vertragsparteien, [b] die Voraussetzungen für den Abschluss sowie [c] die Wirkungen des Versorgungsvertrages, durch den der Träger eines Pflegeheims zur pflegerischen Versorgung der gesetzlich Versicherten zugelassen wird. <?page no="193"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 193 [4] Erläutern Sie die Grundsätze für die Bemessung der Pflegesätze eines Pflegeheims in der sozialen Pflegeversicherung. [5] Erläutern Sie die Rechtsfolgen für den Träger des Pflegeheims in Niedersachsen, [a] wenn die Heimaufsichtsbehörde bei einer Prüfung Mängel feststellt, [b] wenn der MDK bei einer Qualitätsprüfung Mängel feststellt. [6] Erläutern Sie den gesetzlich vorgesehenen Inhalt der Vereinbarungen zwischen dem Träger des Pflegeheims und dem Sozialhilfeträger, der für verschiedene Bewohner des Heims Hilfeleistungen erbringt. [7] Erläutern Sie die gegenseitigen heimvertraglichen Leistungspflichten des Heimträgers und des Bewohners. Die Lösungen finden Sie im Web-Service. <?page no="194"?> 194 Recht im Gesundheitswesen Pflegedienste 2.6 Lernhinweis Die nachfolgenden Erläuterungen werden Sie besser verstehen, wenn Sie die angegebenen Paragrafen der nachfolgenden Rechtsvorschriften parallel zum Lehrbuch lesen: Altenpflegegesetz (AltPflG), Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), Gewerbeordnung (GewO), Krankenpflegegesetz (KrPflG), Pflegeberufegesetz (PflBG) 297 , Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege (HKP-RL) 298 , Sozialgesetzbuch 5. Buch (SGB V), 11. Buch (SGB XI), 12. Buch (SGB XII). 2.6.1 Einführung Pflegedienste sind Unternehmen, die im häuslichen Bereich ihres erkrankten oder pflegebedürftigen Kunden körperbezogene Pflegeleistungen, Betreuungsleistungen, Hilfen bei der Haushaltsführung und andere Dienstleistungen erbringen. Zum Einsatz kommen sowohl ausgebildete Pfleger als auch Pflegehelfer. In der Praxis wird neben dem Begriff des Pflegedienstes auch der der Sozialstation benutzt. Bundesweit gibt es über 13.000 Pflegedienste, davon ca. 65 % in privater, ca. 34 % in freigemeinnütziger und ca. 1 % in öffentlicher Trägerschaft. 299 2.6.2 Berufsrecht und Gewerberecht Die Berufsbezeichnungen „Gesundheits- und Krankenpfleger“, „Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger“ und „Altenpfleger“ darf nur führen, wer eine entsprechende Erlaubnis erhalten hat. Die Erlaubnis erhält nur, wer die in § 2 KrPflG bzw. § 2 AltPflG geregelten Voraussetzungen erfüllt. Zu diesen gehört insbesondere, dass der Anwärter die vorgeschriebene dreijährige Ausbildung abgeleistet und die vorgeschriebene Prüfung bestanden hat. Die Einzelheiten zur Ausbildung und Prüfung sind in den jeweiligen Ausbildungs- und Prüfungsverordnungen geregelt. Derzeit existieren getrennte berufsrechtliche Regelungen: 297 Art. 1 des Gesetzes zur Reform der Pflegeberufe (Pflegeberufereformgesetz, PflBRefG) v. 17.7.2017, BGBl. I S. 2581. 298 HKP-RL v. 17.9.2009, BAnz Nr. 21a v. 9.2.2010, z. g. a. 21.12.2017, BAnz. AT 4.4.2018 B 3. 299 Siehe Statistisches Bundesamt, Pflegestatistik 2015, Wiesbaden 2017, https: / / www.destatis.de/ DE/ Publikationen/ Thematisch/ Gesundheit/ Pflege/ PflegeDeutschlandergebnisse5224 001159004.pdf? __blob=publicationFile (Abruf am 19.2.2018). <?page no="195"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 195 Berufszeichnungen Gesetze und Verordnungen Gesundheits- und Krankenpfleger sowie Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger Krankenpflegegesetz v. 16.7.2003, BGBl. I S. 1442, z. g. d. G. v. 17.7.2017, BGBl. I S. 2581 Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für die Berufe in der Krankenpflege v. 10.11.2003, BGBl. I S. 2263, z. g. d. G. v. 18.4.2016, BGBl. I S. 886 Altenpfleger Altenpflegegesetz i. d. F. d. Bek. v. 25.8.2003, BGBl. I S. 1690, z. g. d. G. v. 17.7.2017, BGBl. I S. 2581 Altenpflege-Ausbildungs- und Prüfungsverordnung v. 26.11.2002, BGBl. I S. 4418, z. g. d. G. v. 18.4.2016, BGBl. I S. 886 Tab. 12: Berufsrechtliche Regelungen der Pflege Das Krankenpflegegesetz und das Altenpflegesetz werden am 1.1.2020 durch das Pflegeberufegesetz (PflBG) abgelöst. Nach diesem Gesetz wird es künftig eine generalisierte Ausbildung geben, die nach erfolgreicher Prüfung zu der Berufsbezeichnung „Pflegefachmann“ führt (§§ 1, 2 PflBG). Alternativ können die Auszubildenden eine der Spezialisierungen „Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger“ oder „Altenpfleger“ wählen (§§ 58, 59 PflBG). Dazu muss das letzte Drittel der Ausbildung auf die Pflege von Kindern und Jugendlichen bzw. von alten Menschen ausgerichtet sein (§§ 60, 61 PflBG). Das Führen der drei Berufsbezeichnungen ist auch künftig erlaubnispflichtig und die Erteilung der Erlaubnis ist wiederum an bestimmte Voraussetzungen geknüpft, wie z. B. das Absolvieren der vorgeschriebenen Ausbildung und Prüfung, (§ 2, § 58 PflBG). Ferner regeln die § 4, § 58 PflBG, dass folgende pflegerische Tätigkeiten den Personen mit der Erlaubnis vorbehalten sind: Erhebung und Feststellung des individuellen Pflegebedarfs, Organisation, Gestaltung und Steuerung des Pflegeprozesses, Analyse, Evaluation, Sicherung und Entwicklung der Qualität der Pflege. Das bedeutet, dass nicht nur Personen ohne Berufserlaubnis, sondern auch Angehörige anderer Heilberufe, inkl. Ärzte, von diesen Tätigkeiten ausgeschlossen sind. Daraus folgt wiederum, dass der Betreiber eines Pflegedienstes, der keine Erlaubnis zur Führen einer der genannten Berufsbezeichnungen hat, (mindestens) eine Person mit einer solchen Erlaubnis beschäftigen muss. <?page no="196"?> 196 Recht im Gesundheitswesen In drei Bundesländern (Schleswig-Holstein 300 , Niedersachsen 301 , Rheinland- Pfalz 302 ) sind bzw. werden Pflege(berufe)kammern errichtet. Diese sind öffentlichrechtliche Körperschaften. Ihnen gehören die Gesundheits- und Krankenpfleger, Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger und Altenpfleger an, die ihren Beruf ausüben. Zur Ausübung des Berufs gehört jede Berufstätigkeit, bei der Kenntnisse und Fähigkeiten relevant sind, die Voraussetzung für die Erteilung der Berufserlaubnis waren. Die Kammern nehmen die ihnen gesetzlich zugewiesenen Aufgaben wahr. Zu ihren Aufgaben gehören beispielsweise die Wahrnehmung der Interessen ihrer Mitglieder, Regelung der Berufspflichten und der Weiterbildung ihrer Mitglieder. Von den vorgenannten Pflegefachberufen sind die Pflegehelfer (Altenpflegehelfer, Krankenpflegehelfer) zu unterscheiden. Diese Berufsbilder unterliegen der jeweiligen Landesgesetzgebung. Die Gründung, der Betrieb sowie die Schließung eines Pflegedienstes müssen gem. § 14 GewO beim zuständigen Gewerbeamt angezeigt werden. Eine gewerbliche Erlaubnis muss der Unternehmer - wie auch der Inhaber eines Heims - nicht einholen. Allerdings ergeben sich weitere Anforderungen aus dem sozialrechtlichen Leistungserbringungsrecht. Da ca. 90 % der Bevölkerung gesetzlich versichert sind, kommt ein Pflegedienst regelmäßig allein aus ökonomischen Gründen nicht umhin, den Status eines Leistungserbringers in den Sozialversicherungssystemen anzustreben. Dementsprechend muss er Verträge mit den Kranken- und Pflegekassen sowie ggf. mit Sozialhilfeträgern abschließen; vgl. insoweit die nachfolgenden Abschnitte. 2.6.3 Leistungserbringung im System der sozialen Pflegeversicherung und gesetzlichen Krankenversicherung 2.6.3.1 Begriff des Pflegedienstes Das SGB XI verwendet den Begriff der Pflegeeinrichtung als Oberbegriff für das Pflegeheim (stationäre Pflegeeinrichtung) und den Pflegedienst (ambulante Pflegeeinrichtung). Der Pflegedienst ist gem. § 71 Abs. 1 SGB XI wie folgt definiert: ❋ Wissen │ Pflegedienst Eine ambulante Pflegeeinrichtung (Pflegedienst) ist eine selbständig wirtschaftende Einrichtung, in der die Angestellten unter ständiger Verantwortung einer ausgebildeten Pflegefachkraft Pflegebedürftige in ihrer Wohnung mit Leistungen der häuslichen Pflegehilfe i. S. d. § 36 SGB XI versorgen. 300 Gesetz über die Kammer und die Berufsgerichtsbarkeit für die Heilberufe in der Pflege (Pflegeberufekammergesetz - PBKG) v. 16.7.2015, GVOBl. Schl.-H. 2015, 206. 301 Kammergesetz für die Heilberufe in der Pflege v. 14.12.2016, Nds. GVBl. S. 261. 302 Heilberufsgesetz v. 19.12.2014, GVBl. Rh.-Pf., 302, z. g. d. G v. 16.2.2016, GVBl. Rh.-Pf. S. 37. <?page no="197"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 197 Nähere Erläuterungen zu den Kriterien der wirtschaftlichen Selbständigkeit und der Pflegefachkraft finden Sie im Abschnitt 2.5.2.1. 2.6.3.2 Inhalt der pflegerischen Versorgung nach dem SGB XI Die häusliche Pflegehilfe für den Versicherten umfasst die körperbezogenen Pflegemaßnahmen, die pflegerische Betreuung sowie die Hilfen bei der Haushaltsführung gem. § 36 Abs. 1, 2 SGB XI sowie die Sterbebegleitung gem. § 28 Abs. 4 SGB XI: Abb. 36: Inhalt der häuslichen Pflegehilfe Die nähere Ausgestaltung der ambulanten Pflegeleistungen erfolgt gem. § 75 SGB XI durch einen Rahmenvertrag, der zudem die personellen (Mindest-)Anforderungen, die Anforderungen an die Pflegedokumentation, die Abrechnungs- und Zahlungsmodalitäten sowie weitere Aspekte der Leistungserbringung regelt. Der Rahmenvertrag wird durch die Landesverbände der Pflegekassen (gemeinsam) mit den Vereinigungen der Einrichtungsträger im Land (gemeinsam) unter Beteiligung des Verbandes der privaten Krankenversicherung und des Medizinischen Inhalt der häuslichen Pflege körperbezogene Pflegemaßnahmen pflegerische Betreuungsmaßnahmen Hilfen bei der Haushaltsführung Sterbebegleitung Waschen, Duschen, Baden Zahnpflege Kämmen Darm- und Blasenentleerung Gesichtspflege, Rasieren Zubereitung der Nahrung Unterstützung bei der Nahrungsaufnahme Hygienemaßnahmen Aufstehen, Zubettgehen, Betten, Lagern An- und Auskleiden Gehen, Stehen, Treppensteigen Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung Unterstützung bei der Gestaltung des Alltags Unterstützung bei der Aufrechterhaltung sozialer Kontakte kognitive und kommunikative Aktivierung Maßnahmen zur Bewältigung psychosozialer Probleme Einkauf Heizen der Wohnung Aufräumen und Reinigen der Wohnung Wäschepflege <?page no="198"?> 198 Recht im Gesundheitswesen Dienstes der Krankenversicherung geschlossen. 303 Er ist für die Pflegedienste und die Pflegekassen im Inland verbindlich (§ 75 Abs. 1 S. 4 SGB XI). 2.6.3.3 Inhalt der häuslichen Krankenpflege nach dem SGB V Der Inhalt der häuslichen Krankenpflege wird durch § 37 SGB V und die Häusliche Krankenpflege-Richtlinie (HKP-RL) des GBA näher ausgestaltet. Die häusliche Krankenpflege setzt eine entsprechende ärztliche Verordnung voraus und wird in drei verschiedenen Formen erbracht: Formen Krankenhausvermeidungspflege (§ 37 Abs. 1 SGB V) Überleitungspflege (§ 37 Abs. 1a SGB V) Sicherungspflege (§ 37 Abs. 2 SGB V) Ziel(e) Vermeidung oder Verkürzung der Krankenhausbehandlung oder die gebotene Krankenhausbehandlung ist nicht ausführbar Versorgung eines nicht pflegebedürftigen Versicherten bei schwerer Krankheit oder akuter Verschlimmerung der Erkrankung Pflege zur Sicherung der ärztlichen Behandlung Umfang Grund- und Behandlungspflege, hauswirtschaftliche Versorgung, Palliativversorgung Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung Behandlungspflege, inkl. verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen, Palliativversorgung bei entsprechender Satzungsregelung der Krankenkasse auch Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung Tab. 13: Formen der häuslichen Krankenpflege Die Grundpflege bezieht sich auf Grundverrichtungen des täglichen Lebens. Zur Behandlungspflege gehören die Maßnahmen der ärztlichen Behandlung, die dazu dienen, Krankheiten zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern und die an Pflegefachkräfte und Pflegekräfte delegiert werden können. Die Palliativversorgung umfasst Leistungen der Schmerzlinderung und des Einwirkens auf die Krankheitssymptome in der letzten Lebensphase. Unter hauswirtschaftlicher Versorgung werden Maßnahmen verstanden, die zur Aufrechterhaltung der grundlegenden Anforderungen einer eigenständigen 303 Übersicht über die Landesrahmenverträge auf der Internetseite der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege: http: / / www.bagfw.de/ qualitaet/ gesetze/ landesrahmenvertraege-nach-75-abs-1sgb-xi/ (Abruf am 7.2.2018). <?page no="199"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 199 Haushaltsführung allgemein notwendig sind. Die einzelnen Leistungen der häuslichen Krankenpflege sind in der Anlage der HKP-RL gelistet. 2.6.3.4 Zulassung des Pflegedienstes zur Versorgung gesetzlich Versicherter Der Pflegedienst kann die Versicherten der sozialen Pflegeversicherung nur versorgen, wenn er (oder eine Vereinigung, der er angehört) mit den Landesverbänden der Pflegekassen einen Versorgungsvertrag geschlossen hat (§ 72 Abs. 1 SGB XI). Das im Abschnitt 2.5.2.3 zum Versorgungsvertrag Gesagte gilt für ihn ebenfalls. Lediglich der Versorgungsauftrag, der als Mindestinhalt des Vertrages festzulegen ist, stellt sich etwas anders dar. Es werden die Zahl der voraussichtlich zu betreuenden Versicherten und deren Pflegegrade sowie gem. § 72 Abs. 3 S. 3 SGB XI der örtliche Einzugsbereich, in dem der Pflegedienst seine Leistungen zu erbringen hat, bestimmt. Die zur Erfüllung notwendige personelle und sachliche Ausstattung des Pflegedienstes wird ebenfalls geregelt, soweit der Rahmenvertrag nach § 75 SGGB XI keine entsprechenden Bestimmungen enthält. 304 Für die im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung zu erbringende häusliche Krankenpflege (§ 37 SGB V) benötigt der Pflegedienst einen Vertrag mit der Krankenkasse gem. § 132a Abs. 4 SGB V. Voraussetzung für den Vertragsschluss ist, dass der Pflegedienst eine dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende sowie leistungsgerechte und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten gewährleisten kann (vgl. § 70 Abs. 1 S. 1, § 132a Abs. 4 S. 6 SGB V). Dies ist bei einem Pflegedienst mit einem Versorgungsvertrag nach § 72 SGB XI in der Regel zu bejahen. 305 Die Gewährleistung der leistungsgerechten und wirtschaftlichen Versorgung schließt u. a. ein, dass die Leistungen der häuslichen Krankenpflege unter der ständigen Verantwortung einer Pflegefachkraft erbracht werden. Die Pflegefachkraft muss eine abgeschlossene pflegerische Ausbildung, mindestens eine zweijährige Berufserfahrung und eine abgeschlossene Weiterbildung für leitende Funktionen mit mindestens 460 Stunden vorweisen können (vgl. zu den Details § 1 HKP-Rahmenempfehlung 306 ). ◉ Gegenbeispiel Ein Rettungsassistent kann nicht als Pflegefachkraft tätig sein. Die Ausbildung gilt nicht als pflegerische Ausbildung, die für die häusliche Krankenpflege notwendig ist. Die spezifischen Fähigkeiten, wie z. B. Reanimation oder Aufrechterhalten von Vitalfunktionen, kommen in der häuslichen Krankenpflege eher selten zur Anwendung. 307 Innerhalb der gesetzlichen Vorgabe, dass der Pflegedienst eine leistungsgerechte und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten zu gewährleisten hat, darf die 304 Vgl. Knittel, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung Kommentar, § 72 SGB XI Rn. 3. 305 Vgl. Knittel, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung Kommentar, § 132a SGB V Rn. 8. 306 Rahmenempfehlungen nach § 132a Abs. 1 SGB V zur Versorgung mit Häuslicher Krankenpflege vom 10.12.2013, https: / / www.gkv-spitzenverband.de/ media/ dokumente/ krankenversicherung_1/ ambulante _leistungen/ haeusliche_krankenpflege/ Bundesrahmenempfehlungen_nach__132a_Abs_1_SGB_V_Fassung_ 10122013.pdf (Abruf am 11.2.2018). 307 Vgl. BSG, Urt. v. 21.11.2002, B 3 KR 14/ 02 R, BeckRS 9999, 01522. <?page no="200"?> 200 Recht im Gesundheitswesen vertragsschließende Krankenkasse weitere vom Pflegedienst zu erfüllenden qualitativen, personellen und sachlichen Anforderungen definieren, weil sie den Sicherstellungsauftrag bzgl. der häuslichen Krankenpflege hat. 308 Dagegen darf die Krankenkasse den Abschluss des Vertrages nicht wegen eines fehlenden Bedarfs ablehnen, weil eine Bedarfsprüfung gesetzlich nicht vorgesehen ist. 309 Der Vertrag über die häusliche Krankenpflege regelt die Berechtigung und Verpflichtung des Pflegedienstes zur Versorgung der gesetzlich Versicherten sowie weitere Einzelheiten der Leistungserbringung, wie z. B. Anforderungen an das Qualitätsmanagement, Fortbildungspflichten des Pflegedienstes, Datenschutz, Vergütung, Abrechnungsmodalitäten. Alternativ zur Einzelvereinbarung zwischen Krankenkasse und Pflegedienst sind Vereinbarungen zwischen den Ersatzkassen, Landesverbänden der Krankenkassen und den Verbänden der Leistungserbringer weit verbreitet. Diese Kollektivvereinbarungen sind zwar im Gesetzeswortlaut nicht erwähnt. Dennoch sind sie nach der Rechtsprechung des BSG aus Gründen der Praktikabilität und der Verwaltungsvereinfachung zulässig. 310 Die Kollektivverträge werden für die Krankenkassen und Pflegedienste durch Beitritt zum Vertrag oder durch eine entsprechende Verbandsmitgliedschaft verbindlich. 2.6.3.5 Pflegesatz und Pflegesatzvereinbarung nach dem SGB XI Der Pflegedienst erhält für seine Pflegeleistungen, die er für den Pflegebedürftigen in dessen häuslichen Bereich erbringt, eine Pflegevergütung, auch als Pflegesätze bezeichnet. Die nach § 90 SGB XI mögliche Gebührenordnung ist bislang nicht erlassen worden. Somit muss die Pflegevergütung zwischen dem Träger des Pflegedienstes und den Kostenträgern, den Pflegekassen oder ihren gebildeten Arbeitsgemeinschaften, sonstigen Sozialversicherungsträgern (z. B. Berufsgenossenschaft) oder ihren gebildeten Arbeitsgemeinschaften und den Sozialhilfeträgern, die für die Pflegebedürftigen zuständig sind, oder deren Arbeitsgemeinschaften vereinbart werden. Die Kostenträger sind jedoch nur dann Vertragspartei, wenn auf sie im Jahr vor der Pflegesatzverhandlung 5 % der vom Pflegedienst betreuten Personen entfallen (§ 89 Abs. 2 S. 1 SGB XI). Damit soll eine zu große Anzahl der Verhandlungspartner vermieden werden. Der Vertragsschluss setzt aufseiten der Kostenträger keine Einigkeit, sondern eine mehrheitliche Entscheidung voraus (§ 89 Abs. 3 S. 3, § 85 Abs. 4 S. 1 SGB XI). Die Pflegesätze können auch von einer Pflegesatzkommission festgelegt werden, die von den Landesverbänden der Pflegekassen, dem Verband der privaten Krankenversicherung e.V., dem zuständigen 308 Vgl. Hess, Kasseler Kommentar, SGB V § 132a Rn. 9. 309 Vgl. BSG, Urt. v. 21.11.2002, B 3 KR 14/ 02 R, BeckRS 9999, 01522; Knittel, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung Kommentar, § 132a SGB V Rn. 8; Schaks, Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 28 Rn. 34. 310 Vgl. BSG, Urt. v. 17.7.2008, B 3 KR 23/ 07 R, NJOZ 2009, 1895 ff. [1900]; BSG, Urt. v. 25.11.2010, B 3 KR 1/ 10 R, NJOZ 2011, 1659 ff. [1664]. <?page no="201"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 201 Träger der Sozialhilfe und der Vereinigungen der Pflegeheimträger im Land gebildet wird (§ 86, § 89 Abs. 3 S. 3 SGB XI). Die Pflegesätze werden schriftlich und im Voraus, also vor der jeweiligen Wirtschaftsperiode, vereinbart (§ 89 Abs. 3 S. 3, § 85 Abs. 3 S. 1, Abs. 4 S. 2 SGB XI). Sie gelten, wenn nichts anderes vereinbart wird, nur für den Einzugsbereich, für den der Pflegedienst einen Versorgungsauftrag hat (§ 89 Abs. 2 S. 2 SGB XI). Die Pflegesätze müssen lt. § 89 Abs. 1 S. 2, 3 SGB XI leistungsgerecht und so bemessen sein, dass der Pflegedienst bei wirtschaftlicher Betriebsführung seinen Versorgungsauftrag erfüllen, seine Aufwendungen für Personalkosten, inkl. Ausbildungsvergütung gem. § 82a SGB XI, für Sachkosten, wie z. B. medizinische Geräte, finanzieren sowie einen Gewinn erzielen kann. Es besteht jedoch kein Selbstkostendeckungsprinzip. Der Pflegedienst hat keinen Anspruch darauf, dass alle Betriebskosten refinanziert werden. Eine unwirtschaftliche Betriebsführung kann zu nicht gedeckten Kosten und somit letztlich zu einem unternehmerischen Verlust führen. Wenn das Personal nach Tarifvertrag (inkl. der kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen) entlohnt wird, so gilt dies wie im stationären Bereich kraft Gesetzes als wirtschaftlich (vgl. im Übrigen Abschnitt 2.5.2.4 zu den gesetzlichen Vorgaben der Bemessung der Vergütung). Das Gesetz lässt mehrere Vergütungsmodelle zu: Abb. 37: Gesetzlich zugelassene Vergütungsmodelle Vergütung für … als Einzelleistung als Komplexleistung (zusammengefasste Einzelleistungen) aufwandsabhängig Pauschale zeitunabhängig abhängig vom Zeitaufwand des Pflegeeinsatzes abhängig vom Zeitaufwand des Pflegeeinsatzes zeitunabhängig … Pflegleistung … Fahrtkosten, Behördengänge, hauswirtschaftliche Versorgung <?page no="202"?> 202 Recht im Gesundheitswesen Für die häusliche Pflegehilfe haben sich die zeitunabhängigen Leistungskomplexe, bei denen Einzelleistungen zusammengefasst werden, bundesweit durchgesetzt. 311 ◉ Beispiel │ kleine und große Körperpflege Leistungskomplex „Große Körperpflege“ in Baden-Württemberg: Transfer aus dem Bett/ ins Bett; Aus-/ Ankleiden, Waschen (im Bett oder am Waschbecken)/ Duschen/ Baden (umfasst ggf. Haarwäsche), Mund- und Zahnpflege, Zahnprothesenpflege einschließlich Parotitis- und Soorprophylaxe, Hautpflege, Kämmen, Herrichten einer einfachen Tagesfrisur, Rasieren, Bett machen/ richten Leistungskomplex „Kleine Körperpflege“ in Baden-Württemberg: Transfer aus dem Bett/ ins Bett, An-/ Auskleiden, Teilwäsche (im Bett oder am Waschbecken), Mund- und Zahnpflege, Zahnprothesenpflege einschließlich Parotitis- und Soorprophylaxe, Hautpflege, Bett machen/ richten 312 Je nach Bundesland ist als Vergütung eines Leistungskomplexes entweder ein Eurobetrag oder eine Punktzahl vorgesehen, die mit einem Punktwert in Euro zu multiplizieren ist (Beispiel: 300 Punkte x 4,3 Cent Punktwert = 1.290 Cent = 12,90 Euro). Daneben gibt es Leistungen, die pauschal vergütet werden, wie z. B. die Wegepauschale. Wie im stationären Bereich besteht für den Fall, dass sich die Pflegesatzparteien nicht einigen, die Möglichkeit, die im Bundesland errichtete Schiedsstelle anzurufen (§ 89 Abs. 3 S. 3, § 85 Abs. 5, § 76 SGB XI). Da die Pflegeversicherung nicht die gesamten Kosten der häuslichen Pflegehilfe übernimmt, müssen sich die Pflegebedürftigen an den Pflegesätzen beteiligen. Der Eigenanteil ergibt sich aus der Differenz zwischen dem für den jeweiligen Pflegegrad vereinbarten Pflegesatz und den Leistungen, die die Pflegekasse gem. §§ 36, 38a, 39 SGB XI erbringt. 2.6.3.6 Vergütung der häuslichen Krankenpflege nach § 37 SGB V Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist die Vergütung zwischen dem Pflegedienst und der Krankenkasse zu vereinbaren (§ 132a Abs. 2 S. 1 SGB V). Für derartige Einzelverträge gilt, dass die Vergütung so bemessen sein muss, dass die Leistungsfähigkeit des Pflegedienstes bei wirtschaftlicher Betriebsführung gesichert ist. Hierbei kommt wie bei den Pflegesätzen nach dem SGB XI das zweistufige Prüfschema zur Anwendung: Plausibilität der voraussichtlichen Kosten sowie an- 311 Vgl. Übersicht über vereinbarte ambulante Leistungskomplexe in den Ländern (Stand: 31.12.2015) als Downloadmaterial zum 6. Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung der Pflegeversicherung und den Stand der pflegerischen Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland vom 14.12.2016, https: / / www.bundesgesundheitsministerium.de/ fileadmin/ Dateien/ 3_Downloads/ P/ Pflegebericht/ Ambulant eLeistungskomplexe2015.pdf (Abruf am 22.2.2018). 312 Siehe Anlage 1a des Rahmenvertrages über ambulante pflegerische Versorgung gem. § 75 Abs. 1 SGB XI für das Land Baden-Württemberg v. 9.12.2016, https: / / www.vdek.com/ LVen/ BAW/ Service/ Pflegeversicherung/ Ambulante_Pflege/ _jcr_content/ par/ downlo ad_8/ file.res/ 2017-02-0110%20Rahmenvertrag%20AP%20mit%20Unterschriftenhinweis.pdf (Abruf am 22.2.2018). <?page no="203"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 203 schließender externer Vergleich der Kostenansätze mit denen anderer Pflegedienste. 313 In der bundesweiten Praxis dominieren jedoch die Vergütungsvereinbarungen zwischen den Ersatzkassen, Landesverbänden der Krankenkassen und den Verbänden der Leistungserbringer. Diese Kollektivvereinbarungen sind zwar im Gesetzeswortlaut nicht erwähnt. Dennoch sind sie nach der Rechtsprechung des BSG aus Gründen der Praktikabilität und der Verwaltungsvereinfachung zulässig. 314 In diesen Vereinbarungen werden Vergütungen für Einzelleistungen (z. B. Injektion und Verbandwechsel) oder für Gruppen von Einzelleistungen sowie Wegepauschalen vereinbart. Hierbei gilt ebenfalls, dass die Vergütung die Leistungsfähigkeit der Pflegedienste bei wirtschaftlicher Betriebsführung gewährleisten muss und der Grundsatz der Beitragsstabilität gem. § 71 Abs. 1 S. 1 SGB V zu beachten ist. Allerdings ist der externe Vergleich nicht gleichermaßen zu übertragen, weil für die kollektivvereinbarte Vergütung nicht der einzelne Pflegedienst maßgeblich sein kann. Vielmehr sollen die Vertragsparteien wegen der Vielfalt der Pflegedienste (unterschiedliche Versorgungsbereiche, Betriebsgrößen, Personalstrukturen etc.) ihrer Vergütungsbemessung die Betriebs- und Kostenstruktur einer repräsentativen Anzahl von Pflegediensten zugrunde legen. 315 Diese Kollektivvereinbarungen werden für die Krankenkasse und den Pflegedienst entweder durch eine Mitgliedschaft des vertragsschließenden Verbandes oder durch eine Beitrittserklärung zur Vereinbarung verbindlich. Die Vergütung erhält der Pflegedienst von der Krankenkasse des gepflegten Versicherten. Wenn der Versicherte volljährig ist, muss er bis zu 28 Tage eine Zuzahlung in Höhe von 10 % der Kosten der Krankenkasse sowie 10,- Euro je Verordnung leisten (§ 37 Abs. 5, § 61 S. 3 SGB V). 2.6.3.7 Qualitätsmanagement und Qualitätssicherung Der Pflegedienst ist für die Ergebnis-, Prozess- und Strukturqualität seiner Pflegeleistungen ebenso wie eine stationäre Einrichtung verantwortlich, so dass die Ausführungen des Abschnitts 2.5.2.5 für ihn im Wesentlichen ebenfalls gelten. Seine Verpflichtung zum Qualitätsmanagement und zur Mitwirkung an der Qualitätssicherung ergibt sich aus § 113 SGB XI i. V. m. den auf Bundesebene vereinbarten Maßstäben und Grundsätzen für die ambulante Pflege. 316 313 Vgl. BSG, Urt. v. 25.11.2010, B 3 KR 1/ 10 R, NJOZ 2011, 1659 ff. [1664]. 314 Vgl. BSG, Urt. v. 17.7.2008, B 3 KR 23/ 07 R, NJOZ 2009, 1895 ff. [1900]; BSG, Urt. v. 25.11.2010, B 3 KR 1/ 10 R, NJOZ 2011, 1659 ff. [1664]. 315 Vgl. BSG, Urt. v. 23.6.2016, B 3 KR 25/ 15 R, BeckRS 2016, 73673 und B 3 KR 26/ 15 R, BeckRS 2016, 73373. 316 Vgl. Maßstäbe und Grundsätze für die Qualität und Qualitätssicherung sowie für die Entwicklung eines einrichtungsinternen Qualitätsmanagements nach § 113 SGB XI in der ambulanten Pflege v. 27.5.2011, https: / / www.gkvspitzenverband.de/ media/ dokumente/ pflegeversicherung/ richtlinien__vereinbarungen__formulare/ richtlinien_und_gr undsaetze_zur_qualitaetssicherung/ 2011_06_09_MuG_ambulant_Fassung_nach_Schiedsspruch.pdf (Abruf am 11.2.2018). <?page no="204"?> 204 Recht im Gesundheitswesen Die Einhaltung der Leistungs- und Qualitätsmerkmale durch den Pflegedienst unterliegt der Qualitätsprüfung, vgl. insoweit Abschnitt 2.5.2.5. Die Prüfungsergebnisse (inkl. den sog. Pflegenoten) werden nicht wie in der stationären Pflege in fünf, sondern in folgenden vier Qualitätsbereichen veröffentlicht: pflegerische Leistungen, ärztliche verordnete pflegerische Leistungen, Dienstleistung und Organisation, Befragung der Pflegebedürftigen (vgl. § 115 Abs. 1a SGB XI, Pflege-Transparenzvereinbarung ambulant 317 ). Soweit bei den Prüfungen Qualitätsmängel festgestellt werden, erlassen die Landesverbände der Pflegekassen gem. § 115 Abs. 2 SGB XI Anordnungen zur Beseitigung der Mängel und setzen eine Frist zur Mängelbeseitigung. Wenn der Pflegedienst der angeordneten Mängelbeseitigung nicht fristgerecht nachkommt, können die Landesverbände den Versorgungsvertrag gem. § 115 Abs. 2 S. 2, § 74 SGB XI kündigen. Des Weiteren kommt eine Kürzung der Pflegevergütung gem. § 115 Abs. 3 SGB XI in Betracht. Bei schwerwiegenden Mängeln kann die zuständige Pflegekasse dem Pflegedienst vorläufig untersagen, den Pflegebedürftigen zu versorgen, und dem Pflegebedürftigen einen anderen Pflegedienst vermitteln (§ 115 Abs. 5, 6 SGB XI). Im Übrigen macht sich der Pflegedienst ggf. gegenüber dem Pflegebedürftigen gem. § 115 Abs. 3 S. 7 SGB XI, § 280 Abs. 1, § 823 BGB schadenersatzpflichtig. Wenn ein Pflegedienst ausschließlich Leistungen der häuslichen Krankenpflege erbringt, unterliegt er ebenfalls den Regel-, Anlass- und Wiederholungsprüfungen. Die Rechtsgrundlage dafür bilden § 275b SGB V, der im weiten Umfang auf die §§ 114, 114a SGB XI verweist, sowie die Qualitätsprüfungs-Richtlinie häusliche Krankenpflege 318 . 2.6.4 Öffentliche Investitionsförderung Die Investitionsaufwendungen eines Pflegedienstes - wie z. B. für den Bau, den Erwerb oder das Mieten eines Betriebsgebäudes oder der Fahrzeuge - sind je nach landesrechtlicher Regelung durch öffentliche Mittel förderfähig. Die Bundesländer sind im Rahmen der Daseinsvorsorge für ihre Bürger für das Vorhandensein ausreichender Pflegedienste verantwortlich, so dass die Planung und Förderung der Einrichtungen zu ihren Aufgaben gehören (Art. 30, 70 Abs. 1 GG, § 9 SGB XI). Die 317 Vereinbarung nach § 115 Abs. 1a Satz 8 SGB XI über die Kriterien der Veröffentlichung sowie die Bewertungssystematik der Qualitätsprüfungen nach § 114 Abs. 1 SGB XI von ambulanten Pflegediensten v. 7.12.2015, https: / / www.gkvspitzenverband.de/ media/ dokumente/ pflegeversicherung/ richtlinien__vereinbarungen__formulare/ transparenzvereinb arungen/ pvta_neu_ab_2017_01_01_ambulant/ 2015_12_15_Pflege_ambulant_PTVA.pdf (Abruf am 11.2.2018). 318 Richtlinie des GKV-Spitzenverbandes nach § 282 Abs. 2 Satz 3 SGB V über die Durchführung und den Umfang von Qualitäts-und Abrechnungsprüfungen gemäß § 275b SGB V von Leistungserbringern mit Verträgen nach § 132a Abs. 4 SGB V v. 27.9.2017, https: / / www.gkvspitzenverband.de/ media/ dokumente/ krankenversicherung_1/ ambulante_leistungen/ haeusliche_krankenpflege/ 20170 927_Qualitaetspruefungs-Richtlinie_haeusliche_Krankenpflege_QPR-HKP.pdf (Abruf am 11.2.2018). <?page no="205"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 205 Förderung der Pflegedienste ist in den letzten Jahren zurückgegangen. Zum Stichtag 31.12.2015 wurden nur noch in sechs Bundesländern (Bayern, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig- Holstein) die Investitionskosten in der ambulanten Pflege gefördert. 319 Die im Abschnitt 2.5.3 erläuterten Grundsätze für die öffentliche Förderung der Pflegeheime gelten für die Pflegedienste ebenfalls, so dass hier auf die Ausführungen in dem genannten Abschnitt verwiesen wird. 2.6.5 Leistungen des Pflegedienstes im System der Sozialhilfe Die Hilfe zur Pflege nach den §§ 61 ff. SGB XII umfasst auch Leistungen der häuslichen Pflege durch den Pflegedienst. Die Hilfeleistungen werden durch den Sozialhilfeträger erbracht, soweit kein anderer Leistungsträger - wie z. B. eine Pflegekasse oder ein privates Versicherungsunternehmen - für die Versorgung des Pflegebedürftigen aufkommt und dieser seine Versorgung nicht mit eigenen Mitteln sicherstellen kann. Zur Erfüllung seiner Aufgaben soll der Sozialhilfeträger keine eigenen Einrichtungen schaffen, sondern mit vorhandenen geeigneten Einrichtungen Verträge gem. den §§ 75-80 SGB XII schließen. Diese Paragraphen gelten gem. § 75 Abs. 1 S. 2 SGB XII grundsätzlich auch für Pflegedienste, so dass die im Abschnitt 2.5.4 gemachten Ausführungen für die Rechtsbeziehungen des Pflegedienstes zum Sozialhilfeträger ebenfalls gelten. 2.6.6 Rechtsverhältnis zum Pflegebedürftigen Die juristische Einordnung des Rechtsverhältnisses zum Pflegebedürftigen hängt davon ab, ob der Pflegedienst häusliche Pflegehilfe (dann Pflegevertrag) oder häusliche Krankenpflege (dann Behandlungsvertrag) erbringt. Hinsichtlich der häuslichen Pflegehilfe wird die rechtliche Beziehung zwischen dem Pflegedienst und dem Pflegebedürftigen als Pflegevertrag bezeichnet. Der Pflegevertrag ist in § 120 SGB XI geregelt. Die Vorschriften des BGB, insbesondere die §§ 611 ff. BGB, finden ergänzend Anwendung. Gegenstand des Vertrages ist die entgeltliche Pflege und hauswirtschaftliche Versorgung des Pflegebedürftigen (siehe Abschnitt 2.6.3.2). Die im Einzelfall geschuldeten Leistungen hängen von der Art und Schwere der Pflegebedürftigkeit des Kunden ab. Damit sich der Pflegebedürftige über die Leistungen und Preise der Pflegedienste informieren kann, hat die Pflegekasse ihm auf Anforderung eine Leistungs- und Preisvergleichsliste zu übermitteln (§ 7 Abs. 3 S. 1 SGB XI). Ferner ist diese Liste durch die Landesverbände der Pflegekassen im Internet zu veröffentlichen 320 (§ 7 Abs. 3 S. 2 SGB XI). Der Pflegevertrag kommt entweder gem. §§ 145 ff. BGB durch eine Vereinbarung vor Beginn der Pflege oder spätestens konkludent mit dem ersten Pflegeeinsatz zustande (vgl. auch § 120 Abs. 1 S. 1 SGB XI). Der Vertrag muss mindestens die 319 Vgl. Sechster Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung der Pflegeversicherung und den Stand der pflegerischen Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland, S. 180, 283, https: / / www.bundesgesundheitsministerium.de/ ministerium/ meldungen/ 2016/ sechster-pflegebericht.html (Abruf am 6.2.2018). 320 Vgl. z. B. www.pflegelotse.de (Abruf am 26.6.2018). <?page no="206"?> 206 Recht im Gesundheitswesen Art, den Inhalt und Umfang der Leistungen einschließlich der dafür mit den Kostenträgern vereinbarten Vergütungen, und zwar gesondert für jede Leistung oder jeden Leistungskomplex, enthalten (§ 120 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 S. 1 SGB XI). Die Pflegekasse kann die Vorlage einer Vertragsausfertigung verlangen (§ 120 Abs. 2 S. 1 SGB XI). Ebenso hat der Pflegedienst die Pflegekasse zu informieren, wenn sich die Pflegebedürftigkeit des Kunden wesentlich verschlechtert oder verbessert (§ 120 Abs. 1 S. 2 SGB XI). Der Pflegedienst rechnet seine Leistungen unmittelbar gegenüber der Pflegekasse ab, bei der der Kunde versichert ist. Die Höhe der Vergütung ergibt sich aus der Pflegesatzvereinbarung, vgl. dazu Abschnitt 2.6.3.6. Für die Vergütung, die über die Leistungen der Pflegekasse nach dem SGB XI hinausgehen, muss der Kunde selbst aufkommen (§ 120 Abs. 4 S. 2 SGB XI). ◉ Beispiel Der Vergütungsanspruch des Pflegedienstes beläuft sich für die erbrachten Leistungen auf monatlich 1.000,- Euro. Der Kunde/ Versicherte ist ein Pflegebedürftiger des Pflegegrades 2. Die Pflegekasse zahlt monatlich 689,- Euro. Den darüber hinausgehenden Betrag von 311,- Euro muss der Kunde selbst zahlen. Die Kunden, die nicht gesetzlich versichert sind, bezahlen die gesamte Vergütung an den Pflegedienst und erhalten im Rahmen ihrer Pflegepflichtversicherung eine Erstattung ihres Versicherungsunternehmens, vgl. Abschnitt 3.2.6.1. Der Pflegebedürftige kann den Vertrag jederzeit ohne Einhaltung einer Frist kündigen (§ 120 Abs. 2 S. 2 SGB XI). Für den Pflegedienst gelten die Kündigungsfristen, die vertraglich vereinbart worden sind, oder die des § 621 BGB. Der Vertrag zwischen dem Pflegedienst und dem Kunden über die häusliche Krankenpflege stellt einen Behandlungsvertrag nach §§ 630a ff. BGB dar. Dieser Vertragstyp umfasst nicht nur die ärztliche Behandlung, sondern „sämtliche Maßnahmen und Eingriffe am Körper eines Menschen, um Krankheiten, Leiden, Körperschäden, körperliche Beschwerden oder seelische Störungen nicht krankhafter Natur zu verhüten, zu erkennen, zu heilen oder zu lindern“ 321 . Da die Leistungen der häuslichen Krankenpflege - z. B. Injektion, Verbandwechsel, Stoma- oder Dekubitusbehandlung - auf den Krankheitsverlauf Einfluss nehmen, gehören sie zur medizinischen Behandlung i. S. d. § 630a Abs. 1 BGB. Näheres zum Behandlungsvertrag finden Sie in den Abschnitten 2.1.4 und 2.3.3. 321 RegE des Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten, BTag-Drucks. 17/ 10488 S. 17. <?page no="207"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 207 ❋ Wichtige Schlagwörter ❋ Häusliche Krankenpflege ❋ Häusliche Pflegehilfe ❋ Pflegedienst ❋ Pflegesätze ❋ Pflegevertrag ✎ Wiederholungsaufgaben [1] Benennen Sie die pflegerischen Tätigkeiten, die nach dem PflBG dem künftigen Pflegefachmann vorbehalten sind. [2] Erläutern Sie [a] die Vertragsparteien, [b] die Voraussetzungen für den Abschluss sowie [c] die Wirkungen des Versorgungsvertrages, durch den der Träger eines Pflegedienstes zur pflegerischen Versorgung der gesetzlich Versicherten zugelassen wird. [3] Erläutern Sie die Grundsätze für die Bemessung der Pflegesätze eines Pflegedienstes in der sozialen Pflegeversicherung. [4] Erläutern Sie die Vertragsbeziehungen eines Pflegedienstes zum Pflegebedürftigen, wenn er [a] häusliche Krankenpflege, [b] häusliche Pflegehilfe erbringt. Die Lösungen finden Sie im Web-Service. <?page no="208"?> 208 Recht im Gesundheitswesen Gesundheitshandwerker 2.7 Lernhinweis Die nachfolgenden Erläuterungen werden Sie besser verstehen, wenn Sie die angegebenen Paragrafen der nachfolgenden Rechtsvorschriften parallel zum Lehrbuch lesen: Gewerbeordnung (GewO), Handwerksordnung (HwO) 322 , Heilpraktikergesetz (HeilprG), Richtlinie des GBA über die Verordnung von Hilfsmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (HilfsM-RL) 323 , Medizinproduktegesetz (MPG), Medizinprodukte-Verordnung (MPV) 324 , Sozialgesetzbuch 5. Buch (SGB V), 11. Buch (SGB XI). 2.7.1 Einführung Zur Krankenbehandlung eines Patienten gehört auch die Versorgung mit Sachen wie Brillen, Hörgeräten, Prothesen, orthopädischem Schuhwerk, Rollstühlen, Pflegebetten, Dekubitusmatratzen, Inkontinenzhilfen etc. Diese werden versicherungsrechtlich unter dem Begriff der Hilfsmittel zusammengefasst (siehe Abschnitte 2.7.5.1, 2.8.11 und 2.8.12). In anderen Zusammenhängen - insbesondere im Hinblick auf die Herstellung, das Inverkehrbringen und die Anwendung - werden sie als Medizinprodukte bezeichnet (siehe Abschnitte 2.7.4 und 2.8.). Beide Begriffe sind jedoch nicht deckungsgleich: Nicht jedes Hilfsmittel ist ein Medizinprodukt (ein Blindenhund z. B. nicht) und nicht jedes Medizinprodukt ist ein Hilfsmittel. Näheres dazu werden Sie in den Abschnitten 2.8 (handwerklich hergestellte Medizinprodukte/ Hilfsmittel) und 2.9 (industriell hergestellten Medizinprodukte/ Hilfsmittel) kennenlernen. 2.7.2 Bedeutung des Gewerbe- und Handwerksrechts 2.7.2.1 Eintragung in die Handwerksrolle als Zugangsvoraussetzung Die Marktwirtschaft der Bundesrepublik wird u. a. von der Gewerbefreiheit geprägt, die in § 1 GewO geregelt ist. Nach dieser Vorschrift darf grundsätzlich jeder gewerblich tätig sein. Dieser Grundsatz darf nur durch Gesetz oder auf der Basis einer gesetzlichen Grundlage eingeschränkt werden. Derartige Einschränkungen finden sich zum einen in der GewO, wie z. B. für Krankenhäuser (vgl. Abschnitt 2.2.2). Zum andern stellt die HwO, die ein Spezialgesetz zur Gewerbeordnung ist, Anforderungen für die Berechtigung zur Ausübung eines Handwerks auf. So dürfen bestimmte Handwerke gem. § 1 Abs. 1 HwO nur ausgeübt werden können, wenn der Unternehmer in die Handwerksrolle eingetragen ist. 322 HwO i. d. F. d. Bek. v. 24.9.1998, BGBl. I S. 3074; 2006 I S. 2095, z. g. d. G v. 30.6.2017, BGBl. I S. 2143. 323 HilfsM-RL v. 21.12.2011/ 15.3.2012, BAnz AT 10.04.2012, B2, z. g. a. 24.11.2016, BAnz AT 16.2.2017, B3. 324 MPV v. 20.12.2001, BGBl. I S. 3854, z. g. d. VO v. 27.9.2016, BGBl. I S. 2203. <?page no="209"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 209 ❋ Wissen │ Handwerksrolle Die Handwerksrolle wird von der jeweils örtlich zuständigen Handwerkskammer geführt. Sie ist ein Verzeichnis, in dem die Inhaber von Betrieben zulassungspflichtiger Handwerke des Bezirks der Handwerkskammer eingetragen sind (§ 6 Abs. 1 HwO). Welche Daten des Inhabers und des Betriebs einzutragen sind, regelt der Abschnitt I der Anlage D der HwO. Die Frage, wer in die Handwerksrolle eingetragen werden kann, regeln die §§ 7 bis 8 HwO. ✎ Aufgaben Konrad Klug e. K. hat im Bereich Augenoptik die Gesellenprüfung erfolgreich abgelegt, jedoch sein Ingenieurstudium ohne Abschluss beendet. Um seinen Lebensunterhalt zu sichern und richtig reich zu werden, möchte er ab 01.04. in Wolfsburg unter seinem Namen einen Brilleneinschleifbetrieb eröffnen und betreiben, in dem er auf Bestellung anderer Augenoptiker Gläser einschleift und in Brillenfassungen einsetzt. Sein Leistungsspektrum soll insbesondere folgende Tätigkeiten umfassen: Beschaffung des Rohglases, Bestimmung des Rohglasdurchmessers und Prüfung des Rohglases auf Oberflächenbeschaffenheit, Transparenz, Brechwert etc., Anzeichnen des Rohglases und Einschleifen der Gläser, Vorbereitung der Brillenfassungen zur Glasmontage, Einsetzen des Brillenglases in die Fassung und Richten der Brille, Prüfung auf spannungsfreien Sitz des Glases und Prüfung der hergestellten Brille nach den Zentrierdaten und DIN-Normen. Klug e. K. hat bereits Susi Schlau, die vor drei Jahren ihre Meisterprüfung im Augenoptikerhandwerk bestanden hat, als Betriebsleiterin gewonnen. Beide haben einen entsprechenden Arbeitsvertrag geschlossen; die Arbeitsaufnahme soll am 01.04. erfolgen. Darüber hinaus plant Klug e. K. die Beschäftigung eines Auszubildenden. Zudem hat er bereits den Mietvertrag über die Räume unterschrieben sowie die nötige Betriebsausstattung, vor allem modernste Maschinen, erworben. Muss sich Klug e. K. in die Handwerksrolle eintragen lassen? Wenn ja, liegen die Voraussetzungen für seine Eintragung in die Handwerksrolle vor? Begründen Sie Ihre Antworten. Die Lösungen finden Sie im Web-Service. Nach § 1 Abs. 1 HwO ist der selbständige Betrieb eines zulassungspflichtigen Handwerks als stehendes Gewerbe nur den in der Handwerksrolle eingetragenen natürlichen und juristischen Personen und Personengesellschaften gestattet. Dar- <?page no="210"?> 210 Recht im Gesundheitswesen aus lässt sich ableiten, dass die Eintragung in die Handwerksrolle notwendig ist, wenn folgende drei Voraussetzungen erfüllt sind: 1. Voraussetzung: Die natürliche oder juristische Person oder Personengesellschaft ist selbständig tätig. Anhand dieses Merkmals erfolgt die Abgrenzung zum Arbeitnehmer, der nicht in die Handwerksrolle eingetragen werden muss. Selbständig ist derjenige tätig, der das Handwerk in seinem Namen für eigene Rechnung und in eigener Verantwortung betreibt. 2. Voraussetzung: Es wird ein zulassungspflichtiges Handwerk betrieben. Diese Voraussetzung wird von zwei Aspekten geprägt, und zwar von der Handwerksfähigkeit und Handwerksmäßigkeit: Handwerksfähig sind die Gewerbe, die in der Anlage A der HwO aufgezählt sind. Dazu gehören u. a. Augenoptiker (Nr. 33 der Anlage A), Hörakustiker (Nr. 34), Orthopädietechniker (Nr. 35), Orthopädieschuhmacher (Nr. 36). Die gewerbliche Tätigkeit ist nur zulassungspflichtig, wenn die genannten Gewerbe entweder vollständig oder im Wesentlichen ausgeübt werden (§ 1 Abs. 2 HwO). Wesentliche Tätigkeiten sind solche, „die nicht nur fachlich zu dem betreffenden Handwerk gehören, sondern gerade den Kern dieses Handwerks ausmachen und ihm sein essenzielles Gepräge geben. Arbeitsvorgänge, die aus der Sicht des vollhandwerklich arbeitenden Betriebes als untergeordnet erscheinen, also lediglich einen Randbereich erfassen“ 325 , gehören nicht dazu. Anhaltspunkte, welche Tätigkeiten für das jeweilige Handwerk prägend sind, gibt die jeweils einschlägige Meisterprüfungsordnung 326 . Diese regelt die Anforderungen an die Prüfung, mit der der Meisteranwärter nachweisen muss, dass er die wesentlichen Tätigkeiten seines Handwerks meisterhaft verrichten kann. Wenn der Handwerker nur unwesentliche Tätigkeiten verrichten möchte, handelt es sich nicht um ein zulassungspflichtiges Handwerk, so dass er keine Eintragung in die Handwerksrolle benötigt. Unwesentlich sind z. B. Verrichtungen, die in einem Zeitraum von bis zu drei Monaten erlernt werden können, oder die zwar eine längere Anlernzeit verlangen, aber für das Gesamtbild des betreffenden zulassungspflichtigen Handwerks nebensächlich sind und deswegen nicht die Fertigkeiten und Kenntnisse erfordern, auf die die Ausbildung in diesem Handwerk hauptsächlich ausgerichtet ist (§ 1 Abs. 2 S. 2 HwO). Ferner muss das Gewerbe handwerksmäßig ausgeübt werden (§ 1 Abs. 2 S. 1 HwO). Bei diesem Merkmal erfolgt die Abgrenzung zur industriellen Fertigung. Maßgeblich für die Beurteilung ist das Gesamtbild des Betriebes, das vor allem anhand folgender Kennzeichen bewertet wird: Betriebsgröße, Zahl und Qualifikation der Mitarbeiter, persönliche Mitarbeit des Betriebsinhabers, geringer Grad der Arbeitsteilung, Umfang der Einzel- und Serienproduktion, Grad der Mechanisierung und Handarbeit. 325 BVerwG, Urt. v. 30.3.1993, 1 C 2691, BeckRS 31228050 m. w. N. 326 Augenoptikermeisterverordnung v. 29.8.2005, BGBl. I S. 2610, z. g. d. VO v. 17.11.2011, BGBl. I S. 2234; Hörgeräteakustikermeisterverordnung v. 26.4.1994, BGBl. I S. 895, z. g. d. G v. 27.12.2003, BGBl. I S. 3022; Orthopädiemechaniker- und Bandagistenmeisterverordnung v. 26.4.1994, BGBl. I S. 904; Orthopädieschuhmachermeisterverordnung v. 24.6.2008, BGBl. I S. 1096, z. g. d. VO v. 17.11.2011, BGBl. I S. 2234. <?page no="211"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 211 3. Voraussetzung: Das Handwerk wird als stehendes Gewerbe betrieben. Als stehendes Gewerbe wird die gewerbefähige und gewerbsmäßig betriebene Tätigkeit in einer gewerblichen Niederlassung bezeichnet. Nicht jede berufliche Tätigkeit ist zugleich ein Gewerbe. Bestimmte Tätigkeiten gelten als nicht gewerbefähig. Zu ihnen gehören die freien Berufe (siehe Abschnitt 2.1.1.1), Wissenschaftler, Künstler, Schriftsteller sowie die Urproduktion und die bloße Verwaltung eigenen Vermögens. Dagegen sind die Gesundheitshandwerker nicht ausgenommen, sie üben eine gewerbefähige Tätigkeit aus. Als gewebsmäßig wird eine auf Dauer angelegte, selbständige und nicht sozial unwertige Tätigkeit mit Gewinnerzielungsabsicht bezeichnet. Eine Niederlassung besteht, wenn eine selbständige gewerbsmäßige Tätigkeit auf unbestimmte Zeit und mittels einer festen Einrichtung von dieser aus tatsächlich ausgeübt wird (§ 4 Abs. 3 GewO). Das Gegenstück zum stehenden Gewerbe ist das Reisegewerbe, das ohne vorhergehende Bestellung außerhalb seiner gewerblichen Niederlassung oder ohne eine solche zu haben ausgeübt wird (§ 55 Abs. 1 GewO). Im Hinblick auf die Gesundheitshandwerker ist zu beachten, dass der Vertrieb von Bruchbändern, medizinischen Leibbinden, medizinischen Stützapparaten und Bandagen, orthopädischen Fußstützen, Brillen und Augengläsern (mit Ausnahme der Schutzbrillen und Fertiglesebrillen), elektromedizinischen Geräten einschließlich elektronischer Hörgeräte (mit Ausnahme der Geräte mit unmittelbarer Wärmeeinwirkung) im Reisegewerbe verboten ist (§ 56 Abs. 1 Nr. 1d, 1f GewO). Wenn alle drei genannten Voraussetzungen auf die natürliche oder juristische Person oder die Personengesellschaft zutreffen, muss sie in der Handwerksrolle eintragen sein, damit sie als Gesundheitshandwerker am Wirtschaftsverkehr teilnehmen kann. Dafür muss sie jedoch auch gem. §§ 7 bis 8 HwO eintragungsfähig sein. Insoweit wird verlangt, dass der Betriebsleiter die fachlichen Eintragungsvoraussetzungen erfüllt (§ 7 Abs. 1 HwO). Der Betriebsleiter ist derjenige, der für die fachliche Ausgestaltung und den technischen Ablauf des Handwerksbetriebs verantwortlich ist. 327 Das kann der Betriebsinhaber selbst oder ein angestellter Mitarbeiter sein. Er muss einen der Abschlüsse, die in den §§ 7 bis 8 HwO vorgesehen sind, nachweisen. Das sind insbesondere eine bestandene Meisterprüfung gem. § 7 Abs. 1a HwO oder eine erfolgreich abgelegte gleichwertige Prüfung gem. § 7 Abs. 2 HwO (z. B. ein einschlägiger Hochschulabschluss). Des Weiteren setzt die Eintragung in die Handwerksrolle voraus, dass der Betriebsinhaber oder die mit der Leitung des Handwerkbetriebs beauftragte Person nicht unzuverlässig gem. § 35 GewO ist. 328 Unzuverlässig ist, wer nicht willens und nicht in der Lage ist, sein Gewerbe ordnungsgemäß nach Recht und Gesetz auszuüben. 329 Der Gesundheitshandwerker, der ohne die erforderliche Eintragung in die Handwerksrolle tätig ist, begeht eine Ordnungswidrigkeit, die mit einer Geldbuße bis zu 10.000 Euro geahndet werden kann (§ 117 HwO). Ferner muss er damit rechnen, dass ihm seine Tätigkeit untersagt wird, dazu vgl. Abschnitt 2.7.2.3. 327 Vgl. Knörr, Handwerksordnung, HwO § 7 Rn. 5. 328 Vgl. BVerwG, Beschl. v. 1.6.1992, 1 B 65/ 92, NVwZ-RR 1992, 547. 329 Vgl. Marcks, Landmann/ Rohmer, GewO § 35 Rn. 29. <?page no="212"?> 212 Recht im Gesundheitswesen 2.7.2.2 Ausübung des Handwerks Der Inhaber des Handwerksbetriebs ist Mitglied der örtlich zuständigen Handwerkskammer (§ 90 Abs. 2 HwO) und unterliegt deren Aufsicht. Beispielweise hat er gegenüber der Kammer gem. § 17 Abs. 1 HwO sämtliche Auskünfte zu erteilen und Dokumente vorzulegen, die zur Prüfung des Handwerksrolleneintrags notwendig sind. Dazu gehören die Betriebsstätten, seine handwerklichen Prüfungen, die Zahl der im Betrieb beschäftigten gelernten und ungelernten Personen. Wenn der Inhaber nicht selbst die Funktion des Betriebsleiters wahrnimmt, muss er auch über die handwerklichen Prüfungen des Betriebsleiters, über seine Bestellung und Abberufung sowie über die vertragliche und praktische Ausgestaltung des Betriebsleiterverhältnisses Auskunft erteilen (§ 16 Abs. 2, § 17 Abs. 1 HwO). Dadurch soll die Handwerkskammer in die Lage versetzt werden zu prüfen, ob der Betriebsleiter seiner fachlich-technischen Verantwortung nachkommen kann und kein Strohmann ist. Aus den §§ 1 Abs. 1, 7 Abs. 1, 1a HwO wird ein sog. Gebot der Meisterpräsenz abgeleitet. Dieses verlangt vom Gesundheitshandwerker wegen möglichen weitreichenden Folgen einer unzureichenden Handwerkstätigkeit, dass in jeder Betriebsstätte eine Person tätig ist, die die fachliche Eintragungsvoraussetzung gem. der §§ 7 bis 8 HwO erfüllt. Davon kann nur in engen Ausnahmefällen abgewichen werden. ◉ Beispiel Ein Hörakustik-Meister arbeitete in zwei Niederlassungen jeweils einen halben Arbeitstag. Zwischen beiden Niederlassungen bestand eine Entfernung von 26 Straßenkilometern. Während der Geschäftszeit, in der der Meister nicht anwesend war, wurden vom übrigen Personal Termine mit Kunden, die das Geschäft aufsuchten, vereinbart, Batterien, Ersatz- und Verschleißteile verkauft und ähnliche Leistungen erbracht. Unter der Maßgabe, dass während der Abwesenheit des Meisters nur Leistungen angeboten werden, bei denen eine Gefährdung der Gesundheit der Kunden ausgeschlossen sei, sah der BGH 330 in der Geschäftsorganisation keinen Verstoß gegen das Gebot der Meisterpräsenz. Er verwies u. a. darauf, dass eine Hörgeräteversorgung üblicherweise nach einer vorherigen Terminvereinbarung erfolge. Die Kunden würden nicht erwarten, dass die mit einer bestimmten Sorgfalt zu erbringende Dienstleistung sofort beim Aufsuchen eines Geschäfts erbracht werde, zumal der Hörverlust allmählich eintritt. Bei einem plötzlichen Hörverlust würde der Kunde keinen Hörakustiker, sondern einen Facharzt oder ein Krankenhaus aufsuchen. Das Gebot der Meisterpräsenz zielt darauf ab, dass der Betriebsleiter mit Meisterabschluss durch sein Können und seine Einflussnahme auf die Arbeitsabläufe für die Einhaltung des Fachstandards in jeder Betriebsstätte sorgt. Es ist seine Aufgabe, die Abläufe zu beaufsichtigen, zu steuern, in fehlerhafte Prozesse einzugreifen, Fehler der Mitarbeiter zu korrigieren etc. 330 Vgl. BGH, Urt. v. 17.7.2013, I ZR 222/ 11, GRUR 2013, 1056 ff. <?page no="213"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 213 2.7.2.3 Ende der handwerklichen Tätigkeit Ein Verstoß gegen die Handwerksordnung kann zur Folge haben, dass die Tätigkeit des Gesundheitshandwerkers gem. § 16 Abs. 3 HwO untersagt wird. Welche Behörde für diese Entscheidung zuständig ist, regelt das jeweilige Landesrecht. 331 ❋ Wissen │ Untersagung eines Handwerksbetriebs (Schema) Die Frage, ob eine Untersagung des Handwerkbetriebs gem. § 16 Abs. 3 HwO zulässig bzw. rechtmäßig ist, wird gem. dem nachfolgenden Schema geprüft. Einen Fall zum Üben finden Sie in den Wiederholungsaufgaben. Tatbestandsvoraussetzungen: [1] Selbständiger Betrieb (siehe Abschnitt 2.7.2.1) [2] Zulassungspflichtiges Handwerk (siehe Abschnitt 2.7.2.1) [3] Stehendes Gewerbe (siehe Abschnitt 2.7.2.1) [4] Verstoß gegen die HwO (z. B. gegen § 1 Abs. 1 HwO - siehe Abschnitt 2.7.2.1) [5] Gemeinsame Erklärung der Handwerkskammer und Industrie- und Handelskammer, dass die Untersagungsvoraussetzungen vorliegen Rechtsfolge: Wenn der Sachverhalt die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt, kann die zuständige Behörde die Fortsetzung des Handwerkbetriebs untersagen. Die Behörde ist nicht verpflichtet, die Untersagung auszusprechen. Sie hat für ihre Entscheidung ein pflichtgemäßes Ermessen, das sie entsprechend dem Zweck des Gesetzes unter Beachtung der gesetzlichen Grenzen des Ermessens ausüben muss. Für den Fall einer Unzuverlässigkeit des Betriebsinhabers oder einer mit der Leitung des Handwerksbetriebes beauftragten Person regelt § 35 Abs. 1 GewO eine Untersagungsmöglichkeit. Die dafür zuständige Behörde ergibt sich ebenfalls aus dem einschlägigen Landesrecht. 332 ✎ Aufgaben Emil Emsig e. K. betreibt einen augenoptischen Handwerksbetrieb, in dem er Brillen und Kontaktlinsen aller Art anfertigt, anpasst und an seine Kunden verkauft. Er beschäftigt zwei Arbeitnehmer und ist in der Handwerksrolle eingetragen. 331 Z. B. in Niedersachsen die Landkreise, kreisfreien Städte und die großen selbständigen Städte gem. § 1 Abs. 1 i. V. m. Ziffer 3.1.1.3 der Anlage der Verordnung über die Zuständigkeit auf dem Gebiet des Wirtschaftsrechts sowie in anderen Rechtsgebieten v. 18.11.2004, Nds. GVBl. S. 482, z. g. d. VO v. 20.9.2016, Nds. GVBl. S. 214. 332 Z. B. in Niedersachsen die Landkreise, kreisfreien Städte und die großen selbständigen Städte gem. § 1 Abs. 1 i. V. m. Ziffer 1 der Anlage der Verordnung über die Zuständigkeit auf dem Gebiet des Wirtschaftsrechts sowie in anderen Rechtsgebieten, a. a. O. <?page no="214"?> 214 Recht im Gesundheitswesen Sein Geschäft läuft seit geraumer Zeit nicht allzu gut. Seine Kosten übersteigen bereits seit einem Jahr seine Umsätze, so dass er die zu zahlenden Vorschüsse auf die Einkommens- und Umsatzsteuer seit 6 Monaten nicht mehr bezahlt hat. Zudem hat er die festgesetzte Einkommenssteuer-Nachzahlung noch nicht beglichen. Insgesamt beläuft sich seine Steuerschuld gegenüber dem Finanzamt auf insgesamt 30.000,- €. Ferner ist er in Höhe von 10.000,- € mit der Abführung der Sozialversicherungsabgaben für seine beiden Arbeitnehmer im Rückstand. Eine Begleichung der Schulden ist ihm nicht möglich, da er während seiner geschäftlichen Tätigkeit keine Rücklagen gebildet hat und die ihm von seiner Hausbank eingeräumte Kreditlinie bereits erreicht hat. Als die zuständige Behörde von den Steuerrückständen und den nicht gezahlten Sozialversicherungsabgaben des Emsig erfahren und die Handwerkskammer angehört hat, untersagt sie die Tätigkeit des Emsig. Zu Recht? Begründen Sie Ihre Entscheidung. Die Lösungen finden Sie im Web-Service. Im Unterschied zu § 16 Abs. 3 HwO liegt die Untersagung nach § 35 Abs. 1 GewO nicht im behördlichen Ermessen. Vielmehr ist die zuständige Behörde verpflichtet, den Handwerksbetrieb zu untersagen, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind: Der Handwerksbetrieb stellt ein Gewerbe dar (siehe Abschnitt 2.7.2.1). Der Betriebsinhaber oder die mit der Leitung des Handwerksbetriebes beauftragten Person ist unzuverlässig. Unzuverlässig ist, wer nicht willens und nicht in der Lage ist, sein Gewerbe ordnungsgemäß nach Recht und Gesetz auszuüben. 333 Die insoweit notwendige Prognose für die Zukunft wird aus festgestellten Tatsachen hergeleitet. Typische Fallgruppen einer Unzuverlässigkeit sind Straftaten, die für die Tätigkeit relevant sind, Steuerrückstände sowie Verstöße gegen die sozialversicherungsrechtlichen Pflichten. Die Untersagung des Betriebs ist zum Schutze der Allgemeinheit oder der im Betrieb Beschäftigten erforderlich. In diesem Kriterium kommt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zum Ausdruck, der für das gesamte staatliche Handeln gilt. Die Untersagung ist das letzte Mittel und darf nicht ausgesprochen werden, wenn es andere Maßnahmen gibt, um die Gefährdung der Allgemeinheit oder der Beschäftigten zu beseitigen. 334 Die Handwerkskammer ist gem. § 35 Abs. 4 GewO angehört worden. Sowohl die Untersagung nach § 16 Abs. 3 HwO als auch die nach § 35 Abs. 1 GewO haben zur Folge, dass die Voraussetzungen für die Eintragung in die Handwerksrolle nicht mehr vorliegen. Dementsprechend wird der Eintrag gem. § 13 HwO gelöscht. 333 Vgl. Marcks, Landmann/ Rohmer, GewO § 35 Rn. 29. 334 Vgl. Marcks, Landmann/ Rohmer, GewO § 35 Rn. 79 m. w. N. <?page no="215"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 215 2.7.3 Bedeutung des Heilpraktikergesetzes Nach § 1 HeilprG bedarf jeder, der Heilkunde ausüben will, ohne Arzt zu sein, einer Erlaubnis; zum Begriff der Heilkunde vgl. Abschnitt 2.1.1.1. Wenn ein Gesundheitshandwerker eine Leistung anbieten würde, die den Tatbestand der Heilkunde erfüllt, würde er dafür eine Heilpraktikererlaubnis benötigen. In den zurückliegenden Jahrzehnten bedurfte es gelegentlich einer gerichtlichen Klärung, ob es sich bei bestimmten Verrichtungen eines Augenoptikers um Heilkunde in diesem Sinne handelt: Verrichtungen Entscheidungen Refraktion durch den Augenoptiker keine Heilkunde gem. BVerwG, Urt. v. 20.1.1966, Az. I C 73.64, NJW 1966, 1187 ff.; BSG Urt. v. 18.9.1973, Az. 6 RKa 2/ 72, BSGE 36, 146 ff.; BGH, Urt. v. 4.2.1972, Az. I ZR 104/ 70, NJW 1972, 1132 f. prismatische Korrektion durch den Augenoptiker VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 17.2.2005, Az. 9 S 216/ 04, NVwZ-RR 2005, 725 f., bejahte die Befugnis des Augenoptikers ohne zusätzliche Erlaubnis bei Beachtung bestimmter Aufklärungspflichten Tonometrie und automatische Perimetrie durch den Augenoptiker Nach wechselhaftem Ausgang der Gerichtsverfahren wurde letztlich Befugnis des Augenoptikers ohne zusätzliche Erlaubnis bei Beachtung bestimmter Aufklärungspflichten bejaht; vgl. BGH, Urt. v. 10.12.1998, Az. I ZR 137/ 96, NJW 1999, 865 ff.; BVerfG, Kammerbeschluss v. 7.8.2000, Az. 1 BvR 254/ 99, NJW 2000, 2736 f.; BGH, Urt. v. 21.6.2001, Az. I ZR 197/ 00, NJW 2001, 3408 ff; OLG Koblenz, Urt. v. 2.7.2002, Az. 4 U 1214/ 01, juris; BGH, Urt. v. 21.4.2005, Az. I ZR 190/ 02, NJW 2005, 2707 f. Tab. 14: Verrichtungen der Augenoptiker im Spannungsverhältnis zum HeilprG 2.7.4 Bedeutung des Medizinprodukterechts 2.7.4.1 Herstellung und Inverkehrbringen von Medizinprodukten Zum Leistungsspektrum eines Gesundheitshandwerkers gehört auch das Herstellen von Medizinprodukten (zum Begriff vgl. Abschnitt 2.8.2), wie z. B. Brillen mit Korrektionswirkung, individuell angepasste Prothesen oder orthopädisches Schuhwerk. Diese für einen individuellen Kunden angefertigten Produkte werden als Sonderanfertigung bezeichnet. <?page no="216"?> 216 Recht im Gesundheitswesen ❋ Wissen │ Sonderanfertigung Eine Sonderanfertigung ist ein Medizinprodukt, das nach schriftlicher Verordnung nach spezifischen Auslegungsmerkmalen eigens angefertigt wird und zur ausschließlichen Anwendung bei einem namentlich benannten Patienten bestimmt ist (§ 3 Nr. 8 MPG). Hinsichtlich dieser Sonderanfertigung gilt der Gesundheitshandwerker als Hersteller im Sinne des Medizinprodukterechts. Nach § 3 Nr. 15 MPG ist nicht nur derjenige, der das Medizinprodukt herstellt, verpackt und kennzeichnet, um es im eigenen Namen in den Verkehr zu bringen. Vielmehr gilt auch derjenige als Hersteller, der das Medizinprodukt „nur“ aus Halbfertigprodukten montiert, um es im eigenen Namen erstmalig in den Verkehr zu bringen. Etwas anderes gilt nur, wenn das Medizinprodukt bereits in Verkehr gebracht war und der Handwerker das Produkt entsprechend dessen Zweckbestimmung für einen namentlich genannten Kunden montiert oder anpasst. ◉ Beispiel Das (Industrie-)Unternehmen, das Brillengläser herstellt, ist für die Gläser Hersteller gem. § 3 Nr. 15 MPG. Der Augenoptiker, der für den Kunden eine Brille (aus Gläsern und Fassung) anfertigt, ist für diese Sonderanfertigung Hersteller gem. § 3 Nr. 15 MPG. Sobald der Gesundheitshandwerker die Sonderanfertigung an den Kunden abgibt, bringt er sie in Verkehr (§ 3 Nr. 11, § 5 MPG). Sonderanfertigungen dürfen zwar (anders als industriell hergestellte Medizinprodukte) ohne CE-Kennzeichnung in den Verkehr gebracht werden (§ 6 Abs. 1 MPG). Dennoch muss auch der Gesundheitshandwerker in einem Konformitätsbewertungsverfahren nachweisen, dass sein Produkt die sog. Grundlegenden Anforderungen erfüllt (§ 12 Abs. 1 S. 1 MPG). Diese ergeben sich für Sonderanfertigungen, die keine aktive implantierbare Medizinprodukte oder In-vitro-Diagnostika sind, aus dem Anhang I der RL 93/ 42/ EWG 335 . Das Konformitätsbewertungsverfahren führt der Gesundheitshandwerker gem. § 3 MPV selbst durch. Dazu muss er gem. § 7 Abs. 5 MPV die Dokumente nach Nr. 2.1 und 3.1 des Anhangs VIII der RL 93/ 42/ EWG erstellen und gewährleisten, dass sein hergestelltes Medizinprodukt mit der Dokumentation übereinstimmt. ❋ Wissen │ Inhalt der Dokumente Inhalt der Dokumente nach Nr. 2.1 und 3.1 des Anhangs VIII der RL 93/ 42/ EWG: Name und Anschrift des Herstellers die zur Identifizierung des betreffenden Produkts notwendigen Daten 335 Richtlinie 93/ 42/ EWG des Rates v. 14.6.1993 über Medizinprodukte, ABl. L 169 S. 1, z. g. d. RL 2007/ 47/ EG v. 5.9.2007, ABl. L 247 S. 21. <?page no="217"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 217 Versicherung, dass das Produkt ausschließlich für einen bestimmten Patienten bestimmt ist, und der Namen dieses Patienten Name des Arztes oder der hierzu befugten Person, der/ die das betreffende Produkt verordnet hat, und gegebenenfalls den Namen der betreffenden medizinischen Einrichtung spezifische Merkmale des Produkts, wie sie in der Verschreibung angegeben sind Versicherung, dass das betreffende Produkt den in Anhang I genannten grundlegenden Anforderungen entspricht, und ggf. die Angabe der grundlegenden Anforderungen, die nicht vollständig eingehalten worden sind, mit Angabe der Gründe Fertigungsstätte(n) Daten zur Herstellung und Leistungsdaten des Produkts, die für die Beurteilungen notwendig sind, ob die Anforderungen der RL 93/ 42/ EWG erfüllt sind Bei Sonderanfertigungen der Klassen IIa (z. B. Hörgerät), IIb und III ist dem Kunden eine Kopie der Erklärung zu übergeben (§ 7 Abs. 5 S. 1 MPV). Die vorgenannte Dokumentation ist mindestens fünf Jahre und im Falle von implantierbaren Produkten mindestens 15 Jahre aufzubewahren (§ 7 Abs. 5 S. 3 MPV). Auf Anforderung der zuständigen Landesbehörde ist der Gesundheitshandwerker zur Vorlage einer Liste der Sonderanfertigungen verpflichtet (§ 12 Abs. 1 S. 2 MPG). Nach der Herstellung muss der Gesundheitshandwerker die Erfahrungen mit seinen Produkten dokumentieren und auswerten sowie ggf. erforderliche Korrekturen durchführen. Ferner muss er das BfArM unverzüglich sowohl über den Rückruf von Produkten als auch über Funktionsstörungen oder andere Vorkommnisse, die zum Tode oder zu einer schwerwiegenden Erkrankung eines Patienten oder eines Anwenders führen können oder dazu geführt haben, informieren (§ 7 Abs. 5 S. 4, 5 MPV). Für die Erfüllung der Pflichten im Zusammenhang mit der Medizinproduktesicherheit hat der Gesundheitshandwerker gem. § 30 MPG sich selbst oder einen Mitarbeiter als Sicherheitsbeauftragten für Medizinprodukte zu bestellen. Wenn nicht nur Sonderanfertigungen hergestellt werden, muss der Sicherheitsbeauftragte gegenüber der zuständigen Landesbehörde namentlich benannt werden. Der Sicherheitsbeauftragte muss über die für die Tätigkeit nötige Zuverlässigkeit und Sachkenntnis verfügen. Er hat bekannt gewordene Meldungen über Risiken bei Medizinprodukten zu sammeln, zu bewerten und die notwendigen Maßnahmen zu koordinieren. Ferner ist er für die Erfüllung der Anzeigepflichten verantwortlich, soweit sie Medizinprodukterisiken betreffen. Hinsichtlich der Herstellung und des Inverkehrbringens unterliegt der Gesundheitshandwerker ebenso wie die industriellen Hersteller von Medizinprodukten der staatlichen Aufsicht, vgl. hierzu Abschnitt 2.8.9. <?page no="218"?> 218 Recht im Gesundheitswesen 2.7.4.2 Betreiben und Anwenden von Medizinprodukten Der Gesundheitshandwerker setzt während seiner Tätigkeit selbst zahlreiche Medizinprodukte ein, z. B. Ton- und Sprachaudiometer, Augentonometer. Gem. § 14 S. 1 MPG, § 1 MPBetreibV dürfen die Medizinprodukte dürfen nur unter Berücksichtigung der MPBetreibV betrieben und angewendet werden (vgl. dazu Erläuterungen im Abschnitt 2.2.4). 2.7.5 Leistungserbringung im System der gesetzlichen Krankenversicherung 2.7.5.1 Anspruch des Versicherten auf Hilfsmittel Nach § 33 Abs. 1, 2 SGB V haben die gesetzlich Versicherten unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf eine Versorgung mit Hörhilfen, Sehhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln. Im Konkreten sind das Hörgeräte, Brillen, Kontaktlinsen, Prothesen, Unterarmstützen, orthopädische Schuhe, Rollstühle u. v. m. Die Hilfsmittel lassen sich in Anlehnung an § 31 Abs. 1 S. 1 SGB VII und § 2 HilfsM-RL wie folgt definieren: ❋ Wissen │ Hilfsmittel Hilfsmittel sind bewegliche Sachen, die den Erfolg der Heilbehandlung sichern oder die Folgen von Gesundheitsschäden mildern oder ausgleichen. Sie werden individuell gefertigt oder als serienmäßig hergestellte Ware in unverändertem Zustand oder als Basisprodukt mit entsprechender handwerklicher Zurichtung, Ergänzung bzw. Abänderung von den Leistungserbringern abgegeben. Zu den Hilfsmitteln zählen auch Zubehörteile, ohne die das Basisprodukt nicht oder nicht zweckentsprechend betrieben werden kann. Die Leistungserbringer (Augenoptiker, Hörakustiker etc.) müssen bei der Abgabe des Hilfsmittels zulasten der Krankenkasse die Voraussetzungen des Versichertenanspruchs berücksichtigten: 1. Voraussetzung: Das Hilfsmittel muss für einen der beiden Leistungszwecke erforderlich sein, die in § 33 Abs. 1 S. 1 SGB V genannt sind. Es muss entweder den Erfolg der Krankenbehandlung sichern; insoweit ist es unmittelbar Teil der Krankenbehandlung (wie z. B. Bandagen, Schienen zur Behandlung von Gelenkverletzungen). Alternativ kann das Hilfsmittel dem Ausgleich einer Behinderung (inkl. der Vorbeugung einer solchen) dienen. Als Behinderung werden körperliche, geistige, seelische oder Sinnesbeeinträchtigungen angesehen, die von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und die in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren eine gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft voraussichtlich länger als sechs Monate beeinträchtigen (§ 2 Abs. 1 SGB IX). Der Einsatz eines Hilfsmittels (wie z. B. eine Prothese, Hörgerät), der auf die Wiederherstellung des fehlenden Körperteils oder den Ausgleich der beeinträchtigten Funktion abzielt, wird als unmittelbarer Behinderungsausgleich bezeichnet. Für diesen gilt das „Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits, und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des me- <?page no="219"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 219 dizinischen und technischen Fortschritts“ 336 , weil der Versicherte mit einer Behinderung möglichst mit gesunden Menschen gleichziehen soll. Anders verhält es sich beim mittelbaren Behinderungsausgleich. Dieser ist nicht auf die Wiederherstellung des Körperteils oder der Körperfunktion, sondern auf den Ausgleich der Folgen der Behinderung gerichtet. Hierbei geht es nicht um das Gleichziehen mit den schier unbegrenzten Möglichkeiten eines gesunden Menschen, sondern um die Kompensation der Behinderung, soweit sie sich auf das tägliche Leben auswirkt (sog. Basisausgleich). Die gesetzliche Krankenversicherung steht nur für die medizinische, nicht aber für die berufliche oder soziale Rehabilitation ein, für die ggf. andere Sozialleistungsträger eintreten müssen. Deshalb wird ein Hilfsmittel (z. B. Rollstuhl) im Rahmen des mittelbaren Behinderungsausgleichs nur dann von der Krankenkasse gewährt, wenn ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betroffen ist. Als allgemeines Grundbedürfnis gelten Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnahme, Ausscheiden, elementare Körperpflege, selbstständiges Wohnen sowie das Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums. 337 2. Voraussetzung: Das Hilfsmittel darf kein allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens sein (§ 33 Abs. 1 S. 1 SGB V). Derartige Gebrauchsgegenstände (z. B. Wärmflaschen, antiallergene Matratzenüberzüge 338 ) werden wie bei gesunden Menschen der Eigenverantwortung zugerechnet. Wenn diese Gegenstände jedoch für die speziellen Bedürfnisse von kranken Menschen hergestellt werden und überwiegend von diesen benutzt werden, dann wird die Hilfsmitteleigenschaft bejaht. Für die beiden (Misch-)Konstellationen, dass ein Produkt für kranke Personen entwickelt, aber überwiegend von der Allgemeinheit adaptiert wurde, oder ein Produkt nicht eigens für kranke Personen entwickelt, aber von diesen genutzt wird, muss anhand der Gesamtumstände eine Einordnung des Produkts als Hilfsmittel oder Alltagsgegenstand vorgenommen werden. 339 3. Voraussetzung: Die Versorgung mit dem Hilfsmittel muss dem Wirtschaftlichkeitsgebot gem. § 12 Abs. 1 SGB V entsprechen, ansonsten ist das Hilfsmittel ausgeschlossen. Das heißt, das Hilfsmittel muss ausreichend, zweckmäßig, wirtschaftlich sein und darf das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Die Erforderlichkeit des Hilfsmittels ist bereits im Rahmen der ersten Voraussetzung zu prüfen. Daneben kommt das Wirtschaftlichkeitsgebot vor allem zum Tragen, wenn mehrere funktionell gleich geeignete Hilfsmittel zur Verfügung stehen, die sich aber z. B. im Komfort oder in der Optik unterscheiden. In diesem Fall müssen die Gebrauchsvorteile des Hilfsmittels unter Berücksichtigung der Kosten beurteilt werden. Dabei erstreckt sich der Anspruch des Versicherten nur auf das kostengünstigere Produkt, wenn dieses den angestrebten Nachteilsausgleich ebenfalls gewährleistet. Alternativ besteht für den Versicherten die Möglichkeit, die Mehrkosten und ggf. dadurch bedingte höhere Folgekosten selbst zu tragen, wenn er 336 BSG, Urt. v. 25.6.2009, B 3 KR 2/ 08 R, BeckRS 2009, 73384 Rn. 18. 337 Vgl. BSG, Urt. v. 12.8.2009, B 3 KR 11/ 08 R, SozR 4-2500 § 33 Nr. 25 m. w. N. 338 Vgl. BSG, Urt. v. 17.1.1996, 3 RK 39/ 94, NJW-RR 1997, 259 ff. [260 f.]. 339 Ebd. <?page no="220"?> 220 Recht im Gesundheitswesen von den funktionell gleich geeigneten und wirtschaftlichen Hilfsmitteln das wählt, das über notwendige Maß hinausgeht (§ 33 Abs. 1 S. 6 SGB V). 340 Das Wirtschaftlichkeitsgebot äußert sich ferner darin, dass der Versicherte einen Eigenanteil in Höhe seiner ersparten Aufwendungen tragen muss, wenn das Hilfsmittel (z. B. orthopädisches Schuhwerk) einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens (z. B. Schuhe) ersetzt. 341 4. Voraussetzung: Darüber hinaus findet das Wirtschaftlichkeitsgebot seinen Ausdruck in verschiedenen spezifischen Regelungen und ist insoweit vom Gesundheitshandwerker bei der Hilfsmittelversorgung ebenfalls zu beachten: Das Hilfsmittel darf nicht durch die Verordnung über Hilfsmittel mit geringem oder umstrittenen therapeutischen Nutzen oder mit geringem Abgabepreis 342 , die auf der Grundlage des § 34 Abs. 4 SGB V erlassen worden ist, ausgeschlossen sein. Danach sind z. B. Brillenetuis, Augen- und Ohrenklappen und die Energieversorgung bei Hörgeräten für volljährige Versicherte ausgeschlossen. Der GBA kann gem. § 33 Abs. 1 S. 4, § 92 Abs. 1 SGB V die Hilfsmittelversorgung einschränken, wenn nach allgemein anerkanntem Stand der medizinischen Erkenntnisse der diagnostische oder therapeutische Nutzen, die medizinische Notwendigkeit oder die Wirtschaftlichkeit der Hilfsmittel nicht nachgewiesen sind. Auf der Grundlage dieser Ermächtigung ist die Hilfsmittel- Richtlinie erlassen worden, die sowohl für die Krankenkassen, Vertragsärzte und zugelassenen Gesundheitshandwerker verbindlich ist (§ 1 Abs. 2 HilfsM- RL). In der Hilfsmittel-Richtlinie sind verschiedene Einschränkungen für die Versorgung mit Seh- und Hörhilfen geregelt. Weitere Anforderungen können sich aus dem Hilfsmittelverzeichnis ergeben. Dieses wird vom GKV-Spitzenverband aufgestellt und erfasst die Hilfsmittel, die der Leistungspflicht der Krankenkassen unterliegen (vgl. im Einzelnen Abschnitt 2.8.11). Zur Sicherung einer wirtschaftlichen Hilfsmittelversorgung kann der GKV-Spitzenverband Qualitätsanforderungen festlegen. Wenn das an den Versicherten abzugebende Hilfsmittel im Hilfsmittelverzeichnis gelistet oder von einer dortigen Produktgruppe erfasst ist, muss es die im Hilfsmittelverzeichnis festgelegten Anforderungen an die Qualität erfüllen (§ 33 Abs. 1 S. 2 SGB V). § 33 Abs. 3 SGB V regelt, dass Kontaktlinsen von den Krankenkassen nur in medizinisch zwingend erforderlichen Ausnahmefällen, die in § 15 Abs. 3 HilfsM-RL bestimmt sind, gewährt werden. Wenn der Versicherte in anderen Fällen Kontaktlinsen statt der erforderlichen Brille wählt, zahlt die Krankenkasse nur einen Zuschuss in Höhe des Betrages, der für eine Brille höchstens aufzuwenden wäre. Zur Brillenversorgung eines Versicherten gehören nur die Brillengläser; für das Brillengestell muss der Versicherte selbst aufkommen (§ 33 Abs. 2 S. 4 SGB V). 340 Vgl. z. B. BSG, Urt. v. 17.12.2009, B 3 KR 20/ 08 R, NJOZ 2010, 1842 ff. [1845]; BSG, Urt. v. 12.8.2009, B 3 KR 8/ 08 R, NJOZ 2010, 2186 [2188]. 341 Vgl. BSG, Urt. v. 28.9.1976, 3 RK 9/ 76, BeckRS 1976, 30703594; BSG, Urt. v. 17.1.1996, 3 RK 39/ 94, NJW-RR 1997, 259 ff. [261]. 342 Verordnung über Hilfsmittel von geringem therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis in der gesetzlichen Krankenversicherung (KVHilfsmV) v. 13.12.1989, BGBl. I S. 2237, z. g. d. VO v. 17.1.1995, BGBl. I S. 44. <?page no="221"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 221 5. Voraussetzung: Grundsätzlich haben sowohl Minderjährige als auch Volljährige einen Anspruch auf Hilfsmittel. Der Anspruch auf Sehhilfen ist jedoch ab Vollendung des 18. Lebensjahres gem. § 33 Abs. 2 S. 2 SGB V eingeschränkt. Danach können nur die volljährigen Versicherten eine Sehhilfe zur Verbesserung der Sehschärfe beanspruchen, die aufgrund ihrer Sehbeeinträchtigung oder Blindheit bei bestmöglicher Brillenkorrektur auf beiden Augen eine schwere Sehbeeinträchtigung mindestens der Stufe 1 nach der ICD 10-GM 2017 343 aufweisen: Stufen Bezeichnung Sehschärfe mit bestmöglicher Korrektur (in Ferne) 1 mittelschwere Sehbeeinträchtigung Sehschärfe ≤ 0,3 bis > 0,1 2 schwere Sehbeeinträchtigung Sehschärfe ≤ 0,1 bis > 0,05 3 hochgradige Sehbeeinträchtigung Sehschärfe ≤ 0,05 bis > 0,02 4 Blindheit Sehschärfe ≤ 0,02 bis Lichtwahrnehmung 5 Blindheit keine Lichtwahrnehmung Tab. 15: Stufen der Sehbeeinträchtigung nach ICD 10-GM 2017 Wenn die Sehschärfe bei bestmöglicher Korrektur größer als 0,3 ist, kann eine Sehhilfe zur Verbesserung der Sehschärfe nur beansprucht werden, wenn ein verordneter Fern-Korrekturausgleich für einen Refraktionsfehler von mehr als 6 Dioptrien bei Myopie oder Hyperopie oder mehr als 4 Dioptrien bei Astigmatismus besteht. Im Übrigen haben Volljährige einen Anspruch auf eine therapeutische Sehhilfe zur Behandlung einer Augenverletzung oder Augenerkrankung nach Maßgabe der in § 17 HilfsM-RL aufgestellten Anforderungen. 6. Voraussetzung: Nach § 33 Abs. 5a SGB V bedarf die erstmalige Hilfsmittelversorgung einer ärztlichen Verordnung. Wenn der Versicherte das Hilfsmittel dauerhaft benötigt, ist eine ärztliche Verordnung nur für eine geänderte Diagnose- oder Therapieentscheidung gesetzlich vorgesehen. Die Notwendigkeit einer ärztlichen Verordnung ist in § 12 Abs. 3 HilfsM-RL für Sehhilfen und in § 27 Abs. 1 HilfsM- RL für Hörhilfen näher ausgestaltet. Ferner können die Krankenkassen in den Verträgen mit den Leistungserbringern Abweichungen von § 33 Abs. 5a SGB V vereinbaren. 7. Voraussetzung: Die Gewährung eines Hilfsmittels bedarf grundsätzlich der Genehmigung durch die Krankenkasse. Diese kann jedoch darauf verzichten und 343 Internationale Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision, German Modification Version 2017, https: / / www.dimdi.de/ static/ de/ klassi/ icd-10gm/ kodesuche/ onlinefassungen/ htmlgm2017/ (Abruf am 15.7.2018). <?page no="222"?> 222 Recht im Gesundheitswesen anstelle dessen eine ärztlich Verordnung des Hilfsmittels verlangen (§ 33 Abs. 5a, 5b SGB V). Wenn die vorgenannten Voraussetzungen erfüllt sind, hat der Versicherte nicht nur Anspruch auf die Erstversorgung mit dem Hilfsmittel, sondern gem. § 33 Abs. 1 S. 4 SGB V auch auf die Ausbildung im Gebrauch des Hilfsmittels, die notwendige Änderung und Instandsetzung des Hilfsmittels, die Wartungen und technischen Kontrollen, die nach dem Stand der Technik zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit und zum Schutz der Versicherten notwendig sind, sowie die Ersatzbeschaffung des Hilfsmittels (bei Sehhilfen jedoch erst ab einer Änderung der Sehfähigkeit um mindestens 0,5 Dioptrien, wenn der Versicherte das 14. Lebensjahr vollendet hat, § 33 Abs. 4 SGB V). Zur Erfüllung seines Anspruchs kann sich der Versicherte gem. § 33 Abs. 6 SGB V an alle Leistungserbringer wenden, die Vertragspartner seiner Krankenkasse sind (vgl. nachfolgenden Abschnitt). Wenn die Verträge zu den Leistungserbringern gekündigt sind, kann der Versicherte einen anderen Gesundheitshandwerker wählen. Gleiches gilt, wenn der Versicherte ein berechtigtes Interesse an der Inanspruchnahme eines anderen hat. In diesem Fall muss er jedoch ggf. entstehende Mehrkosten selbst tragen. 2.7.5.2 Zulassung des Gesundheitshandwerkers zur Versorgung der gesetzlich Versicherten An der Hilfsmittelversorgung der gesetzlich Versicherten können nur Gesundheitshandwerker teilnehmen, die Vertragspartner der Krankenkassen sind oder einem Zusammenschluss angehören, der Vertragspartner ist (§ 126 Abs. 1 SGB V). Nach § 127 Abs. 1, 2, 3 SGB V sind Vertragsabschlüsse mit unterschiedlichen Vertragspartnern möglich: Abb. 38: Vertragsmöglichkeiten nach § 127 SGB V Die Krankenkassen haben die Verträge grundsätzlich auszuschreiben (§ 127 Abs. 1, 1b SGB V). Mit Ausschreibungen werden Unternehmen öffentlich zur Abgabe Vertrag nach § 127 SGB V Vertrag nach § 127 SGB V Vertrag nach § 127 SGB V Mitgliedschaft Mitgliedschaft Leistungserbringer Krankenkasse Zusammenschluss der Leistungserbringer Landesverband oder Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassen <?page no="223"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 223 von Vertragsangeboten aufgefordert. 344 Ausschreibungen gehören zu den Vergabeverfahren, durch die Leistungen der öffentlichen Hand in einem geregelten Verfahren mittels Zuschlag vergeben werden. Allerdings eignen sich Vergabeverfahren für Hilfsmittel, die für einen bestimmten Versicherten individuell angefertigt werden (wie z. B. Hörgeräte und Brillen), oder für Hilfsmittelversorgungen mit einem hohen Dienstleistungsanteil in der Regel nicht (§ 127 Abs. 1 S. 6 SGB V). Deshalb können solche Verträge ohne Ausschreibung, aber mit vorheriger öffentlicher Bekanntgabe des beabsichtigten Vertragsabschlusses geschlossen werden (§ 127 Abs. 2 SGB V). Ferner können alle anderen Leistungserbringer, die keinen Zuschlag erhalten haben, den Verträgen zu den gleichen Bedingungen beitreten (§ 127 Abs. 2a SGB V). Ferner lässt § 127 Abs. 3 SGB V es zu, dass die Krankenkassen mit Leistungserbringern Einzelverträge über einzelne Hilfsmittel schließen. Um Vertragspartner der Krankenkassen und ihrer Zusammenschlüsse zu werden, muss der Gesundheitshandwerker nachweisen, dass er Voraussetzungen für eine ausreichende, zweckmäßige und funktionsgerechte Herstellung, Abgabe und Anpassung der Hilfsmittel erfüllt (§ 126 Abs. 1 SGB VI). Diesen Nachweis erbringt er mit dem Zertifikat einer unabhängigen Präqualifizierungsstelle 345 . Die personellen, sachlichen, räumlichen und organisatorischen Anforderungen, die im Präqualifizierungsverfahren zu prüfen sind, werden durch Empfehlungen des GKV- Spitzenverbandes 346 näher ausgestaltet. Ein ausgestelltes Zertifikat ist max. fünf Jahre gültig (§ 126 Abs. 1a S. 5 SGB V) und muss anschließend erneuert werden. 2.7.5.3 Anforderungen an die Herstellung, Abgabe und Anpassung der Hilfsmittel durch die Gesundheitshandwerker Das SGB V enthält keine konkreten Regelungen zur Erfüllung des Hilfsmittelanspruchs durch den Gesundheitshandwerker. Der Gesetzgeber überlässt die Ausgestaltung der Hilfsmittelversorgung den Krankenkassen und Gesundheitshandwerkern in den Verträgen nach § 127 SGB V. In diesen werden die einzelnen Rechte und Pflichten der Vertragspartner, die Qualität der Hilfsmittel, die notwendige Ausstattung der Werkstatt und der Verkaufsräume, Abrechnungs- und Zahlungsmodalitäten etc. geregelt. Neben den vertraglichen Bestimmungen muss der Gesundheitshandwerker die Hilfsmittelrichtlinie des GBA beachten, die für ihn als Leistungserbringer gem. § 1 344 Vgl. zum Begriff: § 3 Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen - Teil A v. 20.11.2009 (VOL/ A 2009), BAnz. 29.12.2009 Nr. 196a. 345 Z. B. AO-Präqualifizierungs GmbH für Augenoptiker; Gesellschaft zur Präqualifizierung mbH für Hörgeräteakustiker; vgl. veröffentlichte Liste der Präqualifizierungsstellen unter: https: / / www.gkvspitzenverband.de/ krankenversicherung/ hilfsmittel/ praequalifizierung/ hinweise_fuer_leistungserbringer/ hinweise_fu er_leistungserbringer.jsp (Abruf am 15.7.2018). 346 Empfehlungen des GKV-Spitzenverbandes gemäß § 126 Absatz 1 Satz 3 SGB V für eine einheitliche Anwendung der Anforderungen zur ausreichenden, zweckmäßigen und funktionsgerechten Herstellung, Abgabe und Anpassung der Hilfsmittel vom 7.11.2016, https: / / www.gkvspitzenverband.de/ krankenversicherung/ hilfsmittel/ praequalifizierung/ eignungskriterien/ eignungskriterien.jsp (Abruf am 15.7.2018). <?page no="224"?> 224 Recht im Gesundheitswesen Abs. 2 HilfsM-RL unmittelbar verbindlich ist. Nach § 8 Abs. 2 HilfsM-RL muss beispielsweise innerhalb von 28 Tagen ab Verordnung des Hilfsmittels die Hilfsmittelversorgung begonnen oder der Leistungsantrag bei der Krankenkasse gestellt werden. Danach verliert die Verordnung ihre Gültigkeit. Die Krankenkassen überwachen die Einhaltung der vertraglichen und gesetzlichen Pflichten durch die Leistungserbringer und können zur Sicherung der Qualität in der Hilfsmittelversorgung Auffälligkeits- und Stichprobenprüfungen durchführen (§ 127 Abs. 5a SGB V). 347 Schwerwiegende Verstöße gegen vertragliche oder gesetzliche Bestimmungen können zum einen dazu führen, dass dem Gesundheitshandwerker die Bestätigung seiner Eignung, Vertragspartner der Krankenkassen zu sein, entzogen wird (vgl. § 126 Abs. 1a S. 6, § 127 Abs. 5a S. 7 SGB V) und er dadurch seine Lieferberechtigung verliert. Zum anderen können sie zu Sanktionen (wie z. B. Vertragsstrafen) führen, wenn diese in den Verträgen nach § 127 SGB V geregelt sind. 2.7.5.4 Vergütung der abgegebenen Hilfsmittel Nach § 33 Abs. 7 SGB V übernimmt die Krankenkasse den für das Hilfsmittel vereinbarten Preis. Für bestimmte Hilfsmittel hat der GKV-Spitzenverband gem. § 36 SGB V Festbeträge festgelegt. Diese sind nach § 127 Abs. 4 SGB V die Obergrenze für die Preise, die zwischen Krankenkassen und Leistungserbringer vereinbart werden. Wenn der Abgabepreis des Gesundheitshandwerkers den mit den Krankenkassen vereinbarten Betrag übersteigt, muss der Versicherte die Differenz selbst tragen. Volljährige Versicherte müssen zudem auf den Betrag, den die Krankenkasse übernimmt, eine Zuzahlung gem. § 33 Abs. 8, § 61 S. 1 SGB V leisten. Diese ist vom Gesundheitshandwerker einzuziehen. Gegenwärtig bestehen Festbeträge für folgende Hilfsmittel: 348 Einlagen, Hörhilfen, Inkontinenzhilfen, Hilfsmittel zur Kompressionstherapie, Sehhilfen. Bei der Festsetzung der Festbeträge handelt es sich um eine Allgemeinverfügung gem. § 31 S. 2 SGB X, gegen die die Gesundheitshandwerker, die von den Festbeträgen betroffen sind, Klage erheben können (§ 36 Abs. 3 i. V. m. § 35 Abs. 7 SGB V). Dagegen besteht für den Versicherten keine Rechtschutzmöglichkeit unmittelbar gegen den Festbetrag. Er kann allerdings, wenn die Hilfsmittelversorgung zum 347 Vgl. zur Durchführung der Prüfungen: Rahmenempfehlung des GKV-Spitzenverbandes zur Sicherung der Qualität in der Hilfsmittelversorgung gem. § 127 Abs. 5b SGB V vom 26.6.2017, https: / / www.gkvspitzenverband.de/ krankenversicherung/ hilfsmittel/ richtlinien_und_empfehlungen/ richtlinien_und_empfehlungen.jsp (Abruf am 15.7.2018). 348 Vgl. Aufstellung unter https: / / www.gkvspitzenverband.de/ krankenversicherung/ hilfsmittel/ festbetraege_3/ festbetraege.jsp (Abruf am 9.7.2018). <?page no="225"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 225 Festbetrag für den Behinderungsausgleich einer Versichertengruppe (z. B. Versicherte mit einem beidseitigen Hörverlust von fast 100 % 349 ) objektiv nicht ausreicht, eine volle Kostenerstattung gegen seine Krankenkasse geltend machen. 2.7.6 Rechtsverhältnis zum Kunden Zwischen dem Gesundheitshandwerker und dem Kunden besteht ein privatrechtliches Rechtsverhältnis, das bei Abgabe zulasten der Kranken- und Pflegekasse durch die sozialrechtlichen Bestimmungen überlagert wird. Die Rechte und Pflichten des Gesundheitshandwerkers und des Kunden ergeben sich insbesondere aus dem BGB und sind davon abhängig, welcher Vertragstyp vorliegt. Die Bestimmung des Vertragstyps richtet sich nach der Leistung, die der Gesundheitshandwerker schuldet: Vertragstyp Kaufvertrag Lieferungskauf Werklieferungskauf Werkvertrag Leistung des Gesundheitshandwerkers Verkauf einer beweglichen Sache ohne eigene Herstellung Lieferung einer herzustellenden vertretbaren beweglichen Sache (vgl. zur vertretbaren Sache § 91 BGB) Lieferung einer herzustellenden nicht vertretbaren beweglichen Sache Veränderung einer beweglichen Sache oder ein anderer durch Arbeit oder Dienstleistung herbeizuführender Erfolg einschlägige Paragraphen §§ 433 ff. BGB § 651 i. V. m. §§ 433 ff., § 91 BGB § 651 i. V. m. §§ 433 ff. und §§ 642, 643, 645, 649, 650 BGB §§ 631 ff. BGB Beispiele Augenoptiker verkauft Serienprodukte, wie z. B. Fertigbrillen oder Kontaktlinsen, die er von einem anderen Unternehmen erworben hat Orthopädieschuhmacher stellt Bandagen in Serie her und verkauft sie Orthopädieschuhmacher fertigt einen Maßschuh für einen einzelnen Kunden an Reparatur eines Brillengestells oder Bestimmung der Sehschärfe (ohne Anfertigung einer Brille) durch einen Augenoptiker Tab. 16: Abgrenzung der Rechtsverhältnisse zwischen dem Gesundheitshandwerker und Kunden 349 Vgl. BSG, Urt. v. 17.12.2009, B 3 KR 20/ 08 R, NJOZ 2010, 1842 ff. <?page no="226"?> 226 Recht im Gesundheitswesen Lernhinweis R e pe ti ere n Si e di e Re cht e un d Pfl ic hte n d er Ve rt rag sp ar tn er de r ve rs chi ed enen Vertragstypen mit Hilfe eines Lehrbuchs zum Bürgerlichen Recht. Wenn der Kunde gesetzlich versichert ist und das Hilfsmittel zulasten seiner Krankenkasse abgegeben wird, wird der privatrechtliche Vertrag durch die sozialrechtlichen Bestimmungen überlagert: So sind die Zahlungsmodalitäten im SGB V geregelt. Die Krankenkasse leistet die im Abschnitt 2.7.5.4 beschriebene Vergütung. Wenn diese geringer als der Abgabepreis ist, muss die Differenz vom gesetzlich versicherten Kunden übernommen werden. Zudem muss ein volljähriger Versicherter eine Zuzahlung leisten. Diese beträgt gem. § 33 Abs. 8, § 61 S. 1 SGB V 10 % der von der Krankenkasse zu zahlenden Vergütung, mindestens jedoch 5 Euro und höchstens 10 Euro; allerdings jeweils nicht mehr als die Kosten des Hilfsmittels. Bei Hilfsmitteln, die zum Verbrauch bestimmt sind, beträgt sie 10 % des insgesamt von der Krankenkasse zu übernehmenden Betrags, jedoch höchstens 10 Euro für den gesamten Monatsbedarf. Ferner bestimmt § 127 Abs. 4a SGB V, dass der Gesundheitshandwerker den Kunden vor Inanspruchnahme der Leistung zu beraten hat, welche Versorgung für ihn geeignet und notwendig ist. Ferner muss der Kunde, der zusätzliche Leistungen oder ein über das notwendige Maß hinausgehendes Hilfsmittel wählt, über die von ihm zu tragenden Mehrkosten informiert werden. Weitere Pflichten des Gesundheitshandwerkers gegenüber dem gesetzlich versicherten Kunden können sich aus den Verträgen ergeben, die zwischen des Kassen bzw. deren Verbänden und den Leistungserbringern bzw. deren Verbänden nach § 127 SGB V geschlossen werden. ❋ Wichtige Schlagwörter ❋ Betriebsleiter ❋ Festbetrag ❋ Gebot der Meisterpräsenz ❋ Handwerksrolle ❋ Hilfsmittel ❋ Sonderanfertigung ❋ Zulassungspflichtiges Handwerk ✎ Wiederholungsaufgaben [1] Welche Voraussetzungen muss eine GmbH, die einen augenoptischen Handwerksbetrieb betreiben möchte, erfüllen, um in die Handwerksrolle eingetragen werden zu können? [2] Für den Vertrieb von Korrektionsbrillen gilt das Reisegewerbeverbot. Erläutern Sie, unter welchen gewerberechtlichen Voraussetzungen gleichwohl ein Augenoptiker außerhalb seiner Niederlassung (z. B. im Altenheim) tätig werden darf. [3] Erläutern Sie die Bedeutung des Gebots der Meisterpräsenz für Gesundheitshandwerker. <?page no="227"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 227 [4] Erläutern Sie den gewerberechtlichen Begriff der Unzuverlässigkeit. [5] Die Emsig Augenoptik GmbH betreibt seit einigen Jahren in Wolfsburg ein Geschäft nebst Werkstatt, in dem sie Brillen und Kontaktlinsen aller Art anfertigt, anpasst und an ihre Kunden verkauft. Die GmbH ist in der Handwerksrolle eingetragen. Alleingesellschafter und Geschäftsführer der GmbH ist Emil Emsig, der seine Ausbildung als Augenoptik-Geselle erfolgreich abgeschlossen hat. Da er sein Ingenieurstudium im Bereich Augenoptik vorzeitig aufgegeben hat, war von Beginn an Katrin Klug, die ihre Meisterprüfung im Augenoptiker-Handwerk erfolgreich bestanden hatte, als Betriebsleiterin der GmbH beschäftigt. Nach einem heftigen Streit beendet Katrin Klug das Arbeitsverhältnis. Nachdem die zuständige Behörde erfährt, dass Klug nicht mehr für die GmbH tätig ist, fordert sie die GmbH bzw. Emsig als Geschäftsführer auf, unverzüglich einen Betriebsleiter mit Meisterabschluss oder einem gleichwertigen Abschluss einzustellen. Andernfalls droht die Behörde die Untersagung der Tätigkeit an. Von der Neueinstellung eines Betriebsleiters sieht Emsig jedoch ab, da er die diesbezüglichen Kosten vermeiden möchte und die Aufgaben des Betriebsleiters selbst wahrnimmt. Nach Emsigs Einschätzung können die Kunden durch seine Arbeit und die Tätigkeit der beiden bei der GmbH angestellten Gesellen bestens versorgt werden. Nach Anhörung der Handwerkskammer und der Industrie- und Handelskammer, die beide der Auffassung sind, dass die Voraussetzungen für eine Untersagung der Tätigkeit der GmbH vorliegen, möchte die zuständige Behörde entsprechendes veranlassen. Liegen die Voraussetzungen für eine Untersagungsverfügung vor? Begründen Sie Ihre Entscheidung. [6] Der Anspruch auf Hilfsmittel gegenüber der Krankenkasse setzt voraus, dass das Hilfsmittel zur Krankenbehandlung oder zum Behinderungsausgleich erforderlich ist. Erläutern Sie die Unterscheidung zwischen dem unmittelbaren und mittelbaren Behinderungsausgleich. [7] Erläutern Sie die Bedeutung des Präqualifizierungsverfahrens in der gesetzlichen Krankenversicherung. [8] Erläutern Sie die Zahlungsverpflichtungen eines gesetzlich versicherten Kunden und dessen Krankenkasse gegenüber einem Augenoptiker für eine angepasste Korrektionsbrille. [9] Erläutern Sie den Vertragsgegenstand eines Lieferungskaufs, Werklieferungskaufs und eines Werkvertrages und nehmen Sie eine Abgrenzung vor. Die Lösungen finden Sie im Web-Service. <?page no="228"?> 228 Recht im Gesundheitswesen Industrielle Hersteller von Medizinprodukten 2.8 Lernhinweis Die nachfolgenden Erläuterungen werden Sie besser verstehen, wenn Sie die angegebenen Paragrafen der nachfolgenden Rechtsvorschriften parallel zum Lehrbuch lesen: Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) 350 , Medizinproduktegesetz (MPG), Medizinprodukte-Abgabeverordnung (MPAV) 351 , Medizinprodukte-Betreiberverordnung (MPBetreibV), Medizinprodukte-Sicherheitsplanverordnung (MPSV) 352 , Medizinprodukte-Verordnung (MPV), Sozialgesetzbuch 5. Buch (SGB V), Verordnung über klinische Prüfungen von Medizinprodukten (MPKPV) 353 . 2.8.1 Einführung Während sich der Abschnitt 2.7 auf die handwerklich hergestellten Medizinprodukte/ Hilfsmittel bezieht, stehen im Mittelpunkt des Abschnitts 2.8 die industriell hergestellten Medizinprodukte. Für die industriellen Hersteller von Medizinprodukten ist das Medizinprodukterecht von zentraler Bedeutung. Derzeit wird das in Deutschland geltende Medizinprodukterecht vom Medizinproduktegesetz (MPG) sowie von verschiedenen Verordnungen geprägt. Auf europäischer Ebene sind die Verordnung über Medizinprodukte (MDR) 354 und die Verordnung über In-vitro-Diagnostika (IVDR) 355 verabschiedet und in Kraft getreten. Volle Gültigkeit erlangen die beiden Verordnungen jedoch erst nach einer Übergangszeit, die MDR am 26.5.2020 (vgl. Art. 120 MDR) sowie die IVDR am 26.5.2022 (vgl. Art. 133 IVDR). Ab den genannten Zeitpunkten gelten die beiden Verordnungen unmittelbar in allen EU-Mitgliedstaaten und werden dann das nationale Recht verdrängen. Die Richtlinien der EU, die bislang für die Medizinprodukte und In-Vitro-Diagnostika 356 gelten, werden an den genannten Terminen (abgesehen von einigen Ausnahmen) außer Kraft treten. 350 ApBetrO v. 26.9.1995, BGBl. I S. 1195, z. g. d. G v. 18.7.2017, BGBl. I S. 2745. 351 MPAV v. 25.7.2014, BGBl. I S. 1227, z. g. d. G v. 18.7.2017, BGBl. I S. 2745. 352 MPSV v. 24.6.2002, BGBl. I S. 2131, z. g. d. VO v. 2.7.2018, BGBl. I S. 1080. 353 MPKPV v. 10.5.2010, BGBl. I S. 555, z. g. d. VO v. 25.7.2014, BGBl. I S. 1227. 354 Verordnung (EU) 2017/ 745 über Medizinprodukte, zur Änderung der Richtlinie 2001/ 83/ EG, der Verordnung (EG) 178/ 2002 und der Verordnung (EG) 1223/ 2009 und zur Aufhebung der Richtlinien 90/ 385/ EWG und 93/ 42/ EWG v. 5.4.2017, ABl. L 117 S. 1. 355 Verordnung (EU) 2017/ 746 über In-vitro-Diagnostika und zur Aufhebung der Richtlinie 98/ 79/ EG und des Beschlusses 2010/ 227/ EU der Kommission v. 5.4.2017, ABl. L 117 S. 176. 356 Richtlinie 98/ 79/ EG über In-vitro-Diagnostika v. 27.10.1998, ABl. L 331 S. 1, z. g. d. RL 2011/ 100/ EU v. 20.12.2011, ABl. L 341 S. 50. <?page no="229"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 229 2.8.2 Begriff und Einteilung der Medizinprodukte § 3 Nr. 1 MPG enthält für Medizinprodukte folgende Legaldefinition: ❋ Wissen │ Medizinprodukte Medizinprodukte sind alle einzeln oder miteinander verbunden verwendeten Instrumente, Apparate, Vorrichtungen, Software, Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen oder andere Gegenstände einschließlich der vom Hersteller speziell zur Anwendung für diagnostische oder therapeutische Zwecke bestimmten und für ein einwandfreies Funktionieren des Medizinproduktes eingesetzten Software, die vom Hersteller zur Anwendung für Menschen mittels ihrer Funktionen zum Zwecke [a] der Erkennung, Verhütung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten, [b] der Erkennung, Überwachung, Behandlung, Linderung oder Kompensierung von Verletzungen oder Behinderungen, [c] der Untersuchung, der Ersetzung oder der Veränderung des anatomischen Aufbaus oder eines physiologischen Vorgangs oder [d] der Empfängnisregelung zu dienen bestimmt sind und deren bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper weder durch pharmakologisch oder immunologisch wirkende Mittel noch durch Metabolismus erreicht wird, deren Wirkungsweise aber durch solche Mittel unterstützt werden kann. Anhand der bestimmungsgemäßen Hauptwirkung erfolgt Abgrenzung zwischen den Medizinprodukten und Arzneimitteln (vgl. Abschnitt 2.9.2). Medizinprodukte wirken physikalisch, Arzneimittel dagegen pharmakologisch, immunologisch oder metabolisch. ◉ Beispiel Silikonölhaltige Präparate zur Bekämpfung von Kopfläusen verschließen die Atemöffnungen der Läuse, so dass die Läuse ersticken. Somit wirken die Präparate physikalisch und stellen Medizinprodukte dar. Wenn der Betrieb des Medizinprodukts von einer Stromquelle oder einer anderen Energiequelle (mit Ausnahme der direkt vom menschlichen Körper oder durch die Schwerkraft erzeugten Energie) abhängig ist, wird es als aktives Medizinprodukt bezeichnet (Nr. 1.4 Anhang IX der RL 93/ 42/ EG). ◉ Beispiel Defibrillator, Heizkissen Wenn das Produkt dazu bestimmt ist, durch einen chirurgischen Eingriff ganz in den menschlichen Körper eingeführt zu werden oder eine Epitheloberfläche oder die Oberfläche des Auges zu ersetzen <?page no="230"?> 230 Recht im Gesundheitswesen und nach dem Eingriff dort mindestens 30 Tage zu verbleiben, handelt es sich um ein implantierbares Medizinprodukt (Nr. 1.2 Anhang IX der RL 93/ 42/ EG). Wenn es für den Betrieb eine Energiequelle benötigt, wird es als aktives implantierbares Medizinprodukt bezeichnet. ◉ Beispiel Brustimplantat, Hüftgelenk, Herzklappe = implantierbares Medizinprodukt Herzschrittmacher = aktives implantierbares Medizinprodukt Gegenstände, Stoffe sowie Zubereitungen aus Stoffen, die selbst keine Medizinprodukte sind, aber vom Hersteller dazu bestimmt sind, mit einem Medizinprodukt verwendet zu werden, damit dieses zweckbestimmt eingesetzt werden kann, wird als Zubehör bezeichnet (§ 3 Nr. 9 MPG). ◉ Beispiel Pflegemittel für Kontaktlinsen Zubehör wird wie ein eigenständiges Medizinprodukt behandelt (§ 2 Abs. 1. S. 2 MPG). Die Medizinprodukte werden abhängig von ihrem Risikopotenzial in vier Risikoklassen eingeteilt. Die Einzelheiten der Klassifizierung sind im Anhang IX der RL 93/ 42/ EWG geregelt. Abb. 39: Einteilung der Medizinprodukte in Risikoklassen besonders hohes Risiko Beispiele: Herzschrittmacher, künstliches Hüftgelenk erhöhtes Risiko Beispiele: Pflegemittel für Kontaktlinsen, Röntgengeräte mittleres Risiko Beispiele: Kontaktlinsen, Hörgeräte, Ultraschallgeräte geringes Risiko Beispiele: Fieberthermometer, Verbandmaterial Klasse III Klasse IIb Klasse IIa Klasse I <?page no="231"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 231 Zu den Medizinprodukten gehören auch In-vitro-Diagnostika, die in § 3 Nr. 4 MPG definiert sind: ❋ Wissen │ In-vitro-Diagnostikum Ein In-vitro-Diagnostikum ist ein Medizinprodukt, das als Reagenz, Reagenzprodukt, Kalibriermaterial, Kontrollmaterial, Kit, Instrument, Apparat, Gerät oder System einzeln oder in Verbindung miteinander nach der vom Hersteller festgelegten Zweckbestimmung zur In-vitro-Untersuchung von aus dem menschlichen Körper stammenden Proben einschließlich Blut- und Gewebespenden bestimmt ist und ausschließlich oder hauptsächlich dazu dient, Informationen zu liefern [a] über physiologische oder pathologische Zustände oder [b] über angeborene Anomalien oder [c] zur Prüfung auf Unbedenklichkeit oder Verträglichkeit bei den potenziellen Empfängern oder [d] zur Überwachung therapeutischer Maßnahmen. Ein Probenbehältnis, das vom Hersteller speziell dafür gefertigt wurde, die aus dem menschlichen Körper stammende Probe unmittelbar nach ihrer Entnahme aufzunehmen und im Hinblick auf eine In-vitro-Untersuchung aufzubewahren, gilt ebenfalls als In-vitro-Diagnostikum. Dagegen gelten (allgemeine) Laborgeräte nicht als In-vitro-Diagnostika, es sei denn, sie sind nach der vom Hersteller festgelegten Zweckbestimmung speziell für In-vitro-Untersuchungen zu verwenden. Anders als die In-vitro-Diagnostika gehören In-vivo-Diagnostika, die einem Menschen verabreicht werden, um eine medizinische Diagnose zu ermitteln, gem. § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AMG zu den Arzneimitteln. ◉ Beispiel Blutzuckerteststreifen = In-vitro-Diagnostika = Medizinprodukt Kontrastmittel für eine Röntgenaufnahme = In-vivo-Diagnostika = Arzneimittel Die In-vitro-Diagnostika werden in vier Gruppen eingeteilt: <?page no="232"?> 232 Recht im Gesundheitswesen Abb. 40: Einteilung der In-vitro-Diagnostika 2.8.3 Klinische Bewertung von Medizinprodukten Medizinprodukte dürfen grundsätzlich nur mit einer CE-Kennzeichnung in den Verkehr gebracht werden. Diese Kennzeichnung erfordert den Nachweis in einem Konformitätsbewertungsverfahren, dass das Medizinprodukt die Grundlegenden Anforderungen erfüllt. Das Konformitätsbewertungsverfahren setzt wiederum eine klinische Bewertung des Medizinprodukts voraus, die in den §§ 19 ff. MPG und der MPKPV näher geregelt ist. 357 In der klinischen Bewertung sind die Eignung des Medizinprodukts für den vorgesehenen Verwendungszweck zu belegen sowie die unerwünschten Wirkungen und die Annehmbarkeit des Nutzen-Risiko- Verhältnisses zu beurteilen (§ 19 Abs. 1 MPG). Die dafür notwendigen Sicherheits- und Leistungsangaben können - wenn für das Medizinprodukt keine klinische Prüfung notwendig ist - aus der Fachliteratur oder aus Berichten sonstiger klinischer Erfahrungen, wie z. B. aus Laboruntersuchungen, validierter Prüfungen, Computersimulationen, stammen. 358 Entsprechende Daten von einem ähnlichen Produkt sind ebenfalls verwertbar, wenn dessen Gleichartigkeit mit dem betreffenden Medizinprodukt nachgewiesen werden kann (§ 3 Nr. 25 Buchst. b, c MPG). 357 Zur klinischen Bewertung von Medizinprodukten vgl. auch Hobusch, Handbuch Gesundheitsrecht, S. 291 ff. [301 f.]. 358 Vgl. List-Nörr, Kommentar zum Medizinrecht, MPG § 19 Rn. 2. Hochrisiko- IVD Risiko- IVD Eigenanwendung Sonstiges Anhang II Liste A der Richtlinie 98/ 79/ EG Beispiele: Reagenzien und Reagenzprodukte, einschließlich der entsprechenden Kalibrier- und Kontrollmaterialien, zur Bestimmung folgender Blutgruppen: ABNull-System, Rhesus (C, c, D, E, e), Kell-System Anhang II Liste B der Richtlinie 98/ 79/ EG Beispiele: Reagenzien und Reagenzprodukte, einschließlich der entsprechenden Kalibrier- und Kontrollmaterialien, zur Bestimmung folgender Blutgruppen: Duffy-System, Kidd-System § 3 Nr. 5 MPG Beispiel: Schwangerschaftstest § 5 Abs. 4 MPV <?page no="233"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 233 Eine klinische Prüfung ist für implantierbare, aktive implantierbare Medizinprodukte sowie für Medizinprodukte der Klasse III vorgesehen, es sei denn, dass die Verwendung bereits bestehender klinischer Daten ausreichend gerechtfertigt ist (Nr. 1.1a Anhang X der RL 93/ 42/ EWG). Darüber hinaus soll sie nach den rechtlich unverbindlichen Empfehlungen der Benannten Stellen für weitere Medizinprodukte durchgeführt werden, so beispielsweise für völlig neue Medizinprodukte mit bisher nicht bekannten Bestandteilen, Eigenschaften und/ oder Wirkungsweisen. 359 Nach Nr. 2 Anhang X der RL 93/ 42 EWG handelt es sich bei einer klinischen Prüfung um eine am Menschen durchgeführte Untersuchung, die dazu bestimmt ist, den Nachweis zu erbringen, dass die Leistungen des Produkts bei normalen Einsatzbedingungen den vom Hersteller vorgegebenen Leistungen entsprechen, und etwaige bei normalen Einsatzbedingungen auftretende unerwünschte Nebenwirkungen zu ermitteln und zu beurteilen, ob diese unter Berücksichtigung der vorgegebenen Leistungen irgendwelche Risiken darstellen. Das Unternehmen, das die Verantwortung für die Veranlassung, Organisation und Finanzierung einer klinischen Prüfung trägt, wird als Sponsor bezeichnet (§ 3 Nr. 23 MPG). Der Sponsor muss für die Durchführung einer klinischen Prüfung die in den §§ 20, 21 MPG aufgestellten Voraussetzungen erfüllen, wie beispielsweise: Vorhandensein eines Prüfplans, der dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entspricht, Nachweis einer geeigneten Einrichtung und eines qualifizierten Prüfers, Aufklärung und Einwilligung der Probanden, Bestehen einer Probandenversicherung. Ferner steht die klinische Prüfung unter einem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Ihre Durchführung setzt eine zustimmende Bewertung der zuständigen Ethik- Kommission und grundsätzlich eine Genehmigung der zuständigen Bundesoberbehörde voraus (§ 20 Abs. 1 S. 1, §§ 22, 22a MPG). Die zuständige Bundesoberbehörde ist gem. § 32 Abs. 1 MPG das BfArM. Für die in § 7 Abs. 1 MPKPV genannten Medizinprodukte mit geringem Sicherheitsrisiko kann von der Genehmigungspflicht abgesehen werden. Dazu muss der Sponsor in einem vereinfachten Verfahren eine Risikobeurteilung einreichen, den Nachweis erbringen, dass sein Produkt zu den in § 7 Abs. 1 MPKPV genannten Medizinprodukten gehört, sowie bei sterilen Produkten Angaben zum Aufbereitungs- und Sterilisationsverfahren machen. Die Notwendigkeit der Zustimmung der Ethik-Kommission gilt dagegen auch für die Medizinprodukte mit geringem Sicherheitsrisiko (§ 7 Abs. 4 MPKPV). 359 Vgl. im Einzelnen: European Association of Notified Bodies for Medical Device, Recommendation NBMED/ 2.7/ Rec 1, https: / / www.mdc-ce.de/ fileadmin/ user_upload/ Downloads/ Leitlinien/ NB- Med/ Recommendation-NB-MED-2_7-1_rev2_Guidance_on_clinicals.pdf (Abruf am 17.3.2018). <?page no="234"?> 234 Recht im Gesundheitswesen Die Durchführung der klinischen Prüfung muss dem genehmigten Prüf- und Evaluierungsplan sowie dem Stand der Wissenschaft und Technik entsprechen (§ 10 Abs. 1 MPKPV). Ferner muss der Sponsor für Notfälle vorsorgen. Er muss ein Verfahren etablieren, durch das die eingesetzten Produkte unverzüglich identifiziert und ggf. aus dem Prüfungsverfahren entfernt werden können. Gem. § 3 Abs. 4 MPSV muss der Prüfer oder der Hauptprüfer (verantwortlicher Leiter bei Vorhandensein mehrerer Prüfer) dem Sponsor jedes schwerwiegende unerwünschte Ereignis melden. Dies ist ein ungewolltes Ereignis, das unmittelbar oder mittelbar zum Tod oder zu einer schwerwiegenden Verschlechterung des Gesundheitszustands eines Probanden, eines Anwenders oder einer anderen Person geführt hat, geführt haben könnte oder führen könnte ohne zu berücksichtigen, ob das Ereignis vom Medizinprodukt verursacht wurde (§ 2 Nr. 5 MPSV). Der Sponsor wiederum muss das BfArM über dieses Ereignis informieren (§ 3 Abs. 5 MPSV). Zudem müssen der Sponsor sowie die Personen, die die klinische Prüfung durchführen, bei einer Gefährdung von Probanden, Anwendern oder Dritten unverzüglich alle erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen ergreifen (§ 14a MPSV). Den Abbruch einer klinischen Prüfung hat der Sponsor innerhalb von 15 Tagen und die reguläre Beendigung innerhalb von 90 Tagen dem BfArM zu melden (§ 23a Abs. 1, 2 MPG). Ferner ist nach zwölf Monaten nach Abbruch oder Beendigung ein Schlussbericht einzureichen (§ 23a Abs. 3 MPG). 2.8.4 Leistungsbewertung von In-vitro-Diagnostika Das Konformitätsbewertungsverfahren für In-vitro-Diagnostika setzt ebenfalls voraus, dass deren Eignung für die vorgesehene Verwendung in der patientenbezogenen Diagnostik vorab geprüft worden ist (§ 19 Abs. 2 MPG). Diese Prüfung wird nicht wie bei den anderen Medizinprodukten als klinische Bewertung, sondern als Leistungsbewertung bezeichnet. Die Leistungsbewertung kann sich zum einen auf Daten aus der wissenschaftlichen Literatur stützen. Die auf diesem Wege gewonnenen Daten müssen jedoch in einem schriftlichen Bericht einer kritischen Würdigung unterzogen werden (§ 19 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 MPG). Zum anderen können Leistungsbewertungsprüfungen oder andere geeignete Prüfungen im Labor zum Nachweis der Eignung des In-vitro-Diagnostikums für die vorgesehene Verwendung durchgeführt werden (§ 19 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 MPG). Für die Leistungsbewertungsprüfung muss der Hersteller sicherstellen, dass den einschlägigen Bestimmungen der RL 98/ 79/ EG entsprochen wird. U. a. muss er die Daten und Erklärungen gem. Anhang VIII der RL 98/ 79/ EG bereithalten: Produktdaten, Evaluierungsplan mit den medizinischen und technischen Grundlagen sowie dem Ziel und Umfang der Evaluierung, Liste der beteiligten Laboratorien oder sonstigen Einrichtungen Beginn und geplante Dauer der Evaluierungsarbeiten, Erklärung, dass das betreffende Produkt den Anforderungen der Richtlinie entspricht und alle Vorsichtsmaßnahmen zum Schutz der Gesundheit und der Sicherheit des Patienten, des Anwenders und anderer Personen getroffen wurden. <?page no="235"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 235 Dagegen bedarf die Leistungsbewertungsprüfung (im Unterschied zur klinischen Prüfung anderer Medizinprodukte) nicht in jedem Fall der zustimmenden Bewertung der Ethik-Kommission und der Genehmigung der Bundesoberbehörde. Hintergrund dafür ist, dass von der Prüfung der In-vitro-Diagnostika für die Patienten/ Probanden in der Regel keine unmittelbaren Gefahren ausgehen, weil das Probenmaterial ohne Gefahren genommen werden kann (z. B. Stuhl- oder Urinprobe) oder weil überschüssiges Material aus einer anders veranlassten Entnahme (z. B. Blutentnahme) verwendet wird, das ansonsten vernichtet worden wäre. Anders verhält es sich gem. § 24 MPG, wenn bei der Leistungsbewertungsprüfung eine invasiven Probenahme ausschließlich oder in erheblicher zusätzlicher Menge zum Zwecke der Leistungsbewertung eines In-vitro-Diagnostikums erfolgt oder zusätzlich invasive oder andere belastende Untersuchungen durchgeführt werden oder die im Rahmen der Leistungsbewertung erhaltenen Ergebnisse für die Diagnostik verwendet werden sollen, ohne dass sie mit etablierten Verfahren bestätigt werden können. In diesen Fällen sind die für die klinische Prüfung geltenden §§ 20-23b MPG entsprechend anzuwenden, so dass auf den vorangegangenen Abschnitt verwiesen wird. Die zuständige Bundesoberbehörde ist anstelle des BfArM das PEI (§ 32 Abs. 2 MPG). 2.8.5 Konformitätsbewertungsverfahren und CE-Kennzeichnung Medizinprodukte dürfen grundsätzlich nur mit CE-Kennzeichnung in den Verkehr gebracht werden (zu den Ausnahmen vgl. Abschnitt 2.8.6). Die CE-Kennzeichnung bringt zum Ausdruck, dass das Produkt die Grundlegenden Anforderungen der einschlägigen Richtlinien der EU erfüllt und somit die Sicherheit der Patienten, der Anwender und Dritter beim bestimmungsgemäßen Gebrauch gewährleistet ist. 360 Dagegen steht sie nicht für Qualitätsparameter, die über die Grundlegenden Anforderungen hinausgehen, auch wenn die Kennzeichnung im Wirtschaftsverkehr häufig als (umfassendes) Qualitätssymbol verstanden wird. Zur Verdeutlichung sei darauf hingewiesen, dass es bei einer Vielzahl von Medizinprodukten Ausführungen verschiedener Hersteller gibt, die zwar alle das CE-Zeichen tragen, sich dennoch in einzelnen Merkmalen, wie beispielsweise Praktikabilität der Handhabung, Lebensdauer und Preis, unterscheiden. 361 Die CE-Kennzeichnung setzt voraus, dass ein Konformitätsbewertungsverfahren durchgeführt worden ist und das Medizinprodukt die Grundlegenden Anforderungen gem. § 7 MPG erfüllt. Diese enthalten Vorgaben für die stofflichen Eigenschaften der Produkte, für ihre Konstruktion und Herstellung, für Vorrichtungen zum Schutz vor mechanischen, thermischen und anderen Gefahren sowie Vorgaben für die Kennzeichnung und bereitzustellenden Produktinformationen. Die Einhaltung der Grundlegenden Anforderungen soll sicherstellen, dass weder der klinische Zustand und die Sicherheit der Patienten noch die Sicherheit und die Gesundheit der 360 Vgl. Schleert, Massing, BKK 1999, 178 [184]. 361 Vgl. Schleert, Massing, a. a. O. für das Beispiel eines Blutdruckmessgeräts. <?page no="236"?> 236 Recht im Gesundheitswesen Anwender oder Dritter bei der bestimmungsgemäßen Anwendung des Medizinprodukts gefährdet sind. Etwaige Risiken, die von dem Medizinprodukt ausgehen, müssen medizinisch vertretbar sein und in einem angemessenen Verhältnis zum Nutzen stehen. Die grundlegenden Anforderungen ergeben sich für aktive implantierbare Medizinprodukte aus Anhang 1 der RL 90/ 385/ EWG 362 , In-vitro-Diagnostika aus dem Anhang I der RL 98/ 79/ EG und für die anderen Medizinprodukte aus Anhang I der RL 93/ 42/ EWG. In dem Konformitätsbewertungsverfahren muss der Hersteller nachweisen, dass er die einschlägigen nationalen und europäischen Regelungen einhält. ❋ Wissen │ Hersteller Hersteller ist gem. § 3 Nr. 15 MPG derjenige, der für die Auslegung, Herstellung, Verpackung und Kennzeichnung eines Medizinproduktes im Hinblick auf das erstmalige Inverkehrbringen im eigenen Namen verantwortlich ist, unabhängig davon, ob diese Tätigkeiten selbst oder stellvertretend von einem anderen ausgeführt werden. Wer nur Einzelteile für ein noch fertigzustellendes Medizinprodukt herstellt und liefert, ist kein Hersteller. Als Hersteller gilt auch, wer ein oder mehrere vorgefertigte Medizinprodukte montiert, abpackt, behandelt, aufbereitet, kennzeichnet oder für die Festlegung der Zweckbestimmung als Medizinprodukt im Hinblick auf das erstmalige Inverkehrbringen im eigenen Namen verantwortlich ist. Dagegen gilt derjenige, der ein in Verkehr gebrachtes Medizinprodukt für einen namentlich genannten Patienten entsprechend ihrer Zweckbestimmung montiert oder anpasst, nicht als Hersteller. Das Konformitätsbewertungsverfahren wird je nach Produktart und -klasse in Form einer Bewertung des Qualitätssicherungssystems des Herstellers oder einer EG- Baumusterprüfung durchgeführt (vgl. im Einzelnen §§ 4-7 MPV). Das Verfahren führt der Hersteller (mit Ausnahme der Medizinprodukte der Klasse I) unter Einschaltung einer sog. Benannten Stelle durch (§§ 4-7 MPV). ❋ Wissen │ Benannte Stelle Eine Benannte Stelle ist eine für die Durchführung von Prüfungen und die Erteilung von Bescheinigungen im Zusammenhang mit Konformitätsbewertungsverfahren vorgesehene Stelle, die der Europäischen Kommission und den Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum von einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum benannt worden ist (§ 3 Nr. 20 MPG). 362 Richtlinie 90/ 385/ EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über aktive implantierbare medizinische Geräte, v. 20.6.1990, ABl. L 189, S. 17, z. g. d. RL 2007/ 47/ EG v. 5.9.2007, ABl. L 247, S. 21. <?page no="237"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 237 Sie muss von der Zentralstelle der Länder für Gesundheitsschutz bei Arzneimitteln und Medizinprodukten (ZLG) 363 akkreditiert worden sein. Der Hersteller kann die Benannte Stelle für die Durchführung der Konformitätsbewertung frei wählen (§ 3 Abs. 2 MPV). Dabei kann er auch Benannte Stellen anderer Mitgliedsstaaten der EU und des EWR beauftragen (§ 15 Abs. 3 MPG). Gem. § 3 Abs. 3 MPV kann die Benannte Stelle im Konformitätsbewertungsverfahren alle Informationen und Angaben fordern, die zur Durchführung der Überprüfungen und Bewertungen und zur Erteilung von Bescheinigungen erforderlich sind. Bei Medizinprodukten der Klasse I führt der Hersteller das Konformitätsbewertungsverfahren selbst durch (§ 7 Abs. 4 MPV i. V. m. Anhang VII der RL 93/ 42/ EWG). Eine Benannte Stelle ist in diesem Fall nur bei medizinischen Mess- und Sterilisationsverfahren einzubeziehen (Nr. 5 Anhang VII der RL 93/ 42/ EWG). Nach erfolgreichem Abschluss des Konformitätsbewertungsverfahrens darf das Medizinprodukt mit CE-Kennzeichnung in den Verkehr gebracht werden. Wenn die CE-Kennzeichnung auf einem Medizinprodukt unrechtmäßig angebracht worden ist, wirkt die zuständige Landesbehörde daraufhin, dass die notwendigen Voraussetzungen durch das Unternehmen erfüllt werden. Wenn dieses den behördlichen Weisungen nicht nachkommt, hat die Behörde das Inverkehrbringen des Medizinproduktes einzuschränken, z. B. zu veranlassen, dass das Medizinprodukt vom Markt genommen wird (§ 27 MPG). Ferner ist das Anbringen einer CE-Kennzeichnung, ohne dass die Voraussetzungen erfüllt sind, strafbar (§ 40 Abs. 1 Nr. 3 und § 41 Abs. 1 Nr. 3 MPG). 364 2.8.6 Inverkehrbringen von Medizinprodukten Unter einem Inverkehrbringen wird gem. § 3 Nr. 11 MPG die entgeltliche oder unentgeltliche Abgabe des Medizinprodukts an andere verstanden. ◉ Beispiel Ein Hersteller von OP-Textilien verkauft seine Produkte an Krankenhäuser. Kein Inverkehrbringen stellt die Abgabe von Medizinprodukten zum Zwecke der klinischen Prüfung und von In-vitro-Diagnostika zur Leistungsbewertungsprüfung dar (vgl. Abschnitt 2.8.3 und 2.8.4). Die erneute Abgabe eines Medizinprodukts nach seiner Inbetriebnahme an andere gilt ebenfalls nicht als Inverkehrbringen, es sei denn, dass das Medizinprodukt neu aufbereitet oder wesentlich verändert worden ist. 363 Abkommen der Bundesländer über die Zentralstelle der Länder für Gesundheitsschutz bei Arzneimitteln und Medizinprodukten, https: / / www.zlg.de/ zlg/ staatsvertrag.html (Abruf am 26.3.2018). 364 Zum Konformitätsbewertungsverfahren und zur CE-Kennzeichnung vgl. auch Hobusch, Handbuch Gesundheitsrecht, S. 291 ff. [302 f.]. <?page no="238"?> 238 Recht im Gesundheitswesen ◉ Beispiel Wenn ein Krankenhaus seine gebrauchten OP-Textilien an eine Wäscherei verkauft, ist kein Inverkehrbringen gegeben. Wenn diese Wäscherei die aufgekauften OP-Textilien aufbereitet (siehe zum Begriff § 3 Nr. 14 MPG) und anschließend an andere Krankenhäuser weiter verkauft, liegt ein Inverkehrbringen vor. Ferner liegt kein Inverkehrbringen vor, wenn ein Medizinprodukt für einen anderen aufbereitet und an diesen zurückgegeben wird. ◉ Beispiel Ein Krankenhaus gibt seine OP-Textilien zum Waschen, Desinfizieren, Trocknen und Sterilisieren einer externen Wäscherei und erhält sie zurück. Die erste Abgabe von neuen oder als neu aufbereiteten Medizinprodukten an andere im Europäischen Wirtschaftsraum wird als erstmaliges Inverkehrbringen bezeichnet (§ 3 Nr. 11 S. 2 MPG). Der dafür Verantwortliche - Hersteller, Bevollmächtigter oder Importeur - muss seinen Sitz in einem EWR-Vertragsstaat haben (vgl. § 5 MPG). Außerdem ist er, wenn er in Deutschland ansässig ist, verpflichtet, das Inverkehrbringen von Medizinprodukten vor Aufnahme der Tätigkeit der für seinen Sitz zuständigen Landesbehörde anzuzeigen (§ 25 MPG). Er unterliegt der staatlichen Aufsicht nach §§ 26 ff. MPG (vgl. Abschnitt 2.8.9). Das Inverkehrbringen eines Medizinprodukts setzt grundsätzlich eine CE- Kennzeichnung voraus. Ausgenommen davon sind gem. § 6 Abs. 1 MPG Sonderanfertigungen gem. § 3 Nr. 8 MPG (vgl. Abschnitt 2.7.4), Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika aus Eigenherstellung (§ 3 Nr. 21, 22 MPG), Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika, die für die klinische Prüfung bzw. Leistungsbewertungsprüfung bestimmt sind, und Medizinprodukte mit befristeter Zulassung im Interesse des Gesundheitsschutzes (z. B. bei Epidemien). Für das Inverkehrbringen dieser vorgenannten Produkte ist § 12 MPG zu beachten. Das Inverkehrbringen eines Medizinprodukts ohne die erforderliche CE- Kennzeichnung ist strafbar (§ 40 Abs. 1 Nr. 2 und § 41 Abs. 1 Nr. 2 MPG). Gem. § 4 MPG dürfen Medizinprodukte - auch wenn sie eine CE-Kennzeichnung tragen nicht in den Verkehr gebracht werden, wenn der begründete Verdacht besteht, dass sie die Sicherheit und die Gesundheit der Patienten, der Anwender oder Dritter bei sachgemäßer Verwendung unvertretbar gefährden, oder das Datum abgelaufen ist, bis zu dem eine gefahrlose Anwendung nachweislich möglich ist, oder sie mit irreführender Bezeichnung, Angabe oder Aufmachung versehen sind. Zuwiderhandlungen sind gem. § 42 Abs. 2 Nr. 1, § 42 Abs. 1 MPG bußgeldbewehrt bzw. nach § 40 Abs. 1 Nr. 1, § 41 Nr. 1 MPG strafbewehrt. <?page no="239"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 239 Die zuständige Landesbehörde 365 kann zur Gefahrenabwehr das Inverkehrbringen eines Medizinprodukts einschränken oder untersagen, von der Einhaltung bestimmter Auflagen abhängig machen oder die Entfernung des Produkts vom Markt veranlassen (§§ 27, 28 MPG). 366 ◉ Beispiel Der Bayerische VGH 367 bestätigte eine behördliche Entscheidung, mit der das Inverkehrbringen eines geraden Mundstücks als Applizierhilfe bei Asthmasprays untersagt worden war. Dieses Mundstück konnte anstelle des handelsüblichen Mundstü cks in L- Form ve rw endet we rd en. Nac h de n Herstellera ngaben konnt e infolge der geänderten Form bei jedem Sprühstoß die bis zu doppelte Menge des Wirkstoffs in die Lunge appliziert werden. Eine damit einhergehende Überdosierung konnte nicht ausgeschlossen werden. Der VGH wies darauf hin, dass sich die im Handel befindlichen Sprays aus Wirkstoff, Behälter und Mundstück zusammensetzen und somit ein Fertigarzneimittel bilden würden. Wenn die Mundstücke in L-Form durch die Geraden ausgewechselt werden würden, läge keine Zulassungskonformität des Arzneimittels mehr vor. Um diese Unsicherheit bei der Verwendung des Arzneimittels auszugleichen, müsste das gerade Mundstück als selbstständiges Medizinprodukt zugelassen werden. Dafür fehlte jedoch bereits die klinische Bewertung der geraden Mundstücke. 2.8.7 Vertriebswege für Medizinprodukte Die Vertriebswege für Medizinprodukte sind sehr heterogen. Medizinprodukte sind grundsätzlich freiverkäuflich. Ausgenommen davon sind Medizinprodukte, die zur Anwendung durch den Laien bestimmt sind und der Verschreibungs- oder Apothekenpflicht unterliegen. Verschreibungspflicht bedeutet, dass die Medizinprodukte nur auf der Grundlage einer (zahn-)ärztlichen Verschreibung an den Endverbraucher abgegeben werden dürfen. Anders als bei den Arzneimitteln sind verschreibungspflichtige Medizinprodukte nicht in jedem Fall apothekenpflichtig. Neben den Apotheken gibt es andere Abgabestellen (z. B. Sanitätshäuser). Die Belieferung der Abgabestellen durch den Hersteller oder durch Händler unterliegt nicht der Verschreibungspflicht (§ 1 Abs. 1 S. 2 MPAV). Die §§ 1, 2 MPAV sehen ein Apotheken- und Verschreibungspflicht für folgende Medizinprodukte vor: 365 Die Länder führen das MPG gem. Art. 83 GG als eigene Angelegenheit aus, so dass sich die Zuständigkeit nach den jeweiligen Landesvorschriften richtet. 366 Zum Inverkehrbringen von Medizinprodukten vgl. auch Hobusch, Handbuch Gesundheitsrecht, S. 291 ff. [304]. 367 Vgl. Bay. VGH, Beschl. v. 15.11.2005, 25 C 05.2147, juris; Hobusch, Ochs, MedR 2009, 15 ff. [17]. <?page no="240"?> 240 Recht im Gesundheitswesen Medizinprodukte, die zur Anwendung durch den Laien bestimmt sind verschreibungspflichtig apotheken- und verschreibungspflichtig apothekenpflichtig Medizin p rodu kte, die in Anlage 1 der MPAV genannt sind (gegenwärtig genannt: oral zu applizierende Sättigungspräparate auf Cellulosebasis mit definiert vorgegebener Geometrie zur Behandlung des Übergewichts und zur Gewichtskontrolle) Medizinprodukte, die Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen enthalten, die nach der AMVV 368 verschreibungspflichtig sind Medizinprodukte, die in der Anlage 2 der MPAV genannt sind (gegenwärtig: Hämodialysekonzentrate) Medizinprodukte, auf di e St off e o de r Zub er eitungen aus Stoffen aufgetragen sind, die nach der AMVV verschreibungspflichtig sind Medizinprodukte, die Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen enthalten, die zwar nicht nach der AMVV verschreibungspflichtig, aber apothekenpflichtig sind (vgl. zur Apothekenpflicht von Arzneimitteln §§ 43-47 AMG und die AMVerkRV 369 ) Tab. 17: Apotheken- und verschreibungspflichtige Medizinprodukte, die zur Anwendung durch den Laien bestimmt sind Dementsprechend umfasst der Versorgungsauftrag der Apotheken nicht nur die Abgabe von Arzneimitteln, sondern auch von apothekenpflichtigen Medizinprodukten (§ 1 Abs. 1 ApBetrO). Die nicht apothekenpflichtigen Medizinprodukte können in Apotheken als apothekenübliche Waren (§ 1a Abs. 10 ApBetrO) sowie in anderen Abgabestellen (z. B. Arztpraxen, Sanitätshäusern, Drogerien) vertrieben werden. Die Abgabestellen müssen die in § 3 MPAV vorgesehenen betrieblichen und personellen Voraussetzungen hinsichtlich der Lagerung und Abgabe der Produkte sowie der Kundenberatung erfüllen. Für die Apotheken ergeben sich diese Anforderungen bereits aus der ApBetrO. Vertragsärzte müssen zudem § 128 SGB V 368 Arzneimittelverschreibungsverordnung v. 21.12.2005, BGBl. I S. 3632, z. g. d. VO v. 20.11.2017, BGBl. I S. 3780. 369 Verordnung über apothekenpflichtige und freiverkäufliche Arzneimittel v. 24.11.1988, BGBl. I S. 2150, z. g. d. VO v. 19.12.2014, BGBl. I S. 2371. <?page no="241"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 241 beachten, der ihnen die Abgabe von Medizinprodukten, die zugleich Hilfsmittel sind, an Versicherte verbietet. Medizinprodukte, die nicht zur Anwendung durch Laien vorgesehen sind, dürfen gem. § 3 Abs. 1 S. 2 MPAV grundsätzlich nur an Angehörige der Heilberufe, an Gesundheitseinrichtungen oder andere Angehörige der Fachkreise abgegeben werden (zu den Fachkreisen vgl. § 3 Nr. 17 MPG). Zu ihnen gehören z. B. Krankenhäuser, Ärzte und Zahnärzte, Pflegeheime und Pflegedienste. Die Belieferung mit Medizinprodukten erfolgt regelmäßig im Direktvertrieb durch den Hersteller oder ggf. unter Einschaltung von (Groß-)Handelsunternehmen. Bestimmte Medizinprodukte werden aber auch in diesem Bereich über Apotheken vertrieben, wie z. B. der Sprechstundenbedarf einer Arztpraxis. 2.8.8 Risikobeobachtungs- und -meldesystem Der für das erstmalige Inverkehrbringen Verantwortliche (z. B. Hersteller) hat unverzüglich nach der Aufnahme seiner Tätigkeit für die Erfüllung seiner Pflichten im Zusammenhang mit der Medizinproduktesicherheit einen Sicherheitsbeauftragten für Medizinprodukte zu bestellen. Dieser muss zuverlässig sein und über die erforderliche Sachkenntnis verfügen. Der Sicherheitsbeauftragte hat bekannt gewordene Meldungen über Risiken bei Medizinprodukten zu sammeln, zu bewerten und die notwendigen Maßnahmen zu koordinieren. Ferner ist er für die Erfüllung der Anzeigepflichten verantwortlich, soweit sie Medizinprodukterisiken betreffen (vgl. im Einzelnen § 30 MPG). Das Verfahren zur Erfassung, Bewertung und Abwehr von Risiken der sich im Verkehr oder in Betrieb befindlichen Medizinprodukte regeln § 29 MPG und die MPSV. Zur Risikoabwehr sind zuverlässige Kenntnisse über gefährliche Defekte und Ausfälle von Medizinprodukten unabdingbar. Deshalb statuiert § 3 MPSV Meldepflichten für verschiedene Personenkreise. So haben der gem. § 5 MPG für das erstmalige Inverkehrbringen des Medizinprodukts Verantwortliche (z. B. Hersteller), diejenigen, die Medizinprodukte gewerblich oder beruflich an Patienten oder Laien abgeben (z. B. Apotheken), und diejenigen, die Medizinprodukte gewerblich oder beruflich betreiben oder anwenden (z. B. Krankenhäuser, Ärzte), ein in Deutschland auftretendes Vorkommnis zu melden. Die Meldung hat an das PEI, wenn es sich um In-vitro-Diagnostika handelt, und ansonsten an das BfArM zu erfolgen (§ 3 MPSV, § 32 MPG). <?page no="242"?> 242 Recht im Gesundheitswesen ❋ Wissen │ Vorkommnis Unter einem Vorkommnis wird eine Funktionsstörung, ein Ausfall oder eine Änderung der Merkmale oder der Leistung oder eine unsachgemäße Kennzeichnung oder unsachgemäße Gebrauchsanweisung eines Medizinprodukts verstanden, die unmittelbar oder mittelbar zum Tod oder zu einer schwerwiegenden Verschlechterung des Gesundheitszustands eines Patienten, eines Anwenders oder einer anderen Person geführt hat, geführt haben könnte oder führen könnte (§ 2 Nr. 1 MPSV). Ferner hat der für das erstmalige Inverkehrbringen Verantwortliche alle Rückrufe in Deutschland sowie die, die zwar im EWR durchgeführt worden sind, aber auf Vorkommnisse außerhalb des EWR zurückgehen, dem BfArM bzw. PEI zu melden. Dagegen hat er die in anderen EWR-Vertragsstaaten aufgetretenen Vorkommnisse und durchgeführten Rückrufe den dort zuständigen Behörden anzuzeigen. ❋ Wissen │ Rückruf Bei einem Rückruf handelt es sich um eine korrektive Maßnahme, mit der die Rücksendung, der Austausch, die Um- oder Nachrüstung, die Aussonderung oder Vernichtung eines Medizinprodukts veranlasst wird, oder Anwendern, Betreibern oder Patienten Hinweise für die weitere sichere Anwendung oder den Betrieb von Medizinprodukten gegeben werden (§ 2 Nr. 3 MPSV). Die zu beachtenden Meldefristen sind in § 5 MPSV geregelt. Der für das erstmalige Inverkehrbringen Verantwortliche hat Vorkommnisse, von denen er Kenntnis erlangt, entsprechend der Eilbedürftigkeit, jedoch spätestens nach 30 Tagen anzuzeigen. Rückrufe, die er vornimmt, hat er spätestens mit Beginn der Umsetzung der Maßnahmen zu melden. Die anderen meldepflichtigen Personen und Unternehmen haben ein Vorkommnis unverzüglich mitzuteilen. Darüber hinaus hat der für das erstmalige Inverkehrbringen Verantwortliche alle notwendigen Maßnahmen zur Beseitigung, Verringerung oder Verhinderung des erneuten Auftretens eines von einem Medizinprodukt ausgehenden Risikos zu treffen (§ 14 MPSV). ◉ Beispiel Information der Kunden, Veröffentlichung von Sicherheitshinweisen, Rückruf des Medizinprodukts Gem. § 29 MPG hat das BfArM bzw. PEI als zuständige Bundesoberbehörde die Risiken von Medizinprodukten, insbesondere Nebenwirkungen, wechselseitige Beeinflussung mit anderen Stoffen oder Produkten, Gegenanzeigen, Verfälschungen, Funktionsfehler, Fehlfunktionen und technische Mängel zentral zu erfassen, auszuwerten und zu bewerten. Sie können dabei neben den Meldungen der Vorkommnisse die Ergebnisse eigener gem. § 8 MPSV durchgeführter Untersuchungen sowie Informationen, die ihnen anderweitig - z. B. durch Pressemitteilungen <?page no="243"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 243 - bekannt werden, in ihre Beurteilung einbeziehen. 370 Die Einzelheiten der Risikobewertung sind in den §§ 8-13 MPSV geregelt. Die Bundesoberbehörde teilt das Ergebnis der Bewertung der zuständigen Landesbehörde mit, die über notwendige Maßnahmen entscheidet und diese durchsetzt (§ 29 Abs. 1 S. 4 MPG, §§ 15-18 MPSV). Die Entscheidungskompetenz über die konkret durchzuführenden Maßnahmen haben somit die Landesbehörden. Die Bundesoberbehörde hat lediglich die Befugnis, die zu ergreifenden Maßnahmen zu koordinieren (§ 29 Abs. 1 S. 2 MPG). Im Übrigen ist im Hinblick auf die Bewertung von Risiken, die von Medizinprodukten ausgehen, ein Informationsaustausch zwischen den Bundesoberbehörden und anderen Behörden auf nationaler und internationaler Ebene vorgesehen (§ 29 Abs. 3 MPG, §§ 19-24 MPSV). 371 2.8.9 Staatliche Aufsicht über den Medizinproduktehersteller Der Hersteller von Medizinprodukten unterliegt der staatlichen Aufsicht (§ 26 Abs. 1 MPG). Die behördliche Zuständigkeit folgt aus den Rechtsvorschriften der einzelnen Bundesländer. Die zuständige Behörde prüft, ob die für die Medizinprodukte geltenden Vorschriften eingehalten werden. Dafür stehen ihr die in den §§ 26-29 MPG genannten Befugnisse zur Verfügung, wie beispielsweise gem. § 26 Abs. 3 MPG: Betreten und Besichtigen von Grundstücken, Geschäfts- und Betriebsräumen, Prüfung von Medizinprodukten und Entnahme von Proben, Verlangen von Auskünften, Einsicht in die Unterlagen über die Entwicklung, Herstellung, Prüfung, klinische Prüfung, Leistungsbewertungsprüfung oder Erwerb, Aufbereitung, Lagerung, Verpackung, Inverkehrbringen und sonstigen Verbleib der Medizinprodukte, Anfertigen oder Verlangen von Kopien von den vorgenannten Unterlagen bzw. von den Datenträgern, auf denen sich die Unterlagen befinden. Wenn die Behörde Verstöße feststellt, trifft sie alle erforderlichen Maßnahmen zum Schutze der Patienten, Anwender und Dritten vor den Gefahren, die von dem betroffenen Medizinprodukt ausgehen (§ 28 Abs. 1 MPG). Sie kann z. B. eine Betriebsschließung verfügen, das Inverkehrbringen verbieten oder von Auflagen abhängig machen, einen Rückruf der bereits auf dem Markt befindlichen Produkte anordnen oder das Betreiben und Anwenden der Produkte verbieten (§ 28 Abs. 2 MPG). ◉ Beispiel Die zuständige Behörde ordnet an, dass der Hersteller zu belegen hat, dass die von ihm in den Verkehr gebrachten Patienten-Fixiersysteme konstruktiv sicherstellen, dass die Bauchgurte sich nicht von der Taille der Patienten aus wei- 370 Vgl. Lücker, Kommentar zum Medizinrecht, MPG § 29 Rn. 2a. 371 Zum medizinprodukterechtlichen Risikobeobachtung vgl. auch Hobusch, Handbuch Gesundheitsrecht, S. 291 ff. [308 ff.]. <?page no="244"?> 244 Recht im Gesundheitswesen ter kopfwärts verlagern können bzw. eine Verlagerung des Patienten über die Bettkante verhindert wird. Bei Bauchgurten ohne Rückhaltevorrichtung besteht die Gefahr, dass sich fixierte Patienten beim Hinausfallen aus dem Bett strangulieren. 372 Bzgl. der Durchführung korrektiver Maßnahmen, wenn von dem Medizinprodukt Risiken ausgehen, wird auf Abschnitt 2.8.8 verwiesen; zu den Befugnisse der Behörde, wenn das Medizinprodukt ohne oder zu Unrecht mit CE-Kennzeichnung in den Verkehr gebracht worden ist, vgl. dazu Abschnitt 2.8.6. Gem. § 26 Abs. 2b, § 37a MPG sind die Einzelheiten zur Durchführung der Überwachung in einer Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung geregelt. 373 2.8.10 Haftung der Hersteller von Medizinprodukten Medizinprodukte sind bewegliche Sachen, so dass sie zugleich Produkte i. S. d. § 2 ProdHaftG 374 sind. Wenn sie fehlerhaft sind und dadurch jemand getötet oder verletzt wird, so ist der Hersteller, sofern die Haftungsvoraussetzungen gem. § 1 ProdHaftG gegeben sind, verpflichtet, dem Geschädigten den entstandenen Schaden zu ersetzen. Damit unterliegen die Medizinprodukte wie auch andere Produkte (z. B. Telefone oder Autos) einer Gefährdungshaftung, die nicht an das Verschulden des Herstellers anknüpft. Eine spezialgesetzliche Regelung der Gefährdungshaftung kennt das MPG - anders als § 84 AMG für die Arzneimittel - dagegen nicht. ◉ Beispiel Auf der Grundlage des Produkthaftungsgesetzes verpflichtete der BGH den Hersteller von Herzschrittmachern zur Erstattung der Kosten für den Austausch der Geräte (inkl. Operationskosten). Die Herzschrittmacher hatten wegen des Zerfalls von Dichtungsmaterialien eine Ausfallwahrscheinlichkeit, die 17-20 Mal höher als bei anderen Geräten lag. Zuvor hatte der EuGH entschieden, dass dieses höhere Ausfallrisiko genüge, um einen Produktfehler anzunehmen. Auf die Feststellung, dass der konkrete Herzschrittmacher, der einem Patienten implantiert worden war, fehlerhaft ist, komme es dabei nicht an. 375 Von der Gefährdungshaftung bleibt die Verschuldenshaftung unberührt. Wenn der Hersteller eines Medizinprodukts seine Pflichten bzgl. Konstruktion, Produktion und Instruktion schuldhaft verletzt, kommt eine Deliktshaftung nach den §§ 823 ff. BGB in Betracht. Ein erfolgreich durchgeführtes Konformitätsbewertungsverfahren lässt diese Haftung nicht entfallen (§ 6 Abs. 4 MPG). 372 Vgl. Sicherheitshinweise der obersten Landesbehörden zu Patienten-Fixiersystemen vom 11.1.2013, https: / / www.bfarm.de/ SharedDocs/ Risikoinformationen/ Medizinprodukte/ DE/ Patienten_Fixiersystem.html (Abruf am 3.12.2017). 373 Siehe Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Medizinproduktegesetzes (MPGVwV) v. 18.5.2012, http: / / www.verwaltungsvorschriften-im-internet.de/ bsvwvbund_18052012_BMG.htm (Abruf am 3.12.2017). 374 Produkthaftungsgesetz v. 15.12.1989, BGBl. I S. 2198, z. g. d. G v. 17.7.2017, BGBl. I S. 2421. 375 Vgl. EuGH, Urt. v. 5.3.2015, C-503/ 13 und C-504/ 13, NJW 2015, 1163 ff.; BGH, Urt. v. 9.6.2015, VI ZR 284/ 12, NJW 2015, 3096 ff. <?page no="245"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 245 2.8.11 Anspruch der Versicherten auf Medizinprodukte im System der gesetzlichen Krankenversicherung Der Hersteller von Medizinprodukten kann im Rahmen der integrierten Versorgung nach § 140a SGB V Vertragspartner der Krankenkassen sein. Im Übrigen ist er lediglich mittelbar als Lieferant der Leistungserbringer (Krankenhäuser, Sanitätshäuser, Apotheken etc.) an der Versorgung der Versicherten mit Medizinprodukten beteiligt. Die Versorgung der Versicherten ist uneinheitlich geregelt. Sie ist von der Einordnung des Medizinprodukts in die Begriffswelt des SGB V abhängig: Abb. 41: Medizinprodukte in der Systematik des SGB V Die Medizinprodukte, die integraler Bestandteil einer Untersuchungs- und Behandlungsmethode sind, teilen deren rechtliches Schicksal. Sie werden im Rahmen der Krankenhausbehandlung oder vertragsärztlichen Versorgung des Versicherten erbracht. Im Hinblick auf diese Medizinprodukte ist der Hersteller kein Leistungserbringer im System der gesetzlichen Krankenversicherung. Seine Kunden sind die Ärzte und Krankenhäuser, die die Medizinprodukte bei ihrer Behandlung verwenden. ◉ Beispiel Das Einsetzen eines Herzschrittmachers gehört zu den vollstationären Leistungen eines Krankenhauses und wird hinsichtlich der Vergütung von den DRG F12A bis F12I erfasst. Die ambulante Kataraktoperation eines Augenarztes, bei der eine Intraokularlinse eingesetzt wird, wird nach den Gebührenpositionen des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes vergütet. Die Kosten für das Implantat, das im Körper des Patienten verbleibt, sind gem. Abschnitt 7.3 EBM in den Gebührenpositionen nicht enthalten. Sie werden gesondert erstattet. Wenn das Medizinprodukt integraler Bestandteil einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode in der vertragsärztlichen Versorgung ist, darf es wie die Medizinprodukte Medizinprodukt, das integraler Bestandteil einer Untersuchungs- und Behandlungsmethode ist Medizinprodukt, das ein Hilfsmittel ist Harn- und Blutteststreifen Verbandmittel andere (arzneimitte lähnliche) Medizinprodukte <?page no="246"?> 246 Recht im Gesundheitswesen Methode selbst erst zulasten der Krankenkassen erbracht werden, wenn der GBA die Methode anerkannt hat (vgl. § 27 Abs. 6 AM-RL sowie Abschnitt 2.1.2.4). ◉ Beispiel Der Einsatz eines Glukosemess-Systems (CGMS) in der Insulintherapie ist eine neue Behandlungsmethode. Bei dieser Methode erfolgt eine kontinuierliche Messung des Zuckergehalts im Unterhautfettgewebe, so dass sie sich im Hinblick auf die Vorgehensweise, Wirtschaftlichkeit und die Risiken erheblich von der herkömmlichen Blutzuckermessung unterscheidet. Solange der GBA die Insulintherapie unter Einbeziehung eines CGMS nicht anerkennt, können die Vertragsärzte die Leistung nicht zulasten der Krankenkassen erbringen. 376 Im teil- und vollstationären Krankenhausbereich verhält es sich mit neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden etwas anders. Diese bedürfen nicht in jedem Fall einer Anerkennung durch den GBA. Nach § 137h SGB V ist jedoch eine positive Nutzenbewertung durch den GBA erforderlich, wenn die neue Methode maßgeblich auf dem Einsatz eines Medizinprodukts der Risikoklassen IIb oder III oder eines aktiven implantierbaren Medizinprodukt beruht und die Fallpauschalen und Zusatzentgelte die neue Methode nicht sachgerecht vergüten. Auf Vorlage eines Krankenhauses nimmt der GBA eine Bewertung des Nutzens der Methode unter Anwendung des Medizinprodukts vor (vgl. im Einzelnen § 137h SGB V i. V. m. der Medizinproduktebewertungsverordnung 377 ). Das Krankenhaus hat sich, bevor es den GBA einschaltet, mit dem Hersteller des Medizinprodukts ins Benehmen zu setzen. Das bedeutet, dass das Krankenhaus die Stellungnahme des Herstellers einholen und bei seiner Entscheidung berücksichtigen muss, ohne dass es an die ablehnende oder befürwortende Auffassung des Herstellers gebunden ist. Ein Medizinprodukt, das zugleich ein Hilfsmittel i. S. d. § 33 SGB V ist, kann der Versicherte unter den Voraussetzungen beanspruchen, die im Abschnitt 2.7.5.1 beschrieben sind. ◉ Beispiel Rollstühle, Unterarmgehstützen, Knöchelbandagen Die Lieferberechtigung der Leistungserbringer (z. B. Gesundheitshandwerker, Sanitätshäuser) folgt aus den Verträgen mit den Krankenkassen gem. § 127 SGB V, vgl. dazu Abschnitt 2.7.5.2). Für die Vergütung der Hilfsmittel gelten die §§ 33 Abs. 7, 127 Abs. 4 SGB V; vgl. dazu Abschnitt 2.7.5.4. Die Hilfsmittel, die der Leistungspflicht der Krankenkassen unterliegen, erfasst der GKV-Spitzenverband in einem Hilfsmittelverzeichnis 378 (§ 139 SGB V). Bei diesem handelt es sich zwar nicht um eine Positivliste, die den Versichertenanspruch auf die gelisteten Hilfsmittel begrenzt. Gleichwohl ist es eine, wenn auch unverbindliche, Orientierungshilfe für Ärzte, Krankenkassen, Versicherte, Gerich- 376 Vgl. BSG, Urt. v. 8.7.2015, B 3 KR 5/ 14 R, BeckRS 2015, 72724. 377 Verordnung über die Voraussetzungen für die Bewertung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden mit Medizinprodukten hoher Risikoklasse nach § 137h des Fünften Buches Sozialgesetzbuch v. 15.12.2015, BGBl. I S. 2340. 378 Nachzulesen unter https: / / hilfsmittel.gkv-spitzenverband.de/ home.action (Abruf am 1.11.2017). <?page no="247"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 247 te u. a. 379 , so dass die Aufnahme eines Medizinprodukts in das Verzeichnis für den Absatz des Produkts vorteilhaft ist. Die Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis kann der Hersteller des Medizinprodukts beim GKV-Spitzenverband beantragen (§ 139 Abs. 3 S. 1 SGB V). Dabei muss er den Nachweis der Funktionstauglichkeit und Sicherheit seines Produkts erbringen, den er üblicherweise auf CE- Kennzeichnung stützen kann (§ 139 Abs. 4, 5 SGB V). Wenn das Hilfsmittelverzeichnis Qualitätsanforderungen enthält, die einer langen Nutzungsdauer oder dem mehrfachen Verwenden des Hilfsmittels bei verschiedenen Versicherten oder anderen Aspekten einer ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Hilfsmittelversorgung dienen, muss das Medizinprodukt diese Anforderungen ebenfalls erfüllen (§ 139 Abs. 2, 4 SGB V). Über die Aufnahme entscheidet der GKV-Spitzenverband, der das Hilfsmittelverzeichnis regelmäßig fortschreibt und im Bundesanzeiger veröffentlicht (§ 139 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 S. 2, Abs. 9 S. 1 SGB V). Wenn das Medizinprodukt geändert oder aus dem Verkehr genommen wird, ist dies dem GKV-Spitzenverband vom Hersteller anzuzeigen (§ 139 Abs. 4 S. 3, 4 SGB V). Harn- und Blutteststreifen, die der Versicherte selbst anwendet, gehören gem. § 31 Abs. 1 S. 1 SGB V zum Leistungsanspruch des Versicherten. Ein Richtlinienvorbehalt zur näheren Ausgestaltung des Versichertenanspruchs ist nicht geregelt. Einschränkungen können sich gleichwohl aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot ergeben. Eine Zuzahlungspflicht für volljährige Versicherte wie bei den Hilfsmitteln besteht nicht (§ 31 Abs. 3 S. 2 SGB V). Des Weiteren umfasst die Versorgung des Versicherten gem. § 31 Abs. 1 S. 1, Abs. 1a SGB V Verbandmittel: ❋ Wissen │ Verbandmittel Verbandmittel i. S. d. SGB V sind Gegenstände, deren Hauptwirkung darin besteht, oberflächengeschädigte Körperteile zu bedecken oder Körperflüssigkeiten von oberflächengeschädigten Körperteilen aufzusaugen oder beides zu erfüllen. Produkte zur Fixierung von Verbandmitteln gehören ebenfalls dazu. Wenn der Gegenstand ergänzend weitere Wirkungen hat, die der Wundheilung dienen, beispielsweise indem er eine Wunde feucht hält, reinigt oder geruchsbindend bzw. antimikrobiell wirkt, so entfällt die Eigenschaft als Verbandmittel dadurch nicht. 380 Ferner gelten (ggf. mehrfach verwendbare) Gegenstände als Verbandmittel, mit denen einmalige und individuelle Verbände an nicht oberflächengeschädigten Körperteilen erstellt werden, um Körperteile zu stabilisieren, zu immobilisieren oder zu komprimieren. 379 Ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. z. B. BSG, Urt. v. 24.1.2013, B 3 KR 22/ 11 R, BeckRS 2013, 70362 Rn. 13. 380 Vgl. RegE eines Gesetzes zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung (HHVG), BTag-Drucks. 18/ 10186, S. 26. <?page no="248"?> 248 Recht im Gesundheitswesen Die Einzelheiten des Versichertenanspruchs auf Verbandmittel soll der GBA in der AM-RL regeln. Dementsprechend hat der GBA die Ergänzung der AM-RL durch die §§ 52 ff. und die Anlage Va beschlossen. Den Beschluss hat das BMG z.T. beanstandet, so dass er noch nicht in Kraft getreten ist. 381 ◉ Beispiel │ aus dem Entwurf der Anlage Va der AM-RL Gipsbinden, Mullbinden, Augenkompressen, Sprühpflaster, Verbandwatte, Verbandklammern, Hydrogele (zum Feuchthalten), aluminiumbedampfte Kompressen (zum Verhindern des Verklebens einer Wunde) Der Versichertenanspruch auf andere (arzneimittelähnliche) Medizinprodukte ist in § 31 Abs. 1 S. 2, 3 SGB V geregelt. Er steht unter dem Vorbehalt, dass das Medizinprodukt der Anlage V der AM-RL (Positivliste) enthalten ist. ◉ Beispiel │ aus Anlage V der AM-RL mosquito®med LäuseShampoo 10 für Kinder bis zum vollendeten 12. Lebensjahr und Jugendliche bis zum vollendeten 18. Lebensjahr mit Entwicklungsstörungen zur physikalischen Behandlung des Kopfhaares bei Kopflausbefall Die Aufnahme eines Medizinprodukts in die Anlage V kann der Hersteller beim GBA gem. § 31 Abs. 1 S. 2, § 34 Abs. 6 SGB V beantragen. Dazu muss er begründen und nachweisen, dass sein Produkt medizinisch notwendig ist. Dies setzt gem. § 29 AM-RL voraus, dass das Produkt entsprechend seiner Zweckbestimmung zur Krankenbehandlung geeignet ist, eine diagnostische oder therapeutische Interventionsbedürftigkeit besteht, der diagnostische oder therapeutische Nutzen des Medizinprodukts dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht und eine andere, zweckmäßigere Behandlungsmöglichkeit nicht verfügbar ist. Von der Aufnahme in die Positivliste ausgeschlossen sind zum einen Medizinprodukte, die der Steigerung der Lebensqualität (z. B. Raucherentwöhnung oder Abmagerung) dienen (§ 31 Abs. 1 S. 2, § 34 Abs. 1 S. 7, 8 SGB V). Zum anderen können nicht verschreibungspflichtige Medizinprodukte nur für Kinder bis zum vollendeten 12. Lebensjahr und für Jugendliche bis zum vollendeten 18. Lebensjahr mit Entwicklungsstörungen aufgenommen werden (§ 31 Abs. 1 S. 2, § 34 Abs. 1. S. 6 SGB V). Gleiche Altersgrenzen gelten für die Aufnahme von (verschreibungspflichtigen und nicht verschreibungspflichtigen) Medizinprodukten zur Behandlung geringfügiger Erkrankungen (z. B. Erkältungen) gem. § 31 Abs. 1 S. 3 SGB V. Für die in der Anlage V der AM-RL aufgenommenen Medizinprodukte gilt § 35 SGB V ebenfalls, so dass für sie Festbeträge bestimmt werden können. In einem solchen Fall erstreckt sich die Leistungspflicht der Krankenkassen nur auf den Festbetrag. Die Differenz zum Abgabepreis muss der Versicherte selbst tragen. Zudem erklärt § 31 Abs. 1 S. 2 SGB V die §§ 126 und 127 SGB V für entsprechend anwendbar. Daraus folgt, dass die Abgabe eines gelisteten Medizinprodukts zu- 381 Vgl. https: / / wwwg-ba.de/ information/ beschluesse/ 3292/ (Abruf am 27.10.2018). <?page no="249"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 249 lasten einer Krankenkasse eine Lieferberechtigung des abgebenden Unternehmens (z. B. Apotheke) voraussetzt. Die Lieferberechtigung folgt aus Verträgen, die die Abgabestelle selbst oder ein Verband, dem sie angehört, mit der Kassenseite geschlossen hat. ◉ Beispiel Der Arzneimittelversorgungsvertrag Bayern 382 regelt die Versorgung der Versicherten der Krankenkassen mit Verbandmitteln, Medizinprodukten, Blut- und Harnteststreifen durch Apotheken. 2.8.12 Anspruch der Versicherten auf Medizinprodukte im System der sozialen Pflegeversicherung Das SGB XI stellt nicht auf den Begriff des Medizinprodukts, sondern auf den des Pflegehilfsmittels ab. Gem. § 40 SGB XI haben Pflegebedürftige gegenüber der Pflegekasse einen Anspruch auf Versorgung mit technischen Pflegehilfsmitteln (z. B. Pflegebett) und zum Verbrauch bestimmte Pflegehilfsmittel (z. B. Bettschutzeinlagen). Die Pflegehilfsmittel bilden die Produktgruppen 50 bis 54 des Hilfsmittelverzeichnisses, das der GKV-Spitzenverband führt (vgl. § 78 Abs. 2 SGB XI sowie Abschnitt 2.8.11). In diesem Sinn erstreckt sich der Anspruch des Versicherten auf Medizinprodukte, wenn folgende Voraussetzungen der Hilfsmittelversorgung erfüllt sind: 1. Voraussetzung: Das Hilfsmittel muss für einen der gesetzlich genannten Leistungszwecke notwendig sein: Erleichterung der Pflege, Linderung der Beschwerden des Pflegebedürftigen oder Ermöglichung einer selbständigeren Lebensführung des Pflegebedürftigen. Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung oder der von der Pflegekasse beauftragte Gutachter hat in seinem Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit zugleich konkrete Empfehlungen zur Hilfsmittelversorgung abzugeben; diese Empfehlungen begründen die Vermutung der Notwendigkeit des jeweiligen Hilfsmittels (§ 18 Abs. 6a SGB XI). 2. Voraussetzung: Ein Anspruch auf ein Pflegehilfsmittel gegenüber der Pflegekasse besteht nicht, soweit das Hilfsmittel von einem anderen Sozialleistungsträger - z. B. von der Krankenkasse - wegen Krankheit oder Behinderung zu übernehmen ist. Im Verhältnis zwischen Kranken- und Pflegeversicherung ist die Frage, ob das Hilfsmittel einem der obigen Leistungszwecke oder der in § 33 Abs. 1 SGB V genannten dient (vgl. Abschnitt 2.7.5.1), im Einzelfall nicht immer leicht zu beantworten. Für die Leistungspflicht der Pflegekasse ist entscheidend, ob die 382 Arzneimittelversorgungsvertrag Bayern (AV-Bay) - Ergänzungsvereinbarung zum Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung nach § 129 Absatz 2 SGB V und zur Vereinbarung über die Übermittlung von Daten im Rahmen der Arzneimittelabrechnung nach § 300 SGB V v. 14.06.2007 i. d. F. v. 1.6.2016, http: / / www.aok-gesundheitspartner.de/ by/ apotheke/ vertraege/ , (Abruf am 30.3.2018). <?page no="250"?> 250 Recht im Gesundheitswesen Erleichterung der Pflege im Vordergrund steht. Dagegen spricht der Zweck, die ärztliche Behandlung sicherzustellen, für die Zuständigkeit der Krankenkasse. 383 3. Voraussetzung: Das Pflegehilfsmittel darf wie in der Krankenversicherung kein allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens sein, vgl. insoweit Abschnitt 2.7.5.1. 4. Voraussetzung: Eine ärztliche Verordnung des Hilfsmittels ist anders als in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht vorgesehen. 384 5. Voraussetzung: Das Hilfsmittel muss wie in der Krankenversicherung wirksam und wirtschaftlich sein und darf das Maß des Notwendigen nicht übersteigen (§ 29 Abs. 1 SGB XI). Das Wirtschaftlichkeitsgebot kommt insbesondere dann zum Tragen, wenn sich der Versicherte für ein anderes als das empfohlene Hilfsmittel entscheidet. In diesem Fall gehen die Mehrkosten und die dadurch bedingten Folgekosten zu seinen Lasten. 6. Voraussetzung: Die Pflegehilfsmittel nach § 40 SGB XI gehören zu den Leistungen bei häuslicher Pflege. Wenn der Pflegebedürftige im Pflegeheim lebt, hat das Pflegeheim die für die Pflege notwendigen und über die Pflegesätze zu finanzierenden Hilfsmittel vorzuhalten. 385 Gleiches gilt für die Zeit, in der sich der Pflegebedürftige in einer teilstationären Einrichtung aufhält. Wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind, erhält der Pflegebedürftige zum Verbrauch bestimmte Pflegehilfsmittel (z. B. Bettschutzeinlagen) bis zu einem Betrag von 40,- Euro pro Monat, entweder als Sachleistung oder im Wege der Kostenerstattung (§ 40 Abs. 2 SGB XI) und technische Pflegehilfsmittel übereignet oder in geeigneten Fällen leihweise überlassen (§ 40 Abs. 3 SGB XI). Die Verleihung des Hilfsmittels kommt z. B. in Betracht, wenn es wenig dem Verschleiß unterliegt und teuer ist. Ferner umfasst der Anspruch des Versicherten die notwendige Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung des Pflegehilfsmittels sowie die Ausbildung im Gebrauch. Zur Versorgung der Versicherten mit Pflegehilfsmitteln müssen die Leistungserbringer eine entsprechende Lieferberechtigung haben. Diese folgt aus Verträgen, die der Leistungserbringer oder ein Verband, dem er angehört, mit dem Spitzenverband Bund der Pflegekassen oder mit der Pflegekasse gem. § 78 SGB XI abgeschlossen haben. Für diese Verträge gelten die §§ 126, 127 SGB V entsprechend; vgl. hierzu Abschnitt 2.7.5.2. ◉ Beispiel Zwischen der AOK - Die Gesundheitskasse für Niedersachsen und den Innungen für Orthopädie-Technik Niedersachsen/ Bremen und Nord besteht ein Ver- 383 Vgl. BSG, Urt. v. 6.6.2002, B 3 KR 67/ 01 R, BeckRS 2003, 04169. 384 Siehe auch Frakt-E des Gesetzes zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit (Pflege- VG), BTag-Drucks. 12/ 5262, S. 113. 385 Vgl. BSG, Urt. v. 10.2.2000 B 3 KR 26/ 99, NZS 2000, 512 ff. [513]. <?page no="251"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 251 trag über die Versorgung der Pflegebedürftigen mit Pflegebetten, dem die Mitglieder der Innungen beitreten können. 386 Die Pflegekasse übernimmt den für das Hilfsmittel vertraglich vereinbarten Preis, höchstens den ggf. festgelegten Festbetrag (§ 40 Abs. 1 S. 4 i. V. m. § 33 Abs. 7 SGB V). Die Differenz zwischen dem Abgabepreis und vereinbarten Preis muss der Versicherte selbst tragen. Für den volljährigen Pflegebedürften kommt die Zuzahlung gem. § 40 Abs. 3 S. 4-6 SGB XI hinzu. Sie beträgt für technische Pflegehilfsmittel 10 %, höchstens jedoch 25 Euro je Mittel. Zur Vermeidung von Härten kann die Pflegekasse den Versicherten gem. § 40 Abs. 3 S. 5, 6 SGB XI von der Zuzahlung befreien. ❋ Wichtige Schlagwörter ❋ Benannte Stelle ❋ CE-Kennzeichnung ❋ Hersteller ❋ Hilfsmittelverzeichnis ❋ Inverkehrbringen ❋ In-vitro-Diagnostika ❋ Konformitätsbewertungsverfahren ❋ Medizinprodukt ✎ Wiederholungsaufgaben [1] Erläutern Sie die Bedeutung der CE-Kennzeichnung von Medizinprodukten. [2] Erläutern Sie den Begriff des Inverkehrbringens eines Medizinproduktes. [3] Erläutern Sie die Rolle des Sicherheitsbeauftragten für Medizinprodukte. [4] Was ist unter einem Vorkommnis zu verstehen? Wer hat ein Vorkommnis zu melden? [5] Erläutern Sie die Aufsichtsmittel der Aufsichtsbehörde, wenn ■ sie gesetzliche Verstöße eines Medizinprodukteherstellers feststellt, ■ ein Medizinprodukt zu Unrecht eine CE-Kennzeichnung trägt. [6] Erläutern Sie, was unter dem Hilfsmittelverzeichnis zu verstehen ist. Wie kann der Hersteller eines Medizinprodukts erreichen, dass sein Produkt in das Verzeichnis aufgenommen wird? [7] Nehmen Sie eine Abgrenzung zwischen den Leistungszwecken der Hilfsmittelversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der sozialen Pflegeversicherung vor. Die Lösungen finden Sie im Web-Service. 386 Vertrag über die Versorgung der Pflegebedürftigen mit Pflegehilfsmitteln (Pflegebetten) zwischen der Pflegekasse der AOK - Die Gesundheitskasse für Niedersachsen und den Innungen für Orthopädie-Technik Niedersachsen/ Bremen und Nord v. 1.3.2003 sowie Formular der Beitrittserklärung, http: / / www.aokgesundheitspartner.de/ nds/ hilfsmittel/ vertraege_preise/ pflegehilfsmittel/ (Abruf am 30.3.2018). <?page no="252"?> 252 Recht im Gesundheitswesen Unternehmen der pharmazeutischen Industrie 2.9 Lernhinweis Die nachfolgenden Erläuterungen werden Sie besser verstehen, wenn Sie die angegebenen Paragrafen parallel zum Lehrbuch lesen: nationale Vorschriften Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO), Arzneimittel- und Wirkstoffherstellungsverordnung (AMWHV) 387 , Richtlinie des GBA über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (AM- RL) 388 , Arzneimittelgesetz (AMG) 389 , Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) 390 , Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) 391 , Gesetz über Rabatte für Arzneimittel (AM- RabG) 392 , Heilmittelwerbegesetz (HWG) 393 , Sozialgesetzbuch 5. Buch (SGB V) europäische Rechtsvorschriften Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel RL 2001/ 83/ EG 394 , VO (EG) 726/ 2004 über das Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung von Arzneimitteln 395 , VO (EU) 536/ 2014 über klinische Prüfungen 396 2.9.1 Einführung Um eine ordnungsgemäße Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln zu gewährleisten, ist die pharmazeutische Industrie heute eine gesetzlich umfänglich regulierte Branche. Dies war nicht immer so. Vor dem Inkrafttreten des Arzneimittelgesetzes 1976 397 am 1.1.1978 bedurfte zwar die Herstellung von Arzneimittel einer Erlaubnis. Dagegen war für die Arzneimittel keine Genehmigungspflicht, 387 AMWHV v. 3.11.2006, BGBl. I S. 2523, z. g. d. VO v. 2.7.2018 BGBl. I S. 1080. 388 AM-RL i. d. F. v. 18.12.2008/ 22.1.2009, BAnz 2009 Nr. 49a, z. g. a. 19.4.2018, BAnz AT 12.07.2018 B2. 389 AMG i. d. F. d. Bek. v. 12.12.2005, BGBl. I S. 3394, z. g. d. G v. 18.7.2017, BGBl. I S. 2757. 390 AMPreisV v. 4.11.1980, BGBl. I S. 2147, z. l. g. d. G v. 4.5.2017, BGBl. I S. 1050. 391 UWG i. d. F. d. Bek. v. 3.3.2010, BGBl. I S. 254, z. g. d. G v. 17.2.2016, BGBl. I S. 233. 392 AMRabG v. 22.12.2010, BGBl. I S. 2262, 2275, z. g. d. G v. 4.5.2017, BGBl. I S. 1050. 393 HWG i. d. F. d. Bek. v. 19.10.1994, BGBl. I S. 3068, z. g. d. G v. 20.12.2016, BGBl. I S. 3048. 394 Richtlinie 2001/ 83/ EG des europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel v. 6.11.2001, ABl. L 311 S. 67, z. g. d. RL v. 25.10.2012, ABl. L 299 S. 1. 395 Verordnung (EG) Nr. 726/ 2004 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittel-Agentur v. 31.3.2004, ABl. L 136 S. 1, z. g. d. VO v. 25.10.2012, ABl. L 316 S. 38. 396 Verordnung (EU) Nr. 536/ 2014 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 16.4.2014 über klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/ 20/ EG, ABl. L 158 S. 1, berichtigt 17.11.2016, ABl. L 311 S. 25. 397 Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelrechts v. 24.8.1976, BGBl. I S. 2445. <?page no="253"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 253 sondern nur eine Registrierung vorgesehen. 398 Mit dem Arzneimittelgesetz 1976 wurde zur Verbesserung der Arzneimittelsicherheit u. a. ein Zulassungsverfahren eingeführt, in dem die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Arzneimittel geprüft wird. Zugleich wurde mit diesem Gesetz die erste pharmazeutische EWG-Richtlinie 399 in nationales Recht umgesetzt. Innerhalb der Europäischen Gemeinschaften (heute EU) gab es bereits seinerzeit Bestrebungen zur Errichtung eines gemeinsamen europäischen Arzneimittelmarktes. Mittlerweile ist die unternehmerische Tätigkeit durch nationale und unionsrechtliche Vorschriften weitreichend kodifiziert. Zum einen bestehen in allen EU-Mitgliedstaaten unmittelbar geltende EU-Verordnungen, wie z. B. bzgl. der klinischen Prüfung (vgl. Abschnitt 2.9.3) oder der zentralen Arzneimittelzulassung (vgl. Abschnitt 2.9.6). Zum anderen sind verschiedene EU-Richtlinien erlassen worden, die von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden mussten, um so eine Harmonisierung der nationalen Vorschriften in den Mitgliedstaaten zu erreichen (vgl. z. B. Abschnitt 2.9.7 zur gegenseitigen Anerkennung von Arzneimittelzulassungen). Die Arzneimittelversorgung von Tieren wird ebenfalls vom Arzneimittelgesetz und verschiedenen Vorschriften der Europäischen Union geregelt. Die Ausführungen des Abschnitts 2.9 beziehen sich jedoch ausschließlich auf Humanarzneimittel. 2.9.2 Begriff des Humanarzneimittels Humanarzneimittel bestehen aus chemischen oder biologischen Stoffen oder deren Zubereitungen gem. § 3 AMG. Sie werden wie folgt eingeteilt: Abb. 42: Einteilung der Humanarzneimittel 398 Vgl. Arzneimittelgesetz vom 16.5.1961, BGBl. I S. 533, §§ 12 ff. (zur Herstellung) und §§ 20 ff. (zur Registrierung). 399 Richtlinie 65/ 65/ EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten v. 26.1.1965, ABl. S. 369. Humanarzneimittel Präsentationsarzneimittel § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG Funktionsarzneimittel § 2 Abs. 1 Nr. 2 AMG Fiktivarzneimittel § 2 Abs. 2 Nr. 1 AMG Arzneimittel kraft Entscheidung gem. § 2 Abs. 4 S. 1 AMG Buchst. a) zur Einwirkung auf physiolog. Funktionen Buchst. b) zur Erstellung einer medizinische Diagnose <?page no="254"?> 254 Recht im Gesundheitswesen Zu den Funktionsarzneimitteln gehören zwei Arten: ❋ Wissen │ Funktionsarzneimittel Funktionsarzneimittel sind zum einen Mittel, die vom Menschen eingenommen oder im oder am Körper angewendet werden, um die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen oder zu beeinflussen (§ 2 Abs. 1 Nr. 2a AMG). Ein Erzeugnis ist aber nur dann ein Funktionsarzneimittel, wenn es die physiologischen Funktionen des Menschen nachweisbar und in nennenswerter Weise durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherstellen oder beeinflussen kann. Maßgeblich ist dabei die bestimmungsgemäße Anwendung. Wenn die physiologischen Funktionen des Menschen aufgrund der Zusammensetzung oder der Dosierung der Wirkstoffe nicht in diesem Maße beeinflusst werden, liegt kein Funktionsarzneimittel vor. 400 Nicht erfasst werden Stoffe, die zwar die physiologischen Funktionen beeinflussen, aber auf die menschliche Gesundheit nicht positiv wirken oder sogar gesundheitsschädlich sind (z. B. Stoffe, die Rauschzustand herbeiführen). 401 Zum anderen gelten Diagnostika, die einem Menschen verabreicht werden, um eine medizinische Diagnose zu ermitteln (In-vivo-Diagnostika), gem. § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AMG ebenfalls als Funktionsarzneimittel. ◉ Beispiel Eine Unternehmerin stellte Kapseln mit 0,5 mg, 1 mg, 1,5 mg, 2 mg, 2,5 mg und 5 mg Melatonin her. Die Kapseln dienten der Linderung des sog. Jetlags (Schlafstörungen und Müdigkeit am Tag infolge des schnellen Überschreitens der Zeitzonen). Das OVG Nordrhein-Westfalen stufte die Kapsel als Arzneimittel ein, da durch sie der Melatoninspiegel erhöht und der Schlaf-Wach-Zyklus der Zeitzone schneller angepasst werde. Der Einwand der Unternehmerin, dass Melatonin auch in Lebensmitteln vorhanden sei, griff nicht durch. Um 0,5 mg Melatonin aufzunehmen, müssten z. B. fünf Tonnen Gurken oder eine Tonne Bananen verzehrt werden. 402 ◉ Gegenbeispiel Die „Red Rice 330 mg GPH Kapseln“ mit 1,33 mg des Wirkstoffs Monacolin mit der Verwendungsempfehlung von 3x täglich eine Kapsel sah das BVerwG nicht als Funktionsarzneimittel an. Zur Begründung verwies es darauf, dass erst eine tägliche Dosis von 10 bis 80 mg des Wirkstoffs die Senkung des Cholesterinspiegels bewirke. 403 400 Vgl. BVerwG, Urt. v. 26.5.2009, 3 C 5/ 09, NVwZ 2009, 1038 ff. [1039]. 401 Vgl. EuGH, Urt. v. 10.7.2014, C-358/ 13 und C-181/ 14, MedR 2015, 184 ff. 402 Vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 10.12.2014, 13 A 1202/ 14, PharmR 2015, 305 ff. 403 Vgl. BVerwG, Urt. v. 26.5.2009, 3 C 5/ 09, NVwZ 2009, 1038 ff. <?page no="255"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 255 Die Abgrenzung zwischen den (Funktions-)Arzneimitteln nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AMG und den Medizinprodukten (vgl. Abschnitt 2.8.2) erfolgt anhand der bestimmungsgemäßen Hauptwirkung. Die Arzneimittel wirken pharmakologisch, immunologisch oder metabolisch, die Medizinprodukte dagegen physikalisch. Dagegen gelten In-vivo-Diagnostika, auch wenn sie physikalisch wirken, als Arzneimittel, währenddessen In-vitro-Diagnostika (Labordiagnostika) Medizinprodukt sind (siehe auch Abschnitt 2.8.2). ❋ Wissen │ Präsentationsarzneimittel Ein Erzeugnis gilt als Präsentationsarzneimittel, wenn es durch seine stoffliche Zusammensetzung, Darreichungsform, Bezeichnung und Aufmachung entweder einem Arzneimittel genügend ähnelt oder bei einem durchschnittlichen Verbraucher den Eindruck erweckt, dass das Erzeugnis die (arzneiliche) Eigenschaft habe, menschliche Krankheiten zu verhüten oder zu heilen. Dies ist fallbezogen, z. B. anhand der Verpackung, des Beipackzettels, der Veröffentlichungen des Herstellers oder Vertriebsunternehmens oder öffentlicher Empfehlungen, zu beurteilen. 404 ◉ Beispiel Ein Getränk mit der Bezeichnung „D Gingko“ mit einer aufgedruckten Heilpflanze auf dem Etikett und einer Seriennummer zur Behandlung von Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen stufte das LG Köln als Präsentationsarzneimittel ein. 405 ❋ Wissen │ Fiktivarzneimittel Ferner gelten Gegenstände, die ein Arzneimittel enthalten oder auf die ein Arzneimittel aufgebracht ist und die dazu bestimmt sind, dauernd oder vorübergehend mit dem menschlichen Körper in Berührung gebracht zu werden als sog. Fiktivarzneimittel. ◉ Beispiel Ein Pflaster für sich genommen ist ein Medizinprodukt. Wenn jedoch auf dem Pflaster ein Arzneimittelwirkstoff aufgetragen ist, der über die Haut auf den menschlichen Organismus einwirken soll, so handelt es sich bei diesem Produkt um ein Arzneimittel. Gem. § 43 AMG dürfen Arzneimittel grundsätzlich nur in Apotheken an die privaten Endverbraucher abgegeben werden. Ausnahmen davon bestimmt § 44 AMG, z. B. natürliche Heilwässer, sowie die VO über apothekenpflichtige und freiverkäufliche Arzneimittel, wie z. B. Baldrianextrakt als Fertigarzneimittel. 404 Vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 13.10.2010, 13 A 1187/ 10, PharmR 2010, 607 [609] m. w. N. 405 Vgl. LG Köln, Urt. v. 3.2.2006, 81 O 257/ 02, BeckRS 2006, 04475. <?page no="256"?> 256 Recht im Gesundheitswesen Die apothekenpflichtigen Arzneimittel werden ferner danach unterschieden, ob sie verschreibungspflichtig sind. Verschreibungspflichtige Arzneimittel dürfen an den Verbraucher nur bei Vorlage eines ärztlichen oder zahnärztlichen Rezeptes abgegeben werden. Näheres regelt § 48 AMG. Abb. 43: Einteilung der Humanarzneimittel nach dem Vertriebsweg 2.9.3 Klinische Prüfung von Arzneimitteln Die klinische Prüfung von Arzneimitteln zielt darauf ab, Erkenntnisse über die Wirksamkeit und Sicherheit eines Arzneimittels zu erlangen, bevor es zugelassen und in den Verkehr gebracht wird. Sie war in Europa jahrzehntelang nationalstaatlich geregelt. Nunmehr wird die klinische Prüfung durch die VO (EU) 536/ 2014 geregelt. Diese Verordnung ist in allen EU-Mitgliedstaaten unmittelbar verbindlich. Durch die nationalen Rechtsvorschriften müssen die Zuständigkeiten und Strukturen der beteiligten nationalen Behörden und Ethikkommission an die Vorgaben der Verordnung angepasst werden. Die VO (EU) 536/ 2014 tritt sechs Monate nach der Veröffentlichung der Kommissionsmitteilung, dass das für die Durchführung der Verordnung notwendige EU-Portal und die EU-Datenbank funktionieren, in Kraft (Art. 99 VO (EU) 536/ 2014). Das Inkrafttreten ist für 2019 avisiert. 406 Das EU-Portal dient als zentrale Anlaufstelle für die Übermittlung von Daten und Informationen im Zusammenhang mit klinischen Prüfungen. Die Speicherung der übermittelten Daten und Informationen erfolgt in der EU-Datenbank (Art. 80 VO (EU) 536/ 2014). 406 Vgl. http: / / www.ema.europa.eu/ ema/ index.jsp? curl=pages/ regulation/ general/ general_content_000629.jsp (Abruf am 26.5.2018). Arzneimittel freiverkäufliche Arzneimittel apothekenpflichtige Arzneimittel nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel (sog. OTC- Arzneimittel) verschreibungspflichtige Arzneimittel <?page no="257"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 257 Der klinischen Erforschung bzw. Prüfung des Arzneimittels gehen die Wirkstofffindung und die präklinische Forschung, in der der gefundene Wirkstoff mit Reagenzien, in Zellkulturen und an Tieren getestet wird, voran. Abb. 44: Arzneimittelforschung Die klinische Prüfung und klinische Studie werden gesetzlich wie folgt definiert: ❋ Wissen │ klinische Prüfung Eine klinische Prüfung ist eine klinische Studie, die mindestens eine der folgenden Bedingungen erfüllt: [a] der Prüfungsteilnehmer wird vorab einer bestimmten Behandlungsstrategie zugewiesen, die nicht der normalen klinischen Praxis des betroffenen Mitgliedstaats entspricht; [b] die Entscheidung, die Prüfpräparate zu verschreiben, wird zusammen mit der Entscheidung getroffen, den Prüfungsteilnehmer in die klinische Studie aufzunehmen, oder [c] an den Prüfungsteilnehmern werden diagnostische oder Überwachungsverfahren angewendet, die über die normale klinische Praxis hinausgehen. ❋ Wissen │ klinische Studie Eine klinische Studie ist jede am Menschen durchgeführte Untersuchung, die dazu bestimmt ist, [a] die klinischen, pharmakologischen oder sonstigen pharmakodynamischen Wirkungen eines oder mehrerer Arzneimittel zu erforschen oder zu bestätigen, [b] jegliche Nebenwirkungen eines oder mehrerer Arzneimittel festzustellen oder [c] die Absorption, die Verteilung, den Stoffwechsel oder die Ausscheidung eines oder mehrerer Arzneimittel zu untersuchen, mit dem Ziel, die Sicherheit und/ oder Wirksamkeit dieser Arzneimittel festzustellen. (Vgl. Art. 2 Abs. 2 Nr. 1, 2 VO (EU) 536/ 2014) Wirkstofffindung klinische Forschung präklinische Forschung <?page no="258"?> 258 Recht im Gesundheitswesen Die klinische Prüfung erfolgt in vier Phasen, von denen die ersten drei vor der Zulassung des Arzneimittels (vgl. zur Zulassung Abschnitte 2.9.5 bis 2.9.7) stattfinden. Die einzelnen Phasen lassen sich wie folgt charakterisieren: 407 ❋ Wissen │ klinischen Prüfung in vier Phasen Phase I erste Anwendung des Arzneimittels am Menschen Prüfung der Pharmakodynamik (Art und Ort der Wirkung des Wirkstoffs, dosisabhängige Effekte, Wirkmechanismus) und Pharmakokinetik (Aufnahme, Verteilung, Abbau, Freisetzung und Ausscheidung des Wirkstoffs), der Verträglichkeit und Sicherheit der Substanz geringe Zahl gesunder Probanden (ausnahmsweise auch kranke Probanden) in der Regel keine Kontrollgruppe Phase II Prüfung der Wirkungen des Arzneimittels auf definierte Krankheitssymptome, der therapeutischen Wirksamkeit bei bestimmten Anwendungsbereichen, der Neben- und Wechselwirkungen sowie Begleiterscheinungen Unterscheidung: Phase IIa zur Überprüfung des Therapiekonzepts und Phase IIb zur Findung einer geeigneten Dosis mehrere hundert Probanden Bildung von Test- und Kontrollgruppen in der Regel sog. blinde oder doppelt blinde Studie Phase III Prüfung der Wirksamkeit, Beobachtung der Nebenwirkungen, Erhebung von Daten für die Arzneimittelsicherheit bis zu mehrere tausend Probanden häufig multizentrische, ggf. auch multinationale Prüfung randomisierte Doppelblindstudie mit Test- und Kontrollgruppen, aus ethischen Gründen ggf. offene Studie Phase IV Überwachung des Arzneimittels nach der Zulassung gezielte Beobachtung des Arzneimittels (Arzneimittelwirkungen, Dosierung, Darreichungsform, Vergleiche zu anderen Arzneimitteln, Sammeln von Langzeiterfahrungen etc.) Anwendungsbeobachtung gem. § 4 Abs. 23 S. 2, 3 AMG gehört nicht zu der klinischen Prüfung der Phase IV Die Durchführung einer klinischen Prüfung (in allen Phasen) ist genehmigungspflichtig (Art. 4 VO (EU) 536/ 2014). Das Genehmigungsverfahren beginnt mit ei- 407 Vgl. Deutsch, Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 1692-1697. <?page no="259"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 259 nem Antrag des Sponsors. Das ist derjenige, der die Verantwortung für die Einleitung, das Management und die Aufstellung der Finanzierung einer klinischen Prüfung übernimmt (Art. 2 Abs. 2 Nr. 14 VO (EU) 536/ 2014). Gem. Art. 5 VO (EU) 536/ 2014 muss der Sponsor seinen Antrag dem betroffenen Mitgliedstaat über das EU-Portal übermitteln. Wenn die Prüfung in mehreren Mitgliedstaaten stattfinden soll, muss er einen berichterstattenden Mitgliedstaat benennen. Seinem Antrag muss der Sponsor die in Anhang I der VO (EU) 536/ 2014 genannten Unterlagen beifügen. Dazu gehören z. B. der Prüfplan und die Daten zum Prüfpräparat. Zunächst erfolgt gem. Art. 5 Abs. 3 VO (EU) 536/ 2014 die Validierung des Antrags durch den berichterstattenden Staat. Das heißt, der Antrag wird auf Vollständigkeit geprüft. Daran schließt sich die Bewertung des Antrages an, für die zwei Teile vorgesehen sind. Beide Teile werden zeitlich parallel bewertet, wenn es der Sponsor gem. Art. 11 VO (EU) 536/ 2014 nicht anders beantragt. Der Teil I beinhaltet gem. Art. 6 Abs. 1 VO (EU) 536/ 2014 die Bewertung des therapeutischen Nutzens, des Nutzens für die Öffentlichkeit sowie des Nutzens, der Risiken und Nachteile für die Prüfungsteilnehmer, der Einhaltung der Schutzvorschriften für die Prüfungsteilnehmer (z. B. ausreichende Aufklärung), der Erfüllung der Anforderungen an Herstellung, Einfuhr und Etikettierung von Prüfpräparaten und Hilfspräparaten, der Vollständigkeit und Angemessenheit der klinischen und nichtklinischen Daten über die betreffenden Präparate, die die Prüfer, also die für die Durchführung der klinischen Prüfung verantwortlichen Personen, erhalten. Wenn die Prüfung in mehreren EU-Mitgliedstaaten durchgeführt werden soll, müssen alle Staaten ihre Bewertung miteinander - unter der Regie des berichterstattenden Mitgliedstaates - abstimmen (Art. 6 Abs. 5 VO (EU) 536/ 2014). Der Teil II beinhaltet die ethische Bewertung der klinischen Prüfung gem. Art. 7 Abs. 1 VO (EU) 536/ 2014, die jeder Mitgliedstaat für sein Hoheitsgebiet selbst vornimmt: Einhaltung der Voraussetzungen für die Einwilligung durch den Prüfungsteilnehmer, Gewährleistung, dass eine Vergütung oder Aufwandsentschädigung die Prüfungsteilnehmer nicht unzulässig beeinflusst, um sie zur Teilnahme an der Prüfung zu bewegen, Beachtung der Art. 28 bis 35 VO (EU) 536/ 2014 bei der Rekrutierung von Prüfungsteilnehmern, Erfüllung der Datenschutz-Grundverordnung 408 (zuvor Richtlinie 95/ 46/ EG 409 ), 408 Verordnung (EU) 2016/ 679 v. 27.4.2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/ 46/ EG (Datenschutz- Grundverordnung), ABl. L 119 S. 1. 409 Nach dem Wortlaut des Art. 7 Abs. 1 VO (EU) 536/ 2014 wird auf die Richtlinie 95/ 46/ EG verwiesen, die jedoch durch die Datenschutz-Grundverordnung aufgehoben worden ist. Der Verweis gilt seit dem 26.5.2018 als Verweis auf die Datenschutz-Grundverordnung, vgl. Art. 94 Abs. 2 Datenschutz- Grundverordnung. <?page no="260"?> 260 Recht im Gesundheitswesen Eignung der Prüfstellen und der Personen, die an der klinischen Prüfung mitwirken, Einhaltung der Regelungen zur Entschädigung der Prüfungsteilnehmer für Schäden, die einem Prüfungsteilnehmer durch seine Teilnahme an einer klinischen Prüfung entstehen, Einhaltung der Vorschriften zur Gewinnung, Lagerung und zukünftigen Nutzung der vom Prüfungsteilnehmer genommenen biologischen Proben. Die zu prüfenden Voraussetzungen dürfen die Mitgliedstaaten in bestimmten Grenzen ergänzen oder spezifisch ausgestalten. Davon hat Deutschland in den §§ 40a und 40b AMG Gebrauch gemacht. Beispielsweise räumt Art. 34 VO (EU) 536/ 2014 die Möglichkeit ein, bestimmte Personen von einer klinischen Prüfung auszunehmen. Demgemäß dürfen in Deutschland Personen, die aufgrund gerichtlicher oder behördlicher Anordnung in einer Anstalt untergebracht sind, nicht in eine klinische Prüfung einbezogen werden (§ 40a S. 1 Nr. 2 AMG). Die Genehmigung einer klinischen Prüfung in Deutschland hängt also auch davon ab, dass die Anforderungen in den §§ 40a und 40b AMG ebenfalls erfüllt sind. Nach der Bewertung (beider Teile) teilt der betroffene Mitgliedstaat dem Sponsor über das EU-Portal mit, ob er die klinische Prüfung genehmigt, unter Auflagen genehmigt oder eine Genehmigung versagt (Art. 8 Abs. 1 VO (EU) 536/ 2014). Wenn mehrere Mitgliedstaaten beteiligt sind, besteht gem. Art. 8 Abs. 2, 3, 5 VO (EU) 536/ 2014 folgende Besonderheit im Hinblick auf die Bewertung des Teils I: Gelangt der berichterstattende Mitgliedstaat in Bezug auf Teil I der Bewertung zu dem Schluss, dass die klinische Prüfung nicht vertretbar ist, gilt diese Schlussfolgerung als die Schlussfolgerung aller betroffenen Mitgliedstaaten mit der Folge, dass die Genehmigung der klinischen Prüfung versagt wird. Gelangt der berichterstattende Mitgliedstaat in Bezug auf Teil I der Bewertung zu dem Schluss, dass die Durchführung der klinischen Prüfung vertretbar oder unter bestimmten Auflagen vertretbar ist, so gilt diese Schlussfolgerung als Schlussfolgerung jedes betroffenen Mitgliedstaats. Ein betroffener Mitgliedstaat darf diese Schlussfolgerung nur ablehnen, wenn er der Auffassung ist, dass die Teilnahme an der klinischen Prüfung dazu führen würde, dass ein Prüfungsteilnehmer eine schlechtere Behandlung erhalten würde, als dies gemäß normaler klinischer Praxis im betroffenen Mitgliedstaat der Fall wäre, wenn die klinische Prüfung gegen eine nationale Rechtsvorschrift verstößt, die der Mitgliedstaat der Kommission gem. Art. 90 VO (EU) 536/ 2014 mitgeteilt hat, er Bedenken hinsichtlich der Sicherheit der Prüfungsteilnehmer sowie der Zuverlässigkeit und Belastbarkeit der übermittelten Daten hat. In diesem Fall übermittelt der Mitgliedstaat seine Ablehnung mit Begründung über das EU-Portal der Kommission, sämtlichen Mitgliedstaaten und dem Sponsor. Gem. § 40 Abs. 1 S. 2, § 77 AMG ist für die Genehmigung einer klinischen Prüfung in Deutschland das BfArM bzw. das PEI zuständig. Die zuständige Genehmigungsbehörde übermittelt die Entscheidung über das EU-Portal dem Sponsor (§ 40 Abs. 8 AMG). Die Zuständigkeit für die ebenfalls erforderliche Bewertung der <?page no="261"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 261 Ethik-Kommission richtet sich nach dem Geschäftsverteilungsplan, den die Ethikkommissionen gemeinsam aufstellen (§ 40 Abs. 3 S. 2, § 41b Abs. 2 AMG). An die ethische Bewertung der klinischen Prüfung nach Art. 7 Abs. 1 VO (EU) 536/ 2014 (= Bewertung Teil II) sowie nach den dazugehörigen Spezifika lt. §§ 40a und 40b AMG durch die Ethikkommission ist das BfArM bzw. das PEI gebunden (§ 40 Abs. 5, 8 S. 2 AMG). Anders verhält es sich bzgl. der Bewertung Teil I und den deutschen Spezifika in §§ 40a und 40b AMG. Dem diesbezüglichen Votum der Ethikkommission hat die Genehmigungsbehörde zwar grundsätzlich zu folgen. Gleichwohl darf sie in begründeten Fällen gem. § 40 Abs. 4, § 41 Abs. 3 AMG davon abweichen, z. B. wenn die Bewertung der Kommission gegen wissenschaftliche Grundsätze verstößt. 410 Für die Durchführung der klinischen Prüfung gelten die Grundsätze der guten klinischen Praxis (vgl. Art. 47 ff. VO (EU) 536/ 2014). Ferner hat der Sponsor verschiedene Informationspflichten, z. B. hinsichtlich des Beginns, einer vorübergehenden Unterbrechung, eines vorzeitigen Abbruchs oder des Endes der Prüfung sowie hinsichtlich unerwarteter schwerer Nebenwirkungen (vgl. Art. 36 ff. VO (EU) 536/ 2014). Für eine wesentliche Änderung der klinischen Prüfung (z. B. Änderung der Prüfstelle) muss der Sponsor erneut eine Genehmigung einholen (vgl. dazu Art. 15 ff. VO (EU) 536/ 2014). Innerhalb eines Jahres nach Beendigung der Prüfung in allen Mitgliedstaaten muss der Sponsor eine Zusammenfassung der (positiven wie negativen) Ergebnisse der klinischen Prüfung sowie eine für Laien verständliche Version der Zusammenfassung an die EU-Datenbank übermitteln (Art. 37 Abs. 4 sowie Anhänge IV, V der VO (EU) 536/ 2014). Die EU-Datenbank ist für die Öffentlichkeit mit Ausnahme der vertraulichen Daten und Informationen zugänglich (Art. 81 VO (EU) 536/ 2014). 410 Vgl. RegE des Vierten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften, BTag- Drucks. 18/ 8034 S. 47. <?page no="262"?> 262 Recht im Gesundheitswesen 2.9.4 Inverkehrbringen eines Arzneimittels Es dürfen nur national oder europäisch zugelassene, registrierte oder davon befreite Arzneimittel in den Verkehr in der Bundesrepublik gebracht werden. Das Inverkehrbringen kann in vier Alternativen erfolgen (vgl. § 4 Abs. 17 AMG): Abb. 45: Inverkehrbringen eines Arzneimittels Der Inhaber der Zulassung oder Registrierung oder derjenige, der das Arzneimittel in seinem Namen in den Verkehr bringt, wird als pharmazeutische Unternehmer bezeichnet (§ 4 Abs. 18 AMG). Der pharmazeutische Unternehmer muss seinen Sitz in der EU oder im EWR haben, um das Arzneimittel in der Bundesrepublik in den Verkehr zubringen (§ 9 Abs. 2 AMG). Folgende Arzneimittel dürfen, auch wenn sie zugelassen oder registriert sein sollten, nicht in den Verkehr gebracht werden: bedenkliche Arzneimittel, bei denen nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse der begründete Verdacht besteht, dass sie bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen haben, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen (§ 5 AMG), Arzneimittel, die durch Abweichung von den anerkannten pharmazeutischen Regeln in ihrer Qualität nicht unerheblich gemindert sind (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 AMG), Arzneimittel mit einer irreführenden Bezeichnung, Angabe oder Aufmachung (§ 8 Abs. 1 Nr. 2 AMG), gefälschte Arzneimittel (§ 8 Abs. 2 AMG), Arzneimittel, deren Verfalldatum abgelaufen ist (§ 8 Abs. 3 AMG). Beim Inverkehrbringen hat der pharmazeutische Unternehmer verschiedene Informationspflichten zu erfüllen. Er muss sein Arzneimittel auf dem Behältnis und der Umhüllung gem. § 10 AMG kennzeichnen und eine Packungsbeilage, die die An- Inverkehrbringen eines Arzneimittels* Vorrätighalten zum Verkauf oder zur sonstigen Abgabe Feilhalten (nach außen erkennbares Vorrätighalten zum Verkauf) Feilbieten (an potentielle Erwerber gerichtetes Hinweisen auf vorrätige Ware) Abgabe an andere (Einräumen der tatsächlichen Verfügungsgewalt über das Arzneimittel) * Vgl. zum Begriff Rehmann, Arzneimittelgesetz Kommentar, § 4 RN. 16-19. <?page no="263"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 263 forderungen des § 11 AMG erfüllt, beifügen. Ferner muss er für Ärzte, Zahnärzte, Apotheker und andere Personen der Heilkunde eine Fachinformation gem. § 11a AMG bereithalten. Mittlerweile sind die Fachinformationen für jedermann im Internet verfügbar. 411 2.9.5 Nationale Zulassung eines Fertigarzneimittels Wie im vorherigen Abschnitt erwähnt, setzt das Inverkehrbringen eines Arzneimittels eine Zulassung, Registrierung oder eine diesbezügliche Freistellung voraus. Insoweit sind verschiedene Tatbestände gesetzlich geregelt, die zunächst in einem Überblick veranschaulicht werden: Abb. 46: Überblick über die nationalen Zulassungen, Registrierungen und diesbezüglichen Freistellungen Die nachfolgenden Erläuterungen beziehen sich auf die (reguläre) Zulassung eines Fertigarzneimittels und die davon freigestellten Rezepturarzneimittel, Defekturarzneimittel. 411 Fachinformationen abrufbar unter: https: / / www.pharmnet-bund.de/ dynamic/ de/ arzneimittelinformationssystem/ index.html (Abruf am 20.7.2018). Voraussetzung für das Inverkehrbringen eines Arzneimittels Zulassung Registrierung Freistellung von der Zulassungs- oder Registrierungspflicht (reguläre) Zulassung für Fertigarzneimittel, § 21 Abs. 1 AMG (Schnell-)Zulassung gem. § 28 Abs. 3 AMG Nachzulassung für (Alt)Arzneimittel, §§ 103, 105, 109a AMG vereinfachte Zulassung für Parallelimporte im EU-Binnenmarkt Genehmigung von nicht industriellen Gewebezubereitungen gem. § 21a AMG Genehmigung von individuellen Arzneimitteln der neuartigen Therapien § 4b AMG homöopathische Arzneimittel, §§ 38, 39 AMG traditionelle pflanzliche Arzneimittel, §§ 39a-39d AMG in einer Apotheke hergestellte Rezepturarzneimittel Arzneimittel mit Standardzulassung, § 36 AMG i. V. m. StandVZ Freistellung gem. § 21 Abs. 2 AMG, wie z. B.: Defekturarzneimittel § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG unverändert umgepackte oder abgefüllte Arznei-mittel § 21 Abs. 2 Nr. 1b Buchst. b, c <?page no="264"?> 264 Recht im Gesundheitswesen ✎ Aufgaben Die Unternehmerin U erhält 13C-Harnstoffpulver von einem industriellen Hersteller. Aus diesem Pulver stellt sie in einem industriellen Verfahren eine Trinklösung her, die in Flaschen abgefüllt wird. Jede Flasche enthält 75mg 13C-Harnstoff-Pulver. Die Produktionsmenge beträgt 500 Flaschen pro Tag. Die Lieferung erfolgt an Großhändler, Apotheken, Arztpraxen und Krankenhäuser. Nach Einnahme der Trinklösung kann ein Atemtest zur Feststellung einer Helicobacter-pylori-Infektion des Magens durchgeführt werden. Bei den Flaschen mit der Trinklösung handelt es sich um ein Funktionsarzneimittel gem. § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AMG. Sind sie gem. § 21 Abs. 1 AMG zulassungspflichtig? Der Apotheker A erhält ebenfalls von einem industriellen Hersteller 13C- Harnstoffpulver. Er stellt eine Mischung aus diesem Wirkstoff und weiteren Hilfsstoffen (99,5 % Mannitol und 0,5 % Aerosil) her, die er anschließend in Kapseln, mit jeweils einer Menge von 75 mg Harnstoff je Kapsel, abfüllt. Auf der Grundlage ärztlicher Verschreibungen werden die Kapseln an Arztpraxen und Krankenhäuser abgegeben. In Erwartung dieser Verschreibungen stellt der Apotheker im Voraus pro Tag 50 abgabefertige Packungen her. Zur Anwendung wird der Kapselinhalt in einer Flüssigkeit gelöst und eingenommen. Bei den Kapseln handelt es sich um Funktionsarzneimittel gem. § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AMG. Sind sie gem. § 21 Abs. 1 AMG zulassungspflichtig? Die Lösungen finden Sie im Web-Service. Fertigarzneimittel bedürfen einer nationalen oder europäischen Zulassung, bevor sie in der Bundesrepublik in den Verkehr gebracht werden (§ 21 Abs. 1 AMG). Erläuterungen zu den drei europäischen Verfahren finden Sie in den beiden nachfolgenden Abschnitten. ❋ Wissen │ Fertigarzneimittel Gem. § 4 Abs. 1 S. 1 AMG sind Fertigarzneimittel Arzneimittel, die entweder im Voraus hergestellt und in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebracht werden, oder andere zur Abgabe an Verbraucher bestimmte Arzneimittel, bei deren Zubereitung in sonstiger Weise ein industrielles Verfahren zur Anwendung kommt oder die, ausgenommen in Apotheken, gewerblich hergestellt werden. Die in der zweiten Alternative erwähnte industrielle oder gewerbliche Herstellung ist dadurch gekennzeichnet, dass große Mengen von Arzneimitteln (Chargen, Serienprodukte) in einem standardisierten, nach einheitlichen Vorschriften ablaufenden Verfahren auf Vorrat und für den Verkauf im Großhandel hergestellt werden. 412 412 Vgl. EuGH, Urt. v. 16.7.2015, C-544/ 13 u. C-545/ 13, PharmR 2015, 436 ff. [442]. <?page no="265"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 265 Zwischenprodukte, die für eine weitere Verarbeitung durch einen Hersteller bestimmt sind, gehören nicht zu den Fertigarzneimitteln (§ 4 Abs. 1 S. 2 AMG). Vom Fertigarzneimittel ist sein Gegenstück - das Rezepturarzneimittel eines Apothekers - zu unterscheiden, das vor dem Inverkehrbringen keiner Zulassung bedarf. ❋ Wissen │ Rezepturarzneimittel Ein Rezepturarzneimittel ist ein Arzneimittel, das in der Apotheke im Einzelfall aufgrund einer Verschreibung oder auf sonstige Anforderung einer einzelnen Person und nicht im Voraus hergestellt wird (§ 1a Abs. 8 ApBetrO). Wenn das Rezepturarzneimittel häufiger verordnet wird, darf es der Apotheker auch auf Vorrat, und zwar bis zu 100 abgabefertigte Packungen an einem Tag, herstellen, ohne eine Zulassung zu benötigen (vgl. § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG). Die Arzneimittel werden dann als „verlängerte Rezepturen“ oder Defekturarzneimittel bezeichnet. ❋ Wissen │ Defekturarzneimittel Ein Defekturarzneimittel ist ein Arzneimittel, das im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs im Voraus an einem Tag in bis zu 100 abgabefertigen Packungen oder in einer diesen entsprechenden Menge hergestellt wird (§ 1a Abs. 9 ApBetrO). Für die Zulassung von Fertigarzneimitteln sind zwei verschiedene Bundesbehörden zuständig: Das PEI ist für die Arzneimittel, die in § 77 Abs. 2 AMG aufgezählt sind, zuständig. Diese lassen sich vereinfacht als biologische Arzneimittel zusammenfassen. Das BfArM ist für alle anderen, das sind im Wesentlichen die chemischen Wirkstoffe, zuständig (§ 77 Abs. 1 AMG). Das Zulassungsverfahren beginnt mit Eingang des Antrages und der nötigen Unterlagen des pharmazeutischen Unternehmers bei der Zulassungsbehörde. Der Unternehmer muss insbesondere die Ergebnisse seiner Arzneimittelprüfung (vgl. Abschnitt 2.9.3) vorlegen. Die Details der einzureichenden Unterlagen für Humanarzneimittel ergeben sich aus den §§ 22, 24 AMG, § 1 Arzneimittelprüfrichtlinien-Verordnung i. V. m. Anhang I Teil I bis III der Richtlinie 2001/ 83/ EG. Der Antragsteller darf sich unter bestimmten Voraussetzungen auch auf die Unterlagen eines anderen pharmazeutischen Unternehmers beziehen. Diese Möglichkeit ist für einen Unternehmer von Bedeutung, der ein Generikum oder eine Biosimilar auf den Markt bringen möchte. Durch die Bezugnahme auf präklinische und klinische Ergebnisse eines anderen hat er geringere Entwicklungskosten und kann so sein Produkt zu einem geringeren Preis anbieten. <?page no="266"?> 266 Recht im Gesundheitswesen ❋ Wissen │ Generikum und Biosimilar Ein Generikum ist ein Nachahmerprodukt, das die gleiche Zusammensetzung des Wirkstoffs nach Art und Menge und die gleiche Darreichungsform wie das (patentgeschützte) Originalarzneimittel aufweist. Unter einem Biosimilar versteht man ein Nachahmerprodukt zu einem biologischen Originalarzneimittel. Angesichts des biologischen Wirkstoffs und des biotechnologischen Herstellungsverfahrens ist es nicht gleich, sondern ähnlich. Die Bezugnahme auf die Unterlagen zum Originalarzneimittel, das in diesem Zusammenhang als Referenzarzneimittel bezeichnet wird, ist gem. § 24a AMG mit Einverständnis des anderen pharmazeutischen Unternehmers möglich. Das kommt beispielsweise zum Tragen, wenn die beiden Unternehmer des Referenzarzneimittels und des Nachahmerprodukts Tochtergesellschaften desselben Konzerns sind. Ohne Einverständnis kann sich der Antragsteller, der eine Zulassung für sein Generikum oder Biosimilar begehrt, nur unter den Voraussetzungen des § 24b AMG auf folgende Unterlagen des Referenzarzneimittels beziehen: die Ergebnisse der pharmakologischen und toxikologischen Versuche (§ 22 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AMG), die Ergebnisse der klinischen Prüfungen oder sonstigen ärztlichen oder zahnärztlichen Erprobung (§ 22 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AMG) sowie Sachverständigengutachten zu den vorgenannten Versuchen und Prüfungen, in denen die wesentlichen Ergebnisse und Kontrollmethoden zusammengefasst und beurteilt werden (§ 24 Abs. 1 Satz 1, 2 Nr. 2, 3 AMG). Dies gilt für Biosimilar jedoch nur mit der Einschränkung, dass bei Abweichungen zum biologischen Referenzarzneimittel (z. B. wegen des Herstellungsverfahrens) die Ergebnisse geeigneter vorklinischer oder klinischer Versuche hinsichtlich dieser Abweichungen vorzulegen sind (§ 24b Abs. 5 AMG). Für die Bezugnahme auf die genannten Unterlagen muss der Antragsteller gem. § 24b Abs. 1 S. 1-3 AMG die „8+2+1“-Fristen des Unterlagenschutzes beachten: Das Referenzarzneimittel muss bei Antragstellung seit mindestens acht Jahren zugelassen sein. Das Generikum oder Biosimilar darf erst nach zehn Jahren seit der ersten Zulassung des Referenzarzneimittels in den Verkehr gebracht werden, auch wenn die Zulassung des Generikums oder Biosimilars von der Behörde bereits früher erteilt wird. Diese Zehnjahresfrist wird auf höchstens elf Jahre verlängert, wenn die Zulassung des Referenzarzneimittels innerhalb des Achtjahreszeitraums auf mindestens ein neues Anwendungsgebiet mit einem bedeutenden klinischen Nutzen erweitert wurde. In einem solchen Fall kann der Antragsteller sein Produkt erst nach elf Jahren in den Verkehr bringen. Diese Fristen des Unterlagenschutzes sind jedoch nur eine „Seite der Medaille“. Bei dem Referenzarzneimittel handelt es sich üblicherweise um ein patentgeschütztes Arzneimittel, so dass der Antragsteller die Patentlaufzeit des Referenzarzneimittels ebenfalls zu beachten hat. Wenn er das Generikum oder Biosimilar vor Ablauf des Patentschutzes (ohne <?page no="267"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 267 Lizenz vom Patentinhaber) in der Bundesrepublik herstellt oder in den Verkehr bringt, begeht er eine Patentverletzung (vgl. § 9 PatG 413 ). Während des Zulassungsverfahrens prüft die Zulassungsbehörde die Wirksamkeit, Qualität und Unbedenklichkeit des Arzneimittels. Sie darf die Zulassung nur versagen, wenn einer der in § 25 Abs. 2, 3 AMG geregelten Gründe vorliegt. 414 Wenn ein solcher Versagungsgrund nicht gegeben ist, hat der pharmazeutische Unternehmer einen Rechtsanspruch auf Erteilung der Zulassung. Abb. 47: Überblick über die Versagungsgründe 413 Patentgesetz i. d. F. d. Bek. v. 16.12.1980, BGBl. 1981 I S. 1, z. g. d. G v. 8.10.2017, BGBl. I S. 3546. 414 Das BfArM veröffentlicht die Versagungen unter: https: / / www.bfarm.de/ DE/ Service/ Statistiken/ AM_statistik/ _node.html (Abruf am 20.7.2018). Versagungsgründe, § 25 Abs. 2, 3 AMG unvollständige Unterlagen keine ausreichende Arzneimittelprüfung Unterlagen nach § 22 Abs. 3 AMG entsprechen nicht den wissenschaftlichen Erkenntnissen fehlende pharmazeutische Qualität fehlende therapeutische Wirksamkeit therapeutische Wirksamkeit unzureichend begründet ungünstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis keine ausreichende Kombinationsbegründung Inverkehrbringen verstößt gegen Gesetze gleiche Bezeichnung wie anderes Arzneimittel <?page no="268"?> 268 Recht im Gesundheitswesen Von den Versagungsgründen sollen hier drei dargestellt werden. Nach § 25 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AMG ist die Zulassung zu versagen, wenn dem Arzneimittel die vom Antragsteller angegebene therapeutische Wirksamkeit fehlt oder diese nach dem jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse vom Antragsteller unzureichend begründet ist. Die erste Alternative, das Fehlen der therapeutischen Wirksamkeit, bedeutet, dass das die Anwendung des Arzneimittels für den Heilungserfolg nicht ursächlich oder zumindest nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ursächlich ist. Der Nachweis, dass die angegebene therapeutische Wirksamkeit fehlt, erweist sich in der Praxis als schwierig. Zwar muss der Antragsteller mit seinen Unterlagen belegen, dass sich mit dem Arzneimittel therapeutische Ergebnisse erzielen lassen. Das Gegenteil zu belegen, obliegt gleichwohl der Zulassungsbehörde, weil sie für den Versagungsgrund nachweispflichtig ist. Dazu müsste die Behörde den eher schwierigen Nachweis der Spontanheilung oder der wirkstoffunabhängigen Effekte antreten. Deshalb hat die zweite Alternative der Nr. 4, dass die therapeutische Wirksamkeit vom Antragsteller unzureichend begründet ist, eine größere praktische Bedeutung. Die Beurteilung, ob die therapeutische Wirksamkeit ausreichend begründet worden ist, erfolgt anhand der vom pharmazeutischen Unternehmer eingereichten Unterlagen. Die Zulassung wird versagt, wenn die eingereichten Unterlagen unter Berücksichtigung des jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht den geforderten Schluss zulassen, dass die Anwendung des Arzneimittels zu einer größeren Zahl an therapeutischen Erfolgen führt als seine Nichtanwendung, oder wenn die Unterlagen inhaltlich unrichtig oder unvollständig sind, weil sie z. B. keine Stellungnahme zu bestimmten Forschungsergebnissen oder klinischen Studien von Forschungseinrichtungen oder anderen Unternehmen enthalten. 415 ◉ Beispiel │ unzureichende Begründung der therapeutischen Wirksamkeit Ein pharmazeutischer Unternehmer beantragte die Zulassung für ein Virostatikum, das die Reproduktion von Herpes-Simplex-Viren hemmen sollte (Behandlung der Haut zur Verhinderung des Ausbruchs und zur Abschwächung des Verlaufs). Er hatte keine mit Placebo vergleichende kontrollierte Studie durchgeführt. Die Zulassung wurde versagt, weil eine solche Studie wegen der Selbstheilungstendenz der Herpeserkrankung erforderlich sei. 416 Nach § 25 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AMG ist die Zulassung des Arzneimittels zu versagen, wenn sein Nutzen-Risiko-Verhältnis ungünstig ist. Bei dem Nutzen-Risiko- Verhältnis geht es um die Bewertung der positiven therapeutischen Wirkungen des Arzneimittels im Verhältnis zu allen Risiken im Zusammenhang mit der Qualität, Sicherheit oder Wirksamkeit des Arzneimittels für die Gesundheit der Patienten oder die öffentliche Gesundheit (vgl. § 4 Abs. 27, 28 AMG). Risiken können z. B. Nebenwirkungen 417 oder die Gefahr sein, dass bei Anwendung eines Arzneimittels mit zweifelhafter therapeutischer Wirkung eine wirksame Behandlung 415 Vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 7.10.2009, 13 A 306/ 08, PharmR 2010, 75 ff. [77]. 416 Vgl. BVerwG, Urt. v. 14.10.1993, 3 C 46/ 91, PharmR 1994, 380. 417 Legaldefinition in § 4 Abs. 13 S. 1 AMG: Nebenwirkungen sind bei Arzneimitteln, die zur Anwendung bei Menschen bestimmt sind, schädliche und unbeabsichtigte Reaktionen auf das Arzneimittel. <?page no="269"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 269 unterbleibt. 418 Das Nutzen-Risiko-Verhältnis ist ungünstig, „wenn bei dem Arzneimittel der begründete Verdacht besteht, dass es bei bestimmungsgemäßen Gebrauch schädliche Wirkungen hat, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen. […] Hierfür ist es nicht erforderlich, dass es zu dem fraglichen Präparat oder zu vergleichbaren Arzneimittelzubereitungen verlässliche Daten zur Schädlichkeit gibt. Eines positiven Nachweises bedarf es nicht. Dies würde dem Gebot der Arzneimittelsicherheit zuwiderlaufen. […] Stehen schwere Gesundheitsgefahren in Rede, sind an die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts keine allzu hohen Anforderungen zu stellen. In diesen Fällen ist ein begründeter Verdacht auch dann anzunehmen, wenn lediglich die entfernte Möglichkeit einer Risikoverwirklichung besteht.“ 419 ◉ Beispiel │ ungünstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis Ein pharmazeutischer Unternehmer beantragte die Zulassung für Arzneimittel zur Heilung von Harnwegsentzündungen. Durch die bestimmungsgemäße Einträufelung des Arzneimittels in die Harnblase war, insbesondere für Patienten mit einer blutigen Blasenentzündung, eine systemische Resorption nicht auszuschließen. Diese bedeutete aber ein erhebliches Risiko ototoxischer Schäden (= Schädigung des Innenohrs und der dazugehörigen Hirnnerven) bis hin zum irreversiblen Hörverlust. Die Zulassung wurde versagt. 420 Wenn kein Versagungsgrund vorliegt, erteilt die Behörde die Zulassung (§ 25 Abs. 1 AMG). Diese ergeht schriftlich und enthält (abgeleitet aus § 22 Abs. 1 AMG) die Bezeichnung des Arzneimittels, seine Bestandteile nach Art und Menge, die Darreichungsform, die Wirkungen, Anwendungsgebiete, Gegenanzeigen, Neben- und Wechselwirkungen sowie die Dosierung. Die erste Zulassung wird für fünf Jahre befristet erteilt (§ 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 3a AMG). Die Verlängerung einer Zulassung wird grundsätzlich unbefristet ausgesprochen, es sei denn, dass aus Gründen der Arzneimittelsicherheit abermals eine Befristung notwendig ist (§ 31 Abs. 1a AMG). Die erteilte Zulassung bewirkt, dass das Fertigarzneimittel in den Verkehr gebracht werden darf (§ 21 Abs. 1 AMG). Sie ist produktgebunden für das jeweilige Arzneimittel. Eine Übertragung der Zulassung auf einen anderen pharmazeutischen Unternehmer ist möglich, dies muss lediglich der Zulassungsbehörde angezeigt werden (§ 29 Abs. 1 AMG). Die Zulassung eines Arzneimittels endet mit ihrer Aufhebung durch die Zulassungsbehörde, wenn einer der in § 30 AMG genannten Gründe vorliegt. Dabei wird zwischen der Rücknahme der Zulassung, wenn der Grund von Anfang an vorlag, sowie dem Widerruf, wenn der Grund nachträglich eingetreten ist, unterschieden. Gründe für eine Aufhebung können z. B. sein, dass das Arzneimittel nicht nach den anerkannten pharmazeutischen Regeln hergestellt wird oder nicht die angemessene Qualität aufweist. Des Weiteren kann die Zulassung gem. § 30 AMG erlöschen. Beispielsweise erlischt sie, wenn der pharmazeutische Unterneh- 418 Vgl. BVerwG, Urt. v. 1.12.2016, 3 C 14/ 15, BeckRS 2016, 116156. 419 OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 17.9.2009, 13 A 1428/ 08, PharmR 2010, 84 ff. [85]. 420 Vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 17.9.2009, 13 A 1428/ 08, PharmR 2010, 84 ff. <?page no="270"?> 270 Recht im Gesundheitswesen mer auf sie verzichtet oder das Arzneimittel innerhalb von drei Jahren nach Erteilung der Zulassung nicht in den Verkehr gebracht wird. 2.9.6 Europäisches zentralisiertes Verfahren zur Zulassung eines Arzneimittels Die zentrale Rechtsvorschrift für das zentralisierte Verfahren ist die Verordnung (EG) 726/ 2004. In ihr sind die (reguläre) Zulassung der Arzneimittel sowie bestimmte Spezialfälle geregelt. Darüber hinaus gibt es weitere spezielle Verordnungen, z. B. hinsichtlich der Zulassung von Kinderarzneimitteln. Abb. 48: Überblick über die europäischen Regelungen Die nachfolgenden Erläuterungen geben einen Überblick über die Zulassung der Arzneimittel ohne die regulatorischen Spezialfälle. Gem. Art. 3 Abs. 1 VO (EG) 726/ 2004 ist die Zulassung im zentralisierten Verfahren für die Arzneimittel, die im Anhang der Verordnung aufgezählt sind, zwingend, so dass alle anderen Verfahren - insbesondere die nationalen Verfahren - zentralisierte Zulassung (reguläre) Zulassung regulatorische Spezialfälle Bedingte Zulassung Art. 14 Abs. 7 VO (EG) 726/ 2004 Zulassung in Ausnahmefällen Art. 14 Abs. 8 VO (EG) 726/ 2004 und RL 2001/ 83/ EG Beschleunigtes Beurteilungsverfahren Art. 14 Abs. 9 VO (EG) 726/ 2004 Compassionate Use Art. 83 VO (EG) 726/ 2004 Zulassung von Kinderarzneimitteln VO (EG) 1901/ 2006 Zulassung von AM für neuartige Therapien VO (EG) 1394/ 2007 Anerkennung als Orphan Drug vor der Zulassung VO (EG) 141/ 2000 <?page no="271"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 271 ausgeschlossen sind. Im Anhang genannt sind beispielsweise Arzneimittel zur Behandlung von Krebs und Diabetes, wenn der (neue) Wirkstoff im Mai 2004, als die Verordnung in Kraft trat, noch nicht genehmigt war. Optional ist das zentralisierte Verfahren für Arzneimittel mit einem neuen Wirkstoff, wenn der pharmazeutische Unternehmer nachweist, dass das Arzneimittel eine bedeutende Innovation in therapeutischer, wissenschaftlicher oder technischer Hinsicht darstellt, oder dass die europaweite Zulassung im Interesse der Patienten ist (Art. 3 Abs. 2 VO (EG) 726/ 2004), oder ein Generikum oder Biosimilar, dessen Referenzarzneimittel zentral zugelassen worden ist (Art. 3 Abs. 3 VO (EG) 726/ 2004). Die Entscheidung über die Zulassung trifft die Kommission der EU (Art. 10 VO (EG) 726/ 2004). Sie wird vorbereitet durch die Europäische Arzneimittelagentur (European Medicines Agency, EMA). Bei dieser muss der pharmazeutische Unternehmer seinen Antrag auf Zulassung des Arzneimittels stellen (Art. 4 Abs. 1 VO (EG) 726/ 2004). Seinem Antrag muss der Unternehmer die in Art. 6 VO (EG) 726/ 2004 festgelegten Unterlagen der präklinischen und klinischen Erforschung des Wirkstoffs beifügen. Während des zentralisierten Verfahrens werden die Wirksamkeit, pharmazeutische Qualität und Unbedenklichkeit des Arzneimittels geprüft. Den Maßstab der Beurteilung bildet der jeweils aktuelle medizinische Standard, der von den maßgeblichen wissenschaftlichen Gesellschaften und Ausschüssen der Fachrichtung, zu der das Arzneimittel gehört, bestimmt wird. Die Begutachtung, ob das Arzneimittel die Anforderung an Wirksamkeit, Qualität und Sicherheit erfüllt, obliegt dem Ausschuss für Humanarzneimittel (Committee for Human Medicinal Products, CHMP), der Teil der Agentur ist. In diesem Ausschuss sind alle EU-Mitgliedstaaten sowie die EWR-Staaten Island, Liechtenstein, Norwegen durch ein Mitglied vertreten (Art. 61 VO (EG) 726/ 2004). In seinem Gutachten empfiehlt der Ausschuss die Erteilung oder Versagung der Zulassung. Die endgültige Entscheidung trifft die Kommission, die an die Empfehlung des Ausschusses für Humanarzneimittel nicht gebunden ist. Die Zulassung wird gem. Art. 12 VO (EG) 726/ 2004 versagt, wenn die Qualität, die Sicherheit oder die Wirksamkeit des Arzneimittels nicht angemessen oder ausreichend nachgewiesen ist, die vorgelegten Angaben und Unterlagen unrichtig sind, die vorgeschlagene Etikettierung und Packungsbeilage nicht den Art. 54-69 Richtlinie 2001/ 83/ EG entsprechen. Die im zentralisierten Verfahren erteilte Zulassung hat folgende Wirkungen: In der Bundesrepublik steht die Zulassung der nationalen Zulassung gleich (vgl. § 21 Abs. 1, § 37 Abs. 1 AMG). Das Arzneimittel kann in allen Mitgliedstaaten der EU und des EWR in den Verkehr gebracht werden (Art. 13 VO (EG) 726/ 2004). 421 Es ist eine produktbe- 421 Zugelassene Arzneimittel unter: http: / / www.eudrapharm.eu/ eudrapharm/ searchbykeyword.do (Abruf am 20.7.2018). <?page no="272"?> 272 Recht im Gesundheitswesen zogene Zulassung, so dass diese auf einen anderen Unternehmer übertragen werden kann. Die Zulassung ist grundsätzlich auf 5 Jahre befristet; die Verlängerung der Zulassung erfolgt grundsätzlich unbefristet (Art. 14 Abs. 1, 3 VO (EG) 726/ 2004). Das Arzneimittel ist in allen Mitgliedstaaten mit einer einheitlichen Bezeichnung in den Verkehr zu bringen (Art. 6 Abs. 1 S. 3, Art. 9 Abs. 4, Art. 10 Abs. 1, 2 VO (EG) 726/ 2004 i. V. m. Art. 54-69 RL 2001/ 83/ EG). Das Arzneimittel hat in allen Mitgliedstaaten einen einheitlichen Verschreibungsstatus (Art. 9 Abs. 4, Art. 10 Abs. 1, 2 VO (EG) 726/ 2004 i. V. m. Art. 70-75 RL 2001/ 83/ EG). Wenn das genehmigte Arzneimittel nicht innerhalb von drei Jahren nach Erteilung der Genehmigung nicht in den Verkehr gebracht wird oder es sich in drei aufeinanderfolgenden Jahren nicht auf dem Markt befindet, wird die Genehmigung ungültig (Art. 14 Abs. 4, 5 VO 724/ 2004). Ferner kann die Zulassung unter bestimmten Umständen ausgesetzt oder aufgehoben werden, vgl. dazu Abschnitt 2.9.12. 2.9.7 Das europäisches Verfahren der gegenseitigen Anerkennung und das dezentralisierte Zulassungsverfahren Diese beiden Verfahren zielen darauf ab, dass der pharmazeutische Unternehmer in mehreren oder allen Mitgliedstaaten der EU und des EWR abgestimmte Genehmigungen zum Inverkehrbringen seines Arzneimittels bekommt. Zudem soll eine unnötige Doppelarbeit bei den Behörden der Mitgliedstaaten vermieden werden. Zentrale Rechtsvorschrift für diese beiden Verfahren ist die RL 2001/ 83/ EG. Das Verfahren der gegenseitigen Anerkennung (engl.: Mutual Recognition Procedure, MRP) knüpft daran an, dass der Unternehmer bereits in einem Mitgliedstaat über eine Zulassung seines Arzneimittels verfügt. Im Wege der Anerkennung sollen weitere Mitgliedstaaten diese Zulassung übernehmen, so dass der Unternehmer sein Arzneimittel in diesen Staaten ebenfalls in den Verkehr bringen kann. Das Wesen des dezentralisierten Verfahrens (engl.: Decentralised Procedure, DCP) besteht darin, dass der Unternehmer keine Zulassung in einem Mitgliedstaat der EU und des EWR innehat und eine solche in mehreren oder allen Mitgliedstaaten anstrebt. Die beiden Verfahren können allerdings nicht durchgeführt werden, wenn für das Arzneimittel das zentralisierte Verfahren zwingend vorgesehen ist (vgl. Abschnitt 2.9.6). Für die Durchführung der Verfahren muss der pharmazeutische Unternehmer seinen Sitz in einem der Mitgliedstaaten haben (Art. 8 Abs. 2 RL 2001/ 83/ EG). Die Antragstellung erfolgt bei allen Mitgliedstaaten, in denen eine Zulassung begehrt wird. Der Antrag sowie die nach Art. 8, 10, 10a, 10b, 10c und 11 RL 2001/ 83/ EG nötigen Unterlagen müssen überall inhaltlich identisch sein. Ferner muss der Unternehmer einen Referenzmitgliedstaat (engl.: reference member state, RMS) benennen, der den Beurteilungsbericht über das Arzneimittel erstellt und die Abstimmung mit den anderen Mitgliedstaaten, den sog. betroffenen Mitgliedstaaten (engl.: concerned member state, CMS), leitet. Im Verfahren der gegenseitigen Anerkennung ist der Mitgliedstaat Referenzmitgliedstaat, der die bereits bestehende Zulassung erteilt hat (vgl. Art. 28 Abs. 2 RL 2001/ 83/ EG). Im dezentralisierten <?page no="273"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 273 Verfahren wählt der Antragsteller einen der beteiligten Staaten als Referenzmitgliedstaat aus (Art. 28 Abs. 3 RL 2001/ 83/ EG). Der Referenzmitgliedstaat erstellt bzw. aktualisiert einen bestehenden Beurteilungsbericht und versendet diesen an die betroffenen Mitgliedstaaten. Über den Beurteilungsbericht, die Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels sowie die Etikettierung und die Packungsbeilage müssen sich alle beteiligten Staaten einigen. Kommt die Einigung zustande, wird das Verfahren abgeschlossen und der Antragsteller informiert (Art. 28 Abs. 4 RL 2001/ 83/ EG). Wenn ein Mitgliedstaat aus Gründen einer potenziellen schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Gesundheit der Zulassung des Arzneimittels nicht zustimmt, wird gem. Art. 29 RL 2001/ 83/ EG ein Einigungsverfahren in der Koordinierungsgruppe (engl.: Coordination Group for Mutual Recognition and Decentralised Procedures-Human) eingeleitet. Eine „potenzielle schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Gesundheit“ bedeutet, dass die Verwendung des Arzneimittels sehr wahrscheinlich schwerwiegende Folgen, wie z. B. lebensbedrohlicher Verlauf der Behandlung oder Gefahr einer schwerwiegenden Behinderung oder Invalidität oder eines Geburtsfehlers, hervorrufen kann. 422 In der Koordinierungsgruppe wirken alle Mitgliedstaaten durch einen Vertreter mit. Ziel des Einigungsverfahrens ist es, das Einvernehmen aller Mitgliedstaaten bzgl. des Zulassungsantrages herbeizuführen. Wenn Einigkeit hergestellt wird, so wird das Verfahren abgeschlossen und der Antragsteller informiert (Art. 29 Abs. 3 RL 2001/ 83/ EG). Wenn in der Koordinierungsgruppe keine Einigung erzielt werden kann, wird ein Schiedsverfahren vor dem Ausschuss für Humanarzneimittel durchgeführt (Art. 29 Abs. 4 RL 2001/ 83/ EG). Dieser Ausschuss, in dem ebenfalls alle Mitgliedstaaten vertreten sind, erstellt ein Gutachten bzgl. der Zulassung des Arzneimittels. Die dabei einzuhaltenden Verfahrensschritte, z. B. Fristen und Anhörung des Antragstellers, werden in Art. 32 RL 2001/ 83/ EG näher geregelt. Das Gutachten des Ausschusses wird der Kommission der EU übermittelt, die abschließend über die Erteilung oder Versagung der Zulassung entscheidet (Art. 33, 34 RL 2001/ 83/ EG). Das Verfahren der gegenseitigen Anerkennung und das dezentralisierte Verfahren führen nicht unmittelbar zu einer eigenständigen Zulassung, sondern zu abgestimmten nationalen Zulassungen in den einzelnen beteiligten Mitgliedstaaten. Die Umsetzung der zwischen den Mitgliedstaaten erzielten Einigung oder der Kommissionsentscheidung erfolgt in einer nationalen Phase durch die Behörden der beteiligten Mitgliedstaaten (Art. 28 Abs. 5 bzw. Art. 34 Abs. 3 RL 2001/ 83/ EG). Dazu mussten in der Vergangenheit die nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften in den Mitgliedstaaten an die Vorgaben der RL 2001/ 83/ EG angepasst werden. In Deutschland erfolgt die Umsetzung der abgestimmten Zulassung bzw. Versagung gem. § 25a Abs. 4, 5, § 25b AMG. Im Ergebnis bekommt der pharmazeutische Unternehmer für sein Arzneimittel - anders als im zentralisierten Verfahren - nicht eine einheitliche Entscheidung, sondern eine Vielzahl nationaler Entscheidungen. 422 Einzelheiten bestimmt die Leitlinie zur Definition einer potenziellen schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Gesundheit im Sinne von Artikel 29 Absätze 1 und 2 der Richtlinie 2001/ 83/ EG, ABl. 2006 C 133 S. 5. <?page no="274"?> 274 Recht im Gesundheitswesen 2.9.8 Zulassungsüberschreitender Einsatz von Arzneimitteln Der zulassungsüberschreitende Einsatz eines Arzneimittels (engl. Begriff off-label use) bedeutet, dass das Arzneimittel außerhalb des zugelassenen Anwendungsgebiets eingesetzt wird. ◉ Beispiel Das Arzneimittel Avastin ® mit dem Wirkstoff Bevacizumab ist für verschiedene Krebserkrankungen zugelassen und wird von Augenärzten zur Behandlung der feuchten altersbedingten Makuladegeneration (AMD) eingesetzt, ohne dass es dafür eine Zulassung besitzt. Dagegen ist das Arzneimittel Lucentis ® mit dem Wirkstoff Ranibizumab für das Anwendungsgebiet der feuchten AMD zugelassen; die Therapiekosten sind jedoch höher. Der zulassungsüberschreitende Einsatz entsteht durch die Weiterentwicklung der medizinischen Erkenntnisse. Ärzte gelangen auf der Suche nach weiteren Behandlungsmöglichkeiten zu dem Schluss, dass bestimmte Medikamente für die Indikationen eingesetzt werden können, für die sie nicht zugelassen sind. Die Änderung der Indikation eines Arzneimittels bedarf zwar gem. § 29 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 AMG einer Neuzulassung. Adressat dieser Regelung ist jedoch nicht der behandelnde Arzt, sondern der pharmazeutische Unternehmer. Der Arzt darf wegen seiner Therapiefreiheit ein Arzneimittel zulassungsüberschreitend einsetzen. In diesem Zusammenhang gilt sogar, dass das Unterlassen eines nach dem medizinischen Standard gebotenen zulassungsüberschreitenden Einsatzes einen Behandlungsfehler darstellen kann. ◉ Beispiel Krankenhausärzte setzten Arzneimittel mit dem Wirkstoff Aciclovir nicht rechtzeitig bei einem Kleinkind ein, bei dem der Verdacht einer durch Herpesviren vermittelten Gehirnentzündung bestand. Aciclovir war damals noch nicht für den Einsatz gegen Herpesviren zugelassen, aber gängige klinische Praxis. Ferner war die Wirksamkeit durch Studien belegt. Dem Kind, das eine Halbseitenlähmung davontrug, wurde Schadenersatz und Schmerzensgeld zugesprochen. 423 Der pharmazeutische Unternehmer darf jedoch, selbst wenn der zulassungsüberschreitende Einsatz zum medizinischen Standard gehört, dafür nicht werben. Nach § 3a HWG ist die Werbung für ein zulassungspflichtiges Arzneimittel unzulässig, wenn sich die Werbung auf Anwendungsgebiete bezieht, die von der Zulassung nicht erfasst sind. Ferner hat der zulassungsüberschreitende Einsatz eines Arzneimittels für den pharmazeutischen Unternehmer einen haftungsrechtlichen Aspekt. Wenn der Unternehmer einen solchen Einsatz durch sein Verhalten (z. B. durch eine entsprechende Erklärung, Beratung oder Duldung) als „bestimmungsgemäßen Gebrauch“ freigibt, unterliegt dieser Einsatz den Regelungen der Arzneimittelhaftung nach §§ 84 ff. AMG (siehe Abschnitt 2.9.13). 423 Vgl. OLG Köln, Urt. v. 30.05.1990, 27 U 169/ 89, NJW-RR 1991, 800 ff. <?page no="275"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 275 ◉ Beispiel Anlage VI der AM-RL des GBA, die die Verordnung von Arzneimitteln in der gesetzlichen Krankenversicherung regelt, enthält verschiedene Arzneimittel, die zur Behandlung bestimmter Erkrankungen zulassungsüberschreitend eingesetzt werden können. Die pharmazeutischen Unternehmer der Arzneimittel haben eine entsprechende Zustimmung erteilt und damit den zulassungsüberschreitenden Einsatz als bestimmungsgemäßen Gebrauch anerkannt. Unter bestimmten Voraussetzungen gehört der zulassungsüberschreitende Einsatz eines Arzneimittels zu den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (vgl. Abschnitt 2.9.15.2). 2.9.9 Herstellung von Arzneimitteln Gem. § 4 Abs. 14 AMG wird das Gewinnen, Anfertigen, Zubereiten, das Be- oder Verarbeiten, das Umfüllen einschließlich Abfüllen, Abpacken, Kennzeichnen und die Freigabe als Herstellen von Arzneimitteln verstanden. Es genügt, eine einzelne dieser aufgezählten Tätigkeit auszuüben, um Hersteller zu sein. ✎ Aufgabe Der Großhändler G importiert von Tschechien nach Deutschland diverse Fertigarzneimittel des Unternehmens U. Bei dem Import handelt es sich um einen sog. Reimport, bei dem in Deutschland zugelassene und exportierte Arzneimittel wieder nach Deutschland importiert werden. G versieht die Fertigarzneimittel mit deutschsprachigen Aufklebern und Packungsbeilagen (beides entsprechend den Anforderungen nach §§ 10, 11 AMG). Die Packungen haben eine Größe, die für die Abgabe an Endverbraucher handelsüblich ist. G hat jedoch vor, die Arzneimittel ausschließlich an Krankenhäuser zu verkaufen. Benötigt G eine Herstellungserlaubnis gem. § 13 AMG? Begründen Sie Ihre Entscheidung. Die Lösungen finden Sie im Web-Service. Neben der Notwendigkeit, das (Fertig-)Arzneimittel zuzulassen, um es in den Verkehr zu bringen, ist das Herstellen von Arzneimitteln unter bestimmten Voraussetzungen ebenfalls erlaubnispflichtig. Die Einzelheiten regelt § 13 AMG: Die unternehmerische Tätigkeit muss den o. g. Begriff des Herstellens von Arzneimitteln erfüllen. Ferner ist die Überführung eines Fertigarzneimittels in seine anwendungsfähige Form unmittelbar vor seiner Anwendung am Menschen (Rekonstitution) im Rahmen einer klinischen Prüfung eine erlaubnispflichtige Tätigkeit (Umkehrschluss aus § 13 Abs. 1a Nr. 4 AMG). Erlaubnispflichtig ist das Herstellen von Präsentations- oder Funktionsarzneimitteln (§ 2 Abs. 1 AMG), von Fiktivarzneimitteln (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 AMG), von Testsera (§ 4 Abs. 6 AMG) oder Testantigene (§ 4 Abs. 7 AMG). Ferner wird das Herstellen von Wirkstoffen, die tierischer oder mikrobieller Herkunft sind (z. B. <?page no="276"?> 276 Recht im Gesundheitswesen Wirkstoffe aus dem Speichel von Blutegeln) oder von Wirkstoffen, die auf gentechnischem Wege hergestellt werden, und alle Stoffe (inkl. Wirkstoffe) menschlicher Herkunft, die zur Arzneimittelherstellung bestimmt sind, von der Erlaubnispflicht erfasst. Dagegen sind die Gewebeprodukte, die der Erlaubnis nach § 20b und § 20c AMG unterliegen, nicht erfasst. Die Herstellung muss gewerbsmäßig oder berufsmäßig erfolgen. Beide Merkmale bedeuten inhaltlich, dass die Tätigkeit entgeltlich zur Erzielung von dauerhaften Einkünften ausgeübt wird. Die Erwähnung der berufsmäßigen Herstellung trägt dem Umstand Rechnung, dass die freien Berufe wie Ärzte und Apotheker kein Gewerbe ausüben. 424 Der Inhaber einer Apotheke benötigt keine Erlaubnis nach § 13 AMG, wenn er im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs Arzneimittel herstellt, es sei denn, es handelt sich um die in § 13 Abs. 2a AMG genannten Arzneimittel, z. B. Blutzubereitungen oder radioaktive Arzneimittel. Des Weiteren benötigt der Apotheker keine Erlaubnis für die Rekonstitution, das Umfüllen, Abpacken oder Kennzeichnen von Arzneimittel im Rahmen einer klinischen Studie. Ebenso wenig benötigt der Großhändler eine Herstellungserlaubnis für das Umfüllen, Abpacken oder Kennzeichnen von Arzneimitteln in unveränderter Form, es sei denn, es handelt sich um Packungen, die für den Verbraucher bestimmt sind, oder es handelt sich um die in § 13 Abs. 2a AMG genannten Arzneimittel, z. B. Blutzubereitungen oder radioaktive Arzneimittel. Für das Umfüllen von flüssigem Sauerstoff in mobile Kleinbehältnisse für einzelne Patienten in Krankenhäusern oder bei Ärzten benötigt der Großhändler ebenfalls keine Herstellungserlaubnis. Weitere Unternehmen, wie z. B. eine Krankenhausapotheke, sind unter bestimmten Voraussetzungen ebenfalls von der Herstellungserlaubnis befreit; vgl. dazu § 13 Abs. 2, 2b AMG. Wenn ein Unternehmer für seine Herstellung keine Erlaubnis nach § 13 AMG benötigt, so muss er dennoch seine Tätigkeit bei der zuständigen Behörde gem. § 67 AMG anzeigen. Die Behördenzuständigkeit ergibt sich aus dem Recht des jeweiligen Bundeslandes. Der Unternehmer hat auf die Erteilung der Herstellungserlaubnis einen Rechtsanspruch, wenn keiner der in § 14 AMG geregelten Versagungsgründe vorliegt. Die Erlaubnis ist insbesondere wegen folgender Gründe zu versagen: Fehlen einer sachkundigen Person (§ 14 Abs. 1 Nr. 1 AMG), Die sachkundige Person ist gem. § 19 AMG dafür verantwortlich, dass alle Chargen des Arzneimittels ordnungsgemäß hergestellt und geprüft werden. Sie muss entweder eine Approbation als Apotheker oder einen einschlägigen Hochschulabschluss gem. § 15 AMG haben und mindestens zwei Jahre auf dem Gebiet der qualitativen und quantitativen Analyse sowie sonstiger Qualitätsprüfungen von Arzneimitteln praktisch tätig gewesen sein. Die sachkundige Person hat auch eine Präsenzpflicht (§ 14 Abs. 1 Nr. 4 AMG). Für Abwesenheitszeiten muss ein Vertreter bestellt werden, der ebenfalls die geforderte Qualifikation hat. 424 Vgl. Rehmann, Arzneimittelgesetz Kommentar, § 13 Rn. 2. <?page no="277"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 277 Unzuverlässigkeit der sachkundigen Person oder des Antragstellers (§ 14 Abs. 1 Nr. 3 AMG), Unzuverlässig ist, wer nicht die Gewähr bietet, dass er seine Aufgaben und Verpflichtungen im Rahmen der Arzneimittelherstellung ordnungsgemäß wahrnehmen wird. 425 Insoweit muss die zuständige Behörde eine Prognoseentscheidung treffen, die sie auf relevante Vorkommnisse in der Vergangenheit (z. B. Straftaten) oder auf in der Person liegende Gründe stützt. Fehlende Eignung des Antragstellers, die Herstellung der Arzneimittel nach dem Stand der Wissenschaft und Technik zu gewährleisten (§ 14 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. a AMG), Der wissenschaftliche und technische Standard wird insbesondere durch die AMWHV, die GMP-Guidelines und die Arzneimittelprüfrichtlinien konkretisiert. Die Prüfung, ob der Standard eingehalten wird, erfolgt anhand der Herstellungs- und Kontrollmethoden, die der Antragsteller in seinen einzureichenden Unterlagen beschreiben muss. 426 Fehlen geeigneter Betriebsräume und Einrichtungen (§ 14 Abs. 1 Nr. 6 AMG). Die Räume müssen nach Art, Größe, Zahl, Ausrüstung und Reinheit für die beabsichtigte Herstellung so hergerichtet sein, dass jeder Umstand, der die Qualität des Arzneimittels beeinträchtigen kann, vermieden wird (§ 5 AMWHV). Wenn mit der Herstellung ein anderes Unternehmen beauftragt wird, so müssen auch dessen Räume den gesetzlichen Anforderungen genügen (§ 14 Abs. 4 AMG). Eine solche fremde Betriebsstätte muss ebenfalls in die Erlaubnis einbezogen werden. Vor der Erteilung der Erlaubnis führt die zuständige Behörde zur Prüfung der gesetzlichen Anforderungen eine Abnahmeinspektion gem. § 64 Abs. 3a AMG durch. Die Herstellungserlaubnis wird dem Antragsteller nicht pauschal für das Herstellen jeglicher Arzneimittel, sondern für eine bestimmte Betriebsstätte sowie für bestimmte Arzneimittel und deren Darreichungsformen erteilt (§ 16 AMG). Bei diesbezüglichen Änderungen - z. B. das Herstellen anderer Arzneimittel - muss der Unternehmer erneut eine Herstellungserlaubnis beantragen. Wenn nachträglich bekannt wird, dass einer der Versagungsgründe bei Erlaubniserteilung vorlag, oder wenn ein Versagungsgrund nachträglich eintritt, so muss die zuständige Behörde die Erlaubnis aufheben (§ 18 AMG). Die Anforderungen an den Herstellungsprozess von Arzneimitteln sowie die diesbezüglichen Pflichten des Herstellers sind in der Arzneimittel- und Wirkstoffherstellungsverordnung (AMWHV) bestimmt. Dazu gehören beispielsweise: Zur Gewährleistung der Guten Herstellungspraxis und der Qualität der Arzneimittel muss der Unternehmer ein angemessenes Qualitätsmanagement betreiben (§ 3 AMWHV). 425 Vgl. Heßhaus, Kommentar zum Medizinrecht, AMG § 14 Rn. 6. 426 Vgl. Rehmann, Arzneimittelgesetz Kommentar, § 14 Rn. 10. <?page no="278"?> 278 Recht im Gesundheitswesen Der Hersteller muss sachkundiges und angemessen qualifiziertes Personal in ausreichender Zahl beschäftigen und das Personal darf nur entsprechend seiner Ausbildung und seinen Kenntnissen eingesetzt werden (§ 4 AMWHV). Die Räume müssen nach Art, Größe, Zahl, Ausrüstung und Reinheit für die beabsichtigte Herstellung so hergerichtet sein, dass jeder Umstand, der die Qualität des Arzneimittels beeinträchtigen kann, vermieden wird (§ 5 AMWHV). Die Betriebsräume und ihre Ausrüstungen müssen regelmäßig gereinigt und ggf. desinfiziert oder sterilisiert werden. Die Einzelheiten sollen in einem schriftlichen Hygieneplan fixiert werden (§ 6 AMWHV). Es ist ein Dokumentationssystem für die jeweils durchgeführten Tätigkeiten zu unterhalten, um den Herstellungsprozess für jede Charge zurückverfolgen zu können (§ 10 AMWHV). Im Hinblick auf die Erfüllung seiner Pflichten unterliegt der pharmazeutische Unternehmer der staatlichen Aufsicht gem. §§ 64 ff. AMG. Die zuständige Behörde kann alle Maßnahmen treffen, die zur Beseitigung festgestellter Verstöße oder die zur Verhütung künftiger Verstöße notwendig sind (§ 69 AMG). ◉ Beispiel │ aufsichtsbehördliche Maßnahme Ein Pharmaunternehmen bezog Oxaliplatin in unsteriler Form von einem anderen Unternehmen. Oxaliplatin ist ein toxischer Wirkstoff aus der Gruppe der Zytostatika, der insbesondere zur Erstbehandlung von Dickdarm-/ Mastdarmkrebs verwendet wird. Das Pharmaunternehmen füllte den Wirkstoff (ohne entsprechende Herstellungserlaubnis) in sterilisierte Durchstechflaschen ab und lieferte die Durchstechflaschen nach Kennzeichnung in passenden Umkartons an pharmazeutische Händler und (Krankenhaus-)Apotheken. Wegen der fehlenden Herstellungserlaubnis untersagte die zuständige Behörde gem. § 69 Abs. 1. S. 1 Nr. 6 AMG dem Pharmaunternehmen die Herstellung und das Inverkehrbringen der Durchstechflaschen mit Oxaliplatin. Die Substanz musste zwar vor der Anwendung noch mit einer Glucoselösung gelöst und sterilisiert/ sterilfiltriert werden. Gleichwohl handelte es sich bereits bei dem vertriebenen Produkt um ein Funktionsarzneimittel, weil es pharmakologisch wirkte und in der Krebsbehandlung eingesetzt wurde. Zudem setzt der Arzneimittelbegriff nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 AMG nicht voraus, dass die Herstellung bereits vollständig abgeschlossen ist. Die Untersagungsverfügung wurde von den Gerichten als rechtmäßig angesehen. 427 2.9.10 Import von Arzneimitteln Unternehmen, die ihre Arzneimittel in Deutschland herstellen, benötigen, wie im vorherigen Abschnitt aufgezeigt, eine Herstellungserlaubnis. Eine Vielzahl von Arzneimitteln wird jedoch entweder in einem EU-/ EWR-Mitgliedstaat oder in einem Drittstaat hergestellt und nach Deutschland importiert. Nach § 73 AMG besteht ein grundsätzliches Verbringungsverbot, so dass der Import von Arzneimitteln nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist: 427 Vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 8.12.2011, 5 N 20.08, BeckRS 2012, 46705. <?page no="279"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 279 Abb. 49: Verbringungsverbot gem. § 73 AMG Import von zulassungs-, genehmigungs- oder registrierungspflichtigen Arzneimitteln, wenn … Belieferung eines pharmazeutischen Unternehmers, Großhändlers oder Apothekers aus EU-/ EWR-Staat (Vgl. im Einzelnen § 73 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AMG) Lieferung an Endverbraucher per Versandhandel aus EU-/ EWR-Staat, der dem deutschen Standard entspricht, (Vgl. im Einzelnen § 73 Abs. 1 S. 1 Nr. 1a AMG) Import aus Drittstaat, wenn Empfänger eine Einfuhrerlaubnis gem. § 72 AMG hat (Vgl. im Einzelnen § 73 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AMG) Ausnahme gem. § 73 Abs. 2 AMG (z. B. Arzneimittel gehört bei Einreise zum persönlichen Bedarf, § 73 Abs. 2 Nr. 6 AMG) alternatives Verhältnis zwischen den Tatbeständen Import von Fertigarzneimittel durch Apotheke im Einzelfall in geringer Menge zur Schließung einer Versorgungslücke gem. § 73 Abs. 3 AMG alternatives Verhältnis zwischen den Tatbeständen sie nicht zugelassen, genehmigt oder registriert und keine Fälschung sind, und … sie in BRD zugelassen, genehmigt, registriert sind oder davon freigestellt und keine Fälschung sind, und … <?page no="280"?> 280 Recht im Gesundheitswesen Der Unternehmer, der sein in einem Drittstaat, z. B. Indien, China, hergestelltes Arzneimittel nach Deutschland importieren möchte, benötigt eine Einfuhrerlaubnis gem. § 73 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AMG. Von dieser Regelung sind ebenfalls der Parallel- und Reimport erfasst. Parallelimport bedeutet, dass ein (Handels-)Unternehmen ein Arzneimittel im Drittstaat erwirbt und es neben - also parallel - zum pharmazeutischen Unternehmer nach Deutschland einführt. Das Geschäftsmodell des Parallelimporteurs beruht auf der Situation, dass der pharmazeutische Unternehmer sein Arzneimittel im Drittstaat und in Deutschland mit unterschiedlichen Preisen in den Verkehr gebracht hat. Reimport bedeutet, dass ein in Deutschland verkehrsfähiges Arzneimittel zunächst (z. B. vom Hersteller) exportiert und im Drittstaat in den Verkehr gebracht worden ist. Dort erwirbt es ein anderes (Handels-)Unternehmen, um das Arzneimittel nach Deutschland zurückzuführen und unter Ausnutzung der unterschiedlichen Arzneimittelpreise einen Gewinn zu generieren. Die Regelungen hinsichtlich der Einfuhrerlaubnis (behördliche Zuständigkeit, Versagungsgründe etc.) entsprechen in weiten Teilen denen der Herstellungserlaubnis, vgl. im Einzelnen § 72 AMG. Um eine Einfuhrerlaubnis zu erhalten, muss der Importeur ein Einfuhrzertifikat gem. § 72a AMG vorlegen, dass der europäische Standard bzgl. Herstellung und Qualität der Arzneimittel gewährleistet ist. Von der Einfuhrerlaubnis unberührt bleibt die ggf. ebenfalls notwendige Zulassung, um das Arzneimittel in Deutschland in den Verkehr zu bringen (siehe auch Abb. 46). Dieses Erfordernis muss auch der Parallelimporteur erfüllen. Auf eine in Deutschland geltende Zulassung, die ein anderer pharmazeutischer Unternehmer für das Arzneimittel innehat, kann er sich nicht berufen. Anders ist die Situation beim Reimport eines Fertigarzneimittels. Da dieses vor der Ausfuhr für den deutschen Markt bereits zugelassen war, bedarf es für seine Rückführung keiner erneuten Zulassung. Eine Einfuhrerlaubnis für ein in einem EU-/ EWR-Mitgliedstaat produzierten oder erworbenen Arzneimittel ist bei der Belieferung eines anderen pharmazeutischen Unternehmers, Großhändlers, Apothekers nicht notwendig. Hintergrund dafür ist, dass die Rechts- und Verwaltungsvorschriften innerhalb der EU bzw. des EWR insoweit angeglichen sind und in den anderen Mitgliedstaaten ebenfalls eine Herstellungserlaubnis wie in Deutschland notwendig ist (vgl. Art. 40 ff. RL 2001/ 83/ EG). Ebenso wie bei einer Einfuhr aus einem Drittstaat gilt jedoch, dass der Importeur ggf. über eine arzneimittelrechtliche Zulassung verfügen muss, um das Arzneimittel in Deutschland in den Verkehr zu bringen (vgl. Abb. 46). Für den Parallelimport aus einem EU-/ EWR-Mitgliedstaat genügt zur Erleichterung des europäischen Warenverkehrs die Durchführung eines vereinfachten Verfahrens, in dem nur die stoffliche Identität des in Deutschland bereits zugelassenen und des importierten Arzneimittels geprüft wird. 428 428 Vgl. EuGH, Urt. v. 20.5.1976, Rs 104/ 75, NJW 1976, 1575 f., EuGH, Urt. v. 1.7.1993, Rs. C-207/ 91, PharmR 1993, 294 ff. <?page no="281"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 281 2.9.11 Arzneimittelpreise Der Unternehmer, der ein Fertigarzneimittel in Deutschland in den Verkehr bringt, kann zwar den Preis für sein Produkt selbst bestimmen. Dennoch ist seine Preispolitik nicht unbegrenzt. Zum einen steht er in der Regel in einem Preiswettbewerb mit anderen pharmazeutischen Unternehmen. Zum anderen wird der Preis durch gesetzliche Vorgaben beeinflusst. Abb. 50: Beeinflussung der Arzneimittelpreise § 78 AMG und die AMPreisV zielen auf einen einheitlichen Apothekenabgabepreis für verschreibungspflichtige Arzneimittel ab, damit der Preiswettbewerb zwischen den Apotheken, der einer hochwertigen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung entgegenstehen könnte, vermieden wird. In diesem Sinne muss der Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers für apothekenpflichtige Fertigarzneimittel, die verschreibungspflichtig sind, einheitlich sein (§ 78 Abs. 3 S. 1 AMG). Zu diesem Abgabepreis kommen die Großhandelsspanne gem. § 2 AMPreisV (vgl. Abschnitt 2.10.2) sowie die Einzelhandelsspanne gem. § 3 AMPreisV (vgl. Abschnitt 2.11.1) hinzu. Für apothekenpflichtige, nicht verschreibungspflichtige Fertigarzneimittel, die zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung abgegeben werden, hat der pharmazeutische Unternehmer zum Zwecke der Abrechnung der Apotheken mit den Krankenkassen einen einheitlichen Abgabepreis anzugeben, von dem jedoch bei der Abgabe im Einzelfall abgewichen werden kann (§ 78 Abs. 3 S. 1 AMG). Die Groß- und Einzelhandelsspanne für diese Fertigarzneimittel richten sich nach der AMPreisV in der bis 31.12.2003 gültigen Fassung (vgl. § 129 Abs. 5a SGB V). Anders verhält es sich mit den nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, für die der Patient selbst aufkommen muss. Die Vereinbarung der Preise für diese Arz- Arzneimittelpreise Wettbewerb zwischen den Unternehmen Regulierung der Arzneimittelausgaben der Krankenkassen und Krankenversicherungen durch SGB V, § 78 AMG und AMRabG Preisregulierung durch § 78 AMG und AMPreisV <?page no="282"?> 282 Recht im Gesundheitswesen neimittel zwischen den verschiedenen Handelsstufen sowie zwischen dem Apotheker und dem Patienten ist nicht der arzneimittelrechtlichen Preisregulierung unterworfen. Ferner hält das SGB V verschiedene Mechanismen bereit, um die Arzneimittelausgaben der Krankenkassen zu begrenzen. Diese Regelungen gelten teilweise gem. § 78 AMG i. V. m. dem AMRabG auch zugunsten der Unternehmen der privaten Krankenversicherungen. Wenn für ein Arzneimittel gem. § 35 SGB V ein Festbetrag festgesetzt ist, zahlen die Krankenkassen nur diesen Festbetrag, auch wenn der Abgabepreis höher ist (vgl. Abschnitt 2.9.15.3). Die Versicherten müssen die Differenz zwischen Abgabepreis und Festbetrag zahlen. Diese Differenzzahlung beeinflusst das Nachfrageverhalten der Versicherten und somit den Absatz des betroffenen Arzneimittels. Deshalb beeinflussen die Festbeträge den (Preis-)Wettbewerb zwischen den Unternehmen und letztlich die Bestimmung der Abgabepreise durch die pharmazeutischen Unternehmer. Für Arzneimittel ohne Festbetrag regelt § 130a Abs. 3a SGB V ein sog. Preismoratorium. Wenn der pharmazeutische Unternehmer seinen Abgabepreis für ein Arzneimittel erhöht, muss er den Krankenkassen und gem. § 1 AMRabG den privaten Krankenversicherern einen Abschlag in Höhe des Betrages der Preiserhöhung gewähren. Diese Regelung war zunächst bis zum 31.12.2003 befristet. Mittlerweile ist sie bis zum 31.12.2022 verlängert worden. Für nicht festbetragsfähige Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen ist gesetzlich vorgesehen, dass der pharmazeutische Unternehmer und der GKV-Spitzenverband einen Erstattungsbetrag ab dem 13. Monat nach dem Inverkehrbringen des Arzneimittels vereinbart. Dieser Erstattungsbetrag kommt sowohl in der gesetzlichen als auch in der privaten Krankenversicherung zum Tragen (vgl. Abschnitt 2.9.15.3). Ferner muss der pharmazeutische Unternehmer Abschläge für Fertigarzneimittel, Impfstoffe und Generika gewähren, und zwar zugunsten der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung (Näheres im Abschnitt 2.9.15.3). Zwischen den Krankenkassen und pharmazeutischen Unternehmer können gem. § 130a Abs. 8 SGB V in sog. Rabattverträge weitere Rabatte vereinbart werden (vgl. Abschnitt 2.9.15.3). 2.9.12 Pharmakovigilanz Die Vorschriften zur Pharmakovigilanz zielen auf die Erfassung, Bewertung und Abwehr von Arzneimittelrisiken ab. Diese Risiken sind zwar bereits durch die klinische Prüfung vor der Zulassung des Arzneimittels erforscht worden. Gleichwohl dürfen die Grenzen der Studien - z. B. zeitliche Begrenzung, begrenzte Zahl der Probanden, definierte Probandengruppen anstelle der späteren „Durchschnittspatienten“ - nicht verkannt werden. Zudem treten durch die Weiterentwicklung der medizinischen Wissenschaft neue Erkenntnisse über die Arzneimittel zutage. Vor diesem Hintergrund ist es unerlässlich, die Arzneimittel auch nach ihrer Zulassung im Hinblick auf Wirksamkeit, Qualität und Sicherheit zu beobachten, zu bewerten und die notwendigen Maßnahmen zur Risikoreduzierung zu ergreifen. Für diese Aufgaben sind für die Unternehmen und staatlichen Behörden verschie- <?page no="283"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 283 dene Maßnahmen der Pharmakovigilanz gesetzlich statuiert, die in Grundzügen nachfolgend erläutert werden. 429 Für die im zentralisierten Verfahren der EU zugelassenen Arzneimittel gelten die Art. 21 ff. VO 726/ 2004. Für die Arzneimittel, die national oder im Wege des dezentralisierten Verfahrens oder des Verfahrens der gegenseitigen Anerkennung zugelassen worden sind, gelten weitestgehend die jeweiligen nationalen Vorschriften, die in der zurückliegenden Zeit an die Art. 101 ff. RL 2001/ 83/ EG anzupassen waren. Für Deutschland gelten die §§ 62 ff. AMG. Der Inhaber einer Arzneimittelzulassung ist zum Betreiben eines Pharmakovigilanz- Systems verpflichtet (Art. 21 Abs. 1 VO 726/ 2004, § 63b Abs. 1 AMG). Dieses System umfasst alle Tätigkeiten des pharmazeutischen Unternehmers, um die Sicherheit seiner Arzneimittel zu überwachen und seinen Pflichten im Gesamtsystem der Arzneimittelsicherheit nachzukommen. Dazu gehören beispielsweise die wissenschaftliche Auswertung aller Informationen über die einzelnen Arzneimittel sowie das Prüfen und Ergreifen aller Maßnahmen zur Risikominimierung und -verhinderung. Für das Einrichten und Führen des Pharmakovigilanz-System muss eine verantwortliche Person, ein Stufenplanbeauftragter (engl.: qualified person for pharmacovigilance) benannt werden. Der Stufenplanbeauftragte muss für die Aufgabe fachlich qualifiziert und zuverlässig sein (vgl. § 63a AMG, Art. 21 Abs. 1 VO 726/ 2004, Art. 104 Abs. 3 RL 2001/ 83/ EG). Eingebettet in das Pharmakovigilanz-System muss der pharmazeutische Unternehmer für jedes Arzneimittel ein Risikomanagementsystem betreiben. Mit diesem sollen arzneimittelbezogen potenzielle oder identifizierte Risiken gesammelt, dokumentiert und ausgewertet sowie notwendige Maßnahmen zur Risikoverhinderung und -minimierung geplant und ergriffen werden. Gem. Art. 28 Abs. 2 VO 726/ 2004 bzw. § 63d AMG hat der Inhaber der Arzneimittelzulassung regelmäßige aktualisierte Unbedenklichkeitsberichte (engl.: Periodic Safety Update Reports) zur Beurteilung des Nutzens und der Risiken eines Arzneimittels, zur wissenschaftlichen Bewertung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses sowie zum Umsatz- und Verschreibungsvolumen des Arzneimittels einzureichen. Die Berichte für ausschließlich national zugelassene Arzneimittel sind gem. § 63d Abs. 2 AMG elektronisch beim BfArM bzw. PEI einzureichen. Dieses prüft, ob sich das Nutzen-Risiko-Verhältnis des Arzneimittels verändert hat und entscheidet über notwendige Maßnahmen (§ 62 Abs. 5 Nr. 3, § 63d Abs. 5 AMG). Wenn das Arzneimittel in mehreren oder allen EU-/ EWR-Mitgliedstaaten zugelassen ist, sind die Unbedenklichkeitsberichte elektronisch an das von der EMA vorgehaltene Datenarchiv zu übermitteln (Art. 25a VO 726/ 2004, Art. 107b RL 2001/ 83/ EG). Die Berichte werden vom Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (engl.: Pharmacovigilance Risk Assessement Committee) beurteilt, wenn mindestens ein im zentralisierten Verfahren zugelassenes Arzneimittel betroffen ist. Andernfalls nimmt ein Mitgliedstaat, in der Regel der Referenzmitgliedstaat, die Beurteilung der Unbedenklichkeitsberichte vor. Wenn die Beurteilung des Ausschusses oder des Mitgliedstaates ergibt, dass die Arzneimit- 429 Ausführlicher in: Hobusch, Handbuch Gesundheitsrecht, S. 291-299. <?page no="284"?> 284 Recht im Gesundheitswesen telzulassung(en) geändert, ausgesetzt oder widerrufen werden muss bzw. müssen, wird darüber in einem Risikobewertungsverfahren gem. Art. 28 VO 726/ 2004 und Art. 107d bis 107g RL 2001/ 83/ EG entschieden, das weitestgehend dem nachfolgend beschriebenen Dringlichkeitsverfahren entspricht. Neben seinen Berichtspflichten hat der Inhaber der Arzneimittelzulassung alle in der EU und in Drittländern auftretende Verdachtsfälle von Nebenwirkungen, von denen er Kenntnis erlangt, zu erfassen (Art. 28 VO 726/ 2004, § 63c Abs. 1, 3 AMG). Die Verdachtsfälle von schwerwiegenden Nebenwirkungen sind innerhalb nach 15 Tagen Nebenwirkungen gelten als schwerwiegend, wenn sie tödlich oder lebensbedrohend sind, eine stationäre Behandlung oder Verlängerung einer stationären Behandlung erforderlich machen, zu bleibender oder schwerwiegender Behinderung, Invalidität, kongenitalen Anomalien oder Geburtsfehlern führen (Art. 1 Nr. 12 RL 2001/ 83/ EG, § 4 Abs. 13 AMG). und von nicht schwerwiegenden Nebenwirkungen innerhalb von 90 Tagen nach Bekanntwerden elektronisch an die EudraVigilance-Datenbank zu melden (§ 63c Abs. 2 AMG, Art. 24 VO 726/ 2004). Die Datenbank ist für die nationalen Behörden, EMA, Kommission sowie für den Zulassungsinhaber sowie eingeschränkt zur Wahrung des Datenschutzes auch für die Öffentlichkeit zugänglich (Art. 24 Abs. 2 VO 726/ 2004). Wenn sich aus den Verdachtsmeldungen oder anderen Informationen des Zulassungsinhabers oder anderer Akteure, wie z. B. Ärzten, Apothekern, Anzeichen für veränderte Risiken des zugelassenen Arzneimittels ergeben, so bestehen - abhängig vom Zulassungsstatus des Arzneimittels - verschiedene Verfahren zur Risikoprüfung und zur Festlegung von risikominimierenden und -verhindernden Maßnahmen: <?page no="285"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 285 Abb. 51: Verfahren zur Risikobewertung Das Dringlichkeitsverfahren wird von einem Mitgliedstaat oder der Kommission gem. Art. 107i Abs. 1, 1a RL 2001/ 83/ EG eingeleitet, wenn erwogen wird, die Arzneimittelzulassung auszusetzen oder zu widerrufen, ihre Verlängerung zu versagen oder die Abgabe eines Arzneimittels zu untersagen, oder der Mitgliedstaat oder die Kommission vom Inhaber der Arzneimittelzulassung darüber informiert wurde, dass der Inhaber aus Sicherheitsbedenken das Inverkehrbringen eines Arzneimittels unterbrochen hat oder beabsichtigt oder die Rücknahme der Zulassung veranlassen möchte oder keine Verlängerung der Genehmigung beantragt hat, oder es für notwendig befunden wird, eine neue Gegenanzeige aufzunehmen, die empfohlene Dosis zu verringern oder die Indikationen für ein Arzneimittel einzuschränken und dringender Handlungsbedarf besteht. Zentraler Akteur der Verfahren ist der Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz, der eine wissenschaftliche Bewertung des Arzneimittels vornimmt. Wenn ein zentralisiert zugelassenes Arzneimittel betroffen ist, gibt er eine begründete Empfehlung gegenüber dem Ausschuss für Humanarzneimittel ab. Dieser erstellt ein Gutachten darüber, ob und welche Maßnahme zu ergreifen ist. Die endgültige Entscheidung über die einzuleitende Maßnahme trifft anschließend die Europäische Kommission. Wenn kein zentralisiert zugelassenes Arzneimittel betroffen ist, erhält die Koordinierungsgruppe die Empfehlung des Ausschusses für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz. Die Koordinierungsgruppe entscheidet, ob und ggf. welche Maßnahme erforderlich ist. Einigen Stufenplanverfahren gemäß § 63 AMG Dringlichkeitsverfahren gemäß Art. 107i - 107k RL 2001/ 83/ EG oder Standardverfahren gem. Art. 31-34 RL 2001/ 83/ EG Verfahren gem. Art. 20 VO 726/ 2004 Zulassungsstatus ausschließlich in Deutschland zugelassenes Arzneimittel Zulassung des Arzneimittels im Wege des dezentralisierten Verfahrens oder des Verfahrens der gegenseitigen Anerkennung, ggf. inkl. zentralisierte Zulassung ausschließlich im zentralisierten Verfahren zugelassenes Arzneimittel <?page no="286"?> 286 Recht im Gesundheitswesen sich die in der Koordinierungsgruppe vertretenen Mitgliedstaaten, so wird der Beschluss den Mitgliedstaaten zur Umsetzung übermittelt. Andernfalls wird der mehrheitliche Standpunkt der Koordinierungsgruppe der Europäischen Kommission zur abschließenden Entscheidung vorgelegt. Das Standardverfahren kommt in den Fällen zum Tragen, in denen die Qualität, Wirksamkeit und Sicherheit von Arzneimitteln sowie die Interessen der Union betroffen sind, 430 aber keine der Gründe für die Einleitung des Dringlichkeitsverfahrens gem. Art. 107i Abs. 1, 1a RL 2001/ 83/ EG vorliegen. Das Standardverfahren kann im Unterschied zum Dringlichkeitsverfahren auch vom Zulassungsinhaber eingeleitet werden (Art. 31 Abs. 1 RL 2001/ 83/ EG). Die Verfahrensbeteiligten und der -ablauf entsprechen weitestgehend dem Dringlichkeitsverfahren, vgl. im Einzelnen Art. 31-34 RL 2001/ 83/ EG. Wenn risikominimierende oder -verhindernde Maßnahmen hinsichtlich eines ausschließlich zentral zugelassenen Arzneimittels notwendig erscheinen, kommt das Verfahren nach Art. 20 VO 726/ 2004 zum Tragen. Zur Einleitung entsprechender Maßnahmen unterrichtet der Mitgliedstaat den Ausschuss für Humanarzneimittel und die Kommission. Auf Anforderung der Kommission gibt der Ausschuss für Humanarzneimittel eine Stellungnahme unter Einbeziehung einer Empfehlung des Ausschusses für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz ab. Über die zu treffenden Maßnahmen entscheidet die Kommission. Auf deutscher Ebene wird über die notwendigen Maßnahmen infolge der Risikoveränderung im Rahmen des sog. Stufenplanverfahrens entschieden. Dieses Verfahren ist in § 63 AMG geregelt und in einer Verwaltungsvorschrift 431 konkretisiert. Wenn die über ein Arzneimittel vorliegenden Informationen (z. B. Nebenwirkungen, mangelhafte Kennzeichnung) auf die Möglichkeit einer Gefährdung der Gesundheit von Menschen hinweisen, tritt die zuständige Bundesoberbehörde mit dem pharmazeutischen Unternehmer in einen Informationsaustausch ein (sog. Gefahrenstufe I). Dieser endet mit der Einstellung des Verfahrens, wenn eine Gefährdung nicht festgestellt werden kann oder der Unternehmer eigenverantwortlich ausreichende Maßnahmen ergriffen hat. Wenn indes der Informationsaustausch oder die vorliegenden Informationen nicht nur die Möglichkeit, sondern den Verdacht einer Gefährdung der Gesundheit von Menschen offenbaren und der pharmazeutische Unternehmer selbst keine ausreichenden Maßnahmen ergriffen hat, wird das Verfahren der Gefahrenstufe II durchgeführt. Der Stufe II muss das Verfahren der Stufe I nicht vorangegangen sein. Wenn sich der Verdacht der Gesundheitsgefährdung erhärtet, werden die notwendigen Maßnahmen, beispielsweise Aufheben oder Ruhen der Zulassung gem. § 30 AMG durch Bundesoberbehörde oder 430 Siehe 3. Erwägungsgrund der RL 2012/ 26/ EU zur Änderung der RL 2001/ 83/ EG hinsichtlich der Pharmakovigilanz v. 25.10.2012, ABl. L 299 S. 1 431 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Beobachtung, Sammlung und Auswertung von Arzneimittelrisiken (Stufenplan) nach § 63 AMG v. 9.2.2005, http: / / www.verwaltungsvorschriften-iminternet.de/ bsvwvbund_09022005_111436241.htm (Abruf am 20.7.2018). <?page no="287"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 287 Rückruf oder Untersagung des Inverkehrbringens des Arzneimittels gem. § 69 AMG durch die zuständige Landesbehörde angeordnet. Unabhängig vom staatlichen Tätigwerden muss der pharmazeutische Unternehmer eigenverantwortlich alle notwendigen risikominimierenden und -verhindernden Maßnahmen treffen. Das kann im schlimmsten Fall bedeuten, dass er das Arzneimittel (auch ohne eine entsprechende staatliche Entscheidung) vom Markt nehmen muss. Hintergrund dafür ist, dass der Unternehmer trotz der staatlichen Zulassung des Arzneimittels, durch die er sein Arzneimittel in den Verkehr bringen kann, zivil- und strafrechtlich für sein Produkt verantwortlich ist (vgl. Art. 15 VO 726/ 2004, § 25 Abs. 10 AMG). 2.9.13 Arzneimittelhaftung Ende der 1950er/ Anfang der 1960er-Jahre kamen tausende Kinder mit Fehlbildungen der Gliedmaßen zur Welt. Die Fehlbildungen wurden mit der Einnahme des Schlafmittels Contergan (Wirkstoff Thalidomid) durch die Mütter in Verbindung gebracht. Dieser Contergan-Fall führte der Fachwelt und der Öffentlichkeit das Gefährdungspotenzial von Arzneimitteln deutlich vor Augen und offenbarte die Schwächen der bis dato geregelten Haftungstatbestände. Zur Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen hätten die Geschädigten den schwierigen Nachweis der Kausalität zwischen Einnahme des Schlafmittels und den Fehlbildungen sowie die Vorhersehbarkeit der Kausalität und des daraus resultierenden Verschuldens der verantwortlichen Personen des Herstellers nachweisen müssen. 432 Dieser Contergan-Fall führte schließlich in den 1970er-Jahren zur Gründung des Hilfswerks für behinderte Kinder 433 (jetzt: Conterganstiftung) sowie zur Einführung einer Gefährdungshaftung für Arzneimittel durch das AMNOG 434 . Die seinerzeit eingeführten und in der Folgezeit geänderten §§ 84-94a AMG regeln eine Gefährdungshaftung, d. h. eine verschuldensunabhängige Schadenersatzpflicht, des pharmazeutischen Unternehmers, der ein Arzneimittel in Verkehr gebracht hat. Nachfolgend sollen die Voraussetzungen und der Umfang der Schadenersatzpflicht näher betrachtet werden. ✎ Aufgabe Der Patient Herbert Herbst verklagt das Unternehmen BigMed GmbH auf Schmerzensgeld wegen einer erlittenen Hepatitis-C-Infektion (HCV- Infektion). Er leidet an einem kongenitalen Immundefekt (Hypogammaglobulinämie). Seit zehn Jahren wurde er alle 3 bis 4 Wochen mit dem arzneimittelrechtlich zugelassenen Immunglobulinpräparat E des Unternehmen BigMed GmbH intravenös substituiert, so auch im April des Vorjahres mit einem Präparat der Charge X. 432 Vgl. auch RegE des Gesetzes zur Errichtung einer nationalen Stiftung „Hilfswerk für das behinderte Kind“, BTag-Drucks. VI/ 926 S. 6. 433 Gesetz über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder“ v. 17.12.1971, BGBl. I S. 2018. 434 Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelrechts v. 24.8.1976, BGBl. I S. 2445. <?page no="288"?> 288 Recht im Gesundheitswesen Seine Blutwerte sind seit neun Jahren serologisch untersucht worden. Anlässlich einer Blut-untersuchung im Oktober des Vorjahres im Hygieneinstitut der Universität G. wurde eine chronische HCV-Infektion festgestellt. Herbert Herbst leidet unter verschiedenen Begleiterscheinungen der Infektion, wie z. B. Muskel- und Gelenkschmerz. Als Spätfolgen drohen ihm Leberzirrhose und Leberkrebs. Herbst lebt in einer langjährigen heterosexuellen Partnerschaft. Seine Partnerin ist nicht infiziert. Er ist nicht drogenabhängig und hat keine Tätowierungen. Er unterzog in den letzten Jahren keiner Akupunktur und hat auch kein Organ transplantiert bekommen. Der vom Gericht bestellte Sachverständige prüft die bei der BigMed GmbH noch vorhandenen Proben der Charge X und stellt fest, dass die Proben den Hepatitis-C-Virus enthalten. Die weitere Aufklärung des Sachverhaltes ergab, dass die Charge X des Präparates E unter Verwendung von Plasmaspenden hergestellt worden war, die von der BigMed GmbH fehlerhaft getestet worden waren. Kann Herbert Herbst auf der Grundlage der §§ 84, 87 AMG Schmerzensgeld von der BigMed GmbH verlangen? Begründen Sie Ihre Entscheidung. Die Lösungen finden Sie im Web-Service. Für die Haftung eines Unternehmers nach § 84 AMG müssen folgende sieben Voraussetzungen erfüllt sein: 435 Das in Rede stehende Arzneimittel muss in der BRD an den Verbraucher abgegeben worden und zum Gebrauch bei Menschen bestimmt sein. Die Gefährdungshaftung gilt nicht für Tierarzneimittel. Das in Rede stehende Arzneimittel ist zugelassen oder durch Verordnung von der Zulassung befreit (Arzneimittel mit Standardzulassung gem. § 36 AMG). Die Gefährdungshaftung gilt nicht für registrierte homöopathische oder traditionelle pflanzliche Arzneimittel. Es muss die Tötung eines Menschen oder eine nicht unerhebliche Verletzung des Körpers oder der Gesundheit des Menschen vorliegen, der das Arzneimittel eingenommen hat. Geschützt ist auch der Fötus, nicht dagegen eine andere sekundär geschädigte Person. Als Körperverletzung gilt die Verletzung der körperlichen Unversehrtheit. Die Störung der inneren Funktionen oder die Beeinträchtigung des körperlichen und psychischen Wohlbefindens gelten als Verletzung der Gesundheit. Mit dem Merkmal „nicht unerheblich“ sollen Bagatellfälle ausgegrenzt werden. Die Erheblichkeit ist im Einzelfall qualitativ und quantitativ zu bestimmen. Relevant sind insbesondere die Dauer des Leidens, das Maß der Erkrankung oder Behinderung, die Intensität der Schmerzen. 435 Vgl. im Einzelnen: Deutsch, Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 1899-1934. <?page no="289"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 289 Die Anwendung des Arzneimittels ist ursächlich für die Tötung oder Verletzung. Der Nachweis der Kausalität, der sich in der Praxis als schwierig erweisen kann, wird durch Vermutungen gem. § 84 Abs. 2 AMG erleichtert. Es muss ein Schaden eingetreten sein. Dabei werden der materielle Schaden, wie z. B. Heilungskosten, Vermögensnachteil durch Minderung oder Aufhebung der Erwerbsfähigkeit, sowie der immaterielle Schaden, wie z. B. Schmerzen, dauerhafte Behinderung, differenziert. Es muss eine zweite Kausalität gegeben sein, und zwar zwischen der Tötung bzw. Verletzung und dem Schaden. Es muss einer der beiden in § 84 Abs. 1 S. 2 AMG genannten Gefährdungstatbestände erfüllt sein. Ein Tatbestand (Nr. 2) setzt voraus, dass der Schaden infolge einer fehlerhaften, unklaren, missverständlichen, lückenhaften Kennzeichnung, Gebrauchs- oder Fachinformation eingetreten ist (vgl. zur Kennzeichnung Abschnitt 2.9.4). Der andere Tatbestand (Nr. 1) verlangt schädliche Wirkungen bei bestimmungsgemäßem Gebrauch des Arzneimittels, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft über das vertretbare Maß hinausgehen. Wissenschaftlich unvertretbar sind Neben- oder Wechselwirkungen, die eine Versagung der Zulassung gem. § 25 Abs. 2 Nr. 5 AMG begründet hätten, wenn sie zum Zeitpunkt der Zulassung bereits bekannt gewesen wären. Ferner müssen die schädlichen Wirkungen ihre Ursache in der Entwicklung (z. B. in Form einer ungenügende Arzneimittelprüfung) oder Herstellung haben (vgl. § 84 Abs. 3 AMG). Wenn alle genannten Voraussetzungen erfüllt sind, ist der pharmazeutische Unternehmer, der das Arzneimittel in Deutschland in den Verkehr gebracht hat, schadenersatzpflichtig. Den Umfang der Schadenersatzpflicht regeln die §§ 86-89 AMG: Bei einer Körper- oder Gesundheitsverletzung erstreckt sich der Schadenersatz auf die Kosten der Heilung, auf den Verdienstausfall sowie auf die Kosten zur Befriedigung von vermehrten Bedürfnisse des Geschädigten. Ferner kann der Geschädigte für die immateriellen Beeinträchtigungen (z. B. Schmerzen, chronische Folgeerkrankung) ein Schmerzensgeld gem. § 253 BGB verlangen. Im Fall der Tötung kommen die Beerdigungskosten sowie Unterhaltszahlungen an Personen, für die der Geschädigte unterhaltspflichtig gewesen wäre, hinzu. Der Umfang der Haftung ist auf einen Kapitalbetrag von 600.000 Euro oder auf einen jährlichen Rentenbetrag von 36.000 Euro pro Person begrenzt. Bei mehreren Geschädigten beträgt die Gesamtobergrenze 120 Millionen Euro als Kapitalbetrag bzw. 7,2 Millionen Euro als jährlicher Rentenbetrag. Bei Mitverschulden des Geschädigten, beispielsweise bei Ignorieren körperlicher Warnzeichen oder ärztlicher Ratschläge, wird die Entschädigung entsprechend vermindert (§ 85 AMG, § 254 BGB). Zu anderen Haftungstatbeständen stehen die §§ 84 ff. AMG in folgendem Verhältnis: Die Gefährdungshaftung nach dem AMG und die Verschuldenshaftung des pharmazeutischen Unternehmers nach dem BGB können nebeneinander geltend gemacht werden. Nach § 823 Abs. 1 BGB haftet jemand, wenn er schuldhaft und widerrechtlich einen anderen tötet oder dessen Körper oder Gesundheit verletzt. <?page no="290"?> 290 Recht im Gesundheitswesen Der Verschuldensnachweis wird sich zwar in der Praxis als schwierig erweisen. Dennoch kann es für den Geschädigten ein Bedürfnis geben - z. B. wenn der Schaden die oben genannten Höchstbeträge überschreitet - den Schadenersatz nach § 823 Abs. 1 BGB geltend zu machen. Dagegen wird die Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz sowie Gentechnikgesetz grundsätzlich durch die §§ 84 ff. AMG verdrängt (vgl. § 15 PHG, § 37 GenTG 436 ). Dies gilt jedoch nicht, wenn das Arzneimittel - wie z. B. ein registriertes homöopathisches Arzneimittel - von der Gefährdungshaftung des AMG nicht erfasst wird. 2.9.14 Bedeutung des Heilmittelwerbegesetzes Zum Schutz der gesundheitlichen Interessen der Verbraucher vor einer unsachlichen Beeinflussung, unterliegen Arzneimittel, Medizinprodukte, kosmetische Mittel, Gegenstände der Körperpflege und Behandlungsmaßnahmen, soweit sich die Werbeaussage auf die Erkennung, Beseitigung oder Linderung von Krankheiten, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden bezieht, sowie operative plastisch-chirurgische Eingriffe, soweit sich die Werbeaussage auf die Veränderung des menschlichen Körpers ohne medizinische Notwendigkeit bezieht, den Werbeverboten der §§ 3-13 HWG. Das HWG ist ein Spezialgesetz zum UWG, das auf einen unverfälschten Wettbewerb abzielt und den Schutz des Marktes und seiner Teilnehmer vor unlauteren geschäftlichen Handlungen regelt (vgl. § 1 UWG). Das UWG enthält ebenfalls verschiedene Verbotstatbestände, und zwar in den §§ 3- 7 UWG. Für die Anwendung der beiden Gesetze ist folgende Abgrenzung zu beachten: Das HWG gilt nur für die produktbezogene Werbung, also für die Werbung, die sich auf die o. g. Produkte und Dienstleistungen bezieht. Dagegen ist es nicht für die Unternehmenswerbung (ohne Produktbezug) anwendbar. Das UWG gilt sowohl für die produktbezogene als auch firmenbezogene Werbung. Die §§ 3-13 HWG (bitte lesen! ) enthalten folgende Ge- und Verbote für die produktbezogene Werbung: 436 Gentechnikgesetz i. d. F. d. Bek. v. 16.12.1993, BGBl. I S. 2066, z. g. d. G v. 17.7.2017, BGBl. I S. 2421. <?page no="291"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 291 Medizinprodukte Arzneimittel Krankenbehandlung Verbot der irreführenden Werbung gem. § 3 HWG Werbeverbot für den zulassungsüberschreitenden Einsatz gem. § 3a HWG Gebot von Pflichtangaben bei der Werbung gem. § 4 HWG Verbot von Werbung in der Packungsbeilage gem. § 4a Abs. 1 HWG Verbot der Werbung mit GKV- Verordnungsfähigkeit gem. § 4a Abs. 2 HWG Verbot der Bewerbung der Anwendungsgebiete der registrierten oder davon freigestellten homöopathischen Arzneimitteln gem. § 5 HWG Vorgaben für die Werbung mit Gutachten und wissenschaftlichen Veröffentlichungen (§ 6 HWG) Verbot der Werbung mit Werbegaben gem. § 7 HWG Verbot von Teleshopping gem. § 8 HWG Werbeverbot für eine Fernbehandlung gem. § 9 HWG Werbeverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel und Arzneimittel mit Abhängigkeitspotenzial gem. § 10 HWG verschiedene Werbeverbote gem. § 11 HWG Verbot der Werbung für bestimmte Krankheiten gem. § 12 HWG i. V. m. der Anlage des HWG Werbeverbot für Unternehmen mit Sitz außerhalb der EU und des EWR gem. § 13 HWG Tab. 18: Werbeverbote der §§ 3-13 HWG <?page no="292"?> 292 Recht im Gesundheitswesen Die Werbung für Arzneimittel, die gegen eines der vorgenannten Verbote verstößt, ist ein Rechtsbruch i. S. d. § 3a UWG. Rechtsbruch meint, dass gegen eine gesetzliche Vorschrift verstoßen worden ist, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln. Das HWG ist ein solches marktregelndes Gesetz. Da ein solcher Verstoß in der Regel auch geeignet ist, die Interessen von Verbrauchern, Mitbewerbern und sonstigen Marktteilnehmern spürbar zu beeinträchtigen (z. B. in Form von möglichen Umsatzeinbußen des Mitbewerbers), gilt die Werbung als unlauter. Die Unlauterkeit nach § 3a UWG bedeutet wiederum, dass die Handlung gem. § 3 Abs. 1 UWG unzulässig ist. ◉ Beispiel Ein Pharmaunternehmen bewarb das von ihm vertriebene verschreibungspflichtige Arzneimittel Amlodipin mit den Anwendungsgebieten Bluthochdruck und Angina pectoris. Die arzneimittelrechtliche Zulassung bezog sich zwar auf Bluthochdruck sowie auf die chronisch stabile Angina pectoris und vasospastische Angina pectoris, nicht jedoch auf die Behandlung von instabiler Angina pectoris. Da diese Einschränkung in der Werbung nicht deutlich wurde, stufte der BGH die Werbung als Verstoß gegen § 3, § 3a UWG i. V. m. § 3a HWG ein. 437 Wer eine unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt, kann auf Beseitigung und bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. Der Anspruch auf Unterlassung besteht auch dann, wenn eine derartige Zuwiderhandlung droht (§ 8 Abs. 1 UWG). Neben dem Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch können Schadenersatzansprüche gem. § 9 UWG und eine Gewinnabschöpfung gem. § 10 UWG geltend gemacht werden. Ferner drohen eine Geldbuße, wenn eine Ordnungswidrigkeit gem. § 15 HWG oder gem. § 20 UWG vorliegt, sowie eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe, wenn die unzulässige Werbung zugleich eine Straftat gem. § 14 HWG oder gem. §§ 16-19 UWG ist. 2.9.15 Arzneimittelversorgung der gesetzlich Versicherten und die Re c ht spos it ion de s ph armaze ut isc hen Un tern eh mer s in der gesetzlichen Krankenversicherung 2.9.15.1 Von der Versorgung erfasste zugelassene Arzneimittel Der gesetzlich versicherte Patient hat grundsätzlich einen Anspruch auf eine Versorgung mit allen in Deutschland zugelassenen Arzneimitteln (zur Zulassung vgl. Abschnitte 2.9.5 bis 2.9.7). Wenn die Zulassung (inhaltlich) aufgehoben oder nicht verlängert worden ist und nur noch aus verfahrensrechtlichen Gründen während des Gerichtsverfahren fortbesteht, in dem es um die arzneimittelrechtliche Zulassung geht, ist das Arzneimittel nicht mehr zulasten der Krankenkasse verordnungsfähig. Der Grund dafür ist, dass zur Qualität und Wirksamkeit eines Arzneimittels gem. § 2 Abs. 1, § 12 Abs. 1 SGB V grundsätzlich zuverlässige wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen vorhanden sein müssen, die den Erfolg der 437 Vgl. BGH, Urt. v. 13.03.2008, I ZR 95/ 05, GRUR 2008, 1014 ff. <?page no="293"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 293 Behandlung in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Anzahl von Behandlungsfällen belegen. Ein solcher Nachweis fehlt, wenn die Zulassung nur noch aus formalen Gründen fortbesteht. 438 Jedoch sind verschiedene zugelassene Arzneimittel keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung: Abb. 52: Von der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossene Arzneimittel Die gesetzlich Versicherten haben keinen Anspruch auf nicht apothekenpflichtige Arzneimittel (Umkehrschluss aus § 31 Abs. 1 S. 1 SGB V). Dies gilt grundsätzlich auch für apothekenpflichtige, aber nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel (§ 34 Abs. 1 S. 1 SGB V). Diese sind nur ausnahmsweise in zwei Konstellationen erstattungsfähig, und zwar zum einen für versicherte Kinder bis zum vollendeten 12. Lebensjahr und versicherte Jugendliche bis zum vollendeten 18. Lebensjahr mit Entwicklungsstörungen. Zum anderen kann ein nicht verschreibungspflichtiges Arzneimittel zulasten der Krankenkasse verschrieben werden, wenn es zum Therapiestandard der Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung gehört. Die diesbezüglichen Festlegungen trifft der GBA, vgl. dazu § 12 und Anlage I der AM-RL. 438 Vgl. BSG, Urt. v. 27.9.2005, B 1 KR 6/ 04 R, BeckRS 2005, 44077. Kraft AM-RL ausgeschlossene Arzneimittel § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossene Arzneimittel Arzneimittel, die nicht apothekenpflichtig sind § 31 Abs. 1 S. 1 SGB V apothekenpflichtige Arzneimittel, die nicht verschreibungspflichtig sind § 34 Abs. 1 S. 1-5 SGB V verschreibungspflichtige Arzneimittel für sog. geringfügige Erkrankungen § 34 Abs. 1 S. 6 SGB V empfängnisverhütende Mittel für Versicherte ab 20 Jahre § 24a SGB V Ausschluss von Arzneimitteln gem. § 2 Abs. 1, § 12 Abs. 1 SGB V sog. Lifestyle- Arzneimittel § 34 Abs. 1 S. 7 SGB V <?page no="294"?> 294 Recht im Gesundheitswesen ◉ Beispiel Acetylsalicylsäure (bis 300 mg/ Dosiseinheit) als Thrombozyten-Aggregationshemmer bei koronarer Herzkrankheit (gesichert durch Symptomatik und ergänzende nichtinvasive oder invasive Diagnostik) und in der Nachsorge von Herzinfarkt und Schlaganfall sowie nach arteriellen Eingriffen (vgl. Ziffer 2 Anlage I der AM-RL) Der pharmazeutische Unternehmer kann beim GBA gem. § 34 Abs. 6 SGB V einen Antrag stellen, dass sein nicht verschreibungspflichtiges Arzneimittel in die AM- RL aufgenommen wird. Darüber hinaus haben die gesetzlich Versicherten keinen Anspruch auf Arzneimittel, die durch die Arzneimittelrichtlinie des GBA ausgeschlossen worden sind. Gem. § 92 Abs. 1 S. 1 SGB V können Arzneimittel ausgeschlossen werden, die unzweckmäßig sind oder zu denen es eine andere, wirtschaftlichere Behandlungsmöglichkeit mit vergleichbarem diagnostischen oder therapeutischen Nutzen gibt. Entsprechende Ausschlüsse sind in § 16 und Anlage III der AM-RL geregelt. ◉ Beispiel Kurzwirksame Insulinanaloga (Insulin Aspart, Insulin Glulisin, Insulin Lispro) zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 sind grundsätzlich nicht verordnungsfähig, solange sie mit Mehrkosten im Vergleich zum kurzwirksamen Humaninsulin verbunden sind. Verordnungsfähig sind sie nur für bestimmte Patienten, z. B. bei Allergie gegen Humaninsulin (vgl. Ziffer 33 der Anlage III der AM-RL). Hinsichtlich derartiger Ausschlüsse steht dem betroffenen pharmazeutischen Unternehmer Rechtsschutz in Form einer Feststellungsklage zur Verfügung. 439 Ferner ist die früher als Verordnung erlassene Negativliste 440 , die Arzneimittel, wie z. B. Arnica, Beifuß, aus der Versorgung der gesetzlichen Krankenversicherung ausschließt, Bestandteil der AM-RL (vgl. § 15 AM-RL). Für die ausgeschlossenen Arzneimittel muss der gesetzlich versicherte Patient selbst aufkommen. Der Vertrags(zahn-)arzt darf diese Arzneimittel nicht zulasten der Krankenkasse verordnen; andernfalls droht ihm ein Wirtschaftlichkeitsprüfverfahren nach § 106 SGB V. 2.9.15.2 Zulassungsüberschreitender Einsatz von Arzneimitteln Unter bestimmten Voraussetzungen umfasst die Versorgung der Versicherten auch die Verordnung von zugelassenen Arzneimitteln in nicht zugelassenen Anwendungsgebieten; vgl. zum zulassungsüberschreitenden Einsatz obigen Abschnitt 2.9.8. Gem. § 35c Abs. 1 SGB V i. V. m. § 30 AM-RL ist ein zulassungsüberschreitender Einsatz möglich, wenn eine dafür eingesetzte Expertengruppe mit Zustimmung 439 Vgl. BSG, Urt. v. 31.5.2006, B 6 KA 13/ 05 R, BeckRS 2006, 43912. 440 Anlage 2 Nr. 2 bis 6 der Verordnung über unwirtschaftliche Arzneimittel in der gesetzlichen Krankenversicherung v. 21.2.1990, BGBl. I S. 301, zuletzt geändert durch Verordnung v. 9.12.2002, BGBl. I S. 4554. <?page no="295"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 295 des pharmazeutischen Unternehmers eine positive Bewertung zum Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Anwendung dieser Arzneimittel in den nicht zugelassenen Indikationen oder Indikationsbereichen als Empfehlung abgegeben hat und der GBA diese Empfehlung in die Arzneimittelrichtlinie übernommen hat. ◉ Beispiel Teil A der Anlage VI der AM-RL bestimmt, welche zugelassenen Arzneimittel unter welchen Voraussetzungen in nicht zugelassenen Anwendungsgebieten verordnun gsfä hig sind. Eine gegen tei li ge Aufstel lu ng, nä mlich vo n Wirkstoffen, die in zulassungsüberschreitenden Anwendungsgebieten nicht verordnungsfähig sind, enthält Teil B der Anlage VI der AM-RL. Im Rahmen von klinischen Studien können Versicherte ebenfalls Arzneimittel außerhalb des zugelassenen Anwendungsgebietes erhalten. Die diesbezüglichen Einzelheiten regelt § 35c Abs. 2 SGB V i. V. m. §§ 31-39 AM-RL. Darüber hinaus können Arzneimittel außerhalb ihrer Zulassung zu den alternativen Leistungen gehören, die ein Versicherter gem. § 2 Abs. 1a SGB V beanspruchen kann (vgl. zu den alternativen Leistungen Abschnitt 3.1.10). 2.9.15.3 Regulierung der Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelversorgung Arzneimittel unterliegen wie alle Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung dem Wirtschaftlichkeitsgebot gem. § 12 Abs. 1 SGB V. In diesem Sinne existieren neben dem Ausschluss von Arzneimitteln kraft Gesetzes oder Richtlinie weitere Regelungen zur Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelversorgung: Abb. 53: Regulierung der Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelversorgung Preismoratorium gem. § 130a Abs. 3a SGB V Rabattvertrag gem. § 130a Abs. 8 SGB V Generikaabschlag für patentfreie, wirkstoffgleiche Arzneimittel gem. § 130a Abs. 3b SGB V Herstellerabschlag für Fertigarzneimittel gem. § 130a Abs. 1 SGB V Festlegung von Festbeträgen für Arzneimittel gem. § 35 SGB V Ausschluss oder Einschränkung der Verordnung von Arzneimitteln durch Gesetz oder Richtlinie Erstattungsvereinbarung gem. § 130b SGB V Abschlag für Impfstoffe gem. § 130a Abs. 2 SGB V Regulierung der Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelversorgung <?page no="296"?> 296 Recht im Gesundheitswesen Festbeträge sind gem. § 35 Abs. 1 SGB V für drei verschiedene Arzneimittelgruppen vorgesehen: Die erste Gruppe bilden die Arzneimittel mit denselben Wirkstoffen, also das jeweilige Original und alle entsprechenden Generika. Eine weitere Gruppe bilden die Arzneimittel mit pharmakologisch-therapeutisch vergleichbaren Wirkstoffen. ◉ Beispiel Die Festbetragsgruppe der ACE-Hemmer (blutdrucksenkende Arzneimittel) umfasst beispielsweise die Wirkstoffe Benazepril, Captopril, Cilazapril und Enalapril. 441 Ferner sind Festbeträge für Arzneimittel mit unterschiedlichen Wirkstoffen möglich, die eine therapeutisch vergleichbare Wirkung haben. ◉ Beispiel Die Festbetragsgruppe Kombinationen von ACE-Hemmern mit Hydrochlorothiazid umfasst beispielsweise die Kombinationen von Benazepril, Captopril, Cilazapril und Enalapril jeweils mit Hydrochlorothiazid. 442 Arzneimittel mit patentgeschützten Wirkstoffen, die neuartig sind, werden in die Festbetragsgruppen nicht einbezogen (§ 35 Abs. 1 S. 6 SGB V). Unter Neuartigkeit versteht das Gesetz den Zeitraum, in dem der Wirkstoff, der als erster dieser Gruppe in Verkehr gebracht worden ist, unter Patentschutz steht. Durch diese Regelung werden patentgeschützte Arzneimittel, die nur einen geringen Unterschied zu einem anderen Arzneimittel haben (sog. Analogpräparate) der Bildung von Festbeträgen unterworfen, sobald der Zeitraum der Neuartigkeit abgelaufen ist. ◉ Beispiel Der GBA beschloss 2004 die Festbetragsgruppe HMG-CoA-Reduktasehemmer mit den Wirkstoffen Atorvastatin, Fluvastatin, Lovastatin, Pravastatin, Simvastatin. 443 Lovastatin war ab 2003 patentfrei, währenddessen z. B. Atorvastatin noch bis 2011 patentgeschützt war. Ferner werden Arzneimittel mit patentgeschützten Wirkstoffen, die eine therapeutische Verbesserung darstellen, nicht in die Festbetragsgruppen einbezogen (§ 35 Abs. 1 S. 6 SGB V). Eine therapeutische Verbesserung bedeutet, dass das Arzneimittel einen therapierelevanten höheren Nutzen als andere Arzneimittel dieser Wirkstoffgruppe hat und deshalb als zweckmäßige Therapie regelmäßig oder auch für relevante Patientengruppen oder Indikationsbereiche den anderen 441 Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der Arzneimittel-Richtlinie (AM- RL): Anlage IX - Festbetragsgruppenbildung ACE-Hemmer, Gruppe 1, in Stufe 2 nach § 35 Absatz 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) v. 24.11.2016, BAnz AT 19.1.2017 B4. 442 Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der Arzneimittel-Richtlinie (AM- RL): Anlage IX - Festbetragsgruppenbildung Kombinationen von ACE-Hemmern mit Hydrochlorothiazid, Gruppe 1, in Stufe 3 nach § 35 Absatz 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) v. 24.11.2016, BAnz AT 19.1.2017 B5. 443 Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der Anlage 2 der Richtlinien über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Arzneimittel-Richtlinien/ AMR) v. 20.7.2004, BAnz. Nr. 182 (S. 21 086) v. 25.9.2004. <?page no="297"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 297 Arzneimitteln dieser Gruppe vorzuziehen ist (§ 35 Abs. 1b SGB V). Anders verhält es sich bei Arzneimitteln ohne therapeutische Verbesserung. Sie werden in die Festbetragsgruppe der pharmakologisch-therapeutisch vergleichbaren Arzneimitteln eingeordnet (§ 35a Abs. 1 S. 4, Abs. 4 SGB V). Währenddessen der GBA über die Einstufung von Arzneimitteln in die Festbetragsgruppen entscheidet, legt der GKV-Spitzenverband die konkrete Höhe des jeweiligen Festbetrages fest (§ 35 Abs. 3 SGB V). Gegen die Festsetzung der Festbeträge kann der pharmazeutische Unternehmer Klage erheben (§ 35 Abs. 7 S. 2-4 SGB V). ◉ Beispiel Der GBA beschloss auf der Stufe der Wirkstoffe mit pharmakologischtherapeutisch vergleichbarer Wirkung eine Festbetragsgruppe Antipsychotika mit den Wirkstoffen Risperidon und Paliperidon. Der GKV-Spitzenverband bestimmte 50,43 Euro als Festbetrag. Ein pharmazeutischer Unternehmer, der Arzneimittel mit den Wirkstoffen vertrieb, klagte gegen die Festbetragsfestsetzung für Paliperidon. Das LSG Berlin-Brandenburg stufte die Festbetragsfestsetzung als rechtswidrig ein, weil die Wirkstoffe nicht vergleichbar seien. Zum einen sei Paliperidon nicht nur zur Behandlung der Schizophrenie, sondern auch zur Behandlung von psychotischen oder manischen Symptomen zugelassen. Zum anderen habe dieses Arzneimittel therapeutische Vorteile bei der Behandlung von Patienten mit Nierenfunktionsstörungen. 444 Wenn für ein Arzneimittel ein Festbetrag bestimmt ist, zahlt die Krankenkasse nur den Festbetrag abzgl. der vom volljährigen Versicherten gem. § 61 SGB V zu tragenden Zuzahlung (§ 31 Abs. 2 S. 1 SGB V). Wenn der Arzneimittelabgabepreis ohne Mehrwertsteuer mindestens um 30 % unter dem jeweils gültige Festbetrag liegt, kann der GKV-Spitzenverband die Versicherten von der Zuzahlung freistellen (§ 31 Abs. 3 SGB V). 445 Dadurch sollen die Versicherten motiviert werden, möglichst preisgünstige Arzneimittel zu erwerben. Wenn der Arzneimittelabgabepreis höher als der Festbetrag ist, muss der Versicherte neben der Zuzahlung die Differenz zwischen dem Abgabepreis und dem Festbetrag zahlen. Auf diese Mehrkosten hat der Arzt den Versicherten bei seiner Verordnung hinzuweisen (§ 73 Abs. 5 S. 3 SGB V). Für Arzneimittel, die keinem Festbetrag unterliegen, ist in § 130a Abs. 3a SGB V ein sog. Preismoratorium geregelt: Wenn der pharmazeutische Unternehmer seinen Abgabepreis für ein Arzneimittel erhöht, muss er den Krankenkassen einen Abschlag in Höhe des Betrages der Preiserhöhung gewähren. Diese Regelung war zunächst bis zum 31.12.2003 befristet. Mittlerweile ist sie bis zum 31.12.2022 verlängert worden. Das Preismoratorium wirkt ebenfalls zugunsten der privaten Krankenversicherer (vgl. § 1 AMRabG). 444 Vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 22.6.2012, L 1 KR 296/ 09 KL, NZS 2012, 940 ff. 445 Vgl. Veröffentlichung der zuzahlungsbefreiten Arzneimittel unter https: / / www.gkvspitzenverband.de/ krankenversicherung/ arzneimittel/ zuzahlungsbefreiung/ zuzahlungsbefreiung.jsp (Abruf am 20.7.2018). <?page no="298"?> 298 Recht im Gesundheitswesen Für nicht festbetragsfähige Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen kann der pharmazeutische Unternehmer den von ihm festgelegten Abgabepreis in den ersten zwölf Monaten nach dem Inverkehrbringen verlangen. Für die anschließende Zeit wird zwischen ihm und dem GKV-Spitzenverband im Benehmen mit dem Verband der privaten Krankenversicherung eine Vereinbarung gem. § 130b SGB V über die von den Krankenkassen zu leistende Zahlung getroffen. Ein Wirkstoff gilt in diesem Zusammenhang als neu 446 , wenn seine Wirkung zum Zeitpunkt der ersten (deutschen oder europäischen) Arzneimittelzulassung wissenschaftlich nicht allgemein bekannt ist, und er gilt solange als neu wie der Unterlagenschutz besteht (vgl. zum Unterlagenschutz Abschnitt 2.9.5). Der Vereinbarung geht eine Nutzenbewertung gem. § 35a SGB V durch den GBA voraus. Bei der Nutzenbewertung handelt es sich um eine wissenschaftliche Begutachtung des therapeutisch relevanten (Zusatz-)Nutzens des Arzneimittels gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie. Vom Ergebnis dieser Bewertung hängt letztlich die Bemessung des zu vereinbarenden Erstattungsbetrages ab. Der Erstattungsbetrag ist ein Rabatt des Unternehmers auf den von ihm festgelegten Abgabepreis. Diesen Rabatt muss der Unternehmer ab dem 13. Monat nach dem Inverkehrbringen des Arzneimittels sowohl gegenüber den Krankenkassen (§ 130b Abs. 1 S. 1 SGB V) als auch gegenüber allen anderen Personen, z. B. gegenüber privat versicherten Personen, (§ 78 Abs. 3a AMG, § 1a AMRabG) einräumen. Der Erstattungsbetrag ermittelt sich auf folgender Grundlage: Wenn die Nutzenbewertung einen geringen, beträchtlichen oder erheblichen Zusatznutzen des Arzneimittels ergibt, wird abhängig vom Ausmaß des Zusatznutzens ein Zuschlag auf die Jahrestherapiekosten der zweckmäßigen Vergleichstherapie unter Berücksichtigung sonstiger Kriterien, wie z. B. Abgabepreis in anderen europäischen Ländern, vereinbart (§ 5 Abs. 2 Rahmenvereinbarung 447 ). Wenn kein Zusatznutzen festgestellt wird, bilden die Jahrestherapiekosten der Vergleichstherapie die Grundlage für den zu vereinbarenden Erstattungsbetrages (§ 5 Abs. 1 Rahmenvereinbarung). Wenn der Nutzen des Arzneimittels geringer als der Nutzen der zweckmäßigen Vergleichstherapie ist, wird der Erstattungsbetrag auf der Grundlage eines Abschlages auf die Jahrestherapiekosten der zweckmäßigen Vergleichstherapie vereinbart (§ 5 Abs. 3 Rahmenvereinbarung). Wenn keine Einigung zwischen dem GKV-Spitzenverband und dem pharmazeutischen Unternehmer zustande kommt, wird der Vertragsinhalt von einer Schiedsstelle festgelegt (§ 130b Abs. 4 bis 6 SGB V). 446 Vgl. § 2 Abs. 1 Arzneimittel-Nutzenbewertungsverordnung v. 28.12.2010, BGBl. I S. 2324, z. g. d. G v. 4.5.2017, BGBl. I S. 1050. 447 Rahmenvereinbarung nach § 130b Abs. 9 SGB V zwischen dem GKV-Spitzenverband und dem Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller e. V., dem Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e. V., dem Pro Generika e. V., dem Verband Forschender Arzneimittelhersteller e. V., https: / / www.gkvspitzenverband.de/ krankenversicherung/ arzneimittel/ rahmenvertraege/ rahmenvertraege.jsp (Abruf am 20.7.2018). <?page no="299"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 299 Ferner müssen die pharmazeutischen Unternehmen verschiedene Abschläge zugunsten der Krankenkassen (und zugunsten der privaten Krankenversicherer gem. § 1 AMRabG) gewähren: Für Fertigarzneimittel, für die kein Festbetrag festgesetzt ist, müssen die Unternehmen gem. § 130a Abs. 1 SGB V einen siebenprozentigen Abschlag auf ihren Abgabepreis gewähren (sog. Herstellerabschlag). Für Impfstoffe, die im Rahmen von Schutzimpfungen zulasten der Krankenkassen abgegeben worden sind, erhalten die Krankenkassen gem. § 130a Abs. 2 SGB V einen Abschlag in Höhe der Differenz zu dem geringeren durchschnittlichen Abgabepreis in vier Mitgliedstaaten der EU, deren Bruttonationaleinkommen dem von Deutschland am nächsten kommt. Für patentfreie, wirkstoffgleiche Arzneimittel, die zulasten der Krankenkassen abgegeben werden, müssen die Hersteller den Krankenkassen einen sog. Generikaabschlag gewähren. Wenn das Arzneimittel einer Festbetragsgruppe angehört, beträgt der Abschlag 10 %, ohne Festbetragsfestsetzung 16 % (vgl. § 130a Abs. 1 S. 2, Abs. 3, 3b SGB V). Weitere Rabatte können zwischen den Krankenkassen und pharmazeutischem Unternehmer gem. § 130a Abs. 8 SGB V vereinbart werden (sog. Rabattverträge). Auf der Grundlage eines solchen Vertrages zahlt der Unternehmer unmittelbar an die Krankenkasse den ausgehandelten Rabatt als Gegenleistung für die bevorzugte Abgabe seines Arzneimittels an die Versicherten der Krankenkasse gem. § 129 Abs. 1 S. 3 SGB V. ❋ Wichtige Schlagwörter ❋ Arzneimittel ❋ Defekturarzneimittel ❋ Fertigarzneimittel ❋ Funktionsarzneimittel ❋ Generikum ❋ Herstellen von Arzneimitteln ❋ Inverkehrbringen ❋ Klinische Prüfung ❋ Klinische Studie ❋ Nebenwirkung ❋ Pharmakovigilanzsystem ❋ Pharmazeutischer Unternehmer ❋ Präsentationsarzneimittel ❋ Rezepturarzneimittel ❋ Risikomanagementsystem ❋ Zulassung ❋ Zulassungsüberschreitender Einsatz <?page no="300"?> 300 Recht im Gesundheitswesen ✎ Wiederholungsaufgaben [1] Stellen Sie sich vor, Sie sind Geschäftsführer/ in eines Unternehmens, das ein Gasgemisch aus Stickstoffmonoxid (mit einer Konzentration von 2.000 ppm) und Stickstoff (als Trägergas) herstellt. Dieses ist als „technisches Gasgemisch“ deklariert und wird in 10- und 50-Liter- Stahlbehältern (jeweils mit einem Druck von 150 bar) abgegeben. Bei Verwendung des mitgelieferten Dosierungsgeräts und unter Verdünnung mit medizinischer Luft/ medizinischem Sauerstoff kann das Gasgemisch zur Therapie von Patienten, z. B. zur Behandlung von Neugeborenen bei Lungenversagen einhergehend mit Bluthochdruck in den Lungen, eingesetzt werden. Das Gasgemisch dient der Verbesserung der Sauerstoffkonzentration in den Lungen, da das Stickstoffmonoxid zur Entspannung der Muskelzellen in den Wänden der Blutgefäße führt, so dass mehr Blut mit Sauerstoff in die Lunge gelangen kann. Medizinische Luft/ medizinischer Sauerstoff wird dem Gasgemisch Ihres Unternehmens nur hinzugefügt, um die Konzentration des Gases auf eine nichttoxische, keimfreie und therapeutische Dosis von 5-8 ppm (parts per million) herabzusetzen. Bei dem Zufügen von Sauerstoff handelt es sich um eine sog. Rekonstitution (Überführen eines Produkts in eine anwendungsfähige Form, wie z. B. auch das Auflösen einer Brausetablette in Wasser.) Ihr Unternehmen liefert dieses Gasgemisch ausschließlich an Krankenhäuser und Krankenhausapotheken. Diese setzen es wie oben beschrieben ein. Für den Anschluss an die medizinischen Geräte des Krankenhauses wird ein Adapter mitgeliefert. Das Produkt kann auch für nichtmedizinische Zwecke, z. B. in Kraftwerken, verwendet werden. Produziert Ihr Unternehmen ein Arzneimittel? Begründen Sie Ihre Entscheidung. [2] Erläutern Sie die Ziele der einzelnen Stadien der klinischen Prüfung eines Arzneimittels. [3] Der Unternehmer X stellt ein Getränk, das Trockenextrakte der Ginkgo-biloba-Pflanze enthält, her und vertreibt es. Dieser aus China stammenden Pflanze werden - abhängig von der eingenommenen Menge - heilende Wirkungen zugeschrieben. Ginkgo-Extrakte werden z. B. bei der Behandlung der Symptome von hirnorganisch bedingten Leistungsstörungen, wie z. B. Gedächtnis- oder Konzentrationsstörungen, Schwindel oder Kopfschmerz eingesetzt. Eine pharmakologische Wirkung des Ginkgo-Extrakts wird ab einer Tagesdosis von 120 mg angenommen. Das Getränk von X besteht aus 0,03 % Ginkgo-Extrakt und im Übrigen aus Wasser, Traubenzucker und weitere Zutaten. X vertreibt das Getränk in 1-Liter-Flaschen, auf deren Rückenetikett sich die Angabe „Empfohlen werden täglich 0,5 Liter“ befindet. Das tägliche Produktionsvolumen des Unternehmens beträgt 12.000 Flaschen. Erörtern Sie, ob es sich bei dem beschriebenen Getränk um ein Fertigarzneimittel handelt, das gem. § 21 Abs. 1 S. 1 AMG zulassungspflichtig ist. Gehen Sie bei der Lösung von der Entsprechung 1,0 ml = 1,0 g aus. <?page no="301"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 301 [4] Die arzneimittelrechtliche Zulassung eines Fertigarzneimittels ist gem. § 25 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AMG zu versagen, wenn die therapeutische Wirksamkeit des Arzneimittels unzureichend begründet ist. Erläutern Sie diesen Versagungsgrund näher. [5] Der Hersteller eines Generikums möchte auf die Zulassungsunterlagen des Unternehmens U für das (Referenz-)Arzneimittel A Bezug nehmen. Wann ist ihm die Bezugnahme ohne Einverständnis des U möglich? Begründen Sie Ihre Antwort mit der einschlägigen Rechtsvorschrift. [6] Der Unternehmer U hat im Jahr 2018 einen neuen Wirkstoff entdeckt und ein Arzneimittel gegen Brustkrebs entwickelt, das er nunmehr in Deutschland auf den Markt bringen möchte. Erläutern Sie, welches Zulassungsverfahren in Betracht kommt. [7] Erläutern Sie die Beurteilungskriterien für die Zulassung eines Arzneimittels im zentralisierten Verfahren der Europäischen Union. [8] Erläutern Sie die Unterscheidung zwischen dem dezentralisierten Verfahren und dem Verfahren der gegenseitigen Anerkennung. [9] Erläutern Sie das Stufenplanverfahren nach § 63 AMG. [10] K begehrt Schmerzensgeld von dem pharmazeutischen Unternehmen M, das in Deutschland das Medikament V vertrieben hat. V wurde 1999 in Deutschland für die Behandlung von Symptomen bei Reizzuständen degenerativer Gelenkerkrankungen (Arthrosen) oder rheumatoider Arthritis (chronischer Polyarthritis) bei Erwachsenen zugelassen. In der Fachinformation und Packungsbeilage wurden u. a. folgende Nebenwirkungen genannt: Schmerzen im Brustkorb, Bluthochdruck, Schwindelgefühl, Atemnot, Magenblutung und verschiedene Hautreaktionen. 2004 nahm M das Antirheumatikum vom Markt, weil Studien ergeben hatten, dass das Medikament ab einer 18-monatigen Einnahmezeit die Risiken eines kardiovaskulären Ereignisses sowie eines Herz- und Schlaganfalls erhöhe. Das Antirheumatikum V, das K zwei Jahre eingenommen hatte, verursachte bei K erhöhten Blutdruck und erhebliche Brustschmerzen. Kann K das Unternehmen M gem. §§ 84, 87 AMG auf Zahlung eines Schmerzensgelds in Anspruch nehmen? Begründen Sie Ihre Entscheidung. [11] Erläutern Sie, unter welchen Voraussetzungen apothekenpflichtige, nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel zulasten der Krankenkassen verordnet werden dürfen. [12] Erläutern Sie die Bedeutung von Festbeträgen für Arzneimittel in der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Lösungen finden Sie im Web-Service. <?page no="302"?> 302 Recht im Gesundheitswesen Arzneimittelgroßhandel 2.10 Lernhinweis Die nachfolgenden Erläuterungen werden Sie besser verstehen, wenn Sie die angegebenen Paragrafen des Arzneimittelgesetzes (AMG) und der Arzneimittelhandelsverordnung (AM-HandelsV) 448 parallel zum Lehrbuch lesen. 2.10.1 Großhandelserlaubnis Der Großhandel mit Arzneimitteln ist gem. § 52a AMG erlaubnispflichtig. Was unter Arzneimittelgroßhandel zu verstehen ist, bestimmt § 4 Abs. 22 AMG: ❋ Wissen │ Großhandel mit Arzneimittel Großhandel mit Arzneimitteln ist jede berufs- oder gewerbsmäßige zum Zwecke des Handeltreibens ausgeübte Tätigkeit, die in der Beschaffung, der Lagerung, der Abgabe oder Ausfuhr von Arzneimitteln besteht, mit Ausnahme der Abgabe von Arzneimitteln an andere Verbraucher als Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte oder Krankenhäuser. Mit der Ausnahmeregelung im letzten Halbsatz wird klargestellt, dass die Abgabe an den privaten Endverbraucher nicht als Großhandel gilt. Eine solche Abgabe steht im Mittelpunkt des Arzneimitteleinzelhandels, vgl. dazu Abschnitt 2.11. ✎ Aufgaben Eine Schweizer Aktiengesellschaft S, die einen Arzneimittelgroßhandel in der Schweiz betreibt, plant folgendes Geschäftsmodell: Sie möchte von ihrem Firmensitz in der Schweiz aus Handel mit Unternehmen in der BRD und anderen Mitgliedstaaten der EU betreiben. Die jeweiligen Arzneimittel möchte S in einem Lager in der BRD, das dem deutschen Unternehmen X gehört, zwischenlagern. Dazu hat sie einen entsprechenden Vertrag mit X geschlossen, in dem sich X verpflichtet, als Auftragslagerhalter für S tätig zu werden. X selbst hat für seine Tätigkeit in der BRD eine Großhandelserlaubnis. S hat keine eigene Betriebsstätte innerhalb der EU. Benötigt die S eine Großhandelserlaubnis gem. § 52a AMG? Wenn ja, wird sie diese erhalten? Begründen Sie Ihre Antworten. Die Lösungen finden Sie im Web-Service. § 52a AMG hat zwei Regelungsbereiche. § 52 Abs. 1, 6, 7 AMG regelt, ob eine Erlaubnis notwendig ist. Abs. 4 regelt, ob die Erlaubnis erteilt wird. Die Notwendigkeit der Erlaubnis hängt von folgenden Voraussetzungen ab: 448 AM-HandelsV v. 10.11.1987, BGBl. I S. 2370, z. g. d. VO v. 2.7.2018, BGBl. I S. 1080. <?page no="303"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 303 Die unternehmerische Tätigkeit muss den o. g. Begriff des Großhandels mit Arzneimitteln erfüllen. Erlaubnispflichtig ist der Handel mit Präsentations- oder Funktionsarzneimitteln (§ 2 Abs. 1 AMG), mit Fiktivarzneimitteln (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 AMG), mit Testsera (§ 4 Abs. 6 AMG) oder Testantigene (§ 4 Abs. 7 AMG). Ausgenommen sind lediglich die Fertigarzneimittel, die nicht apothekenpflichtig sind, und Heilwässer sowie deren Salze in ihrem natürlichen Mischungsverhältnis (inkl. ihre Nachbildungen). Erläuterungen zum Arzneimittelbegriff finden Sie in dem Abschnitt 2.9.2. Wenn der Unternehmer bereits über eine Herstellungs- oder Einfuhrerlaubnis für seine Produkte verfügt, mit denen er handeln möchte, benötigt er keine gesonderte Großhandelserlaubnis (§ 52a Abs. 6 AMG). Erläuterungen zur Herstellungs- und Einfuhrerlaubnis finden Sie in den Abschnitten 2.9.9 und 2.9.10. Ferner benötigt der Apotheker keine Erlaubnis, wenn seine Großhandelstätigkeit den Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs nicht überschreitet (§ 52a Abs. 7 AMG). Zum üblichen Apothekenbetrieb gehören die Tätigkeiten, „die in Zusammenhang mit der Abgabe von Arzneimitteln an Verbraucher oder an andere Apotheken im Rahmen der gelegentlichen kollegialen Aushilfe stehen“. 449 Wenn die unternehmerische Tätigkeit erlaubnispflichtig ist, so muss der Unternehmer bei der zuständigen Behörde die Erlaubnis beantragen. Die zuständige Behörde ergibt sich aus dem Recht des Bundeslandes, in dem die Betriebsstätte liegt oder liegen soll (§ 52a Abs. 3 AMG). Bei Antragstellung muss der Unternehmer die in § 52a Abs. 2 AMG aufgezählten Unterlagen einreichen. Dazu gehören z. B. die Benennung der Betriebsstätte und der verantwortlichen Person, die die zur Ausübung der Tätigkeit erforderliche Sachkenntnis besitzt. Vor der Erteilung der Erlaubnis ist eine Inspektion der Betriebsstätte durch die zuständige Behörde vorgesehen. Sie muss sich davon überzeugen, ob die Voraussetzungen für die Erlaubnis vorliegen (§ 64 Abs. 3a S. 2 AMG). Wenn kein Versagungsgrund gem. § 52a Abs. 4 AMG vorliegt, muss die Behörde die Großhandelserlaubnis erteilen. Eine Versagung der Erlaubnis ist beispielsweise für den Fall vorgesehen, dass der antragstellende Unternehmer oder die benannte verantwortliche Person nicht zuverlässig sind. Zuverlässigkeit verlangt, dass die betreffende Person willens und fähig ist, ihre Tätigkeit unter Beachtung der rechtlichen Anforderungen ordnungsgemäß auszuüben. 450 Wenn kein Versagungsgrund vorliegt, hat der Unternehmer einen Rechtsanspruch auf die Erteilung der Erlaubnis. In einem solchen Fall hat die Behörde kein Ermessen für eine ablehnende Entscheidung aus anderen Gründen, z. B. weil der Unternehmer in Konkurrenz zu einem bereits in der Region ansässigen Großhändler tritt. 449 Dettling, Großhandel mit Arzneimitteln durch pharmazeutische Unternehmer, Großhändler und Apotheken, S. 32. 450 Vgl. Marcks, Landmann/ Rohmer, GewO § 35 Rn. 29. <?page no="304"?> 304 Recht im Gesundheitswesen Die Großhandelserlaubnis gilt personenbezogen, also für die natürliche, juristische Person oder rechtsfähige Personengesellschaft, für die sie erteilt worden ist, auf die Betriebsstätte bezogen sowie, wenn der Großhändler nicht als Vollversorger auftreten möchte, sondern nur für bestimmte Tätigkeiten oder bestimmte Arzneimittel. Wesentliche Änderungen bzgl. der Person - z. B. durch Rechtsformwechsel - oder bzgl. der Betriebsstätte - z. B. durch Umzug - führen zur Notwendigkeit, eine neue Erlaubnis zu beantragen. 2.10.2 Tätigkeit als Arzneimittelgroßhändler Die zugelassenen Großhändler sind gem. § 52b Abs. 1 AMG verpflichtet, für eine angemessene und kontinuierliche Bereitstellung der Arzneimittel zu sorgen, damit der Arzneimittelbedarf von Patienten gedeckt ist und es nicht zu Engpässen in den Apotheken kommt. Damit die Unternehmen dieser Pflicht nachkommen können, besteht zugunsten der Großhändler, die ein vollständiges und herstellerneutrales Sortiment an apothekenpflichtigen Arzneimitteln anbieten (sog. Vollversorger) ein Belieferungsanspruch gegenüber den pharmazeutischen Unternehmen. Diese müssen die Vollversorger gem. § 52b Abs. 2 AMG bedarfsgerecht und kontinuierlich beliefern. Apothekenpflichtige Arzneimittel darf ein Großhändler nicht an den privaten Endverbraucher, sondern nur an Apotheken und an die in § 47 AMG aufgezählten Einrichtungen, wie z. B. Krankenhäuser, abgeben. Die Vertriebspraxis der Arzneimittelgroßhändler wird insbesondere durch die Arzneimittelhandelsverordnung (AM-HandelsV) reguliert, die zugleich auf die von der EU-Kommission erlassenen Leitlinien für die Gute Vertriebspraxis von Arzneimitteln 451 verweist. Diese Leitlinien sind von den Unternehmen ebenfalls zu beachten. Die Verpflichtungen des Großhändlers lassen sich grob wie folgt skizzieren: Es müssen ein Qualitätssicherungssystem und ein Risikomanagementsystem unterhalten werden, damit die Qualität und Unversehrtheit der Arzneimittel jederzeit gewährleistet sind und die Produkte während des Transports und der Lagerung in der legalen Lieferkette bleiben (§ 1a AM-HandelsV, Kapitel 1 der Leitlinien). In jeder Betriebsstätte muss eine verantwortliche Person mit der erforderlichen Sachkenntnis und der zur Ausübung ihrer Tätigkeit erforderlichen Zuverlässigkeit bestellt werden, die für die Einhaltung der guten Vertriebspraxis Sorge trägt. Diese Person ist mit der dafür erforderlichen Entscheidungs- und Weisungsbefugnis auszustatten. Des Weiteren sind Mitarbeiter in ausreichender Zahl und mit der für die Tätigkeit erforderlichen Kompetenz zu beschäftigen (§ 2 AM-HandelsV, Kapitel 2 der Leitlinien). 451 Leitlinien für die gute Vertriebspraxis von Humanarzneimitteln v. 5.11.2013, ABl. C 343 S. 1. <?page no="305"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 305 Die Art, Größe, Zahl und der Zustand der Betriebsräume sowie der Ausrüstungsgegenstände müssen einen ordnungsgemäßen Großhandel mit Arzneimitteln gewährleisten (§ 3 AM-HandelsV, Kapitel 3 der Leitlinien). Durch den Transport, die Lagerung, das Abpacken oder Umfüllen darf die Qualität der Arzneimittel nicht beeinträchtigt werden (§§ 4, 5 AM-HandelsV, Kapitel 5, 9 der Leitlinien). Der Großhändler darf die Arzneimittel nur von berechtigten Unternehmen erwerben und nur an berechtigte Unternehmen liefern. Gefälschte Arzneimittel sind auszusondern und der zuständigen Behörde zu melden (§§ 4a, 5, 6 AM- HandelsV, Kapitel 5, 6 der Leitlinien). Der Großhändler muss organisatorische Vorkehrungen für einen ggf. notwendigen Rückruf von Arzneimittel treffen (§ 7a AM-HandelsV, Kapitel 6 der Leitlinien). Die apothekenpflichtigen Fertigarzneimittel, die zudem verschreibungspflichtig sind, unterliegen der Preisregulierung gem. § 78 AMG und AMPreisV. Das bedeutet, dass bei der Lieferung dieser Arzneimittel an Apotheken die Großhandelsspanne gem. § 2 AMPreisV zum Tragen kommt. Diese hat zwei Komponenten, und zwar einen Festzuschlag von 70 Cent sowie einen fakultativen Zuschlag bis zu 3,15 % des Abgabepreises des pharmazeutischen Unternehmers ohne die Umsatzsteuer, höchstens jedoch 37,80 Euro. Für apothekenpflichtige, nicht verschreibungspflichtige Fertigarzneimittel, die zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung abgegeben werden, richtet sich die Großhandelsspanne nach der AMPreisV in der bis 31.12.2003 gültigen Fassung (vgl. § 129 Abs. 5a SGB V). Im Hinblick auf die Erfüllung ihrer Pflichten unterliegen die Großhändler ebenso wie die pharmazeutischen Unternehmer und Apotheker der staatlichen Aufsicht gem. §§ 64 ff. AMG. Die zuständige Behörde kann alle Maßnahmen treffen, die zur Beseitigung festgestellter Verstöße oder die zur Verhütung künftiger Verstöße notwendig sind (§ 69 AMG). ◉ Beispiel Nach § 69 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 AMG kann das Inverkehrbringen von Arzneimitteln untersagt werden, wenn die erforderliche Großhandelserlaubnis nach § 52a AMG fehlt. Für die Anwendung der Norm genügt es, dass in der Lieferkette ein Händler keine entsprechende Erlaubnis hat, weil die Norm keine konkrete Gesundheitsgefahr verlangt, sondern an eine abstrakte Gefährdung anknüpft. In diesem Sinne wurde einem Großhändler das Inverkehrbringen bestimmter Arzneimittel untersagt, die er von einem rumänischen Großhändler bezogen hatte, der seinerseits die Arzneimittel von Apotheken ohne Großhandelserlaubnis bekommen hatte. 452 452 Vgl. OVG NRW, Beschl. v. 2.2.2016, 13 B 1137/ 15, PharmR 2016, 204 ff. <?page no="306"?> 306 Recht im Gesundheitswesen ❋ Wichtige Schlagwörter ❋ Arzneimittelgroßhandel ❋ Arzneimittelbelieferungsanspruch der Vollversorger ✎ Wiederholungsaufgaben [1] Erläutern Sie den Begriff des Arzneimittelgroßhandels. [2] Welche Unternehmen, die den Arzneimittelgroßhandel betreiben, benötigen ke ine Er la ub nis nach § 52a AM G? [3] Erläutern Sie die Wirkungen der Großhandelserlaubnis. [4] Nennen Sie drei Pflichten eines Arzneimittelgroßhändlers und die dazugehörige(n) Rechtsvorschrift(en). Die Lösungen finden Sie im Web-Service. <?page no="307"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 307 Apotheken und Arzneimitteleinzelhandel 2.11 Lernhinweis Die nachfolgenden Erläuterungen werden Sie besser verstehen, wenn Sie die angegebenen Paragrafen der nachfolgenden Rechtsvorschriften parallel zum Lehrbuch lesen: Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO), Apothekengesetz (ApoG) 453 , Arzneimittelgesetz (AMG), Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV), Bundes- Apothekerordnung (BApO) 454 , Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), Sozialgesetzbuch 5. Buch (SGB V). 2.11.1 Betrieb einer öffentlichen Apotheke Im deutschen Apothekenwesen werden folgende Apotheken unterschieden: Abb. 54: Deutsches Apothekenwesen Den Apotheken obliegt es, eine ordnungsgemäße Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sicherzustellen (§ 1 Abs. 1 ApoG). Die nachfolgenden Erläuterungen beziehen sich auf die öffentliche Apotheke, auch Offizinapotheke genannt. ❋ Wissen │ öffentliche Apotheke Die öffentliche Apotheke ist ein handelsgewerbliches Unternehmen, das unter der Leitung eines approbierten Apothekers steht und durch die Herstellung und den Verkauf von Arzneimitteln (und apothekenpflichtigen Medizinprodukten) nach ärztlicher Verordnung und im freien Verkauf der Sicherstellung der Arzneimittelversorgung der Bevölkerung dient. 455 Der Betrieb einer öffentlichen Apotheke ist erlaubnispflichtig (§ 1 Abs. 2 ApoG). Die für die Erteilung zuständige Behörde wird durch das Recht des Bundeslandes 453 ApoG i. d. F. d. Bek. v. 15.10.1980, BGBl. I S. 1993, z. g. d. G. v. 29.3.2017, BGBl. I S. 626. 454 BApO i. d. F. d. Bek. v. 19.7.1989, BGBl. I S. 1478, 1842, z. g. d. G. v. 4.4.2017, BGBl. I S. 778. 455 Vgl. Walter, Heppekausen, Pflege- & Krankenhausrecht 2013, 57 ff. [57]. Apotheken öffentliche (Voll-) Apotheken §§ 1 ff. ApoG Krankenhausapotheken § 14 ApoG Bundeswehrapotheken § 15 ApoG Zweigapotheken § 16 ApoG Notapotheken § 17 ApoG <?page no="308"?> 308 Recht im Gesundheitswesen bestimmt, in dem die Apotheke ansässig ist. Beispielsweise ist in Niedersachsen die Apothekerkammer für die Erteilung der Erlaubnis zuständig. 456 Für die Erlaubnis muss der Apotheker folgende Voraussetzungen erfüllen (vgl. § 2 ApoG): Der Apotheker muss voll geschäftsfähig sein, vgl. dazu §§ 104 ff. BGB. Der Apotheker muss eine Approbation als Apotheker gem. § 4 BApo besitzen. Bei einer mehr als zweijährigen Unterbrechung seiner beruflichen Tätigkeit muss der Apotheker im letzten Jahr vor der Antragstellung mindestens sechs Monate pharmazeutisch tätig gewesen sein. Ferner muss er die erforderliche Zuverlässigkeit haben. Hierbei handelt es sich um einen gewerberechtlichen Begriff, den auch andere Unternehmen für ihre gewerbliche Tätigkeit erfüllen müssen. Für die Beurteilung der Zuverlässigkeit wird insbesondere geprüft, ob strafrechtliche oder gröbliche und beharrliche Verstöße gegen arzneimittel- oder apothekenrechtliche Vorschriften oder schwere sittliche Verfehlungen vorliegen, die den Apotheker für die Leitung einer Apotheke ungeeignet erscheinen lassen. Zudem darf es keine gesundheitlichen Gründe geben, die der Leitung einer Apotheke entgegenstehen. Der Apotheker darf keine umsatz- und gewinnabhängigen Gesellschafts- und Mietverträge abgeschlossen haben (§ 8 S. 2 ApoG). Pachtverträge sind nur eingeschränkt erlaubt, z. B. wenn der Antragsteller aus wichtigem Grund die Apotheke nicht selbst betreiben kann. Wenn ein Pachtvertrag den Anforderungen des § 9 ApoG zuwiderläuft, ist er unzulässig. Ferner darf der Apotheker keine Verträge zur Bevorzugung bestimmter Arzneimittel gem. § 10 ApoG geschlossen haben. Ebenso ist ihm verboten, Vereinbarungen mit Ärzten, Krankenhäusern oder anderen Behandlern über die Zuweisung von Patienten an den Apotheker oder umgekehrt, über die Lieferung bestimmter Arzneimittel oder die Fertigung von Arzneimitteln ohne vollständige Deklaration abzuschließen (§ 11 ApoG). Bei der Beantragung der Apothekenerlaubnis muss der Apotheker an Eides statt versichern, dass er derartige Verträge nicht geschlossen hat. Auf Verlangen der Erlaubnisbehörde muss er seine für die Apotheke abgeschlossenen Verträge vorlegen. Die Apotheke muss die in § 4 ApBetrO vorgesehenen Räume haben. Des Weiteren muss der Apotheker mitteilen, ob und ggf. wo er weitere Apotheken in Deutschland oder anderen Mitgliedstaaten der EU oder des EWR betreibt. Wenn mehrere Personen die Apotheke(n) betreiben, sind nur zwei Rechtsformen - die GbR (§§ 705 ff. BGB) oder die OHG (§ 105 ff. HGB) - gem. § 8 ApoG zulässig. Wenn der Apotheker die notwendigen Voraussetzungen erfüllt, hat er einen Rechtsanspruch auf die Erteilung der Erlaubnis. Die Erlaubnis gilt personenbezogen und für die Räume, für die sie erteilt worden ist (§ 1 Abs. 3 ApoG). Der Apotheker darf max. vier Apotheken betreiben (§ 1 Abs. 2 ApoG). Die Apotheke, die der Erlaubnisinhaber selbst leitet, wird als Hauptapotheke bezeichnet. Die anderen sind Filialapotheken, für die der Erlaubnisinhaber einen Apotheker als Ver- 456 § 1 Nr. 2c Verordnung zur Übertragung von staatlichen Aufgaben auf die Kammern für die Heilberufe v. 25.11.2004, Nds. GVBl. S. 516 z. g. d. VO v. 21.7.2015, Nds. GVBl. S. 158. <?page no="309"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 309 antwortlichen einsetzen muss (§ 2 Abs. 5 ApoG). Der Erlaubnisinhaber ist in jedem Fall - auch bei der Bestellung von Leitern für die Filialapotheken - gem. § 7 ApoG zur persönlichen Leitung der Apotheke(n) verpflichtet. Diese Regelungen in § 2 Abs. 5 und § 7 ApoG verhindern letztlich, dass Kapitalgesellschaften mit dem Geschäftsmodell von Apothekenketten auf dem deutschen Markt präsent sind. Dieses sog. Fremdbesitzverbot ist vom EuGH als europarechtskonform eingestuft worden, weil die Mitgliedstaaten der EU einen Wertungsspielraum haben, auf welchem Niveau sie den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung, eine flächendeckende Arzneimittelversorgung und das finanzielle Gleichgewicht ihres Sozialversicherungssystems gewährleisten. 457 Vor der Eröffnung der Apotheke erfolgt eine Abnahmeinspektion, in dem die zuständige Behörde prüft, ob die Apotheke die gesetzlichen Anforderungen erfüllt (§ 6 ApoG). Wer eine Apotheke ohne die erforderliche Erlaubnis betreibt, begeht gem. § 23 ApoG eine Straftat, die mit einer Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit einer Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen bestraft wird. Zudem wird die Apotheke von der zuständigen Behörde gem. § 5 ApoG geschlossen. Der Arzneimittelversorgungsauftrag der öffentlichen Apotheken bezieht sich auf Arzneimittel und apothekenpflichtige Medizinprodukte. Daneben dürfen sie apothekenübliche Waren gem. § 1a Abs. 10 ApBetrO - z. B. Körperpflegeprodukte - sowie apothekenübliche Dienstleistungen gem. § 1a Abs. 11 ApBetrO - wie z. B. einfache Gesundheitstests - anbieten. Diese Angebote dürfen allerdings die ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung der Bevölkerung nicht beeinträchtigen (§ 2 Abs. 4 ApBetrO). Im Hinblick auf die Herstellung, den Erwerb, die Lagerung und Abgabe von Arzneimitteln hat der Apotheker eine Vielzahl von Pflichten zu erfüllen, von denen nachfolgend einige benannt werden: Betreiben eines Qualitätsmanagement, damit die Arzneimittel nach wissenschaftlichem Standard hergestellt, geprüft und gelagert werden (§ 2a ApBetrO), Einsatz des Personals nach seiner Ausbildung und seiner Kenntnisse (§ 3 Ap- BetrO), Vorhalten von ausreichenden und geeigneten Betriebsräumen (Verkaufs- und Beratungsraum, Lagerraum, Labor und Nachtdienstzimmer), Einrichtungen und Geräten (§ 4 ApBetrO), Herrichten des Verkaufs- und Beratungsraums (Offizin genannt) dergestalt, dass apothekenpflichtige Arzneimittel nicht im Wege einer Selbstbedienung der Kunden zugänglich sind (§ 17 Abs. 3 ApBetrO), Hygienemaßnahmen (§ 4a ApBetrO), Vorrätighalten von bestimmten wichtigen Arzneimittel (§ 15 ApBetrO; zum Belieferungsanspruch gegenüber dem Großhandel vgl. § 52b Abs. 3 AMG), Herstellung von Arzneimitteln nach den anerkannten pharmazeutischen Regeln (§ 6 ApBetrO), 457 Vgl. EuGH, Urt. v. 19.5.2009, C-171/ 07 und C-172/ 07, NJW 2009, 2112 ff. <?page no="310"?> 310 Recht im Gesundheitswesen stichprobenweise Prüfung der Fertigarzneimittel (§ 12 ApBetrO), ordnungsgemäße Lagerung der Arzneimittel (§ 16 ApBetrO), Information und Beratung seiner Kunden (§ 20 ApBetrO), Betreiben einer Einrichtung zum Sammeln von Verschreibungen (Rezeptsammelstellen) nur mit behördlicher Erlaubnis (§ 24 ApBetrO). Allerdings benötigt der Apotheker, der Rezeptur- und Defekturarzneimittel im apothekenüblichen Rahmen herstellt oder Fertigarzneimittel umverpackt, weder eine Genehmigung zum Inverkehrbringen der Arzneimittel noch eine Herstellungserlaubnis, vgl. dazu Abschnitte 2.9.5 und 2.9.9. ◉ Beispiel Ein Apotheker betreibt in seiner Apotheke einen Verblisterungsautomaten. Beim Verblistern werden einzelne Fertigarzneimittel aus den Packungen entnommen (sog. Auseinzeln), nach den individuellen Bedürfnissen des Arzneimittelempfängers zusammengestellt und mittels eines Automaten in folienverschweißten Behältnissen neu abgepackt und gekennzeichnet (sog. Verblistern). Der Apotheker versorgt die Bewohner eines Heimes mit den neu verblisterten Arzneimitteln. Der Apotheker benötigt wegen § 13 Abs. 2 Nr. 1 AMG keine Herstellungserlaubnis und wegen § 21 Abs. 2 Nr. 1b Buchst. b AMG keine Genehmigung zum Inverkehrbringen der umverpackten Arzneimittel. Die apothekenpflichtigen Fertigarzneimittel, die zudem verschreibungspflichtig sind, unterliegen der Preisregulierung gem. § 78 AMG und AMPreisV. Das bedeutet für den Apotheker, dass er den in § 3 AMPreisV vorgesehenen Apothekenzuschlag zu erheben hat. Er muss zur Berechnung des Apothekenabgabepreises einen Festzuschlag von 8,35 Euro zuzüglich 16 Cent zur Förderung der Sicherstellung des Notdienstes ansetzen. Hinzu kommen weitere 3 % bezogen auf den Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers nebst Großhandelshöchstzuschlag oder auf den Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers ohne Großhandelsspanne, wenn eine Direktlieferung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen erfolgen musste. Die nicht verschreibungspflichtigen Fertigarzneimittel unterliegen nur der Preisregulierung, wenn sie zulasten der Krankenkasse abgegeben werden, vgl. dazu Abschnitt 2.9.11. Im Hinblick auf die Erfüllung ihrer Pflichten unterliegen die Apotheker ebenso wie die pharmazeutischen Unternehmer und Großhändler der staatlichen Aufsicht gem. §§ 64 ff. AMG. Die zuständige Behörde kann alle Maßnahmen treffen, die zur Beseitigung festgestellter Verstöße oder die zur Verhütung künftiger Verstöße notwendig sind (§ 69 AMG). ◉ Beispiel Einem Apotheker wurde die Herstellung von Augenarzneimitteln, Heparinen und sonstigen Schmerzlösungen sowie das Befüllen von Schmerzpumpen ohne Sterilisationsverfahren im Endbehältnis untersagt, weil die Reinraumanforde- <?page no="311"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 311 rungen nach § 35 Abs. 4 ApBetrO nicht erfüllt waren. Die Gerichte sahen die Untersagung als rechtens an. 458 2.11.2 Versandhandel Gem. § 43 Abs. 1 S. 1 AMG ist das berufs- oder gewerbsmäßige Inverkehrbringen von apothekenpflichtigen Arzneimitteln im Wege des Versandes an den Endverbraucher erlaubnispflichtig. Der Versandhandel ist sowohl für nicht verschreibungspflichtige als auch verschreibungspflichtige Arzneimittel zulässig. Der Apotheker benötigt dafür neben seiner Apothekenbetriebserlaubnis eine Versandhandelserlaubnis gem. § 11a ApoG. Apotheken, die in einem EU-/ EWR-Mitgliedstaat ansässig sind, dürfen Arzneimittel an deutsche Endkunden versenden, wenn das Sicherheitsniveau ihres Sitzlandes dem Deutschen entspricht (§ 73 Abs. 1 S. 1 Nr. 1a AMG). Dies ist nach den Feststellungen des BMG 459 in Island, Schweden für den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, Tschechien für den Versandhandel mit nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, in den Niederlanden, soweit die Versandapotheke gleichzeitig eine Präsenzapotheke betreibt, und im Vereinigten Königreich gegeben. Apotheken aus anderen Mitgliedstaaten können die Einhaltung vergleichbarer Sicherheitsstandards zusichern und eine Versandhandelserlaubnis nach §11a ApoG beantragen. Hinsichtlich des Versandhandels hat der Apotheker verschiedene Pflichten zu erfüllen, wie beispielsweise: Beratung des Bestellers durch pharmazeutisches Personal in deutscher Sprache, Gewährleistung, dass das Arzneimittel grundsätzlich innerhalb von zwei Arbeitstagen nach Eingang der Bestellung versendet wird, Verpa ckung und Tra nsport der Arzneimit te l ohne Beei nträ chtigung ihrer Qualität und Wirksamkeit, Abschluss einer Transportversicherung, Unterhaltung eines Systems der Sendungsverfolgung (vgl. im Einzelnen § 11a S. 1 ApoG, § 17 Abs. 2a ApBetrO). 2.11.3 Verkauf von Arzneimitteln im Einzelhandelsgeschäft, das keine Apotheke ist Arzneimittel, die nicht apothekenpflichtig sind (siehe oben 2.9.2), können in anderen Geschäften des Einzelhandels - wie z. B. in Drogerien oder Reformhäusern - abgegeben werden. Dies bedarf keiner Erlaubnis. Jedoch muss in einem solchen 458 Vgl. BVerwG, Beschl. v. 1.3.2016, Az. 3 B 15.15, A&R 2016, 135 f. 459 Bekanntmachung der Übersicht zum Versandhandel mit Arzneimitteln nach § 73 Abs. 1 S. 3 AMG v. 5.7.2011, BAnz v. 20.7.2011, S. 2552. <?page no="312"?> 312 Recht im Gesundheitswesen Geschäft während der gesamten Öffnungszeit eine Person mit der erforderlichen Sachkenntnis zur Beratung der Kunden zur Verfügung stehen. Die Einzelheiten der erforderlichen Sachkenntnis und deren Prüfung regelt § 50 AMG i. V. m. Verordnung über den Nachweis der Sachkenntnis im Einzelhandel mit freiverkäuflichen Arzneimitteln (AMSachKV). 460 Ein Einzelhandelsgeschäft kann auch in den Versandhandel einer Apotheke einbezogen werden. Bei dem Versandhandel mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln darf es aber nur logistische Dienstleistungen (Einsammeln der Bestellungen, Aushändigung der Arzneimittel) übernehmen. Ferner darf das Geschäft nicht den Eindruck vermitteln, es sei Vertragspartner des Kunden und gebe die apothekenpflichtigen Arzneimittel selbst ab. 461 2.11.4 Rechtsposition des Apothekers in der gesetzlichen Krankenversicherung Die gesetzlich Versicherten haben einen Anspruch auf apothekenpflichtige Arzneimittel, die nicht von der Versorgung ausgeschlossen sind (vgl. im Einzelnen Abschnitt 2.9.15.1). Um Arzneimittel an gesetzlich Versicherte abgeben zu können, benötigt der Apotheker im Unterschied zu den anderen Leistungserbringern im System der gesetzlichen Krankenversicherung keine gesonderte Zulassung (wie z. B. Heilmittelerbringer) oder einen Versorgungsvertrag (wie z. B. Krankenhäuser). Er muss „nur“ die für ihn und für den Betrieb einer Apotheke geltenden Anforderungen erfüllen (vgl. dazu Abschnitt 2.11.1). Ferner muss er dem Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung zwischen dem GKV-Spitzenverband und dem Deutschen Apothekerverband e. V. (DAV) beitreten oder Mitglied des DAV sein (§ 129 Abs. 2, 3 SGB V, § 2 Abs. 2 des Rahmenvertrages 462 , im Weiteren Rahmenvertrag genannt). Wenn der Apotheker diese Voraussetzungen erfüllt, erwirbt er allerdings nicht nur eine Leistungsberechtigung, sondern ebenso eine Leistungsverpflichtung, die ärztlich verordneten Arzneimittel an die Versicherten abzugeben. Die an der Versorgung der Versicherten teilnehmenden Apotheken sind in einem bundesweiten Apothekenverzeichnis gem. § 293 Abs. 5 SGB V erfasst. Neben den in den Abschnitten 2.11.1 und 2.11.2 beschriebenen Pflichten aus dem ApoG oder der ApBetrO hat der Apotheker weitere für das System der gesetzlichen Krankenversicherung spezifische Pflichten. Diese ergeben sich aus den §§ 129-130 SGB V, dem bereits erwähnten Rahmenvertrag auf Bundesebene sowie aus Arzneimittellieferverträge auf Landesebene gem. § 129 Abs. 5 SGB V. Einige dieser Pflichten werden nachfolgend erläutert werden. So darf der Apotheker Arzneimittel, die gem. § 34 SGB V ausgeschlossen sind, nicht zulasten der Krankenkasse des Kunden abgeben. Ferner muss das Arzneimittel ärztlich verordnet sein. Aus Gründen der Wirtschaftlichkeit ist der Apotheker zur Abgabe eines 460 Verordnung über den Nachweis der Sachkenntnis im Einzelhandel mit freiverkäuflichen Arzneimitteln v. 20.6.1978, BGBl. I S. 753, z. g. d. VO v. 6.8.1998, BGBl. I S. 2044. 461 Vgl. BVerwG, Urt. v. 13.3.2008, 3 C 2707, NVwZ 2008, 1238 ff. 462 Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung nach § 129 Abs. 2 SGB V, https: / / www.gkvspitzenverband.de/ krankenversicherung/ arzneimittel/ rahmenvertraege/ rahmenvertraege.jsp (Abruf am 20.7.2018). <?page no="313"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 313 preisgünstigen Arzneimittels verpflichtet. Grundsätzlich legt zwar der Arzt durch seine Verordnung das abzugebende Arzneimittel fest. Jedoch kann er das Arzneimittel nur unter seiner Wirkstoffbezeichnung verordnen oder das Arzneimittel mit seinem Produktnamen bezeichnen und dessen Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel auf seinem Rezept nicht ausschließen (sog. aut idem). In diesen beiden Fällen muss der Apotheker ein preisgünstiges Arzneimittel unter Berücksichtigung folgender Kriterien abgeben: gleicher Wirkstoff und identische Wirkstärke, identische Packungsgröße (Packungsgröße mit gleichem Packungsgrößenkennzeichen), arzneimittelrechtliche Zulassung für ein gleiches Anwendungsgebiet, gleiche oder austauschbare Darreichungsform (entsprechend der Festlegungen in § 40 und der Anlage VII der AMR-RL), vorrangige Abgabe eines Arzneimittels, für das Rabattvertrag nach § 130a Abs. 8 SGB V besteht. Weitere Einzelheiten zu den genannten Kriterien sind in § 129 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 2-4 SGB V sowie in § 4 des Rahmenvertrages geregelt. Wenn die vorrangige Abgabe eines Arzneimittels, für das ein Rabattvertrag besteht, ausscheidet, hat der Apotheker gem. § 129 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB V und § 5 des Rahmenvertrages ein preisgünstiges importiertes Arzneimittel abzugeben. Zur Erschließung von Wirtschaftlichkeitsreserven ist eine Importquote von 5 % vorgegeben. Für das an den Versicherten abgegebene Arzneimittel erlangt der Apotheker einen Vergütungsanspruch gegen die Krankenkasse des Versicherten. Ausgangspunkt für die von der Krankenkasse zu zahlende Vergütung sind folgende Abgabepreise: Abb. 55: Abgabepreise verschreibungspflichtige Fertigarzneimittel Abgabepreis entsprechend AMPreisV nicht verschreibungspflichtige Fertigarzneimittel, die zu Lasten der Krankenkasse abgegeben werden Abgabepreis entsprechend AMPreisV in der bis 31.12.2003 gültigen Fassung Arzneimittel mit Festbetrag Abgabepreis begrenzt auf Festbetrag Stoffe, die unverändert um- und abgefüllt werden Abgabepreis nach der Hilfstaxe, die zw. GKV-Spitzenverband und DAV vereinbart wird oder nach § 4 AMPreisV Rezepturen Abgabepreis nach der Hilfstaxe, die zw. GKV-Spitzenverband und DAV vereinbart wird oder nach § 4 AMPreisV <?page no="314"?> 314 Recht im Gesundheitswesen Von diesen Abgabepreisen sind folgende Abschläge und Zuzahlungen abzuziehen: Abschlag für Fertigarzneimittel oder Impfstoffe, für die kein Festbetrag festgesetzt ist gem. § 130a Abs. 1, 2, 3 SGB V (siehe Abschnitt 2.9.15.3), Generikaabschlag gem. § 130a Abs. 1 S. 2, Abs. 3, 3b SGB V (siehe Abschnitt 2.9.15.3), Zuzahlung des volljährigen Versicherten gem. § 31 Abs. 3 SGB V, Apothekenrabatt nach § 130 SGB V für bestimmte Zubereitungen und die verschreibungspflichtigen Fertigarzneimittel in Höhe eines festen Betrages (2018: 1,77 Euro) sowie für alle anderen Arzneimittel in Höhe von 5 % des Abgabepreises. Den Apothekenrabatt muss der Apotheker jedoch nur gewähren, wenn seine Rechnung innerhalb von zehn Tagen nach Eingang der Rechnung bei der Krankenkasse beglichen wird (§ 130 Abs. 3 SGB V). Die vorgenannten Abschläge für Fertigarzneimittel, Impfstoffe und Generika, die der Apotheker abzieht, erhält er vom pharmazeutischen Unternehmen erstattet (vgl. § 130a Abs. 1 S. 3, Abs. 2 S. 3, Abs. 3b S. 4 SGB V). Die komplizierte Ermittlung des Betrages, den eine Krankenkasse zu zahlen hat, soll am Beispiel eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels, das kein Generikum ist und für das kein Festbetrag festgesetzt ist, veranschaulicht werden: ◉ Beispiel │ Abgabepreis, Abschläge und Zuzahlungen Ermittlung des Abgabepreises nach der AMPreisV: Herstellerabgabepreis 100,00 Euro zzgl. Großhandelszuschlag (§ 2 AMPreisV) (3,15 % von 100,- € zzgl. 0,70 €) 3,85 Euro zzgl. Apothekenzuschlag (§ 3 AMPreisV) (3 % von 103,85 € zzgl. 8,35 € zzgl. 0,16 €) 11,63 Euro zzgl. 19 % Umsatzsteuer 21,94 Euro Abgabepreis nach der AMPreisV 137,42 Euro Abschläge und Zuzahlungen nach dem SGB V: abzgl. Zuzahlung des Versicherten (max. 10,- €) 10,00 Euro abzgl. Herstellerabschlag für Fertigarzneimittel (7 % von 100,00 €) 7,00 Euro abzgl. Apothekenabschlag (1,77 €) 1,77 Euro von der Krankenkasse zu zahlender Betrag 118,65 Euro Die Abrechnung der Vergütung gegenüber der Krankenkasse erfolgt gem. § 300 SGB V. Der Vergütungsanspruch des Apothekers gegenüber der Krankenkasse besteht grundsätzlich nur, wenn die Voraussetzungen für die Arzneimittelabgabe, die sich aus § 129 SGB, dem Rahmenvertrag auf Bundesebene sowie aus dem einschlägigen Arzneimittelliefervertrag auf Landesebene ergeben, erfüllt sind. Bei einem Verstoß gegen die Abgabevorschriften verliert der Apotheker grundsätzlich seinen Vergütungsanspruch ganz oder teilweise. Nur in den engen Ausnahmefällen des § 3 Abs. 1 des Rahmenvertrages - z. B. bei einem unbedeutenden formalen Fehler - bleibt der Vergütungsanspruch des Apothekers erhalten. <?page no="315"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 315 ◉ Beispiel │ Verlust des Vergütungsanspruchs Einem Apotheker wurden Rezepte für das Hormonpräparat Norditropin mit einer Anzahl von Ampullen vorgelegt, die jedoch mit den handelsüblichen Packungsgrößen nicht übereinstimmte. Die Rezepte enthielten keinen Vermerk, dass genau die verzeichnete Menge abgegeben werden solle. Die im Handel erhältlichen Packungsgrößen waren eine Ampulle (N1), zehn Ampullen (N2) sowie zwanzig Ampullen (N3). Beim ersten Mal gab der Apotheker für die verzeichneten 15 Ampullen 15 Packungen N1 ab. Später gab er bei 13 bzw. 15 Ampullen eine Packung N2 und drei bzw. fünf Packungen N1 ab. Die jeweils abgegebenen Mengen stellte er der Krankenkasse in Rechnung. Das BSG 463 verneinte einen Vergütungsanspruch des Apothekers teilweise, weil er gegen seine Pflicht zur Abgabe von wirtschaftlichen Einzelmengen (§ 129 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB V) verstoßen habe. Diese Pflicht sei durch den (seinerzeit) geltenden § 5 Abs. 2 des Rahmenvertrages dahingehend konkretisiert worden, dass der Apotheker bei Mengenangaben, die von den Packungsgrößen abweichen, nur die nächst kleinere Packung oder ein Vielfaches dieser Packung abgeben dürfe. Etwas anderes gelte nur, wenn der Arzt durch einen besonderen Vermerk auf dem Rezept auf die Abweichung hinweise. Hintergrund dieser Regelung sei, dass der Arzt angesichts der Vielzahl der Arzneimittel und Packungsgrößen nicht in jedem Fall die genaue Stückelung kenne. Deshalb hätte der Apotheker jeweils nur die Packung mit den zehn Ampullen (N2) abgeben und gegenüber der Krankenkasse berechnen dürfen. Neben dem Verlust seines Vergütungsanspruchs drohen dem Apotheker, wenn er seine Pflichten aus dem SGB V und den vertraglichen Bestimmungen auf Bundes- und Landesebene nicht erfüllt, weitere Sanktionen gem. § 11 des Rahmenvertrages: Verwarnung, Vertragsstrafe bis zu 25.000,- Euro, bei gröblichen und wiederholten Verstößen bis zu zweijähriger Ausschluss von der Versorgung der Versicherten. 2.11.5 Rechtsverhältnis zum Kunden Zwischen dem Apotheker und dem Kunden wird hinsichtlich der Fertigarzneimittel ein Kaufvertrag gem. §§ 433 ff. BGB sowie hinsichtlich der vom Apotheker herzustellenden Arzneimittel ein Lieferungskauf gem. § 651, §§ 433 ff. BGB geschlossen. Erfolgt die Arzneimittelabgabe im Wege des Versandhandels, liegt ein Fernabsatzvertrag gem. § 312c BGB vor. Die Rechte und Pflichten bestimmen sich nach den vertraglichen Absprachen sowie nach den privatrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Vorschriften, die die Arzneimittelabgabe regulieren. Zu diesen gehören vor allem § 11a ApoG, §§ 17, 20 ApBetrO sowie die AMPreisV. Gem. § 20 ApBetrO muss der Kunde über Arzneimittel informiert und beraten werden. Das bedeutet, dass der Kunde insbesondere über die sachgerechte Anwendung des Arzneimittels, eventuelle Nebenwirkungen oder Wechselwirkungen, die sachgerechte Aufbewahrung des Arzneimittels zu informieren ist. Ggf. ist 463 Vgl. BSG, Urt. v. 3.8.2006, B 3 KR 7/ 05 R, BeckRS 2006, 43696. <?page no="316"?> 316 Recht im Gesundheitswesen durch Nachfrage festzustellen, inwieweit der Kunde einen weiteren Informations- und Beratungsbedarf hat. In diesem Fall ist eine entsprechende Beratung anzubieten. Im Falle der Selbstmedikation ist zudem festzustellen, ob das gewünschte Arzneimittel zur Anwendung bei dem betroffenen Kunden geeignet erscheint, und ggf. ist anzuraten, einen Arzt aufzusuchen. Um eine Beratung beim Versandhandel zu gewährleisten, muss der Kunde bei der Bestellung eine Telefonnummer angeben, unter der er ohne zusätzliche Gebühren beraten werden kann, wenn sich für den Apotheker ein Beratungsbedarf zeigt (§ 17 Abs. 2a S. 1 Nr. 7 ApBetrO). Ferner hat der Apotheker beim Versandhandel weitere Pflichten gem. § 11a ApoG, § 17 Abs. 2a ApBetrO zu erfüllen, wie beispielsweise: Hinweis an den Kunden, dass er mit dem behandelnden Arzt Kontakt aufnehmen soll, wenn Probleme bei der Anwendung des Arzneimittels auftreten, Gewährleistung, dass das Arzneimittel grundsätzlich innerhalb von zwei Arbeitstagen nach Eingang der Bestellung versendet wird, Veranlassung einer kostenlosen Zweitzustellung, wenn die erste Zustellung fehlgeschlagen ist, Angebot eines Systems der Sendungsverfolgung, Verpackung und Transport der Arzneimittel ohne Beeinträchtigung ihrer Qualität und Wirksamkeit. Bei der Abgabe von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, muss der Apotheker die in der AMPreisV vorgesehenen Apothekenzuschläge auch dann erheben, wenn der Kunde für das Arzneimittel selbst aufkommen muss (vgl. zu den Zuschlägen Abschnitt 2.11.1). Dagegen unterliegen die Preise für die Arzneimittel, die nicht apothekenpflichtig oder apotheken-, aber nicht verschreibungspflichtig sind, und nicht zulasten der Krankenkasse des Kunden abgegeben werden, nicht der gesetzlichen Preisregulierung, so dass sie der Apotheker entsprechend frei kalkulieren kann. Er steht insoweit „lediglich“ in dem üblichen Preiswettbewerb mit seinen Konkurrenten. Wenn der Kunde gesetzlich versichert ist und das Arzneimittel zulasten seiner Krankenkasse abgegeben wird, wird der privatrechtliche Vertrag zudem durch die sozialrechtlichen Bestimmungen überlagert: Der Apotheker darf das verordnete Arzneimittel unter den Voraussetzungen des § 129 SGB V ersetzen (vgl. Abschnitt 2.11.4). Ferner dient die ärztliche Verordnung, die der gesetzlich versicherte Kunde in der Apotheke vorlegt, sozusagen als Zahlungsmittel. Die Krankenkasse leistet die im Abschnitt 2.11.4 beschriebene Vergütung. Der volljährige Versicherte muss eine Zuzahlung gem. § 31 Abs. 3 SGB V leisten. Wenn die Krankenkasse für ein Arzneimittel nur den Festbetrag zahlt, muss der gesetzlich versicherte Kunde zudem die Differenz zwischen Abgabepreis und Festbetrag übernehmen. <?page no="317"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter 317 ❋ Wichtige Schlagwörter ❋ Öffentliche Apotheke ❋ Versandhandel mit Arzneimitteln ✎ Wiederholungsaufgaben [1] Erläutern Sie, unter welchen Voraussetzungen einem Apotheker die Erlaubnis für den Betrieb einer Apotheke erteilt wird. [2] Nennen Sie drei Pflichten eines Apothekers bzgl. der Abgabe von Arzne imit te l n und di e je we il s da zug eh öri g e Re ch tsvo rs chr if t. [3] Erläutern Sie, unter welchen Voraussetzungen ein Apotheker zur Teilnahme an der Arzneimittelversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung berechtigt ist. [4] Erläutern Sie die Grundzüge der Ersetzungsverpflichtung des Apothekers gem. § 129 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 2-4 SGB V. [5] Erläutern Sie den Vergütungsanspruch des Apothekers gegenüber einer Krankenkasse. Die Lösungen finden Sie im Web-Service. <?page no="319"?> 3 Rechtliche Rahmenbedingungen für die Kostenträger Lernziele Wenn Sie beabsichtigen, später in einer Kranken- und Pflegekasse oder in einem Krankenversicherungsunternehmen tätig zu sein, müssen Sie deren rechtliche Rahmenbedingungen kennen, um Ihr künftiges Handeln unter Beachtung der rechtlichen Anforderungen analysieren und steuern zu können. Sowohl die gesetzliche als auch die private Krankenversicherung sind stark regulierte Bereiche. Die Versicherungsleistungen sind Rechtsprodukte, deren Existenz und Beschaffenheit (anders als bei gegenständlichen Gütern) ausschließlich durch gesetzliche und vertragliche Regeln geformt werden. Ferner erklärt sich die Regulierungsdichte aus der gesellschaftlichen Verantwortung, zum Schutz des Versicherten für eine stabile und langfristige Absicherung im Krankheitsfall zu sorgen. Kranken- und Pflegekassen 3.1 Lernhinweis Die nachfolgenden Erläuterungen werden Sie besser verstehen, wenn Sie die angegebenen Paragrafen der folgenden Rechtsvorschriften parallel zum Lehrbuch lesen: Sozialgesetzbuch 1. Buch (SGB I), 4. Buch (SGB IV), 5. Buch (SGB V), 10. Buch (SGB X), 11. Buch (SGB XI). 3.1.1 Kranken- und Pflegekasse im Spannungsverhältnis zwischen Selbstverwaltung und Staatsaufsicht Träger der Krankenversicherung sind die Krankenkassen, die Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung sind (§ 4 Abs. 2 SGB V). Bei jeder Krankenkasse besteht eine Pflegekasse, die ebenfalls Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung ist (§ 46 Abs. 1 SGB XI). Gem. § 4 Abs. 2 SGB V, § 46 Abs. 1 SGB XI werden folgende Kassenarten 464 unterschieden: Allgemeine Ortskrankenkassen (AOK) Betriebskrankenkassen (BKK) Innungskrankenkassen (IKK) Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) 464 Eine Aufstellung aller Kranken- und Pflegekassen finden Sie auf der Internetseite des Spitzenverbandes Bund der Krankenkasse, dem alle Kassen angehören: https: / / www.gkvspitzenverband.de/ service/ versicherten_service/ krankenkassenliste/ krankenkassen.jsp (Abruf am 21.7.2018). <?page no="320"?> 320 Recht im Gesundheitswesen Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See (DRVKnBS) Ersatzkassen (EK). Die Pflegekasse ist gegenüber der Krankenkasse, bei der sie errichtet ist, einerseits selbständig. 465 Sie ist gem. § 46 Abs. 2 S. 1 SGB XI rechtsfähig und somit Träger von Rechten und Pflichten. Sie tritt nach außen unter ihrem Namen als Pflegekasse eigenständig auf. Sie verfügt über eine eigene Satzung (§ 47 SGB XI). Ferner erzielt die Pflegekasse eigene Mittel gem. § 28k Abs. 1 S. 1 SGB IV, §§ 54 ff. SGB XI und ist in der Verwendung der Mittel gegenüber der Krankenkasse eigenständig (§§ 62 ff. SGB XI). Andererseits sind die Pflege- und Krankenkasse organisatorisch miteinander verknüpft. 466 Beide haben gemeinsame Organe und gemeinsames Personal (§ 46 Abs. 2 S. 2, 3 SGB XI). Abb. 56: Selbstverwaltungsorgane der Kranken- und Pflegekassen gem. §§ 29-42 SGB IV 465 Vgl. Baier, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung Kommentar, § 46 SGB XI Rn. 4. 466 Vgl. Baier, a. a. O., Rn. 5. Selbstverwaltungsorgane BKK, AOK, IKK, EK DRVKnBS SVLFG Verwaltungsrat §§ 31 Abs. 3a, 33 SGB IV, § 197 SGB V hauptamtlicher Vorstand §§ 31 Abs. 3a, 35a SGB IV besondere Ausschüsse, z. B. Widerspruchsausschuss § 36a SGB IV Vertreterversammlung § 33 SGB IV ehrenamtlicher Vorstand § 35 SGB IV hauptamtlicher Geschäftsführer, der dem Vorstand angehört § 31 Abs. 1, § 36 SGB IV besondere Ausschüsse, z. B. Widerspruchsausschuss § 36a SGB IV Vertreterversammlung § 31 Abs. 1, § 33 SGB IV ehrenamtlicher Vorstand §§ 31, 35 SGB IV hauptamtlicher Geschäftsführer, der dem Vorstand angehört § 31 Abs. 1, § 36 SGB IV besondere Ausschüsse, z. B. Widerspruchsausschuss § 36a SGB IV <?page no="321"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Kostenträger 321 Die Selbstverwaltung der Kranken- und Pflegekassen wird gem. § 29 Abs. 2 SGB IV grundsätzlich durch die Versicherten und Arbeitgeber ausgeübt (zu den Ausnahmen siehe § 44 SGB IV). Sie bilden eine Vertreterversammlung (bei SVLFG und DRVKnBS) bzw. einen Verwaltungsrat (bei AOK, BKK, EK und IKK). Die Vertreterversammlung bzw. der Verwaltungsrat beschließen die Satzungen und nehmen weitere gesetzlich zugewiesene Aufgaben war (§ 33 SGB IV, § 197 SGB V). Weiteres Selbstverwaltungsorgan ist bei den AOK, BKK, EK, IKK der Vorstand bzw. bei der SVLFG und DRVKnBS der hauptamtliche Geschäftsführer, der die Kasse gerichtlich und außergerichtlich vertritt und gegenüber Verwaltungsrat verantwortlich ist (§§ 35a, 36 SGB IV). Selbstverwaltung bedeutet für die Kassen, dass sie ihre zugewiesenen Aufgaben selbständig und fachweisungsfrei im eigenen Namen und eigener Verantwortung wahrnehmen können. 467 Zur Regelung ihrer Angelegenheiten dürfen die Kassen auch Satzungen erlassen (§ 34 Abs. 1 SGB IV). Satzungen sind Rechtsvorschriften, die von einer juristischen Person des öffentlichen Rechts im Rahmen der ihr gesetzlich verliehenen Autonomie erlassen werden. Sie sind für diejenigen verbindlich, die der juristischen Person angehören (z. B. die Versicherten der Krankenkasse). Hinsichtlich dieser Verbindlichkeit unterscheiden sich die Satzungen von den allgemein gültigen Gesetzen und Rechtsverordnungen, auch wenn sie gleichwohl zum objektiven Recht gehören. 468 In den Satzungen regeln die Kranken- und Pflegekassen ihren Namen, Sitz, Zusammensetzung und Aufgaben der Organe sowie weitere organisatorische Fragen (vgl. § 194 SGB V, § 47 SGB XI). Des Weiteren können sie in den Satzungen ihre Leistungen und Beiträge regeln, soweit ihnen eine diesbezügliche Satzungsbefugnis - wie z. B. in § 11 Abs. 6 SGB V - eingeräumt ist. Obgleich der eingeräumten Selbstverwaltung gehören die Kassen zur mittelbaren Staatsverwaltung. Die Staatsverwaltung wird in unmittelbare und mittelbare Staatsverwaltung unterschieden. Im Rahmen der unmittelbaren Staatsverwaltung werden die staatlichen Aufgaben durch eigene Behörden des Bundes (dann unmittelbare Bundesverwaltung) oder der Bundesländer (dann unmittelbare Landesverwaltung) wahrgenommen. Wenn die staatlichen Aufgaben dagegen von rechtlich selbständigen Verwaltungsträgern ausgeführt werden, spricht man von der mittelbaren Staatsverwaltung. Innerhalb der Staatsverwaltung unterliegen die Kranken- und Pflegekassen der Staatsaufsicht (vgl. § 87 Abs. 1 S. 1 SGB IV). Aufsichtsbehörden sind das Bundesversicherungsamt für die bundesunmittelbaren Kranken- und Pflegekassen sowie die jeweilige oberste Verwaltungsbehörde eines Bundeslandes, z. B. Sozialministerium, für eine landesunmittelbare Kasse mit dem Zuständigkeitsbereich für ein Bundesland (vgl. § 90 Abs. 1, 2, § 90a, § 94 SGB IV). Wenn sich der Zuständigkeitsbereich einer landesunmittelbaren Kasse auf bis zu drei Bundesländer er- 467 Vgl. Waltermann, Sozialrecht, Rn. 123 m. w. N. 468 Vgl. zum Satzungsbegriff statt vieler: BVerfG, Urteil vom 14. 7. 1959 - 2 BvF 1/ 58, NJW 1959, 1531 ff. [1533]. <?page no="322"?> 322 Recht im Gesundheitswesen streckt, müssen sich die betroffenen Bundesländer einigen, welche Behörde zuständig ist (§ 90 Abs. 3 SGB IV). ◉ Beispiel Das Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie des Landes Brandenburg ist die Aufsichtsbehörde für die AOK Nordost, deren Bezirk die Länder Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern umfasst. Die Staatsaufsicht gegenüber den Kranken- und Pflegekassen ist keine Fachsondern eine Rechtsaufsicht. Das heißt, sie erstreckt sich auf die Einhaltung der Gesetze und anderer Rechtsvorschriften (§ 87 Abs. 1 S. 2 SGB IV). Mangels Fachaufsicht kann die Aufsichtsbehörde nicht einschreiten, solange sich die Tätigkeit der Kassen innerhalb des rechtlich zulässigen Rahmens bewegt. Das gilt auch dann, wenn sie in einer bestimmten Angelegenheit anders vorgehen würde. Dieser Rechtsaufsicht unterliegt allerdings die gesamte Geschäfts-, Rechnungs- und Betriebsführung der Kranken- und Pflegekasse. § 30 Abs. 1 SGB IV regelt grundlegend, dass die Kassen nur Geschäfte zur Erfüllung ihrer gesetzlich vorgeschriebenen oder zugelassenen Aufgaben führen und ihre Mittel nur für diese Aufgaben und für die Verwaltungskosten verwenden dürfen. Die zuständige Aufsichtsbehörde darf sich gem. § 88 Abs. 2 SGB IV Unterlagen vorlegen lassen und Auskünfte verlangen, um zu prüfen, ob eine Rechtsverletzung gegeben ist. ❋ Wissen │ Rechtsverletzung „Eine Rechtsverletzung liegt dann vor, wenn der Versicherungsträger gegen zwingende Vorschriften für ihn maßgeblicher Gesetze oder sonstiges Recht verstößt, diese also fehlerhaft angewandt oder nicht beachtet hat […] Keine Rechtsverletzung ist gegeben, wenn die Aufsichtsbehörde nur eine andere Rechtsanwendung vertritt, die Rechtsanwendung durch den Versicherungsträger jedoch zumindest vertretbar ist […]“ 469 Wenn die Aufsichtsbehörde Rechtsverletzungen feststellt, darf sie gem. § 89 Abs. 1, 3 SGB IV folgende Aufsichtsmittel ergreifen: Beratung, Einberufung von Versammlungen der Selbstverwaltungsorgane, Erlass einer Aufsichtsanordnung. ◉ Beispiel │ Aufsichtsanordnung Das BSG 470 hat eine Aufsichtsanordnung des Bundesversicherungsamtes für rechtmäßig erklärt, nach der einer Ersatzkasse folgende angekündigte Festgeldanlage untersagt wurde: Die Ersatzkasse wollte eine Festgeldanlage gegen Schuldschein über 100 Mill. Euro bei einer Hypothekenbank mit einer Laufzeit von sechs Monaten und einem Zinssatz von 2,3 % vornehmen. Die Anlage sollte 469 LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 23.10.2014, L 1/ 4 KR 570/ 12 KL, NZS 2015, 187 ff. [188]. 470 Vgl. BSG, Urt. v. 3.3.2009, B 1 A 1/ 08 R, BeckRS 2009, 62113. <?page no="323"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Kostenträger 323 die unattraktiven Tagesgeldanlagen (Zinssatz 2,04 %) ersetzen. Aufgrund der hohen Liquiditätsschwankungen war zwar davon auszugehen, dass an einigen Tagen die Festgeldanlage durch eine Kreditaufnahme hätte gegenfinanziert werden müssen. Jedoch hätten die täglichen Kreditaufnahmen maximal die Höhe der Festgeldanlage erreicht; der Kreditzinssatz hätte mit ca. 2,09 % deutlich unter den erwarteten Zinserträgen gelegen. Die Festgeldanlage wäre auch zu 100 % über den Einlagensicherungsfonds abgesichert gewesen. Das BSG führte aus, dass die mit der gewählten Anlageform unvermeidlich zusammenhängende kurzfristige Kreditaufnahme gegen das grundsätzliche Verbot für Krankenkassen, Kredite aufzunehmen (damals § 220 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 i. V. m. § 222 SGB V a. F., jetzt § 220 Abs. 1 S. 2 SGB V), verstoße. Die Festgeldanlage der Klägerin verletze zugleich ihre Pflicht, Betriebsmittel für laufende Ausgaben in einer jederzeit verfügbaren Form (§ 260 Abs. 3 SGB V) und sicher anzulegen (§ 80 Abs. 1 SGB IV). Die (mittelbare) Kreditfinanzierung der Geldanlage lasse Verluste nicht ausgeschlossen erscheinen. Solche Geschäfte mit spekulativem Charakter dürften Sozialversicherungsträger nicht vornehmen. Denn die Entwicklung des Kreditmarktes sei nicht nur im Hinblick auf die Höhe der Zinsen, sondern auch bezüglich des prinzipiellen Angebots von Darlehen nicht zuverlässig einzuschätzen. 3.1.2 Verbände der Kranken- und Pflegekassen Alle Kranken- und Pflegekassen gehören dem GKV-Spitzenverband an, der zugleich als Spitzenverband Bund der Pflegekassen fungiert (§ 217a SGB V, § 53 SGB XI). Der Spitzenverband wurde im Jahr 2007 als Körperschaft des öffentlichen Rechts errichtet und übernahm ab dem 1.7.2008 die Aufgaben der damals bestehenden Bundesverbände der Krankenkassen. Die AOK-, IKK- und BKK- Bundesverbände verloren zum 1.1.2009 ihre Rechtsform als Körperschaft des öffentlichen Rechts und wurden kraft Gesetzes in Gesellschaften des bürgerlichen Rechts umgewandelt. Sofern die Bundesverbände heute noch bestehen, sind sie beratend und unterstützend für ihre Mitglieder tätig. Der GKV-Spitzenverband nimmt die ihm gesetzlich zugewiesenen Aufgaben wahr (§ 217f SGB V, § 53 SGB XI). Beispielsweise bestimmt er die Arzneimittelfestbeträge und trifft die Erstattungsvereinbarung mit dem pharmazeutischen Unternehmer (vgl. Abschnitt 2.9.15.3) oder vereinbart mit dem Bundesversicherungsamt das Nähere zur Durchführung des Finanzausgleichs zwischen den Pflegekassen (vgl. Abschnitt 3.1.7). Ferner unterstützt er die Kranken- und Pflegekassen und ihre Landesverbände bei der Erfüllung ihrer Aufgaben und bei der Wahrnehmung ihrer Interessen. Auf Landesebene besteht eine heterogene Verbandsstruktur. Die Ortskrankenkassen, die Betriebskrankenkassen und die Innungskrankenkassen bilden Landesverbände, die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind (§ 207 SGB V). Die Landesverbände in verschiedenen Bundesländern können sich auch zusammenschließen. ◉ Beispiel Zum 1.1.2010 schlossen sich die beiden BKK Landesverbände Niedersachsen- Bremen und Ost zum BKK Landesverband Mitte zusammen. Zum 1.7.2011 er- <?page no="324"?> 324 Recht im Gesundheitswesen folgte eine weitere Fusion mit dem BKK Landesverband Rheinland-Pfalz und Saarland. Heute gehören dem BKK Landesverband Mitte die Betriebskrankenkassen aus den Ländern Berlin, Brandenburg, Bremen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen an. Wenn nur eine Krankenkasse der gleichen Art im Bundesland besteht oder sich alle Mitgliedskassen eines Landesverbandes zu einer Krankenkasse vereinigen, tritt diese in die Rechte und Pflichten des Landesverbandes ein und übernimmt somit zugleich dessen Aufgaben (§ 207 Abs. 2a, 4 SGB V). ◉ Beispiel AOK - Die Gesundheitskasse für Niedersachsen Für die knappschaftliche Krankenversicherung nimmt die DRVKnBS die Aufgaben der Landesverbände wahr (§ 212 Abs. 3 SGB V). Für die landwirtschaftliche Krankenversicherung kommt diese Funktion der SVLFG zu (§ 36 KVLG 471 ). Die Ersatzkassen haben keinen Landesverband. Sie sind Mitglieder des bundesweit tätigen Verbandes der Ersatzkassen e. V. (vdek). Dieser Verband hat im Unterschied zu den Landesverbänden der BKK, AOK, IKK die Rechtsform eines eingetragenen Vereins und nimmt aufgrund entsprechender Bevollmächtigungen die Aufgaben der Ersatzkassen auf Landesebene wahr (vgl. § 212 Abs. 5 SGB V). Lernhinweis Das Fehlen eines Landesverbandes der Ersatzkassen sehen Sie auch am Wortlaut des Gesetzestextes. So lautet beispielsweise § 109 Abs. 1 S. 1 SGB V: „Der Versorgungsvertrag nach § 108 Nr. 3 kommt durch Einigung zwischen den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen gemeinsam und dem Krankenhausträger zustande […].“ Die Landesverbände der AOK, BKK, IKK, die DRVKnBS, SVLFG sowie die Ersatzkassen nehmen zugleich die Aufgaben der Landesverbände der Pflegekassen wahr (§ 52 SGB XI). Die Landesverbände unterstützen zum einen die Mitgliedskassen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben und bei der Wahrnehmung ihrer Interessen (§ 211 Abs. 2 SGB V). Zum anderen haben sie die ihnen gesetzlich zugewiesenen Aufgaben zu erfüllen (§ 211 Abs. 1 SGB V). So wirken sie beispielsweise an der Bedarfsplanung der vertragsärztlichen Versorgung mit (vgl. Abschnitt 2.1.2.2) und schließen Versorgungsverträge mit verschiedenen Leistungserbringern zu deren Zulassung ab (vgl. Abschnitt 2.2.3.2 - Vertragskrankenhäuser, Abschnitt 2.4.2.2 - Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen, Abschnitt 2.5.2.3 - Pflegeheime, Abschnitt 2.6.3.4 - Pflegedienste). 471 Zweites Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte v. 20.12.1988, BGBl. I S. 2477, 2557, z. g. d. G v. 23.5.2017, BGBl. I S. 1228. <?page no="325"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Kostenträger 325 3.1.3 Errichtung und Organisationsveränderungen der Kranken- und Pflegekassen Kranken- und Pflegekassen sind Körperschaften des öffentlichen Rechts, so dass für ihre Errichtungen, Zusammenschlüsse etc. ein staatlicher Hoheitsakt - ein Gesetz oder eine staatliche Entscheidung auf der Basis eines Gesetzes - notwendig ist. Das Organisationsrecht der gesetzlichen Krankenversicherungen, die §§ 143 ff. SGB V, § 46 Abs. 1, 5 SGB XI, regelt zahlreiche Tatbestände (Abb. 57). Im Hinblick auf die Errichtung ist auffällig, dass diese nur für die Betriebs- und Innungskrankenkassen geregelt ist. Die anderen Krankenkassen werden als existent vorausgesetzt. Für die Gründung einer Pflegekasse ist gem. § 46 Abs. 1 SGB XI der Beschluss der Krankenkasse und die Genehmigung der Aufsichtsbehörde notwendig. Im Übrigen ist für die Pflegekassen geregelt, dass für ihre Fusionen, Auflösungen und Schließung ebenfalls die §§ 143 ff. SGB V gelten (§ 46 Abs. 5 SGB XI). Für drei praxisrelevante organisationsrechtliche Tatbestände sollen die gesetzlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen nachfolgend erläutert werden: Errichtung einer Betriebskrankenkasse gem. §§ 147, 148 SGB V, § 46 Abs. 1 SGB XI, Kassenartübergreifende Vereinigung gem. § 171a SGB V, § 46 Abs. 5 SGB XI, Schließung einer Betriebskrankenkasse gem. §§ 153, 155 SGB V, § 46 Abs. 5 SGB XI. Die Errichtung einer Betriebskrankenkasse erfolgt durch einen Arbeitgeber. ◉ Beispiel │ Errichtung einer Betriebskrankenkasse Am 1.1.1995 wurde die Debeka BKK durch den Debeka Krankenversicherungsverein a. G. (einem privaten Krankenversicherungsunternehmen) errichtet. 472 472 Vgl. § 1 Satzung der Debeka BKK, http: / / www.debeka-bkk.de/ unternehmen/ satzungen/ index.html (Abruf am 2.4.2018). <?page no="326"?> 326 Recht im Gesundheitswesen Abb. 57: Organisationsrecht §§ 143 ff. SGB V, § 46 SGB XI Organisationsrecht für Kranken- und Pflegekassen (§§ 143 ff. SGB V, § 46 SGB XI) kassenartübergreifende Vereinigung, §171a SGB V Deutsche Rentenversicherung Knappschaft- Bahn-See, § 167 SGB V Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau, § 166 SGB V Ersatzkassen Innungskrankenkassen Betriebskrankenkassen Ortskrankenkassen freiwillige Vereinigung, § 168a Abs. 1 SGB V Vereinigung durch Rechtsverordnung, § 168a Abs. 2 SGB V Schließung, §§ 170, 171 SGB V freiwillige Vereinigung, § 144 SGB V Vereinigung durch Rechtsverordnung, §§ 145, 146 SGB V Schließung, § 146a SGB V Errichtung, §§ 147, 148 SGB V Ausdehnung auf weitere Betriebe, 149 SGB V freiwillige Vereinigung, § 150 SGB V Vereinigung durch Rechtsverordnung, § 150 Abs. 2 S. 2 SGB V Ausscheiden von Betrieben, § 151 SGB V Auflösung, §§ 152, 155 SGB V Schließung, §§ 153, 155 SGB V Errichtung, §§ 157, 158 SGB V Ausdehnung auf weitere Innungen, § 159 SGB V Anpassung an den Mitgliederkreis, § 159 Abs. 2 SGB V freiwillige Vereinigung, § 160 Abs. 1 SGB V Vereinigung der Innungen, § 160 Abs. 2 SGB V Vereinigung durch Rechtsverordnung, § 160 Abs. 3 SGB V Ausscheiden einer Innung, § 161 SGB V Auflösung, §§ 162, 164 SGB V Schließung, §§ 163, 134 SGB V <?page no="327"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Kostenträger 327 Der Arbeitgeber muss folgende gesetzlichen Voraussetzungen für die Errichtung erfüllen: Die Gründung erfolgt gem. § 147 Abs. 1 SGB V für mindestens einen (selbständigen) Betrieb des Arbeitgebers. Unter Betrieb wird „die auf Erreichung eines arbeitsrechtlichen Zwecks gerichtete organisatorische Zusammenfassung personeller, sächlicher und anderer Arbeitsmittel zu einer selbständigen Einheit“ 473 verstanden. Für einen unselbständiger Betriebsteil allein, der durch das Fehlen eines eigenen Leitungsapparates und eine enge Verflechtung mit der Zentrale gekennzeichnet ist 474 , kann keine Kasse errichtet werden. Aus dem Wortlaut des Gesetzes folgt ferner, dass die Errichtung einer Betriebskrankenkasse für die Betriebe mehrerer Arbeitgeber nicht möglich ist. Im Betrieb des Arbeitgebers müssen regelmäßig mindestens 1.000 Versicherungspflichtige beschäftigt sein (§ 147 Abs. 1 Nr. 1 SGB V). Der Begriff der Beschäftigten wird in § 7 SGB IV festgelegt. Rentner gehören nicht zu diesem Personenkreis, so dass sie nicht mitgezählt werden. Ferner werden die freiwillig versicherten Beschäftigten nicht berücksichtigt, weil ihnen die Eigenschaft der Versicherungspflicht fehlt. Die Mehrheit der Beschäftigten muss der Gründung in geheimer Abstimmung zustimmen (§ 148 Abs. 2 SGB V). Gem. § 147 Abs. 4 SGB V darf der Betrieb des Arbeitgebers weder ein Leistungserbringer, der mit den Kranken- und Pflegekassen oder ihren Verbänden Verträge schließt, noch ein Verband solcher Leistungserbringer sein. Das bedeutet beispielsweise, dass Krankenhäuser oder Landeskrankenhausgesellschaften keine Betriebskrankenkassen errichten können. Eine Ausnahme davon besteht für Betriebe, die überwiegend andere Leistungen erbringen. Somit haben z. B. Gemeinden, die neben ihren vielen anderen Aufgaben ein Krankenhaus betreiben, die Möglichkeit, eine Betriebskrankenkasse zu gründen. Die Leistungsfähigkeit der Krankenkasse muss auf Dauer gesichert sein (§ 147 Abs. 1 Nr. 2 SGB V). Das bedeutet, dass die Krankenkasse finanziell so ausgestaltet sein muss, dass sie in der Lage ist, Regel- und Mehrleistungen wie vergleichbare Kassen zu gewähren. 475 Näheres zur Finanzierung und Verwendung der Mittel finden Sie im Abschnitt 3.1.6. Die Krankenkasse muss zum Errichtungszeitpunkt mindestens 1.000 Mitglieder haben (§ 148 Abs. 1 S. 2 SGB V). Der Arbeitgeber muss die Genehmigung der Errichtung bei der Aufsichtsbehörde beantragen und seinem Antrag eine Satzung beifügen (§ 148 Abs. 3 S. 1 SGB V). Der Inhalt der Satzung ist in § 194 SGB V, § 47 SGB XI geregelt. Die Errichtung der Betriebskrankenkasse sowie die Satzung der künftigen Kasse müssen von der nach der Errichtung zuständigen Aufsichtsbehörde genehmigt werden (§ 148 Abs. 1, 3 SGB V). Ferner hat die Aufsichtsbehörde den Errichtungszeitpunkt festzulegen. Vor ihrer Entscheidung muss die Behörde gem. § 172 Abs. 1 SGB V die Verbände, in denen die Kasse Mitglied sein wird, anhö- 473 Engelhard, Sozialgesetzbuch-Gesamtkommentar, SGV V § 147 Rn. 8 m. w. N. 474 Vgl. Engelhard, a. a. O. Rn. 9 m. w. N. 475 Vgl. Engelhard, a. a. O., Rn. 14. <?page no="328"?> 328 Recht im Gesundheitswesen ren. Das sind der nach Errichtung zuständige Landesverband (§ 207 SGB V, § 52 SGB XI) sowie der GKV-Spitzenverband (§ 217a SGB V, § 53 SGB XI). Wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind, wird die Betriebskrankenkasse zum festgelegten Errichtungszeitpunkt rechtsfähig. § 171a SGB V, § 46 Abs. 5 SGB XI ermöglichen den AOK, BKK, IKK sowie den EK nebst ihren jeweiligen Pflegekassen eine kassenartübergreifende Vereinigung. Für die beiden anderen Kassenarten ist eine solche Fusion nicht vorgesehen. ◉ Beispiel │ kassenartübergreifende Vereinigung Die Deutsche Betriebskrankenkasse und die Ersatzkasse Barmer GEK fusionierten mit Stichtag 1. Januar 2017 zur Barmer, einer Ersatzkasse. 476 § 171a SGB V stellt für die kassenartübergreifende Vereinigung folgende Voraussetzungen auf: Die Verwaltungsräte der beteiligten Kassen müssen die Fusion beschließen (§ 171a Abs. 1 S. 1 SGB V). Die beteiligten Kassen müssen die Genehmigung der Vereinigung bei der/ den zuständigen Aufsichtsbehörde/ n beantragen. Dem Antrag haben sie eine Satzung, einen Vorschlag zur Berufung der Mitglieder der Organe, ein Konzept zur Organisations-, Personal- und Finanzstruktur der neuen Krankenkasse (inkl. Zahl und Verteilung ihrer Geschäftsstellen) sowie eine Vereinbarung über die Rechtsbeziehungen zu Dritten beizufügen (§ 171a Abs. 1 S. 3, § 144 Abs. 2 SGB V). Des Weiteren müssen sie erklären, welche Kassenartzugehörigkeit aufrechterhalten bleiben soll (§ 171a Abs. 1 S. 3 SGB V). Unter bestimmten Voraussetzungen muss die Vereinigung vom Bundeskartellamt gem. § 172a SGB V freigegeben werden. Die Zusammenschlusskontrolle kommt insbesondere zum Tragen, wenn die beteiligten Krankenkassen weltweite Umsatzerlöse von mehr als 500 Mill. Euro und mindestens eine Krankenkasse im Inland Umsatzerlöse von mehr als 25 Mill Euro und eine andere beteiligte Krankenkasse Umsatzerlöse von mehr als 5 Mill. Euro hat (§ 172a SGB V i. V. m. § 35 Abs. 1, 1a GWB 477 ). Die Krankenkassenbeiträge gelten in diesem Zusammenhang als Umsatzerlöse (§ 38 Abs. 4 S. 2 GWB). Gem. § 171a Abs. 1 S. 2 SGB V bedarf die freiwillige Vereinigung der Genehmigung der zuständigen Aufsichtsbehörde/ n. Ferner muss/ müssen die Aufsichtsbehörde/ n die Satzung genehmigen, die Mitglieder der Organe berufen sowie den Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Fusion bestimmen (§ 171a Abs. 1 S. 3, § 144 Abs. 3 SGB V). Vorab müssen gem. § 172 Abs. 1 SGB V die Verbände der beteiligten Krankenkassen angehört werden. Das ist zum einen der GKV- Spitzenverband, in dem alle Krankenkassen Mitglied sind (§ 217a SGB V, § 53 SGB XI). Zum anderen sind es die Landesverbände der beteiligten Kassen (§ 207 476 Vgl. § 1 der Satzung der Barmer vom 1.1.2017, https: / / www.barmer.de/ versicherungbeitraege/ satzungen/ barmer-satzung-9362 (Abruf am 2.4.2018). 477 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen i. d. F. d. Bek. v. 26.6.2013, BGBl. I S. 1750, 3245, z. g. d. G. v. 12.7.2018, BGBl. I S. 1151. <?page no="329"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Kostenträger 329 SGB V, § 52 SGB XI) und bei einer beteiligten Ersatzkasse der vdek. 478 Der Verband, dem die vereinigungswillige Kasse mit den wenigsten Mitgliedern angehört, kann die Mitgliedschaft der neuen Kranken- und Pflegekasse ablehnen, wenn deren Beitritt seine finanzielle Grundlagen gefährden würde (§ 171a Abs. 1 S. 4 SGB V). Zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Fusion verlieren die bisherigen Kassen ihre Rechtsfähigkeit und die neue Kasse tritt in die Rechte und Pflichten der vereinigten Kassen ein (§ 171a Abs. 1 S. 3, § 144 Abs. 4 SGB V). Des Weiteren sind für die neue Kasse verschiedene Nachhaftungstatbestände geregelt. Gem. § 171a Abs. 2 S. 1 SGB V haftet die neue Kasse fünf Jahre gegenüber dem Verband, aus dem eine der vereinigten Kassen ausgeschieden ist, für Verbindlichkeiten wegen der Schließung einer Kranken- und Pflegekasse des Verbandes oder wegen Gewährung finanzieller Hilfen zur Vermeidung einer Schließung oder Insolvenz einer solchen Mitgliedskasse. ◉ Beispiel │ fünfjährige Nachhaftung Eine Betriebskrankenkasse B und eine Ersatzkasse E fusionieren zu einer neuen Ersatzkasse EB. Ein Jahr nach der Fusion wird eine andere geöffnete Betriebskrankenkasse geschlossen, deren Vermögen für die Befriedigung der Gläubiger nicht ausreicht, so dass die übrigen Betriebskrankenkassen gem. § 155 Abs. 4 SGB V die Verpflichtungen erfüllen müssen. Zum Kreis der Verpflichteten gehört auch die neue Ersatzkasse EB, die aus der Fusion hervorgegangen ist. Zudem muss die neue Kasse gem. § 171a Abs. 2 S. 2 SGB V für die in § 155 Abs. 5 SGB V aufgezählten Verbindlichkeiten einstehen, wenn an der Vereinigung eine Betriebskrankenkasse beteiligt war. Danach haftet sie u. a. bis zum 31.12.2049 gegenüber dem GKV-Spitzenverband für die Verbindlichkeiten der betrieblichen Altersversorgung der Mitarbeiter einer insolventen Betriebskrankenkasse, die bis zum 31.12.2009 entstanden ist (vgl. § 155 Abs. 5 S. 1 Nr. 4 SGB V). Über die Schließung einer Betriebskrankenkasse und Pflegekasse entscheidet die zuständige Aufsichtsbehörde. ◉ Beispiel │ Schließung einer Betriebskrankenkasse Das Bundesversicherungsamt schloss zum 31.12.2011 die Betriebskrankenkasse für Heilberufe. Die Aufsichtsbehörde ist, wenn einer der drei nachfolgenden Gründe vorliegt, zur Schließung verpflichtet. § 153 SGB V sieht für die Behörde kein Ermessen vor. Der Betrieb schließt und die Betriebskrankenkasse ist nicht geöffnet (§ 153 S. 1 Nr. 1 SGB V). Eine nicht geöffnete Betriebskrankenkasse ist nur von den Beschäftigen des Arbeitgebers wählbar (vgl. Abschnitt 3.1.4). Die Betriebskrankenkasse hätte nicht errichtet werden dürfen (§ 153 S. 1 Nr. 2 SGB V). Ihre Errichtung war also rechtswidrig. Die Leistungsfähigkeit der Betriebskrankenkasse ist nicht mehr auf Dauer gesichert (§ 153 S. 1 Nr. 3 SGB V). Erläuterungen zur dauerhaften Leistungsfähig- 478 So auch Engelhard, Sozialgesetzbuch-Gesamtkommentar, SGB V § 172 Rn. 23. <?page no="330"?> 330 Recht im Gesundheitswesen keit finden Sie bei den obigen Erläuterungen zur Errichtung einer Betriebskrankenkasse. Vor der Entscheidung muss die Aufsichtsbehörde die Verbände, in denen die Betriebskrankenkasse und die Pflegekasse Mitglied sind, gem. § 172 Abs. 1 SGB V sowie die betroffene Kasse und den Arbeitgeber gem. § 24 SGB X anhören. Die Liquidation der geschlossenen Kranken- und Pflegekasse ist in § 155 SGB V geregelt: Die Kasse bleibt zum Zwecke der Abwicklung (teil-)rechtsfähig. Erst mit der Beendigung der Liquidation verliert sie ihre Rechtsfähigkeit. Für die Liquidation ist der Vorstand verantwortlich. Dieser hat die Schließung bekannt zu machen und die Gläubiger aufzufordern, ihre Forderungen innerhalb von sechs Monaten anzumelden. Die Mitglieder der Kranken- und Pflegekasse hat der Vorstand über ihr Kassenwahlrecht, das sie innerhalb von sechs Wochen auszuüben haben, sowie über die wählbaren Kassen zu informieren. Der zur Meldung verpflichteten Stelle hat er ebenfalls die Schließung und das Kassenwahlrecht mitzuteilen. Die zur Meldung verpflichteten Stellen sind in den §§ 198 ff. SGB V geregelt. Das sind z. B. die Arbeitgeber der Beschäftigten, die bei der geschlossenen Kranken- und Pflegekasse versichert sind. Die Abwicklung der Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer der Kranken- und Pflegekasse richtet sich nach § 164 Abs. 2-4 SGB V, auf den § 155 Abs. 4 S. 8 SGB V verweist. Den Arbeitnehmern, denen nicht ordentlich gekündigt werden kann, ist im sog. Unterbringungsverfahren eine zumutbare Stelle beim BKK-Landesverband oder bei einer anderen Betriebskrankenkasse zu unterbreiten. Dafür ist jede Betriebskrankenkasse verpflichtet, entsprechend ihrem Anteil an der Zahl der Versicherten Anstellungen anzubieten. Lehnt der Arbeitnehmer die angebotene Stelle ab, endet das Arbeitsverhältnis am Tag der Schließung. 479 Den kündbaren Arbeitnehmern ist unter Beachtung der Kündigungsfrist zu kündigen, wenn keine unternehmensinterne Weiterbeschäftigungsmöglichkeit (z. B. zum Zwecke der Abwicklung) besteht. Wenn das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers nicht zur Krankenkasse, sondern zum Arbeitgeber besteht, der die Krankenkasse errichtet hat, so unterliegt es nicht den Abwicklungsregeln des § 155 SGB V. Der Fortbestand bzw. die Beendigung eines solchen Arbeitsverhältnisses richtet sich nach den allgemeinen arbeits- und kündigungsschutzrechtlichen Regelungen. Wenn am Ende der Abwicklung Vermögen verbleibt, so erhält dieses der zuständige Landesverband. Wenn kein Landesverband besteht oder die Kasse keinem Landesverband angehört hat, so verteilt der GKV-Spitzenverband das Vermögen auf die übrigen Betriebskrankenkassen. Für die gegenteilige Situation, dass das Vermögen nicht ausreicht, um die Gläubiger zu befriedigen, wird differenziert, ob es sich um eine geöffnete oder nicht geöffnete Kasse handelte. Bei einer nicht geöffneten Kasse haftet/ haften zunächst der/ die Arbeitgeber. Wenn dessen/ deren Vermögen ebenfalls ungenügend ist, müssen die übrigen Betriebskrankenkassen finanziell einstehen. Bei einer geöffneten Kasse haften die übrigen Betriebskrankenkassen und ersatzweise die anderen 479 Vgl. zum Unterbringungsverfahren BAG, Urt. v. 21.11.2013, 2 AZR 495/ 12, BeckRS 2014, 69410, Rn. 48 ff. <?page no="331"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Kostenträger 331 Krankenkassen mit Ausnahme der SVLFG. Die Beträge der anteiligen Haftung legt der GKV-Spitzenverband auf der Grundlage der KKInsoV 480 fest. 3.1.4 Mitglieder und Versicherte der Krankenkasse Die Kranken- und Pflegekassen sind Körperschaften des öffentlichen Rechts und somit eine Organisationsform, die an eine Mitgliedschaft anknüpft. Die Mehrzahl der Versicherten ist zugleich Mitglied. Daneben gehören die Familienversicherten der Kasse an, ohne zugleich Mitglied zu sein. Etwa 90 % der Bevölkerung sind gesetzlich kranken- und pflegeversichert. 481 Abb. 58: Versicherter Personenkreis der gesetzlichen Krankenversicherung § 5 SGB V regelt, welche Personen kraft Gesetzes versicherungspflichtig sind. Dieser Paragraph wird ergänzt durch die §§ 6, 7 SGB V, die den versicherungsfreien Personenkreis festlegen, sowie § 8 SGB V, der eine Befreiung von der Versicherungspflicht auf Antrag zulässt. § 9 SGB V bestimmt, wer freiwilliges Mitglied einer Krankenkasse werden kann. § 10 SGB V stellt die Voraussetzungen für die Familienversicherung von Ehegatten, Lebenspartnern und Kindern auf. Diese Regelungssystematik soll nachfolgend für einige Personengruppen dargestellt werden: Arbeiter, Angestellte und zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigte, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, sind grundsätzlich versicherungspflichtig (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V). Die Frage, ob eine Beschäftigung vorliegt, ist anhand § 7 SGB IV zu klären. Arbeitnehmer, die geringfügig beschäftigt sind, sind jedoch versicherungsfrei (vgl. im Einzelnen § 7 SGB V i. V. m. §§ 8, 8a SGB IV). 480 Verordnung zur Aufteilung und Geltendmachung der Haftungsbeträge durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen bei Insolvenz und Schließung einer Krankenkasse v. 4.1.2010, BGBl. I S. 2 z. g. d. G v. 22.12.2011, BGBl. I S. 2983. 481 Vgl. Spitzenverband Bund der Krankenkassen, Kennzahlen der gesetzlichen Krankenversicherung, Stand 1.1.2016, https: / / www.gkv-spitzenverband.de/ gkv_spitzenverband/ presse/ zahlen_und_grafiken/ zahlen_und_grafiken.jsp (Abruf am 15.4.2018). versicherter Personenkreis Mitglieder Familienversicherte Pflichtmitglieder freiwillige Mitglieder <?page no="332"?> 332 Recht im Gesundheitswesen Arbeitnehmer mit einem regelmäßigen Entgelt oberhalb der Jahresarbeitsentgeltgrenze (2018: 4.950,- Euro monatlich) sind gem. § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V ebenfalls versicherungsfrei. Sie können unter den Voraussetzungen des § 9 SGB V freiwilliges Mitglied einer Krankenkasse werden oder sich für eine private Krankenversicherung entscheiden. Arbeitnehmer, die wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze zunächst versicherungsfrei geworden waren, später aber wegen Anhebung der Jahresarbeitsentgeltgrenze ein Entgelt unterhalb der Grenze erzielen, können sich von der eintretenden Versicherungspflicht befreien lassen (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB V). Beamte und Richter sind gem. § 6 Abs. 2 SGB V versicherungsfrei. Sie erhalten für ihre Aufwendungen im Krankheitsfall eine (anteilige) Beihilfe von ihrem Dienstherrn und müssen sich für den vom Dienstherrn nicht gedeckten Kosten entweder gem. § 193 Abs. 3 VVG privat krankenversichern oder gem. § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB V freiwilliges Mitglied einer Krankenkasse werden. Die hauptberuflich selbständigen Erwerbstätigen sind nicht versicherungspflichtig (§ 5 Abs. 5 SGB V). Das gilt allerdings nicht für die landwirtschaftlichen Unternehmer sowie Künstler und Publizisten. Die Landwirte sind gem. § 5 Abs. 1 Nr. 3 SGB V i. V. m. dem KLVG versicherungspflichtig. Die Versicherungspflicht der Künstler und Publizisten folgt aus § 5 Abs. 1 Nr. 4 i. V. m. dem Künstlersozialversicherungsgesetz. Sofern ein Selbständiger nicht versicherungspflichtig ist, kommt eine freiwillige gesetzliche Versicherung gem. § 9 SGB V oder ei ne p riv at e Kr ank en ver sic he run g gem . § 1 93 A bs . 3 VV G in Be tracht. Personen, die Arbeitslosengeld I (siehe dazu §§ 136 ff. SGB III) beziehen, sind gem. § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V versicherungspflichtig. Personen, die Arbeitslosengeld II (siehe dazu §§ 19 ff. SGB II) beziehen, sind gem. § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V versicherungspflichtig. Studenten, die nicht familienversichert sind, sind bis zum Abschluss des 14. Fachsemesters, längstens bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres versicherungspflichtig. Nach den genannten Stichtagen sind sie nur versicherungspflichtig, wenn die Art der Ausbildung, persönliche oder familiäre Gründe die Überschreitung der Stichtage rechtfertigen (§ 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V). Während eines in der Prüfungs- oder Studienordnung vorgeschriebenen Praktikums sind die Studenten ebenfalls pflichtversichert (§ 5 Abs. 1 Nr. 10 SGB V). Ebenso sind Studenten der dualen Studiengänge gem. § 5 Abs. 4a SGB V versicherungspflichtig. Wenn ein Student neben seinem Studium einer Beschäftigung nachgeht, ist er bzgl. der Beschäftigung versicherungsfrei, wenn das sog. Werkstudentenprivileg gem. § 6 Abs. 1 Nr. 3 SGB V Anwendung findet. Danach muss die Beschäftigung einen gegenüber dem Studium untergeordneten Umfang haben. Insoweit orientiert sich die Rechtsprechung an einem Grenzwert von 20 Wochenstunden in der Vorlesungszeit. Bei einer höheren Wochenarbeitszeit kann im Einzelfall noch von einer untergeordneten Tätigkeit gesprochen werden, wenn die Arbeitszeit den Erfordernissen des Studiums angepasst ist, weil sie z. B. in den Abend-, Nachtstunden oder am Wochenende liegt. In den Semesterferien kann <?page no="333"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Kostenträger 333 eine Beschäftigung über die 20 Wochenstunden hinaus, auch in Vollzeit, ausgeübt werden; sie bleibt trotzdem versicherungsfrei. 482 Rentenantragsteller und Rentner sind versicherungspflichtig, wenn sie mindestens neun Zehntel der zweiten Hälfte ihres gesamten Erwerbslebens, das von der erstmaligen Aufnahme bis zum Tag des Rentenantrages gerechnet wird, als Mitglied oder Familienversicherte gesetzlich versichert waren (§ 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V). Der Beginn und das Ende einer Mitgliedschaft in der Krankenkasse sind in den §§ 186 bis 193 SGB V geregelt. Beispielsweise besteht die Mitgliedschaft eines Arbeitnehmers vom ersten bis zum letzten Tag seines Beschäftigungsverhältnisses (§ 186 Abs. 1, § 190 Abs. 2 SGB V). Unter Umständen kann die Mitgliedschaft fortgelten, z. B. wenn und solange ein arbeitsunfähiger Arbeitnehmer über das Ende seines Beschäftigungsverhältnisses hinaus Krankengeld bezieht (§ 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V). Die Mitgliedschaft ist bei der gewählten Krankenkasse gem. § 175 Abs. 1 SGB V zu beantragen. Die Krankenkasse darf den Antrag nicht ablehnen, wenn die getroffene Wahl den Vorgaben der §§ 173, 174 SGB V entspricht. So dürfen beispielsweise sog. geöffnete Betriebskrankenkassen von Personen gewählt werden, die nicht in dem Betrieb beschäftigt sind, für den die Betriebskrankenkasse besteht, wenn es die Satzung der Kasse zulässt (vgl. § 173 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 SGB V). Anders verhält es sich bei den sog. nicht geöffneten Betriebskrankenkassen. Diese können nur von den im Betrieb Beschäftigten gewählt werden (§ 173 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 SGB V). 3.1.5 Mitglieder und Versicherte der Pflegekasse In der sozialen Pflichtversicherung sind alle pflichtversichert, die in der gesetzlichen Krankenversicherung Pflichtmitglied, freiwilliges Mitglied oder Familienversicherter sind (§§ 20, 25 SGB XI). Freiwillige Mitglieder können sich und ihre familienversicherten Angehörigen befreien lassen, wenn sie für alle betroffenen Personen eine Pflegepflichtversicherung bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen abschließen (§ 22 SGB XI). Wenn die Versicherungspflicht endet, z. B. beim Erlöschen der Familienversicherung, besteht unter den in § 26 SGB XI geregelten Voraussetzungen die Möglichkeit einer Weiterversicherung. Diejenigen, die nicht in der gesetzlichen, sondern in der privaten Krankenversicherung abgesichert sind, müssen gem. § 23 SGB XI eine Pflegepflichtversicherung bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen abschließen (siehe dazu auch Abschnitt 3.2.4.1). Mit Einführung der Pflegeversicherung ist eine Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit, sei es bei einer Pflegekasse oder bei einem privaten Versicherer, für möglichst alle Einwohner der Bundesrepublik angestrebt worden. Deshalb regelt das Gesetz für weitere im Inland wohnende Personengruppen ohne gesetzlichen oder privaten Krankenversicherungsschutz eine Versicherungspflicht (vgl. § 21 SGB XI) sowie ein Beitrittsrecht (vgl. § 26a SGB XI). 482 Vgl. z. B. BSG, Urt. v. 21.7.1977, 7 RAr 132/ 75, BSGE 44, 164 ff. [165 f.]; Urt. v. 22.2.1980, 12 RK 34/ 79, BSGE 50, 25 ff. [26 f.]. <?page no="334"?> 334 Recht im Gesundheitswesen 3.1.6 Finanzierung und Verwendung der Mittel einer Krankenkasse Die finanziellen Mittel der gesetzlichen Krankenversicherung setzen sich aus Beiträgen und sonstigen Einnahmen zusammen. Das Finanzieren von Ausgaben durch Darlehen ist den Krankenkassen untersagt (§ 220 Abs. 1 SGB V). Abb. 59: Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung Die Beiträge werden von den Mitgliedern und den Arbeitgebern entrichtet und bestimmen sich grundsätzlich nach den beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder (§ 3 SGB V). Sie sind Teil des Gesamtsozialversicherungsbeitrages, den die Krankenkassen als Einzugsstelle einziehen (§§ 28d, 28i, 28k SGB IV). Für die Beitragsbemessung sind die beitragspflichtigen Einnahmen relevant, zu denen beispielsweise das Arbeitsentgelt, die Ausbildungsvergütung oder Rentenzahlung gehören (Näheres dazu in den §§ 226-240 SGB V). Diese Einnahmen werden jedoch nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze gem. § 223 Abs. 3 SGB V herangezogen, 2018 lag die Grenze bei 4.425 Euro monatlich. Die Einnahmen oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze sind grundsätzlich beitragsfrei. Der allgemeine Beitragssatz beträgt aktuell 14,6 % der beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder (§ 241 SGB V). Für bestimmte Versichertengruppen - z. B. für versicherungspflichtige Studenten - regeln die §§ 243-248 SGB V ermäßigte Beitragssätze. Daneben gibt es den kassenindividuellen Zusatzbeitragssatz, den eine Krankenkasse für ihre Mitglieder in ihrer Satzung festlegt, wenn die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds den Finanzbedarf der Krankenkasse nicht deckt (§ 242 SGB V). Mittel der Krankenversicherung Beiträge sonstige Einnahmen, wie z. B. allgemeiner Beitrag Zusatzbeitrag Bundeszuschuss für versicherungsfremde Leistungen § 221 SGB V Erstattungen von Dritten § 116 SGB X Rabattzahlung eines pharmazeutischen Unternehmers gem. § 130a Abs. 8 SGB V <?page no="335"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Kostenträger 335 Die Beiträge aus dem Arbeitsentgelt, die nach dem allgemeinen Beitragssatz ermittelt werden, werden grundsätzlich paritätisch getragen, beispielsweise im Fall eines Beschäftigten von diesem und seinem Arbeitgeber (§ 249 SGB V), im Fall eines Rentners von diesem und dem Träger der Rentenversicherung (§ 249a SGB V). Von dieser paritätischen Beitragstragung gibt es Ausnahmen für bestimmte Versichertengruppen, vgl. dazu §§ 249b-251 SGB V. Zudem wird der Zusatzbeitrag, den eine Krankenkasse nach § 242 SGB V erhebt, vom Mitglied allein getragen. ◉ Beispiel Eine Krankenkasse hat in ihrer Satzung einen Zusatzbeitragssatz von 0,9 geregelt. Das bedeutet für einen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer, dass für ihn ein Beitragssatz von 8,2 % und für seinen Arbeitgeber in Höhe von 7,3 gilt. Die eingezogenen (Grund-)Beiträge und Zusatzbeiträge leitet die Krankenkasse an den Gesundheitsfonds (§ 271 SGB V) weiter. Dieser wird vom Bundesversicherungsamt als Sondervermögen verwaltet. Der Fonds erhält zudem einen Bundeszuschuss für versicherungsfremde Leistungen gem. § 221 SGB V. Aus den Mitteln des Gesundheitsfonds müssen eine Liquiditätsreserve gem. § 271 Abs. 2-3 SGB V gebildet und Zuweisungen an die Krankenkassen zur Deckung ihres Finanzbedarfs vorgenommen werden. Gem. § 266 SGB V erhalten die Krankenkassen aus dem Gesundheitsfonds eine für alle Kassen einheitliche Grundpauschale sowie alters-, geschlechts- und risikoadjustierte Zu- und Abschläge für ihre standardisierten (nichtindividuellen) Leistungsausgaben. Dieses System wird als morbiditätsorientierter Risikostrukturausgleich (oder kurz: Morbi-RSA) bezeichnet. Die Grundpauschale entspricht den durchschnittlichen Leistungsausgaben pro Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung, so dass die tatsächlichen Ausgaben einer Krankenkasse je nach Versichertenstruktur ober- oder unterhalb des Durchschnitts liegen können. ◉ Beispiel Für 2018 beträgt die monatliche Grundpauschale 252,806391072400 Euro je Versicherten. 483 Um die unterschiedliche Verteilung der Versicherten bei den Krankenkassen auszugleichen, wird die Grundpauschale durch Zu- und Abschläge angepasst. Um die Zu- und Abschläge angemessen zu staffeln, werden mehrere Gruppen gebildet und jeder Versicherte wird einer Gruppe zugeordnet. Es werden Gruppen nach Geschlecht und Alter (in Abständen von fünf Jahren sowie gesondert für Neugeborene) gebildet, um die unterschiedlichen Leistungsausgaben, die mit dem Alter und Geschlecht der Versicherten zusammenhängen, zu kompensieren. Beispielsweise nehmen jüngere Versicherte regelmäßig weniger Leistungen in Anspruch und sind dadurch für eine Krankenkasse kostengünstiger, so dass die Grundpau- 483 Vgl. Bekanntmachung des Bundesversicherungsamts zum Gesundheitsfonds Nr. 1/ 2018 v. 15.11.2017, nebst Anlagen, https: / / www.bundesversicherungsamt.de/ risikostrukturausgleich/ bekanntmachungen/ bekanntmachung/ article/ bekanntmachung-zum-gesundheitsfonds-nr-12018.html (Abruf am 13.5.2018). <?page no="336"?> 336 Recht im Gesundheitswesen schale durch einen Abschlag reduziert wird. Anders verhält es sich z. B. bei Neugeborenen, die einen höheren Leistungsbedarf haben, so dass die Grundpauschale mit einem Zuschlag aufgestockt wird. ◉ Beispiel Für 2018 beträgt der monatliche alters- und geschlechtsbezogene Abschlag für Gruppe 5 [weiblich, 18 bis 24 Jahre] -159,329343185015 Euro. 484 Ferner werden Gruppen für Versicherte gebildet, die im Vorjahr mindestens 183 Tage ihren Wohnsitz im Ausland hatten (unterschiedliche Gruppen nach Alter und Geschlecht) oder mindestens 183 Tage die Kostenerstattung nach § 13 Abs. 2 SGB V oder § 53 Abs. 4 SGB V in Anspruch genommen haben. Die Versichertenklassifikation hinsichtlich des Krankengeldzuschlages erfolgt nach Alter, Geschlecht und mit/ ohne Erwerbsminderungsrente. ◉ Beispiel Für 2018 beträgt der monatliche Zuschlag für die Gruppe KEG002 [Versicherte mit mind. 183 Tage mit Kostenerstattung nach § 13 Abs. 2 SGB V im Vorjahr, 30-59 Jahre im Ausgleichsjahr] 25,416161895171 Euro. Für die Gruppe AUSAGG007 [weiblich, 30-34 Jahre, Ausland im Vorjahr] beträgt der Abschlag 67,572784724149 Euro. Der monatliche Krankengeldzuschlag für die Versicherten der Gruppe KAGG112 [männlich, 20 Jahre, Nicht-EMR] beträgt 4,154280896231 Euro für 2018. 485 Zur Berücksichtigung von unterschiedlichen Krankheitsrisiken der Versicherten werden Morbiditätsgruppen für 80 Krankheiten gebildet, die einen hohen Versorgungsbedarf haben und somit für die Krankenkassen ausgabenintensiv sind. Zu diesen Krankheiten gehören z. B. HIV/ AIDS, Diabetes mellitus, Demenz. Die hohen finanziellen Auswirkungen für eine Krankenkasse werden durch entsprechende Zuschläge zur Grundpauschale ausgeglichen. Die Einstufung der Versicherten in die Morbiditätsgruppen ist von entsprechenden ärztlichen Diagnosen und Arzneimittelverordnungen abhängig. ◉ Beispiel Für 2018 beträgt der monatliche Zuschlag für die Morbiditätsgruppe 019 [Diabetes ohne Komplikationen] 31,626286043322 Euro. 486 Des Weiteren werden Erwerbsminderungsgruppen für Versicherte gebildet, die eine Rente wegen Erwerbsminderung beziehen. Durch eine Zuordnung der Versicherten zu diesen Gruppen werden die (schweren) Krankheiten, die zur Minderung der Erwerbsfähigkeit führen, quasi mittelbar berücksichtigt. 484 Ebd. 485 Ebd. 486 Ebd. <?page no="337"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Kostenträger 337 ◉ Beispiel Für 2018 betrug der monatliche Zuschlag für die Versichertengruppe EMG004 [männlich, unter 46 Jahre, Erwerbsminderungsrente im Vorjahr] 197,065906604547 Euro. 487 Je nach Zuordnung der Versicherten zu den verschiedenen Gruppen erhält die Krankenkasse Zu- und Abschläge zur Grundpauschale. Ferner erhalten die Krankenkassen aus dem Gesundheitsfonds gem. § 270 SGB V weitere Zuweisungen für Verwaltungsausgaben, für bestimmte Satzungs- und Ermessensleistungen sowie für die Entwicklung und Durchführung von strukturierten Behandlungsprogrammen. Maßgeblich sind für diese Zuweisungen standardisierte Kosten, nicht die tatsächlich entstandenen Kosten der Krankenkasse. Die Einzelheiten des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs sind in den §§ 266 ff. SGB V und der Risikostruktur-Ausgleichsverordnung 488 geregelt. Der Risikostrukturausgleich unterliegt einer regelmäßigen Weiterentwicklung mit dem Ziel, die Zielgenauigkeit der Zuweisungen an die Krankenkassen zu erhöhen, um den Wettbewerb zwischen den Krankenkassen fairer zu gestalten. Für das wettbewerbliche Handeln der Krankenkassen sollen nicht die Risikoselektion, sondern die Wirtschaftlichkeit und Qualität der Leistungsversorgung maßgeblich sein. Zur Weiterentwicklung des Risikostrukturausgleichs werden dessen Wirkungen durch den beim Bundesversicherungsamt gebildeten wissenschaftlichen Beirat begutachtet. 489 Dessen Empfehlungen bilden regelmäßig die Basis für entsprechende gesetzliche Änderungen. Die Zusatzbeiträge gehen nicht in den morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich ein. Sie werden einem gesonderten Ausgleich gem. § 270a SGB V unterworfen. Im Ergebnis dieses Ausgleichs erhalten die Kassen, die einen Zusatzbeitrag erheben, eine Zuweisung je Mitglied, die sich aus der Multiplikation ihres Zusatzbeitragssatzes mit dem voraussichtlichen durchschnittlichen beitragspflichtigen Einnahmen je Mitglied aller Krankenkassen ergibt (§ 270a Abs. 2 SGB V). Mit anderen Worten: Die Krankenkasse bekommt nicht ihren individuellen, sondern einen Zusatzbeitrag zugewiesen, der auf den durchschnittlichen beitragspflichtigen Einnahmen in der gesetzlichen Krankenversicherung basiert. Damit sollen Wettbewerbsverzerrungen aufgrund unterschiedlich hoher beitragspflichtiger Einnahmen der Kassenmitglieder verhindert werden. 490 Neben den Mitteln aus dem Gesundheitsfonds erhalten die Krankenkassen Zahlungen von Dritten, z. B. Rabatte der pharmazeutischen Unternehmen nach § 130a Abs. 8 SGB V für Arzneimittel, die zulasten der Krankenkasse abgegeben worden sind. 487 Ebd. 488 Verordnung über das Verfahren zum Risikostrukturausgleich in der gesetzlichen Krankenversicherung (Risikostruktur-Ausgleichsverordnung, RSAV) v. 3.1.1994, BGBl. I S. 55, z. g. d. G v. 4.4.2017, BGBl. I S. 778. 489 Vgl. z. B. Sondergutachten zu den Wirkungen des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs vom 27.11.2017, https: / / www.bundesversicherungsamt.de/ risikostrukturausgleich/ wissenschaftlicher-beirat.html (Abruf am 12.5.2018). 490 Vgl. RegE des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Finanzstruktur und der Qualität in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-FQWG), BTag-Drucks. 18/ 1307, S. 49. <?page no="338"?> 338 Recht im Gesundheitswesen Abb. 60: Zahlungsströme in der gesetzlichen Krankenversicherung Zusatzbeitrag (Grund-) Beitrag Gesundheitsfonds (Sondervermögen des Bundesversicherungsamtes) (nur Krankenkasse, die Zusatzbeitrag erhebt) Beitrag gemäß Einkommensausgleich Zuweisung für sonstige Ausgaben Bildung einer Liquiditätsreserve Bundeszuschuss Dritte, z. B. pharmazeutische Unternehmen sonstige Zahlungen (Grund-) Beitrag (Grund-) Beitrag Zusatzbeitrag Mitglieder oder Dritte für bestimmte Versichertengruppen Arbeitgeber oder Selbstzahler Direktzahler Bund (Grund-) Pauschale Krankenkasse als Einzugsstelle Krankenkasse <?page no="339"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Kostenträger 339 Die Mittel, die eine Krankenkasse vereinnahmt und für die Erledigung ihrer Aufgaben einzusetzen hat, gliedern sich in Betriebsmittel (§ 260 SGB V) Betriebsmittel sind lt. der Definition in § 80 Abs. 4 SGB IV kurzfristig verfügbare Mittel zur Bestreitung der laufenden Ausgaben sowie zum Ausgleich von Einnahme- und Ausgabeschwankungen. Sie dürfen nur für die Aufgaben der Krankenkasse, die durch Gesetz oder Satzung vorgesehen sind, für die Verwaltungskosten, die Auffüllung der Rücklage und zur Bildung von Verwaltungsvermögen eingesetzt werden. Dagegen dürfen sie nicht für die Erledigung der Aufgaben der Pflegekasse verwendet werden, weil diese über eigene Betriebsmittel verfügt. Zudem unterliegt die Mittelverwendung dem Geboten der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit gem. § 69 Abs. 2 SGB IV. Rücklage (§ 261 SGB V) Zweck der Rücklage ist es, die Leistungsfähigkeit der Krankenkasse zu sichern, insbesondere für den Fall, dass Einnahme- und Ausgabeschwankungen nicht (mehr) durch Betriebsmittel ausgeglichen werden können (§ 82 SGB IV). Wenn durch die Entnahme von Mitteln aus der Rücklage das in der Satzung bestimmte Rücklagensoll unterschritten wird, besteht eine Auffüllpflicht gem. der gesetzlichen Vorgaben in § 261 Abs. 4 SGB V. Für den umgekehrten Fall, dass die tatsächliche Rücklage größer als das Soll ist, muss der übersteigende Betrag den Betriebsmitteln zugeführt werden (§ 261 Abs. 5 SGB V). Die Rücklage ist getrennt von den sonstigen Mitteln und unter Berücksichtigung der Vorgaben in § 83 SGB IV anzulegen. Andere Anlageformen benötigen die Genehmigung der Aufsichtsbehörde (§ 86 SGB IV). Verwaltungsvermögen (§ 263 SGB V) Zum Verwaltungsvermögen gehören alle Vermögenswerte, die der Erfüllung der Aufgaben sowohl der Krankenals auch der Pflegekasse dienen und nicht den Betriebsmitteln, der Rücklage oder einem Sondervermögen zuzuordnen sind. Da die Pflegekasse wegen der organisatorischen Verknüpfung mit der Krankenkasse kein eigenes Verwaltungsvermögen hat, sind ihre Aufgaben für die Zweckbestimmung ebenfalls relevant. Zu den Vermögenswerten gehören zum einen beispielsweise Grundstücke, Gebäude, Fahrzeuge sowie entsprechende Rückstellungen für künftige Anschaffungen und Erneuerungen derartiger Werte. Dagegen stellen die Mittel für deren laufende Ausgaben, z. B. im Fall einer Reparatur, Betriebsmittel dar. Zum anderen werden die Rückstellungen für die künftig zu zahlenden (langfristigen) Versorgungsbezügen der Bediensteten und ihrer Hinterbliebenen dem Verwaltungsvermögen zugeordnet. 3.1.7 Finanzierung und Verwendung der Mittel einer Pflegekasse Die Finanzierung der Pflegeversicherung ist in den §§ 54-68 SGB XI geregelt und entspricht in weiten Teilen der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Mittel der Pflegeversicherung bilden ebenfalls die Beiträge und sonstige Einnahmen. Wie in der gesetzlichen Krankenversicherung sind für die Beitragsbemessung die beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder relevant, zu denen beispielsweise das Arbeitsentgelt, die Ausbildungsvergütung oder Rentenzahlung gehören (Nä- <?page no="340"?> 340 Recht im Gesundheitswesen heres dazu in den § 57 SGB XI). Diese Einnahmen werden gem. § 55 Abs. 2 SGB XI ebenfalls nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze herangezogen. Der allgemeine Beitragssatz beträgt aktuell 2,35 % der beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder (§ 55 Abs. 1 SGB XI). Die Beiträge aus dem Arbeitsentgelt, die nach dem allgemeinen Beitragssatz ermittelt werden, werden vom Arbeitgeber und Arbeitnehmer grundsätzlich paritätisch getragen. Eine Ausnahme besteht für die Beschäftigten des Freistaates Sachsen, in dem seinerzeit ein Wochentags- Feiertag nicht abgeschafft worden ist. Deshalb verschiebt sich der Beitragssatz gem. § 58 Abs. 3 SGB XI auf 1,675 für den Arbeitnehmer sowie 0,675 für den Arbeitgeber. Weitere Abweichungen der paritätischen Beitragstragung regeln die §§ 58, 59 SGB XI z. B. für Rentner. Für kinderlose, nach dem 31.12.1939 geborene Mitglieder erhöht sich der Beitragssatz ab dem vollendeten 23. Lebensjahres um 0,25 Beitragssatzpunkte. Der daraus resultierende Beitragszuschlag ist vom Mitglied allein zu tragen (§ 55 Abs. 3 SGB XI). Die Beiträge werden als Teil des Gesamtsozialversicherungsbeitrags von der Krankenkasse gem. § 28k SGB IV eingezogen und an die Pflegekasse (nicht an den Gesundheitsfonds) weitergeleitet. Da die beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder der einzelnen Pflegekassen unterschiedlich hoch sind, gleichwohl aber einem einheitlichen Beitragssatz unterworfen sind, erzielen die Pflegekassen unterschiedlich hohe Beitragseinnahmen. Das bedeutet wiederum, dass die Überschüsse und Defizite in den Kassen unterschiedlich verteilt sind. Deshalb findet zwischen den Pflegekassen bezogen auf ihre Aufwendungen für Leistungen an die Versicherten sowie ihre Verwaltungskosten ein Finanzausgleich in der Verantwortung des Bundesversicherungsamtes gem. §§ 66-68 SGB XI statt. Dazu melden die Pflegekassen monatlich ihre Einnahmen, Ausgaben sowie jeweils die Ist- und Sollbeträge ihrer Betriebsmittel und Rücklage. Abhängig von der finanziellen Situation erhält die Pflegekasse entweder eine Erstattung oder muss ihrerseits eine Zahlung tätigen: Abb. 61: Finanzausgleich und Ausgleichsfonds Ausgaben zzgl. Betriebsmittelsoll zzgl. Rücklagensoll Einnahmen zzgl. Betriebsmittelbestand zzgl. Rücklage Erstattung des Unterschiedsbetrages aus dem Ausgleichsfonds > Einnahmen zzgl. Betriebsmittelbestand zzgl. Rücklage Ausgaben zzgl. Betriebsmittelsoll zzgl. Rücklagensoll Überweisung des Unterschiedsbetrages an den Ausgleichsfonds > <?page no="341"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Kostenträger 341 Der in der Abbildung genannte Ausgleichsfonds ist eine kassenübergreifende Schwankungsreserve, um die Liquidität aller Pflegekassen jederzeit zu gewährleisten. Der Fonds wird als Sondervermögen vom Bundesversicherungsamt verwaltet und hat neben den Zahlungen der Pflegekassen weitere Einnahmen, wie z. B. Beiträge aus Rentenzahlungen (vgl. § 65 SGB XI). Nähere Einzelheiten des Finanzausgleichs und des Ausgleichsfonds sind in einer Vereinbarung zwischen dem GKV- Spitzenverband und dem Bundesversicherungsamt geregelt. 491 Die Mittel der Pflegekasse, die sie vereinnahmt und für die Erledigung ihrer Aufgaben einzusetzen hat, umfassen Betriebsmittel (§ 63 SGB XI) Hier gilt ebenfalls die Definition aus § 80 Abs. 4 SGB IV (siehe Abschnitt 3.1.7). Die Betriebsmittel sind wie bei der Krankenkasse nur für die im Gesetz und in der Satzung vorgesehenen Aufgaben, für die Verwaltungskosten und für die Auffüllung der Rücklage zu verwenden. Des Weiteren dienen sie der Finanzierung des Ausgleichsfonds. Die Betriebsmittel sind gesetzlich auf den sich aus dem Haushaltsplan ergebenden Monatsbetrag für die gesetzlichen und satzungsmäßigen Aufgaben und Verwaltungskosten begrenzt. Darüber hinaus gehende Mittel sind der Rücklage oder, wenn deren Soll erreicht ist, dem Ausgleichsfonds zuzuführen (siehe auch oben). Rücklage (§ 64 SGB XI) Die Pflegekasse hat wie die Krankenkasse zur Sicherung ihrer Leistungsfähigkeit eine Rücklage zu bilden und getrennt von den sonstigen Mitteln unter Berücksichtigung der Vorgaben der §§ 83 ff. SGB IV anzulegen. Wenn das Rücklagensoll erreicht ist, muss der übersteigende Betrag den Betriebsmitteln zugeführt werden, soweit dessen Soll unterschritten ist. Wenn das nicht der Fall ist, muss der übersteigende Betrag an den Ausgleichsfonds überwiesen werden (siehe auch oben). Anders als die Krankenkasse hat die Pflegekasse kein (eigenes) Verwaltungsvermögen, da sie organisatorisch an die Krankenkasse angebunden ist. Für die Nutzung der personellen und sachlichen Ressourcen der Krankenkasse hat die Pflegekasse eine Verwaltungskostenpauschale gem. § 46 Abs. 3, 4 SGB XI an die Krankenkasse zu entrichten. Nähere Einzelheiten für die Erstattung regelt die Pflege- Verwaltungskostenbestimmung des GKV-Spitzenverbandes. 492 3.1.8 Nach außen gerichtete öffentlich-rechtliche Handlungsformen der Kranken- und Pflegekasse Die Kranken- und Pflegekasse kann unternehmerisch wie andere Privatrechtssubjekte (z. B. AG, GmbH, OHG) am Wirtschaftsverkehr teilnehmen, indem sie bei- 491 Vereinbarung des GKV-Spitzenverbandes und dem Bundesversicherungsamt nach § 66 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB XI v. 30.10.2012, http: / / www.bundesversicherungsamt.de/ ausgleichsfonds/ finanzausgleich/ informationen-zumfinanzausgleich.html (Abruf am 21.7.2018). 492 Bestimmung des GKV-Spitzenverbandes nach § 46 Abs. 3 SGB XI über die Verteilung der Verwaltungskostenerstattung der sozialen Pflegeversicherung v. 16.12.2016, https: / / www.bundesversicherungsamt.de/ ausgleichsfonds/ finanzausgleich/ pflege-verwaltungskosten.html (Abruf am 21.7.2018). <?page no="342"?> 342 Recht im Gesundheitswesen spielsweise Kauf-, Miet- und Arbeitsverträge abschließt. Daneben stehen ihr als Teil der mittelbaren Staatsverwaltung (vgl. Abschnitt 3.1.2) die dem Staat vorbehaltenen Handlungsformen zur Verfügung, um z. B. über Ansprüche eines Versicherten zu entscheiden oder Verträge mit Leistungserbringern abzuschließen. Sie kann Verwaltungsakte und Satzungen erlassen, Realakte vornehmen oder öffentlich-rechtliche Verträge schließen. ◉ Beispiel Verwaltungsakt: Bewilligung von Krankengeld gem. §§ 44 ff. SGB V; Gewähr ung von Pfle geg eld ge m. § 37 SGB XI, Zulassu ng ein es Hei lmi tt el erbrin gers zur Versorgung der gesetzlich Versicherten durch eine Ersatzkasse gem. § 124 SGB V Realakt: Information der Versicherten durch eine Krankenkasse über die Hilfsmittelverträge gem. § 127 Abs. 5 SGV V; Transparenzbericht der Landesverbände der Pflegekassen gem. § 115 Abs. 1a SGB XI Öffentlich-rechtlicher Vertrag: Vertrag zwischen einer Krankenkasse und einem Hilfsmittellieferanten gem. § 127 SGB V; Versorgungsvertrag zwischen einem Krankenhausträger und den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen gem. § 109 SGB V; Rahmenvertrag zwischen den Landesverbänden der Pflegekassen und den Vereinigungen der Träger der ambulanten Pflegeeinrichtungen im Land gem. § 75 SGB XI; Pflegesatzvereinbarung gem. § 85 SGB XI Satzung: (Haupt-)Satzung einer Krankenkasse gem. § 194 SGB V und einer Pflegekasse gem. § 47 SGB XI; Festlegung des Zusatzbeitrages gem. § 242 SGB V; Satzung über Wahltarife gem. § 53 SGB V; Satzung über zusätzliche Leistungen gem. § 11 Abs. 6 SGB V Lernhinweis Repetieren Sie den Begriff, das Zustandekommen sowie die Anforderungen an die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes, eines öffentlich-rechtlichen Vertrages, eines Realaktes sowie einer Satzung mit Hilfe eines Lehrbuchs zum Allgemeinen Sozialrecht und Sozialverwaltungsrecht. Die einzelnen Handlungsformen unterliegen unterschiedlichen gesetzlichen Vorgaben, z. B. im Hinblick auf den Verfahrensablauf. Deshalb müssen Sie für eine Tätigkeit bei einer Kranken- und Pflegekasse in der Lage sein, das Handeln juristisch richtig einzuordnen, und die jeweiligen gesetzlichen Anforderungen kennen, um Fehler zu vermeiden. <?page no="343"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Kostenträger 343 3.1.9 Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung Sachlicher Schutzbereich der gesetzlichen Krankenversicherung ist das Risiko der Krankheit. Das heißt, die Leistungspflicht der Krankenkasse setzt das Vorliegen einer Krankheit voraus. Die Krankheit ist nicht gesetzlich definiert. Jedoch gibt es einen in der Rechtsprechung fest verankerten Begriff: ❋ Wissen │ Krankheit Krankheit ist ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender körperlicher, geistiger oder seelischer Zustand, der den Versicherten in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt oder der entstellend wirkt und der eine Behandlungsbedürftigkeit und/ oder Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat. 493 Die Versicherten erhalten die Leistungen gem. § 2 Abs. 2 SGB V grundsätzlich als Sach- oder Dienstleistung (sog. Naturalleistungsprinzip oder Sachleistungsprinzip). Eine Kostenerstattung kommt nur in Betracht, wenn es im SGB V oder SGB IX vorgesehen ist (vgl. § 13 Abs. 1 SGB V), der Versicherte für mindestens ein Kalendervierteljahr eine Kostenerstattung gem. § 13 Abs. 2 SGB V wählt, die Krankenkasse in ihrer Satzung einen Wahltarif für eine Kostenerstattung geregelt und der Versicherte diesen Tarif (für mindestens ein Jahr) gewählt hat (§ 53 Abs. 4, 8 S. 1 SGB V), die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbracht hat und dem Versicherten dadurch für eine selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind (§ 13 Abs. 3 SGB V), die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dem Versicherten dadurch für eine selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind (§ 13 Abs. 3 SGB V). ◉ Beispiel │ zu Unrecht abgelehnte Leistung Die Versicherte beantragte die Durchführung von Lucentis-Injektionen (1.523,96 Euro je Einmalspritze) zur Behandlung ihrer feuchten altersbedingten Makuladegeneration (AMD). Die Krankenkasse verwies sie auf die Behandlung im städtischen Krankenhaus, das die Einmalspritze auf zwei oder drei patientengerechte Darreichungen aufteile, so dass jede Injektion nur 891,78 Euro koste. Diese Aufteilung entsprach jedoch nicht der arzneimittelrechtlichen Zulassung von Lucentis, die zur Wahrung der Sterilität nur einen einmaligen Gebrauch der Durchstechflasche, Injektionsnadel, Filterkanüle und Spritze vorsah. 493 Ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. z. B. Urt. v. 22.04.2015, B 3 KR 3/ 14 R, NZS 2015, 662 ff. [663] m. w. N. <?page no="344"?> 344 Recht im Gesundheitswesen Das LSG 494 sah in der Entscheidung der Krankenkasse eine rechtswidrige Ablehnung und bejahte einen Kostenerstattungsanspruch der Versicherten gem. § 13 Abs. 3 SGB V. Das BSG 495 wies die Revision der Krankenkasse zurück. Die Leistungen der Krankenversicherung lassen sich in verschiedene Arten einteilen: Abb. 62: Leistungsarten der gesetzlichen Krankenversicherung Die Regelleistungen umfassen die gesetzlich vorgesehenen Leistungen, die alle Krankenkassen erfüllen müssen (Abb. 63). 494 Vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 28.2.2013, L 5 KN 182/ 10 KR, PharmR 2013, 360 ff. 495 Vgl. BSG, Urt. v. 2.9.2014, B 1 KR 11/ 13 R, NZS 2015, 26 ff. Leistungsarten Regelleistungen, §§ 11-66 SGB V alternative Leistungen, § 2 Abs. 1a SGB V Satzungsleistungen, § 11 VI SGB V Wahltarif gem. § 53 V SGB V <?page no="345"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Kostenträger 345 Abb. 63: Gesetzliche Regelleistungen gem. §§ 11 bis 66 SGB V Regelleistungen §§ 11-66 SGB V Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft, §§ 24c-24i SGB V Leistungen zum Verhüten von Krankheiten, §§ 20-24 SGB V Versorgungsmanagement, § 11 Abs. 4 SGB V Leistungen bei Empfängnisverhütung, Sterilisation und Schwangerschaftsabbruch, §§ 24a-24b SGB V Leistungen zur Früherkennung von Krankheiten, §§ 25, 26 SGB V medizinische Rehabilitation, unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen bei Behinderung und Pflegebedürftigkeit gem. § 11 Abs. 2 SGB V i.V.m. SGB IX persönliches Budget gem. § 29 SGB IX Fahrtkosten, § 60 SGB V Leistungen zur Behandlung einer Krankheit, §§ 27-52 SGB V ärztliche Behandlung einschließlich Psychotherapie zahnärztliche und kieferorthopädische Behandlung Versorgung mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln Krankenhausbehandlung h ä usli ch e Kr an ken pfl eg e Haushaltshilfe Soziotherapie nichtärztliche sozialpädiatrische Leistung spezialisierte Palliativversorgung Hospizleistungen Kurzzeitpflege medizinische und ergänzende Leistungen zur Rehabilitation sowie Belastungserprobung und Arbeitstherapie Krankengeld medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft Leistungen für lebende Blut- und Organspender Zweitmeinung <?page no="346"?> 346 Recht im Gesundheitswesen Die Leistungen zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Krankheiten lassen sich nicht immer leicht unterscheiden und die Übergänge sind manchmal fließend. Im Allgemeinen lassen sie sich wie folgt differenzieren: 496 Die Leistungen zur Verhütung von Krankheiten zielen zum einen darauf ab, die Gesundheit des Versicherten zu bessern und sozial- oder arbeitsbedingte ungleiche Gesundheitschancen zu vermindern (vgl. §§ 20-22a SGB V). Zum anderen knüpfen diese Leistungen gem. § 23 SGB V an eine drohende, aber noch nicht eingetretene Erkrankung an (vgl. Abschnitt 2.4.1. zur medizinischen Vorsorge). Die Leistungen der Früherkennung von Krankheiten bezwecken, Erkrankungen in bestimmten Risikogebieten (z. B. Tumorerkrankungen) frühzeitig festzustellen (§§ 25-26 SGB V). Die Leistungen der Krankenbehandlung knüpfen an eine festgestellte Erkrankung an und zielen auf deren Heilung, Linderung, Verzögerung etc. ab (§§ 27 ff. SGB V). Erläuterungen zu den Leistungen der Krankenbehandlung, denen im Gesundheitswesen eine besonders große Bedeutung zukommt, finden Sie bei den jeweiligen Dienstleistern und Warenlieferanten, die die Leistungen erbringen: Abschnitte 2.1.2.1 (ärztliche und zahnärztliche Behandlung sowie Zahnersatz), 2.2.3.4, 2.2.3.5 und 2.2.3.7 (Krankenhausbehandlung), 2.3.2.1 (Heilmittel), 2.4.1 (medizinische Rehabilitation), 2.6.3.3 (Häusliche Krankenpflege), 2.7.5.1 und 2.8.11 (Hilfsmittel/ Medizinprodukte), 2.9.15.1 und 2.9.15.2 (Arzneimittel). Wenn der Versicherte infolge seiner Krankheit arbeitsunfähig ist oder stationär in einer Vorsorge-, Rehabilitationseinrichtung oder in einem Krankenhaus behandelt wird, hat er gem. der §§ 44 bis 51 SGB V einen Anspruch auf Krankengeld zur Kompensation von Einkommensausfällen. Bestimmte Personengruppen sind allerdings davon gem. § 44 Abs. 2 SGB V ausgenommen. Zu ihnen gehören z. B. hauptberuflich selbständig Erwerbstätige, die freiwillig versichert sind, oder Beschäftigte ohne Anspruch auf eine Entgeltfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit. Die Versicherten dieser beiden Gruppen können sich jedoch für einen Wahltarif mit Krankengeldzahlung entschieden, den die Krankenkasse gem. § 53 Abs. 6 SGB V anbieten muss. Für Beschäftigte beträgt das Krankengeld 70 % des regelmäßigen Arbeitsentgelts, das der Beitragsberechnung zugrunde gelegt wird, höchstens jedoch 90 % des Nettoarbeitsentgeltes, das der Versicherte in dem (mind. vierwöchigen) Abrechnungszeitraum vor der Arbeitsunfähigkeit bezogen hat (§ 47 SGB V). Während der Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber ruht das Krankengeld (§ 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V). Bei Erkrankung eines Kindes unter 12 Jahren besteht nach den näheren Vorgaben des § 45 SGB V ebenfalls ein Anspruch auf Krankengeld. Neben den gesetzlichen Regelleistungen gibt es alternative Leistungen, die auf einen sog. Nikolausbeschluss des BVerfG 497 zurückgehen. In diesem Beschluss führte das BVerfG u. a. aus, dass es in der gesetzlichen Krankenversicherung, die im Wesentlichen auf einer kraft Gesetzes angeordneten Pflichtmitgliedschaft beruht, aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten sein kann, dem Versicherten in lebensbedrohlichen Situationen eine Krankenbehandlung zuzugestehen, die nicht zum festgelegten Leistungskatalog gehört. Die Ausführungen des BVerfG griff der 496 Vgl. Gerlach, Sozialgesetzbuch-Gesamtkommentar, SGB V § 23 Rn. 17. 497 BVerfG, Beschl. v. 6.12.2005, 1 BvR 347/ 98, NJW 2006, 891 ff. <?page no="347"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Kostenträger 347 Gesetzgeber auf und regelte in § 2 Abs. 1a SGB V einen Anspruch des Versicherten auf Leistungen außerhalb des gesetzlichen Leistungskatalogs unter folgenden drei Voraussetzungen: Der Versicherte leidet an einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen oder einer wertungsmäßig gleichwertigen Erkrankung. Eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung steht nicht zur Verfügung. Die alternative Leistung verspricht eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. ◉ Beispiel │ alternative Leistung Ein Versicherter litt an einer Krebserkrankung mit unbekanntem Primärtumor, bei der es innerhalb kürzester Zeit zu einer fortschreitenden Metastasierung in Leber, Lunge, Milz, Bauchspeicheldrüse, Magen, Magenwand und Lymphknoten gekommen war. Die Chemotherapie zeigte keine Auswirkungen auf das Tumorgeschehen. Die experimentelle Antikörpertherapie hatte sehr starke Nebenwirkungen, so dass der Zustand des Versicherten nicht positiv beeinflusst worden war. Das LSG Niedersachsen-Bremen verurteilte die beklagte Krankenkasse zur Übernahme der Kosten einer Hyperthermiebehandlung (ca. 22.000 Euro). Die relevanten Tumormarker waren bereits nach der ersten Behandlung deutlich gesunken. Die erhöhten Leberwerte waren auf die Hälfte gesunken. Die Tumorschmerzen mussten nicht mehr behandelt werden, so dass Kortison und Analgetika abgesetzt werden konnten. Der Allgemeinzustand des Versicherten hatte sich deutlich verbessert. 498 Aus Gründen des Wettbewerbs wird den Krankenkassen seit einiger Zeit immer mehr die Möglichkeit eröffnet, (Mehr-)Leistungen anzubieten, mit denen sie sich von anderen Kassen unterscheiden. So kann jede Krankenkasse in ihrer Satzung Folgendes regeln: Sie kann gem. § 11 Abs. 6 SGB V zusätzliche Leistungen für ihre Versicherten vorsehen (sog. Satzungsleistungen). Dabei darf es sich jedoch nicht um medizinische Maßnahmen handeln, die der GBA aus der Versorgung ausgeschlossen hat. Beispielsweise kann für Erwachsene die Versorgung mit Brillengläsern angeboten werden, wenn die Sehfähigkeit oberhalb der in § 33 Abs. 2 SGB V vorgegebenen Grenze von 0,3 liegt. Die Krankenkasse kann gem. § 53 Abs. 5 SGB V einen Wahltarif für die Übernahme der Kosten für Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen (Phytotherapie, Homöopathie, Anthroposophie) gegen Zahlung einer gesonderten Prämie anbieten. Für alle Leistungen, die die Krankenkassen gewähren, gilt das Wirtschaftlichkeitsgebot nach § 12 Abs. 1 SGB V. Das bedeutet einerseits, dass die Versicherten 498 Vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 18.12.2014, L 1 KR 21/ 13, BeckRS 2015, 66672 für einen Leistungszeitraum vor dem Inkrafttreten des § 2 Abs. 1a SGB V, jedoch unter Berücksichtigung der im sog. Nikolausbeschluss aufgestellten Kriterien. <?page no="348"?> 348 Recht im Gesundheitswesen ausreichend und zweckmäßig, also mit allen notwendigen und geeigneten Leistungen, zu versorgen sind. Andererseits können die Versicherten keine unnötigen oder unwirtschaftlichen Leistungen verlangen. Bei einem Auslandsaufenthalt des Versicherten ruhen seine Leistungsansprüche grundsätzlich (§ 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB V). Ausnahmen davon sieht das Gesetz für Leistungen innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums (EU-Mitgliedstaaten sowie Norwegen, Liechtenstein und Island) sowie der Schweiz in § 13 Abs. 4 bis 6, § 140e SGB V sowie für alle anderen Staaten (sog. Drittstaaten) in § 18 SGB V vor. Mitglieder, die im Ausland beschäftigt sind und während dieser Beschäftigung erkranken, erhalten die notwendigen Leistungen von ihrem Arbeitgeber, der seinerseits gegenüber der Krankenkasse eine Kostenerstattung geltend machen kann (vgl. § 17 SGB V). Weitere Ausnahmen können sich aus Sozialversicherungsabkommen mit anderen Ländern gem. § 6 SGB IV ergeben. 3.1.10 Leistungserbringungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung Das Leistungserbringungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung ist in den §§ 69 bis 140h sowie §§ 294 bis 305a SGB V geregelt. Angesichts des Naturalleistungsprinzips sind die Krankenkassen verpflichtet, rechtliche Beziehungen zu den Leistungserbringern einzugehen, damit diese die Leistungen gegenüber den Versicherten erbringen. Ausführungen zum Leistungserbringungsrecht finden Sie deshalb in den Abschnitten 2.1.2 (Ärzte und Psychotherapeuten), 2.2.3 (Krankenhäuser), 2.3.2 (Heilmittelerbringer), 2.4.2.2, 2.4.3.2, 2.4.4 (Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen, Rehabilitationsdienste), 2.5.2 (Pflegeheime) 2.6.3 (Pflegedienste), 2.7.5 (Gesundheitshandwerker), 2.9.15.3 (pharmazeutische Unternehmen) 2.11.4 (Apotheken). 3.1.11 Leistungsrecht der sozialen Pflegeversicherung Sachlicher Schutzbereich der sozialen Pflegeversicherung ist das Risiko der Pflegebedürftigkeit. Dieses Risiko ist im Unterschied zum Begriff der Krankheit gesetzlich definiert. Die Definition in § 14 SGB XI (bitte lesen! ) lässt sich wie folgt strukturieren: <?page no="349"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Kostenträger 349 Abb. 64: Pflegebedürftigkeit Der Umfang der Pflegebedürftigkeit wird seit dem 1. Januar 2017 in fünf Pflegegrade gemessen (vgl. § 15 SGB XI). Die Schwere der Beeinträchtigung der Selbständigkeit und der Fähigkeiten wird durch eine Begutachtung der betroffenen Person festgestellt. Dabei wird die Beeinträchtigung in jedem der o. g. sechs Bereiche mit Punkten gem. Anlage 1 des SGB XI ermittelt. Die Summe der Punkte in den einzelnen Bereichen wird anschließend gem. Anlage 2 des SGB XI in fünf Schweregrade - von „keine Beeinträchtigung“ bis „schwerste Beeinträchtigung“ eingeordnet und nach folgendem System gewichtet: Mobilität: 10 % Kognitive und kommunikative Fähigkeiten sowie Verhaltensweisen und psychische Problemlagen: 15 % Selbstversorgung: 40 % Bewältigung von krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen: 20 % Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte: 15 % auf Dauer (voraussichtlich mind. 6 Monate) § 14 Abs. 1 S. 3 SGB XI körperliche, kognitive oder psychische Beeinträchtigungen oder gesundheitlich bedingte Belastungen oder Anforderungen, die nicht selbständig kompensiert oder bewältigt werden können § 14 Abs. 1 S. 2 SGB XI Bedarf an Hilfe durch andere § 14 Abs. 1 S. 1 SGB XI dadurch und deshalb Beeinträchtigung der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten in den Bereichen § 14 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, 3 SGB XI 1. Mobilität 2. Kognitive und kommunikative Fähigkeiten 3. Verhaltensweisen und psychische Problemlagen 4. Selbstversorgung 5. Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen 6. Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte <?page no="350"?> 350 Recht im Gesundheitswesen Schließlich ergeben sich aus der Summe der gewichteten Punkte grundsätzlich folgende Pflegegrade: Pflegegrad 1: 12,5 bis unter 27 Gesamtpunkte Pflegegrad 2: 27 bis unter 47,5 Gesamtpunkte Pflegegrad 3: 47,5 bis unter 70 Gesamtpunkte Pflegegrad 4: 70 bis unter 90 Gesamtpunkte Pflegegrad 5: 90 bis 100 Gesamtpunkte Eine Abweichungsmöglichkeit für besondere Bedarfskonstellationen und die Pflegegrade für bis zu 18 Monate alte Kinder regelt § 15 Abs. 4, 6 SGB XI. ◉ Beispiel │ Ermittlung des Pflegegrades Die Begutachtung des 75-jährigen Versicherten Max führt zu folgenden Ergebnissen: [1] Mobilität (5 Punkte = Schweregrad 2) gewichtete Punkte 5 [2] Kognitive und kommunikative Fähigkeiten (4 Punkte = Schweregrad 1) [3] Verhaltensweisen und psychische Problemlagen (4 Punkte = Schweregrad 2) Höherer Wert von 2 und 3 bestimmt gewichtete Punkte 7,5 [4] Selbstversorgung (15 Punkte = Schweregrad 2) gewichtete Punkte 20 [5] Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen (3 Punkte= Schweregrad 2) gewichtete Punkte 10 [6] Gestaltung des Alltagslebens und soziale Kontakte (5 Punkte = Schweregrad 2) gewichtete Punkte 7,5 Gesamtpunktzahl 50 Ergebnis: Pflegegrad 3 Das Leistungsrecht der Pflegeversicherung wird wie das der gesetzlichen Krankenversicherung vom Naturalleistungsprinzip geprägt (vgl. § 4 SGB XI): Die Leistungen werden als Dienst-, Sach- und Geldleistungen für den Bedarf an körperbezogenen Pflegemaßnahmen, pflegerischen Betreuungsmaßnahmen und Hilfen bei der Haushaltsführung erbracht. Eine Kostenerstattung erfolgt nur, soweit sie gesetzlich vorgesehen ist. Ferner werden die Leistungen danach differenziert, ob sie im häuslichen Bereich des Pflegebedürftigen, teil- oder vollstationär erbracht werden. Gem. § 29 SGB XI gilt der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit (siehe Abschnitt 3.1.10) für die Leistungen der Pflegeversicherung ebenfalls. Der Umfang der Leistungsansprüche des Pflegebedürftigen hängt von der Schwere der Beeinträchtigung seiner Selbständigkeit und seiner Fähigkeiten, also vom Pflegegrad, ab. Zum einen wird eine Zweiteilung in die Leistungen bei Pflegegrad 1 sowie in die Leistungen bei Pflegegrad 2 bis 5 vorgenommen. Zum anderen <?page no="351"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Kostenträger 351 hängt der Umfang der Leistung innerhalb der Gruppe der Pflegegrade 2 bis 5 vom konkreten Pflegegrad ab. Beispielsweise beträgt das Pflegegeld im 2. Grad 316,- Euro und im 3. Grad 545,- Euro pro Kalendermonat. Abb. 65: Leistungen der sozialen Pflegeversicherung Einige der vorgenannten Leistungen sollen an dieser Stelle erläutert werden: Pflegeberatung, §§ 7a, 7b SGB XI Die Beratung ist sowohl beim Erstantrag als auch für spätere Anträge vorgesehen. Sie können alle Pflegebedürftige in Anspruch nehmen. Die Pflegekasse soll unmittelbar nach Antragseingang einen Termin bei einem Pflegeberater anbieten oder einen Beratungsgutschein für eine andere Beratungsstelle ausgeben, der innerhalb von zwei Wochen ab Antragstellung einzulösen ist. Der Pflegeberater soll im Sinne eines Fallmanagements insbesondere den Hilfebedarf ermitteln, den Pflegebedürftigen über mögliche Leistungen informieren, Leistungen der sozialen Pflegeversicherung Leistungen bei Pflegegrad 1 § 28a SGB XI Leistungen bei Pflegegrad 2-5 § 28 SGB XI Pflegeberatung, §§ 7a, 7 b SGB XI Beratungsbesuche, § 37 Abs. 3 SGB XI zusätzliche Leistungen für Pflegbedürftige in ambulant betreuten Wohngruppen, § 38a SGB XI Pfleghilfsmittel, § 40 Abs. 1-3, 5 SGB XI Zuschüsse zu wohnungsumfeldverbessernden Maßnahmen, § 40 Abs. 4 SGB XI zusätzliche Betreuung und Aktivierung in stationären Einrichtungen, § 43b SGB XI Pflegkurse, § 45 SGB XI Entlastungsbetrag, § 28a Abs. 2 SGB XI Zuschüsse zur vollstationären Pflege, § 28a Abs. 3 SGB XI Pflegeberatung. § 7a SGB XI Pflegesachleistung, § 36 SGB XI Umwandlungsanspruch, § 45a SGB XI Pflegegeld, § 37 SGB XI Kombination von Geld- und Sachleistungen gem. § 38 SGB XI Verhinderungspflege gem. § 39 SGB XI Pfleghilfsmittel und wohnungsumfeldverbessernde Maßnahme, § 40 SGB XI zusätzliche Leistungen für Pflegebedürftige in ambulant betreuten Wohngruppen, § 38a SGB XI Anschubfinanzierung zur WG-Gründung, § 45e SGB XI Tages- und Nachtpflege, § 41 SGB XI Kurzzeitpflege, § 42 SGB XI vollstationäre Pflege, § 43 SGB XI zusätzliche Betreuung und Aktivierung in stationären Einrichtungen, § 43b SGB XI Pflege in vollstationären Einrichtungen der Behindertenhilfe, § 43a SGB XI Soziale Sicherung der Pflegeperson, § 44 SGB XI Leistungen bei Pflegezeit, § 44a SGB XI i. V. m. Pflegezeitgesetz Pflegekurse, § 45 SGB XI Entlastungsbetrag, § 45b SGB XI Persönliches Budget, § 28 Abs. 1 Nr. 14 SGB XI i. V. m. § 29 SGB IX <?page no="352"?> 352 Recht im Gesundheitswesen einen Versorgungsplan aufstellen und auf dessen Umsetzung hinwirken, die Umsetzung überwachen sowie den Versorgungsplan ggf. anpassen. Pflegegeld für selbstbeschaffte Pflege, § 37 SGB XI Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 bis 5 können ein monatliches Pflegegeld in Anspruch nehmen, wenn sie Pflege z. B. durch Angehörige selbst sicherstellen. Das Pflegegeld beläuft sich je nach Pflegegrad auf 316,- Euro, 545,- Euro, 728,- Euro sowie für Grad 5 auf 901,- Euro. Um die Qualität der häuslichen Pflege zu sichern und Unterstützung zu geben, erfolgt für die Pflegebedürften des 2. und 3. Grades halbjährlich und für die anderen vierteljährlich ein sog. Beratungsbesuch durch eine dafür zugelassene Pflegeeinrichtung. Wenn der Beratungsbesuch vom Pflegebedürftigen nicht abgerufen wird, hat das eine Kürzung und im Wiederholungsfalls die Entziehung des Pflegegelds zur Folge. Pflegehilfsmittel, § 40 SGB XI (siehe auch Abschnitt 2.8.12) Pflegehilfsmittel haben den Zweck, die Pflege zu erleichtern, Beschwerden des Pflegebedürftigen zu lindern oder dem Pflegebedürftigen einer selbständigeren Lebensführung zu ermöglichen. Zu ihnen gehören z. B. Pflegebetten, Dekubitusmatratzen und Duschhocker. Die Pflegehilfsmittel dürfen nicht mit den Hilfsmitteln verwechselt werden, die gem. § 33 SGB V der Krankenbehandlung oder dem Behinderungsausgleich dienen. Für diese hat die Krankenkasse aufzukommen. Soziale Sicherung der Pflegeperson, §§ 19, 44 SGB XI Als Pflegeperson gelten diejenigen, die nicht erwerbsmäßig einen Pflegebedürftigen in seiner häuslichen Umgebung pflegen. Das sind beispielsweise Angehörige des Pflegebedürftigen. Wenn die Pflegeperson eine oder mehrere Personen mit mindestens Pflegegrad 2 zehn Stunden wöchentlich, verteilt auf mindestens zwei Tage pflegt, so ist sie nach dem Recht der Arbeitsförderung versichert und während der pflegerischen Tätigkeit gesetzlich unfallversichert. Wenn die Pflegeperson zudem nicht mehr als 30 Wochenstunden erwerbstätig ist, entrichtet die Pflegekasse für die Pflegeperson Beiträge zur Rentenversicherung. Pflegesachleistung gem. § 36 SGB XI: siehe Abschnitt 2.6.3.2. Kurzzeitpflege gem. § 42 SGB XI, teil- und vollstationäre Pflege gem. §§ 41, 43 SGB XI: siehe Abschnitt 2.5.2.2. 3.1.12 Leistungserbringungsrecht der sozialen Pflegeversicherung Das Leistungserbringungsrecht der sozialen Pflegeversicherung ist in den §§ 69 bis 92f sowie §§ 112 bis 119 SGB XI geregelt. Angesichts des Naturalleistungsprinzips sind die Pflegekassen verpflichtet, rechtliche Beziehungen zu Pflegeheimen und Pflegediensten einzugehen, damit diese die Leistungen gegenüber dem Pflegebedürftigen erbringen. Ausführungen zum Leistungserbringungsrecht finden Sie deshalb in den Abschnitten 2.5.2 sowie 2.6.3. 3.1.13 Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung und Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen Gem. § 278 SGB V bilden die Landesverbände der Orts-, Betriebs- und Innungskrankenkassen, die SVLFG, die Ersatzkassen und die BAHN-BKK in den Bundesländern grundsätzlich einen Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK). <?page no="353"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Kostenträger 353 In Nordrhein-Westfalen bestehen zwei, in den Ländern Berlin und Brandenburg einerseits und Schleswig-Holstein und Hamburg andererseits jeweils ein gemeinsamer MDK. Der MDK wird über eine Umlage der beteiligten Kranken- und Pflegekassen entsprechend der Zahl ihrer Mitglieder mit Wohnort im Einzugsbereich des MDK sowie durch aufwandsorientierte Nutzerentgelte finanziert (§ 281 SGB V). Bei der Krankenversicherung der DRVKnBS nimmt der Sozialmedizinischer Dienst die Aufgaben des MDK wahr (§ 283 SGB V). Der MDK ist für die Kranken- und Pflegekassen beratend und begutachtend tätig. Seine Aufgaben ergeben sich insbesondere aus den §§ 275, 275a und 275b SGB V. So prüft der MDK im Auftrag der Krankenkassen beispielsweise das Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit, die Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung, der Vorsorge- und Rehabilitationsleistungen, der häuslichen Krankenpflege und der Krankenbehandlung im Ausland. In die ärztliche Behandlung des Versicherten dürfen die begutachtenden Ärzte des MDK jedoch nicht eingreifen (§ 275 Abs. 5 SGB V). Zudem wird der MDK für die Pflegekassen tätig. Beispielsweise obliegt ihm die Feststellung der Pflegebedürftigkeit gem. § 18 SGB XI und die Qualitätsprüfung bei den Pflegediensten und Pflegeheimen (§ 114 SGB XI). Auf Bundesebene besteht ein Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS), der den Spitzenverband in den medizinischen Fragen berät. Des Weiteren koordiniert und fördert der MDS die Durchführung der Aufgaben und die Zusammenarbeit der Medizinischen Dienste der Krankenversicherung in medizinischen und organisatorischen Fragen (§ 282 SGB V). <?page no="354"?> 354 Recht im Gesundheitswesen ❋ Wichtige Schlagwörter ❋ Gesundheitsfonds ❋ Krankenkasse ❋ Krankheit ❋ Naturalleistungsprinzip ❋ Pflegebedürftigkeit ❋ Pflegekasse ❋ Selbstverwaltung ✎ Wiederholungsaufgaben [1] Wer vertritt eine Ersatzkasse gerichtlich und außergerichtlich? [2] Welche staatlichen Stellen beaufsichtigen die Kranken- und Pflegekassen? [3] Die bundesunmittelbare Krankenkasse K schloss mit dem privaten Krankenversicherungsunternehmen V einen Vertrag über einen Auslandreisekrankenversicherungsschutz für urlaubs- und berufsbedingte Reisen ihrer Mitglieder sowie deren Familienangehörigen, die nach § 10 SGB V familienversichert sind. Nach diesem Vertrag erhalten die versicherten Personen der Krankenkasse K ihre Aufwendungen für die medizinisch notwendige Heilbehandlung wegen Krankheit oder Unfallfolgen im Ausland zu 100 % erstattet. Der Versicherungsschutz besteht weltweit. Die Krankenkasse muss für diesen Versicherungsvertrag jährlich pro versicherte Person drei Euro (insgesamt 300.000,- Euro) zahlen. Die Krankenkasse K hatte den beabsichtigten Vertragsschluss zuvor beim Bundesversicherungsamt (BVA) angezeigt. In einem Beratungsgespräch erläuterte das BVA der Krankenkasse, dass der Vertragsschluss nicht zulässig sei. Die Gewährung einer weltweiten Auslandsreisekrankenversicherung gehöre nicht zu den Aufgaben einer Krankenkasse. Deshalb dürfe sie dafür ihre Mittel nicht verwenden. Schließlich sei sie zur sparsamen Verwendung der Mittel verpflichtet. Es läge in der Eigenverantwortung der Versicherten, für einen ausreichenden Versicherungsschutz während einer Auslandsreise zu sorgen. Die Krankenkasse könne allenfalls im Rahmen einer Kooperation gem. § 194 Abs. 1a SGB V die Aufgabe übernehmen, dass sie Versicherungsverträge für eine Krankenbehandlung im Ausland vermittelt. Nach dieser Beratung schloss die Krankenkasse K den oben genannten Versicherungsvertrag ab. Sie versprach sich mit dem Versicherungsangebot einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Krankenkassen, durch den sie neue Mitglieder gewinnen würde. Ferner prognostizierte sie, dass sie durch Wegfall von Verwaltungsarbeit bei den Auslandsabrechnungen ihrer Versicherten jährlich 250.000,- Euro einsparen würde. Erläutern Sie, welche Reaktionsmöglichkeit das Bundesversicherungsamt hat, nachdem es von dem Vertragsschluss erfahren hat. [4] Erläutern Sie die gesetzlichen Voraussetzungen der Vereinigung einer Betriebskrankenkasse und einer Ersatzkrankenkasse. Beide sind bundesunmittelbare Krankenkassen. <?page no="355"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Kostenträger 355 [5] Die bundesunmittelbare Betriebskrankenkasse H (BKK H), deren Satzung eine Regelung nach § 173 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 SGB V enthält, steckt seit drei Jahren in finanziellen Schwierigkeiten. Im letzten Jahr musste sie einen Zusatzbeitrag von ihren Mitgliedern einfordern und verlor daraufhin 100.000 ihrer 250.000 Versicherten. Die angestrebte Fusion mit der Betriebskrankenkasse X (BKK X) scheiterte. Das finanzielle Defizit der BKK H beläuft sich mittlerweile auf 26,5 Millionen Euro. Die zuständige Aufsichtsbehörde prüft die Schließung der BKK H. Erläutern Sie, [a] welcher Schließungsgrund in Betracht kommt, und [b] wer für die finanziellen Verpflichtungen gegenüber den Gläubigern der BKK H einstehen muss, wenn das Vermögen der BKK H für die Befriedigung der Gläubiger nicht ausreicht. [6] Der Wolfsburger Lehrer Konrad Klug, der an einer staatlichen Schule angestellt ist, hat seit 2015 ein Jahresarbeitsentgelt von 42.000,- Euro. Ist er in der gesetzlichen Krankenversicherung und sozialen Pflegeversicherung versicherungspflichtig? [7] Der Wolfsburger verbeamtete Professor Siegfried Schlau hat seit 2015 ein Jahresarbeitsentgelt von 42.000,- Euro. Ist er in der gesetzlichen Krankenversicherung und sozialen Pflegeversicherung versicherungspflichtig? Falls nicht, welchen Versicherungsschutz kann oder muss er erlangen? [8] Erläutern Sie den Anspruch von erkrankten Versicherten auf Krankengeld. [9] Erläutern Sie den Anspruch von pflegebedürftigen Versicherten auf Pflegegeld. [10] Erläutern Sie die Rolle des Gesundheitsfonds bei der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Lösungen finden Sie im Web-Service. <?page no="356"?> 356 Recht im Gesundheitswesen Private Krankenversicherungsunternehmen 3.2 Lernziele Im Abschnitt 3.2 erlangen Sie Kenntnisse zum Versicherungsunternehmens-, Versicherungsaufsichts- und Versicherungsvertragsrecht. Diese Kenntnisse sollen Sie auf eine spätere Managementtätigkeit bei einem privaten Krankenversicherer, Versicherungsverband oder Unternehmensberatung vorbereiten. Sie sollen befähigt werden, Sachverhalte und Zusammenhänge Ihres künftigen Arbeitsumfeldes sowohl bzgl. der rechtlichen Anforderungen als auch hinsichtlich der juristischen Folgen analysieren und steuern zu können. Lernhinweis Die nachfolgenden Erläuterungen werden Sie besser verstehen, wenn Sie die angegebenen Paragrafen der folgenden Rechtsvorschriften Aktiengesetz (AktG) 499 , Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), Gendiagnostikgesetz (GenDG) 500 , Sozialgesetzbuch 5. Buch (SGB V), 11. Buch (SGB XI), Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) 501 , Versicherungsvertragsgesetz (VVG) 502 , VVG-Informationspflichtenverordnung (VVG-InfoV) 503 sowie der folgenden Musterbedingungen 504 Allgemeine Versicherungsbedingungen für den Basistarif (AVB/ BT 2009), Allgemeine Versicherungsbedingungen für den Notlagentarif (AVB/ NLT 2013), Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Private Pflegepflichtversicherung (MB/ PPV 2017), Musterbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung (MB/ KK 2009), Musterbedingungen für die Krankentagegeldversicherung (MB/ KT 2009) parallel zum Lehrbuch lesen. 3.2.1 Einführung Die Versicherungsunternehmen werden in Erst- und Rückversicherungsunternehmen unterschieden. Die privaten Krankenversicherungsunternehmen (auch als Krankenversicherer bezeichnet) gehören zu den Erstversicherungsunternehmen. Sie bieten entgeltlich einen Versicherungsschutz für Endkunden an, die keine Versicherer sind. Anders verhält es sich bei den Rückversicherern. Diese beteiligen sich gegen Zahlung einer Prämie an den Risiken, die das Erstversicherungs- 499 AktG v. 6.9.1965, BGBl. I S. 1089, z. g. d. G v. 17.7.2017, BGBl. I S. 2446. 500 GenDG v. 31.7.2009, BGBl. I S. 2529, 3672, z. g. d. G v. 4.11.2016, BGBl. I S. 2460. 501 VAG v. 1.4.2015, BGBl. I S. 434, z. g. d. G v. 17.8.2017, BGBl. I S. 3214. 502 VVG v. 23.11.2007, BGBl. I S. 2631, z. g. d. G v. 17.8.2017, BGBl. I S. 3214. 503 VVG-InfoV v. 18.12.2007, BGBl. I S. 3004, z. g. d. VO v. 6.3.2018, BGBl. I S. 225. 504 Download unter https: / / www.pkv.de/ service/ broschueren/ musterbedingungen/ (Abruf am 8.7.2018). <?page no="357"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Kostenträger 357 unternehmen übernommen hat (bieten sozusagen Versicherungsschutz für die Erstversicherer an). Abb. 66: Erst- und Rückversicherungsunternehmen Die private Krankenversicherung deckt Gefahren, die sich im oder am menschlichen Körper verwirklichen (z. B. Krankheit und Pflegebedürftigkeit) und ist somit eine Personenversicherung (Gegenstück: Sachversicherung). Zu ihr gehören die Krankensowie die Pflegekrankenversicherung. Die Krankenversicherung unterteilt sich in: Krankheitskostenversicherung (§ 192 Abs. 1-3 VVG) Krankenhaustagegeldversicherung (§ 192 Abs. 4 VVG) Krankentagegeldversicherung (§ 192 Abs. 5 VVG) und die Pflegekrankenversicherung in Pflegekostenversicherung (§ 192 Abs. 6 VVG) Pflegetagegeldversicherung (§ 192 Abs. 6 VVG) Pflegepflichtversicherung (§ 192 Abs. 6 VVG, § 23 SGB XI). Die einzelnen Arten werden als Schaden- oder Summenversicherung betrieben. Bei einer Schadenversicherung wird der im Versicherungsfall eingetretene Vermögensschaden ersetzt. Dagegen wird im Rahmen einer Summenversicherung bei Eintritt des Versicherungsfalls der vereinbarte Betrag (unabhängig vom Vorliegen eines Vermögenschadens) gezahlt. ✎ Aufgaben Lesen Sie § 192 VVG sowie § 23 SGB XI und entscheiden Sie, ob die Krankheitskosten-, Krankenhaustagegeld-, Krankentagegeldversicherung sowie die Pflegekosten-, Pflegetagegeld- und Pflegepflichtversicherung als Schaden- oder Summenversicherung ausgestaltet sind. Die Lösungen finden Sie im Web-Service. Wenn die Versicherung geeignet ist, die gesetzliche Krankenversicherung oder soziale Pflegeversicherung zu ersetzen, wird sie als substitutive Krankenversicherung bezeichnet (§ 146 Abs. 1 VAG, § 195 Abs. 1 S. 1 VVG). Die Erläuterungen des Abschnitts 3.2 beziehen sich vor allem auf die Krankheitskosten-, Krankentagegeld- und Pflegepflichtversicherung, weil diesen in der Praxis die größte Bedeutung zukommt. Endkunde Rückversicherer Erstversicherer <?page no="358"?> 358 Recht im Gesundheitswesen 3.2.2 Zulässige Rechtsformen der Krankenversicherungsunternehmen Den Krankenversicherungsunternehmen stehen nur die in § 8 Abs. 2 VAG genannten Rechtsformen zur Verfügung. Das sind im Einzelnen: ❋ Wissen │ Aktiengesellschaft Die Aktiengesellschaft ist eine Kapitalgesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit. Ihr Grundkapital beträgt mind. 50.000 Euro und ist in Aktien zerlegt. Für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft haften nicht die Aktionäre, sondern nur das Gesellschaftsvermögen (vgl. §§ 1, 7 AktG). ❋ Wissen │ Europäische Gesellschaft Die Europäische Gesellschaft (Europäische Aktiengesellschaft) ist ebenfalls eine Aktiengesellschaft mit den oben genannten Merkmalen; ihr Grundkapital muss jedoch mind. 120.000 Euro betragen. Sie ermöglicht Unternehmen aus verschiedenen EU-Mitgliedstaaten zu fusionieren, um unionsweit mit Niederlassungen juristisch einheitlich aufzutreten, oder eine Holdinggesellschaft mit Tochtergesellschaften in verschiedenen EU-Staaten zu gründen (vgl. Erwägungsgründe 1, 10, Art. 1, 4 VO 2157/ 2001 505 ). ❋ Wissen │ Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit Der Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit ist ein rechtsfähiger Verein, der seine Mitglieder nach dem Grundsatz der Gegenseitigkeit versichert. Für die Verbindlichkeiten gegenüber den Vereinsgläubigern haftet das Vereinsvermögen, nicht aber die Mitglieder (vgl. §§ 171, 174 VAG). ❋ Wissen │ Körperschaft des öffentlichen Rechts Die Körperschaft des öffentlichen Rechts ist eine juristische Person des öffentlichen Rechts zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben, die auf einer Mitgliedschaft von Personen beruht. 506 ❋ Wissen │ Anstalt des öffentlichen Rechts Die vollrechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts ist ebenfalls eine juristische Person des öffentlichen Rechts, mit der öffentliche Aufgaben erfüllt werden. Im Unterschied zur Körperschaft ist sie nicht mitgliedschaftlich organisiert. 507 Die meisten im Inland tätigen Krankenversicherungsunternehmen haben die Rechtsform einer Aktiengesellschaft oder eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit. 505 Verordnung (EG) Nr. 2157/ 2001 des Rates v. 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft, ABl. 294 S. 1, z. g. d. VO (EU) Nr. 517/ 2013 v. 13.5.2013, ABl. L 158 S. 1. 506 Vgl. Weber, Creifelds Rechtswörterbuch, S. 740. 507 Vgl. Weber, a. a. O., S. 66. <?page no="359"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Kostenträger 359 3.2.3 Aufnahme des Geschäftsbetriebes durch ein Krankenversicherungsunternehmen Die Krankenversicherer, die im Inland ihren Hauptsitz haben, benötigen für ihren Geschäftsbetrieb eine Erlaubnis der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) als zuständige Aufsichtsbehörde (§ 8 Abs. 1, § 320 VAG). Krankenversicherer, die der Aufsicht eines Bundeslandes gem. § 321 VAG unterliegen, bestehen (gegenwärtig) nicht. 508 Die Versicherungsunternehmen müssen die Erlaubnis unter Beifügung verschiedener Unterlagen beantragen. Einzureichen sind gem. § 9 VAG insbesondere: Geschäftsplan, der den Zweck und Einrichtung des Versicherers, das Gebiet des beabsichtigten Geschäftsbetriebs sowie die Solvenzverhältnisse enthält, Satzung des Unternehmens (vgl. § 2 AktG für eine AG, § 173 VAG für einen VVaG), Angaben zur beabsichtigten Versicherungssparte und zu deckenden Risiken (vgl. Nr. 2 der Anlage 1 des VAG: Sparte „Krankheit“ mit den Risiken „Tagegeld“, „Kostenversicherung“ und „kombinierte Leistungen“), Plan-Bilanz und Plan-Gewinn- und Verlustrechnung, Schätzungen der Mindestkapital- und Solvabilitätskapitalanforderung (siehe Abschnitt 3.2.9.5), Schätzungen der finanziellen Mittel, die zur Deckung der versicherungstechnischen Rückstellungen sowie der Mindestkapital- und Solvabilitätskapitalanforderung voraussichtlich zur Verfügung stehen (siehe Abschnitt 3.2.9.5), Angaben zu den Personen, die zur Geschäftsführung und Vertretung des Versicherungsunternehmens berufen sind (Geschäftsleiter), zu den Mitgliedern des Aufsichtsrates und zu weiteren gesetzlich genannten Personen, damit die BaFin die nach § 24 VAG notwendige Zuverlässigkeit und fachliche Eignung beurteilen kann, Allgemeine Versicherungsbedingungen und Grundsätze für die Berechnung der Prämien und der mathematischen Rückstellungen der substitutive Krankenversicherung, wenn eine solche betrieben werden soll. Der Krankenversicherer hat einen Rechtsanspruch auf die Erlaubnis, wenn sein Geschäftsbetrieb nicht gegen zwingende Normen verstößt und kein Versagungsgrund vorliegt. Zu den zwingenden Normen gehören beispielsweise § 8 Abs. 2 VAG, der nur bestimmte Rechtsformen für die Versicherer zulässt (siehe auch Abschnitt 3.2.2) sowie § 15 Abs. 1 VAG, der Geschäfte verbietet, die nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit Versicherungen stehen (sog. versicherungsfremde Geschäfte). So darf beispielsweise ein Krankenhausträger nicht zugleich Krankenversicherungen anbieten. Die Versagungsgründe sind abschließend in § 11 VAG geregelt. Dieser Paragraph differenziert in Gründe, die lt. Abs. 1 zwingend zur Versagung der Erlaubnis führen, und in Gründe, bei deren Vorliegen die BaFin gem. Abs. 2 ein Ermessen hat, die Erlaubnis zu versagen. 508 Vgl. Statistik der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht - Erstversicherungsunternehmen und Pensionsfonds - 2016, S. 6, https: / / www.bafin.de/ DE/ PublikationenDaten/ Statistiken/ Erstversicherung/ erstversicherung_artikel.html (Abruf 2.4.2018). <?page no="360"?> 360 Recht im Gesundheitswesen Abb. 67: Gründe für die Versagung der Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb Die Erlaubnis wird gem. § 10 Abs. 2 S. 1, 2 VAG entweder für die jeweilige Versicherungssparte - also Krankheit - oder, wenn es beantragt ist, nur für einzelne Risiken der Sparte - z. B. Tagegeld oder Kostenversicherung - erteilt. Wenn sich die Erlaubnis auf eine substitutive Krankenversicherung bezieht, ist der Betrieb einer anderen Versicherungssparte - z. B. Rechtsschutzversicherung - durch das Unternehmen ausgeschlossen (§ 8 Abs. 4 S. 2 2. Hs VAG). Die erteilte Erlaubnis gilt unbefristet, wenn sich aus dem Geschäftsplan des Krankenversicherers nichts anderes ergibt, sowie für das gesamte Gebiet der EU und des EWR (§ 10 Abs. 1 VAG). Krankenversicherer mit Sitz in einem Mitgliedstaat der EU und des EWR unterliegen im Hinblick auf die Aufnahme der Geschäftstätigkeit den Regeln ihres Herkunftslandes (§§ 61 Abs. 1, 62 Abs. 1 VAG). Sie können Krankenversicherungen in der BRD erst anbieten, wenn die in § 61 Abs. 2-4 VAG vorgesehene Unterrichtung der BaFin erfolgt ist. Krankenversicherungsunternehmen mit Sitz in einem Drittstaat, also einem Staat außerhalb der EU und des EWR, unterliegen ebenfalls der Erlaubnispflicht. Die diesbezüglichen Einzelheiten sind in den §§ 67 ff. VAG geregelt. 3.2.4 Zustandekommen eines Versicherungsvertrages 3.2.4.1 Vertragsfreiheit und Kontrahierungszwang Das Versicherungsverhältnis entsteht nicht kraft Gesetzes, sondern durch einen Vertragsschluss. Die Beteiligten des Versicherungsvertrages sind der Versicherungsnehmer und das Versicherungsunternehmen (auch Versicherer genannt). Nimmt der Versicherungsnehmer den Versicherungsschutz für sich in Anspruch, Beispiele für Versagungsgründe § 11 Abs. 1 VAG (gebundene Entscheidung) § 11 Abs. 2 VAG (Ermessensentscheidung) fehlende Zuverlässigkeit oder fehlende fachliche Eignung der Geschäftsleiter keine ausreichende Wahrung der Belange der Versicherten Beeinträchtigung einer wirksamen Aufsicht durch intransparente Konzernstrukturen unvollständige Antragsunterlagen <?page no="361"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Kostenträger 361 ist er zugleich Versicherter. Der Vertrag kann auch zugunsten eines Dritten abgeschlossen werden (z. B. einem Kind), ohne dass derjenige Vertragspartner ist. Dieser Begünstigte wird als Versicherter bezeichnet. Bei einer solchen Vertragsgestaltung fallen die Eigenschaft als Versicherungsnehmer und Versicherter auseinander. ❋ Wissen │ Versicherungsvertrag Ein Versicherungsvertrag hat folgende Kennzeichen: 509 Der Versicherer verpflichtet sich gegen Entgelt zu Leistungen für den Fall einer Gefahr. Gefahr wird dabei als ungewisses Ereignis verstanden, das für den Versicherungsnehmer einen wirtschaftlichen Nachteil (z. B. Aufwendungen im Zusammenhang mit Krankheit oder Pflegebedürftigkeit) bedeutet. Das vom Versicherer übernommene Risiko wird auf eine Vielzahl von Personen, die durch die gleiche Gefahr bedroht sind, verteilt. Nur durch die Gleichartigkeit der Gefahr ist die Kalkulation eines bedarfsgerechten Beitrages möglich. Ferner liegt der Risikoübernahme eine Kalkulation zugrunde, die auf dem Gesetz der großen Zahlen beruht. Dieser Grundsatz der Wahrscheinlichkeitsrechnung berücksichtigt die statistische Erfahrung, dass das ungewisse Ereignis nicht bei allen, sondern nur bei einem Teil der Gefährdeten eintritt und mit der wachsenden Zahl der gleichartig Gefährdeten die Risikokalkulation weniger vom Zufall beeinflusst wird. Der Versicherungsvertrag ist ein privatrechtlicher Vertrag, so dass grundsätzlich die das Privatrecht beherrschende Vertragsfreiheit gilt. Diese ermöglicht es den Bürgern und Unternehmen, selbst zu entscheiden, ob und mit welchem Inhalt sie ihre Rech tsbe ziehun gen regeln m öc hten . Diese Vertra gsfreiheit ist jed och im Bereich der Kranken- und Pflegeversicherung durch den sog. Kontrahierungszwang eingeschränkt. Dieser bedeutet, dass eine Person als Versicherungsnehmer (für sich und ggf. ein Versicherten) unter den Voraussetzungen des § 193 Abs. 3 VVG eine Krankheitskostenversicherung sowie unter den Voraussetzungen der §§ 22, 23 SGB XI eine Pflegepflichtversicherung und der Krankenversicherer unter den Voraussetzungen des § 193 Abs. 5 VVG i. V. m. § 152 VAG eine Krankenversicherung im Basistarif sowie unter den Voraussetzungen des § 110 Abs. 1, 3 SGB XI eine Pflegepflichtversicherung abschließen müssen. Bei dem genannten Basistarif handelt es sich um eine Krankenversicherung mit Leistungen, die in Art, Umfang und Höhe den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung entspricht (vgl. zu den Einzelheiten § 152 VAG). 509 Grundlegend zum Begriff des Versicherungsvertrages: BVerwG, Urt. v. 25.11.186, 1 C 54.81, BVerwGE 75, 155 [159 f.]. <?page no="362"?> 362 Recht im Gesundheitswesen Abb. 68: Kontrahierungszwang Den Versicherungsnehmern und Versicherern bleibt es jedoch unbenommen, über die Mindestkrankenversicherung, zu deren Abschluss sie verpflichtet sind, weitergehende Verträge - z. B. eine Krankenhaustagegeldversicherung - abzuschließen. 3.2.4.2 Vorvertragliche Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers Der Versicherungsnehmer ist gem. § 19 Abs. 1 VVG verpflichtet, vor Abschluss des Vertrages sog. gefahrerhebliche Umstände anzuzeigen. Dabei handelt es sich um Vorerkrankungen, Gesundheitsrisiken und Vorbehandlungen (z. B. Herzinfarkt, Alkoholabhängigkeit, Krankenhausaufenthalte), die auf den Entschluss des Versicherers, den Vertrag überhaupt oder mit welchem Inhalt, abzuschließen, Einfluss nehmen und nach denen der Versicherer in Textform (vgl. § 126 BGB) gefragt hat. Allerdings ist der Versicherungsnehmer lt. § 18 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 GenDG nicht verpflichtet, genetische Untersuchungen durchführen zu lassen. Zudem ist es dem Versicherer verboten, Ergebnisse von bereits erfolgten genetischen Untersuchungen zu verlangen oder entgegenzunehmen, selbst wenn der Versicherungsnehmer sie freiwillig anbietet (§ 18 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 GenDG). Dieses Verbot gilt allerdings nicht für eine Pflegerentenversicherung, bei der für den Fall der Pflegebedürftigkeit eine Jahresrente von 30.000 Euro oder eine Einmalzahlung von 300.000 Euro vereinbart wird (§ 18 Abs. 1 S. 2 GenDG). Ein Verstoß gegen § 18 GenDG kann als Ordnungswidrigkeit oder Straftat geahndet werden (vgl. §§ 25, 26 GenDG). Dennoch muss der Versicherungsnehmer, wenn er aufgrund einer genetischen Untersuchung eine Erkrankung kennt, diese dem Versicherer anzeigen (§ 18 Abs. 2 GenDG). Insoweit gilt nichts anderes, als wenn er von einem behandelnden Arzt über eine eingetretene Krankheit informiert worden ist. Wenn der Versicherungsnehmer durch unvollständige oder falsche Angaben seine vorvertragliche Anzeigepflicht verletzt, kommen eine Anpassung oder Beendigung des Vertrages durch den Versicherer in Betracht. Zu welcher Maßnahme der Kontrahierungszwang Versicherungsnehmer § 193 Abs. 3 VVG Krankheitskostenversicherung § 23 SGB XI Pflegepflichtversicherung Versicherer § 193 Abs. 3 VVG, § 152 VAG Krankenversicherung im Basistarif § 110 Abs. 1, 3 SGB XI Pflegepflichtversicherung <?page no="363"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Kostenträger 363 Versicherer berechtigt ist, hängt vom Verschuldensgrad seitens des Versicherungsnehmers ab. Folgende Verschuldensgrade werden unterschieden: Abb. 69: Verschuldensgrade der Anzeigepflichtverletzung ❋ Wissen │ Schuldlosigkeit Schuldlosigkeit bedeutet, dass der Versicherungsnehmer zwar objektiv seine Anzeigepflicht verletzt hat, dies ihm aber subjektiv nicht vorgeworfen werden kann. ◉ Beispiel Eine Versicherungsnehmerin gab auf die Frage nach den Untersuchungen in den letzten fünf Jahren nicht an, dass sie sich auf Veranlassung ihres Dienstherrn einer Begutachtung unterzogen hatte, die der Abklärung einer Depression diente. Der Gutachter kam seinerzeit zu dem Ergebnis, dass die Versicherungsnehmerin nicht an einer Depression leide. Er bestätigte damit die Auffassung der Versicherungsnehmerin über ihren Gesundheitszustand. Der BGH sah die unterbliebene Anzeige als schuldlos an, weil die Versicherungsnehmerin durch das Gutachten in ihrer Ansicht bestätigt worden war, dass sie nicht an einer Depression leide, sie also insoweit gesund sei. 510 Wenn der Versicherungsnehmer seine vorvertragliche Anzeigepflicht schuldlos verletzt hat, so sieht das Gesetz (im Unterschied zu anderen Versicherungsverträgen) keine Anpassung des Vertrages durch Prämienzuschlag, Risikoausschluss oder Leistungsbegrenzung vor (vgl. § 194 Abs. 1 S. 3, § 19 Abs. 4 VVG). Die Beendigung des Vertrages durch Kündigung des Versicherers (§ 19 Abs. 3 S. 2 VVG) ist dagegen in der seit dem 1.1.2009 geltenden Fassung nicht ausdrücklich ausgeschlossen. Dabei dürfte es sich jedoch um ein Redaktionsversehen innerhalb des Gesetzgebungsverfahrens handeln. § 194 Abs. 1 S. 3 VVG, der am 1.1.2008 in 510 Vgl. BGH, Urt. v. 7.3.2007, IV ZR 133/ 06, NJW-RR 2007, 979 ff. vorwerfbare Verletzung der Anzeigepflicht Schuldlosigkeit Fahrlässigkeit grobe Fahrlässigkeit Verschulden Vorsatz Arglist <?page no="364"?> 364 Recht im Gesundheitswesen Kraft trat, schloss die Anwendung des § 19 Abs. 3 S. 2 und Abs. 4 VVG aus 511 . Diese Vorschrift entspricht dem Regierungsentwurf des Art. 1 des Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts. 512 Die ab dem 1.1.2009 geltende Fassung (also die ohne Ausschluss des § 19 Abs. 3 S. 2) geht dagegen auf Art. 11 des Reformgesetzes zurück, der durch den Rechtsausschuss des Bundestages ergänzt worden ist. 513 Mit dieser Ergänzung des Ausschusses sollten lediglich Änderungen des VVG, die zwischen dem Gesetzentwurf und der Beschlussempfehlung des Ausschusses durch ein anderes Gesetz in Kraft getreten waren 514 , inhaltsgleich in das ab dem 1.1.2009 geltende VVG überführt werden. 515 Die Änderungen durch das andere Gesetz betrafen aber nicht § 194 VVG, so dass ein Redaktionsversehen anzunehmen ist. Letztlich muss bei der Gesetzesanwendung der Sinn und Zweck der Vorschriften berücksichtigt werden: Wenn der schuldlos handelnde Versicherungsnehmer vor einer Vertragsanpassung geschützt werden soll, muss dies erst recht für die Beendigung des Vertrages gelten. Somit bleibt die schuldlose Anzeigepflichtverletzung für den Versicherungsnehmer folgenlos. Anders verhält es sich jedoch beim schuldhaften, also fahrlässigen, grob fahrlässigen, vorsätzlichen oder arglistigen Verstoß gegen § 19 Abs. 1 VVG. ❋ Wissen │ Fahrlässigkeit (vgl. auch § 276 Abs. 2 BGB) Fahrlässigkeit liegt vor, „wenn der Handelnde die drohende Folge seines Verhaltens nicht vorhersieht und/ oder den an sein Verhalten anzulegenden Sorgfaltsmaßstab nicht erkennt, gerade darin aber das vorwerfbare Fehlverhalten liegt, weil bei der gebotenen Anstrengung die Konsequenzen der Handlung und die daraus folgenden Handlungsrichtlinien erkennbar gewesen wären.“ 516 Ferner handelt der VN fahrlässig, wenn er erkennt, „dass sein Verhalten zu einer rechtlich missbilligten Folge führen kann, er ist also in der Lage, die eigentlich gebotene Sorgfalt zu erkennen, vertraut jedoch vorwerfbar darauf, dass die Folge ausbleiben wird, und lässt sich deshalb nicht von seiner sorgfaltswidrigen Handlungsweise abbringen.“ 517 ◉ Beispiel Ein Versicherungsnehmer hatte folgende Frage verneint: Werden derzeit Zahnbehandlungen, Zahnersatzmaßnahmen, Behandlungen wegen Zahn-, Kieferregulierungen oder Parodontose durchgeführt oder sind solche notwendig, angeraten oder beabsichtigt? Wenn ja, dann ist ein aktueller zahnärztlicher Befund- 511 Gesetz zur Reform des Versicherungsvertragsrecht, BGBl. I 2007 S. 2631. 512 Vgl. RegE des Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts, BTag-Drucks. 16/ 3945 S. 36. 513 Vgl. BeschlE des Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts, BT-Drucks. 16/ 5862 S. 85. 514 Art. 43 Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 26.3.2007, BGBl. I S. 378. 515 Vgl. BeschlE des Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts, BT-Drucks. 16/ 5862 S. 101. 516 Felsch, Versicherungsvertragsgesetz, § 28 Rn. 94. 517 Felsch, a. a. D., § 28 Rn. 93. <?page no="365"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Kostenträger 365 bericht erforderlich. Zwei Jahre zuvor hatte der Zahnarzt dem VN einen Heil- und Kostenplan für eine Zahnbehandlung erstellt. Diese diente angesichts von Auffälligkeiten (Spalten) an den Zahnverfüllungen als Vorsichtsmaßnahme zur Vermeidung der Verschlechterung des Zahnbestandes. Eine akute Behandlungsnotwendigkeit bestand nicht. Die Zahnbehandlung wäre zwar medizinisch sinnvoll, aber nicht notwendig gewesen. Der Versicherungsnehmer ließ die Zahnbehandlung seinerzeit nicht durchführen. Das LG Stuttgart bejahte unter diesen Umständen zwar Fahrlässigkeit, lehnte aber grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz ab. 518 ❋ Wissen │ Grobe Fahrlässigkeit „Grob fahrlässig handelt, 'wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt gröblich, in hohem Grade, außer Acht lässt, wer nicht beachtet, was unter den gegebenen Umständen jedem einleuchten musste'.“ 519 ◉ Beispiel Ein Versicherungsnehmer hatte bei Antragstellung Taubheitsgefühle in beiden Händen, deren Ursache (noch) ungeklärt war, verschwiegen. Die insoweit relevante Frage lautete: Werden oder wurden Sie in den letzten fünf Jahren von einem Arzt, Heilpraktiker oder anderen Therapeuten in folgenden Bereichen behandelt, beraten oder untersucht? Bestehen oder bestanden bei Ihnen in den letzten fünf Jahren Krankheiten, Unfallfolgen oder Beschwerden in folgenden Bereichen? a) … s) Sonstige nicht aufgeführte Bereiche (z. B. gutartige Neubildungen, Herpes, Leistenbruch, Fistel, Wechseljahresbeschwerden)? Das OLG Frankfurt a. M. bejahte grobe Fahrlässigkeit, weil die Taubheitsgefühle dem Versicherungsnehmer präsent waren. Der behandelnde Arzt hatte keine Ursache gefunden, aber auch nicht erklärt, dass nur unverdächtige Ursachen in Betracht kämen. Die Taubheitsgefühle traten immer wieder auf und vergingen nicht sofort, sondern hielten eine Zeit lang an. Deshalb suchte der Versicherungsnehmer den Arzt wiederholt auf. 520 ❋ Wissen │ Vorsatz Vorsatz erfordert das Wollen der Anzeigepflichtverletzung im Bewusstsein des Vorhandenseins der Verhaltensnorm. Es genügt der sog. bedingte Vorsatz, der gegeben ist, wenn der Versicherungsnehmer eine Verletzung der Anzeigepflicht für möglich hält und diese billigend in Kauf nimmt. 521 518 Vgl. LG Stuttgart, Urt. v. 20.12.2010, 16 O 354/ 10, BeckRS 2012, 02789. 519 Armbrüster, Prölss/ Martin, VVG § 28 Rn. 205 m. w. N. 520 Vgl. OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 19.1.2011, 7 U 77/ 10, BeckRS 2011, 28322. 521 Vgl. Armbrüster, Prölss/ Martin, VVG § 28 Rn. 188. <?page no="366"?> 366 Recht im Gesundheitswesen ❋ Wissen │ Arglist Arglist bedeutet, dass der Versicherungsnehmer wissentlich falsche Angaben macht und den Entschluss des Versicherers beeinflussen will. Er ist sich bewusst, dass der Versicherer möglicherweise seinen Antrag nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen annehmen werde, wenn er die Fragen wahrheitsgemäß beantworten würde. 522 ◉ Beispiel Das OLG Saarbrücken beurteilte die Angabe eines Versicherungsnehmers, dass eine Krankheit ausgeheilt sei, obwohl er sich ihretwegen in ständiger ärztlicher Behandlung befand, als arglistig. 523 Je nach Verschuldensgrad des Versicherungsnehmers hat der Versicherer verschiedene Reaktionsmöglichkeiten, die zum Teil noch an weitere Voraussetzungen geknüpft sind. Die Einzelheiten sind der nachfolgenden Tabelle zu entnehmen. Fahrlässigkeit grobe Fahrlässigkeit Vorsatz Arglist Vorrang der Anpassung vor der Beendigung des Vertrages Keine Beendigung des Vertrages, wenn der Versicherer den Krankenversicherungsvertrag mit anderen Bedingungen - wie z. B. Prämienzuschlag, Selbstbehalt, Risikoausschluss oder Leistungsbegrenzung - geschlossen hätte (§ 19 Abs. 4 VVG). § 19 Abs. 4 VVG gilt nicht, so dass die Anpassung des Vertrages keinen Vorrang vor der Beendigung hat. Beendigung des Vertrages Der Versicherer kann innerhalb eines Monats ab Kenntnis der Pflichtverletzung den Vertrag mit einmonatiger Frist gem. § 19 Abs. 3 VVG kündigen. Allerdings ist die Kündigung ausgeschlossen, solange der Kontrahierungszwang besteht (§ 206 Abs. 1 S. 1 VVG sowie § 110 Abs. 4 SGB XI). Der Versicherer kann innerhalb eines Monats ab Kenntnis der Pflichtverletzung vom Vertrag gem. § 19 Abs. 2 VVG zurücktreten. In der Pflegepflichtversicherung ist der Rücktritt des Versicherers gem. § 110 Abs. 4 SGB XI ausgeschlossen, solange der Kontrahierungszwang besteht. Der Versicherer kann innerhalb eines Jahres den Vertrag gem. § 22 VVG, §§ 123 f. BGB anfechten. 522 Vgl. Armbrüster, Prölss/ Martin, VVG § 22 Rn. 7 m. w. N. 523 Vgl. OLG Saarbrücken, Urt. v. 12.10.2005, 5 U 82/ 05, NJW-RR 2006, 607 ff. <?page no="367"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Kostenträger 367 Fahrlässigkeit grobe Fahrlässigkeit Vorsatz Arglist vorherige Belehrung des Versicherungsnehmers über die Rechtsfolgen Die Vertragsanpassung und -beendigung setzen voraus, dass der Versicherer den Versicherungsnehmer vorab in Textform auf die Folgen der Anzeigepflichtverletzung hingewiesen hat (§ 19 Abs. 5 S. 1 VVG). Die Anfechtung setzt keine vorherige Rechtsfolgenbelehrung voraus (BGH, Urt. v. 12.3.2014, IV ZR 306/ 13, VersR 2014, 565 ff.) Kenntnis des Versicherers vom nicht angezeigten Gefahrumstand bei Vertragsschluss Wenn der Versicherer den Versicherungsvertrag in Kenntnis des nicht angezeigten Gefahrumstandes schließt, so kann er den Vertrag nicht nachträglich anpassen oder beenden. Für die fahrlässige, grob fahrlässige oder vorsätzliche Anzeigepflichtverletzung folgt dies aus § 19 Abs. 5 S. 2 VVG. Im Fall der Arglist folgt dies aus § 123 BGB. Wenn der Versicherer den Gefahrumstand kennt, ist die Täuschung nicht kausal für die Vertragsabschlusserklärung des Versicherers, so dass es an einer der in § 123 BGB geregelten Anfechtungsvoraussetzungen fehlt. Ausschlussfristen Die Vertragsanpassung und -beendigung sind nach Ablauf von drei Jahren nach Vertragsschluss ausgeschlossen (§ 21 Abs. 3 S. 1, § 194 Abs. 1 S. 4 VVG). Die Vertragsanpassung und -beendigung sind nach Ablauf von zehn Jahren nach Ve rt ra gs schlu ss ausgeschlossen (§ 21 Abs. 3 S. 2 VVG). Die Anfechtung ist gem. § 124 Abs. 3 BGB ausgeschlossen, wenn seit Abgabe der Willenserklärung des Versicherers zehn Jahre verstrichen sind. (§ 21 Abs. 3 VVG gilt für Anfechtung wegen Arglist nicht, vgl. BGH, Urt. v. 25.11.2015, IV ZR 277/ 14, NJW 2016, 394 f.) Rechtsfolgen der Beendigung Der Versicherungsnehmer muss bis zum Ablauf der Kündigungsfrist Prämie zahlen (§ 39 Abs. 1 S. 1 VVG). Der Versicherer ist bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zur Leistung verpflichtet (Umkehrschluss aus § 21 Abs. 2 VVG). Der Versicherungsnehmer muss bis zum Wirksamwerden der Rücktrittserklärung Prämie zahlen (§ 39 Abs. 1 S. 2 VVG). Die Leistungspflicht des Versicherers beschränkt sich auf die Versicherungsfälle, für die der nicht angezeigte Gefahrumstand nicht relevant ist (§ 21 Abs. 2 S. 1 VVG). Der Versicherungsnehmer muss bis zum Wirksamwerden der Anfechtungserklärung Prämie zahlen (§ 39 Abs. 1 S. 2 VVG). Der Versicherer muss keine Leistungen erbringen (§ 21 Abs. 2 S. 2 VVG). Tab. 19: Reaktionsmöglichkeiten des Versicherers auf die vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung durch den Versicherungsnehmer 3.2.4.3 Vorvertragliche Informationspflicht des Versicherers Aufseiten des Versicherers gibt es ebenfalls eine vorvertragliche Informationspflicht. Der Versicherer muss den Versicherungsnehmer die Informationen zukommen lassen, die in § 7 Abs. 1, 2 VVG i. V. m. der VVG-InformationspflichtenVO vorgesehen sind. Das sind beispielsweise für einen Krankenversicherungsvertrag die: Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB), In der Praxis haben sich zum einen sog. Musterbedingungen durchgesetzt, wie beispielsweise die MB/ KK 2009 und MB/ KT 2009. Diese werden vom Verband der privaten Krankenversicherung herausgegeben. Sie sind zwar für die Versicherungsunternehmen nicht verbindlich. Gleichwohl verwenden viele Versicherer die Musterbedingungen für ihre Verträge. Dies hat traditionelle Gründe. <?page no="368"?> 368 Recht im Gesundheitswesen Bis zum Inkrafttreten des 3. DG/ EWG zum VAG 524 vom 21.7.1994 waren die Versicherungsbedingungen genehmigungspflichtig und die seinerzeit vorhandenen Musterbedingungen waren die von der Aufsichtsbehörde genehmigungsfähigen Bedingungen. Zum anderen gibt es AVB, wie z. B. AVB/ BT 2009 und MB/ PPV 2015, die brancheneinheitlich sind, weil die Versicherer zu einheitlichen (Mindest-) Versicherungen verpflichtet sind (vgl. z. B. § 152 Abs. 1 S. 1 VAG für den Basistarif, § 23 Abs. 1 S. 2 SGB XI für die Pflegepflichtversicherung). Besondere Versicherungsbedingungen (BVB), BVB sind Versicherungsbedingungen, die für ein konkretes Risiko, z. B. Krankenhausbehandlung ohne Wahlleistungen, verwendet werden. Tarifbestimmungen, Die Tarifbestimmungen konkretisieren die Leistungspflicht des Versicherers, z. B. die Regelung, dass Aufwendungen für die Leistungen eines Heilpraktikers erstattet werden. Identität des Versicherers nebst ladungsfähiger Anschrift, Versicherungsprämie, Steuern und in der Prämie einkalkulierten Kosten und Hinweise auf Möglichkeiten zur Beitragsbegrenzung im Alter. Diese Informationen muss der Versicherungsnehmer grundsätzlich vor seiner Vertragserklärung erhalten (§ 7 Abs. 1 S. 1 VVG). Nur in Ausnahmefällen, wenn der Vertrag z. B. auf Verlangen des Versicherungsnehmers telefonisch geschlossen werden soll, kann der Versicherer die Informationen nachreichen; dies muss dann unverzüglich nach Vertragsschluss erfolgen (vgl. § 7 Abs. 1 S. 3 VVG). Wenn der Versicherer seine vorvertragliche Informationspflicht verletzt, hat das folgende Konsequenz. Die 14-tägige Frist, innerhalb der der Versicherungsnehmer seine Vertragserklärung widerrufen kann (vgl. dazu den nachfolgenden Abschnitt), beginnt erst zu laufen, wenn der Versicherungsnehmer die notwendigen Informationen bekommen hat (§ 8 Abs. 2 VVG). 3.2.4.4 Abschluss des Versicherungsvertrages Lernhinweis Repetieren Sie die §§ 145-157 BGB zum Zustandekommen eines Vertrages mit Hilfe eines Lehrbuchs zum Bürgerlichen Recht. Der Versicherungsvertrag ist ein privatrechtlicher Vertrag, so dass für seinen Abschluss die §§ 145 ff. BGB gelten. Von diesen Vorschriften wird jedoch § 150 Abs. 2 BGB, der die Annahme eines Vertragsangebots mit Änderungen regelt, durch § 5 VVG verdrängt. Wenn der Versicherungsschein vom Antrag des Versicherungsnehmers abweicht, so gelten die Abweichungen als genehmigt, wenn der Versicherungsnehmer nicht innerhalb von einem Monat ab Zugang des Versiche- 524 Drittes Gesetz zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaften v. 21.7.1994 BGBl. I, S. 1630, berichtigt S. 3134. <?page no="369"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Kostenträger 369 rungsscheins widerspricht (§ 5 Abs. 1 VVG). Diese Genehmigungsfiktion setzt jedoch voraus, dass der Versicherungsnehmer über sie und über die Abweichung durch einen auffälligen Hinweis im Versicherungsschein aufmerksam gemacht worden ist (§ 5 Abs. 2 VVG). Wenn der Versicherer diesen Hinweis versäumt oder nicht auffällig gestaltet, so gilt nach § 5 Abs. 3 VVG, dass im Hinblick auf die Abweichung nicht der Versicherungsschein, sondern der Antrag des Versicherungsnehmers den Vertragsinhalt bestimmt. Das BGB regelt für bestimmte Verträge - z. B. dem Fernabsatzvertrag - ein Widerrufsrecht für den Verbraucher (vgl. z. B. §§ 312c, 312g, 355 BGB). Ein solches Widerrufsrecht ist für den Krankenversicherungsvertrag ebenfalls gesetzlich vorgesehen. Gem. § 8 VVG kann der Versicherungsnehmer seine Vertragserklärung ohne Angabe von Gründen innerhalb von 14 Tagen, nachdem er die nach § 7 Abs. 1, 2 VVG notwendigen Unterlagen (vgl. Abschnitt 3.2.4.3) sowie die Belehrung über die Widerrufsmöglichkeit erhalten hat, widerrufen. Der Mustertext einer Widerrufsbelehrung ist in der Anlage des VVG abgedruckt. Wenn der Versicherer diesen Mustertext verwendet, so genügt er auf jeden Fall den gesetzlichen Anforderungen. Für bestimmte Verträge, z. B. Reisekrankenversicherungsvertrag von unter einem Monat, ist das Widerrufsrecht ausgeschlossen (vgl. § 8 Abs. 3 VVG zu den Einzelheiten). Der Versicherungsnehmer hat für seinen Widerruf neben der Frist die Textform (§ 126b BGB) zu beachten. Das bedeutet, dass er seinen Widerruf beispielsweise per Brief, Fax oder E-Mail absenden kann. Wenn der Versicherungsnehmer seine Vertragserklärung wirksam widerrufen hat, so haben er und der Versicherer grundsätzlich die jeweils vor Zugang des Widerrufs empfangenen Leistungen zurück zu gewähren. Die diesbezüglichen Einzelheiten sind in den §§ 355, 357, 346 ff. BGB geregelt. Wenn der Versicherungsschutz mit Zustimmung des Versicherungsnehmers bereits vor Ablauf der Widerrufsfrist begonnen hat, so muss der Versicherer unter den in § 9 Abs. 1 VVG genannten Voraussetzungen nur die Prämie, die er für die Zeit nach dem Zugang erhalten hat, erstatten. 3.2.4.5 Versicherungsbedingungen und Tarifbestimmungen als Vertragsbestandteil Lernhinweis Repetieren Sie die §§ 305-310 BGB zur vertraglichen Einbeziehung und Wirksamkeit der Allgemeinen Geschäftsbedingungen mit Hilfe eines Lehrbuchs zum Bürgerlichen Recht. Die Allgemeinen und Besonderen Versicherungsbedingungen sowie die Tarifbestimmungen eines Krankenversicherers erfüllen üblicherweise die Definition des § 305 Abs. 1 BGB und gelten somit als Allgemeine Geschäftsbedingungen. Sie werden gem. § 305 Abs. 2, § 305c Abs. 1 BGB Vertragsinhalt. Die Versicherungsbedingungen und Tarife des Versicherungsvertrages werden bei der Rechtsanwendung aus der Sicht eines aufmerksamen, verständigen, durchschnittlichen Versicherungsnehmers, der die Versicherungsbedingungen und <?page no="370"?> 370 Recht im Gesundheitswesen Tarife unter Einbeziehung der Interessen der Beteiligten und des erkennbaren Sinnzusammenhangs würdigt, ausgelegt. 525 Sie unterliegen als Allgemeine Geschäftsbedingungen der Inhaltskontrolle gem. §§ 307-309 BGB. Bei einem Verstoß gegen diese Vorschriften sind sie unwirksam. ◉ Beispiel BGH 526 sah folgende Klauseln (in Verbindung) wegen des Verstoßes gegen § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB als unwirksam an: Tarifbedingungen Nr. 2: Versicherungsfähig sind […] Personen, die in einem ständigen festen Dienst- oder Arbeitsverhältnis gegen Entgelt stehen (Arbeitnehmer) […] § 15 Buchst. a MB/ KT 1994: Das Versicherungsverhältnis endet […] bei Wegfall einer im Tarif bestimmten Voraussetzung für die Versicherungsfähigkeit zum Ende des Monats, in dem die Voraussetzung weggefallen ist. […] Der BGH verwies darauf, dass diese Regelungen den Versicherungsnehmer unangemessen benachteiligen würden, weil der Vertrag ende, obwohl sich der Versicherungsnehmer möglicherweise sofort und ernsthaft um die Begründung eines neuen Arbeitsverhältnisses bemühe und während dieser Zeit arbeitsunfähig werde. Die Zeiten der Arbeitssuche nach Beendigung eines Arbeitsverhältnisses seien ebenfalls Teil der Erwerbstätigkeit des Versicherungsnehmers. Wenn die Versicherungsbedingungen und Tarife nicht Bestandteil des Vertrages geworden oder unwirksam sind, so richtet sich der Vertragsinhalt nach den gesetzlichen Bestimmungen (§ 306 Abs. 2 BGB). Allerdings handelt es sich bei einer Versicherung um ein „Rechtsprodukt“, das durch die Versicherungsbedingungen und Tarife geprägt wird. Die vorhandenen gesetzlichen Bestimmungen sind nicht in jedem Fall geeignet, die (Hauptleistungs-)Pflichten der Vertragspartner ausreichend abzubilden, um die beiderseitigen Interessen zu wahren. Dies würde in der Konsequenz dazu führen, dass der Vertrag insgesamt unwirksam wird (vgl. § 306 Abs. 3). Um dieser Konsequenz zu begegnen, gibt es die Möglichkeit einer ergänzenden Vertragsauslegung (§§ 133, 157 BGB), die darauf abzielt, offene Punkte des Vertrages unter angemessener Abwägung der beiderseitigen Interessen zu regeln. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die ergänzende Vertragsauslegung den Vertragsgegenstand nicht erweitert, das Festhalten am Vertrag ohne Ergänzung unzumutbar wäre und der ergänzte Vertrag auch für den Versicherungsnehmer von Interesse ist. Wenn die Voraussetzungen gegeben sind, so ist die Ergänzung maßgeblich, die die Vertragsparteien unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen nach Treu und Glauben redlicherweise vereinbart hätten, wenn sie die Lücke bei Vertragsschluss erkannt hätten. 527 Im Fall der Unwirksamkeit einer Versicherungsbedingung oder Tarifbestimmung hat der Versicherer zudem die alternative Möglichkeit, die vertragliche „Lücke“ gem. § 203 Abs. 4, § 164 VVG zu schließen (vgl. dazu Abschnitt 3.2.7). 525 Vgl. Armbrüster, Prölss/ Martin, VVG Einleitung Rn. 260 m. w. N. 526 Vgl. BGH, Urt. v. 27.2.2008, IV ZR 219/ 06, NJW 2008, 1820 ff. 527 Vgl. BGH, Urt. v. 6.7.2016, IV ZR 44/ 15, NJW 2017, 388 ff. [392]. <?page no="371"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Kostenträger 371 3.2.4.6 Bedeutung des Versicherungsscheins Der Versicherer hat dem Versicherungsnehmer lt. § 3 VVG einen Versicherungsschein in Textform (§ 126b BGB), oder auf dessen Verlangen als Urkunde, zu übermitteln. Der Versicherungsschein hat eine Beweisfunktion, er bestätigt das Zustandekommen des Versicherungsvertrages und den Inhalt des Versicherungsvertrages. 528 3.2.5 Versicherungsfall und Leistungsbegrenzungen Der Versicherungsfall ist das Ereignis, das die Leistungspflicht des Versicherers auslöst. Er ist für die verschiedenen Krankenversicherungsarten in § 192 VVG festgelegt. ❋ Wissen │ Versicherungsfall der Krankheitskostenversicherung, § 192 Abs. 1 VVG Gem. § 192 Abs. 1 VVG (siehe auch § 1 Abs. 2 MB/ KK 2009) bildet die medizinisch notwendige Heilbehandlung der versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen den Versicherungsfall der Krankheitskostenversicherung. Ferner werden Schwangerschaft und Entbindung in den Versicherungsschutz einbezogen. Unter Krankheit wird ein anormaler Zustand, der nicht nur eine unerhebliche Störung körperlicher und/ oder geistiger Funktionen bedeutet. 529 Dieser anormale Zustand kann auch auf einem Unfall beruhen. Mit der ausdrücklichen Erwähnung des Unfalls wird verdeutlicht, dass neben den inneren Ursachen auch äußere Ereignisse die Krankheit auslösen können. 530 Die medizinisch notwendige Heilbehandlung erfasst jede ärztliche Tätigkeit, die darauf gerichtet ist, die Krankheit zu erfassen, zu heilen, den krankheitsbedingten Zustand zu verbessern, die Verschlimmerung der Krankheit zu verzögern oder zu verhindern oder Beschwerden zu lindern. Vorsorgeuntersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten werden kraft Gesetzes (§ 192 Abs. 1 VVG) einbezogen, weil sie nicht per se unter den Begriff der Heilbehandlung, der an eine bereits eingetretene Krankheit anknüpft, fallen. 531 Zudem muss die ärztliche Maßnahme medizinisch notwendig sein. Das bedeutet, dass es nach den objektiven anamnestisch und diagnostisch gewonnenen Erkenntnissen zum Zeitpunkt der Vornahme der ärztlichen Maßnahme vertretbar war, sie als notwendig anzusehen. 53 2 Dieser Ansatz wird sowohl dem nicht vorhersagbaren Behandlungserfolg als auch der medizinischen Methodenpluralität gerecht. 528 Vgl. Rudy, Prölss/ Martin, VVG § 3 Rn. 1, 2. 529 Vgl. BGH, Urt. v. 21.9.2005, IV ZR 113/ 04, NJW 2005, 3783 [3783]. 530 Vgl. Voit, Prölss/ Martin, VVG § 192 Rn. 43. 531 Vgl. Voit, Prölss/ Martin, VVG § 192 Rn. 48. 532 Vgl. BGH, Urt. v. 10.7.1996, IV ZR 133/ 95, NJW 1996, 3074 [3075]. <?page no="372"?> 372 Recht im Gesundheitswesen ◉ Beispiel Eine Fehlsichtigkeit von -3 und -2,75 Dioptrien stellt eine Krankheit dar, auch wenn sie Folge eines natürlichen Alterungsprozesses ist und bei 30-40 % der Menschen im entsprechenden Alter auftritt. Maßgeblich ist, dass sie eine nicht unerhebliche Abweichung vom Normalzustand der Sehfähigkeit ist, die ein beschwerdefreies Lesen und eine gefahrenfreie Teilnahme am Straßenverkehr einschließt. Die Fehlsichtigkeit kann mit einer sog. Lasik-Operation behandelt werden. Bei der Operation wird mittels Laser Gewebe in der Hornhaut abgetragen und somit die Hornhautkrümmung verändert. Zu der Fragen, ob die Operation eine medizinisch notwendige Heilbehandlung ist, gibt es unterschiedliche Entscheidungen der Instanzgerichte. Der BGH hat sich 2017 wie folgt positioniert: Wenn eine Lasik-Operation im Fall des betroffenen Versicherungsnehmers geeignet ist, die Fehlsichtigkeit zu heilen, zu lindern oder ihrer Verschlimmerung entgegenzuwirken, so stelle die Operation eine medizinisch notwendige Heilbehandlung dar. Dem stehe die Möglichkeit, dass der Versicherungsnehmer eine Brille oder Kontaktlinsen tragen könne, nicht entgegen. Die Sehhilfen seien Hilfsmittel, die lediglich eine Behinderung ausgleichen. Mit ihnen werde die Funktionsfähigkeit der Augen nicht wieder hergestellt. Der BGH verwies das Verfahren zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurück. 533 ❋ Wissen │ Versicherungsfall der Krankentagegeldversicherung Der Versicherungsfall der Krankentagegeldversicherung ist die Arbeitsunfähigkeit der versicherten Person wegen Krankheit oder Unfall (vgl. § 192 Abs. 5 VVG, § 1 Abs. 2, 3 MB/ KT 2009). Arbeitsunfähigkeit liegt vor, „wenn die versicherte Person ihre berufliche Tätigkeit nach medizinischem Befund vorübergehend in keiner Weise ausüben kann, sie auch nicht ausübt und keiner anderweitigen Erwerbstätigkeit nachgeht. Diese Definition der Arbeitsunfähigkeit knüpft an die konkrete berufliche Tätigkeit der versicherten Person und nicht allgemein an ihre beruflichen Möglichkeiten an. Dementsprechend bemisst sich die Arbeitsunfähigkeit nach der bisherigen Art der Berufsausübung, selbst wenn der Versicherte noch andere Tätigkeiten ausüben kann […]. Daher ist der Versicherer nicht berechtigt, den Versicherungsnehmer auf so genannte Vergleichsberufe oder gar auf sonstige, auf dem Arbeitsmarkt angebotene Erwerbstätigkeiten zu verweisen […]. Ob der Versicherte seinem Beruf nicht mehr in der bisherigen Ausgestaltung nachgehen kann, ist durch einen Vergleich der Leistungsfähigkeit, die für die bis zur Erkrankung konkret ausgeübte Tätigkeit erforderlich ist, mit der noch verbliebenen Leistungsfähigkeit festzustellen.“ 534 533 Vgl. BGH, Urt. v. 29.3.2017, IV ZR 533/ 15, NJW 2017, 2408 ff. 534 BGH, Urt. v. 9.3.2011, IV ZR 137/ 10, NJW 2011, 1675 ff. [1676]. <?page no="373"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Kostenträger 373 Zudem ist der Versicherungsnehmer „nicht gezwungen, seine berufliche Tätigkeit durch Austausch oder Veränderung der bislang eingesetzten Arbeitsmittel neu zu organisieren.“ 535 ◉ (Gegen-)Beispiel Der BGH 536 verneinte den Versicherungsfall für folgende Wiedereingliederungsmaßnahme eines Versicherungsnehmers: Dieser war wegen eines Burnout-Syndroms erkrankt und erhielt zunächst Krankentagegeld von seinem Krankenversicherer. Vor Wiederaufnahme seiner Arbeitstätigkeit erfolgte eine Wiedereingliederung (i. S. d. § 74 SGB V), um den Versicherungsnehmer kontinuierlich an die Arbeitsbelastungen heranzuführen. In den ersten beiden Wochen arbeitete er täglich drei Stunden, in der dritten und vierten Woche sechs Stunden. Während dieser vier Wochen bezog er keinen Lohn von seinem Arbeitgeber. Der BGH verwies darauf, dass Arbeitsunfähigkeit nur vorliege, wenn der Versicherungsnehmer seiner Tätigkeit in keiner Weise nachgehen kann. Sobald er seine Tätigkeit teilweise verrichten kann, ist er im Sinne der privaten Krankenversicherung arbeitsfähig. ❋ Wissen │ Versicherungsfall der Privaten Pflegeversicherung Der Versicherungsfall der Privaten Pflegepflichtversicherung ist die Pflegebedürftigkeit, die dem Begriff der sozialen Pflegeversicherung entspricht. Nähere Erläuterungen finden Sie im Abschnitt 3.1.11. Mit der jeweiligen gesetzlichen Definition des Versicherungsfalls geht ein sog. primärer Risikoausschluss einher. Das Ereignis, das nicht die versicherte Gefahr verwirklicht, ist nicht in den Versicherungsschutz eingeschlossen. Beispielsweise schließt der Versicherungsfall der Krankheitskostenversicherung, der an eine Krankheit anknüpft, keine Schönheitsoperationen ein. Da der Versicherungsfall mitunter eine sehr weitgehende Leistungspflicht des Versicherers auslösen kann, regeln die Versicherungsbedingungen Leistungsbegrenzungen. Diese Begrenzungen bzgl. der übernommenen Gefahr werden als sekundäre Risikoausschlüsse bezeichnet. Wenn dagegen derartige Begrenzungen wiederum eingeschränkt, der Versicherungsschutz also wieder in einer bestimmten Hinsicht ausgeweitet wird, handelt es sich um sog. Ausweitungen. ◉ Beispiel │ modifizierte Wissenschaftsklausel der Krankheitskostenversicherung Sekundärer Risikoausschluss gem. § 4 Abs. 6 S. 1 MB/ KK 2009: Der Versicherer leistet im vertraglichen Umfang für Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden und Arzneimittel, die von der Schulmedizin überwiegend anerkannt sind. 535 BGH, Urt. v. 20.5.2009, IV ZR 274/ 06, NJW-RR 2009, 1189 ff. [1191]. 536 Vgl. BGH, Urt. v. 11.3.2015, IV ZR 54/ 14, VersR 2015, 570 f. <?page no="374"?> 374 Recht im Gesundheitswesen Ausweitung gem. § 4 Abs. 6 S. 2 MB/ KK 2009: Er leistet darüber hinaus für Methoden und Arzneimittel außerhalb der Schulmedizin, wenn sie sich in der Praxis ebenso erfolgversprechend bewährt haben oder sie angewendet werden, weil es auch keine schulmedizinische Methode gibt; […] Diese modifizierte Wissenschaftsklausel schränkt den Begriff der medizinisch notwendigen Heilbehandlung ein, der für sich genommen die Methoden verschiedener Therapierichtungen zulässt (selbstverständlich ohne Wunderheilung und Scharlatanerie). Sie begrenzt die Leistungspflicht des Versicherungsunternehmens grundsätzlich auf die schulmedizinischen Methoden. Nur unter den Voraussetzungen des § 4 Abs. 6 S. 2 MB/ KK 2009 muss das Versicherungsunternehmen für andere Therapierichtungen leisten. 3.2.6 Pflichten und Obliegenheiten der Vertragsparteien 3.2.6.1 Pflichten des Versicherers Die Hauptpflicht des Versicherers ist die Gewährung der vereinbarten Leistungen im Versicherungsfall (§ 1 S. 1, § 192 VVG). Welche Leistungen geschuldet werden, bestimmt sich nach den jeweiligen Vereinbarungen der Vertragsparteien, die vor allem in den Versicherungsbedingungen und Tarifbestimmungen festgehalten sind, sowie ggf. vorhandenen gesetzlichen Vorgaben. In der Krankheitskostenversicherung schuldet der Versicherer den Ersatz der Aufwendungen insbesondere für ambulante Heilbehandlung durch Ärzte freier Wahl, stationäre Krankenhausbehandlung, Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmittel, Zahnbehandlung und Zahnersatz, Untersuchungen und medizinisch notwendige Behandlung wegen Schwangerschaft und Entbindung (vgl. zu den Einzelheiten z. B. § 192 Abs. 1, 3 VVG, §§ 1, 4, 5 MB/ KK 2009 bzw. für den Basistarif §§§ 1, 4, 5 AVB/ BT 2009). Wenn die Heilbehandlung voraussichtlich mehr als 2.000,- Euro kostet, hat der Versicherungsnehmer gem. § 192 Abs. 8 VVG einen gesetzlichen Anspruch auf eine vorherige Auskunft über den Umfang des Versicherungsschutzes. Die vertraglich vereinbarten Leistungen der Krankheitskostenversicherung können (außer bei der Versicherung im Basistarif nach § 152 VAG) von den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung abweichen. ◉ Beispiel Gem. § 37 SGB V gehört die Medikamentengabe zu den Leistungen einer Krankenkasse. Eine pflegebedürftige Versicherungsnehmerin erhielt Arzneimittel und Medikamentengabe durch einen Pflegedienst verordnet. Der Pflegedienst berechnete für jede Medikamentengabe 9,02 Euro. Diese erstattete der private Krankenversicherer nicht, weil nach dem vereinbarten § 4 Abs. 1, 3 MB/ KK und <?page no="375"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Kostenträger 375 den einschlägigen Tarifen zwar die Arzneimittel, nicht aber die mit der Einnahme der Mittel verbundenen Kosten versichert waren. Die Zahlungsklage der Versicherungsnehmerin wurde abgewiesen. 537 In der Krankentagegeldversicherung schuldet der Versicherer den vereinbarten Betrag für die Zeit der ärztlich bestätigten Arbeitsunfähigkeit. Die Leistung ist jedoch auf das durchschnittliche Nettoeinkommen der letzten 12 Monate vor der Arbeitsunfähigkeit begrenzt (§ 192 Abs. 5 VVG, §§ 4, 5 MB/ KT 2009). Für die private Pflegepflichtversicherung gibt § 23 Abs. 1 S. 2 SGB XI vor, dass die Leistungen mindestens denen der sozialen Pflegeversicherung entsprechen müssen. Näheres zu den Leistungen finden Sie im Abschnitt 3.1.11 sowie in den § 4 MB/ PPV 2017. Für die Leistungen können - unter Beachtung der §§ 197, 208 VVG - Wartezeiten vertraglich festgelegt werden. Als Wartezeit wird die Zeit zwischen dem Beginn des Versicherungsverhältnisses (formeller Versicherungsbeginn) und dem Beginn des Versicherungsschutzes (materieller Versicherungsbeginn) bezeichnet. Die Leistungsverpflichtung tritt erst nach Ablauf der vereinbarten Wartezeit ein. Die Länge der Wartezeit ergibt sich beispielsweise aus: § 3 MB/ KK 2009, § 197 VVG (Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung), § 3 MB/ KT 2009, § 197 VVG (Krankentagegeldversicherung), § 33 SGB XI, § 110 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c, Abs. 3 Nr. 4 SGB XI, § 3 MB/ PPV 2017 (Private Pflegepflichtversicherung). Für die Krankenversicherung im Basistarif ist dagegen keine Wartezeit zulässig (vgl. auch § 3 AVB/ BT 2009), da sonst die Entsprechung zu den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung fehlen würde. Die Leistungspflicht des Versicherungsunternehmens kann gesetzlich oder vertraglich eingeschränkt oder ausgeschlossen sein. Nach § 201 VVG ist der Versicherer nicht zur Leistung verpflichtet, wenn der Versicherungsnehmer bzw. der Versicherte die Krankheit oder den Unfall vorsätzlich herbeiführt hat. Ferner können die Leistungen der Krankheitskostenversicherung reduziert werden, soweit die Aufwendungen für die Heilbehandlung oder sonstigen Leistungen in einem auffälligen Missverhältnis zu den erbrachten Leistungen stehen (§ 192 Abs. 2 VVG). Weitere Ausschlüsse sind im § 5 MB/ KK 2009, § 5 MB/ KT 2009, §§ 5, 5a MB/ PPV 2017 vorgesehen. ◉ Beispiel Keine Leistungspflicht besteht gem. § 5 Abs. 1 Buchst. g MB/ KK 2009 für Behandlungen des Versicherten durch Ehegatten, Lebenspartner, Eltern oder Kinder (nur nachgewiesene Sachkosten werden tarifgemäß erstattet) sowie gem. § 5 Abs. 1 Buchst. b MB/ KK 2009 für Entziehungsmaßnahmen, inkl. Entziehungskuren. 537 Vgl. Schleswig-Holsteinsches OLG, Urt. v. 24.11.2011, 16 U 43/ 11, juris. <?page no="376"?> 376 Recht im Gesundheitswesen Wenn der Versicherer die geschuldeten Leistungen nicht erbringt, kann der Versicherungsnehmer auf Erfüllung des Krankenversicherungsvertrages klagen. Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 323 BGB kann der Versicherungsnehmer vom Vertrag zurücktreten. Bei Zahlungsverzug schuldet der Versicherer Verzugszinsen gem. § 288 BGB. Der Versicherer hat neben der Gewährung der Leistungen im Versicherungsfall weitere Pflichten. So muss er beispielsweise dem Versicherungsnehmer einen Versicherungsschein übermitteln (vgl. Abschnitt 3.2.4.6) und gegenüber dem Versicherungsnehmer oder Versicherten gem. § 202 VVG Auskunft geben, wenn er zur Prüfung seiner Leistungspflicht Gutachten oder Stellungnahmen eingeholt hat. 3.2.6.2 Pflichten und Obliegenheiten des Versicherungsnehmers Die Hauptpflicht des Versicherungsnehmers ist die Prämienzahlung (§ 1 S. 2 VVG). Die Höhe der Prämie hängt zum einen von den Vereinbarungen der beiden Vertragsparteien ab. Für ein erhöhtes Risiko kann grundsätzlich ein Risikozuschlag vereinbart werden. Davon ausgenommen sind die Krankenversicherung im Basistarif gem. § 203 Abs. 1 S. 2 VVG sowie die Verträge der Pflegepflichtversicherung, die bereits vor dem 01.01.1995 geschlossen worden waren, gem. § 110 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d SGB XI. Zum anderen unterliegt die Bestimmung der Prämienhöhe durch den Versicherer verschiedenen gesetzlichen Vorgaben (vgl. dazu Abschnitt 3.2.9.3). Beschäftigte, die nach § 6 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3a oder § 8 SGB V nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung unterliegen und eine substitutive Krankenversicherung abgeschlossen haben, erhalten von ihrem Arbeitgeber gem. § 257 SGB V einen Beitragszuschuss. Für die Pflegepflichtversicherung ist in § 61 Abs. 5, 6 SGB XI ebenfalls ein Beitragszuschuss vorgesehen. Die Erstprämie ist 14 Tage nach Zugang des Versicherungsscheins fällig (§ 33 VVG). Ihr kommt eine besondere Bedeutung zu. Wenn sie nicht gezahlt wird, so ist der Versicherer gem. § 37 Abs. 1 VVG zum Rücktritt vom Vertrag berechtigt. Ferner muss der Versicherer keine Leistung erbringen, vorausgesetzt er hat den Versicherungsnehmer über diese Folge mit auffälligem Hinweis im Versicherungsschein oder mit gesonderter Mitteilung in Textform aufgeklärt (§ 37 Abs. 2 VVG). Von einem Pflegepflichtversicherungsvertrag kann das Versicherungsunternehmen jedoch nicht zurücktreten, solange der Kontrahierungszwang besteht (§ 110 Abs. 4 SGB XI). In diesem Fall besteht nur die Leistungsfreiheit. Die Fälligkeit der Folgeprämien kann sich aus dem Vertrag ergeben (siehe z. B. § 8 MB/ KK 2009, § 8 MB/ KT 2009). Wenn eine vertragliche Vereinbarung fehlt, gilt § 271 BGB. Das heißt, dass die Prämie zu Beginn jeder neuen Versicherungsperiode fällig ist. Der Zahlungsverzug mit der Folgeprämie hat folgende Konsequenzen: Wenn der Versicherungsnehmer den Krankenversicherungsvertrag zur Erfüllung seiner gesetzlichen Verpflichtung nach § 193 Abs. 3 VVG, also im Rahmen des Kontrahierungszwangs, abgeschlossen hat, so kann der Vertrag vom Versicherer bei Zahlungsverzug nicht gekündigt werden (vgl. § 206 Abs. 1 S. 1 VVG). Für den Fall des Zahlungsverzuges gibt es deshalb in § 193 Abs. 6-10 VVG Sonderregelun- <?page no="377"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Kostenträger 377 gen (sowie Art. 7 EGVVG 538 für Verträge, die bereits am 1.8.2013 ruhten). Unter den dort geregelten Voraussetzungen wird der Versicherungsvertrag, wenn der Versicherungsnehmer mit einem Betrag in Höhe von zwei Monatsprämien in Rückstand gerät, in den Notlagentarif gem. § 153 VAG überführt. Dieser Tarif sieht auf der einen Seite eine reduzierte Prämie sowie auf der anderen Seite nur noch die Erstattung der Aufwendungen für die Behandlung von akuten Krankheiten und Schmerzen, für Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie bei Kindern für Vorsorgeuntersuchungen und Schutzimpfungen vor (§ 153 VAG, § 1 AVB/ NLT 2013). Krankenversicherungsverträge, die nicht dem Kontrahierungszwang unterliegen, können bei Verzug mit der Prämienzahlung unter den Voraussetzungen des § 38 VVG vom Versicherer gekündigt werden. Da es sich um ein Sonderkündigungsrecht handelt, gelten die Ausschlüsse der ordentlichen Kündigungen gem. § 206 Abs. 1 S. 2-4, Abs. 2 VVG nicht. Anders verhält es sich in der Pflegepflichtversicherung. Hier erfasst der in § 110 Abs. 4 SGB XI geregelte Kündigungsausschluss auch das Kündigungsrecht nach § 38 VVG, so dass das Versicherungsunternehmen nur die Prämie einklagen und sich im Versicherungsfall auf die Leistungsfreiheit berufen kann. Versicherte, die nicht Versicherungsnehmer sind, können bei wirksamer Vertragskündigung die Prämie für sich selbst zahlen und den Vertrag fortsetzen (§ 206 III VVG). Neben der Verpflichtung zur Prämienzahlung können sich aus dem Versicherungsvertrag (i. V. m. § 241 Abs. 2 BGB) weitere Pflichten für den Versicherungsnehmer ergeben, z. B. die Pflicht zur Rechnungsprüfung. ◉ Beispiel Ein Versicherungsnehmer reichte bei einem Versicherer eine Rechnung ein, mit der u. a. eine nicht erbrachte Akkupunkturbehandlung abgerechnet wurde. Der Versicherer bezahlte zunächst die Rechnung, forderte aber, nachdem er erfahren hatte, dass die Akkupunkurbehandlung nicht erfolgt war, die Überzahlung zurück. Das AG München 539 verurteilte den Versicherungsnehmer zur Rückzahlung, weil er die vertragliche Nebenpflicht verletzt habe, Rechnungen daraufhin zu prüfen, dass nur tatsächlich erbrachte Behandlungen abgerechnet werden. Neben den Pflichten statuieren das VVG und häufig auch die Versicherungsverträge für den Versicherungsnehmer und/ oder Versicherten Obliegenheiten. Dabei handelt es sich um Verhaltensnormen, die zwar nicht selbständig vom Versicherer einklagbar sind, dennoch vom Versicherungsnehmer/ Versicherten zur Sicherung seines vertraglichen Erfüllungsanspruchs beachtet werden müssen. 540 Beispielsweise muss der Versicherungsnehmer/ Versicherter 538 Einführungsgesetz zum Versicherungsvertragsgesetz i. d. i. BGBl. III, Gliedergs-Nr. 7632-2 veröff. bereinigten F., z. g. d. G. v. 1.4.2015, BGBl. I S. 434. 539 Vgl. AG München, Urt. v. 4.7.2013, 282 C 28161/ 12, NZS 2014, Heft 6, S. VI (Kurzmitteilung). 540 Vgl. KG, Urt. v. 4.7.2014, 6 U 30/ 13, VersR 2015, 94 ff. [95]. <?page no="378"?> 378 Recht im Gesundheitswesen den Versicherungsfall anzeigen (§ 30 VVG), zur Feststellung der Leistungspflicht des Versicherers Auskünfte erteilen und Belege vorlegen (§ 31 VVG), gem. § 9 Abs. 1 MB/ KK 2009 eine Krankenhausbehandlung innerhalb von zehn Tagen nach ihrem Beginn anzeigen. Die Rechtsfolgen einer Obliegenheitsverletzung sind entweder spezialgesetzlich für die konkrete Obliegenheit geregelt oder, wenn das nicht der Fall ist, dem § 28 VVG zu entnehmen. § 28 VVG gilt seinem Wortlaut nach zwar nur für die vertraglichen Obliegenheiten. Gleichwohl wird er auch für die gesetzlichen Obliegenheiten angewendet, für die die Rechtsfolgen nicht gesetzlich, sondern vertraglich geregelt sind. 541 Wenn im Vertrag eine Leistungsfreiheit des Versicherers als Folge einer Obliegenheitsverletzung vorgesehen ist, so sind die Einzelheiten der Leistungsfreiheit dem § 28 Abs. 2-4 VVG zu entnehmen: Obliegenheitsverletzung fahrlässig grob fahrlässig vorsätzlich arglistig Leistungsfreiheit gem. § 28 Abs. 2, 4 VVG Leistungsverpflichtung des Versicherers bleibt bestehen Quotelung der Leistung nach der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers vollständige Leistungsfreiheit des Versicherers Bei Verletzung einer Auskunfts- und Aufklärungsobliegenheit nach Eintritt des Versicherungsfalls tritt eine teilweise oder vollständige Leistungsfreiheit nur ein, wenn der Versicherungsnehmer ordnungsgemäß über die Rechtsfolgen belehrt wurde. Leistungsfreiheit auch bei nicht ordnungsgemäßer Rechtsfolgenbelehrung, weil Versicherungsnehmer nicht schutzwürdig ist 542 Bedeutung der Kausalität gem. § 28 Abs. 3 VVG siehe oben Versicherer bleibt zur Leistung verpflichtet, wenn Obliegenheitsverletzung für Feststellung des Versicherungsfalls und Leistungsverpflichtung nicht ursächlich ist Leistungsfreiheit des Versicherers auch bei fehlender Kausalität Tab. 20: Leistungsverpflichtung des Versicherers bei einer Obliegenheitsverletzung durch den Versicherungsnehmer Für eine Obliegenheit, die vor dem Eintritt des Versicherungsfalls zu erfüllen ist, regelt § 28 Abs. 1 VVG zusätzlich eine Kündigungsmöglichkeit für den Versicherer. Bei grob fahrlässiger oder vorsätzlicher Verletzung dieser Obliegenheit, kann 541 Vgl. Armbrüster, Prölss/ Martin, VVG § 28 Rn. 2. 542 Vgl. Armbrüster, Prölss/ Martin, VVG § 28 Rn. 261 m. w. N. <?page no="379"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Kostenträger 379 der Versicherer innerhalb eines Monats nach Kenntniserlangung den Vertrag fristlos kündigen. ◉ Beispiel │ Krankentagegeldversicherung Nach § 9 Abs. 5 MB/ KT 2009 muss der Versicherungsnehmer einen Berufswechsel anzeigen. Unterlässt er diese Mitteilung grob fahrlässig oder vorsätzlich, so besteht für den Versicherer das Kündigungsrecht gem. § 28 Abs. 1 VVG (siehe auch § 10 Abs. 2 MB/ KT 2009). Ein solches Kündigungsrecht besteht jedoch in der Pflegepflichtversicherung und der Krankheitskostenversicherung, zu der der Versicherte gem. § 193 Abs. 3 S. 1 VVG verpflichtet ist, jedoch nicht. Bei diesen beiden Versicherungsarten ist das Kündigungsrecht des Versicherungsunternehmens gem. § 110 Abs. 4 SGB XI bzw. § 206 Abs. 1 S. 1 VVG ausgeschlossen. 3.2.7 Änderung des Versicherungsvertrages Während der Laufzeit eines Kranken- und Pflegekrankenversicherungsvertrages kommen verschiedene Vertragsänderungen in Betracht. Abb. 70: Überblick über die gesetzlichen Änderungstatbestände Bei einem Versicherungsvertrag, bei dem die ordentliche Kündigung durch den Versicherer - z. B. gem. § 206 Abs. 1, 2 VVG - ausgeschlossen ist, kann dieser die Prämie sowie, wenn vereinbart, den Risikozuschlag und Selbstbehalt gem. § 203 Abs. 2 VVG, § 155 Abs. 3 VAG anpassen (also erhöhen oder senken), wenn gesetzliche Änderungstatbestände Anpassen der Prämie gem. § 203 Abs. 2 VVG Herabsetzen einer höheren Prämie gem. § 41 VVG Anpassen der Versicherungsbedingungen und Tarife gem. § 203 Abs. 3 VVG Lückenfüllung gem. § 203 Abs. 4, § 164 VVG Anpassung an eine Änderung des Beihilfeanspruchs gem. § 199 Abs. 2 VVG Tarifwechsel innerhalb eines Unternehmens gem. § 204 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG <?page no="380"?> 380 Recht im Gesundheitswesen die erforderlichen Versicherungsleistungen nicht nur vorübergehend 10 % über den kalkulierten Versicherungsleistungen liegen und ein unabhängiger, fachlich geeigneter Treuhänders der Anpassung zugestimmt hat. Bei anderen Versicherungsverträgen kann der Versicherungsnehmer die Herabsetzung einer vereinbarten Prämie mit Risikozuschlag gem. § 41 VVG verlangen, wenn die Voraussetzungen für den Risikozuschlag entfallen sind. Die Versicherungsbedingungen und Tarife können bei einem Versicherungsvertrag, bei dem die ordentliche Kündigung durch den Versicherer ausgeschlossen ist, ebenfalls angepasst werden. Die entsprechende Regelung enthält § 203 Abs. 3 VVG (sowie § 18 Abs. 1 MB/ KK 2009, § 18 Abs. 1 MB/ KT 2009, § 18 Abs. 1 MB/ PPV 2015). Voraussetzungen für diese Anpassung sind folgende: Die Versicherung wird nach Art der Lebensversicherung betrieben. Die Verhältnisse im Gesundheitswesen haben sich nicht nur vorübergehend geändert (z. B. Änderung der gesetzlichen Vergütung der Ärzte). Die Änderung der Versicherungsbedingungen und Tarife ist zur hinreichenden Wahrung der Belange der Versicherten notwendig. Ein unabhängiger, fachlich geeigneter Treuhänders hat die Änderung geprüft und bestätigt. Während § 203 Abs. 2, 3 VVG für die Versicherungsverträge, bei denen die ordentliche Kündigung des Versicherers ausgeschlossen ist, gilt, enthält § 203 Abs. 4 VVG eine Änderungsmöglichkeit für alle Kranken- und Pflegekrankenversicherungsverträge. Nach dieser Vorschrift kann der Versicherer Versicherungsbedingungen ändern, wenn diese durch eine höchstrichterliche Entscheidung (z. B. durch den BGH) oder durch einen bestandskräftigen Verwaltungsakt (z. B. durch die BaFin) für unwirksam erklärt worden sind (vgl. Abschnitt 3.2.4.5 zur Inhaltskontrolle der Versicherungsbedingungen). Die Voraussetzungen für die Anpassung gem. § 164 VVG, auf den verwiesen wird, sind folgende: Die Änderung der Versicherungsbedingungen ist zur Fortführung des Vertrages notwendig oder das Festhalten an dem Vertrag ohne Neuregelung ist für eine Vertragspartei auch unter Berücksichtigung der Interessen der anderen Vertragspartei unzumutbar. Die Belange der Versicherungsnehmer werden angemessen berücksichtigt. ◉ Beispiel │ Krankheitskostenversicherung § 5 Abs. 1 Buchst. f MB/ KK 76 enthielt eine sog. Wissenschaftsklausel, nach der keine Leistungspflicht des Versicherers für wissenschaftlich nicht allgemein anerkannte Untersuchungs- und Behandlungsmethoden und Arzneimittel bestand. Diese Klausel wurde vom BGH für unwirksam erklärt. 543 Darauf reagierten die Versicherer mit einer sog. modifizierten Wissenschaftsklausel, die heute in § 4 Abs. 6 MB/ KK 2009 zu finden ist. Diese lautet, dass der Versicherer im vertraglichen Umfang für Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden und 543 BGH, Urt. v. 23.6.1993, IV ZR 135/ 92, VersR 1993, 957 ff. <?page no="381"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Kostenträger 381 Arzneimittel leistet, die von der Schulmedizin überwiegend anerkannt sind. Er leistet darüber hinaus für Methoden und Arzneimittel, die sich in der Praxis als ebenso erfolgversprechend bewährt haben oder die angewandt werden, weil keine schulmedizinischen Methoden oder Arzneimittel zur Verfügung stehen; der Versicherer kann jedoch seine Leistungen auf den Betrag herabsetzen, der bei der Anwendung vorhandener schulmedizinischer Methoden oder Arzneimittel angefallen wäre. Wenn sich der Beihilfebemessungssatz (z. B. 70 % statt 50 %) eines verbeamteten Versicherten oder Versicherungsnehmers ändert, so kann der Versicherungsnehmer eine entsprechende Anpassung des Krankheitskostenversicherung gem. § 199 Abs. 2 VVG verlangen. Während der Laufzeit eines Versicherungsvertrages kann sich für den Versicherungsnehmer das Bedürfnis ergeben, in einen anderen Tarif des Versicherers zu wechseln. Eine derlei Änderung ist für den Wechsel aus einem sog. Unisextarif (siehe Abschnitt 3.2.9.3) in einen Tarif aus der Zeit vor dem 21.12.2012, bei dem die Prämie geschlechtsabhängig kalkuliert werden, ausgeschlossen (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 a. E. VVG). Gleiches gilt grundsätzlich für befristete Verträge (siehe § 204 Abs. 3 VVG). Bei einem Tarifwechsel ist für den Versicherungsnehmer von Bedeutun g , dass sei ne bere its erw or ben en Rec ht e, insb es on de re sein e Alt er ungs r ücks tellung, in den neuen Tarif „mitnehmen“ kann. Dies ist jedoch nur in den in § 204 Abs. 1 Nr. 1 VVG vorgesehenen Konstellationen möglich: Wechsel in einen Tarif mit zumindest gleichartigem Versicherungsschutz (Mehrleistungen des neuen Tarifs werden ggf. über Wartezeiten, Leistungsausschlüsse oder Risikozuschläge kompensiert.) Wechsel in den Basistarif, wenn der Versicherungsnehmer seinen Krankenversicherungsvertrag ab dem 1.1.2009 abgeschlossen hat (Bei älteren Verträgen war der Wechsel unter Mitnahme der Alterungsrückstellung nur bei einem Antrag bis zum 30.06.2009 möglich.) Wechsel in die Krankenversicherung im Basistarif, wenn der Versicherungsnehmer das 55. Lebensjahr vollendet hat oder das 55. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, aber die Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Rente der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllt und diese Rente beantragt hat oder ein Ruhegehalt nach beamtenrechtlichen oder vergleichbaren Vorschriften bezieht oder hilfebedürftig nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch ist. Bei einem Wechsel in einen Tarif mit einem geringeren Versicherungsschutz, es sei denn, es handelt sich um den Basistarif, verliert der Versicherungsnehmer somit seine zuvor erworbenen Rechte. Von den aufgezeigten Vorgaben der §§ 199, 203, 204 VVG darf vertraglich nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers abgewichen werden (vgl. § 208 VVG). <?page no="382"?> 382 Recht im Gesundheitswesen 3.2.8 Beendigung des Versicherungsvertrages 3.2.8.1 Beendigung des Vertrages durch den Versicherer Der Krankenversicherungsvertrag kann durch verschiedene Erklärungen des Versicherers enden: Anfechtung (siehe Abschnitt 3.2.4.2 zur Anfechtung bei arglistiger Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht), Rücktritt (siehe Abschnitt 3.2.4.2 zum Rücktritt bei grob fahrlässiger oder vorsätzlicher Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht sowie Abschnitt 3.2.6.2 zum Rücktritt bei Verzug mit der Zahlung der Erstprämie), Kündigung. Neben den bereits in den Abschnitten 3.2.4.2 und 3.2.6.2 erwähnten Sonderkündigungsrechten werden die ordentlichen und außerordentlichen Kündigungen unterschieden. Rechtsgrundlage für die ordentliche Kündigung eines Krankenversicherungsvertrages durch den Versicherer ist entweder eine entsprechende vertragliche Vereinbarung (vgl. z. B. § 14 MB/ KK 2009) oder § 11 VVG. Allerdings ist die Kündigung des Versicherers für verschiedene Krankenversicherungsarten durch § 206 VVG sowie für die Pflegepflichtversicherung durch § 110 Abs. 4 SGB XI ausgeschlossen: Paragraph Versicherungsart ausgeschlossene Kündigungsart § 206 Abs. 1 S. 1 VVG Krankheitskostenversicherung mit Versicherungspflicht gem. § 193 Abs. 3 S. 1 VVG jede (Ausnahme: außerordentliche Kündigung gem. § 314 Abs. 1 BGB, vgl. nachfolgende Erläuterungen) § 206 Abs. 1 S. 2 VVG substitutive Krankheitskosten-, Krankentagegeld- und Pflegekrankenversicherung ordentliche Kündigung § 206 Abs. 1 S. 3 VVG Krankenhaustagegeldversicherung, die neben Krankheitskostenversicherung besteht ordentliche Kündigung § 206 Abs. 1 S. 4 VVG Krankentagegeldversicherung ohne Anspruch auf Beitragszuschuss durch Arbeitgeber ordentliche Kündigung ab 4. Vertragsjahr § 206 Abs. 2 VVG Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung, die nicht unter Abs. 1 fallen ordentliche Kündigung ab 4. Vertragsjahr § 110 Abs. 4 SGB XI Pflegepflichtversicherung jede Tab. 21: Gesetzliche Kündigungsausschlüsse für den Krankenversicherer <?page no="383"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Kostenträger 383 Vertragliche Regelungen, die von § 206 VVG zum Nachteil des Versicherungsnehmers abweichen, sind nicht erlaubt (§ 208 VVG). Der Versicherer ist aus wichtigem Grund auch zur außerordentlichen Kündigung gem. § 314 BGB berechtigt. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem Versicherer unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht zugemutet werden kann (§ 314 Abs. 1 S. 2 BGB). Das kann beispielsweise eine schwere Vertragsverletzung des Versicherungsnehmers sein. ◉ Beispiel │ Krankheitskostenversicherung Ein Versicherungsnehmer hatte zwischen 2007 und 2009 insgesamt 168 Medikamentenbezüge zur Abrechnung eingereicht, von denen er viele nicht bezogen und bezahlt hatte. Die Überzahlung des Versicherers betrug 3.813,21 Euro. Der BGH bejahte einen wichtigen Grund. 544 Eine solche außerordentliche Kündigung ist auch für einen Krankheitskostenversicherungsvertrag, zu dem der Versicherungsnehmer nach § 193 Abs. 3 S. 1 VVG verpflichtet ist, nicht ausgeschlossen. § 206 Abs. 1 VVG verbietet seinem Wortlaut nach zwar jede Kündigung. Der Gesetzeszweck gebietet jedoch eine teleologische Reduktion dahingehend, dass die Kündigung nach § 314 BGB nicht ausgeschlossen ist. Sonst würde der allgemeine privatrechtliche Grundsatz, dass sich der Vertragspartner eines Dauerschulverhältnisse bei Vorliegen eines wichtigen Grundes vom Vertrag lösen kann, ausgehebelt werden. Zudem ist der Versicherungsnehmer dadurch geschützt, dass er von „seinem“ oder von anderen Krankenversicherern eine Versicherung im Basistarif verlangen kann (vgl. § 193 Abs. 5 VVG). 545 Anders verhält es sich in der Pflegepflichtversicherung. In dieser ist die außerordentliche ebenso wie die ordentliche Kündigung ausgeschlossen, solange der Kontrahierungszwang besteht (§ 110 Abs. 4 SGB XI). Dies hat seinen Grund darin, dass es keinen alternativen (Auffang-)Tarif wie den Basistarif gibt, den der Versicherungsnehmer, der zum Aufrechterhalten einer Pflegepflichtversicherung verpflichtet ist, von dem kündigenden oder einem anderen Versicherungsunternehmen verlangen könnte. ◉ Beispiel │ Pflegepflichtversicherung Ein Versicherungsnehmer griff einen Außendienstmitarbeiter des Versicherers, der ihn besuchte, mit einem Bolzenschneider tätlich an und bedrohte ihn. Der Versicherer kündigte den Pflegepflichtversicherungsvertrag fristlos. Der BGH entschied, dass jede außerordentliche Kündigung einer Pflegepflichtversicherung ausgeschlossen ist. 546 544 Vgl. BGH, Urt. v. 7.12.2011, IV ZR 50/ 11, NJW 2012, 376 ff. 545 Vgl. BGH, Urt. v. 7.12.2011, IV ZR 50/ 11, NJW 2012, 376 ff. [378]. 546 Vgl. BGH, Urt. v. 7.12.2011, IV ZR 105/ 11, NJW 2012, 1365 ff. <?page no="384"?> 384 Recht im Gesundheitswesen 3.2.8.2 Beendigung des Vertrages durch den Versicherungsnehmer Die Beendigung des Vertrages kann ebenfalls vom Versicherungsnehmer ausgehen. ✎ Aufgaben Der in Wolfsburg wohnhafte selbständige Unternehmer Konrad Krank unterhält für sich bei der Reich-Versicherung AG seit 1995 eine substitutive Krankheitskostenversicherung für ambulante und stationäre Heilbehandlung nach dem Tarif XYZ. Bestandteil des Vertrages sind die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Krankheitskostenversicherung, in denen es u. a. in § 18 Abs. 1 heißt: „Erhöht der Versicherer die Beiträge, so kann der Versicherungsnehmer das Versicherungsverhältnis hinsichtlich der betroffenen Person innerhalb eines Monats nach Zugang der Änderungsmitteilung zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Änderung kündigen, wenn es sich um eine Beitragserhöhung um mehr als 20 Prozent handelt.“ Am 01.12. erhält Krank ein Schreiben der Reich-Versicherung AG, in dem diese mitteilt, dass sie zum 01.01. des Folgejahres mit Zustimmung des Treuhänders die monatlichen Beiträge für Krank von 300,00 Euro auf 335,00 Euro erhöht. Daraufhin kündigt Krank; das Kündigungsschreiben geht der Reich- Versicherung AG am 15.12. zu. Zudem liegt dem Kündigungsschreiben eine Bestätigung der Super Versicherung AG bei, dass Krank mit Wirkung vom 01.01. des Folgejahres bei ihr eine substitutive Krankenversicherung über eine ambulante und stationäre Heilbehandlung abgeschlossen hat. Die Reich-Versicherung AG lehnt jedoch unter Berufung auf § 18 Abs. 1 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen die Kündigung ab. Krank ist dagegen der Ansicht, dass er gem. § 205 Abs. 4 VVG den Vertrag kündigen kann. Wer hat Recht? Begründen Sie Ihre Entscheidung. Die Lösungen finden Sie im Web-Service. Der Versicherungsnehmer kann einen Versicherungsvertrag, der auf unbestimmte Zeit abgeschlossen worden ist, gem. § 11 Abs. 2, 3 VVG zum Schluss der laufenden Versicherungsperiode unter Beachtung der vertraglichen Kündigungsfrist (z. B. drei Monate lt. § 13 Abs. 1 MB/ KT 2009), einen Versicherungsvertrag, der für die Dauer von mehr als einem Jahr eingegangen worden ist, gem. § 205 Abs. 1 VVG zum Ende des ersten Jahres oder jedes darauf folgenden Jahres unter Einhaltung einer Frist von drei Monaten kündigen. Ferner kann der Versicherungsnehmer gem. § 205 Abs. 3 VVG kündigen, wenn eine altersbedingte Neutarifierung zu einer höheren Prämie führt (z. B. beim Übergang eines mitversicherten Kindes in den Erwachsenentarif), gem. § 205 Abs. 4 VVG kündigen, wenn der Versicherer die Prämie erhöht oder seine Leistungen vermindert. <?page no="385"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Kostenträger 385 Gem. § 205 Abs. 6 VVG muss der Versicherungsnehmer jedoch beachten, dass er eine Krankheitskostenversicherung, zu der er bzw. der Versicherte nach § 193 Abs. 3 S. 1 VVG verpflichtet ist, nur kündigen kann, wenn er bzw. der Versicherte bei einem anderen Versicherer einen entsprechenden Vertrag abgeschlossen hat und er dies nachweist. Gleiches gilt gem. § 23 Abs. 2 SGB XI für die Pflegepflichtversicherung. Ferner kann sich ein Wechsel des Versicherers auch hinsichtlich der Alterungsrückstellung nachteilig für den Versicherungsnehmer auswirken. Lediglich für die Pflegepflichtversicherung ist die vollständige Übertragung der Alterungsrückstellung gesetzlich in § 204 Abs. 2 VVG vorgesehen. Anders verhält es sich bei der substitutiven Krankenversicherung (vgl. § 204 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, S. 2 VVG). Hier kann der Versicherungsnehmer nur die Alterungsrückstellung auf den neuen Versicherer übertragen lassen, die in der Kalkulation den Leistungen des Basistarifs entspricht. Weitere Voraussetzung ist, dass der gekündigte Vertrag erst ab 01.01.2009 geschlossen worden ist. Für ältere Verträge erfolgte die Übertragung der Alterungsrückstellung nur bei einer Kündigung bis zum 30.06.2009. Für den beim bisherigen Versicherer verbleibenden Anteil an der Alterungsrückstellung kann der Versicherungsnehmer nur den Abschluss einer Zusatzversicherung verlangen. Wenn der Versicherungsnehmer bzw. der Versicherte kraft Gesetzes kranken- oder pflegeversicherungspflichtig wird, kann der Versicherungsnehmer binnen drei Monaten nach Eintritt der Versicherungspflicht eine Krankheitskosten-, eine Krankentagegeld- oder eine Pflegekrankenversicherung gem. § 205 Abs. 2 VVG rückwirkend zum Eintritt der Versicherungspflicht kündigen. Zur Wirksamkeit der Kündigung muss er den Eintritt der Versicherungspflicht, wenn der Versicherer ihn auffordert, innerhalb von zwei Monaten nach Aufforderung nachweisen. Kündigt der Versicherungsnehmer später als drei Monate nach Eintritt der Versicherungspflicht, so wird die Kündigung am Ende des Monats wirksam, in dem er den Eintritt der Versicherungspflicht nachweist. § 205 Abs. 2 VVG gilt entsprechend für den Eintritt der Beihilfeberechtigung aus einem Beamten- oder ähnlichen Dienstverhältnis. Nach § 208 VVG darf durch vertragliche Vereinbarung nicht zulasten des Versicherungsnehmers von § 205 VVG abgewichen werden. 3.2.8.3 Automatische Beendigung des Vertrages Ein Krankenversicherungsvertrag sowie ein Pflegepflichtversicherungsvertrag enden mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Versicherers (§ 16 VVG), mit dem Tod des Versicherungsnehmers (§ 15 Abs. 1 MB/ KK 2009, § 15 Abs. 1 Buchst. d MB/ KT 2009, § 15 I MB/ PPV 2015, § 207 Abs. 1 VVG), entsprechend vertraglicher Vereinbarungen (z. B. § 196 VVG, § 15 Abs. 1 Buchst. c MB/ KT 2009 für den Bezug der Altersrente). <?page no="386"?> 386 Recht im Gesundheitswesen 3.2.9 Rechts- und Finanzaufsicht während des Geschäftsbetriebes des Krankenversicherers 3. 2. 9. 1 Einführung Die privaten Krankenversicherer unterliegen nach der Erlaubniserteilung für den Geschäftsbetrieb weiterhin - während ihrer gesamten unternehmerischen Tätigkeit - der staatlichen Aufsicht. Diese ist durch das Unionsrecht mittlerweile von einer zwar nicht vollständigen, aber sehr weitgehenden Harmonisierung geprägt, um einheitliche aufsichtliche Rahmenbedingungen für die Versicherungsunternehmen, die grenzüberschreitend auf dem europäischen Binnenmarkt tätig sind, zu schaffen. Dieser Prozess begann bereits in den 1970er-Jahren. So wurden beispielsweise die Mitgliedstaaten durch die Liberalisierungs-Richtlinie Direktversicherung 547 vom 24. Juli 1973 verpflichtet, niedergelassene Versicherer aus anderen Mitgliedstaaten mit den inländischen Unternehmen gleich zu behandeln (sog. Prinzip der Inländergleichbehandlung). Die von mehreren Richtlinien- Generationen geprägte Entwicklung fand ihr (vorläufiges) Ende mit der Solvency II-Richtlinie 548 zur Harmonisierung der Vorschriften bzgl. der Bewertung des Vermögens und der Verbindlichkeiten, bzgl. der Geschäftsorganisation und weiterer Aspekte der unternehmerischen Tätigkeit. Die europäischen Vorgaben wurden national durch das Gesetz zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen 549 umgesetzt, mit dem zum 1. Januar 2016 ein neues Versicherungsaufsichtsgesetz in Kraft gesetzt worden ist. Die staatliche Aufsicht über die Versicherungsunternehmen dient folgenden Zielen: Schutz und ausreichende Wahrung der Belange der Versicherten (§ 294 Abs. 1, 2 S. 2 VAG), Einhaltung der einschlägigen Gesetze und der rechtlichen Grundlagen des Geschäftsplans durch das Versicherungsunternehmen (§ 294 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 VAG), Sicherung der dauerhaften Erfüllbarkeit der Versicherungsverträge (§ 294 Abs. 4 VAG). Um den genannten Zielen gerecht zu werden, bestehen für Krankenversicherer zahlreiche gesetzliche Anforderungen. Bei der staatlichen Aufsicht handelt es sich um eine Rechts- und Finanzaufsicht. Das bedeutet, dass nicht nur der Geschäftsbetrieb hinsichtlich der Einhaltung der Rechtsvorschriften, sondern auch die Finanzverhältnisse des Unternehmens - z. B. Prämienkalkulation, Kapitalanlagen und -ausstattung, Geschäftsorganisation - überwacht werden. 547 Richtlinie 73/ 240/ EWG zur Aufhebung der Beschränkung der Niederlassungsfreiheit auf dem Gebiet der Direktversicherung mit Ausnahme der Lebensversicherung v. 24.7.1973, ABl. L 228 S. 20. 548 Richtlinie 2009/ 138/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 25.11.2009, betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II), ABl. L 335 S. 1, z. g. d. RL 2018/ 843/ EU v. 30.5.2018, ABl. L 156 S. 43. 549 Gesetz zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen v. 1.4.2015, BGBl. I S. 434. <?page no="387"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Kostenträger 387 Abb. 71: Laufende Rechts- und Finanzaufsicht Die nachfolgenden Ausführungen geben einen Überblick über die staatliche Aufsicht über Krankenversicherungsunternehmen. Dabei bleiben die besonderen Regelungen für die kleinen Versicherungsunternehmen und die Versicherungsgruppen unberücksichtigt. Kleine Versicherungsunternehmen sind Erstversicherer, deren jährlichen Bruttoprämien kleiner als 5 Mill. Euro und deren Alterungsrückstellungen geringer als 20 Mill. Euro sind. Für sie sind in den §§ 211-217 VAG Erleichterungen von den sonst geltenden Vorschriften vorgesehen. Wenn ein Versicherungsunternehmen einer Versicherungsgruppe angehört, so unterliegt die gesamte Gruppe ebenfalls der staatlichen Aufsicht. Nähere Einzelheiten sind in den §§ 245-293 VAG geregelt. 3.2.9.2 Geschäftsorganisation Den Versicherungsunternehmen wird die unternehmerische Freiheit zugestanden, die Details ihrer Geschäftsorganisation selbst festzulegen. Dabei haben die Unternehmen jedoch den Proportionalitätsgrundsatz zu beachten, d. h. die Geschäftsorganisation muss im Hinblick auf die Art, den Umfang und die Komplexität der unternehmerischen Tätigkeit angemessen sein (§ 23 Abs. 1 S. 1 VAG). Die Organisationsstruktur muss transparent, vor allem bzgl. der zugewiesenen Zuständigkeiten, geregelt sein (§ 23 Abs. 1 S. 3 VAG). Ferner muss die Organisation in ihrer konkreten Ausgestaltung so aufgestellt sein, dass die Einhaltung der einschlägigen Prämienkalkulation Kapitalanlage Bewertung der Vermögenswerte und der Verbindlichkeiten Einhaltung der Mindestkapital- und Solvabilitätskapitalanforderung Funktionsausgliederung Mitwirkung am Risikoausgleich der Pflegeversicherung Mitgliedschaft im Sicherungsfonds der Krankenversicherung Bericht- und Veröffentlichungspflichten Zusammenarbeit mit Versicherungsvermittlern laufende Rechts- und Finanzaufsicht, insbes. in folgenden Bereichen Rechtsformwechsel, Fusion Geschäftsorganisation Gruppenaufsicht für Versicherungsunternehmen in Konzernen <?page no="388"?> 388 Recht im Gesundheitswesen Gesetze, Verordnungen und aufsichtsbehördlichen Anforderungen gewährleistet ist (§ 23 Abs. 1 S. 2 VAG). Die Leitung des Krankenversicherungsunternehmens obliegt dem Geschäftsleiter und ggf. weiteren Personen, die wesentliche Unternehmensentscheidungen treffen. Der/ die Geschäftsleiter ist/ sind diejenige/ n natürliche/ n Person/ en, die gem. § 24 Abs. 2 S. 2 VAG zur Geschäftsführung und Vertretung des Krankenversicherers berufen ist/ sind. Bei einer Aktiengesellschaft und einem Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit ist dies der Vorstand gem. § 78 AktG bzw. § 188 Abs. 1 VAG i. V. m. § 78 AktG. Neben dem Geschäftsleiter sind vier Schlüsselfunktionen ausdrücklich gesetzlich vorgesehen, deren konkrete Ausgestaltung ebenfalls der unternehmerischen Freiheit unterliegt: Risikomanagementsystem (§§ 26, 27 VAG) Durch das Risikomanagementsystem sollen die Geschäftsleitung und die anderen Schlüsselfunktionen in die Lage versetzt werden, sowohl die finanziellen als auch alle anderen Risiken des Unternehmens zu erkennen, zu bewerten, zu steuern, zu überwachen sowie zu dokumentieren. Das System schließt eine regelmäßige Risiko- und Solvabilitätsbeurteilung ein, deren Ergebnis der BaFin mitzuteilen ist. Im Mittelpunkt dieser Beurteilung steht die Bewertung des Solvabilitätsbedarfs und der für die Mindestkapital- und Solvabilitätskapitalanforderung anrechnungsfähigen Eigenmittel (siehe dazu Abschnitt 3.2.9.5). Compliance-Funktion (§ 29 VAG) Die Compliance-Funktion überwacht, ob das Versicherungsunternehmen die einschlägigen rechtlichen Vorgaben einhält. Ferner beurteilt sie die mit Rechtsänderungen verbundenen Auswirkungen für das Unternehmen sowie die mit der Verletzung der rechtlichen Vorgaben verbundenen Risiken. Eine entsprechende rechtliche Beratung des Vorstandes gehört ebenfalls zu ihren Aufgaben. Zur Wahrnehmung dieser Aufgaben muss ein unternehmensinternes Kontrollsystem implementiert werden, das entsprechende Beratungen, Schulungen, Berichtspflichten, Rechnungslegungen etc. einschließt. Die Compliance-Funktion kann z. B. von einer Rechtsabteilung unter Einbindung der verschiedenen Fachabteilungen (z. B. Personalabteilung) wahrgenommen werden. 550 Interne Revision (§ 30 VAG) Währenddessen die Compliance-Funktion prüft, ob die internen Vorgaben die externen rechtlichen Anforderungen sicherstellen, prüft die interne Revision, ob die internen Vorgaben eingehalten werden. 551 Das bedeutet, dass die interne Revision die Angemessenheit und Wirksamkeit der gesamten Geschäftsorganisation prüft. Über ihre Prüfungsergebnisse und Empfehlungen unterrichtet sie unmittelbar den Vorstand, der seinerseits die zu ergreifenden Maßnahmen zu beschließen hat und für deren Umsetzung verantwortlich ist. Für die interne Revision ist in § 30 Abs. 2 S. 1 VAG zur Vermeidung von Interessenkollisionen vorgegeben, dass sie unabhängig von anderen operativen Tätigkeiten ist. Das 550 Vgl. Wolf, VersR 2013, 678 ff. [684]. 551 Vgl. RegE eines Gesetzes zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen, BTag-Drucks 18/ 2956, S. 245. <?page no="389"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Kostenträger 389 bedeutet, dass sie insbesondere nicht Teil des Risikomanagementsystems oder der Compliance-Funktion sein kann. Versicherungsmathematische Funktion (§ 31 VAG). Die versicherungsmathematische Funktion hat die Aufgabe, die Berechnung der versicherungstechnischen Rückstellungen zu koordinieren und zu überwachen, für angemessene Berechnungsmethoden und -modelle sowie für eine ausreichende Datenbasis zu sorgen. Versicherungstechnische Rückstellungen sind Rückstellungen zur Erfüllung der Versicherungsverträge (siehe dazu Abschnitte 3.2.9.3 und 3.2.9.5). Die Personen, die das Krankenversicherungsunternehmen leiten, die o. g. vier Schlüsselfunktionen oder andere Schlüsselaufgaben (z. B. Mitgliedschaft im Aufsichtsrat) wahrnehmen, müssen gem. § 24 VAG zuverlässig und fachlich geeignet sein. Zuverlässigkeit verlangt, dass die betreffende Person willens und fähig ist, ihre Tätigkeit unter Beachtung der rechtlichen Anforderungen ordnungsgemäß auszuüben. 552 Fachliche Eignung bedeutet, dass die Person über berufliche Qualifikationen, Erfahrungen und Kenntnisse verfügt, die für die konkret auszuübende Tätigkeit notwendig sind. Die Bestellung und das Ende der Tätigkeit Personen im Unternehmen ist gem. § 47 Nr. 1, 2 VAG der BaFin unverzüglich anzuzeigen. Ferner muss ein Krankenversicherungsunternehmen folgende Personen bestellen. Wenn die substitutive Krankenversicherung betrieben wird, muss ein Verantwortlicher Aktuar zur Gewährleistung der ordnungsgemäßen Prämienkalkulation und Berechnung der versicherungstechnischen Rückstellungen, inkl. Alterungsrückstellung eingesetzt werden (§ 156 VAG). Für Krankenversicherungen nach Art der Lebensversicherung müssen unabhängige Treuhänder zur Genehmigung von Prämienänderungen bestellt werden (§ 155 VAG) sowie zur Angemessenheitsprüfung einer Anpassung der Allgemeinen Versicherungsbedingungen und Tarife (§ 157 Abs. 3 VAG). Für die substitutive Krankenversicherung und Pflegepflichtversicherung muss ein Treuhänder das Sicherungsvermögen überwachen (§ 128 VAG). 3.2.9.3 Prämienkalkulation und Risikoausgleich Die Prämienkalkulation erfolgt nach dem Äquivalenzprinzip. Das bedeutet, dass die Summe der Beitragseinnahmen eines Tarifkollektivs äquivalent zu der Summe der für das Kollektiv anfallenden Versicherungsleistungen sein muss. Die Krankenversicherung kann grundsätzlich nach Art der Schadenversicherung oder nach Art der Lebensversicherung betrieben werden. Für die substitutive Krankenversicherung und die Pflegepflichtversicherung ist die Prämienkalkulation nach Art der Lebensversicherung vorgegeben (§§ 146, 148 VAG). Nach Art der Lebensversicherung bedeutet für die substitutive Krankenversicherung, dass die Prämie nach den anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik unter Berücksichtigung von Annahmen zu den durchschnittlich zu erwartenden Versicherungsleistungen sowie zu Sterbe- und Abgangswahrscheinlichkeiten 552 Begriff orientiert sich am gewerberechtlichen Begriff, zu diesem vgl. Marcks, Landmann/ Rohmer, GewO § 35 Rn. 29. <?page no="390"?> 390 Recht im Gesundheitswesen zu berechnen ist. Ferner muss die Nettoprämie von Beginn an so hoch sein, dass eine Alterungsrückstellung gebildet werden kann. Diese Rückstellung wird für künftige erhöhte Leistungsverpflichtungen gebildet, die aus dem höheren Krankheitsrisiko infolge des zunehmenden Alters der Versicherten resultieren. Dadurch übersteigt die Nettoprämie anfangs den notwendigen Risikobeitrag für die Versicherungsleistungen. Der daraus resultierende Mehrbetrag wird verzinslich angespart und später, wenn der Risikobeitrag die Nettoprämie übersteigt, zum Ausgleich der Unterdeckung verwendet. Ferner muss der Versicherer Zuschläge erheben. Insbesondere muss er einen Zuschlag in Höhe von 10 % der gezillmerten Bruttoprämie für eine Prämienermäßigung (eher eine Prämienstabilisierung) im Alter erheben, weil nicht nur das Älterwerden der Versicherten, sondern auch andere Faktoren - wie z. B. der medizinisch-technischer Fortschritt oder Preissteigerungen - zu höheren Versicherungsleistungen führen. Die Prämienkalkulation lässt sich vereinfacht mit folgendem Schema darstellen: Risikobeitrag zu erwartende Versicherungsleistungen entsprechend Alter, Gesundheitszustand des Versicherten und Umfang der Versicherungsleistungen des Tarifs, § 6 KVAV + Sparbeitrag zur Bildung der Alterungsrückstellung gem. § 341f HGB, §§ 18 ff. KVAV = Nettobeitrag (Nettoprämie) + Sicherheitszuschlag für Zufalls- und Schwankungsrisiken, § 7 KVAV = gezillmerte Bruttoprämie + Sicherheitszuschlag 10 % der gezillmerten Bruttoprämie zur Prämienermäßigung im Alter, § 149 VAG + sonstige Zuschläge für z. B. Kosten für den Abschluss und die Verwaltung des Vertrages, § 8 KVAV = Bruttoprämie + Versicherungssteuer = Tarifbeitrag Abb. 72: Prämienkalkulation der Krankenversicherung nach Art der Lebensversicherung Die Einzelheiten der Prämienkalkulation regeln die §§ 146 ff. VAG i. V. m. der KVAV 553 . Darüber hinaus unterliegt die Prämienberechnung der Krankenversicherung weiteren gesetzlichen Vorgaben: Seit dem 21.12.2012 sind die Beiträge für die Krankenversicherung für männliche und weibliche Versicherte einheitlich zu kalkulieren (sog. Unisextarife). Dies folgt aus § 19 Abs. 1 Nr. 2 AGG 554 , der auf ein Urteil des EuGH vom 1.3.2011 555 zurückgeht. Der EuGH erklärte Art. 5 Abs. 2 Richtlinie 553 Verordnung betreffend die Aufsicht über die Geschäftstätigkeit in der privaten Krankenversicherung v. 18.4.2016, BGBl. I S. 780, z. g. d. VO v. 19.7.2017, BGBl. I S. 3023. 554 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz v. 16.8.2006, BGBl. I S. 1897, z. g. d. G v. 3.4.2013, BGBl. I S. 610. 555 Vgl. EuGH, Urt. v. 1.3.2011, C-236/ 09, NJW 2011, 907 ff. <?page no="391"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Kostenträger 391 2004/ 113/ EG 556 , der die geschlechterabhängige Differenzierung nach versicherungsmathematischen Risikofaktoren erlaubte, für unwirksam, weil er gegen den Gleichheitssatz verstoße. Gem. § 203 Abs. 1 S. 2, 3 VVG kann der Versicherer bei Verträgen im Basistarif für ein erhöhtes Risiko des Versicherten keinen angemessenen Risikozuschlag oder einen Leistungsausschluss vereinbaren. Eine Risikoprüfung ist nur zulässig, soweit sie für Zwecke des Risikoausgleichs (siehe unten) oder für spätere Tarifwechsel erforderlich ist. Die Prämie für den Basistarif ist gem. § 152 Abs. 3 VAG auf den Höchstbetrag der gesetzlichen Krankenversicherung begrenzt. Dieser beträgt beispielsweise im Jahr 2018 monatlich 690,30 Euro. Alle Unternehmen, die den Basistarif anbieten, müssen die Beiträge (ohne die Kosten für den Versicherungsbetrieb) gem. § 152 Abs. 5 VAG einheitlich kalkulieren. Für die Pflegepflichtversicherung gibt es ebenfalls weitere gesetzliche Vorgaben für die Prämienkalkulation: Für die Verträge der Pflegepflichtversicherung ist bereits von Beginn an keine Beitragsstaffelung nach Geschlecht erlaubt (vgl. § 110 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d, Abs. 3 Nr. 3 SGB XI). Für die Verträge der Pflegepflichtversicherung, die zum 01.01.1995 geschlossen worden sind (sog. Altverträge), ist eine Prämienstaffelung nach dem Gesundheitszustand des Versicherten nicht erlaubt (§ 110 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d SGB XI). Ferner ist für die Altverträge eine Begrenzung auf den Höchstbetrag der sozialen Pflegeversicherung vorgesehen (§ 110 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e SGB XI). Dieser beträgt beispielsweise monatlich 112,84 Euro (123,90 Euro für Kinderlose) im Jahre 2018. Für die später geschlossenen Verträge, die sog. Neuverträge, gilt diese Beitragsbegrenzung nur, wenn eine Vorversicherung von mindestens fünf Jahren gegeben ist (§ 110 Abs. 3 Nr. 5 SGB XI). In der Pflegepflichtversicherung sind Kinder beitragsfrei mitzuversichern, vgl. § 110 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f SGB XI (Altverträge) sowie § 110 Abs. 3 Nr. 6 SGB XI (Neuverträge). Für die Mitversicherung von Ehegatten oder Lebenspartner ist für die Altverträge in § 110 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. g SGB XI eine Begrenzung auf 150 % des Höchstbetrages der sozialen Pflegeversicherung vorgesehen. Für Neuverträge ist eine solche Begrenzung gesetzlich nicht geregelt. Alle Unternehmen, die die Pflegepflichtversicherung anbieten, müssen die Beiträge (ohne die Kosten für den Versicherungsbetrieb) gem. § 111 Abs. 1 S. 3 SGB XI einheitlich kalkulieren. Die Versicherungsunternehmen, die die Krankenversicherung im Basistarif oder die Pflegepflichtversicherung anbieten, müssen dem Risikoausgleich gem. § 154 VAG bzw. gem. § 111 SGB XI angehören. Die beiden Risikoausgleiche sind Ausgleichssysteme zwischen den Versicherungsunternehmen, die der dauerhaften Erfüllbarkeit der Verpflichtungen aus den Versicherungen dienen. Durch die vor- 556 Richtlinie 2004/ 113/ EG des Rates v. 13.12.2004 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, ABl. L 373 S. 37. <?page no="392"?> 392 Recht im Gesundheitswesen genannten sozialpolitisch geprägten Vorgaben zur Risikoprüfung, Prämienbegrenzung etc. ist die Kalkulation einer risikogerechten Prämie durch die Versicherer eingeschränkt. Um zu vermeiden, dass einzelne Versicherer finanziell überfordert werden, erfolgt zwischen den Unternehmen ein Beitrags- und Leistungsausgleich. 3.2.9.4 Anforderungen an die Kapitalanlagen Die finanzielle Ausstattung des Krankenversicherers unterliegt ebenfalls der staatlichen Aufsicht. Die Unternehmen investieren die eingenommenen Prämien in Kapitalanlagen (z. B. Renten, Immobilien, Aktien und Beteiligungen), um die Versicherungsverträge dauerhaft erfüllen zu können, sowie um Gewinne zu erzielen. Ihnen steht zwar eine Anlagenfreiheit zu, so dass sie über ihre Kapitalanlagen selbst entscheiden können. Gleichwohl werden die Anlagen zum Schutz der Versicherten überwacht. Die Vermögenswerte eines Krankenversicherers werden wie folgt eingeteilt: Abb. 73: Vermögen eines Krankenversicherers Die Versicherungsunternehmen haben die Kapitalanlagen nach dem Grundsatz der unternehmerischen Vorsicht unter Berücksichtigung der Sicherheit, Qualität, Liquidität und Rentabilität auszuwählen (§ 124 Abs. 1 VAG). Besondere Anforderungen bestehen für die Anlage des Sicherungsvermögens, da dieses allein der Befriedigung der Versicherten dient (siehe zu den Einzelheiten §§ 125-130 VAG). 3.2.9.5 Solvabilität Ein Krankenversicherungsunternehmen muss jederzeit ausreichende finanzielle Mittel besitzen, um die oben genannten aufsichtsrechtlichen Ziele zu erreichen. In diesem Zusammenhang wird von Solvabilität gesprochen: Vermögen eines Krankenversicherers Sicherungsvermögen, das der Bedeckung der versicherungstechnischen Rückstellungen dient restliches Vermögen <?page no="393"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Kostenträger 393 ❋ Wissen │ Solvabilität Solvabilität ist die „aufsichtsrechtlich geforderte Fähigkeit von Versicherungsunternehmen, ihre Existenz und die dauernde Erfüllbarkeit der eingegangenen Verpflichtungen jederzeit durch ausreichende Solvabilitätsmittel sicherzustellen.“ 557 Eine ausreichende Solvabilität hat ein Krankenversicherungsunternehmen, wenn seine Ist-Solvabilität mindestens der Soll-Solvabilität entspricht. 558 Konkret bedeutet das, dass das Unternehmen über anrechnungsfähige Eigenmittel in Höhe der Solvabilitätskapitalanforderung sowie über anrechnungsfähige Basiseigenmittel in Höhe der Mindestkapitalanforderung verfügen muss (§ 89 Abs. 1 VAG). Die Solvabilitätskapitalanforderung stellt eine SOLL-Grenze für das Kapital dar, das der Krankenversicherer vorhalten muss, um die Verpflichtungen aus der aktuellen und der in den nächsten zwölf Monaten zu erwartenden Geschäftstätigkeit mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,5 % erfüllen zu können (§ 97 Abs. 2 VAG). 559 Die Mindestkapitalanforderung ist die unterste Grenze des notwendigen Kapitals, bei deren Unterschreiten die Interessen der Versicherten ernsthaft gefährdet wären (§ 122 Abs. 1 VAG). Damit kommt ihr zugleich die Bedeutung der letzten Eingriffsschwelle der Aufsichtsbehörde vor dem Widerruf der Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb zu. 560 Zur Bestimmung ihrer Solvabilität müssen die Versicherungsunternehmen ihre Risiken und ihre Vermögenswerte ermitteln und bewerten. Aus den Risiken der Geschäftstätigkeit des Unternehmens ergeben sich die Anforderungen an die vorzuhaltenden Eigenmittel, aus den Vermögenswerten die vorhandenen Eigenmittel. 561 Zur Ermittlung der Eigenmittel, die entsprechend der Mindest- und Solvabilitätskapitalanforderung notwendig sind, sind die Vermögenswerte und die Verbindlichkeiten in einer ökonomischen Bilanz gegenüberzustellen, die gesetzlich Solvabilitätsübersicht genannt wird (vgl. § 74 Abs. 1 VAG). Sie ist nach Prüfung durch die Abschlussprüfer nebst Prüfungsbericht der BaFin unverzüglich vorzulegen (§ 37 Abs. 2, § 35 Abs. 2 VAG i. V. m. PrüfV 562 ). Die Vermögenswerte sind in der Solvabilitätsübersicht gem. § 74 Abs. 2 VAG mit dem Marktwert zu berücksichtigen. Dies gilt gem. § 74 Abs. 3 VAG grundsätzlich auch für die Verbindlichkeiten, zu denen insbesondere die versicherungstechnischen Rückstellungen 563 gehören. Im Hinblick auf die versicherungstechnischen 557 Wagner, Versicherungslexikon, S. 894. 558 Vgl. Gondring, Versicherungswirtschaft, S. 75. 559 Siehe auch Armbrüster, r+s 2015, 425 ff. [426]. 560 Vgl. RegE eines Gesetzes zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen, BTag-Drucks 18/ 2956, S. 228. 561 Vgl. Schreiber, Solvency II, S. 35. 562 Prüfungsberichteverordnung v. 19.7.2017, BGBl. I S. 2846. 563 Zu den versicherungstechnischen Rückstellungen gehören: Rückstellungen für Beitragsüberträge, für nicht abgewickelte Versicherungsfälle, für Beitragsrückerstattungen, Alterungsrückstellung, Schwankungs- <?page no="394"?> 394 Recht im Gesundheitswesen Rückstellungen gibt es jedoch die Besonderheit, dass sie nicht in jedem Fall einen Marktwert haben, so z. B. die Alterungsrückstellung in der Krankenversicherung, die nach Art der Lebensversicherung betrieben wird. In diesem Fall ist die Rückstellung mit dem sog. besten Schätzwert plus Risikomarge zu bewerten (§ 76 Abs. 1 VAG). Der beste Schätzwert ist gem. § 77 Abs. 1 VAG der wahrscheinlichkeitsgewichteter Durchschnitt der künftigen ein- und ausgehenden Zahlungsströme, die mit den Versicherungsverbindlichkeiten zusammenhängen. Diese Zahlungsströme sind unter Berücksichtigung des Zeitwerts des Geldes und auf der Grundlage des Zinssatzes, der für Investitionen in Finanzinstrumente ohne Ausfallrisiko erlangt werden könnte 564 (sog. risikofreie Zinskurve), zu berechnen. Die Risikomarge ist ein (Sicherheits-)Zuschlag, durch den der beste Schätzwert auf einen Betrag erhöht wird, den ein Versicherungsunternehmen bei Übernahme der Versicherungsverpflichtungen fordern würde (§ 78 Abs. 1 VAG). Der Überschuss der Vermögenswerte über die Verbindlichkeiten (ohne die eigenen gehaltenen Aktien) und die nachrangigen Verbindlichkeiten 565 bilden die Basiseigenmittel (vgl. § 89 Abs. 3 VAG). Diese Basiseigenmittel wiederum bilden zusammen mit den ergänzenden Eigenmitteln die Eigenmittel eines Versicherers (§ 89 Abs. 2 VAG). Bei den ergänzenden Eigenmitteln handelt es sich um Mittel, die nicht in der Solvabilitätsübersicht enthalten sind, aber zum Ausgleich von Verlusten eingefordert werden können, wie z. B. nicht eingezahltes Grundkapital (§ 89 Abs. 4 VAG). Ihre Berücksichtigung setzt eine entsprechende Genehmigung der BaFin gem. § 90 VAG voraus. Abb. 74: Eigenmittel eines Krankenversicherers Die Eigenmittel muss das Versicherungsunternehmen in Qualitätsklassen einstufen. Basiseigenmittel können in die Qualitätsklassen 1 bis 3, die ergänzenden Eigenmittel dagegen nur in die Klassen 2 und 3 eingeordnet werden (§ 92 VAG). rückstellung und sonstige Rückstellungen; vgl. Näheres dazu in §§ 341e-341h HGB sowie Wagner, Gabler Versicherungslexikon, S. 1021. 564 Vgl. Lüttringhaus, EuZW 2011, 822 ff. [825]. 565 Nachrangige Verbindlichkeiten werden im Insolvenz- und Liquidationsfall erst nach anderen Unternehmensverbindlichkeiten bedient, so dass sie im Hinblick auf diese Haftung einen Eigenkapitalcharakter haben; vgl. zum Begriff Wagner, Gabler Versicherungslexikon, S. 607 f. Vermögenswerte abzgl. Verbindlichkeiten (ohne die eigenen gehaltenen Aktien) zzgl. nachrangige Verbindlichkeiten = Basiseigenmittel Mittel, die in der Solvabilitätsübersicht nicht enthalten sind, aber eingefordert werden können = ergänzende Eigenmittel Eigenmittel des Versicherers <?page no="395"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Kostenträger 395 Die Einordnung der jeweiligen Eigenmittelbestandteile in die Qualitätsklassen ist vom Vorhandensein folgender Merkmale abhängig: Merkmale Basiseigenmittel der Qualitätsklasse ergänzende Eigenmittel der Qualitätsklasse 1 2 3 2 3 Der Bestandteil ist verfügbar oder bei Bedarf einforderbar, um Verluste unter Zugrundelegung der Unternehmensfortführungsprämisse sowie im Falle der Liquidation vollständig aufzufangen (§ 91 Abs. 2 Nr. 1 VAG). ✔ alle anderen Basiseigenmittel ✔ alle anderen ergänzenden Eigenmittel Nachrangigkeit im Fall einer Liquidation: Die Rückzahlung des Bestandteils an seinen Inhaber kann solange verweigert werden, bis alle anderen Verpflichtungen gegenüber den Versicherungsnehmern und Versicherten erfüllt worden sind (§ 91 Abs. 2 Nr. 2 VAG). ✔ ✔ ✔ Der Eigenmittelbestandteil steht dem Versicherer unbefristet oder befristet, aber mit Blick auf die Laufzeit der Versicherungsverpflichtungen ausreichend lange zu (§ 91 Abs. 3 VAG). ✔ ✔ ✔ Es besteht keine Pflicht und kein Anreiz zur Rückzahlung des Nominalbetrages (§ 91 Abs. 4 Nr. 1 VAG). ✔ ✔ ✔ Der Bestandteil ist frei von obligatorischen festen Kosten (§ 91 Abs. 4 Nr. 2 VAG). ✔ ✔ ✔ Der Eigenmittelbestandteil ist frei von sonstigen Belastungen (§ 91 Abs. 4 Nr. 3 VAG). ✔ ✔ ✔ Tab. 22: Kriterien für die Einordnung der Eigenmittel in Qualitätsklassen <?page no="396"?> 396 Recht im Gesundheitswesen ◉ Beispiel Zur Qualitätsklasse 1 gehören das eingezahlte Grundkapital und die einbehaltenen Gewinne. 566 Für die Bedeckung der Mindestkapitalanforderung sind nur die Basiseigenmittel der Klasse 1 und 2 anrechnungsfähig (§ 95 VAG). Für die Solvabilitätskapitalanforderung können Basiseigenmittel sowie mit Genehmigung der Aufsichtsbehörde auch ergänzende Eigenmittel angesetzt werden (§ 90 Abs. 1, § 94 VAG). Darüber hinaus ist die Anrechnungsfähigkeit der Eigenmittel quantitativ beschränkt: Die Mindestkapitalanforderung muss mit mindestens 50 % Basiseigenmittel der Klasse 1 bedeckt werden (§ 95 Abs. 2 VAG). Für die Solvabilitätskapitalanforderung sind Eigenmittel (Basiseigenmittel oder ergänzende Eigenmittel) der Klasse 2 und 3 nur anrechnungsfähig, wenn die (Basis-)Eigenmittel der Klasse 1 mindestens ein Drittel und die Eigenmittel der Klasse 3 weniger als ein Drittel der Solvabilitätsanforderung betragen (§ 94 Abs. 2 VAG). Die Bezugsgröße für die Eigenmittel, die das Versicherungsunternehmen vorhalten muss, ist die Solvabilitätskapitalanforderung. Um diese zu ermitteln, muss das Versicherungsunternehmen seine Bilanz verschiedenen Stressszenarien (sinkende Aktienkurse, Epidemien, Hackerangriffe u. a.) unterziehen. Aus den Risiken der Geschäftstätigkeit des Unternehmens ergeben sich die Anforderungen an die vorzuhaltenden Eigenmittel. Ziel ist es, einen Kapitalpuffer zu schaffen, damit der Versicherer auch bei Eintritt verschiedener Stressszenarien seinen Leistungsverpflichtungen gegenüber den Versicherten nachkommen kann. Für die Berechnung der Solvabilitätskapitalanforderung existiert eine komplexe versicherungsmathematische Formel, die sog. Standardformel, die in Anlage 3 des VAG geregelt ist. Diese berücksichtigt nicht nur die Risiken, die unmittelbar aus den Versicherungsverträgen resultieren, sondern auch andere mit der Geschäftstätigkeit verbundene Risiken: Krankenversicherungstechnisches Risiko (§ 103 VAG) (z. B. Risiken durch Anstieg der Krankenversicherungsleistungen wegen Epidemien oder Katastrophen) Marktrisiko (§ 104, 106 VAG) (z. B. Risiken durch Zinsänderungen oder Kurseinbruch am Aktienmarkt, Veränderung der Immobilienpreise) Gegenparteiausfallrisiko (§ 105 VAG) (z. B. Risiken durch verschlechterte Bonität eines Schuldners) Operationelles Risiko (§ 107 VAG) (z. B. Rechtsrisiken oder fehlerhafte IT-Prozesse) Anpassung für die Verlustausgleichsfähigkeit der versicherungstechnischen Rückstellungen und latenten Steuern (§ 108 VAG) (z. B. Forderungen oder Verbindlichkeiten gegenüber den Finanzbehörden) 566 Siehe Schüller, Mitzner, ZHR 175 (2011), 338 ff. [347] m. w. N. sog. Basissolvabilitätskapitalanforderung (§ 100 VAG) <?page no="397"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Kostenträger 397 Wenn die Standardformel dem konkreten Risikoprofil des Krankenversicherungsunternehmens nicht gerecht wird, kann das Unternehmen ganz oder teilweise anstelle der Standardformel ein eigenes Modell für die Berechnung der Solvabilitätskapitalanforderungen verwenden (§§ 111-121 VAG). Dieses interne Modell unterliegt jedoch der Genehmigungspflicht durch die Aufsichtsbehörde (§ 111 Abs. 5 VAG). Die Mindestkapitalanforderung eines Krankenversicherungsunternehmens beträgt lt. § 1 KapAusstV 567 mindestens 2,5 Mill Euro und muss sich zwischen 25 und 45 % der Solvabilitätskapitalanforderung bewegen. Außerhalb dieses prozentualen Bereichs muss sie angepasst werden. In der Solvabilitätsübersicht sind die Mindest- und Solvabilitätskapitalanforderung als Zuschläge zu den versicherungstechnischen Rückstellungen auf der Passivseite der Solvabilitätsübersicht zu berücksichtigen. 568 Abb. 75: Mindestkapital- und Solvabilitätskapitalanforderung Die Krankenversicherer müssen die Solvabilitätskapitalanforderung gem. § 98 Abs. 1 VAG mindestens einmal jährlich berechnen, jedoch ihre Höhe und ihre Bedeckung durch die anrechnungsfähigen Eigenmittel laufend überwachen. Dagegen ist die Mindestkapitalanforderung gem. § 123 Abs. 1 VAG vierteljährlich zu berechnen. Wenn die Ermittlung der Solvabilität eine unzureichende Bedeckung 567 Verordnung über die Kapitalausstattung von Versicherungsunternehmen v. 18.4.2016, BGBl. I S. 795, z. g. d. VO v. 19.7.2017, BGBl. I S. 3023. 568 Vgl. Lüttringhaus, EuZW 2011, 822 ff. [825]. mind. 1/ 3 der SCR Eigenmittel der Klasse 1 weniger als 1/ 3 der SCR Eigenmittel der Klasse 3 mind. 1/ 2 der MCR Eigenmittel der Klasse 1 nur Basiseigenmittel der Klasse 1 und 2 Aktiva Passiva SCR = Solvabilitätskapitalanforderung (Solvency Capital Requirement) MCR = Mindestkapitalanforderung (Minimum Capital Requirement) MCR zzgl. ergänzende Eigenmittel, die nicht in der Solvabilitätsübersicht enthalten sind SCR <?page no="398"?> 398 Recht im Gesundheitswesen der Mindestkapital- und Solvabilitätskapitalanforderung ergibt, folgen daraus verschiedene Pflichten des Unternehmens und Eingriffsbefugnisse der BaFin, die wegen der ansteigenden Intensität auch als sog. Aufsichtsleiter bezeichnet werden. Abb. 76: Interventionsstufen der sog. Aufsichtsleiter Eine Verschlechterung der finanziellen Situation muss das Unternehmen unverzüglich anzeigen (§ 132 Abs. 2 VAG). Wenn der Krankenversicherer feststellt, dass seine anrechnungsfähigen Eigenmittel die Solvabilitätskapitalanforderung unterschreiten oder voraussichtlich in den nächsten zwei Monaten unterschreiten werden, muss er gem. § 134 VAG unverzüglich die BaFin informieren, innerhalb von zwei Monaten der BaFin einen Sanierungsplan (§ 136 VAG) zur Genehmigung vorlegen und innerhalb von sechs Monaten durch angemessene Maßnahmen seine Eigenmittel aufstocken oder sein Risikoprofil senken. Sofern sich die finanzielle Lage des Versicherers trotz dieser Maßnahmen weiterhin verschlechtert, kann die BaFin alle Maßnahmen ergreifen, die zur Wahrung der sich aus den Versicherungsverträgen ergebenden Interessen der Versicherungsnehmer geeignet, erforderlich und angemessen sind (§ 137 VAG). Wenn sich die finanzielle Situation weiter verschlechtert und die Mindestkapitalanforderung ebenfalls unterschritten wird, muss das Versicherungsunternehmen die BaFin ebenfalls darüber unverzüglich unterrichten und einen kurzfristigen Finanzierungsplan (§ 136 VAG) zur Genehmigung vorlegen (§ 135 VAG). In diesem Fall ist die BaFin ebenfalls befugt, alle Maßnahmen zu ergreifen, die zur Wahrung der Interessen der Versicherungsnehmer notwendig sind. Dazu gehören beispielsweise die Untersagung von Gewinnausschüttungen, aber auch im schlimmsten Fall gem. § 304 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 VAG der Widerruf der Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb. Unterschreitung der SCR § 134 VAG Verschlechterung der finanziellen Situation § 132 Abs. 2 VAG fortschreitende Verschlechterung der Solvabilität § 137 VAG Unterschreitung der MCR § 135 VAG <?page no="399"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Kostenträger 399 3.2.9.6 Regelmäßige aufsichtliche Berichterstattung Die Krankenversicherungsunternehmen haben eine Vielzahl von Berichtspflichten gegenüber der BaFin zu erfüllen. Die Berichtspflichten ergeben sich nicht nur aus dem nationalen Recht, sondern auch aus der delegierten Verordnung (EU) 2015/ 35 569 (Solvency-II VO im Folgenden) sowie aus anderen auf europäischer Ebene erlassenen Vorschriften und Leitlinien. Die regelmäßige Berichterstattung der Unternehmen zielt darauf ab, dass die Aufsichtsbehörde alle Informationen erhält, die sie zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben benötigt, und zwar aktuell, vollständig und genau (§ 43 VAG). Sie besteht aus quantitativen und narrativen Berichten: Abb. 77: Regelmäßige Berichterstattung gegenüber der Aufsicht Gem. Art. 304 Nr. 1 Buchst. d Solvency II-VO haben die Krankenversicherer vierteljährlich und jährlich standardisierte Meldeformulare zu ihren Eigenmitteln, Kapitalanlagen, Solvabilitätskapitalanforderungen, versicherungstechnischen Rückstellungen, Rückversicherungen etc. auszufüllen und elektronisch einzureichen, sog. quantitative Berichte (Quantitative Reporting Templates, QRT). Gem. Art. 304 Nr. 1 Buchst. a-c Solvency II-VO haben die Versicherungsunternehmen folgende narrativen Berichte einzureichen: Bericht über die unternehmenseigene Risiko- und Solvabiliätsbeurteilung (Own Risk and Solvency Assessment, ORSA-Bericht), Bericht über die Solvabilität und Finanzlage (Solvency and Financial Condition Report, SFCR), Regelmäßiger aufsichtlicher Bericht (Regular Supervisory Report, RSR). 569 Delegierte Verordnung (EU) 2015/ 35 der Kommission v. 10.10.2014 zur Ergänzung der Richtlinie 2009/ 138/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit, ABl. 2015 L S. 1, z. g. d. Delegierte VO (EU) 2017/ 1542 v. 8.6.2017, ABl. L 236 S. 14. regelmäßige Berichterstattung quantitative Berichte (in Form von Tabellen und Zahlen) narrative Berichte (in Form von erläuternden Texten) ORSA-Bericht, SFCR, RSR QRT <?page no="400"?> 400 Recht im Gesundheitswesen Diese Berichte komplettieren die quantitativen Meldungen mit den notwendigen Erläuterungen, so dass die Aufsichtsbehörde die quantitativen Informationen nachvollziehen kann und sich ein Bild von der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens machen kann. Der ORSA-Bericht ist jährlich innerhalb von zwei Wochen nach Abschluss der unternehmenseigenen Risiko- und Solvabilitätsbeurteilung, die im Abschnitt 3.2.9.5 erläutert wird, einzureichen. Er enthält insbesondere die qualitativen und quantitativen Ergebnisse der Beurteilung und die aus diesen Ergebnissen gezogenen Schlussfolgerungen des Versicherungsunternehmens, die Angaben zum Gesamtsolvabilitätsbedarf des Unternehmens und einen Vergleich zwischen diesem Solvabilitätsbedarf, den gesetzlichen Kapitalanforderungen und den Eigenmitteln des Unternehmens (vgl. Art. 306, Art. 312 Nr. 1 Buchst. a Solvency II-VO). Der Bericht über die Solvabilität und Finanzlage müssen die Versicherungsunternehmen jährlich veröffentlichen und der BaFin übersenden (§ 40 VAG). Dieser Bericht soll vor allem Transparenz für Verbraucher und Investoren schaffen und beschreibt fünf Themenbereiche, und zwar (1) Geschäftstätigkeit, (2) Geschäftsorganisation, (3) Risikoprofil, (4) solvabilitätsbezogene Bewertungsgrundlage und -methoden und (5) Kapitalmanagement (§ 40 Abs. 2 VAG, Art. 292-298 Solvency-II VO). Die vorgenannten fünf Themenbereiche sind auch für den regelmäßigen aufsichtlichen Bericht vorgegeben, den die Krankenversicherer der BaFin alle drei Jahre vorlegen müssen. Dieser Bericht enthält jedoch zusätzliche und detailliertere Informationen als der Bericht über die Solvabilität und Finanzlage sowie vertrauliche Daten, weil er nicht für die Öffentlichkeit vorgesehen ist (vgl. Art. 307-311, Art. 312 Nr. 1 Buchst. a Solvency II-VO). 3.2.9.7 Sicherungsfonds Zum Schutz der Ansprüche der Versicherten müssen die Versicherungsunternehmen, die die substitutive Krankenversicherung anbieten, dem Sicherungsfonds angehören und die dafür vorgesehenen Beiträge entrichten (§ 221 Abs. 1, § 226 VAG). Träger dieses Sicherungsfonds ist die Medicator AG. 570 Bei Zahlungsunfähigkeit eines Mitgliedsunternehmens ordnet die BaFin gem. § 222 Abs. 1, 2 VAG die Übertragung des gesamten Bestandes an Versicherungsverträgen auf den Sicherungsfonds oder eine andere Maßnahmen an, so dass der Versicherungsschutz für die Versicherten nicht verloren geht. 3.2.9.8 Befugnisse der Aufsichtsbehörde Neben spezifischen Eingriffsbefugnissen, wie z. B. zur Einhaltung der Mindestkapital- und Solvabilitätskapitalanforderung (vgl. Abschnitt 3.2.9.5), stehen der Aufsichtsbehörde im Fall eines sog. Missstandes weitere (allgemeine) Befugnisse zur Verfügung. Ein solcher Missstand ist gegeben, wenn das Krankenversicherungsunternehmen ein Verhalten oder Schwächen und Mängel aufweist, die den Aufsichtszielen (vgl. Abschnitt 3.9.9.1) widersprechen. 570 Verordnung über die Übertragung von Aufgaben und Befugnisse eines Sicherungsfonds für die Krankenversicherung v. 11.5.2006, BGBl. I S. 1171. <?page no="401"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Kostenträger 401 Abb. 78: Aufsichtsbefugnisse gegenüber Krankenversicherungsunternehmen Die BaFin als Aufsichtsbehörde darf alle Maßnahmen ergreifen, die zur Beseitigung des Missstandes geeignet und erforderlich sind; zudem darf sie vorbeugend, zur Vermeidung eines Missstandes tätig werden (vgl. § 298 Abs. 1 VAG). ◉ Beispiel Ein Krankenversicherungsunternehmen bot eine Krankheitskostenversicherung im Tarif B an, mit der u. a. Aufwendungen für Zahnbehandlung, Zahnersatz, Zahn- und Kieferregulierung ohne Begrenzung der Erstattungsfähigkeit versichert wurden. Ferner gab es Tarif Vision B, der eine sog. Zahnstaffel enthielt. Nach dieser wurden die Aufwendungen für Zahnersatz, Implantate, funktionsanalytische und funktionstherapeutische Behandlungen sowie Kieferorthopädie Aufsichtsbefugnis spezifische Aufsichtsbefugnisse bei Eintritt bestimmter gesetzlicher Tatbestände, wie z. B. allgemeine Aufsichtsbefugnisse alle Maßnahmen, die geeignet und erforderlich sind, um Missstände zu vermeiden oder zu beseitigen (§ 298 Abs. 1 VAG) Einschränkung der Vermögensverfügung bei unzureichenden versicherungstechnischen Rückstellungen, § 133 VAG Anordnung einer Geschäftsplanänderung, § 300 VAG Anordnung eines Kapitalaufschlages, § 301 VAG Untersagung der Beteiligung an einem anderen Unternehmen, § 302 VAG Abberufung von Personen mit Schlüsselaufgaben, § 303 VAG <?page no="402"?> 402 Recht im Gesundheitswesen in den ersten 24 Monaten bis zu einem Rechnungsbetrag von 1.000,- Euro und anschließend für weitere 24 Monate bis zu einem Rechnungsbetrag von 2.000,- Euro erstattet. Die Aufsichtsbehörde ordnete gegenüber dem Versicherungsunternehmen an, dass bei einem Tarifwechsel eines Versicherungsnehmers von B in Vision B die Vorversicherungszeiten im Tarif B auf die Einstufung in die Zahnstaffel (= verdeckte partielle Wartezeit) anzurechnen sei. Das BVerwG sah diese Anordnung als rechtmäßig an. 571 Adressaten der Aufsichtsbefugnisse können zum einen das Krankenversicherungsunternehmen, die Geschäftsleiter und Vorstandsmitglieder, die Mitglieder des Aufsichtsrates und andere Personen, die das Unternehmen kontrollieren, sein (§ 298 Abs. 1 VAG). Zum anderen kann die BaFin Maßnahmen gegenüber anderen Unternehmen ergreifen, die im Wege des Outsourcing Tätigkeiten des Krankenversicherers übernommen haben, oder gegenüber dem Mutterunternehmen im Konzernverbund ergreifen (§ 299 VAG). 3.2.10 Widerruf der Erlaubnis zum Geschäftsbetriebes des Krankenversicherers § 304 VAG regelt den Widerruf der Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb durch die BaFin. Dabei ist die Handlungspflicht der Aufsichtsbehörde in Abhängigkeit vom Widerrufsgrund unterschiedlich ausgestaltet: Abb. 79: Widerruf der Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb Der Widerruf der Erlaubnis führt zur Beendigung des Geschäftsbetriebs gem. § 304 Abs. 5 VAG sowie zur Abwicklung des Unternehmens gem. § 308 VAG. 571 Vgl. BVerwG Urt. v. 21.03.2007, 6 C 26/ 06, NJW 2007, 2871 ff. Widerruf der Erlaubnis gebundene Verwaltung gem. § 304 Abs. 1 VAG („ist“) Ermessensverwaltung gem. § 304 Abs. 3 VAG („kann“) gebundenes Ermessen gem. § 304 Abs. 2 VAG („soll“) z. B. Unterschreiten der Mindestkapitalanforderung z. B. Einstellung des Geschäftsbetriebs seit mehr als sechs Monaten z. B. schwerwiegende Verletzung gesetzlicher Pflichten <?page no="403"?> Rechtliche Rahmenbedingungen für Kostenträger 403 ❋ Wichtige Schlagwörter ❋ Basistarif ❋ Eigenmittel ❋ Kontrahierungszwang ❋ Krankentagegeldversicherung ❋ Krankheitskostenversicherung ❋ Mindestkapitalanforderung ❋ Missstand ❋ Notlagentarif ❋ Obliegenheit ❋ Pflegepflichtversicherung ❋ Rechts- und Finanzaufsicht ❋ Schadenversicherung ❋ Solvabilität ❋ Solvabilitätskapitalanforderung ❋ Substitutive Krankenversicherung ❋ Summenversicherung ❋ Versicherer ❋ Versicherter ❋ Versicherungsfall ❋ Versicherungsnehmer ❋ Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit ❋ Versicherungsvertrag ❋ Vorvertragliche Anzeigepflicht ✎ Wiederholungsaufgaben [1] Erläutern Sie, was unter einem Versicherungsvertrag zu verstehen ist. [2] Erläutern Sie die Unterscheidung zwischen Schaden- und Summenversicherung. [3] Der selbständige Arzt A beantragte eine private Krankheitskostenversicherung bei dem Versicherer V, der die substitutive Krankenversicherung betreibt. Ein Jahr zuvor hatte A einen Herzinfarkt erlitten. Diesen gab er bei Antragstellung nicht an, obwohl das Antragsformular eine diesbezügliche Frage und die Belehrung über die Rechtsfolgen bei unvo