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Digitalkunde als Schulfach

0513
2019
978-3-8385-5100-5
978-3-8252-5100-0
UTB 
Frederik Weinert

Wer mit 16 bereits Apps programmieren und Computer zusammenbauen kann, ist gefragt. Viele Teenies üben sich als journalistische Blogger und beherrschen die digitalen Medienwerkzeuge im Gegensatz zu vielen Erwachsenen aus dem Effeff. Doch wo viel Licht ist, ist auch Schatten: Abo-Fallen, Cyber-Kriminelle und andere digitale Fallstricke lauern überall. In den Medienwelten sind die Kinder meist unbegleitet. Genau hier kann das das Schulsystem helfen! Ein medienpädagogisches Digitaltraining - sprich Digitalkunde als Schulfach - bereitet die Kinder auf den achtsamen Umgang mit den neuen Medien und das Berufsleben vor. Der Medienwissenschaftler Frederik Weinert ordnet die Digitalkunde in den medienpädagogischen Kontext ein, erklärt die inhaltliche Innovation des neuen Schulfachs und macht praktische Vorschläge für den Schulunterricht.

<?page no="1"?> Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Wilhelm Fink · Paderborn Narr Francke Attempto Verlag · Tübingen Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Ernst Reinhardt Verlag · München Ferdinand Schöningh · Paderborn Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlag · München Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen Waxmann · Münster · New York wbv Publikation · Bielefeld utb 5100 UTB (M) Impressum_19.indd 1 20.02.19 12: 37 <?page no="3"?> Frederik Weinert Digitalkunde als Schulfach UVK Verlag · München <?page no="4"?> Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www.utb-shop.de. Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.ddb.de> abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © UVK Verlag München 2019 - ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH & Co. KG Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Cover-Illustration: © iStockphoto, nakornkhai Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck UVK Verlag Nymphenburger Straße 48 · 80335 München Tel. 089/ 452174-65 www.uvk.de Narr Francke Attempto Verlag GmbH & Co. KG Dischingerweg 5 · 72070 Tübingen Tel. 07071/ 9797-0 www.narr.de UTB-Nr. 5100 ISBN 978-3-8252-5100-0 <?page no="5"?> Vorwort Das vorliegende Buch entstand im Winter 2018/ 19 aus einer dringenden Notwendigkeit heraus: Das Lebensumfeld der Kinder und Jugendlichen verändert sich beinahe täglich. Neue Räume kommen hinzu: digitale Räume. Es entstehen neue Chancen, aber auch Gefahren. Jetzt ist das Bildungssystem gefordert. Doch es gibt ein Problem: Einige Politiker posaunen den Begriff „Digitalkunde“ unbeholfen in die Öffentlichkeit - vor allem vor großen Wahlen. Das ist gut, weil die Digitalkunde als neues Schulfach unbedingt gebraucht wird. Das ist schlecht, weil die Ideen der politischen Volksvertreter oftmals wie hülsenhafte Wahlkampfparolen ohne „Rezept“ daherkommen. Damit ist jetzt Schluss, denn das vorliegende Buch bietet viele Lösungen. „Digitalkunde als Schulfach“ ist als Plädoyer zu verstehen. Die Medienpädagogik, und als deren Vertreter sehe ich mich, steigt mit diesem Buch in den explosiven Diskurs ein - mit Fachkompetenz, medienpädagogischer Umsicht und einem klaren schulpraktischen Konzept. Das Buch soll einen Diskurs anstoßen - und gerne auch eine hitzige Diskussion, die es in sich hat. Die folgenden Seiten überzeugen mit Praxistauglichkeit. Der schulpraktische Teil ist so gestaltet, dass die innovativen Digitalkunde-Konzepte direkt in die bestehenden Fächer wie Deutsch, Englisch und Geschichte integriert werden können. Digitalmediale Vorschläge für Unterrichtsaufgaben und spannende Diskussionsfragen regen zum Dialog an. Nicht nur im Klassen-, sondern auch im Lehrerzimmer. Ich freue mich, dass ich Herrn Heinz-Peter Meidinger, seines Zeichens Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, für ein befeuerndes Geleitwort gewinnen konnte. Einen herzlichen Dank möchte ich Herrn Dr. Jürgen Schechler für die hervorragende verlegerische Betreuung aussprechen. Passau im Frühjahr 2019 Dr. phil. Frederik Weinert <?page no="7"?> Geleitwort Digitale Mündigkeit als zentrales Ziel moderner Bildung Es ist nichts Neues, dass sich die Lebensbedingungen für Menschen ändern - immer schon sind Kinder und Jugendliche anders aufgewachsen als ihre Elterngeneration. Neu sind heute allerdings die Rasanz, Dynamik, Totalität und Radikalität dieses Umbruchs, maßgeblich verursacht durch die technische Entwicklung der Digitalisierung unserer Gesellschaft. Ob Computer, Streamingdienste, soziale Netzwerke, Smartphones oder Online- Games - digitale Medien sind aus der Welt von Kindern und Jugendlichen nicht mehr wegzudenken. Während die Medien, mit denen beispielsweise ich selbst aufgewachsen bin wie Bücher, Zeitungen, Fernsehen und Radio massiv an Bedeutung für Jugendliche verlieren, bestimmen das Internet und digitale Medien zunehmend die Erfahrungswelt Jugendlicher. Die Diskussion darüber, in welcher Weise sich die Schule heute diesen Herausforderungen stellen muss, wurde in der Vergangenheit vielfach verengt auf die Frage der technischen Ausstattung von Schulen. Dabei geht es tatsächlich um viel mehr, nämlich um die entscheidende Frage, wie es den Lehrkräften heute gelingen kann, Kinder und Jugendliche, die vielfach völlig veränderte Wahrnehmungsroutinen entwickelt haben, für eine Welt fit zu machen, in der Digitalisierung vor keinem Lebens- und Gesellschaftsbereich halt macht und integrativer Bestandteil der eigenen Realitätswahrnehmung ist. Gefordert ist also ein positiver, produktiver Ansatz, der Kinder und Jugendliche in ihrer Handlungskompetenz stärkt, sowohl was ihre Fähigkeit angeht, Risiken und Gefahren zu erkennen, als auch die Fähigkeit, die positiven Chancen und Möglichkeiten sinnvoll zu nutzen. Digitale Mündigkeit bzw. digitale Souveränität muss ein zentrales Bildungsziel in unserer modernen Gesellschaft sein. Das vorliegende Buch von Dr. Frederik Weinert beschreibt in eindrucksvoller Weise, wie sich Medien als gleichberechtigtes Modell von Wirklichkeit in der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen etabliert haben und dass das Streben nach virtueller Selbstverwirklichung viel schöpferisches und kreatives Potenzial birgt. Sein Konzept der Digitalkunde ist der umfassende Versuch, die Digitalisierung für den Unterricht fruchtbar zu machen, ohne dass dies zu einer Überfrachtung oder zu einer Zurückdrängung der bewährten Bildungsinhalte führt. Besonders überzeugt hat mich hierbei der schulpraktische Teil, der viele konkre- <?page no="8"?> 8 Geleitwort te Anwendungs- und Umsetzungsmöglichkeiten in Form von Basis- und Profilmodulen in verschiedenen Unterrichtsfächern aufzeigt. Ob es wirklich notwendig und zielführend ist, Digitalkunde in Form eines neuen Unterrichtsfaches zu etablieren oder sie sich, wie die Beispiele zeigen, auch sehr gut in die bestehende Fächerstruktur integrieren lässt, ist eine Frage, die ich als Lehrerverbandsvertreter offenlassen möchte. Nach der Lektüre dieses Buchs wird man aber gerade als Lehrkraft sowohl die Herausforderungen als auch die Chancen der digitalen Erziehung mit anderen Augen und größerer Zuversicht sehen. Heinz-Peter Meidinger Präsident des Deutschen Lehrerverbandes im April 2019 <?page no="9"?> Einleitung und Hinweise zum Buch Es lebe die Digitalisierung. Vor allem die große Politik stimmt das Loblied auf die digitale Zukunft an: schnelles Internet, digitale Behördengänge und Apps für die vermeintliche Erleichterung des alltäglichen Lebens. Endlich meldet sich auch die Bildungspolitik zu Wort, denn sie möchte etwas vom Cyber-Kuchen abhaben. Die große Politik reagiert und stellt WLAN und Tablets für Deutschlands Schulen in Aussicht, um das fliegende Klassenzimmer endlich ins digitale Klassenzimmer umzuwandeln. Der Medienpädagogik reicht das nicht. Digitalkunde als Schulfach muss eingeführt werden. Bei der Digitalkunde handelt es sich um ein medienpädagogisches Digitaltraining, das die Kinder und Jugendlichen auf den achtsamen Umgang mit den digitalen Medien und das Berufsleben optimal vorbereitet. Schließlich hat die zunehmende Digitalisierung auch viele Schattenseiten: Abo-Fallen, Cyber-Kriminelle und andere digitale Fallstricke. Dieses Buch ordnet die Digitalkunde in den medienpädagogischen Kontext ein, erklärt die inhaltliche Innovation des neuen Schulfachs und macht praktische Vorschläge für den Schulunterricht. Wer mit 16 bereits Apps programmieren kann und Agenturen in Sachen Social Media berät, ist gefragt. Viele Teenies üben sich als journalistische Blogger, unterhaltsame Entertainer auf YouTube oder populäre Influencer auf Instagram und beherrschen die digitalen Medienwerkzeuge aus dem Effeff. Hier tun sich echte Karrierechancen auf, doch den meisten Kindern und Jugendlichen sind die Risiken und Gefahren nicht bewusst. Eine durchdachte schulische Digitalbildung - sprich Digitalkunde als Schulfach - bereitet die Kids einerseits auf ihre Medienfreizeit und andererseits auf das Berufsleben vor. Im ersten Kapitel dieses Buchs geht es um Neue Medien und die digitale Pubertät. Erläutert wird das Prinzip der Sozialen Medien. Ebenso wird dargestellt, in welchen Medienwelten sich die Kinder und Jugendlichen aufhalten - und vor allem warum. Lehrkräfte und Eltern sollten die Beweggründe für den intensiven Aufenthalt in den digitalen Medien kennen und nachvollziehen können. Aus soziologischer Perspektive sind die Sozialen Medien als spezielles Milieu zu verstehen, wie im gleichnamigen Unterkapitel bewiesen wird. Sind die Medien, allen voran die Sozialen Medien, als Modell von Wirklichkeit zu verstehen? Ja, und genau deshalb inszenieren sich die Kinder und Jugendlichen im Internet. Sie können das sein, was sie sein wollen und erleben Erfolgserlebnisse, die im Schulunterricht ausbleiben. Die Digitalkunde möchte das attraktive Potenzial der digitalen Medien nutzen, damit die Schülerinnen und Schüler Spaß und Freude am Lernen haben. <?page no="10"?> 10 Einleitung und Hinweise zum Buch Digitalisierung, E-Learning und Kulturkritik ist das Thema des zweiten Kapitels. Digitalisierung ist ein öffentlichkeitswirksamer Begriff, der Innovation und Fortschritt suggeriert. Die meisten Parteien nutzen die Digitalisierung mittlerweile programmpolitisch, weshalb die Verwendung im Diskurs besonders interessant ist. Kritik an der Digitalisierung keimt auf, weil den meisten Menschen nicht bewusst ist, welche Konsequenzen die Online-Kommunikation haben kann. Vor allem Teenager, die im Internet jugendsprachlich miteinander kommunizieren, werden teils kritisch beäugt. Die digitalen Geräte und Medien polarisieren, doch es gibt Hoffnung: E-Learning ist ein modernes Lehr- und Lernkonzept, das eine Vorbildfunktion für den Digitalkundeunterricht hat. Unterhaltsame Lernspiele runden das Konzept ab. Dennoch sollte darauf geachtet werden, dass sich modellhaftes E-Learning und praktische Erfahrungen miteinander ergänzen. Genau diese Praxistauglichkeit ist ein Grundprinzip des Schulfachs Digitalkunde. Medienerziehung und Werte sind wichtige Bestandteile des Digitalkundeunterrichts und Thema des dritten Kapitels. Im klassischen Schulunterricht wird die Vermittlung von Demokratie vernachlässigt. Das belegen aktuelle Studien. Digitales Lernen und demokratisches Erleben sind eng miteinander verknüpft, was den Digitalkundeunterricht so wertvoll macht. In den Sozialen Medien treffen viele Meinungen aufeinander. Verschiedene Ansichten, Respekt und Pluralismus sind wichtige Merkmale einer Demokratie. Digitalkunde als Schulfach nutzt die Chancen der Digitalisierung, um die Schülerinnen und Schüler zu demokratischen Wesen heranzubilden. Welche Arten von Medienerziehung sind für den schulpraktischen Unterricht besonders geeignet? Hier gibt es verschiedene Ansätze wie die behütend-pflegende Medienerziehung oder die handlungs- und interaktionsorientierte Medienerziehung, die unter digitalkundlichen Aspekten neu überdacht werden. Aus den medienpädagogischen Vorüberlegungen erschließt sich Digitalkunde als Vier-Säulen-Modell, das im vierten Kapitel ausführlich erläutert und schulpraktisch exemplifiziert wird. So ergeben sich die Modulbereiche A, B, C und D. Die medienpädagogische Säule (A) bildet in gewisser Weise das Grundgerüst. Es folgt die fachspezifische Säule (B), die sich an den klassischen Schulfächern wie beispielsweise Deutsch, Geschichte und Sozialkunde orientiert. Modulbereich C bildet die lehrplanorientierte Säule. In diesem Unterkapitel werden sieben bildungspolitische Postulate formuliert (Stärkung der Informatik und die Anerkennung der Smartphones als Arbeitsgeräte etc.). Schließlich folgt die anwendungsinnovative Säule (D), in der unter anderem Kooperationen mit der freien Wirtschaft vorgeschlagen werden. Das Vier-Säulen-Modell ist das Kernstück des neuen Schulfachs Digitalkunde. <?page no="11"?> Einleitung und Hinweise zum Buch 11 Das fünfte Kapitel erläutert Digitalkunde als schulpädagogische Idee. In diesem Kapitel wird diskutiert, ob und unter welchen Bedingungen das Schulfach Digitalkunde bereits in der Grundschule eingeführt werden sollte. Was spricht dagegen? Was spricht dafür? Das alles wird in diesem Buch geklärt. Ebenfalls wird der Digitalkundeunterricht an Förderschulen berücksichtigt. Die Umsetzung des neuen Schulfachs verlangt eine Modularisierung der Unterrichtseinheiten. Es entsteht ein innovatives Unterrichtsmodell mit wählbaren Schwerpunkten. Dieses Modell gewährleistet eine gewisse Stringenz und gibt den teilnehmenden Schulen dennoch fachspezifische Freiheiten. Nach der Planung des Schulfachs Digitalkunde steht die Pilotphase vor der Tür. Im sechsten Kapitel wird das Vier-Phasen-Modell vorgestellt, das sich über die Konzeptionsphase, Erprobungsphase, Evaluationsphase und Praxisphase erstreckt. Die Pilotphase erstreckt sich über einen Zeitraum von 24 Monaten, beinhaltet landesweite Netzwerktreffen und dient der schulpraktischen Optimierung. Letztlich schließt das Buch mit dem Fazit, das außerdem einen Ausblick auf die zukünftigen Entwicklungen gewährt. Abgerundet wird das Werk durch ein hochwertiges Literaturverzeichnis, das neben Buchquellen auch ein Verzeichnis mit Endnoten umfasst. Das Buch Digitalkunde als Schulfach versteht sich als fachkundige und gut recherchierte Diskussionsgrundlage, als verständlicher Ratgeber, wissenschaftlicher Wegweiser - und auch als Provokationsmagnet. <?page no="13"?> Inhalt Vorwort ..........................................................................................................................5 Geleitwort......................................................................................................................7 Einleitung und Hinweise zum Buch ....................................................................9 Teil I: Interdisziplinärer Teil.............................................................................17 1 Neue Medien und die digitale Pubertät .........................................17 1.1 Soziale Medien: „Bin ich da schon drin? “ ...................................................18 1.2 Medienwelten von Kindern und Jugendlichen ...........................................28 1.3 Die Sozialen Medien als Milieu .....................................................................39 1.4 Medien als Modell von Wirklichkeit ............................................................50 1.5 Kapitelschließende Diskussionsfragen für den Unterricht und Workshops.......................................................................................................55 Teil II: Integrativer Teil .....................................................................................57 2 Digitalisierung, E-Learning und Kulturkritik ............................... 57 2.1 Einführende Aufgabe .....................................................................................57 2.2 Digitalisierung im öffentlichen Diskurs.......................................................59 2.3 Online-Kommunikation mit Konsequenzen ..............................................64 2.4 E-Learning und Videospiele..........................................................................68 2.5 Lösungskommentar zur einführenden Aufgabe .........................................72 2.6 Kapitelschließende Diskussionsfragen für den Unterricht und Workshops .......................................................................................................76 3 Medienerziehung und Werte .......................................................... 79 3.1 Einführende Aufgabe.....................................................................................79 3.2 Digitales Lernen und demokratisches Erleben ...........................................81 3.3 Digitalkunde im Lichte einer neuen und bewährten Medienerziehung...88 3.3.1 Behütend-pflegende Medienerziehung ........................................................89 3.3.2 Ästhetisch-kulturorientierte Medienerziehung ...........................................91 3.3.3 Funktional-systemorientierte Medienerziehung .........................................92 3.3.4 Kritisch-materialistische Medienerziehung..................................................93 <?page no="14"?> 14 Inhalt 3.3.5 Handlungs- und interaktionsorientierte Medienerziehung .......................94 3.4 Lösungskommentar zur einführenden Aufgabe .........................................96 3.5 Kapitelschließende Diskussionsfragen für den Unterricht und Workshops ................................................................................................................98 Teil III: Schulpraktischer Teil.......................................................................... 99 4 Digitalkunde als Vier-Säulen-Modell .............................................99 4.1 Modulbereich A: Medienpädagogische Säule ...........................................101 4.1.1 Pädagogik: Medienerziehung und Medienbildung ...................................102 4.1.2 Didaktik: Inhaltliche Planung des Unterrichts..........................................115 4.1.3 Methodik und Medienkompetenz ..............................................................117 4.2 Modulbereich B: Fachspezifische Säule .....................................................119 4.2.1 Deutsch ..........................................................................................................119 4.2.2 Fremdsprachen..............................................................................................123 4.2.3 Geschichte .....................................................................................................126 4.2.4 Sozialkunde....................................................................................................129 4.2.5 Kunst und Musik ..........................................................................................132 4.2.6 Beispiele für weitere Fächer.........................................................................135 4.3 Modulbereich C: Lehrplanorientierte Säule ..............................................138 4.3.1 Herausstellung des Smartphones als Arbeitsgerät....................................138 4.3.2 Arbeiten mit Tablets.....................................................................................139 4.3.3 Digitale Präsentationstechniken..................................................................140 4.3.4 Stärkung der Informatik ..............................................................................141 4.3.5 Keine Hausaufgaben ....................................................................................141 4.3.6 App-Stunde und digitale Medienbetreuung ..............................................142 4.3.7 Gezielte und regelmäßige Fortbildungen für Lehrkräfte ........................143 4.4 Modulbereich D: Anwendungsinnovative Säule.......................................144 4.4.1 Programmier- und Medien-Camps.............................................................144 4.4.2 Schulübergreifende Großprojekte ..............................................................145 4.4.3 Kooperationen mit der Wirtschaft .............................................................146 5 Digitalkunde als schulpädagogische Idee.................................... 149 5.1 Schularten und Jahrgangsstufen..................................................................149 5.1.1 Digitalkunde in der Grundschule ...............................................................150 <?page no="15"?> Inhalt 15 5.1.2 Förderschulen............................................................................................... 156 5.2 Digitalkunde mit wählbaren Schwerpunkten ........................................... 156 5.3 Digitalkunde als modularisiertes Unterrichtsmodell ............................... 157 6 Das Vier-Phasen-Modell ............................................................... 161 6.1 Konzeptionsphase ....................................................................................... 161 6.2 Erprobungsphase......................................................................................... 162 6.3 Evaluationsphase ......................................................................................... 164 6.4 Praxisphase ................................................................................................... 164 7 Fazit und Ausblick......................................................................... 167 Literaturverzeichnis .................................................................................................. 169 Index ........................................................................................................................ 175 Endnoten ................................................................................................................... 177 <?page no="17"?> Teil-I: -Interdisziplinärer-Teil-- 1 Neue Medien und die digitale Pubertät So digital ist Deutschland wirklich. Das ist keine reißerische Überschrift der Klatschpresse, sondern der Name einer Studie, die im Herbst 2018 veröffentlicht wurde. Sie trägt den Untertitel Das denken die Deutschen über die Digitalisierung und wurde vom kalifornischen Netzwerkspezialisten Cisco in Auftrag gegeben. 5.000 Personen nahmen an der repräsentativen civey-Umfrage teil. 1 Das Ergebnis: 23,5 Prozent der Befragten verbinden Digitalisierung am ehesten mit dem Gefühl der Neugier. 22,8 Prozent der Befragten assoziieren sie dagegen mit „Genervtheit/ Überdruss“ (vgl. „Passauer Neue Presse Online“ 2018). Viel überraschender jedoch ist: „Den größten Nachholbedarf bei der Digitalisierung sehen die Menschen in Deutschland im Bildungssektor (43,6 Prozent)“ („Westdeutsche Zeitung Online“ 2018). Was sich hinter dem Wort Digitalisierung verbirgt, ist gar nicht so ersichtlich. Geht es darum, die Schulen mechanistisch mit Laptops und Tablets auszustatten? Oder ist es das Ziel, den Kindern den richtigen Umgang mit den digitalen Medien beizubringen? Wer sich im Baumarkt um die Ecke mit teurem Werkzeug eindeckt, ist schließlich noch lange kein richtiger Handwerker (auch wenn uns die Fernsehwerbung das weismachen möchte). Genauso ist es mit den digitalen Medien. Der Umgang mit ihnen will gelernt sein. Das Lebensumfeld der Kinder und Jugendlichen verändert sich beinahe täglich. Neue Räume kommen hinzu: digitale Räume. Sie sind spannend, unterhaltsam - und oftmals gefährlich. Die Kids brauchen pädagogische Führung, um die Digitalisierung nicht nur technisch, sondern vor allem selbstachtsam und medienkompetent zu meistern. Was in den digitalen Medien los ist und welche Fallstricke sich dort befinden, wissen die meisten Eltern gar nicht. Einige Kids toben sich in den digitalen Welten regelrecht aus - auch um sich aus der (wohl gut gemeinten) Obhut der überfürsorglichen Helikopter-Eltern zu befreien. Die Mütter und Väter fürchten die digitalen Fettnäpfchen, in die ihre Kinder treten könnten. Doch die digitale Selbstinszenierung der Kinder und Jugendlichen macht durchaus Sinn. Es ist die Chance für die Kids, sich in den digitalen Medien so zu zeigen, wie sie gesehen werden wollen. Aus elterlicher und medienpädagogischer Sicht ist es einerseits wichtig, die digitalen Bedürfnisse des Nachwuchses zu respektieren. Andererseits ist es unabdinglich, die Kinder und Jugendlichen medienpädagogisch und mediendidaktisch anzuleiten und auszubilden. Hier steht das Bildungssystem vor großen Herausforderungen. <?page no="18"?> 18 1 Neue Medien und die digitale Pubertät In diesem ersten Großkapitel geht es um die Faszination der Sozialen Medien. Es entsteht eine digitale Lebenswirklichkeit und so etwas wie eine digitale Subkultur. Sind die Sozialen Medien vielleicht sogar als Milieu zu betrachten? Schließlich geht es in diesen Netzwerken vorrangig um Selbstdarstellung und Unterhaltung. So oder so: Die Medien fungieren als Modell von Wirklichkeit - und gerade das macht für die Kinder und Jugendlichen den Reiz aus. Die digitalen Welten sind ein gigantischer Sandkasten. Wer mitreden will, muss drin sein. Und nur wer drin ist, kann auch mitreden. 1.1 Soziale Medien: „Bin ich da schon drin? “ Es ist das Jahr 1999. Ein Mann mit roten Haaren sitzt mit großen Augen vor einem altbackenen Computer. „Ich verstehe absolut null von Technik“, sagt der Mann und wirkt dabei völlig unbeholfen. „Wir müssen endlich ins Internet“, habe sogar schon seine Frau gesagt. Plötzlich klickt der Rothaarige wild auf einer riesigen Computermaus herum, stiert ungläubig auf den Monitor und wundert sich: „Bin ich da schon drin, oder was? “ Ein Grinsen verrät: Es hat geklappt. „Das ist ja einfach“, resümiert der Mann, der tatsächlich das erste Mal im Internet ist. Der Mann ist nicht irgendwer, sondern Boris Becker: Tennis-Ikone, später Pokerspieler und jetzt ein Mann, der mit seinem Privatleben Schlagzeilen macht. Boris Becker ist Kult - genauso wie der damalige Fernsehspot des US-amerikanischen Medienkonzerns AOL. 2 Die Zeit vergeht rasend, und das Internet wird immer schneller. Wer 1999 geboren wurde, ist jetzt schon lange volljährig, hat vielleicht schon seine Ausbildung abgeschlossen, ist möglicherweise im Endspurt seines Studiums - bekommt bald vielleicht sogar ein Baby. Die wahren Internet-Experten sind allerdings nicht diejenigen, die jetzt volljährig sind, und es sind auch nicht diejenigen, die damals gemeinsam mit Boris Becker das erste Mal erlebten. Die wahren Internet-Experten, das sind die Teenager und Kids von heute. Sie werden gerne - vielleicht etwas zu verächtlich - Smombies genannt. Smombie ist eine Wortkreuzung aus Smartphone und Zombie und bezeichnet Jugendliche, die nur noch auf das Display ihres Handys starren und die Umwelt um sich herum gar nicht mehr wahrnehmen. Dieser Trend hat mittlerweile auch die Erwachsenenwelt erreicht. Viele Eltern setzen ihr Kind in den Sandkasten, vor den Fernseher - oder noch besser - drücken dem Sprössling selbst ein Smartphone in die Hand. Immer in der Hoffnung, dass das eigene Kind endlich mal eine Weile still hält. Schließlich nimmt es viel Zeit in Anspruch, über 1.000 Facebook-Freundschaften zu pflegen, Sprachnachrichten via WhatsApp zu verschicken und die mobilen Games auf bizarre Belohnungen zu überprüfen. Rund 30 Millionen Deutsche spielen zumindest gelegentlich Videospiele. 74 Prozent der Gamer nutzen <?page no="19"?> 1.1 Soziale Medien: „Bin ich da schon drin? “ 19 hierfür das Smartphone (vgl. „Welt Online“ 2017). Der Markt boomt, und wer programmieren kann, bekommt vielleicht sogar ein Stück vom lukrativen Cyber- Kuchen ab. 1999 war ein Boris Becker noch so etwas wie der Kolumbus der Internet- Kommunikation. Hauptsache irgendwie drin. Das reicht heute wahrlich nicht mehr für die Erforschung virtueller Welten. Und auch nicht, um sich soziale Anerkennung zu verdienen. Wer eine langsame Internet-Leitung nutzt und soziale Dienste wie WhatsApp und Facebook ganz bewusst boykottiert, gilt beinahe schon als Ketzer - oder hat vielleicht sogar ein paar Leichen im sprichwörtlichen Keller versteckt. Schließlich sind die Sozialen Medien eine beliebte Anlaufstelle, um einen Menschen einschätzen zu können. Wir wollen unsere Informationen schnell und transparent. Im Personalwesen ist die virtuelle Überprüfung von Bewerbern schon lange Usus. Lassen sich vielleicht Fotos finden, auf denen der neue Azubi trinkt? Selbst wenn ein solches Foto einige Jahre alt ist, hat das vermutlich einen faden Beigeschmack, nicht selten auch ein Nachspiel. Wieder einmal gilt die Faustregel: Das Internet vergisst nicht. Immerhin: Business-Plattformen wie XING und LinkedIn geben den ehrgeizigen Usern die Möglichkeit, die professionelle Schokoladenseite zu zeigen. In diesen Netzwerken geistern Headhunter wie unsichtbare Schatten durch die Profile, um neue berufliche Talente ausfindig zu machen und von konkurrierenden Unternehmen abzuwerben. Ein Potpourri schillernder Zertifikate, ein großes Netzwerk und charismatische Profilfotos sind oft der Schlüssel zum Erfolg - auch wenn in Wirklichkeit oftmals weit weniger dahintersteckt. Die Medienwelt ist eine Scheinwelt, was anscheinend nicht immer zum Nachteil eines Bewerbers ist. Die fortschreitende Digitalisierung hat auch die Partnersuche grundlegend verändert. Geschichten über ein witziges Kennenlernen an der Supermarktkasse sind ein Relikt längst vergangener Zeiten, werden von Jugendlichen vielleicht sogar als aberwitziges, vielleicht gar steinzeitliches Gerede abgetan. Die Kids von heute lernen sich nämlich über trendige und hochmoderne Flirt-Apps kennen, und den hübschen Mädels wird online täglich mehrfach der Hof gemacht - wenn man das Verschicken von obszönen Anmachsprüchen und Bilder männlicher Geschlechtsteile überhaupt so nennen sollte. Je fortgeschrittener das Alter und je seriöser der Beruf ist, desto hochwertiger werden auch die in Anspruch genommenen Singlebörsen. Die Zahnärztin vom Lande nutzt wohl eher „Elite- Partner“. Um auf diesem Portal einen Mann auf Augenhöhe kennenzulernen, muss sie allerdings viel Geduld beweisen und tief in die Tasche greifen, denn der Service kostet mehrere hundert Euro im Jahr. Obszönitäten, betrügerische Internet-Profile und kriminelle Absichten können den Spaß im Internet allerdings schnell verderben. Schützenswert sind alle, aber besonders unsere Kinder und Teenager, die online auch dort unterwegs sind, wo einige Eltern sie ganz bestimmt nicht vermuten. <?page no="20"?> 20 1 Neue Medien und die digitale Pubertät Jemand sein oder nicht sein Die Sozialen Medien können ein Segen mit schier unbegrenzten Möglichkeiten sein. Den Traumjob ergattern, sich das Programmieren anhand einer Video- Anleitung selbst beibringen oder mit inspirativen Menschen weltweit in Kontakt treten: Nichts scheint unmöglich. Viele Jugendliche inszenieren sich allerdings in den Sozialen Medien und gaukeln sich selbst und anderen ein schillerndes Leben vor, das sie so gar nicht führen. Ungefährlich ist das nicht, denn „wie Ikarus der Sonne zu nah kam und ins Meer stürzte, verbrennen sich viele [...] User ihre virtuellen Flügel“ (Weinert 2016, S. 3). Sie driften in eine Scheinwelt ab und verbringen immer mehr Zeit in der inszenierten Virtualität, die sukzessive zum Zentrum der täglichen Selbstbestätigung wird. Schicke Autos, heiße Posen vor dem Spiegel und schöne Menschen um einen herum: Damit macht man im Internet Eindruck. Das ist wahrlich kein Phänomen, das die Jugend erfunden hat. Influencer wie Rapper Kay One, bürgerlich Kenneth Glöckler, machen es tagtäglich vor - und zeigen auf Plattformen wie Instagram, dass sie „Style und das Geld“ haben, wie ein prolliger Song des genannten Rappers passenderweise heißt. 3 Auch Bastian Yotta, bürgerlich Bastian Gillmeier, stilisiert in den Sozialen Medien seinen glamourösen Lifestyle. Yotta hat fast eine Million Fans auf Instagram, zeigt sich mit Sixpack im Fitnessstudio und küsst auch mal den knackigen Po einer Frau. Selbstverständlich lässt er sich bei dieser Lippenakrobatik fotografieren. 4 Knapp 30.000 Menschen, darunter sehr viele Teenies, honorieren das freizügige Foto mit einem virtuellen Herzchen. Wer augenblickliche Bestätigung in Echtzeit möchte, muss einfach nur die richtigen Bildmotive ins Internet hochladen. Es gibt bereits unzählige Internet-Seiten, die zeigen, wie man angeblich über Nacht zum Internet-Star wird. Viele Jugendliche wünschen sich das - und glauben daran. Wissen | Influencer Influencer sind Internet-Stars, die in den Sozialen Medien eine besonders große Anhängerschaft haben. Fußballstars wie Mario Götze und Musiker wie Mark Forster nutzen die Sozialen Medien, um ihre Fan-Gemeinde mit Fotos und exklusiven News zu versorgen. Natürlich gibt es auch Menschen, die erst durch die Sozialen Medien bekannt werden, beispielsweise die Zwillingsbrüder Heiko und Roman Lochmann, die sich im Internet „Die Lochis“ nennen. Die beiden Brüder starteten 2011 einen YouTube- Kanal und sind heute erfolgreiche Comedy- und Musikstars. Doch es geht auch eine Stufe kleiner: Attraktive Fitnesssportler und modebewusste Leute können in den Sozialen Medien wie Facebook und Instagram zu Influencern aufsteigen. Ab einem gewissen Bekanntheitsgrad winken lukrati- <?page no="21"?> 1.1 Soziale Medien: „Bin ich da schon drin? “ 21 ve Werbedeals. Unternehmen kooperieren mit Influencern, um Produkte und Dienstleistungen möglichst unauffällig in den Sozialen Medien zu platzieren. Dieses Vorgehen nennt sich Influencer-Marketing und ist für viele Jugendliche die Motivation, viel Zeit im Internet zu verbringen. Nicht nur das medieninteraktive Entertainment mit seiner gefühlsbetonten Erlebnisorientierung (Komplimente, Likes, Emojis etc.) kann süchtig machen, sondern auch die soziale und vor allem regelmäßige Kontaktpflege der Online- Freunde. Auf Facebook sind wir natürlich mit unseren besten Freunden vernetzt, doch nach und nach schleichen sich Kontakte ein, die uns persönlich völlig unbekannt sind. Je mehr Freunde sich in der Kontaktliste befinden, desto höher ist der Beliebtheitsgrad, glauben viele, allen voran die Kids von heute, die das Smartphone wie einen Revolver tragen - immer bereit für ein Duell um die größere Beliebtheit. Es geht in den Sozialen Medien oftmals darum, wichtig zu sein - wichtiger zu sein als alle anderen. Vor allem im Online-Gaming ist das der Fall. Spieler aus Hamburg, München, Zürich, Salzburg und Berlin schließen sich zusammen, um in Rollenspielen gemeinsam gefährliche Cyber-Dämonen und andere wundersame Kreaturen zu jagen. Im Team geht schließlich alles einfacher - und am Ende winkt vielleicht sogar ein sagenumwobenes Schwert als Spiel-Belohnung. Um langfristig Erfolg zu haben, gründen die Spieler Klans und Gilden, die teilweise eine Größe von 1.000 Mitgliedern überschreiten. In der Regel kennen sich die Mitglieder nicht persönlich - und dennoch stehen sie in der Pflicht, regelmäßig an virtuellen Wettkämpfen und Abenteuern teilzunehmen. Aktive Mitglieder schaffen es in den internen Gildenrat und erleben eine Form der Anerkennung, die im Alltag nicht selbstverständlich ist. Das tägliche Einloggen ins Spiel wird zum Ritual. Es macht den Computerspielern Spaß, virtuell Kräuter zu sammeln und Tiere zu häuten. Das sind Tätigkeiten, die im echten Leben äußerst anstrengend sein dürften - die in der Spielwelt jedoch den Alltagsstress vergessen lassen. Wer die besten und schönsten virtuellen Güter - auch Items genannt - erspielt und in den Internet-Ranglisten ganz oben steht, macht sich schnell einen Namen, ist gefragt und wird verehrt. Egal ob Soziale Medien, Computerspiele oder das Gefühl, viele Tausend Online-Freunde zu haben: Im Internet bekommen Kinder und Jugendliche nahezu in Echtzeit eine besondere Form der Selbstbestätigung, die im sozialen Familienleben und leistungsorientierten Schulunterricht meist ausbleibt. Das Spiel mit den Identitäten Wenn Kinder mit Barbiepuppen, Playmobilfiguren und Lego spielen, verstellen sie gerne ihre Stimmen, um in die selbst erbaute Welt so richtig einzutauchen. <?page no="22"?> 22 1 Neue Medien und die digitale Pubertät Noch spaßiger ist das, wenn Geschwister oder Freunde mit von der Partie sind. Das Kinderzimmer wird zu einer Westernstadt oder einem Ponyhof, auf dem Barbie und Ken verliebt ein paar Urlaubstage genießen. Zwischendurch schauen die Eltern immer wieder mal ins Kinderzimmer. Sie bringen einen Saft, frisch geschnittenes Obst und, mit ein bisschen Glück, sogar Süßigkeiten als kleine Stärkung ins Zimmer. Die wunderbare Kreativität der Kinder möchte ja schließlich belohnt werden. Ein solches Szenario beschreibt für viele Mütter und Väter eine heile Welt, in der die Kinder fantasiereiche Handlungen entwickeln und ohne den Einsatz von Medien Spaß haben. Beim echten Spielen mit Playmobil im Kinderzimmer gibt es keine Ranglisten und keinen globalen Wettkampf. Die Kinder sind sich selbst genug - ein Bedürfnis, das ein Gros der Erwachsenenwelt in der heutigen Zeit mehr und mehr vernachlässigt. Zu sehr steht im Vordergrund, in der Gesellschaft zu funktionieren. Ein Gefühl, das Erwachsenen nicht guttut - und Kindern und Teenagern schon gar nicht. Identitäten entstehen im Internet automatisch und meist beiläufig. Wenn wir einen Instagram-Account erstellen möchten, müssen wir uns ein Pseudonym einfallen lassen. Der coole Teenager von nebenan nennt sich dann natürlich nicht Aldiboy17, sondern vielmehr FerrariDeluxe17. Selbstverständlich ist durchaus ein bescheidenes Pseudonym gestattet, doch in den Sozialen Medien geht es nun einmal um die große Show. Porträtfotos, auch Selfies genannt, werden nicht direkt online gestellt, sondern erst einmal durch mehrere Filter gejagt. Auf diese Weise werden die Bilder verschönert, ohne dass technisches Grundwissen nötig ist. Ein beliebtes Handyprogramm ist Facetune - quasi ein Tuning für das Gesicht. Der Weichzeichner sorgt für eine pickelfreie Haut, die Augen und Zähne werden aufgehellt und der Fleck auf der Bluse einfach weggezaubert - ganz ohne das Waschpulver von Ariel. Fertig ist das perfekte Profilbild, das fehlerfrei ist, aber nicht mehr authentisch. Die Kids zeigen sich im Internet so, wie sie gesehen werden möchten. Nicht nur Pseudonyme schaffen eine neue Identität, sondern auch retuschierte Profilbilder. Bilder sind generell ein ganz wichtiges Kommunikationsmittel in den Sozialen Medien - allen voran Emojis. Wissen | Emojis Emojis - auch Emoticons oder Smileys - sind kleine Comic-Gesichter, die Emotionen, Absichten und indirekte Sprechakte verdeutlichen sollen. Die grafischen Emojis haben mittlerweile die rudimentären Tastenkombinationen wie : -) und ; -) abgelöst. Emojis sind nonverbale Zeichen und ersetzen im Schriftverkehr die Gestik, die Mimik und den Blickkontakt (vgl. Busch/ Stenschke 2008, S. 32). Emojis gaukeln also eine Face-to-Face- Kommunikation vor. Sie geben Anhaltspunkte über den Gesprächsinhalt und die Stimmung, können allerdings auch Missverständnisse auslösen. <?page no="23"?> 1.1 Soziale Medien: „Bin ich da schon drin? “ 23 Emojis schaffen Identität. Wir nutzen die bunten und lustigen Grafiken im Netz gerne. Wir wollen zeigen, dass wir Spaß haben und aufeinander stehen. Auch wenn wir wütend oder sauer sind, finden wir das passende Emoji. Es ist aber auch so, dass vor allem die Kids ihre favorisierten Emojis verwenden, diese quasi herunterspulen, ohne diese Emotion wirklich zu spüren. Wie in der mündlichen Sprache hat jedes Individuum seine eigene Sprechweise, verwendet also manche Wörter und Phrasen besonders oft und gerne. Dieses Phänomen nennt sich Idiolekt (vgl. Metzler Lexikon Sprache 2000, S. 285). In gewisser Weise gibt es folglich auch einen Emojilekt, die individuelle Verwendung und Auslegung der Emojis. Viele Kids hängen an jeden Chat einen Tränen lachenden Smiley, imitieren also einen heftigen Lachanfall, während sie in Wahrheit stoisch vor dem Smartphone sitzen. Der 16-jährige Teenager schickt seiner Klassenkameradin einen virtuellen Kuss, bedient aber parallel auch noch paar andere Mädchen auf gleiche Weise. Wer überhaupt keine Emojis verwendet, gilt als emotionslos oder altbacken. Oma und Opa dürfen mit den Enkelkindern zwar ohne Emojis chatten, unter Jugendlichen ist das aber ein No-Go. Nicht nur die grafischen und oftmals schrillen Emojis schaffen Identität, sondern auch die medienspezifische Sprache. In den Sozialen Medien - das gilt auch für den Messenger WhatsApp - ist die Kommunikation konzeptionell mündlich. Das bedeutet: Wir schreiben mit anderen so, als würden wir uns von Angesicht zu Angesicht unterhalten, drücken uns umgangssprachlich aus und gerne auch im jeweiligen Dialekt. Die Jugendsprache als Soziolekt gilt in der Linguistik schon lange als belegt. Überblick | Vokabeln der Jugendsprache  Hartz-IV-TV = Nachmittagsprogramm auf RTL und RTL II  Ragemodus = Wutausbruch  dissen (Verb) = sich streiten  Wichsgurke = Penis  guttenbergen (Verb) = abschreiben  aufbitchen (Verb) = sich im Badezimmer hübsch machen  Diggah = guter Freund, Kumpel  den Adolf machen = den Anführer spielen Die Jugendsprache ist frech, kreativ und nicht immer politisch korrekt (vgl. 100% Jugendsprache 2014). Sie ist jedoch mehr als nur pubertäres Gehabe. Wer die Jugendsprache beherrscht, wird innerhalb der sozialen Gruppe respektiert, gilt nicht nur als cool, sondern sogar als verbal beschlagen. „In der Soziolinguis- <?page no="24"?> 24 1 Neue Medien und die digitale Pubertät tik wird zwischen Ingroup und Outgroup differenziert“ (Weinert 2018c, S. 82). Jugendliche bilden die Ingroup und verwenden ganz bewusst jugendsprachliche Merkmale, um ihren sozialen Status zu festigen (vgl. Weinert 2013, S. 237) - und um sich von Erwachsenen wie Lehrern und Eltern sprachlich abzugrenzen. „Soziolektale Merkmale enthalten dann immer ein soziales Werturteil oder ein Prestigebzw. Stigma-Element [...]“ (Löffler 2010, S. 114). Zurück zu den Sozialen Medien: Die Mechanismen und hippen Funktionsweisen der Netzwerke sind geradezu auf Jugendliche zugeschnitten, die natürlich Spaß dran haben, mit ihren bunten Emojis und jugendsprachlichen Wortkreationen zu kokettieren. Die Sozialen Medien sind eine riesige Spielwiese, eine Playmobil-Stadt, manchmal auch eine oberflächliche Barbie-Welt, in der aber leider nicht so viel heil ist wie im behüteten Kinderzimmer. Die Kinder und Jugendlichen spielen mit ihren Identitäten, wollen anderen Online-Freunden gefallen, passen sich an und setzen neue Trends. Facebook, Instagram, Twitter, Snapchat und WhatsApp - in jedem Netzwerk gelten andere Gepflogenheiten, erblühen neue Spielwiesen und lauern nicht immer einschätzbare Gefahren. Die mobile Sucht Täglich über hundertmal schauen wir auf unser Smartphone, belegen mittlerweile mehrere Studien. Ohne Smartphone „fühlen wir uns manchmal nackt und hilflos“, schreibt der Rundfunk Berlin-Brandenburg. 5 Viele von uns verfallen direkt in Panik, wenn sie im Wald vom Weg abkommen und sich verirrt glauben. Ohne Smartphone sind wir in solchen Situationen aufgeschmissen - denken wir, bis uns dämmert, dass wir vor 20 Jahren doch immer wieder nachhause gefunden haben. Was früher das Schweizer Taschenmesser war, ist heute das Smartphone als mediale Allzweckwaffe. Kompass, Taschenlampe und Landkarte sind als Handy-Apps immer dabei, auch wenn das die Gadgets sind, für die sich die Kids am wenigsten interessieren. Im Alltag wird das Smartphone wie eine Waffe getragen. Immer schussbereit für das eine Foto, das am meisten Ruhm und Ehre beschert. Schüchterne Menschen inszenieren sich farbenfroh und gewinnen neue Freunde. Sie erleben durch soziale Bestätigung Konstanz und Kontinuität. Das sind Werte, die in der schnelllebigen und erfolgsorientierten Zeit eine wertvolles Gut sind. Es ist ein Prozess der Konditionierung, denn was sich schön anfühlt, soll beibehalten und perfektioniert werden. Der Junge zieht sich noch cooler an, und das Mädchen dekoriert ihr Essen mit leckeren Beeren und einer Flasche Champagner - um das Foto dann mit dem Hashtag #foodporn ins Internet zu stellen. <?page no="25"?> 1.1 Soziale Medien: „Bin ich da schon drin? “ 25 Wissen | Hashtag Hashtags sind Schlagworte in den Sozialen Medien, die in Kombination mit einer Raute gesetzt werden. Beispielhaft sind die Hashtags #smile und #picoftheday auf Instagram. Hashtags sind kein explizites Phänomen der Jugendkultur, sondern auch ein beliebtes Instrument in der digitalen Markenkommunikation. Unternehmen setzen Trends, indem sie kreative Hashtags etablieren. Hashtags dienen der inhaltlichen Verlinkung und gliedern digitale Botschaften thematisch. In manchen Fällen haben Hashtags eine Appellfunktion. Mit #follow4follow buhlen vor allem Teenager um neue Follower in den Sozialen Medien. Hashtags fungieren zudem als Stilmittel der Selbstdarstellung. Schnappschüsse und Textbotschaften werden mit besonders coolen Hashtags versehen, um der Welt zu zeigen: Mir geht es #instagood. Aneinandergereihte Hashtags sind wie ein Cyberlekt, der in Form von kryptischen Schlagworten eine Geschichte erzählt. Im Internet finden die Kids Listen mit besonders angesagten Hashtags. Die Konsequenz: Bilder und Textbotschaften werden auf Instagram und Twitter mit genau diesen Hashtags versehen, um mehr Aufmerksamkeit zu generieren. Die Kids fühlen sich plötzlich wichtig und möchten dieses Gefühl Tag für Tag steigern. Doch in vielen Fällen entpuppen sich die Sozialen Medien als Luftschloss. Es tritt eine kognitive Dissonanz auf, da die eigenen sozialen Erwartungen in der Anonymität des Internets doch nicht erfüllt werden. Das kann durchaus negative Auswirkungen auf die kindliche Psyche haben. Accounts mit vielen virtuellen Fans und Online-Freunden sind in der Jugendkultur das Statussymbol schlechthin. Das Streben nach Bestätigung und Status entwickelt sich im schlimmsten Fall zu einem übersteigerten Verlangen und in gewisser Weise zu einer Manie. Das liegt natürlich auch an den technischen Gegebenheiten der Sozialen Medien, ebenso am Online-Verhalten der User im Allgemeinen. Den Facebook-, Twitter- und Instagram-Account nur einmal in der Woche zu pflegen, reicht einfach nicht. Inaktive Accounts sind uninteressant, verlieren an Reichweite und somit auch an Relevanz. Internet-Sucht gilt als „die neue Abhängigkeit“, heißt es auf der Internet-Seite der DAK-Gesundheit. 6 Die Krankenkasse nennt einige wichtige Merkmale und Symptome, die auf einen pathologischen Internet-Gebrauch hinweisen können (vgl. DAK-Gesundheit 2018): <?page no="26"?> 26 1 Neue Medien und die digitale Pubertät DAK-Gesundheit: Symptome der Internet-Sucht  starkes Bedürfnis und innerer Zwang  Kontrollverlust  stetige Steigerung der Internet-Aktivität  Vernachlässigung anderer Offline-Hobbys  Verdrängung der Folgen  Konflikte mit Angehörigen aufgrund der Internet-Aktivitäten  Scheitern der Ehe oder Beziehung  Probleme in der Ausbildung, Schule oder im Beruf Erste Symptome für eine Internet-Sucht können sein, dass der Betroffene den starken Wunsch hat oder sogar einen inneren Zwang verspürt, sich mit einer Aktivität im Internet zu beschäftigen. Beispiele für diese Aktivitäten sind Computerspiele, Soziale Medien und Seiten mit sexuellen Inhalten. Der Betroffene verwendet immer mehr Zeit auf seine Aktivitäten im Internet, um weiterhin das Gefühl von Befriedigung und Entspannung aufrechtzuerhalten. Andere Interessen und Kontakte werden vernachlässigt, um möglichst viel Zeit im Internet verbringen zu können. Online- Aktivitäten in der virtuellen Welt sind in dieser Phase wichtiger als Offline-Aktivitäten in der realen Welt. Typische Entzugserscheinungen sind innere Unruhe, Schlafstörungen, Gereiztheit und Aggressivität. Vor zehn bis zwanzig Jahren wurde die Internet-Sucht noch gar nicht als solche ernst genommen. Und außerdem: Damals war der Internet-Zugang an bestimmte Örtlichkeiten gebunden. Es gab zunächst Internet-Cafés in der Stadt, bis irgendwann die Privathaushalte nachzogen. Meist gab es dann einen Familiencomputer, der internetfähig war. Nach und nach setzte sich auch der PC oder Laptop im Kinderzimmer durch. War das Kind frech, zog die Mutter einfach das Internet-Kabel aus der Buchse. Und wer als Kind viel draußen beim Fußballspielen oder auf dem Reiterhof war, interessierte sich sowieso nicht für die virtuelle Welt, die ohne die Sozialen Medien und ganzen Plattformen auch noch nicht wirklich als eigene Welt existierte. Die meisten Videospiele werden heute online gespielt, Facebook und WhatsApp sind als App auf dem Smartphone Pflicht - und die mobile Datennutzung ist im Vergleich zu damals kostengünstig inklusive. Wer internetsüchtig ist, kann nun auch auf dem Bolzplatz, im Urlaub oder sogar während der Autofahrt online gehen und sich den ultimativen Kick holen. Das Suchtverhalten schleicht sich nicht nur in den Alltag ein, es ist gesellschaftlich akzeptiert, weil das Spielen am Handy und minütliche Verschicken <?page no="27"?> 1.1 Soziale Medien: „Bin ich da schon drin? “ 27 von Messages absolut salonfähig ist, die ständige Erreichbarkeit im Beruf, Freundeskreis und Familienleben sogar oftmals erwartet wird. Digitale Entgiftung Die Medialisierung und Digitalisierung des Alltags und Berufslebens ruft besonders bei achtsamen Menschen ein ungutes Gefühl der Übersättigung hervor. Diese Wahrnehmung ist allerdings subjektiv, weil sich viele Menschen an der eigenen (exzessiven) Mediennutzung nicht stören. Die einen beschweren sich über Funklöcher, und die anderen lieben sie. „Berliner fahren, explizit um kein Internet zu haben, fürs Wochenende in die Uckermark [...]“, schreibt „Zeit Online“ am 13. Juni 2018 und führt aus: „Gestresste Großstädter wollen plötzlich alle mal runterkommen, Bäume umarmen oder Marmelade einkochen. Sie glauben, auf dem Land finde man sein Seelenheil.“ 7 Digitales Fasten kommt immer mehr in Mode, hat mit Digital Detox sogar sein eigenes Trendwort, das die digitale Entgiftung cool und sexy und vor allem öffentlichkeitswirksam machen möchte. Das Prinzip der Entgiftung ist nicht neu. Rohkostwochen entschlacken, basische Ernährung entsäuert den Körper. Wer über Weihnachten und Silvester zu viel Alkohol trinkt, macht danach vielleicht freiwillig ein paar Wochen Pause - und dann noch einmal zwischen Fasching und Ostern. Viele Menschen verzichten in dieser Zeit auch auf Zucker oder Fleisch. Die Liste lässt sich beliebig fortführen, beispielsweise mit der digitalen Enthaltsamkeit. Die „Süddeutsche Zeitung“ gibt diesbezüglich Tipps, die mehr Unterhaltungswert als praktischen Nutzen haben. Für die Uhrzeit sollte man dann doch besser wieder „eine Armbanduhr nutzen, im Dunklen eine Taschenlampe, auf der Suche nach einer Adresse eine Landkarte“ („Süddeutsche Zeitung“ 2017). Dann wäre das Smartphone allerdings nicht mehr besonders smart, sondern einfach nur noch ein profanes Handy zum Telefonieren - was den hohen Kaufpreis natürlich ad absurdum führt. Der Mediennutzer möchte alle technischen Raffinessen und Leistungen beanspruchen. Wem laut Vertrag ein monatliches mobiles Datenvolumen von 10 Gigabyte zusteht, möchte dieses auch verprassen. Man hat ja schließlich dafür bezahlt. Digital Detox ist ein Erwachsenenbegriff - ein Begriff, der die digitale Selbstachtsamkeit in ein attraktives Gewand stecken möchte, sie zu einem Trendwort macht, um das Gefühl zu haben, auch ohne Smartphone und Internet en vogue zu sein. Es zeigt aber auch, dass die Erwachsenen, die sich ja meist als viel vernünftiger als Kinder sehen, Richtlinien und Modewörter brauchen, um ihren Alltag zu entdigitalisieren. Die Medien, egal ob digital oder analog, sind per se nicht schlecht, sondern durchaus hilfreich. <?page no="28"?> 28 1 Neue Medien und die digitale Pubertät Zwischenfazit: Mediendidaktik und Medienbildung Kinder und Jugendliche sollten mit den Medien, vor allem mit den digitalen, so aufwachsen, dass langfristig keine Überlastung bzw. Übersättigung stattfindet. Medien haben vor allem in Schule und Unterricht einen hohen Mehrwert, denn sie unterhalten und informieren bei richtiger Anwendung zugleich. Infotainment ist eine ganz wichtige Möglichkeit, Lehrinhalte zu kommunizieren. Doch nicht nur das: Zielführende (digitale) Mediendidaktik ist der Schlüssel zum Lehr- und Lernerfolg. Im schulischen Erwachsenwerden muss den Kindern und Jugendlichen digitale Achtsamkeit und Medienkompetenz beigebracht werden. Phasisches Digital Detox ist nicht das Ziel - denn die digitalen Medien sind bei richtiger Nutzung kein Gift. Die kindliche Medienbiografie entscheidet über den Medienumgang des Individuums im Erwachsenenalter. Die Schule muss in Zukunft also nicht nur die klassische Schulbildung übernehmen, sondern auch die Medienbildung. 1.2 Medienwelten von Kindern und Jugendlichen Wenn wir von Medien sprechen, assoziieren wir mit dem Begriff meistens entweder die gewöhnlichen Massenmedien wie Fernsehen, Radio und Zeitungen oder irgendwelche Geräte, mit denen wir Medien abrufen bzw. konsumieren können. Der Begriff scheint also dehnbar, meint im Kern allerdings Vermittlungsträger von Informationen. Das klingt abstrakt, doch ein Blick in die technische Vergangenheit verschafft Aufklärung. In Zeiten von Kassetten, CDs, Schallplatten und DVDs brauchte es einen materiellen Vermittlungsträger, um die Medieninhalte abzuspielen. Heute streamen wir Filme und Musik - meistens legal, manchmal auch illegal. Handys, Tablets und Computer sind moderne Allrounder, weshalb wir in der Regel nicht mehr an spezielle Abspielbzw. Vermittlungsgeräte gebunden sind. Und seit den Sozialen Medien verschwimmt der Medienbegriff sowieso mehr und mehr und driftet in seiner Definition ins virtuelle Cyber-Nirwana ab. Wissen | Streaming Der englische Begriff Streaming meint das Abspielen von Musik- und Videoinhalten über das Internet oder ein Netzwerk. Als Abspielgeräte fungieren beispielsweise Computer, Smartphones und Tablets. „Beim Streaming werden Bilder, Videos und Ton am PC oder einem anderen Endgerät wiedergegeben, ohne dass sich der eigentliche Inhalt auf dem lo- <?page no="29"?> 1.2 Medienwelten von Kindern und Jugendlichen 29 kalen Speicher der Geräts befindet.“ 8 Bekannte und bei den Kids beliebte Streaming-Dienste sind Amazon Prime, Spotify und Netflix. Der technisch sehr einfache Zugang zu Streaming-Diensten stellt eine große Herausforderung dar - auch und vor allem auf Deutschlands Schulhöfen. Viele Kinder sind mit Smartphone ausgestattet, gar nicht aus pubertärem Gehabe, sondern weil die Eltern ausdrücklich darauf bestehen. Immer mehr lesen wir von sogenannten Helikopter-Eltern, Bücher zu dieser Spezies sprießen ja regelrecht aus dem Erdboden. Helikopter-Eltern sind überfürsorgliche Eltern, die ihr Kind überbehüten und sich in zu viele Angelegenheiten des Kindes einmischen. Auch wenn diese Helikopter-Eltern meist überzeichnet dargestellt werden, gibt es alarmierende Tendenzen: Mittlerweile sind Smartphone-Programme auf dem Markt, mit denen Eltern ihre Kinder orten und überwachen können (vgl. „Mitteldeutscher Rundfunk“ 2017). Leider gibt es nicht nur harmlose Streaming-Dienste, sondern auch Porno- Portale wie YouPorn und Pornhub mit äußerst brachialen Hardcore-Videos. Während der Kumpel von nebenan vor rund 20 Jahren noch eine pornografische VHS-Videokassette auf die Party schmuggelte, genügt heute ein Klick mit dem Smartphone, um die Schmuddelfilmchen in lockerer Runde abzurufen. Es gibt natürlich auch Apps, mit denen die Eltern bestimmte Webseiten sperren können. Erstens heißt das aber noch lange nicht, dass die Kinder diese Sperre nicht umgehen können, und zweitens interessieren sich viele Eltern gar nicht für das konkrete und teils riskante Medienverhalten des Nachwuchses. Hat das Kind sein Smartphone nämlich in der Hand, ist auf den ersten Blick gar nicht klar, mit was es sich in diesem Augenblick beschäftigt - oder ob es vielleicht sogar mit Online-Freunden, die keinen guten Einfluss ausüben, chattet. Ist das Kind mal frech, ist der einst so berüchtigte Stubenarrest keine echte Strafe mehr. Stattdessen ist ein temporäres Handy- oder Internet-Verbot viel effizienter, weil sich das Kind ohne WhatsApp, Facebook und Online-Spiele wie Pokémon Go rasch isoliert fühlt, die kurzfristige Nichterreichbarkeit für das Kind vielleicht sogar soziale Nachteile hat: kein Zugriff auf die aktuellsten Chats und den virtuellen Austausch mit Schulfreunden, kein Spielfortschritt in Online-Spielen und keine Updates in den Sozialen Medien. Medien in der Hosentasche Das Spiel Pokémon Go ist seit 2016 ein Klassiker. Der Clou: Die Spieler jagen die kleinen süßen Monster in der realen Welt. Die virtuellen Monster tauchen beispielsweise an der Bushaltestelle oder beim Bäcker um die Ecke auf. Die Kids können die Monster mithilfe der Handy-Kamera einfangen und trainieren. Pokémon bedeutet Taschenmonster, weil man die Comic-Monster immer dabei <?page no="30"?> 30 1 Neue Medien und die digitale Pubertät hat. Das Wort ist vor allem deshalb passend, weil die Kinder und Teenager auch ihr Smartphone fast immer in der Hosentasche tragen - und dank Internet jederzeit Medienzugriff haben. Die typischen außerhäuslichen Medienumgebungen wie Kino, Kaufhäuser, Platten- und CD-Läden, Videotheken und Spielhallen hatten vor vielen Jahren eine weitaus größere Bedeutung für Jugendliche (vgl. Baacke 2007, S. 61). Wer in die aktuellste Musik hineinhören wollte, begab sich zum lokalen CD-Laden, suchte seine favorisierte CD heraus und fragte einen Verkäufer, ob es denn nicht möglich wäre, sich die Musik direkt im Laden anzuhören, um dann über den Kauf zu entscheiden. In Zeiten von YouTube und iTunes ist dieser altmodische - man muss fast schon sagen Spießrutenlauf - undenkbar. „Freizeit ist Medienzeit“ (ebd., S. 60). Die Medienzeit ist heute aber auch Schulzeit. Erstens weil die Kinder ihr Smartphone zur privaten Bespaßung in der Schule nutzen, und zweitens weil Medien schon längst als Lehrmedium Einzug in den Unterricht finden, wenngleich bei weitem nicht so, wie es eigentlich notwendig wäre. Teilweise gelten Smartphones in der Schule sogar als Störmedium. An Bayerns Schulen ist das seit 2006 Realität - und sogar gesetzlich geregelt. „Die Geräte müssen im Unterricht ausgeschaltet werden, es sei denn, die Lehrkraft erlaubt eine Ausnahme“ („Bayerischer Rundfunk“ 2018a). Eine Lockerung des Verbots ist jedoch geplant, „auch vor dem Hintergrund der Digitalen Bildungsoffensive“ (ebd.). Das Smartphone als multifunktionales Hosentaschenmedium kann nämlich weitaus mehr, als nur den Unterricht zu stören. Die Bild- und Videoqualität ist je nach Modell so gut, dass sogar Journalisten hin und wieder auf ihr Smartphone zurückgreifen. Für eine bessere Tonqualität kann ein externes Mikrofon angesteckt werden. Was sich für eine professionelle Berichterstattung eignet, ist natürlich auch für multimediale Klassen- und Schulprojekte ideal. „Der Vorteil von Projekten ist, daß [sic] sie nicht vorab Antworten geben, aber dennoch Probleme und Erfahrungskonstellationen bearbeitbar machen“ (Baacke 2007, S. 68). Auch für das Lehrpersonal, das nicht selten in kulturkritische Ablehnung der neuen Kommunikationstechnologien verfällt, ergibt sich im Rahmen von Medienprojekten ein neuer Blickwinkel. Der Wunsch nach einem Handyverbot an Schulen zeigt, dass viele Lehrkräfte zu viel Respekt vor den Geräten haben, der kindliche Wunsch nach Handynutzung vielleicht sogar zu sehr stigmatisiert wird. Kindliche Spielräume Spielplatz, Fußballplatz, Jugendzentrum, Kinderzimmer, Kleintierzoo, Ponyhof, Garten, Nachbarschaft, Pausenhof und Sportverein: Wir waren und sind es noch immer gewohnt, kindliche Spielräume geografisch zu lokalisieren. Auf diese Weise wissen wir, wo das Kind ist und was es in etwa macht, mit wem es <?page no="31"?> 1.2 Medienwelten von Kindern und Jugendlichen 31 zusammen ist und dass es beim Abendbrot sicherlich etwas Spannendes zu erzählen hat. Baacke (2007) versteht unter Kindheit „einen geschützten Raum des Aufwachsens“ (Baacke 2007, S. 62). Dieser geschützte Raum ist eine Idealvorstellung und kann auch nicht (mehr) so definiert werden, dass sich das Kind vorwiegend im vermeintlich geschützten Kinderzimmer aufhält. Schließlich gibt es mittlerweile virtuelle Spielräume, die mit dem Smartphone oder Computer erforscht werden können. Geschützte Räume und kindliche Expeditionen sind gleichermaßen wichtig, „um auf diese Weise Kinder einerseits zu schützen, ihnen andererseits aber auch die Erfahrung von Selbstständigkeit und Selbstverantwortung zu vermitteln“ (ebd.). Das Wort vermitteln macht deutlich, dass Kinder angeleitet werden müssen, damit sie ihre Expeditionen und kleinen Abenteuer gefahrlos meistern. Eine Mutter besucht mit ihrem Sohn Benedikt einen Spielplatz. Benedikt liebt das Buddeln im Sandkasten und fühlt sich in diesen Momenten wie ein kleiner Schatzsucher. Plötzlich bekommt Benedikt ein Sandkorn ins Auge. Er weint und wirkt hilflos. Zum Glück ist seine Mutter da. Sie nimmt den kleinen Mann in den Arm und kann das Sandkorn lösen. „Du darfst nicht so wild buddeln“, sagt die Mutter liebevoll. Benedikt nickt und bekommt eine Eistüte spendiert. Der Tag ist gerettet, und Benedikt hat (vielleicht) etwas gelernt. Das Beispiel mit Benedikt und seiner Mutter ist bilder- und lehrbuchartig. Doch auch das Internet können wir uns wie einen riesigen Sandkasten vorstellen. In diesem Cyber-Sandkasten gibt es viele Spielzeuge, Kinder und auch Erwachsene, die sehr nett wirken. Gerät das Kind bei seiner Internet-Expedition allerdings in Gefahr - vielleicht weil es gemobbt oder sexuell angegangen wird - ist möglicherweise kein Elternteil in der Nähe, der sich mit Brustpanzer vor das Kind stellt und es beschützt. Noch schlimmer: Oftmals sind die Gefahren im Internet nicht direkt sichtbar. Und noch weniger sind sie (be-)greifbar. Vor allem für das Kind, das solche Situationen nicht kennt und einschätzen kann. Eine allgegenwärtige Überwachung der Kindheit soll natürlich nicht das Ziel sein. Kinder brauchen Freizeit. „Der Ausdruck ‚Frei-Zeit‘ meint ja bis heute genau dies: daß [sic] die freie Verfügung über Zeit ein wichtiges Element der Erholung, Besinnung und Identitätsstabilisierung darstellt“ (Baacke 2007, S. 62). Kinder brauchen also einen zeitlichen, womöglich noch viel mehr einen örtlichen Verweilraum, um ihre individuellen Bedürfnisse zu befriedigen - und vor allem: um sich kreativ entfalten zu können. Das kann die Zeit im Fußball- oder Tischtennisverein sein, das Proben mit der Schüler-Band, das Singen im Chor, das Spielen mit Puppen oder vielleicht auch das Malen und Basteln ohne elterliche Anleitung. Der technische Wandel bringt selbstverständlich neue Beschäftigungsmöglichkeiten mit sich, die nicht zu verachten sind. Kinder und Jugend- <?page no="32"?> 32 1 Neue Medien und die digitale Pubertät liche bauen in ihrer Freizeit Computer zusammen, versuchen sich als YouTube- Stars (was mehr Arbeit ist, als man denkt), bringen sich Programmiersprachen bei oder wollen professionelle Computerspieler - also E-Sportler - werden. Das klingt natürlich ein wenig nach Flausen im Kopf, doch sind es nicht gerade diese Flausen, die eine Kindheit lebenswert machen? Vielleicht haben wir als Kinder Blumen gepflückt, um diese dann zu verkaufen - in der Hoffnung, damit reich zu werden. Vielleicht haben wir als Kinder auch Zelte aus Ästen und Blättern gebaut, um dort für immer zu leben. Zu diesen analogen Flausen sind nun die digitalen Flausen hinzugekommen. Baacke (2007) bezeichnet die Zeiträume für Kinder und Jugendliche als psycho-soziales Moratorium, „das [...] außerhalb der Zwänge von Terminkalendern, Regelpflichten und ernsthaften Verantwortungen“ (ebd.) liegt. Zeitnot und Hektik im Kinderleben sind allerdings kein neuartiges Phänomen. Kinder stehen unter Druck, „Besonderes und Erzählbares erleben zu müssen“ (Baacke 2007, S. 62). Das Erzählbare - und das ist der große Unterschied zu analogen Zeiten - wird heute virtuell über Facebook, Instagram und Snapchat erzählt, um Freunde zu beeindrucken (und vielleicht auch sich selbst). Die Eltern sind meist außen vor. Da viele Eltern auf Facebook aktiv sind, verlagert sich die virtuelle Selbstdarstellung immer mehr in Richtung Instagram, Snapchat und WhatsApp (hier aber natürlich in geschlossene Gruppen ohne elterlichen Zugang! ). Die neue Kinderkultur Berg (1991) spricht von einer Privatisierung und Familialisierung des Kindseins, die „Kinder zu Opfern von Domestizierungen“ (Berg 1991, S. 107) machen. Mit Domestizierung ist gemeint, dass die kindliche Wildform in gewisser Weise durch ‚pädagogisch wertvolle‘ Erziehung und elterliche bzw. schulische Überwachung gebändigt wird. Durch die „zunehmende ‚Verhäuslichung‘ von Kindheit“ (Baacke 2007, S. 63) ist immerhin auch eine sichere Komfortzone für Kinder entstanden (intaktes Familienleben, Kinderzimmer, Behütung, Wohlstand etc.). „Diese Kindheit ist aber inzwischen perfekt plan-, steuer- und berechenbar geworden“ (ebd.). Die Verhäuslichung von Kindheit als sicherer Schutzraum ist im Lichte der Digitalisierung nur noch bedingt aktuell, denn gerade vom Wohn- oder Kinderzimmer aus tauchen die Kinder in Medienwelten ein, seit einigen Jahren vermehrt in virtuelle Medienwelten, vor allem in Spielwelten. Was die Kinder in diesen Medienwelten machen, ist alles andere als steuer- und berechenbar und den meisten Eltern auch gar nicht bekannt. Ein Kind, das (vermeintlich) brav und still im Kinder- oder Jugendzimmer sitzt, probiert vielleicht gerade die unzähligen Möglichkeiten des Internets aus - was in der realen, analogen Welt durchaus markante Konsequenzen haben kann. <?page no="33"?> 1.2 Medienwelten von Kindern und Jugendlichen 33 Virtueller Spiel-Erfolg in Computerspielen und Spiele-Apps ist innerhalb der Jugendkultur äußerst prestigeträchtig. Die meisten Spiele verfügen über interne Ranglisten und Belohnungssysteme wie Erfahrungsstufen und virtuelle Gegenstände (vgl. Weinert 2013, S. 235). Die virtuellen Gegenstände werden Items genannt, damit sind sammelbare Rüstungsteile, Zaubertränke etc. gemeint. Das Online-Gaming bewegt sich mehr und mehr in Richtung E-Sport. Das reizt vor allem die jungen Gamer, „die erspielbaren Boni zu erreichen oder sich innerhalb einer Rangliste zu verbessern“ (Weinert 2013, ebd.). In den letzten Jahren galt die Faustregel: Je mehr du spielst, desto mehr Boni und Items hast du. Mittlerweile ist diese Regel obsolet, ist es doch möglich und von den Spieleherstellern sogar ausdrücklich erwünscht, Spielvorteile zusätzlich zum Kauf des eigentlichen Spiels mit echtem Geld zu erwerben. Dieses umstrittene Prinzip nennt sich In-App-Käufe bzw. In-Game-Käufe. Wissen | In-App-Käufe/ In-Game-Käufe Viele Apps (z.B. das bei Kindern beliebte Handyspiel Clash of Clans) können kostenlos auf das Smartphone heruntergeladen werden. Im Laufe der weiteren Nutzung werden die Nutzer allerdings oftmals zur Kasse gebeten - beispielsweise um Premiumfunktionen zu nutzen und Spielvorteile freizuschalten. Diese Vorteile sind meist auf eine bestimmte Nutzungszeit oder ein geringes Volumen begrenzt, weshalb die Boni immer wieder neu erworben werden müssen (auch in Flirt-Apps wie Tinder und Lovoo). Schnell wird die Rechnung unübersichtlich, weil sich viele kleine Beträge summieren. In Videospielen auf der Konsole oder auf dem Computer ist das Prinzip ähnlich. Die Nutzer können Kisten mit virtuellen Ausrüstungsgegenständen erwerben (z.B. im Shooter Call of Duty) oder ihren Fußballkader aufbessern (z.B. im FUT-Modus der Fußballsimulation FIFA). Viele Spieler investieren einen dreistelligen Betrag in dieses System. Vor allem YouTube-Stars, die sich beim Öffnen der gekauften Pakete filmen. Das Prinzip der In-Game-Käufe erinnert an den einarmigen Bandit im Casino: Die Zwischengewinne sind meist gering, machen jedoch Lust auf einen weiteren Geldeinsatz. Frei nach dem Motto: „Irgendwann muss ja der große Gewinn kommen.“ Die vornehmlich häusliche und (vermeintlich) behütete Kindheit wird „gerade durch die Medien widerspruchsvoll erweitert“ (Baacke 2007, S. 64). Die Medien bieten Lebens- und Beobachtungsräume, die den Kindern in der unmittelbaren Erlebniswelt vorenthalten werden (vgl. ebd.). Videospiele bieten den Kindern die virtuelle Möglichkeit, Fußballmanager, Kriegsheld, Farmer oder Zauberin zu <?page no="34"?> 34 1 Neue Medien und die digitale Pubertät sein - oder eine Rolle zu spielen, die zumindest in der jeweiligen Medienwelt Annehmlichkeiten wie Erfolg, Begierde etc. mit sich bringt. Das Rollenspiel wird jedoch nicht nur in Spielwelten vollzogen, sondern auch in den Selbstdarstellungsmedien wie Instagram und Snapchat, die ja in gewisser Weise auch als Spielwelten oder vielmehr Spielwiesen zu sehen sind. Die Zunahme von Individualisierungsprozessen korreliert mit einer Gesellschaft, in der Selbstverwirklichung oben an steht (vgl. Baacke 2007, S. 65 f.). Was vor vielen Jahren schon aktuell war, ist es heute im Zeitalter der Sozialen Medien mehr denn je. Vor allem die Chance, in den Sozialen Medien zum umschwärmten Influencer aufzusteigen, gibt den Kindern und Jugendlichen das Gefühl, das Hobby irgendwann zum Beruf machen zu können. Die Jugendphase verlagert sich mehr und mehr ins (einstige) Erwachsenenalter und dehnt sich „bis in die dreißiger Lebensjahre“ (ebd.) aus. Das wirkt sich auf die Postadoleszenz - die Nachjugend - aus. Die Nachjugend verlängert sich, auch deshalb, weil die Entscheidung für einen endgültigen Beruf im Zuge der neumedialen Individualisierungsmöglichkeiten aufgeschoben wird. Die jugendliche Unbekümmertheit, die sich vor allem am digitalen Medienverhalten zeigt, bleibt weit über die Jugendphase hinaus erhalten. Jugendliche, die früher Erwachsene genannt wurden (Beginn der Lehre mit 16, Auszug aus dem Elternhaus, frühe Heirat etc.), sind heute in der Verbindlichkeit einer endgültigen Lebensplanung „nicht festgelegt und daher nicht zu definieren“ (Baacke 2007, S. 66). Die Medien, insbesondere die Protagonisten in Seifenopern und Reality-Soaps, die ja meist auch Social- Media-Stars sind, leben ein selbstbestimmtes Leben der Wildheit und De- Domestizierung ja geradezu vor. Wir haben also ein Paradoxon: Die analoge Domestizierung der Kindheit erweckt den Eindruck eines kontrollierbaren und behüteten Schutzraums, den viele Kinder aber nutzen, um sich in digitalen Welten wieder zu dedomestizieren. Diese viel zu frühe ‚digitale Auswilderung‘ ruft Fressfeinde (Pädophile, Cyber-Kriminelle etc.) und andere genuine Gefahren (Abo- Fallen, Geldverlust, Suchtverhalten etc.) auf den Plan. In den digitalen Welten sind die Kinder unbegleitet. Ein Digitaltraining - sprich ein Schulfach Digitalkunde - hilft den Kindern, die digitalen Expeditionen mit Freude und Erfahrungsgewinn zu meistern. Medienalltag und Medienbiografie Wie schnell sich die Zeiten ändern, egal ob technologisch oder gesellschaftlich, lässt sich wunderbar am Tagesablauf eines 16-jährigen Jungen erkennen. Ein durchschnittlicher Tagesablauf sieht für Baacke (2007, S. 66f.) nämlich beispielsweise so aus: <?page no="35"?> 1.2 Medienwelten von Kindern und Jugendlichen 35 Aufstehen und ‚fertigmachen für den Tag‘ im Elternhaus (CD-Musik und Radiobegleitung, Blicke in den Fernseher, ins MTV- oder VIVA-Spartenprogramm oder ins Morgenmagazin); Fahrt zur Schule (begleitet vom Walkman); Unterricht mit Pausen (Zusammentreffen mit Gleichaltrigen, Kofferradio, Austausch von Neuigkeiten über die Charts etc.); Heimweg ins Elternhaus; zu Hause kurze Entspannungsphase, vielleicht Mittagessen mit anwesenden Familienangehörigen (dazu: Radio, CD, Fernsehen); Phase der Schularbeiten (begleitet von ‚Sounds‘ unterschiedlicher Art, meist Radio, CD- Player, Cassettenrecorder [sic]); längeres Telefonieren (Verabredung für den Abend, das nächste Wochenende, Austausch von Nachrichten etc.); kurzes Abendessen (Fernsehbegleitung); Verlassen des Hauses mit der Kombination von Schaufensterbummel, Kneipenbesuch, Kinobesuch und anschließendem Besuchen eines Freundes (neueste CDs etc.); Zubettgehen (mit dem Walkman als Begleiter fürs Einschlafen). Ein solcher Alltag ist natürlich modellartig, schließlich handelt es sich bei Teenagern um (mittlerweile) doch recht selbstbestimmte Individuen, die ihren Alltag auf der Grundlage von Prägung, Sozialisierung, Erziehung etc. sehr unterschiedlich gestalten. Besonders spannend ist nun die Veränderung des Medienalltags im Vergleich zu ‚früher‘. Bereits 2014 gab es ein kleines Experiment. Kindern wurde ein Walkman gezeigt, „und keiner wusste [...], was dieser ‚schwarze Kasten‘ eigentlich ist“ 9 . Wer einen Walkman besaß, galt einst als cool, und wer keinen hatte, war dementsprechend uncool. Das klingt oberflächlich, ist heute allerdings nicht anders - nur dass es heute ein Smartphone sein muss, am besten von Apple oder Samsung. Auch ein sog. Kofferradio schleppt heute kein Kind mehr mit sich herum. Der Duden (2018) definiert ein solches Gerät als „kleines Radio mit flachem Gehäuse und Bügel zum Tragen“. 10 Die archaische Technik verschwindet und mit ihr auch viele Rituale. Der analog-gemütliche Schaufensterbummel verlagert sich auf Plattformen wie Amazon und Zalando, der Kinobesuch wird durch Streaming-Abende auf der Couch abgelöst, und WhatsApp- Sprachnachrichten ersetzen das Telefonieren. Eines ist aber geblieben: die Medienbegleitung auf der Fahrt zur Schule, beim Essen und Zubettgehen. Das Mediennutzungsverhalten in der Kindheit und Jugend hat große Auswirkungen auf die Medienbiografie. Wissen | Medienbiografie Medienbiografie beschreibt den Stellenwert und die Funktion der Medien im Lebenslauf eines Menschen. Der mediale Alltagsablauf wird biografisiert erlebt, „also als ein Ablaufmodell, über das nur der jeweils Betroffene verfügt“ (Baacke 2007, S. 67). Die Kindheitserfahrungen mit Medien und <?page no="36"?> 36 1 Neue Medien und die digitale Pubertät Medienrituale der Kindheit haben Auswirkungen auf das Mediennutzungsverhalten im Erwachsenenalter. Deshalb ist es wichtig, dass sich Kinder frühzeitig ein Medienausdrucksreservoir aneignen (vgl. ebd.). Die Aneignung von Medienkompetenz ist ein lebenslanger Lernprozess, da sich die Medienwelten stetig ändern. Die richtige Medienbildung in jungen Jahren entscheidet über die mediale Professionalität und digitale Selbstachtsamkeit im fortwährenden Leben. Die kindliche Medienumgebung ändert sich stetig, was natürlich daran liegt, dass das Kind älter und reifer wird. Manche Extensionen der Medien sind in einem gewissen Alter interessant und zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr. Die siebenjährige Luisa spielt gerne das Spiel Barbies Zauberhafte Mode auf ihrem Smartphone. Mit zehn Jahren interessiert sich Luisa bereits für Snapchat. Über die App können Bilder und Videos übermittelt werden, die allerdings direkt geschossen und nicht aus dem Handyspeicher hochgeladen werden. Luisa bekommt viele Komplimente von Klassenkameraden, und als sie 13 wird, interessiert sie sich auch so langsam für Jungs. Mit 17 meldet sich Luisa bei den Dating-Apps Tinder und Lovoo an, gibt sich dort aber als 18-Jährige aus, um die Apps als Volljährige nutzen zu können. Neben dieser recht gewöhnlichen Entwicklung - nennen wir es die persönliche Medienevolution - kommen täglich neue Medienangebote auf den Markt. Technische Neuerungen und Modifizierungen setzen neue Trends. Software und Hardware werden weiterentwickelt. Was vor einigen Jahren ‚in‘ oder brandaktuell war, ist heute oftmals ‚out‘ oder technisch veraltet. Wir haben also auch eine technische Medienevolution, die nicht aufzuhalten und kaum beeinflussbar ist, die aber großen Einfluss auf das Individuum selbst hat. Der rasant fortschreitenden Medienentwicklung kann durch Adaption entgegengewirkt werden. Das Individuum muss sich also regelmäßig auf neue Hardware, Software, Programmier- und Codiersprachen sowie mediale Möglichkeiten einstellen. Gezieltes Medientraining - egal ob privat, schulisch oder beruflich motiviert - ist die Grundvoraussetzung hierfür. Mittendrin statt nur dabei Das Radio ist das Nebenbei-Medium schlechthin. Es läuft beim Autofahren, in der Küche und auf der Baustelle. Mit Musik im Ohr gehen viele Dinge leichter von der Hand und die Zeit scheint schneller zu vergehen. Das Radio erfüllt diese äußerst angenehme Funktion schon seit vielen Jahrzehnten - und auch das Fernsehen kann ein Nebenbei-Medium sein, wenngleich viele Fernsehsendungen natürlich so gestaltet sind, dass Bild und Ton gleichermaßen verfolgt wer- <?page no="37"?> 1.2 Medienwelten von Kindern und Jugendlichen 37 den müssen. Meist steht das Gerät zumindest in Sichtweite; beispielsweise beim Abendessen. Der Rezipient, das ist jemand, der das Fernseh- oder Radioprogramm verfolgt und demzufolge rezipiert, ist in der Regel passiv und greift nicht in das Geschehen ein. Eine Ausnahme besteht höchstens dann, wenn der Rezipient an einem telefonischen Gewinnspiel teilnimmt und live in der Sendung landet. Baacke (2007, S. 66f.) hat - wie weiter oben bereits dargestellt - also ausgeführt, wie der Tagesablauf eines männlichen Teenagers aussehen könnte. Als tagesbegleitende Medien werden das Fernsehen, Radio und technische Apparate wie Walkman und CD-Player genannt. Die typischen Nebenbei-Medien scheinen also eine Passivität des Rezipienten vorauszusetzen: Man lässt sich quasi durch Musik, Filme und Dokumentation berieseln, ohne etwas dafür zu tun zu müssen (man muss sich nur für das ‚richtige‘ Programm entscheiden). Die Sozialen Medien haben einen echten Paradigmenwechsel herbeigeführt. Soziale Netzwerke wie Facebook, Instagram und Snapchat setzen einen aktiven Nutzer voraus, der sich am virtuellen Gebaren beteiligt - und dennoch sind diese Netzwerke Nebenbei-Medien. Eine Nutzung ist zwar auch ohne aktive Beteiligung möglich, dies wirkt jedoch meist absonderlich und komisch. Accounts ohne Inhalte sind unseriös oder weisen auf einen Fake-Account hin. Wissen | Fake-Account Ein Fake-Account ist ein registrierter Account in einem Netzwerk, der lediglich angelegt wurde, um andere Nutzer zu täuschen oder inkognito zu beobachten. Solche Accounts sind meist mit falschen bzw. geklauten Bildern und willkürlichen Inhalten angereichert, um Echtheit vorzugaukeln. Fake-Accounts haben viele Funktionen wie das Verbreiten von politischen Botschaften, das Vorspielen von romantischen Gefühlen und das Erlangen von Informationen sowie intimen Bilddateien. Fake-Accounts gehören seit vielen Jahren zur Internet-Kultur und werden auch zur Manipulation von Produkt- und Hotelbewertungen eingesetzt. Selbst Fake-Accounts zeigen sich in den Sozialen Medien aktiv, um nicht aus der Reihe zu tanzen. Es gibt also gewisse Aktivitätsregeln in den verschiedenen Netzwerken. Wer hier etwas online stellt, seien es Texte oder Bilder, möchte natürlich möglichst viel Feedback von anderen Usern erhalten. Auf Facebook sind das die berüchtigten Likes, und auf Instagram sind es kleine Herzchen. <?page no="38"?> 38 1 Neue Medien und die digitale Pubertät Der 15-jährige Lars ist in seiner Schulklasse sehr beliebt. Kein Wunder, ist er doch sportlich und immer trendy gekleidet. Fast jeden Tag macht Lars unzählige Selfies von sich. Die besten Fotos stellt er auf Facebook und Instagram. Alle 30 bis 60 Minuten checkt Lars die Reaktionen, um sich an ihnen zu erfreuen - neben den Hausaufgaben, auf dem Bolzplatz und zwischen den Trainingseinheiten im Sportclub. Auf diese Weise funktionieren die Sozialen Medien als Nebenbei-Medien. Und zwar nicht nur so, sondern auch anders. Kurzweilige WhatsApp-Chats mit Freunden oder dem aktuellen Schwarm begleiten die Kids durch den Tag, lassen die Zeit schneller vergehen. Der Nachrichtenaustausch auf WhatsApp läuft oftmals in Echtzeit - also synchron - ab, denn das Programm zeigt ‚live‘ an, wenn das Gegenüber eine Chat-Nachricht in das Smartphone tippt. So entsteht die Illusion, man würde sich tatsächlich gegenübersitzen. Schließlich imitieren die Emojis die Mimik. Ebenfalls sind die neuen Handyspiele so programmiert, dass sie nicht wirklich ein Ende haben. Egal wie aktiv die Kids in diesen Spielen sind: Es gibt immer etwas zu tun; beispielsweise das Sammeln von Erfahrungspunkten mit den damit einhergehenden Level-Aufstiegen oder andere virtuelle Errungenschaften, auf die man teilweise Wochen oder gar Monate hinarbeiten muss. Im Gegensatz zu früher - und das kann im Zuge des digitalen Wandels bereits gestern sein - lassen sich Kinder und Erwachsene nicht mehr nur durch Musik, Filme und Fernsehformate berieseln, sondern in erster Linie durch unterhaltsame Apps, Handyspiele und das Chatten und Flirten mit anderen Usern, die in der Anonymität des Internets manchmal die Charakteristika eines austauschbaren Social-Media-Produkts annehmen. Zwischenfazit: Digitale Lebenswirklichkeit der Kinder Die Grande Nation macht es vor. In Frankreichs Schulen dürfen Schüler bis 15 Jahre ihre Handys nicht mehr auf dem Schulgelände nutzen. In Deutschland entsteht zwar eine ähnliche Debatte, doch ein Reüssieren der Handygegner ist nicht in Sicht. „Warum soll ich noch ein Wörterbuch zur Hand nehmen, wenn ich eine Übersetzung mit dem Smartphone erledigen kann? “, ist die rhetorische Frage, die Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) am 9. August 2018 in der Online-Ausgabe der „Zeit“ stellt („Zeit Online“ 2018a). Die Ministerin spricht sich gegen ein Handyverbot an Schulen aus und bekommt prominenten Rückenwind aus Bayern. Kultusminister Bernd Sibler (CSU) bezeichnet das Handyverbot in Frankreich als „ein Augenverschließen vor der Realität“ (Passauer Neue Presse 2018, S. 10). Und tatsächlich: Die Kinder-Medien-Studie 2018 kommt zu dem Ergebnis, dass jedes zweite Kind im Alter von neun Jahren ein Handy <?page no="39"?> 1.3 Die Sozialen Medien als Milieu 39 oder Smartphone besitzt. „Mit 13 Jahren sind es bereits 92 Prozent. In diesem Alter ersetzen elektronische Endgeräte viele traditionelle Spielzeuge“ („Spiegel Online“ 2018a). Die analogen Barbie- und Playmobil-Welten sind freilich nicht verschwunden: Sie verlagern sich ganz einfach mit ihren kindlichen Nutzern in die Virtualität. Die Lebenswirklichkeit der Kinder hat sich drastisch verändert. Es gibt jetzt eine digitale Lebenswirklichkeit. Diese aus der Schule auszusperren, diese gar zu verpönen und als Rückschritt der kindlichen Entwicklung abzutun, bringt die medial ungeschulten Kinder in der unbegleiteten Digitalfreizeit in Gefahr - was wiederum negative Auswirkungen auf die Konzentration im Schulunterricht oder das Erledigen der Hausaufgaben haben kann. Digitale Projekte mit dem Handy gestalten, einen spannenden Klassen-Blog in einer Fremdsprache wie Englisch erstellen, Cyber-Risiken mit einer ausgebildeten Lehrkraft besprechen und moderne Programmiersprachen und digitale Kniffe erlernen: dahin muss sich der Schulunterricht entwickeln. „Wir dürfen unsere Lehrer dabei nicht alleine lassen“, betont der bayerische Kultusminister Bernd Sibler (Passauer Neue Presse 2018, S. 10). Es braucht langfristig also sowohl eine Schulmedienwelt als auch eine Freizeitmedienwelt, in denen sich die Kinder gerne und mit Mehrwert aufhalten. Im Optimalfall entsteht ein Kreislauf: Im Schulunterricht beigebrachte Medienkompetenz wird in die kindliche Freizeit getragen; selbst erlernte Medienkompetenz in der Freizeit soll aber auch den Schulunterricht bereichern. Auf diese Weise wird eine positive Entwicklung der kindlichen Medienbiografie sichergestellt. 1.3 Die Sozialen Medien als Milieu Viele Menschen glauben, in der Gesellschaft von heute ein Phänomen zu erkennen: Da gibt es einerseits Leute, die urplötzlich wieder ihre bodenständige Seite entdecken, Ferien auf dem Bauernhof machen und im heimischen Garten Obst und Gemüse anbauen. Und anderseits gibt es Leute, die dem Mammon dienen, sich bis zur Unendlichkeit digitalisieren und mit dem rasanten Technikfortschritt mithalten möchten. Die einen üben sich also in digitaler Entgiftung, und die anderen - so unken die Medienkritiker - vergiften sich durch die ständige Handynutzung, Social-Media-Gier und andere digitale Aktivitäten selbst. Schwarz-Weiß-Denken ist natürlich ein moderner Trend. Es ist einfach und bequem, Menschen in bestimmte Schubladen zu stecken, doch das hat mit der Realität oftmals wenig bis gar nichts zu tun. Dass sich Menschen gegenseitig einordnen, ist allerdings normal und kein Phänomen der digitalen Moderne. „Öffnung oder Abgrenzung in der Alltagsinteraktion, Angleichung oder Distan- <?page no="40"?> 40 1 Neue Medien und die digitale Pubertät zierung von Persönlichkeiten und subjektiven Standpunkten, Gefühle von Vertrautheit oder Nähe, Akklamation des Passenden und Mißbilligung [sic] von Stilbrüchen“ (Schulze 1997, S. 277) - solche Handlungstendenzen helfen den Menschen bei der Erzeugung von Wirklichkeitsmodellen (vgl. ebd.). Dass Menschen nicht so sind und für immer so bleiben, zeigt ein Blick in die jeweilige Biografie. Baacke (2007) veranschaulicht das folgendermaßen: Kinder „beginnen als Mitglied eines Kirchenchors, werden zum Pfadfinder, lösen sich ab und wählen die Punk-Existenz, um nach einer unspezifischen Phase als Heavy-Metal-Freak ein Studium der Sozialarbeit aufzunehmen“ (Baacke 2007, S. 23). Es scheint also übergängliche Lebensphasen und soziale Umgebungen zu geben, die miteinander kombiniert werden, „ohne durch traditionelle Herkünfte und soziale Erbschaften gelenkt und gebunden zu sein“ (ebd.). Dennoch strebt der Mensch - egal ob bewusst oder unbewusst - nach Verlässlichkeit und Sicherheit, und so scheint „die Suche nach Konsens offenbar eines der Grundbedürfnisse des Menschen“ (ebd., S. 26) zu sein. Gleiches zieht Gleiches an, ist eine bekannte Redewendung, die zwar in esoterischen Kreisen ihren heimeligen Ursprung hat und gerne durch ein ‚Gesetz der Resonanz‘ pseudowissenschaftlich verklausuliert wird, dennoch aber einen wahren und vor allem lebensnahen - nicht aber lebensberatenden - Kern hat. Der bodenständige Bauer trinkt sein abendliches Stammtischbier wohl kaum mit den Schlipsträgern der örtlichen Behörde. Und jene bevorzugen vielleicht schon alleine aus Prestigegründen lieber Shakehands mit der Lokalprominenz bei einem Glas Wein, auch wenn das gemütliche Bier mit den bodenständigen Bauern am Stammtisch lustiger oder gewinnbringender für die Seele sein könnte. Der bekannte französische Soziologie und Sozialphilosoph Pierre Bourdieu erzählt in seinem Werk „Wie die Kultur zum Bauern kommt“ von der Beobachtung, wie manche Städter „ihren Dialekt verleugnen“ oder „sich ihrer traditionellen Behausungen schämen“ (Bourdieu 2001, S. 19f.). Das impliziert, dass sich Menschen bestimmten sozialen Gruppen und Umgebungen anpassen und unter Umständen sogar anschließen, nur um soziale oder materielle Vorteile zu erlangen. In der Soziolinguistik ist dieses Phänomen schon lange bekannt. Die Jugendsprache mit ihren Wörtern wie Famebitch, Lernbulimie, nice und chillen gilt nicht nur als eigener Soziolekt, sondern wird auch von der Werbeindustrie aus ökonomischen Motiven imitiert, um Werbebotschaften zielgruppenorientiert zu kommunizieren. Gleiches zieht also nicht nur Gleiches an: Gleiches möchte manchmal auch Gleiches sein - aus strategischen Beweggründen und ohne dieses ‚Gleiche‘ tatsächlich darzustellen. <?page no="41"?> 1.3 Die Sozialen Medien als Milieu 41 Von der Pralinenschachtel zum Fitnesswahn Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen - man weiß nie, was man kriegt. Dieses halbphilosophische Zitat entspringt dem Film „Forrest Gump“ und hat obgleich des profanen Bezugs eine tiefsinnige Botschaft: Das Leben sei voller Überraschungen, vielleicht sogar schicksalsgesteuert und dementsprechend unvorhersehbar. Ein Blick in das Konsumverhalten, die sozialen Zwänge der Digitalgesellschaft und die Idealvorstellungen eines kindlichen Werdegangs zeigt jedoch, dass die Unvorhersehbarkeit des Lebens gar nicht mehr gewünscht ist. Konstanz und Kontinuität korrelieren vielmehr mit der Nutzung der Konsumpotenziale. Man nimmt alles mit „wie jemand, der im Zustand der Sättigung gedankenverloren in eine volle Pralinenschachtel greift“ (Schulze 1997, S. 58). Ein Schritt weiter zeigt das Dilemma: „Die Psyche wird nicht mehr gemessen mit Begriffen wie Tugend, Standhaftigkeit, Charisma oder edle Größe, sondern mit Kriterien wie Spontaneität, Empfindungsreichtum und Gefühlsintensität“ (ebd., S. 59). Als Folge bilden sich regelrechte Erlebnisgemeinschaften (vgl. ebd.). Was vor über 20 Jahren schon erkannt wurde, hat durch die virtuellen Communitys und die Sozialen Medien natürlich noch einmal eine ganz andere Eigendynamik angenommen. Als beliebte Unterhaltungszentren galten damals Diskotheken, Clubs, Freudenhäuser und das Kino - vor allem Erotik und Pornografie haben sich jetzt ins Internet verlagert; ebenso legale und illegale Filmportale. Wohlgemerkt: Die meisten Porno- und Filmportale sind auch für Kinder und Teenager zugänglich - in Full HD und allen Variationen. Die Generalkritik an der gesellschaftlichen Digitalisierung bzw. digitalisierten Gesellschaft ist sicherlich ein effektives Mittel, um mediale Aufmerksamkeit zu erhaschen (widerspricht sich das nicht? ). Schnell wird nämlich vergessen, dass die neuen Medien viele Chancen bieten; nicht nur beruflich, sondern eben auch im zwischenmenschlichen Bereich. „Schüchterne Menschen inszenieren sich lebenslustig und farbenfroh. Sie gewinnen Likes, neue Abonnenten und vielleicht sogar Freunde“ (Weinert 2016, S. 3). In den Sozialen Medien bilden sich Gruppen, die beispielsweise gesunde Ernährung und sportliche Betätigung als Lifestyle stilisieren - teilweise predigen. Das Ziel dieser Gruppen ist nämlich nicht nur die wechselseitige Motivation, sondern auch der Absatz von Wundermitteln. Das Prinzip nennt sich Challenge und entfacht besonders bei jungen Menschen wahre Begeisterungsstürme. Wissen | Challenge Eine Challenge ist im Kontext der Sozialen Medien ein virtueller Wettstreit. Es geht nicht primär darum, einen einzelnen Gewinner hervorzubringen. Vielmehr ist es das Ziel, gemeinsam als Team für eine Sache zu wettstrei- <?page no="42"?> 42 1 Neue Medien und die digitale Pubertät ten. Fitness- und Ernährungs-Challenges sind besonders beliebt, weil sich die Erfolgserlebnisse - oftmals auch Fake-Erfolgserlebnisse - multimedial besonders gut präsentieren lassen (Vorher-Nachher-Fotos). Solche Challenges korrelieren in der Regel mit verschiedenen Formen des Netzwerk- Marketings: Jungen Erwachsenen wird versprochen, durch den Ein- und Verkauf von Beauty-Präparaten innerhalb kürzester Zeit sehr viel Geld verdienen zu können. Beliebt und problematisch sind Gaudi-Challenges, die eine Art Mutprobe darstellen. 2014 sorgte die Biernominierung - ein virtuelles Trinkspiel - für Aufregung. Teenager und sogar junge Väter filmten sich beim Trinken eines Bieres auf ex und stellten das Video ins Internet. Mutproben wie diese entwickeln sich stetig weiter. Vor allem seit 2018 wird zu Challenges aufgerufen, die das Ziel haben, sich oder Mitmenschen vor laufender Kamera zu verletzen oder in Gefahr zu bringen (Zufügung von Brandverletzungen, der Freundin auf die Vagina schlagen bzw. slappen, Selfies auf Gleisen etc.) - um dann vor dem Monitor ‚gemeinsam‘ darüber zu lachen, was den eigentlichen Wettstreitgedanken auf grausame Weise pervertiert. Die Internet-Challenges mit dem Fokus auf Schönheit und Ästhetik sind ein zweischneidiges Schwert. Einerseits motivieren sich junge Menschen, etwas für die Gesundheit und den Körper zu tun, was - bei achtsamer Dosierung und Selektion des Angebots - durchaus positive Auswirkungen auf die zukünftige Lebensqualität haben kann. Anderseits besteht die Gefahr, in ungute Geschäftsmodelle oder soziale Kreise zu geraten. Nicht selten entsteht in solchen Communitys das Gefühl einer emotionalen Abhängigkeit. Die Team-Leader laden die meist sehr jungen Neumitglieder von Beginn an in eine große Whats- App-Gruppe aus beispielsweise 20 oder 30 Teilnehmern ein. Hier geht es darum, sich mehrfach am Tag auszutauschen und gegenseitig mit Lob zu überschütten. Die Team-Leader stellen die besten Erfolgsgeschichten dann in die Sozialen Medien, wodurch sich die auserwählten Mitglieder dann natürlich sehr geehrt fühlen, was die weitere Motivation kräftig ankurbelt. Beispielhaft für solche Communitys sind der „MOVE Club“ und „Juice plus“. Der Fitnessmarkt boomt. Die einen verdienen Geld, die anderen verdienen sich Respekt. Selbstverwirklichung, das bedeutet, in den Sozialen Medien hot und sexy zu sein. Was vor 15 Jahren die Nachbarn, Freunde und Trainingspartner mitbekamen, wird im digitalen Zeitalter - mit Glück und Geschick - von Tausenden mit einem virtuellen Like oder Herzchen belohnt. Dieses Prinzip nennt sich extrinsische Motivation. Handlungen werden nicht um ihrer selbst willen ausgeführt, sondern um eine Belohnung zu erhalten bzw. einem äußeren Reiz nachzugeben. Die Sozialen Medien sind vieles: Karrieremotor, Unterhaltungsinstru- <?page no="43"?> 1.3 Die Sozialen Medien als Milieu 43 ment, Kreativitätsvehikel - und das Konsummittel der Digital Natives schlechthin, zu deren Kultur viele Kinder und Jugendliche mehr und mehr Anschluss finden. Digitale Selbstverwirklichung als Kunst Schulze (1997) erkennt fünf gesellschaftliche Milieus; nämlich das Niveaumilieu, Harmoniemilieu, Integrationsmilieu, Selbstverwirklichungsmilieu und Unterhaltungsmilieu (vgl. Schulze 1997, S. 277ff.). Die Milieus unterscheiden sich „nicht nur nach Lebensalter und Bildung, sondern beispielsweise auch nach Familienstand, Haushaltsstruktur, Teilnahme oder Nichtteilnahme am Erwerbsleben, Arbeitsplatzmerkmalen, Wohnsituation und anderem“ (ebd., S. 277.). Berücksichtigt werden auch alltagsästhetische Schemata sowie Persönlichkeitsdispositionen und Wertvorstellungen (vgl. ebd.). Schulze (1997) erkennt diese fünf Milieus unter dem Deckmantel einer Erlebnisgesellschaft, dessen gleichnamige Sozialstudie bereits 1992 erschienen ist (und 1997 in die 7. Auflage ging). Interessant ist also, dass die Suche der Gesellschaft nach ‚Erlebnistourismus‘ bereits vor über 25 Jahren erkannt wurde. Und noch interessanter: Milieus wie Selbstverwirklichung und Unterhaltung scheinen der Motor der heutigen Digitalgesellschaft zu sein. Baacke (2007) bezieht sich ebenfalls auf Schulzes Milieustudien (vgl. Baacke 2007, S. 23f.) - natürlich noch nicht auf die Digitalisierung und die Sozialen Medien, aber auf die jugendlichen Kulturszenen mit all ihren Extensionen und Extremen. Die Einordnung Schulzes Milieubeschreibungen in den medienpädagogischen Kontext ist dementsprechend kohärent und stringent. Das Selbstverwirklichungsmilieu hat das Bedürfnis nach Originalität mit einer stilisierten Mischung aus Unbekümmertheit und Extravaganz (vgl. Schulze 1997, S. 312f.). Die Anhängerschaft des Milieus ist jünger (unter 40) und folgt der Lebensphilosophie aus Narzissmus und Perfektion (vgl. ebd., S. 321). Der Künstler gilt als „Vehikel der Ich-Visionen des Selbstverwirklichungsmilieus“, weil er „oft in Einsamkeit, aber unbeirrbar, einzig sich selbst verpflichtet“ (ebd. S. 317) ist. „Zum Erlebnisparadigma gehört freilich der Durchbruch dazu“ (ebd.). Das Milieu bekundet eine Präferenz für Stileigenschaften wie ausgefallen, originell, cool, selbstgemacht und provozierend (vgl. ebd., S. 318). Wohl deshalb erkennt Baacke (2007), dass das Selbstverwirklichungsmilieu gerne an „neuen Kulturszenen aktiv“ (Baacke 2007, S. 23) teilnimmt. Seit einigen Jahren manifestieren sich auch die Sozialen Medien mehr und mehr als eigene Kulturszene, die vor allem jugendlich geprägt ist und ebenso junge bzw. jung gebliebene Erwachsene jugendlicher erscheinen lässt - was mal wieder die Ausdehnung der Postadoleszenz bis ins Erwachsenenalter bestätigt. Baacke (2007) nennt als kulturszenische Orte einerseits trendige Affinitäten wie Pop, Rock, Tennis und Surfen, bezieht sich aber auch auf konkrete Orte wie Stadtteilzentren, Kneipen, Diskotheken und die Ausgeh-Kultur im Allgemeinen (vgl. ebd., S. 23f.). <?page no="44"?> 44 1 Neue Medien und die digitale Pubertät Die Digitalisierung hat nun natürlich neue Affinitäten und Orte - die nun aber meist im Cyberspace zu finden sind - hervorgebracht. Zu diesen Affinitäten gehört beispielsweise das Schießen der Selfies mit dem Smartphone, wobei in der Regel nicht nur ein einzelnes Foto gemacht wird, sondern dutzende, vielleicht sogar hunderte. Selbst das eine gute Foto wird dann noch im Sinne der perfektionistischen Selbstdarstellung mithilfe von Spezial-Apps nachbearbeitet und spielerisch in Szene gesetzt. Beliebte digitale Jugendtreffpunkte sind dann WhatsApp-Gruppen, Facebook, Snapchat usw. - was ja nicht ausschließt, dass sich die Kids zu diesem Zeitpunkt trotzdem in der Stadt, Disko oder einer Kneipe befinden. Kinder und Jugendliche erleben in gewisser Weise also eine Multi-Existenz, denn sie sind zum gleichen Zeitpunkt an verschiedenen Orten; einerseits an echten, andererseits an virtuellen. Problematisch wird es natürlich, wenn die Kinder und Jugendlichen im Schulunterricht sitzen, sich aber viel lieber den virtuellen Verführungen (Chats, Games, Social Media etc.) widmen und mit ihrem Kopf wirklich ‚woanders‘ sind. Dass Reglementierungen notwendig sind, macht der Freistaat Bayern vor, auch wenn die Schulen mit der Handynutzung in der Schule jeweils unterschiedlich umgehen. „Die einen handhaben das sehr frei, die anderen noch sehr restriktiv“, ist die Feststellung des bayerischen Kultusministers Bernd Sibler (Passauer Neue Presse 2018, S. 10). Durchzusetzen scheinen sich reglementierte Online- und Offline-Phasen. Nur aber die Online-Phasen, also die aktive Nutzung des Smartphones und anderer Geräte in der Schule, sind logischerweise die Basis für einen sinnhaften Digitalkunde-Unterricht. Das Potenzial der Geräte wurde zuletzt kaum erkannt, wurden Smartphones & Co. doch meist nur für Recherchezwecke und simples Nachschlagen oder als digitales Wörterbuch eingesetzt. Meinung: Verständnis für digitale Selbstverwirklichung Wenn sich Kinder und Jugendliche in virtuellen Räumen aufhalten, ist das viel mehr als stupides ‚Gedaddel‘ am Smartphone oder Computer. Viele Kids verwirklichen sich im Internet selbst und streben nicht selten eine Digitalkarriere an. Die virtuelle Selbstverwirklichung erlebt freilich viele Abstufungen, doch im Vordergrund steht immer der künstlerische oder schöpferische Aspekt. Die einen programmieren Apps und Websites im (klischeehaften! ) dunklen Kämmerlein, die anderen inszenieren sich als schillernde Social-Media-Models und Mode-Gurus, um zu Influencern aufzusteigen - und wieder andere machen ‚Karriere‘ in Games, also in Spielwelten. Der Landwirftschaftssimulator ist kurioserweise eines der beliebtesten Spiele auf der PlayStation, was eine bemerkenswerte Widersprüchlichkeit zeigt: In Spielwelten geben sich die Spieler fleißig, um vom Klein- <?page no="45"?> 1.3 Die Sozialen Medien als Milieu 45 zum Großbauern aufzusteigen, in Wirklichkeit löst aber schon das Schälen der Kartoffeln ein Murren aus. Es gibt aber auch eine andere Erklärung: Zur Selbstverwirklichung gehört die Kombination aus Spaß und Erfolg. Wer mit 14 Jahren in der freien Zeit gerne Programmiercodes schreibt oder Grafiken mit hochprofessionellen Bildbearbeitungsprogrammen erstellt, macht augenscheinlich etwas richtig. Teenager, die mit 16 Jahren schon 10.000 Fans auf Instagram haben, steuern vielleicht auf eine Influencer-Karriere zu, lassen sich vielleicht aber auch nur blenden. Und Erfolg in Computerspielen gibt den Kids das Gefühl, sich mit anderen auf Augenhöhe zu messen und sich (spielintern) weiterzuentwickeln. Wichtig ist, den Selbstverwirklichungstrieb in digitalen Welten zu verstehen und mediendidaktisch umzusetzen. Digitalkunde bedeutet, gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen schöpferisch zu arbeiten. Raus aus der Unsichtbarkeit Die Selbstverwirklichung des Ichs korreliert mit einer Offenbarung des inneren Kerns und ist somit als ambitioniertes Ich-Projekt zu verstehen (vgl. Schulze 1997, S. 314f.). Die Hornbach-Werbespots spielen gerne mit dieser Idee: Jedermann kann sein eigenes (analog-handwerkliches) Projekt verwirklichen - und sogar Spaß daran haben! Unterhalten werden aber auch die Zuschauer vor den Fernsehgeräten. Vor allem die Kids betrachten Werbung als Entertainment. In der Werbung gilt die Zielgruppe der 14bis 49-Jährigen als besonders werberelevant. Minderjährige stehen also im Fokus der Werbeagenturen und Unternehmen. Im Fernsehen sind die Werbeblöcke als solche immerhin erkennbar. Doch in den Sozialen Medien sind werbliche Appelle meist in Form von Geschichten verpackt. Das nennt sich Storytelling. Die Kids fühlen sich unterhalten und schicken die suggestiv verpackten Werbebotschaften über WhatsApp oder Facebook an Freunde weiter. Botschaften und vor allem Videoclips „gehen immer dann viral, wenn Menschen spannende Inhalte besonders häufig und [...] eigeninitiativ weiterverbreiten“ (Weinert 2018b, S. 183). Die Weiterverbreitung von angesagten Inhalten ist eine beliebte Form der Selbstdarstellung in den Sozialen Medien. Das Unterhaltungsmilieu ähnelt dem Selbstverwirklichungsmilieu in gewisser Weise, denn die Anhängerschaft gilt ebenso als jünger (unter 40), weist im Vergleich zum Selbstverwirklichungsmilieu allerdings eine geringere Bildung auf (vgl. Schulze 1997, S. 330). Die Manifestation in der Alltagserfahrung zeigt sich durch Bodybuilding, den Besuch von Sonnenstudios und das Vorzeigen von Autos mit auffälligem Zubehör (vgl. ebd.). Im Vordergrund steht das Streben nach Stimulation und - besonders interessant - die Bedürfnisbefriedigung (vgl. ebd.). Dass bestimmte Medieninhalte gezielt genutzt werden, um die eigenen <?page no="46"?> 46 1 Neue Medien und die digitale Pubertät und meist basalen Bedürfnisse zu befriedigen, erklärt der Uses-and-Gratifications-Ansatz (vgl. Strohmeier 2004, S. 222). Die bedürfnisorientierte Medienrezeption dient demzufolge der Unterhaltung und Identifikation, stiftet aber auch Geselligkeit. Schulze (1997) führt aus, dass das Unterhaltungsmilieu „wenig in der Öffentlichkeit sichtbar“ (Schulze 1997, S. 322) ist. Nicht aber Tarnung und Rückzug seien die Ursache, „sondern das Verschwinden in Angebotsfallen“ (ebd.) wie Kino, Videotheken und Fitnessstudios. Die klassischen Videotheken sind mittlerweile natürlich mehr oder weniger verschwunden. Stattdessen gilt in der Jugendsprache die Floskel „Netflix & Chill“, die 2018 nicht nur von Rapper Kay One und Teenie-Schwarm Mike Singer in (gewohnt) prolliger Manier besungen wurde, sondern auch als Code für unverbindlichen Sex gilt. Zur Erinnerung: Netflix ist ein beliebter Streaming-Dienst für Filme und Serien. Und wer als Teenager Zugriff darauf hat, steht bei den Gleichaltrigen natürlich hoch im Kurs. Während die von Schulze (1997) genannte Milieuunsichtbarkeit in Bezug auf den heimischen Netflix-Konsum absolut nachvollziehbar ist, gilt das für die aufgeplusterte Bodybuilding-Szene keineswegs. Schulze (1997) ist allerdings kein Fehler unterlaufen: Vor über 20 Jahren gab es einfach noch keine Sozialen Medien - und keinen öffentlichen, digitalisierten Fitness-Hype, wie wir ihn momentan erleben und wie er von vielen Teenagern und jungen Erwachsenen in den Sozialen Medien nachgeeifert wird. Es ward ein neues Milieu geboren Otto ... find’ ich gut! Dieser Slogan ist über 30 Jahre alt und entspringt dem damaligen Otto-Versand, jetzt Otto (GmbH & Co KG). Die heutige Jugend würde wohl sagen: Otto ... find’ ich nice! Und das ist tatsächlich so, denn 2018 gelingt Otto ein wahrer Marketing-Coup, der vor allem die jungen Internet-User mobilisiert. Die Geschichte beginnt bereits 2011: Ein pensionierte Rentner aus Ungarn veröffentlicht ein Urlaubsfoto von sich im Internet und wird von einem Stockfoto-Fotografen entdeckt. Stockfotos sind Bilder auf Vorrat, die beispielsweise als Werbefotos genutzt und von Agenturen verkauft werden. Der Rentner wird zum Internet-Meme und Hide the Pain Harold getauft, „weil sein Lachen stark nach unterdrücktem Schmerz aussieht“ 11 . In den Sozialen Medien entstehen fiktive Geschichten um Harold, und immer wieder ist er in anderen Rollen zu sehen; beispielsweise als Handwerker, Arzt und Yogi. 2018 verlagert sich der Hype um Harold von den Sozialen Medien in die großflächige (und salonfähige) Fernsehwerbung, als Otto ihn als Testimonial einsetzt. Die Digital Natives verstehen den Gag natürlich sofort, die ‚analogen Alten‘ vermutlich nicht. So oder so: Bereits nach zwei Wochen hat das deutschsprachige Werbevideo Play the Game Harold über vier Millionen Klicks auf YouTube 12 - ein gigantischer Erfolg <?page no="47"?> 1.3 Die Sozialen Medien als Milieu 47 für die beauftragte Hamburger Werbeagentur Jung von Matt und ein Spiegel der digitalen Erlebnisgesellschaft. Ein Social-Media-Phänomen wie dieses wirft viele Fragen auf. Wieso basteln Internet-User fiktive Geschichten um einen (2011 noch völlig unbekannten) ungarischen Rentner, den sie gar nicht persönlich kennen? Was haben die meist jugendlichen User davon, die Bilder um Harold millionenfach weiterzuverbreiten? Entsteht in den Sozialen Medien eine eigene distinktive Spaßgesellschaft, ein digitales Spaß-Milieu, das nicht jeder versteht, zu dem auch nicht jeder dazugehört? „Partielle Gemeinsamkeit von Existenzformen und erhöhte Binnenkommunikation“ (Schulze 1997, S. 174) machen ein Milieu erst zu einem Milieu, für welches man auch andere Ausdrücke verwenden könnte, „etwa Lebensstilgruppen, Subkulturen, ständische Gemeinschaften, soziokulturelle Segmente, erlebbare gesellschaftliche Großgruppen“ (ebd.). Binnenkommunikation meint die spezifische Kommunikation innerhalb einer Gruppe, also innerhalb einer Subkultur, um diesen Terminus noch einmal aufzugreifen. Die gruppenspezifische sprachliche Ausdrucksweise nennt sich in der Sprachwissenschaft Soziolekt. So schafft die Jugendsprache unter Jugendlichen beispielsweise ein Wir-Gefühl. Die milieutypische Binnenkommunikation ist natürlich viel mehr als nur Sprache, denn sie transportiert Werte, Statussymbole, Weltanschauungen und subkulturelle Logiken. Das Verständnis dieses Prinzips ist wichtig, um sich in (digitalaffine) Kinder und Jugendliche hineindenken zu können. Wer die ‚Sprache der Sozialen Medien‘ perfekt spricht, alle Insider-Gags kennt, digitale Prestigeobjekte erreicht und viele Online-Freunde oder gar Fans hat, ist in diesem Milieu begehrenswert, vielleicht sogar wichtig. Freilich wäre es zu einfach, die Sozialen Medien als ein Milieu zu bezeichnen. In den Sozialen Medien gibt es digitale Subkulturen, quasi Milieus im Milieu. Es entstehen Ähnlichkeitsgruppen, und „jeder schaut vom anderen ab, was normal ist, alle gleichen sich immer wieder neu aneinander an“ (ebd.). Milieus haben demnach das Potenzial, sozialisierend zu wirken, weil sich die sozialen Kontakte innerhalb der Gruppe durch Binnenkommunikation sukzessive verdichten. Ohne Kommunikation funktionieren die Sozialen Medien nicht, denn sie leben vom User-generated Content, also von nutzergenerierten Inhalten. Würde niemand etwas auf Facebook veröffentlichen, wäre die Plattform ruckzuck mausetot. Das wird natürlich nicht passieren, denn viele Menschen - vor allem Jugendliche - haben sich in den Sozialen Medien eine digitale Existenzform aufgebaut, die durchaus als Kapital zu verstehen ist. Das jahrelange zeitliche Investment in <?page no="48"?> 48 1 Neue Medien und die digitale Pubertät einen Social-Media-Account ist enorm. Ebenso muss sich der User schrittweise Wissen und Expertise aneignen, um die digitalen Medien optimal bedienen zu können. Diese Verinnerlichung ist als inkorporiertes Kulturkapital zu verstehen (vgl. Bourdieu 2015, S. 55). Wer sich durch investierte Zeit besondere Fähigkeiten aneignet, „gewinnt aufgrund seiner Position in der Verteilungsstruktur des kulturellen Kapitals einen Seltenheitswert“ (ebd., S. 57). So ist es kein Wunder, dass Kinder und Jugendliche viel Zeit in den Sozialen Medien oder in Spiele- Apps verbringen, denn über Jahre lässt sich hier tatsächlich etwas aufbauen (z.B. das ‚Sammeln‘ von Online-Freunden bzw. Fans, prestigeträchtige Errungenschaften in Computerspielen, die Akkumulation von Komplimenten, Likes etc.). Das gegenseitige Kennen und Anerkennen beschreibt Bourdieu (2015) als soziales Kapital (vgl. ebd., S. 63). Durch die Mobilisierung von nützlichen Beziehungen können sich durchaus materielle Profite ergeben (vgl. ebd., S. 64). Ein Netzwerk von 5.000 Facebook-Freunden ist gewiss nicht hinderlich, um Multilevel-Marketing zu betreiben (Verkauf von Produkten, Akquise von neuen Mitgliedern). „Für die Reproduktion von Sozialkapital ist eine unaufhörliche Beziehungsarbeit in Form von ständigen Austauschkontakten erforderlich“ (ebd., S. 67). Besonders Influencer in den Sozialen Medien profitieren davon, denn es lohnt sich für den gemeinen User, sie zu kennen: Der User wird zum Fan und glaubt nun, mit der digitalen Prominenz auf irgendeine Weise verbunden zu sein. Die Bildung von digitalen Communitys wirkt sozialisierend, denn starke Gruppen verfügen über Gruppengrenzen, und „jedes Gruppenmitglied wird so zum Wächter über die Gruppengrenzen“ (ebd., S. 66). Kinder und Jugendliche bilden in den Sozialen Medien also ganz bewusst eigene und für Eltern und Lehrer unzugängliche Gruppen (z.B. WhatsApp-Gruppen), um eine Mésalliance zu vermeiden. Bewegen sich die Kids in den Sozialen Medien, sind sie oftmals auf der ‚Suche nach mehr‘, wollen sich also eine Form von Kapital aneignen, die in der Erwachsenenwelt auf Unverständnis stößt. Zwischenfazit: Kastensystem 2.0 im Social-Media-Milieu Der Deutsche und sein Auto gilt beinahe schon als (liebevolle) Binsenweisheit. Wenn der dicke Porsche vor dem Häuschen steht, der Vorgarten blitzt und der Bürgermeister gleich nebenan wohnt, gilt das in der Erwachsenenwelt als prestigeträchtiger Meilenstein. Kinder und Jugendliche verstehen die klischeebeladene Mein-Haus-mein-Auto-mein-Boot-Prahlerei nicht. Stattdessen ‚duellieren‘ sich die Kids mit Follower-Zahlen, virtuellen Errungenschaften und digitalen Trends. So scheint es im Cyberspace einerseits Trendsetter und andererseits Trittbrettfahrer zu geben. Das impliziert ein Gefüge der Macht, deren ökonomische, politische und kulturelle <?page no="49"?> 1.3 Die Sozialen Medien als Milieu 49 Wirksamkeit vornehmlich symbolisch ist (vgl. Bourdieu 2015, S. 82). Die Verteilung der Machtverhältnisse in den Sozialen Medien erinnert an das vierstufige Kastensystem in Indien, an das zusätzlich die ‚Unberührbaren‘ als nicht dazugehörige Ebene gekoppelt sind. Das Kastensystem in den Sozialen Medien (vgl. Schema I) ist losgelöst von Religiosität und einer Schema I: Das Kastensystem in den Sozialen Medien. Eigene Darstellung . vererbbaren Kastenzugehörigkeit. Die Influencer sind die Brahmanen der digitalen Welt. An zweiter Stelle stehen die Digital Natives. Zu dieser Kaste gehören Menschen mit digitalen Spezialkenntnissen, IT-Nerds und Programmierer. In der dritten Kaste tummeln sich die Follower. Sie folgen ihren favorisierten Influencern in den Sozialen Medien, zeigen aber auch selbst ein beachtliches Social-Media-Verhalten und pflegen ihren Account (sie träumen von einem ähnlich großen Bekanntheitsgrad). Das Kastensystem wird durch die Casual User abgerundet, die eher auf privaten Austausch bedacht sind und Social-Media-Inhalte lediglich rezipieren, anstatt öffentlich sichtbaren Content beizusteuern. ‚Unberührbar‘ und somit vom Kastensystem ausgeschlossen sind die sog. Trolle. Hierbei handelt es sich um Personen, die andere Social-Media-User vorsätzlich ärgern und provozieren. Im Gegensatz zum strikt regulierten Kastensystem in Indien ist ein Aufstieg in den Sozialen Medien jederzeit möglich - beispielsweise durch (Weiter-)Bildung, den Aufbau eines vorteilhaften Netzwerks und vorbildliches Verhalten. Das Social-Media-Milieu ist ein Hybrid aus Selbstdarstellung und Unterhaltung. Es ist dynamisch und komplex. Kinder und Jugendliche erahnen rasch, dass es in den Sozialen Medien mög- Influencer Digital Natives Follower Casual User Trolle <?page no="50"?> 50 1 Neue Medien und die digitale Pubertät lich ist, sich etwas aufzubauen. Frei nach dem Motto: Mein Social-Media- Account. Meine vielen Fans. Mein Ranking. Und was hast Du so zu bieten? 1.4 Medien als Modell von Wirklichkeit Stille Post ist ein beliebtes Kinderspiel. Möglichst viele Kinder bilden einen Kreis, beispielsweise im Klassenraum. Die Lehrkraft schreibt eine Nachricht auf einen Zettel. Das ‚Starter-Kind‘ prägt sich die Nachricht ein und flüstert sie in das Ohr des nächsten Kindes. Flüsternd von Mund zu Ohr geht es munter weiter, bis das letzte Kind die verstandene Nachricht laut ausspricht. Die Verfälschung der ursprünglichen Nachricht löst meist viele Lacher aus - und zeigt, wie schnell sich Botschaften (unabsichtlich) verfälschen lassen. In der Medienwissenschaft wird zwischen unvermittelter und vermittelter Realitätswahrnehmung unterschieden. Bei der unvermittelten Realitätswahrnehmung handelt es sich um einen Realitätstest erster Art (vgl. Strohmeier 2004, S. 104). Das ‚Starter-Kind‘ aus dem obigen Beispiel prägt sich die Nachricht der Lehrkraft unverfälscht ein (sofern das Kind sprachkompetent und konzentriert ist). Die Realität wird also unvermittelt wahrgenommen. Die vermittelte Realitätswahrnehmung trifft zu, wenn Ereignisse und Botschaften „nicht direkt, sondern indirekt wahrgenommen werden“ (ebd., S. 105), so wie es beim Stille-Post-Spiel der Fall ist. Es kommt im Laufe des Spiels zu Verkürzungen und Verzerrungen - das nennt sich dann passenderweise Stille-Post-Prinzip. Nicht nur die klassischen Massenmedien wie Zeitungen, das Fernsehen und Radio vermitteln eine bestimmte Medienrealität, sondern auch die Sozialen Medien - und mit ihnen die normalen Nutzer, die ihre eigenen Geschichten schreiben und mit bunten Bildchen garnieren. Journalisten selektieren aus unzähligen Pressemitteilungen. Unsere Kids selektieren aus unzähligen Selfies und Erlebnissen: „Was stelle ich in die Sozialen Medien? “ Dann nämlich entsteht eine Kettenreaktion. Freunde, Bekannte und Unbekannte sehen die online gestellten Inhalte und nehmen diese auf ihre eigene Weise wahr. Es konstituiert sich eine Publikumsrealität durch die jeweilige Selektion und Wahrnehmung. Perfekt gestylte Urlaubsbilder werden von manchen Jugendlichen angehimmelt, von den anderen werden sie als unsympathische Protzerei abgetan. Ähnlich verhält es sich mit Bildern in halbnackter Pose. Es gibt nicht nur Kids, die solche Bilder verschicken, sondern natürlich auch Kids, die solche Bilder sexy finden. In anderen Worten: In den Sozialen Medien gibt es für alles einen Markt. Gefährlich wird es dann, wenn sich Erwachsene als Kinder ausgeben, um an Nacktbilder zu kommen. Im Internet kann ein Mensch viele Identitäten anneh- <?page no="51"?> 1.4 Medien als Modell von Wirklichkeit 51 men - und viele Realitäten vorgaukeln. Jeder kann sich auf den Bahamas markieren (die geografische Markierung ist eine beliebte Facebook-Funktion) und ein über Google gefundenes Strandbild hochladen. Das Geburtsdatum ist schnell gefälscht, das Profilbild auch. Wer keine Medienkompetenz besitzt, flirtet schnell mit dem Wolf im Schafspelz. Rotkäppchen und der böse Wolf Das Märchen von Rotkäppchen und dem bösen Wolf kennt wohl jedes Kind. Doch es ist eben nur ein Märchen und wird unter der abgedroschenen Phrase Es war einmal archiviert. Märchen möchten allerdings auch immer eine Moral vermitteln, und so gilt die altbekannte Phrase Die Moral von der Geschicht‘ ebenfalls. Freilich wussten die Brüder Grimm noch nichts von den Sozialen Medien, doch interessant ist das Märchen im Kontext der Digitalisierung schon. Ein gefräßiger Wolf verspeist die liebe Großmutter, zieht sich deren Kleider an und legt sich dann wie die Unschuld vom Lande in Großmutters Bett. Als Rotkäppchen heimkehrt, fällt ihr natürlich auf, dass Großmutter ein bisschen merkwürdig aussieht. „Ei, Großmutter, was hast du für große Ohren! “ Und schlussendlich: „Aber, Großmutter, was hast du für ein entsetzlich großes Maul! “ „Dass ich dich besser fressen kann! “ Und schwupp, springt der Wolf aus dem Bette und verschlingt das kleine Rotkäppchen. Wie konnte das passieren? Rotkäppchen hat sich gefährlich nahe an den Wolf herangewagt und fiel auf dessen Verkleidung herein. Glück im Unglück: Ein mutiger Jäger entdeckte den schnarchenden Wolf und befreite die beiden Gefressenen. Es hätte auch anders ausgehen können. Das Vorspielen von Tatsachen, Gefühlen und Identitäten ist ein Social- Media-Trend. Wer glaubt, dass nur Kinder unter den Opfern sind, irrt sich gewaltig. Eine neue Masche ist der Militär-Romanzen-Trick: Die Täter geben sich als amerikanische Soldaten aus, die in Kriegsgebieten stationiert sind und Geld brauchen. Die Opfer, meist sind es ältere und einsame Menschen, werden so lange umgarnt, bis sie das Geld überweisen. Danach wird der Kontakt abgebrochen. Jüngere Menschen, auch Teenager, werden oft Opfer der Sex-Erpressung. Die Täter gaukeln vor, andere Nutzer per Webcam beim Ausführen von sexuellen Handlungen gefilmt zu haben. Vorsichtige Menschen kleben ihre Webcam deshalb mit einem Pflaster zu. In einigen Fällen haben die Erpressungen Hand und Fuß; nämlich dann, wenn die Opfer, in der Regel junge Männer, tatsächlich Nacktbilder von sich verschickt haben. Der Trick ist simpel: Kriminelle geben sich als sexy Frauen aus und animieren die Jungs, Nacktbilder von sich zu machen. Danach erfolgt die Erpressung - und oftmals zahlen die Opfer aus Scham. <?page no="52"?> 52 1 Neue Medien und die digitale Pubertät Digitalisierungsexperten empfehlen, in den Sozialen Medien möglichst wenige Informationen öffentlich sichtbar zu schalten. Das gilt auch für die Facebook- Freundesliste. Es gibt tatsächlich Kriminelle, die in den Sozialen Medien Identitäten klauen. Und hier erleben wir nun wirklich das Rotkäppchen-Wolf-Phänomen: Die 18-jährige Marina bekommt auf Facebook eine private Nachricht von ihrem Fahrschullehrer Hans. Hans fragt Marina nach ihrer Handynummer (mit Erfolg! ) und anschließend nach einem Bezahlcode, den Marina in der Zwischenzeit per SMS bekommen haben müsste. Marina wird skeptisch und ruft bei der Fahrschule an. Sie hat Fahrschullehrer Hans glücklicherweise direkt am Telefon. Der weiß von nichts. Einige Tage später klärt sich die Sache auf. Internet-Betrüger haben das Facebook-Profil des Fahrschullehrers kopiert, haben also dessen Vor- und Zunamen angenommen und das Profilfoto geklaut. Marina trifft keine Schuld, denn Hans offenbarte seine Facebook- Freundschaften der Öffentlichkeit - und so wussten die Betrüger natürlich, dass Hans mit Marina befreundet ist. Natürlich ist es erschreckend, wenn Kinder und Jugendliche im Internet in gefährliche Situationen geraten. Mindestens genauso erschreckend ist es aber, dass viele Erwachsene überhaupt nicht medienkompetent sind. Learning by Doing funktioniert eben nicht immer. Wenn sich die Eltern in digitalen Welten bewegen, sind sie meist kein Vorbild, können ihre eigenen Kinder also auch nicht medial erziehen (höchstens medial verziehen). Interessanterweise weiß die Medienwissenschaft schon seit langer Zeit, dass die Medien eine Erziehungs- und Sozialisierungsfunktion übernehmen (vgl. Strohmeier 2004, S. 72f.). Das liegt unter anderem an der Macht der Sekundärerfahrung (vgl. Merkert 1992, S. 102ff.). Das Prinzip lässt sich erneut sehr treffend am Beispiel Facebook exemplifizieren. Beim Durchscrollen der Timeline sehen wir immer irgendwelche Freunde, die sich gerade im Urlaub befinden. Im Sommer sind sie in Italien und im Winter auf den Kanaren oder in Ägypten. Kurzum: Irgendwie scheinen alle im Urlaub zu sein - nur wir (mal wieder) nicht! Die Medien - egal ob Massenmedien oder Soziale Medien - konstituieren neue Wirklichkeiten (vgl. Baacke 2007, S. 94). Sie sind eine großartige Inszenierung mit verschiedenen wünschbaren Wirklichkeiten (vgl. ebd., S. 93f.). Kinder und Jugendliche haben die Möglichkeit, ein Teil dieser Wirklichkeiten zu sein, nämlich indem sie ihr eigenes Modell von (Medien-)Wirklichkeit kreieren. Teenies als Medienmacher Es muss als 16-jähriges Mädchen oder als 16-jähriger Junge anscheinend ein gigantisches Gefühl sein, über 10.000 Fans in den Sozialen Medien zu haben. Die Klassenkameraden himmeln einen an, und als Selfmade-VIP schwebt man quasi wie eine Lichtgestalt in das profane Klassenzimmer hinein. Für die Lehrer <?page no="53"?> 1.4 Medien als Modell von Wirklichkeit 53 ist man dann wohl eher das Enfant terrible, „aber wer braucht schon die doofe Schule“, denkt sich sicher der ein oder andere Social-Media-Überflieger. Dass Träume meist nur Schäume sind, zeigt sich dann schneller als gedacht. Es genügt ein gehackter Account oder die Tatsache, dass viele Online-Fans kein oder zu wenig Geld einbringen, um auf einen qualifizierten Schulabschluss zu verzichten. Die digitale Selbstdarstellung korreliert natürlich auch mit der eigenen Selbstwahrnehmung und der Möglichkeit, den grauen Alltag bunt und schrill zu präsentieren. Digitale Erfolgserlebnisse in den Sozialen Medien lassen sich mit relativ wenig Aufwand selbst steuern - im Gegensatz zu kniffeligen Mathematikklausuren und vielschichtigen Lyrikinterpretationen, die ab und an einen wahren Lernmarathon voraussetzen. Viel spannender ist es, von einem Social- Media-Ereignis zum nächsten zu sprinten. In der Kommunikationswissenschaft und Journalismusforschung gibt es die Nachrichtenwerttheorie, die sich auf die Nachrichtenfaktoren bezieht. Die Faustregel lautet: Je mehr Nachrichtenfaktoren auf ein Ereignis zutreffen, desto höher ist der Nachrichtenwert des Ereignisses (vgl. Gellner/ Glatzmeier 2004, S. 345f.). Nachrichtenfaktoren entscheiden also mit, welche Themen es in die klassischen Massenmedien schaffen. Journalisten fungieren als Gatekeeper (vgl. ebd., S. 347). Schließlich schaffen es nicht alle Geschehnisse in die Zeitung oder ins Fernsehen. Der journalistische Auswahlprozess korreliert freilich nicht nur mit den Nachrichtenfaktoren, sondern auch mit persönlichen Motiven und der redaktionellen Linie des jeweiligen Mediums. Das wiederum heißt: Wer eine Medienkarriere starten möchte, braucht Vitamin B, also die richtigen Beziehungen. In den Sozialen Medien ist das anders. Selbst Donald Trump schreibt „via Social Media seine eigenen Nachrichten. Ungefiltert“ (Weinert 2018a, S. 6.). Jeder User kann Journalist oder Influencer (und im Prinzip sind auch Journalisten nichts anderes als genau das) sein, also werden Social-Media-Inhalte veröffentlicht, die möglichst viele Klicks und Likes generieren. Doch was genau hat das jetzt mit den Nachrichtenfaktoren zu tun? Bekannte Persönlichkeiten, sog. Elite-Personen, gelten als eigenständiger Nachrichtenfaktor. Zwei weitere Nachrichtenfaktoren sind Überraschung und Negativität. Wer in den Sozialen Medien überraschende und negative Themen veröffentlicht, erhält die gewünschte Aufmerksamkeit. Teenager, die aufgrund ihrer Attraktivität oder Besonderheit bereits viele Fans und Follower haben, profitieren zusätzlich von ihrem Bekanntheitsgrad. Kinder und Jugendliche können auf Facebook, Instagram, WhatsApp und anderen Plattformen ihre eigenen Lieblingsthemen setzen - und somit mediale Modelle von Wirklichkeiten schaffen. Im Journalismus nennt sich das Agenda- Setting. Themen werden je nach Publikationshäufigkeit, Platzierung und Aufmachung als unterschiedlich wichtig angesehen (vgl. Brettschneider 1998, S. 635f.). In gewisser Weise entscheiden also auch die Influencer, die ja auch Medienmacher sind, „worüber die Mehrheit spricht und was als ‚bemerkenswert‘ zu gelten <?page no="54"?> 54 1 Neue Medien und die digitale Pubertät habe“ (Baacke 2007, S. 73). Immerhin eröffnen die Sozialen Medien eine Möglichkeit der Wirklichkeitskonstruktion, die nämlich dann vorhanden ist, „wenn sie nicht von wenigen produziert, sondern von möglichst vielen als zugänglich und gestaltbar erfahren wird“ (ebd., S. 73). Bemerkenswert ist, dass Dieter Baacke schon damals - vor der Etablierung der Sozialen Medien - unter medienpädagogischen Gesichtspunkten danach fragte, „wer eigentlich heute die Themen der öffentlichen Debatte bestimmt“ (ebd.) und wie man „die Teilhabe unterschiedlicher Gruppen an den Möglichkeiten öffentlicher Artikulation“ (ebd.) verbessern könnte. Die Sozialen Medien tragen natürlich zur Demokratisierung und Pluralisierung der Gesellschaft bei, sind jedoch auch der Nährboden einer neuen Streitkultur - die es verbal teilweise ganz schön in sich hat, und vor der die Kinder und Jugendlichen, die sich in ebendiesen Medien aufhalten, kaum geschützt (aber immerhin sensibilisiert) werden können. Zwischenfazit: Digitale Jungprofis ‚made in Germany’ Ähnlich wie die inszenierte Welt der Werbung besteht die Social-Media- Wirklichkeit „aus optischen Gags, geballten Höhepunkten, [...] aus Bild- und Sound-Miniaturen, aus rasanten Bildfolgen mit komischen, häufig auch surrealen Montagen“ (Baacke 2007, S. 88). So kommt es nicht von ungefähr, dass vor allem junge Menschen Freude daran haben, mit den schrillen Stilmitteln zu jonglieren. Es entstehen Bricolagen, womit „die Neuordnung und Neuzusammenstellung (Rekontextualisierung) von Objekten“ (ebd., S. 89) gemeint ist, um auf diese Weise neue Bedeutungen zu kommunizieren. Beispielhaft für digitale Bricolagen sind Memes, die von Kindern und Jugendlichen selbst ‚gebastelt‘ werden. Memes sind Text-, Bild-, Audio- und Videodateien, die in einem anderen Kontext einen speziellen „gestischen, demonstrativen Charakter“ (ebd.) erhalten. So werden beispielsweise Bildmotive aus der Erfolgsserie Game of Thrones mit einem neuen Text versehen (wie in etwa „Calm down Ned, dont’t lose your head“ in Anspielung auf dessen Enthauptung). Die Wirklichkeitskonstruktion in den Sozialen Medien funktioniert über Storytelling, also über das Erzählen von Geschichten - vor allem in der kommerziellen Unternehmens- und Werbekommunikation. Jugendliche, die sich bereits in jungen Jahren ein solches Know-how aneignen, sind für die Wirtschaft wertvoll. Doch wohin führt der Weg der jungen Erwachsenen, die ihre digitale Genialität im Internet zur brotlosen Kunst machen und im klassischen Schulunterricht versagen? Die Digitalisierung gehört zur medialen Erfahrungswelt der Kinder und Jugendlichen und muss daher in allen Schularten und Schulstufen thematisiert werden, „selbstverständlich in altersangemessenen Teilbereichen und Reflexionstiefen“ (Kepser 1999, S. 364). <?page no="55"?> 1.5 Kapitelschließende Diskussionsfragen für den Unterricht und Workshops 55 1.5 Kapitelschließende Diskussionsfragen für den Unterricht und Workshops  Welche Influencer kennt ihr und warum findet ihr sie gut?  Wörter wie dissen, Ragemodus und Diggah sind Bestandteile der Jugendsprache. Kennt ihr weitere Beispiele?  Stellt euch vor, euer Smartphone geht kaputt oder verloren. Wie würdet ihr euch fühlen? Und welche Apps, Spiele und Smartphone- Aktivitäten würdet ihr besonders vermissen?  Interessieren sich eure Eltern dafür, was ihr am Smartphone oder Computer macht?  Früher gingen die Kids in Platten- und CD-Läden, um die neueste Musik zu hören. Wie läuft das heutzutage ab? Wie wichtig ist euch Musik? Hört ihr Musik auf dem Weg zur Schule?  Nutzt ihr euer Smartphone, Tablet oder Computer für Hausaufgaben?  In vielen Handyspielen ist es notwendig, In-Game-Käufe zu tätigen, um schneller voranzukommen (z.B. im Spiel Clash of Clans). Habt ihr so etwas schon einmal gemacht?  Telefoniert ihr mit euren Freunden und eurer Familie oder schickt ihr euch Sprachnachrichten über WhatsApp?  Wie würdet ihr reagieren, wenn jemand im Internet eure Bilder klaut und ein Fake-Profil anlegt?  Seid ihr im Internet schon einmal in eine unangenehme Situation geraten?  Challenges (Selfies auf Gleisen, einen Kumpel schlagen und dabei filmen etc.) sind ein moderner Trend in den Sozialen Medien. Wurdet ihr dazu schon einmal aufgefordert?  Wie wichtig sind euch Likes oder Herzchen auf Facebook und Instagram? Würdet ihr gerne bekannt werden und 10.000 Fans haben?  Ihr seid bestimmt in geschlossenen WhatsApp-Gruppen mit euren Freundinnen und Freunden. Warum sind eure Eltern nicht dabei?  Viele Teenager veröffentlichen in den Sozialen Medien halbnackte Bilder von sich. Was haltet ihr davon? <?page no="56"?> 56 1 Neue Medien und die digitale Pubertät  Im Märchen Rotkäppchen verkleidet sich der böse Wolf als Großmutter und verschlingt Rotkäppchen. Lässt sich das Märchen auch auf das Gefahrenpotenzial im Zuge der Digitalisierung anwenden? <?page no="57"?> Teil-II: -Integrativer-Teil- 2 Digitalisierung, E-Learning und Kulturkritik Der digitale Fortschritt polarisiert und ist mittlerweile ein wichtiger Bestandteil der politischen Debatte. Im Fokus stehen sowohl technische als auch bildungsrelevante Weiterentwicklungen. Die Online-Kommunikation der Kinder und Jugendlichen hat Konsequenzen in der analogen Welt. Klar zu sein scheint: Die Medienerziehung kann nicht alleine von den Eltern getragen werden. Eine sozialpolitische Debatte entsteht auch über die Chancengleichheit. Müssen die Schulen moderne Endgeräte zur Verfügung stellen, um die Chancengleichheit zu gewährleisten? Und ist es überhaupt richtig, dass die Kids in der Freizeit und im Schulunterricht so viel Zeit mit den Neuen Medien verbringen? Immerhin gibt es viele Kritiker, die der Meinung sind, dass die Jugendsprache für den Sprachverfall im Deutschen verantwortlich ist. Das Gaming, also das ambitionierte Spielen von Videospielen, steht zwar seit Jahren unter Beschuss (Stichwort Killerspiele), entwickelt sich allerdings Schritt für Schritt zum attraktiven Politikum. Vor allem die Grünen planen, den E- Sport als echten Sport anzuerkennen, was in der Gaming-Szene eine gewisse Euphorie auslöst und sicher auch die grünmelierte Wahlurne klingeln lässt. E- Learning, so scheint es, besitzt im öffentlichen Diskurs nicht diese Strahlkraft, obwohl gut konzipierte digitale Lehr- und Lernkonzepte an Nachhaltigkeit wohl kaum zu überbieten sind. Denn auch im E-Learning gibt es Spiele, nämlich Lernspiele. Die Medienpädagogik wünscht sich eine Ausgewogenheit aus Spiel, Spaß und Bildung. 2.1 Einführende Aufgabe YouTube-Stars genießen bei Kindern und Jugendlichen einen VIP-Status. Sie sind Vorbilder, Idole und so etwas wie der jederzeit verfügbare digitale Pausenclown. Die meisten YouTube-Stars veröffentlichen mehrfach die Woche ein Video. Über mehrere Jahre häufen sich über 1.000 Clips an - genug Futter also für die jungen Zuschauer. Es gibt Videos über Modetrends, Videospiele und echte Erlebnisse aus dem Alltag. So etwas nennt sich dann real talk und wird gerne gesehen, weil es die Idole nahbarer und auf Augenhöhe mit den Kids erscheinen lässt. Sehr bekannt in der Szene sind: <?page no="58"?> 58 2 Digitalisierung, E-Learning und Kulturkritik Überblick | YouTuber in Deutschland (Abonnenten in Millionen) 13  Gronkh (Gaming) = 4,7 Mio.  Bibi (Beauty, Musik) = 5,5 Mio.  Shirin David (Sängerin, Entertainerin) = 2,3 Mio.  Heiko und Roman Lochmann (Entertainer, Musiker) = 2,7 Mio.  Dagi Bee (Styling, Mode) = 4,0 Mio. Der Überblick zeigt, welche Reichweite und Relevanz die Influencer in Deutschland haben. Wohlgemerkt: Influencer sind meist auf mehreren Social- Media-Kanälen gleichzeitig aktiv (YouTube, Facebook, Instagram etc.), was die Viralität zusätzlich erhöht. YouTuber wie Gronkh und Bibi sind in der Jugendszene echte Promis. Für den Deutschunterricht kann dies genutzt werden: Sei immer Du selbst. Jeder kennt wohl diese kleine Binsenweisheit. Sie will sagen: Ein Original ist mehr wert als eine Kopie. Social-Media-Stars geben sich in ihren YouTube-Videos authentisch. Wie das gelingt? Sie sprechen umgangssprachlich, verplappern sich auch mal, machen Faxen und suchen den Kontakt zu ihren Zuschauern. Sie fragen, was sie besser machen könnten und fordern die Fans auf, Likes und Kommentare zu hinterlassen. Meistens klappt das sehr gut. Die Kommentarfunktion auf YouTube erlaubt es, Komplimente zu ‚posten‘, Fragen zu stellen und Kritik zu äußern. Viele User wollen auch einfach nur ein bisschen pöbeln. Ein Star, der keine Hater hat, ist eben kein echter Star. Provokation ist ein beliebtes Stilmittel, um in der Schnelllebigkeit der Sozialen Medien aufzufallen. Bibis YouTube-Video „10 Arten von Geschwistern + Outtakes“ 14 hat 14 Millionen Klicks und 300.000 Likes. In dem Video werden also verschiedene Typen vorgestellt - beispielsweise die Streithähne, Eifersüchtigen und Petzen. Bibi und Julian (selbst You- Tube-Star mit knapp vier Millionen Abonnenten) mimen ein Geschwisterpaar, das typische Situationen auf den Arm nimmt. Nicht nur die Sprache ist authentisch, sondern auch die Kulisse. Da liegen auch mal Stromkabel herum, das Bett ist nicht gemacht - und lustige Versprecher (Outtakes) sind für echte Fans natürlich das Sahnehäubchen. In einem anderen Video testen Bibi und Julian saure Süßigkeiten. 15 In einem zehnminütigen Clip stellt Bibi ihre Schwester vor. 16 Die Fans diskutieren im Kommentarfeld, ob sich die beiden ähnlich sehen oder nicht. Einige bedanken sich für den privaten Einblick. <?page no="59"?> 2.2 Digitalisierung im öffentlichen Diskurs 59 Jetzt sind Sie dran! Zunächst stellt sich die Frage, unter welchen Gesichtspunkten und Fragestellungen ein solches YouTube-Video in den Schulunterricht zielführend und sinnvoll eingesetzt werden kann. Skizzieren Sie bitte - natürlich vorläufig - unterrichtsvorbereitende Überlegungen für eine Unterrichtseinheit im Fach Deutsch zum Thema „Verstehend zuhören“ und „Sprachliche Verständigung“. Was muss bei der Auswahl des Videos beachtet werden? Eignet sich jedes Video für jede Klassenstufe? Überlegen Sie sich drei beispielhafte Aufgaben für den Unterricht! 2.2 Digitalisierung im öffentlichen Diskurs Digitalisierung ist ein dehnbarer Begriff, der augenscheinlich eine gewisse Magnetwirkung besitzt. Digitalisierung ist ein ‚Buzzword‘, das mit Feenstaub überzogen zu sein scheint. Es gilt als Synonym für Fortschritt und ist das Fahnenwort für ein modernes Deutschland. Nicht umsonst erfand Roman Herzog 1998 den Merkspruch Laptop und Lederhose, der später von Edmund Stoiber und der gesamten CSU als Slogan gekalauert wurde. Schon damals schien es in CSU- Kreisen erstrebenswert zu sein, sich vom Agrarstaat zum High-Tech-Staat zu mausern. Jetzt, über 20 Jahre später, schwadronieren auch andere Parteien mit digitalen Parolen - und das mit Erfolg. Sicherlich richten sich die politischen Volksvertreter auch nach den Wählerinnen und Wählern, die Breitband-Internet vor allem in ländlichen Regionen fordern und sich im Idealfall nie wieder in ein Handy-Funkloch verirren möchten. Sicherlich - und hier kommt wieder der Begriff Digital Detox ins Spiel - gibt es durchaus Menschen in Deutschland und anderswo, die ihre medienfreie Zeit nicht als Verzicht sehen, sondern als Gewinn im ideellen Sinne. Auf der politischen Bühne geht es um Innovation, Werte und Zukunftsfähigkeit: Die Digitalisierung fügt sich in die Stilistik der politischen Sprache perfekt ein, handelt es sich bei Digitalisierung doch um ein Plastikwort, das eine wissenschaftliche Prägung suggeriert und von einer innovativen Aura umgeben zu sein scheint (vgl. Janich 2005, S. 121). Digitalisierung wirkt - bei aller Sinnhaftigkeit, die sich hinter dem Wort verbirgt - im politischen Kontext oftmals wie ein Werbewort. Die Wirtschaftswerbung und politische Werbung sind sich ohnehin nicht unähnlich, und entsprechend des Verbs werben, das im Deutschen bereits seit Jahrhunderten Verwendung findet, wird deutlich, „dass man sowohl für eine Sache als auch um eine Person werben kann“ (ebd., S. 18). Digitalisierung eignet sich also, einerseits für diese zu werben (und somit <?page no="60"?> 60 2 Digitalisierung, E-Learning und Kulturkritik auch für die entsprechende Partei oder ein Unternehmen, das digitale Dienstleistungen anbietet), andererseits ist es zielführend, Wählerinnen und Wähler bzw. Kunden von Angeboten, Programminhalten oder Strategien zu überzeugen. Smart Schools statt Dosenpfand Viele Jahre ist es her, da standen die Grünen noch für Nischen-Ökologie und die Einführung des umstrittenen Dosenpfands. Heute - vor allem nach dem Wahlerfolg bei der Landtagswahl 2018 im Freistaat Bayern - können sich laut Infratest Dimap 47 Prozent der Bundesbürger in Deutschland vorstellen, ihr Kreuz bei den Grünen zu setzen (vgl. „Welt Online“ 2018). Eine Mehrheit sieht sie als eine „Partei der Mitte“ (ebd.) an. Gerechtigkeit, Werte und Bildung sind Themen, die im programmatischen Vordergrund stehen. Vor allem die Grünen im Freistaat Bayern preschen mit digitaler Bildung nach vorne. Bereits im Januar 2018 - also viele Monate vor den Landtagswahlen im Herbst 2018 - forderte Grünen-Fraktions-Chefin Katharina Schulze ein Schulfach Digitalkunde: „Das Laptop- und Lederhosenzeitalter ist vorbei, ab heute heißt es Digitalisierung und Dirndl“ („Süddeutsche Zeitung“ 2018a). An diesem Beispiel wird durchaus und mal wieder die Phrasenhaftigkeit des Wortes Digitalisierung deutlich, denn sind es nicht gerade Laptops, die für digitales Arbeiten stehen und somit einen wichtigen Teil der Digitalisierung symbolisieren? Eben nicht, meinen die Grünen, und verweisen auf die Vermittlung von feinfühliger Medienkompetenz, die vom bisherigen Informatikunterricht nicht abgedeckt werden könne (vgl. ebd.). Die Grünen fordern außerdem „die Errichtung eines eigenständigen Digitalisierungsministeriums in Bayern“ (ebd.), das letztendlich von der damals 33jährigen Judith Gerlach (CSU) bekleidet wird, die gerne mit „mit analogen Menschen am Biertisch“ („Süddeutsche Zeitung“ 2018b) zusammensitzt. Digitalisierung als Ministerium ist eine Idee, die in Schleswig-Holstein bereits auf ähnliche Weise zu funktionieren scheint - und dort regiert Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) mit einer Koalition aus CDU, Grünen und FDP. Dass die FDP die Einführung eines „Digitalministeriums“ auf Bundesebene fordert, ist demnach nur stringent. 17 Auffällig ist in jedem Fall, dass sich die Grünen und Liberalen nicht einig sind, ob ein solches Ministerium nun Digitalisierungsministerium oder Digitalministerium heißen soll. Sei’s drum: Auch SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil forderte im Nachklang der Bundestagswahlen 2017 ein Digitalministerium. „Klingbeil übernimmt FDP-Forderung“, kommentierte der Bayerische Rundfunk am 1. Dezember 2017. 18 In Sachen digitale Bildung hat die Landtagsfraktion der Grünen in Bayern 2018 ein Klausurpapier mit dem Titel „Smart Schools“ veröffentlicht, das den Untertitel „Lernen und Bildung im digitalen Zeitalter“ trägt. Das Papier (vgl. Positionspapier der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN im Bayerischen Landtag 2018) beinhaltet unter anderem die folgenden Punkte: <?page no="61"?> 2.2 Digitalisierung im öffentlichen Diskurs 61 Smart Schools: Positionen der Grünen in Bayern  Alle Kinder und Jugendlichen sollten sich sicher durch das Netz bewegen können  Lernen muss nicht mehr nur auf das Klassenzimmer beschränkt sein, sondern kann überall und zu jeder Zeit stattfinden  Die Rechnung „modernes Medium + Unterricht = moderner Unterricht“ geht nicht auf  Sensibilisierung für Themen wie Fake News und Cyber-Mobbing  Schüler*innen könnten sogar einen Wissensvorsprung haben, doch sie nutzen die Technik meist zu oberflächlich  Digitale Endgeräte und Unterrichtsmaterialen sowie schnelles WLAN in den Klassenzimmern  Medienbildung muss in der Lehramtsausbildung verankert werden  Aufenthalt in der virtuellen Welt ist eine Kulturtechnik wie Lesen, Schreiben und Rechnen  Stärkere Finanzierung für das Sonderprogramm „Schule digital“ Die oben genannten Punkte verdeutlichen, dass einerseits der medienkompetente Umgang mit den digitalen Medien vorangetrieben werden soll, andererseits fordern die Grünen, die Schulen mit modernen Endgeräten, digitalen Unterrichtsmaterialien und Breitband auszustatten. Aus Sicht der freien Wirtschaft kann das Positionspapier der bayerischen Grünen durchaus kritisch beäugt werden, denn ein Detail scheint zu fehlen. Unternehmer wünschen sich nämlich die Stärkung der Programmierkenntnisse in der Schule. „Fast jeder zweite Unternehmensentscheider (47 Prozent) meint, dass Schüler programmieren lernen sollten, dem pflichten jedoch nur 26 Prozent der Lehrer bei“ („Handelsblatt“ 2017). Durch den Einsatz digitaler Technologien soll allerdings auch die Teamarbeit und der Wissensaustausch im Klassenzimmer gestärkt werden (vgl. ebd.). Die entsprechende Umfrage wurde übrigens von Microsoft in Auftrag gegeben, das bei der Vorstellung der Ergebnisse „die Vorteile des Programmierens“ (ebd.) hervorhob. Chancengleichheit im Digitalhandwerk Kinder, die mit zehn Jahren schon eifrig Programme schreiben? Das mag der Traum einiger Visionäre aus Politik und Wirtschaft sein, ist unter medienpädagogischen Gesichtspunkten in diesem (einseitigen) Ausmaß allerdings nicht wünschenswert. Schließlich ist es nicht das Ziel einer behutsamen Medienerziehung, <?page no="62"?> 62 2 Digitalisierung, E-Learning und Kulturkritik seelenlose Technokraten heranzuziehen. Dennoch: Programmiersprachenkenntnisse sind - ähnlich wie fundierte Fremdsprachenkenntnisse - von Vorteil, um nach der Schullaufbahn auf dem Arbeitsmarkt bestehen zu können. Die Junge Union in Rheinland-Pfalz möchte das Fach „Programmieren“ sogar gleichwertig einer Fremdsprache an allen allgemeinbildenden Schulen im Land einführen. 19 Es ist also wichtig, den richtigen Mix aus Digitalhandwerk und Medienachtsamkeit zu finden. „Digitalisierung - jeder will’s, wer kann’s? “, fragt der Bayerische Rundfunk durchaus provokant („Bayerischer Rundfunk“ 2018b). Während die CSU „schon mal die Lufttaxis abheben“ (ebd.) lässt, glaubt die große Schwester, nämlich die CDU, an einen echten Kulturwandel durch Digitalisierung. Das Bildungsverhalten der Digital Natives sei „team- und transparenzorientiert“ 20 . Es gehe darum, „Wissen gemeinsam [zu] erwerben […] und Wissen teilen zu wollen“ 21 . Als Beispiel werden Wikis genannt. Ein prominenter Vertreter ist sicherlich die Online-Enzyklopädie Wikipedia, doch es gibt im Internet auch viele kleine Lexika, die ähnlich funktionieren. Tatsächlich eignen sich Wikis sehr gut für den modernen Deutschunterricht. Schließlich verlangt es sowohl Wissen als auch Sprachkompetenz, einen Lexikoneintrag einerseits präzise und andererseits sprachlich ansprechend zu formulieren. Häufig ist die Rede vom sog. digitalen Klassenzimmer. Die malerische Vorstellung: Jedes Kind sitzt lernend und mit einem zufriedenen Lächeln im Gesicht vor dem eigenen Tablet. Ein solches Gerät - beispielsweise ein iPad von Apple - kostet rund 400 Euro, mit mehr Schnickschnack aber auch gerne über 1.000 Euro. Grundschulkinder können sich solche Geräte eigenständig wohl kaum leisten, also sind die Eltern gefragt. Die soziale Herkunft bestimmt in Deutschland allerdings nach wie vor die Bildungschancen von Kindern. 22 Also forderte die bayerische SPD im Februar 2018, „jeder bayerische Schüler müsse ein Tablet bekommen - finanziert vom Freistaat“ („Merkur“ 2018). Die Begründung der Sozialdemokraten: Chancengleichheit. Chancengleichheit ist in Sachen Bildung freilich immer ein gutes Argument, allerdings nur bedingt für eine rein technische Aufrüstung in dem Sinne, dass jedes Kind nun sein eigenes hochmodernes Schul-Tablet erhält, sondern vielmehr für die bildungspolitische Innovation, Digitalkunde als bildungsfreundliches und medienpädagogisch durchdachtes Schulfach für jedes Kind einzuführen. „Wir brauchen Digitalkunde ab der ersten Klasse“ („Zeit Online“ 2016), forderte auch schon Stephan Noller am 27. März 2016 in einem prominenten Gastbeitrag in der Online-Ausgabe der „Zeit“. Noller, nach eigenen Angaben Diplom- Psychologe, Vater von vier Töchtern und Digital-Unternehmer aus Köln, schreibt in dem Beitrag: <?page no="63"?> 2.2 Digitalisierung im öffentlichen Diskurs 63 „Ich wünsche mir, dass die Schule hilft, unsere Kinder zu digital souveränen Bürgern zu machen. Mit Tabellenkalkulation und aufgeklärter Medienrezeption ist es da nicht getan. Möglichst viele heutige Erstklässler sollten in der Tiefe verstehen können, was es bedeutet, von einer digitalen Sphäre umgegeben zu sein […]. Wenn uns die Zukunft unserer Kinder wirklich am Herzen liegt und wir uns wünschen, dass sie später mal gut im Berufsleben zurechtkommen, dann müssen wir jetzt dafür sorgen, dass sie souverän mit digitaler Technologie umgehen können. Ein Medienführerschein wird nicht reichen. Wir können auch nicht einfach warten, bis irgendwann eine neue Lehrergeneration an den Schulen arbeitet, für die der Einsatz digitaler Lehrmittel normal ist“ (ebd.). Die technische Aufrüstung der Schulumgebung bringt also wenig, wenn die Lehrerausbildung ‚ungenügend‘ ist. Es braucht allerdings keine neue Lehrergeneration, sondern eine Digitalisierung der Lehrerausbildung an den Hochschulen sowie Fortbildungsseminare für bereits examinierte Lehrkräfte. Doch die Mühlen der Bürokratie mahlen langsam. In gewisser Weise nimmt Stephan Noller in seinem Gastbeitrag für die „Zeit“ die Eltern in die Pflicht, durch die ja in der Regel die Primärsozialisation stattfindet. Für die Sekundärsozialisation ist unter anderem die Schule zuständig. Die Medien werden oftmals mit dem Begriff indirekte Sozialisation in Verbindung gebracht. In den Sozialen Medien, Messengern und Online-Videospielen kommunizieren Kinder und Jugendliche in Echtzeit miteinander und beeinflussen sich gegenseitig. Rund 100.000 Kinder und Jugendliche in Deutschland sind süchtig nach Sozialen Medien - und rund 85 Prozent der 12bis 17-jährigen Kids nutzen etwa drei Stunden täglich digitale Dienste wie WhatsApp, Instagram und Snapchat. 23 Durch diese digitale Anbindung aneinander, die einer regelrechten ‚Verklettung‘ ähnelt, entsteht eine Peer-to-Peer- Sozialisierung, die bei mehrstündiger Social-Media-Nutzung täglich so intensiv und wirksam sein kann, dass das Prinzip an dieser Stelle als Sticky Socialization definiert wird. Die Medien - vor allem die ‚Sozialen‘ - können mit der Primär- und Sekundärsozialisation nicht nur mithalten, sie bilden möglicherweise sogar einen distinktiven Typus. Diese Feststellung ist wertfrei, denn schließlich kann jede Form und Extension der Sozialisierung positive und negative Einflüsse evozieren. Der richtige Umgang mit äußeren Einflüssen ist entscheidend. Zwischenfazit: Pragmatismus statt Dampfplauderei Alle etablierten Parteien setzen mittlerweile auf Digitalisierung als programmatisches Zugpferd; die einen mehr und die anderen weniger glaubwürdig. Fakt ist: Digitale Themen und Bildungsoffensiven sind chic, zu- <?page no="64"?> 64 2 Digitalisierung, E-Learning und Kulturkritik kunftsorientiert und innovativ. Doch wie ernst meinen es die Politiker? Und wie lange dauert die bürokratische Umsetzung? Derweil können die Eltern handeln. Sie können sich zusammenschließen und in Zusammenarbeit mit Verbänden wie dem Kinderschutzbund und Kreisjugendring Medien-Workshops anregen. Das Zahnrad der Klassenzimmerdigitalisierung dürfte so langsam auch in Schwung kommen - wenn auch langsam und schrittweise. Das ist gut so, denn zielorientierte Medienpädagogik ist ein komplexes und zugleich dynamisches Konstrukt, das sehr stark mit Selbstreflexion korreliert. In anderen Worten: Die neue digitale Bildungsoffensive braucht Ideen, Testläufe, Evaluationsphasen und vor allem geschultes Personal. Sinnvoll ist eine sukzessive Annäherung, indem digitale Unterrichtskonzepte - also schulpraktische Konzepte (vgl. „Schulpraktischer Teil“ in diesem Werk), die Teil eines Schulfachs Digitalkunde sein könnten - nach und nach in die bestehenden Fächer wie beispielsweise Deutsch, Mathematik, Englisch, Französisch, Informatik etc. eingegliedert werden. 2.3 Online-Kommunikation mit Konsequenzen „Was labersch du? “, schreibt Thorsten seinem Kumpel Fabian über Whats- App. „Ich bin müde vong Schule her, du Honk“, schreibt Fabian zurück. Thorsten reagiert mit einem „LOOOOL“ und schickt ein paar lustige Emojis zurück. „Yo Diggi, lass abends mal phonen“, tippt Fabian in sein Smartphone und geht offline. Es ist eine typische Chat-Kommunikation zwischen zwei männlichen Teenagern, die voller Anspielungen und gespickt mit Internet-Humor ist. Vermeintliche Rechtschreibfehler wie vong oder Diggi sind absolut gewollt. Sprachkritiker rufen natürlich direkt den Untergang der deutschen Sprache aus - echte Sprachwissenschaftler erkennen hier einen Sprachwandel, der viel über die Jugendkultur und ihre sprachlichen Stilmittel aussagt. Die Jugendsprache ist facettenreich und interessant, ruft allerdings viele Kritiker auf den Plan. Populärwissenschaftliche Sprachkritik erfreut sich in Deutschland allgemein großer Beliebtheit. Ein prominenter und in linguistischen Fachkreisen durchaus umstrittener Sprachkritiker ist Bastian Sick (vgl. Weinert 2018c, S. 22). Sick ist der Autor der beliebten Zwiebelfisch-Kolumnen. Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod ist sein wohl bekanntestes Werk. Es folgten mehrere Fortsetzungen, weitere Bücher und Live-Auftritte. Der Sprachwissenschaftler André Meinunger (2008) positionierte sich in seinem Werk Sick of Sick? scharf gegen Bastian Sick. Dennoch: Sicks Bücher sind Bestseller, was wohl daran liegt, dass sich sehr viele Menschen für ihre Muttersprache interessieren. Gut verdaulich und entspre- <?page no="65"?> 2.3 Online-Kommunikation mit Konsequenzen 65 chend verkäuflich ist natürlich eher die oberflächliche Unterhaltungsliteratur, „die viele linguistische Phänomene nicht ausreichend reflektieren und kommunizieren kann“ (Weinert 2018c, S. 23). Medienwirksame Aktionen wie die jährliche Suche nach dem Jugendwort und dem Unwort des Jahres zeigen, dass viele Menschen den öffentlichen Sprachgebrauch kritisch hinterfragen. Slang und Kettenbriefe Der Internet-Slang, dazu gehören beispielsweise hdl, btw, afk und rofl, entsteht in kürzester Zeit aus dem Stegreif. Oft handelt es sich um Akronyme, also um die Anfangsbuchstaben mehrerer Wörter, aus denen dann ein Kurzwort entsteht. Der Code hdl steht für hab dich lieb, btw für by the way (= übrigens). Die jugendkulturelle Internet- und Messenger-Sprache ist stark von Anglizismen geprägt. Groß- und Kleinschreibungen werden meist nicht eingehalten, ebenso fehlen Satzzeichen. Im Chat unter Kindern und Jugendlichen muss es schnell gehen, denn die digitale Konversation läuft nahezu in Echtzeit ab. Der beliebte Messenger-Dienst WhatsApp zeigt an, wenn der andere Gesprächsteilnehmer seine Antwort eintippt: Das erhöht die Spannung und Aufmerksamkeit. Durch die bunten Emojis werden echte und falsche Gefühle transportiert, und so entsteht die Illusion einer Face-to-Face-Kommunikation, die vor allem bei jüngeren Kindern ein Gefühl von Vertrautheit erweckt. Dass das unter Umständen gefährlich werden kann, steht außer Frage. Wer sich im Internet als 16-jähriges Mädchen ausgibt, kann durchaus auch ein männlicher User sein, möglicherweise sogar ein älterer Herr mit kriminellen bzw. strafrechtlich relevanten Absichten. Tückisch sind vor allem Kettenbriefe, die Kinder psychisch unter Druck setzen oder gar zum Selbstmord anleiten. Schädliche Kettenbriefe verbreiten sich heutzutage meist über WhatsApp und sind als spielerische Challenge getarnt. Eins dieser Phänomene nennt sich Blue Whale - eine makabre Anspielung auf Blauwale, „die sich manchmal bewusst an den Strand spülen lassen, um sich selbst zu töten“ 24 . Noch schlimmer: Den betroffenen Kids wird an 50 Tagen jeweils eine Aufgabe täglich gestellt. Am Ende steht der Suizid. Wird die Nachricht nicht weitergeleitet, trachten Unbekannte angeblich nach dem Leben des säumigen Empfängers. Ganz neu sind Ketten-Sprachnachrichten: Eine gruselige Computerstimme liest Todesdrohungen vor und setzt das Kind unter Druck und „droht damit, den Empfänger und dessen Familie umzubringen“ (Bayerischer Rundfunk 2018c). Selbst wenn solche Drohungen haltlos sind, stehen die Kinder unter Schock. Die Mutter eines betroffenen Kindes sagt: „Der erste Tag war der schlimmste, also vor allem abends war es eine Katastrophe. Seitdem ist es gleichbleibend. Er sagt, ich weiß, dass es ein Fake ist, aber die Angst kriege ich nicht aus meinem Körper raus“ (ebd.). <?page no="66"?> 66 2 Digitalisierung, E-Learning und Kulturkritik Kettenbriefe und Ketten-Sprachnachrichten sind in Umgangssprache gehalten, wodurch sich die Glaubwürdigkeit erhöht. Selbst ein Nazi-Kettenbrief kursiert seit einiger Zeit auf WhatsApp. Der Angeschriebene wird mit Erhalt des Briefes gehitlert und aufgefordert, die Message an zehn Freunde weiterzuleiten, um laut Kettenbrief selbst zum Führer aufzusteigen. Am Ende der Nachricht erscheint eine Reihe von Hakenkreuzen auf dem Display (vgl. Weinert 2018a, S. 285). Der Erhalt einer solchen Nachricht ist nicht strafbar, die Weiterleitung allerdings schon, weil das Zeigen und Verwenden des Hakenkreuzes als verfassungsfeindliches Symbol strafbar ist. 25 Virtuelle Aktivitäten haben also durchaus Konsequenzen in der realen, analogen Welt. Kinder und vor allem Jugendliche hüten das Smartphone wie ihren Augapfel - das Smartphone ist eben nicht nur ein unbeseeltes Gerät, sondern so etwas wie die Extension des Geistes, der Seele, der (geheimsten) Gedanken, vielleicht sogar so etwas wie ein Tagebuch. Wohl jeder Erwachsene kennt die ungeschriebene Etikette, nicht das Handy eines anderen zu durchforsten. Wie verhält man sich nun als Elternteil? Der Blick in das Smartphone eines Siebenjährigen (der warum auch immer ein solches Gerät braucht) ist vielleicht noch gestattet, die 16-jährige Tochter wird dann aber wohl zur ‚Drama-Queen‘ - verständlicherweise! Der Volksmund weiß: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Interessant ist die Entscheidung des Amtsgerichts Bad Hersfeld. Wenn ihre minderjährigen Kinder über WhatsApp kommunizieren, haben die Eltern mehrere Pflichten. Sie „müssen […] mindestens einmal monatlich mit ihrem Kind ein Gespräch über die Verwendung des Smartphones führen, heißt es in dem Urteil (Az.: F 120/ 17 EASO), auf das die Arbeitsgemeinschaft Familienrecht im Deutschen Anwaltverein hinweist“ („Berliner Morgenpost“ 2018). Kinder mit medienkompetenten Eltern dürfen sich glücklich schätzen. Und so ergibt sich eine bilaterale Verantwortung: Einerseits stehen die Eltern in der Pflicht, die Medienerziehung zu übernehmen, anderseits ist es das Schulsystem, das gefordert ist. Eine Chance für den Unterricht Psychologen und Hirnforscher haben längst erkannt, „dass Worte unser Denken und Handeln prägen“ („Zeit Online“ 2012). Und nicht nur das: „Worte können trösten oder tief verletzen, manche hängen einem tage- oder gar jahrelang nach“ (ebd.). Die Sozialen Medien konstituieren sich durch Sprache und Bilder. Es entstehen Wirklichkeitsmodelle. Viele Internet-User verbreiten in den Sozialen Medien Bilder von gequälten Tieren - doch sie meinen es gut. Oft geht es darum, mit schockierenden Inhalten auf Missstände aufmerksam zu machen. Doch wie pädagogisch wertvoll ist das? Themen wie diese eignen sich für den Religions- und Ethikunterricht. „Miteinander über die eigenen Ängste zu sprechen“ (Bayerischer Rundfunk 2018c), ist eine wichtige Möglichkeit der Verarbei- <?page no="67"?> 2.3 Online-Kommunikation mit Konsequenzen 67 tung von Dingen, die Kinder und Jugendliche tagtäglich in den digitalen Welten erleben. Auch Sozialkunde ist ein geeignetes Schulfach, um das soziale und leider auch asoziale Miteinander in den Neuen Medien zu besprechen. Und so könnte man jetzt jedes Schulfach durchgehen. Schnell wird klar, dass sich nahezu jedes Fach für die Thematisierung und (medien-)pädagogische Bearbeitung von digitalen Themen eignet. In naturwissenschaftlichen Fächern und in der Mathematik können einschlägige Apps ausprobiert werden. Mittlerweile gibt es Lern-Apps, beispielsweise das Linder Biologie Glossar. Die App Photomath hilft bei den Hausaufgaben. In der Beschreibung heißt es: „Halte einfach die Kamera des Handys über eine Mathe- Aufgabe und schon wird dir Photomath wie von Zauberhand die Antwort mit ausführlichen Schritt-für-Schritt-Lösungen anzeigen.“ 26 Apps wie diese haben natürlich den Nachteil, dass sich die Schüler bedienen lassen, ohne eigenen ‚Hirnschmalz‘ zu investieren. Netzwerke wie Facebook, Instagram und Snapchat leben vom Selbstdarstellungstrieb der User. Die künstlerische Inszenierung steht im Mittelpunkt der digitalen Jugendkultur. Lustige und schrille Videos verbreiten sich durch das virale Prinzip rasch. Musische Fächer wie Kunst und Musik können hier ansetzen: Was ist der Unterschied zwischen Kunst und Trash? Oder ist Trash eine Form der digitalen Kunst, sofern diese erfolgreich ist? Auf welche Weise gelangen Social-Media-Influencer zu ihrem Star-Appeal? Welche Rolle spielt Musik bei der Unterlegung von gehypten Internet-Clips? Und wie gelingt es zunächst unbekannten Kindern und Jugendlichen, mithilfe der Sozialen Medien ihre musikalischen Talente in den Vordergrund zu rücken? Es darf nicht vergessen werden: Teenie-Schwarm Justin Bieber begann seine Karriere mit selbst erstellten Videos auf YouTube. Wenn sich innovative Lehrinhalte, die mit der fortschreitenden Digitalisierung korrelieren, in nahezu jedes Schulfach integrieren lassen, besteht natürlich die Gefahr einer Überfrachtung - oder dazu, dass ein Teil der bewährten Inhalte gestrichen werden müsste, was einerseits nicht wünschenswert ist und andererseits zu einem Aufschrei in der Bildungsszene führen könnte. Die sukzessive Einbettung digitaler Inhalte und Lehrkonzepte in die bestehenden Fächer ist allerdings hilfreich, um mediendidaktische Ideen und Machbarkeiten zu erproben. Langfristig führt an einem eigenständigen Schulfach Digitalkunde kein Weg vorbei. Ein konkretes Konzept erfolgt im Schulpraktischen Teil dieses Werks. <?page no="68"?> 68 2 Digitalisierung, E-Learning und Kulturkritik 2.4 E-Learning und Videospiele Netflix ist ein populärer Streaming-Dienst in Deutschland und weltweit, „dessen Mitglieder ein vielseitiges Angebot von preisgekrönten Serien, Filmen, Dokumentarfilmen und mehr auf Tausenden mit dem Internet verbundenen Geräten nutzen können“ 27 . Für die Nutzung gibt es verschiedene Abo- Modelle. Besonders bei Jugendlichen erfreut sich Netflix großer Beliebtheit. Sogar das Verb netflixen hat sich mittlerweile eingebürgert. Was hat Netflix nun mit E-Learning zu tun? Erst einmal gar nichts, doch die CDU möchte „E-Learning so attraktiv wie Netflix machen“ („Tagesspiegel“ 2018). Das Projekt nennt sich Milla und steht für Modulares Interaktives Lebensbegleitendes Lernen für Alle. Die Umsetzung des Projekts kostet ein bis drei Milliarden Euro (vgl. ebd.). Ähnlich wie in Online-Spielen wie FIFA 19, Call of Duty oder World of Warcraft können die Milla-Nutzer Punkte und Belohnungen sammeln. Die Punkte lassen sich wie bei Payback gegen Prämien eintauschen. „Die dienen dazu, dem bildungsfernen Teil der Bevölkerung einen Anreiz für E- Learning zu bieten“ (ebd.), begründet der CDU-Abgeordnete Thomas Heilmann das Konzept. Vom bildungsfernen Teil der Bevölkerung zu sprechen, ist allerdings die politische Elfenbeinturm-Spreche, wo die (durchdachte) Medienpädagogik ganz bestimmt nicht hinmöchte. Extrinsische Motivation - wie von Heilmann ins Auge gefasst - motiviert zwar zum Ausführen der Lernhandlung, doch die Handlung dient dann lediglich als Zweck, um das Ziel - nämlich das Sammeln der Punkte - zu erreichen. Bei der intrinsischen Motivation hingegen handelt der Lernende um der Tätigkeit willen. Ergo: Jemand lernt, weil das Lernen an sich zufrieden und Spaß macht. Ideal ist eine Kombination aus beiden Motivationsaspekten. Teile von Milla könnten bereits im Jahr 2021 genutzt werden (vgl. ebd.). Game Based Learning: Spielend zum Erfolg? E-Learning - also Electronic Learning bzw. elektronisch unterstütztes Lernen - lässt sich folgendermaßen definieren: Definition | E-Learning E-Learning meint das Lehren und Lernen mittels elektronischer, digitaler und computergestützter Soft- und Hardware für die Präsentation, Bereitstellung und Anwendung von Lehr- und Lernmaterialien sowie die mediengestützte zwischenmenschliche Kommunikation im Kontext des Lehrens und Lernens. E-Learning trifft auch dann zu, wenn analoge Lehr- und Lernkonzepte wie beispielsweise die klassische Präsenzlehre mit digita- <?page no="69"?> 2.4 E-Learning und Videospiele 69 len Elementen verknüpft werden. E-Learning kommt nicht nur in Schulen, Universitäten und im privaten Bereich zum Einsatz, sondern immer öfter in Unternehmen. Mittels E-Learning sind betriebliche Unterweisungen in den Bereichen Arbeitsschutz, Brandschutz, Datenschutz, Produktsicherheit und Qualitätsmanagement möglich. Das E-Learning-Potenzial ist natürlich gigantisch, und die Implementierung digitaler Lehr- und Lerninhalte entwickelt sich stetig weiter. E-Learning steckt noch in den Kinderschuhen und strebt Höheres an (um erneut den Terminus Medienevolution aufzugreifen). Erstens entwickeln sich die bereits bekannten Technologien stetig weiter, außerdem kommen neue hinzu. Zweitens - und das ist in Bezug auf E-Learning viel entscheidender - vergrößert sich der mediendidaktische Wissenspool Tag für Tag. Denn ja, gutes E-Learning korreliert in jedem Fall mit Ideenreichtum und Kreativität - und dem Wissen, das sich im Laufe der Zeit anhäuft und im besten Fall archiviert und memoriert wird. Besonders im Kommen ist Game Based Learning. Bei diesem Lehr- und Lernkonzept werden Computerspiele zum Wissenserwerb und zu Bildungszwecken gezielt eingesetzt. Das Ziel ist klar: Die Motivation der Lernenden soll erhöht werden. Spiele, die bewusst zu Bildungszwecken eingesetzt werden, nennen sich Serious Games. Bereits 2002 erschien das Spiel Pulse im Bereich Gesundheitsbildung. In dem Spiel werden Patientengespräche und medizinische Untersuchungen simuliert. Im Bereich Leadership und Teammanagement wird seit Jahren das Spiel Pacific genutzt, um Führungskräfte auszubilden. „Der Kurs ist ein Überlebensabenteuer, bei dem der Teilnehmer zusammen mit seinem Team von einer unbewohnten Insel entkommen muss, auf der er nach einem Flugzeugabsturz festsitzt.“ 28 In Pacific gibt es verschiedene Module, die absolviert werden, beispielsweise Teambuildung und Motivation. Das Insel-Szenario erinnert an die Erfolgsserie „Lost“. Kinder und Jugendliche spielen natürlich am liebsten Games aus dem Bereich Entertainment. Deshalb ist das Verb zocken viel passender, suggeriert es doch die berauschende Wirkung von Videospielen, die auftreten kann, aber nicht muss. Videospiele haben ein schlechtes Image, Gamer, also zockende Kids, sowieso. „Schon heute stehen Computerspiele unter Generalverdacht“ („Zeit Online“ 2018b), heißt es in einer „Zeit“-Kolumne des Autors Ali Vahid Roodsari. Jedem Amoklauf folge eine Debatte über die sog. Killerspiele (vgl. ebd.). Studien belegen mittlerweile positive Gaming-Effekte. „Videospielen schult die Reflexe“ („Ärzteblatt“ 2015), ist das Ergebnis des Hertie-Instituts für klinische Hirnforschung (HIH). „Von diesen kürzeren Reaktionszeiten und schnelleren Augenbewegungen könnten [Gamer] auch außerhalb der virtuellen Welt profi- <?page no="70"?> 70 2 Digitalisierung, E-Learning und Kulturkritik tieren“ (ebd.). Das überraschende Fazit der Studie ist: „Viele Menschen denken, dass Videospiele Kinder hektisch und zappelig machen und eine verminderte Impulskontrolle eher zu fehlerhaften Handlungen verleitet. Unsere Ergebnisse zeigen das Gegenteil“ (ebd.). Doch das ist nicht alles. Eine Studie der Ruhr- Universität Bochum belegt, dass Gamer tatsächlich Vorteile beim Lernen haben. Sabrina Schenk, die Erstautorin der im Jahr 2017 veröffentlichten Studie, erklärt das Ergebnis wie folgt: „Unsere Studie zeigt, dass Videospieler besser darin sind, Situationen schnell zu erfassen, neues Wissen zu generieren und Wissen zu kategorisieren - und das vor allem in Situationen mit hoher Unsicherheit.“ 29 Im Herbst 2018 folgte dann die nächste Überraschung, als der Haushaltsausschuss des Bundestages verkündete: Die Bundesregierung fördert künftig die Entwicklung von Computerspielen. Für das Jahr 2019 „sollen 50 Millionen Euro für einen Games-Fonds bereitstehen“ („Deutschlandfunk“ 2018). „Gaming und E-Sport sind Kulturgut, Bildungswerkzeug und Innovationstreiber“ (ebd.), sagt Britta Dassler, Obfrau der FDP-Fraktion im Sportausschuss, auch wenn die Bezeichnung Kulturgut doch ein wenig verstiegen wirkt. Digitaler (Denk-)Sport Bei aller Euphorie für Videospiele und deren Potenzial: Es muss grundsätzlich zwischen E-Sport und E-Learning unterschieden werden. Monika Lazar, die sportpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, „fordert […] die Gemeinnützigkeit des E-Sports anzuerkennen“ (ebd.). E-Sport könnte in der Folge als eigene Sportart mit Vereins- und Verbandsrecht anerkannt werden. E-Sport hat mit E-Learning natürlich gar nichts zu tun. Ganz im Gegenteil: Wer in Computer- und Videospielen gut sein möchte, sich langfristig also als elektronischer Spitzensportler bzw. Pro-Gamer sieht, muss mehrere Stunden am Tag online zocken. Das Erzielen von Kopfschüssen - sog. Headshots - in Ballerspielen wie Call of Duty hat natürlich einen gewissen Lerneffekt, würde die verantwortungsvolle Medienpädagogik allerdings ad absurdum führen. E-Sport ist ein wichtiges popkulturelles Jugendphänomen; E-Learning nicht. Es wäre sinnvoll, das E- Learning in Zukunft attraktiver zu gestalten. Ein Games-Fond klingt sexy, doch ein E-Learning-Fond hat definitiv mehr Tiefgang - und die Entwicklung innovativer Lernspiele ist im Bildungssektor äußerst prestigeträchtig. Lernspiele werden bereits im Schulunterricht eingesetzt. Relevant für die Sekundarstufe I ist das Spiel Blue Brain Club. Es handelt sich um ein „webbasiertes Serious Game für die Sekundarstufe I. Schülerinnen und Schüler einer Klasse lösen in dem Multiplayer-Spiel für Tablet und PC gemeinsam Aufgaben und Rätsel rund um das menschliche Gehirn. Blue Brain Club ist ein <?page no="71"?> 2.4 E-Learning und Videospiele 71 Projekt der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung und vermittelt komplexe Inhalte in einem zeitgemäßen digitalen Medium“ 30 . Deutlich wird auch der E-Sport-Charakter: „Für die Gewinnergruppe gibt es nach jedem Game eine Auszeichnung (Achievement). Am Ende jedes Moduls wird das Klassenergebnis gewertet und kann in einer Rangliste mit den Ergebnissen aller anderen teilnehmenden Schulen verglichen werden.“ 31 Blue Brain Club funktioniert webbasiert. Eine Installation ist demnach nicht notwendig, dafür aber LAN oder W-LAN. Für einen reibungslosen Ablauf sollten laut Hersteller Download-Raten von mindestens 10-20 Mbit/ s vorhanden sein. Als spielfähige Endgeräte werden Desktop-PCs, Laptops, Tablets und Smartphones genannt. Das wirft mal wieder (viele) Fragen auf. Wie wichtig ist die technische Ausrüstung unserer Schulen? Muss in jeder Schule ein vernünftiges W-LAN vorhanden sein? Sollten alle Schulen gleich gut ausgerüstet sein? Bestimmte Schulen und Schüler hätten ja sonst Vorteile. Und da Bildung Ländersache ist, wären womöglich die reicheren Bundesländer deutlich im Vorteil. Genauso wie Schüler, deren Eltern die Kosten für das jeweilige Endgerät übernehmen - sofern die Schulen keine geeigneten Geräte zur Verfügung stellen. Das digitale Klassenzimmer ist auf einem guten Weg, doch dieser Weg wird kein leichter sein, dieser Weg wird steinig und schwer, würde Popstar Xavier Naidoo die aktuelle und zukünftige Entwicklung der digitalen Bildung wohl besingen. Die große Politik diskutiert also über digitale Bildungsmaßnahmen und die entsprechenden Budgets, während sich einige Schüler bereits zu Pionieren der digitalen Welt aufschwingen. Bereits im Schuljahr 2013/ 14 entwickelten zwölf Schüler der IT-Klasse des Technischen Gymnasiums in Schwenningen eigene Spiele. „Besonders hervorzuheben ist das Spiel Livora Saga, das zum Ziel hat, die zwischenmenschliche Toleranz zu schulen.“ 32 Die Schüler lernten die Programmierung in Java unter Verwendung der Entwicklungsumgebung Eclipse kennen. Doch das ist nicht alles: Osnabrück bietet seit Frühjahr 2019 die erste digitale Jugendherberge Deutschlands an. Herzstück ist der Makers Space. „Dabei handelt es sich um offene Räume, in denen sich Ideen und Projekte der Klassenfahrts-Programme umsetzen lassen.“ 33 So gibt es beispielsweise eine Games-Werkstatt und einen modernen Video- und Ton-Schnittplatz. Zwischenfazit: Theorie und Praxis The Big Bang Theory ist eine beliebte Comedy-Serie: Vier hochintelligente Nerds tappen in lustige Fettnäpfchen. Die Serie zeigt, dass Intelligenz nicht alles im Leben ist. Die kongeniale und zugleich schrullige Figur Shel- <?page no="72"?> 72 2 Digitalisierung, E-Learning und Kulturkritik don brachte sich das Schwimmen beispielsweise über das Internet bei und probierte die Schwimmbewegungen auf dem Fußboden aus - und es demzufolge nicht wirklich konnte. Praktische Lernprozesse sind einfach wichtig. Der Theorieunterricht in der Fahrschule ist sehr intensiv. Für die Theorieprüfung (Klasse B) müssen über 1.000 Fragen gelernt werden. Viele Schüler bestehen die Prüfung mit 0 Fehlerpunkten, fallen aber dann in der Fahrprüfung durch - gerne auch mehrfach. Schüler, die in einem landwirtschaftlichen Betrieb aufgewachsen sind, schaffen die Fahrprüfung meist besonders gut. Warum? Weil sie als Kind schon mit dem Traktor fahren durften oder gar mussten. E-Learning-Angebote zu den Themen Brandschutz, Produktsicherheit und Arbeitsschutz sind - ähnlich wie Nahrungsergänzungsmittel - kein Ersatz für abwechslungsreiche und ausgewogene Erlebnisse in der Praxis. Digitales Lernen macht vor allem in den Feldern Sinn, die sowieso schon sehr theoretisch sein. Die Immunbiologie ist so ein Beispiel, ebenso die Geschichte der Antike. Hier machen Lern- und Wissensspiele sehr viel Sinn. Programmierkenntnisse und Fremdsprachen werden erworben, indem die Skills praktisch trainiert werden. Programmierte Websites müssen dann vielleicht zehnmal überarbeitet werden, bis alle Bugs und Fehlercodes entfernt sind. Wer lange Texte auf Englisch, Französisch oder Spanisch fehlerfrei schreiben kann, ist noch lange kein perfekter Redner - weil die praktische Routine fehlt, der Flow. E-Learning muss also immer einen Praxisbezug erkennen lassen und eine Ergänzung zu praktischen Lehr- und Lernangeboten darstellen. Nicht umgekehrt, auch wenn das auf den ersten Blick bequemer erscheinen dürfte. 2.5 Lösungskommentar zur einführenden Aufgabe Der Lösungskommentar zur einführenden Aufgabe bezieht sich zunächst auf die Sekundarstufe I, Jahrgangsstufe 5 (Gymnasium, Freistaat Bayern). Je nach Klassenstufe, Schulart und Bundesland lässt sich die Aufgabenstellung selbstverständlich modifizieren. Ob YouTube-Videos, die von Social-Media-Stars online gestellt werden, das Erreichen der lehrplaninhaltlichen Zielvorstellungen unterstützen, lässt sich anhand verschiedener Leitfragen beantworten. Zunächst einmal ist die inhaltliche Kompatibilität relevant. Im Bereich „Verstehend zuhören“ geht es darum, die Aussage des Gesprächspartners zu erfassen, um dann auch „eine Rückmeldung zu längeren Gesprächsbeiträgen“ 34 zu geben. Es eignen sich also YouTube- Videos von Influencern, die ganz bewusst den Dialog mit ihren Fans suchen, <?page no="73"?> 2.5 Lösungskommentar zur einführenden Aufgabe 73 auf Augenhöhe kommunizieren und zur Interaktion auffordern. Der Fachlehrplan sieht außerdem vor, dass „wesentliche Informationen überschaubarer altersgerechter gesprochener Texte“ erfasst werden, indem die Schülerinnen und Schüler Verständnisfragen beantworten oder Meinungen begründen. Die zur Auswahl stehenden YouTube-Videos sollten vorab auf ihre pädagogische Eignung überprüft werden. Das vorgeschlagene Video „10 Arten von Geschwistern + Outtakes“ ist geeignet und hat das Potenzial für weitere Unterrichtsaufgaben. Der Lernbereich „Sprachliche Verständigung“ sieht vor, dass zwischen mündlichem und schriftlichem Sprachgebrauch unterschieden werden kann, was zu einer Vertiefung des Sprachbewusstseins führt. Die Videos der Social-Media- Stars sind konzeptionell mündlich strukturiert. Die Schülerinnen und Schüler können also angeleitet werden, „auffällige Zusammenhänge zwischen sprachlicher Gestaltung und Wirkung (u. a. wirkungsvolle bzw. präzise Wortwahl, sprachliche Bilder)“ 35 zu erkennen. Anspruchsvoll ist die Analyse der sprachlichen Strukturen, weil diese konzeptionell mündlich vorliegen. Die Schülerinnen und Schüler können beispielsweise zwischen Adjektiven und Verben sowie Haupt- und Nebensätzen unterscheiden. Zudem bekommen die Kinder die Aufgabe, Wortfamilien und Wortfelder zu ermitteln und Synonyme für bestimmte Wörter vorzuschlagen. Bei der digitalen Unterrichtsgestaltung ist Vorsicht geboten. Wird ein Video direkt über WLAN abgespielt (indem die Lehrkraft das Video über www.youtube.com abruft), muss mit Werbeanzeigen und Werbespots gerechnet werden, die das Video einerseits einleiten, andererseits auch immer wieder unterbrechen. Häufig werden in den Werbeunterbrechungen Videospiele vorgestellt - beispielsweise World of Tanks. Ein Spiel, das heftige Panzerschlachten simuliert. Das Spiel besitzt das Siegel USK 12, ist also freigegeben ab 12 Jahren. „Diese Spiele sind bereits deutlich kampfbetonter“ 36 , heißt es vielsagend auf der offiziellen Webseite der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK). Ebenso: Offensichtlich rechtswidrig eingestellte Videos dürfen im Unterricht nicht gezeigt werden. Die Lehrkräfte sollten sich also immer an den etablierten YouTube-Stars orientieren und Videos vorführen, die bereits eine Weile - beispielsweise einige Monate oder gar Jahre - verfügbar sind. Technisch gibt es die Möglichkeit, YouTube-Videos herunterzuladen und abzuspeichern (z.B. USB-Stick). Eine öffentliche Vorführung (der Einsatz im Unterricht ist kein privater Zweck) des kompletten heruntergeladenen Videos ist rechtlich allerdings unzulässig. Weist ein Video eine Länge von beispielsweise zehn Minuten auf, darf eine Minute davon gezeigt werden (10%-Schwelle). Das heißt: Entweder die Lehrkraft ‚streamt‘ das Video direkt via YouTube oder zeigt nur einen kleinen Ausschnitt, sofern das Video heruntergeladen wurde. Dieser rechtliche Exkurs zeigt übrigens, warum viele Lehrkräfte Berührungsängste mit einem solchen Unterrichtskonzept haben. Unter- <?page no="74"?> 74 2 Digitalisierung, E-Learning und Kulturkritik suchungen haben ergeben, dass fast jede dritte Lehrkraft nur wenig Ahnung von der rechtlichen Lage hat. Zurück zum konkreten Videobeispiel „10 Arten von Geschwistern + Outtakes“. Das Video hat eine Länge von 6 Minuten und 14 Sekunden. Es empfiehlt sich, das Video direkt über YouTube vorzuführen (sofern die Schule WLAN hat), denn ansonsten dürften tatsächlich nur 37,4 Sekunden im Unterricht gezeigt werden. Es bietet sich an, das audiovisuelle Unterrichtsmaterial mindestens zweimal abzuspielen. Die Ablaufstruktur könnte wie folgt sein: Die Schülerinnen und Schüler rezipieren das Video zunächst aufmerksam. Danach erhalten die Kinder ein Arbeitsblatt sowie mündliche Anweisungen bzw. für die Bearbeitung hilfreiche Erläuterungen. Nun wird das digitale Unterrichtsmaterial erneut abgespielt. Die Lehrkraft ist natürlich sehr gut auf die Unterrichtsstunde vorbereitet und hat sich im Vorfeld bereits markante Videopassagen markiert. Möglich ist dies übrigens über modifizierte YouTube-Links. Das Geschwister- Video hat den Link: https: / / www.youtube.com/ watch? v=zlP7zN2obZA. Soll das Video erst nach 3 Minuten und 30 Sekunden starten, wird am Ende des Links #t=3m30s angefügt. Die Lehrkraft hat also die Möglichkeit, beispielsweise sieben bis zehn YouTube-Links mit Zeitmarke zu erstellen, die im Unterricht nur noch angeklickt werden müssen. Die konkrete Aufgabenformulierung für die Schülerinnen und Schüler obliegt natürlich der jeweiligen Lehrkraft. Die folgenden Aufgaben und Anweisungen dienen als Vorlage für den schulpraktischen Alltag. Zur vereinfachten Darstellung werden drei Aufgaben vorgeschlagen, die sich für den Deutschunterricht eignen. Für jede Aufgabe wird ein Lösungsvorschlag unterbreitet. 1. Was hat euch an dem Video „10 Arten von Geschwistern + Outtakes“ besonders gut gefallen? Stellt euch vor, ihr würdet Bibi und Julian einen YouTube-Kommentar hinterlassen: Was würdet ihr den beiden schreiben? Es ist erforderlich, dass die Schülerinnen und Schüler ihren Gesprächspartnern aufmerksam zuhören können. Social-Media-Stars, die sich in ihren Videos direkt an ihre Fans richten, inszenieren diese digitale Interaktion als Gespräch. Mithilfe der ersten Frage wird überprüft, ob die Schülerinnen und Schüle die Aussage erfassen. Dass die Lieblingspassage genannt werden soll, motiviert die Kinder zum Mitmachen. Eine der persiflierten ‚Geschwisterarten‘ erinnert die Schülerinnen und Schüler möglicherweise an das eigene Familienleben, so dass sie sich im Unterricht melden. Auf diese Weise wird eine Rückmeldung zu einem längeren Gesprächsbeitrag gegeben, was der Lehrplan auch vorsieht. Es macht also Sinn, das komplette Video abzuspielen, anstatt einen 30-sekündigen Ausschnitt <?page no="75"?> 2.5 Lösungskommentar zur einführenden Aufgabe 75 zu zeigen. Durch das Verfassen eines YouTube-Kommentars erlangen die Schülerinnen und Schüler die Kompetenz, die eigene Meinung auf einfache Weise zu begründen. Gerade Kommentare in den Sozialen Medien sind oftmals konzeptionell mündlich. Es ist also durchaus gestattet, den YouTube-Kommentar in Mundart zu verfassen. Die Schülerinnen und Schüler werden Freude daran haben, ihre Beiträge laut vorzulesen. Das schult die Fähigkeit, zu und vor anderen zu sprechen. 2. Gleich zu Beginn des Videos sehen wir „Die Streithähne“. Durch welche bildlichen Mittel wird die Situation dramatisiert? Danach folgen „Die Erpresser“. Bitte erklärt, auf welche Weise der Befehlston kommuniziert wird! In der Sequenz „Die Streithähne“ attackiert Julian seine Schwester mit einem Hammer - zumindest wird dies suggeriert. Bibi kommt in der Szene erstens nicht zu Schaden, zweitens erfolgt das Schwingen des Werkzeughammers auf (zu) übertriebene Weise in Zeitlupe. Dass sich Geschwister mit einem Hammer attackieren, ist wohl eher selten. Der Hammer hat eine hyperbolische Funktion. Eine besondere Dramatik entsteht durch die Zeitlupe als Stilmittel, weil sie das ‚Kopfkino‘ der Zuschauer anregt. In der Sequenz „Die Erpresser“ verwendet Bibi zunächst den Imperativ: „Ey, gib mir sofort […].“ In einer weiteren Szene geht Bibi anders vor. „Bruderherz, willst du mir bei meinen Mathehausaufgaben helfen? “ Julian möchte natürlich nicht helfen, also droht Bibi, ihn wegen einer Zigarette zu verpetzen. Schnurstracks willigt Julian ein und macht Bibis Hausaufgaben. Bibis Intention Mach sofort meine Hausaufgaben liegt folglich als indirekter Sprechakt vor. Das Beispiel zeigt sehr gut, dass bestimmte Kommunikationsabsichten durch die Blume kommuniziert werden. Die richtige Beantwortung der beiden Fragen zeigt, dass die Schülerinnen und Schüler „verstehend zuhören“ können. 3. Bibi und Julian mimen „Die Assis“. Welche sprachlichen Mittel und Stereotypen sorgen dafür, dass die beiden als „Assis“ wahrgenommen werden? Bibi trägt eine pinke Sportjacke und ähnelt Ilka Bessin in ihrer Paraderolle als Cindy aus Marzahn. Julian zeigt sich in Muskelshirt, Sportjacke und Sonnenbrille. In ihrer Konversation imitieren die beiden die bekannten Deine-Mutter-Witze, schreien sich an und nehmen sich danach umgehend in den Arm. Frei nach dem Motto: Pack schlägt sich, Pack verträgt sich. Der Satzbau ist elliptisch; Satzglie- <?page no="76"?> 76 2 Digitalisierung, E-Learning und Kulturkritik der werden also weggelassen. Zudem verwenden Bibi und Julian Interjektionen wie hey und ey. Bibi und Julian diskutieren kurz über einen gewissen Kevin. Ein Name - ähnlich wie Mandy und Chantal -, an dem gewisse Vorurteile haften. Vornamen-Konnotationen sind mittlerweile auch wissenschaftlich belegt. 37 Bibi und Julian kommunizieren in der Sequenz „Die Assis“ sehr nuschelig, wodurch ein weiteres Klischee bedient wird. Insgesamt spielen die beiden auf die Weltwissensbestände ihrer Fans an. Bibi und Julian kokettieren demnach bewusst mit Stereotypen. Der Witz funktioniert allerdings nur, wenn die Zuschauerinnen und Zuschauer die stereotypische Überspitzung erkennen. In anderen Worten: Nicht jeder wird den Humor dieser Sequenz als lustig empfinden. 2.6 Kapitelschließende Diskussionsfragen für den Unterricht und Workshops  Die Digitalisierung ermöglicht, Wissen gemeinsam zu erwerben und auszutauschen. Ein gutes Beispiel ist die Plattform Wikipedia. Für was nutzt ihr Wikipedia? Vor allem bei höheren Jahrgangsstufen: Habt ihr euch schon einmal als Wikipedia-Autor versucht?  Die Wörter bims und vong sind jugendkulturelle Internet-Phänomene, die ihr bestimmt kennt. Könnt ihr eurer Lehrerin bzw. eurem Lehrer erklären, wie die amüsante „Vong-Sprache“ funktioniert? Und warum bringt sie euch zum Lachen?  Dürfen eure Eltern in eurer Smartphone schauen? Ist euer Smartphone genauso persönlich wie ein Tagebuch? Oder ist es einfach nur ein Gegenstand?  Welche Erfahrungen habt ihr mit Kettenbriefen gemacht, die über WhatsApp verschickt werden?  Nutzt ihr gerne Apps oder Computerprogramme, um besser lernen zu können?  Welche Handy- oder Videospiele spielt ihr in der Freizeit? Welchen Lerneffekt haben diese Spiele? Es gibt natürlich auch richtige Lernspiele. Für welches Schulfach könnten sich Lernspiele besonders gut eignen?  Was ist der Grund, warum Computerspiele süchtig machen könnten und den Spieler animieren, regelmäßig in das Spiel einzuloggen?  Sprechen wir noch einmal über Lernspiele: Ist ein Belohnungssystem sinnvoll? Und wenn ja, welche für euch sinnvollen Belohnungen sollte es geben? <?page no="77"?> 2.6 Kapitelschließende Diskussionsfragen für den Unterricht und Workshops 77  Sicherlich schaut ihr ab und zu YouTube-Videos an. Erinnert ihr euch an ein Video, von dem ihr etwas gelernt habt? Und wenn wir als Klasse ein YouTube-Video machen würden: Welches Thema fändet ihr toll? <?page no="79"?> 3 Medienerziehung und Werte Immer wieder ist von der Verrohung der Jugend die Rede. Viele glauben den Grund zu kennen: Gangsta-Rap, Ballerspiele und Splatterfilme (vgl. „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ 2018). Müssen die Kinder und Jugendlichen also geschützt werden? Ja, glauben die einen. Nein, wissen die anderen. Schließlich ist es das Ziel einer guten Medienpädagogik, dass die Kinder und Jugendlichen langfristig digitale Mündigkeit erlangen. Dennoch steht die Medienerziehung aktuell vor großen Herausforderungen: Gewaltvideos kursieren in den Sozialen Medien, Rassismus und Cyber-Mobbing bedrohen die Kindheit als geschützten Raum - und demokratische Werte werden zu wenig im Schulunterricht behandelt. Dabei sind die Sozialen Medien Pluralismus pur. Ins Netz gestellte Meinungen sind im Übermaß vorhanden und nehmen beinahe schon einen Warencharakter an. Immer wieder kommt es zu demokratischen Lichtblicken: Menschen unterzeichnen Online-Petitionen, um die Welt ein bisschen besser zu machen. Menschen starten Aufrufe über Facebook, um anderen Menschen zu helfen. Und wieder andere beteiligen sich am Aufbau von Communitys, die dem Wissenserwerb und Wissensaustausch dienen. Unter diesen Menschen sind viele Jugendliche. Ist die Jugend also wirklich verroht? Oder sind es vielmehr die Medieninhalte, die zur Verrohung führen können? Der kindliche und jugendliche Aufenthalt im Cyberspace ist digitales Lernen und Erleben. Die medialen Einflüsse strömen von allen Seiten ins Kinder- und Klassenzimmer. Eine neue Medienerziehung, die den digitalen Wandel berücksichtigt, bereitet die Kinder und Jugendlichen auf die Zukunft vor. Die moderne Medienpädagogik begrüßt die bisherigen medienerzieherischen Konzepte, die sich zwar vornehmlich mit den analogen Medienwelten beschäftigen, die aber durch Modifizierung den Herausforderungen der digitalen Medienwelten standhalten. Digitalkunde als Innovation bewegt sich im Lichte dieser medienpädagogischen Erkenntnisse. 3.1 Einführende Aufgabe Gewalt- und Extremvideos machen vor allem unter Jugendlichen die Runde. Teenager A verschickt ein Video an Teenager B, der das Video an die Teenager C, D und E weiterleitet. Diese wiederum dealen mit dem ‚Stoff‘ ebenso. Ja, drastische Clips ähneln einer Droge. Mit ihr testen die Kids ihre Grenzen aus - und etablieren sich innerhalb einer Gruppe als ‚stark‘, indem das krasse Video angesehen wird. Nicht aber nur sind es Gewaltvideos aus Übersee, deren Her- <?page no="80"?> 80 3 Medienerziehung und Werte kunft völlig unbekannt ist. Steht eine lokale Prügelei an, ist oftmals die Aufnahme eines Videos geplant, um ein Exempel zu statuieren. Doch selbst ohne die Planung eines Videos: Viele Jugendliche zücken spontan ihre Smartphones, um die Kuriosität zu filmen und Bekannte zu beeindrucken. Nicht nur Gewaltvideos stellen ein Problem dar, sondern auch die bewusste Instrumentalisierung der Sozialen Medien. Schlägereien unter Kids - sie können durchaus tödlich enden - werden in den Neuen Medien wie ein Boxkampf promotet: April 2018: Es ist ein Frühlingsabend im beschaulichen Passau in Niederbayern. Gegen halb sieben abends treffen sich einige Jugendliche in einer Fußgängerunterführung. Es wird diskutiert und provoziert. In einigen Minuten wird es zu einer heftigen Schlägerei kommen. Dass genügend Schaulustige zum Treffpunkt kommen, dafür hat ein 17-Jähriger gesorgt. Er „soll in den sozialen Medien über den geplanten Kampf informiert und zum Erscheinen aufgerufen haben“ 38 . Unter den Jungs ist der 15-jährige Maurice - er wird gleich tot sein. Erst tritt ein Jugendlicher auf ihn ein, dann vier Jugendliche. Maurice hat keine Chance. Leute schauen zu - und dann weg. „Eine Passantin, die gesehen hat, wie der junge Mann gegen den Kopf geschlagen und in den Schwitzkasten genommen worden ist, hat den Notruf gewählt.“ 39 Nach der Rauferei liegt Maurice bewusstlos in der Fußgängerunterführung. Notärzte eilen herbei. Die Situation ist hektisch. Auch die Mutter steht plötzlich da. Es ist zu spät. Maurice ist an seinem Blut erstickt. Ein halbes Jahr später, im November 2018, kommen weitere Details ans Licht. Ein Chat-Verlauf belegt: Die „tödliche Schlägerei sollte gefilmt werden“ 40 . Es soll einen Chat-Verlauf gegeben haben, „in dem darum gebeten wurde, den Kampf für die Menschen zu filmen“ (ebd.), die nicht persönlich zuschauen konnten. Aus dem Chat-Verlauf geht außerdem hervor, dass versucht wurde, „breite“ Leute mitzubringen (vgl. ebd.). Die Existenz des Videos konnte nicht nachgewiesen werden. Letztendlich „wurde behauptet, dass es das Video gab, aber mittlerweile gelöscht wurde“ (ebd.). Jetzt sind Sie dran! Gewalt und Konflikte in der virtuellen und echten Welt schockieren die Eltern und Lehrkräfte gleichermaßen. Aggressionen schaukeln sich online hoch und werden in der Realität ausgetragen. Die Chat-Verläufe eines jeden Teenagers verraten wohl sehr viel über dessen Leben. Verabredungen werden im Internet ausgemacht, und verbale Online-Konflikte sind vielleicht ein erstes Indiz, dass etwas nicht stimmen könnte. <?page no="81"?> 3.2 Digitales Lernen und demokratisches Erleben 81 Ist es also unter Berücksichtigung medienerzieherischer Aspekte notwendig, die Kinder und Jugendlichen bedingungslos zu behüten? Skizzieren Sie die Vor- und Nachteile, die mit dieser Maßnahme korrelieren! Bitte berücksichtigen Sie in Ihren Überlegungen den Punkt Mündigkeit! 3.2 Digitales Lernen und demokratisches Erleben In der semantischen Theoriebildung der germanistischen Linguistik findet sich die Framesemantik, die davon ausgeht, „dass Bedeutungen eingebettet in Wissensrahmen, sogenannten Frames und Skripts, gespeichert sind“ (Busch/ Stenschke 2008, S. 209). Frame meint das Gegenstandswissen. „Ein Skript, ein drehbuchartiges Schema, bündelt dagegen Wissen über typische Situationen“ (ebd.) und ist demnach als stereotypischer Handlungsverlauf zu verstehen. „Dass wir genau wissen, was zu einer Situation gehört und was nicht, erleben wir im Alltag ständig“ (ebd., S. 210). Das Verb erleben macht deutlich, wie wichtig es ist, Abläufe und Situationen mit den eigenen Sinnen ‚wahrhaftig‘ zu erfassen, um „stereotype Wissenskonfiguration[en]“ (ebd.) abzuspeichern. Jemand, der sich als Computerfreak bezeichnet, ist vermutlich auch in der Lage, einen Computer zusammenzubasteln - ohne sich einen Komplett-PC kaufen zu müssen. Was macht der Freak also? Er kauft sich die Hardware (Mainboard, Grafikkarte, Arbeitsspeicher etc.) einzeln und nimmt sich einen Nachmittag Zeit. Danach steht der Computer mit einer Ersparnis im dreistelligen Bereich. Doch was macht der jugendliche Computerspieler, der sich das erste Mal einen Computer zusammenbauen möchte? Vermutlich schaut er sich ein YouTube- Tutorial an - nicht nur einmal, sondern zweimal, dreimal, viermal usw. Alleine durch das vielfache Anschauen des Videos hat sich der Jugendliche enormes Wissen angeeignet, und vor seinem geistigen Auge sieht der Jugendliche auch, was er zu tun haben wird, sobald er loslegt. Doch live ist live: Die Wärmeleitpaste zwischen CPU und Kühler wird zu dick aufgetragen und verschmiert, beim unsauberen Einsetzen der Grafikkarte bricht ein Eckstück der Karte ab - und der Einbau des Netzteils erweist sich als nervenaufreibende Fieselarbeit. Immerhin: Am Ende funktioniert alles und der Jugendliche denkt sich: Beim nächsten Mal werde ich die Sache ruhiger, bedachter und mit dem gerade erlernten Praxiswissen angehen. Aus lerntheoretischer Sicht ist es wichtig, dass „Vorstellungen über die Wirklichkeit aus der Beobachtung oder aus dem konkreten Handeln in der Realität erwachsen“ (Tulodziecki/ Herzig 2006, S. 62). Vor allem das Beobachtungslernen, das auch als Modelllernen bezeichnet wird, ist sehr effektiv, wenn es denn gut konzipiert ist. Anschauliche YouTube-Videos (Tutorials) eignen sich, „weil sie in der Demonstration als erfolgreich erlebt wurden“ (Tulodziecki/ Herzig <?page no="82"?> 82 3 Medienerziehung und Werte 2004, S. 132). Der Jugendliche, der sich zum ersten Mal einen Computer zusammenbauen möchte, beobachtet (1) den Arbeitsprozess also zunächst als Modell. Im besten Fall wird die digitale Arbeitsanweisung erschlossen (2) und „in eigene Handlungsmuster umgesetzt“ (ebd.). Die kognitive Modellierung (vgl. Mietzel 1998, S. 165f.) führt schließlich zur realen Erprobung (3). Visuell und auditiv präsentierte Informationen fördern den Wissenserwerb besonders gut (vgl. Tulodziecki/ Herzig 2004, S. 139). Der Vorteil von Lernvideos ist außerdem, dass der Lernende eigenständig vor- und zurückspulen kann. In Bezug auf YouTube-Videos kommt noch ein Pluspunkt hinzu - nämlich die Möglichkeit, eine Wissensfrage zu hinterlassen. Hilfsbereite User, die die Frage lesen, können direkt Antworten und Unklarheiten beseitigen. So entsteht eine Wissensgemeinschaft, die ihr Wissen austauscht und erweitert. Wichtig: Sie tut dies nicht für andere, sondern für sich selbst. Die Wissensverbreitung dient unter anderem auch der Profilierung. Ein gutes Beispiel ist Wikipedia. Langjährige ‚Wikipedianer‘ zeigen gerne, wie viele Online-Lexikoneinträge sie erstellt und editiert haben. Es entsteht ein regelrechter Wissenswettkampf. Demokratisierung und Pluralisierung Demokratie steht nicht auf dem Stundenplan. Zu dieser nicht wirklich überraschenden Erkenntnis kommt „Spiegel Online“ am 15.11.2018. Neu ist allerdings die Studie, die im selbigen Artikel vorgestellt wird. „Zu wenig Demokratie in der Schule“ („Spiegel Online“ 2018b) titelt das Online-Nachrichtenmagazin - und bezieht sich auf eine Lehrer-Umfrage im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung. Natürlich gaben drei Viertel der Befragten an, „selbst einen demokratischen Umgang mit ihren Schülern zu pflegen und ihnen Orientierung an Werten wie Respekt, Fairness und Gleichbehandlung zu vermitteln“ (ebd.), allerdings gibt es in der Praxis kaum echte Beteiligungsmöglichkeiten für die Schüler. Dazu zählen „etwa Schülerparlamente oder Projektwochen mit Fragen zur Demokratieentwicklung. Weniger als zehn Prozent der Lehrkräfte geben an, dass ihre Schüler mit solchen Formaten der Demokratiebildung in den letzten zwölf Monaten Erfahrungen machen konnten. Und nur jeder zweite Lehrer hat sich von seinen Schülern in diesem Zeitraum ein systematisches Feedback geben lassen, bei dem auch Kritik am Unterricht geübt werden konnte“ (ebd.). Selbst in den Schulgesetzen steht, dass Schüler demokratische Werte lernen sollen (vgl. ebd.). Deshalb noch einmal ein kleiner Exkurs zu den Internet- Wikis: Der gemeinsame und teils kompetitive Wissensaustausch hat eine sozialisierende Funktion, wenngleich es natürlich auch zu Meinungsverschiedenheiten kommen kann: <?page no="83"?> 3.2 Digitales Lernen und demokratisches Erleben 83 User 1 erstellt einen Lexikoneintrag auf Wikipedia. User 2 editiert den Eintrag und User 3 hält den Eintrag für nicht relevant. Es entsteht eine Löschdiskussion, vielleicht sogar ein Streit. Am Ende entscheidet ein Administrator, ob und auf welche Weise der Eintrag bestehen bleibt. Die wahre Identität erkennt man den Usern natürlich nicht an, weil sich alle hinter einem Pseudonym verstecken. Auch viele Kinder und Jugendliche beteiligen sich an der Erweiterung der Online-Enzyklopädie. Unterschiedliche Meinungen, die gegenseitig anerkannt werden und letztendlich zu einem Konsens führen, sind Bestandteil einer pluralistischen Gesellschaft und wichtig für die Demokratie (vgl. Fraenkel 1991, S. 300). Eine gesunde Streitkultur ist also durchaus konstruktiv. Der digitale Austausch funktioniert nahezu in Echtzeit und bedient die Vorstellung, die Welt sei ein einziges elektronisch vernetztes Dorf (Global Village). Der digitale Wissenserwerb hat das Potenzial, die sog. Wissenskluft-These (die postuliert, dass Wissenserwerb von der sozialen Schicht abhängig ist) auszuhebeln. Das Schulsystem - und damit einhergehend Digitalkunde als Schulfach - trägt die Verantwortung, die Kinder und Jugendlichen entsprechend zu sozialisieren, auszubilden und zu digitalisieren. Eine medienpädagogisch konzipierte Digitalschulzeit ist wünschenswert, weil diese wiederum die Digitalfreizeit der Kinder und Jugendlichen und letztendlich auch die bis ins Erwachsenenalter fortwährende Medienbiografie beeinflusst. Die pluralistische Struktur der Sozialen Medien (interaktiver Meinungsaustausch etc.) genügt natürlich nicht, um Kinder und Jugendliche per se zu demokratischen Wesen zu erziehen, zumal der Demokratiebegriff sowieso sehr weit gefasst ist. In Bezug auf das Monitum zu wenig Schülerparlamente muss darüber nachgedacht werden, die Chancen der Digitalisierung zu nutzen. Ein digitales Schülerparlament Seit 1999 wird die Juniorwahl bundesweit durchgeführt. Bei der Juniorwahl geht es um das Üben und Erleben von Demokratie - meist im Vorfeld der echten Landtags- oder Bundestagswahlen. Es handelt sich um „eine realistische Simulation, bei der die Schülerinnen und Schüler erste eigene Erfahrungen mit demokratischen Wahlen machen können“ 41 . Nach einigen Unterrichtseinheiten legen die Schülerinnen und Schüler Wählerverzeichnisse an, verteilen Wahlbenachrichtigungen, richten ein Wahllokal ein und bilden Wahlvorstände. Kurz vor der offiziellen Landtags- oder Bundestagswahl werden die Stimmen abgegeben und ausgezählt. Das Gesamtergebnis der Juniorwahl 2018 (Landtagswahl Bayern) ist sehr interessant. Die Anzahl der Wahlberechtigten liegt bei 117.024, die Wahlbeteiligung <?page no="84"?> 84 3 Medienerziehung und Werte bei satten 85,8 Prozent. Das ist nicht so überraschend, denn schließlich handelt es sich um ein Projekt, an dem in Bayern bis zu 500 Schulen mitwirken. Und natürlich werden die Schülerinnen und Schüler täglich motiviert, sich an der Juniorwahl zu beteiligen. Die Christsozialen von der CSU erhalten 22,8 Prozent der Stimmen. Für den Wahlsieg reicht dieses Ergebnis nicht. Wer also ist der Wahlgewinner? Die SPD? Nein. Die Sozialdemokraten müssen sich mit 10,8 Prozent zufriedengeben (wohl kaum ein Schock für die bayerischen Genossinnen und Genossen, die bei der echten Wahl 9,7 Prozent erreichen). Oder stehen die Jugendlichen etwa auf die AfD? Nein, die Rechtspopulisten werden mit 6,3 Prozent der Stimmen abgespeist. In der Realität erweist sich die Partei als einflussstark: Die AfD erreicht 10,2 Prozent und leitet seit Herbst 2018 im Bayerischen Landtag den Bildungsausschuss. Man kann sich also schon so langsam denken, welche Partei die bayerische Juniorwahl gewinnt: Es sind die Grünen mit 28,2 Prozent der Stimmen. 42 Die Juniorwahl zeigt, dass sich die Jugendlichen sehr wohl für Politik interessieren. Es ist natürlich ein ganz anderes Kaliber, selbst Kandidat zu sein. Politische Simulationen wie die Juniorwahl gibt es auch für Kommunalpolitiker mit Ambitionen. Die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) bietet regelmäßig sog. Kommunal-Akademien an. Stadtratssitzungen und rhetorische Wortgefechte werden als Rollenspiel trainiert. Die Teilnehmer müssen sich in politische Standpunkte anderer Fraktionen einarbeiten, in kommunalen Ausschussgremien mitwirken und Rede und Antwort stehen. Für die demokratische Kultur nützliche Bildungsmaßnahmen, egal ob sie vom Bund, Bundesland oder einer Partei angeboten werden, legen den Grundstein für digitale Bildungsangebote. Analog klappt das schon ganz gut. Vor allem in Baden-Württemberg gibt es Jugendparlamente wie den Jugendgemeinderat oder Jugendstadtrat. Ein solches Gremium ist überparteilich und vertritt die Interessen der Jugend auf kommunaler Ebene. Die moderne Jugend bewegt sich gerne in digitalen Welten, also ist es aus medienpädagogischer Sicht eine große Chance, die demokratische Werteerziehung mit dem Potenzial der Digitalisierung zu verknüpfen. Möglich ist ein virtuelles Schülerparlament - beispielsweise auf Landkreis-, Bezirks- oder Landesebene. Auf diese Weise ist es den Schülerinnen und Schülern möglich, überregionale Kontakte zu knüpfen und bildungspolitische Themen zu diskutieren. Dieser pluralistische Gedankenaustausch ist nicht nur demokratiefördernd, er kann in einem weiteren Schritt ausformuliert und an das zuständige Ministerium oder andere Entscheidungsträger weitergeleitet werden. Selbstverständlich ist eine schulische Anleitung (Politik-AG, Demokratie-AG etc.) zu empfehlen. Langfristig ist eine Einbettung in das Schulfach Digitalkunde erstrebenswert. Ein solches Projekt eignet sich schwerpunktmäßig für die 9. und 10. Jahrgangsstufe, was bereits jetzt schon impliziert, dass ein Fach Digitalkunde eine sehr dynamische und vielseitige Struktur aufweisen muss. <?page no="85"?> 3.2 Digitales Lernen und demokratisches Erleben 85 Dass Politik kein trockenes Metier ist, weiß jeder, der schon einmal aktiv in der Politik mitgemischt hat. Frei nach der Komparation Feind, Todfeind, Parteifreund sind Kabalen und Fehden geradezu vorprogrammiert. Im schulischen Kontext ist natürlich eine gesunde und sachliche Streitkultur wünschenswert, die durch schulpraktische Simulationen erlernt wird. Um den Simulations-Charakter in den Vordergrund zu rücken, ist es vorteilhaft, eine Mixtur aus E-Learning und Game Based Learning zu generieren. Dies könnte beispielsweise auf ein ministeriell gefördertes Browser-Spiel hinauslaufen, also ein Spiel, das ohne Installation direkt im Internet-Browser ausgeführt werden kann. In einem solchen E- Learning-Spiel wären die Schülerinnen und Schüler nicht mit ihrer eigenen Identität unterwegs: Sie bewegen sich als Avatare (Verkörperung des Nutzers im Cyberspace) durch die Spielwelt, haben allerdings sehr wohl die Aufgabe, sich mit realen (bildungs-)politischen Themen fachlich auseinanderzusetzen. Die Spieler müssen sich programmintern zusammenschließen, koalieren und können ihre Beschlüsse und Ergebnisse anonym an offizielle Schlüsselstellen des echten Lebens weiterleiten - beispielsweise in Bayern an das neu erschaffene Digitalministerium, dessen wahrer Nutzen momentan noch kritisch hinterfragt wird (vgl. „Augsburger Allgemeine“ 2018). Der Effekt: Die Schülerinnen und Schüler lernen, dass ihre eigene Meinung wichtig ist und verstehen, dass viele Abstimmungsprozesse vonnöten sind, um verschiedene Meinungen auf respektvolle Weise zu einer Meinung zusammenzutragen, die viele Meinungen abdeckt (Konsensfindung). Die digitale Vernetzung ermöglicht schnelle Wege, die Aktualität der Themen sowie Spaß am Lernen. Die Kombination aus Unterhaltung und Bildung nennt sich Edutainment und ist, sofern die Bildung im Vordergrund steht, sehr effektiv. Fakten, Fakes, Filterblasen Fakten, Fakten, Fakten - „mit diesem Slogan machte Gründungs-Chefredakteur Helmut Markwort TV-Werbung“ 43 für das Nachrichtenmagazin „Focus“. Markwort ist zwar schon seit fast zehn Jahren raus aus dem Geschäft, sitzt seit Oktober 2018 allerdings für die FDP im Bayerischen Landtag. Der Spruch hat sich als geflügeltes Wort etabliert. Das mit der Faktentreue ist in den Sozialen Medien natürlich immer so eine Sache. Verschwörungstheorien, Promi-Affären und Skandalgeschichten wirbeln durch den digitalen Äther und bilden einen medialen Mahlstrom. Die Nachrichtendichte in den Sozialen Medien erscheint schier unübersichtlich, was auch daran liegt, dass viele Internet-Nutzer Nachrichtenblogs, Informationsseiten und Facebook-Fanseiten ins Leben rufen. In anderen Worten: Jeder kann Journalist sein, jeder will Journalist sein. Es gibt natürlich Teenager, die mit der Flüchtlingspolitik der letzten Jahre unzufrieden sind. Einige davon driften durchaus in die rechtsextreme Schiene ab - ein schleichender Prozess. Ein Like auf Facebook ist schnell gesetzt, wenn ein <?page no="86"?> 86 3 Medienerziehung und Werte herumgeschicktes Bild schwarze Kinder zeigt, die den Muttertag mit einer Schimpansin feiern. Makaber und schrill muss es sein. 2017 tauschten Schüler Judenwitze in einer WhatsApp-Gruppe namens ‚Arische Bruderschaft‘ aus. 44 Im gleichen Jahr gab es einen ähnlichen Fall an einer Dresdener Schule. Antisemitische Bilder wurden im Handy-Chat der Klasse verschickt. Der Fall eskalierte, als das Foto einer Rauchwolke mit der Bildunterschrift Jüdisches Familienfoto die Runde machte. Eine mutige Schülerin meldete den Fall - und wurde für ihre Zivilcourage geehrt (vgl. „Spiegel Online“ 2017). Im Sommer 2018 gab es einen neuen Fall von Antisemitismus an einer Berliner Schule. Ein jüdischer Neuntklässler war über mehrere Monate gemobbt worden. „Mitschüler sollen ihm kalten Rauch ins Gesicht geblasen und dabei gesagt haben, er möge […] an seine vergasten Vorfahren denken“ („Berliner Zeitung“ 2018). Rassistische Gedanken verlagern sich einerseits in digitale Welten wie Chats und Facebook, andererseits kann digitaler Rassismus im analogen Alltag zum Vorschein kommen. Zum Mobbing im Alltag ist das Cyber-Mobbing hinzugekommen - und das bereits seit vielen Jahren. Cyber-Mobbing ist nach wie vor ein unterschätztes Phänomen, weil zunächst keine physische Gewalt vorliegt. Eine Studie des Deutschen Instituts für Vertrauen und Sicherheit im Internet (DIVSI) zeigt, dass viele junge Menschen eine starke Verrohung der Umgangsformen im Internet erkennen: „Zwei Drittel der 14bis 24-Jährigen nehmen das Internet als Raum wahr, in dem man damit rechnen muss, beleidigt oder beschimpft zu werden. Für 38 Prozent ist dies ein Grund, auf die Äußerung der eigenen Meinung im Internet zu verzichten“ („Spiegel Online“ 2018c). Deutlich gestiegen ist die Angst „vor der Veröffentlichung peinlicher oder intimer Posts“ (ebd.). 41 Prozent der Befragten fürchten sich vor einer komplett digitalen Zukunft, spüren jedoch ein unbehagliches Gefühl der Abhängigkeit. „Wer sich ausklinkt, ist ausgegrenzt oder sozial abgehängt“ (ebd.), sagt Studienleiterin Silke Borgstedt vom Sinus-Institut. Laut Studie ist auch die Angst vor gefälschten Nutzerprofilen gestiegen, ebenso erkennen die Befragten ein Risiko durch die Verbreitung von Falschinformationen (vgl. ebd.). Tatsächlich ist es durchaus kniffelig, zwischen wahren Informationen und Fake- Informationen zu unterscheiden. Sobald sich Menschen für bestimmte Themen in den Sozialen Medien interessieren, werden sie in den medialen Mahlstrom hineingezogen, der thematisch oftmals einschlägig ist. Das bedeutet: Jugendliche, die sich für Verschwörungstheorien interessieren, bekommen vom System - beispielsweise von YouTube - infolgedessen ähnliche Beiträge angezeigt. Das System meint es vermeintlich gut, denn es analysiert das Nutzungsverhalten und <?page no="87"?> 3.2 Digitales Lernen und demokratisches Erleben 87 verspricht sich durch ähnliche Beiträge hohe Abrufzahlen, die sich signifikant auf die Monetarisierung (Schaltung von Werbung etc.) auswirken. Das Beispiel Verschwörungstheorien gilt natürlich auch für andere Felder: Jugendliche, die sich für Fitness und Diätprodukte interessieren, laufen Gefahr, sich in diese Thematik hineinzusteigern. Sie treten Fitnessgruppen in den Sozialen Medien bei, schauen sich Fitnessvideos auf YouTube an und schließen sich via WhatsApp mit Gleichgesinnten zusammen. Das klingt zunächst nach einer gesunden Lebensweise, endet allerdings oft im risikobehafteten Netzwerk-Marketing. Es bildet sich eine Filterblase, weil die mediale Rezeption und die soziale Kommunikation nur noch mit diesem einen Thema in Verbindung stehen. Langfristig prägt das die Sicht- und Denkweise. Je nach Fokussierung - gedachter und gelebter Rassismus ist gefährlich - ist präventive Aufklärungsarbeit dringend notwendig; je früher desto besser. Zwischenfazit: Gute Einflüsse, schlechte Einflüsse Wer sich in einer Filterblase befindet, merkt das oftmals gar nicht. In einer solchen Blase dominieren bestimmte Themen, die aus diesem Grund als wichtiger oder wahrhaftiger empfunden werden. Dieser Prozess wird durch das Salience-Modell bestätigt. Pädagogisch wertvolle Medienerziehung hat die Aufgabe, Kinder und Jugendliche für den Umgang mit medialen Falschinformationen und suggestiven Manipulationen zu sensibilisieren. Doch sind unterschiedliche Meinungen nicht das Prinzip des Pluralismus? Und sind demokratische Werte nicht Auslegungssache? Ein Verweis auf die parteipolitische Diversität in Deutschland genügt. In den Sozialen Medien - der rasch fortschreitenden Digitalisierung sei Dank - werden die Kinder und Jugendlichen beinahe minütlich mit neuen Meinungen konfrontiert. Und auch sie selbst beteiligen sich in Online-Chats, Gruppen und Foren. Das ist gelebte Demokratie, und das ist erlebbare Demokratie, die wie so vieles im Leben Spuren hinterlässt. Ein Schulfach Digitalkunde ist dringend notwendig. Es legt mit seiner medienpädagogischen Säule den Grundstein für andere Schulfächer und bereitet die Schülerinnen und Schüler - und auch die Lehrkräfte - auf den Aufenthalt in Global Village vor. Digitales Lernen findet tagtäglich statt. Was ist ein Hoax, und wie erkenne ich ihn? Was bedeutet Phishing? Und auf welche Weise erkennen Kinder und Jugendliche Sponsored Storys und versteckte Werbung in den Sozialen Medien? Digitale Medienerziehung ist die Grundbedingung, um die hochmodernen Endgeräte sachdienlich und bildungsfördernd nutzen zu können. Ja, der Bund möchte die Schulen digitalisieren. Fünf Milliarden Euro sollen ab 2019 über fünf Jahre verteilt an die Schulen fließen. 45 Oh- <?page no="88"?> 88 3 Medienerziehung und Werte ne mediendidaktisches Konzept wird das nichts nützen. Das digitale Netz mit all seinen technischen und sozialkommunikativen Elementen ist mit einem gigantischen Puzzle vergleichbar, das aus unzählbar vielen Teilen besteht. Je mehr Teile gefunden, verstanden und richtig zusammengesetzt werden, desto verständlicher wirkt das Ausmaß des digitalen Netzes, das schon lange kein Dorf mehr ist, sondern vielmehr ein Universum, das sich ausdehnt, ausdehnt - und - ausdehnt. 3.3 Digitalkunde im Lichte einer neuen und bewährten Medienerziehung Mit dem Anstieg des kindlichen und jugendlichen Fernsehkonsums wurden auch die medienpädagogischen Forschungen zur Medienerziehung intensiviert. In den 90er Jahren - vor allem ab deren Ende - legten sich immer mehr Familien einen Computer zu. Zunächst als Familiencomputer gedacht, etablierte sich der Computer sukzessive auch in den heimischen Kinderzimmern, was heute eine Selbstverständlichkeit ist. Mit dem Zugang zum Internet schwappte eine weitere von Dynamik geprägte Medienwelle in die Kinderzimmer. Die Inhalte waren schier unerschöpflich: Musik-Downloads, Pornografie, Games, illegale Film-Downloads etc. Selbstverständlich hatte die zunehmende Digitalisierung auch schon damals sehr viele positive Aspekte, doch die neugierigen Kinderaugen wollten natürlich alles erhaschen. Die Digitalisierung nahm also ihren Lauf. Die Handys, Laptops und Computer wurden kleiner und dennoch leistungsfähiger. Die mechanische Handytastatur verschwand und wich einem immer größeren Display. Ende der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts kamen die ersten Sozialen Medien auf den Markt und feierten einen wahren Siegeszug. Schon bald galt die Faustregel: Bist du nicht drin, bist du nicht ‚in‘. 2007 kam das erste iPhone auf den Markt, wenngleich die mobile Datennutzung (mobiles Internet) erstens sehr teuer und zweitens vom Datenvolumen sehr begrenzt war. Heute sind mehrere Gigabyte Datenvolumen pro Monat meist inklusive. Die modernen Smartphones und Tablets haben gegenüber Fernsehgeräten und ‚echten‘ Computern nur wenige Nachteile. Klar, das Display ist kleiner, doch Filme, Musikvideos, Sportübertragungen und Schmuddelfilme können genauso rezipiert werden. Perfide: Klicken die Kids auf ihrem Smartphone herum, ist gar nicht klar, was sie da eigentlich machen - zumal die meisten Kids Ohrstöpsel tragen und sich geradezu ‚ausklinken‘. Die bewährte Medienerziehung mit all ihren durchaus hilfreichen Erkenntnissen reichte auf einmal nicht mehr, um die Kinder und Jugendlichen auf das neue Zeitalter vorzubereiten. Diese vielleicht zunächst schlecht anmutende Nachricht <?page no="89"?> 3.3 Digitalkunde im Lichte einer neuen und bewährten Medienerziehung 89 weicht einer guten. Die bisherigen medienerzieherischen Konzepte - in diesem Kapitel werden fünf an der Zahl vorgestellt - haben das Potenzial, auf die neue Medienerziehung, die im Besonderen von Digitalisierungsprozessen geprägt ist, projiziert und angewandt zu werden. Mehr noch: Die bewährten Konzepte befürworten die Digitalkunde, denn nur dieses Schulfach kann die neuen medienerzieherischen Maßnahmen bündeln und anwenden, ohne dass die Stoffkataloge der klassischen Schulfächer wie Mathematik, Deutsch, Sozialkunde etc. angetastet werden. 3.3.1 Behütend-pflegende Medienerziehung Schwertduelle, magische Zauber und der Ritt auf einem Drachen: Der 13jährige Thorsten spielt gerne das Online-Rollenspiel World of Warcraft. Im Spiel ist Thorsten als mächtige Nachtelfen-Kriegerin namens Aleria unterwegs. Gerade erst hat Thorsten für Aleria ein neues Brustkleid erspielt - ein episches! Aleria gilt als sehr hilfsbereit, weil sie in der Online-Welt sehr viel Zeit verbringt. Sie kämpft sich durch Armeen von Kobolden und sprintet von Abenteuer zu Abenteuer. Thorsten klickt eifrig auf die Tasten seiner PC- Tastatur. Daneben steht eine Flasche Cola - umrahmt von einer Tüte Chips und einem angebissenen Stück Tiefkühlpizza. Thorstens Mutter gefällt dieser Lebensstil gar nicht. „Was spielst du denn da immer für einen Schund? “, fragt sie regelmäßig beim Mittagessen. Abends schaut sie alle 15 Minuten in Thorstens Kinderzimmer, um ihn zu kontrollieren. Thorsten ist gewieft und minimiert das Spiel sofort - zu sehen ist nur ein Textprogramm. Irgendwann fällt Thorstens Mutter auf, dass ihr Sohn tagsüber zunehmend müder wird. Irgendwann entdeckt sie Thorstens Geheimnis: Er stellt sich den Wecker auf 3 Uhr nachts, um vor dem Schulunterricht Computer zu spielen. Die Konsequenz: Die Mutter kappt nun täglich ab 20 Uhr die Internet-Leitung. Sie kauft Thorsten ein Buch: „Lies doch lieber diesen guten Roman, ein bisschen mehr Bildung schadet dir nicht.“ Ist Thorstens Mutter nun ein Exemplar der sog. Helikopter-Eltern oder ist ihr Verhalten schlichtweg nachvollziehbar? Die Antwort der Medienpädagogik ist sehr komplex. Klar ist, dass die behütend-pflegende Medienerziehung seit vielen Jahrzehnten ein Konzept der Medienpädagogik darstellt (vgl. Tulodziecki/ Herzig 2006, S. 125ff.). Wurde Anfang des 20. Jahrhunderts vor „Schmutz und Schund“ in den Groschenheften gewarnt (vgl. ebd., S. 125), ist es heute der digitale Trash (Hetzparolen, Gewaltvideos, Nacktbilder etc.), der den Aufenthalt der Kinder und Jugendlichen in den Sozialen Medien zum Risiko macht. Die behütendpflegende Medienerziehung hat zwei Primärziele. Erstens möchte sie die Kids vor realen und vermeintlichen Gefahren behüten und beschützen (vgl. ebd., S. 126). Zweitens sollen die Kids stattdessen mit „wertvollen medialen Produk- <?page no="90"?> 90 3 Medienerziehung und Werte ten“ (ebd.) vertraut gemacht werden. Das bewahrpädagogische Denken hat mehrere Schwächen. „Eine ständige Kontrolle im Sinne der Behütung [ist] nicht realisierbar“ (ebd., S. 127). Wohlgemerkt: Diese Feststellung trafen Tulodziecki/ Herzig (2006) vor dem Einzug der Sozialen Medien. Das Argument trifft heute also erst recht zu. Weiterhin wird kritisiert, dass Kinder und Jugendliche als „unmündige Rezipienten verstanden“ (ebd.) werden. Ergo: Sie wären den digitalen Medien in diesem Fall hilflos ausgeliefert - „ohne Chance zur Auseinandersetzung“ (ebd., S. 128). Die behütend-pflegende Medienerziehung findet häufig im familiären Umfeld statt. Das ist nachvollziehbar, weil die jeweiligen Elternteile ihren Nachwuchs natürlich instinktiv (und intuitiv) beschützen möchten. Außerdem - und das ist der große Unterschied zur professionellen Medienerziehung - haben die Elternteile oftmals nicht das medienpädagogische Grundwissen, um dem Nachwuchs einen achtsamen und technisch zielführenden Umgang mit den digitalen Medien beizubringen. In diesem Kontext „besteht kein Zweifel daran, dass Kinder und Jugendliche bis zu einem gewissen Grade schutzbedürftig sind“ (ebd.). Deshalb: Das Schulfach Digitalkunde sucht die aktive Auseinandersetzung mit dem Facettenreichtum der Digitalisierung ganz bewusst. Gefährdende Inhalte und Themen sind nicht ausgenommen, denn es ist wichtig, die Schülerinnen und Schüler zum eigenverantwortlichen Handeln anzuleiten, um Selbstbestimmung bzw. digitale Mündigkeit zu erreichen (vgl. ebd.). Miteinander sprechen Die medienerzieherischen Bemühungen keimten vor allem durch die Entwicklung des Kinofilms auf. In den 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts wurden beispielsweise Filmvorführungen mit anschließenden Filmgesprächen angeraten, um erheblichen Gefährdungen, denen die Kinder und Jugendlichen ausgesetzt sind, präventiv entgegenzuwirken (vgl. Keilhacker/ Keilhacker 1955, S. 11ff.). Empfohlen wurden Spielfilme, die erzieherisch vorbildlich sind. Aus heutiger Sicht ist diese Einseitigkeit überholt, weil die Rezeption von filmischen Medieninhalten nicht mehr auf das Kino oder Wohnzimmer beschränkt ist. Filmdateien (auch Musik-Videos) werden auf YouTube, Facebook und Instagram hochgeladen. Smartphones sind internetfähig, also können die Kinder und Jugendlichen, die ein solches Gerät besitzen, fast überall auf diese Inhalte zugreifen. Gewaltvideos kursieren auf Deutschlands Schulhöfen - und gibt es eine Schlägerei zwischen zwei Jungs, wird spontan das Smartphone gezückt, um die Rüpelei zu filmen. Im Gegensatz zu Spielfilmen sind die digitalen Videos oft nur wenige Minuten lang, was die Brisanz solcher Videos allerdings nicht abmildert. <?page no="91"?> 3.3 Digitalkunde im Lichte einer neuen und bewährten Medienerziehung 91 Umso wichtiger sind Filmgespräche, deren didaktische und somit schulpraktische Aufbereitung heute natürlich völlig anders konzipiert sein muss. Die moderne Medienpädagogik wünscht sich sehr wohl die Besprechung kritischer Clips, die im Unterricht selbstverständlich mit schönen Videos gegenübergestellt werden sollten. Auf diese Weise kann nach der ästhetischen Gestaltung gefragt und überprüft werden, ob die filmischen Handlungsweisen (beispielsweise die des Helden) moralisch nachvollziehbar sind (vgl. ebd., S. 35ff.). Gespräche über die filmische Kulisse und andere Stilmittel helfen, die filmische Realität zu entzaubern. Gewaltvideos, die über die Sozialen Medien distribuiert werden, stellen ein großes Problem dar. Ralph Schliewenz, Vorstandsmitglied der Sektion Klinische Psychologie des Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen, erklärt: „Das Gehirn kann jede visuelle Konfrontation als Erlebnis abspeichern. Und was ich einmal erlebt habe, das kann ich nicht mehr rückgängig machen.“ 46 Gewaltvideos wirken wie eine Art Psychodroge, weil sie die Gefühle der Kinder und Jugendlichen beeinflussen. Die moderne Medienpädagogik muss sich also die Frage stellen: Welche Filme und Filmchen dürfen im Unterricht überhaupt gezeigt werden? Schließlich macht es keinen Sinn, Videos einer (echten) Enthauptung oder blutrünstigen Schlägerei gemeinsam im Unterricht zu bestaunen, um dann darüber zu sprechen. Das Filmgespräch - man darf es durchaus auch Mediengespräch nennen - ist in jedem Fall ein gutes Mittel, um digitale Medieninhalte unter schulpädagogischer Aufsicht kritisch zu hinterfragen. Langfristig ist digitale Mündigkeit das Ziel: Kinder und Jugendliche sollten in der Lage sein, das digitale Medienangebot auf eine wohltuende Weise eigenverantwortlich zu rezipieren. 3.3.2 Ästhetisch-kulturorientierte Medienerziehung Die ästhetisch-kulturorientierte Medienerziehung schließt in gewisser Weise an die behütend-pflegende Medienerziehung an. Die ästhetisch-kulturorientierte Medienerziehung fordert eine visuelle Bildung „und damit das Verstehen von Bildern und Filmen als eine kulturelle Notwendigkeit“ (Tulodziecki/ Herzig 2006, S. 129). Einerseits soll kritisches Urteilsvermögen herangebildet werden, andererseits wird eine Wertschätzung des Films als Kunstform angestrebt (vgl. Peters 1963, S. 15ff.). Außerdem werden ästhetische Werte des Film- und Bildmaterials erfasst und auf ihre ethischen und gesellschaftlichen Qualitäten beurteilt. Tulodziecki/ Herzig (2006) kritisieren, dass sich das Konzept zu sehr auf den Film und zu wenig auf das Fernsehen konzentriert (vgl. Tulodziecki/ Herzig 2006, S. 129). Dem ist voll und ganz zuzustimmen. Aus heutiger Sicht müssen zusätzlich die Sozialen Medien berücksichtigt werden. Netzwerke wie Facebook und Instagram stilisieren ihre Lebendigkeit vor allem durch Bilder. Facebook ist - wie der Name schon sagt - ein riesiges Verzeichnis von Gesichtern. Selbst Facebook-Profile, die nur dieses eine ‚Gesichtsfoto‘ als Profilbild haben, gelten <?page no="92"?> 92 3 Medienerziehung und Werte als unseriös. Sehr viele Menschen veröffentlichen Urlaubs- und Partybilder, oftmals hundertfach, teilweise auch tausendfach. Besonders Social-Media-Stars - auch genannt Influencer - inszenieren sich besonders hochwertig, indem die veröffentlichten Fotos mithilfe von Programmen und Tools optisch verschönert werden. Populär sind die Fotofilter der Plattform Instagram. Es gibt durchaus viele Cyber-Promis, die über 100.000 Follower haben. Die Erfolgsformel: Wunderschöne Bilder und Videos, die der Normalo so nicht hinbekommt. Ist das nicht auch eine Form von Kunst? Nein, könnten die meinen, die Bilder in halbnackten Posen und Schminksowie Fitness-Clips grundsätzlich ablehnen. Ja, könnten jene meinen, die solche visuellen Storys bewundernswert finden. Das sind vor allem Kinder und Jugendliche, die ihre digitalen Idole bewundern. Um das Digitalverhalten der Kids verstehen zu können, ist medienpädagogisches Einfühlungsvermögen wichtig. Die Analyse von digitaler Kunst muss Bestandteil des neuen Schulfachs Digitalkunde sein. Vor allem selbst erstellte Bilder (Selfies etc.) und Filme (YouTube-Clips etc.) sind ein wichtiges „Ausdrucksmittel für eigene Bedürfnisse“ (ebd.). Die Schülerinnen und Schüler bekommen im Fach Digitalkunde zudem die Möglichkeit, „computerbasierte Ausdrucksmöglichkeiten […] im künstlerischen Sinne zu nutzen“ (ebd.). Bild und Film sind somit ‚Sprache‘ und eine Möglichkeit der zwischenmenschlichen Kommunikation: Die Kommunikationskompetenz wird auf moderne Weise verbessert. 3.3.3 Funktional-systemorientierte Medienerziehung Die funktional-systemorientierte Medienerziehung widmet sich dem Verstehen und Beurteilen von Medienangeboten sowie der Einordnung der eigenen Teilhabe am massenmedialen Prozess (vgl. Tulodziecki/ Herzig 2006, S. 130ff.). Die Sozialen Medien finden keine Berücksichtigung. Dieses Desiderat lässt sich jedoch so begründen, dass die Sozialen Medien verhältnismäßig neu sind. Eine Berücksichtigung ist dringend notwendig, da die Sozialen Medien aufgrund des interaktiven Konzepts die Teilhabe an medialen Prozessen im besonderen Maß begünstigen. Der mündige Umgang mit Medien „zur Förderung von Demokratie und Kultur“ (ebd., S. 131) ist ein wichtiges Prinzip der funktional-systemorientierten Medienerziehung. Die Kinder und Jugendlichen werden mit anspruchsvollen Fragen konfrontiert: Auf welche Medien habe ich im Zeitalter der Digitalisierung Zugriff ? Was bewirken meine Aktionen in der digitalen Welt? Wie entsteht eine Kettenreaktion, wenn ich in den Sozialen Medien etwas weiterverbreite? Wie bereite ich Ideen digital auf ? <?page no="93"?> 3.3 Digitalkunde im Lichte einer neuen und bewährten Medienerziehung 93 Schon damals - als die Welt noch weitestgehend analog war - tauchen Begriffe wie Medienkunde auf, um ebensolche Inhalte in den schulischen Unterricht einzubetten. Bereits in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts schlägt Kerstiens (1971) vor, außerschulische Medienerfahrungen im Unterricht zu besprechen (vgl. Kerstiens 1971, S. 69ff.). Ein Thema, das heute noch aktueller und wichtiger ist. Ein solches Mediengespräch unter medienpädagogischer Aufsicht sensibilisiert die Schülerinnen und Schüler, zwischen Fiktion und Realität unterscheiden zu können. Kerstiens (1971) schlägt außerdem die Erstellung eigener Plakate vor (vgl. ebd.). Diese Methode der Medienerziehung erscheint zwar nicht mehr sonderlich modern, kann jedoch auf die Erstellung von Internet-Memes, Social-Media-Postings und digitalen Collagen angewendet werden. Die analoge Medienerziehung, die oftmals unfairerweise belächelt wird, hat also viele Ideen, die nur noch auf die digitale Medienerziehung übertragen werden müssen. Der funktional-systemorientierte Ansatz fokussiert sich zu sehr auf die Massenmedien, was zur Folge hat, dass die Kinder und Jugendlichen vor allem auf ihre Rolle als Rezipienten reduziert werden. Im Zeitalter der Sozialen Medien haben die Kids die Möglichkeit, zu Medienmachern zu werden. Das Schulfach Digitalkunde zeigt diese Möglichkeit der demokratischen Selbstverwirklichung auf (digitale Teilhabe) und bereitet die Schülerinnen und Schüler darauf vor, die mannigfaltigen Medienangebote und Stilformen (Berichterstattung, Werbung, Propaganda etc.) verstehen und beurteilen zu können. 3.3.4 Kritisch-materialistische Medienerziehung Die kritisch-materialistische Medienerziehung bildet die Schülerinnen und Schüler aus, den „Warencharakter von Medien und ihre ökonomische Bedeutung“ (Tulodziecki/ Herzig 2006, S. 133) zu durchschauen und einschätzen zu können. Geschult werden soll außerdem die Befähigung zur Ideologiekritik. „Die Zeit des Nationalsozialismus war ein offensichtliches Beispiel dafür, wie Medien zur Verbreitung einer politischen Ideologie benutzt werden können“ (ebd., S.132). Populismus - egal von welcher Seite - erreicht durch die Eigendynamik der Sozialen Medien eine ganz neue Stufe. Der Populismus nimmt zu, weil über die Sozialen Medien - im Gegensatz zu den Massenmedien - praktisch jeder auf kostengünstige Weise erreicht werden kann. Schön ist allerdings, dass jeder, der über einen Social-Media-Account verfügt, befähigt ist, eigene Ansichten im Sinne einer Gegenöffentlichkeit zu artikulieren. Die Befähigung zur Nutzung von Medien als Mittel der Herstellung von spontaner Öffentlichkeit (vgl. hierzu auch Holzer (1974) im Ganzen) ist also ein wichtiges Merkmal, der kritisch- <?page no="94"?> 94 3 Medienerziehung und Werte materialistischen Medienerziehung. Die eigene Meinung wird also nicht mehr über analoge Leserbriefe, sondern über den privaten Social-Media-Account kommuniziert. Es entsteht also so etwas wie der Leserbrief 2.0. Der aktive Gebrauch der Medien ist eine äußerst relevante Säule der Medienerziehung und somit auch des Schulfachs Digitalkunde. Die digitalen Medien sollen im Medienverbund genutzt werden, „um eigene Aussagen kreativ zu gestalten und Öffentlichkeit für eigene Interessen herzustellen“ (vgl. Tulodziecki/ Herzig 2006, S. 134). Hier sind beispielsweise Online- Petitionen eine schöne Möglichkeit. Vor allem die Themen Lärmschutz, Naturschutz und Tierschutz eignen sich als Klassenprojekte, wodurch die Projektarbeit als medienerzieherisches Konzept gestärkt wird. Die Schülerinnen und Schüler lernen, dass sich digitale Bemühungen auf die analoge Welt auswirken; nämlich dann, wenn das Projekt reüssiert. Zusätzlich wird die demokratische Kultur gestärkt. 3.3.5 Handlungs- und interaktionsorientierte Medienerziehung Die handlungs- und interaktionsorientierte Medienerziehung versteht die Mediennutzung als soziales Handeln (vgl. ebd., S. 135): „Mediale Angebote werden von den Menschen zur Befriedigung bestimmter Bedürfnisse bzw. zur Erlangung bestimmter Gratifikationen genutzt“ (ebd.). Dieses Erziehungskonzept lässt sich wunderbar auf die Sozialen Medien anwenden, denn Bestätigung, Inszenierung, Selbstdarstellung und Unterhaltung sind der (milieutypische) digitale Treibstoff. Die handlungs- und interaktionsorientierte Medienerziehung hat die Aufgabe, den Kindern und Jugendlichen ein selbstbestimmtes und situationsangemessenes Handeln im digitalen Medienbereich beizubringen. Während in den 80er Jahren noch Kassetten, Schallplatten und das Fernsehen als Kernmedien genannt werden, sind heute Internet-Videos (YouTube etc.), Podcasts, Streaming- Portale, Soziale Medien, Messenger und Spiele-Apps für die Medienerziehung relevant. Interaktives Handeln korreliert mit Kommunikation und demzufolge mit kommunikativen Absichten und Wirkungen. Ebenso ist es ein wichtiges Konzept der Medienerziehung, dass diese Form der Erziehung „handelnd erfolgen und für das Handeln bedeutsam werden“ (ebd., S. 137) soll. An dieser Stelle lohnt sich ein Blick in die linguistische Pragmatik. Die linguistische Pragmatik ist die Lehre vom Sprachhandeln. Gerade diese praktische Seite macht sie auch für linguistische Laien greifbar. Einige Disziplinen der Pragmatik finden durchaus Verwendung, um Missverständnisse zu analysieren und zwischenmenschliche Konflikte zu lösen. Durchaus interessant ist die Sprechakttheorie. Der illokutio- <?page no="95"?> 3.3 Digitalkunde im Lichte einer neuen und bewährten Medienerziehung 95 näre Akt stellt die Kommunikationsabsicht eines Sprechers dar. Der perlokutionäre Akt beschreibt die Wirkung bzw. intendierte Wirkung einer Äußerung. Häufig tritt zwischen diesen beiden Teilakten eine Divergenz auf. Oft ist die Wirkung der Absicht übergeordnet. Kinder und Jugendliche kommunizieren in den Sozialen Medien oft unbedacht. Inhalte, die die Sicherheit des Kindes gefährden könnten, werden weiterverbreitet. Fotos, nicht selten halbnackte, werden ‚gut gemeint‘ verschickt und dann möglicherweise nicht vertraulich behandelt. Pädophilie ist eine sehr große Gefahr, die in den digitalen Welten lauert. Die Kinder und Jugendlichen sind Übergriffen (dazu gehören auch verbale Übergriffe) oft schutzlos ausgeliefert. Das Tückische: Erwachsene können sich in den Sozialen Medien problemlos als Gleichaltrige ausgeben, um sich das Vertrauen der Kids zu erschleichen. Das funktioniert über vertrauenserweckende Kommunikation (Jugendsprache, Dialekt, Emojis, sprachspielerische Annäherungen etc.) und gefälschte Profile (Fake-Bilder, falsche Angaben, unechte Online-Freundeslisten etc.). Viele (digitale) Verfänglichkeiten sind den Kids gar nicht bewusst: Inwiefern handele ich, indem ich ein Foto verschicke? Inwiefern handele ich, indem ich meine Handynummer oder gar Adresse weitergebe? Welche Konsequenzen hat mein Sprachhandeln in den digitalen Medien auf mein Wohlbefinden in der analogen Welt? Und um den Kreis zu schließen: Wie gefährlich sind digitale Handlungen und Interaktionen möglicherweise? Mediale Kommunikation - der Prototyp ist wohl der Messenger WhatsApp - muss auch immer als Individualkommunikation verstanden werden. Das heißt: Die Kinder und Jugendlichen nehmen tagtäglich an medialen Prozessen teil; einerseits als Rezipienten, andererseits auch als Produzenten. Die erschaffenen Medienprodukte der Kids - selbst eine winzige WhatsApp-Message wie Ich liebe dich oder Ich hasse dich kann sehr viel auslösen - werden dann wieder von anderen Kids rezipiert, die dann wieder etwas erschaffen, was andere wiederum rezipieren. Kommunikation bedeutet aber auch, unangenehme Online-Nachrichten nicht zu beantworten, was einem Nein, ich möchte nicht mit dir kommunizieren gleichkommt. Eine Forschergruppe um Paul Watzlawick sagte ja schon vor langer Zeit so treffend: „Man kann nicht nicht kommunizieren“ (Watzlawick/ Beavin/ Jackson 1996, S. 53). Die Lebenssituation der Kinder und Jugendlichen bildet die Voraussetzung für das medienerzieherische Handeln, das die Medienkompetenz in Form von Projekt- und Gruppenarbeiten professionell ausbildet. Das <?page no="96"?> 96 3 Medienerziehung und Werte Schulfach Digitalkunde bietet den hinreichenden Rahmen für den notwendigen Kompetenzerwerb. Besonders zielführend ist ein medienpädagogischer Systematisierungsprozess, der aufgrund der digitalen Dynamik immer wieder überprüft, evaluiert und erprobt werden muss. 3.4 Lösungskommentar zur einführenden Aufgabe Die in diesem Buch bereits zitierte Redewendung Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser spiegelt die behütend-pflegende Medienerziehung sehr treffend wider. Ließe sich zu jeder Tageszeit ein Blick in das Smartphone des Nachwuchses werfen, ließe sich jede Bewegung in der echten Welt per App verfolgen, könnte so manches Unglück vielleicht verhindert werden. Doch einen Moment mal, das ist technisch sogar möglich. „Beim so genannten Tracking können Eltern auf einer kleinen Karte sehen, wo sich zumindest das Smartphone ihres Kindes gerade befindet“ („Mitteldeutscher Rundfunk“ 2018a). Es lässt sich sogar ein ‚Geozaun‘ einrichten. Das Prinzip: Die Eltern können einen sicheren Bereich für ihr Kind festlegen. „Verlässt das Kind mit seinem Smartphone diesen Bereich, wird über die App ein Alarm aufs Handy der Eltern geschickt“ (ebd.). Doch das ist nicht alles. Einige Kontroll-Apps bieten eine Wanzenfunktion an. Über das Mikro des Smartphones können die Eltern mithören. Und: „Die Kamera kann zusätzlich Bilder und Videos vom Nachwuchs machen und den Eltern zur Verfügung stellen“ (ebd.). Je jünger das Kind ist, desto mehr Rechte haben die Eltern, in die Privatsphäre des Nachwuchses einzudringen. Mediencoach Kristin Langer warnt im Gespräch mit dem Mitteldeutschen Rundfunk: „Mit den vielen technischen Helfern verlieren wir auch die Selbstständigkeit unserer Kinder aus den Augen. Die können dann nicht für sich herausfinden, was ihnen gut tut und wann sie ihr Smartphone auch mal ausmachen sollten“ (ebd.). Fühlt sich das Kind aufgrund der Cyber-Überwachung unbehaglich, kann dies zu einem Vertrauensverlust führen. Das gilt vor allem dann, wenn das Kind möglicherweise gar nichts von der Überwachung weiß und die App rein zufällig entdeckt. Mögliche Vorteile einer bedingungslosen Medienbehütung sind: Vorteile der medialen Behütung  Stetige Kontrolle gibt erste Hinweis auf negative Medieneinflüsse <?page no="97"?> 3.4 Lösungskommentar zur einführenden Aufgabe 97  Kinder und Jugendliche haben weniger Verantwortung  Eltern/ Lehrkräfte können jederzeit eingreifen Mögliche Nachteile einer bedingungslosen Medienbehütung sind: Nachteile der medialen Behütung  Kinder und Jugendliche fühlen sich überwacht = Vertrauensbruch  Kinder und Jugendliche bekommen das Gefühl, den digitalen Medien ohne Kontrolle durch die Eltern/ Lehrkräfte ausgeliefert zu sein  Ständige Kontrolle ist aufgrund des medialen Facettenreichtums nicht realisierbar  Eigenständige aktive Auseinandersetzung mit den digitalen Medien ist zu gering  Selbstständigkeit geht verloren und das Gefühl für eigenverantwortliches Handeln wird nicht geschult  Digitale Mündigkeit wird nicht erreicht Die digitale Mündigkeit der Kinder und Jugendlichen korreliert nicht nur mit dem Lebensalter, sondern vor allem mit der elterlichen und schulischen Medienerziehung. Wo Eltern an ihre Grenzen stoßen (und dafür muss ein gewisses Verständnis aufgebracht werden), kommen die Schulen und Lehrkräfte ins Spiel. Die digitale Medienwelt ist so komplex, dass das Bildungssystem immer mehr Verantwortung übertragen bekommt, um die Schülerinnen und Schüler auf das Facettenreichtum der fortschreitenden Digitalisierung vorzubereiten. Denn können Kinder und Jugendliche ohne ‚Digitalausbildung‘ wirklich selbst einschätzen, was ihnen gut tut? Und wissen sie, wann sie ihr Smartphone einfach mal für ein paar Stunden abschalten oder weglegen sollten? Die mediale Auseinandersetzung ist wichtig und sollte unter medienpädagogischer Anleitung stattfinden. Dieses professionelle Digitaltraining ist ganz wichtig, weil es weder sinnvoll noch möglich ist, die Kinder und Jugendlichen ständig zu kontrollieren. Das Schulfach Digitalkunde sucht die aktive Auseinandersetzung mit den digitalen Medien. Erst dann, wenn die Kinder und Jugendlichen über die entsprechende Medienkompetenz verfügen, erlangen sie Mündigkeit, die ihre Medienbiografie im Erwachsenenalter prägen wird. Je früher die Kinder und Jugendlichen diese Mündigkeit erlangen, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich langfristig sicher in der digitalen Welt bewegen. <?page no="98"?> 3.5 Kapitelschließende Diskussionsfragen für den Unterricht und Workshops  Würdet ihr es gut finden, den Schulunterricht einmal pro Schuljahr anonym bewerten zu dürfen?  Habt ihr schon einmal euer Smartphone gezückt, um etwas Kurioses (Unfall, Schlägerei, Unwetter etc.) oder Niedliches/ Schönes (lustige Tiere, Babys, leckeres Essen etc.) zu filmen oder zu fotografieren? Habt ihr das für euch gemacht oder ging es euch darum, die Videos/ Bilder anderen Menschen zu zeigen?  Ihr habt jetzt die Chance, eurer Lehrerin/ eurem Lehrer einige Gefahren des Internets zu erklären. Was ist ein Hoax? Was ist Phishing?  Fallen euch noch andere Risiken ein, denen ihr in den Sozialen Medien begegnen könntet?  Wie geht ihr mit Beleidigungen/ Mobbing/ Rassismus im Internet um?  Zusammen ist man stark: Würdet ihr gerne mit anderen Schulen über digitale Netzwerke zusammenarbeiten, um großflächig (landesweit/ bundesweit) Projekte wie Petitionen oder Bildungsverbesserungen durchzusetzen?  Die meisten von euch haben vermutlich ein eigenes Smartphone. Das gibt euch viele Freiheiten, hat aber vielleicht auch einen Nachteil. Fühlt ihr euch durch eure Eltern kontrolliert? Oder fühlt ihr euch geborgen, weil eure Eltern immer einen Blick auf euch haben?  Seid mal ehrlich: Wer weiß am besten Bescheid über die digitalen Medien wie Facebook, Games und Fotobearbeitung? Eure Eltern, die Lehrer oder eure Freunde? Glaubt ihr, dass die Sozialen Medien eher was für junge Leute sind?  Immer wieder kommt es zu Diskussionen, ob die Sozialen Medien gut oder schlecht sind. Fallen euch Beispiele ein, wie die Sozialen Medien auf eine sehr gute Weise verwendet werden (Vermittlung von Werten oder um einem Menschen in Not zu helfen etc.)? Welche Beiträge in den Sozialen Medien findet ihr schlimm und abschreckend? 9 8 3 Medienerziehung und Werte <?page no="99"?> Teil-III: -Schulpraktischer-Teil-- 4 Digitalkunde als Vier-Säulen-Modell Um didaktische Uniformität und Konformität zu gewährleisten, ist es wichtig, dass der strukturelle Aufbau des Schulfachs Digitalkunde einheitlich ist. Das Konzept besteht aus vier Säulen (A, B, C, D). Die medienpädagogische Säule (A) legt den Grundstein, was aufgrund ihrer (über-)fachlichen Spannweite nur zu berechtigt ist. Die fachspezifische Säule (B) bezieht sich auf die verschiedenen Fachbereiche, die bereits Teil des Schulsystems sind. Eine Gebundenheit an den Lehrplan ist nicht vorgesehen, um die fachliche Autarkie des Fachs Digitalkunde zu stärken. Anders verhält es sich mit Säule C: Die lehrplanorientierte Säule hat die Zielsetzung, die jeweiligen Fachlehrpläne der klassischen Schulfächer zu berücksichtigen. Dieses Konzept hat den großen Vorteil, dass sich die Inhalte der lehrplanorientierten Säule in die bereits bestehenden Fachlehrpläne implementieren lassen. Für die Übergangsphase zum eigenständigen Schulfach Digitalkunde ist dies von großer Bedeutung. Die anwendungsinnovative Säule (D) legt einen großen Wert auf die digitalmediale Praxisbezogenheit. Der Digitalkundeunterricht ist in diesem Modulbereich besonders anwendungsorientiert. Die Klassengruppen sind kleiner, damit eine intensive Betreuung der Schülerinnen und Schüler möglich ist. Schon jetzt wird deutlich, dass das Vier-Säulen-Modell äußerst flexibel und dynamisch ist. Das erlaubt eine wunderbare Anpassung an die Jahrgangsstufen und Schularten - und auch an die Vorgaben der verschiedenen Bundesländer. Ebenso variiert die Relevanz der digitalen Medienthemen (Trends, technischer Fortschritt etc.), was eine Anpassung der inhaltlichen Ausrichtung des Digitalkundeunterrichts erforderlich macht. Das neue Schulfach braucht also eine gewisse Grundstruktur, die erstens auf alle vier Säulen anwendbar ist und zweitens in ihrer inhaltlichen Konzeption variabel. Zusätzlich sollte die Möglichkeit bestehen, zwischen einführenden Basismodulen, vertiefenden Schwerpunktmodulen und kompetenzschärfenden Profilmodulen differenzieren zu können. Aus diesem Grund wird der folgende strukturelle Aufbau vorgeschlagen: <?page no="100"?> 100 4 Digitalkunde als Vier-Säulen-Modell Tab. 1a: Struktureller Aufbau des Schulfachs Digitalkunde Modulbereich A Medienpädagogische Säule Block Medienerziehung und Medienbildung Modulgruppe Basismodul: Soziale Medien Unterrichtseinheiten (UE) Werbung und Marken (1 × 45 Minuten) Freunde und Sicherheit (1 × 45 Minuten) Betrugsmaschen erkennen (2 x 45 Minuten) Exemplarisch wird der Modulbereich A angeführt, auch um die nachstehende Kapitelkohäsion zu wahren. Beachtenswert an der grafischen Darstellung (Tab. 1a) ist die Aufgliederung der möglichen Unterrichtseinheiten. Die Modulgruppe - in diesem Fall handelt es sich um ein Basismodul zu den Sozialen Medien - gibt einen ersten Hinweis auf die Komplexität des Unterrichtsstoffs. Eine Unterrichtseinheit kann sowohl eine Schulstunde (45 Minuten) als auch mehrere Schulstunden (beispielsweise zweimal 45 Minuten = 90 Minuten) umfassen. Für die Lehrkraft ist diese Angabe ein wichtiger Hinweis: Die Vor- und Nachbereitungszeit einer Unterrichtseinheit korreliert natürlich mit der Unterrichtszeit im schulpraktischen Alltag. Die Basismodule eines Blocks dienen also der thematischen Einführung. Je nach Thema oder Fachbereich ist es zielführend, konsekutive Schwerpunktmodule und ggf. praxistaugliche Profilmodule anzubieten. Anzuraten ist, dass die Schülerinnen und Schüler die Basismodule in Form von Unterrichtsleistungen abschließen. Möglich sind Präsentationen, Experimente oder einfach die aktive Teilnahme am Digitalunterricht. Eine Benotung ist nicht zwingend erforderlich, wenngleich eine ausreichende Leistung durchaus erwartet werden darf. Schwerpunktmodule und Profilmodule hingegen sollten in Form einer benoteten Prüfungsleistung abgeschlossen werden. Dies kommt natürlich auf die jeweilige Schulart und Klassenstufe an. Die Digitalkunde möchte besonders in der Grundschule keinen Leistungsdruck erzeugen. Vor allem die jungen Schülerinnen und Schüler sollen sich gerne mit dem Stoff beschäftigen, weil sie das lebensnahe Thema und die moderne Unterrichtsgestaltung spannend finden. <?page no="101"?> 4.1 Modulbereich A: Medienpädagogische Säule 101 4.1 Modulbereich A: Medienpädagogische Säule Die Welt der Jugendlichen wird immer digitaler. In 99 Prozent der Familien gibt es im Jahr 2018 Smartphones. Und: In fast allen Familien gibt es Computer/ Laptops (98 Prozent), nur 2 Prozent der Familien sind noch offline (vgl. JIM-Studie 2018). 47 Für die Studie wurden insgesamt 1200 Jugendliche im Alter zwischen 12 und 19 Jahren telefonisch befragt. „Am liebsten sind die jungen Nutzer im Internet unterwegs: 91 Prozent sind täglich online.“ 48 Und: 97 Prozent der Jugendlichen besitzen ein eigenes Handy (vgl. ebd.). „Für die tägliche Kommunikation verwenden die Jugendlichen am meisten WhatsApp (95 Prozent)“ (ebd.). Das beliebteste Internet-Angebot ist übrigens YouTube, während Facebook in der Gunst der jungen Leute deutlich zurückfällt. Immer beliebter wird das Streaming-Portal Netflix, das fast jeder zweite Jugendliche täglich nutzt. „Auch beim Musikkonsum ist Streaming äußerst beliebt bei den Jugendlichen: Erstmals hören mehr junge Leute Musik bei Spotify als live im Radio“ (ebd.). Das jugendliche und auch kindliche Mediennutzungsverhalten ist aufgrund der vielen beliebten Medienangebote höchst unübersichtlich geworden. Auf dem Weg zur Schule im Bus sitzen viele Kids regungslos auf ihrem Platz. Sie haben das Smartphone in der Hand und die Stöpsel im Ohr. Was machen sie wohl gerade? Bereiten sich die Kids auf den Schulunterricht vor? Streamen sie Musik oder die neueste Folge ihrer Lieblingsserie? Schreiben sie mit ihren Freunden über WhatsApp? Spielen sie ein Handygame? Bewundern sie ihren YouTube- Star? Oder pflegen sie vielleicht gerade noch schnell ihren Social-Media- Account, bevor die Schulbank gedrückt wird? Vielleicht machen die Kinder und Jugendlichen auch alles auf einmal. Früher war das ein bisschen einfacher zu erkennen: Kinder mit Gameboy in der Hand spielten logischerweise ein Spiel. Kinder mit CD-Player und Kopfhörern im Ohr lauschten ihrer Musik. Serien und Filme wurden vor dem Fernseher im Wohn- oder Kinderzimmer geschaut. Und die Sozialen Medien gab es auch noch nicht. Die Veranschaulichung macht deutlich, dass es heute viel schwieriger ist, die Kinder und Jugendlichen bei ihrem medialen Tun und Wirken (Kinder und Jugendliche sind nicht mehr nur Rezipienten) zu beobachten. Vor einiger Zeit auch war der Medienkonsum an bestimmte Orte (Wohnzimmer, Plattenladen etc.) oder ‚Spezialgeräte‘ (Fernseher, Radio, tragbarer CD-Player etc.) geknüpft. So konnten die Eltern und Lehrkräfte immer einschätzen, mit welchen Medien sich die Kids tagsüber beschäftigen. Es ist aus medienpädagogischer Sicht wichtig zu wissen, welche Medienangebote es gibt und wie, wo und wann diese genutzt werden. Der Zugriff auf kritische Medieninhalte wird nämlich immer einfacher und subtiler. Achtjährige Mädchen <?page no="102"?> 102 4 Digitalkunde als Vier-Säulen-Modell und Jungs können sich auf YouTube Videos anschauen, für die sie schlichtweg zu jung und unerfahren sind. Selbst wenn die Kinder brav sind und solche Angebote meiden, bekommen sie vielleicht über WhatsApp ein risikobehaftetes Video ‚angeboten‘ (beispielsweise von der Clique). Die Neugierde siegt meistens. Das zeigt übrigens auch die Werbung der Ü-Ei-Kinderüberraschung mehr als deutlich. 49 Statt einem Schoko-Ei mit Gimmick als Überraschung entpuppt sich ein Online-Video oftmals als Wolf im Schafspelz - ein treffendes Beispiel ist die WhatsApp-Puppe „Momo“, deren Anblick wohl auch für Erwachsene mehr als gruselig ist. Die enorme Wichtigkeit der medienpädagogischen Säule wird im Kontext der Digitalisierung oftmals verkannt. Wer an Digitalisierung denkt (besonders in Politik und Wirtschaft), denkt oftmals an High-End-Geräte, Programmierkünste, schnelles Internet (Dorothee Bär (CSU): „Wir brauchen 5G-Netz in jeder Ackerfurche“ 50 ) und technischen Schnickschnack, der das analoge Leben angeblich ‚smarter‘ macht (Amazon Echo, Siri-Software von Apple etc.). Genauso wichtig ist allerdings der Umgang mit den Medien - und im Übrigen auch das Bewusstsein, ob und in welcher Situation die verschiedenen Medien notwendig oder sinnvoll sind. Die Herausforderung der Digitalkunde als Schulfach ist also, grundlegende Medienerziehung und Medienbildung zu leisten. Genauso wichtig ist die mediendidaktische Planung des Unterrichts. Das heißt: Die Lehrkräfte müssen eine gewisse Digitalkompetenz ausstrahlen, um glaubwürdig zu erscheinen (hier steht die Lehrerausbildung durch Hochschulen ebenfalls vor einer großen Herausforderung). Letztlich entscheidet die Methodik, ob der Unterricht gelingt oder nicht. Wie also muss Digitalkunde unterrichtet werden? Medienerziehung, Didaktik und Methodik werden in diesem Kapitel als Triade unter dem Terminus Medienpädagogik zusammengefasst. Die Medienpädagogik ist als grundlegende Säule für einen erfolgreichen Digitalkundeunterricht zu verstehen, was im Folgenden schulpraktisch erläutert und exemplifiziert wird. 4.1.1 Pädagogik: Medienerziehung und Medienbildung In diesem Kapitel werden Unterrichtseinheiten für den Block Medienerziehung und Medienbildung vorgeschlagen. Der richtige Umgang mit digitalen Medien ist für Kinder und Jugendliche sehr wichtig - einerseits für den schulischen sowie fachlichen Kompetenzerwerb, andererseits für den Umgang mit den digitalen Medien außerhalb der Schulzeit. Die Medienerziehung kann im Rahmen der familiären Erziehung in der Regel nicht erfüllt werden. Außerdem: Medienerziehung kann nicht mit dem Auswendiglernen von Vokabeln verglichen werden kann. Es braucht Zeit, bis ein Gefühl für den richtigen (wohltuenden, zielführenden, effizienten etc.) Mediengebrauch entsteht. Ebenfalls berücksichtigt werden muss, dass jedes Individuum einzigartig ist. Es gibt Kinder und Jugend- <?page no="103"?> 4.1 Modulbereich A: Medienpädagogische Säule 103 liche, die besonders feine Antennen haben. Sie nehmen digital ausgetragene Konflikte, mediale Gewalt oder sozialen Druck, der durch die digitalen Medien entsteht, stärker wahr. Es gibt noch eine weitere Hürde: In Sachen Medienerziehung bzw. Medienbildung werden die Schülerinnen und Schüler nicht auf dem gleichen Stand sein. Es ist vielleicht ein kurioses Beispiel, aber der bestverdienende YouTuber ist gerade einmal sieben Jahre alt und hat laut „Forbes“- Ranking ein Jahreseinkommen von 22 Millionen Dollar. 51 Das Beispiel ist zwar extrem, dennoch wird es in den Klassenzimmern Schülerinnen und Schüler geben, die sich in den Sozialen Medien sehr offensiv und teils erfolgreich präsentieren. Die wissen dann natürlich mehr als ihre Klassenkameraden, vielleicht sogar mehr als die Lehrkraft. Basismodul „Soziale Medien“ Die Basismodule haben das Ziel, die Schülerinnen und Schüler auf den gleichen Stand zu bringen. Der Block Medienerziehung und Medienbildung besteht aus drei Basismodulen, drei Schwerpunktmodulen und drei Profilmodulen. Das Basismodul „Soziale Medien“ (Tab. 1b) wurde bereits in Tab. 1a dargestellt und wird aus Gründen der Kohärenz und Kohäsion erneut angeführt: Tab. 1b: Unterrichtseinheiten im Basismodul „Soziale Medien“ Modulbereich A Medienpädagogische Säule Block Medienerziehung und Medienbildung Modulgruppe Basismodul: Soziale Medien Unterrichtseinheiten (UE) Werbung und Marken (1 × 45 Minuten) Freunde und Sicherheit (1 × 45 Minuten) Betrugsmaschen erkennen (2 × 45 Minuten) Das Basismodul „Soziale Medien“ ermöglicht eine kritische und reflektierende Auseinandersetzung mit den digitalen Netzwerken, in denen sich die Kinder und Jugendlichen täglich aufhalten. Besonders in Netzwerken wie Facebook und Instagram sind die jungen Mediennutzer persuasiven Werbemaßnahmen ausgesetzt. Oftmals ist die Werbung nicht als solche gekennzeichnet. Hinzu kommt, dass Social-Media-Stars zu Marken avancieren. Dieses Personal Branding hat zur Folge, dass Unternehmen mit Influencern kooperieren, die von den Unternehmen ein Honorar, kostenlose Dienstleistungen oder Produkte erhalten. Die Bedingung: Die Influencer machen für das Unternehmen Werbung - und das oftmals sehr versteckt. Die beworbenen Produkte und Dienstleistungen werden in Geschichten eingebettet und vermeintlich rein zufällig auf das Foto oder in den Text platziert. <?page no="104"?> 104 4 Digitalkunde als Vier-Säulen-Modell Wichtig ist auch das Thema Sicherheit. Welche Daten darf ich preisgeben? Wie stelle ich die Privatsphäre auf Facebook, Instagram, WhatsApp etc. richtig ein? Welche Art von Bildern sollte ich online stellen? Viele Kinder und Jugendliche markieren in den Sozialen Medien ihren Standort, wenn sie in der Eisdiele, im Fußballstadion oder im Kino sind. Die Kids wollen damit natürlich zeigen, dass sie ein interessantes Leben führen. Doch zu welchem Preis? Gerade in Zeiten, in denen das Multi-Level-Marketing boomt, werden virtuelle Freundschaftsanfragen an fremde Menschen verschickt, um das (kommerziell genutzte) Netzwerk zu erweitern. Diese Form der Akquise ist tückisch, weil die Jugendlichen mit Diät-Wundermitteln und der Möglichkeit, schnelles Geld zu machen, angelockt werden. Online-Freunde sind nicht unbedingt Freunde. Es gibt sogar Übeltäter, die sich in die Freundesliste einschleichen, um persönliche Informationen zu erhalten. Es ist ratsam, nur Kontakte anzunehmen, die einem persönlich bekannt sind. Das ist für viele Kinder und Jugendliche allerdings die eher langweilige Variante - man will ja etwas erleben und neue Leute kennenlernen. Wie wichtig es ist, digitale Betrugsmaschen rechtzeitig (! ) zu erkennen, zeigt ein Beispiel, das im Dezember 2018 für Aufsehen sorgte. „Ein 50-jähriger Mann aus dem oberösterreichischen Bezirk Wels-Land soll sich über das Internet an 30 Mädchen aus Österreich und Deutschland herangemacht und von ihnen Nacktfotos und -videos erpresst haben“ 52 , schreibt die Passauer Neue Presse am 5. Dezember 2018. Der Mann war mithilfe von verschiedenen Fake-Profilen in den Sozialen Medien unterwegs. Er forderte die Mädchen auf, pornografische Aufnahmen von sich zu machen. Als sich ein Mädchen weigerte, „drohte der 50-Jährige, gefälschte Nacktfotos von ihr im Internet zu verbreiten“ (ebd.). Es ist ein neuer Trend, der mit einfachster Software umgesetzt wird: „Fotos ganz normaler Frauen werden aus dem Internet und aus sozialen Netzwerken geklaut und bearbeitet, um sie dann auf Porno-Webseiten einzustellen.“ 53 Es gibt viele weitere Betrugsmaschen wie Geldforderungen, Abo-Fallen, Phishing (gefälschte E-Mails und Webseiten), Kettenbriefe und Fake-Accounts, die sich als persönlich bekannter Freund ausgeben, um sich Geld zu leihen. Das alles klingt hanebüchen und offensichtlich? Mag sein, dennoch fallen jeden Tag sehr viele Menschen auf solche Tricks herein. Besonders wenn es um Pornografie geht, ist höchste Vorsicht geboten. Es gibt ja diesen Rat, der an die eigenen Kinder gerichtet ist: „Geh nicht mit Fremden mit! “ Vielleicht sollte ergänzt werden: „Chatte nicht mit Fremden! “ Doch was ist, wenn der Fremde, der in Wirklichkeit 50 Jahre alt ist, das Profil eines 16-jährigen Schönlings annimmt, der die 13jährige Chat-Partnerin anschmachtet und einlullt? Gefühle sind meist stärker als die Vernunft. Das wissen auch Erwachsene, die dem sogenannten Romance Scamming zum Opfer fallen. Genau deshalb ist es wichtig, dass betrügerische Absichten bereits in jungen Jahren erkannt werden. <?page no="105"?> 4.1 Modulbereich A: Medienpädagogische Säule 105 Basismodul „Information und Unterhaltung“ Die genannten Betrugsmaschen und andere niedere Motive mit krimineller Energie zeigen die Schattenseiten der Digitalisierung auf. Glücklicherweise liefern die digitalen Medien auch sehr viele gute Argumente, die - das kommt auf die Nutzung an - sogar überwiegen. Suchmaschinen, digitale Archive und hilfreiche Tools erleichtern die Recherche und Informationsbeschaffung. Besonders beliebt sind digitale Unterhaltungsangebote. Viele Angebote dieser Sparte dienen jedoch nicht nur der Unterhaltung, sondern vermitteln Wissen (oftmals Nischenwissen). Das Basismodul „Information und Unterhaltung“ (Tab. 2) ist wie folgt strukturiert: Tab. 2: Unterrichtseinheiten im Basismodul „Information und Unterhaltung“ Modulbereich A Medienpädagogische Säule Block Medienerziehung und Medienbildung Modulgruppe Basismodul: Information und Unterhaltung Unterrichtseinheiten (UE) Wissen und Communitys (1 × 45 Minuten) Nachrichtenseiten und Blogs (1 × 45 Minuten) Comedy und Bildung (1 × 45 Minuten) Das Basismodul „Medienerziehung und Medienbildung“ ermöglicht den Schülerinnen und Schülern, das digitale Wissen nutzbar zu machen. Wer im Internet einen Begriff in die Suchmaschine Google eingibt, erhält nicht nur viele Antworten, sondern bekommt auch viele Quellen angeboten. Meist ganz weit oben ist die Online-Enzyklopädie Wikipedia zu finden. Viele Menschen sind von der Plattform sehr überzeugt, während sie vor allem in der Wissenschaft als nicht zitierfähig gilt. Dennoch handelt es sich bei Wikipedia um ein Mitmach-Lexikon, das - wie alle Soziale Medien - von der Aktivität seiner Nutzer lebt. Zusätzlich gibt es viele Nischen-Wikis, die sich genau einem Thema (Serien, Micky Maus, Fahrrad-Wiki etc.) oder einer Region (Niederbayern etc.) widmen. Der Community-Gedanke, der als demokratiestärkend zu bezeichnen ist, eignet sich sehr gut für Schulprojekte. Sehr wohl gibt es allerdings auch Communitys und Gruppen, in denen der Wissenstransfer zu undifferenziert stattfindet. Oftmals handelt es sich um geschlossene Gruppen (WhatsApp, Facebook etc.), denen nur auf Einladung beigetreten werden darf. Problematisch wird es dann, wenn die Themen beispielsweise um Extremismus und Rassismus oder gefährliche Mutproben kreisen. Besonders Kinder und Jugendliche sind anfällig für Gruppendynamiken, die sich in den digitalen Medien besonders schnell entwickeln. Neben den Communitys gibt es natürlich die Online-Ableger seriöser Zeitungen und Fernsehanstalten. Generell existiert ein Überangebot an News-Seiten im Internet. Für Kinder ist auch etwas dabei - beispielsweise „logo! “ (vgl. <?page no="106"?> 106 4 Digitalkunde als Vier-Säulen-Modell www.zdf.de/ kinder/ logo). Neben den allgemeinen News-Seiten gibt es natürlich News-Portale, die speziell über Fußball, Mode und Prominente berichten. Neben den klassischen Portalen sind in den letzten Jahren sehr viele Blogs entstanden, die mittlerweile eine beachtliche Reichweite haben. Da die Medien verschiedenen Selektions- und Transformationsmechanismen unterliegen, gibt es nicht die eine Medienrealität, sondern sehr viele Medienrealitäten. Die Unterrichtseinheit „Nachrichtenseiten und Blogs“ hat das Ziel, den Schülerinnen und Schülern beizubringen, welche digitalen Angebote sich für die Informationsbeschaffung und Recherche eignen. „Der Postillon“ ist eine deutschsprachige Internet-Seite, die satirische Artikel im Stil von Zeitungsmeldungen veröffentlicht. Viele der Artikel sind so gut gemacht, dass immer wieder Menschen - teilweise sogar andere Medien - dem Satiremagazin auf den Leim gehen. Die Fake-Artikel (als Kunstform) spielen nämlich auf echte Begebenheiten an. Welche sprachlichen Mittel weisen auf die satirische Kunstform hin? Welches ‚Weltwissen‘ ist notwendig, um den Witz der Artikel überhaupt zu verstehen? Das sind Fragen, die im Unterricht gemeinsam beantwortet werden sollten. Auch Lernvideos wie YouTube-Tutorials sind häufig humorvoll aufgezogen und erfreuen sich bei Kindern und Jugendlichen großer Beliebtheit. Inwiefern solche Videos zu Bildungszwecken verwendet werden können (egal ob schulisch oder außerschulisch) sollte im Rahmen dieser Unterrichtseinheit ebenfalls besprochen werden. Basismodul „Endgeräte im digitalen Kontext“ Zur Medienerziehung und Medienbildung gehört natürlich auch der zielführende und richtige Umgang mit den jeweiligen Endgeräten (Computer, Smartphones, Tablets etc.). Vor allem Smartphones lassen sich auf viele Weisen nutzen. Letztendlich entscheidet allerdings der Nutzer, wie smart oder sinnvoll das Gerät genutzt wird. Das Basismodul „Endgeräte im digitalen Kontext“ (Tab. 3) ist wie folgt konzipiert: Tab. 3: Unterrichtseinheiten im Basismodul „Endgeräte im digitalen Kontext“ Modulbereich A Medienpädagogische Säule Block Medienerziehung und Medienbildung Modulgruppe Basismodul: Endgeräte im digitalen Kontext Unterrichtseinheiten (UE) Funktionen im Überblick (1 × 45 Minuten) Potenziale im Alltag (1 × 45 Minuten) Einfache Medienproduktion (3 × 45 Minuten) Das Basismodul „Endgeräte im digitalen Kontext“ erklärt die wichtigsten Grundfunktionen und zeigt den Schülerinnen und Schülern, wie sich die Geräte <?page no="107"?> 4.1 Modulbereich A: Medienpädagogische Säule 107 für die Medienproduktion oder als Begleiter im Alltag einsetzen lassen. Einerseits ist natürlich davon auszugehen, dass die meisten Kinder und vor allem Jugendlichen die wichtigsten Funktionen ihres Smartphones bereits kennen. Andererseits kommt das auf die Klassenstufe oder die konkrete Funktion an. Die Unterrichtseinheit „Funktionen im Überblick“ eignet sich sehr gut für die Grundschule. Wie mache und bearbeite ich Fotos? Wie orte ich mich selbst, wenn ich mich mal verlaufe? Wie lege ich Notizen an? Kann ich mein Smartphone als Wecker benutzen? Es ist sinnvoll, die wichtigsten mobilen Betriebssysteme miteinander zu vergleichen (beispielsweise iOS vs. Android). Die Unterrichtseinheit „Potenziale im Alltag“ knüpft hier sehr gut an. In dieser Einheit steht die praktische und situationsgebundene Nutzung der Funktionen im Alltag im Mittelpunkt des Unterrichts. Wie nützlich und zuverlässig ist eine Kompass-App? Macht es Sinn, das Smartphone als Wasserwaage zu nutzen? Besprochen werden sollte auch, wie wichtig es ist, das Smartphone immer griffbereit zu haben. Auf der einen Seite ist es ein guter Rat, auch mal ohne mobiles Gerät in die Stadt, Schule oder Natur zu gehen. Auf der anderen Seite kann es jederzeit zu Situationen kommen, in denen das Smartphone dringend benötigt wird (Unfall, verletztes Tier gefunden etc.). Teenager, die für die Schülerzeitung arbeiten, können ihr Smartphone als Fotokamera und Diktiergerät nutzen. Selbst hochwertige Mikrofone lassen sich anschließen. Sicherlich bringen die Schülerinnen und Schüler viele Ideen in den Unterricht ein. Die Unterrichtseinheit eignet sich demnach sehr gut für eine Diskussionsrunde. Die Unterrichtseinheit „Einfache Medienproduktion“ zeigt den Schülerinnen und Schülern, wie digitale Medienprodukte ohne viel Aufwand hergestellt werden. Es bietet sich an, die Medienproduktion in einen pädagogisch wertvollen Kontext einzubetten. Eine digitale Foto-Story zum Thema Alkohol eignet sich beispielsweise sehr gut für Gruppenprojekte. Die Fotos können mit dem Smartphone oder Tablet gemacht und mithilfe von Foto-Apps bearbeitet werden. Ideal ist, die Bilder mit Sprechblasen aufzupeppen. Dieser Arbeitsschritt kann auch am Computer mithilfe eines Präsentationsprogramms (PowerPoint etc.) vollzogen werden. Die Kids haben noch mehr Spaß, wenn sie in die Foto-Story kurze Videoelemente einbauen dürfen. Hierfür eignen sich sogenannte Loop- Videos. Beispiel: Die Kids filmen mit einem Handy, wie ein Junge einem Mädchen ein alkoholisches Mixgetränk (Alkopop) anbietet, doch das Mädchen lehnt das Angebot ab (sie gestikuliert entsprechend). Die Videosequenz dauert vielleicht zwei Sekunden. Wird daraus nun ein Loop-Video gemacht, wiederholt sich dieses Video wieder und wieder, wodurch die Botschaft verstärkt wird. Außerdem liegen Loop-Videos absolut im Trend, was den Spaß an der Sache und die Aufmerksamkeit erhöhen dürfte. Selbstverständlich gibt es weitere Möglichkeiten, die digitale Medienproduktion zu üben. Wie wäre es mit einem simplen Flyer für den nächsten Schulausflug? Spannend ist auch die Erstellung einer <?page no="108"?> 108 4 Digitalkunde als Vier-Säulen-Modell digitalen Foto-Collage zu einem bestimmten Motto (Sommer, Weihnachten, Urlaub etc.). Die Komplexität korreliert mit der Jahrgangsstufe und dem Alter der Schülerinnen und Schüler. Was für einen Erstklässler anspruchsvoll ist, langweilt einen Oberstufenschüler vermutlich. Schwerpunktmodul „Digitale Medien als Modell von Wirklichkeit“ Das Schwerpunktmodul „Digitale Medien als Modell von Wirklichkeit“ zeigt die Unterschiede zwischen Realität und medialer Fiktion auf. Besonders die Sozialen Medien tragen dazu bei, dass sich eine erstrebenswerte und von Konsum geprägte Wirklichkeit zu etablieren scheint. Menschen - egal ob Promi oder Normalo - präsentieren sich dauerglücklich, unnahbar und sozial einwandfrei. Vor allem für Jugendliche, die ja doch deutlich mehr Freiheiten haben als jüngere Kinder, stellt sich die Frage, wie und ob sie sich in den digitalen Netzwerken inszenieren. Das Schwerpunktmodul „Digitale Medien als Modell von Wirklichkeit“ (Tab. 4) zeigt die Chancen und Risiken der digitalen Selbstinszenierung auf und ist wie folgt konzipiert: Tab. 4: Unterrichtseinheiten im Schwerpunktmodul „Digitale Medien als Modell von Wirklichkeit“ Modulbereich A Medienpädagogische Säule Block Medienerziehung und Medienbildung Modulgruppe Schwerpunktmodul: Digitale Medien als Modell von Wirklichkeit Unterrichtseinheiten (UE) Die Welt der Internet-Stars (2 × 45 Minuten) Spielwelten aktiv erleben (2 × 45 Minuten) Mein digitales Alter Ego (2 × 45 Minuten) „Internet-Star, das ist doch kein richtiger Beruf“, heißt es oftmals in der Erwachsenenwelt. Auch umgekehrt fühlen sich viele Influencer belächelt. Sie haben das Gefühl, sich ihren Respekt hart erarbeiten zu müssen, obwohl sie 100.000 Fans im Internet haben - oftmals sind es sogar Millionen. In den Sozialen Medien sind die Influencer die Kings und Queens. In den klassischen Medien finden sie meist keine Berücksichtigung. Internet-Stars sind Nischen-Stars. Warum also sind sie Idole für sehr viele Teenager? Die Welt der Internet-Stars ist bunt, schrill, humorvoll, schillernd und extravagant. Die Unterrichtseinheit „Die Welt der Internet-Stars“ beleuchtet die Social-Media-Popkultur in Hinblick auf ihre Ästhetik. Gemeinsam mit der Lehrkraft erforschen die Schülerinnen und Schüler, welche sprachlichen und bildlichen Mittel die jeweiligen Internet- <?page no="109"?> 4.1 Modulbereich A: Medienpädagogische Säule 109 Stars nutzen, um sich zu inszenieren. Warum das wichtig ist? Viele Kids eifern ihren Idolen nach. Sie fotografieren sich halbnackt, posieren vor oder in einem teuren Auto und markieren sich in New York, obwohl sie dort gar nicht sind. Sie färben sich die Haare, nehmen ab und kaufen sich bestimmte Produkte, um ihren Idolen noch näher zu sein. Aus diesem Grund ist es wichtig, die digitale Zauberwelt der Internet-Stars aus einem nüchternen Blickwinkel zu betrachten. Aktivität in den Sozialen Medien wird meist belohnt: Die Freundesliste wächst, mehr Likes sind möglich, und mit ein bisschen Glück steigt sogar die Beliebtheit im echten Leben. Der eigene Marktwert scheint zu steigen. Online-Games setzen hier an und sind deshalb so beliebt. Level-Aufstiege, Erfahrungspunkte und epische Items geben dem Spieler das Gefühl, mit jeder Spielminute wachsen zu können. Wer schneller vorankommen möchte, kauft sich einfach einen Boost - mit echtem Geld natürlich. 100 Spielstunden in zwei Wochen zahlen sich vermeintlich aus, wenn Cristiano Ronaldo in der neuesten FIFA-Simulation mit 1.000.000 gesammelten Coins - einer virtuellen Währung - endlich verpflichtet wurde. Dass die Hausaufgaben in der Zeit nicht gemacht werden: unwichtig! Was also ist der Reiz am virtuellen Aufstieg? Geht es darum, wichtig zu sein und Anerkennung zu bekommen? Warum macht es Spaß, in Online-Rollenspielen Kräuter und Tierhäute zu sammeln? Selbst das Erlernen von Berufen (Schmiedekunst, Alchemie etc.) ist möglich. Spielwelten werden also aktiv erlebt und gelebt. Das klingt einerseits spannend (und ein gesunder Spielspaß ist völlig in Ordnung), kann andererseits jedoch auch in eine Spielsucht führen. Wie die Entzugserscheinungen aussehen? „Ich war in meinem Zimmer, habe geheult, war aggressiv und habe mit den Händen an die Wände geschlagen. Ich war fertig“ 54 , erzählt ein 26-Jähriger im Januar 2018 der „Westfalenpost“. Die mobilen Spiele-Apps muten auf den ersten Blick zwar harmlos an, sind durch die Mikrotransaktionen allerdings besonders gefährlich. Eingezahlte Kleinbeträge beschleunigen das Spielvergnügen. Die Kids kaufen sich virtuelle Truhen, deren Öffnung einer Casino-Zeremonie ähnelt. Hier besteht eine erhebliche Suchtgefahr. Die Unterrichtseinheit hat allerdings nicht das Ziel, Online-Spiele prinzipiell zu verurteilen. Vielmehr sollte ein Gefühl für die richtige Dosierung (sowohl zeitlich als auch finanziell) und Auswahl der Spielwelt (Rollenspiel vs. Ego- Shooter etc.) vermittelt werden. Diese beiden ersten Unterrichtseinheiten des Schwerpunktmoduls verdeutlichen, dass in den digitalen Welten oftmals eine andere bzw. weitere Identität angenommen und ausgelebt wird. Offenbar ist es reizvoll, eine magische Seite zu zeigen, die im Alltag der Offline-Welt nicht zur Geltung kommt. Bilder werden mit Glitzereffekten versehen, und im Spiel geht es als ruhmreicher Magier zur Sache. Die Unterrichtseinheit „Mein digitales Alter Ego“ legt also den Fokus auf die digitale Selbstdarstellung(en) der Schülerinnen und Schüler. Besprochen werden sollte, wie sich Erfolgserlebnisse in der digitalen Welt anfühlen. Damit <?page no="110"?> 110 4 Digitalkunde als Vier-Säulen-Modell gehen die folgenden Fragen einher: Werden Pseudonyme genutzt? Dienen sie eher der Anonymität oder vielmehr der Selbstdarstellung? Steigern Komplimente und andere Erfolgserlebnisse vielleicht sogar das Selbstbewusstsein im realen Alltag? Beeinflussen die Sozialen Medien das Verhalten im Alltag? Schwerpunktmodul „Gruppen, Meinungen und Demokratie“ Als sich Ende der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts immer mehr Haushalte mit dem Internet vernetzten, keimte auch langsam die Neugierde auf, mit anderen Menschen weltweit in Kontakt zu treten. Teenager aus Berlin und New York City konnten also miteinander chatten - und so langsam entwickelte sich die Chat-Sprache mit ihren Akronymen lol, rofl und smile. Allmählich wurde aber auch klar, dass die Chat-Gespräche nicht immer nur lustig waren, sondern auch zu Konflikten führten. Obwohl sich die Chat-Partner nicht persönlich kannten, kam es zu Eifersüchteleien und Beleidigungen. Man war schließlich anonym unter Pseudonymen wie *Butterfly*Girl und *HotBoy17* unterwegs. Im Laufe der Zeit hat sich das ein wenig gewandelt. Wer heute in den Sozialen Medien völlig anonym unterwegs ist, hat im Prinzip keine Chance, ein glaubhaftes Online- Profil aufzubauen. Im Gegenteil: Vor allem weibliche Teenager veröffentlichen plattformübergreifend (Facebook, Snapchat, Instagram etc.) ihren echten Namen (beispielsweise Lisa Schmidt), um an digitaler Bekanntheit zu gewinnen. Das Veröffentlichen vieler Bilder und Texte führt - wenn das eigene Netzwerk groß genug ist - zu Reaktionen in Form von Komplimenten und Beleidigungen. Generell gilt: Es besteht im Internet immer die Möglichkeit, dass Meinungen und Kommentare zu Gegenreaktionen führen. Das kann gut sein, muss es aber nicht. Aus diesem Grund ist das Schwerpunktmodul „Gruppen, Meinungen und Demokratie“ sehr wichtig. Konzipiert ist es folgendermaßen: Tab. 5: Unterrichtseinheiten im Schwerpunktmodul „Gruppen, Meinungen und Demokratie“ Modulbereich A Medienpädagogische Säule Block Medienerziehung und Medienbildung Modulgruppe Schwerpunktmodul: Gruppen, Meinungen und Demokratie Unterrichtseinheiten (UE) Starke Gemeinschaften im digitalen Zeitalter (2 × 45 Minuten) Digitale Wortgefechte und Diskussionen (2 × 45 Minuten) Online-Rezensionen und Bewertungen (2 × 45 Minuten) Gesellschaftlich relevante Entscheidungen, die in der analogen Welt getroffen werden, führen meist nicht nur zu einem massenmedialen Echo, sondern auch zu einem angeregten Meinungsaustausch in den Sozialen Medien. Während <?page no="111"?> 4.1 Modulbereich A: Medienpädagogische Säule 111 einzelne User-Stimmen kein Gehör bekommen, kann der Zusammenschluss als digitale Gemeinschaft zum Erfolg führen. Online-Petitionen sind sehr einfach zu erstellen und sprechen sich in den Netzwerken schnell herum. Möglich sind auch offene Briefe, die im Namen der Gruppe per E-Mail an Funktionäre verschickt werden. Ein Gruppeneffekt kann sich auch ungeplant einstellen. Immer wieder kommt es vor, dass normale User (die also keine besondere Funktion haben) eine Meinung ins Internet stellen, die dann tausendfach geteilt wird. Dieser virale Effekt darf nicht unterschätzt werden, trägt er doch maßgeblich zur Meinungs- und Willensbildung bei. Die Unterrichtseinheit „Starke Gemeinschaften im digitalen Zeitalter“ erläutert, wie Gruppendynamiken entstehen und genutzt werden können. Kritisch betrachtet werden sollte, dass digitale Gruppen nicht per se als gut oder pädagogisch wertvoll wahrgenommen werden dürfen. Es passiert immer öfter, dass Kinder und Jugendliche (ohne Vorwarnung) in digitale Gruppen eingeladen bzw. direkt hinzugefügt werden. Schnell entsteht ein sozialer Druck. Wer die Gruppe verlässt, macht sich innerhalb der Gruppe angreifbar. Im Internet kommt es schnell zu Streitigkeiten. Auslöser sind oftmals Lappalien. Das heißt: Verbale Konflikte können praktisch jederzeit und ohne Vorwarnung auftreten - wie ein heftiges Wärmegewitter. Insofern ist der Terminus Shitstorm sowohl passend als auch griffig. Besonders wenn viele Internet-User aufeinander treffen, flammt ein Sturm der Entrüstung auf. Dieses virtuelle Naturschauspiel ist durchaus unterhaltsam, weshalb Kinder und Jugendliche die verbalen Kämpfe sehr gerne verfolgen - im besten Fall nur als Zaungast. Schnell gerät man jedoch selbst in eine „schlechte Wetterfront“. Plötzlich prasseln Schimpfwörter und Provokationen von allen Seiten auf die Kinderseele ein. Die ständige digitale Verfügbarkeit ist nicht gerade ein Schutzschild, zumal viele Kids gleichzeitig in mehreren Netzwerken aktiv sind. Schon der Upload eines neuen Profilsbildes genügt, um üble Gesellen aus der Reserve zu locken, die digitale Giftpfeile verschießen. Wie also können sich Kinder und Jugendliche davor schützen? Tut es mir gut, wenn ich mich im Internet zu brisanten Themen äußere? Vor allem Schülerinnen und Schüler im Teenager-Alter interessieren sich für politische Themen. Rassismus und Flüchtlinge ist ein Kernthema in den Sozialen Medien. Jugendliche, die sich im Internet tolerant und weltoffen zeigen, laufen Gefahr, für ihre Sichtweise attackiert zu werden. Aber braucht es nicht gerade solche Leute, die sich dem Populismus entgegenstellen? Oder ist es ratsam, sich online zu strittigen Themen gar nicht zu äußern? Die Unterrichtseinheit „Digitale Wortgefechte und Diskussionen“ zeigt den Schülerinnen und Schülern, welche Strategien einen gewissen Schutz gewährleisten, wann und inwiefern sie das Gespräch mit ihren Eltern und Lehrkräften suchen sollten und welche Online- Plattformen besonders debattenfreundlich sind. Schließlich ist es prinzipiell demokratiefördernd, die eigene Meinung zu äußern. <?page no="112"?> 112 4 Digitalkunde als Vier-Säulen-Modell Die Modulgruppe schließt mit der Unterrichtseinheit „Online-Rezensionen und Bewertungen“ ab. Diese Unterrichtseinheit sollte in die Einheiten Textrezeption und Textproduktion aufgeteilt werden. Warum diese Unterrichtseinheit so wichtig ist? Jede fünfte Amazon-Rezension ist angeblich ein Fake. 55 Kundenbewertungen sind zu einer Macht im Netz geworden und haben einen positiven Einfluss auf die Verkaufszahlen. Auch Kinder und Jugendliche informieren sich im Netz über Computerspiele, Filme, Spielzeug und andere Dinge. Was macht eine Rezension authentisch? Welchen Bewertungen glaube ich? Und welchen glaube ich nicht? Das sollte in der Unterrichtseinheit besprochen und je nach Jahrgangsstufe analysiert werden. Die Produktion von Online-Rezensionen eignet sich eher für die höheren Jahrgangsstufen. Die Schülerinnen und Schüler sollten angeleitet werden, eine kleine Rezension über ihr Lieblingsspielzeug zu schreiben. Welche Rezension hat besonders überzeugt? In der Klasse könnte anonym darüber abgestimmt werden. Das spornt die Schüler an und sorgt bei der Auflösung bestimmt für Unterhaltung. Profilmodul „Digitale Medienproduktion“ Das Profilmodul „Digitale Medienproduktion“ knüpft an die Unterrichtseinheit „Einfache Medienproduktion“ (vgl. Tab. 3) an. Das Profilmodul ermöglicht eine praktische Vertiefung und ist dementsprechend als Blockveranstaltung konzipiert (ca. 4x45 Minuten am Stück plus Erholungspausen). Auf diese Weise können sich die Schülerinnen und Schüler nicht nur einen vernünftigen Arbeitsplatz einrichten, sondern sich der Thematik ‚kopfmäßig‘ hingeben. Im Vordergrund soll tatsächlich die Produktion stehen, weshalb Gruppenarbeiten sinnvoll sind. Die jeweilige Unterrichtseinheit wird abgeschlossen, indem die Gruppen ihre Ergebnisse digital präsentieren. Das Profilmodul „Digitale Medienproduktion“ ist folgendermaßen konzipiert: Tab. 6: Unterrichtseinheiten im Profilmodul „Digitale Medienproduktion“ Modulbereich A Medienpädagogische Säule Block Medienerziehung und Medienbildung Modulgruppe Profilmodul: Digitale Medienproduktion Unterrichtseinheiten (UE) Kindernachrichten produzieren (8 × 45 Minuten) Wie erstelle und pflege ich einen Blog? (10 × 45 Minuten) Die neue Medienpädagogik wünscht sich, dass die Kinder und Jugendlichen nicht nur als medienachtsame Rezipienten herangebildet werden, sondern auch den praktischen Umgang mit den digitalen Medien lernen. Demzufolge ist es <?page no="113"?> 4.1 Modulbereich A: Medienpädagogische Säule 113 zielführend, wenn beide Lernziele miteinander verknüpft werden, was die Unterrichtseinheit „Kindernachrichten produzieren“ gewährleistet. Vorstellbar ist, dass die Schülerinnen und Schüler einen kleinen und kinderfreundlichen Nachrichtenbeitrag produzieren. Eine Aufteilung in drei nicht allzu große Gruppen ist sinnvoll. Zum Beispiel so: Gruppe 1 produziert einen kurzen Audio-Podcast. Gruppe 2 erstellt einen Videobeitrag. Gruppe 3 erzählt die Kindernachricht in Form von ästhetischen Digitalfotos (die gerne auch etwas surreal anmuten dürfen). Und welche Nachrichtenthemen eignen sich für Kinder? Der Audio- Podcast (Gruppe 1) bietet sich für ein überregionales Thema an (zum Beispiel ein Audiobeitrag über Meerestiere 56 etc.). Die Vorarbeit bzw. Recherche ist über das Internet möglich, bevorzugt am Tablet. Die Videogruppe (2) könnte einen kleinen Bericht über die schönsten und geheimnisvollsten Orte an der Schule drehen. Ein solcher Bericht hat Lokalkolorit, und das Videomaterial ist einfach erstellt. Die Foto-Gruppe (3) könnte darüber berichten, wie die bekannten Medien ein kinderfreundliches Thema darstellen. Die Gruppe fertigt Screenshots der Artikel an (die beispielsweise auf „Spiegel Online“ erschienen sind). Zusätzlich können passende lizenzfreie Bilder hinzugefügt werden. Um den technischen Aufwand zu minimieren, sollte der Nachrichtentext live gesprochen werden. Das Bildmaterial kann zeitgleich über einen Beamer präsentiert werden. Die Unterrichtseinheit „Kindernachrichten produzieren“ eignet sich eher für höhere Jahrgangsstufen. Allerdings: Die jüngeren Schülerinnen und Schüler sind natürlich herzlich zur Abschlusspräsentation eingeladen - quasi als Rezipienten der Kindernachrichten. Die Unterrichtseinheit „Wie erstelle und pflege ich einen Blog? “ ist als langfristiges Projekt zu verstehen. Wichtig ist eine intensive Einführungssitzung von vier Unterrichtsstunden, die inhaltlich so aussehen sollte: Einführung in die Thematik, Erläuterung der Arbeitsschritte, Besprechung des Termin- und Redaktionsplans, Erstellung und Einrichtung des Blogs (umfasst auch das Einstellen erster Texte und Bilder). Die Folgesitzungen finden alle zwei bis drei Wochen statt. Gemeinsam mit der Lehrkraft wählen die Schülerinnen und Schüler in jeder Sitzung passende Texte und Bilder aus. Der Bloginhalt darf sehr gerne einen Bezug zur Schulklasse haben. Das stärkt die Klassengemeinschaft und hat den zusätzlichen Vorteil, dass der Blog als Informations- und Unterhaltungsportal genutzt werden kann (Informationen zur Klassenfahrt, Kolumnen etc.). Im Rahmen dieser Unterrichtseinheit sollten Informationen zum Urheberrecht, Impressum und zur DSGVO (Datenschutz-Grundverordnung) vermittelt werden. Selbstverständlich ist es möglich, den Blog nur im Intranet laufen zu lassen. Die Schülerinnen und Schüler sollten jedoch für den öffentlichen Blog- Gebrauch sensibilisiert werden, um aufs spätere Berufsleben vorbereitet zu sein. <?page no="114"?> 114 4 Digitalkunde als Vier-Säulen-Modell Profilmodul „Online-Recherche und der Umgang mit digitalen Daten“ Die Modulgruppe „Digitale Medienproduktion“ (vgl. Tab. 6) hat bereits gezeigt, wie wichtig Online-Recherche ist. Generell nutzen sehr viele Menschen das Internet, um an Informationen zu gelangen. Die Studie „Patienten-Radar 2018“ hat herausgefunden, dass sich fast zwei Drittel der Befragten eine medizinische Zweitmeinung bei Google einholen. 57 Im Cyberspace gibt es beinahe unendlich viele Quellen mit verschiedenen Qualitätsstufen. Wenn man bedenkt, wie viele Diskussionsforen und Blogs es gibt, die Verschwörungstheorien zum Thema haben, ist die Online-Enzyklopädie Wikipedia noch verhältnismäßig seriös. Sie eignet sich, um einen ersten thematischen Überblick zu gewinnen. Auch wenn die zielgerichtete Online-Recherche wichtig ist, kommt auch dem Umgang mit digitalen Daten eine wichtige Rolle zu. Das Profilmodul „Online-Recherche und der Umgang mit digitalen Daten“ ist wie folgt konzipiert: Tab. 7: Unterrichtseinheiten im Profilmodul „Online-Recherche und der Umgang mit digitalen Daten“ Modulbereich A Medienpädagogische Säule Block Medienerziehung und Medienbildung Modulgruppe Profilmodul: Online-Recherche und der Umgang mit digitalen Daten Unterrichtseinheiten (UE) Recherche und der Umgang mit Fake News (2 × 45 Minuten) Digitale Archivierung (2 × 45 Minuten) Je wissenschaftlicher ein Thema ist, desto aussagekräftiger sind ‚echte Bücher‘ als Quelle. Mittlerweile werden viele Fach- und Sachbücher auch als eBook bzw. Kindle-Version veröffentlicht. Google Books eignet sich unter Umständen ebenso. Selbst wenn das richtige Buch gefunden ist, was manchmal gar nicht so einfach ist, lauern weitere Hürden. Wie zitiere ich richtig? In welcher Form gebe ich die Quelle an? Und wenn ich ein gedrucktes Buch in der Hand halte: Sollte ich wichtige Seiten einscannen oder abfotografieren? In welchem Format speichere ich die Dateien ab? Soll ich eine Cloud nutzen? Recherchen zu innovativen Themen verlangen ein gewisses Improvisationstalent, weil wissenschaftliche Werke anfangs kaum, selten oder gar nicht vorhanden sind. Tritt ein solcher Fall auf, sind Zeitungsartikel sehr hilfreich. Gerade bei ausgefallenen (aber spannenden) Themen klappt das nicht immer: Es tauchen Handzettel und Präsentationen von irgendwelchen Universitäten auf, die zwar kompetent anmuten, allerdings nicht zitierfähig sind (oftmals finden sich in diesen Dateien wenigstens weitere Literaturtipps). Schwierig wird es, wenn man bei der Recherche in Foren <?page no="115"?> 4.1 Modulbereich A: Medienpädagogische Säule 115 landet, in denen die Benutzer mit Pseudonymen unterwegs sind. Das Mitlesen ist sowohl spannend als auch inspirierend, legt allerdings gerne eine Fährte in die falsche Richtung. Wer dann in Nischenblogs landet, rezipiert womöglich Texte mit fragwürdigem Wahrheitsgehalt - ohne es zu merken, wenn die entsprechende Medien- oder Wissenskompetenz fehlt. Die Unterrichtseinheit „Recherche und der Umgang mit Fake News“ bereitet die Schülerinnen und Schüler optimal auf die Recherchemöglichkeiten des digitalen Zeitalters vor. Der Kurs eignet sich - je nach Thema - auch für Jüngere. Ein schönes Beispiel ist übrigens die Kindersuchmaschine Blinde Kuh. 58 Im Zeitalter der Digitalisierung ist die digitale Archivierung natürlich sehr wichtig. Die Unterrichtseinheit sollte sich auf die gebräuchlichsten Möglichkeiten beschränken und praxisnah sein. Wie wandele ich Bilddateien (JPG etc.) in PDFs um? Wie wandele ich eine PDF-Datei in ein Bild um? Eingegangen werden sollte auch auf die Vor- und Nachteile einer Cloud. Bereits jüngere Kinder werden damit konfrontiert. Der Messenger WhatsApp bietet beispielsweise ein Chat-Backup an (wöchentlich, täglich etc.). Auch die Synchronisation von Smartphone und Tablet ist ein Thema: Wer Fotos mit dem Smartphone schießt, findet sie dann auch auf dem Tablet. Das ist bequem, kann jedoch auch ein Sicherheitsrisiko darstellen, wenn eins der Geräte in falsche Hände gerät. Für die höheren Jahrgangstufen dürfte die Dokumentenarchivierung interessant sein. Hierfür gibt es bereits etablierte Dokumentenmanagementsysteme (DMS). Sehr interessant dürfte die Erstellung digitaler Notizbücher sein. Insgesamt lässt sich die Unterrichtseinheit „Digitale Archivierung“ in verschiedene Schwierigkeitsgrade aufgliedern. Eine einfache Aufgabe, die sich auch für Grundschulkinder eignet, ist beispielsweise die Erstellung von Ordnern auf dem Smartphone, um Fotos und Videos nach Themen zu sortieren. 4.1.2 Didaktik: Inhaltliche Planung des Unterrichts Die Lehr- und Unterrichtskunst eines neuen Schulfachs Digitalkunde ist natürlich spannend, verlangt allerdings nach einer genaueren Definition des Begriffssystems. Einerseits handelt es sich um ein spezifisches Schulfach, weshalb fachdidaktische Überlegungen Berücksichtigung finden sollten. Andererseits betrifft die Digitalisierung des Unterrichts nicht nur das Fach Digitalkunde, sondern beinahe alle Fächer, weshalb digitaldidaktische und sehr allgemeine Überlegungen vonnöten sind, die in gewisser Weise einer Allgemeinen Didaktik entsprechen. Besonders im Hier und Jetzt - das Schulfach steckt ja noch in den Kinderschuhen - sollten digitaldidaktische Aspekte so konzipiert sein, dass sie in der Übergangsphase auch auf die klassischen Fächer angewendet werden können. Die Didaktik beschäftigt sich mit der Theorie und Praxis des Lernens. In der Theorie fühlen sich viele Projekte, Ideen und Unterrichtseinheiten sehr gut <?page no="116"?> 116 4 Digitalkunde als Vier-Säulen-Modell umsetzbar an. Das sind sie prinzipiell, auch wenn im praktischen Schulalltag immer wieder technische Probleme oder konzeptionelle Schwierigkeiten auftauchen. Die meisten Lehrkräfte kennen solche Situationen aus ihrer eigenen Schulzeit (Tageslichtprojektor funktionierte nicht, Beamer wurde nicht warm etc.). Die meisten Lehrkräfte wollen es besser machen, als man es selbst erlebt hat. Es ist folglich ein Motivator, die Schule als moderne Institution weiterzuentwickeln. Die Schülerinnen und Schüler wollen für das eigene Fach gewonnen werden, folglich sollte der Unterricht gut und spannend sein. Vergessen werden darf nicht, dass besonders bei einem ganz neuen Unterrichtsfach hohe Erwartungen von außen auftreten. Die Eltern erwarten eine pädagogische Wirksamkeit und eine entsprechende Vorbereitung auf das Berufsleben. Die Schulbehörde wünscht sich natürlich die Erfüllung der Lehrpläne, was besonders bei einem neuen Schulfach wie Digitalkunde eine interessante Herausforderung darstellt. Die inhaltliche Planung des Unterrichts korreliert unter anderem mit der Schulart und Jahrgangsstufe. Ausführlich und vor allem fachkundig diskutiert werden muss, ob sich ein Digitalkundeunterricht tatsächlich bereits für die erste Grundschulklasse eignet. Viele politische Parolen gehen vor allem in Wahlkampfzeiten ganz klar in diese Richtung. Doch darf der Stundenplan der Grundschülerinnen und Grundschüler wirklich überfrachtet werden? Oder macht in der Grundschule und vor allem ersten Klasse vielmehr ein abgespeckter und vor allem spielerischer Digitalkundeunterricht Sinn? Hier ist möglicherweise eine sukzessive Steigerung erstrebenswert: Die zeitliche und inhaltliche Intensität nimmt von Klasse 1 bis 4 stetig zu. Wie notwendig und sinnvoll ein Notensystem im Kontext des Schulfachs Digitalkunde ist, sollte ebenfalls diskutiert werden. Im Bereich der Erziehungswissenschaft gibt es bereits prominente Stimmen, die die Abschaffung des Notensystems im Allgemeinen fordern. Kritisiert wird, dass die Schule nach Leistung selektiert. Dies geschehe „im Auftrag der Gesellschaft und die Gesellschaft nimmt dann diese Leistungsbewertung der Schule, um Berufe und damit gesellschaftliche Positionen und letztlich auch Einkommen zuzuweisen“ („Mitteldeutscher Rundfunk“ 2018b), meint der Erziehungswissenschaftler Professor Georg Breidenstein. Man habe sich zu sehr an das Notensystem gewöhnt: „Wir sind alle damit aufgewachsen, dass es diesen engen Zusammenhang zwischen Lernen und Noten gibt“ (ebd.). Aus Sicht der modernen Medienpädagogik, der ja bewusst ist, dass die digitalen Medien (vor allem die Sozialen Medien) sinnbildlich für die heutige Leistungs- und Erfolgsgesellschaft stehen, ist eine Forcierung der schulischen Leistungsbewertung in Form von Schulnoten als bedenklich einzustufen. Wohlgemerkt: Dies gilt für das neue Schulfach Digitalkunde. Wie möchte die Medienpädagogik denn glaubhaft vermitteln, dass virtuelle Likes, Belohnun- <?page no="117"?> 4.1 Modulbereich A: Medienpädagogische Säule 117 gen und Herzchen nicht das Elixier des Lebens sind, während im Digitalkundeunterricht strikt nach Leistung sortiert wird? Nicht nur die inhaltliche Planung des Unterrichts ist also wichtig, sondern auch die Methodik mit ihren Mitteln, Medien und Wegen der Umsetzung von Lerninhalten. 4.1.3 Methodik und Medienkompetenz Medienpädagogik beginnt in der Familie und wird in der Schule fortgesetzt. Es besteht die Annahme, dass „alle Menschen kompetente Lebewesen sind und damit ihre Kompetenz umfassend gefördert werden“ (Baacke 2007, S. 96) muss. Das Problem ist, dass die Ausgangslage bei den meisten Kindern und Jugendlichen sehr unterschiedlich ist. Die einen steigen halbwegs medienkompetent und medienachtsam in die Schulphase ein, die anderen fahren lieber ihre virtuellen Risikomanöver auf der Datenautobahn und geben sich „außerpädagogische[n] Sonderwegen und Heimlichkeiten“ (ebd.) hin - beispielsweise Gewalt, Pornografie, Träumen, Fantasien und Hoffnungen. Medienkompetenz ist als Lehr- und Lernaufgabe zu verstehen. Einerseits wird der pädagogisch wertvolle Mediengebrauch vermittelt, andererseits die technische Kompetenz (auf die vor allem die freie Wirtschaft pocht). Die Lehrkräfte sollten natürlich souverän mit den digitalen Medien umgehen. Via Tageslichtprojektor erklären, wie Instagram funktioniert? Da würden sich die Schülerinnen und Schüler ins Fäustchen lachen oder bestenfalls müde lächeln. Es bietet sich also an, digitale Inhalte direkt mit dem Tablet zu vermitteln. Technisch anspruchsvoll ist das nicht: Das iPad kann beispielsweise via Adapter (Lightning Digital AV Adapter) direkt an den Beamer angeschlossen werden. Auf diese Weise werden nicht nur Webseiten, Präsentationen und Dia-Shows vorgestellt, sondern sogar Apps. Besonders die Besprechung von Apps, die via Beamer-Präsentation für alle sichtbar ist, eignet sich gut für den Digitalkundeunterricht. Besprochen werden können Lern-Apps, Social-Media-Apps, Games und kritische Apps bzw. risikobehaftete Funktionen wie In-App-Käufe. Gerade die Visualisierung sollte ein Grundpfeiler des Digitalkundeunterrichts sein, da Medienwelten nicht nur Sprachwelten sind, sondern in erster Linie Bilderwelten (vgl. ebd., S. 97). Natürlich ist eine ‚digitale Offenheit‘ der Lehrkräfte sehr wichtig. „Erwachsene, auch Lehrer, sind häufig verunsichert und weichen den Wahrnehmungs-Innovationen eher aus“ (ebd., S. 98). Kinder hingegen beherrschen das unbefangene „Versuchs- und Irrtum-Verhalten“ (ebd.) und probieren sich entsprechend digital aus. Die Methodik verlangt, dass die Lehrkräfte die instrumentellqualifikatorische Dimension im Umgang mit den digitalen Medien vorleben. Gefragt ist also die Fähigkeit, „die neuen Geräte auch bedienen zu können“ (ebd., S. 99). Baacke (2007) spricht von einer vierfach ausdifferenzierten Medienkompetenz, die folgendermaßen aussieht: <?page no="118"?> 118 4 Digitalkunde als Vier-Säulen-Modell Vierfache Medienkompetenz nach Baacke (2007, S. 99):  Medienkritik  Medienkunde  Mediennutzung  Mediengestaltung Diese vierfache Ausprägung sollte in die Unterrichtsmethodik des Schulfachs Digitalkunde in jedem Fall einfließen. Die medienaffine Methodik korreliert mit der Medienerziehung, die entweder aktiv oder passiv (mit-)vermittelt wird. Schulpraktisch sieht das dann so aus: „Pädagogisch kundige und damit verantwortliche, professionalisierte Personen streben mit ihren Schülerinnen [und] Schülern […] in methodisch geordneten Schritten ein bestimmtes, überprüfbares Ziel an“ (ebd., S. 99f.). Der Kompetenzbegriff, der im Terminus Medienkompetenz nachweislich schlummert, darf nicht nur auf die Ernsthaftigkeit der Berufs-, Rezeptions- oder Programmierkompetenz reduziert werden. Es ist eben auch die zu Unrecht belächelte Unterhaltungskompetenz (vgl. Unterhaltungs- und Selbstdarstellungsmilieu in den Sozialen Medien), die der Medienkompetenz im Sinne von Mediengestaltung entspricht. Die Erstellung von Video-Thumbnails (Vorschaubilder), der Schnitt und die Bearbeitung von Videodateien, der Upload sowie die semantische Vernetzung in Form von Keywords erfordert nämlich durchaus eine ausgeprägte Medienkompetenz. Diese digitale Unterhaltungskompetenz ist natürlich nicht so griffig wie die Handhabung von Computersoftware in der Schule oder die richtige Einstellung der Privatsphäre auf Facebook. Social-Media-Stars, die über 100.000 Fans haben, sind durchaus medienkompetent - und verdienen mit ihrer Arbeit (vielmehr mit ihrem Beruf) monatlich sehr viel Geld. Methodisch sollte auf Gruppenarbeiten bzw. Gruppenprojekte gesetzt werden. Generell sollte der Digitalkundeunterricht anwendungsbezogen ablaufen. Tipps und Erläuterungen, wie ich auf WhatsApp meine Daten schütze oder bestimmte WordPress-Einstellungen vornehme, bringen wenig, wenn man es nicht selbst versucht. Viele Einstellungen, gerade in Sachen Privatsphäre, Datenschutz und Ortung, sind oftmals nämlich besonders gut versteckt. Aus diesem Grund macht es natürlich Sinn, wenn die Schülerinnen und Schüler im Unterricht ‚live‘ mitarbeiten - mit Tablet oder Smartphone direkt in der Hand. Es muss sichergestellt sein, dass allen Schülerinnen und Schülern ein modernes Arbeitsgerät zur Verfügung steht, um der auf Medienkompetenz bezogenen Ungleichheit, die längst schon existent ist, entschlossen entgegenzuwirken (vgl. Baacke 2007, S. 101). <?page no="119"?> 4.2 Modulbereich B: Fachspezifische Säule 119 4.2 Modulbereich B: Fachspezifische Säule Die Medienpädagogik bildet aus gutem Grund die Säule A. Die weiteren Säulen - in diesem Kapitel ist das die Fachspezifische Säule - sind als konsekutiv zu verstehen. Das bedeutet, dass die Säulen B, C und D auf der Medienpädagogischen Säule aufbauen. Die Erklärung ist schlüssig: Der Digitalkundeunterricht ist selbstverständlich sehr medienaffin, und wie bereits erläutert wurde, umfasst der Begriff Medienkompetenz nicht nur die Medienkunde, sondern auch die Mediennutzung. Im Biologieunterricht wird beispielsweise eine App genutzt, mit der die Körperorgane unter die Lupe genommen werden, im Deutschunterricht soll hingegen ein Aufsatz geschrieben werden, der sich direkt für einen WordPress- Blog eignet, und für die Mathematik und Fremdsprachen gibt es auch wieder eigene Apps, Tools und digitale Kniffe. Egal wie fachspezifisch ein Digital- oder Medienmodul also ist, die Medienpädagogik ist niemals außen vor. Ähnlich verhält es sich mit der Art und Weise des Digitalkundeunterrichts, der im besten Fall crossmedial gestaltet sein sollte. Natürlich melden sich die Schülerinnen und Schüler weiterhin mit Handzeichen, anstatt die Lösung per WhatsApp an die Lehrkraft zu schicken (wobei auch das mal ausprobiert werden sollte). Auch der Geschichtsunterricht über die Antike darf oder soll vielmehr modern und digital gestaltet sein. Noch einmal: Medienkompetenz - egal in welcher Ausprägung und Extension - spielt im Digitalkundeunterricht immer eine ganz wichtige Rolle. Der Modulbereich B orientiert sich an den klassischen Schulfächern, ohne sich der Einhaltung der jeweiligen Lehrpläne verpflichtet zu fühlen. Diese fachliche Freiheit ist wichtig, um das inhaltliche und kreative Potenzial der Digitalisierung auszuschöpfen, das zukünftig in die neuen Curricula implementiert werden soll. Die Autarkie und Autonomie des neuen Schulfachs ist hiermit gewährleistet. In den folgenden Unterkapiteln werden fachspezifische Modellmodule mit beispielhaften Unterrichtseinheiten vorgeschlagen. Diese eignen sich für den schulpraktischen Digitalkundeunterricht und dürfen darüber hinaus als Inspiration verstanden werden. 4.2.1 Deutsch Der Deutschunterricht an Deutschlands Schulen ist mannigfaltig. Egal ob klassisches Schuldiktat, die berüchtigte Gedichtinterpretation oder die Analyse literarischer Werke à la Faust: Deutsch als Schulfach hat viel zu bieten. Und dennoch: Die Digitalisierung der kindlichen und jugendlichen Lebenswelten muss sich natürlich im modernen Schulunterricht widerspiegeln. Rechtschreibung? Spielt in der Chat-Kommunikation keine Rolle. Anapher oder Hyperbel? Ist auch egal, denn im Internet wird einfach drauflos geschrieben. Und wie war das noch einmal mit der Gretchenfrage und des Pudels Kern? Das scheint die Jugend auch nicht mehr groß zu begeistern. <?page no="120"?> 120 4 Digitalkunde als Vier-Säulen-Modell Basismodul „Digitale Textproduktion“ Wer aber nun glaubt, dass sich die Kinder und Jugendlichen überhaupt nicht mehr für Sprache interessieren, hat weit gefehlt. Es wird getippt, bis die (Handy-) Tasten glühen. „Fetzenliteratur“, meinte Hans Zehetmair bereits im Jahr 2012 (vgl. „Passauer Neue Presse“ 2012), damals seines Zeichens Rechtschreibrats- Vorsitzender. „Kreativer Sprachwandel“, lautete hingegen das Echo aus sprachwissenschaftlichen Universitätskreisen (vgl. ebd.). Diese so genannte Fetzenliteratur, die oftmals von Umgangssprache und Dialekten geprägt ist, hat in den Weiten des Internets allerdings entscheidende Vorteile. Das Erlernen dieser situationsgebundenen Spezialsprache ist demzufolge wichtig. Das Basismodul „Digitale Textproduktion“ (Tab. 8) ist wie folgt strukturiert: Tab. 8: Unterrichtseinheiten im Basismodul „Digitale Textproduktion“ Modulbereich B Fachspezifische Säule Block Deutsch Modulgruppe Basismodul: Digitale Textproduktion Unterrichtseinheiten (UE) Mündlichkeit in der digitalen Schriftsprache (2 × 45 Minuten) Poesie schreiben und digital veröffentlichen (3 × 45 Minuten) Mündlichkeit in der digitalen Schriftsprache ist ein sehr interessantes Phänomen, dessen Prinzip in der Linguistik als konzeptionelle Mündlichkeit bezeichnet wird. Vor allem in der Chat-Sprache ist es Usus, sich umgangssprachlich, gruppensprachlich und mundartlich auszudrücken. Die Chat-Sprache wirkt dann oftmals wie ein mündliches Gespräch (deshalb konzeptionelle Mündlichkeit), das allerdings medial schriftlich in Form von eingetippten Buchstaben fixiert wird. Emojis - also die bunten Smileys - imitieren zusätzlich Gesichtsausdrücke und Emotionen, wodurch das Gefühl einer echten Face-to-Face-Kommunikation entsteht. Die Kommunikation im Internet ist also besonders glaubwürdig und (vermeintlich) authentisch, was viele Vor- und Nachteile mit sich bringt. Mündlichkeit in der digitalen Schriftsprache findet sich beispielsweise in den folgenden digitalen Räumen: Digitale Räume | Mündlichkeit in der digitalen Schriftsprache  Soziale Medien (öffentliche Postings und private Nachrichten)  WhatsApp und andere Messenger <?page no="121"?> 4.2 Modulbereich B: Fachspezifische Säule 121  Online-Games mit Chat-Funktion  Dating-Apps und andere Kontaktbörsen  Foren wie „gutefrage.net“  Webseiten mit Kommentarfunktion (Blogs, News etc.)  YouTube (Antwortkommentare auf Videos)  Rezensionen und Bewertungen (Produkte, Hotels, Dienstleistungen)  Verkaufstexte auf eBay  weitere Räume (Beschwerdeseiten etc.) Die Kinder und Jugendlichen halten sich in vielen dieser Räume auf. Je älter die Kinder und Jugendlichen sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie mehrere Räume parallel nutzen. Während in jungen Jahren eher Messenger und Online-Spiele interessant sind, kommen irgendwann Dating-Apps wie Tinder hinzu. Diese App ist zwar erst ab 18 Jahren zugänglich, doch hier kann problemlos getrickst werden. Rezensionen von Laien gelten als besonders authentisch, weil sie aufgrund umgangssprachlicher und ‚sympathischer‘ Ausdrucksweise (emotionale Formulierungen) nicht manipuliert anmuten. Der zielgerichtete Umgang mit Sprache kann natürlich auch für ungute Zwecke eingesetzt werden: Minderjährige werden sexuell angegangen und betrogen, weil sie auf die zunächst freundliche, sympathische, einfühlsame Schrift-Mündlichkeit hereinfallen und persönliche Dinge von sich preisgeben. Die Unterrichtseinheit „Poesie schreiben und digital veröffentlichen“ betont die schöne und ästhetische Seite der digitalen Textproduktion. Noch nie war es so einfach, eigene Texte einer großen Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Immer wieder werden in den Sozialen Medien kreative Aktionen ins Leben gerufen. Wie wäre es mit einem selbstgeschriebenen Gedicht zu Weihnachten, das dann auf Facebook veröffentlicht wird? Und für die Teenager: Würde sich der Schwarm nicht über einen digitalen Liebesbrief freuen? Eine weitere Möglichkeit ist die Erstellung eines klasseninternen Forums, wo die Schülerinnen und Schüler ihre poesiehaften Texte hochladen können. Im nächsten Schritt werden einige der Texte im Unterricht besprochen, indem die Schülerinnen und Schüler an ihren Tablets mitlesen. Schwerpunktmodul „Werbekommunikative Ausdrucksformen erkennen, rezipieren und selbst erstellen“ Werbung ist allgegenwärtig. Während die typischen Werbeblöcke im Fernsehen sehr gut gekennzeichnet sind, sieht das mit Schleichwerbung und Product Placement anders aus. Vor allem über die digitalen Medien werden Markenbot- <?page no="122"?> 122 4 Digitalkunde als Vier-Säulen-Modell schaften meist unterschwellig kommuniziert. Kinder und Jugendliche, die ihren Stars und Lieblingsmarken in den Sozialen Medien folgen, bekommen Produkte und Dienstleistungen in Form von Geschichten präsentiert. Das Schwerpunktmodul „Werbekommunikative Ausdrucksformen erkennen, rezipieren und selbst erstellen“ (Tab. 9) ist wie folgt strukturiert: Tab. 9: Unterrichtseinheiten im Profilmodul „Werbekommunikative Ausdrucksformen erkennen, rezipieren und selbst erstellen“ Modulbereich B Fachspezifische Säule Block Deutsch Modulgruppe Schwerpunktmodul: Werbekommunikative Ausdrucksformen erkennen, rezipieren und selbst erstellen Unterrichtseinheiten (UE) Wie kommunizieren Unternehmen und Marken in den Sozialen Medien? (2 × 45 Minuten) Digitale Werbebausteine selbst erstellen (3 × 45 Minuten) Wie also kommunizieren Unternehmen und Marken - dazu zählt auch Personal Branding - in den Sozialen Medien? Warum ist virales Marketing erfolgreich und wie erkennt man es? Welche versteckten Formen gibt es? Wie funktionieren so genannte Sponsored Storys? Fragen wie diese sollten in der Unterrichtseinheit „Wie kommunizieren Unternehmen und Marken in den Sozialen Medien? “ beantwortet werden. Im Fachbereich Deutsch sollten die sprachlichen Mittel sowie die Text-Bild-Beziehungen untersucht werden. Die Unterrichtseinheit „Digitale Werbebausteine selbst erstellen“ ist sehr praktisch gestaltet und dürfte bei den Schülerinnen und Schülern auf Begeisterung stoßen. Werbebausteine wie Schlagzeile, Fließtext, Slogan, Insert, Coupon und Adds (= Additions) werden zunächst im Unterricht besprochen und am Beispiel der digitalen Medien exemplifiziert. Sobald die Kids thematisch fit sind, dürfen sie ihre eigenen Werbeanzeigen gestalten - natürlich auf eine sehr simple und spielerische Weise ohne Anspruch auf Perfektion (hier empfiehlt sich eine Gruppenarbeit). Möglich ist die Gestaltung per Handzeichnung auf einem Blatt Papier oder an der Tafel. Im Sinne der digitalen Medienerziehung sollte natürlich die moderne Technik verwendet werden, sofern den Schülerinnen und Schülern die entsprechenden Arbeitsgeräte zur Verfügung stehen. Hier zeigt sich die Verwobenheit aus Fachspezifik und Medienkompetenz. Je medienkompetenter die Schülerinnen und Schüler sind, desto vielseitiger ist der Digitalkundeunterricht. Das gleiche Prinzip trifft besonders auf <?page no="123"?> 4.2 Modulbereich B: Fachspezifische Säule 123 die Lehrkräfte zu. Ohne Medienkompetenz sind sie im Schulfach Digitalkunde schlichtweg fehl am Platz. 4.2.2 Fremdsprachen Die Gestaltung des ‚digitalkundlichen‘ Fremdsprachenunterrichts ähnelt dem Aufbau des oben skizzierten Deutschunterrichts, wenngleich im fremdsprachlichen Block die jeweilige Kultur als Lehr- und Lerninhalt berücksichtigt werden sollte. In diesem Kapitel wird nicht zwischen den verschiedenen Fremdsprachen, die Teil der deutschen Schulbildung sind, differenziert. Egal ob Englisch, Spanisch oder Französisch: Die vorgeschlagenen Unterrichtseinheiten eignen sich für alle Fremdsprachenfächer bzw. für die Integration aller Fremdsprachen in den Digitalkundeunterricht. Je nach Fremdsprachenfortschritt muss der Schwierigkeitsgrad angepasst werden. Basismodul „Digitale Textproduktion“ Die fortschreitende Digitalisierung ermöglicht quasi eine Vernetzung mit der ganzen Welt (vgl. Global Village). Freundschaften entstehen somit nicht mehr nur im lokalen Wohnumfeld, sondern auch über das Internet. Wer sich häufig in den Sozialen Medien aufhält, lernt zwangsläufig neue Menschen kennen. Vor allem junge Menschen sind an neuen Kontakten interessiert, die beispielsweise in London, Paris oder Madrid leben. Das fremdsprachige Chatten verbessert die eigenen Fähigkeiten. Auch kostenfreie Telefonate via Skype oder Facetime sind in der heutigen Zeit kein Problem. Das bedeutet: Es kann richtig Spaß machen, das Erlernen einer neuen Fremdsprache mit dem Kennenlernen neuer Menschen zu verbinden. Die Interaktion in den Sozialen Medien ist deshalb so spannend, weil in der Regel ein Feedback zurückkommt. Dieses digitale Interaktivitätsprinzip sollte für den Fremdsprachenunterricht genutzt werden. Das Basismodul „Digitale Textproduktion“ (Tab. 10) ist folgendermaßen konzipiert: Tab. 10: Unterrichtseinheiten im Basismodul „Digitale Textproduktion“ Modulbereich B Fachspezifische Säule Block Fremdsprachen Modulgruppe Basismodul: Digitale Textproduktion Unterrichtseinheiten (UE) Fremdsprachige Kommentare veröffentlichen (2 × 45 Minuten) Mein digitales Tagebuch (3 × 45 Minuten) <?page no="124"?> 124 4 Digitalkunde als Vier-Säulen-Modell Die Veröffentlichung fremdsprachiger Kommentare in den Sozialen Medien, Foren und auf anderen Plattformen ist eine spannende Möglichkeit für den Unterricht. Einerseits wird die Sprachkompetenz verbessert, andererseits wird verdeutlicht, welche Auswirkungen die eigene Meinung im Internet hat bzw. haben kann. Die Unterrichtseinheit „Fremdsprachige Kommentare veröffentlichen“ ist demnach so zu verstehen, dass gemeinsam formulierte Kommentare (auch hier eignet sich wieder die Gruppenarbeit) auf Facebook publiziert werden. Es empfiehlt sich, hierfür einen Klassenaccount anzulegen, um die Privatsphäre der Schülerinnen und Schüler zu schützen. Möglich ist natürlich auch die Veröffentlichung der Kommentare im Intranet: Die Schulklasse besteht aus 28 Schülerinnen und Schülern. Gebildet werden sieben Gruppen à vier Schüler. Jede Gruppe erhält einen Zugang zu einem digitalen Forum, das über das Intranet der Schule läuft (also ohne öffentliche Sichtbarkeit). Die Lehrkraft gibt das Diskussionsthema vor und veröffentlicht ein Statement auf Englisch, Spanisch, Französisch etc. in diesem Forum. Jede Gruppe hat nun die Aufgabe, auf dieses Statement zu reagieren, indem eine Antwort ‚gepostet‘ wird. Nicht nur die interaktive Kommunikation sollte geschult werden. Auch das Aufschreiben eigener Gedanken in einer Fremdsprache ist wichtig. Denkbar ist die Idee eines digitalen Tagebuchs. Via Tablet schreiben die Schülerinnen und Schüler einen fremdsprachigen Tagebucheintrag. Die Unterrichtseinheit „Mein digitales Tagebuch“ eignet sich auch für das Ausprobieren der digitalen Spracherkennung: Der Tagebucheintrag wird mündlich in das entsprechende Gerät (Tablet, Smartphone etc.) diktiert, wodurch das Gesprochene automatisch in die schriftliche Form gebracht wird. Aussprachefehler führen oftmals zu einer Verfälschung. Auch eine undeutliche Aussprache zeigt die Grenzen der digitalen Technik schnell auf. Diese Unterrichtseinheit eignet sich sehr gut für die Partnerarbeit. Nach der Fertigstellung des Tagebucheintrags wird der Text gegenseitig korrigiert. Wer möchte, darf seinen Text danach laut vorlesen. Schwerpunktmodul „Digitale Medienrezeption“ Neben der digitalen Textproduktion ist die digitale Medienrezeption von großer Wichtigkeit. Fremdsprachige Texte haben alleine durch ihre kulturspezifische Begründung oftmals eine eigene Sichtweise, deren Rezeption eine Erweiterung des Horizonts evoziert. Das Schwerpunktmodul „Digitale Medienrezeption“ (Tab. 11) ist folgendermaßen konzipiert: <?page no="125"?> 4.2 Modulbereich B: Fachspezifische Säule 125 Tab. 11: Unterrichtseinheiten im Schwerpunktmodul „Digitale Medienrezeption“ Modulbereich B Fachspezifische Säule Block Fremdsprachen Modulgruppe Schwerpunktmodul: Digitale Medienrezeption Unterrichtseinheiten (UE) Fremdsprachige Online-Zeitungen (2 × 45 Minuten) Fremdsprachige YouTube-Videos rezipieren und kommentieren (3 × 45 Minuten) Die Rezeption fremdsprachiger Online-Zeitungen ist wichtig. Besonders wenn es in Deutschland zu explosiven Ereignissen kommt, lohnt sich ein Blick in die ausländischen Online-Gazetten. Die Unterrichtseinheit „Fremdsprachige Online-Zeitungen“ kann auf verschiedene Weise durchgeführt werden. Um den Schwierigkeitsgrad niedrig zu halten, sollten vor allem Artikelüberschriften - also journalistische Schlagzeilen - analysiert werden. Auch die Beziehung zwischen Schlagzeile und Bildmotiv (wenn vorhanden) sollte Berücksichtigung finden. Sind die Fremdsprachenkenntnisse sowie intellektuellen Fähigkeiten bereits sehr fortgeschritten, eignen sich fremdsprachige Zeitungstexte über politische und andere gesellschaftlich relevante Themen. Die Lehrkraft sollte die Zeitungsartikel über einen Beamer präsentieren. Die Schülerinnen und Schüler lesen nicht nur an ihren Tablets oder Laptops mit, sie sollten sich auf ihren Geräten auch digitale Notizen machen (kleine Übersetzungen, Beantwortung von Verständnisfragen etc.). Das Social-Media-Portal YouTube liegt voll im jugendlichen Trend. Einerseits bietet das Netzwerk fast unendlich viele Videos, die der Unterhaltung, Information oder Bildung dienen. Andererseits versuchen sich viele Kids selbst als YouTuber. In die Unterrichtseinheit „Fremdsprachige YouTube-Videos rezipieren und kommentieren“ sollten demnach professionelle Videos wie beispielsweise fremdsprachige Dokumentationen und Erklär-Videos eingebaut werden, aber auch Videos, die von erfolgreichen Kindern und Jugendlichen gemacht und hochgeladen wurden (aus den Bereichen Unterhaltung oder Wissen). Nach der Rezeption dieser Internet-Clips haben die Schülerinnen und Schüler die Aufgabe, fiktive Kommentare zu erstellen, die sich auf das jeweilige Video beziehen. Hierbei kann es sich um Lob, Kritik oder eigene Erfahrungen handeln, die für die Community interessant sein könnten. <?page no="126"?> 126 4 Digitalkunde als Vier-Säulen-Modell 4.2.3 Geschichte Das Schulfach Geschichte polarisiert ähnlich wie die Mathematik. Die einen lieben das Fach, die anderen verabscheuen es. Dass Geschichte allerdings nicht staubtrocken sein muss, beweist das Basismodul „Geschichte und Mythen im Kontext der Digitalisierung“. Basismodul „Geschichte und Mythen im Kontext der Digitalisierung“ Viele Kinder und Jugendliche beschäftigen sich mit der Geschichte der Menschheit, ohne es zu merken. Computer- und Videospiele wie Age of Empires, Civilisation, World of Warcraft und Assassin’s Creed beinhalten Anspielungen auf historische Meilensteine und mythologische Erzählungen. Im Ballerspiel Call of Duty: WWII steht - wie der Titel des Spiels schon andeutet - das Dritte Reich im Fokus. Doch es geht auch seriös: Learning-Apps für den Geschichtsunterricht machen es möglich, bequem mit dem Smartphone zu lernen; im Bett, im Freibad oder auf einer langen Bahnfahrt. Das Basismodul „Geschichte und Mythen im Kontext der Digitalisierung“ (Tab. 12) ist folgendermaßen konzipiert: Tab. 12: Unterrichtseinheiten im Basismodul „Geschichte und Mythen im Kontext der Digitalisierung“ Modulbereich B Fachspezifische Säule Block Geschichte Modulgruppe Basismodul: Geschichte und Mythen im Kontext der Digitalisierung Unterrichtseinheiten (UE) Das Dritte Reich in Computerspielen (2 × 45 Minuten) Figuren der Mythologie in Computerspielen (2x45 Minuten) Learning Apps für den Geschichtsunterricht (3 × 45 Minuten) Das Dritte Reich fasziniert vor allem die männlichen Teenager. Doch nicht immer gehen die Jugendlichen mit dem Thema kritisch um. Da verbotene Früchte ja bekanntlich süß schmecken, kokettieren junge Menschen mit den Symbolen aus der Zeit des Dritten Reichs. Im Online-Multiplayer des Ego- Shooters Call of Duty: WWII beschießen sich die Alliierten und Achsenmächte, bis das virtuelle Blut spritzt. Die Waffen und Kriegsschauplätze sind authentisch nachgebildet. Was macht daran Spaß, wenn sich zehn echte Menschen in der Nazi-Spielwelt totschießen? Das Spiel wird zwar offiziell erst ab 18 Jahren verkauft, doch die Realität sieht anders aus. Im Audio-Chat des Spiels piepsen und motzen Kinderstimmen - und minderjährige YouTube-Stars filmen sich beim <?page no="127"?> 4.2 Modulbereich B: Fachspezifische Säule 127 Zocken des eben genannten Spiels, das eigentlich nur für Erwachsene gedacht ist. Wie wird das Dritte Reich in Computerspielen dargestellt? Haben solche Spiele einen Lerneffekt? Oder wird die Nazi-Zeit verherrlicht? Inwiefern wird die Geschichte des Dritten Reichs verzerrt dagestellt? Die Unterrichtseinheit „Das Dritte Reich in Computerspielen“ sollte jedoch nicht mit dem erhobenen Zeigefinger durchgeführt werden. Wichtig ist, sich in die Kinder und Jugendlichen hineinzudenken, um zu verstehen, was an solchen Spielen so faszinierend sein könnte. Viele Computer- und Videospiele sind von mythologischen Figuren und Geschichten geprägt. Im Online-Rollenspiel World of Warcraft tauchen nordische Gottheiten und Riesen auf, die es gemeinsam zu bekämpfen gilt. Ebenfalls gibt es den Greif, ein mythisches Mischwesen, das im Spiel die Aufgabe hat, die Spieler von A nach B zu fliegen. Eingekehrt wird dann in der heimeligen Taverne von Goldhain - doch wer nicht aufpasst, wird auf dem Weg dorthin von paarungsfreudigen Harpyien angegriffen. Harpyien sind Sturmdämonen in Gestalt eines Mädchens mit Vogelflügeln, die der griechischen Mythologie entstammen. Tragen solche Spiele also zur Verbesserung des Allgemeinwissens bei? Dann gibt es auch noch das Strategiespiel Age of Mythology. Es handelt sich um ein Aufbauspiel in Echtzeit. Gesteuert werden die Griechen, Ägypter und Wikinger. Nur wer genug Gold, Holz und Nahrung sammelt, kann eine Streitmacht aufbauen. Der Spieler schickt nicht nur einfache Militäreinheiten wie Bogenschützen, Axtwerfer und Kamelreiter in die Schlacht, sondern auch mythische Spezialeinheiten wie den Bergriesen, Zyklopen und Leviathane. Kann ein solches Spiel die Begeisterung für Geschichte und Mythologie wecken? Deutlich profaner ist die Unterrichtseinheit „Learning Apps für den Geschichtsunterricht“ konzipiert. Gefragt sind also Apps, bei denen das Lernen im Vordergrund steht. Es gibt Quizspiele über die deutsche Geschichte und Amerika, die teilweise extra für Kinder programmiert wurden. Quizspiele haben natürlich immer einen leichten Unterhaltungswert, eignen sich jedoch sehr gut für den Unterricht. Die Lehrkraft kann die App am Tablet ausführen und direkt via Beamer präsentieren. Apps wie „Top im Abi“ sind für die gymnasiale Oberstufe ausgelegt und in ihrer Gestaltung deutlich nüchterner. Es gibt 100 prüfungsrelevante Fragen pro Fach. Viele Learning Apps setzen allerdings auf In- App-Käufe. Die Basis-App ist kostenlos, und interessante Inhalte müssen hinzugekauft werden. Auf dieses Prinzip sollte die Lehrkraft hinweisen. Das Arbeiten mit digitalen Programmen erfordert also auch immer eine gewisse Medienkompetenz; beispielsweise Medienkunde, also das Wissen über das Vorhandensein von Bezahlelementen in vermeintlich kostenlosen Apps. <?page no="128"?> 128 4 Digitalkunde als Vier-Säulen-Modell Schwerpunktmodul „Geschichte kreativ und digital erleben“ Der Facettenreichtum der Digitalisierung sollte auch auf ganz kreative Weise mit den Lehr- und Lernzielen des Geschichtsunterrichts verbunden werden. Eine solche Vorgehensweise erfordert eine gewisse ‚digitale Offenheit‘ der Lehrkräfte. Das Schwerpunktmodul „Geschichte kreativ und digital erleben“ (Tab. 13) ist folgendermaßen konzipiert: Tab. 13: Unterrichtseinheiten im Schwerpunktmodul „Geschichte kreativ und digital erleben“ Modulbereich B Fachspezifische Säule Block Geschichte Modulgruppe Schwerpunktmodul: Geschichte kreativ und digital erleben Unterrichtseinheiten (UE) Historische Meilensteine als Hashtags (2 × 45 Minuten) Geschichte als WhatsApp-Dialog (3 × 45 Minuten) In der globalen Weltgeschichte gibt es viele Meilensteine, so auch in der Geschichte Deutschlands. Zu nennen sind beispielsweise die Öffnung der Berliner Mauer, Kennedys berühmte Rede in Berlin („Ich bin ein Berliner“), die Gründung der BRD, Hitlers Angriff auf Polen und die Weimarer Republik als Deutschlands erste demokratische Verfassung. Weitere Meilensteine - auch in Bezug auf andere Länder - dürfen freilich ergänzt werden. Ein Stilmittel der Sozialen Medien sind Hashtags. Sie dienen nicht nur der thematischen Einordnung von Bildern und Beiträgen, sondern erzählen auch eine Geschichte. Lassen sich also auch historische Meilensteine in Form von Hashtags darstellen? Am 3. Oktober 1990 tritt die DDR der BRD bei. Abgebildet ist eine Grafik, die zeigt, wie sich die DDR puzzlestückartig in die BRD einbzw. anfügt. Zu lesen sind die Hashtags: #ddr #brd #beitritt #endlich #vereint #jetzt16bundeslaender #neuehauptstadt #berlin #aufbruch #gluecklich. Der Effekt der Unterrichtseinheit „Historische Meilensteine als Hashtags“ ist, dass sich die Schülerinnen und Schüler auf kreative Weise mit Geschichte beschäftigen. Die Aufgabenstellung wirkt zwar einfach, benötigt jedoch einerseits Wissen sowie andererseits die Fähigkeit, komplexe Inhalte als Schlagworte darzustellen. Genauso innovativ ist die Unterrichtseinheit „Geschichte als WhatsApp- Dialog“. Wie hätten wichtige Figuren der Menschheitsgeschichte per WhatsApp miteinander kommuniziert, wenn es diese Technik damals schon gegeben hätte? Wie lassen sich historische Meilensteine in Form von Emojis darstellen? Und <?page no="129"?> 4.2 Modulbereich B: Fachspezifische Säule 129 wie kann WhatsApp in der heutigen Zeit genutzt werden, um sich über geschichtliche Fakten auszutauschen? Ein interessantes Experiment dürfte eine WhatsApp-Lerngruppe darstellen, die von einer Lehrkraft oder Schülervertretern moderiert wird. 4.2.4 Sozialkunde Die politische Erziehung und Bildung sowie die Darstellung und Beantwortung gesellschaftlicher Fragen ist im digitalen Zeitalter der Sozialen Medien natürlich sehr wichtig und passend. Demokratische Prozesse und Gruppendynamiken lassen sich im Internet sehr gut beobachten - und auch die politischen Parteien präsentieren sich im Cyberspace. Programme wie der Wahl-O-Mat sollen die Wahlentscheidung erleichtern: Per Mausklick kann herausgefunden werden, welche Partei der politischen Gesinnung entspricht. Basismodul „Parteien und Demokratie“ Die Parteien präsentieren sich nicht nur auf ihren offiziellen Webseiten, sondern auch und vor allem in den Sozialen Medien. Politische Facebook-, Twitter- und Instagram-Accounts sind quasi verpflichtend. Hinzu kommen die Internet- Auftritte und Accounts der politischen Einzeldarsteller. Egal ob Stadtrat, Mitglied des Landtags oder mächtiger Minister: Jeder Politiker ist in den digitalen Welten auf Wählerfang und streut zielgerichtet Informationen. Das Basismodul „Parteien und Demokratie“ (Tab. 14) ist wie folgt strukturiert: Tab. 14: Unterrichtseinheiten im Basismodul „Parteien und Demokratie“ Modulbereich B Fachspezifische Säule Block Sozialkunde Modulgruppe Basismodul: Parteien und Demokratie Unterrichtseinheiten (UE) Parteien und Wähler in den Sozialen Medien (2 × 45 Minuten) Woher bekommen wir unsere Informationen? (3 × 45 Minuten) Die Parteien, vor allem die etablierten, besitzen auf den ersten Blick deutlich mehr macht als der einzelne Wähler. Allerdings hat die Meinungsäußerung eines Einzelnen oftmals eine große Wirkung. Während analoge Leserbriefe mit ein bisschen Glück eine Debatte anstoßen können, haben in den Sozialen Medien kommunizierte Meinungen das Potenzial, viral zu gehen. Meinungen, die anderen Internet-Nutzern gefallen, werden geteilt, geteilt und wieder geteilt. Zwi- <?page no="130"?> 130 4 Digitalkunde als Vier-Säulen-Modell schen Parteien und Wählern existiert ein Spannungsverhältnis. Besonders brisante Themen wie Flüchtlinge, Steuererhöhungen und Moralverstöße erhitzen die Gemüter. Die Unterrichtseinheit „Parteien und Wähler in den Sozialen Medien“ diskutiert die Präsentationsmöglichkeiten der Parteien in den digitalen Medien und geht auch auf die digitale Einflussnahme der mündigen Wähler ein. „Woher bekommen wir unsere Informationen? “, fragt und diskutiert die zweite Unterrichtseinheit der Modulgruppe. Die meisten Schülerinnen und Schüler lesen vermutlich nicht die klassische Zeitung am Frühstückstisch. Wie sie an die lebensrelevanten Informationen kommen, korreliert natürlich mit dem Alter. Vor allem über die Sozialen Medien gelangen Kinder und Jugendliche an Informationen - und das meist unfreiwillig. Viele Unternehmen und Medien bewerben ihre Postings in den Sozialen Medien, so dass diese Postings Menschen angezeigt werden, die das jeweilige Unternehmen oder Medium gar nicht abonniert bzw. mit einem Like versehen haben. Inhalte, die Freunde gut finden, werden im digitalen Netzwerk ebenso angezeigt. Das heißt: In den Sozialen Medien entwickelt sich eine Beeinflussungsdynamik, die - wie ein Kreislauf - niemals wirklich endet. User1 beeinflusst User2, der beeinflusst User3 und User4, User4 beeinflusst User1 sowie fünf weitere User. Durchsichtig ist das nicht immer, doch es ist wichtig, dass über die Informationsverbreitung in den Sozialen Medien gesprochen wird. Auch News-Webseiten sowie Blogs tragen zur Meinungsbildung bei. Wie erkenne ich Fake News? Gibt es mehrere Medienrealitäten? Warum bezeichnet man Journalisten auch als Gatekeeper? Diese Fragen sollten ebenfalls beantwortet werden. Schwerpunktmodul „Digitale Spielregeln und Meinungsbildung“ Der Knigge ist ein Buch mit Verhaltensregeln, die in den verschiedenen Bereichen des Lebens beherzigt werden sollten, um einen guten Eindruck zu hinterlassen. Frauenzeitschriften wie „Brigitte“ schlachten das Thema regelrecht aus, indem beispielsweise ein Beauty-Knig ge und Handwerker-Knig ge ins Internet gestellt wird. 59 Als Ende der 90er Jahre der Chat-Boom einsetzte und sich mehrere Chat-Anbieter wie Chatcity und Knuddels etablierten, kam die Idee von digitalen Verhaltensregeln auf. Das Prinzip nannte sich dann Netiquette oder auch Chatiquette. Heute gilt das mehr denn je, denn es ist unlängst bekannt, dass Hetzparolen in den Sozialen Medien hart bestraft werden. So wirklich anonym ist man also nicht, wenn man durch die verschiedenen Internet-Welten streift. Vor allem das Netzwerkdurchsetzungsgesetz hat einen (zumindest juristischen) Paradigmenwechsel geschaffen, doch „der Hass im Netz nimmt kein Ende“ („BR24“ 2018). Generell wird dazu aufgefordert - auch in den Weihnachtsansprachen des Bundespräsidenten - einander wieder zuzuhören. Das Schwerpunktmodul „Digitale Spielregeln und Meinungsbildung“ (Tab. 15) ist wie folgt gegliedert: <?page no="131"?> 4.2 Modulbereich B: Fachspezifische Säule 131 Tab. 15: Unterrichtseinheiten im Schwerpunktmodul „Digitale Spielregeln und Meinungsbildung im Netz“ Modulbereich B Fachspezifische Säule Block Sozialkunde Modulgruppe Schwerpunktmodul: Digitale Spielregeln und Meinungsbildung im Netz Unterrichtseinheiten (UE) Gruppenregeln in digitalen Welten (2 × 45 Minuten) Begründen von Meinungen und anderen zuhören (3 × 45 Minuten) Sowohl in der analogen als auch in der digitalen Welt gibt es geschriebene und ungeschriebene ‚Gesetzmäßigkeiten‘. Vor allem die Regeln der Political Correctness sind sehr subjektiv auslegbar. Auch mit der Anmeldung in verschiedenen digitalen Netzwerken erklärt man sich damit einverstanden, beispielsweise keine pornografischen, gewaltverherrlichenden, rassistischen oder kommerziellen Inhalte hochzuladen oder verbal zu veröffentlichen. Gerade über den Messenger WhatsApp werden private Gruppen gebildet. Hierbei kann es sich um Freunde handeln - oder auch um Eltern, die sich in der Gruppe über ihre Kinder, Lehrer und die Schule austauschen. Meist etabliert sich in solchen Gruppengefügen ein Moderator, der Verhaltensregeln aufstellt. Spannend ist es, wenn sich ein Soziolekt herausbildet, also eine Gruppensprache, die ein besonderes Wir-Gefühl aufkeimen lässt. Die Unterrichtseinheit „Gruppenregeln in digitalen Welten“ untersucht diese Phänomene und diskutiert die Wichtigkeit von Regeln. In gewisser Weise knüpft die Unterrichtseinheit „Begründen von Meinungen und anderen zuhören“ genau an diesem Punkt an. In Zeiten von digitalen Shitstorms und affektiven Verbalattacken im Netz scheint die Kultur des bilateralen Zuhörens mehr und mehr zu verbleichen. Vor allem die Begründung der eigenen Meinung, die ja immer mit einem rationalen Argumentationsmuster korreliert, verliert in den Sozialen Medien an Wichtigkeit, weil die digitale Kommunikation ein softes Fastfood für die Sinne ist. Wer provoziert, Klamauk macht und auffällt (egal wie! ), hat es gar nicht mehr nötig, anderen zuzuhören. Im Gegenteil: Das könnte ihn sogar zu nahbar machen. Der Kommunikationskultur - vor allem der digitalen - tut es jedoch gut, einander zuzuhören, respektvoll miteinander umzugehen und die eigene Meinung ruhig und sachlich zu begründen. Die Unterrichtseinheit „Begründen von Meinungen und anderen zuhören“ sensibilisiert die Schülerinnen und Schüler für den respektvollen und freundlichen Umgang in der digitalen Welt, der wiederum Auswirkungen auf das Miteinander in der analogen Welt hat. <?page no="132"?> 132 4 Digitalkunde als Vier-Säulen-Modell 4.2.5 Kunst und Musik Die Sozialen Medien sind als spezielles Milieu zu verstehen, das vom gesellschaftlichen Unterhaltungs- und Selbstdarstellungsmilieu geprägt ist. Demzufolge ist es nicht überraschend, dass sich im Internet ganz eigene künstlerische Darstellungsformen etablieren, die in der analogen Welt keinen Markt hätten. Dennoch schaffen es Menschen, sich im Cyberspace einen Namen zu machen. Diese Netz-Prominenz überträgt sich dann teilweise auf die Offline-Welt. Das bedeutet: Wer es im Internet zu ein bisschen ‚Fame‘ bringt, kann diesen Status ins analoge Leben mitnehmen. Nach wie vor träumen viele Kids davon, irgendwann als berühmter Sänger die Welt zu erobern. Basismodul „Digitaler Trash als Kunstform“ Schon in der analogen Welt erschließt es sich dem Laien nicht immer, was genau ein Werk zum Kunstwerk macht - und vor allem warum. Skurrilität scheint zumindest kein Ausschlusskriterium zu sein. Der Begriff Trash korreliert ja bereits mit verschiedenen Formaten im klassischen Fernsehen. Und so gibt es auch die Trash-Stars, die von einer ulkigen TV-Sendung in die nächste tingeln. Typische Trash-Formate sind „Ich bin ein Star - holt mich hier raus“, „Der Bachelor“ und „Die Geissens“. Trash ist im Kontext der Zuschauerunterhaltung allerdings keineswegs negativ gemeint, sondern in gewisser Weise als eigene Kunstform zu sehen, die äußerst viele Anhänger hat. Inwiefern stellt also auch digitaler Trash eine eigene Kunstform dar? Das gleichnamige Basismodul (Tab. 16) ist folgendermaßen konzipiert: Tab. 16: Unterrichtseinheiten im Basismodul „Digitaler Trash als Kunstform“ Modulbereich B Fachspezifische Säule Block Kunst und Musik Modulgruppe Basismodul: Digitaler Trash als Kunstform Unterrichtseinheiten (UE) Gesang oder Katzenjammer? Der schmale Grat zwischen Gesangskarriere und digitaler Blamage (2 × 45 Minuten) Stillleben mit Style in den Sozialen Medien (3 × 45 Minuten) Popstar Justin Bieber wurde durch selbst erstellte Videos auf YouTube berühmt. Das ist keine Ausnahme. Auch „The Weeknd“ und der 2018 verstorbene Tanzmusik-Produzent „Avicii“ nutzten das Internet, um ihre Bekanntheit zu steigern und letztlich entdeckt zu werden. Doch natürlich kann diese Art und Weise der offensiven Selbstdarstellung auch schiefgehen. Es ist mit einem Risi- <?page no="133"?> 4.2 Modulbereich B: Fachspezifische Säule 133 ko behaftet, die eigenen Gesangseinlagen ins Internet zu stellen. Freilich lassen sich die Dateien wieder löschen, allerdings könnten bereits dann unzählige Kopien im Umlauf sein, die - wenn es unglücklich läuft - wieder und wieder kopiert werden. Dazu muss man nicht einmal prominent sein. Es genügt, wenn Klassenkameraden das Video verbreiten, um sich darüber lustig zu machen. Natürlich ist es möglich, sich dadurch erst gar nicht angegriffen zu fühlen, doch Kinderseelen sind natürlich zart besaitet - und auch Erwachsene möchten in den Sozialen Medien wohl kaum bloßgestellt werden. Die Unterrichtseinheit „Gesang oder Katzenjammer? Der schmale Grat zwischen Gesangskarriere und digitaler Blamage“ soll für diese Problematik sensibilisieren. Sie soll jedoch auch aufzeigen, dass Videoportale die Chance bieten, die eigenen Talente - wenn sie denn vorhanden sind - stilsicher einem größeren Publikum zugänglich zu machen. Vor allem auf der Plattform Instagram, die Facebook mehr und mehr verdrängt, werden häufig Bilder veröffentlicht, die nach ästhetischen Gesichtspunkten der Kunstform Stillleben zuzuordnen sind. Bei dieser Kunstform handelt es sich um die Darstellung lebloser und unbewegter Gegenstände (Blumen, zubereitete Mahlzeiten etc.), deren Anordnung ein ästhetisches Muster aufweist. Es gibt tatsächlich sehr viele Jugendliche, die ihren Instagram-Account nur mit solchen Bildern füttern. Teilweise wird lecker gekocht und dekoriert, nur um ein perfektes Foto zu schießen, auf das die Fans, die dem Account folgen, schon lange warten. An diesem Beispiel zeigt sich sehr gut das Prinzip der extrinsischen Motivation. Die gemachten Instagram-Bilder werden durch Farbfilter-Tools ‚aufgestylt‘ und mit pompösen und teils affigen Hashtags versehen wie etwa #pornfood und #foodstyle. Ist es gut, wenn Teenager kochen und dekorieren, nur um Selbstbestätigung in den Sozialen Medien zu erhalten? Oder lernen die Kids durch diese Form der künstlerischen Selbstdarstellung viel über Ästhetik und Kunst? Die Unterrichtseinheit sollte die positiven Aspekte akzentuieren. Gruppenarbeiten eignen sich, damit die Kinder und Jugendlichen eigene Bildprojekte anordnen und mit dem Smartphone oder Tablet fotografieren, die sich für die Sozialen Medien eignen. Schwerpunktmodul „Ästhetik und Emotionen“ Gefühle werden nicht nur durch Worte transportiert, sondern auch - vielleicht sogar vor allem - durch Bilder und Musik. Das Hervorrufen von Emotionen steht demnach mit der Ästhetik, der Lehre vom Schönen, in Verbindung. Das Schwerpunktmodul „Ästhetik und Emotionen“ (Tab. 17) ist wie folgt konzipiert: <?page no="134"?> 134 4 Digitalkunde als Vier-Säulen-Modell Tab. 17: Unterrichtseinheiten im Schwerpunktmodul „Ästhetik und Emotionen“ Modulbereich B Fachspezifische Säule Block Kunst und Musik Modulgruppe Schwerpunktmodul: Ästhetik und Emotionen Unterrichtseinheiten (UE) Selbstdarstellung und künstlerische Verfremdung (2 × 45 Minuten) Gefühle und Musik in Online-Videos (2 × 45 Minuten) Die Selbstdarstellung in den Sozialen Medien, dazu zählt auch der Messenger WhatsApp, unterliegt eigenen Gesetzmäßigkeiten. Weniger geht es um Authentizität, sondern vielmehr um die Inszenierung und Aufrechterhaltung eines bestimmten Bildes, das andere Menschen von einem haben sollen. So gibt es heutzutage viele Apps und Tools, die der (künstlerischen) Verfremdung dienen. Das eigene Gesicht wird mit digitalen Stickern (Hundeohren, Schnurrhaare etc.) beklebt, weil es anscheinend süß aussieht. Die Augen werden vergrößert, aufgehellt und sogar verfärbt. Die Haut wird mit einem Weichzeichner bearbeitet, um makellos zu erscheinen. Pickel und Muttermale werden entfernt. Ein digitaler Filter lässt das Bild strahlend warm oder auch strahlend kalt erscheinen. Aus dem nahbaren Selbstporträt ist ein unnahbares und perfektes Selfie geworden. Die Unterrichtseinheit „Selbstdarstellung und künstlerische Verfremdung“ zeigt die Verfremdungstechniken auf, die durchaus technisches Know-how voraussetzen. Die Lehrkraft sollte dieses Wissen praktisch anwenden können und am Smartphone via Beamer vorführen. Die Kinder und Jugendlichen sollten ebenfalls über ein Arbeitsgerät verfügen. Es ist davon auszugehen, dass sich viele Kids mindestens genauso gut auskennen wie die Lehrkraft, also bietet es sich an, dass die jungen Spezialisten ihre Tricks und Kniffe ebenfalls via Beamer präsentieren. Viele YouTube-Videos sind musikalisch untermalt, um eine gewisse Stimmung zu erzeugen. Computerspieler, die sich beim Zocken eines Ego-Shooters filmen, unterlegen ihr Video meist mit brachialer oder cooler Musik. Oftmals verletzten die YouTuber Urheberrechte, was zur Löschung des Videos oder Sperrung des kompletten Accounts führen kann. Einige Jugendliche, auch welche, die ansonsten gar keine Videos ins Netz stellen, nutzen emotionale Momente und Erlebnisse im wahren Leben, um diese mithilfe eines selbst erstellten Videos online zu verarbeiten. Dies kann der Fall sein, wenn beispielsweise der Opa oder ein guter Freund stirbt. Die Erstellung eines Kondolenz-Videos, es handelt sich also in gewisser Weise um eine digitale Trauerkarte in Videoform, ist eine schöne Möglichkeit, einen verstorbenen Menschen zu ehren und ein Zusammengehörig- <?page no="135"?> 4.2 Modulbereich B: Fachspezifische Säule 135 keitsgefühl der Trauernden zu schaffen. In der Regel werden solche Videos mit Klaviermusik untermalt, die zum Nachdenken und mitfühlen anregt. In der Unterrichtseinheit „Gefühle und Musik in Online-Videos“ sollten auch andere Varianten besprochen werden, beispielsweise Werbevideos, Musikvideos und Videos, die der politischen Propaganda dienen. Die Lehrkraft sollte die entsprechenden Videos sowohl mit als auch ohne Musik abspielen lassen, damit die Schülerinnen und Schüler herausfinden, welche Wirkung sich jeweils entfaltet. 4.2.6 Beispiele für weitere Fächer Digitale Elemente und innovative Lernstrategien sind für alle schulischen Fächer von Bedeutung. Neben den bereits genannten Fachgebieten kommen offensichtliche Schulfächer wie Mathematik und Informatik hinzu, die an dieser Stelle nicht skizziert werden. Die besondere Innovation liegt nämlich darin, archaisch anmutende Fächer wie Erdkunde, Ethik und Religion unter digitalkundlichen Aspekten näher zu beleuchten. Beschränkt wird sich auf die entsprechenden Basismodule. Erdkunde Schon seit vielen Jahren ermöglicht die fortschreitende Digitalisierung eine weltweite Vernetzung und somit einen Einblick in fremde Kulturen und Länder. Wer seinen Urlaub auf den Kapverden, in Sri Lanka oder Australien verbringen möchte, recherchiert vorab über das Internet. In den Sozialen Medien konstituieren sich virtuelle Gruppen, in denen Urlaubsbilder und Reisetipps ausgetauscht werden. Die Bilder sind auf Hochglanz poliert, und schnell wird klar: Die Schattenseiten eines Landes wie Armut oder Umweltschäden interessieren die meisten Urlauber nicht. Gerade deshalb ist es für Kinder und Jugendliche wichtig, hierfür ein Bewusstsein zu entwickeln. Das Basismodul „Länder und Umwelt“ (Tab. 18) ist folgendermaßen strukturiert: Tab. 18: Unterrichtseinheiten im Basismodul „Länder und Umwelt“ Modulbereich B Fachspezifische Säule Block Erdkunde Modulgruppe Basismodul: Länder und Umwelt Unterrichtseinheiten (UE) Sehenswürdigkeiten in digitalen Bildern auf Instagram (2 × 45 Minuten) Umweltkatastrophen in den Sozialen Medien (3 × 45 Minuten) <?page no="136"?> 136 4 Digitalkunde als Vier-Säulen-Modell Digitale Reiseblogger, die die ganze Welt erkunden und Fotos schießen, sind im Zeitalter der Sozialen Medien echte Stars. Millionen Menschen folgen ihnen und laben sich an der bunten Digitalkost. Besonders die Plattform Instagram eignet sich für die Veröffentlichung digitaler Abenteuer. Instagram funktioniert primär über visuelle Reize. Textergänzungen dienen eher der Stilistik. Gerade Kinder und Jugendliche, die nicht jedes Jahr mehrfach um die Welt reisen, folgen den Reisebloggern, um gemeinsam mit ihnen die schönsten Sehenswürdigkeiten zu erkunden. Denn: Den Social-Media-Profis gelingt es, zu ihren Fans eine Bindung aufzubauen, weshalb sich die Kids ihren Idolen tatsächlich verbunden fühlen, ohne diese wirklich zu kennen. Dennoch lernen die Kids auf diese Weise die Welt ein bisschen besser kennen, wenngleich auf softe Weise ohne fachliche Tiefe. Beliebte Reiseziele sind der Central Park in New York City, die Niagarafälle, die Große Mauer in China, das Opernhaus in Sydney, die Akropolis in Athen, die Golden Gate Bridge und der Eiffelturm in Paris. In der Unterrichtseinheit „Sehenswürdigkeiten in digitalen Bildern auf Instagram“ sollten die Sehenswürdigkeiten zunächst am Beispiel der Influencer vorgestellt werden. Danach erklärt die Lehrkraft die geschichtlichen und kulturellen Hintergründe. Möglich sind auch Gruppenpräsentationen, in denen die Schülerinnen und Schüler eine Mischung aus Instagram-Hochglanzbildern und eigener Recherche vorstellen - vorzugsweise als digitale Präsentation via Tablet, Smartphone und Beamer. Ähnlich wie die klassischen Massenmedien leben die Sozialen Medien von sensationellen Darstellungen. Videos und Bilder von Naturkatastrophen und Verwüstungen werden rezipiert und weiterverbreitet. Wie werden Videos und Bilder von Umweltkatastrophen im Internet wahrgenommen und kommentiert? Was finden Kinder und Jugendliche daran so interessant. In der Unterrichtseinheit „Umweltkatastrophen in den Sozialen Medien“ sollte die Lehrkraft mit den Schülerinnen und Schülern die Gründe und Auswirkungen verschiedener Katastrophen (Überschwemmung, Tsunami, Schneekatastrophe etc.) besprechen und ebenso darauf eingehen, wie Bilder solcher Szenarien zum digitalen Konsumgut avancieren. Die Unterrichtseinheit vereint demnach Medienkritik und Erkunde gleichermaßen. Ethik und Religion Religiöse Diskussionen führen oftmals zu heftigen Auseinandersetzungen. Das war schon immer so, hat jedoch im Zeitalter der Sozialen Medien einen neuen Höhepunkt erreicht. Gerade die Flüchtlingskrise im Jahr 2015 mit ihrer angeblichen ‚Islamisierung des Abendlandes‘ hat diese Diskussion, die bis heute anhält, neu befeuert. Moral und Ethik sind ebenfalls beliebte Themen im Internet. Ein prominentes Beispiel ist das Thema Tierschutz, das auch unter Jugendlichen heiß diskutiert wird. Das Basismodul „Ideologien und Moral im Netz“ (Tab. 19) gestaltet sich wie folgt: <?page no="137"?> 4.2 Modulbereich B: Fachspezifische Säule 137 Tab. 19: Unterrichtseinheiten im Basismodul „Ideologien und Moral im Netz“ Modulbereich B Fachspezifische Säule Block Ethik und Religion Modulgruppe Basismodul: Ideologien und Moral im Netz Unterrichtseinheiten (UE) Religiöse Klischees in den Sozialen Medien (2 × 45 Minuten) Brutale Tiervideos auf Facebook: Muss das sein? (3 × 45 Minuten) 2005 veröffentlichte eine dänische Tageszeitung die so genannten Mohammed- Karikaturen. Das führte zu diplomatischen Konflikten und zu einer Diskussion über Religions- und Meinungsfreiheit. Ähnliche Diskussionen werden auch heute noch geführt, denn vielen Internet-Nutzern ist nicht klar, welcher Unterschied zwischen Meinung und Hetze besteht. Gerade im Zuge der Flüchtlingskrise kommt es zu klischeehaften Provokationen in den Sozialen Medien. Parteien wie die AfD kokettieren damit ebenfalls und reüssieren augenscheinlich. Unter dem Deckmantel des (schwarzen) Humors werden religiöse Klischees in Form von digitalen Bildchen verbreitet, über die sich nicht nur Erwachsene, sondern auch Jugendliche lustig machen: Da zeigt ein Klassenfoto 30 vermummte Frauen, die sich voneinander optisch nicht zu unterscheiden scheinen. „That’s me, there“, sagt die eine Vermummte zu einer anderen, die ebenfalls vermummt ist - und zeigt mit dem Finger auf das Foto. Natürlich gibt es auch Christenwitze, welche sich über den Missbrauchsskandal der katholischen Kirche lustig machen. Die Unterrichtseinheit „Religiöse Klischees in den Sozialen Medien“ hinterfragt, warum Klischees in der digitalen Welt so populär sind. Die Lehrkraft sollte die Klischees mit sachlichen Fakten konfrontieren und auf diese Weise in die fachliche Thematik einbetten. Es ist gut und zugleich wichtig, wenn sich Kinder und Jugendliche Gedanken über ihre Ernährung und den verantwortungsvollen Umgang mit Tieren machen. Immer mehr junge Menschen entschließen sich, vegetarisch oder gar vegan zu leben. Mehr als 40 Millionen männliche Küken werden jedes Jahr getötet, in anderen Ländern werden Hunde bei lebendigem Leib gehäutet - und auch in Deutschland verenden viele Schweine im eigenen Kot. Wie ethisch ist die Gesellschaft? Doch in der Unterrichtseinheit „Brutale Tiervideos auf Facebook: Muss das sein? “ soll es auch darum gehen: Wie verantwortlich ist es, anderen Internet-Nutzern, darunter sind schließlich sehr viele Kinder und Jugendliche, diese Videos aufzuzwängen? Videos wie diese ‚ploppen‘ schließlich ohne Vorwarnung in der Facebook-Timeline auf und überrumpeln die User. Oft siegt zunächst die Neugierde, bis der große Schock kommt. Das kann durchaus <?page no="138"?> 138 4 Digitalkunde als Vier-Säulen-Modell traumatisch sein. Die Lehrkraft sollte mit den Schülerinnen und Schülern diskutieren, wie sinnvoll solche brutalen Videos sind. Geht es den Verbreitern wirklich um sachdienliche Aufklärung? Es sollten Vorschläge gemacht werden, welche anderen Aufklärungsmethoden sich für die digitalen Medien eignen. Denkbar sind positive und besonders tierliebe Bilder und Videos, die das Thema Tierschutz friedvoll und harmonisch in den Vordergrund rücken. 4.3 Modulbereich C: Lehrplanorientierte Säule Der Modulbereich C mit seiner lehrplanorientieren Säule orientiert sich strikt an den bereits etablierten Fachlehrplänen, die natürlich von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich sind bzw. sein können. Ebenso gibt es signifikante Unterschiede zwischen den Schularten und Jahrgangsstufen. Gerade deshalb soll an dieser Stelle eine Generalisierung in Form von sieben Postulaten vorgenommen werden. Diese sind als bildungspolitische Forderungen zu verstehen und im Sinne des Schulfachs Digitalkunde langfristig umzusetzen. 4.3.1 Herausstellung des Smartphones als Arbeitsgerät Gaming-Maschine, Entertainment-Engine und mobiles Social-Media-Monster: Das Smartphone scheint vieles zu sein, nur kein Arbeitsgerät. Es sei schuld an der gesellschaftlichen Verblödung, lenke vom Lernen ab und mache süchtig. Kritiker glauben deshalb, dass sich das Smartphone nicht für den Einsatz im Schulunterricht eignet. Stopp! Das Smartphone ist sehr wohl ein Arbeitsgerät, sofern es vom Benutzer als solches erkannt und eingesetzt wird. Aus diesem Grund ist es wichtig, die Benutzer zu schulen. Auf diese Weise wird das Potenzial des Smartphones als Arbeitsgerät optimal ausgeschöpft. Das passende Stichwort ist also mal wieder die Medienkompetenz, die ein Benutzer entweder hat oder nicht. Eine nachträgliche Aneignung der Medienkompetenz ist möglich, was das Schulfach Digitalkunde zusätzlich attraktiv macht. Inwiefern lässt sich das Smartphone als Arbeitsgerät verwenden? Einsatz des Smartphones als Arbeitsgerät:  Aufzeichnung von Sprachnotizen (Interviews, Gedanken etc.) <?page no="139"?> 4.3 Modulbereich C: Lehrplanorientierte Säule 139  hochauflösende Bilder (Journalismus, Medienprojekte etc.)  hochauflösende Videos (Journalismus, Medienprojekte etc.)  Fotobearbeitung und digitale Veröffentlichung  Abfotografieren von mathematischen Formeln  Textverarbeitung (Journalismus, Deutschunterricht etc.)  Recherche sowie Wissensmanagement und -Transfer  Einschlägige Apps und Tools erleichtern Arbeitsschritte  Erstellen und Abspielen von Präsentationen/ Vorträgen Die aufgezählten Einsatzgebiete sind beispielhaft und als Auszug zu verstehen, denn tatsächlich eignet sich das Smartphone als Arbeitsgerät auf unglaublich vielen Gebieten. Selbst im Alltag entpuppt sich das Gerät als Freund und Helfer (Taschenlampe, Wettervorhersage, Kompass, digitale Wasserwaage usw.) Fazit Das Smartphone muss in Zukunft unbedingt als modernes und vielseitig einsetzbares Arbeitsgerät herausgestellt werden. 4.3.2 Arbeiten mit Tablets Neben Smartphones eignen sich vor allem Tablets sehr gut für den Einsatz im Schulunterricht. Tablets verfügen je nach Modell über ein sehr großes Display und eine schöne Auflösung. Oftmals stehen die Schulen vor der Entscheidung, welche Art von digitalen Geräten angeschafft werden sollten. Da die meisten Schülerinnen und Schüler bereits privat mit Smartphones ausgestattet sind, ist die Wahl einfach. Hinzu kommen didaktische Gründe. Das große Display schont die Augen und ist ideal für Lern-Apps, Textverarbeitung und Internet-Recherchen. Ein weiterer Vorteil: Via Bluetooth ist der Anschluss einer speziellen Tastatur möglich. Auf diese Weise sind auch längere Texte schnell geschrieben. Die Kombination aus Bluetooth-Tastatur und Tablet lässt das Konstrukt wie einen Mini-Laptop erscheinen (meist wird das Tablet im Querformat auf die Tastatur gesteckt). Fazit Tablets eignen sich im Besonderen für die Grundschule, denn die Kinder können die Geräte mit beiden Händen fest greifen. Es gibt noch einen weiteren Grund: Tablets sind keine Smartphones. Das (sowieso haltlose) <?page no="140"?> 140 4 Digitalkunde als Vier-Säulen-Modell Argument, Kinder würden bereits in der Grundschule ‚handysüchtig‘ gemacht werden, zählt also nicht. Ein digitales Klassenzimmer ohne Tablets funktioniert nicht. Deshalb muss an dieser Stelle nach- und aufgerüstet werden. 4.3.3 Digitale Präsentationstechniken Digitale Präsentationstechniken sind nicht nur in der Schule wichtig, sondern auch im Studium und Berufsleben. Referate sind zwar seit jeher ein beliebtes didaktisches Mittel, das Arbeiten mit Tageslichtprojektor, Tafel und Farbkreide gilt jedoch nicht mehr als ‚up to date‘. Im Sinne der Digitalisierung und des Schulfachs Digitalkunde ist es wichtig, digitale Präsentationstechniken zu erlernen - und das frühzeitig. Einfache Präsentationen, es kann sich auch um eine digitale Dia-Show handeln, sollten also bereits in der Grundschule auf spielerische Weise geübt werden. Dabei sollten die Kinder nicht mit sperrigen Laptops hantieren, sondern idealerweise moderne Tablets und Smartphones als Arbeitsgeräte nutzen. Das hat einen weiteren Vorteil: Die Präsentationssoftware, die beispielsweise für die aktuellen iPhones und iPads verfügbar ist, erweist sich als besonders intuitiv, was natürlich auch daran liegt, dass fast ausschließlich mit dem Touchscreen gearbeitet wird. Bei aller Einfachheit der modernen Geräte sind die Lehrkräfte, vor allem die älteren Semester, in der Regel nur auf den rudimentären Umgang mit Laptops ‚spezialisiert‘. In Sachen Medienkompetenz müssen die Lehrkräfte allerdings mit gutem Beispiel vorangehen. Voraussetzung ist sowohl technisches als auch medienpädagogisches Know-how. Wie schließe ich ein modernes Tablet an den Schul-Beamer an? Welche Adapter werden benötigt? Brauche ich eine Tonausgabe? Wie erstelle ich eine Präsentation am Tablet? Wie gestalte ich sie ansprechend? Wichtig ist, dass die Lehrkraft den Schülerinnen und Schülern verdeutlicht, warum eine digitale Präsentation mithilfe der modernen Geräte sowohl sinnvoll als auch zielführend ist. Dass die Präsentation auf diese Weise gut und hip aussieht, reicht als Argument beim besten Willen nicht. Fazit Tablets und Smartphones sollten als Präsentationsgeräte im Schulunterricht eingesetzt werden. Vor allem Tablets eignen sich für die Primarstufe. Die Lehrkräfte müssen die modernen Präsentationstechniken beherrschen und mit gutem Beispiel vorangehen. <?page no="141"?> 4.3 Modulbereich C: Lehrplanorientierte Säule 141 4.3.4 Stärkung der Informatik Das Schulfach Digitalkunde versteht sich nicht als ‚Konkurrenzprodukt‘ zur Informatik. Ganz im Gegenteil: Die Digitalkunde zeigt in ihrer Interdisziplinarität auf, wie sich die fortschreitende Digitalisierung im Alltag, Schulunterricht und Berufsleben manifestiert. Beliebte Apps und Programme, die von den Kindern und Jugendlichen gerne genutzt werden, sind ohne die entsprechende Modellierung und Programmierung weder bediennoch ausführbar. In Bayern übernimmt die bisherige Informatik die Medienbildung, digitale Bildung sowie Werteerziehung. Diese Bereiche fallen zukünftig eindeutig in den Bereich des Schulfachs Digitalkunde, wodurch das Schulfach Informatik entlastet wird. Ein übergreifendes Ziel des Fachs Informatik (hier am Beispiel der gymnasialen Jahrgangsstufe 10 im Freistaat Bayern) ist dieses: Die Schülerinnen und Schüler entwickeln im Rahmen eines Projekts im Team eine Datenbank oder eine einfache Software, z. B. ein Buchungssystem oder ein einfaches Spiel. Hierbei sammeln sie erste Erfahrungen bei der Durchführung eines Datenbankbzw. eines Softwareentwicklungsprojekts. 60 Gerade dieses Lernziel, nämlich die Entwicklung von Software, Apps oder anderen Systemen, sollte in Zukunft gestärkt werden - eben auch, weil es sich um Fähigkeiten handelt, die einerseits in der Wirtschaft sehr gefragt sind und andererseits im Unterricht Spaß machen. Projektbezogene Lernziele, gerade der spielerische Umgang mit Softwareentwicklung, sollten auch Teil des Grundschullehrplans werden. Das Schulfach Digitalkunde kann diese Aufgabe im Sinne einer basalen Informatik übernehmen. Fazit Die Digitalkunde möchte das Schulfach Informatik stärken, indem die digitale Medienbildung in Zukunft in den Bereich des Schulfachs Digitalkunde fällt. Auf diese Weise soll die projekt- und anwendungsbezogene Informatik (Programmierung, Softwareentwicklung etc.) intensiviert werden, um die Schülerinnen und Schüler auf das spätere Berufsleben ideal vorzubereiten. Ob die Informatik als Schulfach eigenständig bleibt oder mit dem neuen Schulfach Digitalkunde gemeinsam eine starke Einheit bildet, entscheidet wohl letztlich die Politik. 4.3.5 Keine Hausaufgaben Hausaufgaben sind für das Schulfach Digitalkunde mit all seinen Extensionen ausdrücklich nicht vorgesehen. Der hauptsächliche Workload wird in der Schule erbracht. Freiwillige Vorarbeiten, in Form von digitalen Recherchen, sind natür- <?page no="142"?> 142 4 Digitalkunde als Vier-Säulen-Modell lich erwünscht. Warum also bekommen die Schülerinnen und Schüler keine verpflichtenden Hausaufgaben auf? Nun, aus Sicht der Medienpädagogik ist es ja gerade der pädagogisch-begleitende Unterricht in der Schule, der das Schulfach Digitalkunde so wichtig und attraktiv macht. In ihrer Freizeit können die Kinder und Jugendlichen schließlich nicht betreut werden, und die Eltern sind meist nicht hinreichend (aus-)gebildet, um dieser Aufgabe nachzukommen. Hausaufgaben könnten also dazu führen, dass die Kids beim Erledigen der Arbeitsaufträge ‚abdriften‘ und zu viel Zeit (auf falsche Weise) mit den digitalen Medien verbringen. Fazit Der kindliche Umgang mit Medien - gerade mit den digitalen - muss in jedem Fall pädagogisch betreut (nicht überwacht! ) werden. Aus diesem Grund sind für das Schulfach Digitalkunde keine Hausaufgaben vorgesehen. 4.3.6 App-Stunde und digitale Medienbetreuung Die Nachbereitung des Präsenzunterrichts findet in der Schule unter pädagogischer Betreuung und Anleitung statt. Da den Schülerinnen und Schülern keine Hausaufgaben aufgegeben werden, ist dieser Schritt besonders wichtig. Die moderne Medienpädagogik wünscht sich eine in regelmäßigen Abständen angebotene App-Stunde. In dieser Zeit haben die Teilnehmer die Möglichkeit, sach- und altersgerechte Apps zu testen. Hierfür werden nicht die privaten Smartphones oder Tablets genutzt, sondern Schulgeräte. Entsprechend ausgebildete Lehrkräfte betreuen die App-Stunde. Auf diese Weise werden die Schülerinnen und Schüler mit wichtigen Facetten der Digitalisierung vertraut gemacht, ohne dass die Gefahr besteht, auf kritische Inhalte zuzugreifen. In diesem Kontext sollte zusätzlich eine breitgefächerte digitale Medienbetreuung angeboten werden, die im besten Fall alle schul- und berufsrelevanten Elemente der Digitalisierung abdeckt. Wie ist der Ablauf einer solchen Betreuung? Zunächst wird ein moderner Medienraum benötigt. Neben Computern und Laptops sollten auch Tablets und Smartphones vorhanden sein, die zwar Schuleigentum sind, im Rahmen der Medienbetreuung jedoch genutzt werden dürfen. Im Gegensatz zur bereits skizzierten App-Stunde dient die Medienbetreuung der digitalen Recherche, Vorbereitung und Nachbereitung von Schulfächern, Medienrezeption (sowohl Unterhaltung als auch Bildung) und dem Ausprobieren von medialen Inhalten, sofern diese als pädagogisch wertvoll einzustufen sind. Die Gruppengröße sollte klein sein, damit die Schülerinnen und <?page no="143"?> 4.3 Modulbereich C: Lehrplanorientierte Säule 143 Schüler gut betreut werden. Die Idee: Im Rahmen der digitalen Medienbetreuung dürfen sich die Kids auch mit Inhalten beschäftigen (YouTube, Instagram etc.), für die sie sich in ihrer Freizeit interessieren. Die schulische Medienbetreuung gewährleistet, dass eine medienpädagogisch ausgebildete Person immer in der Nähe ist - im Gegensatz zu der Freizeit im Kinderzimmer, wo die Eltern ihrem Nachwuchs nur selten mit Rat und Tat zur Seite stehen. Fazit Der Digitalkundeunterricht sollte sich nicht nur auf lehrplanmäßige Unterrichtseinheiten beschränken, sondern auch auf die freizeitlichen Medieninteressen der Kinder und Jugendlichen eingehen. Aus diesem Grund sollte sowohl eine App-Stunde als auch digitale Medienbetreuung angeboten werden. 4.3.7 Gezielte und regelmäßige Fortbildungen für Lehrkräfte Die Schnelllebigkeit der Medien- und Digitallandschaft verlangt natürlich eine regelmäßige Beschäftigung mit der Materie. Während Privatpersonen sich diesbezüglich nach Lust und Laune ‚weiterbilden‘, müssen Lehrkräfte, die sich auf das Fachgebiet Digitalkunde spezialisieren, ganz gezielt und regelmäßig fortgebildet werden. Das impliziert, dass auf Landes- oder Bezirksebene entsprechende Digital- und Medienseminare angeboten werden müssen, an denen die Lehrkräfte teilnehmen. Sicherlich: Bereits in der Lehrerbildung an den Hochschulen müssen die entsprechenden digitalen Schlüsselkompetenzen vermittelt werden. Allerdings ändern sich die digitalen Trends ständig, weshalb regelmäßige digitale Didaktik-Updates verpflichtend sein sollten. Fazit Die Digitalisierung entwickelt sich rasant. Regelmäßige Fortbildungen für Lehrkräfte sind demnach immens wichtig. Und: Die Kinder und Jugendlichen bringen sich die digitalen Trends im Eiltempo selbst bei. Die Lehrkräfte sollten sich nicht nur mindestens genauso gut auskennen, sondern - im Gegensatz zu den meisten Kids - auch einen zielführenden medienerzieherischen Blick haben. <?page no="144"?> 144 4 Digitalkunde als Vier-Säulen-Modell 4.4 Modulbereich D: Anwendungsinnovative Säule Die anwendungsinnovative Säule gliedert sich zwar in das Schulfach Digitalkunde ein, versteht sich jedoch als besonderes Vehikel, das den außerschulpraktischen Teil des Fachs nach außen vertritt. Im Vordergrund steht die innovative und vor allem projektartige Umsetzung, um die Schülerinnen und Schüle für das Berufsleben fit zu machen. 4.4.1 Programmier- und Medien-Camps Damit die Schülerinnen und Schüler praktische Erfahrungen in einer modernen Umgebung sammeln können, sollten zukünftig Programmier- und Medien- Camps angeboten werden. Wie die Bezeichnung Camp bereits andeutet, handelt es sich um mehrtätige Exkursionen, die einerseits der digitalkundlichen Weiterbildung dienen, in ihrer Konzeption aber sehr kurzweilig sind, damit die Kinder und Jugendlichen Spaß und Freude am Mitmachen haben. Der Begriff Edutainment kombiniert Lern- und Unterhaltungseffekte gleichermaßen. Programmier- und Medien-Camps können eine obligatorische Klassenfahrt ersetzen, sollten aber wohl eher fakultativ angeboten werden, beispielsweise in den Sommerferien. Die Sinnhaftigkeit der außerschulischen Medienbildung dürfte wohl kaum angezweifelt werden, der immense Zeitfaktor allerdings schon. So wichtig Digitalkunde als Schulfach ist, die klassischen Fächer sind es schließlich auch. Wo und wie werden die Camps abgehalten? Die Idee einer digitalen Jugendherberge ist nicht neu, wenngleich sich das Prinzip noch lange nicht flächendeckend durchgesetzt hat. Mehrtägige Medien- Camps müssen eine Übernachtungsmöglichkeit für die Schülerinnen, Schüler und Lehrkräfte bieten, zusätzlich natürliche eine Küche, sanitäre Anlagen und alles was in diesem Kontext erforderlich ist und vorausgesetzt wird. Neu aber ist die hochmoderne technische Ausstattung. Je nach Bundesland sollten genug Medienherbergen verfügbar sein - beispielsweise eine Herberge pro Bezirk im Freistaat Bayern. Die möglichst zentrale und ruhige Lage macht die Medien- Camps zusätzlich attraktiv. Die Anlage benötigt verschiedene Räumlichkeiten, die medial genutzt werden können - zusätzlich einen großen Präsentationsraum. Die Medienräume sollten so ausgestattet sein, dass Videoaufzeichnungen, Schnitt und professionelle Tonaufnahmen möglich sind. Wichtig sind moderne und schnelle Computer sowie die entsprechende hochwertige Software. Auf diese Weise lässt sich das Material zielführend bearbeiten. Die Anschaffung von modernen Computern ist zudem notwendig, um die Programmier-Module abzuhalten. Deutlich wird bereits jetzt, dass ein hohes Budget erforderlich ist, das im besten Fall die Landesregierung zur Verfügung stellt. Dies sollte bei zukünftigen Haushaltsdebatten berücksichtigt werden. <?page no="145"?> 4.4 Modulbereich D: Anwendungsinnovative Säule 145 4.4.2 Schulübergreifende Großprojekte Digitalkunde als Schulfach ist als Projekt mindestens auf Landesebene gedacht, eher auf Bundesebene. In der Pilotphase kommen zwar nur einige wenige Schulen in den Genuss des neuen Fachs, langfristig ist allerdings ein flächendeckendes Angebot geplant. Aus diesem Grund bieten sich schulübergreifende Projekte an, die möglicherweise sogar schulartenübergreifend sein könnten. Gerade im Bereich digitale Demokratie sollten entsprechende Großprojekte vorangetrieben werden: Mögliche Großprojekte könnten sein:  Digitale Online-Parlamente (Sekundarstufe I und II)  Digitale Diskussionsplattformen (ggf. im Intranet)  Schulklassen stellen sich anderen Schulklassen vor (Intranet)  Demokratische Entscheidungen diskutieren und abstimmen  Digitaler Kreativitätsaustausch Schulübergreifende Großprojekte im Bereich Digitalkunde dienen dem Wissenstransfer, wobei die Interaktion zwischen den Schülerinnen und Schülern der jeweiligen Schulen maßgeblich ist. Gerade das digitale Erleben von Demokratie wird im bisherigen Schulunterricht mehr als nur vernachlässigt - obwohl die Kinder und Jugendlichen täglich mit anderen Menschen über das Internet interagieren, Meinungen austauschen und diskutieren. Gerade der digitale Austausch von Meinungen führt oftmals zu Konflikten, weil die Hemmschwelle - die in Face-to-Face-Situationen eher vorhanden ist - zu fehlen scheint. Der interschulische Austausch via Internet sensibilisiert die Schülerinnen und Schüler für diese Problematik, zeigt jedoch auch die Chance auf, die der digitale Austausch evoziert. Wenn talentierte Jugendliche, die programmieren und Apps schreiben können, die Möglichkeit haben, ihre Ideen mit Gleichaltrigen im ganzen (Bundes-)Land zu teilen, sollte dies in jedem Fall gefördert werden. Die Digitalisierung ermöglicht einen solchen Austausch über spezielle Online-Plattformen, welche vom Bildungssystem zur Verfügung gestellt werden sollten. Digitale Online-Parlamente für Jugendliche sind eine gigantische Chance, denn es könnte der Weg vom fiktiven Parteieintritt bis zur Jugendwahl simuliert werden. Ein solches Großprojekt könnte über ein ganzes Schuljahr laufen, damit die Teilnehmer die Gelegenheit haben, eigene Wahlprogramme zu formulieren. Egal, wie sich dieses Projekt praktisch realisieren lässt: <?page no="146"?> 146 4 Digitalkunde als Vier-Säulen-Modell Eine ganz wichtige Prämisse des Digitalkundeunterrichts ist die Weiterentwicklung des Demokratieverständnisses - besonders im Zeitalter der Sozialen Medien. Die Demokratieförderung sollte sich natürlich nicht nur auf politische Diskussionen fokussieren, sondern auch auf den Austausch privater, alltäglicher Meinungen, wie es in den Sozialen Medien, Online- Spielen, Dating-Plattformen und anderen Netzwerken zumeist üblich ist. 4.4.3 Kooperationen mit der Wirtschaft Digitalkunde als Schulfach hat viele wichtige Ziele. Während Pädagogen vor allem die digitale Medienerziehung in den Fokus des neuen Schulfachs rücken, setzen Vertreter aus der freien Wirtschaft auf die Vermittlung von Kompetenzen, die sich im späteren Berufsleben sofort bemerkbar machen: Programmierkenntnisse, digitale Textkompetenz, Umgang mit Apps und Analyse-Tools, Social-Media-Kniffe und Erfahrungen im Bereich Suchmaschinenoptimierung (SEO). Der neue Digitalkundeunterricht berücksichtigt den Wunsch der Wirtschaft und gestaltet den schulpraktischen Unterricht so praxistauglich wie möglich. Dennoch ist es ein großer Unterschied, ob Kenntnisse im schulischen oder betrieblichen Umfeld erlernt und angewendet werden. Betriebliche Kooperationen, die mit der digitalkundlichen Bildung korrelieren, sind von normalen Schulpraktika strikt zu unterscheiden. Das Ziel ist nicht, dass die Schülerinnen und Schüler ein Unternehmen für ein paar Tage ‚beschnuppern‘, Kopien anfertigen und den Mitarbeitern über die Schulter schauen. Tatsächlich gibt es Jugendliche, die auch ohne Digitalkundeunterricht in Sachen digitale Medien höchst kompetent sind, weil sie sich die Fähigkeiten aus Eigenantrieb selbst aneignen. Hierzu soll das folgende Beispiel angeführt werden: Bereits im Januar 2019 berichten die deutschen Qualitätsmedien über den damals 15-jährigen Charles Bahr. Zu diesem Zeitpunkt geht Charles in die zehnte Klasse. Er leitet außerdem eine Marketingagentur und ist sehr gefragt. „Andere spielen Fußball, ich mache eben Social Media“ 61 , sagt Bahr gegenüber „Zeit Online“. Im Sommer 2019 ist Charles Bahr 16 Jahre alt. Im „Hamburger Abendblatt“ wird der Shooting-Star wie folgt zitiert: „Wir machen Werbung für die Zielgruppe, die wir selber sind.“ 62 Natürlich sollten Jugendliche aus Sicht der (verantwortungsvollen) Medienpädagogik nicht direkt ihre eigene Agentur starten, doch das Beispiel um Charles Bahr zeigt wunderbar, wie erfolgreich und glaubwürdig junge Menschen sind - denn sie kennen die junge Zielgruppe perfekt. Der gute Digitalkundeunterricht mit seinen mannigfaltigen und zugleich innovativen Unterrichtseinheiten berei- <?page no="147"?> 4.4 Modulbereich D: Anwendungsinnovative Säule 147 tet die Schülerinnen und Schüler auf die Berufswelt vor. Und nicht nur das: Der gewonnene Input im Unterricht sollte frühzeitig nach außen getragen werden, um außerschulpraktische Erfahrungen zu sammeln. Kooperiert werden könnte mit Social-Media-Agenturen und Startups. Doch auch Behörden und alteingesessene Betriebe brauchen Hilfe im Bereich Digitalisierung und Soziale Medien. Teenager, die diesbezüglich gut ausgebildet sind, könnten beratend zur Seite stehen. Ebenso ist es überlegenswert, interessierte Unternehmen in die Schule einzuladen, um den digitalen Ideen der Schülerinnen und Schülern zu lauschen. Fazit Digitalkunde als Schulfach sollte auch außerhalb der Schule stattfinden. Das allerdings nicht in Form einer passiven Hospitation, sondern aktiv, indem erworbene Kompetenzen angewandt werden. <?page no="149"?> 5 Digitalkunde als schulpädagogische Idee Es klingt natürlich verlockend, ein sowohl innovatives als auch dringend benötigtes Schulfach Digitalkunde ‚einfach so‘ einzuführen. Beim genaueren Hinschauen und den damit verbundenen Überlegungen - seien sie medienpädagogisch, politisch oder einfach nur reflektierend - ergeben sich einige Punkte, die beachtet werden sollten. Im Gegensatz zu klassischen Schulfächern, in denen die Schülerinnen und Schüler auf einem (mehr oder weniger) ähnlichen Niveau starten, können die digitalkundlich-medienkompetenten Fähigkeiten bereits im Alter von sechs Jahren sehr hoch ausgeprägt sein - oder im Alter von 13 Jahren so gut wie gar nicht. Es gibt durchaus Eltern, die ihrem Kind gar nicht oder nur selten ein Smartphone in die Hand drücken (vielleicht für Notfälle oder kleine Recherchen). Das ist eigentlich vernünftig, aber auch nur eigentlich, weil diese Kinder im technischen Umgang mit den digitalen Medien langfristig Nachteile haben könnten. Wohlgemerkt: Medienkompetenz umfasst nicht nur Medienkritik und Medienkunde, sondern die instrumentell-qualifikatorische Dimension, in gewisser Weise also das Medienhandeln, das sich rezeptiv, interaktiv oder gestalterisch manifestiert. Kinder und Jugendliche, die bestens aufgeklärt sind und alle Gefahren, Risiken und Vorteile der digitalen Medien kennen, sind also vielleicht gar nicht in der Lage, dieses Wissen schul-, alltags- oder berufspraktisch zu nutzen. Und dann gibt es natürlich den umgekehrten Fall: Die Kids sind in den digitalen Welten umtriebig unterwegs, bekommen hunderte Likes für ihre Bilder, basteln und programmieren kleine Webseiten, nutzen alle sozialen Netzwerke gleichzeitig - aber ihr Medienverhalten ist nicht achtsam, weil sie persönliche Daten an die falschen Leute weitergeben, unbedacht halbnackte Bilder verschicken oder einfach in einen digitalen Rausch verfallen. Das kann natürlich auch Erwachsene betreffen, was wieder mal zeigt, dass Elternteile nicht unbedingt als Vorbilder fungieren. So schließt sich der Kreis und die Forderung nach einem Schulfach Digitalkunde wird lauter und eindringlicher als sowieso schon. 5.1 Schularten und Jahrgangsstufen Da es in Deutschland 16 Bundesländer gibt, kann das Schul- und Bildungssystem von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich sein. Die Lehrpläne haben unterschiedliche Schwerpunkte und Fächerangebote, und auch die Abschlussprüfungen unterscheiden sich stark. Das wirft bereits die erste Frage auf: Muss das Fach Digitalkunde von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich konzipiert sein? Aus medienpädagogischer Sicht ist das keineswegs nachvoll- <?page no="150"?> 150 5 Digitalkunde als schulpädagogische Idee ziehbar, aus politischer Sicht hingegen vielleicht schon. Immerhin stützen sich die Schulformen auf die Primarstufe, Sekundarstufe I und Sekundarstufe II. In diesem Kapitel soll es gar nicht darum gehen, ob das Schulfach Digitalkunde in der Sekundarstufe I und II relevant ist oder nicht. Aus medienpädagogischer Sicht steht fest, dass das Schulfach Digitalkunde spätestens ab der 5. Klasse durchgängig angeboten werden sollte. Wie aber verhält es sich mit Digitalkunde bereits in der Grundschule? Die Vor- und Nachteile werden im Folgenden dargestellt. 5.1.1 Digitalkunde in der Grundschule Die Vorstellung, dass sechsjährigen Mädchen und Jungen in der Schule ein Smartphone in die Hand gedrückt wird, um damit im Schulunterricht zu arbeiten, wird einigen Eltern, Pädagogen und verantwortlichen Politikern nicht gefallen. Es gibt allerdings auch viele Befürworter, was zeigt: Die Digitalisierung des Klassenzimmers polarisiert. Zunächst soll erläutert werden, was dagegen sprechen könnte. 5.1.1.1 Was dagegen spricht Digitalkunde als Schulfach verschlingt nicht nur finanzielle und personelle Ressourcen, sondern bringt auch einen umfangreichen Workload in den Schulunterricht. Das Lehr- und Lernpensum erhöht sich folglich, was eine Belastung für die Schülerinnen und Schüler darstellt. Zu viel schulischer Input Zu viel schulischer Input hat mindestens zwei Konsequenzen. Erstens müsste der Umfang des wöchentlichen Stundenplans erweitert werden, wodurch die Schülerinnen und Schüler der Primarstufe doch sehr früh - im Prinzip viel zu früh - mit den Gepflogenheiten der Leistungsgesellschaft in Berührung kämen. Ein zusätzlicher Nachmittags- oder gar Wochenendunterricht ist nicht erstrebenswert. Zweitens müssten andere Fächer abgespeckt oder in Zukunft gar nicht mehr berücksichtigt werden. Allerdings: Digitalkunde als Schulfach ist so konzipiert, dass es andere Fächer inhaltlich, fachdidaktisch und methodisch entlastet. Vor allem im Bereich der Primarstufe sollte dies möglich sein. Digitalisierung vs. Wertevermittlung Die Vermittlung von Werten - beispielsweise die Ausbildung des Demokratieverständnisses - ist ein wichtiger Teil der Schulbildung. Im Zuge der Digitalisie- <?page no="151"?> 5.1 Schularten und Jahrgangsstufen 151 rung wird immer wieder darauf hingewiesen, dass die Wertevermittlung gerade im digitalen Zeitalter besonders intensiviert werden müsse. Kurios kommt eine Idee aus dem Freistaat Bayern daher, die das Kartenspiel Schafkopf auf den Stundenplan bringen möchte; natürlich nicht als digitale Kartenspiel-App, sondern in seiner traditionellen Form. „Schüler könnten mit dem Kartenspiel unter anderem mathematische, soziale und strategische Kompetenzen erlernen“, schreibt die Passauer Neue Presse am 27. Dezember 2018. 63 Ziel dieser Initiative sei es außerdem, dass das Kartenspiel in digitalen Zeiten wieder mehr an Bedeutung gewinne (vgl. ebd.). Der Internet-Slang mit seinen jugendsprachlichen Kreationen und kryptischen Abkürzungen spiegelt natürlich nicht die traditionelle Wertevermittlung wider - obgleich die digitale Kommunikation unter Jugendlichen sehr wohl als kreativer Sprachwandel-Prozess zu verstehen ist. Dennoch: Die Auseinandersetzung mit den digitalen Medien, das betrifft auch die medienpädagogische Auseinandersetzung im Sinne von Medienkritik, kann natürlich immer zur Folge haben, dass die Kinder und Jugendlichen auch mal mit Inhalten konfrontiert werden, deren Gehalt nicht sinnhaft erscheint (und seien es ‚lustige‘ Tiervideos, in denen die Tiere eine Treppe herunterfallen). Allerdings: Ein guter Digitalkundeunterricht zeichnet sich nun einmal dadurch aus, dass auch kritische Medieninhalte besprochen oder zumindest tangiert werden, damit sowohl Medienkunde als auch Medienkritik möglichst frühzeitig ausgebildet werden. Fehler bei der Vermittlung von Medienkompetenz Welche Inhalte im Fach Digitalkunde eignen sich überhaupt für Grundschüler? Und wie funktioniert das spielerische Lehren und Lernen richtig? Gerade in der Pilot- und Anfangsphase dürften hier Unsicherheiten auftreten, die letztlich die Unterrichtsqualität beeinflussen: Die Fehlerquote der Lehre steigt, und es kommt zu Fehlern bei der Vermittlung von Medienkompetenz. Allerdings: Gerade die Befürchtung, es könnten Fehler bei der Vermittlung von Medienkompetenz auftreten, macht ja deutlich, dass ein professionell gestaltetes Schulfach Digitalkunde dringend notwendig ist. Konflikte mit Erziehungsberechtigten Konflikte mit Erziehungsberechtigten sind bei Neuerungen, die das Schulsystem betreffen, vorprogrammiert und kein neues Phänomen. Viele Eltern werden natürlich mit Argusaugen beobachten, auf welche Weise und mit welchen Ar- <?page no="152"?> 152 5 Digitalkunde als schulpädagogische Idee beitsgeräten (Smartphones, Tablets etc.) Digitalkunde vermittelt wird. Eine transparente Aufklärungspolitik ist demnach besonders wichtig. Allerdings: Das Schulfach Digitalkunde soll ja gerade eingeführt werden, weil vielen Erziehungsberechtigten die Vermittlung von Medienkompetenz nicht zugemutet werden kann und vor allem darf. Digitale Einstiegsdroge Alkopops und Zigaretten: (Einstiegs-)Drogen wie diese werden in der Gesellschaft durchaus ernst genommen. Die Präventionsarbeit ist gigantisch, und die Negativfälle wie ‚Komasaufen‘ sind belegt. Das Handy respektive Smartphone hat in vielen Kreisen noch immer den Ruf, vorrangig ein Telefon mit schlichter SMS-Funktion zu sein. Die gute alte SMS ist allerdings mehr oder weniger tot und mit ihr stirbt allmählich auch das Verb simsen, das den Versand der 160 Zeichen in einem Wort knackig zusammenfasst(e). 64 Freilich, mit SMS und Telefon-Funktion kann genug Schabernack getrieben werden (Telefonstreiche etc.). Es sind jedoch vermutlich am wenigsten diese beiden Funktionen, die das Smartphone aus heutiger Sicht so gefährlich und unberechenbar machen. Forscher, Krankenkassen und Mediziner schlagen bereits Alarm und „ziehen Vergleiche zu Nikotin und Alkohol“ 65 . Journalisten sprechen vom „gehackte[n] Gehirn“ (ebd.). Smartphone-Sucht, die natürlich stark mit der bereits bekannten Internet-Sucht (inkludiert auch Gaming-Sucht) korreliert, gilt als belegt, zumal das Smartphone aufgrund seiner Multifunktionalität viele Suchtfaktoren miteinander vereint. Spitz formuliert: Sollten die Kinder in der Grundschule tatsächlich mit der Einstiegsdroge Smartphone in Berührung kommen? Könnte das nicht dazu führen, dass die Kinder auch im Alltag erst recht ein solches Gerät besitzen möchten? Allerdings: Digitalkunde als Schulfach dient im Besonderen der Prävention und hat die Aufgabe, einen vernünftigen und zielführenden Umgang mit den digitalen Medien zu vermitteln. Die moderne Medienpädagogik wünscht sich, dass sich das auf den medialen Alltag der Kinder auswirkt, damit sie die Chancen und Risiken eigenständig einschätzen können. 5.1.1.2 Was dafür spricht Neben den Kritikpunkten, die durchaus reflektiert werden sollten, gibt es natürlich sehr viele Argumente, die das Schulfach Digitalkunde befürworten. Fürspre- <?page no="153"?> 5.1 Schularten und Jahrgangsstufen 153 cher finden sich nicht nur im Bereich der Bildung, sondern auch - vielleicht sogar vor allem - in Politik und Wirtschaft. Vorbereitung auf das digitale Zeitalter Das digitale Zeitalter, dabei handelt es sich durchaus um einen höchst unpräzisen Begriff, hat für einige Menschen bereits vor Jahren begonnen, befindet sich für andere wiederum gerade jetzt auf dem Höhepunkt, geht für viele Experten erst in einigen Jahren so richtig los. Bedrohliche Vorfälle, wie beispielsweise der gigantische Cyberangriff auf deutsche Politiker im Januar 2019, zeigen, dass das Thema Datenschutz sehr wichtig ist - und dass eine aktive Teilnahme in den sozialen Netzwerken mehr denn je hinterfragt werden sollte. Die digitalen Medien, vielmehr die persönlichen Vernetzungen, bringen aber auch sehr viele Vorteile mit sich, aus denen sich langfristig echte Freundschaften oder gewinnbringende Geschäftskontakte und andere Kooperationen entwickeln können. Erste Kontaktaufnahmen erfolgen häufig via Messenger und E-Mail. Gerade bestimmte Berufsgruppen sollten zudem im Internet auffindbar sein (Fotografen, Musiker, Buchautoren, Finanzdienstleister etc.). Es scheint, als böte die Digitalisierung 100.000 Gefahren und 500.000 Chancen - vielleicht auch umgekehrt, denn das hängt nun einmal mit der Art und Weise der digitalen Mediennutzung zusammen. Deshalb: Digitalkunde als Schulfach soll die Facetten der Digitalisierung ordnen und ein hilfreicher Wegbereiter, ja ein Freund, für die Schülerinnen und Schüler sein. Es entsteht ein roter Faden, der Licht ins digitale Dunkel bringt. Gerade in der Grundschule sollte die Vorbereitung auf das digitale Zeitalter sehr behutsam durchgeführt werden. Digitale Skills für das Berufsleben Für die Schülerinnen und Schüler der Grundschule ist das Berufsleben zunächst noch sehr weit entfernt. Bereits ab 13 sind mit Einwilligung der Eltern leichte Aushilfstätigkeiten erlaubt. Solche Tätigkeiten können natürlich auch im digitalen Bereich liegen. Die Aufbesserung des Taschengelds betrifft die Zeit in der Grundschule zwar nicht, allerdings sollten in dieser Phase die ersten digitalen Fähigkeiten gelehrt und gelernt werden, die später auch im Berufsleben vorausgesetzt werden. Die optimale Vorbereitung auf den Arbeitsmarkt ist eine gewichtige Forderung aus Politik und Wirtschaft. Sicherlich gilt es abzuwägen, welche Inhalte bereits in der Grundschule zu vermitteln sind. Denkbar sind basale Programmierkenntnisse, crossmediale Zusammenhänge und die Arbeit mit digitalen Daten und Bildern. <?page no="154"?> 154 5 Digitalkunde als schulpädagogische Idee Deshalb: Das Schulfach Digitalkunde muss in der Grundschule zwar vorrangig medienerzieherisch wirken, sollte die Schülerinnen und Schüler allerdings auch auf das spätere Berufsleben vorbereiten. Vor allem die Wirtschaft fordert das intensive Unterrichten von Programmiersprachen bereits in der Primarstufe. Die Medienpädagogik sieht das kritisch. Digital- und Achtsamkeitstraining Es macht den Schulunterricht so spannend, dass viele unterschiedliche Kinder aus unterschiedlichen Verhältnissen zusammen- und aufeinandertreffen. Die einen haben ihr Smartphone schon in der Hosentasche und sind die Helden, weil sie in der Pause und nach der Schule Handyspiele zocken. Die anderen verbringen ihre Zeit lieber mit Fußball, Tischtennis oder lustigen Gesprächen - auch deshalb, weil die Eltern ihr Kind zuhause vor dem Digitalisierungswahn schützen und kein Smartphone zur Verfügung stellen. Das heißt allerdings noch lange nicht, dass die ‚behüteten Kinder‘ nicht im Sportverein oder bei Freunden auf ein Smartphone zugreifen, um die neuesten Apps auszuprobieren. Es ist aus medienpädagogischer Sicht die Grundforderung, das Schulfach Digitalkunde ganz bewusst als Digital- und mediales Achtsamkeitstraining zu gestalten. Die einzige Frage, die sich stellt: Ab wann, also in welchem Alter, soll das professionelle Digitaltraining in den Schulunterricht eingeführt werden? Klar ist, dass einige Kinder ein solches Training ganz besonders benötigen, es deshalb auch die Aufgabe der Schulen sein sollte, ihre Schülerinnen und Schüler digitalmedial auszubilden. Deshalb: Digitalkunde als Digital- und Achtsamkeitstraining betrifft alle Schülerinnen und Schüler gleichermaßen, egal ob sie privat ein Smartphone besitzen oder nicht. Hinzu kommt: Es ist davon auszugehen, dass auch die Grundschulen zukünftig mit entsprechenden Arbeitsgeräten respektive Smartphones und Tablets etc. ausgestattet werden. Spätestens dann gilt wohl im Star-Trek-Jargon: Widerstand ist zwecklos! Gleicher Stand für alle Ein verpflichtender Digitalkundeunterricht bringt alle Schülerinnen und Schüler der Primarstufe auf den gleichen Stand. In der Grundschule werden folglich elementare Digital-Grundlagen unterrichtet, deren Vermittlung das Ziel hat, dass die Kinder für den Digitalkundeunterricht ab der Sekundarstufe I (in der Regel 5. Klasse ff.) gewappnet sind. Die Logik dieses Argumentationsmuster <?page no="155"?> 5.1 Schularten und Jahrgangsstufen 155 wird deutlich, wenn man einen Blick auf die klassischen Hauptfächer wie Mathematik wirft. In der ersten Klasse ist das Publikum bunt gemischt. Da sind die Mathe-Asse, die Bemühten, die Mitläufer und die vermeintlichen Loser. Sind die guten Schüler wirklich intelligenter? Oder haben sie vielleicht schon entsprechende Vorkenntnisse durch das soziale Umfeld oder die Vorschule? Das Gleiche gilt für das Fach Deutsch: Einige Eltern lesen gemeinsam mit ihren Kindern, andere nicht. Das Schulfach Digitalkunde ist zwar kein soziales Auffangfach, bietet jedoch die Möglichkeit, alle Schülerinnen und Schüler, egal, welches Vorwissen sie haben und welche Arbeitsgeräte ihnen aus Privatmitteln zur Verfügung stehen, auf das digitale Zeitalter vorzubereiten. Deshalb: Das Schulfach Digitalkunde bringt die Schülerinnen und Schüler auf den gleichen Stand. Das ist einerseits wichtig für die digitale Mediennutzung im Alltag. Noch wichtiger aber ist: Der Digitalkundeunterricht zieht erst ab der Sekundarstufe I richtig an. Aus medienpädagogischer Sicht ist es notwendig, dass die Kinder und Jugendlichen spätestens ab der Sekundarstufe I auf dem gleichen Stand sind. Kinder erkennen Gefahren in der Freizeit Unabhängig vom Medienalltag in der Schule, der ja nur einen Bruchteil des Alltags ausmacht, ist es von Vorteil, wenn die Kinder auch in ihrer Freizeit ein Gespür für digitale Medien und deren Risiken und Gefahren entwickeln. Selbst wenn die Kids kein eigenes Smartphone oder Tablet besitzen, hat vielleicht der große Bruder oder die große Schwester ein solches Gerät - oder Freunde in der Clique, möglicherweise die coolen, die dann auch mal ein Gewaltvideo oder einen Porno zur Schau stellen. Im Digitalkundeunterricht betreut eine speziell ausgebildete pädagogische Fachkraft die Schülerinnen und Schüler. Die Kinder werden also in ihrem medialen Tun begleitet. Wichtig ist, dass sich die Kinder ebenfalls in ihrer Freizeit begleitet fühlen, demzufolge ein erlerntes und konditioniertes Medienverhalten abrufen können, das - ähnlich wie die ‚Ernährungsampel‘ - vor möglichen Gefahren warnt oder eben grünes Licht zur Mediennutzung bzw. Medienrezeption gibt. Deshalb: In Bayern gibt es bereits den Medienführerschein für Kinder und Jugendliche. Deutlich professioneller und nachhaltiger ist das Schulfach Digitalkunde, das die Schülerinnen und Schüler über mehrere Jahre beglei- <?page no="156"?> 156 5 Digitalkunde als schulpädagogische Idee tet und ausbildet. Bereits in der Grundschulphase ist es wichtig, mediale bzw. digitale Gefahren auch abseits der Schule (Freizeit, Familie etc.) zu erkennen. 5.1.2 Förderschulen Bei der Planung des Schulfachs Digitalkunde sollten in jedem Fall die Förderschulen berücksichtigt werden. „Förderschulen diagnostizieren, erziehen, unterrichten, beraten und fördern Kinder und Jugendliche, die der sonderpädagogischen Förderung bedürfen.“ 66 Der sonderpädagogische Förderbedarf wird im Rahmen eines Gutachtens festgestellt. Danach entscheidet die Schulleitung über die Aufnahme. Der sonderpädagogische Förderbedarf ist sehr vielfältig, weshalb verschiedene Förderschularten mit verschiedenen Schwerpunkten existieren (z.B. Förderschwerpunkte Sehen, Hören, Sprache, körperliche und motorische Entwicklung, geistige Entwicklung, Lernen oder emotionale und soziale Entwicklung). Gerade die emotionale und soziale Entwicklung findet mehr und mehr in digitalen Welten und sozialen Gruppen statt, in denen vorrangig via Internet kommuniziert und miteinander agiert wird. Soziale Kreise werden zu digitalen Kreisen, aus deren Kreuzung sich die Persönlichkeit sukzessive heranbildet. Der Aufenthalt in sozialen Online-Gruppen gewinnt durch Online-Spiele, Social Media und andere Formen der Selbstverwirklichung immer mehr an Attraktivität und Relevanz. Die sonderpädagogische Fachlichkeit, die Förderschulen ja auszeichnet, sollte sich im Digitalkundeunterricht maßgeschneidert widerspiegeln. Wichtig! Ähnlich wie Sonderpädagogik einen eigenen Studiengang darstellt, ist auch „Digitalkunde an Förderschulen“ ein eigenes Fach- und Spezialgebiet. Die Digitalkunde-Lehrkräfte sollten deshalb dahingehend spezifisch ausgebildet werden. 5.2 Digitalkunde mit wählbaren Schwerpunkten Die inhaltliche Breite und das mediensowie fachdidaktische Innovationspotenzial, das mit dem Schulfach Digitalkunde einhergeht, evoziert die Schlussfolgerung, dass bestimmte Unterrichtseinheiten unbedingt unterrichtet werden sollten, andere Unterrichtseinheiten hingegen unterrichtet werden könnten. Somit gibt es obligatorische und fakultative Einheiten. Da die gesamte Palette insgesamt sehr <?page no="157"?> 5.3 Digitalkunde als modularisiertes Unterrichtsmodell 157 groß ist (und nicht nur das, sie scheint auch, täglich zu wachsen), ist zu überlegen, ob wählbare Schwerpunkte angeboten werden sollten. So wie es im Abitur Wahlaufgaben gibt, könnten auch im Schulfach Digitalkunde fakultative Unterrichtseinheiten und Module zur Auswahl gestellt werden. Im Hochschulbetrieb gibt es die so genannten ECTS - das steht für European Credit Transfer System. Hierbei handelt es sich um Leistungspunkte, die mit der Aufwandshöhe der einzelnen Veranstaltungen in Zusammenhang stehen. Die ECTS korrelieren nicht nur mit der Präsenzzeit, sondern auch mit der Vorbereitung (Lektüre, Recherche etc.) und Nachbereitung bzw. dem Verfassen einer Hausarbeit. Im Bereich Digitalkunde als Schulfach könnte ähnlich verfahren werden. Die obligatorischen Einheiten und Module stehen fest, die fakultativen Einheiten und Module dürfen frei gewählt werden, was impliziert, dass ein großer ‚Modul- Pool‘ zur Verfügung stehen muss. Aus diesem Pool werden letztendlich nur einige Module gewählt, die in ihrer Gesamtheit einer behördlich geregelten Aufwandshöhe entsprechen. Jedem Modul sollten folglich Leistungspunkte zugeordnet werden, damit ersichtlich ist, wie hoch der tatsächliche Aufwand ist. Dieses Vorgehen ermöglicht einen einheitlichen Workload. Wichtig! Wer entscheidet, welche Wahlmodule gewählt und schulpraktisch unterrichtet werden? Die Regierung? Die Schulbehörde? Die Schulleitung? Die Lehrer? Oder gar die Schüler? Die Beantwortung dieser Fragen ist spannend - und mutig. Sollten die Schulen die Hoheit haben, könnten Module und Unterrichtseinheiten priorisiert werden, die zum Schulprofil passen oder zu medialen Schulprojekten. 5.3 Digitalkunde als modularisiertes Unterrichtsmodell Im Zuge der Realisierung eines europäischen Hochschulraums, auch bekannt als Bologna-Prozess, wurden die neuen Bachelor- und Master-Studiengänge modularisiert. Die Modularisierung hat beispielsweise den Vorteil, dass die Struktur des Studiengangs für geschulte Augen direkt ersichtlich ist, was vor allem dann hilfreich ist, wenn es um die Anerkennung von erbrachten Leistungen (v.a. im Ausland) geht. Die Modularisierung verleiht dem Studiengang zudem Struktur. <?page no="158"?> 158 5 Digitalkunde als schulpädagogische Idee Leistungspunkte und Noten Digitalkunde als Schulfach verlangt ebenfalls eine solche Modularisierung. Die Modulstruktur erhöht nämlich nicht nur die Übersichtlichkeit, sondern gewährleistet einen konsekutiven Aufbau der verschiedenen Module und Unterrichtseinheiten. Auf diese Weise kann mithilfe eines kommentierten Modulkatalogs festgehalten werden, in welcher Reihenfolge die Module absolviert werden sollten. Der kommentierte Modulkatalog bietet zudem die Möglichkeit, die Module bzw. Unterrichtseinheiten direkt mit den zu erwartenden Leistungspunkten zu versehen. Die Schulen und Lehrkräfte können daraus ableiten, wie hoch der tatsächliche Workload (Vorbereitung, Unterricht, Nachbereitung) sein sollte. Die positive Konsequenz: Der schulübergreifende Digitalkundeunterricht ist in seiner Intensität fair und einheitlich strukturiert. Die Erbringung von Leistungspunkten - ein Basismodul sollte erst abgeschlossen sein, bevor das Schwerpunktmodul absolviert wird - hat den Vorteil, dass die klassischen und teils umstrittenen Schulnoten obsolet sind. Das aber soll nicht bedeuten, dass die Schülerinnen und Schüler nur anwesend sein müssen, ohne etwas zu leisten. Die regelmäßige Teilnahme am Unterricht ist verpflichtend. Je nach Klassenstufe eignen sich Präsentationen und Hausarbeiten als ‚Studiennachweis‘. Gilt die mündliche Mitarbeit, Präsentation oder Hausarbeit als bestanden, werden die Leistungspunkte erteilt. Anders verhält es sich mit Schwerpunktmodulen, die in gewisser Weise zugleich Prüfungsmodule sind. Diese sollten benotet werden. Das gilt weniger für die Primarstufe, sondern vor allem für die Sekundarstufe I und im Besonderen für die Sekundarstufe II. Unterschiedliche Jahrgangsstufen lernen gemeinsam Die Schülerinnen und Schüler sind aufgrund ihrer Primärsozialisation unterschiedlich aufgewachsen, was sich beispielsweise in der individuellen Medienerziehung und Medienkompetenz widerspiegelt. Grundsätzlich stellt sich also die Frage, wie viel Sinn es macht, Kinder und Jugendliche, deren Medienkompetenz unterschiedlich ausgeprägt ist, im Schulunterricht zusammenzuführen. Die medienaffinen Kids wären ihren Klassenkameraden überlegen, wenngleich der Mix besonders für Gruppenarbeiten interessant sein dürfte. Auf diese Weise könnten sich die Schülerinnen und Schüler gegenseitig das digitale Handwerkzeug beibringen, indem sie in der analogen Welt miteinander kommunizieren (etwas, das in digitalen Welten verlorengeht). Neben der Medienkompetenz wird also auch die Sozialkompetenz geschult. Es gibt jedoch auch noch eine ganz andere Überlegung. Unterschiedliche Jahrgangsstufen finden sich in den Modulen und Unterrichtseinheiten des Schulfachs Digitalkunde gemeinsam ein. Das funktioniert so: Kinder der 1. und 2. Klasse besuchen beispielsweise eine einführende Unterrichtseinheit zum Thema <?page no="159"?> 5.3 Digitalkunde als modularisiertes Unterrichtsmodell 159 „Soziale Medien“. Im Bereich Medienproduktion, es könnte sich um eine Unterrichtseinheit zum Thema „Digitale Fotobearbeitung“ handeln, sollten Kinder und Jugendliche der 5. und 7. Klasse ebenfalls gemeinsam unterrichtet werden, sofern deren Kenntnisse ähnlich sind. Aber! Wie lässt sich zuverlässig herausfinden, ob Fünft- und Siebtklässler tatsächlich auf dem gleichen (Digital-)Niveau sind? Sicherlich, es gibt die Möglichkeit eines Wissenstest etc. Das allerdings ist mit viel Aufwand verbunden und würde nicht nur die Schülerinnen und Schüler zeitlich belasten, sondern auch die sowieso schon eingespannten Lehrkräfte. Dennoch sollte diese Möglichkeit diskutiert werden. Einheitliche Medienerziehung in Deutschland Die Erstellung eines kompletten Digitalkunde-Modulkatalogs für die Primarstufe, Sekundarstufe I und Sekundarstufe II hat das Potenzial, nicht nur landesweit, sondern bundesweit zu gelten. Alle Bundesländer würden davon profitieren und könnten den Katalog als Vorlage für die Planung des schulpraktischen Unterrichts einsetzen. Das ermöglicht eine einheitliche Medienerziehung in ganz Deutschland. Es ist zu empfehlen, die verschiedenen Modulbezeichnungen sehr allgemein zu formulieren und inhaltlich zu beschreiben. Das gibt den teilnehmenden Bundesländern die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, wie die Unterrichtseinheiten, die den Modulen untergeordnet sind, betitelt werden. Eine Innovation wie das Schulfach Digitalkunde ist allerdings Prestigesache. In anderen Worten: Es ist davon auszugehen, dass einige Bundesländer in der Sache vorpreschen werden. Das ist gut, weil die digitale Medienerziehung auf diese Weise zeitnah angestoßen wird. Allerdings: Wenn nun alle Bundesländer einen eigenen Lehrplan entwerfen, führt das zu einer Fragmentarisierung. <?page no="161"?> 6 Das Vier-Phasen-Modell Das Schulfach Digitalkunde ist dringend notwendig und aus medienpädagogischer Sicht unbedingt zu befürworten. Dennoch benötigt die Etablierung eines solchen umfangreichen und komplexen Fachs, dessen Inhalte sich aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung regelmäßig ändern dürften, eine aussagekräftige Pilotphase. Vorgeschlagen wird ein vierstufiges Modell, das sich über einen Zeitraum von 24 Monaten erstreckt. Das Modell besteht aus vier Phasen: Konzeptionsphase (1), Erprobungsphase (2), Evaluationsphase (3) und Praxisphase (4). Die Modellstruktur ermöglicht aufgrund der 24-monatigen Laufzeit und verschiedener Feedbacks eine regelmäßige Selbstreflexion. Das genaue Konzept wird auf den folgenden Seiten genauer erläutert und exemplifiziert. 6.1 Konzeptionsphase In der Konzeptionsphase sollen Lehr- und Lernmaterialien für die erste Erprobungsphase erstellt werden. Bildung ist in Deutschland Ländersache. In Sachen schulpraktische Einheitlichkeit ist das natürlich von Nachteil, allerdings hat dieser Umstand den Vorteil, dass liquide Bundesländer wie Bayern, die die Umsetzung des digitalen Klassenzimmers aus politischen Gründen sowieso vorantreiben, eine Vorreiterrolle einnehmen wollen oder vielmehr sollten. Klar ist, dass das Projekt Digitalkunde Geld kostet. Es handelt sich um eine Investition, die sich mittel- und langfristig auszahlt. Dennoch: Das Projekt, in diesem Fall die in diesem Kapitel beschriebene Pilotphase, benötigt eine ministerielle Förderung und die Einholung von weiteren Drittmitteln. Leider mahlen die Mühlen der Verwaltung meist sehr langsam, also wäre es wünschenswert, wenn der Antragsprozess durch Vor- und Zuschüsse beschleunigt wird. Je nach Größe des jeweiligen Bundeslandes braucht es eine gewisse Anzahl an wissenschaftlichen Projektmitarbeitern sowie wissenschaftsunterstützendes Personal. Die Lehrkräfte - und es muss natürlich auch diskutiert werden, wer sich als Lehrkraft eignet - sollten natürlich nicht durch das ganze Bundesland tingeln, sondern in einem bestimmten Bezirk, in einer bestimmten Region oder im jeweiligen Landkreis eingesetzt werden. Selbstverständlich korreliert dieser Vorschlag erneut mit dem Bundesland bzw. mit dessen Größe und Struktur. In der Pilotphase macht es keinen Sinn, alle Schulen zu bedienen, weshalb einzelne Pilotschulen ausgewählt oder vorgeschlagen werden sollten. Insgesamt sollten nicht nur Grundschulen oder Gymnasien ausgewählt werden, sondern alle Schularten, die für das Schulfach Digitalkunde relevant sind. <?page no="162"?> 162 6 Das Vier-Phasen-Modell Die Konzeptionsphase sollte in jedem Fall mindestens sechs Monate dauern. In dieser Zeit sollten zwei Netzwerktreffen stattfinden, beispielsweise in der Hauptstadt des jeweiligen Bundeslandes (sofern es sich nicht sowieso um Stadtstaaten handelt). In den Netzwerktreffen treffen sich die Projektmitarbeiter, um sich fachlich auszutauschen. Das Netzwerktreffen sollte ministeriell begleitet und durch hochwertige Fachvorträge verstärkt werden. Die Konzeptionsphase ist durch sehr viel Recherchearbeit gekennzeichnet. Den Projektmitarbeitern wird zwar ein medienpädagogischer Leitfaden zur Verfügung gestellt, doch die Pilotphase hat ja gerade den Zweck, innovative und individuelle Konzepte zu erarbeiten. Auf diese Weise entstehen Lehr- und Lernmaterialien, die sich voneinander unterscheiden. Aus diesem Grund sind die Netzwerktreffen, die auch in den weiteren Projektphasen stattfinden sollten, enorm wichtig. Letztlich entstehen in der Konzeptionsphase wertvolle Materialien wie digitale Präsentationen, Literaturlisten, didaktische Konzepte, schulpraktische Aufgaben und die Zusammentragung von (digitalen bzw. digitalisierten) Anschauungsmaterialien. Die Lehr- und Lernmaterialien sowie gewonnenen Wissensbestände werden in der Erprobungsphase zielgerichtet eingesetzt und - wie der Name bereits andeutet - ‚ausprobiert‘. 6.2 Erprobungsphase Die Erprobungsphase stellt einen rein schulpraktischen Teil des Pilotprojekts dar. Verschiedene Lehrkräfte, die allesamt Mitarbeiter des vierphasigen Projekts sind, unterrichten an verschiedenen Schulen in verschiedenen Bezirken bzw. Regionen. Die in der Konzeptionsphase erstellten Unterlagen, Materialien und Ideen finden nun Anwendung. Es gilt zu diskutieren und abzuwägen, inwieweit die Digitalkunde in den Schulunterricht einfließen sollte. Wie sinnvoll ist eine mögliche Überfrachtung des Stundenplans? Sollten die Unterrichtseinheiten der Erprobungsphase vormittags, nachmittags oder an den Wochenenden stattfinden? Der (gerechtfertigte? ) Aufschrei der Eltern ist wohl schon jetzt vorstellbar. Es bietet sich zunächst also ein abgespecktes Digitalkunde-Format an. Integration in Schulfächer oder eigenes Fach Die in diesem Buch dargelegten Unterrichtseinheiten sind teilweise fachspezifischer Natur. Eine Integration in bereits bestehende Schulfächer wie Deutsch, Englisch und Geschichte ist folglich möglich. Anders verhält es sich mit den medienerzieherischen bzw. medienpädagogischen Unterrichtseinheiten. Diese sollten in der Erprobungsphase als autonom betrachtet werden. Dieser Sachverhalt spricht übrigens bereits in der Erprobungsphase für ein eigenes Schulfach Digitalkunde, das auch als Digitalkunde im Stundenplan auftaucht. Somit hätte <?page no="163"?> 6.2 Erprobungsphase 163 die Projekt-Lehrkraft, die ja genau für das Fach Digitalkunde ausgebildet wird, ihr eigenes Schulfach, das sie selbst verwaltet, konzipiert und anwendet. Langfristig sollte die folgende Überlegung angestellt werden: Das Schulfach Digitalkunde besteht unter anderem aus einer medienerzieherischen und einer fachspezifischen Säule. Dies wirft die Frage auf, ob die Projekt-Lehrkräfte die fachspezifischen Unterrichtsinhalte (Mathematik, Deutsch, Kunst, Geschichte etc.) tatsächlich fach- und sachgerecht unterrichten sollten oder vielmehr unterrichten können. Wird diese Frage mit Nein beantwortet, ergibt sich die entsprechende Konsequenz: Das Fach Digitalkunde ist als interdisziplinär zu verstehen. Die Schülerinnen und Schüler haben folglich nicht den einen Digitalkundelehrer, sondern je nach Block, Modul und Unterrichtseinheit unterschiedliche Lehrkräfte, die das Fach gemeinsam ausfüllen. Diese gegenseitige Ergänzung stärkt das neue Schulfach in seiner Kompetenzvermittlung natürlich enorm. Zur Verdeutlichung: Eine Lehrkraft, die sich in Medienpädagogik perfekt auskennt, muss noch lange kein Mathe-App-Genie sein oder alle menschlichen Organe mittels E-Learning erklären können! Was bedeutet das nun für die Erprobungsphase? Langfristig sollte die Digitalkunde als eigenes Fach etabliert werden. In der Pilot- und Übergangsphase ist es natürlich von Vorteil, wenn innovative Inhalte quasi als ‚Gast-Einheiten‘ in die klassischen Schulfächer integriert werden. Tutoren als Unterstützung In der Erprobungsphase können selbstverständlich nicht alle Schulen des jeweiligen Bundeslandes berücksichtigt werden. Die Pilotmodule finden demnach nur an ausgewählten Schulen statt. Wichtig: Die ausgewählten Schulen sollten nicht in derselben Region liegen, sondern im Bundesland gleichmäßig verteilt sein. Das Spannende am Projekt ist die Arbeit mit echten Schulklassen. Denkbar ist, einige Unterrichtseinheiten in der Aula abzuhalten, um ein größeres Publikum zu erreichen. Gerade die praxisorientierten Unterrichtseinheiten eignen sich eher für kleinere Gruppen, um eine effiziente Betreuung zu gewährleisten. Es empfiehlt sich die Anwesenheit eines offiziellen Protokollanten, der die Lehrkraft organisatorisch unterstützt und den Ablauf der Unterrichtseinheiten aufzeichnet. Ebenso fungiert der Protokollant - es handelt sich eigentlich vielmehr um eine Tutorin oder einen Tutor - als Bindeglied zwischen den Schülern und der Lehrkraft. Gerade vor oder nach den Unterrichtseinheiten könnten nämlich Fragen auftauchen. Die Erprobungsphase sollte möglichst am Schuljahresbeginn (Start im August oder September je nach Bundesland) stattfinden und vor dem <?page no="164"?> 164 6 Das Vier-Phasen-Modell zweiten Halbjahr enden, damit der ambitionierte Schlussspurt der klassischen Fächer samt Prüfungen nicht gefährdet wird. 6.3 Evaluationsphase In der Evaluationsphase erfolgt die sach- und fachgerechte Bewertung der Erprobungsphase. Möglich sind quantitative und qualitative Verfahren. Die schriftliche Befragung der Schülerinnen und Schüler ist in jedem Fall zu empfehlen. Sofern die technische Umsetzung und Erreichbarkeit gewährleistet ist, kann die schriftliche Befragung auch als Online-Befragung durchgeführt werden. Gerade jüngeren Schülerinnen und Schülern sollte eine anonyme und zusätzlich komplexe Befragung nicht zugemutet werden. Hier empfehlen sich persönliche Interviews, die eine größere Vertrautheit schaffen und den Vorteil haben, auf die Befragten situationsbezogen einzugehen. Bereits in der Erprobungsphase eignen sich Beobachtungen als Evaluationsmethode. An dieser Stelle kommen erneut die Tutorinnen und Tutoren ins Spiel, die diese Aufgabe sehr gut erfüllen sollten. Weitere Verfahren können je nach Fragestellung und weiteren Aspekten Anwendung finden. Die Evaluationsphase dient nicht nur der Bewertung der Erprobungsphase, sondern auch der Neuüberdenkung und Neukonzeption des bisherigen Unterrichts samt Materialien. Was könnte und sollte in Zukunft anders gemacht werden? Was hat den Schülerinnen und Schülern besonders gut gefallen? Wurden Verbesserungsvorschläge gemacht? Neben der Überarbeitung der Materialien sollten alle Daten der Evaluationsphase und Arbeitsschritte sorgfältig archiviert werden. Es empfiehlt sich die Erstellung einer Digitalmappe. Hierbei handelt es sich um ein kleines Booklet, das auch Dritten einen Einblick in die Pilotphase gibt. Auch ein oder zwei Netzwerktreffen sollten in der Evaluationsphase stattfinden. Auf diese Weise ist erfolgt ein Austausch der Evaluationsergebnisse und konzeptioneller Ideen, die der zielgerichteten Weiterentwicklung dienen. Schließlich folgt nach der Evaluationsphase eine weitere Praxisphase. 6.4 Praxisphase Die Praxisphase ähnelt der Erprobungsphase. Die neuen Materialien, ausgewerteten Ergebnisse und Erkenntnisse fließen nun in den optimierten Digitalkundeunterricht ein. Die Praxisphase hat einen offiziellen Charakter und sollte in ihrer Gesamtheit deutlich flüssiger ablaufen. Sie beginnt wie die Erprobungsphase zum Schuljahresbeginn und schließt mit einem finalen Netzwerktreffen. Das finale Netzwerktreffen bietet den Projekt-Lehrkräften die Möglichkeit, die gesammelten Erfahrungen in einem großen Plenum zu präsentieren. <?page no="165"?> 6.4 Praxisphase 165 Die Digitalmappe, die als Booklet bereits in der Evaluationsphase angelegt wurde, sollte durch die Ergebnisse der Praxisphase sinnvoll erweitert werden. Jede Projekt-Lehrkraft erstellt und verwaltet eine Digitalmappe. Im Endeffekt entstehen also mehrere Digitalmappen mit wertvollen Erkenntnissen. Diese Unterlagen sollten letztlich zentral zusammengeführt werden, damit ein Leitfaden in Form eines Buchs erstellt werden kann. Das ist der Hintergrund: Die langfristige Etablierung des Schulfachs Digitalkunde hat zur Folge, dass neues Personal hinzugewonnen wird, das logischerweise nur begrenzte Einblicke in das Projekt hat. Ein Leitfaden der 24-monatigen Pilotphase, der die Erfahrungen aller Projekt-Lehrkräfte widerspiegelt, hilft den neuen Mitarbeitern, sich schnell zurechtzufinden. Der Leitfaden sollte durch ein FAQ-Kapitel ergänzt werden, dass die wichtigsten Fragen beantwortet. Sollten mehrere Bundesländer an dem Projekt parallel mitwirken, was aus medienpädagogischer Sicht übrigens sehr wünschenswert wäre, bietet sich ein weiteres Netzwerktreffen auf Bundesebene an, das dem Wissenstransfer und dem Anstoß weiterer Kooperationen dient. Die Etablierung des Schulfachs Digitalkunde hilft den Kindern und Jugendlichen, sich in den digitalen Welten kompetent und achtsam zurechtzufinden. Ein föderalistischer Vorteil - beispielsweise Digitalkunde als Schulfach nur im Freistaat Bayern und in den anderen deutschen Bundesländern nicht - entspricht natürlich nicht der Idee, alle Kinder und Jugendlichen in Deutschland gemeinsam und gleichzeitig auf ein medienkompetentes Digital-Niveau zu bringen. <?page no="167"?> 7 Fazit und Ausblick Es gibt nur eins, was auf Dauer teurer ist als Bildung: keine Bildung. Dieses Zitat geht auf John F. Kennedy zurück - und passt wunderbar in den Kontext des neuen Schulfachs Digitalkunde. Ja, die Einführung der Digitalkunde ist ein Pulverfass und zudem ein Politikum mit großer Sprengkraft. „Wer hat’s erfunden? “, ist ein bekannter Kalauer aus der Ricola-Werbung. Die Finnen bekanntlich nicht, auch wenn deren Bildungssystem seit der ersten PISA-Studie aus dem Jahr 2000 als europäisches Vorbild gilt. Jetzt, im Jahr 2019, kann Deutschland einen bildungspolitischen Meilenstein setzen. Das erfordert Mut. Das digitale Zeitalter polarisiert die Gesellschaft. Die Digital Natives schwören auf die neue Technik und die damit verbundene ständige Erreichbarkeit. Die Achtsamen und Vorsichtigen, die mit der Digitalisierung auf Kriegsfuß stehen, ziehen sich lieber einmal die Woche zum friedlichen „Waldbaden“ ins heimische Grün zurück. Digitales Glück und digitales Gift scheinen also Hand in Hand zu gehen. Die Medienpädagogik sieht das weniger esoterisch, sondern vielmehr faktischsachlich: Es kommt nämlich sowohl auf die Dosierung als auch auf das Mediennutzungsverhalten des Einzelnen an. Es braucht also ein pädagogisches Konzept, an dem sich die Menschen, seien es Lehrkräfte, Politiker, Eltern, Jugendliche und Kinder, orientieren können. Die Grünen wähnen sich in Sachen Digitalkunde insgeheim als bildungspolitische Vordenker. Plötzlich heißt es Smart Schools statt Dosenpfand. Das klingt modern, und modern möchte schließlich jede politische Partei sein. Die einen denken, die anderen machen. Die Union um Staatsministerin Dorothee Bär (CSU) möchte die Einführung des neuen Schulfachs Digitalkunde umsetzen - ab der ersten Klasse wohlgemerkt. So manche Eltern mögen nun aufschrecken: Werden die Kinder bereits in der Grundschule süchtig nach Handys gemacht? Nein, das Bildungssystem muss die Medienerziehung übernehmen, weil die meisten Eltern schlichtweg überfordert sind. Nur wer sich bereits in jungen Jahren die entsprechende Medienkompetenz aufbaut, wird sich später sicher und kompetent durch die digitalen Medienwelten bewegen. Digitalkunde ist kein politisches „Buzzword“, um die Wähler an die Wahlurne zu locken, sondern eine seriöse und vor allem nachhaltige Investition in die Zukunft unserer Kinder. Bildung ist in Deutschland allerdings Ländersache. Was passiert, wenn der Freistaat Bayern die Digitalkunde als innovatives Schulfach einführt und die anderen Bundesländer vorerst nicht? Das ist unfair! Was passiert, wenn die Schulen keine Tablets zur Verfügung stellen und die Kinder reicher Eltern im Vorteil sind? Das ist unfair! Immerhin fordert die Bayern-SPD kostenlose Tablets <?page no="168"?> 168 7 Fazit und Ausblick für die Schülerinnen und Schüler. Klar ist: Irgendwie haben fast alle Parteien gute Ideen. Überparteilicher Zusammenhalt ist allerdings selten, denn nach der Wahl ist schließlich vor der Wahl. Und so kommt es immer wieder zu politischen Scharmützeln, während die Kinder in die Röhre glotzen - Gewaltvideos, Pornos, Games und Grusel-Fratzen à la „Momo“ infiltrieren das Kinderzimmer als vermeintlich geschützten Raum. Die Politik muss nun zusammenrücken, das gilt nicht nur für die unterschiedlichen Parteien, sondern auch für die Bundesländer. Das neue Schulfach Digitalkunde unterstützt nicht nur die Medienerziehung und Medienbildung, sondern forciert in erster Linie die fachspezifische Ausbildung, die im Lichte der digitalen Medien ein unglaubliches Potenzial hat - vor allem im späteren Berufsleben. Die innovativen Inhalte lassen sich unverzüglich in die klassischen Schulfächer und aktuellen Lehrpläne einbinden. Es gibt also keine Ausreden, die Digitalisierung des Klassenzimmers „auszusitzen“. Das durchdachte Vier-Phasen-Modell ermöglicht eine langsame Herangehensweise, die aus Sicht der Medienpädagogik unbedingt zu empfehlen ist. Das vorliegende Buch soll einen kompetenten und langfristigen Beitrag zur Modernisierung des deutschen Bildungssystems leisten. Die politischen Vertreter, egal ob in Bayern oder Berlin, haben nun sehr viel Arbeit vor sich - und mit Verlaub, das ist auch gut so! <?page no="169"?> Literaturverzeichnis Belege 100% Jugendsprache (2014): Hrsg. von Langenscheidt. München. Ärzteblatt (2015): Videospielen schult die Reflexe. URL: https: / / www.aerzteblatt.de/ nachrichten/ 61381/ Videospielen-schult-die-Reflexe, abgerufen am 10.11.2018. Augsburger Allgemeine (2018): Braucht Bayern ein Digitalministerium? URL: https: / / www.augsburger-allgemeine.de/ bayern/ Braucht-Bayern-ein- Digitalministerium-id52714886.html, abgerufen am 23.11.2018. Bayerischer Rundfunk (2018a): Was bringt ein Handyverbot in der Schule? URL: https: / / www.br.de/ nachrichten/ was-bringt-ein-handyverbot-in-der-schule- 100.html, abgerufen am 04.07.2018. Bayerischer Rundfunk (2018b): Digitalisierung - jeder will’s, wer kann’s? URL: https: / / www.br.de/ nachrichten/ netzwelt/ br24wahl-digitalisierung-jeder-will-swer-kann-s,R0Q7eES, abgerufen am 02.11.2018. Bayerischer Rundfunk (2018c): Grusel-WhatsApp-Nachricht verängstigt Kinder im Allgäu. URL: https: / / www.br.de/ nachricht/ schwaben/ inhalt/ grusel-whatsappnachricht-veraengstigt-kinder-im-allgaeu-100.html, abgerufen am 06.11.2018. 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Deutschlandfunk (2018): „Ein gutes Zeichen für die Games-Industrie in Deutschland.“ URL: https: / / www.deutschlandfunk.de/ e-sport-im-bundestag-ein-guteszeichen-fuer-die-games.890.de.html? dram: article_id=432822, abgerufen am 10.11.2018. <?page no="170"?> 170 Literaturverzeichnis Frankfurter Allgemeine Zeitung (2018): Die Jugend schützen. URL: http: / / www.faz.net/ aktuell/ politik/ inland/ gewaltdarstellungen-wie-sie-diejugend-abstumpfen-lassen-15562043.html, abgerufen am 03.12.2018. Handelsblatt (2017): Unternehmen fordern kritischen Umgang mit Digitalthemen. URL: https: / / www.handelsblatt.com/ politik/ deutschland/ unterricht-in-schulenunternehmen-fordern-kritischen-umgang-mit-digitalthemen/ 20682736.html, abgerufen am 27.10.2018. JIM-Studie (2018): Basisuntersuchung zum Medienumgang 12bis 19-Jähriger. URL: https: / / www.mpfs.de/ studien/ jim-studie/ 2018, abgerufen am 05.12.2018. Merkur (2018): SPD: Freistaat soll jedem Schüler ein Tablet zahlen. 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