Sprachliche Kommunikation: Verstehen und Verständlichkeit
0812
2019
978-3-8385-5115-9
978-3-8252-5115-4
UTB
Steffen-Peter Ballstaedt
Verständlich Schreiben ist eine komplexe und anspruchsvolle kommunikative Aufgabe. Für viele Berufsfelder etwa in Verwaltung und Justiz, Politik und Wirtschaft, Medizin, Wissenschaft etc. stellt es eine Schlüsselqualifikation dar. Der Band bietet dazu kommunikationstheoretisch fundierte praktische Anregungen. Er behandelt Verständlichkeit als kooperative Aufgabe von Textproduzenten und -rezipienten, wobei allerdings die Schreibenden in Vorleistung gehen. Auf der Grundlage einer Theorie des Verstehens wird aufgezeigt, welche grammatischen (Wörter, Sätze, Texte) und pragmatischen (Sprechakte) Formulierungen das Verstehen erleichtern oder erschweren. Praktische Hilfsmittel vom Fragebogen bis zum Computertool erleichtern es, die Verständlichkeit von Texten zu evaluieren und zu optimieren.
<?page no="0"?> ,! 7ID8C5-cfbbfe! ISBN 978-3-8252-5115-4 Steffen-Peter Ballstaedt Sprachliche Kommunikation: Verstehen und Verständlichkeit Verständlich Schreiben ist eine komplexe und anspruchsvolle kommunikative Aufgabe. Für viele Berufsfelder etwa in Verwaltung und Justiz, Politik und Wirtschaft, Medizin, Wissenschaft etc. stellt es eine Schlüsselqualifikation dar. Der Band bietet dazu kommunikationstheoretisch fundierte praktische Anregungen. Er behandelt Verständlichkeit als kooperative Aufgabe von Textproduzenten und -rezipienten, wobei allerdings die Schreibenden in Vorleistung gehen. Auf der Grundlage einer Theorie des Verstehens wird aufgezeigt, welche grammatischen (Wörter, Sätze, Texte) und pragmatischen (Sprechakte) Formulierungen das Verstehen erleichtern oder erschweren. Bei der Umsetzung unterstützen den Praktiker Hilfsmittel vom Fragebogen bis zum Computertool, mit denen die Verständlichkeit von Texten systematisch evaluiert und optimiert werden kann. Sprachwissenschaft Sprachliche Kommunikation Ballstaedt Dies ist ein utb-Band aus dem Narr Francke Attempto Verlag. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehrbücher und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen. utb-shop.de QR-Code für mehr Infos und Bewertungen zu diesem Titel 51154 Ballstaedt_M-5115.indd 1 15.07.19 09: 21 <?page no="1"?> Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Wilhelm Fink · Paderborn Narr Francke Attempto Verlag · Tübingen Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Ernst Reinhardt Verlag · München Ferdinand Schöningh · Paderborn Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlag · München Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen Waxmann · Münster · New York wbv Publikation · Bielefeld utb 0000 5115 <?page no="2"?> Prof. Steffen-Peter Ballstaedt war bis 2012 Professor für angewandte Kommunikationswissenschaft an der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen. Seither lehrt er an zahlreichen Hochschulen und leitet Workshops für Firmen und Bildungsinstitutionen. <?page no="3"?> Steffen-Peter Ballstaedt Sprachliche Kommunikation: Verstehen und Verständlichkeit Narr Francke Attempto Verlag Tübingen <?page no="4"?> Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb. dnb.de abrufbar. © 2019 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart CPI books GmbH, Leck utb-Nr. 5115 ISBN 978-3-8252-5115-4 (Print) ISBN 978-3-8385-5115-9 (ePDF) ISBN 978-3-8463-5115-4 (ePub) <?page no="5"?> Inhalt 1 Zur Konzeption des Buches 9 1.1 Grundannahmen 9 1.2 Praxisfelder 13 1.3 Aufbau des Buches 19 2 Sprachliche Kommunikation: Meinen und Verstehen 23 2.1 Ein Modell der Kommunikation 23 2.2 Verständigung als Kooperation 36 Zusammenfassung 42 3 Mündliche Verständigung 45 3.1 Merkmale mündlicher Kommunikation 45 3.2 Der Dreischritt der Verständigung 48 3.3 Rationale Verständigung 52 3.4 Gespräche verständlich machen 60 Zusammenfassung 62 4 Schriftliche Verständigung 65 4.1 Merkmale schriftlicher Kommunikation 65 4.2 Absender: Adressatenorientierung 68 4.3 Adressat: Ressourceneinsatz 78 4.4 Probleme der Verständlichkeit 81 4.5 Texte verständlich machen 85 Zusammenfassung 88 5 Erforschung des Verstehens: Methoden 91 5.1 Indikatoren des Verstehens 91 5.2 Indikatoren des Verständnisses 98 Zusammenfassung 103 6 Prozesse des Textverstehens 105 6.1 Subsemantische Verarbeitung 106 6.2 Das Verstehen von Wörtern 113 6.3 Wörter im Kontext von Sätzen 123 <?page no="6"?> 6 Inhalt 6.4 Inkrementelles Textverstehen 129 6.5 Über den Text hinaus: Inferenzen 136 6.6 Verständnis: multiple Repräsentation 149 6.7 Verarbeitungsaufwand und Ressourcen 153 Zusammenfassung 162 7 Grammatische Verständlichkeit 165 7.1 Funktionale Grammatik 165 7.2 Verständliche Wörter 170 7.3 Einfache Sätze 182 7.4 Kohärente Texte 202 Zusammenfassung 219 8 Pragmatische Verständlichkeit 223 8.1 Handeln mit Sprache 223 8.2 Benennen 230 8.3 Definieren 237 8.4 Beschreiben 244 8.5 Erzählen 251 8.6 Anleiten 255 8.7 Argumentieren 262 Zusammenfassung 279 9 Didaktische Zusätze 281 9.1 Ergänzungstaktik 281 9.2 Zusatztexte 282 9.3 Didaktische Visualisierung 289 Zusammenfassung 292 10 Motivationale Aspekte der Verständlichkeit 293 10.1 Lesemotivationen 293 10.2 Die Lust am Text 295 Zusammenfassung 307 11 Texte evaluieren und optimieren 309 11.1 Gesucht: Experten für Verständlichkeit 309 11.2 Methoden der Adressatenanalyse 311 11.3 Guidelines und reduzierte Sprachen 313 <?page no="7"?> 7 Inhalt 11.4 Verständlichkeitsformeln und -indizes 317 11.5 Verständlichkeitsratings 324 11.6 Checklisten 328 11.7 Textanalyse-Software 333 11.8 Usability-Labor 337 Zusammenfassung 338 12 Ein kurzer Ausblick 341 Literaturverzeichnis 345 Abbildungen 387 Zusatzmaterialien 388 Sachregister 389 <?page no="9"?> 1 Zur Konzeption des Buches Viele Jahre meiner wissenschaftlichen Tätigkeit habe ich mit Problemen verständlicher Kommunikation zugebracht. Die Orientierung war dabei vorwiegend praktisch, es ging um Studienmaterial, Lehrbücher, technische Dokumentationen, journalistische Texte, audiovisuelles Material, Präsentationen. Als wissenschaftlicher Redakteur habe ich Studienbriefe im Funkkolleg fernstudiendidaktisch bearbeitet. In Workshops und Schreibwerkstätten berate ich Firmen und wissenschaftliche Institutionen, wie sie Texte und Bilder verständlich gestalten können. Bei dieser Praxis des Verständlichmachens kam die Theorie immer zu kurz, obwohl mir bewusst war, dass Verständlichkeit in einer Theorie der Kommunikation verankert werden muss und sich die praktische Umsetzung nicht in der Anwendung schlichter Richtlinien erschöpft wie „Vermeide Schachtelsätze! “ Verständliche Texte sind das Produkt einer komplexen und anspruchsvollen kommunikativen Arbeit. Dafür liefert dieses Buch einen theoretischen Rahmen. 1.1 Grundannahmen Schon in der klassischen Rhetorik und ausführlich in der Hermeneutik war Verstehen und Verständlichkeit ein Thema, das derzeit in der Kognitionspsychologie und der Linguistik weitergeführt wird, allerdings nicht kontinuierlich und kumulativ, sondern in zahlreichen und verzweigten Forschungslinien. Die theoretischen und praktischen Ansätze sind kaum noch zu überblicken. Keine meiner Grundannahmen ist vollständig neu, in einem so traditionsreichen Forschungsgebiet steht man als Zwerg auf den Schultern von Riesen. Das Literaturverzeichnis zeigt, auf wie vielen Grundpfeilern das theoretische Gebäude errichtet ist. Ohne Respekt vor disziplinären Zäunen möchte ich die unterschiedlichen Forschungslinien zusammenführen: Hermeneutik, Sprachphilosophie, Philologie bzw. Interpretationstheorie, Linguistik und Psycholinguistik, Sprachpsychologie und Kognitionspsychologie. Einzig die Neuropsychologie habe ich ausgespart, obwohl sie durchaus ergänzende Beiträge zum Thema liefern könnte. Aus diesem breiten Blickwinkel sind drei Einschränkungen notwendig: <?page no="10"?> 10 1 Zur Konzeption des Buches 1.-Es geht um Sachtexte, deren primäre Absicht es ist, über Sachverhalte zu informieren. 1 Dazu gehören auch Fachtexte verschiedener Disziplinen und Wissensdomänen. Ganz ausgeblendet bleiben literarische Texte, obwohl das Verstehen dort nicht grundsätzlich anders abläuft (Kintsch, 1994). Verständlichkeit ist aber kein sinnvolles Kriterium für literarische Werke. 2.- Der Fokus liegt auf schriftlichen Texten. Trotzdem kommt man um die mündliche Verständigung nicht herum, um im Vergleich die Probleme der Textverständlichkeit herauszuarbeiten. Die kommunikative Situation ist beim Schreiben und Leseverstehen eine völlig andere als beim Sprechen und Hörverstehen. 3.-Die Präsentation von Texten in anderen Medien auf einem Monitor oder dem Display eines Smartphones, wird nicht berücksichtigt. Ich gehe allerdings davon aus, dass die Leitlinien verständlicher Sprache für alle medialen Präsentationen gleich sind. Verständlichkeit als theoretisches Problem Ein Text bekommt die Eigenschaft „verständlich“ zugesprochen, indem ein Leser bzw. eine Leserin sein bzw. ihr eigenes Verstehen beurteilt. Durch die Substantivierung zu „Verständlichkeit“ wird daraus ein Merkmal, von dem ein Text mehr oder weniger besitzen kann. Diese Substantivierung führt allerdings in die Irre. 1.- Verständlichkeit ist keine fixe Eigenschaft einer sprachlichen Mitteilung sondern eine kommunikative Kategorie und muss in einer Theorie der Kommunikation eingebettet sein. Für pragmatisch orientierte Linguisten ist das eine Selbstverständlichkeit (Heringer, 1979; Fritz, 1991), in der Psychologie hat sich diese Erkenntnis erst später durchgesetzt. Verständlichkeit ist das Ergebnis einer Kooperation zwischen Absenderund Adressat. Verständlich ist eine Mitteilung - ein mündlicher oder schriftlicher Text - immer nur für einen bestimmten Adressaten oder eine bestimmte Adressatengruppe. 2.-Verstehen findet im Kopf des Adressaten statt und das Ergebnis lässt sich nie über den Text allein vorhersagen. Vor allem das Vorwissen und der Einsatz von kognitiven Ressourcen bei den Adressaten spielen eine entscheidende Rolle. Der Text ist sozusagen nur eine Ausgangsbedingung, er regt Verarbeitungsprozesse an, aber er determiniert das daraus resultierende Verständnis nicht. 1 Andere gebräuchliche Bezeichnungen sind Gebrauchstexte, funktionale oder expositorische Texte. <?page no="11"?> 11 1.1 Grundannahmen Der Absender kann über die sprachliche Formulierung das Verstehen aber erleichtern oder erschweren. 3.- Verständlichkeit ist abhängig vom Verarbeitungsaufwand, der zum Verstehen erforderlich ist. Wer ein Urteil über die Verständlichkeit eines Textes ausspricht, der schätzt ein, wie viele mentale Ressourcen er zum Verstehen einsetzen musste. Diese Idee findet sich bereits 1884 bei Herbert Spencer (2018), der Schwerverständlichkeit als eine von der Sprache verursachte geistige Anstrengung auffasst. Dabei spielen Beschränkungen der Kapazität im Arbeitsgedächtnis eine wichtige Rolle. 4.- Es gibt verschiedene Verstehensprozesse, die den Einsatz mentaler Ressourcen erfordern. Einmal die grammatische Verarbeitung der Wörter, Sätze und Texte. Die deutsche Grammatik lässt Wortbildungen, Satzkonstruktionen und Textverknüpfungen zu, die zwar korrekt, aber für die Verarbeitung aufwendig sind. Zum anderen die pragmatische Verarbeitung, bei der es um das Verstehen der mit einer Äußerung vollzogenen Handlung geht. Vage und mehrdeutige Formulierungen erschweren nicht nur das Verstehen, sondern führen auch zu Missverständnissen. Schließlich lassen sich über einen anregenden Text auch motivationale Ressourcen aktivieren. Mit diesen Annahmen wird ein kognitiver Konstruktivismus vertreten: Verstehen ist keine passive Entnahme von Bedeutungen aus einem Text, sondern die aktive Konstruktion eines Verständnisses. Verständlichkeit als praktisches Problem An Anleitungen für verständliches Schreiben und verständlichen Stil besteht keinerlei Mangel: seit der Stilkunst von Eduard Engel (1911, 2016) - erfolgreich plagiiert und arisiert von Ludwig Reiners (1943, 1961) - bis zu den strengen Traktaten des aktuellen Stilpapstes Wolf Schneider (1994, 2005) und den abwägenden Stilbetrachtungen von Willy Sanders (1990, 1998). Was verständliche Sprache ausmacht, das ist eigentlich in vielen Büchern nachzulesen. 2 Schwierig bleibt aber offenbar die praktische Umsetzung. Entweder weisen praxisorientierte Anleitungen und Handreichungen einen schmalen oder gar keinen theoretischen Hintergrund auf. Oder es gibt Ansätze, die sich theoretisch differenziert über Verstehen und Verständlichkeit auslassen, aber nur sehr allgemeine Anregungen für den Praktiker der Verständlichkeit bieten. Mein Versuch 2 Einen aktuellen und soliden Überblick bietet das Buch von Benedikt Lutz (2015): „Verständlichkeitsforschung transdisziplinär“. <?page no="12"?> 12 1 Zur Konzeption des Buches soll die Grundlagenforschung zum Verstehen und die praktische Umsetzung in verständliche Texte miteinander verbinden. 1.- Innerhalb einer Kommunikationstheorie ist die Adressatenorientierung von zentraler Bedeutung. Texte müssen so formuliert werden, dass sie bei den jeweiligen Adressaten keine unnötigen Ressourcen zum Verstehen beanspruchen. Diese Aufgabe des Absenders erfordert fundierte Annahmen über die Vorkenntnisse, die kognitiven Fähigkeiten und die Sprachkompetenz der Adressaten, aber auch über ihre Mentalität und Motivation. 2.- Verständlich Schreiben ist ein Handwerk, das man lernen kann, z. B. in Schreibwerkstätten oder mit Trainingsmaterial. Das vorliegende Buch enthält Leitlinien für eine verständliche Sprache, aber damit sollen keine stilistischen Normen für Sachprosa propagiert werden. Die Sprache stellt viele Formulierungsvarianten zur Verfügung, um einen Gedanken auszudrücken, und jede hat ihren kommunikativen Sinn. Ohne die Vielfalt der Sprache zu beschneiden, soll dafür sensibilisiert werden, was man als Autor bzw. Autorin seinen Adressaten mit einer Formulierung geistig zumutet, man kann es den Lesenden - bewusst oder unbewusst - schwermachen. Die Language Awareness, das Sprachbewusstsein, von Schreibenden soll geschärft werden. 3.- Es gibt Randbedingungen für das Verstehen, die den Einsatz kognitiver Ressourcen beeinflussen. Dazu gehört der visuelle Auftritt der Sprache, altmodisch das Schriftbild. Die Typografie spielt eine nicht zu vernachlässigende Rolle beim Lesen und das Layout kann den Aufbau von kohärenten Wissensstrukturen unterstützen. 4.-Das Eingreifen in Texte durch Umformulierung ist nicht immer möglich, so sind z. B. klassische Text tabu. Hier kann das Verstehen durch didaktische Zusätze als Erschließungshilfen gefördert werden. Derartige Erschließungshilfen sind Vorstrukturierungen, Leitfragen, Zusammenfassungen, Glossare usw. Sie sind aus gut aufbereiteten Lehrwerken heute nicht mehr wegzudenken. Wenn man an die Texte nicht herankommt, dann kann man mit solchen Hilfsmitteln die Lese- und Verstehenskompetenz der Lesenden verbessern. Das Verständlichmachen ist eine kommunikative Aufgabe. Ziel ist die Ausbildung von Textexperten, die über das notwendige Hintergrundwissen und über Werkzeuge zur Evaluation und Gestaltung von Sachtexten verfügen. Mit diesem Anliegen stehe ich nicht allein. In den letzten Jahrzehnten sind Ansätze, die sich mit Verständlichkeit befassen, wie Pilze aus dem Boden geschossen: Informationsdesign (Horn, 2000), Textdesign (Weber, 2008), Instruktionsdesign <?page no="13"?> 13 1.2 Praxisfelder oder didaktisches Design (Reinman, 2011), Wissenskommunikation (Antos, 2006), Fachkommunikationswissenschaft (Heidrich, 2017). 1.2 Praxisfelder Um welche Texte geht es konkret? Es gibt Bereiche gesellschaftlicher Kommunikation, in denen die Forderung nach Verständlichkeit aus verschiedenen Gründen besonders wichtig ist. Meist handelt es sich dabei um die Kommunikation zwischen Experten und Laien mit einem erheblichen Wissensgefälle zwischen beiden. Dazu einige Skizzen relevanter Praxisfelder. Verwaltungskommunikation Die administrative Sprache ist geprägt von immer komplexeren Inhalten und dem Bestreben nach Rechtssicherheit. Dazu kommt eine aus bürokratischer Tradition stammende Unfähigkeit, sich auf die Adressaten einzustellen. Das führt zu schwer verständlichem Bürokratendeutsch in Vorschriften, Bescheiden, Mitteilungen usw. (Eichhoff-Cyrus & Antos, 2008). Die Klartext-Initiative der Universität Hohenheim hat viele Beispiele für schwer verständliche Kommunikation in Politik und Verwaltung gesammelt (Kercher, 2013). Ein Beispiel für Verwaltungskommunikation, die viele Adressaten nicht verstehen, sind die Steuerbescheide. - Ein leidiges Spezialproblem stellen Formulare und Vordrucke dar, die oft erhebliche kognitive Anforderungen beim Ausfüllen stellen. Dazu kommt ein oft unübersichtliches Layout (Barnett, 2007; Renkema, 2009). Bemühungen um eine bürgernahe Sprache in Recht und Verwaltung gab es in der BRD bereits 1966: Die Gesellschaft für Deutsche Sprache richtete einen linguistischen Redaktionsstab beim Deutschen Bundestag ein, der Gesetzestexte auf Verständlichkeit prüft. Juristische Kommunikation Die Forderung, dass Gesetze für die Adressaten verständlich sein müssen, denen sie zur Richtschnur dienen sollen, stammt bereits aus der Aufklärung (Lück, 2008). Zu den nachgeordneten juristischen Texten zählen Kommentare, Vorschriften, Ausführungsbestimmungen, Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) usw. Für Allgemeine Geschäftsbedingungen und Vertragsklauseln gilt ein Transparenzgebot als Rechtsprinzip (§. 307 Absatz 1 Satz 2 BGB). Es fordert klare Formulierungen der Rechte und Pflichten der Vertragspartner. Verbrau- <?page no="14"?> 14 1 Zur Konzeption des Buches cherverbände weisen darauf hin, dass das Transparenzgebot in AGBs bei Online-Angeboten, denen der Kunde mit einem Klick zustimmen muss, oft nicht eingehalten wird. Die Frage, ob und wie weit juristische Texte allgemeinverständlich formuliert werden können, wird kontrovers diskutiert (Lerch, 2004; Eichhoff-Cyrus & Antos 2008). Von linguistischer Seite wird eine verständlichere Rechtssprache gefordert und mit abschreckenden Befunden argumentiert (Dietrich & Kühn, 2000; Neumann, 2009; Wolfer, 2017). Von juristischer Seite wird dagegengehalten, dass die sprachlichen Formulierungen den Adressaten im System der Justiz verständlich sind und zudem Deutungsoffenheit ein Strukturmerkmal rechtlicher Kommunikation darstellt, an dem auch Umformulierungen nichts ändern (Ogorek, 2004). Die Kritik an der Schwerverständlichkeit juristischer Texte wird auch als stereotypes habitualisiertes Urteil gesehen, in dem sich ein Misstrauen gegenüber dem Gesetzgeber ausdrückt (Warnke, 2004). In Deutschland beraten seit 2009 sechs Sprachwissenschaftler das Justizministerium und überprüfen die Gesetze aller Ministerien. Diese sollen sprachlich einwandfrei und so weit wie möglich für jeden verständlich sein. So wird z. B. aus der „Erweiterung des Restmüllbehältervolumens“ schlicht eine „größere Mülltonne“. - In der Schweiz werden Gesetze schon seit über 30 Jahren auf Verständlichkeit geprüft, die sprachliche Redaktion ist dort institutionalisiert. Zudem sorgt schon die Tatsache, dass die Gesetze in drei Sprachen veröffentlicht werden, für einfachere Formulierungen (Nussbaumer, 2002). Wirtschaftskommunikation Die Sprache der Real- und vor allem der Finanzwirtschaft steht seit langem wegen ihrer Unverständlichkeit in der Kritik. Eine empirische Untersuchung der Verständlichkeit von Bankdokumenten (Kontoeröffnungsunterlagen, Allgemeine Geschäftsbedingungen, Datenschutzerklärungen, Newsletter) ergab, dass sie teilweise „dem Schwierigkeitsgrad einer Doktorarbeit“ entsprechen (Brettschneider, 2010). Besonders Fachwörter wie Fluktuationsquote, Bonität, Risikoinventur usw. werden nicht definiert. Die Beschreibung von Finanzprodukten und deren Risiken bleibt für Kunden oft undurchschaubar. John Lanchester (2015) behauptet, dass hier Unverständlichkeit zum Programm gehört. Auch Verlautbarungen des Managements sind für Außenstehende kaum nachvollziehbar, nicht zuletzt wegen der vielen Anglizismen und Neologismen. Die Reden der Chief Executive Officer (CEO) auf den Hauptversammlungen <?page no="15"?> 15 1.2 Praxisfelder von DAX-Unternehmen sind für Analysten und Wirtschaftsexperten verständlich, aber nicht für eine interessierte Öffentlichkeit (Brettschneider, 2013). Insgesamt zeigt die externe Unternehmenskommunikation, z. B. durch Geschäftsberichte, erhebliche Mängel der Verständlichkeit (Keller, 2006; Moss, 2009). Am meisten Mühe geben sich Firmen mit PR-Texten, aber auch hier besteht oft noch Optimierungsbedarf, vor allem wenn es um Krisen-PR geht (Ebert, 2014). Politische Kommunikation Politiker und Politikerinnen drücken sich oft nicht klar und verständlich aus, selbst wenn sie die Wähler als Adressaten direkt ansprechen. Bei dieser Berufsgruppe ist oft ein strategisches Sprachverhalten zu beobachten: Zum einen achten sie wegen der oft komplexen Materie und verschiedener Rücksichtnahmen wenig auf Verständlichkeit. Zum anderen dominiert die persuasive Funktion der Sprache gegenüber der Verständigungsfunktion. Parteiprogramme sind das Ergebnis von Kompromissen in Expertenrunden und deshalb oft verklausuliert und mit Fachwörtern durchsetzt. Eine empirische Studie der Parteiprogramme zur Bundestagswahl 2009 ergab: Die Linke hatte das unverständlichste Programm, die Grünen das verständlichste, aber beide noch weit von guter Verständlichkeit entfernt (Brettschneider, Haseloff & Kercher, 2009; Kercher, 2013). Wissenschaftskommunikation Die Sprache der Wissenschaften steht in Bezug auf Verständlichkeit in mehrfacher Hinsicht immer wieder am Pranger. Dabei muss man zunächst einräumen, dass es hier nicht allein um die Sprache, sondern auch um komplexe Inhalte geht. Wissenschaft ist ohne spezifische Fachwörter und ohne differenzierte Argumentation nicht denkbar (Otero, Leon & Graesser, 2002). Dazu kommt eine Tradition wissenschaftlicher Prosa, die sich nach dem Motto richtet: „Je schwieriger ein Text, desto klüger sein Autor“. Das hat zur Ausbildung eines Imponierdeutsch in den Wissenschaften geführt, wobei einige Disziplinen dafür offenbar besonders anfällig sind, z. B. die Soziologie (Ballod, 2001; Groebner, 2012). Grundsätzlich gibt es für Wissenschaftler wissenschaftliche und außerwissenschaftliche Adressaten. Wissenschaftliche Adressaten. Zu den wissenschaftlichen Texten gehören Fachaufsätze und Monografien, aber auch die Qualifikationsschriften wie Bachelor- und Masterarbeiten, Dissertationen und Habilitationen. Sie werden für die <?page no="16"?> 16 1 Zur Konzeption des Buches Scientific Community der eigenen Disziplin geschrieben. Schwerverständlichkeit ist hier traditionell als déformation professionelle ein Ausweis für komplexes und tiefgründiges Denken. Das führt zu Kommunikationsbarrieren zwischen den wissenschaftlichen Disziplinen, man denke an die beiden Kulturen der Naturwissenschaftler und Geisteswissenschaftler (Snow, 1987). Allerdings ist die wissenschaftliche Prosa dabei, sich aus den traditionellen Schreibzwängen zu lösen (Sanders, 2008). Wissenschaftliche Texte sind immer weniger Anpassungen an ein überholtes Reputationssystem. Immer mehr Wissenschaftler sehen, wie verständlich und anregend z. B. amerikanische Kolleginnen und Kollegen schreiben. Sogar Bestseller! Schreiben wurde traditionell an den deutschen Hochschulen nicht gelehrt, ein angehender Wissenschaftler wird in den Schreibstil seines Faches hineinsozialisiert. Nachdem in akademischen Texten erhebliche Defizite aufgefallen sind, werden jetzt Workshops und Schreibwerkstätten angeboten und das Schreiben wird zum Soft Skill aufgewertet. Aber eine deutsche Wissenschaftssprache ist vielleicht bereits ein Auslaufmodell, da Englisch als lingua franca das Deutsch in den Instituten und Hörsälen immer mehr verdrängt. Wer in der Scientific Community Karriere machen will, der tut gut daran, seine Qualifizierungsschriften gleich englisch abzufassen (dazu kritisch Kaehlbrandt, 2016). Außerwissenschaftliche Adressaten. Bei Texten von Wissenschaftlern für Nichtwissenschaftler bzw. die interessierte Öffentlichkeit wird oft moniert, dass Fachleute sich wenig Mühe geben, sich verständlich auszudrücken. Ein Grund dafür ist der „Curse of knowledge“: Je intensiver man sich mit einer Wissensdomäne auseinandergesetzt hat, desto weniger kann man sich in die Adressaten hineinversetzen, die über dieses Wissen nicht verfügen (Nickerson, 1999). Ein kommunikativer Graben zwischen Wissenschaftlern und Nichtwissenschaftlern ist jedoch aus verschiedenen Gründen nicht akzeptabel. 1.-Zum einen wird Wissenschaft weitgehend aus öffentlichen Mitteln finanziert und ist den Geldgebern, letztlich den Steuerzahlern Rechenschaft über ihre Ergebnisse schuldig. Wissenschaftler müssen den theoretischen wie den praktischen Nutzen ihrer Arbeit vermitteln, das gilt vor allem für teure Grundlagenforschung (Weitze & Gießler, 2016). Wissenschaftler sollten ihre Arbeiten verständlich in den Medien sowie in Sachbüchern und populärwissenschaftlichen Zeitschriften präsentieren können, um Akzeptanz für ihre Forschung zu erreichen (von Campenhausen, 2014). 2.-Die vielen Akademiker aus hochspezialisierten Studiengängen, die derzeit die Hochschulen verlassen, verbleiben bei weitem nicht alle im wissenschaftlichen System, sondern viele werden in außerakademischen Institutionen arbei- <?page no="17"?> 17 1.2 Praxisfelder ten. Ihre Bewerbung gewinnt, wenn ein zukünftiger Arbeitgeber eine Bachelor-, Master- oder Doktorarbeit versteht und nicht schon am verschwurbelten Titel der Arbeit scheitert. Einen wichtigen Wissenstransfer leistet die Politikberatung (Pörksen, 2014). Bei Themen wie Energiewende, Klimawandel, pränatale Diagnostik, Gen-Lebensmittel, Sterbehilfe usw. sind verantwortliche politische Entscheidungen ohne verständlich formulierte wissenschaftliche Expertisen nicht mehr denkbar. Medizinische Kommunikation Hier haben wir es mit einem Sonderfall der Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse zu tun. Nachdem die Wissensmacht der Ärzte schrumpft, weil sich Patienten mit Ratgeberliteratur und Verbraucherinformationen im Web informieren, bekommen verständliche medizinische Befunde, Informationen über Medikamente, Anleitungen für medizinische Geräte und Hinweise zur gesunden Ernährung einen wichtigen Stellenwert. Die Beipackzettel zu Medikamenten waren schon mehrfach Gegenstand der Verständlichkeitsforschung (z. B. Hoffmann, 1983; van Vaerenbergh, 2007). Eine Hürde stellen vor allem die Warnungen vor Nebenwirkungen und Unverträglichkeiten dar. Tests mit Adressaten zeigen, dass viele Fremd- und Fachwörter nicht verstanden werden: Gravidiät wird als Übergewicht missverstanden, Insuffizienz als Impotenz, Dosis als Verpackung und orale wird mit analer Applikation verwechselt. Das Problem ist die Mehrfachadressierung, denn die Texte sind nicht nur für Patienten, sondern auch für Ärzte und Apotheker geschrieben. Zudem sind bestimmte schwierige Wörter und Formulierungen gesetzlich vorgeschrieben. Technische Kommunikation Dazu zählen Anleitungen zur Montage, Bedienung, Wartung und Reparatur von Geräten und Maschinen sowie die technische Beschreibung von Produkten und ganzen Anlagen. Bedienungsanleitungen haben keinen guten Ruf. Jeder kennt den Scherz: Wenn man gelernt hat, ein Gerät zu bedienen, dann versteht man auch die Gebrauchsanleitung. In der technischen Kommunikation hat der Druck auf Verständlichkeit jedoch zugenommen (Jahr, 2007): 1.- Eine unverständliche Bedienungsanleitung ärgert den Endkunden und wirkt sich negativ auf die Bewertung und das Image des Produkts und der Firma aus. Verständliche Texte sind auch ein Aspekt des Marketings. <?page no="18"?> 18 1 Zur Konzeption des Buches 2.-Seit 1990 legt das Produkthaftungsgesetz fest, dass die Bedienungsanleitung Teil des Produkts ist und damit der Hersteller für Personen- und Sachschäden haftet, die auf eine unverständliche oder fehlerhafte Anleitung zurückzuführen sind. Eine missverständliche Anleitung kann so juristische Konsequenzen haben: Wer sich mit der neuen Brotschneidemaschine einen Finger kupiert, kann die Firma verklagen, wenn das Unglück nachweislich auf Mängel in der Bedienungsanleitung zurückzuführen ist. Seitdem bemühen sich Firmen um verständliche Anleitungen. Sie richten dazu entweder eigene Abteilungen ein oder lagern die technische Dokumentation zu Dienstleistern aus. Immer häufiger wird die Verständlichkeit der technischen Dokumentation mit Usability-Tests empirisch überprüft (Ballstaedt, 2000). 3.- Schließlich werden die meisten Produkte für einen globalen Markt hergestellt und eine einfache und verständliche Sprache ist besser in andere Zielsprachen zu übersetzen, sowohl von menschlichen Übersetzern, erst recht aber für eine maschinelle Übersetzung. Über Jahrzehnte war Verständlichkeit in der technischen Kommunikation ein zentrales Thema, das derzeit aber in den Hintergrund tritt, denn das standardisierte und kontrollierte Schreiben ist auf dem Vormarsch. Dabei sind lexikalische und syntaktische Formulierungsregeln vorgegeben, deren Einhaltung durch elektronische Tools überwacht wird. Eine derart reduzierte Sprache dient zwar primär der besseren Übersetzbarkeit, aber gleichzeitig verbessert sich auch die Allgemeinverständlichkeit. Didaktische Kommunikation Hier geht es um Lehr- und Sachbücher für Schulen und Weiterbildung. Schulbuchverlage haben Handreichungen für Autoren und Autorinnen entwickelt und bemühen sich durch eine Qualitätskontrolle um verständliche Texte. Dabei wird meist das Hamburger Modell der Verständlichkeit adaptiert (Langer, Schulz von Thun & Tausch, 2011). Man kann feststellen, dass die Lehrbücher in den letzten Jahrzehnten deutlich verständlicher formuliert und übersichtlicher gestaltet sind. Vorbild sind dabei amerikanische Lehrmaterialien, die schon länger nach Kriterien des Instructional Design gestaltet und evaluiert werden (Burnett, 2005). Weniger überzeugend sind oft Informationstexte in Ausstellungen und Museen. Von den Beschriftungen an den Exponaten bis zu den Katalogen gibt es viele Texte, die für einen breiten Adressatenkreis verständlich sein sollten. Sie <?page no="19"?> 19 1.3 Aufbau des Buches werden meist von Fachwissenschaftlern geschrieben und diese nehmen auf den heterogenen Adressatenkreis wenig Rücksicht (Ballstaedt, 1992). Hier liegt noch ein erheblicher Forschungsbedarf, was verständliche Formulierungen, aber auch eine augenfreundliche Präsentation betrifft. Journalistische Kommunikation Der Journalismus steht nicht zufällig an letzter Stelle der Praxisfelder. Er ist sozusagen die Vermittlungszentrale zwischen allen gesellschaftlichen Systemen. Ressort-Journalisten müssen Verständigung über die Grenzen von Wirtschaft, Wissenschaft, Technik, Gesundheit und Bildung ermöglichen. Für journalistische Texte ist deshalb Verständlichkeit ein zentrales Qualitätskriterium (Bucher, 2005). Verständliche Nachrichten, Kommentare, Reportagen sind eine Voraussetzung zur Partizipation an demokratischen Entscheidungsprozessen. Untersuchungen zur Verständlichkeit von Nachrichten und Kommentaren waren deshalb ein frühes Arbeitsfeld der angewandten Linguistik (Straßner, 1975; Ballstaedt, 1980). Von einem Journalisten stammen auch die beliebtesten modernen Stillehren, in denen Verständlichkeit eine zentrale Rolle spielt (Schneider, 1984, 1987, 1994, 2005). Im Bereich Journalismus werden auch Probleme verständlicher Sprache in Anpassung an verschiedene Medien diskutiert, z. B. Schreiben für das Hören (Radio) oder von Texten für das Internet (Online-Zeitung). Es hat sich eine Medienlinguistik etabliert, die untersucht, wie Sprache an die verschiedenen Medien angepasst wird (Perrin, 2006; Burger & Luginbühl, 2014; Schmitz, 2004, 2015). Dabei spielt auch die Kombination von Sprache mit Bildern eine wichtige Rolle, denn in den visuellen Medien steht die Sprache oft in einem bildlichen Kontext. 1.3 Aufbau des Buches Kapitel . Nach den Grundannahmen und den Anwendungsfeldern hier zur ersten Orientierung ein Schnelldurchlauf durch die folgenden Kapitel: Kapitel . Zunächst wird der kommunikative Rahmen aufgespannt, in dem ein Absender etwas meint und ein Adressat etwas versteht. Verständlichkeit ist dabei das Ergebnis einer Kooperation: Der Absender muss adressatenorientiert formulieren und der Adressat muss sich um ein Verständnis bemühen. <?page no="20"?> 20 1 Zur Konzeption des Buches Kapitel . Ausgangspunkt ist die gesprochene Sprache. In der mündlichen Kommunikation wird Verständigung durch Techniken kooperativer Verständnissicherung erreicht. Die Kommunikationspartner unterstellen sich wechselseitig die Einhaltung bestimmter Maximen oder fühlen sich bestimmten Geltungsansprüchen verpflichtet. Kapitel . Auch Schreiben ist eine kommunikative Tätigkeit, nicht das egozentrische Ausleeren eines Kopfes. Allerdings stellen sich hier Probleme der Verständlichkeit in verschärfter Form, da die alltäglichen Formen der Verständnissicherung ausfallen. Die Verantwortung für verständliche Kommunikation verlagert sich auf den Absender: Er muss bei schriftlicher Kommunikation seine Adressaten bei der Auswahl der Inhalte und den Formulierungen berücksichtigen. Kapitel . Verstehen und Verständnis lassen sich nicht direkt beobachten, sie spielen sich verborgen im Gehirn des Adressaten ab. Die Wissenschaft hat eine Reihe von Methoden entwickelt, mit denen man sozusagen unter die Schädeldecke blicken kann. Jede einzelne Methode hat ihre Grenzen und erfasst nur einen Aspekt des Verstehens, aber in einem ergänzenden Methodenmix sind sie doch erfolgreich. Kapitel . Das Verstehen kann in Teilprozesse aufgebrochen werden: Die Leserlichkeit der Schrift erleichtert oder erschwert das Erkennen von Wörtern, mit dem der Prozess des Verstehens startet. Die Formulierung von Sätzen und ihre Verknüpfung zu Texten steuern die Verarbeitung, aber das Herzstück des Verstehens sind Schlussfolgerungen, die über den Text hinausgehen und in eine mentale Repräsentation des Textes eingehen. Diese Prozesse sind teils automatisiert, teils kontrolliert, wobei Letztere die Schwierigkeit eines Textes ausmachen. Verständlichkeit bedeutet eine Schonung mentaler Ressourcen. Der Einsatz von Ressourcen wird vor allem durch die beschränkte Kapazität des Arbeitsgedächtnisses begrenzt. Wir unterscheiden grammatische und pragmatische Ressourcen. Kapitel . Den theoretischen Hintergrund für die grammatische Verständlichkeit bildet eine funktionale Grammatik, in der die kommunikative Funktion sprachlicher Ausdrücke im Fokus steht. Verständlichkeit lässt sich auf der Ebene der Grammatik durch den Gebrauch geläufiger Wörter, einfacher Sätze und kohärenter Texte herstellen. Es werden psycholinguistische Befunde referiert, wie bestimmte Formulierungen das Verstehen beeinflussen. Kapitel . Den theoretischen Hintergrund für die pragmatische Verständlichkeit bildet die Sprechakttheorie. Es geht um eindeutige sprachliche Handlungen, <?page no="21"?> 21 1.3 Aufbau des Buches die mit dem Schreiben vollzogen werden. Dazu gehören in Fachtexten einfache Handlungen wie Benennen oder Anleiten sowie komplexe Handlungen wie Definieren, Beschreiben, Erzählen, Begründen. Vor allem das Argumentieren spielt in wissenschaftlichen Texten eine zentrale Rolle. Kapitel . Zum Verständlichmachen von Texten gehören als flankierende Maßnahmen didaktische Zusätze, die helfen, einen schwierigen Text zu erschließen, den man aus verschiedenen Gründen nicht verständlicher umformulieren kann: Vorstrukturierungen, Zusammenfassungen, Lehr- und Lernziele, Merksätze usw. Diese Zusatztexte verlängern zwar den Text, aber nutzen vor allem Adressaten mit geringem Vorwissen und schwach ausgebildeten Lesekompetenzen. Kapitel . Es gibt - unabhängig vom Inhalt - langweilig und anregend formulierte Texte: Über verschiedene rhetorische und stilistische Mittel kann eine textgenerierte Motivation entstehen, die indirekt das Verstehen fördert. Hierher gehören die klassischen rhetorischen Stilmittel der Veranschaulichung, Akzentuierung und Stimulanz, die auch in Sachtexten eingesetzt werden sollten. Kapitel . Schließlich geht es um die Praxis der Verständlichkeit, um Schreiben, Bewerten und Optimieren von Texten. Dazu werden methodische Werkzeuge vorgestellt, mit denen die Verständlichkeit von eigenen wie von fremden Texten ohne einen zu großen Aufwand ermittelt werden kann: Adressatenanalyse, Verständlichkeitsformeln, elektronische Tools, pro- und präskriptive Richtlinien, Checklisten, Fragebögen usw. Traumziel ist ein Verständlichkeitsexperte mit einem Usability-Labor. Kapitel . Ein paar abschließende Anmerkungen zum theoretischen und praktischen Status und zur Zukunft der Textverständlichkeit dürfen nicht fehlen. Ich habe mir Mühe gegeben, geschlechtergerecht zu schreiben, aber vermeide umständliche und damit schwer lesbare Formulierungen. Das generische Maskulinum wird als Gattungsbegriff verwendet, der alle, auch diverse Geschlechter umfasst. In vielen Zusammenhängen ist eine Markierung des Geschlechts nicht notwendig. Dieses Buch behandelt die sprachliche Verständlichkeit. Eine Ergänzung für verständliche Bilder findet sich in meinem Buch „Visualisieren. Bilder in wissenschaftlichen Texten“ (Ballstaedt, 2011). <?page no="23"?> 2 Sprachliche Kommunikation: Meinen und Verstehen In diesem Kapitel werden das Verstehen und die Verständlichkeit in ein Modell der Kommunikation eingebettet. Zuerst werden die Komponenten des Modells vorgestellt (2.1). Danach wird die Verständigung als eine Kooperation zwischen Absender und Adressat beschrieben (2.2). Beide Seiten müssen dazu beitragen, damit eine Mitteilung aus sprachlichen Zeichen verstanden wird. 2.1 Ein Modell der Kommunikation Bild 1: Ein Modell der Kommunikation, das wie jedes sozialwissenschaftliche Modell nur eine grobe Orientierung bietet und das Forschungsfeld mit seinen wichtigsten Einflussgrößen vorstellt. Kommunikation ist eine Interaktion mittels Zeichen, die dazu dient, wechselseitig das Verhalten oder das Erleben des jeweiligen Adressaten zu beeinflussen. <?page no="24"?> 24 2 Sprachliche Kommunikation: Meinen und Verstehen Jede Kommunikation zwischen Absender und Adressaten - mit welchem Zeichensystem auch immer - spielt sich in einem Feld mit zahlreichen Einflussgrößen ab, die im Bild 1 in einem Modell visualisiert sind. Kommunikative Situation Jede Kommunikation ist situiert, sie ist in eine Situation eingebettet. In der mündlichen Kommunikation besteht die Situation aus einem Wahrnehmungsumfeld und aus einer sozialen Situation. 3 Entscheidend ist dabei, dass allein die mentale Repräsentation der Situation im Kopf eines Absenders und Adressaten, ihre „Definition der Situation“ für die Sprachproduktion sowie das Sprachverstehen relevant sind. Es handelt sich nicht um objektive Gegebenheiten, sondern um subjektive mentale Konstrukte. Hier darf das berühmte Zitat nicht fehlen: „If men define situations as real, they are real in their consequences“ (Thomas & Thomas, 1928). Wahrnehmungsumfeld. In der mündlichen Kommunikation gehört zur Situation die gemeinsam wahrgenommene räumliche und zeitliche Umwelt, das Setting, in dem sich die Kommunikationspartner befinden und auf das sie sich mit Zeigegesten und deiktischen Ausdrücken beziehen können. Ein Kommunikant kann den anderen gestisch oder sprachlich auf einen Aspekt des Settings aufmerksam machen. Wichtig ist auch hier, dass Absender und Adressat die Umwelt nicht unbedingt gleich wahrnehmen, ihre visuelle Aufmerksamkeit kann sich auf unterschiedliche Aspekte des Settings beziehen, sie nehmen verschiedene Perspektiven ein. Jede Gesellschaft schafft institutionalisierte Settings wie z. B. einen Hörsaal, ein Museum, einen Supermarkt mit bestimmten Gegenständen, die bestimmte Handlungen ermöglichen. Soziale Situation. Jede Kommunikation findet in einer bestimmten sozialen Situation statt, die soziale Rollen und die dafür geltenden Konventionen umfasst. Diese haben wir in der Sozialisation gelernt und halten sie meist unbewusst ein. In einem Gespräch fühlen wir uns nur sicher, wenn wir wissen, „was vor sich geht“ (Goffman, 1977), d. h. in welchem sozialen Kontext wir uns befinden. Zur sozialen Situation gehören oft noch andere Personen wie Mithörer (z. B. in einer Gruppe), aber auch unbeteiligte Zuhörer. Innerhalb von Institutionen gibt es klar definierte soziale Situationen, z. B. eine Prüfung, 3 Die Termini „Situation“, „Kontext“, „Setting“, „Rahmen“, „Frames“ werden in verschiedenen Theorien unterschiedlich verwendet. Der Ausdruck „Kontext“ wird oft für alle nichtsprachlichen Bedingungen verwendet, die auf Sprechen und Verstehen einwirken. <?page no="25"?> 25 2.1 Ein Modell der Kommunikation ein Verhör, ein Restaurantbesuch. Sie beeinflussen, welche Inhalte in welcher sprachlichen Form (Wortwahl, Satzbau, Rhetorik) geäußert werden. Wenn wir in der Sprechstunde einen Arzt oder eine Ärztin konsultieren, befinden wir uns in folgender kommunikativen Situation. Das Setting ist bekannt: Ein Schreibtisch mit Computer, Blutdruckmessgerät, daneben ein Stuhl für den Patienten und eine Liege für Untersuchungen usw. Die Situation bestimmt Inhalt und Form der sprachlichen Kommunikation. So stehen die Themen Gesundheit und Krankheit im Fokus. Wir erwarten und akzeptieren Fragen, die in anderen Situationen nicht angebracht sind: Wie klappt es mit dem Wasserlassen? Wie oft findet Geschlechtsverkehr statt? Wie viel Alkohol wird pro Tag getrunken? Gab es bereits Depressionen in der Familie? usw. Dabei herrscht eine strenge Komplementarität, denn Patienten dürfen derartige Fragen an den Arzt nicht stellen. Der Patient wird dem Arzt oder der Ärztin gegenüber seine Beschwerden anders formulieren als in der Familie. Während er in den heimischen vier Wänden oft furzen muss, spricht er in der Praxis von Blähungen, der Arzt von abgehenden Winden, Flatulenz oder Meteorismus. Der Patient ist auch bereit, sich auszuziehen - in diesem Kontext sich „freizumachen“, das direkte Wort „ausziehen“ wird diskret vermieden. Wir lassen uns an Körperstellen anfassen, die sonst der Intimkommunikation vorbehalten sind. Wir erwarten vom Arzt dabei einen nüchternen klinischen Blick. Wenn er zu einer Patientin sagt: „Sie haben einen hübschen Po“, so wäre diese wahrscheinlich irritiert, die Äußerung ist nicht situationsangemessen, der Arzt ist damit „aus dem Rahmen gefallen“. Die kommunikative Situation ist eine Schnittstelle, an der die Gesellschaft mit ihren Institutionen und die Personen mit ihren Intentionen aufeinandertreffen. Sie ist nicht statisch, sondern verändert sich mit der Entwicklung der Interaktion zwischen den Beteiligten. In der schriftlichen Kommunikation ist den Beteiligten die Kommunikationssituation meist weniger bewusst. Hier fehlt das gemeinsame Wahrnehmungsumfeld und die Kommunizierenden sind sich oft nicht bewusst, dass sie sich in einer sozialen Situation befinden. Wenn ein Studierender eine Masterarbeit schreibt und eine Professorin sie später liest, befinden sich beide ebenfalls in einer institutionellen sozialen Situation. Der Studierende weiß, was seine Betreuerin inhaltlich gern lesen möchte und er kennt die Regeln wissenschaftlicher Argumentation. Zudem kennt er den akademischen Schreibstil der jeweiligen Disziplin, er schreibt also adressatenorientiert und passt sich sozialen Normen an. <?page no="26"?> 26 2 Sprachliche Kommunikation: Meinen und Verstehen Van Dijk & Kintsch (1983) haben ein „communicative context model“ eingeführt, van Dijk (2008) hat diesen Ansatz weiter ausgearbeitet. In dieses mentale Modell wird alles Wissen über die kommunikative Situation hineingesteckt: die geltenden Konventionen, die Images der Beteiligten, ihre Intentionen und ihr Vorwissen. Absender und Adressat Voraussetzung für Kommunikation sind Akteure: ein Absender, der mit einer Mitteilung etwas meint und ein Adressat, der durch die Mitteilung etwas versteht. Im mündlichen Dialog wechseln Absender und Adressat laufend ihre Rollen, beim Schreiben bleibt die Kommunikation oft einseitig. Das Modell stellt sozusagen nur einen eingefrorenen Moment in der Interaktion dar. Absender und Adressat fassen wir als Kommunikationspartner zusammen. Beide treten in die Kommunikationssituation mit unterschiedlichen Motiven und Intentionen sowie verschiedenen Wissensbeständen ein. Motive und Intentionen Die beiden oberen Ellipsen im Modell stehen für die basalen Motive (= Beweggründe), die sich in konkreten Intentionen (= Zielen) von Absender und Adressat manifestieren. Welche Basismotive die Menschen antreiben, dazu hat die Motivationspsychologie zahlreiche Ansätze geliefert, allerdings nur mit geringer Übereinstimmung. In das Gestrüpp der Triebe, Anreize, Motive, Bedürfnisse, Interessen usw. werden wir uns hier nicht begeben. Wir bleiben auf einer formalen Ebene. Nach Michael Tomasello (2009, S. 95ff.) liegen der unendlich großen Zahl an Intentionen drei evolutionär entstandene basale Kommunikationsmotive zugrunde. Auffordern. Der Absender will, dass der Adressat etwas tut, was der Absender will, was ihm nutzt. In der Sprache entspricht dem der Imperativ, aber es gibt abgeschwächte Formen wie Bitten, Vorschlagen, Hinweisen (ausführlich Herrmann & Grabowski, 1994). Informieren. Der Absender will, dass der Adressat etwas weiß, das für ihn - oder für beide - relevant ist. Er hilft dem anderen, indem er ihn informiert und damit für geteiltes Wissen sorgt. Hier liegt eine Wurzel für kooperatives und prosoziales Handeln. Teilen. Der Absender will, dass der Adressat Gefühle, Stimmungen oder Einstellungen mit ihm teilt, dass er sozusagen mitfühlt. Dieses Mitteilungsmotiv liegt vielen alltäglichen Gesprächen (Smalltalk) zugrunde, die weder auffordern noch informieren, aber den sozialen Zusammenhalt fördern. <?page no="27"?> 27 2.1 Ein Modell der Kommunikation Motive gehen den Intentionen voraus, sie sind sozusagen der tiefere Grund für die Intention (Achtziger & Gollwitzer, 2006). Während die Intentionen den Kommunikationspartnern bewusst sind, müssen dies die Motive nicht immer sein. Alle Intentionen eines Absenders verfolgen letztlich das Ziel, das Denken oder Handeln des Adressaten zu beeinflussen. Wir gehen damit von einem Primat der Persuasion in der sprachlichen Kommunikation aus, die als Überreden oder als Überzeugen ausprägt sein kann. Überreden. Diese Kommunikation ist einseitig wirkungsorientiert, es dominieren Intentionen des Absenders, den Adressaten in seinem Sinne zu beeinflussen, zu einer Änderung der Einstellung oder zu einem bestimmten Verhalten. Dem entspricht das basale Motiv des Aufforderns. Zahlreiche Sprachverwendungen haben eine direkte persuasive Funktion, vom Verschleiern, Täuschen, Aufbauschen, Kleinreden bis zum Lügen. Verständlichkeit ist beim Überreden nicht unbedingt erforderlich. Überzeugen. In der verständigungsorientierten Kommunikation sind die Beteiligten sozial motiviert, ein Einverständnis oder wenigstens einen Kompromiss über ein Problem herzustellen. Dabei sind die basalen Motive des Informierens und Teilens dominant. Argumentation ist der rationale Versuch, den Adressaten mit schlüssigen Gründen zu überzeugen. Für die rationale Verständigung ist Verständlichkeit eine zentrale Forderung. Überredung und Überzeugung sind zwei Seiten jeder Kommunikation: Sprache ist ein Werkzeug zur Persuasion und zur Verständigung. Die basalen Kommunikationsmotive können eine Vielzahl von spezifischen Intentionen hervorbringen. Im Prinzip gibt es keine Absicht, die man nicht auch sprachlich verfolgen kann (Herrmann, 2005). Einen Sachtext liest eine Person, um damit etwas zu erreichen, z. B. Wissen zu erwerben, ein Gerät zu bedienen, eine Entscheidung zu fällen, ein Problem zu lösen usw. (Sauer, 1999). Viele sprachliche Handlungen sind mehrfach determiniert, das Geflecht verschiedener Motive und Intentionen ist den Kommunizierenden nicht immer bewusst. Man kann sich über die eigenen Motive wie die der anderen täuschen. Geteilte Intentionen Absender und Adressaten gehen beide mit bestimmten Intentionen in eine Kommunikation, diese müssen aber nicht übereinstimmen. Geteilte oder kollektive Intentionen sind eine Basis für Kooperation und schaffen ein Wir-Gefühl (Schmid & Schweikard, 2009). Aber gemeinsame Intentionen sind nicht der <?page no="28"?> 28 2 Sprachliche Kommunikation: Meinen und Verstehen Normalfall, Kommunikation ist auch mit unterschiedlichen, gemischten und sogar widersprechenden Intentionen der Beteiligten möglich. Bei einer Gebrauchsanleitung stimmen die Intentionen der technischen Autorin und des Anwenders in einem Punkt überein: Das Gerät soll problemlos bedient werden. Beim Autor kommen aber noch andere Intentionen dazu: Der Text muss Regressforderungen im Rahmen der Produkthaftung vermeiden. Und die Anleitung sollte einen werbenden Charakter haben, damit der Anwender weitere Produkte des Herstellers kauft, sie soll die Kundenbindung stärken. - Der Anwender hingegen will das Gerät möglichst schnell in Betrieb nehmen, er überspringt die Listen mit Warnhinweisen am Anfang der Anleitung und möchte auch nicht mit Werbung konfrontiert werden. Er will das Gerät benutzen und nachträglich in seiner Kaufentscheidung bestärkt werden. Oft kommuniziert eine Person mit gemischten Intentionen: So ist es die Absicht eines Wissenschaftlers, über seine neuen Befunde und seine neue Theorie zu berichten, aber dazu kommen kollaterale Intentionen, die mit der Konkurrenz im Wissenschaftssystem und der Eitelkeit und Geltungssucht der Wissenschaftler zu tun haben. Der Wissenschaftler möchte Aufmerksamkeit erregen, mit Originalität imponieren und oft zitiert werden, um Drittmittel zu bekommen. Kommunikation funktioniert auch ohne gemeinsame übergeordnete Intentionen, ja sogar mit entgegengesetzten Absichten. Auch ein Streit ist Kommunikation! Ein für Absender wie Adressat brauchbarer Text muss gleichwohl die Intentionen beider berücksichtigen, Elke Prestin (2001) hat dafür den Ausdruck „Intentionsadäquatheit“ vorgeschlagen. Wissensbestände Die beiden unteren Ellipsen im Modell stehen für die Wissensbestände von Absender und Adressat im Langzeitgedächtnis (LZG), die wir in folgende Bestandteile untergliedern: Situationswissen. Absender und Adressat wissen um die soziale Situation, in der sie kommunizieren, sie kennen die dafür geltenden Normen und Regeln. Weltwissen. Hiermit sind alle erworbenen Kenntnisse gemeint, die im Gedächtnis vorliegen. Jeder Mensch hat einen individuellen Bestand an Wissen, aber es gibt innerhalb einer Kultur auch ein übereinstimmendes kollektives Weltwissen in den Köpfen. Dieses allgemeine Wissen ist im semantischen Gedächtnis gespeichert, z. B. die Tatsache, dass Frankreich ein Land in Europa und <?page no="29"?> 29 2.1 Ein Modell der Kommunikation Paris seine Hauptstadt ist. Alle Theoretiker gehen davon aus, dass das Weltwissen in einer Form konzeptueller Netzwerke repräsentiert ist. Erfahrungen. Hiermit sind die persönlichen Erlebnisse gemeint, die ein Mensch im Laufe seines Lebens ansammelt. Während das Weltwissen prinzipiell für alle zugänglich ist, sind die persönlichen Erfahrungen individuell. Sie sind im episodischen Gedächtnis gespeichert, z. B. dass ich den ersten Kuss in einem Urlaub in Paris in einer Metrostation ausgetauscht habe. Das episodische Wissen enthält auch modalitätsspezifisches Wissen, vor allem visuelle und auditive Vorstellungen. Zu den für die Kommunikation relevanten Erfahrungen gehören auch diejenigen, die man bereits in anderen Situationen mit den beteiligten Partnern gemacht hat. Semantisches und episodisches Gedächtnis sind zwar neuronal getrennt, aber stehen in Interaktion (Tulving, 1972). Sprachwissen. Ohne gemeinsame Beherrschung von Zeichensystemen oder Kodes ist Kommunikation unmöglich. Zum sprachlichen Wissen gehören das phonologische, orthografische, lexikalische, syntaktische und textuelle Wissen der Grammatik. Die natürliche Sprache besteht aus einem lautlichen Kode und einem später erworbenen schriftlichen Kode. Die sprachliche Kommunikation ist zudem mit paralinguistischen, mimischen und gestischen Kodes verknüpft, also grundsätzlich multikodal (Ballstaedt, 2015). Personales Wissen. Der Absender verfügt über Wissen über den Adressaten, an den er seine Mitteilung richtet. Umgekehrt hat der Adressat ein Wissen über den Absender, nach dem er sein Verstehen ausrichtet. Das Wissen über den anderen wird als „model of the other person“ oder als Image zusammengefasst. Der Aufbau eines Persönlichkeitsbildes des anderen beginnt beim Erstkontakt mit dem berüchtigten ersten Eindruck: Ein Mensch ist sympathisch oder unsympathisch, wirkt mehr oder weniger intelligent usw. In das Image einer Person gehen ihre soziale Position und die damit verbundene Rolle mit ein. Anfangs werden Lücken durch soziale Stereotype wie „Student“, „Professor“, „Banker“ usw. geschlossen. Die Einschätzung des Wissens und der Intentionen des Gegenübers bleibt erschlossen und fragmentarisch. Dazu gehört auch eine Einschätzung, welche Definition der Situation der andere einbringt und damit die Möglichkeit, sich in die Perspektive des anderen zu versetzen, eine der wichtigsten kommunikativen Kompetenzen. Diese ersten (Vor-)Urteile über die andere Person beeinflussen die weitere Kommunikation mit dieser Person und können sich im Verlauf der Kommunikation verändern. Wir testen sozusagen fortlaufend Hypothesen über die Person des anderen (Bach & Schenke, 2017). In der Kommunikation sind alle Beteiligten darauf bedacht, ihr Image in ihrem <?page no="30"?> 30 2 Sprachliche Kommunikation: Meinen und Verstehen Sinne zu beeinflussen: Die Selbstdarstellung bzw. das Impression Management ist ein persuasiver Bestandteil jeder Kommunikation. In der Literaturtheorie wird bei fiktionalen Texten von einem impliziten Leser gesprochen, den ein Autor/ eine Autorin beim Schreiben mitdenkt (Iser, 1976). Ebenso gibt es auf der Seite des Lesenden einen impliziten Autor, das ist die Vorstellung, die sich ein Lesender durch die Lektüre des Textes vom Autor konstruiert (Booth, 1974). Diese Überlegungen können auch auf Sachtexte übertragen werden. In der hermeneutischen Tradition werden all diese subjektiven Wissensbestände als Vorverständnis zusammengefasst. Das mitgebrachte Vorverständnis erschließt einerseits die Mitteilung, aber schränkt andererseits das Verstehen auch ein. Das unvermeidlich mitgebrachte Vorverständnis kann „für das neue Verstehen produktiv werden, aber auch in seiner Eingeschränktheit den Blick für das Andersartige verstellen und es von vornherein in den engen Horizont des eigenen Weltbildes zwängen“ (Kümmel, 1965, S. 31). Geteiltes Wissen = Common Ground Absender und Adressat bringen zwar ihre eigenen Köpfe mit, aber Kommunikation setzt eine teilweise Übereinstimmung der Wissensbestände voraus, einen Common Ground nach Herbert Clark (1997a, b) oder „culturally shared knowledge“ nach Walter Kintsch (1974). Gäbe es keinerlei geteiltes Wissen, dann wäre auch keine Kommunikation möglich, so als wenn wir einem Alien gegenüberständen, das andere Zeichensysteme benutzt, anderes Vorwissen, andere Erfahrungen und andere Konventionen einbringt. Je größer das geteilte Wissen, desto weniger muss explizit ausgedrückt werden, desto besser verstehen sich die Kommunikanten. Würden die beiden Ellipsen allerdings zusammenfallen, dann hätten die beiden Kommunikanten sich eigentlich nichts zu sagen. Kommunikation wird erst interessant, wenn man mit Unbekanntem und Abweichungen vom eigenen Wissen rechnen muss. Am Anfang einer Beziehung dient Kommunikation dazu, das gemeinsame Wissen zu ermitteln und auszuweiten, nach vielen Jahren des Zusammenlebens hat man sich dann weniger zu sagen, vieles kann als Common Ground unausgesprochen bleiben. Zum geteilten Wissen gehört in der mündlichen Kommunikation auch das Wahrnehmungsumfeld, in dem sich Absender und Adressat befinden. Und zum geteilten Wissen gehört auch alles, was vorher gesprochen oder geschrieben wurde, es wird als sprachlicher Kontext (oder Kotext) für die aktuelle Äußerung <?page no="31"?> 31 2.1 Ein Modell der Kommunikation bezeichnet. Ein zusammenhängendes Gespräch kann nur kohärent sein, wenn die vorherigen Äußerungen beider Kommunikanten noch im episodischen Gedächtnis abrufbar sind. Mitteilungen, Äußerungen Das Herz der Kommunikation ist die Mitteilung, sie besteht aus Zeichen verschiedener Kodes. Mit ihr äußert der Absender, was er meint, und sie dient als Grundlage dafür, was der Adressat versteht. Eine Äußerung bringt etwas Erlebtes oder Gedachtes hörbar oder lesbar zum sprachlichen Ausdruck. Die meisten Mitteilungen sind multikodal, d. h. kombinieren mehrere Zeichensysteme. Auch sprachliche Zeichen sind stets in einen multikodalen Kontext eingebettet (Ballstaedt, 2016a). Gesprochene Sprache ist mit anderen Zeichensystemen wie Prosodie oder Gesten verknüpft. Geschriebene Sprache wird oft mit Abbildern und Visualisierungen kombiniert. Das bedeutet, „that language is always one of a number of semiotic (communication/ representational) modes in use in any act of communication, and that language may not be the central mode“ (Kress, Ogborn & Martins, 1998, S. 69). Die Kombination von verschiedenen Zeichen kann zu sehr komplexen, sogar in sich widersprüchlichen Mitteilungen führen. Noch eine terminologische Anmerkung: Bei Semiotikern und einigen Linguisten werden alle Zeichen eines Kommunikats als ein Text behandelt, also auch die Bilder. Wir gehen demgegenüber von einem engen Begriff von Text als zusammenhängender Satzfolge aus. Der weite Textbegriff verdeckt die kommunikativen und neuronalen Unterschiede des sprachlichen und bildlichen Kodes und führt dadurch zu unangemessenen Theorien und Methoden, die sich in Wörtern wie „Bildlinguistik“, „Bildgrammatik“, „Bildsprache“, „Bilderlesen“ usw. niederschlagen, die auch als Analogien problematisch bleiben. Medien Eine sprachliche Mitteilung kann in verschiedenen Medien transportiert, präsentiert und gespeichert werden. Die direkte Face-to-face-Kommunikation benötigt kein Medium, aber Texte können im Radio, in einem Buch, auf dem Monitor präsentiert werden. Medien sind der materielle bzw. apparative Anteil der Kommunikation. Inwieweit das Medium die Gestaltung und die Rezeption der Mitteilung beeinflusst, ist Thema der Medienlinguistik (Burger & Lugin- <?page no="32"?> 32 2 Sprachliche Kommunikation: Meinen und Verstehen bühl, 2014; Schmitz, 2015). Wir gehen davon aus, dass die unteren Prozesse der Wahrnehmung von Texten - Laut- und Buchstabenwahrnehmung - medienspezifisch ablaufen, so werden z. B. Texte auf dem Monitor oder dem Smartphone flüchtiger gelesen als in einem Buch. Aber die Prozesse des Verstehens sind bei allen Medien gleich, die Richtlinien für sprachliche Verständlichkeit sind deshalb für alle Medien gültig. Meinen Wohl alle Sprachwissenschaftler sind sich darin einig, dass ein Absender mit seiner Mitteilung auf mehreren Ebenen etwas meinen kann. In seiner Sprachtheorie unterscheidet Karl Bühler (1982) beim Zeichengebrauch drei Funktionen: Darstellung, Appell und Ausdruck. Ein Beispiel für eine einfache Mitteilung. 4 Situation: Der Satz wird von einem Kernkraftgegner mündlich geäußert oder in einem Flyer abgedruckt. (1) Die radioaktiven Abfälle eines Kernreaktors belasten die Umwelt über Jahrtausende. Was meint der Absender mit dieser Äußerung und wie kann sie ein Adressat verstehen? Inhaltliche Bedeutung. Mit seiner Äußerung externalisiert der Absender Wissen über Dinge, Personen, Ereignisse. Das wörtlich Gesagte bezieht sich (= referenziert) auf die Wirklichkeit, hier auf die Auswirkungen von Radioaktivität. Zwei Aussagen werden getroffen: (1.1) Kernreaktoren erzeugen radioaktive Abfälle. (1.2) Radioaktive Abfälle belasten die Umwelt. Diese Aussagen sind grundsätzlich überprüfbar, sie sind wahr oder falsch. Die wörtliche Bedeutung lässt viel aus, was der Absender beim Adressaten in der jeweiligen Situation als gemeinsames Wissen voraussetzt, z. B. über Halbwertzeit radioaktiver Substanzen und über Schädigungen durch Strahlung. Aber der Absender meint noch mehr mit seiner Äußerung. 4 Die Sprachbeispiele habe ich über die Jahre gesammelt, sie stammen aus verschiedensten Texten und wurden aus didaktischen Gründen oft modifiziert. Deshalb gebe ich dafür auch keine Quellen an. <?page no="33"?> 33 2.1 Ein Modell der Kommunikation Intentionale Bedeutung. Wenn wir die Situation berücksichtigen, in der die Mitteilung ausgesprochen wird, will der Absender vor den Folgen der Kernenergie warnen. Die Warnung und der Appell sind nicht explizit formuliert, die intentionale Bedeutung muss vom Adressaten erschlossen werden. 5 → (1.3) Ich warne vor den Folgen der radioaktiven Abfälle von Kernkraftwerken. Der Absender will mit der Warnung erreichen, dass der Adressat z. B. einen Aufruf unterschreibt, sich an einer Demonstration beteiligt oder eine bestimmte Partei wählt. Sprechen und Schreiben ist immer auch zielgerichtetes Handeln. Expressive Bedeutung. Der Absender bringt - ob er will oder nicht, bewusst oder unbewusst - einiges über sich zum Ausdruck, oft wird auch von Kundgabe oder Selbstoffenbarung gesprochen. In unserem Beispiel kommt die Sorge um die Zukunft unserer Umwelt oder die Angst vor einem radioaktiven Unfall zum Ausdruck. Gedanken, Gefühle und Vorstellungen, die ja nicht beobachtbar sind, können auch direkt geäußert werden. → (1.4) Ich mache mir Sorgen, dass unsere Kinder in einer verseuchten Umwelt leben werden. Der Satz (1.4) könnte explizit geäußert werden, aber oft bleiben die Gefühle hinter der Sprache verborgen. Bei Bühler ist das die Symptomfunktion der Sprache. Aus der Äußerung (1) kann man ersehen, dass ein Absender meist mehr meint als er sprachlich explizit mitteilt. Eine sprachliche Äußerung erfüllt mehrere Funktionen gleichzeitig. Existenziell verschärft ausgedrückt: Ob wir das wollen oder nicht, wir kommunizieren mit einer Äußerung immer auf den drei Ebenen. Dabei geht das Gemeinte über das explizit Gesagte oder Geschriebene hinaus, der Adressat muss das Gemeinte oft erschließen. Damit wechseln wir die Seite und sind beim Verstehen. Verstehen Verstehen wird zunächst als subjektives Gefühl erfahrbar: Der Adressat versteht eine Rede oder ein Buch bzw. er versteht, was der Absender damit meint. Dahinter steckt eine geistige Aktivität des Adressaten einer Mitteilung, die nicht direkt beobachtbar ist: Er konstruiert auf der Basis der Mitteilung mit Hilfe ver- 5 Vom Adressaten erschlossene Bedeutungen sind im Folgenden immer mit einem Pfeil → versehen. <?page no="34"?> 34 2 Sprachliche Kommunikation: Meinen und Verstehen schiedener Folgerungen - Fachwort: Inferenzen - ein bzw. sein Verständnis. Es muss ausdrücklich betont werden, dass keine Information vom Absender zum Adressaten fließt, deshalb ist im Bild 1 kein Pfeil vom Absender zum Adressaten durchgezogen, sondern zwei Pfeile zeigen von beiden Seiten auf die Mitteilung. Verstehen bedeutet keine spiegelbildliche Abbildung von Wissen des Absenders beim Adressaten! Der Absender gibt dem Adressaten mit der Mitteilung etwas zu verstehen. Dieses Verstehen umfasst ebenfalls die drei Funktionen der Kommunikation. Inhaltliches Verstehen. Wörtliches Verstehen ist das Ergebnis zahlreicher Verarbeitungsprozesse, die meist nicht bewusst sind: Über die Wörter werden Begriffe aktiviert und über die Syntax werden Beziehungen zwischen den Begriffen hergestellt (bottom-up). Über die aktivierten Begriffe wird wiederum Vorwissen aktiviert, das zu weiterführenden Inferenzen führt (top-down). Wer die Mitteilung (1) versteht, der muss wissen, was ein Kernkraftwerk ist (Stromerzeugung), welche Abfälle dort anfallen (Brennstäbe) und wie sie entsorgt werden können (Endlagerung). Die verwendeten Wörter und syntaktischen Konstruktionen bestimmen nicht das Verständnis, aber sie setzen deutliche Grenzen (constraints). Das Verstehen selbst einer einfachen Äußerung ist ohne Inferenzen nicht möglich. Das externalisierte Wissen ermöglicht dem Adressaten einen Einblick in das Wissen und Denken des Absenders. Intentionales Verstehen. Hier geht es um das Erkennen der Intentionen, die mit der Mitteilung verbunden sind. Warum hat sie mir das gesagt? Warum hat er das geschrieben? Welche Absicht steckt hinter einer Formulierung? Das intentionale Verstehen wertet in der mündlichen Kommunikation zusätzliche Zeichen aus wie Prosodie, Mimik, Gestik, in der schriftlichen Kommunikation sind die Absichten des Schreibenden oft schwerer zu verstehen. Bei der Äußerung (1) kann der Adressat die Intention erschließen, dass der Absender ihn zu einem Engagement gegen die Kernkraft oder zum Eintritt in eine Partei überzeugen will. Auch das intentionale Verstehen erfordert Inferenzen aufgrund von Vorwissen, Erfahrungen und Situation. Dazu trägt auch das Image bei, das der Adressat vom Absender als Vertreter einer bestimmten Institution hat. Expressives Verstehen. Hier geht es um das Verstehen, was der Absender mit seiner Mitteilung über sich ausdrücken möchte oder unbewusst ausdrückt. Dieses Verstehen setzt ein gewisses Maß an Empathie voraus. So kann ein Adressat durch die Mitteilung erkennen, dass der Absender besorgt ist, vielleicht ein ängstlicher Mensch, vielleicht ein Hysteriker. Oliver Scholz (2016) hat darauf aufmerksam gemacht, dass sich das Verstehen von Texten vom Verstehen von <?page no="35"?> 35 2.1 Ein Modell der Kommunikation Personen nicht klar abgrenzen lässt. Wenn ich z. B. einen Brief lese, so möchte ich den Text verstehen (inhaltliches Verstehen), aber auch den Absender des Briefes (intentionales und expressives Verstehen). Wer einen Text versteht, der versteht auch zu einem Teil seinen Urheber. Texte können deshalb als Grundlage für psychologische Diagnosen dienen (Tergan, Knäuper & Ballstaedt, 2003). Fassen wir mit einem Zitat zusammen: „Verbal comprehension starts with the recovery of a linguistically encoded sentence meaning, which must be contextually enriched in a variety of ways to yield a full-fledged speaker’s meaning“ (Wilson & Sperber, 2004, S. 259). Verstehen ist stets das Resultat einer Wechselwirkung von textgeleiteten (bottom-up) und wissengeleiteten (top-down) Verarbeitungsprozessen. In das Verstehen gehen damit Merkmale des Textes, aber auch Merkmale der Beteiligten ein (Ballstaedt & Mandl, 1988) 6 . Das Resultat des Verstehens ist ein Verständnis der Mitteilung. Dabei ist diese Trennung zwischen Prozessen (Verstehen) und Struktur (Verständnis) etwas künstlich, denn Strukturen sind kurzzeitig verfestigte Prozesse und Prozesse sind Strukturen in Veränderung (Kintsch, 1974). Erfolgreiches Verstehen erfolgt auf allen drei angesprochenen Ebenen: Der Adressat versteht Inhalt, Intention und Ausdruck. Die Ebenen des Verstehens können dissoziieren: Eine Person versteht, was gesagt wird, aber versteht nicht, warum es gesagt wird, welche kommunikative Intention dahinter steht (Bublitz & Kühn, 2009). Verstehen auf allen drei Ebenen ist eine anspruchsvolle Aufgabe und misslingt deshalb immer wieder. Da es hier um Fachtexte bzw. expositorische Texte geht, werden nur das inhaltliche und das intentionale Verstehen thematisiert, das expressive Verstehen wird - wie übrigens in den meisten Verstehenstheorien - vernachlässigt. Zusatzmaterial 1: Übung zum Vergleich von Kommunikationsmodellen 6 In Anlehnung an Kintsch (1988) wird gern von einer Leser-Text-Interaktion gesprochen, aber der Ausdruck ist irreführend, wenn er kommunikativ verstanden wird, denn der Text reagiert ja nicht auf die Verstehensbemühungen eines Lesenden. Gemeint ist damit, dass das Verstehen durch Merkmale des Textes und Merkmale des Lesenden beeinflusst wird. <?page no="36"?> 36 2 Sprachliche Kommunikation: Meinen und Verstehen 2.2 Verständigung als Kooperation Nachdem das Umfeld der Kommunikation, in dem Verstehen stattfindet, skizziert ist, steuern wir nun auf den Begriff der Verständlichkeit zu. In der Alltagssprache bezeichnen wir einen Text - z. B. eine Rede oder einen Aufsatz - als leicht verständlich, wenn wir ihn spontan und mühelos verstehen. Ein Text, bei dem wir uns um das Verstehen bemühen müssen, bezeichnen wir als schwer verständlich, wenn wir daran scheitern als unverständlich. Scheinbar ist dabei Verständlichkeit eine Eigenschaft eines Textes mit mehr oder weniger großer Ausprägung. Dabei vergessen wir aber, dass jeder Text Teil eines Kommunikationsprozesses ist, in dem eine Person sich mündlich bzw. schriftlich in einer Mitteilung äußert, die eine andere Person hört bzw. liest und zu verstehen versucht. In diesem störanfälligen Kommunikationsprozess entsteht Verständlichkeit erst in einer konkreten Kommunikation. „Der Text als Artefakt hat keine Verständlichkeit an sich, sondern erhält Zuschreibungen von Verständlichkeit erst durch seine Einbettung in einen kommunikativen Zusammenhang“ (Lutz, 2015, S. 188). Das kann man daran erkennen, dass ein Adressat einen Text leicht verständlich findet, ein anderer Adressat aber denselben Text schwer verständlich. Wie kommt Verständlichkeit in der Kommunikation zustande? Adressatenorientierung Verständlichkeit ist zunächst eine Aufgabe für einen kooperativen Absender, der sich bemüht, dass seine Mitteilung für den Adressaten zu verstehen ist, indem er dessen Intentionen und Vorverständnis berücksichtigt und adressatenorientiert formuliert. Verständliche Kommunikation ist immer adressiert, d. h. auf eine bestimmte Person oder eine bestimmte Adressatengruppe ausgerichtet. Der Absender sucht dabei einen Kompromiss zwischen Verständlichkeit und sprachlichem Aufwand. Er formuliert gerade so ausführlich, dass er vom Adressaten mit einem Minimum an Verarbeitungsaufwand verstanden wird. Der Absender befolgt die Maxime: „Sorge dafür, dass dein Adressat dich versteht! “ Aber er versucht das selbst mit möglichst wenig Ressourcen beim Formulieren zu erreichen: „Wende dafür nicht zu viel Energie auf.“ 7 7 Diese sprachökonomische Hypothese wird auch als „falsches Zipf ’sches Gesetz“ bezeichnet. Zwar hat der amerikanische Linguist George Kingsley- Zipf viele Gesetze formuliert, aber dieses wurde ihm fälschlich zugeschrieben. <?page no="37"?> 37 2.2 Verständigung als Kooperation Ein schönes Beispiel ist der Baby Talk, mit dem ein Vater oder eine Mutter ein Kleinkind anspricht. Die Formulierungen werden automatisch an das Vorwissen und die kognitiven Fähigkeiten des Kindes angepasst: Vokabular nur für Basisbegriffe, syntaktisch einfache Sätze, überzeichnete Artikulation, langsames Sprechtempo, Betonung wichtiger Wörter, sprechbegleitende Gesten. Die Adressatenorientierung wird besonders bewusst bei persönlichen Texten, z. B. einem Liebesbrief oder einem Bewerbungsschreiben, die inhaltlich und sprachlich auf ihre Adressaten ausgerichtet sind und unbedingt überzeugen sollen. Hier erlebt der oder die Schreibende die mentale Wirkung eines „model of the other person“ deutlich: Was soll ich schreiben? Wie soll ich es schreiben? Die Adressierung einer Äußerung verlangt vom Absender ein Verstehen anderer Personen, ihres Vorwissens, ihrer Intentionen, ihrer Mentalität, ihrer sprachlichen und kognitiven Kompetenzen (Newen, 2015). Zu diesem Erfassen der Persönlichkeit ist Empathie erforderlich, dabei geht der Absender teilweise vom eigenen Denken und Erleben aus. Relevanzannahme Die Hauptverantwortung für Verständlichkeit trägt zwar der Absender, aber auch der Adressat muss sich um Verstehen bemühen. Dabei geht er davon aus, dass das Gesagte bzw. Geschriebene grundsätzlich verstehbar und für ihn auch relevant ist, dass für ihn etwas Wichtiges aus der Mitteilung herauszuholen ist. Diese Unterstellung als Voraussetzung für sprachliche Verständigung taucht bereits in der frühen Hermeneutik als „principle of charity“ auf: Es besagt, dass ein Adressat dem Absender zunächst mit Wohlwollen begegnen soll, er soll ihn als rationales Gegenüber akzeptieren, dessen Äußerungen einen Sinn machen. Die schreibende Person genießt somit einen Vertrauensvorschuss. Das Prinzip der wohlwollenden Interpretation war in der Scholastik eine Absicherung, da heilige Texte oft unklar und widersprüchlich sind. Ein wohlwollender Lesender verwirft sie aber trotzdem nicht. In verschiedenen Varianten taucht das Nachsichtigkeitsprinzip in der Philosophie immer wieder auf (Scholz, 2016). Dahinter steht ein Motiv des aktiven Verstehenwollens auch schwieriger Texte (Kap. 4.3). Diese Ausrichtung auf Bedeutung in einer Mitteilung ist von verschiedenen Autoren betont worden. Bereits Frederic Bartlett (1932, S. 44) sprach vom „effort after meaning“ als einem kognitiven Grundbedürfnis. Hans Hörmann (1976, S. 179) prägte dafür das nur für Wahrnehmungspsychologen verständliche Wort <?page no="38"?> 38 2 Sprachliche Kommunikation: Meinen und Verstehen „Sinnkonstanz“. Deidre Wilson & Dan Sperber (2004, S. 608) sprechen von „expectations of relevance“: „the search of relevance is a basic feature of human cognition, which communicators may exploit.“ Unser Gehirn ist sozusagen immer auf Sinnsuche in mündlichen Äußerungen wie in schriftlichen Texten, man könnte von einem kognitiven Basismotiv sprechen. Diese kommunikative Vorannahme kann den Adressaten eines Textes dazu bringen, erheblichen Verarbeitungsaufwand zu betreiben, um ein Verständnis zu konstruieren. Er befolgt die Maxime: „Strenge dich an, den Absender zu verstehen! “ Das bedeutet oft ein wiederholtes Lesen und zusätzliche Anstrengungen, die über das spontane Verstehen hinausgehen, wir bezeichnen sie als Interpretation. Eine Interpretation setzt ein, entweder weil sich kein Verständnis einstellt, oder weil der Adressat mit dem Verständnis nicht zufrieden ist (Heringer, 1984; Scholz, 2016). Während die Interpretation noch im Text verankert ist, entfernt sich eine Deutung oder Auslegung vom Text, hebt sozusagen ab und ist oft durch den Text nicht mehr vollständig gedeckt. Hier taucht die Gefahr der unterstellenden Spekulation auf (Sontag, 2016). Bei Sachtexten ist diese Gefahr allerdings deutlich geringer als bei literarischen Texten. Vom spontanen Verstehen über die Interpretation zur Auslegung oder Deutung steigert sich der Verarbeitungsaufwand. Interessant bleibt die Frage, unter welchen Bedingungen diese Bemühungen um Verständnis abgebrochen werden. Jeder geht an einen Text mit der Einstellung heran, dass er grundsätzlich verstehbar ist, und ist deshalb auch frustriert, wenn er ihn nicht versteht. Jede nicht verstandene Äußerung ist eine Kränkung des Intellekts, der ein Betroffener mit Abbruch der Lektüre aus dem Weg gehen kann (dazu Kap. 4.4). Bild 2: Textverständlichkeit als Kooperation zwischen einem adressatenorientierten Absender und einem relevanzorientierten Adressaten. <?page no="39"?> 39 2.2 Verständigung als Kooperation Kooperation und Vertrauen Verständlichkeit ist das Ergebnis einer gemeinsamen Bemühung, wobei allerdings der Absender in Vorleistung geht. Verständlichkeit ist „nicht nur eine Frage der Bringschuld des Autors, sondern auch der Holschuld des Lesers: So wie sich der Autor auf den Leser zubewegen muß, muß sich auch der Leser auf den Autor zubewegen“ (Biere, 1996, S. 292). In Anknüpfung an die Tradition kann man von einer rhetorischen Aufgabe des Absenders und einer hermeneutischen Aufgabe des Adressaten sprechen. Der eine muss sich um die Formulierung, der andere um das Verstehen bemühen. Für dieses Zusammenspiel wird gern das Wort Kooperation verwendet. „In general, a theory of comprehension must account for interpretations the listener comes to based on the assumption that the speaker is cooperating with him“ (Clark & Haviland, 1977, S. 3). Hans Jürgen Heringer (2004) hat darauf aufmerksam gemacht, dass Kooperation hier etwas anderes meint als der übliche Begriff der Kooperation. Unter Kooperation wird gewöhnlich das arbeitsteilige Zusammenwirken mindestens zweier Personen mit geteilter Intention verstanden. Sie stimmen ihre nichtsprachlichen und sprachlichen Handlungen aufeinander ab, um ein gemeinsames Ziel jenseits der Kommunikation zu erreichen, zum Beispiel in einem Projekt. Bei der Verständigung ist Kooperation jedoch allein darauf angelegt zu verstehen, was mit mündlichen oder schriftlichen Äußerungen in einer kommunikativen Situation gemeint ist, sie betrifft die Kommunikation selbst, kein Ziel außerhalb der Kommunikation. Als Basis dieser Kooperation dient ein wechselseitiges Vertrauen der Kommunikanten. ▶ Der Absender äußert sich im Vertrauen darauf, dass der Adressat seine Äußerungen ernst nimmt und sich um ein Verstehen bemüht. ▶ Der Adressat vertraut darauf, dass der Absender etwas für ihn Relevantes zu sagen hat, ihn nicht belügt und sich verständlich auszudrücken versucht. Vertrauen ist eine wichtige Kategorie in der zwischenmenschlichen Kommunikation, darauf hat vor allem Johann Juchem (1988) aufmerksam gemacht. Vertrauen bleibt immer ein riskantes Gefühl, es kann enttäuscht und missbraucht werden, vor allem da es gerade in Situationen notwendig ist, in denen nur ein fragmentarisches Wissen über das Gegenüber besteht (Wertheimer & Birbaumer, 2016). Vertrauen in den Partner reduziert gerade bei Unsicherheit zunächst die Komplexität möglicher Interpretation. In der mündlichen Kommunikation <?page no="40"?> 40 2 Sprachliche Kommunikation: Meinen und Verstehen zeigt sich kooperative Kommunikation am Einsatz verschiedener Methoden der Verständnissicherung wie Rückfragen, Wiederholen, Paraphrasieren (ausführlich Kap. 3.2). Vertrauen wird im Verlauf der Kommunikation durch positive oder negative Hinweisreize im Verhalten bestätigt oder widerlegt. Wem „Vertrauen“ ein zu gefühliges Wort ist, der kann nüchterner von wechselseitigen Hintergrunderwartungen oder stillschweigenden Annahmen sprechen, die jede Kommunikation begleiten und erst thematisiert werden, wenn eine Person nicht kooperativ kommuniziert, wenn sie sich keine Mühe gibt, adressatenorientiert zu formulieren und absenderorientiert zu verstehen. Es bleibt die interessante Frage, wie lange Kooperation und Vertrauen aufrechterhalten werden, wenn der Adressat zahlreiche unverständliche, schwer verständliche und widersprüchliche Aussagen liest. In der Linguistik wird die abwartende Haltung des Adressaten als Akzeptabilität bezeichnet (de Beaugrande & Dressler, 1981). Sie ist von der Frustrationstoleranz und der Motivation des jeweiligen Adressaten abhängig. Fallibilität Grundsätzlich ist ein letztgültiges oder vollständiges Verstehen einer Mitteilung nicht erreichbar oder überprüfbar. Der Adressat ist sich nie sicher, ob er auch das versteht, was der Absender meint. Umgekehrt kann sich auch der Absender nie sicher sein, ob seine Mitteilung verstanden wurde. Kommunikation ist deshalb prinzipiell fehlbar, Gerold Ungeheuer (2017) spricht von Fallibilität. Der amerikanische Kognitionspychologe David Rumelhart (1981, S. 30) beschreibt die Situation so: „… the problem facing a comprehender is analogous to the problem that a detective faces when trying to solve a crime. In both cases there are a set of clues. The listener’s (or reader’s) job is to find a consistent interpretation of these clues.“ - „The speaker’s (or writer’s) problem is to leave a trail of clues which, in the opinion of the speaker, will lead the reader to make the inferences that the speaker wishes to communicate“. Es gibt einige Denker, die von einem starken Misstrauen in die sprachliche Kommunikation geprägt sind. Sie verneinen eine sprachliche Verständigung zwischen Menschen grundsätzlich: „Ein Hauptmittel des Nichtverstehens ist die Sprache. Wir wissen voneinander bei den einfachsten Begriffen nicht, ob wir bei einem gleichen Worte die gleiche Vorstellung haben. […] Durch die Sprache haben es sich die Menschen für immer unmöglich gemacht, einander kennen zu lernen“ (Mauthner, 1982a, S. 56). <?page no="41"?> 41 2.2 Verständigung als Kooperation „Ich begriff, dass Menschen zwar zueinander sprechen, aber sich nicht verstehen, dass ihre Worte Stöße sind, die an den Worten der anderen abprallen, dass es keine größere Illusion gibt als die Meinung, Sprache sei ein Mittel der Kommunikation zwischen Menschen. Man spricht zum anderen, aber so dass er einen nicht versteht. Man spricht weiter, und er versteht noch weniger. […] Selten dringt etwas in den anderen ein, und wenn es doch geschieht, dann etwas Verkehrtes.“ (Canetti, 1981, S. 48) Für den Soziologen Niklas Luhmann (1981) ist nicht die gelingende Kommunikation der Normalfall, sondern eine Unwahrscheinlichkeit: „Die Sprache ist […] darauf spezialisiert, den Eindruck des übereinstimmenden Verstehens als Basis weiteren Kommunizierens verfügbar zu machen - wie brüchig immer dieser Eindruck zustandegekommen sein mag.“ (Luhmann, 1981, S. 32) Zum Schluss ist auch Karl Valentin zu nennen, in dessen Gesprächen mit Liesl Karlstadt die Verständigung mit Sprache regelmäßig scheitert und sich die Beteiligten in Mehrdeutigkeiten, unscharfen Begriffen, Metaphern, Wortspielen verheddern (Valentin, 1990). Kommunikative Kompetenzen Adressatenorientierung und Relevanzannahme können als Bestandteile einer kommunikativen Kompetenz gesehen werden, die sowohl Absender als auch Adressat für eine angemessene und effektive Kommunikation einbringen müssen (Rickheit, Strohner & Vorwerg, 2008). Formulierungskompetenz. Vom Absender wird die Fähigkeit verlangt, sich auf die jeweiligen Adressaten auszurichten. Diese Adressatenorientierung ist nicht selbstverständlich, einige Autoren gehen davon aus, dass wir zunächst egozentrisch formulieren und egozentrisch verstehen (Keysar, Barr & Horton, 1998). Erst bei Störungen der Kommunikation setzten Bemühungen um adressatengerechtes Formulieren ein. Verstehenskompetenz. Vom Adressaten wird die Fähigkeit verlangt, sich auf den Absender einzustellen und seine Äußerungen als grundsätzlich relevant aufzufassen. Auch wenn er Äußerungen spontan nicht gleich versteht, muss er sich unter Einsatz mentaler Ressourcen um eine Interpretation bemühen. Dazu gehört auch der bewusste Einsatz von Lerntechniken, die ein aktives Erschließen des Textes ermöglichen (Schnotz & Ballstaedt, 1995; Mandl & Friedrich, 2006). <?page no="42"?> 42 2 Sprachliche Kommunikation: Meinen und Verstehen Das kooperative Schaffen von Verständlichkeit nennen wir Verständigung! Sie gelingt in der mündlichen Kommunikation leichter (Kap. 3) als in der schriftlichen Kommunikation (Kap. 4). Zusammenfassung 1.- Verstehen, Verständnis und Verständlichkeit sind in eine kommunikative Situation eingebettet, in der ein Absender eine sprachliche Mitteilung für einen Adressaten produziert. 2.- Kommunikation setzt Motive und Intentionen der Beteiligten voraus, die aber nicht übereinstimmen müssen. Auch mit unterschiedlichen oder widersprechenden Intentionen kann man kommunizieren. 3.-Kommunikation setzt geteiltes Wissen über die Wirklichkeit, die Sprache und soziale Konventionen voraus. Dieses Vorverständnis beider Kommunikanten stimmt nie vollständig überein. 4.-Jeder Absender hat eine Vorstellung, ein Image, von seinem Adressaten, an dem er die Gestaltung seiner Mitteilung ausrichtet. - Jeder Adressat hat eine Vorstellung, ein Image, des Absenders, das sein Verstehen beeinflusst. 5.- In der Kommunikation werden keine Inhalte, Informationen oder Bedeutungen vom Absender zum Adressaten transportiert, sondern der Absender formuliert eine Mitteilung, die der Adressat zu verstehen versucht. Der Absender gibt dem Adressaten etwas zu verstehen. Der Adressat konstruiert aus der Mitteilung ein Verständnis. 6.-Meinen und Verstehen betreffen drei Funktionen der Sprache: Darstellung, Appell und Ausdruck. Eine Mitteilung hat inhaltliche, intentionale und expressive Bedeutung. Das Verstehen umfasst analog inhaltliches, intentionales und expressives Verstehen. 7.-Verständigung ist ein kooperatives Unternehmen: Auf Seiten des Absenders besteht die Kooperation in einer adressatenorientierten Formulierung, die das Vorverständnis und die Intentionen des Adressaten berücksichtigt. - Auf Seiten des Adressaten besteht die Kooperation in der Annahme, dass der Absender etwas Relevantes und Sinnvolles meint. Diese Annahme führt zum Einsatz von Ressourcen, auch wenn die Mitteilung nicht spontan verstanden wird. <?page no="43"?> 43 Zusammenfassung 8.-Diese Kooperation basiert auf einem Vertrauen darauf, dass beide Seiten an einer Verständigung interessiert sind. Da Sprache oft rein persuasiv eingesetzt wird, ist das Vertrauen stets ein riskantes Gefühl, das enttäuscht werden kann. 9.-Einige philosophische und soziologische Ansätze betonen die Unwahrscheinlichkeit und Fallibilität der Kommunikation, sie haben wenig Vertrauen in das Verständigungspotenzial der Sprache. 10.-Adressatenorientierung und Relevanzannahme sind Teil einer kommunikativen Kompetenz, die jeder erfolgreichen und professionellen Kommunikation zugrunde liegt. <?page no="45"?> 3 Mündliche Verständigung Obwohl unser Schwerpunkt auf der Verständlichkeit schriftlicher Texte liegt, gehen wir von der mündlichen Kommunikation aus. In der direkten personalen Kommunikation haben sich die Fähigkeiten der Verständigung evolutionär herausgebildet. „The language of face-fo-face conversation is the basic and primary use of language, all others being best described in terms of their manner of derivation from the base“ (Fillmore, 1981, S. 152). Während die Benutzung des phonetischen oder des grafischen Kodes eine klare Dichotomie darstellt, ist der Sprachstil von gesprochener zu geschriebener Sprache ein Kontinuum. Man kann sprechen wie gedruckt, z. B. bei einem freien Vortrag, und schreiben wie gesprochen, z. B. in einem Chat. Wir werden zuerst die Situation in der mündlichen Kommunikation charakterisieren (3.1), um dann zu untersuchen, wie sich Menschen im Gespräch verständigen (3.2). Dazu referieren wir zwei Ansätze, die sich mit den Bedingungen von gelungenen Gesprächen befasst haben: die Konversationsmaximen von Paul Grice (3.3) und die Geltungsansprüche von Jürgen Habermas (3.4). Zum Schluss werfen wir einen kurzen Blick auf die Praxis des Verständlichmachens in Kommunikationstrainings (3.5). 3.1 Merkmale mündlicher Kommunikation Die Ursprünge der Kommunikation liegen wahrscheinlich im gestischen Bereich (Tomasello, 2009), die mündliche Kommunikation ist bereits ein spätes Stadium der Entwicklung. Im Hinblick auf Verstehen, Verständigung und Verständlichkeit spielen folgende Merkmale der mündlichen Kommunikation eine Rolle (ausführlich Dürscheid, 2012a): Wahrnehmungsumfeld. In der mündlichen Face-to-face-Kommunikation befinden sich die Kommunikanten in einem geteilten raum-zeitlichen Setting, auf das sie mit Zeigegesten oder deiktischen Ausdrücken Bezug nehmen können. Zur Erinnerung: Umfelder werden subjektiv wahrgenommen und ihre Wahrnehmung muss bei den Kommunikanten nicht übereinstimmen. <?page no="46"?> 46 3 Mündliche Verständigung Kopräsenz. Die Kommunikanten reagieren direkt aufeinander, sie sehen und hören, wie der andere ihre Mitteilungen aufnimmt. Durch die direkte Rückmeldung können Verstehensprobleme mit Methoden der Verständnissicherung schnell ausgeräumt werden. Bereits Friedrich Schleiermacher betont 1826/ 27 in einer Vorlesung, dass „der mündlichen Rede in der Regel vieles zu Hilfe kommt, wodurch ein unmittelbares Verständnis gegeben wird“ (Schleiermacher, 1977, S. 91). Flüchtigkeit. Ein für das Verstehen wichtiges Merkmal ist die Vergänglichkeit der gesprochenen Sprache (flatus vocis). Hat der Adressat eine Äußerung nicht verstanden oder missverstanden, so ist sie verklungen und nicht mehr rückholbar. Das Hören erfordert deshalb eine größere Aufmerksamkeit als das Lesen, bei dem jederzeit eine Wiederholung möglich ist. Für die Verständlichkeit spielt deshalb die Artikulation eine wichtige Rolle: Sprechgeschwindigkeit, klare Akzentuierungen, Pausen usw. Unvollkommenheit. Die spontan gesprochene Sprache ist weniger perfekt als die schriftliche Sprache. Es kommen grammatische Fehler, Ellipsen, Anakolute, Nachschübe, Partikelwörter, Versprecher, Selbstkorrekturen, Dialektismen usw. vor. Zudem ist die Artikulation oft durch Verzögerungen (Häsitationen) und Einschübe (Interjektionen) unterbrochen, die zum Inhalt nichts beitragen. Diese Abweichungen von einer Standardsprache wirken sich nicht unbedingt negativ auf das Verstehen aus, im Gegenteil bewirkt imperfektes Sprechen eine erhöhte Aufmerksamkeit und intensiveres Mitdenken, denn die Adressaten generieren Hypothesen über die korrekte Formulierung (Fraundorf & Watson, 2011). Pragmatische Explizitheit. Oft legt in der mündlichen Kommunikation die Prosodie fest, welche sprachliche Handlung vollzogen wird. Über Betonung, Intonation, Sprechpausen usw. werden intentionale und expressive Bedeutungen ausgedrückt, die im Text nicht explizit enthalten sind. (1) Du fährst morgen ab. Die Äußerung (1) kannn je nach Betonung eine Feststellung, eine Frage oder einen Befehl bedeuten. Dazu gehören auch sprachbegleitende Gesten: „Gestures […] and speech […] co-occur and are coexpressive acts of speaking“ (McNeill, 1992, S. 218). <?page no="47"?> 47 3.1 Merkmale mündlicher Kommunikation Koordinationsprozesse Mündliche Kommunikation ist ohne wechselseitige Einstellung auf den Partner zum Scheitern verurteilt. Gegenseitige Annahmen über die Intentionen und das Wissen der Kommunikanten spielen eine zentrale Rolle. Viele Verständnisprobleme und Missverständnisse gehen darauf zurück, dass derartige Annahmen falsch sind oder zu wenig berücksichtigt werden. Wenn ein Absender spricht und schreibt, ohne sich um die Adressaten zu kümmern, spricht man von egozentrischem Formulieren. Raymond Nickerson (1999) hat die Hypothese aufgestellt, dass der Absender zunächst vom eigenen Kopf ausgeht: Er unterstellt, dass sein Wissen mit dem des Adressaten übereinstimmt und redet und schreibt „über die Köpfe“ der Adressaten hinweg. Dies bestätigen Experimente von Keysar, Barr & Horton (1998): Der Absender formuliert zunächst egozentrisch und erst bei Anzeichen, dass der Adressat nicht oder falsch verstanden hat, wird die Äußerung angepasst. Egozentrisches Formulieren stellt bei kooperativ eingestellten Gesprächspartnern sicher nicht den Normalfall dar, wird aber häufig zum Problem in der Kommunikation mit Experten. Erfolgreiche mündliche Kommunikation wird fortlaufend über Grounding, Monitoring, Alignment und Metakommunikation koordiniert. Grounding. Kooperative Partner stellen sich auf Vorwissen und Intentionen des anderen ein und versuchen fortlaufend das geteilte Wissen und die geteilten Intentionen zu erweitern (Clark & Brennan, 1991). Dabei werden alle brauchbaren Informationen ausgewertet: die Wahrnehmungsumgebung, die aufgebauten Images, der bisherige Gesprächsverlauf usw. Das Grounding lässt sich besonders eindrücklich bei entstehenden Beziehungen beobachten. Es gibt viel Gesprächsbedarf, um gemeinsames Wissen und gemeinsame Intentionen abzuklären. Dahinter steht das Interesse herauszubekommen, ob man zusammenpasst und eine weitere Kommunikation sinnvoll ist. Mit längerer Kommunikationsgeschichte nimmt der Gesprächsbedarf ab, dafür stellt sich gegenseitige Vertrautheit ein. Monitoring. Das Grounding setzt die fortlaufende Beobachtung des Adressaten auf verbale, mimische und gestische Anzeichen des Verstehens oder Nichtverstehens voraus: Reagiert er mit einem zögerlichem „Hm“? Runzelt sie die Stirn? Zieht er die Mundwinkel nach unten? Nickt sie mit dem Kopf ? Diese gegenseitige Beobachtung wird als Monitoring bezeichnet. <?page no="48"?> 48 3 Mündliche Verständigung Experten neigen dazu, ihr Fachwissen demonstrativ zur Schau zu stellen und unkooperativ über die Köpfe anderer hinwegzureden, dann findet weder Monitoring noch Grounding statt. Ein anderes Beispiel: In Arbeitsgruppen kann man erleben, dass nicht kooperativ eingestellte Personen ihr Wissen gegenüber anderen ausspielen und sich keine Mühe geben, geteiltes Wissen aufzubauen. Sie bleiben gegenüber Rückmeldungen anderer unempfindlich, d. h. ihr Monitoring funktioniert nicht. Sie können nur durch massives Nachfragen dazu gezwungen werden, ihre Äußerungen anzupassen und ihr Wissen einzubringen. Alignment. Im Verlauf einer sprachlichen Kommunikation bzw. eines Gesprächs findet eine unbewusste Angleichung der Kommunikanten statt (Rickheit, 2005; Garrod & Pickering, 2007). Die Gesprächspartner passen kontinuierlich ihren Sprechstil, ihr Vokabular, ihre Syntax, ja sogar ihre Aussprache aneinander an. Während Grounding explizit sprachlich erfolgt, ist Alignment ein automatischer Prozess. Sind die Gesprächspartner gut aligniert, befördert das das wechselseitige Verstehen. Metakommunikation. Gemeint ist damit eine explizite sprachliche Verständigung über die abgelaufene Kommunikation. Metakommunikation ist nützlich oder sogar notwendig, wenn Verstehensprobleme oder Missverständnisse aufkommen. Die Beteiligten können metakommunikativ die Schwierigkeiten ansprechen und klären. Diese Kommunikation über Kommunikation ist allerdings wieder von Verständnisproblemen bedroht, vor allem, wenn das Vertrauen in die Beteiligten fehlt (Zierold, 2008). Zu viel Metakommunikation ist sicher ein Indiz für grundlegende Probleme in einer Beziehung. All diese bewussten und unbewussten Koordinationsprozesse sind von großer Bedeutung für das gegenseitige Verstehen. 3.2 Der Dreischritt der Verständigung Wie sorgen Beteiligte wechselseitig für Verständlichkeit in der mündlichen Kommunikation? Kooperative Verständigung erfordert verschiedene Techniken der Verständnissicherung, um Störungen vorzubeugen oder auszuräumen. Man unterscheidet präventive und reparative Verständnissicherung (Foppa, 1987; Galliker & Weimer, 2006; Kindt & Rittgeroth, 2009). Der Dreischritt der Verständigung läuft so ab: 1. Der Absender äußert eine sprachliche Mitteilung, 2. der Adressat meldet sein Verständnis zurück, 3. der Absender modifiziert bei Bedarf seine Mitteilung. <?page no="49"?> 49 3.2 Der Dreischritt der Verständigung Der Absender formuliert Ein kooperativer Absender stellt sich auf seinen/ seine Adressaten ein und ergreift Maßnahmen, um Verstehensprobleme präventiv zu vermeiden. Korrigieren. Der Sprecher ist gleichzeitig Hörer seiner eigenen Äußerungen, im Prinzip kann er alle Arten von Fehlern korrigieren. Hier interessieren vor allem die Korrekturen, die dem besseren Verstehen beim Adressaten dienen. In einem Prozess des Self-monitoring wird das Verstehen der eigenen Äußerung kontrolliert und gegebenenfalls modifiziert (Klotz, 2017): ▶ inhaltliche Kontrolle: Ein Inhalt ist nicht angemessen oder sogar falsch ausgedrückt. ▶ lexikalische Kontrolle: Ein Wort ist irrtümlich oder nicht treffend gewählt oder falsch ausgesprochen (Versprecher). ▶ syntaktische Kontrolle: Ein Satz ist kompliziert oder mehrdeutig formuliert, der oder die Sprechende bringt ihn syntaktisch nicht korrekt zu Ende (Stranding). ▶ pragmatische Kontrolle: Eine sprachliche Handlung, also die kommunikative Intention ist mit der Äußerung nicht eindeutig vollzogen. In diesen Fällen kann ein bewusstes Umformulieren erfolgen (Levelt, 1983). Im Sprechen wird so oft erst ein Gedanke „verfertigt“, der vorher nicht formulierungsreif vorliegt. Heinrich von Kleist (1805) hat in einem Brief-Essay „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“ beschrieben, wie ein Redner beim Sprechen erst seine Ideen entwickelt: „Ich glaube, daß mancher große Redner, in dem Augenblick, da er den Mund aufmachte, noch nicht wußte, was er sagen würde. Aber die Überzeugung, daß er die ihm nötige Gedankenfülle schon aus den Umständen, und der daraus resultierenden Erregung seines Gemüts schöpfen würde, machte ihn dreist genug, den Anfang, auf gutes Glück hin, zu setzen.“ In der sprachlichen Kommunikation liegt eine Mitteilung nicht immer konzeptuell bereits vor, sondern das Sprechen oder Schreiben ist ein Mittel, um Gedanken zu generieren und zu ordnen. Kommentieren. Der Sprecher kann seine Äußerungen kommentieren, d. h. erläutern, wie er sie verstanden haben will. Dies geschieht häufig als metakommunikative Ankündigung oder Zusammenfassung: (2.1) „Der nächste Punkt liegt mir besonders am Herzen! “ (2.2) „Ich bin mir nicht ganz sicher, aber …“ <?page no="50"?> 50 3 Mündliche Verständigung Um das Verstehen einer Äußerung zu kontrollieren, werden sogenannte Disclaimer eingesetzt, die eine bestimmte Interpretation einer Äußerung ausschließen sollen. (3) „Ich bin absolut kein Antisemit, aber die Siedlungspolitik Israels lehne ich ab.“ Die Fähigkeit, mit Sprache über Sprache reden und schreiben zu können, ist für einige Linguisten so wichtig, dass sie neben Darstellungs-, Ausdrucks- und Appellfunktion noch eine metakommunikative Funktion der Sprache annehmen (z. B. Jakobson, 1960). Voraussetzung für Verständigung ist das angesprochene Monitoring: Wenn der Sprecher kritische nonverbale Signale beim Adressaten erkennt, kann er Absicherungsfragen stellen: (4.1) „Verstehst du, was ich meine? “ (4.2) „Habe ich mich klar ausgedrückt? “ (4.3) „Das ist doch logisch, oder etwa nicht! “ Derartige Äußerungen sollen den Adressaten dazu bringen, den nächsten Schritt der Verständigung einzuleiten. Der Adressat reagiert Eine Rückmeldung des Adressaten kann bereits während der Äußerung mit nonverbalen Zeichen erfolgen, z. B. einem Kopfnicken oder einem Stirnrunzeln. Ist eine Äußerung formuliert, kann der Adressat seinerseits verständnissichernde Maßnahmen einsetzen. Rückfragen. Vielleicht die wichtigste verständnissichernde Maßnahme ist das Rückfragen. Der Adressat erfrägt direkt weitere Informationen, wenn er nicht sicher ist, korrekt verstanden zu haben. (5.1) „Was meinst du genau mit x? “ (5.2) „Kannst du mir dafür ein Beispiel geben? “ Oft unterbleiben derartige Rückfragen aus Angst davor, dass man sich blamiert, weil man etwas nicht verstanden hat. Für Journalisten, die ein Interview führen, ist die gezielte Rückfrage eine wichtige Technik, um den Gesprächspartnern verständliche Aussagen zu entlocken. <?page no="51"?> 51 3.2 Der Dreischritt der Verständigung Paraphrasieren. Eine verbreitete Technik ist die paraphrasierende oder zusammenfassende Wiedergabe. Der Hörer wiederholt das Gesagte in eigenen Worten: (6.1) „Wenn ich richtig verstanden haben, dann behaupten Sie, dass …“ (6.2) „Wenn ich die Ausführungen einmal zusammenfasse, dann vertreten Sie die Meinung, dass …“ Der Adressat reagiert also nicht sofort auf eine Äußerung, sondern wiederholt sie mit eigenen Worten und Sätzen. In therapeutischen Gesprächen wird diese verständnissichernde Maßnahme auch als Spiegeln bezeichnet: Der Therapeut verbalisiert eine Äußerung des Klienten, die dieser „wie in einem Spiegel“ vorgehalten bekommt (ausführlich zur Paraphrase Lenke, Lutz & Sprenger, 1995, S. 162ff.). Rückmelden von Folgerungen. Eine tiefergehende Technik ist die Rückmeldung von Folgerungen (Inferenzen) aufgrund des Gesagten: Der Adressat formuliert unausgesprochene, implizite Folgerungen und legt sie dem Absender zur Bestätigung vor. (7.1) „Heißt das denn, dass … ? “ (7.2) „Aus deinen Äußerungen folgt für mich, dass … Stimmst du dem zu? “ Der Absender kann die Folgerungen bestätigen oder verwerfen. Im zweiten Fall wird erwartet, dass er eine Reformulierung anbietet. Adäquates Handeln. Ein Adressat vollzieht nach einer Äußerung eine adäquate Anschlusshandlung und zeigt damit, dass er verstanden hat. Dies ist z. B. bei einer Bedienungsanleitung für ein Gerät ein Kriterium für eine gelungene sprachliche Handlung (Kap. 8.1). Zurück an den Absender Nachdem der Adressat reagiert hat, ist jetzt wieder der Absender gefordert. Er muss die Rückfragen beantworten oder eine Folgerung als korrekt akzeptieren oder als falsch zurückweisen. Wurde er nicht in seinem Sinne verstanden, wird erwartet, dass er eine neue Formulierung anbietet und der Dreischritt kann von neuem beginnen, Modifizieren. Die sprachliche Anpassung an die Adressaten wird in der Linguistik auch als Modifizieren bezeichnet. Sie wird in der Hoffnung vollzogen, „dass die Sageweise das Verstehen möglichst genau bestimme“ (Klotz, 2017, <?page no="52"?> 52 3 Mündliche Verständigung S. 20). Eine Modifizierung kann ein Erweitern, Einengen, Nuancieren, Relativieren, Fokussieren der ursprünglichen Äußerung umfassen. 8 Noch einmal Peter Klotz (2017, S. 21): „Es geht um die Versuche, etwas so zu sagen, wie man es meint, und es geht um die Versuche, den eigenen Ausdruck an das anzunähern, was der Sache, der Situation, dem Kommunikationspartner und einem selbst angemessen ist.“ Der Dreischritt der Verständigung kann mehrfach durchlaufen werden, dadurch findet eine kontinuierliche kommunikative Validierung des Verstehens statt. Beim Auftreten massiver Verständigungsprobleme kann ein Moderator hinzugezogen werden, bei Gesprächen von Konfliktparteien wird ein Mediator eingesetzt. Ihre Rolle besteht vor allem darin, das wechselseitige Verstehen abzusichern und einen Konsens oder Kompromiss zu erarbeiten. Verständlichkeit in der mündlichen Kommunikation ist das Ergebnis einer gemeinsamen Bemühung, die eine Motivation zur Verständigung voraussetzt (Verständigungsbereitschaft) und manchmal erheblichen Aufwand erfordert. „Verständlichkeit ist also zu einem beträchtlichen Teil eine Frage der wechselseitigen Abstimmung von Kommunikationspartnern“ (Schäflein-Armbruster, 1994, S. 495). Auf welcher Grundlage diese Kooperation zwischen Kommunikationspartnern abläuft, dazu schauen wir uns im Folgenden zwei wichtige theoretische Ansätze an. 3.3 Rationale Verständigung Dass Verständigung im Gespräch ein kooperatives Unternehmen ist, haben vor allem einige Philosophen herausgearbeitet, deren Ideen in der Sprachwissenschaft aufgenommen wurden. Ich referiere zwei Ansätze: die Konversationsmaximen von Paul Grice und die Geltungsansprüche von Jürgen Habermas. Das Kooperationsprinzip und seine Maximen Der Philosoph Paul Grice (1975) hat sich Gedanken darüber gemacht, welche Bedingungen für sprachliche Kommunikation (talk exchange) gelten. Als übergeordnetes Prinzip, das alle Äußerungen der Gesprächspartner anleiten soll, formuliert er ein Kooperationsprinzip: „Make your conversational contribution such as is required at the stage at which it occurs, by the accepted purpose or 8 In der Linguistik wird auch der Terminus Register benutzt: Wie ein Orgelspieler zieht der Sprecher neue Register, um einen anderen Ausdruck für seine Gedanken zu finden. <?page no="53"?> 53 3.3 Rationale Verständigung direction of the talk exchange in which you are engaged“ (S. 307). Dieses allgemeine Prinzip wird durch vier Gesprächsmaximen konkretisiert, die sich wiederum in verschiedene Untermaximen aufteilen: 1.-Quantität. Sage so viel wie nötig und sage nicht zu viel! Sage etwas, was für den Zuhörenden wirklich neu ist! Sage nichts, was dem Zuhörenden bereits bekannt ist! - Das Einhalten dieser Maxime verlangt vom Sprechenden eine Einschätzung des Wissens des Adressaten und eine Berücksichtigung dieses Wissens. Eine nachhaltige Störung kann aus Unterstellungen resultieren: Der Sprecher setzt mit seinen Äußerungen beim Hörer Wissen voraus, über das dieser nicht verfügt. 2.-Qualität. Äußere nichts, was du nicht für wahr hältst! Signalisiere, welchen Grad an Wahrscheinlichkeit das Gesagte hat! Vor allem: Lüge nicht! - Es dürfte klar sein, dass Lügen die stärkste Bedrohung für ein Gespräch darstellt: Wer möchte sich mit jemandem auseinandersetzen, dessen Äußerungen ständig den Verdacht der Lüge oder Täuschung erregen? 3.- Relation/ Relevanz. Sage nur Relevantes, das Bezug zum anerkannten Zweck des Gesprächs hat! Sage dem Adressaten nur etwas, von dem du annehmen kannst, es sei für ihn wichtig! - Grice selbst hat diese Maxime nicht weiter ausgeführt, in der Relevanztheorie von Sperber & Wilson (1995) wird sie als die zentrale Maxime ausführlich behandelt, der alle anderen untergeordnet sind. Die Maxime zielt auf einen thematischen Zusammenhang ab. 4.-Modalität. Gestalte deine Äußerung verständlich, d. h. vermeide Unklarheit, Mehrdeutigkeit, Weitschweifigkeit und Ungeordnetheit! Hier geht es um die Art und Weise, wie etwas gesagt wird, und das sind Aspekte der Verständlichkeit, die wir später aufgreifen. Grice formuliert hier sehr allgemein. Was soll man unter Unklarheit verstehen? Und wann ist eine Äußerung weitschweifig? Die Maxime der Modalität greift eine Tugend der elocutio in der klassischen Rhetorik auf (Asmuth, 2009): Die Rede soll perspicuitas besitzen, das heißt wörtlich Durchsichtigkeit, sie soll verständlich formuliert sein. Grice verwendet das entsprechende Adjektiv „perspicuous“. Die Rezeption von Grice tut sich bis heute schwer, den Status dieser Maximen zu fassen, da auch der Autor selbst unklar bleibt. Grice hat sich bei der Einteilung der Maximen von Kant inspirieren lassen. Eine Maxime ist nach Kant ein subjektiver Grundsatz als vernünftiges Prinzip des Handelns. Formuliert sind die Maximen als allgemeingültige Imperative „Be relevant! “, „Avoid obscurity! “, „Be orderly! “, sozusagen als Vorschriften. Andere Autoren sehen in den Maximen ethische Postulate <?page no="54"?> 54 3 Mündliche Verständigung für eine rationale Verständigung, eine Art kommunikativer Ethik. Da Grice auch von „conversational game“ spricht, kann man die Maximen auch als Spielregeln auffassen. Die meisten Autoren sind sich darin einig, dass man sie nicht normativ oder präskriptiv interpretieren darf. Dem widerspricht aber, dass Sanktionen erfolgen, wenn man die Maximen verletzt. Noch konfuser wird es, wenn man über Herkunft und Geltung dieser Maximen nachdenkt: Sind es universelle Regulative, die für alle sprachlichen Äußerungen gelten, oder kulturelle Konventionen, sozusagen gelernte Gewohnheiten? Kognitiv werden sie als wechselseitige kollektive Erwartungen, verinnerlichte Annahmen oder rationale Unterstellungen bezeichnet. Wie wir aus Berichten zur interkulturellen Kommunikation wissen, verläuft in anderen Kulturen ein Gespräch anders (z. B. Weitschweifigkeit in arabischen Ländern oder Zurückhaltung in asiatischen Kulturen). Grice selbst hat eingeräumt, dass seine Maximen ergänzt oder modifiziert werden müssen. Die Befolgung des Kooperationsprinzips und seiner Maximen wird bei jedem Gesprächspartner unterstellt - solange man ihn für „rational“ und an Verständigung interessiert hält. Wie wir bereits ausgeführt haben, setzt das Kooperationsprinzip Vertrauen als Grundbedingung jeder Kommunikation voraus (Juchem, 1988). Bei der Analyse von Gesprächen fällt auf, dass viele Äußerungen den Maximen von Grice nicht gehorchen, es gibt andauernd Verletzungen aus Höflichkeit, Feigheit, Unwissenheit, Unaufrichtigkeit usw. Folgende Fälle eines Verstoßes gegen Maximen sind möglich: Unbewusste Verletzung liegt vor, wenn ein Sprecher egozentrisch und nicht adressatenorientiert formuliert. Er ist sich keiner Schuld bewusst, aber redet an seinen Adressaten vorbei. Das ist oft bei Experten der Fall. Bewusster Ausstieg liegt vor, wenn ein Sprecher eine Maxime explizit außer Kraft setzt, z. B. durch die Ankündigung, dass das Thema so kompliziert ist, dass er es nicht einfach formulieren kann. Kollision liegt vor, wenn zwei Maximen nicht gleichzeitig eingehalten werden können, z. B. kann die Beachtung der Maxime der Modalität dazu führen, dass ein Sprecher die Maxime der Relation nicht einhalten kann: Er muss weit ausholen, damit das Gesagte verstanden wird. Bewusster Verstoß liegt vor, wenn eine Maxime nicht erfüllt wird, um eine spezielle Mitteilung zu kommunizieren. Bei einem offensichtlichen Verstoß gegen eine Maxime versuchen wir aufgrund der Relevanzannahme den Ge- <?page no="55"?> 55 3.3 Rationale Verständigung sprächsbeitrag so zu verstehen, dass das Kooperationsprinzip gewahrt bleibt: Wir interpretieren die Äußerung um, damit sie einen Sinn innerhalb des Gesprächs bekommt. In einem Gespräch fällt die Äußerung (8), die gegen die Maxime der Quantität verstößt. Der Satz ist tautologisch (gr. t’auton legein = dasselbe sagen) und enthält eigentlich keine Information. (8) „Wenn Karl etwas verspricht, dann verspricht er es.“ Wenn wir annehmen können, dass der Sprecher fähig ist, das Kooperationsprinzip einzuhalten, dann muss die gemeinte Bedeutung über die wörtliche Bedeutung hinausgehen. Aufgrund von Vorwissen, dem Vorgespräch oder der Situation kann die Äußerung so den Sinn bekommen: Auf Karl ist Verlass, wenn der etwas verspricht, dann hält er es auch. Damit kann Grice erklären, warum wir bestimmte Äußerungen nicht als unsinnig verwerfen, sondern eine Intention des Sprechers heraus- oder hineininterpretieren. Derart erschlossene Bedeutungen von Äußerungen innerhalb eines Gesprächs bzw. einer Konversation nennt Grice konversationelle Implikaturen, wir kommen im Kapitel 6.5 auf sie zurück. Der Verstoß gegen eine Maxime ist sozusagen eine Anregung zur Interpretation. Erst wenn ein Sprecher permanent gegen Maximen verstößt, muss er mit Konsequenzen rechnen. Wer z. B. oft vom Thema abschweift (Relation) oder beim Lügen erwischt wird (Qualität), der muss Ermahnungen und Sanktionen bis zum Ausschluss aus der Kommunikation hinnehmen. Die Wacht über das Einhalten der Maximen kann einem Moderator bzw. einer Moderatorin übertragen werden. Sie dürfen bei Abweichungen vom Thema oder bei Unklarheiten den Sprechenden unterbrechen. Werfen wir einen abschließenden Blick auf die Maxime der Modalität, die die Verständlichkeit thematisiert. Nach Grice unterstellen wir unseren Gesprächspartnern, dass sie sich darum bemühen, verständlich zu formulieren. Wenn sie etwas schwer Verständliches äußern, veranlasst uns das, nach einer zutreffenden Interpretation zu suchen. Nach Grice gibt der Absender mit einer schwer verständlichen Formulierung sozusagen einen Denkanstoß. Die Beispiele, die Grice benutzt, stammen durchweg aus der Literatur, es geht um mehrdeutige und umständliche Formulierungen. Ein anderes Beispiel sind unverständliche Sentenzen, z. B. Koans im Zen-Buddhismus, die zu tieferen Einsichten <?page no="56"?> 56 3 Mündliche Verständigung führen sollen. Auf die fachliche Kommunikation ist das Argument der Denkanregung aber nicht übertragbar, hier ist Verständlichkeit eine Grundbedingung der Kommunikation. Unter der Geltung des Kooperationsprinzips darf der Absender allerdings nicht zu weit gehen: „I must intend my partner to understand what I am saying despite the obscurity I import into my utterance“ (Grice, 1968, S. 313). Universelle Geltungsansprüche Im deutschen Sprachraum hat der Philosoph Jürgen Habermas (1988) eine Theorie kommunikativen Handelns entwickelt, bei der allerdings die Verständlichkeit eine marginale Rolle spielt. Zentrale Funktion der menschlichen Kommunikation ist auch für Habermas die Verständigung zwischen mindestens zwei Menschen im Gespräch. Verständigung hat zwei Bedeutungen: Gegenseitiges Verstehen. Darunter versteht man das wechselseitige Bemühen von Absender und Adressat um Verständigung durch Rückfragen, wiederholte Paraphrasierung, Metakommunikation usw. Wechselseitiges Verstehen bedeutet nicht unbedingt Einverständnis! Oft versteht man, was der andere meint, aber stimmt mit ihm nicht überein. Einverständnis. Hier geht Verständigung über das wechselseitige Verstehen hinaus: Ziel ist die gemeinsame argumentative Erarbeitung eines Einverständnisses im Gespräch. Im Idealfall ist das ein Konsens (lat. consentire = übereinstimmen), oft aber nur ein fairer Kompromiss, dem beide Seiten zustimmen können. Die Theorie der Kommunikation von Habermas ist in eine Gesellschaftstheorie eingebettet. Diese blenden wir hier aus und fokussieren auf die rationale Verständigung. Habermas unterscheidet zwei Grundformen der Kommunikation mit unterschiedlichen Zielen: Die verständnisorientierte Kommunikation ist auf Konsens aus, die strategische Kommunikation auf Persuasion. Dem entspricht unser Überzeugen und Überreden als zwei Grundfunktionen der Sprache. Für Habermas dient die Sprache vor allem der Verständigung, die sprachliche Kommunikation ist „auf Konsensbildung, nicht auf Beeinflussung angelegt“. Die Sprache ist sozusagen das Werkzeug der Rationalität. <?page no="57"?> 57 3.3 Rationale Verständigung Verständigungsorientierte Kommunikation gemeinsame Überzeugungen rational motiviertes Einverständnis Strategische Kommunikation = persuasive Kommunikation offen Drohungen Lockungen erzwungene Übereinstimmung erkaufte Übereinstimmung verdeckt bewusste Täuschung = Manipulation unbewusste Täuschung erschlichene Übereinstimmung täuschende Übereinstimmung Bild 3: Tabelle der Kommunikationsformen nach Habermas (1981). Verständigungsorientierte Kommunikation. Die Teilnehmenden sind bemüht, auf der Basis gemeinsamer Überzeugungen ein rational motiviertes Einverständnis herzustellen. Strategische Kommunikation. Hier ist die erfolgsorientierte Einflussnahme (Persuasion) das Ziel der Kommunikation. Es werden zwei Fälle unterschieden: die offene und die verdeckte strategische Kommunikation. ▶- Offen strategisch: Hier wird mit direkten Drohungen eine Übereinstimmung erzwungen oder mit Lockungen (z. B. Schmiergeld) erkauft. Diese Kommunikation stützt sich auf ein Sanktionspotenzial (Gewalt, Belohnung, Bestrafung). ▶-Verdeckt strategisch: Hier wird ein Interesse an Verständigung nur vorgetäuscht. Bei der Manipulation geschieht das bewusst unter Einsatz persuasiver Techniken. Psychologisch interessant ist der Fall der unbewussten Täuschung. Hier ist einem Absender nicht bewusst, dass er an Verständigung gar nicht interessiert ist. Dabei handelt es sich um eine pathologische Kommunikation, Habermas nennt sie „systematisch verzerrte Kommunikation“. Das gesellschaftliche Leben ist auf verständnisorientierte Kommunikation angewiesen. Ein Vorherrschen strategischer Kommunikation führt zu gesellschaftlichen Pathologien und Krisen. Wer sich an verständigungsorientierter Kommunikation beteiligt, der wird mit folgenden universalen Geltungsansprüchen konfrontiert und konfrontiert seine Gesprächspartner damit (Habermas, 1971, 1988): <?page no="58"?> 58 3 Mündliche Verständigung 1.-Verständlichkeit. Sie wird auf zwei Ebenen gefordert: 1. Die Äußerungen müssen grammatisch wohlgeformt sein, d. h. man darf kein wirres Zeug reden oder unverständliche Wörter benutzen. Dies entspricht der Maxime der Modalität bei Grice. 2. Die Äußerungen müssen pragmatisch verständlich sein, d. h. die intentionale Bedeutung muss explizit ausgedrückt werden. Ist die Verständlichkeit problematisch, dann stellen wir Fragen des Typs: Wie meinst du das? Wie soll ich das verstehen? Zwar steht hier Verständlichkeit an erster Stelle, nicht an letzter wie bei Grice, aber Habermas hat später Verständlichkeit als Geltungsanspruch ganz aufgegeben. Er sah darin nur noch eine Vorbedingung der Kommunikation. 2.-Wahrheit. Die Aussagen müssen wahr sein, d. h. mit der äußeren Wirklichkeit übereinstimmen. Dies entspricht der Maxime der Qualität bei Grice. Hier lauten kritische Fragen: Verhält es sich so, wie du sagst? Stimmt das überhaupt, was du berichtest? 3.- Aufrichtigkeit. Die Aussagen müssen der inneren Wirklichkeit des Absenders entsprechen, sie dürfen die anderen nicht über die eigenen Absichten täuschen. Dies entsprich der Maxime der Qualität. Hier stellt man die Fragen: Will er/ sie mich täuschen? Ist der Sprecher ehrlich? Diese Fragen stellen wir meist nicht der unglaubwürdigen Person selbst, sondern an uns selbst oder an Dritte. 4.-Angemessenheit 9 . Die Aussage muss in der jeweiligen kommunikativen Situation angemessen sein, d. h. den anerkannten gesellschaftlichen Normen entsprechen. Kritische Fragen sind hier: Warum tust du das? Darfst du das überhaupt sagen? Handelst du sozial angemessen? Diese Forderung findet man bei Grice nicht. Die Geltungsansprüche haben eine deutliche Ähnlichkeit mit den Maximen von Grice, beide werden wechselseitig von den Teilnehmenden unterstellt. Die Geltungsansprüche sind aber strenger gefasst. Eine Maxime ist ein vernünftiger Grundsatz für die Kommunikation, ein Geltungsanspruch ist eine universal geltende Regel der Verständigung. Die Beherrschung dieser universalen Regeln der Verständigung wird als kommunikative Kompetenz bezeichnet. Machen wir uns die Geltungsansprüche am Beispiel einer mündlichen Hochschulprüfung klar (vgl. Burkhart, 2002, S. 439). Die Verständlichkeit wird verletzt, wenn der Prüfer unklare Fragen formuliert oder der Prüfling verworren antwortet. Relativ 9 Bei Habermas „Richtigkeit“, aber dieses Wort ist m. E. keine treffende Bezeichnung für diesen Geltungsanspruch. <?page no="59"?> 59 3.3 Rationale Verständigung unproblematisch ist die Wahrheit, da man im Rahmen einer Prüfung unterstellt, dass wissenschaftlich bestätigte Aussagen gemacht werden. Die unterstellte Aufrichtigkeit wird verletzt, wenn der Professor nicht neutral prüft, sondern Fangfragen stellt, um den Kandidaten durchfallen zu lassen. Die Angemessenheit wird verletzt, wenn der Professor in der Prüfungssituation persönliche oder gar intime Themen anspricht. Erkennbar wird ein Geltungsanspruch bei Problematisierung durch die Adressaten, der Sprecher muss dann auf die oben angeführten kritischen Fragen antworten und sich rechtfertigen. Dabei wird wieder der Dreischritt der Verständigung durch Methoden der Verständnissicherung relevant. Ideale Sprechsituation. Verständigung im Diskurs verlangt nach Habermas bestimmte Voraussetzungen in der Kommunikationssituation: 1. Die Teilnehmenden dürfen nicht von offener oder verdeckter strategischer Kommunikation Gebrauch machen. 2. Es darf keine Zwänge von außen auf die Teilnehmenden am Diskurs geben, z. B. durch Gewalt, Geld, Autorität. 3. Jeder muss die gleiche Chance haben, seine Aussagen einzubringen und zu begründen sowie Geltungsansprüche anderer zu problematisieren. Diese Kommunikationssituation ist ein theoretisches Konstrukt: Weder wird die ideale Sprechsituation in der Gesellschaft oft Wirklichkeit, noch werden die unterstellten Geltungsansprüche eingehalten, denn in fast allen Gruppen gibt es Status- und Machthierarchien. Diesem Einwand begegnet Habermas mit dem Argument, dass er „kontrafaktisch“ rekonstruieren möchte, unter welchen theoretischen Voraussetzungen Verständigung überhaupt möglich ist. Kommunizieren wir rational? Für die Ansätze von Grice und von Habermas ist der Begriff der Rationalität von zentraler Bedeutung, er bildet die Grundlage der Kooperation. Für Grice ist das Gespräch eine Form des rationalen Handelns: „As one of my avowed aims is to see talking as a special case or variety of purposive, indeed rational behavior“ (Grice, 1968, S. 308). Das Befolgen der Maximen setzt Beteiligte voraus, die ihre Beiträge zweckrational auf das gemeinsame Ziel ausrichten und sachlich und nüchtern nur das Notwendigste aussprechen. Weitschweifige Ausführungen, übertriebene Ausschmückungen und emotionale Ausbrüche sind nach diesen Maximen keine rationalen Beiträge. Selbst das Nichteinhalten <?page no="60"?> 60 3 Mündliche Verständigung einer Maxime hat ein vernünftiges Ziel: Es soll die Adressaten zu einer Uminterpretation anregen. Der Theorie von Habermas liegt noch deutlicher als bei Grice ein rationales Menschenbild zugrunde: Menschen sind an Verständigung im Sinne von Einverständnis interessiert und die Sprache ist das Werkzeug eines rationalen Gesprächs. Die Einhaltung der universellen Geltungsansprüche kann im Gespräch problematisiert und muss dann argumentativ begründet werden. In der idealen Sprechsituation sind strategische, also persuasive Beiträge ausgeschlossen. Der rationale Diskurs à la Habermas ist allerdings ein eher seltenes Ereignis. Mit guten Gründen kann man bezweifeln, ob sprachliche Kommunikation auf Verständigung angelegt ist. Kommunikation dient vielmehr primär der Persuasion. Schon im Alltag versuchen wir andauernd, andere durch unsere Äußerungen zu beeinflussen: Es gibt Befehle, Bitten, Schmeicheleien, Drohungen, Lügen usw. Die Rhetorik dient ausdrücklich der effektiven sprachlichen Beeinflussung. Ein Philosoph, der den Primat der Persuasion vehement vertreten hat, ist Fritz Mauthner (1982b, S. 444): „Die Sprache ist etwas zwischen den Menschen, ihr Zweck ist Mitteilung. Aber die Mitteilung kann ja nicht selbst Zweck sein, sie ist es nur beim Schwätzer. Immer wollen wir - wenn auch oft indirekt und unbewusst - das Denken und damit das Wollen des anderen Menschen nach unserem Denken und Wollen, das heißt nach unserem Interesse beeinflussen. Der Zweck der Sprache ist also Beeinflussung, Willens- oder Gedankenlenkung, mit einem Modewort: Suggestion.“ Die rationale Verständigung dürfte eine spätere Erwerbung sein, die zudem immer durch strategische Intentionen gefährdet ist. 3.4 Gespräche verständlich machen Zur kommunikativen Kompetenz gehören zahlreiche Fähigkeiten, die wie andere Schlüsselqualifikationen durch Üben zumindest in bestimmten Grenzen gelernt werden können. Werfen wir einen kurzen und oberflächlichen Blick auf die Angebote zur Verbesserung der sprachlichen Kommunikation. Dabei muss man zwischen außerwissenschaftlicher Ratgeberliteratur und wissenschaftlich fundierten Ansätzen unterscheiden, obwohl die Übergänge durchaus fließend sind (vgl. Antos, 1996). Ratgeberliteratur. In jeder Fachbuchhandlung findet man ein Regal mit Kommunikationsratgebern. Sie sind meist nicht völlig wissenschaftsfern, denn <?page no="61"?> 61 3.4 Gespräche verständlich machen die Ansätze von Paul Watzlawick et al. (1982) und Schulz von Thun (1981) werden fast immer berücksichtigt. Aber die Kommunikationstrainer und -trainerinnen verfügen oft über keine sprach- oder kommunikationswissenschaftliche Ausbildung. Der theoretische Hintergrund bleibt handgestrickt (Antos, 1996). Die praktischen Ratschläge und Übungen - oft Rollenspiele - sind aber durchaus nützlich und haben sich auch bewährt. Im Fokus stehen dabei folgende Fähigkeiten: ▶ das aufmerksame, aktive Zuhören ▶ das Beachten der nonverbalen Kommunikation ▶ das paraphrasierende Rückmelden, überhaupt das Feedback ▶ das Nutzen der Metakommunikation bei Konflikten Meist steht die Optimierung der eigenen strategischen Fähigkeiten im Zentrum, wie schon die reißerischen Titel anzeigen, ein Beispiel: „Kommunikationstraining: Mit Kommunikation überzeugen - Wie Sie mit Selbstbewusstsein, Schlagfertigkeit, Smalltalk und Körpersprache zwischenmenschliche Beziehungen erfolgreich gestalten“ (Magnus, 2017). Oft wird eine Schrumpf-Rhetorik angeboten, die einzig das Überreden zum Ziel hat und weit vom Leitbild einer rationalen und verständlichen Kommunikation entfernt ist (z. B. Rommer, 2018). Wissenschaftliche Ansätze. Die Linguistik hat die Verständnissicherung in der mündlichen Kommunikation bisher vernachlässigt und das Praxisfeld den Psychologen überlassen. Hier ist als Erstes der vierbändige Bestseller „Miteinander Reden“ von Schulz von Thun (1981) zu nennen, der sich trotz Kritik im Detail durchgesetzt hat. Die Verständlichkeit spielt in dem Ansatz eine zentrale Rolle (dazu die Hamburger Verständlichkeitskonzeption Kap. 11.5). Auch in der Kommunikationsoptimierung bei Hans Strohner (2006) ist neben Instruktion und Persuasion die Verständlichkeit „eine der wichtigsten Voraussetzungen für das Gelingen einer Kommunikation und wird deshalb besonders intensiv erforscht“ (S. 84). In anderen Ansätzen zum Gesprächstraining spielt die Verständlichkeit eine marginale Rolle (z. B. bei Flammer, 1997; Fiehler & Schmitt, 2004; Franck, 2017). Nachgefragt werden kommunikationsbezogene Dienstleistungen vor allem aus dem Bereich der Unternehmens- und Verwaltungskommunikation, wenn Probleme mit Kunden oder innerhalb der Institution auftreten. Aber auch in der didaktischen Kommunikation zwischen Lehrer und Schüler (Vogt, 2011) oder der medizinischen Kommunikation zwischen Arzt und Patient (Sator & Spranz-Fogasy, 2011) gibt es Bemühungen um Verständigung und Verständlichkeit. <?page no="62"?> 62 3 Mündliche Verständigung In der klientenzentrierten Gesprächstherapie ist das einfühlende Verstehen der verbalen Äußerungen des Klienten eine wichtige Voraussetzung für die Psychotherapie. In der Gesprächsführung paraphrasiert der Therapeut Äußerungen des Klienten. Dieses Gesprächsverhalten dient zwei Zielen: 1. Der Therapeut soll seinen Klienten tatsächlich verstehen und sich in seine Welt hineindenken, die Rückmeldung ist eine kommunikative Validierung. 2. Indem der Therapeut dem Klienten sein Erleben zurückspiegelt, verhilft er ihm zu einer vertiefenden Auseinandersetzung mit sich selbst. Diese Variable des Therapeutenverhaltens hat eine nachweisbare Wirkung auf das Ausmaß der Selbstexploration beim Klienten (Tausch, 1968). Bei journalistischen Interviews werden in der Gesprächsführung Fragetechniken eingesetzt, um unklare und schwer verständliche Antworten zu präzisieren (Friedrichs & Schwinges, 2015): 1. Bestätigungsfragen, um eine vorangegangene Antwort zu präzisieren, wenn sich der Interviewpartner unklar ausgedrückt hat. 2. Insistierendes Nachfragen, um eine unklare oder ausweichende Antwort zu ergänzen. 3. Fragen nach einem konkreten Beispiel, um abstrakte Äußerungen für die Adressaten anschaulicher und damit verständlicher zu machen. Zusammenfassung 1.-Mündliche Kommunikation hat einige für Verständigung und Verständlichkeit wichtige Merkmale: die Kopräsenz in einem gemeinsame Wahrnehmungsumfeld, die direkte Rückmeldung und die Flüchtigkeit der Äußerung. 2.-Verständlichkeit in der mündlichen Kommunikation wird von Absender und Adressat durch kontinuierliche Koordinationsprozesse erreicht. Grounding ist die wechselseitige Einstellung auf Vorwissen und Intentionen des Gegenübers. Monitoring ist die fortlaufende wechselseitige Überprüfung des Verstehens. Alignment ist die unbewusste Angleichung der Kommunikationspartner. Auftretende Probleme können über Metakommunikation gelöst werden. 3.-In einem Dreischritt der Verständigung werden wechselseitig Maßnahmen der präventiven und reparativen Verständnissicherung eingesetzt: Korrigieren, Kommentieren, Modifizieren, Rückfragen, Paraphrasieren u. a. m. Diese Maßnahmen setzen eine Verständigungsbereitschaft auf beiden Seiten voraus. <?page no="63"?> 63 Zusammenfassung 4.-Paul Grice hat mit dem Kooperationsprinzip und seinen Maximen Quantität, Qualität, Relation und Modalität die Voraussetzungen für eine rationale Kommunikation beschrieben. An Verständigung interessierte Kommunikationspartner unterstellen sich gegenseitig, die Maximen einzuhalten. 5.-Jürgen Habermas unterscheidet verständnisorientierte und persuasive Kommunikation, aber nur Erstere ist für eine rationale Verständigung zuständig. Er stellt vier universale Geltungsansprüche auf: Verständlichkeit, Wahrheit, Aufrichtigkeit, Angemessenheit. Voraussetzung für eine Verständigung ist eine ideale Sprechsituation, die in Wirklichkeit selten zu finden ist. 6.- Der Ansatz von Grice wie der von Habermas geht von einem rationalen Menschenbild aus, in dem Sprache vor allem die Funktion der Verständigung erfüllt. Die persuasive Funktion der Sprache wird wenig berücksichtigt und aus rationaler Kommunikation ausgegrenzt. 7.-Das Verständlichmachen in der mündlichen Kommunikation ist bisher ein eher stiefmütterlich behandelter Bereich der Kommunikationsoptimierung. Es gibt viele außerwissenschaftliche Ratgeber und wissenschaftlich fundierte Kommunikationstrainings, bei beiden sind Übungen zur Verständnissicherung selten. Eine Ausnahme bildet der Ansatz von Schulz von Thun, der sich in vielen gesellschaftlichen Bereichen bewährt hat. <?page no="65"?> 4 Schriftliche Verständigung Verständlichkeit in der mündlichen Kommunikation beruht auf einer Kooperation zwischen Absender und Adressat. Der Absender muss adressatenorientiert formulieren und der Adressat kann sein Verständnis rückmelden und den Absender zu einer Reformulierung bewegen. Bei gutem Willen der Beteiligten lässt sich in der mündlichen Kommunikation im Prinzip ein gegenseitiges Verständnis erreichen, nicht unbedingt ein Einverständnis. Anders bei der schriftlichen Kommunikation, bei der es keine direkte Kooperation gibt. Die Probleme der Verständlichkeit schriftlicher Texte werden deutlich im Vergleich mit der mündlichen Kommunikation. Nach einer kurzen Charakterisierung der Besonderheiten der schriftlichen Kommunikation (4.1) beschreibe ich die Verantwortung des Absenders für eine verständliche Kommunikation, er muss vor allem adressatenorientiert formulieren (4.2). Der Adressat muss seinerseits kognitive Ressourcen einsetzen, die bereits die Hermeneutik gefordert hat (4.3). Das Kapitel beschließen wir mit einem vorläufigen Blick auf die Praxis des Verständlichmachens von Texten (4.4). 4.1 Merkmale schriftlicher Kommunikation Schriftlichkeit hat sich lange nach der Mündlichkeit herausgebildet. Während sich die mündliche Sprache als „Sprache der kommunikativen Nähe“ charakterisieren lässt, ist die schriftliche Sprache eine „Sprache der kommunikativen Distanz“ (Koch & Oesterreicher, 2007). Sie bringt einige Merkmale mit sich, die sich massiv auf das Verstehen und die Verständlichkeit auswirken. Soziale Isolation. Schreiben geschieht ohne ein Gegenüber, der Absender ist sich deshalb oft gar nicht bewusst, dass er an einer Kommunikation teilnimmt. Schreiben wird eher als Ausleeren eines Kopfes verstanden, als eine monologische Tätigkeit. Das verführt zu egozentrischem Formulieren, ohne Rücksicht auf die Adressaten und die Verständlichkeit zu nehmen. - Auch Lesen geschieht in sozialer Isolation und das hat eine bedeutende Konsequenz für die Verarbeitung: Der Adressat ist von der Anwesenheit und damit der Autorität des Absenders entlastet, das fördert eine vertiefende und kritische <?page no="66"?> 66 4 Schriftliche Verständigung Verarbeitung. Texte können immer wieder neu interpretiert werden, Lesen ist mehr selbstgesteuert als Hören. Indirektheit. In der schriftlichen Kommunikation sind Absender und Adressaten räumlich und zeitlich getrennt, die kommunikative Situation ist „zerdehnt“. Damit fehlt das gemeinsame Wahrnehmungsumfeld und die Techniken der Verständnissicherung fallen aus. Dadurch ist eine fortlaufende Koordination des Verstehens nicht möglich. Der Absender hat eine besondere Verantwortung, sich Gedanken über die Voraussetzungen seiner Adressaten zu machen und dementsprechend zu formulieren. - Auf Seiten der Lesenden sind direkte Rückfragen, Paraphrasieren usw. nicht möglich, dafür gibt es die Möglichkeit des wiederholten Lesens. Ein schriftlich produziertes Missverständnis lässt sich schwerer aus der Welt schaffen als eine unbedachte mündliche Äußerung, die sofort korrigiert werden kann. Auch die Bildung eines Images des Autors als Verstehenshilfe ist nur über den Text möglich. Absender und Adressat bleiben sich bis zu einem gewissen Grad fremd. Reflexivität. Schreiben als Externalisierung von geistigen Inhalten geschieht meist reflektierter als freies Sprechen. Schreiben verfestigt flüchtige und assoziative Gedanken, bringt sie in eine lineare und hierarchische Ordnung, dafür wurde der Ausdruck epistemisches Schreiben geprägt (Molitor-Lübbert, 2003). Was schriftlich vorliegt, kann dem Autor immer wieder vorgehalten werden, er tut also gut daran, sich die Formulierungen sorgfältig zu überlegen. Schreiben kann als ein externalisiertes Denken verstanden werden. Diese Reflexivität bringt es mit sich, dass die Schriftsprache eine deutlich höhere syntaktische Komplexität aufweist als die Sprechsprache. Dauerhaftigkeit. Während die mündliche Rede flüchtig ist (es sei denn sie wird aufgezeichnet), sind Schrifttexte materiell fixiert. Sie objektivieren und konservieren Wissensbestände für spätere Generationen, während das Gehirn des Autors bzw. der Autorin bereits verwest ist und sich damit sein bzw. ihr Wissen aufgelöst hat. Texte sind kulturelle Fossilien. Diese Aussicht auf Dauerhaftigkeit zwingt Schreibende zu sorgfältigem Nachdenken, bevor ein Satz für die Nachwelt unkorrigierbar festgehalten wird. - Für die Lesenden hat ein vorliegender Text zwei Vorteile: 1. Der Text verändert sich nicht (Zeichenkonstanz), bleibt eine Passage dunkel, kann sie mehrfach gelesen und interpretiert werden. 2. Ein Lesender kann selektiv lesen und seine Aufnahme- und Verarbeitungsgeschwindigkeit selbst bestimmen. Medialität. Die Schrift ist an Medien gebunden. Der Absender benötigt für die Produktion Schreibgeräte, vom Griffel bis zum Computer, und eine Schreib- <?page no="67"?> 67 4.1 Merkmale schriftlicher Kommunikation fläche, von der Tontafel bis zum Monitor. Die Frage, ob das Schreibwerkzeug die Produktion beeinflusst, wurde von Friedrich Nietzsche (2002, S. 18) mit einem oft zitierten Satz beantwortet: „Unser Schreibzeug arbeitet mit an unseren Gedanken“. So wirken sich Computer und Textverarbeitung deutlich auf Schreibprozess und -ergebnis aus. Ob die mediale Darbietung eines Textes in einem Buch oder auf einem Monitor das Verstehen und die Verständlichkeit beeinflusst, ist eine Forschungsfrage der Medienlinguistik. Strukturelle Explizitheit. Schriftliche Kommunikation ist durch den Ausfall der para- und nonverbalen Zeichen ärmer als die mündliche Kommunikation. Die ausgefallenen Kodes können teilweise durch typografische Mittel kompensiert werden. Statt Pausen gibt es Absätze (Zeilendurchschuss, Einrückung), statt Betonungen typografische Auszeichnungen (Unterstreichung, Fett, Kursiv). Da damit inhaltliche Strukturen explizit sichtbar gemacht werden, erleichtern sie die Aufnahme und Verarbeitung (Kap. 7.4). Diese kommunikative Situation hat erhebliche Konsequenzen: Zugespitzt kann man sagen, dass Verständlichkeit erst in der schriftlichen Kommunikation zum Problem wird. Liegt Verständlichkeit in der mündlichen Kommunikation nicht allein in der Verantwortung des Sprechers, sondern auch des Adressaten, so verschiebt sich bei der schriftlichen Kommunikation die Verantwortung für Verständlichkeit deutlich auf den Schreibenden. Da das Lesen von Texten als eine der wichtigsten Kulturtechniken gepriesen wird, ist es interessant auch einmal eine andere Meinung zu hören, die des Neuropsychologen Ernst Pöppel (2009): Lesen ist in den Genen nicht vorgesehen, aber es wird durch die Gene möglich. Es ist eigentlich ein „Missbrauch des Gehirns“, der auf Kosten anderer, z. B. visueller Kompetenzen geht. Zudem führen geschriebene Wörter zu einer Verdinglichung von Konzepten und locken uns in eine „Sprachfalle“, da wir glauben, es gäbe so etwas wie die Intelligenz oder den Willen (oder die Verständlichkeit! ). Das erinnert an den berühmten Satz von Ludwig Wittgenstein: „Die Philosophie ist ein Kampf gegen die Verhexung unsres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache“ (Wittgenstein-1967, S. 66). Schwer verständliche Texte gibt es auch schon in der mündlichen Rede, aber mit der Schriftlichkeit verschärft sich das Problem. Nicht immer sind Schreibende und Lesende kooperativ eingestellt und geben sich beim Formulieren und beim Lesen Mühe. Zudem ist Schwerverständlichkeit oft ein unerwünschter Nebeneffekt, da im Berufsalltag von Textproduzenten wie etwa Journalisten <?page no="68"?> 68 4 Schriftliche Verständigung oder technischen Redakteuren durch Zeitdruck oder andere Belastungen ein sorgfältiges Formulieren erschwert wird (Jakobs, 2006). Ein besonderes Problem bilden die Fachsprachen, deren Ursprung in der Arbeitsteilung liegt (Fluck, 1996; Roelke, 2010; Adamzik, 2018): Bestimmte gesellschaftliche Gruppen wie ursprünglich Bauern, Fischer, Schmiede, Seefahrer usw. entwickeln in der mündlichen Kommunikation eine Sprache mit eigenen Wörtern und Redewendungen, die die Kommunikation in der Berufsgruppe vereinfacht. Soziologisch gesehen grenzt eine Fachsprache nach außen ab und schafft einen Binnenraum der Verständigung. Man versteht sich untereinander prächtig und genießt den Distinktionsgewinn, aber nach außen entsteht eine Kommunikationsbarriere. Dies gilt erst recht für die Entstehung einer Fachliteratur, die in eine berufliche Kommunikation hineinsozialisiert. Beispiele sind die Fachsprachen der Psychoanalyse oder der Banker. Zum gesellschaftlichen Problem werden Fachsprachen, wenn es um Wissen geht, das für alle Mitglieder einer Gesellschaft relevant ist, z. B. in der Medizin, Technik oder Politik. Es entsteht das Ärgernis schwer verständlicher Experten-Laien-Kommunikation. Ein kooperativ eingestellter Autor muss sich Gedanken über seine Adressaten machen und sorgfältig formulieren, um ihnen keinen unnötigen Verarbeitungsaufwand aufzubürden. Der Adressat muss kognitive Ressourcen investieren, wenn er einen Text nicht automatisch versteht. ich beschreibe zuerst die kommunikativen Aufgaben des Absenders, dann diejenigen des Adressaten. 4.2 Absender: Adressatenorientierung „Der Adressat ist König“, so lautet das Mantra in allen Kommunikationsberufen. Für eine erfolgreiche Kommunikation wird die Adressatenorientierung immer wieder beschworen, aber sie ist ein Kernproblem des Schreibens geblieben (Lehrndorfer, 1999, 2013). Meist ist ein Autor bzw. eine Autorin so damit beschäftigt, das Wissen aus dem Kopf in passende Formulierungen zu bringen, dass die Lesenden dabei vergessen werden. Aber jede effektive Mitteilung muss auf ihre Adressaten ausgerichtet sein. Die Adressatenanalyse und das daraus folgende adressatengerechte Schreiben haben Vorläufer in der Rhetorik, werden aber vor allem zur Forderung in der Didaktik, um Texte für Lernende optimal zu gestalten. Im Bereich des Marketings, der Werbung oder Public Relations wird von Zielgruppen gesprochen. <?page no="69"?> 69 4.2 Absender: Adressatenorientierung Gibt es eine Allgemeinverständlichkeit? Eine verbreitete Richtlinie lautet: Schreibe so einfach als möglich, dann verstehen alle Adressaten deine Mitteilung. So verlangt z. B. Wikipedia von seinen Autoren und Autorinnen allgemeinverständliche Texte. Nach dem vorgestellten Kommunikationsmodell kann es aber eine von Adressaten unabhängige Allgemeinverständlichkeit aus verschiedenen Gründen nicht geben. 1. Das sprachliche Wissen ist nicht bei allen Sprechern einer Sprache identisch. So gibt es für das Deutsche zwar eine Standardsprache, die in einer präskriptiven Grammatik festgeschrieben und in der Schule gelehrt wird. Daneben existieren aber zahlreiche Varietäten: Dialekte, Soziolekte, Fachsprachen, Mediensprachen usw. 2. Das Vorverständnis, also Weltwissen, Erfahrungen, und die kognitiven Kompetenzen sind bei jedem Adressaten anders. Es gibt keine zwei identischen Köpfe und deshalb auch keine Verständlichkeit für alle. 3. Komplexe inhaltliche Zusammenhänge sind allgemeinverständlich mit einfachen Wörtern und einfachen Sätzen schwer vermittelbar. Es gibt allerdings auch die Position, dass es allein eine Frage der Bemühung ist, auch komplexe Inhalte allgemeinverständlich zu formulieren. Das bedeutet: Optimale Verständlichkeit ist immer adressiert! Eine Allgemeinverständlichkeit kann es nicht geben. Wir kommen bei der Leichten Sprache noch einmal auf das Thema zurück (Kap. 11.3). Segmentierung der Adressaten Grundsätzlich gibt es drei Möglichkeiten, mit denen ein Schreibender bei seinen Adressaten rechnen kann: Eine abgrenzbare Adressatengruppe. Dies ist der Schokoladenfall, denn hier lässt sich ein recht klares Profil der Lesenden erstellen. Beispiele: Reparaturanleitung einer Waschmaschine für den Wartungsdienst oder ein Artikel für eine Fachzeitschrift. Mehrere abgrenzbare Gruppen. In der technischen Kommunikation ist dieser Fall nicht selten, zum Beispiel: Erstbenutzende und erfahrene Benutzende eines Geräts oder Laien und Experten. In diesem Fall gibt es zwei Möglichkeiten: ▶ Es werden zwei Versionen für die beiden Adressatengruppen geschrieben. Das ist arbeitsaufwendig und wird teuer. ▶ Der Text wird so aufgebaut, dass zwei Lesewege möglich sind. Individuelle Adressatenführung ist ein Vorteil bei hypertextuellen Online-Angeboten. <?page no="70"?> 70 4 Schriftliche Verständigung Heterogene Adressatengruppe. Hier setzt sich das Publikum aus sehr unterschiedlichen Personen zusammen. Beispiele: Mit der Bedienungsanleitung für einen Mittelklassewagen muss ein großer Personenkreis umgehen können. Artikel für eine Zeitung müssen ebenfalls für verschiedene Lesergruppen mit unterschiedlichen Voraussetzungen verständlich sein. Viele massenmediale Kommunikate richten sich prinzipiell an heterogene Adressatengruppen. Diese sogenannte Mehrfachadressierung stellt eine kommunikative Herausforderung dar (Hoffmann, 1984). Folgende Möglichkeiten sind denkbar: ▶ Man richtet sich am untersten Niveau der Adressaten aus. Dabei geht man aber das Risiko ein, anspruchsvolle Lesende zu langweilen. ▶ Man kann versuchen, einen idealtypischen Durchschnittsadressaten, einen generalisierten Lesenden zu konstruieren. Dabei werden anspruchsvolle Lesende unterfordert und anspruchslose überfordert. ▶ Man bietet Erschließungshilfen für den Text an, z. B. Zusammenfassungen, ein Glossar, Bilder, Infografiken usw., die bei Bedarf freiwillig genutzt werden können (dazu Kap. 9.2). ▶ Man bietet in einem Dokument mehrere Lesewege an. Fortgeschrittene können bestimmte Kapitel überspringen. Für elektronische Texte ist ein Progressive Disclosure realisierbar. Zusätzliche Inhalte (Texte oder Bilder) sind zunächst verborgen und werden erst eingeblendet, wenn sie vom Nutzer aktiv abgerufen werden. So kann der Nutzer das Angebot an sein Vorwissen anpassen. Profilierung Das Bestimmen der Adressatengruppe ist nur die Vorstufe zur Analyse der Voraussetzungen, welche die Adressaten in die Kommunikationssituation einbringen. Wenn keine ausdrückliche Profilierung stattfindet, dann richtet sich der Absender nach dem Image, das er von seinen Adressaten hat. Professionelle Kommunikation muss aber von einem abgesicherten Profil der Adressaten ausgehen. Man unterscheidet mehrere Gruppen von Variablen, die Aufnehmen, Verarbeiten und Nutzen eines Textes beeinflussen. Sozio-ökonomische Variablen. Hierunter versteht man Merkmale, die eine Person gesellschaftlich und wirtschaftlich beschreiben: Geschlecht, Alter, Einkommen, Ausbildung, Beruf u. a. Diese Variablen sind interessant, sofern sie mit kognitiven Eigenschaften verbunden sind. So bringen Absolventen der <?page no="71"?> 71 4.2 Absender: Adressatenorientierung Hauptschule meist schlechtere sprachliche Kompetenzen mit als Absolventen einer Hochschule. Senioren haben oft eingeschränkte Gedächtnisfähigkeiten, die das Verstehen von Texten beeinflussen und beim Schreiben berücksichtigt werden können. Lesemotivation. Hier geht es um die Frage, mit welchem Motiv und welchen konkreten Intentionen ein Adressat zu einem Text greift. Lesen ist kein Selbstzweck, es ist in umfassendere Handlungen und Zielsetzungen eingebettet (Ballstaedt & Mandl, 1985). Die motivationalen Voraussetzungen spielen eine erhebliche Rolle, wenn es um den Einsatz von mentalen Ressourcen geht. ▶ Welche Motive, Bedürfnisse und Vorlieben bringt ein Adressat mit? ▶ Welche Aufgaben möchte er mit der Lektüre lösen: Nachschlagen, Lernen, Diskutieren, Reparieren? ▶ Wird der Text freiwillig oder gezwungen gelesen? ▶ Wie kann man die Adressaten über den Text motivieren? Die Beantwortung dieser Fragen ist nicht nur für eine stimulierende Formulierung, sondern auch für die visuelle Gestaltung, also Typografie und Layout, eines Textes relevant. Vorwissen. Das Vorwissen ist die wichtigste Voraussetzung für das Verstehen eines Textes: Wer neue Informationen in vorhandene Wissensstrukturen einbetten kann, der versteht und lernt besser. 10 Diese kognitionspsychologische Erkenntnis hat bereits der Pädagoge Johann Friedrich Herbart (1920) vorweggenommen, er nannte das vorhandene Wissen die „apperzeptive Masse“, in die neues Wissen und neue Erfahrungen integriert werden. Wir haben es mit zwei Fällen zu tun: 1.-Das Vorwissen ist vorhanden, bleibt aber ungenutzt, Lernpsychologen sprechen auch von trägem Wissen, das erst aktiviert werden muss (Mandl, Gruber & Renkl, 1993). Das ist z. B. über einen vorangestellten Text möglich, der Vorwissen und Vorerfahrungen anspricht, einen sogenannten Advance Organizer (ausführlich Kap. 9.2). 2. Oft ist das notwendige Vorwissen bei den Adressaten nicht vorhanden. Ein neues wissenschaftliches Ergebnis oder ein aktuelles politisches Ereignis bleiben unverständlich, wenn das Hintergrundwissen fehlt. Der Absender kann hier wenig tun, um für das notwendige Vorwissen zu sorgen: Die Journalisten 10 Die Psychologen sprechen scherzhaft vom Matthäus-Effekt, nach dem Satz aus dem Matthäus-Evangelium „Wer hat, dem wird gegeben“ (Mt 25,29). <?page no="72"?> 72 4 Schriftliche Verständigung versuchen dies mit Info-Kästen, Wissenschaftler haben es schwerer, da das Vorwissen oft in der Alltagssprache kaum vermittelbar ist. Vor allem Experten überschätzen gern das Vorverständnis ihrer Adressaten. Folgende Fragen sind für verständigungsorientierte Absender relevant: ▶ Welche Ausbildung und welche Abschlüsse liegen bei den Adressaten vor? ▶ Handelt es sich um Laien, professionelle Nichtexperten, Experten? ▶ Welches Wissen kann nicht vorausgesetzt werden? ▶ An welches Vorwissen kann man anknüpfen? Die Einschätzung des Vorwissens ist grundlegend für jede fachliche Kommunikation, da eine effektive Mitteilung immer vorhandenes Wissen aktiviert und daran anknüpft. Ein und derselbe Text kann für eine Person verständlich, für eine andere mit mangelndem Vorwissen völlig unverständlich sein. Sprachkompetenzen. Kompetenzen haben die Eigenart, sich immer weiter aufzufächern, und so lassen sich auch hier verschiedene Unterkompetenzen unterscheiden, die man auch unter dem Dach der Literalität (literacy) zusammenfassen kann (Groeben & Hurrelmann, 2009). Zunächst geht es um das Sprachwissen in unserem Kommunikationsmodell, die mehr oder minder ausgeprägte Beherrschung des Zeichensystems Sprache. Die Verwendung einer Sprache unterscheidet sich innerhalb eines Sprachraums gewaltig. Unterschiede zwischen der mündlichen Sprache und der Schriftsprache haben wir bereits angeführt. In der älteren Soziolinguistik unterschied man eine elaborierte (= ausgearbeitete) und eine restringierte (= eingeschränkte) Sprache (Bernstein, 1964). Die elaborierte Sprache zeichnet sich durch einen großen Wortschatz und komplexe grammatische Konstruktionen aus, die restringierte Sprache durch einen kleineren Wortschatz und einfache Satzkonstruktionen. Diese Einteilung ist jedoch recht grob und berücksichtigt nur Extreme in einem Kontinuum sprachlicher Differenzierung. Weiter umfasst die Sprachkompetenz den Umgang mit Texten. Unter Lesekompetenz versteht die PISA-Studie „die Fähigkeit, geschriebene Texte unterschiedlicher Art in ihren Aussagen, ihren Absichten und ihrer formalen Struktur zu verstehen und sie in einem größeren sinnstiftenden Zusammenhang einzuordnen, sowie in der Lage zu sein, Texte für verschiedene Zwecke sachgerecht zu nutzen“ (Baumert, Stanat & Demmrich, 2001, S. 22). Es geht also um Verstehenskompetenz, die bisher vor allem bei literarischen Texten untersucht wird (Frederking, 2010). Wie wir später sehen, kann sie am besten als Fähigkeit <?page no="73"?> 73 4.2 Absender: Adressatenorientierung beschrieben werden, aufgrund von Texten darüberhinausgehende Schlussfolgerungen zu ziehen. Die folgenden Fragen sollte ein Autor vor dem Schreiben für sich beantworten: ▶ Von welcher Lesefähigkeit kann man ausgehen (niedrig, mittel, hoch)? ▶ Pflegen die Adressaten einen eher elaborierten oder restringierten Sprachgebrauch? ▶ Kann die fachsprachliche Terminologie vorausgesetzt werden? Der Sprachgebrauch spielt nicht nur für verständliche Formulierungen eine Rolle, sondern auch für die Beziehungsebene der Kommunikation. Es entsteht eine Diktionsdistanz zwischen Absender und Adressat, wenn der Sprachgebrauch weit voneinander abweicht: Die Adressaten empfinden einen Text dann entweder als abgehoben und arrogant oder als anbiedernd und distanzlos (Siddiqi, 1977). Persönlichkeit, Mentalität. In der mündlichen Kommunikation spielt das personale Wissen eine wesentliche Rolle: Das Image, das ein Absender von seinem Adressaten hat, umfasst auch das Wissen, dass ein Gegenüber z. B. neugierig, konservativ, introvertiert, depressiv usw. ist. In der schriftlichen Kommunikation können solche Merkmale nur in Sonderfällen berücksichtigt werden, z. B. muss ein Sachbuch mit dem Titel „Wie komme ich aus meiner Depression“ anders geschrieben werden als ein Buch mit dem Titel „Scharfe Cocktails für die nächste Party“. Die Mentalität und die weltanschauliche Ausrichtung der Adressaten kann in Zeiten der political correctness bei Wortwahl oder Formulierung erhebliche Kommunikationsprobleme nach sich ziehen. Prozedurales Vorwissen. Bei Instruktionstexten wie Bedienungsanleitungen oder Kochrezepten sind motorische Voraussetzungen wichtig. Dabei geht es um das Handlungswissen und das motorische Können einer Person: Welches Repertoire an Handlungen kann vorausgesetzt und wie differenziert können diese ausgeführt werden (z. B. Feinmotorik). ▶ Welche Handlungen und Handgriffe sind automatisiert? ▶ Wie sieht es mit Geschicklichkeit und Feinmotorik aus? Die Beantwortung dieser Fragen ist wichtig, um die richtige Ebene der Handlungsbeschreibung oder -anweisung zu treffen. Ungewohnte Handlungen müssen detailliert beschrieben und angeleitet werden, gewohnte Handlungen muss man nur benennen (Kap. 8.6). <?page no="74"?> 74 4 Schriftliche Verständigung Eine Adressatenanalyse wird zwar von allen Kommunikationsexperten als wichtig erachtet, aber oft nur oberflächlich durchgeführt. Meist werden die Voraussetzungen der Adressaten in einer Arm-Chair-Analyse ergrübelt. Dabei handelt es sich nur um mehr oder minder wahrscheinliche Mutmaßungen, die so gut oder schlecht sind, wie der Autor bzw. die Autorin die potenziellen Adressaten aus eigener Erfahrung kennt. Einige empirische Methoden der Adressatenanalyse werden im Kap. 11.2 vorgestellt. Zusatzmaterial 2: Übung zum adressatenorientierten Schreiben Spezielle Adressatengruppen In den letzten Jahren haben einige Adressatengruppen besondere Aufmerksamkeit erfahren, wenn es um verständliche sprachliche Kommunikation geht. Senioren. Wegen der Überalterung - oder politisch korrekt Unterjüngung - unserer Gesellschaft treten alte Menschen nicht nur als große Adressatengruppe für soziale und gesundheitsbezogene Dienstleistungen auf, sondern sie wurden auch als kaufkräftige Zielgruppe entdeckt. Den Anfang machten Bücher im Großdruck, inzwischen wird darüber geforscht, auch Gebrauchsanleitungen für Handys oder altersspezifische Produkte seniorengerecht zu schreiben und zu gestalten (Schwender, 2013). Die Adressatengruppe der Senioren ist in ihren Bedürfnissen und Merkmalen gut untersucht. Während Fähigkeiten der als angeboren konzipierten fluiden Intelligenz nachlassen (Kurzzeitgedächtnis, Verarbeitungskapazität, induktives und deduktives Denken), bleiben erworbene Fähigkeiten der kristallinen Intelligenz (Wissen, Erfahrung) erhalten bzw. können sich sogar verbessern. Ältere Menschen müssen für bestimmte kognitive Leistungen mehr Ressourcen aktivieren, sie sind dadurch oft langsamer oder - positiv ausgedrückt - bedächtiger. Van Horen et al. (2001) verglichen eine Gruppe von 20-30-Jährigen mit einer Gruppe von 60-70-Jährigen bei der Nutzung einer Gebrauchsanleitung für einen Video-Kassetten-Rekorder. Die Senioren machten mehr Fehler als die jüngeren Vpn, wenn die Anordnung von Gerätekomponenten nicht eindeutig beschrieben war und wenn der Sinn einer geforderten Handlung nicht ausdrücklich genannt wurde. Offenbar können jüngere Personen diese Informationen eher erschließen, während sie für ältere Personen ausdrücklich formuliert werden sollten. <?page no="75"?> 75 4.2 Absender: Adressatenorientierung Menschen mit Behinderung. Barrierefreie Kommunikation für Menschen mit besonderen Bedürfnissen ist in der BRD im §. 4 des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG) definiert: „Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für behinderte Menschen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind“ (BGG, 2002). Was Kommunikate betrifft, z. B. Nachrichten, Gesundheitsinformationen oder Anleitungen für Geräte, so sollen sie zugänglich und mit eigenen Ressourcen verständlich sein (Schum, 2017). In digitalen Medien lassen sich Texte für sehr unterschiedliche Bedürfnisse barrierefrei aufbereiten und zur Verfügung stellen (Peter, 2013). Mit assistiver Software können Texte für Blinde in Braille-Schrift präsentiert oder in gesprochene Sprache übersetzt werden, für Hörbehinderte in Gebärdensprache. Für kognitive Behinderungen ist eine Leichte Sprache entwickelt worden, die nur einfache Wörter und Sätze umfasst (siehe Kapitel 11.3). Menschen anderer Kulturen. Im Zuge der Globalisierung und der Migration hat sich die Sensibilität für interkulturelle Kommunikation verstärkt. Das gilt auch für informative Texte, die in andere Sprachen übersetzt werden. Dabei reicht eine korrekte Übersetzung eines Textes zur Verständlichkeit oft nicht aus, der Text muss auch kulturspezifischen Besonderheiten angepasst werden. Man spricht in diesem Fall von Lokalisierung (Göpferich, 2002). Es gibt zahlreiche Unterschiede, die zu Missverständnissen in der Kommunikation führen können (Heringer, 2004): unterschiedliche Bedeutungsnuancen von Wörtern (Konnotationen), verschiedene Mentalitäten, inhaltliche Tabus, abweichende Konventionen usw. Interkulturelle Kompetenz wird heute als eine kommunikative Schlüsselqualifikation angesehen, sie ist das Vermögen, „mit fremden Kulturen und ihren Angehörigen in adäquater, ihren Wertesystemen und Kommunikationsstilen angemessener Weise zu handeln, mit ihnen zu kommunizieren und sie zu verstehen“ (Lüsebrink, 2008, S. 9). Frauen. In der Werbung oder dem Marketing für geschlechtsaffine Produkte sind Frauen schon lange eine spezielle Zielgruppe mit direkter Ansprache. Bei wissenschaftlichen Texten und technischen Dokumenten wird zunehmend eine Sprache gefordert, die Frauen als Adressatinnen in den Formulierungen berücksichtigt. Die meisten Sprachen, auch die deutsche, behandeln Männer und <?page no="76"?> 76 4 Schriftliche Verständigung Frauen nicht gleich. „Teils sind diese Asymmetrien Relikte aus Zeiten, als Frauen tatsächlich Menschen zweiter Ordnung waren. Teils spiegeln sie frühere Versuche, zu den Frauen ganz besonders nett zu sein. Diskriminieren heißt wörtlich ‚unterscheiden‘. Ob aus Missachtung oder Hochachtung: Wir sprechen wohl oder übel eine Sprache, welche Unterschiede macht“ (Zimmer 1998, S. 67). Demgegenüber gibt es Bestrebungen, die geschlechtliche Ungleichbehandlung zu vermeiden (Hellinger & Bierbach, 1993). Dabei sind zwei allgemeine Richtlinien leitend: ▶ Sprachliche Sichtbarmachung. Wo von Frauen die Rede ist, muss dies auch sprachlich zum Ausdruck kommen. ▶ Sprachliche Symmetrie. Wo von Frauen und Männern die Rede ist, müssen beide verbal gleich behandelt werden. Die Umstellung auf eine geschlechtergerechte Sprache bereitet zunächst Schwierigkeiten. Eine beliebte Möglichkeit, sich um eine geschlechtergerechte Sprache zu drücken, ist eine Generalklausel: „Aus Gründen der Verständlichkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für beide Geschlechter.“ Oder noch kecker: „Bei Verwendung der männlichen Formen sind die Frauen immer mitgemeint.“ Aber sind sie das tatsächlich? Und verstehen sich Frauen einbezogen? Untersuchungen mit unterschiedlichen Methoden belegen, dass beim Lesen generischer Maskulina häufiger an Männer als an Frauen gedacht wird. Werden Personen danach gefragt, wer ihr beliebtester Maler oder Sportler sei, dann variiert die Anzahl der genannten Frauen signifikant in Abhängigkeit davon, ob mit dem generischen Maskulinum oder geschlechtsneutralen Formulierungen gefragt wird. Beim generischen Maskulinum werden kaum Frauen genannt (Irmen & Steiger, 2006). Andere Untersuchungen führten zu dem Ergebnis, dass sich Leserinnen durch die männlichen Formen weniger angesprochen fühlen. Beispiele: Frauen werden von Stellenanzeigen, die das generische Maskulinum verwenden, weniger zu einer Bewerbung motiviert. Mädchen zeigen ein größeres Interesse an einem Beruf, wenn er geschlechtsneutral beschrieben wird (Bem & Bem, 1973). Versteht man die Adressatenorientierung als ein Grundprinzip professioneller Kommunikation, dann ist das Anliegen der feministischen Linguistik, Frauen sprachlich sichtbar zu machen, durchaus berechtigt. Oft wird als Argument gegen geschlechtergerechte Sprache vorgebracht, dass unter ungewohnten und umständlichen Formulierungen Leserlichkeit und Verständlichkeit leiden. Die <?page no="77"?> 77 4.2 Absender: Adressatenorientierung deutsche Sprache macht es auch gutwilligen Gendern nicht leicht, vor allem die Pronominalisierung (Wer hat seinen Lippenstift liegen lassen? ) oder Komposita (Rednerinnenpult) stellen Schreibende vor verzwickte Aufgaben. Zur Verständlichkeit gibt es einige Untersuchungen, deren Ergebnisse sich so zusammenfassen lassen: Zwischen Texten mit generischem Maskulinum und unterschiedlichen Alternativformulierungen gibt es keine Unterschiede in der subjektiven Verständlichkeit (Rothmund & Christmann, 2002). Dieser Befund konnte mit Nachrichtentexten repliziert werden (Blake & Klimmt, 2010). Beim Binnen-I (LeserIn) war allerdings die Lesezeit langsamer. Das verweist darauf, dass ungewohnte Wörter und Wortformen (z. B. Frauschaft statt Mannschaft, BürgerInnen) und ungewöhnliche grammatische Konstruktionen zusätzlichen Verarbeitungsaufwand erfordern. Der Duden, konkret Gabriele Diewald & Anja Steinhauer (2017), hat Vorschläge vorgelegt, die auf drastische Eingriffe in die Sprachgewohnheiten verzichten: Doppelnennungen (Dozentinnen und Dozenten), Abwechseln in festen Wendungen (Damen und Herren, Herren und Damen), substantivierte Partizipien (Dozierende, Gewählte), sexusindifferente Wörter (Fachkraft, Person) und andere Ersatzformen. Obwohl ein drittes Geschlecht „divers“ in das Personenstandrecht eingeführt wurde, fühlen sich viele Intersexuelle sprachlich nicht repräsentiert. Die Berücksichtigung weiterer Geschlechtsidentitäten durch das Gendersternchen (Lehrer*innen) oder das Gendergap (Lehrer_innen) verletzt orthografische Regeln und ist zudem nicht aussprechbar. Man sollte sich rückbesinnen, dass mit dem generischen Maskulinum eine Gattung oder Gruppe bezeichnet wird, in der das biologische Geschlecht, welcher Art auch immer, keinerlei Rolle spielt. Man kann in der Einführung einer gendergerechten Sprache einen natürlichen Prozess des Sprachwandels sehen, der mit der Abschaffung des Fräuleins in den 80er Jahren begann und irgendwann zur Norm werden wird. Die Verständlichkeit wird darunter wenig leiden, wenn auf gendergroteske Sprachverirrungen verzichtet wird. Zusatzmaterial 3: Übung zum impliziten Adressaten <?page no="78"?> 78 4 Schriftliche Verständigung 4.3 Adressat: Ressourceneinsatz Switchen wir jetzt auf die Seite des Adressaten, der mit einem Text konfrontiert wird. Seinen Anteil an der Verständlichkeit hat schon die traditionelle Hermeneutik erkannt. Um wichtige - ursprünglich mythologische, religiöse und juristische Texte - zu verstehen und zu interpretieren, hat sich seit der Antike die Wissenschaft der Hermeneutik herausgebildet. Sie hat eine sehr interessante Geschichte hinter sich: als Methode der Interpretation, als Grundlegung der Geisteswissenschaft bis zu einer universalen Theorie des Verstehens (Scholz, 2016). Hermeneutische, psychologische und linguistisch-pragmatische Ansätze benutzen zwar eine unterschiedliche Terminologie, aber inhaltlich gibt es viele Überschneidungen, auf die wir im Folgenden aufmerksam machen. 11 In den aktuellen Theorien des Verstehens spielt die Hermeneutik nur eine marginale Rolle in geistreichen Fußnoten und Exkursen. Hermeneutische Voraussetzungen Martin Scholz hat in seiner Aufarbeitung der Frühgeschichte der Hermeneutik aufgedeckt, dass bereits im 18. Jahrhundert Regeln der Interpretation aufgestellt wurden. So postuliert der Philosoph und Theologe Christian August Crusius vier Präsumptionen, also Voraussetzungen, mit denen ein Interpret an einen Text herangehen soll (Scholz, 2016, S. 49/ 50, S. 159). ▶ Präsumption der Konsistenz. Der Adressat geht davon aus, dass der Text in sich konsistent ist und keine Widersprüche enthält. ▶ Präsumption der Deutlichkeit. Der Adressat unterstellt, dass ein Autor sich Mühe gibt, verständlich zu formulieren, um verstanden zu werden: „daher präsumiret man auch von ihm, daß er mit dem Sprachgebrauch rede, und daß er Dunkelheit und Zweideutigkeit verhüte. Denn es ist der natürliche Zweck der Rede, daß man verstanden sein will“ (zitiert nach Scholz, 2016, S. 49). ▶ Präsumption der Zweckrationalität. Hier werden das Kooperationsprinzip und die Maxime der Relation bzw. Relevanz von Grice vorweggenommen: 11 Dietrich Busse (2015) betont ebenfalls die Bedeutung der Hermeneutik, vor allem Schleiermachers, die viele Erkenntnisse der Psycholinguistik vorgedacht hat. Sein Ansatz ist meinem in vieler Hinsicht ähnlich, wenn auch nicht fokussiert auf Sachtexte und Verständlichkeit. Aber ein „genuin linguistisches Modell des Textverstehens und der Textinterpretation“ (S. 236) halte ich für einen Rückfall in die disziplinäre Schrebergärtnerei. <?page no="79"?> 79 4.3 Adressat: Ressourceneinsatz Ein Beitrag soll dem allgemeinen Zweck, also den geteilten Intentionen der Kommunikationspartner dienen. ▶ Präsumption der Zustandsgemäßheit. Diese Unterstellung muss man wohl so verstehen, dass das Geschriebene dem derzeitigen Zustand des Autors entspricht. Das entspricht dem Geltungsanspruch der Wahrhaftigkeit bei Habermas. Es fällt auf, dass die Präsumptionen wieder an die Rationalität gekoppelt sind: Ein vernünftiger Interpret handelt nach einem hermeneutischen „principle of charity“, das dem Autor und seinem Text wohlwollend und nachsichtig entgegenkommt. Der amerikanische Philosoph Donald Davidsons formuliert später ein globales Rationalitätsprinzip: „Interpretiere die fremde Person als rationale Person“ (zitiert nach Scholz, 2016, S. 117). Zwar sind die Präsumptionen grundsätzlich als widerlegbar gedacht, immer wieder wird die Klausel „bis zum Nachweis des Gegenteils“ beschworen. Wer aber an der Rationalität seines Gegenübers zweifelt, bei dem liegt auch die Beweislast. Ein Problem bleibt ungelöst: Welche konkreten Kriterien gibt es, um festzustellen, dass ein Autor sich nicht um Verständlichkeit bemüht, nicht aufrichtig ist und lügt oder gar verwirrt und unzurechnungsfähig ist? Die geforderte Nachsicht hat sicher ihre Grenzen: Zu viele unscharfe Begriffe, Widersprüche, Mehrdeutigkeiten, Fehlschlüsse, Inkonsistenzen, dunkle Passagen, Inkohärenzen usw. wird man auch bei aller hermeneutischen Empathie keinem Textproduzenten durchgehen lassen. Als methodisches Prinzip ist es sicher sinnvoll, nicht bei jedem unverstandenen Satz sofort an den Fähigkeiten des Absenders zu zweifeln, sondern sich um ein Verstehen zu bemühen. Das Prinzip hat heuristische Funktion, es soll bewirken, unvoreingenommen und offen für neue Einsichten zu bleiben. Die Präsumptionen werden als konstitutiv für das Interpretieren angesehen, allerdings wird das Gelingen des Verstehens den Adressaten aufgebürdet, während die Absender mit großem Wohlwollen und Vertrauensvorschuss behandelt werden. Die Spirale des Verstehens Hermeneutiker haben zwar die Verstehensprozesse nicht im Detail untersucht, wie heute die Psycholinguistik und die Kognitionspsychologie, aber sie haben eine Theorie entwickelt, wie ein Text im zeitlichen Verlauf verstanden und interpretiert wird. 1.-Ausgangspunkt ist die hermeneutische Differenz, der Unterschied zwischen Absender und Adressat. Zwischen beiden können historische, gesellschaftliche <?page no="80"?> 80 4 Schriftliche Verständigung und sprachliche Unterschiede bestehen. In unserem Modell stecken diese Differenzen in den nur teilweise geteilten Intentionen und Wissensbeständen. Diese Differenz taucht bei vielen Hermeneutikern auf: Wilhelm Dilthey spricht von einer „Verfremdung“, Hans-Georg Gadamer sieht die Hermeneutik „zwischen Fremdheit und Vertrautheit“, Paul Ricœur spricht von einer „distanciation“. 2.-Wir gehen immer schon mit einem gewissen Vorverständnis an einen Text heran, mit dem wir ihn zu verstehen suchen (Kümmel, 1965). Dieses Vorverständnis wird sich teilweise bestätigen, teilweise muss es aufgrund der Lektüre verändert werden. Das Textverständnis erweitert und modifiziert das Vorverständnis, mit dem weitergelesen wird usw. (Bild 4). Beim Verstehen schriftlicher Texte durchläuft der Lesende einen hermeneutischen Zirkel, oder besser eine hermeneutische Spirale (Bolten, 1985; Stegmüller, 1996). Dabei geht es um das Verhältnis des Ganzen zu seinen Teilen auf zwei Ebenen: Wir verstehen ein Wort im Kontext des Satzes, einen Satz im Kontext des Gesamttextes, dieser Gesamttext aber setzt sich aus den zu verstehenden einzelnen Sätzen zusammen. Aufgelöst wird diese Zirkularität durch das fortlaufende Lesen, da die Lektüre jedes Satzes das Verstehen des Gesamttextes erweitert, was wiederum auf das Verstehen der folgenden Sätze zurückwirkt (Dilthey, 1981). Das ist eine Beschreibung des kontinuierlichen Zusammenwirkens von textgeleiteten und wissensgeleiteten Verstehensprozessen, das schließlich zu einem Verständnis führt, das aber grundsätzlich vorläufig ist. Denn der Prozess der Interpretation ist nie abgeschlossen, ein Text kann immer wieder neu gelesen und neu interpretiert werden. Das gilt vor allem für literarische Texte, denn sie sind grundsätzlich für verschiedene Interpretationen offen (Eco, 1999), aber auch Sach- und Gebrauchstexte bleiben davon nicht verschont: So lesen wir heute z. B. die Bücher von Charles Darwin oder Sigmund Freud mit einem anderen Vorverständnis als ihre Zeitgenossen. 3. Ein Problem stellt die Validität (Gültigkeit) einer Interpretation dar. Sind grundsätzlich alle Interpretationen gleichwertig, oder gibt es Kriterien für mehr oder weniger adäquate Verständnisse (Rusterholz, 1979)? Eine Interpretation kann auch einen Text bzw. den Autor bzw. die Autorin vergewaltigen, indem Deutungen unterstellt werden. Susan Sontag (2016) spricht in ihrem Essay „Against Interpretation“ von aggressiven und pietätlosen Interpretationen, die einen Text für eine Theorie oder Weltanschauung vereinnahmen. Die hermeneutische Theorie verlagert das Problem der Verständlichkeit auf die Adressaten. Sie müssen Verstehensarbeit leisten, während den Autoren erstaunlich viel Nachsicht entgegengebracht wird. Einen Freibrief zum Formulie- <?page no="81"?> 81 4.4 Probleme der Verständlichkeit ren bekommen die Textproduzenten allerdings nicht, auch Crusius verlangt mit der Präsumption der Deutlichkeit, dass sich ein Textproduzent verständlich für die Adressaten ausdrückt. Damit ist seine Hermeneutik nicht weit von unserem kommunikativen Ansatz von Verstehen und Verständlichkeit entfernt. Bild 4: Unser Vorverständnis (1. VV) beeinflusst das Textverstehen (1. TV), dieses wirkt wieder auf das Vorverständnis (2. VV) zurück, mit dem wir dann weiterlesen usw. Der hermeneutische Zirkel wird zur Spirale, sobald wir eine Zeitachse einziehen. 4.4 Probleme der Verständlichkeit „Nichts ist leichter, als so zu schreiben, dass kein Mensch es versteht; wie hingegen nichts schwerer, als bedeutende Gedanken so auszudrücken, dass jeder sie verstehen muss“, so ein Diktum von Arthur Schopenhauer (1986, S. 552). Warum gibt es schwer verständliche Texte? An dieser Stelle ist ein kurzer Blick auf die Kehrseite des Verstehens notwendig, auf die Fälle, in denen die Verstehensbemühungen scheitern. Drei Störfälle des Verstehens und der Verständ- <?page no="82"?> 82 4 Schriftliche Verständigung lichkeit lassen sich unterscheiden: Unverständlichkeit, Schwerverständlichkeit, Missverständlichkeit. Unverständlichkeit Ein völliges Unverstehen ist z. B. der Fall, wenn man einen Text in einer fremden Sprache (fehlendes Kodewissen) oder über eine völlig unbekannte Wissensdomäne (fehlendes Weltwissen) liest. Ob es in der mündlichen Kommunikation einen „complete communicative breakdown“ geben kann, lässt sich bezweifeln, da über paraverbale Zeichen immer eine teilweise Verständigung möglich ist. Meist haben wir es mit einem partiellen Nichtverstehen zu tun, denn nur ein Teil der Mitteilung bleibt unverständlich oder nur eine Ebene des Verstehens ist betroffen. Missverständlichkeit Dies ist der kommunikativ heikelste Fall, denn der Adressat glaubt verstanden zu haben, aber der Absender hat es anders gemeint. Marcus Friedrich (2017, S. 24) spricht treffend von einem Scheinverstehen. Im Alltag kann man aneinander vorbeireden. In der mündlichen Kommunikation wird Scheinverstehen entdeckt, wenn ein manifestes Missverständnis auftaucht: „So habe ich das doch gar nicht gemeint! “ Durch Rückmeldungen kann es schneller ausgeräumt werden als in der schriftlichen Kommunikation (Falkner, 2007). Tückisch ist das unbemerkte Missverstehen, weil es als vermeintliches Verstehen getarnt ist (Hinnenkamp, 1998). Die Grenzen zwischen Verstehen und Scheinverstehen sind fließend. Schwerverständlichkeit In vielen Fällen verläuft das Verstehen spontan und automatisch. Kommt es aber ins Stocken, müssen wir Verstehensarbeit leisten, d. h. mentale Ressourcen einsetzen. In diesem Fall sprechen wir von schwer verständlichen Mitteilungen. Schwerverständlichkeit resultiert aus der Komplexität der Sache oder der Art der Formulierung. Das Letztere ist dann ein Fall für die Praxis der Textverständlichkeit. Es gibt auch Verteidiger schwer verständlicher Texte, deren Argumente in unserem Kontext durchaus interessant sind. Es werden in verschiedenen Variationen drei Argumente vorgebracht (Ballstaedt, 2016): <?page no="83"?> 83 4.4 Probleme der Verständlichkeit Das inhaltliche Argument. Die Wirklichkeit ist so komplex, dass sie sich nicht mit einfachen Wörtern und einfachen Satzkonstruktionen ausdrücken lässt. Mit diesem Argument verteidigt der Philosoph Johann Hamann (1730- 1788) seine dunkle Prosa, hier theologisch eingefärbt: Da die Welt nur Gott und nicht dem Menschen verstehbar ist, kann ein Mensch über sie auch nicht verständlich schreiben. Die Texte spiegeln sozusagen die Nichtverstehbarkeit der Welt für den Menschen. Unverständlichkeit wird hier als Protest gegen die Aufklärung und deren Forderung, sich klar auszudrücken, verstanden. Denn Aufklärer fordern eine klare und verständliche Sprache, z. B. Jean Lerond d’ Alembert (1717-1783) für die Enzyklopädie. Auch die deutschen Aufklärer fordern einen verständlichen Schreibstil, der auch außerhalb des akademischen Elfenbeinturms verstanden wird. Friedrich Nicolai (1773, S. 121), ein Vertreter der Berliner Aufklärung, beklagt, dass die Schreibenden in Deutschland nur auf sich selbst und „auf den gelehrten Stand“ bezogen sind und die übrigen Menschen verachten. Noch schärfer geht Christian Garve (1796, S. 343) mit den Schreibenden ins Gericht. Er verlangt „Klarheit und Leichtigkeit des Styls“ und lässt das beliebte Argument nicht gelten, dass Tiefe und Gründlichkeit mit Unverständlichkeit erkauft wird, im Gegenteil: „Man kann also mit Recht sagen, daß der höchste Grad der Vollkommenheit und Ausbreitung philosophischer Ideen dann erst erreicht ist, wenn sie sich allen Menschen von gebildetem Verstande, auf eine leichte Art, mitteilen lassen.“ In dieselbe Kerbe schlägt Georg Christoph Lichtenberg (1971, S. 157): „Die simple Schreibart ist schon deshalb zu empfehlen, weil kein rechtschaffener Mann an seinen Ausdrücken künstelt und klügelt.“ Er spottet über Autoren, die ihre „gelehrte Notdurft auf Papier verrichten.“ Dies sind klare Worte gegen einen schwer verständlichen akademischen Imponierstil, der insbesondere in Deutschland bis heute gepflegt wird und zur Sozialisation in einige Disziplinen gehört (Groebner, 2012). Bei den Adressaten wird eine unverständliche Sprache als Ausdruck von Expertise oder Intelligenz aufgefasst. Doch Komplexität ist nicht Kompliziertheit! Das didaktische Argument. Dieses Argument wird gern mit pädagogischem Zeigefinger vorgetragen: Man darf es den Lesenden nicht zu einfach machen, schwierige Texte führen zu tieferer Verarbeitung. So wünscht sich Hamann Adressaten, die wiederkäuend lesen und sich durch den Text zum Denken anregen lassen. Lesen wird hier zwar als ein kreativer, kein rezeptiver Akt gesehen, aber die Verantwortung für das Verstehen wird völlig auf die Seite der Lesenden abgeschoben. Der oder die Schreibende braucht sich nicht um Verständlichkeit zu bemühen, im Gegenteil: Unverständlichkeit wird geradezu als <?page no="84"?> 84 4 Schriftliche Verständigung Voraussetzung für Verstehen gesehen, sozusagen als produktiver Trigger für eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Text (Schumacher, 2000). Unter bildungspolitischem Aspekt ist dieses Argument indiskutabel, vor allem, da es oft nur ein kleiner Schritt dazu ist, die Adressaten als unverständig oder dumm abzustempeln (Pogarell, 1999). 12 Das ästhetische Argument. Schwerverständlichkeit bereitet intellektuell anspruchsvollen Adressaten einen ästhetischen Genuss. Dies betrifft vor allem literarische Texte, da bietet sich dieses Argument an. Keiner wird von Thomas Mann oder Thomas Bernhard einfordern, dass sie verständlich schreiben sollen. Norbert Groeben (1982, S. 152) nennt Verständlichkeit ein „Un-Kriterium für literarische Texte“. Für Verstehensprobleme werden gern rhetorische Stilmittel wie Metaphern, Ironie und Allusionen (= Anspielungen) verantwortlich gemacht, die eben manchen Lesenden überfordern. Das ästhetische Argument gilt aber sicher nicht für Sachtexte. Alle drei Argumente haben eine gewisse Plausibilität, aber sie verschweigen die dunkeln Seiten der Schwerverständlichkeit, diese dient oft der Verschleierung und Abschottung. Abschottung. Schwerverständlichkeit kann als Mittel der sozialen Abgrenzung eingesetzt werden. So schreibt Friedrich Nietzsche im 381. Aphorismus der „Fröhlichen Wissenschaft“: „Es ist noch ganz und gar kein Einwand gegen ein Buch, wenn irgend jemand es unverständlich findet: vielleicht gehörte eben dies zur Absicht seines Schreibers - er wollte nicht von ‚irgend jemand‘ verstanden werden. Jeder vornehmere Geist und Geschmack wählt sich, wenn er sich mitteilen will, auch seine Zuhörer; indem er sie wählt, zieht er zugleich gegen die anderen seine Schranken.“ (Nietzsche, 1981, S. 256) Schwerverständlichkeit ist hier eine elitäre Strategie, sich nur Gleichgesinnten mitzuteilen und andere auszuschließen. Eine vergleichbare sektiererische Einstellung findet man in den „Schwarzen Heften“ von Martin Heidegger (2014): „Künftig muss das Unverständliche gewagt werden: jedes Zugeständnis an Verständlichkeit ist schon Zerstörung.“ Noch ein Zitat: „Das Sichverständlichmachen ist der Selbstmord der Philosophie“. Hiermit wird Kommunikation bewusst verweigert und nur Eingeweihte dürfen in den Elfenbeinturm des Philosophen eintreten. Schwerverständlichkeit wird zum Statussymbol. 12 Ausgerechnet Hegel, dessen Texte wirklich eine Herausforderung darstellen, hat in der „Phänomenologie des Geistes“ eine verständliche Wissenschaft gefordert, damit sie kein „esoterisches Besitztum einiger Einzelner“ wird. <?page no="85"?> 85 4.5 Texte verständlich machen Verschleierung. Immer wieder wurde der Verdacht geäußert, dass schwer verständliche Texte nur eine Schwäche der Argumentation verdecken sollen. Wer klar denkt, der kann sich auch klar ausdrücken. Wer verschwurbelt schreibt, der denkt auch so. Es gibt die „intendierte Schwerverständlichkeit“ (Göpferich, 2002, S. 226), bei der durchaus gewollt ist, sich unverständlich auszudrücken, weil man eigentlich wenig zu sagen oder etwas zu verschweigen hat. Schwer verständliche Texte benötigen dann Vermittler wie Exegeten, Pressesprecher, Übersetzer, Kommentatoren usw., die eine Interpretationshoheit beanspruchen. Schwerverständlichkeit haftet oft etwas Esoterisches und Sektiererisches an. Machtausübung. Unverständlichkeit verweist auf eine verdeckte Machtausübung in Politik, Religion oder Recht, denn schwierige Texte führen zu einem Deutungsprivileg einer sozialen Gruppe (Enzensberger, 2004). Schwerverständlichkeit von theologischen, philosophischen oder juristischen Texten führt zu Berufen, die für die Interpretation bzw. Auslegung zuständig sind, Juristen, Theologen oder Philologen (hermetische Hermeneutik). Ausgerechnet in der Politik dienen schwer verständliche Texte oft dazu, Interessen zu verschleiern und sich vor konkreten Äußerungen zu drücken: Schwerverständlichkeit begründet eine Abhängigkeit von Experten und Ratgebern. Auf Seiten des Adressaten gibt es allerdings auch den Fall, dass er nicht verstehen kann oder will: „Doch was, wenn mein Gesprächspartner mich nicht verstehen kann, aus intellektuellen oder psychischen, aus kulturellen oder gesundheitlichen Gründen oder weil ihm einfach ein paar Informationen über mich fehlen? Was, wenn ich mein Gegenüber nicht verstehen will, weil mich kulturelle Vorurteile leiten, ich die Person nicht ausstehen kann oder sie dominieren will, weil mir der gute Wille zum Verstehen einfach fehlt? “ (Schulte, 2013). In der schwarzen Rhetorik wird sogar empfohlen, den Absender absichtlich misszuverstehen, z. B. empfiehlt Arthur Schopenhauer (2009, S. 61) diesen Kunstgriff: „Man erzwingt aus dem Satze des Gegners durch falsche Folgerungen und Verdrehung der Begriffe Sätze, die nicht darin liegen und gar nicht die Meinung des Gegners sind.“ 4.5 Texte verständlich machen Eine Verbesserung der schriftlichen Kommunikation ist in vielen gesellschaftlichen Bereichen erwünscht, sie sind im Kapitel 1 aufgezählt. Da das 11. Kapitel ausführlich die Evaluation und Optimierung der Verständlichkeit behandelt, werden hier nur drei Szenarien angeführt. Wer die Verständlichkeit in der <?page no="86"?> 86 4 Schriftliche Verständigung schriftlichen Kommunikation verbessern möchte, der kann an drei Komponenten der Kommunikation ansetzen: auf der Seite des Absenders, auf der Seite des Adressaten oder am Text selbst. Schreibtraining. Hier geht es um Schulung im adressatenorientierten und verständlichen Schreiben durch Handreichungen und Schreibwerkstätten, um die Schreibfähigkeiten von Autorinnen und Autoren zu verbessern. Dieser Ansatz ist in der Ausbildung für Berufe mit professioneller Vermittlungsfunktion unverzichtbar. Für einige Arbeitsfelder liegen Handreichungen (Guidelines) für verständliches Schreiben vor, z. B. für technische Dokumentation (Baumert & Verhein-Jarren, 2012), für journalistische Beiträge (Häusermann, 2005), für amtliche Schreiben (Brettschneider et al., 2012), für Public Relations (Ebert, 2014). Auch für die besonders schwierige Gruppe der Wissenschaftler gibt es Schreibanleitungen (Bünting, Bitterlich & Pospiech, 2004; Moll & Thielmann, 2017). Zusätzlich ist eine Unterstützung und Kontrolle des Schreibens durch elektronische Tools möglich, z. B. Style Checker, die auf die stilistischen Schwächen eines Autors eingestellt sind, etwa zu lange Sätze oder viele Passivsätze (dazu Kap. 12.5). Fernziel ist eine Workbench zum Schreiben, ein Softwarepaket, das „den Schreibaktivitäten und Gewohnheiten der jeweiligen TextschreiberInnen angepaßt ist bzw. anpaßbar ist“ (Rothkegel, 1995, S. 179). Textoptimierung. Liegt bereits ein formulierter Text vor, kann seine Verständlichkeit für die Adressaten eingeschätzt werden. Dazu dienen Verfahren der Textevaluation, wie z. B. Verständlichkeitsformeln, Checklisten, Expertenratings oder Usability-Tests (ausführlich Kap. 11). Aufgrund der Ergebnisse überarbeitet der Autor oder ein Experte den Text, z. B. ein Wissenschaftsredakteur oder eine Lektorin. Der Text wird sozusagen an die Adressaten angepasst. Der Textexperte muss dabei den Text erst verstehen und eventuell interpretieren, bevor er eine verständlichere Formulierung vorschlagen kann. Dieses Szenario der Textoptimierung impliziert eine theoretische Voraussetzung: Es gibt synonyme Texte, derselbe Inhalt lässt sich in verschiedener sprachlicher Verpackung ausdrücken, so dass eine Variante durch die andere ohne semantischen Verlust substituiert werden kann. Diese Prämisse wird nicht nur von Sprachwissenschaftlern (z. B. Biere, 1989), sondern auch von der Translationstheorie zurückgewiesen. Jedes andere Wort oder jede andere Satzkonstruktion ist gegenüber dem Inhalt nicht neutral und hat einen Einfluss auf das Verstehen und Interpretieren. Eingriffe in den Text können das Verstehen erleichtern, aber auch die ursprüngliche Aussage des Textes verfälschen. Die meisten Richtlinien zur Textoptimierung empfehlen dennoch die Ersetzung eines Wortes oder eines <?page no="87"?> 87 4.5 Texte verständlich machen Satzes durch einen anderen. Das ist die Ersetzungungstaktik, aber es gibt als Alternative die Ergänzungstaktik. Dabei bleibt der Text unberührt, wird aber mit Erschließungshilfen flankiert, z. B. Vorstrukturierungen, Zusammenfassungen, Glossar (ausführlich Kapitel 9). Lese- und Verstehenstraining. Da Verständlichkeit kein alleiniges Merkmal des Textes ist, kann in der schriftlichen Kommunikation auch ein Beitrag des Adressaten eingefordert werden. Das beginnt damit, dass ihm zugemutet werden kann, eine Textpassage oder einen ganzen Text wiederholt zu lesen, wenn er sie bei der ersten Lektüre nicht verstanden hat. Denkt man dabei an die hermeneutische Spirale, ist das sogar eine Voraussetzung für tieferes Verstehen, denn das Verständnis des Ganzen wirkt auf das Verstehen der Teile zurück. Die aktive Auseinandersetzung mit einem Text kann zusätzlich durch Techniken der Aneignung gefördert werden. Bei diesem Ansatz werden die Verstehensfähigkeiten bzw. Lesekompetenzen der Adressaten trainiert, es geht um Techniken der Texterschließung (Schnotz & Ballstaedt, 1995). Hier werden nicht die Texte an die Adressaten, sondern die Adressaten an die Texte angepasst. Der Ansatz bei den Adressaten ist sinnvoll, wenn z. B. klassische Texte vorliegen, in die nicht durch Textoptimierung eingegriffen werden darf. Das Vorverständnis ist schwer zu verändern, aber es können Techniken eingeübt werden, die das Verstehen durch die bessere Nutzung von Ressourcen verbessern. Zu diesen Lese- und Lerntechniken gehören: Anstreichen, Gliedern, Exzerpieren, Zusammenfassen, Visualisieren, Fragen stellen, Beispiele suchen u. v. m. (Keller, 2005; Mandl & Friedrich, 2006). Die Wirkung derartiger Techniken ist empirisch erprobt, es bleibt allerdings aufwendig, sie durch Übungen zu vermitteln. Einzelne Techniken wurden zu Lesestrategieprogrammen zusammengefasst, z. B. die PQ4R-Methode (Thomas & Robinson, 1972): Preview, Question, Read, Reflect, Recite, Review. Das Verstehen wissenschaftlicher Texte kann durch Training der metakognitiven Fähigkeiten gefördert werden, d. h. der Einschätzung der eigenen Verstehensleistung (Wiley & Sanchez, 2010). Analog zu den Schreibwerkstätten kann es Lesewerkstätten geben, wie z. B. Lektüreseminare in den Geisteswissenschaften. Eine Anleitung speziell zur Erschließung von Fachtexten hat Ulrike Langer (2013) vorgelegt. <?page no="88"?> 88 4 Schriftliche Verständigung Zusammenfassung 1.-Schriftliche Kommunikation weicht in etlichen Merkmalen von der mündlichen Kommunikation ab: Die Kommunikationspartner sind räumlich und zeitlich getrennt, Schreiben ist reflektierter und führt zu komplexen Formulierungen, das fortlaufende Monitoring fällt aus und damit jede Technik der Verständnissicherung. Damit wird Verständlichkeit zum Problem, das vor allem in der Verantwortung des Absenders liegt, der adressatenorientiert formulieren muss. 2.-Nach dem kommunikativen Ansatz kann es eine Allgemeinverständlichkeit für alle Adressaten nicht geben. Für abgrenzbare Zielgruppen sind Texte gut adressierbar, ein Problem stellt die Mehrfachadressierung bei heterogenen Adressatengruppen dar. 3.-Professionelle Kommunikation muss von einer Adressatenanalyse ausgehen. Diese besteht aus zwei Stufen: Bei der Segmentierung werden die Adressatengruppen bestimmt, bei der Profilierung werden diese in verstehensrelevanten Merkmalen beschrieben. 4.- Zur Profilierung können etliche Merkmale der Adressaten herangezogen werden: sozio-ökonomischer Status, Lesemotivation, Vorwissen, Lesekompetenz, Sprachgebrauch, Mentalität, prozedurales Vorwissen. Für verständliches Schreiben sind vor allem das Vorwissen und die Sprachkompetenzen der Adressaten wichtig. 5.-Einige Adressatengruppen sind in den letzten Jahren besonders in den Fokus der professionellen Kommunikation gerückt: Senioren, Menschen mit Behinderungen, Menschen anderer Kulturen. Frauen als Adressatengruppe haben zu Bemühungen um geschlechtsneutrale Formulierungen geführt, für die derzeit Richtlinien entwickelt werden. 6.-Von den Adressaten schwieriger Texte wird in der hermeneutischen Tradition erwartet, dass sie einen Text wohlwollend zu verstehen suchen (hermeneutische Präsumptionen und principle of charity). Die Textproduzenten werden dadurch weitgehend von der Mühe um Verständlichkeit entlastet. 7.- Die hermeneutische Spirale beschreibt den Prozess des fortlaufenden Verstehens. Es startet mit einem Vorverständnis, das durch das Lesen bestätigt <?page no="89"?> 89 Zusammenfassung oder verändert wird. Psycholinguistik und Kognitionspsychologie haben diese text- und wissensbasierten Prozesse detailliert beschrieben. 8.-Ein völliges Unverständnis ist selten, da selbst in einer fremden Sprache noch paraverbale Zeichen für ein rudimentäres Verstehen sorgen. Missverständnisse, bei denen der Adressat etwas versteht, was der Absender aber nicht gemeint hat, sind hingegen oft zu finden. Ein erschwertes Verstehen erfordert viel Verarbeitungsaufwand, den nicht jeder Hörende bzw. jede Lesende aufbringen kann oder will. 9.-Schwerverständlichkeit wird mit drei Argumenten verteidigt: dem inhaltlichen Argument (Komplexität des Themas), dem didaktischen Argument (Anregung zum Denken) und dem ästhetischen Argument (Lust am Schreibstil). Schwerverständlichkeit kann intendiert sein, um Kommunikation auf bestimmte Gruppen zu beschränken oder von der dürftigen Argumentation abzulenken. Schwerverständlichkeit dient hier der Abschottung und Verschleierung. 10.- Die Verständlichkeit schriftlicher Kommunikation lässt sich durch drei Ansätze verbessern: Schreibtraining auf Seiten der Textproduzenten, Verstehenstraining auf Seiten der Adressaten und Textoptimierung durch Experten. <?page no="91"?> 5 Erforschung des Verstehens: Methoden Bevor das Verstehen genauer unter die Lupe genommen wird, müssen wir uns einem methodischen Problem zuwenden: Die Prozesse des Verstehens laufen in unserem Gehirn ab und sind nicht direkt beobachtbar. Wir können uns zwar beim Verstehen eines Texts selbst beobachten (Introspektion), aber diese Erkenntnisse sind lückenhaft, zufällig und nicht verallgemeinerbar. Wie gelingt uns ein Blick unter die Schädeldecke? In diesem Kapitel lassen wir die quantitativen und qualitativen Methoden Revue passieren, mit denen die empirische Wissenschaft die verborgenen Prozesse und Strukturen des Verstehens aufzudecken versucht. In der Forschung werden zwei Gruppen von Methoden unterschieden: Die einen erfassen Indikatoren zum Prozess des Verstehens während des Lesens (5.1). Die anderen erfassen Indikatoren zum erreichten Verständnis nach dem Lesen (5.2). Nicht bei allen Indikatoren lassen sich Verstehen, Verständnis und Verständlichkeit sauber trennen. Bei jeder Methode wird deshalb die Validität hinterfragt: Was wird durch die Methode genau erfasst? 5.1 Indikatoren des Verstehens Hier geht es um die Erhebung von Variablen, die Schlüsse auf Prozesse des Verstehens und den kognitiven Aufwand zulassen. Sie werden während des Ablaufs des Verstehens erhoben. Vorlesen Verarbeitungsprozesse, die beim Lesen gewöhnlich still ablaufen, sollen beim lauten Lesen hörbar gemacht werden. Gemessen wird die Latenzzeit zwischen Darbietung des Textes auf einem Monitor und Beginn der Wiedergabe, aber auch die Pausen und das Verlesen sind Indikatoren für Verarbeitungsprozesse (Danks et al., 1983). Allerdings ist die Interpretation der Daten aus verschiedenen Gründen schwierig: 1. Man kann auch vorlesen, ohne den Text richtig zu verstehen. Was z. B. während einer Verzögerung im Kopf abläuft, ist von außen nicht erkennbar. 2. Eine Leseverzögerung kann entweder auf eine schwierige Textstelle oder auf ein Defizit beim Lesenden, z. B. fehlendes Vorwissen, hin- <?page no="92"?> 92 5 Erforschung des Verstehens: Methoden weisen. Die Flüssigkeit beim lauten Lesen wird als brauchbarer Indikator für Lesekompetenz eingesetzt (Fuchs et al., 2001). Diese Methode ermöglicht somit nur einen groben Einblick in das Verstehen. Lautes Denken Mit dieser klassischen Methode wird versucht, die Entwicklung eines Verständnisses zu erfassen. Während des Lesens werden die Versuchspersonen (Vpn) 13 angewiesen auszusprechen, was ihnen gerade durch den Kopf geht. Die verbalen Daten werden aufgezeichnet und qualitativ ausgewertet. Die deutsche Denkpsychologie hat mit der Methode des lauten Denkens einen bisher kaum gewürdigten Beitrag zum Verstehen des Verstehens erbracht. Karl Bühler (1908) legte seinen Kollegen anspruchsvolle Sentenzen oder Sprichwörter vor. (1) Wer zur Quelle kommen will, muss gegen den Strom schwimmen. Nachdem eine Vp mit einem „Ja“ ihr Verständnis des Satzes signalisierte, sollte sie äußern, was ihr beim Verstehen durch den Kopf gegangen war. Selbst für Professoren wohl keine einfache Aufgabe. Ein damals wichtiger Befund: Denken ist ohne visuelle oder andere Vorstellungen möglich. Die Validität dieses introspektiven Verfahrens wird unterschiedlich eingeschätzt. Einerseits wird darin eine Möglichkeit gesehen, an Denkprozesse heranzukommen, die mit anderen Methoden nicht erfassbar sind, z. B. Assoziationen, Wissensaktivierung, Schlussfolgerungen (Ericsson & Simon, 1980). Andererseits wird wohl nur ein Bruchteil dessen verbalisiert, was beim Verstehen im Gehirn tatsächlich abläuft (Nisbett & Wilson, 1977). Zudem lassen sich bei den retrospektiven Berichten fortlaufendes Verstehen und abschließendes Verständnis nicht trennen. Lautes Denken offenbart nicht die Verstehensprozesse selbst, sondern liefert nur einen metakognitiven Bericht darüber, der durch Vorannahmen beeinflusst sein kann (Ballstaedt & Mandl, 1984). In einer Variante dieser Methode zum interdisziplinären Verstehen studierten Biologen historische Fachtexte und Historiker biologische Fachtexte und notierten am Rand der fachfremden Texte ihre Verständnisprobleme in Form von Fragen an den jeweiligen Au- 13 Ich habe mich für das geschlechtsneutrale Wort „Versuchsperson“ entschieden, das ab jetzt mit Vp abgekürzt wird. <?page no="93"?> 93 5.1 Indikatoren des Verstehens tor (Reinhard et al., 1997). Anhand der problematischen Textstellen konnten fachspezifische Sichtweisen und interdisziplinäre Verständnisprobleme herausgearbeitet werden. Lesezeiten Wer länger braucht, um einen Text zu lesen, der investiert auch mehr kognitive Ressourcen gegenüber einem Adressaten, der das in kürzerer Zeit bewältigt. Diese summative Lesezeit sagt aber nichts über die konkreten Verstehensprozesse aus. Genauere Einsichten lassen sich aus den Lesezeiten einzelner Wörter und Wortgruppen gewinnen. So verwenden Just & Carpenter (1987) die Lesezeit pro Wort, Phrase oder Satz als Indikator des Verstehensaufwandes. Sie entwickelten die Lesezeit-Methode des Moving Window. Das Sprachmaterial wird maskiert, z. B. jeder Buchstabe durch einen Bindestrich. Durch einen Tastendruck wird die erste sprachliche Einheit (ein Wort, eine Phrase, ein Satz) durch Buchstaben ersetzt, die Vp kann den Textteil lesen. Drückt die Vp wieder die Taste, verschwindet diese Texteinheit und die nächste erscheint auf dem Monitor. So wird der Text Einheit für Einheit dargeboten und die Verarbeitungszeit zwischen den Knopfdruckreaktionen für jede Einheit wird erfasst (Just, Carpenter & Woolley, 1982). Zur Validität lässt sich anmerken: Der Verarbeitungsaufwand wird erfasst, aber es kann nur vermutet werden, auf welche Prozesse er zurückzuführen ist und was die Person verstanden hat. Zudem ist die Lesesituation sehr unnatürlich. Reaktionszeiten: Priming Auch kognitive Prozesse benötigen Zeit, wenn auch nur im Bereich von Millisekunden. Reaktionszeiten sagen etwas aus über den Aufwand, der für eine Verstehensaufgabe notwendig ist. Ein weitgehend vergessener Pionier der kognitiven Psychologie ist der Niederländer Frans Cornelis Donders, eigentlich Mediziner und Augenarzt, der bereits 1868 Experimente zur mentalen Chronometrie durchführte. Ihn beschäftigte die Frage, ob und wie man die Dauer psychischer Prozesse messen könnte: „Sollte nun auch der Gedanke nicht die unendliche Schnelligkeit haben, die man ihm zuzuschreiben pflegt, und sollte es möglich sein, die Zeit zu bestimmen, die zur Bildung einer Vorstellung oder einer Willensbestimmung gefordert wird? “ (Donders, 1868, S. 4) Er ging davon aus, dass komplexe Prozesse mehr Zeit brauchen als einfache Prozesse. Er entwickelte die Subtraktionsmethode, bei der die Zeit zwischen einem Reiz und einer Reaktion bei <?page no="94"?> 94 5 Erforschung des Verstehens: Methoden zwei Aufgaben gemessen und verglichen wird, die einander bis auf einen vermuteten Teilprozess vollkommen gleichen. Die Differenz zwischen den durchschnittlichen Reaktionszeiten wird als Zeitbedarf des Teilprozesses interpretiert. Eine chronometrische Methode ist für die Sprachverarbeitung ungemein wichtig: das Priming (to prime = vorbereiten, grundieren). Dabei wird die Reaktionszeit auf einen Zielreiz (Target) gemessen, dem ein Vorreiz (Prime) vorangeht. Der Prime beeinflusst die Reaktionszeit, sie wird schneller (facilitation) oder langsamer (inhibition). Mit Priming-Experimenten können Hypothesen zur Bahnung und Hemmung in konzeptuellen Netzen überprüft werden. Unser Beispiel betrifft das Wortverstehen (zusammenfassend Neely, 1991). Als Aufgabe wird eine lexikalische Entscheidung verlangt: Ist ein dargebotenes Wort ein Wort der deutschen Sprache, ja oder nein? Vor dem Zielwort (target), auf das die Vp reagieren soll, wird ein Vorreiz (Prime) gezeigt. Z. B. wird einer Gruppe von Vpn im ersten Durchgang „Brot“ als Prime vorgegeben, danach soll „Arzt“ als Zielwort (target) beurteilt werden, die Reaktionszeit wird in Millisekunden gemessen. Einer zweiten Gruppe von Vpn wird „krank“ als Prime gegeben, bei ihr ist die Reaktionszeit auf „Arzt“ deutlich kürzer. Die Zeitdifferenz zwischen den beiden Gruppen ist der Priming-Effekt, der umso größer ist, je enger die Beziehung zwischen Prime und Target ist. Die Erklärung: Unser Wissen ist in Netzwerken von Konzepten gespeichert, zwischen denen mehr oder weniger stark gebahnte Relationen bestehen. Jedes gehörte oder gelesene Wort erzeugt eine Aktivationsausbreitung, zwischen „krank“ und „Arzt“ besteht eine stärkere Verbindung als zwischen „Brot“ und „Arzt“, deshalb wird die Reaktion darauf erleichtert bzw. erfordert geringere Ressourcen. Man spricht auch von einem semantischen Anwärmeffekt. Derartige Priming-Effekte sind sogar messbar, wenn ein vorgeschalteter Kontext so kurz dargeboten wird (40 Millisekunden), dass er von den Vpn nicht bewusst erkannt wird (Fischler & Goodman, 1978). Es gibt zahlreiche bewährte Varianten des Priming. Man kann nicht nur Wörter, sondern auch Satzteile und ganze Sätze voraktivieren. Priming-Experimente verlangen den Einsatz von Computern, um präzise Reaktionzeiten im Bereich von Millisekunden zu messen. Die Validität der Methode ist überzeugend, um Assoziationen im Gedächtnis aufzudecken. Eye Tracking Beim Lesen gleitet der Blick nicht kontinuierlich über die Zeilen, sondern bewegt sich mit Sakkaden (Sprüngen) und Fixationen vorwärts und manchmal auch <?page no="95"?> 95 5.1 Indikatoren des Verstehens wieder zurück (Regressionen). Nur während der Fixationen werden Wörter verarbeitet (ausführlicher Kap. 6.1). Die Fixationen und Sakkaden beim Lesen lassen sich mit Eye-Trackern genau registrieren (Bartl-Pokorny et al., 2013). Die Vp sitzt einem Monitor gegenüber, auf dem der Text präsentiert wird. Da beim Lesen die visuelle Aufmerksamkeit auf ein enges Areal auf einer Zeile fokussiert und eine sehr genaue zeitliche Auflösung notwendig ist, wird der Kopf durch eine Kinn- oder Stirnstütze stabilisiert. Um die Augenbewegungen zu erfassen, wird ein nicht sichtbarer Infrarot-Lichtstrahl über einen Spiegel auf das Auge der Vp gerichtet, seine Reflexion durch die Hornhaut wird von einer Kamera erfasst. Ein Computer mit entsprechender Software berechnet das Fixationsmuster, es wird als Scan Path visualisiert, bei dem die Sakkaden als Linien und die Fixationen als Kreise dargestellt werden. Für jede Vp muss der Tracker individuell kalibriert werden. Das sieht nicht wie eine natürliche Lesesituation aus, inzwischen gibt es auch Tracker ohne Stabilisierung des Kopfes, die Vp trägt nur eine Spezialbrille. Bei einer typischen Blickbewegungsstudie wird z. B. ein Satz mit einer kritischen Region vorgegeben, z. B. mit einem Pronomen, das zum Verstehen aufgelöst werden muss. (2) Einstein hat mit Freud korrespondiert, persönlich hat er ihn 1926 in Berlin getroffen. Es kann nun überprüft werden, ob die Pronomen „er“ und „ihn“ länger fixiert werden und eventuell eine Regression in den Vorsatz erfolgt. Es liegen auch Studien zu den Blickbewegungen bei langen expositorischen Texten vor (Hyönä, Lorch & Kaakinen, 2002). Sie zeigen verschiedene Lesetaktiken, die zu unterschiedlichen Verstehensleistungen führten. Die Fixationsmuster lassen valide Schlüsse auf den Verarbeitungsaufwand zu. Was aber während einer Fixation verarbeitet wird, bleibt unklar, es sind sicher nicht nur Prozesse des Worterkennens, sondern auch syntaktische Prozesse. Neuropsychologische Techniken Mit diesen Methoden werden Gehirnaktivitäten bei bestimmten Verstehensaufgaben sichtbar gemacht, also neurophysiologische Korrelate für Verarbeitungsprozesse (ausführlich Jäncke, 2017; Müller, 2013). Ereigniskorrelierte Potenziale (Event Related Potentials = ERP). Viele Elektroden werden auf der Kopfhaut befestigt, meist in einer Art Badekappe. <?page no="96"?> 96 5 Erforschung des Verstehens: Methoden Dann werden einer Gruppe von Vpn bestimmte sprachliche Reize vorgegeben, eine Kontrollgruppe bekommt diese Reize nicht präsentiert. So lässt sich ableiten, wo im Gehirn wann eine Veränderung des Wellenmusters auftritt. Die Methode hat eine gute zeitliche, aber eine schlechte räumliche Auflösung, denn die Messung erfasst nur sehr grobe summierte Potenziale und erlaubt keine genaue tiefere Lokalisierung im Gehirn. Als Erste haben Kutas & Hillyard (1980) die Methode beim Sprachverstehen benutzt. Sie boten ihren Probanden Sätze, die eine semantische Inkongruenz enthielten, d. h. ein Wort, das nicht in den Kontext passt: (3.1) He took a sip from the transmitter. (3.2) Nach dem Regen scheint wieder die Suppe. Der Satz wurde Wort für Wort, jeweils 100 Millisekunden auf einem Monitor präsentiert. Dabei wurde durchschnittlich um 400 Millisekunden nach dem kritischen Wort im parieto-temporalen Areal eine negative Amplitude abgeleitet, die N400 getauft wurde. In Folgeuntersuchungen wurde bestätigt, dass N400 eine Reaktion auf eine semantische Inkongruenz ist. Bei einer syntaktischen Verletzung taucht ein anderes Muster P600 auf. Auch eine Verletzung referentieller Bezüge führt zu bestimmten Mustern im posterioren Bereich (Hemforth, 2006). Aber was bedeutet z. B. N400 genau? 200 Millisekunden nach dem kritischen Wort ist das Satzverstehen bereits abgeschlossen, N400 zeigt also offenbar nachträgliche Verarbeitungsprozesse an (Müller, 2013). Bildgebende Verfahren. Validere Daten liefern bildgebende Verfahren, bei denen die Areale eingefärbt sichtbar gemacht werden, die bei Prozessen des Verstehens aktiviert sind. Bei der Positronenemissionstomografie (PET) werden der Vp radioaktiv markierte Substanzen injiziert, die sich in aktiven Zellen nachweisen lassen. Bei der Funktionellen Kernspintomografie (fMRT oder fMRI) werden nicht radioaktive Strahlungen, sondern magnetische Felder erfasst (ausführlich Jäncke, 2017). Auch die Magnetoencephalografie (MEG) erfasst magnetische Felder. Mit diesen Methoden können kleine Zellbereiche unterhalb von 1-4 mm3 (räumliche Auflösung) und Prozesse im Bereich von 100 msec (zeitliche Auflösung) untersucht werden. In einer fMRI-Untersuchung lasen oder hörten Vpn vorstellungsaffine Sätze, in denen mentale Rotationen beschrieben wurden (Just et al. 2004): (4) The number eight when rotated 90 degree looks like a pair odspectacles. <?page no="97"?> 97 5.1 Indikatoren des Verstehens Die Vpn sollten entscheiden, ob die Sätze wahr oder falsch sind. Mit fMRI-Daten und deren Visualisierungen war nachzuweisen, dass beim Hören wie beim Lesen Areale des linken Scheitelhauptlappens aktiviert wurden, in denen visuelle Vorstellungen, speziell mentale Rotationen generiert werden. Diese neuropsychologischen Methoden sind vielversprechend, aber drei Nachteile sind nicht zu übersehen: 1. Sie erfordern einen erheblichen apparativen Aufwand. 2. Die Bedingungen, unter denen gemessen wird, sind für die Probanden nicht unbedingt angenehm und weichen weit von natürlichen Situationen ab. 3. Die Interpretation der Daten ist schwierig, denn gemessen wird nur, wo etwas geschieht, aber nicht was dort genau geschieht, das ist eine Einschränkung der Validität. Simulative Methoden Bei simulativen Methoden wird eine Teilfähigkeit der Sprachkompetenz mit Hilfe eines Computers nachgeahmt. Dazu schreiben Computerlinguisten Programme (Algorithmen), mit denen ein Computer ein vorgegebenes sprachliches Problem lösen kann, z. B. Subjekt und Objekt eines Satzes finden oder eine Antwort auf eine Frage geben. Die ursprüngliche Idee dahinter: Die einzelnen Schritte des Programms entsprechen den mentalen Prozessen, die beim Lösen des Problems im Gehirn ablaufen. Aber diese Annahme wird inzwischen bezweifelt. Kein Sprachwissenschaftler geht heute davon aus, dass ein digitaler Computer ebenso funktioniert wie unser Gehirn. Wenn ein Computer einen deutschen Satz korrekt ins Englische übersetzt, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass er es mit denselben Prozessen und Strukturen wie eine Übersetzerin tut. Trotzdem sind die Bemühungen, sprachverstehende und sprachproduzierende Systeme zu entwickeln, für die Sprachwissenschaft interessant. Denn der Programmieraufwand, der getrieben werden muss, um z. B. eine Anapher aufzulösen, zeigt die Schwierigkeiten auf, mit denen auch unser Gehirn beim Verstehen konfrontiert ist. Nehmen wir an, wir konfrontieren einen sprachverarbeitenden Computer mit folgendem Satz (Hilpert, 2013): (5) Britta nahm die Zeitung von der Tischdecke und faltete sie zusammen. Auf was wird der Computer das Pronomen „sie“ beziehen? Auf die Tischdecke oder die Zeitung, denn beide kann man falten. Die Zuordnung des Pronomens ist nur <?page no="98"?> 98 5 Erforschung des Verstehens: Methoden möglich, wenn das Computerprogramm den Kontext analysiert: Ging es thematisch um die morgentliche Zeitungslektüre von Britta, dann ist die Zeitung der wahrscheinlichere Kandidat. Zum „Verstehen“ muss also ein Kontextbereich ausgewertet werden. Computer verstehen zwar Sprache nicht wie wir Menschen, aber sie können sprachlichen Input verarbeiten, z. B. wenn Siri oder Alexa uns eine Auskunft auf eine Frage geben oder auf einen Sprachbefehl die gewünschte Musik abspielen (Kremer, 2013). Weitere Anwendungen sind die Sprachsteuerung von Geräten (Navi, Smartphone), das Vorlesen von Texten für sehbehinderte Menschen, das Diktieren von Texten, die maschinelle Übersetzung und Auskunftssysteme. Ist schon die Wort- und Satzverarbeitung schwierig zu simulieren, bleibt die Textverarbeitung eine bisher kaum lösbare Aufgabe (Jacobs, 2003). Trotzdem ruhen auf simulativen Methoden viele Hoffnungen, dass sie zusammen mit den traditionellen und neuen neuropsychologischen Methoden dazu beitragen, Licht in das Dunkel des verstehenden Gehirns zu bringen. In Kooperation der Universitäten Stuttgart und Tübingen sowie des Deutschen Literaturarchivs (DLA) Marbach und des Leibniz-Instituts für Wissensmedien Tübingen (IWM) wird ein Projekt „Understanding Understanding“ gestartet. Es soll geisteswissenschaftliche und computerlinguistische Ansätze zusammenführen. 5.2 Indikatoren des Verständnisses Das Verständnis ist das Produkt des Verstehens und kann nach dem Verstehen über Leistungen erfasst werden, die ein Verständnis des Textes voraussetzen. Dabei bleibt ein Schluss von einer Leistung auf die dahinterliegenden Prozesse und Strukturen allerdings immer gewagt, also auch hier muss die jeweilige Validität hinterfragt werden. Fragen beantworten Die Beantwortung von offenen Fragen nach der Textlektüre ist die älteste Methode zur Erfassung des Verstehens, die bis heute in pädagogischen Situationen (mündliche Prüfungen, Tests) verbreitet ist (Anderson, 1972; Graesser & Black, 2017). Es gibt verschiedene Typen von Fragen, die ganz unterschiedliche Anforderungen an den Adressaten stellen: Wissensfragen sind durch den direkten Abruf von Wissen im semantischen Langzeitgedächtnis zu beantworten: Bezeichnungen, Definitionen, Daten, Fak- <?page no="99"?> 99 5.2 Indikatoren des Verständnisses ten. Die richtige Beantwortung einfacher Faktenfragen sagt aber wenig über das Verstehen aus, das geht auch über schlichtes Behalten. Verständnisfragen sind anspruchsvoller, denn sie erfordern Inferenzen, Kombinationen, Verallgemeinerungen über den Text hinaus. Dass Verständnisfragen Verstehen erfassen, ist unstrittig, allerdings ist es schwierig, den jeweiligen Aufwand einzuschätzen, den ihre Beantwortung erfordert. Anwendungsfragen sind am anspruchsvollsten, denn sie verlangen die Übertragung des Gelernten in neue Bereiche. Auf offene Fragen kann die Person frei antworten, die verbalen Daten sind aber nicht einfach auszuwerten, dazu sind Auswahlfragen besser geeignet. Auswahlfragen, Multiple Choice (MC) MC-Fragen zu einem Text geben Antwortmöglichkeiten vor, von denen die zutreffenden angekreuzt werden müssen. In der Pädagogik gelten sie als wenig geeignet zur Überprüfung von Verstehen, da man auch mit Raten einen guten Wert erreichen kann. MC-Aufgaben können aber durchaus valide sein, wenn die falschen Antworten (sogenannte Distraktoren) sorgfältig konstruiert werden. Zudem gibt es Varianten, bei denen man mit Raten nicht weit kommt, z. B. beim Aufgabentyp „n aus 5“. Dabei werden fünf Antworten vorgegeben, von denen eine, zwei oder drei zutreffend sein können (Friedrich, Klemt & Schubring, 1980). Derartig komplexe MC-Aufgaben haben sich im Testwesen durchaus bewährt. Testen Sie Ihr Wissen aus dem vorangegangenen Kapitel: Welche Aussage/ Aussagen über die Maximen von Grice sind zutreffend (ein, zwei oder drei Ankreuzungen sind möglich): ☐ 1. Die Maxime der Aufrichtigkeit fordert die Wahrheit der Aussagen. ☐ 2. Die Maxime der Relation wird auch Maxime der Relevanz genannt. ☐ 3. Konversationelle Implikationen sind die Ursache von Missverständnissen. ☐ 4. Das Kooperationsprinzip setzt rationale Kommunikationspartner voraus. ☐ 5. Verständlichkeit wird in der Maxime der Qualität gefordert. 14 14 Auflösung der MC-Aufgabe: Zutreffend sind die Antworten 2. und 4. <?page no="100"?> 100 5 Erforschung des Verstehens: Methoden Inhalte behalten In der kognitionspsychologischen Gedächtnisforschung werden verschiedene Maße des Behaltens verwendet. Sie sind einfach zu erheben, aber als Indikatoren des Textverstehens nicht unproblematisch. Freies Wiedergeben (Free Recall). Nach der Lektüre wird eine Reproduktion des Inhalts bzw. eine Paraphrasierung verlangt. 15 Diese verbalen Daten haben nur eine begrenzte Validität, denn ein Verständnis wird nicht unbedingt erfasst. Wie schon die Alltagserfahrung zeigt, gibt es Inhalte, die wir beim Lesen verstehen und doch wieder vergessen und es gibt Inhalte, die wir nicht verstehen, die aber haften bleiben. Gelenktes Wiedergeben (Cued Recall). Es wird eine Hilfestellung zum Abruf gegeben, z. B. ein Stichwort, das dem Gedächtnis Aussagen entlocken soll. 16 Dieses Maß hat noch weniger mit dem Verstehen zu tun, denn auch unverstandene Aussagen können mit geeigneten Cues rekonstruiert werden. Zudem ist es nur für kurze Texte geeignet. Bei längeren Texten kann ein formales Raster vorgegeben werden, das von der Vp ausgefüllt werden muss, um die Erinnerung an den Text voll auszuschöpfen: Hauptaussagen, Beispiele, Anwendungen, Vertreter usw. (Christmann, 1989). Wiedererkennen (Recognition). Ein Wort oder Satz wird vorgelegt und die Vp muss entscheiden, ob sie im Ausgangstext vorkamen. Auch dieses Maß ist ein schlechter Indikator des Verstehens, denn Wiedererkennen kann man auch ohne jedes Verständnis. Jan Kercher (2013) schließt die Maße des Behaltens aus seiner Liste von Verstehensindikatoren aus, da sie weniger das Verstehen, sondern das Lernen betreffen. Dies ist allerdings radikal, denn auch wenn Behalten nicht gleich Verstehen ist, sind beide doch nicht völlig unabhängig voneinander: Was man versteht, integriert man in seine Wissensstrukturen und kann es wahrscheinlich auch besser abrufen. Verstehen ist zwar keine notwendige, aber sicher eine förderliche Bedingung für das Behalten (Schwarz, 1981). Ein zweites kritisches Argument in Hinblick auf die Validität: Es bleibt unklar, welche Verstehensprozesse mit dem Behalten erfasst werden: Prozesse zum Zeitpunkt der Ver- 15 Paraphrasieren ist ein Kriterium des Verstehens bei Wittgenstein: „Wir reden vom Verstehen eines Satzes in dem Sinne, in welchem er durch einen anderen ersetzt werden kann, der das Gleiche sagt“ (Wittgenstein, 1967, S. 176). 16 In der Logopädie werden durch diese Methode der Deblockierung spontan nicht abrufbare Wörter wieder zugänglich gemacht. <?page no="101"?> 101 5.2 Indikatoren des Verständnisses arbeitung oder Prozesse zum Zeitpunkt der Wiedergabe oder beides (Rickheit, Sichelschmidt & Strohner, 2002). Zusammenfassen Hier wird das Behalten des Wesentlichen aus einem Text verlangt. Die Konstruktion einer Zusammenfassung ist eine anspruchsvollere Aufgabe als das bloße Wiedergeben. Wer die Inhalte eines Textes prägnant und kohärent zusammenfasst, der muss ihn wohl verstanden haben. Die reduktive Verarbeitung mittels spezieller Inferenzen ist recht gut erforscht (Ballstaedt, 2006). Schnotz, Ballstaedt & Mandl (1981) legten Vpn einen schwierigen soziologischen Text mit der Instruktion vor, zunächst eine mündliche Zusammenfassung der wichtigsten Inhalte zu erstellen. Später wurde unerwartet eine freie Wiedergabe des Textes verlangt. Ausgangstext, Zusammenfassung und Wiedergabe wurden in Bedeutungseinheiten zerlegt und inhaltlich miteinander verglichen. So konnten zahlreiche Verarbeitungsprozesse wie Tilgungen, Elaborationen, Verallgemeinerungen, Bündelungen nachgewiesen werden, die den Ausgangstext in eine Zusammenfassung überführen. Die Validität der Methode ist gut, allerdings fallen keine zwei Zusammenfassungen eines Textes gleich aus, denn was als wesentlich angesehen wird, hängt auch von den Intentionen und Interessen der Lesenden ab. Textlücken ausfüllen Der Lückentest (Cloze Procedure) ist besonders in der amerikanischen Instruktionspsychologie beliebt, da er einfach durchzuführen ist und harte reliable Daten liefert. Nach der Lektüre eines längeren Textes (min. 250 Wörter) wird dieser noch einmal vorgelegt, dabei ist ursprünglich jedes fünfte Wort gestrichen und muss von der Vp ergänzt werden. Alle Lücken sind gleich groß und in der strengen Variante wird nur genau dasselbe Wort des Ausgangstexts als korrekt akzeptiert. Die Kritik an der Validität des Verfahrens liegt auf der Hand: Es misst weniger das Verstehen, sondern eher den Redundanzgrad eines Textes (Heringer, 1979). Die Validität des Verfahrens kann aber durch die Art der Auslassungen gesteigert werden (Christmann, 2009). Es sollten nur Inhaltswörter sein, die möglichst auch noch zentrale Konzepte betreffen. Auch das Auslassen von kausalen, temporalen, adversativen und anderen Konjunktionen ist ein brauchbarer Indikator für Verstehen. <?page no="102"?> 102 5 Erforschung des Verstehens: Methoden Strukturlegen, Wissensdiagnose Die Veränderung von Wissensstrukturen beim Verstehen kann über Karten externalisiert werden. Ein Verfahren dazu ist die Heidelberger Struktur-Lege-Technik, sie wurde als standardisierte Methode zur Erfassung subjektiver Theorien entwickelt (Scheele & Groeben, 1984). Dabei müssen sich die Vpn zuerst in einem Übungsteil mit einem Satz vorgegebener Relationen zwischen Konzepten vertraut machen, z. B. Überordnung, Inklusion, Attribut, positive, negative und wechselseitige Abhängigkeit usw. Danach beschriften sie Karten mit ihnen bekannten Konzepten aus einer Wissensdomäne und basteln daraus mittels der Relationen ihre Wissensstruktur. Ballstaedt & Mandl (1991) haben die Methode zur Erfassung von Wissen vor und nach der Lektüre eines Textes eingesetzt. Die Vpn externalisierten zuerst ihr Wissen über Vulkane, indem sie Kärtchen mit Begriffen beschrifteten und mit einem Satz vorgegebener Relationen zu einer kohärenten Struktur verknüpften. Danach lasen sie einen wissenschaftlichen Text über Vulkanismus und bekamen die Möglichkeit, ihre Struktur zu verändern. Auf diese Weise konnten Prozesse der Anreicherung, Ausdifferenzierung, Umstrukturierung (accretion, tuning, restructuring nach Rumelhart & Norman, 1976) sichtbar gemacht werden. Bei der Keyword Sorting Task werden den Adressaten nach der Lektüre textrelevante Wörter auf Kärtchen angeboten, die sie in eine Struktur bringen müssen. Gemessen wird die Übereinstimmung dieser Struktur mit der semantischen Struktur des Textes (McNamara & Kintsch, 1996). Die Validität dieser Verfahren ist nur zufriedenstellend, wenn sich die Vpn wirklich Mühe geben, ihr Wissen auf den Tisch zu legen. Usability-Testing Handlungsorientierte Texte wie z. B. Bedienungsanleitungen oder Kochrezepte werden mit der Intention gelesen, anschließend etwas zu können, sie sollen Anschlusshandlungen vorbereiten. Nach dem Diktum „Der Leser liest, um zu X-en“ hat Christoph Sauer (1995) die Anwendbarkeit oder „Intentionsadäquatheit“ als einen Indikator der Textverständlichkeit eingeführt (Prestin, 2001). Hier ist der Indikator der korrekten Umsetzung der Anleitungen in Handlungen überaus valide: Wer aufgrund einer Bedienungsanleitung ein Gerät benutzen kann, der hat den Text verstanden. Bei Usability-Tests bekommt der Benutzer den Text und eine Aufgabe, die er mit der Lektüre lösen soll, z. B. mit einer <?page no="103"?> 103 Zusammenfassung Montageanleitung ein Bett zusammenbauen. Bei der Umsetzung werden die Dauer einzelner Handlungsschritte, Fehler bei der Umsetzung und die verbalen und paraverbalen Reaktionen registriert und ausgewertet. Methodenmix Diese breite Palette an empirischen Möglichkeiten, um an Verstehen und Verständnis heranzukommen, könnte noch durch weitere Verfahren und Varianten ergänzt werden. Von der quantitativen Messung von Millisekunden bis zur qualitativen Analyse von verbalen Daten sind sehr verschiedene methodische Zugänge zum Verstehen beschritten worden. Damit erfüllt die Forschung zwei Forderungen an die Empirie (Hussy, Schreier & Echterhoff, 2013): 1. Sich einem Forschungsgegenstand aus verschiedenen Perspektiven anzunähern und dabei 2. unterschiedliche, quantitative wie qualitative Methoden einzusetzen. Bei einem Methodenmix können sich Daten ergänzen und Befunde wechselseitig validieren. Das Fachwort: Datentriangulation. Zusammenfassung 1.-Die Prozesse des Verstehens und das daraus resultierende Verständnis sind nicht direkt beobachtbar, sondern nur über Indikatoren erschließbar, die ein Verstehen voraussetzen. Man unterscheidet Methoden, die Variablen während und nach dem Verstehen erheben. 2.- Indikatoren des Verstehens werden online, also während des Lesens und Verstehens erhoben. Dazu gehören: Vorlesen, lautes Denken, Lese- und Reaktionszeiten, Blickbewegungen, neuropsychologische Aufzeichnungen und simulative Methoden. 3.- Indikatoren des Verständnisses werden nach dem Verstehen eines Textes retrospektiv erfasst. Dazu gehören: Fragenbeantwortung, verschiedene Formen der Wiedergabe, Zusammenfassen, Textlücken ausfüllen, Strukturlegen, Usability-Tests. 4.-Jeder Indikator erfasst nur einen Aspekt des Verstehens, die Validität einzelner Methoden ist zudem problematisch. Viele der erhobenen Indikatoren sind schwer interpretierbar, da ein Befund sowohl auf die Formulierungen des Textes als auch auf Voraussetzungen des Adressaten bezogen werden kann. Aber unter- <?page no="104"?> 104 5 Erforschung des Verstehens: Methoden schiedliche Methoden erlauben, das Verstehen sozusagen einzukreisen. Bei einem Mix aus verschiedenen Methoden ergänzen und bestätigen sich die Befunde. <?page no="105"?> 6 Prozesse des Textverstehens Nachdem wir Verständigung als eine kooperative Unternehmung innerhalb einer kommunikativen Situation dargestellt haben, werfen wir jetzt einen Blick in den Kopf der Adressaten und beschreiben die Prozesse des Verstehens beim Lesen. Verstehen ist die anspruchsvollste kognitive Tätigkeit des Menschen, die von der Wahrnehmung über Erinnern bis zum Denken viele mentale Prozesse umfasst. McNamara & Magliano (2009, S. 298) nennen das Verstehen den „Backbone of cognition“, Walter Kintsch (1998) spricht im Untertitel eines Buches von einem „Paradigm for cognition“. Die Frage, wie ein Lesender Wort- und Satzfolgen zu einem Verständnis integriert, ist noch immer nicht befriedigend beantwortet. Das Verstehen von Texten hat zu einer Reihe von Modellen und Theorien geführt. Über allen dominiert das Construction-Integration-Modell von Kintsch (1998). Wichtige andere Ansätze sind: der systemische Ansatz (Strohner, 1990), das Structure-Building-Modell (Gernsbacher, 1997), das Resonanz-Modell (Myers O’Brien, 1998), das Event-Indexing-Modell (Zwaan, Langston & Graesser, 1995, 1998), das Causal-Network-Modell (Trabasso & Suh, 1993), das Constructionist-Modell (Millis & Graesser, 1994) und das Landscape-Modell (van den Broek & Helder, 2017). Bei einem Vergleich der Ansätze kann man feststellen, dass sie sich nicht ausschließen, sondern verschiedene Aspekte des Verstehens fokussieren (McNamara & Magliano, 2009). Das Leseverstehen verläuft kontinuierlich von Wort zu Wort und von Satz zu Satz, wobei Teilprozesse auf verschiedenen Ebenen gleichzeitig ablaufen. Wir starten mit der Schriftgestaltung, die das Lesen und Verstehen behindern oder erleichtern kann, es geht um die subsemantischen Prozesse bis zum Worterkennen (6.1). Das eigentliche Verstehen beginnt mit Erkennen von Wörtern, die eine konzeptuelle Struktur im Gedächtnis aufrufen (6.2). Ein Satz verknüpft eine Abfolge von Wörtern über syntaktische Mittel zur einer einfachen Bedeutungsstruktur (6.3). Diese Struktur wird Satz für Satz weiter ausgebaut (6.4). Beim Verstehen werden zahlreiche Inferenzen über Text und Vorwissen ausgelöst, die Textteile miteinander und mit dem Vorwissen verbinden (6.5). Schließlich endet das Verstehen in der Konstruktion einer mentalen Repräsentation des Textes: dem jeweiligen Verständnis (6.6). Zeitliche und kapazitative Beschränkungen des Arbeitsgedächtnisses beeinflussen das Verstehen, denn mentale Ressourcen stehen nicht unbegrenzt zur Verfügung (6.7). <?page no="106"?> 106 6 Prozesse des Textverstehens 6.1 Subsemantische Verarbeitung Verstehen beginnt mit dem Erkennen von Wörtern bzw. der Aktivierung von Konzepten, für die sie stehen. Um Wörter wahrzunehmen, müssen beim Lesen Buchstaben und Buchstabengruppen erkannt werden. Aber was hat die Wahrnehmung der Schrift mit dem Verstehen zu tun? Die Alltagserfahrung zeigt, dass Lesen mühsam sein kann, z. B. bei Handschriften oder beim Kleingedruckten. Die Leserlichkeit (= legebility) eines Textes wird nur als Vorstufe zur Verständlichkeit betrachtet, da sie zum Verstehen wenig beiträgt (Groeben, 1982). Aber unter dem Aspekt der Ressourcenschonung bildet eine schlechte Leserlichkeit eine indirekte Erschwernis für das Verstehen, weil mehr Ressourcen zum Erkennen der Wörter eingesetzt werden müssen: „Ein Text ist gut lesbar, wenn der Leser nicht merkt, dass er liest. Ein Text ist dann schlecht lesbar, wenn - dem Leser unbewusst - ein noch so geringer Teil der Aufmerksamkeit von der Erfassung und gedanklichen Bearbeitung des Inhalts abgelenkt und der Entzifferung zugewandt werden muss“ (Willberg & Forssman, 1997, S. 98). 17 Die Arbeit der Augen Die visuelle Verarbeitung beim Lesen ist sehr gut untersucht und es gibt hervorragende Zusammenfassungen der Forschung (Just & Carpenter, 1987; Wolf, 2010; Dehaene, 2010; Rayner et al., 2012). Wir fokussieren auf einige verstehensrelevante Aspekte. Blickbewegungen. Die Aufzeichnung von Blickbewegungen beim Lesen haben wir bereits als wichtige Methode kennengelernt (Kap. 5.1). Lesen verläuft nicht kontinuierlich, sondern in einer Abfolge von Fixationen und Blicksprüngen (Staub & Rayner, 2007). ▶ Die Blicksprünge oder Sakkaden dauern im Schnitt 20 bis 40 Millisekunden. Bei ungeübten Lesenden, schwer leserlichen oder schwierigen Texten kommen vermehrt Rücksprünge (= Regressionen) vor. Pro Sekunde finden etwa 4 bis 5 Fixationen statt. ▶ Die Fixationen dauern durchschnittlich 200 bis 250 Millisekunden, allerdings mit Schwankungen von 100 bis 1000 Millisekunden. 17 Interessanterweise wurden die ersten wissenschaftlichen Studien zur Leserlichkeit auch im Rahmen einer „hygiènie oculaire“ durchgeführt (Javal, 1878). <?page no="107"?> 107 6.1 Subsemantische Verarbeitung Nur während der Fixationen werden Informationen verarbeitet, d. h. Buchstaben und Wörter erkannt, während der Sprünge ist die Wahrnehmung verwischt (McConkie & Rayner, 1975). Bei geübten Lesenden beträgt die Lesegeschwindigkeit etwa 400 Wörter pro Minute. Bietet man die Wörter eines Textes auf einem Bildschirm einzeln und nacheinander dar, kann die Lesegeschwindigkeit auf 1600 Wörter pro Minute gesteigert werden. Die Trägheit der Blickbewegungen begrenzt also die Lesegeschwindigkeit: Die Wahrnehmung ist träger als das Verstehen! Das Muster der Blickbewegungen verrät etwas über den Verarbeitungsaufwand beim Lesen. Rückschlüsse aus Blickbewegungsdaten auf mentale Prozesse sind unter zwei Annahmen möglich (Just & Carpenter, 1980): ▶ Immediacy assumption: Mit dem Fixieren und Erkennen eines Wortes werden unmittelbar Verarbeitungsprozesse auf allen Ebenen - lexikalisch, syntaktisch, inferenziell - ausgelöst. ▶ Eye-mind assumption: Die Betrachtungsdauer eines Wortes ist ein valides Maß für den investierten Verarbeitungsaufwand. Unter diesen Annahmen liefern Fixationen und Sakkaden Hinweise auf Verstehen und Verständlichkeit. ▶ 83 Prozent der Inhaltswörter (Substantive, Verben, Adjektive) werden fixiert, aber nur 38-Prozent der Funktionswörter. Die Anzahl der Fixationen, z. B. in einem Satz, ist ein Indikator für schwierige Texte bzw. intensive Verarbeitungsprozesse. ▶ Die Fixationsdauer beträgt für ein Wort im Durchschnitt 250 Millisekunden, unterliegt aber großen Schwankungen (zwischen 100 Millisekunden bis 1000 Millisekunden): Lange, ungeläufige und mehrdeutige Wörter werden länger fixiert. Verben werden länger fixiert als Nomen. Lange Fixationen am Ende einer syntaktischen Einheit, z. B. eines Satzes weisen auf abschließende Prozesse des Satzverstehens hin. Lesende fixieren Wörter, die ein Thema einführen, und Wörter am Satzende länger (sentence wrap-up process). ▶ Regressionen. Anzahl und Dauer von Rücksprüngen sind Indikatoren für Verstehensprobleme, die entweder durch den Text oder durch den Lesenden verursacht sein können. <?page no="108"?> 108 6 Prozesse des Textverstehens Allerdings: Was genau im Gehirn abläuft, wenn z. B. ein Wort länger fixiert wird, das bleibt unklar und müsste mit Methoden wie lautes Denken oder neuropsychologischen Aufzeichnungen ergänzt werden. Wahrnehmungsspanne. Darunter versteht man das Feld, das während einer Fixation in die Fovea centralis, die kleine Stelle des schärfsten Sehens auf der Retina fällt. Nur dort reicht die Auflösung aus, um grafische Details zu erkennen. Die Wahrnehmungsspanne ist oval und asymmetrisch, sie umfasst links vom Fixationspunkt 3 bis 4, rechts 9 bis 12, also insgesamt etwa 15 Buchstaben (Bild 5). Die Asymmetrie hängt mit der Leserichtung zusammen, sie wird mit dem Lesenlernen eingeübt. Je nach Schriftgröße sowie Buchstabenbreite und -abstand fallen mehr oder weniger Buchstaben in die Wahrnehmungsspanne bzw. können mehr oder weniger Wörter erkannt werden. In der Sekunde haben wir durchschnittlich vier bis fünf Fixationen und erkennen etwa vier bis fünf Wörter. Damit stellt die Wahrnehmungsspanne eine Beschränkung des Lesens dar. Während der Fixation wird in der unscharfen Peripherie außerhalb der Wahrnehmungsspanne der nächste Fixationspunkt bestimmt, auf den die Augen dann springen. Anhaltspunkte sind Großbuchstaben, Wortzwischenräume und Wortlängen. Die deutsche Schriftsprache, bei der die Substantive großgeschrieben werden, hat hier einen kleinen Vorteil: Der oder die Lesende kann in der Peripherie zwischen Substantiven und anderen Wortarten unterscheiden (Bock, 1989). Bild 5: Das Oval umfasst die Wahrnehmungsspanne um einen Fixationspunkt, der Bereich fällt auf die Fovea, die Stelle des schärfsten Sehens auf der Retina. Oben ist die Abfolge der Fixationen angetragen. Lesen besteht aus einer Abfolge von ovalen Schnappschüssen. <?page no="109"?> 109 6.1 Subsemantische Verarbeitung Erkennen von Buchstaben Die Buchstaben innerhalb der Wahrnehmungsspanne werden nicht nacheinander gelesen (also buchstabiert), sondern stehen durch Parallelverarbeitung gleichzeitig zur Verfügung. Wörter setzen sich aus Buchstaben zusammen, die bei verschiedenen Schrifttypen grafisch unterschiedlich gestaltet sind. Wenn man die Buchstaben leicht unterscheiden kann, dann sollte auch das Erkennen von Wörtern einfacher sein. Diskriminierbarkeit. Die Buchstaben aller Schriftsysteme setzen sich aus einer Anzahl einfacher grafischer Elemente zusammen: horizontale, vertikale und schräge Striche, Dreiecke, Quadrate, Kreise und Halbkreise, verschiedene Winkel. Das Gehirn erkennt Buchstaben an diesen Merkmalen. Eine Studie mit teilweise verdeckten Klein- und Großbuchstaben zeigt, dass nur wenige grafische Merkmale wie Strichenden oder horizontale Linien ausreichen (Fiset et al., 2008). Oft ist zur korrekten Identifikation nur ein kritisches Merkmal notwendig (Sanocki & Dyson, 2012): Ein F unterscheidet sich von einem E durch einen Strich, ein b von einem d durch eine Rundung. Dass die Buchstaben aller Schriften hochgradig redundant sind, zeigt der Abdecktest: Eine Schrift bleibt lesbar, wenn die untere Zeilenhälfte verdeckt wird! Wird die obere Zeilenhälfte verdeckt, ist das Lesen massiv behindert. Bild 6: Der Abdecktest beweist: Die obere Hälfte einer Zeile ist informativer als die untere Hälfte. Deutlich wird die Relevanz der unterscheidenden grafischen Merkmale bei kleinen Schriftgrößen oder schlechten Sehbedingungen, denn da werden Buchstaben leicht verwechselt, z. B. „c“ und „o“. Es gibt Schriften, die auf die Unterscheidbarkeit der Buchstaben aufgebaut sind (z. B. die „Syntax“ von Hans Eduard Meier). Die Auswirkung grafischer Merkmale auf die Buchstabenerkennung kann man untersuchen, indem man verschiedene Schwellenwerte ermittelt: die Dauer, die Distanz, die Helligkeit oder die Schärfe, bis ein Buchstabe erkannt wird. <?page no="110"?> 110 6 Prozesse des Textverstehens Wahrnehmungsinvarianz. Beim Lesen vor allem von Hand-, aber auch von Druckschriften haben wir es mit sehr unterschiedlichen Formen, Größen und Positionen von Buchstaben zu tun. Trotz der grafisch erheblichen Unterschiede wird immer ein A wahrgenommen. Sogar verzerrte und schräge Schriften bleiben lesbar. Diese Befunde zeigen, dass unser Gehirn beim Lesen mit einer großen Varianz an grafischen Formen problemlos umgehen kann. Wie diese Wahrnehmungsinvarianz zustande kommt, darüber existieren bisher nur Hypothesen (Dehaene, 2010, S. 34), aber die Invarianz legt den Schluss nahe, dass Subtilitäten der Schriftgestaltung gar keine so große Bedeutung zukommt, wie die Lesbarkeitsforschung und viele Typografie-Handbücher behaupten. Leserliche Schrift Eine leserliche Schrift sollte ein flüssiges Lesen ermöglichen, ohne unnötige Wahrnehmungsressourcen zu beanspruchen. Der Lesefluss kann durch die typografische Gestaltung behindert werden, gewöhnlich wird das über die Lesegeschwindigkeit gemessen. Wenn der gleiche Text in einer Schriftvariante A durchschnittlich längere Lesezeit beansprucht als in einer Variante B, dann ist die Schrift von A weniger leserlich. Das klingt zunächst plausibel, aber nicht nur typografische Variablen beeinflussen das Lesen, sondern unzählige andere wie Motivation, Lesefähigkeit, Vorwissen, Beleuchtung, Ermüdung, Alter usw. Aus diesem Geflecht von Variablen die Wirkung einer Schrift herauszufischen, ist methodisch überaus schwierig. Es gibt aber keinen Zweifel, dass einige typografische Variablen die Leserlichkeit beeinflussen: Buchstaben- und Wortabstand, Zeilenabstand, Zeilenfall (Block- oder Flattersatz), Versalien, Serifen, Schriftgröße, Schriftstärke usw. (Gorbach, 1999; ausführlich Filek, 2013). Zusatzmaterial 4: Text zur Wirkung typografischer Merkmale <?page no="111"?> 111 6.1 Subsemantische Verarbeitung Der experimentelle Ansatz, der die Wirkung verschiedener Schriften untersucht, aber die Interaktion mit anderen Variablen außer Acht lässt, hat einen Flickenteppich von Befunden hervorgebracht. Die Effekte aus der Laborforschung sind meist gering und oft widersprüchlich. Ole Lund hat 28 Studien genauer unter die Lupe genommen und erhebliche methodische Mängel, vor allem eine mangelnde interne Validität festgestellt, d. h. die gefundenen Effekte können immer auch anders interpretiert werden, da Variablen miteinander konfundiert sind. Zu den methodischen Mängeln kommt oft eine falsche Rezeption der Befunde, manche wurden überinterpretiert und übergeneralisiert. Sein vernichtendes Fazit: „The thesis shows that traditional experimental egibility research has provided a non-productive approach to typographic knowledge production“ (Lund, 1999, S. 247). Verwunderlich ist das nicht: Eine Schriftart setzt sich aus zahlreichen typografischen Merkmalen zusammen, davon kann ein Merkmal die Leserlichkeit erhöhen, ein anderes sie herabsetzten, sie können sich wechselseitig verstärken, abschwächen oder kompensieren. „Das Prinzip dieser Studien, nur einen Faktor zu ändern und den Einfluss auf die Lesbarkeit zu prüfen, steht vor dem Problem, dass die Änderungen eines Faktors in der Typografie immer das Anpassen der anderen Faktoren nach sich zieht […]. Beispielsweise wird nur die Schriftart gewechselt, ohne im Anschluss Zeilenabstände, Schriftgrößen, Laufweite oder Zeilenbreite nachzukorrigieren, was die Ergebnisse schnell verfälscht“ (Filek, 2013, S. 88). Wenn man dann noch Beleuchtung, Lesedistanz, Kontraste usw. einbezieht, dann ergibt das ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für experimentelle Psychologen. Ein überraschender, für wahrnehmungspsychologisch orientierte Typografieforschung geradezu schockierender Befund stammt aus der Disfluency-Forschung: Eine Reihe von Untersuchungen ergab, dass schwer leserliche Schrifttypen zu einer besseren Behaltensleistung führten, was auf eine intensivere Verarbeitung zurückgeführt wurde (Diemand-Yaumann et al., 2011). Die Befunde ließen sich aber nicht konsistent replizieren und sind vielleicht auch auf andere Variablen zurückführbar (Merkt, 2016). Weiche typografische Variablen Typografen gehen aus professionellem Selbstverständnis davon aus, dass Schriften einen starken Einfluss auf das Lesen und das Verstehen haben. Dabei verstehen sie sich meist als Künstler, die eher auf ihre ästhetische Intuition als <?page no="112"?> 112 6 Prozesse des Textverstehens auf wissenschaftliche Erkenntnisse vertrauen. Einigkeit unter Typografen und Psychologen herrscht darin, dass es die leserliche Schrift nicht gibt, da immer zahlreiche Variablen interagieren. Nachdem aus der Forschung nur wenige und unsichere Richtlinien abzuleiten sind, wendet man sich derzeit „weichen“ Variablen der Schrift zu, die einen Einfluss auf das flüssige Lesen haben (Liebig, 2009). Vertrautheit. Schriftarten, die in unserer Lesekultur in Büchern und Zeitschriften oft vorkommen, werden leserlicher bewertet als ungebräuchliche Schriften. Als die serifenlosen Schriften eingeführt wurden, wurden sie „Groteske Schriften“ genannt, man war sie eben nicht gewohnt. Die Sütterlin-Schrift war einmal eine beliebte deutsche Volksschrift, kommt uns heute aber altmodisch vor und weckt nationalistische Assoziationen, obwohl die Nazis sie als „Judenschrift“ verboten haben. Ästhetik. Die spontane ästhetische Anmutung, der Atmosphere-Value einer Schrift ist schwer fassbar. Jede Schrift hat einen besonderen Charakter, jede Zeit hat ihre Typografie. Typografen, Mediengestalter und Designer jonglieren gern mit ästhetischem Vokabular: Schriften werden mit Adjektiven wie würdig, edel, gediegen, kraftvoll, sachlich, verspielt, nüchtern, elegant, träge, zurückhaltend usw. beschrieben (Korthaus, 2014). Congeniality. Wichtig ist eine Korrespondenz zwischen Inhalt und Schrift. Hier ist ebenfalls ein schwer fassbares „Feingefühl des Gestalters“ gefragt (Filek, 2013, S. 163). Vielleicht hilft die experimentelle Ästhetik weiter, aber letztlich werden sich nicht alle gestalterischen Entscheidungen aus wissenschaftlichen Befunden ableiten lassen. Joy of use. Darunter wird verstanden, wie angenehm eine Schrift zu lesen ist (Sanocki & Dyson, 2012). Die Leserlichkeit einer Schrift hat auch einen messbaren Einfluss auf die Bewertung der Inhalte. Ist ein Text flüssig lesbar, dann wird auch sein Inhalt als weniger schwierig bewertet. Eine gut leserliche Schrift führt bei Bedienungsanleitungen zu der Einschätzung, dass die beschriebenen Handlungen leicht und schnell durchführbar sind (Song & Schwarz, 2008; Dreisbach & Fischer, 2011). Typografen werden noch viele Schriften entwerfen, überleben werden nur die wahrnehmungsfreundlichen. Schwer leserlichen Schriften bleibt eine Nischenexistenz im künstlerischen und kalligrafischen Bereich. Deshalb kann man davon ausgehen, dass das breite Mittelfeld der in einer Schriftkultur gewohnten Schriftarten im Prinzip gleich gut leserlich ist und das Verstehen wenig behindert. Nur extreme Schriften wie Handschriften und ornamentale <?page no="113"?> 113 6.2 Das Verstehen von Wörtern Schriften können Schwierigkeiten bereiten. Durch neue Leseoberflächen wird sich das Problem ohnehin teilweise auflösen: Auf E-Ink-Readern, Tablets oder Smartphones kann der Lesende die ihm genehme Schriftgröße einstellen und im Prinzip ist es auch möglich, die Schriftart zu wählen. Zusammenfassend lässt sich festhalten: Verschiedene Schriften sind nur für eine sehr geringe Varianz der Leseleistung verantwortlich, „so that the fundamental conclusion to be drawn from the work on typography is that reading appears to proceed at about the same rate if the type font, size, and length of line employed are at all reasonable“ (Rayner et al., 2012, S. 96). „Reasonable“ meint einen großen Bereich der üblichen Schriften unter Vermeidung extremer typografischer Varianten. 6.2 Das Verstehen von Wörtern Am Anfang ist das Wort …! Das Verstehen setzt mit dem Erkennen von Wörtern ein, sie sind das Material zur Konstruktion eines Verständnisses. Ein Wort ist beim Lesen erkannt, wenn seine Bedeutung bewusst wird (so zunächst eine verkürzte Ausdrucksweise). Auch wenn Wörter in einem Text nicht isoliert vorkommen, wollen wir zuerst das Erkennen von einzelnen Wörtern behandeln. Wie erkennt man ein Wort? Aufgrund welcher Daten entscheidet sich das Gehirn für ein Wort und damit eine Bedeutung? Wie viele Buchstaben müssen dazu entziffert sein? Oder reicht die Gestalt des Wortes, sein Umriss bereits aus? Buchstabenfolgen. Ein Leseanfänger geht ein Wort Buchstabe für Buchstabe durch, Kinder fahren dazu mit dem Finger die Zeile entlang. Der versierte Leser erfasst Buchstabengruppen, Silben, kurze Wörter. Bereits zwei Buchstaben können ein Wort aktivieren und auf das Erkennen der anderen Buchstaben rückwirken. Werden z. B. die Buchstaben w, u, r, z erkannt, kann es sich nur noch um das Wort „Wurzel“ handeln, d. h. „e“ und „l“ brauchen gar nicht gelesen werden. Das „z“ ist der Rekognitionspunkt des Wortes. Deshalb werden beim Korrekturlesen gern Schreibfehler wie „Kokosnoss“ übersehen. Buchstaben (z. B. M und D) werden in Wörtern (HELD und HELM) schneller und fehlerfreier erkannt als einzeln und in Nicht-Wörtern (LHEM). Dieser Wortüberlegensheiteffekt zeigt, dass das Erkennen eines Buchstabens vom Kontext profitiert, in dem er <?page no="114"?> 114 6 Prozesse des Textverstehens steht. Daraus wurde geschlossen, dass wir ein Wort gar nicht in Bestandteile zerlegen, sondern ganze Wortgestalten wahrnehmen. Wortgestalt. Auch die grafische Gesamtform eines Wortes spielt eine Rolle beim versierten Lesen (Rudnicky & Kolers, 1984). Dass Wortgestalten beim flüchtigen Lesen das Worterkennen beeinflussen können, hat sicher jeder bereits erlebt. Bei meiner psychologischen Lektüre kommen zwei Worte oft vor: „Text“ und „Test“. Bei schnellem Lesen lese ich oft „Text“ statt „Test“. Da „x“ ein grafisch unverwechselbarer Buchstabe ist, hat sich hier die Wortgestalt durchgesetzt. Ein anderes Beispiel: Bei der Zeitungslektüre lese ich eine Überschrift: Nacktbadeverbot gilt weiter. Als ich die Meldung dazu überfliege, entdecke ich: Es geht um das Nachtbackverbot! Mehrere Buchstaben habe ich offenbar überlesen, das Worterkennen hat ohne Kontext ein falsches Konzept aktiviert. Im Web kursiert seit 2003 ein Text, der immer Verwunderung auslöst und gern als Beweis benutzt wird, dass Rechtschreibung eigentlich völlig unnötig ist. (1) Gmäeß eneir Sutide eneir elgnihcesn Uvinisterät ist es nchit witihcg, in wlecehr Rneflogheie die Bstachuebn in eneim Wrot snid, das ezniige, was wcthiig ist, ist, dass der estre und der leztte Bstabchue an der ritihcegn Pstoiion snid. Der Rset knan ein ttoaelr Bsinöldn sien, tedztorm knan man ihn onhe Pemoblre lseen. Das ist so, wiel wir nciht jeedn Bstachuebn enzelin leesn, snderon das Wrot als gseatems. Dass man einen derartigen Buchstabensalat lesen und verstehen kann, beweist eindrücklich, dass wir nicht Buchstaben für Buchstaben lesen. Eine Blickbewegungsstudie dazu haben Rayner et al. (2006) durchgeführt. Sie zeigt, dass es beim Lesen derartig entstellter Wörter aber zu deutlichen Verzögerungen kommt. Es gibt aber auch experimentelle Belege dafür, dass Wortgestalten beim Lesen keine ausschlaggebende Rolle spielen. „Hand“ und „Hund“ haben fast identische Form, sie unterscheiden sich grafisch nur im „a“ und im „u“, werden aber trotzdem nicht verwechselt. Dabei dürfte der Kontext eine wichtige Rolle spielen. Wofür steht ein Wort? Diese Frage beantworten wir zunächst verkürzt so: Ein Wort ist ein Stellvertreter für ein Konzept oder einen Begriff (beide Bezeichnungen verwenden wir <?page no="115"?> 115 6.2 Das Verstehen von Wörtern synonym). Visualisiert wurden die Zusammenhänge mit einem semiotischen Dreieck (Ogden & Richards, 1923). 18 Bild 7: Ein semiotisches Dreieck in Anlehnung an Ogden & Richards (1923). So stellt man sich den Zusammenhang von Wirklichkeit, Konzepten und Wörtern vor: 1. Konzepte werden im Gehirn konstruiert, indem wahrgenommene Gegenstände - hier unterschiedliche Schrauben - zu einer Kategorie Schraube zusammengefasst und verallgemeinert werden. Konzepte sind vorsprachlich! 19 2. Da diese Konzepte unsichtbar in unserem Gehirn verborgen sind, brauchen wir für die mündliche Kommunikation eine Lautform oder für die schriftliche Kommunikation eine grafische Form als Stellvertreter. Diese Benennung ist konventionell, die „Erfindung“ eines Wortes ist meist nicht mehr nachvollziehbar. 3. Wir benennen Gegenstände nicht direkt, sondern die Konzepte von Gegenständen, das symbolisiert die gestrichelte Linie 3 im Dreieck. Wenn wir das Wort „Einhorn“ lesen, haben wir alle einen Begriff davon, aber bisher hat keiner dieses Fabeltier in der Wirklichkeit gesehen. Es gibt auch Konzepte, denen keine 18 Das ursprüngliche semiotische Dreieck wurde je nach Theorie oft umgeordnet und anders beschriftet. Auch ich habe es meinen Vorstellungen angepasst. 19 Wenn im Text nicht das Wort, sondern das vorsprachliche Konzept gemeint ist, wird das Wort in Kapitälchen geschrieben. <?page no="116"?> 116 6 Prozesse des Textverstehens Wortform zugeordnet ist. Wer nicht hungrig ist, ist satt. Wer nicht durstig ist, ist …? Jeder kennt den Zustand, aber es gibt keine Benennung dafür. Konzepte sind mentale Gespenster, sie wirken im Denken und Verstehen, werden aber nie bewusst, wie eine Wahrnehmung oder visuelle Vorstellung. Machen wir uns die zentrale Aussage des semiotischen Dreiecks an einem Selbstversuch klar. Lesen Sie die folgende Liste Wort für Wort durch und entscheiden Sie jeweils, ob es sich um ein Wort der deutschen Sprache handelt oder nicht: Klippe Klappe Kloppe Kluppe Kleppe Wie sind die Entscheidungen ausgefallen? Bei „Klippe“ und „Klappe“ ist klar, dass es sich um Wörter handelt, denn beide aktivieren beim Lesen ein Konzept im Gehirn, bei „Klippe“ wahrscheinlich auch eine damit verbundene visuelle Vorstellung. „Kloppe“ werden nur Kenner des Berliner Dialekts verstehen, dort ist es ein Wort für Prügel. „Kluppe“ werden die meisten als Wort verwerfen, es ist aber ein Terminus aus der Forstwirtschaft und bezeichnet ein Messgerät, um den Umfang von Bäumen zu bestimmen. „Kleppe“ wird wohl in keinem Gehirn einen Begriff aufrufen, es ist tatsächlich eine bedeutungslose Wortform, ein Pseudowort. Die Wortformen sind im phonologischen bzw. graphemischen Gedächtnis gespeichert, die Bedeutungen im konzeptuellen Gedächtnis. 20 Dass man strikt zwischen Wörtern und Bedeutungen trennen muss, das zeigen mehrere Phänomene. Synonyme. Bei einem Synonym gibt es für ein Konzept mehrere Wörter. Sie sind zunächst für die Sprachproduktion interessant. Wenn wir sprechen oder schreiben, stehen wir oft vor einem Problem der Wortwahl: Wir ringen um das treffende Wort oder korrigieren uns, wenn wir unseren eigenen Satz hören oder lesen. Bestimmte Versprecher - die sogenannten Kontaminationen - zeigen, dass in der Sprachproduktion ein Konzept zwei Wörter gleichzeitig aktivieren kann. Wenn wir uns nicht entscheiden, kommt es zu Vermischungen. 20 Ich benutze nicht den verbreiteten Ausdruck „mentales Lexikon“. In einem Lexikon ist die Wortform und ihre Bedeutung verzeichnet. Diese Informationen sind im Gehirn aber getrennt repräsentiert, auch wenn es selbstverständlich eine gebahnte Verbindung zwischen einer Wortform und einem Konzept gibt. <?page no="117"?> 117 6.2 Das Verstehen von Wörtern (2.1) Ich muss meine Liste noch verweitern (erweitern + vergrößern) (2.2) Es gibt einen Hinwaltspunkt (Hinweis + Anhaltspunkt) Für das Verstehen ist wichtig, dass Synonyme selten völlig gleichbedeutend sind, meist gibt es Bedeutungsnuancen. Um zu entscheiden, ob zwei Wörter völlig synonym sind, kann man eine Austauschprobe durchführen. (3.1) Lass mich in Ruhe! (3.2) Lass mich in Stille! Obwohl die Wörter „Ruhe“ und „Stille“ Synonyme sind, bedeuten sie nicht dasselbe, denn sie sind nicht austauschbar: (3.1) ist eine geläufige Aufforderung, aber (3.2) klingt semantisch schief. Der Grund: „Stille“ steht für die Abwesenheit von Geräuschen, ist also akustisch gemeint. „Ruhe“ hingegen ist auch ein Gemütszustand, ist also psychisch gemeint. Psychologisch gesehen gibt es wenige strikte Synonyme, die meisten sind nur partiell synonym bzw. bedeutungsähnlich. Oft haben Synonyme eine auf- oder abwertende Konnotation: statt Gesicht Antlitz oder Visage. Mehrdeutige Wörter. Eine Wortform hat verschiedene Bedeutungen, d. h. sie steht für mehrere Konzepte. Zwei Fälle lassen sich unterscheiden: Homografische Wörter haben eine unterschiedliche Etymologie (4.1), bei polysemen Wörtern gehen die verschiedenen Bedeutungen auf eine gemeinsame etymologische Wurzel zurück (4.2). Homografe aktivieren unterschiedliche Netzwerke, Polyseme haben über das Stammlexem einen semantischen Überlappungsbereich, der aber oft in Vergessenheit geraten ist. (4.1) Star (Vogelart, Augenkrankheit, bekannter Künstler); Kiefer (Baumart, Knochen); Tor (Eingang, dummer Mensch) (4.2) Blatt (Pflanzenteil, Papier); Birne (Frucht, Leuchtkörper), Tor (Eingang, Ziel beim Ballspiel, Treffer beim Ballspiel); halten = festhalten, Tiere halten, an sich halten, für richtig halten, eine Rede halten, sich fern halten usw. Das Wörterbuch der Brüder Grimm braucht 13 eng beschriebene Seiten, um alle Verwendungsweisen und Bedeutungen des Verbs „halten“ aufzulisten. Polyseme Wörter treten häufiger auf als homografische. Das Verstehen von Homografen ist interessant, weil es die Frage aufwirft, wann wir uns beim Lesen auf eine Bedeutung festlegen (siehe Kap. 7.2). <?page no="118"?> 118 6 Prozesse des Textverstehens Es liegt mir auf der Zunge. Jeder hat es schon erlebt, oft verbunden mit einer peinlichen Situation: Man sucht ein Wort für ein aktives Konzept, man weiß, dass es im Gedächtnis gespeichert ist, aber es fällt einem partout nicht ein. Oft wissen wir aber, dass es mit R anfängt und dreisilbig ist. Gehäuft kommt das Phänomen bei Sprachstörungen (Dysphasie) vor: Wörter werden nur schwer oder gar nicht gefunden, obwohl der oder die Betroffene weiß, was er oder sie äußern will, also Konzepte korrekt aktiviert sind. Bedeutungswandel. Während ein Wort beibehalten wird, verändern sich mit der Zeit „hinter ihm“ die Konzepte. Derartige Verschiebungen untersucht die historische Semantik (Müller & Schmieder, 2016). So bedeutete das Wort „Gesicht“ einmal - analog Gehör, Geschmack, Geruch - die visuelle Modalität (erhalten in der Wendung „das zweite Gesicht“), erweiterte dann aber seine Bedeutung zum Körperteil, in dem der Sehsinn eingebettet ist. Die Bedeutung eines Wortes ist keine feste Eintragung im Gedächtnis, sondern kann sich über die Zeit verändern (Bechmann, 2016). Wörter sind resistenter gegenüber Veränderungen als Konzepte. Zweisprachigkeit. Wer nach seiner Muttersprache eine weitere Sprache lernt, der verknüpft zunächst die vorhandenen Konzepte mit neuen Wörtern. Bei perfekter Beherrschung einer Fremdsprache wird man feststellen, dass eine wörtliche Übersetzung oft nicht genau die Bedeutung trifft, da die mit den Wörtern bezeichneten Konzepte in beiden Sprachgemeinschaften Bedeutungsnuancen aufweisen. Auch das verweist darauf, dass hinter einem Wort kein stabiles Konzept steht. Zusatzmaterial 5: Text über das Bedeutungserlebnis Konzeptuelle Netze Wenn wir ein Wort verstehen, dann wird uns die zugehörige Bedeutung bewusst. So haben wir bisher formuliert. Aber wie schon die vorangegangenen Phänomene zeigen, ist der Zusammenhang zwischen Wort und Bedeutung komplizierter: Ein Wort aktiviert kein isoliertes Konzept, sondern ist eine Adresse zu einem konzeptuellen Netz. <?page no="119"?> 119 6.2 Das Verstehen von Wörtern Ein Beispiel: Das Wort „Vogel“ aktiviert das Konzept Vogel in einem Netz, das im Gehirn eines Adressaten ausschnittweise wie im Bild 8 aussehen könnte. 21 Bild 8: Ein konzeptuelles Netz als Ausschnitt aus dem Wissen einer Person. Ich habe eine einfache Darstellung gewählt, die sich an der Notation von Rumelhart & Norman (1978) orientiert (Kluwe, 1979). Die Ellipsen stehen für relationale Konzepte, die Kästen für Gegenstandskonzepte. Die Linien symbolisieren Relationen, die benannt sind: ag = Agent, obj = direktes Objekt, inst = Instrument, ie = Inklusion (ist ein), attr = Attribut, kon = Kontrast, loc = Ort, zeit = Zeit. 21 Es gibt zahlreiche Varianten der Darstellung von konzeptuellen Netzen. Der wohl ausführlichste Ansatz, der sich an der natürlichen Sprache orientiert, ist das MultiNet (Helbig & Phönix, 2018). <?page no="120"?> 120 6 Prozesse des Textverstehens Bei einem konzeptuellen Netz können wir zwei Bestandteile unseres Wissens unterscheiden, wobei das Wissen erfahren oder angelesen sein kann. Mentale Schemata: Sie repräsentieren typische Zusammenhänge und Geschehensabläufe, die eine Person erfahren oder gelernt hat: Vögel picken mit einem Schnabel Futter auf, fliegen mit Hilfe von Federn, bauen Nester und legen Eier hinein usw. Schemata, in denen Wissen über Handlungs- und Ereignisfolgen in bestimmten Situationen repräsentiert sind, werden als Skripts bezeichnet. Beim Verstehen sind Schemata dafür verantwortlich, dass wir Aussagen durch Inferenzen ergänzen können. Kategoriales Wissen. Es besteht aus Hierarchien von Konzepten in logischer Implikation, die das ordnende Denken des Menschen geschaffen hat: Ein Vogel ist ein Lebewesen, genauer ein Tier (Oberbegriffe), es gibt Zugvögel, z. B. den Star oder den Fink (Unterbegriffe). Im unteren Teil der Hierarchie sind sensorische Konzepte, die noch mit Vorstellungen verknüpft sind, im oberen Teil abstrakte Konzepte, die keine gemeinsamen Wahrnehmungsmerkmale mehr haben. Das Netz, in dem Vogel eingetragen ist, hat keine Begrenzung, jeder Knoten kann andere Teilnetze aktivieren. Das sieht man beim Knoten Eier, der zum Konzept backen führt. Von einem Startknoten kann man nach vielen Seiten assoziieren. Dazu gehören auch die episodischen Einträge, z. B. dass einmal ein Rotschwänzchen auf dem Balkon genistet hat. Zur Bedeutung eines Wortes gehören auch sensumotorische und emotionale Informationen. Ein Wort bzw. Konzept kann Vorstellungen oder Gefühle auslösen, z. B. ein anschauliches Wort oder ein Tabuwort. Im konzeptuellen Netz lassen sich zwei Bereiche unterscheiden, obwohl sie nicht klar voneinander getrennt sind: Denotation. Eine Kernbedeutung teilen Menschen innerhalb einer Sprachgemeinschaft, sie ist unabhängig von der jeweiligen Person und dem Kontext. Da wir als Mitglieder einer Kultur und Gesellschaft eine ähnliche Sozialisation und einen ähnlichen Konzept- und Spracherwerb hinter uns haben, gibt es eine teilweise Übereinstimmung der konzeptuellen Netze, die eine Kommunikation überhaupt ermöglicht: unser Common Ground! Konnotation. Dazu kommen Nebenbedeutungen, die von Person zu Person anders ausfallen können, je nach den Erfahrungen mit dem betreffenden Gegenstand: Ein Ornithologe hat sicher andere Konnotationen zu „Vogel“ als eine alleinstehende Dame, die im Winter einen Meisenknödel auf dem Balkon <?page no="121"?> 121 6.2 Das Verstehen von Wörtern aufhängt. Die Konnotationen können rein persönlich (ideosynkratisch) oder kulturell bedingt sein. Die Gebrauchsweise eines Wortes kann sich verändern und damit auch die denotativen und konnotativen Anteile an einem Konzept. Eine Definition ist ein Versuch, eine denotative Bedeutung und damit den Sprachgebrauch festzulegen (Kap. 8.3). Die Konnotationen eines Wortes können sich verändern, während die Kernbedeutung unverändert bleibt. Zusatzmaterial 6: Übung zur Messung von Konnotationen So wie man Konzepte nicht direkt beobachten kann, so sind auch die konzeptuellen Netze theoretische Annahmen, die sich zur Beschreibung und Erklärung bewährt haben. Dazu einige Beispiele: Wissenserwerb. Ein Netz lässt sich durch Lernen verändern und ausbauen. Wir unterscheiden die Konsolidierung und drei Formen des Wissenserwerbs nach Rumelhart & Norman (1978): ▶ Konsolidierung: Durch wiederholte Aktivierung werden Relationen zwischen Konzepten verstärkt bzw. gebahnt. Jeder liest gern einen Text, der sein Vorwissen bestätigt und damit verfestigt, während der Umgang mit dissonanten Inhalten zu Selektion und Abwehr führen kann. ▶ Wissenszuwachs (Accretion): Wissenslücken lassen sich durch das Einfügen neuer Konzepte und Relationen in ein vorhandenes Schema schließen. Im Zoo lernen wir neue Vogelarten kennen oder lesen, dass Vögel einen speziellen Gleichgewichtssinn zum Fliegen haben. ▶ Feinabstimmung (Tuning): Ein Schema erfährt kleinere Anpassungen, um seine Anwendbarkeit zu verbessern. So erfahren wir, dass viele Zugvögel inzwischen wegen der milden Winter bei uns bleiben. Es überrascht uns nicht, wenn im Dezember ein Weißstorch auf der Wiese steht. ▶ Umstrukturierung (Restructuring). Wenn neue Erkenntnisse mit vorhandenen Schemata nicht kompatibel sind, muss das Wissensnetz umgebaut und teilweise korrigiert werden. Über die Beseitigung derartiger Misconceptions existiert eine ausführliche Literatur (van den Broek & Kendeou, 2008). So erfahren wir, dass Vögel evolutionär von Sauriern abstammen: Zwei getrennte Netze werden zu einem integriert. Das gesamte begriffliche Wissen eines Menschen ist ein gigantisches Netz aus miteinander verknüpften Konzepten, das sich durch neue Erfahrungen erweitert und verändert. Aber nicht vergessen: Es gibt neben dem konzeptuellen <?page no="122"?> 122 6 Prozesse des Textverstehens Wissen auch noch andere Formen des Wissens, z. B. visuelles Wissen (Vorstellungen) oder prozedurales Wissen (Fertigkeiten). Spreading Activation. Jedes Konzept des Netzwerkes kann Ausgangspunkt einer Aktivierung sein. Frage ich z. B. nach dem Konzept Schnabel, so enthält das obige Netz die Informationen, dass der Schnabel ein Teil eines Vogels ist, mit dem er Würmer aufpickt, und dass auch Pinguine einen Schnabel besitzen. Von einem Konzept ausgehend, das z. B. direkt von einem Wort angesprochen wird, kann die Aktivierung entlang der Relationen weitergeleitet werden und die jeweils angrenzenden Konzepte aktivieren. Dieser Prozess ist für Assoziationen und Schlussfolgerungen (Inferenzen) verantwortlich. Auch der Ablauf geordneten Denkens oder Sprechens lässt sich als Ausdruck einer derartigen Aktivierungsfolge verstehen. Wer z. B. etwas niederschreibt, der knüpft in seinem Gehirn ein Wissensnetz in eine Abfolge von Aussagen auf. Um die Richtung der Aktivierungsausbreitung zu erklären, können die Verbindungen zwischen den Konzepten als stärker oder schwächer gedacht werden, je nachdem wie oft der jeweilige Zusammenhang erlebt bzw. aktiviert wurde (dies erinnert an die neuronale Bahnung und Hemmung). Wer z. B. schon dreimal von einem Hund gebissen wurde, dem wird zu Hund eher beissen als streicheln einfallen. Auf der Aktivationsausbreitung und der Assoziationsstärke beruht das Priming, das wir im Kap. 5.1 kennengelernt haben: Die Reaktionszeiten nach einem Prime auf einen Target geben Einblick in die Struktur eines konzeptuellen Netzes. Implementierung. Konzeptuelle Netze sind in der Wissenschaft nicht zuletzt deshalb beliebt, weil sie im Computer als Datenbasis implementiert werden können. Ein Computer, dem man das Netzwerk aus Bild 8 eingegeben hat, kann bereits einfache Fragen beantworten, z. B. „Haben Pinguine einen Schnabel? “ Ein Programm sucht im Netz einen Pfad zwischen den Konzepten Pinguin und Schnabel. Findet sich eine Verbindung, dann wird die Frage mit „Ja“ beantwortet. Auf konzeptuellen Netzen beruhen sogenannte Expertensysteme, in denen ganze Wissensdomänen implementiert sind. Man darf nicht vergessen, dass es sich bei den konzeptuellen Netzwerken um ein Modell des menschlichen Wissens handelt, sozusagen um eine Repräsentation der mentalen Repräsentation. Niemand hat ein konzeptuelles Netz bisher gesehen! Aber sicher handelt es sich nicht nur um Hirngespinste, auch wenn unklar ist, wie die Netzwerke in der Feinstruktur des Gehirns realisiert sind. Auch die Zellen des Gehirns bilden ein riesiges Netzwerk, das im Laufe der Entwicklung und des Lernens immer dichter vermascht wird. Es ist verführerisch, die Konzepte mit einzelnen Neuronen und die Relationen mit den <?page no="123"?> 123 6.3 Wörter im Kontext von Sätzen Neuriten und Dentriten gleichzusetzen, die Neuronen miteinander verbinden. Aber diese einfache Analogie ist nach allem, was wir von Erregungsmustern im Gehirn wissen, falsch. Wir können jetzt präziser formulieren: Ein verstandenes Wort aktiviert ein konzeptuelles Netz. Das Wort ist eine Art Filename, der eine ganze Datei von Wissen abruft (Kintsch, 2001; Carston, 2012). Welche Bedeutung genau hinter einem geschriebenen Wort eines Absenders steht, bleibt unklar, denn wir kennen das mentale Netz dahinter nicht. Welche Bedeutung ein Adressat einem Wort zuschreibt, wie er es versteht, das ist vom Absender nur begrenzt steuerbar. Der chinesische Philosoph Zhuangzi (etwa 365-290 v. Chr.) hat das bereits in folgenden Sätzen ausgedrückt: „Hasenfallen gebraucht man, um Hasen zu fangen. Wenn man die Hasen gefangen hat, kann man die Fallen vergessen. Wörter gibt es wegen der Bedeutung. Wenn man auf das gekommen ist, worauf die Wörter deuten bzw. den Sinn erfasst hat und damit zufrieden ist - kann man die Wörter vergessen“ (Zhuangzi, 2017). 6.3 Wörter im Kontext von Sätzen Ein Satz ist eine syntaktische geordnete Abfolge von Wörtern, die beim Hören oder Lesen nacheinander wahrgenommen und verarbeitet wird. Das gilt ausnahmslos für das Hörverstehen, beim Leseverstehen sind Rücksprünge und Wiederholungen möglich. Wörter werden nicht isoliert verstanden, sondern im Kontext anderer Inhaltswörter (Nomina, Verben, Adjektive, Adverbien) und Funktionswörter (Artikel, Pronomina, Präpositionen, Konjunktionen, Partikel). Die Flexionen der Inhaltswörter und die Funktionswörter vermitteln syntaktische Informationen über die Verknüpfung der Wörter. Die Aufzeichnungen von Blickbewegungen zeigen, dass nicht jedes Wort einzeln fixiert, sondern mit einer Fixation gleich eine ganze Wortgruppe aufgenommen wird. Welche Einheit jeweils verarbeitet wird, kann unterschiedlich ausfallen, wir sprechen deshalb von Segmenten, die inkrementell verstanden werden (lat. incrementum = Wachstum). 22 Dabei orientiere ich mich nicht an einer bestimmten linguistischen Syntax, sondern an Prinzipien der Verarbeitung, wie sie in psycholinguistischen Experimenten ermittelt wurden. 22 Hildebrandt et al. (1999) haben für die verarbeitungsrelevante Einheit den Terminus Inkrement vorgeschlagen. <?page no="124"?> 124 6 Prozesse des Textverstehens Kontextsensitive Konzepte Wenn wir ein Wort in einem Satz hören oder lesen, wird zunächst eine kontextunabhängige Kernbedeutung bzw. ein konzeptuelles Teilnetz aktiviert, das dann kontextbedingt modifiziert wird (Barsalou, 1982; Kintsch, 2011; Kintsch & Mangalath, 2011). Wir erkennen hier das hermeneutische Prinzip wieder, nach dem ein Textteil seine Bedeutung durch das Ganze bekommt. Die semantische Modifikation geschieht über Kontexthinweise, die entweder explizit geäußert oder implizit erschlossen werden (Haß, 2018). (5.1) Der Vogel stürzte auf die Taube nieder. (5.2) Sie tranchierte den Vogel in mundgerechte Stücke. (5.3) Er hat wirklich einen Vogel. Bei den Sätzen aktiviert das Wort „Vogel“ eine denotative Bedeutung, die dann jeweils eine andere Bedeutungsnuance erhält. Bei (5.1) wird das Wissen aus dem semantischen Gedächtnis aktiviert, dass es Raubvögel gibt, die sich von Fleisch ernähren und andere Vögel jagen. Bei (5.2) denkt man bei „tranchieren“ sofort an ein Geflügel, das in der Küche zubereitet wird. Beides sind Bedeutungsverengungen des kontextfreien Konzepts. Bei Satz (5.3) verstehen wir „Vogel“ als Verrücktheit oder Unzurechnungsfähigkeit, eine Bedeutung, die das kontextfreie Konzept erweitert, obwohl man den Ursprung dieser übertragenen Bedeutung wahrscheinlich vergessen hat. 23 Aus der Menge der Verknüpfungen im konzeptuellen Netz wird durch den Kontext eine Auswahl aktiviert (lexical adjustment). Zur kontextangepassten Bedeutung haben Barclay et al. (1974) ein oft zitiertes Experiment durchgeführt, dessen Befunde in zahlreichen Replikationen bestätigt wurden. Sie gaben den Vpn Satzpaare vor, bei denen jeweils andere Merkmale eines Gegenstands relevant waren. (6.1) The man lifted the piano. (6.2) The man tuned the piano. Später fand eine Behaltensprüfung statt, bei der ein Stichwort vorgegeben wurde (Cued Recall). Es zeigte sich, dass der Satz (6.1) mit dem Stichwort „something heavy“ besser erinnert wurde als mit dem Stichwort „something with sound“, das hingegen 23 Im Volksglauben war man der Ansicht, dass eine Geistesgestörtheit durch ein Tier im Gehirn verursacht wird (vgl. Grillen im Kopf oder einen Hirnwurm haben). <?page no="125"?> 125 6.3 Wörter im Kontext von Sätzen die Erinnerung an den Satz (6.2) verbesserte. Die Befunde zeigen, dass beim Verstehen der Sätze unterschiedliche Merkmale des Klaviers aktiviert wurden. Im semantischen Gedächtnis sind in einem konzeptuellen Netz alle bisherigen Verwendungen und Bedeutungen eines Wortes gespeichert, wenn auch in unterschiedlicher Bahnung. Beim Verstehen wird durch den Kontext nur ein aktuelles Subset aus diesem Netz aktiviert, andere Bedeutungen werden deaktiviert. Das bestätigt die Aussage von Ludwig Wittgenstein (1967, S. 35): „Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache“. Desambiguierung mehrdeutiger Wörter Einen weiteren Einblick in das Verstehen eines Satzes vermitteln homografische Wörter, die mehrere Bedeutungen haben. Was passiert, wenn wir ein mehrdeutiges Wort wie z. B. „Bank“ lesen? Werden beide Bedeutungen aktiviert? Und wann legt sich das Gehirn auf die passende Bedeutung fest? (7.1) Sie ging zur nächstbesten Bank. (7.2) Sie schaute in ihr leeres Portemonnaie, dann ging sie zur nächstbesten Bank. (7.3) Sie ging zur nächstbesten Bank, nachdem sie in ihr leeres Portemonnaie geschaut hatte. Im Satz (7.1) bleiben ohne Kontext das Wort „Bank“ und damit auch der Satz mehrdeutig. Bei den beiden anderen Sätzen wird das Wort durch den sprachlichen Kontext desambiguiert, bei (7.2) bereits im Vordersatz, bei (7.3) erst im Nachsatz. Bei der Verarbeitung spielt die Häufigkeit der Wortbedeutungen eine Rolle: Bei ausgewogener (balanced) Mehrdeutigkeit kommen die Bedeutungen etwa gleich oft vor (8.1), bei nicht ausgewogener (biased) ist eine Bedeutung dominant (8.2). (8.1) Bank (Sitzgelegenheit, Geldinstitut) (8.2) Kamm (Frisiergerät, Berggrat) Grundsätzlich werden bei mehrdeutigen Wörtern zunächst alle Bedeutungen aktiviert (Rayner et al., 1994). Legt der Kontext vor einem balanced homograph eine Bedeutung nahe, verläuft die Selektion der passenden Bedeutung problemlos. Beim Kontext nach dem ambigen Wort müssen beide Bedeutungen aktiviert bereitgehalten werden, bis die passende Bedeutung ausgewählt werden <?page no="126"?> 126 6 Prozesse des Textverstehens kann. Das erfordert zusätzliche Ressourcen. Wenn bei einem biased homograph durch den vorangegangenen Kontext die weniger geläufige Bedeutung gemeint ist, dann wird das mehrdeutige Wort länger fixiert. Die häufigere Bedeutung ist aktiviert, aber aufgrund des Kontexts wird die weniger häufige selegiert, das kostet eine zusätzliche, aber kaum bemerkbare Ressource. Zusammengefasst: „Wenn der Kontext und die Häufigkeit der Wortverwendung genügend Unterstützung für eine Interpretation geben, dann wird nur eine Bedeutung aktiviert; lassen die beiden Faktoren unterschiedliche Interpretationen zu, dann werden beide Bedeutungen aktiviert“ (Christmann & Grieben, 1999, S. 152). Syntaktische Fallen Beim Satzverstehen verarbeiten wir nicht isolierte Wörter, sondern Wörter müssen miteinander verknüpft werden, dabei hilft die syntaktische Konstruktion. Manchmal führt sie aber auch in die Irre. Holzwegsätze (auch Sackgassensätze, engl. Garden-path-Sätze). Das sind syntaktische Konstruktionen, die den Lesenden zunächst in die Irre führen. Zwei englische Lehrbuchklassiker: (9.1) The horse raced past the barn fell. (9.2) While Mary bathed the baby played in the crib. Deutschsprachige Beispiele wirken konstruiert und funktionieren oft nur durch Verzicht auf Satzzeichen. (10.1) Der Waldarbeiter fällt Linden und Buchen überlässt er den Spechten. (10.2) Er hatte geglaubt dass das Mädchen das Fleisch liebte Vegetarierin war. (10.3) Hans versprach Maria keine Zigaretten mehr anzuvertrauen. Hat es beim Lesen funktioniert? Eine anfängliche Zuordnung eines Satzgliedes erweist sich beim unterstrichenen Wort als falsch, wir stocken kurz und interpretieren um. Im Beispiel (10.1) werden beim ersten Lesen die Buchen als zweites Akkusativobjekt den Linden angefügt, aber beim Verb „überlässt“ wird klar, dass die Buchen zwar ein Akkusativobjekt sind, das aber zum Folgesatz gehört. Das Beispiel zeigt, wie wichtig für das Verstehen ein Komma sein kann. Wenn aufgrund einer falschen Zuordnung eines Satzgliedes eine syntaktische Reanalyse notwendig wird, so bedeutet das einen zusätzlichen Verarbeitungsaufwand. Inkrementelle Prinzipien. Holzwegsätze sind starke Belege dafür, dass die Sprachverarbeitung inkrementell vorgeht: Es wird nicht gewartet, bis das Ende <?page no="127"?> 127 6.3 Wörter im Kontext von Sätzen des Satzes erreicht ist, sondern das Verstehen beginnt mit den ersten gelesenen Wörtern. Jedes erkannte Wort löst sofort lexikalische, syntaktische und pragmatische Prozesse aus. Dabei sind folgende Prinzipien wirksam (Frazier & Rayner, 1982): ▶ Minimal Attachment. Wenn möglich wird ein neues Wort an ein vorhandenes Satzglied angebunden. Nur wenn das nicht geht, wird ein neues Satzglied angelegt. ▶ Late Closure. Wenn möglich wird ein neues Wort in das gerade verarbeitete Satzglied aufgenommen. Die inkrementellen Prinzipien sind auch bei Sätzen wirksam, die keine syntaktische Falle sind, sondern nur syntaktisch mehrdeutig. (11) Der Minister versprach, weitere Erklärungen abzugeben in einem Brief an den Ausschuss. Der Satz (11) ist kein Sackgassensatz, aber er ist syntaktisch mehrdeutig. Spontan wird die Präpositionalphrase „in einem Brief “ an das Verb angehängt, die Präpositionalphrase „an den Ausschuss“ an den Brief. Die inkrementelle Verarbeitung von Sätzen lässt sich mit dem Google Übersetzer simulieren. Während man im Eingabefeld z. B. einen englischen Text eintippt, wird im Ausgabefeld mit jedem weiteren Wort eine Übersetzung angeboten. Anders als beim Simultanübersetzen ist die automatische Übersetzung kontextfrei. Die Ergebnisse sind deshalb oft erheiternd. Semantik und Syntax. Ein bis heute umstrittenes Thema ist das Zusammenspiel von semantischen und syntaktischen Faktoren beim Satzverstehen. Wir gehen davon aus, dass die Syntax eine Hilfsfunktion für die Konstruktion semantischer Beziehungen hat (Kap. 7.1). Manchmal löst der semantische Kontext bei syntaktischer Mehrdeutigkeit eine Uminterpretation aus (Britt, Perfetti & Rayner, 1992). (12) The boy hit the girl with the smile. (13) Nach Unfall: Ärzte nähen mit Kreissäge abgetrennten Arm wieder an. Bei (12) wird die Präposition „with“ zunächst an das Verb angehängt, man erwartet das Instrument des Schlagens, aber bei dem Nomen „smile“ muss uminterpretiert werden und die Präpositionalphrase wird an „girl“ angehängt. Das Beispiel (13) zeigt, wie stark die inkrementellen Prinzipien wirken. Beim spon- <?page no="128"?> 128 6 Prozesse des Textverstehens tanen Verstehen hängen wir die Kreissäge als Instrument an das Nähen an, erst dann stutzen wir wegen der semantischen Unmöglichkeit und organisieren um. Bildung von Propositionen Was bleibt von einem Satz hängen? Nicht die konkrete Formulierung, die wird schnell vergessen, wie bereits ein berühmtes Experiment von Jacqueline Sachs (1967) gezeigt hat. Vpn wurde ein Text aus mehreren Sätzen vorgelesen. Nach verschiedenen Zeitintervallen wurde ein Testsatz geboten mit der Frage, ob dieser Satz im Text vorgekommen war (Methode Wiedererkennen). Der Testsatz war entweder identisch mit einem Satz im Text oder in der syntaktischen Form oder seiner Bedeutung verändert. (14.1) He sent a letter about it to Galileo, the great Italian scientist. (Originalsatz) (14.2) Galileo, the great Italian scientist, sent him a letter about it. (Testsatz inhaltlich verändert) (14.3) A letter about it was sent to Galileo, the great Italian scientist. (Testsatz syntaktisch verändert) Folgte der Testsatz sofort auf den Originalsatz, wurden inhaltliche und syntaktische Veränderungen erkannt. Nach längerem Intervall wurden die syntaktischen Veränderungen nicht mehr erkannt, aber die inhaltlichen mit großer Sicherheit. Nur in Ausnahmefällen wird auch die Formulierung behalten, wenn z. B. ein besonders prägnant formulierter Satz im Gedächtnis hängen bleibt, ein Merksatz, eine Eselsbrücke oder eine Pointe. Was bleibt sind die Inhalte, die Verknüpfungen zwischen Konzepten. Der semantische Inhalt eines Satzes - und, wie wir bald auch sehen werden, eines Textes - wird in vielen Verstehenstheorien in Propositionen dargestellt, das sind kleinste Einheiten des Wissens, aus denen sowohl ein konzeptuelles Netz wie auch ein Text gewebt sind (Kintsch, 1974). Eine Proposition besteht aus einem Relationskonzept (P für Prädikat), das ein oder mehrere Gegenstandskonzepte verbindet (A für Argumente): P (A1, A2 …) Eine Proposition ist keine sprachliche Einheit, sondern eine Verbindung von Konzepten, deshalb wird sie in Kapitälchen geschrieben. „Die Zuschreibung <?page no="129"?> 129 6.4 Inkrementelles Textverstehen eines Prädikats zu einem thematisierten Konzept im Rahmen einer Proposition bildet den Elementarakt des Verstehens“ (Engelkamp, 1984, S. 33). Greifen wir noch einmal auf das konzeptuelle Netz zu Vogel zurück (Bild 8). Daraus lässt sich Satz (15) verbalisieren, wobei die Prädikate zu Verben, Adjektiven und Konjunktionen werden, die Argumente zu Nomen und Pronomen. Darunter die zugehörige Umschreibung in Propositionen. (15) Ein Vogel pickt mit seinem harten Schnabel Würmer und Insekten auf. P1 Aufpicken (Vogel, Würmer, P4) P2 Aufpicken (Vogel, Insekten, P4) P3 Und (P1, P2) P4 Hart (Schnabel) Aus dem Satz (15) können also vier Bedeutungseinheiten extrahiert werden. Propositionen spielen beim Satzverstehen eine Rolle: In einer oft zitierten Untersuchung wurde nachgewiesen, dass die Lesezeit von Sätzen nicht von der Anzahl der Inhaltswörter abhängt, sondern von der Anzahl der enthaltenen Propositionen (Kintsch & Keenan, 1973). Auch die Anzahl der Argumente in einer Proposition wirkt sich auf die Verarbeitungszeit aus (Raue & Engelkamp, 1977). Die Konstruktion von Propositionen wird auch syntaktisch gesteuert, Wörter an Grenzen von Satzgliedern werden länger fixiert, was auf eine integrative Verarbeitung hinweist (Sichelschmidt, Günther & Rickheit, 1992). 6.4 Inkrementelles Textverstehen Beim Verstehen geht es immer um das Erfassen von Zusammenhängen (Scholz, 2016b). Während die inkrementelle syntaktische Verarbeitung von Sätzen in zahlreichen Experimenten ausführlich untersucht ist, wird das Wissen unsicherer, wenn es um das inkrementelle Verstehen eines ganzen Textes geht, also um satzübergreifende Integration von Propositionen zu konzeptuellen Netzen (Garrod & Sanford, 1995). Der Weg von den konkreten Formulierungen zu einem konzeptuellen Netz im Gedächtnis ist empirisch schwer fassbar. <?page no="130"?> 130 6 Prozesse des Textverstehens Die formulierte Textoberfläche Mit der Textoberfläche sind die Formulierungen gemeint, also die Wortfolge in ihren syntaktischen Beziehungen. Die lexikalische und syntaktische Gestaltung löst das Verstehen aus, aber die genauen Formulierungen werden wir bei einem Satz schnell vergessen. Nur Schauspieler müssen den Text nicht nur verstehen, sondern auch die Textoberfläche auswendig lernen. Eine gewöhnliche Reproduktion nach dem Lesen ist nie eine wörtliche Wiedergabe, sondern immer eine Paraphrase aus teils anderen Wörtern und sicher anderen syntaktischen Konstruktionen. Diese Beobachtungen führten dazu, die Textoberfläche in Verstehenstheorien zu vernachlässigen. Kintsch schreibt z. B. „this level of analysis has been neglected because surface effects play only a negligible psychological role“ (Kintsch & Welsch, 1991, S. 3). Wenn das stimmt, dann wären alle rhetorischen und stilistischen Finessen und auch das Bemühen um verständliche Formulierungen in einem Sachtext umsonst. Kintsch (1994) hat später der Textoberfläche eine größere Rolle beim Verstehen zugestanden, aber vor allem bei literarischen oder lyrischen Texten. Wenn es um Verständlichkeit geht, kann die Textoberfläche, die lexikalische und syntaktische Gestaltung, d. h. Wortwahl und Satzkonstruktion jedoch nicht unberücksichtigt bleiben, denn sie beeinflusst, wie viele mentale Ressourcen gebraucht werden, das werden wir im Kapitel 7 ausführlich behandeln. Viele Ansätze vernachlässigen diese Ebene der Verarbeitung und starten mit einer Textbasis aus Propositionen. Die konstruierte Textbasis Wie ein Satz kann ein Text aus mehreren Sätzen in eine Liste von Propositionen überführt werden (16). (16) Kopernikus entdeckte im Jahre 1514 in Frauenburg, dass die Erde um die Sonne kreist. Damit widerlegte er das herrschende geozentrische Weltbild. Die Kirche war entsetzt. Wie kommt man von der Textoberfläche zu der Propositionsliste? Man geht durch den Text und fischt nacheinander alle Wörter heraus, die eine Relation bezeichnen. Das sind Verben, aber auch Adjektive und Konjunktionen: Sie sind die Prädikate. Objekte und Personen werden zu den Argumenten. <?page no="131"?> 131 6.4 Inkrementelles Textverstehen P1 Entdecken (Kopernikus, P4) P2 Zeit (im Jahre 1514) P3 Ort (Frauenburg) P4 Kreisen um (Erde, Sonne) P5 Ursache (P1, P4) P6 Widerlegen (Kopernikus, Weltbild) P7 Herrschend (P6) P8 Geozentrisch (Weltbild) P9 Entsetzt (Kirche) Diese Liste von Propositionen wird auch als Textbasis bezeichnet. Sie enthält alle expliziten Bedeutungseinheiten des Textes, d. h. Konzepte und Relationen. Man erkennt, dass manche Argumente sich wiederholen (Kopernikus in P1, P6), und dass eine Proposition eine andere einbetten kann (P4 in P1). Diese Wiederholungen und Einbettungen sorgen für Kohärenz in einem Text. Ein Problem bereitet P9. Um den dritten Satz zu verstehen, muss aus dem Vorwissen zumindest eine Proposition hinzugefügt und mit der Textbasis verknüpft werden. → P10 Vertreten (Kirche, P8) → P11 Ursache (P10, P9) Je mehr Propositionen erschlossen werden müssen, desto schwieriger kann ein Text für einen Adressaten werden (Kintsch & Vipond, 1979). Eine Textbasis kann sehr kohärent sein oder sehr wenig kohärent. Im letzten Fall ist erheblicher Verarbeitungsaufwand erforderlich, um über die Wissensbestände (Weltwissen, Erfahrungen, Kodewissen, Situationswissen) eine kohärente Struktur zu konstruieren. Eine Propositionsliste ist äquivalent mit einem konzeptuellen Netz. Während die Propositionsliste eine Sequenz von Einheiten darstellt, ist ein semantisches Netz nichtlinear. Ein Wissensnetz des Textes (16) zeigt Bild 9. <?page no="132"?> 132 6 Prozesse des Textverstehens Bild 9: Die Ellipsen stehen für Relationskonzepte, die Kästen für Gegenstandskonzepte. Die Pfeile verknüpfen sie zu Propositionen. Die Bezeichnungen der Linien wie in Bild 8. Ein Vorteil der konzeptuellen Netze: Sie stellen eine Repräsentation des Wissens in unserem Gedächtnis wie des externalisierten Wissens in Texten dar. Mit einer Liste von Propositionen und einem Netzwerk hat man eine semantische Repräsentation, die sich von der Textoberfläche gelöst hat. Ist die Textbasis psychisch real? In der Forschung zum Verstehen von Texten ist der Startpunkt oft nicht die Textoberfläche, sondern die Textbasis (Kintsch, 1998). Obwohl beim Textverstehen sicher Propositionen gebildet werden, halte ich es für falsch, nicht von der Textoberfläche auszugehen, sondern gleich von einer Propositionsliste, die nicht der Lesende, sondern der Forscher konstruiert. Denn die propositionale Analyse eines Textes bringt einige Probleme mit sich (Grabowski, 1991). 1.- Es gibt bisher keine eindeutigen Regeln (Algorithmen), die einen Text reliabel in eine Liste von Propositionen überführen. Wer sich einmal daran versucht hat, wird feststellen, dass er immer wieder Entscheidungen treffen muss, die bereits ein Verstehen voraussetzen (Ballstaedt et al., 1981, S. 37; Perfetti & Britt, 1995). <?page no="133"?> 133 6.4 Inkrementelles Textverstehen 2.-Der oder die Verstehende hangelt sich sicher nicht von Relationskonzept zu Relationskonzept durch einen Text. Das zeigt z. B. die Prädikatsklammer bei trennbaren Verben (17). (17) Die Sportlerin trat, obwohl sie erhebliche Verletzungen und starke Schmerzen hatte, beim Wettkampf für ihr Land an. Das erste Prädikat ist das Verb „treten“, aber erst am Satzende wird es klar, dass es sich um das zweiteilige Verb „antreten“ handelt. Die gesamte Proposition kann eigentlich erst gebildet werden, wenn das Satzende erreicht ist. Das nächste Prädikat ist die Konjunktion „obwohl“, die zwei Propositionen miteinander verbindet, von denen die erste noch nicht abgeschlossen ist und die zweite erst gebildet wird. 3.-Viele sprachliche Informationen der Textoberfläche werden nicht notiert, z. B. bestimmte und unbestimmte Artikel, Pronomen, Modalverben, Aktiv und Passiv, Indikativ und Konjunktiv, Satzart usw. Auch viele kommunikative Marker wie Abtönpartikel, rhetorische und stilistische Mittel usw. fallen unter den Tisch. Damit wird die sprachliche Kommunikation auf den nackten Inhalt reduziert. 4.- Die Textbasis soll unabhängig von der Formulierung den semantischen Inhalt repräsentieren. Aber je nach Formulierung fällt die Konstruktion der Textbasis anders aus. „Aus einer Textbasis können verschiedene Oberflächentexte abgeleitet werden und der gleiche Oberflächentext kann verschiedenen Textbasen zugeordnet werden“ (Biere, 1989, S. 69). Die Beziehung zwischen Textbasis und Textoberfläche ist mehrdeutig. 5.-Die Kohärenz eines Textes wird allein über die Wiederholung von Argumenten und eingebetteten Propositionen bestimmt, die Prädikate werden nicht berücksichtigt, obwohl die Verben bei narrativen Texten eine entscheidende Rolle spielen. Auch andere kohäsive Mittel wie Bindepräpositionen werden vernachlässigt. Damit dürfte die Kohäsion eines Textes in der Textbasis durchweg unterschätzt werden. 6.- Schließlich spielt die Textbasis sicher nur bei Sätzen oder kurzen Texten eine zentrale Rolle in der Verarbeitung, bei langen und komplexen Texten überwiegen andere, globale Mittel der Kohärenzstiftung. Fazit: Es lässt sich bezweifeln, ob die Textbasis eine psychische Realität darstellt. Die Textbasis ist ein nützliches Konstrukt: Die Übersetzung von Texten in Propositionslisten hat sich in der Forschung bewährt, z. B. wenn der Ausgangstext mit einer inhaltlichen Wiedergabe verglichen werden soll. Für analytische <?page no="134"?> 134 6 Prozesse des Textverstehens und empirische Zwecke, um den konzeptuellen Inhalt eines Textes zu erfassen, ist die Konstruktion einer Textbasis sinnvoll, für praktische Zwecke der Didaktik oder Verständlichkeit ist die Propositionsanalyse nur begrenzt tauglich, denn hier kommt es gerade auf die konkrete Gestaltung der Textoberfläche an. So kommen auch Perfetti und Britt (1995, S. 18) zur Überzeugung: „propositional representations are incomplete for the job of understanding texts“. Wohlgemerkt: Ich zweifle nicht daran, dass im Verlauf des Verstehens ausgehend von der Textoberfläche Konzepte zu Propositionen verbunden und diese fortlaufend miteinander verknüpft werden. Aber ich bezweifle, dass die vom Wissenschaftler konstruierte Textbasis die Grundlage des Verstehens ist. Lokale und globale Kohärenz Eine bloße Aneinanderreihung verschiedener Sätze ergibt keinen sinnvollen Text. Ein Text (lat. textum = Gewebe) ist eine inhaltlich verbundene Folge von Sätzen, die ein Thema behandelt. Beim Verstehen muss ein semantischer Zusammenhang zwischen den aufeinander folgenden Sätzen gestiftet werden. In der Textlinguistik werden Kohäsion und Kohärenz unterschieden, obwohl die Fremdwörter eigentlich dasselbe bedeuten, nämlich Zusammenhang. Kohäsion. Hier sind es sprachliche Mittel, die zwischen Sätzen eine explizite Verbindung herstellen. (18.1) Der Hecht ist ein Standfisch, der sich gern in Ufernähe in Schilfrändern aufhält. Fische aller Art sowie Frösche, Vögel und kleine Säugetiere gehören zu seiner Beute. Mit seinem Schnappreflex kann der Raubfisch selbst einer durchs Wasser gezogenen Bananenschale nicht widerstehen. Die unterstrichenen Wörter bilden eine Brücke von einem Satz zum anderen, als Textbindemittel wirken hier zwei Pronomen und ein Bindeadverb. Zu den Mitteln der Kohäsion gehören Wortwiederholung (Rekurrenz), Wortersetzung (Substitutions), Proformen usw. (Kap. 7.4). Kohärenz. Auch wenn Textbindemittel fehlen, kann eine Satzfolge über das Vorwissen als zusammenhängend verstanden werden: (18.2) Der Hecht ist ein Standfisch. Schilfränder in Ufernähe sind beliebte Aufenthaltsorte. Beute sind Fische aller Art sowie Frösche, Vögel und kleine Säugetiere. Ein Schnappreflex reagiert sogar auf eine durchs Wasser gezogene Bananenschale. <?page no="135"?> 135 6.4 Inkrementelles Textverstehen Hier stehen die vier Sätze sprachlich unverbunden hintereinander, trotzdem wird der Text verstanden, denn Vorwissen (Schemata, Skripts, Frames) über Fische, Teiche usw. sorgt für die notwendigen Schlussfolgerungen, mit denen die Sätze verbunden werden. Die inhaltliche Kohärenz eines Textes ist die wichtigste Variable für das Verstehen. Das belegt eine Reihe von Untersuchungen, bei denen das Verstehen bei Texten mit Kohärenzlücken und Texten ohne Kohärenzlücken verglichen wurde: Mit verschiedenen Indikatoren ergibt sich stets eine bessere Verstehensleistung bei kohärenten Texten (z. B. Britton & Gulgoz, 1991). Dies gilt vor allem bei Adressaten mit geringem Vorwissen: „Leser ohne genügendes Vorwissen brauchen einen völlig kohärenten und expliziten Text, weil sie nicht selber imstande sind, die vom Autor im Text gelassenen Lücken zu schließen. Solche Inferenzen basieren auf Vorwissen und sind unmöglich auszuführen, wenn solches Wissen nicht vorhanden ist. Wenn der Lernende dagegen ein gewisses Vorwissen besitzt, ist es möglich, Kohärenzlücken im Text aufgrund dieses Vorwissens auszufüllen“ (Kintsch, 1996, S. 520). Es zeigte sich aber auch, dass bei vorhandenem Vorwissen ein lückenhafter Text zu besserem Verständnis führt, da die Adressaten die Gedankenbrücken aktiv konstruieren müssen. Thematische Progression. Textverstehen ist wie das Satzverstehen inkrementell. Von einem Satz muss das Verstehen sozusagen zum nächsten Satz überspringen, dies gelingt am reibungslosesten, wenn im neuen Satz ein Anknüpfungspunkt vorhanden ist. Haviland und Clark (1974) sprechen von einem Given-New-Prinzip. 24 Als given wird der bekannte Teil der Äußerung bezeichnet, als new der neue Teil der Äußerung, sozusagen ein Kommentar zur alten Informationen. Wird ein neues Thema eingeführt, dann muss das sprachlich markiert werden (Schnotz, 1994). (19) Das Arzneimittel verbessert die Symptome bei allergischer Rhinitis. Diese kann durch Heuschnupfen oder Hausstaubmilben ausgelöst werden. Die Symptome beinhalten Niesen sowie laufende und juckende Nase. Die Einnahme macht nicht schläfrig. Deshalb ist auch nicht mit Einschränkungen der Verkehrstüchtigkeit zu rechnen. - Achtung: Das Medikament enthält Lactose und darf bei Intoleranz gegen bestimmte Zucker nicht eingenommen werden. 24 Die thematische Progression von Texten wird in anderen Theorien als Thema-Rhema-Gliederung bezeichnet. <?page no="136"?> 136 6 Prozesse des Textverstehens Die unterstrichenen Phrasen stellen jeweils den Given-Anteil dar, der dann mit einem New-Anteil weiter ausgeführt wird. Durch das „Achtung“ wird ein neues Thema eingeführt. Globale Kohärenz. Innerhalb einer Sprachkultur haben sich Textsorten herausgebildet, die sich durch eine bestimmte kommunikative Funktion und durch bestimmte sprachliche Merkmale auszeichnen. Dazu gehört auch eine vorgegebene inhaltliche Organisation. Es sind sozusagen Muster für wiederkehrende kommunikative Aufgaben. Beispiele sind Kochrezept, Polizeibericht, Bedienungsanleitung, Forschungsbericht usw. 25 Abweichungen von vorhandenen Textschemata erschweren das Verstehen (Kap. 7.4). 6.5 Über den Text hinaus: Inferenzen Bisher haben wir uns an der Textoberfläche entlanggehangelt, jetzt kommen wir zu Verarbeitungsprozessen, die über das explizit Geschriebene hinausgehen. Dies geschieht über verschiedene Arten von Inferenzen, die durch den Text ausgelöst werden. Ich vertrete hier eine breite Definition von Inferenz: Eine Inferenz ist eine inhaltliche Folgerung, die durch den Text ausgelöst wird, die aber selbst im Text nicht explizit ausgedrückt ist. 26 „In an first attempt we define the concept of inference in discourse processing as a cognitive process by which the reader or hearer acquires new information starting out from the explicitly conveyed textual information and taking into account the context of the discourse“ (Rickheit, Schnotz & Strohner, 1985, S. 6). Inferenzen können durch den Text, durch das Vorwissen und die Situation ausgelöst werden und können sich unterschiedlich weit vom Text entfernen. Derartige Inferenzen reichern das Gesagte oder Geschriebene mit zusätzlicher Bedeutung an, die der Adressat aus seinem Vorwissen, seinen Erfahrungen und der Situation erschließt. Inferenzen werden in zwei Stufen konstruiert (Kendeou, 2015): Aktivation. Durch Wörter im Text ausgelöst, sogenannte Trigger, wird Wissen aus dem Langzeitgedächtnis aktiviert. Das Wissen kann aus dem semanti- 25 Linguisten sprechen auch von Textgrammatiken, aber die Konstruktionsregeln sind bei weitem nicht so verbindlich wie grammatische Regeln. Van Dijk (1980) spricht von Superstrukturen. 26 Das lateinische Verb „inferre“ bedeutet zunächst „hineintragen“, „hinzufügen“, erst erweitert dann „folgern“. Wir haben hier das Problem, dass Inferenz sowohl den Prozess der Folgerung als auch das Ergebnis der Folgerung bezeichnet (Singer, 1994). <?page no="137"?> 137 6.5 Über den Text hinaus: Inferenzen schen oder episodischen Gedächtnis kommen (Schemata, Skripts, Frames) und auch bereits gelesene Textteile betreffen, die reaktiviert werden (Reinstatement). Integration. Verknüpfen der Konzepte und Propositionen aus dem Text mit dem aktivierten Wissen. Die Aktivation von Wissen garantiert nicht die Integration, dazu sind oft zusätzliche Bemühungen des Lesenden notwendig. Bei einer späteren Reproduktion ist oft nicht mehr entscheidbar, welche Inhalte im Text vorkamen und welche man beim Lesen inferiert hat (intrusion in recall). Inferenzen sind für das Textverstehen ausschlaggebend, selbst das Verstehen eines schlichten Sätzchens ist ohne Inferenzen nicht denkbar, denn nie enthält eine Äußerung alle Informationen, die zum Verständnis notwendig sind. Es gibt zahlreiche Versuche in der Logik, Sprachphilosophie, Linguistik und Kognitionspsychologie, Typen von Inferenzen abzugrenzen und zu kategorisieren, aber es herrscht immer noch großes Durcheinander, eine überzeugende Taxonomie möglicher Inferenzen beim Verstehen existiert noch nicht (Kindt, 1997, 2001). Die folgenden Typen von Inferenzen sind deshalb nicht immer trennscharf, sondern überschneiden sich teilweise. Logische Inferenzen Bei diesen Inferenzen geht es um korrekte oder „wahre“ Folgerungen aufgrund von Aussagen im Text. Deduktive Schlüsse. Hier geht es um Inferenzen, bei denen aus gegebenen wahren Aussagen weitere wahre Aussagen abgeleitet werden. (20.1) In Diktaturen wird stets die Pressefreiheit eingeschränkt. Die DDR war eine Diktatur, deshalb war die Pressefreiheit eingeschränkt. (20.2) Wenn a, dann b C ist a b Die Schlussregeln für folgerichtiges Denken sind formal gültig (20.2), der Schluss steckt bereits in den Prämissen, deshalb erweitert er das Wissen eigentlich nicht. Viele logische Inferenzen sind intuitiv einsehbar, sie werden beim Verstehen sozusagen automatisch mitgedacht, z. B. beim Modus Ponens (Lea, 1995, 1998). (21.1) Alle Katzen sind Säugetiere. Der Tiger ist eine Katze. Also ist der Tiger ein Säugetier. <?page no="138"?> 138 6 Prozesse des Textverstehens Dies gilt aber nicht für alle logischen Schlüsse. Komplexere Inferenzen werden nicht automatisch, sondern nur mit Nachdenken verstanden, z. B. der Syllogismus Modus Camestres (21.2). (21.2) Alle Fische atmen durch Kiemen. Kein Säugetier atmet durch Kiemen. Also … 27 Im Kap. 8.7 werden wir auf derartige logische Schlüsse noch einmal zurückkommen. Semantische Implikation (Entailment). Eine Implikation ist eine Folgerung aus einem Satz, die auf Wortbedeutungen beruht. So folgt aus (22.1) der Satz (22.2) oder anders formuliert (22.1) impliziert (22.2) und umgekehrt. Das gilt auch für die Negation beider Sätze. (22.1) Die Flasche steht auf dem Tisch. (22.2) Der Tisch ist unter der Flasche. Wenn die Flasche auf dem Tisch steht, kann man schließen, dass sich der Tisch unter der Flasche befindet. Derartige Implikationen werden beim Verstehen erst bewusst, wenn sie explizit verletzt werden. Präsuppositionen. Das ist ursprünglich keine psychologische Kategorie, sondern Präsuppositionen werden in der Logik und der Sprachphilosophie behandelt. Eine Präsupposition (lat. = Unterstellung) ist eine implizite Voraussetzung, die als bekannt und wahr vom Absender vorausgesetzt wird. Die Präsupposition wird durch lexikalische und syntaktische Trigger angeregt. In der Forschung werden mehrere Typologien von Präsuppositionen angeboten (Meibauer, 2001; Linke, Nussbaumer & Portmann, 2004). Daher sind hier lediglich einige häufig vorkommende Folgerungen angeführt. Der trivialste Fall einer impliziten Voraussetzung ist die Existenzpräsupposition. (23) Der derzeitige König von Frankreich hat eine Glatze. Die Aussage hat die Voraussetzung, dass es derzeit einen König von Frankreich gibt. Diese Folgerung steckt in dem bestimmten Artikel und dem Adjektiv „derzeitig“, sie sind die Präsuppositionsauslöser. Etliche sprachliche Mittel lösen Präsuppositionen aus, eine Liste findet man bei Grewendorf, Hamm & Sternefeld (1987, S. 432). 27 … ist kein Säugetier ein Fisch. <?page no="139"?> 139 6.5 Über den Text hinaus: Inferenzen Eine anderer Typ ist die lexikalische Präsupposition, bei der der Trigger in der Bedeutung eines Worts steckt: (24.1) Sven hat mit dem Rauchen aufgehört. (24.2) Sven hat nicht mit dem Rauchen aufgehört. (24.3) Sven hat geraucht. Wer (24.1) oder (24.2) äußert, der unterstellt mit dem Verb „aufhören“ die Äußerung (24.3). Eine Präsupposition einer Äußerung bleibt also auch bei ihrer Negation bestehen. Andere Trigger sind Partikelwörter wie „auch“, „nur“, „sogar“, die eine unterstellende Folgerung auslösen. (25) Eric Kandel ist Neurowissenschaftler, weiß aber viel über Kunst. Das „aber“ lässt die implizite Folgerung zu, dass Neurowissenschaftler eigentlich wenig von Kunst verstehen, Eric Kandel also eine Ausnahme darstellt. Wird in einem Satz eine Präsupposition ausgelöst, die im Folgesatz nicht bestätigt wird, so wird der Folgesatz langsamer verarbeitet als bei Bestätigung der Präsupposition (Schwarz, 2007; Kirsten, 2015). (26) Antje war gestern im Zoo und besuchte einen Eisbären. Sie beobachtete, dass ein Eisbär sehr aggressiv war. Der unbestimmte Artikel im ersten Satz triggert die Annahme, dass es sich um einen einzelnen Bären handelt. Diese Annahme wird im zweiten Satz durch „ein Eisbär“ nicht bestätigt. Der Verstehensprozess stockt an dieser Stelle. Zum Verständnis der Präsupposition ist eine oft erzählte Geschichte nützlich. In einem Prozess fragt der Staatsanwalt den Angeklagten: „Bereuen Sie, Ihre Geliebte geschlagen zu haben? “ Egal ob der Angeklagte antwortet: „Ja, ich bereue es.“ oder „Nein, ich bereue es nicht! “ folgt aus beiden Äußerungen, dass er seine Geliebte geschlagen hat. Präsuppositionen sind wissensbasiert, beim Verstehen bleiben sie implizit, auch sie werden sozusagen stillschweigend mitgedacht. Eine klare Abgrenzung zu anderen Inferenzen ist nicht immer möglich: „Einerseits gab es Versuche, die Präsuppositionen auf die semantische Implikation (Entailment) zu reduzieren, andererseits hat man versucht, sie als konventionelle oder konversationelle Implikaturen zu analysieren. Die Debatte ist noch nicht entschieden, und sie ist inzwischen recht verwickelt“ (Meibauer, 2001, S. 44). Dem ist nichts hinzuzufügen. <?page no="140"?> 140 6 Prozesse des Textverstehens Überbrückende Inferenzen Diese Inferenzen verbinden Sätze miteinander und schaffen lokale Kohärenz zwischen ihnen. Sie sind vom Absender intendiert, d. h. er geht davon aus, dass ein Adressat diese Inferenzen zum Verstehen beitragen kann. Verstehensprobleme, die mit derartigen Inferenzen auftreten können, werden im Kapitel 7.3. behandelt. Schemaergänzung. Wörter und Propositionen aktivieren konzeptuelle Netze und mit ihnen Schemata, Skripts und Frames. Diese sorgen für das Ergänzen notwendiger, aber im Text ausgelassener Argumente (Default-Werte), für Spezifizierungen und Verknüpfungen (Schwarz-Friesel & Consten, 2014). (27.1) Noah schlug den ersten Nagel ein. Bei diesem Satz folgern wir, dass Noah einen Hammer benutzt hat, denn Nägel werden nach unserem Vorwissen mit diesem Werkzeug traktiert. Kintsch (1993) hat darauf hingewiesen, dass es sich hier eigentlich nur um Abrufprozesse aus dem Langzeitgedächtnis und keine Inferenzen handelt. Man kann die Ergänzung aber durchaus als Folgerung aus zwei Prämissen rekonstruieren. (27.2) Noah schlug den ersten Nagel ein. (Satz) Nägel werden mit einem Hammer eingeschlagen. (Vorwissen) Noah benutzt einen Hammer. (Inferenz) Im Prinzip kann jedes Wort als Trigger für eine Inferenz dienen, selbst Partikelwörter. Im Guide Michelin lesen wir den Satz: (28.1) Selbst die Preise sind in diesem Restaurant nicht akzeptabel. Die nicht akzeptablen Preise lassen auf einen unerfreulichen Testbesuch schließen. Das Adverb „selbst“ kann mit Vorwissen verschiedene Inferenzen auslösen. (28.2) (Auch) das Essen ist schlecht. (28.3) (Auch) die Bedienung ist unfreundlich. Anaphorische Inferenzen. Ein Beispiel ist die Verwendung von Proformen, z. B. Pronomen, deren Referent im Text erschlossen werden muss. (29) Darwin wurde scharf angegriffen, weil er den Menschen als genetischen Nachkommen des Affen ansah. <?page no="141"?> 141 6.5 Über den Text hinaus: Inferenzen Das Pronomen „er“ ist referentiell eigentlich unbestimmt, bekommt aber durch den Rückgriff auf den Kontext eine Bedeutung (backward inference). Ein anderes Beispiel sind Substitutionen. (30) Der König hatte nur einen Sohn. Aber der Prinz interessierte sich nicht für Staatsgeschäfte. Dass der Prinz sich auf den zuvor genannten Sohn bezieht, setzt das Wissen voraus, dass der Sohn eines Königs ein Prinz ist. Kataphorische Inferenzen. Auch sie verknüpfen Satzteile miteinander und sorgen für Kohärenz. (31) Bevor sie das Kabinett unterrichtete, fällte die Kanzlerin eine einsame Entscheidung. Hier öffnet das Pronomen „sie“ eine Leerstelle, deren Bedeutung erst im nächsten Satz verstanden wird (forward inference oder prädiktive Inferenzen). Kausale Inferenzen. Aus dem Weltwissen werden sprachlich unverbundene Sätze kausal miteinander verknüpft. (32) Auf dem Lande herrscht große Armut. In den Städten herrscht Korruption. Die zwei Sätze (32) sind sprachlich nicht miteinander verknüpft, aber jeder vermutet, dass die Korruption die Ursache der Armut ist. Kausale Inferenzen zu Konsequenzen sind für den Rezipienten aufwendiger zu verarbeiten und damit zeitraubender als kausale Inferenzen zu Ursachen (Graesser & Bertus, 1998). Inferenzen auf Akteursintentionen. Das sind Folgerungen auf die Absichten von handelnden Personen in einem narrativen Text. (33) Fabian Hambüchen begann mit dem Training. In zwei Monaten stehen Wettkämpfe an. Den Satz wird jeder so verstehen, dass der Kunstturner Hambüchen mit dem Training am Reck begann, um an den Wettkämpfen teilzunehmen (und möglichst auch zu gewinnen). Es gibt noch zahlreiche andere Typen von Brückeninferenzen. Sie sind für das inhaltliche Verstehen obligatorisch, denn sie füllen semantische Lücken, die vom Absender vorgesehen sind, er mutet sie dem Adressaten aufgrund dessen Vorwissen bzw. des Common Ground zu. <?page no="142"?> 142 6 Prozesse des Textverstehens Brückeninferenzen laufen meist automatisch ab, aber es lässt sich nachweisen, dass sie eine geringe zusätzliche Verarbeitung benötigen. Ein Beispiel aus Haviland und Clark (1974). (34.1) We got some beer out of the trunk. The beer was warm. (34.2) We got some picnic supplies out of the trunk. The beer was warm. Mit dem vorangehenden Satz in (34.1) wird der zweite Satz schneller verstanden als mit dem vorangehenden Satz in (34.2). Während in (34.1) das Bier im Vorsatz eingeführt und im Folgesatz wieder aufgenommen wird, muss bei (34.2) erst ein Picknick-Schema im Langzeitgedächtnis aktiviert werden, in dem Bier natürlich eine wichtige Rolle spielt. Inferenzen können sehr große inhaltliche Lücken überbrücken, indem sie auf das Vorwissen zurückgreifen. (35) Hans wünscht sich ein neues Fahrrad. Er arbeitet als Kellner. Beim Verstehen wird eine kausale Verbindung der beiden Sätze erschlossen: Hans arbeitet als Kellner, um sich das Geld für ein neues Fahrrad zu verdienen. Diese kausale Inferenz ist im Satz nicht explizit ausgedrückt (und kann auch falsch sein, vielleicht arbeitet ja Hans als Kellner, um der Wirtin nahe zu kommen). Kann eine große Lücke nicht geschlossen werden, bricht das Verständnis zusammen. Das leitet zu den elaborativen Inferenzen über. Elaborative Inferenzen Auch sie werden über Wörter und Sätze getriggert und gehen auf Wissen des Adressaten zurück. Aber sie sind keine Lückenfüller, sondern kreative Weiterführungen des Gelesenen. Beim Lesen des Satzes (36) kann der Name Noah über biblisches Vorwissen weitere Inferenzen auslösen: (36) Noah schlug an diesem Tag viele Nägel ein. → Noah baut eine Arche. → Noah erwartet die Sintflut. Elaborative Inferenzen sind für die Kohärenz des Textes und das inhaltliche Verstehen nicht unbedingt erforderlich. Sie sind für tieferes Verstehen zuständig, für über den Text hinausgehende Interpretationen, die nicht vorhersagbar sind. Walter Kintsch (1998, S. 189) nennt sie deshalb auch „transitive inferences“, Walther Kindt (2001, S. 120) „interpretationserweiternde Inferenzen“. Mit den <?page no="143"?> 143 6.5 Über den Text hinaus: Inferenzen Elaborationen geht das Lesen in durch den Text angeleitetes Denken über, sie bilden den kreativen Aspekt des Lesens (Ballstaedt, 1997). Mandl & Ballstaedt (1982) legten Vpn einen Text über Phytotherapie (Pflanzenheilkunde) vor. Sie sollten nach jedem Satz ihre Einfälle und Assoziationen dazu äußern (Methode des lauten Denkens). Der erste Satz lautete: (37) Viele Pflanzen enthalten pharmakologisch wirksame Stoffe. Verschiedene Vpn produzierten zu diesem Satz ganz unterschiedliche elaborative Inferenzen: (37.1) Meine Großmutter kannte für jedes Leiden einen Kräutertee. (37.2) In der Pharmakologie werden grausame Tierversuche durchgeführt. (37.3) Kamille und Salbei sind wirkungsvolle Heilpflanzen. Die Inferenzen verweisen auf unterschiedliche Wissensbestände. Beim Einfall (37.1) wurde Wissen aus dem episodischen Gedächtnis aktiviert, bei (37.2) und (37.3) aus dem semantischen Gedächtnis. Bei (37.3) werden aus der Begriffshierarchie zu Heilpflanzen zwei Unterbegriffe Kamille und Salbei abgerufen. Auch durch anschauliche Wörter als Trigger ausgelöste visuelle Vorstellungen kann man als Elaborationen behandeln, da sie den Text um sensorische Informationen bereichern. So sind bildliche Vorstellungen bei dem Verstehen von Sätzen durch fMRI-Studien (funktionelle Magnetresonanztomographie) belegt (Just et al., 2004). Elaborationen verknüpfen vorhandenes Wissen (Schemata, Skripts) mit neuer Information oder die neue Information wird in vorhandene Wissensbestände integriert. Dass Elaborationen die Textinformationen mit Vorwissen vernetzen, zeigt sich in ihrer Wirkung auf das Behalten. In der bereits angesprochenen Untersuchung von Mandl & Ballstaedt (1982) zeigte sich, dass die Anzahl provozierter Elaborationen breit streute: Es gab Personen mit sehr vielen und sehr wenigen Einfällen. Nach zwei Wochen mussten die Probanden unerwartet die Informationen niederschreiben, die ihnen vom Text noch im Gedächtnis geblieben waren. Es zeigte sich ein deutlicher Zusammenhang zwischen dem Ausmaß an Elaborationen und der Behaltensleistung: Je mehr Einfälle, desto besser das Behalten, allerdings nur bis zu einem kritischen Punkt: Ein extrem hohes Maß an Einfällen stört das Behalten der Textinhalte. <?page no="144"?> 144 6 Prozesse des Textverstehens Elaborative Inferenzen erweitern oder vertiefen das Verstehen: Je nach Anzahl und Weite spricht man von Verarbeitungsbreite oder Verarbeitungstiefe (Anderson & Reder, 1979). Das Nachdenken bzw. das Interpretieren benötigt erhebliche kognitive Ressourcen. Elaborationen können ideosynkratisch sein, da sie von individuellen Wissensbeständen und Erfahrungen abhängen. Was für einen Experten eine ergänzende Inferenz ist, kann für einen Laien eine elaborative Folgerung sein. Wo die Grenze zwischen überbrückenden und anreichernden, obligatorischen und optionalen Inferenzen liegt, ist umstritten (Strohner, 1995). Reduktive Inferenzen Während die elaborativen Inferenzen einen Text inhaltlich erweitern, reduzieren ihn die reduktiven Inferenzen auf das Wesentliche. Makrostrukturen. Wer einen Vortrag gehört oder ein Fachbuch gelesen hat und nach dem Inhalt gefragt wird, der gibt eine verkürzte Fassung wieder, die nur die wichtigen Inhalte enthält. Während und nach dem Hören oder Lesen werden die Informationen zu einer Makrostruktur verdichtet (van Dijk, 1980; Kintsch, 1993). Die Konstruktion einer Makrostruktur ist ein automatischer und integraler Bestandteil des Verstehens. Die Reduktion großer Informationskomplexe gehört sozusagen zur Hygiene des Geistes, die Verarbeitungsprozesse sind im kognitionspsychologischen Labor gut untersucht, vor allem die Computerlinguisten haben ein Interesse daran, denn sie suchen nach Algorithmen für ein automatisiertes Zusammenfassen (Endres-Niggemeyer, 2014). Wie wird eine Makrostruktur konstruiert? Das bewerkstelligt das Gehirn mit einer Reihe von speziellen Inferenzen, auch Makrooperatoren genannt: Selegieren, Tilgen, Generalisieren, Konstruieren, Bündeln. Beim Selegieren werden Aussagen direkt in die Makrostruktur übernommen. Ein Autor/ eine Autorin kann viel dazu beitragen, dass derartige Aussagen (topic sentences) erkannt werden: treffende Überschriften, Merksätze, Wiederholungen, die zusätzlich typografisch ausgezeichnet werden. Zusätzlich pickt sich ein Lesender auch die Aussagen heraus, die für seine Intentionen interessant und relevant sind. Das Tilgen ist die Kehrseite des Selegierens: Irrelevante Aussagen werden gestrichen, das sind Aussagen, die zum Verstehen anderer Aussagen im Text nicht notwendig sind. (38.1) Am 17. Dezember 1938 entdeckte Otto Hahn im Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie in Berlin die Kernspaltung. <?page no="145"?> 145 6.5 Über den Text hinaus: Inferenzen (38.2) 1938 entdeckte Otto Hahn die Kernspaltung. Beim Generalisieren wird eine Sequenz von Aussagen durch eine begrifflich übergeordnete, abstraktere Aussage ersetzt: (39.1) Die Welt ist durch Telefon, Fernsehen und Internet zu einem globalen Dorf geworden. (39.2) Die Welt ist durch Medien zu einem globalen Dorf geworden. Beim Konstruieren wird eine Sequenz von Aussagen durch eine übergeordnete Aussage ersetzt, die nicht im Text vorkommt. Diese Substitution ist nur über Vorwissen des Lesenden möglich. (40.1) Alexander von Humboldt betrieb wissenschaftliche Studien in den Bereichen Physik, Chemie, Geologie, Mineralogie, Vulkanologie, Botanik, Vegetationsgeografie, Zoologie, Klimatologie, Ozeanografie und Astronomie, aber auch zu Fragen der Wirtschaftsgeografie, der Ethnologie und der Demografie. (40.2) Alexander von Humboldt war ein umtriebiger und umfassend gebildeter Wissenschaftler. Bei der Bündelung werden Inhalte, die an verschiedenen Stellen im Text verstreut sind, zu einer Aussage zusammengezogen (Schnotz, Ballstaedt & Mandl, 1981). (41) Wie wir schon an mehreren Stellen bemerken konnten, zeigt die Autorin eine Vorliebe für psychoanalytische Argumentationen. Die Makrooperatoren sind rekursiv anwendbar, d. h. auf eine konstruierte Makrostruktur können sie wiederum zugreifen, so dass es unterschiedliche Ebenen der Verdichtung geben kann: Gesamttext - lange Zusammenfassung - kurze Zusammenfassung (Abstrakt) - Titel. In einer Untersuchung konnte nachgewiesen werden, dass ein großer Anteil der Lesezeit auf die Konstruktion von Makrostrukturen verwendet wird (Graesser, Hoffmann & Clark, 1980). Die Konstruktion einer verdichteten kohärenten Makrostruktur eines Textes ist ein wichtiges Kriterium für das Verständnis, deshalb wird Zusammenfassen gern als Indikator für das Verstehen verwendet. Diese reduktiven Inferenzen laufen beim Verstehen teils automatisch ab, teils können sie von den Lesenden bewusst eingesetzt werden. Sprachliche Mittel wie Wiederholungen, Hervorhebungen, Merksätze, Zusammenfassungen usw. fördern das reduktive Verste- <?page no="146"?> 146 6 Prozesse des Textverstehens hen. Etliche Lerntechniken regen die Bildung von Makrostrukturen an: Notizen machen, Zusammenfassung schreiben, Paraphrasieren. Vor allem das aus der Mode gekommene Exzerpieren ist überaus nützlich (Ballstaedt, 2006). Die Makrostrukturen dienen der Rekonstruktion untergeordneter Aussagen, indem die Makrooperatoren invers eingesetzt werden: statt Selegieren Erweitern, statt Generalisieren Konkretisieren etc. Pragmatische Inferenzen Diese Inferenzen haben außersprachliche Voraussetzungen und werden vom Adressaten auf der Basis von Annahmen über die kommunikative Situation erschlossen. Im Gegensatz zu anderen Inferenzen sind sie situationsabhängig, das bedeutet, es gibt nicht unbedingt klare sprachliche Trigger für eine pragmatische Inferenz! Implikaturen. Wie Implikaturen ausgelöst werden, habe ich bereits im Kapitel 3.3 zur mündlichen Kommunikation behandelt. Ein offensichtlicher Verstoß gegen eine Maxime von Paul Grice zwingt den Adressaten zu einer Interpretation. (42) Wieder wurden Waffen in ein Krisengebiet exportiert. Geschäft ist Geschäft! Der zweite Satz verstößt gegen die Maxime der Quantität, er ist tautologisch und sagt dem Adressaten eigentlich nichts Neues. Wenn dieser aber davon ausgeht, dass der Absender ein rationaler Gesprächspartner ist, setzt eine Interpretation ein: Wenn es um wirtschaftliche Geschäfte und Geld geht, dann werden gesetzliche Vorgaben und moralische Bedenken umgangen. Die Rekonstruktion pragmatischer Inferenzprozesse ist überaus komplex, sie sind aber oft entscheidend für die Verständigung, dafür, ob sich die Kommunikanten verstehen oder nicht. Perfekt funktioniert das in eingespielter Kommunikation, z. B. bei einem gestandenen Ehepaar A und B: (43) Situation: A und B halten sich in verschiedenen Zimmern auf. A: „Immer die Sucherei! “ B: „Auf dem Telefontisch.“ Ein derartiger Wortwechsel mit unvollständigen Sätzen, sogenannten Ellipsen ist für diese Kommunikanten verständlich, weil B weiß, dass A immer die Brille verlegt. <?page no="147"?> 147 6.5 Über den Text hinaus: Inferenzen Der sprachliche Aufwand ist minimal, die Relevanz für A maximal. Ellipsen sind nur in einer bekannten Situation mit geteiltem Wissen zu verstehen (Sperber & Wilson, 1995; Hennig, 2011). Inferenzen auf Absender-Intentionen. Hier geht es um das Erschließen der Absichten des Absenders: Was will er mit einer Äußerung für eine Handlung vollziehen? Die sprachliche Handlung muss oft aus der kommunikativen Situation erschlossen werden. In einem Zeitungskommentar steht der Satz (44): (44) […] Der Iran verfügt bald über Atomwaffen. […] Welche sprachliche Handlung vollzieht der Kommentator: Ist das eine Feststellung, eine Vermutung, eine Prognose? Oder eine Warnung oder Drohung? Oder eine Anerkennung des technischen Know-hows? Der Kontext, hier durch eckige Klammern markiert, könnte diese pragmatische Mehrdeutigkeit auflösen, aber oft lässt ein Absender den Adressaten im Unklaren. Die pragmatische Verständlichkeit wird in Kap. 8 behandelt. Expressive Inferenzen. Folgerungen auf die Gefühlslage des Absenders aus seinen Äußerungen sind für die mündliche Kommunikation überaus wichtig (Hielscher, 2003). Für die distanzierte schriftliche Kommunikation in Sachtexten sind Zuschreibungen von Gefühlen schwieriger, aber auch weniger relevant, deshalb werden sie hier nur der Vollständigkeit wegen aufgeführt (ausführlich Gygax & Gillioz, 2015). Wann laufen Inferenzen ab? Bei jeder mündlichen oder schriftlichen Äußerung erschließt der Adressat aus dem explizit Gesagten implizit Gemeintes und interpretiert auch über das Gemeinte hinaus. Der Adressat liest immer auch zwischen den Zeilen. Wir haben uns auf das inhaltliche Verstehen konzentriert, aber Inferenzen betreffen auch das intentionale und expressive Verstehen. Strittig ist noch, wann die vielen Inferenzen ablaufen. Eine minimalistische Position behauptet, dass während des Lesens nur die zum Verstehen des Textes notwendigen überbrückenden Inferenzen ausgeführt werden (McKoon & Ratcliff, 1992). Elaborative Inferenzen laufen nur bei speziellen Interessen und Intentionen nach Abschluss der Lektüre ab. Die maximalistische Position geht davon aus, dass es nahezu unbegrenzte Folgerungen auf der Grundlage einer Mitteilung während und nach dem Lesen geben kann (Graesser, 1981). Bei motivierten Adressaten können zahlreiche <?page no="148"?> 148 6 Prozesse des Textverstehens Inferenzen ablaufen, während des Lesens und beim Nachdenken über das Gelesene. Gleichgültig wann eine Folgerung gezogen wird: „virtually every aspect of language comprehension is inferential“ (Singer, 2007, S. 343). Die Inferenzen sind aber nicht nur für das Verstehen zentral, sondern auch für das Missverstehen. Viele Missverständnisse beruhen darauf, dass ein Adressat eine Inferenz konstruiert, an die der Absender gar nicht gedacht hat. Wenn Inferenzen nicht gezogen werden, dann liegt das oft an der fehlenden Aktivation des notwendigen Hintergrundwissens. Man spricht in diesem Fall von trägem Wissen. In einer Untersuchung wurden zwölfjährige Schüler und Schülerinnen ausgiebig trainiert, bei der Lektüre von Texten Vorwissen zu aktivieren und Inferenzen zu ziehen. Im Vergleich mit einer untrainierten Kontrollgruppe zeigten sie ein signifikant besseres Verständnis bei expositorischen Texten (Elbro & Buch-Inversen, 2013). Halten wir kurz inne: Beim Textverstehen sind semantische, syntaktische und pragmatische Aspekte nicht zu trennen. Jedes Wort wird im Kontext eines Satzes, jeder Satz im Kontext eines Textes, der Text im Kontext einer kommunikativen Situation verstanden. Das hat uns bereits die Hermeneutik gelehrt (Kap. 4.3). Verstehen verläuft inkrementell, von Konzept zu Konzept, von Proposition zu Proposition bis zum Aufbau eines konzeptuellen Netzes. Jedes aktivierte Konzept wird durch die folgenden Konzepte angereichert und verändert. Ausgelöst wird das Verstehen durch die Textoberfläche, aber kann über ein Feuerwerk von Inferenzen aufgrund von Vorwissen weit darüber hinausgehen. Später ist nicht mehr entscheidbar, ob ein Inhalt im Text stand oder erschlossen wurde (intrusion in recall). Das endgültige Verständnis eines Textes ist nicht vorhersagbar. Das Verstehen erleben Jeder kann Prozesse des Verstehens phänomenologisch an sich selbst erfahren und auch psycholinguistisch studieren, nämlich beim Verstehen von Aphorismen, Wortspielen und Witzen (Ballstaedt, 1989). Deshalb hat sie auch Karl Bühler als Versuchsmaterial eingesetzt (Kap. 5.1). Aphorismen sind eine prägnante Form, um einen Gedanken, eine Lebensweisheit auszudrücken. Die zentrale Botschaft ist meist an der Textoberfläche nicht formuliert, sondern muss durch Inferenzen erst erschlossen werden (Lubimova, 2001). Für die Adressaten ist diese Prosa eine Herausforderung des Verstehens: „Ein Aphorismus, rechtschaffen geprägt und ausgegossen, ist damit, dass er abgelesen ist, noch nicht <?page no="149"?> 149 6.6 Verständnis: multiple Repräsentation entziffert; vielmehr hat nun dessen Auslegung zu beginnen, zu der es einer Kunst der Auslegung bedarf “ (Nietzsche, 1984, S. 770). (45) Wer die Laterne trägt, stolpert leichter als wer ihr folgt. (46) Wenn ein Arzt hinter dem Sarg eines Patienten geht, folgt manchmal tatsächlich die Ursache der Wirkung. Der Satz (45) von Jean Paul setzt zum Verstehen eine Vorstellung der Situation und zahlreiche Inferenzen voraus: Einer geht ins Dunkel voran und im Laternenlicht tauchen Hindernisse erst im letzten Moment auf, während der Nachfolger nur dem Lichtschein nachlaufen muss. Nun muss diese Situation als Metapher verstanden werden: Die Lichtträger sind die Vordenker auf unsicherem Terrain, die Nachfolger ihre Anhänger. Der Satz (46) von Voltaire ist erfordert ebenfalls etliche Inferenzen zu seinem Verständnis. Das Verstehen von Witzen gelingt ebenfalls nur durch Aktivierung von Vorwissen und über Inferenzen. Das Verständnis eines Witzes ist eine durchaus anspruchsvolle Aufgabe. Deshalb ist es auch peinlich, wenn man einen Witz nicht versteht, man lacht dann lieber mit, statt das Nichtverstehen zuzugeben. Zusatzmaterial 7: Text zum Witzverstehen 6.6 Verständnis: multiple Repräsentation Es bleibt jetzt noch die Frage, was von einem Text im Gedächtnis übrigbleibt. Inhalte aus Texten werden später abgerufen und in Anschlusshandlungen genutzt, also sind Spuren der Lektüre in irgendeiner Form im Gedächtnis repräsentiert. Aber sicher nicht alles, denn mit verschiedenen Intentionen liest jede Person selektiv. Die meisten Theorien nehmen an, dass beim gelungenen Textverstehen ein mentales Modell als integrative Repräsentation eines Textes aufgebaut wird (van Dijk & Kintsch, 1983; Moser, 2003; Engelkamp & Zimmer, 2006). Wir wollen deshalb dieses Konstrukt genauer unter die Lupe nehmen. Mentale Modelle: der mentale Alleskleber Nehmen wir an, eine Person liest einen Text über Aufbau und Funktion eines Wankelmotors. Sie wird sich die Komponenten des Motors vorstellen und schließlich im Kopf den Zyklus vom Einlass des Kraftstoff-Luft-Gemischs über die Kompression, <?page no="150"?> 150 6 Prozesse des Textverstehens die Zündung bis zum Auslass geistig simulieren können. Diese Fähigkeit ist allerdings nicht bei allen Personen gleich ausgeprägt, bei Ingenieuren findet man sie aber häufig (Ferguson, 1993). Mit dem Konzept der mentalen Modelle wird die Tatsache berücksichtigt, dass beim Verstehen nicht nur Propositionen verknüpft werden, sondern auch modalitätsspezifische Vorstellungen (Imagery) sowie räumliche und zeitliche Vorstellungen im Bewusstsein auftauchen können, die über die expliziten Aussagen im Text hinausgehen. „Mental models represent what the text is about: Not the text itself “ (Glenberg, Meyer & Lindem, 1987, S. 70). In der Linguistik wird auch von „Textweltmodell“ gesprochen (Schwarz-Friesel & Consten, 2014). Der Begriff des mentalen Modells ist allerdings unscharf und umstritten: 1.- Dass mentale Modelle in den Verstehenstheorien eine so große Rolle spielen, ist vermutlich der Tatsache geschuldet, dass viele Untersuchungen an narrativen Texten bzw. kurzen Geschichtchen durchgeführt wurden, bei denen räumliche, zeitliche und modalitätsspezifische Vorstellungen ausgelöst werden (Rinck, 2000). Auch die von van Dijk und Kintsch (1983) gewählte Bezeichnung „situation model“ verweist darauf, dass eine Vorstellung der beschriebenen Situation im Text konstruiert wird. So stellt sich eine Lesende bei einem Roman die Landschaft, das Haus oder das Zimmer vor, in denen die Akteure handeln. Auffällig oft befassen sich Untersuchungen zu mentalen Modellen mit räumlichen und konkreten Beschreibungen. Als Beleg für mentale Modelle wird z. B. die Auflösung einer räumlichen Inkonsistenz gewertet. (47) Petra stand vor dem Fitnesscenter und fühlte sich etwas müde. Sie hatte zwei Stunden intensiv trainiert, die Muskeln begannen ihr wehzutun. Petra entschloss sich, nach draußen zu gehen und sich etwas zu bewegen. Die Inkonsistenz führt zu einer längeren Lesezeit des letzten Satz, es findet also eine zusätzliche Verarbeitung statt. Das könnte durch das Ablesen an einem mentalen Modell erklärt werden (man sieht vor dem inneren Auge Petra vor dem Center stehen), aber auch schlicht durch den konzeptuellen Widerspruch zwischen „vor“ und „nach draußen“. Es stellt grundsätzlich ein Problem dar, von einer kognitiven Leistung, hier die Lesezeit, auf die dahinterliegende mentale Repräsentation zu schließen. 2.- Sind mentale Modelle tatsächlich eine eigene Repräsentationsform oder nur eine theoretische Zusammenfassung multipler Repräsentationen? Selbst <?page no="151"?> 151 6.6 Verständnis: multiple Repräsentation ein glühender Verteidiger mentaler Modelle gibt zu: „Einen absolut zwingenden Beweis für die Existenz mentaler Modelle gibt es bislang nicht“ (Schnotz, 2006, S. 227). Wenn beim Verstehen von Texten in zahlreichen neuronalen Arealen Aktivität zu beobachten ist, spricht das zwar für eine multiple Verarbeitung, aber nicht unbedingt für ein ganzheitliches analoges Modell in unserem Gehirn. Bei expositorischen Texten reicht ein konzeptuelles Netz völlig aus, selbst mit den Konzepten und Propositionen assoziierte visuelle Vorstellungen sind ohne die Annahme mentaler Modelle erklärbar. Etliche Befunde, die mentale Modelle belegen sollen, lassen sich auch durch Assoziationen und Inferenzen in konzeptuellen Netzen erklären. Ich vermute, dass so etwas wie ein mentales Modell nur bei bestimmten Textsorten und Inhalten gebildet wird, z. B. wenn es um räumliche oder zeitliche Zusammenhänge geht (dazu auch Perfetti, 1999). Multiple Repräsentation Wenn wir einen Text reproduzieren, dann greifen wir auf verschiedene Repräsentationen im Gedächtnis zurück. Es bleiben ▶ manchmal einige prägnante und originelle Formulierungen der Textoberfläche, z. B. der berühmte 7. Abschlusssatz von Ludwig Wittgenstein: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen“, ▶ dem Text entnommene und inferierte Konzepte und Propositionen in einem konstruierten konzeptuellen Netz, ▶ eine zusammenfassende Makrostruktur der wichtigsten bzw. interessierenden Zusammenhänge, ▶ visuelle und andere sensorische Vorstellungen aus modalitätsspezifischen Repräsentationen, die durch anschauliche Wörter und Beschreibungen ausgelöst wurden, ▶ ein analoges mentales Modell der raum-zeitlichen Zusammenhänge, die im Text beschrieben werden. Dabei wird schon bald das episodische Textwissen in das semantische Wissen integriert und wir vergessen meist, mit welchem konkreten Text wir es erworben haben. Texte werden nicht isoliert abgespeichert. Zu einer Wissensdomäne oder zu einem Thema lesen wir selten einen einzelnen Text, meist sind es multiple Texte, die sich inhaltlich überlappen, ergänzen, widersprechen: Primärtexte, Sekundärtexte, verschiedene Quellentexte. Hier <?page no="152"?> 152 6 Prozesse des Textverstehens stellt sich die weitergehende Frage, ob und wie die unterschiedlichen Inhalte textübergreifend mental integriert werden (Britt et al., 1999; Philipp, 2018). Untersuchungen dazu wurden mit Texten zur Geschichte durchgeführt. Erste Befunde weisen in die Richtung, dass sehr schnell eine Makrostruktur gebildet wird, die dann sukzessiv durch verschiedene Texte angereichert oder modifiziert wird. Konkurrenz bekommen die mentalen Modelle in neueren Ansätzen, die Textverstehen als eine inkrementell aufbauende Simulation der beschriebenen Sachverhalte ansehen (Zwaan & Pecher, 2012). Im Unterschied zu den mentalen Modellen werden hier die modalen Repräsentationen betont, die über Wahrnehmung und Handlungen aufgebaut wurden (sensumotorisches Grounding des Verstehens, Embodiment). Dieser Ansatz betrifft vor allem das Verstehen narrativer und anleitender Sätze und Texte, bei denen motorische Komponenten experimentell nachgewiesen eine Rolle spielen. Emergentes Verständnis Emergenz ist ein theoretisch anspruchsvolles und vieldeutiges Konzept, das in verschiedenen Kontexten mit unterschiedlichen Nuancierungen gebraucht wird. Allgemein versteht man darunter das Auftreten neuer Eigenschaften eines Ganzen, die nicht aus den Eigenschaften der Komponenten hergeleitet oder vorhergesagt werden können. Damit sollen z. B. evolutionäre Sprünge von der anorganischen Materie zum Leben oder von den neuronalen Prozessen zum Bewusstsein beschrieben werden. Um derartig gewaltige Sprünge geht es beim Verstehen nicht, sondern um einen schwachen Begriff der Emergenz, wie er auch in der Wahrnehmungspsychologie verwendet wird. Perzeptuelle Gestalten verfügen über eine Organisation, die über die Komponenten hinausgeht im Sinne von „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“. Helge Skirl (2009, S. 9) hat für die Linguistik einen „allgemeinen Begriff von theorierelativer Eigenschaftsemergenz“ vorgeschlagen. Er bezieht sich auf Bedeutungen, die von Adressaten beim Verstehen durch elaborative Inferenzen konstruiert werden, innovative Bedeutungen, die aus dem Text nicht herleitbar und nicht voraussagbar sind. Der Autor macht das an einem einfachen Beispiel deutlich. (48) Der Mörder ist unglücklich. <?page no="153"?> 153 6.7 Verarbeitungsaufwand und Ressourcen Den Satz (48) kann ein Adressat in einer Kommunikationssituation so verstehen, dass der Mörder Reue über seine Tat empfindet. Das Konzept Reue ist aber weder Teil der Bedeutung von Mörder noch der Bedeutung von unglücklich. Diese elaborative Inferenz kann als emergent verstanden werden. Skirl sieht im Verstehen von Metaphern Beispiele für innovative, emergente Bedeutung. Den Input in das konzeptuelle System, die Abfolge von Wörtern, Sätzen und Texten können wir exakt linguistisch beschreiben, aber was die Wörter im Gehirn an Inferenzen auslösen, ist nicht vorhersagbar. Ein Verständnis ist emergent, wenn es aus den integrierten Konzepten nicht ableitbar ist, sich vom Text weit entfernt. Bei Sachtexten sind zwar einem emergenten Verständnis Grenzen gesetzt, aber es wird als eine Komponente der Lesekompetenz auch kritisch-kreatives Lesen erwartet, das das Verstandene hinterfragt, bewertet und auf andere Bereiche überträgt (Groeben, 1982, S. 116ff.). Nach dem Durchlauf durch die Prozesse des Verstehens muss man sich klarmachen, dass alle diese Prozesse beim Lesen gleichzeitig ablaufen. Ein aktiviertes konzeptuelles Netz wird fortlaufend durch den Text ergänzt, ausdifferenziert und umstrukturiert, beim problemlosen Verstehen ein Sinnfluss, bis sich nach der Lektüre eine zeitlich befristete stabile Struktur im Gedächtnis gebildet hat: ein Verständnis des Textes. 6.7 Verarbeitungsaufwand und Ressourcen Bisher haben wir so getan, als ob es für die vielfältigen Prozesse des Verstehens keine Beschränkungen gäbe, aber jeder weiß aus leidvoller Erfahrung, dass Aufmerksamkeit und Gedächtnis nicht unbegrenzt belastbar sind. Unser Gehirn kann sinnvoll nur mit einer begrenzten Menge an Inhalten umgehen. Standards des Verstehens Wer sich selbst beim Lesen beobachtet, dem wird nicht entgehen, dass es verschiedene Arten des Lesen mit unterschiedlichem Ressourceneinsatz gibt: ▶ Kursorisches Lesen. Hier verschafft man sich nur einen Überblick, mit den Fragen im Hinterkopf: Um was geht es? Ist das wichtig für mich? ▶ Selektives Lesen. Man sucht bewusst nur nach bestimmten Inhalten und pickt sich einige Informationen heraus, z. B. beim Nachschlagen in einem Lexikon. <?page no="154"?> 154 6 Prozesse des Textverstehens ▶ Lineares Lesen. Hier wird Satz für Satz aufgenommen und verarbeitet, aber nicht mit der Absicht zu lernen. So liest man z. B. einen Roman oder ein Essay. ▶ Aneignendes Lesen. So liest man einen Text, um Wissen zu erwerben, hier kann man von durcharbeiten oder studieren sprechen. In den Untersuchungen zum Textverstehen wird meist von einem linearen oder aneignenden Lesen ausgegangen. Im psychologischen Labor ahnt eine Vp bei der Lektüre, dass sie später Fragen beantworten oder die Inhalte wiedergeben muss und liest eher sorgfältig. Im wirklichen Leben lesen wir meist selektiv, mit verschiedenen Intentionen und mit entsprechendem Ressourceneinsatz. Ferreira und Patson (2007) sprechen von einem Good-enough-Prinzip beim Sprachverstehen. Die menschliche Textverarbeitung geht nicht streng algorithmisch vor, sondern selektiv. Jeder wird zugestehen, dass er beim Lesen viele Sätze nur überfliegt und sich mit einer oberflächlichen Verarbeitung zufrieden gibt, sofern sie seinen Intentionen nicht widerspricht. Deswegen überlesen wir gern etwas oder verstehen etwas falsch. Ein Beispiel für oberflächliche Verarbeitung bietet die Moses-Illusion. Auf die Frage: „Wie viele Tiere jeder Art nahm Moses mit auf die Arche“ erfolgt meist die Antwort „zwei“ ohne zu bemerken, dass Moses gar nichts mit der Arche zu tun hatte und folglich auch keine Tiere mitnahm - sondern Noah (Erickson & Mattson, 1981). Ähnliche Befunde haben Barton und Sanford (1993) vorgelegt. Selbst grobe Widersprüche in einem Satz werden übersehen, z. B. bei der Frage: „When an aircraft crashes, where should the survivors be buried? “ Paul van den Broek hat den Ausdruck „standards of coherence“ eingeführt und fokussiert dabei auf die Prozesse der Kohärenzbildung: „Thus, the standards of coherence operate as criteria for comprehension, influencing the dynamic execution of possible processes that take place at each point during reading. The standards may be explicit to the reader - the reader is aware of the standards that he or she employs in a particular reading situation - but they may also be implicit - the reader is unaware of having these standards […]“ (van den Broek et al., 2011, S. 134). Wir ziehen statt „standards of coherence“ Standards des Verstehens vor, da nicht allein Prozesse der Kohärenzbildung betroffen sind. Mit einem ähnlichen Terminus kann man auch vom Anspruchsniveau sprechen. Der eine Leser ist mit einem oberflächlichen Verständnis zufrieden, die andere Leserin ist anspruchsvoller. <?page no="155"?> 155 6.7 Verarbeitungsaufwand und Ressourcen Einsatz von Ressourcen Für die Verständlichkeit eines Textes ist die Unterscheidung zwischen automatischen und kontrollierten kognitiven Prozessen relevant (Kintsch, 1993; van den Broek & Helder, 2017). Automatische Prozesse. Sie laufen spontan ab und sind unvermeidbar, d. h. werden immer, quasi reflexhaft ausgelöst. Sie erfordern keine Aufmerksamkeit und nur geringfügige Ressourcen und laufen schnell als Verarbeitungsroutinen ab, die andere Prozesse nicht behindern. Beim Lesen ist z. B. das Erkennen von Wörtern bzw. der Abruf von Konzepten automatisiert. Wer lesen kann, der kann nicht mehr nicht lesen, er verarbeitet sprachliche Zeichen, z. B. auf einem T-Shirt oder einer Leuchtreklame spontan, ohne Aufmerksamkeit und ohne Anstrengung. Die meisten logischen und überbrückenden Inferenzen gehören dazu. Automatische Prozesse führen nur zu einem oberflächlichen inhaltlichen Verständnis eines Textes. Kontrollierte Prozesse. Sie zeichnen sich durch gegenteilige Merkmale aus: Sie werden bewusst eingesetzt, wenn die automatischen Prozesse kein ausreichendes Verständnis liefern oder wenn der Leser mit speziellen Intentionen liest. Deshalb werden sie auch als strategische Prozesse bezeichnet. Sie erfordern Aufmerksamkeit, sind oft anstrengend und werden als Nachdenken, Schlussfolgern, Kritisieren usw. bewusst. Sie erfordern erhebliche Ressourcen und verhindern andere Verarbeitungsprozesse (Cognitive Load). Sie laufen langsamer unter metakognitiver Kontrolle im präfrontalen Cortex ab (Jeon & Friederici, 2015). Sie sind Voraussetzung für ein tieferes Verständnis eines Textes. Wie meist in der Psychologie handelt es sich um keine strenge Dichotomie. Zwischen einer vollautomatischen Verarbeitung und einer kontrollierten Verarbeitung ist das Leseverstehen eine Mixtur aus automatischen und kontrollierten Prozessen: „The automatic processes take place continually, and a reader may be satisfied with the level of comprehension they create. However, if a reader desires to achieve a deeper understanding and higher coherence of a text, then he or she initiates constructionist processes, allocating mental effort to searching in background knowledge and/ or earlier parts of a text for explanations and interpretations of ideas currently in focus“ (Yeari & van den Broek, 2011, S. 639). Sowohl Brückeninferenzen als auch elaborative Inferenzen können automatisiert oder kontrolliert verlaufen. Eine einfache Brückeninferenz wird meist spontan und mühelos gezogen, aber benötigt immerhin 400 Millisekunden (Kintsch, 1998, S. 195)! Eine große Kohärenzlücke kann nur mit erheblichem <?page no="156"?> 156 6 Prozesse des Textverstehens Ressourceneinsatz überbrückt werden. Der Ressourceneinsatz bei elaborativen Inferenzen hängt vom Vorwissen ab: Der Laie muss nachdenken, beim Experten stellen sie sich automatisch ein (Noordman & Vonk, 1992). Arbeitsgedächtnis: die Werkstatt des Verstehens Das Arbeitsgedächtnis (AG) spielt für das Textverstehen eine entscheidende Rolle, aber wie es strukturell in das Gedächtnissystem eingepasst ist und welche Prozesse dort genau ablaufen, das ist trotz intensiver Forschung noch reichlich unklar. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass viele Untersuchungen unter Laborbedingungen mit Wortlisten oder Einzelsätzen weit vom Verstehen eines Textes entfernt sind (Kintsch, Patel & Ericsson, 1999). Neuere Ansätze zum AG legen weniger Wert auf abgrenzbare Gedächtnisspeicher, sondern betonen die ablaufenden Prozesse. Wir orientieren uns hier an zwei Theorien: dem Embedded-Processes-Model von Nelson Cowan (1999), einer allgemeinen Gedächtnistheorie, und an der Konzeption des long-term working memory von Anders Ericsson und Walter Kintsch (1995), die speziell auf das Verstehen von Texten angewendet wird. Funktionale Komponenten. In beiden Ansätzen ist das AG ein aktivierter Teil des Langzeitgedächtnisses (LZG), deshalb sprechen Ericsson & Kintsch auch von einem „long-term working memory“. Beim Lesen werden nacheinander Textsegmente in den Fokus der Aufmerksamkeit gebracht, die dort als Retrieval Cues zur Aktivierung von Konzepten und konzeptuellen Teilnetzen im AG wirken. Im AG sind alle zum Verstehen notwendigen Konzepte, Propositionen und Teilnetze in einem temporär aktivierten Zustand, sowohl neu aufgenommene Einheiten aus dem Text als auch aktivierte Einheiten aus dem semantischen und episodischen Langzeitgedächtnis (Konzepthierarchien, Schemata, Skripts). Hier finden die Prozesse der Kohärenz- und Inferenzbildung statt, mit denen Konzepte zu Propositionen verknüpft werden. Welche Cues wirksam werden, das bestimmt bei Cowan eine zentrale Exekutive nach den Intentionen und Interessen des Lesenden. Die Aktivierung des LZG geschieht schnell und automatisch und ohne bewussten Einsatz von Ressourcen. Nur wenn kein passendes Vorwissen vorhanden ist, stockt der Prozess und es müssen zusätzliche Ressourcen eingesetzt werden. Das AG ist kein modularer Speicher, sondern in das LZG eingebettet (Bild 10). <?page no="157"?> 157 6.7 Verarbeitungsaufwand und Ressourcen Bild 10: Vereinfachtes Modell des im Langzeitgedächtnis (LZG) eingebetteten Arbeitsgedächtnisses (AG) mit dem Fokus der Aufmerksamkeit (FA). Die schwarzen Einheiten sind aktiviert (nach Cowan, 1999). Beschränkungen. Bei allen Unterschieden in der Konzeption des AG sind sich alle Forscher einig, dass das AG zeitlichen und kapazitiven Beschränkungen unterliegt, deren Werte allerdings je nach Methode und Untersuchungsmaterial erheblich schwanken. Wir orientieren uns hier an Befunden von Cowan (2016). Als zeitliche Beschränkung für den aktivierten Teil des LZG werden 10-30 Sekunden angegeben, dann wird die Aktivierung wieder abgebaut, wenn sie nicht erneuert wird. Dafür hat der aktivierte Teil eine sehr flexible Kapazität. Experten können viel Vorwissen aktivieren. Nur mit dieser Flexibilität ist das inkrementelle Verstehen eines langen Sachtextes oder anderer komplexer Leistungen, z. B. beim Simultanübersetzen, zu erklären. Auch bei einer Leseunterbrechung durch Ablenkung der Aufmerksamkeit findet ein Experte sofort wieder in das Textverstehen zurück. Als mengenmäßige Beschränkung der Einheiten im Fokus der Aufmerksamkeit werden +/ - 4 Einheiten angegeben, nicht wie noch in vielen Lehrbüchern die magische Zahl +/ - 7. Was genau diese Einheiten sind, bleibt jedoch unklar: Konzepte, Propositionen, größere Chunks? Dabei ist die Kapazität individuell <?page no="158"?> 158 6 Prozesse des Textverstehens unterschiedlich (Kintsch & Vipond, 1979). Diese Kapazitätsbeschränkung ist der eigentliche Flaschenhals beim Verstehen. Dazu kommt eine zeitliche Beschränkung. Der Neuropsychologe Ernst Pöppel (2009) hat für einen Verarbeitungszyklus ein Zeitfenster von drei Sekunden festgestellt, in dem Kohärenz hergestellt werden muss. Was aus dem Dreisekundenfenster herausfällt, kann nicht mehr integriert werden. In welchem Ausmaß Beschränkungen im Einzelfall auch wirksam sind, es bleibt die Tatsache, dass nur eine begrenzte Anzahl von Bedeutungseinheiten in bestimmter Zeit verarbeitet werden kann. „The tension between limited attentional resources and the need for coherence is negotiated by the reader’s standard of coherence“ (van den Broek, 2010, S. 454). Wenn das AG überlastet ist, dann führt das entweder zum Verlust von Einheiten, zu einer Verlangsamung der Verarbeitung oder zu einem oberflächlichen Verständnis. Durch Wiederholen (inneres Sprechen, Rehearsal) können Einheiten länger im AG behalten werden. Das macht man beim Auswendiglernen oder Einpauken, wenn Inhalte im Langzeitgedächtnis fest verankert werden müssen. Cognitive Load. Ein Ansatz, der sich mit den Folgen des ressourcenbegrenzten AG für das Bewältigen von Aufgaben befasst, ist die Cognitive-Load-Theorie (Sweller, Ayres & Kalyuga, 2011; Kalyuga, 2011). Sie geht allerdings von einer etwas veralteten Theorie des AG aus. Von Marcus Friedrich (2017) wurde der Ansatz auf die Aufgabe des Textverstehens übertragen. Drei mögliche Belastungen (Cognitive Load = CL) werden unterschieden und addieren sich: Intrinsic CL. Diese Belastung hängt vom Inhalt ab, genauer von der Anzahl und Interdependenz der Einheiten, die verarbeitet werden müssen. Diese Belastung durch Komplexität ist sachimmanent und kann nicht beeinflusst werden. Verständlichkeit lässt sich nicht völlig vom Inhalt ablösen. Mit zunehmender Expertise in einer Wissensdomäne nimmt die intrinsische Belastung ab. Extraneous CL. Diese Belastung kommt von schlecht gestaltetem Lehrmaterial, das zusätzliche Ressourcen beansprucht, die eigentlich nicht notwendig wären. Bei Texten geht es um komplizierte und inkohärente Formulierungen, die Suchprozesse und Inferenzen erfordern. Bei der Schwerverständlichkeit haben wir es vor allem mit dieser Art von Belastung zu tun. Germane CL. Diese etwas unglücklich benannte Belastung wurde erst später eingeführt und von Schnotz und Kürschner (2007) einer Kritik unterzogen. Diese Autoren beziehen sie auf die ressourcenfordernde Anwendung von Lerntechniken und metakognitiven Prozessen, die einen Teil der Kapazität beanspruchen. <?page no="159"?> 159 6.7 Verarbeitungsaufwand und Ressourcen Wir erinnern uns: Verständlichkeit kommt durch eine Kooperation zwischen Absender und Adressat zustande, wobei bei der schriftlichen Kommunikation der Absender in Vorleistung geht. Sein Beitrag zum Verstehen ist eine adressatenorientierte Sprache. Verständlichkeit ist ein Sammelbegriff für den Ressourceneinsatz beim Verstehen: Je größer der Verarbeitungsaufwand, desto schwerer verständlich der Text für einen Adressaten. Wir unterscheiden im Folgenden entsprechend den drei Ebenen des Verstehens grammatische, pragmatische und expressive Ressourcen. Für Sachtexte sind die grammatischen und pragmatischen Verstehensprozesse wichtig, die expressiven werden nur kurz angesprochen. Grammatische Ressourcen Die Grammatik des Deutschen erlaubt zahlreiche Formulierungsvarianten, die grob denselben Gedanken transportieren, aber unterschiedlich schwer zu verarbeiten sind. Es gibt schwierige Wörter, umständliche Satzkonstruktionen, mangelnde Textkohärenz usw. Lexikalische Verständlichkeit. Hier geht es um Wörter, die einen erheblichen Verarbeitungsaufwand erfordern. (49.1) Je mächtiger die Mediensysteme expandieren und diversifizieren, um so maßgeblicher für ihre Selbstkonzepte und Funktionsbestimmungen werden selbstreferentielle Faktoren und Legitimationsgrößen, um so irrelevanter werden entsprechend von außen herangetragene Normierungen, gleich welcher Autorität und Evidenz. Der Satz (49.1) wird beim ersten Lesen wahrscheinlich nicht verstanden, denn er enthält Wörter, deren Bedeutung unbekannt oder unklar ist: Diversifizieren? Selbstreferentiell? Legitimationsgrößen? Evidenz? Was sind hier genau Faktoren? Man muss mehrfach lesen, nachdenken oder nachschlagen. Es werden also erhebliche Ressourcen benötigt. Einfacher zu verstehen ist die Formulierung (49.2). (49.2) Je größer und vielfältiger die Medien werden, desto mehr beziehen sie sich auf sich selbst und umso unbedeutender werden von außen herangetragene Einflüsse. Hier heult natürlich der Soziologe auf, denn er wird terminologisch (und systemtheoretisch) beschnitten. Aber die Formulierung (49.2) ist sicher beim <?page no="160"?> 160 6 Prozesse des Textverstehens ersten Lesen verständlich und benötigt weniger kognitiven Aufwand als die Formulierung (49.1) 28 . Syntaktische Verständlichkeit. Hier geht es um Ressourcen, die zum Verstehen einer Satzkonstruktion gebraucht werden. (50.1) Das mitgelieferte Silicagel wird helfen, die Bildung von durch zu hohe Luftfeuchtigkeit verursachtem Pilz im Inneren des Objektivs zu vermeiden. Die Formulierung (50.1) ist zwar grammatisch korrekt bzw. wohlgeformt, aber verlangt der Verarbeitung doch einiges ab. Die Schachtelung der Präpositionalgruppen („von durch“) macht den Satz schwer verständlich. Hier gibt es syntaktischen Optimierungsbedarf, der zur deutlich einfacheren Formulierung (50.2) führt. (50.2) Bei hoher Luftfeuchtigkeit verhindert das mitgelieferte Silicagel, dass sich Pilze im Inneren des Objektivs bilden. Die mentale Verknüpfung der Wörter bzw. Konzepte im Satz kann durch die syntaktische Gestaltung einfacher oder schwieriger erfolgen. Textverständlichkeit. Hier geht es um ganze Texte bzw. längere Satzfolgen mit einem inhaltlichen Zusammenhang, der durch sprachliche Mittel mehr oder weniger deutlich gestaltet wird. Stichworte sind: Gliederung, Kohärenz, Nachvollziehbarkeit (roter Faden). Die inhaltliche Organisation eines Textes und ihre Visualisierung durch Typografie und Layout haben sich als wichtigste Dimension für das Verstehen eines längeren Textes erwiesen. Pragmatische Ressourcen Bei den pragmatischen Ressourcen geht es um das Verstehen der Intentionen einer Äußerung (Harras, 2004). Auch einfache Formulierungen können unnötigen Aufwand zum Verstehen erfordern oder zu Missverstehen führen, wenn sprachliche Handlungen nicht eindeutig formuliert sind, d. h. die Absicht des Absenders unklar bleibt. Theoretische Grundlage ist hier die Sprechakttheorie (Kap. 8.1). Ihre zentrale Aussage lautet: Mit jeder sprachlichen Äußerung vollziehen wir eine Handlung, d. h. verfolgen eine Intention. Vage oder mehrdeutige 28 Man könnte noch radikaler und alltagssprachlich werden und formulieren: Je mächtiger die Medien werden, desto weniger lassen sie sich reinreden. <?page no="161"?> 161 6.7 Verarbeitungsaufwand und Ressourcen Sprechakte sind in Sachtexten zu vermeiden, z. B. die Aussage (51.1) aus einer Wartungsanleitung. (51.1) Sie sollten immer wieder einmal etwas Öl nachfüllen. Was meint der Absender mit dieser Äußerung? Wie soll sie der Adressat verstehen? Drückt das Modalverb „sollen“ eine Empfehlung, eine notwendige Anweisung oder sogar eine Warnung aus? Wie oft ist in diesem Kontext „immer wieder einmal“? Wie viel ist „etwas Öl“? Der oder die Lesende muss erschließen, wie die Formulierung genau gemeint ist. Klar verständlich ist die Formulierung (51.2). (51.2) Jeden Monat muss das Öl aufgefüllt werden. Sprachliche Handlungen kann man ressourcenschonend oder ressourcenfordernd formulieren. Das wird im Kapitel 8 an einfachen und komplexen sprachlichen Handlungen wie Benennen, Definieren, Beschreiben, Erklären, Anleiten, Argumentieren gezeigt. Ausdrucksressourcen Die Ebene des expressiven Verstehens werden wir nicht weiter behandeln, obwohl sie für die menschliche Kommunikation überaus wichtig ist. Im Sprechen und Schreiben offenbart der Absender nicht nur etwas über sein Wissen, sondern auch etwas über seine innere Wirklichkeit, ob er oder sie diese Selbstoffenbarung will oder nicht. Eine sprachliche Äußerung sollte aufrichtig sein, d. h. der inneren Wirklichkeit entsprechen, sie korrekt zum Ausdruck bringen (Habermas, 1981). Der Ausdruck kann aber mehr oder weniger eindeutig und explizit geschehen. In Sachtexten werden Aussagen über die innere Wirklichkeit eher indirekt geäußert: (52) Die Behauptungen der Impfgegner sind eine Zumutung für jeden vernünftigen Menschen. Natürlich drückt der Autor hier seine Abneigung aus, verpackt in ein problematisches Argument, das sich auf die Vernunft beruft. Ein Adressat kann an der Aufrichtigkeit einer Mitteilung zweifeln oder verzweifeln. Er wird sich dann bemühen, die Wahrhaftigkeit zu überprüfen und das ist eine ressourcenaufwendige kommunikative Erfahrung. <?page no="162"?> 162 6 Prozesse des Textverstehens Optimale Verständlichkeit Bereits Norbert Groeben (1982, S. 205) hat darauf hingewiesen, dass ein mittlerer Grad an Verständlichkeit, der Lesende nicht unterfordert, aber auch nicht überfordert, für das Verstehen am günstigsten ist. Er nimmt eine umgekehrt u-förmige Kurve zwischen Verständlichkeit und Verstehensleistung an. Es gibt empirische Hinweise darauf, dass ein Maximum an Verständlichkeit zwar die oberflächliche Verarbeitung erleichtert, aber nicht die optimale Bedingung für tieferes Verstehen darstellt. Es kommt also nicht darauf an, dem Adressaten mit einfachsten Formulierungen jegliche Mühe beim Verstehen zu ersparen, sondern ihm so viel zuzumuten, dass er ein Erfolgserlebnis hat. Das Verstehen muss in die „zone of proximal learning“ fallen, den Bereich, den der Adressat gerade noch bewältigen kann (Kintsch 2009, S. 227). Zwischen Langeweile durch Unterforderung und Frustration durch Überforderung liegt die „flow experience“ (Csikszentmihalyi, 1990): Beim Lesen bedeutet das einen kontinuierlichen Sinnfluss, der nicht behindert wird und ein Gefühl der kognitiven Bereicherung auslöst. Das setzt eine gute Passung von Text und Adressat, von Anforderungen und Fähigkeiten voraus. Zusammenfassung 1.- Die Leserlichkeit einer Schrift kann Prozesse des Lesens und Verstehens behindern, vor allem verlangsamen und zum Verlesen führen. Die inhaltliche Verständlichkeit wird dadurch aber kaum tangiert. 2.-Eine Unzahl von Untersuchungen einzelner grafischer Merkmale und deren Interaktionen haben kein einheitliches Ergebnis erbracht, es kann daraus keine optimal leserliche und verstehensförderliche Schrift abgeleitet werden. 3.-Die Wahrnehmungsvarianz weist darauf hin, dass die Schriftart keinen großen Einfluss auf das Lesen hat. Dies gilt jedenfalls für das große Mittelfeld der gewohnten Schriften, nicht für ornamentale Schriften und an die Handschrift angelehnte Schriften. 4.-In neueren Ansätzen kommt weichen typografischen Faktoren ein größeres Gewicht beim Lesen zu: der Vertrautheit mit einer Schrift, ihrer ästhetischen Anmutung, ihrem Look-and-Feel. <?page no="163"?> 163 Zusammenfassung 5.-Beim Textverstehen greifen zwei Verarbeitungsrichtungen ineinander: Prozesse, die vom Text ausgelöst werden (bottom-up) und Prozesse, die über das Wissen beigesteuert werden (top-down). Verstehen ist textbasiert und wissensbasiert. 6.- Ein Wort ist eine Art Dateiname für ein konzeptuelles Netz, das dadurch aktiviert wird. Die Bedeutung eines Wortes umfasst eine konventionelle Kernbedeutung und flexible, kontextabhängige Nebenbedeutungen. Die Bedeutung eines Wortes verändert sich kontinuierlich während des Lesens. 7.- Das Verstehen ist von der Textoberfläche bis zu einer multiplen Repräsentation eine kontinuierliche Modifikation von konzeptuellen Netzen, die gefestigt, angereichert, differenziert und umstrukturiert werden. Propositionen als Verbindungen von Konzepten werden beim Verstehen konstruiert, allerdings geht das Verstehen von der Textoberfläche, nicht von einer propositionalen Textbasis aus! 8.-Verstehen ist vor allem Folgern: Es gibt eine fast unbegrenzte Anzahl möglicher Inferenzen, die bisher nicht überzeugend geordnet werden konnten. Diese Inferenzen ergänzen implizit gelassene Inhalte, können aber elaborativ weit über den Text hinausgehen. Da sich keine zwei Gehirne gleichen, gibt es nicht ein Verständnis, sondern immer mehrere Verständnisse eines Textes. 9.-Ein Text wird weder vollständig behalten noch als eine Einheit separat abgespeichert, sondern er hinterlässt eine multiple Repräsentation: wörtliche Formulierungen (selten), konzeptuelle Netze, modalitätsspezifische Vorstellungen, eine Makrostruktur, manchmal ein mentales Modell. 10.- Manche Verstehensprozesse geschehen automatisch und andere bereiten erhebliche Mühe. Die kontrollierten oder strategischen Prozesse bedingen, ob ein Text als leicht oder schwer verständlich beurteilt wird. 11.-Verstehen ist graduell, je nach Motivation und Einsatz von Ressourcen kann eine Person nur oberflächlich oder tiefer verstehen. Jede Person hat einen Standard bzw. ein Anspruchsniveau, das die Tiefe des Verstehens bestimmt. Oberflächliches Verstehen bedeutet wenige Inferenzen und nur eine teilweise Kohärenz. Tieferes Verstehen bedeutet viele - vor allem elaborative - Inferenzen und eine kohärente Repräsentation. <?page no="164"?> 164 6 Prozesse des Textverstehens 12.- Im Arbeitsgedächtnis (AG) kommen neu aufgenommene Konzepte und Propositionen sowie das Vorwissen aus dem Langzeitgedächtnis zusammen. Hier laufen kontinuierlich die zum Verstehen notwendigen Integrationen und Inferenzen ab. 13.-Das AG hat zeitliche und mengenmäßige Beschränkungen, es kann immer nur mit einer bestimmten Menge an aktivierten Konzepten und Konzeptstrukturen umgehen. Das AG kann schnell überlastet werden und verursacht dann Verstehensprobleme. Während Belastungen durch den komplexen Inhalt oft unvermeidbar sind (intrinsic cognitive load), lassen sich Belastungen durch eine schlechte Textgestaltung vermeiden (extraneous cognitive load). 14.-Je mehr mentale Ressourcen gebraucht werden, desto schwerer verständlich ist ein Text für einen Adressaten. Grammatische Ressourcen betreffen verständliche Wörter, Sätze und Texte. Pragmatische Ressourcen betreffen verständliche sprachliche Handlungen. <?page no="165"?> 7 Grammatische Verständlichkeit Je mehr mentaler Verarbeitungsaufwand zum Verstehen eines Textes aufgebracht werden muss, desto negativer wird seine Verständlichkeit beurteilt. In den nächsten Kapiteln geht es um die grammatischen Ressourcen, d. h. um schwer oder leicht verständliche Formulierungen auf der Wort-, der Satz- und der Textebene. Man kann auch von lexikalischer, syntaktischer und textueller Verständlichkeit sprechen, wobei die drei nicht völlig unabhängig voneinander sind. So kann z. B. die Wahl eines bestimmten Worts eine bestimmte Satzkonstruktion zur Folge haben. Wir orientieren uns an einer funktionalen Grammatik, die von den kommunikativen Funktionen der verschiedenen Formulierungsvarianten ausgeht (7.1). Lexikalische Verständlichkeit: Welche Wörter erfordern besonderen Verarbeitungsaufwand (7.2)? Syntaktische Verständlichkeit: Welche Satzkonstruktionen sind besonders aufwendig zu verarbeiten (7.3)? Textuelle Verständlichkeit: Was macht einen flüssig lesbaren Text aus (7.4)? 7.1 Funktionale Grammatik Ausgehend von einem kommunikativen Ansatz der Verständlichkeit kann nur eine funktionale Grammatik das theoretische Fundament bilden. Der Grundgedanke der funktionalen Grammatik: „Das Ensemble sprachlicher Formen und Mittel […] ist zu erklären durch die kommunikativen Aufgaben und Zwecke im Handlungszusammenhang.“ (Zifonen, Hoffmann & Stecker, 1997, S. 8) Eine funktionale Grammatik versucht, die morphologischen, syntaktischen und textuellen Regeln aus kommunikativen Funktionen herzuleiten. Dabei gibt es nicht die funktionale Grammatik, sondern eine Reihe von Ansätzen, die aber demselben Grundgedanken verpflichtet sind (Dürscheid, 2012b). Ausgangspunkt ist eine evolutionäre Frage: Warum haben sich in der kognitiven Evolution so komplexe Grammatiken herausgebildet, die für einen Gedanken eine Vielzahl von Formulierungsvarianten bei Wörtern und Sätzen zulassen? Die Antwort: Eine komplexe Grammatik ist notwendig, um sprachlich subtile Mitteilungen äußern zu können (Jungen & Lohnstein, 2006). <?page no="166"?> 166 7 Grammatische Verständlichkeit Die Grammatik des Instituts der deutschen Sprache (IDS) ist der anspruchsvollste und weitgehendste Ansatz einer funktionalen Grammatik, der einen „möglichst großen Ausschnitt des Deutschen formbezogen wie funktional-semantisch und funktional-pragmatisch analysieren“ möchte (Zifonen, Hoffmann & Stecker, 1997, S. 2). Dabei wird konsequent eine Doppelperspektive auf sprachliche Phänomene eingenommen: Kommunikative Funktion und sprachlicher Formaufbau sind keine sich ausschließenden, sondern komplementäre Perspektiven. Einerseits wird von den kommunikativen Funktionen ausgegangen, für welche die Sprache Mittel herausgebildet hat. 29 Anderseits wird von den konkreten sprachlichen Mitteln ausgegangen, die auf ihre kommunikativen Funktionen abgeklopft werden. Auch wenn nicht alle Regeln der Grammatik kommunikativ erklärbar sind, so ist doch ein erstaunlich großer Teil unter dieser Perspektive analysierbar. 30 Eine funktionale Grammatik geht von einem Primat der Semantik gegenüber der Syntax aus. Vielfalt der Formulierungen Die verschiedenen Varianten sind kommunikativ nicht gleichwertig, sondern die Art der Formulierung akzentuiert die jeweilige Mitteilung (Hoffmann, 2006). Die jeweilige syntaktische Konstruktion steht im Dienste der Vermittlung einer akzentuierten Mitteilung. Ein klassisches Beispiel für eine funktionale Syntax ist das Aktiv und das Passiv. (1.1) Die Firma bringt ein neues Produkt auf den Markt. (1.2) Ein neues Produkt wird (von der Firma) auf den Markt gebracht. (1.3) Ein neues Produkt ist (von der Firma) auf den Markt gebracht worden. Das Aktiv richtet die Aufmerksamkeit auf die Firma (1.1), das Passiv auf das neue Produkt, wobei der Handelnde nicht genannt werden muss (1.2). Das Zustandspassiv betont das Resultat einer Handlung (1.3). Feine Unterschiede! Die Vielfalt der grammatischen Möglichkeiten dient drei Funktionen, die wir als Darstellungs-, Ausdrucks- und Appellfunktion schon kennengelernt haben (Kap. 1): Komplexität. Wer mit geringen Sprachkenntnissen ins Ausland reist, der kann sich mit einer Handvoll Vokabeln und ohne Kenntnis syntaktischer Regeln 29 Das erinnert an das Bauhaus-Gestaltungsprinzip: Form follows function. 30 Die IDS-Grammatik umfasst drei Bände mit 2569 Seiten, die aber vom Team noch immer als unvollständig bezeichnet wird (S. 2). <?page no="167"?> 167 7.1 Funktionale Grammatik schon recht gut verständigen. Auch Migranten, die sich die deutsche Sprache aneignen, sprechen anfangs meist ohne Satzbauregeln. Aussagen wie „Bäcker Brot kaufen“ werden trotzdem verstanden, weil die semantische Komposition der Wörter in einer speziellen Situation nur ein Verständnis zulässt. Erst wenn komplexe Zusammenhänge kommuniziert werden müssen, wird die Syntax unverzichtbar, um die Beziehungen der Satzglieder zueinander festzulegen. (2.1) erschießen Jäger Wildsau Die Wortfolge (2.1) wird wohl von jedem so verstanden: Ein Jäger hat eine Wildsau erschossen. Aber eine Zeitung vermeldet Folgendes: (2.2) Gestern erschoss eine Wildsau einen Jäger, indem sie in den Abzug seines Gewehrs trat, welches der flüchtende Jäger hinter sich geworfen hatte. Hier sind die erwarteten Rollen umkehrt: Eine Wildsau erschießt einen Jäger. Um diesen Zusammenhang und die dazu führenden Umstände mitteilen zu können, brauchen wir eine Syntax. Syntaktische Regeln erlauben es, komplexe oder unerwartete Zusammenhänge zu kommunizieren. Ohne Syntax gäbe es keine zuverlässige sprachliche Kommunikation. Perspektive. Der Absender bringt mit seiner Formulierung seine Sichtweise ein. Ein Gedanke lässt sich immer mit verschiedenen Formulierungen ausdrücken, wie die Sätze zur Kindersicherung eines Geschirrspülers zeigen: (3.1) Der Schlüssel für die Kindersicherung ist gelb und hängt an einer Strebe im vorderen Bereich des Oberkorbes. (3.2) An einer Strebe im vorderen Bereich des Oberkorbes hängt ein gelber Schlüssel für die Kindersicherung. (3.3) Zur Kindersicherung dient der gelbe Schlüssel, der an einer Strebe im vorderen Bereich des Oberkorbes hängt. Sicher fallen jedem noch weitere Formulierungsvarianten ein. Wer sich mit etwas Sprachgefühl die Varianten durchliest, wird feststellen, dass jede Formulierung einen anderen Akzent setzt und die Formulierungen kommunikativ nicht gleichbedeutend sind. Das zeigt eine Frageprobe: In einem Dialog sind die Äußerungen Antworten auf verschiedene Fragen. Die Äußerung (3.1) beantwortet die Frage: Wie sieht der Schlüssel zur Kindersicherung aus? Dabei ist vorausgesetzt, dass es einen derartigen Schlüssel gibt. Bei der Äußerung (3.2) ist der Schlüssel nicht vorausgesetzt, sie antwortet auf die Frage: Wo befindet <?page no="168"?> 168 7 Grammatische Verständlichkeit sich die Kindersicherung? Die Äußerung (3.3) antwortet auf die Frage: Gibt es am Geschirrspüler eine Kindersicherung? Die Vielfalt der Formulierungen dient also dazu, kommunikativ differenzierte und akzentuierte Mitteilungen zu formulieren. Perspektivität ist ein anthropologisches Urphänomen: Der Mensch kann nicht neutral über die Wirklichkeit sprechen, er nimmt immer eine Perspektive ein, nicht nur einen räumlichen Standort, sondern auch eine emotionale Position (Köller, 2004). So wird z. B. das Konzept, dem die größte Aufmerksamkeit und Empathie gilt, in einem Satz bevorzugt als Subjekt augedrückt. Verschiedene Formulierungsvarianten setzen kommunikativ andere Akzente und beeinflussen damit das Verstehen. Bei literarischen Texten ist die Perspektive ein wichtiges künstlerisches Gestaltungsmittel. Überzeugende Beispiele bietet Judith Macheiner (1991), die literarische Formulierungen daraufhin überprüft, ob sie ohne Verlust an Bedeutung auch anders formuliert werden könnten. Das ist nicht der Fall, denn „Alle Sätze haben Perspektive“, d. h. in der Formulierung liefert der Absender seine Sicht des Inhalts mit. Steuerung des Verstehens. Auf die persuasive Funktion der Sprache haben wir schon mehrfach hingewiesen. Sprache dient auch dazu das Verstehen des Adressaten zu beeinflussen. Mit der Art der Formulierung nimmt der Absender Einfluss auf das Verstehen des Adressaten, oder versucht es mindestens (Hörmann 1976, 599). Er richtet seine Aufmerksamkeit aus, aktiviert und modifiziert Wissen, ruft Vorstellungen und Emotionen auf. Hans Hörmann spricht deshalb von der „Steuerung des Bewusstseins“. Das geschieht über verschiedene lexikalische und syntaktische Mittel. (4.1) Der ausgebrochene Löwe aus dem Zirkus wurde gestern eingeschläfert. (4.2) Ein ausgebrochener Löwe aus dem Zirkus wurde gestern eingeschläfert. Satz (4.1) unterscheidet sich von (4.2) nur durch den bestimmten oder unbestimmten Artikel. Für das Verstehen hat das aber erhebliche Konsequenzen. Mit dem bestimmten Artikel geht der Absender aus, dass der Adressat von dem Löwen im Zirkus weiß, er signalisiert ihm, im episodischen Gedächtnis diesen Löwen zu aktivieren. Bei der Formulierung mit dem unbestimmten Artikel wird dem Adressaten signalisiert, dass es sich um einen Löwen handelt, von dem er bisher nichts weiß. Die Steuerung des Verstehens ist eine Form der Ressourcenschonung, dem Adressaten werden sprachliche Hinweise geliefert. <?page no="169"?> 169 7.1 Funktionale Grammatik Fassen wir zusammen: Mit einer Formulierung knüpft der Absender Beziehungen zwischen Konzepten, bringt dabei seine Perspektive ein und versucht das Verständnis des Adressaten zu beeinflussen. Drei Funktionen gleichzeitig zu erfüllen, das schafft man nur mit einer komplexen Grammatik. Ihre Regeln entspringen den Notwendigkeiten der menschlichen Kommunikation. Man kann sich die Frage stellen, ob es zur Prävention von Verständnisproblemen nicht besser wäre, wenn die Grammatik eine eindeutige Formulierung vorschriebe? Es liegen etliche Versuche vor, eine einfache und eindeutige Sprache zu schaffen, z. B. in der Logik oder in künstlichen Sprachen (Eco, 1994). In der technischen Kommunikation wurden kontrollierte Sprachen eingeführt, die komplexe grammatische Konstruktionen ausschließen. Zur Kommunikation mit Menschen mit kognitiven Behinderungen wurde eine einfache Sprache entwickelt, die auf viele grammatische Finessen verzichtet. Wir kommen später auf diese Ansätze zurück (Kap. 11.3). Verständliche Formulierungen Im Rahmen einer funktionalen Grammatik ist das Thema der Verständlichkeit meines Wissens bisher nicht thematisiert worden, dies gilt auch für die IDS-Grammatik. Im Stichwortverzeichnis kommt es gar nicht vor. Der Absender steht vor einer komplexen Aufgabe, mit seinen Formulierungen allen drei Funktionen einer Äußerung gerecht zu werden. Und der Adressat muss sich bemühen, diese Formulierungen auf allen drei Ebenen zu verstehen. Wenn wir im Folgenden auf schwer verständliche Satzkonstruktionen hinweisen, darf nicht vergessen werden, dass diese ebenfalls eine kommunikative Funktion haben. Schachtelsätze sind literarisch - z. B. bei Thomas Mann - eine Möglichkeit, in Denkverläufe und Assoziationen einzuführen. Der Sprachwissenschaftler Roland Kaehlbrandt (2016, S. 32) bescheinigt der deutschen Sprache einen „hochdifferenzierten Satzbau mit elastischer Wortstellung zum Ausdruck feinster Bedeutungsunterschiede.“ In Sachtexten ist ein komplexer Satzbau allerdings dem Verstehen nicht unbedingt zuträglich. Schon im Kapitel 1 habe ich darauf hingewiesen, dass keine sprachpflegerischen Absichten verfolgt werden, es geht nicht um „gutes Deutsch“ oder um „schöne Prosa“. Die Vielfalt der Sprache soll nicht beschnitten werden, denn auch Fremdwörter und sogar Schachtelsätze haben eine kommunikative Funktion. Ziel ist allein, Sprachproduzenten dafür zu sensibilisieren, welche mentalen Ressourcen eine Formulierung den Adressaten abverlangt. Es geht um <?page no="170"?> 170 7 Grammatische Verständlichkeit Language Awareness als eine Komponente der Sprachkompetenz. Die folgenden Leitlinien zur verständlichen Sprache basieren auf empirischen Befunden, also keine Stilkunde, sondern angewandte Psycholinguistik. Dabei lässt sich ein Dilemma nicht leugnen: den Sprachgebrauch in Richtung Verständlichkeit verändern, aber ohne ihn zu reglementieren! 7.2 Verständliche Wörter Rufen wir uns noch einmal ins Bewusstsein, was Wörter eigentlich sind: Stellvertreter für Konzepte. Dabei dürfen wir aber an keine fixe Bedeutung hinter den Wörtern denken, sondern an ein flexibles konzeptuelles Netzwerk, das durch ein gehörtes oder gelesenes Wort aktiviert und im Fortgang des Lesens modifiziert wird. Wir nehmen in diesem Kapitel einige Wortgruppen unter die Lupe, die schwer verständlich sind, da sie mehr Ressourcen bei der Verarbeitung erfordern. Alle diese Wörter haben gemeinsam, dass sie in der Alltagssprache selten vorkommen. ▶ ungebräuchliche Wörter ▶ Fremdwörter ▶ Fachwörter, Termini ▶ Kurzwörter: Abkürzungen, Akronyme ▶ Komposita ▶ Nominalisierungen, Abstrakta ▶ mehrdeutige Wörter Gleich vorweg: Es kann nicht darum gehen, diese Wörter völlig zu vermeiden. Besonders Fachtexte können auf schwierige Wörter nicht verzichten. Aber ein Autor oder eine Autorin sollte nicht ohne Not ein Vokabular benutzen, das für die Adressaten eine Belastung darstellt. In vielen Fällen, z. B. bei Behörden, in Lehrbüchern oder Gesundheitsinformationen ist eine einfachere Wortwahl möglich. Ungebräuchliche Wörter Wörter können veralten. Der Dudenverlag hat einen Wortfriedhof (2013) veröffentlicht, auf dem Wörter ihre letzte Ruhe finden, die uns abhandengekommen sind, z. B. Fernsprecher für Telefon, das Gemäß statt Gefäß, Schriftleiter statt <?page no="171"?> 171 7.2 Verständliche Wörter Redakteur. Sprachstatistisch lässt sich die Häufigkeit jedes Wortes bestimmen (word frequency), indem man in einem Korpus mündlicher oder schriftlicher Sprache auszählt, wie oft es vorkommt. 31 Ungebräuchliche Wörter haben folgende Eigenschaften: 1. Sie werden beim Spracherwerb spät gelernt. 2. Sie werden in der mündlichen Sprache selten verwendet. 3. Sie kommen nicht im aktiven, sondern nur im passiven Wortschatz vor, d. h. eine Person benutzt sie nicht, kann sie aber verstehen. 4. Sie brauchen auditiv wie visuell längere Zeit, um erkannt zu werden. Oft handelt es sich um veraltete Wörter. Im Beispiel (5) kommen drei Archaismen vor, die wohl jeder noch versteht, aber selbst nicht mehr verwendet. (5) Im Lenz trugen die Burschen luftige Beinkleider. Entscheidend für das Verstehen ist weniger die Gebrauchshäufigkeit in einem Sprachkorpus, sondern die subjektive Häufigkeit bzw. die Vertrautheit mit einem Wort bei einem individuellen Sprachbenutzer. Dieser Vertrautheitseffekt hat zwei Gründe: 1. Gebräuchliche Wörter werden beim Lesen ganzheitlich als „Wortbild“ wahrgenommen, während unvertraute Wörter phonetisch aus Buchstaben oder Silben zusammengesetzt werden. 2. Vertraute Wörter sind im Gehirn durch häufigeres Vorkommen neuronal gebahnt. Psycholinguistische Untersuchungen zeigen, dass die Erkennungszeit für ungebräuchliche Wörter beim Hören wie beim Lesen einige Millisenkunden länger ist als für vertraute (Miller, 1993). Bei Blickbewegungsstudien wurde nachgewiesen, dass die Fixationsdauer bei ungebräuchlichen Wörtern länger ist als bei vertrauten. Häufige Wörter werden beim Lesen zudem oft gar nicht fixiert, sondern übersprungen (Staub & Rainer, 2007). Kommt ein Wort in einem Text oft vor, so wird es schneller erkannt. Das kann man daran ablesen, dass die Fixationsdauern bei Wiederholung abnehmen (Just & Carpenter, 1980). Soll man auf ungebräuchliche Wörter verzichten? Nein, Archaismen sind als rhetorisches Stilmittel nützlich, um gerade durch die Ungewohntheit Aufmerksamkeit zu erregen. Die Verwendung von Archaismen transportiert dabei zudem eine ironische Distanzierung. (6.1) Er ließ sich mit nur einer Stimme mehr zum Vorsitzenden küren. (6.2) Die Sicherheitslücke im System wurde weidlich ausgenutzt. (6.3) Herr von Guttenberg, weiland Verteidigungsminister … 31 Im Wortschatzkorpus der Leipziger Universität kann man die Gebrauchshäufigkeit jedes Wortes nachschlagen: http: / / wortschatz.uni-leipzig.de. - Der Grund- und Aufbauwortschatz einer Sprache wird aufgrund derartiger Häufigkeiten zusammengestellt. <?page no="172"?> 172 7 Grammatische Verständlichkeit Alle drei ungebräuchlichen Archaismen stehen noch im Duden! Das Wort „küren“ statt „wählen“ hat nur im Sport überlebt, wo zwischen Pflicht und Kür unterschieden wird. Das Adjektiv „weidlich“ (= gründlich, tüchtig) bedeutete früher „zur Jagd gehörig“ und hat vor allem in der Literatensprache überlebt. Das Adverb „weiland“ (= vormals) ist eine alte Ableitung vom Substantiv „die Weile“. Fremdwörter Fremdwörter sind zunächst ungebräuchliche Wörter. Man versteht darunter Wörter aus einer anderen Sprache, die vom Durchschnittssprecher als fremd empfunden und nicht oder nur teilweise verstanden werden. Wenn ein Fremdwort oft benutzt wird, verliert es seine Fremdheit und wird zum Lehnwort. Keiner empfindet Wörter wie „Büro“, „Journalist“ oder „Abonnement“ als Einwanderer aus dem Französischen (sog. Gallizismen), sie sind in den Wortschatz eingebürgert. Das kommt in jeder lebendigen Sprache vor, deshalb ist auch der sprachpflegerische Kampf gegen Fremdwörter zum Scheitern verurteilt (Schneider 2009). Für die Verständlichkeit bilden Fremdwörter allerdings zunächst eine Sprachbarriere, man denke z. B. an die vielen Anglizismen aus dem IT-Bereich: User, Download, Website, Software. Die Bedeutungen dieser Wörter müssen gelernt werden. (7) Viele Fremdwörter sind im wissenschaftlichen Diskurs obsolet und sollen nur die Impression von Kompetenz des Autors und seiner Partizipation an der Scientific Community kommunizieren. Oft gibt es durchaus akzeptable deutsche Ausdrücke - für Impression z. B. Eindruck -, man findet sie in einem Synonymwörterbuch. Aber neue Wörter haben offenbar eine gewisse Attraktivität, sie wirken cool und kompetent. Fachwörter, Termini Ein Fachwort - als Fremdwort: Terminus - ist ein Wort, das innerhalb einer Wissensdomäne eine eindeutig definierte Bedeutung hat. Diese Definition erleichtert die Kommunikation zwischen Experten, richtet aber eine Barriere zu den Laien auf. Ein Fachwortschatz kann sehr umfangreich werden. So enthält das medizinische Fachlexikon Pschyrembel etwa eine Million Termini, darunter 22000 Akronyme! Der Fachwortschatz der Informatik wird auf etwa 10000 Termini geschätzt. <?page no="173"?> 173 7.2 Verständliche Wörter Soziologisch betrachtet hat eine Fachsprache immer auch die Funktion einer Abgrenzung von anderen gesellschaftlichen Gruppen. Wer versteht z. B. auf Anhieb den Psycho-Jargon im Beispiel (8)? (8) Ambiguitätstoleranz ist das psychische Korrelat der Normen- und Interpretationsdiskrepanzen sowie der nicht voll komplementären Bedürfnisbefriedigung im Interaktionssystem. Zwischen Fremd- und Fachwörtern gibt es einen großen Überlappungsbereich: Viele Fachwörter sind Fremdwörter. Was ihre Verarbeitung betrifft, gelten für Fachwörter deshalb dieselben Befunde wie für ungebräuchliche Wörter und Fremdwörter. In populärwissenschaftlichen Texten ist die Fachwortdichte für den subjektiven Eindruck von Schwerverständlichkeit und eine abnehmende Lesegeschwindigkeit verantwortlich (Wolfer, Held & Hansen-Schirra, 2015). Kurzwörter: Abkürzungen, Akronyme Der Aküfi (= Abkürzungsfimmel) wird oft moniert und ist ein Merkmal aller Fachsprachen. Aber Menschen vermeiden gern Anstrengungen, auch kleine. Deshalb werden für lange und häufig vorkommende Wörter oder Wortgruppen Kurzwörter eingeführt. In der Antike brauchte man bei Inschriften nicht so viele Buchstaben einzugravieren und im Mittelalter hatten die Mönche weniger Text zum Abschreiben. Bei den Kurzwörtern unterscheiden die Linguisten Abkürzungen und Akronyme (Steinhauer, 2000). Abkürzungen sind Schreiberleichterungen, die regelhaft aus einer Buchstabengruppe des Basisworts zusammengesetzt sind. Geläufige Abkürzungen kennt wohl jeder, ungeläufige müssen in einem Text neu eingeführt werden. (9.1) Geläufige Abkürzungen: Abk. = Abkürzung; Nr. = Nummer; Bsp. = Beispiel; usw. = und so weiter; Tab. = Tabelle (9.2) Ungeläufige Abkürzungen: Ref. = Referenz; T-B = Text und Bild Eine Form der Abkürzung sind Silbenkurzworte wie Navi, Akku oder Trafo, eine andere sind Buchstabenkurzworte, die sich aus beliebigen Buchstaben der Vollform zusammensetzen: DAX (= Deutscher Aktienindex). Geläufige Abkürzungen stellen kein Verständnisproblem dar, man sollte sich allerdings im Duden über einige Rechtschreibregeln informieren (Flexion, Punktsetzung, Leerzeichen usw.). <?page no="174"?> 174 7 Grammatische Verständlichkeit Akronyme sind Kunstworte, die sich aus den Anfangsbuchstaben oder -silben der Morpheme eines längeren Ausdrucks zusammensetzen. Sie werden deshalb auch als Initialwörter (lat. initium = Anfang) bezeichnet. (10) WG-=-Wohngemeinschaft; RSZ-=-Regelstudienzeit; NATO-=-North Atlantic Treaty Organisation; HTML-=-Hypertext Markup Language Für die fachinterne Kommunikation sind Kurzwörter ein Segen: Wer möchte statt von Laser von Light Amplification by Stimulated Emissions of Radiation sprechen? In der Experten-Laien-Kommunikation können diese Schreib- und Leseerleichterungen aber zur Sprachbarriere werden: Ein Adressat kennt ein Kürzel nicht oder er versteht es falsch. Angehenden Schreibprofis wird deshalb der Rat mit auf den Weg gegeben, ein Akronym beim ersten Vorkommen explizit mit der Vollform einzuführen. Oft hat man die Vollform eines Akronyms vergessen, dann kann man im Web in einem der Akronym-Lexika nachschlagen: http: / / de.globalacronyms.com. Hier findet man die Bedeutung von Akronymen aus den wichtigsten Sprachen und nach Kategorien geordnet (z. B. IT, Finanzen, Wissenschaft, Bildung). Hier kann man z. B. entdecken, dass das Akronym CMS 95 Bedeutungen hat. http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Liste_der_Listen_von_Abkürzungen. Auf dieser Site findet man Links zu Abkürzungslexika für bestimmte technische Domänen (z. B. Luftfahrt, Eisenbahn, Computer usw.). Und noch ein Tipp: Keine redundanten Akronyme! Ein Autor kann sich blamieren, wenn er PIN-Nummer, ASCII-Code oder LCD-Display schreibt, korrekt muss es die PIN, der ASCII und das LCD lauten. Der Linguist George Kingsley Zipf (1932) hat einen Zusammenhang zwischen Worthäufigkeit und Wortlänge entdeckt. Es besagt vereinfacht ausgedrückt: Je häufiger ein Wort vorkommt, desto kürzer ist es. Im Grundwortschatz des Deutschen nehmen kurze Wörter die vorderen Plätze ein: 1. der, 2. die, 3. und, 4. in, 5. des. Kurzwörter folgen also einem Ökonomieprinzip, das durch die quantitative Lexikologie bestätigt wurde (Köhler & Altmann, 2011). Wenn ein sprachlicher Ausdruck sehr oft verwendet wird, dann bilden die Sprachbenutzer eine Abkürzung. Statt immer wieder „Personal Computer“ zu sagen, sprechen sie vom PC. Der sprachliche Aufwand wird verringert, auch das ist eine Schonung von Ressourcen. <?page no="175"?> 175 7.2 Verständliche Wörter Komposita Wörter und Wortformen setzen sich aus kleineren bedeutungstragenden Einheiten zusammen: den Morphemen. Sie sind die eigentlichen Zeichen der Sprache. Die Grammatik unterscheidet: ▶ Lexeme. Sie sind die Stellvertreter für Konzepte, man hat sie verstanden, wenn das entsprechende Konzept im Gehirn aktiviert ist. Beispiele: Haus; Kind; nass; krank. Diese Wortstämme spielen beim Wortverstehen eine zentrale Rolle gegenüber den nachfolgenden funktionalen Morphemen. ▶ Flexionsmorpheme. Sie dienen der Beugung (= Flexion) und haben eine grammatische Bedeutung, denn mit ihnen werden Kasus, Tempus und Numerus festgelegt. Beispiele: des / König/ s/ ; er / schreib/ t/ ; / Kind/ er/ . 32 ▶ Derivationsmorpheme. Sie dienen als Präfixe und Suffixe der Ableitung (= Derivation) neuer Wörter. Sie treten nicht frei, sondern nur an ein Lexem gebunden auf. Beispiele: / ab/ artig/ ; / Un/ dank/ ; / frucht/ bar/ ; / Mess/ ung/ ; / Frei/ heit/ . Ihre Bedeutung ist manchmal nicht mehr klar bewusst. / Un/ in Undank bedeutet Gegenteil, aber / ung/ in Messung? Wörter in Sätzen setzen sich meist aus verschiedenen Morphemen zusammen: (11) / Die/ / finanz/ iell/ en/ / Be/ last/ ung/ en/ / sind/ / un/ trag/ bar/ . Die Wortform „Belastungen“ enthält ein lexikalisches Morphem / last/ , zwei Wortbildungsmorpheme / be-/ ; / -ung/ und ein Flexionsmorphem / -en/ . Wortbildung. Komposition ist ein Typ der Wortbildung, bei dem mindestens zwei Lexeme miteinander verknüpft werden (12.1), es können aber auch mehr werden (12.2 und 12.3): (12.1) / Holz/ haus/ ; / Dach/ ziegel/ ; / Mutter/ sohn/ (12.2) / End/ los/ papier/ ; / Farb/ fern/ seh/ gerät/ ; / Drei/ fach/ steck/ dose/ (12.3) / Fuß/ gäng/ er/ be/ darf/ s/ licht/ an/ lag/ e/ Das Deutsche kann im Vergleich zu anderen Sprachen „als eine in hohem Maße kompositionsfreudige Sprache“ beschrieben werden (Schlücker, 2012, S. 2) 33 . Es 32 Die Notation für Morpheme ist uneinheitlich. Wir haben uns hier für Schrägstriche entschieden. 33 Im Türkischen und Finnischen können ebenfalls zahlreiche Morpheme zu einem satzähnlichen Wort zusammengekoppelt werden. Das menschliche Gehirn kann also grundsätzlich mit Kompositionalität umgehen (Dehaene, 2010). <?page no="176"?> 176 7 Grammatische Verständlichkeit gibt zahlreiche Klassifizierungen von Komposita, die meisten sind Determinativkomposita. Diese Wörter folgen einem einfachen Konstruktionsprinzip: Das rechte Morphem (Grundmorphem oder semantischer Kopf) referiert auf ein Konzept, das vom vorangestellten Morphem näher bestimmt wird (Bestimmungsmorphem). Mit dem Bestimmungsmorphem wird ein Unterkonzept zum Grundmorphem gebildet. Das Grundmorphem legt dabei Kasus und Genus des Kompositums fest: (13.1) / Schirm/ mütze/ (13.2) / Mütze/ n/ schirm/ Beim Kompositum (13.1) handelt es sich um eine Mütze, die mit einem Schirm ausgestattet ist, beim Kompositum (13.2) um einen Schirm, der an einer Mütze angebracht ist. Dabei wird ein Fugenelement / n/ verwendet, das eine glattere Aussprache ermöglicht. Das Deutsche ist eine regressive Sprache, im Französischen wird die Bestimmung nachgeliefert: (13.3) casquette à visière (13.4) visière de casquette Die Komposition ist in der deutschen Sprache eine häufige Form der Wortbildung, um den Wortschatz zu erweitern. Es gibt zahlreiche semantische Beziehungen zwischen den Kompositionsmorphemen, aber alle folgen einem Prinzip der Sprachökonomie: In einem Wort werden Aussagen verdichtet, die sonst nur mit Nebensätzen oder Attributen formuliert werden können. Komposita können also durchaus zur Prägnanz und kurzen Sätzen beitragen. (14) komfortable Sitze = Komfortsitze; zentrale Themen = Kernthemen; spezifisches Fachwissen = Spezialwissen Man kann aber durch rekursive Anwendung zu sehr komprimieren und dann wird es für das Verstehen schwierig. (15) Lichthauptschalterhalteblech; Rillengleitgelenk; Heizungsanlagen-Frisch- und Umluftklappenbetätigung, Bremsflüssigkeitsstandsmessung Am häufigsten sind Komposita aus zwei Nomen, in Fachsprachen kommen aber auch Komposita aus zwei Verben vor (16) schleifpolieren; schwingschleifen; rührbraten <?page no="177"?> 177 7.2 Verständliche Wörter Es gehört zur sprachlichen Kreativität, in einer Situation spontan sogenannte Ad-hoc-Komposita zu bilden, wenn z. B. ein Kind sich einen Kochtopf aufsetzt und ihn Eisenhut nennt. Aus mehr als drei Lexemen zusammengesetzte und schwer verständliche Komposita können mit einem Bindestrich übersichtlicher werden (17.1). Aber an sinnvoller Stelle trennen (17.2)! (17.1) Mehrzweck-Küchenmaschine; Umsatzsteuer-Tabelle; Kaffee-Ersatz; geistig-kulturelle Strömung; grau-brauner Farbton; Auspuff-Flamme. (17.2) Drehstrom-Motor (nicht Dreh-Strommotor); Quecksilberdampf-Lampe (nicht Quecksilber-Dampflampe); Druck-Erzeugnis oder Drucker- Zeugnis Bei transparenten Komposita setzt sich die Bedeutung aus den Einzelbedeutungen der Lexeme sowie der Relation zwischen ihnen zusammen. Dabei gibt es zahlreiche Möglichkeiten, von denen eine Bedeutung lexikalisiert wird. (18.1) Brathering = Hering, der gebraten wird; Bratofen = Ofen zum Braten (18.2) Schweineschnitzel = Schnitzel vom Schwein; Jägerschnitzel = Schnitzel, das Jäger essen. Es gibt intransparente Komposita, bei denen sich die Bedeutung nicht aus den Bestandteilen ableiten lässt (19). (19) Junggeselle; Traumtänzer; Angsthase Hier muss die neue Bedeutung gelernt, d. h. zusätzlich im konzeptuellen Netz eingetragen werden. Verarbeitung. Mehrmorphemische Wörter gehören aus verschiedenen Gründen zu den potenziell schwer verständlichen Wörtern. Dabei liegt das Hauptproblem bei der Relation zwischen den Konstituenten (Gagné & Spalding, 2006). Zunächst gibt es einen gut belegten Wortlängeneffekt (Baddeley, Thomson-& Buchanan, 1975). Je länger Wörter sind - hier gemessen in der Anzahl der Silben -, desto länger ist ihre Lesezeit. Lange Komposita brauchen beim Lesen mehr Fixationen und mit der Wortlänge steigen die Fixationszeiten exponentiell. Das bedeutet: Bei langen Wörtern können weniger Wörter im Arbeitsgedächtnis bereitgehalten werden und dies stellt eine Erschwernis für die Verarbeitung dar. Dabei muss der oder die Lesende oder Hörende auf das Grundmorphem an letzter Stelle warten, bevor das ganze Wort verstanden <?page no="178"?> 178 7 Grammatische Verständlichkeit werden kann. Ein sehr langes Kompositum kann bereits den Arbeitsspeicher überlasten: Die vorderen Morpheme sind vergessen, wenn man das letzte Morphem aufnimmt. Das dürfte bei (20) der Fall sein, dem längsten Wort im Korpus des Duden: (20) Grundstückverkehrsgenehmigungszuständigkeitsübertragungsverordnung Diese Wortbildungen sind zwar grammatisch korrekt, aber für die kognitive Verarbeitung und das Verstehen sind sie eine Zumutung. Mit Priming-Experimenten konnte Zwitzerlood (1996) zeigen, dass das zweite Lexem eines Kompositums die Bedeutungsbasis des ganzen Wortes bildet. Der Prime „Damenstrumpf “ führt beim Target „Strumpf “ zu einer stärkeren Voraktivierung als beim Target „Dame“. Ein Damenstrumpf ist eben ein Strumpf und keine Dame. Der lexikalische Zugriff beim Erkennen von Komposita ist noch nicht eindeutig geklärt, aber viel spricht für ein Zwei-Routen-Modell (Schreuder & Baayen, 1995; Bartlitz, 2010): Geläufige Komposita werden als Vollform verstanden, ungeläufige Komposita erst aus den Bedeutungen der Morpheme zusammengesetzt. (21.1) Schwein/ e/ braten (21.2) Schwein/ e/ urin Der Schweinebraten ist zumindest in Deutschland ein geläufiges Wort, das ganzheitlich abgerufen wird. Beim Kompositum Schweineurin werden die Konzepte „Schwein“ und „Urin“ zunächst getrennt aktiviert und dann die Bedeutungen kombiniert. Diese Zerlegung und Kombination von Bedeutungen erfordert mehr Ressourcen als der Zugriff auf ein geläufiges Kompositum. Abstrakte Wörter, Nominalisierungen Ein Wort ist abstrakt, wenn sein Referent in der Wirklichkeit nicht mit den Sinnen wahrnehmbar ist, sondern für ein abstraktes Konzept steht. Während konkrete Wörter in direkten Erfahrungen mit der Umwelt gelernt werden, werden abstrakte Wörter über die Sprache gelernt. Dementsprechend können abstrakte Wörter nur schwer eine visuelle oder andere Vorstellung auslösen, aber sie können nachträglich mit Vorstellungen assoziiert werden, z. B. kann man sich bei Demut einen bescheidenen Mönch oder bei Gerechtigkeit eine Waage vorstellen. Sachtexte sind ohne abstrakte Wörter nicht denkbar, sie <?page no="179"?> 179 7.2 Verständliche Wörter müssen allerdings mit Definitionen, Beispielen und Gegenbeispielen explizit eingeführt werden (Kap. 8.3). Eine Besonderheit der Wortbildung macht Sachtexte besonders schwer verdaulich: die Nominalisierung. Wortbildung. Eine Nominalisierung (auch Substantivierung) ist ein Nomen, das aus einem Verb oder einem Adjektiv abgeleitet ist und eine Tätigkeit, einen Prozess oder eine Eigenschaft bezeichnet. Eine Nominalisierung macht aus einem konkreten Verb ein abstraktes Nomen. Es gibt mehrere Formen der Nominalisierung: Substantivierter Infinitiv das Auftreten, das Entfernen, das Führen, das Verschwinden, das Vorgehen Verbstamm + Derivationsmorphem die Neugestaltung, die Weiterentwicklung, die Verwirklichung, die Gewährleistung Verbalableitung der Ausbau, der Wechsel, der Einfluss, der Verlauf, die Aufnahme Adjektivstamm + Derivationsmorphem die Zugehörigkeit, die Tätigkeit, die Zuständigkeit, die Möglichkeit Bild 11: Tabelle zu Bildung von Nominalisierungen. Quelle: modifiziert nach Heringer (1989, S. 301). Unproblematisch ist die Nominalisierung null- oder einwertiger Verben wie das Tauen oder das Arbeiten. Abstrakter sind abgeleitete Nominalisierungen: „Es ist nicht sehr schwierig, ein sanftes, biegsames Verb mit Hilfe der Nachsilbe ‚-lich‘ in ein Adjektiv und dann mit dem weiteren Zusatz ‚-keit‘ in ein Substantiv hochzurüsten und mit abstrakterem Deutungsanspruch zu panzern“ (Groebner, 2012, S. 108). Nominalisierungen verdinglichen Prozesse, sie behandeln Prozesse wie Gegenstände. Wer eine Beziehung hat oder an einer Beziehung arbeitet, unterstellt mit dieser Formulierung, dass es ein Ding wie „Beziehung“ gibt, anstelle wechselseitiger Prozesse zwischen Personen. - Auch die in Sachtexten beliebten Funktionswortgefüge wie „eine Abschaltung durchführen“ statt schlicht „abschalten“ verdinglichen einen Vorgang. Die amerikanische Wissenschaftlerin und Literatin Helen Sword (2012) bezeichnet Nominalisierungen treffend als „Zombie nouns“, der Linguist Uwe Poerksen (1988) als „Plastikwörter“. Er hat eine Reihe von abstrakten „Plastikwörtern“ an den Pranger gestellt, die kaum noch einen Sinn transportieren, aber gerade in wissenschaftlichen Texten ihr Unwesen treiben. Dazu gehören z. B. <?page no="180"?> 180 7 Grammatische Verständlichkeit Prozess, Struktur, Modell, Integration, System, Beziehung, Entwicklung, Modernisierung usw. Sie sind hoch abstrakt, semantisch unbestimmt und dadurch in ihrem Anwendungsbereich fast unbegrenzt. Sie können überall eingesetzt werden und lassen selbst triviale Aussagen tiefsinnig erscheinen. (22) Für eine empirische Literaturwissenschaft steht von der Basis her der literarische Kommunikationsprozess bzw. das rezipierte Werk im Mittelpunkt. Jeder kennt wahrscheinlich die Phrasendreschmaschine (z. B. als Phrasomat im Web): Eine Liste von Adjektiven kann mit einer Liste von Komposita beliebig kombiniert werden. Immer ergeben sich imposante Formulierungen: relevanter Kommunikationssupport, zentrale Ressourcen-Entwicklung, systematische Qualitätsoptimierung usw. Diese Kombinatorik geht nur mit bedeutungsarmen anämischen Plastikwörtern! Auch hier gilt, dass Nominalisierungen nicht per se von Übel sind, sie erlauben verdichtete und oft kürzere Formulierungen. Aber einfache Verben sind in den meisten Fällen verständlicher. Verarbeitung. Es gibt zahlreiche Belege dafür, dass abstrakte Wörter mehr Verarbeitungsaufwand als konkrete Wörter erfordern (Paivio, 1991). Neuropsychologische Befunde zeigen, dass bei der Verarbeitung abstrakter Wörter linkshemisphärische Areale beteiligt sind, bei der Verarbeitung konkreter Wörter auch rechtshemisphärische Areale (Papagno et al., 2009). Bei neuropsychologischen Patienten ist oft eine Dissoziation konkreter und abstrakter Wörter feststellbar: Bei semantischer Demenz sind abstrakte Wörter stärker betroffen als konkrete Wörter. In allen Stilratgebern werden Nominalisierungen an den Pranger gestellt, aber ob diese Wörter tatsächlich schwieriger zu verarbeiten sind, dazu gibt es wenige belastbare Untersuchungen. Edmund Coleman (1971) konnte zeigen, dass Sätze mit aktiven Verben besser verstanden werden als mit Nominalisierungen. Die Sätze mussten wörtlich wiedergegeben werden, als Indikator der Verständlichkeit wurde die Anzahl der Darbietungen bis zur ersten korrekten Wiedergabe genommen, ein recht grobes Maß. Oft zitiert, aber schwer auffindbar ist eine Dissertation von Mina Berkowitz (1972), die eine Erschwernis des Lesens durch Nominalisierungen nachgewiesen hat (nach Christmann & Groeben, 1996, S. 151). Umgekehrt ist sicher: Konkret-anschauliche Texte werden nicht nur besser behalten, sondern sie erleichtern offenbar auch Inferenzen (Wippich, 1987) und werden als interessanter eingeschätzt (Sadoski & Paivio, <?page no="181"?> 181 7.2 Verständliche Wörter 2013). Konkretheit hat sich als zuverlässiger Prädiktor für Verständlichkeit und Interessantheit eines Textes erwiesen (Kap. 10.2). Den schlechten Ruf haben Nominalisierungen auch der Tatsache zu verdanken, dass ihre Verwendung erhebliche Konsequenzen für den Satzbau hat. Wer viele Nominalisierungen in einen Satz packt, der bekommt einen schwer verständlichen Nominalstil (Kap. 7.3). Mehrdeutige = ambige Wörter Zwei unterschiedliche Fälle von Mehrdeutigkeit haben wir kennengelernt (Kap. 6.2): Homografische Wörter werden trotz verschiedener Etymologie zufällig gleich geschrieben, haben aber mehrere Bedeutungen. Polyseme Wörter gehen auf eine gemeinsame etymologische Wurzel zurück, haben aber Bedeutungsvarianten herausgebildet. Mehrdeutige Wörter führen beim Verstehen selten zu Schwierigkeiten, denn der situative oder der sprachliche Kontext legen eine Bedeutung nahe und schließen andere aus. Nur bei einigen - immer wieder zitierten - Beispielen bleibt eine Mehrdeutigkeit (23.1). Wortspiele basieren oft auf Mehrdeutigkeiten (23.2) und es gibt zahllose Witze, die auf Mehrdeutigkeiten, oft Zweideutigkeiten beruhen (23.3). (23.1) 1916 erkrankte-Maurice Ravel-an der Ruhr.- (23.2) Die Manager verdienen nicht, was sie verdienen. (23.3) Bei der Zimmerwirtin klingelt ein junger Mann: „Ich möchte zu Gaby.“ - „Die ist ausgezogen.“ - „Das macht nichts, wir kennen uns sehr gut.“ Das Spiel mit Mehrdeutigkeit ist durchaus reizvoll, es bleibt aber die Frage, ob mehrdeutige Wörter zusätzliche Verarbeitungsressourcen erfordern. Dazu liegen zahlreiche Befunde aus Priming- und Blickbewegungsstudien vor, die ein differenziertes Bild ergeben (Leinenger & Rayner, 2013; Brocher, Foraker & Koenig, 2016). Dabei spielt die Häufigkeit einer Bedeutung eine wichtige Rolle (Kap. 6.3). Die Desambiguierung geht beim Lesen so schnell und sicher, dass wir uns selten einer Mehrdeutigkeit bewusst werden. Ein Verständlichkeitsproblem bilden allerdings Polyseme, die als Alltagswörter in eine Fachsprache übernommen werden und dort eindeutig, aber von der Alltagsbedeutung abweichend definiert werden. Man nennt diesen Vorgang Terminologisierung. So bekom- <?page no="182"?> 182 7 Grammatische Verständlichkeit men die Wörter „Masse“, „Kraft“, „Arbeit“, „Leistung“ in der Physik eine etwas andere Definition als im alltäglichen Sprachgebrauch. Noch schwieriger ist es mit psychologischen Fachwörtern, die oft aus der Alltagssprache stammen: „Wahrnehmung“, „Vorstellung“, „Begriff “ usw. Auch die Soziologie ist davon betroffen: Was ist eine Gruppe? Was eine Institution? Zusatzmaterial 8: Übung zur lexikalischen Verständlichkeit 7.3 Einfache Sätze Wir erinnern uns daran, dass die Syntax eine Magd der Semantik ist. Sie wird gebraucht, um komplexe Zusammenhänge zu kommunizieren, und sie dient dem Absender dazu, seine Perspektive auszudrücken und die Verarbeitung der Mitteilung beim Adressaten zu steuern. Eine rekursive Syntax ermöglicht, eine Regel mehrfach anzuwenden, und erlaubt komplexe Satzgebilde. Dass lange, komplexe und verschachtelte Sätze der Verständlichkeit abträglich sind, kann sicher jeder bestätigen, der sich mit umständlich formulierten Bedienungsanleitungen, wissenschaftlichen oder juristischen Texten auseinandersetzen musste. Die Grammatik stellt viele Varianten bereit, um Gedanken auszudrücken, aber manche Satzkonstruktionen erfordern erhebliche mentale Ressourcen zum Verstehen. Hier eine Liste: ▶ regressive Konstruktionen ▶ Passivkonstruktionen ▶ Verneinungskonstruktionen ▶ Klammerkonstruktionen ▶ Einbettung und Schachtelsätze ▶ Komprimierter Nominalstil ▶ mehrdeutige Konstruktionen ▶ unübersichtliche Abfolgen und Aufzählungen ▶ mit Füllseln aufgeblähte Sätze Auch hier gilt wieder: Es geht nicht darum, bestimmte Satzkonstruktionen zu verbieten, sondern deutlich zu machen, welchen mentalen Aufwand man den Adressaten zumutet. Bevor wir diese Konstruktionen unter die Lupe nehmen, werfen wir einen Blick auf die kommunikativen Funktionen der Syntax, denn jede Variante der Formulierung hat ihren eigenen kommunikativen Wert. <?page no="183"?> 183 7.3 Einfache Sätze Einfache Sätze, Satzreihen, Satzgefüge Die deutsche Grammatik unterscheidet einfache Sätze und komplexe Sätze. ▶ Einfache Sätze sind Aussage-, Frage- und Aufforderungssätze. Sie haben eine festgelegte grammatische Grundform und erfordern deshalb keine besonderen Verstehensbemühungen. ▶ Komplexe Sätze sind Verknüpfungen von mehreren Sätzen: Bei der Satzreihe werden gleichwertige Hauptsätze aneinandergereiht. Bei Satzgefügen wird ein Hauptsatz mit einem oder mehreren Nebensätzen verknüpft. Um einen komplexen Satz zu verstehen, muss man ihn syntaktisch analysieren. Ein Satz ist umso schwieriger, je mehr Ressourcen der Lesende zum Verstehen aufbringen muss: „Die beobachtbare kognitive Komplexität eines Satzes ist eine einfache Funktion des Gedächtnis- und Verarbeitungsaufwandes, welcher […] bei der Analyse dieses Satzes notwendig ist“, so bereits Kaplan (1978, S. 42). Die Satzkomplexität war immer ein Kandidat für die Schwerverständlichkeit von Texten. Aber wie bestimmt man Satzkomplexität? Die Satzlänge wird gern als einfach zählbarer Indikator genommen, greift aber sicher zu kurz. Um Satzkomplexität zu bestimmen, braucht man eine psychologisch valide Syntaxtheorie. Welche Satzkonstruktionen besondere Anforderungen an die Adressaten stellen, das weiß man aus psycholinguistischen Untersuchungen. Regressive Konstruktionen Ein Konstruktionsprinzip der deutschen Sprache ist für das Verstehen besonders schwierig: Charles Bally (1965) unterschied progressive und regressive Sprachen. Bei progressiven Sprachen folgen die Informationen immer vom Bekannten zum Unbekannten, wobei jede neue Information den erreichten Wissensstand des Adressaten ausbaut. Ein Beispiel ist die Stellung des Adjektivs im Französischen und im Deutschen: (24.1) un manteau bleu clair (24.2) ein heller blauer Mantel Im Französischen wird ein Mantel eingeführt, der dann progressiv als blau und dann als hell gekennzeichnet wird. Im Deutschen wird zuerst hell eingeführt, dann blau, aber erst danach wird klar, dass ein Mantel beschrieben wird. Der Adressat kann also nicht Wort für Wort aufnehmen und eine Bedeutung konstruieren, sondern er muss mehrere Wörter im Arbeitsspeicher halten, bis mit <?page no="184"?> 184 7 Grammatische Verständlichkeit dem letzten Wort das Verständnis erreicht wird. Dieses Prinzip der Regressivität findet man bei verschiedenen grammatischen Konstruktionen des Deutschen. (25) das beim Vormarsch der Russen zum Reichstag mit Granaten beschossene Haus (26) Mit dem Nachtzug fuhr Max nach Berlin. Alle regressiven grammatischen Konstruktionen verlangen bei den Adressaten zusätzliche Verarbeitungsressourcen. Passivkonstruktionen Darunter werden Konstruktionen verstanden, bei denen das Objekt einer Handlung zum grammatischen Subjekt wird. Die Grammatik unterscheidet das Vorgangspassiv mit dem Hilfsverb „werden“ (27.1) und das Zustandspassiv (27.2) mit dem Hilfsverb „sein“, das das Resultat einer Handlung angibt. Und schließlich gibt es Konstruktionen mit parasitären Verben wie „bekommen“, „erhalten“, „kriegen“ (27.3). (27.1) Der Filter wird vom Betreiber jedes Jahr zum Schutz neu angestrichen. (27.2) Der Filter ist vom Betreiber mit einem Schutzanstrich versehen. (27.3) Der Filter bekommt vom Betreiber jedes Jahr einen Schutzanstrich. Passivkonstruktionen erfüllen mehrere kommunikative Funktionen (Eroms 1974; Reinhardt, Köhler & Neubert, 1992; Nickl, 2014). Man kann nicht wie viele Stilratgeber behaupten, dass sie grundsätzlich schwieriger zu verstehen sind als aktive Konstruktionen. Reversible Sätze. Das Werden-Passiv stand lange im Verdacht, für die Sprachverarbeitung schwieriger als das Aktiv zu sein. Es kommt in der gesprochenen Alltagssprache nur selten vor (7 %) und Experimente ergaben, dass passive Sätze längere Verarbeitungszeiten benötigen als aktive. Deshalb findet man in Stilratgebern oft die Empfehlung, auf Passivkonstruktionen zu verzichten. Inzwischen weiß man aus psycholinguistischen Untersuchungen, dass das Passiv nicht generell schwieriger ist (Slobin, 1966). Schwierig sind nur sogenannte reversible Sätze. Bei einem reversiblen Satz (28.1) ergibt eine Vertauschung von Subjekt und Objekt auch einen sinnvollen Satz. Bei einem irreversiblen Satz (28.2) ist das nicht der Fall. (28.1) Den christlichen Milizen wurde in Beirut von den Moslems eine Niederlage beigebracht. <?page no="185"?> 185 7.3 Einfache Sätze (28.2) Nach dem Unfall wurde die Verletzte vom Notarzt versorgt. Auch die Moslems können eine schwere Niederlage erleben, aber die Verletzte kann den Notarzt nicht versorgen. Das Passiv bildet damit ein schönes Beispiel für die Hilfsfunktion der Syntax: Wenn die Beziehung zwischen den Begriffen nach dem Vorverständnis der Adressaten klar ist, dann spielt eine aktive oder passive Formulierung keine Rolle in der Verarbeitung. Ist sie aber nicht eindeutig, dann legt die Syntax die Beziehung fest! Dabei erfüllt das Passiv mehrere kommunikative Funktionen. Eliminierung des Akteurs. Passivkonstruktionen ermöglichen, den Akteur einer Handlung nicht zu nennen. Das beeinträchtigt nicht die Verständlichkeit, wenn der Akteur aus dem Kontext oder dem Vorwissen bekannt (29) oder schlicht unwichtig ist (30). (29) Letztes Jahr wurden mehr Einbrüche aufgeklärt. (30) Die Tankklappe lässt sich mit einem Inbus der Größe 5 öffnen. Auch wenn in einem Gerät etwas abläuft (31.1), gibt es in der Regel einen benennbaren Auslöser (31.2), dessen Nennung zum Verstehen der Zusammenhänge beitragen kann. (31.1) Die erforderliche Auflösung wird berechnet. (31.2) Der Konverter berechnet die erforderliche Auflösung. An journalistischen Texten wird oft misstrauisch kritisiert, dass mit dem Passiv die Akteure bewusst verschwiegen werden und Handlungen konkreter Personen als zwangsläufige Entwicklungen erscheinen. (32) Die Armut im Land wird nicht bekämpft. (Wer versagt hier? ) (33) Im Werk X werden Produktionskapazitäten stillgelegt. (Wer legt still? ) Eine optimistische Hypothese besagt: Wenn kein Akteur genannt wird, dann führt das dazu, dass die Adressaten darüber nachdenken, wer der mögliche Täter oder Agent sein könnte, das erfordert zusätzliche Ressourcen für die notwendigen Inferenzen. Aber sehr wahrscheinlich ist diese Denkbemühung nicht. Völlig tabu sind Passivkonstruktionen in Sätzen, die zum Handeln anleiten sollen (34.1). Hier muss der oder die Handelnde genannt bzw. direkt angesprochen werden (34.2). (34.1) Vor dem Öffnen des Hochdruckteils der Einspritzanlage muss der Druck auf einen Restdruck abgebaut werden. <?page no="186"?> 186 7 Grammatische Verständlichkeit (34.2) Vor dem Öffnen des Hochdruckteils der Einspritzanlage müssen Sie den Druck auf einen Restdruck abbauen! Akzentuierung von Konzepten. Das Passiv ermöglicht die Akzentuierung einer Mitteilung, indem die Aufmerksamkeit auf ein Konzept gelenkt wird: Das logische Objekt wird zum Subjekt, rückt meist auf die erste Position im Satz und wird beim Hören oder Lesen als Erstes aktiviert. (35.1) Das Parlament ratifiziert Verträge. (35.2) Verträge werden vom Parlament ratifiziert. (35.3) Ratifiziert werden Verträge vom Parlament. Im Satz (35.1) wird zuerst das Konzept Parlament aktiviert und dazu angetragen, dass es zu seinen Aufgaben gehört, Verträge zu ratifizieren. Im Satz (35.2) wird zuerst Verträge aktiviert und dazu angetragen, dass sie vom Parlament ratifiziert werden müssen. Im Satz (35.1) erfährt man etwas Neues über das Parlament, im Satz (35.2) über Verträge. Sogar das Verb kann kommunikativ betont werden (35.3). Diese Funktion hat dem Passiv auch die Bezeichnung „Leideform“ eingebracht. Auch hier gilt: Keine Passivkonstruktion ist grundsätzlich von Übel, aber der Autor bzw. die Autorin muss sich der kommunikativen Funktionen und der Anforderungen an das Verstehen bewusst sein. Verneinungskonstruktionen Auch verneinte Sätze standen unter dem Verdacht, dass sie schwerer zu verarbeiten sind als affirmative Sätze. „Verneinungen verwirren das Gehirn“, so das Credo der bekannten Trainerin Birkenbihl. Tatsächlich kann man z. B. mit einer Verneinung in einer MC-Aufgabe die Testpersonen verwirren: (36) Streichen Sie die Wörter an, die nicht zu den Konjunktionen gehören. Regelmäßig wird diese Negation überlesen oder die Bearbeitung ist mühsam, weil man ein wenig um die Ecke denken muss. Denn gewöhnlich streicht oder kreuzt man an, was zutrifft. Aber wie bei passiven Konstruktionen zeigen Untersuchungen ein differenzierteres Bild. Verneinte Satzkonstruktionen sind nicht grundsätzlich schwer verständlich, sie sind dies nur, wenn sie unerwartet und isoliert vorkommen. (37) Die Vase fiel vom Tisch. Die Vase ist nicht zerbrochen. <?page no="187"?> 187 7.3 Einfache Sätze Nach dem ersten Satz ist es naheliegend, dass die Vase zerbricht, aber das weist der negative Satz zurück. Die Verarbeitung negativer Sätze ist also kontextabhängig (Lüdtke, 2008). Schwierig bleibt die doppelte Verneinung, die ja eine besondere Form der Bejahung darstellt: (38) Er ist nicht untalentiert. (39) Er hatte kein Interesse, die Hausaufgaben nicht zu machen. Doppelte Verneinungen haben als rhetorische Stilmittel (Litotes) in Sachtexten nichts zu suchen. Klammerkonstruktionen Die deutsche Grammatik sieht die sogenannte Satzklammer (auch Verb- oder Prädikatsklammer) vor: Dabei wird ein mehrteiliges Prädikat auseinandergerissen und dazwischen stehen andere Satzteile. In der Linguistik wird dabei der Satz in ein Vorfeld vor dem finiten Teil des Verbs, in ein Mittelfeld vor dem infiniten Teil des Prädikats und eventuell ein Nachfeld eingeteilt. Es gibt mehrere Varianten der Prädikatsklammer, wie die Sätze im Bild 12 verdeutlichen. Man spricht hier auch von diskontinuierlichen Konstituenten. Vorfeld 1. Teil Prädikat Mittelfeld 2. Teil Prädikat Nachfeld Klammertyp Am Abend macht der erschöpfte Politiker eine Flasche Sekt auf um sich zu entspannen. trennbares Verb Er hatte den ganzen Tag durch hart gearbeitet um eine Grundsatzrede fertigzustellen. Tempus Plusquamperfekt Er will mit dieser Rede seine Partei überzeugen. Modalverb + Infinitiv Die Partei ist in vielen Fragen heillos zerstritten. Prädikativ Am Folgetag wurde die Rede begeistert beklatscht. Passiv Bild 12: Tabelle verschiedener Typen von Prädikatsklammern im Feldermodell eines deutschens Satzes. <?page no="188"?> 188 7 Grammatische Verständlichkeit Das Verstehensproblem entsteht im Mittelfeld, das viele Satzteile enthalten kann und so das mehrteilige Prädikat auseinanderreißt. In einem technischen Fachaufsatz haben Baumert & Verhein-Jarren (2012, S. 96) den Satz gefunden: (40) Dadurch wird bei Bauteilen, wie z. B. Pleuel, Kurbelwellen oder Schraubenfedern, die während ihres Einsatzes sich wiederholenden Spitzenbeanspruchungen mit weitaus mehr als 1067 Schwingspielen ausgesetzt werden und eine Gesamtlebensdauer von 109 bis 1010 Schwingspielen erfahren, aber die maximalen Beanspruchungen auslegungsbedingt nicht in den Bereich der Zeitfestigkeit gelangen dürfen, die Gefahr eines Versagens […] nur durch entsprechende Sicherheitsfaktoren vermieden. Im Satz (40) wird das Hilfsverb „werden“ zur Passivbildung vom Vollverb getrennt. Schauen wir uns weitere häufig vorkommende Konstruktionen an: Trennbare Verben = Partikelverben. Im Deutschen gibt es viele trennbare Verben, die sich aus dem Stamm und einem Verbzusatz (Vorsilbe oder Präfix) zusammensetzen (41), z. B. „auswechseln“ aus dem Stamm „wechseln“ und dem Präfix „aus“. Bei einer Flexion entsteht eine Prädikatsklammer, welche Adressaten kurzfristig im Unklaren lässt, bis der Verbzusatz gelesen wird (42). (41) auswechseln, vorschlagen, ausschalten, aufmachen, abschneiden (42) Dabei hebt sich bei hohen Temperaturen eine auch mit bloßem Auge deutlich erkennbare schwach verfärbte und unregelmäßig begrenzte Stelle ab. Mark Twain, der sich über etliche Eigenarten der deutschen Sprache mokiert hat, schreibt in einem Essay über die schreckliche deutsche Sprache (2010, S. 23): „Die Deutschen haben noch eine Art von Parenthese, die sie bilden, indem sie ein Verb in zwei Teile spalten und die eine Hälfte an den Anfang eines spannenden Absatzes stellen und die andere an das Ende. Kann sich jemand etwas Verwirrenderes vorstellen? Diese Dinger werden ‚trennbare Verben‘ genannt. Die deutsche Grammatik ist übersäht von trennbaren Verben wie von den Pusteln; und je weiter die zwei Teile auseinandergezogen sind, desto zufriedener ist der Urheber des Verbrechens mit seinem Werk.“ Bei den trennbaren Verben aus Vorsilbe und Stamm kann die Prädikatsklammer die Lesenden kurzfristig sogar in die Irre führen. (43) Die Kinder schlugen ihren Mitschüler zum Klassensprecher vor. <?page no="189"?> 189 7.3 Einfache Sätze Zuerst denkt man an Prügel, dann wird plötzlich klar, dass es sich nicht um das Verb „schlagen“, sondern das Verb „vorschlagen“ handelt. Mehrteilige Prädikate. Das Passiv wird mit einem Hilfsverb gebildet, zwischen Hilfsverb und Vollverb stehen in Satz (44.1) zwei Subjekte und drei Adverbiale. (44.1) Bei extremer Kälte wird die Heizung in Behörden, Kulturzentren und Kinos sowie die Warmwasserversorgung in Wohnungen abgestellt. Wenn das Hilfsverb gelesen ist, muss der Lesende warten und zwischenspeichern, bis das Vollverb den Satz vollendet: Was wird die Heizung? Wird sie hochgestellt, nein, sie wird abgestellt! Dasselbe Problem kommt bei zusammengesetzten Zeiten vor, so beim Plusquamperfekt in Satz (44.2). (44.2) Bei extremer Kälte hatte die Stadt die Heizung in Behörden, Kulturzentren und Kinos sowie die Warmwasserversorgung in Wohnungen abgestellt. Die Prädikatsklammer ist eine grammatisch korrekte, aber verstehensfeindliche Konstruktion. Denn sie kann das Arbeitsgedächtnis überfordern, wenn zu viel zwischen die Prädikatsteile geschoben wird. Eine Untersuchung hat ergeben, dass eingeschobene Satzteile auch „gedächtnisstimulierend“ sein können und die Behaltensleistung verbessern (Preuß, 2000). Dem ist aber entgegenzuhalten, dass wir ja nicht lesen, um unser Gedächtnis zu trainieren. Die Informationen zwischen den beiden Teilen des Verbs im Arbeitsgedächtnis zu behalten, ist eine Anforderung, die unnötige Ressourcen beansprucht. Meist lässt sich eine lange Satzklammer durch einfachere Formulierungen vermeiden, es gibt mehrere Möglichkeiten (Heringer, 2002, S. 92): 1. Manchmal ist ein anderes Verb sinnvoll: (45.1) Drei Experten suchen die Software nach einer Schwachstelle ab. (45.2) Drei Experten fahnden bei der Software nach einer Schwachstelle. 2. Oft lässt sich der zweite Teil des Verbs nach vorne ziehen, im Beispiel (46.2) durch eine nachgestellte Aufzählung. (46.1) Die Abenteuerlust hat für den Einsatz von 100 Polizisten, 10 Fahrzeugen und einem Hubschrauber gesorgt. (46.2) Folgen der Abenteuerlust: der Einsatz von 100 Polizisten, 10 Fahrzeugen und einem Hubschrauber. <?page no="190"?> 190 7 Grammatische Verständlichkeit 3. Die Inhalte in der Satzklammer können in einem Nebensatz untergebracht werden. Dadurch wird zwar der Satz länger, aber verständlicher. (47.1) Das Wartungspersonal war auf eine derartige Störung der Maschine nicht vorbereitet. (47.2) Das Wartungspersonal war nicht darauf vorbereitet, dass eine derartige Störung der Maschine eintritt. Immer häufiger liest man Formulierungen, welche die französische oder englische Sprache zum Vorbild haben (Rechenberg, 2002, S. 48). (48.1) * Die Arbeitsweise des Leitwerkes ist charakterisiert durch drei Register. (48.2) * Die Bitkombinationen werden bezeichnet mit der Notation xy. Nach der deutschen Grammatik ist diese Satzstellung falsch (deshalb das Sternchen vor dem Satz). Aber vielleicht bahnt sich hier ein sprachlicher Wandel an und langfristig siegt verständliche Kommunikation über geltende Regeln der Grammatik! Im Beispiel (49.1) sind in den Hauptsatz ein Adverbial und mehrere Attribute eingefügt und reißen ihn damit auseinander. Das Subjekt steht am Ende des Satzes! Auch dieser Satz lässt sich entflechten (49.2). (49.1) Schuld an den unangenehmen Folgen für 14 Nachtischgenießer waren nach Auskunft des zuständigen Verwaltungsdirektors des Vereins evangelischer Ausbildungsstätten für Sozialpädagogik, Hans Schwarz, die rohen Eier in der Süßspeise. (49.2) Die rohen Eier in der Süßspeise waren schuld an den unangenehmen Folgen für 14 Nachtischgenießer. Diese Auskunft gab Hans Schwarz, der zuständige Verwaltungsdirektor des Vereins evangelischer Ausbildungsstätten für Sozialpädagogik. Die Variante (49.2) liest sich allerdings nicht mehr so journalistisch, die Formulierung ist spannungsärmer, weil die „Täter“ gleich am Anfang als Subjekt genannt werden. <?page no="191"?> 191 7.3 Einfache Sätze Einbettungen und Schachtelsätze Satzgefüge können auf verschiedene Weise zusammenmontiert werden. Grundsätzlich gibt es drei Möglichkeiten: der Nebensatz hinter (50.1) oder vor (50.2) dem Hauptsatz oder in ihn eingebettet (50.3): (50.1) Karl V. lenkte in Cambrai ein, weil ein türckisches Heer Österreich angriff. (50.2) Weil ein türckisches Heer Österreich angriff, lenkte Karl V. in Cambrai ein. (50.3) Karl V. lenkte, weil ein türckisches Heer Österreich angriff, in Cambrai ein. Auch hier drücken die Formulierungsvarianten kommunikativ unterschiedliche Nuancen aus. Unter einer Einbettung wird eine Konstruktion verstanden, in der ein Satz in einen anderen eingefügt wird. Im Beispiel (51.1) sind es sogar zwei eingefügte Sätze, die sich aber leicht entflechten lassen (51.2). (51.1) Mithin wird dieser Streik, der zu vermeiden gewesen wäre, wenn man den Schlichterspruch akzeptiert hätte, auf dem Rücken der Bürger ausgetragen. (51.2) Dieser Streik wird auf dem Rücken der Bürger ausgetragen. Er wäre vermeidbar gewesen, wenn die Parteien den Schlichterspruch akzeptiert hätten. Bei der Einbettung haben wir einen ähnlichen Fall wie bei der Satzklammer: Inhaltlich zusammengehörige Satzteile werden auseinandergerissen. Ein Schachtelsatz ist eine geballte Ansammlung von Einbettungen. 34 Der sprachwissenschaftliche Terminus ist die Satzperiode. Dabei kann die Verarbeitung so schwierig werden, dass der oder die Lesende aus der Konstruktion herauskippt. Schauen wir uns zuerst ein konstruiertes Beispiel an. (52.1) Derjenige, der denjenigen, der den Wegweiser, der an der Straße steht, die nach Kulmbach führt, umgeworfen hat, anzeigt, erhält eine Belohnung. 34 Am 25.2. ist der Tag der Schachtelsätze, den der Blogger und Comiczeichner Bastian Melnyk ins Leben gerufen hat. <?page no="192"?> 192 7 Grammatische Verständlichkeit Dieses Satzgefüge enthält fünf einfache Sätze, die man verstehensfreundlicher formulieren kann. Entweder als Treppensatz mit rechts angebundenen Nebensätzen (52.2) oder aufgeteilt in mehrere Teilsätze (52.3): (52.2) Derjenige erhält eine Belohnung, der den anzeigt, der den Wegweiser umgeworfen hat, der an der Straße steht, die nach Kulmbach führt. (52.3) Jemand hat den Wegweiser an der Straße nach Kulmbach umgeworfen. Wer diesen anzeigt, der bekommt eine Belohnung. Bild 13: Visualisierung des Schachtelsatzes (52.1), ein Matrjoschka-Satz: Die sprachliche Mitteilung ist in fünf Schachteln verpackt. Schachtelsätze formulieren Autoren oder Autorinnen meist, wenn sie mehrere Gedanken ausdrücken wollen: „Es gibt mehrere Ursachen für zu lange Sätze. Die häufigste ist wohl, dass man erst während des Schreibens den Gedanken entwickelt, den man zu Papier bringen will. Dabei fällt einem ein, dass man einen Begriff im selben Satz noch näher erklären oder etwas schon Gesagtes einschränken sollte, und schon sind aus dem einen Gedanken mehrere geworden“ (Rechenberg, 2002, S. 43). (53.1) Fast alle kommerziell erhältlichen Rechner folgen, allerdings mit einigen Modifikationen, auf die später eingegangen wird, diesem Prinzip der Abarbeitung von Maschinenbefehlen. Auch hier ist die Rechtsanbindung der Nebensätze an den Hauptsatz merklich verständlicher (53.2) als die eingebettete Variante (Hamilton & Deese, 1971): (53.2) Fast alle kommerziell erhältlichen Rechner folgen diesem Prinzip der Abarbeitung von Maschinenbefehlen, allerdings mit einigen Modifikationen, auf die später eingegangen wird. <?page no="193"?> 193 7.3 Einfache Sätze Abschließend noch ein abschreckendes Beispiel aus der technischen Kommunikation: (54.1) ist der Originaltext, (54.2) eine syntaktisch optimierte Variante: (54.1) Aufgrund dieser gravierenden Fahrerhausschäden insbesondere im Stirnwandbereich und am linken Längsträger, die aus früheren Erprobungen, allerdings bei wesentlich höheren Laufstrecken aus Schlechtweg- und Prüfstandserprobungen, sowohl beim LN 2 als auch beim LN 1 bekannt sind, wurde für die weitere Erprobung ein konstruktiv überarbeitetes Fahrerhaus gefertigt. (54.2) Weil schwerwiegende Schäden am Fahrerhaus aufgetreten waren, besonders im Bereich der Stirnwand und am linken Längsträger, wurde für die weitere Erprobung das Fahrerhaus konstruktiv überarbeitet. Derartige Schäden sind aus früheren Erprobungen auf Schlechtwegen und auf Prüfständen sowohl beim LN2 als auch beim LN1 bekannt, allerdings erst nach höheren Laufstrecken. Bei dem Satz (54.1) werden so viele Informationen ineinander verschachtelt, dass der Satzanfang nicht im Arbeitsgedächtnis behalten werden kann, bis das Satzende erreicht ist. Der Adressat muss den Satz nochmals lesen, um ihn vollständig zu verstehen. Komprimierter Nominalstil Von einem komprimierten Stil spricht man, wenn möglichst viele Informationen in einen Satz oder ein Satzgefüge zwischen zwei Punkte gestopft werden. Dazu dienen einige syntaktische Mittel, die vor allem in der schriftlichen Kommunikation vorkommen: Nominalisierungen, Funktionsverbgefüge, Satzgliedketten. Nominalisierungen. Dass eine abstrakte Nominalisierung schwer zu verarbeiten ist, wurde schon bei der lexikalischen Verständlichkeit betont. Wenn Nominalisierungen statt Verben aber gehäuft in Nominalphrasen auftreten, wird daraus der gefürchtete Nominalstil, der vor allem in akademischen Texten, im Behörden- und Juristendeutsch abschreckt (55). (55) Das Kind wird vor Vernachlässigung, Ausnutzung und Grausamkeit geschützt. Erst nach Erreichen eines Mindestalters wird es zur Arbeit zugelassen. Es wird nie zu einem schädlichen Beruf oder einer schädlichen Tätigkeit gezwungen. Ein geistig oder körperlich behindertes Kind erhält die erforderliche Behandlung, Erziehung und Fürsorge. <?page no="194"?> 194 7 Grammatische Verständlichkeit Ludwig Reiners (1943) bezeichnete diesen Stil als „Hauptwörterkrankheit“. Im Satz (56.1) sind zwei Vollverben nominalisiert: „übernehmen“ und „aufrufen“. Man kann die Nominalisierungen rückgängig machen, indem zum Hauptsatz ein Finalsatz gebildet wird (56.2). (56.1) Die Übernahme eines markierten Ausdrucks in den Text erfolgt durch Aufrufen von <Strg-X>. (56.2) Um einen markierten Ausdruck in den Text zu übernehmen, <Strg-X> drücken. Verben, besonders aussagestarke Vollverben, sind Nominalisierungen vorzuziehen, auch wenn ein Nebensatz oder Infinitivsatz formuliert werden muss. (57.1) Eine wichtige Unterscheidung ist die zwischen Pixel- und Vektorgrafik. (57.2) Wir unterscheiden zwischen Pixel- und Vektorgrafik. (58.1) Unter Berücksichtigung der Bemerkung auf der Rückseite bitten wir um Rücksendung des Formulars. (58.2) Bitte berücksichtigen Sie die Bemerkung auf der Rückseite, bevor Sie das Formular zurücksenden. Auch Infinitivsätze oder „satzwertige Infinitive“ verleiten dazu, Nominalisierungen zu verwenden (59.1). (59.1) Es gelingt nicht, die Entstehung des höheren lebendigen Wesens aus seinen niedrigeren Vorfahren restlos zu erklären. (59.2) Es gelingt nicht restlos zu klären, wie höhere lebendige Wesen aus niederen Vorfahren entstehen. Einzelne Nominalisierungen sind vermutlich unproblematisch, Nominalisierungen werden aber zum Problem, wenn sie in Nominalgruppen aneinandergereiht werden, wie in einer Pressemitteilung der EU-Kommission zur Seeverkehrssicherheit: (60) Verbesserung des derzeitigen Verfahrens für die Anerkennung von Zeugnissen, die von einem Drittland ausgestellt wurden, durch die Einführung eines Systems der gemeinschaftsweiten Anerkennung von Drittländern und Festlegung von Verfahren zur Überwachung der Einhaltung der im Übereinkommen über Normen für die Ausbildung, die Erteilung von Befähigungszeugnissen und den Wachdienst von Seeleuten (STCW-Übereinkommen) vorgeschriebenen Normen für die Ausbildung und die Erteilung von Befähigungszeugnissen für Seeleute. <?page no="195"?> 195 7.3 Einfache Sätze Ein derartiger Stopfstil überlastet sicher unser Arbeitsgedächtnis durch die Verdichtung von Informationen mithilfe von Nominalgruppen. Funktionsverbgefüge. Diese syntaktischen Konstruktionen bestehen aus einem Verb und einem Nomen im Akkusativ (61.1) oder einer Präpositionalphrase (61.2). Die Bedeutung der Verben ist dabei weitgehend verblasst, deshalb werden sie auch als Funktionsverben bezeichnet (von Polenz, 1963). (61.1) eine Erklärung abgeben; in Kenntnis setzen; eine Untersuchung vornehmen; den Nachweis erbringen; die Feststellung treffen; eine Prüfung durchführen. (61.2) etwas zur Sprache bringen; ins Benehmen setzen; in Erwägung ziehen; zur Bearbeitung vorlegen; zur Anzeige bringen Ludwig Reiners (1943, S. 141) sprach von „Streckverben“: „Jedes Verbum kann man auseinanderstrecken, indem man statt eines echten Verbums ein Hauptwort und ein farbloses Zeitwort einsetzt“. Funktionsverbgefüge sind ein Stilmerkmal vieler Fachtexte, für von Polenz (1963) sind sie ein sprachliches Anzeichen einer rationalisierten Welt. Mit etwas Übung lassen sich diese Konstruktionen durch eine verständlichere Form ersetzen. (62.1) Nach der Entnahme erfolgt eine automatische Abschaltung der Werkstückausgabe. (62.2) Nach der Entnahme schaltet die Werkstückausgabe automatisch ab. Satzgliedketten. Die deutsche Syntax lässt eine Aneinanderreihung von Attributen und Adverbialen in einem Satz zu. Dies ermöglicht eine oft schwer verständliche Verdichtung von Informationen. (63) das Streben nach Anerkennung mit allen Mitteln unter Missachtung der Regeln des Zusammenlebens Der Satz (63) enthält die Abfolge: Präpositionalattribut, Adverbial, Adverbial, Genitiv-Attribut, Genitiv-Attribut. Vereinfachen kann man derartige Ausdrücke, wenn man aus einem Attribut (64.1) einen Nebensatz bildet (64.2). (64.1) Damit ist die Grenze der Belastbarkeit des menschlichen Organismus im Zustand der Schwerelosigkeit erreicht. (64.2) Damit ist die Grenze der Belastung erreicht, die ein menschlicher Organismus im Zustand der Schwerelosigkeit erträgt. <?page no="196"?> 196 7 Grammatische Verständlichkeit Der Nominalstil führt zu einer hohen Dichte an Argumenten und Propositionen in einem Text, was beides nachweislich die Schwierigkeit eines Textes erhöht (Kintsch & Vipond, 1979). Dieser Stil ist auch bei Nachrichtentexten beliebt, da er ermöglicht, in eine kurze Meldung viele Informationen zu pressen. In einer Untersuchung wurden zwei Sprechermeldungen zu den Themen „Wirtschaftskrise in Italien“ und „Schafzucht und Ökologie“ in drei stilistischen Versionen formuliert (Ballstaedt, 1980): 1. Redundanter Stil: kurze Sätze, ohne Nominalisierungen, viele Rekurrenzen. 2. Knapper Stil: kurze Sätze, ohne Nominalisierungen, keine Rekurrenzen und Konjunktionen. 3. Nominalstil: lange mehrdimensionale Sätze, viele Nominalisierungen und Partizipialgruppen. Die Texte wurden vom Sprecher der Tagesschau innerhalb einer künstlichen Sendung vor einem neutralen Hintergrund verlesen. Als Verstehensindikatoren wurden bei 90 Studierenden eine freie Nacherzählung und Verständnisfragen erhoben. Bei dem abstrakten Thema (Wirtschaft) war der redundante Stil den beiden anderen signifikant überlegen, bei dem konkreten Thema (Schafzucht) ergaben sich zwischen den Textversionen keine signifikanten Unterschiede. Vermutlich konnte das konkrete Thema eher an Erfahrungen der Adressaten anknüpfen und zudem visuelle Vorstellungen auslösen. Abschließend muss ich auch hier darauf verweisen, dass die Verdichtung durch Nominalisierungen nicht grundsätzlich von Übel ist, wie in vielen Stilratgebern behauptet. Nominalisierungen haben durchaus eine sprachökonomische Funktion, so kann man z. B. einen Nebensatz einsparen: (65.1) Die Union signalisierte, dass sie bereit sei, unter diesen Voraussetzungen zu verhandeln. (65.2) Die Union signalisierte Bereitschaft, unter diesen Voraussetzungen zu verhandeln. „Es lässt sich also nicht generell postulieren, verbale Formulierungen seien den entsprechenden nominalen vorzuziehen[…]. Im Einzelfall ist zu prüfen, wie stark die Nominalisierung bereits lexikalisiert ist, ob sie eine erkennbare und sinnvolle Funktion in der Textkonstruktion hat, ob eine verbal formulierte Alternative tatsächlich Vorteile bietet usw.“ (Burger & Luginbühl, 2014, S. 264). <?page no="197"?> 197 7.3 Einfache Sätze Mehrdeutige Konstruktionen Syntaktische Mehrdeutigkeiten sind nicht so selten, wie man vielleicht annimmt. Ein Satz ist mehrdeutig, wenn ein Satzglied zwei verschiedene Funktionen oder Zuordnungen erfüllen kann. (66) Die Fechterin Anja Fichtel, die Chefbundestrainer Beck kritisiert hat, wird im nächsten Jahr heiraten. In Beispiel (66) ist der Attributsatz mehrdeutig: Wer hat hier wen kritisiert? Mehrdeutigkeit kann zu Missverständnissen führen. Vor allem Präpositionalgruppen und Genitiv-Attribute sind anfällig für falsche Zuordnungen. Präpositionalgruppen. Die Grammatik erlaubt eine Aneinanderreihung von Präpositionalgruppen, aber die Bezüge geraten dabei gern mehrdeutig. (67) Er verwies auf Importe von Stahl aus Schweden. (68) der Bericht über die Reise von Goethe Die Präpositionalgruppe „aus Schweden“ im Satz (67) kann sich auf Importe (aus Schweden) oder auf Stahl (aus Schweden) beziehen. Im Satz (68) kann sich das Präpositionalattribut „von Goethe“ auf den Bericht oder auf die Reise beziehen. Genitiv-Attribute. Genitiv-Attribute können ebenfalls zur Quelle von Missverständnissen werden, wenn die Bezüge mehrdeutig sind. (69.1) das Paket des Bruders = das Paket vom Bruder oder das Paket an den Bruder? Die Präpositionalattribute sind eindeutiger als das Genitiv-Attribut. Sie wirken allerdings stilistisch unbeholfen und umgangssprachlich, aber das muss man für die Verständlichkeit hinnehmen. Zudem kann man ein Präpositionalattribut immer in einen eindeutigen Attributsatz umformulieren. (69.2) das Paket, das der Bruder verschickt hat … das Paket, das er an den Bruder verschickt hat … Ausgerechnet im journalistischen Bereich findet man viele Beispiele für mehrdeutige Zuordnungen, die oft nur zur Erheiterung beitragen (70, 71), aber auch Missverständnisse hervorrufen können (72). (70) Gemüse und Kartoffeln werden im Pflegeheim zusammen mit den alten Bewohnern zu einer Gemüsesuppe verarbeitet. <?page no="198"?> 198 7 Grammatische Verständlichkeit (71) Ein Räuber, der einen Taxifahrer überfallen hat, sitzt nach einer Fahndung der Polizei mit einem Hubschrauber hinter Gittern. (72) Die Version, die geladen wird, bestimmt das Verzeichnis, das zuerst durchsucht wird. Tückischerweise werden derartige syntaktische Mehrdeutigkeiten oft nicht erkannt, denn man versteht eine Lesart spontan als korrekt. Explizite syntaktische Marker können die Verständlichkeit deutlich erhöhen. In der gesprochenen Sprache sind das prosodische Hinweise wie Pausen und Betonungen, in der schriftlichen Sprache grenzen Kommata syntaktische Einheiten ab. Mit der Rechtschreibreform von 1996 wurde die Kommasetzung in vielen Fällen freigestellt, aber es gilt die Regel, dass ein Komma gesetzt werden sollte, wenn es der Verständlichkeit dient, d. h. die syntaktische Gliederung verdeutlicht wird. Und noch ein Tipp für Anhänger des Flattersatzes: Zeilenumbrüche an syntaktischen Einschnitten erleichtern das Lesen. Unübersichtliche Abfolgen und Aufzählungen Abfolgen. Bereits eine Untermaxime der Modalität von Grice verlangt: „Halte die richtige Abfolge ein“ und davon gehen wir auch beim Verstehen aus (Meibauer, 2001): (73.1) Katja betrat den Laden und kaufte ein Paar Jeans. (73.2) Katja kaufte ein Paar Jeans und betrat den Laden. Die koordinierten Sätze (73.1) verstehen wir so, dass Katja die Jeans in dem Laden kaufte. Bei den Sätzen (73.2) gehen wir davon aus, dass Katja nach dem Kauf noch einen weiteren Laden, z. B. eine Drogerie, aufsucht. Handlungen und Ereignisse folgen sachlogisch aufeinander, sprachlich können wir die Abfolge aber umdrehen, man spricht dann von einem vorzeitigen Bezug zwischen Haupt- und temporalem Nebensatz (74.2): (74.1) Nachdem ein riesiger Meteorit auf der Erde eingeschlagen war, starben viele große Tiere aus. (74.2) Viele große Tiere starben aus, nachdem ein riesiger Meteorit auf der Erde eingeschlagen war. Aus sprachpsychologischen Untersuchungen wissen wir, dass eine Veränderung der sinnvollen Abfolge eine längere Verarbeitungszeit beansprucht. Offenbar wird in der Formulierung (74.2) beim Verstehen im Kopf die richtige Abfolge <?page no="199"?> 199 7.3 Einfache Sätze wiederhergestellt und das kostet etwas Zeit (Mandler, 1986; Wrobel, 1994; Rinck, Hähnel & Becker, 2001). Die Reihenfolge der Handlungen und Ereignisse sollte zur besseren Verständlichkeit also erhalten bleiben. Aber warum drehen wir die Abfolge in der Formulierung überhaupt um? Das hat wie beim Passiv rhetorische Gründe: Die Formulierung (74.1) legt die Betonung auf den Meteoriten, (74.2) auf die Tiere. Wir können also durch Umstellungen Akzente in unserer sprachlichen Mitteilung setzen. Schwierig werden zeitliche Umstellungen aber, wenn es nicht um alltägliche Handlungen und Ereignisse geht, sondern um komplexere Zusammenhänge. (75.1) Als man im 13. Jahrhundert begann, die Wasserkraft für das Gebläse zu nutzen - man passte das Wasserrad der Getreidemühlen den Erfordernissen der Eisenverhüttung an, so dass es zum Bewegen eines Gebläses und des Hammers dienen konnte -, wurde man nicht nur unabhängig vom Hangwind (die Verhüttungsplätze wurden ins Tal verlagert), sondern man konnte die Luftzufuhr verstärken und damit die Schmelzöfen vergrößern. Dieser Satz macht sieben Aussagen, aber nicht in der chronologischen und ursächlichen Abfolge, die im Beispiel (75.2) rekonstruiert ist. (75.2) Im 13. Jahrhundert passte man das Wasserrad der Getreidemühlen den Erfordernissen der Eisenverhüttung an, indem die Wasserkraft ein Gebläse und den Hammer antrieb. Dadurch konnte man die Luftzufuhr verstärken und damit die Schmelzöfen vergrößern. So wurde man unabhängig vom Hangwind und konnte die Verhüttung ins Tal verlagern. Inhaltlich ist der Satz (75.2) immer noch schwierig, da das Verstehen technisches Vorwissen voraussetzt, aber die sachlogische Reihenfolge ist doch klar ausgedrückt. Aufzählungen. Eine Aufzählung ist eine Aneinanderreihung von gleichen Satzgliedern in einem Satz, die keiner Chronologie folgen. Sie werden mit Kommas oder Konjunktionen (und, oder) voneinander getrennt. Für das Verstehen werden Aufzählungen problematisch, wenn es viele und umfangreiche Punkte sind, die zudem noch eine Satzklammer verursachen. <?page no="200"?> 200 7 Grammatische Verständlichkeit (76.1) Das Decodergatter muss bei Eingabe der Festadressen des Speicherlokalisierungsprogramms und des ESE-Fehlerprogramms, bei Schaltstellungsbefehlen, Sprungadressen und beim linearen Auslesen des MSP gesperrt werden. (76.2) Das Decodergatter muss gesperrt werden: 1. bei Eingabe der Festadressen des Programms zur Speicherlokalisierung und 2. des ESE-Fehlerprogramms, 3. bei Schaltstellungsbefehlen und Sprungadressen, 4. beim linearen Auslesen des MSP. Im Fließtext sollten die aufgezählten Satzglieder mit Nummern oder Buchstaben markiert sein. Noch übersichtlicher ist eine Aufzählung, wenn sie gleich im Layout als Liste sichtbar wird, dazu können auch Spiegelstriche oder Bullets verwendet werden. (76.3) Das Decodergatter muss gesperrt werden: ▶ beim Eingeben der Festadressen des Programms zur Speicherlokalisierung, ▶ beim Eingeben des ESE-Fehlerprogramms, ▶ bei Schaltstellungsbefehlen und Sprungadressen, ▶ beim linearen Auslesen des MSP. Nach einem Einleitungssatz, der mit einem Doppelpunkt endet, folgen zeilenweise die Satzglieder (hier Präpositionalgruppen). Sie sind möglichst gleichartig formuliert, um die geistigen Ressourcen der Adressaten nicht unnötig zu belasten. Mit Füllseln aufgeblähte Sätze Füllwörter sind Partikel, die in der Alltagssprache zur Akzentuierung und Abtönung wichtig sind, aber in Sachtexten wenig zu suchen haben. (77) eigentlich; sozusagen; überhaupt; auch Auch Wörter wie „logischerweise“ oder „natürlich“ sind meist überflüssig, zudem wirken sie vereinnahmend. Eine Weglassprobe zeigt sofort, welche Wörter als Ballast entbehrlich sind. Füllphrasen sind in akademischen Texten sehr beliebt, da sie eine gewisse Aura der Sachlichkeit und Kompetenz vermitteln. (78) zu einem späteren Zeitpunkt: später unter Zuhilfenahme von: mit <?page no="201"?> 201 7.3 Einfache Sätze die gemachten Erfahrungen: Erfahrungen ein Ding der Unmöglichkeit: unmöglich unter Berücksichtigung von: berücksichtigt man Füllwörter und Füllphrasen führen zu einem Stil, den Rechenberg (2002, S. 50) als „verbale Schaumschlägerei“ bezeichnet. (79) Es gibt zwar auch relativ allgemein verwendbare Kompressionsverfahren, eine wirklich effiziente Kompression hängt aber sehr stark von der Nachricht ab. Im Satz (79) sind „zwar“ und „relativ“ nichtssagend, das „auch“ und das „sehr“ könnte sich der Autor oder die Autorin schenken, ebenso das „wirklich“ vor „effizient“. Kommunikativ soll dieser Blähstil kompetent und differenziert wirken. Etliche Adjektive sind ebenfalls entbehrlich, z. B. die sogenannten stehenden Beiwörter, das sind abgegriffene Redewendungen. (80.1) von ausschlaggebender Bedeutung der nachhaltige Eindruck der entscheidende Vorteil Ebenfalls entbehrlich sind Adjektive, die schlicht eine Verdopplung darstellen. (80.2) die überwiegende Mehrheit (die Mehrheit überwiegt immer) die fundamentale Grundlage (Fundament und Grundlage sind Synonyme) dynamische Vorgänge (Vorgänge sind immer dynamisch) kooperative Zusammenarbeit weltweite Internationalisierung Derartige Formulierungen kennt man aus Politikerreden, wo sie vielleicht noch die rhetorische Funktion des Nachdrucks haben. Aber man fühlt sich doch deutlich an die Plastikwörter erinnert, die wir im letzten Kapitel kennengelernt haben. Für die kognitive Verarbeitung sind diese Wörter eine Belastung: In die Lesespanne fallen nur wenige Wörter, sind unnötige dabei, so werden mehr Fixationen beim Lesen notwendig. Und jedes unnötige Wort bindet auch unnötige Verarbeitungskapazität. Zusatzmaterial 9: Übung zur syntaktischen Verständlichkeit <?page no="202"?> 202 7 Grammatische Verständlichkeit 7.4 Kohärente Texte In diesem Kapitel geht es um Verständlichkeit auf der Ebene des Textes. Lange Zeit standen in der Linguistik das Wort und der Satz im Mittelpunkt des Interesses, bis man Texte als satzübergreifende sprachliche Einheiten in den Blick bekam. Heute liegen Grammatiken vor, die vom Text als der zentralen Einheit der Sprache ausgehen, z. B. die „Textgrammatik des Deutschen“ von Harald Weinrich (2005). Oliver Scholz (2016b, S. 23) vertritt die allgemeine These: „Beim Verstehen geht es stets um das Erkennen von Relationen, Strukturen, Verbindungen und Mustern oder […] um das Erkennen von Zusammenhängen.“ Auf das Textverstehen angewandt, geht es um das Erfassen von Zusammenhängen zwischen Begriffen, um konzeptuelle Netzwerke, die in Texten sprachlich ausgedrückt werden. Ein Text ist eine sinnvolle Folge von Sätzen, er hat einen inhaltlichen Zusammenhang, der sprachlich mehr oder weniger explizit gemacht werden kann. Das fortlaufende Verstehen von Sätzen wird durch folgende Schwierigkeiten behindert. ▶ Schwierige Koreferenzen ▶ unklare Bezüge bei Proformen ▶ Kohärenzlücken Die drei Punkte betreffen die lokale Kohärenz, die folgenden zwei die globale Kohärenz, also die inhaltliche Organisation des Gesamttextes. ▶ Schwer nachvollziehbarer Textaufbau ▶ Abweichungen von Textschemata In mehreren Ansätzen zur Textverständlichkeit hat sich die inhaltliche Organisation eines Textes als eine zentrale Variable der Verständlichkeit herausgestellt. Schwierige Koreferenzen Man spricht von Koreferenz, wenn in einem Satz oder Text zwei oder mehrere sprachliche Ausdrücke auf denselben Referenten bzw. den selben Begriff Bezug nehmen. Am einfachsten geschieht dies durch Rekurrenz, schwieriger kann es mit Substitutionen werden. Rekurrenzen. Die Rekurrenz (lat. = Wiederkehr) ist das schlichteste Mittel der Kohäsion: Eine sprachliche Einheit, die sich auf denselben Begriff bezieht, wird einfach wiederholt. Im Textbeispiel (81) sind die Rekurrenzen unterstrichen. <?page no="203"?> 203 7.4 Kohärente Texte (81) Reinigen Sie die Düse sofort nach dem Milchaufschäumen, indem Sie das Gerät noch 1-2 Sek. dampfen lassen und dadurch die Düse freiblasen. Die Düse mit einem feuchten Tusch abwischen. Sollte die Düse doch einmal verstopft sein, reinigen Sie diese mit einer Nadel. Bei totalen Rekurrenzen wird dieselbe sprachliche Einheit wiederholt, bei partiellen Rekurrenzen wird dasselbe Begriffsfeld angesprochen, aber es wird eine andere Wortart (82.1) oder ein Kompositum (82.2) verwendet. (82.1) Reinigen Sie die Düse sofort nach dem Milchaufschäumen. Zur Reinigung sollte ein feuchtes Tuch benutzt werden. (82.2) Reinigen Sie die Düse sofort nach dem Milchaufschäumen. Zur Düsenreinigung sollte ein feuchtes Tuch benutzt werden. Manchmal ist die Wiederholung eines Wortes gar keine Rekurrenz, denn die gleichen Wörter beziehen sich auf verschiedene Referenten bzw. Konzepte (83). (83) Roland fuhr am Montag sein Auto zu Schrott. Gleich am Dienstag kaufte er sich ein neues Auto. Kommt ein Wort in einem Text wiederholt vor, so steigt das Aktivierungsniveau für dieses Wort an, es wird schneller erkannt. Bei Rekurrenzen nehmen die Fixationsdauern ab (Just & Carpenter, 1980). Rekurrenzen machen einen Text leicht verständlich, deshalb wird in Kinderbüchern davon oft Gebrauch gemacht. (84) Im Wald hauste eine böse Hexe. Die Hexe wurde stets von einem schwarzen Kater begleitet. Auch der Kater war böse. Eines Tages verirrte sich ein Mann in dem Wald und kam zur Behausung der Hexe. Deshalb war es erstaunlich, dass in etlichen Untersuchungen die Wiederholung eines Eigennamens die Lesezeit verlängerte gegenüber der Verwendung eines Pronomens (Lezama 2015). Eine Untersuchung ergab, dass dieser „repeated name penalty effect“ bereits bei 9-Jährigen auftritt (Eilers, Tiffin-Richards & Schroeder, 2019). Die Verlängerung der Lesezeit geht auf Blickbewegungen zurück. Es zeigen sich längere Fixationen auf der Region nach der Wiederholung des Namens und häufigere Regressionen. Eine Erklärung: Wenn es sich um einen wichtigen Agenten im Text handelt, dann erwartet man einen kurzen pronominalen Bezug (85.1), eine Rekurrenz ist eher befremdlich (85.2). <?page no="204"?> 204 7 Grammatische Verständlichkeit (85.1) Peter steigt aus dem Bett. Sofort macht er das Frühstück. Der Rest der Familie schläft noch friedlich. (85.2) Peter steigt aus dem Bett. Sofort macht Peter das Frühstück. Der Rest der Familie schläft noch friedlich. Die Aussagekraft des Experiments sollte man nicht überbewerten, denn es ging allein um den Namen eines zentralen Agenten, auf den im Folgetext referenziert wird. Eine Wiederholung des Wortes ist unökonomisch gegenüber einem kurzen Pronomen. Streng genommen verletzt die Rekurrenz die Maxime der Quantität. Außerdem wirken Rekurrenzen eintönig. In der klassischen Rhetorik sind sie als Stilmittel der Repetitio (lat. = Wiederholung) bekannt, um akzentuierend und intensivierend zu wirken. Substitutionen. Bei anspruchsvolleren Texten wird von der Rekurrenz wenig Gebrauch gemacht und dafür eine Substitution gewählt. Bei einer Substitution wird nicht dasselbe Wort wiederholt, sondern ein bedeutungsähnliches verwendet. Vier Möglichkeiten lassen sich unterscheiden: Synonyme, Hyperonyme, Hyponyme, Metaphern. Unter Synonymen versteht man verschiedene Wörter mit derselben Bedeutung. Der Satz (86.1) unterscheidet sich von Satz (86.2) durch zwei Synonyme. (86.1) Der Bildschirm des Rechners hat eine Auflösung von … (86.2) Der Monitor des Computers hat eine Auflösung von … Genau gleichbedeutende Wörter sind allerdings selten, die meisten sind nur partiell synonym bzw. bedeutungsähnlich, meist gibt es konnotative Unterschiede, in (87) hat das substituierte Synonym eine pejorative (= abwertende) Bedeutung. (87) Meine Freundin hat ein Pferd geschenkt bekommen. Der Gaul ist nicht mehr der jüngste. Synonyme sorgen für Abwechslung, sind aber in der fachlichen Kommunikation unerwünscht, da muss man sich für ein Wort entscheiden (Weissgerber 2010, 164). Der einheitliche Gebrauch eines Wortes trägt zur Verständlichkeit bei. „Synonyme - bzw. vermeintliche Synonyme - sind ein erhebliches Hindernis für fachliche Verständigung“ (Arntz, Picht & Mayer, 2009, S. 126). Bei einem neuen Wort wird eine zusätzliche Ressource gebraucht, um die Bedeutungsgleichheit festzustellen. <?page no="205"?> 205 7.4 Kohärente Texte (88.1) Geben Sie zuerst Ihre PIN ein. (88.2) Geben Sie zuerst die Aufladenummer ein. (88.3) Geben Sie zuerst Ihre Geheimzahl ein. Ist die PIN auch die Aufladenummer und die Geheimzahl oder sind das drei verschiedene Nummern? Ein Hyperonym ersetzt ein Wort durch ein hierarchiehöheres Wort, einen Oberbegriff (89.1). Ein Hyponym ersetzt ein Wort durch ein hierarchieniederes Wort, einen Unterbegriff (89.2). Auch eine Wortmetapher ist möglich (89.3). (89.1) Auf dem Gestüt wurde letzte Nacht ein Pferd geboren. Das Tier brachte 51 Kilo auf die Waage. (89.2) Auf dem Gestüt wurde letzte Nacht ein Pferd geboren. Das Fohlen brachte 51 Kilo auf die Waage. (89.3) Auf dem Gestüt wurde letzte Nacht ein Pferd geboren. Der Haferfresser brachte 51 Kilo auf die Waage! Aus stilistischen Gründen wird oft empfohlen, in einem Text Ausdrücke nicht zu wiederholen, sondern synonyme Ausdrücke zu verwenden. Diese Variation kann mit der Verständlichkeit in Konflikt geraten, denn jede Substitution setzt spezielles Vorwissen voraus. (90) Das Wirtschaftswachstum in Ostdeutschland ist in der zweiten Jahreshälfte kräftiger gewesen als in den ersten sechs Monaten 1993. Real habe das Bruttoinlandsprodukt in den fünf neuen Ländern um 7,1 Prozent zugenommen, teilte das Bundeswirtschaftsministerium mit. „Ostdeutschland“ wird durch „in den fünf Bundesländern“ substituiert, die „zweite Jahreshälfte“ wird mit „in den ersten sechs Monaten“ verglichen. Diese Variationen erfordern zusätzliche Ressourcen. Das gilt für viele synonyme Substitutionen, wie sie im Journalismus beliebt sind. (91.1) Kuba = die Zuckerinsel (91.2) das amerikanische Verteidigungsministerium = das Pentagon (91.3) der Kiwi = das neuseeländische Nationaltier Die Verständlichkeit von Synonymen hängt davon ab, welches Vorwissen man bei seinen Adressaten voraussetzen kann. <?page no="206"?> 206 7 Grammatische Verständlichkeit Unklare Bezüge bei Proformen Eine Proform ist ein Stellvertreter für einen sprachlichen Ausdruck. Am häufigsten sind die Pronomen, es gibt aber auch Proverben, Proadjektive und Proadverbien als sprachliche kohäsive Mittel. Pronomen. Sie stehen für ein Nomen und weisen die grammatischen Merkmale von Nomina auf (also-Genus,-Numerus und-Kasus), aber im Gegensatz zu normalen Nomina sind sie keine-Inhaltswörter. Es gibt davon verschiedene: Personalpronomen, Relativpronomen, Demonstrativpronomen, Indefinitpronomen usw. (92) Den größten Anteil der Treibhausgase haben die Industrienationen in die Atmosphäre geblasen, sie sind die größten Emittenten gemessen am Ausstoß pro Kopf. Lesgold (1972) wies in einer Untersuchung nach, dass Pronominalisierung die semantische Integration komplexer Sätze besser gewährleistet als Rekurrenzen und Substitutionen: „Pronominal reference is proposed to function as a flag to mark portions of linguistic input that can be stored as a single memory unit“ (S. 316). Proverben. Hier wird ein starkes Verb meist durch ein schwaches Verb vertreten. Derartige Verbsubstitute sind „tun“, „machen“, „sein“. (93) Als Jeff Bezos Amazon gründete, tat er das mit einer Vision. Proadjektive. Hier wird ein Adjektiv indirekt wieder aufgenommen. Als Adjektivsubstitute dienen z. B. „diejenigen“, „solche“. (94) In der Türkei wurde wieder ein kritischer Journalist festgenommen. Solche Personen sind der Regierung nicht genehm. Proadverbien. Hier wird durch sogenannte Pronominaladverbien eine adverbiale Bestimmung wieder aufgenommen. (95) Im Iran hat die Erde gebebt. Dort ist immer mit Beben zu rechnen. Eine Proform ist zunächst unbestimmt und stellt eine Suchanweisung dar, den Inhalt dazu im Text zu finden. Dabei kann eine Proform rückverweisen, man spricht dann von Anapher (96.1). Seltener verweist ein Pronomen auch nach vorn, man spricht dann von Katapher (96.2). (96.1) Das neue Automodell wird vorgestellt, auf das alle gewartet haben. <?page no="207"?> 207 7.4 Kohärente Texte (96.2) Alle haben auf es gewartet: Das neue Automodell wird vorgestellt. Pronominale Referenzen führen zu Verstehensproblemen, wenn die Referenz schwierig herzustellen ist (Schnotz, 2006). Zur Auflösung von Pronomen (Anapherresolution), d. h. der Suche nach den Referenten sind viele Untersuchungen durchgeführt worden. So konnte gezeigt werden, dass anaphorische Verweise leichter zu verarbeiten sind als kataphorische Verweise (Sichelschmidt, Günther & Rickheit, 1992). Die durch das Pronomen erzeugte semantische Leerstelle muss sozusagen im Arbeitsgedächtnis frei gehalten werden, bis sie später ausgefüllt werden kann. Kataphorische Verweise bauen damit eine gewisse Spannung auf. Zur Wirkung von Pronominladverbien haben Wolfer et al. (2015) sehr differenzierte Befunde beigetragen. Zwei Texte über physikalischen Themen: (97) Das Licht wird gebrochen, sobald es vom Wasser in die Luft übertritt. Dabei verschiebt sich die Phase des Lichts: die zeitliche Abfolge und räumliche Verschiebung seiner Wellenberge und Wellentäler. (98) Der Bilddetektor zeichnet die Differenz - den Kontrast - zwischen dem Referenzbild und der durchleuchteten Abbildung auf. Daher sprechen Experten von Phasenkontrast-Röntgen. Die Adverbien „dabei“ und „daher“ nehmen die Information im Vordersatz wieder auf, aber mit einem wichtigen Unterschied: In (98) ist der zweite Satz nur zu verstehen, wenn man den ersten Satz verstanden hat, in (97) ist das nicht unbedingt erforderlich. Das Forscherteam konnte mit Blickbewegungsstudien zeigen, dass beim „dabei“ viele Lesende in den Vordersatz zurückspringen (Regression), um die Sätze miteinander zu verknüpfen. Sie resümieren: „Diese Detailanalyse zeigt einerseits wie sensibel die Leserinnen und Leser auch auf kleinste Hinweise im Textmaterial reagieren und wie wichtig es ist, dass Autorinnen und Autoren jenen Textregionen besondere Aufmerksamkeit zukommen lassen sollten“ (S. 118). Für die Verständlichkeit von inhaltlichen Bezügen in einem Text sind folgende Fälle besonders wichtig: Indirekte Anaphern. Darunter versteht man ein neues Wort/ Konzept, das abhängig vom vorausgegangenen Text verstanden werden muss. (99) Der Wolf ist ein Raubtier. Das zeigen die Reißzähne im Gebiss. Die Reißzähne im zweiten Satz werden als Teil des Wolfes interpretiert. Diese Teil-Ganzes-Relation setzt aber eine zusätzliche Inferenz voraus. <?page no="208"?> 208 7 Grammatische Verständlichkeit Distanzeffekt. Zu einem Problem kann die Distanz zwischen Proform und Bezugsform werden. Bei einer Zero-Anapher ist die Erstnennung, der Antezendent, noch im Arbeitsgedächtnis (100.1). Aber Antezendent und Anapher können so weit auseinanderliegen, dass der Antezendent nicht mehr im AG bzw. im Fokus der Aufmerksamkeit ist, wenn die Anapher ihn wieder aufgreift (100.2). (100.1) Es gibt zwei Wege nach Rom, einen beschwerlichen und einen bequemen. (100.2) Die Perser stellten ihr Heer in der Ebene auf, die Griechen zogen sich in die Berge zurück. Jene hatten hunderttausend Mann, diese nur etwa zehntausend. Ehrlich und Rayner (1983) haben die Distanz zwischen Pronomen und Bezugsform variiert. Nah: Das Nomen liegt unmittelbar vor dem Pronomen; mittel: eine Textzeile liegt dazwischen, fern: drei Zeilen liegen dazwischen. Erhoben wurden die Fixationszeit auf oder kurz vor dem Pronomen. Zwei wichtige Befunde: Die Fixationszeiten bei der Verarbeitung der Pronomen waren bei allen drei Distanzen um etwa 20 Millisekunden länger als die vorangegangenen Fixationen. Das belegt, dass eine Suche nach dem Antezdenten sofort gestartet wird. Die fernere Distanz verlängert aber auch die Dauer der folgenden Fixationen. Die Suche beginnt also sofort, kann aber bei großer Distanz länger dauern und die Lesezeit verlängern. Ambige Bezüge. Ein weiteres Verstehensproblem bilden mehrdeutige Bezüge. Gar nicht selten kann sich ein Pronomen auf mehrere Nomen beziehen. Ein hübsches Lehrbuch-Beispiel: (101) Der Ober legte den Löffel neben den Teller. Er war schmutzig. Wer ist hier schmutzig? Der Ober, der Löffel, der Teller? Das Pronomen „er“ kann sich auf drei Antezendenten rückbeziehen. Mehrdeutige Referenzen werden während des Lesens aufgelöst, aber das kostet Ressourcen (Caramazza et al., 1977). Distanz und Mehrdeutigkeit treten gern zusammen auf, da bei großem Abstand zwischen dem Referenten und der Proform die Wahrscheinlichkeit wächst, dass ein anderes mögliches Bezugselement dazwischenkommt. (102) Kommunikation ist ein störanfälliges Geschehen. Es gibt zahlreiche Möglichkeiten für Missverständnisse und Störungen, die den Beteiligten zusetzen können. Deshalb muss ein Außenstehender sie regelmäßig kritisch analysieren. <?page no="209"?> 209 7.4 Kohärente Texte Wer oder was muss regelmäßig analysiert werden? Die Beteiligten? Die Störungen? Die Missverständnisse? Die Kommunikation? Ambige Bezüge können durchaus zu Verständnisproblemen führen. Der Tübinger Oberbürgermeister Palmer hat im Internet einen Text veröffentlicht, der folgenden Satz enthält (www.kath.net/ news/ mobile/ 64275). (103) Die so genannten Rettungsschiffe kreuzen kurz vor der lybischen Küste und nehmen dort die Migranten auf, die von Schleppern in Boote gesetzt werden, die keine 20 km fahren können. Das ist bewusst geschaffene Seenot, keine Rettung. Der letzte Satz führte zu einem Konflikt mit der lokalen Presse durch die Proform „das“. Nach Ansicht der Presse hat Palmer damit die Arbeit der Rettungsschiffe gemeint, während Palmer die Proform auf die Schlepper bezogen haben möchte. Anapher-Resolution. In der Sprachverarbeitung gibt es verschiedene Möglichkeiten, um einen pronominalen Bezug herzustellen. ▶ Rein mechanisch wird bei einem Pronomen im Arbeitsspeicher zurückgefahren bis zum ersten Wort, das als Bezug (Kongruenz von Genus, Numerus) infrage kommt. Nach diesem Vorgehen müsste in (99) der Teller schmutzig sein. ▶ Prinzip des funktionalen Parallelismus: Weil der Ober das Subjekt des ersten Satzes ist, wird das „er“ des zweiten Satzes auf ihn bezogen. 77-Prozent der Deutschen wählen diese Auflösung (Hemforth, 2006). ▶ Verbbedeutung: Ein Verb fokussiert eher den Agenten oder den Patienten. Das Verb „legen“ fokussiert den Agenten, das „er“ wird deshalb auf den Verursacher, den Ober bezogen. ▶ Oft wird aber auch der Löffel genannt, hier dominiert das Vorwissen: Wahrscheinlich hat jeder schon einmal ein schmutziges Besteck im Restaurant bekommen, diese Erfahrung führt zu Präferenzen beim Verstehen. Eine ausgearbeitete Theorie zur Auflösung anaphorischer Bezüge haben die Informatiker Grosz, Joshi & Weinstein (1995) entwickelt: die Centering theory. Die Grundidee: Im Text sind die auftretenden Referenten hierarchisch geordnet. Es gibt mehr oder weniger wichtige (saliente) Diskursreferenten. Die Salienz bestimmt die Interpretation von anaphorischen Ausdrücken und die Wahl des besten Ausdrucks. <?page no="210"?> 210 7 Grammatische Verständlichkeit Schließen von Kohärenzlücken Die lokale Kohärenz ist eine wichtige Bedingung für das Verstehen. Wenn Satz- oder Textteile inhaltlich nicht verknüpft sind, dann sind zusätzliche Verarbeitungsprozesse notwendig: ▶ Reparaturinferenzen. Überbrückung einer Lücke mit Hilfe von Vorwissen, wenn es denn vorhanden ist. ▶ Reinstatements. Wenn ein Konzept im Text eingeführt und erst sehr viel später wieder aufgegriffen wird, muss es aus dem Langzeitgedächtnis abgerufen werden. ▶ Neue Wissensstruktur. Wenn sich gar kein Anknüpfungspunkt findet, muss eine neue isolierte Wissensstruktur angelegt werden, was erheblichen Gedächtnisaufwand erfordert. Die Forschungsgruppe um Bruce Britton hat einige Untersuchungen durchgeführt, in denen jeweils zwei Textversionen verglichen wurden. Die eine erforderte viele Inferenzen, die andere wies keine Kohärenzlücken auf. Die Textversion, die Inferenzen erforderte, wurde deutlich schlechter behalten, vermutlich weil die Lesenden die zum Verstehen notwendigen Inferenzen nicht ausführten (Britton et al., 1990; Britton & Gülgöz, 1991) - Einige Studien zeigen, dass es eine Interaktion zwischen Textkohärenz und Vorwissen gibt: Adressaten mit geringem Vorwissen profitieren von großer Textkohärenz, weil ihnen die Möglichkeit von verbindenden Inferenzen fehlt (Linderholm et al. 2000; Ozuro, Dempsy & McNamara, 2009). Implizite Konnektoren. Konnektoren sind Konjunktionen sowie Bindeadverbien und Bindepräpositionen, die Sätze und Satzteile miteinander verknüpfen und damit Kohärenz herstellen. An der Textoberfläche werden Konnektive oft weggelassen, weil der Absender davon ausgeht, dass die Adressaten die Verbindung aus ihrem Vorwissen über Inferenzen ergänzen. (104) Die brennende Zigarette fiel auf den Teppich. Das Haus brannte bis auf die Grundmauern ab. Im Text (104) muss die oder der Lesende die zwei Sätze kausal verknüpfen: Das Haus brennt ab, weil der Teppich durch die brennende Zigarette Feuer gefangen hat. Zum Verstehen muss Vorwissen aktiviert und eine Gedankenbrücke geschlagen werden, d. h. zusätzliche Ressourcen sind erforderlich. <?page no="211"?> 211 7.4 Kohärente Texte Ein Team um den niederländischen Psychologen Ted Sanders hat untersucht, wie sich explizite Konnektive auf die Verarbeitung auswirken. Sowohl mit Verständnisfragen als auch mit Blickbewegungsdaten als Indikatoren zeigte sich, dass mit expliziten Konnektiven schneller gelesen und besser verstanden wird, sowohl in einer Laborsituation als auch in einer natürlichen Lesesituation (Sanders, Land & Mulder, 2007; Kamalski, Sanders & Lentz, 2008): „These findings indicate that explicit texts […] place fewer processing demands on students’ working memory“ (van Silfhout et al., 2014, S. 1036). Besonders mehrgliedrige Konjunktionen wie „einerseits … andererseits“, „sowohl … als auch“, „entweder … oder“ tragen erheblich zur Verständlichkeit bei, da sie explizit rhetorische Strukturen kennzeichnen. Das Schließen von Kohärenzlücken kann ein erhebliches Ausmaß an Inferenzen erfordern wie im Beispiel (105): (105) Viele Jahre sind seit Tschernobyl vergangen. Die Pilze im Wald sind noch immer belastet. Um den Text zu verstehen, muss man wissen, dass in Tschernobyl 1986 ein Atomreaktor explodiert ist, der Strahlung freigesetzt hat. Diese wurde als radioaktive Wolke auch zu uns transportiert und radioaktive Stoffe haben sich vor allem in Pilzen abgelagert. Noch heute enthalten sie nachweisbare Mengen davon. All das unterstellt der Absender als Vorwissen, um seinen Text zu verstehen zu können. Je mehr Präsuppositionen ein Text zum Verstehen benötigt, desto mehr Ressourcen sind erforderlich und desto schwerer verständlich ist er für einen Adressaten. Selbst bei Verknüpfungen, die über das Vorwissen problemlos erschlossen werden können, hilft eine explizite Konjunktion. (106) Die Passagiere gerieten in Panik. Sie dachten, das Flugzeug würde abstürzen. (Aber) Der Pilot machte eine sanfte Landung. Mit der adversativen Konjunktion „aber“ wird der letzte Satz schneller gelesen als ohne (Haberlandt, 1982). Thematische Progression Die thematische Progression habe ich im Kap. 6.4 behandelt, sie spielt für das Verstehen und den Aufbau eines kohärenten konzeptuellen Netzes eine zentrale Rolle. Hier noch ein Beispiel: <?page no="212"?> 212 7 Grammatische Verständlichkeit (107) Emmanuel Macron wurde 2017 mit liberalen Positionen zum Staatspräsidenten von Frankreich gewählt. In seinem Wahlprogramm hatte er einen Umbau der Sozialsysteme vorgeschlagen. Bei der Umsetzung dieser Pläne hatte er aber nicht mit der Reaktion des Volkes gerechnet. Die Bürger gingen gegen die Vorhaben auf die Straße. Die Demonstrationen führten zu gewaltsamen Zusammenstößen mit der Polizei. Im ersten Satz wird Macron eingeführt. Jeder der folgenden Sätze greift einen Given-Teil auf und fügt einen New-Teil (unterstrichen) an. Wie eine Girlande wird Satzteil für Satzteil aneinandergereiht, man kann von einem Sinnfluss beim Lesen und Verstehen sprechen. Je expliziter die Given-New-Struktur eine Textes, desto verständlicher wird er eingeschätzt. Zusatzmaterial 10: Übung zur Kohäsion von Texten Nachvollziehbarer Textaufbau Wir kommen jetzt zur globalen Kohärenz: Damit ein längerer Text eine inhaltliche Struktur bekommt, müssen nach den Sätzen auch Textabschnitte miteinander verknüpft werden. Die Analyse der inhaltlichen Organisation ist ein schwieriges Unterfangen, bisher gibt es keinen umfassenden Ansatz. Dabei ist die inhaltliche Organisation eine entscheidende Komponente der Verständlichkeit, denn es geht für den Adressaten um eine nachvollziehbare Gliederung zum Aufbau einer kohärenten Makrostruktur. Vor allem lange wissenschaftliche Texte folgen keinem starren Schema, sondern sind aus verschiedenen Textbausteinen zusammengefügt. So kommen in Fachtexten häufig folgende Bestandteile vor: Definition, Taxonomie, Begründung bzw. Argumentation, Erklärung, Anleitung, Beschreibung. Wir werden einige dieser komplexen Sprechakte später noch genauer kennen lernen (Kap. 8). Bei langen Texten ist eine Gliederung wichtig, die den inhaltlichen Gedankenstrom, den roten Faden deutlich macht. Hilfreich für das Verstehen sind dabei Absätze, Überschriften, Inhaltsverzeichnis, Marginalien und Strukturmarken. Sie unterstützen die Bildung einer kohärenten Makrostruktur des Textes. Es gibt eine lange Diskussion zum Thema, wie Denken und Schreiben zusammenhängen (Molitor-Lübbert, 2003). Wer mit verschwommenen Konzepten <?page no="213"?> 213 7.4 Kohärente Texte und unklaren Relationen denkt, der wird kaum einen kohärenten Text zustande bekommen. Aber nicht immer geht das auf Denkfaulheit oder Schreibunfähigkeit zurück, denn oft ist eine Wissensdomäne noch nicht gut strukturiert und auch Begriffe entwickeln sich erst im Laufe der wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Schreiben kann als eine epistemische Anstrengung gesehen werden, denn es zwingt zu einem Nacheinander von Sätzen, Absätzen, Kapiteln, selbst wenn das konzeptuelle Netz noch lückenhaft, wenig verknüpft und vorläufig ist. Gerade ein verschwommener Text kann durch kritische Auseinandersetzung zu einem Erkenntnisgewinn führen, ein Argument, das wir zur Verteidigung der Schwerverständlichkeit bereits gelesen haben. Gliederung, Inhaltsverzeichnis. Die erste globale Information über die Textorganisation bekommt der oder die Lesende über das Inhaltsverzeichnis, es sollte den Aufbau und die Argumentationslinie deutlich machen. Jede Gliederung hat einen hierarchischen und einen sequenziellen Aspekt, die beide in der Gliederung sichtbar werden (Lorch, Lemarié & Grand, 2011a). ▶ Hierarchie. Der Autor bzw. die Autorin muss entscheiden, welche Begriffe und Aussagen wichtig sind. Diese Hierarchie kommt z. B. in einer Dezimalgliederung in den Über- und Unterordnungen zum Ausdruck. ▶ Sequenz. Der Autor bzw. die Autorin muss entscheiden, in welcher Abfolge die Inhalte präsentiert werden. Das kommt in der Aneinanderreihung der Absätze und Kapitel zum Ausdruck. Die Abfolge sollte sich am Vorwissen der Adressaten ausrichten. Das Inhaltsverzeichnis präsentiert die Hauptüberschriften eines Textes, daher ist es wichtig, dass diese inhaltlich oder perspektivisch formuliert sind. Besonders hilfreich ist die Übersichtlichkeit eines Inhaltsverzeichnisses: Es sollte nur drei Gliederungsebenen umfassen und diese müssen typografisch durch Einrückungen, Absätze, Fettdruck usw. sichtbar sein. Einen Unterpunkt 7.3.2.6.1. kann niemand mehr kognitiv einordnen. Absätze in einem Text sind durch rhetorische Relationen verbunden, in expositorischen Texten sind das z. B. Chronologie, Gegenüberstellung, Evaluation, Problemlösung. Ein theoretischer Ansatz, der sich mit der inhaltlichen Organisation von Texten befasst, ist z. B. die Rhetorical Structure Theory (Mann & Thompson, 1988; Rösner & Stede, 1993). Für Sachtexte sind besonders Argumentationsstrukturen wichtig, die wir im Kap. 8.7 deshalb ausführlicher behandeln. Überschriften. Wir unterscheiden drei Arten von Überschriften (Ballstaedt et al., 1981, S. 171ff.): formale, thematische und perspektivische. <?page no="214"?> 214 7 Grammatische Verständlichkeit ▶ Formale Überschriften sind inhaltsleer und deshalb für das Gedächtnis nicht sehr hilfreich. Sie erinnern an die Regel: Ein Aufsatz besteht aus Einleitung, Mittelteil und Schluss. (108.1) Einleitung; Ausblick; Hypothese; Zusammenfassung Für die Konstruktion einer Superstruktur können sie eine Art Skelett vorgeben, wie das Textschema für einen Forschungsbericht im Bild 14 zeigt. ▶ Thematische Überschriften geben das Thema an, ohne aber die Perspektive oder die inhaltliche Ausrichtung des Textes zu verraten. Für ein selektives Lesen sind sie nützlich. (108.2) Entwicklung der Arbeitslosenzahlen ▶ Perspektivische Überschriften stellen eine inhaltliche Aussage, sie beziehen Stellung. Im Journalismus sind dies Schlagzeilen oder Headlines. (108.3) Bedrohliche Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt Statt Überschriften können auch formale, thematische oder perspektivische Marginalien auf den Rand neben den Text gesetzt werden. Untersuchungen kamen zu dem Ergebnis, dass sich das Verständnis mit Marginalien nicht verbessert, aber das Wiederfinden von Informationen durch sie erleichtert wird (Ballstaedt et al., 1981, S. 182ff.). Der Überschrift als übergeordnete Aussage eines Textes kommt eine besondere Bedeutung zu, sie dient sozusagen als Ausgang für die Konstruktion einer kohärenten Wissensstruktur. Der erste Satz ist der Kotext für die folgenden Sätze, er spannt einen Rahmen (frame) für die nachfolgenden Informationen auf. Perspektivische Überschriften haben deshalb einen selektiven Einfluss auf das Verstehen des nachfolgenden Textes. Was in der Überschrift angesprochen wird, das wird auch eher verarbeitet und behalten. In einer Untersuchung konnte nachgewiesen werden, dass von einer Hausbeschreibung andere Details erinnert werden, wenn sie aus dem Blickwinkel eines Hauskäufers oder eines Einbrechers gelesen werden (Pichert & Anderson, 1977). Perspektive-relevante Sätze werden länger gelesen und die Inhalte eher behalten. Diesen selektiven Einfluss üben auch perspektivische Überschriften aus. Dazu eine Untersuchung von Bock (1978): Er gab Vpn denselben Text mit unterschiedlichen Überschriften vor, die jeweils andere Inhalte des Textes thematisierten. Es wurden in drei Experimenten drei Indikatoren gemessen: Die Vpn mussten die wichtigen <?page no="215"?> 215 7.4 Kohärente Texte Wörter unterstreichen, vorgelegte Sätze nach Wichtigkeit sortieren und den Inhalt des Textes wiedergeben. Es zeigt sich, dass Wörter und Propositionen, die in Beziehung zur Überschrift standen, eher angestrichen, nach oben sortiert und wiedergegeben wurden als andere. Bock spricht von einer Magnetwirkung der Überschrift, mit der überschriftskonsistente Inhalte eher fokussiert werden als andere. Diese und andere Befunde legen nahe, dass mit Überschriften wie z. B. im Boulevardjournalismus üblich durchaus das Textverstehen beeinflusst werden kann. Zusatzmaterial 11: Übung zur inhaltlichen Organisation Abweichung von Textschemata Zu einer Textsorte gehört auch ein idealtypischer Aufbau, ein Textschema. Bild 14 zeigt das übliche Textschema für einen Forschungsbericht. Bild 14: Textschema eines Forschungsberichts, wie es von vielen wissenschaftlichen Zeitschriften den Autorinnen und Autoren vorgegeben wird. <?page no="216"?> 216 7 Grammatische Verständlichkeit Ein Text ist leichter verständlich, wenn derartige konventionelle Strukturen eingehalten werden. So konnten z. B. Kintsch und Yarborough (1982) nachweisen, dass Fragen nach den Hauptideen bei wissenschaftlichen Essays besser beantwortet werden, wenn die Texte einer gewohnten Struktur folgten. 35 Die positive Auswirkung von Textschemata auf das Verstehen und Behalten konnte in zahlreichen Untersuchungen bestätigt werden (Rossi, 1990). Signaling. Hier handelt es sich um Formulierungen, mit welchen die Textorganisation explizit gekennzeichnet wird, meist an einem Übergang zwischen zwei Textsegmenten. (109.1) Nach diesen einleitenden Bemerkungen … (109.2) Zusammenfassend halten wir fest, dass … (109.3) Wir kommen jetzt zu der zentralen Hypothese … Solche Strukturmarken - in der amerikanischen Instruktionspsychologie Topic Marker - sind Wegweiser für die Lesenden, ihre Verwendung wurde von Bonnie Meyer (1975) als Signaling bezeichnet. Auch Verweise zu ferneren Textteilen fördern eine kohärente Verarbeitung. (110.1) Wie bereits im Kapitel 4 angesprochen … (110.2) Die vorgenommene Definition muss nun erweitert werden … (110.3) Wir greifen damit wieder die Behauptung auf, die … Diese Formulierungen stellen eine Metakommunikation dar, da der Autor bzw. die Autorin im Text über den Text schreibt. Strukturmarken sind für die Orientierung in einem Text wichtig, dies gilt für gesprochene Texte noch mehr als für geschriebene. Die Bildung einer zusammenfassenden Makrostruktur kann durch Signaling erheblich erleichtert werden (Mross, 1989; Lorch, Lorch & Inman, 1993). Komplex-Anaphern. Darunter versteht man in einem längeren Text einen Rückbezug nicht auf einzelne Referenten, sondern auf einen ganzen Textabschnitt, der mit der Anapher sozusagen in einem Ausdruck komprimiert wird (Schwarz, 2008; Marx, 2011). 35 Für narrative Texte wie Märchen hat das bereits Frederic Bartlett (1932) nachgewiesen. Thorndyke (1977) und Kintsch und Greene (1978) haben die Befunde bestätigt. <?page no="217"?> 217 7.4 Kohärente Texte (111) Ein Unbekannter hat in der vergangenen Woche in der Wilhelmstraße zwei Kühlmittelbehälter angebohrt. Er drang zwischen Dienstag und Freitag in die Tiefgarage einer Baustelle ein. Dort beschädigte er gezielt zwei jeweils 1000 Liter fassende Kunststoffbehälter, so dass sich das alkoholische Kühlmittel nahezu komplett in den Heizraum ergoss. Die Tat verursachte einen Sachschaden von etwa 800-Euro. Zudem stellte sie eine Gefahr für die Umwelt dar, wenn die Flüssigkeit in die Kanalisation gelangt wäre. Der Ausdruck „die Tat“ bezieht sich auf die vorangegangenen Sätze und verdichtet diese. Nach der Komplex-Anapher ist eine Wiederaufnahme durch ein Pronomen „sie“ möglich. Komprimiert wird mit allgemeinen Ausdrücken wie Ereignis, Handlung, Prozess, Zustand. Komplex-Anaphern strukturieren den Text und sind ein wichtiges Mittel für die Konstruktion globaler Kohärenz (ausführlich Marx, 2011). Es gibt auch Komplex-Kataphern, die ein Ereignis oder einen Zustand ankündigen und diese erst später berichten und beschreiben. Um die Spannung zu erhöhen, sind dies beliebte Stilmittel in Romanen. Bild 15: Das Chart fasst die expliziten und impliziten Möglichkeiten zusammen, mit denen eine kohärente Textorganisation geschaffen wird. <?page no="218"?> 218 7 Grammatische Verständlichkeit Schlussbemerkung: Es lohnt sich! Es dürfte klar sein, dass die formulierten Hinweise zu verständlichen Formulierungen für fachliche und didaktische Prosa gelten, nicht für literarische Texte. Hier können raffiniert komponierte Schachtelsätze sprachliche Kunstwerke darstellen (Kaehlbrandt, 2016). Literarische Kommunikation verfolgt andere Intentionen. Aber auch hier wird man feststellen, dass der Stil von Heinrich von Kleist oder Thomas Mann deutlich schwieriger zu lesen ist als z. B. von Herman Hesse. Ein einzelnes schweres Wort oder ein einzelner komplexer Satz beeinträchtigen das Verstehen nur geringfügig, aber die Häufung derartiger Verstehenshürden führt dazu, dass ein Text als schwer verständlich beurteilt wird. Als schwer eingeschätzte Texte werden auch langsamer gelesen (Wolfer, 2017). Bleibt die Frage: Erleichtert die Umformulierung eines schwierigen Textes unter Beachtung der angeführten Richtlinien das Verstehen oder handelt es sich nur um eine Oberflächenkosmetik? Zu dieser Frage haben Britton, Gulgoz und Glynn (1993) vorliegende Untersuchungen analysiert und eigene Untersuchungen durchgeführt. Bei 18 Studien wurden Lehrbuchtexte, natural documents und konstruierte Texte in einer Originalversion und einer optimierten Version miteinander verglichen, wobei verschiedene Indikatoren verwendet wurden: Freie Wiedergabe, Fragenbeantwortung, Mehrfachwahlaufgaben. Bei 16 Untersuchungen zeigten sich signifikante Verbesserungen durch die Formulierung, bei den zwei Untersuchungen ohne Effekt haben vermutlich andere Variablen den Effekt überdeckt. In einer groß angelegten Untersuchung haben die Autoren einen längeren Text über den Vietnamkrieg in drei Versionen umgeschrieben: In der Version 1 veränderte ein Textexperte nach seinem Empfinden die Formulierungen. In der Version 2 wurden strikte Verständlichkeitskriterien angewendet. In der Version 3 wurden nur lange Wörter und lange Sätze vermieden. Während die Version 3 zu keiner Verbesserung in der freien Wiedergabe führte, erbrachten die zwei anderen Versionen signifikant bessere Leistungen. Diese Untersuchungen - und etliche andere - belegen, dass es die Mühe wert ist, einen Text verständlicher zu formulieren. Zusatzmaterial 12: Übung zur Textoptimierung <?page no="219"?> 219 Zusammenfassung Zusammenfassung 1.-Die Grammatik des Deutschen erlaubt Wortbildungen und Satzkonstruktionen, die für die kognitive Verarbeitung besondere Ressourcen erfordern und deshalb in Sachtexten nur dosiert und adressatenorientiert eingesetzt werden sollten. 2.-Es kann aber nicht darum gehen, bestimmte Formulierungen völlig zu vermeiden, denn alle sprachlichen Mittel haben ihre spezielle kommunikative Funktion. Ein Autor/ eine Autorin sollte aber ein Gefühl dafür entwickeln, was eine Formulierung von den Adressaten verlangt. 3.-Alle ungebräuchlichen Wörter sind schwerer verständlich als gebräuchliche, das betrifft vor allem Fremdwörter und Fachwörter. Fremdwörter braucht man nicht rigoros zu bekämpfen, aber wenn es einen treffenden deutschen Ausdruck gibt, dann sollte man ihn vorziehen. Fachwörter sind nicht vermeidbar, aber sie müssen explizit mit Definitionen eingeführt werden. 4.-Akronyme müssen bei der ersten Verwendung immer mit dem ausgeschriebenen Ausdruck, der Langform einführt werden. In wissenschaftlichen und technischen Arbeiten wird ein Abkürzungsverzeichnis erwartet, das die ungeläufigen Abkürzungen und Akronyme enthält. 5.-Komposita lassen sich ebenfalls nicht vermeiden, aber man kann sie reduzieren: Komposita mit maximal drei Lexemen sind noch akzetabel, Komposita mit mehr Bestandteilen sollte man auflösen. Zur Markierung von Lexemgrenzen ist von der Rechtschreibung ein Bindestrich erlaubt, um unübersichtliche, schwer lesbare oder missverständliche Zusammensetzungen zu vermeiden. 6.-Abstrakte Nominalisierungen sind schwerer zu verarbeiten als konkrete Verben. Nominalisierungen verführen zu einem Nominalstil, bei dem viele Nominalgruppen und Funktionsverbgefüge in einem Satz zusammengepfercht sind. Auch Nominalisierungen sind nicht generell von Übel, aber man sollte sich den Gebrauch überlegen. Oft ist ein Verb verständlicher als ein abstraktes Nomen. 7.- Passivsätze sind nicht prinzipiell schwerer verständlich als Aktivsätze. Passivkonstruktionen sind eine Möglichkeit zur Akzentuierung von Satzgliedern, aber ein Autor bzw. eine Autorin sollte sie sparsam verwenden. Stilistisch wirkt die Häufung von Passivkonstruktionen steif und schwerfällig. Tabu sind Passivkonstruktionen in Sätzen, die eine Handlungsanleitung oder Warnung <?page no="220"?> 220 7 Grammatische Verständlichkeit ausdrücken. Hier muss der oder die Handelnde genannt bzw. direkt angesprochen werden. 8.-Alle Satzkonstruktionen, die zusammengehörige Satzteile auseinanderreißen (Klammerkonstruktionen), können das Arbeitsgedächtnis überlasten. Schachtelsätze können zur Zumutung für die Verarbeitung werden. Sie lassen sich meist in verständlichere Konstruktionen auseinandernehmen. Das Ideal ist aber keine Aneinanderreihung einfacher Sätzchen, denn diese erfordern wieder Ressourcen, um die inhaltlichen Beziehungen zwischen ihnen zu erfassen. 9.- Ketten von Attributen und Adverbialen führen gern zu Mehrdeutigkeiten und damit zu Missverstehen. Präpositionale Attribute sind oft eindeutiger als Genitiv-Attribute, wirken dafür aber oft unbeholfen und umgangssprachlich. 10.- Wird eine sachlogische Abfolge nicht eingehalten, so verzögert dies das Verstehen. Vor allem in technischen und instruierenden Texten sollte die sachlogische Abfolge in Sätzen wie Satzfolgen nicht umgedreht werden. 11.-Füllwörter und -phrasen sind in Sachtexten zu vermeiden. Sie tragen nichts zum Inhalt bei, sondern verlängern nur den Satz und belasten das Arbeitsgedächtnis. 12.-Ein Text ist immer verständlicher, wenn die lokalen und globalen Verbindungen sprachlich explizit formuliert sind. Bei Kohärenzlücken müssen die Adressaten aktiv werden und die Verbindung über Vorwissen erschließen. Das ist ein zusätzlicher Verarbeitungsprozess, der zudem zu Missverständnissen führen kann. Das gilt vor allem für fehlende Konnektoren. 13.- Rekurrenzen wirken stilistisch monoton und sind nur für Adressaten mit restringiertem Sprachniveau geeignet. Kompetente Sprachbenutzer fühlen sich dadurch eher irritiert. Rhetorisch werden sie auch als Stilmittel eingesetzt, um Eindringlichkeit zu bewirken - dort Anapher genannt. 14.-Synonyme Substitutionen kann man nur verwenden, wenn die Gleichbedeutung bei den Adressaten vorausgesetzt werden kann. Bei Fachtexten wird von Synonymen grundsätzlich abgeraten. 15.-Der Bezug einer Proform muss eindeutig sein, es darf nicht mehrere Kandidaten für die Stellvertretung geben. Entweder entsteht durch falschen Bezug ein Missverständnis oder es ist eine zusätzliche Entscheidung zwischen den möglichen Referenten notwendig. <?page no="221"?> 221 Zusammenfassung 16.-Anaphorische und kataphorische Bezüge dürfen nicht zu weit auseinanderliegen. Faustregel: Je weiter das Pronomen von der Einführung des Referenten entfernt ist, umso aufwendiger und schwieriger wird der Rückbezug. 17.- Beim kooperativen Schreiben wird für den Lesenden sprachlich markiert, was die bekannte und was die neue Information darstellt (Given-new-Prinzip). Dadurch wird beim Lesen ein fortlaufender Sinnfluss bzw. ein inkrementelles Verstehen möglich. 18.- Bei langen Texten ist ein klarer und für die Adressaten nachvollziehbarer Aufbau für die Verständlichkeit von großer Bedeutung. Der Aufbau muss mit sprachlichen Mitteln (Überschriften, topic marker) verdeutlicht und über Typografie und Layout (Absätze, Hervorhebungen) visualisiert werden. Der Lesende muss immer wissen, wo er im Texaufbau gerade steht. 19.- Perspektivische Überschriften können zur Steuerung des Verständnisses eingesetzt werden. Sie haben eine selektive Wirkung auf das Verstehen und Behalten des nachfolgenden Textes. 20.- Das aus den Überschriften bestehende Inhaltsverzeichnis bleibt mit drei Gliederungsebenen übersichtlich. Abfolge und Hierarchie der Inhalte müssen mit typografischen Mitteln für die Augen sichtbar werden. Dazu dienen Durchnummerierung, verschiedene Einzüge, verschiedene Abstände. 21.- Wenn ein konventionelles Textschema existiert, sollte man es einhalten, denn jede Abweichung davon ist unerwartet und erfordert zusätzliche Verarbeitungsressourcen. 22.-Viele Untersuchungen belegen, dass die Verständlichkeit durch Umformulierungen schwieriger Texte deutlich gesteigert werden kann. Dabei profitieren vor allem Personen mit geringer Sprachkompetenz und wenig Vorwissen. <?page no="223"?> 8 Pragmatische Verständlichkeit Grammatische Ressourcen werden benötigt, um schwierige Wörter, komplexe Sätze und inkohärente Texte zu verstehen. Mit diesem Kapitel wenden wir uns den pragmatischen Ressourcen zu, die gefordert sind, wenn die Intention einer Formulierung im Unklaren bleibt. Der pragmatische Aspekt der Verständlichkeit von Texten wurde bisher in der Verständlichkeitsforschung vernachlässigt. Die theoretische Grundlage ist hier die Sprechakttheorie, die in groben Zügen vorgestellt wird. Dabei geht es vor allem um mehrdeutige und indirekte sprachliche Handlungen (8.1). Einige für Sachtexte besonders wichtige komplexe sprachliche Handlungen werden ausführlicher in Hinblick auf Verständlichkeit behandelt: Benennen (8.2), Definieren (8.3), Beschreiben (8.4), Erzählen (8.5), Anleiten (8.6) und schließlich Argumentieren (8.7). Da es sich um recht komplexe Themen handelt, können nur zentrale Aspekte der Verständlichkeit behandelt werden. 8.1 Handeln mit Sprache Die Sprechakttheorie wird nur in groben Zügen vorgestellt, ausführliche Darstellungen bei Gisela Harras (2004), Götz Hindelang (2010) oder in einer Einführung in die Pragmatik (z. B. Ehrhardt & Heringer, 2011). Sprechen und Schreiben ist Handeln Die zentrale Aussage der Sprechakttheorie lautet: Mit jeder sprachlichen Äußerung vollziehen wir auch eine Handlung, d. h. verfolgen eine Intention. Sprechen und Schreiben ist ein Handeln mit sprachlichen Zeichen. Viele Handlungen lassen sich auch nichtsprachlich vollziehen (z. B. Drohen, Beleidigen), einige Handlungen lassen sich nur sprachlich vollziehen (z. B. Definieren, Versprechen, Auffordern). Die Sprechakttheorie wurde ursprünglich für die mündliche Kommunikation entwickelt, eine Übertragung auf das Schreiben ist aber problemlos möglich (z. B. Rothkegel, 2010). In diesem Fall wird in der Literatur analog von Schreibakten gesprochen. Sprechakte sind Grundeinheiten der sprachlichen Kommunikation. Ein Sprechakt wird in drei Teilakte aufgegliedert (Searle, 1968): <?page no="224"?> 224 8 Pragmatische Verständlichkeit Äußerungsakt. Der Sprecher vollzieht seine Handlung durch Äußern oder Niederschreiben von Sätzen nach den Regeln der Grammatik. Kriterium der Beurteilung eines Äußerungsaktes: (grammatisch) wohlgeformt versus nicht wohlgeformt. Propositionaler Akt (lat. Propositum = Aussage). Eine Äußerung referiert auf Gegebenheiten, Prozesse und Zustände in der Wirklichkeit. Kriterium zur Beurteilung eines propositionalen Aktes: wahr versus falsch. Illokutiver Akt (lat. Illoqui = zu jemanden sprechen). Mit der Äußerung wird eine bestimmte Handlung vollzogen. Kriterium der Beurteilung eines illokutiven Aktes: geglückt versus missglückt. Eine Illokution ist geglückt, wenn der oder die Angesprochene den intendierten Sprechakt versteht und danach handelt. Machen wir uns die Anatomie eines Sprech- oder Schreibaktes an einem Satz aus einem Flyer von Umweltschützern klar: (1) Vermeiden Sie in Zukunft beim Einkaufen Plastiktüten. Der Äußerungsakt besteht in der Aussprache des korrekt formulierten Imperativsatzes. Der propositionale Akt bezieht sich auf die verbreitete Gewohnheit, Plastiktüten zum Tragen von Waren zu benützen. Der illokutive Akt besteht in einer Aufforderung, Plastiktüten zu vermeiden. Der illukotive Akt ist erfolgreich, wenn der Adressat beim nächsten Einkauf eine Jutetasche mitnimmt. Diese Wirkung des Schreibakts wird manchmal als perlokutiver Akt bezeichnet, aber er ist kein Akt des Sprechers, sondern der Effekt seiner Äußerung (vgl. Meibauer, 2001). Einfache Sprech- und Schreibakte Linguisten haben über 2000 verschiedene Sprechakte gezählt und verschiedene Klassifikationen vorgeschlagen. Wir orientieren uns an den Grundkategorien illokutiver Akte nach Searle (1968): <?page no="225"?> 225 8.1 Handeln mit Sprache Deklarative Akte Institutionalisierte Handlungen die eine neue Wirklichkeit schaffen. Ernennen, Benennen Definieren, Kündigen, Trauen, Schenken, Freisprechen, Bevollmächtigen Dieses Geräteteil bezeichnen wir als Schutzklappe. Hiermit kündige ich zum 31. März meine Wohnung. Repräsentative / assertive Akte Darstellung der Welt Behaupten, Feststellen, Beschreiben Vermuten, Begründen, Erklären, Erzählen Unterrichten, Berichten Der Tankdeckel befindet sich rechts unter dem Motorblech. Heute regnet es bei 25 Grad. Direktive Akte Appell zu Handlungen Bitten, Befehlen, Auffordern, Anweisen, Anleiten, Raten, Verbieten, Empfehlen, Warnen Fragen Wir empfehlen, den Filter einmal im Monat auszutauschen. Warnung: das Gerät nicht dem Sonnenlicht aussetzen! Kommissive Akte Verpflichtung auf Zukünftiges Versprechen, Ankündigen, Drohen, Wetten, Garantieren, Schwören Wir gewähren auf alle Original-Teile fünf Jahre Garantie. Wir bieten Ihnen das Produkt zu folgenden Konditionen an. Expressive Akte Ausdruck von Empfindungen Danken, Gratulieren, Entschuldigen, Grüßen, Beglück wünschen, Beschweren Wir gratulieren Ihnen zum Kauf dieses hochwertigen Geräts. Bild 16: Tabelle der Sprechakttypen mit Beispielen für konkrete Sprechbzw. Schreibakte nach Searle (1968). Auch das Handeln mit Wörtern unterliegt sozialen Konventionen und linguistischen Regeln. Man nennt sie Sprechaktregeln. Diese stellen sozusagen eine Gebrauchsanweisung für eine sprachliche Handlung dar. Die Beherrschung dieser Regeln gehört zur kommunikativen Kompetenz eines Sprachbenutzers und wird im Verlauf der Sozialisation erlernt. Unter welchen Bedingungen kann ich etwas behaupten, fragen, befehlen? Eine Behauptung muss z. B. korrekt sein, das haben schon Grice mit der Maxime der Qualität und Habermas mit dem Geltungsanspruch der Wahrheit verlangt. Wenn der Behauptung widersprochen wird, dann muss ich Argumente zur Verteidigung bereit haben. Befehlen kann ich nur innerhalb einer sozialen Hierarchie in höherer Position mit Sanktionsmöglichkeiten, sonst missglückt der Befehl. Mündliche Kommunikation besteht aus einer Sequenz einander zugeordneter Sprechakte: Fragen - Antworten/ Gegenfragen; Beschuldigen - Rechtfertigen; Behaupten - Widersprechen/ Zustimmen usw. (Hindelang, 2010, S. 99ff.). In der schriftlichen Kommunikation erfolgt auf die Schreibakte zunächst keine Reaktion. <?page no="226"?> 226 8 Pragmatische Verständlichkeit Indikatoren für sprachliche Handlungen Welche Handlung mit einer Äußerung vollzogen wird, das kann man an Illokutions-Indikatoren erkennen. Die gesprochene Sprache ist dabei deutlich im Vorteil, denn durch die kommunikative Situation und die Prosodie können auch vage formulierte Sprechakte eindeutig artikuliert werden. Derselbe Satz kann je nach Betonung als Feststellung (2.1), als Frage (2.2) oder als Aufforderung (2.3) ausgesprochen werden. (2.1) Du reist morgen ab. (2.2) Du reist morgen ab? (2.3) Du reist morgen ab! In der schriftlichen Kommunikation stellen Fragezeichen und Ausrufezeichen Indikatoren für die sprachliche Handlung dar. Schreibakte können vor allem mit der Satzart und performativen Ausdrücken realisiert werden. Satzart. Deklarativsätzen, Interrogativsätzen und Imperativsätzen entsprechen sprachliche Elementarhandlungen: Feststellungen (3.1), Fragen (3.2) und Befehle (3.3). Die Satzarten sind durch syntaktische Regeln bestimmt, vor allem durch die Wortstellung und das abschließende Satzzeichen. (3.1) Die Regierung senkt die Steuern. (3.2) Senkt die Regierung die Steuern? (3.3) An die Regierung: Senkt die Steuern! Es ist eine interessante Frage, warum sich gerade für diese Sprechhandlungen in den meisten Sprachen eigene syntaktische Konstruktionen entwickelt haben. Behauptungen aufstellen, Fragen stellen und Anweisungen geben sind universelle Funktionen der Sprache, die sich in der Grammatik niedergeschlagen haben. Performative Ausdrücke. Sie benennen explizit eine sprachliche Handlung. Dies vor allem mit performativen Verben wie „behaupten“, „bitten“, „warnen“, „empfehlen“ und vielen anderen (4.1). Aber auch Substantive (4.2) und Modaladverbien (4.3) können als performative Ausdrücke dienen. (4.1) Wir empfehlen, den Filter jeden Monat auszuwechseln. (4.2) Warnung! Das Gerät darf nicht über 20 Grad Celsius erwärmt werden. (4.3) Vermutlich handelt es sich um ein Problem der Speicherkapazität. Performative Ausdrücke wirken auf den ersten Blick sehr eindeutig, aber sie können durch andere Indikatoren dominiert werden. <?page no="227"?> 227 8.1 Handeln mit Sprache Modalverben. Die Verben „dürfen“, „können“, „sollen“, „müssen“, „wollen“, „mögen“ fügen einem Verb eine zusätzliche Information hinzu: Satz (5.1) kann einen Wunsch anzeigen, Satz (5.2) eine Empfehlung, Satz (5.3) eine Entschuldigung. (5.1) Der Kuchen darf nicht zu trocken sein. (5.2) Bei Fieber sollte man zum Arzt gehen. (5.3) Er kann morgen nicht zur Probe kommen. Sätze mit Modalverben sind oft nicht eindeutig, sie dienen zu vorsichtigen oder unbestimmten Aussagen. Partikel. Diese unscheinbare Wortart kann die illokutionäre Bedeutung eines Satzes massiv beeinflussen: Die Äußerung (6) ist zwar eine Feststellung, wird aber durch das „doch“ zu einer indirekten Aufforderung, diese Kompetenz auch einzusetzen. (6) Die Kanzlerin hat doch die Richtlinienkompetenz. Das Beispiel (6) zeigt, dass Indikatoren unterschiedlich dominant sein können: Das Partikelwort verändert die Bedeutung des Deklarativsatzes. Verständlichkeit von Sprechakten Die aufgeführten Indikatoren sind für das Verstehen nicht immer zuverlässig. Der Adressat eines Schreibaktes muss zahlreiche Bedingungen berücksichtigen, um die intendierte Handlung zu erschließen. Äußerungen bleiben oft pragmatisch mehrdeutig und damit potenziell missverständlich. Mehrdeutige Sprechakte. Eine Äußerung ist mehrdeutig, wenn damit mehrere Handlungen vollzogen werden können, aber die gemeinte nicht explizit formuliert wird. (7) Der Iran verfügt bald über Atomwaffen. (8) Die Nordwand hat den Schwierigkeitsgrad 6+. Drückt der Satz (7) eine Behauptung, eine Vermutung, eine Drohung, eine Warnung oder eine Anerkennung aus? Der Deklarativsatz (8) kann vor Besteigen der Wand warnen oder die Wand als Bewährungsprobe empfehlen. Die jeweilige Bedeutung wird eventuell über den Kontext klar. Indirekte Sprechakte. Bei diesen Äußerungen stimmen die sprachlichen Indikatoren und die beabsichtigte Handlung nicht überein. Man unterscheidet <?page no="228"?> 228 8 Pragmatische Verständlichkeit hier die ausgedrückte direkte Illokution von der gemeinten indirekten Illokution. Die gemeinte Illokution muss dabei vom Adressaten erschlossen werden. (9) Sollte nicht endlich der Soli abgeschafft werden? Die Äußerung (9) ist eine direkte Frage, die als Aufforderung gemeint ist, aber einen direkten Schreibakt vermeidet. In einem Experiment von Shapiro und Murphy (1993) wurden Vpn Fragen vorgelegt, die entweder nur eine direkte (10.1) oder eine indirekte Bedeutung (10.2) haben. (10.1) Hast du Kinder? (Frage) (10.2) Kannst du mir das Salz reichen? (Aufforderung als Frage) Die Probanden mussten beurteilen, ob es eine direkte plausible Antwort gibt. Bei Fragen mit einer indirekten Bedeutung war die Entscheidungszeit länger, was darauf hinweist, dass indirekte Sprechakte mehr Ressourcen benötigen als direkte. Die Verwendung indirekter Sprechakte dient verschiedenen kommunikativen Funktionen, welche die Härte direkter Sprechakte für den/ die Adressaten mildern sollen. Gründe für den Vollzug indirekter Sprechakte: ▶ der für den Vollzug eines illokutionären Aktes mögliche Rekurs auf Status oder Berechtigung wird vermieden bzw. verschleiert. ▶ Formen der Höflichkeit und Rücksichtnahme werden berücksichtigt. ▶ dem Hörer wird ein Reaktionsspielraum gelassen, er kann entscheiden, auf welche Handlung er reagiert. In der mündlichen Alltagskommunikation kommen mehrdeutige und indirekte Sprechakte häufig vor und sind Ursache gewollter oder nicht beabsichtigter Missverständnisse. In Sachtexten müssen sie vermieden werden. Susanne Göpferich (2002, S. 183) fordert maximale Direktheit auf der illokutionären Ebene. Komplexe Sprechakte: Illokutionshierarchie Ein Sprechakt ist eine sprachliche Elementarhandlung, die meist aus einer Äußerung, einem Satz besteht. Wie kann man aber einen ganzen Text aus einer Sequenz verschiedener Äußerungen sprechaktanalytisch fassen? Die Lösung besteht darin, einen Text als hierarchische Organisation mit übergeordneten und untergeordneten sprachlichen Handlungen zu analysieren. <?page no="229"?> 229 8.1 Handeln mit Sprache Mit einem Kochrezept will ein Autor/ eine Autorin zum Herstellen eines Gerichts anleiten. Die dominierende Illokution ist die Anleitung zu Handlungen. Untergeordnet können aber auch andere subsidiäre Schreibakte vorkommen wie z. B. Beschreibung von Produkten, Empfehlungen, Ratschläge, Warnungen usw. Ein Text hat eine übergeordnete kommunikative Funktion, er dient einer Intention, der die Schreibakte untergeordnet sind. Man spricht von einer Illokutionshierarchie (Brinker, 2010). Es gibt einige Ansätze, um Textfunktionen einzuteilen, zufriedenstellend ist bisher jedoch keiner. Klaus Brinker hat eine Klassifikation vorgeschlagen, die sich an der Typologie von Sprechakten orientiert und ihnen bestimmte Textsorten zuordnet. Jede Textsorte zeichnet sich durch bestimmte sprachliche, d. h. lexikalische, grammatische und textliche Merkmale aus (Fandrych & Thurmair, 2011). Deklarationsfunktion Ernennungsurkunde, Bevollmächtigung, Testament Darstellungsfunktion Nachrichtentexte, Berichte, Beschreibungen Appellfunktion Gebrauchsanweisung, Kochrezept, Werbeanzeige Obligationsfunktion Vertrag, Garantieschein, Gelübde, Gelöbnis, Angebot Ausdrucksfunktion Dankesbrief, Kondolenz, Gratulation, Liebesbrief Bild 17: Textfunktionen und Textsorten (nach Brinker, 2010). Die übergeordnete Textfunktion kann durch verschiedene Indikatoren mitgeteilt werden: Kommunikative Situation. Oft gibt der institutionelle Kontext den Ausschlag für die Textfunktion. (11) Sehr geehrter Herr B., wir danken Ihnen für den erteilten Auftrag und gratulieren Ihnen zu Ihrer Entscheidung. Wir sichern Ihnen die Fertigstellung der Arbeiten bis Ende des Monats verbindlich zu. Drei performative Verben (danken, gratulieren, zusichern), die drei Handlungen anzeigen. Aber welche ist dominant und welche sind subsidiär? In diesem Fall gehört der Text eindeutig in den Kontext „Geschäftsverkehr“ und stellt eine Auftragsbestätigung dar. Der Dank und die Gratulation sind untergeordnete expressive Schreibakte. <?page no="230"?> 230 8 Pragmatische Verständlichkeit Direkte Signalisierung. Oft wird die Textgesamtfunktion bereits durch die Überschrift signalisiert: Gebrauchsanleitung, Gesetz, Rezept, Garantieerklärung usw. Dies kann auch über metakommunikative Aussagen geschehen: (12.1) Dieses Buch ist ein Plädoyer für eine vegane Ernährung. (12.2) Mit diesem Aufruf warnen wir vor einer weiteren Verschuldung des Staates. Hier wird klar, dass die übergeordnete Textfunktion bei (12.1) im Appellieren, bei (12.2) im Warnen besteht, auch wenn in den Texten viele Behauptungen, Anleitungen, Ratschläge, Warnungen usw. zu finden sind. Häufung einfacher Schreibakte. Ein Indikator kann die Häufung bestimmter Sprechakte sein. Eine Sequenz imperativischer Sätze verweist auf die Funktion der Anleitung: (13) Kopf nach hinten legen. Mit dem Zeigfinger einer Hand das Unterlid des Auges nach unten ziehen. Mit der anderen Hand die Tube senkrecht über das Auge halten. Das Auge dabei nicht berühren. Einen Tropfen in den heruntergezogenen Bindehautsack eintropfen. In Sachtexten kommen neben einzelnen Elementarsprechakten komplexe Handlungen vor, Textteile, die sich aus mehreren Schreibakten zusammensetzen, z. B. Definitionen, Beschreibungen, Argumentationen, Erklärungen usw. Diesen komplexen Textbausteinen wenden wir uns in den nächsten Abschnitten zu. 8.2 Benennen Bezeichnen und Benennen sind sprachliche Handlungen, mit denen der Gebrauch von Zeichen festgelegt wird. Es handelt sich um eine konventionelle Zuordnung, welche Bezeichnung als Stellvertreter für welches Konzept bzw. welches konzeptuelle Netz verwendet wird, um Kommunikation zu ermöglichen. Aber was macht eine verständliche Benennung aus? Bei der lexikalischen Verständlichkeit haben wir bereits Merkmale von Wörtern kennengelernt, die sie schwerer verständlich machen. Auf diese Kenntnisse können wir wieder zurückgreifen. <?page no="231"?> 231 8.2 Benennen Konzepten Zeichen zuordnen Probleme der Benennung werden in der Terminologielehre behandelt: „Das zusammengehörige Paar aus einem Begriff und seiner Benennung ist die elementare Einheit der Terminologie“ (DIN 2342-1, 1992). Am semiotischen Dreieck haben wir den Zusammenhang zwischen Wirklichkeit, ihrer begrifflichen Repräsentation und den sprachlichen Zeichen klargemacht (Kap. 6.2): Die Bezeichnung steht nicht direkt für wahrgenommene Gegenstände, sondern für Begriffe! Die Benennung ist konventionell, wobei die „Erfindung“ und Festlegung eines Wortes meist nicht mehr nachvollziehbar ist. Der deklarative Sprechakt wird etwa mit folgendem Satz vollzogen: (14) Hiermit bezeichne ich das Objekt/ Konzept x als y. Benennen geschieht im Alltag oft durch einen Zeigeakt: Mit dem Finger zeigt ein Installateur auf einen Gegenstand und sagt: „Das ist ein Dichtring.“ Gezeigt werden kann der Gegenstand ersatzweise auch auf einem Abbild. Zum Bezeichnen müssen nicht unbedingt Wörter verwendet werden. Ein Begriff kann auch durch ein Zeichen eines anderen Kodes repräsentiert werden (Bild 18). Bild 18: Dem Konzept Wasser können verschiedene Zeichen als Stellvertreter zugeordnet werden: Lautzeichen, Schriftzeichen, Formelzeichen, ikonisches Zeichen. Wenn es sich bei den Bezeichnungen um Wörter handelt, sprechen wir von Benennungen. Wenn Individualbegriffe bezeichnet werden, sprechen wir von Namen. <?page no="232"?> 232 8 Pragmatische Verständlichkeit Fachwörter, Termini Ein Terminus oder Fachausdruck wird in einer Wissensdomäne, z. B. einer wissenschaftlichen Disziplin explizit eingeführt und von einem Expertenkreis verwendet. In der Technikdokumentation gehören z. B. Benennungen folgender Konzepte zu den Fachausdrücken (ausführlich Reinhardt, Köhler & Neubert, 1992): ▶ Bau- und Geräteteile: Schubschnecke; Plastifizierzylinder; Spritzkolben ▶ Einzelkomponenten, Bauteile, Ersatzteile: Dichtungsring; Scharnier; Teleskopschiene ▶ Bedienelemente: Handkurbel; Bremspedal; Touchscreen ▶ Werkzeuge: Schraubendreher; Wendelbohrer; Blechschere ▶ Besondere Materialien/ Chemikalien: thermoplastischer Kunststoff; Polyurethan; Klinker ▶ Spezielle Verfahren: Kolbenplastifizierung; Vakuumdestillation; Nanofiltration ▶ Komplexe Eigenschaften: viskös; leitfähig ▶ Tätigkeiten mit oder am Produkt: Dosieren; Kalibrieren; Ätzen; Polieren; Dübeln ▶ Personengruppen: Montage-, Wartungs- und Reparaturpersonal; Anwender Unter der Terminologie versteht man den Bestand an Benennungen in einem Fachgebiet (= Fachwortschatz). Terminologien können sehr umfangreich ausfallen. So enthält z. B. der Pschyrembel als Fachwörterbuch der Medizin weit über eine Million Termini. Benennungen finden In Wissenschaft und Technik müssen immer wieder neue Begriffe benannt werden, um die Kommunikation über neue Konzepte und Erfindungen zu ermöglichen. Aber wie kommt man zu neuen Benennungen? Hier bieten sich verschiedene Möglichkeiten an: Terminologisierung. Bei den mehrdeutigen Wörtern wurde bereits auf das Problem der Terminologisierung aufmerksam gemacht. Ein Wort aus der Alltagssprache bekommt in einer Wissensdomäne eine präzisere Bedeutung. So hat „Wurzel“ in der Zahnmedizin eine neue Bedeutung und „Lager“ in der Technik. Die Terminologisierung ist oft eine metaphorische Übertragung, wie der Kopf der Schraube, der Zahn im Zahnrad usw. Besonders in den Sozialwissenschaften kann es zu Verständnisproblemen kommen, weil z. B. in der Psychologie <?page no="233"?> 233 8.2 Benennen viele Termini aus der Alltagssprache übernommen sind wie Wahrnehmung, Gefühl, Vorstellung usw., die aber in der Wissenschaft eine meist engere und eindeutigere Bedeutung haben. Komposition. Durch die Aneinanderreihung von Morphemen können neue Komposita gebastelt werden. Sie sind für das Verstehen nicht förderlich, sobald mehr als drei Wortstämme bzw. Basismorpheme zusammengestellt werden, wie z. B. bei dem dritten Wortungetüm. (15) Rachepornografie; Migrationshintergrund; Ultrakurzwellenbereichweitenfernsehrichtfunkverbindung Mehrwortbenennungen. Sie sind oft ein verständlicher Ersatz für Komposita, der in anderen Sprachen häufiger vorkommt (16.1), aber auch im Deutschen verbreitet ist (16.2). (16.1) Hochspannungsleitungen = tension lines = Leitungen für Hochspannung (16.2) indirekter Sprechakt; Gauß’sche Glockenkurve Wortableitungen. Ein Stammwort kann mit Prä- oder Suffixen zu neuen Wörtern verknüpft werden (17). Derartige Ableitungen aus Verben verleiten aber zu einem Nominalstil, dessen kognitive Nachteile wir beschrieben haben. (17) Ent/ sorgung; Übergriffig/ keit; gelatin/ ös Entlehnung. Wenn es in der eigenen Sprache kein Wort gibt, dann kann man aus einer anderen ein Wort übernehmen. Früher war es Griechisch (18.1) oder Latein (18.2), heute sind Anglizismen beliebt (18.3). Lehnworte können so heimisch werden, dass man ihren fremden Ursprung nicht mehr bemerkt, z. B. die Gallizismen aus dem Französischen wie Büro, Toilette, Abonnement. (18.1) Archiv; Strategie; Dynamik; Akustik (18.2) Mutation; Selektion; Addition; Konflikt (18.3) Computer; Download; Software; Input Kontamination. Verschmelzung von Bestandteilen zweier Wörter zu einem Wort mit neuer Bedeutung. (19) Motel (aus Motor und Hotel); Brunch (aus Breakfeast und Lunch); Smombie (aus Smartphone und Zombie); Wikipedia (aus wiki hawaiisch = schnell und Enzyklopädie) <?page no="234"?> 234 8 Pragmatische Verständlichkeit Neubildung. Dass ein Wort völlig neu erfunden wird, ist äußerst selten und setzt sich meist nicht durch, so wie „sitt“ als Analogon zu satt. Aber das Wort „Handy“ ist eine rein deutsche Neubildung. Völlig neue Benennungen werden für Produkte und Marken erfunden. Es gibt Agenturen, die neue Wörter konstruieren und verkaufen (z. B. www.gotta.de). (20) Persil; Volvo; Evonic; Twingo; Solano; Amaris; Mégane Auf der lexikalischen Ebene kann man gut verfolgen, dass sich die Sprache kontinuierlich verändert. Auf der Website www.wortwarte.de kann man unter dem Menüpunkt „Wörter von heute“ nachschauen, welche Wörter an einem Tag erstmals im Web auftauchen. Es sind pro Tag meist um die 20 Einträge! Am 10.1.2018 sind dies z. B. Wörter wie Ambienteleuchte, Beautrytrick, Elendscamp, trackermäßig, höchstinvasiv. Substantive sind am häufigsten, seltener Adjektive und ganz selten ein neues Verb. Verständliche Benennungen Einige Empfehlungen speziell für technische Autoren und Autorinnen zu treffenden und verständlichen Benennungen lassen sich auch auf andere Wissensdomänen übertragen (Göpferich, 1998; Lutz, 2015). Dabei werden Aspekte der Adressatenanalyse und der lexikalischen Verständlichkeit aufgegriffen. Transparenz. Nach Möglichkeit eine Benennung wählen, welche die Adressaten ohne Erklärung verstehen. Bei einem transparenten Terminus lässt sich seine Bedeutung aus den Komponenten ableiten (Arntz, Picht & Mayer, 2004). (21.1) transparent: Finanz/ plan/ ung = Planung der Finanzen; Hochseeschifffahrt (21.2) nicht transparent: Jung/ geselle; Fort/ schritt; Schorn/ stein Die Nachvollziehbarkeit der Gesamtbedeutung eines Wortes aus der Summe der Bedeutungen seiner Einzelmorpheme wird in der Linguistik als Motiviertheit bezeichnet. Funktionalität. Verständlich sind Benennungen, welche die Funktion eines Objekts ausdrücken. (22) Sicherungsblech; Bremspedal; Lautstärkeregler; Fahrrichtungsanzeiger (alltagssprachlich Blinker); Schraubendreher (statt Schraubenzieher! ) <?page no="235"?> 235 8.2 Benennen Anschaulichkeit. Verständlich sind Ausdrücke, die eine sinnliche Modalität ansprechen: beschreibende (23.1) und lautmalerische Wörter (23.2). Ein konkretes Wort ist einem abstrakteren Ausdruck vorzuziehen (23.3). (23.1) Bassstimme; Stinkmorchel; Himmelblau; Weichspüler (23.2) Klirrfaktor; Flüsterasphalt; weißes Rauschen; Stupspinsel; Tacker (23.3) Wanne statt Behälter; Schlauch statt Zuleitung Einfachheit/ Kürze. Komposita und Mehrwortbenennungen mit mehr als zwei Bestandteilen vermeiden. Sie gehören zu schwer verständlichen Wörtern! Wenn es keine Alternative zu einem Kompositum gibt, dann sollte ein Wort wenigstens mit Bindestrich geschrieben werden. Bei langen Wörtern oder Ausdrücken bei der Erstverwendung eine Abkürzung oder ein Akronym einführen und dieses dann benutzen. Konnotationsfreiheit. Benennungen vermeiden, die für die Adressaten unerwünschte oder abwertende Nebenbedeutungen haben. (24.1) Endlösung; billig; Abtreibung; Plastikgestell (bei Brillen); intelligente Maschine Dazu gehören auch euphemistische Benennungen, die erkennbar etwas verhüllen oder verschleiern sollen, indem sie eine positive Konnotation ausnutzen. (24.2) Entsorgung; Freistellung (statt Entlassung); Preiskorrektur (statt Preiserhöhung); Gotteskrieger (statt Terrorist) Eindeutigkeit. Mehrdeutige Wörter vermeiden und dafür das eindeutige oder treffende Wort suchen. In einer Gebrauchsanleitung für einen Kompass steht die Überschrift: „Bestimmen des eigenen Standpunktes“. Das ist wohl aber kaum gemeint, denn der eigene Standpunkt kann mit einem Kompass schwerlich bestimmt werden. Richtig wäre: „Den eigenen Standort bestimmen“ Keine Synonyme. Für einen Begriff stets durchgängig dieselbe Benennung verwenden. Das Einführen von Synonymen ist in Fachtexten unangebracht. (25) Hydrodynamische Kupplung oder hydraulische Kupplung; Dose oder Büchse <?page no="236"?> 236 8 Pragmatische Verständlichkeit Übersetzbarkeit. Wenn Dokumente in andere Zielsprachen übersetzt werden müssen, sollte man gleich nach gültigen Übersetzungen für die Terminologiedatenbank suchen (dazu ausführlich Arntz, Picht & Mayer, 2009). Terminologiearbeit Terminologiearbeit besteht darin, treffende Fachwörter einzuführen, in einer Datenbank zu dokumentieren und in andere Zielsprachen zu übersetzen. Das Suchen nach guten und übersetzungsfreundlichen Benennungen kann schwierig werden, vor allem wenn auch noch Vorgaben der Firma berücksichtigt werden müssen (corporate wording). In technischen Dokumentationen findet man oft Text-Bild-Kombinationen mit der Funktion der Benennung von Komponenten. Dazu werden Geräteteile an einem Abbild gezeigt und mit den Fachausdrücken (= Termini) benannt. Dies geschieht oft über Bezugszeichen (Bild 19). Bild-19: Text-Bild-Kombination aus der Gebrauchsanleitung für einen Zahnarztbehandlungsstuhl: Überblicksbild und über Bezugsziffern zugeordnete Benennungen in einer Liste. Quelle: Sirona Gebrauchsanleitung C8+, C8+ Turn, S. 21. <?page no="237"?> 237 8.3 Definieren Im Bild 19 werden an einem Übersichtsbild Benennungen eingeführt, wobei Bezugslinien und Bezugsziffern die Zuordnung sichern. Wie sieht es nach den aufgestellten Kriterien mit der Qualität der Benennungen aus? ▶ Patientenstuhl: In Ordnung, die Funktion ist mit alltäglichen Wörtern verständlich benannt. ▶ Arztelement: Das Wort „Element“ ist abstrakt, gemeint ist das fahrbare Tischchen, an dem die Instrumente der Zahnbehandlung eingeklinkt sind. Besser: Instrumententisch(chen). ▶ Wassereinheit: Das Wort „Einheit“ ist abstrakt, konkret geht es um das Wasserreservoir für die Mundglasfüllung. ▶ Helferininstrument. Das Gegenstück zum Arztinstrument. Die Benennung ist nicht geschlechtsneutral, denn es kann auch männliche Arzthelfer geben. Besser: Assistenztisch(chen) ▶ SIROLUX. Das Kunstwort ist eine Komposition aus Lux (lat. Licht) und den ersten beiden Silben des Firmennamens. Derartiges Corporate Wording ist beliebt, besser wäre: Leuchte für das Arbeitsfeld oder Arbeitsleuchte (SIROLUX). ▶ Instrumentenfußschalter mit Programm-Positionen: Umständlicher Ausdruck, zudem ist das Wort „Instrument“ abstrakt. Was genau kann man mit dem Fußschalter programmieren? ▶ Instrumentenfußschalter: Dieser Schalter ist offenbar ohne Programm-Positionen. Das sollte auch explizit gesagt werden. Besser: Fußschalter mit/ ohne Programmierung. 8.3 Definieren Beim Benennen haben wir ein Konzept und suchen ein treffendes Wort dafür, beim Definieren haben wir ein Wort und grenzen ein Konzept dazu ein. Definieren ist eine wissenschaftliche Tätigkeit, denn dort ist eine eindeutige und unmissverständliche Kommunikation wichtig, denn unklare oder verworrene Konzepte hinter einem Wort führen zu Verstehensproblemen. Auch das Einführen einer Definition ist ein deklarativer Sprechakt. 36 Definitionen 36 Bei Annely Rothkegel (2010, S. 81) ist das Definieren ein repäsentativer Sprechakt. Ich meine, dass mit einer Definition eine verbindliche Festlegung deklariert werden soll. Auch für Dieter Wunderlich (1976) sind Definitionen deklarative Sprechbzw. Schreibakte. <?page no="238"?> 238 8 Pragmatische Verständlichkeit haben kommunikativ die Funktion, unterschiedliche Bedeutungen deutlich zu machen und einen Common Ground zu schaffen. Bedeutungen abgrenzen Definieren ist eine sprachliche Handlung, welche die Bedeutung eines Ausdrucks mit Hilfe anderer Wörter festlegt und gegenüber anderen Wörtern abgrenzt (lat. de = ab, weg; finis = Grenze). Definieren bedeutet, den Sprachgebrauch eines Wortes festlegen. Das kann auf verschiedene Weise geschehen, aber stets wird ein unbekanntes Wort auf bekannte Wörter zurückgeführt, d. h. in einem konzeptuellen Netz verankert. Eine Definition knüpft inhaltliche Verbindungen zwischen Begriffen/ Wörtern. Es gibt auch nichtsprachliche Definitionen, z. B. in den Formeln der Mathematik oder Physik. Definitionen sind eine zentrale Bedingung für verständliche wissenschaftliche Kommunikation. Die Festlegung des Wortgebrauchs dient zwei kommunikativen Funktionen: Eindeutigkeit. Nicht nur Wörter aus der Alltagssprache müssen durch Definition vereindeutigt werden, auch in unterschiedlichen Wissensdomänen und Theorien haben Wörter verschiedene Bedeutungen. So gibt es für das wichtige Wort „Institution“ in der Soziologie unzählige Definitionen. Mit einer expliziten Definition legt der Absender fest, in welcher Bedeutung er ein Wort verwendet. Und das sollte er dann auch verlässlich im ganzen Text tun. Verständlichkeit. Wenn der Adressat weiß, in welcher Bedeutung der Absender ein Wort verwendet, dann dient das der Verständigung. Das Wort verstehen bedeutet, seine eingeführte Definition zu aktivieren, das Wort ist ein verkürzter Stellvertreter für eine Definition. In der Wissenschaftstheorie ist das Definieren seit Aristoteles ein Dauerthema. Es geht einmal um die Typen von Definitionen. Wichtiger ist aber die Frage, ob eine Definition ausdrückt, wie ein Ding wirklich ist (Realdefinition), oder ob sie sich nur auf andere Wörter bezieht (Nominaldefinition). Im semiotischen Dreieck ausgedrückt: Bleibt die Definition auf der (rechten) Seite der Zeichen oder bezieht sie sich auf wirkliche Gegenstände. Dazu drei Definitionen: (26.1) Ein Teppich ist ein Gewebe, auf dem man gehen kann. (26.2) Ein Teppich ist ein Gewebe, auf dem man liegen kann. (26.3) Ein Teppich ist ein Gewebe, mit dem man fliegen kann. <?page no="239"?> 239 8.3 Definieren Der Definition (26.1) werden wahrscheinlich alle zustimmen, die Definition (26.2) ist aber auch nicht falsch, denn ein Teppich wird auch dazu benutzt, um sich darauf zu entspannen. Dagegen werden wir (26.3) nicht akzeptieren, da wir in der Wirklichkeit keine fliegenden Teppiche kennen, es gibt sie nur als fiktives Konzept. Bei der Definition von juristischen Termini wird deutlich, dass Definitionen deklarative Akte sind, die eine Wirklichkeit erst schaffen. Dazu drei Definitionen des Wortes „Ehe“: (27.1) Die Ehe ist die Verbindung zweier Personen verschiedenen Geschlechts zum lebenswierigen wechselseitigen Besitz ihrer Geschlechtseigenschaften. (27.2) Die Ehe ist eine staatlich und/ oder kirchlich anerkannte Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau. (27.3) Die Ehe ist eine Lebensgemeinschaft, die zwischen zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts geschlossen wird. Die Definition (27.1) von Immanuel Kant ist heute nicht mehr brauchbar, denn die Festlegung auf das Geschlechtliche wird vielen als einseitig vorkommen. Auch lebenswierig (= so lange das Leben währt) wird nicht mehr verlangt, das zeigen die Scheidungsraten und die sukzessive Polygamie. Das verschiedene Geschlecht ist auch in der juristischen Definition (27.2) noch Bedingung, gleichgeschlechtliche Partner können nur eine Lebenspartnerschaft begründen. Das wurde in Deutschland am 1.10.2017 durch das Gesetz „zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts“ geändert, jetzt gilt die Definition (27.3). Definitionen sind also immer vom historischen und gesellschaftlichen Gebrauchskontext bzw. in der Wissenschaft vom Kenntnisstand abhängig. Vielleicht kann ein Mann, eine Frau oder ein Intersexueller in Zukunft einen Androiden heiraten. Definitionen sind metasprachliche Vorschläge für den Gebrauch von Wörtern (Gebrauchsregeln). Sie sind weder wahr noch falsch, sondern nur mehr oder weniger brauchbar. Sie bieten keine tiefere Einsicht in die bezeichneten Begriffe (Bayer, 2007, S. 84f.). <?page no="240"?> 240 8 Pragmatische Verständlichkeit Typen von Definitionen Wie fast alle Sprechakte kann auch eine Definition direkt (28.1) oder indirekt (28.2) formuliert sein. Direkte Definition. Durch einen performativen Ausdruck wird ein Wort ausdrücklich eingeführt. (28.1) Als Kolbenhub definieren wir den Abstand zwischen den beiden Totpunkten des Kolbens im Zylinder. Indirekte Definition. Indirektes oder auch informelles Definieren ist sprachlich oft nicht eindeutig von anderen Akten wie Beschreiben, Behaupten, Erklären abzugrenzen. Entscheidend ist die Absicht, den Gebrauch eines Wortes für die weitere Kommunikation eindeutig festzulegen. (28.2) Der Kolbenhub ist der Abstand zwischen den beiden Totpunkten des Kolbens im Zylinder. In der Wissenschaftstheorie werden zahlreiche Möglichkeiten der Definition unterschieden (z. B. Savigny, 1976). In der Praxis sind Definitionen wie Benennungen Teil der Terminologie. Im Prinzip kann es so viele Definitionsarten geben wie es Fragen gibt: „Effective definitions answer questions considered by members of the audience, before they verbalize those questions“ (Burnett, 2005, S. 524). Wir unterscheiden folgende Grundtypen: intentionale, extensionale, operationale und ostentative Definitionen. Intentionale Definition, Inhaltsdefinition. Diese klassische Form der Definition geht auf Aristoteles zurück: Das zu definierende Wort (Definiendum) wird mit einem definierenden Ausdruck (Definienz) gleichgesetzt. Das Definienz besteht in der Angabe eines bekannten höheren Begriffs (genus proximum) und mindestens eines unterscheidenden Merkmals (differentia specifica). Die Definitionsgleichung: Definiendum ⇔ Definiens = genus proximum + differentia specifica (29.1) Ein Schraubendreher ist ein Werkzeug zum Ein- und Ausdrehen von Schrauben. (29.2) Elastomere sind Kunststoffe, die sich nur vorübergehend wie Gummi verformen. (29.3) Der Kuckuck ist ein Vogel, der seine Eier nicht selbst ausbrütet. <?page no="241"?> 241 8.3 Definieren Oft werden auch mehrere unterscheidende Merkmale genannt. Auch eine negative Definition ist möglich, dabei werden Merkmale abgesprochen (29.3). Die intentionale Definition ruft in einem konzeptuellen Netz über- und untergeordnete Konzepte auf und verankert so den Terminus. Extensionale Definition, Bestandsdefinition. Hier besteht die Bestimmung des Begriffs in der Aufzählung seiner Unterbegriffe oder Komponenten. (30.1) Bearbeitungsvorgänge sind Sägen, Fräsen, Drehen, Bohren, Hobeln. (30.2) Man unterscheidet drei Arten von Kunststoffen: Thermoplaste, Duroplaste, Elastomere. (30.3) Ein Flaschenzug besteht aus einem Seil und festen und losen Rollen. Dieser Typ von Definition macht nur Sinn, wenn es sich um eine geringe Anzahl von Elementen bzw. Komponenten handelt. Operationale Definition. Hier wird ein Begriff durch die Angabe bzw. Beschreibung einer Handlung (31.1) oder eines Verfahrens (31.2) bestimmt. Derartige Definitionen sind in der technischen Kommunikation sehr gebräuchlich: (31.1) Mit einer Hebelblechschere können Bleche über 1,5 mm Stärke geschnitten werden. (31.2) Die Schubschnecke transportiert die Kunststoffschmelze in den Sammelraum vor die Düse. Operationale Definitionen haben den Vorteil, dass sie den Gebrauch und die Funktionen von Geräten und deren Komponenten erläutern. Ostentative Definition. Definieren kann durch einen ergänzenden Zeigeakt an einem Bild verständlicher und vor allem einprägsamer werden. Dieser ergänzt die sprachliche Definition, wenn es sich um Begriffe handelt, denen komplex geformte Objekte und räumliche Zuordnungen entsprechen. In der Text-Bild-Kombination in Bild 20 enthält der Text die sprachliche Definition, aber das Bild veranschaulicht das Definiendum (Picht, 1999). Abbilder sind manchmal die einzige Möglichkeit, konkrete Begriffe verständlich zu definieren. <?page no="242"?> 242 8 Pragmatische Verständlichkeit Bild 20: Der Kolbenhub wird definiert und an einer Schemazeichnung gezeigt. Eine derartige Veranschaulichung ist sinnvoll, da sich das Bild mnemotechnisch einprägt und man daraus den Begriff ablesen kann, auch wenn man seine sprachliche Definition vergessen hat. Quelle: nach Mercedes-Benz: Technisches Grundwissen PKW, Informationsbroschüre zum Einsatz als Selbstlernprogramm im MB-Vertriebstraining, O. J., S. 8f. Explikation. Viele, vor allem abstrakte Konzepte sind so komplex und vage, dass sie durch eine einfache Definition sprachlich nicht erschöpfend bestimmt werden können. Das gilt für historische und geisteswissenschaftliche Konzepte wie z. B. Renaissance, Kultur, Über-Ich, System, die nur im Kontext einer Theorie oder Weltanschauung verstanden werden können. Eine Explikation (explicare = auseinandersetzen, erläutern) ist nur in einem längeren Text möglich (Brun & Hirsch Hadorn, 2014). Semantische Kämpfe Die Festlegung von Definitionen dient oft dem Durchsetzen von Interessen, meist steht ein Weltbild oder eine Ideologie dahinter. Deshalb wird oft um Definitionen hart gestritten, man spricht von persuasiven Definitionen und semantischen Kämpfen. Darunter wird „der Versuch verstanden, in einer Wissensdomäne bestimmte sprachliche Formen als Ausdruck spezifischer, interessengeleiteter und handlungsleitender Denkmuster durchzusetzen“ (Felder, 2010, S. 544). Vor allem in der Politik sind persuasive Definitionen verbreitet. Das ist die Festlegung eines Wortgebrauchs, der explizit parteilich eine bestimmte Anschauung kommunizieren soll. <?page no="243"?> 243 8.3 Definieren (32.1) Abtreibung ist die Entfernung des Embryos aus der Gebärmutter vor der Geburt. (32.2) Abtreibung ist die Ermordung der Leibesfrucht vor der Geburt. Die Definition (32.1) ist medizinisch korrekt, die Definition (32.2) durch das emotionale Wort „Ermordung“ suggestiv, da sie gleich eine Haltung zur Abtreibung kommuniziert. Definitionen und Bewertungen sollten in Sachtexten klar getrennt werden. Derartige Definitionen sind ein „Bedeutungsfixierungsversuch“, um das jeweilige Wort zu besetzen. Aktuelle Beispiele für umstrittene Wörter: Leitkultur, Konservativismus; Leistungsgesellschaft; Lügenpresse. Verständliche Definitionen Auch Definitionen müssen adressatenorientiert formuliert werden. Eine Definition ist nur verständlich, wenn die definierenden Wörter/ Konzepte den Adressaten auch bekannt sind. Dies ist bei (33.1) wahrscheinlich nicht der Fall, aber bei (33.2). In populärwissenschaftlichen Texten muss wegen der Verständlichkeit von der strengen Formulierung abgewichen werden. (33.1) Supraleitfähigkeit: Sprunghaftes Verschwinden des ohmschen Widerstands bei Temperaturen dicht am absoluten Nullpunkt. (33.2) Supraleitfähigkeit: Sprunghaft erhöhte elektrische Leitfähigkeit von Stoffen bei sehr tiefen Temperaturen. Es gibt noch einige Fehler beim Definieren, die zwar das Verstehen nicht unbedingt beeinträchtigen, aber vermieden werden sollten: Keine Zirkeldefinitionen verwenden, bei denen im Definienz synonyme Ausdrücke für das Definiendum vorkommen. Sie sind informationsleer. (34.1) Supraleitfähigkeit ist eine erhöhte Leitfähigkeit. (34.2) Eine Irrlehre ist ein Aberglaube, der die Menschen in die Irre führt. Keine Inhaltsdefinitionen verwenden, bei denen das Definienz zu weit (35.1) oder zu eng (35.2) gewählt ist. (35.1) Ein Schimmel ist ein weißes Tier. (35.2) Ein Schimmel ist ein Lippizaner. Grenzen zwischen Wörtern/ Konzepten können durch Beispiele und Gegenbeispiele gezogen werden. So bei der extensionalen Definition (36): <?page no="244"?> 244 8 Pragmatische Verständlichkeit (36) Kraftmaschinen dienen als Antrieb von Arbeitsmaschinen. Zu den Kraftmaschinen gehören z. B. Turbinen, Generatoren und Elektromotoren. Keine Kraftmaschinen sind z. B. Kräne, Bagger oder Aufzüge, deren Betrieb Kraftmaschinen voraussetzt. Bei zahlreichen und ungeläufigen Termini und Definitionen sollte man ein Glossar zum Nachschlagen anbieten (Kap. 9.2). Didaktisch bewährt haben sich zur Vermittlung von Konzepten auch verschiedene Formen von Netzwerkdarstellungen (Jüngst, 1998). 8.4 Beschreiben In der Alltagssprache und den Wissenschaften wird Beschreiben in unterschiedlichen Bedeutungen verwendet und dabei oft mit anderen Schreibakten wie Erzählen, Erläutern, Erklären konfundiert. Ich reserviere hier Beschreiben für die Versprachlichung von Wahrnehmungseindrücken aus allen Sinnesmodalitäten. Es geht um Beschreibungen der Wirklichkeit, z. B. in einem Reiseführer, und klammern fiktive Beschreibungen, z. B. in einem Roman, aus. Deskriptive Sprachhandlungen kommen in vielen Sachtexten vor, sind aber bisher in der Linguistik wenig berücksichtigt worden. Eine Ausnahme bildet der Germanist Peter Klotz (2013), er hat „Grundzüge einer Deskriptologie“ ausgearbeitet. Beschreiben geht über das Benennen hinaus, da es weitere Zuschreibungen umfasst. Beschreiben ist als Umschreiben manchmal eine Verlegenheitslösung, wenn weder ein treffendes Wort noch eine Definition zur Verfügung steht. Beschreibende Kommunikation Beschreiben bedeutet in Sprache ausdrücken, was man wahrnimmt, vor allem sieht, aber auch hört, fühlt, riecht, schmeckt. Eine Beschreibung kommuniziert wahrgenommene Gegenstände, Räume, Szenarien, Personen, Bilder mittels Sprache. Die treffendste Definition habe ich in einem Enzyklopädie-Artikel des Lexikografen Johann Gottfried Gruber (1822, S. 270) gefunden: „Beschreibung ist Sprachdarstellung desjenigen, was durch Anschauung im engsten Sinne zum Bewußtsyn gelangt, also der Erscheinungen im Raume, um von denselben eine bestimte und deutliche Vorstellung hervorzubringen. Von gegenwärtigen Gegenständen soll sie unsere Vorstellung deutlicher und bestimter machen, von abwesenden dieselbe mit größerer <?page no="245"?> 245 8.4 Beschreiben Deutlichkeit oder Bestimtheit erneuern, von unbekanten aber eine Vorstellung, so deutlich und bestimt als möglich, erzeugen.“ Ein deskriptiver Text besteht aus einer Abfolge von assertiven Schreibakten, die gewöhnlich im Präsens Behauptungen über Anordnung sowie Form, Farbe und andere sinnliche Dimensionen aufstellen. Wahrnehmungen werden durch Adjektive, aber auch Adverbien und Substantive protokolliert. Dabei lassen sich folgende Dimensionen unterscheiden. Dimension Wörter zur Beschreibung Form oval, spiralig, rund; Scheibe, Zylinder, Rohr, Kugel, Kante Farbe grau, rot, blau, grün; signalrot, blassblau Helligkeit dunkel, blass, gleißend Oberfläche rau, samtig, körnig, glatt, schraffiert Beweglichkeit starr, drehbar, schwenkbar Größe, Ausdehnung groß, klein, winzig, breit Anordnung, Position oben, unten, über, neben Richtung seitwärts, abwärts, nach oben, nach unten Bewegung schnell, langsam, beschleunigt Bild 21: Einige visuelle Beschreibungsdimensionen und beschreibende Wörter. Quelle: Braun (1987, S. 9ff.). Bild 21 listet sinnliche Eigenschaften von Gegenständen wie Form und Farbe auf, aber auch relationale Eigenschaften, die nur in Bezug auf einen Standort bestimmt werden können, wie Anordnung und Richtung. Haptische und auditive Dimensionen sind nicht aufgenommen, obwohl sie eine wichtige Rolle spielen, wie eine Beschreibung aus einem Pilzbestimmungsbuch zeigt: (37.1) Pfifferling: Eigelbe Farbe des ganzen Pilzes, leistenförmige, gabelige, herablaufende Adern der Unterseite, allmählich in den Stiel übergehender, gelappter Hut und pfeffriger Geschmack und Geruch. (37.2) Der Hecht hat einen lang gestreckten, walzenförmigen und seitlich nur mäßig abgeflachten Körper. Der relativ lange Kopf hat ein entenschnabelähnliches,-oberständiges Maul. <?page no="246"?> 246 8 Pragmatische Verständlichkeit Zur Beschreibung werden gern visuelle Vergleiche (eigelb, gabelig, gelappt) und Metaphern (Adern, Fachwort Lamellen) herangezogen. Eine Beschreibung gibt eine Antwort auf die Frage, was der Fall ist, nicht warum etwas der Fall ist. Beschreiben wird oft als Gegensatz zum Erklären abwertend in den vorwissenschaftlichen Bereich verwiesen, sozusagen als Empirie des wissenschaftlichen Laien. Die Beschreibung hat aber eine lange Tradition in den Naturwissenschaften und ist Bestandteil der empirischen Methoden des freien oder systematischen Beobachtens. Wissenschaftliche Beobachtungen müssen protokolliert werden. In der analytischen Wissenschaftstheorie spricht man von Basissätzen oder Protokollaussagen und einer Beobachtungssprache, mit der Wahrnehmungen festgehalten sind (Toulmin & Baier, 1952). Beschreibungen findet man in der morphologischen Biologie oder der qualitativen Feldforschung in der Ethnografie (Reichertz, 1992). In vielen Fachtexten gibt es „integrierte Beschreibungen“ (Klotz, 2013, S. 73): Versuchsbeschreibungen, Wegbeschreibungen, Beschreibung von Kunstwerken usw. Mit einer Beschreibung will der Absender den Adressaten Abwesendes, Unbekanntes oder Ungewöhnliches nahebringen. Das setzt beim Adressaten Neugier und Ressourceneinsatz voraus, denn er muss aus der Beschreibung eine Vorstellung von einem Gegenstand konstruieren. Probleme des Beschreibens Eine Beschreibung ist nicht einfach, mehrere Probleme stellen sich der Verbalisierung von Wahrgenommenem. Alle haben sie damit zu tun, dass die Wahrnehmung keinen konzeptfreien und theorielosen Zugriff auf die Wirklichkeit darstellt: Kategorisierung. Perzepte können unterschiedliche Konzepte aktivieren, sie sind nie eindeutig. Was dem einen ein Wald, das sind dem anderen Bäume oder Holz. Auch Benennungen können bereits beschreibend sein, wenn sie eine sinnliche Komponente enthalten. Affordanzen. Da Sehen und Handeln eng miteinander verknüpft sind, „sehen“ wir vielen Dingen an, welche Handlungen man mit ihnen vollziehen kann. An der Form einer Nadel erkennt man, dass sie zum Stechen da ist, ein Rohr legt den gezielten Transport von Flüssigkeiten nahe usw. Die Dinge machen sozusagen Handlungsangebote, der Wahrnehmungspsychologe James Gibson (1979) nannte sie Affordanzen. Beschreibungen sind deshalb oft mit Inferenzen zur Funktion durchsetzt. <?page no="247"?> 247 8.4 Beschreiben Selektion. Eine Beschreibung ist nie vollständig, sondern der Beschreibende nimmt eine Perspektive ein, aufgrund derer eine Auswahl getroffen wird. Eine Beschreibung stiftet eine Ordnung in den Wahrnehmungen des Absenders, für den Adressaten ist sie auch eine Sehanleitung. „Dass Beschreibungen interessengeleitet und absichtsvoll sind, ist nicht nur kommunikativ vernünftig, sondern auch pragmatisch sinnvoll, weil pointierend“ (Klotz, 2013, S. 207). Neutralität. Oft wird die Forderung erhoben, eine Beschreibung solle möglichst wertneutral und theorielos sein. Aber jede Wahrnehmung und jede Beschreibung ist bereits durch Interessen und Erwartungen mitgesteuert. Zudem haben bei der Versprachlichung viele Wörter wertende Konnotationen. Der Anspruch der Neutralität an eine Beschreibung kann deshalb nur grobe Verstöße verhindern, ästhetische und moralische Prädikate wie „harmonisch“, „widerlich“ oder „schön“ sind problematisch. Sequenzierung. Grundproblem beim Beschreiben von Gegenständen ist das gleichzeitige Nebeneinander, das in der Sprache in ein Hintereinander überführt werden muss: Womit fange ich an? Wie reihe ich die Beobachtungen hintereinander? Womit höre ich auf ? Welche Sequenzierung man wählt, ist einerseits von der Perspektive abhängig, die der Absender gegenüber dem Objekt einnimmt, andererseits von dem Vorwissen und der Perspektive der Adressaten. Eine verständliche Beschreibung hat einen klaren Startpunkt und bringt eine eigene Perspektive ein, berücksichtigt aber auch das Vorwissen der Adressaten, die die Abfolge nachvollziehen müssen. Für immer wiederkehrende Beschreibungen haben sich konventionalisierte deskriptive Textschemata herausgebildet, z. B. für Personenbeschreibungen (auch als Beschreibungsraster bezeichnet). Verständliche Beschreibungen Eine Beschreibung ist verständlich, wenn sie nachvollziehbar ist und dem oder der Lesenden die Konstruktion einer visuellen Vorstellung leicht macht. Dazu drei Untersuchungen: Ehrlich und Johnson-Laird (1982) haben eine experimentelle Anordnung kreiert, die sich in etlichen Untersuchungen bewährt hat. Die Probanden bekommen eine kurze Beschreibung. (38.1) Rechts von der Kanne liegt eine Gabel. Vorn auf dem Tisch steht eine Tasse. Vor der Gabel liegt ein Messer. Hinter der Tasse steht die Kanne. <?page no="248"?> 248 8 Pragmatische Verständlichkeit Die Beschreibung (38.1) macht es sehr schwierig, z. B. die Lage der Tasse relativ zum Messer zu bestimmen. Mit der Beschreibung (38.2) geht es leichter, inkrementell ein mentales Modell aufzubauen und daran abzulesen, dass die Tasse links vom Messer steht. (38.2) Vorn auf dem Tisch steht eine Tasse. Hinter der Tasse steht die Kanne. Rechts von der Kanne liegt die Gabel. Vor der Gabel liegt das Messer. Denière und Denis (1989) beschrieben sechs Örtlichkeiten auf einer fiktiven Insel auf zweierlei Weise: Eine Beschreibung war systematisch aufgebaut von links nach rechts und von oben nach unten wie beim Lesen. Die andere Beschreibung führte die sechs Örtlichkeiten in unsystematischer Abfolge ein. Die systematische Beschreibung wurde schneller gelesen und führte zu besseren Reproduktionsleistungen. Sie erleichtert eine mentale Vorstellung der Insel. Linde und Labov (1975) haben Vpn die Frage gestellt: „Würden Sie mir die Anordnung der Räume in ihrer Wohnung beschreiben.“ Dabei interessierte sie, ob die Sprecher bei der Sequenzierung bestimmte Regeln einhalten. Sie stellten fest, dass es zwei Typen von Wohnungsbeschreibungen gibt: 1. Der Sprecher schildert die Wohnung als Grundriss von oben. Diese Beschreibung ist sehr selten, sie kommt nur in 3-Prozent der Fälle vor. 2. Der Sprecher führt den Zuhörer in einem imaginären Rundgang nacheinander durch die Räume. Dabei halten sie bestimmte Regeln ein: (R1) Der Ausgangspunkt des virtuellen Rundgangs ist die Wohnungstür. (R2) Kommt der Besucher an eine Abzweigung, die aus einem Zimmer besteht, so wird dieses nicht betreten. (R3) Kommt der Besucher an eine Abzweigung, die aus einer Folge von Zimmern besteht, so werden die Räume außer dem letzten durchschritten. (R4) Kommt der Besucher zum Ende einer Verzweigung und sind noch andere Verzweigungen zu begehen, so wird er unmittelbar an den Gabelungspunkt zurückversetzt. Mit Hilfe dieser Regeln lässt sich die Beschreibung einer beliebigen Wohnung erstaunlich genau vorhersagen. Ein kooperativer Sprecher wird sich bemühen, eine für die Adressaten nachvollziehbare Abfolge zu wählen. Eine gute Beschreibung muss eine Vorstellung von der Beschaffenheit des Objekts im Kopf der Adressaten erzeugen. Für alle Formen der Beschreibung lassen sich drei allgemeine Richtlinien formulieren. <?page no="249"?> 249 8.4 Beschreiben Origo. Es wird zunächst ein Ausgangspunkt festgelegt, von dem aus ein Vorstellungsraum aufgebaut werden kann. Er erlaubt es, deiktische Ausdrücke wie oben, unten, rechts, links zu verwenden, mit denen eine nachvollziehbare Abfolge beschrieben werden kann. Sequenz. Beschreibungen müssen einem für die Adressaten nachvollziehbaren Aufbau folgen: Gegenstände werden in Komponenten, Prozesse in Phasen, Handlungen in Schritte und Operationen eingeteilt. Das deskriptive Feld kann vielfältig inhaltsorientiert oder raumorientiert strukturiert werden (vgl. Ossner, 2005): ▶ vom Ganzen zu den Details ▶ vom Wichtigen zum Unwichtigen ▶ vom Auffälligen zum Unscheinbaren ▶ vom Typischen zum Untypischen ▶ vom Bekannten zum Unbekannten ▶ vom Vordergrund zum Hintergrund oder umgekehrt ▶ von oben nach unten oder umgekehrt ▶ von links nach rechts (selten umgekehrt) Besonders eine hierarchische Organisation der Beschreibung ist für unser Gedächtnis als Abrufhilfe sehr geeignet. Anschaulichkeit. Eine anschauliche Sprache ist eine Voraussetzung dafür, dass sich Adressaten eine Vorstellung machen können. Beschreibungen müssen adressatenorientiert formuliert sein, was den Grad der Detaillierung und die verwendeten Termini betrifft. Alles was man wahrnehmen kann, kann man auch beschreiben: Gegenstände, Personen, Ereignisse, Bilder usw. Als ein Beispiel befassen wir uns mit der Gegenstandsbeschreibung. Gegenstandsbeschreibung Hier geht es um das Beschreiben von Aufbau und Beschaffenheit von Gegenständen mit Wörtern. Komponenten. Komplexe Gegenstände werden für das Beschreiben in Bestandteile zerlegt. Schauen wir uns als Beispiel eine Beschreibung eines einfachen technischen Gegenstands an. Bild 22 zeigt eine einfache Sprühpumpe, mit der Flüssigkeiten zerstäubt werden können, darunter folgt eine Beschreibung des Geräts. <?page no="250"?> 250 8 Pragmatische Verständlichkeit Bild 22: Eine Sprühpumpe. Eine Sprühpumpe setzt sich aus drei Komponenten zusammen: (1) ein dosenförmiger Flüssigkeitsbehälter und (2) ein länglicher Kolbenzylinder. Der Zylinder endet auf dem Behälter, beide sind (3) mit einem Steg verbunden. - Auf der einen Seite des Kolbenzylinders befindet sich ein Handgriff, der wie bei einer Fahrradpumpe hin und her bewegt werden kann. Auf der anderen Seite des Zylinders befindet sich die Sprühöffnung. - Der Flüssigkeitsbehälter besitzt seitlich einen Füllstutzen mit Schraubverschluss und vorne einen Tropfenfänger (eine Tülle). Aus dem Behälter führt senkrecht ein Ansaugröhrchen. - Am Kopf des Zylinders befindet sich ein Loch, das genau über dem Ansaugröhrchen liegt. Diese Beschreibung ist hierarchisch aufgebaut: Sie teilt den Gegenstand in drei Komponenten auf, die dann detaillierter beschrieben werden. Die Komponenten lassen sich in folgender Hierarchie mit den Ebenen 0 bis 3 darstellen: Sprühpumpe Flüssigkeitsbehälter Füllstutzen Schraubdeckel Tropfenfänger Ansaugröhrchen Kolbenzylinder Zylinder Sprühöffnung Kolben Handgriff Verbindungssteg <?page no="251"?> 251 8.5 Erzählen Die Benennungen sind einerseits beschreibend (Zylinder, Kolben, Ansaugröhrchen), andererseits funktional (Tropfenfänger, Schraubdeckel) und helfen damit dem Verstehen. Dass sich in dem Zylinder ein Kolben bewegt, kann man nicht sehen, sondern nur erschließen (z. B. durch den Vergleich mit einer Luftpumpe). Jede Komponente kann beliebig detailliert beschrieben werden, z. B. die Form des Flüssigkeitsbehälters oder des Tropfenfängers. Ein Test für die geistige Nachvollziehbarkeit der Beschreibung wäre die Aufgabe an die Adressaten, das Objekt nach der Beschreibung zu zeichnen. Andere Beschreibungen Noch ein abschließender Blick auf andere deskriptive Texte: Prozesse und Handlungen z. B. in technischer Dokumentation sind einfacher zu beschreiben, weil sie einem chronologischen Ablauf folgen. Prozesse ohne Akteur werden dabei in Phasen eingeteilt, Handlungen mit Akteur in Teilhandlungen. Wie man aus der Kriminologie weiß, ist die Beschreibung von Personen besonders heikel. Hier geht es um eine möglichst wirklichkeitsgetreue Beschreibung zur Identifikation von Personen, z. B. bei einer Täterbeschreibung oder bei einer Vermisstenanzeige. Dafür haben sich konventionalisierte Textschemata entwickelt, die in der schulischen Schreibdidaktik ebenfalls vermittelt werden (Janle, 2009; Kroll-Gabriel, 2017). Die Kunst- und Literaturwissenschaft sieht sich mit dem Problem der Beschreibung von Werken der bildenden Kunst konfrontiert, z. B. in einem Ausstellungskatalog. 37 Hier ist die Forderung der „Neutralisierung des Blicks“ schwer einzuhalten, da ästhetische Bewertungen die Verbalisierung beeinflussen (Panofsky, 1987). 8.5 Erzählen Erzählen besteht wie das Beschreiben aus einer Abfolge assertiver Sprechbzw. Schreibakte: Beim Beschreiben wird ein synchrones Nebeneinander, beim Erzählen ein Nacheinander von Handlungen und Ereignissen versprachlicht. Ein Großteil der Forschung zum Textverstehen behandelt narrative Texte, meist banale Geschichtchen, nicht expositorische Texte (Lorch, 2015). Hier geht es 37 Als literarische Gattung wird von Ekphrasis gesprochen. Hier ist die Absicht des Beschreibenden, den Adressaten ein abwesendes oder verlorengegangenes Kunstwerk anschaulich vor Augen zu stellen. <?page no="252"?> 252 8 Pragmatische Verständlichkeit wieder um das Berichten wirklicher Handlungen und Ereignisse, nicht um fiktive Geschichten. Vom Erzählen lässt sich das Berichten abgrenzen: „Der Zweck des Berichtens besteht darin, ein Geschehen nach der Vorgabe externer (in der Regel institutioneller) Relevanzmaßstäbe so zusammenzufassen, daß es als Instanz eines vorgegebenen Ereignistyps erscheinen und für jeden wiedergegebenen Sachverhalt ein Wahrheitsanspruch erhoben werden kann“ (Hoffmann, 1997, S. 127). Dazu gehören Augenzeugenberichte, Polizeiberichte, Sitzungsprotokolle usw. Narrative Kommunikation Erzählen hat sich in vorliteralen Gesellschaften als eine elementare Form mündlicher Kommunikation herausgebildet: „Zweck des Erzählens ist es, eine erlebte oder erfundene Geschichte so zu präsentieren, daß der Hörer den Ablauf in seiner Vorstellung nachvollziehen und die Bewertung durch den Sprecher teilen kann“ (Hoffmann, 1997, S. 123). Erzählen bedeutet eine Linearisierung von konzeptuellen Netzen aus dem episodischen Gedächtnis. Meist wird eine ungewöhnliche oder für den Adressaten unbekannte Erfahrung erzählt, wobei der Erzähler seine Perspektive einbringt. Er ist entweder stark in das Geschehen involviert oder will mit einer Erzählung sein Image bei den Adressaten festigen. Erzählen in Sachtexten? Erzählen gehört sicher nicht zum Kernbestand von Sachtexten, aber narrative Einschübe kommen in vielen wissenschaftlichen Texten vor: In einem Forschungsbericht wird der Ablauf einer Untersuchung geschildert, in der Zeitung wird ein Forschungsbefund in einer Reportage oder einem Personenporträt verpackt. Vor allem die Geschichtswissenschaft hat eine enge Beziehung zum Narrativen: Chroniken, Historiografien, Biografien gehören schon immer zum Alltagsgeschäft (historische Narrativität). <?page no="253"?> 253 8.5 Erzählen (39) Im April 1586 zieht Francis Drake auf Kundschafterfahrt aus. Dabei segelt er in den Hafen von Cadiz, versenkt 18 Schiffe und fährt mit sechs anderen, die Geschütze und Munition geladen haben, als Beute davon. Er kapert Nachrichtenboote, wirft die Besatzung ins Meer und raubt schließlich den größten Ostindienfahrer Portugals mit einer Warenladung im Wert von 250.000 Dukaten. Er landet unversehrt an der Heimatküste … Mit der Oral History werden Erzählungen von Zeitzeugen zu erkenntnisgenerierenden Dokumenten. Im Journalismus ist in Nachfolge der Reportage das Storytelling in Mode: Politische Sachverhalte werden in Stories verpackt nach dem Motto: „The world becomes more comprehensible to us when we are able to tell a coherent story about it“ (Kintsch, 1998, S. 18). Narrative Passagen sind ein Stilmittel, um Texte interessant und anregend zu gestalten. Ganz ignorieren lassen sich erzählende Schreibakte also nicht, zudem gibt es eine breite Forschung zum Narrativen (Engler, 2010). Aufbau narrativer Texte Die zeitliche Abfolge beim Narrativen und die sprachliche Linearität passen gut zueinander. Ein narrativer Text ist eine Abfolge von Sätzen, die Ereignisse und Handlungen in ihrer zeitlichen Verbindung darstellt. Sie sind intentional oder kausal miteinander verknüpft. Literaturwissenschaftler und Linguisten haben viel Energie darauf verwandt, narrative Strukturen aufzuspüren (van Dijk, 1980). Die Linguistik hat für erzählende Texte Story Grammars (Textschemata) herausgearbeitet, die aber an den komplexen Strukturen langer narrativer Texte scheitern: Texte lassen sich nicht analog wie Sätze in Konstituenten einteilen und mit einer Syntax verbinden (Garnham, 1983; Wilensky, 1983). Deshalb stehen in der kulturwissenschaftlichen Narratologie Strukturen nicht mehr im Fokus des Interesses, man spricht von konventionellen und flexiblen Erzählmustern (Saupe & Wiedemann, 2013). Als Beispiel ein narratives Textschema, wie es Klaus Brinker (2010) in der Nachfolge von Labov und Waletzky (1967) entwickelt hat: <?page no="254"?> 254 8 Pragmatische Verständlichkeit Bild 23: Ein erzähltes Ereignis (Thema) setzt sich aus drei Komponenten zusammen: Situierung, aktionale Repräsentation, Resümee. Das Herzstück der aktionalen Repräsentation besteht aus mehreren Phasen, die sich wiederum aus Situierung (SIT), Handlungssequenz (SEQ) und Evaluation (E) zusammensetzen. Die Handlungssequenz besteht aus einer Komplikation (K) und ihrer Auflösung (Brinker, 2010, S. 62). Schon ein Blick auf diesen hierarchischen Strukturbaum macht deutlich, dass diesem idealtypischen Schema höchstens ein schlichtes Märchen folgt. Verständlich wäre ein solcher Aufbau aber sicher. Verständliche Erzählungen Was Verstehen und Verständlichkeit von narrativen Texten betrifft, so gibt es vier Möglichkeiten des Erzählens mit unterschiedlichem Schwierigkeitsgrad: Chronologie. Die Sätze reihen Ereignisse und Handlungen in der natürlichen Ordnung aneinander. Dabei ist aber die Erzählzeit nicht gleich der erzählten Zeit, es werden Abläufe gerafft oder gedehnt. Sprachlich beschriebene Handlungen werden analog wie direkt wahrgenommene Handlungen verstanden (Lichtenstein & Brewer, 1980). Analepse. Als Rückblick - im Film Rückblende - wird eine Vorgeschichte erzählt, die z. B. für das Verständnis der Gegenwart wichtig ist. <?page no="255"?> 255 8.6 Anleiten Prolepse. Als Vorschau werden Ereignisse und Handlungen angekündigt und später erst ausführlich erzählt. Gleichzeitigkeit. Eine besondere Herausforderung ist das Erzählen gleichzeitiger Abläufe, das ist aber vor allem ein literarisches Problem. Während chronologisches Erzählen keine großen Anforderungen an das Verstehen stellt, da es meist einer alltäglichen Handlungslogik folgt, sind die diskontinuierlichen Formen anspruchsvoller und schwerer für die Adressaten nachvollziehbar. Ein narrativer Text ist verstanden, wenn der oder die Lesende eine kohärente Repräsentation der Intentionen, Handlungen und Ereignisse konstruiert hat. Dies gelingt am einfachsten, wenn die Untermaxime der Modalität von Grice eingehalten wird: „Alles schön der Reihe nach“. Abweichungen von der Chronologie müssen sprachlich eindeutig markiert sein. Auch hier gilt die für verständliche Texte formulierte Richtlinie, dass ein Abweichen von konventionellen Erzählmustern die globale Kohärenz und damit das Verstehen beeinträchtigt (Kap. 7.4). 8.6 Anleiten Direktive Sprechakte kommen in der personalen Kommunikation in vielfältiger Form vor: Befehlen, Anweisen, Verbieten, Auffordern, Bitten, Warnen. Anleitende Texte oder Instruktionen bestehen aus einer Abfolge von direktiven Schreibakten, z. B. in Kochrezepten oder Hygieneanweisungen, z. B. zum Desinfizieren von Geräten oder zum Waschen der Hände. Die Adressaten sollen zu bestimmten Handlungen veranlasst werden. Das betrifft besonders Montage-, Bedienungs-, Wartungs- oder Reparaturanleitungen in der technischen Kommunikation. Aber auch in der Wissenschaft findet man Anleitungen zu Methoden, z. B. zum Experimentieren, zum Mikroskopieren, zum Erstellen eines Fragebogens. Anleitende Texte wurden in der Linguistik ausführlich untersucht (Grosse & Mentrup, 1982; Ehlich, Noack & Scheiter, 1994). Das Textverständnis ist bei anleitenden Texten direkt überprüfbar, indem die vermittelten Handlungen nach der Lektüre korrekt nachvollzogen werden. Anleitende Kommunikation Das Wort „anleiten“ (= jemandem zeigen, was zu tun ist, instruieren) ist weniger verbindlich als das Wort „anweisen“ (= anordnen, befehlen). Anleitungen sollen die Adressaten in die Lage versetzen, eine Handlung bzw. Handlungsschritte <?page no="256"?> 256 8 Pragmatische Verständlichkeit durchzuführen, und sie sollen langfristig prozedurales Wissen erwerben, um z. B. einen perforierten Fahrradschlauch zu reparieren. Die Sprache bietet mehrere Möglichkeiten der Formulierung von Anleitungen, unter denen eine Autorin oder ein Autor wählen kann. Befehlsform, Imperativ distanzierter Imperativ Stell den Schalter A auf Position 1! Stellen Sie den Schalter A auf Position 1! Eindeutiger Satztyp mit persönlicher Anrede; militärischer Befehlston Anweisender Infinitiv Schalter A auf Position 1 stellen. Wirkt unpersönlich, wird deshalb von Technikern geschätzt.Kein vollständiger Satz, aber die kürzeste Formulierung Infinitiv mit „sein“ und „zu“ Schalter A ist auf Position 1 zu stellen. Behördendeutsch; gibt den Agenten nicht an Modalverben Sie müssen Schalter A auf Position 1 stellen. Der Schalter A soll auf Position 1 gestellt werden. Das Verb „müssen“ ist eindeutig, die Verben „sollen“ oder „können“ sind weniger verbindlich. Konjunktiv Man stelle Schalter A auf Position 1. (Man nehme Dr. Oetker! ) Klingt eher wie eine Empfehlung und gibt den Agenten nicht an. Unpersönliches Passiv Schalter A wird auf Position 1 gestellt. Sehr schwache Form der Anleitung; der Agent wird nicht genannt. Bild 24: Tabelle der anleitenden Formulierungen in der deutschen Sprache. In der dritten Spalte sind die Vor- und Nachteile angegeben. Quelle: nach Weissgerber (2010, S. 188f.). Die Formulierungen unterscheiden sich im Grad der Verbindlichkeit und der persönlichen Ansprache. Brauchbar für eindeutige Anleitungen sind nur die Befehlsform, der anweisende Infinitiv und der Infinitiv mit „sein“ und „zu“. Anleitungen mit dem Modalverb „müssen“ sind noch akzeptabel, aber „sollen“ und „dürfen“ bleiben oft mehrdeutig. Hierarchische Handlungen Unter einer Handlung versteht man Veränderungen durch einen Agenten mit Absichten. Wie beim Erzählen gibt es kein Problem der Sequenzierung, denn Tätigkeiten folgen einem zeitlichen Ablauf, hinter dem sich ein hierarchischer Aufbau von Handlungen verbirgt: von übergeordneten Tätigkeiten über Hand- <?page no="257"?> 257 8.6 Anleiten lungen zu Operationen (Hacker, 1990). Eine hierarchisierte Liste für die Handlung des Tankens sieht demnach so aus: Tanken Tankdeckel aufschrauben Benzin einfüllen Zapfpistole abnehmen Arm ausstrecken Finger um die Zapfpistole schließen Zapfpistole aus der Halterung heben Zapfpistole einführen Hebel drücken bis er einrastet Warten bis Automatik abschaltet Zapfpistole herausziehen Zapfpistole einhängen Tankdeckel zuschrauben Im Prinzip lassen sich Handlungen nach unten immer weiter bis in einzelne Muskelanspannungen beschreiben, z. B. das Ergreifen der Zapfpistole mit den einzelnen Fingerbewegungen der Hand. Je nach Adressatengruppe können Handlungen hierarchiehoch (für Experten) oder hierarchieniedrig (für Laien) angeleitet werden. Dazu vergleichen wir zwei Anleitungen zum Tanken von Benzin und von Erdgas: Anleitung zum Benzintanken mit Zahlautomat Bargeld (50-, 10-, 20- oder 5-Euro-Scheine möglich) in den Banknotenleser hineinschieben. Zapfpunkt 1 oder 2 wählen (ca. 10 cm unter dem Zahlenblock) Tanken Anleitung zum Erdgastanken Füllkupplung durch Zurückziehen der Kupplungshülse vom Zapfventilhalter abziehen. Füllkupplung durch Vorschieben der Kupplungshülse auf den Kfz-Füllanschluss aufstecken. (Kupplung rastet spürbar ein.) Am Tankautomaten die blinkende Starttaste an der Zapfsäule drücken. (Tankvorgang wird gestartet.) <?page no="258"?> 258 8 Pragmatische Verständlichkeit Nach Beendigung des Tankvorganges (Starttaste zeigt Dauerlicht) Füllkupplung durch Zurückziehen der Kupplungshülse vom Kfz-Füllanschluss abziehen. Füllkupplung durch Vorschieben der Kupplungshülse auf den Zapfventilhalter aufstecken. (Kupplung rastet spürbar ein.) In der Anleitung für Benzin ist das Tanken eine Tätigkeit, die nicht weiter in Handlungen aufgeteilt ist. Man geht davon aus, dass die Unterhandlungen des Tankens bekannt sind. Anders sieht das bei den neuen Erdgas-Tankstellen aus. Hier ist die Handlung des Tankens ungewohnt und wird deshalb hierarchieniedrig angeleitet. Zur Hierarchiehöhe von Anleitungen noch einige Beispiele: Hierarchiehohe Handlungsbeschreibung aus der Reparaturanleitung für ein Fernsehgerät Bildröhre: Steckverbindungen lösen. Chassis und Lautsprecher ausbauen. Die beiden Kunststoffschieber herausziehen und die Chassishalteplatte entnehmen. Die Bildröhre kann nun ausgebaut werden. Hierbei darauf achten, dass Laschen, Scheiben, Distanzbuchsen usw. beim Wiedereinbau in der ursprünglichen Reihenfolge eingesetzt werden. Hierarchieniedrige Handlungsbeschreibung aus der Bedienungsanleitung eines Reiseempfängers Sie schalten den Empfänger ein, wenn Sie das links oben angebrachte Rändelrad nach links drehen. Beim Weiterdrehen nimmt die Lautstärke zu. Bedenken Sie dabei, dass eine mäßig eingestellte Lautstärke Ihre Batterien schont. Wenn Sie den Empfänger wieder ausschalten wollen, drehen Sie das Rändelrad so weit nach rechts, bis es spürbar in die "Aus"-Stellung rastet und die rote Farbmarkierung in der Mitte steht. Basiseinheit der Handlung Tätigkeiten haben zwar eine hierarchische Struktur, aber für eine Anleitung muss diese in eine nachvollziehbare Sequenz überführt werden. Dies kann zu einigen Problemen der sprachlichen Darstellung führen. Handlungen setzen an Gegenständen an oder beziehen sie ein. Jede Handlung verändert den Zustand von Gegenständen, so dass man eine Handlungssequenz als einen Wechsel von Zuständen und Handlungen (wieder auf verschiedenen Ebenen der Auflösung) beschreiben und anleiten kann: Z1 - H1 - Z2 - H2 - Z3 <?page no="259"?> 259 8.6 Anleiten Z1 gibt den Ausgangszustand an, der durch eine Handlung H1 in einen Endzustand Z2 überführt wird. Jeder Zustand ist einerseits Ergebnis einer Handlung, andererseits Voraussetzung für eine Folgehandlung. Dementsprechend gibt es zwei Möglichkeiten der Beschreibung: (40.1) Wenn die rote Lampe leuchtet, sofort Gerät ausschalten. (Z1 - H) (40.2) Beim Ausschalten des Geräts erlischt die rote Lampe. (H - Z2) Die Z1 - H - Z2-Sequenz kann als Basiseinheit der Beschreibung und Anleitung aufgefasst werden. In vielen Anleitungen wird aber Z1 oder Z2 ausgelassen. Dadurch fehlt den Adressaten die Kontrolle, ob die Handlung erfolgreich war. Warnen: Verbote und Gebote Warnungen sind ein Sonderfall von Anleitungen. Es soll damit erreicht werden, dass bestimmte Handlungen unbedingt unterlassen oder unbedingt durchgeführt werden, um unerwünschte Folgen zu vermeiden. Das Warnen vor verschiedenen Gefahren ist ein juristisch wichtiger Sprechakt einer technischen Dokumentation, da in Europa und in Amerika eine Produkthaftung besteht. Dabei wird die Bedienungsanleitung als Teil des Produkts angesehen. Fehlende oder mangelhafte Sicherheitshinweise sind damit rechtlich relevant. Aus diesem Grund sind Schreibakte des Warnens sprachlich weitgehend normiert. Sicherheitshinweise sollen die Benutzenden vor dreierlei Dingen warnen: ▶ der nicht bestimmungsgemäßen Verwendung eines Produkts ▶ den Restgefahren eines Produkts ▶ Fehlbedienungen und deren Folgen Allgemeine Sicherheitshinweise betreffen das Produkt als Ganzes und werden bei vielen Produkten in einem eigenen Abschnitt zusammengefasst und vorangestellt. Besondere Sicherheitshinweise stehen an der Stelle in der Dokumentation, an welcher der Anwender zu einer Handlung angeleitet wird, die eine Gefährdung mit sich bringen kann. Sie müssen typografisch ausgezeichnet werden. Nach den Vorschlägen des American National Standards Institute (ANSI) besteht ein vollständiger Sicherheitshinweis aus folgenden vier Bestandteilen: Schwere der Gefahr. Dies wird durch die Verwendung von Signalwörtern und Signalfarben erreicht. Die ANSI Z535.6 unterscheidet vier Gradstufen, denen drei Warnsymbole zugeordnet sind: Hinweis (blau), Vorsicht (gelb), Warnung (orange), Gefahr (rot). <?page no="260"?> 260 8 Pragmatische Verständlichkeit Art und Quelle der Gefahr. Der Sicherheitshinweis muss die Gefahr eindeutig benennen, er darf sie nicht nur vage andeuten. Indem die Gefahr und ihre Quelle deutlich genannt werden, sind auch Ge- und Verbote einsichtig. (41.1) Nicht: Hydrauliksysteme stehen unter Druck. Vor der Demontage Hydrauliksystem drucklos machen. (41.2) Sondern: Hydrauliksysteme stehen unter Druck. Bei unsachgemäßem Abbau können sie explodieren und schwere Unfälle verursachen. System vor der Demontage unbedingt drucklos machen! Folgen der Gefahr. Oft sind die Folgen einer Handlung für einen Anwender, vor allem wenn er kein Fachmann auf diesem Gebiet ist, nicht unmittelbar einsichtig. Die Angabe der Folgen soll dazu motivieren, die Gefahr zu meiden. Maßnahmen zur Gefahrenabwehr. Hier geht es um die Ge- und Verbote, die dem Anwender genau sagen, was er zur Abwendung der Gefahr tun oder unterlassen soll. Verständliche Anleitungen Eine verständliche Handlungsanleitung muss sich an dem jeweiligen Vorwissen und den motorischen Fähigkeiten der Adressaten ausrichten: Hierarchieniedrige Anleitung bei geringen Vorkenntnissen, hierarchiehohe Anleitung bei Experten. Unbedingt zu vermeiden sind indirekte Anleitungen, die den Lesenden einen Interpretations- und Entscheidungsspielraum lassen: (42.1) Das Messgerät sollte hin und wieder gereinigt und mit einem Desinfektionsmittel desinfiziert werden. Mit dem Modalverb „sollen“ bleibt unklar: Ist es nur eine Empfehlung oder ein Muss? Auch die Formulierung „hin und wieder“ bleibt unbestimmt. Richtig wäre die Formulierung (2.2): (42.2) Das Messgerät alle fünf Wochen reinigen! Jetzt liegt eine eindeutige Anleitung vor, deren Einhaltung auch überprüft werden kann. Für eindeutige Anweisungen sind die Befehlsform, der anweisende Infinitiv und der Infinitiv mit „sein“ und „zu“ brauchbar. Die sprachliche Handlung des Warnens immer ausdrücklich mit performativen Ausdrücken vollziehen: Imperativ oder imperativischer Infinitiv ist obligatorisch. <?page no="261"?> 261 8.6 Anleiten Um höflich zu sein, werden Anleitungen oft als Bitte ausgesprochen (43.1). Aber Eindeutigkeit der Anleitung geht vor Höflichkeit (43.2). Die Bitte nur verwenden, wenn dem Benutzer etwas zugemutet wird (43.3). (43.1) Verwenden Sie bitte keine Scheuermittel. (43.2) Keine Scheuermittel verwenden! (43.3) Bitte warten Sie einige Minuten, bis der Vorgang abgeschlossen ist. Die Kombination von Imperativ und dem Partikel „bitte“ führt zu einem mehrdeutigen Sprechakt: Ist das jetzt eine Bitte oder ein Befehl? Bei der syntaktischen Verständlichkeit wurde darauf hingewiesen, dass eine Umkehrung der sachlogischen Abfolge einen zusätzlichen Verarbeitungsaufwand erfordert, da die richtige Reihenfolge mental wiederhergestellt wird (Kap. 7.3). Bei Warnhinweisen unbedingt die sachlogische Abfolge einhalten, also kein vorzeitiger Bezug zwischen Haupt- und temporalem Nebensatz. (44.1) Bevor Sie das Gerät einschalten, den Ölstand überprüfen. (44.2) Den Ölstand überprüfen, bevor Sie das Gerät einschalten In einem Satzgefüge dürfen nicht mehrere Handlungen zusammengepfercht werden, sonst wird er unübersichtlich (45). (45) Zwischenwand von oben her in die Grundplatte einsetzen, dann Abdeckung einsetzen, dabei Schrauben lose anbringen, die Seitenwände von hinten in die Führung einsetzen und bis zur Zwischenwand schieben. Dieser Satz enthält fünf Anleitungen für Handlungen auf verschiedenen Hierarchieebenen (hoch: Abdeckung einsetzen; niedrig: Schrauben lose anbringen). Wer den Satz liest, kann ihn kaum vollständig im Kurzzeitgedächtnis behalten. Er muss mehrfach aus dem Text aussteigen, um die Handlungen nacheinander auszuführen. Aktive und einfache Satzkonstruktionen wählen. So knapp und prägnant wie möglich formulieren, d. h. Verzicht auf alle ablenkenden Füllselwörter und Floskeln. Bei Sicherheitshinweisen anschauliche Wörter verwenden, die eine Vorstellung der Gefahr aktivieren. (46.1) Die Lunge wird durch die austretenden Dämpfe geschädigt. (46.2) WARNUNG: Austretende Dämpfe verätzen die Lunge! (47.1) Denken Sie daran, dass rotierende Messer gefährlich sind! (47.2) WARNUNG: Rotierende Messer können Finger abschneiden! <?page no="262"?> 262 8 Pragmatische Verständlichkeit Eine Handlungsanleitung in eine Zeile und die Zeilen mit arabischen Ziffern durchnummerieren. Dadurch wird die Reihenfolge unmissverständlich festgelegt. Das Durchnummerieren führt auch dazu, dass die anleitenden Teile von den beschreibenden oder erklärenden Teilen typografisch und damit visuell abgehoben sind. Das fördert die Übersichtlichkeit. Zusatzmaterial 13: Übung zu eindeutigen Anleitungen Unklare Sprechakte können für schwere Unfälle verantwortlich sein, wie eine Meldung über ein Zugunglück bei Brühl im Badischen Tagblatt am 6.6.2001 zeigt. (48) Das Wort „Bitte“ in einer Betriebsanweisung der Bahn hat möglicherweise verhindert, dass der Lokführer des Unglückszuges von Brühl vor der problematischen Streckenführung wegen einer Baustelle gewarnt wurde. [...] Wie die Bahnbeamtin gestern am zweiten Prozesstag vor dem Landgericht Köln schilderte, war in der Betriebsanleitung für den Baustellenbetrieb zwar ein Hinweis enthalten, die Lokführer sollten über Zugfunk auf die Gleisführung im Bahnhof Brühl hingewiesen werden. Weil das aber als Bitte und nicht als ausdrückliche Anweisung formuliert gewesen sei, sei diese Warnung nicht erfolgt. [...] 8.7 Argumentieren Argumentation ist notwendig, wenn es sich um eine strittige Behauptung handelt, die aber einen Wahrheitsanspruch erhebt. Von Sachtexten, vor allem wissenschaftlichen Texten erwartet man, dass sie argumentativ sind, d. h. dass Behauptungen und Kritik ausdrücklich begründet werden. Eine Untermaxime der Qualität bei Paul Grice (1989, S. 308) lautet: „Do not say that for which you lack adequate evidence.“ Argumentieren ist ursprünglich eine mündliche, dialogische, komplexe sprachliche Handlung, die aus einer kohärenten Menge verschiedener Sprechakte wie Behaupten, Einwenden, Bestreiten, Widersprechen, Zurückweisen usw. besteht. In der Tradition der Logik und Rhetorik wurden Theorien der Argumentation entwickelt, die ein sehr komplexes Niveau erreicht haben. Wir behandeln hier nur einige für die Verständlichkeit relevante Aspekte. Für eine vertiefende Beschäftigung mit dem Thema empfehle ich das gerade für die Kommunikation sehr instruktive Buch von Klaus Bayer (2007). <?page no="263"?> 263 8.7 Argumentieren Argumentative Kommunikation Begründen ist genuin auf ein Gegenüber gerichtet. Begründen bedeutet, für eine These, einen Standpunkt, einen Vorschlag, eine Forderung, ein Urteil Gründe anführen, um einen Adressaten, meist einen Andersdenkenden, zu überzeugen. Argumentation geht also von Verstehensdivergenzen aus. Begründen dient einerseits der Verständigung, aber andererseits auch der Persuasion, untrennbar sind hier die beiden Funktionen der Sprache miteinander verbunden. Bei schriftlicher Argumentation ist keine direkte Auseinandersetzung möglich, dafür aber die einseitige Entwicklung komplexer Argumentationstaktiken. Auf sie kann nur zeitversetzt in einer Rezension oder Replik reagiert werden. Eine strittige Behauptung kann zwar verstanden werden, aber der Adressat zweifelt die Geltungsansprüche der Wahrheit oder Aufrichtigkeit an (Habermas, 1988): „Wie kommt die Autorin denn darauf ? “ Er oder sie erwartet jetzt Gründe für die Behauptung. Jede Begründung kann wieder hinterfragt werden, so dass Argumentieren einen unendlichen Regress darstellt. So wird der Fortschritt der Wissenschaft durch Kritik und Verteidigung vorhandener Positionen vorangetrieben. Argumentationsrichtungen Eine Argumentation besteht aus der umstrittenen Behauptung und den Gründen, welche die Behauptung bestätigen oder widerlegen sollen. Hier ist ein terminologischer Exkurs notwendig: In der Logik werden die begründenden Aussagen als Prämissen bezeichnet, die zu begründende Behauptung als Konklusion. In der Argumentationstheorie wird der ganze Schluss von Prämissen auf eine Konklusion als ein Argument bezeichnet. Ich folge hier wegen der Verständlichkeit der Alltagssprache und bezeichne begründende Aussagen als Argumente (A) zu einer Behaupung (B). Dabei kann man in zwei Richtungen argumentieren. Die deduktive Argumentation startet mit der Behauptung und liefert dann die begründenden Aussagen (49). (49) B Behauptung, Standpunkt A1 begründende Aussage A2 begründende Aussage An begründende Aussage <?page no="264"?> 264 8 Pragmatische Verständlichkeit Die induktive Argumentation verläuft in umgekehrter Richtung. Es werden erst Begründungen genannt, aus denen dann die Behauptung gefolgert wird (50). (50) A1 begründende Aussage A2 begründende Aussage A3 begründende Aussage B Behauptung, Standpunkt Beide Argumentationsrichtungen sind logisch gleichwertig, machen aber rhetorisch einen Unterschied. Die deduktive Argumentation ist sinnvoll, wenn es um eine bereits vorliegende strittige These geht. Die induktive Argumentation empfiehlt sich, wenn man eine neue These in die Diskussion einbringen möchte. Sie ist spannender, denn der Lesende oder Hörende muss mitdenken, da erst am Ende die entscheidende Behauptung aufgestellt wird. Schauen wir uns ein konkretes Beispiel an. In einer Bedienungsanleitung steht gleich am Anfang folgende Behauptung: (51) B Sie haben ein hochwertiges Produkt erworben. Das kann natürlich jede Firma behaupten, deshalb erwartet der Lesende Gründe bzw. Argumente für diese Behauptung: A1 Die Firma kann auf lange Tradition und Erfahrung zurückgreifen. A2 Das Produkt ist aus wertvollen Ausgangsmaterialien hergestellt. A3 Das Produkt wurde von den in der Welt führenden Experten entwickelt. A4 Es liegen zahlreiche positive Testergebnisse vor. A5 Zufriedene Kunden haben viele positive Rückmeldungen gegeben. Diese Argumentation (B gilt, weil A1 bis A5 gelten) kann auch induktiv in umgekehrter Richtung gelesen werden, nämlich als Schluss von den Argumenten auf die Behauptung (weil A1 bis A5 gelten, gilt B). Überzeugt die Argumentation? Nicht unbedingt, denn auch eine traditionsreiche Firma kann schundige Produkte auf den Markt bringen. Die Argumentation hat also nur eine gewisse Wahrscheinlichkeit. Bei den meisten Argumentationen im Alltag oder in argumentativen Texten geht es nicht um logisch gültige Wahrheiten, sondern meist nur um Plausibilität. Ein Schluss ist unter zwei Bedingungen korrekt (Weimer, 2005): <?page no="265"?> 265 8.7 Argumentieren 1. Die Argumente müssen gültig sein. Ein Argument kann wahr oder falsch sein, ist es falsch, so ist das Argument nicht haltbar bzw. nur eine angebliche Begründung. Die Überprüfung der Haltbarkeit ist eine Aufgabe der Einzelwissenschaften. In unserem Beispiel (51) könnte z. B. das Argument A4 falsch sein: Es sind tatsächlich keine validen Tests durchgeführt worden. Aber bei einem falschen Argument muss nicht der ganze Schluss falsch sein. Selbst bei falschen Argumenten kann der Schluss formal durchaus korrekt sein! (52) A1 Alle Bäume sind Reptilien. A2 Alle Gänseblümchen sind Bäume. B Alle Gänseblümchen sind Reptilien. 2. Die Schlussregel muss stimmen, was aber nicht immer einfach zu erkennen ist. (53) A1 Wenn es regnet, ist die Straße nass. A2 Es regnet. B Die Straße ist nass. A1 Wenn es regnet, ist die Straße nass. A2 Die Straße ist nass. B Es regnet. Der erste Schluss ist korrekt, der zweite nicht, denn die Straße kann ja auch nach dem Regen oder durch die Straßenreinigung nass sein. Leider sind falsche Schlüsse oft nicht sofort zu erkennen. In der natürlichsprachigen Argumentation wird das Standardschema selten explizit eingehalten und ausformuliert. Da es zahlreiche sprachliche Möglichkeiten gibt, eine Argumentation vorzubringen, sind argumentative Texte schwer zu analysieren. Das Inventar sprachlicher Mittel der Argumentation wird bei Moll & Thielmann (2017) ausführlich behandelt. Pro- und Contra-Argumentation Grundsätzlich kann eine Behauptung gegen Kritik verteidigt oder angegriffen werden. <?page no="266"?> 266 8 Pragmatische Verständlichkeit Pro-Argumentation. Hier wird eine Behauptung mit Argumenten begründet bzw. gegen Kritik verteidigt. Das ist in der Alltagskommunikation in Diskussionen verbreitet. (54.1) B Für Tierversuche A1 Tierversuche haben eine entscheidende Rolle in fast allen medizinischen Durchbrüchen im letzten Jahrzehnt gespielt. A2 Tiere und Menschen sind sehr ähnlich; wir haben die gleichen Organsysteme, die mehr oder weniger die gleichen Aufgaben bewältigen. A3 Tierversuche führten zur Entwicklung von Hoch-Aktiven-Anti-Retroviralen Therapien: AIDS ist kein Todesurteil mehr. A4 Hauskatzen töten im Durchschnitt rund 5 Millionen Tiere wöchentlich - das ist mehr als die Gesamtzahl der Tiere, die für die biomedizinische Forschung jährlich verwendet wird. Contra-Argumentation. In den Wissenschaften vollzieht sich der Fortschritt oft durch Kritik bzw. Widerlegungen vorhandener Behauptungen. Die Contra-Argumentation bietet Argumente gegen eine Behauptung (= Einwände). (54.2) B Gegen Tierversuche A1 Tierversuche widersprechen dem 2013 überarbeiteten Tierschutzgesetz, welches die Forschung an Tieren einschränkt. A2 Von 25 Medikamenten, welche für die Behandlung von Tieren mit künstlich hervorgerufenem Schlaganfall für aussichtsreich galten, war keines in der klinischen Praxis beim Menschen tauglich. A3 Tierversuche sind ethisch verwerflich, weil sie die Wehrlosigkeit der Tiere ausnutzen. A4 Schon Robert Koch hatte auf die Untauglichkeit von Tierversuchen hingewiesen. Es war ihm nicht gelungen, Cholera von Menschen auf Tiere zu übertragen. Gegen eine Position gerichtete Argumente sind tendenziell wirksamer als Pro-Argumente (Drenkmann & Groeben, 1989). Aus dem Beispiel (54) ist ersichtlich, dass es recht unterschiedliche Typen von Argumenten gibt und dass auch nicht alle Argumente gleich überzeugend sind. Was als Argument anerkannt wird, ist von Fach zu Fach und Kultur zu Kultur unterschiedlich. Die Vielfalt möglicher Argumente ist schwer über- <?page no="267"?> 267 8.7 Argumentieren schaubar, es gibt etliche Einteilungen von Argumenttypen, für Sachtexte sind die folgenden wichtig: Deduktive = logische Argumente Hier ist die logische Terminologie treffend: Die Wahrheit der Prämissen garantiert die Wahrheit der Konklusion. Der logische Schluss ist formal gültig und zwingend. Es gibt themenneutrale Argumentschemata, die man seit Aristoteles als Syllogismen bezeichnet. Einer der wichtigsten ist der Modus tollens, denn er ist eine Grundlage der-wissenschaftlichen Forschung. (55) A1 Wenn A, dann B: Wenn es regnet, ist die Straße nass. A2 Nicht B: Die Straße ist nicht nass. B Nicht A: Es regnet nicht. Dabei ist A1 eine Hypothese, A2 ein Beobachtungssatz. Wenn sich B in einem Experiment als falsch erweist, dann ist die Theorie A falsifiziert. (56) A1 Alle Schwäne sind weiß = Wenn etwas ein Schwan ist, dann ist es weiß. A2 Auf dem See schwimmt ein schwarzer = nichtweißer Schwan. B Nicht alle Schwäne sind weiß. Im folgenden Argumentschema geht es um Beziehungen von Begriffen, um Ober- und Unterbegriffe. (57) A1 Alle A sind B: Alle Katzen sind Säugetiere. A2 C ist ein A: Der Tiger ist eine Katze. B C ist ein B: Der Tiger ist ein Säugetier. Es gibt zahlreiche logische Argumentationsschemata. Allerdings fällt auf: Die Konklusion besagt nichts, was nicht schon implizit in den Prämissen enthalten ist. Logische Argumente erweitern also unser Wissen nicht, aber die Konklusion ist oft nicht offensichtlich und deshalb überraschend. In PR- und Werbetexten sind deshalb logische Argumente beliebt: (58) Dieses Auto verbraucht nur fünf Liter pro 100 Kilometer und sein Tankinhalt beträgt 50 Liter. Das bedeutet, Sie können mit einer Tankfüllung 1000 Kilometer reisen, ohne unterwegs tanken zu müssen. <?page no="268"?> 268 8 Pragmatische Verständlichkeit A1 Das Auto verbraucht fünf Liter pro 100 Kilometer. A2 Eine Tankfüllung umfasst 50 Liter. B Eine Tankfüllung reicht für 1000 Kilometer. Wenn es um Argumentation geht, denkt man unwillkürlich an Logik: Ein Argument muss logisch korrekt sein! Aber formales Schließen und natürlichsprachige Argumentation haben wenig miteinander zu tun (Perelmann, 1980; Toulmin, 1958). Deduktive Argumente sind selbst in wissenschaftlichen Texten selten. Bei den folgenden Argumenttypen geht es nicht um logische Gültigkeit, sondern um Plausibilität, um Überzeugungskraft (Nier, 2014). Während bei den deduktiven Argumenten die Wahrheit des Schlusses garantiert ist, sieht das bei den folgenden Argumenttypen anders aus: Auch wenn die Prämissen wahr sind, liefert ein korrekter Schluss nur einen mehr oder weniger starken Grund für die Wahrheit der Konklusion. Induktive = empirische Argumente Mit diesen Argumenten wird eine Behauptung gestützt, indem Beobachtungen von Einzelfällen bzw. an Stichproben herangezogen werden. In der Wissenschaft wird auf Fakten und Daten aus empirischen Untersuchungen (Umfragen, systematische Beobachtungen, Experimente usw.) zurückgegriffen, dabei spielen Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik eine Rolle. Induktive Argumente verallgemeinern; auch wenn die Argumente wahr sind, ist die Behauptung nur wahrscheinlich. (59) Rauchen ist lebensgefährlich. Bis zu 90-Prozent der an Lungenkrebs Erkrankten haben geraucht. Wer viel raucht, der wird an Lungenkrebs sterben. Am Beispiel (59) wird deutlich: Induktive Argumente sind nie zwingend. Jeder kennt einen Opa, der mit 90 noch geraucht hat, und man kann als Raucher auch an einem Schlangenbiss sterben. Die Stärke des Arguments hängt von der Größe und der Repräsentativität der Stichprobe ab: Nur eine einzige Beobachtung ist wenig überzeugend, aber eine repräsentative Stichprobe schon, wie z. B. die recht genauen Wahlprognosen nach Schließung der Wahllokale zeigen. (60) Die Gegner der Rechtschreibreform behaupten, dass die Schüler mit den neuen Regeln mehr Fehler machen. Untersuchungen zeigen jedoch, dass die Fehlerquote seit Einführung um 20-Prozent gesunken ist. <?page no="269"?> 269 8.7 Argumentieren Induktive Schlüsse sind für das Alltagsleben sinnvoll: Wer dreimal von einem Hund gebissen wurde, der geht diesen Tieren aus dem Weg, auch wenn nicht alle Hunde beißen. Aber induktive Argumente tragen auch zur Entstehung von Vorurteilen bei, wenn zu schnell verallgemeinert wird. Dieses Problem induktiver Argumentation kann man derzeit am Thema der Kriminalität von Flüchtlingen studieren. Die Verständlichkeit induktiver Argumentation kann durch zusätzliche visuelle Argumente gesteigert werden, z. B. Diagramme oder Fotos (Oestermeier, Reinhard-Hauck & Ballstaedt, 2001). Explikative Argumente Unter dieser Bezeichnung behandeln wir wichtige Argumente in einer fast sträflichen Vereinfachung, denn über Kausalität und Konditionalität liegt eine ausufernde Diskussion vor (Stegmüller, 2013). Erklären ist eine Verstehensermöglichung: Wer etwas nicht versteht, dem kann man es erklären und umgekehrt (Scholz, 2016, S. 27). Mit einem erklärenden Argument wird ein Ereignis bzw. eine Beobachtung auf Ursachen und Bedingungen zurückgeführt. Analysieren wir eine derartige Argumentation: (61) B Ein Wasserrohr im Keller ist gebrochen. A1 Wenn Wasser gefriert, dehnt es sich um 10-Prozent aus. A2 Im Keller ist die Temperatur auf Minusgrade gesunken. Eine wissenschaftliche Erklärung setzt sich aus dem zu erklärenden Sachverhalt (Explanandum) und den erklärenden Aussagen (Explanans) zusammen. Das Explanandum ist hier der Rohrbruch (B). Das Explanans enthält zwei Klassen von Aussagen: 1. Gesetze, Prinzipien, Regeln, die für das Phänomen Geltung beanspruchen: Das ist hier das Verhalten des Wassers bei Gefrieren (A1). 2. Konkrete Bedingungen, unter denen das Phänomen beobachtet wird. Dazu gehören die Außentemperatur und der ungeheizte Keller (A2). Lesen wir den Schluss von oben nach unten, wird der Rohrbruch erklärt, lesen wir ihn von unten nach oben, wird der Rohrbruch prognostiziert. Es wird entweder von einer Ursache auf die Wirkung (Prognose) oder von einer Wirkung auf die Ursache (Erklärung) geschlossen. Prognose und Erklärung <?page no="270"?> 270 8 Pragmatische Verständlichkeit folgen demselben Argumentationsschema, nach den Entdeckern Hempel-Oppenheim-Schema genannt. Schauen wir uns noch ein anderes erklärendes Argument an, bei dem in den Prämissen kein Gesetz vorhanden ist. (62) Es hat wochenlang nicht geregnet und die Temperatur lag tagsüber bei über 30 Grad. Deshalb wird es eine schlechte Ernte geben. Die Auswirkungen von Trockenheit und Hitze hängen von diversen Faktoren ab und sind kein Naturgesetz. Deshalb ist der Schluss nur wahrscheinlich, wir haben es mit einer probabilistischen Erklärung zu tun. Eine schlechte Ernte könnte auch durch minderwertiges Saatgut oder Pflanzenschädlinge hervorgerufen werden. Auch in den Sozialwissenschaften findet man keine strengen Gesetze, hier müssen auch statistische Befunde zugelassen werden. Dann ist aber ein sicherer Schluss nicht möglich. Ebenso schwierig sind intentionale Erklärungen. Hier geht es darum, ob auch eine Erklärung mit Motiven, Intentionen, Absichten wissenschaftlich möglich ist. (63) Der Angeklagte hatte zudem Alkohol getrunken und deshalb seine Frau geschlagen. Männer neigen ohnehin zur Aggression. In der Alltagskommunikation klingt die Erklärung plausibel, aber wissenschaftlich ist sie problematisch. Sie enthält im Explanans zwei Behauptungen. A1: Der Genuss von Alkohol enthemmt. Diese Wirkung von Alkohol kann aufgrund von Untersuchungen als statistisches Gesetz formuliert werden, obwohl die Reaktion von Mensch zu Mensch sehr verschieden ist. A2: Männer neigen zur Aggression. Derartige dispositionelle Erklärungen sind kurzschlüssig: Der Ehemann prügelt, weil er einen aggressiven Charakter hat, der Jäger jagt, weil er einem Jagdinstinkt folgt. Ein kausaler Fehlschluss ist genetisch in unserer Kognition angelegt: Wir neigen dazu, zeitlich aufeinanderfolgende Ereignisse als Ursache und Wirkung zu interpretieren. Bei kausalen Argumenten besteht zudem die Gefahr von Pseudoerklärungen, die aber nicht immer so einfach zu durchschauen sind wie im folgenden Beispiel. <?page no="271"?> 271 8.7 Argumentieren In seiner Komödie „Der eingebildete Kranke“ bringt Molière (1954) ein Beispiel für eine Scheinerklärung, um die damalige Medizinerausbildung zu karikieren: Prüfer: Warum schläfert Opium ein? Prüfling: Weil es eine Einschläferungskraft besitzt, deren Natur es ist, einzuschläfern. Analogisierende Argumente Eine Behauptung wird durch einen Vergleich mit einem anderen Fall abgesichert, der in bestimmten Merkmalen Ähnlichkeit (Analogie) oder Verschiedenheit (Disanalogie) aufweist, die man übertragen kann. Das Argumentschema: (64) A1 X hat Ähnlichkeit mit Y. A2 Y besitzt das Merkmal c. B X besitzt das Merkmal c. In der Medizin oder Pharmazie wird z. B. von Tierversuchen auf Menschen geschlossen. In der Technik lassen Simulationen Schlüsse auf die Wirklichkeit zu, z. B. bei Strömungsuntersuchungen oder bei Crash-Tests. Analogieargumente sind nie zwingend, denn sie setzen eine meist nicht abgesicherte Isomorphie zwischen den Vergleichsfällen voraus. Es bleibt immer die Frage: Gibt es keine kritischen Unterschiede zwischen X und Y? Analogieargumente haben sich aber in der Wissenschaft als außerordentlich fruchtbar erwiesen, wenn es darum geht, interessante Hypothesen zu generieren. Ein aktuelles Beispiel sind Argumente, bei denen Mensch und Computer (65) oder Mensch und Tier (66) verglichen werden. (65) Schachspielen setzt Denken voraus. Da Computer gegen Menschen Schachpartien gewinnen, muss man ihnen Denkfähigkeit zusprechen. (66) Ratten sind ein gutes physiologisches Modell des Menschen. Da das Medikament x bei Ratten zu Krebs führt, ist es auch für den Menschen gesundheitsschädigend. Analogisierende Argumente spielen beim Verstehen anderer Menschen eine Rolle. Weil wir davon ausgehen, dass alle Menschen psychisch ähnlich sind, schließen wir von unserem Erleben auf das Erleben der Mitmenschen. Unheil richten analogisierende Argumente in der Politik an, z. B. durch die beliebten Nazi-Vergleiche. In der Geschichte sind zwei Ereignisse nie in allen Aspekten ähnlich. <?page no="272"?> 272 8 Pragmatische Verständlichkeit Autoritative Argumente Bei Autoritätsargumenten wird die Behauptung untermauert, indem man sich auf Experten oder Institutionen beruft, welche die gleiche oder eine ähnliche Behauptung vertreten. Das einfachste Argumentschema: (67) A1 X behauptet p. A2 X ist ein Experte. B p ist wahr. In der Werbung werden gern Prominente oder wenigstens vertrauenswürdige Werbebotschafter (Testimonials) als Autoritäten eingeführt, die ein Produkt anpreisen. (68) A1 X ist ein hervorragender Musiker. A2 X benutzt und lobt Apple-Produkte. B Apple-Produkte sind hervorragend. In den Wissenschaften ist das Autoritätsargument beliebt, es zeigt sich in direkten und indirekten Zitaten. Die Argumentation ist allerdings nie zwingend: Einmal können auch Autoritäten irren, zum anderen widersprechen sich auch Experten bekanntlich. Der Rückgriff auf Autoritäten verhindert eher eine sachbezogene Argumentation. Zudem müssen die Adressaten den Experten nicht anerkennen. Umgekehrt kann man eine Behauptung angreifen, indem man eine Person mit geringer Autorität anführt, die sie vertritt (Argument gegen die Person). Normative Argumente Bei einem normativen Argument wird die Behauptung gestützt, indem auf Werte, Normen, Dogmen, Gesetze Bezug genommen wird, z. B. die Menschenrechte, die Zehn Gebote, die DIN-Normen, das Strafgesetz usw. (69) A1 Das Produkt wird ressourcenschonend produziert. A2 Nachhaltigkeit ist ein erstrebenswertes Ziel. B Deshalb ist das Produkt anderen Produkten vorzuziehen. (70) Die Homo-Ehe ist nicht natürlich, denn Gott hat die Gemeinschaft von Mann und Frau geschaffen. <?page no="273"?> 273 8.7 Argumentieren In einer pluralen Gesellschaft sind normative Argumente allerdings nur für Adressaten überzeugend, die auch die Norm anerkennen. Viele politische und religiöse Argumente enthalten versteckte normative Prämissen. Hüten muss man sich vor dem sogenannten naturalistischen Fehlschluss, einem Schluss vom Sein auf das Sollen. Er besteht darin, dass aus nicht normativen Argumenten ein Normsatz als Behauptung abgeleitet wird. Der Schluss (71.1) wird erst korrekt, wenn das normative Argument (71.2) eingeführt wird. (71.1) Der Dieselmotor stößt viele Stickoxide aus, die zu Atemwegserkrankungen führen. Deshalb muss der Dieselmotor abgeschafft werden. (71.2) Die Gesundheit ist ein hohes Gut = Krankheiten sind zu vermeiden. Das ergänzte normative Argument wird gern weggelassen, wenn es allgemein anerkannt ist und die Adressaten es zum Verstehen der Argumentation inferieren. Wenn eine Behauptung normativ ist, dann muss mindestens ein Argument normativ sein! Zu den normativen Argumenten kann man auch sogenannte plausible Argumente zählen. Es handelt sich dabei um selbstverständliche Normen, sie sind plausibel, weil sie den Beifall aller Adressaten finden (lat. plaudere = Applaus klatschen). (72) Jeder sollte eine zusätzliche Rentenversicherung abschließen. Denn schließlich will niemand im Alter in Armut leben. (73) Da jeder gesund bleiben will, muss er das Zusatzpräparat X regelmäßig einnehmen. Plausible Argumente haben eine rhetorische Bedeutung im Kontext der persuasiven Kommunikation. Da normative Überzeugungen affektiv besetzt sind, appellieren normative Argumente an die Gefühle, das erkennt man an affektbesetzten Wörtern wie Nachhaltigkeit, Gesundheit, Armut. Die Überzeugungskraft normativer Argumente hängt stark von den Überzeugungen und der Mentalität der Adressaten ab. Zusatzmaterial 14: Übung zu Argumenttypen <?page no="274"?> 274 8 Pragmatische Verständlichkeit Qualität von Argumenten Die Stärke eines Arguments kann von Absender und Adressat sehr unterschiedlich bewertet werden. Trotzdem gibt es einige Anhaltspunkte für die Qualität von Argumenten. Starke Argumente. Logische Argumente sind unabhängig von der Kommunikationssituation stark, weil die Behauptung zwingend aus den Argumenten folgt. Allerdings bringen logische Argumente nichts Neues. Empirische Argumente sind zwar immer nur wahrscheinlich, aber bei hoher Wahrscheinlichkeit durchaus stark, z. B. aufgrund einer sauber durchgeführten Erhebung und belastbarer Daten. Analogisierende Argumente sind nur stark, wenn der Vergleich nicht „zu sehr hinkt“ oder „zu weit hergeholt“ ist. Schwache Argumente. Autoritative und normative Argumente sind meist schwach, denn nur wenn die Adressaten die Autoritäten oder die Normen in den Prämissen anerkennen, ist das Argument für sie überzeugend. Diese Argumente dienen oft mehr der Erzeugung eines Gemeinschaftsgefühls in einer weltanschaulichen, politischen oder wissenschaftlichen Gruppierung, nach außen sind sie schwer vermittelbar. Für einen Muslim ist eine angebliche Äußerung von Mohammed immer ein starkes Argument, für einen Christen eher nicht. Unbrauchbare Argumente. Argumente sind unbrauchbar, wenn sie falsch oder untereinander inkonsistent sind. Für die Wahrheit oder Falschheit der Argumente sind im Allgemeinen die Einzelwissenschaften zuständig. Wenn man nicht davon ausgehen kann, dass ein Argument als wahr akzeptiert wird, dann muss man für es wiederum Begründungen anführen. In Diskussionen wird oft über die Akzeptanz von Argumenten gestritten. Auch Argumente aus dem Inventar der schwarzen Rhetorik sind bei einer verständnisorientierten Argumentation ausgeschlossen, z. B.: Unterstellungen, absichtliches Missverstehen, Herabsetzen des Gegenübers usw. (Schopenhauer, 2009). Argumente können nach ihrer Stärke und Überzeugungskraft grob in drei Kategorien eingeteilt werden: ▶ A-Argument: sehr stark, schlagend; es muss eingesetzt werden. ▶ B-Argument: mittelstark; es sollte eingesetzt werden. ▶ C-Argument: schwach, wenig überzeugend; es kann eingesetzt werden. <?page no="275"?> 275 8.7 Argumentieren Es ist nützlich, mehrere Argumente, die man pro oder contra eine Behauptung ins Feld führen will, nach ihrer Stärke zu sortieren. Diese Rangfolge der Argumente kann als Grundlage für den Aufbau einer einfachen Argumentation dienen. Argumentationsstrukturen Danach stellt sich die Frage, in welcher Abfolge man die Argumente präsentieren soll. Für eine Argumentationskette bieten sich prinzipiell drei Möglichkeiten an: Klimax. Diese Anordnung (C - B - A) startet man mit dem schwächsten Argument und arbeitet sich bis zum stärksten Argument vor. Wie bei einem gut aufgebauten Feuerwerk steht dann die These am Schluss und hinterlässt bleibenden Eindruck (Rezenz-Effekt). Untersuchungen haben gezeigt, dass Texte mit mehr als drei Argumenten für die vertretene Position mehr Einstellungsänderungen bewirken als solche mit weniger Argumenten (Drenkmann & Groeben, 1989). Antiklimax. Diese Anordnung (A - B - C) startet gleich mit dem stärksten Argument und liefert dann die mittelstarken und schwachen nach. Man verschießt sein Pulver gleich am Anfang und wirft dann ein paar Knallerbsen hinterher. Das ist im Journalismus üblich, denn der Anfang eines Textes wirkt besonders stark (Primär-Effekt) und zudem kann bei Bedarf von hinten gekürzt werden. Badewanne. Diese Anordnung (B - C - A) versteckt die schwächeren Argumente zwischen den stärkeren, das schlagende Argument nimmt wieder die herausragende Schlussposition ein. Aus psychologischer Sicht ist das eine optimale Anordnung. Die Bezeichnung kommt von der Vergessenskurve für Informationsfolgen: Die ersten Informationen und die letzten werden besser behalten als die dazwischenliegenden (Primär-Effekt und Rezenz-Effekt): Die Kurve ähnelt der Form einer Wanne. Eine einfache Argumentation besteht nur aus einem Argument, eine komplexe Argumentation ist ein Gefüge mehrerer Argumente bzw. Schlüsse (Bild 25). <?page no="276"?> 276 8 Pragmatische Verständlichkeit Bild 25: Notation für Argumentationsstrukturen: einfache, multiple und hierarchische Argumentation. Einfache Argumentation. Ein oder mehrere Argumente führen zur Behauptung. Das war der Fall im Beispiel (51), bei dem eine Firma Argumente aufzählt, warum ihre Produkte hochwertig sind. Argumente, die direkt mit einem Pfeil zur Behauptung führen, sind voneinander unabhängig. Geklammerte Argumente sind abhängig, d. h. führen nur zusammen zu der Behauptung. Multiple Argumentation. Mehrere abhängige oder unabhängige Argumente, die aber zu einer Behauptung führen. Dieser Fall ist nicht immer gut von einer einfachen Argumentation zu unterscheiden. Hierarchische Argumentation. Mehrere Argumente sind miteinander verbunden. Eine aus Argumenten gefolgerte Behauptung ist wieder ein Argument für eine weitere Behauptung. So entsteht eine hierarchische Folge von Argumentationen. Aus diesen Grundstrukturen können sehr komplexe Argumentationen konstruiert werden. Sie in einem Text aufzudecken, ist allerdings oft schwierig. <?page no="277"?> 277 8.7 Argumentieren Argumentationstaktiken In der Argumentationstheorie werden unterschiedliche Formen von Argumentationen unterschieden, hier nur drei sehr oft genannte Argumentationen (Bünting, Bitterlich & Pospiech, 2004): Zweiseitige Argumentation. Diese auch als konzessive Argumentation bezeichnete Form ist typisch für wissenschaftliche Texte (Steinhoff, 2007). Es werden nicht allein für die aufgestellte Behauptung Gründe aufgeführt, sondern auch Contra-Argumente für die Behauptung widerlegt: Zweiseitige Argumentation hat sich in der persuasiven Kommunikation als effektiv erwiesen (O’Keefe, 1999). (74) Nach Messungen der Ozonsensoren an Bord des Satelliten […] ist das Ozonloch in erster Linie ein Effekt der Südhemisphäre. Ozondefizite werden zwar auch über der Arktis gemessen, doch sind diese bei weitem nicht so dramatisch wie über der Antarktis. Nach der Behauptung leitet das Adverb „zwar“ das antizipierte Gegenargument ein, dass dann mit dem „doch“ am Anfang des Nebensatzes entkräftet wird. Vergleichende Argumentation. Ebenfalls in wissenschaftlichen Texten beliebt ist eine Gegenüberstellung von Vorteilen und Nachteilen, Gemeinsamkeiten und Unterschieden, oder das Abwägen von Gründen und Gegengründen. Eine besondere Form ist die dialektische Argumentation: Hier wird zuerst eine Behauptung (These) aufgestellt und für sie argumentiert. Dann wird die Gegenbehauptung aufgestellt (Antithese) und dafür argumentiert. Schließlich wird in einem dritten Schritt aus den beiden Positionen eine Synthese erstellt. Diese anspruchsvolle Argumentation eignet sich bevorzugt für politische und philosophische Themen. Problemlösende Argumentation. Sie ist vor allem im politischen Raum beliebt, wenn es darum geht, Vorschläge für die Lösung von Problemen zu formulieren. Das Argumentationsschema sieht so aus: (75) A1 Ein Ist-Zustand wird beklagt. A2 Ein Soll-Zustand wird formuliert. B Ein Weg von Ist zu Soll wird vorgeschlagen. <?page no="278"?> 278 8 Pragmatische Verständlichkeit In Deutschland werden zu wenig Kinder geboren (A1). Das kann nicht so bleiben, die Geburtenrate muss um ein Drittel zunehmen (A2). Um dies zu erreichen, ist es notwendig, mehr Krippenplätze einzurichten (B). Beispiele aus anderen Ländern zeigen, dass Krippenplätze ein wirksames Mittel der Geburtensteuerung sind. Bei mehr Krippenplätzen entscheiden sich Frauen eher für ein Kind oder mehrere Kinder. Der Vorschlag wird mit zwei weiteren Argumenten A3 und A4 gestützt, wobei A3 ein empirisches Argument ist und unklar bleibt, ob es sich bei A4 um ein solides empirisches Argument handelt und nicht nur um eine Vermutung. Verständlich Argumentieren Alle Maßnahmen für eine verständliche Argumentation dienen dazu, die Struktur der Argumentation sprachlich nachvollziehbar zu machen. 1. Der Standpunkt bzw. die Behauptung, für oder gegen die argumentiert wird, muss klar formuliert und nicht implizit im Text versteckt sein. Dazu dienen sprachhandlungsbezeichnende Verben: Wir vertreten hier die Ansicht, dass … Meine zentrale These lautet: … Wir werden Gründe dafür vortragen, dass … Der konstruktivistische Ansatz hat einige Einschränkungen … Vermeiden sollte man beiläufige Zusätze wie „natürlich“, „zweifellos“, „selbstverständlich“, die eine Allgemeingültigkeit einer Behauptung unterstellen. 2.-Die Argumente müssen adressatenorientiert formuliert sein, vor allem auf das Vorwissen und die Mentalität Rücksicht nehmen. Das beste Argument verpufft, wenn es nicht verständlich und einprägsam vorgetragen wird. 3. Vorsicht mit naturalistischen Fehlschlüssen vom Sein auf ein Soll. Bei normativer Argumentation muss ein normatives Argument vorkommen. Es bleibt oft unerwähnt, weil der Absender die Geltung einer Norm schlicht voraussetzt. 4.-Argumentationen werden gern sprachlich verklausuliert, nicht zuletzt um von Schwächen abzulenken. Eine verständliche Argumentation stellt eine explizite Verbindung zwischen den Argumenten und der Behauptung her. Schlüsse und Ableitungen sind sprachlich markiert: Konjunktionen: weil, wenn … dann, aber, dennoch Partikel und Adverbien: also, daher, folglich <?page no="279"?> 279 Zusammenfassung Präpositionen: wegen, aufgrund, zwar … doch Verben: Daraus kann man schließen, ableiten, beweisen, belegen, dass … 5.-Es ist für den Adressaten nützlich, wenn die angenommene Stärke der Argumente ausgedrückt wird: Was ist aus der Sicht des Autors bzw. der Autorin ein starkes und was ein schwaches Argument. Auch dazu dienen sprachliche Markierungen: mein zentrales Argument ist … zwei weitere Argumente stärken unsere Behauptung: … Zudem ist eine klare Abfolge von den schwachen zu den starken Argumenten oder umgekehrt für die Adressaten eine Verstehenshilfe. 6.-Statt in einem Fließtext können Argumentationen auch typografisch übersichtlich, in Listen durchnummeriert oder tabellarisch dargestellt werden. Sie visualisieren die Argumentation und stellen z. B.: die Argumente pro oder contra eine Behauptung übersichtlich zusammen. 7. Verschiedene argumentative Fehler müssen vermieden werden, z. B. kausale Fehlschlüsse, Pseudoerklärungen, naturalistische Fehlschlüsse, Zirkelschlüsse. Eine seriöse Argumentation vermeidet zudem alle Taschenspielertricks der schwarzen Rhetorik. Zusatzmaterial 15: Übung zur Argumentationsanalyse eines Textes Zusammenfassung 1.-Die Sprechaktheorie betrachtet Formulierungen als den Vollzug von Handlungen und bettet damit das Sprechen und Schreiben in die menschlichen Tätigkeiten ein. Die pragmatische Verständlichkeit betrifft die Formulierung sprachlicher Handlungen. Dabei werden einfache Sprechakte wie Benennen, Definieren, Anleiten und komplexe Sprechakte wie Beschreiben, Erzählen, Argumentieren unterschieden. Einfache Sprechakte sind mit einem Satz formulierbar, komplexe nur in einer Sequenz von Sätzen. 2.-Sachtexte setzen sich aus unterschiedlichen Textbausteinen mit unterschiedlichen sprachlichen Handlungen zusammen. Meist ist eine Illokutionshierarchie vorhanden, d. h. unter einer dominierenden Textfunktion werden verschiedene subsidiäre Akte vollzogen. <?page no="280"?> 280 8 Pragmatische Verständlichkeit 3.- Es gehört zu den Aufgaben der Terminologielehre, treffende Fachwörter einzuführen. Eine verständliche Benennung kann über verschiedene Möglichkeiten der Wortbildung gefunden werden: Komposition, Derivation, Mehrwortausdruck, Entlehnung, Kontamination und selten eine Neubildung. Eine treffende Benennung sollte transparent, anschaulich, eindeutig, prägant sein. 4.-Verständliche Definitionen sind ein Qualitätskriterium für wissenschaftliche Texte. Sie grenzen die Bedeutung eines Wortes gegenüber anderen Worten ab. Eine Definition muss adressatenorientiert formuliert sein, vor allem darf sie keine weiteren schwerverständlichen Wörter enthalten. Es gibt verschiedene Arten der Definition für unterschiedliche Gegenstandsbereiche. Eine Definition ist eine Konvention, die immer wieder umgeschrieben werden kann. 5.-In Instruktionstexten müssen die Anleitungen eindeutig formuliert sein, also keine mehrdeutigen und indirekten Instruktionen z. B. mit „kann“ oder „soll“ oder als Bitte vorgetragen. Am besten verdeutlicht der Absender mit performativen Mitteln explizit, welche sprachliche Handlung er vollzieht. 6.- Eine verständliche Beschreibung ist so formuliert, dass sie den Adressaten den Aufbau einer mentalen Vorstellung, z. B. eines Gegenstandes oder Raumes ermöglicht. Dazu dient eine nachvollziehbare Abfolge aus der Perspektive des Adressaten. 7.-Eine optimal verständliche Erzählung hält die Chronologie der Ereignisse ein. Wenn davon abgewichen wird (Rückblick, Vorschau, Gleichzeitigkeit), dann muss das sprachlich eindeutig markiert werden. 8.-Nach den Definitionen ist eine klare Argumentation ein zweites Qualitätskriterium für wissenschaftliche Texte, denn Wissenschaft wird durch Begründungen und Widerlegungen vorangetrieben. Die These, Position oder Behauptung muss klar formuliert sein, und die Verbindung zwischen den Argumenten dafür oder dagegen sprachlich explizit hergestellt. <?page no="281"?> 9 Didaktische Zusätze In den vorangegangenen Kapiteln haben wir Möglichkeiten betrachtet, Verstehen dadurch zu verbessern, dass schwer verständliche Formulierungen durch verständlichere Wörter, Sätze, Texte und Sprechakte ersetzt wurden. Dieser Ersetzungstaktik des Verständlichmachens kann eine Ergänzungstaktik zur Seite gestellt werden. Der Basistext wird dabei durch didaktische Zusätze oder Hilfstexte angereichert, die bestimmte Verarbeitungsprozesse anregen: Lernziele, Vorstrukturierungen, Zusammenfassungen, Glossar, Merksätze u. a. m. Diese didaktischen Zusätze sollen bei komplexen Inhalten und langen Texten das Lernen verbessern, aber zweifellos sind sie auch Hilfen für das Verstehen und verbessern die Verständlichkeit. Wir diskutieren zuerst, welche Argumente gegen die Ersetzungs- und welche für die Ergänzungsstratgie sprechen (9.1). Danach werden die didaktischen Ergänzungstexte in ihrem Einfluss auf das Verstehen vorgestellt (9.2). Natürlich lassen sich auch Ersetzungs- und Ergänzungstaktik kombinieren. Zum Schluss werfen wir noch einen Blick auf das didaktische Visualisieren (9.3). 9.1 Ergänzungstaktik Für die Ergänzungstaktik des Verständlichmachens werden folgende Argumente angeführt: Jede Umformulierung verändert auch den Inhalt eines Textes. Dies ist der grundlegende Einwand gegen die Ersetzungstaktik, die davon ausgeht, dass es inhaltlich äquivalente bzw. synonyme Wörter, Sätze und Texte gibt und Eingriffe in den Text nichts an seiner Mitteilung ändern. Die Ergänzungstaktik belässt dagegen den authentischen Text, aber bietet flankierende Maßnahmen zum Verstehen an (Biere, 1996). Es gibt schwer verständliche Texte in den Wissenschaften oder der Philosophie, in die man nicht eingreifen sollte, denn die Autoren und Autorinnen sind verstorben und können einer Veränderung ihres Textes nicht mehr zustimmen oder widersprechen. Einen Text von Charles Darwin, Georg Wilhelm Friedrich Hegel oder Anna Freud darf man als historisches Dokument nicht umformulie- <?page no="282"?> 282 9 Didaktische Zusätze ren, aber man kann Erschließungshilfen anbieten, z. B. eine Vorstrukturierung, eine Zusammenfassung, ein Glossar usw. Bei Lehr- oder Lerntexten hat sich der Einsatz didaktischer Zusätze vor allem bei lernschwachen Adressaten bewährt. Mit unterschiedlichen Hilfstexten ist auch eine Adressierung für verschiedene Adressatengruppen möglich. Wer einen Hilfstext zum Lernen nicht braucht, kann ihn überspringen. Amerikanische Lehrbücher sind stark didaktisiert, sie bieten den Studierenden z. B. Objectives, Outcomes, Outline-Charts, Advance Organizers usw. an. Wenn ein Autor selbst um eine Formulierung seiner Gedanken ringt, dann belegt das, dass er eine Formulierung für adäquater als eine andere hält. Das Problem zeigt sich in der Praxis, wenn ein Textbearbeiter einen Ausgangstext in eine „optimierte Variante“ umformuliert, die der Autor als eine Entstellung seiner Gedanken zurückweist. Für strenge Hermeneutiker ist nur die Ergänzungstaktik des Verständlichmachens vertretbar, da jeder Eingriff in einen Text den Inhalt nicht unberührt lässt, sondern bereits eine Interpretation darstellt. „Da jedoch beide Texte, Ausgangstext und verständlichmachende Unterlegung für den Leser gleichermaßen sichtbar sind, bleibt der Gehalt des Ausgangstextes für den Leser prinzipiell auch in der authentischen Form erschließbar. Der Leser wird nicht tendenziell entmündigt, sondern erhält ein verständlichmachendes Erklärungsangebot, das ihm den Zugang zum Ausgangstext nicht versperrt, sondern zum Originaltext hinführt und so dazu beiträgt, die Verstehenskompetenz des Lesers im Hinblick auf die betreffende Art für ihn u. U. ‚schwieriger Texte‘ zu erweitern“ (Biere, 1996, S. 303). Der Verständlichkeit dieses Zitats würde allerdings eine Optimierung guttun, denn man muss es schon zweimal lesen, um zu verstehen: Bernd Ulrich Biere ist gegen Umformulierungen bzw. Substitutionen, da diese den Ausgangstext verändern und die Adressaten entmündigen. Die Verständlichkeit wird auf didaktische Zusätze übertragen, die Verarbeitungsressourcen erfordern, denn der Gesamttext wird dadurch länger. 9.2 Zusatztexte Besonders in der amerikanischen Unterrichtspsychologie sind Zusatztexte ausführlich erforscht worden. Meta-Analysen von empirischen Untersuchungen zeigen, dass diese Zusätze durchaus eine Wirkung entfalten, wobei allerdings meist Lernergebnisse und weniger Daten zum Verstehen erhoben wurden (ausführlich Groeben & Drinkmann, 1989). Allerdings profitieren vor allem <?page no="283"?> 283 9.2 Zusatztexte Personen mit wenig Vorwissen und geringer Sprachkompetenz. Die wichtigsten didaktischen Zusätze werden in den folgenden Abschnitten vorgestellt (ausführlich Ballstaedt et al., 1981). Lehr-Lern-Ziele Das Formulieren von Lehr-Lern-Zielen gehört zur Planung von Curricula und von Lehrmaterial jeder Art. Diese Zielvorgaben können den Adressaten mitgeteilt werden, um die Textverarbeitung anzuleiten. Lehrziele der Autoren und Autorinnen werden erst zu Lernzielen, wenn die Adressaten sie für sich übernehmen (meist haben sie aber keine andere Chance). Es werden Lehr-Lern- Ziele in drei verschiedenen Bereichen unterschieden: ▶ Kognitive Lernziele betreffen Veränderungen im Wissen und anderen geistigen Fähigkeiten. ▶ Motorische Lernziele betreffen meist Veränderung im manuellen Bereich, z. B. einen Fahrradschlauch wechseln. ▶ Affektive Lernziele betreffen Veränderungen von Werten, Einstellungen und Überzeugungen, z. B. im Bereich der Werbung oder Public Relations. Lernziele in allen drei Bereichen können auf einem Kontinuum von allgemein zu speziell formuliert werden. Die Beispiele dazu beziehen sich auf Weiterbildungsmaterial für Autoverkäufer. Richtziele verweisen nur sehr allgemein auf angestrebte Veränderungen, sie sind nur für eine erste Orientierung nützlich. Ein kognitives Richtziel: (1.1) Nach der Bearbeitung müssen Sie über alle Modelle der Serie X Bescheid wissen. Grobziele sind mit einem Verb handlungsnah formuliert, jedoch ohne genaue Angaben nachprüfbarer Kriterien, wann sie erreicht sind. Ein kognitives Grobziel: (1.2) Nach der Bearbeitung müssen Sie Käufer bei der Wahl eines Modells der Serie X beraten können. Feinziele geben die gewünschte Veränderung genau an. Man spricht auch von operationalisierten Zielen, da konkrete Operationen zur Zielüberprüfung angegeben sind. Ein Feinziel: <?page no="284"?> 284 9 Didaktische Zusätze (1.3) Nach der Bearbeitung müssen Sie die unterscheidende Merkmale eines Modells der Serie X in einer Liste anstreichen können. Richtziele dienen einer ersten Orientierung, während Feinziele eine Erfolgskontrolle oder Prüfung angeben. Empirische Untersuchungen haben gezeigt, dass Lernziele die Verarbeitung tatsächlich ausrichten, allerdings auf Kosten von Inhalten, die nicht durch ein Lernziel angesprochen sind. Das bedeutet: Lernziele setzen den Adressaten Scheuklappen auf. Sinnvoll sind sie dennoch in einigen Fällen: ▶ Bei einer sehr großen Stoffmenge geben sie eine Orientierung auf die prüfungsrelevanten Inhalte. ▶ Wenn die Zeit zum Lesen und Lernen knapp ist, ermöglichen sie ein sinnvolles Überfliegen oder Querlesen. ▶ Sie dienen als Leitplanken durch lange und schwierige Texte, die ursprünglich nicht zum Wissenserwerb formuliert wurden, z. B. Essays. ▶ Lernziele sind wichtig, wenn ein Text unter einer bestimmten Perspektive oder Fragestellung bearbeitet werden soll. Beispiel: Die Rolle der Frau in Hegels Rechtsphilosophie. Vorstrukturierung Bei der Vorstrukturierung handelt es sich um einen vorangestellten Text, der eine Brücke vom Vorwissen des Adressaten zum neuen Wissen im Text schlägt. Er soll Wissen aktivieren, in das die neuen Textinformationen eingebettet werden können. Der Erfinder drückt das so aus: „[…] es ist die Hauptfunktion der Organisationshilfe, die Kluft zwischen dem, was der Lernende schon weiß, und dem, was er wissen muss, zu überbrücken“ (Ausubel, 1980, S. 210). Untersuchungen zeigen, dass Vorstrukturierungen (bei Ausubel Advance Organizer) lernwirksam sind, vorausgesetzt, es ist gelungen, einen für die Adressaten passenden Organizer zu schreiben. Das verlangt eine gute Einschätzung des Vorwissens. Eine Vorstrukturierung besitzt zwei Merkmale: ▶ Sie spricht bereits vorhandene Konzepte und Wissensbestände bei den Adressaten an. ▶ Sie enthält allgemeine Konzepte, denen die Begriffe im Text untergeordnet sind. <?page no="285"?> 285 9.2 Zusatztexte Das klingt kompliziert und es ist auch nicht einfach, einen wirksamen Organizer zu verfassen. Die folgende Vorstrukturierung könnte einen Text über Computer für IT-Laien einleiten: (2) Schon immer hat der Mensch sich das Leben mit Werkzeugen und Maschinen erleichtert. Er hat in seiner Geschichte zahlreiche Geräte erfunden, die seine körperlichen Kräfte schonen und erweitern, vom Rad bis zum Motor und dem Kran (Rollen, Drehen, Heben). Jetzt kann sich der Mensch mit dem Computer auch einer Maschine bedienen, die seine geistigen Fähigkeiten schont und erweitert. Der Computer stellt ein vielseitiges Werkzeug dar, das den Menschen monotone geistige Arbeiten abnimmt (z. B. Rechnen) und sie eindrucksvoll erweitert (z. B. Wissensspeicherung). Diese kognitive Vorstrukturierung aktiviert die als bekannt vorausgesetzten Konzepte Werkzeug, Gerät, Maschine, um damit Computer als neues Konzept zu subsumieren. Die übergeordneten Konzepte dienen als „Ankerideen“, welche die Integration der im Text nachfolgenden Konzepte im Wissensnetz erleichtern sollen (Christmann & Groeben, 2018). Zur Wirkung von Organizern gibt es viele Untersuchungen, die auch in Meta-Analysen zusammengefasst sind. Ergebnis: Vorstrukturierungen machen vor allem bei lernschwachen Adressaten und bei schwierigen Texten Sinn. Zusammenfassungen Eine Zusammenfassung ist wohl die verbreitetste ergänzende Maßnahme, um die Verständlichkeit zu verbessern. Eine Zusammenfassung bündelt die zentralen Konzepte und Aussagen eines Textes. Ihre kognitive Funktion unterscheidet sich aber je nachdem, ob sie vor oder nach dem Text angeboten wird. Überblick. Eine dem Text vorangestellte Zusammenfassung - oft auch als Abstract bezeichnet - bietet eine inhaltliche Orientierung und spannt einen Rahmen aus Konzepten auf. Der Überblick beantwortet die Fragen: Worum geht es in diesem Text? Sind die Inhalte für mich wichtig? Rückblick. Eine dem Text nachgestellte Zusammenfassung wiederholt die wichtigsten Konzepte und Aussagen und dient damit der Einprägung. Sie beantwortet die Fragen: Was war in dem Text wichtig? Welche Inhalte muss ich mir einprägen? <?page no="286"?> 286 9 Didaktische Zusätze In beiden Fällen wird den Adressaten die Arbeit abgenommen, selbst das Wichtigste herauszufinden (Ballstaedt, 2006). Zwar ist die förderliche Wirkung einer Zusammenfassung für das Behalten empirisch belegt, aber noch effektiver für das Behalten ist es, wenn der Adressat in reduktiver Verarbeitung eigenständig eine Zusammenfassung, d. h. eine Makrostruktur erarbeitet. Meij und Meij (2012) untersuchten die Auswirkung von kurzen Zusammenfassungen in der Form von „numbered list items“, die in lange expositorische Texte eingestreut waren (multiple summaries). Texte mit diesen Zusätzen wurden signifikant besser wiedergegeben als Texte ohne diese Zusammenfassungen. Die Autoren führen das sowohl auf die reine Wiederholung als auch die Erleichterung beim Aufbau einer Textorganisation zurück. Merksätze Sie bilden eine Kurzform der Zusammenfassung, in der nur die zentralen Aussagen in einprägsamen Formulierungen wiederholt werden. Einprägsam bedeutet hier knapp und stilistisch akzentuiert formuliert. Auch wenn es in Sachtexten deplatziert wirkt, für Schüler sind gereimte Eselsbrücken besonders einprägsam. Die Dudenredaktion (2015) hat ein Bändchen mit den besten Merksätzen herausgegeben. (3.1) Erst das Wasser dann die Säure, sonst geschieht das Ungeheure! (3.2) Eines Dings Geschwindigkeit: Weg durch die verbrauchte Zeit. Merksätze werden typografisch ausgezeichnet, meist mit einem Rahmen oder mit Unterlegung. Beispiele Das Beispiel ist in der Rhetorik ein veranschaulichender Beleg, meist für einen abstrakten Sachverhalt. Bei abstrakten Konzepten bzw. Termini in Texten sind konkrete Beispiele für das Verstehen unverzichtbar, vor allem wieder für Adressaten mit geringer Lesekompetenz, die anderen suchen sich zum Verständnis selbst Beispiele. Gute Beispiele knüpfen an alltägliche oder berufliche Erfahrungen der Adressaten an, sie holen sie bei ihren Erfahrungen ab, aktivieren damit ihr Vorwissen und fördern das Verständnis (Mandl, Schnotz & Tergan, 1983). <?page no="287"?> 287 9.2 Zusatztexte Exkurse Auch der Exkurs gehört zu den rhetorischen Stilmitteln. Er dient dazu, einen Sachverhalt in einen unerwarteten Zusammenhang zu stellen. Wie das Beispiel aktiviert er dabei Erfahrungen und Vorwissen und schafft eine dichtere Verknüpfung im Gehirn. Ein Exkurs ist sozusagen ein Angebot zur Elaboration. Viele Autoren und Autorinnen missbrauchen Exkurse jedoch als Mittel der Selbstdarstellung, um zu demonstrieren, wie belesen sie sind. Dazu gehört auch das Unwesen der zahlreichen üppigen Fußnoten (Grafton, 1995). Selbstkontrollaufgaben Sie dienen am Ende eines Textes dazu, den eigenen Lernfortschritt einzuschätzen. Es gibt Aufgaben mit zunehmender Schwierigkeit: Wissens-, Verstehens- und Anwendungsfragen. Alle Schwierigkeitsgrade sind auch durch Mehrfachwahlaufgaben (Multiple-Choice-Aufgaben) zu erreichen, obwohl die MC-Aufgabe oft nur als schlichte Wissensabfrage eingesetzt wird. Mercedes-Benz hat früher seinen Mitarbeitern nach einer Schulung MC-Aufgaben an die Hand gegeben, mit denen diese ihr Wissen überprüfen konnten. Eingesetzt wurden MC-Aufgaben mit drei Antwortmöglichkeiten, von denen eine angestrichen werden musste. Ein Beispiel: Um wie viele Gänge schaltet EPS zurück, wenn Sie bei knapp unter 1900/ min den Schalthebel mit gedrücktem Funktionsknopf nach hinten führen? A zwei Gänge B einen Gang C kein Schalten möglich Richtig ist hier die Antwort B. Wer eine Antwort falsch anstreicht, bekommt als Rückmeldung eine begründete Richtigstellung. Derartige MC-Aufgaben sind anspruchslos, sie fragen nur Wissen ab, kein Verstehen. Einen anspruchsvolleren Typ von MC-Aufgaben haben wir in Kap. 5.2 kennen gelernt. Es gibt noch andere Aufgabentypen, die aber selten zum Einsatz kommen: Korrekturaufgaben, Ergänzungsaufgaben, Umordnungsaufgaben usw. (ausführlich Rütter, 1973). Bei allen Aufgabentypen bleibt aber ein grundsätzliches Problem: Die Adressaten unterziehen sich oft nicht der Mühe, die Kontrollaufgaben zu bearbeiten (es sei denn, eine Prüfung steht ins Haus). <?page no="288"?> 288 9 Didaktische Zusätze Glossar Ein Glossar ist eine alphabetische Liste der Definitionen aller im Text verwendeten Termini. Ein Glossar ist heute Standard bei komplexeren Texten. Ein Glossareintrag ist eine erweiterte Definition, die folgende Bestandteile enthalten kann: ▶ Herkunft des Wortes: Etymologische Hinweise sind sinnvoll, wenn sie den Adressaten als Gedächtnisstütze dienen können. ▶ Angabe der Wissensdomäne: Dies ist wichtig, weil viele Wörter Begriffe in verschiedenen Domänen bezeichnen. ▶ Definition: Hier folgt ein Typ von Definition, z. B. eine intentionale oder extentionale oder operationale Definition. ▶ Beispiel: Zur Veranschaulichung wird oft ein Beispiel oder Gegenbeispiel (negative Definition) angefügt. ▶ Verweise: Hier wird auf verwandte und damit zusammenhängende Wörter „verlinkt“. Ein Glossareintrag für den Terminus Pixelgrafik kann z. B. wie in (4) formuliert sein: (4) Pixelgrafik (engl. pixel = der Bildpunkt): In der IT ein digitales Bild, das aus einem Raster von Bildpunkten besteht, denen jeweils eine Farbe zugeordnet ist. Beispiel: Digitalfotos. Ú Vektorgrafik. Ein Glossareintrag ist etwas anderes als ein Lexikoneintrag! Der Eintrag im Glossar soll helfen, den jeweiligen Text inhaltlich zu erschließen, er bleibt also auf das Dokument bezogen. Ein Eintrag ins Lexikon bezieht sich hingegen auf das Begriffs- und Wortsystem einer ganzen Kultur, er ist damit breiter angelegt. <?page no="289"?> 289 9.3 Didaktische Visualisierung Übersicht: Zusatztexte Abschließend eine tabellarische Übersicht zu den didaktischen Zusatztexten und ihren kognitiven Funktionen. Didaktischer Zusatztext Kognitive Funktion Lehr-Lern-Ziele inhaltliches Ausrichten der Verarbeitung Vorbereitung auf eine Prüfung oder einen Test Vorstrukturierung = Advance Organizer Aktivieren von VorwissenBrückenschlag zwischen Vorwissen und Text Zusammenfassung: Überblick Abstract Vorstrukturieren Aufbau eines Begriffsrahmens Schaffen von Kohärenz Zusammenfassung Rückblick Wiederholung zentraler Begriffe und Aussagen Schaffen von Kohärenz Merksätze Mnemotechnik: Einprägen Beispiele Veranschaulichen abstrakter Inhalte Exkurse Verknüpfung mit Vorwissen Selbstkontrollaufgaben selbstständiges Überprüfen des Wissensstandes Glossar externes Gedächtnis zum Nachschlagen Lernen der zentralen Begriffe und ihrer Verknüpfungen Bild 26: Tabelle der didaktischen Zusatztexte mit ihren kognitiven Funktionen bei den Adressaten. 9.3 Didaktische Visualisierung In der amerikanischen Instruktionspsychologie werden alle grafischen Mittel, mit denen eine Textstruktur visualisiert wird, als access structure bezeichnet (Waller, 1996). In der technischen Kommunikation spricht man auch von didaktischem Visualisieren (Reichert, 1991): Inhaltliche Strukturen werden sichtbar, um damit die Informationsentnahme und das konsultierende oder überfliegende Lesen (skimming) zu erleichtern. Die Aneignung kann durch die Mikrotypografie und die Makrotypografie bzw. das Layout erleichtert werden. Alle Variablen der Typografie und des Layouts beeinflussen die Augenbewegungen beim Lesen, sie sorgen für Orientierung im Text, sie schaffen Übersichtlichkeit. Mikrotypografie. Typografische Auszeichnungen wie Fettdruck, Kursiv, Kapitälchen, Farbe lenken den Blick auf zentrale Begriffe und Aussagen. In <?page no="290"?> 290 9 Didaktische Zusätze einem Absatz kommt meist ein Hauptgedanke vor, der in einem topic sentence ausgedrückt ist. Dieser kann ausgezeichnet werden, um einen optischen Anhaltspunkt für kursorisches und selektives Lesen zu bieten (Lutz, 2015, S. 251). Allerdings sollte man einen sparsamen Gebrauch von diesen Mitteln machen, denn das eigenständige Anstreichen von Kernbegriffen und -sätzen ist eine wirksame Lerntechnik. Makrotypografie. Das Layout kann durch Anordnung und Auszeichnung von Textblöcken die Orientierung und die Verarbeitung erleichtern. Ein durch Einrückung oder Zeilendurchschuss typografisch ausgezeichneter Absatz signalisiert eine thematische Einheit. Hierzu gehört die Anordnung von Schriftblöcken bzw. Absätzen (und Bildern) auf einer Seite (Ballstaedt, 2018). Textbausteine können mit verschiedenen Schriften ausgezeichnet werden, in diesem Buch z. B. der einleitende Vorspann, die Beispiele und Exkurse im Unterschied zum Grundtext. In der technischen Kommunikation ist eine Methode des standardisierten Schreibens verbreitet: das Information Mapping®. Nach strengen Regeln wird der Text in Blöcke mit maximal fünf Sprecheinheiten aufgeteilt, die Blöcke werden durch Linien deutlich voneinander getrennt und links mit Marginalien ausgezeichnet. Jeder Block macht von typografischen Auszeichnungen wie Hervorhebungen, Großpunkten, Nummerierungen usw. Gebrauch (Böhler, 2008). Diese Standardisierung ist zwar ein Zwangskorsett, aber es verlangt eine klare Strukturierung der Inhalte. Ich habe es erfolgreich für Skripte und Seminarunterlagen eingesetzt (Bild 27). Die Ausweitung der Verständlichkeit auf Typografie und Layout wird in der Gestaltung von Zeitungen als Textdesign, das „Zaubermittel der Verständlichkeit“, bezeichnet (Bucher, 1996). Im Groninger Verständlichkeitsmodell wird das „Textbild“ ausdrücklich als Komponente der Verständlichkeit einbezogen (Sauer, 1995). <?page no="291"?> 291 9.3 Didaktische Visualisierung Bild 27: Eine Musterseite aus einem Vorlesungsskript, die nach der Methode des Information Mapping gestaltet ist. Quelle: Ballstaedt. <?page no="292"?> 292 9 Didaktische Zusätze Zusammenfassung 1.- Didaktische Zusätze fördern Verstehensprozesse wie die Aktivierung von Vorwissen, die Einprägung ins Gedächtnis oder das Lernen von Konzepten. Für alle gilt, dass sie vor allem Lernenden mit geringerem Vorwissen und schwächeren Lernkompetenzen nutzen. 2.-Die Angabe von Lehr-Lern-Zielen ist vor allem nützlich, wenn sie als konkrete Feinziele formuliert sind, die auf eine Prüfung vorbereiten. 3.-Advance Organizer setzen eine Zielgruppenanalyse voraus, da diese didaktische Hilfe Vorwissen der Adressaten aktivieren und daran anknüpfen soll: Ein Brückenschlag von den konzeptuellen Netzen im Kopf zu den externalisierten im Text. 4.-Das Schreiben von Zusammenfassungen und Merksätzen verleitet zu einer sprachlichen Komprimierung, die zu schwer verständlichen Sätzen führt: zu lang, viele Nominalisierungen, verschachtelt. Die Richtlinien für eine verständliche Sprache müssen gerade bei Kurztexten strikt beachtet werden. 5.- Beispiele und Exkurse dienen der elaborativen Verarbeitung, sie aktivieren Vorerfahrungen und Vorwissen, um daran anzuknüpfen. Während aber Beispiele einen Text immer anschaulich und damit verständlicher machen, schweifen Exkurse gern weit ab und können damit die inhaltliche Organisation des Textes beeinträchtigen: Der Text wird dadurch schwerer verständlich. 6.- Vorsicht vor Überdidaktisierung! Nicht alle didaktischen Zusätze sind bei einer Adressatengruppe notwendig. Zu viele didaktische Zusätze machen einen Text unübersichtlich und zudem verlängern sie ihn erheblich. 7.- Ein Problem: Didaktische Zusätze nehmen den Adressaten die Mühen der aktiven Aneignung z. B. über Lerntechniken ab, sie bekommen alles auf dem Silbertablett im Text gereicht. Ein aktiver Lernender schafft sich selbst Zusammenfassungen, Merksätze, Beispiele, Kontrollaufgaben usw. Aber schwache Lesende profitieren von didaktischen Hilfstexten. 8.-Eine Hilfe zur Bildung von Makrostrukturen ist eine didaktische Visualisierung oder eine Aneignungsstruktur, die mit mikro- und makrotypografischen Mitteln inhaltliche Gliederungen des Textes veranschaulicht. <?page no="293"?> 10 Motivationale Aspekte der Verständlichkeit Jeder hat wahrscheinlich Bücher im Regal stehen, die er gekauft, angelesen und dann abgebrochen hat. Ein anfängliches Interesse ist bei der Lektüre eingebrochen. Das kann an den Inhalten liegen oder an einem schwerverständlichen Text. Warum eine Person zu einem Text greift, darauf hat ein Autor oder eine Autorin keinen Einfluss, aber die Motivation, dann auch am Text zu bleiben, hängt auch mit seiner Gestaltung zusammen. In diesem Kapitel geht es darum, wie über den Text Motivation und Interesse erhalten und vielleicht sogar erst erzeugt werden, es geht um textgenerierte Motivation, d. h. eine inhaltliche und sprachliche Textgestaltung, die zum Lesen motiviert und die Lesenden „bei der Stange hält“. Dazu gehört auch die grammatische Verständlichkeit: Wer sich zu sehr abmühen muss, der verliert die Lust am Lesen (10.1). Wir behandeln die Stilmittel, die einen Text anregend und unterhaltsam machen: Anschaulichkeit, Akzentuierung, Stimulanz (10.2). 10.1 Lesemotivationen Die Lesemotivation umfasst zwei Aspekte: die Motivation zur Lektüre eines Textes und die Durchhaltemotivation. 1. Lesen ist kein Selbstzweck: Personen haben vielfältige Intentionen, Ziele und Interessen, mit denen sie zu einem Text greifen. Diese individuelle Motivation zur Lektüre ist von Schreibenden nicht beeinflussbar, sollte aber in der Adressatenanalyse berücksichtigt werden (Hidi, 1950). 2. Die textinduzierte Motivation begleitet die Lektüre: Manche Texte möchte man nicht aus der Hand legen, andere wirken wie Schlaftabletten. Das hängt auch mit der Verständlichkeit zusammen, denn ein Text, der viele mentale Ressourcen benötigt, kann den Lesenden demotivieren. Motivation zur Lektüre In der Pädagogik werden zwei Formen der Motivation unterschieden: die extrinsische Motivation durch äußere Anreize (Belohnung) und die intrinsische Motivation durch innere Antriebe (Interesse). <?page no="294"?> 294 10 Motivationale Aspekte der Verständlichkeit Extrinsische Motivation. Ein Text wird gelesen, weil es einen äußeren Anreiz oder eine Belohnung gibt, z. B. um eine Prüfung zu bestehen oder eine gute Note zu bekommen. Die extrinsische Motivation gilt zwar unter Pädagogen als minderwertig, aber man darf sie nicht unterschätzen. So erhöhen schnöde Geldanreize die Lesezeit und die Behaltensleistung, d. h. aber sie fördern den Einsatz von Ressourcen (Konheim-Kalkstein & van den Broek, 2008). Intrinsische Motivation. Ein Text wird gelesen, weil das Thema eigenen Interessen und Zielen dient. Es braucht keinen äußeren Verstärker. Intrinsisch motivierte Lesende lassen sich nicht so schnell durch Schwerverständlichkeit abschrecken. Diese plausible Unterscheidung ist allerdings selten sauber durchzuführen. Oft liest man mit einer Mischung intrinsischer und extrinsischer Motivationen. Ein Kontinuum von fremdbestimmter bis zu autonomer Motivation ist vielleicht weniger wirklichkeitsfremd (Ryan & Deci, 2017). Eine extrinisische Motivation kann sich durch intensive Beschäftigung in eine intrinsische verwandeln. Umgekehrt hat man in Untersuchungen festgestellt, dass eine intrinsische Motivation durch zusätzliche äußere Anreize korrumpiert werden kann (Cameron, Banko & Pierce, 2001). Wenn die Lesemotivation hoch ist, dann ist man bereit, sich durch einen Text hindurchzubeißen und erhebliche Ressourcen einzusetzen: Es werden Lerntechniken genutzt und in Nachschlagewerken oder im Internet recherchiert (Hidi, 1990; Schnotz & Kürchner, 2007). Ist die Motivation hingegen gering, dann gewinnt die Verständlichkeit des Textes eine größere Bedeutung. Textinduzierte Motivation Die Lesemotivation lässt nach, wenn Lesende den Eindruck bekommen, dass der Text zu ihren Lesezielen nichts beiträgt. Dies kann an den Inhalten liegen, der Text liefert nicht, was er verspricht. Oft spielt aber die Gestaltung eine Rolle: Der Text ist nicht adressatenorientiert formuliert, d. h. spricht sie nicht an und verlangt unnötige grammatische Ressourcen (Bühring & Schwender, 2007). Die estländischen Psychologen Mik und Kukemelk (2010) untersuchten bei Lehrbüchern und populärwissenschaftlichen Texten zur Biologie und Physik die Auswirkung einiger für die Textverständlichkeit wichtiger Variablen auf das textinduzierte Interesse. Die untersuchten Studierenden gaben größeres Interesse an, wenn der Text wenig Abstrakta und Fachwörter, sondern kurze Sätze und kurze Wörter enthielt. <?page no="295"?> 295 10.2 Die Lust am Text Noch überzeugender ist eine groß angelegte Studie zum Einfluss der Verständlichkeit von Marcus Friedrich (2018). Es wurden 15 Sachtexte zum Thema „statistische Maße der zentralen Tendenz“ eingesetzt. Bei 302 Vpn wurden in einem Vortest das Interesse, das Vorwissen und die Selbstwirksamkeit erhoben. Unter der Selbstwirksamkeitserwartung wird die Überzeugung einer Person verstanden, eine Anforderung bewältigen zu können. Die Vpn bekamen dann einen der Texte zum Lesen. Danach wurden folgende Variablen erhoben: noch einmal das Interesse und die Selbstwirksamkeit, dazu die subjektive Verständlichkeit, die intrinsische Motivation, die wahrgenommene Kompetenz, die Verstehensleistung. Es zeigten sich mittlere bis starke Auswirkungen der Verständlichkeit auf Interesse, intrinsische Motivation, Selbstwirksamkeit und die Verstehensleistung. Beide Untersuchungen unterstreichen, wie wichtig die Textverständlichkeit für Motivation und Verstehen ist. Wer an jedem zweiten Satz scheitert, wird bald die Lust verlieren. Schwerverständlichkeit innerhalb einer kommunikativen Situation lässt zwei Zuschreibungen zu (Weidenmann, 1999): 1. Der Autor/ die Autorin wird dafür verantwortlich gemacht: Er/ sie drückt sich unverständlich aus. Sein/ ihr Image ist abgehoben, arrogant, unkommunikativ. Die Lektüre wird abgebrochen und der Textproduzent abgewertet. 2. Der/ die Lesende führt die Verstehensprobleme auf die eigenen mentalen Fähigkeiten zurück: Vorwissen oder Intelligenz reichen für das Verstehen nicht aus. Abbruch der Lektüre mit Frustration und Abwertung des Lesers. Diese Zuschreibung hat eine demotivierende Wirkung. Beide Zuschreibungen führen zum Verstehensabbruch. Es soll aber auch daran erinnert werden, dass eine mittlere Verständlichkeit für den aktiven Einsatz von Ressourcen besser ist als ein maximal einfach formulierter Text (Kap. 6.7). 10.2 Die Lust am Text Diese Überschrift stammt von Roland Barthes (1974), ohne dass wir damit seine poststrukturalistische Theorie des Lesens als erotische Hingabe übernehmen. Aber auch das Lesen von Sachtexten kann Spaß bereiten. Die Kategorie des Vergnügens ist „keine frivole, sondern eine praktische und unentbehrliche Kategorie für wissenschaftliche Texte, denn sie schärft die Aufnahmefähigkeit der Leser für die Argumente eines Textes“ (Groebner, 2012, S. 78). Aber in der akademisch-wissenschaftlichen Tradition hat sich ein nüchterner, sachlicher <?page no="296"?> 296 10 Motivationale Aspekte der Verständlichkeit Stil herausgebildet, der auf anschauliche, emotionale, humorvolle und kreative Formulierungen verzichtet. Den motivationalen Aspekt des Lesens haben vor allem Psychologen nicht übersehen. Bereits Flesch (1949) entwickelte eine „Human-Interest-Formel“, welche die Interessantheit eines Textes messen sollte. Dazu wurden alle Wörter und Sätze ausgezählt, die einen persönlichen oder dialogischen Bezug hatten (z. B. Namen, Personalpronomen, Fragen, Anweisungen). Im Hamburger Modell der Verständlichkeit ist „Stimulanz“ eine Dimension der Verständlichkeit (Langer et al. 2011, Kap. 11.3). Beschrieben wird sie als anregender, interessanter, abwechslungsreicher und persönlicher Schreibstil, der sich konkret in witzigen Formulierungen, Anekdoten, rhetorischen Fragen, lebensnahen Beispielen, persönlicher Ansprache ausdrückt. Diese Dimension ist aber nur effektiv, wenn sie mit einer hohen Ausprägung der Dimension der Gliederung verbunden ist. Denn zusätzliche Stimulanz erhöht die Komplexität des Textes und erfordert zusätzlichen Verarbeitungsaufwand. In der Konzeption der Verständlichkeit von Norbert Groeben (1982) wird diese Dimension „motivationale Stimulanz“ genannt, sie fasst rhetorische und stilistische Mittel zusammen, die einen Text interessant machen und auch den nicht hoch motivierten Leser fesseln. Rhetorik, die Kunst effektiver Formulierung Die klassische Disziplin, die sich mit anregender Sprache befasst, ist die Rhetorik, ursprünglich der gesprochenen, später auch der geschriebenen Sprache (Ueding, 1986). Mit rhetorischen Mitteln soll bewusst die kognitive Verarbeitung des Adressaten gesteuert werden, sie dienen der persuasiven Kommunikation. Wenn ein Schreibstil anschaulich und anregend ist, dann liest man aufmerksamer und interessierter und das fördert das Verstehen. Das ist zunächst eine Hypothese, Rhetoriker sind zwar von der Wirkung der Stilmittel überzeugt, aber es gibt erstaunlich wenig empirische Untersuchungen dazu (Brewer, 1980). Eine Ausnahme bilden die Metaphern, sie haben unter dem Label „figurative Sprache“ zahlreiche Studien angeregt. Rhetorische Mittel gibt es auf der Lautebene (z. B. den Stabreim), der Wortebene (z. B. die Metapher), der Satzebene (z. B. die Emphase) und der Textebene (z. B. die Argumentation). Rhetorische Mittel können der Verständlichkeit dienen, z. B. mit Akzentuierungen im Satz oder anschaulichen Beispielen, aber <?page no="297"?> 297 10.2 Die Lust am Text viele erfordern zusätzliche kognitive Ressourcen. Wir werden drei Gruppen von rhetorischen Mitteln behandeln: Stilmittel der Anschaulichkeit, der Akzentuierung und der Stimulanz. Es gibt viel mehr rhetorische Mittel als die hier angeführten, ausführliche Einführungen findet man bei Harjung (2000), Kolmer & Rob-Santer (2002), Genzmer (2003) oder auf zahlreichen Websites zur Rhetorik. Stilmittel der Anschaulichkeit Die Forderung nach Anschaulichkeit stammt aus der Pädagogik und Didaktik. Dieses Textmerkmal wird auch als Bildhaftigkeit, Konkretheit oder Lebendigkeit (vividness) bezeichnet. Bildhaftes Vokabular. Wir haben bereits ausgeführt, dass abstrakte Wörter schwieriger zu verstehen sind als konkrete (Kap. 7.2). Aber warum sind konkrete Wörter verständlicher? Unter Bildhaftigkeit oder Imaginationsgehalt eines Wortes wird das Ausmaß verstanden, in dem es Vorstellungen auslöst, vorwiegend visuelle, aber es können auch andere Modalitäten betroffen sein. Genau genommen löst nicht das Wort Vorstellungen aus, sondern das dadurch aktivierte Konzept enthält bildhafte Komponenten. Die Bildhaftigkeit von deutschen Wörtern hat ein Forscherteam bereits in den 70er Jahren gemessen. Sie ließen bei Substantiven, Adjektiven und Verben auf einer siebenstufigen Skala einschätzen, in welchem Ausmaß sie Vorstellungen auslösen (zusammenfassend Wippich, 1980). Die Liste der Bildhaftigkeit von Wörtern ist für die Forschung nützlich, denn mit ihr können Texte unterschiedlicher Konkretheit konstruiert werden. Für das Schreiben von Sachtexten sind derartige Listen wenig hilfreich. Eine mit Bildhaftigkeit konfundierte Variable ist die Konkretheit von Wörtern. Konkret ist ein Wort, wenn sein Referent in der Wirklichkeit mit den Sinnen erfahrbar ist. Konkrete Wörter sind deshalb auch bildhaft. Über die Anzahl konkreter Substantive und Adjektive in einem Text wird die Lebendigkeit (vividness) bestimmt, ein Maß, das besonders im Bereich der Werbung und des Marketing verbreitet ist (Ellen & Bone, 1991). Dass Texte mit konkreten, anschaulichen Wörtern verständlicher sind, haben erstmals Yuille und Paivio (1969) nachgewiesen. Dieser Befund konnte in Folgeuntersuchungen für verschiedene Textsorten belegt werden (Wippich, 1987). Sadoski, Goetz-& Rodriguez (2000) erhoben für konkrete und abstrakte Texte nach der Lek- <?page no="298"?> 298 10 Motivationale Aspekte der Verständlichkeit türe Ratings zur Konkretheit, Interessantheit und Verständlichkeit. Die Konkretheit war ein sehr guter Prädiktor für die Interessantheit und Verständlichkeit sowie die Behaltensleistung. Vorstellungen, die ausdrucksstarke Verben, konkrete Nomen und Adjektive im Gehirn anregen, lassen sich auch neuropsychologisch nachweisen. Meist geht es um visuelle Vorstellungen, aber es können auch in anderen Sinnesmodalitäten Vorstellungen ausgelöst werden. Spanische Neuropsychologen konnten nachweisen, dass konkrete Geschmackswörter wie Salz oder Zucker die gustatorischen Areale des Gehirns erregen (Gonzalez et al., 2012). Selbst wenn wir keine bewusste Vorstellung generieren, wird die mit einem Wort verbundene Sinnesmodalität angesprochen. Bei konkreten Handlungsverben werden die motorischen Areale für die Ausführung der Handlung aktiviert (Buccino et al., 2005). Beim Verstehen von gesprochenen oder gelesenen Sätzen mit hoher Anschaulichkeit zeigten sich in einer fMRI-Studie Aktivierungen in den Arealen, die visuelle Informationen verarbeiten (Just et al., 2004). Fazit: Konkrete Wörter stimulieren das Gehirn, man kann die Auslösung von sensorischen Vorstellungen als eine Form elaborativer Inferenzen ansehen. (1) Ein junger Mann in rotem T-Shirt hat die Hände in die Luft gestreckt und schreit mit schäumendem Mund in die Polizisten-Menge. Ein rhetorisches Stilmittel hat besondere Aufmerksamkeit auf sich gezogen: die Metapher. Metaphern. Bei einer Metapher wird ein Wort in einer übertragenen Bedeutung verwendet, aus einer Quelldomäne (source) wird die Bedeutung in eine Zieldomäne (target) übertragen. Wenn von Wirtschaftswachstum gesprochen wird, dann wird ein Begriff aus der Biologie (source) auf die Wirtschaft (target) übertragen, denn wachsen können nur Pflanzen und Tiere. Metaphern sollen vor allem visuelle Vorstellungen hervorrufen und das anschauliche Denken anregen. Auch wenn man es nicht erwartet, auch in der Fachsprache wimmelt es von Metaphern (2.1). Manchmal stammen mehrere Metaphern aus einer Domäne, wie bei (2.2) aus dem Bauwesen. (2.1) Untersuchungsebene; Sprachbarriere; Prozessstufe; Wasserstraße; Investitionsklima; Datenautobahn; härtere Gesetze; scharfe Erwiderung (2.2) A hat eine Theorie konstruiert, die auf wackeligen empirischen Fundamenten steht. Nur wenige Befunde stützen die Theorie. Eine Untersuchung könnte das Begriffsgebäude zum Einsturz bringen. <?page no="299"?> 299 10.2 Die Lust am Text Wie werden Metaphern kognitiv verarbeitet? Eine naheliegende Theorie sieht eine Analogie zu den Implikaturen: Eine Metapher wird zuerst wörtlich verstanden, führt dann zu einer Inkohärenz, die durch eine Uminterpretation zu einem tieferen Verständnis führt. Das würde bedeuten, dass Metaphern einen größeren kognitiven Aufwand verlangen. In Untersuchungen konnte aber überraschend gezeigt werden, dass das Verstehen einer Metapher keine längere Verarbeitungszeit beansprucht. In einer Untersuchung wurden die Verarbeitungszeiten von Satzpaaren mit und ohne Metapher verglichen (Cacciari & Glucksberg, 1994). (3.1) John was in for a surprise when he touched the wall of the monastery tower. The old rock had become brittle with age. (3.2) John was in for a surprise when he visited his former professor after many years. The old rock had become brittle with age. In (3.1) wird „the old rock“ in seiner wörtlichen Bedeutung verwendet, in (3.2) als eine Metapher. Der zweite Satz wird aber mit der Metapher nicht langsamer verstanden. Vermutlich werden nicht alle Metaphern gleich verarbeitet. Bowdle und Gentner (2005) haben die „Carreer of Metaphor“ untersucht. Neue Metaphern erfordern einen direkten konzeptuellen Vergleich, aber verblasste oder tote Metaphern (Stuhlbein, Handschuh, Wirtschaftswachstum) sind als ganze lexikalische Einheiten direkt abrufbar. Sie werden nicht mehr als Metaphern erkannt und führen nicht mehr zu visuellen Vorstellungen. Das Verstehen einer Metapher hängt also vom Grad ihrer Konventionalisierung ab. Starke und treffende Metaphern machen einen Text anschaulich und interessant. (4.1) Kein Aids-Forscher glaubt an schnelle Erfolge. Zu viele Untersuchungen brachten keine Ergebnisse. (4.2) Kein Aids-Forscher glaubt an einen schnellen Sieg über die Krankheit. Zu viele Untersuchungen endeten in einer Sackgasse. Zwei Metaphern machen aus einer nüchternen Formulierung einen interessanten Satz. Metaphern sind ein kreatives Potenzial der Sprache, neue Metaphern können ein unerwartetes Schlaglicht auf eine Sache werfen. (5.1) Das Internet ist wie ein Dschungel. <?page no="300"?> 300 10 Motivationale Aspekte der Verständlichkeit (5.2) Die Notübernahme der Merrill Lynch Bank durch die Bank of America war eine Kernschmelze im Bankensystem. Aber der Umgang mit Metaphern birgt auch Risiken und Nebenwirkungen. Verblasste Metaphern haben ihren anschaulichen Charakter eingebüßt, wirken einfallslos und machen einen Text stilistisch öde. Journalisten werden vor Formulierungen wie in (6) gewarnt. (6) der Zahn der Zeit; die weiße Weste; Mutter Natur; eine Mauer des Schweigens; auf der Erfolgswelle schwimmen; tief in die Tasche greifen; grünes Licht geben; die Spitze des Eisberges; die Durststrecke überwinden Eine weitere Gefahr sind schiefe Metaphern. Keine Metapher passt hundertprozentig, aber manchmal geht eine Metapher richtig daneben. (7.1) Im Saal saßen 700 Nasen, die eine mitreißende, unkonventionelle, teils unbequeme, teils unterhaltsame Rede hörten. (7.2) Nunmehr hat Mehdorn die Hosen heruntergelassen und man sieht sein wahres Gesicht. (7.3) Vielleicht versickert der ganze so unnötige Streit im Laufe der nächsten Monate doch noch wie das berühmte totgeborene Kind im Sande. Verunglückte Metaphern füllen Stilblüten-Sammlungen und haben immerhin einen erheiternden und damit durchaus anregenden Effekt. Metaphern sind nicht nur sprachlicher Zierrat, sondern auch der Ursprung abstrakter Wörter (Lakoff & Johnson, 1997). Wörter für abstrakte Konzepte gehen immer auf konkrete Wörter für wahrnehmbare Dinge zurück. Ein schönes Beispiel ist das Abstraktum „Sorgfalt“. Ein Nomen, das aus dem Adjektiv „sorgfältig“ abgeleitet wurde, mittelhochdeutsch „sorcveltic“. Sorgfältig bedeutet ursprünglich „vor Sorge voller Falten“. Diese anschauliche Bedeutung verblasst mit der Zeit, bei der Sorgfalt denkt niemand mehr an Sorgenfalten. Die Bedeutung von „sorgfältig“ hat sich verschoben auf ein Spektrum von gründlich und achtsam bis pedantisch und pingelig. Dem Wort „Erfahrung“ sieht man seinen konkreten Ursprung noch an: „Dinge, die man auf der Fahrt“ erlebt hat (vgl. auch „bewandert“). - Das Wort „Verstehen“ ist etwas schwieriger abzuleiten. Synonyme dazu offenbaren gleich den konkreten Ursprung: „begreifen“, „erfassen“, „durchschauen“, „kapieren“ (lat. capere = ergreifen). Verstehen hat seinen Ursprung in der Bedeutung „vor etwas stehen“, um es besser wahrzunehmen und zu erforschen (vgl. auch „understand“ im Englischen). <?page no="301"?> 301 10.2 Die Lust am Text Um abstrakte Prozesse des geistigen Lebens zu bezeichnen, wird immer wieder auf den konkreten Bereich der Ernährung zurückgegriffen: es braut sich ein Unheil zusammen; jemand kocht vor Wut; in ihm gärt es seit langem; die Stimmung ist auf dem Siedepunkt usw. Neuropsychologische Befunde haben bestätigt, dass bei der Verarbeitung figurativer Sprache auch Areale der linken Hemisphäre beteiligt sind (Lauro et al., 2013). Storytelling. Das Erzählen haben wir bereits als elementare Form mündlicher Kommunikation kennengelernt (Kap. 8.5). Menschen können durch Erzählungen gepackt werden, der Grund wird in der Evolution gesehen: Geschichten über Ereignisse, Personen und ihre Handlungen haben Menschen in einer oralen Kultur stark interessiert. Geschichten sind Identifikationsangebote, sie erzeugen Spannung (Perrin & Wyss, 2016). In neuen Formen des Journalismus haben sich narrative Stilformen entwickelt (Früh & Frey, 2014). Dem Storytelling, z. B. in Reportagen, wird nachgesagt, dass es attraktiver und verständlicher für die Adressaten ist als nüchterne Meldungen und argumentative Texte. So sehr diese Hypothese auch einleuchtet, die bisher vorliegenden empirischen Befunde fallen unterschiedlich aus. Eine Gefahr wird zudem darin gesehen, dass bei narrativen Texten die Unterhaltung und Personalisierung die wichtigen Mitteilungen überdecken. Sachtexte können durch narrative Passagen interessant gemacht werden (Baumann, 1980), z. B. indem man die Geschichte von Entdeckungen erzählt oder Anekdoten über kuriose Begebenheiten aus dem Leben bekannter Persönlichkeiten (8.2). (8.1) Im Rahmen von Arzneimittelforschungen mit dem Getreidepilz-Mutterkorn synthetisierte der Chemiker Albert Hofmann 1938 verschiedene Substanzen, darunter auch das Diethylamid-LSD-25. Während der Laborarbeit wurde er unruhig und von einem Unwohlsein befallen. Er brach seine Arbeit ab und fuhr auf dem Fahrrad heim. Dort angekommen hatte er bei geschlossenen Augen für etwa zwei Stunden intensive-kaleidoskopartige, farbige-Visionen. Er hatte unbeabsichtigt und auf ungeklärte Weise eine Spur LSD aufgenommen. <?page no="302"?> 302 10 Motivationale Aspekte der Verständlichkeit (8.2) Der Physiker Wolfgang Pauli besuchte seinen Kollegen Niels Bohr einmal in dessen Landhaus und sah, dass er ein Hufeisen über der Tür hängen hatte. „Professor! “ sagte er, „Sie? Ein Hufeisen? Glauben Sie denn daran? “ Worauf Bohr antwortete: „Natürlich nicht. Aber wissen Sie, Herr Pauli, es soll einem auch helfen, wenn man nicht daran glaubt.“ Bebildern. Zur Anschaulichkeit tragen natürlich auch Abbilder, Diagramme, Charts, Cartoons usw. bei. Hier ist eine prägnante Darstellung und eine komplementäre Verbindung mit dem Text wichtig (ausführlich Ballstaedt, 2012). Stilmittel der Akzentuierung Schon durch die Entscheidung, welches Konzept er zum Subjekt eines Satzes macht, bezieht ein Autor Stellung. Viele rhetorische Stilmittel richten die Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Begriff. Oft einfach mit dem Mittel der Wiederholung. Clements (1979) untersuchte unter der Bezeichnung „staging“ die Akzentuierung von Inhalten, mit der ein Absender einen Begriff oder eine Aussage sozusagen sprachlich auf die Bühne stellt. Dazu gehören z. B. das Passiv, aber auch Spaltsätze oder Emphasen. Er konnte einen signifikanten Zusammenhang zwischen der Position einer Information innerhalb der Staging-Hierarchie und dem Behalten nachweisen. Es gibt viele rhetorische Stilmittel, um ein Wort oder einen Satzteil zu akzentuieren. Sie haben schöne esoterisch klingende Bezeichnungen. Epanalepse. Ein Wort oder eine Wortgruppe wird zur pathetischen Ausdruckssteigerung wiederholt. (9) Mollath hat seinen Freispruch, aber einen Freispruch zweiter Klasse. Anapher. Ein Wort oder eine Wortgruppe wird zu Beginn aufeinanderfolgender Sätze wiederholt. (10) Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen. Epipher. Ein Wort oder eine Wortgruppe wird am Ende aufeinanderfolgender Sätze wiederholt. (11) Der Papst fordert Moral, aber er lebt auch Moral. <?page no="303"?> 303 10.2 Die Lust am Text Anadiplose. Mit dem letzten Wort eines Satzes wird der nächste Satz begonnen. (12) Das Leben braucht Versöhnung. Versöhnung darf dem Terror nicht zum Opfer fallen. Andere Stilmittel akzentuieren, indem sie vom normalen Satzbau abweichen. Im Prinzip haben wir es immer mit einem rhetorischen Stilmittel zu tun, wenn von der Standardformulierung - Subjekt-Prädikat-Objekt - abgewichen wird. Inversion. Die normale Wortstellung im Satz wird zur Hervorhebung eines Konzepts umgestellt. (13) Ihre Sorgen trugen die Bürger lautstark vor. (14) Über Freiheit spricht Präsident Gauck gern. Emphase. Betonung eines Satzglieds, indem es aus seiner normalen Position herausgelöst und abgespalten wird. (15) Unendlich ist das Leid, das Flüchtlinge erdulden müssen. (16) In den osteuropäischen Beitrittsländern, da schaffen viele Konzerne neue Arbeitsplätze. Das direkte Objekt (15) oder das Adverbial des Ortes (16) am Anfang soll besondere Aufmerksamkeit erfahren: Neue Arbeitsplätze werden geschaffen, aber nur in den osteuropäischen Ländern und nicht in der BRD! Die Emphase ermöglicht es dem oder der Schreibenden, Position zu beziehen, indem er oder sie eine Information hervorhebt und betont. Epiphrase. Einem abgeschlossenen Satz wird ein Nachtrag angefügt, der dadurch einen besonderen Akzent erhält. (17) Ein echter Diplomat muss zuverlässig sein, und natürlich verschwiegen. Man kann unschwer erkennen, dass akzentuierende Stilmittel ursprünglich zur gesprochene Rede gehören, aber ihre Wirkung ist beim Lesen vermutlich nicht weniger stark als beim Hören. Untersuchungen dazu sind mir aber nicht bekannt. <?page no="304"?> 304 10 Motivationale Aspekte der Verständlichkeit Stilmittel der Stimulanz Die rhetorischen Mittel sind sprachliche Köder, die zum Lesen verführen sollen. Stilmittel der Stimulanz sind besonders massiv, sie sollen einen Denkanstoß geben und diesen in eine besondere Richtung. Epistemische Anreize. Darunter werden Textpassagen verstanden, die Interesse wecken und zum Nachdenken anregen (gr. episteme = Erkenntnis). Ausführlich beschäftigt sich Norbert Groeben (1982) mit Merkmalen eines stimulierenden Textes. Er bezieht sich dabei auf die Neugiertheorie von Daniel Berlyne (1974) und die Dissonanztheorie von Leon Festinger (1957). Epistemische Anreize sind ▶ ungewöhnliche Fragen, die eine neue Perspektive auf einen Gegenstand eröffnen, ▶ neue überraschende Informationen, die die Adressaten nicht erwartet haben, ▶ Informationen, die nicht mit dem bisherigen Wissen übereinstimmen und zu einem kognitiven Konflikt führen, ▶ unterschiedliche oder widersprüchliche Positionen, die zu einer eigenen Positionierung anregen. Diese Textmerkmale können Neugier, Interesse, Zweifel, Widerspruch, Nachdenklichkeit auslösen. Für ein tieferes Verstehen ist es förderlich, wenn ein Text den Adressaten etwas Unerwartetes bietet: einen Widerspruch zu seinen Erfahrungen und Einstellungen, eine überraschende Wendung, eine neue Perspektive auf Bekanntes. Das kann bereits durch eine Headline oder einen Teaser geschehen. (18) Mollath schuldig, aber frei. (19) Kirche lastet Mitgliederschwund den Banken an. (20) Ist die autofreie Innenstadt möglich? Vor allem beim Online-Journalismus ist ein Anreißtext auf der Einstiegsseite dafür entscheidend, ob zum Weiterlesen geklickt wird. Eine Anreicherung mit interessanten, aber für das Thema randständigen „seductive details“ behindert eher das Verstehen und erschwert den Aufbau einer kohärenten Repräsentation des Textes (Garner et al., 1992). Der Einsatz von epistemischen Anreizen sollte sparsam erfolgen. <?page no="305"?> 305 10.2 Die Lust am Text Emotionalisierung. Der Abruf von Emotionen über Formulierungen oder ausgelöste Vorstellungen trägt erheblich zur Stimulanz eines Textes bei, allerdings ist das eher ein Mittel für narrative und literarische Texte. Die Berliner Affective Word List (BAWL) hat die emotionale Wertigkeit von deutschen Nomina, Verben und Adjektiven erhoben (Vö et al., 2009). Auch diese Liste ist nur für das Forschungslabor interessant, um Texte mit unterschiedlichem Affektgehalt zu konstruieren. Die Erzeugung von Spannung gehört vor allem in den literarischen Bereich (Hausenblas, 2018). Humor. Witzige Einschübe sind immer stimulierend, ob man nun darüber lachen muss oder sich darüber aufregt. „Wer gelesen werden will, sollte den Ernst mit Witz, Bosheit, Ironie garnieren, wo immer es die Umstände zulassen“ (Schneider, 2005, S. 262). In wissenschaftlichen und journalistischen Essays, Kommentaren oder Glossen sind rhetorische Mittel erwünscht, welche die Adressaten zum Schmunzeln oder Lachen bringen. Witze stellen aber Anforderungen an das Verstehen. Da die Pointe eines Witzes oft auf Kosten einer Person, Gruppe oder Institution zündet, sind Witze problematisch, vor allem in Zeiten penibler political correctness. Vor allem in interkultureller Kommunikation sollte man auf Witze verzichten, da sie leicht zu Peinlichkeiten und Missverständnissen führen. Der Boulevard-Journalismus erlaubt sich Schlagzeilen mit witzigen Sprachgags. (21) Auf Japans Kondom-Markt ziehen Ausländer den Kürzeren. (22) Pirellis Gewinnprofil ist abgefahren. Bei Sprachwitzen ist Einfühlungsvermögen für die Adressaten gefordert, sonst hagelt es Leserbriefe. Beliebt sind kreative Akronyme, z. B. ELSTER für die elektronische Steuererklärung: ein räuberischer Vogel für das Finanzamt! COST steht für ein europäisches Projekt „Cooperation in Science and Technology“ (Nomen est Omen? ). Auch die Ironie ist ein schwieriges rhetorisches Mittel. Sie nutzt die genannten Stilmittel, um das Gegenteil von dem auszudrücken, was man meint, lässt aber durch die Formulierung die wirkliche Meinung herauslesen. Aber der Adressat muss die Ironie auch erkennen und da sind Missverständnisse vorprogrammiert. „Die Zahl der Leser oder Hörer, die Ironie mögen oder auch nur erkennen, ist immer kleiner, als Journalisten möchten“ (Schneider, 2001, S. 139). <?page no="306"?> 306 10 Motivationale Aspekte der Verständlichkeit (23) Zu den wunderbaren Gaben des Menschen gehört die Kraft zum Überleben hygienischer Maßnahmen. (24) So rätselhaft wie Frauen sind, ist die aphrodisierende Wirkung eines Mannes in Küchenschürze nicht ausgeschlossen. Es gibt rhetorische Mittel, die zu einem Schmunzeln Anlass geben, z. B. amüsiert die Untertreibung (Litotes), das englische Understatement, auf gepflegte Art. (25) Der Amazon-Chef Jeff Bezos ist nicht unvermögend. Jeden Tag wird er um 265 Millionen reicher. (26) Norwegen befindet sich, rein geografisch gesehen, nicht unbedingt im Zentrum des Weltgeschehens. Das Gegenteil zur Litotes ist die Übertreibung (Hyperbel). Sie steckt unbemerkt in vielen Formulierungen, kann aber auch als ironisches Stilmittel eingesetzt werden. (27) Schon tausende Male haben wir zur Kenntnis genommen, dass die Rente sicher ist. Dialogische Stilmittel. Schreiben und Lesen geschehen in Isolation, aber einige Stilmittel wurden aus der mündlichen in die schriftliche Kommunikation übernommen. Auch in einem schriftlichen Text können die Adressaten direkt angesprochen werden. Dazu gehört die beliebte rhetorische Frage, auf die man keine Antwort erwartet, die aber zu einer eigenen Antwort anregt. (28) Glauben Sie noch an Wahlversprechen? (29) Kennen Sie das Gefühl von Ohnmacht, wenn Sie am Monatsende die Gasrechnung lesen? Die rhetorische Frage ist bei Schreibenden beliebt und oft die einzige rhetorische Figur, die sie einsetzen. Deshalb wirkt sie etwas abgegriffen. Mit direkten Appellen können die Adressaten aufgerüttelt und zu Handlungen motiviert werden. (30) Achten Sie beim nächsten Kleiderkauf darauf, ob Sie damit nicht die Kinderarbeit in der Dritten Welt unterstützen! Ein Streitpunkt ist noch immer die Verwendung des Ich in Fachtexten. Für wissenschaftliche Texte wird bis heute ein unpersönlicher Stil erwartet, das Personalpronomen „ich“ ist verpönt, passive Konstruktionen sind beliebt, hinter <?page no="307"?> 307 Zusammenfassung denen sich der Autor bzw. die Autorin verstecken kann. Der Historiker Valentin Groebner (2012, S. 103) sieht darin ein Relikt aus der Aufklärung. „Die Aufklärer bemühten sich, durch Betonung des Unpersönlichen und durch Passivkonstruktionen dem eigenen Ideal von perspektivischer Objektivität zu entsprechen.“ Natürlich steht in einem Fachtext die Sache im Fokus und der Autor/ die Autorin sollte sich zurücknehmen, aber kein Text ist unabhängig von der Persönlichkeit des Verfassers. Das Ich ist in zwei Fällen sinnvoll: 1. Wenn dezidiert für oder gegen eine Position argumentiert wird, dann sollte der Autor mit dem Personalpronomen „ich“ auch dazu stehen, statt sich hinter Passivkonstruktionen und dem Wir als Plural der Bescheidenheit zu verstecken. (31.1) Ich verwende den Terminus „Konzept“ in folgender Bedeutung: … (31.2) Dieser Annahme der Relevanztheorie von Robyn Carston möchte ich widersprechen. 2. Zur expliziten Kommentierung des eigenen Textes, z. B. um die Fragestellung zu erläutern oder den Textaufbau vorzustellen (Moll & Thielmann, 2017, S. 110f.). (32.1) Mit diesem Text will ich eine Antwort auf die Frage finden, ob … (32.2) Im Folgenden werde ich zunächst den Ansatz x referieren, um dann … Für wissenschaftliche Texte wird noch immer ein sachlich-nüchterner Stil empfohlen, der als „erzähl-frei“, „ich-frei“, „metaphern-frei“ beschrieben wird (Bünting, Bitterlich & Pospiech, 2004). Dieser Stil wird im Englischen als „windowpane style“ bezeichnet, weil die Formulierungen den Inhalt wie hinter einer klaren Schaufensterscheibe präsentieren sollen. Diese Empfehlungen führen aber zu dem öden akademischen Stil, den man in Fachzeitschriften lesen muss. Zusatzmaterial 16: Übung zu anregenden rhetorischen Stilmitteln Zusammenfassung 1.-Extrinsische und intrinsische Motive führen zur Lektüre eines Textes, die ein Autor/ eine Autorin kaum beeinflussen kann, aber die textinduzierte Motivation durch Verständlichkeit liegt in seiner/ ihrer Hand. Damit wird Interesse geweckt und die Motivation aufrechterhalten. <?page no="308"?> 308 10 Motivationale Aspekte der Verständlichkeit 2.-Auch in Sachtexten sind rhetorische Mittel gerade bei nüchternen Themen erwünscht, da sie das Lesen interessanter machen. Dazu dienen Stilmittel der Anschaulichkeit, Wörter und Sätze, die vor allem visuelle Vorstellungen abrufen. Diese Vorstellungen zählen zu den elaborativen Prozessen. 3.-Metaphern sind als Stilmittel nicht für Dichter reserviert, diese bringen nur neue, gewagte und kraftvolle Metaphern hervor. Unsere Alltagssprache und die Wissenschaftssprache enthalten zahlreiche, allerdings oft verblasste Metaphern. Ohne Metaphern gäbe es keine abstrakten Wörter, alle Abstrakta gehen ursprünglich auf konkrete Wörter zurück. 4.- Stilmittel der Akzentuierung ermöglichen dem Autor durch die Satzkonstruktion bestimmte Konzepte und Aussagen hervorzuheben und damit seine Perspektive einzubringen. Dazu gehören rhetorische Figuren wie die Epanalepse, Anapher, Epipher, Anadiplose, Inversion, Emphase, Epiphrase und viele mehr. 5.- Stilmittel der Stimulanz sollen Denkanstöße geben: Das bewerkstelligen unerwartete und neue Inhalte, ungelöste Fragen, widersprüchliche Thesen, Humor, Ironie sowie dialogische Stilmittel. Für diese Mittel gilt die Faustregel: Dosiert einsetzen, damit sie nicht von den Inhalten ablenken. 6.-Ich ende mit einem Plädoyer für den Gebrauch anregender Stilmittel auch in Sachtexten. Dass dies ohne Verlust an Substanz möglich ist, das zeigen Sachbücher von amerikanischen Wissenschaftlern oder deutschen Wissenschaftsjournalisten, die anregend und verständlich schreiben. Für die Autoren bieten sprachliche Freiheiten auch die Chance, einen individuellen Stil auszubilden. <?page no="309"?> 11 Texte evaluieren und optimieren Da Verständlichkeit weder eine Eigenschaft eines Textes noch eine physikalische Größe darstellt, sondern erst kooperativ in der Kommunikation erarbeitet wird, kann es keine einfache Messung des Konstrukts geben: An der Verständlichkeit muss von Seiten des Absenders und von Seiten der Adressaten mitgewirkt werden. An die Adressaten mit ihren Vorbedingungen kommt man in vielen Fällen nicht heran, aber die Gestaltung der Texte lässt sich beeinflussen. In diesem Kapitel setze ich die Brille des Praktikers auf und stelle einige Maßnahmen, Methoden und Werkzeuge vor, mit deren Hilfe man bei eigenen oder fremden Texten die Verständlichkeit beurteilen und verbessern kann. Dabei werden nur Maßnahmen referiert, die auch praktikabel sind. Nach einer Beschreibung des Aufgabenfelds eines Verständlichkeitsexperten (11.1) folgen sieben Kapitel, die Werkzeuge vorstellen: Methoden der Adressatenanalyse (11.2); Richtlinien und Guidelines zum verständlichen Schreiben (11.3); Verständlichkeitsindizes zur groben Ersteinschätzung (11.4); Ratings von Experten und Adressaten (11.5); Checklisten zur systematischen Überarbeitung (11.6); Language Checker zum Auffinden kritischer Textmerkmale (11.7) und schließlich die Ausstattung eines kleinen Usability-Labors (11.8). 11.1 Gesucht: Experten für Verständlichkeit Verständlichmacher könnte ein sprachpsychologischer/ psycholinguistischer Beruf sein, den die angewandte Linguistik noch nicht entdeckt hat. Dabei lassen sich drei praktische Szenarien unterscheiden, bei denen es um verständliche Texte geht. Sie entsprechen dem Zyklus: Schreiben - Evaluieren - Revidieren. Schreiben. Verständliches Schreiben kann durch Handreichungen angeleitet werden. Jeder Schulbuchverlag gibt den Autorinnen und Autoren mehr oder weniger ausführliche „Guidelines“ an die Hand. Das Einhalten der Vorgaben lässt sich durch elektronische Tools überwachen, die beim Schreiben neben Rechtschreibung und Grammatik auch verstehensrelevante Variablen wie Nominalisierungen, Modalverben oder Satzlänge überprüfen. <?page no="310"?> 310 11 Texte evaluieren und optimieren Evaluieren. Es geht bei vorliegenden Texten um eine möglichst objektive Einschätzung, welche Ressourcen sie beim Verstehen erfordern und ob diese den jeweiligen Adressaten zuzumuten sind. Dazu können Lesbarkeitsformeln, die Skalen des Hamburger Verständlichkeitsmodells oder Checklisten dienen. Wichtig ist die Erfassung der Verständlichkeit für eine systematische Qualitätskontrolle bei der Produktion von Texten, z. B. in Fachverlagen, technischen Redaktionen oder anderen textproduzierenden Institutionen. Die Ergebnisse dienen als Grundlage zur Auswahl von Texten, z. B. für ein Schulbuch oder Weiterbildungsmaterial oder zur Revision eines Textes. Revidieren. Es ist die Aufgabe von Lektoren oder Redakteuren einen vorliegenden Text verständlicher zu machen, konkret eine ressourcenschonende Umgestaltung eines Textes für die jeweiligen Adressaten zu finden. Dabei dominiert die Ersetzungstaktik: Schwer verständliche Wörter und Sätze werden durch einfachere ersetzt, ein Text wird übersichtlicher gegliedert. Seltener wird die Ergänzungstaktik angewandt, bei der ein schwieriger Text durch didaktische Zusätze wie Organizer, Zusammenfassung, Glossar, Visualisierung usw. erschlossen wird (vgl. Kap. 9.1). Einen kommunikativen Ansatz aus hermeneutischer Sicht vertritt Bernd Ulrich Biere (1989) in seinem Buch „Verständlich-Machen“. Er attackiert die psychologische und linguistische Verständlichkeitsforschung und kommt zu dem Schluss, „daß das Problem der Verständlichkeit - als ein ‚Dilemma‘ begriffen - allein durch ausdrucksseitige Manipulation der Textstrukturierung nicht lösbar ist“ und „daß die kommunikative Last des Verständlichmachens gleichermaßen auf Sprecher und Hörer zu verteilen wäre“ (S. 201). Das ist prinzipiell für die mündliche Kommunikation richtig, aber für die Verständigung mit schriftlichen Texten unbefriedigend. Biere bietet nur dreierlei: 1. Eine detaillierte Beschreibung der komplexen Vermittlungsaufgaben von Boten, Übersetzern, Auslegern. Das ist als Hintergrundwissen sicher nützlich, aber konkrete Werkzeuge stellt er nicht vor. 2. Die Ergänzungstaktik mit erschließenden Zusatztexten lässt er zu, da sie den Ursprungstext nur flankiert, aber unangetastet lässt. 3. Als pragmatische Lösung empfiehlt er eine konservative Optimierung, die so eng als möglich am Ursprungstext bleibt (Biere, 1989). Wir haben es hier wieder mit der geisteswissenschaftlichen Hochachtung vor den Autoren zu tun, die sich in ausgeprägter Nachsicht äußert: Der Autor kann schreiben wie er will, die Verständlichkeitsarbeit bleibt bei Kommentatoren und Adressaten. Texte verständlich schreiben, das gehört zu den kommunikativen Kernkompetenzen (Schlüsselqualifikationen) in vielen Praxisfeldern in den Wissensge- <?page no="311"?> 311 11.2 Methoden der Adressatenanalyse sellschaften. Aber bisher wird diese Kompetenz an den Hochschulen zu wenig in Schreibwerkstätten geübt. Deshalb sind Verständlichmacher als Vermittler zwischen Absender und Adressat unentbehrlich, ihre Aufgabe ist eine Form wissenschaftsbasierter Hermeneutik. Es geht dabei zwar um eine Anpassung des Textes an jeweilige Adressaten, aber das bedeutet nicht Maximierung der Verständlichkeit. Den profilierten Adressaten wird nicht jegliche Mühe erspart, aber sie dürfen an einem Text auch nicht scheitern (Groeben & Christmann, 1989). Die Forschung hat eine Reihe von Modellen der Verständlichkeit hervorgebracht, die eine Diagnose der Textverständlichkeit liefern und zur Therapie anleiten. Einige greifen wir auf, einige fließen an verschiedenen Stellen ein, eine ausführliche Auseinandersetzung muss aus Platzgründen entfallen. Die Ansätze sind gern nach ihrem Geburtsort benannt: Hamburger Verständlichkeitsmodell (Langer, Schulz von Thun & Tausch, 2011); Interaktionaler Ansatz (Groeben, 1982), Eklektizistisches Verständlichkeitsmodell (Gagné & Bell, 1981), Standards for evaluating text comprehension (Baker, 1985), Groninger Modell (Sauer, 1995), Karlsruher Verständlichkeitskonzept (Göpferich, 2009), Correspondence-Consistency-Correctness-Modell (Renkema, 2009), Hohenheimer Modell (Kercher, 2013), Kremser Modell (Lutz, 2015, 2017). Zusatzmaterial 17: Text zu Konzeptionen der Textverständlichkeit 11.2 Methoden der Adressatenanalyse Professionelle Kommunikation setzt eine Adressatenanalyse voraus, denn verständliches Schreiben ist immer auf Adressaten bezogen. Zielgruppen sind ein zentrales Thema, „das zwar in der Literatur stets präsent, jedoch in der Praxis selten mit Zufriedenheit gelöst ist“ (Lehrndorfer, 1999, S. 126). Das betrifft zum Beispiel das Vorwissen als eine zentrale Bedingung für das Verstehen. Denn wie soll man das Wissen einer Person in einer Domäne erfassen? Mündliche Befragung? Fragebogen? Strukturlegetechnik? Und wie viele Vpn sind für eine valide Wissensdiagnose notwendig? Da solche Erhebungen Zeit und Geld kosten, begnügt man sich meist mit Vermutungen. Wissenschaftler haben Zeit und oft auch Geld und können aufwendige Verfahren einsetzen. So z. B. eine Messung des individuellen Vorwissens mit Hilfe der Latenten Semantischen Analyse (LSA) (Paukkeri, Ollikainen & Honkela, 2013). Dabei werden <?page no="312"?> 312 11 Texte evaluieren und optimieren computergestützt Dokumente ausgewertet, die ein Adressat gelesen oder geschrieben hat, um sein domänenspezifisches Wissen daraus zu ermitteln. Ein solides Vorgehen für die Wissenschaft, aber unbrauchbar für den Praktiker. Am vorbildlichsten sind hier die Werbe-, Marketing- und Public-Relations-Experten, die Käufergruppen segmentieren und profilieren müssen. Hier einige Methoden der systematischen Recherche, die für einen Praktiker noch vertretbar sind: Befragungen. Eine kleine Stichprobe potenzieller Adressaten kann mündlich in Interviews oder schriftlich mit Fragebögen nach relevanten Merkmalen abgefragt werden. Das Erstellen von Interviewleitfäden und Fragebögen sowie die Auswertung der Daten sind allerdings zeit- und kostenaufwendig. Oft ergeben sie nur Altbekanntes, deshalb lohnt sich der Aufwand nur bei Erstellung und Pflege von umfangreichem Textmaterial, z. B. für die Aus- und Weiterbildung. Für die Marktforschung ermittelt das Sinus-Institut aus Interview- und Fragebogendaten für viele Länder sogenannte Sinus-Milieus, die Bevölkerungsgruppen nach Lebenswelten und deren Wertorientierungen gruppieren (www. sinus-institut.de) Testlesende. Oft reicht ein repräsentativer und auskunftsfreudiger Adressat, der einen Text sorgfältig durchliest und entweder mit Anmerkungen versieht oder sein Verstehen mit lautem Denken begleitet, um brauchbare Hinweise für eine Textverbesserung zu bekommen. Eine Alternative sind Fokusgruppen, bei denen eine Adressatengruppe über einen Text diskutiert, die aufgenommenen verbalen Daten werden dann qualitativ ausgewertet. Persona-Methode. Sie wurde von dem Software-Designer Alan Cooper kreiert (Schweibenz, 2004). Dabei wird auf der Basis sozio-ökonomischer und psychologischer Daten ein idealtypischer Benutzender konstruiert, an den der Autor bzw. die Autorin ihre Texte (und Bilder) adressieren soll. Die virtuelle Persona bekommt einen Namen, ihr Bild und ein Steckbrief stehen neben dem Computer, sie wird mit einer Liste von Eigenschaften und Verhaltensweisen beschrieben. Damit soll erreicht werden, dass die Zielgruppe beim Schreiben nie „aus den Augen, aus dem Sinn“ gerät (Calabria, 2004). Nutzer empfinden die Methode durchaus als hilfreich, da eine vorgestellt kommunikative Situation hergestellt wird. <?page no="313"?> 313 11.3 Guidelines und reduzierte Sprachen 11.3 Guidelines und reduzierte Sprachen Handreichungen zur Texterstellung werden Autoren und Autorinnen von Verlagen, Behörden oder Redaktionen vorgegeben, um zu verständlichem Schreiben anzuleiten. Sie können recht allgemein gehalten sein oder konkrete Formulierungen vorschreiben oder verbieten. Ein Beispiel für allgemeine Ratschläge und Handlungsanweisungen findet man bei Norbert Groeben (1978). Er hat für die Verständlichkeit relevante Theorien aus der Linguistik, der Informationstheorie, der Lern- und der Motivationsforschung ausgewertet und daraus „20 Programmatische Regeln zur didaktischen Herstellung sprachlichen Lehrmaterials“ abgeleitet (S. 144-146). Diese Richtlinien sind theoretisch gut fundiert, bleiben aber recht allgemein und helfen Autorinnen und Autoren bei Entscheidungen wenig. Eine radikale Variante der Schreibanleitung besteht in der Vereinfachung des grammatischen Regelwerks, um verständlichere Formulierungen zu erzwingen. Proskriptiver Ansatz. Hier werden nicht erlaubte Wörter und Satzkonstruktionen vorgegeben, alle anderen Varianten sind erlaubt. Präskriptiver Ansatz. Hier werden die erlaubten Wörter und Satzkonstruktionen vorgegeben, alle anderen Varianten sind verboten. Der Vorteil ist eine große sprachliche Konsistenz und damit eine gute maschinelle Übersetzbarkeit der Texte. Ein Nachteil ist der hohe Schulungs- und Lernaufwand für die Autorinnen und Autoren. Die Einschränkungen bedeuten einen massiven Eingriff in den kreativen Schreibprozess. Dabei ist die Akzeptanz des proskriptiven Ansatzes größer, da er weniger in den Schreibprozess eingreift. Zwei Regelwerke für reduziertes Schreiben werden derzeit diskutiert: die einfache und die Leichte Sprache. Einfache Sprache Die einfache Sprache (plain language) ist durch eine Reduktion der Formulierungsmöglichkeiten und einen schlichten Stil bestimmt, wobei bisher kein fester Regelkatalog besteht (Kellermann, 2014). In der Domäne der technischen Kommunikation liegen Ansätze zu einer vereinfachten Sprache vor, die als Vorbild das Simplified English hat. Primäres Ziel ist aber nicht die Verständlichkeit, sondern die bessere Übersetzbarkeit in andere Zielsprachen durch menschliche oder maschinelle Übersetzung. Eine bessere Verständlichkeit ist sozusagen ein Nebenprodukt der Vereinfachung. <?page no="314"?> 314 11 Texte evaluieren und optimieren Die kreativen Freiräume sind dabei deutlich beschnitten, das Schreiben wird zur Anpassung an vorgegebene Standards, die meist schreibbegleitend überprüft werden (Lehrndorfer, 1996). Man spricht deshalb von kontrollierter Sprache. Betroffene Redakteure und Redakteurinnen beklagen, sie schrieben nicht mehr für Adressaten, sondern für Übersetzungsmaschinen (Nickl, 2018). Die einschränkende Standardisierung betrifft Wörter, Sätze, Textstrukturen, aber auch das Layout. Terminologische Standardisierung. Es werden wording rules für eine konsistente Terminologie festgelegt. Sie betreffen die Benennungen und untersagen bestimmte Wörter, z. B. darf ein Wort nicht als Verb (schrauben) und als Substantiv (das Schrauben) vorkommen. Manche Firmen schreiben ein Corporate Wording vor, d. h. sie kreieren firmenspezifische Wörter mit festgelegter Schreibung. Zwei bekannte Beispiele: Die Deutsche Bahn führte etliche Anglizismen ein sowie Schreibweisen, die Regeln der deutschen Sprache verletzen: Großbuchstaben im Wort und der Verzicht auf Wortzwischenräume (1.1). NIVEA hat sich vor allem mit Anglizismen bedient (1.2). (1.1) ServicePoint; BahnCard; Surf&Rail; Gruppe&Spar (1.2) Hair Care; Intense Repair; Hair Recharge Der Verständlichkeit sind diese neuen Wörter nicht zuträglich, aber sie bewirken als PR-Maßnahme Aufmerksamkeit und bauen ein bestimmtes Image auf. Syntaktische Standardisierung. Es werden bestimmte Satzkonstruktionen vorgeschrieben, andere verboten. So wird für Anleitungen oft der imperativische Infinitiv festgelegt, Passivkonstruktionen sind untersagt. Komplexe Satzkonstruktionen werden vermieden, weil Satzklammern, Einbettungen, Attributfolgen, Nominalgruppen usw. nicht erlaubt sind. Standardisierte Textstruktur. Auch der Aufbau von Dokumenten aus der Abfolge bestimmter Textbausteine und das Layout werden vorgegeben. Entweder durch elektronische Dokumentvorlagen oder Dokumentmanagement-Software. Beispiele für standardisierte Dokumentation findet man bei Muthig (2008): Information Mapping (IMAP), Funktionsdesign ® , Darwin Information Typing Architecture (DITA), Document Typ Definition (DTD). In der technischen Dokumentation führt wohl kein Weg an der kontrollierten Sprache vorbei. Zu groß sind die Vorteile der finanziellen Einsparungen und der verbesserten Verständlichkeit. Bei der Vermittlung technischen Wissens und Handelns lässt sich eine derartige Reduktion der Sprache vertreten. <?page no="315"?> 315 11.3 Guidelines und reduzierte Sprachen Leichte Sprache (LS) Die Leichte Sprache (LS) ist aus der Praxis des Umgangs mit Menschen entstanden, für die die üblichen Texte eine Verständnisbarriere darstellen. Ziel ist eine barrierefreie schriftliche Kommunikation für begrenzte, aber doch differenzierte Zielgruppen. Dazu zählen Menschen mit kognitiver Behinderung, Demenzkranke, Menschen mit Hirnverletzung, prälingual Gehörlose, Dysphasiker, aber auch funktionale Analphabeten. Darunter versteht man erwachsene Personen in den Industrienationen, die zwar Lesen und Schreiben gelernt haben, aber deren Kompetenz rudimentär geblieben ist. Sie haben Schwierigkeiten, zusammenhängende Texte zu lesen. In Deutschland vermutet man über vier Millionen! Dazu gehören auch viele Migranten (Schupperer, 2011). Das Prinzip der LS lautet: auf Anhieb alles verstehen. Dazu gibt es verschiedene in der Praxis entstandene Regelwerke, am verbreitetsten sind die Regeln des „Netzwerk Leichte Sprache“ 38 . Wie bei vielen Problemen der Praxis kommen die Fachwissenschaftler zu spät, erheben dann aber den Zeigefinger: Die Regeln seien intuitiv und nicht wissenschaftlich untermauert. Inzwischen wurde das Thema „leichte Sprache“ wissenschaftlich aufgearbeitet. Im Dudenverlag sind von den Linguistinnen Ursula Bredel und Christiane Maaß (2016) ein Theoriebuch, ein Arbeitsbuch und ein Ratgeber erschienen. Nach vielen unterschiedlichen Regelwerken ist das ein Schritt zur Vereinheitlichung der LS. Zudem werden erste empirische Untersuchungen mit den Zielgruppen referiert. Die Leitprinzipien der LS: Prinzip der Proximität. Texte sollen eine maximale Nähe zum Lesenden einhalten, das bedeutet eine Orientierung an der mündlichen Kommunikation, z. B. mit persönlicher Anrede. Prinzip der maximalen Explizitheit. Es dürfen zum Verstehen so wenig Inferenzen als möglich erforderlich sein. Damit können LS-Texte nicht dem Prinzip der sprachlichen Ökonomie folgen, sondern weisen eine hohe Redundanz auf. Prinzip der Kontinuität. Das Thema wird linear entwickelt, eine Chronologie wird eingehalten. Synonyme werden vermieden, es werden immer dieselben syntaktischen Muster eingesetzt (Subjekt-Prädikat-Objekt). Einige Richtlinien für Leichte Sprache sollen noch einmal hervorgehoben werden, um zu demonstrieren, dass sie einerseits Richtlinien der Textverständ- 38 http: / / www.leichtesprache.org/ downloads/ Regeln%20fuer%20Leichte%20Sprache.pdf (Abruf 11.03.2014). <?page no="316"?> 316 11 Texte evaluieren und optimieren lichkeit entsprechen, andererseits eine radikale Reduzierung der Standardsprache mit sich bringen: nur kurze Wörter, keine Komposita, keine ungewohnten Wörter, nur kurze einfache Sätze, viele Rekurrenzen, aktive und positive Formulierungen, nur Indikativ, kein Genitiv, nur zwei Tempi, keine Nebensätze, keine Klammerkonstruktionen usw. Schauen wir uns ein Beispiel an, wie eine Formulierung (2.1) in eine Leichte Sprache (2.2) intralingual übersetzt wird (www.nachrichtenleicht.de). (2.1) VW exportiert in die ganze Welt, ein besonders lukrativer Markt ist in den USA. Aber jetzt hat die Umweltschutzbehörde EPA festgestellt, dass die Autos mehr Schadstoffe ausstoßen, als VW angegeben hat. (2.2) VW-Autos gibt es in der ganzen Welt. Auch in dem Land USA. Dort hat ein Amt festgestellt: Viele VW-Autos stoßen mehr Schad-Stoffe aus, als die Firma gesagt hat. Damit Texte in Leichter Sprache sofort erkennbar sind, werden sie mit dem europäischen Easy-to-read-Logo ausgezeichnet. Mit der Leichten Sprache wird eine politische Forderung erfüllt, um gesetzliche Vorgaben zur Barrierefreiheit, zur Inklusion und zum Nachteilsausgleich umzusetzen. Aber diese radikale Disziplinierung der Sprache bringt verschiedene Probleme mit sich: 1. Ohne Schulung von Autoren und Autorinnen in LS geht es nicht, dazu sind die Regelwerke zu umfangreich und für verschiedene Textsorten auch nicht einfach umsetzbar. 2.- Die Verständlichkeit von Sätzen wird zwar durch einfache Formulierungen erhöht, aber das hat dramatische Auswirkungen auf die Kohärenz von längeren Texten. Diese kann nur über Wiederholungen hergestellt werden. Interlinguale Übersetzung führt zwangsläufig zu längeren Texten oder zu einer Selektion von Inhalten. 3. Inwieweit komplexe Zusammenhänge und Vorgänge mit den beschränkten sprachlichen Mitteln kommuniziert werden können, das ist noch nicht ausgelotet. Vermutlich Bild 28: Das Easy-to-read-Logo. Quelle: https: / / easy-to-read.eu/ de/ europaisches-logo/ (https: / / easy-to-read.eu/ de/ europaisches-logo/ ) <?page no="317"?> 317 11.4 Verständlichkeitsformeln und -indizes ist die LS in ihrer Aussagekraft beschränkt, d. h. nicht alle Texte können verlustfrei in LS übersetzt werden. Schwierige Sachverhalte mit extrem reduzierten sprachlichen Mitteln auszuformulieren, ist eine große Herausforderung. 4. LS ist für einen heterogenen Adressatenkreis von Menschen mit verschiedenen sprachlichen Einschränkungen gedacht. Damit bleibt ein zentrales Problem der Verständlichkeit bestehen: Jede Zielgruppe hat spezielles Vorwissen und eigene Kompetenzen, an die ein Text anknüpfen muss. 5. Die Forderung nach Allgemeinverständlichkeit - auf Anhieb alles verstehen - führt zu Texten, die für elaborierte Sprachbenutzer eine Zumutung darstellen. „Manche Regeln Leichter Sprache beschneiden das System der Standardsprache in einer Weise, die für Leser(innen) an der Grenze der Akzeptabilität liegt“ (Bredel & Maaß, 2016, S. 16). Mit den Guidelines zur einfachen Sprache und zur Leichten Sprache hat die Standardisierung der Sprache ein Endstadium erreicht, ohne Zweifel meist verbunden mit einer verständlicheren Kommunikation, aber gleichzeitig mit einer dramatischen Reduzierung der Ausdrucksmöglichkeiten. 11.4 Verständlichkeitsformeln und -indizes Seit den 1920er Jahren haben sich Psychologen den Kopf darüber zerbrochen, wie man die Verständlichkeit von Texten möglichst einfach und objektiv mit einer Formel messen kann, in die linguistische Variablen der Textoberfläche eingehen. Das Auszählen von sprachlichen Textmerkmalen durch Computer und Berechnungen durch entsprechende Software sind mit wenigen Klicks möglich. Einige Formeln stelle ich vor und wende sie exemplarisch an folgendem Text zur Ökobilanz an. Ökobilanz Der Ruf nach umweltverträglichen Produkten ist nicht neu, wird aber aufgrund der akuten Umweltprobleme immer lauter. Es ist jedoch festzustellen, dass es weder ein absolut ökologisches noch ein absolut umweltverträgliches Produkt gibt, da jedes Produkt die Umwelt direkt oder indirekt belastet. Das Produkt ist Ursache für den Verbrauch der Ressourcen sowie für die Entstehung von Abfällen und Emissionen und damit Ursache für Umweltbelastungen schlechthin. Diese entstehen durch die Rohstoffgewinnung, durch die Herstellung des Produktes, durch den Produktgebrauch, durch das Recycling, durch die Abfallbehandlung und durch die Deponierung. <?page no="318"?> 318 11 Texte evaluieren und optimieren Ein absolutes Maß für die Umweltverträglichkeit eines Produktes gibt es nicht, sie kann nur - ähnlich wie in der Thermodynamik - in vergleichender Weise gemessen werden. Die Ergebnisse sind deshalb relativ, so dass nur das ökologischere bzw. umweltverträglichere oder aber das umweltfreundlichere Produkt bestimmt werden kann. Für die eindeutige Beschreibung technischer Prozesse wie auch für die Bestimmung von Stoffeigenschaften gibt es eine Fülle von Messmethoden. Für die Bestimmung der Umweltrelevanz von Prozessen, Produkten, Stoffen, Anlagen und Betrieben sind ebensolche Mess- und Bewertungsmethoden notwendig. Diese werden auch neben der eigentlichen Bestimmung der Umwelterheblichkeit zur Bestimmung der Auswirkungen von Abfallvermeidungsmaßnahmen benötigt. Die Methoden zur Bestimmung der Umweltrelevanz von Ergebnissen menschlichen Handelns sind unter dem Synonym „Ökobilanzen“ bekannt. Andere Begriffe für dieses Instrument sind u. a. Umweltbelastungsanalyse, ganzheitliche Bilanzierung, Lebenswegbilanz, Ökoprofil, Life Cycle Analysis, Life Cycle Assessment etc. Nach der heutigen Definition in Deutschland besteht die Ökobilanz aus den drei Teilen: Sachbilanz, Wirkungsbilanz und Bilanzbewertung. Die Sachbilanz stellt die Basis der Ökobilanz dar, auf der die beiden anderen Teile aufbauen. Vor Erstellung der Wirkungsbilanz muss die Sachbilanz vollständig vorliegen. Die Bilanzbewertung wiederum kann erst dann erfolgen, wenn die Wirkungsbilanz abgeschlossen ist. Nur wenn die Sachbilanz methodisch einwandfrei erstellt wurde, können mittels Wirkungsbilanz und gegebenenfalls Bilanzbewertung überhaupt Ergebnisse in gewünschter Qualität erzielt werden. Vereinfacht kann die Ökobilanz auch als Bilanz des Abfalls angesehen werden, da jede der Erdkruste oder Biosphäre entnommene Ressource zu Abfall und den anderen Emissionen wird, was nur eine Frage der Zeit ist. Die Masse des erzeugten Abfalls ist um das Vielfache größer als die Massen der Emissionen aus der Gas- und Flüssigphase. So ist es kein Fehler, wenn in der ersten Näherung die Ökobilanz als Bilanz des Abfalls bezeichnet wird, wenngleich alle anderen relevanten Größen mitberücksichtigt werden. Die Ökobilanz ist der ganzheitliche Ansatz zur objektivierten Bestimmung der durch den Untersuchungsgegenstand verursachten Umweltbelastung. Untersuchungsgegenstand können Produkte, Prozesse, Anlagen, Dienstleistungen etc. sein. Für die Ausführungen in dieser Arbeit wird als Untersuchungsgegenstand das stoffliche Produkt gewählt, da dieses in der Methodik den größten Teil aller anderen Untersuchungsgegenstände abdeckt. Die Methodik zur Erstellung der Ökobilanz befindet sich noch in der Entwicklung. Auf nationaler wie auf internationaler Ebene wird intensiv Forschung und Entwick- <?page no="319"?> 319 11.4 Verständlichkeitsformeln und -indizes lung auf diesem Gebiet getrieben. Die Methodik der Sachbilanz ist am weitesten entwickelt, die zur Bilanzbewertung befindet sich in der Anfangsphase. Trotzdem ist diese Methode bereits nutzbar, wobei bisher jedoch nur wenige Ergebnisse vorliegen, die als gesichert anzusehen sind. So muss in dieser Arbeit auf verschiedene Produktbeispiele zurückgegriffen werden, die prinzipiell auf jedes andere Produkt übertragbar sind. Satzlänge Schon in den alten Stillehren wurde die Satzlänge als wichtige Variable für die Verständlichkeit erkannt. Die Idee dahinter: Lange Sätze sind ein indirektes Maß für syntaktische Komplexität und damit Verständlichkeit, da sie Einschübe, Nebensätze, Schachtelungen und Füllselwörter enthalten. Deshalb ist die durchschnittliche Anzahl der Wörter zwischen zwei Punkten ein möglicher Kennwert für die Textverständlichkeit. Das lässt sich auch extern überprüfen (validieren): Texte mit durchschnittlich hoher Satzlänge werden von Lesern als schwerer verständlich eingestuft und erfordern auch längere Lesezeiten. Aber was ist die ideale Satzlänge? Hierin stimmen die Stillehren nicht überein. Wilfried Seibicke nennt 10 bis 15, Ludwig Reiners 18 Wörter als optimal. Wolf Schneider favorisiert nur etwa 6! Vermutlich haben sie jeweils andere Adressaten im Blick. Als Faustregel gilt: Um die 12 Wörter ist ein akzeptabler Wert. Die Auswertung für den Text „Ökobilanz“ ergibt 27 Sätze, 499 Wörter, das entspricht einer durchschnittlichen Satzlänge von 18,5. Dieser Wert erlaubt zwar nur eine sehr grobe Einschätzung, aber die geht deutlich in die Richtung eines schwer verständlichen Textes. Abstraktheitsindex Der Abstraktheitsindex ist ein indirektes Maß der lexikalischen Verständlichkeit. Abstrakte Wörter und Nominalisierungen sind ungebräuchlich und schwerer zu verstehen. Da sie auch oft zu einem dichten Nominalstil führen, sind sie auch ein Indikator für syntaktische Verständlichkeit. Das Abstraktheitssuffix-Verfahren misst die Abstraktheit eines Textes daran, wie viele Substantive mit Suffixen wie -heit, -keit, -ung, -ismus, -ion, -ik usw. vorkommen, die im Deutschen abstrakte Wörter auszeichnen (Günther & Groeben, 1978). Der Abstraktheitsindex (AI) gibt den prozentualen Anteil der abstrakten Substan- <?page no="320"?> 320 11 Texte evaluieren und optimieren tive (A) an der Gesamtzahl der Substantive (N) an. Die Textstichprobe sollte 400-Substantive umfassen. Die Autoren geben folgende Normen an: < 6 % sehr konkret, 7-12% konkret, 13-25% mittelmäßig abstrakt bzw. konkret, 26-31 abstrakt, >32 sehr abstrakt. Das Verfahren ist recht praktikabel, hat sich aber nicht durchgesetzt. Text Ökobilanz: N = 143; A = 63, AI = 44. Das spricht für einen sehr abstrakten, d. h. schwer verständlichen Text. An der Universität Hohenheim wurde der Ansatz der Zählung der Wortendungen verfeinert: Die Wortendungszählung wird um eine Positivliste von Wörtern ergänzt. Das Verfahren wurde in das Textanalyse-Tool TextLab integriert und geht in einen Verständlichkeitsindex ein (Brettschneider, 2013). Verständlichkeitsformeln Die Satzlänge und der Abstraktheitsindex kommen mit einer Variablen aus, das hinterlässt angesichts der vielen linguistischen Variablen mit Einfluss auf das Verstehen schon einen dürftigen Eindruck. Die Idee, mit mehreren linguistischen Variablen eine Formel zur Berechnung der Verständlichkeit zu geben, hat bis heute viele Versuche angeregt. Schon Ludwig Reiners (1963, S. 220) hat in seiner Stilfibel einen „Zollstock“ für verständlichen Stil zusammengebastelt, in den als Variablen die Anzahl von Wörtern pro Satz, die aktiven Verben und abstrakte Nomen eingehen. Für Verständlichkeitsformeln werden mehrere sprachliche Merkmale zur Vorhersage von Indikatoren des Verstehens genutzt (Regressionsgleichungen). Indikatoren sind z. B. Lesegeschwindigkeit, Expertenrating, Verständnisfragen (Kap. 5). Die Lesbarkeitsformeln haben ihren Ursprung in den USA und wurden in Europa sehr kritisch, aber auch oft verkürzt rezipiert (Lutz, 2015). Wir berücksichtigen nur Formeln für die deutsche Sprache. Die erste und bekannteste Formel ist der Reading-Ease von Flesch (1949), in den Wortlänge und Satzlänge als Maße der lexikalischen und syntaktischen Verständlichkeit eingehen. Als Indikator des Verständnisses hat Flesch die Be- <?page no="321"?> 321 11.4 Verständlichkeitsformeln und -indizes antwortung von Fragen benutzt. Die Formel wurde für die englische Sprache entwickelt, wurde aber auf zweierlei Weise an die deutsche Sprache angepasst. Reading-Ease nach Arend Mihm (1973). Er behält die Formel von Flesch bei, aber verschiebt die Skalierung der Schwierigkeitsstufen. 39 In seinen Auszählungen verschiedenster Textsorten konnte er zeigen: Die Textverständlichkeit „kommt weniger durch syntaktische Differenzen als durch die unterschiedlichen Schwierigkeitsgrade des Vokabulars“ zustande (S. 59). Auf der Website schreiblabor.com kann man unter „Texte überprüfen“ einen Text hochladen und kostenlos den Flesch-Index berechnen lassen (Abruf: 02.07.2018). Der Text zur Ökobilanz bekommt einen Index von 8, der Wert fällt bei Mihm in die Kategorie für einen schwierigen Text. Reading-Ease nach Toni Amstad (1978). Er hat die englische Formel für das Deutsche neu berechnet. Der Verständlichkeitsindex (VI) setzt die Variable der Wortlänge (Anzahl der Silben) und der Satzlänge (Anzahl der Wörter) in eine Beziehung: Die Werte streuen von 0 (sehr schwer verständlich) bis 100 (sehr leicht verständlich). Die Formel ist schlicht, aber die Wortlänge ist ein indirektes Maß der Häufigkeit und Abstraktheit von Wörtern, die Satzlänge ist ein indirektes Maß der syntaktischen Komplexität. Die Online-Berechnung des Amstad-Index auf schreiblabor.com oder https: / / fleschindex.de/ berechnen.php ergibt für den Text über Ökobilanzen einen Index von 38, der Wert fällt in die Kategorie für einen schwierigen Text (Abruf: 02.07.2018). Lesbarkeitsindex (LIX) nach Björnsson (1968), der sich aus der Summe der durchschnittlichen Satzlänge eines Textes und des prozentualen Anteils langer Wörter (mehr als sechs Buchstaben) ergibt. Es werden fünf Schwierigkeitsstufen unterschieden. 39 Aufgrund welcher sprach-statistischer Zählungen er umskaliert, wird leider nicht berichtet. <?page no="322"?> 322 11 Texte evaluieren und optimieren Der Text zur Ökobilanzierung bekommt nach online-Eingabe auf https: / / www.psychometrica.de/ lix.htm einen LIX von 59,3, das fällt in die Kategorie hohe Komplexität (Abruf: 02.07.2018). Index nach Dickes & Steiwer (). Während bisher nur eine Variable der Wortschwierigkeit und eine der Satzschwierigkeit berücksicht wurden, gründen neu entwickelte Formeln auf einer größeren Anzahl von Variablen. Die Autoren haben 38 linguistische Merkmale berücksichtigt und damit drei Formeln entwickelt: eine Vollformel (mit acht Variablen), eine Computerformel (mit sechs Variablen) und eine einfache Handformel (mit drei Variablen). Eine Kreuzvalidierung der drei Formeln führte zu zufriedenstellenden Koeffizienten. Eine Faktorenanalyse ergab, dass mehr als die Hälfte der Varianz durch die Wort- und die Satzschwierigkeit zustande kommt (Tränkle & Bailer, 1984). Die Autoren vereinfachten deshalb die Formel von Dickes und Steiwer. Deren Index nach der Handformel wird von TextQuest berechnet, das Tool ist kostenpflichtig. Es gibt unzählige weitere Formeln, die sich in der Anzahl der Variablen und den Berechnungen unterscheiden (DuBay, 2004). Vergleichende Berechnungen mit verschiedenen Formeln führen zu zwei überraschenden Ergebnissen: 1. Die Berücksichtigung vieler Variablen ergibt keinen wesentlich genaueren Wert als wenige Variablen (Fey, 1990). 2. Die Befunde aller gängigen Formeln stimmen in ihren Ergebnissen stark überein (Kercher, 2013). Kritische Würdigung. Seit eine elektronische Auswertung von Texten möglich ist, haben Formeln eine Renaissance erfahren, obwohl die Kritik nicht verstummt ist (Duffy, 1985). In den Textanalyseprogrammen, die in Kap. 11.6 vorgestellt werden, sind mehrere Formeln berücksichtigt. 1. Vor dem Hintergrund eines kommunikativen Ansatzes der Verständlichkeit bleiben die Messungen weit hinter den theoretischen Einsichten zurück. In die Formeln gehen allein formal-stilistische Merkmale der Textoberfläche ein, für einen unzusammenhängenden Wortsalat lässt sich auch eine positiver Wert berechnen. Wichtige Verstehensbedingungen wie die lokale und globale Kohärenz, die inhaltliche Organisation oder die Verständlichkeit von Sprechakten sind nicht berücksichtigt. 2. Das Vorverständnis der Adressaten wird nicht berücksichtigt. So können versierte Lesende mit domänenspezifischem Vorwissen sicher mit komplexeren Konstruktionen umgehen als wenig kompetente Leser ohne Vorwissen: Interessanterweise korrelieren auch die Indizes gebräuchlicher Formeln nicht mit den subjektiven Einschätzungen der Verständlichkeit von Studierenden (Heydari, <?page no="323"?> 323 11.4 Verständlichkeitsformeln und -indizes 2012). Grundsätzlich kann eine Formel für unterschiedliche Adressatengruppen normiert werden, ein Wert ist dann für eine Gruppe akzeptabel, für eine andere aber nicht. Dies geschieht vor allem für Schulstufen oder Laien und Experten. 3. Der Wert gibt keinen Hinweis, in welche Richtung und an welchen Passagen ein Text verbessert werden soll. Wie eine Schulnote bietet ein Index keine qualitative Rückmeldung und damit keine Hinweise zur Optimierung. Der praktische Wert für den Verständlichmacher ist gering, von Schnotz (1994) wird er so karikiert: „Mit kurzen Wörtern kurze Sätze bilden.“ Trotz dieser Kritik werde ich mich an dem üblichen Lesbarkeitsformeln-Bashing nicht beteiligen. Die zwei Faktoren der Wort- und der Satzschwierigkeit sind ohne Zweifel Indikatoren der lexikalischen und syntaktischen Verständlichkeit. Große textproduzierende Institutionen nutzen Lesbarkeitsformeln als grobes Filterverfahren. Eingebettet in andere Maßnahmen kann eine Formel eine erste Einschätzung liefern. Der Wert der Verständlichkeitsindizes ist beschränkt, aber auch nicht zu vernachlässigen. Dazu ein anekdotischer Beitrag: In meiner Zeit als wissenschaftlicher Redakteur im Funkkolleg lagen mir immer wieder schwer verständliche Texte von Experten vor. Einige Autorinnen und Autoren waren für eine qualitative Rückmeldung dankbar, aber einige blieben uneinsichtig, was verständnissichernde Eingriffe in ihren Text betraf. Mein Trick: Ich berechnete eine Formel und meldete das Ergebnis zurück: „Nach der Formel von Amstad erreicht Ihr Text einen Index von 21, ist also schwer verständlich.“ Der Wert wurde meist akzeptiert und war eine Basis, um konkrete Veränderungen vorzuschlagen und durchzusetzen. Wissenschaftler sind mit quantitativen Angaben oft zu beeindrucken. Obwohl die Lesbarkeitsforschung regelmäßig als reduktionistisch und wenig nützlich kritisiert wird, geht die Suche nach einer Verständlichkeitsformel unverdrossen weiter (DuBay, 2004; Benjamin, 2012). Dabei werden die Variablen immer komplexer und werden aus kognitiven Verstehenstheorien abgeleitet. Ein Beispiel ist die Entwicklung einer Formel im Kontext der Verstehenstheorie von Walter Kintsch (Kintsch & Vipond, 1979; Miller & Kintsch, 1980, ausführlich referiert in Grabowski, 1991, S. 54ff.). Für den Praktiker sind diese Ansätze nicht brauchbar. <?page no="324"?> 324 11 Texte evaluieren und optimieren 11.5 Verständlichkeitsratings Ein Rating ist eine quantitative Einschätzung einer Variablen mit einer Skala, gewöhnlich mit 5 oder 7 Stufen. Nach der Lektüre eines Textes sollen Adressaten oder Experten dessen Verständlichkeit einschätzen: schwer verständlich 1 - 2 - 3 - 4 - 5 - 6 - 7 leicht verständlich Eine Skala ist nicht sehr valide, es sollten mehrere Dimensionen der Verständlichkeit einschätzt werden. In diesen Wert gehen Einschätzungen des Verstehensprozesses und des Verständnisses ein und damit des empfundenen kognitiven Aufwands. Ratings sollten Personen aus der Adressatengruppe abgeben, oft werden aber Experten herangezogen, weil dies einen geringeren Aufwand bedeutet. Die Validität dieser Ratings ist jedoch begrenzt, denn der Experte schätzt retrospektiv sein Verstehen und sein Verständnis ein, und das kann von Personen aus der Adressatengruppe abweichen. Er müsste sozusagen den Text mit dem Gehirn eines Adressaten lesen. Hamburger Verständlichkeitskonzeption Sehr beliebt in deutschsprachigen Ländern ist die Hamburger Konzeption der Verständlichkeit. Sie ist in verschiedenen Bereichen, z. B. der Lehrbuchgestaltung oder der technischen Kommunikation weit verbreitet. Eine Arbeitsgruppe hat sie entwickelt und empirisch überprüft (Langer et al., 1973). Aus einer Sammlung von Adjektiven zur Beurteilung von Texten (langweilig, flüssig, anschaulich usw.) wurden 18 bipolare Skalen (z. B. interessant - langweilig; flüssig - holprig) zusammengestellt. Experten, hier Lehrer, schätzten mit diesen Skalen 27 verschieden formulierte Sachtexte ein. Aus diesen Daten wurden mittels einer Faktorenanalyse vier Dimensionen der Textverständlichkeit konstruiert (= Verständlichmacher): ▶ Sprachliche Einfachheit: geläufige Wörter; Fachwörter erklärt; kurze Sätze; konkrete und anschauliche Darstellung. Hier steckt wieder die Wort- und die Satzschwierigkeit. ▶ Gliederung/ Ordnung: übersichtliche und folgerichtige Darstellung; nachvollziehbarer roter Faden; typografische Visualisierung der Inhaltsstruktur. Dieses Merkmal gewinnt mit der Länge eines Textes an Bedeutung. <?page no="325"?> 325 11.5 Verständlichkeitsratings ▶ Kürze/ Prägnanz: auf das Wesentliche beschränkt; keine unnötigen Details; knappe und konzentrierte Darstellung, auf die kommunikative Intention ausgerichtet. ▶ Zusätzliche Stimulanz: anregende, interessante, abwechslungsreiche und persönliche Darstellung; rhetorische Figuren, Humor, anregende Bebilderung. Die Texte wurden anschließend Schülern zum Lesen vorgelegt und als Indikator des Verständnisses die Beantwortung von Fragen zu den Texten erhoben. Es zeigte sich, dass eine optimale Verständlichkeit nicht durch Höchstwerte auf allen vier Skalen erreicht wird. Höchstwerte sind bei „Einfachheit“ und „Gliederung/ Ordnung“ notwendig, bei „Prägnanz“ und bei „zusätzlicher Stimulanz“ sind mittlere Werte ausreichend, wenn „Gliederung/ Ordnung“ den Höchstwert erhält (Bild 29). Sprachliche Einfachheit + + Gliederung/ Ordnung + + Kürze/ Prägnanz + / 0 Zusätzliche Stimulanz + / 0 Bild 29: Verständlichkeitsfenster mit der Bedeutung der vier Kennwerte im Hamburger Modell. Die zugrundeliegende Skala: + + / + / 0 / - / - - Mit dem Verfahren wurden unterschiedlichste Texte optimiert und dann mit den Originaltexten in verschiedenen Verstehensindikatoren verglichen, wobei die optimierten Texte immer besser verstanden wurden. Die Autoren stellten ein Training zusammen, mit dem Rater in den vier Dimensionen geschult werden, um dann als Experten Texte valide einschätzen zu können. Kritische Würdigung. Trotz der Verbreitung des Verfahrens wurde mit Kritik von wissenschaftlicher Seite nicht gespart (z. B. Hofer, 1976). 1. Das Hamburger Modell wurde induktiv-empirisch entwickelt und experimentell mehrfach bestätigt. Auf den vier Dimensionen optimierte Sachtexte wurden besser verstanden als die Originalversionen. Das Modell bleibt aber theorielos, es ist keine Theorie des Verstehens hinterlegt. 2. Das Ergebnis einer Faktorenanalyse ist stark von den Skalen abhängig, die zur Texteinschätzung eingesetzt wurden. Es sind noch andere bipolare Skalen möglich, die vielleicht zu anderen Faktoren geführt hätten. Die Dimensionen stimmen allerdings gut mit deduktiv ermittelten Dimensionen der Verständlichkeit überein (Groeben, 1981). <?page no="326"?> 326 11 Texte evaluieren und optimieren 3. Gegenüber den Lesbarkeitsformeln berücksichtigt das Modell auch Merkmale der inhaltlichen Organisation und rhetorische Merkmale der zusätzlichen Stimulanz. Aber es werden wieder nur Textmerkmale erfasst, die jeweiligen Adressaten bleiben außen vor. 4. Die vier Ratings setzen ein retrospektives Urteil über eine ganze Liste von Textmerkmalen voraus. Die Validität der Einschätzung hängt stark von der Sprachkompetenz des Raters ab, denn der trainierte Experte ist das Messinstrument (Biere, 1989)! In einer Untersuchung von Britton, Gulgoz & Glynn (1993) zeigt sich, dass sogar untrainierte Studierende bei unterschiedlichen Textversionen die Lernergebnisse und damit die Verständlichkeit für ihre Adressatengruppe recht gut vorhersagen konnten. Offenbar ist es durchaus möglich, den Einsatz von Ressourcen beim Verstehen einzuschätzen. 5. Die Werte in den vier Dimensionen geben wenigstens die Richtung an, in der ein Text verbessert werden sollte. Die Konzeption der Verständlichkeit ist intuitiv plausibel und die Anwendung schnell erlernbar und durchführbar. Trotz anhaltender Kritik an der Hamburger Konzeption hat sie sich bei Praktikern durchgesetzt. Ein Verständlichkeitsexperte sollte dieses Werkzeug beherrschen. 6. Norbert Groeben (1972) hat auf theoretisch-deduktivem Weg aus verschiedenen Theorien ebenfalls vier Dimensionen der Verständlichkeit abgeleitet, die grob den Dimensionen der Hamburger Konzeption entsprechen. Bei einer empirischen Überprüfung war der Faktor der inhaltlichen Strukturiertheit mit Abstand am wichtigsten für das Verständnis. Fragebögen zur Verständlichkeit Regina Jucks (2001) hat die Hamburger Konzeption in drei Fragebögen zur Einschätzung der Verständlichkeit überführt: eine Version für Experten, eine für Laien und eine, in der Experten die Verständlichkeit für Laien einschätzen sollten. Der Fragebogen konnte gut zwischen der Verständlichkeit von Texten für Experten und für Laien und zwischen Originaltexten und optimierten Texten unterscheiden. Ein besonders interessanter Befund: Experten konnten die Verständlichkeit für Laien recht gut einschätzen. Dieser Befund unterstützt den Einsatz von Usability-Methoden, bei denen Experten die Verständlichkeit von Texten für Laien beurteilen wie z. B. das Cognitive Walkthrough (Kap. 11.4). Einen theoretisch wie methodisch sehr sorgfältig entwickelten Fragebogen zur Messung der Verständlichkeit hat Marcus Friedrich (2017) vorgelegt, wobei <?page no="327"?> 327 11.5 Verständlichkeitsratings das Konstruktions-Integrations-Modell von Walter Kintsch (1988) Pate stand. „Insgesamt scheinen Fragebögen der gangbarste Weg zu sein, um das vorgestellte Konzept der Textverständlichkeit zu operationalisieren. Die Lesenden müssten in diesem Fragebogen darüber Auskunft geben, wie reibungslos sie einen bestimmten Text in einer bestimmten Situation zu einem bestimmten Zweck verarbeiten konnten“ (Friedrich, 2017, S. 139). Der Fragebogen wird nach der Lektüre eines Textes bearbeitet. Er besteht aus Aussagen, die mit einer fünfstufigen Skala beantwortet werden müssen. Die Fragen beziehen sich auf zehn Aspekte der Verständlichkeit: Wortschwierigkeit, Satzschwierigkeit, Argumentdichte, Propositionsdichte, Inferenzbildung, Reinstatements, Reorganisationen, Anschaulichkeit, Hervorhebung der wichtigen Inhalte, abwechslungsreiche Sprache. Als elfte Dimension wurde das allgemeine Verständlichkeitsempfinden erfasst. Jede Dimension wurde zunächst mit fünf Items operationalisiert. Nach sorgfältigen Vortests zur Verständlichkeit der Items, der Reliabilität der Messung und der Eindimensionalität der Skalen wurden 24 Aussagen in den endgültigen Fragebogen übernommen. Als Beispiele fünf Items aus dem Fragebogen, in Klammern die Dimension der Verständlichkeit, die sie vertreten. Alle Items werden mit einer bewährten Zustimmungsskala beantwortet: stimmt nicht - stimmt eher nicht - stimmt teilweise - stimmt eher - stimmt genau Ich fand den Satzbau oft zu kompliziert. (Satzschwierigkeit) Bei manchen Wörtern war ich mir nicht sicher, was sie bedeuten. (Wortschwierigkeit) Der Text war monoton. (abwechslungsreiche Sprache) Eine Liste aller Personen, Gegenstände oder Themen, die im Text vorkamen, wäre sehr lang. (Argumentdichte) Alles in allem war der Text leicht zu verstehen. (Verständlichkeitsempfinden) Friedrich hat den Fragebogen in mehreren Studien getestet, wobei sechs Dimensionen reliabel und valide gemessen werden konnten. Problematisch war die durchschnittliche Anzahl von Argumenten und Propositionen in den Sätzen, was allerdings wenig verwundert, da diese komplexen Variablen schwer in Fragen zu operationalisieren sind. Kritisch lässt sich anmerken, ob die Fragen tatsächlich die Verstehenstheorie von Kintsch operationalisieren oder vergleichbar der Hamburger Konzeption nur einige plausible Dimensionen der Verständlichkeit abfragen. Der Fragebogen kann noch verbessert werden, ist aber insgesamt ein durchaus brauchbares Instrument in der Hand des Praktikers. <?page no="328"?> 328 11 Texte evaluieren und optimieren Ein weiterer Fragebogen wurde im Projekt PopSci zur Verständlichkeit populärwissenschaftlicher Texte entwickelt (Wolfer, Held & Hansen-Schirra, 2015). Er bezieht sich auf mehrere Verständlichkeitskonzeptionen, unter anderem auch auf das Hamburger Modell. Auch hier hat sich der Fragebogen bewährt: Das Autorenteam konnte nachweisen, dass Texte, die laut Fragebogen als verständlich eingeschätzt wurden, auch schneller gelesen werden, also weniger Ressourcen erfordern. 11.6 Checklisten Prüflisten zur Ermittlung von Defiziten und Mängeln sind beliebte Instrumente in der Qualitätssicherung, da sie einfach handhabbar sind. Sie werden gewöhnlich von Experten eingesetzt, die mit Checklisten überprüfen, ob Richtlinien in Guidelines oder Redaktionshandbüchern umgesetzt wurden. Eine Checkliste kann zwei Typen von Items enthalten: Fragen, die beantwortet werden, oder Statements, deren Zutreffen eingeschätzt wird. Die Qualität und Validität einer Checkliste kann sehr unterschiedlich ausfallen. Zum Erfassen der Verständlichkeit eines Textes und zum Erstellen einer Mängelliste können Checklisten eine nützliche Rolle spielen. Ein Vorteil springt ins Auge: In die Checkliste können auch Merkmale aufgenommen werden, die sonst vernachlässigt werden: interessante Aufmachung, ergänzende Bilder, Hervorhebungen wichtiger Begriffe, leserliche Typografie, übersichtliches Layout, humorvolle Darstellung, didaktische Zusatztexte usw. Demgegenüber stehen drei kritische Punkte: 1. Eine Checkliste kann mehr oder weniger gut theoretisch fundiert sein. Manchmal handelt es sich nur um eine handgestrickte Auflistung von Items, die den Praktikern wichtig erscheinen. 2. Die Items können allgemein oder speziell formuliert sein. Man spricht von unterschiedlicher Granularität. Ein Item wie „Der Text ist anschaulich“ verlangt ein globales Urteil, ein Item wie „Der Text enthält viele Metaphern“ lässt sich ohne theoretisches Wissen nicht beurteilen. 3. Viele Checklisten erlauben nur eine Ja- und Nein-Alternative, was aber vielen abgestuften (= graduellen) Merkmalen nicht gerecht wird. So kann z. B. die Anschaulichkeit valider mit einem Rating erfasst werden. Zum Verständlichkeitscheck liegen nur wenige Prüflisten vor, die Mindestanforderungen genügen. Dazu drei Beispiele: <?page no="329"?> 329 11.6 Checklisten Checkliste von Gagné & Bell Aus vorliegenden Theorien und Untersuchungen werden 15 verstehensrelevante Merkmale herausgefischt und 4 Ebenen der Verarbeitung zugeordnet (Gagné & Bell, 1980). Ich liste hier nur die Variablen auf und lasse ihre - teils problematische - Operationalisierung aus. Bildung von Mikropropositionen: Worthäufigkeit, Satzkomplexität, Teilsatzkomplexität, lexikalische Mehrdeutigkeit Integration von Mikropropositionen: mehrdeutige Koreferenzen, Konsistenz der Benennungen, Distanz der Referenzen, Reinstatements Bildung von Makropropositionen: zusammenfassende Vorfragen, Strukturmarkierungen (Signaling) Elaborative Verarbeitung: Lernzielrelevante Fragen, Organizer, Anwendungsfragen, differenzierte Textstruktur, Verständnisfragen Die Autoren haben eine Liste zusammengestellt, mit der sie Lehrbücher evaluieren. Die Liste nimmt den (damaligen) theoretischen Stand der Verstehensforschung auf, behandelt aber Verständlichkeit als reines Merkmal des Textes. Die Konzeption wurde bisher nicht empirisch validiert, also mit anderen Verfahren verglichen. Eine komplexe Checkliste hat der Niederländer Jan Renkema (2009) für ein verständliches Design von Verwaltungsdokumenten in Zusammenarbeit mit Beamten und betroffenen Bürgern entwickelt. Drei Kriterien der Verständlichkeit werden unterschieden: Correspondence, Consistency, Correctness (CCC). Korrespondenz: Übereinstimmung zwischen den Intentionen der Absender und den Intentionen oder Bedürfnissen der Adressaten. Konsistenz: Einheitlicher Einsatz der didaktischen Mittel innerhalb eines Textes. Korrektheit: Fehlerfreiheit und Einhalten der Konventionen für eine Textsorte. Das Modell ist vom Ansatz her kommunikativ konzipiert, es behält konsequent eine Balance zwischen den Intentionen des Absenders und den Intentionen des Adressaten im Fokus. Die Anwendung der CCC-Checkliste auf vorhandene Texte setzt erfahrene Evaluatoren und Lektoren voraus, die aus der jeweiligen Wissensdomäne stammen. Checkliste zum Cognitive Walkthrough Die Methode des Cognitive Walkthrough stammt aus der Evaluation von Websites und wurde auf die Untersuchung von Textverstehen übertragen. Dabei lesen Experten einen Text sorgfältig durch, meist mit Hilfe einer Checkliste, <?page no="330"?> 330 11 Texte evaluieren und optimieren streichen schwierige Passagen an und erstellen daraus eine Schwachstellenanalyse. Diese dient dann als Vorgabe für eine Textrevision. Dabei sollte es sich nicht nur um einen Experten für Verständlichkeit handeln, sondern er sollte sich auch in der jeweiligen Wissensdomäne auskennen. Über die verschiedenen Varianten der Methode informieren Mahatody, Sagar und Kolski (2010). Seit Jahren arbeite ich mit einer Checkliste, in die der vorgestellte kommunikative Ansatz eingegangen ist. Die Liste besteht aus sechs Blöcken: 1. Grundlage einer kommunikativ orientierten Verständlichkeit ist die Bestimmung und Profilierung der Adressatengruppe. Die Checkliste dazu besteht aus Fragen, während in den anderen Blöcken Zielvorgaben formuliert werden. 2. Da sich die inhaltliche Organisation als zentrale Variable der Verständlichkeit herausgestellt hat, wird sie als Erstes unter die Lupe genommen. 3. Die lexikalische Verständlichkeit, also der Gebrauch von schwierigen Wörtern, vor allem Termini wird überprüft. 4. Die syntaktische Verständlichkeit wird gecheckt, vor allem komplexe Satzkonstruktionen. Als Unterstützung für 3. und 4. kann ein Textanalyseprogramm genutzt werden (TextLab). 5. Die pragmatische Verständlichkeit wird gecheckt, was eine schwierige Aufgabe darstellt, hier ist besonders Sprachgefühl erforderlich. 6. Schließlich wird der Einsatz rhetorischer Mittel zur textinduzierten Motivation überprüft. Zusammenfassend wird eine Schwachstellenanalyse des Textes erstellt, die als Grundlage für eine Revision dient. Mithilfe dieser Checkliste werden alle wesentlichen Dimensionen der Verständlichkeit berücksichtigt. . Adressatenanalyse 1.1. Für welche Adressatengruppe ist der Text? Stichworte: eine homogene Gruppe, mehrere abgrenzbare Gruppen, heterogene Gruppe. Besondere Gruppen: Senioren, Frauen/ Männer, behinderte Menschen 1.2 Mit welchen Motiven und Intentionen lesen die Adressaten den Text? Stichworte: freiwillige oder gezwungene Lektüre; Nachschlagen, Wissen Erwerben bzw. Lernen, Entscheiden, Handeln 1.3 Welches textspezifische Vorwissen bringen die Adressaten mit? Stichworte: Ausbildungsniveau; Experten, Laien, professionelle Nichtexperten <?page no="331"?> 331 11.6 Checklisten 1.4 Von welchen Lesekompetenzen kann man ausgehen? Stichworte: Lesefähigkeit, Lernstile, Einsatz von Lerntaktiken 1.5 Welcher Sprachgebrauch herrscht vor? Stichworte: Elaborativer oder restringierter Sprachgebrauch, Fachsprache 1.6 Welche Mentalitäten und Einstellungen muss man in Rechnung stellen? Stichworte: konservativ, progressiv, siehe dazu Sinusmilieus 1.7 Bei anleitenden Texten: Welche motorischen Voraussetzungen bringen die Adressaten mit? Stichworte: prozedurales Wissen, Feinmotorik, Geschicklichkeit . Textorganisation 2.1 Der Text ist übersichtlich und nachvollziehbar gegliedert. Stichworte: Textschemata, inhaltliche und formale Überschriften, Inhaltsverzeichnis 2.2 Der Text macht von sprachlichen Strukturmarkierungen Gebrauch. Stichworte: Signaling, Topic Marker, Topic-Wechsel 2.3 Die Textorganisation ist typografisch visualisiert. Stichworte: Absätze, ausgezeichnete Textbausteine 2.4 Die Sätze sind miteinander verknüpft, es gibt einen roten Faden und keine Kohärenzlücken. Stichworte: verständliche Substitutionen, eindeutige Bezüge der Proformen, explizite Konnektoren 2.5 Didaktische Zusatztexte sind adressatenorientiert eingesetzt. Stichworte: Organizer, Zusammenfassung, Merksätze, Glossar, Selbstkontrollaufgaben . Lexikalische Verständlichkeit 3.1 Termini für die Fachkommunikation sind definiert und werden konsistent verwendet. Stichworte: explizite Definitionen 3.2 Ungebräuchliche Wörter und Fremdwörter werden vermieden. Stichworte: Anglizismen, Archaismen 3.3 Ungebräuchliche Akronyme und Abkürzungen werden bei der ersten Verwendung ausgeschrieben. 3.4 Lange zusammengesetzte Wörter (Komposita) werden vermieden. Stichworte: maximal drei Lexeme, Schreibung mit Bindestrich 3.5 Es werden keine unnötigen abstrakten Nominalisierungen verwendet. Stichwort: Plastikwörter <?page no="332"?> 332 11 Texte evaluieren und optimieren . Syntaktische Verständlichkeit 4.1 Es gibt keine bzw. wenige Satzgefüge mit mehr als zwei Nebensätzen. Stichworte: Schachtelsätze, Einbettungen 4.2 Komplexe schwer verständliche Satzkonstruktionen werden vermieden. Stichworte: regressive, passive und verneinende Konstruktionen 4.3 Es gibt keine Umklammerungen und Einbettungen; zueinandergehörige Satzteile stehen beisammen. Stichworte: Partikelverben, mehrteilige Prädikate 4.4 Es gibt wenige Nominalkonstruktionen. Stichworte: Nominalstil, Funktionsverbgefüge, Infinitivsätze, Satzgliedketten 4.5 Die Teilsätze sind in einer sachlogischen Abfolge angeordnet. Stichworte: Chronologie, Kausalität 4.6 Es gibt keine überflüssigen Füllfloskeln. Stichworte: Partikelwörter, Phrasen . Pragmatische Verständlichkeit 5.1 Vage und indirekte Sprechakte werden im Text vermieden. Stichwort: explizite performative Ausdrücke 5.2 Beschreibende Textteile ermöglichen die Konstruktion sensorischer Vorstellungen und mentaler Modelle. Stichwort: Nachvollziehbarkeit 5.3 Anleitungen sind eindeutig und konsistent formuliert. Stichworte: Gebote, Verbote, Warnungen 5.4 Der Standpunkt (Behauptung, Forderung), für oder gegen den argumentiert wird, ist klar formuliert. Stichwort: Einsatz performativer Verben 5.5 In der Argumentation sind keine versteckten Prämissen zu finden. Stichwort: normative Prämissen 5.6 Behauptungen und Begründungen sind explizit aufeinander bezogen? Stichwort: Verwendung von Konnektoren 5.7 Die Stärke der vorgebrachten Argumente wird mitgeteilt. Stichworte: A-, B- und C-Argumente 5.8 Liegen schwerwiegende argumentative Fehler vor? Stichworte: Pseudoerklärungen, naturalistischer Fehlschluss, Zirkelschlüsse <?page no="333"?> 333 11.7 Textanalyse-Software . Textinduzierte Motivation 6.1 Der Text ist anschaulich formuliert. Stichworte: bildhaftes Vokabular, Metaphern 6.2 Es werden Stilmittel der Akzentuierung von Aussagen eingesetzt. Stichworte: rhetorische Mittel wie Anapher, Emphase, Apanalepse u. a. 6.3 Es sind Stilmittel der kognitiven Stimulanz eingesetzt. Stichworte: offene Fragen, Humor, emotionale Aussagen, dialogische Stilmittel wie persönliche Ansprache Die Methode ist nicht aufwendig, aber ihr großer Nachteil besteht darin, dass die tatsächlichen Adressaten nicht an der Prüfung des Textes beteiligt sind. Der Experte registriert zunächst seine Verstehensprozesse und muss versuchen, sich in die Köpfe der Adressaten zu versetzen, deren Profil er im ersten Block ermittelt hat. Der Experte geht sozusagen in den Schuhen der Adressaten einen Text durch und vermerkt mögliche Verstehensklippen. Die Checkliste hat sich in der Praxis bewährt, wurde bisher aber nicht empirisch überprüft. 11.7 Textanalyse-Software Der Einsatz von Computern erlaubt die Auszählung und Verrechnung zahlreicher Textmerkmale. Die Programme sind inzwischen so ausgereift, dass man als Verständlichmacher nicht auf ihre Unterstützung verzichten sollte, weniger für die Berechnung von Indizes als für das Auffinden kritischer Textstellen. Dabei kann ein Textanalyseprogramm einen Lektor oder eine Lektorin nicht ersetzen, sondern nur ihre Arbeit unterstützen. Es sind zahlreiche Programme für die Textanalyse verfügbar. Es gibt kostenlose Tools, deren theoretischer Hintergrund unbekannt ist, z. B. das Blablameter, das einen Bullshit-Index berechnet. Für den professionellen Bereich ist ein kostenpflichtiges Tool sinnvoll, das meist einen erheblich breiteren Funktionsumfang hat und nicht nur ein paar Kennwerte, sondern auch eine qualitative Rückmeldung anbietet. Für eine professionelle Textanalyse und Textüberarbeitung unter der Perspektive der Verständlichkeit sollte ein Tool folgende Kriterien erfüllen: Zusatzmaterial 18: Checkliste zum Ausdrucken <?page no="334"?> 334 11 Texte evaluieren und optimieren ▶ Unter kommunikativer Perspektive muss es möglich sein, das Tool auf der Basis einer Adressatenanalyse an die jeweilige Zielgruppe anzupassen. ▶ Zudem sollte die Möglichkeit gegeben sein, das Tool an die jeweilige Textsorte anzupassen: Fachtexte sollten anders bewertet werden als z. B. journalistische Texte oder juristische Texte. ▶ Als verstehensrelevante Kennwerte für einen Text sollten für die lexikalische Verständlichkeit nicht nur die Wortlänge in Buchstaben oder Silben erhoben werden, sondern auch die Morphemstruktur eines Wortes. ▶ Die syntaktische Komplexität sollte nicht nur über die Satzlänge, sondern durch linguistisch anspruchsvollere Variablen erfasst werden, z. B. Anzahl der Satzglieder, Anzahl der Konjunktionen u. a. ▶ Sehr wichtig für die Verständlichkeit ist ein Maß für die Kohäsion eines Textes, durch Variablen wie Proformen, Konnektoren, Anapherdistanz, Topic Marker usw. ▶ Die Anzeige von Problemstellen ist für eine Überarbeitung nützlich, Vorschläge für eine Umformulierung können in bestimmten Fällen sinnvoll sein, z. B. um in technischer Dokumentation eine konsistente Wortwahl zu gewährleisten. ▶ Das Tool sollte in die gängigen Schreibprogramme wie WORD, Pages usw. eingebunden werden, damit der Autor nicht immer zwischen dem Schreibprogramm und dem Analysetool hin- und herspringen muss. ▶ Nice to have: Eine Stilanalyse, die den Schreibenden Besonderheiten ihres Schreibstils rückmeldet. Eine Überprüfung kann während des Schreibens stattfinden und dem Autor oder der Autorin online eine Rückmeldung geben. Das wird aber oft als Störung und als Gedankenbremse empfunden. Das Programm TextLab stelle ich etwas ausführlicher dar, andere Tools werden nur kurz skizziert. TextLab Die Sprachsoftware wurde primär nicht für wissenschaftliche Zwecke, also für Inhalts- oder Korpusanalysen entwickelt, sondern speziell zur Optimierung der Verständlichkeit von Unternehmenskommunikation und politischer Kommunikation. Sie wird seit 2006 von dem H&H CommunicationLab in Ulm in Kooperation mit der Universität Hohenheim entwickelt und upgedatet. Theoretische Grundlage ist das sogenannte Hohenheimer Modell der Verständlichkeit <?page no="335"?> 335 11.7 Textanalyse-Software (Kercher, 2013). Das Tool umfasst Module für Sprachstatistik, Verständlichkeit, Terminologie, Sentiment, Gendergerechte Sprache, Corporate Language. Als Textsorten sind standardmäßig Normen für Briefe, Fachtexte, Webtexte hinterlegt. Dazu wurden Korpora von Texten analysiert und auf dieser Basis Zielwerte und Negativwerte festgelegt. Nutzer der Software können auch Einstellungen und Vorgaben für selbstdefinierte Textsorten und Adressaten hinterlegen. So kann man z. B. entscheiden, welche Satzlänge oder wie viele Nominalisierungen man den Adressaten zumuten möchte. TextLab wird in vier Formen angeboten: Online als internetbasierter Dienst, als WORD-Plugin, als Inhouse-Installation für Unternehmen und es kann prinzipiell per Schnittstelle jede API-kompatible Software ansprechen (https: / / www. text-lab.de). Zur Demonstration benutzen wir wieder den Text über Ökobilanz (Bild 31). Er wird auf der Startseite des Programms in ein Textfeld kopiert. Oben rechts wird aus einem Menü die Textsorte ausgewählt, hier Fachtext. Mit einem Klick wird die Analyse gestartet. Das Bild 30 zeigt das Ergebnisfenster. Bild 30: Screenshot des Tools TextLab, in dem der Text über Ökobilanz eingegeben ist. Unter Verständlichkeit ist die Variable „Abstrakte Substantive“ angeklickt. Ergebnis: Im Text sind 11 Prozent abstrakte Substantive, als Zielwert sind maximal 6 Prozent angesetzt. Oben links wird der Hohenheimer Index nummerisch und grafisch angezeigt: Der Ökobilanztext bekommt nur eine 5,01 und bleibt damit im roten Bereich. <?page no="336"?> 336 11 Texte evaluieren und optimieren Vier weitere Verständlichkeitsformeln findet man unter Statistiken. Zusätzlich werden 26 verständlichkeitsrelevante Variablen ausgezählt. Mithilfe umfangreicher Terminologie-Datenbanken können Floskeln, Füllwörter, Fremdwörter, Fachwörter für bestimmte Domänen (Medizin, Jura) und Anglizismen aufgespürt werden. Verstöße gegen eine verständliche Sprache werden unter dem Reiter „Übersicht“ rechts neben dem Text je nach Abweichung vom Zielwert mit einer roten oder gelben Ampel angezeigt. Wird ein Parameter wie z. B. „Abstrakte Substantive“ angeklickt, erscheint darüber auf einer Farbskala der Zielwert für die Textsorte (hier 6-Prozent) und der erreichte Wert (10,62 Prozent). Im Text sind die monierten Stellen rot hervorgehoben. Geht man mit der Maus auf eine rote Markierung, so erscheint ein Popup mit einem Hinweis zum Verstoß und manchmal konkreten Veränderungsvorschlägen. Das ermöglicht eine schnelle Übersicht, wo ein Optimierungsbedarf besteht. Das Denken wird dem Autor nicht abgenommen, sondern nur eine Hilfestellung angeboten. Der Autor bzw. die Autorin kann den Text im Fenster modifizieren und abspeichern. Die Klartext-Initiative der Universität Hohenheim hat mit diesem Tool Wahlprogramme, CEO-Reden und Bankunterlagen untersucht. Von der wissenschaftlichen Seite gibt es nach unserer Liste noch einige Desiderate. Vor allem fehlt ein Maß der Textkohärenz, das dürfte nicht ganz einfach sein, aber andere Textanalyseprogramme wie Coh-Metrix für die englische Sprache haben das bereits versucht (Graesser, McNamara & Kulikowich, 2011). Zur Überarbeitung von Texten ist das Tool in der Hand von Experten aber empfehlenswert. Weitere Tools Ein paar weitere Tools zur Analyse deutscher Texte sollen noch kurz vorgestellt werden, über Details kann man sich auf den jeweiligen Websites informieren: Wortliga. Kostenloses Tool, das nach Kriterien der Hamburger Konzeption der Textverständlichkeit konzipiert wurde. Nach Online-Eingabe des Textes bekommt man eine Rückmeldung, welche verstehensrelevanten Variablen in Ordnung und welche verbesserungswürdig sind. Auf Klick kann man sich die Schwachstellen im Text direkt anzeigen lassen. Der Algorithmus für die Berechnungen ist nicht bekannt. Das Tool ist für Schreiber nützlich, für einen professionellen Verständlichkeitsexperten aber zu schlicht. TextQuest. Es handelt sich um ein Programmpaket, dessen Schwerpunkt auf der computergestützten Inhaltsanalyse liegt (Klein, 2013). In dem Modul „Lesbarkeitsanalyse“ kann Verständlichkeit für das Deutsche mit 14 Formeln <?page no="337"?> 337 11.8 Usability-Labor berechnet werden. Benutzer können kritische Textmerkmale angeben, die dann in einem eigenen oder fremden Text angezeigt werden, z. B. lange Sätze, lange Wörter, Klammern usw. Es wird eine Testversion für MS-Windows und für Apple Mac OS-X angeboten. Verschiedene Lizenzarten und Bundles mit unterschiedlichen Preisen für die Nutzung im akademischen, behördlichen und privaten Bereich. Textanalysen können auch in Auftrag gegeben werden. Weitere Informationen unter www.textquest.de. DeLite. „De“ steht für Deutsch, „Lite“ soll „light“ assoziieren, also leichtes Deutsch. Der Ansatz wurde von einem Autorenteam der Fernuniversität Hagen entwickelt (vor der Brück, Hartrumpf & Helbig, 2008). Zusätzlich zu den üblichen oberflächlichen Variablen der Worthäufigkeit und der Satzkomplexität wurden auch Variablen berücksichtigt, die eine tiefere syntaktische und semantische Analyse notwendig machen. Die Systemarchitektur und die Berechnungen sind kompliziert (vor der Brück, Helbig & Leveling, 2008). DeLite ist ein reines Diagnose-Tool, das nur Hinweise für eine Optimierung des Textes geben kann. Es berechnet nicht nur den globalen Lesbarkeitsindex, sondern zeigt auch die Probleme auf den verschiedenen Levels an. Klickt man auf ein Problem, wird eine entsprechende Textpassage hervorgehoben. Fernziel ist eine individuelle Werkbank zum Schreiben und Überarbeiten, die auf Schwächen der Verständlichkeit bei eigenen und fremden Texten hinweist (Rothkegel, 1995). Hat der Schreibende z. B. einen Hang zu Nominalisierungen, so meldet das Programm, sobald eine Nominalisierung eingetippt wird. Ein Beispiel ist das Programm Papyrus Autor: https: / / www.papyrus.de (Abruf 13.06.2018). 11.8 Usability-Labor Usability-Labore wurden ursprünglich zur Testung von Software und Konsumprodukten entwickelt, sie haben sich jedoch auch zur Evaluation von Texten bewährt: „Usability ist the degree to which texts, regardless of their materiality or mode, effectivley and easly enable people to accomplish their goals“ (Burnett, 2005, S. 308). Zur Evaluation von Texten in Forschungseinrichtungen ist ein Usability-Labor nützlich, in dem verschiedene Messungen quantitativer und qualitativer Variablen durchgeführt werden können. Die Daten können textbasiert (Verständlichkeitsindizes, Terminologiekonsistenz), expertenbasiert (z. B. Hamburger Verständlichkeit, Verfahren des Cognitive Walkthrough) oder leserbasiert (z. B. <?page no="338"?> 338 11 Texte evaluieren und optimieren Wiedergabe, Fragenbeantwortung) sein. Am validesten sind Erhebungen mit Personen aus der Adressatengruppe. Ein Testraum und ein Beobachtungsraum mit Einwegscheibe sind dabei nicht erforderlich, aber folgendes Equipment: ▶ Computer zur Präsentation von Texten auf einem Monitor, auf dem ein Language Checker installiert ist, mit dem auch deutsche Verständlichkeitsformeln berechnet werden können. ▶ Geräte zur Tonaufzeichnung, die eine Dokumentation von verbalen Daten erlauben (Thinking Aloud). ▶ Kameras für Videoaufnahmen, die eine Dokumentation von Verhaltensdaten erlauben. ▶ Arbeitsplätze für Testlesende oder zum Ausfüllen von Fragebögen, auch für Gruppenuntersuchungen (Thinking Aloud für Lesende, Cognitive Walkthrough für Experten); Platz zur Durchführung von Interviews. ▶ Blickaufzeichnungsgerät, um die Fixationen und Sakkaden zu erfassen. Unter den angebotenen Modellen sollte man die wählen, die eine möglichst natürliche Lesesituation ermöglichen. Sogenannte-Remote Eye Tracker-ermöglichen die Durchführung berührungsloser Messungen, bei denen die Vpn keine Stellage auf dem Kopf tragen oder sogar arretiert werden muss. Dazu werden Indikatoren der Verarbeitung erhoben: Learnability, Efficiency, Memorability, Error Recovery, Satisfaction. Die meisten Untersuchungen finden mit den Adressaten von Texten statt, aber es können auch Experten eingesetzt werden (Cognitive Walkthrough). Zusammenfassung 1.-Praktisches Ziel der Verständlichkeitsforschung ist ein Experte für Verständlichkeit, der mit brauchbaren Werkzeugen zur Textanalyse und einem Usability-Labor ausgerüstet, sich als Vermittler zwischen Absender und Adressaten versteht. 2.-Die Adressatenanalyse bleibt das Sorgenkind jeder professionellen Kommunikation. Vor allem die Erfassung des Vorwissens ist entweder aufwendig oder verbleibt im Vorstadium wissenschaftlicher Datenerhebung. 3.-Guidelines für Autorinnen und Autoren zum verständlichen Schreiben können mit einer elektronischen Überprüfung der Regeln gekoppelt werden. Die Ansätze zu einer einfachen Sprache und vor allem zur Leichten Sprache (LS) <?page no="339"?> 339 Zusammenfassung versuchen Allgemeinverständlichkeit zu erreichen, aber bedeuten eine Sprachverarmung, die nur bestimmten Adressatengruppen zugutekommt. Komplexe Inhalte sind damit schwer vermittelbar. 4.- Verständlichkeitsmaße und -formeln stellen grobe Filterverfahren dar, um schwierige Texte zu identifizieren. Die Anzahl der einbezogenen Textmerkmale nimmt in neueren Modellen stetig zu, was die Validität aber nur geringfügig verbessert. Zur Berechnung stehen zahlreiche elektronische Tools zur Verfügung. Verständlichkeitsformeln bleiben aus mehreren Gründen von eingeschränktem Wert: 1. Sie beziehen Vorwissen und Fähigkeiten der Adressaten nicht ein. 2. Sie berücksichtigen keine Variablen der inhaltlichen Organisation von Texten. 3. Sie geben keine konkreten Hinweise, an welcher Stelle ein Text wie verändert werden soll. 5.- Die Hamburger Ratings haben sich zur Erfassung der Textverständlichkeit in vielen Bereichen durchgesetzt. Allerdings werden sie oft hemdsärmelig verwendet, ohne dass das Trainingsprogramm absolviert wurde. Das ist aber erforderlich, um Experten-Ratings abgeben zu können. Die Adressaten werden zudem in diesem Ansatz zu wenig berücksichtigt. 6.- Fragebögen für Adressaten und Checklisten für Experten sind nur valide, wenn sie auf einer theoretischen Basis aufgebaut sind, die dem Anwender auch bekannt ist. Checklisten bedürfen zur sinnvollen Anwendung einer Schulung. Je konkreter die Items formuliert sind, desto brauchbarer ist die Checkliste. 7.- Language Checker haben ein Niveau erreicht, das sie als ein Werkzeug zur Verständlichkeitsdiagnose durchaus interessant macht. Sie überbieten sich in der Anzahl der einbezogenen linguistischen Variablen. Fernziel ist eine individuelle Werkbank zum Schreiben, die den Textproduzenten beim Aufspüren von Verstehensklippen hilft. Das Verständlichmachen bleibt weiter den Experten überlassen. 8.-Textanalyse-Tools haben Einschränkungen, die bisher nicht behoben werden können und vielleicht auch nicht behebbar sind: Inkonsistenzen in der Verwendung von Termini, Mängel der globalen Kohärenz, schwache Argumentationen werden nicht erkannt. Zudem bleibt der Bereich der pragmatischen Verständlichkeit ausgeklammert. 9.-Und bei allem Verständlichmachen bleibt das Problem der inhaltlichen Äquivalenz: Jeder Eingriff in einen Text ist eine Interpretation und jede Formulie- <?page no="340"?> 340 11 Texte evaluieren und optimieren rung setzt andere kommunikative Akzente. Als pragmatische Lösung empfiehlt sich eine konservative Optimierung, die so eng als möglich am Ursprungstext bleibt. <?page no="341"?> 12 Ein kurzer Ausblick Wie ein Leser aus einer Kette von grafischen Gebilden Wissen konstruiert und in sein Wissen integriert, das ist eine unglaubliche Leistung des Gehirns. Wir haben gesehen, welche kognitiven Prozesse daran beteiligt sind und welche Ressourcen sie in Anspruch nehmen. Wir wissen inzwischen, was einen verständlichen Text ausmacht, auch wenn noch die eine oder andere psycholinguistische Finesse dazukommen wird. Werfen wir zum Abschluss noch einen Blick in die Zukunft: Wie geht es in Theorie und Praxis mit dem Thema Verstehen und Verständlichkeit weiter? Theorie Da Verstehen eine der komplexesten Leistungen des menschlichen Gehirns darstellt, liegt noch keine ausformulierte Theorie des Verstehens vor, sondern vortheoretische Modelle, die das Forschungsfeld in zahlreiche Variablen und deren Abhängigkeiten aufteilen, und zahlreiche Teiltheorien für spezielle Texte und Wissensdomänen. Was sind die Desiderate? 1. Theoretisch ist eine kommunikative Einbettung der Verständlichkeit unverzichtbar, um das Problem nicht auf eine erfolgreiche Informationsübermittlung zu verkürzen. Ausgangspunkt ist dabei die mündliche Kommunikation, die schriftliche Kommunikation ist eine reduzierte Form der Verständigung. 2. Eine unübersichtliche Baustelle ist noch die Funktion des Arbeitsgedächtnisses, seiner Fähigkeiten und zeitlichen und kapazitiven Beschränkungen. Ein Flickenteppich verschiedener Befunde kann bisher nicht zufriedenstellend integriert werden. 3. Inferenzen sind das Herzstück des Verstehens, sie verknüpfen das Textwissen mit dem Vorwissen und bilden eine Brücke zum Denken. Wie Inferenzen ausgelöst werden und welche Typen es gibt, ist noch immer ein ungelöstes Problem. Vielleicht bringt die Computerlinguistik hier den Durchbruch, die die Sprachverarbeitung strenger formalisieren und in Algorithmen transformieren muss. 4. Die Theorie der mentalen Repräsentationen ist ebenfalls noch in einem unbefriedigenden Zustand. Selbst der Kernbegriff ‚Konzept‘, den alle Theore- <?page no="342"?> 342 12 Ein kurzer Ausblick tiker forsch benutzen, bleibt nebulös. Was sind genau Konzepte? Wie sind sie strukturiert? Wie werden sie verändert? Wie sind konzeptuelle Netze aufgebaut? Wie sind sie in unserem Gehirn repräsentiert? Vor allem neuropsychologische Befunde könnten uns in den nächsten Jahren weiterbringen, da mit ihnen die Arbeitsteilung beim Verstehen im Gehirn sichtbar gemacht werden kann. 5. Das Verstehen eines Textes geht in das Denken über, ja kann als Denken aufgefasst werden. Dieser Aspekt des emergenten Verstehens wird bisher kaum berücksichtigt. Wenn wir einen Text gelesen haben, bleibt keine isolierte Repräsentation in unserem Gehirn, sondern der neue Text und die vorhandenen Wissensbestände bilden ein schwer beschreibbares Konglomerat. Praxis Für die Praxis liegen trotz Theoriedefiziten ausreichend Erkenntnisse vor, um verständliche Texte in den anfangs genannten Praxisfeldern zu produzieren, es gibt keine Ausrede für schwerverständliche Texte mehr. Trotzdem sieht es hier eher duster aus. 1. In vielen gesellschaftlichen Bereichen herrscht nach wie vor ein Mangel an Verständlichkeit. Dabei ist das verständliche adressatenorientierte Schreiben und Textgestalten eine Schlüsselkompetenz in der Wissensgesellschaft, gleichgültig, ob die Text online oder print gelesen werden. Aber es fehlt oft am Willen zu verständlicher Kommunikation, manchmal ist auch intendierte Schwerverständlichkeit im Spiel. 2. Dieses Buch sollte aufgezeigen: Es fehlt nicht an Werkzeugen zum Verständlichmachen. Die herablassende Bewertung moderner Tools zur Textanalyse sollte einer pragmatischen Einstellung weichen. Es gibt hervorragende Werkzeuge in der Hand eines Experten für Verständlichkeit. Rebekah George Benjamin (2012, S. 84) hat eine Zukunftsvision formuliert: „It seems quite possible that advances in natural language processing and other computerized language systems will reach a point when not only can text difficulty be accurately assessed for an individual but automated adaption can also make informational texts more accessible to a particular reader.“ Eine derartige Texttechnologie ohne Berücksichtigung der kommunikativen Situation ist eher unwahrscheinlich. Es braucht den Experten. 3. Aber professionelle Experten fehlen: Verständlichmacher, Wissensvermittler, Brückenbauer zwischen verschiedenen Wissensdomänen und zwischen Experten und Laien, dabei immer auf Seite der Adressaten. In den Abhandlungen <?page no="343"?> 343 12 Ein kurzer Ausblick zur einer angewandten Linguistik kommt der Verständlichkeitsexperte nicht vor (Becker-Mrotzek et al., 2000; Knapp et al., 2004). Experten für Verständlichkeit gehören in viele staatlichen Institutionen. 4.-Einfache und leichte Sprachen versprechen eine Lösung des Verständlichkeitsproblems, aber erkauft durch eine kommunikative Verarmung der Sprache. Für funktionale Texte und spezielle Adressaten sind sie nützlich, aber sie können keine Richtlinien für wissenschaftliche Prosa oder für eine journalistische Reportage abgeben. Dieses Buch sollte dazu beitragen, Verständlichkeitsexperten mit dem notwendigen Hintergrundwissen und brauchbaren Werkzeugen auszustatten. <?page no="345"?> Literaturverzeichnis Achtziger, Anja, & Gollwitzer, Peter M. (2006). Motivation und Volition im Handlungsverlauf. In Jutta Heckhausen & Heinz Heckhausen (Hrsg.), Motivation und Handeln (S. 277-302). Berlin/ Heidelberg: Springer. Adamzik, Kirsten (2018). Fachsprachen: Die Konstruktion von Welten. Tübingen: A. Francke. Amstad, Toni (1978). Wie verständlich sind unsere Zeitungen? -Unveröffentlichte Dissertation. Universität Zürich. 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Psychological Science, , S. 292-297. <?page no="387"?> Abbildungen Bild 1: Modell der Kommunikation Bild 2: Textverständlichkeit als Kooperation Bild 3: Tabelle der Kommunikationsformen Bild 4: Hermeneutische Spirale Bild 5: Wahrnehmungsspanne Bild 6: Abdecktest Bild 7: Semiotisches Dreieck Bild 8: Konzeptuelles Netz Vogel Bild 9: Konzeptuelles Netz Kopernikus Bild 10: Arbeitsgedächtnis Bild 11: Tabelle Nominalisierungen Bild 12: Tabelle Prädikatsklammern Bild 13: Schachtelsatz Bild 14: Textschema Forschungsbereicht Bild 15: Chart Textkohärenz Bild 16: Tabelle Sprechakte Bild 17: Tabelle Textfunktionen Bild 18: Konzept Wasser Bild 19: Zahnarztstuhl Bild 20: Kolbenhub Bild 21: Visuelle Beschreibungsdimensionen Bild 22: Eine Sprühpumpe Bild 23: Textschema Narration Bild 24: Tabelle anleitender Formulierungen Bild 25: Argumentationsstrukturen Bild 26: Tabelle: Didaktische Zusatztexte Bild 27: Musterseite Information Mapping Bild 28: Logo Easy-to-read Bild 29: Verständlichkeitsfenster Bild 30: Screenshot TextLab <?page no="388"?> Zusatzmaterialien Die Zusatzmaterialien sind abrufbar unter www.utb-shop.de/ 9783825251154#zusatzmaterial Zusatzmaterial 1: Übung zum Vergleich von Kommunikationsmodellen Zusatzmaterial 2: Übung zum adressatenorientierten Schreiben Zusatzmaterial 3: Übung zum impliziten Adressaten Zusatzmaterial 4: Text zur Wirkung typografischer Merkmale Zusatzmaterial 5: Text über das Bedeutungserlebnis Zusatzmaterial 6: Übung zur Messung von Konnotationen Zusatzmaterial 7: Text zum Witzverstehen Zusatzmaterial 8: Übung zur lexikalischen Verständlichkeit Zusatzmaterial 9: Übung zur syntaktischen Verständlichkeit Zusatzmaterial 10: Übung zur Kohäsion Zusatzmaterial 11: Übung zur inhaltlichen Organisation Zusatzmaterial 12: Übung zur Textoptimierung Zusatzmaterial 13: Übung zu eindeutigen Anleitungen Zusatzmaterial 14: Übung zu Argumenttypen Zusatzmaterial 15: Übung zur Argumentationsanalyse eines Textes Zusatzmaterial 16: Übung zu anregenden rhetorischen Stilmitteln Zusatzmaterial 17: Text zu Konzeptionen der Textverständlichkeit Zusatzmaterial 18: Checkliste zum Ausdrucken <?page no="389"?> Sachregister Abfolge 198 Abschottung 84 Absender 26, 51, 302 Abstraktheitsindex 319 Adressat 15, 26, 38, 50, 69, 71 f., 146, 251, 255, 311 Adressatenorientierung 36, 41, 68, 76 Affordanz 246 Akronym 235 Akzentuierung 186, 200, 302 Alignment 48 Anapher-Resolution 209 Anleiten 255 Anschaulichkeit 235, 249, 297 f., 302 Aphorismus 148 Argument analogisierend 271 autoritativ 272 empirisch 268 explikativ 269 logisch 267 normativ 272 plausibel 273 Argumentation contra 266 deduktiv 263 hierarchisch 276 induktiv 264 multiple 276 pro 266 problemlösend 277 vergleichend 277 zweiseitig 277 Argumentationsstruktur 275 Argumentieren 262 f., 278 Aufzählung 189, 198 f. Auslegung 38, 85, 149 Auswahlfrage (Multiple Choice [MC]) 99, 287 BBedeutung expressiv 33, 46 inhaltlich 32 intentional 33 Bedeutungswandel 118 Bedienungsanleitung 17, 73, 102, 259, 264 Befragung 312 Beispiel 152, 286 Benennen 230 f., 244 Beschreiben 240, 244, 246 f., 249 bildgebende Verfahren 96 Bildhaftigkeit (Imaginationsgehalt) 297 Blickbewegung (Eye Tracking) 94 f., 106 f., 123 CCheckliste 328 f. Cognitive Load 155, 158 Cognitive Walkthrough 329 Common Ground 30, 238 DDauerhaftigkeit 66 Definieren 237 Definition direkt 240 indirekt 240 Denotation 120 Desambiguierung 125, 181 Diktionsdistanz 73 Diskriminierbarkeit 109 Distanzeffekt 208 EEinbettung 191 Einfache Sprache 313 <?page no="390"?> 390 Sachregister Einverständnis 56 f., 60 Emergenz 152 Emotionalisierung 305 Empathie 34, 79, 168 Entlehnung 233 epistemischer Anreiz 304 ereigniskorrelierte Potentiale 95 Ergänzungstaktik 87, 281 f., 310 Ersetzungstaktik 281, 310 erster Eindruck 29 Erzählen 251 f., 254 f., 301 Evaluieren 310 Exkurs 287 Explikation 242 Eye Tracking 94 FFachtext, Fachsprache 10, 68, 92, 170, 173, 176, 181, 195, 298, 307, 335 Fachwort (Terminus) 52, 116, 123, 172 f., 182, 232 ff., 236, 286, 288 Fallibilität 40 Flüchtigkeit 46 Frage 98 f., 228, 285, 304 Fragebogen 312, 326 ff. Fremdwort 172 Füllwort 200 f. funktionale Grammatik 165 f., 169 Funktionsverbgefüge 195 GGedächtnis Arbeits- 156, 177, 189, 195, 208, 341 episodisch 29, 31, 137, 168, 252 graphemisch 116 konzeptuell 116 Langzeit- 28, 98, 136, 140, 156, 158 semantisch 28, 124 f., 137 Geltungsansprüche 56-60, 263 Genitiv-Attribut 197 Glossar 288 Good-enough-Prinzip 154 Grounding 47 f. Guidelines 86, 309, 313, 328 HHamburger Verständlichkeitskonzeption 324 Handlung 223 f. Basiseinheit 258 Hierarchie 256 sprachlich 225 hermeneutische Differenz 79 Hintergrunderwartung 40 Holzwegsatz 126 Humor 305 Iideale Sprechsituation 59 f. Illokutionshierarchie 228 f. Image 29, 47, 66, 70, 73, 252 Implementierung 122 Implikation 138 Implikatur 55, 139, 146, 299 Impression Management 30 Indikatoren Verständnis 98, 320 Verstehen 91, 320 indirekte Anaphern 207 Indirektheit 66 Inferenz anaphorisch 140 elaborativ 142, 152 f., 155, 298 expressiv 147 kataphorisch 141 kausal 141 f. logisch 137 pragmatisch 146 reduktiv 144 f. überbrückend 140, 147, 155 Inkrementalität 126 Intention 26 f., 47, 71, 147, 149, 155 f., 223, 229, 293 geteilt 27 <?page no="391"?> 391 Sachregister Interpretation 37 f., 50, 55, 78, 80, 85, 142, 146, 282 KKapazität 157 f. Klammerkonstruktion 187 Kohärenz global 134, 136, 202, 212, 217, 255 lokal 134, 140, 202, 210 Kohärenzlücke 135, 155, 210 f. Kohäsion 134, 202 Kommentieren 49 Kommunikation barrierefrei 75 interkulturell 54, 75, 305 persuasiv 273, 277, 296 strategisch 56 f. verständigungsorientiert 57 Kompetenz 29, 41, 58, 60, 67, 72, 311 interkulturell 75 kommunikativ 225 Komplex-Anaphern 216 Komplexität 66, 82 f., 158, 166, 183, 319, 322 Kompositum 175-178, 180, 233, 235 Kompromiss 52, 56 Konnektor 210 Konnotation 75, 117, 120 f., 235, 247 Kontamination 116, 233 Konzept 120, 178, 242, 286 konzeptuelles Netz 94, 118-125, 128 f., 131 f., 151, 153, 170, 202, 211, 213, 238, 241, 252, 342 Kooperation 27, 36, 39, 59 Kooperationsprinzip 52, 54 ff. Koordination 66 Kopräsenz 46 Koreferenz 202 Korrigieren 49 Kurzwort (Abkürzung, Akronym) 172 ff., 305 Language Awareness 12, 170 lautes Denken 92, 108 Lehrbuch 329 Lehr-Lern-Ziel 283 Leichte Sprache 315 ff. Lernstrategieprogramm 87 Leserlichkeit (Legebility) 106, 110 ff. Lesezeit 93, 110, 129, 150, 177, 319 literarischer Text 80, 84, 168, 218, 305 Lückentest (Cloze Procedure) 101 MMakrostruktur 144 f., 152, 212, 216, 286 Maximen 52-55, 58 f., 99 Medialität 66 Medien 31, 66, 160 Mehrdeutigkeit 208 pragmatisch 147 syntaktisch 127, 198 Mehrfachadressierung 70 Meinen 32 mentales Modell 26, 149-152, 248 Mentalität 73, 75, 273 Merksatz 128, 144 f., 286 Metakommunikation 48, 216 Metapher 153, 204, 298 ff. Missverständlichkeit 82 Mitteilung 31, 60, 68 f. Modalverb 227, 260 Modifizierung 52 Monitoring 47 f., 50 Morphem 175 Motiv 26 f., 71 Multiple Choice 99 multiple Repräsentation 149 f. Neubildung (Neologismus) 234 Nominalisierung 178-181, 193 f., 196, 319 Nominalstil 193, 196, 233, 319, 332 P 391 Sachregister <?page no="392"?> 392 Sachregister Paraphrasieren 51 Passiv 166, 184 ff., 189, 302 performativer Ausdruck 226, 240 Persona-Methode 312 Perspektive 24, 29, 167 ff., 182, 214, 247, 252, 284, 304 Präpositionalgruppe 197 Präsumption 78 f. Präsupposition 138 Priming 93 f., 122, 178 Profilierung 70 Proform 140, 206 Pronomen 206 Proposition 128-134, 156 RRationalität 59 Recall 100 Recognition 100 Reflexivität 66 Rekurrenz 202 ff. Relevanzannahme 37, 54 Ressourceneinsatz 78, 153 f., 156 Rhetorik 53, 60, 85, 274, 296 Rückfrage 50 Rückmeldung 51 SSachtext 10, 78, 159, 161, 178 f., 200, 213, 228, 230, 243 f., 252, 262, 267, 295, 297, 301, 324 Salienz 209 Satzlänge 183, 319 ff., 334 Schachtelsatz 169, 191 f. Schema 120 f., 135, 137, 140, 143, 156 Schreibakt 224, 226, 228 ff. Schreibtraining 86 Schwerverständlichkeit 16, 67, 82, 84 f., 158, 173, 183, 294 f. intendiert 85 Segmentierung 69 Selbstkontrollaufgabe 287 semantischer Kampf 242 semiotisches Dreieck 115 f., 231, 238 Senioren 74 Signaling 216 simulative Methode 97 f. Situation kommunikative 25, 39, 58, 66 f., 146 ff., 226 soziale 24 soziale Isolation 65 Spirale des Verstehens 79 sprachliche Handlung 226, 228 Spreading Activation 122 Sprechakt indirekt 227 f. mehrdeutig 161, 227, 261 Sprechakttheorie 223 Stilmittel 84, 296 f., 302, 304, 306 Stimulanz 296, 304 f., 325 f. Storytelling 253, 301 Strukturlegen 102 Substitution 141, 204 f., 282 Synonym 116 f., 204 f., 235 TTerminologisierung 181, 232 Testlesende 312 Textanalyse-Software 333 Textbasis 130-134 Textbaustein 212 textinduzierte Motivation 294 Textoberfläche 130, 132 ff., 148, 210, 317, 322 Textoptimierung 86 f. Textschema 136, 214 ff., 247, 251, 253 Textsorte 229 thematische Progression 135, 211 Typografie Makro- 290 Mikro- 289 typografische Variablen 110 f. <?page no="393"?> 393 Sachregister Überreden 27, 56 Überschrift 144, 213 ff., 230 Überzeugen 27, 56 Unverständlichkeit 82 f., 85 Unvollkommenheit 46 Usability 102, 337 Verarbeitungsbreite 144 Verarbeitungstiefe 144 Verneinung 186 f. Verschleierung 85 Verständigung 48, 52, 54, 56, 60 Verständlichkeit Allgemein- 69, 317 lexikalisch 159, 238, 319 syntaktisch 160 syntaktische 261, 320 Text- 82, 102, 160, 294 f., 311, 316, 319, 321, 324, 327 Verständlichkeitsformel 317, 320, 323, 336 Verständlichkeitsrating 324 Verständnissicherung 40, 46, 48, 61, 66 Verstehen expressiv 34 f., 161 inhaltich 141 f. inhaltlich 34 intentional 34 f. spontan 38, 128 Vertrauen 39 f., 48, 54 Vertrautheitseffekt 171 Visualisierung 31, 97, 289 visuelle Vorstellung 97, 116, 143, 151, 298 f. Vorlesen 91 Vorstrukturierung (Advance Organizer) 284 f. Vorverständnis 30, 69, 72, 80, 87 Vorwissen 30, 34, 37, 47, 55, 71, 73, 91, 134, 142, 156 f., 211, 283 f., 286 f., 311 W Wahrnehmungsinvarianz 110 Wahrnehmungsspanne 108 f. Wahrnehmungsumfeld 24, 30, 45, 66 Warnen 255, 259 f. Wiedererkennen (Recognition) 100 Wiedergabe (Recall) 91, 100 f., 124, 133 Wissen episodisch 29 kategorial 120 personal 29, 73 prozedural 256 Situations- 28, 131 Sprach- 29, 72 Welt- 28, 131 Wissenserwerb 121 Wort abstrakt 178, 180, 297, 300, 319 ambig 125, 181 anschaulich 120, 143, 151, 261, 297 ungebräuchlich 170 f., 173 Wortgestalt 114 Wortlänge 320 Wortüberlegenheitseffekt 113 ZZusammenfassung 101, 145, 285 f. Zusatztext 282, 289, 310 Zweisprachigkeit 118 <?page no="394"?> ,! 7ID8C5-cfbbfe! ISBN 978-3-8252-5115-4 Steffen-Peter Ballstaedt Sprachliche Kommunikation: Verstehen und Verständlichkeit Verständlich Schreiben ist eine komplexe und anspruchsvolle kommunikative Aufgabe. Für viele Berufsfelder etwa in Verwaltung und Justiz, Politik und Wirtschaft, Medizin, Wissenschaft etc. stellt es eine Schlüsselqualifikation dar. Der Band bietet dazu kommunikationstheoretisch fundierte praktische Anregungen. Er behandelt Verständlichkeit als kooperative Aufgabe von Textproduzenten und -rezipienten, wobei allerdings die Schreibenden in Vorleistung gehen. Auf der Grundlage einer Theorie des Verstehens wird aufgezeigt, welche grammatischen (Wörter, Sätze, Texte) und pragmatischen (Sprechakte) Formulierungen das Verstehen erleichtern oder erschweren. Bei der Umsetzung unterstützen den Praktiker Hilfsmittel vom Fragebogen bis zum Computertool, mit denen die Verständlichkeit von Texten systematisch evaluiert und optimiert werden kann. Sprachwissenschaft Sprachliche Kommunikation Ballstaedt Dies ist ein utb-Band aus dem Narr Francke Attempto Verlag. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehrbücher und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen. utb-shop.de QR-Code für mehr Infos und Bewertungen zu diesem Titel 51154 Ballstaedt_M-5115.indd 1 15.07.19 09: 21
