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Handbuch Marketing für Juristen

Studienausgabe

0114
2019
978-3-8385-5122-7
978-3-8252-5122-2
UTB 
Prof. Dr. Marion Halfmann

Das Handbuch bietet einen umfassenden Überblick über das Marketinginstrumentarium für Rechtsdienstleister. Marion Halfmann vermittelt betriebswirtschaftliches Know-how und umsetzungsreife Konzepte - ohne bei den Lesern Vorkenntnisse vorauszusetzen. Aktuelle Herausforderungen wie Social-Media-Kommunikation, Online-Rechtsberatung, Legal Tech und Guerilla-Marketing kommen dabei nicht zu kurz. Zahlreiche Beispiele und Praxisinterviews illustrieren den Stoff. Der ideale und zugleich praxisnahe Einstieg in das spannende Thema "Marketing für Juristen" für angehende RechtsanwältInnen.

<?page no="0"?> Marion Halfmann Handbuch Marketing für Juristen Handbuch Marketing für Juristen 2. A. Halfmann Das Handbuch bietet einen umfassenden Überblick über das Marketinginstrumentarium für Rechtsdienstleister. Marion Halfmann vermittelt betriebswirtschaftliches Know-how und umsetzungsreife Konzepte - ohne bei den Lesern Vorkenntnisse vorauszusetzen. Aktuelle Herausforderungen wie Social-Media-Kommunikation, Online-Rechtsberatung, Legal Tech und Guerilla-Marketing kommen dabei nicht zu kurz. Zahlreiche Beispiele und Praxisinterviews illustrieren den Stoff. Der ideale und zugleich praxisnahe Einstieg in das spannende Thema „Marketing für Juristen“ für angehende RechtsanwältInnen. Recht | Marketing ,! 7ID8C5-cfbccc! ISBN 978-3-8252-5122-2 Dies ist ein utb-Band aus dem UVK Verlag. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehrbücher und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen. utb-shop.de QR-Code für mehr Infos und Bewertungen zu diesem Titel 2. Auflage Mit Beispielen und Interviews <?page no="1"?> Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Wilhelm Fink · Paderborn A. Francke Verlag · Tübingen Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Ernst Reinhardt Verlag · München Ferdinand Schöningh · Paderborn Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlag · München Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen Waxmann · Münster · New York wbv Publikation · Bielefeld utb 5122 <?page no="3"?> Marion Halfmann Handbuch Marketing für Juristen Studienausgabe 2., überarbeitete und erweiterte Auflage UVK Verlag • München <?page no="4"?> Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www.utb-shop.de. Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.ddb.de> abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © UVK Verlag 2019 - ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH & Co. KG Lektorat: Rainer Berger, München Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Einbandmotiv: © FikMiK · iStockphoto Druck und Bindung: Printed in Germany UVK Verlag Nymphenburger Str. 48 80335 München Telefon: 089/ 452174-66 www.uvk.de Narr Francke Attempto Verlag GmbH & Co. KG Dischingerweg 5 72070 Tübingen Telefon: 07071/ 9797-0 www.narr.de UTB-Nr. 5122 ISBN 978-3-8385-5122-7 Dr. Marion Halfmann (Diplom-Kauffrau) ist Professorin für Marketing an der Hochschule Rhein-Waal sowie Vizepräsidentin für Studium, Lehre und Weiterbildung. Sie verfügt über langjährige Berufserfahrung als Unternehmensberaterin für strategische Fragen bei renommierten Beratungsgesellschaften. <?page no="5"?> Geleitwort von Professor Dr. Benno Heussen Wer als Anwalt Erfolg haben will, muss nicht nur besondere Rechtskenntnisse und Jahre der Berufserfahrung haben, die ihn von der Konkurrenz unterscheiden (Differenzierung durch Wissen und Erfahrung), der Markt muss auch wahrnehmen, dass er diese Fähigkeiten hat (Sichtbarkeit durch Marketing). Viele Anwälte vertrauen auf die Überzeugungskraft ihrer Leistungen und schenken dem Marketing keine Aufmerksamkeit. Andere setzen auf das, was sie laienhaft wissen, aber ahnen nicht, welche Möglichkeiten ihnen dadurch entgehen. Marion Halfmann hat es schon in der 1. Auflage ihres Buches verstanden, den Anwälten Kenntnisse im Marketing anhand der anwaltlichen Aufbau- und Ablauforganisation didaktisch hervorragend aufgebaut und daher verständlich zu vermitteln. Drei Schwerpunkte bildet sie, die das Thema kennzeichnen: Zielgruppen identifizieren, Mandanten akquirieren, Kanzleiumsatz steigern. Im ersten Kapitel wird der Markt für Rechtsberatung und -vertretung dargestellt, im zweiten Kapitel die Rahmenbedingungen des Anwaltsmarketings in rechtlicher, personeller und finanzieller Sicht. Das dritte Kapitel zeigt die wesentlichen Unterschiede zwischen Produkten und Dienstleistungen. Im Kap. 4 werden die Strategien dargestellt, die zur Auswahl stehen, das fünfte Kapitel schildert Schritt für Schritt ihre operative Umsetzung: Zielführende Angebote werden untersucht, die Honorarpolitik auf den Prüfstand gestellt, Akquisition und Kommunikation im Detail erörtert. Im sechsten Kapitel geht es um das Controlling. Es sollte besonders sorgfältig gelesen werden, weil Anwälte normalerweise keine Vorstellung davon haben, wie sie ihre akquisitorischen Bemühungen bewerten und von ihren Misserfolgen lernen können. Das siebte Kapitel schließlich schildert »die Reise, die jeder Mandant vom Erstkontakt mit der Kanzlei bis zur Beendigung der Mandantenbeziehung macht«. Die einzelnen Kontaktpunkte werden diskutiert und Verbesserungsvorschläge gemacht. Im Anhang folgen nach dem Literaturverzeichnis Links und Hilfsmittel sowie das Muster eines Mandanten-Fragebogens. Immer noch sind ca. 38 % aller Anwälte nur in ihrer Einzelpraxis tätig (in den USA ist das nicht anders! ). Wenn man an sieben Wochenenden jeweils eines der Kapitel liest, und sich an einem weiteren Wochenende Gedanken darüber macht, wie man mindestens sieben Ideen umsetzt, entwickelt sich in zwei Monaten eine völlig neue Sicht auf die Aufgaben, die das Management jedem Anwalt stellt. Viele glauben, größere Sozietäten könnten diese Aufgabe besser lösen, weil sie dafür mehr Geld in die Hand nehmen können. Aber das führt nur dann zum Erfolg, wenn klar genug ist, wer die Führung übernimmt, die strategischen Ziele setzt, die Kollegen koordiniert und fähig ist, einen Plan auch umzusetzen - Aufgaben, von denen viele Anwaltsberater schon gesagt haben: »Das ist schwieriger als Katzen hüten.« Ein wesentlicher Grund liegt darin, dass ein Produktmarketing, wie Handel und Industrie es einsetzen, für Anwälte nur einen bedingten Wert hat. Ihre Dienstleistungen werden nicht nur von der inhaltlichen Qualität bestimmt (die der Mandant in den meisten Fällen kaum wird beurteilen können), sondern leben vor allem vom Vertrauen in die Person des Beraters. Viele Anwälte setzen ausschließlich auf diesen Faktor und <?page no="6"?> 6 Geleitwort bemühen sich um enge persönliche Beziehungen zu ihren Klienten. Das allerdings ist ein schwankender Boden und erlaubt vor allem keine Markenbildung, die auch nach außen hin Glaubwürdigkeit vermittelt. Muss ein Anwalt sich als Marke begreifen? Zu dieser und vielen anderen einschlägigen Fragen finden wir in der 2. Auflage des Buches vertiefte Antworten. Das Kapitel über die rechtlichen Rahmenbedingungen ist von Markus Hartung (Bucerius Law School, Hamburg) neu geschrieben worden. Neu ist auch ein Kapitel über Legal Tech. Alle Interviews mit Praxisvertretern sowie der Serviceteil und die Mandanten-Befragungen wurden aktualisiert. Vor allem die vielfältig eingestreuten Beispiele, Charts, Interviews und Checklisten machen das Buch sehr wertvoll. Kein Anwalt hat eine Chance, in die innere Struktur eines anderen Büros oder einer Sozietät Einblick zu nehmen, obwohl (oder gerade weil) man sich als Kollege jedenfalls in den kleineren Städten gut kennt. Umso wichtiger ist es, diese Informationen in einem Buch zu finden, das außerdem immer eine klare Meinung über die Vor- und Nachteile einzelner Marketing-Ideen hat und sie auf dem Hintergrund des allgemeinen betriebswirtschaftlichen Wissens begründet, über das Anwälte nicht verfügen. Besonders wertvoll erscheinen mir die konkreten Hinweise, die sich zu einzelnen drängenden Fragen ergeben. Nur wenige Beispiele: Soll man online Werbung schalten? Hier finden wir eine sehr detaillierte Darstellung, wie die Adwords von Google funktionieren und wie man prüfen kann, ob die Anzeigen auch Erfolg hatten. Dass eine Scheidungsanwältin Kondome als Visitenkarten verwendet, wusste ich bisher auch nicht (Guerilla-Marketing). Und was muss man tun, dass Mandanten einem wirklich sagen, ob sie mit der Arbeit zufrieden waren oder nicht? Das gelingt nur, wenn man nicht mehr oder weniger gut gefühlte Fragen an die Mandanten stellt, man muss schon ein richtiges Projekt daraus machen. Wenn Sie dieses Buch nicht nur lesen, sondern als Werkzeugkasten für alles benutzen, was Ihnen im Bereich des Marketings immer wieder Sorgen macht, wird der Erfolg nicht ausbleiben. München, im Juni 2018 Professor Dr. Benno Heussen <?page no="7"?> Vorwort zur zweiten Auflage Als im März 2016 die erste Auflage von „Marketingpraxis für Anwälte“ publiziert wurde, war kaum abzusehen, welche Resonanz diese Neuerscheinung erfuhr. Veröffentlichungen zum Kanzleimanagement und -marketing finden häufig nicht die Beachtung, die sie aufgrund ihrer praktischen Relevanz verdienen, und so freue ich mich besonders, dass zwei Jahre nach dem Erscheinen der Erstauflage nunmehr schon eine zweite Auflage des Buches folgt. Alle Inhalte, Quellenangaben und Internetlinks sind dazu auf den neuesten Stand gebracht worden, zudem kam ein Kapitel über „Legal Tech“ hinzu. Alle Interviewbeiträge wurden aktualisiert und zum Teil komplett überarbeitet. Auch die eingebundenen Fallstudien wurden auf den neuesten Stand gebracht und tragen nach wie vor zur Auflockerung der Darstellung bei. Mein besonderer Dank gilt neben den Interviewpartnern in dieser Auflage Herrn Prof. Dr. Benno Heussen, der das Geleitwort beigesteuert hat, sowie Dr. Markus Hartung für die komplette Überarbeitung und Neugestaltung des Kapitels zu den rechtlichen Rahmenbedingungen des Anwaltsmarketings. Neben vielen Rückmeldungen hat mir die Veröffentlichung der Erstauflage den Kontakt zu Rechts- und Marktexperten ermöglicht, die die weitere Arbeit am Thema wesentlich bereichert haben. Darüber freue ich mich sehr und hoffe, dass die Neuauflage wiederum viele Gespräche und Kooperationen anregen wird. Kleve/ Kamp-Lintfort, im Juni 2018 Marion Halfmann marion.halfmann@hochschule-rhein-waal.de Vorwort zur ersten Auflage Vor einigen Jahren erhielt ich den Auftrag, einen Vortrag zum Thema „Marketing bei Rechtsanwälten“ zu halten. Zur Vorbereitung musste Recherche betrieben werden und das Ergebnis war aus meiner Sicht enttäuschend: Insgesamt - so schien es - betrachten sich Rechtsanwälte in erster Linie nicht als Unternehmer, denn Kanzleimarketing und -management begegneten mir eher als Randthemen. Während der Jurist dazu neigt, bei juristischen Streitfragen alle rechtlichen Verästelungen bis ins Kleinste durchzudeklinieren, werden Fragen betriebswirtschaftlicher Natur eher schematisch abgehandelt. Bestehende Fortbildungs- und Literaturangebote sind oft „von Praktikern für Praktiker“ gemacht, was an sich nichts Schlechtes ist, aber manchmal Gesamtüberblick und Tiefe vermissen lässt. Marketing ist keine Fachdisziplin, die sich durch Herumprobieren von alleine lernt, und es ist keine große Trickkiste, in die hier und da einmal hineingegriffen werden kann. Wenn Akademiker zum Anwaltsmarketing zu Wort kommen, dann oft Juristen, die ihren Fachkollegen die Grundregeln des Vermarktens erklären, oder Autodidakten aller Art. Marketingwissenschaftler hingegen begeistern sich augenscheinlich eher für andere Branchen und befassen sich eher selten mit den spezifischen Problemen der Rechtsdienstleistungsbranche. Dabei hätten sie einiges beizutragen, denn Rechtsanwäl- <?page no="8"?> 8 Vorwort te sind Dienstleister und immerhin wird im betriebswirtschaftlichen Marketing seit Jahrzehnten zum Dienstleistungsmarketing intensiv geforscht. Es muss also nicht das Rad neu erfunden werden, welches Marketingexperten für zwar nicht völlig identische, aber durchaus vergleichbare Probleme schon einmal konstruiert haben. Das vorliegende Buch ist daher auch als ein Appell zu betrachten, Erkenntnisse und Erfahrungen aus Wirtschafts- und Rechtswissenschaften beim Thema Vermarktung stärker miteinander zu verbinden. Der zunehmende Trend, in Kanzleien eigene Marketingfachleute zu beschäftigen, die ihren unverstellten Blick aus anderen Branchen mit einbringen, ist positiv zu werten. „Nach unserer Überzeugung gibt es kein größeres und wirksameres Mittel zu wechselseitiger Bildung als das Zusammenarbeiten“, wusste schon Johann Wolfgang von Goethe. Bis heute hat sich daran nichts geändert. Die Idee für dieses Buchs lässt sich kurz umreißen: Eine relativ geschlossene Darstellung der Marketingoptionen, die Anwälte haben, auf der Basis von Erkenntnissen aus der Marketingforschung, aber dennoch so praxisnah, dass man daraus etwas für die tägliche Kanzleiarbeit mitnimmt. Das Projekt stellte sich als wesentlich komplexer heraus als anfänglich geplant. Am Ende waren fast zwei Jahre und zahlreiche Gespräche mit Experten erforderlich, um das Manuskript fertigzustellen. Mit einigen Anwälten hat sich über die Zeit ein regelmäßiger Austausch in Bezug auf Marketingaspekte entwickelt, der sich hoffentlich auch nach der Veröffentlichung noch fortsetzen wird. Zahlreiche Agenturvertreter, Kanzleiinhaber und Fachvertreter haben außerdem Fotos, Zitate oder Artikel beigesteuert. Jeden einzelnen Beitrag hier aufzuführen, würde den Rahmen sprengen, daher bedanke ich mich an dieser Stelle pauschal aufs Allerherzlichste bei allen „Mittätern“, die entscheidend zur Entstehung dieses Buches beigetragen haben. Eine besondere Erwähnung gebührt allerdings dem Geschäftsführenden Ausschuss der Arbeitsgemeinschaft Erbrecht des Deutschen Anwaltvereins, der mich durch einen kleinen Projektauftrag vor ein paar Jahren unwissentlich von den spannenden Seiten des „Anwaltsmarketings“ überzeugt hat. Bevor nun mit der Lektüre begonnen werden kann, seien noch einige obligatorische Hinweise erlaubt: Bewusst werden in diesem Buch immer wieder Beispiele, zum Teil internationaler Art, eingestreut. Diese sind nicht durchweg zum Nachahmen gedacht. Auch von weniger gelungenen Marketingansätzen kann man lernen; zudem gibt es nur selten ein klares Richtig oder Falsch. Den angeführten Beispielen liegt deshalb auch keine implizite Wertung zugrunde. Sie dienen der Illustration und als Denkanstöße, aber weder als Vorbilder noch als Abschreckung. Ein weiterer Hinweis bezieht sich auf die Sprache. Die Erfahrung zeigt, dass Anwälte eine natürliche Aversion gegenüber Englisch, vor allem aber gegenüber „Denglisch“ haben. So weit wie möglich wird in diesem Buch daher Deutsch verwendet, allerdings lässt sich der ein oder andere Ausrutscher nicht vermeiden. Im Marketing sind Anglizismen allgegenwärtig und wer mitreden will, kommt um deren Anwendung nicht gänzlich herum. Um die sprachliche Darstellung nicht zu verkomplizieren, wurde zudem durchweg die männliche Personalform verwendet (z. B. Anwalt, Mandant). Selbstverständlich sind aber stets beiderlei Geschlechter gemeint. Irgendwann muss ein Buch fertig werden. Angesichts der Veränderungsgeschwindigkeit im Marketing sind die ersten Informationen schon nach kurzer Zeit wieder veraltet, insbesondere wenn sie aus der Online-Welt stammen. Die in diesem Buch vorgestellten Internet-Links datieren aus den Jahren 2014/ 2015 und können mittel- <?page no="9"?> Vorwort 9 fristig an Aktualität einbüßen. Da sie größtenteils zu Beispielen und Zusatzinformationen führen, wird die Aussagekraft dadurch nicht eingeschränkt. Marketing ist und bleibt ein hochinteressantes Feld, das hinsichtlich seiner Möglichkeiten und Komplexität von Anwälten noch unterschätzt wird. Mit dem vorliegenden Buch kann sich jeder die Grundzüge eines professionellen Kanzleimarketings erarbeiten, das auf bewährten Methoden der Betriebswirtschaftslehre beruht. Ich wünsche dabei viel Erfolg und Vergnügen. Kleve/ Kamp-Lintfort, im Januar 2016 Marion Halfmann marion.halfmann@hochschule-rhein-waal.de <?page no="11"?> Inhalt Geleitwort von Professor Dr. Benno Heussen .....................................................................5 Vorwort ...................................................................................................................................................7 1 Der Markt für Rechtsberatung und -vertretung .......................................................................... 17 1.1 Nachfrage.............................................................................................................................. 20 1.1.1 Elementare Nachfragesituationen im Rechtsdienstleistungsmarkt ..................................................................... 20 1.1.2 Einflussfaktoren der Nachfrage ..................................................................... 21 1.2 Angebot................................................................................................................................. 26 1.2.1 Konkurrenz im Anwaltsgeschäft ................................................................... 26 1.2.2 Wirtschaftliche Konsequenzen des Wettbewerbs .................................. 31 1.3 Markttrends .......................................................................................................................... 39 1.4 Resümee ................................................................................................................................ 44 Quellenverzeichnis zu Kapitel 1................................................................................................ 47 2 Rahmenbedingungen des Anwaltsmarketings ........................................................................... 51 2.1 Rechtliche Rahmenbedingungen: Erlaubt ist, was gefällt? .............................................................. 51 2.1.1 Der Schnelleinstieg: Was regeln § 43b BRAO, §§ 6 ff. BORA? .............. 53 2.1.2 Werbung................................................................................................................ 54 2.1.2.1 Bedruckte Roben .............................................................................. 55 2.1.2.2 Anwaltliche Schockwerbung........................................................ 56 2.1.2.3 Erlaubte Werbung ............................................................................ 59 2.1.2.4 Wettbewerbsrechtliche Grenzen des Außenauftritts .......... 60 2.1.3 Akquise .................................................................................................................. 63 2.1.4 Angebotsspektrum............................................................................................ 65 2.1.5 Honorargestaltung ............................................................................................ 67 2.2 Technologische Rahmenbedingungen: Legal Tech - Hype oder Megatrend? ........................................................................... 71 2.3 Personelle Rahmenbedingungen: Unternehmertypen gesucht........................ 75 2.3.1 Personalrekrutierung und -auswahl ............................................................ 76 2.3.2 Personalführung und -bindung .................................................................... 81 2.3.3 Personalentwicklung ........................................................................................ 82 <?page no="12"?> 12 Inhalt 2.4 Finanzielle Rahmenbedingungen: Kleines Budget, kleine Wirkung ................. 85 2.5 Resümee ................................................................................................................................ 87 Quellenverzeichnis zu Kapitel 2................................................................................................ 88 3 Der Anwalt als Dienstleister .......................................................................................................... 91 3.1 Besonderheiten von Rechtsdienstleistungen........................................................... 91 3.2 Rechtsberatung und -vertretung als Prozess............................................................ 95 3.3 Der Anwalt in der öffentlichen Wahrnehmung......................................................102 3.4 Rechtsdienstleistungen aus Mandantenperspektive...........................................109 3.5 Rechtsdienstleistungen aus Anwaltsperspektive..................................................120 3.6 Resümee ..............................................................................................................................121 Quellenverzeichnis zu Kapitel 3..............................................................................................123 4 Strategisches Kanzleimarketing .................................................................................................125 4.1 Prozess des strategischen Kanzleimarketings im Überblick ..............................126 4.2 Abgrenzung des relevanten Marktes ........................................................................128 4.3 Situationsanalyse..............................................................................................................132 4.3.1 Informationsquellen und -gewinnung .....................................................132 4.3.2 Portfolio-Analyse ..............................................................................................139 4.4 Ziele und Budget ..............................................................................................................149 4.4.1 Vision, Mission und Zielsetzung ..................................................................149 4.4.2 Budgetfestlegung ............................................................................................154 4.5 Strategien............................................................................................................................158 4.5.1 Marktfeldstrategien: Expansionsrichtungen ausloten.........................158 4.5.2 Marktarealstrategien: Angebotsradius bestimmen..............................161 4.5.3 Marktstimulierungsstrategien: Wettbewerbsvorteil definieren ............164 4.5.3.1 Qualitätsstrategie ...........................................................................166 4.5.3.2 Preisstrategie ...................................................................................167 4.5.3.3 Kommunikationsstrategie ...........................................................171 4.5.3.4 Programmbreitenstrategie .........................................................174 4.5.4 Marktparzellierungsstrategien: Zielgruppe festlegen .........................176 4.5.4.1 Vorgehensweise der Marktsegmentierung...........................178 4.5.4.2 Segmente im Markt für private Rechtsdienste .....................181 4.5.4.3 Segmente im Markt für gewerbliche Rechtsdienste ..........192 <?page no="13"?> Inhalt 13 4.6 Resümee ..............................................................................................................................201 Quellenverzeichnis zu Kapitel 4..............................................................................................202 5 Operatives Kanzleimarketing......................................................................................................205 5.1 Marketing-Mix in der Kanzlei........................................................................................205 5.2 Angebotspolitik ................................................................................................................206 5.2.1 Angebotsinnovation und -modifikation ..................................................209 5.2.1.1 Dienstleistungsentwicklung.......................................................216 5.2.1.2 Dienstleistungsbündelung .........................................................222 5.2.1.3 Dienstleistungsreengineering ...................................................225 5.2.2 Angebotseliminierung ...................................................................................233 5.3 Honorarpolitik ...................................................................................................................236 5.3.1 Bestimmungsfaktoren des Honorars .........................................................237 5.3.2 Kalkulationsgrundlagen.................................................................................240 5.3.3 Honorarsysteme ...............................................................................................244 5.3.3.1 Stundensatz- und Festpreismodelle ........................................246 5.3.3.2 Abonnements und Flatrates .......................................................250 5.3.3.3 Prepaid-Rechtsberatung und Preisbaukästen......................253 5.3.4 Rabattierung und kostenlose Erstberatung ............................................258 5.4 Akquisitionspolitik ...........................................................................................................266 5.4.1 Akquisition nach dem Trichtermodell.......................................................267 5.4.2 Akquisitionsformen .........................................................................................270 5.4.2.1 Erstkontakt........................................................................................276 5.4.2.2 Cross- und Upselling .....................................................................279 5.4.2.3 Empfehlungsmarketing ...............................................................282 5.4.2.4 Virtuelle Marktplätze .....................................................................288 5.4.2.5 Franchising .......................................................................................291 5.4.2.6 Kooperative Mandantengewinnung .......................................294 5.4.2.7 Pitch ....................................................................................................297 5.5 Kommunikationspolitik ..................................................................................................305 5.5.1 (Klassische) Werbung......................................................................................313 5.5.2 Public Relations.................................................................................................318 5.5.2.1 Print-PR ..............................................................................................320 5.5.2.2 Veranstaltungen .............................................................................324 <?page no="14"?> 14 Inhalt 5.5.2.3 Sponsoring und Pro-bono-Engagement................................329 5.5.2.4 Visuelle Identität.............................................................................331 5.5.2.5 Handbücher und Rankings .........................................................337 5.5.3 Werbebriefe........................................................................................................344 5.5.4 Online-Kommunikation .................................................................................348 5.5.4.1 Website ..............................................................................................350 5.5.4.2 Suchmaschinenoptimierung......................................................361 5.5.4.3 Weblogs, Foren und Communities...........................................367 5.5.4.4 Online-Werbung .............................................................................370 5.5.4.5 E-Mail-Marketing ............................................................................376 5.5.4.6 Soziale Netzwerke ..........................................................................382 5.5.4.7 Virales Marketing............................................................................392 5.5.5 Guerilla-Marketing ...........................................................................................395 5.6 Resümee ..............................................................................................................................398 Quellenverzeichnis zu Kapitel 5..............................................................................................400 6 Erfolgskontrolle des Kanzleimarketings ....................................................................................409 6.1 Mandantenbefragungen ...............................................................................................410 6.2 Ermittlung des Mandantenwerts ................................................................................416 6.3 Balanced Scorecards und Marketing-Cockpits .......................................................421 6.4 Resümee ..............................................................................................................................425 Quellenverzeichnis zu Kapitel 6..............................................................................................426 7 Management der Mandantenbeziehung: Der Mandanten Journey........................................427 Quellenverzeichnis zu Kapitel 7..............................................................................................432 Anhang: Links und Hilfsmittel................................................................................................433 Stichwortverzeichnis...................................................................................................................449 Namensregister..............................................................................................................................455 <?page no="15"?> Inhalt 15 Praxisbeispiele Lesen und lesen lassen ..................................................................................................................... 39 Coffee and Law .................................................................................................................................... 68 Billig - billiger - JuraXX...................................................................................................................169 Sex, Drugs and Rock´n Roll ............................................................................................................185 Scheidung komplett ........................................................................................................................224 iLawyer und Cyber-Gerichte .........................................................................................................231 Anwalt auf Probe ..............................................................................................................................264 Street Worker: Rechtsanwälte auf Achse ..................................................................................273 Der Love Lawyer................................................................................................................................308 Juristen vor der Kamera..................................................................................................................394 Interviews 10 Fragen an Rechtsanwalt Florian Kalthoff .............................................................................. 34 10 Fragen an Rechtsanwältin Nicola von Tschirnhaus........................................................... 78 10 Fragen an Christiane A. Legler................................................................................................198 10 Fragen an Dr. Claudia Mayfeld ...............................................................................................302 10 Fragen an Dr. Astrid Gerber.....................................................................................................341 10 Fragen an Christian Solmecke ................................................................................................388 <?page no="17"?> 1 Der Markt für Rechtsberatung und -vertretung „Das Studium der Rechte ist eine ganz niederträchtige Kunst: wenn es nicht den Geldbeutel füllte, würde sich niemand darum bemühen“, formulierte Martin Luther vor rund 500 Jahren in einer Tischrede. Über den ersten Teil des Zitats lässt sich streiten, zweifellos jedoch galt der Beruf des Rechtsanwalts über Jahrhunderte als Garant für ein Leben in Wohlstand und sozialer Anerkennung. Als hochspezialisierter Dienstleister war der Jurist unverzichtbar und sah aufgrund einer immer komplexer werdenden Gesetzeslandschaft einer gesicherten Zukunft entgegen. Anders heute: Neben stetig steigenden Kosten für die Unterhaltung der Kanzlei sind Rechtsanwälte heute mit zunehmenden Problemen der Gewinnung und Betreuung von Mandanten konfrontiert. Juristische Qualifikationen reichen längst nicht mehr aus, um eine Kanzlei erfolgreich zu führen. Vielmehr sind Managementkompetenzen, insbesondere in Marketing, Personalführung und Organisation, unabdingbare Erfolgsfaktoren. Dem Bereich des Marketings kommt eine Schlüsselfunktion unter den genannten Funktionen zu, denn er ist die Grundlage für die Erschließung von Umsatzquellen in der Kanzlei. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht versteht man unter Marketing alle Aktivitäten, organisatorischen Regelungen und Prozesse, die darauf abzielen, werthaltige Angebote für Kunden zu schaffen, zu kommunizieren und zu vertreiben (vgl. ähnlich American Marketing Association 2008). Die Stiftung eines Nutzens ist das erklärte Ziel des Marketings. Einige Fachvertreter gehen weiter und betonen, dass Marketing aufgrund seines herausragend wichtigen Charakters für den Geschäftserfolg nicht nur eine Aufgabe, sondern eine Philosophie des wirtschaftlichen Handelns darstellt. Marketing wird in diesem Sinne als marktorientierte Unternehmensführung verstanden, auf die sich alle Bereiche einer Organisation (z. B. Einkauf, Personalwirtschaft, Leistungserstellung etc.) konsequent hin ausrichten müssen (vgl. Meffert / Burmann / Kirchgeorg 2015, S. 14). Nutzen wird bei Rechtsanwälten durch juristische Dienstleistungen erbracht, die von der vorsorglichen Beratung bis hin zur gerichtlichen Vertretung reichen. Die damit verbundenen Aufgaben und Verpflichtungen sind sehr vielfältig. Nach der Art des Angebots lassen sich Dienste der Rechtsberatung und -gestaltung sowie der Rechtsvertretung voneinander abgrenzen ( Abb. 1). Während die Rechtsberatung und -gestaltung dadurch gekennzeichnet sind, dass kein konkreter rechtlicher Konfliktfall vorliegt, geht es bei der Rechtsvertretung um die Vertretung des Mandanten in einer juristischen Streitsituation. Dabei lassen sich außergerichtliche und gerichtliche Vertretungsleistungen unterscheiden. Neben Rechtsberatung und -gestaltung sowie Rechtsvertretung erbringen Anwälte ggf. weitere Dienste für die Allgemeinheit, wie z. B. die Erstellung von Gutachten und Publikationen sowie wissenschaftliche Aufgaben. Da diese Art von Aktivitäten nicht unmittelbar mandantenbezogen sind, spielen sie für das Anwaltsmarketing nur eine untergeordnete Rolle. Sie sind eher Marketinginstrumente als -objekte. <?page no="18"?> 18 Der Markt für Rechtsberatung und -vertretung Abb. 1: Juristische Dienstleistungen nach der Art der Dienste Aufgrund ihrer Heterogenität bringen Rechtsdienstleistungen aus marktorientierter Sicht eine Vielzahl unterschiedlicher Herausforderungen mit sich. Während Rechtsberatung und -gestaltung prophylaktischen Charakter haben und größtenteils aufgrund eigener Motovation des Mandanten nachgefragt werden, dient die Rechtsvertretung primär der Schadensverminderung. Für Mandanten stellen in vielen Fällen Zwänge aufgrund bereits eingetretener Konfliktsituationen das Motiv dar, Rechtsvertretung nachzufragen. Stärker als bei der Rechtsberatung und -gestaltung wird reaktiv gehandelt, d. h. auf Ansprüche Dritter reagiert. Für das Marketing sind die dargestellten Unterschiede höchst relevant, denn während sich für die Vermarktung von Rechtsberatung und -gestaltung viele Marketinginstrumente anbieten, die auch für andere Dienstleistungsbranchen angewendet werden, ist die Nachfrage nach Rechtsvertretung nur in Grenzen beeinflussbar. Natürlich ist auch die außergerichtliche und gerichtliche Vertretung durch Anwälte Gegenstand von Vermarktungsbemühungen (schließlich kann z. B. in vielen Fällen gerade bei außergerichtlichen Streitfällen aus Mandantensicht auch auf anwaltliche Hilfe verzichtet werden), jedoch ist das Aufkommen von Streitfällen stark von externen Faktoren wie der Gesetzeslage oder der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung abhängig. Bei der vorgelagerten Rechtsberatung und -gestaltung ist der Einfluss der Gesetzeslage auf die Nachfrage zwar ebenfalls erheblich, jedoch sind tendenziell alle Instrumente eines auf Vorbeugung zielenden Marketings anwendbar. Der Umfang der Nachfrage kann durch Marketingmaßnahmen wirksam erhöht werden. Unabhängig von der Art der juristischen Dienstleistung ist es für Anwälte von vorrangiger Bedeutung, thematisch „am Ball“ zu bleiben und die im Zeitablauf wechselnden Beratungsthemen zu erfassen sowie nach außen zu adressieren. Neben einschlägigen Fachpublikationen und Seminaren bieten sich dazu statistische Informationen an, die unter anderem von Verbänden und Branchenorganisationen geliefert werden. Beispielweise wertet der Deutsche Mieterbund in seiner jährlichen Beratungs- und Prozessstatistik nicht nur aus, wie oft unterschiedliche juristische Dienste im Bereich Mietrecht in Anspruch genommen wurden, sondern auch, welche Gründe dafür vorlagen (vgl. Deutscher Mieterbund e. V. 2016; für andere Juristische Dienstleistungen Rechtsberatung und -gestaltung Rechtsvertretung sonstige Dienste wie z.B. Gutachtertätigkeiten außergerichtlich gerichtlich <?page no="19"?> Nachfrage 19 Rechtsgebiete existiert ähnliches Zahlenmaterial). In Bezug auf Dienstleistungen der Rechtsvertretung können öffentlich zugängliche Statistiken Einblick geben, welche Rechtsgebiete in welchem Maße „Konjunktur“ haben ( Abb. 2). Freilich ist dabei zu beachten, dass nicht ein Indikator allein die Entwicklungsperspektiven in einem Rechtsgebiet beeinflusst, sondern stets das Zusammenwirken vieler Einflüsse ausschlaggebend ist. Abb. 2: Entwicklung des Aufkommens ausgewählter strafrechtlich relevanter Fälle in Deutschland (vgl. Bundeskriminalamt 2012, S. 3; Bundeskriminalamt 2014, S. 310 und 321, Bundeskriminalamt 2017, S. 8) Es lässt sich festhalten, dass Rechtsanwälte (wie auch andere kommerzielle Anbieter) in einen Markt eingebunden sind, der abhängig von äußeren Einflüssen, aber vor allem von den Absatzanstrengungen der einzelnen Anbieter mehr oder weniger Profit verspricht. Die Leistung eines einzelnen Anwalts ist keinesfalls konkurrenzlos, sondern steht im Wettbewerb zu den Diensten konkurrierender Anwaltskollegen, zu Rechtsberatungsangeboten von Vertretern anderer Berufsgruppen und nicht zuletzt auch zu der Option des Mandanten, gar nichts zu tun oder andere (teils semi-professionelle) Informationsangebote zu nutzen. Parallel sind die Erwar- 17.979 11.943 8.375 7.021 7.417 8.089 8.762 7.966 8.255 0 2.000 4.000 6.000 8.000 10.000 12.000 14.000 16.000 18.000 20.000 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 84.550 101.340 102.813 79.515 81.793 71.663 63.194 60.977 57.546 40.000 50.000 60.000 70.000 80.000 90.000 100.000 110.000 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 1.490.158 1.435.656 1.352.897 1.382.949 1.357.134 1.309.807 1.342.905 1.329.070 1.316.866 1.300.000 1.320.000 1.340.000 1.360.000 1.380.000 1.400.000 1.420.000 1.440.000 1.460.000 1.480.000 1.500.000 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 <?page no="20"?> 20 Der Markt für Rechtsberatung und -vertretung tungen der Mandanten stark gewachsen, so dass heute auf vielen Anwälten der Druck lastet, schneller, kompetenter und zuverlässiger denn je ihre Leistungen erbringen zu müssen - ohne dafür ein höheres Honorar als früher durchsetzen zu können, versteht sich. Der Markt für Rechtsberatung/ -gestaltung und -vertretung hat sich verändert, sowohl auf der Angebotsals auch auf der Nachfrageseite. 1.1 Nachfrage 1.1.1 Elementare Nachfragesituationen im Rechtsdienstleistungsmarkt Nachfrager auf dem Markt für juristische Dienste sind die Mandanten, welche Rechtsdienstleistungen in Anspruch nehmen. Dabei handelt es sich um organisationale (v.a. Unternehmen) oder private Mandanten, die sich in ihrem Nachfrageverhalten erheblich unterscheiden. Organisationen neigen eher als Einzelpersonen dazu, Entscheidungen auf der Grundlage von rationalen Erwägungen und systematischen Informationen zu fällen, zumindest bei Beschaffungsbzw. Beauftragungsprozessen, die in Organisationen zumeist einem strukturierten Ablaufschema folgen. Die Entscheidung für oder gegen die Beauftragung einer Kanzlei ist bei den meisten Unternehmen ein sauber definierter Prozess, der festgelegten Schritten folgt und bei dem am Ende nicht selten die Einkaufsabteilung mit am Tisch sitzt. Wenngleich erfahrene Anwälte mit Sicherheit einige Anekdoten zu berichten wissen, die der These widersprechen, dass die Erwartungen von Organisationen vorrangig dem Rationalprinzip folgen, so kann doch davon ausgegangen werden, dass private Mandanten vor und nach der Mandatserteilung stärker ihrem „Bauchgefühl“ folgen. Auch ist anzunehmen, dass organisationale Mandanten im Durchschnitt größeres juristisches Know-how mitbringen und an Anwälte höhere Anforderungen z. B. in Sachen Teamkompetenz, Internationalität oder Reisebereitschaft stellen. Art des Mandats Organisationale Mandanten Private Mandanten Art des Dienstes Rechtsberatung und -gestaltung Beispiele: Wahl der Rechtsform Entwurf von Programmen zur Korruptionsprävention Beispiele: Testamentserstellung steuerliche Gestaltungsfragen Entwurf eines Ehevertrags Rechts vertretung Beispiele: arbeitsrechtliche Vertretung von Arbeitgebern Vertretung von Unternehmen in Fragen der Produkthaftung Beispiele: Vertretung im Steuerstrafverfahren Vertretung im Scheidungsverfahren Tab. 1: Beispiele verschiedener Nachfragesituationen bei juristischen Dienstleistungen <?page no="21"?> Nachfrage 21 In Anlehnung an die Strukturierung nach der Art des Dienstes und dem Adressaten/ Mandanten, lässt sich zusammenfassend eine erste Struktur ableiten, die als Basis für Marketingüberlegungen dienen kann ( Tab. 1). Demnach gibt es vier grundlegende Arten von juristischen Dienstleistungen, die jeweils eine unterschiedliche Ausrichtung des Marketings nahelegen. 1.1.2 Einflussfaktoren der Nachfrage Eine Besonderheit der Marktsituation, der sich Rechtsanwälte gegenüber sehen, liegt darin, dass die Nachfrage - anders als bei anderen Dienstleistungen - nur teilweise von den eigenen Marketinganstrengungen und zu einem nicht unerheblichen Teil von extern vorgegebenen und kaum beeinflussbaren Faktoren abhängt. Aus volkswirtschaftlicher Sicht beeinflusst beispielsweise die wirtschaftliche und demografische Entwicklung die Frage, wie und in welchem Umfang künftig die Leistungen von Anwälten in Anspruch genommen werden. Die wirtschaftliche Lage wirkt sich dabei vorrangig auf die Dienste der Rechtsberatung und -gestaltung aus. Zwar ist der Zusammenhang zwischen den allgemeinen ökonomischen Bedingungen und der Inanspruchnahme von juristischen Diensten nur schwach positiv (vgl. DAV / Prognos 2013, S. 11). Dennoch steigt bei geringerem Budget in Krisenzeiten die Tendenz, juristische Probleme entweder durch Nutzung kostengünstiger Informationsquellen (z. B. durch „Experten“ im Bekannten- oder Verwandtenkreis) in Eigenregie zu lösen, aufzuschieben oder aber in Fällen, in denen es gar nicht ohne externe Unterstützung geht, besonders hohe Erwartungen an die Leistung des Anwalts zu stellen. Bei organisationalen Mandanten wechseln vor allem auch die Beratungsfelder: Die (für Anwälte meist lukrativen) Mandate rund um das Thema Mergers & Acquisitions nehmen ab, dafür gewinnen in wirtschaftlich schwachen Phasen Insolvenzfälle an Bedeutung (vgl. Volksbanken Raiffeisenbanken / ifo Institut 2011, S. 3). Für Anwälte, die sich vorrangig der Beratung und Vertretung privater Mandanten widmen, hat auch die demografische Entwicklung Einfluss auf die Geschäftsaussichten. Deutschland ist im Umbruch: Die Einwohnerzahl schrumpft, die klassische Familie als Lebensmodell verliert an Bedeutung und der Altersdurchschnitt der Bevölkerung steigt. Je nach anwaltlicher Spezialisierung sind damit Chancen oder Risiken verbunden. Während Erbrechtler sich über immer mehr Personen freuen können, die aufgrund fortgeschrittenen Alters empfänglich für Vermögenssorge und Nachlassgestaltung sind, können Scheidungsanwälte kaum auf einen deutlichen Anstieg der Zahl scheidungswilliger Ehepaare hoffen ( Abb. 3). Die demografische Entwicklung wirkt jedoch nicht nur auf die Fallzahlen, sondern verändert auch den Charakter der Nachfrage nach Rechtsdienstleistungen - so wurden für Familienrechtler in den letzten Jahren Betreuungen vermehrt zum Gegenstand ihrer juristischen Arbeit (zur Zunahme der Betreuungsverfahren vgl. Bundesjustizamt 2013). <?page no="22"?> 22 Der Markt für Rechtsberatung und -vertretung Abb. 3: Entwicklung der Anzahl der Scheidungsfälle (vgl. Statistisches Bundesamt 2016) Ein weiterer Faktor, der die Nachfrage nach Rechtsdiensten stark prägt, sind Veränderungen im Nachfrageverhalten. Längst wird der Berufsgruppe der Rechtsanwälte nicht mehr automatisch hohe Integrität und Kompetenz beigemessen (vgl. Kap. 3.3). Parallel zum gesunkenen Image der Anwaltschaft steigt die Tendenz von Rechtsuchenden zum „Do-it-yourself“. Viele Unternehmen haben eigene Rechtsabteilungen verstärkt, um weniger von externer Unterstützung abhängig zu sein. Rechtsanwälte, die vorher in Großkanzleien tätig waren, werden abgeworben und sind mit der Arbeitsweise ihrer ehemaligen Arbeitsgeber natürlich bestens vertraut. Abrechnungen werden daher genauestens überprüft und nachverhandelt, Festpreise vereinbart und Obergrenzen festgelegt (vgl. Werle / Buchhorn 2013). Neben der Höhe des Honorars gehören zunehmend auch Zusatzleistungen oder gar kostenlose Einsätze von Anwälten beim Mandanten zur Verhandlungsmasse. Die Auswahl juristischer Berater steht bei immer mehr gewerblichen Mandanten unter dem Motto: So wenig Unterstützung wie möglich, so viel wie nötig. Nach einem oft mehrstufigen Ausschreibungsprozess, bei denen die Fähigkeiten externer Kanzleien auf den Prüfstand gestellt werden ( Kap. 5.4.2.7), steht im Anschluss deshalb immer öfter noch der Verhandlungsmarathon mit dem Einkauf an. Der Trend zur Selbsthilfe lässt sich auch bei Privatmandanten nachvollziehen. Der Mandant von heute macht sich im Internet schlau, besucht Rechtsportale und konsultiert Ratgeberliteratur. Amazon.de liefert beispielsweise 306 Ergebnisse zu den Suchworten „Erbrecht Ratgeber“, im Weblog „GuteFrage.net“ werden mehr als 130.000 Fragen zum Thema „Recht“ diskutiert (Stand Mai 2017). Der Trend zur Selbsthilfe sorgt dafür, dass Anwälte sich zunehmend besser informierten Mandanten gegenübersehen (oder solchen, die sich dafür halten) und sich die Form der Betreuung verändert. Wenn Mandanten in früheren Zeiten zur Erstberatung in die Kanzlei kamen, wurden sie über die grundsätzliche Rechtslage aufgeklärt. Heute verwenden Anwälte viel Zeit darauf, die im Internet „gegoogelten“ Informationen zu erklären oder auch zu korrigieren. Rechtsanwalt Heinrich Stader, Autor des 0 50.000 100.000 150.000 200.000 250.000 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 <?page no="23"?> Nachfrage 23 „Mandanten-Schwarzbuchs“, bringt es auf den Punkt: „Mittlerweile haben Sie unter den Mandanten mit steigender Tendenz einen Bodensatz von 5 % Verstrahlten; also Leuten, die sich ihre Rechtsirrtümer aus dem Internet heruntergeladen haben und die man dann Punkt für Punkt widerlegen muss.“ (Bechtold 2012) Das mag überspitzt formuliert sein, fraglos ist aber die Rolle des Anwalts im Zeitalter eines überflutenden Informationsangebots nicht länger darauf beschränkt, Rechtswissen weiterzugeben, das mit wenigen Mausklicks ohnehin für jeden verfügbar ist. Der Mandant von heute verlangt nicht allein einen Spezialisten in Rechtsfragen, sondern einen allseitig geschulten Berater, der neben juristischen Fragen auch zu Vorsorge- und Steueraspekten Stellung nimmt und - je nach Rechtsgebiet - womöglich auch noch psychologische Betreuung leistet. Ob das immer eingelöst werden kann (und sollte), ist fraglich, jedoch ist diese Entwicklung zweifellos nachfrageprägend. Für den Bereich der privaten Mandanten zeichnet sich ein weiterer Nachfragetrend ab: Rechtliche Risiken werden zunehmend durch Rechtsschutzversicherungen abgesichert. Im Jahr 2016 existierten hierzulande ca. 21,9 Mio. Rechtsschutzversicherungsverträge, was einer Zunahme von 14,0 % seit 2005 entspricht. Parallel haben die Leistungsfälle zugenommen (vgl. GDV 2017). Im Klartext bedeutet dies, dass die Rechtsschutzversicherer in stärkerem Maße als bisher eine nachfrageprägende Rolle einnehmen. Der Rechtsschutzversicherer ist zunehmend der „Gatekeeper“ bei der Beauftragung des Anwalts, d. h. seine Kostenübernahmezusage und Anwaltsempfehlung spielen eine entscheidende Rolle für die Frage, ob überhaupt ein Mandat vergeben wird und wenn ja, an wen ( Abb. 4). Die aktuelle Rechtsprechung stärkt die Position der Versicherer. So ist es durchaus zulässig, dass Versicherer finanzielle Anreize in Aussicht stellen, wenn Versicherungsnehmer speziell von der Versicherung empfohlene Anwälte beauftragen, solange die Auswahl grundsätzlich bei den Versicherten liegt und kein unzulässiger psychologischer Druck ausgeübt wird (vgl. BGH, Urteil vom 04.12.2013 - IV ZR 215 / 12; o. V. 2014b, S. 185 f.). Häufig unterbleibt die Beauftragung eines Anwalts gänzlich, denn auf Basis des 2012 in Kraft getretenen Mediationsgesetzes sind viele Versicherungstarife daran gekoppelt, dass der Versicherungsnehmer vor der Inanspruchnahme des Rechtsweges zunächst einen Mediationsversuch vorschalten muss. Kritisch konstatiert das Internetportal www.mediator-finden.de auf Basis einer 2013 durchgeführten Untersuchung, es läge „[...] in vielen Fällen die Vermutung nahe, dass die Rechtsschutzversicherungen dabei nicht immer die Interessen ihrer Versicherungsnehmer in den Vordergrund rücken, sondern Mediation vor allem als Mittel zur Kostendämpfung und Gewinnsteigerung nutzen. Und das, obwohl gerade die Rechtsschutzversicherung schon eine der einträglichsten Versicherungssparten überhaupt ist.“ (Mediation GmbH 2013, S. 1) <?page no="24"?> 24 Der Markt für Rechtsberatung und -vertretung Abb. 4: Erwartungen von Rechtsuchenden an die Rechtsschutzversicherung (vgl. GDV / forsa 2013, S. 13) Besteht keine Rechtsschutzversicherung, ist die Neigung hoch, Rechtsprobleme (soweit möglich) auf sich beruhen zu lassen. Laut einer Studie des forsa-Instituts für den Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft würden 71 % der Deutschen im Streitfall wegen der Kosten auf einen Anwalt verzichten (vgl. GDV/ forsa 2013, S. 20). Für den Anwalt fällt dann Umsatz vollständig weg. Im Alternativfall der Kostenerstattung über die Rechtsschutzversicherung erfolgt zwar eine Beauftragung, jedoch sind die Abrechnungsbedingungen oft wenig erquicklich. Nicht selten versuchen die Versicherer trotz Fehlens unmittelbarer rechtlicher Beziehungen zu beauftragten Rechtsanwälten deren Honorarvereinbarungen zu beeinflussen. Dies geschieht beispielsweise, indem mit ausgewählten Kanzleien Rahmenvereinbarungen abgeschlossen werden, die besondere Konditionen für Versicherte der jeweiligen Gesellschaft beinhalten (vgl. Kilian 2012, S. 209). Neben den genannten Entwicklungen im Bereich von Wirtschaft und Gesellschaft nehmen selbstverständlich und vor allem auch gesetzliche Veränderungen Einfluss auf die Nachfragesituation. Mit zunehmender Regelungsdichte, so lässt sich vermuten, steigt auch die Nachfrage nach rechtlichem Beistand, vor allem nach Rechtsvertretung im Konfliktfall. Anders als häufig vermutet, trifft es jedoch nicht zu, dass generell eine wachsende Zahl von Gesetzen verabschiedet und damit einem Trend zur Verrechtlichung sämtlicher Lebensbereiche Vorschub geleistet würde ( Abb. 5). 0 % 20 % 40 % 60 % 80 % 100% Verbraucher wünschen sich für eine erste Orientierung im Streitfall … Informationen zum weiteren Vorgehen Einschätzung des Streitfalls Aufzeigen unterschiedlicher Möglichkeiten zum weiteren Vorgehen (z.B. außergerichtliche Schlichtung) Empfehlung eines konkreten Anwalts in der Nähe Angebot einer telefonischen anwaltlichen Beratung <?page no="25"?> Nachfrage 25 Abb. 5: Anzahl der vom Bundestag verabschiedeten Gesetze bis 2017 (vgl. Deutscher Bundestag 2017) Jedoch sind Umfang und Vielfalt gesetzlicher Regelungen in verschiedenen Rechtsgebieten unterschiedlich groß. Zudem beeinflusst nicht nur die Existenz gesetzlicher Normen die Regelungsdichte, sondern auch die eventuelle Ausweitung oder Einschränkung des personellen oder sachlichen Anwendungsbereichs sowie die Konsequenz bei Rechtsdurchsetzung und Strafverfolgung. Von letzterem Aspekt profitieren in jüngerer Zeit unter anderem Steuerrechtler. Das Prozedere des Ankaufs von Steuer-CDs durch Landesbehörden hat sich als ergiebige Einnahmequelle für Steueranwälte erwiesen. Die Einschränkung der Möglichkeit einer strafbefreienden Selbstanzeige nach Gesetzesänderungen zum 01.01.2015 und eine damit verbundene Ausweitung des Steuerstrafrechts haben für einen weiteren Aufschwung der Nachfrage nach Anwaltsleistungen gesorgt. Auch für andere Rechtsbereiche wie für das ITsowie das Bank- und Kapitalmarktrecht werden positive Entwicklungsperspektiven vermutet (vgl. Prognos 2012). Neben dem Aspekt, ob und inwieweit gesetzliche Regelungen unmittelbar Einfluss auf die Nachfrage nach Rechtsdienstleistungen nehmen, spielt auch die Frage nach dem Umgang mit Rechtsnormen in der juristischen Praxis eine marktbestimmende Rolle. Immer mehr Verfahren werden außergerichtlich z. B. durch Einsatz von Mediatoren beigelegt, so dass die Zahl an neuen Gerichtsverfahren rückläufig ist. Seit 1995 ist die Zahl der Gerichtsverfahren durchschnittlich um 13 % zurück- Wahlperiode 516 354 139 320 369 507 566 559 400 616 409 (1972) Wahlperiode (2017) 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 100 200 300 400 500 600 700 Anzahl der Gesetzesbeschlüsse 560 (Schätzung) <?page no="26"?> 26 Der Markt für Rechtsberatung und -vertretung gegangen, allerdings ist die Entwicklung je nach Gerichtsbarkeit unterschiedlich: Während in zivil- und verwaltungsrechtlichen Angelegenheiten die Verfahrenszahlen gesunken sind, haben sie sich im Familien- und Sozialrecht erhöht (vgl. DAV / Prognos 2013, S. 48). Allerdings ist die Nachfrage nach Rechtsvertretung nicht allein von der Zahl der Verfahren abhängig, sondern auch von deren Dauer. Bezüglich der Verfahrensdauer gibt es keinen eindeutigen Trend. In vielen Bereichen sind Verfahren heute kürzer als früher, jedoch hat sich z. B. im Sozialrecht die Dauer erhöht. Auch im Zivilrecht sind längere Verfahren an der Tagesordnung. Im Ergebnis lässt sich trotz Rückgangs der Gerichtsverfahren kein eindeutiger Effekt auf die Nachfrage nach Rechtsvertretung ausmachen. Auch in Zivilprozessen vor Amtsgerichten ohne Anwaltszwang ist daher auch die anwaltliche Vertretungsquote in den letzten Jahren konstant geblieben (vgl. DAV / Prognos 2013, S. 49). Prinzipiell nehmen die genannten Aspekte im wirtschaftlichen, demografischen, gesellschaftlichen und gesetzlichen Bereich gleichermaßen auf die Nachfrage nach Diensten der Rechtsberatung/ -gestaltung sowie auf das Angebot von Rechtsvertretung Einfluss. Es lassen sich jedoch Schwerpunkte ausmachen. Naturgemäß wirken Veränderungen in der gesetzlichen Sphäre unmittelbar auf die Nachfrage nach Rechtsvertretung. Gesetzesverschärfungen führen zumeist zu einem Zuwachs des betroffenen Personenkreises oder aber zu spürbareren juristischen Konsequenzen, was einen erhöhten Bedarf an Rechtsvertretung nach sich zieht. Tendenziell erhöht sich auch die Nachfrage nach Rechtsberatung und -gestaltung, jedoch erst in zweiter Linie. Da der Einfluss einzelner Anwälte und Kanzleien auf die Gesetzesentwicklung eher gering ist, erweist sich die Gesamtnachfrage nach Rechtsvertretung als wenig beeinflussbar. Im Vergleich ist das Gebiet des vorsorgenden rechtlichen Beistands viel stärker von der gesellschaftlich vorherrschenden Einstellung zu Rechts- und Vorsorgethemen abhängig. Darauf kann mit gezielten Marketingmaßnahmen Einfluss genommen werden, mehr noch: Das Bewusstsein für rechtliche „Prophylaxe“ zu stärken und die Nachfrage in diesem Bereich zu fördern, sollte ein vorrangiges Ziel des Anwaltsmarketings sein, denn hier gibt es nachweislich Nachholbedarf. In Österreich hat laut einer Untersuchung der Österreichischen Notarkammer nur jedes 20. Ehepaar einen Ehevertrag geschlossen - obwohl 53 % aller Befragten bei einer erneuten Heirat einen solchen abschließen würden (vgl. o. V. 2013). In Deutschland sind die Verhältnisse vergleichbar. Ein analoges Bild ergibt sich prinzipiell auch bei der Planung des Erbfalls: Mehr als drei Viertel der Deutschen haben kein Testament (Schwarzer 2012). Noch immer wird der Anwalt sehr stark als Person wahrgenommen, die Konflikte reaktiv löst, aber nicht proaktiv verhindert - hier stellen sich große Herausforderungen für das Marketing der Branche. 1.2 Angebot 1.2.1 Konkurrenz im Anwaltsgeschäft Die Situation auf der Nachfrageseite hat sich verschärft - doch wie hat sich die Angebotsseite entwickelt? Um dies zu beantworten, ist zunächst zu analysieren, wer oder was überhaupt als Anbieter von Rechtsdienstleistungen klassifiziert werden kann. Primär, aber nicht ausschließlich, sind hier die dafür ausgebildeten Rechtsan- <?page no="27"?> Angebot 27 wälte zu nennen, deren Zahl in Deutschland bis vor eingen Jahren noch stetig deutlich wuchs ( Abb. 6). Abb. 6: Zahl der zugelassenen Rechtsanwälte in Deutschland (vgl. BRAK 2017b) Die Steigerung der Zahl der zugelassenen Anwälte bei gleichzeitig sinkenden Bevölkerungszahlen bewirkt, dass in Deutschland rechnerisch mehr Anwälte pro Einwohner verfügbar sind als je zuvor. Seit 1991 hat sich das Einwohner-Anwalts- Verhältnis mehr als halbiert. So kamen in den Jahren 2011/ 2012 auf einen zugelassenen Anwalt nur 512 Einwohner. Im internationalen Vergleich liegt Deutschland damit immer noch hinter den USA, wo im gleichen Zeitraum für rechnerisch 254 Einwohner ein Anwalt zur Verfügung stand, auch hinter Italien und England mit 263 bzw. 331 Einwohnern je Anwalt, aber weit vor unseren Nachbarn in Österreich (1.439) und der Schweiz (868) (vgl. Kilian / Dreske 2014, S. 34). Die stark wachsende Zahl von Rechtsanwälten bei tendenziell eher gering wachsender Nachfrage heizt den Wettbewerb deutlich an. Betriebswirtschaftlich spiegelt sich das Verhältnis von Angebot und Nachfrage im Marktpreis wider; sprich: Ob und inwieweit Rechtsanwälte „knapp“ sind, zeigt sich an deren Gehaltsentwicklung. Ein Blick auf die Einstiegsgehälter angestellter Rechtsanwälte im Inland offenbart erwartungsgemäß, dass zwischen 2005 und 2012 keine Steigerung stattgefunden hat ( Tab. 2). Zudem häufen sich Fälle unzulässigen Lohndumpings bei der Einstellung von Berufsanfängern. Nicht selten werden junge Anwälte als „Trainee“, nach einem vorgeschalteten Praktikum oder auch nur befristet zu einem besseren Referendargehalt eingestellt. Im Jahr 2009 stellte der Bundesgerichtshof dazu klar, dass die Vergütung bei mindestens 2/ 3 des Durchschnittslohns in der Branche liegen müsse, da ansonsten von einem eindeutigen Missverhältnis und einem Verstoß gegen die guten Sitten auszugehen sei (vgl. BGH, Beschluss vom 30.11.2009 - AnwZ (B) 11 / 08). Die Dunkelziffer anderslautender Regelungen dürfte jedoch sehr hoch sein. 12.844 164.393 0 20.000 40.000 60.000 80.000 100.000 120.000 140.000 160.000 180.000 `50 `60 `70 `80 `90 `00 `01 `02 `03 `04 `05 `06 `07 `08 `09 `10 `11 `12 `13 `14 `15 `16 `17 <?page no="28"?> 28 Der Markt für Rechtsberatung und -vertretung Kanzleiform Jahresbruttogehalt 2005 Jahresbruttogehalt 2012 Angestellte Rechtsanwälte insgesamt 46.000 € 43.000 € Angestellte Rechtsanwälte in Einzelkanzleien 28.800 € 28.300 € Angestellte Rechtsanwälte in Sozietäten 47.900 € 45.200 € Tab. 2: Durchschnittliches Einstiegsbruttojahresgehalt bei Vollzeittätigkeit 2005 und 2012 (vgl. Kilian / Dreske 2014, S. 113) Für mehr Wettbewerb im Anwaltsgeschäft sorgt nicht nur die Tatsache, dass Jahr für Jahr neue Berufsträger dazukommen. Vor allem für Wirtschaftskanzleien trägt auch die vermehrte Präsenz ausländischer Konkurrenten in Deutschland zu dieser Entwicklung bei. Aufgrund der EU-Regelungen über die Niederlassungsfreiheit im gemeinsamen Markt ist es Anwälten aus dem europäischen Raum möglich, ohne wesentliche Beschränkungen in den EU-Ländern Rechtsdienstleistungen anzubieten. Kanzleien aus den USA können auf Basis des GATS-Abkommens in Deutschland deutsche Anwälte einstellen und amerikanische Anwälte in Deutschland zu Fragen des US-Rechts beraten lassen. Seit den 1990er Jahren wurden immer mehr Niederlassungen von Kanzleien aus den USA und dem Vereinten Königreich in Deutschland gegründet. Was bei US-Kanzleien funktioniert hat, hat sich für viele Kanzleien aus Großbritannien als nicht erfolgreich erwiesen, da die aus der Heimat mitgebrachten Aufträge nicht die kritische Auslastung brachten. Fusionen mit deutschen Büros sind und waren eine Möglichkeit, um eine kritische Masse an Mandaten zu gewinnen. Auf diesem Weg entstanden multinationale Kanzleien, die für unabhängige inländische Kanzleien als Chance und Bedrohung gleichermaßen zu werten sind. Nach Ende der Goldgräberstimmung haben Standortschließungen und Entlassungen bei US-amerikanischen Sozietäten von sich reden gemacht. Einige amerikanische Anwaltskanzleien sind längst gar nicht mehr in Deutschland präsent (Howrey LLP, Dewey & LeBoeuf, Faegre & Benson, Coudert Brothers), andere haben Niederlassungen geschlossen (z. B. Linklaters in Köln, Shearman & Sterling in München und Düsseldorf) (vgl. JUVE 2014). Gleichwohl ist im Bereich des Wirtschaftsrechts auch weiterhin mit einem starken internationalen Wettbewerb zu rechnen. Doch nicht nur Rechtsanwälte untereinander sorgen für Wettbewerb auf der Anbieterseite. Auch branchenfremde Wettbewerber entwickeln sich zunehmend zur Konkurrenz. So werden Rechtsdienstleistungen immer öfter auch von Organisationen und Berufsvertretern angeboten, die zur Komplettierung ihrer Dienstepalette rechtsberatende Funktionen übernehmen. Dazu zählen beispielsweise Banker, Steuerberater, Immobilienmakler, Architekten oder amtliche Betreuer. Zwar regelt das Rechtsdienstleistungsgesetz, dass eine uneingeschränkte Rechtsberatung gegen Entgelt den Juristen vorbehalten ist, jedoch sind bestimmte Rechtsdienste aus- <?page no="29"?> Angebot 29 drücklich ausgenommen (z. B. Testamentsvollstreckung), die Erbringung anderer ist an Bedingungen geknüpft (behördliche Registrierung, Sicherstellung fachgerechter Anleitung). Damit dürfen also mit dem Inkrafttreten des Rechtsdienstleistungsgesetzes im Jahr 2008 auch Nicht-Juristen rechtlich beraten, sofern die Rechtsberatung nur Nebenleistung ist (§ 5 Rechtsdienstleistungsgesetz). Ein akademischer Abschluss ist keine Bedingung. Rechtsberatung zu steuerrechtlichen Fragen kann daher in Grenzen auch der Bankbeamte leisten, Auskünfte zum Vertragsrecht auch der gelernte Immobilienkaufmann geben. Im Prinzip sollen damit „quasireflexartig“ (Ferner 2012) vorgenommene Rechtsdienstleistungen erlaubt werden, damit Berufsgruppen ohne juristische Vorbildung ihren Hauptgeschäften nachgehen können. Die Konsequenzen dieser Rechtsvorschriften werden unterschiedlich bewertet. „Gleichwohl handelt es sich um einen sehr undifferenzierten Bereich, der ohne fachkundige Beratung nicht ins Blaue hinein beschritten werden sollte“ (Ferner 2012) konstatiert etwa Rechtsanwalt Jens Ferner auf seiner Webseite. „Wer sich in seinem Gebiet auch rechtlich auskennt, darf fortan beraten“ (Hutterer 2008) verkündet hingegen die Online- Ausgabe der Zeitschrift „Focus“. Zwar bleiben Kernbereiche der Anwaltstätigkeit, wie z. B. die Vertretung vor Gericht, unangetastet, und auch die Pflicht zur Verschwiegenheit betrifft allein Anwälte. Doch der Privatmandant unterscheidet das oft nicht so genau und nimmt mit Aussicht auf die Honorarersparnis gewisse Unschärfen bei der Rechtsberatung billigend in Kauf. Zweifelsohne entsteht hier eine Konkurrenzsituation. Dies wird auch dadurch deutlich, dass einzelne Berufsgruppen nun verstärkt darauf hinarbeiten, sich auf rechtlichem Gebiet zu professionalisieren. Der Deutsche Steuerberaterverband e. V. verleiht beispielsweise seit 2008 den Fachberaterstatus in Bereichen wie Sanierung und Insolvenzverwaltung, Testamentsvollstreckung und Nachlassverwaltung sowie Unternehmensnachfolge. In Teilen entsteht dadurch ein Wettbewerbsverhältnis zu Rechtsanwälten. Neben einzelnen Vertretern anderer Berufsgruppen bekommen Rechtsanwälte Konkurrenz von spezialisierten Organisationen und Institutionen, die sich hauptamtlich der Erbringung von Rechtsdienstleistungen widmen. Dazu gehören vor allem Verbraucherzentralen, die bei alltäglichen Rechtsproblemen eine beliebte Anlaufstelle sind. Oft werden juristische Fragen hier bereits abschließend geklärt, so dass der Gang zum Anwalt unterbleiben kann. Der Verbraucherzentrale Bundesverband nimmt zudem aktiv Einfluss auf die Rechtsprechung durch die Anstrengung von Musterprozessen. Nach den Plänen der Bundesregierung sollen die Verbraucherzentralen künftig noch weitergehende Funktionen übernehmen und eine spezielle Wächterfunktion für den Finanzmarkt wahrnehmen. In dieser Eigenschaft sollen sie interessante Erkenntnisse aus der Marktbeobachtung direkt an Aufsichtsbehörden und Politik weitergeben (o. V. 2014a). Verbraucherzentralen leisten mithin nicht nur Rechtsberatung von Privatpersonen, sondern haben auch starken Einfluss auf Gesetzesinitiativen und Rechtsprechung. Flankierend zu den Verbraucherzentralen bieten weitere Organisationen und Institutionen Rechtsberatung an. Soweit es z. B. um Sozialleistungen geht, geben vor allem Behörden rechtlich relevante Hinweise. Nach §§ 13 bis 15 des Sozialgesetzbuchs sind die Behörden zur Beratung, Aufklärung und zur Auskunft auch in allen damit zusammenhängenden rechtlichen Fragen explizit verpflichtet. Eine umfassende Rechtsberatung findet zwar nicht statt, dennoch werden durchaus rechtsrelevante Informationen weitergegeben. Auch andere Gesetze sehen mitunter vor, dass die zuständigen Behörden zur Beratung von Bürgerinnen und Bürgern verpflichtet <?page no="30"?> 30 Der Markt für Rechtsberatung und -vertretung sind. Weitere Beratungsaufgaben übernehmen Betreuungsvereine, die über Betreuungsverfügungen und Vorsorgevollmachten informieren. Abb. 7: Konkurrenzgrade im Markt für Rechtsdienstleistungen Die vorstehenden Ausführungen zur Wettbewerbssituation zeigen: Die Konkurrenz gibt es nicht. Wie auch in anderen Branchen gibt es bei Anbietern juristischer Dienstleistungen Konkurrenten 1., 2., 3. Ordnung oder auch noch weiterer Ordnungslevel, abgestuft nach der Nähe zu den Anbietern und ihrem Konkurrenzeinfluss ( Abb. 7): Konkurrenz 1. Ordnung faktische Konkurrenz Rechtsanwälte/ Kanzleien mit vollständig vergleichbarem Marktforkus Konkurrenz 2. Ordnung potenzielle Konkurrenz Rechtsanwälte/ Kanzleien aus dem Ausland mit Markteintrittsgefahr inländische Rechtsanwälte/ Kanzleien mit ähnlichem Marktfokus Vertreter anderer Berufe, die zusätzlich Rechtsdienste anbieten (z.B. Makler, Steuerberater etc.) Konkurrenz 3. Ordnung latente Konkurrenz alternative Lösungsstrategien (z.B. Selbsthilfe) „Konkurrenz“ durch Nicht-Aktivität <?page no="31"?> Angebot 31 Konkurrenten 1. Ordnung sind solche Anbieter, die hinsichtlich Geschäftsmodell und Marktverhalten eine hohe Ähnlichkeit zu Anwälten aufweisen. Dazu zählen bereits existierende andere Anwälte mit ähnlicher Spezialisierung und vergleichbarer Zielgruppe. Von ihnen geht tendenziell der höchste Wettbewerbsdruck aus. Konkurrenten 2. Ordnung entstammen der gleichen Branche, sind aber faktisch weniger präsent am Markt oder sind zwar als Anbieter aktiv, bedienen aber nicht die gleiche Zielgruppe, weil sie z. B. andere Rechtsgebiete abdecken. Im Markt für Rechtsdienstleistungen gehören dazu zum einen ausländische Kanzleien, die ihre Dienste künftig auch hierzulande anbieten oder ausweiten könnten, so dass eine Konkurrenzsituation entsteht oder sich verschärft. Dazu zählen aber auch Vertreter anderer Berufsgruppen, die Rechtsdienste ergänzend anbieten oder anbieten könnten. Die Konkurrenz der 2. Ordnung hat demzufolge eher den Charakter einer potenziellen Bedrohung, während Konkurrenten 1. Ordnung eine faktische Konkurrenzsituation darstellen. Konkurrenten 3. Ordnung spielen dauerhaft eine Rolle, jedoch eher im Hintergrund, also in latenter Form. Im Markt für Rechtsdienste stellt die Alternative, Rechtsprobleme entweder nicht aktiv anzugehen oder aber durch „Selbsthilfe“ zu lösen (Ratschläge aus dem eigenen Umfeld, Eigeninformation bzw. Aufbau von Inhouse-Kompetenz) eine latente Bedrohung dar. Der Wettbewerbseinfluss der Konkurrenz 3. Ordnung ist meist weniger sichtbar, aber oft bedeutsam. Keine Aktivität zu entwickeln, d. h. keinen Anwalt aufzusuchen, ist aus Sicht potenzieller Mandanten häufig die naheliegendste, weil bequemste und kostengünstigste Variante aus kurzfristiger Sicht. 1.2.2 Wirtschaftliche Konsequenzen des Wettbewerbs Welche wirtschaftlichen Konsequenzen hat nun der deutlich gestiegene Wettbewerb im Markt für Rechtsdienstleistungen? Zunächst sind die Effekte auf der Umsatzseite spürbar: Zwar lag der Zuwachs des Rechtsberatungsmarkts im langjährigen Durchschnitt bei 4 % und damit über dem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts, aufgrund des stetigen Anstiegs der Zahl zugelassener Anwälte ist der Umsatz pro Rechtsanwalt in den letzten Jahren jedoch stetig gesunken, von 116.311 € im Jahr 1994 auf 97.002 € im Jahr 2011 (vgl. Buchhorn 2013). Pauschalanalysen sind allerdings wenig aussagekräftig, denn die Streubreite ist enorm. Es gilt das Pareto- Prinzip, d. h. 23,2 % der Kanzleien erwirtschaften 81 % der Umsätze im Markt (vgl. Huff 2013). So profitieren von einem starken Aufschwung vor allem die großen Wirtschaftskanzleien mit einer volatilen, aber lukrativeren gewerblichen Mandantenstruktur ( Abb. 8). <?page no="32"?> 32 Der Markt für Rechtsberatung und -vertretung Abb. 8: Umsatzentwicklung der Top-50-Kanzleien (vgl. JUVE 2017) Auch konnten die meisten Großkanzleien im letzten Jahr ihre Produktivität erhöhen und den Umsatz pro Berufsträger im Durchschnitt steigern ( Tab. 3). Rang Kanzlei Umsatz in Mio. € % Veränderung zum Vorjahr Umsatz pro Equity-Partner in € % Veränderung zum Vorjahr 1 Freshfields Bruckhaus Deringer 367,00 + 3,4 % 3.424.000 + 3,2 % 2 CMS Hasche Sigle 286,20 + 8,0 % 1.431.000 + 6,4 % 3 Hengeler Mueller 218,00 + 6,3 % 2.565.000 + 5,7 % 4 Linklaters 191,30 + 3,6 % 3.037.000 + 0,3 % 5 Noerr 190,20 + 6,9 % 2.262.000 + 4,6 % 6 Clifford Chance 178,40 - 5,1 % 3.366.000 - 5,1 % 7 Gleiss Lutz 167,00 - 2,9 % 2.062.000 -2,9 % 8 Hogan Lovells 160,20 + 13,6 % 2.762.000 + 7,7 % 9 Allen & Overy 144,60 + 7,0 % 2.892.000 + 4,8 % 10 Heuking Kühn Lüer Wojtek 131,60 + 8,8 % 1.009.000 + 3,8 % Tab. 3: Umsätze der 10 umsatzstärksten Kanzleien in Deutschland (2015/ 2016) (vgl. JUVE 2017) 3.566 3.457 3.592 3.781 3.881 4.100 4.521 3.000 3.200 3.400 3.600 3.800 4.000 4.200 4.400 4.600 2008/ 2009 2009/ 2010 2010/ 2011 2011/ 2012 2012/ 2013 2013/ 2014 2015/ 2016 Geschäftsjahr Mio. € <?page no="33"?> Angebot 33 Kleine Kanzleien jedoch, die vorrangig Privatmandate übernehmen, haben Erlösprobleme und erzielen unterdurchschnittliche Umsätze. Die Brisanz dieser Entwicklung wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass mehr als drei Viertel aller Kanzleien zu den kleinen Anbietern zählen - Tendenz steigend, denn aufgrund der zunehmenden Überbesetzung des Marktes ist mit einer weiteren „Atomisierung“ zu rechnen. Knapp 33 % der Anwälte sind „Einzelkämpfer“ und nur 12 % aller Kanzleien beschäftigen mehr als 10 Anwälte (vgl. Kilian 2016, S. 98 f. und S. 117). Mehr als 90 % der Kanzleien erwirtschaften einen jährlichen Umsatz von maximal 500.000 € ( Abb. 9). Abb. 9: Anzahl von Kanzleien nach Umsatzgrößenklassen in Deutschland (2011) (vgl. Brehm / Eggert / Oberlander 2012, S. 134) Im internationalen Vergleich ist eine derartige Struktur nicht ungewöhnlich. So dominieren in der Schweiz, Dänemark, Großbritannien und den USA ebenfalls Kleinst- und Kleinunternehmen. Wie auch in Deutschland, zeigt sich in diesen Ländern parallel ein Trend zu wachsenden Kanzleigrößen (vgl. DAV / Prognos 2013, S. 40). Während die Zahl von Klein- und Kleinstkanzleien sehr hoch ist, ist ihr Umsatzanteil im Gesamtmarkt vergleichsweise gering. Von einem Umsatzhoch können nur Großkanzleien sprechen, die nach der Wirtschaftskrise 2009 wieder mit zunehmend lukrativen Unternehmenstransaktionen zu tun hatten. Mitbestimmend für den Wachstumskurs sind die von den großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften gegründeten Anwaltskanzleien. Bei kleineren Kanzleien sind insbesondere solche mit angeschlossenem Notariat weniger in Bedrängnis. Viele Anzeichen sprechen für eine Polarisierung der Marktstruktur: Während der zunehmende Wettbewerb auf der einen Seite immer größere Kanzleien entstehen lässt, die aufgrund ihrer Marktpräsenz spezialisiert und effizient arbeiten können, entstehen auf der anderen Seite mangels Alternativen mehr und mehr „Ein-Mann-Kanzleien“, die sich oft nur schwer am Markt behaupten können. 33.734 1.854 1.228 139 0 5.000 10.000 15.000 20.000 25.000 30.000 35.000 40.000 < 500.000 € 500.000 <= 1 Mio. € 1 Mio. <= 5 Mio. € > 5 Mio. € <?page no="34"?> 34 Der Markt für Rechtsberatung und -vertretung Interview 10 Fragen an Rechtsanwalt Florian Kalthoff (Kanzleigründer), Langenfeld Florian Kalthoff, Jahrgang 1981, hat unmittelbar nach Referendariat und Anwaltszulassung den Sprung in die Selbständigkeit gewagt. Seine Kanzlei betreibt er seit viereinhalb Jahren in Langenfeld, einer Kleinstadt im Rheinland, genau zwischen Köln und Düsseldorf. Personal gibt es nicht, auch keine Anwaltskollegen, denn der Anwalt betreibt eine von unzähligen Ein-Mann-Kanzleien in Deutschland. Gut erreichbar für seine Mandanten in mehrfachem Sinne, denn die Kanzleiräumlichkeiten liegen direkt an der Bahnlinie, nicht gerade im besten Stadtteil, aber mit Rückrufgarantie innerhalb von 24 Stunden und ohne lange Wartezeiten. Frage 1 Aus welchen Gründen haben Sie sich 2012, gleich nach Ihrer Zulassung als Anwalt, für die Gründung einer eigenen Kanzlei entschieden? Die Selbständigkeit war eigentlich immer schon mein Berufsziel, offen war nur der Zeitpunkt. In meiner Familie gibt es einige Vorbilder in dieser Richtung: Meine Tante hat eine eigene Kanzlei, meine Großmutter eine eigene Firma. Mein zweites Staatsexamen lief nicht optimal, das hat mich mit dazu bewogen, schneller als geplant selbständig zu werden. Der Schritt war natürlich gewagt, aber da meine Frau in einer Großkanzlei ein sicheres Auskommen hat, konnte ich das finanzielle Risiko lockerer eingehen als Kollegen in vergleichbarer Situation. Frage 2 Was waren für Sie im Nachhinein die größten Herausforderungen beim Start in die Selbständigkeit? Ganz klar: Die Lösung der administrativen und betriebswirtschaftlichen Probleme. Als Jurist hat man da doch von Haus aus wenig Ahnung. Ganz einfache Themen muss man sich mühsam erarbeiten: Was muss auf einer Rechnung stehen, welche Steuern sind zu zahlen, welche Versicherungen abzuschließen? Alles Neuland, das ich anhand von Büchern und Gründerseminaren selbst entdecken musste. Frage 3 Bereitet das juristische Studium aus Ihrer Sicht hinreichend auf die Tätigkeit als selbständiger Anwalt vor? Wenn nein: Welche Kompetenzen hätten dringend noch vermittelt werden sollen? Das juristische Studium vermittelt Fachkenntnisse, eine praktische Vorbereitung findet nicht statt. Das fängt bei einfachen Dingen an, z. B. vermittelt einem niemand, wie man eine Akte richtig führt. Auch im Referendariat wird man damit meist nicht konfrontiert und wenn man ohne Fachpersonal startet, erklärt einem sowas auch später keiner. Alles, was mit Kanzleimanagement zu tun hat, muss man sich selber aneignen. <?page no="35"?> Angebot 35 Auch Kommunikation, Selbstmarketing und Sozialkompetenz sind wichtige Themen, die im Studium so gut wie nicht adressiert werden. Dazu kommen dann eben noch die wichtigen betriebswirtschaftlichen Themen. Frage 4 War es schwer, das notwendige Kapital für die Kanzleigründung aufzubringen? Wie haben Sie es geschafft? Ich habe den Gründungszuschuss von der Bundesagentur für Arbeit erhalten. Das war im Nachhinein wirklich Gold wert, denn dazu musste unter anderem ein sehr genauer Businessplan erstellt werden. Ich weiß nicht, ob ich mich von Anfang an so intensiv mit den Finanzen beschäftigt hätte, wenn das nicht eine wichtige Voraussetzung für die Förderung gewesen wäre. Letzten Endes konnte mein Plan überzeugen, wohl vor allem durch ein nachvollziehbares Werbekonzept. Allerdings reichte der Gründungszuschuss gerade mal, um die nötigsten Kosten zu decken. Den Rest musste ich durch Privatdarlehen aufbringen. Frage 5 Viele selbständige Rechtsanwälte sind auf Nebentätigkeiten angewiesen, um „über die Runden“ zu kommen. Gilt/ galt das auch für Sie? Im Rahmen meiner anwaltlichen Tätigkeit halte ich regelmäßig Vorträge und gebe zusammen mit einem Kollegen Führungskräfteseminare. Ansonsten habe ich gerade am Anfang Rechtsfragen im Internet beantwortet und damit Leerkapazitäten überbrückt. Ich war bei der Plattform 123recht.net angemeldet und habe dort fallweise online Auskunft gegeben. Frage 6 Was macht Ihre Kanzlei aus? Wie wollen Sie sich am Markt positionieren? Es wird ja immer geraten, sich zu spezialisieren, ich habe das zunächst bewusst nicht gemacht. Als relativ junger Anwalt hat man es da schwer, denn man ist ja noch nicht Fachanwalt und eine große Expertise in einem Rechtsgebiet lässt sich aufgrund der begrenzten Berufserfahrung auch nicht glaubwürdig erklären. Mein Vorteil ist aber, dass ich mehr Zeit habe, auf Mandanten individuell einzugehen als Kollegen in einer Großkanzlei. Viele Mandanten erzählen mir neben ihrem Rechtsproblem auch ihre halbe Lebensgeschichte und ich falle denen dann nicht sofort ins Wort. Ich bin flexibel und passe mich schnell an, auch wenn es um neue Marketingkonzepte geht. Internetwerbung ist für mich ein wichtiges Mittel zur Mandantengewinnung - da tun sich gerade ältere Kollegen oft schwer. Frage 7 Welche Marketingmaßnahmen haben Sie bereits umgesetzt, welche sind künftig noch in Planung? Rund zwei Drittel meiner Mandate gewinne ich mittlerweile über die Plattform anwalt.de. Auf dieser Plattform können Anwälte ganz einfach ein persönliches Profil erstellen und sich auf diese Weise den potenziellen Mandanten vorstellen. Die Mandanten können den Anwalt im Anschluss an die geleistete Arbeit auch bewerten. Durch diese Bewertungen können sich zukünftige Mandanten dann ein noch besseres Bild von dem jeweiligen Anwalt machen. <?page no="36"?> 36 Der Markt für Rechtsberatung und -vertretung Bei der Google-Suche ist anwalt.de immer ganz weit oben zu finden, was dazu führt, dass - insbesondere bei guten Bewertungen - ein erheblicher Zulauf generiert wird. Der Erfolg dieser Werbemaßnahme ist messbar und die Mandantengewinnung wird deutlich erleichtert. Ebenfalls wichtig ist für mich das Suchmaschinenmarketing. Über Google Adwords lässt sich die Werbung sehr gut aussteuern und so kann die Anzahl der hereinkommenden Mandate an die eigenen Kapazitäten angepasst werden. Für die Online-Akquise setze ich zudem auf meine eigene Homepage, für die ich viel positive Rückmeldung bekomme. Ich habe auch schon mal in einschlägigen Anzeigenblättchen inseriert, aber die Erfahrung gemacht, dass die Qualität der Mandate, die von dort kommen, eher gering ist. Einige Male habe ich kleinere Beiträge in Rechtsberatungsrubriken veröffentlicht. Für die Zukunft plane ich, noch aktiver im Internet zu werden, gegebenenfalls mit weiteren Homepages, die interessante Informationen zu einzelnen Rechtsberatungsfeldern liefern, oder mit einem eigenen Weblog. Auch in sozialen Netzwerken wie z. B. XING bin ich noch nicht wirklich präsent. Frage 8 Welche Fähigkeiten und Kenntnisse sollten Anwälte mitbringen, die sich selbständig machen wollen? Welche persönlichen Merkmale sind darüber hinaus besonders wichtig? Ganz wichtig ist ein funktionierendes Netzwerk zu anderen Anwälten und am besten auch zu Richtern. Naturgemäß weiß man am Anfang ja noch nicht alles und wird auch manchmal direkt mit kniffligen Rechtsfällen konfrontiert. Ohne Kollegen, die man fragen könnte, stößt man da schnell an seine Grenzen, und da ist es sehr hilfreich, wenn man ab und zu jemanden fragen kann. In persönlicher Hinsicht gehören sicher Mut und Gelassenheit dazu. Mut braucht man, wenn der erste Mandant kommt, beim Auftreten vor Gericht und auch, weil man stets Gefahr läuft, haftbar gemacht zu werden. Gelassenheit ist nötig, um Durststrecken durchzustehen. Frage 9 Welche Empfehlungen haben Sie darüber hinaus für Anwälte, die den Weg in die Selbständigkeit gehen wollen? Ohne einen Businessplan, d. h. eine genaue Auflistung der zu erwartenden Umsätze und Kosten, geht gar nichts. Für mich ist das die wichtigste Planungsgrundlage und ich überprüfe auch in regelmäßigen Abständen, ob ich da noch im Plan bin. Nach nunmehr viereinhalb Jahren kann ich von meiner Selbstständigkeit leben, allerdings muss ich das Geschäft weiterentwickeln. Von Anfang an ist es auch entscheidend, die Kosten im Rahmen zu halten. So habe ich beispielsweise die Entscheidung bewusst getroffen, die Kanzlei in Langenfeld und nicht an meinem damaligen Wohnort in Düsseldorf zu eröffnen, denn dort hätte ich leicht ein Vielfaches an Miete gezahlt und zudem mit deutlich mehr Konkurrenz zu tun gehabt. <?page no="37"?> Angebot 37 Richtige Standortwahl und die Kenntnis des Wettbewerbs zählen also auch zu den Erfolgsvoraussetzungen bei der Kanzleigründung. Und natürlich muss man am Anfang sparen, wo es geht. Ich habe keine Angestellte, eine günstige Miete hier im Industriegebiet und mache alles selbst. Man darf sich für nichts zu schade sein. Frage 10 Würden Sie heute - nach mehr als vier Jahren als selbständiger Anwalt - noch einmal gleich nach der Anwaltszulassung eine eigene Kanzlei gründen? Ja, die Selbständigkeit war immer mein klares Berufsziel. Aber nur mit einem guten Businessplan. Angaben zur Umsatzentwicklung allein geben keinen Aufschluss über die erzielten Gewinne der Anwaltschaft. Um die Gewinne einzuschätzen, muss ein Blick auf die Kostensituation geworfen werden. Nach Untersuchungen des Soldan Instituts sind Personal- und Sachkosten im Dienstleistungsbereich „Rechtsberatung“ allein zwischen 2004 und 2011 um 27,3 % gestiegen, was auf erhebliche Gewinnrückgänge schließen lässt (vgl. Kilian / Dreske 2014, S. 108). Auch die erfolgreichen großen Wirtschaftskanzleien tun sich schwer mit dem Profit, so dass trotz guter Umsätze im Geschäftsjahr 2012 nur zwei Drittel der 100 weltweit größten Law Firms Zuwächse beim Gewinn pro Partner verzeichnen konnten (vgl. Werle / Buchhorn 2013). Gestiegene Qualitätsanforderungen seitens der Mandanten führen dazu, dass die meisten Rechtsanwaltskanzleien trotz vermeintlich besserer Organisation keine Gewinnzuwächse verbuchen konnten. Hinzu kommen Forderungsausfälle, die mit 5-8 % deutlich über dem Prozentsatz der gewerblichen Wirtschaft liegen (vgl. Commerzbank Research 2013, S. 8). Trotzdem sind Insolvenzen von Anwaltskanzleien noch die Ausnahme. Man kann jedoch vermuten, dass die dazu verfügbaren Zahlen die Wirklichkeit verschleiern, denn zahlreiche Rechtsanwaltskanzleien werden nebenberuflich auf „kleiner Flamme“ betrieben, ohne wirklich zahlungsunfähig zu sein und damit Teil der Insolvenzstatistik zu werden. Das Soldan Institut ermittelte 2016, dass ein Drittel aller selbstständigen Rechtsanwälte einen jährlichen Vorsteuergewinn von unter 50.000 € erzielt. (vgl. Kilian 2016, S. 84) Neben einem deutlichen Überangebot an Rechtsdienstleistungen und den damit verbundenen finanziellen Konsequenzen sind auf der Anbieterseite auch klare Qualifikationsveränderungen zu erkennen. So begegnen viele Rechtsanwälte den kompetitiven Rahmenbedingungen durch den Erwerb von Zusatzqualifikationen. Allen voran ist hier der Fachanwaltsstatus zu nennen, der für viele Anwälte ein Weg darstellt, aus der Masse der Anbieter herauszustechen und die Qualität der eigenen Dienste am Markt sichtbar zu machen. Nach Statistiken der Bundesrechtsanwaltskammer sind jährlich durchschnittlich zwischen 7 und 9 % mehr Fachanwaltschaften zu erwarten. Unter Einbeziehung der Doppel- und Dreifachverleihungen führten im Jahr 2016 67.786 bzw. 41,4 % aller deutschen Rechtsanwälte mindestens einen Fachanwaltstitel ( Abb. 10). Der Titel ist mittlerweile ein beliebtes Instrument der Differenzierung unter Anwälten. Einschlägigen Untersuchungen zufolge spielt die Spezialisierung für 80 % der befragten Mandanten bei der Anwaltsauswahl eine große Rolle, 60 % der Rechtsuchenden achten dabei gezielt auf den Fachanwaltstitel (vgl. Hommerich / Kilian 2007, S. 110 und 121). An <?page no="38"?> 38 Der Markt für Rechtsberatung und -vertretung anderer Stelle wird nachgewiesen, dass Fachanwälte im Durchschnitt um 14 € höhere Stundensätze berechnen können als Kollegen ohne Fachanwaltsbezeichnung (vgl. Soldan Institut 2006, S. 476). Abb. 10: Entwicklung der Fachanwaltschaften seit 1960 (vgl. BRAK 2017a) Mit Ausnahme der Einführung juristischer Zusatzqualifikationen wie z. B. der Fachanwaltschaftausbildung wurde die Struktur der juristischen Ausbildung in Deutschland trotz stark veränderter Rahmenbedingungen kaum angepasst. International einzigartig bereitet das Jurastudium an deutschen Hochschulen auf den Beruf des Richters vor, der sich naturgemäß mit betriebswirtschaftlichen Themen kaum auseinandersetzen muss. Demzufolge sind Fragen der Vermarktung juristischer Dienstleistungen kaum Bestandteil des juristischen Studiums. Im internationalen Vergleich wird dem rechtswissenschaftlichen Studium in Deutschland ein hohes Qualitätsniveau bescheinigt (vgl. Wissenschaftsrat 2012, S. 14) - soweit es um fachbezogene Kenntnisse geht. Es zeigt sich: Rechtsanwälte in Deutschland sind hoch qualifiziert in ihrem Kerngebiet. Defizite in der Aus- und Fortbildung bestehen in der Vermittlung betriebswirtschaftlicher Kompetenzen. Was der Jurist nicht selbst kann, können aber vielleicht Fachleute, die in der Kanzlei explizit Marketingaufgaben wahrnehmen. Tatsächlich stellen die großen Wirtschaftskanzleien verstärkt Marketingexperten ein und reservieren ein dezidiertes Budget für Vermarktungsaktivitäten. Ob angesichts von Ausgaben in Höhe von 3 % des Jahresumsatzes bei den großen Kanzleien tatsächlich jedoch davon gesprochen werden kann, dass die führenden Sozietäten in Deutschland in Sachen Marketing „kräftig aufs Tempo“ (Creutz 2007) drücken, ist zu bezweifeln. Zweifelsfrei haben aber vor allem die kleineren Kanzleien starken Nachholbedarf beim Aufbau von Marketingexpertise (zur Thematik der Marketingexpertise von Rechtsanwälten siehe auch Kap. 2.3.3). Rechtliche Besonderheiten, die Anwälte bei ihrem Außenauftritt zu berücksichtigen haben, bilden dabei immer weniger eine Einschränkung (zu den rechtlichen Voraussetzungen des Marketings für Rechtsanwälte siehe Kap. 2.1). Anzahl 60.000 50.000 40.000 30.000 20.000 10.000 0 1960 1970 1980 1990 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 53.629 Langfristiger Trend: Ca. 7 - 9 % Zuwachs im Vergleich zum Vorjahr 911 <?page no="39"?> Markttrends 39 1.3 Markttrends Der Blick in die Zukunft fällt für Rechtsanwälte bedingt optimistisch aus. Umsätze und Gewinne werden im Marktdurchschnitt nicht deutlich steigen, jedoch ist die Streuung enorm. Welche Konsequenzen das für den einzelnen Anwalt hat, ist nicht eindeutig vorhersehbar. Fest steht jedoch, dass sich der Gesamtmarkt für Rechtsdienstleistungen stark wandeln wird. Sechs Trends kennzeichnen diesen Wandel: Trend 1 Digitalisierung Wie viele andere Berufsgruppen auch, haben Rechtsanwälte heute und künftig starke Berührungspunkte mit neuen Technologien. Computerkenntnisse sind allein schon deshalb unerlässlich, weil immer mehr Kanzleien aus Kostengründen Sekretariate und andere Administrationsbereiche verschlanken (vgl. DAV / Prognos 2013, S. 98). Zudem wird ein Minimum an technischen Kenntnissen heute vorausgesetzt und durch die junge Generation an Anwälten auch mitgebracht. Das betrifft auch die Nutzung des Internets. Mandanten kommunizieren heute per E-Mail und erwarten prompte elektronische Rückmeldung. Immer mehr Kanzleien sind überdies im Netz präsent und nutzen das Internet als Kommunikations- oder auch Angebotsplattform. Zudem werden vermehrt Aufgaben des Anwalts mit Online- Unterstützung abgewickelt. Recherche- und Literaturarbeiten werden künftig größtenteils IT-basiert erfolgen, Kooperationen mit anderen Kanzleien über Internet und Videotelefonie gepflegt. Die elektronische Akte - heute noch Zukunftsmusik für die Mehrzahl der Anwälte - wird mittelfristig die papierbasierende Aktenführung ablösen; auch die „doppelte Aktenführung“ sowohl auf Papier als auch auf einem elektronischen Medium wird bis 2030 der Vergangenheit angehören. Ein Blick in die USA zeigt, wohin die Reise gehen kann: Virtuelle Gerichte, digitale Beratung und automatisiertes Aktenstudium sind Themen, die in Übersee nicht nur diskutiert, sondern in Anfängen auch schon umgesetzt werden ( Kap. 5.2.1). „Here come the robot lawyers“ (o`Toole 2014) titelte die weltgrößte Business-Website CNNMoney im Mai 2014 und formulierte damit eine durchaus realistische Zukunftsvision. Derzeit jedoch ist zumindest national der Nachholbedarf auf dem Feld der Technisierung noch groß: Zwar setzen zwei Drittel der Kanzleien bereits spezialisierte Software ein, in Sachen Social Media und Newslettermarketing ist jedoch nur ein geringer Anteil der Anwaltschaft überhaupt aktiv (vgl. DAV / Prognos 2013, S. 129). Praxisbeispiel Lesen und lesen lassen Im Februar 2015 meldete das US-Wirtschaftsmagazin „Fortune“, der Beruf des Rechtsanwalts sei einer von fünf Professionen, die in naher Zukunft durch Roboter und Computer ersetzt werden könnten. Den Grund dafür sahen die Journalisten vor allem in den Errungenschaften der automatisierten Dokumentenverarbeitung (vgl. Sherman 2015). So zeigen Studien, dass das Lesen, Kategorisieren und Filtern von Dokumenten mindestens 70 % der Tätigkeit eines US-Anwalts ausmacht (vgl. Pace / Sakaras 2012, S. 25). Vor allem bei umfangreichen Fällen ist die Durchsicht von Unterlagen der bei Weitem größte Kostenblock. Hinzu kommt, <?page no="40"?> 40 Der Markt für Rechtsberatung und -vertretung dass wochenlange Dokumentenprüfung für Normalsterbliche kaum als spannend empfunden wird und im Laufe der Zeit fehlerträchtig ist. Die Lösung, die vor allem in den USA und in Kanada im Trend liegt, heißt Technology-Assisted Review (TAR) und umfasst die Automatisierung aller Prozesse, bei denen Dokumente im Mittelpunkt stehen. Ein Kernelement bildet die Technologie des Predictive Coding, mit dem sich die Flut zu prüfender Unterlagen drastisch reduzieren lässt. Die Funktionsweise basiert auf Algorithmen, die auf Basis weniger Beispielunterlagen, die von Experten ausgewertet wurden, vorhersagen, welche Dokumente am ehesten Relevanz für den zu lösenden Fall haben werden. Predictive Coding ist dabei nicht zu verwechseln mit einer einfachen Suche nach Schlüsselworten, mit der viele bedeutende Dokumente gar nicht gefunden werden. Vielmehr füttern Juristen den Computer vorab mit einem Grundstock fallrelevanter Informationen, bis dieser „gelernt“ hat, worauf zu achten ist. Diese Phase des Systemtrainings ist sehr wichtig und hat hohe Auswirkungen auf die spätere Fehlerwahrscheinlichkeit. Mit jedem geprüften Dokument lernt der Rechner dazu, wobei nicht nur einzelne Worte, sondern auch Wortkombinationen, typische Ausdrücke oder transportierte Stimmungen analysiert werden. Mit Predictive Coding lassen sich Dokumente deshalb nicht nur nach Worten und Synonymen durchsuchen, sondern auch nach naheliegenden Assoziationen (z. B. Hund - Begleiter, bester Freund) und nach digitalen Anomalien. Beispielsweise werden in Dokumenten sogenannte „Call me“-Appelle aufgefunden - Ausdrücke, mit denen ein Verdächtiger einen eventuellen Komplizen dazu aufruft, die Unterhaltung telefonisch weiterzuführen, um eine strafbare Handlung zu verdecken. Der Vorschlag zu einem Medienwechsel wird durch das System als verdächtige Aktion gewertet und daher ausgewertet (vgl. Markoff 2011). Es handelt sich bei Predictive Coding also tatsächlich um ein System künstlicher Intelligenz. Die Produktivitätspotenziale der Technologie sind verheißungsvoll: Experten rechnen vor, dass durch Predictive Coding Einsparungen in Höhe von 89 % möglich sind (vgl. Consilio 2016). Erfahrungen zeigen, dass es möglich ist, 570.000 Dokumente in nur zwei Tagen zu sichten und zu sortieren (vgl. Markoff 2011). Doch Predictive Coding ist nur eine von mehreren Ausprägungen des neuen Hypes um Legal Process Automation. Fast schon überflüssig wird menschliche Rechtsdienstleistung, wenn noch automatisierte Dokumentenerstellung hinzu, kommt. Einer der wichtigsten Anbieter dieser Services ist HotDocs ( http: / / www.hotdocs.com) mit einem geschätzten Marktanteil von 60 % in USA. Neben hohen Ersparnissen wirbt das Unternehmen mit der Reduktion von Risiken und Fehlern sowie enormen Zeitersparnissen. Auf der letzten Ausbaustufe der automatisierten Dokumentenerstellung fällt der Aufwand für den Anwalt so gut wie nicht mehr ins Gewicht, denn der Mandant erstellt seine Dokumente nahezu allein. Mit Hilfe eines online-gestützten Fragenkatalogs ermittelt die Software die relevanten Informationen und die Dokumente werden im Hintergrund automatisch erstellt (vgl. Granat 2011). Der Anwalt greift nur noch ein, wenn Probleme auftreten und kontrolliert das Ergebnis (sofern das nicht durch günstigere Paralegals übernommen werden kann). Nach getaner Arbeit wird die Rechnung vollautomatisch erstellt, indem Legal Billing Systeme zum Einsatz kommen. <?page no="41"?> Markttrends 41 Lesen, schreiben, abrechnen - alle kanzleiinternen Kernprozesse erledigt der Computer. Schöne neue Welt? Wohl kaum, denn Automatisierung der juristischen Arbeit wirft immer wieder die Frage nach den ethischen Grenzen auf. So hat beispielsweise die Kanzlei Hanna & Associates in den Jahren 2010 bis 2014 mit vier Anwälten und der Hilfe automatisierter Dokumentenprüfung mehr als 350.000 Gerichtsverfahren gegen Kreditkarteninhaber initiiert (vgl. Zibel / Gershman 2014). Rechnerisch befasste sich jeder Anwalt mit jedem Verfahren weniger als eine Minute; die Angeklagten hatten oft wenig oder kein Einkommen und kaum Möglichkeiten, sich gegen die Anklage zu wehren. Leider kein Einzelfall, so dass die American Bar Association sich seit Langem um die Definition von Standards und Regelungen für die Anwendung von Legal Process Automation einsetzt. Die Bemühungen dauern an und zeigen, dass nicht alles, was technisch möglich ist, auch problemlos umgesetzt werden sollte. Trend 2 Erfolgsorientierung Die Veränderungen im Umfeld bedingen, dass zukünftig nur Anwaltskanzleien am Markt bestehen können, die konsequent nach unternehmerischen Grundsätzen geführt werden (vgl. o. V., S. 11). Dies wiederum setzt fundiertes betriebswirtschaftliches Wissen ebenso voraus wie den Willen, sich diesen Maßstäben auch zu unterwerfen. Eine eigenständige Positionierung am Markt, funktionierende Prozesse, effektive Kommunikation nach innen und außen sowie eine aussagekräftige Finanzplanung gehören dazu. Professionelles Marketing, verstanden als die Gesamtheit aller Aktivitäten zur Umsatzsteigerung wird zur Existenzbedingung. Mittelfristig ist keine Verschärfung, sondern eine Lockerung der rechtlichen Einschränkungen des Marktauftritts für Rechtsanwälte zu erwarten, denn vor dem Hintergrund von Liberalisierungstendenzen und Wettbewerbsverschärfung ist die Schaffung marktgerechter Bedingungen im Hinblick auf Außenauftritt und Akquise für die Berufsgruppe der Rechtsanwälte nur fair. Die damit verbundenen Möglichkeiten dürften von einzelnen Anwälten unterschiedlich genutzt werden; es kann aber als sicher angenommen werden, dass nach internationalem Vorbild auch hierzulande ein wesentlich offensiveres Marketing betrieben werden wird. Trend 3 Mandantenfokus Aufgrund der Überbesetzung des Anwaltsmarktes bei gleichzeitigem Trend zur Nutzung digitaler Informationsquellen (bei privaten Mandanten) bzw. zum Aufbau eigener Rechtsabteilungen (bei gewerblichen Mandanten) werden Mandanten künftig kritischer denn je die Dienste von Anwälten auswählen und beurteilen. Gerade für weniger komplexe Rechtsdienste ist damit ein Preisverfall vorhersehbar. Bei gewerblichen Mandanten wird sich die Tendenz fortsetzen, Rechtsdienste professionell auszuwählen und unter Einbindung von Einkaufsexperten zu verhandeln. „Beauty Contests“, wie in der Agenturbranche üblich, werden damit auch im juristischen Bereich zur Normalität werden. Aufgrund des Bedarfs vieler Mandanten werden erfolgsabhängige Vergütungen an Relevanz zunehmen. Doch die Mandantenerwartungen betreffen keinesfalls nur die Vergütungsseite, sondern auch die Rolle des Rechtsanwalts. Sowohl bei privaten als auch bei gewerblichen Mandanten entwickelt sich der Anspruch, dass der Anwalt „mehr“ sein sollte als nur <?page no="42"?> 42 Der Markt für Rechtsberatung und -vertretung Rechtsexperte, sondern eher umfassender Problemlöser für Rechtskonflikte und deren Folgeerscheinungen. Die Auffassung, dass Anwälte im Zuge ihrer Beratungsleistungen vor allem Rechtsinformationen auf Anfrage weitergeben und im Bedarfsfall die gerichtliche Vertretung übernehmen, hat ausgedient. Mandanten erwarten umfassende Beratung und ganzheitliche Problemlösungen, die auch finanzielle, vorsorgerechtliche, familiäre oder gar psychologische Fürsorge mit umfassen. Vor diesem Hintergrund ist zu erwarten, dass Anwälte erstens künftig selbst verstärkt Fortbildungen zu angrenzenden Bereichen nachfragen und zweitens zunehmend Kooperationen mit Vertretern anderer Berufsgruppen anstreben werden. Trend 4 Internationalisierung Der Trend der Internationalisierung beeinflusst letztendlich alle Wirtschaftsbereiche, so auch den Markt für Rechtsdienste. Für Rechtsanwälte äußert sich Internationalisierung auf zwei Arten: Zum einen sind damit die grenzüberschreitenden Beziehungen gemeint, die sowohl gewerbliche als auch private Mandate betreffen. Unternehmen agieren heute ausnahmslos in einem globalen Umfeld, so dass auch rechtliche Probleme internationalen Charakter haben. Private Mandanten haben soziale Kontakte ins Ausland, die möglicherweise zu juristischen Auseinandersetzungen führen. Zum anderen ergeben sich internationale Herausforderungen aber auch durch verstärkte internationale Wanderungsbewegungen (vgl. DAV / Prognos 2013, S. 99). Der Wechsel ins Ausland oder der Zuzug vom Ausland gewinnen an Normalität, sowohl unter Mandanten als auch unter Anwälten. In der Konsequenz wird sich der Anteil an Migranten im Kollegenkreis und unter Mandanten erhöhen. Für Anwälte bedeutet dies, dass verstärkt Fachwissen zu internationalen Rechtsfragen aufgebaut werden muss, Schlüsselqualifikationen wie z. B. interkulturelle Sensibilität erworben werden müssen und auch Sprachbarrieren zu überwinden sind. Internationale Kanzleikooperationen sind eine Möglichkeit, solche Kompetenzen aufzubauen, zudem ist auch mit einer Zunahme international ausgerichteter Fortbildungsmaßnahmen zu rechnen. Ein erster Schritt ist die im Dezember 2013 beschlossene Fachanwaltsbezeichnung „Internationales Wirtschaftsrecht“, die seit Februar 2014 erworben werden kann. Trend 5 Liberalisierung Analog der Entwicklungen in ähnlichen Branchen sowie im europäischen Ausland ist davon auszugehen, dass der Markt für Rechtsdienstleistungen weiter liberalisiert wird. Wenngleich nach Ansicht von Experten die gerichtliche Vertretung auch langfristig weiterhin nur von Anwälten übernommen werden kann, spricht vieles dafür, dass das Anwaltsmonopol zumindest für den Bereich der vorsorglichen Rechtsberatung teilweise wegfallen wird, so dass neue Konkurrenten in den Markt eintreten werden. Im Ausland sind sogenannte Alternative Business Structures (ABS), also Rechtsdienstleistungsgesellschaften, die im Eigentum von Nicht-Juristen stehen, bereits Realität. Finanzinvestoren, Supermarktketten, Finanzdienstleister und im Prinzip jedermann können seit Oktober 2011 im Vereinigten Königreich eigene Anwaltskanzleien gründen und tun es auch. Bis Ende 2013 haben sich rund 300 Unternehmen als ABS lizenzieren lassen, d. h. sie haben die von der staatlichen Regulierungsbehörde Solicitors Regulation Authority (SRA) verliehene Rechtsberatungslizenz erhalten (vgl. Trentmann 2014). Auf der einen Seite betonen Kritiker, <?page no="43"?> Markttrends 43 dass durch die neuen Geschäftsmodelle die Kernwerte des Berufsstands des Anwalts (v.a. Unabhängigkeit, Selbstverständnis als Organ der Rechtspflege, Verschwiegenheit) erheblich gefährdet sind, auf der anderen Seite zeigen erste Beispiele, was mit der Kapitalausstattung externer Geldgeber im Rechtsgeschäft bewegt werden kann. Unter anderem hat die Zulassung von ABS in England und Wales dazu beigetragen, dass sich neue Formen von Rechtsdienstleistungsgesellschaften am Markt etablieren können, die nach streng ökonomischen Kriterien im Franchise-System zusammenarbeiten. QualitySolicitors ( http: / / www.qualitysolicitors.com) ist ein solcher Anbieter, der mittlerweile mit über 200 Standorten am Markt präsent ist und zwecks weiteren Wachstums im Jahr 2012 für rund 15 Mio. £ die größte TV-Werbekampagne auf den Weg gebracht hat, die jemals in Großbritannien durch eine Rechtsberatungsgesellschaft realisiert wurde. Ausgestattet mit reichlich Budget vom Finanzinvestor Palamon Capital Partners ist die Gesellschaft weiter auf Wachstumskurs. Auch Versicherer sorgen für reichlich Bewegung im Markt. Im Jahr 2013 übernahm das deutsche Rechtsschutzversicherungsunternehmen D.A.S., eine Tochter der Ergo Versicherungsgruppe, eine Anwaltskanzlei aus Bristol und firmiert seitdem unter D.A.S. Law Ltd. Die neue Gesellschaft versteht sich als „a new kind of law firm“ und bietet Rechtsberatung für Privatpersonen zu Festpreisen an ( http: / / www.daslaw.co.uk). Einiges spricht dafür, dass die Ergo Versicherungsgruppe die Aktivitäten als Probelauf für den deutschen Markt sieht und sich für den Fall rüstet, dass im Zuge einer europäischen Angleichung auch hierzulande der Weg für ABS geöffnet wird. Trend 6 Dichotomisierung Ein weiterer, mit der Liberalisierung verknüpfter Aspekt ist, dass Standard- Rechtsdienstleistungen wie simple Auskünfte oder juristische Alltagsprobleme auch aufgrund der oben geschilderten Erfolgsorientierung in einer konventionellen Kanzleiorganisation nicht mehr wirtschaftlich bearbeitet werden können. Im Rechtsdienstleistungsmarkt wird sich also nicht nur unter Anbietern eine Schere im Hinblick auf den Markterfolg auftun, sondern auch die Rechtsprobleme an sich werden sich mindestens in zwei Kategorien aufspalten: Komplexe juristische Fälle werden durch spezialisierte Kanzleien bearbeitet werden, während einfache juristische Auskünfte als Commodities (=Allerweltsprodukte) behandelt und vermehrt im Rahmen effizienterer Strukturen abgearbeitet werden. Rechtsberatung im Internet, am Telefon oder in Beratungsstellen, die auf hohen Durchsatz ausgelegt sind, ist für die Bearbeitung wenig komplexer Rechtsfragen prädestiniert und wird in diesem Zusammenhang an Bedeutung gewinnen. International ist diese Entwicklung bereits in vollem Gange. Im angloamerikanischen Raum gewinnen derzeit Online-Dienstleister an Boden, die für Mandanten neben individueller Beratung bei einfachen Fällen vornehmlich Dokumente zum Download bereithalten. „Hilfe zur Selbsthilfe“ ist das Motto, denn den Großteil der Arbeit und natürlich auch die Folgen eines falschen Vorgehens trägt allein der Mandant. Im Vergleich zu den möglichen Einsparpotenzialen erscheint das bei wenig komplexen Rechtsfragen aber für Rechtsuchende verschmerzbar. Rocket- Lawyer ( http: / / www.rocketlawyer.co.uk), einer der führenden Anbieter von Online- Rechtsdiensten in den USA, hat in nur drei Jahren seinen Umsatz verzwanzigfacht und verzeichnet über 20 Millionen Kunden. Die Marketingmethoden sind der <?page no="44"?> 44 Der Markt für Rechtsberatung und -vertretung Konsumgüterindustrie entlehnt und umfassen Monatsaktionen mit kostenlosen Testamenten oder auch spezielle Paketangebote für Kleinunternehmer. Mit Hilfe einer großzügigen Finanzspritze vom Investor Google verfolgt das Unternehmen einen offensiven Expansionskurs. Mittlerweile hat das Unternehmen erkannt, dass der ausschließliche Fokus auf Online-Services, die Bedürfnisse vieler, aber nicht aller Mandanten abdeckt. 2012 stellte das Unternehmen daher den Service „Lawyer on Call“ vor, der preisgünstigen Direktkontakt zu ausgewählten Kooperationsanwälten ermöglicht. 1.4 Resümee Die Fakten zeigen: Für Rechtsanwälte haben sich die Rahmenbedingungen verschärft. Nicht für jeden Anwalt und jedes Rechtsgebiet gleichermaßen, aber im Durchschnitt sind die Bedingungen für Markterfolg in den letzten Jahren restriktiver geworden. Angebots- und Nachfrageseite haben sich stark verändert und nicht jede Kanzlei kann mit dem Wandel Schritt halten. Da die Anzahl der zugelassenen Anwälte pro Jahr zumindest nicht sinkt und es in Deutschland keine Zulassungsbeschränkung gibt, ist damit zu rechnen, dass der Wettbewerb weiter voranschreitet. Professionelles Marketing wird für Rechtsanwälte deshalb wichtiger denn je. Wirtschaftswissenschaftliche Konzepte, die Sie kennen sollten! Die SWOT-Analyse Zur strukturierten Markteinschätzung wird in der betriebswirtschaftlichen Praxis häufig das Instrument der sogenannten SWOT-Analyse angewendet, bei der Stärken und Schwächen sowie Chancen und Risiken, die auf einen Markt einwirken, gesammelt und miteinander abgeglichen werden (vgl. Meffert / Burmann / Kirchgeorg 2015, S. 224). Im Kern geht es darum, Handlungsoptionen für das Marketing einer Organisation, einer Organisationseinheit oder auch von ganzen Märkten darzustellen. Chancen und Risiken sind Umfeldfaktoren (wie beispielsweise im Markt für Rechtsdienstleistungen demografische oder wirtschaftliche Entwicklungen), die größtenteils unbeeinflussbar sind und den Bedingungsrahmen des Marketings definieren. Stärken und Schwächen sind Merkmale der jeweils betrachteten Marktakteure, also im vorliegenden Fall der Rechtsanwälte bzw. Kanzleien. Sie lassen sich aktiv verändern und bestimmen, welche Chancen und Risiken aus dem Umfeld wirklich genutzt werden können bzw. eine echte Bedrohung darstellen. Die Idee des strategischen Planungsinstruments der SWOT-Analyse beruht auf einem Abgleich von Chancen und Risiken einerseits sowie Stärken und Schwächen andererseits, um so Schwerpunkte des künftigen Marktauftritts zu identifizieren. Die Bezeichnung „SWOT“ ergibt sich aus der englischen Übersetzung der Begriffe Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken (Strengths, Weaknesses, Opportunities, Threats). Kurz gefasst wird bei der SWOT-Analyse wie folgt vorgegangen: <?page no="45"?> Resümee 45 Schritt 1 Zusammenstellung der Stärken und Schwächen der jeweiligen Analyseeinheit (z. B. bezogen auf den Markt für Rechtsdienstleistungen oder eine einzelne Kanzlei). Dabei wird soweit wie möglich auf belegbare Informationen zurückgegriffen, d. h. auf Statistiken, Befragungsergebnisse oder anderweitig abgesicherte Informationen. Schritt 2 Zusammenstellung der Chancen und Risiken der jeweiligen Analyseeinheit (s. oben) Schritt 3 Abgleich von Chancen / Risiken und Stärken / Schwächen, um herauszufinden, welche Chancen sich aufgrund bestehender Stärken besonders gut nutzen lassen welche Chancen aufgrund von offenkundigen Schwächen nicht genutzt werden können welche Risiken aufgrund von vorhandener Stärken gut abgefedert werden können welche Risiken sich wegen existierender Schwächen zur ernstzunehmenden Gefahr entwickeln können Diese Aspekte können z. B. Themen von Strategieplanungsrunden mit Experten oder Kanzleiangehörigen sein und bieten eine gute Grundlage für effektive Planungsdiskussionen (vgl. Kotler / Keller / Bliemel 2007, S. 108 ff.). Zu Anfang jeden Schrittes empfiehlt sich ein Brainstorming, bei dem darauf zu achten ist, dass nicht zu viel Diskussion zu einzelnen Punkten aufkommt, damit alle Aspekte Beachtung finden. Nach Abschluss des Brainstormings kann die gemeinsame Arbeit durch ein kleineres Team aufbereitet sowie durch Zusatzbzw. Hintergrundinformationen und Fakten angereichert werden. Im Mittelpunkt der nächsten gemeinsamen „SWOT“-Runde steht dann zunächst die Präsentation der erarbeiteten Ergebnisse sowie das Brainstorming zum nächsten Schritt. Gegebenenfalls bietet sich die Begleitung des Prozesses durch einen externen Moderator an (vgl. Bock 2014, S. 233). Zusammenfassend lassen sich für den Markt für Rechtsdienstleistungen die marktbestimmenden Faktoren wie in Tab. 4 dargestellt zusammenfassen. Nach dem Vorbild der im Marketing verbreiteten SWOT-Analyse ( S. 44) wird davon ausgegangen, dass die Marktsituation sich aus der Anwaltsperspektive im Hinblick auf die vorliegenden Stärken/ Schwächen (der Anwälte im Markt) sowie Chancen/ Risiken (aus dem Marktumfeld) beschreiben lässt. <?page no="46"?> 46 Der Markt für Rechtsberatung und -vertretung Stärken Schwächen Chancen (Wieder) stärkere Nachfrage bedingt Umsatzwachstum bei spezialisierten Großkanzleien Trend zur Spezialisierung/ Fachanwaltsausbildung korrespondiert mit Nachfrage nach Spezialisierung Hohes Niveau der juristischen Ausbildung in Deutschland trägt positiv zur internationalen Anschlussfähigkeit bei Rechtliche Komplexität steigt bei vielen Rechtsgebieten, so dass juristisches Fachwissen gefragt ist Bislang im Durchschnitt geringer Professionalisierungsgrad des Marketings, so dass Marktchancen vergeben werden Im Durchschnitt geringes/ kein festes Marketingbudget bei Anwaltskanzleien, so dass Marketing nur suboptimal betrieben wird Kleine und mittlere Kanzleien haben nur geringe Chancen an lukrative gewerbliche Mandate zu kommen Im internationalen Vergleich könnten Chancen verpasst werden, da ABS national nicht zulässig und Möglichkeiten der Kapitalgewinnung daher begrenzt sind Risiken Der Zulassung von neuen Berufsgruppen zum Rechtsberatungsmarkt können Anwälte durch Herausstellen der Alleinstellungsmerkmale ihrer Berufsgruppe (Vertraulichkeit, Haftungsübernahme) begegnen Trend zur Selbsthilfe birgt Chancen für Rechtsberatung im Internet für speziell geschulte Anwälte Starke Stellung von Rechtsschutzversicherungen bringt neue Möglichkeit der Gewinnung neuer Mandate im Falle der Kooperation Zunehmende Preis- und Qualitätsanforderungen von Mandanten bedingen stärkere Serviceerwartungen Trend zur Selbsthilfe oder zur Passivität bei privaten Mandanten substituieren die klassische Anwaltsleistung Sinkendes Image von Rechtsanwälten in der Öffentlichkeit führt zu weniger und kritischeren Mandanten Rechtsschutzversicherungen nehmen starken Einfluss auf den Markt für private Rechtsdienstleistungen und verstärken Honorardruck Keine Zulassungsbeschränkung für Rechtsanwälte und daher dauerhaft hoher Zustrom an Berufsträgern ist gerade für kleinere Kanzleien problematisch Tab. 4: SWOT-Analyse des Marktes für Rechtsdienstleistungen Insgesamt haben Rechtsanwälte die Finanzkrise weitgehend unbeschadet überstanden, aber die Bedingungen auf dem Markt für Rechtsdienstleistungen, der ausgeprägte Sättigungstendenzen aufweist und zunehmend kompetitiver wird, werden zunehmend schwieriger. Durch eine immer stärkere Öffnung des Rechtsberatungsmarktes wird sich das Berufsumfeld künftig weiter drastisch ändern. Vor diesem Hintergrund wird es immer wichtiger, Alleinstellungsmerkmale vorweisen zu können und den Marktauftritt zu professionalisieren. Marketing wird auf diese Weise zum kritischen Erfolgsfaktor. <?page no="47"?> Quellenverzeichnis zu Kapitel 1 47 Quellenverzeichnis zu Kapitel 1 American Marketing Association (2008): The American Marketing Association releases new Definition for Marketing. Abrufbar unter http: / / www.marketingpower.com/ aboutama/ documents/ american%20marketing%20association%20releases%20new%20definitio n%20for%20marketing.pdf; abgerufen am 23.01.201415.11.2017. Aquino, J.: The next 9 Jobs that will be replaced by Robots. In: Business Insider vom 17.03.2011. Abrufbar unter http: / / www.businessinsider.com/ 9-jobs-that-are-already-being-replaced-by-robots-2011-3? op=1; abgerufen am 09.09.201415.11.2017. Bechtold, A.: Das Mandanten-Schwarzbuch. 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Markus Hartung ist seit 2006 Mitglied des Berufsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins (DAV), seit 2011 dessen Vorsitzender. Das folgende Kapitel befasst sich mit dem rechtlichen Rahmen der Werbung durch Anwälte. Das ist weiter gefasst als das, was man üblicherweise unter dem anwaltlichen Werberecht versteht. Schon die Vorauflage behandelte nicht nur die Werbung, verstanden als Außenauftritt, sondern auch die Frage, ob und gegebenenfalls welche Grenzen es bei der Diversifizierung anwaltlicher Tätigkeit, bei Vergütungsfragen und der Zusammenarbeit mit anderen Berufen gibt. Denn all das zusammen muss man betrachten, wenn man die Tätigkeit von Anwälten als Wettbewerber in einem hochkompetitiven Markt behandelt. Das Kapitel ist allerdings schon von der Natur der Sache her keine erschöpfende Behandlung dieser Rechtsgebiete, auch keine Kurzkommentierung von § 43b Bundesrechtsanwaltsverordnung (BRAO) oder der §§ 6-10 der Berufsordnung der Rechtsanwälte (BORA). Das Kapitel bietet aber einen ersten Überblick mit Hinweisen auf überwiegend höchstrichterliche Rechtsprechung. Die berufsrechtliche Literatur zum anwaltlichen Werberecht ist im Moment bis auf die gerade erschienene 2. Auflage des Buches zum Werberecht von Gerhard Ring (vgl. Ring 2018) nicht aktuell, vielmehr sollte man auf die aktuellsten Kommentare zur BRAO zurückgreifen. Da das Werberecht durch die Rechtsprechung geprägt wird, empfiehlt sich ein Online-Kommentar. Werke, die bereits einige Jahre alt sind, sind vielleicht nicht mehr auf dem neuesten Stand, denn in diesem Bereich hat sich gerade in den letzten Jahren viel getan. Allerdings gibt es zwei aktuelle und vorzügliche Aufsätze im Februarheft 2017 des Anwaltsblatts (AnwBl.), die sich mit dem Stand der Dinge im traditionellen anwaltlichen Werberecht befassen und einen ziemlich erschöpfenden Überblick über die neuere Rechtsprechung geben (vgl. Becker-Eberhard 2017, S. 148 ff.; Ringer 2017, S. 155 ff.): <?page no="52"?> 52 Rahmenbedingungen des Anwaltsmarketings Becker-Eberhard, „Anwaltswerbung: Was bleibt von den §§ 43b BRAO, 6 ff. BORA? Auseinanderfallen von Gesetzestext und Rechtslage im anwaltlichen Werberecht“, in: AnwBl. 2/ 2017, S. 148-154. Ringer, „Dienstleistungsrichtlinie und (neues) UWG - was bleibt von § 43b BRAO? Die aktuelle Rechtsprechung zur Anwaltswerbung - Zeit für eine Neuausrichtung“, in: AnwBl. 2/ 2017, S. 155-159. Es sind beides eher liberale Ausführungen, fast moderne, die sich eigentlich für die Abschaffung des anwaltlichen Werberechts aussprechen. Mit vielen ihrer Positionen stimme ich überein und in den nachfolgenden Zeilen werden Sie eine Reihe dieser Gedanken als dogmatisches Fundament wiederfinden (ohne dass das an jeder Stelle durch einen Nachweis kenntlich gemacht worden wäre). Das ist aber nicht die herrschende Auffassung! Wer sich mit der Sichtweise etwa der Aufsichtsbehörden vertraut machen möchte, sollte sich die entsprechenden Ausführungen auf den Seiten der Anwaltskammer München, der größten deutschen Rechtsanwaltskammer, ansehen (vgl. hier: https: / / rak-muenchen.de/ rechtsanwaelte/ berufsrecht/ werberecht.html). Das bereitet einen darauf vor, womit man sich auseinandersetzen muss, wenn man es mit der Kammer zu tun bekommt. Mindestens kann man jedenfalls feststellen, dass die Vorschriften in BRAO und BORA, welche das Werberecht betreffen, nicht mehr das regeln, was sie zu regeln vorgeben. Es sind eigentlich Gesetzes-Ruinen. So etwas findet man im anwaltlichen Berufsrecht oft, man muss sich nur einmal die Vorschriften der §§ 59a ff. BRAO anschauen (vgl. dazu Hartung, Unser Abbruchhaus, AnwBl. 2016, 670). Aber wie auch immer: Anwaltliche Werbetätigkeit unterliegt Beschränkungen, und darum geht es in diesem Kapitel. Die Frage, was Anwälte im Rahmen ihres Außenauftritts dürfen und was nicht, ist immer noch nicht abschließend geklärt. Das hat viele verschiedene Gründe. Zum einen ist der Begriff der Werbung (geschweige denn Reklame) bei Anwälten nicht positiv besetzt, es gibt viele, die meinen, so etwas solle man nicht nötig haben, denn es komme doch auf Vertrauen und Qualität an. Zum anderen ist die Rechtslage verworren: Denn neben dem anwaltlichen Werberecht in § 43b BRAO und in den §§ 6 ff. BORA gibt es noch das allgemeine Wettbewerbsrecht, das für Anwälte natürlich auch gilt. Dieses Nebeneinander wäre für sich gesehen nicht problematisch, aber tatsächlich hat das, was § 43b BRAO seinem Wortlaut nach zu erlauben oder zu verbieten scheint, nichts mit dem zu tun, was nach der Rechtsprechung zulässig ist. Es gibt Berufsrechtler wie Michael Kleine-Cosack, die seit Jahren die Abschaffung des anwaltlichen Werberechts fordern: Das UWG reiche völlig aus und alle weitergehenden Regelungen seien ein unzulässiger Eingriff in die Berufsfreiheit, Art. 12 GG (ähnlich die o.g. Beiträge von Becker-Eberhard und Ringer). Andere, wie etwa Volker Römermann, sind der Auffassung, dass § 43b BRAO tatsächlich inhaltsleer (geworden) sei, denn die Rechtsprechung habe diese Vorschrift gänzlich ausgehöhlt, so dass sie keine eigenständige Bedeutung mehr habe (Römermann hat in seiner Beck-Online-Kommentierung zu § 6 BORA die aktuellste und umfassendste Zusammenstellung der Rechtsprechung zum Werberecht). Gegen letztere Einschätzung spricht, dass diese Vorschrift in letzter Zeit eine unerwartete Renaissance erfahren hat - Stichwort Schockwerbung -, was im Wesentlichen auf einen Rechtsanwalt aus dem Rheinland zurückzuführen ist, der die zu- <?page no="53"?> Rechtliche Rahmenbedingungen: Erlaubt ist, was gefällt? 53 ständige Aufsicht, die Rechtsanwaltskammer Köln, mit seinen Ideen und Anfragen an den Rand der Contenance (und gelegentlich auch an den Rand der unfallfreien Rechtsanwendung) führt. Darauf werden wir noch zurückkommen. 2.1.1 Der Schnelleinstieg: Was regeln § 43b BRAO, §§ 6 ff. BORA? In § 43b BRAO - der Formulierung nach ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt - sind zwei Tatbestände geregelt: Zum einen darf danach nur geworben werden, wenn es sich bei der fraglichen Maßnahme um eine (i) sachliche (ii) Unterrichtung (iii) der beruflichen Tätigkeit handelt. Weiterhin darf sie „nicht auf die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall gerichtet“ sein. Schon soviel vorab: Fast nichts davon gilt noch. Das fängt schon bei der generellen Formulierung an, denn unter der Geltung des Grundgesetzes haben es Verbote mit Erlaubnisvorbehalt stets schwer: Grundrechte können nur unter bestimmten Voraussetzungen eingeschränkt werden. Und das gilt insbesondere für das Grundrecht der Berufsfreiheit in Art. 12 GG. Daher besteht seit vielen Jahren Einigkeit daüber, dass es sich bei § 43b BRAO nicht um ein solches Verbot handelt, sondern dass das Werberecht generell erlaubt ist, es sei denn, dass es verfassungsrechtlich belastbare Gründe für eine Beschränkung gibt. Weiterhin das Merkmal der Sachlichkeit: Unklar, meistens wird dieser Begriff durch andere unklare Begriffe definiert: Keine reklamehafte Anpreisung. Becker- Eberhard hat die unklare Begrifflichkeit heftig kritisiert: „Darüber hinaus wurde und wird das Sachlichkeitsgebot - teils durchaus mit jedenfalls verbaler Deckung des BVerfG - mit einer Fülle von beschränkenden Kriterien aufgeladen, die sich in Summe leicht auf den Satz bringen ließen: Unsachlich ist alles, was nach Auffassung maßgeblicher (oder sich auch nur so dünkender) Standeskreise nicht zum Beruf eines Anwalts passt! “ Dem kann man kaum noch etwas hinzufügen. Schließlich „Unterrichtung über die berufliche Tätigkeit“: Auch das gilt so nicht mehr, denn ein Anwalt darf auch Werbung betreiben, in der er ausschließlich über seine Person informiert. Die Vorschriften der BORA sind zum Teil etwas ausführlicher. In § 6 Abs. 1 BORA ist zunächst im Wesentlichen eine Wiederholung des § 43b BRAO enthalten. Allerdings darf der Anwalt danach nicht nur über seine Dienstleistung, sondern eben auch „über seine Person“ Werbung betreiben, was nach dem Wortlaut des § 43b BRAO nicht zulässig ist. Lange war streitig, ob eine reine Imagewerbung zulässig ist, z. B. ob jemand damit werben darf, er sei einmal preisgekrönter Athlet gewesen (darf er, vgl. BVerfG v. 4.8.2003 - 1 BvR 2108/ 02, NJW 2003, 2816), oder er beherrsche den örtlichen Dialekt (das BVerfG hat das für Zahnärzte gestattet, vgl. BVerfG v. 26.8.2003 - 1 BvR 1003/ 02, NJW 2003, 3470). Auch ein Sponsoring durch Anwälte ist zulässig (BVerfG v. 17.4.2000 - 1 BvR 721/ 99, NJW 2000, 3195). Nach § 6 Abs. 2 BORA darf mit Umsatzzahlen nur geworben werden, soweit das nicht irreführend ist - bis Juni 2015 war es Anwälten komplett verboten, damit zu werben. Das hinderte allerdings niemanden daran, das dennoch zu tun, und die Kammern vermieden es tunlichst, dagegen vorzugehen - denn es war einfach eine unsinnige Vorschrift. Man fragt sich auch, warum § 6 Abs. 2 S. 2 BORA die Werbung mit Mandantennamen oder Mandaten verbietet, es sei denn, Mandanten erklären sich ausdrücklich damit einverstanden: Denn das ist schon nach § 43a Abs. 2 S. 1 BRAO (Verschwiegenheitspflicht) verboten. Da muss und braucht die BORA <?page no="54"?> 54 Rahmenbedingungen des Anwaltsmarketings bei der Werbung nichts mehr zu verbieten - zumal in § 2 BORA noch einmal sehr ausführlich geregelt ist, worüber ein Anwalt sprechen darf und worüber nicht. Nach § 7 Abs. 2 BORA ist es unzulässig, seine Berufstätigkeit in einer Weise zu bezeichnen, die eine Verwechslung mit Fachanwaltschaften bewirken könnte. Tatsächlich darf ein Anwalt sich aber als Spezialist für Verkehrsrecht bezeichnen (BVerfG v. 28.7.2004 - 1 BvR 159/ 04, NJW 2004, 2656), auch wenn man sich auf den ersten Blick fragen könnte, ob das mehr oder weniger als Fachanwalt ist. Sodann gilt das Verbot des § 43b BRAO, konkret um ein Einzelmandat zu werben. Das war lange Zeit ein eherner Grundsatz, man wollte (und will) keine Ambulance Chaser, also Anwälte, die dem Verkehrsunfallopfer ins Krankenhaus folgen und sich am Krankenbett eine Vollmacht unterschreiben lassen. Trotz des klaren Wortlauts hat der BGH aber eine solche Werbung gestattet (BGH v. 13.11.2013 - I ZR 15/ 12 - Kommanditistenbrief -, NJW 2014, 554): Um ein Einzelmandat darf man sich bewerben, wenn der Adressat weder belästigt, genötigt oder überrumpelt wird und er sich zudem in einer Situation befindet, in der er auf Rechtsrat angewiesen ist und ihm eine an seinem Bedarf ausgerichtete sachliche Werbung Nutzen bringen kann (zitiert nach Ringer, a.a.O.). Dazu später mehr. Schließlich besteht Einigkeit dahingehend, dass die genannten Werbevorschriften aus BRAO und BORA keinesfalls den Rahmen für die zulässige Werbung stecken. Vielmehr folgt das Recht auf Werbung unmittelbar aus Art. 12 GG und darf nur eingeschränkt werden, wenn Gründe des Gemeinwohls das erfordern. Solche Regeln sind etwa im UWG enthalten: Auch nichtanwaltliche Gewerbetreibende dürfen nicht so werben, wie sie es für richtig erachten. Welchen Mehrwert bieten nun die anwaltlichen Sonderregeln? Das kann man sich in der Tat fragen, denn, wie dargelegt: Das, was § 43b BRAO zu regeln vorgibt, regelt er nicht. Die BORA- Vorschriften sind etwas weniger antiquiert, sehen sich aber den gleichen Einwendungen ausgesetzt. Das BVerfG hat in vielen Entscheidungen die BORA-Regeln nicht für unwirksam erachtet, im Einzelfall aber nicht angewendet. Warum das so geschah, weiß man nicht - man könnte manchmal den Eindruck gewinnen, das BVerfG halte die entsprechenden Regeln der Berufsordnung für so abwegig und niederwertig, dass man sich noch nicht einmal der Mühe der Nichtigkeitserklärung unterziehen möchte. Zwischenergebnis Das ist natürlich ein eher wenig hilfreicher Befund, denn Anwälte wollen ja wissen, was sie dürfen, nicht was sie nicht dürfen. Der Blick in Gesetz und Berufsordnung helfen nicht weiter. Daher wird nachstehend anhand von praktischen Fällen vorgegangen und gezeigt, wie professionell und gut gemacht man Werbung betreiben kann, und wo es offenbar Grenzen des Geschmacks gibt. 2.1.2 Werbung Bevor Sie nachstehend zahlreiche Entscheidungen über das anwaltliche Werberecht kennenlernen werden, ist eine Vorbemerkung angebracht: Anwälte sind keine Werbeprofis. Nicht nur ist das Gegenteil der Fall, denn Anwälte können es in aller Regel nicht nur nicht, sondern sind auch, wenn sie es selber machen, wirklich keine geeigneten Werbefachleute für sich selbst. Insgesamt hat man den Eindruck, dass die Werbung, die vor Gericht gescheitert ist, wirklich auch keine „gute Werbung“ <?page no="55"?> Rechtliche Rahmenbedingungen: Erlaubt ist, was gefällt? 55 war. Auch hier gilt: Anwälte sollten nie für sich selber Werbung machen, so wie sie sich auch nicht selber vertreten sollten. Das anwaltliche Berufsrecht entwickelt sich immer durch Rebellen. Manchmal wissen diese Personen nicht, dass sie Rebellen sind, aber ungeachtet dessen bringen sie durch bestimmte Verfahren Dinge in Bewegung, an deren Ende nichts mehr so ist wie vorher. Solch ein Rebell war etwa Rechtsanwalt Dr. Bruno Kübler, der in den 1980er-Jahren von der Kölner Kammer wegen einer kritischen Bemerkung gerügt worden war und das nicht auf sich sitzen lassen wollte. Die Sache ging bis zum BVerfG und am Ende erließ das BVerfG am 14.7.1987 die berühmten Bastille-Beschlüsse (BVerfG v. 14.7.1987 - 1 BvR 537/ 81 u.a., BVerfGE 76, 171), mit denen die anwaltlichen Standesrichtlinien als gegenstandslos erklärt wurden und die deutsche Anwaltschaft plötzlich ohne Berufsrecht dastand, für die Kammervertreter war das eine „pants down“-Situation. Aber es gibt auch vorsätzlich und zielgerichtet handelnde Rebellen. Der Brühler Rechtsanwalt Dr. Martin Riemer ist so jemand. Es gibt eine Reihe von wichtigen berufsrechtlichen Entscheidungen, die auf seine Kappe, oder, um im Bild zu bleiben, auf seine Robe gehen. Manchmal ist er erfolgreich, manchmal nicht. So erstritt er vor dem BVerfG, dass man Kanzleien auf der Gegenseite unter bestimmten Voraussetzungen als „Winkeladvokatur“ bezeichnen darf (BVerfG v. 2.7.2013 - 1 BvR 1751/ 12, NJW 2013, 3021). Gegenüber der Kölner Kammer und der BRAK setzte er Auskunftsansprüche nach dem IFG durch, seitdem gilt, dass Kammern (nicht nur) ihren Mitgliedern gegenüber Auskünfte und Einblick in Unterlagen gewähren müssen (OVG Berlin-Brandenburg v. 23.5.2017 - OVG 12 N 72.16, BeckRS 2017, 111914). Die BRAK war deshalb so geschockt, dass sie versuchte, eine gesetzliche Regelung durchzusetzen, die sie von solchen Informationspflichten befreit hätte (vgl. zum Hintergrund Ewer 2017). Auch die Bezeichnung einer Behörde als „wahrscheinlich dümmste Bezirksregierung Deutschlands“ hat er als zulässig durchgefochten (AnwG Köln v. 10.11.2014 - 10 EV 116/ 14, NJW-RR 2015, 1013). Wie man sieht, nimmt er den Kampf manchmal wörtlich. 2.1.2.1 Bedruckte Roben Für unser Thema, das anwaltliche Werberecht, hat er ebenfalls gefochten, mal erfolgreich, mal nicht. Auf ihn geht die Zulässigkeit der Werbung mit kostenloser Erstberatung zurück (AGH NRW, Beschl. v. 3.6.2016 - 2 AGH 1/ 16 mit Anm. Ring, DStR 2016, 243; lange vor BGH v. 3.7.2017 - AnwZ (Brfg) 42/ 16 mit Anm. Kilian, NJW 2017, 2554). Andere Fälle hat er verloren, aber immerhin verdanken wir ihm die Fortentwicklung des anwaltlichen Werberechts: Die Frage, ob ein Anwalt auf seine Robe seinen Namen nebst Internetadresse drucken dürfe, und zwar deutlich sichtbar auf den Rücken, so dass etwaige Zuschauer im Gerichtssaal gleich erkennen, um wen es sich vorne handelt, hatte die Kölner Kammer als unsachliche Werbung angesehen. Die naheliegende Frage, was denn an der Anbringung des eigenen Namens unsachlich sein könne, hatte der AGH Nordrhein-Westfalen elegant umschifft und mit § 20 BORA argumentiert: Dort sei die Robe zwar nicht en détail beschrieben, aber man wisse eben, wie eine Robe aussehe und wie nicht (AnwGH Nordrhein-Westfalen v. 29.5.2015 - 1 AGH 16/ 15 mit redaktioneller Anmerkung, NJW-Spezial 2015, 478). Die Berufung dagegen blieb erfolglos, die <?page no="56"?> 56 Rahmenbedingungen des Anwaltsmarketings dagegen erhobene Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen (BGH v. 7.11.2016 - AnwZ (Brfg) 47/ 15 mit Anm. Härting, NJW 2017, 407; BVerfG v. 31.7.2017 - 1 BvR 54/ 17, BeckRS 2017, 121859). Abb. 11: Robe mit Werbeaufdruck (Quelle: Dr. Martin Riemer) 2.1.2.2 Anwaltliche Schockwerbung Die vermutlich bekannteste Auseinandersetzung um die Reichweite von § 43b BRAO ist unter dem Titel „Anwaltliche Schockwerbung“ geführt worden. Dabei ging es um Folgendes: Rechtsanwalt Riemer wollte Tassen mit Motiven eindeutiger körperlicher Gewaltanwendung bedrucken und an potenzielle Mandanten verschenken. Die umstrittenen Werbemotive reichten von häuslicher Gewalt über die körperliche Züchtigung von Kindern bis hin zum Suizidversuch und sollten dazu aufrufen, bei derartigen Situationen anwaltlichen Rat einzuholen. Neben den bildlichen Darstellungen waren Name und Kontaktdaten des Anwalts prominent auf die Tassen gedruckt. Handelt es sich dabei um eine aufmerksamkeitsstarke Idee oder werden die Grenzen des (guten) Geschmacks überschritten? Kommt es auf Geschmacksfragen überhaupt an? Wohl teils aus fachlichem Eigeninteresse und teils aus gewissem Unbehagen wandte sich der Anwalt vorab an die Rechtsanwaltskammer Köln, die durch einen ordnungsgemäßen Bescheid auch prompt die Unzulässigkeit der Werbung feststellte. In der Begründung hieß es, die Werbemaßnahmen seien mit dem anwaltlichen Berufsrecht und dem Wettbewerbsrecht nicht vereinbar. <?page no="57"?> Rechtliche Rahmenbedingungen: Erlaubt ist, was gefällt? 57 Abb. 12: Beispielmotiv einer Kaffeetasse mit „Schockwerbung“ Rechtsanwalt Riemer klagte gegen die Kammer, unterlag aber vor dem AGH Nordrhein-Westfalen (AGH Nordrhein-Westfalen v. 6.9.2013 - 2 AGH 3/ 13, BeckRS 2013, 16345). Allerdings befassten sich die Richter nicht mit der Frage der Zulässigkeit der Werbung an sich, sondern vertraten unter Außerachtlassung einfachster Grundregeln des Verwaltungsverfahrensrechts die Auffassung, belehrende Hinweise einer Kammer an ihre Mitglieder seien nicht anfechtbar, sofern sich die zum Ausdruck gebrachte Missbilligung nur auf potenzielle Berufsrechtsverstöße beziehe und nicht auf bereits realisierte. Kurzum: Der AGH verlangte, dass der Kläger zunächst auf eigene Kosten und Risiken die Tassen in Umlauf bringt, bevor endgültige Sicherheit über die Legalität dieser Handlung erlangt werden kann. Eine Rückmeldung, die rechtlich so abwegig wie praktisch eine Zumutung war. Könnte man werbetreibenden Rechtsanwälten zumuten, eine zweifelhafte Werbemaßnahme erst vollständig umzusetzen, um dann als Angeklagter über ihre Rechtmäßigkeit aufgeklärt zu werden? Der BGH sah das dann auch anders und wertete die Klage von Rechtsanwalt Riemer als zulässig. In der Sache hielt der BGH die Klage aber für unbegründet, denn die Grenze der zulässigen Werbung sei überschritten, wenn die Aufmerksamkeit des Betrachters mit einer reißerischen und sexualisierenden Darstellung erregt und der Informationsgehalt in den Hintergrund gerückt werde oder gar nicht mehr erkennbar sei. Zudem gelten für anwaltliche Werbung andere Grundsätze als in der freien Wirtschaft. In der Urteilsbegründung hieß es gar, dass durch die Abbildung eines nackten Gesäßes bei zwei der Tassenmotive sogar bewusst sexuelles Interesse geweckt werden solle (BGH v. 27.10.2014 - AnwZ (Brfg) 67/ 13 mit Anm. Ring, DStR 2015, 495 und mit Anmerkung von W. Hartung in NJW 2015, 72). Das BVerfG fand das alles in Ordnung und nahm die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an (BVerfG v. 5.3.2015 - 1 BvR 3362/ 14, NJW 2015, 1438; mit Anm. Ring, DStR 2015, 1133). Das BVerfG erinnerte noch mal an die Bedeutung des anwaltlichen Werberechts: „Mit der Stellung des Rechtsanwalts ist im Interesse des rechtsuchenden Bürgers insbesondere eine Werbung nicht vereinbar, die ein reklamehaftes Anpreisen in den Vordergrund stellt, mit der eigentlichen Leistung des Anwalts nichts mehr zu tun hat und sich nicht mit dem unabdingbaren Vertrauensverhältnis im Rahmen eines Mandats vereinbaren lässt (vgl. BVerfG [2. Kammer des Ersten Senats], NJW 2003, 2816 [2817]).“ Mit den Schockwerbungs-Entscheidungen von BGH und BVerfG steht folglich fest, dass § 43b BRAO und das Postulat der sachlichen Unterrichtung doch noch einen Inhalt haben, der nicht schon vom UWG erfasst wird. Denn außerhalb des anwaltlichen Werberechts gilt, dass sexualisierende Werbung oder auch Schockwerbung nicht von vornherein unzulässig sind. Im Gegenteil lässt das Wettbewerbsrecht zumindest in anderen Branchen vieles zu, wie beispielsweise die mehr <?page no="58"?> 58 Rahmenbedingungen des Anwaltsmarketings als zehn Jahre alten Entscheidungen zur Schockwerbung des Bekleidungsanbieters Benetton aufzeigen. Damals ging es um eine Werbeanzeige, die ein nacktes Gesäß mit den aufgestempelten Worten „H.I.V. Positive“ zeigte. Das BVerfG hielt das für zulässig (vgl. BVerfG v. 12.12.2000 - 1 BvR 1762/ 95 und 1 BvR 1787/ 95, NJW 2001, 591; BVerfG v. 11.3.2003 - 1 BvR 426/ 02, NJW 2003, 1303). Die Rechtsprechung scheint sich aber an den vom BGH in der Schockwerbungsentscheidung genannten Kriterien zu orientieren. So erwies sich die Idee von Rechtsanwalt Riemer, Fotokalender mit nackten oder halbnackten weiblichen Fotomodellen an Mandanten zu verteilen, ebenfalls als keine gute Idee, jedenfalls nach Auffassung des AnwG Köln (AnwG Köln v. 10.11.2014 - 10 EV 490/ 14 - Pin- Up-Kalender -, BeckRS 2015, 00990; mit redaktioneller Anmerkung, NJW-Spezial 2015, 94; vgl. in einer Begleitauseinandersetzung auch LG Köln v. 23.03.2017 - 24 S 22/ 16, BeckRS 2017, 106001, nicht rechtskräftig). Trotz dieser Kriterien, die man vielleicht schon als Ergebnis einer gefestigten Rechtsprechung bezeichnen könnte, bleiben viele Fragen offen. Denn letztlich kommt es jetzt auf den Geschmack und die Toleranz des Betrachters an. Wenn man etwa das in Kap. 5.5 gezeigte Beispiel des „Love Lawyers“ ansieht, ist die Frage der Zulässigkeit weder einfach noch eindeutig zu beantworten: Man sieht dort im Hintergrund ein Plakat auf einem Lieferwagen, auf dem der Ausschnitt eines Mannes im Bademantel zu sehen ist. Hinter Ms. Corri Fetman ist das Bild einer Frau in Dessous zu sehen, eher leichtbekleidet, aber weder halbnackt noch nackt. Beide Bilder mit dem dazwischen stehenden Text „Life’s short. Get a divorce“ stellen Werbung für eine Anwältin dar. Die Sache kommt aus den Vereinigten Staaten, das spielt aber im Moment einmal keine Rolle. Wäre eine solche Werbung in Deutschland zulässig? Greifen die BGH-Kriterien hier? Ist es sexualisierend? Die abgebildeten Personen sind leicht bekleidet, allerdings schon noch vertretbar. An der Sexualisierung ändert es nichts, dass es sich nicht, wie üblich, um eine halb- oder unbekleidete Frau handelt, die als Motiv herhalten muss, sondern auch ein Mann gezeigt wird, so dass Frauen wie Männer sexualisierend angesprochen werden. Es ist auch weniger die Art der Bekleidung, sondern die angestrebte und ziemlich eindeutige Konnotation. Ist es berufsbezogen? Auch, denn es geht ja darum, dass man sich aus einer nicht mehr als befriedigend empfundenen Ehe durch Scheidung befreien soll, und Scheidungen sind Anwaltssachen. Ist es unsachlich, vielleicht sogar unmoralisch? Eigentlich nicht, denn es wird ja geradezu dazu aufgefordert, sich (erst) scheiden zu lassen, auch wenn die beiden Bilder einen Ehebruch nahelegen, aber diese Wertung liegt schon sehr im Auge jedes einzelnen Betrachters. Man kann das gut auch anders sehen. Aber ist das nun unsachliche und damit verbotene Anwaltswerbung? Dies zeigt, dass die BGH-Kriterien der Schockwerbung sowie der sexualisierenden Werbung nicht immer helfen. In Vorlesungen über das Berufsrecht erregt die vorgenannte Werbung eher Heiterkeit, weil es als gut gemachte und witzige Werbung empfunden wird. Das ist bei einem Pin-up-Kalender vermutlich anders und auch die Schockwerbung auf den Tassen lässt Studierende eher kalt. Aber ist zwischen diesen Werbemaßnahmen ein so himmelweiter Unterschied? Erweisen sich die Kriterien nicht eigentlich als unbrauchbar? <?page no="59"?> Rechtliche Rahmenbedingungen: Erlaubt ist, was gefällt? 59 Was als Zwischenfazit bleibt: Während im „allgemeinen“ Lauterkeitsrecht zunehmend erhebliche Zweifel an den früheren Kategorien von Schockwerbung, geschmackloser oder diskriminierender Werbung geäußert werden (vgl. nur Heermann 2014, Rz. 68 f. zu § 4 Nr. 1 UWG), scheint sich im Bereich der anwaltlichen Werbung doch festzusetzen, dass diese Kategorien noch von Bedeutung sind. Nach gefestigter Rechtsprechung des BGH soll zwar über das Wettbewerbsrecht keine Geschmackszensur ausgeübt werden (seit BGH v. 18.5.1995 - I ZR 91/ 93 - Busengrapscher -, NJW 1995, 2486 = BGHZ 130, 5). Im Berufsrecht ist das jedoch offenbar anders. Dass damit - entgegen besserem Wissen - Geschmack justitiabel wird, ist schwer zu rechtfertigen, denn damit wird das persönliche Dafürhalten von Richtern zum Kriterium, ob etwas grundrechtsverletzend ist oder nicht. Das kann dann schon mal an den Rand der Peinlichkeit geraten. In der Pin-up-Kalender- Entscheidung (AnwG Köln, BeckRS 2015, 00990, unter Ziff. 5) hieß es zu den nackten Frauen: „[...] Im deutlichen Vordergrund steht bei den Kalendern wesentlich das Ausrichten des Augenmerks auf die „Schönheit“ der Bildmotive, der sich auch die Kammer nicht verschließt. [...]“ (Hervorhebung durch den Verfasser) Das klingt schon sehr nach Männerumkleide und man möchte eigentlich Grundrechtseinschränkungen nicht auf diesem Niveau diskutieren. Aber nach den Entscheidungen des BGH und des BVerfG lohnt es nicht, darüber weiter zu diskutieren. Anwälte, die meinen, mit solcherlei Motiven Werbung betreiben zu wollen, müssen wissen, dass sie damit ein erhebliches Risiko eingehen. 2.1.2.3 Erlaubte Werbung Man sollte sich aber nicht so sehr an den wenigen Fällen aufhalten, in denen Werbung als rechtswidrig klassifiziert wurde. Interessanter ist der Blick auf das, was Profis machen - z. B. Rechtsanwalt Christian Solmecke, Anwalt für IT- und Medienrecht in Köln: Er ist insbesondere in den Social Media ubiquitär, sein YouTube- Kanal hat per April 2018 ca. 206.000 Abonnenten. Seine Videos erscheinen regelmäßig montags, mittwochs, freitags und sonntags und behandeln aktuelle Themen. Manche seiner Videos sind von über 500.000 Menschen betrachtet worden. Er macht fast ausschließlich Content-Werbung, und das hat er immer gemacht: In seinen Videos findet man Rechtsthemen in sehr sachkundiger Weise erörtert. Durch die Aktualität der Themen kann er gut akquirieren, denn von diesen Themen sind viele Menschen betroffen, die auf YouTube einen Spezialisten suchen. Sie müssen nur über eine dort eingeblendete Telefonnummer anrufen. Und: Sie erreichen den Anwalt auch, bzw. Anwälte aus dem Solmecke-Büro. Das spricht sich herum und sorgt für weiteren Zulauf. Selbstbeweihräucherung? Fehlanzeige, das hat er nicht nötig. Er betreibt auf digitalem Weg sehr erfolgreich Akquise, denn wenn man auf YouTube, immerhin der nach Google meistgenutzten Suchmaschine, etwas zu Rechtsfragen sucht, landet man bei ihm (zu Details seiner Akquisetätigkeiten und -erfolge vgl. Solmecke 2018). Es gibt keinen anderen Anwalt in Deutschland (und in Europa), der bezogen auf die Reichweite auch nur in seine Nähe kommt. Ärger mit der Kammer hatte er noch nie, obwohl er auch nicht direkt berufsbezogene Werbung macht, z. B. „Vlogs“, also Video-Blogs, die mit dem Anwaltsberuf nur entfernt zu tun haben, wohl aber mit seiner Person. <?page no="60"?> 60 Rahmenbedingungen des Anwaltsmarketings Es gibt ähnliche Beispiele, und eigentlich viel mehr Beispiele für gute und professionelle Anwaltswerbung, die sehr erfolgreich ist und nie mit den Kammern in Konflikt gerät. Was lehrt das für das anwaltliche Werberecht? Man kann sehr professionell Werbung betreiben, indem man sich auf das konzentriert, was eigentlich Kern unserer Tätigkeit sein sollte - Jura. Auch Imagethemen sind zulässig, auch provozierende Werbung, solange man nicht die oben skizzierten Grenzen der Schockwerbung und sexualisierenden Werbung überschreitet. 2.1.2.4 Wettbewerbsrechtliche Grenzen des Außenauftritts Anwälte unterliegen bei ihren Marketinganstrengungen abgesehen von dem vorstehend behandelten anwaltlichen Berufsrecht auch dem für alle Gewerbetreibenden geltenden Wettbewerbsrecht. Die allgemeinen wettbewerbsrechtlichen Voraussetzungen ergeben sich dabei vor allem aus dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG). Die Grundlage bildet dabei § 3 UWG, nach dem geschäftliche Handlungen dann unzulässig sind, wenn sie die Interessen von Mitbewerbern, Verbrauchern oder sonstigen Marktteilnehmern beeinträchtigen könnten. Welche Handlungen damit gemeint sind, konkretisieren §§ 4-7 UWG. Für Rechtsanwälte insbesondere relevant sind die folgenden Regelungen: § 4 Nr. 1 UWG: Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit, z. B. durch Lockangebote oder Druckausübung § 4 Nr. 2 UWG: Ausnutzen von Not- und Zwangslagen von Mandanten § 4 Nr. 3 UWG: Verschleierung des Werbecharakters von Marketingaktivitäten, z. B. „Tarnung“ von klassischer Werbung als objektive Berichterstattung § 5 UWG: Irreführung, z. B. durch aktive Verbreitung falscher Angaben zu Honoraren, Qualifikationen des Rechtsanwalts oder Besonderheiten der Kanzlei § 5a UWG: Irreführung durch Verschweigen, z. B. durch unterlassene Aufklärung über Risiken, mögliche Nachteile und die Abrechnungsformalitäten § 6 UWG: Vergleichende Werbung, z. B. durch Herabsetzen von Mitbewerbern oder Verbreitung rein subjektiver Merkmale von erbrachten Diensten § 7 UWG: Unzumutbare Belästigung, z. B. durch unerwünschte Werbeschreiben Die Bestimmungen des UWG nehmen in der Praxis zunächst Einfluss auf die Inhalte der externen Kommunikation von Anwalt bzw. Kanzlei. Explizit verboten ist nach § 4 Nr. 1 sogenannte „Angstwerbung“ (siehe dazu auch unten), in der die Konsequenzen eines Verzichts auf juristische Unterstützung in möglichst düsteren Farben dargestellt wird. Das betraf z. B. die Verwendung von Slogans wie „Wenn der Steuerfahnder 3-Mal klingelt“ (vgl. OLG Oldenburg v. 5.4.2001 - 1 U 125/ 00, NJW 2001, 2026) oder auch „Erben macht Spaß! Nur - was tut man, wenn es Ärger gibt? Der Rechtsanwalt berät und hilft. Nur der Rechtsanwalt vertritt Ihre Interessen.“ (vgl. AnwG Hamburg v. 26.6.1999 - II 3/ 99 EV 144/ 98, ADAJUR Dok. Nr. 41627) Ebenfalls unzulässig war auch der Hinweis auf bereits entstandene Schäden und künftige Vermögensausfälle von Kapitalanlegern (vgl. OLG Hamburg v. 2.6.2005 - 5 U 126/ 04, NJW 2005, 2783). Dies sind allerdings ältere Entscheidungen, ob man das heute noch so entscheiden würde, erscheint mindestens fraglich. <?page no="61"?> Rechtliche Rahmenbedingungen: Erlaubt ist, was gefällt? 61 Besondere Aufmerksamkeit ist auf eine möglicherweise irreführende Kommunikation zu richten. Da Rechtsdienste für den Großteil der Bevölkerung nur ausnahmsweise in Anspruch genommen werden und somit keine besondere Branchenkenntnis vorausgesetzt werden kann, müssen Kommunikationsaussagen stets kritisch darauf überprüft werden, ob sie Missverständnisse auslösen könnten. Zu vermeiden sind vor allem: Werbeinhalte, die auf Übertreibung beruhen („bester Anwalt“, „älteste Kanzlei“) oder in unzulässiger Form Bezug nehmen auf die Konkurrenz Aussagen wie „unsere Kanzlei ist Partner Nr. 1 im internationalen Mittelstand“ oder „wir werden als adäquate Gesprächspartner auch von den Richtern geschätzt“ wurden seinerzeit als rechtswidrig eingestuft, vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 14.10.2004 - 6 U 198/ 03, NJW 2005, 1283. Zulässig hingegen waren schon damals Aussagen wie „Die Kanzlei zum Schutz Ihres Privatvermögens“ (LG Berlin v. 24.4.2001 - 15 O 391/ 00, NJW-RR 2001, 1643). Missverständliche Domains Die Verwendung der Internet-Domain „anwaltmuelheim.de“ (LG Duisburg v. 10.1.2002 - 21 O 201/ 01, NJW 2002, 2114) galt als zulässig. Als unzulässig hingegen wurde die Verwendung der Domain „rechtsanwaelte-dachau.de“ angesehen, weil die Öffentlichkeit nach Auffassung des OLG München hier ein örtliches Anwaltsverzeichnis erwarten könnte (OLG München v. 18.04.2002 - 29 U 1573/ 02, NJW 2002, 2113). Zulässig hingegen war Folgendes: In dem Internetangebot einer Kanzlei gelangte man über eine „Domain“ bzw. die Menüführung über eine „Schaltfläche“ mit der Bezeichnung „Ihr Fall“ zu einem sehr ausführlichen Schreiben. In diesem Schreiben wurde auf eine erfolgte (Falsch-)Bewertung von Immobilien durch ein Großunternehmen verwiesen. Mit diesem Hinweis verknüpfte die Kanzlei ein Pauschalhonorarangebot und klärte gleichzeitig über die Prozessrisiken auf. Der BGH sah hierin keinen Verstoß gegen die Einzelfallwerbung. Die auf der Homepage abrufbare Information sei nicht auf einen konkreten Einzelfall zugeschnitten und könne dies auch nicht sein, da auf Seiten der Kanzlei keinerlei Informationen darüber vorhanden seien, bei welchen (Einzel-)Personen ein konkreter Beratungsbedarf vorhanden sei (BGH v. 1.9.2010 - StbSt (R) 2/ 10, NJW-RR 2011, 210). „Eindeutige“ Domains Während bei den missverständlichen Domains die Kritik dahin geht, das in unzulässiger Weise etwas vorgespiegelt oder insinuiert wird, geht es bei „eindeutigen“ Domains darum, dass gerade die eindeutige und unmissverständliche Kommunikation via Domain in die Kritik gerät. Das zeigt zunächst noch einmal, wie wichtig Domain-Bezeichnungen geworden sind. Der BGH hatte sich gerade mit einem Fall zu befassen, in der eine Anlegerschutzkanzlei ihre Akquise u.a. damit vorgenommen hatte, dass sie im Internet Pressemitteilungen zu dem Fondsanbieter XY veröffentlicht hatte und dafür eine Domain mit dem Namen „http: / / www.XY-schaden.de“ verwendete. Die Pressemitteilung war mit „XY Unternehmensgruppe - drohen den Anlegern der XY-Fonds Verluste? “ überschrieben. Die Kombination des Namens des Gegners mit dem Begriff „Schaden“ war natürlich ein sehr robustes Vorgehen, was die Fondsgesellschaft nicht akzeptieren wollte. Ihre Klage richtete sich nur gegen die Domain, nicht gegen die Pressemitteilung. Sie blieb aber durch die Instanzen erfolglos, denn zunächst wurde ein Wettbewerbsverhältnis zwischen Kanzlei und Fondsgesellschaft verneint, weiterhin war der dem Grunde nach vorliegende <?page no="62"?> 62 Rahmenbedingungen des Anwaltsmarketings Eingriff in das Unternehmenspersönlichkeitsrecht in diesem Fall gerechtfertigt, und schließlich enthielt die Domain nach der Auslegung durch die Gerichte keine unrichtigen Tatsachenbehauptungen (BGH v. 26.1.2017 - I ZR 217/ 15, MMR 2017, 694). Der Fall ist einigermaßen speziell, und bevor man jetzt mit Domains loslegt, sollte man sich das sehr genau anschauen. Aber grundsätzlich ist der I. Zivilsenat des BGH in solchen Angelegenheiten eher großzügig. Unzulässige Werbung mit Arbeits- und Interessenschwerpunkten bzw. Spezialistentum Der Ausweis eines erworbenen Fachanwaltstitels ist ausdrücklich dem erlaubt, der einen solchen Titel im Rahmen eines förmlichen Verfahrens erworben hat, da andernfalls ein Fall der Irreführung und damit ein Verstoß gegen § 5 UWG vorliegen würde. Etwas verworren war die Rechtslage bei den selbsternannten Spezialisten: Denn nach § 7 Abs. 2 BORA sind solche Benennungen unzulässig, soweit sie die Gefahr einer Verwechslung mit Fachanwaltschaften begründen oder sonst irreführend sind. Darüber hat sich der BGH aber hinweggesetzt, er meint: „[…] entsprechen die Fähigkeiten eines Rechtsanwalts, der sich als Spezialist auf einem Rechtsgebiet bezeichnet, für das eine Fachanwaltschaft besteht, den an einen Fachanwalt zu stellenden Anforderungen, besteht keine Veranlassung, dem Rechtsanwalt die Führung einer entsprechenden Bezeichnung zu untersagen, selbst wenn beim rechtsuchenden Publikum die Gefahr einer Verwechslung mit der Bezeichnung „Fachanwalt für Familienrecht“ besteht […]“. Inzwischen haben sich im BGH sowohl der Anwaltssenat wie auch der für das Wettbewerbsrecht zuständige I. Zivilsenat einander angenähert, so dass es eine gewisse Trittsicherheit in diesen Fragen gibt (BGH v. 5.12.2016 - AnwZ (Brfg) 31/ 14, NJW 2017, 669; vorher BGH v. 24.7.2014 - I ZR 53/ 13, NJW 2015, 704). Zur Vermeidung von Irreführung nach § 5 UWG müssen also solche Rechtsanwälte, die sich als „Spezialist“, „Experte“, „Fachmann“ oder auch „Fachberater“ bezeichnen, in erheblichem Umfang praktische und theoretische Qualifikationen nachweisen. Unklare Angaben auf Briefbögen Dass man mit Tätigkeitsschwerpunkten auf Briefköpfen werben darf, ist seit Mitte der 1990er-Jahre gesichert. Allerdings gehören auch Angaben, welche die Kanzlei als solche betreffen, losgelöst von Tätigkeitsschwerpunkten, zur Werbung: In einer weiteren Entscheidung bemängelte der BGH eine auf einem Briefkopf nicht vorhandene Klarstellung hinsichtlich der Zusammenarbeit eines Rechtsanwalts mit einer Diplom-Wirtschaftsjuristin. Der BGH sah in der Verwendung eines gemeinsamen Briefkopfs ein werbendes Verhalten, das darauf abziele, den Verkehr für die Inanspruchnahme von Leistungen des Rechtsanwalts zu gewinnen. Daher würde diese Werbemaßnahme den einschränkenden Bestimmungen der §§ 43b, 59b Abs. 2 Nr. 3 BRAO i.V.m. §§ 8 ff. BORA unterliegen. Der so verwendete Briefkopf müsse insofern als irreführend angesehen werden, denn der Briefkopf erwecke den Eindruck, dass zwischen dem Kläger und der Diplom-Wirtschaftsjuristin (FH) eine berufliche Zusammenarbeit in Form einer Sozietät bestünde. Dies traf im zugrundeliegenden Sachverhalt allerdings gerade nicht zu. Der Anwalt hätte das also klarstellen müssen (BGH v. 18.12.2015 - AnwZ (Brfg) 19/ 15, NJOZ 2016, 651). Zweifelhafte Qualitäten Insgesamt ist bei der Werbung mit besonderen Qualifikationen stets die Außensicht relevant, also die Frage: Wie „liest“ der Rechtsuchende den jeweiligen Hinweis? Droht Verwechslung mit bereits eingeführten Bezeichnungen, welche Assoziationen entstehen? Insofern ist auch die Nutzung eines Begriffes wie „Prädikatsanwalt“ aus Sicht der Rechtsprechung problema- <?page no="63"?> Rechtliche Rahmenbedingungen: Erlaubt ist, was gefällt? 63 tisch, da der Verbraucher damit regelmäßig besondere Qualitäten jenseits einer bestimmten Punktzahl in der zweiten juristischen Staatsprüfung voraussetzen würde (vgl. OLG Nürnberg v. 13.7.2009 - 3 U 525/ 09, NJOZ 2011, 46). Hingegen ist die Bezeichnung „VorsorgeAnwalt“ auf dem Briefkopf eines Rechtsanwalts und Notars nicht zu beanstanden (vgl. AGH Nordrhein-Westfalen v. 7.9.2012 - 2 AGH 29/ 11, NJW 2013, 318). Darstellung von Selbstverständlichkeiten Irreführenden Charakter können Werbeaussagen auch dann annehmen, wenn Normalitäten überbetont werden und dadurch fälschlicherweise der Eindruck einer exklusiven Besonderheit entsteht. Allerdings kommt es sehr darauf an, wie bekannt ein Sachverhalt in den angesprochenen Verkehrskreisen ist, so dass die Werbung „Zugelassen am OLG ...“ durchaus zulässig sein kann, auch wenn jeder in Deutschland zugelassene Anwalt bei den deutschen Oberlandesgerichten zugelassen ist (BGH v. 20.2.2013 - I ZR 146/ 12, NJW 2013, 2671). Der Hinweis „Rechtsanwalt bei dem Landgericht und dem Oberlandesgericht“ wurde allerdings als unzulässig gewertet, da es sich um eine Selbstverständlichkeit handele (AGH Nordrhein-Westfalen v. 1.4.2011 - 2 AGH 50/ 10 mit redaktioneller Anmerkung, NJW-Spezial 2011, 478; anders hingegen OLG Saarbrücken v. 30.11.2007 - 1 W 193/ 07-40, 1 W 193/ 07, BeckRS 2008, 01424). Hingegen wurde die Aussage „Wir vertreten Ihre Interessen bei allen Amts- und Landgerichten“ nicht als irreführend eingeordnet, da es sich weder um eine unzulässige Werbung mit Selbstverständlichkeiten handelte, noch suggeriert würde, es läge eine Besonderheit vor, die andere Rechtsanwälte nicht aufweisen würden (vgl. LG Hamburg, Urteil vom 13.05.2003 - 312 S 1/ 03, nur bei Juris). Man könnte das fortsetzen, aber: Es ist, bei Licht besehen, ein völlig unnötiger Streit, denn aus Sicht eines Werbers handelt es sich in vielen dieser Fälle ohnehin um eine sinnlose Werbung. Es zeigt sich einmal mehr, dass es häufig die unprofessionelle und handgestrickte Werbung ist, die in Konflikt mit Wettbewerbern oder den Kammern steht. Neben dem UWG sind weitere Vorschriften für den Marktauftritt von Rechtsanwälten zu beachten. Zu nennen ist hier das Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken. Insbesondere für Anwälte, die mit Urheberrechtsverletzungen befasst sind, sieht das Gesetz eine Senkung der Anwaltsgebühren vor. Damit korrespondierend dürfen die Kosten für erste Abmahnungen bei Bagatellverstößen künftig höchstens 155,30 € betragen. Ein Zweck des Gesetzes ist es zu verhindern, dass Kanzleien ein Geschäftsmodell auf der Basis überzogener Massenabmahnungen aufbauen. 2.1.3 Akquise Fangen wir mit einem weiteren Beispiel erfolgreicher Akquise an: Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer vertritt Kunden im VW-Dieselskandal. Ihre Domain lautet http: / / www.vw-schaden.de. VW-Kunden finden eine sehr benutzerfreundlich gestaltete Website, auf der man mit ein paar wenigen Klicks weiterkommt. Dadurch kann die Kanzlei Tausende von Mandanten akquirieren. Bei einer Google-Recherche taucht die Kanzlei unter den ersten Nennungen auf. Sie bezeichnet sich als „erfolgreichste Kanzlei im Abgasskandal“ und betreibt gezielte Werbung um ein Einzelmandat. Die Bezeichnung als „erfolgreichste Kanzlei“ segelt hart am Wind der <?page no="64"?> 64 Rahmenbedingungen des Anwaltsmarketings wettbewerbsrechtlichen Unzulässigkeit, aber hier geht es um die Werbung um einzelne Mandate - verboten? Nach dem Wortlaut des § 43b BRAO wäre das eigentlich gar keine Frage. Aber oben wurde bereits erwähnt, dass das strikte Verbot aus § 43b BRAO so nicht (mehr) gilt. Denn unter gewissen Umständen ist eine solche Werbung doch erlaubt und es ist auch in vielen Fällen gerade im Interesse von Mandanten, dass so geworben wird. Wenn auf der einen Seite des Spektrums der Ambulance Chaser steht, der sich eine Notlage eines verunfallten oder unter Druck gekommenen Menschen zunutze macht, steht auf der anderen Seite das Informationsbedürfnis von Rechtsuchenden, die für bestimmte Fälle eben nicht nur irgendeinen Anwalt suchen, sondern erst einmal Rechtsuchende in ähnlicher Lage und daran anschließend den Anwalt, der solche Mandate beherrscht. Soll man Rechtsuchenden solche Informationen vorenthalten? Warum sollte das verfassungsrechtlich zulässig sein? Nach neuerer Rechtsprechung prinzipiell zulässig sind damit Rundschreiben von Anwälten für Kapitalmarktrecht, mit denen Inhaber von Investitionsfonds aktiv aufgerufen werden, gegen Fondsgesellschaften vorzugehen und ein Mandat zu erteilen. Allerdings kommt es sehr auf den Einzelfall an. Wenn es sich um unverblümte Akquise und nicht etwa um unverbindliche Informationsschreiben handelt, kann eine Grenze überschritten sein. Sicher gehört es zum Berufsbild des Rechtsanwalts, möglichen Mandanten zur Durchsetzung ihres Rechts zu verhelfen und dahingehend auch aufklärend zu wirken. Ganz sicher nicht sollten Rechtsanwälte jedoch rechtliche Konfliktsituationen „herbeireden“ ohne Kenntnis, ob diese überhaupt bestehen oder ein Verfolgungsinteresse besteht. Letzten Endes spielt auch der Datenschutz eine Rolle, denn das unverlangte Anschreiben von potenziellen Interessenten sowie die vorherige Adressenbeschaffung aus öffentlichen Verzeichnissen (häufig dem Handelsregister) kann schon aus datenschutzrechtlicher Sicht als problematisch eingestuft werden: Nach § 28 Abs. 3 BDSG ist die Zulässigkeit des Versandes von Werbebriefen an Adressaten ohne deren Einwilligung streitig (vgl. einerseits OLG Köln v. 17.1.2014 - 6 U 167/ 13, NJW 2014, 1820; andererseits OLG München v. 12.1.2012 - 29 U 3926/ 11, BeckRS 2012, 04407). Allerdings hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass sogar auch Treuhänder die Daten sämtlicher Mitgesellschafter herausgeben müssen (BGH v. 11.1.2011 - II ZR 187/ 09, NJW 2011, 921; BGH v. 5.2.2013 - II ZR 134/ 11, NJW 2013, 2190). Ergänzend muss man sich die Sachverhalte sehr genau ansehen: Wenn ein Anwalt im Auftrag eines Mandanten weitere Mitgesellschafter ermittelt, steht neben dem möglichen Werbeeffekt das legitime Bedürfnis des Mandanten, sich mit anderen zu verbünden. Der Werbeeffekt tritt dahinter zurück. Wenn ein Anwalt sich hingegen ohne Mandat Adressen verschafft, um damit Mandate zu akquirieren, kann es schon anders aussehen. Diese Unterscheidung wird aber häufig vernachlässigt. Rundschreiben von Anwälten an die Gesellschafter sind jedenfalls nur dann zu beanstanden, wenn der Adressat des Schreibens seine Entscheidung zur Mandatserteilung nicht mehr frei und unbedrängt treffen kann. Ob dies der Fall ist, ist vom Einzelfall abhängig. Eine Einschränkung der persönlichen Entscheidungsfreiheit kann anzunehmen sein, wenn der Anwaltskanzlei bekannt ist, dass der potenzielle Mandant sich den Ansprüchen eines Insolvenzverwalters ausgesetzt sieht, da dann möglicherweise konkreter Beratungsbedarf in einer bedrohlichen Situation eines potenziellen Mandan- <?page no="65"?> Rechtliche Rahmenbedingungen: Erlaubt ist, was gefällt? 65 ten ausgenutzt wird (vgl. OLG München v. 12.1.2012 - 6 U 813/ 11, DStR 2012, 1530), den Anlegern mitgeteilt wird, dass ihnen durch die Beteiligung bereits Schaden entstanden sei, sich ihr Risiko fortlaufend erhöhe und dringender Handlungsbedarf bestehe, da dann ein Fall verbotener Angstwerbung vorliegt (vgl. OLG Hamburg v. 2.6.2005 - 5 U 126/ 04, NJW 2005, 2783). Ein Grenzbereich verbotener Anwaltswerbung ist gegeben, wenn ein Anwalt in einem Rundschreiben an Kapitalanleger auf drohende Verjährung hinweist und damit potenziell Druck aufbaut (vgl. KG v. 31.08.2010 - 5 W 198/ 10, NJW 2011, 865). Nach dem Vorbild des Kapitalanlagerechts könnten sich offensive Akquisitionsmethoden von Rechtsanwälten auch in anderen Bereichen durchsetzen. Im Arbeitsrecht wären Anschreiben an geschädigte Arbeitnehmer, die Gründung von Geschädigtengemeinschaften, Presseerklärungen, Suchmaschinenwerbung mit den Namen der betroffenen Unternehmen denkbar. Obgleich das OLG München vor einigen Jahren noch die Verteilung von Flyern im Vorraum einer Gesellschafterversammlung als berufsrechtswidrig ansah (vgl. OLG München v. 5.12.2005 - 29 W 2745/ 05, NJW 2006, 517), könnte die Verteilung von Flugblättern vor den Werkstoren von insolvenzbedrohten Unternehmen durchaus zulässig sein. In Zeiten von Legal-Tech-Angeboten muss man solche Angebote allerdings eher in die Kategorie „drollige Steinzeit“ einordnen, denn E-Commerce-Unternehmer betreiben Akquise mit SEO und AdWords ungleich viel effektiver, als es durch die Verbreitung von Flugblättern möglich ist. Realistischerweise ist in solchen Methoden keine Überrumpelung oder Bedrängung zu sehen, sondern eher ein möglicherweise nützliches Angebot zur richtigen Zeit. 2.1.4 Angebotsspektrum Marketing ist nicht nur Außenauftritt und Kommunikation. Auch der Inhalt des Kanzleiangebots gehört dazu, also: Welche Tätigkeiten bietet ein Anwalt neben der reinen Rechtsberatung an, und: Mit welchen nichtanwaltlichen Spezialisten ist ein Anwalt gemeinsam tätig? Letzteres berührt die sogenannte interprofessionelle Zusammenarbeit. Schließlich: Mit welchem Preisangebot tritt ein Anwalt an die Öffentlichkeit? Viele Mandate sind komplexer Natur, so dass eine umfassende Falllösung oft die Inanspruchnahme weiterer Dienste erfordert, z. B. Finanzberatung, Vorsorgeplanung, psychologische Hilfe oder Unternehmensberatung. Nichts liegt im Kontext des Marketings näher, als dass Rechtsanwälte ihr Angebot um solche Zusatzdienste ergänzen. Die ergänzenden Angebote werden auch als Komplementärdienste (siehe auch Kap. 5.2.1.1) bezeichnet. Eine Ausweitung des Angebots um Komplementärdienste können Anwälte einerseits erreichen, indem Fortbildungsmaßnahmen besucht oder auf anderem Wege relevante Qualifikationen erworben werden. In dem Fall werden die nachgefragten Zusatzdienste in Personalunion mit angeboten. Beispielsweise könnte ein Rechtsanwalt parallel auch ein Psychologiestudium absolviert haben und versuchen, Eheberatung und im Bedarfsfall Scheidungen parallel anzubieten, quasi als umfassender Problemlöser für Konflikte in der Partnerschaft. Relativ häufig ist der Fall, dass <?page no="66"?> 66 Rahmenbedingungen des Anwaltsmarketings Anwälte auch als Steuerberater zugelassen sind und daher steuerliche Probleme aus wirtschaftlicher und rechtlicher Sicht bearbeiten können. Prinzipiell sind derartige Zusatz- und Nebentätigkeiten von Anwälten unbedenklich, solange sichergestellt ist, dass es keine Interessenkonflikte mit dem Berufsstatus des Rechtsanwalts gibt. Das Verbot einer zusätzlichen Tätigkeit beschränkt die Berufsfreiheit nach Art. 12 GG und ist deshalb auf Fälle beschränkt, bei denen die Wahrnehmung des Rechtsanwalts in der Öffentlichkeit durch die weitere Tätigkeit beschädigt werden könnte und dieser Gefahr nicht durch Berufsausübungsregelungen (insbesondere §§ 45, 47 BRAO) wirksam begegnet werden kann. Bietet ein Rechtsanwalt im Rahmen eines Zweitberufs zusätzliche Dienste an, hängt die rechtliche Beurteilung von der Frage ab, ob das Zusatzangebot begründete Zweifel an der Unabhängigkeit und Qualität der angebotenen Rechtsdienstleistungen wecken könnte und dadurch das Ansehen der Rechtsanwaltschaft insgesamt in Mitleidenschaft gezogen würde. Interessenkollisionen liegen vor allem dann nahe, wenn ein kaufmännischer Beruf die Möglichkeit bietet, Informationen wirtschaftlich zu nutzen, die aus der rechtsberatenden Tätigkeit stammen. Nicht vereinbar mit dem Anwaltsstatus sind nach der Rechtsprechung unter anderem: eine Tätigkeit im Versicherungsvertrieb (vgl. BGH v. 15.05.2006 - AnwZ (Brfg) 53/ 05, NJW 2006, 3717), eine Tätigkeit als Geschäftsführer oder Gesellschafter einer Maklergesellschaft (vgl. BGH v. 8.10.2007 - AnwZ (Brfg) 92/ 06, NJW 2008, 517; zuletzt BGH v. 11.1.2016 - AnwZ (Brfg) 35/ 15, DStR 2016, 2245) die Beratungs- und Akquisetätigkeit für eine Unternehmens- und Personalberatungsgesellschaft (vgl. AGH Hessen v. 12.12.2011 - 1 AGH 7/ 11, NJW-Spezial 2012, 286), eine Vermögensberatungstätigkeit (vgl. BGH, Beschluss vom 21.03.2011 - AnwZ (Brfg) 36/ 10, BeckRS 2011, 08315; zuletzt BGH v. 12.05.2016 - IX ZR 241/ 14, NJW 2016, 2561). Aufgrund der wirtschaftlich schlechten Lage vieler Anwälte hat die Tendenz zur Übernahme von Nebentätigkeiten zwar zugenommen, jedoch geschieht dies nur selten aufgrund von systematischen Marketingüberlegungen. Es geht vielmehr meist um die persönliche Existenzsicherung. Die Ausweitung des Angebots aufgrund marktbezogener Erwägungen dürfte hingegen vor allem durch Zusammenarbeit mit anderen Dienstleistern zustande kommen. In der Regel fehlen Zeit, Interesse und Know-how, um selbst die nachgefragten zusätzlichen Fähigkeiten aufzubauen, so dass ein gemeinschaftlicher Marktauftritt mit externen Spezialisten naheliegt. Sofern damit auch gesellschaftsrechtlich ein Zusammenschluss verbunden ist, ergeben sich Grenzen aus § 59a BRAO. Danach dürfen Rechtsanwälte sich nach aktuellem Stand nur mit Angehörigen sozietätsfähiger Berufe zusammenschließen. Im Einzelnen sind damit Mitglieder einer Rechtsanwaltskammer und der Patentanwaltskammer, Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer gemeint. Eine im Jahr 2005 angestoßene Reform des § 59a BRAO, nach der alle Berufsgruppen als sozietätsfähig anerkannt worden wären, in denen ein Anwalt nach § 7 Nr. 8 und § 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO als Zweitberuf tätig sein kann, wurde nicht umgesetzt. Die Möglichkeit, dass Anwälte im Rahmen von sog. Alternative Business Structures (abgekürzt ABS) mit externen Investoren aus dem außerjuristischen Umfeld eine Gesellschaft gründen können, ist bereits in <?page no="67"?> Rechtliche Rahmenbedingungen: Erlaubt ist, was gefällt? 67 anderen Ländern gegeben, hierzulande jedoch (noch) nicht. Doch das könnte sich bald ändern: Im Januar 2016 hat das Bundesverfassungsgericht Anwälten zumindest eine gemeinschaftliche Berufsausübung mit Ärzten und Apothekern erlaubt (vgl. BVerfG v. 12.1.2016 - 1 BvL 6/ 13, NJW 2016, 700). Es ist zu erwarten, dass der Gesetzgeber hier tätig wird, jedenfalls ist es zu hoffen. Nach aktueller Rechtslage kann ein gemeinsames Angebot von Rechtsanwälten und Angehörigen nicht sozietätsfähiger Berufe in erster Linie nur auf Kooperationen grundsätzlich selbständiger Partner beruhen. Grenzen der Zusammenarbeit ergeben sich für den Anwalt aus den berufsspezifischen Pflichten der Unabhängigkeit und Verschwiegenheit. Es muss sichergestellt sein, dass zwischen dem Mandanten und dem Kooperationspartner ein eigenständiges Vertragsverhältnis entsteht. In der Kooperationsvereinbarung muss der Kooperationspartner außerdem zur Verschwiegenheit verpflichtet werden. Nach dem anwaltlichen Berufsrecht ist es zudem nicht erlaubt, dass Anwälte für die Vermittlung von Mandaten Vermittlungsprovisionen zahlen oder auch umgekehrt für die Empfehlung eines anderen Dienstleisters solche entgegennehmen. Ein gemeinschaftlicher Außenauftritt ist jedoch erlaubt: Nach der Rechtsprechung dürfen Anwälte auf eine Kooperation mit anderen Berufen hinweisen, die nicht sozietätsfähig sind, z. B. auf dem Briefkopf. Konkret wurden Name und Anschrift eines Architekten auf dem Schreiben eines Anwalts erwähnt. Der BGH hat diese Form von gemeinschaftlichem Angebot und gemeinsamem Außenauftritt für zulässig erklärt (vgl. BGH v. 25.7.2005 - AnwZ (Brfg) 42/ 04, NJW 2005, 2692). Neben der „echten“ interprofessionellen Zusammenarbeit bieten Anwälte im Verkehrsrecht häufig neben den Rechtsdienstleistungen besondere Services an, indem sie etwa Reparatur-, Sachverständigen- oder Abschleppkosten in Höhe der geschätzten Haftungsquote verauslagen. Das ist aus Sicht aller Beteiligten ein gutes und attraktives Angebot. Gleichwohl ist es unzulässig, weil das nach Auffassung des BGH gegen § 49b BRAO verstößt (BGH v. 20.6.2016 - AnwZ (Brfg) 26/ 14, NJW 2016, 3105). 2.1.5 Honorargestaltung Ob Anwälte mit bestimmten Honorarstrukturen werben können, ist eine schwierige Sache, denn das anwaltliche Gebührenrecht erlaubt keine freie Honorargestaltung. In weiten Teilen der Bevölkerung hat sich allerdings festgesetzt, dass ein Gang zum Anwalt wegen der nicht vorhersehbaren Kosten riskant ist. Nach einer Studie des Gesamtverbandes der deutschen Versicherungswirtschaft aus dem Jahr 2013 ergab sich, dass 71 % der Rechtsuchenden nicht zum Anwalt gehen würden - aus Angst vor den Kosten (die Studie ist im Internet verfügbar: http: / / www.gdv.de/ 2013/ 06/ aus-angst-vor-den-kosten-eines-rechtsstreits-wuerden-zweidrittel-der-deutschen-auf-ihr-recht-verzichten/ ). In der Altersgruppe der jüngeren Umfrageteilnehmer lag dieser Anteil bei 81 %. Das ist hochproblematisch für die Anwaltschaft, denn seit dem Jahr 2013 haben sich Anbieter etabliert, die Rechtsdienstleistungsangebote im Verbraucherrecht mit einer rein erfolgsbasierten Vergütung anbieten. Mandanten zahlen also nur, wenn sie mit der Anspruchsdurchsetzung erfolgreich sind. Bekommen sie hingegen nichts, zahlen sie gar keine Kosten. Das ist hochattraktiv und Anwälte können nichts Gleichwertiges entgegensetzen: Denn Erfolgshonorare sind nur in engen Grenzen zulässig, und wenn ein Mandant nur <?page no="68"?> 68 Rahmenbedingungen des Anwaltsmarketings teilweise Erfolg hat, bleibt er oder sie auf einem Teil der anwaltlichen Kosten sitzen. Anwälte beobachten diese Angebote daher auch mit Argusaugen und rufen sogleich die Gerichte zu Hilfe, wenn sie den Verdacht haben, dass die Werbung mit dem Wort „kostenlos“ möglicherweise ein Etikettenschwindel ist (LG Hamburg v. 10.10.2017 - 312 O 477/ 16, AnwBl Online 2017, 731). Wenn aber Anwälte auf diese Weise nicht werben dürfen, so können sie doch Folgendes machen: Sie dürfen die anwaltliche Erstberatung kostenfrei anbieten (AGH NRW, Beschl. v. 3.6.2016 - 2 AGH 1/ 16 mit Anm. Ring, DStR 2016, 243; aktuell BGH v. 3.7.2017 - AnwZ (Brfg) 42/ 16 mit Anm. Kilian, NJW 2017, 2554). Sodann sollten sie wenigstens berücksichtigen, dass private und gewerbliche Mandanten bei Anwaltshonoraren immer nur zwei Wünsche haben: Die Honorargestaltung soll transparent und vorhersehbar sein. Dem kommen viele Anwälte nach, die ihre Leistungen über sogenannte Plattformen wie http: / / www.anwalt.de oder http: / / www.advocado.de anbieten. Dort werden dann Pauschalangebote mit genauer Leistungsbeschreibung angeboten, so dass ein Mandant vorher weiß, worauf er sich einlässt. Er sollte also keine unangenehmen Überraschungen erleben, wenn die Rechnung kommt. Diese Art der Werbung ist so simpel wie erfolgreich. Weitergehend wird es schwierig, denn im Bereich der Prozessführung sind (noch) gesetzliche Mindestgebühren festgelegt, die man nur über-, aber nicht unterschreiten darf. Werbung ist hier schwierig, und wer damit werben würde, dass er „nach dem RVG“ abrechnet, müsste damit rechnen, ein Schreiben von der Kammer zu bekommen, abgesehen davon, dass eine solche Werbung vielleicht doch nicht so gut ist. Praxisbeispiel Coffee and Law Im Jahr 2007 sorgte eine in Duisburg geplante Veranstaltung eines Gastronomiebetreibers für Aufsehen. In einem öffentlichen Café sollten Rechtsuchende in lockerer Atmosphäre auf Rechtsanwälte treffen und dort für ein Pauschalhonorar von 20 € eine etwa 15-minütige anwaltliche Erstberatung erhalten, die in eine „klare Empfehlung“ münden sollte „ob und was zu tun ist“. Die „coffee and law“ genannte Veranstaltung sollte sich vor allem an Personen richten, die mit anwaltlichen Rechtsberatungen bis dato wenig in Berührung gekommen waren und mutmaßlich eine gewisse Scheu vor dem Betreten einer Anwaltskanzlei haben. Der Abbau von Hemmschwellen dieser Art kann für bestimmte Zielgruppen ganz klar einen Nutzen darstellen (die Aktion fand einige Jahre vor der o.g. Studie des GdV statt! ). Der Vorteil für die teilnehmenden Anwälte sollte in der Gewinnung neuer Mandanten liegen, die ohne die Veranstaltung möglicherweise keine Kanzlei aufgesucht hätten. Für jedes aus der Erstberatung entstandene Mandantenverhältnis sollte der Cafébetreiber eine Prämie von 50 € erhalten. Aus Marketingperspektive mag „coffee and law“ durchaus eine vielversprechende Idee sein. Aus rechtlicher Sicht ist die Beurteilung anders: Im Juli 2007 entschied der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf, dass die Durchführung einer solchen Veranstaltung gleich in mehrfacher Hinsicht rechtswidrig ist. Zum einen verstoße „coffee and law“ gegen das anwaltliche Berufsrecht, da im Kern darauf abgezielt werde, im Umgang mit Rechtsanwälten Unerfahrene an eine <?page no="69"?> Rechtliche Rahmenbedingungen: Erlaubt ist, was gefällt? 69 anwaltliche Beratung heranzuführen und so konkrete Mandate zu gewinnen. Hinzu käme, dass für die breite Öffentlichkeit vorab nicht ohne Weiteres erkennbar ist, dass die gebotene Kurzberatung keinesfalls die Qualität einer eingehenden Einzelfallprüfung habe und fast zwangsläufig in die Empfehlung münden würde, sich eben doch von einer fachkundigen Kanzlei weitreichender beraten zu lassen. Zudem sah der Senat einen Verstoß gegen das Berufsrecht in der Tatsache, dass in einem öffentlichen Café die Pflicht des Anwalts zur Verschwiegenheit nicht sichergestellt werden könne. Aber auch wettbewerbsrechtliche Verstöße erkannten die zuständigen Richter bei „coffee and law“. Der Pauschalpreis von 20 € suggeriere, dass der Mandant unabhängig von Gegenstand und Umfang seines Problems eine vollständige und ordnungsgemäße Beratung erhalte, die er so nicht bekomme. Die in Aussicht gestellte „klare Empfehlung“ werde naturgemäß nicht abschließend sein können, so dass im Nachhinein weitere Folgekosten durch die Konsultation eines Rechtsanwalts wahrscheinlich wären. Die Zahlung einer Prämie von 50 € an den Cafébetreiber verstoße zudem gegen das Verbot einer entgeltlichen Mandantenvermittlung (OLG Düsseldorf v. 17.7.2007 - I-20 U 54/ 07, DStR 2007, 2347 mit Anm. Wolf). Die Entscheidung ist altertümlich und schlecht begründet und wurde daher eher kritisch aufgenommen (vgl. etwa Grunewald, NJW 2008, 3621, 3623 unter IV.; Klute, NJW 2008, 2965, 2969). Gleichwohl: Kaffee plus Rechtsberatung scheint eine beliebte Kombination zu sein, denn im gleichen Jahr 2007 hatte das OLG Naumburg einen ähnlichen Fall zu entscheiden (vgl. OLG Naumburg v. 8.11.2007 - 1 U 70/ 07, NJW-RR 2008, 442). In diesem Fall war eine Rechtsanwaltskanzlei auf einem Flyer mit der Bezeichnung „Anwalt sofort“ und den Leistungsversprechen „sofort - Beratung oder Termin“, „sofort - Rechtsklarheit und Sicherheit“ sowie „Beratung bei Kaffee und Kuchen“ zu finden. Auf der Rückseite des Flyers wurde anwaltliche Erstberatung zu Preisen zwischen 20 und 40 € angeboten. Das Gericht sah keinen Grund zur rechtlichen Beanstandung und wies vielmehr in der Urteilsbegründung darauf hin, dass Anwälten Werbemaßnahmen grundsätzlich erlaubt seien und eine Beschränkung einer besonderen sachlichen Rechtfertigung bedarf. <?page no="71"?> 2.2 Technologische Rahmenbedingungen: Legal Tech - Hype oder Megatrend? Eine der sichtbarsten Revolutionen in der Anwaltschaft lässt sich durch den Begriff Legal Tech zusammenfassen. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um die in Kap. 1.3 bereits angeführte Entwicklung der Digitalisierung, für die sich in der Branche der Rechtsberatung und -vertretung - wie auch in anderen Branchen - der englische Begriffszusatz „Tech“ durchgesetzt hat (s. auch InsurTech in der Versicherungsbranche und FinTech in der Finanzwirtschaft). Was genau dahinter steckt, ist nicht genau definiert. Mal handelt es sich um Software und Online-Dienste, die juristische Arbeitsprozesse unterstützen oder gänzlich automatisieren (vgl. o. V. 2017), mal wird der Begriff gleichgesetzt mit dem Einsatz von Informationstechnologie in der Rechtsbranche insgesamt (vgl. Morschheuser 2017). Möglicherweise ist die Auseinandersetzung mit den Begrifflichkeiten am Ende auch weniger ausschlaggebend als die Frage, welche konkreten Legal-Tech-Anwendungen sich anbieten, welche Nutzen damit verknüpft sind und was dabei zu beachten ist. Dabei sind Unterschiede zwischen Großkanzleien, Einzelanwälten und mittelständischen Kanzleien zu berücksichtigen. Legal Tech boomt, soviel ist klar. Schlag auf Schlag entstehen neue Start-ups im Markt, die digitale Dienstleistungen im rechtlichen Umfeld anbieten. Schier endlos lang ist die Liste der Fortbildungsveranstaltungen und Seminare zum Thema, selbst der traditionsbewusste Deutsche Anwaltverein (DAV) stellte seinen jährlichen Anwaltstag im Jahr 2017 unter das Oberthema „Legal Tech“. Im fachlichen Diskurs und unter Gründern ist Legal Tech vollständig angekommen, weniger jedoch in der praktischen Umsetzung, also im Geschäftsalltag von etablierten Kanzleien. Jede Großkanzlei, die etwas auf sich hält, hat mittlerweile mindestens eine Task Force, Organisationseinheit oder sonstwie geordnete Aktivität rund um das Thema Digitalisierung, einige Kanzleien haben sogar selbst Softwareprodukte entwickelt (wie CMS Hasche Sigle) oder investieren in Legal-Tech-Gründungen. Wer jedoch als Mandant einen regional tätigen Anwalt kontaktiert, merkt oft nicht viel von der zunehmenden Technisierung. Der Eindruck drängt sich auf, dass die Sicht auf Legal Tech in Theorie und Praxis aktuell stark auseinanderfällt, wobei nicht nur zwischen Start-ups, Fortbildungsanbietern, Berufsorganisationen und Praktikern ein Graben klafft, sondern auch zwischen Syndikusanwälten, die Legal Tech aufgrund zunehmenden Effizienzdrucks oft sehr positiv gegenüberstehen, sowie Kanzleien verschiedener Größe. Der Grund für diese sehr asynchrone Entwicklung liegt nicht nur in den unterschiedlichen finanziellen Möglichkeiten unterschiedlicher Marktakteure, sondern auch in verschiedenen Interessenlagen und Unsicherheiten, wie mit der neuen Thematik umzugehen ist bzw. welche revolutionäre Kraft von ihr ausgeht. Ein erster Beitrag zum Abbau von Unsicherheiten ist die Systematisierung von Legal-Tech-Anwendungsfeldern, damit klar wird, welche konkreten Optionen sich durch die Digitalisierung für die Marktteilnehmer ergeben. Eine grobe Einteilung grenzt drei Kategorien von Legal Tech in Abhängigkeit von der Zielrichtung ab (vgl. Goodenough 2015; ähnlich Veith u.a. 2016, S. 4 ff.): <?page no="72"?> 72 Rahmenbedingungen des Anwaltsmarketings Unterstützung der Tätigkeit von Juristen Jede Dienstleistung benötigt eine technologische Ausstattung, beispielsweise Computer, Softwareprogramme oder Server. Legal-Tech-Anwendungen können sich auf die Verbesserung der Infrastruktur von Kanzleien oder Rechtsabteilungen richten und fungieren dann als „Enabler“: Sie sorgen für die optimale Betriebsbereitschaft des Systems, um die nachfolgenden Prozesse so gut wie möglich zu gestalten. Branchenspezifische Cloud-Dienste oder IT-Sicherheitslösungen gehören in diese Kategorie. Neben der Aufrüstung der Infrastruktur kann sich Legal Tech auch auf die Optimierung der Prozesse richten, die im Hintergrund ablaufen und von Mandanten oft nur unterschwellig wahrgenommen werden. Digitale Back-Office-Lösungen zielen auf Effizienzverbesserungen, häufig auf die Einsparung von Kosten und Zeit. Da in den letzten Jahren der wirtschaftliche Druck auf viele Anwälte stark gestiegen ist, ebenso wie die Flut der zu verarbeitenden Informationen pro Mandat, haben sich bereits zahlreiche Anwendungen dieser Kategorie am Markt etabliert. Zu den relevanten Innovationen auf diesem Gebiet sind die bereits erwähnten Technologien der Dokumentenprüfung oder des Legal Billing ( Kap. 1.3) zu zählen. Bessere Vernetzung im Markt Legal Tech birgt nicht nur das Potenzial, die Abläufe in der Kanzlei zu verbessern, sondern auch die Kernfunktionen des Marketings. Die Anbahnung neuer Mandate und die Darstellung der Kanzlei in der Öffentlichkeit gehören zu den Aufgaben, die durch Legal Tech hervorragend unterstützt werden können. Beispiele dafür sind Portale, auf denen Anwälte ihre Leistung anbieten können und die auf diese Weise als Vertriebsmittler fungieren. Auch Maßnahmen der Online-Kommunikation für Rechtsanwälte sind hier einzuordnen ( Kap. 5.5.4) wie z. B. Suchmaschinenoptimierung oder der Aufbau der eigenen Website. Natürlich werden solche Dienste nicht immer explizit für die Rechtsbranche ausgerichtet, sie qualifizieren sich jedoch als Legal-Tech- Anwendungen, sofern sie sich (auch) auf den juristischen Bereich richten. Eigenständige Erledigung von Rechtsdienstleistungen Der Kernbereich von Legal Tech sind Anwendungen, die sich auf die Mandatsbearbeitung, also die Leistungserstellung im Kern richten. Darunter zu fassen ist beispielsweise die Online-Rechtsberatung, bei der die üblicherweise persönlich stattfindenden Beratungsgespräche durch Chats oder E-Mails ersetzt werden. Es geht bei dieser Kategorie um die Veränderung des wesentlichen Elements der Anwaltstätigkeit - den Kontakt mit den Mandanten. Wenn über Legal Tech diskutiert wird, steht häufig eben dieser Bereich im Vordergrund, denn die Möglichkeit, dass die Leistungserstellung von Anwälten ganz oder teilweise digitalisiert werden könnte, löst kontroverse Reaktionen aus und verdeutlicht, welcher drastische Einfluss von Legal Tech ausgehen könnte. Neben der Arbeit von Anwälten beeinflusst Legal Tech auch die eigenständige Erledigung von Rechtsdienstleistungen von Gerichten, z. B. durch Online-Streitbeilegung und digitale Rechtsprechung. In China beispielsweise hat im August 2017 das erste virtuelle Gericht in der Stadt Hangzhou eröffnet (vgl. Lichtenstein / Ruckteschler 2017). Verfahren werden komplett digital abgewickelt, von der Klageerhebung bis hin zur Urteilsverkündung. Das Gericht hat dazu eine eigene Verfahrensordnung. Ob das Modell in anderen Ländern Nachahmer finden wird, bleibt abzuwarten. <?page no="73"?> Technologische Rahmenbedingungen: Legal Tech -Hype oder Megatrend? 73 Anhand der dargestellten Systematik lässt sich Legal Tech differenzierter bewerten. Aufgrund des zunehmenden Drucks auf Honorare bei tendenziell steigenden Kosten steht dem Einsatz von Technologien zur Unterstützung der Anwaltstätigkeit mit Sicherheit eine große Zukunft bevor. Durch Legal Process Automation können positive Wirkungen auf Kosten, Honorare und Qualität ausgehen, die sich sowohl für Anwälte als auch für Mandanten positiv auswirken. Ähnliches gilt für Investitionen in verbesserte Infrastruktur. Differenzierter ist die Lage zu beurteilen, wenn es um Legal-Tech-Anwendungen geht, bei denen der Mandant unmittelbar tangiert wird, also bei Akquise und Außenauftritt sowie im direkten inhaltlichen Austausch mit Anwälten. Ob und wie schnell sich Legal Tech im Sinne von Online-Rechtsberatung verbreiten wird, ist nicht nur von der Leistungsfähigkeit der Technologien und der Akzeptanz unter Anwälten abhängig, sondern vor allem von den Präferenzen der Mandanten. Dieser erfolgskritische Aspekt bleibt nicht selten außen vor, wenn undifferenziert die Erfolgschancen der Digitalisierung im Rechtsgeschäft gelobt werden. Wünschen sich potenzielle Mandanten einen Anwalt, der ausschließlich elektronisch erreichbar ist, und wenn ja, welche Mandanten sind das und für welche Mandate gilt das? Potenziell sind es vor allem die juristischen Standardfälle, die sich gut digitalisieren lassen, sowie spezifische Rechtsgebiete, die in hohem Maße durch wiederkehrende juristische Probleme gekennzeichnet sind, denen zumindest mittelfristig die größte Zukunft bei Legal Tech vorhergesagt werden kann. „Spitze“ Angebote, die ohne eine effiziente Digitalisierung der Mandantenbeziehung ohnehin kaum wirtschaftlich darstellbar wären und daher nur auf diese Weise erfolgversprechend angeboten werden können, verzeichnen daher bislang die höchsten Zuwächse (vgl. Mahl 2017). Anbieter wie flightright ( http: / / www.flightright.de), geblitzt.de ( http: / / www.geblitzt.de) und bahn-buddy.de ( http: / / www.bahn-buddy.de) besetzen Marktlücken, die in der Offlinewelt zu vertretbaren Kosten nicht zu schließen wären, denn die Durchsetzung von Kleinstansprüchen gegenüber Bahn und Fluggesellschaften sowie die Überprüfung von Strafzetteln lohnt sich normalerweise finanziell weder für den Anwalt noch für den Mandanten. Auch rechtliche Probleme, die sich durch die Erteilung von simplen Auskünften erschlagen lassen, sind „Legal-Tech-geeignet“. Aber welche sind das schon? Selbst die Erstellung eines simplen Kaufvertrags ist je nach Situation nicht so unproblematisch, dass sich ein Smart Contract, also ein vorkonfektionierter Vertragsentwurf aus dem Netz, aufdrängt. Gleichwohl: Mandanten mögen dies anders bewerten, so dass sich die optimistischen Entwicklungsprognosen für Dienstleistungen der automatisierten Vertragserstellung bewahrheiten werden. Wo genau die Reise beim Thema Legal Tech hingeht, ist derzeit noch offen. Alles was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert (vgl. Arends-Paltzer 2017) - so eine häufig zitierte Erkenntnis, die branchenübergreifend gilt. Aber: Nicht alles, was digitalisiert wird, findet auch Nachfrage. Im Rahmen der gesamten Diskussion um Legal Tech wird noch zu häufig ein wichtiges Element vernachlässigt: der Mandant bzw. seine Wünsche. Zwar wird des Öfteren postuliert, dass durch Legal Tech die Demokratisierung des Rechts vorangetrieben würde, da durch niederschwellige (Online-)Zugänge zu Anwälten nun doch auch die Zielgruppen ihr Recht durchsetzen könnten, die dies unter konventionellen Bedingungen nicht könnten. Dieses Argument ist stichhaltig, beruht allerdings auf der Prämisse, dass Online- Rechtsberatung eben auch effizienter und erheblich günstiger angeboten wird als <?page no="74"?> 74 Rahmenbedingungen des Anwaltsmarketings „herkömmliche“ Anwaltsleistungen. Das ist gut für den Mandanten, aber nicht zwingend für die Kanzlei. Bislang ist keine einzige Untersuchung bekannt, die nahelegt, dass Mandanten breitflächig keine persönliche Beziehung mehr zu einem Anwalt haben wollen oder sich womöglich gleich durch einen Roboter vertreten lassen möchten. Man kann davon ausgehen, dass Mandanten kostengünstige Beratung wünschen, bei Auskünften oder als parallelen Kommunikationsweg auch gern digital, aber nicht ausschließlich oder größtenteils. Die Hypothese liegt nahe, dass Legal Tech die Arbeit von etablierten Anwälten sehr bald und umfassend im Back-Office und hinsichtlich der Infrastruktur von Kanzleien beeinflussen wird, die eigentliche Arbeit mit dem Mandanten jedoch vorrangig nur da, wo es um standardisierbare Aufgaben mit geringerer subjektiver Relevanz geht. Angst vor Legal Tech müssen vor allem Anwälte haben, die ihr Geld mit wiederkehrenden und leicht digitalisierbaren Tätigkeiten verdienen - z. B. die sogenannten „Hartz-IV-Anwälte“ oder die Abmahnspezialisten. Durch Technologie ersetzt werden vor allem auch die, die Anwälten zuarbeiten: Kanzleimitarbeiter, Sekretariate und andere. Es ist aber mittelfristig nicht zu erwarten, dass viele Mandanten Interesse an virtuellen Scheidungsanwälten entwickeln oder sich im Strafverfahren vertreten lassen möchten ohne vorgeschalteten intensiven persönlichen Kontakt zu einem Anwalt. Erfahrungen aus anderen Branchen zeigen, dass Kunden und ihre Affinität zu digitalen Geschäftsmodellen in der ersten Technologiebegeisterungswelle manchmal falsch eingeschätzt werden: Bis heute hat beispielsweise nur eine Minderheit von Kunden Begeisterung für den Online-Lebensmittelhandel entwickelt - obwohl es bereits vor der Jahrtausendwende Studien seriöser Marktforschungsinstitute gab, die „eFood“ eine spektakuläre Entwicklung voraussagten. Offenbar sind Kunden in diesem Markt noch nicht soweit wie die Anbieter, von denen einige, wie z. B. Otto Supermarkt oder Webvan, bereits Geschichte sind. Ein weiterer Beleg für die Relevanz des Persönlichen: Zahlreiche Internethändler investieren seit Jahren auch in stationäre Läden, denn es hat sich herausgestellt, dass das Online-Geschäft nicht die Klientel erreicht, die den individuellen Kontakt wünscht und nach wie vor traditionelle Fachgeschäfte aufsucht. Fazit: Erstens trifft nicht alles, was technisch möglich ist, auch auf Interesse am Markt. Wenn neuerdings viel über Chatbots, Künstliche Intelligenz oder Blockchain gesprochen wird, sollte zunächst die Frage gestellt werden, wieviele Mandanten diesen Technologien einen Nutzen abgewinnen können und optimalerweise auch bereit sind, dafür zu zahlen. Zweifellos werden sich in naher Zukunft immer mehr digitale Angebote entwickeln, aber längst nicht alle werden auch wirtschaftlich erfolgversprechend, d. h. mit einer hinreichenden und kostendeckenden Nachfrage verbunden sein. Anders als der Begriff „Legal Tech“ suggeriert, handelt es sich eben dabei keineswegs hauptsächlich um ein Technikthema, sondern vorrangig um eines von Marketing und Business Development. Ob es sinnvoll ist, dass Anwälte neuerdings in Scharen „Hackathons“ besuchen und das Programmieren lernen, bleibt dahingestellt; prioritär wären Kenntnisse über Marktanalyse, Mandantenverständnis oder Betriebswirtschaft. Zweitens: Für viele Kunden bzw. Mandanten stellt sich gar nicht die Frage nach „offline“ oder „online“, denn sie wollen ohnehin beides, ganz nach Rechtsfall, Status des Mandats und persönlichen Vorlieben. In anderen Branchen zeigt sich, dass Kunden nicht nur verschiedene Kontaktwege parallel angeboten haben möch- <?page no="75"?> Personelle Rahmenbedingungen: Unternehmertypen gesucht 75 ten, sondern diese flexibel jederzeit wechseln möchten, ohne dass Informationen verloren gehen. Ebenso ist Mandanten zu unterstellen, dass sie nicht entweder Online-Rechtsberatung, telefonischen Austausch oder die klassische persönliche Variante bevorzugen, sondern jederzeit flexibel von der einen auf die andere Form umstellen möchten. In der Rechtsberatung der Zukunft gibt es kein „entweder - oder“ sondern nur ein „sowohl als auch“. Die Digitalisierung des Rechtsmarkts schreitet voran und wird die Tätigkeit von Anwälten in vielen Bereichen erheblich verändern. Die Erfahrung zeigt jedoch auch, dass 9 von 10 Start-ups scheitern, im Legal-Tech-Umfeld wird es nicht anders sein. Die Vorteile der Digitalisierung, vor allem in Unterstützungsbereichen, sind mehr als deutlich, in welcher Form der eigentliche Kernbereich der Anwaltstätigkeit eine Revolution erfahren wird, bleibt abzuwarten. Insgesamt sind die Aussichten für die Mehrzahl von Anwälten, die sich als individueller Problemlöser für ihre Mandanten verstehen, eher positiv zu bewerten, denn sie werden durch Legal Tech wohl eher von Alltagsaufgaben entlastet als in ihrem Kerngeschäft ersetzt. Gleichwohl werden Mandanten zunehmend erwarten, dass jeder Anwalt mehrere Formen der Zusammenarbeit, online wie offline, parallel vorhält. Das ist nicht primär ein Problem von fehlender technologischer Kompetenz bei Anwälten, sondern bedingt die Anpassung von Prozessen, Geschäftsmodellen und verlangt vor allem unbedingte Servicementalität und Kundenverständnis. 2.3 Personelle Rahmenbedingungen: Unternehmertypen gesucht Dienstleistungen im Allgemeinen und Rechtsdienstleistungen im Speziellen sind in besonderem Maße von den Menschen abhängig, die sie anbieten. Anders als bei Sachgütern, die man ohne großen Herstellerkontakt erwerben kann, müssen Kunden mit einem Dienstleister sehr intensiv zusammenarbeiten, um in den Genuss der Leistung zu kommen. Es ist deshalb sehr wichtig, dass Dienstleister sehr gute Fähigkeiten im Kundenumgang mitbringen. Im Markt für Rechtsdienstleistungen gilt das noch verstärkt, denn die Zusammenarbeit zwischen Mandant und Anwalt ist oft langwierig. Je nachdem, welches Rechtsproblem im Vordergrund steht, ist das Funktionieren als Team von sehr hoher, wenn nicht sogar existentieller Bedeutung für den Mandanten. Der Faktor „Mensch“ stellt also eine wichtige Chance, möglicherweise aber auch Restriktion im Marketing für Rechtsanwälte dar. Markterfolg setzt voraus, dass Personal an Bord ist, das Fähigkeiten im Mandantenumgang mitbringt. Damit sind alle wesentlichen Bereiche des Personalwesens, begonnen bei der Mitarbeiterrekrutierung und -auswahl, die Personalführung (insbesondere Vergütung und Leistungsbeurteilung) sowie auch die Mitarbeiterentwicklung und -bindung so auszulegen, dass Marketingaufgaben bestmöglich erfüllt werden können ( Abb. 13). <?page no="76"?> 76 Rahmenbedingungen des Anwaltsmarketings Abb. 13: Personelle Erfolgsfaktoren für erfolgreiches Marketing 2.3.1 Personalrekrutierung und -auswahl Aus der Perspektive des Marketings ist die Mitarbeiterrekrutierung und -auswahl so zu gestalten, dass optimaler Mandantenumgang gewährleistet wird. Neben reiner Fachkompetenz sind bei Anwälten und Kanzleimitarbeitern Kriterien wie Zuvorkommenheit, Vertrauenswürdigkeit, Sicherheit, Erreichbarkeit, Kommunikation, Kundenverständnis, Entgegenkommen, Zuverlässigkeit und das äußere Erscheinungsbild besonders wichtig (vgl. Zeithaml, Parasuraman, Berry 1992, S. 34 ff. und Kap. 3.4). Inwieweit Anwälte die Kriterien eines kundenorientierten Dienstleisters de facto erfüllen, lässt sich pauschal schwer beantworten. Aus der Tatsache, dass es bislang immer mehr Anwälte gab, lässt sich keineswegs eine Zunahme der juristischen Problemlösungskompetenz ableiten. Immer häufiger werden im Gegenteil eklatante fachliche Qualitätsmängel bei Anwälten beklagt. Nach wie vor bestehen weniger als ein Fünftel der Kandidaten die 1. juristische Staatsprüfung mit der Note „voll befriedigend“ oder besser ( Abb. 14); immerhin 20,3 % starteten im Jahr 2015 mit der Mindestnote „ausreichend“ ins Berufsleben (vgl. Bundesjustizamt 2016). Die mangelnde Qualifikation von Anwälten ist auch in den Medien ein beliebtes Reizthema. Allerdings ist weniger von einem allgemeinen Qualitätsdefizit als vor Personalrekrutierung und -auswahl Berücksichtigung von Marketingfaktoren bei der Personalselektion Rekrutierung von Leistungsträgern Hohe Attraktivität als Arbeitgeber Personalführung Einbeziehung der Mandantensicht bei der Personalbeurteilung Belohnung von Beiträgen zur Erhöhung der Sichtbarkeit im Markt Berücksichtigung von Aspekten der Mandanten- und Marktorientierung bei der Vergütung Personalentwicklung und -bindung Langfristige Bindung von Personal mit hoher Marketingkompetenz Marketingspezifische Aus- und Weiterbildung Marketingrelevante Faktoren Entscheidungsbereich <?page no="77"?> Personelle Rahmenbedingungen: Unternehmertypen gesucht 77 allem von einer sehr heterogenen Verteilung der Kompetenzen bei Berufsanfängern und auch bei erfahrenen Anwälten auszugehen. Dafür spricht, dass nach wie vor ein regelrechter Run von Kanzleien auf die rar gesähten „Top-Performer“ der Branche besteht. Eine Verschlechterung der Marktposition von Rechtsanwälten infolge einer branchenspezifisch gesunkenen Fachqualifikation ist bisher nicht nachgewiesen. Abb. 14: Anteil der Absolventen mit Prädikatsexamen in der 1. juristischen Staatsprüfung (vgl. Bundesjustizamt o. J.) Die Marktposition von Anwälten wird jedoch nicht nur durch ihre fachliche Qualifikation bestimmt. Wissen und Berufserfahrung bilden notwendige, aber keine hinreichenden Bedingungen für wirtschaftlichen Erfolg. Wichtige Einflussfaktoren sind für Anwälte Persönlichkeitsmerkmale, wobei gute Werte bei emotionaler Stabilität, Gewissenhaftigkeit und Sozialkompetenz kennzeichnend für serviceorientierte Anbieter sind. Die Rekrutierungsverfahren der meisten Kanzleien sind aktuell nicht darauf ausgerichtet, solche „Soft Factors“ in einem eignungsdiagnostischen Verfahren strukturiert zu erfassen, sondern höchstens anhand von subjektiven Eindrücken. Juristische Qualitäten stehen im Vordergrund; ob der Kandidat die richtige Einstellung zur Mandantenbetreuung und eine gewisse Serviceorientierung mitbringt, ist weniger wichtig. Andere Branchen machen vor, wie derlei Fähigkeiten im Einstellungsverfahren schon abgeprüft werden können. Unternehmensberatungen beispielsweise arbeiten häufig mit Fallstudien, die von Bewerbern zu lösen sind und die zuweilen auch die Abwägung zwischen einem kundenorientierten und einer von Eigennutz geprägten Vorgehensweise erfordern. Großkonzerne arbeiten bei Personalauswahl und -bewertung oft mit Assessment-Centern, bei denen Situationen des Kundenumgangs simuliert werden. Diese Verfahren könnten möglicherweise Impulse für ein Überdenken der Personalrekrutierungspraxis sein. 0% 5% 10% 15% 20% 25% 2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015 <?page no="78"?> 78 Rahmenbedingungen des Anwaltsmarketings Schwierigkeiten bei der Auswahl und Rekrutierung neuer Anwälte entstehen jedoch nicht nur dadurch, dass die juristischen Fähigkeiten heterogen verteilt sind und die Persönlichkeitsaspekte gar nicht erst abgeprüft werden. Nicht nur Können, sondern auch Wollen ist entscheidend für den Erfolg im Markt und der wiederum richtet sich nicht nur, aber auch nach der investierten Zeit. Die Ansprüche der vielzitierten „Generation Y“, die den Anwaltsnachwuchs mit Geburtsdatum zwischen 1977 und 1998 umfasst, richten sich nicht nur auf eine herausfordernde Tätigkeit, sondern auch auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Freizeit und Arbeitszeit. „Work-Life-Balance“ wandelt sich vom Mode-Schlagwort zur notwendigen Bedingung, um Top-Nachwuchskräfte überhaupt rekrutieren zu können (vgl. DAV / Prognos 2013, S. 120). Interview 10 Fragen an Rechtsanwältin Nicola von Tschirnhaus (Senior Recruitment & Engagement Managerin bei Linklaters LLP), Frankfurt am Main Personalexpertin Nicola von Tschirnhaus kennt die Arbeit von Anwälten bestens, denn sie war nach ihren juristischen Staatsexamina einige Jahre selbst als Rechtsanwältin und zertifizierte Verfahrenspflegerin tätig. Im Jahr 2009 wechselte sie in den Personalbereich und stellt seitdem Juristen ein - zunächst für die Wirtschaftskanzlei Gleiss Lutz, seit 2011 für Linklaters. Zusammen mit ihrem Team ist sie für das Recruiting von Rechtsanwälten, Referendaren, juristischen Mitarbeitern und Praktikanten in Deutschland zuständig. Bisher läuft es gut, denn sowohl im Jahr 2014 als auch 2017 wurde Linklaters vom Trendence Institut Berlin für das beste „Employer Branding Law“ ausgezeichnet. Frage 1 Wie viele Nachwuchsanwälte werden bei Linklaters in Deutschland jährlich eingestellt? Wir bilden jährlich ungefähr 160 Referendare und rund 130 Praktikanten aus. Hinzu kommen Referendare in Nebentätigkeit, die uns als Wissenschaftliche Mitarbeiter unterstützen. Dann stellen wir noch 50-60 Anwälte pro Jahr ein. Frage 2 Und wie viele Bewerbungen erhalten Sie im gleichen Zeitraum? Wir erhalten das ganze Jahr über ein Vielfaches an Bewerbungen auf die von uns ausgeschriebenen Stellen - auf jeder Karrierestufe. Frage 3 Das klingt nach einem aufwändigen Auswahlprozess. Wie wird denn sichergestellt, dass die Besten identifiziert und eingestellt werden? <?page no="79"?> Personelle Rahmenbedingungen: Unternehmertypen gesucht 79 So groß ist die Auswahl letztendlich eigentlich gar nicht, denn das erste Kriterium ist nach wie vor die Examensnote. Wir erwarten von unseren Referendaren, die erste Staatsprüfung mit „voll befriedigend“ abgeschlossen zu haben, bei Anwälten müssen beide Staatsexamina mit „voll befriedigend“ abgelegt worden sein. Als nächstes Kriterium ist uns sehr gutes Englisch besonders wichtig. Wenn das Recruiting-Team festgestellt hat, dass diese Aspekte aufgrund der schriftliche Unterlagen gegeben sind, gehen die Bewerbungsunterlagen weiter in den Fachbereich, dort entscheiden die Partner über die nächsten Schritte. Gibt es Bedarf, wird der Bewerber zu einer ersten Gesprächsrunde mit verschiedenen Partnern eingeladen. Verläuft auch das positiv, schließt sich eine erneute Einladung zu einem vollen Auswahltag an, bei dem erneut Gespräche mit Partnern und Anwälten auf dem Programm stehen. Neben Fragen zum Lebenslauf gibt es Interviews auf Englisch und auch kleinere Fallbeispiele. Frage 4 Wie beurteilen Sie insgesamt die aktuelle Bewerberlage für Wirtschaftskanzleien? Unser Hauptproblem ist, dass es nicht genügend Absolventen gibt, um den Bedarf aller führenden Wirtschaftskanzleien, vor allem hinsichtlich des magischen Kriteriums „zweimal voll befriedigend“ zu erfüllen. Wir stehen deshalb im starken Wettbewerb um die Top-Absolventen. Das mag ein Grund dafür sein, weshalb es im Kanzleigeschäft nicht üblich ist, Bewerber durch knallharte Assessment-Center zu schicken. Absolventen haben bereits durch die beiden Staatsexamina bewiesen, dass sie juristisches Fachwissen mitbringen, so dass hier ein Assessment-Center nicht mehr erforderlich ist. Es geht vielmehr um ein gegenseitiges Kennenlernen „auf Augenhöhe“. Frage 5 Wäre es da nicht sinnvoll, die Examensnote als Einstellungskriterium zu relativieren und zumindest in Ausnahmefällen auch Einsteiger mit schlechteren Abschlüssen einzuladen, wenn zumindest andere Qualifikationen dafür sprechen? Ja, das ist ein Ansatz der immer mal wieder ins Spiel gebracht wird. Das Gros unserer Erfahrungen zeigt jedoch: In den Fällen, in denen wir in der Vergangenheit Ausnahmen gemacht haben, kam von den Partnern meist die Rückmeldung, dass die Qualität der juristischen Arbeit am Ende doch nicht dem gewohnten Standard entsprochen hat. Frage 6 Über welche Quellen / Medien finden Bewerber den Weg zu Linklaters? Erste Anlaufstelle ist in der Regel unsere Webseite: Wir haben eine gesonderte Karriereseite, auf der Interessierte bereits vorab Antworten auf (fast) alle ihre Fragen zum Einstieg bei Linklaters finden können. Darüber hinaus sind wir über Beiträge in sozialen Medien und Netzwerken wie Facebook, Xing, LinkedIn sowie in Karrierebüchern, in Absolventenrankings, in Online- Werbung und über Kooperationen mit Lehrstühlen bzw. Universitäten präsent - wir nutzen eine Vielzahl an Möglichkeiten, um mit passenden Bewerbern in Kontakt zu kommen. <?page no="80"?> 80 Rahmenbedingungen des Anwaltsmarketings Frage 7 Was unterscheidet Linklaters aus Sicht von Bewerbern und Mitarbeitern von anderen Wirtschaftskanzleien? Wir bieten über unsere Linklaters Law & Business School eine hervorragende Wirtschaftsausbildung an. Es gibt praxisgruppenspezifische, internationale Trainings, z. B. zur Vorbereitung auf Pitches Coachings und Workshops, sowohl verpflichtend auf jeder Karrierestufe als auch bei Bedarf. Das ist unser absolutes Alleinstellungsmerkmal. Gerade weil eben nicht jeder Partner werden kann oder will, punkten wir als Arbeitgeber durch unsere hervorragenden Weiterbildungsmöglichkeiten. Eine weitere Besonderheit ist die Arbeitsatmosphäre bei uns. Wir leben die Philosophie der „Open Doors“, d. h., dass die Kollegen, auch die Partner, immer ansprechbar sind. Zusätzlich gibt es Teambuilding-Aktivitäten und manche Büros haben auch einen fixen Termin am Freitag, an dem Mitarbeiter bei Snacks und Getränken gemeinsam die Woche ausklingen lassen. Durch regelmäßige Mitarbeiterbefragungen halten wir nach, wie das Arbeitsklima empfunden wird. Frage 8 Gibt es einen typischen Karriereweg bei Linklaters? Wenn ja, wie läuft dieser ab? Neueinsteiger beginnen typischerweise als Associate und schaffen dann in der Regel nach dreieinhalb bis vier Jahren den Sprung zum Managing Associate. Nach frühestens sieben Jahren kommt die Bestellung zum Partner oder Counsel in Betracht. Allerdings variiert die Verweildauer auf den einzelnen Karrierestufen, z. B. durch Elternzeiten oder einen dazwischen geschalteten MBA. Manche merken in ihrer Zeit als Managing Associate auch, dass sie nicht den Weg zum Partner/ Counsel anstreben. Dann ist beispielsweise ein Wechsel zum Mandanten denkbar, wobei die Sozietät gezielt bei der Suche nach einer passenden Stelle unterstützt. Um den beruflichen Weg - unabhängig vom Karriereziel - transparent zu halten, sind regelmäßige Personalbeurteilungen besonders wichtig. Wir messen die Leistung unserer Anwälte an fünf Kriterien: fachliche Kompetenz, Teamverhalten, Beiträge für Knowledge und Learning (z. B. Veröffentlichungen), wirtschaftliches Denken bzw. Mitarbeit an der Geschäftsentwicklung und individuelle Auslastung. Bei diesen Beurteilungen wird nicht nur das Feedback von Vorgesetzten, sondern auch von Kollegen und Mitarbeitern gezielt berücksichtigt, damit jeder eine umfassende Rückmeldung erhält. Frage 9 Wie viele der Associates werden denn am Ende Partner? Wir ernennen in der Regel in Deutschland drei bis fünf Partner/ Counsel im Jahr. Im Jahr 2016 haben wir beispielsweise 53 Neueinstellungen vorgenommen, daran wird deutlich, dass nicht jeder in ein paar Jahren Partner oder Counsel werden wird. Allerdings wollen heutzutage auch längst nicht alle Neueinsteiger mehr auf diese Positionen vorrücken. Mittlerweile ist ja bekannt, dass die heutigen Berufsanfänger einen wesentlich größeren Fokus auf ihre Work-Life-Balance legen als die Generation zuvor. Das merken wir als Arbeitgeber natürlich auch. Daher haben wir 2017 mit YourLink ein neues Arbeitsmodell eingeführt. <?page no="81"?> Personelle Rahmenbedingungen: Unternehmertypen gesucht 81 Frage 10 Ein wichtiges Thema zum Schluss: Diversity ist in aller Munde. Wie hoch ist der Anteil weiblicher Partner bei Linklaters? Sind Maßnahmen geplant, um den Frauenanteil künftig zu steigern? In Deutschland haben wir rund 63 Partner, davon 6 Partnerinnen. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, die Anzahl von Frauen in unseren globalen Management-Komitees sowie die Ernennung von Partnerinnen bis 2018 auf jeweils 30 % anzuheben. Das zeigt, dass uns bei Linklaters viel daran gelegen ist, unseren internen Frauenanteil weiter zu verbessern. Fast alle unsere Partnerinnen sind Mütter und organisieren Beruf und Familie hervorragend. Rund 60 % der juristischen Absolventen sind heute weiblich. Oft haben sie, verglichen mit ihren männlichen Kommilitonen, die besseren Noten - klar, dass wir deshalb Frauen verstärkt für Linklaters begeistern möchten. Wir bieten spezielle Workshops für Frauen an und fördern den Zusammenschluss von unseren Anwältinnen in Netzwerken, in denen man sich auch mit Mandantinnen austauscht. Für Frauen, die kurz vor der Partnerschaft stehen, gibt es unser „Women´s Leadership Programme“ mit speziellen Coaching- Maßnahmen. Wir möchten Frauen nicht nur rekrutieren, sondern auch langfristig halten. Neben den ganzen Aktivitäten ist deshalb wichtig, dass sich auch in den Köpfen etwas ändert. Ich bin zuversichtlich, dass gerade die jüngere Generation von Anwälten und Mandanten verstanden hat, dass gute Dienstleistungen nicht zwingend mit Rund-um-die-Uhr-Präsenz einhergehen müssen. Elternschaft und Karriere lassen sich so auch in unserer Branche vereinbaren. Immer öfter machen wir auch die Erfahrung, dass Mandanten bestimmte Diversity-Kriterien von uns aktiv abfragen und einfordern. In den USA beispielsweise werden Mandate immer häufiger unter der Maßgabe vergeben, dass wir im Team eine gewisse Geschlechterverteilung gewährleisten und darüber hinaus Diversität auch hinsichtlich des ethnischen Hintergrunds herstellen. Auch wenn dies in Deutschland noch nicht gang und gäbe ist, ist dies eine Entwicklung, die wir begrüßen, da sie der bei uns gelebten Vielfalt entgegenkommt. 2.3.2 Personalführung und -bindung Marketingorientierung bei der Personalführung betrifft die Frage, inwieweit Mandanten- und Marktorientierung vorgelebt und in den kanzleiinternen Anreiz- und Vergütungssystemen berücksichtigt werden. Im Rahmen der Personalbindung ist zudem sicherzustellen, dass Anwälte und Mitarbeiter, die die entsprechenden marktorientierten Fähigkeiten mitbringen, auch langfristig an die Kanzlei gebunden werden. Beides bedingt, dass die internen Beurteilungs- und Vergütungssysteme so angepasst werden, dass marketinggerechtes Verhalten dokumentiert und belohnt wird. Karrierestrukturen sind so auszurichten, dass nicht nur herausragende Fachkenntnisse, sondern auch gutes Kanzleimarketing (z. B. Halten von Vorträgen, Beteiligung an Marketinginitiativen, positive Beurteilung bei Mandantenbefragungen) mit den Ausschlag für eine Beförderung geben. <?page no="82"?> 82 Rahmenbedingungen des Anwaltsmarketings Bislang spielen Marketinggesichtspunkte bei Personalführung und -bindung in Kanzleien größtenteils nur eine untergeordnete Rolle. Aufgrund der Marktsituation haben sich die Aufstiegschancen für Juristen im Durchschnitt deutlich verschlechtert. Wer in den 1990er Jahren als Berufseinsteiger bei einer der führenden Law Firms eincheckte, konnte nach fünf bis sieben Jahren mit der Beförderung zum Partner rechnen. Heute liegt die Partnerchance bei Freshfields für Nachwuchsanwälte bei 1: 20, andernorts ist die Situation kaum besser (vgl. Buchhorn 2013). Strenge Selektion ist die Regel, allerdings größtenteils nach abrechenbaren Stunden und messbaren fachlichen Kriterien. Eine umfassende Beurteilung anhand eines multidimensionalen Kriterienkatalogs und auf Basis individueller Zielvereinbarungen ist bei Anwälten noch nicht die Regel. Das mag unter anderem daran liegen, dass das Instrument des Management by Objectives an anspruchsvolle Voraussetzungen gebunden ist. Vor allem müssen messbare und durch den Anwalt unmittelbare Einflussgrößen gefunden werden, so dass sich die Zielerreichung zweifelsfrei feststellen lässt. Die festgestellte Zielerreichung bildet die Grundlage für Zielerreichungsgespräche, die quartalsweise, halbjährlich oder mindestens jährlich nach einem festgelegten Turnus stattfinden sollten. Für Kanzleimitarbeiter gelten im Prinzip die gleichen Leitlinien. Zusammenfassung Handlungsempfehlungen für Zielvereinbarungsgespräche Zeit nehmen für Zielvereinbarung und Zielformulierung Quantitative und qualitative Ziele gleichermaßen berücksichtigen Realistische, aber ambitionierte Ziele formulieren Positive Ziele formulieren, d. h. beschreiben, was geschehen soll und nicht, was nicht mehr geschehen soll Ziele mit Prioritäten versehen Ziele und Maßnahmen besprechen Konkrete Maßnahmenpläne formulieren (was macht wer bis wann mit welchem Ergebnis? ) 2.3.3 Personalentwicklung Wohl die wenigsten Anwälte schreiben sich besondere Expertise auf dem Gebiet des Marketings zu, auch Interesse ist nicht immer vorhanden. Nicht nur in der Rechtsbranche wird Marketing in Unkenntnis der Zusammenhänge auf Werbung reduziert, schlimmer noch auf die ansprechende grafische Gestaltung von Werbematerial. In vielen Kanzleien hält sich hartnäckig der Glaube, Marketingverantwortliche würden in ihrer Arbeitszeit hauptsächlich Broschüren und Flyer produzieren. Zu häufigen Verwechslungen kommt es auch zwischen Marketing und Public Relations, wenn das Verfassen von Pressemitteilungen als dominierendes Element der Außendarstellung wahrgenommen wird. Ebenso häufig ist der Irrglaube anzutreffen, im Marketing würde hauptsächlich Kaltakquise und möglicherweise noch ein wenig Bestandskundenpflege (z. B. Organisation von Veranstaltungen für besonders wichtige Mandan- <?page no="83"?> Personelle Rahmenbedingungen: Unternehmertypen gesucht 83 ten) betrieben. In diesem Sinne wird dann Marketing weitgehend deckungsgleich zum Vertrieb gesehen. Allerdings gibt es hinsichtlich des Marketingverständnisses große Unterschiede zwischen den Kanzleiformen, so dass Pauschalaussagen kaum zu treffen sind. Während die großen und führenden Kanzleien ihren Marktauftritt durch eigene Marketingverantwortliche bzw. -abteilungen professionalisiert haben, mangelt es bei vielen kleinen Kanzleien an Budget, Know-how und Zeit. Zwar wird die Notwendigkeit von Kanzleimanagement und -marketing weitgehend bejaht und damit auch anerkannt, dass man sich stärker mit diesen Aspekten auseinander setzten müsste, aber Theorie und Praxis klaffen noch weit auseinander. Ein Grund dafür, dass die Herausforderungen des Marketings häufig unterschätzt oder missverstanden werden, liegt in den vorhandenen Bildungsangeboten. Nach wie vor spielen Aspekte der Kanzleiführung und der Vermarktung der eigenen Dienste eine untergeordnete Rolle in der juristischen Aus- und Fortbildung. Die Curricula juristischer Studiengänge sind auf fachbezogene Inhalte zugeschnitten, denn traditionell bereitet das Jurastudium auf das Richteramt und ein Berufsleben im Staatsdienst vor. „Marketingspezifische Elemente wie etwa die Entwicklung einer Kanzleipolitik und -strategie sind in der Anwaltsausbildung nicht vorgesehen“, konstatiert Bock (Bock 2014, S. 232). Faktisch erlangen jedoch nur die wenigsten Absolventen eines jeden Jahrgangs das für das Richteramt erforderliche Prädikatsexamen, so dass der Großteil am Ende als Rechtsanwalt tätig wird und in einer Kanzlei selbst für Mandate sorgen muss - meist ohne systematisch vermittelte Marketingkenntnisse und mit geringem Wissen über Unternehmensführung und Wirtschaft. Neben „Learning by doing“ bleibt da nur der oft empfohlene Besuch verschiedener Kurse (eine Übersicht über verschiedene Kursanbieter im juristischen Bereich findet sich in Anhang 1). Klassischerweise dominieren auch hier von jeher die fachbezogenen Inhalte, denn eine wachsende Zahl von Anwälten hat einen Fachanwaltstitel erworben und ist damit zur Ableistung fachbezogener Fortbildungen in einem vorgegebenen Umfang verpflichtet. Neben dem Fachanwaltsstatus existieren weitere Möglichkeiten der Fortbildung, deren Nutzen sich häufig durch die Option zur Führung eines Titels oder Nutzung eines Logos materialisieren lässt. Die Bundesrechtsanwaltskammer verleiht beispielsweise nach Ableistung von 360 Punkten in verschiedenen Rechtsmodulen ein Fortbildungszertifikat, das auch als Werbemittel genutzt werden kann (vgl. BRAK 2014). Häufig gestattet das persönliche Zeitbudget nur den Besuch der zertifikatsrelevanten fachbezogenen Seminare, so dass interdisziplinäre Qualifikationen zu kurz kommen. Gleichwohl hat die Verschärfung des Wettbewerbs unter Anwälten längst neue Anbieter mit Fortbildungsangeboten zum Thema Marketing, Management, Kanzleiführung, Betriebswirtschaftslehre für Juristen etc. auf den Plan gerufen. Neben privaten Anbietern bieten vor allem Fachhochschulen sehr aktiv Fortbildungsmaßnahmen an, beispielsweise zum Erwerb eines Fachanwaltszertifikats. Um den Bereich der berufsfeldbezogenen Ausbildung qualitativ zu stärken, hat der Wissenschaftsrat den Fachhochschulen nahegelegt, im juristischen Bereich Weiterbildungsstudiengange zu entwickeln. Zu denken sei an berufsbegleitende Studiengange und an eigenstandige, berufsfeldbezogene Bachelor-Studiengange, die dann bewusst die Herausforderungen der Anwaltspraxis aufgreifen (vgl. Wissenschaftsrat 2012, S. 65). Es steht zu erwarten, dass die Hochschulen diesen Bereich noch stärker für sich entdecken werden. Eine Erweiterung des Umfangs interdisziplinärer Seminarangebote, die auch Marketingthemen beinhalten, wäre sicher begrüßenswert. <?page no="84"?> 84 Rahmenbedingungen des Anwaltsmarketings Neben der Verfügbarkeit spielt jedoch auch die Qualität von Fort- und Weiterbildungsangeboten eine Rolle für den Aufbau von Kompetenzen. Und: Wissen wird nicht nur durch formale Bildungsangebote erworben, sondern auch durch Fachliteratur, Vorträge oder andere Informationsquellen. Eine pauschale Beurteilung dieser bunten Landschaft von mehr oder weniger fundiertem Rechtswissen ist kaum möglich. Allerdings drängt sich der Eindruck auf, dass aktuelle Angebote zum Thema Anwaltsmarketing und -management oft (noch) an mindestens einem der drei folgenden Schwachpunkte leiden: Zu allgemein (aus anwaltlicher Perspektive) Es kommt vor, dass Seminare und Literaturbeiträge zu den wirtschaftlichen Herausforderungen von Anwälten, im Detail nur wenig auf die Belange der Branche zugeschnitten sind. Stattdessen wird eher allgemein ausgerichtetes Managementwissen präsentiert. „Marketing für Rechtsanwälte“ gleicht dann eher einer allgemeinen „Einführung in das Marketing“. Wenn ein bislang eher auf betriebswirtschaftliche Belange ausgerichtetes Weiterbildungsinstitut sein Kursangebot um spezifische Seminare für Juristen erweitert, empfiehlt sich ein genaues Hinterfragen des Branchenbezugs. Gleiches bietet sich tendenziell vor dem Kauf ähnlich gelagerter Fachbücher an. Zu wenig fundiert (aus betriebswirtschaftlicher Perspektive) Problematisch ist auch, wenn Rechtsexperten über Kanzleimarketing referieren, ohne selbst eine fundierte betriebswirtschaftliche Ausbildung vorweisen zu können. Zwar wird die Marktsituation des Anwalts gut erfasst, aber betriebswirtschaftliche Fachtermini bzw. zentrale Zusammenhänge des Marketings werden dann manchmal eher sporadisch eingestreut und im Gesamtzusammenhang nicht erklärt. Zu trivial Mit jeder neuen Herausforderung im professionellen Umfeld erblicken, so scheint es, zahllose Informationsquellen auf dem Niveau amerikanischer Managementratgeber das Licht der Welt. Damit angesprochen sind Kursangebote, aber vor allem auch Publikationen, die den Eindruck erwecken, erfolgreiches Marketing könne quasi über Nacht erlernt werden, wenn man nur eine Reihe selbstverständlicher Prinzipien („Mandantenzentrierte Beratung“, „Win-Win-Argumentation“) beachten würde. Das Marketingproblem wird dabei unzulässigerweise auf einen Teilaspekt reduziert, wie z. B. auf Verhandlungsführung, Werbung oder Gewinnung neuer Mandanten. Im Endeffekt hat das nur wenig mit dem zu tun, was in der Ökonomie wirklich unter Marketing verstanden wird, so dass Gestaltungsspielräume verschenkt werden. Die vorgenannte Einteilung von Schwachpunkten mag stark pointiert sein. Aber: Gerade solche Einzelfälle prägen häufig das Gesamtbild eines neuen Erkenntnisbereichs. Unterdurchschnittliche Seminarangebote oder trivialisierende Ratgeberliteratur befördern den Eindruck, Anwaltsmarketing sei ein Bereich, der weder anspruchsvoll noch interessant sei. Bislang stehen die Gebiete der wirtschaftlichen Kanzleiführung sowie des anwaltlichen Marketings dementsprechend auch kaum im Fokus der Lehr- und Forschungsaktivitäten von Hochschulen - ganz im Gegensatz zu USA, wo beispielsweise die renommierte Harvard Law School ein eigenes „Center on Lawyers and the Professional Services Industry“ unterhält, das sich weltweit führend der Erforschung des Rechtsberatungsmarktes widmet. Der Rechtsanwalt wird als Marktakteur gesehen, der wirtschaftliches Handeln auf hohem Niveau verstehen muss. Wie stark der Kontrast zur typisch deutschen Wahrnehmung der Rolle des Anwalts ist, zeigt sich beispielhaft, wenn im juristischen <?page no="85"?> Finanzielle Rahmenbedingungen: Kleines Budget, kleine Wirkung 85 Online-Forum „JuraForum.de“ ( http: / / www.juraforum.de) Anwälten geraten wird, sich zum Erwerb betriebswirtschaftlicher Fähigkeiten bei der Volkshochschule oder der IHK umzuschauen (vgl. o. V. 2014). Im Grunde vielleicht nur folgerichtig, denn gerade die staatlichen Hochschulen in Deutschland handeln die Juristerei eher als abstrakte Kunst denn als nüchternen Broterwerb ab. Eine Ausnahme stellen die interdisziplinären Studiengänge des Bachelor und Master of Laws der Fernuniversität Hagen dar ( http: / / www.fernuni-hagen.de/ rewi/ studium/ ). Weitere Ansätze der Erforschung und Vermittlung der Besonderheiten des Anwaltsmarkts bestehen zudem an der privaten Bucerius Law School, zu der seit Juni 2010 das Bucerius Center on the Legal Profession gehört ( http: / / www.bucerius.clp.de), sowie an der German Graduate School of Management and Law ( http: / / www.ggs.de). Dem Gedanken einer konsequenten Modernisierung des rechtswissenschaftlichen Studiums und der Integration wirtschaftlicher Aspekte der Kanzleiführung in die Aus- und Fortbildung kann man weitere Verbreitung nur wünschen. Es bleibt zu vermuten, dass mit zunehmender Nachfrage nach marketingspezifischer Kompetenz die Vielfalt der Angebote steigen und damit die Selektion nach Qualitätskriterien noch besser möglich werden wird. Wie schnell dieser Prozess eintritt und wie stark auch die Hochschulen daran beteiligt sein werden, hängt von der Flexibilität der Beteiligten ab. Kurzbis mittelfristig ist das Angebot an qualifizierter Weiterbildung noch so gering, dass Rechtsanwälte in Sachen Marketing wohl größtenteils auf autodidaktische Fähigkeiten vertrauen müssen. 2.4 Finanzielle Rahmenbedingungen: Kleines Budget, kleine Wirkung Zu den wichtigen Voraussetzungen eines erfolgreichen Marketings zählen finanzielle Mittel. Neben der Höhe des Budgets spielt auch die Art der Mittelplanung eine Rolle, denn effektives Marketing bedingt, dass die Ressourcen systematisch festgelegt werden, damit vorausgeplant werden kann. Starke Budgetschwankungen oder Ad-hoc-Festlegungen sind dazu nicht geeignet. Nach aktuellen Erkenntnissen haben jedoch nur 10 % der deutschen Anwaltskanzleien ein festes Budget, das für Marketingaktivitäten verausgabt werden kann (vgl. Kilian 2011, S. 123). Wenn überhaupt, sehen eher größere Kanzleien ein festes Werbebudget vor. Fest steht auch, dass Kanzleien mit einem höheren Anteil an gewerblichen Mandanten mehr als andere über eine definierte Summe für Marketingkommunikation verfügen (vgl. Hommerich / Kilian 2010, S. 519). Interessante Erkenntnisse ergeben sich bei der differenzierten Betrachtung der Budgetplanung von Rechtsanwälten, die sich selbst als Spezialisten einordnen, im Vergleich zu den Berufsvertretern, die sich primär als Generalisten wahrnehmen. Demnach verzichten die Generalisten nahezu ausnahmslos auf ein definiertes Marketingbudget, während zumindest 12 % der spezialisierten Rechtsanwälte ein solches definieren (vgl. Hommerich / Kilian 2010, S. 519). Bei einer expliziten Zielgruppenausrichtung steigt der Anteil auf 15 %. Tendenziell lässt sich schlussfolgern, dass offenbar die Konzentration auf ein Rechtsgebiet oder eine Kundengruppe die Notwendigkeit eines festen Budget steigert, vermutlich da damit auch die Notwendigkeit einer klaren Kommunikation der Spezialisierung einhergeht. Anwäl- <?page no="86"?> 86 Rahmenbedingungen des Anwaltsmarketings te, die sich auf besondere Fachgebiete spezialisiert haben, wollen diese auch nach außen tragen, so dass sich eine feste Allokation von Finanzmitteln empfiehlt. Bislang gibt es kaum Erkenntnisse, wie viel Anwaltskanzleien de facto für Marketingmaßnahmen ausgeben. Eine Befragung des Soldan Instituts aus dem Jahr 2009 bezieht sich ausschließlich auf Werbung und weist ein Durchschnittsbudget von rund 4.600 € aus ( Abb. 15). Ein starker Zusammenhang besteht zwischen der Höhe des Werbebudgets und der Kanzleigröße: Während Sozietäten mit mehr als 10 Anwälten fast 10.000 € für Werbung veranschlagen, sind es bei Einzelanwälten im Durchschnitt knapp 3.000 €. Die Berechnung der Werbekosten je Anwalt ergibt, dass jedoch bei größeren Kanzleien die Werbeausgaben nicht linear mit der Anzahl der Berufsträger steigen (vgl. Hommerich / Kilian 2010, S. 520). Abb. 15: Durchschnittlicher Betrag, den deutsche Kanzleien für Werbung ausgeben (vgl. Kilian 2011, S. 133) Alles in allem geben lediglich 9 % aller Kanzleien mehr als 10.000 € aus. Vor allem Einzelanwälte genehmigen sich meist ein äußerst geringes Budget, stellen aber zahlenmäßig den größten Teil der deutschen Kanzleien dar, so dass dadurch die insgesamt geringen Durchschnittwerte erklärbar werden. Fachanwälte investieren mit durchschnittlich 6.143 € fast doppelt soviel wie ihre Kollegen ohne Fachanwaltstitel (3.159 €) (vgl. Hommerich / Kilian 2010, S. 520). 2.910 € 4.548 € 7.747 € 9.938 € 2.027 € 1.642 € 1.108 € 634 € 0 € 2.000 € 4.000 € 6.000 € 8.000 € 10.000 € Einzelanwalt Soz. mit mehr als 5 RAen Soz. mit 6 bis 10 RAen Soz. mit mehr als 10 RAen Ausgaben je tätigem Anwalt Ausgaben Kanzlei insgesamt <?page no="87"?> Resümee 87 2.5 Resümee Marketing für Rechtsdienstleistungen unterliegt engen Rahmenbedingungen. Kein Anwalt kann am Markt auftreten wie ein Konsumgüterartikler, denn das Berufsrecht setzt Grenzen. Dennoch sind bei genauer Betrachtung die rechtlichen Einschränkungen nicht wirklich groß, denn zumindest die wettbewerbsrechtlichen Schranken, die sich vornehmlich aus dem UWG ergeben, gelten von jeher für alle Gewerbetreibenden. Darüber hinaus formuliert das UWG Prinzipien der Geschäftsanbahnung, die bei Voraussetzung ethischer Mindeststandards ohnehin „normal“ sein sollten, wie z. B. Ehrlichkeit bei Aussagen zur eigenen Leistung und Fairness im Umgang mit Konkurrenten. Hinsichtlich der Auslegung des Berufsrechts besteht die Tendenz, dass Gerichte Anwälten zunehmend mehr Freiheiten bezüglich des Marktauftritts zugestehen. Das betrifft unter anderem das Gebot der Sachlichkeit in der Außenkommunikation. Nach einem aktuellen Urteil aus dem Jahr 2013 ist z. B. die Verwendung des Slogans „Scheidung online - spart Zeit, Geld und Nerven“ unproblematisch (OLG Hamm, Urteil vom 07.03.2013 - 4 U 162/ 12). Das Gericht befindet sogar, dass eine Anlockwirkung unverzichtbarer Teil jeder Werbung sei. Bereits 2007 hat das BVerfG offensive Werbung im Internet mit sogenannten Gegnerlisten für unbedenklich erklärt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.12.2007 - 1 BvR 1625 / 06). Auch hinsichtlich der zulässigen Akquisitionsmethoden ist der Liberalisierungstrend unübersehbar. So befand der BGH im Jahr 2013, dass ein Rechtsanwalt nicht zwingend gegen das Berufsrecht verstoße, wenn er potenzielle Mandanten in Kenntnis eines konkreten Beratungsbedarfs kontaktieren würde. Im Gegenteil wurde festgestellt, dass sachliche Werbung im Bedarfsfall sogar hilfreich sein könne (vgl. BGH, Urteil vom 13.11.2013 - I ZR 15 / 12). Ergo: Anwaltsmarketing wird salonfähig, auch aus Sicht von Richtern. Die Annäherung der Rechtsbranche an andere Branchen hinsichtlich der Möglichkeiten im Marketing schreitet voran. Die Konsequenzen für das Berufsbild des Anwalts sind Gegenstand kontroverser Diskussionen mit höchst unterschiedlichen Standpunkten: Während die einen ein allzu offensives Marketing mit dem Anwaltsstatus für unvereinbar halten, fordern andere die Angleichung an konsumnahe Dienstleistungsbranchen mit liberalen Marktbedingungen. Die Extreme reichen von bekennenden „Marketingkritikern“ alter Schule bis hin zu Anwälten, die täglich einige Stunden mit dem Einpflegen marketingrelevanter Informationen in soziale Netzwerke verbringen. Die Lockerung der rechtlichen Grenzen wird dazu beitragen, dass offensiveres Marketing auch unter Rechtsanwälten mittelfristig zur Normalität werden wird. Was erlaubt ist, werden zumindest einige Vorreiter umsetzen, für die weitere Entwicklung sorgt der Wettbewerb. Allerdings erwartet die Allgemeinheit von Anwälten mehr als nur die Beachtung geltenden Rechts, wenn es um das eigene Marketing geht. Als Organ der Rechtspflege nimmt der Anwalt eine besondere Rolle in der Gesellschaft ein, die neben Rechtsbewusstsein auch entsprechendes Auftreten erfordert. Das Bewusstsein dafür fehlt, wenn alle Grauzonen des Noch- Zulässigen allzu offensiv ausgelotet werden (vgl. Härting 2013). Trotz gewisser rechtlicher Einschränkungen und auch unter Beachtung der gesellschaftlichen Sonderstellung sind die Spielräume beim Marktauftritt sehr groß. Künftig wird es darauf ankommen, dass Rechtsanwälte ihre Möglichkeiten auch <?page no="88"?> 88 Rahmenbedingungen des Anwaltsmarketings vermehrt nutzen. Die Tatsache, dass die meisten Kanzleien bisher kein definiertes Budget für Marketing zur Verfügung stellen und wenn, dann in äußerst überschaubarem Rahmen, spricht dafür, dass die Marktchancen noch nicht richtig erkannt wurden. Neben der bereits erwähnten Zurückhaltung einiger Berufsvertreter gegenüber einem offensiven Marketing, dürften dafür vor allem fehlende Kenntnisse ausschlaggebend sein. Meist mangelt es nicht am „Wollen“, sondern am „Können“. Ein Blick auf die Fort- und Weiterbildungsangebote für Anwälte zeigt, dass es noch wenige außerfachliche Bildungsangebote gibt. Betriebswirtschaftliches Kanzleimanagement ist ein Thema mit geringer Priorität, noch rarer sind die Angebote zum Gebiet des anwaltlichen Marketings. Nach wie vor dominieren mit wenigen Ausnahmen fachbezogene Inhalte zu einzelnen Rechtsgebieten und die bislang verfügbaren Seminare mit Vermarktungsschwerpunkt sind hinsichtlich ihres Informationsgehalts äußerst unterschiedlich. Ganz offensichtlich werden die Rolle des Anwalts als Dienstleistungsunternehmer und die damit einhergehenden, hohen Qualifikationsanforderungen nur selten konsequent zum Thema gemacht. Eine Akademisierung dieses Bereichs, also eine Berücksichtigung der Marktperspektive in der universitären Ausbildung sowie wissenschaftliche Forschung auf hohem Niveau, stecken noch in den Kinderschuhen. Eine möglichst rasche Beseitigung dieser Defizite würde die Wettbewerbsfähigkeit der Branche nachhaltig steigern und zudem ein wichtiges Signal für die Bedeutung des Marketings für Rechtsanwälte geben. Quellenverzeichnis zu Kapitel 2 Arends-Paltzer, P. (2017): Legal Tech Tendenzen 2017. Abrufbar unter http: / / www.bucerius-education.de/ artikel/ legal-tech-tendenzen- 1/ ; abgerufen am 26.10.2017. Becker-Eberhard, E. (2017): Anwaltswerbung: Was bleibt von den §§ 43b BRAO, 6 ff. BORA? Auseinanderfallen von Gesetzestext und Rechtslage im anwaltlichen Werberecht. In: Anwaltsblatt, H. 2 / 2017, S. 148-154. 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A. / Parasuraman, A. / Berry, L. L. (1992): Qualitätsservice. Frankfurt a. M.: Campus. <?page no="91"?> 3 Der Anwalt als Dienstleister 3.1 Besonderheiten von Rechtsdienstleistungen Rechtsanwälte erbringen Dienstleistungen. Was genau damit gemeint ist, ist dem Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) zu entnehmen. Demnach handelt es sich um „jede Tätigkeit in konkreten fremden Angelegenheiten, sobald sie eine rechtliche Prüfung des Einzelfalls erfordert“ (§ 2 RDG). Tätigkeiten, die sich im Auffinden, der Lektüre, der Wiedergabe und der nur schematischen Anwendung von Rechtsnormen erschöpfen, sind damit keine Rechtsdienstleistungen. Die Erstellung wissenschaftlicher Gutachten, die Mediation, die Erörterung rechtlicher Angelegenheiten von Beschäftigen mit Betriebs- und Personalräten, die Schwerbehindertenvertretung sowie auch die an die Allgemeinheit gerichtete Darstellung rechtlicher Zusammenhänge in den Medien sind damit ebenfalls nicht als Rechtsdienstleistungen einzuordnen (§ 2 Abs. 3 RDG). Die Betriebswirtschaftslehre greift für die Einstufung einer Leistung als „Dienstleistung“ nicht auf juristische Definitionen zurück. Hauptziel ist hier, die aus wirtschaftlicher Sicht wichtigsten Eigenschaften von Dienstleistungen gegenüber anderen Angeboten hervorzuheben und daraus abzuleiten, welche Besonderheiten sich für den Marktauftritt ergeben. Das Ziel ist nicht zu definieren, wer unter welchen Umständen Rechtsdienstleistungen erbringen darf, wie in der juristischen Diskussion. Die Blickwinkel sind also gänzlich verschieden. Aus Sicht von Wirtschaftspraktikern weisen Dienstleistungen Charakteristika auf, die sie deutlich von anderen Angeboten am Markt unterscheiden. Das Gegenstück zu Dienstleistungen sind Sachleistungen, also solche Produkte, die sichtbar und materiell sind. Viele Anbieter bieten eine Kombination aus Sach- und Dienstleistungen an. Wer beispielsweise ein Auto bei einem Autohändler erwirbt, kauft häufig gleichzeitig eine Finanzierungsdienstleistung dazu (im Rahmen eines Leasingvertrages) oder auch eine Versicherungsdienstleistung (Pannenservice). Dienstleistungen, also auch Rechtsdienstleistungen, sind von Sachleistungen zu unterscheiden (vgl. Walsh / Klee / Kilian 2009, S. 425 ff.). Sie sind immateriell, man kann sie nicht sehen oder gar anfassen. Das erschwert im Vertriebsprozess den Nachweis besonderer Qualität. Während der Autoverkäufer einem potenziellen Kunden eine Probefahrt anbieten kann, um so die Qualität seines Angebots zu beweisen, kann der Rechtsanwalt kein sichtbares Produkt seiner Arbeit als Anschauungsobjekt vorweisen. Eine Priorität im Marketing von Dienstleistungen ist es daher, Vertrauen zwischen Anbieter und Nachfrager aufzubauen. Wer einen Anwalt konsultiert, muss sich darauf verlassen können, dass dieser das Problem lösen wird; den sichtbaren Nachweis seines Könnens wird er vor der Mandatserteilung nicht bekommen. Eine weitere Besonderheit von Dienstleistungen ist, dass sie aufgrund ihrer Nicht- Materialität nicht vorproduziert und gelagert werden können. Sie sind aufgrund ihres Prozesscharakters vergänglich. Das wiederum hat Konsequenzen für die Personal- und Kapazitätsplanung, die dadurch stark erschwert werden. Kleinere Kanzleien kennen das Problem: Mal sind nicht genug Mandate da, aber theoretisch <?page no="92"?> 92 Der Anwalt als Dienstleister zu viel Personal, das trotzdem bezahlt werden muss, mal ist es umgekehrt. Anbieter von Sachleistungen können auf Lager produzieren, Dienstleister haben nur wenige Möglichkeiten zur Kapazitätsharmonisierung. Die (begrenzte) zeitliche Verschiebung von Mandaten kommt höchstens in Betracht, wenn es um einen Fall nichtzeitkritischer Rechtsberatung geht (z. B. Testamentserrichtung) und die Bindung zwischen Anwalt und Mandant so hoch ist, dass keine zwischenzeitliche Abwanderung stattfindet. Überhaupt ist die Symbiose zwischen Nachfrager und Anbieter bei Dienstleistungen sehr hoch, denn ohne den Kunden bzw. den Mandanten geht eigentlich nichts. So ist auch für Rechtsdienstleistungen typisch, dass der Mandant aktiv mitarbeiten muss, damit die Zusammenarbeit ein Erfolg wird. In der betriebswirtschaftlichen Terminologie spricht man vom sogenannten externen Faktor, der bei Dienstleistungen mit eingebracht werden muss: Personen (z. B. der Kunde selbst bei einer Massage). Sachgüter (z. B. das Auto bei einer Autoreparatur). Nominalgüter (z. B. Geld bei einer Finanzberatung). Informationen (z. B. über die eigene Lebenssituation bei einer Rechtsberatung oder -vertretung). Die Notwendigkeit des externen Faktors sorgt dafür, dass Dienstleistungen in ihrer Qualität seitens des Anbieters nur begrenzt kontrollierbar sind. Der beste Rechtsanwalt kann nicht erfolgreich sein, wenn der Mandant nicht alle Informationen zur Verfügung stellt oder falsch informiert. Im Falle der Rechtsvertretung ist es teilweise auch nötig, dass der Mandant selbst z. B. vor Gericht erscheint, sich also als Person mit einbringt, was stets ein Element mit ungewissem Einfluss auf den weiteren Verfahrensverlauf darstellen kann. Ein viertes Merkmal von Dienstleistungen ist die Tatsache, dass Produktion und Absatz eng miteinander verzahnt sind. Anders als bei Sachgütern, die erst produziert und dann zu einem späteren Zeitpunkt verkauft werden, werden Dienste in der Regel erst erstellt, wenn sich bereits ein Nachfrager gefunden hat. In dem Moment der Leistungserstellung wird die Dienstleistung auch in Anspruch genommen (Simultanität von Produktion und Konsum oder auch Uno-actu-Prinzip). Das heißt: Der Mandant profitiert von einer Beratungsleistung während der Anwalt diese erbringt. Das klingt simpel, hat aber weitreichende Konsequenzen, denn eine Dienstleistung kann bei Unzufriedenheit nicht zurückgegeben werden. Lediglich eine erneute Leistungserbringung kommt in Betracht, die jedoch hilft oft wenig, denn die Folgen einer etwaigen Falschberatung oder einer mangelhaften Vertretung vor Gericht sind meist nicht mehr aus der Welt zu schaffen. Neben den bisher dargestellten Charakteristika, die in ähnlicher Form prinzipiell für alle Dienste Gültigkeit haben, weisen juristische Dienstleistungen einige branchenspezifische Einzigartigkeiten auf. Anders als in anderen Branchen ist die Gesamtnachfrage nach Rechtsdienstleistungen nur in Grenzen beeinflussbar. Äußere Einflüsse, vor allem die Gesetzeslage, beeinflussen den Bedarf. Eine Ausnahme stellt der Bereich der rechtlichen Vorsorge dar, der zu einem echten Nachfragezuwachs führen kann, wenn Mandanten sich von der Notwendigkeit einer solchen vorbeugenden Rechtsberatung überzeugen lassen ( S. 26). Hingegen sind die Marktperspektiven in Branchen, bei denen die Gesamtnachfrage ganz und gar <?page no="93"?> Besonderheiten von Rechtsdienstleistungen 93 von den Marketinganstrengungen der Anbieter und kaum von äußeren Faktoren abhängig ist, grundlegend besser, denn es bestehen größere Gestaltungsspielräume als im Rechtsbereich. So ist nach Angaben der Bundesnetzagentur beispielsweise die Nachfrage nach Mobilfunkanschlüssen vor allem aufgrund des offensiven Marketings der führenden Telekommunikationsanbieter in Deutschland zwischen 2003 und 2013 um rund 177 % gestiegen (vgl. Bundesnetzagentur 2015). Durch kontinuierliche Werbung hat mittlerweile auch der Letzte begriffen, dass mindestens ein, besser zwei Handyverträge zum absoluten Standard gehören. Undenkbar im Rechtsdienstleistungsmarkt, bei dem die Marktbedingungen weniger beeinflussbar sind - außer eben im Bereich der juristischen Vorsorge. Ärzte machen vor, wie durch die konsequente Bewerbung rein prophylaktischer Zusatzleistungen einem Umsatzausfall im Markt entgegengewirkt werden kann. Immer neue Vorsorgeleistungen bescheren den Ärzten mittlerweile rund 1 Milliarde € an Umsatz (vgl. o. V. 2015) - ein Beweis dafür, dass Marketing auch in Branchen, bei denen die prinzipielle Nachfrage nur in Grenzen beeinflussbar ist (Krankheitsfälle entstehen oder eben nicht), neue Einnahmequellen erschließen kann. Doch nicht nur durch die mangelnde Beeinflussbarkeit des Gesamtbedarfs heben sich Rechtsdienstleistungen von anderen immateriellen Leistungen ab. Eine Besonderheit stellt darüber hinaus der Umstand dar, dass die Inanspruchnahme der Dienstleistung für den Mandanten häufig von starken Emotionen begleitet ist. Anders als beim Frisörbesuch, in der Reparaturwerkstatt oder bei der Verpflichtung einer Reinigungskraft (um nur einige andere Beispieldienste zu nennen) haben die Motive, einen Anwalt aufzusuchen, nicht selten existenzbedrohlichen Charakter. Eine Strafanzeige, die anstehende Scheidung oder ein drohender Erbschaftsstreit beeinflussen das Denken und Handeln von Mandanten meist ganz erheblich. Da im Rahmen einer Dienstleistung jedoch die effektive Mitwirkung des Mandanten ganz wichtig ist, besteht die große Gefahr, dass der Leistungsprozess dadurch negativ beeinflusst wird, indem beispielsweise Informationen zu spät geliefert, verschwiegen oder aus Angst bewusst verfälscht werden. Eine besondere Anforderung an den Rechtsanwalt ist es daher, diese Emotionen mit Empathie und Kommunikationsgeschick „in den Griff“ zu bekommen, damit die Qualität der Dienstleistung nicht leidet. Eine letzte Spezifität von Rechtsdienstleistungen liegt darin, dass aufgrund rechtlicher Einschränkungen nicht jede Form von Marketing uneingeschränkt auf sie anwendbar ist. Wie in Kap. 2.1 erläutert, existieren zwar nicht viele, aber dennoch einige gesetzliche Restriktionen, die beim Marktauftritt von Rechtsanwälten beachtet werden müssen. Ferner gibt es selbstverständlich Konventionen der Außendarstellung, die ebenfalls zu beachten sind. Nach und nach fallen die Schranken, dennoch ist Marketing nach wie vor ein relativ neues Feld für die meisten Rechtsanwälte. Anders als in anderen Dienstleistungsbranchen wird noch stark dazugelernt. <?page no="94"?> 94 Der Anwalt als Dienstleister Zusammenfassung Besonderheiten von Rechtsdienstleistungen Allgemeine Dienstleistungscharakteristika Immateriell Vergänglich bzw. nicht lagerfähig Einbindung des externen Faktors Simultaneität von Produktion und Konsum Branchenspezifische Besonderheiten Gesamtnachfrage kaum beeinflussbar Stark emotionalisierter Leistungsprozess Rechtliche Einschränkungen beim Marketing Schlussfolgerungen Kaufsituation wird seitens des Mandanten als risikobehaftet wahrgenommen Möglichkeiten der Einflussnahme auf Mandanten durch Methoden des Marketings werden von Anwälten oft noch nicht ausreichend genutzt Aufgrund des Umstands, dass mangelhafte Dienstleistungsqualität nur schwer kompensiert werden kann und wegen des immateriellen Charakters empfinden Nachfrager von Diensten die Kaufsituation als risikobehaftet. So verhält es sich auch bei der Auswahl eines Rechtsanwalts, dessen Qualitäten aus Sicht des potenziellen Mandanten nur schwer einschätzbar sind. Hingegen ist der Erfolgsdruck relativ hoch, denn ein Anwalt wird häufig konsultiert, um eine für den Mandanten lebenswichtige Situation zu klären. Für das Marketing von Anwälten ergeben sich hieraus wichtige Erkenntnisse, denn d. h. nichts anderes, als dass es gerade zu Beginn der Mandantenbeziehung, also etwa bei der ersten Kontaktaufnahme, vor allem darum gehen muss, das subjektive Mandantenrisiko zu senken und Vertrauen zu erzeugen. Neben der Herstellung einer guten persönlichen Beziehung sollte der Erstkontakt daher vor allem dazu genutzt werden, das Rechtsproblem des Mandanten zu verstehen und realistische Handlungsoptionen darzustellen. Darauf aufbauend sollten sich die Bemühungen des Anwalts bei der ersten Kontaktaufnahme darauf richten, die eigenen Kompetenzen und seinen Wertbeitrag bei der Lösung des Mandantenproblems klar, aber unaufdringlich hervorzuheben (siehe auch Kap. 5.4.2.1). <?page no="95"?> Rechtsberatung und -vertretung als Prozess 95 3.2 Rechtsberatung und -vertretung als Prozess Die Bearbeitung eines Mandats beansprucht häufig einen langen Zeitraum, der sich aus mehreren Phasen zusammensetzt. In jeder Phase sind sowohl der Dienstleister, also der Anwalt, als auch der Mandant, die Kanzleimitarbeiter und möglicherweise andere Beteiligte involviert, jedoch in sehr unterschiedlicher Art und Weise. Zu Beginn des Mandats sind beispielsweise die Voraussetzungen einer erfolgreichen Anwalt-Mandanten-Beziehung völlig anders als im eingeschwungenen Zustand der Zusammenarbeit oder nach erfolgter Problemlösung. Generell lassen sich drei Phasen der Dienstleistungsbearbeitung unterscheiden (vgl. Wiesner / Sponholz 2007, S. 11): Potenzial- oder Vorbereitungsphase In dieser ersten Phase geht es darum, die notwendigen Voraussetzungen für die sich anschließende Leistungserbringung zu treffen. Ein unverbindlicher Erstkontakt ist Teil der Potenzialphase: Anwalt und Mandant lernen sich kennen, das grundlegende Rechtsproblem wird erörtert und eine mögliche Vorgehensweise besprochen. Außerdem werden alle notwendigen Ressourcen und Hilfsmittel bereitgestellt, also z. B. Mitarbeiterkapazitäten zugeordnet oder die Einbindung von fachlich spezialisierten Anwälten sichergestellt, soweit das Rechtsproblem dies erfordert. Wie bei der Beschaffung und dem Zurechtlegen aller notwendigen Zutaten für ein Kochrezept werden in der Potenzialphase alle notwendigen Bedingungen geschaffen, damit das Mandat im Anschluss optimal bearbeitet werden kann. Diese Bedingungen umfassen vor allem die Person des Anwalts mit seinen Fähigkeiten, das Personal der Kanzlei sowie auch die verwendete Infrastruktur (z. B. Informationstechnologie). Weitere, absolut notwendige Voraussetzungen betreffen die Verfügbarkeit von Informationen (z. B. einschlägige Gerichtsurteile) und die Mitwirkung des „externen Faktors“, also des Mandanten. Die genannten Aspekte werden in den Wirtschaftswissenschaften auch als Produktionsfaktoren oder auch Inputfaktoren bezeichnet (vgl. Meffert / Bruhn 2012, S. 29). Prozess- oder Verrichtungsphase Nach der Vorbereitung wird die Dienstleistung erbracht, d. h., das Rechtsproblem des Mandanten wird bearbeitet. Dazu werden die in der Potenzialphase bereitgestellten Produktionsfaktoren miteinander kombiniert, d. h. es findet Interaktion zwischen Anwalt und Mandant unter Nutzung der infrastrukturellen Voraussetzungen statt. Dies ist in der Regel kein einmaliger Vorgang, sondern bedingt eine Reihe verschiedener Tätigkeiten, die von der persönlichen Beratung über die außergerichtliche Verhandlung bis hin zur Vertretung vor Gericht reichen - jeder Rechtsfall liegt anders. Die Prozessphase kann sich unterschiedlich lange hinziehen und ist bei juristischen Dienstleistungen durch kontinuierliche Kommunikation geprägt. Ergebnisphase In der Ergebnisphase zeigt sich das Resultat der Dienstleistung: Der Rechtfall wurde gelöst, der Prozess geführt, eine Einigung wurde erzielt oder ähnliches. Das Ergebnis wird stets subjektiv bewertet; ein verlorener Prozess muss z. B. aus Sicht des Mandanten nicht zwingend eine Katastrophe sein, und kann sogar positiver bewertet werden als vermeintlich „bessere“ Lösungen. Dieser Umstand führt nicht selten zu Missverständnissen zwischen Dienstleistern und ihren Kunden/ Mandanten, da das Resultat unterschiedlich interpretiert wird. Die individuelle Wahrnehmung hat Einfluss auf die Beurteilung der Dienstleistungsqualität insgesamt. <?page no="96"?> 96 Der Anwalt als Dienstleister Abb. 16: Konstituierende Phasen von Rechtsdienstleistungen Die Betrachtung der drei genannten Phasen kann im Einzelfall noch verfeinert werden, auch können noch vor- und nachgelagerte Phasen hinzugefügt werden. Abb. 16 illustriert die konstituierenden Phasen von Rechtsdienstleistungen im Überblick. Für die Marketingpraxis von Rechtsanwälten liefert das dargestellte Phasenmodell interessante Erkenntnisse, denn jede Phase bedingt einen angepassten Marktauftritt. So stehen in der Potenzialphase die Vertrauensbildung und das gemeinsame Kennenlernen im Vordergrund. Mandant und Anwalt entscheiden, ob aufgrund der sachlichen und persönlichen Gegebenheiten in die Prozessphase eingestiegen werden soll. Marketing in dieser Anfangsphase ist stark auf Akquise ausgelegt. Durch externe Kommunikation in medienübergreifender Form (z. B. Webseite, Broschüren, Kanzleiflyer) werden in der Potenzialphase typischerweise potenzielle Mandanten angesprochen. Bei näherem Interesse folgt dann in der Regel ein persönliches oder zumindest telefonisches Gespräch, es dominieren jedoch vor Beginn der Mandatsbeziehung unpersönliche Medien mit hoher Reichweite. Wie bei einem Trichter gilt es, zunächst möglichst viele potenzielle Mandanten zu erreichen, zu einer ersten Kontaktaufnahme zu motivieren und zu tatsächlichen Mandanten zu konvertieren. Erfahrungen aus anderen Branchen zeigen in diesem Zusammenhang, dass der Fokus auf die falschen Zielgruppen (z. B. Konzentration auf wenig profitable Mandanten) bzw. falsche Kanäle der Kundenansprache, wenig attraktive Dienstleistungen und unattraktive Anreizmechanismen (z. B. ein schlechtes Verhältnis von Honorar und Leistung) die wesentlichen Problemquellen in der ersten Phase der Mandantenakquisition sind (vgl. Helm / Günter 2006, S. 24). Im Gegensatz zur Potenzialphase sind die Marketingbemühungen in der Prozessphase primär darauf gerichtet, den neu gewonnenen Mandanten nachhaltig zu Ergebnisphase Prozessphase Potenzialphase Notwendige „Zutaten“ der Dienstleistung Ablauf der Mandantenbeziehung Ergebnis der Mandantenbeziehung Personal Information der „externe Faktor“ Kanzlei / Infrastruktur Anwalt Durchsetzung der Mandanteninteressen Ablauf der Mandatsbeziehung Kommunikation (schriftlich, mündlich, telefonisch) Beispiele gewonnenes Gerichtsverfahren einvernehmliche Lösung schnelle Einigung ... <?page no="97"?> Rechtsberatung und -vertretung als Prozess 97 binden. Die eingesetzten Methoden richten sich vor allem auf persönliche 1: 1- Kommunikation, die den Sachstand des konkreten Rechtsfalles betreffen sowie der Information und Abstimmung dienen. Typischerweise entwickelt sich die Mandantenbeziehung dynamisch und durchläuft mehrere Teilphasen, die in ihrer Gesamtheit auch als Mandantenlebenszyklus bezeichnet werden können ( Abb. 17). Abb. 17: Phasen des Mandantenlebenszyklus (in Anlehnung an Stauss 2000, S. 16) Unmittelbar nach Beginn der Mandantenbeziehung beginnt nach der Potenzialdie Sozialisierungsphase, in der es vor allem darum geht, dass sich Leistungsgeber und -nehmer miteinander vertraut machen. Marketinganstrengungen sollten sich in dieser Zeitspanne vor allem darauf richten, eine vertrauensvolle und produktive Zusammenarbeit zu ermöglichen. Gerade in dieser frühen Phase der Kooperation ist es daher ganz wichtig, dass der Anwalt seine Leistungen zuverlässig, pünktlich und mit der gebotenen Qualität erbringt. Punktuelle Leistungsübererfüllung (so zeigen Erfahrungen aus anderen Branchen) ist gerade am Anfang der Kundenbeziehung eine gute Investition in die Zukunft, denn dadurch wird Vertrauen erzeugt. Die notwendigen „Spielregeln“ eines erfolgreichen Miteinanders sollten außerdem deutlich kommuniziert werden, z. B. im Rahmen eines Erstgesprächs und unterstützend durch Printmedien. Der Mandant sollte unter anderem Unterlagen zeitge- Potenzial -phase Prozessphase Ergebnisphase Sozialisierungsphase Wachstumsphase Reifephase Gefährdungsphase Gefährdungsphase Beendigungsphase Gefährdungsphase Abstinenzphase Revitalisierungsphse Beziehungsintensität <?page no="98"?> 98 Der Anwalt als Dienstleister recht beibringen, Termine bei Bedarf mit hinreichendem Vorlauf absagen, fallrelevante Tatsachen seinem Anwalt nicht vorenthalten, sich an bestimmte Öffnungszeiten der Kanzlei halten etc. Die Pflichten des Anwalts richten sich im Hinblick auf eine gute Zusammenarbeit neben den gesetzlichen Verpflichtungen der strikten Diskretion auf regelmäßige Auskünfte zum Stand des Mandats, auf die vorherige Rücksprache mit dem Mandanten vor der Versendung von Schriftsätzen, die Reaktion auf Anfragen innerhalb einer kurzen Zeitspanne sowie Erreichbarkeit in einem zumindest grob definierten Rahmen. Im pädagogischen Bereich wird Lehrern regelmäßig empfohlen, mit ihren Schülern sogenannte „Lernverträge“ zur Erleichterung der Zusammenarbeit zu schließen. Prinzipiell gilt bei der Mandatsbetreuung Ähnliches, denn eine Klärung der Rechte und Pflichten auf beiden Seiten, die über die rechtlichen Grundvoraussetzungen hinausgehen, erleichtert die Sozialisierung enorm. Selbstverständlich ist kein „Vertrag“ in dem Sinne erforderlich, dass beide Parteien gegenzeichnen, aber beispielsweise kann ein Merkblatt, das zusammen mit der Kanzleibroschüre und ggf. anderen notwendigen Unterlagen bei der Mandatsbeauftragung ausgegeben wird, für Klarheit sorgen. Dabei ist mit „Merkblatt“ keineswegs die Zusammenstellung rechtlicher Vorgaben im Paragraphenstil gemeint, sondern eine allgemein verständliche Dokumentation der Maßgaben guter Zusammenarbeit, die über den rein juristischen Rahmen hinausgeht. Misslingt die Sozialisierung, treten Missverständnisse und unterschiedliche Erwartungen auf. Beispiel: Der Mandant stellt höhere Anforderungen an Erreichbarkeit und Statusmeldungen als seitens des Anwalts geleistet werden. Wenn die auseinanderklaffenden Erwartungen nie zum Thema gemacht werden, besteht die Gefahr der vorzeitigen Mandatsbeendigung durch den Mandanten. Zeitgleich und infolge der Sozialisierungsphase tritt daher eine Zeitspanne der Mandatsgefährdung ein (Gefährdungsphase). Gelingt hingegen die Sozialisierung, tritt die Mandantenbeziehung in die Wachstumsphase ein. Auf Basis des vorhandenen Vertrauens erhöhen in dieser Phase Mandanten ihr Engagement und sind potenziell besonders empfänglich für den Hinweis auf weitere Rechtsdienstleistungen. Ein Scheidungsverfahren beispielsweise kann die Möglichkeit schaffen, auch das Thema der Nachlassplanung einmal aufzubringen; ein arbeitsrechtlicher Prozess für einen Unternehmensmandanten kann womöglich dazu führen, dass Arbeitsverträge des Mandanten einmal umfassend geprüft und für die Zukunft umgestaltet werden. Möglicherweise ist dies noch nicht der Zeitpunkt, ein neues Rechtsproblem unmittelbar anzugehen, da ein bestehender Fall noch nicht zum Abschluss gebracht ist, jedoch empfiehlt es sich, aufkommende Rechtsberatungsbedarfe dieser Art bereits in dieser Phase anzusprechen und nicht das erste Mal zu thematisieren, wenn der Mandant schon so gut „wie durch die Tür“ ist. Im Marketingkontext spricht man in diesem Kontext auch von Cross- und Upselling: Vertriebschancen werden genutzt, um Kunden (bzw. Mandanten) andere oder auch höherwertige Dienste zu verkaufen. Dies eröffnet nicht nur Umsatzperspektiven, sondern hat auch Auswirkungen auf die Mandantenbindung, denn Dienstleister, die gleich bei mehreren Problemen Abhilfe bieten können, werden seltener ausgewechselt. Versäumnisse in der Wachstumsphase führen dazu, dass Mandanten bei temporärer Unzufriedenheit eher zum Anwaltswechsel verleitet werden. Es gibt daher auch hier eine Gefährdungsphase. Der Wachstumsphase schließt sich die Reifephase an, in der die Mandantenbeziehung eigentlich am unproblematischsten verläuft. Die Zusammenarbeit ist routi- <?page no="99"?> Rechtsberatung und -vertretung als Prozess 99 niert, gegenseitiges Vertrauen besteht. Sachliche Erfordernisse der Falllösung stehen im Vordergrund, die Lösung des Rechtsproblems kündigt sich an. Sofern diese den Erwartungen des Mandanten entspricht, besteht kaum Gefährdungspotenzial. Wenn jedoch die Falllösung anders als geplant ausfällt, muss auch dann noch mit Abwanderung gerechnet werden. Nachdem die anwaltliche Dienstleistung erbracht wurde, geht die Mandantenbeziehung in die Ergebnisphase über, die ebenfalls mehrere Stufen vorsieht. Zunächst, in der so genannten Beendigungsphase, wird das Mandat abgeschlossen. Aus Marketingsicht hat diese Phase höchste Relevanz, denn hier werden die wichtigsten Weichen für die Zufriedenheit oder Unzufriedenheit des Mandanten gestellt. Üblicherweise wird dem Mandanten in der Ergebnisphase die Honorarabrechnung präsentiert oder geschickt - erfahrungsgemäß ein kritischer Punkt in jeder Kundenbeziehung. Es empfiehlt sich daher, die Rechnung im Rahmen eines Abschlussgesprächs zu übergeben und die Posten kurz durchzugehen. Rechtfertigung ist dabei nicht das Ziel, sondern Nachvollziehbarkeit. Viele Rechtsanwälte scheuen in der Praxis den Aufwand einer persönlichen Schlussbesprechung mit dem Mandanten. Dabei ist diese Zeit gut investiert, denn so können mehrere kritische Aspekte der Mandantenbeziehung auf einen Schlag adressiert werden: Klärung verbleibender Sachfragen bezüglich des Rechtsfalls Möglicherweise sind aus dem bearbeiteten Mandat noch Fragen offen geblieben, die sich auf die konkreten Pflichten des Mandanten, die zu erwartenden Rechtsfolgen oder Reaktionen der Gegenseite beziehen. Diese Fragen sollten in einem Abschlussgespräch möglichst zu Beginn geklärt werden. Nachbesprechung des Ergebnisses des Mandats Für den Mandanten sind die Folgen eines gelösten Rechtsfalls nicht selten psychologisch belastend oder aber auch im Gegenteil besonders erfreulich. Insbesondere für private Mandanten ist die Klärung eines Rechtsfalls immer auch ein emotional einschneidendes Erlebnis, das der Verarbeitung bedarf. Das fällt unter Umständen leichter, wenn der Rechtsanwalt, der den gesamten Ablauf ja begleitet hat, gemeinsam mit dem Mandanten ein Resümee zieht. Aus Marketingsicht geht es dabei insbesondere darum, den Mandanten im Nachhinein in seinem Weg zu bestärken und zu überzeugen, dass die Lösung des Rechtsproblems zumindest teilweise von Vorteil für ihn ist. Nach der Inanspruchnahme einer Dienstleistung oder nach einem Kauf treten nämlich sehr häufig Selbstzweifel auf: Ist wirklich jede juristische Möglichkeit hinreichend ausgeschöpft worden? Hat man sich unter Umständen vorschnell auf einen Vergleich eingelassen? Hat der Anwalt die richtige Strategie vorgeschlagen? Solche Bedenken, die typischerweise ex post auftreten und durch Gespräche mit Freunden und Verwandten oft noch bestärkt werden, sind auch unter dem Fachbegriff der kognitiven Dissonanz bekannt. Wann immer ein Mandant einen Rechtsanwalt aufsucht, braucht er im Vorfeld und auch im Anschluss daran, nachvollziehbare und rationale Gründe dafür, das Richtige zu tun. Schließlich will ja jeder bei dieser wichtigen Auswahlentscheidung vernünftig handeln. Doch das ist nach den Erkenntnissen des Marketings häufig gar nicht der Hauptaspekt, vielmehr noch geht es nämlich darum, eine Entscheidung zu treffen, die dem Nachfrager und den Menschen in seinem Umfeld vernünftig erscheint. Die Wahl eines Rechtsanwalts muss deshalb nicht prinzipiell rational sein, sondern vor allem konsistent zum Selbstbild des Mandanten und gut be- <?page no="100"?> 100 Der Anwalt als Dienstleister gründbar vor anderen. Der Anwalt kann dazu einen Beitrag leisten, indem er im Abschlussgespräch die wesentlichen Gründe noch einmal Revue passieren lässt, warum das Rechtsproblem so und nicht anders am besten gelöst werden konnte. Auf diese Weise werden dem Mandanten brauchbare Argumente für mögliche Diskussionen im persönlichen Umfeld geliefert und kognitive Dissonanzen vermieden. Bedarfsklärung für Folgedienste (Cross- und Upselling) Idealerweise wurde der prinzipielle Bedarf für weitergehende Produkte und Dienste bereits in der Prozessphase angesprochen, so dass bereits ein Aufhänger vorhanden ist. Ist das nicht der Fall, ist das Abschlussgespräch zumindest für längere Zeit die letzte Möglichkeit, noch einmal konkrete vertriebliche Anstrengungen zu unternehmen. Anknüpfungspunkte sind Bedarfe, die sich infolge oder im Umfeld des gerade abgeschlossenen Mandats ergeben haben. Fachkenntnis und Empathie des Rechtsanwalts sind an dieser Stelle gefragt, um einschätzen zu können, welche konkreten Beratungsbedarfe nun anstehen können. Das Abschlussgespräch bietet zumeist die vorerst letzte konkrete Möglichkeit, diese persönlich anzusprechen. Einholen von Feedback zur Mandatsbeziehung Zum Nutzen der eigenen Kanzlei sollte der Mandant nach Beendigung eines Mandats dazu aufgefordert werden, Feedback zur Zusammenarbeit aus seiner Sicht zu geben. Die Auswertung solcher Rückmeldungen bietet die einmalige Gelegenheit, ungefiltert und frei von Befürchtungen um negative Konsequenzen (denn das Mandat ist ja nun abgeschlossen) Bewertungen zur Arbeit des Anwalts und der Kanzlei zu bekommen. Mandantenfeedback kann auf unterschiedliche Arten in strukturierter Form eingeholt werden, auf die an späterer Stelle noch genauer eingegangen werden soll ( Kap. 6.1). Im Falle eines positiven Feedbacks spricht nichts dagegen, den Mandanten um aktive Weiterempfehlung im Bekanntenkreis zu bitten oder auch um eine Online-Bewertung auf einem Anwaltsportal im Internet (sofern die Kanzlei dort präsent ist) oder bei Google My Business ( https: / / www.google.com/ intl/ de/ business/ ). Besprechung des künftigen Kontaktmodus bzw. der Kontaktfrequenz Nach der Beendigung des Mandats aktiv und regelmäßig den Kontakt zu Mandanten zu suchen, erscheint vielen Rechtsanwälten absurd. „Aus den Augen, aus dem Sinn“ ist leider eine Devise, die in vielen Rechtsanwaltskanzleien zum Standard gehört. Denn anders als bei fortlaufenden Dienstleistungen, wie sie z. B. Telekommunikationsnetzbetreiber ihren Kunden oder Zeitschriftenverlage ihren Abonnenten anbieten, endet die Beziehung zwischen Anwalt und Mandant irgendwann automatisch mit der Lösung des Rechtsproblems. Wie in anderen Lebensbereichen gilt auch hier: Gewohnheiten zu durchbrechen, ist schwierig; deshalb bleiben viele Kunden ihrem Telekommunikationsanbieter trotz Unzufriedenheit treu, überwinden sich aber im Bedarfsfall kaum, einen Dienstleister anzusprechen, wenn der Kontakt erst neu aufgebaut oder reaktiviert werden muss. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein früherer Mandant irgendwann wieder anruft, wird kleiner, wenn der Kontakt zwischen Mandant und Rechtsanwalt in der Zwischenzeit gänzlich erloschen ist. Deshalb sollte jeder Anwalt großes Eigeninteresse daran haben, einen lockeren Kontakt aufrecht zu erhalten - natürlich nicht gegen den Willen des Mandanten. Um sein Einverständnis einzuholen, erweist es sich als <?page no="101"?> Rechtsberatung und -vertretung als Prozess 101 gute Idee, gegen Ende des Abschlussgesprächs zu fragen, ob z. B. die Kanzlei den Mandanten auch künftig im Verteiler für aktuelle Rechtsnachrichten behalten darf, ob die Einladung zu Veranstaltungen oder die Zusendung des neuen Kanzleiflyers erwünscht ist, wenn dieser gerade „in der Mache“ ist. Auch nach Beendigung des Mandats noch Kontaktanlässe zu finden, ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass sich die Zusammenarbeit in der Zukunft wiederholt. Nach der Beendigungsphase, die idealerweise das erläuterte Abschlussgespräch beinhaltet, schließt sich die Abstinenzphase an, es sei denn, das Mandat wird ungeplant doch fortgeführt oder ein neues unmittelbar begonnen. Im Idealfall und vor allem, sofern es nicht zu einem völligen Kontaktabbruch zwischen Mandant und Rechtsanwalt kam, lebt in der Revitalisierungsphase die Beziehung zwischen Mandant und Anwalt neu auf, indem ein weiteres Mandat erteilt wird. Die Besonderheiten der einzelnen Phasen des Mandantenlebenszyklus sind in Tab. 5 zusammengefasst. Phase Ziele Maßnahmen Hauptfehler Sozialisierungsphase Aufbau von Vertrauen Regeln für die Zusammenarbeit verabreden (Erwartungen, Zusagen) Erwartungen formulieren (mündlich, schriftlich) Aktives Zuhören und Empathie Sehr hohe Dienstleistungsqualität sicherstellen (v.a. in Bezug auf Verlässlichkeit, Engagement, Antwortzeiten) Regeln der Zusammenarbeit offen lassen Zu starker Fokus auf rein sachorientiertes Abarbeiten des Mandats Wachstumsphase Zusammenarbeit optimieren Ansatzpunkte für künftigen Beratungsbedarf identifizieren Fokus auf kompetente Mandatsbearbeitung und regelmäßigen Informationsfluss Regelmäßige persönliche Gespräche einplanen (persönlich, telefonisch), auch um Vertriebschancen auszuloten Zu wenig persönlicher Gesprächskontakt zum Mandanten Zu wenig Bemühen, aktiv weitere Beratungsfelder zu finden Reifephase Zusammenarbeit routinisieren Im Wesentlichen wie bei Wachstumsphase Nachlassen des Engagements aufgrund habitualisierter Mandantenbeziehung <?page no="102"?> 102 Der Anwalt als Dienstleister Beendigungsphase Mandat möglichst erfolgreich abschließen Umsatz realisieren Zufriedenheit des Mandanten herstellen, um Weiterempfehlungen und erneute Beauftragung zu begünstigen Rechnungszustellung / -übergabe Abschlussgespräch Auswertung des Feedbacks des Mandanten Kein Abschlussgespräch Keine Mandantenbefragung Abstinenzphase Beibehaltung eines losen Kontakts sporadischer Kontakt zu festgelegten Anlässen (z. B. Veranstaltungen, Weihnachtskarte etc.) Totaler Kontaktabbruch Revitalisierungsphase Neubeginn einer produktiven Mandantenbeziehung explizite Identifizierung und Ansprache des Mandanten als bereits bekannt Keine Identifizierung des Mandanten als „Altmandanten“ Regeln der Zusammenarbeit als bekannt voraussetzen Tab. 5: Ausgestaltung der Phasen des Mandantenlebenszyklus aus Sicht von Anwälten bzw. Kanzleien 3.3 Der Anwalt in der öffentlichen Wahrnehmung Wenn ein potenzieller Mandant eine Anwaltskanzlei betritt, bringt er im Regelfall nicht nur eine Reihe ganz persönlicher Anforderungen an den Anwalt und seine Leistungen mit, sondern auch eine bestimmte Vorstellung über das, was ihn erwartet. Diese Vorstellungen sind ein Extrakt dessen, was in der Öffentlichkeit über Anwälte im Allgemeinen gedacht, vermutet und wahrgenommen wird. Wir alle sind beeinflusst von den Berichterstattungen der Presse, den Meinungen von Freunden und Bekannten und dem Bild, welches über den Berufsstand der Rechtsanwälte im Fernsehen verbreitet wird. Was genau da vermittelt wird, fasst ein Artikel der Zeit aus dem Jahr 2011 treffend zusammen: „Die Kluft stets dunkel, der Scheitel deutlich gezogen, das Mäppchen aus feinstem Leder. Jungexemplare wirken forsch und aufgeräumt, als hätten sie soeben einen Sieg errungen und den nächsten bereits vor sich. Ältere Anwälte neigen zu sparsamer Mimik und verinnerlichtem Misstrauen. Da sich ihr Beurteilungssystem allein auf Akten stützt, nehmen sie die Welt nur als eine Art Entwurf wahr. Ihre Tage verbringen sie in minimalistisch eingerichteten Sitzungszimmern, bestückt mit moderner Grafik und kulturell ambitionierten Zeitschriften. In der Freizeit findet man sie in überschaubaren Anlagen wie Golf- und Tennisplätzen oder hermetisch abgeriegelten Fünf-Sterne-Resorts. Berechenbare Räume entsprechen ihrem strukturorientierten Naturell, der Aufenthalt unter ihresgleichen ihrer angeborenen Vorsicht.“ (Sprecher 2011) <?page no="103"?> Der Anwalt in der öffentlichen Wahrnehmung 103 Obwohl die verfügbaren Informationen über Anwälte größtenteils eher diffus sind und ihr Wahrheitsgehalt auch nicht immer hoch ist, prägen diese Art von Klischees zumindest anfänglich die Mandantenbeziehung mit. Mandanten haben eine gewisse Perspektive zur Tätigkeit des Anwalts und seiner Person, die Quelle erheblicher Missverständnisse sein kann. Es ist daher jedem Rechtsanwalt anzuraten, sich über die Außenwirkung des eigenen Berufsstands klar zu werden und dies auch im Mandantenkontakt zu berücksichtigen. Vorurteile, Mythen und Halbwahrheiten nehmen durchaus Einfluss auf das Geschäftsverhältnis zwischen Mandant und Anwalt und können nur frühzeitig adressiert werden, wenn sie bekannt sind. Das Bild, das Berufsgruppen, Unternehmen, Personen oder auch Produkte in der Öffentlichkeit vermitteln, wird im Marketingjargon als Image bezeichnet. Das Image ist die Summe der Erwartungen, Einstellungen und Eindrücke, die ein Individuum oder eine Gruppe von einem bestimmten Objekt hat (vgl. Kirchgeorg 2014). Das „Objekt“ ist in diesem Zusammenhang die Berufsgruppe der Rechtsanwälte. Es besteht kein Zweifel daran, dass das Image Auswirkungen auf den Nachfrageprozess hat und insofern einer besonderen Betrachtung bedarf. Dabei ergeben sich Schwierigkeiten der Erfassung, denn es fällt bei Befragungen den meisten Personen schwer, Imagewahrnehmungen klar zu artikulieren. Ein wahrgenommenes Image ist immer gefühlslastig und im Regelfall das Ergebnis eines langen Lernprozesses, dessen man sich kaum bewusst ist. Wer also beispielsweise Rechtsanwälte prinzipiell für wenig engagiert hält, kann in der Regel kaum begründen, auf welche Anlässe er genau diese Einstellung zurückführt und wie es zu dieser Meinung gekommen ist. Fest steht jedoch, dass auch ohne konkretes Wissen ein Image entstehen kann, einfach durch subjektive Vorstellungen. Je weniger konkrete Informationen vorhanden sind, desto mehr bestimmen Vorurteile und Nebensächlichkeiten die Art und Weise, wie gekauft und konsumiert wird - irrational, aber gefährlich für den Anbieter. Je unsicherer eine Nachfrageentscheidung ist, desto mehr determinieren Imagekomponenten die Auswahl. Nur wenige Nachfrageentscheidungen werden als so unsicherheitsbehaftet erlebt, wie die Auswahl eines Rechtsanwalts, denn es besteht im Regelfall wenig Vorerfahrung. Zudem ist (wie bei jeder Dienstleistung) ein objektiver Erfolgsnachweis vorab kaum möglich ( S. 91). In der Konsequenz lässt sich folgern, dass gerade die Suche nach einem geeigneten Anwalt seitens des Mandanten im Vergleich zu anderen Kaufentscheidungsprozessen von starken Imageeinflüssen geprägt ist. Man könnte die Frage stellen, welche positiven Auswirkungen aus Sicht des Marketings denn nun eigentlich von einem guten Image ausgehen. Tangiert es den einzelnen Anwalt in seinen Marketingbemühungen eigentlich, ob der eigene Berufsstand ein positives Bild in der Öffentlichkeit hat? Anders herum: Sollte in ein gutes Image investiert werden? Aus der Sicht des Marketings lautet die Antwort eindeutig „ja“. Ein gutes Image der Berufsgruppe hat vor allem drei Effekte, die sich günstig im Mandantenlebenszyklus auswirken: Höheres Vertrauen Dienstleister mit positivem Image profitieren von einem hohen Vertrauen in ihre Leistung, schon bevor sie überhaupt eine solche erbracht haben. Das ist wichtig bei der Akquisition, da die Entscheidung für einen Anwalt mit Risiken verbunden ist. <?page no="104"?> 104 Der Anwalt als Dienstleister Veränderte Qualitätswahrnehmung Erstmals im Jahr 1975 zeigten Marktforscher, dass Probanden, denen die Getränkemarken Pepsi und Coca Cola angeboten wurden, ohne dass diese die Marken sehen konnten (Blindtest), meist zur Marke Pepsi tendierten. Präsentiert man die Marken offen und lässt die Versuchsteilnehmer probieren, präferierte der überwiegende Teil Coca Cola. Die Versuchspersonen hatten sich keinesfalls bewusst für den Imageführer entschieden, sondern waren wirklich überzeugt, das Produkt schmecke auch besser. Der sogenannte „Pepsi-Test“ wurde seither häufiger wiederholt, auch mit anderen Marken, und verdeutlicht stets aufs Neue, dass sich Wahrnehmung der Leistung und die Einschätzung des Images stark überlagern. Prinzipiell ähnlich verhält es sich bei Dienstleistern, die bei besserem Image auch als besser wahrgenommen werden, selbst wenn die Leistung exakt die gleiche ist. Gesteigerte Fehlertoleranz Nicht-zufriedenstellende Ergebnisse werden bei Anbietern mit positivem Image eher verziehen. Wer ein hohes Image genießt, darf also auch mal Fehler machen, ohne dass darunter gleich der Markterfolg leidet. Die Automobilhersteller zeigen das plastisch auf: Obwohl in der Pannenstatistik oft besser, liegt beispielsweise der Renault Scenic im Verkaufsrang weit abgeschlagen hinter dem Konkurrenzmodell VW Touran. Aufgrund des besseren Images sehen die Kunden Angebotsschwächen auch in diesem Beispiel als nicht so gravierend an. Es lohnt sich also, sich näher mit dem Image von Rechtsanwälten zu beschäftigen. Die erste Frage in diesem Zusammenhang lautet: Was ist dabei eigentlich genau der Analysegegenstand? Eine grobe Analyse von Medienberichten, Meinungsäußerungen und anderen imagerelevanten Kommunikationsbausteinen zeigt, dass das Bezugsobjekt von Imageaussagen ganz unterschiedlich sein kann. In der Öffentlichkeit werden sowohl einzelne Rechtsanwälte und ihr individuelles Auftreten, als auch bestimmte Kanzleien, die gesamte Anwaltschaft oder - noch weitergehender - die Gruppe der Juristen zum Diskussionsgegenstand gemacht. Es kommt eben ganz darauf an, auf welchem Level Imagebetrachtungen angestellt werden sollen. Dabei gilt, dass Imagefaktoren, die eine jeweils übergeordnete Gruppe betreffen, auch jeweils Auswirkungen auf eine spezielle Teilmenge haben, sprich: Wenn in den Medien die Anwaltschaft in Deutschland zum Thema gemacht wird, hat das Konsequenzen auch für die Untergruppe der in Kanzleien tätigen Rechtsanwälte oder die noch speziellere Gruppe einzelner Rechtsanwälte. Wird also beispielsweise in der Presse über skandalöse Verhältnisse in einer bestimmten Kanzlei berichtet, hat das imageschädigende Auswirkungen auch auf die Anwaltschaft als Ganzes und möglicherweise auch auf andere Anwälte, die gar nichts mit dem konkreten Vorfall zu tun haben. Auch verwandte Gruppen und Organisationen können betroffen sein wie z. B. Richter, Unternehmensjuristen bzw. die Gerichte, die Dienstleistung der Rechtsberatung als solche oder die Justiz. Die Öffentlichkeit unterscheidet oft nicht genau und je weniger Information über bestimmte Berufsgruppen vorhanden ist, desto mehr verschwimmen Begrifflichkeiten und Imagewirkungen. Im Fachjargon werden derartige Übertragungseffekte auch als Spill-over-Effekte bezeichnet (vgl. Pepels 2012, S. 155). Positiv sind diese, wenn ein besonders gutes Image einer verwandten Gruppierung zu positiven Effekten für andere Bereiche führt. Negative Spill-over-Effekte kennzeichnen das Gegenteil (z. B., wenn schlechte Berichterstat- <?page no="105"?> Der Anwalt in der öffentlichen Wahrnehmung 105 tung über Gerichte auch das Bild von Anwälten ungünstig beeinflusst) und sind für Vermarktungssituationen in der Praxis eher hemmend. Psychologische Wechselwirkungen verfälschen regelmäßig auch die Ergebnisse von Imagestudien, weil die Befragten hinsichtlich des Befragungsgegenstands nicht klar unterscheiden und auch weil aktuelle Berichterstattung häufig exorbitante Wirkung auf den gesamten Berufsstand hat. Eine aktuelle Befragung des Forsa- Instituts weist aus, dass Anwälte im Jahr 2016 auf Platz 20 der „Hitliste“ besonders angesehener Berufsgruppen zu finden sind, im unteren Mittelfeld hinter den Studienräten aber noch vor den Journalisten ( Abb. 18). Abb. 18: Ansehen einzelner Berufsgruppen (2016) (vgl. dbb 2016, S. 11) Ähnliche Imagestudien liefert auch das Allensbach-Institut. Auf der jährlich erhobenen Berufsprestige-Skala des Instituts belegen Rechtsanwälte ebenfalls einen mittleren Platz (vgl. ifD Allensbach 2013, S. 2). Ein kleiner Trost: Die Partneragentur Elitepartner ermittelte im Jahr 2011, dass der Anwalt / die Anwältin immerhin auf Platz 4 der Berufe „mit dem größten Sex-Appeal“ liegt - vor dem Grafiker (bei Frauen) und der Architektin (bei Männern) (vgl. Kalisch 2011). 0% 20% 40% 60% 80% 100% 32. Versicherungsvertreter 31. Mitarbeiter einer Werbeagentur 30. Mitarbeiter einer Telefongesellschaft 29. Gewerkschaftsfunktionär ... 21. Journalisten 20. Anwälte 19. Studienräte 18. Unternehmer ... 9. Lehrer 8. Hochschulprofessor 7. Piloten 6. Richter ... 3. Kranken-/ Altenpfleger 2. Arzt 1. Feuerwehrleute Prozentsatz der Befragten, die glauben, dass die Berufsgruppe ein hohes Ansehen hat <?page no="106"?> 106 Der Anwalt als Dienstleister Abb. 19: Investitionspläne wohlhabender Amerikaner im Jahr 2016 (vgl. Ipsos Mendelsohn 2016) 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 Kochkurs besuchen Innenarchitekt beauftragen Enkel bekommen Liebesbeziehung eingehen Heiraten Selbständig machen Baby bekommen / adoptieren Schönheitsoperation durchführen lassen Rechtsanwalt konsultieren Fortbildung beginnen Wertvolle Uhr, Designerware oder Abendbekleidung kaufen Auto, SUV oder Transporter kaufen oder leasen In Wertpapier investieren Haus renovieren Kreuzfahrt bzw. Reise machen Anteil der Befragten in % Haushaltseinkommen 200.000 $ oder mehr Haushaltseinkommen 100.000 $ oder mehr <?page no="107"?> Der Anwalt in der öffentlichen Wahrnehmung 107 Es zeigt sich, dass das Image der Rechtsanwälte je nach Betrachtungsfokus sehr unterschiedlich eingeschätzt wird. Die ganze Bandbreite unterschiedlicher Wahrnehmungen in diesem Bereich zeigt auch der Blick auf andere Länder. In den USA beispielsweise hat die enorme Anwaltsdichte längst dazu geführt, dass Anwälte ihre Leistungen wie Konsumgüter am Markt bewerben. Die öffentliche Wahrnehmung der Berufsgruppe schwankt dementsprechend zwischen totaler Austauschbarkeit und Geringschätzung für die breite Masse und der Verherrlichung einiger weniger Berufsträger, die in der Presse als „Promi-Anwälte“ gefeiert werden und deren Mandatierung als Prestigefaktor angesehen wird. Bereits im Jahr 2006 wies der amerikanische Professor Fred C. Zacharias in einer Studie nach, dass das Image des Anwalts in den Vereinigten Staaten hohen Schwankungsbreiten unterworfen ist (vgl. Zacharias 2006) und daran hat sich bis heute wenig geändert. Aufgrund des im Vergleich zu Deutschland anderen Images und der höheren Werbeintensität der amerikanischen Anwälte haben auch Rechtsdienstleistungen einen anderen Stellenwert. Die Schwelle, einen Anwalt zu konsultieren, ist längst nicht so hoch wie beispielsweise hierzulande. Aktuelle Studien zeigen, dass der „eigene“ Anwalt zum Dienstleister-Repertoire zumindest der wohlhabenden Amerikaner gehört wie der Schönheitschirurg oder der Innenarchitekt ( Abb. 19). Zurück nach Deutschland: Ein Berufsimage im Mittelfeld ist verbesserungswürdig, für konkrete Akquisitionsaktivitäten nicht günstig, aber immerhin auch keine Katastrophe. Alarmierend ist aber die Entwicklung, die das Image der Anwälte in den letzten Jahren genommen hat. Nahezu alle bekannten Studien weisen sinkende Imagewerte auf. Während beispielsweise bei der Allensbacher Berufsprestige- Studie im Jahr 1991 noch 38 % der Befragten zustimmten, dass Anwälte hohe Achtung genießen, waren es im Jahr 2013 nur noch 24 % (vgl. ifD Allensbach 2013, S. 5). Die Gründe dafür sind neben teilweise negativer Berichterstattung sicher auch in der Überbesetzung des Marktes und einem mangelnden Berufsethos einzelner Berufsvertreter zu sehen. Eine differenziertere Betrachtung des Images von Anwälten ergibt sich, wenn anstelle des Gesamtkonstrukts konkrete Assoziationen zur Berufsgruppe betrachtet werden, denn schließlich ist ein gutes oder schlechtes Image häufig nur auf bestimmte, besonders negativ oder positiv aus dem Rahmen fallende Einzelaspekte zurückzuführen. Im Rahmen einer repräsentativen Untersuchung der Hochschule Rhein-Waal und der Innofact AG wurde das Image der Berufsgruppe der Anwälte dezidiert untersucht. Zum Thema „Marktauftritt von Rechtsanwälten“ wurden im April und Mai 2013 sowie im November 2017 bundesweit repräsentative Befragungen durchgeführt (vgl. Halfmann 2013, Halfmann 2017). Insgesamt nahmen 687 Personen (davon 65 Anwälte) an der Studie teil, die Verteilung von Geschlechtern und Altersgruppen entsprach dem bundesdeutschen Durchschnitt. Neben dem Image von Anwälten waren Mandantenerwartungen an den Anwalt sowie die Evaluation der Leistungen von Anwälten die zentralen Themen der Untersuchung. Die Auswertung der Ergebnisse stellte jeweils Eigen- und Fremdbild der Anwälte gegenüber, d. h., die Antworten wurden für Anwälte und Nicht-Anwälte getrennt ausgewertet und im Anschluss verglichen. In Bezug auf das Image wurde zunächst ungestützt (d. h. ohne Antwortvorgaben) nach Merkmalen gefragt, die zum Beruf bzw. zur Person des Rechtsanwalts assoziiert werden. Der Vorteil einer ungestützten Eingangsfrage ist, dass originelle, aus <?page no="108"?> 108 Der Anwalt als Dienstleister dem Rahmen fallende Antworten auftauchen können, die bei vorgegebenen Antwortoptionen nie geäußert worden wären. Im Nachgang wurden die Angaben verschiedenen Kategorien zugeordnet und dann ausgezählt. Es ergab sich, dass potenzielle Mandanten den Anwalt am häufigsten mit Eigenschaften aus der Kategorie „intelligent/ gebildet“ assoziieren, gefolgt von „unterstützend“. Auf dem dritten Platz folgten Assoziationen, die keine wirklichen Merkmale des Anwalts waren, sondern Begrifflichkeiten aus der Welt des Rechtswesens wie z. B. „Gericht“, „Prozess“ oder „verklagen“. Die Ergebnisse zeigen, dass der Einsatz des Anwalts in der öffentlichen Wahrnehmung noch sehr stark auf den Bereich der Forensik konzentriert ist. Weitere Assoziationen waren „kompetent“, „serös“, „akkurat“ und „kostspielig“. Anders antwortete die kleinere Gruppe der befragten Anwälte: Sie sahen sich und ihre Berufskollegen vor allem als „akkurat“, „kompetent“ und „neutral“. Abb. 20: Imageprofil des Rechtsanwalts (Eigen- und Fremdbild) (vgl. Halfmann 2017) extrovertiert attraktiv Großverdiener alt männlich humorvoll klar überheblich distanziert emotional freundlich kompetent sympathisch teuer konservativ introvertiert unattraktiv Geringverdiener jung weiblich humorlos unklar bescheiden nahbar rational unfreundlich inkompetent unsympathisch preiswert modern 1 2 3 4 5 Einschätzung aus Sicht von Nicht-Anwälten Einschätzung aus Sicht von Anwälten N (Befragungsteilnehmer) = 641; n (Antworten) = 535 (potenzielle) Mandanten sowie 21 Rechtsanwälte Tendenz zum Attribut links Tendenz zum Attribut rechts <?page no="109"?> Rechtsdienstleistungen aus Mandantenperspektive 109 Ergänzend zur ungestützten Nennung von Assoziationen wurden Anwälte und Nicht-Anwälte im Anschluss zur Einordnung der Berufsgruppe der Anwälte auf der Basis von 15 vorgegebenen polaren Eigenschaftspaaren gebeten. Diese Vorgehensweise ist im Rahmen der Imagemessung sehr verbreitet und mündet in die Aufstellung von Imageprofilen. Die Profile illustrieren, welche Eigenschaften aus Sicht der Befragten besonders ausgeprägt sind und erlauben zudem einen einfachen Vergleich von Selbst- und Fremdbild einzelner Berufsgruppen. Der Vergleich der Imageprofile zeigt, dass Anwälte sich durchweg ähnlich einschätzen wie auch potenzielle Mandanten. Die befragten Anwälte in der Studie hielten sich im Durchschnitt für etwas konservativer, überheblicher, distanzierter und sympathischer als andere Befragte ( Abb. 20). Die Betrachtung des Imageprofils offenbart jedoch nicht nur Interessantes zum Eigen- und Fremdbild, sondern lässt auch Schlussfolgerungen in Bezug auf die zentralen imagebildenden Aspekte zu. Besonders imageprägend sind nämlich vor allem die Eigenschaftspaare, bei denen eine Wertung vorgenommen wurde, die sehr weit von der neutralen mittleren Einschätzung (Wert 3) entfernt liegt. Demnach ist das Bild von Anwälten in der Öffentlichkeit vor allem durch die Attribute „teuer“, „kompetent“ und „Großverdiener“ geprägt sowie durch die Eigenschaft „rational“. Für das Marketing sind diese Ergebnisse essenziell, denn insbesondere die Wahrnehmung des Anwalts als sehr kostenintensiv kann einer der wesentlichen Hemmnisse sein, Rechtsdienstleistungen in Anspruch zu nehmen, solange keine sehr hohe Dringlichkeit besteht. Statistische Unabhängigkeitstests zeigen, dass das Image des Rechtsanwalts in der dargestellten Profilversion kaum abhängig ist von Faktoren wie Geschlecht oder Alter, wohl aber von der Frage, inwieweit bereits Erfahrungen bei der Inanspruchnahme von Rechtdienstleistungen bestehen. Wer noch nie oder bisher nur einmal einen Anwalt konsultiert hat, assoziiert eher das Merkmal „teuer“ als jemand, der bereits viel Konsultationserfahrung hat. Personen mit wenig oder gar keinen Erfahrungen beschreiben Anwälte zudem häufiger als unfreundlich, unsympathisch, distanziert, humorlos und älter. Offensichtlich besteht die Neigung, mangelnde eigene Erfahrung mit Rechtsanwälten durch gängige Klischees zu ersetzen. Das ist aus Sicht einzelner Anwälte kaum änderbar, spielt jedoch eine gewichtige Rolle im Erstkontakt mit privaten Mandanten, die bislang nur wenig Umgang mit der Berufsgruppe hatten. 3.4 Rechtsdienstleistungen aus Mandantenperspektive Warum konsultieren Menschen einen Anwalt? Um ein Rechtsproblem zu lösen, sollte man meinen. Aber so einfach ist es meist nicht, denn mit der Erteilung eines Mandats sind in der Regel eine Vielzahl verschiedener Erwartungen verbunden, die nur teilweise ausgesprochen werden und dem Mandanten selbst möglicherweise nur ausschnittsweise bewusst sind. Der Rechtsanwalt soll eben nicht nur juristische Schwierigkeiten aus dem Weg räumen, sondern parallel noch eine Vielzahl anderer Dinge leisten: schnell antworten, regelmäßig informieren, Engagement zeigen, über angenehme Räumlichkeiten verfügen, kompetentes Personal beschäftigen und vieles mehr. Die Basis des Markterfolgs für Rechtsanwälte ist die genaue Kenntnis der Erwartungen, die Mandanten an ihn stellen. Umso überraschender ist es, dass <?page no="110"?> 110 Der Anwalt als Dienstleister bislang kaum empirische Untersuchungen existieren, die dieser Frage systematisch nachgehen. Abb. 21: Anforderungen an Rechtsanwälte aus Mandantensicht (vgl. Halfmann 2017) Eine Ausnahme stellt die bereits erwähnte, 2013 und 2017 durchgeführte Studie der Hochschule Rhein-Waal und der Innofact AG dar. Rund 530 private Mandanten 9% 18% 29% 31% 31% 37% 44% 59% 59% 61% 64% 75% 87% 19% 27% 39% 47% 49% 40% 38% 34% 34% 32% 31% 20% 10% 38% 45% 29% 18% 17% 19% 15% 6% 5% 6% 5% 4% 3% 0% 20% 40% 60% 80% 100% Ansprechende Räumlichkeiten Geringes Honorar Schnelle Abwicklung Kompetentes und freundliches Personal Empathie Gute Erreichbarkeit Transparenz der Honorarvereinbarung Beratungsqualität Kommunikationsstärke Durchsetzungsstärke Engagement Zuverlässigkeit Fachkompetenz Mittelwert (1-5) 1,17 1,32 1,44 1,51 1,48 1,48 1,79 1,92 1,94 1,95 2,07 2,50 3,05 „Stellen Sie sich vor, Sie möchten einen Rechtsanwalt beauftragen. Wenn Sie bereits Erfahrung mit der Zusammenarbeit mit Anwälten haben, versuchen Sie sich bitte zu erinnern. Welche Kriterien wären (bzw. waren) Ihnen bei der Auswahl des Anwalts besonders wichtig? “ sehr wichtig (1) sehr unwichtig (5) N (Befragungsteilnehmer) = 641 n (Antworten) = rd. 531 (potenzielle) Mandanten sehr wichtig wichtig teils teils unwichtig sehr unwichtig <?page no="111"?> Rechtsdienstleistungen aus Mandantenperspektive 111 gaben dabei Auskunft über ihre Präferenzen bei der Beauftragung eines Anwalts. Erwartungsgemäß wurde dabei die Fachkompetenz des Rechtanwalts als wichtigstes Anforderungskriterium genannt, dicht gefolgt von Zuverlässigkeit und Engagement des Rechtsdienstleisters ( Abb. 21). Im Vergleich zu den Ergebnissen von 2013 zeigt sich eine leichte Erhöhung der Anforderungen an Kommuniksationsstärke, ansonsten wenig Abweichungen. Die Befragungsergebnisse sind stark fokussiert auf die Sicht von privaten Mandanten, doch welche Erwartungen richten gewerbliche Mandanten an Rechtsanwälte? Im Prinzip sind die geäußerten Anforderungen nicht gänzlich unterschiedlich, jedoch werden diese im gewerblichen Umfeld weitaus deutlicher artikuliert und eingefordert. Unter dem Stichwort Legal Services Sourcing entwickeln Unternehmen Kanzleilisten, die eine transparente Dokumentation und Bewertung aller wichtigen Auswahlkriterien beinhalten. International sind die Folgen einer derartigen Versachlichung und Strukturierung des Einkaufs anwaltlicher Dienste bereits deutlich zu spüren. Härtere Preisverhandlungen und strengere Auswahlverfahren sind die Folge (JUVE 2013). Neben Strategien zur Kostenkontrolle und -regulierung sehen sich Kanzleien im gewerblichen Umfeld einem kontinuierlichen Evaluationsdruck gegenüber. Experten gehen davon aus, dass bis zum Jahr 2030 der Wettbewerbsdruck in diesem Bereich stark zunehmen wird (vgl. DAV / Prognos 2013, S. 125 f.). Trotz eines spürbar höheren Kostenbewusstseins bei Unternehmen ist prinzipiell davon auszugehen, dass die Fachkompetenz für alle Mandantengruppen des jeweiligen Anwalts höchste Priorität hat. Aus Sicht vieler Rechtsanwälte mag das beruhigend klingen - für kompetent halten sich schließlich die meisten. Wer richtig gut in seinem Fach ist, hat schon die wichtigste Anforderung erfüllt, könnte man meinen. Vor derartig voreiligen Schlussfolgerungen kann man jedoch nur warnen, denn im Regelfall können Mandanten die Fachkompetenz von Anwälten kaum beurteilen. Gerade bei privaten Mandanten ist die Einholung von Rechtsrat durch asymmetrische Informationsverteilung gekennzeichnet, sprich: Der Rechtsanwalt kennt sich aus, der Mandant nicht. Infolge ungleich verteilter Informationen kann der Mandant die fachlichen Qualitäten des Anwalts gar nicht richtig einschätzen, obwohl sie ihm sehr wichtig sind. Ergo kann auch nicht gefolgert werden, dass fachkompetente Anwälte mehr Erfolg am Markt haben. Im Gegenteil zeigt sich allein dadurch, dass andere Kriterien mindestens gleich wichtig, wenn nicht sogar wichtiger sind, um sich am Markt zu behaupten. Wirtschaftswissenschaftliche Konzepte, die Sie kennen sollten! Informationsasymmetrie Phänomene der asymmetrischen Information liegen im Fokus der Wirtschaftswissenschaften und bilden die Basis für den wirtschaftswissenschaftlichen Nobelpreis, der im Jahr 2001 den Wissenschaftlern George Akerlof, Michael Spence und Joseph Stiglitz für besondere Leistungen auf diesem Forschungsgebiet verliehen wurde. Mit Informationsasymmetrie bezeichnet man die Situation, dass zwei Vertragsparteien bei Abschluss und/ oder Erfüllung eines Vertrags nicht über dieselben Informationen verfügen (vgl. Stiglitz 2002, S. 469). <?page no="112"?> 112 Der Anwalt als Dienstleister Bei Dienstleistungen ist das der Normalfall, denn der objektive Leistungsnachweis kann bei Vertragsabschluss nicht erbracht, sondern nur glaubwürdig zugesichert werden. Der Nachfrager (im Rechtsberatungsmarkt der Mandant) hat weniger Kenntnis über die Geschehnisse als der Anbieter. Drei Grundtypen asymmetrischer Informationen lassen sich unterscheiden: Hidden characteristics (verborgene Eigenschaften) liegen vor, wenn vor Vertragsabschluss keine Kenntnis über wesentliche Leistungsmerkmale bestehen. Dieses Problem liegt bei der Beauftragung von Rechtsanwälten aus Sicht von Mandanten regelmäßig vor, denn der Mandant kann die fachliche Kompetenz des Anwalts nur erahnen. Hidden action und hidden information (verborgene Handlung und Information) treten erst im Prozess der Leistungserbringung auf. Hidden action heißt, dass der Anbieter Spielräume bei der Leistungserstellung hat, weil der Nachfrager ihn nicht vollständig kontrollieren kann. Im Zweifel kann z. B. nicht geprüft werden, ob in einer Großkanzlei der Partner persönlich ein wichtiges Dokument entworfen hat oder doch der Referendar. In weitaus größerem Maße liegt im Rechtsdienstleistungsmarkt aber der Fall von hidden information vor. D. h., der Mandant kann zwar größtenteils überblicken, was passiert, jedoch nicht, was es bringt. Liegt es nun an der Gesetzeslage, wenn ein Gerichtsprozess verloren wird, oder an der schlechten Leistung des Anwalts? Ob nun qualifizierte Anstrengungen des Rechtsanwalts oder die Gunst (oder Ungunst) der Stunde die Ursache eines Urteils sind, kann nicht mit Sicherheit geklärt werden. Hidden intention (verborgene Absicht) ist der letzte Typ asymmetrischer Informationen. Damit ist gemeint, dass sich die Nachfrager bei Vertragsabschluss in ein Abhängigkeitsverhältnis begeben, das einen Wechsel des Anbieters zu einem späteren Zeitpunkt stark erschwert. Gründe dafür sind getätigte Investitionen oder auch Aufwand anderer Art, der dann im Nachhinein umsonst wäre. Aufgrund dieses Umstands entsteht dann die Gefahr, dass der Anbieter die Situation zu seinen Gunsten ausnutzt. Für das Verhältnis zwischen Anwalt und Mandant spielt hidden intention im Vergleich zu den anderen Ursachen asymmetrischer Information eine eher untergeordnete Rolle. Informationsasymmetrien sind vor allem in der Volkswirtschaftslehre zu einem zentralen Untersuchungsfeld geworden, weil sie häufig zu beobachten sind und potenziell zu Marktversagen führen. Wenn z. B. Mandanten die Qualitätsunterschiede von Anwälten ex ante nicht wirklich erkennen können, sind sie auch nicht bereit, besondere Kompetenzen durch ein hohes Honorar zu vergüten. Stattdessen gehen sie - zumindest nach der Theorie der Informationsasymmetrie - bei jedem Anwalt von durchschnittlicher Leistungsfähigkeit aus und möchten auch nur einen mittleren Preis zahlen. Es besteht die Gefahr, dass sehr kompetente Dienstleister keine entsprechende Gegenleistung am Markt erzielen können, während vergleichsweise leistungsschwache Anbieter durchaus erfolgreich sein können. Die normalen Marktregulierungsmechanismen greifen nicht, im schlimmsten Fall verringert sich die Durchschnittqualität der Angebote im Markt (vgl. Akerlof 1970, S. 490). <?page no="113"?> Rechtsdienstleistungen aus Mandantenperspektive 113 Zur Beseitigung von Informationsasymmetrien bieten sich nach der wirtschaftswissenschaftlichen Theorie verschiedene Reaktionsmöglichkeiten an: Beseitigung der Informationsasymmetrie, indem sich entweder der Dienstleister bemüht, seine Leistung besser zu kommunizieren (sogenanntes Signaling), oder indem der Nachfrager (Mandant) Aufwand betreibt, um Anbieter (Rechtsanwälte) besser einschätzen zu können (Screening). Maßnahmen des Anwaltsmarketings sind in diesem Sinne als Maßnahmen des Signaling zu deuten. Interessenangleichung durch entsprechende Vertragsgestaltung. Hierbei werden Verträge so konstruiert, dass nur kompetente Dienstleister diesen unterzeichnen würden. Servicegarantien und Erfolgshonorare sind Beispiele für Vertragsgestaltungen, die zwar Informationsasymmetrien nicht nivellieren, aber mögliche negative Folgen auf ein Minimum beschränken. Monitoring (Überwachung) zielt weniger auf das Abstellen des zugrunde liegenden Problems der Informationsasymmetrie, sondern räumt dem Nachfrager bzw. Mandanten mehr Möglichkeiten ein, die Leistung des Anwalts zu überwachen. Mittel dafür sind z. B. regelmäßige Statusberichte sowie eine Web-Akte, die dem Mandanten jederzeit Einsicht in den Status der Mandatsbearbeitung gewährt. Zur Leistung des Anwalts gehört nicht nur der vollständige und korrekte Rechtsrat, sondern mindestens in gleichem Maße Engagement, Erreichbarkeit und eine ordentliche Kanzleiorganisation. Noch immer klagen Mandanten über Rechtsberater, die tagelang nicht zu sprechen sind, nicht zurückrufen und sich schlecht vorbereiten. Viel schlimmer allerdings ist es, wenn sich durch eine mangelhafte Organisation auch noch die Rechtsposition des Mandanten verschlechtert. In rund der Hälfte der Fälle, in denen Anwälte für ihre Fehler haften müssen, hat die Kanzlei eine simple Frist verschlafen (vgl. Budras 2013). Anwälte tun also gut daran, sich neben der Fachkompetenz in gleichem Maße auch auf andere Beurteilungskriterien des Mandanten zu konzentrieren. Dies wird noch durch die Erkenntnis unterstrichen, dass Kaufentscheidungskriterien aus Sicht von Kunden bzw. Mandanten unterschiedliche Qualität besitzen. Beispielsweise wird der Kompetenz von Dienstleistern in Befragungen regelmäßig zwar sehr hohe Bedeutung beigemessen, dennoch handelt es sich dabei aus Sicht von Nachfragern in der Regel um einen reinen Hygienefaktor. Hygienefaktoren werden vorausgesetzt, ihre Abwesenheit führt zu Unzufriedenheit, sie tragen jedoch nicht nennenswert zur Mandantenzufriedenheit bei. Anders ausgedrückt: Wenn ein Anwalt die notwendige Fachkompetenz zur Lösung eines Rechtsproblems mitbringt, ist das aus Sicht des Mandanten „normal“; fehlt diese, ist Unzufriedenheit die Folge. Fachkompetenz ist also wichtig, jedoch kaum geeignet, sich am Markt von Konkurrenten abzuheben, denn der Mandant erwartet das ohnehin. Auch Erreichbarkeit ist in gewissem Maße den Hygienefaktoren zuzuordnen. Für Wirtschaftskanzleien formuliert Prof. Dr. Leo Staub, Experte im Rechtsgeschäft, ähnlich: „Tadellose Mandatsführung nach hohen fachlichen Standards wird bei allen sich [um ein Mandat] bewerbenden Anbietern vorausgesetzt und genügt nicht mehr, um zum Zug zu kommen.“ (o. V. 2012, S. 10) Aus Marketingsicht gilt es, bei den Hygienefaktoren in etwa den Stand zu treffen, <?page no="114"?> 114 Der Anwalt als Dienstleister welcher der Erwartungshaltung des Mandanten entspricht, um Unzufriedenheit zu vermeiden. Übererfüllung bringt keinen Vorteil. Anders liegt der Fall bei den sogenannten Leistungsfaktoren. Dazu gehören Anforderungen wie z. B. Engagement und Empathie, aber auch die Höhe des Honorars. Werden bei diesen Aspekten die Anforderungen nicht erfüllt, resultiert Unzufriedenheit; im Gegensatz zu den Hygienefaktoren hat eine besonders hohe Erfüllung aber auch einen Zuwachs an Zufriedenheit zur Folge. Leistungsfaktoren sind daher aus Marketingsicht geeignet, am Markt gegenüber Wettbewerbern hervorzustechen. Sie sollten im Fokus der Marketingbemühungen stehen. Die letzte Kategorie von potenziellen Mandantenanforderungen sind solche, die man eigentlich streng genommen ex ante gar nicht erwarten würde. Es handelt sich um solche Leistungen des Anwalts, die eigentlich über die Erwartungen hinausgehen; kleine Details oftmals, die niemand erwartet, deren Auftreten aber positiv überrascht. Derartige Begeisterungsfaktoren führen nicht zu Unzufriedenheit, wenn sie fehlen (denn sie werden nicht vorausgesetzt), lösen aber hohe und nachhaltige Zufriedenheit aus, wenn sie vorhanden sind. Gerade bei Dienstleistungen spielt dabei nicht nur eine erhebliche Rolle, was getan wird, sondern auch wie es getan wird. Wenn ein potenzieller Mandant zur Erstberatung die Kanzlei betritt, kann ein Begeisterungsfaktor etwa darin liegen, dass die Assistentin ihn spontan namentlich begrüßt und nicht - wie üblich - nach Name und Termin fragt. Beim Mandanten wird sich das Gefühl einstellen, trotz des ersten persönlichen Kontakts bereits freundlich erwartet zu werden, ein wenig wie ein alter Bekannter - wem gefällt das nicht? Die Art des Umgangs miteinander spielt auch im Kontakt zwischen Anwalt und Mandant eine entscheidende Rolle bei den Begeisterungsfaktoren. Schnell wird deutlich, wer Rechtsberatung nur als Broterwerb sieht und wer es hingehen mit Leidenschaft betreibt, wer lediglich juristische Informationen repetiert oder sich darum kümmert, das Mandantenproblem umfassend zu lösen. Im Rahmen von Marktforschung werden solche Faktoren kaum deutlich, denn kein Befragter äußert derartige Erwartungen explizit. Dennoch sind diese Faktoren meist die entscheidenden Aspekte, wenn es darum geht, weiterempfohlen zu werden oder nicht. Hygienefaktoren erfüllen können die meisten, Leistungsfaktoren immer noch viele, aber die Begeisterungsfaktoren sind bei den wenigsten Anwälten wirklich Bestandteil von Marketingüberlegungen. Die dargestellte Unterscheidung zwischen Hygiene-, Leistungs- und Begeisterungsfaktoren folgt einer gängigen Differenzierung im Marketing, die von Noriaki Kano (Professor und Forscher im Bereich Qualitätsmanagement) im Jahr 1984 vorgestellt wurde. Es liefert viele interessante Einsichten für das Marketing und gibt vor allem Hinweise darauf, in welcher Form sich Anbieter auf die Erfüllung von Kundenbzw. Mandantenanforderungen konzentrieren sollten. Insbesondere rückt das Kano-Modell erstmals den Wert von Begeisterungsfaktoren in den Vordergrund. Selbstverständlich ist dabei zu berücksichtigen, dass auch ein Zuviel bei den Leistungs- und Begeisterungsfaktoren der Kundenzufriedenheit nicht förderlich ist. Mitarbeiter, die vor lauter persönlicher Ansprache die nötige Distanz vermissen lassen, oder übermotivierte Anwälte, die vor Initiative nur so übersprudeln, sind sicher nicht das Ziel. Auch ist zu beachten - und das macht es praktisch oft schwierig - dass heutige Leistungs- oder Begeisterungsfaktoren schon morgen praktisch zu den absoluten Mindestvoraussetzungen gehören können. Während <?page no="115"?> Rechtsdienstleistungen aus Mandantenperspektive 115 beispielsweise die elektronische Mandantenakte heute eher noch zu den Begeisterungsfaktoren zählt, könnte diese Form der Kommunikation mit den Mandanten aufgrund des 2013 verabschiedeten Gesetzes zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs in wenigen Jahren schon zu den Hygienefaktoren gehören. Hinzu kommt, dass die Klassifikation von Kundenanforderungen individuell unterschiedlich ausfallen kann. Eine Zuordnung der Mandantenerwartungen nach den Kategorien des Kano-Modells (wie beispielhaft in Tab. 6 vorgenommen) kann daher stets nur Tendenzcharakter haben. Art der Mandantenanforderungen Charakterisierung Beispiele Hygienefaktoren Werden als selbstverständlich erwartet, aber nicht sonderlich honoriert Sind K.-o.-Kriterien Übererfüllung nur in Grenzen sinnvoll Hinreichende juristische Fachkenntnis zur Lösung des Mandantenproblems Fehlerfreie und verständliche Kommunikation Einhaltung von Fristen Kurzfristige Weitergabe von Informationen Rückruf innerhalb von 1 bis 2 Werktagen Nachvollziehbare Abrechnung Leistungsfaktoren Ziehen Unzufriedenheit nach sich bei Erfüllungsdefiziten Führen zu gesteigerter Mandantenzufriedenheit bei Übererfüllung Sorgen für Differenzierung vom Wettbewerb Empathie Persönliches Engagement des Anwalts Gut ausgebildetes Kanzleipersonal Kreativität bei der Falllösung Begeisterungsfaktoren Werden nicht explizit erwartet, sind aber das „Salz in der Suppe“ der Mandantenbeziehung Sorgen nachhaltig für Mandantenbindung und Weiterempfehlung Sollten selektiv mit in die Marketingplanung einbezogen werden Unaufgeforderte Berichte zum Stand des Mandats Einbinden von verlässlichen Kooperationspartnern sofern erforderlich (auf Nachfrage) Erinnerung persönlicher Details des Mandanten Persönliche Kontaktaufnahme zu früheren Mandanten bei bestimmten Anlässen (Geburtstag, interessante Gesetzesänderung) Tab. 6: Mandantenanforderungen nach dem Kano-Modell <?page no="116"?> 116 Der Anwalt als Dienstleister Abb. 22: Beurteilung von Rechtsanwälten aus Mandantensicht (vgl. Halfmann 2017) 7% 10% 8% 13% 10% 13% 16% 14% 18% 17% 20% 22% 30% 15% 22% 29% 27% 37% 34% 34% 40% 39% 43% 41% 39% 46% 37% 40% 46% 41% 42% 40% 37% 37% 34% 33% 31% 31% 20% 23% 15% 13% 15% 6% 8% 9% 5% 6% 5% 6% 5% 2% 0% 20% 40% 60% 80% 100% Geringes Honorar Transparenz der Honorarvereinbarung Empathie Schnelle Abwicklung Ansprechende Räumlichkeiten Gute Erreichbarkeit Engagement Kompetentes und freundliches Personal Beratungsqualität Durchsetzungsstärke Kommunikationsstärke Zuverlässigkeit Fachkompetenz Mittelwert (1-5) 2,00 2,29 2,31 2,35 2,38 2,49 2,50 2,57 2,66 2,72 2,75 3,02 3,31 „Versuchen Sie bitte, anhand der bereits bekannten Kriterien die Leistung von Rechtsanwälten zu beurteilen. Wenn Sie noch keine Erfahrungen bei der Beauftragung eines Anwalts haben, geben Sie bitte Ihre Einschätzung wieder. Was sind nach Ihrer Auffassung die generellen Stärken und Schwächen von Anwälten? “ sehr gut (1) sehr schlecht (5) N (Befragungsteilnehmer) = 641 n (Antworten) = rd. 520 (potenzielle) Mandanten sehr wichtig wichtig teils teils schlecht sehr schlecht <?page no="117"?> Rechtsdienstleistungen aus Mandantenperspektive 117 Eine Erhebung der Leistungsanforderungen allein gibt nur wenig Aufschluss darüber, wie Anwälte sich künftig am Markt aufstellen sollten. Den Leistungserwartungen sind vielmehr die Leistungsbeurteilungen gegenüberzustellen, um herauszufiltern, wo die Prioritäten des Marketings liegen. Konsequenterweise wurden im Rahmen der angeführten Studie der Hochschule Rhein-Waal und der Innofact AG potenzielle Mandanten zunächst nach ihren Erwartungen und im Anschluss dann nach einer Beurteilung der Anwaltschaft in Bezug auf diese gefragt. Die Befragten gaben an, dass bei den Kriterien Fachkompetenz, Zuverlässigkeit und Beratungsqualität Anwälte die besten Leistungen erbringen, während bei Empathie, Transparenz der Honorarvereinbarung und Honorarhöhe die größten Leistungsdefizite vorliegen ( Abb. 22). Der Abgleich von Anforderungen und Leistungen zeigt, dass die Reihenfolge der gelisteten Kriterien sich ähnelt. Das heißt: Bei den Anforderungen, die potenziellen Mandanten besonders wichtig sind, sind sie auch besser als bei anderen. Das spricht möglicherweise für eine gute Selbsteinschätzung der Anwälte, könnte aber auch auf einen häufig bei Befragungen auftretenden, unerwünschten Halo-Effekt (Ausstrahlungseffekt) zurückgehen (vgl. Pepels 2012, S. 155). Im Klartext bedeutet das nichts anderes, als dass Befragte sich häufig durch bereits vorher gestellte Fragen oder einen ohnehin vorliegenden vorgefassten Eindruck leiten lassen, so dass man bei der Frage nach Erwartungen und Leistungen nicht zu unabhängigen Ergebnissen kommt. Die Rangfolge der Leistungskriterien sollte daher weniger relevant sein als die hier genannten Leistungswerte, die ja sehr augenfällig von den Erwartungen abweichen. Der numerische Vergleich zeigt ein deutliches Auseinanderfallen dieser Angaben ( Abb. 23). Die größten Lücken zwischen dem, was der Mandant wünscht und dem, was der Anwalt aus Mandantensicht liefert, liegen bei den Aspekten Engagement, Zuverlässigkeit und Fachkompetenz. Bezogen auf das geforderte Niveau liegen die Anwälte in der externen Wahrnehmung bei allen drei Kriterien im Durchschnitt um 71-73 % (=Differenz der Mittelwerte zwischen Erwartung und Leistung, bezogen auf den erwarteten Wert) zurück - dramatischer kann eine Leistungsbeurteilung wohl kaum ausfallen. Nur in einem Kriterium übertreffen die Anwälte im Mittel die Mandantenerwartungen leicht: Die Kanzleiräume entsprechen in der Regel den Erwartungen. Ein nachhaltiger Wettbewerbsvorteil ist mit exklusivem Interieur oder einem repräsentativen Gebäude aber sicher nicht zu erzielen. <?page no="118"?> 118 Der Anwalt als Dienstleister Abb. 23: Durchschnittliche Abweichungen der Anwaltsleistung von den Mandantenerwartungen aus Sicht von Mandanten (vgl. Halfmann 2017) Vor dem Hintergrund des durch die Studie der Hochschule Rhein-Waal in Zusammenarbeit mit Innofact AG verfügbaren Datenmaterials stellt sich zudem die Frage, ob bestimmte Mandanteneigenschaften Erwartungen und Bewertungen von Anwaltsleistungen signifikant beeinflussen. Hier lassen sich verschiedene Hypothesen aufstellen. Beispielsweise wäre es naheliegend, wenn mit zunehmender „Anwaltserfahrung“ auch die Ansprüche an die Leistung des Anwalts steigen würden. Mit Hilfe statistischer Unabhängigkeitstests konnten einige Wechselwirkungen ermittelt werden (vgl. Halfmann 2017): 0,13% -27,69% -31,40% -32,40% -33,85% -41,75% -56,08% -57,62% -58,78% -68,72% -70,94% -73,48% -73,61% -80,00% -40,00% 0,00% 40,00% Ansprechende Räumlichkeiten Kompetentes und freundliches Personal Schnelle Abwicklung Geringes Honorar Gute Erreichbarkeit Empathie Kommunikationsstärke Beratungsqualität Durchsetzungsstärke Transparenz der Honorarvereinbarung Fachkompetenz Zuverlässigkeit Engagement Leistung schlechter als erwartet Leistung besser als erwartet N (Befragungsteilnehmer) = 641 n (Antworten) = rd. 520 (potenzielle) Mandanten <?page no="119"?> Rechtsdienstleistungen aus Mandantenperspektive 119 Anders als man meinen könnte, bestehen keine signifikanten Zusammenhänge zwischen der Erfahrung mit Anwälten und den Erwartungen an diese. Personen, die bisher nur einmal oder noch nie einen Anwalt aufgesucht haben, stellen vielmehr in etwa die gleichen Anforderungen. Am besten werden Anwälte meist von den Personen beurteilt, die einmal einen Anwalt in Anspruch genommen haben. Unerfahrene urteilen auf Basis von Hörensagen und kommen in vielen Punkten zu einem schlechteren Urteil. Personen, die bereits viel Anwaltserfahrung mitbringen, ordnen sich tendenziell dazwischen ein. Die Untersuchung der Zusammenhänge zwischen Geschlecht und Erwartungen an Anwälte bzw. Beurteilung ihrer Leistung bestätigt gängige Vorstellungen. Frauen betrachten die Empathie eines Rechtsanwalts im Vergleich zu Männern als wichtiger. 86 % der befragten Frauen hielten Empathie für „sehr wichtig“ oder „wichtig“, jedoch nur 76 % der Männer, von denen sogar 5 % das anwaltliche Einfühlungsvermögen als irrelevant ansahen. Frauen ist zudem die Durchsetzungsstärke wichtiger als Männern (97 % vs. 91 %), auch das Engagement (97 % vs. 93 %). Insgesamt zeigt sich die Tendenz, dass Frauen hinsichtlich der meisten Kriterien eher höhere Erwartungen an Rechtsanwälte stellen als Männer. In Abhängigkeit vom Geschlecht variiert nur die Bewertung der Kommunikationsstärke des Anwalts. 66 % der Frauen bescheinigen Anwälten sehr gute oder gute Kommunikationsfähigkeiten, jedoch nur 57 % der Männer. Das Alter des potenziellen Mandanten hat wenig bis gar keinen Einfluss auf die Erwartungshaltung und Bewertung des Rechtsanwalts. Einzige Ausnahme ist der Aspekt der Empathie. Hier zeigt sich, dass mit steigendem Alter der Wunsch nach einem einfühlsamen Anwalt steigt: Während beispielsweise in der Altersgruppe der 25bis unter 30-Jährigen nur 65 % der Befragten äußern, dass Empathie sehr wichtig oder wichtig sei, sind bei den über 65-Jährigen schon 93 % dieser Meinung. Die dargestellten Ergebnisse geben die Mandantensicht umfassend wieder, sind jedoch sehr stark auf private Mandanten fokussiert. Es steht zu vermuten, dass in der Zusammenarbeit mit gewerblichen Mandanten die objektiv-sachorientierten Kriterien, die eher außerhalb der Person des Anwalts liegen, noch wichtiger sind. Aufgrund der Tatsache, dass der Mandant in solchen Fällen oft weniger persönlich betroffen ist, stehen Fachkompetenz, Erreichbarkeit und professionelle Abwicklung stark im Vordergrund. Zunehmend wichtiger bei eher knapper werdenden Budgets sind auch die durch den Anwalt verursachten Kosten ( Abb. 24). <?page no="120"?> 120 Der Anwalt als Dienstleister Abb. 24: Kritik von Unternehmen an Wirtschaftskanzleien (vgl. WirtschaftsWoche / Faktorenkontor 2012) 3.5 Rechtsdienstleistungen aus Anwaltsperspektive Ergänzend zu den dargestellten Erwartungen und Beurteilungen von Mandanten ist festzustellen, wie Rechtsanwälte sich selbst sehen. Sind Anwälte sich über die an sie gestellten Anforderungen im Klaren? Ist den Berufsträgern bewusst, wie Mandanten sie beurteilen? Aus Gesprächen mit Anwälten und Medienberichten ergibt sich, dass die meisten Rechtsdienstleister ihre eigene Situation sehr realistisch einschätzen. Viele Anwälte klagen über die immens gestiegenen Leistungsanforderungen, die an sie gestellt werden, und empfinden diese als belastend. Gerade Anwälte in größeren Kanzleien berichten, dass die Anforderungen an die Erreichbarkeit gestiegen sind (vgl. DAV / Prognos 2013, S. 132). Ganz offensichtlich sind Anwälte durch deutlich höhere Erwartungen hinsichtlich einer professionellen Mandatsabwicklung stark gefordert. Der Druck wird größer, sofern die Konkurrenzsituation in einer größeren Kanzlei 3 8 12 16 16 20 33 39 43 57 58 0 10 20 30 40 50 60 70 Nichts davon Sonstiges Erreichbarkeit Projektmanagement Geschwindigkeit Einfache Mitarbeiter anstatt höher qualifiziertes Personal Aufblähen von Mandaten, um Dumpingpreise auszugleichen Nachvollziehbarkeit der Abrechnung Unternehmerisches Denken Planbarkeit von Kosten Höhe der verursachten Kosten Anteil der befragten Unternehmen in % „Was kritisieren Sie an der Art der Kanzleien, mit denen Sie zusammen arbeiten? “ n = 1.500 Unternehmen <?page no="121"?> Resümee 121 dazukommt. Häufig gibt es hier Standards hinsichtlich Erreichbarkeit, Mandantenumgang und Mandatsbearbeitung, die es einzuhalten gilt. Zu den externen Erwartungen seitens des Mandanten kommen interne Leistungsvorgaben, die bedient werden müssen. Abb. 25: Erwartungen an Rechtsanwälte aus Sicht von (potenziellen) Mandanten und Rechtsanwälten im Vergleich (vgl. Halfmann 2017) Fremd- und Selbsteinschätzung von Mandantenanforderungen sind im Jahr 2013 und aktuell noch einmal 2017 durch die Studie der Hochschule Rhein-Waal sowie der Innofact AG untersucht worden. Im Ergebnis zeigen sich nur leichte Abweichungen zwischen den von Mandanten geäußerten Erwartungen und den Mandantenerwartungen, wie sie von Rechtsanwälten angenommen werden. Eine geringfügige Lücke liegt bei dem Aspekt Engagement, den Anwälte etwas zu unterschätzen scheinen. Die Abweichungen sind jedoch nicht groß und daher statistisch nicht signifikant. 3.6 Resümee Die zeitgemäße Rolle des Anwalts geht über die Bearbeitung juristischer Detailfragen hinaus. Anwälte erbringen eine Dienstleistung, die aus Marketingsicht den gleichen Grundprinzipien unterliegt wie der Besuch beim Frisör, das Engagement 1 2 3 4 5 durchschnittliche Einschätzung von (potenziellen) Mandanten durchschnittliche Einschätzung von Rechtsanwälten sehr wichtig sehr unwichtig ansprechende Räumlichkeiten geringes Honorar schnelle Abwicklung kompetentes, freundliches Personal Empathie gute Erreichbarkeit Transparenz der Honorarvereinbarung Kommunikationsstärke Beratungsqualität Durchsetzungsstärke Engagement Zuverlässigkeit Fachkompetenz <?page no="122"?> 122 Der Anwalt als Dienstleister eines Unternehmensberaters oder die Wahl des Architekten. Es handelt sich um ein Geschäft, das in hohem Maße auf Vertrauen basiert, denn ein vorzeigbares Referenzergebnis gibt es nicht. Neumandanten müssen sich auf die Aussagen eines ihnen noch unbekannten Anwalts verlassen und können doch selbst die Qualität der Dienstleistung als juristische Laien kaum beurteilen. Der Akquiseerfolg ist deshalb nur davon abhängig, ob es dem Anwalt gelingt, die fachliche und persönliche Eignung überzeugend zu vermitteln. Der Mandant bildet sich seine Meinung auf Basis der Inhalte des Beratungsgesprächs, aufgrund verfügbarer Informationen von der Webseite oder aus Kanzleibroschüren, aber auch aufgrund diffuser Eindrücke wie sie etwa beim Erstkontakt mit Kanzleipersonal, dem Interieur der Kanzlei oder aus Gesprächen mit Bekannten entstehen. Das Beratungsgespräch und das, was aktiv vermittelt wird, ist sicher wichtig, fast genauso entscheidend ist aber, wie es gelingt, Vertrauen entstehen zu lassen. Jede Nebensächlichkeit kann dabei entscheidend sein. Neben den formell vermittelten Botschaften gibt es eine informelle Ebene, auf der dienstleistungsrelevante Informationen im Sinne von Zeichen vermittelt werden. Verrauchte Kanzleiräume, das Privattelefonat der Sekretärin, die falsch verwendete Anrede oder auch die schlechten Erfahrungen mit Anwälten, von denen die gute Freundin kürzlich berichtet hat, können in der Praxis entscheidende Hinderungsgründe für die Mandatierung sein. Dabei spielt auch das Image der Berufsgruppe eine Rolle, denn jeder Rechtsuchende betritt die Kanzlei eines Anwalts zum Erstgespräch mit vorgefassten Erwartungen, die in erheblichem Umfang von der öffentlichen Meinung beeinflusst werden. Wenn auch nicht jeder einzelne Anwalt das Image der gesamten Berufsgruppe beeinflussen kann, so ist das Wissen um die öffentliche Wahrnehmung dennoch sehr wichtig, um auf der einen Seite kritische Punkte frühzeitig ansprechen, überzogene Erwartungen aber auf der anderen Seite auch relativieren zu können. Ein negativer Imagefaktor, der in Befragungen immer wieder geäußert wird, betrifft das Anwaltshonorar. Es ist daher sehr empfehlenswert, bereits bei der Erstberatung präzise zu informieren, welche Kosten (Honorar und Folgekosten) in welchen Fällen auf Mandanten zukommen können. Imagestudien zeigen zudem, dass die Berufsgruppe der Anwälte häufig als sehr kompetent angesehen wird. Das ist vorteilhaft im Akquiseprozess, könnte aber zu der verfehlten Erwartungshaltung führen, der Anwalt könne quasi im Alleingang und mit einer hohen Wahrscheinlichkeit den gewünschten Rechtserfolg erzielen. Es ist sinnvoll, eventuell auch unrealistische Erwartungen dieser Art bei der Erstberatung zum Thema zu machen. Jede Dienstleistung folgt einem relativ standardisierten Prozessablauf, dessen Phasen sich hinsichtlich ihrer Dauer und Ausprägung unterscheiden ( S. 97). Prinzipiell legt der Mandant hohe Maßstäbe an den Anwalt, die keineswegs allein die Fachkompetenz betreffen, sondern auch persönliche Eigenschaften oder die Art der Zusammenarbeit. Wenn auch einige Aspekte im Durchschnitt immer wichtiger sind als andere (z. B. empfindet der durchschnittliche Mandant Zuverlässigkeit als wichtiger als die Schnelligkeit der Abwicklung), so variiert die Relevanz während der einzelnen Phasen der Dienstleistungen dennoch beträchtlich. Es ist davon auszugehen, dass in der Sozialisierungsphase beispielsweise Kommunikationsstärke und Transparenz der Honorarvereinbarung sowie auch äußere Faktoren (z. B. ansprechende Kanzleiräumlichkeiten) einen wesentlich größeren Einfluss haben als nach Beginn der Mandatsbearbeitung. Während der Abstinenz- und Revitalisierungsphase wird es hingegen entscheidend vom Engagement des Anwalts abhän- <?page no="123"?> Quellenverzeichnis zu Kapitel 3 123 gen, ob eine erneute Zusammenarbeit zustande kommt. Das Wissen um die Phasen der Dienstleistung und die damit verknüpften Mandantenerwartungen ist daher erfolgsentscheidend. Quellenverzeichnis zu Kapitel 3 Akerlof, G. A. 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Zwar sieht man hin und wieder eine gelungene Kanzleiwerbung, ein schönes Kanzleilogo oder auch einen ansprechenden Internetauftritt, aber es fehlt noch häufig an einem systematischen und nachhaltigen Vorgehen, mit dem Marketing für Rechtsdienstleistungen umgesetzt wird. Nicht wenige Anwälte lassen sich im Arbeitsalltag primär durch Akten steuern und unterliegen dem Diktat des Dringlichen, das planvolle Kanzleiausrichtung und -kommunikation verhindert. „Aktenautismus“ statt weitsichtigem Marketingmanagement ist gelebte Realität (vgl. Hommerich / Kilian 2010, S. 519). Quer durch alle Kanzleitypen zeigt sich daher ein nur geringes Ausmaß aktiver Strategieplanung (vgl. DAV / Prognos 2013, S. 145). Wenn überhaupt, ist eine fundierte Kanzleistrategie meist nur bei Großkanzleien vorzufinden. Ein Grund dafür mag darin liegen, dass Unklarheit darüber besteht, was genau unter „Strategie“ zu verstehen ist und wie ein solcher Planungsprozess in der Realität ablaufen sollte. Vereinfacht gesprochen, geht es bei einer Strategie um die Entscheidung für eine generelle künftige Marktausrichtung, um Aktionismus und einen von Opportunismus geprägten Außenauftritt zu vermeiden. In der Betriebswirtschaftslehre wird in diesem Zusammenhang von einer Marketingstrategie gesprochen, die als Fundament für den Marktauftritt dient. Die Wurzeln des bei Wirtschaftswissenschaftlern beliebten Strategiebegriffs liegen im militärischen Bereich, wo die Strategie im Allgemeinen als die Fähigkeit verstanden wurde, die zur Verfügung stehenden Truppen so einzusetzen, dass der Krieg gewonnen und Feinde besiegt werden konnten. Diese Planungskunst, die traditionell nur den großen Feldherren zugebilligt wurde, weist in der Tat einige Gemeinsamkeiten mit den Herausforderungen auf, denen sich Unternehmer in wettbewerbsintensiven Branchen ausgesetzt fühlen. Aufgrund dieser Parallelen wurde der Strategiebegriff auch in der Betriebswirtschaftslehre eingesetzt und adaptiert. Allgemein wird unter einer Marketingstrategie ein langfristiger, verbindlicher Verhaltensplan verstanden, der das Verhältnis von anbietenden Organisationen und anderen Marktteilnehmern (vorwiegend den Kunden bzw. Mandanten) prägt. Es geht dabei um eher grundlegende Fragen wie z. B. Was soll überhaupt angeboten werden? Wer ist die relevante Zielgruppe? Mit welchem Wettbewerbsvorteil möchte der Anbieter (hier also die Kanzlei) sich am Markt profilieren? Die Marketingstrategie muss in der Praxis detailliert und umsetzungsreif formuliert werden. Es bedarf einer Richtschnur, die vorgibt, wie mit Hilfe von Marketing die Kanzleiziele (z. B. im Hinblick auf Jahresumsatz oder Anzahl der zu gewinnenden Mandate) in die Tat umgesetzt werden können. Ein solcher Fahrplan wird auch als strategischer Marketingplan bezeichnet. Er entsteht im Idealfall aus der Zusammenarbeit zwischen Kanzleiinhabern, Rechtsanwälten und anderen Kanzleimitarbeitern und enthält Elemente, die langfristig nicht veränderbar sind (wie z. B. das grund- <?page no="126"?> 126 Strategisches Kanzleimarketing sätzliche Dienstleistungsangebot der Kanzlei), sowie auch Detailaktivitäten, die in einem festgelegten Turnus auf den Prüfstand gestellt werden sollten (z. B. die geplanten Werbemaßnahmen). Deshalb wird der strategische Marketingplan regelmäßig (in großen Unternehmen häufig jährlich) neu aufgestellt, wobei eben einige Bausteine nach Prüfung übernommen oder adaptiert, andere aber völlig neu überdacht werden. Der strategische Plan sichert, dass alle Marketingmaßnahmen in einen gemeinsamen Rahmen eingebettet sind und hält davon ab, Einzelmaßnahmen zu ergreifen, deren Beitrag zu den Kanzleizielen ungewiss oder gar zweifelhaft ist. Gerade in einem sich ständig wandelnden Marktumfeld bietet eine Marketingstrategie daher den unverzichtbaren Ausgangspunkt jeder Vermarktung. Marketing ohne strategische Planung wäre ähnlich planlos wie eine Reise anzutreten, ohne vorher überlegt zu haben, wie man überhaupt zum Zielort kommt. Ein systematisches Vorgehen der strategischen Marketingplanung liefert Navigationshilfe und bildet den wichtigen Rahmen für den Außenauftritt. 4.1 Prozess des strategischen Kanzleimarketings im Überblick Erfolgreiches Marketing ist das Ergebnis eines planvollen Prozesses. Nur durch ein abgestimmtes und regelmäßig wiederkehrendes Vorgehen lässt sich sicherstellen, dass alle marktbezogenen Aktivitäten auch wirklich aufeinander abgestimmt und effektiv sind. Getreu dem Motto „plans are nothing, planning is everything“ (Dwight D. Eisenhower) hat darüber hinaus schon der Prozess des Planens einen eigenen Wert, denn er zwingt dazu, den eigenen Marktauftritt systematisch zu durchdenken. Die strategische Marketingplanung liefert daher Antworten auf Fragen wie z. B. Wie ist das Marktumfeld einzuschätzen? Welche positiven und negativen Entwicklungen sind zu berücksichtigen? Welche Ziele verfolgt die Kanzlei und daraus abgeleitet das Kanzleimarketing? Welches Budget sollte für Marketingaktivitäten vorgehalten werden? Welche strategischen Stoßrichtungen kommen (langfristig) prinzipiell in Betracht? Welche Maßnahmen sollten (mittelbis kurzfristig) umgesetzt werden? Wie kann der Marketingerfolg kontrolliert und organisatorisch sichergestellt werden? Zur Beantwortung dieser Fragen bietet sich ein strukturiertes, phasengeleitetes Vorgehen an ( Abb. 26). <?page no="127"?> Prozess des strategischen Kanzleimarketings im Überblick 127 Abb. 26: Prozess des strategischen Kanzleimarketings Am Anfang jeder Planung steht die Orientierung. „Wo stehen wir? “ ist die Leitfrage der Analysephase, bei der die Situation der eigenen Kanzlei und der anderen relevanten Marktteilnehmer beleuchtet wird. Darauf aufbauend werden realistische Ziele festgelegt („Wo wollen wir hin? “) und das notwendige Budget zur Erreichung dieser Ziele definiert. Der Raum der erreichbaren Möglichkeiten für die Kanzlei ist damit definiert, so dass sich die dritte Phase den möglichen Strategien widmet, die entweder neu definiert oder - soweit schon vorhanden - verifiziert bzw. angepasst werden. Aus den Strategien leiten sich konkrete Marketingmaßnahmen ab, die die Zielerreichung unterstützen. Der Erfolg der Marketingmaßnahmen wird anhand festgelegter Erfolgskriterien nachgehalten (Phase 5). Praktisch kann dies für den Anfang z. B. durch eine Liste einfacher Kennzahlen geschehen, die in der Kanzlei regelmäßig erhoben und ausgewertet werden. Parallel wird die Umsetzung des gesamten Prozesses sichergestellt, indem eine adäquate Form der Organisation gewählt und für die notwendigen Ressourcen gesorgt wird. Beispielsweise kann es sein, dass als Ergebnis eines Strategieplanungsprozesses eine Kanzlei verstärkt in sozialen Netzwerken präsent sein möchte und ihren gesamten Online- Auftritt zu stärken gedenkt. In solchen Fällen ist zu entscheiden, welche Mitarbeiter die damit zusammenhängenden Aufgaben künftig übernehmen, ob eine neue Kraft eingestellt werden muss oder ob Teilaspekte auch fremdvergeben werden können. Situationsanalyse (Analyse der Ausgangssituation) Ziele und Budget (Definition periodenbezogener Marketingziele und des Budgets) Strategien (Definition/ Verifizierung von Marketingstrategien) Maßnahmen (Definition und Realisierung von Marketingmaßnahmen) Kontrolle (Kontrolle der Marketingergebnisse) Implementierung (Schaffung interner Umsetzungsvoraussetzungen) <?page no="128"?> 128 Strategisches Kanzleimarketing 4.2 Abgrenzung des relevanten Marktes Bezugsobjekt der strategischen Marketingplanung ist der relevante Markt, auf den sich die Marketingaktivitäten richten. Bevor überhaupt eine Planungsaktivität gestartet werden kann ist deshalb zu klären, auf welchen Gebieten der Anwalt bzw. die Kanzlei überhaupt tätig sind. In den seltensten Fällen richten sich Marketingbemühungen auf alle rechtsuchenden Zielgruppen mit Rechtsproblemen aller Art und jeglicher Form von Betreuung. Ein gewisser Fokus ist vielmehr Standard und diesen klar zu bestimmen ist die Grundvoraussetzung für ein gemeinsames Verständnis der Planungsvoraussetzungen. Der jeweilige Markt definiert sich daher für jede Kanzlei bzw. jeden Anwalt anders; aus individueller Sicht spricht man daher auch vom relevanten Markt. Die Abgrenzung des relevanten Marktes stellt von jeher die Weichen für die strategische Marketingplanung. Im Jahr 1980 entwickelte der amerikanische Marketing- und Strategieprofessor Derek F. Abell ein dreidimensionales Schema, das bei der Marktabgrenzung wertvolle Hilfestellung leisten kann (vgl. Abell 1980). Nach seiner Vorstellung lassen sich die für Organisationen relevanten Geschäftsfelder anhand von drei Dimensionen abgrenzen: Kundenbzw. Mandantengruppen, die bedient werden (Wer wird bedient? ) Kundenbzw. Mandantenbedürfnisse (Welches Bedürfnis wird adressiert? ) genutzte Technologien (Wie wird Bedürfnisbefriedigung erreicht? ) Die drei Aspekte sind auf die jeweils betrachtete Branche zu transferieren und können dementsprechend unterschiedliche Ausprägungen haben. Gleichwohl haben die Dimensionen und kritischen Fragen bei jeder kommerziellen Tätigkeit Relevanz, denn es geht im Grunde immer darum, die Bedürfnisse eines bestimmten Adressatenkreises mit definierten Mitteln zu erfüllen. Im Rechtsmarkt werden juristische Klärungsbedürfnisse aus unterschiedlichen Rechtsgebieten gelöst, indem verschiedene Mandantenzielgruppen auf verschiedenen Wegen betreut werden. Diese lassen sich dabei grob einteilen in private und gewerbliche Mandanten sowie auf einer weiteren Detaillierungsebene beispielsweise nach Berufsgruppen (bei privaten Mandanten) oder Branchen bzw. Unternehmensgrößenklassen (bei gewerblichen Mandanten). Während vor allem Einzelanwälte meist auf private Mandanten fokussieren, sind die größeren Wirtschaftskanzleien auf gewerbliche Mandanten ausgerichtet, andere Kanzleien bearbeiten beide Segmente oder konzentrieren sich nur auf ein Teilsegment (z. B. Arbeitsrechtskanzleien, die vorrangig Arbeitnehmer vertreten). Bei den Rechtsgebieten sind alle bekannten Teilgebiete des Rechts zu unterscheiden, die gemeinhin als solche bekannt sind. Weitergehende Detaillierungen sind möglich. Das durch Abell mit „Technologie“ überschriebene Abgrenzungskriterium kennzeichnet verschiedene Formen der Betreuung, die im Anwaltsgeschäft durch Telefon, digitale Medien oder aber in klassischer Weise persönlich erfolgen kann. Dabei kommt es weniger auf die Frage an, welche Technologien überhaupt genutzt werden, sondern, wo der Schwerpunkt liegt. Dieser liegt bei den meisten Kanzleien in der persönlichen Beratung, wenn auch die <?page no="129"?> Abgrenzung des relevanten Marktes 129 Kommunikation mit dem Mandanten über E-Mail und Telefon stark zunimmt. Allerdings gibt es am Markt eine wachsende Zahl von Angeboten an elektronischer Beratung, wie sie von Portalen wie anwalt.de ( http: / / www.anwalt.de), aber auch von Kanzleien angeboten wird. Hingegen offeriert die Deutsche Anwaltshotline ( http: / / www.deutsche-anwaltshotline.de) vorrangig telefonische Beratung. Die drei genannten Dimensionen zur Abgrenzung von Geschäftsfeldern (Zielgruppen, Rechtsgebiete, vorrangige Betreuungstechnologie) öffnen ein Feld unterschiedlicher Kombinationen, nach denen sich Geschäftsfelder und Marktauftritte von Anwälten differenzieren lassen ( Abb. 27). Voraussetzung der strategischen Planung ist es, dass die bisher abgedeckten Geschäftsfelder im dreidimensionalen Raum der Möglichkeiten identifiziert werden. Die aktuellen Marktaktivitäten nehmen sich optisch wie kleinere oder größere Würfel oder Quader in der grafischen Darstellung aus. Abb. 27: Abgrenzung anwaltlicher Geschäftsfelder in Anlehnung an Abell Unter Rückgriff auf die Abell´sche Geschäftsfeldmatrix lassen sich Kanzleitypen abgrenzen, die jeweils häufig vorkommende Parameterkombinationen aufweisen. Beispielsweise ist der gerade in Kleinstädten und ländlichen Gebieten häufig anzutreffende Allgemeinanwalt durch den Fokus auf private Mandanten und Kleingewerbe sowie persönlicher Betreuung bei gleichzeitiger Abdeckung einer Mehrzahl von Rechtsgebieten gekennzeichnet. Der Kanzleityp „Allgemeinanwalt“ weist damit eine andere Struktur auf als der „Leistungsspezialist“, der in der Branchenterminologie Zielgruppen private Mandanten gewerbliche Mandanten Kundengruppe 1 private Mandanten z.B. Arbeitnehmer Kundengruppe 2 private Mandanten z.B. Selbständige Kundengruppe 1 gewerbliche Mandanten z.B. Mittelständler ... vorrangige Betreuungstechnologie persönlich telefonisch elektronisch Rechtsgebiete Arbeitsrecht Bankrecht Datenschutzrecht ... Erbrecht Familienrecht ... <?page no="130"?> 130 Strategisches Kanzleimarketing auch als „Boutique“ bezeichnet wird. Dieser konzentriert sich meist auf ein Rechtsgebiet, manchmal zusätzlich auf ein Mandantensegment, mit vorrangig persönlicher Betreuung. Wieder anders (und seltener anzutreffen) sind reine „Zielgruppenspezialisten“, die eine Mandantengruppe im Visier haben und diese möglichst umfassend betreuen. Der Berliner Anwalt Heiko Habbe betreut im Auftrag des Jesuiten- Flüchtlingsdienstes Flüchtlinge bei allen Anliegen rund um Asyl, aber auch im Hinblick auf rechtliche Integrationsaspekte und Arbeitsrecht ( http: / / www.networkmigration.org/ experten/ datenbank.php). Er ist also vor allem auf eine Zielgruppe und erst in zweiter Linie auf bestimmte Rechtsgebiete spezialisiert. Im Zuge einer wachsenden Digitalisierung und aufgrund der sich abzeichnenden Trennung zwischen eher „trivialen“ Rechtsproblemen und komplexeren Anliegen, wickeln zudem viele Kanzleien Beratungsaufgaben mehr und mehr fernmündlich oder elektronisch ab. Zwar legt § 27 BRAO fest, dass jeder Rechtsanwalt eine Kanzlei einrichten muss (Kanzleipflicht), was die persönliche, stationäre Beratung nahelegt, jedoch ist es natürlich möglich, parallel auch andere Beratungswege einzuschlagen und diese möglicherweise sogar zum Schwerpunkt zu erklären. Wenn auch die Kommunikation mit dem Mandanten heutzutage oftmals schon primär telefonisch erfolgen kann, so haben viele Kanzleien ihren formalen Fokus noch stark auf der persönlichen Betreuung. Die neuen Technologien eröffnen allerdings auch die Möglichkeit, sich auf einen anderen Betreuungsweg zu spezialisieren oder aber auch alle Betreuungswege nach Mandantenwunsch zu öffnen. Die Münchner Kanzlei Curos Rechtsanwälte ( http: / / www.curos-recht.de) bieten auf ihrer Webseite beispielsweise sowohl Kontaktmöglichkeiten via Internet, Telefon oder auf persönlichem Wege an und sichern zu, dass der Mandant die jeweils bevorzugte Form der Betreuung selbst wählen kann. Unterschiedliche Geschäftstypen im Rechtsberatungsmarkt lassen sich im Überblick der Abb. 28 entnehmen. Weitere Formen sind denkbar und sollten im Rahmen des Strategieplanungsprozesses auch Gegenstand der Diskussion um zukünftige Orientierung sein. <?page no="131"?> Abgrenzung des relevanten Marktes 131 Abb. 28: Geschäftstypen im Rechtsberatungsmarkt Rechtsgebiete Zielgruppen Typ 2 Leistungsspezialist mit persönlichem Betreuungsschwerpunkt Betreuungstechnologie Rechtsgebiete Zielgruppen Typ 1 Allgemeinanwalt mit persönlichem Betreuungsschwerpunkt Betreuungstechnologie Rechtsgebiete Zielgruppen Typ 3 Zielgruppenspezialist mit persönlichem Betreuungsschwerpunkt Betreuungstechnologie Rechtsgebiete Zielgruppen Typ 4 Leistungsspezialist mit hoher Betreuungsvielfalt Betreuungstechnologie <?page no="132"?> 132 Strategisches Kanzleimarketing 4.3 Situationsanalyse 4.3.1 Informationsquellen und -gewinnung Der erste Schritt der Marketingplanung, die Situationsanalyse, richtet sich auf die Analyse der Planungsbedingungen. Dabei gilt es nicht, so viele Informationen wie möglich zu sammeln, sondern vor allem solche, die sich auf die für die Marketingstrategie relevanten Aspekte beziehen. Eine erfolgversprechende Strategie fußt auf einer guten Informationsgrundlage zur kanzleiexternen und -internen Ausgangssituation. Damit sind insbesondere folgende Punkte angesprochen (vgl. ähnlich Meffert / Burmann / Kirchgeorg 2015, S. 44 ff.): Markt Die Entwicklung einer Strategie setzt gute Kenntnisse der allgemeinen Marktentwicklungen voraus. Dies betrifft einerseits den Gesamtmarkt für Rechtsdienstleistungen, andererseits aber auch den jeweiligen Teilmarkt, in dem Anwälte möglicherweise tätig sind (z. B. nur Wirtschaftsrecht). Bezogen auf Gesamt- und Teilmarkt sollte ein gutes Bild bezüglich der folgenden Aspekte vorliegen: o Marktentwicklung (Wachstum oder Reduktion) o Gesetzesänderungen, die Nachfrageverschiebungen hervorrufen können o Wettbewerbsintensität o Marktaufteilung Marktteilnehmer Zu den wichtigsten Marktteilnehmern, zu denen auch unbedingt nähere Marktinformationen vorliegen sollten, zählen drei Gruppen: erstens die Mandanten mit ihren spezifischen Bedürfnissen, zweitens die Wettbewerber und drittens die eigene Kanzlei mit den vorliegenden Möglichkeiten und Erfahrungen im Marketing. Diese drei Akteursgruppen zählen zum Standard jeder Marktanalyse und bilden das sogenannte strategische Dreieck (vgl. Ohmae 1982, S. 91 ff.). Die Grundidee des strategischen Dreiecks ist, dass jeder Marktauftritt die Konkurrenzsituation, Mandantenerwartungen sowie die internen Bedingungen gleichermaßen berücksichtigen muss. Dazu sind fundierte Informationen erforderlich. Zusätzlich relevant sind möglicherweise Erkenntnisse über sogenannte Multiplikatoren, die zwar selbst nicht zwingend Anbieter oder Nachfrager sind, diese aber beeinflussen. Zu den Multiplikatoren gehören beispielsweise Anwaltsportale im Netz (z. B. http: / / www.anwalt.de), aber auch Vergleichsdokumentationen wie das alljährliche Ranking im JUVE Handbuch oder Anwalts-Toplisten wie sie teilweise in Zeitschriften wie WirtschaftsWoche oder Focus veröffentlicht werden (siehe näher auch Kap. 5.5.2). Insbesondere sollten Informationen zu den folgenden Aspekten vorliegen: o Erwartungen und Zahlungsbereitschaft von Mandanten o Anzahl und Bedarfslage von Mandantengruppen o wichtigste Wettbewerber o Dienstleistungsspektrum, wirtschaftliche Lage und Ziele von Konkurrenten o zur Verfügung stehendes Marketingbudget o bereits vorliegende Marketingplanungen und Erfahrungen hinsichtlich der Anwendung von Marketinginstrumenten <?page no="133"?> Situationsanalyse 133 o eigene Position und Konkurrenzbewertungen auf, bei Vergleichsuntersuchungen sowie aus Sicht wichtiger Multiplikatoren Marketinginstrumente Die Strategieplanung setzt voraus, dass die grundsätzlich zur Verfügung stehenden Marketinginstrumente bekannt sind. Rechtsanwälte haben schon aufgrund rechtlicher Einschränkungen nicht die gleichen Möglichkeiten zur Verfügung, ihr Produkt anzupreisen wie ein Konsumgüterartikler oder ein Telekommunikationsdienstleister. Je nach Rechtsgebiet und abhängig vom Anteil gewerblicher Mandanten differieren die Handlungsoptionen. Grundlage der strategischen Planung sind unter anderem die folgenden Informationen zu den Marketinginstrumenten: o mögliches Angebotsspektrum und Kooperationspartner o Honorarstrukturen mit Vor- und Nachteilen o Kommunikationsmedien und -kosten o alternative Formen der Rechtsberatung (z. B. Online-Rechtsberatung) Umwelt Jede Planung im Marketing setzt Grundkenntnisse zu den Rahmenbedingungen der Geschäftstätigkeit voraus. Ökonomie, Gesellschaft, Technik bzw. Politik nehmen Einfluss auf das Angebot von Rechtsanwälten. Die folgenden Faktoren sind dabei wichtig: o politische Rahmenbedingungen o konjunkturelles Umfeld o technologische Innovationen (z. B. zur Informationstechnologie) o wissenschaftliche Erkenntnisse aus dem juristischen Umfeld Die Beschaffung von Informationen zur Fundierung der Strategieplanung ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Zudem braucht es Zeit, immer auf dem Laufenden zu bleiben. Es ist deshalb sehr wichtig, als Anwalt die in Frage kommenden Informationsquellen möglichst vollständig zu kennen. Um über die allgemeinen Marktentwicklungen informiert zu bleiben, bieten sich Seminare und Fortbildungsangebote an, selbstverständlich auch der regelmäßige Austausch mit Kollegen und vor allem die Lektüre einschlägiger Fachliteratur. Konkrete Angebote in diesem Rahmen hier aufzuführen, ginge zu weit, da Medien dauernd wechseln und vor allem auch nicht alle Angebote für jedes Rechtsgebiet relevant sind. Allein im Bereich der juristischen Fachzeitschriften für Deutschland listet Wikipedia 244 Einträge ( http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Kategorie: Juristische_Fachzeitschrift_(Deutschland)) (Stand: August 2017). Zu den wichtigsten Anbietern von Fortbildungen zählen die DeutscheAnwaltAkademie ( http: / / www.anwaltakademie.de) sowie die BeckAkademie des Verlages C.H. Beck ( http: / / www.beck-seminare.de) und die Fortbildungsangebote der regionalen Anwaltvereine, die dem Deutschen Anwaltverein angeschlossen sind (eine Liste der örtlichen Anwaltvereine findet sich unter http: / / anwaltverein.de/ ueber-uns/ oertliche-anwaltvereine). Fachbezogene Angebote dominieren stark. Neben den bekannten Institutionen existieren mittlerweile viele kleinere Anbieter, die spezielle Seminarangebote im Programm haben. Ein Überblick über ausgewählte Seminaranbieter ist in Anhang 1 dargestellt. Fortbildungsangebote bringen neben der reinen Informationsweitergabe auch den Vorteil des „Networkings“ mit Kollegen und Experten, jedoch haben Online- <?page no="134"?> 134 Strategisches Kanzleimarketing Quellen den Vorzug der schnellen, preisgünstigen und ortsunabhängigen Verfügbarkeit. Zahlreiche einschlägige Nachrichtenportale bieten die Möglichkeit, aktuelle Neuigkeiten aus dem Markt regelmäßig zu erhalten, indem entweder ein elektronischer Newsletter oder ein sogenannter RSS-Feed abonniert wird. Im Unterschied zu einem Newsletter, der immer nach Registrierung und Bestätigung durch den Versender verschickt wird, abonniert der Empfänger den RSS-Feed einfach durch Mausklick und bekommt aktuelle Updates einer Webseite dann jeweils automatisch angezeigt (entweder im Browser oder in einem speziellen Feedreader). Um das RSS- Abonnement auszulösen, ist meist nur der Klick auf ein typisches Symbol-Icon erforderlich, das sich auf den Webseiten findet, die ein solches Angebot bereitstellen ( Abb. 29). Die Darstellung des RSS-Feeds ähnelt im Ergebnis der Anzeige einer Webseite in einem Standard-Browser. Dadurch, dass der Interessent eigeninitiativ das RSS-Abonnement auslöst, muss der Sender keine E-Mail-Adressen von eingeschriebenen Lesern verwalten, hat aber dadurch auch weniger Überblick über die Gruppe der Interessenten. Mittlerweile bieten viele Organisationen, die juristische Nachrichten zur Verfügung stellen, einen RSS-Feed an, viele lassen sogar die Wahl zwischen RSS-Feed und Newsletter. Seltener wird der Bezug neuer Nachrichten über die Installation einer speziellen Browser-Toolbar angeboten. Abb. 29: Typisches RSS-Icon Mittlerweile können an vielen Stellen im Netz juristische Nachrichten bezogen werden. Neben Verlagen existieren spezielle Informationsdienste, die juristische Medien zielgerichtet durchsuchen und die Ergebnisse nach individuellen Vorgaben zusammenstellen (dann in der Regel kostenpflichtig). Ein solches Angebot kann sich lohnen, insbesondere wenn mehrere Anwälte einer Kanzlei auf ein spezielles Rechtsgebiet spezialisiert sind, so dass die Kosten vertretbar werden. Gratis bieten meist Online-Zeitschriften und Nachrichtenportale (z. B. JUVE Newsline, Legal Tribune Online oder Jurablogs) ihre Dienste an. Wer auf diese Weise eine Vielzahl von RSS-Feeds abonniert, kann diese mittels einer persönlichen Startseite auf einen Blick organisieren. Bei Öffnung des Internet-Browsers erscheinen dann alle Neuigkeiten in übersichtlicher Form auf einen Blick. Eine solche Startseite kann kostenlos mit iGoogle, start.me oder anderen Diensten erstellt werden, entweder für den Einzelnutzer, Nutzergruppen oder die gesamte Kanzlei. Neueste Nachrichten werden auf diese Weise täglich allen Nutzern zur Verfügung gestellt, häufig sogar kostenfrei. Eine Übersicht über elektronische Newsangebote für den Rechtsbereich findet sich in Anhang 2). Ergänzend zu den Online-Nachrichtendiensten existieren vielfältige Informationsquellen, die spezifische juristische Fachinformationen liefern (siehe Überblick in Anhang 3). Dazu gehören Online-Datenbanken, die den Zugriff auf wissenschaftliche Publikationen oder neueste Gerichtsurteile ermöglichen. Gerade der Zugriff auf wissenschaftliche Fachbeiträge ist dabei meist nicht kostenlos, insbesondere wenn der Volltextabruf einzelner Beiträge ermöglicht wird. Den Überblick in dem zahllosen Angebot neuester Datenbanken zu behalten ist eine Herausforde- <?page no="135"?> Situationsanalyse 135 rung, denn permanent entstehen neue, teilweise auf Privatinitiative beruhende Projekte, andere werden eingestellt. Einen relativ umfassenden Überblick über verfügbare Angebote bietet das juristische Internetprojekt der Universität Saarbrücken unter http: / / archiv.jura.uni-saarland.de/ . Man beachte allerdings, dass die Datenbanken - zumindest soweit sie vorwiegend Gesetzesentscheidungen liefern - zur Recherche von Informationen über den juristischen Markt nur bedingt geeignet sind. Es zeigt sich: Informationsquellen im Netz zur Fundierung einer Marketingstrategie sind vielfältig. Es wird kaum möglich sein, wirklich alle in Frage kommenden Datenbanken zu nutzen, zumal sich weitere interessante Inhalte verstreut auf einzelnen Webseiten finden, die so durchs Raster fallen könnten. Einen guten Rechercheeinstieg bieten juristische Linksammlungen, also Webseiten, auf denen eine Vielzahl interessanter Links für die juristische Recherche zusammengetragen wurden. Solche Linksammlungen sind meist kostenpflichtige Angebote und basieren häufig auf privater Initiative, von daher besteht keine Garantie für Vollständigkeit, Ausgewogenheit oder auch Aktualität. Dennoch bieten sie oft den Zugang zu interessanten, wenig bekannten Quellen. Ausgewählte juristische Linksammlungen sind in Anhang 4 zusammengestellt. Nicht nur Linksammlungen, sondern auch Suchmaschinen helfen beim Auffinden relevanter Informationen. Neben den allgemein bekannten Diensten wie Google, Yahoo oder Bing gibt es auf Rechtsinhalte spezialisierte Angebote, die zum Teil eine bessere Orientierung im Dschungel der Fachinformationen erlauben. Entsprechende Suchmaschinen im Netz sind beispielsweise die Urteilssuchmaschine Urteilfinden ( http: / / www.urteilfinden.de), Abogado ( http: / / www.abogado.de) oder die Jura-Suche ( http: / / www.jura-suche.de). Die Situationsanalyse erstreckt sich nicht nur auf die Erhebung allgemeiner Marktinformationen, sondern auch auf die Erhebung von Informationen zu den wesentlichen Marktteilnehmern. Der wohl wichtigste Marktteilnehmer ist dabei der (potenzielle) Mandant mit seinen Wünschen, Erwartungen und Abneigungen. Hinsichtlich der bestehenden Mandate eigenen sich dazu Mandantenbefragungen, die regelmäßig durchgeführt werden sollten (vgl. ausführlicher Kap. 6.1). Auch weniger formalisiertes Feedback von Mandanten, z. B. hinsichtlich der Konkurrenzaktivitäten, geben häufig wichtige Anhaltspunkte. Richtiges Hinhören und Einschätzen des Wertbeitrags solcher Informationen für die Strategieplanung zählt zu den Fähigkeiten, die man sich ohne Weiteres antrainieren kann. Eine gewisse Schwierigkeit besteht darin, an Konkurrenzinformationen zu gelangen. Viele Anwälte beobachten die Aktivitäten von Wettbewerbern nur unzureichend. Mit Ausnahme der größeren Wirtschaftskanzleien, die Konkurrenzinformationen in teils gut aufbereiteter Form in den einschlägigen Medien finden, sind die Marktaktivitäten von Rechtsanwälten wenig transparent. Hinzu kommt, dass die für die Öffentlichkeit zugänglichen Informationen eben auch meist nicht den Informationsgehalt haben, der wirklich Neues für die Strategieplanung liefern würde. In Kanzleibroschüren und Flyern findet sich wenig Spektakuläres, online jedoch schon eher. Das Netz vergisst nichts und wer damit arbeitet, hinterlässt Spuren - ein Umstand, der für die Konkurrenzrecherche von großem Nutzen ist. Ein Ausgangspunkt ist stets ein Besuch der Websites von Wettbewerbern, die häufig sehr viel aussagekräftiger hinsichtlich der verfolgten Strategie sind als gedrucktes Materi- <?page no="136"?> 136 Strategisches Kanzleimarketing al. Viele Anwälte stellen ihre Leistungen gern in der Öffentlichkeit dar und veröffentlichen deshalb Referenzen, Gegnerlisten sowie ausführliche persönliche Informationen. Bei regional tätigen Anwälten sind die möglichen Konkurrenten oft überschaubar, so dass es sich lohnt, eine tabellarische Übersicht über alle Wettbewerber zu erstellen. Wichtige Informationen dabei sind die Zahl der in der Kanzlei tätigen Anwälte, Mandanten, strategische Pläne, wahrgenommene Stärken und Schwächen. Die erste Zusammenstellung dieser Informationen mag etwas aufwändig sein, kann jedoch z. B. Praktikanten überlassen werden. Die weitere Pflege dieser rudimentären „Wettbewerberdatenbank“ ist weniger zeitintensiv und bedingt nur etwas Disziplin, denn Aktuelles sollte möglichst sofort eingepflegt werden. Um stetig auf dem Laufenden zu bleiben, existieren effektive Hilfswerkzeuge, die ein automatisches Update über neueste Konkurrenzentwicklungen ermöglichen. Ein einfaches und völlig kostenloses Tool in diesem Zusammenhang ist Google Alerts ( http: / / www.google.de/ alerts). Google Alerts benachrichtigt gratis über neue Google-Suchergebnisse zu bestimmten Schlüsselwörtern, die jeder selbst festlegen kann. Beispielsweise kann dort als Schlüsselwort der Name des Konkurrenzanwalts oder die entsprechende Kanzlei eingegeben werden und dann erhält der Nutzer automatisch eine E-Mail, wenn neue Einträge bei Google auftreten. Dabei kann ausgewählt werden, bei welcher Art von Einträgen benachrichtigt werden (Weblogs, Nachrichten, Videos oder alle) und in welchem Umfang gesucht werden soll (nur im Inland, in anderen Ländern, überall). Google Alerts ist kostenlos und die Zahl der Benachrichtigungen, die angelegt werden können, ist nicht begrenzt. Abb. 30: Anlegen eines Google Alerts zur Konkurrenzbeobachtung (Quelle: http: / / www.google.de/ alerts) Neben Google Alerts bietet Google weitere interessante Werkzeuge. Originär als Analysehilfsmittel für Werbekunden gedacht, lassen sich viele der Gratis-Dienste hervorragend zur Konkurrenzbeobachtung einsetzen. Google Trends ( https: / / www.google.de/ trends/ ) ist so ein Beispiel: Eigentlich handelt es sich hier <?page no="137"?> Situationsanalyse 137 um ein Tool zur Optimierung des eigenen Außenauftritts, jedoch erlaubt Google Trends die Eingabe von bis zu fünf Wettbewerber-Webseiten, die dann hinsichtlich der Suchfrequenz, der regionalen Schwerpunkte sowie der noch besuchten Webseiten und der eingegebenen Suchworte miteinander verglichen werden. Einschränkend bleibt jedoch zu erwähnen, dass dies bislang nur für besonders frequentierte Webseiten möglich ist und die Verlässlichkeit der ausgegebenen Ergebnisse strittig ist (vgl. Meyer o.J.). Dennoch bietet Google Trends eine gute erste Orientierung über die eigene Online-Präsenz im Konkurrenzvergleich und liefert gute Ideen für relevante Suchworte. Abb. 31: Beispiele einer Konkurrenzanalyse mit Google Trends Wer genauere Informationen speziell zu der Frage haben möchte, von welchen Seiten auf die Website des Wettbewerbers verlinkt wird, kann dies mit sogenannten Backlinkcheckern ermitteln. Unter http: / / www.backlinktest.com können Verweise auf beliebige Webseiten identifiziert werden. Nicht selten lassen sich in Beantwortung dieser Frage Organisationen, Verbände und Unternehmen herausfinden, die auf die eigene Kanzlei ebenfalls verweisen könnten. Das ist schlussendlich wichtig für die eigene Position in den Google Suchergebnissen, die ganz erheblich von der Zahl <?page no="138"?> 138 Strategisches Kanzleimarketing der Verweise von anderen Webseiten (neudeutsch: Backlinks) abhängig ist (vgl. Beilharz 2012). Parallel zu den kostenlosen Diensten, deren Funktionsumfang begrenzt ist, existieren zahlreiche kostenpflichtige Tools, die oft sehr tiefgehende Informationen über Online-Auftritte der Konkurrenten liefern - quasi die „hohe Schule des Cyberstalkings“. Dienste wie Systrix ( http: / / www.systrix.de), Xovi ( http: / / www.xovi.de) oder SimilarWeb ( http: / / www.similarweb.com) liefern Informationen zu den bei Google AdWords eingebuchten Suchbegriffen und geben teilweise bis auf Seitenebene Aufschluss zur Nutzung von Konkurrenzwebseiten. Eingeschränkte Auswertungen sind zumindest bei SimilarWeb auch kostenlos abrufbar. Im Vergleich zu Google Trends stellt die Konkurrenzanalyse mit SimilarWeb eine gute Alternative dar, weil viele Zusatzinformationen zur Präsenz in sozialen Netzwerken, anderen besuchten Webseiten und Nutzerinteressen geliefert werden. Weitere, schier uferlose Online-Informationsquellen zu Konkurrenzaktivitäten sind soziale Netzwerke. Ob Einzelanwalt oder Kanzlei, fast jeder ist heutzutage in Netzwerken wie Facebook, Twitter, XING oder LinkedIn präsent - entweder aktiv, durch ein eigenes Profil, oder passiv, indem man zum Gesprächsthema wird. Es bietet sich also an, diese Plattformen im Rahmen einer Konkurrenzanalyse mit einzubeziehen und beispielsweise das Fan-Wachstum (auf Facebook), die Interaktion mit anderen Nutzern, die Anzahl der Kontakte (auf XING oder LinkedIn) oder die Zahl der Follower (bei Twitter) zu beobachten. Gerade bei beruflichen Netzwerken wie XING lohnt sich auf der Suche nach Informationen zu Einzelanwälten die Analyse der Kontakte des Mitbewerbers, denn möglicherweise finden sich dort interessante Kontaktmöglichkeiten auch für den eigenen Bedarf. Fazit: Die Möglichkeiten zur Konkurrenzrecherche sind äußerst vielfältig. In der Praxis gilt es abzuwägen, ob Aufwand und Nutzen noch in einem vertretbaren Verhältnis stehen. Zumindest die kostenlos verfügbaren Tools wie Google Alerts machen es jedoch leicht, grob über die Konkurrenzaktivitäten auf dem Laufenden zu bleiben. Aufgaben der Wettbewerberbeobachtung sind gut delegierbar. Es macht durchaus Sinn, den einmaligen Aufwand in Kauf zu nehmen und zu überlegen, in welcher Form alle Anwälte und Mitarbeiter der Kanzlei regelmäßig von zentraler Stelle über Konkurrenzaktivitäten informiert werden können. Das kann z. B. in einer Art „Newsletter“ geschehen, der in einer bestimmten Frequenz (z. B. wöchentlich oder monatlich) an alle Mitarbeiter versendet wird und über den Wettbewerb informiert. Bei größeren Kanzleien wird zum Teil ein Pressespiegel verschickt, der alle Pressenennungen der eigenen Kanzlei enthält und allen zur Verfügung gestellt wird. Sofern es nicht den Rahmen sprengt, kann diese Art von Medienbeobachtung um Berichte über Wettbewerber erweitert werden. Alternativ bleibt die Konkurrenzrecherche jedem Anwalt und Mitarbeiter selbst überlassen, etwa durch Abonnieren entsprechender RSS-Feeds, Literaturstudium oder Fortbildungsmaßnahmen. Im Gegensatz zur zentralen Informationsbereitstellung ist dabei nicht gewährleistet, dass relevantes Marktwissen alle Betroffenen in der Kanzlei auch erreicht. Dafür sind die selbst beschafften Konkurrenzinformationen oft für den Einzelnen auch passender als ein für alle zusammengestellter Newsletter oder Pressespiegel. Die Vor- und Nachteile sind im Einzelfall gegeneinander abzuwägen. <?page no="139"?> Situationsanalyse 139 Zusammenfassung Quellen der Konkurrenzbeobachtung Offline Broschüren, Kanzleidarstellung, Printmaterial Werbeauftritt (Plakate / Anzeigen) Nachrichten in gedruckten Zeitungen und Zeitschriften Informationen aus Gesprächen Online Konkurrenzwebsites Präsenz in sozialen Netzwerken Fan-Interaktion (Facebook) Art und Anzahl der Kontakte bei XING Reaktionen auf Beiträge bei Google+ Follower bei Twitter Backlinks (z. B. nachvollziehbar über http: / / www.backlinktest.com) Webstatistiken (Nutzerzahlen, Nutzerinteresse etc.) im Konkurrenzvergleich Recherche in Personensuchmaschinen (z. B. yasni) 4.3.2 Portfolio-Analyse Je gründlicher und regelmäßiger strategisch relevante Informationen gesammelt werden, desto stabiler ist das Fundament der Marketingplanung. Ein umfassender Überblick über alle verfügbaren Informationsquellen ist daher ebenso wichtig wie Zeit und Ressourcen für die Informationssammlung zu reservieren. Ein möglichst lückenloses Bild der strategischen Ausgangslage zu gewinnen ist einerseits erstrebenswert; schnell ergibt sich andererseits dann aber das Problem, die gewonnenen Detailkenntnisse wieder so zu verdichten, dass sie eine brauchbare Entscheidungsgrundlage darstellen. Das Versenden von Newslettern an Kanzleimitarbeiter, regelmäßige Fortbildungsangebote, Pressespiegel oder Marktdossiers führen regelmäßig dazu, dass in unterschiedlicher Form Wissen über die strategischen Rahmenbedingungen der Anwaltstätigkeit in der Kanzlei aufgebaut wird, die Zusammenhänge aber verloren gehen. Es bietet sich daher an, im ersten Schritt des strategischen Marketingplanungsprozesses nicht nur Informationen zu sammeln, in verbaler Form zu zusammenzustellen und allen Kanzleimitarbeitern zukommen zu lassen, sondern anschließend eine Form der Aufbereitung zu wählen, die einen Gesamtüberblick ermöglicht. <?page no="140"?> 140 Strategisches Kanzleimarketing Um diesem Gedanken Rechnung zu tragen, hält die betriebswirtschaftliche Planungslehre verschiedene Instrumente bereit, die in komprimierter Form die wesentlichen strategischen Handlungsfelder aufzeigen. Sie eignen sich daher beispielsweise hervorragend als Grundlage eines kanzleiinternen Strategieworkshops, denn schnell erfassbare Informationen reduzieren die Einarbeitungszeit der Beteiligten und regen zu kontroversen Diskussionen an. Eine gute und verbreitete Möglichkeit ist es, die strategierelevanten Informationen in einer SWOT-Analyse darzustellen, welche die Marktsituation der Kanzlei oder einzelner Teilbereiche hinsichtlich der ermittelten Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken auf den Punkt bringt. Eine derartige SWOT-Analyse wurde bereits auf S. 44 bezogen auf den Markt für Rechtsanwälte beispielhaft präsentiert. Eine andere Möglichkeit ist die Darstellung der strategischen Lage durch ein sogenanntes Portfolio. Portfolios sind beliebte Dokumentationsformen in der Strategieplanung, sie fassen die wichtigsten Erkenntnisse einer Situationsanalyse im Rahmen einer zweidimensionalen Grafik zusammen: Auf der vertikalen Achse eines Portfolios wird die Attraktivität der Umfeldbedingungen abgebildet. Dies kann beispielsweise dadurch geschehen, indem das Marktwachstum (also das jährliche prozentuale Umsatzwachstum im Markt) zahlenmäßig dort abgetragen oder (in einer weiteren Perspektive) die Marktattraktivität auf einer Punkteskala (z. B. von 1 = sehr gering bis 5 = sehr hoch) angegeben wird. Die horizontale Achse gibt Aufschluss über die eigene Position am Markt, ebenfalls wieder im Hinblick auf die jeweilige Betrachtungseinheit. Die eigene Marktsituation kann zahlenmäßig beispielsweise durch den relativen Marktanteil (= den eigenen Marktanteil im Verhältnis zu stärksten Konkurrenten) dargestellt werden oder aber durch die relative Wettbewerbsposition (gemessen durch eine Punkteskala, z. B. mit 1 = sehr schlecht bis 5 = sehr gut). Die spezifische Marktsituation von Anwälten macht es eher unrealistisch, dass Aussagen über das zu erwartende Marktwachstum oder über den relativen Marktanteil prozentgenau vorliegen. Allerdings können Einschätzungen vorgenommen werden, indem, wie dargestellt, eine Punkteskala zugrunde gelegt wird. Es empfiehlt sich zudem, eher weite Bezeichnungen als Achsendimensionen zu wählen, die sich dann jeweils aus mehreren Teilkriterien zusammensetzen, damit alle entscheidungsrelevanten Aspekte auch Berücksichtigung finden. Auf der vertikalen Achse werden die Marktaussichten abgetragen, die aus mehreren Umfeldparametern resultieren und in der Regel durch Anbieter im Markt kaum veränderbar sind. Der Parameter der Marktattraktivität trägt diesem Gedanken Rechnung. Auf der horizontalen Achse gibt die relative Wettbewerbsposition wieder, welcher Status quo durch Marketinganstrengungen bereits erreicht wurde. Diese Position ist durch jeden tätigen Rechtsanwalt bzw. jede Kanzlei individuell beeinflussbar - durch erfolgreiches Marketing. Durch die vertikale und die horizontale Achse ergibt sich ein zweidimensionales Koordinatensystem. Sofern eine Punkteskala von 1 bis 5 verwendet wird, kann auf jeder Achse minimal der Wert 1 und maximal der Wert 5 erreicht werden, Mittellinien liegen bei 3. Innerhalb dieser Matrix können nun die durch die Kanzlei angebotenen Rechtsdienstleistungen (z. B. Nachlassplanung), die abgedeckten Rechtsgebiete oder organisatorische Einheiten einsortiert werden. Ob tatsächlich <?page no="141"?> Situationsanalyse 141 jedes Dienstleistungsangebot einzeln betrachtet oder ob auf größere Einheiten (Rechtsgebiete) zurückgegriffen wird, hängt maßgeblich von der Größe der Kanzlei ab. Gerade bei größeren Kanzleien ist das Dienstleistungsportfolio so groß, dass sich eher eine Einordnung von umfassenderen organisatorischen Einheiten anbietet, die meist auf verschiedene Rechtsgebiete fokussieren („Practice Groups“, „Kompetenzcenter“ o.ä.). Die Größe der eingezeichneten Kreise entspricht dem Anteil am Kanzleiumsatz, so dass dadurch eine dritte Dimension mit abgebildet wird. Abb. 32: Dienstleistungsportfolio einer Anwaltskanzlei (Beispiel) Die Betrachtung der Ausgangssituation anhand von Portfoliodarstellungen hat viele Vorteile. Vor allem lädt das Endresultat zu lebhaften Diskussionen über die strategische Lage ein und bietet eine konzentrierte, illustrative Zusammenfassung wichtiger Rahmenbedingungen. Anhand der Positionen im Portfolio lassen sich Normempfehlungen für die künftige strategische Ausrichtung geben. Abhängig vom Quadranten, in dem der jeweilige Dienst lokalisiert ist, liegen unterschiedliche strategische Reaktionen nahe: Schwache relative Wettbewerbsposition / starke Marktattraktivität (Quadrant I) Dienste in diesem Quadranten sind häufig neu in das Angebot der Kanzlei aufgenommen worden. Sie überzeugen durch positive Marktaussichten, jedoch muss die eigene Position am Markt noch ausgebaut werden. Die Empfehlung lautet hier, in den Ausbau der Aktivitäten zu investieren und dabei sorgfältig die Entwicklung zu beobachten. relative Wettbewerbsposition hoch niedrig niedrig hoch 5 5 3 1 1 3 Kartellrecht 2 4 4 2 IT-Recht Urheberrecht E-Commerce Filesharing Marktattraktivität <?page no="142"?> 142 Strategisches Kanzleimarketing Starke relative Wettbewerbsposition / starke Marktattraktivität (Quadrant II) Hier liegen die strategischen Hoffnungsträger der Kanzlei. Bei diesen Dienstleistungen hat die Kanzlei bereits eine starke Marktstellung inne und die allgemeinen Aussichten in diesem Bereich sind ebenfalls positiv. Für die Zukunft heißt es, hier weiter zu investieren, um die gute Marktposition zu erhalten. Starke relative Wettbewerbsposition / schwache Marktattraktivität (Quadrant III) In diesem Portfoliofeld liegen Dienstleistungen, bei denen Anwalt bzw. Kanzlei eine gute Stellung im Markt haben, die sich künftig jedoch eher mäßig entwickeln wird. Die strategische Empfehlung lautet, Mandate in diesem Kontext eher opportunistisch wahrzunehmen, die zumeist guten Gewinne mitzunehmen und diese in den Ausbau der Angebote mit hoher Marktattraktivität zu investieren (Quadranten I und II). Schwache relative Wettbewerbsposition / schwache Marktattraktivität (Quadrant IV) Das eigene Dienstleistungsangebot in diesem Umfeld kommt schlecht an und auch die Marktperspektiven für Dienste dieser Art sind nicht gut. In diesem Fall sollte ernsthaft der Rückzug erwogen werden. Mandate dieses Typs binden Ressourcen, die zumindest bei guter Auslastung für attraktivere Engagements genutzt werden sollten. Wirtschaftswissenschaftliche Konzepte, die Sie kennen sollten! Der Portfolio-Ansatz Der Portfolio-Ansatz ist ein betriebswirtschaftliches Planungsinstrument mit langer Tradition. Ursprünglich in der Wertpapiertheorie zur Planung eines ausgeglichenen Wertpapierbestandes eingesetzt, werden Portfolios seit Anfang der 1970er Jahre auch zur Fundierung von Marketingstrategien genutzt. Die Problembereiche ähneln sich: Während bei Wertpapieren das Problem besteht, ein optimal zusammengesetztes Portefeuille unter den Gesichtspunkten von Rendite und Risiko zu realisieren, stehen Strategieexperten gemeinhin vor der Aufgabe, einen abgestimmten Katalog von Produkten und Diensten zu entwickeln, der Marktchancen und eigene Stärken ideal reflektiert. Dies kann durch eine Matrixdarstellung gewährleistet werden, bei der sogenannte strategische Geschäftsfelder - Geschäftsbereiche, die jeweils unterschiedliche Zielgruppen bedienen und denen Kosten und Erlöse separat zugerechnet werden können - anhand von zwei Dimensionen bewertet werden. Typischerweise steht eine Dimension für die extern gegebenen Marktbedingungen und die andere für die Marktposition des Anbieters, es gibt jedoch auch modifizierte Darstellungen (vgl. Meffert / Burmann / Kirchgeorg 2015, S. 260). Seit ihrer Einführung erfreut sich die Portfolio-Analyse anhaltend hoher Beliebtheit in der Praxis. Abhängig vom konkreten Analyseproblem haben sich daher viele Portfolios entwickelt, die mit unterschiedlichen Dimensionen arbeiten (vgl. Bea / Haas 2013, S. 153). Die wohl bekanntesten Portfolios sind: <?page no="143"?> Situationsanalyse 143 Boston-Portfolio oder BCG-Portfolio Das BCG-Portfolio ordnet strategische Geschäftsfelder anhand der Dimensionen des Marktwachstums und des Relativen Marktanteils (= eigener Marktanteil im Verhältnis zum stärksten Wettbewerber) in vier Felder ein. McKinsey-Portfolio In Abweichung vom BCG-Portfolio werden die Dimensionen der Marktattraktivität und der Relativen Wettbewerbsposition zugrunde gelegt, die anhand einer Vielzahl von qualitativen und quantitativen Faktoren spezifiziert werden. Zudem gibt es neun statt nur vier Matrixfelder, damit eine genauere Strategieableitung ermöglicht wird. Markt-Produktlebenszyklus-Portfolio Auf der Horizontalen wird entweder der Relative Marktanteil wie beim BCG-Portfolio oder die Relative Wettbewerbsposition auf der Grundlage einer Punktbewertung abgetragen. Vertikal wird gekennzeichnet, wie lang einzelne Produkte/ Dienste bereits im Markt sind, indem sogenannte Produktlebenszyklusphasen unterschieden werden, die von der Einführung über Wachstum, Reife, Sättigung bis hin zur Degeneration reichen. Technologieportfolio Das Technologieportfolio bietet Unterstützung bei strategischen Entscheidungen hinsichtlich der Anwendung neuer Technologien, indem diese auf Basis der Dimensionen Technologieattraktivität und Ressourcenstärke bewertet werden. Selbstverständlich ist es möglich, je nach Planungssituation auch andere Portfolios zu „kreieren“. Dabei ist jedoch zu beachten, dass eine Dimension einen eher extern gegebenen Faktor beinhalten sollte, während die andere durch die planende Organisation zu beeinflussen sein sollte. Das ist beispielsweise durch die Dimensionen Marktattraktivität (= extern) und Relative Wettbewerbsposition (= intern) weitgehend gegeben. Unbedingt ist zu vermeiden, dass die Dimensionen einander beeinflussen oder gar direkt miteinander korrelieren, da es sonst zu einer Verfälschung der Ergebnisse kommt. Oberflächlich betrachtet scheint das präsentierte Rechtsdienstleistungsportfolio eher theoretischen Wert zu haben. Die Dimensionen Marktattraktivität und Relative Wettbewerbsposition basieren auf subjektiven Einschätzungen und die Interpretation des Ergebnisses ist unklar. Im Gegenteil aber werden Portfoliodarstellungen seit Jahrzehnten erfolgreich in der strategischen Planung eingesetzt, denn sie liefern vielfältige Ansatzpunkte für Reflexion und Diskurs. Die Erstellung eines Portfolios erfolgt im Idealfall innerhalb eines kanzleiinternen Workshops, der dem folgenden Fahrplan folgt: Schritt 1 Nach einer kurzen Präsentation des Portfoliokonzepts sind die Teilnehmer aufgerufen, die Achsendimensionen genauer zu spezifizieren. Was genau macht eine gute oder schlechte Relative Wettbewerbsposition aus, was kennzeichnet einen Markt, der attraktiv ist? Ein wenig Vorarbeit ist an dieser Stelle empfehlenswert. Aspekte der Marktattraktivität sind beispielsweise im Regelfall: <?page no="144"?> 144 Strategisches Kanzleimarketing o Nachfragepotenzial: Wie wird sich die Anzahl der Mandate entwickeln (1 = sehr negativ bis 5 = sehr positiv)? o Umsatzpotenzial: Welcher Umsatz ist pro Mandat in diesem Bereich zu erwarten (1 = sehr geringer Umsatz bis 5 = sehr hoher Umsatz)? o Wettbewerbsdruck: Wieviel Konkurrenz ist in diesem Marktbereich zu erwarten (1 = sehr starke Konkurrenz bis 5 = sehr wenig Konkurrenz)? o Markteintrittsbarrieren: Wie schwer ist es, für neue Anbieter/ Wettbewerber, in diesem Markt Fuß zu fassen? Sind z. B. erhebliche Anfangsinvestitionen erforderlich oder Spezial-Know-how (1 = sehr geringe Markteintrittsbarrieren bis 5 = sehr hohe Markteintrittsbarrieren)? o Referenzpotenzial: Inwieweit eignen sich Mandate in diesem Bereich als Referenzen, weil es sich beispielsweise um besonders „wichtige“ Mandanten handelt oder die Mandanten verstärkt bereit sind, für Refererenzzwecke zur Verfügung zu stehen (1 = sehr geringes Referenzpotenzial bis 5 = sehr hohes Referenzpotenzial)? o Strategisches Potenzial: Manche Mandate sind vor allem langfristig interessant, z. B. weil Erfahrungen in einem bestimmten Rechtsgebiet aufgebaut werden sollen oder weil sich Beratungsfelder erst entwickeln. Diese Aspekte werden unter das Kriterium des Strategischen Potenzials subsummiert (1 = sehr geringes Strategisches Potenzial bis 5 = sehr hohes Strategisches Potenzial). Teilaspekte der Relativen Wettbewerbsposition sind hingegen: o Know-how und Erfahrung: Inwieweit bestehen bereits Kenntnisse im jeweiligen Bereich und/ oder Erfahrungen aus vergangenen Mandaten (1 = sehr geringes Know-how/ Erfahrungen bis 5 = sehr hohes Know-how / Erfahrungen)? o Bekanntheit im Markt: Wie bekannt sind Anwalt bzw. Kanzlei im jeweiligen Gebiet (1 = sehr wenig bekannt bis 5 = sehr stark bekannt)? o Verfügbarkeit von Personal: In welchem Umfang sind Mitarbeiter bzw. Anwälte zur Expansion in diesem Bereich am Markt verfügbar (1 = sehr wenig verfügbar bis 5 = sehr stark verfügbar)? o Kooperationsmöglichkeiten: Gibt es Kooperationsmöglichkeiten bzw. -partner (1 = sehr schlechte Kooperationsmöglichkeiten bis 5 = sehr gute Kooperationsmöglichkeiten)? Die genannten Teilaspekte sind je nach Situation zu ergänzen, zu modifizieren oder zu streichen. Bewertungen sollten noch nicht stattfinden. Beispiel Eine Kanzlei initiiert den strategischen Planungsprozess mit einem Auftaktworkshop zur Dokumentation der strategischen Ausgangssituation. Der Workshop startet, indem den Teilnehmern aktuelle Marktinformationen, insbesondere zu den Mandantenerwartungen und der Wettbewerbssituation, präsentiert werden. Danach wird die Grundidee des Portfoliokonzepts vorgestellt, welches die strategische Orientierung vor allem von den Hauptkriterien der Relativen Wettbewerbsposition und der Marktattraktivität abhängig macht. Die erste interaktive Workshopphase ist der Ableitung von Teilkriterien gewidmet, durch die sich diese Hauptaspekte näher bestimmen lassen. Nach intensiven <?page no="145"?> Situationsanalyse 145 Diskussionen kommt die Gruppe zu dem Schluss, dass die Aspekte Nachfragepotenzial, Umsatzpotenzial, Wettbewerbsdruck und Strategisches Potenzial die Marktattraktivität hauptsächlich prägen. Bei der Relativen Wettbewerbsposition spielen Know-how/ Erfahrung und Bekanntheit im Markt eine entscheidende Rolle. Kooperationsmöglichkeiten sind irrelevant, da die Kanzlei in dem Bereich nicht kooperieren möchte, ebenso die Verfügbarkeit von Personal, da keine Neueinstellungen vorgenommen werden sollen. Für relevant wird aber die Frage erachtet, ob bereits Mandate in angrenzenden Gebieten bestehen, da dadurch möglicherweise ein Zugang zur relevanten Zielgruppe besteht. Dieser Aspekt wird als „Cross-Selling-Potenzial“ ( Kap. 5.4.2.2) bezeichnet und mit aufgenommen. Schritt 2 In der zweiten Phase des Workshops ist zu entscheiden, mit welchem Gewicht die einzelnen Teilaspekte eingehen sollten. Nach einer Gruppendiskussion sollten dazu Prozentwerte vergeben werden, die sich pro Dimension (Marktattraktivität bzw. Relative Wettbewerbsposition) zu 100 % bzw. zu 1 addieren. Es geht also darum, Prioritäten zu setzen. Beispiel Im Strategieworkshop der bereits erwähnten Kanzlei diskutieren die Teilnehmer, was aus ihrer Sicht eine gute Wettbewerbsposition und einen attraktiven Markt ausmacht. Im Ergebnis werden den in der ersten Phase erarbeiteten Teilaspekten Prozentwerte zugeordnet, welche die relative Bedeutung des jeweiligen Kriteriums widerspiegeln. Kriterium Gewichtung Marktattraktivität Nachfragepotenzial 0,2 Umsatzpotenzial 0,2 Wettbewerbsdruck 0,4 Strategisches Potenzial 0,2 Summe 1 rel. Wettbewerbsposition Know-how/ Erfahrung 0,5 Bekanntheit im Markt 0,2 Cross-Selling-Potenzial 0,3 Summe 1 Tab. 7: Bewertungskriterien der Portfolio-Analyse (Fallbeispiel) Schritt 3 Nun geht es daran, die durch Anwalt bzw. Kanzlei angebotenen Dienste anhand der Teilkriterien zu bewerten. Dazu bietet sich eine Skala mit Punktwerten von 1 bis 5 an, wie sie bereits weiter oben in Schritt 1 vorgestellt wurde. Natürlich kann die Skala auch abgewandelt werden und statt fünf Abstufungen auch vier, sechs oder sieben Werte beinhalten. Die Skalenwerte sollten so gewählt werden, dass nicht zu viele Werte zur Verfügung stehen und dadurch eine <?page no="146"?> 146 Strategisches Kanzleimarketing Bewertung unmöglich wird, gleichzeitig aber eine sinnvolle Abstufung sichtbar ist. Je nach Kanzleigröße sind die einzelnen Dienste nach Rechtsgebieten zusammenzufassen oder es sind einzelne Portfolios für einzelne Rechtsgebiete zu erstellen. Beispiel Die Kanzlei ist auf die Gebiete Erbrecht und Familienrecht spezialisiert. In Vorbereitung des Workshops wurde eine Liste der wichtigsten Rechtsdienstleistungen in den jeweiligen Rechtsgebieten erstellt und durch die Teilnehmer ergänzt bzw. korrigiert. Anhand einer 5-Punkte-Skala wurden die Dienste in Bezug auf die im vorangehenden Schritt definierten Teilaspekte bewertet. Beispielhaft ist die Bewertung für vier Geschäftsfelder der Kanzlei der folgenden Tabelle zu entnehmen. Kriterium Gewichtung Nachlassgestaltung Nachlassabwicklung Scheidungen Betreuungen Marktattraktivität Nachfragepotenzial 0,2 4 4 3 2 Umsatzpotenzial 0,2 3 4 4 2 Wettbewerbsdruck 0,4 2 5 1 4 Strategisches Potenzial 0,2 4 1 2 2 SUMME 1 rel. Wettbewerbsposition Know-how/ Erfahrung 0,5 3 3 5 2 Bekanntheit im Markt 0,2 2 4 4 2 Cross-Selling- Potenzial 0,3 4 2 2 2 SUMME 1 Tab. 8: Kriteriengeleitete Bewertung von Geschäftsfeldern (Fallbeispiel) Schritt 4 Auf Basis der vorgenommenen Bewertungen kann das Portfolio erstellt werden. Zunächst werden dazu die Teilbewertungen zu Gesamtbewertungen für die Dimensionen Marktattraktivität und Relative Wettbewerbsposition aggregiert. Dies erfolgt, indem die vergebenen Punktwerte mit der Gewichtung des Teilkriteriums, die als Prozentwert vorliegt, multipliziert werden. Am Ende werden die so ermittelten gewichteten Teilwerte für jedes Kriterium aufaddiert. Was in der Beschreibung kompliziert klingt, ist in der Realität mit einem vorbereiteten Arbeitsblatt in einem Tabellenkalkulationsprogramm (z. B. Microsoft Excel) eine Aufgabe von Sekunden. Während die ermittelten Werte für die Marktattrak- <?page no="147"?> Situationsanalyse 147 tivität die Position des Dienstleistungspunktes auf der Vertikalen darstellen, gibt der Punktwert für die Relative Wettbewerbsposition die horizontale Lage an. Zusätzlich werden Informationen zu den Umsatzanteilen der jeweiligen Dienstleistungen benötigt, zumindest grobe Schätzungen. Das resultierende Portfolio kann im Endeffekt leicht gezeichnet werden. Auch dieser Schritt ist mit modernen Tabellenkalkulationsprogrammen kein Problem, da die Portfolio- Darstellung meist als Standarddiagramm hinterlegt ist (oftmals hier als „Blasendiagramm“ oder „Bubble-Diagramm“ bezeichnet). Beispiel Noch im Workshop ermittelt der Moderator für die Kanzlei die gewichteten Teilbewertungen durch Multiplikation von Bewertungen (b) und Gewichten (g). Für jede Dienstleistung liegen zudem Angaben zum realisierten Umsatz in den letzten drei Geschäftsjahren vor. Die Workshopteilnehmer beschließen, den Durchschnitt dieser 3-Jahresangaben zugrunde zu legen. Alle für die Portfoliodarstellung relevanten Werte liegen damit vor. Auf Basis der Tabellenwerte legt der Moderator die Portfoliodarstellung vor. Gewichtung Nachlassgestaltung Nachlassabwicklung Scheidungen Betreuungen Umsatz (Durchschnitt pro Geschäftsjahr) 120.000 € 560.000 € 1.100.000 € 60.000 € g b g b b g b b g b b g b Nachfragepotenzial 0,2 4 0,8 4 0,8 3 0,6 2 0,4 Umsatzpotenzial 0,2 3 0,6 4 0,8 4 0,8 2 0,4 Wettbewerbsdruck 0,4 2 0,8 5 2,0 1 0,4 4 1,6 Strategisches Potenzial 0,2 4 0,8 1 0,2 2 0,4 2 0,2 SUMME 1 3 3,8 2,2 2,6 Know-how/ Erfahrung 0,5 3 1,5 3 1,5 5 2,5 2 1,0 Bekanntheit im Markt 0,2 2 0,4 4 0,8 4 0,8 2 0,4 Cross-Selling- Potenzial 0,3 4 1,2 2 0,6 2 0,6 2 0,6 SUMME 1 3,1 2,9 3,9 2,0 Tab. 9: Aggregation einzelner Kriterienbewertungen bei der Portfolio-Analyse (Fallbeispiel) <?page no="148"?> 148 Strategisches Kanzleimarketing Abb. 33: Ausgewählte Geschäftsfelder einer familien- und erbrechtlich ausgerichteten Kanzlei (Fallbeispiel) Schritt 5 Das entstandene Portfolio bildet eine gute Grundlage zur Ableitung von strategischen Handlungsempfehlungen. Welche Dienstleistungen sollten künftig stärker angeboten werden? Welche Bereiche sind perspektivisch weniger attraktiv? Wo könnte das Geschäft durch Kooperationen oder Zukäufe noch ausgedehnt werden, welche Dienste sind unter Umständen gänzlich einzustellen? Das Portfolio gibt zahlreiche Impulse zur Beantwortung dieser wichtigen Fragen. Dabei ist zu beachten, dass es keineswegs sinnvoll ist, sich nur auf Bereiche zu konzentrieren, die von hoher Marktattraktivität gekennzeichnet sind, die Grundidee ist vielmehr, ein ausgewogenes Dienstleistungsangebot zu haben, denn Dienstleistungen mit geringer Marktattraktivität bei gleichzeitig guter Wettbewerbsposition können durchaus gewinnträchtig sein und zur Finanzierung anderer Bereiche beitragen. Beispiel Anhand des Dienstleistungsportfolios der Kanzlei wird ersichtlich, dass vor allem der Bereich der Nachlassabwicklung zukunftsträchtig sein könnte. Es handelt sich hier offensichtlich um ein Geschäftsfeld, dem die Entscheider sehr gute Marktperspektiven zumessen. Der Anteil von Nachlassabwicklungen am Kanzleiumsatz ist bereits hoch. Es sollte weiter investiert werden, um die eigene Wettbewerbsposition noch auszubauen. Auch die Nachlassgestaltung ist aussichtsreich, der Umsatzanteil dieses Bereichs ist noch klein. Hier wäre zu entscheiden, ob der Bereich weiter ausgebaut wird und wie dies geleistet werden könnte. Ganz offensichtlich hat die Kanzlei ihren momentanen Umsatzschwerpunkt bei Scheidungsfällen. Die relative Wettbewerbsposition im Markt ist gut, relative Wettbewerbsposition hoch niedrig niedrig hoch 5 5 3 1 1 3 2 4 4 2 Scheidungen Betreuung Nachlassabwicklung Marktattraktivität Nachlassgestaltung <?page no="149"?> Ziele und Budget 149 die Kanzlei hat bereits viel Know-how in diesem Feld aufgebaut. Allerdings sind die Zukunftsperspektiven nach Ansicht der Beteiligten nicht allzu gut, so dass zu empfehlen ist, diesen Bereich weiter zu bearbeiten, jedoch wenig zu investieren. Es empfiehlt sich eine eher opportunistische Bedienung entsprechender Mandate, um finanzielle Mittel für den Ausbau der aussichtsreicheren Geschäftsfelder einzusammeln. Bei Betreuungsfällen hat die Kanzlei eine eher schlechte Wettbewerbsposition, der Umsatzanteil ist ebenfalls klein. Es fragt sich, ob Mandate in diesem Feld künftig überhaupt angenommen werden sollten oder ob es nicht besser wäre, sich auf andere Bereiche zu konzentrieren. Die Portfoliodarstellung ist eingängig, regt die Kommunikation an, führt zu groben Handlungsempfehlungen und ist daher eine beliebte Grundlage jedes Strategieprojekts. Natürlich hat sie aber auch Nachteile, die vor allem damit zusammenhängen, dass diese Form der Illustration die strategischen Entscheidungsgrößen auf zwei Dimensionen reduziert: Marktattraktivität und Relative Wettbewerbsposition sind die alleinigen Parameter, die die Strategie ausmachen. Allerdings kommt diese Kritik nur untergeordnet zum Tragen, weil bei dem vorgestellten Vorgehen beide Dimensionen durch Teilkriterien spezifiziert werden. Im Endeffekt handelt es sich daher um ein Konzept, dass viele Aspekte mit aufnehmen kann. Natürlich ist auch eine Bewertung anhand einer Punkteskala, wie hier mit Punkten von 1 bis 5, sowie die Festlegung von Gewichtungen mit Prozentwerten rein subjektiv und unsicherheitsbehaftet. Letztlich ist der Subjektivitätsvorwurf aber jeder Form der Bewertung nicht messbarer Größen entgegenzuhalten und daher nicht gänzlich zu umgehen. Aus guten Gründen hat sich daher die Portfolio-Analyse neben der SWOT- Analyse ( S. 44) als Instrument der strategischen Situationsanalyse bewährt. 4.4 Ziele und Budget 4.4.1 Vision, Mission und Zielsetzung „Wer nicht weiß, wohin er will, darf sich nicht wundern, wenn er ganz woanders ankommt“ wusste schon Mark Twain. Nichts anderes gilt für das Marketing von Rechtsdienstleistungen. Die Definition der „richtigen“ Ziele ist ein bedeutsamer Erfolgsfaktor im strategischen Marketing. Um zu sinnvollen Zielsetzungen für das Marketing zu kommen, lohnt es sich, zunächst einen Planungsschritt zurückzugehen. Jedes Marketingziel in einem konkreten Marketingplan sollte im Einklang mit der übergeordneten, langfristigen Kanzleiausrichtung, dem sogenannten (Kanzlei-)Leitbild, stehen (vgl. Kotler / Armstrong / Saunders / Wong 2007, S. 89). Es beinhaltet Informationen darüber, für was die Kanzlei steht, was sie langfristig erreichen möchte und wie. Unberechtigterweise stehen Leitbilder in dem Ruf, hübsch formulierte Glaubenssätze zu sein, die sich gut auf der Internetseite machen, intern allerdings wenig bewirken. Im wirtschaftlichen Umfeld ist jedoch unumstritten, dass Unternehmen mit einer klar definierten Langfristperspektive erfolgreicher sind. Das Leitbild bildet den notwendigen Oberbau für alle betriebswirtschaftlichen Entscheidungen. Als Anwalt trägt man nicht nur durch juristische Tätigkeit zur operativen Kanzleientwicklung bei, sondern man sollte auch eine Vorstellung darüber haben, wo die Kanzlei in fünf oder zehn Jahren stehen soll. <?page no="150"?> 150 Strategisches Kanzleimarketing Damit die Vorstellungen nicht auseinanderlaufen, sollte als wichtiger Bestandteil eines Leitbildes eine Vision definiert werden, die als Richtschnur für alle Mitarbeiter und Führungskräfte dient. Die Vision kennzeichnet den Idealzustand der Kanzlei in der fernen Zukunft. Erfolgreiche Entrepreneure haben zu allen Zeiten eine Vision ihres Handelns im Kopf gehabt und diese konsequent verfolgt: Steve Jobs, Richard Branson oder Gottlieb Daimler sind Beispiele von Unternehmern, die eine sehr genaue Vision hatten und diese mit großer Beharrlichkeit verfolgt haben. Gerade die Auftritte von Steve Jobs bei Unternehmensversammlungen und Pressekonferenzen zeigen darüber hinaus, dass verständliche, emotionale und glaubwürdige Kommunikation der eigenen Vision auf Mitarbeiter und die Öffentlichkeit geradezu aphrodisierend wirken kann. Neben einer Koordinationsfunktion erfüllt die Kanzleivision insbesondere intern erhebliche Motivationsfunktionen. Grundvoraussetzungen dafür sind allerdings, dass die Vision in einfacher Sprache und ohne „Worthülsen“ (wie z. B. „ganzheitlich“, „nachhaltig“, „synergetisch“) formuliert wird, ambitioniert, aber dennoch realistisch ist, möglichst in einem Satz umrissen werden kann. Neben rein betriebswirtschaftlichen Aspekten umfasst die Vision meist auch eher ideelle Gesichtspunkte. Eine Zukunftsperspektive, die rein um Gewinnmaximierung und Mandantengewinnung kreist, hat nur wenig Attraktivitätspotenzial und lässt das entscheidende „Warum“ hinter jedem unternehmerischen Handeln offen. So lautet die Vision von IKEA frei übersetzt beispielsweise: „Ein besserer Alltag für viele Menschen“ ( http: / / www.ikea.com). Das mag etwas unbestimmt klingen, doch wird die Vision bei IKEA in handfeste Kriterien übersetzt, nach denen jede Innovation und jede Aktivität beurteilt wird. „Grundlage für das IKEA Konzept ist die Idee, dass wir ein Sortiment von Einrichtiungsprodukten anbieten, das für viele Menschen erschwinglich ist, nicht nur für ein paar. Das gelingt uns, in dem wir Funktion, Qualität, Design und Mehrwert miteinander kombinieren - und dabei stets auf Nachhaltigkeit achten.“ ( http: / / www.ikea.com). So wird die Vision konsequent im Unternehmensalltag verankert. Abgeleitet aus der Vision entsteht die Mission, die beschreibt, wie genau die Kanzleivision erreicht werden soll (Kreutzer 2013, S. 137). Während die Vision also eher ein langfristiges Kanzleiziel definiert, informiert die Mission über den Kanzleizweck. Im Vergleich zur Vision ist diese Botschaft eher an die Öffentlichkeit und an potenzielle Mandanten gerichtet und beinhaltet Handlungsweisen, Grundsätze und Angebotsfokus. Nicht Bestandteil der Mission sollten hingegen Selbstverständlichkeiten sein, die ohnehin gemeinhin von einer Anwaltskanzlei erwartet werden wie eine „mandantenorientierte Arbeitsweise“ oder „aktuelles juristisches Fachwissen“. Im Sinne einer markanten Profilbildung ist es auch nicht empfehlenswert, sich durch Formulierungen wie: „Wir sind kompetenter Ansprechpartner bei allen juristischen Fragen“ quasi alle Türen offen zu halten. „Die meisten Aussagen zur Mission sind nutzlos“ sagte der bekannte amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Russell Ackhoff schon 1987 (vgl. Ackhoff 1987), weil von ihnen keinerlei Steuerungsfunktion ausgeht. Brauchbare Missionen leiten sich aus der Vision ab, haben so indirekt Auswirkungen auf die Organisationsziele und umschreiben plakativ, verständlich und direkt, was die Kanzlei leisten soll. Aussagen zu Vision und Mission finden sich nicht durchgängig auf den Webseiten von Anwaltskanzleien. Größtenteils sind entsprechende Informationen mit anderen Über- <?page no="151"?> Ziele und Budget 151 schriften versehen (z. B. „Philosophie“, „Wie wir arbeiten“), vielfach fehlen Aussagen zu den Langfristzielen. Frei nach dem Motto „Wir machen was mit Jura“ bleiben viele Strategieaussagen im Unverbindlichen stecken. Die folgenden Beispiele geben einen Eindruck, wie überaus heterogen hinsichtlich Inhalt und Detaillierungsgrad die Mission Statements einiger Anwaltskanzleien abgefasst sein können ( Tab. 10). Kanzlei Mission JPR Rechtsanwälte http: / / www.jpr-rechtsanwaelte.de „Eigenwillig professionell - so nennen wir unser Konzept.“ Frings III & Mansfeld http: / / www.frings-mansfeld.de „Wir sind bestrebt, dem Bürger die Schwellenangst vor dem Betreten einer Anwaltskanzlei und die Angst vor unkalkulierbaren Kosten zu nehmen.“ anchor Rechtsanwälte http: / / www.anchor.eu „Die Partnerschaft anchor Rechtsanwälte ist ein Hybrid zwischen Anwaltskanzlei und Unternehmensberatung. Wir sind auf das Insolvenzrecht - unterteilt in die beiden Bereiche Insolvenzverwaltung und Insolvenzberatung - spezialisiert.“ Zbick Rechtsanwälte http: / / www.zbick.de „Ihr Erfolg ist unsere Mission.“ RA M. Gottschalk, MBA http: / / www.pgraphix.de/ gottschalk/ „Bridging the Media Industry, the Artist and the Law is our Mission.“ Cramer, Deichstätter, Vogel Rechtsanwälte http: / / www.cdv-law.eu Durch unsere Spezialisierung und Erfahrung verfügen wir über den notwendigen zeitlichen Spielraum, um uns Ihrer Anliegen umfassend annehmen zu können. Wir hören gut zu und speisen Sie nicht mit oberflächlichen Routineberatungen ab. Mit kreativen Ideen - auch über die rein juristischen Fragen hinaus - finden wir Lösungen für unsere Mandanten. De Kempenaer http: / / www.dekempenaer.nl „De Kempenaer bietet juristische Dienstleistungen in verschiedenen Rechtsbereichen. Unsere Rechtsanwälte arbeiten in Abteilungen und fachübergreifenden Kanzleien zusammen. Auf diese Weise kann sich das Wissen in jedem Rechtsbereich, in jeder Abteilung und jeder erdenklichen Branche weiterentwickeln.“ Tab. 10: Mission Statements von Anwaltskanzleien (Beispiele) Mission und Vision bilden den Rahmen für die strategischen Marketingziele. Nahezu jede Kanzlei hat fixierte Umsatzziele für eine bestimmte Planungsperiode sowie Kostenziele, die den internen Ressourceneinsatz betreffen. Weitere Ziele eher ökonomischer Natur betreffen die Anzahl der Mandate. Gerade für Junganwälte kann es erstrebenswert sein, eine bestimmte Zahl von Mandaten aus einem bestimmten Rechtsgebiet zu gewinnen, um spezifische Erfahrung aufzubauen. Für Partner, die Anteile halten, ist die Rendite, also das Verhältnis von Gewinn zum eingesetzten Kapital, höchst relevant. <?page no="152"?> 152 Strategisches Kanzleimarketing Typischerweise spielen im Marketing aber nicht nur ökonomische Zielgrößen eine Rolle. Faktoren wie Mandantenzufriedenheit, Bekanntheit der Kanzlei, die Anzahl abgebrochener Mandate oder die Beschwerdehäufigkeit sind ebenfalls entscheidend für den Markterfolg. Eine alleinige Orientierung an ökonomischen Kennzahlen wie z. B. am Umsatz oder Gewinn würde dazu führen, dass Probleme beim Marktauftritt viel zu spät sichtbar werden. Wenn aber rechtzeitig erkannt wird, dass sich etwa Beschwerden häufen oder die Mandantenzufriedenheit sinkt, kann ein Umsatzeinbruch möglicherweise noch verhindert werden. Deshalb ist es wichtig, nicht nur ökonomische, sondern auch vorökonomische Marketingziele zu definieren, die als Frühwarnindikatoren dienen können ( Tab. 11). ökonomische Marketingziele vor- und außerökonomische Marketingziele Umsatz Mandantenzufriedenheit bzw. Beschwerdehäufigkeit Anzahl Mandate Dauer der Mandantenbeziehung Kosten Bekanntheit Gewinn Anzahl der Kontakte/ Anfragen Rendite (Verhältnis von Gewinn und eingesetztem Kapital) Anzahl bzw. Anteil Folgemandate Marktanteil Anzahl abgebrochener Mandate ... ... Tab. 11: Beispielhafte Marketingziele im Rechtsberatungsmarkt Allerdings reicht es praktisch nicht aus, einfach Ziele aus dem ökonomischen und vorökonomischen Umfeld auszusuchen, die gut zu passen scheinen. Damit sie praktisch einsetzbar sind, müssen Ziele bestimmte Anforderungen erfüllen. Vor allem müssen sie operationalisiert sein, d. h. jedes Ziel muss hinsichtlich Zielinhalt, Zielausmaß, zeitlichem und räumlichen Bezug hinreichend konkret definiert sein. Das Ziel, den Marktauftritt zu verbessern, ist beispielsweise nicht genügend operationalisiert. Es fehlt eine Definition, was das konkret bedeutet, in welchem Maße und in welchem Zeitraum Zielerfüllung angestrebt wird. Das Ziel, den inländischen Umsatz der Kanzlei in einem Jahr um 10 % zu steigern, würde den Anforderungen dagegen entsprechen. Nur wenn ein Ziel inhaltlich, zeitlich und quantitativ präzise formuliert ist, können Ziele ihre Funktion erfüllen. Sehr häufig wird im Zusammenhang der Operationalisierung auch die Forderung aufgestellt, Ziele müssten SMART sein (vgl. Kreutzer 2013, S. 136). Das Akronym SMART steht dabei für die Eigenschaften: S pezifisch M essbar A kzeptiert R ealisierbar T erminiert Neben der Operationalisierung ist die Hierarchisierung eine wichtige Voraussetzung, damit Ziele wirklich etwas bewirken können. D. h., dass jedes Marketingziel so weit <?page no="153"?> Ziele und Budget 153 heruntergebrochen werden muss, dass jede organisatorische Einheit und jeder Stelleninhaber in der Kanzlei weiß, was zu tun ist. Ziele sind daher nie isoliert zu betrachten, sondern entfalten ihren Sinn nur in einem Zielsystem, bei dem die Ziele untergeordneter Einheiten die Ziele der darüber liegenden Einheit stützen. Um im Beispiel zu bleiben: Soll in der Kanzlei der Gesamtumsatz in einem Jahr um 10 % gesteigert werden, so ist im zweiten Schritt zu definieren, welchen Beitrag jedes Element der Organisation dazu leistet. Je nach Struktur der Kanzlei sind damit Subziele für unterschiedliche Büros an einzelnen Standorten, für verschiedene Kompetenzgruppen oder für definierte Branchengruppen festzulegen. Ausgehend von dieser Zielgliederung sind im nächsten Schritt Ziele auf Personenebene zu fixieren, die je nach Fachgebiet, Berufserfahrung, Position in der Kanzlei und persönlichen Kriterien variiert werden können. Die Definition von Umsatzzielen für Anwälte in der Kanzlei ist durchaus verbreitet, birgt aber die Gefahr, dass damit die Höhe der Kosten ausufert. In Wirtschaftskanzleien wird unter Partnern, die Anteile halten und damit auch den Ressourceneinsatz mit entscheiden, die Zielgröße des Profit per Partner (PPP) genutzt. Der PPP ist als Zielgröße nicht unumstritten, hat aber den Vorteil, dass er sich im Markt etabliert hat und daher auch Vergleichsinformationen von Wettbewerbern verfügbar sind (z. B. durch den JUVE Verlag) (siehe auch Tab. 3). Eine ausgefeilte Zielhierarchie ermöglicht ein effektives Durchsteuern, begrenzt aber persönliche Freiräume und kann demotivieren, gerade wenn Ziele nicht realistisch sind. Es empfiehlt sich daher, auf Basis eines Vorschlags einer Zielhierarchie individuelle Ziele nicht einfach bekannt zu geben, sondern zu verhandeln. Dieses Konzept der Zielvereinbarung (Management by Objectives) hat sich in Unternehmen als partizipatives Personalführungsinstrument gegenüber der einseitigen Zielfestlegung seit Langem bewährt (vgl. Paul 2007, S. 381). Gleichwohl gilt natürlich, dass auch im Dialog entstandene Ziele in der Summe ermöglichen müssen, dass das Gesamtziel des Unternehmens erreicht werden kann. Gleiches gilt für Ziele, die mit Standortverantwortlichen oder Teamleitern erarbeitet wurden. Marketingziele richtig zu definieren, ist nicht trivial und verlangt die Berücksichtigung vieler Aspekte. Was in der Theorie relativ simpel klingt, macht praktisch oft große Schwierigkeiten. Eine Studie aus dem Jahr 2010 unter 700 Mitarbeitern deutscher Unternehmen offenbarte, dass nur 27 % der Arbeitnehmer und 52 % der Führungskräfte spontan ihre Ziele nennen können (vgl. Saaman AG 2010). Auf die Frage, was denn eigentlich passieren würde, wenn gar keine Ziele definiert würden, antworteten 30 % der Führungskräfte: „Nichts“. „Management by Farce“ nannte der Spiegel denn auch passenderweise den Zielbildungsprozess in vielen Unternehmen (vgl. Endres 2011). Nicht anders, eher schlimmer, sieht es in vielen deutschen Anwaltskanzleien aus. Die Festlegung von Zielen und damit eine konsequente Orientierung an Effizienz und Effektivität scheint hier teilweise sogar als kontraproduktiv erachtet zu werden, wird doch damit die juristische Gründlichkeit vermeintlich unterwandert. Ein systematischer Zielvereinbarungsprozess findet daher in Anwaltskanzleien bislang nur teilweise statt. Neben einem Herunterbrechen von Marketingzielen auf organisatorische Einheiten und Berufsträger bietet es sich gerade für Wirtschaftskanzleien mit längerfristigen Mandantenbeziehungen an, Ziele in Bezug auf einzelne Mandanten zu formulieren. Diese zusätzliche Perspektive zwingt dazu, zu Beginn einer Planungsperiode <?page no="154"?> 154 Strategisches Kanzleimarketing realistisch zu durchdenken, in welcher Höhe Umsatz durch laufende Mandate sowie durch Cross- und Upselling wahrscheinlich ist. Natürlich lohnt sich dieses Vorgehen nur für besonders bedeutende Mandanten, die sogenannten Key Accounts, denn der Planungsaufwand wäre sonst zu hoch. Für diese Fälle bietet ein bis zur Zielvorgabe detaillierter Mandantenentwicklungsplan ( Kap. 4.5.4.3) einen guten Orientierungsrahmen, denn er deckt auf, wo möglicherweise noch unerkanntes Vertriebspotenzial liegen könnte und erlaubt im Rückblick Aussagen darüber, bei welchem Mandanten eventuell eine engere Betreuung erfolgen sollte. Für Kanzleien, die primär kleinere Mandanten betreuen, können Mandantenziele in ähnlicher Form für Kundengruppen (z. B. Branchen) definiert werden. 4.4.2 Budgetfestlegung Eng mit dem Thema der Zielsetzung verknüpft ist die Festlegung des notwendigen Budgets für die jeweilige Planungsperiode. Die dafür zur Verfügung stehenden Methoden sind simpler als gemeinhin vermutet, denn ein gesichertes Verfahren zur Festlegung des „richtigen“ Budgets existiert nicht. Im akademischen Umfeld existieren zwar Modelle der Budgetfestlegung, die unter Berücksichtigung zahlreicher Prämissen die Kalkulation eines Optimalbudgets erlauben, diese haben jedoch eher theoretischen Wert. Die Realität ist durch die Anwendung von Faustregeln gekennzeichnet, die keinerlei Garantie für eine wirtschaftlich sinnvolle Festlegung mitbringen. Gängige Praxismethoden zur Definition des Marketingbudgets sind: Orientierung am Wettbewerb Das Budget wird auf Basis eines Vergleichs mit Konkurrenten festgelegt. Voraussetzung ist, dass Informationen über Konkurrenzbudgets überhaupt vorliegen. Je nach Kanzleiausrichtung und -zielen kann ein prozentualer Abschlag oder Zuschlag berücksichtigt werden. Das Hauptproblem dieses Vorgehens liegt darin, dass durch eine ausschließliche Orientierung am Wettbewerber keine Möglichkeit bleibt, sich am Markt deutlich abzuheben. Man schwimmt in der Masse mit, sticht jedoch nicht heraus. Orientierung an Vergangenheitswerten Wenn Strategien und Ziele über einen längeren Zeitraum nur wenig Veränderung erfahren, liegt es nahe, Budgetvorgaben einfach zu übernehmen. Vorteilhaft ist dabei eine gewisse Kontinuität, es besteht jedoch die Gefahr, dass Versäumnisse der Vergangenheit auf diese Weise auch in die Zukunft fortgeschrieben werden. Orientierung an Umsatz oder Gewinn Sehr verbreitet ist das Vorgehen, Marketingbudgets als Prozentsatz von Kanzleiumsatz oder -gewinn zu definieren. Der vorgegebene Anteil bleibt dann über verschiedene Planungsperioden weitgehend stabil, die absolute Höhe des Budgets ändert sich. Und da genau liegt das Problem, denn es kann unter Umständen im Zeitverlauf zu erheblichen Budgetschwankungen kommen. Die Planbarkeit wird so erheblich erschwert, Kontinuität kann nicht gewährleistet werden. Einmal begonnene Marketingmaßnahmen, z. B. eine groß angelegte Werbekampagne, können im schlimmsten Fall nicht mehr fortgeführt werden. Hinzu kommt, dass die feste Relation zu Umsatz oder Gewinn dazu führt, dass in wirtschaftlich angespannten Zeiten das Marketingbudget noch reduziert wird. Logisch wäre das Gegenteil, also antizyklisch zu investieren und finanzielle Einbußen durch verstärkte Marketinganstrengungen auszugleichen. <?page no="155"?> Ziele und Budget 155 „All-you-can-afford“-Methode Nicht verplante Kanzleiüberschüsse am Ende der Planungsperiode bilden das Marketingbudget der Folgeperiode. Diese Methode ist einfach, führt jedoch zu keinerlei Stetigkeit in der Marketingplanung. Mit Ausnahme von gerade neu eröffneten Kanzleien, die in der ersten Zeit manchmal kein festes Budget bereitstellen können, bietet sich diese Vorgehensweise nicht an. Im Endeffekt kann keine der genannten Praxismethoden vollkommen zufrieden stellen. Zwar sind alle Verfahren relativ simpel in der Anwendung, aber es fehlt die Rationalität: Welcher Zusammenhang besteht z. B. zwischen dem fixierten Marketingbudget und dem Umsatz der Kanzlei oder den Festlegungen des Konkurrenten? Die einzig zielführende Methode liegt daher darin, ein an den Marketingzielen orientiertes Budget festzulegen. Da zu Beginn des Marketingplanungsprozesses noch keine Detailmaßnahmen definiert sind, kann dies zunächst nur überschlagsweise erfolgen. Soll also beispielsweise laut Zielvorgabe der Kanzleiumsatz um 10 % gesteigert werden, so wäre zunächst grob zu kalkulieren, welcher Zusatzaufwand im Marketing dafür notwendig ist. In der Regel bestehen Erfahrungswerte; da die Marketingziele wie dargestellt aber auch bis auf einzelne Berufsträger heruntergebrochen werden sollen, sollten vor allem die mit der Umsetzung betrauten Mitarbeiter um begründete Einschätzungen gebeten werden, welches Budget individuell zur Erreichung der Zielvorgaben benötigt wird. Die Rückmeldungen werden sodann aggregiert und es ergibt sich ein erster Vorschlag für ein Marketingbudget. Diese Vorgehensweise der Gewinnung von planungsrelevanten Informationen direkt bei den Verantwortlichen an der Basis nennt man Bottom-up-Verfahren. Um nun aber auch die Vorstellungen der Kanzleiinhaber bzw. des Topmanagements mit einfließen zu lassen, sollte in einem Folgeschritt ein Korrekturlauf erfolgen, indem der Budgetvorschlag zentral mit Vergangenheitswerten und Informationen zu Marketingbudgets der Konkurrenz abgeglichen wird (Top-down-Verfahren). Dies erfolgt zentral auf oberster Ebene, kann zu Korrekturen führen und Verhandlungsprozesse auslösen. Nach einer definierten Zahl von Diskussionsschleifen ergibt sich das für die jeweilige Planungsperiode maßgebliche Budget, wobei sowohl die direkt Verantwortlichen als auch das oberste Management im Wege eines kombinierten Top-down-bottom-up-Vorgehens (man spricht auch vom Gegenstromverfahren) mit eingebunden waren (vgl. Schierenbeck / Wöhle 2012, S. 148 f.). Die Festlegung des Budgets ist dadurch zeitaufwändiger als wenn einfach eine zentrale Vorgabe erfolgen würde, jedoch auch viel akzeptierter und meist mehr an den Realitäten orientiert. Zudem werden sowohl die sich aus den Marketingzielen ergebenden Notwendigkeiten als auch die praxisorientierten Faustformeln berücksichtigt ( Abb. 34). <?page no="156"?> 156 Strategisches Kanzleimarketing Abb. 34: Ablauf des Gegenstromverfahrens bei der Budgetierung Wirtschaftswissenschaftliche Konzepte, die Sie kennen sollten! Gegenstromverfahren Traditionell ging die Planung in Unternehmen sehr stark von der Führungsspitze aus. Noch in der Mitte des letzten Jahrhunderts dominierte der eher autoritäre Führungsstil, der von der Vorstellung ausging, Aufgabe der Unternehmensleitung sei es vor allem, genau definierte Vorgaben für die an sich „planlosen“ Mitarbeiter zu entwickeln. Gestützt wurden diese Annahmen durch die damals vorherrschenden, frühen Managementtheorien, die gute Führung vor allem als die Leistung besonders befähigter Persönlichkeiten sah, die entweder angeborene oder erlernte Eigenschaften mitbrachten, die sie von anderen unterschieden. Dementsprechend stellte man sich auch rationale Planung größtenteils so vor, dass die oberste Führungsebene Planungsergebnisse entwickelte und diese lediglich verkündete. Informationsflüsse verliefen einseitig von oben nach unten, weshalb sich in der Literatur der Begriff der „Top-down-Planung“ eingebürgert hat. Synonym wird oft auch von retrograder Planung gesprochen. Prämissen Zielvorgaben Budgetbedarf situative Rahmenbedingungen 4. Definiertes Budget ja nein nein 1a. Budgetplanung auf Führungsebene 1b. Budgetplanung auf der Umsetzungsebene 2. Konsolidierung/ Abgleich 3. Zielerreichung? <?page no="157"?> Ziele und Budget 157 Die Vorteile der retrograden Planung liegen auf der Hand: Plant die Führungsebene allein, werden schnell Ergebnisse erzielt, weil nicht so viele Beteiligte einzubinden sind. Man kann außerdem davon ausgehen, dass die Unternehmensleitung den vielleicht besten Überblick über alle Planungserfordernisse in der Organisation hat, so dass eine gute Koordination ermöglicht wird (vgl. Rieg 2008, S. 21). Allerdings werden die Probleme der Top-down-Planung häufig offenkundig, nachdem die Planungsergebnisse entwickelt wurden. Nicht selten verzögert und verkompliziert sich der Planungsprozess trotz schneller Planungsergebnisse doch noch, weil diese im Nachhinein aufgrund mangelnder Akzeptanz in Frage gestellt werden. Wenn Vorgaben als unrealistisch angesehen werden oder große Aversion aufgrund der Tatsache, nicht eingebunden zu sein, entsteht, gerät die Planung in Gefahr. Auf Basis dieser Überlegungen liegt es nahe, als Gegenentwurf zur retrograden Planung ein „Bottom-up“-Vorgehen (auch progressive Planung genannt) zu postulieren. Im Zuge eines Trends in Richtung eines partizipativen Führungsstils entwickelte sich das Konzept, Planung vor allem dort stattfinden zu lassen, wo die Menschen sitzen, die auch mit der Umsetzung der Planung befasst sind. Tatsächlich findet sich an diesen Stellen auch oft das operativ am stärksten vertretene Detailwissen. Im Gegensatz zur Top-down-Planung geht jedoch möglicherweise der Gesamtblick verloren und Budgets fallen tendenziell zu hoch aus. Mit dem in der Planung gebräuchlichen Gegenstromverfahren sollen die Vorteile von retrograder und progressiver Planung verbunden werden. Der Begriff stammt aus den Naturwissenschaften, wo das Gegenstromprinzip zwei aneinander vorbeilaufende Stoffströme bezeichnet. In Managementsituationen ist damit meist gemeint, dass zunächst eine Zielvorgabe der obersten Führungsebene erfolgt, die rahmensetzenden Charakter hat (top-down). Auf dieser Basis planen die operativen Einheiten dann die genaue Umsetzung (bottom-up) und spielen das Planungsergebnis zurück an die übergeordnete Hierarchieebene. Von dort aus erfolgt eine Rückmeldung sowie ggf. Korrektur, die erneute Planungsaktivitäten auslöst. Nach einer definierten Zahl von Überarbeitungen konvergiert das System zu einer akzeptierten Lösung. Alternativ kann das Gegenstromverfahren auch dadurch ausgelöst werden, dass zunächst die operativen Ebenen losgelöst von einer Vorgabe planen. Dieser Fall kommt praktisch aber nicht so häufig vor. Das Gegenstromverfahren wird nicht nur beim Management von Unternehmen, sondern auch in anderen Projektplanungssituationen in der Politik, der Volkswirtschaftslehre oder auch in den Erziehungswissenschaften mit langer Tradition angewendet. Es bietet sich immer dann an, wenn es gilt, die zentrale und dezentrale Perspektive zum Ausgleich zu bringen. Die Vorteile liegen in einer hohen Planungsgenauigkeit, hoher Akzeptanz der Planungsergebnisse bei gleichzeitigem Erhalt der Managementvorgaben. Nachteilig ist der Zeit- und Ressourcenaufwand des Planungsprozesses. Zudem ist das Vorgehen des Gegenstromverfahrens immer noch stark sequenziell geprägt, indem einzelne Schritte nacheinander abgearbeitet werden. In der aktuellen Forschung und Praxis rund um das Thema Projektmanagement liegen derzeit für komplexere Planungssituationen neuere Methoden wie z. B. Scrum oder Kanban im Trend. <?page no="158"?> 158 Strategisches Kanzleimarketing Das nach dem dargestellten Verfahren ermittelte Budget stellt eine Orientierung für die nachfolgenden Phasen der Marketingplanung dar. Es ist keinesfalls als unverrückbare Vorgabe zu verstehen, da ja die Detailplanung der Marketingmaßnahmen noch erfolgen muss. Demgemäß ist das definierte Budget in gewissen Grenzen noch in der Höhe korrigierbar, wenn sich zu einem späteren Zeitpunkt gute Gründe dafür ergeben sollten. Wie genau der Prozess einer solchen Anpassung dann aussieht, ist kanzleiindividuell festzulegen. Eine Möglichkeit ist beispielsweise, dass die Marketingverantwortlichen innerhalb gewisser Schwankungsbreiten Budgetüberschreitungen lediglich anzeigen, außerhalb dieser Grenzen durch die oberste Führungsebene genehmigen lassen müssen. 4.5 Strategien „Es gibt nicht zu viele Juristen. Es gibt allerdings zu viele Juristen ohne Profil“, meint Hariolf Wenzler, Chief Strategy Officer von Baker & McKenzie in Deutschland (vgl. Buchhorn 2013). Marketingstrategien dienen dazu, ein solches Profil zu entwickeln und sich vom Markt abzuheben. Intern liefern Strategien zudem einen Handlungsrahmen, damit alle operativen Marketingmaßnahmen koordiniert und zielgerichtet erfolgen. Die Grundfrage der strategischen Planung lautet: „Welche Dinge sind zu tun? “, während auf der operativen Ebene eher gefragt wird „Wie können die Dinge richtig gemacht werden? “ (vgl. Daum/ Petzold/ Pletke 2012, 106). Je nachdem welche Planungsaspekte in den Vordergrund gerückt werden, sind in diesem Zusammenhang mehrere strategische Entscheidungen zu treffen, die auf die folgenden Fragen abzielen: Wie wollen wir wachsen? Auf welchen Gebieten wollen wir tätig sein? Mit welchen Argumenten wollen wir am Markt erfolgreich sein? Welche Kundengruppen wollen wir adressieren? Diese Fragen sind bei einer strategischen Planung allesamt zu durchdenken und festzulegen. Es ergeben sich unterschiedliche, marktbezogene strategische Teilbereiche, die als Marktfeld-, Marktareal-, Marktstimulierungs- und Marktparzellierungsstrategien bezeichnet werden. 4.5.1 Marktfeldstrategien: Expansionsrichtungen ausloten In jedem Markt, der sich dynamisch entwickelt, gilt: Stagnation ist Rückschritt. Einfach nur überleben zu wollen, ist keine vernünftige Strategie, denn unter der Prämisse eines fortschreitenden Wettbewerbs fällt man dann zurück. Eine wesentliche Frage der Strategieentwicklung ist also, wie eine weitere Expansion ermöglicht werden kann. Ein nützlicher Denkrahmen, der die verschiedenen Optionen strukturiert, ist die sogenannte Produkt-Markt-Matrix, die nach ihrem Erfinder auch Ansoff-Matrix genannt wird (vgl. Ansoff 1966, S. 130 ff.). Demnach ergeben sich für Unternehmen bzw. Kanzleien vier prinzipielle Wachstumsmöglichkeiten in Abhängigkeit davon, ob neue oder bewährte („alte“) Produkte/ Dienstleistungen in neuen oder bekannten Märkten angeboten werden sollen. <?page no="159"?> Strategien 159 Märkte gegenwärtig neu Produkte / Dienste gegenwärtig Marktdurchdringung Marktentwicklung neu Produktentwicklung Diversifikation Abb. 35: Marktfeldstrategien nach der Ansoff-Matrix Folgende Expansionsstrategien kommen in Betracht: Marktdurchdringung Es wird weder das Angebot ausgeweitet noch eine neue Mandantengruppe adressiert. Expansion wird vielmehr durch eine Intensivierung der Marketingbemühungen in Bereichen außerhalb des Leistungsangebots erreicht, z. B. durch Veränderungen der Honorarstruktur, verstärkte Werbung oder Neueinstellung von Anwälten in angestammten Gebieten. Marktdurchdringung ist eine häufig anzutreffende Strategie von spezialisierten Kanzleien, die innerhalb ihres fest umrissenen Dienstleistungsradius mehr Umsatz erzielen möchten. Ein prominentes Beispiel für Marktdurchdringung liefert Rechtsanwalt Helmut Naujoks aus Düsseldorf ( http: / / www.anwaltskanzlei-naujoks.de), der sich aus Überzeugung ausschließlich auf die Vertretung von Arbeitgeberinteressen im Arbeitsrecht spezialisiert hat. Er ist genau genommen spezialisiert auf die Kündigung eigentlich unkündbarer Mitarbeiter (Schwangere, Behinderte, Betriebsräte) (vgl. Esser, Schröder 2012). Naujoks arbeitet sehr fokussiert, eine Expansion durch Hinzunahme anderer Dienste oder Mandantengruppen liegt ganz offensichtlich nicht im Fokus. Die bundesweite Medienpräsenz des „Rausschmeißers“ (Ritzer 2010) ist allerdings enorm. Über den ethischen Wert dieses Marktauftritts kann man sicher streiten, im Sinne einer konsequenten Strategie der Marktdurchdringung ist er jedoch durchaus erfolgversprechend. Produktentwicklung Bei der Produktentwicklung wird das Leistungsprogramm um neue, für die bestehende Mandantenzielgruppe interessante Dienste ergänzt. Der Markt bleibt gleich, das Angebot weitet sich aus. Diese Möglichkeit der Expansion bietet sich an, wenn eine Kanzlei sich vorrangig als Zielgruppenspezialist ( S. 129) versteht. <?page no="160"?> 160 Strategisches Kanzleimarketing Ein Beispiel für Produktentwicklung bietet der Böblinger Rechtsanwalt Wolfgang Kunz, der sich als Spezialist für juristische Belange von Unternehmern versteht ( http: / / www.unternehmer-anwalt.de). Selbst mit praktischer Erfahrung im Management ausgestattet, vertritt er vor allem Mittelständler bei wirtschaftsrechtlichen Konflikten. Aufgrund der tiefgehenden Kenntnis seiner Zielgruppe weiß Kunz um deren Rechtsprobleme und hat sein Dienstleistungsprogramm um den Bereich des Familienrechts (Scheidung, Erbschafts- und Sorgerechtsstreitigkeiten) erweitert. Für weitere Spezialbelange von Unternehmern arbeitet er mit Kooperationspartnern zusammen. Marktentwicklung Marktentwicklung bedeutet, dass bereits eingeführte Dienste in nahezu identischer Form künftig einer neuen Zielgruppe angeboten werden. Am Angebot ändert sich bis auf kleinere Adaptionen wenig bis gar nichts, Expansion findet vornehmlich aufgrund der Gewinnung neuer Mandanten statt. Das Wachstum kann sowohl durch neue Mandantentypen (z. B. wenn ein Anwalt, der bisher auf arbeitsrechtliche Fälle für kleinere Unternehmen spezialisiert war, nun auch arbeitsrechtliche Streitigkeiten von privaten Mandanten bearbeitet) als auch durch geografisches Wachstum zustande kommen. Ein Beispiel: Anfang 2013 eröffnete die auf Mittelständler spezialisierte Kanzlei Dr. Bugla neben ihrem Stammsitz in Oberhausen eine zusätzliche Niederlassung in Düsseldorf ( http: / / www.bugla-anwaelte.de). Laut Unternehmenshomepage bietet die Kanzlei am neuen Standort „alle Leistungen, die Sie aus Oberhausen gewohnt sind - nur mit kürzerer Anfahrt für unsere Düsseldorfer Kunden“. Es geht also darum, am neuen Standort bessere Möglichkeiten zu haben, Mandanten aus einem bestimmten geographischen Raum (Düsseldorf) besser bedienen und akquirieren zu können. Diversifikation Von Diversifikation wird gesprochen, wenn sowohl die angebotene Dienstleistung als auch der Markt neu sind. Eine Diversifikation ist meist mit hohen Risiken behaftet - aber oft auch mit ungeahnten Chancen, sofern damit wirklich eine Marktlücke adressiert wird. Häufig kommen Diversifikationen aber nicht aufgrund systematischer Strategieüberlegungen zustande, sondern aufgrund von Sachzwängen. In solchen Fällen ist der Erfolg der Strategie zweifelhaft. Beispiele für Diversifikationen finden sich bei Rechtsanwälten und Kanzleien recht häufig. Anwalt Martin Möller bietet beispielsweise nicht nur Rechtsdienstleistungen an, sondern ist auch als Dolmetscher und Schuldnerberater tätig ( http: / / www.rechtsanwalt-martin-moeller.de). Alle Gebiete stellen gänzlich unterschiedliche Dienstleistungen dar, mit denen verschiedene Zielgruppen adressiert werden. Eine erfolgversprechende Festlegung der Expansionsstrategie bedeutet keineswegs, dass eine klare Entscheidung für eine einzige der vorgestellten Optionen vonnöten wäre. Eine gute Strategie kann auch eine Kombination sein. Viele erfolgreiche Unternehmen aus anderen Branchen nutzen beispielsweise sowohl Marktals auch Produktentwicklung parallel, um vorn am Markt mitzuspielen. Apple ist so ein Paradebeispiel, aber auch Disney oder Starbucks bringen parallel immer neue Produkte für ihre Stammzielgruppe auf den Markt und erobern auch mit ihren bestehenden Produkten immer neue Zielmärkte. Allerdings handelt es sich bei diesen Beispielen auch um weltumspannende Konzerne mit reichlich Ressourcen. Die <?page no="161"?> Strategien 161 Verfolgung einer Expansionsstrategie kostet Zeit und Geld und das ist bei Anwaltskanzleien häufig nur in begrenztem Ausmaß vorhanden, so dass zumindest innerhalb einer Planungsperiode eine Schwerpunktsetzung ratsam ist. Es macht also durchaus Sinn, für eine Weile den Fokus relativ einseitig beispielsweise auf den Start einer neuen Dienstleistungssparte zu richten und erst dann eine räumliche Ausweitung anzugehen. Auf diese Weise kann dann zumindest in eine Richtung in einem festgelegten Zeitraum konsequent Wachstum betrieben werden. 4.5.2 Marktarealstrategien: Angebotsradius bestimmen Bestandteil jeder Strategieplanung ist die Entscheidung, in welchem Gebiet Anwalt bzw. Kanzlei tätig werden wollen. Der sogenannte Absatzraum ist zu definieren, also der geografische Radius, in welchem Dienstleistungen angeboten werden sollen. Prinzipiell bestehen folgende Optionen der strategischen Ausrichtung: Lokal / regional In diesem Fall bietet die Kanzlei ihre Dienste schwerpunktmäßig im unmittelbaren Standortumfeld an. D. h. keineswegs, dass nicht auch Mandate außerhalb des Kerngebiets bearbeitet werden, der Schwerpunkt ist aber räumlich begrenzter. Eine lokale/ regionale Ausrichtung ist typisch für viele kleinere Anwaltskanzleien, vor allem für Einzelanwälte, die aufgrund ihrer Kapazitäten nur einen begrenzten Markt bearbeiten können. Auch kleinere Wirtschaftskanzleien, die sich auf die Rundumbetreuung mittelständischer Unternehmen ausgerichtet haben, konzentrieren sich auf einen eingeschränkten geographischen Radius und können die für ihre Auftraggeber relevanten Dienste meist sehr viel günstiger anbieten als die großen, international ausgerichteten Sozietäten (vgl. Ewer 2014, S. 43). Natürlich bieten sich dann auch ganz andere Marketingmaßnahmen an, wie z. B. das Sponsoring lokaler Sportveranstaltungen, die Verteilung von Flyern oder lokale Veranstaltungen. Zuweilen steht hinter der regional orientierten Strategie eine besondere Gebietskenntnis oder auch innere Überzeugung. Ein gewisses Lokalkolorit wird auf diese Weise aus Alleinstellungsmerkmal genutzt. Rechtsanwältin und Sozialpädagogin Petra von Böhlen beispielsweise ist im Internet unter http: / / www.ruhrstadtanwalt.de erreichbar und lässt damit einen gewissen Regionalpatriotismus durchblicken. Ähnlich positioniert sich die Kanzlei Disli, die als einzige Rechtsanwaltskanzlei auf den Ostfriesischen Inseln ansässig ist ( http: / / www.kanzlei-disli.de/ anwalt-ostfriesische-inseln.php). „Unsere Anwälte für die Ostfriesischen Inseln kennen die Probleme der Insulaner“ wirbt die Kanzlei auf der eigenen Homepage und unterstreicht damit den lokalen/ regionalen Marketingfokus. Viele andere Kanzleien adressieren einen lokal oder regional begrenzten Markt, stellen dies aber weniger offensiv heraus. Internetadressen wie http: / / www.anwalt-stuttgart.com oder http: / / www.steuerrecht-koeln.de sind Beispiele in diesem Zusammenhang. National Eine nationale Strategie richtet sich auf den inländischen Markt. Ein rein deutscher Fokus ist eher ungewöhnlich in einer Zeit, in der Globalisierung und World Wide Web in aller Munde sind. Sofern jedoch juristische und sprachliche Kompetenzen der Berufsträger auf den deutschen Markt ausgerichtet sind, kann eine nationale Strategie ein durchaus empfehlenswerter Weg sein. Obwohl die meisten Anwaltskanzleien im Außenauftritt angeben, national und international tätig zu sein, hat die Mehrzahl der inländischen Anwaltskanzleien eine „.de“-Adresse im Internet und keine englische Version der Webseite. Man kann <?page no="162"?> 162 Strategisches Kanzleimarketing davon ausgehen, dass ein Großteil der Anwaltschaft internationale Mandate daher eher opportunistisch bearbeitet, und nicht im Sinne einer strategischen Ausrichtung. Übernational Bei einer übernationalen Orientierung wird ein weltweiter Absatzraum zugrunde gelegt. Die großen Wirtschaftskanzleien arbeiten mehrheitlich auf der Grundlage einer übernationalen Strategie, sind mehrsprachig organisiert und verfügen über Niederlassungen im Ausland. Aber auch kleinere Kanzleien sehen sich zunehmend nicht nur auf den nationalen Raum beschränkt und kooperieren, um eine weltweite Marktabdeckung zu sichern. Die Grade übernationalen Engagements können sehr unterschiedlich sein. Die schwächste Form wäre die Bearbeitung von Mandaten mit grenzüberschreitenden Fragestellungen aus Deutschland heraus. Das dürfte die bei Weitem häufigste Form der Übernationalität kleiner und mittlerer Kanzleien sein. Eine wirkliche Präsenz in anderen Ländern ist jedoch nicht gegeben. Die nächste Stufe ist die übernationale Tätigkeit in Zusammenarbeit mit ausländischen Kooperationspartnern, die aber rechtlich und wirtschaftlich selbständig sind. Gerade kleineren Kanzleien steht meist nicht die Möglichkeit offen, eigene Standorte im Ausland zu eröffnen, so dass sich lockerere Formen der Kooperation anbieten. Grundlage der Kooperation bildet eine Absprache zwischen den Partnern, im engeren Sinn ein Vertrag. Dabei besteht die Möglichkeit, dass Beziehungen zu einzelnen ausländischen Partnerkanzleien gezielt gesucht und aufgebaut werden. Das ist aufwändig, hat aber den Vorteil, dass Partner genau selektiert werden können. Kooperationen mit „befreundeten“ Kanzleien bieten einen hohen Grad an Kontrolle über die Qualität der Dienstleistung und die Kompatibilität mit der eigenen Beratungsphilosophie bei gleichzeitig relativ hohem Abstimmungs- und Suchaufwand bei der Gewinnung neuer Partner. Insbesondere wenn aber ein Partner in einem sehr speziellen Auslandsmarkt gesucht wird, kann aber ein Partnering, das auf der Eigeninitiative der Partner beruht, die einzig sinnvolle Form einer übernationalen Strategie sein. In anderen Fällen bietet sich möglicherweise auch der Beitritt zu einem internationalen Anwaltsnetzwerk (z. B. Advogate, Eurojuris) an. Gemeinsames Ziel aller Netzwerke ist die wechselseitige Unterstützung der Mitglieder, um ein mögliches lückenloses Dienstleistungsspektrum anzubieten. Die Aufnahme ist häufig an die Erfüllung bestimmter Qualitätsstandards gekoppelt. Eine Übersicht über ausgewählte Kooperationsnetzwerke dieser Art findet sich in Anhang 5. Die stärkste Form der Verhaltenskoordination von nationalen und übernationalen Interessen stellt die Gründung oder der Kauf von Kanzleien im Ausland dar. Im Gegensatz zur vertraglichen Koordination findet eine Verhaltenskoordination dabei über Hierarchien statt, d. h. die interne Organisationsstruktur legt fest, wie eigenständig die ausländischen Dependancen arbeiten und inwieweit Vorgaben der Zentrale hingenommen werden müssen. Verschiedene Formen des übernationalen Engagements lassen sich weitergehend danach unterscheiden, in welchem Umfang ausländische Märkte angesprochen werden. Dabei ist eine binationale Strategie, bei der Rechtsprobleme zweier Länder (Inlandsmarkt und ein Auslandsmarkt) bearbeitet werden, von einer internationalen (mehrere Auslandsmärkte) und einer multinationalen Strategie (starke internationale Präsenz) zu unterscheiden ( Abb. 36). Die Entwicklung einer Kanzlei von einer binationalen Strategie ohne eine wie auch immer geartete Präsenz im Auslandsmarkt <?page no="163"?> Strategien 163 hin zu einer multinationalen Kanzlei mit eigenen Niederlassungen kann erfolgen, indem entweder zunächst die geographische oder aber die organisatorische Expansion vorangetrieben wird. Beide Entwicklungspfade haben Vor- und Nachteile: Während eine prioritäre geographische Ausweitung gerade bei starkem Wettbewerbsumfeld dafür sorgt, in Auslandsmärkten rasch Präsenz zu zeigen, besteht das Ziel des organisatorischen, übernationalen Wachstums darin, eher in weniger Märkten aktiv zu werden, dabei aber eine hohe Kontrolle zu behalten. Abb. 36: Formen übernationaler Marktabdeckung Ein Blick in die Praxis zeigt, dass es für jede Form des übernationalen Engagements Beispiele gibt. Die großen Wirtschaftskanzleien sind in der Regel international ausgerichtet und operieren größtenteils mit eigenen Niederlassungen. Demgegenüber arbeiten kleinere Kanzleien manchmal aufgrund spezieller Erfahrungen von Kanzleiangehörigen und Partnern international mit Vor-Ort- Präsenz. Es gibt aber auch Kanzleien, die eine binationale oder sogar internationale Ausrichtung ausschließlich mit Hilfe von Kooperationen oder Netzwerken bewerkstelligen. Mischformen sind möglich und kommen häufig vor. Die Wirtschaftskanzlei Noerr unterhält beispielsweise internationale Büros und arbeitet darüber hinaus mit Kooperationspartnern, um ihren Mandanten auch im Ausland eine vollständige Betreuung zusichern zu können ( http: / / www.noerr.com). CMS Hasche Sigle wiederum sichert die übernationale Präsenz durch unabhängige Kooperationspartner, die sich jedoch zum Zwecke einer besseren Koordination in der Interessenvereinigung CMS Legal zusammengeschlossen haben ( http: / / www.cmslegal.com). binational international multinational keine Auslandspräsenz Präsenz durch ausgewählte Kooperationspartner Präsenz durch Netzwerk Präsenz durch eigene Niederlassungen geographische Marktabdeckung organisatorische Marktabdeckung 1 2 Weg 1: organisatorische vor geographischer Entwicklung Weg 2: geographische vor organisatorischer Entwicklung <?page no="164"?> 164 Strategisches Kanzleimarketing 4.5.3 Marktstimulierungsstrategien: Wettbewerbsvorteil definieren Kern der Marktstimulierungsstrategie ist die Festlegung, mit welchem Wettbewerbsvorteil Anwalt bzw. Kanzlei am Markt auftreten wollen. Grundvoraussetzung erfolgreichen Marketings ist, dass der Anbieter etwas vorzuweisen hat, was ihn in den Augen der Mandanten von Konkurrenten unterscheidet. „Anders sein“ allein reicht allerdings nicht. Gleich mehrere Bedingungen müssen erfüllt sein, damit ein Unterscheidungsmerkmal auch ein Wettbewerbsvorteil ist: Es muss um einen Aspekt gehen, der dem Mandanten wichtig ist, also einen Nutzen stiftet. Der Nutzen ist nach Definition der Ökonomen die Fähigkeit eines Sachgutes oder einer Dienstleistung, ein bestimmtes Bedürfnis des Nachfragers erfüllen zu können (vgl. Suchanek / Lin-Hi / Piekenbrock o.J.), gleich welcher Art es ist. Das klingt simpel, ist in der praktischen Umsetzung aber gar nicht trivial. Eine Kanzlei „mit langer Tradition“ zu beauftragen, wie man es auf so mancher Kanzleiwebsite liest, bringt beispielsweise den Mandanten unmittelbar wenig Nutzen, es sei denn, aus der beworbenen Tradition lässt sich auch Erfahrung oder besondere Kompetenz ableiten. Es ist aber weder davon auszugehen, dass eine solche Ableitung automatisch erfolgt, noch kann man voraussetzen, dass der potenzielle Mandant das auch so sieht. Es ist daher wichtig, nutzenstiftende Merkmale bei der Beauftragung eines Rechtsanwalts erstens zu kennen und sie dann zweitens auch richtig zu kommunizieren. Was Mandanten wichtig ist und was nicht, kann entweder durch Marktkenntnis, Befragung oder veröffentlichte Studien beantwortet werden. An anderer Stelle ( Kap. 3.4) wurde auf den Aspekt der Mandantenerwartungen bereits eingegangen. Eine weitere Bedingung für einen Wettbewerbsvorteil ist, dass die Konkurrenz diesen noch nicht ausreichend adressiert hat. Eine gewisse Originalität ist wichtig, um unter Konkurrenten hervorzustechen. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von einem Alleinstellungsmerkmal. Marketingfachleute verwenden synonym auch gern die Begriffe Unique Selling Proposition oder Unique Selling Point (USP). Überdurchschnittliches Engagement oder Erreichbarkeit auch am Wochenende können USPs sein, sofern nicht alle Wettbewerber genau den gleichen Service bieten. Eine gründliche Konkurrenzanalyse bildet somit eine wichtige Grundlage. Anbieter scheitern in fast allen Branchen regemäßig vor allem an der Notwendigkeit, etwas wirklich Einzigartiges, das sich vom Wettbewerb abhebt, am Markt zu präsentieren. Im Markt für Rechtsdienstleistungen ist das nicht anders, denn ein nicht kleiner Teil von Anwälten ist weder gut noch schlecht, weder teuer noch preiswert, weder besonders engagiert noch völlig desinteressiert, sondern in allen Facetten einfach Durchschnitt. Durchschnitt mag in einem wachsenden Markt reichen, im überbesetzten Anwaltsmarkt tendenziell nicht. Ein Wettbewerbsvorteil muss wirksam kommuniziert werden. Nur wenn potenzielle Mandanten auch verstanden haben, dass Anwalt bzw. Kanzlei Besonderes leisten, kann der Wettbewerbsvorteil auch wirksam werden. Dieser Aspekt ist oft der springende Punkt, denn viele Anwälte reden zu wenig über das, was sie können, und wenn, dann zu oft in der Sprache des Juristen. „Wir setzen Ihre Pflichtteilsansprüche durch“ liest sich anders als die Aussage „Wir sorgen dafür, dass Sie bekommen, was Ihnen zusteht“; „Entwurf von Patientenverfügungen“ klingt anders als „Absicherung bei gesundheitlichen Notfällen“. Klare Kommunikation verlangt manchmal auch, dass bewusst vereinfacht wird, damit potenzi- <?page no="165"?> Strategien 165 elle Mandanten verstehen, was Sache ist. Selbstverständlich werden Restfragen, Ausnahmen und Spezialbedingungen dann im Beratungsgespräch genauestens erörtert; sie gehören aber nicht in aller Ausführlichkeit auf eine Webseite oder in eine Werbeanzeige. Schlussendlich muss ein gegebenes Leistungsversprechen auch realisiert werden können, damit ein Marktvorteil entsteht. Wenn z. B. besondere Qualität versprochen wird, muss diese auch geliefert werden, wenn Kostenersparnisse in Aussicht gestellt werden, müssen sich diese auch tatsächlich einstellen. Vermeintliche Wettbewerbsvorteile, die sich am Ende als nicht existent herausstellen, führen zu Glaubwürdigkeitsverlust und wirken sich daher eher nachteilig aus. Ein gravierendes Marketingproblem vieler Unternehmen und auch Dienstleister besteht darin, dass über Wettbewerbsvorteile zu wenig nachgedacht wird. Viel zu schnell geben sich Anbieter damit zufrieden, Angebote zu liefern, die sich keinen Deut von der Konkurrenz unterscheiden und argumentieren damit, es aber „besser“ oder „anders“ zu machen. Tendenziell ist es schwer mit sogenannten Me-too- Produkten im Wettbewerb zu bestehen, es sei denn die Art der Leistungserbringung weicht deutlich und spürbar von der Norm ab. Vereinfacht gesprochen: Der x-te Fachanwalt für Familienrecht hat es in einer Region mit einer hohen Dichte an Scheidungsexperten sehr schwer, wenn er sich nicht z. B. durch besonderen Service oder eine innovative Honorarstruktur von der Masse abheben kann. Leichtere Startbedingungen hat hingegen der, der schon aufgrund der angebotenen Dienstleistungen über ein Alleinstellungsmerkmal verfügt, weil z. B. „Online-Scheidung“ oder eine andere Besonderheit geboten wird. Studien weisen nach, dass das Fehlen eines Wettbewerbsvorteils einer der wichtigsten Insolvenzgründe ist (vgl. Nau 2003) - man kann deshalb kaum lange genug darüber nachdenken, worin sich der persönliche oder kanzleispezifische Vorsprung begründet. Den Wettbewerbsvorteil zu definieren, stellt eine große Herausforderung dar, nicht zuletzt, weil dieser Aspekt häufig zu schnell abgehakt wird oder vermeintliche, aber nicht wirklich zugkräftige Gesichtspunkte herangezogen werden. Ein gutes Instrument der Selbstüberprüfung ist die Formulierung eines überzeugenden Elevator Pitches (vgl. Pincus 2007), der nicht mit einem Pitch um Mandate zu verwechseln ist. Die Vorgehensweise ist sehr verbreitet bei Start-ups, die um Investoren buhlen, und wird auch manchmal Bewerbern im Wettbewerb um den nächsten Arbeitsplatz empfohlen. Der Elevator Pitch ist eine prägnante Präsentation der Vorzüge des eigenen Dienstleistungsangebots bzw. der eigenen Kanzlei, freilich ohne Beamer und Folienunterstützung und in der Länge einer Aufzugsfahrt (30 bis 90 Sekunden). Die fiktive Frage ist: Wie würde man bei einem potenziellen Auftraggeber punkten, wenn man ihn zufällig in einem Fahrstuhl treffen würde und nur ein kurzes Zeitfenster hat, zu überzeugen? Wer es schafft, die wichtigsten Argumente so überzeugend und kurz darzustellen, hat vollständige Klarheit über den Wettbewerbsvorteil. Es empfiehlt sich, die kurze Präsentation mit Kollegen bzw. Bekannten zu testen und so die Überzeugungskraft der Darstellung zu verifizieren. Praktisch stehen für Anwälte nur begrenzt viele Möglichkeiten zur Verfügung, Nachfrage erfolgreich zu stimulieren. Die Festlegung eines zugkräftigen Wettbewerbsvorteils stellt die wichtigste Voraussetzung für eine funktionierende Marketingstrategie <?page no="166"?> 166 Strategisches Kanzleimarketing dar. Im Markt für Rechtsdienstleistungen existieren drei Ansatzpunkte für einen erfolgversprechenden Wettbewerbsvorteil: Qualität, Preis und Kommunikation. 4.5.3.1 Qualitätsstrategie Bei der Qualitätsstrategie bildet ein Leistungsvorteil den wesentlichen Aufhänger für einen Wettbewerbsvorteil. In anderen Branchen hat sich in Studien gezeigt, dass diese Strategie die mit Abstand verbreitetste ist. Die meisten Unternehmen schmücken sich gern mit überragenden Produkten und Diensten, wie der Nachfrager die Sache beurteilt, sieht zuweilen anders aus. Der Vorteil aber liegt auf der Hand, denn Qualitätsanbieter haben gute Argumente, ihre Produkte auch zu höheren Preisen im Markt anzubieten. Bei angenommenen gleichen Kosten der Leistungserstellung bleibt am Ende ein höherer Gewinn (wenn Nachfrager durch die hohen Preise nicht nachhaltig abgeschreckt werden). Im Kontext des Marketings ist Qualität stets weit zu definieren. Es geht in diesem Zusammenhang nicht nur um die Qualität der Beratung bzw. die vorhandene Expertise des Anwalts, sondern um alle Aspekte, die aus Sicht des Mandanten qualitätssteigernd im Dienstleistungsprozess wirken. Das können auch die zügige Abwicklung, die prompte Reaktion des Anwalts oder sein besonderes Kommunikationsgeschick sein. Da es bei Rechtsdienstleistungen eine technische Qualitätskomponente im Sinne der generellen Funktionstüchtigkeit des Produktes nicht gibt, bestimmt sich die Qualität ausschließlich auf Basis der Mandantenwahrnehmungen und -erwartungen. Qualität ist demnach der Erfüllungsgrad eines individuellen Mandantenbedürfnisses (vgl. Meffert / Burmann / Kirchgeorg 2015, S. 290 f.). Im Anwaltsgeschäft ist die Qualitätsstrategie sehr häufig anzutreffen. Fast alle Kanzleien versuchen, in der Außendarstellung durch juristisches Fachwissen zu punkten und präsentieren Fortbildungsbescheinigungen, Fachanwaltstitel, Publikationen und ähnliches. Auch Qualitätsargumente wie gründliche Beratung oder individuelle Mandantenbetreuung werden ins Spiel gebracht. Aus Marketingsicht sind das naheliegende Ansätze, wie aber weiter oben erwähnt, entsteht ein echter Wettbewerbsvorteil nur, wenn es sich auch um ein Alleinstellungsmerkmal handelt. Es empfiehlt sich also unter Umständen, eher einen Qualitätsaspekt zum Dreh- und Angelpunkt der Strategie zu machen, der von Konkurrenten weniger häufig adressiert wird. Im Vergleich zu den fachlichen Gesichtspunkten heben beispielsweise weniger Anwälte eine besonders hohe Erreichbarkeit hervor. Je nach Wettbewerbssituation können besonders lange Öffnungszeiten, eine Hotline oder die Verpflichtung zu zeitnahen Rückrufen daher vielleicht mehr positive Effekte am Markt hervorrufen. Es gilt, den Begriff der Qualität passend zur eigenen Marktsituation entsprechend zu definieren. Ein weiteres Problem wohnt der Qualitätsstrategie inne: Sie muss überzeugend kommuniziert werden. Glaubwürdigkeit ist das große Problem, denn Qualität ist kaum überprüfbar. Qualitätsanbieter sind daher im Beweiszwang, d. h. in der Kommunikation sind Indikatoren herauszustellen, die Glaubwürdigkeit entstehen lassen. Statt Fachkenntnis, Beratungsqualität, Kreativität oder Anderes einfach zu behaupten, müssen die Punkte plausibel gemacht werden. Beliebte Instrumente zur Plausibilisierung von Qualität sind Fachanwaltstitel (die starke Wirkung am Markt zeigen, S. 38), Gütesiegel, Zertifizierungen, Ergebnisse in Ranglisten oder Ähnliches. Allerdings gilt auch für die verwendeten Kommunikationsargumente, dass <?page no="167"?> Strategien 167 diese sich möglichst von Konkurrenzansätzen unterscheiden sollten, damit sich kein Abnutzungseffekt einstellt. Zudem sollte die Qualitätsdarstellung leicht verständlich und schnell erfassbar sein, denn Kommunikationsmedien werden teilweise sehr rasch konsumiert. Vorteilhaft ist daher, wenn die besondere Qualität der anwaltlichen Leistung schon im Bildmaterial zum Ausdruck kommt. Ein Beispiel einer kreativen Umsetzung in diesem Zusammenhang findet sich in der Kanzleibroschüre und auf der Webseite der Kanzlei Hoffmann, Liebs, Fritsch & Partner aus Düsseldorf. Die dort tätigen Anwälte verfügen als selbst erkanntes Qualitätsmerkmal über eine hohe Durchsetzungsstärke. Damit wird erstens auf einen Nutzen abgehoben, der in expliziter Form weniger häufig in der Außendarstellung von Kanzleien zu finden ist und daher eine gewisse Alleinstellung verspricht und zweitens wird dieser durch die plakative Kommunikation auch sehr wirksam nach außen getragen. Für den Betrachter ist sofort erfassbar, worin der Wettbewerbsvorteil der Kanzlei besteht ( Abb. 37). Abb. 37: Kanzleibroschüre der Kanzlei Hoffmann, Liebs, Fritsch & Partner (Agentur: z. B. Werbeagentur) 4.5.3.2 Preisstrategie Qualität bildet nicht die einzige Möglichkeit, potenzielle Mandanten anzuziehen. In nahezu jeder Branche gibt es vielmehr auch Anbieter, die sich auf günstige Preise einstellen und so versuchen, Nachfrage zu generieren. Sehr häufig lässt sich feststellen, dass gerade unter Anwälten Wettbewerber, die eine klassische Preisstrategie fahren, eher negativ beurteilt werden. Die Gründe sind klar, denn in der Tat birgt die Preisstrategie die Gefahr, dass Anbieter im Markt sich gegenseitig unterbieten und so einem Preisverfall im Markt Vorschub geleistet wird. Prominente Beispiele in diese Richtung liefern der Luftverkehrsmarkt, der Lebensmitteleinzelhandel oder die Telekommunikationsbranche. Preisstrategien sind also mit Vorsicht anzugehen, <?page no="168"?> 168 Strategisches Kanzleimarketing dennoch gibt es immer auch einen Markt für preisbewusste Nachfrager, der bedient werden will. Die Logik einer erfolgreichen Preisstrategie liegt auf der Hand: Niedrige Preise lösen in der Regel eine erhöhte Nachfrage aus. Anbieter, die eine Preisstrategie verfolgen, setzen stark auf diesen Mengeneffekt. Ob die geringeren Marktpreise im Endeffekt durch erhöhte Nachfrage aufgefangen werden kann, so dass der Umsatz insgesamt stabil bleibt, ist offen. Wirtschaftliche Vorteile ergeben sich bei einer höheren Absatzmenge aber zusätzlich durch positive Kosteneffekte, denn durch die starke Nachfrage verteilen sich Fixkosten rechnerisch auf mehr abrechenbare Stunden. Der Zusammenhang wird auch als Fixkostendegression oder - neudeutsch - Economies of Scale bezeichnet. Empirischen Untersuchungen zufolge, ist bei einer Verdopplung der produzierten Einheiten bzw. geleisteten Stunden mit einem Rückgang der Stückkosten um 20-30 % zu rechnen. Abb. 38: Fixkostendegressionseffekt (Prinzipdarstellung) Economies of Scale treten naturgemäß in allen Branchen am deutlichsten auf, bei denen hohe Fixkosten auftreten. Im industriellen Fall ist das beim Betrieb von Kraftwerken der Fall oder bei der Fertigung von Hightech-Produkten. Bei Dienstleistern ist der Fixkostenanteil kleiner, so dass Degressionseffekte nur eingeschränkt zum Tragen kommen. Möglicherweise ist das mit ein Grund dafür, dass erfolgreiche Discount-Anbieter noch rar sind. Ein bekanntes Ausnahmebeispiel war die Kanzleikette JuraXX, die nach vier Jahren Insolvenz anmelden musste. Vielfach wird gemutmaßt, dass Preisstrategien in der Rechtsberatung nicht funktionieren und Mandantenbefragungen, bei denen die Höhe des Honorars regelmäßig als weniger wichtig bezeichnet wird, scheinen das zu unterstreichen. Aber: Vieles spricht dafür, dass Mandanten künftig deutlicher zwischen juristischen Standardauskünften und komplexeren Problemen unterscheiden werden. Bereits an anderer Stelle wurde die Dichotomisierung des Marktes erwähnt, die zu gänzlich neuen Geschäftsmodellen führen wird. In der heutigen Welt, in der Rechtsdienst- 150 160 170 180 190 200 210 220 230 240 1200 1400 1600 1800 2000 2200 2400 Kosten / Euro je Stunde Anzahl abrechenbare Stunden / Jahr bei 20 % Rückgang bei 30 % Rückgang <?page no="169"?> Strategien 169 leistungen stets individuell auf den Kunden zugeschnittene Leistungen mit hohem persönlichen Einsatz des Anwalts sind, mag eine Preisstrategie schwierig umzusetzen sein, weil parallel mit hohen Kosten umzugehen ist. Sofern Rechtsdienstleistungen aber zumindest in Teilen wiederholbar und standardisierbar sind (wie z. B. das Aufsetzen einer einfachen Vorsorgevollmacht), sind Mandanten auch nicht mehr bereit, die Kosten für das Bereithalten eines individuellen Leistungserstellungsprozesses mit zu bezahlen. Das öffnet Tür und Tor für Anbieter, die darauf fokussieren, einfache Rechtsberatung zu besonders günstigen Konditionen anzubieten. Preisstrategien gewinnen damit an Bedeutung. Praxisbeispiel Billig - billiger - JuraXX Die Idee der Rechtsberatung und -vertretung zu Schnäppchenpreisen fand hierzulande im Jahr 2003 ihre erstmalige Umsetzung. In diesem Jahr eröffnete die JuraXX Rechtsanwaltsgesellschaft mbH mit Hauptsitz in Dortmund-Hörde ihre erste Filiale in der Dortmunder Innenstadt. Nach und nach entstand an zentralen Standorten in ganz Deutschland ein Netzwerk von bis zu 34 Zweigniederlassungen in Hochzeiten. Nach eigenen Einschätzungen wurden zu diesem Zeitpunkt etwa 300 Mitarbeiter beschäftigt. Die Geschäftsidee: Rechtsberatung zu geringen Preisen, vor allem in den juristischen Kernbereichen Arbeitsrecht, Verkehrsrecht, Strafrecht, Mietrecht, Familienrecht sowie im allgemeinen Zivil- und Verwaltungsrecht, effizient, zuverlässig und ohne besonderen „Schnickschnack“. Keine gediegene Kanzlei, kein Heer von Assistentinnen, sondern Rechtsberatung pur. Durch Austausch zwischen den Niederlassungen sorgte das überörtliche Anwaltsnetzwerk dafür, dass auch Leistungen aus anderen, weniger im Fokus stehenden Rechtsgebieten bei Bedarf angeboten werden konnten. Mandanten konnten sich ganz nach persönlicher Vorliebe nicht nur persönlich, sondern auch telefonisch oder per E-Mail rechtlich beraten lassen. In vielerlei Hinsicht verfolgte JuraXX also eine unter Rechtsanwälten eher unübliche Marktstrategie. Das Unternehmen präsentierte sich bewusst als Kette, die einzelnen Filialen waren zur Förderung des Wiedererkennungswertes einheitlich ausgestaltet, zudem wurden gut zu erreichende, innenstadtnahe Ladenlokale gewählt. Eine vorherige Terminvereinbarung war nicht notwendig, nach außen erkennbare Preisaushänge mit den durchschnittlichen Kosten einer Erstberatung in ausgewählten Rechtsgebieten sollten Hemmschwellen bei potenziellen Mandanten senken. Neben einer hohen Preistransparenz sollte vor allem das Angebot einer „günstigen Erstberatung ab 20 €“ für Zulauf sorgen. Doch was den deutschen Rechtsanwaltsmarkt massiv hätte verändern können, scheiterte bereits nach wenigen Jahren: Schon im Jahr 2007, vier Jahre nach Gründung, musste der Anwalt-Discounter Insolvenz anmelden. Ein wesentlicher Grund lag darin, dass das schnelle Wachstum der Kette nur möglich war, indem bevorzugt Jungjuristen engagiert wurden. Ihnen wurde der direkte Einstieg als Partner ermöglicht, unter der Voraussetzung, dass sie dem Unternehmen ein Partner-Darlehen über 50.000 € gewährten. Dieses sollte anschließen in <?page no="170"?> 170 Strategisches Kanzleimarketing 30 Monatsraten dem Anwalt zurücküberwiesen werden, zusätzliche Einkünfte konnten durch Anwaltstätigkeit nach dem Provisionssystem erzielt werden (vgl. Claer 2013). In der Folge traten bereits im September 2006 Liquiditätsengpässe auf, da die für das Konzept notwendigen Investitionen und die getätigten Entnahmen nicht mehr durch die zu erwartenden Honorare und die Darlehen der neu einsteigenden Anwälte gedeckt wurden. Es entwickelte sich eine ruinöse Kettenreaktion. Ab 2007 begannen die monatlichen Rücküberweisungen an die beteiligten Anwälte zu stocken und ab März/ April 2007 wurde für 29 Filialen die Miete nicht mehr pünktlich gezahlt. Zahlreiche beteiligte Anwälte kündigten daraufhin die Zusammenarbeit auf. Es folgte die Insolvenz der gesamten Kette. Neben persönlichen Fehlern der Geschäftsleitung brachten zu schnelles Wachstum (am Ende wurde fast jeden Monat eine neue Niederlassung eröffnet) und fehlende Eigenständigkeit der einzelnen Filialen das ohnehin fragile Darlehen- System von JuraXX zum Kippen (vgl. o. V. 2008, S. M16). Gegen einige Alt- Geschäftsführer wurde wegen Verdachts auf schweren Betrug und Insolvenzverschleppung ermittelt, denn die neu angeworbenen Anwälte waren beim Vorstellungsgespräch angeblich nicht über die finanzielle Schieflage des Unternehmens aufgeklärt worden (vgl. Claer 2013). Doch die JuraXX-Idee ist trotzdem nicht gänzlich gescheitert. Einige frühere Niederlassungen wurden von den dort aktiven Rechtsanwälten übernommen. Zwei Kanzleien, eine in Essen und eine in Bochum, führen auch heute noch die Marke „JuraXX Rechtsanwälte“. Der Dienstleistungsgedanke von JuraXX lebt in kleinerem Rahmen weiter, auch fachlicher Austausch findet weiter statt. Ziel der nun selbstständigen Kanzleien ist es, ihren Mandanten in Zukunft wieder ein bundesweites Beratungs- und Informationsnetz zur Verfügung zu stellen. Natürlich verlangt eine Preisstrategie einem Anbieter einiges an Kalkulationsgeschick ab. Anwälte, die besonders preisgünstig am Markt auftreten möchten, sind automatisch gehalten, die internen Kosten zu begrenzen. Das bedeutet wiederum, dass der Einsatz an Zeit und Personal so gering wie möglich zu halten ist. Zwar spielt der Ressourceneinsatz bei einer Abrechnung im Stundenmodus eine weniger große Rolle, doch Preisstrategen arbeiten eben meist nicht mit extrem reduzierten Stundensätzen, sondern rechnen entweder konventionell nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) ab oder arbeiten mit Festpreisen bzw. kostenloser oder besonders günstiger Erstberatung. Gerade in diesen Fällen ist eine Preisstrategie nur profitabel, wenn ein strenges Kostenmanagement betrieben wird. Unter der Annahme, dass viele Anwälte für dauerhaftes Kalkulieren und Verhandeln weder das Interesse noch die Kompetenzen mitbringen, lässt sich erklären, dass die Preisstrategie bei Anwälten nicht viele Freunde findet. Im Gesamtmarkt für Rechtsdienstleistungen hingegen und vor allem international ist sie gut etabliert, denn aufgrund anderer Rahmenbedingungen wird Rechtsberatung dort auch von Versicherern, Verlagsunternehmen oder Händlern verantwortet, denen die „Billigschiene“ aus ihren Stammmärkten durchaus vertraut ist. Doch nicht nur die Gefahr eines ruinösen Preiskampfs ist bei der Entscheidung für eine Preisstrategie bedenkenswert. Erfahrungen aus der Wirtschaftspsychologie zeigen zudem, dass es einen engen Zusammenhang zwischen Preis und Qualitätswahrnehmung gibt. Angebote mit einem kleineren Preis werden in der Regel <?page no="171"?> Strategien 171 als qualitativ minderwertiger angesehen als ähnliche Angebote zu höheren Preisen. Gleiches gilt auch für Dienstleistungen. Anwälte mit geringen Honorarsätzen laufen damit Gefahr, dass ihre Leistungen als minderwertiger angesehen werden. Hinzu kommt, dass eine Positionierung als „Sparanwalt“ nur schwer wieder rückgängig zu machen ist. Und dennoch: Die Preisstrategie hat ihre Vorteile. Diese liegen vor allem in der Chance, Mandanten zu gewinnen, die andernfalls auf Rechtsrat verzichtet hätten, im Do-it-yourself-Verfahren Rechtsprobleme selbst lösen würden oder einfach zu einem günstigeren Konkurrenten abgewandert wären. Die Preisstrategie setzt auf hohen Durchsatz bei vergleichsweise kleinen Margen pro Mandant. Unter den dargestellten Rahmenbedingungen kann diese Strategie durchaus erfolgsträchtig sein. 4.5.3.3 Kommunikationsstrategie Kann eine Organisation allein durch effektive Kommunikation nach außen erfolgreich sein? Das klingt zunächst abwegig. Gleichwohl fallen einem viele Unternehmen ein, die in erster Linie aufgrund von Werbung, Öffentlichkeitsarbeit und anderen Kommunikationsmaßnahmen groß geworden sind. Coca Cola ist so ein Beispiel, zahlreiche Mode-Labels oder Handelsketten sind nicht unbedingt (nur) aufgrund der Qualität ihrer Produkte und Dienste so gut am Markt positioniert, auch nicht vorrangig wegen ihrer niedrigen Preise, sondern vor allem, weil sie über Jahre hinweg kontinuierlich mit hohem Druck Marketingkommunikation betreiben. Kommunikation alleine stellt in den meisten Konsumgütermärkten jedoch keine tragfähige Strategie dar, denn nahezu jeder Anbieter kommuniziert. Hier ist nur von einem Wettbewerbsvorteil auszugehen, wenn auf dieser Basis ein unverwechselbares Erscheinungsbild im Sinne einer Marke entsteht. Im Anwaltsgeschäft sind die Dinge noch etwas anders gelagert. Allein die Tatsache, dass überhaupt wahrnehmbar kommuniziert wird, ist hier bereits eine Besonderheit. Die meisten Kanzleien beschränken sich nach wie vor auf Webseite und Kanzleibroschüre, einige jedoch fallen durch einen intensiven bzw. aus dem Rahmen fallenden Außenauftritt auf. Ein Wettbewerbsvorteil kann daraus werden, wenn aufgrund von Marketingkommunikation ein Vorsprung gegenüber Konkurrenten entsteht und die Form der Kommunikation von potenziellen Mandanten als nutzbringend angesehen wird, z. B. weil sie informativ oder möglicherweise besonders unterhaltsam ist. In diesem Fall bleibt die Kanzlei in Erinnerung und die Wahrscheinlichkeit steigt, dass diese bei einem konkreten Bedarf auch kontaktiert oder weiterempfohlen wird. Auf den Radar des Kunden zu gelangen und dann langfristig auch zu bleiben sind wesentliche Ziele des Marketings. Die einzelnen Stufen bei der Auswahl eines Dienstleisters lassen sich mit Hilfe eines mehrstufigen Filtermodells skizzieren (vgl. ähnlich Pepels 2012, S. 111 f. und Abb. 39): Alle Anbieter, die einen bestimmten Dienst in Konkurrenz anbieten, bilden die größte Gruppe im Auswahlprozess, das sogenannte Total Set. Das Total Set im Markt für Scheidungsanwälte sind z. B. alle Scheidungsanwälte, die ihre Dienste anbieten. Einige Anwälte sind für eine bestimmte Dienstleistung möglicherweise nicht verfügbar, beispielsweise aus Kapazitätsgründen, und sind deshalb auszuklammern. Die kleinere Gruppe der verfügbaren Anwälte bildet das sogenannte <?page no="172"?> 172 Strategisches Kanzleimarketing Available Set. Lediglich dieses ist im weiteren Auswahlprozess für Mandanten von Wichtigkeit. Nicht alle Anwälte im Available Set sind dem potenziellen Mandanten bewusst bekannt. Alle im Bewusstsein verankerten Dienstleister sind Bestandteil des Processed Set. Nur diese werden im weiteren Entscheidungsprozess berücksichtigt. Im Folgeschritt werden gedanklich solche Dienstleiter aussortiert, die zwar bekannt, aber aus subjektiver Sicht nicht akzeptabel sind. Ein wichtiges Kriterium bildet an dieser Stelle das persönliche Budget. Grundsätzlich akzeptierte Alternativen sind Bestandteil des Potential Set. Letztendlich werden durchaus nicht alle akzeptierten Dienstleister auch beauftragt, sondern nur die präferierten. Die letzte Stufe des Auswahlprozesses stellt das sogenannte Relevant Set dar, also die kleine Menge der Anwälte, die aus Sicht potenzieller Mandanten als besonders vorziehenswürdig gelten. Nur diese (häufig auch nur ein Anbieter) werden tatsächlich nachgefragt. Abb. 39: Filtermodell der Auswahl von Dienstleistern Anhand der dargestellten Stufen lässt sich nachvollziehen: Durch effektive Marketingkommunikation kann tatsächlich ein Wettbewerbsvorteil entstehen, denn im Grunde geht es darum, überhaupt erst einmal in das Relevant Set des Mandanten vorzudringen. Bekanntheit, Information und entsprechende Meinungsbildung sind die Voraussetzungen - Punkte, die allesamt Kommunikation voraussetzen. Natürlich ist durch sensationelle Werbung oder exzessive Öffentlichkeitsarbeit kein langfristiger Markterfolg zu erzielen, sondern nur durch die Kombination mit einem alle Anbieter am Markt Beispiel: alle Scheidungsanwälte alle erreichbaren Anbieter im Markt Beispiel: alle Scheidungsanwälte, die aktuell neue Mandate annehmen alle erreichbaren Anbieter, die im Bewusstsein des potenziellen Kunden verankert sind Beispiel: alle bekannten Scheidungsanwälte, die potenziellen Mandanten bekannt sind alle erreichbaren, bekannten und akzeptierten Anbieter Beispiel: alle bekannten und verfügbaren Scheidungsanwälte, die aus Mandantensicht in Frage kommen alle Anbieter, die erreichbar, bekannt sind und darüber hinaus als besonders vorziehenswürdig gelten Beispiel: alle Scheidungsanwälte, die letzten Endes in die engere Wahl kommen Total Set Available Set Potential Set Relevant Set Processed Set <?page no="173"?> Strategien 173 Qualitäts- oder Preisvorteil. Umgekehrt gilt jedoch das Gleiche. Praktisch sind deshalb viele Strategien Mischformen; bei der Kommunikationsstrategie liegt jedoch der Schwerpunkt auf einem offensiven Außenauftritt. Bisher praktizieren erst wenige Kanzleien eine explizite Kommunikationsstrategie. Eine Ausnahme bildet die im Anwaltsmarkt schon nahezu legendäre Kanzlei der Rechtsanwälte Kotz aus Kreuztal. Seit Jahren nutzen Vater Hans Jürgen und Sohn Christian Gerd Kotz, beide Anwälte in der gleichen Kanzlei, intensiv alle Möglichkeiten des Online-Marketings, stellen Videos ins Netz, sind in Sozialen Netzwerken aktiv, beantworten Mandantenanfragen auf elektronischem Weg und betrieben jahrelang eine Webseite, die aufgrund ihrer Anmutung immer wieder lebhafte Diskussionen auslöste. Gespickt mit Clip Arts, Laufschriften und grellen Farben enthielt die Seite eine Fülle von Gestaltungselementen, die an die ersten Tage des Internets erinnerte, mittlerweile ist eine deutlich gemäßigte Version online ( http: / / www.ra-kotz.de). Das Imagevideo der Kanzlei, ein offenbar mit überschaubarem Budget gedrehter Spot, bei dem Vater und Sohn sich höchstpersönlich in Szene setzen, löst immer wieder Staunen aus. Allerdings: Staunen verursacht auch die Resonanz der Kotz’schen Kommunikationsstrategie. So hat die lediglich aus drei Anwälten (und 10 Mitarbeiterinnen) bestehende Kanzlei eine Medienpräsenz, die sich sehen lassen kann: Regelmäßig ist die Kanzlei im Fernsehen präsent und auch in der überregionalen Presse. Der kanzleieigene YouTube-Kanal hat 1.394 regelmäßige Abonnenten (Stand: November 2017), einzelne Videos mit aktuellen Rechtstipps werden über 40.000-Mal abgerufen. Die kleine Kanzlei ist aufgrund ihrer Kommunikationsstrategie „bei juristisch interessierten Internetnutzern bekannt wie ein bunter Hund“ (Shajkovci 2012). Geschmacklich lässt sich über so manche Marketingaktion sicher streiten, ganz bestimmt ist die strategische Ausrichtung aber geeignet, mit begrenztem Mitteleinsatz überregionale Bekanntheit aufzubauen und so in das Relevant Set vieler potenzieller Mandanten zu gelangen. Man könnte fragen, ob die Kommunikationsstrategie sich möglicherweise in erster Linie für Anwälte anbietet, die private Mandanten betreuen. Ein häufig geäußerte Mutmaßung ist, dass sich gewerbliche Mandanten weniger durch Kommunikationsmaßnahmen beeinflussen lassen und Anwälte in der Hauptsache durch formalisierte, kriterienbasierte Verfahren aussuchen. Einiges spricht jedoch dafür, dass sich eine Kommunikationsstrategie auch in der Zusammenarbeit mit Unternehmensmandanten auszahlen kann, denn das oben dargestellte Filtermodell lässt sich in ähnlicher Form auch auf die Entscheidungsprozesse von Unternehmen transferieren. Es ist allerdings meist eine andere Form der Kommunikation gefragt, die wesentlich stärker auf sachbezogene Informationen abhebt. Es gilt vor allem, bei der Außendarstellung die Punkte zu adressieren, die bei gewerblichen Entscheidern im Mittelpunkt des Interesses stehen. Erfahrungen aus anderen Branchen zeigen, dass der Faktor Sicherheit bei größeren, arbeitsteilig organisierten Institutionen implizit oft ein wichtiges Auswahlkriterium darstellt. Der Einkauf und die Fachabteilung wählen deshalb oft den Anwalt, bei dem die Chance einer Fehlentscheidung möglichst gering ist. „No one ever got fired for buying IBM“ lautete ein viel zitierter Leitsatz von Einkäufern aus den 1970ern und 1980er Jahren, denn IBM war nicht unbedingt immer der überragendste, aber der bekannteste Hardware- Produzent. Nach einer ähnlichen Logik gilt noch heute, dass im Business-to- Business-Umfeld gern weithin bekannte Anbieter bevorzugt werden. Etablierte Großkanzleien mit hoher Medienpräsenz, die kontinuierlich die verlässliche Quali- <?page no="174"?> 174 Strategisches Kanzleimarketing tät ihrer Dienstleistungen herausstellen, haben deshalb Vorteile gegenüber kreativen Newcomern. Die Kommunikationsstrategie bildet den Schlüssel dazu. Trotz aller Vorteile birgt die Kommunikationsstrategie natürlich auch Risiken. Intensive Kommunikation kostet Zeit und Geld. Zwar sind Marketingmaßnahmen im Online-Umfeld häufig mit weniger Kosten belastet als der Druck von Broschüren oder die Schaltung von Printanzeigen, also muss nicht zwingend viel Budget eingeplant werden. Jedoch ist die Bedienung diverser sozialer Netzwerke mitunter personalintensiv. Hinzu kommt, dass Marketingkommunikation gerade im schnelllebigen Internetumfeld für viele Juristen neues, unsicheres Terrain ist. Die Kernkompetenz des Anwalts liegt nicht im Außenauftritt, meist auch nicht das primäre Interesse. Genau das müsste sich ändern, damit eine Kommunikationsstrategie Wirkung entfalten kann. Ebenfalls wichtig ist, dass bei aller Konzentration auf die Kommunikation die Qualität der angebotenen Leistung nicht völlig in den Hintergrund treten darf. Wettbewerbsvorteile durch Kommunikation zu erschließen heißt nicht, dass potenzielle Mandanten mit durchgestylten Broschüren oder durch Dauerbeschallung bei Facebook und Co. von eigentlich schlechten Rechtsdienstleistungen überzeugt werden sollen. Es geht vielmehr für Kanzleien darum, einen echten Mehrwert durch interessante Inhalte zu erzeugen, so dass vermehrter Erstkontakt, gesteigerte Interaktion und höhere Mandantenbindung daraus folgen. 4.5.3.4 Programmbreitenstrategie Eine in vielen Branchen verbreitete Strategie liegt darin, dem Kunden einen möglichst großen Strauß an Produkten und Diensten anzubieten. Unternehmen, die bestrebt sind, durch eine umfangreiche Angebotspalette möglichst viele Bedürfnisse abzudecken, praktizieren eine sogenannte Programmbreitenstrategie. In den 1960ern und 70ern etablierten sich auf Basis dieser Strategie im Einzelhandel beispielsweise die Kaufhäuser, später entwickelten sich Verbrauchermärkte. Der Wettbewerbsvorteil von Handelsunternehmen wie Kaufhof, Karstadt oder auch Real liegt darin, dass Kunden bei diesen Geschäften eine Fülle von Konsumartikeln des alltäglichen Bedarfs bei einer Anlaufstelle erwerben können. Suchkosten lassen sich auf diese Weise minimieren und es besteht der Vorteil, alle Produkte bei einem vertrauten, bewährten Anbieter erwerben zu können. Für die Händler eröffnen sich Chancen durch Cross- und Upselling ( Kap. 5.4.2.2). Lässt sich die Programmbreitenstrategie auch bei Rechtsanwälten einsetzen? Zweifellos besteht hier nicht die Situation, dass Mandanten aus Gründen der Bequemlichkeit gern mehrere Dienste gleichzeitig bei einem Anwalt erwerben möchten, weil man in der Regel immer nur ein Rechtsproblem zu einem bestimmten Zeitpunkt hat. Allerdings haben Mandanten innerhalb eines Zeitraums durchaus mehrmals die Notwendigkeit, mehrere Rechtsdienstleistungen nachzufragen. Gerade weil die Nachfrage nach Rechtsdienstleistungen in hohem Maße von Vertrauen abhängt, können Anwälte, die ein umfassendes Spektrum an Diensten anbieten, Vorteile beim Cross- und Upselling haben. Wenn der Anwalt in der Vergangenheit beispielsweise ein steuerrechtliches Problem erfolgreich gelöst hat, wird ihn der Mandant auch später möglicherweise bei einem erbrechtlichen Thema gern ansprechen, wenn dieses Rechtsgebiet auch abgedeckt wird. Die Strategie der Programmbreite bildet damit im Grunde einen Gegenpol zum allgemeinen Trend einer verbreiteten Spezialisierung im Anwaltsmarkt. Die Spezia- <?page no="175"?> Strategien 175 lisierung hat den Vorteil, dass tiefgehendes Fachwissen in einem eng begrenzten Gebiet glaubwürdig angeboten werden kann. Zu jedem Trend im Markt existiert jedoch meist auch ein tragfähiger Gegentrend, so dass auch für ein breites Allgemeinangebot Marktchancen bestehen. Anknüpfend an die bereits erwähne Dichotomie von Rechtsproblemen ist es plausibel, dass gerade private Mandanten künftig auch Bedarf an Anwälten haben, die in einzelnen Rechtsgebieten zwar nicht jeden Spezialfall kennen, aber einen guten Überblick über juristische Alltagsthemen haben und sich darüber hinaus als „Kümmerer“ für die rechtliche Betreuung ihrer meist langjährigen Mandanten verstehen. Wer fünf verschiedene Rechtfragen bei fünf verschiedenen Anwälten klären lässt, hat vielleicht das Glück, in jedem Gebiet mit dem ausgewiesenen Experten zu arbeiten, aber auch ein viel höheres Risiko, in mindestens einem Fall an jemanden zu geraten, der nicht engagiert, vertrauenswürdig oder schlichtweg inkompetent ist. Zudem ist viel Zeit und Geld zu investieren. Ein vertrauter „Hausanwalt“, der sich als zentrale Anlaufstelle für gängige rechtliche Sorgen und Nöte versteht, minimiert das Risiko der Fehlentscheidung, senkt den Abwicklungsaufwand und hat damit möglicherweise einen Wettbewerbsvorteil. Eingebunden in ein Netzwerk von Spezialisten, muss der Allgemeinanwalt nicht alles können, garantiert aber, dass der Mandant in jedem Fall gute Beratung erhält (vgl. ähnlich Ewer 2014, S. 40 f.). In einer Welt, in der vor allem Fokus propagiert wird, scheint der Hausanwalt unter Juristen ebenso wenig in Mode zu sein wie der Landarzt unter Medizinern - bedauerlich, denn aufgrund des Imageverlustes der Berufsgruppe der Anwälte bestehen sicher Bedarf an Anwälten, die bewusst auf ganzheitliche Betreuung setzen. Die Kanzlei Artz & Partner aus München ( http: / / www.anwaeltemuenchenartzundpartner.de) beispielsweise wirbt auf ihrer Homepage mit dem Versprechen „Unsere Rechtsanwaltskanzlei in München steht Ihnen für alle Rechtsfragen zur Verfügung und vertritt Sie kompetent und zuverlässig“. Vom Arbeitsrecht bis zum Wettbewerbsrecht werden laut Webseite 19 Rechtsgebiete abgedeckt und sowohl Privatals auch Unternehmensmandate übernommen. Auf Kanzleiebene wird damit eine klare Programmbreitenstrategie verfolgt, wenn auch auf der Ebene des einzelnen Anwalts eine Spezialisierung gegeben ist, denn die verschiedenen Angebotsbereiche werden durch Fachanwälte mit unterschiedlichem Hintergrund erbracht. Es gibt aber auch den Fall, dass eine hohe Programmbreite durch einen einzelnen Anwalt, z. B. durch einen selbständigen Einzelanwalt erbracht wird. Spezialfälle müssen dann meist außen vor bleiben. Die Kanzlei Korres & Wolter ( http: / / www.dachaurechtsanwalt.de) etwa, eine junge Rechtsanwaltskanzlei aus Dachau, hat sich nach eigenen Aussagen bewusst gegen eine Spezialisierung entschieden. Rechtsanwalt Alexander Korres übernimmt Mandate in 16 verschiedenen Rechtsgebieten und formuliert den Anspruch der Kanzlei: „Lehnen Sie sich entspannt zurück und schonen Sie Ihre Nerven sowie Ihren Energiehaushalt für andere wichtige Dinge im Leben. Bei uns erhalten Sie in den verschiedensten Lebensbereichen eine umfassende, kompetente und auf Ihre persönlichen Bedürfnisse zugeschnittene rechtliche Betreuung aus einer Hand“ - Programmbreitenstrategie in Reinkultur. Trotz augenfälliger Vorteile hat die Programmbreitenstrategie auch ihre Schwächen. Eine breite Dienstleistungspalette verursacht Komplexität und damit Kosten. Viele unterschiedliche Mandate sind zu betreuen, so dass Flexibilität gefordert ist, zudem sind die Zusammenarbeit mit Kollegen und der kanzleiinterne Austausch schwieriger, wenn alle Anwälte unterschiedliche Fachgebiete repräsentieren. Wirk- <?page no="176"?> 176 Strategisches Kanzleimarketing lich tiefgehendes Wissen ist bei einer breiten Ausrichtung schwer zu gewährleisten. Auch ist es schwer, in der Außendarstellung qualifizierte Rechtsberatung und -vertretung in nahezu allen wichtigen Rechtsgebieten glaubwürdig zu „verkaufen“. Der Markttrend läuft eher in die gegenläufige Richtung, was einerseits Marktlücken eröffnet, andererseits aber auch Erklärungsbedarf hervorrufen kann. Erläuterungen wie z. B. Hinweise auf Kooperationspartner oder der explizite Ausschluss von Spezialfällen können helfen, die Programmstrategie wirksam zu kommunizieren. 4.5.4 Marktparzellierungsstrategien: Zielgruppe festlegen Eine letzte Kategorie marktorientierter Teilstrategien betrifft den Adressatenkreis. Mit der fixierten Marktparziellierungsstrategie wird definiert, ob Mandantengruppen oder Einzelmandanten betrachtet werden. Dabei ist die fachliche Betreuung von der marketingbezogenen zu trennen. Selbstverständlich betreuen die meisten Anwälte ihre Mandanten juristisch individuell, für Akquise und Marketing kann sich dennoch eine Segmentperspektive anbieten. Nicht jeder Mandant ist es wert, über Kommunikation, Honorar, Angebot und Form der Zusammenarbeit neu nachzudenken; das Denken in Mandantengruppen schult den Blick für Gemeinsamkeiten und generelle Anforderungen. Der Marktparzellierungsstrategie kommt daher besondere Bedeutung bei der Strategieentwicklung zu. Unabhängig davon, welche Zielgruppen nun genau anvisiert werden sollen, stellt sich auch die Frage, wie diese aus Marketingsicht zu adressieren sind. Prinzipiell sind vier Möglichkeiten denkbar (vgl. Freter 2008, S. 245 ff. und Abb. 40): Massenmarktstrategie Es gibt eigentlich keine definierte Zielgruppe, vielmehr richten sich die Angebote an alle und es wird auch jeder mögliche Kunde bzw. Mandant mit den gleichen Marketingmethoden, über die gleichen Wege und ähnliche Inhalte angesprochen. Faktisch bildet diese Strategie branchenübergreifend die Ausnahme, denn der Trend geht heute allseits zu maßgeschneiderten Produkten und Diensten. Bei Rechtsdienstleistungen ist es von je her so, dass Mandanten individuell betreut werden und nicht nach „Schema F“. Eine Massenmarktstrategie ist also bei juristischen Diensten die Ausnahme. Gleichwohl: In den USA und in England sind mit Unternehmen wie RocketLawyer oder LegalZoom Anbieter präsent, die standardisierte Rechtsdienstleistungen für alle privaten und auch für kleine gewerbliche Mandanten anbieten. Die Marktbearbeitung läuft ebenfalls größtenteils uniform ab, d. h. aus Kostenersparnisgründen wird auf differenziertes Marketing für einzelne Kundengruppen verzichtet. Nischenstrategie Bei der Nischenstrategie wird nur ein Teilmarkt bearbeitet und es erfolgt eine Konzentration auf ganz bestimmte Mandantengruppen. Diese allerdings werden nach einem relativ einheitlichen Muster bearbeitet. Diese Form der Marktbearbeitung findet man im Rechtsberatungsmarkt eher selten, denn Rechtsberatung und -vertretung sind ja im Regefall auf individuelle Belange des Mandanten zugeschnitten. Es kann jedoch Ausnahmen geben. Eine Nischenstrategie verfolgen etwa Anwälte, die Mandanten vertreten, die Abmahnungen wegen Urheberechtsverstößen im Internet erhalten haben. Ein Beispiel stellt die Kanzlei Christian Müller dar, die unter dem Label „Sofort-Law“ standardisierte Rechtshilfe zu Festpreisen für eine spezielle Klientel anbietet ( http: / / www.sofort-law.de). <?page no="177"?> Strategien 177 Marktsegmentierung / Gesamtmarkt Eine mögliche Marktausrichtung besteht darin, eine große Bandbreite von Mandanten anzugehen, jedoch einzelne Mandantengruppen mit einem völlig anderen Marketingansatz zu bedienen. Ein Beispiel wären Kanzleien, die sowohl private als auch gewerbliche Mandanten bearbeiten, diese aber aufgrund ihrer Beratungsbedarfe unterschiedlich adressieren und beraten. Marktsegmentierung / Teilmarkt Bei dieser Option wird nur ein Teilmarkt bearbeitet. Die Marktbearbeitung erfolgt individuell oder zumindest kundengruppenspezifisch. Ein Beispiel wäre eine Kanzlei, die sowohl für Unternehmen als auch für private Mandanten ausschließlich arbeitsrechtliche Mandate übernimmt. Jeder Fall wird individuell bearbeitet und die Mandanten werden über verschiedene Medien angesprochen. Abb. 40: Alternativen der Marktausrichtung und Marktbearbeitung Bei näherer Betrachtung der vier Möglichkeiten zeigt sich, dass eine typische Massenmarktstrategie im Rechtsberatungsgeschäft höchst selten ist. Der Großteil der Anwälte bietet individuelle Unterstützung durch maßgeschneiderte Leistungen an. Eine undifferenzierte Marktbearbeitung, bei der jeder Rechtsuchende ein mehr oder weniger gleiches Angebot unterbreitet bekommt, ist daher die Ausnahme. Der Trend im Anwaltsmarkt geht darüber hinaus zur Spezialisierung, also zur tiefgehenden Bearbeitung eines Teilmarkts, statt dass der Gesamtmarkt in den Fokus genommen wird. Strategie 3.b. der Marktsegmentierung auf einem Teilmarkt gewinnt daher an Relevanz. Unabhängig von der Frage, welche Strategie aber die undifferenziert differenziert Gesamtmarkt Teilmarkt 1. Massenmarktstrategie 3. Marktsegmentierung ( 3.a. Gesamtmarkt) 3. Marktsegmentierung ( 3.b. Teilmarkt) 2. Nischenstrategie Marktausrichtung Marktbearbeitung <?page no="178"?> 178 Strategisches Kanzleimarketing gängigste Form ist, lässt sich festhalten: Wer keine Massenmarktstrategie verfolgt, muss sich Gedanken über die Auswahl der Zielgruppe machen. Die Aufgabe der Marktsegmentierung ist damit eine Aufgabe, der sich fast alle Dienstleister zu stellen haben. 4.5.4.1 Vorgehensweise der Marktsegmentierung Der Weg zur „richtigen“ Zielgruppe erfolgt in einem dreiphasigen Prozess, der auch als Marktsegmentierung bezeichnet wird ( Abb. 41). Zunächst muss der Markt gedanklich aufgeteilt werden (Schritt 1: Zerlegung). Ähnlich wie bei einem Kuchen, ist der relevante Gesamtmarkt in einzelne Stücke zu zerteilen. Im Endeffekt geht es darum, durch die Betrachtung von Mandantengruppen einen Vorteil gegenüber der Situation zu haben, entweder jeden Mandanten vollkommen gleich anzugehen oder aber mit einem völlig unbestimmten Ansatz jeden Mandanten individuell zu behandeln. Wenn auch die Rechtsprobleme der Mandanten jeweils völlig unterschiedliche Vorgehensweisen bedingen, so benötigt jeder Anwalt und jede Kanzlei für den Erstkontakt, den Außenauftritt und das gesamte Marketing gewisse Standards. Beispielsweise ist ein Honorarrahmen festzulegen, die Angebotstiefe zu definieren und die wichtigsten Argumente im Außenauftritt sind herauszustellen. Ohne jede Richtschnur wäre ein aktives Marketing nicht möglich. Andererseits sind natürlich nicht alle Mandanten über einen Kamm zu scheren, es muss differenziert werden. Ein geeigneter Kompromiss liegt in der Betrachtung einzelner Mandantengruppen, die sich im Hinblick auf ihr Nachfrageverhalten ähneln, die also möglichst ähnliche Erwartungen an den Rechtsanwalt haben, eine vergleichbare Kaufkraft mitbringen oder sich mit einem vergleichbaren Rechtsproblem konfrontiert sehen. Die Betrachtung von Zielgruppen vermeidet starre Standardisierung ohne Rücksicht auf Nachfragebelange auf der einen und eine lediglich passive Reaktion auf die jeweiligen Erfordernisse von Mandanten auf der anderen Seite und liefert gleichzeitig eine tragfähige Planungsgrundlage. Dabei werden Unschärfen in Kauf genommen, denn jede Gruppierung basiert auf Hypothesen zu segmentspezifischen typischen Eigenschaften, die nicht immer der Realität entsprechen. Ein simples Beispiel: Ältere, wohlhabende Rechtsuchende sind sicher meist eine Klientel, die für Nachlassplanung besonders empfänglich ist, sofern der Bedarf noch besteht. Es mag aber auch Ausnahmen geben, so dass im Einzelfall auch andere Mandantentypen Interesse zeigen können. Klare Positionierung ohne die jeweils nicht priorisierten Gruppen nicht radikal auszugrenzen, ist daher eine wichtige Leitlinie im Marketing. Im zweiten Schritt der Marktsegmentierung werden aus den gebildeten Segmenten einzelne Stücke ausgewählt, die adressiert werden sollen (Schritt 2: Selektion). Die wenigsten Anwälte bzw. Kanzleien haben die nötigen Ressourcen, um wirklich den gesamten Rechtsberatungsmarkt abzudecken, denn neben einem großen Pool an Anwälten würde dies immense Kosten für die Außenkommunikation verursachen. Gerade bei einer differenzierten Bearbeitung des Gesamtmarktes werden die Marketingmaßnahmen ja den einzelnen Zielgruppen jeweils angepasst, so dass verschiedene Kommunikations- und Marketingkonzepte parallel umzusetzen sind. Der Regelfall ist also, dass ausgehend von einer Aufteilung des Marktes die nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten attraktivsten Segmente zur weiteren Bearbeitung ausgewählt werden. Natürlich ist dabei entscheidend, welcher Umsatz mit welchem Segment erzielt werden kann und zwar nicht nur einmalig, sondern mög- <?page no="179"?> Strategien 179 licherweise auch zukünftig. Der Vorteil der Bedienung gewerblicher gegenüber privaten Mandanten liegt beispielsweise unter anderem in einem meist häufigeren und regelmäßigeren Rechtsberatungsbedarf. Jedoch bildet das Umsatzpotenzial nicht das einzige Auswahlkriterium für Segmente. Da sich Gewinn bekanntlich aus dem Umsatz abzüglich der Kosten zusammensetzt, ist darüber hinaus mindestens ein Kriterium heranzuziehen, das den Aufwand bei der Bedienung bestimmter Mandantengruppen beschreibt. Die Einschätzung der Betreuungsintensität pro Mandantensegment in Zeit- oder Geldeinheiten kommt diesem Gedanken nah. Praktisch ist die Betreuungsintensität, die der Anwalt einplanen muss, natürlich von der jeweiligen Person des Mandanten bzw. der spezifischen Organisation abhängig, gleichwohl ergeben sich aber Ähnlichkeiten bei bestimmten Mandantengruppen. So ist beispielsweise in Fällen vorsorgender Beratung im wirtschaftsrechtlichen Bereich weniger Betreuungsaufwand erforderlich als bei einem komplizierten Scheidungsfall oder generell bei der Vertretung einer Großorganisation vor Gericht. Abb. 41: Phasen der Marktsegmentierung Umsatz- und Kostenüberlegungen spielen bei der Auswahl bestimmter Mandantensegmente sicher eine große, jedoch nicht die einzige Rolle. Unter Umständen kann die Bearbeitung bestimmter Gruppen auch interessant sein, weil die damit verbundenen Rechtsprobleme besonders spannende oder aktuelle Charakteristika aufweisen. Gerade wenn mittelfristig die Ausweitung des Dienstleistungsprogramms geplant ist, werden bestimmte Mandantensegmente gern deshalb adressiert, um Erfahrung in einem Gebiet zu gewinnen, fachspezifische Reputation aufzubauen oder um in einem aktuellen Fachgebiet den Anschluss nicht zu verlieren. Zur Erlangung des Fachanwaltstitels ist es etwa erforderlich, Erfahrungen im jeweiligen Gebiet vorweisen zu können. Das Kriterium des Referenzpotenzials bildet diesen Umstand ab. Viele Anwälte sind dazu übergegangen, Mandanten mit Einwilligung auf der Webseite zu benennen oder Rechtsfälle in anonymisierter Form zu be- 1. Zerlegung 2. Selektion 3. Ausrichtung Zerlegung eines gegebenen Marktes in möglichst homogene Teilmärkte Auswahl der erfolgversprechendsten Mandantensegmente zur weiteren Bearbeitung Entwicklung passender Marketingmaßnahmen für die ausgewählten Segmente <?page no="180"?> 180 Strategisches Kanzleimarketing schreiben. Dazu sind manche Mandantengruppen besser geeignet als andere. Ein weiterer, möglicherweise bedeutsamer Aspekt ist eine mögliche Weiterempfehlung bei der Bedienung bestimmter Mandantengruppen. Dies betrifft die Frage, inwieweit bestimmte Mandanten aufgrund eines großen Netzwerks indirekt für weitere Mandate sorgen. Ein nicht zu vernachlässigender Umstand ist auch das Cross-Selling- Potenzial von Kunden, also die Frage, ob Bedarf an weiteren Rechtsdiensten vermutet werden kann (zu den Attraktivitätskriterien von Mandanten bzw. Mandantensegmenten vgl. auch Kap. 6.2). Abb. 42: Kriterien der Auswahl von Mandantensegmenten Im zweiten Schritt der Zielgruppensegmentierung erfolgt also im Regelfall eine Auswahl der attraktivsten Mandantensegmente. Die vorgestellten Kriterien Umsatzpotenzial, Betreuungsintensität, Informationspotenzial und Referenzpotenzial ( Abb. 42) sind dabei hilfreich und sind je nach Interessenlage zu ergänzen oder anzupassen. Den letzten und dritten Schritt bildet die Ableitung geeigneter Marketingmaßnahmen für die Zielsegmente (Schritt 3: Ausrichtung). Die wichtigsten Fragen sind dabei, welche Dienste konkret zu welchen Konditionen angeboten werden und wie die Außendarstellung erfolgen soll. Mögliche Maßnahmen im Marketing sind im Detail das Thema in Kap. 1. Der komplizierteste Schritt bei der Marktsegmentierung steht meist am Anfang. Bei der Marktzerlegung stellt sich die entscheidende Frage, nach welchen Abgrenzungskriterien Mandantensegmente gebildet werden sollen. Auf der obersten Ebe- Umsatzpotenzial Wie umsatzträchtig sind Mandate in der jeweiligen Zielgruppe? Welchen Betreuungsumfang benötigen Mandanten der jeweiligen Zielgruppe? Cross-Selling- Potenzial Welcher Bedarf besteht dauerhaft an Rechtsdiensten? Gibt es Interesse an margenträchtigeren Diensten (Upselling) innerhalb der Zielgruppe? Weiterempfehlungspotenzial Sind in der Mandantengruppe relativ viele Multiplikatoren, die über ein großes Netzwerk verfügen? Kann die Mandantengruppe zu Empfehlungen motiviert werden? Referenzpotenzial Kann die jeweilige Zielgruppe für Weiterempfehlungen sorgen? Inwieweit können durch die jeweilige Zielgruppe neue fachliche Erkenntnisse geliefert werden? <?page no="181"?> Strategien 181 ne sind dabei meist zunächst private und gewerbliche Mandanten voneinander abzugrenzen. Beide Gruppen unterscheiden sich deutlich in ihrem Nachfrageverhalten, benötigen andere Dienstleistungen, eine andere Form der Kommunikation und der Honorargestaltung, so dass eine solche Trennung auf der Hand liegt. Die meisten Anwälte differenzieren auch zumindest auf dieser Ebene, indem explizit nur eine der Mandantengruppen überhaupt bedient wird oder beide Gruppen mit sehr unterschiedlichen Marketingmaßnahmen angesprochen werden. Auf vielen Webseiten von Anwaltskanzleien finden sich beispielsweise verschiedene Navigationspunkte für gewerbliche und private Mandanten, die jeweils zielgruppengerecht angesprochen werden und natürlich auch unterschiedliche Dienstleistungsangebote zu jeweils anderen Konditionen erhalten. Ausgehend von der Trennung in gewerbliche und private Rechtsuchende sind weitere Unterteilungen möglich und ratsam, denn naturgemäß sind die beiden Gruppen höchst heterogen. 4.5.4.2 Segmente im Markt für private Rechtsdienste Marktsegmentierung und Spezialisierung Im Bereich der privaten Mandanten sind Unterteilungen nach demografischen bzw. sozioökonomischen oder dienstleistungsspezifische Kriterien sehr verbreitet. Während erstere von der konkreten Nachfrage nach Rechtsberatung unabhängig sind und eher allgemeine, personenbezogene Merkmale darstellen, umfasst die zweite Gruppe Aspekte, die sich auf das Verhältnis zwischen Mandant und Anwalt, also die konkrete Nachfragesituation, beziehen. Zu den sehr gebräuchlichen demografischen bzw. sozioökonomischen Segmentierungskriterien zählen beispielsweise Alter, Geschlecht, Einkommen und der Wohnort. Diese Angaben sind im Zeitverlauf weitgehend konstant und haben keinen direkten Bezug zur konkreten Rechtsberatungssituation. Ein auf Erbrecht spezialisierter Anwalt könnte sich konsequenterweise auf die Ansprache von eher älteren Privatpersonen konzentrieren, da in dieser Gruppe eine höhere Neigung zu erwarten ist, sich mit Erbrechtsfragen zu befassen. Ein Spezialist für Scheidungen hingegen wird naturgemäß eher auf Personen fokussieren, die (noch) verheiratet sind, Steueranwälte vermehrt auf die einkommensstarke Klientel. In wettbewerbsintensiven Märkten besteht eine Tendenz, immer spezifischere Zielgruppen zu adressieren, um Austauschbarkeit zu vermeiden. Auch im Rechtsberatungsgeschäft ist dieser Trend zu beobachten. Mittlerweile gibt es Anwälte, die - teilweise aufgrund eigener Vorerfahrung - besonders spezielle Zielgruppen angehen. Anwälte, die sich an Beamte, an Selbständige, an besonders Vermögende oder an Personen mit Migrationshintergrund richten sind, keine Besonderheit mehr. Nicht immer korrespondiert die fokussierte Zielgruppe mit einem bestimmten Rechtsgebiet, sondern allenfalls mit bestimmten, eher häufig auftretenden juristischen Beratungsbedarfen. Die Kanzlei Birnbaum und Partner aus Köln richtet sich (unter anderem) beispielsweise explizit an Studenten mit Themen rund um Prüfungsrecht, Studienplatzklagen und Härtefallregelungen (vgl. Ludwig 2014). Letztendlich handelt es sich um Fragestellungen des Verwaltungsrechts, ein offizielles Rechtsgebiet mit dem Titel „Studentenrecht“ gibt es nicht. Die Zielgruppe ist sich aber hinsichtlich der nachgefragten Dienste ähnlich. <?page no="182"?> 182 Strategisches Kanzleimarketing Neben den demografischen bzw. sozioökonomischen Kriterien spielen dienstleistungsspezifische Segmentierungskriterien eine Rolle, die sich speziell auf die Zusammenarbeit zwischen Mandant und Anwalt beziehen. Unabhängig vom konkreten Rechtsgebiet bildet die Vorerfahrung mit Rechtsberatung ein wichtiges Unterscheidungskriterium für Anwälte. Mandanten, die bereits mehrfach mit Anwälten zu tun hatten, sind erfahrener im Hinblick auf den Ablauf, haben realistischere Erwartungen an ihren Anwalt und wissen tendenziell eher, welche Mitwirkung von ihnen gefordert ist. Insofern ist es durchaus relevant, zu Beginn der Mandantenbeziehung abzufragen, ob der Mandant möglicherweise das erste Mal einen Anwalt konsultiert oder nicht. Eine wichtige Einteilung dienstleistungsspezifischer Natur betrifft die Art der nachgefragten Dienste. Nur teilweise korrespondiert das mit der gängigen Einteilung von Diensten nach Rechtsgebieten, wie sie von Anwälten häufig zugrunde gelegt wird und sich nicht zuletzt auch in der Navigationsstruktur der Kanzleiwebseite, dem Aufbau von Broschüren oder auch im Beratungsgespräch bemerkbar macht. Mandanten denken nur selten in Rechtsgebieten, sondern in Problemfeldern: Nicht nach „Familienrecht“ wird gesucht, sondern nach „Scheidung“; nicht „Verkehrsrecht“ ist relevant, sondern „Führerscheinentzug“, „Idiotentest“, „Geschwindigkeitsüberschreitung“ oder „Alkohol am Steuer“. Für den Marketingerfolg ist es essenziell, die Übersetzung des rechtsorientierten Anwaltsdenkens in die problemorientierte Mandantensicht zu bewerkstelligen, denn nur so kann ein konsequent an den Nachfragebedürfnissen ausgerichtetes Marketing umgesetzt werden. Unabhängig von der Frage, ob eher demografische/ sozioökonomische oder dienstleistungsspezifische Segmentierungskriterien herangezogen werden, lassen sich Zielgruppen nach beobachtbaren oder abgeleiteten Segmentierungsmerkmalen abgrenzen. Beobachtbar sind alle Kriterien, die sich halbwegs objektiv feststellen lassen und an äußerlich sichtbare Faktoren anknüpfen, die verfügbar sind. Alter, Wohnort, Einkommen, aber auch die nachgefragten Dienste gehören damit zu den beobachtbaren Faktoren. Weniger gut nachvollziehbar sind abgeleitete Segmentierungskriterien, die eher die Persönlichkeit des Mandanten betreffen. Mit Sicherheit wäre es vorteilhaft, Mandanten hinsichtlich ihrer Kooperationsbereitschaft, ihrer Risikoeinstellung, ihrer moralischen Werte oder ihrer Sensibilität im Hinblick auf die Honorarhöhe zu unterscheiden. Derartige, eher psychologische Aspekte sind schwer zu ermitteln, haben allerdings hohen Einfluss auf den Erfolg der Zusammenarbeit für beide Seiten. Eine Segmentierung nach nicht beobachtbaren Kriterien ist daher in vielen, eher konsumnahen Branchen auf dem Vormarsch. Eine sehr gebräuchliche Segmentierung der Sinus Sociovision GmbH schlägt etwa die Unterscheidung von Zielgruppen nach unterschiedlichen soziologisch-psychologischen Kriterien vor. Ein Lebensstil ergibt sich dabei durch die Kombination von bestimmten sozialen Schichten und gelebten Werten bzw. Grundprinzipien. Auf dieser Basis unterscheidet das Sinus Institut zehn Segmente, die jeweils durch unterschiedliche Lebensstile geprägt sind ( Abb. 43). Das Modell wurde bereits auf zahlreiche Branchen übertragen und wird stark in der Marktforschung eingesetzt. Demzufolge sind Adressdaten und zusätzliche Segmentinformationen verfügbar, die über verschiedene Anbieter käuflich erworben werden können. Der Zusammenhang zwischen Lebensstilen und der Nachfrage nach Rechtsdienstleistungen ist bislang noch unklar, wäre aber ein interessanter Forschungsgegenstand. <?page no="183"?> Strategien 183 Abb. 43: Sinus-Milieus in Deutschland (2017) ( http: / / www.sinus-institut.de/ sinus-loesungen/ sinus-milieus/ ) Im Überblick lassen sich die Segmentierungsmöglichkeiten bei privaten Mandanten in einer Matrix festhalten, die Anknüpfungspunkt und Beobachtbarkeit der Abgrenzungskriterien gegenüberstellt und so die prinzipiellen Möglichkeiten der Fokussierung aufzeigt ( Tab. 11). Allgemein wächst das Bewusstsein in der Anwaltschaft, dass die Ausrichtung auf Segmente, die von Konkurrenten bisher weniger beackert werden, eine erfolgversprechende Marketingstrategie darstellen kann. Klar stehen dabei direkt beobachtbare Kriterien im Fokus, die entweder die Person des Mandanten betreffen oder aber die Art der nachgefragten Dienstleistungen. Ob derartig spitz angelegte Ausrichtungen aber tatsächlich den erwarteten Umsatzzuwachs bringen, hängt entscheidend davon ab, ob die anvisierten Segmente auch tatsächlich besondere Merkmale im Hinblick auf ihre Nachfrage nach Rechtsdiensten aufweisen, möglicherweise nur „im Trend liegen“ oder ganz allein auf einem spezifischen Interesse des Anwalts beruhen. Sicher ist es auch aus Marketingsicht zielführend, wenn der Anwalt durch eine besondere Affinität oder gar durch eigene Zugehörigkeit zu einer Zielgruppe segmentspezifische Kompetenz demonstrieren kann, allerdings ist der Markterfolg wesentlich davon abhängig, dass die umworbene Zielgruppe auch Nachfragebesonderheiten aufweist und nicht nur als Aufhänger für einen cleveren Marketinggag genutzt wird. Hinzu kommt die Überlegung, ob die adressierte Zielgruppe tatsächlich groß genug ist, um einen Anwalt oder gar eine ganze Kanzlei dauerhaft zu beschäftigen. Beispielsweise gibt es in Leipzig eine rein weibliche Anwaltskanzlei, die auch bei Mandanten auf Frauen und Kinder fokussiert ( http: / / www.anwaeltinnenbuero-leipzig.de). Das Konzept leuchtet ein, weil Frauen und Kinder tatsächlich andere Rechtsprobleme haben, spezifische Erwartungen als Mandanten mitbringen und die Zielgruppe insgesamt groß genug ist. Auch der Manageranwalt ( http: / / www.manager-anwalt.de), der Behindertenanwalt ( http: / / www.behindertenanwalt.gv.at) oder die zahlreichen Hartz-IV-Anwälte (z. B. http: / / www.hartz-iv-anwalt-erfurt.de) <?page no="184"?> 184 Strategisches Kanzleimarketing richten sich an größere Segmente, die möglicherweise spezielle juristische Bedarfe haben. Ob es hingegen wirtschaftlich lukrativ ist, sich als Anwalt auf Oldtimerbesitzer zu konzentrieren ( http: / / www.oldtimer-anwalt-berlin.de), auf Übergewichtige (http: / / www.adipositas-anwalt.de) oder auf Musiker ( http: / / www.musikeranwalt.de), bleibt offen. Sehr spitz ist auch die Ausrichtung auf Pferderecht ( http: / / www.pferderechtsanwaelte.de), Hunderecht ( http: / / www.hundekanzlei.de) oder Kirchenrecht ( http: / / www.rechtsanwalt-kirchenrecht.de), bei denen eine Orientierung an dienstleistungsspezifischen, direkt beobachtbaren Merkmalen vorliegt. In allen drei Fällen handelt es sich nicht um abgrenzbare, bekannte Rechtsgebiete, sondern eher um eine Kombination von Rechtsfragen, die bestimmte Zielgruppen (Reiter, Tierbesitzer, Würdenträger) betreffen. Ähnlich verhält es sich auch mit dem Raumfahrtrecht, das bundesweit vor allem durch die Kanzlei BHO Legal in Köln ( http: / / www.bho-legal.com) vertreten wird. Wie groß der Adressatenkreis für juristische Beratungsangebote aus diesem Umfeld ist, ist offen. Nachfragemerkmale allgemeine Merkmale dienstleistungsspezifische Merkmale Erfassung der Merkmale direkt beobachtbar personenbezogene Merkmale unabhängig von der Nachfragesituation relativ stabil im Zeitablauf gut erfassbar Beispiele Alter, Geschlecht, Einkommen, Ausbildungsstand dienstleistungsspezifische Merkmale abhängig von der Nachfragesituation können sich rasch verändern gut erfassbar Beispiele Konsultationserfahrung, nachgefragte Dienste, Zahlungsverhalten indirekt beobachtbar/ abgeleitet personenbezogene Merkmale unabhängig von der Nachfragesituation relativ stabil im Zeitablauf schlecht erfassbar Beispiele Sicherheitsbedürfnis, Lifestyle, Statusbewusstsein dienstleistungsspezifische Merkmale abhängig von der Nachfragesituation können sich rasch ändern schlecht erfassbar Beispiele Mandantentreue, Preissensibilität Tab. 12: Marktsegmentierungskriterien für private Mandanten (vgl. ähnlich Frank / Massey / Wind 1972, S. 27 zitiert nach Freiling / Reckenfelderbäumer 2010, S. 144) <?page no="185"?> Strategien 185 Praxisbeispiel Sex, Drugs and Rock´n Roll Abb. 44: Webseite des Biker-Anwalts Sven Rathjens ( http: / / www.bikerkanzlei.de) Der starke Wettbewerb unter Anwälten führt vor allem im Bereich der privaten Mandanten dazu, dass der Markt sich stärker denn je parzelliert. Auf der Suche nach einer passenden und auskömmlichen Marktnische gehen Anwälte manchmal ungewöhnliche Wege. Hinzu kommt, dass Kunden und Mandanten branchenübergreifend immer stärker Leistungen erwarten, die speziell auf sie zugeschnitten sind. Standardlösungen werden nicht mehr akzeptiert, so dass auch Nachfrageentwicklungen für die starke Nischenentwicklung verantwortlich sind. Rechtsanwalt Sven Rathjens ist das Paradebeispiel des Spezialanwalts. Seit Jahren hat er sich in der Biker-Szene einen Namen gemacht und sein Profilfoto auf der Kanzlei-Homepage dokumentiert, dass Rathjens (mit Lederjacke und Sonnenbrille) selbst begeisterter Motorradfan ist. Besucher seiner Onlinepräsenz lässt er außerdem wissen, dass er sein erstes Mofa mit 14 gefahren hat, sich für Kampfsport und Hunde interessiert, Mitglied im Rostocker Harley-Club und glücklicher Vater ist - alles Anknüpfungspunkte für eine besondere Form von Nähe und Bindung zu seiner Kundschaft. Als Rathjens vor Jahren seine „Bikerkanzlei“ aufbaute, wurde er nach eigener Aussage „von vielen Kollegen nur müde belächelt“. Inzwischen lacht keiner mehr, denn allein über die Facebook-Seite der Kanzlei ( https: / / www.facebook.com/ BikerKanzlei), die ebenfalls ganz und gar auf die Bikergemeinde eingestellt ist, gewinnt er pro Woche ca. 15 neue Mandate. Neben Verkehrsrechtsverstößen und Fragen zu erlaubten Umbauten und Kaufverträgen gehören auch Fragen der Bandenkriminalität und Prostitution zum Geschäft (vgl. Dürr 2013). „Bei über 160.000 Anwälten in Deutschland ist jeder gut beraten, seine Nische zu finden und ich verfolge sehr gern den Weg, Hobby und Beruf miteinander zu ver- <?page no="186"?> 186 Strategisches Kanzleimarketing binden“, sagt Rathjens. Weil das so gut funktioniert, hat der Biker-Anwalt ein weiteres Hobby zum Beruf gemacht: Seit zwei Jahren ist Rathjens zusätzlich als der „Tuning-Szene-Anwalt“ unterwegs und das sogar erfolgreicher denn je. In der Tuning-Szene wird der Rostocker Anwalt längst respektvoll der „TSA“ genannt. Selbstverständlich gibt es auch zu diesem Projekt eine Facebook-Seite mit mehr als 46.000 Fans (Stand: Oktober 2017), die jeden Tag Fragen an den Rechtsanwalt schicken. Rathjens beantwortet sie größtenteils, denn eine unverbindliche Kurzeinschätzung (die keine Erstberatung ersetzt) ist bei ihm kostenlos. Die Frage wird anonymisiert nebst der Einschätzung des Anwalts auf der Facebook- Seite veröffentlicht, so dass nebenbei authentische und zielgruppenrelevante Inhalte entstehen. Momentan wird an einem bundesweiten Portal gearbeitet, das als zentrale Anlaufstelle für Rechtsfragen für die Tuning-Szene dienen soll ( http: / / tuningszeneanwalt.de). Zirka 90 Anwälte wirken mit, zudem Rechtsschutzversicherer und Tuningfirmen. Ähnlich wie Motorsportfan Rathjens hat sich auch die Kanzlei Knop & Prase auf eine ganz spezielle Klientel eingeschossen: K&P ist eine der bundesweit einzigartigen Kanzleien, die sich auf die Rechtsprobleme von Prostituierten ausgerichtet haben ( http: / / www.anwalt-prostitutionsrecht.de). Mit dem Fokus auf „Prostitutionsrecht“ (das im Wesentlichen eine Mischung aus steuer-, straf- und ausländerrechtlichen Aspekten darstellt) und aufgrund jahrelanger Erfahrung bei der Vertretung des horizontalen Gewerbes bietet die Kanzlei eine Spezialisierung, welche im Großraum Frankfurt a.M. - dem Sitz der Kanzlei - potenziell sehr gefragt ist. Die vollständige Orientierung an den Belangen der Zielgruppe kommt auch in der Beratungssprache zum Ausdruck: Die Anwälte von K&P beraten auf Anforderung gern auch in Russisch, Polnisch und Rumänisch. In Sachen Sex kennt sich auch Rechtsanwalt Marko Dörre aus Berlin aus ( http: / / www.doerre.com), der sich selbst „der Pornoanwalt“ nennt. Er berät hauptsächlich Schauspieler, Produzenten und andere Mandanten aus der Erotikbranche zu jugendschutzrechtlichen Fragen, begleitet Auseinandersetzungen mit Jugendschutzbehörden sowie Staatsanwaltschaften und ist als Jugendschutzbeauftragter tätig. Ein erfolgversprechender Ansatz, denn die rechtlichen Unsicherheiten in diesem Bereich sind riesig. Dörre hat sich vorausschauend die Domain „pornoanwalt.de“ schützen lassen und beabsichtigte sogar, die Webpräsenz seiner Kanzlei unter dieser Internetadresse zu betreiben, doch die Rechtsanwaltskammer Hamburg verbot dieses Vorhaben. Seitdem betreibt Dörre an dieser Stelle einen beliebten Weblog rund um sein Rechtsgebiet und kurbelt damit sein Geschäft weiter an. Nötig hat er es wohl nicht, denn nach nur zwei Jahren als junger Anwalt konnte er durch seine geschickte Spezialisierung seine Dienste auf der Grundlage einer Honorarvereinbarung anbieten. Dörre ist überzeugt, dass Sex-Anbieter die idealen Mandanten sind, denn: „Die haben jede Menge Geld, jede Menge juristische Probleme - und sind auch noch locker drauf.“ (Schürmann 2004, S. 19) Ein (leider) wachsendes Segment vertritt Ralf Kaiser: Der Rechtsanwalt aus Bielefeld ist auf Drogendelikte spezialisiert und damit auf Fragen aus verschiedenen Rechtsgebieten (z. B. Verkehrsrecht, Strafrecht), die auf Abhängige, Dealer oder sonstige Kreise zukommen, die mit Betäubungsmitteln zu tun haben ( http: / / www.drogen-anwalt.de). Ganz ähnlich vertritt in Berlin Rechtsanwalt Ben- <?page no="187"?> Strategien 187 jamin C. Wenzel „Mandantschaft mit drogenrechtlichen Problematiken“, allerdings fokussiert auf strafrechtliche Aspekte ( http: / / www.drogenanwalt-berlin.de). Aus Sicht des Marketings handelt es sich in beiden Fällen um Segmentierungen anhand von dienstleistungsspezifischen, allgemein beobachtbaren Merkmalen. Die angebotenen Services (mehrsprachige Beratung, Rund-um-die-Uhr-Erreichbarkeit) sind auf die Belange des Zielsegments ausgerichtet. Die Anwälte haben damit einen Trend der Zeit aufgegriffen, denn in einschlägigen Internetforen sind sogenannte „Cannabis-Anwälte“, die Marihuana-Nutzer vertreten und sich im Dschungel der Diskussion um Cannabislegalisierung erfolgreich zurecht finden, durchaus ein Thema (vgl. o. V. 2013). In den USA sind hingegen die sehr spezialisiert arbeitenden „DUI Lawyer“ (DUI = drive under the influence) oder auch „DWI Lawyer“ (DWI = driving while intoxicated) ein Massenphänomen. Die „DUIs“ haben sich ganz der Verteidigung von Beschuldigten verschrieben, die unter Alkohol- oder Drogeneinfluss mit einem Fahrzeug gefahren sind. Last but noch least bleibt die Kanzleiausrichtung von Christian Koch zu erwähnen. Mit dem Versprechen „rechtssicher rocken“ wendet sich „der Metal- Anwalt“ an die Freunde des Hardrocks ( http: / / www.metal-anwalt.de). Seine Mission ist es, „fundierte und vor allem günstige Rechtsberatung für alle Aspekte des Musizierens“ anzubieten, „von einem, der das Gefühl kennt, wenn man in der ersten Reihe steht, das Licht ausgeht und die ersten Riffs über die Bühne peitschen“. Um das sicherzustellen, ist Koch nicht nur telefonisch, per E-Mail und über Facebook für seine Mandanten da, sondern veröffentlicht auch, welche Rockkonzerte er wann und wo besucht, damit man ihn dort treffen kann. Mit Statements wie „die Robe ist meine Kutte“ oder „du hast ein geiles Logo gezeichnet und willst es Dir schützen lassen“ macht Koch auf seiner Homepage deutlich, dass er nicht nur die Probleme seiner Mandanten versteht, sondern auch deren Sprache bestens beherrscht. Die Frage bleibt: Lohnt sich die Ausrichtung auf sehr enge, teilweise recht exotisch anmutende Nischensegmente für Anwälte? Generell ist das schwer zu beantworten. Natürlich bietet die Fokussierung auf ganz bestimmte Kundengruppen die Chance, sich eine nahezu monopolartige Stellung in einem sehr eng umgrenzten Marktumfeld zu verschaffen. Wer einmal Fuß gefasst hat, kann leichter höhere Honorare durchsetzen und hat darüber hinaus, vielfältige Möglichkeiten, der Zielgruppe weitere Dienstleistungen im definierten Rechtsbereich und darüber hinaus erfolgreich anzubieten. Mandanten wie Kunden honorieren die Tatsache, dass ein Dienstleister sich offensichtlich gänzlich auf ihre Belange eingestellt hat. Sie reagieren weniger preisempfindlich und entschließen sich leichter zu Folgemandaten. Auf der anderen Seite ist eine zu starke Fokussierung oft risikoreich, denn wenn die ausgewählte Mandantengruppe nicht dauerhaft für stabile Nachfrage sorgt, bestehen nur wenige Möglichkeiten des Ausgleichs. Es sind also einige kritische Aspekte zu bedenken, wenn eine Entscheidung für oder gegen eine Spezialisierung zu fällen ist. <?page no="188"?> 188 Strategisches Kanzleimarketing Checkliste Wann eignet sich Spezialisierung? Eine starke Spezialisierung ist nicht in jedem Fall das Mittel der Wahl für Anwälte. Tendenziell bietet sie sich eher an, wenn die folgenden Punkte gegeben sind: Anwalt bzw. Kanzlei bringen besondere Expertise in bestimmten Rechtsgebieten oder in Bezug auf bestimmte Mandantengruppen mit. Die ausgewählte Nische liefert eine kritische Anzahl an Mandaten. Die anvisierte Mandantengruppe verfügt über eine zumindest durchschnittliche Kaufkraft. Nur wenig Konkurrenten sind bisher in diesem Spezialgebiet tätig. Die Bedienung der Nische ist diffizil und erfordert spezielle Kenntnisse und Erfahrungen, die andere Anwälte bzw. Kanzleien nicht so leicht erwerben können. Anwalt bzw. Kanzlei haben eine hohe Affinität zu der ausgewählten Mandantengruppe (weisen beispielsweise selbst entsprechende Segmentmerkmale auf). Innerhalb eine Segments ist bereits eine gute Marktposition erarbeitet worden. Die Zielgruppe kann durch Marketingmaßnahmen gut erreicht werden. Empirische Befunde zur Mandantensegmentierung Bislang existieren nur wenig empirische Befunde zu der Frage, welche Besonderheiten Mandanten aufweisen. Aufgrund der Bandbreite der Rechtsprobleme kann davon ausgegangen werden, dass insgesamt jede Privatperson als Nachfrager für Rechtsdienstleistungen zu einem bestimmten Zeitpunkt in Betracht kommt, aber je nach Spezialisierung können sich die Mandanten einzelner Anwälte hinsichtlich beobachtbarer Merkmale unterscheiden. So ist davon auszugehen, dass ein Fachanwalt für Erbrecht im Schnitt ältere Mandanten betreut als ein Anwalt, der sich auf Jugendstrafrecht spezialisiert hat. Viel interessanter ist aber noch, ob sich hinsichtlich indirekt beobachtbarer Merkmale, also im Hinblick auf Erwartungen und Beurteilungen der anwaltlichen Leistung Mandantensegmente voneinander abgrenzen lassen. Im Rahmen einer im Jahr 2013 durchgeführten Befragung der Hochschule Rhein-Waal und der Innofact AG ( S. 107) wurde dieser Frage nachgegangen. Dazu wurden die Angaben von 538 privaten Mandanten einer statistischen Clusteranalyse unterzogen. Im Resultat zeigte sich, dass sich hinsichtlich der Erwartungen an den Anwalt und der Einschätzung seiner Leistung fünf Segmente unterscheiden lassen: Die Erfahrenen Die Erfahrenen stellen rund 20 % der Mandantschaft (genau genommen 19,89 % in der Stichprobe) und haben überwiegend bereits mehrfach einen Anwalt konsultiert. Sie wissen deshalb genau, was sie wollen und haben durchweg hohe Erwartungen an den Dienstleister. Vor allem die Fachkompe- <?page no="189"?> Strategien 189 tenz des Anwalts ist ihnen sehr wichtig. Weniger relevant sind hingegen die Höhe des Honorars, ansprechende Räumlichkeiten oder kompetentes Personal. Die Erfahrenen halten die Dienstleistungen von Anwälten für teuer und haben insgesamt kein besonders positives Image der Berufsgruppe. Stärker als andere Segmente assoziieren Sie mit der Berufsgruppe der Anwälte Begriffe wie „distanziert“, „überheblich“ oder „Großverdiener“. 36 % der Segmentangehörigen sind zwischen 50 und 65 Jahren alt, männliche und weibliche Mandanten sind etwa im gleichem Umfang vertreten. Die Voreingenommenen Mit nur 4,46 % bilden die Voreingenommenen ein kleines Segment. Es handelt sich um eher junge Leute, die selten oder nie mit einem Anwalt zu tun hatten und den Kontakt zur Berufsgruppe auch eher meiden. Die Beurteilung der Leistungen von Anwälten ist in allen Punkten negativer als bei anderen Zielgruppen. Lediglich das Honorar wird als weniger hoch eingeschätzt. Die Erwartungen an den Anwalt sind eher gering, denn die Voreingenommenen begegnen Anwälten mit großer Skepsis. Aus Marketingsicht ist das Segment eine echte Herausforderung, denn hier muss zunächst der prinzipielle Nutzen des Rechtsanwalts vermittelt werden. Die Qualitätsbewussten Mit 28,62 % stellen die Qualitätsbewussten das größte Segment unter privaten Mandanten dar. Wie die Erfahrenen, so haben auch die Qualitätsbewussten sehr hohe Leistungserwartungen, insbesondere an Fachkompetenz, Engagement und Zuverlässigkeit. Insgesamt wird die Anwaltsleistung jedoch verhalten positiv eingeschätzt. Der Anwalt wird als Dienstleister gesehen, dessen Auswahl und Bewertung nach objektiven Kriterien vorgenommen wird, nicht nach Bauchgefühl. Aus diesem Grund haben Anwälte nach der Auffassung dieses Segments auch kein sonderlich ausgeprägtes Profil im Sinne von typischen Eigenschaften. Es ist insgesamt schwer, die Qualitätsbewussten zufrieden zu stellen, aber vor allem mit überdurchschnittlicher Leistung durchaus machbar. Die Zufriedenen Rd. 24 % der Befragten zeichnen sich durch hohe Erwartungen an den Anwalt bei gleichzeitig sehr positiven Beurteilungen aus. Die Zufriedenen weisen keine Besonderheit hinsichtlich Geschlecht, Alter und Vorerfahrungen mit Anwälten auf, heben sich jedoch aufgrund ihrer guten Leistungsbeurteilung von anderen Zielgruppen ab. Eigene Erfahrungen, Erzählungen von Bekannten oder auch genereller Respekt vor dem Berufsstand können dafür ausschlaggebend sein. Die Gründe sind vielfältig und nicht eindeutig erkennbar. Auch wird der Berufsgruppe der Anwälte ein eher positives Image zugesprochen. Die Zufriedenen sind daher durch Marketingmaßnahmen am leichtesten zu erreichen. Die Indifferenten 23 % der Mandanten sind tendenziell unerfahren was die Zusammenarbeit mit Anwälten angeht und haben deshalb auch kein ausgeprägtes Bild von der Berufsgruppe. Erwartungen und Leistungsbeurteilungen liegen im Durchschnitt, vor allem wird wenig Unterschied zwischen einzelnen Beurteilungsaspekten gemacht. Ob es um Empathie, Durchsetzungsstärke, Kommunikationskompetenz oder Engagement geht - die Indifferenten finden alles etwa gleich wichtig und beurteilen die Anwaltsleistung auch sehr ähnlich. Ganz offenbar ist der Zielgruppe eine genaue Differenzierung entweder nicht möglich oder das Thema ist schlicht nicht wichtig. Die Indifferenten sind im Durchschnitt jünger und zu einem hohen Prozentsatz sogar jünger als 25 Jahre. <?page no="190"?> 190 Strategisches Kanzleimarketing Es liegt auf der Hand, dass jede einzelne Zielgruppe andere Schwerpunkte im Marketing abfordert. Während die Indifferenten und die Voreingenommenen mit Hilfe entsprechender Kommunikation überhaupt erst einmal von der anwaltlichen Arbeit überzeugt werden müssen, liegt der primäre Ansatzpunkt bei den Qualitätsbewussten bei einer überragenden Servicequalität. Die Erfahrenen benötigen nur wenig Aufklärung zu den Modalitäten der Zusammenarbeit, während die Indifferenten viel Vorabinformation brauchen. Es macht daher sehr viel Sinn, Mandanten bereits beim Erstkontakt grob einordnen zu können. In der Praxis läßt sich das durch einen kurzen Fragebogen bewerkstelligen, den Mandanten bei der Aufnahme ihrer persönlichen Angaben gleich mit ausfüllen. Ähnlich wie beim ersten Arztbesuch, bei dem Patienten oft bereits vor der ersten Untersuchung mit einigen Fragen zu ihrem Gesundheitszustand konfrontiert werden, könnten Fragen zur Anwaltserfahrung sowie zu den Erwartungen und zur Beurteilung bisheriger Anwaltsleistungen gestellt werden. Das Ergebnis bringt Klarheit, welcher Zielgruppe der Mandant zuzuordnen ist und kann als Gesprächsleitfaden für den Erstkontakt genutzt werden. Beispiel Fragebogen für Neumandanten Herzlich Willkommen bei Mustermann und Partner. Unsere Kanzlei möchte von Anfang an so für Sie da sein wie Sie es sich wünschen. Erlauben Sie uns bitte deshalb, dass wir Ihnen einige Fragen stellen, die uns helfen, Sie schon vor Ihrem ersten Beratungsgespräch ein wenig kennen zu lernen. Ihre Angaben sind selbstverständlich freiwillig und werden vertraulich behandelt. Name: ___________________________________________________ Adresse: ___________________________________________________ E-Mail: ___________________________________________________ Telefon: ___________________________________________________ 1. Haben Sie vor Ihrem Kontakt zu unserer Kanzlei bereits einmal einen Rechtsanwalt konsultiert? Nein, noch nie Ja, einmal Ja, mehrmals 2. Wenn Sie bereits einmal oder mehrmals einen Anwalt konsultiert haben: Wie beurteilen Sie Ihre bisherigen Erfahrungen? sehr gut gut mittel schlecht sehr schlecht <?page no="191"?> Strategien 191 3. Wie wichtig sind Ihnen die folgenden Aspekte in der Zusammenarbeit mit einem Rechtsanwalt? 4. Wie möchten Sie von uns vorrangig kontaktiert werden? via E-Mail telefonisch per Post 5. Haben Sie Interesse, unseren elektronischen Kanzlei-Newsletter mit Neuigkeiten aus der Rechtsprechung und rund um unsere Kanzlei zu beziehen? (Der Newsletter erscheint derzeit einmal pro Monat und ist selbstverständlich kostenlos.) Ja Nein 6. Welche Punkte sind Ihnen bei der Zusammenarbeit mit uns noch besonders wichtig? ______________________________________________________________ ______________________________________________________________ ______________________________________________________________ ______________________________________________________________ ______________________________________________________________ 7. Eine letzte Frage: Wie sind Sie auf unsere Kanzlei aufmerksam geworden? Internetsuche Empfehlung von Freunden/ Bekannten Werbeanzeige in Tageszeitung Seminar Sonstiges: ___________________________________________________ sehr wichtig wichtig weniger wichtig gar nicht wichtig objektive Einschätzung meiner Erfolgsaussichten verständliche Erklärung des Sachverhalts geringer Zeit- und Abstimmungsaufwand gute telefonische Erreichbarkeit von Anwalt und Kanzlei kurze Antwortzeiten ganzheitliche Beratung, die z.B. auch wirtschaftliche Fragen umfasst <?page no="192"?> 192 Strategisches Kanzleimarketing 4.5.4.3 Segmente im Markt für gewerbliche Rechtsdienste Die Informationslage zu den besonderen Vorlieben und Merkmalen von Mandantengruppen ist meist dürftig. Das liegt keineswegs daran, dass Rechtsanwälte nichts über ihre Mandanten wissen, ganz im Gegenteil. Aus der langen und engen Zusammenarbeit sind oft eine Fülle von teilweise recht intimen Einzelheiten bekannt. Es fehlt in der Praxis jedoch meist an einer strukturierten Form der Sammlung und Auswertung, wobei natürlich datenschutzrechtliche Gesichtspunkte zu beachten sind. Auch sind meist Informationen vorhanden, die im Grunde für das Marketing unmittelbar nur wenig bringen. Das gilt in der Praxis gleichermaßen für private wie auch für gewerbliche Mandanten. Im Sinne der gängigen Marketinglehre kann davon ausgegangen werden, dass sich Unternehmen als Nachfrager von Rechtsdienstleistungen von privaten Mandanten erheblich unterscheiden. Das gilt in ähnlicher Weise auch für Organisationen mit nicht-kommerziellem Hintergrund oder für Behörden. Wenn im Folgenden von gewerblichen Mandanten die Rede ist, sind alle Formen von Organisationen gemeint. Synonym wird daher auch der Begriff des organisationalen Mandanten verwendet, wenngleich in der Praxis natürlich nicht alle Organisationen mit privatwirtschaftlichem Hintergrund tätig sind. Im Hinblick auf das Verhalten als Mandant kann von dieser Unterscheidung abgesehen werden. Üblicherweise wird das Entscheidungsverhalten von Unternehmen, Behörden und anderen Organisationen durchgängig rationaler, strukturierter und professioneller ablaufen - so zumindest die verbreitete Generalhypothese von Marketingexperten. Tatsächlich spricht vieles für diese Grundannahme. Im Gegensatz zur privaten Kaufsituation entscheiden sich Organisationen nicht impulshaft, sondern folgen festgelegten Prozessbeschreibungen. Fehlentscheidungen werden regelmäßig sanktioniert, sprich: Wird die „falsche“ Anwaltskanzlei mandatiert und entstehen dem Unternehmen dadurch am Ende hohe Zusatzkosten, kommt es häufig zu negativen Konsequenzen (z. B. Gehaltseinbußen, Positionswechsel, im Extremfall Beendigung des Arbeitsverhältnisses) für die Auswahlverantwortlichen. Alle diese Faktoren sorgen dafür, dass die Zusammenarbeit mit organisationalen Mandanten vor und während der Mandatsbearbeitung stärker von Vernunftsaspekten geprägt ist als bei privaten Mandanten. Natürlich können viele, die an der Vertriebsfront tätig sind, Anekdoten berichten, welche an der Rationalität organisationaler Kunden bzw. Mandanten ernsthafte Zweifel aufkommen lassen und auch die betriebswirtschaftliche Forschung hat mittlerweile die hohe Relevanz von verhaltenswissenschaftlichen Gesichtspunkten auch bei gewerblichen Nachfragern erkannt. Dennoch ist eine im Durchschnitt höhere Rationalität gewerblicher Mandanten plausibel. Treten Organisationen als Mandanten auf, kann noch von einer weiteren Besonderheit ausgegangen werden: Gerade bei Entscheidungen größerer Tragweite (zu der auch die Beauftragung einer Anwaltskanzlei gehören kann) wird im Regelfall nicht eine Person allein, sondern ein Gremium die Auswahl treffen. Rechtsanwälte machen mehr und mehr die Erfahrung, dass auch der Einkauf im Auswahlprozess stark eingebunden ist. Neben der Fachseite (häufig dem Leiter der Rechtsabteilung) sind dann auf jeden Fall schon einmal zwei Personen mit im Spiel, sehr oft aber ein noch größeres Team, das im Fachjargon auch als Buying Center (vgl. Webster / Wind 1972) bezeichnet wird. Ein Buying Center besteht stets aus mehr als einer Person und umfasst im Extremfall die folgenden Rollenträger: <?page no="193"?> Strategien 193 Der Nutzer (User) Der Anwender ist im Falle der Rechtsdienstleistung die Person, für oder mit der unmittelbar gearbeitet wird. In den meisten Fällen dürften das Mitarbeiter und Leiter der Rechtsabteilung sein, die Geschäftsleitung oder auch Angehörige anderer Unternehmenseinheiten, soweit sie von der anwaltlichen Tätigkeit betroffen sind. Der Einkäufer (Buyer) Der Einkäufer konzentriert sich auf die kaufmännische Seite der Dienstleisterauswahl und übernimmt eine prominente Rolle bei Vertragsverhandlungen. Der Entscheider (Decider) Entscheider ist, wer die endgültige Auswahlentscheidung trifft. Je nach Unternehmensgröße und -struktur kann dies der Leiter der Rechtsabteilung sein, oder aber auch die Geschäftsleitung oder das höhere Management. Der Wächter (Gatekeeper) Der Wächter hat keine formale Rolle im Buying Center, ist aber informell sehr wichtig. Aufgrund seiner Position und seines Zugangs zu den Mitgliedern des Auswahlgremiums hat der Wächter die Macht, Informationen weiter zu geben oder auch zurück zu halten. Im betrieblichen Alltag kommt diese Stellung sehr oft dem Sekretariat, Vertretern oder Assistenten zu, an denen jeder Dienstleister erst einmal „vorbei muss“, um überhaupt mit seinem Angebot vorstellig werden zu können und damit Informationen zeitgerecht und vollständig weiter gereicht werden. Der Beeinflusser (Influencer) Wie der Wächter, so hat auch der Beeinflusser keine formale Rolle inne. Er wirkt regelmäßig im Hintergrund und wirkt auf den Entscheidungsprozess durch aktive Meinungsbildung ein. Der Beeinflusser ist häufig ein erfahrener Mitarbeiter oder Manager, im Extremfall der Lebenspartner des Entscheiders oder ein sonstiger Außenstehender. Zu berücksichtigen ist, dass es sich jeweils um Rollen, nicht um Personen handelt. Das bedeutet, dass eine Person mehrere Rollen einnehmen kann und auch mehrere Personen die gleiche Rolle spielen können. Auch sind die Rollen nicht bei jedem gewerblichen Mandanten gleich besetzt und vorhanden (vgl. Oberstebrink 2014, S. 58). Allein das Wissen um die unterschiedliche Aufgabenverteilung bei der Konsultation von Anwaltskanzleien bringt jedoch schon viel, denn daraus bildet sich eine gute Analysestruktur für den Akquisitionsprozess. Anwälte, die sich als Dienstleister von gewerblichen Mandanten empfehlen, sind gut beraten, nicht nur das Unternehmen als Ganzes, sondern auch die eingebundenen Rollenträger gut zu kennen. Dazu gehört auch, zwischen Förderern und Gegnern zu unterscheiden sowie die Größe des Einflusses einzuschätzen. Eine weitere wichtige Information bildet die individuelle Interessenlage, die eher fachlich (bei Mitarbeitern der Rechtsabteilung) oder eher kaufmännisch (bei Einkaufsverantwortlichen) ausgerichtet sein kann. Im Endeffekt mündet die Buying-Center-Analyse in detaillierten Akquiseprofilen, welche die wichtigsten Akteure auf der Mandantenseite näher beschreiben und dadurch eine wichtige Hilfestellung im Vertrieb geben können ( Abb. 45). <?page no="194"?> 194 Strategisches Kanzleimarketing Abb. 45: Beispiel eines Akquiseprofils (in Anlehnung an Oberstebrink 2014, S. 64) In ähnlicher Form wie bei Privatmandanten lassen sich auch für gewerbliche Mandanten Kriterien ableiten, die zu einer Segmentierung von Kundengruppen herangezogen werden können. Auch bei der Einteilung von rechtsuchenden Organisationen lassen sich direkte und indirekte Segmentierungskriterien einerseits sowie allgemeine und dienstleistungsspezifische Faktoren andererseits voneinander abgrenzen. Die Segmentierung kann jeweils auf Basis der Betrachtung der Gesamtorganisation oder auch des Buying Centers erfolgen ( Tab. 13). Viele Kanzleien haben einen Mandantenstamm, der nicht aus vielen, kleineren gewerblichen Mandanten besteht, sondern eher aus wenigen, die dafür eine gewisse Größe mitbringen und für eine hohe Grundauslastung sorgen. In diesem Fall wäre eine Gruppierung der Mandanten anhand von Segmentierungskriterien sicher hilfreich, aber zumindest die wichtigsten Mandanten sind auch auf der Einzelebene genauer zu betrachten. Statt einer Ausrichtung des Marketings auf Kundengruppen ist eine Orientierung an den Belangen eines einzelnen Mandanten anzustreben, wenn dieser aus wirtschaftlicher Sicht eine herausragende Bedeutung hat. Im Marketing- und Vertriebsbereich wird diese Herangehensweise als Key Account Management bezeichnet. Als Key Accounts oder Schlüsselmandanten werden solche (Groß-)mandanten bezeichnet, die z. B. aufgrund ihres Umsatzes, ihres Wachstumspotenzials (bezogen auf die Nachfrage nach Rechtsdenstleistungen) oder ihrer Reputation besondere Aufmerksamkeit im Marketing verdienen (vgl. Meffert / Burmann / Kirchgeorg 2008, S. 774). Die Kriterien für die Identifizierung eines Key Acconts variieren je nach Branche und Kanzlei. Name: _________________________ Rolle: ____________________________ Position: ____________________________ Interesse: fachlich kaufmännisch Treiber Bremser Einfluss Gründe und Argumente, die bei dieser Person helfen: ___________________________________________________________ ___________________________________________________________ ___________________________________________________________ ___________________________________________________________ +++ ++ + Dr. Herrmann Meyer kfm. Geschäftsführer X Referenzen und nachgewiesene Erfahrung in der Produkthaftung; Planungssicherheit, sowohl bezüglich Honorarhöhe und Art der Zusammenarbeit (ein definierter Ansprechpartner aus der Kanzlei) Entscheider <?page no="195"?> Strategien 195 Nachfragemerkmale allgemeine Merkmale dienstleistungsspezifische Merkmale Erfassung der Merkmale direkt beobachtbar organisationsbezogene Merkmale, z. B. Unternehmensgröße, Mitarbeiterzahl, Branche Buying-Center-bezogene Merkmale, d. h. demografische und sozioökonomische Merkmale der Buying-Center- Mitglieder organisationsbezogene Merkmale, z. B. Art und Häufigkeit des Rechtsberatungsbedarfs Buying-Center-bezogene Merkmale, z. B. Größe und Struktur des Buying Centers indirekt beobachtbar / abgeleitet organisationsbezogene Merkmale, z. B. Unternehmensphilosophie, Zielsystems des Unternehmens Buying-Center-bezogene Merkmale, d. h. Persönlichkeitsmerkmale der Buying-Center-Mitglieder wie z. B. Risikoneigung, juristisches Know-how, Entscheidungsfreudigkeit, Selbstvertrauen) organisationsbezogene Merkmale, z. B. Prozessanweisungen Buying-Center-bezogene Merkmale, z. B. Konsultationsmotive, individuelle Ziele, Anforderungsprofile, Bedeutung des Rechtsdienstleisters Tab. 13: Marktsegmentierungskriterien für gewerbliche Mandanten (vgl. Freiling / Reckenfelderbäumer 2010, S. 145 zitiert nach Frank / Massey / Wind 1972, S. 27) Planungsgrundlage des Key Account Managements ist der Mandantenentwicklungsplan. Dabei handelt es sich um ein umfassendes Planungsdokument, das alle relevanten Informationen über einen Kernmandanten beinhaltet und den Mandatsverantwortlichen in der Kanzlei als Hilfsmittel dient, um systematisch Geschäftsgelegenheiten zu identifizieren sowie Strategien und Maßnahmen abzuleiten. Die wichtigsten Fragen, die hier beantwortet werden sollten, betreffen die Mandantenanalyse, die Analyse der eigenen Position sowie die künftige Geschäftsentwicklung (vgl. ähnlich Sieck 2014): Mandantenanalyse Was ist das Kerngeschäft des Mandanten (des Key Accounts)? In welchen Märkten ist er aktiv? Welche Anforderungen haben die Kunden meines Mandanten an ihn? Wo will mein Mandant in 3 Jahren stehen? Welche Art von Rechtsproblemen belastet den Mandanten? <?page no="196"?> 196 Strategisches Kanzleimarketing Welche Anforderungen hat das Buying Center des Mandanten bzw. die Partner auf Mandantenseite? Wie steht es um die finanzielle Ausstattung des Mandanten? ... Eigene Position des Anwalts / der Kanzlei Wie beurteilt der Mandant den Anwalt bzw. die Kanzlei? Welchen Wettbewerbern sind Anwalt/ Kanzlei ausgesetzt? Wie sind diese positioniert und welche Strategie verfolgen sie? Welchen Stellenwert hat die Rechtsabteilung des Mandanten? ... Geschäftsentwicklung Welches Ziel verfolgen Anwalt bzw. Kanzlei? Wie soll der Mandant diesen in 3 bis 5 Jahren sehen? Welche qualitativen und quantitativen Ziele werden in Bezug auf die nächsten 12 Monate verfolgt? Wie können produktive Beziehungen zu den wichtigsten Entscheidungsträgern auf Mandantenseite etabliert werden? Mit welchen Maßnahmen kann der Mandant mittelbis langfristig gebunden werden? ... Ganz konkret empfiehlt es sich, den Key Account Plan einmal jährlich für das Folgejahr aufzustellen und die genannten Fragen gemeinsam in einem Workshop zu erarbeiten. Alle Personen, die mit der Betreuung des Mandanten betraut sind, arbeiten dabei zusammen, wobei notwendige Recherchearbeiten natürlich schon im Vorfeld stattfinden können. Da sich im Regelfall nicht jährlich sämtliche Umfeldparameter ändern, kann vieles aus dem Vorjahr übertragen werden, so dass der Zeitaufwand im Rahmen bleibt. Der entstehende Mandantenplan besteht aus drei Hauptkapiteln, die sich auf Basis der genannten kritischen Fragen ergeben, sowie aus jeweils 5 Unterpunkten ( Abb. 46). Mit Hilfe des Mandantenentwicklungsplans kann der Weg von der mandantengruppenbezogenen Betrachtung hin zur Perspektive des „Segment of One“ erfolgen - jeder Key Account ist im Prinzip ein eigenes Segment, für das maßgeschneiderte Marketingmaßnahmen abzuleiten sind. Ziel ist es, Schlüsselkunden von einer Abwanderung abzuhalten und weitere Umsätze sicherzustellen. Um dies zu erreichen, steht ein breites Spektrum an Aktivitäten zur Verfügung, wie z. B. (vgl. Horstschäfer 2014, S. 115 f.): Regelmäßige Briefings der betroffenen Anwälte in Bezug auf aktuelle Entwicklungen beim Key Account Training, Seminare, Inhouse-Schulungen Secondments Regelmäßige Feedback-Gespräche, <?page no="197"?> Strategien 197 Attraktive Preismodelle Unentgetlicher Zugang zum Know-how der Sozietät (z. B. zur Bibliothek oder zu Online-Datenbanken) Einrichtung von Beratungs-Hotlines Implementierung einer IT-gestützten Plattformen zur besseren Zusammenarbeit Events „Vorfahrt“ bei Konfliktentscheidungen. Abb. 46: Struktur eines Mandantentwicklungsplans (in Anlehnung an Sieck 2014) Zusammenfassung Erfolgsfaktoren des Key-Account-Managements (vgl. Horstschäfer 2014, S. 125 ff.) Auswahl der „richtigen“ Schlüsselkunden Key Accounts verfügen über hinreichendes Wachstumspotenzial und sollten zur Kanzleistrategie passen Auswahl passender Ansprechpartner in der Kanzlei Key Account und Anwalt / Partner sollten perfekt harmonieren Priorisierung des Key-Account-Managements Key-Account-Management muss strategische Priorität haben und auch von der Kanzleiführung so behandelt werden Kurzprofil wichtige Kennzahlen Top-3-Ziele und Prioritäten wichtigste Anforderungen Markt- und Wettbewerbsumfeld wichtige Ansprechpartner/ Beziehungspflege Mandantenanalyse Geschäftsentwicklung Mandantenwahrnehmung Mandate in der Historie Wettbewerbsumfeld Wettbewerbsvorteil SWOT-Analyse aus Sicht von Anwalt bzw. Kanzlei Mission Top-3-Ziele, Strategien, Anforderungen Finanzplanung Key-Account- Team Key-Account- Marketing Position von Anwalt bzw. Kanzlei <?page no="198"?> 198 Strategisches Kanzleimarketing Incentivierung Monetäre Anreize für erfolgreiche Key-Account-Partner erhöhen die Erfolgswahrscheinlichkeit Enge Verzahnung zwischen Key-Account-Partnern und Marketing Proaktive Begleitung der Key-Account-Beziehung durch das Marketing (z. B. durch regelmäßige Kundenzufriedenheitsanalysen, gemeinsame Vor- und Nachbereitung von Client Team Meetings etc.) verbessert den Kundenkontakt Regelmäßige Überprüfung des Key-Account-Portfolios In größeren Abständen empfiehlt es sich, Key Accounts im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Kanzlei zu überprüfen Controlling und Reporting Key-Account-Aktivitäten sollten hinsichtlich ihres Erfolgs kontinuierlich ausgewertet werden; die Resultate sind wichtige Aspekte bei Managemententscheidungen Interview 10 Fragen an Christiane A. Legler (Referentin Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei Redeker Sellner Dahs), Bonn Laut ihrer Visitenkarte ist Christiane A. Legler Referentin Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei Redeker Sellner Dahs. Tatsächlich verantwortet sie seit über sechs Jahren die gesamte Außenkommunikation der Kanzlei, von A wie Anzeige bis Z wie Zeitschriftenbeitrag. Personalmarketing, Sponsoring, Alumni-Programm, Relaunch der Webseite gehören im Moment ebenfalls zu ihren Aufgabengebieten, denn Christiane Legler stemmt den Marketingbereich zurzeit noch allein. Dabei hilft ihr, dass sie aufgrund langjähriger Berufserfahrung bei Kommunikationsagenturen weiß, was bei der Außendarstellung am Ende funktioniert und was nicht. Frage 1 Über welche Alleinstellungsmerkmale verfügt Redeker im Vergleich zur Konkurrenz? Da muss man unterscheiden. Aus Sicht von Bewerbern und unserer Mitarbeiter sticht Redeker aus der Kanzleilandschaft heraus, denn wir wachsen seit Jahren organisch ohne Zukauf oder Merger. Wir wachsen dadurch natürlich deutlich langsamer als die angelsächsischen Kanzleien, pro Jahr stellen wir vielleicht 4-5 Berufsträger ein. Allerdings bleiben die dann meistens auch. Unsere Fluktuation ist sehr gering, denn wir stellen gern Leute ein, die bereits z. B. eine Referendarstation bei uns durchlaufen haben, die wir kennen und die uns kennen. Kontinuität ist uns sehr wichtig. <?page no="199"?> Strategien 199 Besonders ist auch, dass die Partner bei Redeker unabhängig von ihrem Arbeitsbereich gleichberechtigt und zudem sehr frei bei der Gestaltung ihres Arbeitsbereiches sind. Aus Sicht potenzieller Mandanten sieht unser Alleinstellungsmerkmal natürlich etwas anders aus. Hier ist Redeker vor allem durch eine besondere fachliche Stärke im Öffentlichen Recht bekannt. Aber es ist der Sozietät gelungen, in vielen anderen Bereichen eine starke Marktpräsenz zu erreichen. Unsere Kompetenz ist seit Jahren gewachsen, d. h. Sie treffen hier brillante junge Berufseinsteiger und Anwälte mit jahrzehntelanger Erfahrung. Unsere Mandanten erhalten so eine Betreuungsqualität, die sie woanders so kaum finden. Neben der fachlichen Kompetenz sorgen wir für ein sehr enges und persönliches Betreuungsverhältnis. Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal ist, dass wir sehr großen Wert auf wissenschaftliche Betätigung legen. Alle Partner bei Redeker veröffentlichen, lehren oder wirken in irgendeiner Form rechtsgestaltend mit. Frage 2 Welche wichtigen Adjektive verbinden Sie mit der Marke „Redeker Sellner Dahs“? Seriös, kompetent und präzise. Zum Wohle unserer Mandanten sind wir fast schon penibel, aber mit einem erfreulich wachsenden Anteil an Modernität und Dynamik. Zudem sind wir fachlich aktuell und immer am Puls des momentanen Forschungsstands. Der Nachwuchs erlebt bei uns eine Mischung aus familiär und modern. Frage 3 Ihre Kanzlei hat internationale Büros in Brüssel und London. Sind weitere Auslandspräsenzen geplant? Unser Büro in Brüssel ist insbesondere auf unsere kartellrechtlichen und beihilfenrechtlichen Kompetenzen sowie darauf zurückzuführen, dass wir viele Verfahren vor der Kommission und den europäischen Institutionen betreuen. Von London aus betreuen wir schon seit mehr als 25 Jahren vorwiegend britische und US-amerikanische Unternehmen, die in Deutschland handeln und wandeln. Auch bei der Planung von Auslandsbüros ist Redeker dem Prinzip der langsamen, aber nachhaltigen Entwicklung gefolgt. Zudem arbeiten wir mit Kooperationspartnern zusammen, so haben wir z. B. 2014 eine strategische Allianz mit der englischen Kanzlei Bond Dickinson begründet, die sich nun mit der amerikanischen Kanzlei Womble Carlyle zusammengeschlossen hat. Enge Kontakte bestehen u. a. nach Frankreich. Derartige Allianzen sind für uns der Motor der Internationalisierung, die auch für uns eine immer größere Bedeutung gewinnt. Frage 4 Welche Mandantengruppen adressiert Redeker vorrangig? Wir haben einen gemischten Mandantenpool, deutsche und internationale Unternehmen, die öffentliche Hand, Verbände, gewerbliche Kunden, aber auch Privatpersonen. In den Bereichen privates Baurecht, Litigation, M&A und Gesellschaftsrecht, Kartellrecht, Beihilfenrecht und gewerblicher Rechtsschutz und im Wirtschaftsstrafrecht werden vorrangig private oder öffentliche Unternehmen betreut. Im Medienrecht, Erbrecht und Familienrecht betreuen wir oft Unternehmen und Einzelmandanten. <?page no="200"?> 200 Strategisches Kanzleimarketing Frage 5 Wie wird das Marketingbudget festgelegt? Nach Bedarf. Noch habe ich den Vorteil, keine fix vorgegebene Grenze zu haben. Vielmehr erfolgt die Budgetfreigabe auf der Basis eines Kommunikationsplans, den ich erstelle und in unserem Arbeitskreis Kommunikation, der aus rund acht Partnern aus verschiedenen Bereichen besteht, zur Diskussion stelle. Soweit die Vorschläge sinnvoll erscheinen, wird das Budget bestätigt, ansonsten wird nachgebessert, aber im Wesentlichen gibt es meist grünes Licht. Bislang wurde das Marketing immer großzügig gefördert, allerdings achte ich auch auf die Kosten der vorgeschlagenen Kommunikationsmaßnahmen. Frage 6 Gibt es einen systematischen Strategieplanungsprozess bei Ihnen im Hause? Wenn ja: Wie läuft dieser ab? Es gibt in der Partnerschaft eine Strategiekommission, die sich mit der strategischen Ausrichtung der Sozietät beschäftigt. Da haben wir in gewissen Punkten natürlich auch Schnittstellen, an denen wir Ausrichtung und Instrumente gemeinsam planen. Darüber hinaus verantworte ich im Rahmen des Marketings in erster Linie die Kommunikation. Kosten, Dienstleistungsportfolio etc. verantworten die Partner und die Strategiekommission. Zu Beginn meiner Tätigkeit bei Redeker habe ich für den Kommunikationsbereich eine Analyse der Ausgangssituation gemacht und ein strategisches Konzept erstellt. Analyse und Konzept stehen regelmäßig auf dem Prüfstand. Aus dem Konzept leite ich Maßnahmen ab und quantifiziere die nötigen Finanzmittel. Diese Ideen bringe ich dann in meinen Arbeitskreis ein und wir diskutieren die Vorschläge. Im besten Fall setze ich die Maßnahmen dann auch um. Frage 7 Werden regelmäßige Konkurrenzbeobachtungen durchgeführt? Wenn ja: Wie? Nicht systematisch. Allerdings kennt natürlich jeder Anwalt die wichtigen Konkurrenten, man begegnet sich ja oft genug in Verhandlungen oder vor Gericht. Es gibt allerdings keinen Prozess systematischer Marktüberwachung. Mit den bisherigen Kapazitäten wäre das auch kaum möglich. Natürlich wird in der Strategiekommission und den Praxisgruppen auch über Wettbewerber gesprochen und über Möglichkeiten, wie man sich am Markt noch besser präsentieren kann. Wenn sich daraus ein interessanter Ansatz für die Kommunikation ergibt, sprechen die Kollegen mich an. Frage 8 Werden Mandantenbefragungen durchgeführt, um Erwartungen und Zufriedenheit der Mandanten zu evaluieren? Nein. Wäre aber sicher wünschenswert, vor allem weil gutes Feedback ja auch im Marketing kommunikativ genutzt werden kann. Allerdings muss man auch darauf achten, die Mandanten mit solchen Befragungen nicht zu nerven. <?page no="201"?> Resümee 201 Frage 9 In einer größeren Kanzlei besteht die Gefahr, dass einzelne Bereiche isoliert voneinander Bereichsstrategien entwickeln. Wie kann/ sollte dies aus Ihrer Sicht wirksam verhindert werden? In der Vergangenheit war unsere Kanzlei stark geprägt durch den Zusammenhalt, den unsere Namensgeber Konrad Redeker, Dieter Sellner und Hans Dahs durch ihre Persönlichkeit geschaffen haben. Ein starkes Gemeinschaftsgefühl ist nach unserer Überzeugung ein wichtiger Erfolgsfaktor in einer Kanzlei. Konrad Redeker lebte das über Jahrzehnte vor und alle anderen handelten danach. Wir arbeiten daran, dass dieser Spirit auch nach Konrad Redekers Tod im Jahr 2013 weiter bestehen bleibt. Im Moment sehe ich die Gefahr eines Auseinanderdriftens der organisatorischen Einheiten bei uns nicht, möglicherweise weil die Kanzlei noch keine ausufernde Größe mit vielen kleinen Einheiten hat. Außerdem haben viele Partner den Redeker-Geist internalisiert. Wir unterscheiden intern zwischen einigen wenigen größeren Praxisgruppen, die sich in einzelne Dezernate untergliedern und denen jeweils ein Partner als Primus inter Pares vorsteht. Auf der alljährlichen Klausurtagung der Partner berichten dann alle Praxisgruppen- und Dezernatsleiter von ihrer Tätigkeit. So findet dann eine formelle Abstimmung statt. Informellen Austausch gibt es natürlich sowieso immer. Frage 10 Wie wird sichergestellt, dass die festgelegte Strategie intern gelebt und umgesetzt wird? Dazu muss die Strategie zunächst nachhaltig in die Sozietät kommuniziert werden. Hierfür gibt es verschiedene Kommunikationskanäle: Der Managementausschuss spricht die KollegInnen persönlich, per Mail oder auf Events direkt an, darüber hinaus wird auch in und über Gremien, über unser Intranet oder über das kanzleiinterne Magazin kommuniziert. Wichtig ist vor allem, dass zeitnah und offen kommuniziert wird. Und wichtige Themen darf man auch ruhig häufiger spielen, um sie im Bewusstsein zu verankern und die Umsetzung zu festigen. 4.6 Resümee Viele Anwaltskanzleien leiden nach wie vor an einem Strategiedefizit. Knapp die Hälfte aller deutschen Kanzleien decken verschiedene Rechtsgebiete in Anknüpfung an die Spezialisierung ihrer Berufsträger ab, ohne damit eine explizite Strategie zu verfolgen (vgl. Kilian 2016, S. 201). Angesichts des zunehmenden Wettbewerbs ist das eine ernüchternde Erkenntnis, denn wo die langfristige Ausrichtung fehlt, wird finanzieller Erfolg zur Glückssache. Wenn überhaupt eine Strategie formuliert wird, hat diese überwiegend eine Spezialisierung im Sinne einer Konzentration auf Rechtsgebiete zum Inhalt. Gerade offensive Strategien, wie ein explizites Bekenntnis zur Produkt- oder Marktentwicklung oder die Ausrichtung auf die Übernahme von Konkurrenten stehen nur selten auf der Agenda von Kanzleien. Der Fairness halber muss man zugestehen, dass strategische Planung nicht nur unter Anwälten echte Mangelware darstellt, sondern auch bei vielen anderen Anbie- <?page no="202"?> 202 Strategisches Kanzleimarketing tern am Markt so gut wie nicht vorhanden ist. Studien zeigen einen starken Zusammenhang zwischen der Größe einer Organisation und der Existenz einer Strategie (vgl. Mietzner 2009, S. 164 ff.). Übertragen auf die Branche der Rechtsberatung heißt das: Je kleiner die Kanzlei, desto seltener wird systematische strategische Planung. Nach den Gründen muss man nicht lang suchen, denn natürlich sind in Kleinstbetrieben sowohl Zeit als auch Know-how häufig knapp. Eine fundierte Strategie würde viel Einarbeitung erfordern und typischerweise fehlen Ressourcen. Erschwerend kommt hinzu, dass gerade bei Ein-Mann-Kanzleien nur ein geringer Rechtfertigungszwang bezüglich betriebswirtschaftlicher Entscheidungen besteht, außer vielleicht in begrenztem Umfang gegenüber Kapitalgebern. Dieser Faktor ist in seiner Bedeutung nicht zu unterschätzen, denn wenn Strategien nicht von dritter Seite eingefordert werden, besteht kein Handlungsdruck und der Weg wird frei für Adhocismus und Chaos-Management. Die vordringliche Aufgabe liegt also darin, den Nutzen einer systematischen Marketingstrategie unabhängig von äußeren Zwängen zu propagieren und über bewährte, pragmatische Planungsmethoden zu informieren. Der Wert einer dezidierten Kanzleistrategie liegt nicht nur darin, dass am Ende eine Richtschnur für zukünftiges Handeln vorliegt, sondern vor allem auch in der Tatsache, dass alle Eventualitäten sowie auch die Marktentwicklungen einmal konsequent durchdacht werden. Im Idealfall geschieht das nicht allein, sondern in einer Form der Organisation, die alle Kanzleimitarbeiter mitnimmt. Jeder Arbeitsschritt wird dokumentiert, das Ergebnis dient als künftiger Handlungsmaßstab. Auf diese Weise dient der Srategieentwicklungsprozess im Idealfall nicht nur der inhaltlichen, sondern auch der atmosphärischen Neuorientierung in der Kanzlei. Quellenverzeichnis zu Kapitel 4 Abell, D. F. (1980): Defining the Business. The starting Point of Strategic Planning. Englewood Cliffs, New Jersey: Prentice Hall. Ackhoff, R. (1987): Mission Statements. In: Planning Review, 15. Jg., H. 4, S. 30-31. Abrufbar unter http: / / www.charleswarner.us/ articles/ mission.htm; abgerufen am 11.11.2017. Ansoff, H. 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Bildlich gesprochen bildet die Strategie die Leitplanke, die operativen Maßnahmen die Motoren bei der Fahrt zum festgelegten Ziel. Alle Fragen, die den Marktauftritt tangieren, sind im Detail zu durchdenken. Bei Dienstleistungen sind damit die folgenden Bereiche angesprochen: Angebotspolitik (Product) Was soll angeboten werden? Honorarpolitik (Price) Welche Gegenleistung soll der Mandant erbringen? Akquisitionspolitik (Place) Wie können Rechtsdienstleistungen vertrieben werden? Kommunikationspolitik (Promotion) Wie können Anwälte durch externe Kommunikation auf ihr Angebot aufmerksam machen? Die aufgeführten Entscheidungsbereiche des Marketings werden in Anknüpfung an die englischen Bezeichnungen Product, Price, Promotion, Place auch als die 4 Ps bezeichnet (alle englischen Begriffe beginnen mit einem „P“) (vgl. Magrath 1986). Welche Elemente im operativen Marketing für Dienstleistungen zu berücksichtigen sind, ist dabei durchaus umstritten. Neben den genannten vier Elementen gibt es durchaus Marketingexperten, die fünf oder auch sieben Entscheidungsbereiche für realistisch halten und den Zuschnitt der Aufgaben anders sehen. Generell gehören alle Bereiche zum operativen Marketing, die aus Mandantensicht Einfluss auf die Frage nehmen, ob die Dienstleistung in Anspruch genommen wird oder nicht. Mandanten erhalten einen bestimmten Nutzen, der sich zuallererst natürlich aus dem Angebot / der Dienstleistung ergibt, aber auch aus der Akquisition (die beispielsweise auch Beratung mit einschließt) sowie flankierenden Kommunikationsmaßnahmen (z. B. Informationen, die ein Anwalt in einem Weblog zur Verfügung stellt). Die Gesamtheit dieser Nutzenelemente wird gegenüber dem zu leistenden Beitrag, der Gegenleistung, abgewogen. Diese Gegenleistung besteht vor allem aus dem vereinbarten Honorar plus eventueller weiterer Verpflichtungen, die Bestandteil der Honorarpolitik sind. Die Logik der vier Entscheidungsbereiche des Marketings erschließt sich damit, denn genau genommen decken sie alle Bestandteile der Nutzenabwägung von Mandanten vollständig ab. Bestandteil der operativen Marketingplanung ist es, in jedem Bereich der vier Schlüsselbereiche Festlegungen zu treffen. Dabei gilt: Inaktivität ist keine Option, denn auch Nicht-Präsenz kreiert einen Eindruck am Markt. Abseits des Rechtsberatungsmarktes gibt es immer wieder Unternehmen, deren Außenauftritt gerade dadurch auffällt, dass er praktisch nicht vorhanden ist. Manchmal steckt ein System <?page no="206"?> 206 Operatives Kanzleimarketing dahinter (man denke z. B. an die Werbung des Discounters „Aldi“, die sich zum Großteil in Handzetteln und Anzeigen in kostenlosen Zeitungen erschöpft, während die Konkurrenz landesweit TV-Spots schaltet) und nicht immer zieht Zurückhaltung automatisch Misserfolg nach sich. Der entscheidende Punkt ist, dass alle operativen Planungsbereiche wirklich durchdacht werden und jedwede Entscheidung bewusst getroffen wird. Gut funktionierendes Marketing bedeutet demnach nicht, dass auf allen nur möglichen Feldern Aktivitäten ergriffen werden. Ein weiterer wichtiger Planungsaspekt betrifft die Abstimmung der getroffenen Marketingentscheidungen. In den seltensten Fällen werden im operativen Marketing Festlegungen getroffen, die nur einen einzigen der sieben Planungsbereiche allein betreffen. Da alles miteinander zusammenhängt und ein konsistentes Bild am Markt erzeugt werden soll, bedingt eine Variation in einem Bereich regelmäßig auch weitere Anpassungen. Wird beispielsweise das Leistungsangebot verändert, indem zusätzliche Serviceleistungen für den Mandanten eingeführt werden, ist es notwendig, auch die Honorarfrage neu zu überdenken oder die Kommunikation zu modifizieren, damit das neue Angebot auch von Außenstehenden wahrgenommen wird. Es geht also stets um Kombinationen von Marketingentscheidungen, die aufeinander abzustimmen sind. Konsequenterweise spricht man im Kontext des operativen Marketings auch vom sogenannten Marketing-Mix. Dabei wird hervorgehoben, dass sich der Markterfolg aufgrund eines optimalen Mischungsverhältnisses der Einzelmaßnahmen einstellt. 5.2 Angebotspolitik Eine Kernfrage des operativen Marketings betrifft die Festlegung, was überhaupt angeboten werden soll. Alle Aspekte, welche die Gestaltung der zu erbringenden Produkte betreffen, sind der Angebotspolitik zuzuordnen. Unter Produkten sind in einer weiten Betrachtung dabei sowohl materielle Güter als auch Dienstleistungen zu verstehen. Aus marktbezogener Perspektive spielt vor allem die nutzenorientierte Ausgestaltung der Dienstleistungen eine zentrale Rolle, also die Frage, ob und in welcher Form Mandanten einen Mehrwert durch die Leistungen des Anwalts haben. Natürlich sind auch andere Aspekte, z. B. die entstehenden Kosten zu berücksichtigen, der Hauptfokus der marktorientierten Betrachtung liegt aber auf der Einschätzung des Angebots aus kundenorientierter Perspektive. Tendenziell bildet die Ausgestaltung des Angebots immer den Ausgangspunkt des operativen Marketings, sozusagen das „Herzstück“ jeglicher Planungsaktivitäten. Die anderen Bereiche des Marketing-Mix ergeben sich auf Basis der Festlegung des Angebots, nicht umgekehrt. Erschwert wird die Angebotsplanung durch die Tatsache, dass stets mehrere Komponenten die angebotene Leistung ausmachen. Dazu gehört selbstverständlich als Kernleistung der Dienst der Rechtsberatung bzw. -vertretung. Mandanten beurteilen Anwälte hauptsächlich nach der Qualität der Rechtsdienstleistung, die den Dreh- und Angelpunkt der Differenzierung im Markt bildet. Gleichwohl prägen in der Regel noch vielfältige Nebenleistungen den Nutzen des Mandanten. Diese Randleistungen lassen sich kaum sinnvoll von den Kernleistungen abtrennen, denn die Beurteilung erfolgt in ganzheitlicher Form und nicht isoliert anhand von <?page no="207"?> Angebotspolitik 207 einzelnen Attributen. Mandanten assoziieren mit dem Angebot eines Anwalts stets nicht nur die eigentliche juristische Unterstützung, sondern zählen auch alle zur Verfügung gestellten Hilfsmittel, Unterlagen und Informationsangebote dazu ( Abb. 47). Gerade in gesättigten Märkten tragen Zusatzleistungen meist erheblich zur Profilierung am Markt bei (vgl. Haller 2012, S. 119). Abb. 47: Kern- und Randleistungen der Rechtsberatung / -vertretung Wenn es um Angebotspolitik geht, sind stets alle Teilelemente des Angebots angesprochen. Es geht immer um das, was der Mandant als Leistung des Anwalts wahrnimmt. Wie weit die Kernleistung gefasst ist, was noch dazu zu zählen ist und was eher in den Kreis der Randleistungen gehört, wird individuell unterschiedlich beurteilt. Es ist kaum möglich, es jedem recht zu machen, aber zumindest sollten die Anforderungen der meisten Mandanten erfüllt werden. Marktforschung bildet dazu die Grundvoraussetzung. Neben der eigentlichen Dienstleistung und den Nebenleistungen ist die Marke Gegenstand der Angebotspolitik. Unter der Marke versteht man ein Nutzenbündel mit spezifischen Eigenschaften, die dafür sorgen, dass sich dieses Nutzenbündel von anderen Nutzenbündeln mit gleichartiger Ausrichtung unterscheidet (vgl. Burmann / Blinda / Nitschke 2003, S. 6). Es geht um ein psychologisches Phänomen, das weder sichtbar noch eindeutig messbar ist. Es geht dabei also nicht um die Definition der Marke aus juristischer Sicht, denn entscheidend ist allein die Nutzenwirkung. Selbstverständlich sollte die Marke nicht dem Zufall überlassen bleiben, sondern systematisch und sorgfältig geplant werden. Eine starke Marke hat viele Vorteile: Sie eröffnet Spielräume bei der Honorarfestsetzung und beeinflusst die Qualitätswahrnehmung des Mandanten. Kanzleien, die bewusst in den Markenaufbau investieren, gewinnen mehr Mandate, da Marken als Garanten für hochwertige Dienste und geringe Leistungsschwankungen angesehen werden. Ein unverwechselbares Markenprofil trägt außerdem zur Präferenzbildung bei und sorgt für Unterscheidbarkeit von der Konkurrenz. Kernleistung Rechtsberatung / -vertretung elektronische Akte schriftliche Korrespondenz Vollmacht Arbeitshilfen z.B. Checklisten, Vordrucke, Anträge Informationsfluss durch Sekretariat bzw. Assistenz Randleistungen <?page no="208"?> 208 Operatives Kanzleimarketing Eine erfolgreiche Marke ist also erstrebenswert, wie kann sie aber geschaffen werden? Die Grundlage bildet zunächst eine Analyse der internen und externen Sicht auf die Marke. Interne Zielgruppen, z. B. Mitarbeiter oder das Management, sehen die Marke oft ganz anders positioniert als Externe. Das Verständnis für beide Perspektiven, Übereinstimmungen und Abweichungen, stellt eine unabdingbare Planungsgrundlage dar. Der darauf aufbauende Prozess der Markengestaltung berücksichtigt vier zentrale Planungselemente: Kompetenz der Marke Wofür steht die Kanzlei und ihre Dienstleistungen? Was kann der Mandant erwarten? Die Kernwerte der Marke sollten möglichst in ein bis zwei Sätzen beschrieben werden. Markennutzen Der Markennutzen stellt die positiven Wirkungen aus Sicht des Nachfragers in den Vordergrund. Was macht die Kanzlei so einzigartig, wodurch unterscheiden sich die Leistungen des Anwalts? Die Beantwortung dieser Fragen bildet eine wichtige Voraussetzung für den Markenauftritt. Tonalität Welche Charaktereigenschaften weist die Marke „als Person“ auf? In diesem Sinne kann eine Kanzlei sich z. B. als „seriös“, „konservativ“, „dynamisch“ oder auch „jung“, „kompetent“, „flexibel“ darstellen. Markeniconographie Welche konkreten Bilder, Logos, Farben oder andere Stimuli (z. B. haptischer oder akustischer Art) sind typisch für die Marke? Werden beispielsweise durchgehend schwarzweiße Fotos eingesetzt, eine bestimmte Art von Briefpapier durchgängig für die Korrespondenz genutzt oder finden sich immer wieder bestimmte Farben wieder? Die genannten Planungsbereiche prägen in ihrer Gesamtheit die Markenidentität. Sie ergeben sich nicht zufällig, sondern auf Basis der Überlegung, dass die Marke durch eine Reihe von „Hard Facts“ (Markenattribute, Nutzenelemente aus Sicht der Öffentlichkeit) und „Soft Facts“ (Bilder, Merkmale der Markenpersönlichkeit) präsentiert. Grafisch wird dieser Zusammenhang durch die Darstellung des Markensteuerrads dargestellt, wobei die Hard Facts sich auf der linken, die Soft Facts auf der rechten Seite des Rades wiederfinden. Das durch die Unternehmensberatung Icon Added Value entwickelte Konzept des Markensteuerrads baut auf der Hemisphärentheorie auf, wonach Wissensstrukturen zu einer Marke im Gehirn in zwei miteinander verknüpften Hemisphären gespeichert werden. Die linke Gehirnhälfte ist der sprachlich-analytische Teil, in der die Attribute einer Marke sowie der sich daraus ergebende Nutzen abgelegt sind. Der rechte Teil ist hingegen durch bildliche und emotionale Eindrücke geprägt. Die Verarbeitung von Reizen erfolgt in der rechten Hälfte mit geringer gedanklicher Beteiligung. Tonalität und Markeniconographie sind hier angesiedelt. Beide Seiten sind miteinander verbunden und liefern einen ganzheitliche Eindruck von der Marke (vgl. Esch / Langner / Rempel 2005, S. 119). Um auf die Marke Einfluss zu nehmen, sind konsequenterweise auch alle Quadranten des Markensteuerrades zu betrachten. Ein Beispiel für die Anwendung des dargestellten Konzepts der identitätsorientierten Markenführung und des Markensteuerrads bei der Rechts- und Steuerberatungskanzlei Rödl & Partner stellt Matthias Weber in seiner Dissertation dar (vgl. Weber 2010). <?page no="209"?> Angebotspolitik 209 Abb. 48: Markensteuerrad einer Anwaltskanzlei (Beispiel) Kern- und Randleistungen sowie die Marke sind die wesentlichen Gestaltungsbereiche der Angebotspolitik. Es fragt sich, welche konkreten Möglichkeiten nun bestehen, um kurzbis mittelfristig das Angebot an sich verändernde Marktbedingungen anzupassen. Die grundsätzlichen Handlungsoptionen reichen von der Einführung neuer Dienstleistungen über die Modifizierung bestehender Angebote bis hin zur letztendlichen Streichung eines Produktes aus dem Angebotsprogramm. 5.2.1 Angebotsinnovation und -modifikation Innovationen sind ein Trendthema im Rechtsberatungsmarkt. Vor dem Hintergrund des steigenden Wettbewerbs hat sich auch unter Anwälten herumgesprochen, dass künftig nur Erfolg hat, wer clevere Produkte anbietet, die am Puls der Zeit liegen. Nach Angaben des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung sind die Innovationsausgaben der Branche der Wirtschaftsprüfung, Rechts- und Steuerberatung (Wz 69 der Branchenklassifikation des Statistischen Bundesamtes) zwischen 2014 und 2015 um rund 70 % gestiegen. Der Anteil des Umsatzes mit wirklichen Marktneuheiten lag hingegen in den letzten Jahren kontinuierlich unter 1 % (vgl. ZEW 2014; ZEW 2017). Im internationalen Umfeld hingegen ist längst akzeptiert, dass auch die Rechtsberatungsbranche sich durch permanentes Innovieren weiter entwickeln muss. In den USA haben einige Universitäten mittlerweile eigene Legal Innovation Center gegründet, die interdisziplinäre Teams von Unternehmern, Anwälten und Professoren zusammen bringen, um neue Geschäftsmodelle in der Rechtsberatung zu entwickeln. Die Anwendung neuer Technologien spielt bereits im Studium vielfach eine große Rolle. Die Columbia Law School beispielsweise bietet ein Studienprogramm an, das die Wechselwirkungen von digitalen Medien auf den Rechtsberatungsmarkt Markenkompetenz Tonalität Markennutzen Markenbild Wer bin ich? der Rechtsberater für Familienunternehmen der Mittelständler für Mittelständler Spezialist für Wirtschaftsrecht im Mittelstand dauerhafter Partner für Rechtsfragen der Mandanten Wie bin ich? verlässlich seriös erfahren bodenständig bewährt berechenbar Was biete ich an? Rechtssicherheit Vereinfachung von Abläufen durch Übernahme juristischer Arbeiten pragmatische Lösungen Antworten statt Bedenken Unternehmergeist Wie trete ich auf? persönlich offen sympathisch (positiv) konservativ <?page no="210"?> 210 Operatives Kanzleimarketing näher untersucht und auf dieser Basis neue Geschäftsmodelle entwickelt ( http: / / www.web.law.columbia.edu/ clinics/ lawyering-in-the-digital-age-clinic). Auf Basis einer umfassenden Untersuchung kürte die American Bar Association 2013 10 Universitäten zu den führenden Einrichtungen rund um Recht und Innovation (vgl. Granat / Lauritsen 2014). Im Frühjahr 2014 kündigte die Kanzlei Akerman, eine der 100 größten Wirtschaftskanzleien in USA, an, einen Innovationsrat gründen zu wollen (vgl. o. V. 2014a). Das Besondere dabei: Nicht nur Anwälte, sondern auch externe Experten und vor allem Mandanten gehören dem Gremium an. Abb. 49: Innovationsaufwendungen der Wirtschafts-, Rechts- und Steuerberatung 2008-2014 (vgl. ZEW 2014, S. 4; ZEW 2017, S. 3) In Deutschland sind systematische Entwicklungsaktivitäten rar gesäht. Das mag auch daran liegen, weil häufig schon allein Unklarheiten darüber bestehen, was eigentlich im Kontext des Anwaltsmarktes unter einer Innovation zu verstehen ist. Aus marktbezogener Sicht ist die Sache klar: Eine Innovation ist eine Neuheit, die es nicht nur zu erfinden gilt, sondern die vor allem organisationsintern und auch am Markt durchgesetzt werden muss (vgl. Trommsdorff / Steinhoff 2013, S. 4). Oft ist die Durchsetzung schwieriger als die Ideengewinnung, womit sich erklärt, dass in deutschen Unternehmen jenseits der Rechtsberatung bekanntermaßen viele neue Produkte entwickelt werden, aber oft durch Dritte zum Erfolg geführt werden. Praktisch wirft der Begriff der „Neuheit“ Fragen auf, denn was ist schon „neu“? Seitens des Marketings gibt es eine weitgehende Übereinstimmung dahingehend, dass damit jede neue Entwicklung gemeint ist, die aus subjektiver Sicht neu ist. Mit anderen Worten: Ein neues Angebot, das für eine Kanzlei neu ist, von Mitbewerbern jedoch schon lange angeboten wird, ist eine Innovation, auch wenn es sich um keine Marktneuheit handelt. Jedes für die Kanzlei neue Beratungsprodukt ist eine Innovation. Ein Blick auf die jährlich von der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) ausgezeichneten innovativsten Produktneuheiten unterstreicht, dass die 0,2 0,33 0,36 0,2 0,26 0,27 0,28 0,48 0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 Innovationsaufwendungen in Milliarden Euro <?page no="211"?> Angebotspolitik 211 Anforderungen in Sachen Neuigkeit aus Marketingsicht nicht wirklich hoch sind - im Jahr 2013 wurden dort beispielsweise mit Duplo White, Dr. Oetker Stracciatella Brownie und Schwartau Konfitüre Erdbeer-Orangenblüte im Grundsatz bekannte Produktkonzepte zu den Innovationen des Jahres gekürt (o.V. 2014b). Der Begriff der Neuheit ist außerdem erklärungsbedürftig hinsichtlich seines Gegenstands. Innovationen sind nämlich allgemein nicht nur neue Produkte, sondern auch Verbesserungen bei Prozessen (Trommsdorff / Steinhoff 2013, S. 4). Wenn also beispielsweise eine bestimmte Form der Rechtsberatung durch eine Prozessüberarbeitung oder durch Technologieeinsatz schneller ablaufen kann, so ist dies als (Prozess-) innovation zu werten. Produkt- und Prozessinnovation gehen oft Hand in Hand, denn eine Produktinnovation setzt oft eine Prozessinnovation voraus bzw. kann eine Prozessinnovation umgekehrt zu einer Produktinnovation führen. Wenn im Folgenden vornehmlich von Produktbzw. Dienstleistungsinnovationen oder -modifikationen die Rede ist, schließt das die dadurch notwendigen Prozessanpassungen mit ein, denn eine trennscharfe Abgrenzung ist kaum möglich. In jedem Fall können Innovationen im Anwaltsgeschäft sowohl innerhalb als auch außerhalb der eigenen Kanzlei stattfinden. Von der Innovation zu unterscheiden ist die Modifikation, die in der Abwandlung bereits eingeführter Angebote besteht. Während die wesentliche Absicht eines Innovationsprozesses also ist, etwas grundlegende Neues zu schaffen, ist die Modifikation auf die Veränderung des Bestehenden gerichtet. Noch genauer unterscheidet das Marketing bei Modifikationen zwischen Produktvariationen, bei denen das Ursprungsangebot vom Markt verschwindet und durch ein Neues ersetzt wird, und Produktdifferenzierungen, bei denen Originalprodukt und Neuentwicklung parallel angeboten werden. Während also die Produktmodifikation auf die Verbesserung des Angebotes gerichtet ist, geht es bei der Produktdifferenzierung eher darum, neue Zielgruppen zusätzlich zu gewinnen (vgl. Sander 2011, S. 408). Eine Variation käme im Rechtsdienstleistungsmarkt z. B. dann in Betracht, wenn aufgrund einer Gesetzesänderung eine Veränderung beim Ablauf von Scheidungsverfahren zu berücksichtigen wäre. Das frühere Angebot wird dann abgelöst. Um eine Differenzierung handelt es sich hingegen, wenn beispielsweise die Möglichkeit einer Online- Scheidung parallel zur traditionellen Lösung angeboten wird, um neue Zielgruppen zu gewinnen. Praktisch sind die Produktdifferenzierung und -variation oft nur schwer von der Innovation zu unterscheiden. Wann hat ein grundlegend überarbeitetes Produkt nur noch so wenig mit der alten Fassung zu tun, dass es als neu einzuordnen ist? Wann weist ein neu entwickeltes Produkt im Endeffekt so viele Ähnlichkeiten mit einem bereits bekannten auf, dass es trotz vieler Innovationsanstrengungen eigentlich nur als Modifikation gelten kann? Eine Antwort auf solche Fragen ist kaum zu finden und für die Marketingpraxis zu vernachlässigen. Aus diesem Grund werden Innovation und Modifikation in diesem Kapitel gemeinsam behandelt. <?page no="212"?> 212 Operatives Kanzleimarketing Abb. 50: Formen der Geschäftsentwicklung im Rechtsdienstleistungsmarkt Welche allgemeinen Stoßrichtungen bieten sich nun an, wenn es um Innovationen bzw. Modifikationen von Rechtsdienstleistungen geht? In Anlehnung an die generell bei Dienstleistungen bestehenden Möglichkeiten sind drei Ansätze zu unterscheiden: Dienstleistungsentwicklung Auf Basis bestehender Angebote oder als gänzliche Neuheit werden Beratungsangebote entwickelt, die selbständig vermarktet werden. Dienstleistungsbündelung Bestehende oder neu entwickelte Dienste werden miteinander kombiniert und als Bündel vertrieben. Dienstleistungsreengineering Bereits eingeführte Dienstleistungen werden neu spezifiziert oder überarbeitet, so dass sich ein alternatives oder verbessertes Angebot ergibt. Alle drei Formen, insbesondere aber die Dienstleistungsentwicklung und -bündelung, sind oft nicht allein zu bewerkstelligen, sondern setzen Kooperationen voraus. An- Formen der Geschäftsentwicklung nach dem Ort der Realisierung nach dem Gegenstand nach dem Grad der Abweichung vom Angebotsprogramm Innovation Modifikation Differenzierung Variation kanzleiintern kanzleiextern Produktinnovation bzw. -modifikation Prozessinnovation bzw. -modifikation <?page no="213"?> Angebotspolitik 213 wälte arbeiten hoch spezialisiert, so dass eine Veränderung bei der Angebotspalette regelmäßig die Abstimmung mit Dritten erforderlich machen. Jede Form der auf Dauer angelegten Zusammenarbeit zwischen rechtlich und wirtschaftlich selbständigen Einheiten wird betriebswirtschaftlich als Kooperation bezeichnet (im Gegensatz zur Konzentration, bei der die rechtliche und wirtschaftliche Selbständigkeit aufgegeben wird) (vgl. Peters/ Brühl/ Stelling 2005, S. 50). Neben Kooperationen mit externen Partnern gibt es auch intern, d. h. in der Kanzlei, Optionen in der internen Zusammenarbeit. Bereichsdenken sowie Anreizsysteme, die vor allem die Förderung des eigenen Arbeitsgebietes belohnen, sorgen dafür, dass die Chancen interner Kooperation nicht immer voll ausgenutzt werden. In der ökonomischen Forschung sind die Vorteile eines koordinierten Marktangangs längst geklärt: Indem das Know-how beider Partner zusammengebracht wird, entstehen bessere und kreativere Angebote als allein, es können Kosten und Zeit gespart sowie die Konkurrenz besser abgewehrt werden (vgl. Meffert / Burmann / Kirchgeorg 2015, S. 299 f.). Vor dem Hintergrund des zunehmenden Wettbewerbs ist davon auszugehen, dass Kooperationen für Anwälte künftig sehr wichtig sein werden, wenn es darum geht, wettbewerbsfähige Angebote zu gestalten. Das gilt intern wie extern. Mandanten, die Rundum-Betreuung erwarten, gehen davon aus, dass ihr Anwalt zumindest an kompetente Ansprechpartner weiter verweisen kann, wenn er denn selbst nicht das Gesamtproblem lösen kann. Eine Möglichkeit ist die Zusammenarbeit mit anderen Kanzleien. Der auf IT-Recht spezialisierte Anwalt Dr. Thomas Lapp verweist seine Mandanten beispielsweise an Kollegen, wenn es um steuerrechtliche Fragen geht und hat mit diesem Vorgehen gute Erfahrungen gemacht: Erstens kommt diese Form von Ehrlichkeit bei den Mandanten gut an und zweitens kommen umgekehrt auch Empfehlungen zurück (vgl. van Lijnden 2013). Diese Form der informellen Zusammenarbeit beruht auf persönlichen Beziehungen, ist im Einzelfall möglicherweise Ausfluss eines funktionierenden „Old Boys Network“ (vgl. Diem 2012, S. 152). Da Kooperationen aber zunehmend wichtiger werden, ist es nicht unbedingt zukunftsträchtig, allein auf Bekanntschaften zu setzen. Der Beitritt in ein professionell organisiertes Anwaltsnetzwerk kann eine gute Alternative sein, um umfassende Beratungsfälle und grenzüberschreitende Mandate gut abdecken zu können ( S. 162). Neben Netzwerken, die auf international ausgerichtete Großkanzleien ausgerichtet sind, gibt es spezielle Zusammenschlüsse von kleinen und mittelständischen Kanzleien (z. B. Eurojuris, DIRO oder Apraxa). Fachnetzwerke, die auf ein bestimmtes Rechtsgebiet fokussieren, bilden eine dritte Gruppe von Netzwerken. Die Aufnahme in das Netzwerk ist oft an bestimmte, sehr unterschiedliche Voraussetzungen gebunden, z. B. an die Bereitschaft zur Zertifizierung und die Bereitschaft, innerhalb einer kurzen Zeitspanne auf Anfragen zu reagieren (vgl. Koch 2010). Es bietet sich an, sich daher über die Aufnahmemodalitäten umfassend zu informieren, bevor ein Kooperationsnetzwerk ausgewählt wird. Eine Übersicht über ausgewählte Netzwerke im Anwaltsbereich findet sich in Anhang 5. Neben der Zusammenarbeit mit anderen Anwälten und Kanzleien gibt es extern vielfältige Möglichkeiten der Kooperation mit Berufsfremden. Wenngleich der Zusammenschluss in einer Sozietät aufgrund rechtlicher Schranken nur selten in Frage kommt, ist der gemeinsame Marktauftritt im Wege einer lockeren Kooperation mit den meisten Externen durchaus möglich. Eine gewisse Tradition hat die Zusammenarbeit mit Berufsgruppen, die sich durch eine ähnliche Arbeitsweise auszeichnen, wie z. B. Steuerberater. Zur Komplettierung der eigenen Leistungspa- <?page no="214"?> 214 Operatives Kanzleimarketing lette lohnt sich aber auch ein etwas weiterer Blick. Die Zusammenarbeit mit Ingenieuren, Architekten, Psychologen oder Ärzten beispielswiese kann dazu beitragen, dass spezialisierte Anwälte und Kanzleien ihre Angebotspalette sinnvoll ergänzen können. Aufwändiger, aber dafür besser steuerbar ist die Schaffung einer rechtlichen Verbindung zum Kooperationspartner. Rechtsanwalt Alexander Deicke aus Ludwigsburg hat beispielsweise eine GmbH gegründet, die sich schwerpunktmäßig dem Gebiet der Unternehmensberatung (genauer: dem „Legal Interim Management“) widmet ( http: / / www.k11-consulting.de) und generiert daraus Mandate (vgl. van Lijnden 2013). Diese werden nicht von der GmbH übernommen, sondern durch die Kanzlei K11 Rechtsanwälte ( http: / / www.k11-rechtsanwaelte) bzw. durch weitere Kooperationspartner. Speziell für Anwaltskanzleien haben Forscher der Harvard Business School nachgewiesen, dass nicht nur externe, sondern vor allem auch interne Kooperation zu mehr Innovation und Produktivität führt. Auf Basis des Studiums der Zeiterfassung sowie der finanziellen Kennzahlen von US-Kanzleien und mit Hilfe von Experteninterviews konnte belegt werden, dass der Umsatz pro Mandant um ein Vielfaches höher liegt, wenn der Mandant intern von einem Team betreut wird anstatt nur von einem Anwalt. Anwälte, die häufiger in Kooperationen eingebunden sind, steigern zudem ihren Marktwert und berechnen im Durchschnitt einen höheren Stundensatz (vgl. Gardner 2013). Interne Kooperationen können informell aufgrund persönlicher oder fachlicher Übereinstimmungen, aber auch formell organisiert werden. Interne Symposien, Konferenzen, aber auch simple Partner-Meetings sind formalisierte Eckpfeiler zur Förderung interner Kooperation. Als Fazit bleibt festzuhalten: Die Möglichkeiten der Kooperation sind vielfältig und noch weitgehend unausgelotet. Im Rahmen der Angebotspolitik von Anwaltskanzleien wird eine aktive Zusammenarbeit jedoch immer wichtiger. Damit sich der Erfolg auch einstellt, ist es wichtig, einem strukturierten Vorgehen zu folgen, wenn über eine externe Kooperation nachgedacht wird. Ein sinnvoller Prozess setzt die Klärung der Kooperationsziele voraus, bevor potenzielle Partner gesucht und bewertet werden. Rückschläge, die durch unterschiedliche Philosophien und Erwartungen, aber auch durch anfänglich hohen Abstimmungsaufwand entstehen können, sind dabei einzuplanen. <?page no="215"?> Angebotspolitik 215 Abb. 51: Formen der Kooperation für Anwälte und Kanzleien Kooperationen intern nach der rechtlichen Struktur nach der Art der Zusammenarbeit Bürogemeinschaft klassische Sozietät Partnerschaftsgesellschaft Limited Liability Partnership (LLP) Kapitalgesellschaft (GmbH, AG) formell informell extern nach der Art des Kooperationspartners andere Anwälte / Kanzleien Berufsfremde nach der Art der Zusammenarbeit formell informell überörtliche Sozietät Anwaltsnetzwerke Korrespondenzgemeinschaft „Old Boys Network“ mit finanzieller Beteiligung ohne finanzielle Beteiligung <?page no="216"?> 216 Operatives Kanzleimarketing 5.2.1.1 Dienstleistungsentwicklung Ziel der Dienstleistungsentwicklung ist es, durch Innovationen oder Modifikationen die Angebotspalette auszudehnen. Diese Ausdehnung kann in zwei Richtungen erfolgen. Zum einen ist es möglich, Dienstleistungen zu entwickeln, die auf gleicher Ebene nebeneinander stehen und unterschiedliche Bedarfe abdecken. Bei Anwälten kann es sich dabei um Dienstleistungen zur Lösung verschiedener Rechtsprobleme sein, die jeweils unterschiedlichen Rechtsgebieten zugeordnet sind (Beispiel: Ein bisher nur auf Erbrecht spezialisierter Anwalt möchte sich künftig auch im Familienrecht betätigen und bietet Rechtsberatung bei Scheidungen an). Je mehr Dienste angeboten werden, desto höher die Angebotsbreite. Auf der anderen Seite besteht die Möglichkeit, neue Dienste so zu entwickeln, dass sie bestehenden Rechtsdiensten vor- und nachgelagert sind und diese im Sinne einer ganzheitlichen Lösung komplettieren. Dies wäre z. B. der Fall, wenn ein auf Erbrecht spezialisierter Anwalt neben der Dienstleistung der Testamentserrichtung nun auch die Testamentsvollstreckung übernimmt und damit das eigene Angebot ergänzt. In diesem Fall wird die Angebotstiefe verändert. Abb. 52: Angebotsbreite und -tiefe in der Anwaltskanzlei (Beispiel) Angebotsspektrum Kanzlei xy Erbrecht Familienrecht Nachlass regeln Testamentsgestaltung Vorsorge planen Patientenverfügung Vorsorgevollmacht ... ... ... Testamentsvollstreckung Angebotsbreite Angebotstiefe Unternehmensnachfolge <?page no="217"?> Maßnahmen der Dienstleistungsentwicklung liegen im Trend, denn hier bieten sich potenziell neue Umsatzquellen. Ein Blick auf die Angebote von Seminaranbietern unterstreicht den Eindruck. Das Weinsberger Forum (ein juristisch ausgerichteter Seminaranbieter) bietet auf seiner Webseite Fortbildungen für Anwälte als Anwaltlicher Berufsbetreuer, Berufsvormund, Testamentsvollstrecker, Nachlasspfleger, Erbenermittler und Verfahrenspfleger in Betreuungs- und Unterbringungssachen an ( http: / / www.weinsberger-forum.de/ rechtsanwaelte.html) - allesamt Maßnahmen, die die Seminarteilnehmer in die Lage versetzen sollen, künftig die Angebotsbreite oder -tiefe zu erhöhen. Komplementäre Dienste Ob Zusatzdienstleistungen von Erfolg gekrönt sind, hängt unter anderem davon ab, ob die neuen Angebote zu den bisherigen passen. Entscheidend ist dabei nicht, ob eine objektive Ähnlichkeit besteht, sondern vor allem, ob ein Nachfragezusammenhang besteht, so dass Cross-Selling ermöglicht wird. Cross-Selling bietet die Chance, einem bereits akquirierten Mandanten zusätzliche Dienste anzubieten, die dieser ebenfalls benötigt. Auf diese Weise wird zusätzlicher Umsatz erzielt ohne einen neuen Akquisitionsprozess anstoßen zu müssen. Es empfiehlt sich deshalb, bei der Entwicklung neuer Dienste vor allem die Frage in den Mittelpunkt zu rücken: „Was brauchen meine Mandanten noch? “ Betriebswirtschaftlich hat sich für ergänzende Angebote der Begriff der Komplementärprodukte bzw. -dienste etabliert. Wirtschaftswissenschaftliche Konzepte, die Sie kennen sollten! Marketing mit Komplementärgütern Komplementärgüter sind Produkte (also tangible, physisch wahrnehmbare Produkte) und Dienste (nicht tangible Produkte ohne physische Gestalt), die sich bei ihrer Inanspruchnahme ergänzen. Das gilt für Messer und Gabel, Automobile und Kraftstoff und partiell auch bei Rechtsdienstleistungen, die gern im Zusammenhang mit Altersvorsorge, allgemeiner Lebensberatung, Outplacement-Beratung, Unternehmensberatung, psychologischer Therapie o.ä. nachgefragt werden. Rechtsdienste als Komplementärdienste sind sogenannte unvollständige Komplemente, da die kombinierten Dienste sich gut ergänzen, aber prinzipiell auch einzeln am Markt nachgefragt werden (im Gegensatz zu perfekten Komplementärgütern, die notwendigerweise gemeinsam genutzt werden müssen). Dazu ein reales Beispiel: Die wirtschaftsrechtlich ausgerichtete Kanzlei Winkel, Buhrfeind und Partner hat bereits vor Jahren in Reaktion auf Mandantenwünsche eine Inkassobzw. Zwangsvollstreckungseinheit aufgebaut ( http: / / www.kanzlei-wbp.de). Die zusätzlich angebotenen Dienstleistungen ergänzen die rechtlichen Bedürfnisse der Mandanten optimal. Da Mandanten die Inkassodienste durchaus auch isoliert nachfragen, handelt es sich um einen typischen Fall eines unvollständigen Komplementärangebots. <?page no="218"?> 218 Operatives Kanzleimarketing Aus Sicht des Marketings ist es prinzipiell von Vorteil, wenn ein Rechtsanwalt Komplementärdienste anbieten kann, gleichgültig ob eigenständig oder mit Kooperationspartnern. Der entscheidende Pluspunkt liegt darin, dass der Mandant sich „rundum“ betreut fühlt, was sich positiv auf die Wahrscheinlichkeit auswirkt, dass das Mandantenverhältnis bestehen bleibt. Im Allgemeinen gilt: Je mehr Komplementärprodukte ein Dienstleister anbieten kann, desto geringer wird die Wahrscheinlichkeit, bestehende Kunden bzw. Mandanten zu verlieren. Eine breite Dienstleistungspalette sorgt für einen sogenannten „Locked-in-Effekt“, d. h. der Kunde bzw. Mandant müsste bei einem Wechsel in der Regel gleich mehrere Anbieter neu aussuchen, was eine erhöhte Bindung verursacht. Zudem sorgt eine ganzheitliche Betreuung für erhöhte Mandantenzufriedenheit aufgrund subjektiver Aufwandsersparnis und einer stärker empfundenen Empathie des Anbieters. Die Weiterempfehlungsrate steigt sowie der Prozentsatz einer wiederholten Konsultation. Die Suche nach Komplementärdiensten führt oft zu Dienstleistungsideen, die die Angebotstiefe erhöhen. Jeder Mandant wünscht im Prinzip die vollständige Lösung eines Problems. Unter Umständen bedingt das, dass neben der rechtlichen Dimension noch weitere Aspekte betrachtet werden müssen, die beispielsweise aus der wirtschaftlichen oder psychologischen Sphäre kommen können. Ein klassisches Beispiel ist die Scheidung als komplexer Problemfall, der auch, aber eben nicht ausschließlich rechtliche Fragen mit sich bringt. Aus Sicht des Mandanten ist es vorteilhaft, durch die Konsultation eines Anwalts nicht nur rechtlichen Beistand, sondern auch gleich Zugang zur Lösung anderer Konflikte zu erhalten. Nicht unbedingt müssen diese Zusatzdienste durch den Anwalt angeboten werden, zum Teil wäre das aus Gründen der Glaubwürdigkeit, der Effizienz und möglicherweise auch aufgrund rechtlicher Beschränkungen gar nicht möglich (z. B. wenn der Anwalt sich parallel als Makler betätigen würde), aber durch Kooperationen kann möglicherweise eine ganzheitliche Problemlösung angeboten werden. Gerade rund um den Problemkomplex Scheidung entwickeln sich vor allem international vielfältige Dienstleistungen, die teilweise einzeln, teilweise im „Paket“ angeboten werden. Tendenziell lassen sich zu verschiedenen Rechtsgebieten durchaus lange Listen von möglichen Komplementärdiensten zusammenstellen, die hinsichtlich ihrer strategischen Relevanz aber ganz unterschiedlich angesiedelt sind. Erfolgsträchtige Komplementärdienste haben möglichst viele der folgenden Eigenschaften: Sie hängen aus Sicht potenzieller Mandanten miteinander zusammen. Das Angebot der Dienste durch einen Anwalt hat positive Auswirkungen und eröffnet der Kanzlei einen strategischen Vorteil (vgl. ähnlich Porter 2014, S. 542). Die angebotenen Komplementärdienste sind jeder für sich profitabel, mindestens aber in Kombination. Durch die angebotene Dienstleistungskombination können neue Zielgruppen erreicht werden (Partizipationseffekt) (vgl. Meffert / Burmann / Kirchgeorg 2015, S. 424). <?page no="219"?> Angebotspolitik 219 Die Komplementärdienste haben positive Auswirkungen auf die Mandantenzufriedenheit und die Weiterempfehlungsrate. Anwalt bzw. Kanzlei können die Dienste glaubwürdig anbieten. Substitutive Dienste Im Gegensatz zu den komplementären Diensten stehen die Angebote, die zueinander in einer Substitutionsbeziehung stehen, sich also potenziell ersetzen. Solche substitutiven Dienste parallel im Programm zu haben kann Probleme bringen, da zumindest potenziell ein mehr oder minder großer Kannibalisierungseffekt (vgl. Meffert / Burmann / Kirchgeorg 2015, S. 424) zu erwarten ist. Das bedeutet, dass durch den Zusatzdienst nicht etwa mehr Umsatz erzielt wird, sondern vielmehr einfach Umsatz verdrängt wird, indem Mandanten vermehrt das Ersatzangebot wählen. Im Prinzip ist das zu erwarten, wenn neben persönlicher Beratung wahlweise auch Online-Rechtsberatung angeboten wird oder auch Mediation als Alternative zur Begleitung bei einer Rechtsstreitigkeit. Doch nicht generell sind substitutive Dienstleistungsangebote als problematisch anzusehen. Ob und inwieweit sie sich negativ auswirken, hängt davon ab in welchem Ausmaß die Zusatzdienste die Inanspruchnahme bereits eingeführter Dienste verdrängen, mit welchen Gewinnmargen die Dienste verbunden sind, ob das Angebot der Zusatzdienste unbedingt notwendig ist, um am Markt bestehen zu können. Einsteigerprodukte Bei den bisher aufzeigten Varianten der Dienstleistungsentwicklung ging es vor allem darum, „vollwertige“ Dienstleistungen zu kreieren, die zu bestehenden Hauptleistungen entweder in substitutiver oder komplementärer Beziehung stehen, in jedem Fall aber eigenständige Umsatzträger sind. Es ist jedoch auch denkbar, dass Dienstleistungen bewusst ins Programm aufgenommen werden, obgleich sie isoliert betrachtet keinen positiven Einfluss auf den Gewinn haben. Einsteigerprodukte (und auch - dienste) haben einzig und allein die Funktion, neue Mandanten zu gewinnen und Hemmschwellen der Mandatsvergabe abzubauen. Damit verbunden sind nicht primär finanzielle Ziele, sondern vor allem durch ein Mandat die Möglichkeit zu erhalten, die anwaltliche Leistung unter Beweis zu stellen sowie Vertrauen als wichtiges Element der Mandatsbeziehung aufzubauen. Gerade für relativ junge Anwälte und Kanzleien sind diese Aspekte sehr wichtig, denn wer nicht auf viele Mandate zurück blicken kann, erhält oft gar keine Chance, tätig zu werden. Ein attraktives Einsteigerangebot dient dann sozusagen dazu, den Knoten zu lösen und überhaupt erst einmal eine gewisse Marktpräsenz zu erlangen. In der Praxis ist auf die folgenden Aspekte zu achten: Damit das Angebot wirklich geeignet ist, einen Erstkontakt zu erleichtern, sollte es relativ einfach strukturiert sein und aus wenigen Elementen bestehen. Auf diese Weise wird die Kommunikation nach außen weniger komplex und Interessierten wird kein unnötiger Aufwand abverlangt. Einsteigerprodukte haben einen attraktiven Preis, der je nach Zielgruppe und Rechtsbereich variieren kann, in jedem Fall aber das vielzitierte Angebot dar- <?page no="220"?> 220 Operatives Kanzleimarketing stellt, „das man nicht ablehnen kann“. Im Extremfall kann das erste Angebot einen Preis von „Null“ haben, damit überhaupt erst einmal eine Geschäftsbeziehung zustande kommt. Aus einem laufenden Kontakt heraus, fällt es wesentlich leichter, weitere Rechtsberatungsleistungen anzubieten. Der Kauf von Einsteigerangeboten sollte für Interessenten so simpel wie möglich sein. Einfache Kontaktaufnahme, kurze Antwortzeiten, klare Ansprechpartner und aufwandslose Beauftragung tragen dazu bei, dass Angebote dieser Art auch in Anspruch genommen werden. Leistungsversprechen wie Zufriedenheits- oder Geld-zurück-Garantien sorgen dafür, dass Hemmungen vor der Erstkontaktaufnahme abgebaut werden. Auch ist es möglich, den Preis für das Einsteigerprodukt zu verrechnen, wenn es im Anschluss zu einer Mandatsbeziehung kommt. Wenn potenzielle Mandanten das Gefühl haben, mit dem Angebot nichts falsch machen zu können, ist das Ziel erreicht. Einsteigerangebote zielen auf eine weitere Nachfrage nach Dienstleistungen des jeweiligen Anwalts in der Zukunft ab. Es handelt sich nicht einfach nur um preisreduzierte Dienste, die weniger preissensiblen Mandanten zu anderen Konditionen angeboten werden, sondern es sind stets speziell konzipierte Produkte. Einsteigerprodukte können als reine Kennenlern-Angebote konzipiert sein. In diesem Fall besteht keine direkte Verbindung zu anderen Dienstleistungsangeboten von Anwalt oder Kanzlei, es soll lediglich die Möglichkeit geschaffen werden, dessen Arbeitsweise kennenzulernen. Im Prinzip geht es für den Anwalt darum, durch einen günstigen Einstieg die Möglichkeit zu erhalten, eine Arbeitsprobe abzuliefern, die dann hoffentlich zu (unspezifischen) Mandaten und Weiterempfehlungen in der Zukunft führen wird. Kennenlern-Angebote bauen Barrieren bei der Erstkontaktaufnahme wirksam ab, kanalisieren die Mandanteninteressen allerdings nicht effektiv in die Richtung einer bestimmten Dienstleistung. Beispiele für Kennenlern- Angebote sind kostenlose Erstberatungen, die je nach Mandantenproblem und Verlauf in ein längerfristiges Mandat münden können oder eben nicht. Wenn es darum gehen soll, Mandanten nicht nur mit der Arbeitsqualität des Anwalts im Allgemeinen zu konfrontieren, sondern möglicherweise auch gleich den Absatz eines bestimmtes Rechtsdienstleistungsangebots zu fördern, empfehlen sich Einsteigerangebote, die komplementär zu regulär angebotenen Diensten sind. Ähnlich wie bei einem Zahnrad wird der Neumandant nach der Inanspruchnahme des ersten Dienstes ganz gezielt auf das nächste Angebot geleitet. So lernen Interessenten nicht nur die Kanzlei und deren Dienstleistungsqualität im Allgemeinen kennen, sondern erhalten einen Vorschlag, auf welche Weise die Zusammenarbeit nach der Einstiegsphase fortgesetzt werden kann. Wir können diese Angebote als Trigger-Angebote bezeichnen. Der englische Begriff „Trigger“ steht für „Anstoß“ bzw. „Auslöser“ und verdeutlicht, dass Einstiegs- und intendierte Folgeleistung wie bei einem Dominospiel miteinander verbunden sind, während reine Kennenlern-Angebote nicht auf ein bestimmtes Nachfolgeprodukt abzielen, sondern nur auf die Fortsetzung der Zusammenarbeit im Allgemeinen. Die Grenzen zwischen Kennenlern- und Trigger- Angebot sind fließend; je größer der Zusammenhang zwischen Einstiegs- und geplantem Folgeangebot, desto eher handelt es sich um einen Trigger. <?page no="221"?> Angebotspolitik 221 Angebote, die einen starken Auslöser für konkrete Rechtsdienste liefern, widmen sich oft einer spezifischen Bestandsaufnahme und werden häufig unter der Bezeichnung „Check“ verkauft. Aus anderen Branchen ist das Konzept bekannt: Der Elektriker macht zuhause einen „E-Check“ und ermittelt dabei den Status elektrischer Geräte und Installationen, um darauf folgend natürlich weitere Dienste zu verkaufen. Die Vergabe eines Prüfsiegels bei erfolgreicher Teilnahme macht die Inanspruchnahme der Leistung für Kunden noch attraktiver. Auch Finanzdienstleister „checken“ gern (z. B. den aktuellen Versicherungsschutz) und Ärzte sowieso. Wer Prophylaxe- Dienste dieser Art schon einmal in Anspruch genommen hat, weiß, dass das Ergebnis häufig recht vorhersehbar ist: Meist wird - oh Wunder! - Handlungsbedarf diagnostiziert und die passenden Dienste werden gleich mit angeboten. Bei Rechtsanwälten sind derartige Trigger-Angebote noch eher selten anzutreffen, obwohl das Feld der Rechtsberatung prinzipiell genügend Raum ließe, in unterschiedlichen Bereichen Analysedienste anzubieten. Ein Ausnahmebeispiel bildet der seit Juni 2014 auf der Webseite der Kanzlei Wilde Beuger Solmecke publizierte Abmahncheck ( http: / / www.wbs-law.de/ abmahncheck). Wer das Tool kostenlos in Anspruch nehmen möchte, gibt lediglich eine Internetadresse preis und erhält in Minuten eine Bewertung der juristischen Risiken des Online-Auftritts. Bei der Beseitigung möglicher Probleme hilft die auf IT-Recht spezialisierte Kanzlei bei Bedarf gern weiter, allerdings bleibt das Feedback recht allgemein und legt eine weitere Kontaktaufnahme zur Kanzlei nicht unbedingt nahe. Auch Rechtsschutzversicherer sind bereits auf den „Check-Zug“ aufgesprungen und bieten gern derartige Einsteigerprodukte an. Dabei geht es nicht nur darum, auf diese Weise Neukunden zu gewinnen, sondern auch Kundendaten zu gewinnen und Versicherungsrisiken besser einschätzen zu können. Mit dem ARAG-JuraCheck ( http: / / www.arag.de/ versicherungen/ rechtsschutz/ juracheck/ ) können Privatpersonen und Unternehmen beispielsweise vorhandene Vertragsunterlagen juristisch überprüfen lassen. Seit 2011 bietet das Unternehmen zudem einen erweiterten Web-Check an, wobei Internetseiten von Versicherungsnehmern überprüft werden und bei entsprechendem Ergebnis auch eine Rechtsschutzgarantie übernommen wird (o. V. 2011). Prinzipiell sind Analysedienste bzw. „Checks“ in vielen Rechtsbereichen denkbar. Der Compliance-Check, der Vertragsrechts-Check, der Markenrechts-Check, der Kündigungs-Check ... alles denkbar, alles bislang nur selten im Angebot von Anwälten zu finden. Nicht nur Bestandsaufnahmen bieten Ansatzpunkte für Trigger- Produkte, sondern auch (offline durchgeführte) Seminare oder (online angebotene) Webinare. Wissensvermittlung in einem bestimmten Feld kann ebenfalls ein starker Auslöser sein, im Anschluss ein Mandat zu vergeben. In der Praxis werden solche Dienste jedoch häufig nicht gezielt als Einstiegsangebote, sondern eher als Kommunikationsmaßnahmen mit dem Ziel der Bindung bestehender Mandanten genutzt. Gute Einstiegsangebote bieten eine Reihe von unschätzbaren Vorteilen. Sie helfen, Hemmungen bei der ersten Kontaktaufnahme abzubauen und ebnen den Weg in eine längerfristige Mandatsbeziehung. Im Zuge der ersten Phase kann die Zusammenarbeit relativ risikolos erprobt werden, was sowohl für Anwalt als auch für den Mandanten ein Pluspunkt ist. Ein weiterer großer Vorteil liegt darin, dass gerade Trigger-Angebote Umsatzbringer sind, denn die weiterführende Rechtsberatung ergibt sich quasi als logische Konsequenz der Vorphase. Richtig umgesetzt, nehmen Mandanten die Empfehlungen einer weitergehenden Zusammenarbeit nach dem Abschluss der Einstiegsphase nicht als „Verkaufen“ wahr, sondern verstehen <?page no="222"?> 222 Operatives Kanzleimarketing sie als hilfreiche Wegweiser. Der Rat eines bereits bekannten und kompetenten Anwalts wird kaum als aufdringliche Akquisemasche verstanden und hat im Gegenteil einen hohen Mehrwert für den Mandanten. Natürlich haben Einstiegsangebote nicht nur Vorteile, sondern bergen auch Risiken. Eine Gefahr besteht darin, dass durch diese Art von Diensten nicht nur Interessenten, sondern möglicherweise auch solche Personen angezogen werden, die eigentlich keinen Anwalt konsultieren möchten und lediglich die Vorteile eines günstigen Spezialangebotes nutzen möchten. Derartige Trittbrettfahrereffekte lassen sich jedoch wirksam vermeiden, indem beispielsweise die Inanspruchnahme des Einstiegsangebotes an Voraussetzungen wie die Abgabe der eigenen Adressdaten gekoppelt wird. Wer tatsächlich ein akutes Rechtsproblem hat und einen Anwalt sucht, wird damit keine Probleme haben. Auch müssen Einstiegsangebote nicht zwingend völlig kostenlos sein. Darüber hinaus ist es wichtig, dass die Angebote richtig beworben werden, damit auch wirklich präzise die anvisierte Zielgruppe erreicht wird. Es reicht also nicht aus, ein originelles Einstiegsangebot zu kreieren, die handwerkliche Umsetzung ist in gleichem Maße erfolgsentscheidend. 5.2.1.2 Dienstleistungsbündelung Eine andere Möglichkeit der Differenzierung vom Wettbewerb besteht darin, durch das kombinierte Angebot mehrerer Dienste ein komplexes Mandantenproblem insgesamt zu lösen. Gerade solche „Rundum-sorglos“-Pakete sind für Kunden häufig sehr attraktiv wie Erfahrungen aus anderen Branchen zeigen. Egal, ob es nun um Finanzbuchhaltung, Pauschalreisen, Serverdienste, Leasingfahrzeuge oder anderes geht - nahezu überall findet man den Trend zur Vermarktung von Bündeln. Oft werden die Leistungsbündel zu einem einheitlichen Festpreis angeboten, allerdings ist das nicht zwingend. Schlüsselfertige Massivhäuser sind beispielsweise auch zusammengesetzte Produkte, deren Preis aber durchaus variiert. Die Vorzüge der Dienstleistungsbündelung sind vielfältig (vgl. Hübner / Lami 2005, S. 122): Häufig geht es darum, durch Bündelung einen höheren Absatz zu erzielen als ohne das kombiniertes Angebot. Man kennt den Effekt von Menüangeboten im Restaurant: Eigentlich hätte das Hauptgericht allein gereicht, aber da es die anderen Produkte im „Menü“ nur mit unwesentlichem Aufpreis gibt, wird am Ende mehr gekauft als geplant. Das Phänomen lässt sich auf Dienstleistungen übertragen. Wenn also beispielsweise eine Leistung zum Bündel gehört, die eigentlich nicht zwingend benötigt wird, aber nun einmal Bestandteil ist, wird sie üblicherweise mitgekauft. Nicht umsonst werden Bündelprodukte von Konsumgüterartiklern immer auch als eine Möglichkeit genutzt, „Ladenhüter“ oder unmoderne Produktvarianten doch noch abzuverkaufen. Natürlich ist bei dieser Strategie äußerste Vorsicht geboten, denn wenn der Anteil solcher Leistungen, die aus Kundensicht keinen Wert beitragen oder diesen sogar vermindern, zu groß wird, wird das gesamte Bündel abgelehnt. Am Ende wird nicht mehr, sondern weniger abgesetzt. Letzten Endes ist zudem nicht der Absatz von Bedeutung, sondern der Umsatz als Produkt von abgesetzter Menge und Preis bzw. Honorar. Da Bündelprodukte oft aber nur abgesetzt werden können, wenn auch ein spürbarer Preisnachlass gegenüber dem Verkauf der einzelnen Leistungen eingeräumt wird, muss auch dieser Rabatteffekt genau berücksichtigt werden. <?page no="223"?> Angebotspolitik 223 Ein weiterer Pluspunkt von Dienstleistungsbündeln liegt darin, Kunden bzw. Mandanten die Orientierung zu erleichtern. Das bietet sich gerade dann an, wenn Nachfrager im Durchschnitt wenig Ahnung haben, was sie eigentlich benötigen. Durch die Zusammenstellung „fertiger“ Leistungsbündel wird der Auswahlprozess erleichtert und die Nachfrage angeregt. Personen, die sich unter anderen Umständen nicht so leicht an einen Rechtsanwalt wenden würden, wird der Zugang erleichtert, da Unsicherheiten reduziert werden. Ein anderer großer Vorteil von Paketangeboten liegt in der Kommunikation. Gerade bei komplexen Dienstleistungen ist es oft nicht trivial, dem Kunden zu erklären, was bei jeder einzelnen Teilleistung wirklich passiert, was er als Ergebnis erwarten kann und was nicht. Die Kommunikation eines Dienstleistungsbündels ist oft viel einfacher, denn das plakative Leistungsversprechen lautet hier: Wir lösen das Problem - nicht mehr und nicht weniger! Was genau dazu getan wird, kann und sollte im Detail natürlich erklärt werden, aber der Adressat ist zunächst einmal beruhigt und zufrieden gestellt im guten Gefühl, vollständige Abhilfe erwarten zu können. Natürlich ist das als zentrale Botschaft viel leichter zu vermitteln als die aufwändige Erklärung jeder einzelnen Tätigkeit. Ein letzter, nicht zu unterschätzender Vorzug von Dienstleistungsbündeln liegt in der Tatsache, dass das Ergebnis der Leistung in den Vordergrund gerückt wird und nicht Zeit oder Aufwand. Ein Bündelangebot signalisiert, dass der Anwalt lösungsorientiert denkt und daran interessiert ist, das zugrunde liegende Mandantenproblem zu lösen - ein positiver Zusatzeffekt. Bündelanbieter werden deshalb häufig als kundenorientierter wahrgenommen als die Konkurrenz. Um ein passendes Bündelangebot zu entwickeln, empfehlen sich zwei Wege. Zum einen ist es möglich, ein Bündel aus bereits bestehenden, bislang isoliert angebotenen Diensten zusammenzustellen. Das bietet sich vor allem als Reaktion auf konkrete Nachfrage des Mandanten an oder wenn sich aus der Erfahrung gezeigt hat, dass mehrere Dienste häufig in einer bestimmten Kombination benötigt werden. Das wäre beispielsweise der Fall, wenn Mandanten einer Wirtschaftskanzlei häufig bestimmte gesellschaftsrechtliche und steuerrechtliche Probleme in Kombination nachfragen (z. B. ertragssteuerliche Fragen, die oft im Zusammenhang mit der Gründung einer Auslandsniederlassung auftreten). In diesem Fall lohnt es sich nicht nur, entsprechende Dienste zu entwickeln und einzuführen, sondern diese dann auch als Paketlösung aktiv anzubieten. Die relevanten Dienstleistungsbestandteile werden gebündelt, aber nach wie vor auch einzeln am Markt angeboten. Im Marketing spricht man von einer gemischten Bündelung (vgl. Herrmann / Huber 2013), S. 383), denn der Mandant hat die Wahl, welche Dienstleistungsbestandteile er abnimmt und welche nicht. Der Kauf des Bündels wird häufig durch einen attraktiven Gesamtpreis beworben, der unter der Summe der Einzelpreise liegt. Die andere, häufigere Variante der Bildung von Bündeln ist die, dass eine beliebige Dienstleistung gezielt mit Mehrwertdiensten (Value Added Services) angereichert wird, so dass sich eine interessante, ganzheitliche Lösung ergibt. Die Zusatzdienste werden dann meist nicht einzeln vermarktet. Sie dienen vielmehr der Mandantenbindung und der Ergänzung der Kernleistung, welche den wesentlichen Nachfragegrund liefert. Im Gegensatz zum vorher geschilderten Fall handelt es sich um eine reine Bündelung (vgl. Herrmann / Huber 2013, S. 382), denn die angebotene Dienstleistungskombination kann nur im Bündel erworben werden. Insbesondere werden <?page no="224"?> 224 Operatives Kanzleimarketing die Mehrwertdienste nicht einzeln angeboten; sie sind lediglich dazu da, die Primärleistung aufzuwerten. Praktisch sind reine und gemischte Dienstleistungsbündel nicht immer einfach auseinander zu halten. Auch Mischformen kommen vor, wenn sowohl verschiedene Hauptleistungen miteinander kombiniert als auch zusätzliche Mehrwertdiensten einbezogen werden. Ein Beispiel bildet das Dienstleistungsportfolio der Kanzlei Weiß & Partner ( https: / / www.ratgeberrecht.eu/ leistungen/ web-check.html). Laut Kanzleihomepage wird als Dienstleistungsbündel ein „Webcheck“ angeboten, bei dem - anders als die Bezeichnung möglicherweise vermuten lässt - Internetpräsenzen von Mandanten nicht nur überprüft, sondern auch gleich optimiert werden. Es handelt sich also nicht nur um ein Einsteigerbzw. Trigger-Angebot, sondern um eine reguläre Rechtsdienstleistung. Was genau der Webcheck beinhaltet, entscheidet der Mandant individuell. Inhaltlich handelt es sich um eine gemischte Bündelung, denn die Einzeldienste können wie Bausteine zusammengesetzt werden. Allerdings kann im Rahmen der Leistungsbündel auch ein zusätzlicher Update-Service erworben werden, mit dem die Mandanten-Webseite regelmäßig juristisch aktualisiert wird. Diese Leistung ist nur als Mehrwertdienst im Zuge eines Webchecks erwerbbar und ist daher Bestandteil einer reinen Bündelung. Nicht nur in der Zusammenarbeit mit privaten Mandanten bieten Dienstleistungsbündel Vorteile. Auch bei gewerblichen Mandanten können durch attraktive Pakete Wettbewerbsvorteile erschlossen werden. Im Vordergrund steht dabei meist der Anspruch, durch Übertragung größerer Leistungsbündel auf eine Kanzlei positive Erfahrungen bei der Mandatierung weiter auszubauen. Wenn einmal Vertrauen aufgebaut ist, werden komplexere Leistungsbündel oft positiv angenommen. Solche kreativen Leistungsbündel bietet beispielsweise „der Autoanwalt“ ( http: / / www.automotive-advocate.de). Die in Saarbrücken ansässige Rechtsanwalts-GmbH präsentiert - anders als Mitbewerber - auf der Homepage mit keinem Wort die in der Kanzlei tätigen Anwälte, sondern stellt ausschließlich die Dienste in den Vordergrund. Für die Zusammenarbeit mit Kfz-Werkstätten und Autohäuser wird ein Standarddienstleistungspaket rund um das Schadensmanagement angeboten, das branchenaffin-plakativ als „Serienausstattung“ bezeichnet wird. Hinzu kommen verschiedene Dienstleistungspakete, die als „Sonderausstattungen“ individuell dazu gebucht werden können und jeweils Schulung, Inkasso und Rechtsberatung beinhalten. Gewerbliche Mandanten können einzelne Pakete aussuchen und frei miteinander kombinieren. Praxisbeispiel Scheidung komplett Eine wahrhaft innovative Idee verfolgt Jim Halfens aus den Niederlanden: Er bietet Verheirateten eine Wochenend-Scheidung zum Komplettpreis. Wer Freitags im „Divorce Hotel“ als Verheirateter eincheckt, fährt am Sonntag als Geschiedener nach Hause. Mit Hilfe von Mediatoren und Anwälten wird in der Zwischenzeit alles geregelt: Kinder, Unterhalt, Vermögensaufteilung, Sorgerecht und alles andere. Wenn alles gut läuft, sind am Sonntag alle Dokumente vorbereitet und die Sache ist so gut wie „durch“. Den gesamten Service gibt es zu einem planbaren Festpreis, der meist weit unter dem liegt, was andernfalls für Gerichte und Anwälte ausgegeben werden muss. Allerdings wird nicht jeder poten- <?page no="225"?> Angebotspolitik 225 zielle Mandant akzeptiert, denn vorab werden der jeweilige Fall und die Erfolgsvoraussetzungen analysiert. Geeignete Paare sind sich sicher, geschieden werden zu wollen, und bringen die Bereitschaft mit, mit einem Mediator zu arbeiten. Im Zeitalter überlasteter Gerichte und zunehmender Bedeutung von Mediation verspricht sich Halfens ein gutes Geschäft. Der Erfolg gibt ihm Recht, denn in den Niederlanden hat seine Firma mittlerweile zahlreiche Divorce Hotels unter Vertrag, ist zudem auch in USA und Großbritannien präsent und will demnächst möglicherweise auch nach Italien und Deutschland expandieren. Laut Jim Halfens ist das Divorce Hotel keine Rechtsdienstleistung und schon gar kein touristisches Angebot, es ist ein „Konzept“ ( http: / / www.divorcehotel.com). Neben den Festpreisen für die Scheidungsarrangements können Umsätze von speziellen Divorce Hotel-Mediatoren flexibel hinzugebucht werden. Die Mediatoren verpflichten sich nach dem Vorbild eines Franchise-Systems nach den speziellen Unternehmensprinzipien und -methoden der Divorce Hotel-Muttergesellschaft zu arbeiten und vor Ort auf eigene Rechnung tätig werden. Zudem hat Halfen in den Niederlanden eine eigene Scheidungs-TV-Show (vgl. Warnholtz 2014). In Deutschland verdient die Agentur Rosenkrieg mit Diensten rund um Trennung und Scheidung ihr Geld ( http: / / www.rosenkrieg-agentur.de). Ergänzend zu den Leistungen von Rechtsanwälten und Notaren bietet die Diplom-Sozialpädagogin Sieglinde Vauth seit 2006 eine Rundum-Betreuung von Paaren, die sich scheiden lassen möchten. Mit Dienstleistungen wie Mediation, Organisation der Scheidungsabwicklung und Lebensberatung sowie durch Kooperationen mit Juristen wird ganzheitliche Beratung in Trennungssituationen zu einem Stundensatz von derzeit 90 € angeboten. Zusätzlich können Seminare gebucht werden, um kostengünstig „Scheidungs-Know-how“ zu erwerben. Mittlerweile gibt es national erste Nachahmer. Wie so häufig ist das Ausland jedoch schon einen Schritt voraus. In USA haben sich längst Agenturen etabliert, die das Thema Scheidung völlig anders angehen. Bei Wevorce Inc. ( http: / / www.wevorce.com) wird trennungswilligen Paaren ein Anwalt und Mediator zugeordnet, der als „Wevorce Architekt“ alle erforderlichen Entscheidungen mit beiden Parteien gemeinsam trifft. Das Wevorce- System beruht auf einem komplett durchstrukturierten Prozess, bei dem Meilensteine wie Unterhaltsregelung und Sorgerecht in fünf Schritten abzuarbeiten sind. Die gesamte Zusammenarbeit erfolgt stark technologieunterstützt, d. h. die Paare arbeiten teilweise mit elektronisch versendeten Aufgabenpaketen und Formularen, allerdings ist jederzeit auch der Besuch einer Wevorce-Filiale möglich. Mit dem Slogan „Divorce ist not just a legal problem“ und dem Leistungsversprechen, die Kosten einer Scheidung um ca. 2/ 3 zu reduzieren, hatte Wevorce einen sehr erfolgreichen Start und konnte im Jahr 2013 1,7 Millionen $ Wagniskapital einwerben (vgl. Taylor 2013). Gründer des Unternehmens sind eine Rechtsanwältin und ein Marketingexperte. 5.2.1.3 Dienstleistungsreengineering Beim Dienstleistungsreengineering (auch Reverse Engineerung oder Reeingeneering genannt) wird das Angebot verändert, indem bereits angebotene Dienste weiterentwickelt werden. Dabei kann es darum gehen, Zeit oder Kosten zu sparen, Qualitätsverbesserungen zu erzielen oder einfach mit innovativeren Prozessabläufen zu <?page no="226"?> 226 Operatives Kanzleimarketing experimentieren. Dies bedingt, dass vormals individuelle Angebote in Richtung einer stärkeren Standardisierung überarbeitet werden. Erfahrungsgemäß kommt bei der Forderung einer stärkeren „Standardisierung“ bei vielen Anwälten ein gewisses Unwohlsein auf. Wie kann denn eine prinzipiell am Einzelfall auszurichtende Dienstleistung wie die anwaltliche Beratung ohne Qualitätsverlust vereinheitlicht werden? Und leistet eine weitgehende Standardisierung der Anwaltsleistung nicht einer Entwertung Vorschub? Der bereits erwähnte Trend zur Dichotomisierung der Rechtsberatung mit einer Trennung zwischen komplexen Beratungsfällen und Standardauskünften macht vielen Branchenvertretern Sorgen und ruft berechtigte Ängste vor einem teilweisen Einbrechen der Honorare hervor. In der Tat ist damit zu rechnen, dass Mandanten künftig weniger bereit sein werden, für einfache juristische Dienste in gleicher Weise Zeit und Geld aufzuwenden wie für diffizile Sonderleistungen. Dieser Entwicklung ist nicht zu entgehen. Dienstleistungsreeingeneering hilft, das Dienstleistungsangebot so auszugestalten, dass die aus Kundensicht wenig komplexen Teilleistungen möglichst effizient erledigt werden und der Fokus auf den individuell zu behandelnden Problemaspekte liegt. Das wird von Mandanten positiv bewertet. Aus Sicht des Anwalts hat das Vorgehen ebenfalls Vorteile, denn konsequentes Reeingeneering trägt dazu bei, dass eine Konzentration auf die beruflichen Kernkompetenzen ermöglicht wird. Anwälte werden nicht dafür bezahlt, juristische Alltagsweisheiten weiter zu geben, sondern für die Anwendung juristischer Expertise auf neue, ungewöhnliche Situationen. Das setzt ein entsprechendes Berufsverständnis und Können voraus und wertet den Berufsstand des Anwalts sicher eher auf als ab. Um der Befürchtung entgegenzuwirken, dass durch Dienstleistungsreengineering nun jede Anwaltsleistung zur Massenware wird, ist die These von der Dichotomisierung der Anwaltsdienste ein wenig zu verfeinern. Genau betrachtet ist der Zerfall zwischen komplett individualisierten und total vereinheitlichten Diensten ein stark vereinfachtes Bild. In der Realität ist die Skala zwischen maßgeschneidert und standardisiert ein Kontinuum, bei dem jedes Angebot einen mehr oder minder ausgeprägten Individualisierungsgrad aufweist. In Anlehnung an Susskind sind fünf Stufen des Reeingeneering zu unterscheiden (vgl. Susskind 2017, S. 27 ff.): <?page no="227"?> Angebotspolitik 227 Abb. 53: Stufen des Dienstleistungsreengineerings Stufe 1 Individualisiertes Angebot Die meisten Anwälte begreifen ihre Dienste als hochindividuell. Tatsächlich folgen viele Elemente der Rechtsberatung jedoch einem standardisierten Schema, denn sie wiederholen sich. Ein vollkommen individualisiertes Angebot würde darauf beruhen, dass jeder Teilschritt für den Mandanten maßgeschneidert wird. In den seltensten Fällen ist ein Dienst deshalb voll individualisiert, es sei denn, die nachgefragte Leistung ist tatsächlich ein in allen Teilen noch nicht da gewesener Fall oder der involvierte Anwalt bringt wenig bis keine Erfahrung mit. Stufe 2 Normiertes Angebot Bei einem normierten Angebot werden repetitive Teilelemente vereinheitlicht. Der Großteil der Anwälte arbeitet regelmäßig auf dieser Stufe, denn bei genauem Hinsehen sind viele Elemente in der Rechtsberatung einer Normierung zugänglich. Beim Entwurf eines Testaments oder eines Vertrags greifen die meisten erfahrenen Anwälte auf ein bewährtes Muster zurück. Auch Schriftsätze basieren oft teilweise auf gängigen Textbausteine oder Standardformulierungen. Doch nicht nur die Inhalte, sondern auch die Leistungsprozesse ähneln sich immer wieder. Mandanten erwarten zu Recht, dass ihr Anwalt neben einer persönlichen Behandlung auch eine gewisse Routine bei der Abwicklung mitbringt und Checklisten, Handbücher und andere bewährte Prozeduren nutzt. Stufe 3 Systematisiertes Angebot Systematisierte Leistungserstellung liegt vor, wenn Vorkehrungen getroffen werden, die dafür Sorge tragen, dass genormte Teilleistungen in gleicher oder besserer Form immer wieder zur Anwendung kommen. Ein Beispiel: Ein Anwalt, der einmal oder gelegentlich nach seiner persönlichen Entscheidung vorliegende Vertragsentwürfe einsetzt, arbeitet noch immer nicht nach einem System, denn dies setzt regelmäßige planvolle Wiederholung voraus. Systematisierung entsteht, weitergehende Optimierung normierter Teilleistungen zur Verbesserung von Qualität bzw. Effizienz Ansätze: Automatisierung Prozessvereinfachung Qualitätssteigerung Zusammenstellung vermarktbarer Leistungsbündel Kombination von Leistungselementen zu Gesamtpaketen Entscheidung über Do-ityourself- Elemente vollständig individuelles Angebot separate Leistungserstellung für jeden Mandanten teilweise oder gänzliche Vereinheitlichung von Leistungselementen Ziel: Vermeidung von Doppelarbeiten / Effizienzsteigerung vollständig standardisiertes Angebot standardisierte Leistungserstellung unabhängig vom Mandanten individualisiert normiert systematisiert konfektioniert standardisiert 1 2 3 4 5 <?page no="228"?> 228 Operatives Kanzleimarketing wenn normierte Angebotsbestandteile professionalisiert und weiter entwickelt werden, z. B. durch Technologieeinsatz, Vereinfachung und weitgehende Qualitätsoptimierung. Stufe 4 Konfektioniertes Angebot Die nächste Angebotsstufe besteht aus der Zusammenfassung von Leistungselementen, die sich optimal ergänzen und ein stimmiges Gesamtbild ergeben. Dies geschieht, indem aus individuellen, automatisierten oder standardisierten Teilelementen eine attraktive Kombination gebildet wird, die die Bedürfnisse von Mandanten genau abbildet. Auf diese Weise entstehen Beratungsprodukte, die branchen- oder auch kanzleispezifisch definiert sein können (vgl. Overbeck / Breden 2014, S. 29). Neben der Entscheidung über die genauen Produktbestandteile ist dabei auch festzulegen, welche Leistungen bewusst ausgeklammert bzw. dem Mandanten selbst überlassen bleiben. Zukünftig ist davon auszugehen, dass immer mehr Rechtsberatungsangebote zumindest partiell auf dem Prinzip des Do-it-yourself beruhen. Dies setzt häufig Automatisierung voraus, wenn beispielsweise anstelle einer individuellen Beratungsleistung normierte Dokumente online angeboten werden. Sofern dieses Angebot dann gewohnheitsmäßig und dauerhaft, eventuell noch ergänzt um Nebenleistungen wie z. B. der Möglichkeit einer telefonischen Rücksprache, vermarktet wird, spricht man von einem konfektionierten Angebot. Impulse zur Konfektionierung von Angeboten finden sich überall dort, wo neue Mandanten sich aufgrund veränderter Rahmenbedingungen rechtlichen Herausforderungen gegenüber sehen, die bislang nicht durch ein spezifisches Angebot abgedeckt werden. Ein Beispiel: Immer häufiger schließen sich mittelständische Unternehmen mit Forschungsinstituten oder anderen Unternehmen zusammen, um gemeinsam Forschungsaufgaben zu bewältigen. Hintergrund dieses Trends ist die Suche nach Einsparungsmöglichkeiten sowie die Erkenntnis, dass die Bündelung von Know-how bessere Ergebnisse bringt. Denkbar wäre nun, ein Beratungsprodukt zu konfektionieren, dass die systematische Unterstützung von Mandanten beim Entwurf von Kooperationsvereinbarungen zum Inhalt hat (vgl. Overbeck / Breden 2014, S. 31 f.). Unter Berücksichtigung des „Do-ityourself“-Trends könnte das Beratungsprodukt alternativ auch lediglich ein begleitendes Coaching oder die Prüfung bereits bestehender Kooperationsvereinbarungen beinhalten, die durch den Mandanten selbst verhandelt wurden. Als Serviceelemente bieten sich feste Ansprechpartner für Mandanten bzw. deren Kooperationspartner sowie ein Service der regelmäßigen juristischen Prüfung der Vereinbarung an. Stufe 5 Standardisiertes Angebot Die letzte Stufe des Reengineerings ist das vollständig standardisierte Angebot, bei dem keine Anpassung an die spezifischen Anforderungen des Mandanten erfolgt. Bei anwaltlicher Rechtsberatung wird eine komplette Standardisierung auch zukünftig wohl eher kaum anzutreffen sein, denn Mandanten erwarten im Regelfall wohl ein gewisses Mindestmaß an Individualität. Andernfalls könnten genauso gut Fachliteratur oder Seminarangebote zu Rate gezogen werden, die typische Beispiele voll standardisierter Angebote im juristischen Bereich darstellen. <?page no="229"?> Angebotspolitik 229 Automatisierung (Teil-)Automatisierte Rechtberatungsleistungen, so genannte Online Legal Services gelten als wesentlicher Zukunftstrend im Anwaltsgeschäft. Im Rahmen des Dienstleistungsreengineerings sind Entscheidungen zur Technikunterstützung auf der dritten Stufe des Reeingeneering notwendig (Systematisierung) und damit integraler Bestandteil einer Überarbeitung der Prozesse. Unternehmen aus Großbritannien und USA sind - wie so häufig - Vorreiter bei dem Thema Automatisierung, doch auch in Deutschland gibt es mittlerweile zahlreiche Anbieter von Rechtsberatung, die stark technologiegetrieben arbeiten. Über die im Jahr 2004 gegründete Plattform anwalt.de ( http: / / www.anwalt.de) bieten beispielsweise mehr als 16.000 Anwälte ihre Dienste online an. Der Grundgedanke der standardisierten bzw. automatisierten Rechtsberatung wird auf der Webseite des Konkurrenten 123rechtnet.de einprägsam erläutert: „Bei kleinen Rechtsproblemen ist der Termin im Anwaltsbüro so sinnvoll wie mit Kanonen auf Spatzen zu schießen. Der Gang zum Anwalt kostet wertvolle Zeit und es entstehen Kosten, die nicht im Verhältnis zum Problem stehen“ ( http: / / www.qnc.de/ community-building/ 123rechtnet/ ). Neben spezialisierten Anbietern, bewerben auch zahlreiche Anwälte auf ihrer Kanzleihomepage mittlerweile die Möglichkeit einer virtuellen oder telefonischen Rechtsberatung. Hinsichtlich der Automatisierung stellt sich zunächst die Frage, was konkret automatisiert werden soll. Grob gesprochen besteht die juristische Dienstleistung aus einer Reihe von Kern- und Randleistungen, die größtenteils einer Automatisierung zugänglich sind. Beispielsweise besteht die Möglichkeit, dass die eigentliche Beratung in konventioneller Form persönlich oder telefonisch durchgeführt wird, während nur die Übermittlung von Unterlagen digital erfolgt. Dieser Status ist bei vielen Kanzleien bereits erreicht. Ein weitergehender Ansatz wäre, die eigentliche Rechtsberatung ebenfalls online abzuwickeln, z. B. durch eine Chat-Möglichkeit. Die theoretisch denkbaren Optionen der Automatisierung lassen sich prüfen, indem Kern- und Randleistungen der anwaltlichen Arbeit systematisch gesammelt und hinsichtlich ihres Automatisierungspotenzials bewertet werden. Eine grobe Zuordnung ergibt, dass die Anwaltsarbeit sich üblicherweise in den Kategorien „Analyse“, „Beratung“, „Verhandlung“ und „Information“ abspielt. Im internationalen Umfeld existieren automatisierte Lösungen in jedem der genannten Bereiche. So helfen beispielsweise juristische Expertensysteme dabei, die Situation von Mandanten besser aufzunehmen und zu verstehen. Indem zunächst eine Vielzahl mandantenspezifischer Informationen online erfragt werden, sind diese Systeme in der Lage eine erste Einschätzung der Situation automatisch zu generieren. Ob der Mandant selbst Zugriff auf das System hat oder dies nur im Back Office des Anwalts genutzt wird, bleibt offen. Ein Anbieter derartiger Expertensysteme ist beispielsweise das US-Unternehmen Neota Logic Inc. ( http: / / www.neotalogic.com). Reine Online-Rechtsberatung ist international mittlerweile bei vielen Kanzleien zu haben, auch der automatisierte Dokumentenentwurf und Workflow. Wenige Ideen gibt es bisher zur Digitalisierung der vom Anwalt abgeforderten Verhandlungsleistungen durch digitale Portale, die der alternativen Streitbeilegung dienen. Eng verknüpft mit der Digitalisierung von Rechtsdienstleistungen ist der zunehmende Trend zur Abwicklung von juristischen Problemen über das Telefon. Anbieter von Online Legal Services bieten parallel auch meist die Beratung über das Telefon an. In Deutschland ging bereits 1998 mit der Justitia Direct ( http: / / www.e-juristen.de) <?page no="230"?> 230 Operatives Kanzleimarketing das erste Unternehmen mit telefonischer Rechtsberatung auf den Markt. Seitdem haben sich die Angebote exponentiell erhöht. Neben Anwälten, die auch telefonische Rechtsberatung betreiben, existieren zahlreiche spezialisierte Anbieter und auch Versicherer, Verbraucherzentralen oder ähnliche Organisationen bieten telefonische Rechtsberatung als separates Produkt oder Kundenbindungsinstrument zusätzlich an. Der starke Wettbewerb wird durch immer ausgefeiltere Preis- und Servicekonzepte reflektiert. Neben minutengenauer Abrechnung gibt es telefonische Rechtsberatung auch zum Festpreis ( http: / / frankfurtanwalt.de), als Flatrate ( http: / / www.beratungsflat.de), mit Rückrufservice oder im 24-Stunden-Modell ( http: / / www.kreuzer.de). Internationale Studien haben gezeigt, dass telefonische Rechtsberatung bei Nutzern teilweise viel besser ankommt als ihr Ruf es vermuten lässt. Zwar besteht die Gefahr, dass „Tele-Anwälte“ ihr Image als Qualitätsanbieter beschädigen, jedoch ist diese Form der Konsultation gerade bei Älteren, bei Personen mit ungünstigen Arbeitszeiten, bei Alleinerziehenden, Mandanten mit psychischen Problemen oder Ängsten vor Stalking und Ex-Partnern sehr beliebt (vgl. Smith / Paterson 2014, S. 28 f.). Weniger verbreitet als zur telefonischen Beratung ist der Einsatz von Telekommunikationstechnik zu Analyse-, Verhandlungs- oder Informationszwecken. Mit zunehmender Entwicklung der technischen Möglichkeiten ist zu erwarten, dass auch diese Bereiche teilweise telefonisch abgewickelt werden. In England beispielsweise nutzt die Kanzlei Bott & Co.( http: / / www.bottonline.co.uk) eine eigens entwickelte iphone App zur Aufnahme von Unfällen im Straßenverkehr. Mit der App können Fotos vom Unfallgeschehen gemacht werden, eine GPS-Funktion zeichnet die genauen Koordinaten auf und mittels einer Eingabemaske werden alle relevanten Informationen abgefragt, so dass die Anwälte im Anschluss direkt mit ihrer Arbeit beginnen können. Kategorie der anwaltlichen Leistung ausgewählte Aufgaben Beispiele Analyse Aufnahme und Dokumentation der Mandantensituation Situationsanalyse automatisierte Dokumentenverarbeitung onlinebasierte Expertensysteme, z. B. Neota Logic Inc. ( http: / / www.neotalogic.com) Beratung Beratung des Mandanten reine Online-Rechtsberatung, z. B. VLP Law Group LLP ( http: / / www.vlplawgroup.com) reine telefonische Rechtsberatung, z. B. Deutsche Rechtsanwaltshotline ( http: / / www.deutscherechtsanwaltshotline.de) Verhandlung gerichtliche Vertretung außergerichtliche Verhandlung / Mediation onlinebasierte Streitbeilegung, z. B. Modria ( http: / / www.modria.com) mobile Mediation, z. B. Fix a Fight iphone App für Scheidungswillige ( https: / / itunes.apple.com/ de/ app/ fix-afight/ id376117430? mt=8) <?page no="231"?> Angebotspolitik 231 Information Bereitstellung von Dokumenten Weiterleitung von Dokumenten an Mandant Weitergabe von Dokumenten an andere Parteien Rechnungsstellung automatisierter Dokumentenentwurf, z. B. RocketLawyer ( http: / / www.rocketlawyer.com) Speichern und Bearbeiten von Dokumenten in der Cloud mobiles Unterschreiben, z. B. SignEasy App ( http: / / getsigneasy.com) Tab. 14: Automatisierungsoptionen der anwaltlichen Dienstleistung Praxisbeispiel iLawyer und Cyber-Gerichte Science Fiction oder Realität: Mandantenbetreuung ohne jeden persönlichen Kontakt? Während es hierzulande aufgrund des Berufsrechts nicht möglich ist, die anwaltliche Beratung komplett ins Netz zu verlagern, kommt das in USA durchaus vor. Die Anwältin Stephanie Kimbro aus North Carolina startete beispielsweise bereits 2006 mit einer rein virtuellen Anwaltskanzlei (vgl. Bernzen 2012). Ihr erfolgreiches Start-up verkaufte sie im Jahr 2009 und ist seitdem als erfolgreiche Autorin und Unternehmensberaterin im Bereich Online-Rechtsberatung bekannt. Aktuell erforscht sie die Frage, wie durch spezielle Online- Spiele das öffentliche Interesse für juristische Fragen erhöht werden könnte ( http: / / www.virtuallawpractice.org). Kimbro ist nur ein Beispiel für viele online arbeitende Anwälte im internationalen Umfeld. Die so genannten „virtuellen Kanzleien“ umfassen einerseits Anwälte, die ihr Geschäft ohne eigene Räumlichkeiten im eigenen Wohnzimmer betreiben, wie auch solche, die mit Mandanten ausschließlich über digitale Plattformen kommunizieren (vgl. Filisko 2014). Im Jahr 2013 stufte sich bereits jede 20. Kanzlei in den USA als virtuelle Kanzlei ein (vgl. Elefant 2013). Doch Prognosen gehen noch weiter: Internationale Forscher halten es durchaus für möglich, dass in nicht allzu ferner Zukunft der anwaltliche Rat durch einen Computer erteilt wird und auch virtuelle Gerichte liegen im Rahmen des Vorstellbaren (vgl. Meltzer 2014). Noch werden solche Szenarien von den meisten Juristen als unrealistisch abgetan, aber in den letzten Jahrzehnten wurde in vielen Branchen Personal durch Rechner ersetzt. Immer argumentierten betroffene Berufsvertreter anfänglich, es sei bestimmt niemals denkbar, dass die eigene Tätigkeit durch einen Computer übernommen werden könnte (vgl. McLeod 2014). Fakt ist: Maschinen können nicht nur schneller mehr Informationen verarbeiten, sondern verstehen die natürliche Sprache inklusiver eventueller Zweideutigkeiten, Ironie und nehmen Stimmungen auf. Ob es deshalb prinzipiell nicht gelingen kann, „das für eine automatische Subsumtion nötige Weltwissen, Erfahrungen, `gesunden Menschenverstand` und Gerechtigkeitsempfinden abzubilden“ (Grupp 2014, S. 664), ist deshalb zweifelhaft - zumal Anwälte aus Fleisch und Blut derartige Fähigkeiten auch nicht immer in Perfektion mitbringen. Der „Anwaltsautomat“ müsste <?page no="232"?> 232 Operatives Kanzleimarketing letzten Endes keine perfekte, sondern „nur“ eine bessere und vor allem wirtschaftlichere Lösung bieten als das menschliche Original um eine grundsätzliche Marktchance zu haben. Dass Computer zumindest teilweise besser sind als Anwälte, ist längst bewiesen: Kürzlich schlug der Algorithmus des Legal-Tech- Start-ups CaseCrunch mehr als 100 Londoner Anwälte bei der Vorhersage der Erfolgsaussichten realer Klageverfahren. CaseCrunch lag in 86,6 % alle Fälle richtig, die Anwälte nur in 62,3 % (vgl. o. V. 2017). Auch in der Rechtsprechung macht sich Technisierung bemerkbar. Zunehmende Verbreitung des Internets und gleichzeitige Überlastung der Gerichte fördern den Trend zu IT-basierten Streitbeilegungs- und Schlichtungsportalen. Online Dispute Resolution (ODR) ist der Sammelbegriff für technologiebasierte Verhandlungen, Mediationen und Schiedsverfahren. Beide Parteien geben dabei teilweise in mehreren Runden verdeckt ein, unter welchen Konditionen eine Einigung in Betracht kommt. Sind die Vorstellungen teilweise deckungsgleich, schlägt die Software den Vergleichsbetrag vor. Natürlich hat das Ergebnis nur Empfehlungscharakter und ersetzt nicht das vollstreckbare Urteil und genau da liegen auch die Grenzen: In einem Großteil der Fälle hat eben nicht jede Partei gleichermaßen ein Interesse an einem schnellen und kostengünstigen Streitende. Gleichwohl aber werden Maßnahmen der alternativen Streitbeilegung seitens der Europäischen Union derzeit massiv vorangetrieben (vgl. Grupp 2014, S. 661). Erste Pionierprojekte laufen bereits. In den Niederlanden beispielsweise, ist es mit der vom Legal Aid Board zur Verfügung gestellten Plattform Rechtwijzer ( http: / / www.rechtwijzer.nl) möglich, Scheidungsstreitigkeiten online zu lösen. Das Gerichtsurteil ist im Anschluss nur reine Formsache. Doch die Technologie kann noch mehr: Sie ist erstens international adaptierbar und zweitens auch für andere Rechtsgebiete (z. B. Verbraucherrecht) nutzbar. Ob sich Lösungen dieser Art international verbreiten werden, wird vor allem davon abhängen, inwieweit sie seitens der politischen Entscheidungsträger protegiert werden. Do-it-yourself Eine weitere Entwicklung beim Angebot anwaltlicher Dienste ist der Trend zum Do-it-yourself: Der Mandant übernimmt Teile des Rechtsdienstleistung selbst. Eine notwendige Voraussetzung dafür ist die Zerlegung (Unbundling) der Rechtsberatungsleistung in einzelne Komponenten, die dann entweder durch den Anwalt angeboten oder durch den Mandanten selbst erledigt werden können. Entscheidungen dieser Art sind auf der Stufe 4 des Dienstleistungsreengineerings zu treffen, wenn es um die Konfektionierung des Angebotes geht. Zwischen Do-it-yourself und Automatisierung besteht ein starker Zusammenhang, denn in der Regel schafft die Digitalisierung von Services erst die Möglichkeit, dass der Mandant diese selbstbestimmt von jedem Ort nutzen kann. Do-it-yourself kommt daher in zwei Ausprägungen vor: Entweder in Form des eigenständigen Abrufs von juristischen Dokumenten oder - weitgehender - durch Online Legal Guidance, die es dem Nutzer ermöglicht, sein Rechtsproblem mit Hilfe digitaler Hilfe selbst nahezu komplett zu lösen. Anbieter automatisierter Rechtsdokumente gibt es mittlerweile zuhauf. Wer einen Standardkaufvertrag aufsetzen will, eine Kündigung rechtskonform aussprechen <?page no="233"?> Angebotspolitik 233 möchte oder eine Haushaltshilfe einstellen will, kann ohne jeden Anwaltskontakt die notwendigen Unterlagen online individualisieren und dann ausdrucken. Ein innovatives Unternehmen in diesem Umfeld wurde 2012 durch den Rechtsanwalt Dr. Daniel Biene gegründet, der mit einem Ingenieur und einem Team von Softwareexperten und Designern mit SmartLaw eine Plattform für Rechtsdokumente gründete ( http: / / www.smartlaw.de). Das Besondere dabei ist, dass die Dokumente individuell anpassbar sind. Jeder Nutzer wird dazu online durch einen Fragenkatalog geschleust, bei der individuelle Informationen abgefragt werden, die im Anschluss in das Musterdokument eingefügt werden. Die dahinter stehende Technologie existiert seit den 1980er Jahren und beruht auf der Logik von Entscheidungsbäumen. Auf diese Weise können Dokumente entstehen, welche die persönliche Situation abbilden, aber gleichzeitig hoch effizient produziert werden. Aus anderen Branchen ist dieses Prinzip auch als Mass Customization (individualisierte Massenproduktion) bekannt. Durch Mass Customization kann SmartLaw beispielsweise bereits für 29,90 € einen fertigen Arbeitsvertrag zur Verfügung stellen. In vergleichbarer Weise praktiziert in Deutschland das Unternehmen Janolaw ( http: / / www.janolaw.de) bereits seit 2001. Durch Beantwortung einer gewissen Zahl von Fragen, die der Nutzer mit „ja“ oder „nein“ („no“) beantwortet, generiert Janolaw das fertige Rechtsdokument. International existieren zahlreiche ähnliche Anbieter, die teilweise nur einzelne Rechtsgebiete abdecken. In Kanada erlaubt z. B. der Service Will-O-Matic die individuelle Testamentserstellung per Mausklick in Minuten ( https: / / www.dynamiclegalforms.com/ wills_splash.php). Das erstellte Testament kann bequem per Paypal bezahlt und noch ein Jahr lang bearbeitet werden. Aktuell kostet der Service als Aktionspreis 67 $ und inkludiert ein kostenloses e- Book. Die Konkurrenz ist groß, denn Softwarepakete wie Quicken WillMaker Plus oder Will Creator Deluxe erlauben für Preise zwischen 30 und 50 $ die Erstellung einer unlimitierten Zahl von Testamenten. Der Trend zur Selbsthilfe ist keineswegs auf private Mandanten beschränkt. Auch Unternehmen sind stark an Angeboten interessiert, die die Einbindung des Anwalts auf das Notwendige beschränken und ansonsten eher ein kontinuierliches Coaching vorsehen. Attorney Solutions beispielsweise, ein spezialisierter US- Anbieter, bietet professionelle Unterstützung beim Gegenlesen juristischer Dokumente ( http: / / www.ediscovery.co/ services#review). Mandanten kaufen auf diese Weise nur die Teilleistung zu, die sie nicht selbst liefern können. Üblich ist auch, dass Anwälte als Ghostwriter tätig werden, also Dokumente vorbereiten, die der Mandant in seinem Namen herausschickt. Eine weitere Möglichkeit besteht in der Wahrnehmung ausgewählter Termine durch den Anwalt, der den Fall ansonsten nicht weiter bearbeitet (limited appearances), oder in der gemeinsamen Strategieentwicklung für einen Rechtsstreit, der ansonsten vom Mandanten in Eigenregie gelöst wird (vgl. Braune 2013). Selbstverständlich sind diese Einsatzmöglichkeiten auf Fälle beschränkt, in denen kein Anwaltszwang besteht. 5.2.2 Angebotseliminierung Ein häufig vernachlässigter Aspekt der Angebotspolitik ist die Notwendigkeit, regelmäßig auch Dienste aus dem Programm herauszunehmen. Unter vielen Dienstleistern verbreitet ist die Ansicht, dass doch im Grunde jedes halbwegs darstellbare Angebot noch ein Zubrot ist, zumindest wenn es kein total abwegiges Rechtsgebiet betrifft. Diese Sicht blendet aus, dass gerade selten angebotene Diens- <?page no="234"?> 234 Operatives Kanzleimarketing te oft nur mit hohem Zeit- und Geldaufwand erstellt werden können, so dass am Ende wenig oder gar kein Gewinn übrig bleibt. Hinzu kommt, dass die durch den Anwalt erbrachten Dienste auch profilbildend wirken. Eine zu große Dienstleistungsbreite, selbst wenn diese nur auf Nachfrage erbracht wird, führt deshalb leicht zu einer verwässerten Marktposition. Für was steht ein Dienstleister, der alles macht? Selbst im Bedarfsfall sollte daher nicht ungeprüft jede Rechtsdienstleistung auch erbracht werden. In größeren zeitlichen Abständen sollten zudem die regulär angebotenen Dienste im Hinblick auf ihren Erfolgsbeitrag überprüft werden. In der Praxis bietet sich ein systematischer Prozess an, den von Zeit zu Zeit alle Dienstleistungen der Kanzlei durchlaufen. Die Basis dazu ist die Definition von Eliminierungskriterien, die Antwort auf die Frage geben, wann ein Angebot einzustellen ist. Gängige Aspekte sind dabei: Zeitlicher Aufwand Kosten bei der Leistungserstellung bzw. die Frage, inwieweit Kosten auf den Mandanten überwälzt werden können Nachfrage Zu erzielendes Honorar Vorhandenes Know-how Konkurrenzsituation Strategische Relevanz Passung zum sonstigen Dienstleistungsangebot Da die Kriterien unterschiedlich wichtig sind, sind sie individuell zu gewichten. Wenn also beispielsweise das zu erzielende Honorar ein besonders wichtiger Aspekt ist, sollte ihm ein relativ hohes Gewicht zugeordnet werden. Insgesamt addieren sich die Kriteriengewichte zu 100 %. Für jedes Kriterium ist dann zu definieren, welche Ausprägungen zu erwarten sind und welche Punktwerte rechnerisch zugeordnet werden. Beispielsweise könnte das Kriterium des zu erzielenden Honorars die Ausprägungen „unattraktiv“, „angemessen“ und „attraktiv“ annehmen. Je nach Ausprägung können annahmegemäß die Punkte 1, 3 und 5 vergeben werden. Der gesamte Produktwert ergibt sich durch Multiplikation von Bewertungen und Gewichten und anschließendem Aufaddieren. In Abhängigkeit von der Endsumme ergeben sich Handlungsempfehungen, die prinzipiell auf die Beibehaltung des Angebotes, der Überarbeitung oder der Eliminierung hinauslaufen können. Die Methodik bei der Vorgehensweise gleicht der Bewertungslogik, die bereits im Zusammenhang mit der Portfolio-Analyse vorgestellt wurde ( Kap. 4.3.2). Es stellt sich die Frage, wie die Bewertungen und Gewichtungen vorzunehmen sind. Praktisch sind einige bewertungsrelevante Informationen aus der Zeiterfassung oder der Buchhaltung zu beschaffen (z. B. Informationen zur Nachfrage), andere Bewertungen und auch die Gewichtungen müssen von einem möglichst versierten Gremium vorgenommen werden. In einer Kanzlei kann dies eine Gruppe von Anwälten sein, die sich mit den jeweiligen Diensten am besten auskennt. Zur Verarbeitung der Eingangsgrößen kann ein simples Tabellenkalkulationsprogramm eingesetzt werden, mit dem auf Basis der eingegebenen Informationen die Eliminierungsnotwendigkeit für jeden Dienst automatisch ermittelt wird. Der Handlungsbedarf wird zudem visuell mit Hilfe eines einfachen Ampelsystems ver- <?page no="235"?> Angebotspolitik 235 mittelt: Grün signalisiert keinen Handlungsbedarf, während gelb für Überarbeitung steht und rot tendenziell für eine Herausnahme des Dienstes spricht ( Abb. 54). Angebotsbewertung Rechtsgebiet Verkehrsrecht Dientsleistung Entzug der Fahrerlaubnis Gewichtung Bewertung Produkt Gewichtung · Produkt Ausprägung Punkte min.: 1 max.: 5 zeitlicher Aufwand 10% gering 1 0,1 Kostenüberwälzung 10% vollständig 3 0,3 Nachfrage 15% hoch 5 0,75 Honorar 25% unattraktiv 1 0,25 vorhandenes Know-how 20% hoch 3 0,6 Konkurrenzsituation 10% hohe Konkurrenz 1 0,1 strategische Relevanz 5% mittel 3 0,15 Passung 5% stark 5 0,25 SUMME 100% 2,50 Abb. 54: Beispiel eines Angebotsbewertungsblatts Das Ergebnis der Dienstleistungsbewertung anhand des dargestellten, simplen Vorgehens wird natürlich nicht unreflektiert umgesetzt, sondern ist Gegenstand der weiteren Diskussion. Bevor endgültig ein Dienst nicht mehr angeboten wird, ist vor allem zu klären, ob Verbundeffekte zu anderen, in der Kanzlei angebotenen Diensten bestehen. Ein Beispiel: Wenn im Wirtschaftsrecht erfolgreiche Topmanager vertreten werden, die eben häufig auch interfamiliär mit einer Scheidung konfrontiert sind, kann es Sinn machen, aus Gründen der Mandantenbindung beide Zweige anzubieten. Das gilt möglicherweise selbst dann, wenn etwa bei den familienrechtlichen Auseinandersetzungen nicht gut verdient wird und die Rechtsberatung auf diesem Gebiet isoliert betrachtet eigentlich eingestellt werden müsste. Solche Abwägungen sind auf Geschäftsleitungsebene durchzuführen, wobei das Ergebnis der Produktbewertung dazu eine wertvolle Diskussionsgrundlage liefert. Steht am Ende der Debatte dann die Entscheidung, einen Dienst künftig nicht mehr anzubieten, ist das Eliminierungsvorgehen zu klären. Neben einer sofortigen Einstellung des Angebots kommt ein geplantes Vorgehen in Betracht, das zumindest die Möglichkeit offen lässt, Mandanten eventuell zu einem Ersatzprodukt zu migrieren oder zu einem Kooperationspartner weiter zu leiten. Was im Einzelfall tatsächlich umgesetzt wird, hängt in erheblichem Maße auch von der Auslastungssituation insgesamt ab. Bei guter Auslastung des Anwalts steht die Eliminierung gelb <?page no="236"?> 236 Operatives Kanzleimarketing unattraktiverer Angebote eher zur Diskussion als wenn nur wenige alternative Umsatzquellen zur Verfügung stehen. 5.3 Honorarpolitik Aus Sicht des Anwalts gehört die Honorarpolitik ganz gewiss zu den besonders interessanten Marketinginstrumenten, denn unter dieser Überschrift wird definiert, welchen Verpflichtungen Mandanten denn nun genau als Gegenleistung für die anwaltlichen Dienste unterliegen. Die Hauptverpflichtung betrifft dabei natürlich die Zahlung des festgelegten Honorars. Die Gestaltungsmöglichkeiten in diesem Zusammenhang sind reguliert, aber dennoch vielfältig: Zwar hat als Grundlage nach wie vor das RVG seine Gültigkeit, jedoch ist der wichtige Teil der außergerichtlichen Beratung bereits seit 1. Juli 2006 der freien Vereinbarung zwischen Anwalt und Mandant überlassen. Für den Part der gerichtlichen Vertretung sind individuelle Vereinbarungen möglich, sofern die gesetzlichen Vorgaben des RVG nicht unterschritten werden. Im Klartext kommt das einer teilweisen Deregulierung mit einem partiellen Mindestlohngebot gleich. Neben der Variation des Honorars im engeren Sinne, bestehen Gestaltungsspielräume der Honorarpolitik bei den Zahlungsbedingungen. Im Einzelnen sind damit gemeint: Vorschüsse Nach § 9 RVG ist der Anwalt explizit berechtigt, Vorschüsse zu verlangen. Wird bereits vor Leistungsbeginn Honorar vereinnahmt, ergeben sich Zinsgewinne, so dass der Vorschuss als Instrument der Zahlungsgestaltung bei großem Honorarvolumen in Grenzen als Substitut zur Erhöhung des Stundensatzes anzusehen ist. Zeitliche Taktung der Rechnungsstellung Anwälten steht es frei, in welcher Frequenz abgerechnet wird. Bei länger laufenden Mandaten kommt je nach Honorarvolumen eine monatliche, vierteljährliche, halbjährliche oder jährliche Abrechnung in Betracht; alternativ kann nach Mandatsbeendigung auf einen Schlag die Zahlung eingefordert werden. Durch eine längere Taktung kommt im Prinzip eine Stundung zustande. Ratenzahlung und Stundung Nur selten werden derartige Finanzierungsmöglichkeiten durch Anwälte offen angeboten. Gleichwohl ist es Anwälten nicht verboten, diese zu vereinbaren. Zwar ist nach § 23 BORA spätestens nach Mandatsbeendigung eine Abrechnung zu erstellen und das Honorar wird fällig, eine anderslautende Vereinbarung zu den Zahlungsmodalitäten steht dem jedoch nicht entgegen. Einige Anwälte publizieren auf der Kanzleiwebseite, dass Mandanten in Fällen von Zahlungsschwierigkeiten das Gespräch suchen sollen, nur wenige offerieren derzeit explizit derartige Finanzierungsoptionen. Das verwundert, denn in vielen Wirtschaftsbranchen (wie z. B. den Versandhandel und den Autokauf) ist die Ratenzahlung das Finanzierungs- und Verkaufsförderungsmittel Nr. 1. Berufsrechtlich steht dem wenig entgegen und inzwischen nutzen die ersten Anwälte die Möglichkeiten, durch innovative Zahlungsbedingungen mehr Mandanten anzuziehen. Gerade bei privaten Mandanten dürfte die Nachfrage nach Ratenzahlung in den kommenden Jahren erheblich zunehmen. <?page no="237"?> Honorarpolitik 237 (Vor-)Finanzierung Berufsrechtlich problematisch ist der direkte Geldverleih von Anwälten an Mandanten mit entsprechender Zinsvereinbarung oder gar die vorweggenommene Erstattung zu erwartender Schadensersatzansprüche. Prinzipiell spricht aber nichts dagegen, wenn ein Anwalt im Wege einer Drittfinanzierung die Zusammenarbeit mit einem Finanzierungsinstitut sucht und eine günstige Rahmenvereinbarung für seine Mandanten schafft (vgl. o. V. 2014c). Seit 1998 bieten in Deutschland Prozessfinanzierer ihre Dienste an, die bereit sind, die nötigen Kosten einer außergerichtlichen oder gerichtlichen Einigung zu tragen. Erster Anbieter war damals die Foris AG, mittlerweile gibt es verschiedene Anbieter, die teilweise auch Ansprüche verschiedener, kleinerer Mandanten bündeln. Aktuell entwickeln sich verstärkt Prozessfinanzierungsgesellschaften, die Prozessfinanzierung auch für kleinere Privatmandanten durch Softwarelösungen ermöglichen. Ein Beispiel dafür ist das Projekt Geblitzt.de der Coduka AG ( http: / / www.geblitzt.de), bei dem die Vertretung bei kleineren Verkehrsdelikten im Mittelpunkt steht. Einmal mehr spiegeln sich hier die Trends zu Automatisierung und Standardisierung ( Kap. 5.2.1.3) wider. Preisgarantien Preisgarantien vermitteln Sicherheit, indem Mandanten eine bestimmte, sehr günstige Honorarhöhe zugesichert wird. Praktisch sind Preisgarantien an eine Reihe von Bedingungen gekoppelt, die in der Vergütungsvereinbarung exakt zu definieren sind. Beispielsweise können (und sollten) Zeitraum und -ort der Gültigkeit eingeschränkt werden, ferner die Geltungsdauer des Angebots. In USA bieten Anwälte solche Servicegarantien des Öfteren an, in Deutschland ist dieses Instrument aufgrund der weniger ausgeprägten Commoditisierung der damit einhergehenden schlechteren Vergleichbarkeit von Rechtsdienstleistungen kaum anzutreffen. Eine Ausnahme bildet die Niedrigpreisgarantie der Kanzlei Schumacher & Partner ( http: / / www.anwalt-onlinescheidung.de). Rabatte Rabatte zählen im Wirtschaftsleben zu den wichtigsten Instrumenten der Preisgestaltung. Prinzipiell steht es auch Rechtsanwälten frei, Rabatte zu gewähren. Aufgrund der Bedeutung der Rabattpolitik für die Rechtsberatung wird auf dieses Instrument gesondert in Kap. 5.3.4 eingegangen. 5.3.1 Bestimmungsfaktoren des Honorars Die Gestaltung der Zahlungsbedingungen birgt ungenutztes Potenzial, aber auch die Festlegung des eigentlichen Honorars ist im Kanzleialltag oft noch verbesserungswürdig. Gerade bei kleineren Kanzleien werden Honorare nicht selten nach dem Bauchgefühl vereinbart oder eben angesetzt, weil sie seit Jahren in dieser Höhe ranigeren. Das mag auch daran liegen, da unter Rechtsanwälten die Frage der Honorargestaltung historisch gesehen nie zur Diskussion stand, da die Bezahlung gesetzlich geregelt war (bis 1. Juli 2004 durch BRAGO, dann durch das RVG). Erst seit dem 1. Juli 2006 ist die außergerichtliche Vertretung dereguliert. Nach § 34 RVG sind Anwälte seitdem gehalten, eine Vergütungsvereinbarung mit Mandanten zu treffen. Zwangsläufig stellt sich damit die Frage der Honorargestaltung. Im Vergleich zu anderen Instrumenten im Marketing-Mix kommt der Honorarfrage besonders hohe Bedeutung aus folgenden Gründen zu: <?page no="238"?> 238 Operatives Kanzleimarketing Im Vergleich zu anderen Marketingentscheidungen haben Honorarveränderungen unmittelbar und schneller Auswirkungen auf den Gewinn. Wird beispielsweise eine neue Werbekampagne am Markt vorgestellt, so dauert es normalerweise einige Wochen oder Monate, bis eine Umsatzauswirkung zu spüren ist. Wird hingegen das Honorar erhöht oder gesenkt, macht sich dies direkt und ohne Zeitverzug beim Gewinn bemerkbar. Veränderungen in der Honorargestaltung haben oft deutliche Konkurrenzreaktionen zur Folge, insbesondere wenn sie marktuntypisch sind und offen nach außen beworben werden. Wer also beispielsweise mit „kostenloser Erstberatung“ wirbt, Dienste über Schnäppchenportale anbietet oder Gutscheine verteilt, wird mit Antwort von Wettbewerbern zu rechnen haben. Rabatte und Sonderkonditionen führen bereits beim nächsten Mandantenkontakt zu einer veränderten Erwartungshaltung. Es ist schwierig, Honorarnachlässe im Nachhinein wieder rückgängig zu machen. Die Honorarhöhe hat Auswirkungen auf die Qualitätswahrnehmung. Anders gesagt: Günstige Produkte und Dienstleistungen werden nicht selten auch als minderwertiger eingestuft. Veränderungen der Honorarhöhe beeinflussen den Gewinn stärker als Veränderungen der Kosten oder die Anzahl der Mandate. Wenn das Honorar also um einen bestimmten Prozentsatz gesenkt wird, hat dies in der Regel größere Auswirkungen als eine Erhöhung der Gesamtkosten oder ein Rückgang der Mandate um den gleichen Prozentsatz. Grob gesagt liegt das daran, dass jede Honorarveränderung über die Anzahl der Stunden und Mandate sehr viel mehr auf das finanzielle Ergebnis durchschlägt als eine Änderung bei anderen Positionen. Das Honorar ist eine Komponente des Marketings, der größte Aufmerksamkeit zukommen sollte. Nichtsdestotrotz muss man einräumen, dass gerade im deutschen Rechtsberatungsmarkt der Einfluss des Honorars auf den Markterfolg nicht so hoch ist wie man annehmen müsste. Eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft bescheinigt den Mandanten in Deutschland ein noch „geringes Preisbewusstsein“ (vgl. IW 2008, S. 16). Ein Grund mag darin zu suchen sein, dass die gesetzliche Vergütungsregelung hierzulande stärker als in anderen Ländern Tradition hat. Anwaltshonorare waren nicht verhandelbar und in diesem Muster des Hinnehmens sind viele Rechtsuchende auch heute noch verhaftet. Zudem handelt es sich beim Anwaltsmarkt um eine Branche, die Informationsasymmetrie und Unsicherheit birgt - das Wissen um Konkurrenzpreise ist daher gering ausgeprägt. Das gilt gerade hierzulande, wo anwaltliche Dienstleistungen zum großen Teil noch individuell und nicht als standardisiertes Produkt angeboten werden. Offizielle Preislisten fehlen und im Internet finden sich nur spärliche Angaben zu den Honoraren. Pauschalangaben zur Preissensibilität sind jedoch schwierig, da gerade gewerbliche Mandanten dem Honorar wesentlich größere Bedeutung beimessen. Insgesamt ist zudem ein allgemeiner Trend in Richtung eines stärkeren Preisbewusstseins zu spüren. Bewertungsportale im Internet und ein steigender Wettbewerb legen nahe, dass die Bedeutung der Honorargestaltung für das Anwaltsmarketing künftig stark zunehmen wird. Betriebswirtschaftlich gesehen ist das Honorar der Preis, der für eine Dienstleistung bezahlt wird. Aus Sicht des Anwalts bzw. der Kanzlei bildet die Bezahlung die <?page no="239"?> Honorarpolitik 239 Kompensation für die entstandenen Kosten. Zudem soll natürlich noch Gewinn erzielt werden. Der Mandant betrachtet das Honorar hingegen als Gegenwert für den individuellen Nutzen der Rechtsdienstleistung. Damit das Honorar am Markt durchsetzbar ist, muss aus Sicht der Nachfragenden ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Leistung und Bezahlung bestehen. Aus Wettbewerbssicht ist das Honorar der am Markt durchsetzbare Preis für eine Dienstleistung. Insgesamt muss sich der Aufwand für den Mandanten in einem Rahmen bewegen, den auch Wettbewerber mit ähnlichem Angebot fordern, sonst wird ein Anwalt im Wettbewerb nicht erfolgreich sein können. Bei der Honorarentscheidung sind alle drei Faktoren - interne Sicht, Nachfragesicht, Wettbewerbssicht - zu berücksichtigen. Das Honorar, das intern zwar die Kosten abdeckt, aber aus Mandantensicht „zu teuer“ ist, wird kaum zum Kanzleierfolg beitragen. Ebenso inadäquat wäre ein Honorar, das zwar viele Mandanten anzieht, aber keine Kostendeckung garantiert. Abb. 55: Perspektiven der Wahrnehmung des Honorars Das „richtige“ Honorar sollte also alle Perspektiven der betriebswirtschaftlichen Preisbzw. Honorardefinition einschließen (multiperspektivische Ausrichtung). Mehr noch: Damit kanzleiintern die Abläufe vereinfacht werden, sollte es einfach zu ermitteln sein (Einfachheit). Komplexe Marktforschung und diffizile Berechnungsmethoden schließen sich also aus. Zudem sollte das Honorar dem Mandanten gut vermittelt werden können (Kommunizierbarkeit). Das betrifft vor allem die Honorarstruktur. Ein kompliziertes Geflecht von Rabattstaffeln und Preishöhen mag manchmal der theoretisch korrekte Ansatz sein, ist aber praktisch möglicherweise nicht verständlich kommunizierbar. Die letzte Anforderung betrifft die Planungssicherheit des Honorars. Insgesamt sollte das Bezahlsystem so aufgebaut sein, dass es in seiner Gesamthöhe zu keinen größeren Umsatzschwankungen kommt. Damit wäre beispielsweise zu rechnen, wenn Rabatte auf Basis unsicherer Parameter (z. B. bei Langzeitmandaten auf der Grundlage des Vorjahresumsatzes) gewährt würden. Der sich am Ende einstellende Umsatz wäre dann kaum planbar. interne Sicht Wettbewerbssicht Honorar = der Nutzen, den eine Dienstleistung für den Nachfrager hat Honorar = der am Markt durchsetzbare Preis für eine Dienstleistung Honorar = Kompensation für entstandene Kosten Nachfragesicht Perspektiven der Wahrnehmung des Honorars <?page no="240"?> 240 Operatives Kanzleimarketing 5.3.2 Kalkulationsgrundlagen Unabhängig von der Frage, nach welchem Schema am Ende das Honorar genau festgelegt wird (z. B. stundenabhängig, nach einem Festpreis oder auch nach RVG) ist es unabdingbar, einen Überblick über die Kosten in der Kanzlei zu erhalten. Nur auf der Grundlage einer Kostenkalkulation können Honorare definiert werden, die den oben geschilderten Perspektiven vollständig entsprechen und insbesondere auch aus interner Sicht akzeptabel sind. Das notwendige Vorgehen ist simpel. In einem ersten Schritt werden die Kosten pro Jahr aufaddiert. Je nach Betrachtungsweise und Kanzleigröße kann dies auf Basis der Gesamtkanzlei geschehen (bei Einzelanwälten ergibt sich da ohnehin keine Differenz) oder auf Basis einzelner organisatorischer Einheiten, denen Kosten und Erlöse einzeln zugerechnet werden können (sogenannte Profit Center). Wesentliche Kostenelemente sind dabei: Miete Miete für die Kanzleiräumlichkeiten sowie angrenzenden Parkraum zu verstehen, entweder gesamt oder anteilig Personalkosten Personalkosten für Assistenz und Mitarbeiter Versicherungen Notwendige Versicherungen inklusive der Berufshaftpflichtversicherung Material Sämtliche Verbrauchsmaterialien, vor allem Büromaterial Finanzierungskosten Bei Einsatz von Fremdkapital sind unter diesem Posten die tatsächlich gezahlten Zinsen und Tilgungen zu verstehen, bei Eigenkapitaleinsatz sind nach dem Opportunitätskostenprinzip kalkulatorische Zinsen anzusetzen (= Kosten aufgrund des Entgangs von Zinsgewinnen aus einer alternativen Geldanlage; entspricht in etwa dem durchschnittlichen Marktzins) Abschreibungen Entsprechend dem Werteverzehr der eingesetzten Gebrauchsgüter, z. B. Computer, Drucker und Fahrzeuge. Im einfachsten Fall kann für Kalkulationszwecke eine lineare Abschreibung unterstellt werden, die jährlich dem Quotienten aus Anschaffungskosten und Nutzungsdauer entspricht Fremdleistungen Zugekaufte Leistungen z. B. für den Einsatz von Honorarkräften Die Kosten sind pro Jahr aufzuaddieren. Der sich ergebende Betrag muss im Jahr mindestens durch Mandatsumsätze erwirtschaftet werden, damit alle berufsbedingten Kosten abgedeckt werden. Die relevanten Umsätze sind die bereits um den Forderungsausfall bereinigten Zahlungseingänge, die tatsächlich zu erwarten sind, nicht die geschriebenen Rechnungen. Im zweiten, anschließenden Schritt wird der angestrebte Überschuss festgelegt. Dieser entspricht dem sogenannten kalkulatorischen Unternehmerlohn, also der Summe, die der Rechtsdienstleister pro Jahr verdienen möchte. Bei Einzelanwälten sind damit mindestens die Kosten der eigenen privaten Lebensführung (nach Abzug von Steuern und Sozialversicherung) abzudecken. Eine grobe Überschlagsrechnung anhand eines fiktiven Beispiels für einen Einzelanwalt zeigt Abb. 56). Selbstverständlich kann die Beispielrechnung dabei primär die Methodik verdeutlichen. Die konkreten Wertansätze schwanken zum Teil erheblich und sind für den Gesamtmarkt kaum zu definieren. Eine Untersu- <?page no="241"?> Honorarpolitik 241 chung des Instituts für Freie Berufe aus dem Jahr 2013 weist für Einzelkanzleien durchschnittliche Personalkosten von 43.000 € aus, durchschnittliche Raumkosten von 13.000 € sowie weitere Sachkosten von 31.000 € (vgl. IfB 2016). Jahr: 2017 Personalkosten 90.000,00 € Sachkosten Miete 20.000,00 € Instandhaltungskosten 1.000,00 € Bürobedarf 5.000,00 € Hardware 6.700,00 € Berufshaftpflichtversicherung 1.000,00 € Sonstige Sachkosten (z. B. Reisekosten) 450,00 € Kapitalkosten Fremdkapitalzinsen 6.000,00 € Sonstige Kapitalkosten 100,00 € Fremdleistungen Honorore für externe Dienstleister 1.000,00 € Kalkulatorische Zinsen und Abschreibungen Eigenkapitalzinsen 1.000,00 € Abschreibungen 2.000,00 € SUMME KOSTEN 134.250,00 € ÜBERSCHUSS 150.000,00 € GESAMTSUMME 284.250,00 € Abb. 56: Kalkulationsschema für Kosten und Überschuss (Beispiel) Da die jährliche Gesamtsumme aus Kosten plus Überschuss für eine Honorarkalkulation allein nicht taugt, sind in einem dritten Schritt die anzusetzenden, realistischen Arbeitsstunden zu kalkulieren. Wird die Kalkulation für den Bereich einer Kanzlei durchgeführt, dem mehrere Anwälte angehören, sind die Arbeitsstunden für alle aufzuaddieren. Bei der Arbeitsstundenbetrachtung ist davon auszugehen, dass in einem gewissen Maße Ausfälle durch Urlaub und Krankheit auftreten werden. Ferner wird nicht jede Arbeitsstunde auch umsatzwirksam sein, sondern es wird auch „unproduktive“ Zeiten geben, die für administrative Tätigkeiten der Kanzleiführung oder Akquise genutzt werden. Diese Zeiten sind mit zu berücksichtigen, denn selbstverständlich sollte das festgelegte Honorar derartige notwendige Tätigkeiten mit abdecken. Eine beispielhafte Berechnung der Arbeitsstunden ergibt sich aus Abb. 57). <?page no="242"?> 242 Operatives Kanzleimarketing Jahr: 2017 Anzahl der Arbeitstage pro Jahr 300 Krankheitstage 8 Urlaubstage 10 SUMME ARBEITSTAGE 282 tägliche Arbeitszeit in Stunden Anzahl der Arbeitststunden pro Jahr (= 8 · 282) 8 2.256 Anteil produktiver Arbeitszeit 70 % ABRECHENBARE ARBEITSSTUNDEN PRO JAHR 1.579 Abb. 57: Kalkulation der jährlichen Arbeitsstunden (Beispiel) Auf der Grundlage der Berechnung von Gesamtkosten und realistischen Arbeitsstunden lässt sich im vierten Schritt der rechnerische Stundensatz ermitteln. Das Ergebnis weist die Kosten pro Arbeitsstunde des Anwalts aus. Davon zu unterscheiden ist das Honorar - darüber wird in einem separaten Schritt entschieden. Der kalkulierte Stundensatz ist lediglich der Richtwert, wie viel pro Stunde anzusetzen wäre, wenn der angenommene Überschuss sowie die addierten Kosten erwirtschaftet werden sollen. Es handelt sich um eine notwendige Informationsgrundlage für die Honorarentscheidung. Anhand des oben dargestellten Beispiels ergibt sich die Kalkulation wie in Abb. 58 dokumentiert. Jahr: 2017 in Euro in Prozent jährliche Kosten plus Überschuss 284.250,00 € abrechenbare Arbeitsstunden 1.579 kalkulierter Stundensatz (gerundet) 180,00 € davon anteilig Personalkosten 56,99 € 31,66 % Sachkosten 21,62 € 12,01 % Miete 12,66 € 7,04 % Instandhaltungskosten 0,63 € 0,35 % Bürobedarf 3,17 € 1,76 % Hardware 4,24 € 2,36 % Berufshaftpflichtversicherung 0,63 € 0,35 % Sonstige Sachkosten 0,28 € 0,16 % Kapitelkosten 3,86 € 2,15 % Fremdkapitalzinsen 3,80 € 2,11 % Sonstige Kapitalkosten 0,06 € 0,04 % Fremdleistungen 0,63 € 0,35 % Honorare für externe Dienstleister 0,63 € 0,35 % Kalkulatorische Zinsen u. Abschreibungen 1,90 € 1,06 % Eigenkapitalzinsen 0,63 € 0,35 % Abschreibungen 1,27 € 0,70 % ÜBERSCHUSS 94,98 € 52,77 % Abb. 58: Stundensatzkalkulation (Beispiel) <?page no="243"?> Honorarpolitik 243 Im Beispiel ergibt sich ein kalkulierter Stundensatz von 180,00 €, davon ein Überschuss von 94,98 € (= 52,77 %). Das mag sehr positiv klingen, ist jedoch noch um die zu zahlenden Steuern und Sozialversicherungsaufwendungen zu bereinigen. Über den Daumen gerechnet, sind dafür noch einmal ca. 50 % abzuziehen. Würde der kalkulierte Stundensatz von 180 € tatsächlich in dieser Form als Stundenhonorar angeboten werden, blieben am Ende also nur rund 50 € pro Stunde übrig. Auf Basis von angenommenen 1579 abrechenbaren Stunden ergäbe sich immerhin ein verfügbares Einkommen von fast 79.000 €. Dass diese Berechnung für weite Teile der Anwaltschaft noch wesentlich zu optimistisch ist, zeigen Expertenschätzungen. Das Institut für freie Berufe weist für das Jahr 2013 für angestellte Anwälte ein durchschnittlich verfügbares Einkommen von knapp 68.000 € aus (vgl. IfB 2016). Die angenommene Kostenquote (= Verhältnis von Umsatz und Kosten ohne Überschuss) ist jedoch recht typisch: Sie beträgt empirischen Untersuchungen zufolge im Rechtsberatungsmarkt zwischen 48,9 % (Einzelanwälte) und 53,9 % (Sozietäten mit mehr als 100 Anwälten) (vgl. Kilian 2016, S. 220). Laut Untersuchungen des Soldan Instituts kennt ein Fünftel aller Rechtsanwälte die eigene Kostenquote gar nicht, von den restlichen vier Fünfteln gibt fast die Hälfte an, auf der Grundlage von vagen Schätzgrößen zu arbeiten (vgl. Hommerich / Klian 2008, S. 706). Dazu passt, dass sich nach einer Befragung des Instituts der deutschen Wirtschaft Anwälte nur selten von den Kanzleikosten bei der Honorarfestlegung leiten lassen. Auch die Vergütung der Wettbewerber spielt faktisch keine Rolle. Nach traditioneller Denke sind vielmehr der Gegenstandswert, die gesetzlichen Gebühren oder die Schwierigkeit des Falls ausschlaggebend (vgl. IW 2008, S. 46). Die Kalkulation des Stundensatzes bildet die Basis für die Entscheidung über den Angebotspreis, die im abschließenden, fünften Schritt des Prozesses der Honorarfestlegung ansteht. In dieser Phase wird definiert, mit welchem Honorarvorschlag nun genau am Markt aufgetreten wird, während die Phasen eins bis vier primär der internen Kalkulationsperspektive gewidmet sind. Marketingüberlegungen spielen in der letzten Phase die entscheidende Rolle. Das Vorgehen ähnelt ein wenig der Vorgehensweise eines Kochs im Restaurant: Zuerst wird das Gericht intern, d. h. in der eigenen Küche produziert, dann nett portioniert und serviert. Gerade der letzte Schritt - die kundengerechte Präsentation - ist dabei erfolgsentscheidend. Das gilt auch für die Festlegung von Honorarsystemen, denn hier geht es darum, dem Mandanten das Honorar in der Form zu „servieren“, in der es am besten akzeptiert wird. Zudem ist die endgültige Honorarhöhe zu definieren, denn die Stundensatzkalkulation basiert ja nur auf der internen Sicht. Praktisch sind aber die Konkurrenzsituation sowie die Zahlungsbereitschaft des Kunden ebenfalls einzubeziehen. Eine Honorarhöhe, die den kalkulierten Stundensatz unterschreitet, kann nur durch Verzicht auf Planüberschüsse finanziert werden. Eine Überschreitung ist möglich, wenn entsprechende Zahlungsbereitschaft vorliegt und die Konkurrenzsituation dem nicht entgegensteht. Das endgültige Honorarangebot kann neben dem Honorar auch Auslagen umfassen, die jedoch nicht Gegenstand der Gestaltung im Marketing sind und daher hier nicht weiter behandelt werden. Ein zusammenfassender Überblick über den Prozess der Honorarfestlegung ergibt sich aus Abb. 59. <?page no="244"?> 244 Operatives Kanzleimarketing Abb. 59: Schrittweise Honorarfestlegung 5.3.3 Honorarsysteme Die Festlegung des Honorar- oder Preissystems bildet aus Marketingsicht eine der kritischsten Entscheidungen. Sie ist im Prinzip auch unvermeidbar, es sei denn, das Anwaltshonorar wird unter Rückgriff auf die Vorgaben des RVG festgelegt. Bei einer anderslautenden Vereinbarung stellt sich die Frage, wie das Honorar abgerufen werden soll. Neben verbreiteten Stundensatz- oder Festpreismodellen können prinzipiell auch innovative Strukturen zum Tragen kommen, die etwa einen vertragsgebundenen Honorarabruf oder die feste Bepreisung von Einzelkomponenten vorsehen. Mischformen sind zulässig und oft auch empfehlenswert, allerdings sollte das Honorarsystem in sich schlüssig und verständlich sowie einfach abrechenbar sein. Allzu virtuose Modellkreationen dürften an diesen Anforderungen scheitern. Im Allgemeinen lassen sich Honorarsysteme nach ihrer Bezugsbasis, des Zeitbezugs, der Art der Honorarfindung und der Risikoverteilung unterscheiden. Im Hinblick auf die Bezugsbasis ist zunächst festzulegen, nach auf welcher Grundlage das Honorar ermittelt wird (vgl. Diller 2008, S. 219 f.). In Betracht kommen Bezugsgrößen, die sich entweder am Input, d. h. dem Aufwand des Anwalts, festmachen oder aber am Output, also dem Dienstleistungsergebnis. Zur Konkretisierung des Inputs dienen typischerweise geleistete Arbeitsstunden während outputorientierte Systeme entweder an geleisteten Diensten oder den Mandantennutzen anknüpfen. In letzterem Fall wird das Honorar anhand von erfolgsbasierten Messgrößen ermittelt. Neben der Bezugsgröße spielt die Zeitdimension bei Honorarsystemen eine Rolle. Im einfacheren Fall wird jeweils ein Preis für eine Dienstleistung festgelegt. Fragt der Mandant nach einer gewissen Zeit weitere Dienste nach, wird das Honorar neu ermittelt und eventuell ein neues Honorarsystem verabredet. Zeitraumbezogene Honorarsysteme sind hingegen auf Dauermandate ausgerichtet, so dass mehr als Angebotspreis festlegen Aufaddieren aller Kosten pro Planungsperiode reale Kostenbestandteile: Miete, Personalkosten, Versicherungen, Material, Finanzierungskosten ... kalkulatorische Kostenbestandteile: Abschreibungen, Eigenkapitalzinsen sog. kalkulatorischer Unternehmerlohn als Basis (Bruttobetrachtung) sollte mindestens alle Kosten der privaten Lebensführung abdecken wird den Gesamtkosten zugeschlagen realistische Arbeitsstunden (bereinigt um Urlaubszeiten, Krankheit etc.) abrechenbare Arbeitsstunden schätzen (realistische Arbeitsstunden multipliziert mit durchschnittlicher Auslastung und „unproduktiven“ Zeiten) Stundensatz kalkulieren Arbeitsstunden kalkulieren Überschuss festlegen Kosten pro Jahr addieren Division Ermittlung der Preisuntergrenze Entscheidung über Honorarsystem Stundensatz Komponentenpreis Festpreis ... ggf. Differenzierung des Honoraransatzes aufgrund von situationsbedingten oder persönlichen Einflussfaktoren 1 2 3 4 5 Kosten + Marge abrechenbare Kosten <?page no="245"?> Honorarpolitik 245 eine Dienstleistung auf einen Schlag bepreist wird. In diesem Fall ruft der Mandant Rechtsdienste regelmäßig ab, z. B. in Form eines Abonnements, eines Prepaid- Systems oder einer Flatrate. Ein weiteres Kriterium zur Unterscheidung von Honorarsystemen knüpft an die Form der Honorarfindung an (vgl. Diller 2008, S. 219). Traditionell gibt der Anbieter das Honorar vor, also beispielsweise der Anwalt einen Stundensatz. Es besteht jedoch auch die Möglichkeit, dass die Honorarfindung primär vom Nachfrager ausgeht wie bei Auktionsmodellen. Für die Rechtsdienstleistungsbranche sind Auktionen nicht sehr gebräuchlich, aber grundsätzlich zulässig. Bereits im Jahr 2008 hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass die Versteigerung anwaltlicher Beratungsleistungen bei eBay grundsätzlich nicht zu beanstanden sei (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.02.2008 - 1 BvR 1886/ 06). Den höchstmöglichen Einfluss auf den Preis erhält der Kunde, wenn komplett ihm überlassen bleibt, wie viel er für ein Produkt oder eine Dienstleistung zahlen will. Derartige, auch unter der Überschrift „Pay-as-you-want“ behandelte Konzepte finden sich gelegentlich bei verbrauchergerichteten Produkten und Diensten, sind aber in der Rechtsberatung bislang nur wenig zum Einsatz gekommen (ein Ausnahmefall findet sich bei Furlong 2010). Hinsichtlich des Zeitpunkts der Bezahlung lassen sich Prepaidvon Postpaid-Modellen unterscheiden. Eine letzte, bedeutsame Unterscheidung von Honorarsystemen betrifft die Risikoverteilung. Prinzipiell ist jede geschäftliche Transaktion mit Risiken verbunden, da der Preis in der Regel vor der Leistungserstellung verabredet wird und sich in der Zwischenzeit die Geschäftsbedingungen ändern können. Ein Ausschluss dieser Risiken ist aus Sicht des Anwalts gegeben, wenn der Kunde sich im Vorfeld bereit erklärt, den geleisteten Aufwand in jedem Fall abzudecken, auch wenn der höher ausfällt als veranschlagt. Dies ist der Fall, wenn bei Rechtsdienstleistungen nach geleisteten Stundensätzen abgerechnet wird. Umgekehrt liegt das Risiko voll auf der Seite des Anwalts wenn im Vorfeld ein Festpreis verhandelt wird und die benötige Bearbeitungszeit erheblich höher ausfällt. Eine in etwa ausgeglichene Risikoverteilung ist möglich, wenn Festpreise nur für einzelne Komponenten vereinbart werden oder Festpreise mit Nebenbedingungen verknüpft werden. Zusammenfassend lassen sich die im Rechtdienstleistungsmarkt gebräuchlichen Honorarsysteme der Tab. 15 entnehmen. Die mit Abstand verbreitetste Abrechnungslogik bei Anwälten stellt das Stundensatzmodell dar, jedoch sind auch Festpreismodelle auf dem Vormarsch. Erfolgsbasierte Honorarmodelle sind hingegen im Rechtsdienstleistungsmarkt auf eng definierte Situationen beschränkt ( Kap. 2.1.2) und daher weniger häufig. Nach einer Untersuchung des Soldan Instituts aus dem Jahr 2011 haben nur 16 % der Anwälte bisher Erfahrungen mit vollständig erfolgsabhängiger Vergütung (vgl. Kilian 2012a, S. 149). Solange die rechtlichen Grenzen für das Erfolgshonorar nicht gelockert werden, wird vermutlich auch keine Zunahme erfolgsbasierter Honorarsysteme zu erwarten sein. Anders liegt der Fall bei Subskriptions- und Prepaidmodellen sowie Flatrates, die zwar ebenfalls noch nicht sehr häufig sind, im liberalisierten Ausland aber schon eher Anwendung finden. Wie in anderen Branchen sind auch Rabatte bei Anwaltshonoraren durchaus üblich. Eher die Ausnahme sind Versteigerungen und andere Modelle, bei denen der Honorarvorschlag vom Mandanten ausgeht. Für Pay-as-youwant-Modelle wurde kein einziges Beispiel gefunden. <?page no="246"?> 246 Operatives Kanzleimarketing Differenzierungskriterium Ausprägungen Bezugsgröße Geleistete Arbeitsstunden Stundensatzmodelle Teilweise oder vollständig erbrachte Dienste Preisbaukästen oder Festpreismodelle Nutzen des Mandanten z. B. erfolgsbasierte Modelle Zeitbezug Einmaliges Mandat z. B. Stundensatzmodelle, Festpreismodelle Dauermandat z. B. Prepaid-Modelle, Subskriptionsmodelle, Flatrates Honorarfindung Anbieterorientiert z. B. Stundensatzmodelle (mit vom Anbieter definierten Stundensätzen) Mandantenorientiert z. B. Auktionsmodelle Mischformen Verhandlungsmodelle Abrechnungszeitpunkt Während oder nach Dienstleistungserbringung Postpaid-Rechtsberatung Vor der Dienstleistungserbringung Prepaid-Rechtsberatung Risikoverteilung bei erhöhter Inanspruchnahme Risiko vornehmlich auf Mandantenseite Stundensatzmodelle Risiko vornehmlich auf Anwaltsseite Festpreismodelle Mischformen Preisbaukästen Tab. 15: Systematik von Honorarsystemen im Rechtsdienstleistungsmarkt 5.3.3.1 Stundensatz- und Festpreismodelle Die mit Abstand gebräuchlichste Form der Vergütung ist das Zeithonorar nach Stundensätzen. Aufgrund der teilweisen Deregulierung der Preisbildung im Rechtsmarkt im Jahr 2006 hat eine Trendwende in dem Sinne stattgefunden, dass immer mehr Rechtsanwälte Stundenhonorare zum Ansatz bringen. Die Wahrscheinlichkeit steigt, je größer eine Kanzlei und je höher der Anteil gewerblicher Mandanten ist. Der durchschnittliche Stundensatz lag schon vor rund 10 Jahren bei 180 € (vgl. Soldan Institut 2006, S. 473), wobei Fachanwälte in der Untersuchung etwas höher lagen ( S. 38). Der durchschnittliche Stundensatz variiert sehr stark mit dem jeweiligen Fachanwaltstitel sowie mit der Kanzleigröße und der Position. <?page no="247"?> Honorarpolitik 247 Partner von Wirtschaftskanzleien berechnen aktuell daher im Durchschnitt knapp 87 % mehr (vgl. JUVE 2016). Zudem arbeiten die meisten Anwälten ohnehin mit flexiblen Stundensätzen, die je nach Mandatsspezifikation nach unten oder oben angepasst werden, und nicht mit festen Sätzen. Abb. 60: Durchschnittliche Stundensätze von Wirtschaftsanwälten in Euro (vgl. Juve 2016) Die Popularität des Stundensatzmodells ist auf eine Reihe von Vorteilen zurückzuführen: Die Festlegung des Stundensatzes entspricht dem Modus, wie auch kalkuliert wird. Wer effektives Kostenmanagement betreibt, hat die Kosten pro Arbeitsstunde des Anwalts ohnehin vorliegen, der anzubietende Satz kann in der Höhe variieren, entspricht aber dieser Struktur. Wer ohnehin gewohnt ist, seine Arbeitsleistung in Stunden zu beziffern, muss sich bei einem Stundenhonorar nicht umstellen. 0 50 100 150 200 250 300 350 400 450 Regulierung / Verkehr Privates Baurecht Vergaberecht Öffentliches Recht Vertrieb / Außenhandel Nachfolge / Vermögen Immobilienwirtschaftsrecht Insolvenz Gesellschaftsrecht Private Equity Mergers & Acquisitions Konfliktlösung Steuerrecht Arbeitsrecht (Arbeitgeber) Compliance Gewerblicher Rechtsschutz Kartellrecht Wirtschaftsstrafrecht Banking / Finance Associate Partner <?page no="248"?> 248 Operatives Kanzleimarketing Zudem stellen zeitabhängige Honorare (wie z. B. Stundensätze) sicher, dass nur tatsächlich erbrachte Arbeit auch abgerechnet wird. Aus Sicht des Anwalts entsteht Sicherheit dadurch, dass der eingebrachte Arbeitsaufwand auch tatsächlich entgolten wird. Je feingliedriger der Abrechnungstakt, desto eher kann man sicher sein, dass der entstandene Aufwand auch präzise wieder eingespielt wird. Theoretisch kann ein Stundenhonorar in jeder beliebigen Taktung abgerechnet werden. Überwiegend durchgesetzt hat sich die Abrechnung in Viertelstundeneinheiten (vgl. Hommerich / Kilian 2008, S. 133). Bei längeren Mandaten oder solchen, die in ihrem Umfang schlecht planbar sind, sichert das Honorar dem Anwalt kontinuierliche Honorareinkünfte. Auch aus Mandantensicht haben Stundenabrechnungen Vorzüge, denn sie ermöglichen gerade bei geringen Streitwerten, dass der Anwalt wirtschaftlich tätig werden kann. Zudem ist die Abrechnung gut nachvollziehbar, denn die Grundlage ist ein Auszug aus der Zeiterfassung des Anwalts, aus dem die Leistung transparent hervorgeht. Im Vergleich zur Abrechnung nach RVG oder nach anderen Modellen ist das Gesamthonorar für den Mandanten besser verständlich. Den genannten Vorteilen stehen allerdings auch Nachteile gegenüber. Ein wichtiger Minuspunkt liegt in der mangelnden Planbarkeit des Gesamtumsatzes. Anders als bei Festpreisen ist auf der Grundlage eines Stundenhonorars meist nicht vollständig klar, welcher Umsatz insgesamt am Ende erzielt wird. Sowohl Anwalt als auch Mandant sind davon betroffen, denn tendenziell kann das Gesamthonorar höher oder niedriger als angenommen ausfallen. Wirksame Gegenmaßnahmen bestehen darin, ergänzend zum Stundensatz ein Minimumhonorar (Floor) oder auch ein Maximalhonorar (Cap) oder auch beides zugleich (Collar) zu vereinbaren. Insbesondere Maximalhonorare liegen natürlich im Interesse von Mandanten, sind jedoch aus Anwaltssicht mit Vorsicht zu genießen, denn anders als bei einem vereinbarten Festpreis steht einer Verlustmöglichkeit keine Gewinnchance gegenüber (vgl. Schnee-Gronauer 2014). Das heißt: Wenn die abgerechneten Stunden sich im Rahmen halten, erhält der Anwalt seinen Zeitaufwand vergütet, gestaltet sich der zeitliche Aufwand wesentlich höher, trägt er allein das Risiko des Umsatzausfalls - ein recht einseitiges Preismodell, das ohne Not nicht verabredet werden sollte. Steht ein Cap zur Debatte, sollte immer der Versuch unternommen werden, zumindest einen Collar zu verhandeln. Die schlechte Planbarkeit ist nicht das einzige Problem der Stundensätze. Eine viel gravierendere Schwierigkeit liegt darin, dass jeder zeitabhängigen Honorierung eine sehr spezielle Sicht auf die Leistung des Anwalts innewohnt. Eine Bezahlung, die sich nach der Zeit richtet, die für eine Dienstleistung aufgewendet wird, macht aus Kundensicht dann Sinn, wenn eine Dienstleistung teilbar ist. Dazu ein Beispiel: Wenn der Maler eine Wohnung mit vier Zimmern streicht, braucht er einen Tag und rechnet 8 Stunden zu einem definierten Satz ab. Für Kunden, die ein kleineres Budget zur Verfügung haben, reicht es möglicherweise aus, nur zwei Räume neu streichen zu lassen und dann nur für 4 Stunden zu zahlen. Die aufgewendete Zeit korreliert direkt mit dem Ergebnis und ist daher auch aus Sicht des Kunden ein vernünftiges Abrechnungskriterium. Bei anwaltlicher Beratung ist der Zusammenhang zwischen eingesetzter Zeit und erreichtem Ergebnis aber weitaus schwächer ausgeprägt. Die zeitabhängige Entlohnung ist daher aus Anwaltssicht verständlich, denn sie kompensiert den getätigten Aufwand, ist aber nicht immer ein fairer Ge- <?page no="249"?> Honorarpolitik 249 genwert für das, was der Mandant bekommt. Gerichte sehen das zunehmend ähnlich und „kassieren“ Zeittaktklauseln, zumindest wenn unzulässig aufgerundet wird (vgl. LG Köln, Urteil vom 18.10.2016 - 11 S 302/ 15). Schlimmer noch: Stundensätze belohnen Ineffizienz, denn mehr Aufwand bringt zumindest kurzfristig mehr Umsatz. Die dominierende Kultur in vielen Großkanzleien besteht nach Einschätzung des Marktkenners Richard Susskind nach wie vor darin, so viele abrechenbare Stunden wie möglich abzuleisten (vgl. Susskind 2017, S. 17). Es besteht kein ökonomischer Anreiz zur Effizienzverbesserung. Stundensätze führen zudem intern dazu, dass sich kanzleiintern rasch eine Kultur des Denkens in billable hours etabliert. Kollegialität bleibt dadurch möglicherweise auf der Strecke (vgl. Krämer 2005, S. 10). Aus Mandantensicht ist es entscheidend, dass das zugrunde liegende Rechtsproblem möglichst zufriedenstellend gelöst wird. Festpreise kommen dieser Vorstellung häufig wesentlich näher als Stundensätze, denn gerade gewerbliche Mandanten denken beim Zukauf von Rechtsberatungsleistungen oft in Produkten, nicht in Stunden. Festpreismodelle sind daher im Kommen. 48 % der Anwälte vereinbaren nach einer Studie des Soldan Instituts zumindest gelegentlich Festpreise (vgl. Hommerich / Kilian 2009, S. 131). Ein Blick ins Ausland zeigt, welche Konsequenzen die Liberalisierung hat, denn in Großbritannien, Schottland und Wales wurden 2013 bereits bei 46 % aller privaten Mandate Festpreise vereinbart (vgl. Legal Services Consumer Panel 2014, S. 20). Der Prozentsatz ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen und liegt besonders hoch bei stark vordefinierten Leistungen wie beispielsweise der Abfassung eines Testaments, die in mehr als 70 % der Fälle zu einer im Vorfeld vereinbarten Summe erfolgt. Der Anteil der Mandate, die zum Stundensatz abgerechnet werden, ist hingegen in den genannten Ländern stetig gesunken auf nunmehr nur noch 10 %. Die Erklärung für die Verbreitung von Festpreismodellen unter den Bedingungen eines zunehmenden Wettbewerbs liegt auf der Hand. Festpreise ermöglichen eine bessere Planbarkeit und Vergleichbarkeit von Preisen aus Mandantensicht. Sie sind daher ein effektives Marketinginstrument mit der Gefahr, dass die damit einhergehende Transparenz zu einer Preiserosion im Markt führt. Wenn der Verbraucher also demnächst allerortens „Turbo-Scheidung zum günstigen Festpreis“ (Trentmann 2014) angeboten bekommt, wird es einfacher, die Preise von Anwälten zu vergleichen und ein stärkerer Wettbewerb um Konditionen könnte die Folge sein. So vorteilhaft Festpreise aus vielen Gründen sein mögen, so haben sie also auch einige gravierende Minuspunkte. Für Anbieter bzw. Anwälte bergen Festpreise Risiken, wenn der kalkulierte Aufwand unterschätzt wurde und das vereinbarte Honorar am Ende nicht die Kosten deckt. Andererseits gibt es auch Gewinnchancen, wenn das Rechtsproblem schneller und mit weniger Aufwand als vielleicht gedacht gelöst werden kann. Zwangsläufig setzen Festpreise daher genaue Kalkulation und ein systematisches Nachhalten der Arbeitszeiten voraus. Berufspraxis ist ebenfalls von Vorteil, denn nur durch Erfahrung gelangt man normalerweise zu gesicherten Einschätzungen über einzuplanende Zeiten. Auch ist es wichtig, vorab gut einzuschätzen, welche Informationen und Zuarbeiten zwingend vom Mandanten erforderlich sind und ob diese zuverlässig geliefert werden, da die Arbeiten sonst möglicherweise ungeplant ins Stocken geraten. Festpreisgeeignet sind deshalb ganz besonders solche Rechtsdienstleistungen, die wenig komplex, gut planbar, <?page no="250"?> 250 Operatives Kanzleimarketing weitgehend standardisiert und möglichst wenig von der Mitarbeit des Mandanten abhängig sind. Der Entwurf von Rechtsdokumenten oder die Überprüfung bestehender rechtlicher Dokumente eignen sich daher beispielsweise recht gut für feste Preise, nicht jedoch das Sorgerechts- oder Steuerstrafverfahren. Egal worum es geht, in jedem Fall ist vorab zu klären, wann genau der Festpreis fällig ist bzw. wann der Auftrag als „erledigt“ gilt. Die Sammlung der notwendigen Informationen inklusive eventueller Verhandlungen erfordert eine längere Vorbereitung für Festpreise, die mit Aufwand verbunden ist, der oft vom Anwalt allein getragen wird. In den Wirtschaftswissenschaften wird in diesem Zusammenhang von Transaktionskosten gesprochen, die preislich mit zu berücksichtigen sind. Auch ist es sinnvoll, einen Sicherheitsspielraum in den Festpreis mit einzurechnen, der ein mögliches Polster bei Fehleinschätzungen des Aufwands darstellt. Da die meisten Anbieter bei Festpreisen nicht nur die benötigten Arbeitszeiten, sondern auch den Zeitaufwand vor Vertragsabschluss sowie Risikoabschätzungen mit eingehen lassen, ergibt sich am Ende häufig eine Vereinbarung die eine Bepreisung auf Basis von Stundensätzen bei Weitem übersteigt. Aus diesem Grund sind Festpreise zumindest ohne Nachverhandlung auch für Mandanten oft nicht so vorteilhaft wie gedacht, denn sowohl Anbieter als auch Nachfrager erkaufen die höhere Planungssicherheit mit dem Risiko, zuviel zu bezahlen. Andererseits besteht natürlich auch die Möglichkeit, Zusatzgewinne zu realisieren, wenn ein Rechtsproblem überraschend schnell und problemlos gelöst werden kann. Festzuhalten bleibt: Stundensätze und Festpreise sind die bedeutendsten Honorarmodelle, bergen jedoch auch vielfältige Risiken. Das Festpreismodell setzt besondere Erfahrungen voraus, hat jedoch den unschätzbaren Vorteil, dass es eine sehr viel stärkere Ergebnisorientierung demonstriert als die auf den internen Aufwand ausgerichtete Stundensatzabrechnung. Genau diese Sicht abzubilden, fällt derzeit noch vielen Kanzleien schwer. Rechtsdienstleister, die in Ermangelung fundierter Daten über ihr eigenes Geschäft nicht in der Lage sind, sinnvolle Pauschalen zu ermitteln, sind keine Einzelfälle. Auch namhafte internationale Kanzleien sind häufig noch nicht immer in der Lage, Standardprodukte wie z. B. Due Diligences pauschal abzurechnen. 5.3.3.2 Abonnements und Flatrates Bei Abonnement-Modellen oder kurz Abo-Modellen werden Erlöse proportional nach der Dauer der Vertragsbeziehung im Anschluss an einen Einschreibe- oder Anmeldeprozess erhoben, beispielsweise als Jahres- oder Monatsgebühr. Aufgrund der Notwendigkeit einer Registrierung werden die Abonnement-Modelle synonym auch als Subskriptionsmodelle bezeichnet. Fitnessstudios, Buchclubs oder auch Vereine rechnen traditionell nach diesem Modus ab, der vorrangig bei Dienstleistern zum Tragen kommt. Mittlerweile hat sich herumgesprochen, dass Gewöhnungseffekte bei Abonnement-Kunden eine große Rolle spielen, so dass nach einer kritischen Anfangsphase oft die Kündigungs- und Nutzungsneigung gleichermaßen abnimmt. Das einmal begonnene Arrangement läuft einfach weiter. Mit den Abo-Modellen eng verwandt sind Flatrates. Die Grundidee einer Flatrate ist, dass zu einem vorab fixierten Preis unlimitiert Produkte und Dienste abgerufen werden. Im Vergleich zu den zuvor thematisierten Abo-Modellen sind Flatrates nicht generell auf eine dauerhafte Zusammenarbeit ausgelegt, sondern können auch <?page no="251"?> Honorarpolitik 251 für einmalige Transaktionen Anwendung finden. Das Angebot eines Restaurants unter dem Motto „All you can eat“ fällt daher genauso unter die Bezeichnung Flatrate wie die Offerte eines Vergnügungsparks oder eines Urlaubshotels, die unbegrenzten Konsum für eine definierte Zeit versprechen. Im Vergleich zu Festpreisen, bei denen im Vorfeld relativ klar ist, in welchem Umfang Produkte bzw. Dienste in Anspruch genommen werden, ist bei Flatrates offen, wie viel am Ende durch den Kunden nachgefragt wird. In der Praxis werden die Termini Flatrate, Festpreis und Subskription oft nicht so genau abgegrenzt, zumal die Begriffe auch nicht eindeutig definiert sind. Für viele Anwälte mag die Idee eines regelmäßigen Entgelts nach dem Vorbild eines Mitgliedsbeitrags gewöhnungsbedürftig klingen. In der Tat ist das Modell an besondere Bedingungen geknüpft. Regelmäßig setzt diese Form der Preisgestaltung einen Dauerbedarf voraus und nicht alle Mandanten sehen fortwährend die Notwendigkeit, einen Rechtsanwalt zu konsultieren. Allerdings ist das System der Subskriptions-Preispolitik vor allem bei gewerblichen Mandanten mit kontinuierlichem Beratungsbedarf sehr gut anwendbar. In diesem Fall ermöglicht das Modell theoretisch das Outsourcing der eigenen Rechtsabteilung zu planbaren Kosten. Eine langfristige Zusammenarbeit entspricht dabei den Interessen des Mandanten und des Anwalts, so dass ein Subskriptionsmodell für beide Seiten eine attraktive Lösung darstellen kann. Riverview Law beispielsweise, ein Anbieter von Online Legal Services in Großbritannien ( http: / / www.riverview.com), bietet seine Services ausschließlich auf Basis von Festpreisen oder Flatrates an. Um den Kundenwünschen entgegenzukommen, gibt es Arrangements für private und gewerbliche Mandanten, die in unterschiedlichem Umfang persönliche Rechtsberatung durch einen Anwalt sowie Zugriff auf kostenfreie Rechtsdokumente und Vertragsentwürfe beinhalten. Jede Flatrate wird auf der Basis einer Vorhersage der individuellen Dienstleistungsbedarfe konzipiert. Riverview ordnet nicht nur jedem Mandanten einen eigenen Ansprechpartner zu, sondern verspricht auch volle Kostenerstattung innerhalb eines Monats nach Vertragsabschluss bei Unzufriedenheit. Für gewerbliche Mandanten arbeitet Riverview auf Wunsch als ausgelagerte Rechtsabteilung auf Flatrate-Basis. Das im Jahr 2011 gegründete Unternehmen hatte in 2015 bereits 130 Mitarbeiter (davon 70 Anwälte) und praktiziert das Geschäftsmodell mittlerweile auch erfolgreich in USA. Auch in Deutschland bieten immer mehr Anwälte ihre Leistung „im Abo“ oder als Flatrate an. Rechtsanwalt Udo von Langsdorff, Fachanwalt für Medizinrecht, betreibt beispielsweise in Berlin die FlatLaw GmbH ( http: / / www.flat-law.de) und kümmert sich ab 39,99 € im Monat vornehmlich um die juristischen Sorgen von Ärzten. Mehr als 500 Mandanten nutzen derzeit den Service des Unternehmens. Der große Vorteil liegt laut von Langsdorff in der Schaffung eines günstigen Einstiegsangebots, mit dem Hemmschwellen, einen Anwalt hinzuzuziehen, wirksam abgebaut werden. Die auf Dauer angelegte Zusammenarbeit bietet die Möglichkeit, den Mandanten und seine Arbeitsweise genau kennen zu lernen, was zu besseren Ergebnissen führt. Rechtsanwalt von Langsdorff erläutert: „Unsere Flatrate gibt Sicherheit wie eine Rechtschutzversicherung, ist aber besser - denn Rechtsschutz tritt erst ein, wenn bereits ein juristischer Konflikt eingetreten ist. Durch unsere Dienstleistungen werden Rechtsprobleme im Vorfeld verhindert.“ Gleichwohl: Der Zusammenhang zwischen Beratungs- Flatrate und Rechtsschutzversicherung ist unübersehbar. Konsequenterweise wer- <?page no="252"?> 252 Operatives Kanzleimarketing den Flatrate-Angebote zuweilen auch als „Beratungspolice“ vermarktet (vgl. z. B. http: / / www.etl-rechtsanwaelte.de/ beratungspolice). Neben der wirksamen Reduktion von Einstiegshürden bergen Abonnements und Flatrates aus Marketingsicht eine Fülle weiterer Vorteilen. Das größte Plus liegt sicher in der aus anderen Branchen bekannten hohen Akzeptanz solcher Preismodelle bei Kunden. Studien sehen die Gründe dafür im sogenannten Flatrate-Bias (Lambrecht / Skiera 2006, S. 213 f.): Nachfrager präferieren im Zweifelsfall eine Flatrate gegenüber einer genauen Abrechnung ihrer Dienstenutzung auch wenn die genaue Abrechnung im Einzelfall günstiger wäre. Beispielsweise zahlen Handynutzer durchschnittlich zwischen 2 und 12 % zu viel, wenn sie eine Flatrate buchen (vgl. Bernau 2012). Die Ursachen für den Flatrate-Bias sind die folgenden: Versicherungseffekt Kunden bzw. Mandanten präferieren planbare und sichere Rechnungsbeträge Taxametereffekt Dienste können bei einer Flatrate „ohne Reue“ konsumiert werden und ohne dass ständig die Nutzung nachgehalten werden muss Bequemlichkeitseffekt Kunden bzw. Mandanten entscheiden sich für eine Flatrate um Suchkosten und lästige Preisvergleiche zu vermeiden Überschätzungseffekt Flatrates werden gewählt, weil die eigene Nutzung im Vorfeld überschätzt wird Aufgrund des Flatrate-Bias eröffnen auf Dauer angelegte Abrechnungsmodelle für Anwälte noch ungenutzte Möglichkeiten, einen kontinuierlichen Erlösstrom zu generieren. Zwar sind die regelmäßigen Rechnungsbeträge im Vergleich zu einem Einmalgeschäft meist wesentlich geringer, doch die Dauer des Mandats wiegt dies bei Weitem auf. Ob und in welcher Form das Preismodell profitabel ist, muss freilich vorab und im Nachhinein sauber kalkuliert werden. Neben der Möglichkeit, insgesamt höhere Erlöse zu erzielen, bieten Subskriptionen Chancen zur Kostenreduzierung. Erstens wird mit zunehmender Dauer der Mandantenbeziehung die Zusammenarbeit in der Regel immer effizienter ablaufen. Lange Erklärungen und Informationen erübrigen sich, weil die Partner aufeinander eingespielt sind. Das gilt für die Zusammenarbeit mit privaten Rechtsuchenden genauso wie bei gewerblichen Mandanten. Zweitens werden Akquisitionskosten gespart, denn im Rahmen eines einmaligen Akquisitionsvorgangs wird auf einen Schlag eine langfristige Mandatsbeziehung gesichert. Weitere Ersparnisse ergeben sich prinzipiell dann, wenn bei Subskriptionsmodellen die Produkte oder Dienste nicht automatisch geliefert bzw. erbracht werden (wie bei Zeitschriften-Abonnements), sondern abgerufen werden müssen (wie bei Fitnessclubs). Letzteres ist auch der Fall, wenn Anwaltsleistungen „im Abo“ angeboten werden - der Mandant hat Zugang zu Rechtsberatungsleistungen, muss diese aber eigeninitiativ abrufen. Aufgrund des Überschätzungseffekts werden Dienste bei Flatrates und Subskriptionen oft nur unterdurchschnittlich stark abgerufen. Die Quote der inaktiven Vertragspartner variiert branchenspezifisch und nimmt nicht selten die Dimension von 20 bis 30 % aller Kunden an. Die Aktivierung der „Karteileichen“ liegt nur teilweise im Interesse des Anbieters, denn sie sind in der Regel anspruchslose Zahler. Durch die Chance auf insgesamt höhere Erlöse bei gleichzeitig reduzierten Kosten erweist sich das Abo-Modell oft als recht profitabel (sofern das laufende Entgelt korrekt kalkuliert wurde). <?page no="253"?> Honorarpolitik 253 Neben den eher kurzfristig gelagerten, finanziellen Vorteilen haben gerade Abonnements aus Marketingsicht weitere Pluspunkte. Wenn Mandanten eine Subskription in Anspruch nehmen, binden sie sich langfristig. Der Wechsel zu einem anderen Anwalt wird dadurch weniger wahrscheinlich und sämtliche Bedarfe an Rechtsdiensten werden für die Vertragsdauer auf einen Anwalt bzw. eine Kanzlei konzentriert. Da die Zusammenarbeit länger anhält, ergeben sich viel größere Möglichkeiten zu Anschlussverkäufen als bei einer zeitlich begrenzten Mandatsbeziehung. Dadurch lassen sich weitere Umsatzquellen wirksam erschließen. Trotz der vielen, unschätzbaren Vorzüge bergen Flatrates und Abonnements auch Risiken. Aus anderen Branchen ist bekannt, dass der Trend zur Flatrate viele Kunden zumindest kurzfristig zu exzessivem Konsum verführt. In der Telekommunikation haben Flatrates vielfach zu einer für den Anbieter kostspieligen „Always-on“-Mentalität geführt, in Hotels wird aufgrund von „All-inclusive“- Arrangements wesentlich mehr als vorher konsumiert. Bezogen auf Rechtsdienstleistungen könnte ein Risiko darin bestehen, dass Flatrate-Mandanten möglicherweise dazu übergehen, für jedes noch so simple Rechtsproblem anwaltlichen Rat einzuholen. Allerdings sind juristische Dienste nicht mit mobiler Datenkommunikation oder Cocktails an der Hotelbar gleichzusetzen, denn der Bedarf ist normalerweise nach oben hin endlich. Problematisch ist für Anwälte eher die Tatsache, dass bei Flatrates die tatsächliche Inanspruchnahme der Dienstleistung nicht exakt vorhersehbar ist. Ähnlich wie bei Subskriptionen müssen Kapazitäten daher aus Sicherheitsgründen immer auf Spitzenbelastungen ausgelegt werden. Unter Umständen bedingt das die Zusammenarbeit mit Anwälten auf Honorarbasis oder die anderweitige Schaffung weiterer Kapazitäten, die flexibel zuschaltbar sind. Damit die Kosten nicht ins Uferlose steigen, sollte rechtzeitig festgelegt werden, wie mit Trittbrettfahrern umgegangen wird, die Leistungen im Übermaß in Anspruch nehmen oder gar Dienstleistungen in ihrem Namen für Dritte abrufen (z. B. Rechtsrat für Freunde und Bekannte). Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich durch erhöhte Transaktionskosten vor Vertragsabschluss. Flatrates und Abonnements bedingen, dass vorab exakt festgelegt wird, welche Dienste mit dem Modell abgegolten werden. Durch die Preismodelle wird in der Regel nicht nur ein Angebot, sondern ein ganzes Bündel verschiedener Einzelleistungen zu einem einheitlichen Tarif angeboten. Das Angebot ist insgesamt so zuzuschneiden, dass der Bedarf von Mandanten durch die jeweilige Dienstekombination möglichst genau getroffen wird. Wenn der überwiegende Teil des Bündels aus Mandantensicht unattraktiv ist, wird das Gesamtangebot abgelehnt und es kommt kein Umsatz zustande. Zudem eignen sich nicht alle Dienstleistungen zum Kombinieren. Ideal ist die Flatrate oder das Abonnement für wiederkehrende Dienste, die in der Sache wenig komplex und daher hinsichtlich des Aufwands gut zu planen sind. 5.3.3.3 Prepaid-Rechtsberatung und Preisbaukästen Prepaid-Preismodelle sind in vielen Dienstleistungsbranchen sehr verbreitet. Der Zusatz „Prepaid“ bezieht sich dabei auf den Zeitpunkt der Rechnungsstellung, die erfolgt, bevor Dienste erbracht werden. Im Normalfall rechnen Anwälte (und auch andere Dienstleister) ihre Leistungen nach oder während eines Mandats in regelmäßigem Turnus ab. Vorschüsse sind Anwälten - vorbehaltlich weniger Ausnahmen - gemäß § 17 BRAGO in angemessener Höhe erlaubt, wobei nach herrschen- <?page no="254"?> 254 Operatives Kanzleimarketing der Rechtsmeinung sogar das gesamte Honorar als Vorschuss verlangt werden kann (vgl. Onderka 2003). Damit spricht zumindest juristisch nichts gegen „Prepaid-Rechtsberatung“. Der Vorteil einer Vorab-Bezahlung für Anwälte ist klar: In Höhe des gezahlten Betrages gewährt der Mandant aus finanzieller Sicht ein zinsloses Darlehen. Der ökonomische Nutzen entspricht dem Zinsgewinn im Vergleich zur Postpaid- Situation. Das Risiko eines Zahlungsausfalls wird zudem vermieden, da vorab kassiert wird. Die Frage stellt sich eher, warum Mandanten freiwillig Vorauszahlungen tätigen sollten, wenn damit wirtschaftliche Nachteile verbunden sind. Das wesentliche Verkaufsargument für Prepaid-Verträge ist die bessere Übersicht über die eigenen Finanzen. Während „Planbarkeit“ das Grundbedürfnis ist, ein Abonnement- Modell abzuschließen, so ist „Kontrolle“ der wichtigste Nutzen des Prepaid- Angebots für den Kunden. Hinzu kommt eine gewisse Bequemlichkeitskomponente, denn eine größere Vorabzahlung vermeidet die Notwendigkeit einzelner kleiner Teilzahlungen. Der wichtigste Aspekt, der aus Mandantensicht aber für ein Prepaid-Angebot spricht, ist der in der Preispsychologie bekannte Separationseffekt (vgl. Wübker / Bauer 2013, S. 4). Dieser beschreibt, dass Kunden die bewusste zeitliche Trennung von Bezahlvorgang und Inanspruchnahme einer Leistung subjektiv häufig einen höheren Nutzen liefert als eine Parallelität von Zahlung und Nutzung. Mit anderen Worten: Wenn schon vorab bezahlt wurde, empfindet man die Dienstleistung als werthaltiger als wenn in regelmäßigen Abständen parallel abgerechnet wird. Die Gründe dafür liegen mutmaßlich darin, dass die Vorabzahlung davon entbindet, im Leistungsprozess dauernd über die nun entstehenden Zusatzkosten nachdenken zu müssen, denn es wurde ja bereits gezahlt. Separationseffekt, einfachere Abwicklung und bessere Kontrolle machen Prepaid-Modelle insgesamt sehr attraktiv. Für sich allein genommen ist ein Prepaid-Angebot allerdings keine große Neuerung, schlussendlich geht es nur um den Zahlungsvorgang. Innovative Preismodelle kombinieren daher die Idee der Vorabzahlung mit weiteren Gestaltungselementen. Im Mobilfunkmarkt verbreitet sind Prepaid-Tarife mit einer automatischen oder zumindest stark vereinfachten Wiederaufladefunktion, so dass die von Abo- Modellen bekannte Kundenbindungswirkung mit der Idee der Vorabzahlung kombiniert wird. Modelle dieser Art sind vor allem für weniger zahlungskräftige Zielgruppen attraktiv, wenn es sich um regelmäßige Bedarfe handelt. Für den Bereich der Rechtsberatung dürften sie weniger relevant sein. Durchaus attraktiv könnte aber die Kopplung von Prepaid- und Festpreismodellen sein. Beides zusammen führt dann zu „fertigen“ Rechtsberatungsprodukten, die online gekauft und im Anschluss genutzt werden, ähnlich wie Konsumgüter, die in einem Internetshop eingekauft wurden. Die angebotenen Leistungen werden dann nicht für jeden Mandanten neu konfiguriert, sondern stellen vordefinierte Dienstleistungsbündel dar (vgl. Abschnitt 5.2.1.2), die vorab bezahlt und einheitlich bepreist werden. Vorreiter des Prepaid-Trends ist (wie so häufig) der amerikanische Rechtsberatungsmarkt, bei dem sogenannte Prepaid Legal Services längst etabliert sind. Basierend auf einem vorab zahlbaren, monatlichen Preis können in unterschiedlichem Umfang Dienste eines Anwalts in Anspruch genommen werden. Bei manchen Angeboten muss für die Rechtsberatung dann nichts mehr gezahlt werden, andere kombinieren den Monatspreis mit einem reduzierten Stundensatz und anderen Dienstleistungen <?page no="255"?> Honorarpolitik 255 wie z. B. Zugang zu Rechtsdokumenten. Die Angebote richten sich teilweise an gewerbliche, teilweise an private Mandanten. Aufgrund der traditionell hohen Bedeutung von Prepaid Legal Services in USA gründete die American Bar Association bereits 1976 das American Prepaid Legal Services Institute (API), das Clearing- und Servicestelle für Anbieter ist ( http: / / www.prepaidlegal.uslegal.com). Prepaid Legal Services kennzeichnen einen interessanten Trend im Anwaltsmarkt, dessen Potenzial vor allem dann sichtbar wird, wenn nicht einfach verschiedene Bündel zu unterschiedlichen fixen, vorauszahlbaren Tarifen angeboten werden, sondern zwischen den Angeboten ein Zusammenhang besteht. Ein Preisbaukasten (vgl. Bruhn / Homburg 2004, S. 637) basiert auf der Idee, dass eine Anzahl von Prepaid-Angeboten sich in gewissen Grenzen miteinander kombinieren lässt, also ein System bildet. Ein einfacher Preisbaukasten könnte z. B. darin bestehen, dass ein simpel aufgebautes Bündel unter der Überschrift „Basis“ angeboten wird und dann weitere Angebote addiert werden, um das Dienstleistungspaket „Premium“ zu erhalten. Die Komplexität des Baukastens kann durch weitere, flexibel zuschaltbare Optionen gesteigert werden. Preisbaukästen bieten neben den Vorteilen der Prepaid- und Festpreismodelle zusätzlichen Nutzen für Mandanten durch eine starke Orientierungsfunktion. Dadurch, dass die Bündel in einem Zusammenhang zueinander stehen (z. B. abgestufte Qualität oder anderer Leistungsumfang) wird es relativ einfach, das für die jeweilige Situation passendste Produkt auszusuchen. Für den Mandanten ist die Wahl aus einem Baukastensystem viel leichter als wenn im persönlichen Gespräch mit einem Anwalt ein individuelles Angebot erst mühsam entwickelt werden muss. Die Begrenzung der Wahlmöglichkeiten auf ein überschaubares System führt häufig zu mehr Umsatz als wenn Kunden die Möglichkeit haben, ein vollkommen auf sie zugeschnittenes Produkt zu erhalten, dies aber aufwändig konfigurieren müssen. In der Preispsychologie wird dieser empirisch nachgewiesene Zusammenhang auch als Paradox of Choice bezeichnet. Die Möglichkeit, eine völlig individualisierte Leistung, also quasi unbegrenzte Wahlmöglichkeiten zu erhalten, ist aus Kundensicht zwar attraktiv, steigert aber die Entscheidungskosten (vgl. Wübker / Bauer 2013, S. 5). Das Ergebnis ist, dass bei zu vielen Optionen oft die Entscheidung vertagt wird oder aus lauter Angst, eine falsche Wahl zu treffen, keine Dienste nachgefragt werden. Preisbaukästen reduzieren die Anzahl der Wahlmöglichkeiten und lassen gleichzeitig in bestimmten Rahmen Individualisierung zu, so dass die negativen Effekte des Paradox of Choice weitgehend vermieden werden. <?page no="256"?> 256 Operatives Kanzleimarketing Abb. 61: Preisbaukasten der IT-Recht Kanzlei ( http: / / www.it-recht-kanzlei.de/ schutzpakete) Ein weiterer großer Vorteil von Preisbaukästen liegt darin, dass sie durch ihren systemischen Charakter die Wahrscheinlichkeit des Cross- und Upsellings ( S. 279) erhöhen. Prinzipiell bestehen auch bei Abo-Modellen aufgrund der langen Mandantenbeziehung gute Möglichkeiten des „Weiterverkaufens“, aber beim Preisbaukasten werden die Kunden bildlich gesprochen „wie auf Schienen“ zu dem Produkt geführt, das sich für sie anbietet, denn die Angebote stehen in einem gewissen Ordnungszusammenhang. Empirische Studien zeigen, dass bei einer Auswahl von mehreren Paketen häufig eine Variante der mittleren Klasse gewählt wird. Diese Tendenz ist auf den sogenannten Compromise-Effect im Marketing zurückzuführen: Im Zweifel wird aus Sicherheitsgründen ein durchschnittliches Angebot gewählt (vgl. Wübker / Bauer 2013, S. 6). Es ist deshalb niemals günstig, wenn ein Preisbaukasten nur zwei Leistungsbündel enthält, denn in diesem Fall fehlt die Mitte. Ausgehend vom zunächst gewählten Produkt ist jeder Kunde vertrieblich gesehen ein potenzieller Interessent für die nächsthöhere Angebotskategorie, d. h. der „Komfort“-Nutzer könnte sich für „Komfort-Plus“ interessieren, <?page no="257"?> Honorarpolitik 257 der „Silber“-Nutzer für „Gold“ etc. Durch die innere Logik der Angebote wird die Migration in höherwertige Angebote erleichtert. Je nach Zuschnitt des Preisbaukastens kann dieser Effekt unterstützt werden, indem ein „Upgrade“ durch Rabatte oder andere Vergünstigungen motiviert wird. Neben den angesprochenen, vertrieblichen Vorteilen erlauben Preisbaukästen eine effiziente Leistungserstellung, dadurch dass eine begrenzte Zahl von Dienstleistungselementen erstellt und „nur“ neu kombiniert wird. Spezialisierung ist möglich, obwohl das Endprodukt in einem hohen Maße individuell ist. Honorarmodelle nach dem Baukastensystem sind daher intern gut handhabbar und extern attraktiv zugleich. Zusammenfassung Beurteilung von Honorarmodellen + = Vorteile - = Nachteile Stundensätze + Sicherheit, dass der geleistete Aufwand auch abgegolten wird + einfach kommunizierbar - fördern den Vergleich mit Wettbewerbern - gesamtes Umsatzvolumen im Vorfeld nicht sicher - kein Anreiz zur Effizienzverbesserung Festpreise + einfach kommunizierbar + sichere Planungsgrundlage des anfallenden Umsatzvolumens + hoher Anreiz für Anwalt zum effizienten Arbeiten + direkte Vergleichbarkeit mit Wettbewerbern nur eingeschränkt möglich, da Festpreis unterschiedliche Leistungsbestandteile enthalten kann - Gefahr für Mandant, dass Mandat mit wenig Engagement oder durch weniger erfahrene Anwälte bearbeitet wird, um Kosten zu sparen - Kostendeckung nicht gesichert, wenn Aufwand unterschätzt wird Abonnements / Flatrates + sichern längerfristige Mandantenbeziehung + gut kommunzierbar, da Modell aus anderen Branchen bekannt ist + hohe Marktakzeptanz durch Flatrate-Bias + knüpfen an Sicherheitsgefühl an (proaktiver Rechtsschutz) <?page no="258"?> 258 Operatives Kanzleimarketing + Möglichkeit des tieferen Verständnisses der Mandantensituation über die Dauer der Mandatsbeziehung - schwierige Kapazitätsplanung, da nicht klar ist, wie viel Leistung Mandant beansprucht Prepaid-Rechtsberatung / Preisbaukästen + bessere Kostenkontrolle + liefern Orientierung durch Konzentration auf eine begrenzte Zahl von Bausteinen + hohe Individualität bei begrenzter Komplexität des Leistungsangebots bei Preisbaukästen + Mandanten konfigurieren die benötige Dienstleistung aus einem Baukasten selbst - Kapazitäten und Umsatz beim Baukastenprinzip vorab begrenzt planbar 5.3.4 Rabattierung und kostenlose Erstberatung Unabhängig von der Wahl des Honorarmodells ist zu entscheiden, ob und in welcher Form Zugeständnisse bei der Höhe des Entgelts zugelassen werden sollen. Rabatte sind unterschiedliche Arten von Preisnachlässen, die im Vergleich zum Normalpreis bei Rechnungsstellung gewährt werden (vgl. Diller 2007, S. 236). Sie haben sich in den letzten Jahren immer stärker zu einem wichtigen Instrument der Vermarktung entwickelt. Die Gründe dafür sind in einer Lockerung gesetzlicher Regelungen (Abschaffung von Rabattgesetz und Zugabeverordnung ab 01. 08. 2001) sowie in einem fortschreitenden und globaleren Wettbewerb zu sehen, der es notwendig macht, mit den Konditionen anderer Anbieter mithalten zu können. Gerade in USA sind „Sale“-Aktionen Normalität und auch hierzulande sind Discounts groß im Kommen. Rabatte können als Preisnachlässe oder auch als Produktzugaben gewährt werden. Gerade die Zugaben im Sinne einer kostenlosen Zusatzmenge („Jetzt x % mehr Inhalt! “) werden durch Konsumgüterartikler sehr häufig angeboten, denn durch das Mehr an Menge entstehen Fixkostendegressionseffekte ( Kap. 4.5.3.2). Auch bei Rechtsberatungsdiensten sind Rabatte verbreitet, wenngleich Statistiken zu Höhe und Verbreitung in dieser Branche fehlen. Gemäß § 4 RVG muss die anwaltliche Vergütung in einem angemessenen Verhältnis zu Leistung, Verantwortung und Haftungsrisiko des Anwalts stehen, so dass situationsbedingte Honorarzu- oder -abschläge gesetzlich sogar vorgesehen sind. Zugaben kommen ebenfalls vor, allerdings vorrangig bei gewerblichen Mandanten. Kostenlose Einsätze beim Mandanten in Form sogenannter Secondments oder bei Pro-bono-Einsätzen sind als Mittel zur Profilierung im Wettbewerb sowie als Personalentwicklungsmaßnahme verbreitet. Bei privaten Mandanten sind Zugaben betriebswirtschaftlich weniger sinnvoll, da es in der Regel an einem kontinuierlichen Beratungsbedarf fehlt, so dass zusätzliche Dienste keinen Nutzen erzielen. Skurrile Ausnahmen <?page no="259"?> Honorarpolitik 259 finden sich in Übersee: Der amerikanische Anwalt Sean Simmons bot seinen Kunden eine Sonderform des Rabatts in Form eines „Buy one, get one half off“-Angebots (vgl. o. V. 2013a). Kaum überraschend, löste das Angebot kontroverse Diskussionen aus. Abb. 62: Produktzugabe eines Scheidungsanwalts in USA (vgl. o. V. 2013a) Die starke Wirkung von Rabatten beruht auf einem simplen psychologischen Effekt, denn wer einen Preisnachlass bekommt, fühlt sich besser behandelt als andere Kunden. Menschen neigen dazu, die eigene Situation unter Rückgriff auf die Lage anderer zu beurteilen. Damit wird auch eine wichtige Erfolgsvoraussetzung klar: Es ist zwingend notwendig, dass Rabatte nicht zum Normalfall werden, damit sie ihre Wirkung entfalten können. Durchgängig niedrige Stundensätze haben keinerlei Anreizeffekt und lösen Konkurrenzreaktionen aus, die leicht in einen allgemeinen Preisverfall münden können. In der Anwaltsbranche bekannt für Discount- Aktionen dieser Art ist beispielsweise der Bochumer Rechtsanwalt Welf Haeger, der sich selbst als „Deutschlands verrücktesten Volljurist“ ( http: / / www.leopardenmantel.de/ seite3.html) bezeichnet. Er bietet seit Jahren gar völlig kostenlose Rechtsberatung über verschiedene Internetseiten an (z. B. http: / / www.haegerhartkopf.net; http: / / www.anwaltzuhause.de). Zuvor hatte der Anwalt durch Rechtsberatung zum einheitlichen Stundensatz von 36 € geworben und bereits dadurch lebhafte Diskussionen im Kollegenkreis hervorgerufen (vgl. Nebgen 2010). Abgesehen von der Frage, auf welche Weise bei diesem Geschäftsmodell Umsatz erzielt wird, ist die Maßnahme aus Marketingsicht als weitgehend wirkungslos einzustufen. Wenn jeder Mandant Discount erhält oder gar nicht zahlen muss, wird Trittbrettfahren belohnt und die Anreizwirkung bleibt aus. Schwerwiegend sind hingegen die Wirkungen auf das allgemeine Honorarniveau und das Image der Anwaltschaft. „Es gibt intelligente und dumme Branchen. Sie unterscheiden sich darin, dass intelligente Branchen Preiskriege vermeiden, dumme sich hingegen in solche verwickeln“ (Simon 2013, S. 232), sagt der Unternehmensberater Hermann Simon. Das Problem: Es genügt zuweilen ein Wettbewerber, um eine Preiserosion im Markt in Gang zu setzen. Erfolgversprechende Rabatte sind situationsbezogen und werden nicht „mit der Gießkanne“ verteilt. Am Anfang steht eine Zielformulierung, die angibt, was genau durch Discounts erreicht werden soll. Die Möglichkeiten sind vielfältig (vgl. Schüller o. J.): Mandantengewinnung Rabatte werden als Köder eingesetzt. Sie verringern das Risiko der Beauftragung eines weitgehend unbekannten Dienstleisters und bauen Hemmungen beim Erstkontakt wirksam ab. <?page no="260"?> 260 Operatives Kanzleimarketing Mandantentreue Lineare oder gestaffelte Nachlässe signalisieren eine Belohnung für langfristige Mandatsbeziehungen und schaffen Anreize für eine weitere kontinuierliche Zusammenarbeit. Mandantenrückgewinnung Sondervergünstigungen motivieren den Weg zurück und regen dazu an, seinem Ex-Anwalt eine zweite Chance zu geben. Umsatzsteuerung Rabatte auf bestimmte Dienstleistungen gestalten erwünschte Umsatzverläufe. Liquiditätssteuerung Rabatt-Aktionen beleben Umsätze und füllen kurzfristig die Kassen. Einführung neuer Dienstleistungen Reduzierte Markteintrittspreise oder Lockvogel-Angebote ermöglichen einen schnellen Start, wobei eine spätere Anhebung des Honorars oft problematisch ist. Wettbewerbsvorteile Schnelle bzw. hohe Rabatte ermöglichen es, ein Konkurrenzangebot zu schlagen und damit die Position eines Mitbewerbers zu schwächen. Emotionale Vorteile Gewährte Nachlässe geben Rechtsuchenden das Gefühl, ein guter Verhandler zu sein, ein Schnäppchen gemacht oder einen Sieg errungen zu haben. Sie ermöglichen gerade Einkäufern von gewerblichen Mandanten, sich „nach oben“ gut zu verkaufen und bonifizierte Vorgaben zu erfüllen. Korrespondierend mit den jeweiligen Zielen kommen verschiedene Formen von Honorarreduktionen in Frage, die den Nachlass jeweils an unterschiedliche Kriterien knüpfen. Verbreitet in allen Branchen ist der Mengenrabatt, der sich bei Anwälten in einem gestuften Zeithonorar niederschlagen können. Wird ein bestimmtes Volumen überschritten, wird ein Abschlag auf den vereinbarten Stundensatz vereinbart. Der gängige Kritikpunkt an Stundensätzen, dass diese eher ineffizientes Arbeiten fördern würden, wird damit vermieden, denn es wird ein wirksamer Anreiz für den Anwalt geschaffen, nicht über ein bestimmtes Volumen hinaus zu beraten (vgl. Mascello 2013, S. 483). Prinzipiell ist zu entscheiden, ob es sich bei dem anvisierten Nachlass um einen durchgerechneten oder angestoßenen Mengenrabatt handeln soll (vgl. Simon / Fassnacht 2009, S. 270 f.). Während sich bei einem durchgerechneten Mengenrabatt ein einmal gewährter Rabatt auf sämtliche Zeiteinheiten bezieht, gilt der angestoßene Rabatt nur in gewissen Grenzen. Beispiel Eine Kanzlei legt fest, dass bei Großmandanten, die mehr als 100 Stunden beanspruchen, ein Rabatt von 10 % auf den Stundensatz von 250 € gewährt wird, bei einem Volumen von mehr als 300 Stunden sogar 15 %. Die Bearbeitung eines Mandats xy verursacht 325 abrechenbare Stunden. Bei einem durchgerechneten Mengenrabatt wird der Nachlass für alle abgerechneten Stunden gewährt. Es fällt mithin ein Rechnungsbetrag an von: 325 · 250 € − 325 · 250 € · 10 % = 325 · 225 € = 73.125,00 € Bei einem angestoßenen Mengenrabatt werden nur auf die Stunden, die jeweils die Rabattgrenzen übersteigen, die Nachlässe gewährt. Also: Für die ersten 100 Stunden gibt es keinen Rabatt, für 100 bis einschließlich 300 Stunden 10 % und <?page no="261"?> Honorarpolitik 261 für alle Stunden jenseits der 300 Stunden-Grenze sogar 15 %. Der Rechnungsbetrag lautet: 100 · 250 € + 200 · 225 € + 25 · 212,50 € = 75.312,50 € Beim durchgerechneten Mengenrabatt resultiert im Vergleich weniger Umsatz. Auch besteht wenig Motivation seitens des Mandanten, den Umsatz jenseits der kritischen Rabattgrenze noch zu steigern. Die Vorteile des durchgerechneten Rabatts liegen jedoch in einer leichteren Kommunizierbarkeit und auch leichteren Abrechenbarkeit, denn die Berechnungslogik ist einfach. Diese Gründe mögen dafür ausschlaggebend sein, dass der durchgerechnete Mengenrabatt in der Praxis häufiger auftritt als der angestoßene. Neben Mengenrabatten kommen Treuerabatte in Betracht, die eine längere Zusammenarbeit oder aber die erneute Konsultation nach einer längeren Abstinenz belohnen. Dabei ist offen, ob der Nachlass direkt abgezogen wird oder erst am Ende einer festgelegten Periode als Bonus gewährt wird. Gerade wenn vorab noch nicht sicher feststeht, über welche Dauer und in welchem Umfang sich die Zusammenarbeit gestaltet, ist eine spätere Bonusgewährung oft die sicherere Form der Honorargestaltung für den Anwalt. Ein verbreitetes Modell der Honorarsteuerung im Rechtsdienstleistungsgeschäft ist der Zeitrabatt, der sich auf Leistungen zu Mandatsbeginn bezieht oder bei der Einführung von Diensten am Markt Anwendung findet. Viele Anwälte werben mittlerweile mit kostenloser oder preisreduzierter Erstberatung, die als eine Form des Zeitrabatts anzusehen ist. Die herrschende Rechtsprechung bejaht die prinzipielle Zulässigkeit der kostenlosen Erstberatung und sieht auch keinen Wettbewerbsverstoß, wenn damit geworben wird ( Kap. 2.1.5). Allerdings darf die Form der Kommunikation nicht die Grenzen der anwaltlichen Werbefreiheit sprengen. Unabhängig von der rechtlichen Bewertung stellt sich die Frage, wie eine völlig kostenlose Erstberatung aus Marketingperspektive zu werten ist. Prinzipiell entspricht die Idee dem Instrument der Verteilung von Produktproben im Konsumgütergeschäft: Um Kunden von der Qualität eines Angebots zu überzeugen, erhalten sie in begrenzter Form die Möglichkeit es kostenlos zu testen. Das funktioniert bei Probierständen im Supermarkt, bei Tageszeitungen, beim Autohändler und in vielen anderen Branchen sehr gut - doch auch beim Anwalt? Tatsächlich hat die kostenlose Erstberatung aus Marketingsicht viele Vorteile: Ein Grundproblem der Anwaltstätigkeit ist bekanntlich, dass viele Mandanten den Weg zum Anwalt aufgrund verschiedener Gründe scheuen. Das liegt zum einen sicher an der verbreiteten Ansicht, Anwälte seien prinzipiell teuer als auch an dem jeder Dienstleistung innewohnenden Problem, dass die Suche des geeigneten Dienstleisters mit Aufwand und Risiken verbunden ist. Ein risikoloser Erstkontakt, der die Möglichkeit des Kennenlernens und der Klärung elementarer Fragen nach Kosten und Erfolgsaussichten gibt, kann diese Hemmnisse sehr wirksam abbauen. Ein unverbindliches Erstgespräch liegt auch im Interesse des Anwalts, denn schließlich geht es auch darum, den Mandanten, seine Situation sowie seine Kooperationsbereitschaft und nicht zuletzt seine Zahlungsfähigkeit einzuschätzen, bevor es zu einem Mandat kommt. Natürlich kann der Anwalt prinzipiell auch <?page no="262"?> 262 Operatives Kanzleimarketing nach einer kostenpflichtigen Erstberatung die weitere Zusammenarbeit ablehnen, jedoch unterstreicht der Gratis-Charakter die Unverbindlichkeit für beide Seiten. Die Frage, ob abgerechnet wird oder nicht, ist aus wirtschaftlicher Sicht nahezu bedeutungslos, denn selbstverständlich wird der Aufwand, der vor Mandatsbeginn anfällt, im Honorar Berücksichtigung finden. Kluge Unternehmer lassen sich jeden Aufwand vergüten, wenn die Marktsituation es zulässt, allerdings werden Preise da erhoben, wo Zahlungsbereitschaft vorliegt. Die Zahlungsbereitschaft für eine Erstberatung ist tendenziell gering, denn im schlechtesten Fall liefert diese das Resultat, dass eine weitere Zusammenarbeit sich nicht anbietet. In diesem Fall erhält der Mandant eine Rechnung, der zwar Aufwand gegenübersteht, aber kein fühlbares Ergebnis. Mandanten aber zahlen für Resultate, nicht für Viertelstunden. Aus Gründen der besseren Kommunikation ist daher die kostenlose Erstberatung eine gute Idee. Ein letzter, sehr gewichtiger Aspekt ist die Außenwirkung einer kostenlosen bzw. kostenpflichtigen Erstberatung. Der Großteil der Anwälte hierzulande ist freiberuflich tätig, in der eigenen Kanzlei. Anders ausgedrückt: Die meisten Anwälte sind Unternehmer und führen einen eigenen Dienstleistungsbetrieb. Kennzeichnend für Unternehmer im Vergleich zu Angestellten oder Beamten ist, dass diese höhere Risiken tragen, weil der Akquisitionsaufwand potenziell nicht voll eingespielt wird. Dafür hat der Selbständige die Möglichkeit, seinen Umsatz vor allem durch effektives Marketing stark nach oben zu beeinflussen. In fast allen Branchen wird von Unternehmern erwartet, dass Kosten für die Anwerbung von Kunden als Teil des unternehmerischen Risikos selbst getragen werden, denn schließlich steht der Gewinn auch hauptsächlich dem Unternehmer zu. Akquisition erfolgt auf der Basis eines Investitionskalküls: Zu Beginn wird in die Kundenbeziehung investiert, am Ende reich geerntet. Viele Anwälte jedoch, könnte man überspitzt formulieren, ernten augenscheinlich gern, möchten aber das unternehmerische Risiko nur ungern tragen. Die Rechtsprechung befördert das. Nach Auffassung des Amtsgerichts Brühl begründet allein eine unverbindliche Auskunft im Hinblick auf die Kosten eines Gerichtsprozesses den Anspruch eines Rechtsanwalts, für eine halbstündige Rechtsberatung 297,50 € abrechnen zu können (vgl. AG Brühl, Urteil vom 15.10.2008 - AZ 23 C 171 / 08). Was rechtlich durchsetzbar ist, muss allerdings nicht dem entsprechen, was sich aus Marketingsicht anbietet. Abhängig von den Marktgepflogenheiten wird der Erstkontakt dann widerwillig entgolten oder die Nachfrage bleibt aus. Anschauungsbeispiele für diesen Effekt finden sich z. B. in der Finanzdienstleistungsbranche. Die meisten Finanzberater sind selbständig und arbeiten von jeher nach dem Muster, dass Beratung kostenlos ist und die Umsätze durch Provisionen erzielt werden. Schon lange gibt es Bestrebungen in der Branche, Beratung kostenpflichtig zu machen, allerdings ohne dass sich dieses Modell bislang breitflächig etabliert hätte. Für die meisten Kunden ist es schlichtweg nicht vorstellbar, für eine Dienstleistung zu zahlen, die in weiten Teilen auch der Akquisition dient, also dem Finanzberater nützt. Ganz ähnlich ist prinzipiell die Situation beim Anwalt, denn unbestritten dient die Erstberatung nicht nur dem Informationsaustausch, sondern ist auch Akquiseinstrument. <?page no="263"?> Honorarpolitik 263 Auf der Grundlage der Überlegung, dass der Mandant für Akquise nicht zahlt, für juristische Beratung aber schon und die Erstberatung in praxi eine Mischung aus beidem ist, bieten manche Anwälte einen kostenfreien Kennenlerntermin (Beispiel: Kanzlei Hessling / http: / / www.kanzlei-hessling.de) oder einen telefonischen Erstkontakt (Beispiel: Kanzlei Wilde Beuger Solmecke / http: / / www.wbs-law.de) an. Damit soll verdeutlicht werden, dass dieser Termin ganz überwiegend dazu dient, dass Mandanten ihren Anwalt sprechen können, um festzustellen, ob die „Chemie“ stimmt. Außerdem können Informationen zu den Anwalts- und Prozesskosten eingeholt werden sowie eine grobe Einschätzung, ob die Weiterverfolgung der Sache lohnt. Gesprächstermine dieser Art sind nur von kurzer Dauer, adressieren aber oft genau die Fragen, die Mandanten vor einer Beauftragung haben. Juristische Beratung wird auf diese Weise durchweg entgolten und trotzdem kann den Ansprüchen des Mandanten genügt werden. Damit keine Missverständnisse auftreten, ist die Bezeichnung „Erstberatung“ zu vermeiden. Aus Marketingperspektive ist die kostenlose Erstberatung positiv zu werten, allerdings ist der Erfolg an einige Voraussetzungen geknüpft. Ein überzeugendes Angebot bedarf zu allererst der Werbung. Dafür kommen alle Instrumente der Kommunikationspolitik in Frage, insbesondere der Internetauftritt der Kanzlei, aber auch papierbasierte Instrumente wie Flyer, Gutscheine oder Anzeigen. Eine zweite Voraussetzung betrifft die interne Kommunikation mit dem Mandanten, der Ziel und Bedingungen der kostenlosen Erstberatung vorab genau verstehen muss, damit Missverständnisse nicht entstehen. Beispielsweise sollte geklärt sein, welche Dauer das Beratungsgespräch umfasst, welche Themen angesprochen werden bzw. welche nicht und welches Ergebnis am Ende zu erwarten ist. Um zu vermeiden, dass kostenlose Erstberatung von Trittbrettfahrern ohne ernstes Interesse an einer längerfristigen Zusammenarbeit ausgenutzt wird, kann vereinbart werden, dass im Falle eines Mandats die Kosten der Erstberatung verrechnet, sonst aber gezahlt werden müssen (so z. B. bei Kanzlei Warthemann unter http: / / www.kanzleiwarthemann.de). Gleichwohl ist es wichtig, dass die Erstberatung so effizient wie möglich abläuft, da ja kein oder nur ein geringes Honorar eingespielt wird. Um diesen Punkt sicherzustellen, ist es wichtig, dass das Beratungsgespräch auf Basis eines Skripts vorstrukturiert wird. Dabei ist nicht nur an den Bedarf des Mandanten zu denken, sondern auch an die Anforderungen des Anwalts. Neben der Beratung spielen daher auch vertriebliche Aspekte sowie die Gewinnung von Informationen über den Mandanten eine große Rolle. <?page no="264"?> 264 Operatives Kanzleimarketing Praxisbeispiel Anwalt auf Probe Abb. 63: Coupon für kostenlose Erstberatung Couponing liegt im Trend. Mehr als 10 Milliarden Gutscheine aller Art werden mittlerweile pro Jahr an Kunden verteilt; die Suchanfragen im Internet nach Produkten in Kombination mit dem Stichwort „Gutschein“ steigen stetig. Warum sollten nicht auch Anwälte einsetzen, was sich im Handel und bei Konsumgütern längst bewährt hat? Diese Frage stellte sich Rechtsanwalt Dr. Martin Riemer aus Brühl bei Köln und kreierte daraufhin Gutscheine für kostenlose Erstberatungen, die in regionalen Tageszeitungen abgedruckt und über Flyer veteilt wurden. Um sicherzugehen, dass seine Marketingidee nicht gegen Berufsrecht verstößt, übersandte Riemer der zuständigen Rechtsanwaltskammer vorab seine Gutscheine zur Prüfung und kassierte den „belehrenden Hinweis“, dass erstens die kostenlose Erstberatung nicht zulässig sei und zweitens auch die Verteilung von entsprechenden Gutscheinen nicht. Der Anwalt, der die Rechtsanwaltskammer zuvor schon mit dem Aufdruck von Schockwerbung auf Kaffeetassen ( S. 56) beschäftigt hatte, mochte sich mit diesem Urteil nicht zufrieden geben. Er wandte sich an den zuständigen Anwaltsgerichtshof in Hamm. <?page no="265"?> Honorarpolitik 265 Von dort erging ein zweischneidiges Urteil (AGH Hamm, Urteil vom 9. Mai 2014 - 1 AGH 3 / 14). Die zuständigen Richter befanden, dass die konkreten Gutscheine zwar gegen Paragraph 43 b BRAO vertoßen würden, jedoch aufgrund ihrer Ausgestaltung und nicht prinzipiell. Grundsätzlich wurde die Zulässigkeit einer kostenlosen Erstberatung bejaht und auch die Verteilung von Gutscheinen durch Anwälte wurde nicht beanstandet. Im Endeffekt grenzt die Ausgabe eines Coupons den Adressatenkreis gegenüber einer Werbung für Gratis- Erstberatung auf der Webseite nur ein, insofern ist Couponing kein weitreichenderes Marketinginstrument als andere, bereits eingesetzte Methoden. Anstoß wurde jedoch daran genommen, dass die Coupons mit einem Ablaufdatum (31.12.2013) versehen waren und in hoher Auflage verteilt wurden. Das Gericht sah unter anderem das Problem, dass auf diese Weise gerade gegen Jahresende eine hohe Nachfrage entstehen könne, die der Rechtsanwalt nicht mehr zu bewältigen in der Lage sei. Im Endeffekt würden durch die Coupons dann Leistungsversprechen dokumentiert, die durch einen Einzelanwalt nicht eingehalten werden könnten. Ein weiterer Kritikpunkt lag in der Tatsache, dass nach Meinung der Richter das aufgedruckte Bild nicht zur angebotenen Leistung passen würde. Das Motiv auf dem Coupon würde eher eine Beratung im strafrechtlichen Bereich suggerieren, jedoch würde eine Erstberatung im Arbeits- und Versicherungsrecht angeboten. In der Praxis erwiesen sich die Befürchtungen des Anwaltsgerichtshofs teilweise als unbegründet, zumindest blieb der befürchtete „Run“ auf die Erstberatung aus. Rechtsanwalt Dr. Riemer verzeichnete „praktisch keine Rückmeldung“. Erstaunlich, denn aus Marketingsicht sind Beratungsgutscheine keine schlechte Idee. Erstens senken sie die Hemmschwelle, einen Anwalt überhaupt zu konsultieren und knüpfen damit an einem Hauptproblem des Vertriebs von Anwaltsleistungen an: Aufgrund des verbreiteten Vorurteils, Anwälte seien grundsätzlich teuer, findet viel zu oft gar keine Kontaktaufnahme statt. Coupons sind generell gut geeignet, derartige Barrieren wirksam abzubauen. Zweitens könnten Gutscheine für Gratis-Erstberatungen vermeiden, dass Rechtsuchende als erste Anlaufstelle die Rechtsschutzversicherung kontaktieren, die Mandanten dann zu den von der Versicherung ausgewählten Advokaten schickt. Drittens können Kostenlosgutscheine gerade Junganwälten helfen, die eigene Fallliste für die Fachanwaltsprüfung zu ergänzen. Vieles spricht also für den Gutscheineinsatz. Allerdings zeigt das Beispiel auch, dass erfolgreiches Marketing eben nicht nur von einer guten Idee, sondern auch einer handwerklich guten Umsetzung abhängig ist. Bei Gutscheinen ist beispielsweise die Art ihrer Verteilung erfolgskritisch. Tageszeitungen als Gutscheinträger können hohe Streuverluste produzieren. Auch spielt die Gestaltung des Gutscheins eine Rolle und ob das im dargestellten Fall eingesetzte Bildmaterial auch aus Marketingsicht passend war, ist fraglich. Ein wesentlich gewichtigeres Erfolgskriterium ist jedoch die Branchenüblichkeit. Kunden bzw. Mandanten lernen in allen Branchen und entwickeln über Jahre ein Gefühl dafür, welche Marketingmethoden zum Standard gehören, als seriös erachtet oder eher unpassend angesehen werden. Die Akzeptanz einer Gutscheinlösung hängt auch von Produkt bzw. Dienstleistung ab. Gutscheine von Fastfood-Restaurants mögen deshalb eine gute Sache sein, von Beerdigungsinstituten wohl eher nicht. Der Weg zum Anwalt ist Vertrauenssache, allzu offensives „Hardselling“ erzeugt Störgefühle, vor allem wenn branchenweit bis- <?page no="266"?> 266 Operatives Kanzleimarketing her eher wenig Marketing betrieben wurde. Zumindest hierzulande wird es daher wohl noch etwas dauern, bis sich Couponing als Marketinginstrument für Anwälte erfolgreich etabliert. 5.4 Akquisitionspolitik Der dritte Teilbereich des Marketing-Mix beschäftigt sich mit der Frage, wie der Absatz von juristischen Dienstleistungen sichergestellt werden kann. Branchenübergreifend hat sich für alle Entscheidungen und Handlungen, die der Versorgung von Kunden mit materiellen und immateriellen Produkten dienen, der Begriff des Vertriebs durchgesetzt (vgl. Bruhn 2007, S. 245). Bei Dienstleistungen liegen die zentralen vertrieblichen Herausforderungen in der Frage, mit welchen Methoden Kunden gewonnen werden können, so dass konkreter auch von Akquisitionspolitik gesprochen werden kann. Häufig wird - gerade wenn es um Sachgüter geht - auch der Terminus Distributionspolitik genutzt. Dadurch wird unterstrichen, dass es gerade bei Konsumgütern auch um die Verteilung der hergestellten Produkte an die meist regional verstreuten Endverbraucher geht. Für die folgenden Ausführungen werden die Begriffe Akquisitions- und Vertriebspolitik bzw. Akquisition und Vertrieb weitgehend synonym verwendet und auf die an dieser Stelle weniger passende Bezeichnung Distributionspolitik verzichtet. Die Akquisition ist eine vielschichtige Herausforderung für jedes Unternehmen, denn sie umfasst nicht nur wirtschaftliche, sondern auch juristische Fragen (bezüglich der Einhaltung rechtlicher Rahmenbedingungen), informationstechnische Aspekte (bei Online-Vertrieb) oder anderes. Auch die Gegenstandsbereiche können sehr unterschiedlich sein, denn oft wird unter Akquisitionspolitik auch der Erwerb von Unternehmen oder Unternehmensteilen verstanden. Im Marketing geht es hingegen um die Akquisition von Kunden oder Aufträgen (bzw. Mandanten und Mandaten), wobei betriebswirtschaftliche Aspekte im Vordergrund stehen. Diese Sichtweise bildet die Grundlage für die Ausführungen im vorliegenden Abschnitt des Buches. Oft ist es schwierig, zwischen Akquisitions- und Kommunikationsinstrumenten zu unterscheiden. Eine Webseite beispielsweise kann eine Kommunikationsplattform sein, die hauptsächlich Informationen enthält, aber auch Akquisitionsinstrument, wenn darüber Online-Rechtsberatung buchbar ist. Ähnlich ist es mit Mandantenschreiben, die eher Informations- oder eher Vertriebscharakter haben können. Gleichwohl lassen sich Maßnahmen ausmachen, die typischerweise eher für den einen oder für den anderen Zweck eingesetzt werden. Dabei handelt es sich immer um Tendenzzuordnungen. In der Fachliteratur wird des Öfteren die Meinung vertreten, dass in Dienstleistungsbranchen vertriebliche Fragen nicht ganz so relevant seien wie bei der Herstellung von Sachgütern (vgl. Walsh / Klee / Kilian 2009, S. 437). Tatsächlich kommen aufgrund der Besonderheiten von Diensten, die ja unter anderem nicht lagerbar und immateriell sind, viele Möglichkeiten des Vertriebs nicht in Betracht. Rechtsberatung lässt sich nicht ins Regal stellen oder als Paket versenden, sondern bedingt zumeist einen persönlicheren Kontakt. Berufsrechtliche Einschränkungen verbieten den Einsatz allzu aggressiver Vertriebsmethoden. Insbesondere das Ver- <?page no="267"?> Akquisitionspolitik 267 bot der Werbung um Einzelfallmandate grenzt die Möglichkeiten weiter ein ( Kap. 2.1.4). Allerdings ist zu bedenken, dass eine Reduktion der Möglichkeiten nicht unbedingt die Bedeutung des Vertriebs für Rechtsanwälte in Frage stellt. Anstelle einer breiten Palette von Optionen richtet sich der Fokus eben stärker auf die Akquisitionsbemühungen des Anwalts selbst, die traditionell stark im persönlichen Gespräch zum Tragen kommen. Es ist deshalb umso wichtiger, dass Anwälte auch Vertriebskenntnisse mitbringen, denn es gibt parallel kein engmaschiges Geflecht verschiedener Absatzkanäle, die simultan für Umsatzzuwachs sorgen. Der Vertrieb von Rechtsdienstleistungen ist daher anders gelagert als in anderen Branchen, aber keineswegs weniger bedeutsam. 5.4.1 Akquisition nach dem Trichtermodell Hartnäckig hält sich die Vorstellung, erfolgreiche Akquisitionspolitik würde sich hauptsächlich im Beratungsgespräch und dort vor allem durch die individuellen Qualitäten des Verkäufers ergeben. Übertragen auf den Bereich der Rechtdienste würde das bedeuten, dass die Person des Anwalts mit seinen Fähigkeiten zur psychologischen Gesprächsführung, seinem Verhandlungsgeschick, seinen rhetorischen und fachlichen Kompetenzen den Vertriebserfolg entscheidet. Diese Perspektive mag der Grund dafür sein, weshalb Fortbildungs- und Literaturangebote zu Vertriebsaspekten häufig ein wenig einseitig auf „Soft Skills“ abheben. Das in der Praxis häufig eingesetzte Trichtermodell (synonym auch als Vertriebstrichter, Akquisitionstrichter oder Sales Funnel bezeichnet) lenkt den Blick darauf, dass erfolgreiche Akquisition in mehreren Phasen verläuft und somit auch ein Ergebnis guter Struktur, der richtigen Methoden und vor allem einer funktionierenden Kontrolle ist. Ziel des Trichtermodells ist die Strukturierung und Visualisierung des Akquisitionsprozesses sowie die Entscheidungsunterstützung in den einzelnen Phasen (vgl. Albers / Söhnchen 2005, S. 66 ff.). Vor allem ist das Konzept eine wertvolle Hilfe zum Verständnis, welche Schwachstellen bei der Akquisition möglicherweise vorliegen. Grundidee des Sales Funnels ist, dass es nicht nur Kunden und Nicht-Kunden gibt, sondern der Status des Nachfragers sich während der Akquisition mehrfach ändert. Bevor und nachdem ein Mandat erteilt wird, werden mehrere kritische Phasen durchlaufen, die jeweils zur Folge haben, dass sich die Zahl potenzieller Mandanten reduziert. Nicht jeder, der Kontakt zum Anwalt aufnimmt, erteilt am Ende ein Mandat und nicht jeder, der im Netz nach einem Anwalt sucht, nimmt auch Kontakt auf. Es gibt Verluste in jeder Akquisitionsphase, die sich grafisch gut durch eine Trichterdarstellung visualisieren lassen ( Abb. 64). <?page no="268"?> 268 Operatives Kanzleimarketing Abb. 64: Sales Funnel bei Rechtsdienstleistungen Ausgangspunkt jedweder Vertriebsbemühungen ist die gesamte Zielgruppe des Anwalts, die sich auf der ersten Stufe des Trichters wiederfindet. Wer zur Zielgruppe gehört, lässt sich anhand beschreibender Merkmale entscheiden, die je nach Rechtsgebiet, Kanzlei und Anwalt unterschiedlich ausfallen können ( Kap. 4.5.4.2 und Kap. 4.5.4.3). Aus der Zielgruppe rekrutieren sich - abgesehen von geringen Streuverlusten - die Gruppe der Kontakte. Diese umfasst alle Adressaten, die durch Medien aller Art oder auch persönlich bereits kontaktiert wurden. Wer also beispielsweise im Zuge eines Rundschreibens angeschrieben wurde, qualifiziert sich als Kontakt. Eine Reaktion ist auf dieser Stufe nicht zwingend notwendig. Die Anzahl der Kontakte kann durch Maßnahmen der Kommunikationspolitik wirksam beeinflusst werden ( Kap. 5.5). Im Gegensatz zu den Kontakten zeichnen sich Interessenten durch Eigeninitiative und selbständige Aktivität aus. Die Interessenten werden nicht nur kontaktiert, sie reagieren auch, indem sie sich zurückmelden. Das kann entweder schriftlich, telefonisch, per E-Mail oder auch persönlich geschehen. Die Form der Kontaktaufnahme ist als Zusatzinformation ebenfalls von Bedeutung. Aus Interessenten werden Mandanten, wenn eine entsprechende vertragliche Übereinkunft geschlossen werden kann. Einige Mandanten wiederum werden zu Empfehlern und informieren aktiv im Freundes- und Bekanntenkreis über die Leistungen des Anwalts. Wie viele Personen / Unternehmen gehören zur Zielgruppe? Wie viele Angehörige der Zielgruppe werden durch Kommunikationsmaßnahmen erreicht? Wie viele Interessenten nehmen Kontakt zur Kanzlei auf? Wie viele Mandanten werden gewonnen? Wie viele Mandanten geben eine Empfehlung ab? 1. Zielgruppe (Prospects) 2. Kontakte (Contacts) 4. Mandanten (Clients) 5. Empfehler (Referrals) 3. Interessierte (Leads) Mandantenbindung Akquisition Kommunikation <?page no="269"?> Akquisitionspolitik 269 Das Prinzip des Sales Funnels ist es, dass jeweils nur ausgewählte Gruppen sich für die nächsthöhere Stufe qualifizieren. Aus einer relativ großen Zielgruppe lassen sich am Ende nur wenige als Mandanten oder gar Empfehler gewinnen. Das Ziel jedes Anwalts muss es sein, den Trichter jeweils so zu füllen, dass immer für einen ausreichenden Mandantenstrom gesorgt ist. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von der Sales Pipeline, die stets ausreichend gefüllt sein muss. Um dies sicherzustellen, sollten für jede Stufe messbare Indikatoren definiert werden, die regelmäßig nachgehalten werden. Am oberen Ende des Trichters ist z. B. die Größe der anvisierten Zielgruppe relevant, messbar durch die Anzahl der Privatpersonen oder Unternehmen, die Zielgruppenmerkmale aufweisen. Bei einem Scheidungsanwalt können das alle Verheirateten in einer definierten Region sein, bei einem Fachanwalt für Arbeitsrecht alle Arbeitnehmer bzw. Arbeitgeber usw. Multipliziert mit dem durchschnittlichen Umsatz pro Mandant lässt sich der zielgruppenspezifische Umsatz ermitteln. Durch Kommunikationsmaßnahmen wie z. B. Werbung können regelmäßig einige Zielgruppenangehörige erreicht werden, die dann zu Kontakten werden. Die durch alle Maßnahmen erzielte kombinierte Reichweite (vgl. Meffert / Burmann / Kirchgeorg 2015, S. 703) entspricht der Anzahl aller erreichten Entscheider durch realisierte Kommunikationsmaßnahmen, bereinigt um eventuelle Doppelzählungen. Wenn also durch eine Werbeanzeige rund 1500 Personen erreicht werden können und durch eine Veröffentlichung in einer Fachzeitschrift noch einmal 5000 Adressaten, wobei 500 Personen sowohl die Anzeige als auch die Veröffentlichung sehen, beträgt die Nettoreichweite (vgl. Meffert / Burmann / Kirchgeorg 2015, S. 703) in diesem Fall: Nettoreichweite = 1.500 + 5.000 - 500 = 6.000 Die Reichweite bildet ein geeignetes Maß, um den Umfang der Kontakte nachzuhalten. Einzelreichweiten sind durch die Medienhäuser zu erfahren, bei denen die entsprechenden Kommunikationsmaßnahmen geschaltet werden. Wird also beispielsweise eine Anzeige in einer Lokalzeitung abgedruckt, lassen sich Reichweitenangaben beim jeweiligen Verlag in Erfahrung bringen. Wiederum lässt sich durch Multiplikation mit dem Durchschnittsumsatz ein Wert in Euro für die Kontakte ermitteln. Kontakte, die aktiv an den Anwalt bzw. die Kanzlei herantreten, qualifizieren sich als Interessenten. Die Zahl der Interessenten lässt sich näherungsweise durch die Zahl eingehender Anrufe, Faxnachrichten, Briefe und E-Mails von potenziellen neuen Mandanten berechnen. Sofern es weitere Möglichkeiten der Kontaktaufnahme gibt, sind diese ebenfalls zu berücksichtigen. Einige Interessenten können zu Mandanten konvertiert werden. Die Zahl der Mandanten lässt sich durch Angaben der Buchhaltung ermitteln, ebenso die relevanten Umsätze. Einige wenige, meist besonders zufriedene Mandanten empfehlen ihren Dienstleister aktiv weiter und werden so zu Botschaftern für Kanzlei bzw. Anwalt. Die Quote der Empfehler kann durch Mandantenbefragungen festgestellt werden. Die Frage nach der Bereitschaft zur Weiterempfehlung sollte deshalb in solchen Befragungen berücksichtigt werden ( Kap. 6.1). Die praktische Arbeit mit dem Sales Funnel setzt voraus, dass die relevanten Messgrößen für jede Stufe in regelmäßigen Abständen erhoben und zur Steuerungs- <?page no="270"?> 270 Operatives Kanzleimarketing grundlage im Vertrieb erklärt werden. Um die Effektivität der Akquisitionspolitik zu beurteilen, sind zunächst die Verlustquoten auf den einzelnen Stufen des Trichters aufschlussreich. Wenn beispielsweise ein starker „Schwund“ zwischen Stufe 1 (Zielgruppe) und Stufe 2 (Kontakte) zu verzeichnen ist, lassen sich Absatzprobleme unter anderem auf mangelnde Bekanntheit der Kanzlei zurückführen. In diesem Fall sollte primär an einer besseren Kommunikation gearbeitet werden. Prozentual hohe Verluste auf den Stufen 2 (Kontakte) und 3 (Interessenten) können ebenfalls vor allem an einer mangelnden Ausgestaltung der Kommunikationsmaßnahmen liegen. Klassische Akquisitionsdefizite äußern sich durch starke Differenzen zwischen Stufe 3 (Interessenten) und Stufe 4 (Mandanten). Durch proaktive Mandantenbindung sollte es schlussendlich gelingen, möglichst viele Mandanten zu Empfehlern zu machen. Branchenübergreifend wird berichtet, dass dieser Schritt für viele Unternehmen die höchsten Verluste birgt. Empfehlungsbereit sind in der Regel nur die Kunden, die in überdurchschnittlichem Maße mit den Leistungen des Dienstleisters zufrieden sind. Neben der Analyse der Verlustquoten auf den Stufen des Sales Funnels, um zu vestehen, an welchen Stellen das Kanzleimarketing noch verbessert werden kann, ist die Ausbeute auf den letzten Trichterstufen von besonderem Interesse. Insgesamt sollte der Funnel so ausgestaltet sein, dass insgesamt mit einem hinreichenden Strom an Mandanten und Empfehlern zu rechnen ist. Die Planzahlen des Vertriebstrichters sollten mit den Kanzleizielen korrespondieren. Es ist also sinnvoll, den Trichter als Planungsinstrument beispielsweise vor dem Beginn eines Geschäftsjahres einzusetzen, um dann im weiteren Verlauf die Planzahlen durch reale Kenngrößen auszutauschen. Auf diese Weise können drohende Umsatzausfälle, die auf Kommunikations-, Akquisitions- oder Mandantenbindungsschwächen zurückzuführen sind, im Vorfeld erkannt und eventuell noch korrigiert werden. Je länger mit dem Trichterkonzept gearbeitet wird, umso mehr Erfahrungswerte liegen bezüglich der zu erwartenden Indikatoren auf den einzelnen Stufen vor. Auf diese Weise kann der Umfang notwendiger Marketingmaßnahmen erfolgreich vorausgeplant werden. 5.4.2 Akquisitionsformen Vertrieb beim Rechtsanwalt läuft seit Jahrzehnten hauptsächlich nach dem gleichen Schema: In einem persönlichen oder telefonischen Erstberatungsgespräch erläutert der Anwalt seine Rechtsdienste und der Mandant „beißt an“. Nur langsam setzen sich im Rechtdienstleistungsmarkt andere Marketingkonzepte durch. Trotz gewisser rechtlicher Einschränkungen sind die Möglichkeiten jedoch vielfältig ( Abb. 65). <?page no="271"?> Akquisitionspolitik 271 Abb. 65: Formen der Akquisition nach der Kommunikationsform Erstkontakt Cross- und Upselling Empfehlungsmarketing virtuelle Marktplätze Franchising direkt indirekt stationär nicht-stationär Mobile Akquise E-Commerce Telefonmarketing persönlich unpersönlich nach dem Akquisitionsort kooperative Mandantengewinnung Beratungsgespräch Pitch Formen der Akquisition nach der Übernahme von Vertriebsaufgaben <?page no="272"?> 272 Operatives Kanzleimarketing Akquisition lässt sich zunächst in direkte und indirekte Formen unterteilen. Bei der direkten Akquisition (bzw. dem direkten Vertrieb oder Direktvertrieb) besteht ein unmittelbarer Kontakt zwischen Kanzlei und Rechtsuchenden, d. h. der Vertrieb wird ohne die Unterstützung weiterer Partner eigenständig durchgeführt. Im Rechtsdienstleistungsgeschäft und auch bei vielen anderen Dienstleistungen ist das der Normalfall. Im Vergleich zum Sachgütervertrieb bedarf es bei Diensten meist umfangreicher Absprachen und Situationsanalysen bevor ein Angebot erstellt werden kann, so dass der direkte Kontakt kaum zu umgehen ist. Direktvertrieb bedingt dabei allerdings nicht zwingend das persönliche Verkaufsgespräch. Mittlerweile greifen auch Rechtsanwälte zunehmend auf unpersönliche Medien wie das Telefon oder das Internet zurück, um Mandanten zu akquirieren. Von einer direkten Form der Akquisition ist auch auszugehen, wenn eine Kanzlei über mehrere Standorte verfügt und breitflächig akquiriert. Das wesentliche Charakteristikum des Direktvertriebs ist, dass er ohne Einschaltung Dritter bewerkstelligt wird. Weniger verbreitet bei Dienstleistungen ist die indirekte Akquisition (bzw. der indirekte Vertrieb), bei der Vertriebsaufgaben auf außenstehende Personen oder Organisationen übertragen werden. Bei Sachgütern ist das z. B. der Fall, wenn Produkte über den Handel oder durch einen selbständigen Handelsvertreter angeboten werden. Leistungsversprechen und Leistungserbringung werden in diesen Fällen separiert. Das macht viel Sinn, vor allem wenn sich beide Bereiche unschwer voneinander abkoppeln lassen, der Leistungserbringer keine Ressourcen für den Vertrieb hat oder schlichtweg keine Kompetenzen mitbringt. Bei Rechtsdienstleistungen spielt das Problemverständnis bereits im Akquisitionsprozess eine große Rolle. Wer Rechtsberatung „verkaufen“ will, muss das Problem des Mandanten bereits recht tiefgehend verstanden haben. Es reicht nicht, eine dritte Person mit juristischem Basiswissen auszustatten, die sich dann alleine auf den Vorgang des Verkaufens konzentriert. Dieser Umstand ist dafür ausschlaggebend, dass sich Rechtsdienste nicht so einfach durch Dritte vertreiben lassen. Hinzu kommen rechtliche Einschränkungen, denn nach § 49b Abs. III BRAO ist es dem Rechtsanwalt untersagt, Provisionen für die Vermittlung von Aufträgen zu zahlen. Dennoch ist indirekter Vertrieb auch für Juristen eine Option. Viele Anwälte erhalten ihre Kunden auf Empfehlung Dritter, die für sie (ohne dafür entlohnt zu werden) Vertriebsaufgaben übernehmen. Empfehlungsmarketing ist kein Zufall, sondern kann systematisch gesteuert werden und bietet sich als kostengünstige Variante des indirekten Vertriebs bei stark individualisierten Diensten durchaus an. Im Zuge des sich stark entwickelnden Rechtsberatungsmarktes sind zudem virtuelle Marktplätze entstanden, die ebenfalls Mandanten akquirieren, zu passenden Anwälten vermitteln und deshalb als Vertriebspartner anzusehen sind. Solche Plattformen (z. B. http: / / www.anwalt.de oder http: / / frag-einen-anwalt.de) nehmen an Relevanz zu. Prinzipiell ebenfalls möglich, aber bislang nur vereinzelt vorkommend, ist der Vertrieb von Rechtsdienstleistungen über ein Franchise-System. Da Franchise- Partner zwar durch enge Absprachen aneinander gebunden, aber grundsätzlich rechtlich und wirtschaftlich selbständig sind, bildet Franchising ebenfalls eine Form des indirekten Vertriebs. Eine Sonderform der indirekten Vermarktung bildet der kooperative Vertrieb. In diesem Fall erfolgt die Akquisition von Mandanten weniger über als vor allem mit einem selbständigen Dritten nach dem „Eine-Hand-wäscht-die-andere“-Prinzip. <?page no="273"?> Akquisitionspolitik 273 Das ist beispielsweise der Fall, wenn mehrere Kanzleien im Vertrieb zusammenarbeiten oder aber ein Rechtsanwalt und ein Berufsfremder (wie z. B. ein Psychologe). Gerade der Bereich der kooperativen Akquisition wird bislang nur von wenigen Anwälten konsequent umgesetzt und bietet noch viel ungenutztes Potenzial. Neben der Einteilung des Vertriebs nach der Frage, wer vertriebliche Aufgaben übernimmt, ist eine Unterscheidung hinsichtlich des Akquisitionsortes gebräuchlich. Bei Anwälten findet Akquisition im Regelfall stationär in der Kanzlei statt. Die hohe Bindung an die Kanzlei hat nicht nur Tradition, sondern ergibt sich auch aufgrund der in § 27 BRAO definierten Kanzleipflicht, nach der jeder Anwalt eine Kanzlei einrichten und unterhalten muss. Es ist daher hierzulande nicht möglich, eine rein virtuelle Kanzlei ohne eigene Räumlichkeiten zu betreiben ( Kap. 4.2). Der Grundgedanke dabei ist, dass jeder Anwalt eine zentrale Anlaufstelle für Rechtsuchende unterhalten soll, wo er im Regelfall auch erreichbar ist. Hinzu kommt, dass Anwälte von Berufs wegen zu Diskretion und Verschwiegenheit verpflichtet sind, weshalb Rechtsberatung eben nicht an jedem beliebigen Ort stattfinden kann. TV-Anwältin Danni Lowinski, die ihren Schreibtisch mitten in einem Einkaufszentrum aufgebaut hat, ist daher reine Fiktion (vgl. Gostomzyk 2011). In Deutschland wäre es ebenfalls undenkbar, Rechtsuchende nach dem Vorbild von McDonalds an einem Drive-In-Schalter zu bedienen. In den USA hat bereits im Jahr 2010 die erste Anwaltskanzlei einen solchen Schalter eröffnet, allerdings zunächst nur, um dort Dokumente abzuholen, Schriftstücke abzugeben oder Zahlungen zu leisten (vgl. Popken 2010). Dennoch gilt: Auch wenn der Anwalt in unseren Breitengraden nicht überall praktizieren kann, so kann er theoretisch doch überall akquirieren. Neben dem stationären Vertrieb in der Kanzlei gibt es deshalb die Möglichkeit, Mandanten online, telefonisch oder auch mobil zu gewinnen. Im Zeitalter zunehmenden Wettbewerbs handeln immer mehr Anwälte nach der Devise: „Wenn der Mandant nicht zum Anwalt kommt, kommt der Anwalt zum Mandanten.“ Akquise findet immer stärker dort statt, wo Rechtsuchende sich aufhalten. Bei etablierten Anwälten entdeckt man immer häufiger einen Hinweis auf die Möglichkeit von Hausbesuchen auf der Homepage. In einzelnen Rechtsgebieten, wie z. B. dem Erbrecht, ist ein mobiler Service aufgrund der älteren Zielgruppe in jeder Hinsicht bedarfsorientiert. Auch eine „Rechtsambulanz“ in einer Markthalle gab es schon (vgl. Hipp 2011). Gelegentlich werden auch Fahrzeuge zur Rechtsberatung eingesetzt. Die Kanzlei Nierenz & Batz betreibt z. B. seit 2009 einen ausrangierten Polizeibus als mobile Kanzlei. Andere Anwälte verfolgen ähnliche Projekte. Die Kanzlei Geilke & Schütze aus Berlin akquiriert Mandanten mit Hilfe eines Leichenwagens, die Kanzlei Terner & Imhoff aus Hannover nutzt zwei leuchtendrote Löschfahrzeuge. Mobile Akquisition ist ungewöhnlich, hat eine hohe Öffentlichkeitswirkung und eröffnet unter Umständen den Zugang zu ganz neuen Zielgruppen (vgl. van Lijnden 2012). Praxisbeispiel Street Worker: Rechtsanwälte auf Achse Ein Eintrag im Punkteregister des Kraftfahrt-Bundesamts in Flensburg kann für PKW Fahrer nicht nur ärgerlich, sondern im Wiederholungsfall durchaus zum Problem werden. Viel härter trifft es aber noch hauptberufliche Lastkraftwagen- <?page no="274"?> 274 Operatives Kanzleimarketing fahrer. Für sie ist der Führerschein schlichtweg Berufsgrundlage. Und wenn doch mal etwas passiert und die Punkte gar zur Existenzbedrohung werden, fehlt oft die Möglichkeit, zu üblichen Öffnungs- und Terminzeiten eine Rechtsberatung in Anspruch zu nehmen. Abb. 66: Die Autohofkanzlei von Anwalt Detlef Platt (Quelle: Detlef Platt) Diese Marktlücke wird hierzulande seit 2007 wirksam geschlossen und zwar - mandantennah - an Autobahnraststätten und Autohöfen. Das Konzept ist einfach: Auf Verkehrsrecht spezialisierte Anwälte eröffneten (Zweit-)Kanzleien direkt an Autobahnen, mal im Container direkt neben dem Parkplatz (mit extra „Raum“ für das vertrauliche Mandantengespräch) oder im Wohnwagenanhänger, mal in Büroräumen im Gebäude eines Autohofes oder im Gebäude einer LKW-Waschanlage. Die angebotene Rechtsberatung umfasst neben Fällen der Geschwindigkeitsüberschreitung und Abstandsunterschreitung auch Rotlichtverstöße, Übertretungen der Lenk- und Ruhezeiten, Verkehrsstrafrecht (Unfallflucht, Nötigung, Körperverletzung), Verkehrsunfälle, Verkehrsverwaltungsrecht, Fahrverbote und eben jene „Punkte in Flensburg“. Die Autohof-Kanzlei ( www.autohofkanzlei.de) von Rechtsanwalt Detlef Platt aus Essen geht sogar noch weiter: Im Arbeitsrecht werden ausschließlich LKW- Fahrer als Arbeitnehmer vertreten, die Erstberatung ist selbstverständlich kostenlos (vgl. Wolf 2011). Ein Miniwohnwagen mit aufgemalten Paragraphenzeichen und einer wehenden Fahne mit dem Aufdruck „Anwaltskanzlei“ dient als mobiler Büroraum. Platt, früher selbst als Trucker tätig, kennt die Probleme der Mandanten aus erster Hand. So viel Zielgruppenkenntnis zahlt sich aus, so dass er sich seit geraumer Zeit aus Kapazitätsgründen fast ausschließlich auf die besonders nachgefragte Beratung bei Verkehrsordnungswidrigkeiten und -straf- <?page no="275"?> Akquisitionspolitik 275 sachen beschränken muss. Unbestritten mandantennah sind auch die Öffnungszeiten der Kanzlei: Montags bis freitags, jeweils von 14 bis 21 Uhr. Der Anwalt praktiziert im Autohof Lippetal an der A2, Ausfahrt 19/ Hamm-Uentrop. Das Konzept der „Asphalt-Advokaten“ scheint aufzugehen, denn bundesweit wächst die Konkurrenz. Ein Wettbewerber ist die Kanzlei von Rechtsanwalt Peter Möller aus Thüringen (www.autobahnkanzlei.de) mit aktuell sieben Zweigstellen an unterschiedlichen Autohöfen an der A9, der A4, der A7, der A66, der A5 und der A45. Möller setzt nicht nur auf zielgruppenspezifische Standortwahl, sondern auch auf originelle Serviceideen für seine Mandanten: Er beschäftigt bundesweit einzigartig sogenannte „Messstellenprüfer“ in der Kanzlei, die hauptberuflich die Arbeit von Messbeamten überprüfen und - wenn möglich - wirksam in Frage stellen. Da Geschwindigkeits- und Abstandsmessungen häufig formalen Fehlern unterliegen, finden sich nicht selten Argumente für den Mandanten. In regelmäßigen Abständen fahren zudem Anwälte der Kanzlei Möller bei Truckern mit, erleben deren Berufsalltag und dokumentieren ihre Erfahrungen. Die Erlebnisberichte werden zu Zwecken der Öffentlichkeitsarbeit genutzt und finden sich auf der Kanzleihomepage, in zielgruppenspezifischen Foren (wie z. B. dem Forum TruckerFreunde.de) und in entsprechenden Zeitschriften (z. B. „Trucker“ und „Fernfahrer“). Eine letzte Unterscheidung verschiedener Akquisitionsformen beruht auf der Frage, ob Vertrieb vornehmlich im persönlichen Gespräch stattfindet oder durch Einschaltung weiterer Medien. Je nachdem trennt man zwischen persönlicher und unpersönlicher Akquisition. Während persönliche Interaktion häufig Missverständnisse vermeidet und zu einer besseren Kommunikation führt, liegen die Vorteile der unpersönlichen Akquisition in einer höheren Effizienz. Vor allem bei weniger komplexen Fällen oder in Phasen der Akquisition, bei denen die Vermittlung von Informationen im Vordergrund steht, bietet sich deshalb die Nutzung unpersönlicher Medien an. An erster Stelle steht dabei das Internet, während der Vertrieb über andere gängige Medien, wie z. B. Kataloge, Zeitungen, Zeitschriften oder TV, sich für Rechtsberatung als weniger geeignet erweist. Unpersönliche Medien werden eher zur Kommunikation, jedoch nur selten zur unmittelbaren Akquisition genutzt. Fazit: Die Formen der Akquisition, die Anwälten zur Verfügung stehen, sind vielfältig. Neben der Möglichkeit, Dritten Vertriebsaufgaben zuzuweisen, ist zu entscheiden, wo akquiriert wird und welche Medien genutzt werden. Im Endeffekt sind eine Fülle von Kombinationsformen möglich, von denen derzeit nur wenige genutzt werden. Es bleibt zu erwarten, dass gerade innovative Anbieter im Rechtsberatungsmarkt und auch junge Anwälte aufgrund des zunehmenden Konkurrenzdrucks mittelfristig Vertriebsformen für den Rechtsmarkt entdecken werden, die sonst primär in Sachgütermärkten anzutreffen sind. Offen ist, wann und in welcher Form mit einer Ausweitung der rechtlichen Grenzen zu rechnen ist. Ob dann irgendwann Geschenkgutscheine für Scheidungen gekauft werden können (wie schon heute in den USA) (vgl. Kenber 2009) oder Rechtsdienstleistungen über Außendienstmitarbeiter vertrieben werden, bleibt abzuwarten, erscheint aber derzeit (noch) nicht vorstellbar. <?page no="276"?> 276 Operatives Kanzleimarketing 5.4.2.1 Erstkontakt Der erste Kontakt zwischen Anwalt und potenziellem Mandant ist ein Gespräch, das meist entweder persönlich in der Kanzlei oder telefonisch stattfindet. Dieser Erstkontakt stellt die Weichen für den Verlauf der weiteren Mandantenbeziehung und entscheidet maßgeblich darüber, ob es zu einer Mandatserteilung kommt oder nicht. „Es gibt keine zweite Chance für den ersten Eindruck“ - dieses Sprichwort bewahrheitet sich auch im Vertrieb. Äußerlichkeiten sind bei persönlichen Kontakten immens wichtig. Nur eine Zehntelsekunde benötigt ein Mensch durchschnittlich um sein Gegenüber einzuschätzen. Psychologen gehen davon aus, dass unser Gehirn mit einer Art von Werkzeugkoffer ausgestattet ist, mit dem sich wichtige Sympathiefaktoren wie Vertrauenswürdigkeit und sozialer Status blitzschnell einordnen lassen (vgl. Jimenez 2013). Das folgende Gespräch dient bestenfalls dazu, den positiven Impuls zu verstärken, im schlechteren Fall muss ein negativer Ersteindruck korrigiert werden. Es spricht deshalb einiges dafür, das Erstgespräch gut vorzubereiten, besser noch: Eine Dramaturgie zu definieren, nach der die Kontaktaufnahme durchweg ablaufen sollte. Hauptziel ist dabei, ein positives Verhältnis aufzubauen, das Mittel die Kommunikation. Nach dem sogenannten Eisberg-Modell der Kommunikation von Siegmund Freud (vgl. Frieß 2015, S. 25 ff.) sind dabei mehrere Kommunikationsebenen voneinander zu trennen, von denen - wie bei einem Eisberg - nicht alle direkt sichtbar sind. Der sichtbare, kleinere Teil in der Kommunikation findet über die Sachebene statt, auf der Informationen und Inhalte ausgetauscht werden. Für Mandanten ist es beispielsweise wichtig zu erfahren, welche juristischen Schritte zu ergreifen sind und mit welchem Honorar er zu rechnen hat. Der größte und entscheidende Teil der Kommunikation findet jedoch auf der nicht-sichtbaren Beziehungsebene statt. Hier geht es um das „wie“ der Kommunikation, also um Tonfall, Gesten, Mimik sowie um die Frage, wie Gefühle, Emotionen und Stimmungen transportiert werden. Positive Bestärkungen oder einfühlende Bemerkungen sind (wohldosiert) in Mandantengesprächen daher keineswegs Zeitverschwendung, sondern wichtige Voraussetzungen, damit sich eine positive Verbindung entwickeln kann. Für eine erfolgreiche Gestaltung des Erstkontakts lassen sich daraus folgende Ziele ableiten: Herstellung einer guten persönlichen Beziehung Wenn die „Chemie stimmt“ haben Mandanten mehr Vertrauen in die Leistung des Anwalts, arbeiten besser mit, sind nachsichtiger bei eventuellen Rückschlägen und akzeptieren Honorarvereinbarungen eher. Eine gute persönliche Basis kompensiert keine schlechte Leistung und definiert keine gute; dennoch macht sie eine erfolgreiche Zusammenarbeit oft überhaupt erst möglich. Die wichtigste Regel zur Herstellung eines guten zwischenmenschlichen Kontaktes ist dabei, den Mandanten und seinen Fall zunächst detailliert anzuhören, Verständnis für dessen Situation zu äußern und ehrliches Interesse zu signalisieren. Redewendungen wie „ich kann mir gut vorstellen, dass sie das sehr belastet“, „so hätte wohl jeder reagiert“ oder „da sind Sie nicht der Einzige“ signalisieren ein hohes Maß an Empathie. Bei organisationalen Mandanten wird das Verständnis für die Situation des Mandanten durch gutes Zuhören und Zusammenfassen der wichtigsten Eckpunkte der Falldarstellung erreicht („wenn ich Sie richtig verstanden habe, geht es Ihnen darum ...“). <?page no="277"?> Akquisitionspolitik 277 Darstellung der eigenen Kompetenzen Das subjektiv wahrgenommene Kaufrisiko beruht seitens des Mandanten unter anderem darauf, dass er die Leistungsfähigkeit des Anwalts nur schwer einschätzen kann. Anwälte können Hilfestellung geben und Nachweise Ihrer Kompetenzen zur Verfügung stellen. Das bedeutet keineswegs, dass der Erstkontakt zum exzessiven Eigenlob genutzt werden sollte, gleichwohl kann natürlich in sachlicher Form auf Vorerfahrungen hingewiesen werden. Direkt und selbstbewusst, aber ohne Überheblichkeit auf die eigenen Qualitäten hinzuweisen liegt allerdings nicht Jedem und erweckt schnell den Anschein, vor allem eigene Vertriebsinteressen in den Vordergrund zu stellen. Deshalb ist es auch im Umgang mit Kunden bzw. Mandanten manchmal effektiver, äußere Zeichen für sich sprechen zu lassen. Wenn die Qualifikation des Rechtsanwalts vom Mandanten nicht unmittelbar nachvollzogen werden kann, hält dieser unwillkürlich Ausschau nach greifbaren Kompetenzbeweisen in seinem Umfeld. Indizien, die in diesem Zusammenhang Überzeugungskraft entfalten können, sind beispielsweise Referenzen, Veröffentlichungen, Gütesiegel, ein erworbenes DIN-ISO Zertifikat, Vortragsskripte oder auch Gegnerlisten. Hinweise darauf können (unaufdringlich) in den durch die Kanzlei genutzten Kommunikationsmedien platziert werden. Neben der Webseite sind dabei auch Printmedien zu berücksichtigen, die in der Kanzlei ausliegen und auf diese Weise beim Kanzleibesuch gesehen werden. Akademische Titel, Fachanwaltstitel, Auszeichnungen, berufliche Ämter des Anwalts und Mitgliedschaften in Berufsorganisationen erzeugen ebenfalls Vertrauen. Auch die Kanzleiräumlichkeiten beeinflussen den ersten Eindruck und haben deshalb - obwohl für sich allein genommen sicher nicht kaufentscheidend - wichtige einstellungsbildende Funktionen. Realistische Darstellung der Handlungsoptionen Die wichtigste Funktion beim Aufbau einer Vertrauensbeziehung bildet eine seriöse Beratung. Aufgrund des wahrgenommenen Kaufrisikos bei Dienstleistungen geht es in diesem Zusammenhang darum, Ängste und Vorbehalte aufzulösen. Ein verbreiteter Fehler dabei ist, dass dem potenziellen Mandanten einseitig nur die Vorteile der Zusammenarbeit mit dem Anwalt dargestellt werden. Eine allzu positive Darstellung wirkt unglaubwürdig, bewirkt hohen Erwartungsdruck und führt zu umso größerer Unzufriedenheit, wenn das in Aussicht gestellte Ergebnis sich nicht einstellt. Am Ende ergibt sich die Mandantenzufriedenheit aus dem Abgleich der persönlichen Erwartungen mit dem erreichten Resultat. Allzu vollmundige Versprechungen beim Erstkontakt vergrößern potenziell den Abstand zwischen Anspruch und Realität und sind daher auch aus Sicht des Anwalts zu vermeiden. Wesentlich zielführender ist es deshalb, Handlungsoptionen gemeinsam durchzuspielen und dabei jeweils auch die Vor- und Nachteile darzustellen. Zu den Alternativen zählt häufig auch die Möglichkeit, ein Rechtsproblem nicht weiter zu verfolgen oder auf dem privaten Wege zu klären. Diese Vorgehensweise signalisiert, dass die Gesamtsituation des Mandanten gut erfasst wurde und ein ehrliches Interesse besteht, die bestmögliche Lösung für den vorgetragenen Fall unabhängig von finanziellen Interessen zu erreichen. In der Praxis scheuen sich viele Anwälte und auch andere Dienstleister vor dieser Vorgehensweise. Oft wird fälschlicherweise angenommen, dass eine sachliche Darstellung auch solcher Handlungsmöglichkeiten, bei denen kein Anwalt benötigt wird, eine Mandatserteilung unwahrscheinlicher machen. Das Gegenteil ist der Fall. Erst wenn alle in der Situation zu ergreifenden Möglichkeiten (inklusive der Alternative, nichts zu tun) systematisch durch- <?page no="278"?> 278 Operatives Kanzleimarketing gespielt werden, zeigt sich oft, welche Vorteile die Zusammenarbeit mit einem Fachexperten hat. Eine bekannte Fachanwältin für Familienrecht überzeugt ihre Mandanten regelmäßig mit dem Argument, dass der Verzicht auf einen Ehevertrag einem Vertrag zu den gesetzlichen vorgegebenen Bedingungen gleich kommt. Auch das Nichtstun schützt prinzipiell nicht vor den rechtlichen Konsequenzen, die Beratung durch den Anwalt führt aber dazu, dass diese vorab mit gestaltet werden können - eine Tatsache, die stark für die Aufarbeitung des Themas mit einem Anwalt spricht und vielen Mandanten erst im Erstgespräch klar wird. Nachbereitung des Erstkontakts Vertrauen entsteht nicht nur im Gespräch, sondern auch durch Handeln. Beratungsgespräche sollten daher auch nachbereitet werden, insbesondere in der ersten Phase der Mandantenbeziehung. Eine schriftliche, persönlich gehaltene Nachricht einige Tage nach dem Erstkontakt hat vertrauensbildende Wirkung und dokumentiert Engagement. Die wichtigsten Bestandteile eines solchen „Follow-ups“sind in Tab. 16 zusammengefasst. inhaltliches Element Formulierungsbeispiel 1. Dank für Kontaktaufnahme und Erstgespräch „Für die Kontaktaufnahme zu unserer Kanzlei und das ausführliche Erstgespräch vom 13.5.2015 möchte ich mich herzlich bedanken.“ 2. Kurzgefasste Wiedergabe des Kernproblems „Wie Sie darstellten, .... . Nach meinem Verständnis ist es daher für Sie zunächst wichtig, dass ... . Dabei möchte ich Sie gern unterstützen.“ 3. Darstellung der empfohlenen juristischen Vorgehensweise und des Nutzens für den Mandanten „Mein Vorschlag ist, dass ich für Sie ... und dann... . Die Vorteile dieser Vorgehensweise lägen für Sie darin, dass Sie ...“ 4. Klare Benennung der nächsten Schritte „Wenn Sie einverstanden sind, bleibt für Sie nur Folgendes zu tun: Bitte unterzeichnen Sie die beigefügte Vollmacht und senden Sie ein unterschriebenes Exemplar postalisch an mich zurück. Ich werde dann unmittelbar ...“ 5. Ermunterung zur aktiven Kontaktaufnahme bei Fragen und Definition der Verantwortlichkeiten „Bitte wenden Sie sich bei eventuellen Unklarheiten jederzeit an unsere Kanzlei. Erste Anlaufstelle für alle offenen Punkte rund um Ihr Mandat ist meine Assistentin Melanie Müller, die organisatorische Fragen direkt klärt oder bei Bedarf schnellstmöglich den Kontakt zu mir herstellt.“ 6. Motivierende Schlussformel „Gern würde ich in der Sache für Sie tätig werden und versichere Ihnen mein vollstes Engagement.“ Tab. 16: Elemente eines Nachfassschreibens <?page no="279"?> Akquisitionspolitik 279 5.4.2.2 Cross- und Upselling Der Löwenanteil des anwaltlichen Vertriebs findet im persönlichen Mandantenkontakt statt. Viele Anwälte akquirieren ausschließlich im Vier-Augen-Gespräch und sind daher mehr denn je auf funktionierendes Cross- und Upselling angewiesen. Gleichwohl stellt die Akquise von Anschlussmandaten ein großes Problem für Anwälte dar. Viele scheuen davor zurück, weitere Dienstleistungen zu „verkaufen“, sehen sich für Vertriebsaufgaben dieser Art nicht gerüstet oder fürchten, Mandanten auf diese Weise auf die Nerven zu gehen. Untersuchungen bei verschiedenen Kanzleien zeigen, dass die durchschnittliche Anzahl von Rechtsgebieten, in denen ein Mandant beraten wird, daher hinter den Erwartungen zurück liegt. Die Unternehmensberatung Schoen & Company GmbH berichtet von einem Fall, bei dem Mandanten im Schnitt in 1,8 Rechtsgebieten beraten wurden, obwohl die Kanzlei in 7 Jurisdiktionen tätig war (vgl. Schön o.J.). In diesem Fall stellt sich nicht nur die Frage, wie der Vertrieb verbessert werden kann, sondern ob die gewählte Angebotsbreite überhaupt die richtige Kanzleistrategie darstellt, wenn sie von Mandanten doch kaum beansprucht wird. Generell versteht man unter Cross-Selling bzw. Querverkauf das Angebot von sich ergänzenden Dienstleistungen. Spezieller hebt Upselling auf den Vertrieb höherwertiger Dienste an. Cross-Selling ist eher horizontal orientiert, denn es geht um gleichwertige Dienstleistungen, die gut zusammenpassen. Hinter Upselling steht hingehen das Ziel, Mandanten gezielt zu profitableren Angeboten zu migrieren (vgl. Hartung / Gärtner 2014). Die Vorteile beider Vertriebsformen sind vielfältig. Nicht nur wird der Umsatz gesteigert durch Absatz zusätzlicher Dienste, es ergibt sich auch ein positiver Effekt im Hinblick auf die Mandantenbindung. Prinzipiell gilt, dass Mandanten, die mehrere Dienstleistungen von einem Anbieter beziehen, kaum wechseln, wenn nicht fachliche Gründe einen Wechsel erzwingen. Das ist plausibel, denn wenn auf mehreren Gebieten zusammengearbeitet wird, nimmt der Wechselaufwand aus Sicht des Mandanten stark zu. Hinzu kommt, dass viele Mandanten für anwaltliche Leistungen „aus einer Hand“ auch bereit sind, ein höheres Honorar zu akzeptieren, weil Suchkosten entfallen und ein gewisser Vertrauensvorschuss vorhanden ist (vgl. Lorenz 2014). Zudem haben Cross- und Upselling nicht nur positive Wirkungen auf den Umsatz, sondern auch auf die Kosten. Die Akquise eines Neumandanten ist im Regelfall wesentlich aufwändiger als der Verkauf weiterer Dienste an Bestandsmandanten, denn Beratungskosten und Einmalkosten (z. B. für Anlegen und Pflege des Mandanten im Informationssystem) fallen nur einmal an. Nachweislich neigen Kunden, die bereits mehrfach Produkte nachgefragt haben, auch dazu, vermehrt Weiterempfehlungen aussprechen. Vollzieht sich Cross- und Upselling darüber hinaus innerhalb einer Kanzlei, kann auf diese Weise das Image der gesamten Kanzlei positiv beeinflusst werden und nicht nur der Ruf eines einzelnen Anwalts. Der Bedarf an Cross- und Upselling kann durch eine Cross-Selling Analyse ermittelt werden, die für jeden Mandanten auswirft, in wie vielen Rechtsgebieten dieser beraten wird. Ein Analyseergebnis ist die weiter oben bereits erwähnte Cross- Selling Quote, die die Zahl der Rechtsgebiete angibt, in denen Mandanten im Durchschnitt beraten werden ( Abb. 67). Eine weitere Grundlage bildet die Analyse des Upselling-Potenzials als durchschnittliche Umsatz- oder Margenveränderung, die einzelne Mandanten bei einer erneuten Mandatserteilung realisieren. <?page no="280"?> 280 Operatives Kanzleimarketing Abb. 67: Cross-Selling Analyse einer Anwaltskanzlei (Beispiel) Auf der Basis der Ist-Analyse lässt sich feststellen, inwieweit Cross- und Upselling künftig stärker betont werden sollten. Besteht Handlungsbedarf, sollte ermittelt werden, woran es hakt. Nicht immer liegt der Fehler beim Anwalt. Die Bandbreite der vermeidbaren Patzer ist groß: Zu wenig Mandantenverständnis Jede Form von Vertrieb bedingt, dass detaillierte Informationen zu der Bedürfnislage des Kunden vorhanden sind. Das bedeutet zuallererst, dass in Gesprächen genau hingehört wird. Personen, die von Berufs wegen eher Sender als Empfänger von Botschaften sind (wie z. B. Anwälte), fällt das oft nicht leicht, zumindest wenn es um Themen geht, die außerhalb des engeren Fachgebiets liegen. Aber gerade die außerfachlichen Informationen liefern oft den entscheidenden Aufhänger für Cross- und Upselling. Bei gewerblichen Mandanten ist neben der Kunst des aktiven Zuhörens auch Branchenkenntnis gefragt. Welche Entwicklungsperspektiven hat die Branche des Mandanten, welche (juristischen) Probleme sind künftig zu erwarten, wie ist die Ertragslage? Um ständig auf dem Laufenden zu sein, ist es sinnvoll, entsprechende Informationsdienste zu abonnieren oder in der Kanzlei Prozesse zu schaffen, damit Branchennachrichten intern zirkulieren. Bei der Kanzlei Luther beispielsweise informieren die einzelnen Fachgruppen ihre Anwälte regelmäßig über Marktentwicklungen, die für die Mandanten relevant sein könnten (vgl. Zander 2014a). Das setzt eine Berufsauffassung voraus, die den Anwalt eher als Berater denn als Rechtsspezialisten sieht. Falscher Mandant Nicht alle Mandanten bieten perfekte Bedingungen für den Vertrieb. Eine Grundvoraussetzung ist, dass nach Abschluss eines Mandats Zufriedenheit mit den Leistungen des Anwalts besteht, denn andernfalls sind die Chancen eines Anschlussgeschäfts eher gering. Die Regel gilt, dass bei unzufriedenen oder anderweitig nicht empfänglichen Mandanten von Vertriebsaktionen eher Abstand genommen werden sollte. Fehlende Vertriebskompetenz Nicht immer, aber doch manchmal liegen die entscheidenden Probleme auch in der Person des Anwalts. Nicht jeder sieht sich als Unternehmer und möchte im Mandantengespräch überhaupt über weitere Mandate Anzahl durchschnittlich nachgefragter Rechtsgebiete: 2,91 Anzahl Mandanten Anzahl nachgefragter Rechtsgebiete 1 2 3 4 5 6 7 8 9 0 5 10 15 20 25 30 <?page no="281"?> Akquisitionspolitik 281 sprechen. Wenn doch, stimmen oft Timing oder Umsetzung nicht. Beim Thema Cross-Selling empfiehlt es sich nicht, bis zum letzten Mandantenkontakt zu warten, da solche Entscheidungen oft ein wenig Zeit des Nachdenkens und Vorbereitens brauchen. Es ist vielmehr günstig, schon frühzeitig während des Mandats ergänzende Dienstleistungen anzusprechen. Für den Fall, dass das nicht gelingt, bietet ein Abschlussgespräch zu Mandatsende die Gelegenheit, zumindest den Kontakt zum Mandanten auf Dauer zu halten und die Einwilligung zur Zusendung von Nachrichten einzuholen ( Kap. 3.2). Erfolgreiche Kommunikation im Vertrieb sollte unaufdringlich und auf sympathische Weise erfolgen. Den Hauptredeanteil im Vertriebsgespräch hat der Mandant, während der Anwalt sich auf die Anwendung von Fragetechniken konzentriert und Angebote als Lösungsmöglichkeiten für bestehende Mandantenprobleme präsentiert. Eine Argumentation aus der Mandantenperspektive ist dabei essenziell wichtig. Unklarheit über Cross-Selling Optionen Vertriebliche Aktivitäten unterbleiben häufig deshalb, weil keine Klarheit darüber besteht, was noch angeboten werden könnte. Tendenziell schwierig ist das vor allem bei allen Rechtsgebieten, die stark auf die gerichtliche Vertretung ausgerichtet sind. Welche Dienstleistung könnte der Mandant noch wollen, wenn der Prozess (z. B. bei einer Scheidung oder einem Strafverfahren) überstanden ist? In diesen Fällen ist Geduld und Beharrlichkeit nötig, um zum Erfolg zu kommen. Einfacher wird die Suche nach Vertriebsoptionen in jedem Fall, wenn typische Affinitäten bereits vor dem Mandantengespräch durchgespielt werden. Bestimmte Fälle und Rechtsgebiete ergänzen sich originär sehr gut: Familienrecht und Erbrecht, Immobilien- und Architektenrecht, Steuerrecht und Gesellschaftsrecht. Sie bilden sogenannte Cross-Selling Familien (vgl. Busmann 2017, S. 72). Die vorausschauende Zusammenstellung zusammengehöriger Mandatstypen steigert den Vertriebserfolg. Mangelnde interne Kommunikation Cross- und Upselling stellen besondere Anforderungen an die interne Zusammenarbeit. Kollaboration statt bloßer Teamarbeit (vgl. Hartung / Gärtner 2014) ist gefordert, damit für jedes Mandantenproblem genau die Ressourcen kombiniert werden, die diesem bestmöglich gerecht werden. Verlustängste, Konkurrenzdenken und Bereichsgrenzen stehen Cross-Selling entgegen. Es ist wichtig, den entsprechenden organisatorischen Rahmen zu schaffen, um die interne Zusammenarbeit zu fördern. Regelmäßige bereichsübergreifende Fachveranstaltungen sowie Präsentationen vor Kollegen aus anderen Rechtsgebieten sind der Sache förderlich. Unzureichende Anreizstrukturen Die bestehenden Vergütungsstrukturen in vielen Anwaltskanzleien sehen keine Anreize für eine bereichsübergreifende Zusammenarbeit vor. Eher im Gegenteil arbeiten viele Kanzleien nach einem Vergütungssystem, das individuelle Leistung und Ertragskraft belohnt. Derartige, sogenannte Merit based-Systeme fördern tendenziell das Bereichsdenken. Den Gegenentwurf bilden Equal Share-Systeme, bei denen pro Kopf verteilt wird, sowie Lockstep-Systeme, bei denen sich die Vergütung auf Basis der Kanzleizugehörigkeit des Anwalts ergibt. Die Kanzlei Hengeler Müller lebt in Deutschland beispielsweise das Lockstep-Modell in Reinkultur. Der Erfolg eines Partners und seines Teams wirkt sich dabei für alle anderen Partner positiv aus. Auf diese Weise werden die für den Mandatserfolg benötigten Experten auch tatsächlich mit einbezogen (vgl. Peres <?page no="282"?> 282 Operatives Kanzleimarketing 2013). Prinzipiell fördern auch interne Provisionsregelungen (Proliferation Fees) den bereichsübergreifenden Vertrieb (vgl. Lorenz 2014). Nicht vorhandene Informationssysteme Selbst wenn die Bereitschaft zur internen Kooperation gegeben ist, verhindern oft die vorhandene Soft- und Hardware, dass es zu Cross-Selling kommt. Zusammenarbeit im Vertrieb setzt voraus, dass Mandanteninformation in ein elektronisches Customer Relationship Management- Systems (CRM-System) eingepflegt werden und jederzeit kanzleiintern abrufbar sind. Gerade in kleinen und mittleren Kanzleien findet sich jedoch häufig gar kein spezielles CRM-System oder es wird nur für simple Kundenmanagementaufgaben wie die Adressverwaltung genutzt. Zur Klärung der wesentlichen Hindernisse des Cross- und Upselling lohnt es sich, zumindest bei mittleren und größeren Kanzleien eine kurze, standardisierte Befragung der Kanzleiangehörigen durchzuführen. Viele Problempunkte werden auch bei informellen Diskussionen im Mitarbeiterkreis deutlich. Aufbauend auf diesen Kenntnissen sollte ein Maßnahmenprogramm entwickelt werden, das je nach Ursache von Fortbildungsmaßnahmen über bereichsübergreifende Off-Sites bis hin zu CRM- Schulungen und Veränderungen der Mandantenstruktur reichen. Der Erfolg solcher Maßnahmen sollte sich mittelfristig in der Cross-Selling-Quote niederschlagen. 5.4.2.3 Empfehlungsmarketing Die Nutzung der Empfehlung Dritter für vertriebliche Zwecke ist fast so alt wie die Idee des Vertriebs selbst. Besondere Bekanntheit genießen Kunden-werben-Kunden Programme, die in konsumnahen Branchen allgegenwärtig sind. Persönliche Empfehlungen hatten im Marketing des. 20. Jahrhunderts einen hohen Stellenwert: Menschen lebten mehr als heute in festen familiären Strukturen, die Bedeutung des eigenen Netzwerkes war hoch und Konsumentscheidungen waren gerade in der Nachkriegsgeneration ein dauerndes Gesprächsthema. Im Zeitalter der zunehmenden Digitalisierung und Kommerzialisierung sind Empfehlungen nach wie vor enorm wichtig, allerdings aus ganz anderen Gründen als zuvor. Während in den 1980er Jahren pro Tag rund 650 Werbebotschaften auf Verbraucher einwirken (und schon damals gab es regelmäßig Klagen über die vermeintliche Werbeflut), wird heute von geschätzten 10.000 ausgegangen (vgl. Schütz 2014). In der Konsequenz wird klassische Werbung häufig einfach ausgeblendet, als störend empfunden oder ist aufgrund von Abstumpfungseffekten nahezu wirkungslos. Es ist nur logisch, dass in dieser Situation der Ratschlag eines guten Freundes, eines Bekannten oder eines engen Verwandten einen hohen Stellenwert hat. Empfehlungen bieten Orientierung in einem Dschungel undurchsichtiger Marketinginformationen und sind vertrauenswürdigere Alternativen zu Kaufaufrufen, die von den Anbietern selbst kommen und oft nicht Ernst genommen werden. Moderne Verbraucher haben mittlerweile ein großes Repertoire an eigenen Kauf- und Konsumerfahrungen und reagieren skeptisch auf jede Form von „Anbiederung“ wie sie in allzu offensichtlichen Vertriebsbemühungen gesehen wird. Für gewerbliche Kunden gilt das erst recht. Empfehlungen fungieren in dieser Situation als wertvolle Orientierungshilfen. Gespräche zu Produkten und Diensten finden sowohl im Internet als auch „offline“ ständig statt. Der Erfahrungsaustausch unter Freunden oder Bekannten in der realen Welt passiert im Internet auf sozialen Netzwerken und zunehmend auf spe- <?page no="283"?> Akquisitionspolitik 283 ziellen Bewertungsportalen. Nichts liegt näher, als dass Anbieter versuchen, diese Form der Kommunikation zwischen Dritten gezielt zu steuern. Ein strukturiertes Konzept, das langfristig mit Hilfe einer geeigneten Wahl der Mittel eine möglichst große Zahl von Empfehlungen stimuliert, um auf diese Weise neue Mandate und dauerhaft steigende Umsätze zu generieren, wird als Empfehlungsmarketing bezeichnet. Empfehlungsmarketing hat strategischen Charakter und ist sowohl für private als auch für gewerbliche Rechtsuchende geeignet (vgl. Schüller 2010a, S. 1). Wie erwähnt, liegt einer der entscheidenden Vorteile des Empfehlungsmarketings in einer höheren Glaubwürdigkeit gegenüber anderen Methoden der Akquisition. Eine aktuelle Studie weist aus, dass 81 % aller Verbraucher den Empfehlungen von Freunden, Familie und Bekannten glauben. Wachsende Bedeutung haben auch Online-Verbraucherbewertungen, die noch etwa 68 % für vertrauenswürdig halten (vgl. Nielsen 2013, S. 6). Leider gilt das auch umgekehrt. Wenn also Personen aus dem eigenen Netzwerk von der Nutzung einer Dienstleistung (z. B. der Konsultation eines bestimmten Anwalts) abraten, würde der größte Teil der Nachfrager (genauer: 4 von 5) davon Abstand nehmen (vgl. Cone 2011). Das zeigt, wie wichtig die systematische Steuerung des Empfehlungsprozesses für Anbieter heutzutage ist. Dass zudem auf diese Weise noch Effizienzvorteile erzielt werden können, erscheint da fast nebensächlich, aber natürlich werden auch Kosten reduziert, da Vertriebsaufgaben ja unentgeltlich von Dritten übernommen werden. Mandanten, die über Empfehlung kommen, müssen zudem nicht aufwändig überzeugt werden, sie sind bereits „vorakquiriert“. Kaum überraschend, dass Untersuchungen von Kunden-werben-Kunde Programmen im Finanzdienstleitungssektor von einem Margenplus von 25 % sprechen (vgl. Storbeck 2010). Schlussendlich ist Empfehlungsmarketing nicht nur erfolgsträchtig, sondern in weiten Teilen schlicht notwendig geworden, denn selbst wenn Bewertungsportale oder der Freundeskreis nicht zuerst konsultiert werden, so haben sie bei den meisten Verbrauchern dennoch einen festen Platz wenn es darum geht, die Qualität von Angeboten „gegen zu checken“. Nachfrager von heute möchten sich rückversichern, bevor sie Geld ausgeben (vgl. Cone 2011). Privatpersonen suchen dazu nach Informationen in ihrem Umfeld und im Netz, gewerbliche Nachfrager holen professionell Referenzen ein. Die Vorteile des Empfehlungsmarketings für Anwälte stehen also außer Frage. Aber wann und warum sollten Mandanten ein Produkt empfehlen? Grundvoraussetzung ist zunächst natürlich, dass der Empfehler zufrieden ist. Es bietet sich also an, vorrangig solche Kontakte anzusprechen, die dieses Merkmal auch erfüllen. Das dabei auftretende Problem ist, dass viele Anwälte die Zufriedenheit ihrer Mandanten gar nicht abfragen und daher auch nicht wissen, wer als Multiplikator in Frage kommt. Da sich Zufriedenheit erst nach Abschluss eines Mandats zeigt und daher auch dann erst die Bereitschaft zu einer Weiterempfehlung vorhanden ist, unterstreicht dies einmal mehr die Wichtigkeit eines Abschlussgesprächs mit der Möglichkeit, Feedback einzuholen. Bestimmte Personenkreise sind aufgrund der großen Zahl ihrer Kontakte außerdem eher für Empfehlungen einsetzbar als andere. Architekten, Pfarrer, Behördenvertreter oder Psychologen kommen wegen ihrer Tätigkeit mit vielen potenziellen Mandanten in Kontakt und sind daher hervorragend als Multiplikatoren geeignet. <?page no="284"?> 284 Operatives Kanzleimarketing Nachdem mögliche Empfehler identifiziert wurden, ist zu überlegen, in welcher Form mit diesen umzugehen ist. Wer empfehlen soll, braucht eine geeignete „Behandlung“ und will unaufdringlich, aber auch kontinuierlich umworben werden. Im Vertriebsjargon spricht man auch von Farming (vgl. Belz 2008, S. 21) (im Gegensatz zum Hunting, das bei der Jagd nach Neukunden zum Einsatz kommt und andere Aktionen verlangt). Regelmäßige Möglichkeiten der Mandantenpflege sind Einladungen zu Seminaren, Zusendung relevanter juristischer Informationen, Geburtstagsgrüße oder auch Mandantenevents in den Kanzleiräumen. Weist der Mandant eine ausreichend enge Bindung auf, ist der Boden bereitet und der Empfehlungsprozess kann starten. Trotzdem werden meist nur wenige von allein zu aktiven Empfehlern. Nun kommen Marketingaspekte ins Spiel, denn Empfehlungen können gezielt stimuliert werden. Eine simple, aber wirksame Möglichkeit besteht darin, den Mandanten einfach darauf anzusprechen. Eine Floskel, die in abgewandelter Form von Vertriebsexperten empfohlen wird, lautet: „Ich möchte mein Mandantengeschäft noch ausbauen. Wenn Sie mit meinen Leistungen zufrieden waren, würde ich mich über eine Weiterempfehlung freuen“. Um die Empfehlung zu fördern wird der Gesprächspartner mit einer zusätzlichen Visitenkarte ausgestattet. Generell ist Anwälten eher angeraten, dem Mandanten den weiteren Prozess zu überlassen und nicht - wie teilweise für andere Branchen empfohlen - gleich selbst den Kontakt aufzunehmen. Neben rechtlichen Problemen wegen eines Werbekontakts ohne Einverständnis wäre zu befürchten, dass ein zu forsches Vorgehen als wenig branchenüblich und daher störend empfunden wird. So wie die Empfehlungsfrage Bestandteil eines jeden Abschlussgesprächs mit zufriedenen Mandanten sein sollte, so sollte spiegelbildlich die Frage, ob der Mandant auf Empfehlung kommt, Teil des Erstkontakts sein. Kommt ein Neumandant aufgrund des Ratschlags aus dem persönlichen Umfeld, sollte die Frage gestellt werden, ob der Anwalt sich für die Empfehlung bedanken darf. Feedback und positive Anerkennung sind wichtige Anreize im Empfehlungsmarketing, jedoch können sich Anwälte aus Vertraulichkeitsgründen nicht ohne Weiteres bei einer dritten Person für ein vermitteltes Mandat bedanken. Die Zustimmung dessen, der auf Empfehlung kommt, ist daher sehr wichtig. Sofern der „Geworbene“ einverstanden ist, macht es nachhaltig Eindruck, sich per Telefon zu bedanken. In anderen Branchen führt die Empfehlung häufig noch zu einem kleinen Geschenk für den Empfehler, das bei Anwälten aufgrund des Provisionierungsverbots vorsichtig ausgewählt werden sollten. Nichts spricht jedoch dagegen, den Empfehler auf die Gästeliste einer besonderen Seminarveranstaltung der Kanzlei zu setzen. Wer etwas empfiehlt, bürgt mit seinem guten Namen und liefert einen Vertrauensbeweis. Dafür sollte im Normalfall eine Belohnung, zumindest aber Anerkennung gezollt werden. Wenn ein Mandant mehrfach als Empfehler aufgetreten ist (in Ausnahmen auch schon nach dem ersten Mal), qualifiziert sich dieser als Referenz. In diesem Fall ist es an der Zeit nachzufragen, ob aufgrund der fortgesetzten guten Zusammenarbeit nicht eine Erwähnung auf der Homepage des Anwalts, in einem Flyer oder im Kontext einer anderen geplanten Werbemaßnahme in Frage kommt. Der gängige Einwand von Anwälten in diesem Zusammenhang ist meist, dass Mandanten sich ungern „outen“, einen Anwalt in Anspruch genommen zu haben. Tatsächlich ist kaum zu vermuten, dass sich z. B. im Steuerstrafrecht viele Mandanten als Referenz anbieten würden. In anderen Rechtsgebieten gilt dies aber weniger. Zudem hat der Mandant ja bereits in seinem persönlichen Netzwerk Empfehlungen ausgespro- <?page no="285"?> Akquisitionspolitik 285 chen. Damit Referenzen wirksam zum Marketingerfolg beitragen, sollten nur ausgewählte Referenzen präsentiert werden. Positive Mandantenrückmeldung macht sich gut auf der Kanzleihomepage oder kann in Form von O-Tönen in vielfältiger Weise genutzt werden. Allerdings sind vorab dringend einige rechtliche Voraussetzungen sicherzustellen, denn die Referenz bedingt zunächst eine (teilweise) Entbindung von der Schweigepflicht. Zudem darf die Darstellung des Mandantenfeedbacks auf den Betrachter nicht so wirken, als würde der Anwalt Vertraulichkeiten ausplaudern. Einige Kanzleien stellen deshalb ihrer Referenzliste einen ausdrücklichen Hinweis auf die Zustimmung ihrer Mandanten voran. Auf die Nennung des Referenzgebers kann gänzlich verzichtet werden, wenn beispielsweise nur Mandantenstimmen wieder gegeben werden. Alternativ kann auch mit abgekürzten Nachnamen gearbeitet werden (vgl. Hengel o.J.). Eine spezielle Form der Referenzen im Empfehlungsmarketing sind Gegnerlisten (vgl. Hengel o.J.). Vor allem in bestimmten Rechtsgebieten (z. B. im Internet-, Wettbewerbs- und Urheberrecht) sind sie als Akquiseinstrumente häufig im Einsatz, weil dadurch unter Umständen weitere Rechtsuchende angezogen werden können (z. B. bei Abmahnungen). Sie zeigen Wirkung, denn Anwälte demonstrieren damit erfolgreich Konflikterfahrung und Renommee. Ein letzter wichtiger Baustein des Empfehlungsmarketings ist die regelmäßige Erfolgskontrolle. Viele Unternehmen orientieren sich dazu am sogenannten Net Promoter Score (NPS), also an der Weiterempfehlungswahrscheinlichkeit, die durch Befragungen ermittelt wird. Die zu stellende Frage lautet dabei: „Wie wahrscheinlich ist es, dass Sie unsere Kanzlei einem Freund oder Kollegen weiterempfehlen würden? “ (vgl. Reichheld 2011, S. 4). Mit einer entsprechenden Zusatzfrage kann der NPS bezogen auf die Kanzlei und auf den Anwalt separat ermittelt werden. Hilfsweise sollte zumindest der Anteil von Mandanten ermittelt werden, die auf Empfehlung kommen, so dass auf jeden Fall die Empfehlungsrate nachgehalten werden kann. Alle Stufen, die bei einem systematischen Empfehlungsmarketing zu berücksichtigen sind, ergeben sich im Überblick aus Abb. 68. Abb. 68: Stufen des Empfehlungsmarketings 1 2 3 4 5 6 Empfehler identifizieren Farming Empfehlungen stimulieren Empfehlungen dokumentieren Rückmeldung an Empfehler Aufbau von Referenzen 7 Erfolgskontrolle <?page no="286"?> 286 Operatives Kanzleimarketing Zunehmend stellen Bewertungsportale im Internet einen wichtigen Baustein des Empfehlungsmarketings dar. Nach einer aktuellen Befragung studieren 72 % aller Verbraucher vor einem Kauf von Produkten und Diensten die Meinungen anderer Konsumenten im Internet, 41 % gibt zu, sich von Internetbewertungen beeinflussen zu lassen (vgl. BITKOM 2015). Generell lassen sich Bewertungsportale nach ihrem Themenschwerpunkt einteilen in allgemeine Bewertungsportale (ohne Produktfokus), spezialisierte Bewertungsportale (mit Rechtsfokus) und lokale/ mobile Bewertungsportale (ausgerichtet auf lokale Bewertungen) (vgl. ähnlich Rapp 2014, S. 49). Auf allen Typen von Portalen werden auch Anwälte bzw. Kanzleien bewertet. Art von Bewertungsportal Themenschwerpunkt / Ausrichtung Beispiele allgemeine Bewertungsportale Produkte / Dienstleistungen (alle Themenbereiche) http: / / www.ciao.de http: / / www.doyoo.de spezifische Bewertungsportale für Anwälte Spezialisiert auf Rechtsberatungsleistungen http: / / www.anwaltvergleich24.de http: / / www.meine-anwaltsbewertung.de lokale / mobile Bewertungsportale Portale mit lokalem Fokus und Smartphone-Apps http: / / www.kennstdueinen.de http: / / www.yelp.de http: / / www.google.de/ business/ Tab. 17: Arten von Bewertungsportalen für Rechtsanwälte (vgl. ähnlich Rapp 2014, S. 49) Online-Bewertungsportale haben in starkem Maße kaufbeeinflussende Wirkung, wobei vor allem die Gesamtbewertung (grafisch oft in Formen von Sternen) große Bedeutung hat. Viele Internetnutzer lassen sich bei der ersten Auswahl in Frage kommender Dienstleister ausschließlich von den „Sternen“ leiten und lesen nur die ausführlichen Darstellungen, wenn die Gesamtwertung vielversprechend scheint. Hinzu kommt, dass viele Portale die Sortierung nach „beliebtesten“ Anwälten erlauben, was dazu führen kann, dass insgesamt schlechter bewertete Anbieter leicht hinten über fallen. Gleichwohl haben vor allem die Nutzerkommentare für den Anwalt einen hohen Wert, denn sie bieten wertvolle Anregungen für Verbesserungspotenziale. Unter Umständen besteht auch die Möglichkeit, auf Unzufriedenheit direkt zu reagieren. Mitlesende Dritte finden einen offenen Umgang mit Kritik in der Regel sympathisch und werten konstruktive und freundliche Reaktionen positiv. Um Bewertungsportale richtig zu nutzen, bietet sich das folgende Vorgehen an: In einem ersten Schritt sollte definiert werden, auf welche Portale man sich konzentrieren möchte. Hauptfaktor ist dabei die Frage, welches Portal von potenziellen Mandanten am meisten genutzt wird. Die zielgruppenspezifische Reichweite spielt eine große Rolle. Eher lokal tätige Anwälte werden notwendigerweise den Schwerpunkt auf lokale/ mobile Portale legen. Nachdem Zielportale identifiziert wurden, ist zumindest bei kostenpflichtigen Angeboten zu überlegen, in welcher Form man sich dort engagieren möchte. <?page no="287"?> Akquisitionspolitik 287 Bei manchen Portalen gibt es unterschiedliche Preismodelle, die mit verschiedenen Präsentations- und Leserechten verbunden sind, andere Portale sind aber auch gänzlich kostenlos. Es sollte unbedingt darauf geachtet werden, dass das eigene Profil auf den Bewertungsportalen, auf die man sich konzentrieren möchte, auch wirklich vollständig und korrekt (ohne Schreibfehler! ) ausgefüllt ist. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass manche Portale auch das Anlegen eines Profils durch Mandanten ermöglichen, das dann ggf. ergänzt oder wenn nötig korrigiert werden sollte. Das bedingt, dass die wichtigsten Portale zumindest sporadisch besucht werden sollten. Nach dem Anlegen des eigenen Profils können Mandanten auf die Bewertbarkeit hingewiesen werden. Einige Portale haben dafür Richtlinien formuliert, um sich vor reinen Gefälligkeitsbewertungen zu schützen. Anstelle einer direkten Bitte um eine Bewertung, schlägt das die Bewertungsplattform yelp beispielsweise vor, eher indirekt einen Hinweis zu lancieren, z. B. in der Signatur von E- Mails oder durch Einfügen des yelp-Logos auf die Kanzleiwebseite. Beide Ideen lassen sich in ähnlicher Form auch mit anderen Portalen realisieren, denn häufig bieten die Portale Anleitungen oder direkt sogenannte Code Snippets zum Einbinden in die eigene Webpräsenz an. Gut ist auch, auf Bewertungsportale mit Visitenkarten oder im Bereich des Empfangsbereichs z. B. durch einen Aushang, aufmerksam zu machen. Eine erfolgreiche Formulierung in diesem Zusammenhang lautet eher „Sie finden uns auch auf www.anwalt.de“ und nicht „Bitte bewerten Sie uns auf www.anwalt.de“. Wie bei anderen Formen des Empfehlungsmarketings besteht der letzte Schritt in einer begleitenden Erfolgskontrolle. In regelmäßigen Abständen sollte auf Basis der Erkenntnisse entschieden werden, ob die richtigen Bewertungsportale bespielt wurden. Obwohl Bewertungsportale sich vorrangig an private Mandanten richten, so sind sie doch auch für gewerbliche Nachfrager interessant. Auch in Unternehmen wird standardmäßig das Internet durchforstet, wenn es um die Beauftragung eines Dienstleisters (auch eines Anwalts) geht. Nebenbei werden andere Quellen genutzt, um die Qualität von Anwälten einzuschätzen, vor allem persönliche Empfehlungen oder auch Ranking-Ergebnisse (z. B. aus dem JUVE-Handbuch). In USA ist man schon einen Schritt weiter: Hier wird die Bewertungsarbeit teilweise durch Computer, genauer: mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz, vorgenommen. Gerichtsurteile werden in die öffentlich zugängliche Datenbank „Pacer“ eingespeist. Ohne Weiteres könnte man sich dort über die Erfolgsquote einzelner Anwälte vor Gericht informieren - zumindest theoretisch, denn in der Praxis wäre die Suche nach solchen Informationen viel zu aufwändig. Mark Lemley, Professor für Rechtswissenschaft an der Stanford University, kam auf die gewinnbringende Idee, ein Auswertungstool zu entwickeln, das in kürzester Zeit Informationen über einzelne Anwälte bzw. Kanzleien auf Basis der Gerichtsverfahren liefert (vgl. im Folgenden Hänssler 2014, S. 16 f.). Das System wird unter dem Namen „Lex Machina“ ( http: / / www.lexmachina.com) vermarket und bietet kommerziellen Nachfragern die Möglichkeit, unbegrenzt die Prozesshistorie von Anwälten und Kanzleien zu recherchieren. Noch ist das Einsatzgebiet von Lex Machina auf Patentstreitigkeiten beschränkt, doch eine Ausweitung auf das Strafrecht ist bereits in Planung und auch IBM plant, mit seinem Superrechner „Watson“ ähnliche Bewertungsdienste <?page no="288"?> 288 Operatives Kanzleimarketing anzubieten. Ein ähnliches Angebot in Deutschland ist eher unwahrscheinlich, da die benötigen Informationen aufgrund von Datenschutzaspekten nicht öffentlich zugänglich sind. Das Beispiel Lex Machina zeigt aber einprägsam, dass Legal Analytics, also die Erhebung und Analyse komplexer juristischer Daten, möglicherweise „das nächste große Ding“ im juristischen Geschäft sein könnte. 5.4.2.4 Virtuelle Marktplätze E-Commerce boomt - nicht nur beim Bücherkauf oder bei der Reisebuchung, sondern auch bei der Suche nach einem geeigneten Anwalt vertrauen immer mehr Nachfrager auf das Internet. Virtuelle Marktplätze erfüllen diese Vermittlungsfunktion, indem sie Transaktionsprozesse zwischen Anbietern und Nachfragern im Netz ermöglichen und dabei Unterstützung bei der Durchführung bieten. Da die Marktplatzanbieter in der Regel selbständige Dritte sind, handelt es sich um eine Form der indirekten Akquisition. Viele Marktplätze decken neben der Option, Angebote zu suchen und abzuschließen, weitere Nutzerbedürfnisse ab. Neben Fachartikeln können häufig z. B. auch Anbieterbewertungen abgerufen werden, so dass häufig nicht ganz sauber zwischen elektronischen Marktplätzen und den in Kap. 5.4.2.3 erwähnten Bewertungsportalen getrennt werden kann. Die Erscheinungsformen von Online-Märkten sind vielfältig. Hinsichtlich der Angebotsbreite lassen sich branchenübergreifende und branchenspezifische Marktplätze voneinander unterscheiden. Branchenübergreifend bieten Schnäppchenportale wie Groupon oder eBay Produkte und Dienstleistungen an. Auch Rechtsanwälte sind hier präsent. Branchenspezifische Online-Märkte konzentrieren sich hingegen ausschließlich auf einen eingeschränkten Vertriebsbereich, z. B. Rechtsdienstleistungen. Konsequenterweise wird dabei häufig elektronische Beratung angeboten, denn wer im World Wide Web einen Anwalt sucht, ist oft auch daran interessiert, das gleiche Medium für die Kommunikation mit einem Anwalt zu nutzen. Neben elektronischer Rechtsberatung wird oft zusätzlich oder alternativ telefonischer oder persönlicher Anwaltskontakt vermittelt. Im Gegensatz zu reinen Anwaltsuchmaschinen ( Kap. 5.5.4.2) liefern virtuelle Marktplätze nicht nur Informationen zu potenziellen Dienstleistern, sondern unterstützen auch aktiv den Transaktionsprozess, indem z. B. unmittelbar auf der Webseite eine elektronische Erstberatung gebucht werden kann. <?page no="289"?> Akquisitionspolitik 289 Abb. 69: Preisreduzierte Erstberatung bei Groupon (Beispiel) ( http: / / www.groupon.de) Zweifellos nimmt die Relevanz virtueller Akquise stark zu. Nicht nur private, auch gewerbliche Mandanten bemühen das Internet wenn es um die Auswahl eines Anwalts geht. Insbesondere bei juristischen Alltagsfragen (oder was der Mandant dafür hält) sind virtuelle Marktplätze beliebt. Für die branchenübergreifenden Marktplätze spricht deren hohe Reichweite. Groupon beispielsweise wirbt damit, der weltweit führende Anbieter von lokalen Rabattangeboten und Gutscheinen zu sein ( Abb. 69). Ende 2014 waren rund 250 Millionen Nutzer weltweit angemeldet, in Deutschland ist das Unternehmen in 40 Städten und Regionen aktiv. Höher noch ist die Reichweite bei eBay, wo Angebote nach dem Auktionsprinzip angeboten werden: Allein in Deutschland hat die Plattform 17 Mio. aktive Kunden. Doch die hohe Reichweite gängiger „Schnäppchenportale“ hat auch Schattenseiten, denn es bestehen meist hohe Unsicherheiten bezüglich der Inanspruchnahme angebotener Dienste. Insbesondere Groupon-Anbieter klagen des Öfteren darüber, dass das Telefon nach der Veröffentlichung eines Produkts nicht mehr still stehen würde, auch wenn mit Groupon ein Maximalabsatz verabredet worden sei und dieser längst erreicht wäre (vgl. Kwasniewski / Vollmer 2012). Andererseits werden auf Shopping-Seiten immer wieder auch Dienstleistungen erworben, die am Ende gar nicht in Anspruch genommen werden. Zirka 25 % aller auf Gutscheinportalen erworbenen Gutscheine werden nicht eingelöst (vgl. Gassmann/ Hegmann 2015), denn viele Nutzer kaufen im Rausch des Sparen-Wollens mehr als sie eigentlich benötigen. Eine Rückvergü- <?page no="290"?> 290 Operatives Kanzleimarketing tung erhält der Anbieter dafür nicht, allerdings wird seine Kapazitätsplanung erheblich erschwert. Ähnliches gilt bei eBay, bei denen regelmäßig ein hoher Prozentsatz von „Spaßbietern“ an Auktionen teilnimmt, die nicht beabsichtigen, Dienste wirklich abzunehmen. Ein weiterer Aspekt, der bei branchenübergreifenden Marktplätzen zu beachten ist, dass mit der hohen allgemeinen Reichweite nicht unbedingt eine hohe zielgruppenspezifische Verbreitung einhergeht. Über Groupon und eBay werden zwar insgesamt viele Kunden erreicht, doch die wenigsten davon besuchen die Webseiten wohl aus Interesse an Rechtsdienstleistungen. Gängige Produkte kommen eher aus den Bereichen Gastronomie, Mode, Wellness und sind eher konsumnah sowie auf Impulskäufe ausgerichtet. Rechtsdienste stoßen in dem unüberschaubaren Sammelsurium an Angeboten meist auf geringes Interesse. Akquisitionserfolg ist nicht nur eine Folge hoher Reichweite, auch die vertriebliche Trefferquote bzw. Hit Rate (als Verhältnis von gewonnenen Mandanten zu kontaktieren Interessenten) muss stimmen. Bei kleineren Kanzleien, die ohnehin nicht viele Mandanten akquirieren möchten, mag am Ende trotzdem immer noch genug Geschäft hängen bleiben. Allerdings zu einem hohen Preis, denn Groupon fordert eine Provision in Höhe von 50 % des Verkaufspreises (vgl. Beilharz 2012a), andere Marktplätze fordern eine fixe Gebühr. Erfahrungen zeigen außerdem, dass die Kunden auf Rabattseiten oder Auktionsplattformen extrem preissensibel sind und daher vermutlich nur selten lukrative Anschlussmandate gewonnen werden können. Ein Großteil der über virtuelle Marktplätze angesprochenen Mandanten nehmen daher dankend das meist preisreduzierte Einstiegsangebot wahr, fragen im Anschluss jedoch keine höherwertigen, margenträchtigeren Dienste nach. Gleichwohl: Groupon, eBay und Co haben viele Vorteile. Vor allem für junge Kanzleien mit geringer Bekanntheit stellt die hohe Reichweite eine Chance dar. Durch die Möglichkeit, zu sparen, werden Hemmnisse der Kontaktaufnahme mit einem Anwalt wirksam abgebaut. Natürlich ist darauf zu achten, dass nur solche Dienstleistungen vergünstigt im Netz angeboten werden, die nicht unbedingt die zentralen Margenträger der Kanzlei darstellen. Für die gezielte Nachfrageerhöhung in einzelnen Rechtsgebieten und bei ausgewählten Diensten (z. B. Erstberatung im Arbeitsrecht) können branchenübergreifende Marktplätze hingegen gut geeignet sein. Voraussetzung dafür ist, dass das jeweilige Angebot korrekt beschrieben und so dargestellt wird, dass potenzielle Mandanten über Art und Umfang der Dienstleistung klar informiert werden. Dieser Aspekt mag auf branchenübergreifenden Marktplätzen noch wichtiger sein als auf speziellen Portalen für Rechtsdienste, da die Nutzer hier im Durchschnitt eine geringere Affinität zur Rechtsberatung mitbringen. Anders als branchenübergreifende Plattformen richten sich spezielle Portale für juristische Dienste ausschließlich an Rechtsuchende. Einer der Vorreiter in der Branche ist anwalt.de ( http: / / www.anwalt.de) mit derzeit mehr als 15.000 gelisteten Kanzleien und rund 2 Mio. Besuchern pro Monat. Es handelt sich nicht nur um eine Anwaltsuche, sondern um einen echten Marktplatz, da über die Seite elektronische und telefonische Rechtsdienstleistungen gehandelt werden. Wie bei branchenübergreifenden Plattformen, so sind auch bei den Rechtsportalen die Abrechnungsmodalitäten unterschiedlich. Bei anwalt.de sind elektronische Erstberatungen mit Kostenvoranschlag ebenso möglich wie die Inanspruchnahme von Diensten <?page no="291"?> Akquisitionspolitik 291 zum Festpreis. Bei frag-einen-anwalt.de ( http: / / www.frag-einen-anwalt.de) lobt hingegen der Mandant einen Preis aus, den er zu zahlen bereit ist. Mandantenfragen werden zudem auf der Webseite beantwortet und sind damit für jeden einsehbar. Branchenplattformen sind aktuell stark im Kommen, denn bei zunehmendem Wettbewerb werden neue Formen der Akquise gern in Anspruch genommen. Ihre Vertriebsvorteile entfalten Branchenwebseiten vor allem in Zeiten geringer Auslastung, beispielsweise saisonbedingt oder kurz nach Kanzleieröffnung. In diesen Fällen können elektronische Akquiseportale zu einer Kapazitätsharmonisierung beitragen, indem Leerzeiten zur Beantwortung von E-Mail-Anfragen genutzt werden. Für Junganwälte bieten Marktplätze die Möglichkeit, Erfahrungen bei der Bearbeitung von Rechtsfällen zu gewinnen. Ein wesentlicher Vorteil von Branchenplattformen liegt jedoch weniger im Vertrieb als in der Kommunikation, denn Anwälte sind dort mit einem Profil gelistet. Der Eintrag fördert parallel die Sichtbarkeit in Suchmaschinen wie Google, denn aufgrund der hohen Reichweite erscheinen dort gespeicherte Profile oft recht weit oben bei einer entsprechenden Suchanfrage. Bei einer Google-Suche nach „Anwalt Braunschweig“ erscheinen beispielsweise zunächst die auf anwalt.de gelisteten Braunschweiger Anwälte, erst danach erscheinen andere Einzeleinträge. Zudem können gelistete Anwälte auf der Webseite auch eigene Rechtstipps veröffentlichen und dadurch die Sichtbarkeit weiter erhöhen. Allein aus Gründen der Außendarstellung ist daher ein Eintrag bei einem Branchenmarktplatz zu erwägen. Natürlich bergen anwaltliche Marktplätze auch Risiken. Einer der am häufigsten genannten Nachteile ist die mangelnde Qualität der durch Online-Marktplätze vermittelten Rechtsberatung. Bei einem viel zitierten Test der Zeitschrift Finanztest gaben nur 50 % der getesteten Anwälte die richtige Rechtsauskunft (vgl. o. V. 2008). Allerdings stammt der Test aus dem Jahr 2008 und die Antworten auf den Plattformen können immer nur so gut sein wie die Fallbeschreibungen der Mandanten. Eine aktuellere Untersuchung des Deutschen Instituts für Service-Qualität bescheinigt den gängigen Rechtsplattformen durchschnittlich nur befriedigende Servicegüte (vgl. n-tv 2017). Zu beachten ist zudem, dass sich der Online-Vertrieb in der Regel nur für Standardfälle eignet. Typische Fälle kommen nach Aussage von Michael Friedmann, Geschäftsführer der QNC GmbH und Betreiber der Plattform frag-einen-anwalt.de, aus dem Arbeits-, Miet-, Verkehrs- und Internetrecht, also aus allen Bereichen des täglichen Lebens (vgl. Paulus 2010). Aufgrund der begrenzten Möglichkeiten der Interaktion empfiehlt es sich, komplexere Fälle auf eine persönliche Beratung zu verweisen und stets klar zu kommunizieren, welche Problemlösungen direkt über das Internet erwartet werden können und welche nicht. Unter diesen Voraussetzungen kann der Vertrieb über elektronische Marktplätze auch für Anwälte ein erfolgreiches und zeitgemäßes Element im Marketing-Mix sein. 5.4.2.5 Franchising Ein altbekanntes Vertriebsmodell im Marketing bildet das Franchising. 1955 durch Ray Kroc mit der Fastfood-Kette McDonalds erstmals praktiziert, erobern Franchise-Systeme den Markt für Privatkunden. Kennzeichen ist dabei, dass ein Anbieter (Franchisegeber) dem Partner (Franchisenehmer) gegen Entgelt ein Produkt- und Vermarktungskonzept zur Verfügung stellt, das er streng nutzen und umsetzen muss. Der Franchisegeber hat die Erlaubnis und Verpflichtung, bestimmte Leis- <?page no="292"?> 292 Operatives Kanzleimarketing tungen unter Verwendung von Logo, Name und Marketingkonzept an Dritte abzusetzen. Die Vereinbarung zwischen Franchisegeber und -nehmer ist auf Dauer angelegt und vertraglich umfassend geregelt. Beide Partner bleiben dabei rechtlich und wirtschaftlich selbständig (vgl. Meffert / Burmann / Kirchgeorg 2015, S. 524). Abb. 70: Umsatz der Franchise-Systeme in Deutschland (vgl. Institut für Markenfranchise 2017) Franchising boomt und nach den Gründen muss man nicht lange suchen. Der Hauptvorteil des Modells liegt darin, dass es Anbietern ermöglicht wird, mit geringem Kapitaleinsatz und begrenztem Risiko eine weite Verbreitung von Produkten und Diensten zu erzielen. Für Franchisenehmer eröffnet sich die Möglichkeit der Selbständigkeit mit überschaubarem Kapitaleinsatz. Prinzipiell sollte das auch für Rechtsanwälte attraktive Möglichkeiten eröffnen, denn auch Kanzleien streben natürlich nach einer stärkeren Marktdurchdringung und sind an kostengünstigen, schnellen Expansionsmöglichkeiten interessiert. Gleichwohl finden sich hierzulande nur wenig Beispiele von Kanzleien, die nach dem Franchise-System organisiert sind. Die bereits erwähnte JuraXX-Kette (z. B. http: / / www.juraxx-essen.de) ist so ein Beispiel, auch Janolaw AG ( http: / / www.janolaw.de) verfolgte Franchise-Pläne und aktuell die Hamburger Legitas GmbH. Lange wurden berufsrechtliche Schranken ins Feld geführt, um die mangelnde Eignung des Anwaltsfranchisings zu untermalen. Teilweise wurde argumentiert, dass der einheitliche Marktauftritt von Franchisegeber und -nehmer den Umstand verschleiern würde, dass es sich um selbständige Einheiten handele (vgl. Kopp 2004, S. 156), teilweise wurden haftungsrechtliche Probleme vermutet (vgl. Kääb/ Oberlander 2005, S. 59). Gleichwohl halten sich seit Jahren Franchise-Kanzleien am Markt, so dass zumindest nicht von einer prinzipiellen Unzulässigkeit auszugehen ist. Aus Marketingsicht hält das Franchiseprinzip für Anwälte vielfältige Vorteile bereit. Man stelle sich etwa vor, dass eine Franchise-Zentrale ein bewährtes Konzept zur effizienten Bearbeitung von Standardfällen wie z. B. aus dem Straßenverkehrsrecht oder dem Arbeitsrecht entwickelt und dies im Paket mit einem tragfähigen Marketingkonzept anwaltlichen Franchisenehmern anbietet. Auf diese Weise würde Junganwälten der Berufseinstieg erheblich erleichtert, denn es könnte auf ein bewährtes Vermark- 39,01 43,44 49 55,35 62,47 68,05 77,31 84,32 87,02 90,91 95,08 99,20 103,95 0 20 40 60 80 100 120 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 Umsatz in Milliarden Euro <?page no="293"?> Akquisitionspolitik 293 tungsrezept zurückgegriffen werden. Gleichzeitig könnte auch eine flächendeckende, mandantennahe und bezahlbare Grundversorgung mit Rechtsberatung und vertretung sichergestellt werden. Weitere Rationalisierungspotenziale ergeben sich durch Zentralisierung von IT-Diensten, durch ein gemeinsames Callcenter, gezielte Personalentwicklung innerhalb des Franchise-Systems und vieles mehr (vgl. Martinek 2004, S. 78). Im internationalen Raum funktioniert das längst. In USA haben sogenannte Law Clinics und Law Stores lange Tradition, die häufig nach dem Franchise-Prinzip organisiert sind (vgl. Martinek 2004, S. 60 ff.). Auch in Großbritannien ist Franchising z. B. durch die Kette QualitySolicitors etabliert. Trotz aller potenziellen Vorzüge ist hierzulande die Zurückhaltung gegenüber Franchising groß. Mit einer gewissen Herablassung werden hierzulande die „Mc-Laws“ (Martinek 2004) der Rechtsberatung belächelt. Neben rechtlichen Klippen, die es bei der Realisation von Franchising zu umschiffen gilt, mag dafür ausschlaggebend sein, dass Marktteilnehmer in besonderer Weise Marketingexpertise mitbringen müssen, um dieses Modell erfolgreich zu praktizieren. Ein Franchisegeber in der Branche der juristischen Dienstleistungen verkauft keine Rechtsprodukte, sondern ein Marketingkonzept. Rechtsexpertise ist dafür weniger ausschlaggebend, als Vermarktungskompetenz, ein Gespür für Trends und Kundenbedürfnisse. Das bringen aber zumindest qua Ausbildung die wenigsten Anwälte mit und aufgrund der Tatsache, dass hierzulande Kanzleiketten (noch) nicht von Werbefachleuten oder Vertriebsexperten geführt werden dürfen, ist in naher Zukunft auch nicht zu erwarten, dass Rechtsanwaltsdienste wie Cheeseburger an den Mann gebracht werden. Im Franchising gilt: Die Marke ist alles. Nur Franchisegeber die es schaffen, ihre Marke so aufzuladen, dass sie zur bevorzugten Wahl der Verbraucher wird, können einen stabilen Absatzstrom etablieren, der wiederum Franchisenehmer veranlasst, für die Übernahme des Marketingkonzepts gut zu bezahlen. Dadurch wiederum werden nicht nur die Einnahmen beeinflusst, sondern auch die Qualität der Franchisenehmer, die sich anbieten, denn nur die wirklich starken Franchisegeber erhalten Zulauf von qualifizierten Partnern. Das System unterliegt auf diese Weise einer gefährlichen Eigendynamik - nur Franchisekonzepte, die gut am Markt positioniert sind, gewinnen hinreichend kompetente Partner, die aber wiederum ausschlaggebend für den Markterfolg sind. Das kann sich positiv ergänzen, aber auf der anderen Seite auch dazu führen, dass Franchiseanbieter schnell in eine Abwärtsspirale geraten, aus der schwer zu entkommen ist. Erwartungsgemäß sind Franchiseunternehmen deshalb überdurchschnittlich oft von Insolvenz bedroht. Bereits im September 2013 warnte das Magazin „Spiegel“vor der „Franchise-Falle“ und meldete, dass jährlich zwischen 100 und 150 Franchise-Systeme scheitern (vgl. Holm 2013, S. 74 und 77). Aufgrund des engen Beziehungsgeflechts zwischen Franchisenehmern und -gebern reicht dafür oft schon, dass wenige Franchisepartner aufgrund von Qualitätsmängeln auffallen und durch negative Ausstrahlungseffekte die Marke insgesamt beschädigen. Es bleibt festzuhalten: Franchising ist auch für Anwälte ein denkbares Vertriebsmodell, das jedoch hohe Anforderungen an den Unternehmergeist und die Marktkenntnisse des Franchisegebers stellt. Damit das Modell sich stärker durchsetzen kann, sind zudem bestehende Rechtsunsicherheiten noch abzubauen. Kurzbis mittelfristig ist mit einer starken Zunahme des Anwaltsfranchising daher nicht zu rechnen. Mit der zunehmenden Liberalisierung des Rechtsberatungsmarktes und einer immer stärkeren Orientierung des Berufsstands an kommerziellen Zielen steht Franchising aber vermutlich auch bei Juristen eine große Zukunft bevor. <?page no="294"?> 294 Operatives Kanzleimarketing 5.4.2.6 Kooperative Mandantengewinnung Nur wenige Themen sind in den letzten Jahren in der Fachliteratur derart intensiv beleuchtet worden wie Kooperationen unter Wirtschaftsteilnehmern. Im Marketing nimmt der Zusammenschluss von Marktakteuren zu, denn die Herausforderungen werden in einem dynamischeren Umfeld größer und sind oft von einzelnen Anbietern nicht mehr allein zu bewältigen. Vertriebskooperationen haben deshalb branchenübergreifend Konjunktur. Im Jargon von Fachfremden wird unter kooperativer Mandantengewinnung häufig jede Form des indirekten Vertriebs verstanden. Im betriebswirtschaftlichen Sprachgebrauch ist Kooperation jedoch nicht gleichzusetzen mit jeder Form der gemeinsamen Aktivität. Kooperationen richten sich vielmehr ausschließlich auf das koordinierte wirtschaftliche Handeln von rechtlich selbständigen Einheiten, das auf Langfristigkeit und gegenseitigen Nutzen angelegt ist (vgl. ähnlich Zentes / Swoboda/ Morschett 2003, S. 6). Franchise-Systeme können Beispiele kooperativen Vertriebs sein, sofern beide Parteien am Gesamterfolg der Systemteilnehmer interessiert sind und nicht nur ein reines Kunden-Lieferanten-Verhältnis pflegen. Je nach Ausgestaltung sind indirekte Vertriebsoptionen daher nicht exakt von den Formen der kooperativen Mandantengewinnung zu trennen. Die innerbetriebliche Zusammenarbeit zur Erzielung von Cross-Selling-Effekten ist im weitesten Sinne ebenfalls als eine Ausprägung der Kooperation anzusehen. kooperative Akquisitionssysteme (Fokus Akquisition) kooperative Leistungssysteme (Fokus Akquisition und Angebotspolitik) Zusammenarbeit in der Kanzlei internes Cross-Selling kollegiale Unterstützung im Vertrieb ... bereichsübergreifende Teams internationale Teams ... Zusammenarbeit mit anderen Kanzleien (informelle) Weiterempfehlungen unter „befreundeten“ Kanzleien nach außen dokumentierte Zusammenarbeit zwischen Anwälten zur Vervollständigung der Leistungspalette ... kooperative Mandatsbearbeitung in Anwaltsnetzwerken kanzleiübergreifende Betreuung von Mandanten ... Zusammenarbeit mit Branchenfremden kooperativer Vertrieb mit Anbietern von Ergänzungsleistungen Nutzung der Vertriebsorganisation von Medienpartnern ... ganzheitliche Problemlösungen mit Anbietern von Ergänzungsleistungen ... Tab. 18: Erscheinungsformen kooperativer Mandantengewinnung <?page no="295"?> Akquisitionspolitik 295 Auch unter Anwälten wird kooperiert. Zum Teil beschränkt sich die Zusammenarbeit nicht nur auf den vertrieblichen Bereich, sondern schließt auch das Angebot gemeinsam erstellter Dienstleistungen im Rahmen von kooperativen Leistungssystemen mit ein (vgl. Belz/ Reinhold 2003, S. 759). Unabhängig von der Tragweite der Kooperation, kann sie jeweils kanzleiintern, kanzleiübergreifend oder branchenübergreifend ausgerichtet sein ( Tab. 18). Bislang konzentriert sich kooperative Mandantengewinnung sehr stark auf wechselseitige Empfehlungen zwischen Anwälten. Meist funktionieren diese Absprachen nach dem „Tit for Tat“-Prinzip, d. h. es besteht eine informelle Übereinkunft, sich gegenseitig zu unterstützen. Provisionszahlungen sind weder zulässig noch üblich. Ähnlich informell ist meist auch die Zusammenarbeit mit Branchenfremden ausgestaltet, die sich in der Regel auf die Kooperation mit ausgewählten Dienstleistungsberufen beschränkt, die Ergänzungsleistungen anbieten. Bislang gibt es nur wenige Beispiele der Kooperation von Anwälten mit Anbietern außerhalb des erweiterten Leistungsbereichs, z. B. reine Markenkooperationen. Ausnahmen liefern Anbieter von Rechtsportalen oder telefonischen Rechtsdiensten. Da diese Anbieter im strengen Sinne keine Rechtsberatung anbieten, sondern vor allem Vertriebsunterstützung für Anwälte, sind diese auch nicht an berufsrechtliche Vorschriften gebunden und arbeiten eher konsumentennah. Beispielsweise nutzte die Deutsche Anwaltshotline AG die Zeitschriften InTouch, Tina und TV Movie, um Neuabonnenten mit einer kostenlosen Erstberatung die eigenen Dienste nahezubringen ( Abb. 71). Wenn Rechtsuchende die Hotline kontaktieren, kommt der Rechtsberatungsvertrag zwischen dem selbständigen beratenden Anwalt zustande, nicht mit der Deutschen Anwaltshotline AG, der Bauer Vertriebs KG oder einem Dritten. Das Haftungsrisiko trägt der Anwalt (vgl. Schwegler 2013). Meldungen zufolge hat die Deutsche Rechtsanwaltshotline mit einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren erwirken können, dass das Angebot zumindest nicht als „Bauer Anwaltshotline“ vermarktet werden durfte, da damit nicht klar würde, dass es sich nur um eine Vertriebskooperation handeln würde (vgl. o. V. 2013b). Seit 2015 bietet auch das soziale Netzwerk XING für seine Premium-Mitglieder einen Service der kostenlosen Rechtsberatung zum Arbeitsrecht in Kooperation mit dem Rechtsschutzversicherer ARAG SE an (vgl. o. V. 2015b). <?page no="296"?> 296 Operatives Kanzleimarketing Abb. 71: Kooperativer Vertriebsansatz der Bauer Vertriebs KG und der Deutschen Anwaltshotline AG (Stand 2014) Festzuhalten bleibt, dass die kooperative Mandantengewinnung noch viele, bislang zu wenig genutzte Vorteile für Anwälte bietet. Neben Möglichkeiten der Kostenteilung bieten sich vor allem Chancen, mit Hilfe des Kooperationspartners Zielgruppen ansprechen zu können, die im Alleingang nie hätten erschlossen werden können. Gerade weil jedoch viel auf dem Spiel steht, sind Kooperationen stets „Chefsache“, zumindest wenn eine über die informelle Weiterempfehlung hinausgehende Zusammenarbeit erwirkt werden soll. Die Vorbereitung der Zusammenarbeit bedingt, dass strukturiert vorgegangen wird. Neben der Partnerwahl (die intensive Recherche und eine kriteriengeleitete Bewertung beinhaltet), sind Ziele, Inhalte der Zusammenarbeit, Form und Intensität der Kooperation, sowie Finanzierungsaspekte zu klären. Die Herausforderung bei Kooperationen besteht nicht darin, sie einzugehen, sondern sie zu gestalten und auszubauen (Belz / Reinhold 2003, S. 763 f.). Zusammenfassung Entscheidungsaspekte der kooperativen Mandantengewinnung (vgl. Belz / Reinhold 2003, S. 764) Partnerwahl Recherche und Selektion geeigneter Partner Kooperationsstruktur (federführender Partner, Haupt- und Nebenpartner) Auftritt und Stellenwert der einzelnen Kooperationsbeteiligten Vorgehen und Bedingungen für neue Partner <?page no="297"?> Akquisitionspolitik 297 Zielvereinbarung Gegenseitige Schutzbestimmungen (z. B. für Mandanten, Leistungen, Gebiete) Businesspläne Kritische Untergrenzen für eine Fortsetzung der Zusammenarbeit Spielregeln der Vertragsauflösung Inhalte der Zusammenarbeit Förderung des Cross-Selling Arbeitsteilung (Dokumentation, Abrechnung, Informationsfluss etc.) Marketingunterstützung für Partner (z. B. Beratung, Kommunikation) Management (z. B. Erfolgskontrolle, Personalselektion etc.) Integration mit Serviceleistungen und weiteren Marketingfunktionen Spielregeln der Haftung Form und Intensität der Zusammenarbeit Kooperationsformen von fallbezogener Kooperation bis zu Joint Ventures Umfang der Verhaltenskoordination Vertragsgestaltung Finanzierung Projektkosten und Investitionsbedarfe Fixes Basisengagement Umsatzaufteilung Ausstiegsfinanzierung Beteiligung neuer Partner 5.4.2.7 Pitch Im Bereich gewerblicher Mandanten, vor allem wenn es um geschäftskritische oder größere Mandate geht, werden Rechtsdienstleister häufig auf Basis eines systematischen und wettbewerbsorientierten Auswahlprozesses ausgesucht. Marktkenner erkennen eine stete Zunahme der Vergabe von Mandaten per Ausschreibung und Wettbewerb (vgl. Pezzei 2014, S. 26). Kernelement des Vorgehens ist eine persönliche Präsentation durch die eingeladenen Dienstleister vor dem jeweiligen Auswahlgremium. Für Vertriebsinstrumente dieser Art hat sich die Bezeichnung Pitch eingebürgert, manchmal ist synonym auch von Beauty Contests die Rede. Gerade größere Unternehmen sind dazu übergegangen, nicht nur um einzelne Mandante „pitchen“ zu lassen, sondern sogenannte Panels für Rechtsgebiete zu bestimmen. Kanzleien, die einem solchen Panel angehören, werden bei der Mandatsvergabe vorrangig berücksichtigt. Der Prozess der Panelbildung ähnelt dem des Pitchens. Die Idee einer Systematisierung der Auswahl von Rechtsdienstleistern liegt nahe, ist jedoch unter Juristen so tradiert noch nicht. Der Habitus, strukturierte Pitch-Prozesse aufzusetzen, wurde im Zuge des zunehmenden Wettbewerbs aus anderen Branchen übernommen, <?page no="298"?> 298 Operatives Kanzleimarketing die von jeher einem starken Konkurrenzdruck ausgesetzt sind - Werbeagenturen, Start-ups auf Investorensuche oder auch Architekten gehören dazu. Der Ablauf eines typischen Pitches ist bereits häufiger in Fachpublikationen beschrieben worden (vgl. beispielsweise Schröder-Frerkes / Roßmann 2014, S. 177 ff.). Die Vorgehensweise ist natürlich aus Sicht des ausschreibenden Unternehmens etwas anders als aus der Perspektive der teilnehmenden Kanzlei. Für Anwälte ist es wichtig, nicht nur die eigene Vorbereitung zielgerichtet in die Hand zu nehmen, sondern auch zu verstehen, was beim potenziellen Mandanten vor sich geht. Hier erfolgt in einem ersten Schritt üblicherweise die genaue Definition der Ausschreibungsinhalte. Neben einer ersten Sammlung wichtiger Aspekte, beinhaltet dies die interne Abstimmung sowie die Detailformulierung. Danach oder teilweise parallel werden die Kriterien festgehalten, die als grundlegend für die Auswahl gelten. Dabei werden Kann- und Musskriterien unterschieden. Vermehrt spielen bei der Auswahl von Rechtsberatern nicht nur die juristischen Kompetenzen eine Rolle, sondern vielmehr auch Qualitätskriterien wie Effizienz, Umsetzungsorientierung und Engagement. Manche Kriterien betreffen eher die Kanzlei, andere das Team, das konkret das Mandat bearbeiten wird. Die meisten Unternehmen setzen voraus, dass das Mandat durch einen oder mehrere Partner kontinuierlich betreut wird und auch die eher operativ tätigen Projektleiter und -mitarbeiter hohe fachliche und persönliche Kompetenzen vorweisen. Im internationalen Kontext ist die Zusammensetzung der Teams nach Diversity- Gesichtspunkten sehr wichtig. Da bei den meisten Unternehmen die Einkaufsabteilungen in den Auswahlprozess mit einbezogen werden, spielen von Anfang an auch wirtschaftliche Aspekte eine große Rolle. Kanzleien, die als teuer und vor allem unflexibel bei den Honorarstrukturen gelten, laufen daher Gefahr, zu Pitches gar nicht erst eingeladen zu werden. Auf Basis der relevanten Kriterien wird eine Longlist möglicher Kanzleien zusammengestellt, für die anhand verfügbarer Informationen kurze Profile erstellt werden. Mit Hilfe des vorab definierten Kriterienkatalogs werden die Kandidaten (normalerweise ca. 8-10) einer ersten Vorselektion unterzogen. Dazu werden die Aspekte herangezogen, zu denen Informationen problemlos beschaffbar sind bzw. die als unverzichtbar gelten. Je nachdem werden Kanzleien in dieser Phase bereits kontaktiert und gebeten, telefonisch oder schriftlich bereits erste Angaben zu machen. Durch die Vorauswahl wird die anfängliche Kandidatenrunde reduziert und eine Shortlist der Kanzleien erstellt, welche die Kanzleien umfasst, die zu einer persönlichen Präsentation eingeladen werden sollen (meist ca. 3-5). Vorbereitend werden die Eingeladenen einem Briefing unterzogen, d. h. die wichtigsten Rahmenbedingungen für die Angebotspräsentation werden mündlich übermittelt und meist auch in einem schriftlichen Briefing-Papier festgehalten. Es ist außerdem darüber zu entscheiden, ob und in welcher Höhe ein Pitch-Honorar gezahlt wird. Ähnlich wie in anderen Branchen gibt es im Rechtsberatungsmarkt eine Tendenz, den Aufwand für die Vorbereitung und Durchführung des Pitches nicht vollständig zu honorieren oder gar eine kostenlose Angebotspräsentation zu fordern. Nach den Präsentationen und einer Schleife der Nachbereitung, bei dem es auch zu Nachfragen und der Einholung von Zusatzinformationen kommen kann, erfolgt die endgültige Auswahl. <?page no="299"?> Akquisitionspolitik 299 Abb. 72: Ablauf eines Pitches aus Sicht des Ausschreibenden und der Kanzlei Definition der Ausschreibung Festlegung der Auswahlkriterien Longlist Vorauswahl Shortlist Einladung und Briefing Präsentation Nachbereitung und ggf. Klärung offener Fragen erste Kontaktaufnahme und Zusammenstellung vorbereitender Informationen (bei zweistufigem Prozess) Recherche und Vorbereitung Nachbereitung und ggf. Klärung offener Fragen Auswahl Feedback (telefonisch / schriftlich) Pitch-Prozess aus Sicht des ausschreibenden Unternehmens Pitch-Prozess aus Sicht der Kanzlei kontinuierliches Networking / Marketing <?page no="300"?> 300 Operatives Kanzleimarketing Auf der Seite der adressierten Kanzleien stellen sich einige Prozessschritte im Pitch ähnlich dar. Vor der offiziellen Einladung zur Präsentation (dem Request for Proposal) sollten idealerweise schon Aktivitäten stattfinden, die sich nicht auf ein einzelnes Mandat richten, sondern auf die Erhöhung der Anzahl der Einladungen allgemein. Durch Networking sowie Maßnahmen der Kommunikationspolitik im Marketing (z. B. Public Relations) wird die Sichtbarkeit im Markt erhöht, so dass sich die Chance erhöht, zu Ausschreibungen auch eingeladen zu werden. Kommt es dann zu einem ersten Kontakt durch ein ausschreibendes Unternehmen, ist damit entweder zunächst die Frage nach weiteren Informationen verbunden oder es erfolgt direkt die Einladung zur Präsentation. Nachfolgend wird in der Kanzlei ein passendes Team zusammengestellt, das intensive Vorabrecherchen durchführt. Idealerweise stehen dabei allgemeine Informationen zum Mandanten im Vordergrund (Organisationsstruktur, Mitarbeiterzahl, Auslandsniederlassungen etc.), aber auch strategische Pläne (Expansion, Internationalisierung, Personalstrategie etc.). Ein weiterer Recherchefokus kreist um die konkrete Pitch-Situation: Wer wird anwesend sein, welche Rollen haben die Akteure im Buying Center, wie lange Zeit wird für die Präsentation eingeräumt, was wird genau erwartet? Auf Basis der Informationen wird eine Präsentation vorbereitet. Üblicherweise werden dazu verbreitete Präsentationsprogramme wie Microsoft PowerPoint oder Keynote genutzt. Nachbereitung sowie die Bearbeitung von Rückfragen erfolgt in enger Interaktion mit dem ausschreibenden Unternehmen. Bei einem negtiven Bescheid empfiehlt sich, wegen eines Feedbacks nachzufragen (sofern es nicht ungefragt gegeben wird). In der Übersicht stellt sich der Pitch-Prozess seitens des ausschreibenden Unternehmens und der Kanzlei dar wie in Abb. 72 dargestellt. Der Ablauf eines Pitches mag auf dem Papier einfach nachvollziehbar sein, in der Praxis stellt sich der Prozess aus Sicht der Kanzleien häufig als Mysterium dar. Aus Sicht der eingeladenen Kanzleien ist der Auswahlprozess oft undurchschaubar und der Erfolg beim Pitchen erscheint als „Glückssache“. Dennoch lassen sich gängige Fehlerquellen ausmachen, die für das Scheitern von Pitch-Teilnahmen verantwortlich sind: Unzureichendes Briefing Einer der neuralgischen Punkte im Pitch-Prozess ist das Briefing durch das ausschreibende Unternehmen. Aufgrund von Zeit- oder Ressourcenmangel werden wichtige Informationen oft nicht an die Adressaten von Ausschreibungen weitergegeben. Die Vorbereitung eines genauen Briefing-Papiers verursacht viel Arbeit, ist aber die einzige Möglichkeit für alle Pitch-Beteiligten, zielgerichtet arbeiten zu können. Für den Ausschreiber bietet das Briefing die Möglichkeit, allein durch den Pitch-Prozess schon einen gewissen Mehrwert zu erhalten, weil man auf diese Weise mehrere qualifizierte Herangehensweisen kennenlernt. Für teilnehmende Kanzleien ist ein genaues Briefing die Voraussetzung, um überflüssigen Vorbereitungsaufwand zu vermeiden. Aus diesem Grund empfiehlt sich genaues Recherchieren, sofern im Briefing Punkte offen bleiben, im Zweifelsfall: Nachfragen. Die ausschreibenden Unternehmen stellen zu diesem Zweck Ansprechpartner zur Verfügung und es ist erstaunlich, dass diese Anlaufstellen in der Praxis oft gar nicht beansprucht werden (vgl. Zander 2014b). Bestandteil eines ausreichenden Briefings sind vor allem die folgenden Aspekte: Welche Ziele werden mit der Ausschreibung verfolgt? <?page no="301"?> Akquisitionspolitik 301 Für welche Aufgaben genau wird ein Rechtsberater gesucht und für welchen Zeitraum ist die Zusammenarbeit veranschlagt? Welche Rahmenbedingungen sind bei der Präsentation zu erwarten (anwesende Personen, Zeitrahmen, technische Voraussetzungen, Pitch-Honorar)? Welche Inhalte sollen in der Präsentation angesprochen werden? Inwieweit muss die Präsentation bereits ein genaues Honorarangebot enthalten? Welche generellen Vorstellungen bestehen zu Honorarhöhe und -struktur? Unüberlegte Teilnahme Die Einladung zur Teilnahme an einem Pitch ist ein Angebot, keine Anordnung. Da der Kampf um Mandanten jedoch zunehmend schwieriger wird, nehmen gerade mittelständische Kanzleien reflexartig Pitch-Einladungen wahr. Nicht nur zur Vermeidung von Konfliktpotenzial mit bestehenden Mandanten ist davor zu warnen, sondern auch aus Marketinggesichtspunkten. Die Erfolgsquote ist bei einer unüberlegten Teilnahme entsprechend niedrig, denn häufig wird übersehen, dass Ausschreibung und Kanzleiausrichtung vielleicht nicht optimal zusammenpassen. Je mehr Einladungen angenommen werden, desto höher ist zudem die Gefahr, dass die Präsentationen nicht mehr wirklich auf die Belange des potenziellen Mandanten zugeschnitten werden und vermehrt allgemeine Marketingaussagen reproduziert werden. Schlimmstenfalls wird der Auftritt zur Blamage und der Vorbereitungsaufwand muss als Zeit- und Geldverschwendung verbucht werden. Es empfiehlt sich deshalb, jede Einladung genau zu prüfen und lieber an weniger, dafür besser vorbereiteten Pitches teilzunehmen. Der Einsatz einer strukturierten Checkliste kann die Entscheidung über die Annahme eines Pitches erleichtern (vgl. Altmann-Forbes 2013, S. 133 f.). Prüfaspekte sind in diesem Zusammenhang die strategische Relevanz des Mandanten, das vorhandene Knowhow, die Profitabilität des Mandats sowie die Kosten der Angebotserstellung (vgl. Blase 2014, S. 168). Inhaltliche Mängel Schwächen bei der Vorbereitung der Präsentation rühren oft daher, dass Anforderungen nicht bekannt sind oder aus Effizienzgründen das Problem nicht individuell genug bearbeitet wird. Sachliche Fehler oder Unkenntnis wichtiger Rahmenbedingungen des Mandanten sind selbstverständlich ein Problem, aber auch lieblos gestaltete Standardpräsentationen ohne jeden Problembezug kommen schlecht an. Das ausschreibende Unternehmen erwartet in aller Regel einen ersten Lösungsansatz für das zu lösende Rechtsproblem. Die präsentierenden Kanzleien haben natürlich ein Interesse, bei der Ausschreibung keine umsetzungsreife Gesamtlösung schon vorab zu präsentieren, aber es muss verdeutlicht werden, dass das Team die Aufgabe lösen könnte und auch schon einen groben Arbeitsplan hat. Im Idealfall zeigt die Kanzlei nicht nur, dass sie bestehende Beratungsbedarfe abdecken kann, sondern proaktiv auch neue Handlungsfelder identifiziert. Wenn gefordert, sind am Tag der Präsentation konkrete Aussagen zum Honorar zu machen. Es ist nicht davon auszugehen, dass eine Kanzlei, die wesentliche Fragen der Ausschreibung offen lässt, nach der Präsentation noch Gelegenheit zur Nachbesserung erhält. Wichtig ist zudem, dass die Erkenntnisse in zielgruppengerechter Form formuliert werden. Vor allem wenn am Präsentationstermin auch Personen ohne rechtswissenschaftlichen Hintergrund anwesend sind (z. B. Vertreter der Einkaufsabteilung) ist es wichtig, die Zusammenhänge in einer Sprache auszudrücken, die auch für Nicht-Juristen verständlich ist - nach Ansicht führender Anwälte eine große Herausforderung (vgl. Pezzei 2014, S. 27). <?page no="302"?> 302 Operatives Kanzleimarketing Ein letzter wichtiger Punkt: Engagement ist ein sehr wichtiges Auswahlkriterium für Dienstleister und nichts wirkt weniger bemüht als eine allgemeine Marketingpräsentation. Auch wenn es Aufwand spart, ist zuviel „Recycling“ bei Präsentationen eher schädlich. Vor dem übermäßigen Einsatz sogenannter Pitch-Builder (vgl. Altmann Forbes 2013, S. 142) oder von Textbaustein-Generatoren sei daher gewarnt. Kommunikations- und Abstimmungsschwächen Die schönste Präsentation nützt wenig, wenn die Darbietung nicht stimmt. Bei Unternehmensberatern ist es ein bekanntes Phänomen, dass vor jedem Pitch nächtelang die Präsentationen „gebastelt“ werden und am Tag X ein übermüdetes und unkoordiniertes Team PowerPoint-Folien vor dem Kunden abspult. Ebenso wichtig wie die schriftliche Vorbereitung ist aber die Festlegung der „Dramaturgie“ vor Ort, d. h. wer sagt was, wem kommt welche Rolle zu. Immer wieder kommt es auch vor, dass bei Pitches die Personen, die hinterher die Betreuung des Mandanten übernehmen, teilweise gar an der Präsentation teilnehmen oder noch nicht einmal feststehen. Dieser Punkt ist jedoch immens wichtig, denn gerade bei wichtigen Mandaten sind die zentralen Akteure von großem Interesse. Das betrifft nicht nur die Partner, sondern auch die Ebene darunter. Es macht einen guten Eindruck bei Pitches wenn viele Teammitglieder anwesend sind und auch eine Rolle bei der Präsentation oder der nachfolgenden Diskussion übernehmen. Als Teil der Vorbereitung empfiehlt sich zudem, Klarheit über Verhandlungsspielräume bei der Honorarhöhe, den Honorarstrukturen und der Teamzusammensetzung zu gewinnen. Mandanten schätzen es außerordentlich, wenn mehrere Honorarmodelle beim Pitch zur Wahl gestellt und diskutiert werden können. Interview 10 Fragen an Dr. Claudia Mayfeld , Essen (Leiterin Recht & Compliance bei RWE AG) Frau Dr. Claudia Mayfeld ist engagiert: Seit Oktober 2016 leitet sie den Bereich Legal & Compliance der innogy SE nach deren erfolgreichen Börsengang. Seit Mai 2013 leitete sie den Bereich Recht & Compliance der RWE AG und parallel das konzernweite Center of Expertise Legal & Compliance, in dem übergreifend relevante Rechtsthemen für alle dezentralen Einheiten gebündelt beraten wurden. Ferner ist sie Mitglied des Vorstands des RWE Pensionsfonds sowie Mitglied des Aufsichtsrates der Süwag Energie AG. Den Marktauftritt von Anwälten kann sie bestens beurteilen, denn die Zusammenarbeit mit externen Kanzleien gehört zu ihrem Tagesgeschäft. <?page no="303"?> Akquisitionspolitik 303 Frage 1 Bitte berichten Sie ein wenig über Ihren Tätigkeitsbereich. Mit welchen juristischen Problemen haben Sie täglich zu tun? Das ist sehr unterschiedlich: Nach dem erfolgreichen Börsengang der innogy SE sind sowohl konzernleitende als auch operative Fragestellungen innerhalb der innogy SE zu beraten. Demgemäß unterstütze ich den Vorstand vor allem bei Fragestellungen des Aktien- und Kapitalmarktrechts, der Corporate Governance, des Kartellrechts und auch zu Compliance. Ferner beraten wir rechtlich sämtliche Fragestellungen des Segments Vertrieb, des Segments Netz- und Infrastruktur sowie des Segments der Erneuerbaren Energien im In- und Ausland. Durch die zentrale Aufstellung der Rechtsabteilung der innogy SE sind Schwerpunkte unserer Tätigkeit insbesondere die Themenfelder Energie- und Vertriebskartellrecht, Konzessionsrecht, Anlagenbau, Vergaberecht, Gesellschaftsrecht, M&A, Einkaufsgestaltung und Compliance. Im Bereich Recht & Compliance der innogy SE sind derzeit 135 MitarbeiterInnen beschäftigt, die entlang der Wertschöpfungskette die innogy SE beraten. Frage 2 Welche Anforderungen stellen Sie an externe Anwaltskanzleien, mit denen Sie zusammenarbeiten? Inwieweit haben sich diese Anforderungen in den letzten Jahren geändert? Qualität ist natürlich das Wichtigste, aber auch eine gute Portion Pragmatismus sowie solide Branchen- und Marktkenntnisse. Doch bevor ich auf die Anforderungen an die Kanzleien eingehe, möchte ich Folgendes festhalten: Wir erleben einen erheblichen Kostendruck bei den Rechtsabteilungen. So haben wir uns natürlich auch die Kosten der externen Rechtsberatung angesehen. Hier ist auf eine klare „Make-or-buy“-Entscheidung zu achten. Das heißt: Wenn es um unsere rechtlichen Kernkompetenzen geht, beraten wir als hauseigene Juristen selbst; nur in Ausnahmefällen benötigen wir externe Beratung. Wenn es eilig ist, wir keine Ressourcen haben oder spezialisiertes Know-how fehlt, suchen wir extern nach Unterstützung. Kommt es dann zu einer Zusammenarbeit mit Kanzleien, kann es viel sinnvoller sein, ein Gutachten intern selber zu schreiben - und es dann erst an den externen Berater zu geben, damit er prüft, ob alle relevanten Punkte bedacht worden sind. Auch eine Hotline, bei der die ersten zehn Stunden kostenlos sind, wenn nur Kleinigkeiten geklärt werden müssen, ist eine sinnvolle Zusatzdienstleistung. Zudem arbeiten wir mehr und mehr mit so genannten Secondments. In diesen Fällen sind externe Anwälte dann 2 bis 3 Tage pro Woche vor Ort bei uns, für begrenzte Zeit natürlich. Mir ist daher bei der Zusammenarbeit mit Kanzleien wichtig, dass seitens der Berater eine Offenheit gegenüber Einsparungsmodellen herrscht, wie sie in den USA und GB bereits üblich sind. <?page no="304"?> 304 Operatives Kanzleimarketing Frage 3 Wie läuft - grob beschrieben - der Prozess der Auswahl einer externen Kanzlei ab? Welche Rolle spielt die Einkaufsabteilung? Bei größeren Fragestellungen gibt es kriteriengeleitete Pitches, d. h. mehrere Kanzleien präsentieren sich in Konkurrenz. Früher haben ausschließlich die Juristen entschieden, jetzt ist unser Auswahlgremium interdisziplinär besetzt. Die Einkaufsabteilung ist bei uns immer mit im Boot, von Anfang an. Die Einkäufer haben den Marktüberblick und wissen, was bei Konditionen und Leistungen üblich ist. Die Juristen entscheiden - wie schon ausgeführt - unter den Gesichtspunkten von Qualität, Branchenkenntnis und notwendigem Pragmatismus. Die Einkäufer verhandeln das Angebot aus wirtschaftlicher Sicht. Die Vergütung ist immer ein wichtiger Diskussionspunkt. Dabei geht es nicht immer nur um Geld, manche Kanzleien bieten uns statt einer Honorarreduktion auch Pro-bono-Seminare oder ähnliche Modelle an. Frage 4 Was sind die Qualitäten, die ein Syndikusanwalt im Vergleich zu seinem Kollegen, der in einer Kanzlei tätig ist, mitbringen sollte? Ein gutes wirtschaftliches Verständnis ist essenziell, dazu spezifische Branchenkenntnisse. Wir achten darauf, dass Bewerber sich im Energiebereich auskennen und auch Interesse dafür mitbringen. Man muss mögen, womit man täglich zu tun hat. Als Unternehmensanwalt ist man zudem intensiv im operativen Geschäft eingebunden. Eine gewisse praktische Veranlagung und die Bereitschaft, mit Nicht-Juristen eng zusammenzuarbeiten, sind dabei sehr wichtig. Frage 5 Wie sehen Sie für die Zukunft die Aussichten für das Berufsbild des Unternehmensanwalts? Gut, denn mit dem Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte, das zum 1. Januar 2016 in Kraft getreten ist, wird es gesetzlich ermöglicht, dass sich anwaltlich tätige Mitarbeiter als Syndikusrechtsanwälte zulassen und so von der Rentenversicherungspflicht befreit werden. Damit werden nun auch die Unsicherheiten rund um die Altersvorsorge abgestellt. Das Urteil des Bundessozialgerichtes, nach dem in Unternehmen tätige Anwälte von der Mitgliedschaft in einem berufsständischen Versorgungwerk ausgeschlossen werden sollten, war bedauerlicherweise unverständlich. Wir hätten so insgesamt große Schwierigkeiten gehabt, gute Leute aus der Anwaltschaft zu bekommen oder konzerninterne Wechsel zu promoten. Mit dem Gesetz trat Klarheit ein. Frage 6 Großunternehmen wie Pfizer schließen Anwaltskanzleien im Rahmen von Kooperationsmodellen (im speziellen Fall des Pfizer Legal Alliance Programms) zusammen, um dadurch Kosten zu sparen und effizienteres Arbeiten zu ermöglichen. Sind derartige Modelle auch für RWE denkbar? So etwas ist hierzulande noch nicht üblich. Für uns wäre das aus meiner Sicht derzeit kein Modell. Wir möchten Rechtsprobleme vorrangig selbst lösen, erst dann mandatieren wir gezielt extern. <?page no="305"?> Kommunikationspolitik 305 Frage 7 Vor allem in den Vereinigten Staaten vereinigen sich Kanzleien im Rahmen von „Virtual Law Firms“ und verkaufen ihre Dienste gemeinsam an Rechtsabteilungen. Sind solche Geschäftsmodelle aus Ihrer Sicht erfolgsträchtig? Das kann ich mir schon eher vorstellen. Allerdings bringen die meisten großen Kanzleien neben spezialisiertem Wissen auch jeweils eine spezielle Kultur mit. Das erschwert einen gemeinsamen Marktauftritt, wenngleich es aus Sicht von Unternehmen sicher attraktiv wäre, wenn die jeweiligen fachlichen Stärken gebündelt angeboten würden. Frage 8 Mittlerweile gibt es spezialisierte Agenturen, die sich auf die Vermittlung von Unternehmensanwälten auf Zeitarbeitsbasis konzentrieren. Gibt es bei Unternehmen einen allgemeinen Trend zum Outsourcing von Rechtsdienstleistungen? Den Trend gibt es, allerdings vor allem, um Phasen hoher Arbeitslast abzufedern oder wenn Spezialkenntnisse gefragt sind. Wir beschäftigen auch Interims- oder Projektjuristen, allerdings bislang vornehmlich im Rahmen der schon erwähnten Secondments. Mit einer Zeitarbeitsagentur haben wir da noch nicht zusammengearbeitet und verlassen uns da auch lieber auf Anwälte aus Kanzleien, deren Qualität wir einschätzen können. Frage 9 Im Ausland (beispielsweise in Großbritannien) besteht teilweise schon die Möglichkeit, dass Unternehmen im Rahmen von Alternative Business Structures eigene Rechtsanwaltskanzleien gründen können. Gibt es in diese Richtung auch bei RWE erste Ideen? Wir beobachten die Entwicklungen, allerdings sind unsere Unternehmen im Ausland so spezialisiert und heterogen, dass ich derzeit nicht sehe, welchen Vorteil uns eine konzerneigene Anwaltskanzlei bringen sollte. Frage 10 Abschließend eine persönliche Frage: Würden Sie heute noch einmal - unter den schwierigeren Rahmenbedingungen im Markt - Anwältin bzw. Unternehmensjuristin werden wollen? Auf jeden Fall. Im Unternehmen zu arbeiten heißt, nah an der Basis zu sein und das operative Geschäft mit gestalten zu können. Nach mehr als 24 Jahren in diesem Beruf kann ich mir nach wie vor nichts Spannenderes vorstellen. 5.5 Kommunikationspolitik Die Kommunikationspolitik nimmt im Marketing-Mix eine Sonderstellung ein. Ein gutes Angebot zu einem attraktiven Preis, das offensiv vertrieben wird, wär kaum erfolgreich am Markt, wenn niemand davon wüsste. Marketingkommunikation sorgt dafür, dass Dienstleistern die Aufmerksamkeit zuteil wird, die zur Kundengewinnung nötig ist. Streng definitorisch gehören dazu alle Aktivitäten der Übermittlung von Informationen und Bedeutungsinhalten zum Zweck der Beeinflussung der jeweiligen Zielgruppe (vgl. Haller 2012, S. 156). Auf der Grundlage dieser Begriffsklärung lassen sich bereits einige wichtige Schlussfolgerungen ziehen: <?page no="306"?> 306 Operatives Kanzleimarketing Informationen und Bedeutungsinhalte Selbst bei Produkten und Diensten, die vorwiegend aus Vernunftsgründen nachgefragt werden, stehen nicht allein Sachinformationen im Mittelpunkt der Kommunikation. Das liegt zum einen daran, dass Informationen nur dann gut verarbeitet werden, wenn sie in verständlicher und motivierender Form dargeboten werden und zum anderen, dass in den meisten Nachfragesituationen mehr Emotionen im Spiel sind als meist angenommen. So ist es auch bei Rechtsdiensten: Wer einen Anwalt sucht, möchte z. B. auf der Homepage der Kanzlei nicht nur dürre Informationen zu Rechtsgebieten, Gerichtsurteile und die Öffnungszeiten finden, sondern Fotos von Anwälten, empathisch klingende Texte und eine Optik, die Professionalität signalisiert. Mit der Kommunikation ist es ein wenig wie bei einem Restaurantbesuch: Nicht nur was serviert wird, sondern auch wie es präsentiert wird, ist entscheidend für das Qualitätsempfinden. Farben, Bilder, Töne, Schriftarten und alle anderen Formen von Bedeutungsinhalten haben zwar keinen direkten Informationswert, sind trotzdem aber bei der Kommunikation äußerst wichtig. Wer gelegentlich Webauftritte von Anwaltskanzleien besucht, die oft von langen Texten dominiert sind und kaum grafische Elemente beinhalten, weiß, dass diese Erkenntnis noch nicht überall angekommen ist. Beeinflussung Nicht jede Form von Kommunikation zielt unmittelbar darauf ab, Nachfrage auszulösen. Oft geht es ein einem ersten Schritt vielmehr darum, Einstellungen zu verändern oder generell zu informieren. Kommunikation und Akquisition unterscheiden sich dadurch, dass letztere weitaus stärker auf die Gewinnung von Mandanten ausgerichtet ist, während die Ziele der Marketingkommunikation stärker vorbereitender Natur sind. Natürlich gibt es aber Überschneidungen, insbesondere bei den anzuwendenden Methoden. Rundschreiben an Mandanten beispielsweise können sowohl eher allgemeinen Kommunikationszwecken dienen als auch ganz direkt der Gewinnung von Auftraggebern. Der Einsatzzweck entscheidet, wie die Maßnahme einzuordnen ist. Zielgruppe Marketingkommunikation richtet sich nicht an alles und jeden, sondern konzentriert sich auf einen eingeschränkten Adressatenkreis. Wirkungsvolle Kommunikation setzt voraus, dass man sich möglichst gut in die Zielgruppe hineindenkt und überlegt, was und wie diese Informationen aufnimmt. Kaum ein anderer Bereich im Marketing hat in den letzten Jahren eine so große Veränderung erfahren wie die Kommunikationspolitik. Ein Grund liegt in der wachsenden Medienvielfalt und -nutzung. Mittlerweile verbringt der deutsche Durchschnittsbürger täglich mehr als dreieinhalb Stunden vor dem Fernseher (vgl. Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung 2017) und fast zweieinhalb Stunden im Internet (vgl. ARD/ ZDF-Onlinestudie 2017), zunehmend werden mehrere Medien parallel genutzt. Die Summe der Kommunikationsbotschaften, die uns täglich erreichen, steigt unaufhörlich und damit auch die Konkurrenz zwischen Anbietern um die Aufmerksamkeit der Zielgruppe. Ein schwieriger Trend, denn vielfach steht den gestiegenen Anforderungen kein gleichermaßen höheres Marketingbudget zur Verfügung. Um in diesem schwierigen Umfeld überhaupt eine gewisse Chance auf Wahrnehmung zu haben, wird Marketingkommunikation heute größtenteils in integrierter Form betrieben. Integrierte Kommunikation bedeutet, dass alle Kommunikationsaktivitäten nicht isoliert geplant werden, sondern inhaltlich, zeitlich und hinsichtlich der Gestaltung aufeinander abgestimmt sind, damit ein stimmiges Ge- <?page no="307"?> Kommunikationspolitik 307 samtbild erzeugt wird (vgl. Aerni / Bruhn 2012, S. 28). Inhaltliche Integration bedeutet in diesem Zusammenhang, dass Kommunikationsbotschaften im Hinblick auf ihre Aussagen aufeinander abgestimmt werden. Im einfachsten Fall heißt dies beispielsweise, dass in unterschiedlichen Medien nicht mit voneinander abweichenden Alleinstellungsmerkmalen oder Kompetenzbereichen geworben wird. Der Gedanke, im Sinne einer möglichst großen Vielseitigkeit verschiedene Perspektiven nach außen zu tragen, ist in einem wettbewerbsintensiven Umfeld kein guter; vielmehr ist geboten, genau zu überlegen, wofür Kanzlei und Anwälte stehen und dies dann mit einer gewissen Beharrlichkeit zu kommunizieren. Natürlich ist es möglich, Themen für den Außenauftritt auch aktuellen Bedingungen anzupassen, aber in geplanter Form und nicht ad hoc. Für Rechtsanwälte ist es unabdingbar, in der Kommunikation auch die letzten gesetzlichen Veränderungen mit aufzunehmen und mit darauf abgestimmten Rechtsdienstleistungen zu reagieren. Formen Gegenstand Ziele Hilfsmittel Zeithorizont inhaltliche Integration Konzentration auf Schwerpunktthemen der Rechtsberatung in der Kommunikation Konsistenz, Eigenständigkeit, Kongruenz einheitliche Slogans, Botschaften, Argumente, Bilder langfristig formale Integration Nutzung wiederkehrender Gestaltungsprinzipien Präsenz, Prägnanz, Klarheit einheitliche Zeichen/ Logos, Slogans nach Schrifttyp, Größe und Farbe mittelbis langfristig zeitliche Integration zeitliche Abstimmung der Kommunikationsmaßnahmen innerhalb und zwischen Planungsperioden Konsistenz, Kontinuität Ereignisplanung („Timing“) kurzbis mittelfristig Tab. 19: Formen der integrierten Kommunikation (vgl. Aerni / Bruhn 2012, S. 31) Branchenübergreifend legen viele Anbieter langfristig fest, mit welchen Merkmalen sie am Markt assoziiert werden möchten und passen Sachthemen den jeweiligen Umfeldbedingungen an, indem zu Beginn einer Planungsperiode festgelegt wird, in welchen zeitlichen Wellen aktuelle Marktbedürfnisse aufgegriffen werden. Wenn also eine Gesetzesänderung im Bereich des Erbrechts anstehen würde, kann eine entsprechend ausgerichtete Kanzlei z. B. festlegen, dass im ersten Halbjahr eines Planungsjahres das Thema „Eigene Vorsorge planen“ (mit Dienstleistungen rund um Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung) im Vordergrund steht, während das zweite Planungshalbjahr unter der Überschrift „Steuern vermeiden“ mit veränderten Kommunikations- und Serviceangeboten läuft. Darüber hinaus bildet eine stark ausgeprägte Programmbreite ein dauerhaftes Alleinstellungsmerkmal der <?page no="308"?> 308 Operatives Kanzleimarketing Kanzlei, das periodenübergreifend ein wichtiges Kommunikationselement bildet. Die einzelnen Maßnahmen sind zeitlich aufeinander abgestimmt (zeitliche Integration), so dass ein Zuviel oder Zuwenig an Präsenz vermieden wird. Gestaltungselemente wie Farben, Logos, Stil von Bildern und sprachliche Charakteristika sollten immer wieder aufgenommen werden (formale Integration). Auf diese Weise wird der Wiedererkennungseffekt erhöht und ein unverwechselbares Profil entsteht. Praxisbeispiel Der Love Lawyer Manche Erfolgsgeschichten klingen märchenhaft: Es war einmal eine kleine 2- Mann-Kanzlei in Chicago, die Probleme hatte, sich gegen all die großen Konkurrenten zu behaupten. Da kam der Kanzleiinhaberin eine grandiose Idee und sie stellte eine aufsehenerregende Werbekampagne vor. Über Nacht erzielte die kleine Kanzlei eine Medienresonanz, die sonst nur Superstars zuteil wird und steigerte ihren Umsatz um ein Vielfaches - mit einem einzigen kreativen Einfall. Die Protagonistin der unglaublichen Geschichte ist Scheidungsanwältin Corri Fetman ( http: / / www.corrifetman.com) aus Chicago, die 2007 den rückläufigen Umsatz ihrer Mini-Kanzlei ( http: / / www.fgalawfirm.com) mit innovativer Außenwerbung belebt. Ergebnis der Überlegungen war eine Plakataktion in Chicagos Rotlichtviertel, bei dem ein mit Dessous bekleideter Frauenkörper sowie ein attraktiver Herr zu sehen waren und der einprägsame Slogan „Life´s short. Get a divorce.“ Was folgte, glich einem öffentlichen Aufschrei. CNN, NBC, FOX und andere Sender berichteten über die Kampagne, teils positiv, teils kritisch, und lieferten dadurch beste Öffentlichkeitsarbeit für Kanzlei und Anwältin. Ein weiterer Glücksfall für das Marketing: Verantwortliche der Stadtverwaltung Chicago rissen alsbald die Plakate ab, was für noch mehr mediale Aufmerksamkeit sorgte. Die Kanzlei buchte als Umgehungsstrategie Werbeflächen auf Trucks und Anhängern, die mit einer unwesentlich veränderten Bildvariante durch Chicago fuhren ( Abb. 73). Motive und Slogan entwickelten sich in der Folge zu den heißdiskutiersten Themen im amerikanischen Rechtsmarkt. Kritiker sahen in der Kampagne eine Trivialisierung des Themas Scheidung oder gar einen Anschlag auf traditionelle, familienbezogene Werte. Corri Fetman selbst entgegnete, dass sie mit den Plakaten Mut machen wollte, eine unglückliche Ehe auch zu beenden (vgl. Johnson 2007). Zudem sei es endlich an der Zeit, im Rechtsberatungsmarkt andere Werbemotive zu zeigen als nur männliche Anzugträger in Konferenzräumen. <?page no="309"?> Kommunikationspolitik 309 Abb. 73: „Love Lawyer“ Corri Fetman präsentiert ihre Werbekampagne (Foto: Getty Images) In den folgenden Monaten entwickelte sich ein beispielloser Medienrummel um Corri Fetman, der sich noch einmal drastisch steigerte, als sie in einem Interview verriet, dass sie selbst das weibliche Model auf ihren Plakaten gewesen sei. Im Februar 2008 erschien eine Fotostrecke mit Nacktaufnahmen von ihr im Magazin Playboy, zeitgleich startete sie dort eine freizügige Kolumne unter dem Namen „The Lawyer of Love“. Mitte 2008 endete diese Autorentätigkeit und Fetman verklagte den Playboy im Folgejahr, weil ein Angestellter sie angeblich sexuell belästigt hätte. Der Fall beschäftigte intensiv die amerikanische Presse. Wenig später versuchte Fetman, sich den Titel „Lawyer of Love“ als Marke schützen zu lassen und wurde daraufhin nun vom Playboy verklagt. Die Plakatkampagne lief parallel weiter, allerdings mit der veränderten Botschaft „Take Control. Get a Divorce“. Diesmal war die Anwältin als Model im Domina-Look abgebildet (vgl. Duhaime 2009). Und heute? Corri Fetman hat gut zu tun. Sie bloggt unter dem Namen „Love Laywer“, ist in den wichtigsten sozialen Netzwerken dauerpräsent, hat ein Fitness-Video gedreht, ist Fotomodell und nach wie vor Anwältin. Auf einer separaten Kampagnenseite vermarktete sie Werbeartikel ( http: / / www.lifeshortgetadivorce.com), z. B. T-Shirts mit dem „Life´s short“-Slogan, den sie sich markenrechtlich hat schützen lassen. Mittlerweile wurde die Kampagnenseite abgeschaltet. Man kann über den Marketingansatz der Anwältin denken was man will; über ethische Grenzen und guten Geschmack lässt sich streiten. Zweifellos hat Corri Fetman jedoch wie kaum eine andere verstanden, wie integrierte Kommunikation funktioniert: Eine aufmerksamkeitsstarke, manchmal durchaus kontroverse Botschaft wird entwickelt und dann wohlüberlegt immer wieder in verschiedenen Me- <?page no="310"?> 310 Operatives Kanzleimarketing dien platziert, um die Zielgruppe vollständig und nachhaltig zu erreichen. Das ist ihr gelungen, denn bis heute sind die Plakatwände in aller Munde. Auf der anderen Seite wird Corri Fetman aufgrund ihres freizügigen Auftretens in den Medien nicht von allen Fachkollegen gemocht und ernst genommen. Ihr ist das egal, denn „Barracuda Barbie“ (wie Mandanten sie wegen ihrer Arbeitsweise auch nennen) ist es gewohnt, unterschätzt zu werden. Laut Ankündigung auf der Webseite der Kanzlei ist derzeit eine neue Kampagne in Arbeit, die demnächst „sogar noch mehr Kontroversen auslösen wird“ ( http: / / www.cfalawfirm.com/ corri.html). Maßnahmen der Kommunikation sind sehr vielfältig. Klassische Werbung ist nur eine Option unter vielen, wenngleich vielleicht die unter Rechtsanwälten bekannteste. Eine Einordnung der in Frage kommenden Instrumente lässt sich zunächst danach vornehmen, ob Kommunikationsbotschaften persönlich bzw. direkt (d. h. durch einen menschlichen Kommunikator) oder unpersönlich bzw. indirekt (durch ein zwischengeschaltetes Medium) übermittelt werden (vgl. Tropp 2011, S. 46 f.). Fernseh-, Zeitschriften- oder Internetwerbung sind z. B. typische unpersönliche Kommunikationsinstrumente, während das Beratungsgespräch durch einen „echten“ Anwalt eine Aktivität persönlicher Kommunikation darstellt (zumindest soweit in diesem Gespräch auch marketingbezogene Elemente eine Rolle spielen und nicht nur eine fachliche Information). Sofern persönlich kommuniziert wird, lassen sich die Instrumente oft nur schwer als Maßnahme der Akquisition oder Kommunikation einordnen. Eine weitere Unterscheidung von Kommunikationsmaßnahmen geht auf die Trennung von einseitiger und mehrseitiger Kommunikation zurück (vgl. Tropp 2011, S. 47 f.). Klassische Werbung unter Einschaltung von Massenmedien (z. B. Werbeanzeigen in Zeitschriften) sind nicht auf Interaktion ausgerichtet. Es geht vielmehr darum, einem definierten Adressatenkreis etwas mitzuteilen. Anders sieht es aus, wenn Kommunikation auf eine Reaktion ausgerichtet ist wie beispielsweise bei Werbebriefen, wenn diese eine ausdrückliche Aufforderung zur Rückmeldung beinhalten. Weitere Differenzierungen von Kommunikation knüpfen an die Fristigkeit und Art der beabsichtigten Wirkung an. Abhängig davon, ob schnelle Umsatzwirkungen erwartet werden oder eher eine langfristige Einstellungsänderung bewirkt werden soll, bieten sich unterschiedliche Maßnahmen an. Öffentlichkeitsarbeit ist beispielsweise eher langfristig ausgerichtet - man muss schon viele Fachbeiträge veröffentlichen, Pressemitteilungen herausgeben oder Blog-Beiträge schreiben, bis sich das Bild von Anwalt oder Kanzlei in der Öffentlichkeit ändert. Typische Kommunikationsmaßnahmen mit kurzfristigem Effekt sind hingegen Aktionen der Verkaufsförderung (die allerdings bei Anwälten weniger verbreitet sind, auch aufgrund berufsrechtlicher Einschränkungen). Neben dem Zeithorizont des erwarteten Resultats lassen sich Kommunikationsinstrumente im Hinblick auf die Art der Wirkung unterscheiden. Vielfach wird Marketingkommunikation so verstanden, dass sie immer auf Umsatzsteigerung abzielt. Das ist nicht der Fall. Viele Kommunikationsmaßnamen (z. B. Präsenz in sozialen Netzwerken im Internet) zielen gar nicht primär auf Geldzufluss ab, sondern auf Information, Bewusstseinsbildung, Einstellungsänderung oder auch auf simples „Präsenz zeigen“. Je nachdem, was intendiert wird, in welcher Zeit, welcher Grad von Interaktion gewünscht ist und wie Bot- <?page no="311"?> Kommunikationspolitik 311 schaften überbracht werden, bieten sich verschiedene Kommunikationsmaßnahmen an ( Tab. 20). Differenzierungsformen der Kommunikation Ausprägungen und Beispiele nach der Art der Vermittlung der Botschaft persönlich (direkt) Beratungsgespräche unpersönlich (indirekt) Online-Kommunikation; klassische Werbung nach der Grad der Interaktion einseitig klassische Kommunikation mehrseitig Instrumente der Dialog-Kommunikation nach der Fristigkeit der beabsichtigten Wirkung kurzfristig Rundschreiben, Veranstaltungen langfristig Öffentlichkeitsarbeit nach der Art der beabsichtigten Wirkung monetär Suchmaschinenoptimierung nicht-monetär Soziale Medien Tab. 20: Systematisierung von Kommunikationsinstrumenten Angesichts der zunehmenden Werbefreiheit von Anwälten bieten sich immer mehr Möglichkeiten für die Gestaltung des eigenen Außenauftritts. Keinerlei Maßnahmen zu ergreifen, ist keine Lösung, denn schon Paul Watzlawik wusste: Man kann nicht nicht kommunizieren! Der Anwalt, der keine Zeit und Ressourcen in externe Kommunikation steckt, hinterlässt auch Eindruck - im Zweifelsfall eben einen falschen. Um im Dschungel der Marketingkommunikation den Überblick zu behalten, bietet sich die Erstellung eines Kommunikationsplans an, der einen mittelfristigen Überblick über alle Kommunikationsaktivitäten gibt. Der erste Schritt ist dabei, sich über die Kommunikationsziele und strategischen Vorgaben klar zu werden. Den Rahmen bilden dabei die übergeordneten Marketingziele ( Kap. 4.4.1) sowie die Festlegungen, die im Rahmen der Marketingstrategie ( Kap. 4.5) getroffen wurden. Es muss klar sein, was durch Kommunikation bewirkt werden soll, welche Zielgruppen angesprochen werden sollen, welche Wettbewerbsvorteile als grundlegend identifiziert wurden etc. Auf Basis dieser langfristigen Festlegungen werden dann operative Kommunikationsmaßnahmen für eine kürzere Zeitspanne (häufig für jeweils ein Jahr) festgelegt und im Rahmen eines Kommunikationsplans dokumentiert. Aus dem Plan geht hervor, wann welche Kommunikationsmaßnahme über welches Medien an welchen Adressatenkreis gerichtet wird und welche Botschaft dabei im Mittelpunkt steht. Ganz im Sinne der integrierten Kommunikation gelingt auf diese Weise die zeitliche, inhaltliche und formale Koordination der Einzelmaßnahmen, so dass ein stimmiges Gesamtbild erzeugt wird. Jeder Aktivität kann dann das notwendige Budget sowie andere benötigte Ressourcen und die jeweiligen Erfolgskriterien zugeordnet werden, so dass eine Maßnahmenkontrolle möglich wird. Eine Beispielvorlage für einen Kommunikationsplan findet sich in folgender Abbildung. <?page no="312"?> 312 Operatives Kanzleimarketing Thema Maßnahmen Beschreibung Adressatenkre Kosten (netto) in € Anteil am Gesamtbudget in Sonstiger Ressourcenbedarf Zeit Jan. 15 Do. Fr. Sa. So. Mo . Di. Mi. Do. Fr. Sa. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 … „Eigene Vorsorge planen“ klasssische Werbung Anzeige / Print Kleinanzeige örtliche Tageszeitung regionale Vorsorgeinteressierte 800 6 % Arbeitszeit: Ca. 2 h, Werbeagentur 1 h Plakat … PR Pressemitteilung Beirag (eigener Blog) kurzer Blogeintrag regelmäßige Blogleser 0 0% Arbeitszeit ca. 1 h Beitrag (fremder Blog) Blogeintrag in allen relevanten Branchenblogs internetaffine Vorsorgeinteressierte 0 0% Arbeitszeit: ca. 5 h Informationsbroschäre 10-seitige Themenbroschüre Interessenten (Bewerbung über Homepage, Blogs etc.) 1.200 9% … Verkaufsförderung Werbemittel 0 0% … Dialogmarketing Mandanten- Rundschreiben bestehende Mandanten mit potenziellem Bedarf 500 4% Themenspezifische Veranstaltung interessierte Mandanten mit potenziellem Bedarf 600 4 % … „Steuern vermeiden“ (2. Jahreshälfte) Klassische Werbung Anzeige / Print Plakate … PR Pressemitteilung Beitrag (eigner Blog) Beitrag (fremder Blog) Informationsbroschüre … Abb. 74: Beispiel eines Kommunikationsplans <?page no="313"?> Kommunikationspolitik 313 5.5.1 (Klassische) Werbung Werbung ist nach wie vor das von Rechtsanwälten am meisten genutzte Kommunikationsinstrument - oft bewusst, manchmal aus Unkenntnis möglicher Alternativen, nicht selten aber auch, weil fälschlicherweise oft jegliche Form der Außendarstellung als „Werbung“ deklariert wird, obgleich sie möglicherweise wenig damit zu tun hat. Im Fachjargon werden nur solche Kommunikationsmaßnahmen als Werbung bezeichnet, bei denen ein definiertes Auftraggeber-Auftragnehmerverhältnis besteht, d. h. für die bezahlt wird, die eher umsatzorientierte, langfristige Ziele verfolgen und die unpersönlichen Charakter haben. Die Veröffentlichung einer Pressemitteilung ist daher nicht als Werbung einzustufen, denn für dessen Veröffentlichung wird in der Regel nicht bezahlt. Der Anwalt, der im persönlichen Gespräch die Vorteile seiner Arbeit anpreist, macht keine Werbung, denn er kommuniziert persönlich. Auch die bereits schon erwähnten Kaffeetassen mit „Schockwerbung“ waren im strengen Sinne keine Werbeobjekte, sondern dienten der Verkaufsförderung, denn ihre Wirkung waren wohl eher kurzfristiger Natur und sie wurden zudem als Geschenke kostenlos verteilt. Häufig ist im Kontext der Kommunikationspolitik zudem von sogenannter „klassischer“ Werbung die Rede. Zumeist sind damit Werbemaßnahmen gemeint, die neben den oben schon aufgeführten Kriterien dadurch gekennzeichnet sind, dass Offline-Medien genutzt werden, die jeweilige Kommunikationsbotschaft durch einen Absender (Kanzlei oder Anwalt) an eine anonyme Masse von Adressaten gerichtet ist. Dieser Einteilung wird hier gefolgt. Online-Kommunikationsmaßnahmen werden daher in Kap. 5.5.4 näher betrachtet. Maßnahmen der Dialog-Kommunikation (z. B. Werbebriefe) sind ebenfalls keine klassische Werbung im strengen Sinne, denn sie sind nicht an eine ungenau spezifizierte Masse gerichtet, sondern an eine abgrenzbare Zielgruppe, die persönlich adressiert wird, die zu einer Reaktion bewegt werden soll. Dialogorientierte Kommunikationsmaßnahmen werden deshalb separat in Kap. 5.5.3 behandelt. Typische Werbemaßnahmen klassischer Art, die von Rechtsanwälten häufig genutzt werden, sind Anzeigen in Zeitungen (weniger häufig in Zeitschriften), Plakat- und Außenwerbung sowie Insertionen in Telefonverzeichnisdiensten. Auch im Rechtsberatungsmarkt gibt es einen Trend zur Verdrängung klassischer Werbemaßnahmen durch zunehmende Investitionen im Online-Umfeld. Der Wahrnehmung nach (denn Branchenstudien fehlen an dieser Stelle) vollzieht sich dieser Wechsel durchschnittlich langsamer als in anderen Branchen. Das mag einerseits an der oft Anwälten und Kanzleien zugeschriebenen Konservativität liegen, andererseits aber auch an der Tatsache, dass gerade kleinere Kanzleien mit einem stark regionalen Fokus arbeiten. Klassische Werbemaßnahmen bieten sich dafür an. Hinzu kommt der Umstand, dass bestimmte Zielgruppen (beispielsweise Senioren) über Online-Medien nur teilweise ansprechbar sind. <?page no="314"?> 314 Operatives Kanzleimarketing Werbung muss da stattfinden, wo die Zielgruppe sich aufhält. Für einen kleineren Erbrechtsspezialisten bieten sich daher andere Medien an als bei einer größeren Wirtschaftskanzlei. Ob nun eine Kommunikationsmaßnahme jeweils geeignet ist oder nicht, ist deshalb nicht generell zu entscheiden. Bei der jeweiligen Beurteilung sind diverse Kriterien heranzuziehen, vor allem: Reichweite Wie viele Adressaten werden mit der Maßnahme erreicht? Kosten Wie teuer ist die Maßnahme? Zielgruppenaffinität In welchem Maße kann die jeweilige Zielgruppe mit der Maßnahme erreicht werden? Streuverluste Wird die Zielgruppe mit der jeweiligen Maßnahme möglichst treffsicher erreicht? Aufmerksamkeitsstärke Wie stark wird die Kommunikationsmaßnahme wahrgenommen? Darstellungsmöglichkeiten Welche Möglichkeiten bestehen, die eigene Kanzlei und die angebotenen Dienstleistungen zu präsentieren? Auf Basis dieser Aspekte lässt sich festhalten, dass Anzeigen in Tages- und Wochenzeitungen häufig die Schwächen eines hohen Preises sowie hoher Streuverluste mitbringen. Gerade bei Tageszeitungen lässt sich kaum ausschließen, dass neben der anvisierten Zielgruppe auch andere das Medium konsumieren, so dass einer Anzeigenschaltung die Gefahr der Ineffizienz innewohnt. Zudem ist je nach Auflage auch für eine kleine Anzeige schnell ein vierstelliger Betrag fällig. Die allgemeine Reichweite ist hingegen bei Annoncen in auflagestarken Publikationen hoch - ein Pluspunkt. Anzeigen in Zeitungen sind deshalb durchaus geeignet, um z. B. eine Kanzleineueröffnung möglichst breitflächig bekannt zu machen, aber weniger, wenn es um die Bewerbung einer genau umrissenen, speziellen Dienstleistung geht. Eine Übersicht der wichtigsten Mediadaten (Reichweite, Preise) aller aktuell in Deutschland erscheinenden Zeitungen ist online abrufbar ( http: / / www.die-zeitungen.de). Von Anwälten weniger häufig genutzt werden Maßnahmen der Außenwerbung. Der große Vorteil von Outdoor-Medien liegen in einer potenziell größeren Aufmerksamkeitsstärke als z. B. die im Wettbewerb oft kaum wahrnehmbaren Zeitungsanzeigen. In Betracht kommen Plakate, aber auch Werbung an und in Bussen, an Anschlagtafeln, Kanzleifenstern oder auf elektronischen Media-Boards. Ähnlich wie bei Anzeigen in Printmedien besteht die Gefahr hoher Streuverluste, die Reichweite hängt stark von der Positionierung des Mediums ab. Mittlerweile stellen Agenturen, die Plakat- und Außenwerbung vermarkten, im Internet interaktive Planungswerkzeuge zur Verfügung, mit deren Hilfe Preis und Position des Mediums präzise festgelegt und nach dem Hochladen einer Grafikdatei sofort online beauftragt werden kann. Beispiele bilden die Werbeplattformen 123plakat.de ( http: / / www.123plakat.de) und Crossvertise ( http: / / www.crossvertise.com). Mit Hilfe einer derart zielgenauen Aussteuerung wäre es theoretisch möglich, Werbung in Sachen Erbrecht in unmittelbarer Nähe von Seniorenheimen anzubringen oder Plakate einer Arbeitsrechtskanzlei im Umfeld eines für Personalabbau bekannten Unternehmens. Sicher ist das gewöhnungsbedürftig, aber: was (noch) werbewirksam ist und was (schon) unangemessen, bleibt jedem Anwalt selbst überlassen. Generell gilt, dass Außenwerbung wie auch andere Kommunikationsmaßnahmen <?page no="315"?> Kommunikationspolitik 315 dem Sachlichkeitsgebot genügen muss, aber nicht prinzipiell verboten ist. Bereits im Jahr 2008 hatte die Anwaltskammer Düsseldorf selbst mit Plakaten einer Strafrechtskanzlei vor einer Justizvollzugsanstalt kein Problem (Aufdruck: „Wenn Sie Ihren Urlaub lieber woanders verbringen wollen, buchen Sie uns“) ( Abb. 75). Abb. 75: Außenwerbung der Anwaltskanzlei Rosenkranz Timm Mameghani (Foto: Markus van Offern) Eine von jeher stark frequentierte Werbeplattform stellen Anzeigen in gedruckten Telefonverzeichnissen dar. Zwar zeigen aktuelle Untersuchungen eine Rückläufigkeit der Präsenz in „Gelben Seiten“, dennoch gaben im Jahr 2012 immerhin noch 29,7 % aller Anwälte an, über kostenpflichtige Suchdienste zu werben (vgl. DAV / Prognos 2013, S. 148); im Jahr 2009 bekundeten gar 64 % von 700 befragten Rechtsanwälten an, die „Gelben Seiten“ zu nutzen (vgl. Kilian 2011, S. 93). Der Nutzen dieser Kommunikationsmaßnahmen ist unbestimmt. Ein kostenpflichtiger Eintrag in einem gedruckten Verzeichnis allein, dürfte meist wenig bringen. Mittlerweile werden Telefonnummern und Adressen zum größten Teil am Computer oder Smartphone gesucht, nur noch zu 37 % in Printerzeugnissen (vgl. Fründt 2012) - Tendenz sinkend. Demgegenüber steht die Aussage des Verbands Deutscher Auskunfts- und Verzeichnismedien, die darauf verweisen, dass 79,5 % der Deutschen gedruckte Verzeichnisdienste nutzen (vgl. Fründt 2012). Allerdings lässt diese Aussage offen, wie häufig und ob vielleicht nur eine ergänzende Nutzung unterstellt werden kann. Bei beispielhaften Kosten von rund 1.800 € für eine Standardanzeige (20 mm) in der Druckausgabe der „Gelben Seiten Hamburg“, ist genau zu überlegen, ob das Geld nicht in Online-Verzeichnisdiensten besser investiert ist. Bei Google AdWords kann dazu noch das investierte Budget genauestens kontrolliert werden und die Anzeige wird ohne Streuverluste nur der Zielgruppe angezeigt, die vorab genau bestimmt werden kann. Alternativ könnte mit 1.800 € ein kosten- <?page no="316"?> 316 Operatives Kanzleimarketing pflichtiges Profil bei anwalt.de fast vier Jahre lang finanziert werden ( http: / / www.anwalt.de). Ob sich dennoch ein Eintrag in einem gedruckten Telefonverzeichnis lohnt, hängt von der Zielgruppe ab. Je älter die Adressaten, desto eher wird noch nicht im Netz gesucht. Branchenverzeichnisse in Buchform sind zudem immer ein gutes Werbemedium, wenn es sich um Dienstleistungen handelt, die in akuten Notsituationen in Anspruch genommen werden. Strafrechtsanwälte mit einer Hotline bei Verhaftung oder Scheidungsanwälte mit einem Notdienst- Service mögen deshalb in einer gedruckten Ausgabe der „Gelben Seiten“ gut aufgehoben sein. Allemal empfiehlt sich genaues Abwägen und eine gewisse Distanz gegenüber den Vertriebsbemühungen der freien Mitarbeiter von Verzeichnisdiensten. Das Geschäft mit Telefonbüchern ist nach wie vor margenstark, so dass beispielsweise einige Verlage hartnäckig Handwerker, Rechtsanwälte, lokale Händler und andere regionale Anbieter von den Vorteilen der Telefonbuchwerbung zu überzeugen versuchen. Werbung in Printmedien und im Outdoor-Bereich ist speziell, denn ihr Erfolg ist in besonderem Maße auch von der Gestaltung abhängig. Generell empfiehlt es sich, die Werbegestaltung im Zweifel eher Profis (sprich: Agenturen) zu überlassen; für den Fall, dass dafür kein Budget zur Verfügung steht, sollte man sich wenigstens vorab über die wichtigsten Designgrundsätze informieren (z. B. bei Pepels 2012, S. 17 ff.). Format, Farbigkeit und Art des Werbemittels (z. B. Haptik) spielen bei Druckerzeugnissen eine große Rolle. Entsprechend des typischen Blickverlaufs sind Platzierungen in Zeitungen und Zeitschriften günstig, bei denen der obere und untere Rand einer Seite sowie die Ecken bevorzugt werden. Anzeigen, die sich neben einem redaktionellen Beitrag befinden, werden stärker wahrgenommen, ebenso Anzeigen im vorderen Teil einer Zeitung oder einer Zeitschrift. Bei der Verwendung von Farben ist zu berücksichtigen, dass verschiedene Farben mit unterschiedlichen Assoziationen verbunden sind. Bilder haben grundsätzlich den Vorteil einer schnellen Verarbeitung im Gehirn. Formulierungen sind knapp, aktiv und eher simpel zu wählen. Letzteres gilt umso mehr für Außenwerbung, bei der aufgrund der begrenzten Zeitspanne, die für die Informationsaufnahme zur Verfügung steht, Bilder eine große Rolle spielen. Kreative Gestaltung, die aus dem Rahmen fällt und dabei die Kanzlei sympathisch, aber dennoch seriös darstellt, erhöht die Erfolgschancen enorm. Qualitativ hochwertiges Fotomaterial ist eine gute Idee; ungewöhnlicher und deshalb von hohem Wiedererkennungswert sind grafische Darstellungen. Allerdings ist gerade bei Zeichnungen das Risiko hoch, dass die Darstellung schnell kindlich und unangemessen wirkt. Die Düsseldorfer Spezialkanzlei für Gesellschaftsrecht/ M&A und Kartellrecht Glade Michel Wirtz hat diese Gefahr hervorragend umschifft und präsentierte im Rahmen einer Anzeigenkampagne anstelle von Fotos humorvoll kommentierte Illustrationen ihrer Anwälte ( Abb. 76). <?page no="317"?> Kommunikationspolitik 317 Abb. 76: Anzeigenkampagne der Kanzlei Glade Michel Wirtz (2008) (Agentur: Marx Werbeagentur) Gerade weil klassische Werbung hohe Kosten verursachen kann, ist systematische Erfolgsmessung unerlässlich. Profis messen den Werbeerfolg von Anzeigen, Plakaten und anderen klassischen Werbemaßnahmen durch Tracking-Codes, QR-Codes (die zu weiterführenden Informationen im Netz verweisen) und spezielle Rufnummern, die unterschiedlichen Werbemedien exklusiv zugeordnet werden. Die Vergabe von <?page no="318"?> 318 Operatives Kanzleimarketing Tracking-Codes ist simpel: Jedes Medium erhält einen exklusiven Code. Kommt es zu einer Kontaktaufnahme, wird der Interessent um Angabe des Codes gebeten. Problematisch dabei ist, dass in vielen Fällen dieser nicht mehr zur Hand ist, wenn er benötigt wird. Die Verwendung von QR-Codes oder Sonderrufnummern mittels Telefontracking liefert meist bessere Ergebnisse. QR-Codes verlinken klassische Werbung mit dem Internet: Bei Abfotografieren des Codes mit dem Handy öffnet sich auf dem Smartphone eine Webseite mit zusätzlichen Informationen. Durch Einsatz von speziellen Analyseprogrammen oder einer Mehrzahl von Internetseiten, die jeweils einer anderen Werbekampagne zugeordnet sind, lässt sich der Werbeerfolg einer einzelnen Anzeige oder eines Plakates recht gut ermitteln. Einschränkend ist dabei jedoch, dass der QR-Code von vielen Adressaten nicht so häufig genutzt wird, wie durch Marketingexperten anfänglich prognostiziert. Mittlerweile ist jedoch auch für kleinere und mittlere Anwälte das Telefontracking eine geeignete Alternative. Dabei werden unterschiedliche Telefonnummern gemietet und je nach Werbeinstrument differenziert kommuniziert (eine Werbeanzeige weist dann beispielsweise eine andere Nummer zur Kontaktaufnahme auf als eine andere Anzeige oder ein Plakat). Im Endeffekt lässt sich die Anzahl und Qualität der durch eine Werbemaßnahme gewonnenen Kontakte auf diese Weise recht genau ermitteln. 5.5.2 Public Relations Im Gegensatz zur klassischen Werbung ist Public Relations (synonym: Öffentlichkeitsarbeit oder auch kurz PR) weniger auf eine unmittelbare Umsatzsteigerung gerichtet. Natürlich geht es letzten Endes immer irgendwie um das Geschäftliche, allerdings richtet sich PR per Definition auf die planmäßige zu gestaltende Beziehung zwischen Kanzlei bzw. Anwalt und der Öffentlichkeit mit dem Ziel, um Vertrauen und Verständnis zu werben (vgl. ähnlich Meffert / Kirchgeorg 2015, S. 668). Teile der relevanten Öffentlichkeit sind dabei alle Gruppen, die mehr oder weniger großen Einfluss auf die Anwaltstätigkeit nehmen (z. B. politische Entscheidungsträger, gesetzgebende Instanzen, gesellschaftliche Interessengruppen, Bürger aus der Region etc.). Im Vergleich zur Werbung geht es um die generelle Außendarstellung und die systematische Gestaltung des eigenen Images. Die dadurch adressierte Öffentlichkeit ist potenziell grenzenlos und exakt in dieser Tatsache liegt auch die größte Gefahr des Public Relations. Nur zu leicht kann man sich in der Fülle möglicher Maßnahmen verzetteln. Klare Ziele und Prioritäten sind deshalb unerlässlich. Gerade für kleinere und mittlere Dienstleister hat PR jedoch einen unschätzbaren Kostenvorteil: Es ist oft vergleichsweise erschwinglich, denn anders als bei Werbung wird für diese Form der externen Kommunikation nicht bezahlt. Gleichwohl fällt natürlich interner Aufwand an, der mit einzurechnen ist. Positiv hinzu kommt aber, dass Öffentlichkeitsarbeit meist als wesentlich glaubwürdiger eingestuft wird als Werbung, die ja ganz offen auf den Geldbeutel des Adressaten abzielt. „PR ist die bessere Werbung“ (Ries / Ries 2005) hieß deshalb ein bekannter Bestseller - ob das wahr ist, kann bezweifelt werden, aber immerhin ist PR sicher oft eine gute Alternative. Öffentlichkeitsarbeit spielt im Marketing-Mix von Anwälten eine herausragende Rolle. Zum einen liegt das daran, dass Rechtsdienstleistungen vertrauensabhängig sind und PR mehr als Werbung geeignet ist, aufgrund der bereits erwähnten höheren Glaubwürdigkeit Vertrauen herzustellen. Zum anderen führte die strikte Regulierung von Anwaltswerbung dazu, dass Kanzleien andere Wege beschreiten muss- <?page no="319"?> Kommunikationspolitik 319 ten, um Aufmerksamkeit zu erzielen. Public Relations korrespondiert mit dem Sachlichkeitsgebot eher als andere Formen der Marketingkommunikation und hat deshalb unter Anwälten eine gewisse Tradition. Häufig allerdings werden die Möglichkeiten der Öffentlichkeitsarbeit nicht ansatzweise genutzt, denn nur zu oft wird dieser Maßnahmenbereich verkürzt mit „Pressearbeit“ gleichgesetzt. Zweifellos sind gute Beziehungen zur Presse wichtig, aber keineswegs erschöpfend. Eine moderne Auffassung von Public Relations ist wesentlich breiter und umfasst neben Pressemitteilungen auch Kanzleibroschüren, Periodika (Kanzleimagazine), Fachpublikationen, Veranstaltungen, Sponsoring, Pro-bono-Aktivitäten, Visuelle Identität (in Form von Logos, verwendeten Farben etc.) und Online-PR ( Abb. 77). Auf die bei Anwälten besonders verbreiteten Instrumente (Print-PR, Veranstaltungen, Handbücher und Rankings) wird in den nachfolgenden Kapiteln noch genauer eingegangen. Abb. 77: Instrumente der Öffentlichkeitsarbeit für Kanzleien Eine besondere Form von Öffentlichkeitsarbeit ist das sogenannte Litigation-PR, also die gezielte Begleitung von juristischen Auseinandersetzungen durch Pressearbeit. Die Grundidee ist dabei, dass bei Gerichtsprozessen durch Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit auch gezielt Einfluss genommen werden kann, so dass in solchen Situationen eine besondere Form der Kommunikation zum Einsatz kommen sollte. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass z. B. bei Strafverfahren die Position des Angeklagten der Öffentlichkeit verständlich gemacht wird, so dass damit ein möglicherweise einseitiges Bild korrigiert wird. Mehr noch: In einer Befragung gab jeder dritte Richter und jeder zweite Staatsanwalt an, Berichte über die sie betreffenden Gerichtsverfahren gezielt zu verfolgen (vgl. Amann 2010). Die Schlussfolgerung liegt nahe, dass Public Relations auch Gerichtsurteile und Einigungsprozesse beeinflusst, denn niemand entscheidet gern gegen die öffentliche Print-PR Veranstaltungen Sponsoring und Pro-Bono- Engagement Handbücher und Rankings Online-PR Litigation-PR visuelle Identität Instrumente der Öffentlichkeitsarbeit für Kanzleien <?page no="320"?> 320 Operatives Kanzleimarketing Meinung. Schon heute sind fast alle großen PR-Agenturen auch bei der Prozessbegleitung aktiv, interessanterweise treffen sie immer häufiger auf Konkurrenz von Anwälten, die auch Angebote in diesem Geschäftsfeld machen (vgl Gostomzyk 2009). Es steht zu erwarten dass sich im Markt für Litigation-PR sowohl die Nachfrage nach als auch das Angebot in den kommenden Jahren weiter nach oben entwickeln werden. 5.5.2.1 Print-PR Print-PR umfasst alle Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit, bei denen auf gedruckte Medien zurückgegriffen wird. Dazu zählen Pressemitteilungen, die zwar immer noch vorrangig papierbasiert, aber mittlerweile auch verstärkt online verbreitet werden. Traditionell sind Anwaltskanzleien, vor allem die bekannten Wirtschaftskanzleien, sehr aktiv bei der Pflege ihrer Pressekontakte ( Abb. 78). Abb. 78: Top-10-Wirtschaftskanzleien nach Nennungen in der Presse im Jahr 2013 (vgl. Tödtmann 2014) Ein gewisses „Grundrauschen“ an Aufmerksamkeit in der regionalen und überregionalen Presse zu erzielen, ist gerade für größere Kanzleien wichtig, um bei steigender 110 79 75 75 65 63 55 53 50 49 0 20 40 60 80 100 120 Freshfields Bruckhaus Deringer CMS Hasche Sigle Gleiss Lutz Hengeler Mueller Flick Gocke Schaumburg Clifford Chance Linklaters Baker & McKenzie Rödl & Partner Hogan Lovells Nennungen in der Presse <?page no="321"?> Kommunikationspolitik 321 Konkurrenz überhaupt wahrgenommen zu werden. Das ist keineswegs einfach, denn die Anforderungen der Presse an Nachrichten, die für einen Abdruck in Frage kommen, steigen kontinuierlich. Laut einer Studie der TU Dortmund erhalten Journalisten durchschnittlich 70 Pressemitteilungen am Tag und nur ein Fünftel davon berücksichtigen sie in der redaktionellen Arbeit (vgl. Paefgen-Laß 2013). Es kommt also darauf an, interessante Inhalte anzubieten, damit sie auch abgedruckt werden. Was interessant ist und was nicht, bestimmt der Redakteur bzw. die Leserschaft des jeweiligen Mediums. Das bedeutet, dass Pressemitteilungen verständlich abzufassen sind und eindeutige Botschaften transportieren sollten. Unter einer Titelzeile, die Neugier weckt, sollte der Leser auf Informationen treffen, die von Relevanz sind, vielleicht auch kurios, spektakulär oder auf andere Weise außergewöhnlich. Negativ wirkt Werbung in eigener Sache. Einstiegssätze wie „XYZ, eine der führenden deutschen Kanzleien im Medienrecht, ist weiter konstant auf Expansionskurs. Im März wurde eine Dependance in Stuttgart eröffnet“ beinhalten nicht nur latentes Eigenlob, sondern auch Informationen, die für die wenigsten Leser wirklich spannend sind. Im Idealfall sind Pressemitteilungen so verfasst, dass sie direkt als Artikel verwendet werden können und deshalb von den unter Zeitdruck stehenden Journalisten gern genutzt werden. Bildmaterial, Infografiken und anderen multimediale Inhalte werden von Redaktionen sehr geschätzt und erhöhen die Wahrscheinlichkeit des Abdrucks. Gleiches gilt für Zitate von Experten oder Entscheidungsträgern. Zur Übermittlung der Pressemitteilungen ist die elektronische Zusendung via E-Mail üblich; aus der Betreffzeile der E-Mail sollte zu entnehmen sein, dass es sich um eine Pressemitteilung handelt und worum es darin geht (Beispiel: „Pressemitteilung: Meier & Partner wieder auf Platz 5 der deutschen Kanzleien im Arbeitsrecht“). Ansprechpartner in Verlagen schätzen die Zusendung als offene Worddatei, damit die Meldung direkt bearbeitet werden kann (vgl. Legler / Kleiner 2015a). Zusammenfassung Handlungsempfehlungen für Pressemitteilungen (vgl. Legler / Kleiner 2015a; Deg 2012, S. 58 ff.; Bischl 2011, S. 95 ff.) „In Schlagzeilen denken“ und Themen mit Nachrichtenwert identifizieren Aufmerksamkeitsstarke Überschrift formulieren Eigenwerbung im Text vermeiden Füllwörter, Abkürzungen und Anglizismen vermeiden Zitate einbauen Grafiken oder Fotos hinzufügen (Bildrechte erwähnen) Ansprechpartner im Text nennen Vorlage mit Kanzleilogo und einfacher Schrifttype verwenden Per E-Mail als offenes Word-Dokument versenden Auf die eigene Homepage stellen und in sozialen Netzwerken verlinken <?page no="322"?> 322 Operatives Kanzleimarketing Eine wichtige Entscheidung im Zusammenhang mit der Pressearbeit betrifft die Frage, wem sie übertragen wird oder konkret: Werden Kernaufgaben des Public Relations innerhalb der Kanzlei abgewickelt oder soll auf eine externe Dienstleister zurückgegriffen werden? Für die Einschaltung einer spezialisierten PR-Agentur spricht viel: Zeitersparnis, bessere Pressekontakte und vor allem eine professionellere Durchführung aller Arbeiten ist so gut wie sicher, zumindest wenn alternativ der Kanzleiinhaber selbst die Texte schreiben würde. Bei größeren Kanzleien ist ein deutlicher Trend zur Professionalisierung von Marketing und PR durch Einstellung ausgebildeter Fachkräfte deutlich; bei kleineren Kanzleien und Gründern fehlt jedoch oft sowohl für eigenes Personal als auch für Agenturleistungen das nötige Geld. Doch auch im Markt für Öffentlichkeitsarbeit macht sich der Wettbewerbsdruck bemerkbar, so dass viele PR-Dienstleister mit günstigen Pauschalhonoraren am Markt auftreten. Teilweise bieten sich sogar Agenturen an, die rein auf Erfolgsbasis (Honorar nur bei Publikation) tätig werden ( Tab. 21). Ob das im Einzelfall ein günstiges Modell darstellt, bleibt abzuwägen, zumindest aber können Budgetrisiken vermieden werden. Dienstleister Beschreibung Website List Medien 100 % Erfolgsbasis möglich Angebot kostenlos http: / / www.listmedien.de adpublica nähere Informationen auf Anfrage http: / / www.adpublica.com Neck + Heyn 100 % Erfolgsbasis möglich Angebot kostenlos http: / / neck-heyn.com Fischer PR 100 % Erfolgsbasis möglich Angebot kostenlos http: / / www.pr-kampagnen.de Lermann 100 % Erfolgsbasis möglich Angebot kostenlos http: / / lermann-pr.com Tab. 21: Ausgewählte PR-Agenturen mit erfolgsabhängiger Honorierung (Stand: Juni 2017) Eine zeitgemäße Interpretation der PR-Aufgaben schließt neben Pressearbeit auch andere Instrumente mit ein. So spielen im Bereich Print-PR nicht nur Pressemitteilungen in Zeitschriften/ Zeitungen, sondern auch Fachbeiträge und sogenannte Whitepaper eine wichtige Rolle. Whitepaper geben in kompromierter Form einen Überblick über eine Dienstleistung mit Vor- und Nachteilen, Kosten und Einsparpotenzialen. Sie lassen sich hervorragend mit anderen Kommunikationsmaßnahmen kombinieren. Beispielsweise kann ein Whitepaper gratis angeboten werden, wenn sich Interessenten auf der Kanzleiwebseite registrieren oder sich für einen Newsletter anmelden. Neben Pressemitteilungen und Fachbeiträgen aller Art sind Kanzleibroschüren als Mittel der Print-PR sehr verbreitet. Auf den ersten Blick erscheint eine Broschüre möglicherweise nicht als sonderlich „trendiges“ Instrument der Außendarstellung, <?page no="323"?> Kommunikationspolitik 323 denn im Zeitalter der Digitalisierung übernimmt das Internet zunehmend Informationsfunktionen, die früher solchen gedruckten Medien zukamen. Wer heute Näheres über Anwalt oder Kanzlei erfahren will, fordert keine Broschüre an, sondern googelt, sollte man meinen. Aber genau dann, wenn das Ergebnis auf dem Bildschirm erscheint, werden auch die Stärken einer Broschüre deutlich, denn kein Monitor kann die Hochwertigkeit und Seriösität einer Broschüre vermitteln. Nach wie vor präferieren viele Adressaten die Möglichkeit, in einem physischen Medium zu blättern, dieses bei sich aufzuheben und bei Bedarf weitergeben zu können. Hinzu kommt der Faktor der Glaubwürdigkeit, denn in vielen Branchen gilt ein Unternehmen erst dann als ein richtiges Unternehmen, wenn es eine Imagebroschüre hat. Für Kanzleien gilt das gleiche. Zudem braucht man schlichtweg häufig ein Informationsmedium, das unproblematisch verschickt werden oder bei Pitches verteilt werden kann. Ergo: Eine Kanzleibroschüre zählt zur kommunikativen Basisausstattung; Ausgestaltung und Umsetzungsaufwand unterliegen keinen definierten Grenzen und die Konkurrenz ist stark. Zudem ist das Ergebnis immer auch ein Spiegelbild der eigenen Arbeit, das auf diese Weise eben Vielen zugänglich wird, so dass manche Kanzleien nahezu perfekte Eigendarstellungen erarbeiten. Im Jahr 2006 gelang es der Anwaltskanzlei Meyerhuber gar, für den Entwurf ihres „Kanzleibuchs“ den begehrten internationalen Designpreis red dot zu gewinnen ( http: / / www.meyerhuber.de/ kultur/ kanzleibuch/ ). Das Buch ist laut Pressebeschreibung ein „ironisch-philosophisches Bild-Essay über Recht und Gesetz und ein Querschnitt in Momentaufnahmen durch die Gesellschaft“ (o.V. 2006) - die Beschreibung lässt vermuten, wieviel Aufwand in die Erstellung geflossen ist. Eine Kanzleibroschüre ist zweifellos wichtig, hat aber dennoch einen gravierenden Nachteil: Sie wird einmal produziert und dann in unveränderter Form über Jahre verteilt. Zur Beziehungspflege sind Broschüren deshalb ungeeignet, ebenso für die Verbreitung von Neuigkeiten. Aufwändiger, aber in dieser Hinsicht geeigneter sind Periodika (Kanzleibzw. Mandantenmagazine, -zeitschriften, --rundbriefe). Ein in regelmäßigen Abstände erscheinendes Druckwerk eröffnet die Möglichkeit, Kanzlei, Anwälte und Arbeitsweise aus verschiedenen Perspektiven vorzustellen und kann auf diese Weise eine einzigartige Mandantenbindung erzeugen. Voraussetzung, dass das so funktioniert ist allerdings, dass die einzelnen Ausgaben nicht jeweils ein Sammelsurium interessanter Meldungen sind, sondern einer definierten Struktur folgen. Aufmerksamkeitsstarke Kanzleimagazine haben einen roten Faden, indem sich Rubriken immer wieder finden (beispielsweise „Neue Kanzleimitarbeiter“, „Internationale Neuigkeiten“), bestimmte Arten von Beiträgen immer an der gleichen Stelle stehen (z. B. der Leitartikel immer im vorderen Drittel des Heftes) und jede Ausgabe unter einem anderen Leitmotto steht. Auch wichtig: Die Auswahl der richtigen Inhalte. Nichts interessiert in einem Periodikum für die allgemeine Öffentlichkeit weniger als in „Juristendeutsch“ abgefasste Fachartikel. Viel interessanter sind Hintergrundinformationen, die nicht jeder hat, z. B. Werdegang, private Interessen, Statements und Meinungen von Anwälten. Ein in dieser Hinsicht gutes Beispiel ist das Periodikum „10.X“ der Steuerrechtskanzlei Streck Mack Schwedhelm, das in jeder Ausgabe einen anderen Kanzleistandort zum Leitthema wählt und jeweils einen längeren Beitrag über einen am jeweiligen Standort tätigen Anwalt bringt. Wiederkehrende Rubriken und hochwertige Fotos erhöhen Lesbarkeit und Unterhaltungswert. <?page no="324"?> 324 Operatives Kanzleimarketing Abb. 79: Periodikum „10.X“ der Kanzlei Streck Mack Schwedhelm (Agentur: Marx Werbeagentur) 5.5.2.2 Veranstaltungen Eine wichtige Form der Öffentlichkeitsarbeit von Anwälten sind Veranstaltungen, also „[...] organisierte, zweckbestimmte und zeitlich begrenzte Ereignisse, an denen eine Gruppe von Menschen vor Ort oder über Medien teilnimmt“ (Rück 2015). Prinzipiell sind verschiedene Gestaltungsformate denkbar: <?page no="325"?> Kommunikationspolitik 325 Fachveranstaltungen Fachveranstaltungen richten sich an ausgewählte Zielgruppen, z. B. langjährige Mandanten mit hohem Interesse an Rechtsthemen. Im Mittelpunkt steht die Informationsvermittlung. Weitere, marketingspezifische Ziele (z. B. Mandantenbindung, Beziehungspflege, Erfahrungsaustausch) kommen begleitend hinzu. Bei einer Fachveranstaltung versammeln sich Personen, die in einem speziellen Themengebiet arbeiten oder sich zumindest dafür interessieren. Je nach Veranstaltungsgröße und -art spricht man von einem Symposium, einem Seminar, einem Workshop, einem Kongress oder einer Konferenz. Nach wie vor sind die meisten Veranstaltungen dieser Art nach dem Prinzip der „Frontalbeschallung“ organisiert, d. h. Reden, Vorträge, Präsentationen oder auch Podiumsdiskussionen werden „vorgeführt“, das Publikum ist in einer relativ passiven Rolle. Der Blick in andere Branchen bringt neue Ideen. Bei Existenzgründern sind beispielsweise sogenannte Unkonferenzen (Barcamps) verbreitet, die durch die Teilnehmer zu Beginn der Veranstaltung selbst gestaltet und im Verlauf mit entwickelt werden. In Deutschland werden in den kommenden Monaten 46 solcher Unkonferenzen stattfinden ( http: / / www.barcamp-liste.de). Alternativen finden sich auch zur üblichen Vortragsweise mit Beamer- und PowerPoint-Unterstützung. Nichtlineare Präsentationstechniken, die z. B. durch Präsentationssoftware wie „Prezi“ realisierbar sind, oder auch Business Cartoons, die während der Veranstaltung am Flipchart entstehen, sind Gestaltungselemente, die auch im Rechtsberatungsmarkt gut einsetzbar sind. Events Events sind Veranstaltungen, die weniger fachbezogen sind und Unterhaltungscharakter haben. Sie dienen weniger der Vermittlung von Informationen; vielmehr geht es eher darum, durch Emotionen (Spannung, Spaß, Gemeinsamkeit) ein positives Image zu erzeugen. Im Gegensatz zu anderen Branchen sind Events im Rechtsberatungsmarkt weniger häufig. Zu Unrecht wird die Brücke zur Öffentlichkeit meist rein über die Sachebene geschlagen, wobei das Fachinteresse der Adressaten häufig überschätzt und das Interesse an nichtfachlichem Austausch unterschätzt wird. Ein gängiges Missverständnis ist auch, dass Events aufgrund ihres Freizeitcharakters weniger gut mit dem Image einer seriösen Anwaltskanzlei korrespondieren würden. In Wirklichkeit ist kaum eine Branche innovativer als die Eventbranche wenn es um die Erfindung neuer Formate für fast jede Gelegenheit geht. Eine interessante Veranstaltungsform mit hohem Aufmerksamkeitswert ist beispielsweise das seit einigen Jahren angebotene Bürogolf (http: www.buerogolf-deutschland.de). Ein Bürogolfplatz besteht aus meist 9 Löchern, für die ca. 300 qm Bürofläche zur Verfügung stehen müssen. Die Spieler absolvieren den Parcours in Gruppen nacheinander, so dass genug Gelegenheit zur Kommunikation mit Geschäftspartnern, Mitarbeitern oder Mandanten besteht. Die Eventidee ist so beliebt, dass mittlerweile sogar einmal im Jahr die Deutschen Bürogolfmeisterschaften ausgetragen werden. Andere, innovative Veranstaltungsbeispiele sind Unternehmens- oder Event-Theater (vgl. beispielsweise http: / / www.impro-for-business.de), Lach- und Singexpeditionen ( http: / / www.lachexpedition.de), Schneeballschlachten im Sommer ( http: / / www.snowbusiness.de) oder ein Poker-Workshop ( http: / / www.retterevents.at) - (fast) alles ist möglich. Messen und Ausstellungen Messen und Ausstellungen haben hohe Relevanz in Branchen, in denen Sachgüter produziert werden. Im Dienstleistungsgeschäft <?page no="326"?> 326 Operatives Kanzleimarketing und speziell bei Anwälten kommen sie eher weniger vor und finden daher hier nur ergänzend Erwähnung. Allen Veranstaltungsformen ist gemeinsam, dass sie einer gewissen Dramaturgie folgen und exakter Planung bedürfen. Die Frage, wann wer mit welchem Programmpunkt auftritt, wann gegessen wird und wie Begrüßung sowie Verabschiedung von statten gehen, sind essenziell für den Erfolg des Vorhabens. Doch nicht nur der Ablauf als solcher ist zu planen, sondern auch die zur Verfügung stehenden Mittel, die verfolgten Ziele und die Form der Nachbereitung. Die Planung jeder Veranstaltung sollte einem definierten Ablauf folgen ( Abb. 80), der mit der Zielfestlegung beginnt: Was soll erreicht werden? Geht es um eher allgemeine Ziele wie Imageverbesserung oder sollen ganz konkret neue Mandate angebahnt bzw. bestehende Mandanten stärker gebunden werden? Eng damit zusammenhängt die Definition der Zielgruppen der Veranstaltung Im engeren Sinne geht es dabei um den Teilnehmerkreis (Primärgruppe), aber auch an die Medienvertreter ist zu denken (Sekundärgruppe). Nachdem Ziele und Adressaten definiert sind, kann eine Veranstaltungsidee entwickelt werden. Jede erfolgreiche Veranstaltung hat einen thematischen Aufhänger, z. B. einen fachlichen („Erbschaftssteuerreform - quo vadis? “) oder einen außerfachlichen („25 Jahre Kanzlei Müller & Partner“). Dieser ist klar zu definieren und in der Kommunikation herauszustellen, denn jeder will natürlich wissen gern, warum er die Veranstaltung besuchen sollte. Teil der Veranstaltungsidee ist zudem das Veranstaltungsformat, das neben dem thematischen Aufhänger den wichtigsten Differenzierungsvorteil verspricht. Bestimmte Berufs- und Einkommensgruppen werden mit hoher Regelmäßigkeit zu Veranstaltungen aller Art eingeladen, so dass Thema und Ablauf vielversprechend wirken sollten, damit möglichst viel Resonanz erzeugt wird. Besondere Redner, Charakterköpfe und sonstige „Stars“ erhöhen die Anziehungskraft ebenfalls immens (vgl. Legler / Kleiner 2015b). Je nachdem, was genau geplant ist, ist mehr oder weniger externe Unterstützung erforderlich. Aufwändige Veranstaltungsideen bedingen häufig die Zusammenarbeit mit einer Event-Agentur bzw. einem professionellen Veranstaltungsplaner, da intern die nötige Erfahrung und Zeit fehlt. Spätestens nachdem eine Veranstaltungsidee zumindest grob festgelegt ist, sollte die Frage nach dem Budget kommen. Aus von den zuvor getroffenen Entscheidungen resultiert der Bedarf an Finanz- und Personalmitteln, wobei eine Obergrenze, die sich aus den Rahmenbedingungen ergibt, nicht überschritten werden kann. Wenn absehbar ist, dass die Veranstaltung zu teuer wird, kann durch Medienkooperationenen und Sponsoringpartner eine Kostenreduktion bewirkt werden. Gerade bei größeren Veranstaltungen gibt es von Verlagen, Branchendienstleistern und regional ansässigen Unternehmen oft Interesse, mit Werbung aller Art präsent zu sein. In einer Sponsoringvereinbarung wird genau niedergelegt, welcher Art Leistung und Gegenleistung des Sponsors auf der einen Seite und des Veranstalters auf der anderen Seite sind. Der Sponsor unterstützt die Veranstaltung in der Regel mit Geld, oft aber auch durch unentgeltliche Zurverfügungstellung von z. B. Räumlichkeiten oder Catering. Übliche Gegenleistungen im Kontext von Veranstaltungen sind: <?page no="327"?> Kommunikationspolitik 327 Ausstellung oder Stand in den Veranstaltungsräumlichkeiten Kurze Bühnenpräsentation des Unternehmens Einreichung von Konferenzbeiträgen Freikarten Möglichkeit, in einem bestimmten Rahmen eigene Kunden oder Geschäftspartner einzuladen Abdruck des Logos und ggf. Unternehmensprofils auf der Einladung Einbindung des Logos und ggf. Unternehmensprofils auf der Kanzleiwebseite Zurverfügungstellung der Teilnehmerliste nach der Veranstaltung Gelegenheit, Fachreferenten zu stellen Ein nächster wichtiger Punkt der Veranstaltungsplanung betrifft die Durchführung im Detail. Natürlich ist es immens wichtig, die Örtlichkeiten genau zu kennen, um den Ablauf genau festzulegen. Das ist unmittelbar gegeben, wenn Teile der Veranstaltung in der Kanzlei stattfinden, zumal auf diese Weise die Identifikation der Gäste mit dem Standort gestärkt wird (vgl. Legler / Kleiner 2015b). Entscheidend für den Marketingerfolg ist die Frage, wie die Kanzlei (der Veranstalter) in Beziehung zum Thema gesetzt wird. Sehr häufig trifft man in der Praxis auf Events, die zwar für alle Beteiligten „nett“ sind, aber keine nachhaltige Wirkung haben, weil der Absender medial oder auch physisch kaum präsent ist. Ein anderer Kardinalfehler wäre natürlich, durch Dauerpräsenz den Eindruck von Aufdringlichkeit zu vermitteln. Die Kunst ist also, den Veranstalter da einzubinden, wo es inhaltlich als sinnvoll und passend erachtet wird und an anderen Stellen auf Präsenz zu verzichten. Bei allen Gesichtspunkten, welche die Umsetzung betreffen, ist auf rechtliche Kompatibilität besonders zu achten. Teil der Durchführungsplanung ist deshalb auch die Prüfung rechtlicher Risiken und die Herstellung eines angemessenen Versicherungsschutzes. Nach so viel Vorbereitungsaufwand kommt der erste große Meilenstein: Die Einladungen für die Veranstaltung können versendet werden. Nicht immer passiert das heutzutage per Post; abhängig von der Art des Projektes und der Zielgruppe können Einladungen über E-Mail oder Social-Media-Plattformen sogar geeigneter sein oder zumindest ergänzend zum Einsatz kommen. Medienvertreter beispielsweise werden prinzipiell eher elektronisch eingeladen, Mandanten möglicherweise in gedruckter Form. Wichtig ist, alle einzuladenden Gruppen in Betracht zu ziehen und niemanden zu vergessen. Auch Mitarbeiter der Kanzlei sind wichtige Adressaten, denn das richtige Mischungsverhältnis von Externen und Internen sorgt für die entsprechende Wirkung. Im Zuge der Einladung ist zu entscheiden, welche Veranstaltungsinhalte im Vordergrund stehen sollen. Dabei ist die Sichtweise der Eingeladenen entscheidend, d. h. einzigartige, spektakuläre, herausragende oder zumindest interessante Aspekte sind die Aufhänger, die auf der Einladung prominent herausgestellt werden sollten. Ist der Rücklauf trotzdem schwach, empfiehlt es sich, etwa 14 Tage vor dem Veranstaltungsdatum eine freundliche Erinnerungsmail zu verschicken (vgl. Legler / Kleiner 2015b). Last but not least ein Aspekt, der gern vergessen wird: Die Planung der Pressearbeit. Die Hälfte des Effekts einer guten Veranstaltung ist Medienresonanz. Inso- <?page no="328"?> 328 Operatives Kanzleimarketing fern ist vorab zu klären, was genau in den Medien berichtet werden soll und - daraus abgeleitet - welche Pressevertreter einzuladen sind. Wie im Nachgang über die Veranstaltung berichtet wird, sollte nicht dem Zufall überlassen bleiben, sondern vorausschauend geplant sein. Abb. 80: Schritte der Planung einer Veranstaltung Man sieht: Gute Veranstaltungen organisieren sich nicht nebenbei, sondern erfordern systematisches Vorgehen. Frühzeitiges Planen ist wichtig, denn meist brauchen die einzelnen Schritte am Ende länger als veranschlagt. Es empfiehlt sich, lieber seltener, aber dafür zu besser geplanten Veranstaltungen einzuladen. Doch neben der Planung ist gerade bei Events ein wenig Mut erforderlich, neue Wege auszuprobieren. Standard-Veranstaltungselemente wirken langweilig und haben negative Ausstrahlungseffekte auf das Kanzleiimage. Besondere Vorsicht geboten Was soll der thematische Aufhänger sein? Wie könnte ein innovatives Veranstaltungsformat aussehen? In welchem Bereich ist externe Unterstützung erforderlich? Was soll wann und wie in die Medien? Welche Medienvertreter werden wann und mit welchem Angebot kontaktiert? Image schaffen und verstärken? Marketing-Dialog in Gang bringen? Absatz bestimmter Dienstleistungen? Primärgruppe: Wer soll aus welchen Gründen unmittelbar teilnehmen? Sekundärgruppe: Wer soll über welche Medien von der Veranstaltung erfahren? Was darf wie viel kosten? Bei größeren Veranstaltungen: Ist eine Medienkooperation geeignet, die Kosten (Veranstaltungswerbung) zu senken? Was können Sponsoring-Partner beitragen? Wie wird das Thema der Veranstaltung vor Ort umgesetzt? Wie wird die Kanzlei in Beziehung zum Thema gesetzt? Wo bestehen rechtliche Risiken bzw. Versicherungsbedarf? Über welche Kanäle (Werbung, PR) und wann erfahren die Zielgruppen von der Veranstaltung? Welche Veranstaltungsinhalte werden in den Vordergrund gestellt? Was soll wann und wie in die Medien? Welche Medienvertreter werden wann und mit welchem Angebot kontaktiert? Ziele festlegen Zielgruppen identifizieren Budget festlegen Durchführung planen Einladungen versenden Pressearbeit planen Veranstaltungsidee entwickeln 1 2 3 4 5 6 7 <?page no="329"?> Kommunikationspolitik 329 ist in aller Regel bei Rede- und Preisverleihungsmarathons, musikalischen Einlagen (unter Einbindung „talentierter“ Mitarbeiter) und Podiumsdiskussionen. 5.5.2.3 Sponsoring und Pro-bono-Engagement Ein zunehmend wichtiger Teil der Öffentlichkeitsarbeit von Anwälten ist das Engagement für Dritte in Form von Sponsoring oder Pro-bono-Leistungen. Die wachsende Bedeutung rührt daher, dass gesellschaftlich verantwortliches Handeln immer mehr ein Kriterium wird, an dem Kanzleien gemessen werden. Branchenübergreifend äußerten im Jahr 2013 in einer Studie des Lünendonk-Instituts mehr als 70 % der Befragten, dass Faktoren dieser Art die Arbeitgeberattraktivität steigern (vgl. Eibl 2013) und so mancher Mandant zeigt sich ebenfalls beeindruckt von gesellschaftlichem Engagement. Im Marketingjargon umfasst Sponsoring „[...]die Analyse, Planung, Umsetzung und Kontrolle sämtlicher Aktivitäten, die mit der Bereitstellung von Geld, Sachmitteln, Dienstleistungen oder Know-how durch Unternehmen und Institutionen zur Förderung von Personen und/ oder Organisationen in den Bereichen Sport, Kultur, Soziales, Umwelt und/ oder den Medien unter vertraglicher Regelung des Sponsors und Gegenleistung des Gesponserten verbunden sind, um damit gleichzeitig Ziele der Marketing- und Unternehmenskommunikation zu erreichen“ (Bruhn 2009, S. 5). Sponsoring erfolgt also nicht aus rein altruistischen Motiven und ist deshalb nicht mit Mäzenatentum und auch nicht mit einer Spende zu verwechseln. Pro-bono-Aktivitäten hingegen beziehen sich ausschließlich auf die unentgeltliche Erbringung von Dienstleistungen. Sie können Teil des Sponsoring sein, wenn sie Marketingzielen folgen und darüber hinaus systematisch geplant, durchgeführt und überprüft werden. „Freundschaftsdienste“ aller Art sind kein Sponsoring, denn sie werden in aller Regel nicht aus Marketingerwägungen erbracht und fußen nicht auf einer vertraglichen Sponsoringvereinbarung. Auch die spontan gewährte, einmalige kostenlose Rechtsberatung stellt zwar eine Pro-bono-, aber keine Sponsoringaktivität dar, denn es fehlt an systematischer Planung. Ehrenamtliches Engagement hat unter Rechtsanwälten Tradition; neu ist hingegen zuweilen der Gedanke, dies gewinnbringend als Teil der Marketingpolitik einzusetzen. Bei Pro-bono-Projekten besteht zudem eine gewisse Rechtsunsicherheit bezüglich der berufsrechtlichen Zulässigkeit (vgl. Balthasar 2015). Die Bundesrechtsanwaltskammer hat in einem Diskussionspapier zur Ethik-Debatte jedoch grundsätzlich klar gestellt, dass Pro-bono-Aktivität von Anwälten nicht nur erlaubt, sondern explizit auch erwünscht ist: „Diejenigen Kanzleien, die in den Bereichen von Beratungs- und Prozess-/ Verfahrenskostenhilfe nicht oder nur in geringem Umfang tätig sind, sollten zum Ausgleich verstärkt pro bono tätig werden. Die in das anwaltliche Ermessen gestellte Honorarvereinbarung bei Beratungen und außergerichtlichen Vertretung eröffnet hierfür ein weites Feld, und die Regelung des § 49b Abs. 1 S. 2 BRAO lässt auch für Pro-Bono-Tätigkeiten in gerichtlichen Angelegenheiten genügend Raum“ (BRAK 2015). In einer vom Soldan Institut im Jahr 2011 durchgeführten Befragung unter 1157 Anwälten gaben so auch 66 % an, auch gelegentlich unentgeltlich zu arbeiten. Mehr als drei Viertel der Gratis-Mandate sind jedoch Gefälligkeitsdienste aus dem Verwandten- oder Bekanntenkreis - es wundert daher nicht, dass nur 6 % aller Anwälte angeben, Pro-bono-Engagement im Rahmen der Marketingkommunikation herauszustellen (vgl. Kilian 2012b, S. 46 f. und 49). Das allerdings kann sich zukünftig ändern. Der 2011 gegründete Verein Pro Bono Deutschland e. V. bündelt mittlerweile die ehrenamtlichen Aktivitäten <?page no="330"?> 330 Operatives Kanzleimarketing von 40 Kanzleien. Die Kanzlei CMS Hasche Sigle hingegen vermarktet die Probono-Leistungen durch eine im November 2016 ins Leben gerufene Stiftung (vgl. Budras 2017). Prinzipiell ist Gemeinnützigkeit lobenswert, ob es sich jedoch auch aus Marketingerwägungen lohnt, ist differenziert zu beurteilen. Der Vorteil von Sponsoring und Pro-bono-Mandaten liegt in einem positiven Imageeffekt, der sich allerdings nur einstellt, wenn der Sponsoringnehmer bzw. der Mandant positiv beurteilt wird. In diesem Fall ergeben sich vorteilhafte Spill-over-Effekte ( S. 104). Im Zeitablauf können sich Veränderungen in der öffentlichen Wahrnehmung ergeben, so dass eine kontinuierliche Beobachtung der Umfeldbedingungen erforderlich ist. Im Vergleich zu klassischer Werbung erlaubt Sponsoring die Ansprache von potenziellen Mandanten in einem weitgehend wettbewerbsfreien Raum. Wenn also beispielsweise eine Anwaltskanzlei als Sponsor eines Sportvereins auftritt und das Kanzleilogo deshalb bei Sportveranstaltungen sichtbar wird, ist dort in aller Regel keine nennenswerte Konkurrenz präsent. Werden hingegen z. B. Anzeigen in einer Tageszeitung geschaltet, kann Konkurrenz durch Werbung von Wettbewerbern in der gleichen Ausgabe nicht ausgeschlossen werden. Aus den potenziellen Vorteilen von Sponsoring und Pro-bono-Arbeit lassen sich die Erfolgskriterien unmittelbar ableiten. Die Auswahl des richtigen Partners, dem die Zuwendung zugute kommt, ist essenziell. Neben einem gewissen Sympathiefaktor in den Augen Dritter ist die Passung zur Kanzlei wichtig. Aus ökonomischer Sicht ist Gemeinnützigkeit vorrangig aus einer Preis-Leistungsperspektive zu betrachten: Gegen eine bestimmte Geldsumme oder eine Investition durch unbezahlte Arbeitsstunden erhält man die Möglichkeit der Außendarstellung. Wie gut das Geschäft letzten Endes ist, bemisst sich am Verhältnis des Investments zur Reichweite und an der Frage, ob die Art des Engagements geeignet ist, positive Imagewirkungen hervorzurufen. Dass Sponsoring und Pro-bono-Projekte prinzipiell natürlich nicht nur aus wirtschaftlicher Perspektive zu beurteilen sind, bleibt davon unberührt. Zusammenfassung Checkliste Sponsoring bzw. Pro-bono-Engagement Welche Ziele sollen erreicht werden? Lassen sich Teilziele definieren? Ist das Sponsoringprojekt bzw. Pro-bono-Projekt von anderen Marketingmaßnahmen abgegrenzt, aber dennoch in den Marketing-Mix und die Kommunikationsstrategie eingebunden? Welche Botschaften sollen der Zielgruppe vermittelt werden? Welches Sponsoring bzw. Pro-bono-Umfeld ist am besten geeignet und passt perfekt zu Leitbild bzw. Philosophie der Kanzlei? Ist der Sponsoringnehmer bzw. der Empfänger der Pro-bono-Leistungen allgemein akzeptiert bzw. wie ist sein Ruf? Wie groß ist das Interesse der Medien und Öffentlichkeit? <?page no="331"?> Kommunikationspolitik 331 Welche Reichweite ist sinnvoll: Lokal, regional, bundesweit, international? Welches Budget steht zur Verfügung? Welche Art von Bewerbung des Sponsorings bzw. des Pro-bono- Engagements ist vorgesehen? Auf welche sonstigen Leistungen hat die Kanzlei Zugriff? 5.5.2.4 Visuelle Identität Die visuelle Identität (Corporate Design) einer Kanzlei ist ein zentraler Aspekt der Öffentlichkeitsarbeit, denn sie ist bei jedem Kommunikationselement sichtbar. Sie setzt sich zusammen aus Farben, Schriften, Bildern, Materialien und ggf. akustischen Signalen und erlangt ihren besonderen Charakter über ihr spezifisches Zusammenspiel. Die visuelle Identität ist ein Bestandteil eines größeren Ganzen, den man als Corporate Identity (CI), also Kanzlei- oder Unternehmensidentität, bezeichnet. Die Corporate Identity (CI) beinhaltet die „Persönlichkeit“ der Kanzlei und hat sowohl die externe Kommunikation als auch das Verhalten nach innen im Blick (vgl. Schäfer 2014, S. 2). Sie macht sich am Leitbild der Kanzlei fest. Folgende Elemente sind Teil der Corporate Identity (vgl. Wiedmann 2009, S. 340 f.): Corporate Behavior (CB) Verhaltensweisen gegenüber Mitarbeitern, Mandanten und der Öffentlichkeit Corporate Communications (CC) Spezifische Kombination aller Instrumente der internen und externen Kommunikation Corporate Design (CD) Außendarstellung der Kanzlei im Wege eines systematisch aufeinander abgestimmten Einsatzes aller öffentlichkeitswirksamen visuellen Elemente Die visuelle Identität hat die Aufgabe, die Kanzleiidentität optisch umzusetzen. Damit das gelingen kann, ist es wichtig, alle Elemente der Corporate Identity aufeinander abzustimmen. Ausgangspunkt ist in einem Folgeschritt stets die Frage, wie die Kanzlei wahrgenommen werden möchte und daraus werden die Eckpunkte von Corporate Behavior, Corporate Communications und Corporate Design abgeleitet. Es macht also wenig Sinn, sich z. B. unmittelbar mit dem Logoentwurf zu befassen, wenn noch nicht geklärt ist, für was die Kanzlei überhaupt steht. Das Hauptproblem mit „visuellen Identitäten“ in der Praxis ist, dass sie häufig eben nicht konsequent aus den strategischen Vorgaben abgeleitet, sondern völlig losgelöst entworfen werden. Am Ende steht dann möglicherweise ein hübsches Design, das aber nur wenig mit dem Absender zu tun hat und deshalb weder zur externen Differenzierung noch zur internen Identifikation taugt. Ein weiteres Missverständnis ist, dass Corporate Design sich in der Gestaltung eines Logos erschöpft, das dann bedarfsabhängig für alle Medien und Werbeträger genutzt wird. Tatsächlich sind aber alle Elemente zu gestalten, die für die Öffentlichkeit sichtbar sind. Neben dem Logo gehören dazu Briefbögen, Visitenkarten, die Website, das Firmenschild, ggf. Autoaufkleber, Broschüren, soziale Netzwerke, Flyer und Stempel. Auch Werbeanzeigen und Plakate werden im Rahmen der CD- Entwicklung hinsichtlich der sich wiederholenden Elemente gestaltet (z. B. <?page no="332"?> 332 Operatives Kanzleimarketing durchgängige Verwendung bestimmter Farben, Stil der zu nutzenden Bilder und Grafiken). Für Existenzgründer mag anfangs eine Grundausstattung aus Logo, Briefbögen, Visitenkarte und Firmenschild reichen, die dann sukzessive um weitere Elemente ergänzt wird. Design „aus einem Guss“ macht einen professionellen Eindruck nach außen und ist für Interessenten das äußere Zeichen, es mit einem seriösen Dienstleister zu tun zu haben und nicht mit einem zweitklassigen „Experten“. Nur wenn das CD konsequent durchgezogen wird, entfaltet es seine volle Wirkung. Jeder, der schon einmal für eine Organisation tätig war, die ohne festgelegte visuelle Identität agiert hat, kann zudem nachvollziehen, welche starke Wirkung auf die interne Mitarbeitermotivation von einem gut gestalteten Corporate Design ausgeht. Auch die Belegschaft machen ihre Wahrnehmung von Professionalität an solchen äußeren Zeichen fest und fühlt. Es gibt also externe wie auch interne Gründe, sich mit dem Thema auseinander zu setzen. Das Logo ist zwar nicht das einzige Designelement, dennoch aber eines der wichtigsten. Da es immer wieder Verwendung finden wird, sollte es mit besonderer Sorgfalt gestaltet werden. Eine wichtige Entscheidung ist dabei, welche Art von Logo realisiert werden soll: Eines oder mehrere Wörter bilden eine Wortmarke. Wenn ein Logo nur aus Wörtern besteht, ist es besonders wichtig, dass diese auch in anderen Ländern problemlos auszusprechen sind und sich hinreichend stark von anderen Wortmarken unterscheiden. Wortmarke Abb. 81: Wortmarke der Anwaltskanzlei Striegler ( http: / / www.kanzlei-striegler.de) (Agentur: 25b-Studios) Im Gegensatz zu einer Wortmarke besteht eine Bildmarke nur aus einer graphischen Darstellung. Bildmarken haben den Vorteil, dass sie oft leichter zu merken sind und im internationalen Umfeld gut verstanden werden. Da aber kein Text vorhanden ist, eigenen sich Bildmarken primär für Anbieter, die bereits einen sehr hohen Bekanntheitsgrad haben bzw. deren Dienste sich leicht visualisieren lassen, so dass dem Betrachter unmittelbar klar wird, um was es sich dreht. Bekannte Bildmarken aus dem Endverbrauchermarketing sind der angebissene Apfel von Apple, der Mercedes-Stern oder die springende Raubkatze der Marke Puma. Alle drei genannten Bildmarken haben einen hohen Wiedererkennungseffekt, da sie einzigartig und sehr populär sind. Da dies gerade auf kleine und mittlere Anwälte in dieser Form selten zutrifft, finden sich reine Bildmarken bei Anwaltskanzleien nur selten. <?page no="333"?> Kommunikationspolitik 333 Bildmarke Abb. 82: Bildmarke der Rechtsanwaltskanzlei Christoph Gebauer ( http: / / www.fachanwalt-gebauer.de) (Agentur: siegerbrauckmann) Wort-Bildmarken kombinieren Text und Grafik, so dass auf den bildlichen Wiedererkennungswert und den Erklärungscharakter des Textes zurückgegriffen werden kann. Sie sind bei Anwälten sehr verbreitet. Wort-Bildmarke Abb. 83: Wort-Bildmarke der Anwaltskanzlei Spillner & Spitz ( http: / / www.spillnerspitz.de) Wenn die Entscheidung für eine Logoart getroffen ist, beginnt die eigentliche Gestaltung. Farben, Typographie und Grafiken sind zu definieren. Farben und Grafiken sind umso wichtiger, je mehr Bildelemente im Logo vorhanden sind; bei Wortmarken spielt naturgemäß die Schrifttype eine überragende Rolle. Insbesondere durch Farben können sehr wirksam Stimmungen erzeugt und unterschwellige Botschaften transportiert werden. Die Wirkung von Farben wird interkulturell sehr unterschiedlich, in einem bestimmten Kulturkreis jedoch relativ einheitlich definiert. Danach wird z. B. die Farbe rot in unseren Breitengraden mit deutlich offensiveren und dynamischen Eigenschaften definiert als braun, das eher ruhigere Assoziationen weckt. ( Abb. 84). <?page no="334"?> 334 Operatives Kanzleimarketing Abb. 84: Gängige Assoziationen verschiedener Farben (vgl. Zunke o.J.) Sofern das Logo nicht als reine Bildmarke gestaltet ist, spielt die gewählte Schrifttype eine sehr große Rolle. Genau wie Farben, so wecken auch Schriften bestimmte Assoziationen, z. B. wird Schreibschrift häufig als verspielt, traditionell und verlässlich wahrgenommen. Schriften haben zudem einen hohen Wiedererkennungswert und sind häufig untrennbar mit einer Marke verbunden. Das bietet Chancen, aber auch Risiken, wenn die gewählte Schrift nichts Besonderes hat oder die Persönlichkeit der Organisation nicht reflektiert. Ähnliches gilt auch für verwendete Grafiken. Dringend abzuraten ist von allzu typischen Bildern wie Paragraphenzeichen (es sei denn, sie sind kreativ verändert wie in Abb. 82), Justitia, Waagen o.ä., denn sie beweisen wenig Originalität. Damit das Logo einfach handhabbar ist, empfiehlt es sich, auf Skalierbarkeit zu achten. Damit sowohl im Großals auch im Kleinformat jedes Detail zu erkennen ist, sollten Bilder nicht allzu viele Details beinhalten. Auch bietet es sich an, keine Farben oder Schrifttypen zu verwenden, die eigens für die Verwendung im Logo kreiert wurden. Beispiele für Sonderschriften sind z. B. die extra für die externe Kommunikation der Marke Mercedes konzipierte Schrifttype Corporate oder die für die Deutsche Telekom AG produzierte Farbe Magenta (RAL-4010). Eine besondere Coloration oder Typographie stellen potenziell sehr starke Alleinstellungsmerkmale dar, werfen aber Probleme bei der Nutzung auf. Einfacher ist der Rückgriff auf Standardschriften und Farben, die z. B. in gängigen Office-Anwendungen abgerufen werden können, denen dann aber oft der besondere „Pfiff“ fehlt. Hier empfiehlt es sich, ein wenig mit den verfügbaren Einstellungen zu experimentieren, um einen guten Kompromiss zu finden. Um die Außendarstellung noch zu schärfen, wird das Logo vielfach noch durch einen Claim ergänzt. Ein Claim ist so etwas wie ein Motto, unter dem die Arbeit der Kanzlei bzw. des Anwalts steht. Er sollte kurz, unverwechselbar, leicht zu merken und vor allem treffend sein. Diese Anforderungen treffen beispielsweise auf den Claim „rechtssicher rocken“ des bereits an anderer Stelle erwähnten „Metal-Anwalts“ Christian Koch zu. Wie auch beim Logo-Design sind allzu Rot Alarm Gefahr Kraft Blau Wasser Himmel Kühle Grün Natur Gesundheit Leben Gelb Heiterkeit Freude Wärme Braun Erde Holz Behaglichkeit Schwarz Ernsthaftigkeit Trauer Eleganz Weiß Schnee Reinheit Leichtigkeit Gold Kostbarkeit Hohe Wertigkeit Besonderheit Silber Wertigkeit Eleganz Understatement <?page no="335"?> Kommunikationspolitik 335 abgedroschene Stilelemente zu vermeiden. Branchenübergreifend mittlerweile sehr häufig anzutreffende Claim-Varianten beruhen beispielsweise auf einem Dreiklang von Adjektiven („gelb - gut - günstig“) oder appellieren an die Emotionen durch Verwendung von Begriffen wie „Leidenschaft“ / „Passion“ oder „Liebe“ („Leistung aus Leidenschaft“, „wir lieben Lebensmittel“). Auch schlecht: Unglaubwürdiges Eigenlob bzw. Verwendung von Superlativen, wenig gängige englischsprachige Begriffe oder viel zu lange, sperrige Aussagen. Noch schlechter: Wortspiele mit dem Thema „Recht“ oder „Rat“ („Ihr gutes Recht in guten Händen“). Interessant können hingegen Anspielungen auf bekannte Redewendungen sein, wenn sie weniger abgegriffen sind. Rechtsanwalt Kai Kähler wirbt beispielsweise auf seiner außergewöhnlichen Website ( http: / / kkk.de) mit dem Claim „I law you“ ( Abb. 85). Abb. 85: Internetauftritt des Rechtsanwalts Kai Kähler ( http: / / www.kkk.de) Prinzipiell sollte ein Claim den Nutzen der eigenen anwaltlichen Leistungen in den Vordergrund stellen und keine bloße Tätigkeitsbeschreibung darstellen. Verkehrsrechtsanwalt Uwe Lenhart ( http: / / www.ra-lenhart.de) stellt seinem Logo etwa den Zusatz „zu schnell, zu dicht, zu rot, zu blau“ an die Seite und beschreibt damit die typischen Rechtsprobleme, die seiner Tätigkeit zugrunde liegen. Der Claim weist hohen Alleinstellungswert auf, könnte aus Marketingsicht jedoch verbessert wirken, wenn er in einer positiven Formulierung den Nutzen der Leistung in den Vordergrund rücken würde. <?page no="336"?> 336 Operatives Kanzleimarketing Zusammenfassung Schritte beim Texten eines Claims (vgl. Zunke o. J.) 1. Schritt Die wesentlichen Eckpunkte der Corporate Identity komprimiert zusammenfassen (Leitlinie: 3 Stichpunkte pro Frage) Wofür steht die Kanzlei? Was macht die Kanzleiphilosophie aus? Welche Unterschiede bestehen zur Konkurrenz? Mit welchen Eigenschaften sollte man die Kanzlei in Verbindung bringen? 2. Schritt Sprachgebrauch der Zielgruppe analysieren Wie möchte die Zielgruppe angesprochen werden (z. B. höflich, vornehm, frech, humorvoll)? Welche Signalworte sorgen für hohe Aufmerksamkeit? Welche Begriffe sollten vermieden werden (z. B. weil unverständlich)? 3. Schritt Entwurf eines ersten Claim-Vorschlags aus den Erkenntnissen der vorangehenden Schritte 4. Schritt Weiterentwicklung des Ausgangsvorschlags durch Austausch von Begriffen / Entwurf weiterer Alternativvorschläge 5. Schritt Abgleich mit Claims der Konkurrenz und Prüfung der rechtlichen Schutzrechte Eine oft gestellte Frage in Zusammenhang mit Logos betrifft die Notwendigkeit externer Unterstützung bei der Erstellung. Gerade kleine und mittlere Kanzleien haben häufig nicht das Kapitel, um das Corporate Design durch eine spezialisierte Werbeagentur entwickeln zu lassen. Zwar ist die Beauftragung eines Dienstleisters in der Regel der bequemste und erfolgsversprechendste Weg, aber allein für die Erstellung eines Logos sind nicht selten vierbis fünfstellige Beträge fällig. Im Gegenzug ist ein strukturierter Prozess der Designentwicklung zu erwarten, der mit einer gründichen Analyse der strategischen Ausgangssituation beginnt und den Entwurf individueller Konzeptentwürfe beinhaltet, aus denen gewählt werden kann. Während der Erstellungsphase gehört eine kontinuierliche, enge Abstimmung zwischen Auftraggeber und Designer zum Standard. Online-Design- Plattformen (z. B. http: / / www.99design.de) vereinfachen die Suche nach einem geeigneten Dienstleister und erhöhen die Auswahl. Speziell für kleine Kanzleien und Gründer bieten Agenturen häufig Designpakete an, die jeweils eine komplette Grundausstattug mit Logo, Briefpapier, Visitenkarten und teilweise auch Webdesign zum Festpreis umfassen. Der Vorteil dabei ist, dass auf die Expertise eines Dienstleisters bei kalkulierbaren Kosten zurückgegriffen werden kann. Dafür sind die Möglichkeiten der Mitgestaltung meist begrenzter. <?page no="337"?> Kommunikationspolitik 337 Eine mögliche Alternative zu einer Corporate-Design-Agentur ist die Selbsterstellung. Diese Variante ist definitiv nur ratsam, wenn auf Erfahrung und Zeit zurückgegriffen werden kann. Hilfestellung können autodidaktische Ratgeber liefern (vgl. z. B. Korthaus 2013). Im Internet kursieren Designentwürfe, die entweder frei oder kostenpflichtig verwendbar sind, jedoch in der Regel keine innovative und aufmerksamkeitsstarke Wahl sind. Anschauen lohnt sich trotzdem, denn die Vorlagen können durchaus brauchbare Inspiration liefern. Sogenannte Corporate-Identity-Mockups sind fertige Photoshop-Dateien einer kompletten Geschäftsausstattung, die individuell angepasst werden können. Die Bearbeitung erfordert zumindest Grundkenntnisse der digitalen Bearbeitung von Grafiken. 5.5.2.5 Handbücher und Rankings Ein noch junges, aber in der Bedeutung stark wachsendes Element der Öffentlichkeitsarbeit von Anwaltskanzleien sind vergleichende Bewertungen, deren Ergebnisse veröffentlicht werden. Sofern die Bewertungen messbar sind und am Ende in eine Liste mit einem Erst-, Zweit- und Drittplatzierten münden, spricht man von einem Ranking. Für die Adressaten haben die Ranglisten, Handbücher und Nachschlagewerke den Nutzen, dass sie Transparenz in das ansonsten schwer zu durchschauende Geschäft der Anwälte und Kanzleien bringen. Für die Bewerteten geht es um Reputation - zum einen bezogen auf die Kanzlei, aber auch auf den einzelnen Anwalt, denn im Regelfall werden besonders erfolgreiche Persönlichkeiten namentlich hervorgehoben. Letzteres stellt in der Praxis oft den entscheidenden Motivator dar, sich bei der Einreichung der Unterlagen für die Vergleichsbewertung (auch „Submissions“ genannt) besonders ins Zeug zu legen. Aus Sicht des Marketings sind Anwaltsrankings ein Baustein erfolgreicher Öffentlichkeitsarbeit. Wie auch andere Kommunikationsinstrumente müssen sie auf den Markterfolg einzahlen. Persönliche Eitelkeiten sind zweitranging, Akquisewirkungen hingegen entscheidend. Während es vor einigen Jahren kaum Bewertungen von Rechtsdienstleistungen gab, hat sich das Angebot verschiedenster Evaluationsinstrumente mittlerweile zu einer undurchsichtigen Vielfalt erweitert. Einer der Pioniere der Rankings ist der 1997 gegründete JUVE Verlag, die Kanzleirankings auch hierzulande etablierten, nachdem in England bereits der Fachverlag Chambers & Partners aktiv war. Inzwischen gibt es so viele Bewertungsangebote, dass große Kanzleien Arbeitskräfte nur für die Vorbereitung der Submissions und Vorbereitung der Recherchegespräche abstellen (vgl. Engelken 2014). Wer keine eigenen Kapazitäten hat, kann die Vorbereitung der Submissions durch Dritte erledigen lassen, denn längst hat sich rund um die Rankings ein Beratungsgeschäft etabliert. Neben Verlagen, die einen starken Fokus auf derartige Studien legen, liefert auch die Publikumspresse in hoher Regelmäßigkeit Untersuchungen zu „Deutschlands Top-Anwälten“ aus allen möglichen Rechtsgebieten. Die einzelnen Bewertungen lassen sich im Hinblick auf die Fragen „was? “, „wie? “ und „für wen? “ in einzelne Kategorien einordnen: Was wird bewertet? Die meisten regelmäßig erscheinenden Handbücher konzentrieren sich auf Kanzleien und heben einzelne Anwälte eher am Rande hervor. <?page no="338"?> 338 Operatives Kanzleimarketing Verbrauchergerichtete Zeitschriften bewerten die Interessenlage ihrer Zielgruppe anders und liefern Bewertungen zu einzelnen Anwälten. Wie wird bewertet? Die Methoden der Bewertung sind teilweise höchst intransparent und zudem hochgradig unterschiedlich. Während z. B. bei „Best Lawyers“ Anwälte aus dem jeweiligen Rechtsgebiet ihre Kollegen nach einem „Peer Review“-Verfahren bewerten, beruhen die Ergebnisse bei „Legal 500“ auch auf Mandantenbewertungen. Während das „JUVE Handbuch für Wirtschaftskanzleien“ auch eine zusammenfassende Rangfolge der Kanzleien (sortiert nach verschiedenen Rechtsgebieten) liefert, verzichtet „Kanzleien in Deutschland“ vom Nomos-Verlag bewusst auf ein Ranking. Für wen wird bewertet? Der Adressat der Bewertungen ist oft nicht leicht auszumachen, denn häufig geht es zumindest finanziell bei den Handbüchern gar nicht um den Verkauf der Publikation, sondern um die Anzeigenschaltung. Der JUVE Verlag beispielsweise druckt jährlich rund 20.500 Handbücher, von den ca. 20.000 kostenlos an Unternehmen, Behörden, Forschungseinrichtungen, Presse und Kanzleien verteilt werden. Das Buch finanziert sich größtenteils durch die ca. 300 Anzeigen, die in jedem JUVE-Handbuch zu finden sind. Ähnlich läuft das Geschäft bei anderen Anwaltsverzeichnissen, die gleichfalls größtenteils kostenlos an eine heterogene Gruppe von Interessenten verteilt werden. Wenn der Umsatz ohnehin nicht durch die Leserschaft kommt, besteht keine Notwendigkeit, diese exakt einzugrenzen und eine zielgerichtete Distribution vorzunehmen. Bewertungen in Publikumszeitschriften wenden sich in erster Linie an Endverbraucher und finanzieren sich zu einem größeren Teil auch über den Erwerb des Mediums, in dem veröffentlicht wird. Bei der Fülle möglicher Rankings besteht Anlass, genauer hinzuschauen, welche Vorteile für alle Beteiligten mit den Bewertungen verbunden sind. In Euro und Cent lässt sich der Wert aus Sicht von Anwalt oder Kanzlei kaum bemessen, aber generell lassen sich (unter Rückgriff auf Untersuchungen aus anderen Branchen) folgende generelle Funktionen von Anbietervergleichen für Nutzer festhalten: Informationsfunktion Ranglisten und Handbücher liefern Informationen zu Anwälten und Kanzleien, denn in der Regel werden die Ergebnisse kommentiert und erläutert. Zudem geben sie einen generellen Marktüberblick, weil verschiedene Dienstleister gelistet sind. Präferenzbildungsfunktion Rankings bilden eine Reihenfolge der Vorziehenswürdigkeit ab und tragen dazu bei, dass Adressaten sich eine Meinung über die Rechtsdienstleister bilden können. Zusammenfassungsfunktion Vergleichsbewertungen beziehen sich auf eine Vielzahl von Quellen, z. B. auf die Aussagen von vielen Befragten, intensives Literaturstudium, Expertengespräche und liefern daher eine komprimierte Form der Informationen, die man sonst - wenn überhaupt - nur verstreut vorfindet. <?page no="339"?> Kommunikationspolitik 339 Anzahl und Art gelisteter Kanzleien Bewertungsbzw. Darstellungskriterien Ranking JUVE Handbuch für Wirtschaftskanzleien http: / / www.juve.de/ handbuch ca. 800 nationale Wirtschaftskanzleien 28 Kategorien (Regionen und Rechtsgebiete) und 16 Kriterien (z.B. aktuelles Finanzierungs- und Transaktions-Know-how, umfassende Betreuung, stabile und funktionierende internationale Kontakte, Teamarbeit) ja; Auszeichnung der Preisträger erfolgt seit 2004 im Rahmen des JUVE Awards Chambers & Partners http: / / www.chambersandpartners.com weltweit Kanzleien und Anwälte aus 185 Rechtsgebieten; in Deutschland sind rund 180 Kanzleien gelistet Qualität der Anwälte, Effektivität und Fähigkeiten (bei Kanzleien bzw. Kanzleieinheiten); Rechtskenntnisse und -erfahrungen. Fähigkeiten, Effektivität und Mandantenservice (bei Anwälten) ja Legal 500 http: / / www.legal500.de mehr als 400 nationale Kanzleien aus 48 Rechtsgebieten Vielzahl von Kriterien u.a. Können, Marktanteil, Mandantenservice ja Kanzleimonitor.de http: / / www.kanzleimonitor.de 8.824 Empfehlungen von Kanzleien aus 32 Rechtsgebieten Empfehlungen und Markenwahrnehmung aus Sicht von Syndici ja Focus Top-Wirtschaftskanzleien http: / / www.focus.de 540 Anwälte und 278 Wirtschaftskanzleien Empfehlungen von Kollegen, Aussagen von Bewertungsportalen, Erwähnungen in Branchenpublikationen und Wirtschaftspresse ja Handelsblatt Best Lawyers http: / / www.bestlawyers.com rd. 3.200 Anwälte aus Deutschland bereits gelistete Anwälte geben Empfehlungen ab ja Tab. 22: Ausgewählte Beurteilungen und Rankings von Anwälten / Kanzleien <?page no="340"?> 340 Operatives Kanzleimarketing Aus der Perspektive von teilnehmenden Kanzleien bzw. Anwälten haben Awards, Rankings und Beurteilungen häufig psychologische Vorteile: In einem Vergleich mit Konkurrenten zu punkten, steigert das Selbstwertgefühl, sorgt für Aufmerksamkeit und garantiert den Neid von Wettbewerbern. Vielfach wird deshalb gar nicht hinterfragt, ob die Vorbereitung der Submissions überhaupt Sinn macht. Richtiger wäre, die Teilnahme an Vergleichsuntersuchungen aller Art als einen Baustein im Rahmen eines Marketing-Mix zu sehen, der genau wie alle anderen Maßnahmen auf die Kanzleiziele einzahlen muss. Das erfolgreiche Abschneiden bei den JUVE Awards, Legal 500 oder den anderen Anwalts- und Kanzleivergleichen kann als Instrument der Öffentlichkeitsarbeit erfolgreich genutzt werden, z. B. durch Pressemitteilungen, Nennung auf der Homepage, in Broschüren und in zahlreichen anderen Medien. Damit das leichter fällt, bieten die meisten Studien eine Art Gütesiegel an, das für Kommunikationszwecke eingesetzt werden kann. Die damit verbundenen Umsatzwirkungen sind - typisch für Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit - schwer einzuschätzen und dürften auch eher langfristiger Natur sein. Die Vorstellung, dass potenzielle Mandanten sich wie im Konsumgütermarkt unmittelbar an Vergleichstests orientieren und sich so die Einstufung als Top- Kanzlei direkt in der Kasse bemerkbar machen würde, scheint bei stark vertrauensabhängigen Rechtsdienstleistungen eher unrealistisch. Es geht weniger um Akquise als um Kommunikation, und zwar sowohl in Richtung potenzieller Mandanten, als auch mit Blick auf potenzielle Konkurrenten und die Presse, die solche Auszeichnungen interessiert wahrnehmen. Gleichwohl lohnt sich natürlich nicht der Aufwand, um in jedem Handbuch und bei jedem Ranking präsent zu sein. Folgende Aspekte spielen bei der Einschätzung des Wertes eines Rankings oder Anwaltsvergleichs eine Rolle: Publikation Aus Sicht der Kanzlei bzw. des Anwalts lohnen sich Rankings und Vergleiche, wenn damit eine Veröffentlichung der eigenen Stärken verbunden ist, die möglichst viele potenzielle Mandanten erreicht. Die Reichweite der Publikation spielt dazu eine Rolle, auch der Verbreitungsradius und die Zielgruppenaffinität. Während einige Rankings sich auf Deutschland konzentrieren (z. B. das JUVE Handbuch), sind andere stärker international orientiert (z. B. Chambers & Partners); zudem schwankt der Anteil der unter Rechtsuchenden verbreiteten Bücher bzw. Zeitschriften. Mögliche ergänzende Marketingaktivitäten Neben der Präsenz in der Vergleichspublikation bieten Verlage in unterschiedlicher Form Möglichkeiten, ein gutes Abschneiden zu „vermarkten“. Eine Möglichkeit stellt ein „Award“ dar, der die besonderen Errungenschaften von Kanzlei bzw. Anwalt im Rahmen einer Preisverleihung mit entsprechender Pressepräsenz würdigt. Aus Marketingsicht ist das ein potenzieller Bonus für das Kanzleimarketing. Weitere Marketingoptionen ergeben sich, wenn Anzeigen im Umfeld der Studie geschaltet werden können, deren Nutzen aber natürlich auch von den damit verbundenen Kosten abhängt. Untersuchende Organisation Höchst relevant ist der Absender des Kanzleibzw. Anwaltsvergleichs. Untersuchungen zur Wirkung von Gütesiegeln in anderen Branchen zeigen, dass die Marketingwirkungen erfolgreicher Testbewertungen sehr stark davon abhängen, ob die Bewertungsquelle bekannt ist und ein seriöses und glaubwürdiges Image hat (vgl. Moussa / Touzani 2008). Ist das der Fall, <?page no="341"?> Kommunikationspolitik 341 können die Wettbewerbswirkungen allerdings deutlich sein, wie z. B. Erfahrungen zu den Auswirkungen eines schlechten Abschneidens bei „Stiftung Warentest“ beweisen. Die meisten Marketingchancen bietet deshalb die Teilnahme an einer bekannten und allgemein akzeptierten Untersuchung (allerdings auch die meisten Risiken im Falle eines unvorteilhaften Ergebnisses). Aufwand der Teilnahme Schlussendlich ist auch zu berücksichtigen, wieviel Zeit in die Erstellung der Submissions und in eventuelle Interviews zu investieren ist, denn Nutzen und Kosten sind gegeneinander abzuwägen. Im besten Fall können die Bewerbungen oder aber zumindest die dafür notwendigen Recherchen teilweise mehrfach verwertet werden. Interview 10 Fragen an Dr. Astrid Gerber (Geschäftsführerin Juve Verlag), Köln Dr. Astrid Gerber war freiberufliche Journalistin und Dozentin, bevor Sie im Jahr 1997 den JUVE Verlag für juristische Information mit gegründet hat. Als Geschäftsführerin des Verlags gibt sie unter anderem das jährlich erscheinende JUVE Handbuch Wirtschaftskanzleien heraus, das neben Kanzleiprofilen auch Ranglisten der Branche enthält. Sie ist außerdem mit verantwortlich für die JUVE Awards, die der Verlag in verschiedenen Kategorien an Kanzleien und Rechtsabteilungen für Unternehmen vergibt. Frage 1 Frau Dr. Gerber, worin sehen Sie eigentlich den generellen Wert eines Rankings für Anwaltskanzleien? Der JUVE Verlag versteht sich als Wirtschaftspresseverlag, der die Branche der Rechts- und Steuerberatung, speziell die Tätigkeit der Wirtschaftsanwälte und Steuerberater, im Fokus hat. Unser Handbuch ist ein Presseerzeugnis, dessen Inhalt von unabhängigen Journalisten recherchiert wird. Mit dem JUVE Handbuch wollen wir den Markt transparent machen und eine Orientierungshilfe für Externe, z. B. für potenzielle Mandanten der Kanzleien, liefern. Deshalb liegt der hauptsächliche Wert des JUVE Handbuchs auch bei den analytischen Kanzleieinträgen der Redakteure. Die Rankings sind nur in Kombination mit den Texten aussagekräftig. <?page no="342"?> 342 Operatives Kanzleimarketing Frage 2 Warum dann überhaupt Ranglisten? Wären die ausführlichen Darstellungen der Kanzleien dann nicht vollkommen ausreichend? Nein, wir wollen explizit auch werten. Damit unterscheiden wir uns auch von anderen Auflistungen dieser Art. Die wichtigsten Eckdaten einer Kanzlei kann heutzutage jeder beispielsweise über die Kanzleiwebseiten zusammenstellen. Das Ranking ist im Grunde eine grafische und komprimierte Zusammenfassung der Bewertung im Text. Frage 3 Kann eigentlich jede Wirtschaftskanzlei in das JUVE Handbuch aufgenommen werden? Prinzipiell haben wir keine Eingangskriterien wie eine bestimmte Kanzleigröße oder besondere Referenzen, die vorliegen müssen, um berücksichtigt zu werden. Wir beschäftigen bis zu 30 Redakteure, die das ganze Jahr über ausschließlich in diesem speziellen Markt recherchieren und in Kontakt mit den Mandanten und Kanzleien stehen. Und natürlich sind uns nach mittlerweile 19 Auflagen die meisten in Betracht kommenden Kanzleien bekannt. Frage 4 Für die meisten Kanzleien stellt das Abschneiden bei den Ranglisten im Handbuch einen bedeutenden Imagefaktor dar. Nach welchen Kriterien werden die Listenplatzierungen eigentlich ermittelt? Die Frage ist pauschal schwer zu beantworten. Grundsätzlich spiegeln die Rankings die Meinungen von den Tausenden von Mandanten und anderen Marktteilnehmern wider, mit denen wir über das Jahr Kontakt haben. Natürlich sind die Ranglisten aber letzten Endes subjektiv, wie auch die Eindrücke von Mandanten über ihre Anwälte und Steuerberater. Rechtsdienstleistungen kann man nicht wie Elektrogeräte anhand eines Kriterienkatalogs mit Zahlenwerten bewerten, wie es vielleicht die Stiftung Warentest macht. Wir nehmen unsere Einschätzungen auf der Basis der Befragung von Wettbewerbern, Mandanten und Gerichten sowie der eingereichten Dokumente vor. Da werden nicht einfach Werte addiert, sondern es fließt viel individuelle Markteinschätzung mit ein. Die Entscheidung über Rangplätze treffen jeweils die verantwortlichen Journalisten auf der Basis ihrer breiten Recherche. Um Kontinuität sicherzustellen, arbeiten wir ausschließlich mit festen Kräften, deren Arbeitsbereiche sich bewusst teilweise überschneiden. Es entscheidet deshalb nie ein Redakteur allein. Frage 5 Ein beliebtes Vorurteil lautet, dass Kanzleien, die eine Anzeige im JUVE Handbuch kaufen, bessere Chancen im Ranking haben. Wie entkräften Sie dieses Argument? Das ist natürlich eine beliebte Unterstellung, die vor allem gern von denen ins Spiel gebracht wird, die über ihr Abschneiden enttäuscht sind. Man könnte sich die Mühe machen, über die Jahre auszuwerten, welche Anzeigen geschaltet wurden und welche Kanzleien auf den vorderen Rangplätzen waren, dann würde man feststellen, dass an dem Vorwurf nichts dran ist. <?page no="343"?> Kommunikationspolitik 343 Auf Dauer kann man nur bestehen, wenn Anzeigenverkauf und Berichterstattung nicht vermischt werden. Klar, da muss man manchmal was aushalten, wenn frustrierte Kanzleien drohen, nie wieder eine Anzeige zu schalten. Da müssen wir dann halt durch. Frage 6 Wie stellen Sie sicher, dass die durch die Unternehmen eingereichten „Submissions“ auch wirklich die realen Gegebenheiten widerspiegeln? Wird da nicht manchmal auch bewusst übertrieben, beschönigt oder verschwiegen, um besser abzuschneiden? Die Unterlagen, die uns Kanzleien schicken, sind meist nur der Rechercheanlass für uns. Wirklich relevant für die textliche Darstellung und das Ranking sind die persönlichen Gespräche mit Marktteilnehmern. Man kann ja alles gegenrecherchieren. Unsere Journalisten verfügen über eine tiefe Marktkenntnis, da sie sich ja teilweise jahrelang mit einzelnen Kanzleien befassen. Zudem haben wir neben dem JUVE Handbuch auch andere Verlagspublikationen wie z. B. den wöchentlichen E-Mail-Newsletter sowie die Zeitschrift „JUVE Rechtsmarkt“, in der wir Branchennachrichten und Artikel über den Anwaltsmarkt veröffentlichen. Wir sind daher über die Entwicklung einzelner Kanzleien meist sehr gut informiert, auch unabhängig von den Informationan, die uns zur Verfügung gestellt werden. Frage 7 Seit einigen Jahren gibt es die JUVE Awards, mit denen einzelne Kanzleien und Rechtsabteilungen ausgezeichnet werden. Warum braucht es neben den Ranglisten noch spezielle Preise, um die Besten der Branche hervorzuheben? Die JUVE Awards entstanden eher als Nebenprodukt unserer Arbeit am Handbuch. Wir haben vor einigen Jahren gemerkt, dass einige Kanzleien zwar vielleicht nicht unter den Branchenbesten sind, aber vielleicht eine besonders eindrucksvolle Entwicklung vorzuweisen haben. Manche, gerade auch kleinere Kanzleien, stechen durch besondere Innovationskraft oder eine tolle Managementleistung heraus. Das wollten wir sichtbar machen. Alle Branchen haben gerne Preise, die ihre Leistung würdigen. Wir zelebrieren die JUVE Awards in einem feierlichen Rahmen. Die Veranstaltung ist zugleich das jährliche Branchentreffen. Frage 8 Mittlerweile gibt es eine Vielzahl von Branchenvergleichen, Anwaltsrankings und Kanzleidarstellungen. Wie hebt sich das JUVE Handbuch von anderen Publikationen dieser Art ab? Wir verstehen uns nicht als Marketingorgan der Kanzleien, insofern trennen wir den Anzeigenverkauf ganz klar von der unabhängigen Recherche und Berichterstattung der Redakteure. Wir verstehen uns als Presseverlag und stimmen auch unsere Inhalte nicht mit den Kanzleien im Vorfeld ab. Neben diesem journalistischen Ansatz zeichnet uns gegenüber anderen Wettbewerbern aus, dass wir stark auf Deutschland fokussiert sind. Das Konzept des Kanzleivergleichs stammt ja aus dem internationalen Umfeld, speziell aus Großbritannien. Natürlich gibt es dort auch Konkurrenten, die sich dem deutschen Markt allerdings nur ganz beschränkt widmen. <?page no="344"?> 344 Operatives Kanzleimarketing Und ein letzter Aspekt: Im Gegensatz zu Rankings, die man manchmal in der Publikumspresse findet, sind wir nur auf den Bereich der Wirtschaftsjuristen und Steuerberater für Wirtschaftsunternehmen spezialisiert und bringen dort dann auch besonders tiefgehende Marktkenntnisse mit. Frage 9 Der JUVE Verlag ist seit 20 Jahren bei der Bewertung von Wirtschaftskanzleien aktiv. Welche Entwicklungen im Markt sind aus Ihrer Sicht besonders bedeutsam? Auf Seiten der Kanzlei lässt sich das in zwei Stichworten zusammenfassen: Spezialisierung und Internationalisierung. Zudem sind Mandanten viel kostenbewusster geworden. Damit verbunden ist die Tatsache, dass Rechtsuchende nicht mehr so stark einen Hausanwalt haben, sondern punktuell die Mandate an verschiedene Kanzleien vergeben. Das macht die Recherche für uns natürlich aufwändiger, aber auch viel interessanter. Frage 10 Wo sehen Sie die künftigen Prioritäten für die Entwicklung des JUVE Verlags, speziell des JUVE Handbuchs, für die Zukunft? Derzeit sind wir - unmittelbar sichtbar an den umfangreichen Handbüchern - noch sehr stark an Printerzeugnissen orientiert. Wir haben zwar alles im Volltext auch online, jedoch orientiert sich die Struktur auf der Webseite noch stark am Handbuch. Für die Zukunft arbeiten wir an einem eigenständigen digitalen Produkt, das besser den Lesegewohnheiten im Netz entgegenkommt. Der Nutzer ist dann nicht mehr gezwungen, in der Struktur des Handbuchs nachzulesen, sondern kann sich mit verschiedenen Mausklicks sein eigenes Dossier zusammenstellen. Ein echter Mehrwert also, der dann natürlich auch kostenpflichtig sein kann. 5.5.3 Werbebriefe Ein beliebtes und wirksames Werbeinstrument von Anwälten sind Rundschreiben an (potenzielle) Mandanten, im Marketingjargon auch Werbesendungen (vgl. Deutsche Post 2014), Direct Mails oder Direct Mailings (vgl. Kotler / Armstrong / Wong / Saunders 2010, S. 953) genannt. Im Gegensatz zu anderen Kommunikationsmaßnahmen sind Mailings auf Interaktion ausgerichtet, d. h. der Adressat wird direkt angesprochen und soll eine Reaktion zeigen. Sie sind deshalb als Maßnahmen des Direktmarketings (wegen der zielgenauen Ausrichtung) und der Dialog-Kommunikation (wegen des Abzielens auf Feedback) einzuordnen. Da Anwälte hauptsächlich Briefe versenden, entsprechen Werbesendungen in dieser Branche hauptsächlich den Werbebriefen. Direct Mailings haben sich in den letzten Jahrzehnten branchenübergreifend einen starken Aufschwung erlebt. Im Jahr 2016 wurden 40,8 Mrd. € in Deutschland in externe Werbung investiert, davon 44 % in Werbemaßnahmen mit Dialogcharakter (Werbung per Post, Telefonmarketing, Website oder andere Online-Kommunikationsmaßnahmen) (vgl. Deutsche Post 2017, S. 3). Die hier zur Diskussion stehenden Werbesendungen umfassen alle Werbeinformationen, die physisch versendet werden, also nicht nur Briefe, sondern auch Produktproben oder Kataloge. Sie <?page no="345"?> Kommunikationspolitik 345 stellen - trotz starken Wachstums der Online-Kommunikation - nach wie vor rund 25 % der Investitionen in Dialogkommunikation dar (vgl. Deutsche Post 2017, S. 11). Die postalische Ansprache von Kunden und Interessenten ist immer noch eine zeitgemäße Form der Marketingkommunikation. Allerdings variiert die Bedeutung von Direct Mails nach der Form der Ansprache. Folgende Formen sind zu unterscheiden (vgl. Kreutzer 2009, S. 133): Individuelle Einzelansprache, d. h. auf der Grundlage der bisherigen Kundenbzw. Mandantenhistorie wird jeder Empfänger individuell angesprochen. Ein Beispiel für eine individuelle Werbesendung stellt eine persönliche Einladung, eine Gratulation zu einem Geburtstag, ein Gruß zu Weihnachten oder auch die Übersendung einer Information dar, wenn dabei geschäftliche Motive im Vordergrund stehen. Bei der persönlichen Einzelansprache wird einer größeren Gruppe von Empfängern der gleiche Text zugesendet, wobei eine namentliche Anrede erfolgt. Sendungen dieser Art lassen sich mit der Serienbrieffunktion eines Textverarbeitungsprogramms leicht herstellen; trotzdem kann - je nach Gestaltung - der Eindruck eines individuellen Schreibens hergestellt werden. Die halbpersonalisierte Ansprache richtet sich an eine nach bestimmten Merkmalen eingegrenzte Zielgruppe („An alle Hauseigentümer im Raum Moers“). Die Deutsche Post AG hat zur Versendung solcher Werbebriefe ein Sonderprodukt entwickelt, den POSTWURFSPEZIAL: Der Versender definiert den Adressatenkreis, die Deutsche Post sorgt unter Rückgriff auf die ihnen vorliegenden Adressinformationen dafür, dass die Sendung nur an die definierte Zielgruppe ausgeliefert wird. Halbadressierte Werbesendungen werden in der Regel nicht von Rechtsanwälten versendet, obwohl es prinzipiell denkbar wäre, dass diese eine solche Form der Kommunikation nutzen und z. B. Hauseigentümer zu einer Informationsveranstaltung zum Thema „Rechtliche Fallstricke als Haus- und Grundeigentümer“ einladen. Unpersonalisierte Ansprache ist durch die Verteilung von Postwurfsendungen ohne jede Einschränkung und ohne namentliche Ansprache („Sehr geehrte Damen und Herren“) gekennzeichnet. Branchenübergreifend lässt sich beobachten, dass die unpersonalisierte Ansprache über Postwurfsendungen stark rückläufig ist. Die meisten Adressaten schenken unpersonalisierten Schreiben wenig Aufmerksamkeit, so dass mit wenig Rücklauf zu rechnen ist. Für das stark auf Vertrauen basierende Geschäft von Rechtsanwälten sind Standard-Versandaktionen nach dem Gießkannenprinzip ohnehin nicht zu empfehlen. Nicht alle der genannten Instrumente sind bei Anwälten gleichermaßen verbreitet. Zulässig sind im Grundsatz alle Formen der Ansprache von potenziellen Mandanten, sofern die auch für andere Kommunikationsmaßnahmen geltenden rechtlichen Einschränkungen beachtet werden. Dazu zählen besonders das Sachlichkeitsgebot sowie das Verbot der Werbung um ein Einzelfallmandat ( Kap. 2.1.3). Nach § 6 Abs. 2 BORA sind Mailings an bestehende und ehemalige Mandanten erlaubt. Nach der Rechtsprechung des BGH ist auch die schriftliche Kontaktaufnahme zu Nicht-Mandanten nicht zu beanstanden (vgl. BGH, Urteil vom 15.03.2001 - I ZR 337 / 98), selbst wenn ein konkreter Beratungsbedarf vorab bekannt war (BGH, Urteil vom 13.11.2013 - I ZR 15 / 12). Meist werden Werbebriefe jedoch ohnehin nicht dazu genutzt, unmittelbar Vertragsabschlüsse zu erzielen. Ein Mandat wird in <?page no="346"?> 346 Operatives Kanzleimarketing der Regel nicht auf der Grundlage eines einzelnen Schreibens erteilt. Bei komplexen Diensten ist es aussichtsreicher, Rundschreiben als Baustein eines mehrstufigen Kommunikationskonzeptes zu verstehen: Der Brief wird als Motivator genutzt, weitergehende Informationen einzuholen, z. B. über die Website oder durch einen Anruf; er dient als Trigger ( Kap. 5.2.1.1). Entsprechend wichtig ist es, eine Werbesendung möglichst attraktiv zu gestalten. Kreativität sowohl im Inhalt als auch bei der Form sind deshalb bei Mailings außerordentlich wichtig. Das betrifft keineswegs nur das eigentliche Anschreiben, denn Interesse muss zuallererst das Kuvert wecken (vgl. Holland 2009, S. 377 ff.). Nach der sogenannten Theorie der Wegwerf-Wellen landet bereits mehr als 50 % aller Werbesendungen nach 20 Sekunden im Papierkorb, größtenteils weil die „Hülle“ nicht interessant genug war (erste Wegwerf-Welle) (vgl. Vögele 2001, S. 106 ff.). Für Aufmerksamkeit sorgen hingegen Briefumschläge, die ein individuelles Schreiben vermuten lassen und keinen Werbecharakter erkennen lassen. Eine aufgeklebte Briefmarke kann diesen Eindruck verstärken. Hohe Öffnungsraten weisen auch ungebräuchliche Formate auf, allerdings wird dieser Effekt meist durch erheblich höhere Portokosten erkauft. Wichtig ist zudem der haptische Eindruck, der durch Gewicht und Beschaffenheit des verwendeten Papiers beeinflusst wird. Gestaltung und Wirtschaftlichkeit stehen in einem gewissen Spannungsverhältnis, denn schwerere Papiersorten wirken zwar meist exklusiver, verursachen allerdings höhere Versandkosten. Als Beitrag zur integrierten Kommunikation sollte das Kuvert im Corporate Design der Absender-Kanzlei gestaltet sein (vgl. Holland 2012, S. 267). Wenn die erste Hürde genommen ist und das Kuvert geöffnet wurde, kommt das Anschreiben als zweites wichtiges Mailing-Element zum Vorschein. Dies sollte Interesse wecken, so dass wirklich der gesamte Text gelesen wird und im Nachgang eine Reaktion (im Marketingjargon: Response ) erfolgt. Eine goldene Regel der Gestaltung von Direct Mails besagt, dass eine möglichst klare, organisierte Struktur den Lesefluss erheblich verbessert. Typische Postwurfsendungen mit starkem Vertriebscharakter wimmeln nur so von aufmerksamkeitsheischenden Grafikelementen (sogenannten Störern), Sprechblasen und Zusatzinformationen - im Endeffekt mit eher negativen Wirkungen. Systematisch, aber individuell sollte ein guter Werbebrief aufgemacht sein. Ein wichtiges textliches Element bildet eine aussagekräftige Betreffzeile, die möglichst auf einen konkreten Nutzen abheben sollte. Geht es also beispielsweise um die Einladung zu einer Vortragsveranstaltung sollte der Betreff transportieren, was der Adressat davon hat, z. B. Wissenszuwachs, Geldersparnis, ein größeres Netzwerk o.ä.. Ein gutes Anschreiben beginnt außerdem mit einem ersten Satz, der Neugier weckt und Lust aufs Weiterlesen macht. Das Schreiben führt genauer aus, was von dem Adressaten erwartet wird und welche Vorteile dieses Verhalten mit sich bringt. Soll eine Webseite besucht, ein Newsletter abonniert, ein Seminar besucht oder ein Telefonanruf getätigt werden? Dann ist eine dementsprechende Handlungsaufforderung, ein Call-to-Action, zu formulieren. Da die Betreffzeile normalerweise nicht ausreicht, ist der Text außerdem dazu da, den Vorteil des unterbreiteten Angebots zu erläutern oder zu unterstreichen. Kurz formuliert: Der Adressat sollte wissen, welchen Nutzen das Lesen des Briefes bringt und was die nächsten Schritte sind. Ein guter Werbebrief wird abgerundet durch eine handschriftliche Signatur, der einen klaren Absender ausweist und einen zielgruppenadäquaten Sprachgebrauch ohne „Juristendeutsch“. <?page no="347"?> Kommunikationspolitik 347 Checkliste Texten und Gestalten von Anschreiben bei Direct Mails Beinhaltet die Betreffzeile einen konkreten Nutzen? Wird der Adressat persönlich angesprochen? Ist der erste Satz motivierend genug, damit man weiterlesen möchte? Wird der USP der Offerte deutlich? Findet sich eine klare Handlungsaufforderung (Call-to-Action)? Ist der Brief handschriftlich oder zumindest in Handschrift-Typographie unterzeichnet? Werden besonders wichtige Aspekte in einem „P.S.“ noch einmal besonders hervorgehoben? Ist der Brief klar und strukturiert gestaltet (z. B. mit Aufzählungspunkten, hinreichendem Zeilenabstand etc.)? Macht der Brief einen individuellen Eindruck? Ist die verwendete Sprache der Zielgruppe angemessen? Neben dem Kuvert und dem Anschreiben besteht ein erfolgversprechender Werbebrief noch mindestens aus einem, oft aus zwei weiteren Elementen. Elementar wichtig und oft vergessen wird das Response-Element, d. h. ein Werbemittel, das zum direkten Dialog auffordert wie etwa eine Telefonnummer, eine Einladungskarte oder ähnliches. Das damit verbundene Ziel ist es, dem Adressaten eine Antwort so einfach wie möglich zu machen und dadurch eine hohe Rücklaufquote sicherzustellen. Wenn z. B. eine Antwortkarte so weit wie möglich schon vorausgefüllt ist, ein Rückumschlag beiliegt oder der Hinweis „Porto zahlt Empfänger“ aufgedruckt ist, wirkt sich das positiv auf die Rücklaufquote aus (vgl. Holland 2012, S. 268). Wird das gleiche Response-Element in mehreren Medien verwendet, kann durch Aufdruck unterschiedlicher Codes die Quelle und damit der Kampagnenerfolg nachvollzogen werden. Je nach Erklärungsbedürftigkeit und inhaltlichem Fokus kann das Mailing zusätzlich eine Kanzlei- oder Produktbroschüre oder einen Flyer enthalten. Der wesentliche Vorteil von Werbebriefen liegt in der Möglichkeit der zielgenauen Ansteuerung von Zielgruppen, Mandanten und Interessenten. Sofern das benötigte Adressmaterial in der richtigen Qualität vorhanden ist, sind bedeutend weniger Streuverluste zu befürchten als z. B. bei klassischer Werbung oder PR. Richtig gestaltet ist die Ansprache zudem individueller und über Serienbrieffunktionen und „Wenn-dann“-Funktionen lassen sich sogar unterschiedliche Präferenzen noch stärker berücksichtigen. Eine immer weitergehende Individualisierung bei gleichzeitiger Beibehaltung von Effizienzvorteilen ist denn auch ein sichtbarer Trend bei der Gestaltung von Direct Mails. Längst ist es verbreitet, dass auch Fotos mit personalisierten Elementen angereichert werden (Bildpersonalisierung) oder dass in Werbe- <?page no="348"?> 348 Operatives Kanzleimarketing briefen auf eine Internetadresse verwiesen wird, unter der für jeden Teilnehmer eine individuelle Homepage erscheint (Personalized URL). Potenziell nachteilig bei Direct-Mail-Kampagnen sind die Kosten, die schnell den erwarteten Erfolg übersteigen. Insbesondere wenn eine Agentur für Gestaltung und Versand eingeschaltet wird, entstehen Fixkosten, die durch gewonnene Mandate wieder eingespielt werden müssen. Ob das gelingt, ist vorab schwer zu planen und ex post kaum nachzuweisen. Da per Werbebrief wohl kaum unmittelbar Mandate gewonnen werden, aber meist im Wege eines mehrstufigen Prozesses vielleicht zunächst Informationsmaterial angefordert oder ein Seminar besucht werden kann, ist der Erfolgsbeitrag eines einzelnen Briefs kaum zu ermitteln. Dennoch sollte im Rahmen einer groben Planungsrechnung vorab überlegt werden, welche Responsequote in etwa erfüllt sein müsste, damit die Mailingaktion annähernd kostendeckend wird. Dazu ein Beispiel: Eine Kanzlei versendet 250 Werbebriefe um zu einem Seminar zum Familienrecht einzuladen. Das Seminar ist kostenlos. Es wird geschätzt, dass von 250 angeschriebenen Personen am Ende 25 das Seminar besuchen und schlussendlich 3 neue Mandate gewonnen werden, die jeweils zu einem durchschnittlichen Gewinn (Umsatz abzüglich Kosten der Leistungserbringung) von 4.000 € führen. Die Gestaltung des Mailings kostet insgesamt 450 € (Arbeitszeit für interne Mitarbeiter) sowie Portkosten in Höhe von 0,62 € pro Brief und 0,35 € für Kuvertierung / Adressierung bei einem externen Dienstleister. Für die Durchführung des Seminars fallen Kosten in Höhe von 7.500 € an. Die Aktion ist damit profitabel, denn nach Abzug der Kosten für das Mailing verbleibt ein positiver Gewinn: Zusatzgewinn durch Mailing: 4.000 € · 3 = 12.000 € Gesamtkosten des Mailings: 7.500 € + 450 € + 250 · 0,62 € + 250 · 0,35 € = 8.192,50 € Gesamtprofit der Aktion: 12.000 € - 8.167,50 € = 3.807,50 € Unschwer lässt sich erkennen, dass das Mailing in unserem Beispielfall mindestens drei Mandate erbringen muss, damit die Maßnahme insgesamt lohnenswert ist. Je geringer die Gewinne pro Mandat sind und je kleiner die Trefferquote pro Mailing, desto genauer sind die wirtschaftlichen Folgen vorab zu kalkulieren, denn gerade in diesen Fällen kommt es darauf an, dass die Mailingkosten nicht aus dem Ruder laufen. Besonders lohnenswert sind Werbebriefe daher, wenn es um den Vertrieb einer vertragsgebundenen Dienstleistung geht, die langfristig regelmäßig Umsätze abwirft. 5.5.4 Online-Kommunikation Auch im Marketing für Rechtsdienste ist die Kommunikation über das Internet nicht mehr wegzudenken. Wer heute einen Rechtsanwalt sucht oder sich über rechtsrelevante Themen informiert, orientiert sich immer weniger an Gedrucktem, sondern schaut im Netz. Dieser Substitutionseffekt von offline durch online lässt sich branchenübergreifend erkennen. Noch augenfälliger ist aber der Trend, dass der Medienkonsum insgesamt wächst. Smartphone und Tablet-PC führen dazu, dass Online-Kommunikation mittlerweile überall und ständig stattfindet. Zwischen <?page no="349"?> Kommunikationspolitik 349 2012 und 2017 ist die tägliche Internetnutzung von Durchschnittsdeutschen um fast 80 % gestiegen ( Abb. 86), junge Erwachsene sind größtenteils „always on“. Kaufentscheidungen werden nicht zwingend allein auf der Grundlage der Informationen aus dem Netz getroffen, aber meistens eben auch. Im Prinzip gilt das auch bei der Suche nach einem Rechtsanwalt: Möglicherweise wird die Entscheidung nicht allein durch googeln getroffen, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit wird irgendwann im Prozess der Vorinformation das Internet konsultiert um Qualifikationen und Referenzen zu prüfen oder Antwort auf rechtliche Fragen zu erhalten. Internet-Abstinenz kann sich deshalb heutzutage niemand mehr leisten, der ein Produkt oder eine Dienstleistung anzubieten hat. Abb. 86: Entwicklung der Internetnutzung in Deutschland (vgl. ARD/ ZDF-Onlinestudien 1997-2017) Die Formen der Online-Kommunikation sind vielfältig. Das wichtigste Instrument bildet die Kanzleiwebsite - nicht nur weil die meisten Kanzleien mittlerweile eine Website haben, sondern auch weil sie die zentrale Anlaufstelle für alle weiteren Formen des Internet-Marketings ist. In jedem von der Kanzlei verfassten Artikel, der im Netz verfügbar ist, bei jedem Werbebanner oder auch in jedem Newsletter ist die Adresse einer Webpräsenz anzugeben, unter der weitere Informationen abrufbar sind. Die Website ist daher der Dreh- und Angelpunkt aller Maßnahmen der Online-Kommunikation. Aufbauend auf einem erfolgversprechenden Online-Auftritt können dann weitere Maßnahmen folgen. Präsenz im Internet nützt wenig, wenn man nicht gefunden wird. Damit das sichergestellt ist, sind Instrumente der Suchmaschinenoptimierung unerlässlich. Viele Anwälte und Kanzleien erhöhen ihre Sichtbarkeit im Netz durch einen eigenen Weblog, eine Art Internet-Tagebuch, das als Website geführt wird. Zudem kann Werbung geschaltet werden, z. B. in den gängigen Suchmaschinen oder bei Medienanbietern. Kommunikation mit Hilfe von E-Mails, beispielsweise durch einen elektronischen Newsletter, oder in sozialen Netzwerken sind ebenfalls Ansatzpunkte für eine wirksame Online-Kommunikation. 2 4 8 17 26 35 45 43 46 48 54 58 70 77 80 83 108 111 108 128 149 0 20 40 60 80 100 120 140 160 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 Internetnutzung in Minuten pro Tag <?page no="350"?> 350 Operatives Kanzleimarketing 5.5.4.1 Website Die meisten Kanzleien betreiben heutzutage eine eigene Website. In der 2012 von der Prognos AG durchgeführten Zukunftsstudie gaben 73,9 % der befragten Kanzleien an, über eine eigene Website zu verfügen (vgl. DAV / Prognos 2013, S. 129), bei der zwei Jahre später erschienenen Studie von AdvoAssist waren es bereits 84 % (vgl. Raue / Kihm 2014, S. 6). Doch so verbreitet wie die Internetauftritte auch sind, so wenig wird ihr Potenzial bisher genutzt. Stichprobenartiges „Surfen“ auf Anwaltsseiten hinterlässt den Eindruck, dass viele Webpräsenzen nur als Online-Visitenkarten oder elektronische Duplikate der Kanzleibroschüre genutzt werden. Auf diese Weise werden viele, sehr wirksame Möglichkeiten des Außenauftritts verschenkt. Die Schwächen vieler Websites sind auch darauf zurückzuführen, dass wenig Klarheit besteht, was genau einen guten Internetauftritt ausmacht. Keineswegs geht es dabei um Geschmacksfragen, obwohl die Fülle sehr unterschiedlich gelagerter Awards und Fachartikel den Eindruck erweckt, Qualität im Netz läge allein im Auge des Betrachters. Das gilt umso mehr, wenn Bewertungskriterien nicht offen gelegt werden. Was eine gute Website ausmacht, lässt sich systematisch aus ihren allgemeinen Funktionen ableiten. Wer im Internet surft, ist zuallererst auf der Suche nach Informationen. „Informieren“ ist daher auch die erste und grundlegendste Funktion, die eine Website erfüllen sollte, denn jeder Nutzer erwartet, dass seine Fragen (z. B. in welchen Rechtsgebieten ist der Anwalt tätig, welche Qualifikationen bringt er mit, welche Kontaktmöglichkeiten stehen zur Verfügung) geklärt werden. Es reicht jedoch nicht, einfach nur wichtige Informationen zu übermitteln, denn damit werden höchstens einmalige, kurze Seitenaufrufe motiviert. Die nächste Anforderungsstufe besteht darin, den Nutzer zu binden und zu unterhalten, z. B. durch ein entsprechendes Design oder spannende Zusatzinhalte. Wenn dann noch Inhalte hinzukommen, die regelmäßig aktualisiert werden, besuchen Nutzer die Website wiederholt. Damit aus Online-Kontakten dann auch eventuell Mandate werden, ist die nächste Stufe zu erklimmen: Der Nutzer sollte den Kontakt zur Kanzlei suchen. Dazu ist die Website so zu gestalten, dass dies einfach möglich wird, z. B. indem verschiedene Möglichkeiten der Kontaktaufnahme geboten werden (Telefonnummer, Kontaktformular, Rückrufoption, soziale Netzwerke), die leicht zu finden sind. Die höchste Stufe der Anforderung ist erreicht, wenn Nutzer den Internetauftritt der Kanzlei nicht nur selbst nutzen, sondern auch Dritten empfehlen. Das wird erleichtert durch sogenannte Social Plug-Ins (engl. to plug in = einstöpseln, anschließen), kleine Buttons auf der Website, die bei einem Klick die URL auf sozialen Netzwerken teilen. Bekannte Beispiele von Social Plug-Ins sind der „Gefällt mir“-Button von Facebook oder die „Share“-Funktion von XING. Der Einsatz dieser kleinen Funktionen, die sich ohne große Probleme in die eigene Website einbauen lassen, wird rechtlich kontrovers diskutiert (vgl. Splittgerber 2014, S. 155 ff.). Für einfache Verbreitung sorgt aber auch ein E-Mail Plug-In, mit dem Inhalte per E-Mail an Freunde und Bekannte verschickt werden können. Die dargestellten Website-Anforderungen stehen in einem hierarchischen Verhältnis zueinander, d. h. nur wenn ein Internetauftritt die nötigen Informationen beinhaltet, besteht die Chance, dass Adressaten auf der Seite länger verweilen, nur wenn die die Seite prinzipiell positiv bewertet wird, wird der Nutzer sie wiederholt <?page no="351"?> Kommunikationspolitik 351 besuchen usw. ( Abb. 87). Auf welchem Niveau sich die eigene Website wieder findet und wo die Schwachpunkte liegen, lässt sich durch Auswertungswerkzeuge wie z. B. Google Analytics herausfinden. Der Erfolg auf der ersten Stufe lässt sich beispielsweise durch die Anzahl der Besucher der Website in einem bestimmten Zeitraum nachvollziehen, der Bindungseffekt durch die Besuchsdauer und die Aktualität durch den Anteil der wiederkehrenden Besucher. Abb. 87: Anforderungsstufen einer guten Website Ausgehend von diesen Überlegungen lassen sich Qualitätskriterien für überzeugende Websites ableiten. Ein guter Internetauftritt muss alle geforderten Inhalte darstellen, und zwar in verständlicher und angenehmer Form. Er sollte regelmäßig aktualisiert werden und eine Interaktion ermöglichen. Nicht zuletzt sollte auch ein zusätzlicher unterhaltsamer oder informativer Mehrwert geboten werden. Was genau von einer guten Internetseite erwartet werden kann, kann unter Rückgriff auf das für Internetportale entwickelte 6C-Modell (vgl. Bauer / Hammerschmidt 2004) zusammengefasst werden ( Abb. 88). Response ermöglichen Nutzer tritt in Kontakt mit Kanzlei Verbreitung vereinfachen Nutzer verbreitet URL und Informationen Informieren Fragen des Nutzers werden geklärt 1 Binden und unterhalten Nutzer fühlt sich auf der Webseite wohl 2 Aktuell halten Nutzer besucht die Website wiederholt 3 4 5 <?page no="352"?> 352 Operatives Kanzleimarketing Abb. 88: Das 6C-Modell der Website-Gestaltung (in Anlehnung an Bauer / Hammerschmidt 2004) Fogende Aspekte sind demnach beim Aufbau einer Website besonders wichtig (die deutschen Begriffe kennzeichnen keine Übersetzungen, sondern interpretieren das Gemeinte): Content (Inhalt) Eine Kanzleiwebsite sollte über alle Dienstleistungen vollständig und in der notwendige Tiefe informieren. Es sollte klar werden, was Kanzlei bzw. Anwalt von Wettbewerbern unterscheidet, worin also der USP liegt. Guter Inhalt ist zudem auch eine Frage des Stils. Sprache, Inhalt und Darstellung sind an die Bedürfnisse der Nutzer anzupassen. Gerade für Anwälte mit Privatmandanten heißt das, rechtliche Sachverhalte konsequent für Laien verständlich und sprachlich einfach darzustellen. Configuration (Konfiguration) Konfiguration entscheidet darüber, ob Inhalte auch gefunden werden. Eine übersichtliche und verständliche Navigationsstruktur ist Pflicht, denn die Notwendigkeit einer langen Suche führt in der Regel zu Seitenabbrüchen bei den Nutzern. Eine komplizierte Seitenstruktur erhöht nicht etwa die Verweildauer auf der Website, im Gegenteil, denn im Internet gelten besonders hohe Anforderungen an die Verfügbarkeit von Informationen. Ansprechende und funktionale Gestaltung des Internetauftritts sowie Benutzerfreundlichkeit (Usability) z. B. durch barrierefreien Zugang sind weitere wichtige Aspekte. „Don’t make me think“ (Krug 2014) lautet der Titel eines Bestsellers zur Websitegestaltung und gibt damit ein Hauptcredo modernen Webdesigns wieder: Wenn ein Websitenutzer sich nicht intuitiv zurecht findet, wird er sich rasch zu anderen Webangeboten orientieren und auf keinen Fall länger über Bedienungsfragen grübeln wollen. Auch ist zu bedenken, dass mittlerweile ein Großteil der Online-Nutzung über mobile Endgeräte (Smartphone, Tablet-Computer) erfolgt. Beim Verkauf von Produkten und Diensten über das World Wide Web Anforderungen an eine „gute“ Website (6C-Modell) Content Angebotsvielfalt und -qualität Configuration Gestaltung und Usability Commerce Abschlussmöglichkeit Customer Care Service Communication Interaktion Challenge Attraktivität passende Add-Ons Bildmaterial Originalität Vollständigkeit rückmelderelevanter Informationen Kontaktformulare Online- Support Services für die Allgemeinheit Mandantenexklusive Services Online- Rechtsberatung möglich Online- Termin- oder Veranstaltungsbuchung möglich Effizienz der Navigationsstruktur Nachvollziehbarkeit der Struktur Gestaltung technische Umsetzung des Webdesigns Usability Vollständigkeit der Informationen über Dienste Wettbewerbsvorteil Informationstiefe Stil <?page no="353"?> Kommunikationspolitik 353 zeigt sich seit Jahren ein Trend zu steigender Mobilnutzung, so dass mittlerweile mehr als die Hälfte des E-Commerce mobil erfolgt. Sogenanntes Responsive Design sorgt dafür, dass der Internetauftritt je nach genutztem Endgerät in angepasster Form dargestellt wird, so dass Inhalte immer optimal auf verschiedenen Displays angezeigt werden. Aktuelle Technik-Trends sind dabei im Auge zu behalten. Künftig ist beispielsweise davon auszugehen, dass neben Tablets und Smartphones sogenannte Wearables (z. B. Apple Watch) eine neue Ära der Mobilnutzung einläuten werden. Einen kostenlosen Test zur Einschätzung der Mobilfreundlichkeit von Webseiten stellt Google für Entwickler bereit ( https: / / www.google.de/ webmasters/ tools/ mobile-friendly/ ). Abb. 89: Responsive Webdesign der Kanzlei Schlockermann Rechtsanwälte ( http: / / www.schlockermannrae.de) (Agentur: das formt) Commerce (Abschlussmöglichkeit) Websites sollen verkaufen und nicht nur darstellen, doch nicht alle Produkte und Dienste sind E-Commerce-fähig. Für Rechtsdienstleistungen gilt das jedoch schon längst, denn mittlerweile bieten zahlreiche Rechtsanwälte auch Online-Rechtsberatung an und setzen daher ihren Internetauftritt auch ein, um Umsatz zu generieren. Doch auch die Möglichkeit, z. B. sich für eine Veranstaltung anzumelden, einen Termin zu buchen oder ein e- Book zu kaufen ist im weitesten Sinne ein Abschluss, denn der Nutzer kann eine umsatzrelevante Aktivität ausführen. Customer Care (Service) Viele Services lassen sich kosten- und zeitsparend über das Internet anbieten. Ein guter Internetauftritt bietet nicht nur Informationen, sondern auch einen echten Mehrwert durch Services. Typische Online-Angebote dieser Art, die man aus anderen Branchen kennt, sind z. B. Rechnungsabruf, Stammdatenänderung oder technischer Support. Rechtsanwälte können auf ihrer Website Services für die Allgemeinheit und/ oder die eigenen Mandanten anbieten. Beispielhafte Services für alle Interessierten sind z. B. laientaugliche Erklärungen zu einzelnen Rechtsgebieten, aktuelle Nachrichten oder Formulare. Zu <?page no="354"?> 354 Operatives Kanzleimarketing den mandantenexklusiven Services zählt z. B. das Angebot einer elektronischen Webakte. Communication (Kommunikation bzw. Interaktion) Websites der alten Schule konzentrieren sich auf die Verteilung von Informationen, die der Nutzer als Rezipient weitgehend passiv abrufen kann. Das Ziel sollte es jedoch sein, Besucher eines Internetauftritts zur Interaktion zu bewegen, so dass aus einem kurzfristigen Online-Kontakt im Idealfall eine langfristige, reale Zusammenarbeit wird. Dazu braucht es Interaktionsmöglichkeiten, die im einfachsten Fall über ein simples Kontaktformular hergestellt werden können. Wer schon einmal ein solches auf einer Website ausgefüllt hat, weiß, dass Kontaktformulare nicht immer nutzerfreundlich ausgestaltet sind. Mehr Feedback ist wahrscheinlich, wenn neben E- Mail-Kontakt weitere, möglichst einfache Rückmeldewege zur Verfügung stehen, z. B. eine kostenfreie Rufnummer, ein Chat oder der Hinweis auf soziale Netzwerke. Nicht zuletzt trägt auch die Abrufbarkeit von Zusatzinformationen (z. B. Referenzen oder Gegnerlisten) dazu bei, dass sich Nutzer ein vollständiges Bild von der Kanzlei machen können. Challenge (Attraktivität) Ein vollständiger, technisch einwandfreier Internetauftritt, der eigene Aktivitäten des Nutzers motiviert, mag gut funktionieren, kann aber trotzdem das gewisse Etwas vermissen lassen. Begeisterung und nachhaltige Bindung wird zu einem bestimmten Grad über zusätzliche Informationsangebote (Add-Ons) erzielt, die nicht zum Standardrepertoire von Kanzleien und Anwälten gehören, z. B. eine Liste mit häufigen Fragen zum Rechtsgebiet, ein Datenbank mit Urteilen oder Ähnliches. Oft belächelt, aber durchaus zugkräftig ist auch Unterhaltsames wie Zitate-Sammlungen, Juristen-Witze oder ein Online-Test zur Evaluierung der Rechtskenntnisse in einem bestimmten Gebiet. Fälschlicherweise hält sich unter Anwälten die Meinung, dass die „ernste“ Rechtsmaterie durch solche Angebote möglicherweise nicht hinreichend seriös und korrekt dargestellt wird, aber in der Praxis zeigt sich, dass Unterseiten mit Anekdoten, Links oder skurrilen Gerichtsurteilen manchmal am häufigsten abgerufen werden. Eine besondere Anziehungskraft haben auch Fotos, speziell natürlich solche von Anwälten der Kanzlei, die potenzielle Mandanten meist als ersten Indikator dafür heranziehen, ob eine Zusammenarbeit angenehm, schwierig oder schlicht unmöglich sein könnte. Ein originelles Layout, kombiniert mit guten Fotos sowie ein Informationsangebot, das über die Vermittlung von unbedingt notwendigen, sachdienlichen Hinweisen hinausgeht, machen einen Internetauftritt erst wirklich zum Anziehungspunkt. Wie weit und in welche Richtung Originalität verstanden wird, ist eine Frage von Mut und Geschmack. Ein mutiges Beispiel ist die Website der Kanzlei Deist aus Celle, auf der sich Kanzleikopf Thomas Deist als Batman mit Robe inszeniert ( Abb. 90). Das Feedback ist gemischt (vgl. Kahrmann 2012), aber der Erfolg dürfte aus Marketingsicht gesichert sein, denn Deist macht eigentlich alles richtig: Der Auftritt wirkt sympathisch, beweist Humor und sorgt mit Fotos von sich und einem strahlenden Kanzleiteam dafür, dass man eigentlich gleich anrufen möchte. Die Website wurde bereits des Öfteren in der Presse erwähnt und trägt zum guten Google-Ranking bei. Anwaltskollege Dirk Bruckhaus geht noch weiter und präsentiert sich online im Bademantel ( Abb. 91). <?page no="355"?> Kommunikationspolitik 355 Abb. 90: Internetauftritt der Kanzlei Deist ( http: / / www.ra-deist.de) (Agentur: Nijo) Abb. 91: Internetauftritt des Rechtsanwalts Dirk Bruckhaus ( http: / / www.radirkbruckhaus.de/ ) <?page no="356"?> 356 Operatives Kanzleimarketing Das 6C-Modell fasst die Qualitätsmerkmale einer guten Website in allgemeiner Form zusammen. Die sechs Faktoren sind branchenspezifisch unterschiedlich zu interpretieren und zu definieren. Im Rahmen von Vergleichsuntersuchungen der Fachhochschule Köln wurde das 6C-Modell beispielsweise zur Untersuchung von Internetauftritten von Energieversorgern eingesetzt, wobei die „Cs“ auf mehr als hundert Einzelindikatoren heruntergebrochen wurden, die sich teilweise messen lassen (z. B. Anzahl nötiger Klicks bis zum Abschluss oder Vorhandensein eines Kontaktformulars) (vgl. Halfmann / Hasberg / Linssen 2009). Häufiges „Surfen“ auf Anwalts- Websites offenbart noch erhebliche Defizite bei der Qualität der Internetauftritte. Sieben Schwachpunkte sind branchenspezifisch häufiger anzutreffen: Urteile statt Inhalte Anwälte lieben Rechtsprechung, ganz besonders wenn es um bisher nicht eindeutig geregelte Randbereiche oder exotische Ausnahmefälle geht, die juristische Detailkenntnisse verlangen. Ein weit verbreiteter Irrtum ist jedoch, dass der durchschnittliche Internetnutzer diese Vorlieben teilt. Der Content auf vielen Kanzleiwebsites besteht deshalb hauptsächlich aus Gerichtsurteilen, die gern textlich unbearbeitet und für Laien unverständlich ins Netz gestellt werden. So kann man auf Websites deutscher Kanzleien zwar nachlesen, dass ein Bier nicht unter dem Namen „Cannabis“ angeboten werden darf (vgl. EuG vom 19.11.2009 - T-234 / 06) oder dass man Schadensersatz verlangen kann, wenn im Urlaubshotel 1000 bewaffnete Soldaten für eine Militärübung untergebracht sind (vgl. AG Köln, Urteil vom 19.06.2001 - 135 C 556 / 00), aber oft nichts zu den konkreten Kosten der Rechtsberatung. Gerichtsurteile, vor allem wenn sie nicht erläutert oder zumindest in einfachen Worten zusammengefasst werden, haben deshalb begrenzten Mehrwert, dienen allenfalls der Demonstration diffuser Kompetenz und werden als Service höchstens von der Konkurrenz dankbar angenommen. Nichts geht mehr Internetauftritte von kleinen Kanzleien sind nicht selten „Marke Eigenbau“. Der Kanzleiinhaber bemüht nach Geschäftsschluss seine Programmierkenntnisse oder einen Homepage-Baukasten. Kein Wunder, dass das Ergebnis oft mit technischen Mängeln behaftet ist. Typische Probleme von Kanzlei-Websites sind deshalb nicht verlinkte Navigationspunkte, halb übersetzte englische Versionen oder auch „Fehler 404 - Seite nicht gefunden“- Meldungen. Kleinere Probleme sind lange Ladezeiten oder - sehr verbreitet - Fehler in der Darstellung auf mobilen Endgeräten. Schweig, Nutzer! Noch immer sind Internetauftritte von Anwälten oft mehr Demonstrationsals Interaktionsinstrumente. Online-Feedback ist nicht geplant, im schlimmsten Fall sogar nicht erwünscht, denn dafür fehlen oft Erfahrung und Ressourcen. Auf vielen Anwalts-Websites belaufen sich die Kontaktmöglichkeiten auf E-Mail-Adresse, Telefonnummer und Postadresse unter einem Navigationspunkt „Kontakt“, aber es fehlen Möglichkeiten, Inhalte zu kommentieren und zu teilen. Das ist kaum zeitgemäß, denn Online-Nutzer wollen partizipieren und nicht nur rezipieren. Elektronische Kanzleibroschüren Ein verbreitetes Missverständnis lautet, dass das Internet für die Vermarktung von Produkten und Diensten nur ein neues Medium ist, das die Reichweite der von Anbietern erdachten Kommunikationsinhalte erhöht. Alles, was also bis dato nur gedruckt verfügbar war, wird 1: 1 ins Netz übertragen, aber nicht angepasst. Konsequenterweise sind viele Websites im <?page no="357"?> Kommunikationspolitik 357 Grunde elektronische Kanzleibroschüren. Dabei wird nicht beachtet, dass Informationsaufnahme im Netz gänzlich anderen Regeln folgt als in der Realität. Internetseiten werden nicht Wort für Wort gelesen, sondern nur „gescannt“. Die Hälfte der Webseitenbesuche dauert maximal 10 Sekunden (vgl. Hauschildt 2014). Inhalte müssen deshalb gänzlich überarbeitet werden, bevor sie ins Netz gestellt werden können. Sätze müssen verkürzt, Begriffe vereinfacht werden und zudem kommt es ganz besonders stark auf die Wahl interessanter Themen an, denn die Konkurrenz ist stets nur einen Mausklick entfernt. Begegnungen der dritten Art Nichts macht einen Internetauftritt attraktiver als die Verwendung schöner Bilder, doch in Anwaltskreisen hält sich hartnäckig die Annahme, dass Fotos verzichtbare Ablenkung sind. Konsequenterweise wird auf bildliche Darstellungen entweder ganz verzichtet oder deren Qualität nicht so genau genommen. Anwaltsfotos auf Websites sind deshalb oft keine optischen Highlights. Fotos mit grimmig schauenden Anwälten, die vermutlich Entschlossenheit demonstrieren sollen, Portraitfotos, die wie Passbilder aus dem Automaten aussehen, bis hin zu Schnappschüssen, die den Anwalt beim Autowaschen zeigen - auf Kanzleiwebsites ist alles zu finden. My home is my castle Noch schlimmer als ein schlechtes Foto vom Anwalt ist gar kein Portraitfoto, denn potenzielle Mandanten interessieren sich natürlich primär dafür, welche Person sie möglicherweise berät. Doch seltsamerweise rücken viele Anwälte lieber ihre Kanzlei in den Vordergrund als sich selbst. Fotos von Gründerzeitvillen, denkmalgeschützten Büroetagen, seltener auch Design-Büros haben deshalb auf Websites von Anwälten Konjunktur, sind aber stets mit Vorsicht zu genießen. Erstens haben Gebäude nicht annähernd die gleiche Ausstrahlung auf Dritte wie menschliche Bilder. „Menschen wollen Menschen sehen“, lautet ein Prinzip der Werbegestaltung, gegenständliche Fotografien haben nur selten die gleiche Wirkung wie wie ein Gesicht. Zweitens haben Fotos exklusiver Kanzleigebäude zweischneidige Wirkung, denn sie schaffen unter Umständen mehr Distanz als nötig und können - je nach Ambiente - bei preissensiblen Mandanten eher einen negativen Beigeschmack hinterlassen. Bilder aus der Konserve Nichts macht mehr her als schönes Bildmaterial - und nichts hinterlässt einen schlechteren Eindruck bei Fehlgriffen. Standardfotos aus Fotodatenbanken sind größtenteils effektlos oder haben teilweise sogar deutliche negative Wirkung. Models im Business-Outfit, Rechtsanwälte mit grauen Schläfen und Gesetzbuch oder lächelnde Sekretärinnen am Telefon bleiben nicht nachhaltig im Gedächtnis und dokumentieren, dass hier wenig Mühe in den Außenauftritt geflossen ist. Besonders unoriginell und daher eher zu vermeiden sind abgedroschene Designelemente der Anwaltsszene: Paragraphenzeichen, wertvolle Füllfederhalter auf einem Vertragsdokument, Waagen mal mit und mal ohne Justitia, Roben, Hämmer und dicke Gesetzbücher finden sich so häufig auf Anwaltswebsites, dass sie eher Fluchtals Nachfragetendenzen hervorrufen. Die verschärfte Version kommt als Clipart mit Animationseffekt daher. <?page no="358"?> 358 Operatives Kanzleimarketing Checkliste Kanzleiwebsites (in Anlehnung an Bauer / Hammerschmidt 2004) Content Vollständigkeit der Informationen über Dienste Alle abgedeckten Rechtsgebiete erwähnt? Gibt es Angaben zu besonderen Services oder dem Servicestandard? Klarheit des Wettbewerbsvorteils Wird verdeutlicht, warum die Konsultation eines Anwalts empfehlenswert ist? Wird verdeutlicht, welche Vorteile die jeweilige Kanzlei gegenüber Wettbewerbern hat? Informationstiefe Sind Erläuterungen zu den Rechtsgebieten vorhanden oder werden diese nur aufgezählt? Sind Erläuterungen zum Vertretungsumfang (z. B. Gerichtsbezirke, Art der vertretenen anwaltlichen Leistungen) vorhanden? Configuration Effizienz der Navigationsstruktur Enthält die Navigationsstruktur nicht mehr als drei Hierarchieebenen? Umfasst die Navigationsstruktur wesentliche Aspekte, aber nicht mehr? Sind die Navigationsbezeichnungen aussagefähig? Gibt es Orientierungshilfen in der Navigation (sog. „Breadcrumbs“)? Ist es möglich, mit einem Klick zur Startseite und zu einer Kontaktaufnahme zu gelangen? Nachvollziehbarkeit der Struktur Ist eine Site Map (= Seitenübersicht) verfügbar? Ist die Hierarchiestruktur nachvollziehbar? Sind Highlightings in der Navigation vorhanden (d. h. wird der jeweils ausgewählte Navigationspunkt farblich oder durch einen anderen Schriftschnitt hinterlegt)? <?page no="359"?> Kommunikationspolitik 359 Gestaltung Ist die Schrift gut lesbar (Größe, Schriftart? ) Tragen Farben und Kontraste zur Lesbarkeit bei? Ist die Seite barrierefrei (z. B. Anpassung von Schriftgrößen und Kontrasten möglich)? Technische Umsetzung des Webdesigns Läuft die Seite stabil ohne Abbrüche? Ist die Website ohne zusätzliche Installation z. B. von Java, FlashPlayer oder Adobe Reader lesbar? Ist die Ladezeit vertretbar (z. B. trotz großformatiger Fotos)? Gibt es vollständige Downloadangaben beim Abruf von Dokumenten (z. B. Dateiformat, Größe, Downloadzeit)? Ist die Lesbarkeit in verschiedenen Browsern sichergestellt? Ist die Website auf mobilen Endgeräten darstellbar (Responsive Design)? Usability Sind Verknüpfungen und Zugriffe logisch organisiert? Sind nicht zu viele Links im Text untergebracht? Sind Links funktionsfähig? Werden die Links farblich gekennzeichnet? Welche Qualität haben Suchfunktionen und -ergebnisse (bei größeren Websites empfehlenswert)? Ist die Suchfunktion von jeder Seite aus aufrufbar? Wird Groß- / Kleinschreibung ignoriert? Sind Such-Optionsmöglichkeiten vorhanden? Welche Qualität hat eine eventuell vorhandene Hilfefunktion (bei größeren Websites empfehlenswert)? Commerce Besteht ein Angebot zur Online-Rechtsberatung bzw. Scheidung online? Besteht die Möglichkeit, online Termine oder Veranstaltungen zu buchen? Können im Netz andere Abschlussaktivitäten durchgeführt werden? <?page no="360"?> 360 Operatives Kanzleimarketing Customer Care Existenz von Services für die Allgemeinheit Gibt es Informationen zu den abgedeckten Rechtsgebieten? Hat die Seite eine definierte Rubrik für aktuelle Nachrichten? Gibt es juristische und betriebswirtschaftliche Tabellen (z. B. Düsseldorfer Tabelle)? Sind Informationen zu Prozesskostenhilfe und Anwaltskostenfinanzierung vorhanden? Können multimediale Inhalte abgerufen werden (Videos, Podcasts)? Existiert ein Formularcenter (z. B. Vollmachterteilung)? Existenz von mandantenexklusiven Services (z. B. eigene Webakte) Gibt es Services auf der Website, die ausschließlich Mandanten zur Verfügung stehen? Wie hilfreich sind diese Services aus Sicht von Mandanten? Communication Qualität der Informationsbereitstellung Gibt es ein Impressum bzw. erfolgt eine rechtliche Aufklärung? Sind Pressemitteilungen und -artikel über Anwälte und Kanzlei abrufbar? Werden Referenzen dargestellt? Gibt es einen Blog? Qualität der Kontaktformulare Sind die Pflichtangaben im Kontaktformular auf ein Minimum begrenzt? Gibt es ausreichend Freiraum für Mitteilungen? Wird die Versendung des Kontaktformulars bestätigt? Umfang des Online-Supports Gibt es die Möglichkeit, einen RSS-Feed zu abonnieren? Gibt es einen E-Mail-Newsletter? Besteht Anbindung an soziale Netzwerke (Facebook, Twitter, XING etc.)? <?page no="361"?> Kommunikationspolitik 361 Challenge Vorhandensein von passenden und originellen Add-Ons auf der Website Gibt es ein Gästebuch? Existieren „Häufige Fragen“ zu den Rechtsgebieten / ein Lexikon? Werden aktuelle Urteile verständlich und informativ dargestellt? Gibt es Informationen mit Unterhaltungswert (z. B. Online-Test Erbrecht o.ä.)? Sind sonstige originelle „Zusätze“ auf der Seite zu finden? Vorhandensein von Bildmaterial In welchem Umfang sind Fotos eingebunden? Wie gut ist die Bildqualität? Sind die Abbildungen passend und originell? Originalität der Präsentation Wie ansprechend ist die Optik? Wie originell ist der Inhalt? 5.5.4.2 Suchmaschinenoptimierung Eine gut strukturierte und gestaltete Website ist eine wichtige Erfolgsvoraussetzung, doch mindestens genauso wichtig ist, dass diese auch gefunden wird. Wer einen Rechtsanwalt sucht, wird entweder die URL der Website direkt eingeben oder eine Suchmaschine zu Hilfe nehmen. Erfahrungen zeigen, dass der ganz überwiegende Teil der Internetnutzer Suchmaschinen nutzt, um nach Produkten und Diensten im Internet zu recherchieren. Die Nutzung von Suchmaschinen ist die am meisten verbreitete Aktivität im Internet und liegt in der Anwendungshäufigkeit noch vor E-Mails (vgl. Lewandowski 2015, S. 3). Bei der Suche nach einem Anwalt kommen ebenfalls sehr häufig Suchmaschinen zum Einsatz, entweder um selbst einen passenden Ansprechpartner zu ermitteln oder um Empfehlungen Dritter zu überprüfen ( Abb. 92). Etwa 30 % aller Nutzer klicken nach einer Suche im Internet auf das erste Suchergebnis (vgl. o. V. 2014d). Es liegt deshalb nahe, sich mit Suchmaschinenoptimierung (SEO) zu befassen, also mit der Optimierung einer Website für die umsatzstärksten Suchbegriffe, um bei den organischen Suchergebnissen möglichst weit oben zu landen, wenn potenzielle Mandanten nach entsprechenden Rechtsdienstleistungen suchen. Von der Suchmaschinenoptimierung abzugrenzen ist die Suchmaschinenwerbung, bei der es darum geht, für genau definierte Suchbegriffe Werbung bei Suchmaschinen ( S. 370) zu schalten. Suchmaschinenmarketing ist der Oberbegriff für Suchmaschinenoptimierung und -werbung und schließt alle Online-Kommunikationsmaßnahmen via Internet mit ein (vgl. Z´graggen 2014, S. 8). <?page no="362"?> 362 Operatives Kanzleimarketing Abb. 92: Instrumente der Suche nach einem Rechtsanwalt (vgl. o.V. 2013c, S. 14) Wenn es um eine bessere Präsenz in Suchmaschinen geht, stellt sich zunächst die Frage, welche Suchmaschinen gemeint sind. Generell ist zwischen allgemeinen, branchenspezifischen und regionalen / lokalen Suchdiensten zu unterscheiden. Allgemeine Suchmaschinen sind z. B. Google, Yahoo oder bing. Auf welche Suchmaschine man sich dort konzentrieren sollte, ist schnell beantwortet, denn Google ist mit einem Marktanteil von 91,99 % in Deutschland mit Abstand am meisten verbreitet ( http: / / www.gs.statcounter.com). Branchenspezifische Suchdienste sind häufig als Zusatzservice im Rahmen eines kostenpflichtigen Portals gedacht. Im eigentlichen Sinne handelt es sich dabei nicht um Suchmaschinen, sondern um Webkataloge, also um Datenbanken, die von Redakteuren gespeist werden. Suchmaschinen hingegen generieren ihre Einträge automatisch durch sogenannte Robots oder Spider, die Webseiten nach bestimmten Keywords durchsuchen. Der Nutzer macht nur selten einen Unterschied zwischen Suchmaschinen und Webkatalogen, allerdings ist die Vorgehensweise, einen guten Rangplatz zu erzielen, bei beiden Kategorien von Suchdiensten recht unterschiedlich. Branchenspezifische Webkataloge bieten neben kostenpflichtigen Einträgen oft die Möglichkeit eines kostenfreien Basis-Eintrags, der zumindest eine grundsätzliche Präsenz ermöglicht und auch das Ranking in den allgemeinen Suchmaschinen verbessert (z. B. http: / / www.anwalt24.de). Es empfiehlt sich, davon Gebrauch zu machen. Mitglieder des Deutschen Anwaltvereins sind automatisch Teil der Deutschen Anwaltsuche, dem umfassendsten Webkatalog im Netz. Suchdienste, die kostenpflichtige Einträge anbieten, sind hinsichtlich ihres Kosten-Nutzen- Verhältnisses kritisch zu hinterfragen. Es lohnt sich, auf marktführende Branchensuchmaschinen zu setzen, die eine hohe Reichweite bieten. Das ist z. B. bei an- 11% 2% 3% 7% 13% 16% 22% 26% 0% 5% 10% 15% 20% 25% 30% ... Sonstiges ... bei der Rechtsanwaltskammer nachgefragt ... eine spezielle Internetseite zur Anwaltssuche genutzt ... Stellen wie Verbraucherzentrale oder Mieterverein gefragt ... bei meiner Rechtsschutzversicherung nachgefragt ... im Internet mithilfe von Suchmaschine gesucht ... Freunde und Bekannte gefragt ... bereits einen versierten Rechtsanwalt gekannt Ich habe... „Wie sind Sie bei der Suche nach einem Rechtsanwalt vorgegangen? “ n ( Anzahl der Befragten) = 1.163 <?page no="363"?> Kommunikationspolitik 363 walt.de der Fall: Ein Eintrag auf dieser Plattform gibt nicht nur die Möglichkeit, ein eigenes Profil anzulegen und über den anwalt.de-Webkatalog gefunden zu werden, sondern verbessert vor allem die Auffindbarkeit bei Google und anderen Suchmaschinen. Häufig wird der Eintrag bei anwalt.de noch vor der entsprechenden Kanzlei angezeigt, wenn bei Google nach dem Namen eines Rechtsanwalts gesucht wird ( Abb. 93). Abb. 93: Suchmaschinenmarketing durch einen kostenpflichtigen Eintrag bei anwalt.de (Beispiel) (abgerufen am 5.4.2018) Neben der Frage, inwieweit ein Anwaltssuchdienst die Auffindbarkeit im Netz verbessert, sollte geprüft werden, ob Profile individualisierbar sind, ob Inhalte wie z. B. Rechtstipps hochgeladen werden können, ob eine unmittelbare Kontaktmöglichkeit zwischen Anwalt und potenziellen Mandanten gegeben ist (beispielsweise durch Versand einer persönlichen Nachricht), ob verschiedene Medien eingebunden werden können, welchen Service der Seitenbetreiber verspricht und vor allem, inwieweit Preistransparenz gegeben ist (vgl. Löffler 2015, S. 10 f.). Eine zielgerichtete Form der Suche bieten lokale und regionale Suchmaschinen, die sich auf Anbieter in einem bestimmten Gebiet konzentrieren. „Local“ ist einer der wesentlichen Trends im Internet, denn mit der Verbreitung mobiler Geräte nimmt die Neigung zu, sich vor Ort z. B. im Umkreis des jeweiligen Standorts, über Produkte und Dienste zu informieren. Nach einer Studie von Google nutzen vier von fünf Verbrauchern Suchmaschinen, um lokale Geschäfte und Angebote zu recherchieren (vgl. Google 2014, S. 7). Eine wichtige Grundlage bildet ein kostenloser Eintrag bei Google My Business, der für Sichtbarkeit in der Google Suche, bei Google Maps und bei Googles sozialem Netzwerk Google+ sorgt. Mit der Einführung von Google My Business im Jahr 2014 soll ermöglicht werden, die Angaben zur Kanzlei, zu den Öffnungszeiten, Adresse etc. zentral zu verwalten und für alle Google-Dienste bereit zu stellen. Zudem lassen sich Bewertungen einsammeln und kommentieren. Durch die Möglichkeit, Fotos und Text einzubinden, ergeben sich mit Google My Business bessere Möglichkeiten der Selbstdarstellung im Netz. Für potenzielle Mandanten besteht der Vorteil der vereinfachten Kontaktaufnahme über alle Google-Dienste. kostenpflichtiger Eintrag anwalt.de Kanzlei <?page no="364"?> 364 Operatives Kanzleimarketing Abb. 94: Wirkung eines Google My Business-Eintrags am Beispiel der Anwaltskanzlei Turk (abgerufen am 5.4.2018) Die Vorgehensweise des Anlegens eines Google My Business Eintrags variiert je nachdem, ob bereits ein Eintrag bei Google Maps oder Google+ vorliegt oder nicht. Im Internet sind zuhauf kostenlose Anleitungen verfügbar, die den Prozess Schritt für Schritt beschreiben (vgl. z. B. Stöck / Klosa 2015). Die Vorgehensweise ist weitgehend selbsterklärend und nimmt nicht viel Zeit in Anspruch. Neben Google My Business existieren weitere, lokale Suchdienste, durch die sich Sichtbarkeit im Netz gewinnen lässt. Yelp ( http: / / www.yelp.de), KennstDuEinen ( http: / / www.kennstdueinen.de), meinestadt.de ( http: / / www.meinestadt.de) und golocal ( http: / / www.golocal.de) gehören zu den wichtigsten Namen in diesem Kontext. Potenzielle Mandanten können hier nicht nur einen Anwalt finden, sondern auch bewerten. Präsenz bei diesen Diensten verbessert wiederum das Google-Ranking und damit die Chance, an neue Mandate zu kommen. Einträge sind für Anbieter in der Basisversion kostenlos, allerdings sind Pflege und Aktualisierung des Profils mit Aufwand verbunden. Insbesondere sollten die eingehenden Nutzerbewertungen regelmäßig verfolgt und bei Bedarf beantwortet werden. Positive Bewertungen haben starke Wirkung, denn Empfehlungen von anderen Nutzern haben hohen Glaubwürdigkeitseffekt. Mittlerweile haben sich zahlreiche Agenturen darauf spezialisiert, Dienstleister und speziell auch Anwälte bei ihrem Online Reputation Management zu unterstützen, denn positive und leicht zu findende Bewertungen sind kein Zufall. Golocal beispielsweise empfiehlt seinen Kunden die Zusammenarbeit mit Meinungsmeister ( http: / / www.meinungsmeister.de), einem auf kleine und mittlere Unternehmen spezialisierten Beratungsunternehmen für die aktive Steuerung der eigenen Bewertungen im World Wide Web. <?page no="365"?> Kommunikationspolitik 365 Abb. 95: Eintrag der Kanzlei Rose & Partner LLP bei golocal (abgerufen am 5.4.2018) Die vorangehenden Ausführungen beschäftigen sich vornehmlich mit der Frage, welche Suchdienste existieren und wie sich diese wechselseitig ergänzen. Es bleibt zu klären, welche Möglichkeiten der Suchmaschinenoptimierung sich durch eine entsprechende Ausgestaltung der Kanzleiwebsite ergeben. Dazu ist ein Grundverständnis erforderlich, wie Suchmaschinen, speziell Google, arbeiten, um Webseiten zu finden. Um Informationen im Internet hinsichtlich ihrer Priorität einzuordnen, orientieren sich Suchmaschinen an relevanten Schlüsselbegriffen, sogenannten Keywords. Die Basis der Suchmaschinenoptimierung bildet daher eine Analyse, welche Keywords jeweils besonders relevant sind, aber gleichzeitig möglichst nicht schon in größerem Stil durch Wettbewerber genutzt werden. Aufschluss darüber geben kostenlose Tools wie der Google Keyword-Planer ( http: / / adwords.google.de/ intl/ de_de/ home/ tools/ keyword-planner). Mit Hilfe dieses Instruments lässt sich beispielsweise ermitteln, dass im Kontext des Angebots „Scheidung“ ein Schlüsselbegriff wie „Familienrecht“ zwar hohe Relevanz hat, aber bereits stark von Wettbewerbern verwendet wird. „Unterhalt“ hingegen könnte bei relativ hoher Relevanz eine gute Alternative darstellen. <?page no="366"?> 366 Operatives Kanzleimarketing Abb. 96: Keyword-Analyse für den Begriff „Scheidung“ Mit Hilfe der Ergebnisse der Keyword-Analyse lassen sich weitere Optimierungsmaßnahmen vornehmen, um eine Website besser auffindbar zu machen. Den genauen Google-Algorithmus kennen zwar nur Eingeweihte, aber viele Stellgrößen sind bekannt, die zu einer besseren Position bei den Google-Suchergebnissen führen (vgl. Bernecker/ Beilharz 2012, S. 106 ff.; Lammenett 2012, S. 173 ff.): Alter der Seite Je länger eine Internetadresse besteht, desto höheres Vertrauen genießt sie bei den Suchmaschinen. Dieser Faktor ist kaum aktiv zu beeinflussen, hier heißt es warten. Seitentitel Der sogenannte Titel-Tag (Seitentitel) ist das, was in der Browserleiste erscheint, wenn eine beliebige Internetseite aufgerufen wird. Im schlimmsten Fall steht da z. B. einfach „Willkommen“ oder „Startseite“ bzw. „Kanzlei xy“. Da Google Robots die Seitentitel durchsuchen, sollte der Titel-Tag stattdessen die wichtigsten Keywords beinhalten, unter denen man gefunden werden will. Jede Unterseite sollte einen oder zwei wichtige Begriffe beinhalten, also z. B. „Fachanwalt für Familienrecht Bonn“. Keyword-Dichte Keywords sollten auch im Seitentext gelegentlich vorkommen. Dabei sollte der Text sich immer noch gut lesen lassen und Nutzer ansprechen. Die Bedeutung von Keywords für das Google Ranking hat deutlich abgenommen, so dass es eher darauf ankommt, wichtige Begriffe wie nebenbei in einen ansprechenden Text einzustreuen. Die inflationäre Benutzung von Floskeln wie „Ihr Rechtsanwalt in München“ bringt wenig für das Suchmaschinen-Ranking. Die optimale Keyword-Dichte (Anzahl der Schlüsselbegriffe im Verhältnis zur Anzahl der Wörter) sollte 4 % bis 7 % nicht überschreiten. Mit Hilfe von frei verfügbaren Auswertungsprogrammen im Internet lässt sich die Keyword- Dichte einer Website ermitteln (z. B. SEOquake unter http: / / seoquake.com). <?page no="367"?> Kommunikationspolitik 367 Textumfang Der Umfang von Texten auf einzelnen Unterseiten ist ebenfalls wichtig. Um ein gutes Ranking-Ergebnis zu erzielen, sollten mindestens 2.000 Zeichen auf einer Seite untergebracht werden. Dabei zählen alle Zeichen mit, also z. B. auch Bildunterschriften. Überschriften Überschriften haben eine wichtige Indikatorfunktion für die Relevanz eines Suchbegriffs. Insbesondere in den Überschriften der obersten Ebene sollten die entsprechenden Keywords untergebracht sein. Damit Suchmaschinen die Begriffe auslesen können, ist darauf zu achten, Überschriften korrekt auszuzeichnen. In der Programmiersprache HTML werden die Überschriften durch die Tags h1 bis h6 kenntlich gemacht. Andere Formen der Kennzeichnung werden durch Suchmaschinen nicht als Überschriften erkannt. Seitenladegeschwindigkeit Einige Suchmaschinen bevorzugen Websites, die sich schnell aufbauen. Als Hilfestellung stehen im Internet kostenlose Werkzeuge zur Verfügung, mit denen die Seitenladegeschwindigkeit gemessen werden kann (z. B. PageSpeed Insights unter https: / / developers.google.com/ speed/ pagespeed/ insights/ oder YSlow unter http: / / yslow.org). Bewegtbild und Fotos Google mag Bilder und belohnt entsprechend gestaltete Websites durch ein besseres Ranking. Bei Fotos ist auf eine geeignete Bildunterschrift und auf einen aussagekräftigen Alternativtext zu achten, für den Fall, dass das Bild nicht angezeigt werden kann. Aktualität Regelmäßige Aktualisierungen sorgen dafür, dass eine Website im Ranking gut bewertet wird. Dabei spielt nicht nur das Datum der letzten Aktualisierungen eine Rolle, sondern auch, wieviel Prozent des Inhalts ersetzt wurde. Je größer das Ausmaß der Aktualisierung, desto besser für das Ranking in Suchmaschinen. Es lohnt sich also, regelmäßig aktuelle Nachrichten auf der Website zu veröffentlichen und veraltete Texte zu löschen. Eingehende und ausgehende Links Verlinkungen auf und durch andere Websites sorgen für eine höhere Sichtbarkeit in Suchmaschinen. Allerdings ist auch die Qualität der Links von Wichtigkeit: Verweise im Umfeld von Poker- oder Erotikseiten werden negativ gewertet, themenrelevante Links liefern hingegen Pluspunkte. Aus diesem Grund empfiehlt sich ein Eintrag in relevante Verzeichnisdienste oder ein Linktausch mit Partnern, Kunden und befreundeten Kanzleien. Als Linktext sollten möglichst keine allgemeinen Bezeichnungen wie „zur Website“ oder „hier“ verwendet werden, sondern möglichst einer der Suchbegriffe, unter denen man gefunden werden möchte. Mobilfähigkeit Ende April 2015 änderte Google den Suchalgorithmus dahingehen, dass nun Websites, die sich gut auf Smartphones darstellen lassen, bei der Suche bevorzugt werden (vgl. o. V. 2015a), denn mittlerweile werden rund 50 % aller Suchanfragen bei Google auf mobilen Endgeräten gestellt (vgl. Mander 2014). 5.5.4.3 Weblogs, Foren und Communities Public Relations ist nicht nur in der realen Welt, sondern auch online ein wichtiges Kommunikationsinstrument. Die Veröffentlichung von Inhalten ohne unmittelbaren Werbebezug findet im Netz auf verschiedenen Wegen statt, die sich hinsichtlich der Interaktion ihrer Nutzer voneinander unterscheiden. Eine Möglichkeit, <?page no="368"?> 368 Operatives Kanzleimarketing Sachthemen in regelmäßiger Form zu veröffentlichen, sind Weblogs. Ein Weblog (oder kurz: Blog) ist eine Sammlung von Artikeln, die der Betreiber eines Blogs mit Datumsangabe auf eine Website stellt, also eine Art Online-Tagebuch. Nutzer haben die Möglichkeit, den Blog zu abonnieren und werden so automatisch über Aktualisierungen informiert. Auch im Rechtsberatungsmarkt haben sich Weblogs längst etabliert. Anwälte nehmen in eigenen Blogs Stellung zu Rechtsthemen, beschreiben ihren Kanzleialltag und teilen Branchenneuigkeiten. Eine umfassende Zusammenstellung der in juristischen Weblogs veröffentlichten aktuellen Artikel liefert das Portal JuraBlogs ( http: \\www.jurablogs.com), das täglich über 900 Blogs durchsucht und die Meldungen übersichtlich und nach Kategorien geordnet veröffentlicht. Blogger konnten bis Mai 2015 kostenlos teilnehmen, seitdem ist der Dienst kostenpflichtig, wenn mehr als 5 Artikel pro Monat veröffentlicht werden. Aufgrund der hohen Reichweite von JuraBlogs rechnet sich das Portal möglicherweise trotzdem, denn die Verbreitung von Beiträgen erfolgt über diesen Weg immer noch effektiver und kostengünstiger als über Suchmaschinen. Aufgrund von Kennziffern zu veröffentlichten Artikeln pro Monat und Lesern pro Artikel ermittelt das Portal täglich die erfolgreichsten juristischen Weblogs ( Abb. 97). Ein auf Basis von Nutzerwertungen aufgestelltes Alternativ-Ranking von Blogs wurde im Jahr 2015 durch Dr. Johannes Zöttl, Kartellrechtspartner und Betreiber von Kartellblog.de durchgeführt ( http: / / www.kartellblog.de). Abb. 97: Ranking juristischer Weblogs bei JuraBlogs ( http: / / www.jurablogs.com/ blogs/ ranking/ alltime) (Stand 22.05.2018) Weblogs bieten hervorragende Möglichkeiten, im Internet mit fachlichen Inhalten präsent zu sein, gerade auch für Novizen im Online-Marketing. Ein großer Vorteil liegt zunächst darin, dass es oft sehr viel effektiver ist, potenzielle Mandanten über Sachthemen anzusprechen als durch Werbung. Wer bloggt, hat die Chance, Kom- <?page no="369"?> Kommunikationspolitik 369 petenz auszustrahlen oder - je nach Ausrichtung des Weblogs - sich als Person sympathisch darzustellen und das zeigt Wirkung. Suchmaschinen mögen Weblogs und belohnen regelmäßige Aktualisierungen durch vorteilhafte Rankings, so dass der Weblog oft besser rankt als die Kanzleiwebsite. Mit Hilfe frei verfügbarer Software ist die Blogerstellung und -pflege technisch nicht allzu komplex. Eine der am meisten genutzten Webanwendungen zur Erstellung von Weblogs ist WordPress ( http: / / wpde.org), ein kostenloses System um eigene Artikel zu veröffentlichen und individuell darzustellen. Doch die Technik allein ist freilich nicht ausschlaggebend, es kommt auf den Inhalt an. Bei der Fülle der verfügbaren Informationen im Internet müssen selbst geschriebene Beiträge Nutzern einen Mehrwert bringen. Kreativität und eigene Gedanken sind gefragt, abgekupferte Pressemitteilungen und Gerichtsurteile eher Zeitverschwendung. Auch müssen Blog-Beiträge nicht immer in schriftlicher Form verfasst werden. Der Berliner Rechtsanwalt Thomas Schwenke beispielsweise veröffentlicht aktuelle Rechtsfragen unter der Überschrift „Rechtsbelehrung“ einmal im Monat als Podcast ( http: \\www.rechtsanwaltschwenke.de/ rechtsbelehrung-podcast). Gemeinsam mit einem Radiomoderator werden juristische Themen als Interview aufbereitet und mit Musik und Tönen auf leicht verdauliches Niveau gebracht. Damit die Beiträge sich möglichst weit verbreiten, kann jeder die Podcasts in die eigene Website einbauen und zum Download anbieten; zudem werden die einzelnen Folgen auch über iTunes verbreitet. Von Weblogs abzugrenzen sind Foren und Communities, die stärker auf Interaktion zwischen Nutzern ausgerichtet sind. Ein Weblog ist primär eine „Bühne“ zur Darstellung von Inhalten, die kommentiert werden können, der Kommunikationsfluss besteht allerdings primär zwischen Autor und der Leserschaft. Bei Foren und Communities steht der Betreiber der Website im Hintergrund, denn es geht vorrangig darum, dass sich Kontakte zwischen Nutzern entwickeln. Während die Verbindung der Nutzergruppe bei einem Forum eher lockerer Natur ist, versteht sich eine Community als fester Verband von Gleichgesinnten, die sich meist jeweils mit einem Profil darstellen. Sowohl Foren als auch Communities sind hervorragende Werkzeuge zur Mandantenakquise, denn auch Anwälte dürfen sich natürlich dort anmelden und mitdiskutieren. Offensives Verkaufen ist selbstverständlich tabu und auch mit dem anwaltlichen Berufsrecht nicht vereinbar; Meinungen äußern und Ratschläge geben ist hingegen erlaubt. Unverbindliches Mitdiskutieren, das von anderen Nutzern als hilfreich und uneigennützig eingestuft wird, braucht etwas Übung, kann sich aber langfristig auszahlen. Auch regelmäßiges Lesen der Foren- und Communitybeiträge bringt oft schon einen guten Überblick über die Natur der juristischen Probleme der Nutzerschaft und die Aktivitäten der Konkurrenz. Der Einfluss solcher Portale sollte nicht unterschätzt werden: So gibt es beispielsweise zum Thema „Scheidung / Trennung“ eine Fülle von Communities und Foren, die meinungsbildend in der Öffentlichkeit sind. In der Frauen-Community gofeminin „Familie - Trennung, Scheidung und Kinder“ finden sich mehrere tausend Beiträge von Betroffenen, die sich regelmäßig auch über juristische Fragen zum Thema austauschen. Weitere Angebote in diesem Bereich sind alleinerziehend.net ( http: \\www.alleinerziehend.net), trennung-forum.de ( http: \\www.trennung-forum.de) oder scheidungsforum.de ( http: \\www.scheidungsforum.de) - prinzipiell interessante Online-Kontaktbörsen für Anwälte mit dem Schwerpunkt Familienrecht. <?page no="370"?> 370 Operatives Kanzleimarketing Zusammenfassung Qualitätskriterien für einen eigenen Weblog Inhalt Oberstes und wichtigstes Kriterium für einen guten Weblog sind selbst produzierte und spannende Inhalte. Urteile und Pressemitteilungen können Impulse für Themen liefern, sind aber in unbearbeiteter Form nicht verbreitungswürdig. Persönliches über den Anwalt finden viele Nutzer interessanter als bloße Sachfragen - hier gilt es das richtige Maß zu finden. Wortwitz und Formulierungstalent machen Blog-Beiträge noch attraktiver. Aktualität In einem Blog sollten nicht nur spannende, sondern auch aktuelle Informationen zu finden sein. Ein klarer Plan, der genau festlegt, in welcher Frequenz neue Beiträge erscheinen (z B. einmal wöchentlich), ist für Nutzer und Blogger vorteilhaft: Nutzer wissen, an welchen Tagen man die Website besuchen sollte, wodurch sich wiederum die Chance erhöht, dass Artikel auch gelesen und geteilt werden. Bilder, Videos und Links Foto- und Videomaterial machen Textbeiträge besser lesbar, erhöhen den Unterhaltungswert und sorgen für besseres Ranking in Suchmaschinen. Soweit es zum Thema passt, sollten Links in den Text integriert werden, die für Leser den Vorteil haben, mühelos weitere Informationen abzurufen. Interaktion und Reaktion Gute Weblogs laden nicht nur zum Lesen, sondern auch zum Teilen, Kommentieren und Bewerten von Beiträgen ein. Um Interaktion einfach zu machen, können entsprechende Buttons eingebunden werden. Durch einen Mausklick werden Artikel auf sozialen Netzwerken verbreitet oder per E-Mail an Freunde und Bekannte verschickt. Ein „Like“-Button erlaubt es Nutzern, schnell und unaufwändig ihre Meinung zu äußern. Technik Damit die Pflege des Weblogs nicht zur Fulltime-Aufgabe wird, sind gerade Anfänger gut damit beraten, ein Content Management System zu nutzen, also eine Software, mit der Inhalte eines Blogs menügesteuert und unter Nutzung von Standardlayouts einfach verwaltet werden können. Werbeagenturen bieten gern selbst entwickelte Content Management Systeme an, die zwar einfach zu bedienen sind, dann aber oft begrenzte Freiheitsgrade ermöglichen und laufende Kosten verursachen. Langfristig empfehlenswerter ist deshalb oft die Nutzung eines lizenzfreien Open-Source-Systems. Design Nutzer und Suchmaschinen bevorzugen übersichtliches und klares Design ohne Schnickschnack und Ablenkung. Kurze Ladezeiten, Darstellbarkeit auf mobilen Geräten sowie kontrastreiche Farben und gut lesbare Schriften sind wichtiger als Experimente und Trends. Blogbesucher wollen vor allem lesen und das ungestört und ohne zu viel Ablenkung. 5.5.4.4 Online-Werbung Um über Online-Medien mit relevanten Zielgruppen in Kontakt zu treten, gibt es drei Möglichkeiten (vgl. Newman 2014): Entweder das Kommunikationsmedium unterliegt vollständig der Kontrolle des Senders, z. B. wenn eine Kanzlei mit einer eigenen Website nach außen kommuniziert. Marketingexperten sprechen in diesem Fall von Owned Media, sprich Kommunikationsmittel, die komplett der Verfügung <?page no="371"?> Kommunikationspolitik 371 des Kommunikators unterliegen, der ganz allein über die Ausgestaltung entscheidet. Anders liegt die Sache bei Earned Media, also bei Kommunikationswegen, die man nur nutzen darf, wenn ein Dritter dies zulässt. Das ist z. B. der Fall, wenn ein Fachartikel veröffentlicht werden soll, die entsprechende Redaktion diesen aber erst als veröffentlichungswürdig anerkennen muss. Die dritte und letzte Kategorie von Online-Kommunikation liegt vor, wenn für die Nutzung eines Kommunikationskanals bezahlt werden muss. Paid Media ist die Umschreibung für alle Kommunikationsformen, die ein Dritter gegen Entgelt ermöglicht. Online-Werbung ist ein typischer Fall von Paid Media. Jede Medienform hat seine spezifischen Vor- und Nachteile. Während der Vorteil von Owned Media die vollständige Kontrolle ist, punktet Earned Media durch hohe Glaubwürdigkeit. Paid Media hat den Vorteil, dass Reichweite und Zielgruppe vorab gut definierbar sind, denn dafür wird schließlich bezahlt. Genau diese Punkte sind auch die wesentlichen Pluspunkte von Online-Werbung, die deshalb wichtige ergänzende Funktionen im Zusammenspiel der Kommunikationsinstrumente hat. Eine weit verbreitete Form von Online-Werbung ist die Schaltung von Werbeanzeigen im Umfeld von Suchmaschinen. Suchmaschinenwerbung bei Google wird unter der Bezeichnung Google AdWords vermarktet. Simpel gesprochen können Marketingtreibende bei Google Anzeigen kaufen, die neben oder oberhalb der organischen Suchergebnisse in hervorgehobener Form angezeigt werden ( Abb. 98). Von allen deutschen Unternehmen, die Google nutzen, geben 75 % an, schon einmal das AdWords-Tool verwendet zu haben (vgl. IW 2011, S. 25). Besonders interessant ist diese Form der Werbung, weil durch Vorgabe entsprechender Keywords genau gesteuert werden kann, wann die Anzeige eingeblendet wird. So werden nur Internetnutzer mit Werbung konfrontiert, bei denen Rechtsberatungsbedarf auch anzunehmen ist, weil z. B. nach Wortkombinationen wie „Anzeige Betrug“ gesucht wird. Gezahlt wird per Klick (CPC = Cost per Click), d. h. nur wenn ein Nutzer auf die Werbeanzeige klickt, fallen auch Kosten an. Die Kosten pro Klick richten sich nach der Suchhäufigkeit, der Anzahl der Konkurrenten sowie der Qualität der Anzeige. Diese Faktoren entscheiden darüber, wann und wie weit oben in den Suchergebnissen eine Werbeanzeige eingeblendet wird. Es ist nicht zwangsläufig so, dass ein hohes Budget gleichzeitig eine Position ganz oben in den Suchergebnissen sichert. Google orientiert sich vielmehr an Faktoren wie Klickhäufigkeit sowie Verweildauer der Besucher auf der Landing Page, also der Website, auf welche die Werbeanzeige verlinkt. Vor der Schaltung der Anzeige ist es möglich, ein individuelles Maximalbudget anzugeben. <?page no="372"?> 372 Operatives Kanzleimarketing Abb. 98: Kategorien von Suchergebnissen bei Google (abgerufen am 26.04.2018) <?page no="373"?> Kommunikationspolitik 373 Die Schaltung von Google AdWords ist für Anfänger oft recht kompliziert, denn im Dschungel der Fachbegriffe ist es nicht ganz leicht die richtige Auswahl zu treffen. Dies ist ein Grund dafür, warum viele Klein- und Mittelunternehmen spezialisierten Agenturen vertrauen, die die Schaltung der Google Werbung übernehmen. Kurz gefasst, entsteht eine AdWords-Kampagne in fünf Schritten: 1. Keywords auswählen Zunächst sind Keywords für die Dienstleistung auszuwählen, die angeboten werden soll. Kostenlose Keyword-Tools können dabei Hilfestellung geben. Die meisten Suchanfragen bestehen aus 2-3 Wörtern. Außerdem können bestimmte Keywords für eigene Anzeigen ausgeschlossen werden, so dass sich die Treffsicherheit noch einmal erhöht. 2. Kampagnen definieren Eine Kampagne ist ein zeitlich begrenztes Kommunikationsprojekt mit einem definierten Ziel. Aufhänger für Kampagnen können bestimmte Dienstleistungen sein, beispielsweise die rechtssichere Erstellung einer Patientenverfügung oder die juristische Vertretung bei einem Streit mit dem Vermieter. Eine Kampagne läuft über einen bestimmten Zeitraum und beinhaltet mehrere Varianten von Anzeigen, die bei bestimmten Keywords eingeblendet werden. Eine Kombination aus einer Anzeigenvariante und bestimmten Keywords wird bei Google als Anzeigengruppe angezeigt. Erfolg bei Google AdWords basiert zum größten Teil auf systematischem Ausprobieren und Auswerten. Es empfiehlt sich, mehrere Anzeigen-Keyword-Kombinationen gegeneinander laufen zu lassen und die Wirkung kontinuierlich zu überprüfen, um daraus zu lernen und Kampagnen immer erfolgreicher zu machen. 3. Budget festlegen Pro Kampagne kann ein Tagesbudget vorgegeben werden, das angibt, wieviel durchschnittlich am Tag ausgegeben werden darf. Google versucht dann, alle der Kampagne zugeordneten Anzeigen möglichst oft zu schalten, bis das Budget aufgebraucht ist. Die tatsächlichen Ausgaben pro Tag können um 20 % höher ausfallen als das Tagesbudget (sogenannte Mehrauslieferung), dafür wird dann an anderen Tagen der entsprechende Betrag wieder eingespart. Mit der Flexibilität wird erreicht, dass an Tagen, an denen eine Anzeige besonders gefragt ist, mehr Schaltungen als an anderen Tagen möglich sind. 4. Anzeigen erstellen Google-Anzeigen richtig zu erstellen, bedarf etwas Übung, denn es gilt, trotz begrenzter Zeichenzahl einen Text abzuliefern, der spontan anspricht. Es empfiehlt sich, die Keywords in den Text einzubauen, denn danach wurde ja gesucht. Auch der sogenannte Call-to-Action ( S. 346) wie „Jetzt unverbindlich informieren“ sollte nicht fehlen. Die Anzeige sollte auf die Inhalte der Website abgestimmt sein, zu der bei einem Klick weiter geleitet wird. Das kann die Kanzlei-Website sein oder eine speziell erstellte Landing-Page. 5. Erfolg auswerten Der Erfolg der Kampagne sollte bereits begleitend, aber auch ex post ausgewertet werden. Es empfiehlt sich insbesondere, mehrere Anzeigenvarianten gegeneinander laufen zu lassen und systematisch die Wirkungen nachzuhalten. Dazu erstellt man vorab mehrere Anzeigen und wählt die Option „Leistungsunabhängige Anzeigenauslieferung“ vor, da Google sonst standardmäßig die Anzeige mit mehr Klicks häufiger schaltet. Gängige Erfolgskriterien für die Beureilung von Anzeigen sind die Click-Through-Rate (CTR), also der Prozentsatz der Nutzer, die auf die Anzeige klicken, und die Conversion Rate (der Prozentsatz der Nutzer, die am Ende dann auch den Kontakt zur Kanzlei suchen). Eine hohe CTR muss nicht unbedingt mit einer hohen Conversion zusammenfallen. Es kann große Unter- <?page no="374"?> 374 Operatives Kanzleimarketing schiede geben, z. B. wenn die Anzeige Interesse auslöst, die Landing-Page aber unattraktiv ist. Die Vorteile von Google AdWords liegen auf der Hand: Die Möglichkeit, durch die Auswahl relevanter Keywords potenzielle Kunden sehr zielgerichtet zu erreichen sowie die absolute Budgetkontrolle machen die Suchmaschinenwerbung sehr attraktiv, vor allem auch für kleinere und mittlere Kanzleien. Zudem sind Resultate sehr gut nachzuhalten, denn alle wichtigen Kampagnenindikatoren sind im System dauernd verfügbar. Natürlich stellt sich aber nicht automatisch der Erfolg bei Google AdWords ein, denn es hängt viel von der Wahl der richtigen Keywords und der Anzeigengestaltung ab. Dafür wiederum ist Erfahrung gefragt, die man durch extensives Testen, z. B. mit dem frei verfügbaren ACE-Tool, erlangt. „ACE“ steht für „AdWords Campaign Experiments“ und bietet die Möglichkeit, gezielt Veränderungen an geschalteten Anzeigen und Keywords vorzunehmen und die sich einstellenden Wirkungen zu testen. Eine Alternative ist es, spezialisierten AdWords- Agenturen die Suchmaschinenwerbung zu übertragen. Gerade für Anwälte, die noch nicht viel Erfahrung mit Online-Werbung haben, bietet sich dieser Weg an. Mittlerweile gibt es auch Agenturen, die ihre Dienstleistungen speziell Kanzleien anbieten und mit Branchenexpertise werben. Inwieweit sich Agenturbetreuung lohnt, hängt freilich von den Kosten ab, die stark variieren. Eine weitere Form von Online-Werbung ist Banner-Werbung, im Fachjargon auch Display Advertising genannt. Werbebanner unterscheiden sich von den in Suchmaschinen geschalteten Anzeigen in erster Linie durch eine geringere Textlastigkeit. Es werden vielmehr Werbemittel in Form von Bildern, Videos oder Animationen eingeblendet, die mit Text und Textlinks angereichert sind. Diese werden durch den Werbetreibenden, z. B. eine Kanzlei, bereitgestellt und auf einer Website eines Dritten kostenpflichtig veröffentlicht. Anders als bei Google AdWords wird also die Zielgruppe der Bannerkampagne nicht durch Festlegung bestimmer Keywords, sondern durch die Wahl des Mediums begrenzt. Eine Bannerkampagne auf der Website einer Tageszeitung erreicht andere Nutzer als die gleiche Kampagne bei einem regionalen Portal oder im Umfeld eines speziellen Nutzerforums. Display Advertising haftet im Allgemeinen das Vorurteil an, dass Banner nur selten geklickt werden. Die Nutzer sind „bannermüde“ und betrachten diese Werbeform eher als Belästigung denn als Bereicherung. Statistiken geben dieser Vermutung Recht. Mit dem Google Display Benchmarks Tool lassen sich monatsgenau für alle Bannerformen sowie verschiedene Branchen und Länder die Click-Through-Rates und andere Kennzahlen ermitteln ( http: / / www.richmediagallery.com/ learn/ benchmarks). <?page no="375"?> Kommunikationspolitik 375 Prozent Abb. 99: Entwicklung der Click-Through-Rate in Prozent (Deutschland) ( http: / / www.richmediagallery.com/ learn/ benchmarks) Im Durchschnitt über alle Branchen liegt die Klickrate seit Jahren bei ca. 0,16 % - auf 1.000 Einblendungen (sog. Impressions) kommen also normalerweise keine zwei Klicks. Allerdings sagen Durchschnittszahlen wenig aus, denn es zeigt sich auch, dass durchaus höhere Click-Through-Rates möglich sind. Klickstarke Kampagnen berücksichtigen vor allem die folgenden Aspekte: Ganz oben bei den Erfolgsfaktoren guter Bannerwerbung steht die Wahl des passenden Mediums. Je höher der Anteil der Zielgruppe am jeweiligen Nutzerkreis, desto größer ist in der Regel die Wahrscheinlichkeit, dass jemand nicht nur zufällig, sondern mit einem hohen Themeninteresse auf das Banner klickt. Im Internet gibt es für fast alle Lebensprobleme ein Foren oder Communities, von denen die reichweitenstärksten möglicherweise gute Werbeflächen liefern. Wenn eine Kanzlei also z. B. die Erstellung von Testamenten aktiv bewerben möchte, könnten Banner im Umfeld der regionalen Tagespresse geschaltet werden, wodurch eventuell einige potenzielle Mandanten erreicht werden. Interessanter könnte aber die Schaltung eines Werbebanners auf der Website der Online-Community Feierabend.de sein, zu der rund 178.000 Mitglieder über 50 Jahre gehören, die sich über alle Probleme des Alterns, unter anderem auch über Vorsorgethemen, austauschen. Möglicherweise bietet sich aber auch Werbung in einem Forum wie Finanzfrage.net an, auf dem Nutzer aller Altersklassen Fragen rund ums Geld diskutieren, oder auf der Website des Verbands deutscher Unternehmerinnen. Conversion Rates und erreichte Zielgruppe schwanken mit der Auswahl des Mediums und sollten im Einklang mit den Kanzleizielen stehen. Der Erfolg einer Display-Kampagne hängt stark von der Gestaltung des Werbebanners ab. Statische Banner, die sich horizontal über eine geöffnete Website legen und kaum weg geklickt werden können, sind leider immer noch verbreitet, aber weitgehend erfolglos. Sogenannte Rich Media-Banner beinhalten Bilder, Videos oder 3D-Elemente und bieten Studien zufolge eine um 267 % höhere Click-Through-Rate. Besonders aufmerksamkeitsstark sind auch personalisierte Banner, bei denen Motive bzw. Text je nach Betrachter variieren. Die Erstellung <?page no="376"?> 376 Operatives Kanzleimarketing solcher Banner bedingt freilich die Zusammenarbeit mit einer spezialisierten Werbeagentur. Viele Medienanbieter bieten Kommunikationspakete an, bei denen in einem bestimmten Zeitraum Banner und parallel thematisch abgestimmte Fachartikel auf der Website geschaltet werden oder im Newsletter auf das Angebot hingewiesen wird. Durch diese Kombination lässt sich der Erfolg der Online- Kampagne stark erhöhen. Wie auch bei Google AdWords, so ist auch bei Display-Werbung die kontinuierliche Auswertung und Verbesserung das A und O. Es lohnt sich also, immer wieder mit verschiedenen Bannervarianten und Medien zu experimentieren, um den Online-Werbeauftritt immer weiter zu optimieren. 5.5.4.5 E-Mail-Marketing Nach wie vor ist E-Mail-Marketing eines der am meisten genutzten Instrumente im Online-Marketing. Trotz zunehmender Überflutung mit elektronischen Nachrichten, trotz funktionsfähiger Spam-Filter und trotz Diskussionen um die rechtliche Zulässigkeit von Werbemails ist die E-Mail als Werbemedium nach wie vor beliebt. Das liegt daran, dass die elektronische Post eine Reihe von Vorteilen hat (vgl. Beilharz 2012, S. 4 ff.; Kulka 2013, S. 61 ff.): Im Vergleich zu anderen Online-Kommunikationsinstrumenten ist der Versand von E-Mails wesentlich weniger zeitaufwändig. Auch wenn ein regelmäßiger Newsletter verschickt werden soll, ist dessen Erstellung oft weniger ressourcenanfällig als z. B. die Pflege einer Facebook-Präsenz oder die Erstellung eines für viele Nutzer spannenden Weblogs. E-Mails erlauben schnelle Kontaktaufnahme und eigenen sich in besonderem Maße für aktuelle Themen, wie z. B. Neuigkeiten aus der Rechtsprechung, Veranstaltungshinweise etc. Voraussetzung dafür ist selbstverständlich, dass jeder elektronische Newsletter nicht vor dem Versand durch ein internes, kompliziertes Freigabeprozedere geschleust werden muss, sonst ist der Vorteil der Schnelligkeit dahin. Durch elektronische Nachrichten können Porto und Druckkosten gespart werden. Verglichen mit anderen Kommunikationsmaßnahmen sind E-Mails kostengünstig, aber umsatzträchtig. E-Mail-Marketing birgt nur geringe Streuverluste, denn die Empfänger geben ihre Kontaktdaten freiwillig preis und müssen ihre Erlaubnis erteilen, elektronisch kontaktiert zu werden. Aus diesen Gründen haben E-Mails eine hohe Reaktionsquote. Fast jeder nutzt heutzutage E-Mails, so dass sich fast alle Zielgruppen auf diese Weise erreichen lassen. Auch weniger internetaffine Personen verfügen zumindest über eine E-Mail-Adresse, die meist auch regelmäßig abgefragt wird. Nicht nur private, sondern auch gewerbliche Mandanten können durch E-Mails gut kontaktiert werden. E-Mails sind einfach personalisierbar. Namen und Anreden können ausgetauscht und sogar ganze Textblöcke können in Abhängigkeit von bestimmten Parametern (z. B. Wohnort) geändert werden. <?page no="377"?> Kommunikationspolitik 377 E-Mails werden gern gelesen und haben stark verkaufsfördernde Wirkung. Studien aus anderen Branchen zeigen, dass Newsletter als Informationsquelle im Vorfeld eines geplanten Kaufs viel häufiger genutzt werden als z. B. Kataloge, Zeitschriften oder die Facebook-Seite. Durch entsprechende Auswertungstools lässt sich genau nachhalten, welche Adressaten durch E-Mails erreicht wurden, wer die E-Mail geöffnet hat, ob sie wirklich gelesen wurde und ob geklickt wurde. Damit sind Newsletter z. B. papierbasierten Rundschreiben überlegen, bei denen nur geschätzt werden kann, ob der Empfänger sie wirklich gelesen hat oder ob der Brief womöglich ungelesen im Papierkorb gelandet ist. E-Mails lassen sich in mehreren Formen für das Marketing einsetzen. Eine ad hoc versendete Nachricht zu einem besonderen Anlass wird als Mailing bezeichnet und ist sozusagen das elektronische Pendant zur Direct Mail ( Kap. 5.5.3). Davon abzugrenzen sind regelmäßig erscheinende Newsletter. Newsletter haben aufgrund ihrer Regelmäßigkeit eher das Potenzial für langfristige Mandantenbindung. Der Erfolg stellt sich aber natürlich nicht automatisch ein, sonst verlangt ein planerisches Vorgehen im mehreren Schritten. Grundlage des E-Mail-Marketings ist die rechtliche Prüfung. Der Gewinnung und Verwendung von E-Mail-Adressen sind enge Grenzen gesetzt. Wenn die Registrierung für den Newsletter auf der Kanzleihomepage erfolgt, erfolgt die korrekte Vorgehensweise nach dem Double-Opt-In-Verfahren: Der Interessent gibt auf der Website seine Kontaktdaten, insbesondere seine E-Mail-Adresse an, bekommt eine Nachricht mit einem Bestätigungslink zurück und die Newsletterbestellung wird erst ausgelöst, wenn auf den Link geklickt wird. Auf diese Weise kann sichergestellt werden, dass die E-Mail-Adresse nicht missbräuchlich durch Dritte verwendet wird. Bei bereits vorliegenden Mandantenkontakten muss gesichert sein, dass der Adressat einverstanden ist, dass seine E-Mail für den Empfang eines Newsletters genutzt wird. Dazu muss ein Einverständnis explizit erklärt worden sein, z. B. bei Mandatserteilung. Die Einverständniserklärung muss ausdrücklich beinhalten, welche Informationen versendet werden sollen, also z. B. regelmäßige Kanzleineuigkeiten oder Nachrichten aus der Rechtsprechung. Auch bei Einverständniserklärungen, die persönlich abgegeben werden, empfiehlt sich das Double-Opt-In- Verfahren, d. h. der Interessent erhält einen Bestätigungslink an die angegebene E- Mail-Adresse, auf den geklickt werden muss. Unabhängig von der Quelle der Kontaktdaten, muss jederzeit die Möglichkeit gegeben sein, das Einverständnis zum Bezug elektronischer Nachrichten zu revidieren. Wenn nicht von Anfang an bereits ein sehr großer Stamm von E-Mail-Adressen vorliegt, ist zu überlegen, wie diese gewonnen werden können. Erfahrungsgemäß sind persönliche Kontaktpunkte immer die beste Möglichkeit, an Interessenten zu kommen, denn im Gespräch können Vorbehalte gegen eine Herausgabe von Adressdaten wirksam abgebaut werden. Erfahrungen zeigen, dass ein Kauf oder ein Vertragsabschluss ein guter Zeitpunkt ist, um eine E-Mail-Adresse zu bitten, denn dann ist die Hemmschwelle am geringsten, später wird es eher schwieriger. Es empfiehlt sich deshalb, die Einverständniserklärung zum Bezug von elektronischen Informationen standardmäßig bei diesen Anlässen mit abzufragen. Natürlich sollte auch auf der Homepage die Registrierung für einen Newsletter möglich sein. Mehr <?page no="378"?> 378 Operatives Kanzleimarketing Abonnenten können auf diesem Weg gewonnen werden, wenn der Newsletterbezug belohnt wird, beispielsweise durch ein kostenloses E-Book, eine Seminareinladung oder eine andere kostenlose oder zumindest vergünstigte Leistung. Wenn geklärt ist, wie Leser elektronischer Nachrichten gewonnen werden können, stellt sich als Nächstes die Frage nach der Ausgestaltung von E-Mails, die langfristig umsatzsteigernd sind. Oberstes Gebot ist es, Inhalte zu entwickeln, die echten Mehrwert bringen. Das sind im Idealfall vollständig selbst verfasste Texte über nützliche Rechtstipps, aktuelle Rechtsrisiken sowie über die Kanzlei (Termine, Personalien, neue Standorte etc.). Ein wirklich herausstechender Newsletter kostet Zeit und erfordert ein gewisses sprachliches Talent. Wenn eines oder beides nicht vorhanden ist, kann auf bestehenden Content zurückgegriffen werden, allerdings sollte eine Auswahl getroffen werden, die den Informationsbedarf der Adressaten gut abbildet. Eine PR-Agentur kann den oft fehlenden Außenblick mit einbringen und möglicherweise besser auswählen, was Nicht-Juristen gern lesen möchten. Mittlerweile gibt es auch Software-Lösungen, die aus der Fülle täglicher Nachrichten einen individuellen Ausschnitt nach vorgegebenen Filterkriterien zusammenbauen, mit einem individuellen Design versehen und auf diese Weise so etwas wie eine individuelle elektronische Zeitung generieren, die auch verschickt oder in sozialen Netzwerken geteilt werden kann. Ein Beispiel dafür ist paper.li ( http: / / paper.li). Die Anwendung durchsucht 144 Millionen Websites in 8 Sprachen, um Content nach individuellen Vorgaben zusammenzustellen, in ein persönliches Layout einzubinden und zu verteilen. Der Service kostet nach einer kostenlosen Probeperiode 9 $ pro Monat und liegt damit weit unter den Kosten, die eine PR-Agentur für die Zusammenstellung eines Pressespiegels berechnet. Weitere Vorteile sind die automatische Einbindung aktueller Nachrichten in die eigene Website sowie bei Twitter. <?page no="379"?> Kommunikationspolitik 379 Abb. 100: Beispiel einer elektronischen Kanzlei-Zeitung bei paper.li ( http: / / www.paper.li) Nicht nur das „was“, sondern auch das „wie“ der Gestaltung von Newslettern spielt eine wichtige Rolle. Erfahrungsgemäß liest ein Großteil der Empfänger nur den Betreff und entscheidet dann sofort, ob die Nachricht gelesen oder direkt gelöscht wird. Es empfiehlt sich deshalb, im Betreff Keywords zu verwenden, die bereits bei Google AdWords gute Klickraten hatten, zumindest wenn die Zielgruppe vergleichbar ist. Profis haben bei wichtigen Kampagnen mehrere E-Mail Versionen mit unterschiedlichen Betreffzeilen im Umlauf, die gegeneinander getestet werden. Damit es nicht unübersichtlich wird, sollte bei längeren E-Mails ein Inhaltsverzeichnis vorangestellt werden, das bei Anklicken einer Überschrift direkt zum jeweiligen Text weiterleitet. Noch wichtiger als bei Werbebriefen ist bei elektronischen Nachrichten ein übersichtlicher Aufbau durch Verwendung von Aufzählungen und selektiven Hervorh