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Mehrsprachigkeit und Bildung in Kitas und Schulen

Eine Einführung

0415
2019
978-3-8385-5140-1
978-3-8252-5140-6
UTB 
Elke G. Montanari
Julie A. Panagiotopoulou

Bislang wird die migrationsbedingte mehrsprachige familiale Alltagspraxis von Kindern und Jugendlichen als Abweichung von einer monolingualen Norm betrachtet. Zwar ist die Förderung von Mehrsprachigkeit ein explizites sprachenpolitisches Ziel der EU, die national verfassten Bildungssysteme haben aber bis heute weder in Bildungsempfehlungen für Kitas noch in schulischen Lehrplänen auf diese Realität adäquat reagiert. Dieses Buch geht von individueller und gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit aus, die als Chance und Herausforderung für Bildungsinstitutionen aufgefächert wird. Es sensibilisiert pädagogische Fach- und Lehrkräfte für diese Anforderungen und vermittelt ihnen wichtige Grundlagen und relevante Forschungsergebnisse aus Linguistik, Pädagogik und Didaktik.

Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Wilhelm Fink · Paderborn Narr Francke Attempto Verlag · Tübingen Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Ernst Reinhardt Verlag · München Ferdinand Schöningh · Paderborn Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlag · München Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen Waxmann · Münster · New York wbv Publikation · Bielefeld utb 0000 5140 Prof. Dr. Elke G. Montanari hat an der Stiftung Universität Hildesheim die Professur für Deutsch als Zweitsprache am Institut für deutsche Sprache und Literatur inne und ist Sprecherin des Focal Point Mehrsprachigkeit am Zentrum für Bildungsintegration, Hildesheim. Prof. Dr. Julie A. Panagiotopoulou hat die Professur für Bildung und Entwicklung in Früher Kindheit an der Universität zu Köln am Department für Erziehungs- und Sozialwissenschaften inne. Sie ist Sprecherin des Kompetenzfeldes „Soziale Ungleichheiten und interkulturelle Bildung“ (SINTER) im Rahmen des Zukunftskonzeptes der Exzellenzinitiative der Universität zu Köln. Elke G. Montanari / Julie A. Panagiotopoulou Mehrsprachigkeit und Bildung in Kitas und Schulen - Narr Francke Attempto Verlag Tübingen Umschlagabbildung: Robert Kneschke, Hände mit Sprechblase als Social Media Konzept. © AdobeStock. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. © 2019 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart CPI books GmbH, Leck utb-Nr.: 5140 ISBN 978-3-8252-5140-6 5 Inhalt Vorwort 7 A. Wer ist eigentlich mehrsprachig? 11 1 Gesellschaftliche, institutionelle und individuelle Mehrsprachigkeit 13 1.1 Individuelle Mehrsprachigkeit im Kontext von Institutionen und Gesellschaft 14 1.2 Ein- und Mehrsprachigkeit in Bildungsinstitutionen 17 1.3 Heteroglossie als individuelle und institutionelle Praxis: mehrsprachiges Wissen, Handeln und Multikompetenz 20 B. Mehrsprachigkeit und Bildung in der KiTa 25 2 Translanguaging: Mehr- und Quersprachigkeit im Erwerb und Gebrauch 27 2.1 Sprachmischung: zur translingualen Praxis mehrsprachiger Kinder 28 2.2 Quersprachigkeit: zur translingualen Logik des dynamischen Mehrspracherwerbs 32 2.3 Auf dem Weg zu einer Didaktik der Mehr- und Quersprachigkeit 35 2.4 Translanguaging in der frühpädagogischen Praxis 38 3 Mehrsprachigkeit und Literacy: gelebte Mehrschriftlichkeit 45 3.1 Frühe Literacy-Praktiken mehrsprachiger Kinder: von der Bilderbuchbetrachtung bis zur Verschriftlichung erster Sätze 46 3.2 Über (fehlende) Literacy-Erfahrungen junger Kinder aus zugewanderten Familien 51 3.3 Über (fehlende) bildungssprachliche Fähigkeiten junger Kinder aus zugewanderten Familien 55 3.4 Multi- und Pluriliteracy-Ansätze zur Förderung konzeptioneller Mehrschriftlichkeit im KiTa-Alltag 59 6 Inhalt 4 Angehende Mehrsprachigkeit: Beobachtung und Dokumentation 63 4.1 Kinder als angehende Mehrsprachige: zur Bedeutung metasprachlicher Fähigkeiten 64 4.2 Einsprachige Feststellungsdiagnostik für mehrsprachige Vorschulkinder? 66 4.3 Dokumentation mehrsprachiger Entwicklung anhand von Elterngesprächen und Beobachtungen im KiTa-Alltag 69 4.4 ‚Sprachenporträts‘ - aus der Perspektive mehrsprachiger Kinder 72 4.5 Sprachbiographische Arbeit im KiTa-Alltag mit dem Europäischen Sprachenportfolio 75 C. Mehrsprachigkeit und Bildung in der Schule 81 5 Diagnose im Schulalter 83 5.1 Verteilung sprachlicher Handlungen auf Handlungsbereiche: das Complementarity Principle 84 5.2 Zur Problematik des Vergleichens 85 5.3 Mehrsprachige Diagnoseverfahren 87 5.4 Zusammenfassung 94 6 Mehrsprachigkeit im Unterricht 97 6.1 Grundsätzliche Überlegungen 98 6.2 Praxis des mehrsprachigen Unterrichts 101 6.3 Auf einen Blick 111 7 Mehrschriftlichkeit, Bi- und Multiliteralität im Schulalter 113 7.1 Konzeptionelle Überlegungen 113 7.2 Mehrschriftliches literales Handeln in der Schule 120 7.3 Fazit 129 Literaturverzeichnis 131 7 Vorwort Mit diesem Buch wenden wir uns an Dozierende und Studierende in den Einführungsveranstaltungen in der Frühen Bildung und im Studium mit dem Abschlussziel Lehramtsoption. Das Ziel ist es, angehende pädagogische Fachkräfte und Lehrkräfte für Mehrsprachigkeit und Translingualität zu sensibilisieren, wichtige Grundlagen und relevante Forschungsergebnisse transparent zu machen und die Verzahnung von Linguistik, Pädagogik und Didaktik aufzuzeigen. Aus der Entwicklung Europas zu einer der weltweit bedeutenden Zielregionen internationaler Migration resultieren laut Michael Bommes „kulturelle Pluralisierung und Mehrsprachigkeit, auf die die europäischen Staaten nicht mehr in der Weise reagieren, dass sie diese für ein Übergangsphänomen halten, das durch forcierte kulturelle und sprachliche Assimilation aufgehoben werden kann“ (Bommes 2011: 149). Der Erwerb der „Schrift- und Verkehrssprache[n]“ heutiger Mehrheitsgesellschaften wird zwar nach wie vor als notwendige Voraussetzung „für soziale Teilnahmekompetenz“ angesehen, aber dies geschieht „im Kontext einer im Übrigen sozial weitgehend freigegebenen Mehrsprachigkeit“: Angestrebt wird damit Inklusion „und nicht kulturelle Homogenisierung“ (ebd.). Aus diesen Gründen rechnen heute Einrichtungen frühkindlicher und schulischer Erziehung und Bildung in den meisten europäischen Ländern einerseits mit einer mehrsprachigen Klientel, mit Eltern und Kindern, die ein vielfältiges Sprachenrepertoire mitbringen, unabhängig davon, ob und unter welchen Umständen und wie genau sie die sogenannten nationalen Sprachen verwenden. Andererseits und obwohl „keine gewaltsamen nationalstaatlich kulturellen Homogenisierungsprogramme mehr zur Herstellung einer nationalen Gemeinschaft“ umgesetzt werden, „wie dies noch bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts der Fall war“ (ebd.), wird auch in Bildungseinrichtungen die mehrsprachige familiale Alltagspraxis von jungen Kindern, Schülerinnen und Schülern heute oft noch als Abweichung von einer monolingualen Norm betrachtet. Die Förderung von Mehrsprachigkeit ist zwar ein explizites sprachenpolitisches Ziel der Europäischen Union, die national verfassten Bildungssysteme und so auch die deutsche Bildungspolitik haben aber bis heute - beispielsweise in curricularer Perspektive - weder in Bildungsempfehlungen für Kindertageseinrichtungen, noch in schulischen Lehrplänen auf diese Realität adäquat reagiert. 8 Vorwort So wird in aktuellen Empfehlungen der Kultusministerkonferenz ein geeigneter Umgang mit kultureller und sprachlicher Vielfalt in Kindertageseinrichtungen und Schulen hauptsächlich in der Würdigung der Herkunftssprachen gesehen, während aber - insbesondere migrationsbedingte - Mehrsprachigkeit nach wie vor außerhalb von Bildungsinstitutionen gelebt bzw. praktiziert werden soll (vgl. KMK 2013). Frühkindliche und schulische Bildungsangebote werden heute in vielen Fällen noch kompensatorisch ausgerichtet, sie zielen eher auf Einsprachigkeit und tradieren damit monolinguale Strategien und Praktiken. Die Förderung eines mehrsprachigen Repertoires bleibt somit meistens eine Angelegenheit der Familien. Gleichzeitig bleibt die Forderung nach Einsprachigkeit in deutschen Kindertageseinrichtungen und Schulen für mehrsprachig lebende Familien und deren Kinder eine große Herausforderung. Darüber hinaus kollidiert diese Forderung mit dem Anspruch, Mehrsprachigkeit von Anfang der Bildungskarriere an zu fördern. Insbesondere für Neuzugewanderte ist diese Sprachenpolitik und -praxis als eine Bildungsbarriere zu betrachten. Mit unserem Buch möchten wir die Konzepte „Mehrsprachigkeit“ und „Bildung“ systematisch verbinden und dabei den Schwerpunkt auf die (frühe) Kindheit in Kindertageseinrichtungen und in Grundschulen setzen. Wenn alle Kinder in ihren Möglichkeiten als potentielle Mehrsprachige gesehen werden können, dann sind die Unterstützung ihres Sprachenerwerbs und die Förderung einer grundlegenden Bildung von Mehrsprachigkeit und Mehrschriftlichkeit wichtige Aufgabenbereiche der Bildungsinstitutionen. Dieses Buch soll die angehenden pädagogischen Fachkräfte und Lehrkräfte darauf vorbereiten, diese Aufgabenbereiche wahrzunehmen und umsetzen zu können. Wir sehen die beiden Bildungsbereiche Elementar- und Primarbereich als Forschungsfelder und als Praxisfelder unserer Studierenden bzw. der angehenden pädagogischen Fachkräfte und Lehrkräfte eng verknüpft. Unter Berücksichtigung der Sprach- und Lernbiographien von Kindern und Jugendlichen sind die langfristigen Verläufe und die Übergänge von der Familie in die KiTa und von der KiTa in die Grundschule bedeutsam. Jedoch haben wir uns für dieses Buch für eine inhaltliche Aufteilung entschieden, weil wir auf diese Weise die spezifischen Besonderheiten des pädagogischen Alltags in Kitas und Grundschulen in den Mittelpunkt stellen wollen. Dieses Buch ist daher in ein gemeinsam verfasstes einleitendes Kapitel mit dem Titel „Gesellschaftliche, institutionelle und individuelle Mehrsprachigkeit“ (Abschnitt A.: Montanari & Panagiotopoulou) und in die Abschnitte „Mehrsprachigkeit und Bildung in der 9 Vorwort KiTa“ (Abschnitt B.: Panagiotopoulou) sowie „Mehrsprachigkeit und Bildung in der Schule“ (Abschnitt C.: Montanari) eingeteilt. Im 1. Kapitel diskutieren wir zentrale Grundbegriffe. Dabei wird Mehrsprachigkeit auf mehreren Ebenen dargestellt und mit den zentralen Begriffen Heteroglossie und Translanguaging in Verbindung gebracht. Die Kapitel 2, 3 und 4 behandeln - in Anlehnung an den Translanguaging- Ansatz - grundlegende Themen frühkindlicher Erziehung und Bildung im Zusammenhang mit der Frage nach neuen Konzepten und Methoden zur Mehrsprachigkeitsförderung von Anfang an. Im 2. Kapitel wird auf den dynamischen Mehrspracherwerb im Kindesalter sowie auf entsprechende Ansätze einer Didaktik der Mehr- und Quersprachigkeit eingegangen. Kapitel 3 widmet sich den frühkindlichen Erfahrungen mit Mehrschriftlichkeit, problematisiert den auf Einsprachigkeit basierenden Terminus Bildungssprache und verweist auf die Bedeutung der Förderung von Pluri- und Multiliteracy im Kontext der KiTa. Bezugnehmend auf den grundlegenden Begriff angehende Mehrsprachigkeit werden im 4. Kapitel Methoden zur Beobachtung und Dokumentation kindlicher Sprachbiographien im KiTa-Alltag und beim Übergang in die Grundschule diskutiert. Die Kapitel 5, 6 und 7 widmen sich der Thematik Mehrsprachigkeit und Bildung in der Grundschule: Das 5. Kapitel stellt die Diagnose in den Mittelpunkt. Dafür werden zunächst Eigenschaften mehrsprachiger Sprachbeherrschung und mehrsprachigen Handelns geklärt und mehrsprachige sowie einsprachige Modi thematisiert. Das Komplementaritätsprinzip (Complementarity Principle) wird ebenfalls dort vorgestellt. Im weiteren Verlauf werden mehrsprachige Diagnostikverfahren diskutiert. Das Kapitel 6 legt den Fokus auf Mehrsprachigkeit im Unterricht und zeigt Unterrichtsmöglichkeiten auf, die Translanguaging und mehrsprachige Unterrichtsdiskurse einbeziehen. Das letzte Kapitel widmet sich der Aneignung von Literalität in mehreren Schriften im Schulalter. Unter anderem wird dort der Multiliterätenansatz in seiner Anwendung in der Grundschule in das Blickfeld genommen. Alle Kapitel sind für die Hochschullehre konzipiert, sodass für jeden Themenbereich ein bis zwei Sitzungen verwendet werden können. Wir wünschen den Dozentinnen und Dozenten sowie den Studierenden viel Spaß und interessante Einblicke! Hildesheim und Köln, im Februar 2019 Elke G. Montanari und Julie A. Panagiotopoulou 11 A. Wer ist eigentlich mehrsprachig? Elke G. Montanari & Julie A. Panagiotopoulou 1 Gesellschaftliche, institutionelle und individuelle Mehrsprachigkeit „In welcher Sprache denkst du, wenn du rechnest? “ „Auf Spanisch.“ „Und wenn du Notizen während des Unterrichts machst: In welcher Sprache machst du das? “ „Auf Deutsch, aber auf Spanisch auch.“ Ausschnitt aus einem Gespräch mit einer jugendlichen neu zugewanderten Schülerin (Korpus Montanari 2017) „Also als ich das jetzt gehört habe, fiel mir ein, dass wir in meiner Schulzeit immer zwischen Sprachen geswitcht sind, besonders eben mit Kindern, mit Freunden, die auch beide Sprachen konnten, Deutsch und Türkisch. Da haben wir fast ausschließlich beide Sprachen benutzt, also nie, fast nie, durchgehend eine Sprache, einen Satz in einer Sprache fertig gebracht, würde ich sagen, wenn ich jetzt daran denke.“ (Ausschnitt aus einem Gespräch zwischen Lehramtsstudierenden im Rahmen eines Lehrforschungsprojektes an der Universität zu Köln (Panagiotopoulou/ Rosen 2016a: 183)) In deutschen Bildungsinstitutionen sind zahlreiche Bezüge zur Mehrsprachigkeit der Kinder und Jugendlichen zu finden, wie diese Interviewausschnitte aus zwei aktuellen Forschungsprojekten verdeutlichen. Das erste Zitat zeigt, dass neu zugewanderte mehrsprachige Schülerinnen und Schüler ihr gesamtes Sprachenrepertoire beim Lernen nutzen. Das zweite Beispiel wirft ein Licht darauf, wie angehende Lehrkräfte aus zugewanderten Familien zurückblickend ihre Sprach- 14 1 Gesellschaftliche, institutionelle und individuelle Mehrsprachigkeit praxis in ihrer Schulzeit reflektieren, wobei sie angeben, dass sie fast immer mehrsprachig handelten bzw. „fast nie, durchgehend eine Sprache“ benutzten (Panagiotopoulou/ Rosen 2016a: 185). Mehrsprachigkeit gehört daher zum Alltag der Bildungseinrichtungen dazu. Was zeichnet nun Mehrsprachigkeit aus? 1.1 Individuelle Mehrsprachigkeit im Kontext von Institutionen und Gesellschaft Mehrsprachigkeit kann auf gesellschaftlicher, institutioneller und individueller Ebene beschrieben werden. Multilingualism conveys the ability of societies, institutions, groups, and individuals to have regular use of more than one language in their everyday lives over space and time. Language is impartially understood as a variety that a group admits to using as a habitual communication. (Franceschini 2011: 346) Bei der Betrachtung von individueller Mehrsprachigkeit steht der einzelne Mensch mit den mehrsprachigen Fähigkeiten im Zentrum der Betrachtung. Es werden u. a. Fragen wie die folgenden diskutiert: ▶ Wie wurden die Sprachen angeeignet? ▶ Welche Sprache wählt dieser Mensch für welche Situationen? ▶ Wie beeinflusst die Mehrsprachigkeit andere individuelle Faktoren, z. B. die Intelligenz? Über den einzelnen Menschen hinaus können Institutionen mehrsprachig sein, z. B. Familien, Bildungseinrichtungen oder andere gesellschaftliche Institutionen. Institutionelle Praktiken werden dann in mehreren Sprachen durchgeführt. Offensichtliche Beispiele für mehrsprachige Institutionen sind zwei- und mehrsprachige Schulen, z. B. die Staatlichen Europaschulen in Berlin oder die Internationalen Kindertagesstätten und Schulen, in denen pädagogische Fachkräfte, Lehrpersonen und Schülerinnen und Schüler mehrsprachig sind. Nicht in allen Fällen sind jedoch alle Mitglieder einer mehrsprachigen Institution mehrsprachig bzw. beherrschen alle in der Institution verwendeten Sprachen. Die Europäische Union ist solch eine Institution, in der die Beschäftigten eine, zwei oder drei Sprachen verwenden, innerhalb der Institution aber insgesamt 15 1.1 Individuelle Mehrsprachigkeit im Kontext von Institutionen und Gesellschaft viel mehr, aktuell 24, Amtssprachen gebraucht werden. 1 Andererseits können Institutionen einsprachig agieren, auch wenn ihre Mitglieder zu großen Teilen mehrsprachig sind, indem sie die Mehrsprachigkeit der Akteurinnen und Akteure nicht einbeziehen. Die Frage, ob Schulen und Kindertagesstätten mehr- oder einsprachige Institutionen sind, ist Gegenstand der Diskussion. Auf der Ebene von Gesellschaften liegt Mehrsprachigkeit vor, wenn neben den lokalen Sprachen, den Sprachen angrenzender Sprachgebiete und den Familiensprachen von Migrantinnen und Migranten weitere überregionale Sprachen gesprochen werden. Beispiele für Regionen mit offizieller gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit sind die Schweiz mit Rätoromanisch, Italienisch, Französisch und Deutsch, Luxemburg mit Luxemburgisch, Deutsch und Französisch oder Südafrika mit elf offiziellen Amtssprachen. Mehrsprachigkeit in Gesellschaften zeigt sich in heteroglossischen, d. h. vielsprachigen, Situationen durch die Verwendung einer Varietät als Standardvarietät und anderer Varianten als Umgangsvarietäten einer (Landes-)Sprache. Das Spektrum kann durch Handelssprachen und Linguae francae, also Verkehrssprachen, noch erweitert werden. Derartige Sprachkonstellationen haben in Europa eine lange Tradition. So wurden sakrale und wissenschaftliche Texte in Latein, Aramäisch, Hebräisch, Arabisch und Griechisch verfasst, während für den alltäglichen Verkehr regionale Sprachen verwendet wurden. In Europa ist erst zwischen 1500 und 1800 ein engagierter Streit darüber geführt worden, ob „vulgäre“, d. h. gewöhnlich gebrauchte, Sprachen wie das moderne Italienisch oder Deutsch als Sprachen der Wissenschaft geeignet seien, oder ob nicht vielmehr die bisherige Wissenschaftssprache Latein weiter benutzt werden müsse (Pörksen 1983). Gegenwärtig sind viele Nationalsprachen und staatenübergreifende Sprachen wie z. B. Arabisch, Englisch, Russisch und Spanisch Wissenschaftssprachen, auch wenn dort, wo die Forschung durchgeführt wird, andere Sprachen gesprochen werden. Gleichzeitig ist zu fragen, inwiefern eine Konzentration auf wenige Wissenschaftssprachen die Vielfalt wissenschaftlicher Ausdrucksformen und somit auch die Verbreitung der gewonnenen Erkenntnisse einschränkt. Europäische Gesellschaften waren zu vielen Zeiten mehrsprachig und durch Arbeits- und Fluchtmigration sowie durch berufliche und Freizeitmobilität geprägt - und das seit Entstehung der Menschheit. Migration ist also kein junges Phänomen. In urbanen Regionen (Redder 2013), in Grenzregionen und 1 Art. 55 des EU Vertrags, https: / / dejure.org/ gesetze/ EU/ 55.html, zuletzt abgerufen am 26.6.2018 16 1 Gesellschaftliche, institutionelle und individuelle Mehrsprachigkeit in Regionen mit autochthonen Minderheiten, in Deutschland z. B. mit Friesen, Sinti, Sorben und Roma, ist gesellschaftliche Mehrsprachigkeit stets anzutreffen gewesen. Die Sichtbarkeit, das Prestige und die Akzeptanz waren jedoch durchaus unterschiedlich. Einige Beispiele für die zahlreichen Migrationsbewegungen, die mehrsprachige Konstellationen in Europa befördert haben, sind die Einwanderung der Hugenotten aus Frankreich nach Deutschland im 17. Jahrhundert, die Arbeitsmigration Ende des 19. Jahrhunderts in die Gegend um die Ruhr aus dem ehemaligen Königreich Polen, aus Oberschlesien, den Masuren und der Kaschubei sowie die Auswanderung Deutscher nach Russland ab dem 12. Jahrhundert und im 18. Jahrhundert. Einer einheitlichen Sprache, einer Standardsprache, kam im Wesentlichen erst mit der Entstehung der Nationalstaaten, dem Interesse an breit verständlichen Texten, der Bibelübersetzung Luthers, die durch den damals neu erfundenen Letternbuchdruck eine bis dahin nie gekannte Verbreitung erlangen konnte, und den Bemühungen um ein einheitliches Schulsystem eine neue Bedeutung zu (Ehlich 2001). Die Standardsprache entwickelte sich von einer nützlichen überregionalen Verkehrssprache nun zu einem identitätsstiftenden gesellschaftlichen Element. In diesem Zuge erfuhr die Standardsprache als Konzept eine herausgehobene Interpretation, sollte sie doch eine einsprachige Nationalstaatlichkeit unterstützen (Krumm 2003), was auch als Einsprachigkeitsideologie kritisiert wird, wie das Li Wei (2011) in Anknüpfung an Cook (1992) formuliert. Eine reflektierte und demokratische Politik zum Umgang mit individueller, institutioneller und gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit ist daher nötig. Eine grundlegende Voraussetzung für eine glaubwürdige Sprachenpolitik auf gesellschaftlicher Ebene ist aber erst gegeben, wenn die Gleichwertigkeit der Sprachen anerkannt wird: Sprache bzw. Sprachen und ihre politische und gesellschaftliche Dimension sind regelmäßiger Bestandteil von Diskussionen in der Politik und im Alltag vieler Menschen. Dennoch fehlt gerade in Deutschland ein allgemeines Bewusstsein dafür, dass Sprach(en)politik etwas Normales ist, dass Diskussionen über Sprachen zu einer Gesellschaft gehören wie Debatten über Kultur-, Sozial- oder Bildungspolitik. (Marten 2016: 11) Sprachenpolitik betrifft sowohl Institutionen als auch Individuen, weil sie beide gleichzeitig Mitglieder von Sprachgemeinschaften innerhalb einer Gesellschaft sind. Auf gesellschaftlicher Ebene besteht eine Wechselwirkung zwischen ge- 17 1.2 Ein- und Mehrsprachigkeit in Bildungsinstitutionen sellschaftlichen Gegebenheiten und mehrsprachigen Individuen: Letztere antworten auf ungleiche gesellschaftliche Verhältnisse, während wiederum Gesellschaften auf individuelle Handlungen mit Maßnahmen antworten (Brizić/ Lo Hufnagl 2016). Nehmen wir als ein Beispiel mehrsprachige Elternaktivitäten in Deutschland: In vielen Städten haben Eltern bemerkt, dass die Schule ihre Kinder nicht beim Erwerb der schriftlichen Kompetenzen in der Herkunftssprache unterstützt. Daraufhin wurden Elterninitiativen gegründet, die u. a. das Lesen und Schreiben in den Familiensprachen fördern. Somit reagieren Sprecherinnen und Sprecher auf eine im Bildungswesen institutionalisierte Begrenzung oraler und literaler Erziehung und Bildung auf die Schulsprache mit eigenen Literalisierungsangeboten (siehe dazu auch Kapitel 3 und 5). Darauf wird z. B. auf gesellschaftlicher Ebene reagiert, indem in einigen Bundesländern Prüfungen in Familiensprachen (Türkisch, Russisch z. B.) abgelegt werden können, die im Zeugnis aufgeführt werden. 2 1.2 Ein- und Mehrsprachigkeit in Bildungsinstitutionen Es ist ein grundsätzlicher Widerspruch, dass in vielen Kindertageseinrichtungen und Schulen die Kinder bzw. die Schülerinnen und Schüler wie die pädagogischen Fachkräfte und Lehrpersonen oft mehrsprachig sind und trotzdem diese Mehrsprachigkeit im didaktischen Handeln wenig Berücksichtigung findet. Große Bedeutung kommt hierbei der Kindertageseinrichtung als der ersten Bildungsinstitution zu, die Kinder mit einer einsprachigen Realität konfrontiert (vgl. Lengyel 2011: 99; Panagiotopoulou 2016: 18f.). Daran schließt sich die Schule an: Sie ist die erste Institution innerhalb einer Bildungsbiographie, die sprachliche Kompetenzen in der Schulsprache voraussetzt und dafür in anderen Sprachen, bis auf die gelehrten Fremdsprachen, unberücksichtigt lässt. So werden einige Sprachen als prüfungsrelevant eingestuft und für Unterrichtsdis- 2 An staatlichen Schulen in Deutschland werden heute - außer Englisch - noch folgende (Fremd-) Sprachen gelehrt: „Chinesisch, Dänisch, Französisch, Italienisch, Japanisch, Niederländisch, Polnisch, Russisch, Schwedisch, Spanisch, Tschechisch und Türkisch sowie Altgriechisch, Althebräisch und Latein.“ Darüber hinaus werden weitere Sprachen als studienbegleitende Fremdsprachenkurse an deutschen Hochschulen und Universitäten angeboten. Doch ist dies „angesichts der Fülle der Hochschulen kein besonders umfassendes Angebot, wenn man bedenkt, dass somit etwa die Hälfte der offiziellen EU-Sprachen an keiner deutschen Hochschule studienbegleitend gelernt werden kann“ (Marten 2016: 153). 18 1 Gesellschaftliche, institutionelle und individuelle Mehrsprachigkeit kurse eingesetzt, andere bleiben unbeachtet. Damit wird eine Vereinheitlichung von Sprachfertigkeiten unterstützt, Vielfalt wird jedoch nicht weiterentwickelt. Auf diese Weise werden in Bildungsinstitutionen gesellschaftliche Hierarchien bestätigt bzw. reproduziert (Skutnabb-Kangas 2000). Dirim (2010) hat sich intensiv mit der Unterdrückung von Minderheitensprachen, beispielsweise des Kurdischen in der Türkei, sowie mit der Marginalisierung des Türkischen innerhalb und außerhalb der deutschen Schule befasst. In diesem Zusammenhang benennt sie das Phänomen als „(Neo-)Linguizismus“, das sie beschreibt als ein Instrument der Machtausübung gegenüber sozial schwächer gestellten Gruppen mit der Funktion der Wahrung bzw. Herstellung einer sozialen Rangordnung. (Dirim 2010: 91) Mehrsprachigkeit stellt laut Krüger-Potratz (2011) eines der „Konfliktfelder in der Schulgeschichte“ Deutschlands dar. In diesem Zusammenhang sind nicht nur die großen Sprachen zu nennen, sondern auch der Umgang der Schule mit den sogenannten „Mundarten“ der deutschen Sprache ist es wert, hinterfragt zu werden: Über lange Zeit ist der Unterricht, insbesondere in den ‚niedrigen Schulen‘ - den Schulen des Volkes - in der regionalen Sprachvarietät abgehalten worden, die Kinder und Lehrer im Alltag sprachen z. B. in Plattdeutsch, Hessisch, Westfälisch, Bayerisch usw. (s. Sprachatlas des Deutschen Reiches: www.diwa.info/ ). Doch mit Beginn des 19. Jahrhunderts begann der Streit über die Rolle der Dialekte (Mundarten) in der Schule. (Krüger-Potratz 2011: 57f.) Bevor also überhaupt die Diskussion um mögliche Probleme aufgrund der migrationsbedingten Mehrsprachigkeit der Gesellschaft begann, galt bereits die individuelle Mehrsprachigkeit der ortsansässigen deutschen Bevölkerung als Herausforderung für die Schule. Sieger im „Streit über die Mundarten“ (ebd.: 57) ist die an der Schriftsprache orientierte, standardisierte Varietät, die heute als „Bildungssprache Deutsch“ bezeichnet, aber bisher nicht klar definiert und operationalisiert wurde (vgl. hierzu auch Kap. 3). 3 Dennoch sind die deut- 3 „Da die Forschung hier jedoch noch ganz am Anfang steht, werden weitere Studien notwendig sein, die es ermöglichen, das Konstrukt ‚Bildungssprache‘, seine Operationalisierung und die Entwicklung bildungssprachlicher Fähigkeiten genauer zu umreißen“ (Berendes u. a. 2013: 37). 19 1.2 Ein- und Mehrsprachigkeit in Bildungsinstitutionen schen Dialekte „nie ganz aus der Schule verdrängt worden“, wie Krüger-Potratz (ebd.: 58) feststellt: Im Zusammenhang mit den PISA-Ergebnissen der letzten Jahre wurde sogar positiv berichtet, dass die „dialekt-standardsprachliche Zweisprachigkeit“ von Schülerinnen und Schülern (in Bayern, Sachsen etc.) auch ihre besseren Schulleistungen erklären könnte, da diese sich früher mit den Unterschieden zwischen gesprochener und geschriebener Form befassten (ebd.). Parallel dazu ist die stigmatisierende und von der sogenannten „Sprachrichtigkeitsideologie“ geprägte Überzeugung, dass das „Hochdeutsch im Norden Deutschlands“ „das beste Hochdeutsch“ sei, weit verbreitet (Maitz 2014: 14). Dies führt dazu, dass alles, was davon abweicht, als defizitär wahrgenommen wird (vgl. Maitz/ Elspaß 2012). Sprachen in Bildungseinrichtungen sind nicht gleich, sondern hierarchisiert: Einige Sprachen werden als wichtig angesehen, andere nicht. Die Herstellung dieser „sozialen Rangordnung“ (Dirim 2010: 91) ist nicht mit linguistischen Kriterien zu erklären, sondern auf bildungs- und sprachpolitische Entscheidungen zurückzuführen, die die Praxis der pädagogischen Fachkräfte mitbestimmen (vgl. Panagiotopoulou 2016: 18-20; Panagiotopoulou 2017: 263ff.). Bildungsinstitutionen bewegen sich daher nicht in einem herrschaftsfreien Raum, sondern können als zentrale Rollenträger bei der Absicherung eines „Natiolekts“ aufgefasst werden (Dirim/ Mecheril 2017: 450ff.), d. h. einer Konstitution einer Sprachvarietät, die in einem nationalen Kontext als akzeptabel gilt, während andere das weniger sind. Daher ist kritisch zu fragen, welche Positionen die Lehrpersonen in der Sprachenfrage beziehen. Denn die Zulassung oder Ablehnung von Sprachen für Prüfungen, die Begrenzung von Optionen, Hausarbeiten und Prüfungsleistungen in einigen Sprachen zu erbringen und in anderen nicht, wirkt sich auf die Möglichkeiten von Mehrsprachigkeit aus. Insbesondere mit Blick auf eine inklusive Bildung lässt sich sagen, dass das Zulassen aller Sprachen zu sozialer Gleichheit beitragen kann, während die Exklusion ausgewählter Sprachen „die Lebenswirklichkeit mehrsprachiger Schülerinnen und Schüler aus zugewanderten Familien negiert“ (Panagiotopoulou/ Rosen 2015b: 164). Es ist in diesem Sinne Aufgabe der Kindertageseinrichtungen und Schulen und der (angehenden) pädagogischen Fachkräfte und Lehrkräfte, zu reflektieren, ob diese Bildungsinstitutionen Kindern und Jugendlichen ausreichend Raum für ihre Entwicklung geben, damit aktuelle sprachliche Praktiken reflektiert, erweitert und verändert werden können. Um neue Impulse zu setzen, sind in den letzten Jahren verstärkt einige mehrsprachige Konzepte entwickelt worden, die einen gleichberechtigten Ge- 20 1 Gesellschaftliche, institutionelle und individuelle Mehrsprachigkeit brauch von Sprachen ermöglichen wollen: Ansätze einer Erziehung zur Mehr- und Quersprachigkeit in Einrichtungen frühkindlicher und vorschulischer Bildung (siehe Kapitel 2) und didaktische Modellierungen eines sprach- und diversitätssensiblen Unterrichts in Schulen sind Beispiele dafür (siehe Kapitel 5). Sollen mehrsprachige Bildungskonzepte jedoch erfolgreich sein, so müssen sie eine grundsätzliche Anerkennung erfahren (Jessner 2017): Es reicht nicht, nur zu behaupten, dass Mehrsprachigkeit positiv sein könne. Eine konkrete, in sprachlichen Handlungen realisierte Anerkennung, die im Unterrichtsdiskurs, in der Bewertung und in Beurteilungen deutlich wird, unterstützt den Lernprozess. Die Lernenden und die Lehrenden selbst geben sich gegenseitig Rückmeldungen und unterstützen sich in ihrer Mehrsprachigkeit. Während die Schülerinnen und Schüler ihre Sprachen nutzen, geben sie auch den Lehrkräften Anregungen für ihre eigene Mehrsprachigkeit. Gemeinsam entsteht so ein diversitätssensibler Unterricht. 1.3 Heteroglossie als individuelle und institutionelle Praxis: mehrsprachiges Wissen, Handeln und Multikompetenz „Heteroglossia“ (auf Deutsch: Heteroglossie) und „translanguaging“ sind - laut García und Li Wei (2014) - zwei konzeptionell verwandte Begriffe, da beide „the fluid language practices of speakers“ beschreiben, wobei „heteroglossia“ als ein Oberbegriff verstanden wird: „The Bakhtinian concept of heteroglossia, […] serves as an umbrella term for all of these practices, including that of translanguaging“ (García/ Li Wei 2014: 36). Den Begriff Heteroglossia hat der Literatur- und Sprachwissenschaftler Mikhail Bakhtin (auch geschrieben: Michail Bachtin) in den 1930er-Jahren eingeführt, um zu verdeutlichen, dass Sprachen, wenn sie aus der Perspektive der Sprecherinnen und Sprecher betrachtet werden, keine in sich geschlossenen Systeme sind. Damit soll deutlich gemacht werden, dass eine „einheitliche Sprache“ nicht mit der „lebendigen Sprache“ oder der sprachlichen Realität der Sprecherinnen und Sprecher übereinstimmt (Busch 2015: 50). Laut Bakhtin befinden sich nämlich alle Menschen immer in „einem Dialog von Sprachen“ (Bakhtin 1979: 186, zit. nach Busch 2015: 50f.). Damit ist u. a. „das Bündel an Varietäten, Registern oder Jargons gemeint, das man traditionellerweise mit dem Begriff ‚innersprachliche Mehrsprachigkeit‘ fasst“ (Busch ebd.). Wie kann nun diese Vielsprachigkeit konzeptionell gefasst werden? In der Mehrsprachigkeitsdiskussion zeigen sich aktuell unterschiedliche Sichtweisen 21 1.3 Heteroglossie als individuelle und institutionelle Praxis auf die Frage der Einzelsprachen und ihrer Realität. Einerseits gibt es klar abgrenzbare Systematiken von Sprachen: Es liegen Sprachbeschreibungen von Sprache X und Sprache Y vor, wir kennen Gemeinsamkeiten und können Unterschiede klar benennen, z. B. in der Deklination, Morphologie, Wortstellung. Des Weiteren können wir, wenngleich in unterschiedlichen theoretischen Paradigmen, diese systematisieren, untersuchen, testen und unterrichten. All dies ist in vielen Grammatiken und Wörterbüchern aufbereitet und für den Gebrauch operationalisiert, und, wenn es sein muss, sogar als Reisewörterbuch in Taschenbuchgröße erhältlich. Allerdings sind hiervon viele Sprachen nicht erfasst, deren Bedeutung insbesondere für Handel oder Tourismus nicht groß ist, deren Sprecherinnen und Sprecher nur eine relativ kleine Gruppe darstellen, oder Sprachen und Sprachvarietäten, die verboten oder unterdrückt sind. Während also ein Wörterbuch oder eine Lernergrammatik Sprachen als System begreifbar und lernbar macht, ist die Abgrenzung einer Sprache von einer anderen tatsächlich nicht (ausschließlich) sprachwissenschaftlich zu beantworten. Hierbei kommen neben linguistischen Abgrenzungen wie z. B. der typologischen Distanz, die besondere Lexik sowie gesellschaftspolitische Fragen zum Tragen. Diese hängen auch mit der Frage zusammen, welche Sprache(n) einer Nation zugeordnet werden. Luxemburgisch ist ein Beispiel dafür, wie sich ein Dialekt zur Nationalsprache entwickeln kann und „wie die politische Eigenständigkeit eines Landes den Status einer Sprache beeinflussen kann“ (Marten 2016: 166). Sprachen sind selbst veränderlich: Wörter werden aus anderen Idiomen übernommen, Sprachen werden gemischt, Menschen transferieren Sprachwissen von einer Sprache in eine andere und erfinden neue Redewendungen, von denen sie sich aus anderen Sprachen anregen lassen. Schon aus systematischer Sicht ist die Abgrenzung von Sprachen untereinander und von Sprachen und Dialekten also vielschichtig. Noch schwieriger ist es aber, den Gebrauch zu erfassen, weil dieser veränderlich ist. Die alltägliche Sprachpraxis von Sprecherinnen und Sprechern, Gruppen, Institutionen und Gesellschaften zeigt, dass klare Trennungen von Sprachen im Gebrauch oft nicht durchgehalten werden können, ▶ weil mehrere Sprachen gleichzeitig gebraucht werden, ▶ weil Sprachen untereinander und aufeinander wirken, und zwar in vielfältigen Interaktionen, auf gesellschaftlicher, institutioneller und individueller Ebene. 22 1 Gesellschaftliche, institutionelle und individuelle Mehrsprachigkeit Mehrsprachige Sprecherinnen und Sprecher verfügen über Wissen um alle ihre Sprachen. Dieses Wissen interagiert und kann nicht in additiven Vorstellungen als multiple Einsprachigkeit erfasst werden: Mehrsprachigkeit ist mehr und etwas anderes als eine Multiplikation Einsprachiger (Grosjean 1989). Dies zeigt sich unter anderem in einem für Mehrsprachige charakteristischen Sprachgebrauch. So ist das Wechseln zwischen Sprachen, das Code-Switching (Myers-Scotton, Jake, Gross 2002), typisch für viele Mehrsprachige und zeigt die Fähigkeit, mehrere Sprachen miteinander in eine regelkonforme Form zu bringen. Es ist weder ungeregelt noch willkürlich, sondern ein Anzeichen hoher mehrsprachiger Bewusstheit (Özdil 2010). Der gemischte Gebrauch mehrerer Sprachen in sprachlichen Handlungen (zum Phänomen Sprachmischung siehe auch Kapitel-2) erhöht die Möglichkeiten, sich auszudrücken, und ist in mehrsprachigen Gruppen schon in der frühen Kindheit (García/ Li Wei 2014: 85) und im jungen Schulalter häufig anzutreffen (Li Wei 2014). Ein multikompetenter Ansatz erfasst das Wissen einer Sprecherin oder eines Sprechers über seine Sprachen und deren Einbezug in den Sprachgebrauch in einer ganzheitlichen Sicht als die Fähigkeit, in mehreren Sprachen angemessen handeln zu können (Li Wei 2011). Vor diesem Hintergrund ist also zu fragen, ob es nicht sinnvoller ist, die Kompetenz im Umgang mit Sprachenvielfalt und Heteroglossie zu diskutieren und zu fördern, anstatt die Idee von klar abgrenzbaren Sprachen zu verfolgen. Denn unter Berücksichtigung der Sprachen, die alle Kinder und Jugendlichen im Rahmen ihrer Bildungsbiographie erwerben, sind alle Menschen als potentielle oder angehende Mehrsprachige zu betrachten (vgl. García/ Kleifgen 2010: 3). Zwei- und Mehrsprachige verfügen über ein komplexes, multilinguales Repertoire an Praktiken, das es ihnen ermöglicht, flexibel über Sprachen hinweg zu kommunizieren. Ihre beobachtbaren pluri- oder multilingualen Praktiken werden ressourcenorientiert als Multikompetenz erfasst: A multicompetence approach enables us to investigate the structural, cognitive, and sociocultural dimensions of codeswitching in an integrated and holistic way. It also has the added value of revealing the multilingual language users’ creativity and criticality that manifest in their multilingual practices. (Li Wei 2011: 374) Multicompetence, i.e., the knowledge of more than one language in the mind, is part of the individual capacity of a person and develops in interaction with his or her social 23 1.3 Heteroglossie als individuelle und institutionelle Praxis or educational environment. … A multicompetent person is therefore an individual with knowledge of an extended and integrated linguistic repertoire who is able to use the appropriate linguistic variety for the appropriate occasion. (Franceschini 2011: 351) Das Konzept der Multikompetenz erweitert die Ebenen der Mehrsprachigkeit von Gesellschaft, Institution und Individuum um den Aspekt der Interaktion. Unter Interaktion sollen hier sowohl das intraindividuelle Geschehen auf mentaler Ebene (Cook 2016) als auch das Zurückgreifen auf ein mehrsprachiges Repertoire in sprachlichen Handlungen verstanden werden (Franceschini 2011). Beides sind multiple sprachliche Kompetenzen. Ein Repertoire ist dabei nicht als stabil und geographisch bestimmt zu verstehen, sondern als veränderlicher und in den sozialen Praxen verankerter vielsprachiger Sprachgebrauch anzusehen (Busch 2014). Damit verwenden Mehrsprachige ihre Sprachen als Ressource für erfolgreiche Kommunikation und gestalten ihre Identitäten in mehrsprachigen Handlungen (Cenoz/ Gorter 2014). Ein an Multikompetenz orientierter Ansatz bezieht ein, wie sich das Wissen über mehrere Sprachen in den verschiedenen Interaktionen entwickelt (Cook/ Li Wei 2016). So zeigt sich als Fazit, dass einerseits aus struktureller Sicht Sprachen von anderen abgegrenzt und verstanden werden können. Die Konzepte Heteroglossie und Multikompetenz zielen auf eine Sprachpraxis ab, in der Sprecherinnen und Sprecher sprachliche Mittel aus einem Repertoire für sich einsetzen, das über die einzelne Sprache hinausgreift. 24 1 Gesellschaftliche, institutionelle und individuelle Mehrsprachigkeit Fragen und Aufgaben Beratungsanfrage an Montanari (2016): „Mein Mann und ich kommen gebürtig aus Bulgarien und leben seit 14 Jahren in Deutschland. Nun kam unser Sohn Alexander zur Welt. Er ist jetzt 4 Monate alt. Ich hatte mir vorgenommen, mit ihm Deutsch zu sprechen und mein Mann Bulgarisch. Allerdings wurde mir gesagt, ich soll das nicht machen, da Deutsch nicht meine Muttersprache ist. Ich mache keine Fehler beim Sprechen, habe aber eine slawische Aussprache. Zu Hause sprechen wir vorwiegend Bulgarisch, ab und zu leider sogar gemischt Deutsch-Bulgarisch-Griechisch. (Ich weiß, dass das für den Kleinen nicht gut sein kann, deshalb versuchen wir es jetzt schon zu vermeiden.) Ich habe Sprachwissenschaften studiert und würde ganz gern meinem Sohn mehrere Sprachen beibringen wollen. In Bulgarien sind die Großeltern. Wir leben in Deutschland. Dazu haben wir ein Haus in Griechenland. Und Englisch muss heutzutage sein. Ich möchte aber das Kind nicht überfordern, deshalb wäre zum Anfang super, wenn es Deutsch und Bulgarisch lernt. Wie machen wir das am besten? Darf ich zu ihm Deutsch sprechen, wenn das nicht meine Muttersprache ist? Wann fangen wir am besten an? “ ▶ Diskutieren Sie, wie Sie hier beraten würden. Berücksichtigen Sie dabei folgende Aussagen: a. Wenn wir sprechen, befinden wir uns immer in „einem Dialog von Sprachen“ (Bakhtin 1979: 186). b. „Translanguaging is the discursive norm in bilingual families and communities. For example, the only way to communicate in bilingual/ multilingual family events is to translanguage“ (García/ Li Wei 2014: 23). 25 1.3 HeteroglossiealsindividuelleundinstitutionellePraxis: mehrsprachigesWissen,HandelnundMultikompetenz B. Mehrsprachigkeit und Bildung in der KiTa Julie A. Panagiotopoulou 2 Translanguaging: Mehr- und Quersprachigkeit im Erwerb und Gebrauch Die vierjährige Lena hört zu, während ihre Erzieherin spricht; plötzlich stellt sie laut fest: „Hanna sagt auch ‚isch‘ - wie ich! “ Die fünfjährigen Max und Lena sind gut befreundet und spielen oft zusammen. Am Frühstückstisch sitze ich mit einer Gruppe von Kindern neben Max, der plötzlich auf Lena zeigt und kommentiert: „Sie spricht mit uns Spanisch! Wir verstehen nicht, was sie sagt“. „Ich spreche nicht Spanisch“, erwidert Lena (lachend), „ich spreche Griechisch! “ „Ja“, setzt Max fort und schaut sie dabei an, „wir verstehen nicht, was du sagst“. Lena erklärt ihm in beruhigendem Ton „ich spreche mit euch Griechisch, damit ihr Griechisch lernt! “ und an mich gewandt mit etwas lauter Stimme: „Ich spreche zwei Sprachen ganz: ‚germanika ke elinika‘ [Deutsch und Griechisch] und Englisch lerne ich noch in der Schule! “ Kurz danach teilt sie der Gruppe mit: „Nein, ich spreche drei Sprachen: Deutsch, Griechisch und Kölsch! “ (Ausschnitte aus Beobachtungen im KiTa-Alltag, aus der Fallstudie ‚Lena‘; Protokoll: Panagiotopoulou) 28 2 Translanguaging: Mehr- und Quersprachigkeit im Erwerb und Gebrauch 2.1 Sprachmischung: zur translingualen Praxis mehrsprachiger Kinder Die vorangestellten Beispiele ethnographischer Beobachtungen im Alltag einer Kindertageseinrichtung in Nordrhein-Westfalen sollen exemplarisch verdeutlichen, wie mehrsprachig lebende Kinder mit verschiedenen Sprachen und Varietäten (Regiolekten, Dialekten; siehe dazu auch Kapitel 1) in Berührung kommen und sie parallel, aber auch ineinander bzw. ‚gemischt‘ gebrauchen. In deutschsprachigen Fallstudien der letzten Jahre werden entsprechende Interaktionen zwischen Kindern und Erwachsenen dokumentiert, mit deren Hilfe verdeutlicht werden kann, wie im familialen Alltag sprachenübergreifend kommuniziert wird (vgl. Tracy 2008: 102). Insbesondere wenn Eltern systematisch ihre Familiensprachen und die Umgebungssprache(n) gemischt einsetzen, produzieren ihre Kinder logische „Mischäußerungen“ (ebd.: 107). Das Phänomen der „Sprachmischung gehört zur Natur der Bilingualität“ (Schneider 2015: 36), und zwar sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern: Sie [die Sprachmischung] zeichnet erwachsene fließende Sprecher und Sprecherinnen von zwei Sprachen genauso aus wie Kinder, die gerade im Begriff sind, zwei Sprachen zu erwerben. (ebd.: 37) „Kinder mischen nicht mehr oder schlechter als Erwachsene es tun“ (Müller, Kupisch, Schmitz, Cantone 2011: 200) und sind außerdem sehr wohl in der Lage, auf den translingualen Sprachgebrauch zu verzichten, um je nach Situation und Gesprächspartner bzw. Gesprächspartnerin monolingual zu handeln. Dies zeigt, dass Mehrsprachige sehr früh damit beginnen, ihre sprachliche Praxis (inklusive Sprachwahl) bewusst zu gestalten (vgl. auch Riehl 2014: 85; Panagiotopoulou 2016: 14). Darüber hinaus sind mehrsprachige Kinder mit der Zeit auch in der Lage, ihr komplexes linguistisches Repertoire verschiedenen Sprachen und Sprachvarietäten zuzuordnen. Die vorangestellten Protokollausschnitte zeigen exemplarisch, wie Lena im KiTa-Alltag sowie in Interaktion mit Kindern und Erwachsenen mehr- und quersprachig handelt. Dabei verwendet sie nicht nur zwei Sprachen, sondern auch Varietäten (teilweise gemischt). Das erste Beispiel deutet darauf hin, dass die vierjährige Lena über ihre eigene sowie über die Sprachpraxis ihrer Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner reflektiert: hier am Beispiel der Aussprache „ich“ und „isch“. Den im KiTa-Alltag verwendeten Regiolekt setzen die Kinder in der Tat hauptsächlich in Interaktion mit ihrer Erzieherin Hanna 29 2.1 Sprachmischung: zur translingualen Praxis mehrsprachiger Kinder ein. Das zweite Beispiel deutet darauf hin, dass Lena, wahrscheinlich aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen mit ihren zweisprachigen Eltern, ihre deutschsprechenden Freundinnen und Freunde bewusst auf Griechisch anspricht, damit diese ebenfalls zweisprachig werden. Dass Lena mit der deutsch-griechischsprechenden Beobachterin nicht nur monolingual deutsch oder griechisch, sondern regelmäßig auch translingual deutsch-griechisch kommuniziert, bestätigt die These, dass Kinder in der jeweiligen Interaktion das linguistische Repertoire ihrer Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner berücksichtigen und ihre eigene Sprachpraxis entsprechend anpassen. Mit anderen Worten: Der weit verbreitete Mythos „Children raised bilingual will always mix their languages“ (Grosjean 2010: 197) lässt sich in der Praxis nicht bestätigen. Vielmehr hängt der mono- oder translinguale Sprachgebrauch von Kindern mit pragmatischen Bedingungen innerhalb von konkreten Interaktionen und - mit zunehmendem Alter - auch mit bewussten Entscheidungen zusammen: Kinder mischen folglich ihre Sprachen in der Regel nur dann, wenn sie mit Personen interagieren, die über ein vergleichbares Sprachenrepertoire verfügen. Insbesondere unter den Bedingungen der Migration greifen bereits junge Kinder in der Regel gleichzeitig auf mehrere (Landes-)Sprachen und deren Varietäten zurück. Der Sprachgebrauch migrationsbedingt mehrsprachig lebender Kinder wird allerdings im öffentlichen Diskurs problematisiert, als Halbsprachigkeit abgewertet, oder im Hinblick auf die Sprachpraxis einer konkreten Minderheit in Deutschland zum Beispiel als „Türkendeutsch“ oder als „Kanak Sprak“ karikiert 4 . Während die translinguale Praxis Erwachsener sogar als besondere Kompetenz anerkannt wird, wird „die Sprachmischung in der frühkindlichen Zweisprachigkeit“ (Schneider 2015: 37) eher negativ betrachtet: Das vermeintlich unsystematische und gegen alle Regeln verstoßende Mischen der Kinder wird als nachteilige Auswirkung des bilingualen Erstspracherwerbs interpretiert. In der neueren linguistischen Forschung wird Sprachmischung hingegen als 4 Der Begriff Kanak Sprak wurde vom Schriftsteller Feridun Zaimoglu im deutschsprachigen Raum eingeführt. Die in seinem Roman beschriebene Sprachpraxis basiert nicht auf empirisch gewonnenen Merkmalen des gemischten Sprachgebrauchs, obwohl dies vom Schriftsteller unterstellt und vom öffentlichen Diskurs entsprechend wahrgenommen wurde. Mit der Verbreitung solch defizitärer Betrachtungen hängen Diskriminierungserfahrungen türkisch-deutschsprachiger Kinder und Jugendlicher im Kontext der deutschen Schule zusammen (vgl. Dirim 2010: 99 ff.). 30 2 Translanguaging: Mehr- und Quersprachigkeit im Erwerb und Gebrauch nützliche Strategie gesehen, mit deren Hilfe sich bilinguale Kinder und Erwachsene effektiver ausdrücken können. (Schneider 2015: ebd.) Kinder, die beispielsweise in deutsch-türkischsprechenden Familien in Deutschland aufwachsen, würden mit großer Wahrscheinlichkeit auch in der Kindertageseinrichtung mit deutsch-türkischsprechenden Kindern und Erzieherinnen und Erziehern deutsch und/ oder türkisch, aber auch ‚gemischt‘ kommunizieren. Am Frühstückstisch würden die Kinder in Interaktion mit der gesamten Gruppe wahrscheinlich den gemeinsamen deutschen Regiolekt verwenden, aber in einer Vorlesesituation die geschriebene Variante des Deutschen (oder einer weiteren Sprache) wahrnehmen, um anschließend das Geschriebene auch sprachenübergreifend zu kommentieren. Diese fließenden Sprachverwendungspraktiken werden aus einer einsprachigen Perspektive als Herausforderung gedeutet, in mehrsprachigen Bildungseinrichtungen sind sie aber Normalität, wie Beobachtungen im KiTa-Alltag zeigen (zur „Sprachenmischung“ im Kindergartenalltag in der deutschsprachigen Schweiz vgl. Kassis-Filippakou/ Panagiotopoulou 2015). Im deutschsprachigen (Fach-)Diskurs gelten auch im Hinblick auf den kindlichen Spracherwerb und Sprachgebrauch nur „Fähigkeiten im Deutschen“ als „sprachlicher Fortschritt“, während „die erst- oder gemischtsprachlichen Fähigkeiten des mehrsprachigen Individuums in den Hintergrund treten“ (Chilla, Rothweiler, Babur 2013: 72). Hingegen befassen sich in den letzten Jahren sprachwissenschaftlich fundierte erziehungswissenschaftliche Studien mit der allgegenwärtig beobachtbaren translingualen Praxis. Bereits vor über zehn Jahren wurden beispielsweise interessante Forschungsergebnisse über den Sprachgebrauch von in Hamburg lebenden Kindern und Jugendlichen mit dem Titel „Türkisch sprechen nicht nur die Türken“ publiziert (vgl. Dirim/ Auer 2004). Das Projekt zeigte u. a. auf, dass durch die zahlreichen Möglichkeiten, die verwendeten Sprachen „miteinander zu kombinieren und zu verschmelzen […] neue Sprechweisen [entstehen]“ (Krehut/ Dirim 2008: 413). Damit hängt auch die Erkenntnis zusammen, dass Kinder, die im Kontext von Migration mit mehreren Sprachen und Sprachvarietäten aufwachsen, zwar sprachenübergreifend handeln, aber trotzdem keine ‚halben‘ Sprachen dabei erwerben oder von der sogenannten „doppelten Halbsprachigkeit“ betroffen seien (zur grundlegenden Kritik dieser Pseudodiagnose vgl. Dirim 1999; Panagiotopoulou 2002, 2017a; Wiese 2011; Chilla, Rothweiler, Babur 2013). Das allgegenwärtige 31 2.1 Sprachmischung: zur translingualen Praxis mehrsprachiger Kinder Phänomen der Sprachmischung weist also nicht auf eine Sprachstörung zwei- und mehrsprachiger Kinder hin, sondern betrifft eine legitime und sinnvolle Sprachpraxis neben anderen. Diese wichtige Erkenntnis lässt sich wie folgt auf den Punkt bringen: There is no evidence that bilingual children 5 differ from monolingual children except for the fact that they produce mixed utterances in addition to monolingual ones; that is, they translanguage from an early age. (García 2009a: 64) Laut Meisel deutet die spezifische Praxis der „Sprachmischung“ auf besondere sprachliche Fähigkeiten hin (Meisel 2013: 122). Sie findet sich nicht nur bei Kindern, sondern auch bei Jugendlichen und Erwachsenen, „und dort genau bei denen, die in beiden Sprachen besonders kompetent sind“ (ebd.). Die sogenannte „balancierte“ Zwei- oder Mehrsprachigkeit von Jugendlichen und Erwachsenen schließt nicht aus, dass diese bereits als Kinder quersprachig handeln. Anders ausgedrückt: Mehrere Sprachen gut zu beherrschen, setzt nicht voraus, diese getrennt voneinander zu erwerben und zu verwenden. Ausgehend von einer soziolinguistischen Perspektive sind auch Kinder, die Varietäten ausschließlich einer (Landes-)Sprache erwerben, nicht einsprachig. In sprach- und erziehungswissenschaftlichen Publikationen der letzten Jahre wird betont, dass Dialekte oder Regionalsprachen wie „die Sprache des Ruhrgebiets“ oder „das Berlinische“ ebenfalls zur deutschen Sprache gehören: Die Sprachverwendungspraxis Einsprachiger umfasst sowohl einen standardisierten, primär an der Schriftsprache orientierten Sprachgebrauch als auch den Gebrauch der Alltagssprache, der „Sprache des vertrauten Umgangs“ (Ehlich, Bredel, Reich 2008: 15). Eine Priorisierung der (deutschen) „Bildungssprache“ als der (einzigen? ) Sprache der Bildung (zu einer kritischen Betrachtung siehe auch Kapitel 3) lässt sich somit nicht legitimieren: List hat diesbezüglich in ihrem Beitrag mit dem Titel „‚Bildungssprache‘ in der Kita“ aufgezeigt, dass „der Kontrast Alltagsgegen Bildungssprache“ mit herkömmlichen „Antinomien“ und „Dichotomien“ sowie mit einer „Wertigkeit der Sprachvarietäten“ zusammenhängt, und dies, obwohl nicht nur eine standardisierte Sprachform dafür geeignet ist, kindliche Bildungsprozesse im KiTa-Alltag lernförderlich zu 5 Im englischsprachigen Raum beziehen sich die Begriffe „Bilingualism“ und „bilingual“ nicht nur auf zwei Sprachen bzw. auf „Zweisprachigkeit“, sondern auch auf mehrere Sprachen und somit auf „Mehrsprachigkeit“. 32 2 Translanguaging: Mehr- und Quersprachigkeit im Erwerb und Gebrauch begleiten (vgl. List 2010: 185). Allerdings gehören Bildungseinrichtungen zu den bedeutendsten Institutionen der Sprachenpolitik, denn sie beeinflussen vom Kindergarten über die Schule bis zur Universität und zu Institutionen der Erwachsenenbildung (…) Sprachgebrauch und Spracherwerb zunächst explizit (…). Aber auch implizit sind sie maßgeblich daran beteiligt, Sprachstandards festzuschreiben und durchzusetzen. (Marten 2016: 35) Die Vorstellung einer reinen einsprachigen Sprachpraxis in ausschließlich einer legitimen Sprachvarietät (‚Standardsprache‘ oder ‚Bildungssprache‘) erweist sich aufgrund von Beobachtungen in der frühpädagogischen Praxis als Illusion. Beispielsweise lässt sich in der deutschsprachigen Schweiz auch in didaktischen Settings, die als Förderung der sogenannten ‚Hochsprache‘ oder ‚Standardsprache‘ deklariert werden, durchgängig das Phänomen der Sprachmischung beobachten, obwohl das Gebot einer strikten Sprachentrennung in Form einer institutionellen ‚Diglossie‘ nach wie vor verbreitet ist (vgl. Kassis-Filippakou/ Panagiotopoulou 2015; Panagiotopoulou/ Krompàk 2014; Panagiotopoulou/ Kassis 2016). Als institutionelle Sprachenpolitik (vgl. Marten 2016: 35-36) steht eine solche Vorgehensweise im Kontrast zur Alltagsrealität mehrsprachiger Kinder, insbesondere in offiziell mehrsprachigen Gesellschaften wie z. B. in der Schweiz oder in Luxemburg. Aus sprachdidaktischer Perspektive betrachtet ist diese herkömmliche Sprachenpolitik insgesamt problematisch, da sie neuere Erkenntnisse über den dynamischen mehr- und quersprachigen Erwerb im Kindesalter (siehe Kapitel 2.2), sowie über aktuelle Konzepte einer inklusiven mehrsprachigen Bildung (siehe Kapitel 2.3 und 2.4) kaum berücksichtigt. 2.2 Quersprachigkeit: zur translingualen Logik des dynamischen Mehrspracherwerbs Im deutschsprachigen Raum beschreibt der Begriff „Quersprachigkeit“ den „multiplen Sprachgebrauch“ mehrsprachiger Menschen, indem er sich auf „ein im pragmatischen Sinn verändertes Verständnis von Sprache“ bezieht (Rösch 2009: 235). Mehrsprachige Kinder erwerben und gebrauchen ihre Sprachen nicht nacheinander oder parallel zueinander, sondern dynamisch und komplementär. Sie bekommen die Gelegenheit, ihre „quersprachige Kompetenz“ zu entwickeln, indem sie mit Sprachen spielen, diese wechselnd verwenden oder 33 2.2 Quersprachigkeit: zur translingualen Logik des dynamischen Mehrspracherwerbs mischen bzw. „quer durch sie hindurch“ handeln lernen (Günther List 2004: 133; vgl. Gudula List 2013: 185). Der Begriff Quersprachigkeit ergänzt somit den Begriff Mehrsprachigkeit und soll die translinguale Logik eines Sprachenlernens markieren, bei dem sprachpsychologisch […] die metasprachlichen und metakognitiven Leistungen im Vordergrund stehen: Sprachen durch Sprachen (hindurch) Lernen und Gebrauchen, quer durch Sprachen hindurch Handeln. (List 2004: 139; Hervorhebung i. O.) Für den Erwerb einer neuen Sprache ist es zwar unerlässlich, dass auch entsprechende Bildungsangebote im Alltag der Kindertageseinrichtung gemacht werden und dass die zu erlernende Sprache nicht nur in der Kindergruppe kommunikativ eingesetzt wird (vgl. List 2013: 186). Dies bedeutet aber nicht, dass immer und unter allen Umständen ausschließlich die sogenannte Zielsprache bzw. die (zukünftige) Schul- und Unterrichtssprache verwendet werden soll. Das Beharren auf Einsprachigkeit in der frühpädagogischen Praxis ignoriert die heteroglossische Realität in Migrationsgesellschaften (zum Begriff Heteroglossie siehe Kapitel 1) und somit auch die realen Bedingungen mehrsprachiger Sozialisation in (neu) zugewanderten Familien. Im Gegensatz dazu verweist das Konzept eines dynamischen Mehrspracherwerbs (Riehl 2014: 15) bzw. der Ansatz eines „dynamic bilingualism“ (García/ Li Wei 2014: 14) auf die Flexibilität mehrsprachiger Praxis: Denn „the language practices of bilinguals are complex and interrelated“, sie entstehen nicht linear und funktionieren auch nicht getrennt voneinander (ebd.). In mehrsprachig organisierten familialen Situationen und in Bildungseinrichtungen werden die zu erwerbenden Sprachen und Sprachvarietäten nicht als Entitäten, etwa autonom, erworben oder gelernt (vgl. Panagiotopoulou 2016: 16f.). Mit dem Begriff dynamischer Mehrspracherwerb sollen additive Vorstellungen von der kindlichen Sprachentwicklung überwunden werden, denn: Sprachwissen und Sprachkompetenz eines Mehrsprachigen [bestehen] nicht aus getrennten oder trennbaren Subsystemen (L1, L2, L3 usw.), sondern bilden ein holistisches dynamisches System, in dem jede Veränderung Auswirkungen auf alle Subsysteme hat. (Riehl 2014: 15) Aktuelle neurolinguistische Studien zur mehrsprachigen Entwicklung bestätigen und übertreffen sogar die bekannte Interdependenzhypothese, „showing 34 2 Translanguaging: Mehr- und Quersprachigkeit im Erwerb und Gebrauch that even when one language is being used, the other language remains active and can be easily accessed“ (García/ Li Wei 2014: 14). Mit dem theoretischen Konzept „translanguaging“ ist diese Komplexität beim Erwerb und Gebrauch mehrerer Sprachen jenseits von einsprachigen Normen zu beschreiben. Bereits mehrsprachige Kinder verfügen über ein Sprachenrepertoire, „one linguistic repertoire from which they select features strategically to communicate effectively“ (García 2011a: 1). Ähnlich haben Jørgensen, Karrebæk, Madsen und Møller die Bezeichnung „polylingual languaging“ in die Fachdiskussion eingeführt, um die Kommunikationspraxis von mehrsprachigen Kindern und Jugendlichen im Kontext von durch (sprachliche) Diversität geprägten Migrationsgesellschaften zu beschreiben (vgl. Jørgensen, Karrebæk, Madsen, Møller 2011). Indem Mehrsprachige situativ passend, flexibel, mehr- und quersprachig bzw. translingual handelnd lernen, lernen sie auch in mehrsprachigen Situationen angemessen zu kommunizieren (vgl. García/ Li Wei 2014: 22). Translanguaging legt den Fokus auf die Praxis des sprachenübergreifenden ‚languaging‘, auf die individuelle und originelle Sprachverwendungspraxis der Sprecherinnen und Sprecher: „the speaker’s complete language repertoire“ (vgl. ebd.: 109f.). Die Beschreibung von Sprachlichkeit oder Sprachigkeit setzt die Betrachtung von Sprache als soziale Praxis (und nicht nur als System) voraus: Translanguaging takes the position that language is action and practice, and not a simple system of structures and discreet sets of skills. That’s why translanguaging uses an -ing form, emphasizing the action and practice of languaging bilingually. (García 2011a: 1; Hervorhebung d. Panagiotopoulou) Canagarajah hat den Begriff „translingual practice“ eingeführt, um die dynamischen und fließenden „language practices in multilingual encounters“ zu konzeptualisieren (Canagarajah 2013: 8, zit. nach García/ Li Wei 2014: 40). Es geht um den Versuch, die komplexe translinguale Praxis von mehrsprachigen Individuen in mehrsprachigen Kontexten als Realität anzuerkennen. Insbesondere für Kindertageseinrichtungen, wo junge Kinder gerade dabei sind ihre Sprache(n) zu erwerben, ist diese Betrachtungsweise besonders treffend und hilfreich, wenn es darum geht, ihre konkreten familialen Sozialisationsbedingungen zu berücksichtigen, ohne sie pauschal zu problematisieren. Die Fähigkeit mehrsprachiger Kinder, ihre „gesamten sprachlichen Ressourcen nutzen zu können“, wird „als Multicompetence bezeichnet“ (Riehl 2014: 15; siehe dazu auch Kapitel 1). In der Praxis zeichnet sich diese Fähigkeit 35 2.3 Auf dem Weg zu einer Didaktik der Mehr- und Quersprachigkeit dadurch aus, dass Kinder den kommunikativen Anforderungen der jeweiligen Situation und ihren eigenen Bedürfnissen entsprechend einaber auch mehr- und quersprachig handeln. Von dieser heteroglossischen Realität und Praxis ausgehend ist eine alltagsintegrierte und inklusive Sprachbildung in frühpädagogischen Feldern zu gestalten. 2.3 Auf dem Weg zu einer Didaktik der Mehr- und Quersprachigkeit Mit dem Titel „Mehrsprachigkeit institutionell sichtbar machen“ vertreten Chilla und Niebuhr-Siebert (2017: 98) einen inklusiven und zugleich alltagsintegrierten Ansatz mehrsprachlicher Bildung, den sie wie folgt begründen: Mehrsprachige Bildung lebt von den Möglichkeiten, die eine Einrichtung zur Entwicklung aller Sprachen eines Kindes bietet. Mit anderen Worten: So lange mehrsprachige Kommunikation unsichtbar bleibt, kann Mehrsprachigkeit nicht als Bildungsressource genutzt werden. (Chilla/ Niebuhr-Siebert 2017: 98f) Insbesondere in der frühen Kindheit und im Vorschulalter kann die „Förderung von Mehrsprachigkeit (…) nicht als Förderung additiver systematischer Kenntnisse verstanden werden“ (List 2007: 10). Es geht vielmehr darum, ein „Handeln quer durch die in der Institution vorgefundenen Sprachen hindurch“ zu fördern. Mit der Inklusion aller mitgebrachten Sprachen bzw. unter Berücksichtigung der komplexen Sprachwelten der Kinder wären auch konkrete Ziele zu erreichen wie zum Beispiel: Symbolische Dienste unterschiedlicher Sprachen und Register erkennen, zwischen ihnen unterscheiden, sie womöglich selbst mischen oder wechselnd benutzen, sie zum Objekt des Nachdenkens über die Vielgestaltigkeit der Sprachwelten machen. (List 2007: 10) In einer früheren Publikation von Mario Wandruszka aus dem Jahre 1979, die in den letzten Jahren in der deutschsprachigen Literatur wiederholt zitiert und explizit gewürdigt wird (vgl. z. B. Fürstenau/ Gomolla 2011: 22; Fürstenau 2011: 29f.), wird ebenfalls für eine Inklusion aller Sprachen und Sprachvarietäten plädiert. Auch hier wird die gelebte Mehrsprachigkeit der Heranwachsenden als Ausgangspunkt aller didaktischen Überlegungen und Handlungen betrachtet: Die pädagogischen Fachkräfte sind als „Erzieher[innen] zur Mehrsprachigkeit“ zu verstehen (Wandruszka 1979: 18), die zunächst alle „von den Kindern mit- 36 2 Translanguaging: Mehr- und Quersprachigkeit im Erwerb und Gebrauch gebrachten Sprachen, Dialekte, Regiolekte und Soziolekte in ihrem Eigenwert erkennen und anerkennen“ und erst davon ausgehend die Kinder in die Sprache der Schule bzw. in die sogenannte „Bildungssprache einführen“ (ebd.: 14f.). Im deutschsprachigen Raum wird in den letzten Jahren versucht, den herkömmlichen Grammatikunterricht der Schule durch deskriptiv-analytische Sprachreflexionen zu erweitern oder zumindest die vorrangig normativen Ansätze der Deutschdidaktik auch für nicht standardsprachliche Varietäten der deutschen Sprache zu öffnen (vgl. Reich/ Krumm 2013: 84). Seit den 1990er-Jahren gibt es darüber hinaus verschiedene mehrsprachigkeitsdidaktisch ausgerichtete Ansätze (von Hans Reich, Ingelore Oomen-Welke, Basil Schader u. a.). Diese konzeptionellen Überlegungen greifen auf gemeinsam geteilte Maximen zurück, die auch für den Elementarbereich relevant sein können. Es wird davon ausgegangen, ▶ dass Kinder ihr gesamtes Sprachenrepertoire benötigen, um (sprachlich) zu lernen. Daher sollen alle Kinder auch in pädagogischen Feldern die Möglichkeit erhalten, ihre vielfältigen sprachlichen Kompetenzen und Praktiken selbstständig zu implementieren, insbesondere wenn sie damit beginnen, eine weitere, für sie mehr oder weniger neue Sprache oder Sprachvarietät (z. B. ein auf Schriftlichkeit basierendes Register) zu erwerben (siehe Kapitel 2.2 und Kapitel 3), ▶ dass im pädagogischen Kontext alle (Familien-)Sprachen - unabhängig von ihrem sozialen Prestige und offiziellen Status - als gleichwertig anerkannt werden sollen, da sie auch mit der Identitätsbildung der Kinder zusammenhängen. Aus diesem Grund dürfen sie gerade im Kontext von Bildungseinrichtungen nicht ausgeblendet oder sogar marginalisiert werden. Diese konzeptionelle Wende zur Mehrsprachigkeit wird im englischsprachigen Raum als „multilingual turn“ (Conteh/ Meier 2014) bezeichnet und ist allmählich auch im deutschsprachigen Raum beobachtbar: In Österreich wurden entsprechende Prinzipien und Ziele einer „Mehrsprachigkeitsdidaktik“ (Reich/ Krumm 2013) und in der Schweiz konzeptionelle Überlegungen zur Förderung von „Mehrsprachigkeitskompetenz“ (Berthele 2010) formuliert. In Deutschland wurde bereits vor einigen Jahren eine interkulturelle mehrsprachige Deutschdidaktik für die Schule konzipiert (vgl. Oomen-Welke 2003) und für eine „Didaktik der Quersprachigkeit“ in Kindertageseinrichtungen (List 2004) plädiert. Die sogenannten „dynamic plurilingual pedagogies“ (García/ Flores 37 2.3 Auf dem Weg zu einer Didaktik der Mehr- und Quersprachigkeit 2012: 244), worunter auch das Konzept „translanguaging pedagogy“ (García 2009a; García/ Li Wei 2014) einzuordnen ist, sind konzeptionell vergleichbare Ansätze. Auch sie zielen allerdings hauptsächlich auf eine Neuorientierung des schulischen Unterrichts und beziehen sich seltener auch auf die frühpädagogische Praxis. Aus einer sprachdidaktischen Perspektive lässt sich hier die kritische These aufstellen, dass paradoxerweise insbesondere jüngere Kinder nicht dort abgeholt werden, wo sie gerade stehen, nämlich mitten im dynamischen Mehrspracherwerb, der ohnehin translingual verläuft (siehe Kapitel 2.2). Und so dominieren in der frühpädagogischen Praxis additive und sprachtrennende Vorgehensweisen, obwohl neuere Ergebnisse psycholinguistischer Erwerbsforschung belegen, wie Hopp, Thoma und Tracy (2010: 611) zusammenfassend feststellen, dass im frühen Kindesalter „implizite Sprachlernprozesse“ verfügbar sind, die „möglicherweise sogar auf für Sprache spezialisierte Lernmechanismen aufbauen“ und einen zügigen und erfolgreichen Spracherwerb von weiteren Zielsprache(n) innerhalb von wenigen Jahren gewährleisten. Nicht die üblichen Fördermaßnahmen, sondern der „kindliche Spracherwerb“ hat sich also „als ein überaus effizientes Modell für Sprachförderung“ erwiesen (ebd.). Kinder benötigen vergleichbare authentische Situationen und Interaktionen auch im KiTa-Alltag, um ihr sprachliches Repertoire zu erweitern. So kann die natürliche, mehr- und quersprachige Alltagspraxis in (neu) zugewanderten Familien nicht (und keinesfalls pauschal) als nicht lernförderlich betrachtet werden. In der Regel erwerben Kinder im Kontext mehrsprachiger Familien ein umfassendes linguistisches Repertoire. Sie wachsen mit Eltern und Geschwistern auf, die (auch) die Sprache der Mehrheitsgesellschaft in ihrem Alltag, im Beruf, in der Schule etc. verwenden und darüber hinaus auch mehr- und quersprachig kommunizieren, um ihre translokalen Beziehungen mit weiteren Familienmitgliedern, Freundinnen und Freunden etc. aufrechtzuerhalten. Sobald die Kinder eine Kindertageseinrichtung besuchen bzw. „sobald sich das Umfeld über die Familie hinaus erweitert“, kann die „Didaktik einer Quersprachigkeit“ ansetzen (List 2004: 133). Aus diesem Grund sollen Kindertageseinrichtungen „respektvoll mit den familialen Sprachwelten“ der Kinder umgehen und zwar unabhängig davon, ob diese aus „hochsprachlichen“, „dialektalen“ oder „durchmischten“ Registern bestehen. Die „erste Sprachwelt“, aus der „ein Kind zur Kindertageseinrichtung kommt“, bildet nämlich „eine Plattform“ für die Entwicklung einer „in der modernen Welt“ lebenswichtigen, quersprachigen Kompetenz (ebd.). 38 2 Translanguaging: Mehr- und Quersprachigkeit im Erwerb und Gebrauch Ähnlich argumentiert ein paar Jahre später García, indem sie für eine für die Belange des 21. Jahrhunderts geeignete(re), mehrsprachige Pädagogik plädiert (García 2009b), in der alle Sprachen bzw. „all the language practices“ der beteiligten Kinder berücksichtigt werden (García/ Kano 2014, zit. n. García/ Li Wei 2014: 225). Denn durch die Inklusion ihrer Sprachen soll der Gebrauch und Erwerb der weiteren Zielsprache(n) nicht behindert, sondern im Gegenteil unterstützt werden. Ausgehend vom erziehungswissenschaftlichen Inklusionsdiskurs im deutschsprachigen Raum gilt es, eine pädagogische Praxis zu überwinden, die ausschließlich eine Varietät des Deutschen fördert und elaboriert und so die Lebenswirklichkeit mehrsprachiger Kinder aus Bildungseinrichtungen systematisch exkludiert (vgl. Panagiotopoulou/ Rosen 2015b). Die immer noch verbreiteten sprachseparierenden Maßnahmen vorschulischer Förderung (zu einer kritischen Betrachtung vgl. Christmann/ Panagiotopoulou 2012, Neumann 2015) gilt es ebenfalls zu überwinden, wenn es darum gehen soll, mehrsprachige Konzepte nicht nur für die Schule, sondern auch für die KiTa zu entwerfen. 2.4 Translanguaging in der frühpädagogischen Praxis „I don’t know what’s going on in their heads but it is amazing! They are using language and you realize that they are really trilingual. They just did three languages within a matter of a minute! “ „… I say ‚oh es azul‘ and she’ll go ‚blue‘. It means that she understands the Spanish but she’s responding in English but she understands that it’s ‚azul‘‘“ (Ausschnitte aus Interviews mit pädagogischen Fachkräften in einer mehrsprachigen Kindertageseinrichtung in den USA) (entnommen aus Garrity, Aquino-Sterling, Day 2015: 187f.) 39 2.4 Translanguaging in der frühpädagogischen Praxis Neue Konzepte mehrsprachiger Bildung gewinnen an Bedeutung, sobald alle Kinder als angehende Mehrsprachige, als „emergent bilinguals“ (García/ Kleifgen 2010: 3) anerkannt und adressiert werden (siehe auch Kapitel 4). Didaktische Überlegungen und Konzepte zur mehrsprachigen Bildung fokussieren dabei nicht abstrakt auf autonome Lerngegenstände, sondern auf konkrete Situationen und ihre Sprecherinnen und Sprecher mit ihren unterschiedlichen Spracherfahrungen, Sprachbiographien und Sprachpraktiken (vgl. García/ Li Wei 2015: 225). In konkreten didaktisch vorbereiteten Situationen kann somit das linguistische Repertoire, das mehrsprachige Kinder außerhalb von Kindertageseinrichtungen ohnehin verwenden, auch in der frühpädagogischen Praxis authentisch genutzt werden. García, Flores und Woodley (2012) konkretisieren, wie der Gebrauch von Sprachen in einer multilingualen Lerngruppe didaktisch konzipiert werden kann: Zentral und zugleich lernförderlich sind in diesem Kontext sogenannte „transglossic spaces“ bzw. quersprachige Spielräume, in denen Wissen produziert und tiefes Verständnis erreicht werden kann. Über den Wissenserwerb hinaus trägt diese pädagogische Praxis auch zur Identitätsbildung der Kinder bei, die sich als (angehende) Mehrsprachige verstehen und erleben. Mehr noch: Es geht darum, für alle Kinder „coherent identifications and performances as bilinguals“ im pädagogischen Alltag zu initiieren (García, Flores, Woodley 2012: 48). Die zwei vorangestellten Interviewausschnitte entstammen einer Feldstudie (der San Diego State University, USA) über eine bilinguale Einrichtung für Babys und junge Kinder im Alter zwischen 5 und 16 Monaten aus englischsprachigen sowie englisch-spanischsprachigen Familien. Die daran beteiligten Kinder wurden von den Forscherinnen und Forschern als „social novices“ beschrieben, die zunächst nicht an implizite oder explizite Regeln zur sprachlichen Kommunikation, „about what language to use when, with whom, or in what context“ (Garrity, Aquino-Sterling, Day 2015: 193), gebunden waren. Interessanterweise sollten die Kinder im Kontext dieser Einrichtung lernen, ihre Sprachen möglichst zu trennen und je nach Situation und Gesprächspartner oder -partnerin einsprachig zu handeln. Doch genau dies ist nicht aufgetreten, da die pädagogischen Fachkräfte sich auf die translinguale Praxis der Kinder eingelassen haben, sodass insgesamt im Rahmen der Studie das Phänomen Translanguaging empirisch erfasst werden konnte. Die Forscherinnen und Forscher bringen auf den Punkt, was ihre Daten insgesamt gezeigt haben, nämlich „the reality of a multilingual infant classroom in which both children and teachers used language fluidly as they went about their daily lives“ (ebd.: 189; Hervorhebung-i. O.). 40 2 Translanguaging: Mehr- und Quersprachigkeit im Erwerb und Gebrauch Die beteiligten Pädagoginnen und Pädagogen stellten dabei fest - wie die ausgewählten Interviewausschnitte exemplarisch verdeutlichen - dass alle Kinder auf diese Weise lernten, effektiv zu kommunizieren, indem sie ihr gesamtes Repertoire nutzten und dadurch ihre sprachlichen Fähigkeiten erweiterten. Die Ergebnisse dieser Studie entsprechen den Beobachtungen insbesondere in bilingualen Einrichtungen, wo sowohl Kinder als auch Erwachsene „in order to learn and teach […] use what we are calling here translanguaging“ (García/ Li Wei 2014: 59). Dieses Konzept wird im Zusammenhang mit einer grundlegenden Wende zur Mehrsprachigkeit als eine für alle Altersstufen geeignete Pädagogik definiert. Canagarajah hat allerdings darauf hingewiesen, dass wir uns bei der systematischen Dokumentation von „translanguaging strategies“ und deren Theoretisierung noch ganz am Anfang befinden (Canagarajah 2011: 415). Daher schlägt er einen empirischen Zugang vor, wenn er schreibt, dass wir damit beginnen sollen, die Praktiken mehrsprachiger Individuen konsequent zu beobachten. Feldstudien, die Translanguaging-Praktiken im Kontext mehrsprachiger Kindertageseinrichtungen empirisch erfassen und dokumentieren, wurden in den letzten Jahren in den USA (García 2011b) und darüber hinaus in Frankreich (vgl. Hélot/ O’Laoire 2011; Latisha/ Young 2017), Israel (vgl. Schwartz/ Asli 2014), der Schweiz (Neumann, Kuhn, Tinguely, Brandenberg 2015) und in Luxemburg (vgl. Kirsch 2017) durchgeführt. Ausgewählte Befunde dieser Feldstudien sind für eine Neuorientierung frühpädagogischer Praxis und einer Wende zur Mehrsprachigkeit besonders relevant: a) Die authentische Kommunikation mehrsprachiger Kinder ist besonders ertragreich, denn sie fördert den Dialog in „transglossic situations“ (Kirsch 2017: 160). Kinder nehmen dabei, sowohl monolingual als auch translingual handelnd, neue sprachliche Elemente in ihr Repertoire auf, passen diese kreativ an und setzen sie strategisch ein, um ihre (kommunikativen) Ziele im pädagogischen Alltag zu erreichen. b) Mehrsprachige Kinder werden als „translinguals“ (Canagarajah 2013: 8) angesehen und als kompetente Lernende anerkannt, ihr sprachliches Handeln wird zum Ausgangspunkt pädagogischen Handelns. Das bedeutet: Nicht die Kinder, sondern die Pädagoginnen und Pädagogen passen folglich ihren Sprachgebrauch an, um der Logik des translingualen Lernens folgend (siehe Kapitel 2.1), den Mehrspracherwerb der Kinder zu unterstützen (vgl. Neumann, Kuhn, Tinguely, Brandenberg 2015: 25). 41 2.4 Translanguaging in der frühpädagogischen Praxis c) Der Gebrauch aller im Alltag der Kindertageseinrichtung vorhandenen sprachlichen Ressourcen bedeutet für Kinder keine Überforderung. So können z. B. neben anerkannten Sprachen, wie Englisch und Spanisch, auch Zeichensprachen zum Einsatz kommen, die ebenfalls von den Kindern verwendet und dadurch gelernt werden und zur Kommunikation im pädagogischen Alltag beitragen (vgl. Garrity, Aquino-Sterling, Day 2015). d) Die Verwendung aller Sprachen und Register, die Kinder mit in die Institution bringen, dekonstruiert die üblichen sozialen Hierarchien: zum Beispiel zwischen Englisch und Spanisch (vgl. García 2011b, Garrity, Aquino- Sterling, Day 2015), Arabisch und Hebräisch (vgl. Schwartz/ Asli 2014) oder Deutsch und Französisch (Neumann, Kuhn, Tinguely, Brandenberg 2015). Dies hat eine besondere Bedeutung für die Beteiligung aller Kinder an ihrer eigenen Identitätsbildung. So schreibt beispielsweise Garcia: „Latino children construct their own hybrid linguistic and cultural identities“ (García 2011b: 44) bzw. Kinder mit unterschiedlichem „linguistic and cultural background […] construct integrated language identities“ (ebd.: 54). e) Die sprachseparierende Praxis seitens der pädagogischen Fachkräfte wird durch die Sprachpraxis junger Kinder irritiert oder sogar dekonstruiert: „Despite the strict linguistic compartmentalization […], the children cross these boundaries daily, sometimes multiple times during the day“ (García 2011b: 41). Kinder orientieren sich dabei an der jeweiligen Situation und/ oder der Gesprächspartnerin bzw. dem Gesprächspartner und handeln abwechselnd ein- oder mehr- und quersprachig (vgl. Kirsch 2017). f) Durch Praktiken des Translanguaging im frühpädagogischen Alltag beginnt auch die frühe Einführung in die (mehrsprachige) Welt der Schriftlichkeit und somit in die Weltliteratur (vgl. Hélot 2011). Wenn beispielsweise in einer Sprache vorgelesen wird, während das Vorgelesene in eine weitere Sprache übersetzt oder mehr- und quersprachig kommentiert wird (vgl. Latisha/ Young 2017), erfahren alle (angehenden) mehrsprachigen Kinder, dass Mehrsprachigkeit auch mit Mehrschriftlichkeit zusammenhängt (siehe Kapitel 3). 42 2 Translanguaging: Mehr- und Quersprachigkeit im Erwerb und Gebrauch Fragen und Aufgaben 1. Definieren Sie die Begriffe Standardsprache und Sprachvarietät sowie Mehrheitssprache vs. Minderheitensprache (majority vs. minority language) mithilfe linguistischer (nicht nur deutschsprachiger) Lexika. Geben Sie Beispiele für die Hierarchisierung von (Fremd-) Sprachen z. B. Englisch und Russisch im Kontext von national verfassten Bildungssystemen sowie über das unterschiedliche Prestige der Varietäten einer (Landes-)Sprache (z. B. des Deutschen in Nord-, Süd- oder Ostdeutschland). Welche Rolle spielen diese sozialen Unterschiede im Kontext der KiTa bzw. der ersten Bildungsinstitution, in der mehrsprachige Kinder und ihre Familien Erfahrungen mit der institutionellen Sprachenpolitik sammeln? 2. Führen Sie Gespräche mit mehrsprachig lebenden Eltern über ihre Kinder: Mit welchen Einstellungen aber auch Vorurteilen werden sie in der Nachbarschaft, in der Kindertageseinrichtung, in ihrem Bekanntenkreis, in der eigenen Familie etc. bezüglich des Mehrspracherwerbs und der mehrsprachigen Entwicklung ihrer Kinder konfrontiert? 3. Befassen Sie sich mit folgendem Ausschnitt aus einem Interview mit einer Erzieherin an einer Deutschen Schule in Montreal (Kanada) und versuchen Sie zu rekonstruieren, welche Maximen einer Translanguaging-Pädagogik (siehe unter Kapitel 2.4) damit zum Ausdruck gebracht werden: „Die Kinder sprechen mit mir Deutsch, drehen sich um, sprechen mit der Mutter Französisch und mit dem Freund Englisch. Es gibt aber auch Kinder, denen ist gar nicht bewusst, welche Sprache sie gerade sprechen, dann kann ich sagen „… welche Sprache sprichst du denn zu Hause“ und dann kommt die Antwort „Je parle anglais" […]. „Und wenn ich ein Kind auf Deutsch anspreche und es antwortet mir auf Englisch oder Französisch, akzeptiere ich das genauso, ich bemerke an der Antwort hat es meine Frage verstanden, und das ist für mich wichtig; also die werden nicht forciert ‚Ihr müsst Deutsch sprechen‘ sondern wir lassen jedem Kind individuell seine, sein Lerntempo; (…) ich hatte ein Kind das kam, ‚Frau Esser ich habe zu Hause 43 2.4 Translanguaging in der frühpädagogischen Praxis eh deep deep, was heißt deep‘, und da sag ich ‚ein Tief ‘. ‚Frau Esser ich habe zu Hause ein tiefes, tiefes‘, gleich richtig konjugiert gehabt, und ‚what is a hole‘; na sage ich ‚ein Loch‘ und dann ging‘s wieder von vorne los und dann noch ein drittes Wort gefragt und das in ein Satz, deswegen; also wir setzen uns auch nicht hin und machen ‚Du musst das so und so machen‘.“ Ausschnitt aus einem Interview im Rahmen eines international vergleichenden Forschungsprojektes über Mehrsprachigkeit und pädagogische Professionalität (vgl. Panagiotopoulou/ Rosen 2015a; Panagiotopoulou 2017). 4. Befassen Sie sich in Gruppen mit folgenden zwei Thesen und versuchen Sie diese zu belegen oder zu revidieren: Das Konzept „translanguaging pedagogy“ soll dazu beitragen, dass Mehrsprachigkeit im Kontext von Bildungssystemen nicht defizitär betrachtet wird und dadurch zur Bildungsgerechtigkeit führen (vgl. García 2009a, 2011a; García / Flores 2012). Laut García und Li Wei (2014: 52) handelt es sich beim Translanguaging um einen pädagogischen Ansatz, der in allen ein- oder mehrsprachigen Lerngruppen und von allen pädagogischen Fachkräften, unabhängig davon, ob diese ein- oder mehrsprachig leben, umgesetzt werden kann. 45 2.4 Translanguaging in der frühpädagogischen Praxis 3 Mehrsprachigkeit und Literacy: gelebte Mehrschriftlichkeit Während die zweieinhalbjährige Lena mit ihrer Oma, die in Griechenland lebt, telefoniert, blättert sie ein Bilderbuch durch, zeigt auf einzelne Bilder und kommentiert mit Begeisterung: „kita, jaja, puli“ [guck, Oma, Vogel] oder „kita edo, luludi“ [guck da, Blume]. Dabei geht Lena offensichtlich davon aus, dass ihre Oma die Bilder ebenfalls sehen kann. Die Oma reagiert auch entsprechend, da sie Lenas Äußerungen bestätigt und sie anschließend fragt, welche Bilder sie noch sieht. Bei ihrem Dialog handeln Lena und ihre Oma ausschließlich monoligual-griechisch. Gleichzeitig wendet sich Lena immer wieder an ihre anwesenden Eltern und handelt dann monolingual-deutsch, aber auch translingual, indem sie zum Beispiel sagt: „Papa, guck mal, petaluda! “ [Schmetterling]. (Ausschnitt aus der Fallstudie ‚Lena‘: Beobachtung in Lenas Familie, Protokoll: Panagiotopoulou) 46 3 Mehrsprachigkeit und Literacy: gelebte Mehrschriftlichkeit 3.1 Frühe Literacy-Praktiken mehrsprachiger Kinder: von der Bilderbuchbetrachtung bis zur Verschriftlichung erster Sätze Der Terminus „Literacy“ wurde in den deutschdidaktischen Fachdiskurs durch die internationalen Vergleichsstudien PISA und IGLU, die die Lesekompetenz von Schülerinnen und Schülern erfassten, integriert und wird heute teilweise als Synonym der Begriffe „Literalität“ und „Schriftlichkeit“ verwendet. Die Ergebnisse dieser Studien lenkten die Aufmerksamkeit auf erfolgreiche(re) Bildungssysteme, die schriftsprachliche Erfahrungen - anders als das deutsche Bildungssystem - bereits vor der Schule systematisch ermöglichen (vgl. Hortsch/ Panagiotopoulou 2011). Im Kontext frühpädagogischer Diskurse wurde die Rolle der Kindertageseinrichtungen und der Familien als Orte der Lesesozialisation bzw. der frühen Leseförderung oder der Literacy-Erziehung hervorgehoben (Füssenich/ Geisel 2008; Ulich 2003). Das „Literacy-Konzept“ (Wieler 2003) hat sich im deutschsprachigen Fachdiskurs insbesondere durch die konzeptionellen Überlegungen zur frühkindlichen „Literacy-Erziehung“ nach Ulich (2003) etabliert. Auf Ulichs Konzept bezieht sich auch Füssenich, um die Bedeutung und Funktion von Schrift „mit Blick auf die frühkindliche Lesesozialisation“ zu erläutern, ohne dabei den deutschen Begriff „Literalität“ aufzugeben (Füssenich 2011: 6). Bezogen auf eine frühkindliche Bildung, die auch Mehrsprachigkeit als Ziel implementiert, ist der Begriff „Literacy“ anschlussfähiger, um auch im deutschsprachigen Diskurs international bedeutsame Konzepte zur Förderung von „Literacies“ oder „Multiliteracies“ (vgl. Wildemann 2013: 97) zu berücksichtigen. Laut Gee können insbesondere mit der Pluralform „Literacies“ mehrsprachige Praktiken von Individuen beschrieben werden: „Each of these literacies is tied to a particular set of uses“ (2012: 72f.). So wird beispielsweise die (Schrift-)Sprache der Mehrheitsgesellschaft Behörden und Bildungsinstitutionen zugeordnet, während die Schriftsprache innerhalb einer (Buch-)Religion mit einer der weiteren Familiensprachen zusammenhängt. Auch Li Wei, Mc Entee-Atalianis und Lorch beschreiben „Literacy“ als „Multimodality“ und beziehen sich dabei ebenfalls auf die Pluralform „Literacies“: „Literacy, according to Gee (…) should be conceived as being multiple, or comprising different literacies“ (2014: 130). Anhand des Textlesens erklären sie die Vielfalt an Literacy-Praktiken, da wir beispielsweise einen Roman auf eine andere Weise als ein Kochrezept lesen: 47 3.1 Frühe Literacy-Praktiken mehrsprachiger Kinder This sociocultural approach to literacy has come to be known as the New Literacy Studies, which emphasize studying language-in-use and literacies within their contexts of social practice. (ebd.) Auch im deutschsprachigen Raum wird bis heute ein mehrdimensionaler „erweiterter Literacy-Begriff “, der auch Mehrsprachigkeit bzw. „Multiliteralität“ berücksichtigt, favorisiert (Wildemann 2013: 97). Die Übersetzung von Literacy als „Lese- und Schreibkompetenz“ wurde bereits im Anschluss an die erste Pisa-Studie im deutschdidaktischen Diskurs als nicht breit genug und eindimensional kritisiert (vgl. z. B. Wieler 2003: 47). Im frühpädagogischen Diskurs verbreitete sich bereits 2003 ein breiter Literacy-Begriff, der in Anlehnung an Ulich (früh-)kindliche Erfahrungen und Fähigkeiten „rund um die Buch-, Erzähl-, Reim- und Schriftkultur“ umfasste (Ulich 2014: 288). Dazu zählen zum Beispiel sowohl Erzählkompetenz als auch Erzählfreude sowie Buchstabenkenntnis und phonologische Bewusstheit aber auch das allgemeine Textverständnis von (Vorschul-)Kindern. Vor allem geht es bei diesem Konzept um die Berücksichtigung der individuellen Vorstellungen und Zugriffsweisen, da Kinder, die in literalen Gesellschaften aufwachsen, sich auf dem Weg zur Schrift und Schriftlichkeit befinden, lange bevor sie eine Schule besuchen (vgl. Füssenich 2011: 6). Übertragen auf mehrsprachig lebende Kinder, lässt dieses breite Verständnis die Annahme zu, dass in ihren Familien sprachenübergreifende Sozialisationsbedingungen vorherrschen, sodass bei ihnen entsprechende Vorgehensweisen, Vorstellungen und Praktiken in und mit mehreren Sprachen zu erwarten sind. Vorausgesetzt, dass mehrsprachiges Aufwachsen nicht pauschal mit einer angeblichen Bildungsferne 6 gleichgesetzt wird, ist anzunehmen, dass alle mehrsprachigen Kinder in Interaktion mit ihren Bezugspersonen auch auf der Ebene der Schriftlichkeit vielfältige Erfahrungen sammeln und entsprechende Kompetenzen entwickeln (können). Dies geschieht zum Beispiel, wenn ihre Eltern und älteren Geschwister translingual handelnd quer durch Sprachen hindurch (eine SMS oder eine Email) schreiben, oder wenn sie (Einkaufslisten) diktieren oder laut vorlesen und kommentieren (z. B. Internetnachrichten aus unterschiedlichen Ländern) oder eine Geschichte vorlesen, um anschließend über das Erzählte mehr- und quersprachig zu kommunizieren. Diese mehr- und 6 Der Begriff „Bildungsferne“ ist aus mehreren Gründen problematisch, u. a. wird damit das Fehlen der (deutschen) Bildungssprache gemeint, was wiederum die gelebte Mehrschriftlichkeit in mehrsprachigen Familien nicht berücksichtigt. 48 3 Mehrsprachigkeit und Literacy: gelebte Mehrschriftlichkeit quersprachigen familialen Praktiken werden selten empirisch erfasst und in der deutschsprachigen Fachdiskussion zur frühkindlichen Literacy-Sozialisation oder in einschlägigen Bildungsprogrammen und konzeptionellen Überlegungen kaum thematisiert. Ethnographische Beobachtungen, wie sie in den „‚emergent literacy‘-Studien“ u. a. im Sammelband von Schieffelin & Gilmore (1986) dokumentiert wurden, können laut Wieler (2003: 50) dazu beitragen, dass die spezifische Ausprägung der familialen Literacy-Praxis aus der Perspektive der Beteiligten rekonstruiert werden kann. Eine ethnographische Forschungsperspektive sei von Bedeutung, weil auch im deutschdidaktischen Diskurs „Indizien für die frühe Aneignung eines Spektrums ‚literaler Praktiken‘ […] als wichtige Voraussetzungen des Lesenlernens“ gelten (ebd.: 51, Hervorhebung i. O.). Feldstudien könnten außerdem dazu beitragen, das Ideal einer monolingualen Einführung in die Welt der Schriftlichkeit zu hinterfragen, die deutschsprachige Fachdiskussion zu bereichern und eine konzeptionelle Verknüpfung zwischen frühkindlicher Mehrsprachigkeit und Literacy-Erziehung in Kindertageseinrichtungen zu erreichen. Der zu Beginn des Kapitels präsentierte Ausschnitt aus einer ethnographischen Beobachtung im Kontext einer deutsch-griechischsprachigen Familie soll exemplarisch illustrieren, wie Ein- und Mehrsprachigkeit sowie Mündlichkeit und Schriftlichkeit in alltäglichen Interaktionen der Familienmitglieder nicht dichotomisch existieren, sondern ineinander verwoben sind. Es handelt sich bei diesem Beispiel um eine dialogische Betrachtung eines Bilderbuches, die mündlich und schriftlich sowie mehrsprachig realisiert wird. An der konkreten Situation sind die zweieinhalbjährige Lena, ihre griechisch sprechende Großmutter, die nicht in Deutschland lebt, sowie ihre deutsch-griechisch sprechenden Eltern beteiligt. Um effektiv zu kommunizieren, passt Lena ihr sprachliches Handeln der jeweiligen Person, die sie adressiert, situativ an, mit dem Ergebnis, dass sie konsequent monolingual-griechisch am Telefon mit der Großmutter und zugleich monolingual-deutsch und parallel dazu translingual deutsch-griechisch mit ihren Eltern, die anwesend sind, spricht. Auf diese Weise bewältigt Lena eine translinguale (und in diesem Fall, bedingt durch die Migrationsgeschichte der Familie, auch translokale) Alltagssituation, die aber, aus ihrer Perspektive betrachtet, als Normalität zu deuten ist. Denn zu diesem Zeitpunkt hatte Lena mehrfach Erfahrungen mit teilweise per Telefon oder Skype realisierten Treffen mit weiteren Familienmitgliedern gesammelt, die in Griechenland oder Kanada lebten. Lena konnte auf diese Weise wiederholt erfahren, dass ihre weiteren Bezugspersonen, d. h. ihre Großeltern, ihre Tanten, Onkel und deren Kinder, 49 3.1 Frühe Literacy-Praktiken mehrsprachiger Kinder zwar kein Deutsch, aber dafür andere Sprachen, wie Englisch und Französisch, und vor allem die gemeinsame Sprache Griechisch sprachen. Die an der hier präsentierten Situation beteiligte Großmutter hat für Lena regelmäßig griechische Kinderlieder gesungen, Märchen erzählt oder vorgelesen und Bilderbücher gemeinsam mit ihr, wie oben beschrieben auch telefonisch, betrachtet. Parallel dazu sammelte Lena schriftkulturelle Erfahrungen nicht nur mit ihren Eltern, sondern auch in der KiTa, die sie bereits als Einjährige besuchte. In Anlehnung an das hier beschriebene Konzept und ein breites Verständnis von Literacy bzw. Literacies hat Lena rund um eine mehrsprachige Reim-, Buch-, Erzähl- und Schriftkultur ihre schriftkulturellen Erfahrungen sammeln und entsprechende Kompetenzen entwickeln können. Frühkindliche Erfahrungen mit Mehrschriftlichkeit basieren auf einer sprachenübergreifenden Verflechtung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Kontext von multilingualen Familien sowie im Rahmen von (multi-)literalen Gesellschaften. Einige Facetten dieser Komplexität der - auch schriftkulturell geprägten - Sprachwelten junger Kinder werden im Folgenden anhand weiterer Beispiele aus der Fallstudie Lena illustriert. Durch den nächsten Protokollausschnitt aus einer Beobachtung, die ca. drei Monate später stattgefunden hat, lässt sich ein Einblick in das schriftkulturelle Wissen mehrsprachig lebender Kinder gewinnen: Lena möchte noch mehr Milch ins Glas gießen. Lenas Oma erklärt ihr (auf Griechisch), dass das Glas bereits voll sei. Lena zeigt auf die Milchpackung und betont (auf Griechisch): „Hier steht: mehr Milch! “ (Ausschnitt aus einer Beobachtung in Lenas Familie, Protokoll: Panagiotopoulou) Der Begriff „Mehrschriftlichkeit“ meint „die schriftliche Ausdrucksfähigkeit“ in mehreren Sprachen und wurde in Anlehnung an den englischen Terminus „multiliteracy“ definiert (Riehl 2014: 121). Dass Mehrsprachigkeit in der Regel auch mit Mehrschriftlichkeit oder „Mehrschriftigkeit“ (Maas 2008) zusammenhängt und dass mehrsprachige Erwachsene geschriebene Texte in mehreren Sprachen verwenden können, erfahren Kinder im besten Fall sowohl durch ihre Sozialisation in der Familie als auch durch entsprechende Angebote in der KiTa. So wusste auch Lena bereits zu diesem Zeitpunkt, dass diejenigen, die kein Deutsch mündlich verwendeten, auch keinen deutschen Text entziffern konnten. Dieses Wissen nutzt sie in der hier geschilderten Situation pragmatisch adäquat und argumentativ passend. Lena bezieht sich nämlich auf einen von ihr erfundenen Text, der angeblich auf der Milchpackung steht und den 50 3 Mehrsprachigkeit und Literacy: gelebte Mehrschriftlichkeit sie ins Griechische zu übersetzen vorgibt: „Hier steht: mehr Milch! “. Damit ist anzunehmen, dass Lena bereits über das schriftkulturelle Wissen verfügt, dass etwas Geschriebenes prinzipiell Gültigkeit beansprucht. Darüber hinaus weiß sie auch, dass eine nicht deutsch sprechende Person (hier: ihre Großmutter) nicht überprüfen kann, was der auf einer Milchpackung gedruckte (deutsche) Text tatsächlich bedeutet. In der konkreten Situation nutzt Lena dieses sprachbzw. schriftkulturelle Wissen, um ihr Ziel zu erreichen und noch mehr Milch zu bekommen, als ihr eigentlich erlaubt ist. Zwei weitere Beispiele zeigen, wie mehrsprachige Kinder auch beim beginnenden Schriftspracherwerb quer durch Sprachen und Sprachvarietäten hindurch handeln, um effektiv (schriftlich) zu kommunizieren. Sobald Lena anfing, erste Wörter in Laute zu zergliedern und diese mit Buchstaben zu verbinden, implementierte sie Elemente aus ihrem gesamten Sprachenrepertoire, u. a. aus dem in der KiTa verwendeten Regiolekt (siehe hierzu auch Kapitel 2): „Ich schreibe“, kündigte heute Lena (5; 6) erneut an, während sie sich ein Blatt Papier nahm. Sie verschriftete, wie immer flüsternd und zugleich lautierend, ihren eigenen Namen, dann die Namen ihrer Freundinnen und Freunde (z. B. „EVA“, „LEO“) anschließend die Wörter „MAMA“ und „PAPA“ sowie das griechische Wort „BABA“ mit lateinischen Buchstaben. Während sie den Großbuchstaben T schrieb, fragte sie plötzlich: „Wie geht ein Ü? “. „Was möchtest du schreiben? “, wollte ich wissen. „Tüsch! “ antwortete Lena. (Ausschnitt aus einer Beobachtung im KiTa-Alltag, aus der Fallstudie ‚Lena‘; Protokoll: Panagiotopoulou) Auch Kinder, die (formal) als einsprachig gelten, orientieren sich bei ihren ersten Schreibversuchen an ihrer eigenen Aussprache. Deswegen werden nicht nur Wörter der standardisierten Varietät des Deutschen schriftlich festgehalten (zum Schriftspracherwerb einbzw. deutschsprachiger Kinder vgl. Brügelmann 1994; Dehn/ Hüttis-Graff 2013). Die mehrsprachige Lena hat darüber hinaus auch griechische Wörter, hier z. B. die Bezeichnung für „Papa“, zunächst mit dem lateinischen (und erst später auch mit dem griechischen) Alphabet verschriftet. Lena hat kurz vor ihrer Einschulung, wie sie selbst kommentierte, ihren ersten griechischsprachigen Satz „auf Deutsch geschrieben“, wohl wissend, dass nicht nur eine Art der Verschriftlichung oder nur ein Schriftsystem existiert. Es handelte sich dabei um ein an ihre Eltern gerichtetes Statement und lautete: „i LENA KALOPESAKI“ [übersetzt: „die Lena [ist ein] nettes kleines Kind“; siehe Abbildung]. 51 3.2 Über (fehlende) Literacy-Erfahrungen junger Kinder aus zugewanderten Familien Abb. 1: Lenas erster Satz, den sie wie folgt kommentierte: „Ich habe Griechisch, auf Deutsch geschrieben! “ Einige Kinder verfügen „bereits im Elementarbereich über beeindruckende schriftsprachliche Fähigkeiten“ (Füssenich 2011: 10). Mehrsprachig aufwachsende Kinder können solche Fähigkeiten quer durch Sprachen und Sprachvarietäten hindurch entwickeln, wenn ihnen dafür die Möglichkeit in der Familie und/ oder der KiTa gegeben wird. Ihre dabei entwickelten Zugriffsweisen, Vorstellungen und Praktiken werden aber kaum registriert oder als Kompetenzen anerkannt. Vielmehr wird eine mehrsprachige Sozialisation heute noch mit fehlenden Literalitätserfahrungen und schriftkulturellen Kompetenzen in Verbindung gebracht. 3.2 Über (fehlende) Literacy-Erfahrungen junger Kinder aus zugewanderten Familien Frühkindliche Erfahrungen mit medialer und konzeptioneller Schriftlichkeit (vgl. Koch/ Oesterreicher 1985; Günther 1997) werden, wie bereits erläutert, im Anschluss an internationale Vergleichsstudien als wichtige Voraussetzungen für eine erfolgreiche Entwicklung konzeptionell schriftlicher Fähigkeiten angesehen, die auch im mündlichen Bereich, zum Beispiel beim Erzählen einer kohärenten Geschichte, relevant sind 7 . In (früh-)pädagogischen und deutschdidaktischen Fachdiskursen kam in diesem Zusammenhang unter anderem die Frage auf, inwieweit Kinder, die Deutsch als Zweitsprache erwerben, vergleichbare schriftsprachliche Fähigkei- 7 Berendes, Dragon, Weinert, Heppt und Stanat (2013: 19f.) definieren den Begriff „Bildungssprache“ u. a. im Zusammenhang mit einem hohen „Maß an konzeptioneller Schriftlichkeit (Orientierung an der Schriftsprache)“ in Anlehnung an Koch/ Oesterreicher (1985). 52 3 Mehrsprachigkeit und Literacy: gelebte Mehrschriftlichkeit ten wie einsprachige Kinder entwickeln und wie die, der vorherrschenden Meinung folgend, angeblich nicht vorhandenen Kompetenzen der mehrsprachigen Kinder mit ihren familialen Sozialisationsbedingungen zusammenhängen. Bereits im Jahre 1998 nahm Rachner Bezug auf die Annahme, dass es einen Unterschied hinsichtlich der Schriftlichkeitserfahrungen von Vorschulkindern mit und ohne Migrationsgeschichte gebe. Aufgrund seiner Beobachtungen ließen sich aber in der Haltung von migrierten türkischen Eltern gegenüber den frühen Lese- und Schreibversuchen ihrer Kinder keine prinzipiellen „kulturbedingten“ Besonderheiten erkennen (vgl. Rachner 1998: 132). Er stellte allerdings fest, dass türkische Eltern in Bezug auf beide Sprachen bereit waren, auf die Schreib- und Leseversuche ihrer Kinder einzugehen. Somit kam Rachner zu dem Ergebnis, dass Vorschulkinder aus deutsch-türkisch-sprachigen Familien sowohl mit türkischals auch mit deutschsprachiger Schriftlichkeit Literacy-Erfahrungen sammeln könnten. Seine Argumentation galt zu jener Zeit allerdings als Ausnahme; in deutschdidaktischen Fachdiskursen überwogen eher skeptische Deutungen gegenüber der - unterstellten, aber empirisch kaum geprüften - fehlenden schriftkulturellen Alltagspraxis im Kontext zugewanderter Familien. Beispielsweise nahm Siebert-Ott (1998: 170) im Rahmen ihrer Publikation über „Probleme des Schriftspracherwerbs bei Kindern aus zugewanderten Sprachminderheiten“ auf der Grundlage der konzeptionell mündlich realisierten Texte eines deutsch-griechisch-sprachigen Grundschülers an, dass seine Schreibstrategien auf fehlende Literalitätserfahrungen zurückzuführen seien bzw. mit der „Orientierung des Kindes und seiner Familie an einer tendenziell durch Mündlichkeit geprägten Kultur“ zusammenhingen. Davon ausgehend stellte Siebert-Ott die Hypothese auf, dass mehrsprachige Kinder „andere“ Erfahrungen mit Schrift und Schriftlichkeit in der Familie machen als monolingual deutschsprachige Kinder aus nicht zugewanderten Familien. Auf der Grundlage einer fast dichotomischen Unterscheidung von Erziehungs- und Sozialisationsbedingungen im Kontext von Familien der Mehrheitsgesellschaft und von Minderheitenfamilien formulierte sie folgende Forschungsfrage: „Werden andere Erfahrungen mit Schrift und Schriftlichkeit in der Sprachminderheit weitergegeben als die für unseren westlichen Kulturkreis charakteristischen? “ (Siebert-Ott 1998: 171). Die angenommenen „charakteristischen“ Schrifterfahrungen eines (hier als homogen verstandenen) deutschen bzw. „westlichen“ Kulturkreises wurden allerdings nicht weiter erläutert. 53 3.2 Über (fehlende) Literacy-Erfahrungen junger Kinder aus zugewanderten Familien Die latent hierarchisierende Betrachtung der in Deutschland lebenden Angehörigen von „Sprachminderheiten“ und von nicht westlichen sowie eher mündlich orientierten Kulturen war zu jener Zeit im Fachdiskurs keine Ausnahme. In einer weiteren Publikation aus dem Jahr 1998 wurde der „westliche“ Kulturkreis sogar als „westdeutscher“ präzisiert, „Westdeutsche“ als „stärker literal orientierte Menschen“ definiert - und im Kontrast dazu stünden „Arbeitsmigranten“, aber auch „Ostdeutsche“, Menschen, die „weit stärker einer oralen Tradition verhaftet“ seien (vgl. Steinig 1998: 23f.; zur kritischen Betrachtung dieser Argumentation vgl. Panagiotopoulou 2002). Unterscheidungen zwischen einerseits westlichen, schriftlich orientierten und deswegen angeblich modernen und andererseits vormodernen mündlich orientierten Kulturen und Sprachgemeinschaften sind auch im englischsprachigen Diskurs weit vertreten. Allerdings werden sie in den letzten Jahren zunehmend stark kritisiert. Insbesondere in neueren soziolinguistischen Publikationen wird retrospektiv auf diesen defizitären Blick hingewiesen: „Literacy has been argued to be the basis of a ‚great divide‘ between cultures: ‚oral cultures‘ versus ‚literate cultures‘. Literacy is supposed to be the sine qua non of ‚modern‘, ‚sophisticated‘, ‚complex‘ cultures“ (Gee 2012: 63). Inwieweit lernförderliche Literalitätspraktiken nur oder „vor allem in Familien der mittleren sozialen Schicht“ beobachtbar sind, wie Wieler (2003: 51) vor fast fünfzehn Jahren schrieb, ist in Deutschland noch nicht ausreichend empirisch überprüft. Zu diesem Zeitpunkt wurden Eltern aufgrund ihrer Vorlesepraktiken in Interaktion mit ihren vierjährigen Kindern zwei verschiedenen Gruppen zugeordnet: der Gruppe der bildungsorientierten oder „akademischen“ versus der Gruppe der „bildungsfernen“ Familien (ebd. 57). Hier stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien Familien, die ihren Kindern vorlesen, überhaupt als bildungsfern charakterisiert werden können. Die Ausführungen der Autorin deuten darauf hin, dass sie familiale Vorlesepraktiken, die sie als didaktisch wertvoll erachtete, auch als bildungsnah kategorisierte. So schreibt sie weiter, dass „diese Differenz im Vergleich“ eines „Vorlesebeispiels aus einer ‚Akademikerfamilie‘ mit der (…) Dialogsequenz aus einem bildungsfernen Familienkontext“ anschaulich wird: Letztere versuche, keinen „intensiven dialogischen Austausch über literalische und alltägliche Erfahrung“ zu erreichen, 54 3 Mehrsprachigkeit und Literacy: gelebte Mehrschriftlichkeit sondern „lediglich die Aufmerksamkeit des Kindes zu sichern“; dem Kind werde so „die Rolle des ‚stillschweigenden Zuhörers‘“ zugewiesen (ebd.). 8 Unterschiede zwischen familialen Erfahrungen und Kompetenzen aufgrund ihres einsprachigen versus migrationsbedingt mehrsprachig organisierten Alltags wurden lange nicht nur von Fachwissenschaftlern und Fachwissenschaftlerinnen, sondern auch von pädagogischen Fachkräften unterstellt. Dazu hat Blackledge bereits im Jahre 2000 ein prägnantes Beispiel aus Großbritannien aufgrund langjähriger Studien über „home literacy practices“ in zugewanderten Familien dokumentiert. Er hat mehrsprachige Eltern bzw. Mütter aus Bangladesch interviewt, die ihren Kindern bewusst und systematisch sogar Lesen und Schreiben zu Hause beibrachten, aber von den Lehrkräften ihrer Kinder als „illiterate“ bezeichnet wurden (Blackledge 2000: 36). Blackledge stellte damals auf der Grundlage seiner Ergebnisse fest, dass nur die „literacy practices“ der britischen Mittelschicht als bildungsrelevant akzeptiert wurden. Die Überzeugungen und Praktiken der in mehreren Sprachen alphabetisierten Mütter stimmten nicht mit der monolingualen Ideologie und den monolingualisierenden Strategien des britischen Bildungssystems und der darin tätigen Pädagoginnen und Pädagogen überein: The language ideology of these women was plainly multilingual, both in their attitudes and in their practices. Yet they found themselves dealing with a school which, despite its explicitly positive attitudes to multilingualism, was revealed as a monolingual and monolingualizing institution. (ebd. 37 f.) Bis heute scheint diese Problematik auch im deutschsprachigen Kontext zentral zu bleiben: Eltern, die nicht als Angehörige der Mehrheitsgesellschaft bzw. der Ober- und Mittelschicht gelten, wird pauschal unterstellt, den Anforderungen der Bildungsinstitutionen, der Kindertageseinrichtungen und Schulen, nicht zu entsprechen (für einen empirisch fundierten Einblick in dieses internationale Themenfeld vgl. Betz, Bischoff, Eunicke, Kayser, Zink 2017). Eine defizitäre Betrachtung von familialen Ressourcen wird dabei oft im Zusammenhang mit dem sozioökonomischen Status und/ oder der Migrationsgeschichte der 8 Solche Beobachtungen sollten jedoch immer auch etwas differenzierter interpretiert werden: Genau diese Praxis könnte schließlich auch als eine bewusste Strategie der Eltern, jungen Kindern das „Zuhören“ beizubringen, gedeutet werden. Aus didaktischer Sicht wäre sie eventuell nicht besonders effektiv (zumindest bei vierjährigen Kindern), aber dennoch als unterrichtsnah und keinesfalls als nicht bildungsnah bzw. als „bildungsfern“ zu betrachten. 55 3.3 Über (fehlende) bildungssprachliche Fähigkeiten junger Kinder Familien gesehen. Beispielsweise wurden in einer neueren Publikation Eltern, die in der Türkei gelebt und dort die Schule besucht haben, paradoxerweise als bildungsfern, genauer gesagt als „buchfern“ charakterisiert: „Die Eltern von Emel können trotz des türkischen Abiturs der Mutter als buchfern bezeichnet werden“ (Kuyumcu/ Senyıldiz 2011: 114). Vorurteile und nicht bestätigte Forschungsannahmen bezüglich fehlender Literacy-Praktiken in mehrsprachig lebenden Familien dominieren momentan den (früh-)pädagogischen Fachdiskurs. Diese sollen auch die angeblich kaum vorhandenen bildungssprachlichen Fähigkeiten mehrsprachiger Kinder erklären. 3.3 Über (fehlende) bildungssprachliche Fähigkeiten junger Kinder aus zugewanderten Familien Der Begriff „Bildungssprache“ wird zwar in deutschsprachigen Fachdiskursen auch mit frühkindlichen sprachlichen und schriftkulturellen Fähigkeiten (vage) verknüpft. Er gilt aber insgesamt als „ein schwer zu operationalisierendes Konstrukt“, da empirische Daten zu möglichen „Zusammenhängen zwischen Bildungssprache und der sprachlich-kognitiven Entwicklung von Kindern“ sowie „spezifische Instrumente zur Erfassung bildungssprachlicher Merkmale im Vorschul- und frühen Schulalter noch fehlen“ (Fornol, Heppt, Sutter, Hartinger, Rank 2015: 157). Laut Maas ist das „Konzept“ Bildungssprache „nicht sonderlich klar“ und es „suggeriert die elitäre ‚Bildung‘ des herkömmlichen (gymnasialen) Deutschunterrichts“ (2016: 82). Konzeptionell nicht widerspruchsfrei begründet ist außerdem die Verbindung des deutschen Begriffs „Bildungssprache“ mit dem Konzept „Cognitive Academic Language Proficiency“, nach Jim Cummins (1979), und seiner Übersetzung mit dem Terminus „akademische Sprache“ (Fried 2009). Ein zentraler Widerspruch besteht darin, dass mit „Cognitive Academic Language Proficiency“ eine Kompetenz beschrieben wird, die durch schulischen Unterricht erworben werden soll, während im deutschsprachigen Raum dieses Sprachregister bzw. die „Bildungssprache“ als Voraussetzung für eine erfolgreiche schulische Bildung betrachtet wird. So wird der Erwerb der standardisierten deutschen Schriftsprache, der Unterrichtssprache Deutsch oder der sogenannten ‚Bildungssprache Deutsch‘ im deutschsprachigen Diskurs auf die familiale Sozialisation zurückgeführt: 56 3 Mehrsprachigkeit und Literacy: gelebte Mehrschriftlichkeit Es scheint dort zu funktionieren, wo vom Elternhaus entsprechende Sprachgewohnheiten schon grundlegend sind und weiter verstärkt werden. Wo dies nicht der Fall ist, ist der Zugang zur Bildungssprache erschwert. (Reich 2013: 64) Wenn sich bei jungen Kindern „die akademische Sprache nicht altersentsprechend entwickelt“, stellte auch Fried fest, wird dies „kurz-, mittel- und langfristig“ negative Konsequenzen „im Hinblick auf ihre Bildungschancen“ haben (Fried 2009: 38). Daher sollten Kinder vor der Einschulung im Kontext ihrer Familie und spätestens in der KiTa diesbezüglich gefördert werden. Konzeptionell mündliche Sprachverwendungspraxis, z. B. eine unvollständige oder parataktische Satzstruktur, Wortauslassungen und Wortwiederholungen etc., gilt als „Alltagssprache“ im Kontrast zur konzeptionell schriftlichen und schulisch relevanten „Bildungssprache“: Schul- und bildungssprachliche Kompetenzen sind außerhalb von Lehr-Lern-Situationen „nur unter besonders begünstigten Bedingungen, etwa einem für die entsprechenden Fähigkeiten förderlichen familiären Bildungsklima“, zu erwerben (Gogolin 2006: 245). Diese normativ gesetzte Abgrenzung des Unterrichtsregisters ‚Bildungssprache‘ von einer, unter Umständen auch sprachenübergreifend realisierten ‚Alltagssprache‘, ist zu hinterfragen, da Kinder und pädagogische Fachkräfte im KiTa-Alltag auch mehr- und quersprachig über abstrakte (Bildungs-)Inhalte kommunizieren können (vgl. List 2010; Panagiotopoulou 2016: 31ff.). Darüber hinaus ist nicht direkt von einer fehlenden Passung zwischen Familien und KiTa, sondern vielmehr von einer fehlenden Anschlussfähigkeit der Bildungsinstitutionen KiTa und Schule auszugehen, wenn sich herausstellt, dass Kinder das für die Schule notwendige Register nicht erwerben, obwohl sie eine Institution frühkindlicher Bildung besucht haben. Dies trifft insbesondere dann zu, wenn Erfahrungen „rund um die Buch-, Erzähl- und Schriftkultur“ (Ulich 2014) auch im deutschsprachigen Post-Pisa- Diskurs als eine solide Grundlage für die (schrift-)sprachliche Lernentwicklung der Kinder und für alle weiteren schulischen Bildungsprozesse gelten sollen. Ebenfalls kritisch anzumerken ist, dass in diesem Zusammenhang die Frage ausgeblendet wird, was es konkret und auch mit Blick auf die (schrift-)sprachliche Entwicklung junger Kinder bedeutet, mit und in mehreren (Schrift-)Sprachen frühzeitig Erfahrungen zu sammeln und entsprechende, z. B. metasprachliche Fähigkeiten zu entwickeln. Forschungsergebnisse, die zur Beantwortung dieser Frage dienen könnten, liegen noch nicht vor. Dies hängt auch damit zusammen, 57 3.3 Über (fehlende) bildungssprachliche Fähigkeiten junger Kinder dass das mehrsprachige Aufwachsen junger Kinder insgesamt ein weitgehend unerforschtes Gebiet bleibt. Darüber hinaus „wissen wir noch immer sehr wenig über den Aufbau schriftkultureller Fähigkeiten“ mehrsprachiger Kinder „im Migrationskontext“ (Maas, Mehlem, Schröder 2004: 140). Möglicherweise aufgrund fehlender Forschungsergebnisse über Familien und Kitas, die auch mehrsprachige Literacy-Erfahrungen ermöglichen, dominiert bis heute eine defizitorientierte Betrachtung der angeblich kaum vorhandenen oder nicht ausreichenden bildungssprachlichen Fähigkeiten junger Kinder. Kinder aus zugewanderten Familien werden dabei fast automatisch und ohne Berücksichtigung ihrer konkreten Sozialisationsbedingungen pauschal einer Risikogruppe zugeordnet. Diese Gruppierung erfolgt auf der Grundlage eines Vergleichs mit einer (angeblich ebenfalls homogenen) „normalen“, d. h. monolingualen schriftkulturellen Sozialisation einsprachiger Familien. Somit werden die schrift- oder bildungssprachlichen Fähigkeiten mehrsprachiger Kinder als norm- oder altersabweichend konstruiert. Aufgrund dieser Gruppenkonstruktionen stellt sich beispielsweise die Frage, wie lange mehrsprachige Kinder vor der Schule gefördert werden sollen, damit sie in der Schule vergleichbare bildungssprachliche Leistungen wie ihre einsprachigen Mitschülerinnen und Mitschüler erbringen können. In ihrem Beitrag zur „Förderung von Kindern mit Migrationshintergrund im Elementarbereich“ stellt Gogolin beispielsweise fest, dass Kinder viel Zeit brauchen, bis sich ihre sprachlichen (und schriftsprachlichen? ) Fähigkeiten „nicht mehr“ von denen Einsprachiger unterscheiden (vgl. Gogolin 2008: 87). Die Feststellung, dass zweisprachige Kinder schlicht mehr Zeit benötigen, um sich auf die einsprachige Schule vorzubereiten, blendet aus, dass es kaum empirische Analysen über die konkreten Probleme gibt, die einige Heranwachsende aus zugewanderten Familien „mit der etablierten Schule (und erst recht mit der traditionellen ‚Bildung‘)“ haben (Maas 2016: 82). Außerdem werden durch diesen pauschalen Vergleich bereits aufgebaute sprachliche und schriftkulturelle Fähigkeiten mehrsprachiger Kinder negiert, ihre bisherigen Sprachbiographien erscheinen als normabweichend, während die Sprachbiographie einsprachiger Kinder als Norm elaboriert wird (siehe auch Kapitel 4). Gleichzeitig belegen neuere Studien, dass migrationsbedingt mehrsprachige Grundschulkinder nicht verallgemeinernd als Risikogruppe zu betrachten sind. Interessant ist beispielsweise das Ergebnis, dass „in einigen Klassen die mehrsprachigen Schüler/ innen hinsichtlich des Gebrauchs der bildungssprachlichen Mittel besser […] als ihre einsprachigen Mitschüler/ innen“ abschneiden (For- 58 3 Mehrsprachigkeit und Literacy: gelebte Mehrschriftlichkeit nol, Heppt, Sutter, Hartinger, Rank 2015: 166). Die Forscher und Forscherinnen kommentieren dieses Ergebnis als „überraschend“, insbesondere angesichts der Darstellungen in der aktuellen Forschungsliteratur, „denn dort werden Schüler(innen) mit Zuwanderungshintergrund als besonders ‚gefährdete‘ Gruppe hinsichtlich des Erwerbs bildungssprachlicher Fähigkeiten eingestuft“ (ebd.). Aus dem bisherigen Forschungsstand - unter anderem unter Berücksichtigung eines Überblicksartikels von Berendes, Dragon, Weinert, Heppt und Stanat (2013) - ziehen Fornol, Heppt, Sutter, Hartinger und Rank die Schlussfolgerung, dass die empirisch bisher nicht geprüften, „theoretisch vermuteten, besonders ausgeprägten Leistungsnachteile von Kindern mit anderer Erstsprache als Deutsch bei der Verarbeitung von Bildungssprache“ (Fornol, Heppt, Sutter, Hartinger, Rank 2015: 159) durch die aktuell vorliegenden Studien nicht bestätigt werden können. Die vorhandenen Studien haben eher gezeigt, „dass das Verständnis bildungssprachlich anspruchsvoller Texte auch für Kinder mit Deutsch als Erstsprache mit Herausforderungen verbunden ist“ (ebd.). Die Bedeutung der frühkindlichen Bildung für die Entwicklung von schriftkulturellen oder als bildungssprachlich bezeichneten Kompetenzen wird im Rahmen einer weiteren aktuellen Studie ebenfalls bestätigt: Werden die „im Wesentlichen als bildungssprachlich deklarierten Sprachmerkmale im Kontext der kindlichen Sprachentwicklung“ betrachtet, dann „fällt auf, dass Kinder diese bereits frühzeitig erwerben - und dies in einem natürlichen, nichtschulischen Umfeld“ (Wildemann, Rank, Hartinger, Sutter 2016: 69; Hervorhebung d. Panagiotopoulou). Darüber hinaus bestätigten sich durch diese Studie mittels Videoanalysen bereits vorhandene Ergebnisse über die Möglichkeit, auch in medial mündlichen Lernsettings konzeptionell schriftsprachliche Erfahrungen zu sammeln bzw. sogenannte bildungssprachliche Kompetenzen zu entwickeln: Es zeigt sich zunächst, dass auch im Vorschulalter und in einer medial mündlichen Situation bildungssprachliche Kompetenzen beobachtet und eingeschätzt werden können - dies lässt sich also sowohl aus der Spracherwerbsforschung als auch aus den eigenen Befunden ableiten. (ebd.: 77) Ein wichtiges Ergebnis betrifft schließlich die Bedeutung der institutionellen Bedingungen in der KiTa sowie die konkreten Bemühungen der pädagogischen Fachkräfte: Die beteiligten Kinder zeigten „teilweise erstaunlich hohe bildungssprachliche Kompetenzen“, die hauptsächlich mit der Qualität der pädagogischen Konzepte und deren Durchführung im pädagogischen Alltag zusammenhingen (vgl. ebd.). 59 3.4 Multi- und Pluriliteracy-Ansätze im KiTa-Alltag 3.4 Multi- und Pluriliteracy-Ansätze zur Förderung konzeptioneller Mehrschriftlichkeit im KiTa-Alltag Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass im deutschsprachigen Raum sprachpädagogische Konzepte zum Anbahnen einer mehrsprachigen Literalität oder Multiliteracy bereits vor der Schule eher selten sind (z. B. Schader 2000). Die frühkindliche Förderung von „Biliteralität“ (vgl. z. B. Hoppenstedt/ Apeltauer 2010) wird oft als eine kompensatorisch ausgerichtete Vorbereitung von Kindern mit Migrationshintergrund auf die deutsche Schule konzipiert. Wildemann kritisiert, dass bis heute „eine ausgeprägte Defizitorientierung“ vorherrscht, sodass das „Konzept einer Multiliteralitätsförderung“ mit seinen didaktischen Prämissen nicht mit den weit verbreiteten Maßnahmen frühkindlicher Sprachbildung übereinstimmt (2011: 282). Dabei erläutert sie einerseits, dass „Literacy-Erfahrungen“ nicht auf das einsprachige Lesen- und Schreibenkönnen und „deren Vorformen (Preliteracy)“ reduziert werden können. Andererseits stellt sie fest, dass Literacy bzw. Mulitiliteracy „auch Fähigkeiten in der Erst- und Zweit- oder gar Drittsprache“ umfasst, „deren Beherrschung Einfluss auf die schriftsprachliche Entwicklung nehmen kann“ (ebd.). Sie kommt zu dem Schluss, dass eine „Multiliteralitätsdidaktik“ zunehmend im vorschulischen Bereich implementiert werden soll, da „Erzieher/ -innen für die frühe Sprachentwicklung verantwortlich sind“ (ebd. 281) und skizziert das Potential einer solchen „integrativen Sprachbildung“ in der Kindertageseinrichtung, „wo kein Sprachunterricht im herkömmlichen Sinne stattfindet, sondern vorwiegend Sprachbegegnungen“ ermöglicht werden sollen (ebd. 284 f.). In einem aktuellen Überblicksartikel von Lengyel (2017) zum Thema „alltagsintegrierte Sprachbildung“ werden „literale Aktivitäten“ und „literale Erziehung in der Familie (home literacy)“ sowie „gute (bildungs-)sprachliche Fähigkeiten“ von Kindern in Zusammenhang gebracht. Doch „die Rolle der Sprache(n) und deren Nutzung im Rahmen der alltagsintegrierten Sprachbildung in der mehrsprachigen KiTa sind bislang ungeklärt“ (ebd. 281). Auch sie beklagt „die Konzentration auf das Deutsche“ und verweist auf Konzepte aus Luxemburg und Kanada, die bereits mehrsprachig konzipiert sind. Für deutsche Einrichtungen frühkindlicher Sprachbildung lässt sich festhalten, „dass noch kein systematisch ausgearbeitetes Konzept für die Integration von Mehrsprachigkeit vorliegt“ (ebd.). Publikationen der letzten Jahre verweisen auf die Notwendigkeit einer Hinwendung zur gelebten Mehrsprachigkeit und machen dabei auch auf die Be- 60 3 Mehrsprachigkeit und Literacy: gelebte Mehrschriftlichkeit deutsamkeit der Förderung von ‚Literacies‘ aufmerksam. Es handelt sich um Ansätze, die multiliteracy als Alltagspraxis konzipieren (vgl. Hélot/ O’Laoire 2011; Hélot 2011) und die zur Ermöglichung von „pluriliteracy practices“ (García, Bartlett, Kleifgen 2007) im pädagogischen Alltag (siehe auch Kapitel 2) beitragen sollen. „Kindergarteners translanguage orally“, stellen Ofelia García und Li Wei (2014: 85) fest, aber auch durch diese mündliche Praxis wird konzeptionelle Schriftlichkeit erworben. Der fließende Übergang von der konzeptionellen Mündlichkeit zur konzeptionellen Schriftlichkeit - beispielsweise das medial mündliche aber teilweise konzeptionell schriftliche Erzählen oder die „mündliche Literalität“ (List 2007: 51) - kann einsprachig, aber auch mehr- und quersprachig verlaufen. Es geht darum, dass „mündliche Literalität […] schon in der KiTa auf den Weg gebracht werden kann“ (ebd.: 24), denn mündliche Literalität lässt sich (…) durchaus bereits vor der formalen Schriftbenutzung durch pädagogische Interaktionen dadurch anregen, dass in spielerischen Übungen der unmittelbare Situationsbezug verlassen wird, und Phantasieleistungen für die Konstruktion von „Geschichten“ herausgefordert werden. (ebd.: 51) Eine dialogische Bilderbuchbetrachtung, in der auch eine mehrsprachige Erzieherin konsequent mehrsprachig handelt, implementiert im KiTa-Alltag das mehr- und quersprachige Vorlesen und Erzählen, das Kinder im besten Fall bereits im familialen Kontext erleben (siehe oben die Ausführungen zu Lenas familialen Erfahrungen). Dies setzt allerdings voraus, dass Mündlichkeit und Schriftlichkeit bzw. Literacy oder Literalität als plurilinguale Praxis von Kindern und Erwachsenen (an-)erkannt und in den frühpädagogischen Alltag systematisch integriert werden. Eine konsequente Trennung der Sprachen und das Insistieren auf nur einer (Bildungs-)Sprache bzw. auf standardsprachiger Monolingualität blockieren möglicherweise die authentische flexible Sprachpraxis junger Kinder. García und Flores sehen genau darin die besondere Chance neuer sprachpädagogischer Konzepte: The concept of „pluriliteracy practices“ which moves away from the traditional L1/ L2 pairing, emphasizing instead that multiple language and literacy practices are inter-related and flexible (…). (García/ Flores 2012: 242) 61 3.4 Multi- und Pluriliteracy-Ansätze im KiTa-Alltag Dabei soll nicht normativ und dichotomisch zwischen konzeptionell schriftlich versus mündlich bzw. zwischen bildungs- und alltagsprachlichen Praktiken unterschieden werden, denn „… all literacy practices have equal value“ (ebd.). Im Kontext frühkindlicher Bildungsinstitutionen könnte daher systematisch die Aufgabe übernommen werden, alle mitgebrachten und (mehr oder weniger) schriftkulturell geprägten Sprachwelten mehrsprachiger Kinder zu berücksichtigen, um damit alle Kinder in die mehr- und quersprachige Welt konzeptioneller Schriftlichkeit einzuführen. Fragen und Aufgaben 1. Diskutieren Sie die Feststellung „We are all translinguals“ (Canagarajah 2013: 8) mit Blick auf junge Kinder sowie im Zusammenhang mit dem Begriff „pluriliteracy practices“ (García, Bartlett, Kleifgen 2007). Geben Sie Bespiele für Ihre eigenen ein- und mehrsprachigen Erfahrungen, die Sie in der frühen Kindheit in der Familie und/ oder in der Kindertageseinrichtung gesammelt haben, und stellen Sie mögliche Zusammenhänge mit Ihren heutigen alltäglichen Literacy-Praktiken her. 2. Diskutieren Sie die zu Beginn des Kapitels dargestellten Beispiele zu Lenas Umgang mit ein- und mehrsprachigen Interaktionen, Strategien und Praktiken im Vergleich zu Ihren eigenen Erfahrungen. 3. Während der Grundschulzeit hat Lena darüber hinaus auch das Alphabet und die Regeln der griechischen Orthographie erworben, in ihrer Freizeit regelmäßig griechische Bücher (vor-)gelesen und diese mono- oder translingual mit ihren Bezugspersonen besprochen. Schließlich kamen englische Kenntnisse hinzu, bedingt durch den Englischunterricht in der Grundschule, sowie spanische Kenntnisse aufgrund von Liedern, die sie gerne mit ihrer Peer-Gruppe hörte. Auch 62 3 Mehrsprachigkeit und Literacy: gelebte Mehrschriftlichkeit suchte sie entsprechende Liedtexte im Internet, um sie auswendig zu lernen. Für ihre erste Begegnung mit spanisch-englischsprachigen Bekannten der Familie hat die achtjährige Lena gezielt nach einer passenden Begrüßung auf Spanisch im Internet gesucht, diese auswendig gelernt und mündlich vorgetragen, sodass sie als „spanischsprachig“ wahrgenommen wurde. Diskutieren und ggf. belegen Sie anhand der hier kurz dargestellten, weiterführenden sprachenübergreifenden Erfahrungen und Praktiken von Lena folgende These: Schriftlichkeit führt auch zur Mehrsprachigkeit, sodass Kinder, auch unabhängig von ihren Familiensprachen, als (angehende) Mehrsprachige handeln. 4. In ihrem Beitrag mit dem Titel „Varianten des Literacy-Konzeptes und ihre Bedeutung für die Deutschdidaktik“ sowie in Anlehnung an Schieffelin und Gilmore (1986) verweist Wieler auf die Bedeutung ethnographischer Forschungsperspektiven, die „‚literacy events‘, d. h. all diejenigen Gelegenheiten, in denen (konzeptionell) schriftliche Formen der Sprachverwendung im Alltag des Kindes eine Rolle spielen“, erfassen und „aus der Perspektive der Beteiligten rekonstruieren“ (2003: 50). a. Sammeln Sie davon ausgehend in mehrsprachigen Familien und Kindertageseinrichtungen ethnographisches Material in Form von Videoaufzeichnungen und/ oder Beobachtungsprotokollen zu ‚literacy events‘. b. Analysieren Sie in Arbeitsgruppen dieses Material aus der Perspektive der beteiligten einund/ oder mehrsprachigen Kinder und Erwachsenen. 63 3.4 Multi-undPluriliteracy-AnsätzezurFörderungkonzeptionellerMehrschriftlichkeitimKiTa-Alltag 4 Angehende Mehrsprachigkeit: Beobachtung und Dokumentation Die zweieinhalbjährige Lena schaut mich an und sagt „Uzeug“, während wir uns gemeinsam ein Buch betrachten. „Was ist das? “ frage ich sie auf Griechisch. Daraufhin fragt Lena zurück: „Aplano? “ „Ah, du meinst Aeroplano! “, antworte ich, das von ihr übersetzte Wort zugleich betonend und korrigierend, um zu signalisieren, dass ich jetzt verstehe, was sie meinte (nämlich „Flugzeug“). Lena nickt bestätigend, während sie ihre Äußerung ebenfalls wiederholt und zugleich korrigiert: „Aeplano! “ „Ich kann schon drei Sprachen! “ stellt die vierjährige Lena mit Begeisterung fest, „nein, so viele! “ ergänzt sie noch, zeigt mir alle fünf Finger ihrer rechten Hand und beginnt aufzuzählen: „Deutsch, Griechisch…“, sie überlegt kurz und setzt fort: „Ich kann auch Spanesisch! “ „Spanesisch? Wie klingt denn Spanesisch? “, frage ich. Lena beginnt gestikulierend und mit lauter Stimme „etwas auf Spanesisch“ zu erzählen. Sobald sie damit aufhört, stelle ich mit Bedauern fest, dass ich „leider kein Wort verstanden habe! “ „Ja, ich weiß“, antwortet mir Lena mit einer Stimme, die Mitgefühl zeigt, „du kannst leider kein Spanesisch! “ (Ausschnitte aus Bobachtungen im KiTa-Alltag, aus der Fallstudie ‚Lena‘; Protokoll: Panagiotopoulou) 64 4 Angehende Mehrsprachigkeit: Beobachtung und Dokumentation 4.1 Kinder als angehende Mehrsprachige: zur Bedeutung metasprachlicher Fähigkeiten Wenn wir alle Kinder als angehende Mehrsprachige wahrnehmen 9 , die ihre Sprachen nicht additiv, sondern dynamisch und komplementär erwerben und gebrauchen, indem sie neue Sprachpraktiken in ihr komplexes Sprachenrepertoire integrieren - wie im Kapitel 2 erläutert wurde -, dann benötigen wir auch neue Konzepte und Methoden zur Dokumentation ihrer spezifischen Praktiken, Fähigkeiten und Schwierigkeiten. Während Kinder ihre Sprache(n) erwerben, lernen sie nicht nur effektiv zu kommunizieren, d. h. sprachliche Äußerungen situativ passend zu verwenden und zu verstehen, sondern auch über diese Äußerungen sowie über die (eigene) sprachliche Praxis im Allgemeinen nachzudenken. Das bedeutet: Kinder entwickeln von Anfang an auch metasprachliche Fähigkeiten. Beispielsweise verfügen sie bald über die Fähigkeit das linguistische Repertoire ihrer verschiedenen Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner treffend einzuschätzen. So verwenden vierjährige Kinder, wie frühere Studien gezeigt haben, kürzere und syntaktisch vereinfachte Formulierungen in Gesprächen mit Zweijährigen und komplexere Äußerungen, wenn sie mit Erwachsenen kommunizieren (vgl. Stude 2013: 66). Die metasprachlichen Fähigkeiten mehrsprachiger Kinder beziehen sich auf mehrere Sprachen und Sprachvarietäten bzw. auf Sprachvergleiche, gebildete Analogien oder festgestellte Diskrepanzen (z. B. in der Grammatik). Kinder produzieren und verstehen von Anfang an sprachliche Äußerungen, die unterschiedlichen Sprachsystemen zuzuordnen sind oder mehrere Sprachvarietäten (Regiolekte, Dialekte etc.) betreffen. Dabei stellen sie immer wieder fest, dass beispielsweise derselbe Gegenstand bzw. das ‚Bezeichnete‘ mit unterschiedlichen ‚Bezeichnungen‘ versehen werden kann. Darüber hinaus werden Kinder im Laufe ihrer mehrsprachigen Erwerbsprozesse mit ein-, mehr- und quersprachigen Sprachverwendungspraktiken vertraut, können je nach Situation ihr sprachliches Handeln differenziert anpassen und „ein stärker gemischtes oder weniger stark gemischtes System verwenden“, während sie gleichzeitig wissen, dass sie nicht nur eine Sprache sprechen (Riehl 2014: 85). 9 „Thinking of these students as emergent bilinguals has important consequences not only for the children, but also for teachers, policy makers, parents, the language education profession (…)“ (García & Kleifgen 2010: 3; Hervorhebung d. Panagiotopoulou). 65 4.1 Kinder als angehende Mehrsprachige Die vorangestellten Protokollausschnitte aus der Fallstudie Lena verweisen auf solche Erfahrungen junger Kinder, auf ihr Nachdenken und das „Bewusstsein ihrer wachsenden Mehrsprachigkeit“ (vgl. Wandruszka 1979: 19) sowie auf ihre spezifischen metasprachlichen Kompetenzen. Auf die Fähigkeit, eine Äußerung simultan zu übersetzen, um die Kommunikation fortzusetzen, verweist die erste Sequenz: Die griechische Bezeichnung „A(ero)plano“ wird von der zweieinhalbjährigen Lena komplementär zur deutschen Bezeichnung „(Fl)u(g) zeug“ angeboten, sobald die deutsch-griechischsprachige Gesprächspartnerin nach der Bedeutung der Bezeichnung „Uzeug“ fragt. Das Beispiel soll darüber hinaus zeigen, wie beim Mehrspracherwerb die gleichzeitige Konfrontation mit zwei Sprachsystemen „der Stärkung der metasprachlichen Kompetenz [dient]“ (Tracy 2008: 126) und überhaupt den Erwerbsprozess, in diesem Beispiel: die Wortschatzentwicklung des Kindes, vorantreibt. Mit „Aplano“ übersetzt Lena simultan ihre ursprüngliche Äußerung „Uzeug“ und sorgt dafür, dass diese als „Flugzeug“ von ihrer Gesprächspartnerin erkannt wird. Mit ihrem verbesserten zweiten Versuch („Aeplano“) nähert sich Lena darüber hinaus der zielsprachlichen Äußerung („Aeroplano“) und genau diese Korrektur macht ihren dynamischen, sprachenübergreifenden Erwerb (hier mit Blick auf ihren mehrsprachigen Wortschatz) sowie allgemein das quersprachige oder translinguale Lernen (siehe Kapitel 2) für uns beobachtbar. Der zweite Protokollausschnitt weist auf Lenas Konfrontation mit mehrsprachigen Situationen und die damit verbundenen Erkenntnisse hinsichtlich der Funktion einer Sprache, die als solche gilt, weil sie einen Namen hat (zum Begriff „named languages“ siehe Otheguy, Garcia, Reid 2015) hin. Es handelt sich um eine konkrete (wenn auch fiktive? ) Sprache namens „Span(es)isch“. Dieses Beispiel illustriert, wie Kinder metalinguistisches Wissen über die Eigenschaften des Sprachgebrauchs erwerben, indem sie Erfahrungen in diversen parallel existierenden, aber nicht immer trennbaren Sprachgemeinschaften, in konkreten Situationen, in ihren Familien und in Bildungsinstitutionen sammeln. So hat die vierjährige Lena im Zuge ihrer sprachlichen Sozialisation im familialen Kontext sowie im KiTa-Alltag erkannt, dass Sprecherinnen und Sprecher einer konkreten Sprache, in diesem Fall ‚span(es)ischsprachige‘, eine Äußerung mit einer spezifischen Form und einer konkreten ‚Melodie‘ produzieren, deren Inhalt nur für diejenigen, die diese Sprache (imaginär) beherrschen, verständlich ist. Das vorliegende Kapitel thematisiert die pädagogische Aufgabe, Sprachbiographien mehrsprachig aufwachsender Kinder nicht defizitär, sondern res- 66 4 Angehende Mehrsprachigkeit: Beobachtung und Dokumentation sourcenorientiert zu erfassen. Zunächst soll aber der in den letzten Jahren systematisch unternommene Versuch, diese komplexe Aufgabe in Form von einsprachigen Testverfahren zu simplifizieren, kritisch betrachtet werden. 4.2 Einsprachige Feststellungsdiagnostik für mehrsprachige Vorschulkinder? Bereits beim Eintritt in die erste Bildungsinstitution, zum Beispiel in eine deutsche Kindertageseinrichtung, werden mehrsprachige Kinder - oft mit Blick auf den nächsten anstehenden Übergang in die Schule - als (noch) ‚Nicht-Deutschsprachige‘ wahrgenommen. In der pädagogischen Praxis und im fachlichen Diskurs dominiert aufgrund der Orientierung an der einsprachig organisierten deutschen Schule ein einsprachiger Blick auf mehrsprachige Lernbiographien. Dementsprechend hat sich in den letzten Jahren eine frühkindliche Feststellungsdiagnostik für potentielle Schulanfängerinnen und Schulanfänger durchgesetzt, die fast ausschließlich auf monolingualen Testverfahren basiert, die für einbzw. deutschsprachig aufwachsende Vorschulkinder entwickelt wurden. Diese Instrumente durften außerdem nicht von den beteiligten pädagogischen Fachkräften eingesetzt werden. Laut Kany und Schöler ist die Frage „Wer darf testen? “ unmittelbar mit bildungspolitischen Interessen, aber auch mit einer oft fehlenden spezifischen Qualifikation der Pädagoginnen und Pädagogen verbunden: Das Kindeswohl darf nicht von standespolitischen Interessen bestimmt werden, sondern muss sich am fachlich Wünschenswerten und Praktikablen orientieren. Dies bedeutet u. a., dass „Testen“ nicht länger ausschließlich Psychologen, Logopädinnen, Sprachheilpädagogen, (Patho-)Linguistinnen oder Medizinern vorbehalten sein darf. Vielmehr müssen insbesondere pädagogische Fachkräfte im diagnostischen Methodenspektrum gezielt geschult werden. (Kany/ Schöler 2010: 101) Dennoch bleiben auch im Rahmen dieser kritischen Betrachtung Fragen zur spezifischen Situation mehrsprachiger Kinder unbeantwortet wie zum Beispiel: Welche Fähigkeiten sollen bei mehrsprachig aufwachsenden Kindern diagnostiziert werden? Inwieweit und wie sollen sprachenübergreifende Praktiken, z. B. metasprachliche Strategien der Kinder, die, wie oben erläutert, ihren Mehrspracherwerb vorantreiben, ebenfalls erfasst werden? Außerdem stellt 67 4.2 Einsprachige Feststellungsdiagnostik für mehrsprachige Vorschulkinder? sich die Frage, inwieweit für mehrsprachige Kinder eine Stichprobe einsprachig lebender Gleichaltriger als repräsentativ gelten darf. So kritisieren auch Chilla, Rothweiler und Babur (2013: 72), dass es kaum ein diagnostisches Verfahren gibt, das „den Anforderungen des mehrsprachigen Erwerbs“ gerecht wird. Die Fähigkeiten mehrsprachiger Kinder werden in der Regel nicht wirklich erfasst, stattdessen werden angebliche „Abweichungen“ festgestellt, die aus der monolingualen Orientierung der Instrumente resultieren und Sprachauffälligkeiten insbesondere bei Kindern aus zugewanderten Familien attestieren, ohne dass „eine genuine Spracherwerbsstörung zugrunde liegen muss“ (ebd.). Diese monolinguale Ausrichtung der in der (früh-)pädagogischen Praxis eingesetzten Instrumente wird in der internationalen Mehrsprachigkeitsforschung seit Jahren problematisiert. So verweist Grosjean darauf, dass der Wortschatz mehrsprachiger Kinder aufgrund der eingesetzten Testverfahren als weniger oder als nicht normgerecht entwickelt gilt, da diese nicht dafür geeignet sind, ihr gesamtes linguistisches Repertoire zu erfassen: This is because the vocabulary they have in each language is often smaller than that of comparable monolinguals. Of course when bilingual children are evaluated in terms of both their languages, then the situation improves greatly, but if one looks at just one language at a time, there is frequently a difference. […] Unfortunately, vocabulary tests do not take this principle into account and hence test results penalize bilingual children. (Grosjean 2010: 225-226) Allgemein gilt, dass Mehrsprachige ihre sprachliche Praxis im Kontext verschiedener Lebensbereiche den Gegebenheiten und Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern anpassen und deswegen mit ihren sprachlichen Ressourcen komplementär umgehen, sodass sie nicht in jeder Sprache einen identischen Wortschatz parallel entwickeln: „This is because a single person does not lead two lives“ (de Houwer 2009: 310). Ausgehend von der angeblichen Normalität einer einsprachigen (Sprach-)Biographie wird dennoch die Feststellung, dass die Wortschätze mehrsprachiger Kinder „nicht deckungsgleich“ seien, als problematisch deklariert (vgl. Rothweiler/ Ruberg 2011: 9): Es wird zum Beispiel unterstellt, dass ihnen die entsprechenden deutschen Wörter einfach „fehlen“ (ebd.). Im Rahmen ihrer Expertise mit dem Titel „Sprachstandsfeststellung bei mehrsprachigen Kindern im Elementarbereich“ warnt Lengyel (2012: 17) vor 68 4 Angehende Mehrsprachigkeit: Beobachtung und Dokumentation solchen „Fehldiagnosen“ aufgrund einer verbreiteten „Dominanz der ‚monolingualen Sprachkompetenz‘“. Darüber hinaus problematisiert sie, dass es kaum Verfahren gibt, mit denen „spezifische mehrsprachige Sprachgebrauchsformen, beispielsweise das Code-Switching, das Übersetzen oder das Mischen von Sprachen im Allgemeinen einbezogen werden“ (ebd.: 33). Da mehrsprachige Kinder in der Regel mit ungeeigneten Verfahren konfrontiert werden, empfehlen auch Kany und Schöler insbesondere „für die Zeit der Frühen Kindheit, in der Kinder noch nicht mit standardisierten Tests untersucht werden können“, eine „systematische Beobachtung“ im Kontext von Kindertageseinrichtungen (2010: 10). Diese Methode betrachten sie, „neben der Elternbefragung“, als „die einzige Möglichkeit“, notwendige Informationen für eine „individualisierte Förderung“ zu erhalten (Kany/ Schöler 2010: 109). Chilla und Niebuhr-Siebert (2017: 191) gehen auf die Problematik des Übergangs in die monolinguale Schule ein. Dementsprechend schlagen sie vor, dass die von Cloos und Schröer beschriebenen „Perspektiven auf das Phänomen Übergang“ (Cloos/ Schröer 2011) um „Aspekte mehrsprachiger Bildung“ ergänzt werden sollen, damit die Perspektive mehrsprachig aufwachsender Kinder berücksichtigt wird: Da mehrsprachige Kinder den Übergang „aus einer mehrsprachigen Bildungsperspektive“ bewältigen (müssen), sollten pädagogische Maßnahmen angepasst werden, sodass sie „die Perspektive Mehrsprachigkeit fokussieren“. Darüber hinaus sollte die Diagnostik „konsequent alle Sprachressourcen in den Fokus nehmen“, mehrsprachige Bildungsangebote sollten curricular abgesichert und „Quersprachigkeit als Leitbild“ angesehen werden (Chilla/ Niebuhr-Siebert 2017: 191-192). In den folgenden Ausführungen geht es um die Bedeutung alltagsintegrierter Beobachtungen im Kontext von Kindertageseinrichtungen. Es wird insbesondere auf die Bedeutung der Dokumentation kindlicher Praktiken und Fähigkeiten auf der Grundlage von Gesprächen mit Eltern (Kapitel 4.3) sowie aus der Perspektive der Kinder (Kapitel 4.4) eingegangen werden. 69 4.3 Dokumentation mehrsprachiger Entwicklung im KiTa-Alltag 4.3 Dokumentation mehrsprachiger Entwicklung anhand von Elterngesprächen und Beobachtungen im KiTa-Alltag „Anders als beim Diagnostizieren müssen beim Beobachten“ keine Vergleiche zwischen ein- und mehrsprachigen Kindern „vorgenommen werden“ (Chilla/ Niebuhr-Siebert 2017: 111). Sprachliche Leistungen können außerdem nicht durch Momentaufnahmen, und auch nicht isoliert, sondern müssen systematisch und langfristig sowie im Kontext von realen Situationen erfasst werden, da sprechende Kinder im KiTa-Alltag in sozialen Interaktionen mit mehreren (auch mehrsprachigen) Kindern und (professionellen) Erwachsenen involviert sind. Um Strategien für eine sprachpädagogische Begleitung der kindlichen Sprach(en)entwicklung zu entwerfen, bedarf es einer systematischen Dokumentation beispielsweise mittels Portfolioarbeit in der KiTa unter Beteiligung der Kinder (siehe dazu Kapitel 4.5) aber auch in Kooperation mit den Eltern, die den Sprachgebrauch ihrer Kinder im familialen Alltag beobachten und dazu konkrete Fragen beantworten können (vgl. Chilla/ Niebuhr-Siebert 2017: 178). In Elterngesprächen können sich Erzieherinnen, Erzieher und Eltern über die institutionelle bzw. familiale Sprachenpolitik (siehe Kapitel 2) austauschen. Erzieherinnen und Erzieher können zunächst erklären, dass beispielsweise nur einige Familiensprachen im KiTa-Alltag verwendet werden können, weil es pädagogische Fachkräfte und/ oder Kinder und Eltern gibt, die ebenfalls diese Sprachen sprechen, oder dass sie momentan beispielsweise hauptsächlich auf Türkisch (neben Deutsch) Geschichten vorlesen und dass im KiTa-Alltag für alle Kinder diese Sprache an Bedeutung gewinnt etc. Eltern können transparent machen, welche Familiensprachen sie zuhause mit ihren Kindern und mit weiteren Familienmitgliedern, die nicht in Deutschland leben, sprechen oder mit wem ihre Kinder welche Sprachen favorisieren. Zum Beispiel sprechen die Kinder mit den Eltern einen deutschen Regiolekt oder kommunizieren oft deutsch-türkisch, mit der Oma verwenden sie ausschließlich einen türkischen Dialekt, aber mit ihren Nachbarn die standardisierte Varietät des Türkischen etc. Eltern können auch über die Erzählfreude ihrer Kinder oder über die Sprachspiele und Reime, die sie auf Deutsch über ihre älteren Geschwister kennenlernen, berichten - oder über die Schwierigkeiten, die ihre Kinder haben, mit unbekannten Personen ein Gespräch auf Deutsch anzufangen, wohingegen sie mit der Nachbarin, die sie als Bezugsperson wahrnehmen, hauptsächlich auf Deutsch reden etc. 70 4 Angehende Mehrsprachigkeit: Beobachtung und Dokumentation Voraussetzung für solche Gespräche sind einerseits gegenseitiges Vertrauen und andererseits gezielte Fragen, die präzise Antworten zur individuellen Sprachbiographie ermöglichen. Zum Beispiel: Zeigt sich das Kinder auch im Kontext der Familie erzählfreudig und worüber spricht es mit den Eltern oder mit Geschwistern? Schweigt das Kind auch in der Familie regelmäßig und wenn ja, unter welchen Bedingungen? Und falls eine Diskrepanz zwischen Familie und KiTa existiert, woran könnte dies liegen etc. Diese Fragen sollten dabei stets so formuliert werden, dass Eltern sie auch sinnvoll beantworten oder gegebenenfalls ihre Kinder demnächst gezielter beobachten können, um darüber zu berichten. Ziel ist es, dass die pädagogischen Fachkräfte mit ihrer Hilfe die sprachlichen Erfahrungen ihrer Kinder besser einschätzen und ihre Erwerbsprozesse auch im KiTa-Alltag adäquat begleiten können. Es ist allerdings davon auszugehen, dass nur wenige Eltern spezifische Fragen bezüglich der Entwicklung des Wortschatzes oder der grammatischen Schwierigkeiten, die ihre Kinder in den verschiedenen Sprachen haben oder der syntaktischen Muster, die sie abwechselnd favorisieren, beantworten können. Mit anderen Worten: Eltern sind in der Regel nicht in der Lage, die Sprachentwicklung ihres mehrsprachig (oder auch einsprachig) aufwachsenden Kindes zu diagnostizieren. Ein charakteristisches Beispiel hierzu liefert Scharff Rethfeldt (2016: 73f.) über Gespräche mit mehrsprachigen Eltern bezüglich der Frage, ob ihr Kind „zumindest in der Erstsprache bereits den Plural erworben habe.“ Missverständlicherweise gehen deutschsprachige Pädagoginnen und Pädagogen davon aus, dass die Pluralbildung nicht nur in der deutschen, sondern auch in weiteren Familiensprachen eine Herausforderung für Kinder sei, was beispielsweise für die türkische Sprache nicht zutrifft. Daher fallen die Antworten der Eltern „nicht nur aufgrund der variablen kindlichen Entwicklung und des individuell variierenden Sprachangebotes (Input) sehr unterschiedlich aus“, sondern hängen auch „von der Komplexität der zu erwerbenden Strukturen in den jeweiligen Sprachen“ ab (ebd.). Dass alle Eltern die von ihren Kindern (nicht) erworbenen grammatischen Muster in der einen oder anderen Sprache identifizieren können, ist also kaum zu erwarten, auch weil „es einige Strukturen in manchen Sprachen nicht [gibt], die im Deutschen vorkommen - und umgekehrt“ (ebd.: 75). Die Aufgabe der KiTa ist vor allem darin zu sehen, Eltern in ihrer Rolle sowohl als Eltern als auch als mehrsprachige Vorbilder zu stärken. „Mehrsprachige Bildung lebt von mehrsprachigen Vorbildern“ (Chilla/ Niebuhr-Siebert 2017: 97). Aus diesem Grund ist in der Zusammenarbeit mit Eltern Mehrspra- 71 4.3 Dokumentation mehrsprachiger Entwicklung im KiTa-Alltag chigkeit als Ressource wertzuschätzen, die zugleich „von allen Beteiligten in ihrem Ausbau unterstützt werden sollte“ (ebd.). Im KiTa-Alltag sind darüber hinaus Formate teilnehmender bzw. alltagsintegrierter Beobachtung üblich und für die Gestaltung sprachförderlicher Situationen sinnvoll, während die ein- oder mehrmalige Beobachtung eines Kindes durch eine externe Diagnostikerin oft ohne Berücksichtigung der pädagogischen Praxis realisiert wird und kaum zur Veränderung der sprachpädagogischen Interventionen beitragen kann. Da aber die Erzieherinnen und Erzieher unmittelbar am Geschehen beteiligt sind und bestimmte Erwartungen an ihre eigenen sprachpädagogischen Angebote haben, sind gegenseitige Beobachtungen der pädagogischen Fachkräfte in Interaktion mit den Kindern anzustreben. Mittlerweile wird auch die Videographie als Beobachtungs- und Reflexionsmethode im KiTa-Alltag eingesetzt. Für eine alltagsintegrierte, aber auch systematische Förderung ist es möglich, mittels Videoaufzeichnung die Bandbreite der verbalen, non-verbalen und spielerischen Ausdrucksformen eines Kindes differenziert wahrzunehmen und zu beschreiben. Auch für die Analyse von pädagogischen Situationen oder des eigenen Dialoghandelns bietet sie viele Vorteile. (Best, Bosch, Jampert, Zehnbauer 2017: 12) Das Ziel jeglicher Beobachtung - und somit eine der klar definierbaren Grenzen dieser Methode - ist allerdings nicht das Erreichen von Objektivität, sondern einer gewissen Intersubjektivität im KiTa-Team bezüglich der brauchbaren Informationen, um geeignete Bildungsangebote für einzelne Kinder oder für die Arbeit in Kleingruppen zu gestalten (zur notwendigen Reflexion über die „Grenzen des Beobachtbaren“ vgl. Kany/ Schöler 2010: 105). Um beobachten zu können und dabei präzise und systematisch Informationen für eine alltagsintegrierte Förderung zu gewinnen, ist deswegen in einem ersten Schritt zu klären, was genau beobachtet (oder videographiert) werden soll. Auch in diesem Fall ist es notwendig, Fragestellungen zu formulieren, die tatsächlich beantwortet werden können. Um den individuellen Mehrspracherwerb eines Kindes dokumentieren zu können, bedarf es darüber hinaus keiner Pauschalisierungen oder Etikettierungen über angeblich nicht sprachfreundliche familiale Bedingungen, wichtig sind genauere Informationen darüber, 72 2 Translanguaging: Mehr- und Quersprachigkeit im Erwerb und Gebrauch welche Personen, u. a. in ihrer sprachanregenden Funktion sowie als Sprachmodell wie häufig und wie intensiv und in welchem Kontext mit welcher Intention und in welcher sprachlichen Qualität die sprachliche Interaktion mit dem Kind gestalten. (Scharff Rethfeldt 2016: 23f.; Hervorhebung i. O.) Die Erstellung eines individuellen Profils aller Kinder auf der Grundlage von Gesprächen mit Bezugspersonen, Eltern oder auch älteren Geschwistern setzt nicht nur gegenseitiges Vertrauen, sondern auch die Bereitschaft der Pädagoginnen und Pädagogen voraus, die Spracherwerbsprozesse der Kinder im Zusammenhang mit dem pädagogischen Geschehen selbstkritisch zu betrachten. Als besonders ergiebig, um sprachliche Praxis zu erfassen und die individuelle Sprachentwicklung einzelner Kinder zu dokumentieren, haben sich Interaktionen mit Gleichaltrigen im KiTa-Alltag erwiesen (vgl. Stude 2013: 251). Darüber hinaus ist der besondere Ertrag der Beobachtung auch in den Grenzen dieser Methode zu sehen, da das Beobachtbare nicht normativ, sondern deskriptiv dokumentiert werden soll, um anschließend in Kooperation mit weiteren pädagogischen Fachkräften im KiTa-Team analysiert zu werden. 4.4 ‚Sprachenporträts‘ - aus der Perspektive mehrsprachiger Kinder „Welche Sprachen sprichst du? “, fragt die Interviewerin die fünfjährige Lena. Daraufhin listet Lena selbstbewusst auf: „Deutsch, Griechisch, Monstersprache, Tiersprache“. Nach kurzer Überlegung ergänzt sie noch: „Delfinsprache und Vogelsprache“. Die Interviewerin lobt Lena für ihre „vielen Sprachen“ und macht sie dann aufmerksam auf eine Kopiervorlage mit einer Körpersilhouette [zur Erstellung eines sogenannten Sprachenporträts], die bereits auf dem Tisch liegt. Während Lenas Blick noch auf die Kopiervorlage gerichtet ist, fragt die Interviewerin: „Was meinst du, Lena, wo genau in deinem Körper sind deine Sprachen? “ Lena antwortet sofort: „Meine Sprachen sind in meinem Mund.“ Nach kurzer Überlegung korrigiert sie aber ihre Aussage: „Nein, in meinem Gehirn! “ Auf die Aufforderung der Interviewerin, „alle 73 4.4 ‚Sprachenporträts‘ - aus der Perspektive mehrsprachiger Kinder diese Sprachen mit vielen Farben“ bzw. „mit diesen bunten Filzstiften“, die ebenfalls auf dem Tisch liegen, innerhalb der Körpersilhouette „zu malen“, geht Lena nicht ein. Stattdessen betrachtet sie kurz das Blatt und verlässt dann unseren Tisch, um sich nebenan einer auf dem Teppich sitzenden Gruppe spielender Kinder anzuschließen. (Ausschnitt aus einer Beobachtung im KiTa-Alltag, aus der Fallstudie ‚Lena‘; Protokoll: Panagiotopoulou) Kuba (5; 8) wächst in Deutschland als einziges Kind einer Polnisch sprechenden Mutter und einem deutschsprechenden Vater auf. Er malt sein Sprachenporträt zunächst mit bunten Wachsmalstiften aus. Er wählt Rot für Polnisch und malt damit den Brust- und Bauchraum der Silhouette aus. Er fügt der menschlichen Silhouette blaue Ohren hinzu und sagt, dass er damit englische Songs aus dem Radio meint, und äußert, dass er Englisch eine coole Sprache findet. Zum Ende des Malerereignisses nimmt er einen schwarzen Wachsmalblock und übermalt großzügig die gesamte Silhouette. Auf die Nachfrage, was er jetzt male, antwortet Kuba, dass dies Deutsch sei, und fügt hinzu: „Ich soll kein Polnisch mit anderen reden.“ (Entnommen aus: Scharff Rethfeldt 2016: 128) Busch beschreibt das Sprachenportrait als eine „multimodale Methode“, die am Institut für Sprachwissenschaft der Universität Wien mehrfach erprobt und für besonders ergiebig befunden wurde. Es handelt sich um einen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene geeigneten sprachbiographischen Zugang, um ein „Angebot, sprachliches Erleben kreativ zu visualisieren“ (2013: 34ff.). Auch Hans-Jürgen Krumm bilanziert den Ertrag dieser Methode als „Einstieg in sprachenbiographisches Erzählen“: Er betont, dass nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene diese „Aktivität […] mit großem Eifer ausführen“ und dass 74 4 Angehende Mehrsprachigkeit: Beobachtung und Dokumentation diese Aufgabe in der Regel dazu führt, „dass fast alle ihr Porträt beschriften bzw. etwas dazu erzählen wollen“ (2010: 16). Die zwei zu Beginn ausgewählten Beispiele sollen eher zu einem kritischen Nachdenken über diese weit verbreitete Methode beitragen und verdeutlichen, dass bereits junge Kinder im Zusammenhang mit ihrer realen Sprachpraxis auch negative Erfahrungen sammeln (wie der fünfjährige Kuba) oder dass sie ihre Sprachpraxis zwar mit ihrem Mund und Gehirn in Verbindung bringen (wie die fünfjährige Lena), aber nicht unbedingt metaphorisch - also übertragenerweise - mit einzelnen Farben und anschließend mit einzelnen Körperteilen verbinden, wie es die Methode der Sprachenporträts vorgibt. Lenas logische Antwort „meine Sprachen sind in meinem Mund (…) nein, in meinem Gehirn“ lassen die Vermutung zu, dass bereits Fünfjährige wissen, dass Sprachen zwar mündlich realisiert werden, sich aber nicht im Mund befinden. Aufgrund dieser Aussage kann außerdem angenommen werden, dass Lena ihr mehrsprachiges Sprechen als eine kognitive Leistung ansieht, was für die Bildungsdokumentation ihrer individuellen Lernbiographie von Bedeutung wäre; allerdings setzt dies ein Gespräch mit dem Kind über seine vorläufigen Annahmen und theoretischen Konzepte voraus 10 . Das zweite Beispiel vom fünfjährigen Kuba macht darauf aufmerksam, dass auch diese spielerisch zu gestaltende und nicht verpflichtende Aufgabe dazu führen kann, dass Kinder nicht nur positive Assoziationen entwickeln, sondern auch über ihre bisherigen negativen Erfahrungen innerhalb und außerhalb von Bildungseinrichtungen berichten: So erhält die pädagogische Fachkraft eventuell Zugang zu Informationen, die bisher nicht thematisiert wurden, wie beispielsweise zu Migrationsgeschichten, bestimmten (nicht nur sprachlichen) Vorlieben, Vorstellungen, (Sprach-)Konflikten, Sprachprestiges, Ängsten, Diskriminierungserfahrungen o. Ä. (Scharff Rethfeldt 2016: 127) Dass ein fünfjähriges Kind seine mehrsprachige Realität und Praxis durch die Sprache der Mehrheitsgesellschaft, die Sprache der Schule symbolisch durchstreicht bzw. mit der entsprechenden Farbe seine weitere Sprachpraxis übermalt 10 Die Beschäftigung mit diesem Thema ist nicht banal und die Frage, wie genau die Modalitäten Sprechen und Denken zusammenhängen, stellen sich früher oder später viele Kinder. Es handelt sich außerdem um eine Frage, die bis heute im internationalen Fachdiskurs intensiv behandelt wird (vgl. hierzu das Buch von Charles Taylor mit dem Titel „Das sprachbegabte Tier“, 2016). 75 4.5 Sprachbiographische Arbeit im KiTa-Alltag mit dem Europäischen Sprachportfolio und somit sein komplexes Sprachenrepertoire zurückweist, sollte die an seiner Lern- und Sprachbiographie Beteiligten alarmieren. Kubas Erklärung dazu, er solle „kein Polnisch mit anderen reden“, lässt die Vermutung zu, dass er bereits mit einem Sprachverbot, oder im besten Fall mit dem Deutschgebot, systematisch konfrontiert wurde. Sprachenporträts sind zwar als „ein hilfreiches Mittel“ einzusetzen, um die Sprachvielfalt „und somit Mehrsprachigkeit als selbstverständliches Element einer Gruppe bzw. eines Kindes abzubilden“ (Scharff Rethfeldt 2016: 127), aber Erzieherinnen und Erzieher (und Lehrkräfte) sollen darauf vorbereitet sein, dass Kinder auch diskriminierende Erfahrungen aufgrund ihrer mehrsprachigen Alltagspraxis sowie Traumatisierungen zum Ausdruck bringen könnten und dass sie damit nicht allein gelassen werden dürfen. 11 4.5 Sprachbiographische Arbeit im KiTa-Alltag mit dem Europäischen Sprachenportfolio (von Giovanni Cicero Catanese) Sprachbiographien und ihre Implikationen für die Elizitation und Stärkung sprachreflexiver Fähigkeiten stellen ein spannendes Forschungsfeld dar (Franceschini 2002, Busch 2012). Das Interesse an Sprachbiographien steht aber auch in Verbindung mit sprachpädagogischen und sprachdidaktischen Ansätzen und Projekten, die altersgerechte Sprachbiographien zu entwickeln und dazu konkrete Materialien zu erarbeiten versuchen. Sprachbiographien sind beispielweise Bestandteil verschiedener Europäischer Sprachenportfolios (ESP), die viele europäische Länder nach den Richtlinien des Europarates in den letzten 20 Jahren entwickelt haben. Der Europarat, der sich in zahlreichen Dokumenten für ein Europa als Kontinent der Vielfalt und der Vielsprachigkeit ausgesprochen hat, entwickelte Ende der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts das Konzept des ESP. Er empfahl für dieses ESP eine bestimmte Struktur und forderte die Mitgliedstaaten auf, konkrete und nach Altersgruppe differenzierte Modelle zu entwickeln (Little, Goullier, Hughes 2011). Ziel des ESP ist es, Sprachkompetenzen zu dokumentieren, diese wertzuschätzen, sie für Lernende und Lehrende sichtbar zu machen, die Reflexion über die Strategien des eigenen Sprachlernens anzuregen, die Motivation für 11 Für eine kritische Betrachtung der Methode „Sprachenporträts“ auch innerhalb der Professionalisierung angehender pädagogischer Fachkräfte vgl. Panagiotopoulou/ Rosen 2016b. 76 4 Angehende Mehrsprachigkeit: Beobachtung und Dokumentation die Aneignung neuer Sprachen zu erhöhen und durch den Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen (GER) eine Plattform anzubieten, um kommunikative Sprachkompetenzen in einheitlicher Form einschätzen zu können (Kolb 2007, Reich/ Krumm 2013). Die Richtlinien des Europarates sehen für das ESP folgende drei Teile vor: die Sprachenbiographie, das Dossier und den Sprachenpass. In der Sprachenbiographie werden persönliche Ereignisse und Erfahrungen in Zusammenhang mit Sprache dokumentiert und hiermit die eigene „Sprachlandschaft“ verdeutlicht: Unter anderem geht es um die Fragen, mit wem die Person eine bestimmte Sprache spricht, mit welchen Sprachen sie bisher in Kontakt gekommen ist und in welchem Kontext usw. Das Dossier besteht aus einer Sammlung von Materialien, die die Angaben der Sprachbiographie dokumentiert und ergänzt; beispielsweise werden Zertifikate, Bilder aus dem Urlaub in anderssprachigen Ländern, CDs mit mehrsprachigen Liedern etc. aufgenommen. Im Sprachenpass werden schließlich die kommunikativen Kompetenzen nach dem Niveau-Raster des GER eingeschätzt. Für Kinder im Kindergartenalter wurden in verschiedenen Ländern Sprachenportfolios in vereinfachter bzw. angepasster Form entwickelt. Ein Sprachenportfolio für den Elementarbereich sollte folgende Ziele verstärkt verfolgen: die Entwicklung von Sprachbewusstheit bei Kindern unterstützen, die Reflexion über ihre ersten interkulturellen Erfahrungen anregen, die Familien einbeziehen und die Zusammenarbeit mit diesen stärken. Mit dieser Absicht hat das Institut für Interkulturelle Pädagogik im Elementarbereich (IPE) e. V. ein Modell für ein ESP für Kinder von 3 bis 7 Jahren entwickelt (Filtzinger, Montanari, Cicero Catanese 2016). Dieses wurde in den Jahren 2009 bis 2011 in drei Mainzer Kindertagesstätten im engen Austausch mit dem dortigen pädagogischen Personal und mit den Familien erarbeitet und erprobt. Anschließend wurde es dem Europarat vorgelegt und von diesem als offizielles Europäisches Sprachenportfolio anerkannt. Bereits in der Erprobungsphase wurde sehr viel Wert darauf gelegt, Sprachen gemeinsam mit Kindern explizit zu thematisieren und sie als Mittel für die biographische Arbeit zu nutzen (vgl. Cicero Catanese 2010). Von Gesprächen über Sprachen und über Erfahrungen mit Sprachen können alle Kinder profitieren, auch in Kindertageseinrichtungen, die von sprachlicher Homogenität geprägt sind. Vor allem in diesen Kontexten sollte das ESP pädagogisches Personal und Eltern dazu aktivieren, Strategien und Ideen zu 77 4.5 Sprachbiographische Arbeit im KiTa-Alltag mit dem Europäischen Sprachportfolio entwickeln, um Kindern mehrsprachige Erfahrungen zu ermöglichen (vgl. Filtzinger, Montanari, Cicero Catanese 2016). Ein wichtiges Merkmal des ESP ist seine Ausrichtung auf Kinder mit und ohne Migrationshintergrund, sodass dies kein „Sonderprogramm“ für Kinder mit Migrationshintergrund darstellt, sondern alle am pädagogischen Prozess beteiligten Kinder aktiv einbezieht und ihnen den gegenseitigen Austausch ermöglicht. Trotz seiner vorgegebenen Struktur soll der praktische Einsatz von Sprachenportfolios flexibel, situations- und prozessorientiert bleiben. Die Themen und Ideen aus dem ESP für Kinder von 3-- 7 Jahren (z. B. „Die Sprachen in meinem Alltag“, „Die Sprachen im Kindergarten“, „Meine Reisen“, „Farben und Zahlen in verschiedenen Sprachen“) können in die mittlerweile gängige und vertraute allgemeine Portfolioarbeit integriert werden. Abb. 2: Zwei ESP-Seiten von Luciana und Sarah ausgefüllt am 17.01.2018 in einer Kindertageseinrichtung in Mainz Durch die Kooperation und den Austausch mit den beteiligten Kindern und ihren Eltern können alle Familiensprachen, einschließlich der Varietäten der Standardsprachen, im Kindergarten sichtbar und erlebbar gemacht werden, 78 4 Angehende Mehrsprachigkeit: Beobachtung und Dokumentation Fragen und Aufgaben 1. Diskutieren Sie unter Einbezug einschlägiger Literatur über Methoden einer Sprachstandsdiagnostik oder Feststellungsdiagnostik beim Übergang in die Schule. Wählen Sie ein Verfahren aus und vergleichen Sie es mit dem Verfahren des Europäischen Sprachenportfolios: Wo sehen Sie hauptsächlich Gemeinsamkeiten und Unterschiede sowie Vor- und Nachteile für den Einsatz der Verfahren in der (früh-) pädagogischen Praxis? 2. Im Rahmen ihrer Expertise mit dem Titel „Sprachstandsfeststellung bei mehrsprachigen Kindern im Elementarbereich“ stellte Lengyel (2012: 17) die These einer Dominanz der „monolingualen Sprachkompetenz“ auf und begründete diese, indem sie darauf aufmerksam machte, „dass alle derzeit existenten Tests für monolinguale Kinder ohne dass die pädagogische Fachkraft diese Sprachen selbst sprechen oder kennen muss. Für Kinder in diesem Alter sind vor allem gezielte gemeinsame und kooperative Aktivitäten zur Sprachbiographie sowie die Gestaltung eines Dossiers, einer „Schatzkiste“, von großer Bedeutung hinsichtlich der Sprachbewusstwerdung. Neuere Studien belegen, dass Kinder bereits im Kindergartenalter sprachreflexive Kompetenzen zeigen, explizite Bezüge auf Sprache insbesondere innerhalb von Peerinteraktionen herstellen können und dass dieses Potential in der aktuellen sprachpädagogischen Praxis noch relativ verborgen und ungenutzt bleibt (vgl. Stude 2013, Wörle 2013). Dokumentierte sprachthematische Gespräche mit dem Kind (bspw. in Form eines Interviews) gegen Ende seiner Kindergartenzeit können letztlich den Höhepunkt einer ersten sprachlichen Selbsteinschätzung darstellen. Hierbei sollte sich die pädagogische Fachkraft nicht strikt nach den Angaben des GER richten, sondern mittels offener Leitfragen dem freien Erzählen über die eigenen geschätzten Sprachkompetenzen Raum geben. Wünschenswert wären nähere Untersuchungen sprachbiographischer Ansätze im Elementar- und Primarbereich, um ihre Verbreitung, ihre Umsetzung und langfristigen Einflüsse auf die Sprachkenntnisse und das Sprachverhalten der Kinder zu überprüfen. 79 4.5 Sprachbiographische Arbeit im KiTa-Alltag mit dem Europäischen Sprachportfolio entwickelt wurden und das Konstrukt ‚monolinguale Sprachkompetenz‘ messen. Dementsprechend lässt sich in Testmanualen mitunter der Hinweis lesen, dass die Normwerte, für die die aufwändige Testkonstruktion ja durchgeführt wurde, nur eingeschränkt für Kinder mit einer anderen Muttersprache als Deutsch gelten und die Ergebnisse somit vorsichtig interpretiert werden müssten, um keine Fehldiagnosen zu erhalten“. Diskutieren Sie diese Kritik und prüfen Sie auf dieser Grundlage die Testmanuale von mehrsprachig konzipierten Diagnoseverfahren für Vorschulkinder (wie z. B. Cito oder Havas 5). 3. Eine zentrale Aufgabe von pädagogischen Fachkräften besteht darin, Kinder dabei zu unterstützen, das „Bewusstsein ihrer wachsenden Mehrsprachigkeit“ (Wandruszka 1979: 19) zu erkennen. Stellen Sie (fiktive) Situationen dar, mit denen sie dieses Ziel bei jungen Kindern und bei Schulanfängerinnen und Schulanfängern erreichen und dokumentieren könnten. 4. Nehmen Sie kurze Gespräche zwischen mehrsprachigen Vorschulkindern, Erzieherinnen und Erziehern im KiTa-Alltag auf, transkribieren ausgewählte Stellen daraus und/ oder verfassen Beobachtungsprotokolle, die möglichst viele authentische Äußerungen von Kindern und Erwachsenen beinhalten. Diese Daten stellen Sie in Gruppen oder im Plenum zur Diskussion - kombiniert mit dem Arbeitsauftrag, nicht nach Problemen und Schwierigkeiten zu suchen, sondern sich auf die kommunikativen Fähigkeiten der Vorschulkinder zu fokussieren. 81 4.5 SprachbiographischeArbeitimKiTa-AlltagmitdemEuropäischenSprachenportfolio(vonGiovanniCiceroCatanese) C. Mehrsprachigkeit und Bildung in der Schule Elke G. Montanari 5 Diagnose im Schulalter Als ich zehn Jahre alt war, wanderte ich zusammen mit meinem Vater in die USA aus. Mit knapp 16 Jahren kam ich wieder nach Deutschland zurück. In der Zwischenzeit wurde Englisch zu meiner zweiten Muttersprache, sodass ich vieles auf Englisch besser ausdrücken konnte als auf Deutsch. Nachdem ich in Deutschland eine bilinguale Schule besucht und ein Studium in englischer Sprache angefangen hatte, lernte ich meinen heutigen Mann kennen. Da ich in Deutschland wieder mehr Deutsch als Englisch sprach, wurde mein Deutsch wieder besser als mein Englisch. (Aus einer Beratungsanfrage an EM) Die Mehrsprachigkeit eines Menschen verändert sich im Laufe des Heranwachsens - wie gut Sprachen beherrscht werden, ändert sich über die gesamte Lebensspanne. Der Gebrauch beeinflusst, welche Sprache die stärkere oder die flüssigere ist. Sprachenerhebungen sollten daher mehrmals erfolgen und möglichst alle Sprachen einbeziehen. In der Diagnostik, die in diesem Kapitel im Zentrum stehen wird, werden einerseits die Fähigkeiten in den Einzelsprachen betrachtet, darüber hinaus ist es aber ebenfalls von großem Interesse, die sprachlichen Fähigkeiten insgesamt zu betrachten. Zunächst klären wir dazu in diesem Kapitel wichtige Eigenschaften mehrsprachiger Sprachbeherrschung und mehrsprachigen Handelns. In diesem Zusammenhang wird auf mehrsprachige und einsprachige Modi eingegangen und es wird das Komplementaritätsprinzip (Complementarity Principle) vorgestellt. Weiterhin diskutieren wir die einschlägigen Fachbegriffe Ausgewogenheit, Dominanz sowie Attrition. Anschließend werden mehrsprachige Diagnoseverfahren dargestellt. 84 5 Diagnose im Schulalter 5.1 Verteilung sprachlicher Handlungen auf Handlungsbereiche: das Complementarity Principle Mehrsprachige Sprecherinnen und Sprecher gebrauchen in ihrem Alltag nicht für alle Lebensbereiche sämtliche Sprachen. Für manche Lebensbereiche wird vorwiegend eine Sprache genutzt; das könnten z. B. Englisch und Deutsch am Arbeitsplatz oder in der Universität sein, und für andere Lebensbereiche andere Sprachen, z. B. für den häuslichen Bereich Spanisch. Der Sprachgebrauch verteilt sich also komplementär auf die Lebensbereiche des Menschen. Dieses Prinzip von einer an Handlungsfelder bzw. Lebensbereiche gebundenen Sprachenverteilung hat Grosjean (1989; 2016) als Complementarity Principle formuliert. In diesem Sinne ist im Bereich der Mehrsprachigkeit davon auszugehen, dass der Gebrauch mehrerer Sprachen dem Komplementaritätsprinzip folgt, d. h. die verschiedenen Sprachen ergänzen sich, indem ihr Gebrauch auf unterschiedliche Handlungsfelder verteilt ist. Aus einem verstärkten Gebrauch einer Sprache in einem Handlungsbereich - insbesondere bei symmetrischem Sprachgebrauch, wenn also das Gegenüber in der gleichen Sprache antwortet - ergeben sich dann mehr Input und mehr Handlungsoptionen in eben dieser verwendeten Sprache. Damit erweitert sich der Wortschatz, und grammatische Strukturen der verwendeten Sprache können schneller erworben werden. Das führt dazu, dass diese Sprache dann in diesem speziellen Handlungsfeld besser beherrscht wird (Montanari/ Abel 2018). Umgekehrt folgt aus einem Gebrauch einer Sprache in weniger Handlungsfeldern, dass Verlusterscheinungen in der Sprachbeherrschung wahrscheinlicher werden. Das Phänomen, dass die Sprachbeherrschung von seltenem Gebrauch beeinflusst werden kann, wird durch den Begriff Attrition eingefangen. Attrition beschreibt den Abbau sprachlicher Handlungsfähigkeit, wenn z. B. Wörter nicht mehr schnell aktiviert werden können oder sich die Aussprache verändert (Schmid/ Jarvis 2014). Dabei ist Attrition nicht nur negativ zu verstehen; vielmehr kann sie als eine funktionale Adaption des sprachlichen Wissens und der mentalen Organisation an die aktuellen Anforderungen, die das Individuum erlebt, verstanden werden: Was oft gebraucht wird, wird schneller aktiviert als Wissen, das selten gebraucht wird. Attrition tritt nicht nur in Zweit- und Fremdsprachen, sondern auch in der Erstsprache auf. Die Sprachwahl beschreibt Grosjean (1997) als Kontinuum von Sprachmodi. Dieses reicht von einem vorwiegend einsprachigen Sprachmodus über den gelegentlichen Gebrauch einer weiteren Sprache bis hin zu einem Gebrauch aller 85 5.2 Zur Problematik des Vergleichens Sprachen im multilingualen Modus. Ob ein monolingualer oder ein multilingualer Modus angemessen ist, hängt von sozialen und sprachlichen Faktoren ab und ist eine Wahl der Sprecherinnen und Sprecher. Sprecherinnen und Sprecher, die zwei bzw. mehrere Sprachen exakt gleichermaßen gut beherrschen, sind selten. Häufiger ist die Dominanz einer Sprache zu finden. Es scheint zunächst einfach zu prüfen, welche Sprache dominiert, doch tatsächlich sind die angelegten Kriterien äußerst vielfältig: Flüssigkeit, Aussprache, syntaktische Komplexität, Lexik und die Selbsteinschätzungen der Sprecherinnen und Sprecher sind wichtige Maßstäbe. All dies kann auf der kognitiven Ebene als sprachliches Wissen thematisiert werden oder im Gebrauch und damit im Kontext der konkreten Handlungsfähigkeit und Handlungserfordernisse gesehen werden. Am Beispiel des Kriteriums der flüssigen Sprachbeherrschung erläutert Piller (2016), wie sehr der Kontext beeinflusst, ob Flüssigkeit als ausreichend gelten kann oder nicht. To be ‚fluent‘ as a supermarket check-out operator is different from being ‚fluent‘ as a university student. Overall, the key point is that ‚fluency‘ means different things to different people and while we often are too eager to pass judgement on the proficiency of those who have traces of complex language learning trajectories in their repertoires, our judgements are rarely particularly valid or reliable. (Piller 2016: 48) Spontane Fehleinschätzungen von Flüssigkeit und Sprachbeherrschung unterlaufen dabei leicht. So weist Piller (2016: 48ff.) darauf hin, dass junge Lerner leicht überschätzt werden, weil sie relativ leicht kommunikative Fähigkeiten erwerben; ältere Lernende werden, wenn sie ihren Akzent beibehalten, dagegen tendenziell unterschätzt. 5.2 Zur Problematik des Vergleichens Das mehrsprachige Wissen eines Individuums ist eine Gesamtheit von Wissen und sprachlichen Handlungsfähigkeiten. Um Mehrsprachigkeit zu erfassen, muss daher immer reflektiert werden, wie der Sprachengebrauch in dem betreffenden Handlungsfeld gestaltet ist und welche Handlungsfelder nicht betrachtet werden. Welche Sprachen werden in dem untersuchten Handlungsfeld verwendet? Ist das getestete Kind gewohnt, das, was jetzt erwartet wird, in dieser Sprache durchzuführen? 86 5 Diagnose im Schulalter Als Beispiel möchte ich hier eine Erfahrung aus einer eigenen Datenerhebung aus meiner Studie 2010 anführen. Ich hatte mit Vorschulkindern für eine Evaluationsstudie eine Erzählung nach Abbildungen erhoben. Ein Mädchen hatte die Aufgabe auf Deutsch ganz gut gemeistert. Danach bat ich es, das auch auf Kurdisch für ihre Eltern zu tun. Das Kind fand das sehr schwer und sagte schließlich, dass es das auf Kurdisch überhaupt nicht könne. Dabei sprach es zu Hause nur Kurdisch, bestimmt kannte es die nötigen Wörter. Ich denke, die Aufgabe war eine typische „Kindergartenaufgabe“ im deutschsprachigen Umfeld. Deshalb fiel es ihm so schwer, die Nacherzählung in der Herkunftssprache zu meistern. (EM) Für den Vergleich von Testergebnissen zeigt sich, dass das gleiche Verfahren in mehreren Sprachen schon von der Anlage her unterschiedlich schwierig sein kann. Werden nur die Ergebnisse in einer Sprache analysiert, dann werden immer Ausschnitte betrachtet, die sich auf eine einzige Sprache begrenzen, es erfolgen also Teildiagnostiken der sprachlichen Fähigkeiten. Spezifische Fähigkeiten Mehrsprachiger bleiben dabei unberücksichtigt. So wird beispielsweise weder die kognitive Leistung, sich auf einen monolingualen Modus einzustellen, noch die Fähigkeit, in ein- und mehrsprachigen Kontexten multikompetent (s. Kapitel 1.1) zu handeln (Grosjean 2016), erfasst. Auch die hohe kognitive Aktivität, die beim Code-Switching und anderen Formen der gleichzeitigen Sprachenverwendung vorliegt, kann von einsprachigen Verfahren nicht berücksichtigt werden. Sollen Gruppen verglichen werden, so finden wir in der Forschungsliteratur Vergleiche zwischen Mehrsprachigen sowie mit einsprachigen Stichproben. Interessanter als die bereits oft durchgeführten Vergleiche zwischen Ein- und Mehrsprachigen sind grundsätzlich Vergleiche mehrerer Stichproben bilingualer bzw. mehrsprachiger Probanden untereinander, zum Beispiel im Hinblick auf die Fragen, wie sich Dominanz und Balance auf unterschiedliche Handlungsbereiche verteilen oder wie sich ältere und jüngere Mehrsprachige unterscheiden etc. Stehen mehrere Datenreihen zur Verfügung, so bieten sich interindividuelle Vergleiche an: Wie hat sich ein Kind entwickelt, was sind die Ergebnisse mit sechs, neun und zwölf Jahren? Vergleiche von ein- und mehrsprachigen Probanden haben zahlreiche Schwächen, da nur umständlich gesichert werden kann, bei den mehrsprachigen Probanden tatsächlich das gesamte Wissen und nicht nur einen Teil 87 5.3 Mehrsprachige Diagnoseverfahren des Wissens einzubeziehen. Trotzdem kann so eine Gegenüberstellung je nach Fragestellung höchst sinnvoll sein. Soll z. B. die Sprachentwicklung der ersten Lebensjahre geklärt werden, so ist eine schnelle einsprachige Diagnostik bei Auffälligkeiten sinnvoll, wenn keine mehrsprachige Diagnostik möglich ist, da bei mehr- und einsprachigen Kindern ähnliche Fortschritte innerhalb der gleichen Zeitfenster zu erwarten sind. Bei auffälligen Testergebnissen kann dann schnell vorausschauend therapeutisch gehandelt werden, was für die weitere Sprachentwicklung sehr wichtig ist. Eine eventuelle Überversorgung durch ein falsch positives Ergebnis ist in diesem Zusammenhang weniger schädlich als eine Unterversorgung - sollte ein Kind sich doch zügig entwickeln, kann die Sprachtherapie schnell beendet werden. Wird jedoch z. B. ein Hörproblem über längere Zeit nicht erkannt, so sind die Folgen schwerwiegend. Die Schule ist ein Handlungsfeld, das ein- und mehrsprachige Kinder typischerweise unter den Bedingungen von Einsprachigkeit vergleicht. Trotz aller Gründe, die gegen dieses Vorgehen sprechen, kann gerade ein kritisches Gegenüberstellen von Bildungserfolgen unterschiedlicher Gruppen dazu dienen, Benachteiligungen zu identifizieren, also zu bemerken, wenn in Schulen mehrsprachige Kinder systematisch schlechtere Ergebnisse erzielen (Montanari, Abel, Graßer/ Tschudinovski, 2018 a, b). Um solchen Entwicklungen gegenzusteuern, kann und muss dann der Unterricht verändert werden. 5.3 Mehrsprachige Diagnoseverfahren Mehrere Diagnoseansätze haben sich damit beschäftigt, wie Diagnose sprachenübergreifend erfolgen, also das gesamte sprachliche Wissen und Handeln in den Blick nehmen kann. Einige Möglichkeiten werden im Folgenden dargestellt. Bildbenennungstests in mehreren Sprachen Mehrsprachige Bildbenennungstests werden in mehreren Sprachen durchgeführt (z. B. in Englisch und Spanisch), die Ergebnisse in den Einzelsprachen werden addiert. Dieses Vorgehen ist für die Wortschatzdiagnostik konzipiert worden (Pearson, Fernández, Oller 1993) und wird seitdem häufig eingesetzt (Montanari, Abel, Graßer, Tschudinoski 2018 a, b). Dafür werden Bildbenennungstests wie der Wortschatz- und Wortfindungstest für 6-10-Jährige WWT 6-10 (Glück 2011) oder der PPVT (Dunn/ Dunn 2007) in mehreren Versionen angewendet; so liegt der PPVT u. a. für Englisch, Spanisch und Deutsch und 88 5 Diagnose im Schulalter zahlreiche weitere Sprachen vor, der WWT 6-10 für Deutsch, Türkisch und Russisch. Im Test werden die Ergebnisse in den Einzelsprachen erfasst. Anschließend werden für jeden Probanden die Rohwerte zusammengezählt (total vocabulary TV, Gesamtwortschatz) oder die in mindestens einer Sprache benannten Items gezählt (total conceptual vocabulary TCV). Antwort TV TCV Haus, house 2 1 Haus, - 1 1 -, house 1 1 Abb. 3: Berechnung von TV und TCV Bildbenennungsverfahren an andere Sprachen zu adaptieren, ist aus folgenden Gründen nicht unproblematisch: ▶ Die Worthäufigkeiten unterscheiden sich; ▶ für Sammelkategorien sind in einigen Sprachen Wörter vorhanden, in anderen nicht (z. B. „Geschirr“ gibt es im Türkischen oder Italienischen nicht so als Begriff wie im Deutschen); ▶ Wörter sind unterschiedlich lang; ▶ Wörter sind unterschiedlich phonologisch komplex; ▶ die Wortarten sind andere; ▶ u.v.m. Andererseits bietet die Adaption die Möglichkeit, mehrere Sprachen zu testen und die Ergebnisse zu vergleichen. Es gelingt nicht immer herzustellen, dass die Werte in den Sprachen gleich aussagekräftig sind. Hier ist u. U. die Arbeit mit Prozenträngen sinnvoll: dabei werden nicht Testergebnisse verglichen, sondern Ränge innerhalb von Stichproben („welches Kind ist am besten/ zweitbesten etc.? “). Als über mehrere Altersgruppen und Sprachkombinationen stabiler Befund zeigt sich eine Wortschatzlücke zwischen ein- und mehrsprachigen Probanden, wenn nur eine Sprache ausgewertet wird. Bei der Auswertung in mehreren Sprachen mittels TV und TCV verschwindet die Wortschatzlücke zwischen ein- und mehrsprachigen Altersgenossen (De Houwer 2010; Hoff 2003; Patterson/ Pearson 2004). Es wird sichtbar, dass sich der gesamte Wortschatzumfang von 89 5.3 Mehrsprachige Diagnoseverfahren mehrsprachigen Probanden nicht grundsätzlich von dem Umfang einsprachiger unterscheidet, in der einzelnen Sprache typischerweise aber schon. Die individuellen Unterschiede sind dabei sehr groß; die individuelle mehrsprachige Schülerin, der individuelle bilinguale Schüler kann dabei einen größeren Wortschatz als einsprachige Klassenkameraden oder -kameradinnen aufweisen. Erzählungen nach Abbildungen: Sprechen wir über Frösche In vielen, vielleicht in allen Kulturen und Sprachen wird erzählt. Dabei sind die Erzählungen nicht gleich, aber auch nicht völlig unterschiedlich. Gibt es hier mehr- und übersprachliche Gemeinsamkeiten, die diagnostisch genutzt werden können? Dieser Frage ging ein großes, mehrere Sprachen und Gesellschaften umspannendes Projekt nach (Slobin 2012, 1985). Für den Gesprächsanlass, der Kindern auf der ganzen Welt vorgelegt wurde, wurde ein textloses Bilderbuch ausgesucht: die Geschichte von einem Jungen und seinem Frosch, den der Junge über mehrere Stationen sucht und am Schluss an einem Froschteich (vielleicht? ) findet, die Frog Story (Mayer 1969). Das Untersuchungsdesign war im Kern einsprachig: Den Kindern wurde das Bilderbuch vorgelegt und sie wurden gebeten, die in den Abbildungen dargestellte Geschichte nachzuerzählen. Dieses Vorgehen wurde in vielen Sprachen eingesetzt und auch für mehrsprachige Kinder verwendet (Akıncı 2002). Da die Froschgeschichte recht lang ist, außerdem schwarz/ weiß und nicht immer nah an der Lebenswelt der Kinder, wird sie heute oft durch andere Stimuli ersetzt. Daraus entwickelte sich das Vorgehen, über Bildimpulse Narrationen in unterschiedlichen Sprachen anzuregen und dabei mit einem Analyseraster den Sprachstand zu erfassen, wie es im Projekt Multilingual Assessment Instrument for Narratives MAIN umgesetzt ist (Gagarina, Klop, Kunnari, Tantele, Välimaa, Balciuniene, Bohnacker, Walters 2012; Gagarina 2016). Damit können Nacherzählungen, Antworten auf Verständnisfragen und Erzählungen nach Abbildungen erhoben werden. 90 5 Diagnose im Schulalter Abb. 4: Multilingual Assessment Instrument for Narratives MAIN (Gagarina et al. 2012: 3) Dieses Verfahren, das mit mehr als 500 Kindern in 15 Sprachen entwickelt wurde, wird bisher im Wesentlichen für Forschungszwecke eingesetzt. Es ist für Kinder von drei bis neun Jahren geeignet, die von Geburt oder von einem frühen Lebensalter an mehrsprachig aufwachsen. Aus qualitativer und quantitativer Sicht wird der Sprachstand an Hand einer Modellgeschichte, einer Erzählung nach Abbildungen oder einer Nacherzählung multilingual erfasst. Zwei Beispiele für schriftliche Kurzerzählungen nach MAIN in Deutsch und Türkisch sehen Sie hier: Abb. 5: Multilingual Assessment Instrument for Narratives MAIN, türkisch-deutschsprachiger Schüler, 2. Klasse (Korpus Gagarina et al.) 91 5.3 Mehrsprachige Diagnoseverfahren Abb. 6: Multilingual Assessment Instrument for Narratives MAIN, Schülertext in der L1 Russisch, 2. Klasse (Korpus Gagarina et al.) Für die Auswertung gibt es einen detaillierten Auswertungsbogen, der bei den meisten Aufgaben zwischen falsch (= 0 Punkte) und richtig (= 1 Punkt) bzw. 2 Punkte (für eine richtige Antwort und genannte Referenzen zu Zeit und Ort) unterscheidet und daher schnell auszufüllen ist. 12 Richtige Antwort1 Bewertung Bemerkung A1. Setting Zeit und/ oder Ort des Geschehens: es war einmal, vor langer Zeit, an einem See 0 1 2 Episode 1: Schmetterling (Charaktere: Katze und Schmetterling) A2. IST als einleitendes Ereignis Katze ist verspielt/ will spielen/ sieht einen Schmetterling 0 1 A3. Goal Katze will den Schmetterling fangen/ schnappen/ packen. 0 1 A4. Attempt Katze springt nach vorne/ hoch 0 1 A5. Outcome Katze fällt in den Busch, bekommt den Schmetterling nicht/ war nicht schnell genug Schmetterling entkommt/ fliegt weg/ ist schneller 0 1 Abb. 7: Bewertungsbogen für „CAT“, Auszug, Gagarina et al. 2012: 9 12 0 Punkte: keine/ falsche Antwort; 1 Punkt: eine korrekte Antwort; 2 Punkte: Zeit und Ort korrekt genannt 92 5 Diagnose im Schulalter Insbesondere innerhalb einer Gruppe können so Erzählfähigkeiten sehr gut verglichen werden. Darüber hinaus können Erzählfähigkeiten in einem multikompetenten Sprachgebrauch erfasst werden. Die Niveaubeschreibungen Deutsch als Zweitsprache Für die Beobachtung der Zweitsprache Deutsch liegen die Niveaubeschreibungen Deutsch als Zweitsprache für die Grundschule und die Sekundarstufe- 1 vor (Sächsisches Bildungsinstitut 2013). 13 Der Schwerpunkt liegt hier auf der Aneignung der deutschen Sprache in Syntax, Lexik und Sprachverwendung, es gibt auch ein Modul zur Beherrschung der Herkunftssprache. Dieser umfassende Dokumentationsbogen für Beobachtungen bietet Musterformulierungen an, mit denen die Schülerinnen und Schüler unterrichtsreflektierend eingeschätzt werden können. Eine oder zwei Personen tragen nach dem Unterricht ihre Beobachtungen ein und erstellen so ein Beobachtungsprotokoll ihrer Einschätzungen. Wenn sich die Beobachtenden absprechen, ist der Vergleich der Beobachtungen in der Praxis gut anwendbar (Döll 2012), insbesondere im interindividuellen Vergleich, um Fragen zu klären wie: Wie nehmen wir diese Schülerin, diesen Schüler wahr? Was hat sich verändert? I II III IV Der Schüler zeigt sehr wenig Sprechfreude; im Unterricht meldet er sich nur bei direkter Aufforderung zu Wort. Der Schüler zeigt wenig Sprechfreude, im Unterricht ist er überwiegend still. Er beteiligt sich aber gelegentlich auch unaufgefordert an Unterrichtsgesprächen. Der Schüler zeigt solide Sprechfreude. An Unterrichtsgesprächen beteiligt er sich regelmäßig freiwillig. Der Schüler zeigt große Sprechfreude. Seine freiwillige Beteiligung an Unterrichtsgesprächen ist kontinuierlich und rege. Abb. 8: Freude und Interesse am Sprechen - Deutsch und Herkunftssprache. Niveaubeschreibungen Deutsch als Zweitsprache, Sächsisches Bildungsinstitut (2013: 18) 13 www.foermig.uni-hamburg.de/ pdf-dokumente/ sh-niveaubeschreibung-2010.pdf 93 5.3 Mehrsprachige Diagnoseverfahren Desiderata und Ausblick Unter dem Begriff Sprachmittlung greift der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen GER (Europarat für interkulturelle Zusammenarbeit 2001) sprachliches Handeln auf, das transsprachliche Handlungen wie Paraphrasieren und Übersetzen einbezieht (Reimann 2016). Daran anknüpfend wurde Sprachmittlung als Fertigkeit in die Bildungsstandards für den mittleren Schulabschluss aufgenommen (KMK 2012). Allerdings werden nur die schulisch vermittelten Fremdsprachen betrachtet. Sprachmittlung setzt eine komplexe Sprachbeherrschung voraus und könnte daher ein guter Indikator für die Diagnose sein. Gerade handlungsbezogene Sprachfähigkeiten, wie sie in einem multilingualen Alltag notwendig sind, könnten damit überprüft werden. Unseres Wissens stellt ein an Sprachmittlung orientiertes diagnostisches Instrument jedoch noch ein Desiderat dar. Es würde sich sehr lohnen, dieser Frage in Qualifikationsarbeiten nachzugehen. Multikompetentes und mehrsprachiges Handeln kann durch die dokumentierte Beobachtung von Verhalten oder Äußerungen und von Schülertexten sichtbar werden. Gespräche im Unterricht und in der Freizeit zeigen komplexe und systematische Sprachwechsel (Cook 1992; Li Wei 2011; Montanari 2017). Weiter zeigt sich, dass Schülerinnen und Schüler, umso mehr wenn sie im Rahmen einer plurilingualen Schreibdidaktik dazu ermutigt werden, mehrsprachiges Sprachwissen in Texten verwenden und damit kreativ umgehen (Cenoz/ Gorter 2014; Hornung 2002). In dem folgenden Beispiel ist der Gebrauch mehrsprachigen Wissens in Texten gut zu sehen. Dieser Schüler, der zu diesem Zeitpunkt seit einigen Monaten in Deutschland lebt, überträgt eine im Nepali sehr geläufige Praxis der Entlehnung englischer Wörter in seinen deutschen Text („table tennis“, „field“): 94 5 Diagnose im Schulalter Abb. 9: Brief eines Deutsch-Englisch-Nepali sprechenden Schülers; Eich 2018 Hier ist sichtbar, wie aus mehreren Sprachen Schreibweisen und Wörter zusammengebracht werden, um die Qualität des Textes zu steigern. Das könnte eine diagnostische Aussagekraft dafür haben, wie Texte sprachenübergreifend konzipiert werden. Hier sind noch zu bearbeitende Forschungsfelder für die weitere Konzeption mehrsprachiger Diagnostik zu finden. 5.4 Zusammenfassung Für die mehrsprachige Diagnostik ist nach wie vor eine Sichtweise grundlegend, die Mehrsprachigkeit in einem additiven Vorgehen einzelsprachlicher Werte erfasst. Ein mehrsprachiger Mehrwert, eine Multikompetenz (s. Kap. 1, 6), bleibt so unberücksichtigt. Der Grund liegt nicht darin, dass der additive Zugriff nicht reflektiert würde; es gibt durchaus zahlreiche kritische Diskussionen. Allerdings bringt der Anspruch, mehrsprachiges und multikompetentes sprachliches Handeln diagnostisch zu operationalisieren, erhebliche Herausforderungen mit sich. Diagnostische Verfahren der Mehrsprachigkeit aus einer multikompetenten Perspektive liegen - mit Ausnahme des hier vorgestellten MAIN - bisher erst wenige vor und stellen ein Forschungs- und Entwicklungsdesiderat dar. 95 5.4 Zusammenfassung Sollen mehrsprachige und multikompetente Ressourcen bei Schülerinnen und Schülern erfasst werden, stehen einige Testverfahren in mehreren Sprachen zur Verfügung, bei denen gesamtsprachliche Werte berechnet werden können. Im pädagogischen Handeln hat sich eine Kombination von Beobachtung und Dokumentation bewährt: Wann verwenden die Schülerinnen und Schüler mehrere Sprachen? Zu welchen Handlungszwecken? Was erreichen sie damit, was sie einsprachig nicht erreicht hätten? Aufgaben 1. „The bilingual is not two monolinguals in one person“ (Grosjean 1989): Diskutieren Sie bitte diesen Satz. Inwiefern verfehlt die Einstellung, Mehrsprachigkeit sei die Summe von Einzelsprachen, ihr Ziel, Mehrsprachigkeit richtig zu erfassen? Argumentieren Sie für und gegen diese These. 2. Suchen Sie die Aufsätze (Grosjean 1989 und 2016) in Ihrer Bibliothek und lesen Sie sie. Was sind die Neuerungen und Veränderungen von 1989 im Vergleich mit 2016? Welche Inhalte und Thesen sind gleich geblieben? 96 5 Diagnose im Schulalter 97 5.4 Zusammenfassung 6 Mehrsprachigkeit im Unterricht Und wie findest du das, dass so viele Sprachen gesprochen werden? Also da gibt es ja nicht nur Arabisch. Da gibt es vielleicht noch Türkisch, Kurdisch, Polnisch, Spanisch. Das finde ich sehr gut. Und warum? Also wir können uns von der ganzen Welt in der Sprachlernklasse treffen und die Person da wird zum Beispiel auch die andere Sprache lernen und was sie sagen, wie ist ihre Sprache oder so. Ja, das gefällt mir sehr. (Neu zugewanderte Schülerin der siebten Klasse) 14 Diese Schülerin sieht die sprachliche Vielfalt im Unterricht positiv. Doch es gibt auch andere Meinungen: Schülerinnen und Schüler äußern sehr differenzierte Einstellungen im Hinblick darauf, für welche kommunikativen Zwecke sie einsprachig und für welche sie vielsprachig agieren wollen und sie weisen oft auch darauf hin, dass sie ausreichend Sprachkontakt brauchen, um sich die neue Sprache Deutsch anzueignen. „Wenn wir immer sprechen Arabisch, dann wir sprechen also nicht korrektes Deutsch“, formuliert ein neu zugewanderter Schüler seine Bedenken (Montanari 2017). Wie kann also ein guter Umgang mit Mehrsprachigkeit im Unterricht gefunden werden, der gleichzeitig genügend Zeit für die Aneignung der Unterrichtssprache bietet? Um der Antwort näher zu kommen, werden in diesem Kapitel grundlegende Überlegungen zu mehrsprachigem Unterricht angestellt. Davon ausgehend wird die Öffnung des Unterrichts für Mehrsprachigkeit diskutiert; hierfür werden Äußerungen aus einer Befragung von Lehrkräften sowie von 14 Sämtliche Zitate dieses Kapitels sind aus dem Korpus Montanari 2017. Alle Äußerungen wurden für diese Veröffentlichung redaktionell bearbeitet. 98 6 Mehrsprachigkeit im Unterricht Schülerinnen und Schülern herangezogen. Anschließend wird die Praxis mehrsprachigen Unterrichts konkretisiert. 6.1 Grundsätzliche Überlegungen Eine an Mehrsprachigkeit orientierte Didaktik wendet sich an alle Schülerinnen und Schüler - an solche, die in der Familie eine Sprache sprechen, und an solche, bei denen Dialekte hinzukommen; an Kinder, die in einer mehrsprachigen Welt aufwachsen und sich darin zurecht finden wollen, ob sie selbst ein- oder mehrsprachig aufwachsen; an Kinder, die Sprachen lernen, aufschnappen, verstehen, gebrauchen und das auf sehr unterschiedlichen Niveaus. Natürlich kann daraus nicht der Anspruch abgeleitet werden, Lehrkräfte sollten sämtliche Sprachen der Schülerschaft lernen. Es wären zu viele: So zeigen Untersuchungen in Großstädten eine Sprachenvielfalt von über hundert Sprachen in der Schülerschaft (Gogolin/ Reich 2001). Allerdings können Lehrkräfte die Sprachen ihrer Schülerinnen und Schüler aufgreifen und Freiräume im Unterrichtsgespräch schaffen, in denen multikompetentes Handeln möglich ist. Ein wichtiger Teil dessen ist die Beherrschung des Unterrichtsmediums: Um die eigenen Bildungschancen wahrzunehmen, ist es unerlässlich, dass alle Schülerinnen und Schüler zielsprachlich und korrekt in der oder den Schulsprachen handeln können und dafür auch den monolingualen Modus (s. Kapitel 5) beherrschen. Dies zu erreichen ist jedoch keine Aufgabe, die allein den Schülerinnen und Schülern und ihren Familien bzw. Erziehungspersonen aufgebürdet werden kann. Vielmehr ist es ist eine wichtige Aufgabe der Bildungsinstitutionen und damit der Lehrpersonen, die Aneignung der in der Schule verwendeten Bildungssprache, des Unterrichtsmediums, didaktisch zu gestalten. Die Institution Schule ebenso wie die Lehrkräfte sind hier in der Verantwortung, Lehr-Lernangebote zu schaffen und Sprachstrukturen explizit offenzulegen. Ist dafür nun der Deutschunterricht der alleinige Ort? Nein, denn zum Einen fokussiert der Deutschunterricht auf Sprache und Literatur als Reflexionsgegenstände, z. B. in den Kompetenzbereichen Sprechen und Zuhören, Lesen/ mit Texten und Medien umgehen, Schreiben sowie Sprache und Sprachgebrauch untersuchen (Niedersächsisches Kerncurriculum für die Grundschule im Fach Deutsch, S. 7). Der Deutschunterricht ist also nicht vordringlich ein Unterricht zur Aneignung der deutschen Sprache. Des Weiteren haben alle Fächer ihre spezifischen Sprachbedarfe, ihre Fachausdrücke und ihre besonderen Textarten, 99 6.1 Grundsätzliche Überlegungen wie die Textaufgabe in Mathematik oder die Versuchsbeschreibung in Sachkunde. Die Sprachvermittlung der deutschen Unterrichtssprache kann daher nur gemeinsam gelingen, wenn alle Lehrkräfte dieses Thema für ihr Fach annehmen. Doch es gibt noch wichtige andere Gesichtspunkte. Die Aneignung der Bildungssprache benötigt viel Zeit. So lange kann das schulische Lernen jedoch nicht warten: Die Schülerinnen und Schüler müssen vom ersten Schultag an die Inhalte in den Fächern lernen, Hausarbeiten verfassen und Klassenarbeiten mitschreiben. Das ist natürlich eine große Herausforderung, wenn gleichzeitig der Aneignungsprozess im Bildungsmedium besonders gefördert werden muss, was bedeutet, dass nicht jeder Fachinhalt optimal verstanden wird. Erst wenn die Sprachen der Schülerinnen und Schüler in das Fachlernen einbezogen werden, kann ein tiefergehendes Verständnis der Inhalte in den Fächern befördert werden. Weiter stellt sich die Frage, wie die Beherrschung der Familiensprache gestärkt werden kann. Mehrsprachige können aus ihren Sprachen viele Möglichkeiten ziehen, für ihr Studium, für den Arbeitsmarkt, für ihre persönliche Entwicklung; globale Gesellschaften und Arbeitsmärkte profitieren ihrerseits von Multilingualität. Doch das ist nur möglich, wenn nicht über die Schulzeit ein großer Teil der familiensprachlichen Fähigkeiten vergessen wird, weil es keine oder zu wenige Anreize gibt, in der Familiensprache nicht gelesen wird, sie sich auf die immer gleichen häuslichen Handlungsfelder begrenzt usw. Kann Schule hier positiven Einfluss nehmen? Für und gegen Mehrsprachigkeit im Unterrichtsdiskurs Beginnen wir mit den kritischen Stimmen: Gegen mehrsprachige Unterrichtskommunikation spricht, dass sich die Kontaktzeit verringert, die mit einem einzigen Unterrichtsmedium, also z. B. Deutsch, verbracht wird. Die Time on Task, die auf eine Aufgabe verbrachte Zeit, stellt einen entscheidenden Lernerfolgsfaktor dar, der durch die Verwendung mehrerer Sprachen aufgeteilt wird; für die Time on Task in der deutschen Sprache bleibt dann also weniger Zeit. Die Beschränkung auf ein einziges Unterrichtsmedium für alle Schülerinnen und Schüler leiste daher einen wichtigen Beitrag zum erfolgreichen Unterricht (s. kritische Diskussion in Bender-Szymanski 2007). Mehrere Studien zeigen jedoch, dass ein Unterrichtszeitanteil von 75-% in der Schulsprache ausreichend ist und ein Anteil von 25-% Unterrichtszeit in den Sprachen der Schülerinnen und Schüler keinen negativen Einfluss auf die Beherrschung der Unterrichts- 100 6 Mehrsprachigkeit im Unterricht sprache hat, sich aber positiv auf die Beherrschung der Minderheitensprache auswirkt (Lindholm-Leary 2001; Niedrig 2011). So ergab ein Vergleich von türkischsprachigen Schülerinnen und Schülern in den Niederlanden, die in niederländischsprachigen versus türkisch-niederländischsprachigen Lernsituationen beschult wurden, dass eine starke Unterstützung der Familiensprache zu besseren Ergebnissen im Türkischen führte, ohne dass das Niederländische darunter litt (Verhoeven 1991). Ein anderes Argument lautet, dass die Lehrperson die Diskurse der Schülerinnen und Schüler nicht in allen Sprachen verstehen könne. Doch ist es so wichtig, immer jedes Wort zu verstehen? Ist das überhaupt realistisch? Auch bei Nebengesprächen in der Unterrichtssprache kann die Lehrperson ja den Gesprächsverlauf nicht mitverfolgen. Ob mehr als ein kurzer Austausch vorliegt, z. B. ein Konflikt, zeigt sich in der Beobachtung. So scheint es daher nicht notwendig, stets auf der Verwendung der deutschen Sprache zu bestehen. Kommen wir nun zu den Gründen, die für eine Öffnung des Unterrichts für Mehrsprachigkeit sprechen. Einer Didaktik der Mehrsprachigkeit wird ein größerer Erfolg als einer einsprachigen Didaktik zugesprochen, sofern die didaktischen Methoden und der Zeitrahmen angemessen sind (Hornberger 2005). Eine systematische Verwendung mehrerer Sprachen hilft dabei, mehr Gleichheit im Unterricht zu erreichen, weil dadurch mehr Schülerinnen und Schüler am Unterrichtsdiskurs teilhaben können. Viele Schülerinnen und Schüler verwenden ihre Sprachen vorwiegend für alltägliche Handlungszwecke, seltener für das Lesen. Werden nun jedoch im Unterricht weitere Sprachen eingesetzt, so entdecken die Schüler und Schülerinnen, welche bildungssprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten ihre Sprachen bieten. Darüber hinaus ist es für neu zugewanderte Schülerinnen und Schüler mit noch begrenzten Sprachkenntnissen in der Unterrichtssprache durch den Einsatz von Mehrsprachigkeit möglich, schneller und besser an den Schulstoff anzuschließen und mit dem Fachlernen voranzukommen. In einem mehrsprachigen Unterricht können Kinder und Jugendliche ebenso wie die Lehrpersonen ihr gesamtes Repertoire einsetzen und so alle sprachlichen Ressourcen für das Lernen nutzen (Creese/ Blackledge 2010; Gantefort/ Sánchez Oroquieta 2015; García/ Seltzer 2016; Otheguy, García, Reid 2015). Grundsätzlich trägt ein mehrsprachiger Unterrichtsdiskurs außerdem dazu bei, die UN-Kinderrechtskonvention dahingehend umzusetzen, dass die Schülerinnen und Schüler Respekt vor ihren Sprachen erfahren und darin unterstützt werden, Respekt vor ihren Sprachen zu erleben (UNCRC 1989 Art. 29 c). 101 6.2 Praxis des mehrsprachigen Unterrichts 6.2 Praxis des mehrsprachigen Unterrichts In unserer Befragung von neu zugewanderten Schülerinnen und Schülern und Lehrkräften unterstrichen die Gesprächspartner, dass es ihnen an der Schule besonders wichtig ist, dass sie dort die Bildungssprache und das Unterrichtsmedium lernen können (Koch, Montanari, Noack, Wittstruck 2017). Die Antworten machen darauf aufmerksam, dass die Schülerinnen und Schüler ihre Zugehörigkeit in der Lerngruppe auch sprachlich anzeigen wollen und durchaus gerne so sprechen wie alle anderen auch: Würdest du gerne im Unterricht öfter Arabisch oder Kurdisch sprechen? Nein. Weil Mitschüler alle sind… alle sprecht… alle sprechen Deutsch, einfach so, dadurch rede ich Deutsch. Ein zu häufiger Gebrauch der Erstsprache wird als hinderlich für die Deutschaneignung befürchtet: Gefällt dir der Unterricht in der Sprachlernklasse? Nein. Und warum nicht? Ich spreche immer da drin Arabisch. Und ich kann kein Deutsch lernen. Aber die normale Klasse, ich kann gut, als ich spreche immer Deutsch. Andererseits kann eine Unterrichtskommunikation nur dann gelingen, wenn die gemeinsamen sprachlichen Ressourcen ausreichen, um sich über Inhalte zu verständigen. Wenn z. B. Erklärungen nicht verstanden werden, wird eine Öffnung für Mehrsprachigkeit als hilfreich beurteilt: Vielleicht manchmal, wenn man Arabisch spricht, dann würden wir immer so lange Arabisch sprechen. Und dann würden wir auch gar nicht Deutsch lernen. Aber manchmal, wenn wir was nicht verstehen, fragen Mitschüler, die auch Arabisch können, in der Sprache, die sie eben sprechen können. Dann sagen die Lehrer manchmal auch, nein, ihr dürft gar nicht Arabisch sprechen. Oder so, Englisch, Chinesisch oder so was. Wir dürfen das nicht sprechen. Aber ich finde das auch nicht so gut, wenn wir das nicht verstehen! 102 6 Mehrsprachigkeit im Unterricht Im Unterricht selbst konnten wir am Beispiel der Verwendung der kurdischen Sprache beobachten, wie die neu zugewanderten Schülerinnen und Schüler ihre Sprachen konsistent in einigen spezifischen Situationen einsetzen (Montanari 2017). Wir waren überrascht festzustellen, dass wir diese Beobachtungen gerade in einer Schulklasse machen konnten, in der die Lehrperson davon überzeugt war, dass ausschließlich Deutsch gesprochen würde und das auch so vorgegeben hatte. In der Mathematikstunde fiel immer wieder auf, dass die Schülerinnen und Schüler in den Familiensprachen zählten. (EM) Wir konnten einige systematische Situationen für mehrsprachige Äußerungen finden (Montanari 2017): ▶ Erklärungen, ▶ Nachfragen, ▶ Zählen und Rechnen und ▶ das innere Sprechen. Der lange Gebrauch der Erstsprache beim Zählen kann auf den komplexen und verschränkten Aneignungsvorgang von Zahlen, Zahlenverständnis und Zahlwort zurückgeführt werden (Wiese 2003). Den Wechsel von der informellen Sprachenverwendung, z. B. vom multilingualen Modus in Arbeitsgruppensituationen zum Unterrichtsdiskurs in der Schulsprache, steuern Schülerinnen und Schüler selbst, indem sie für die Kommunikation in der Arbeitsgruppenphase Mehrsprachigkeit nutzen, sich aber auf das Unterrichtsmedium im monolingualen Modus konzentrieren, wenn der Diskurs in der gesamten Klasse geführt wird. So beschreibt es eine Lehrerin: In einer Unterrichtssequenz werden Gruppentische gebildet. An einem Gruppentisch sitzen vier Schülerinnen und Schüler kurdischer Herkunft. Sie nutzen ihre Erstsprache, um sich dadurch eine gewisse Privatsphäre zu schaffen; es fällt ihnen leichter, sich gegenseitig Aufgaben in ihrer Erstsprache zu erklären. Des Weiteren wechseln die Schülerinnen und Schüler in das Kurdische, wenn sie die Lösungen und Inhalte vergleichen wollen. Doch unmittelbar mit meinem Herantreten an den Gruppentisch wechseln die Schülerinnen und Schüler augenblicklich in das Deutsche und ermahnen sich gegenseitig auf Kurdisch, sie sollten Deutsch sprechen. (Montanari 2017) 103 6.2 Praxis des mehrsprachigen Unterrichts Häufig haben wir Äußerungen wie die folgenden gehört, die wir als inneres Sprechen (Vygotskij 2002: 431) analysieren. Für das Benennen von Unverständnis im inneren Gespräch wird häufig die Erstsprache verwendet; in der Reflexion des eigenen Lernzustands identifizieren und versprachlichen die Lernenden ein akutes Problem. Ez fem nakim! (Das verstehe ich nicht! ) Kro Qedera min. Ez fêm nakim. (Mein Schicksal. Ich verstehe es nicht) Dieses Bewusstwerden aktueller Lernprobleme ist ein wichtiger Schritt im Lernprozess und eine Voraussetzung dafür, zu handeln, zum Beispiel nachzufragen. In der Kommunikation mit Gleichaltrigen, die die gleiche Sprache sprechen, wird oft die Erstsprache eingesetzt, wenn der Anschluss an die Unterrichtskommunikation nicht gelingt: Adjektiv çi ye? (Was heißt „Adjektiv“? ) Ein mehrsprachiger Unterricht ist nicht per se und ständig sinnvoll oder nicht, sondern muss im Kontext der Handlungspraktiken und -möglichkeiten gesehen werden. In einigen Situationen wäre der alleinige Gebrauch des Unterrichtsmediums wenig sinnvoll und Mehrsprachigkeit ist notwendig, wenn damit die Bearbeitung einer Aufgabe gefährdet würde, weil nicht alle Lernenden Zugang zu den Informationen haben, die sie brauchen, weil sie nicht mitreden können, nicht recherchieren können, und auch, wenn das Verständnis nicht gelingt. Aber die Schülerinnen und Schüler weisen auch auf die Bedeutung von ausreichendem Input in der Bildungssprache Deutsch in Qualität und Menge hin. Die Wahl der geeigneten Unterrichtssprache(n) ist eine auf die Handlungsziele ausgerichtete didaktische Entscheidung, für die von Fall zu Fall eine Entscheidung getroffen werden muss. Die Freiräume, in denen solche Entscheidungen überhaupt von Lernenden und Lehrenden getroffen werden können, müssen aber vorab in den Schulen geschaffen werden. Auch das ist wieder eine gemeinsame Aufgabe aller Lehrenden. Was steht in den Curricula zur Mehrsprachigkeit? In den Bildungsstandards und Curricula findet die Sprachenvielfalt in der Schülerschaft immerhin Erwähnung. Allerdings wird deutlich, dass Deutsch als die Unterrichtssprache als gesetzt gilt, Mehrsprachigkeit im Unterricht 104 6 Mehrsprachigkeit im Unterricht aber nicht forciert wird. So formulieren die Bildungsstandards Deutsch für die Primarstufe: Für viele Kinder ist die deutsche Sprache nicht die erste und nicht die Familiensprache. Sie verfügen dadurch z.T. über andere sprachliche Erfahrungen und Kompetenzen als einsprachige Kinder. Der Deutschunterricht sollte dies auch für eine interkulturelle Erziehung aller Kinder nutzen. Bei manchen Kindern mit anderer Herkunftssprache müssen durch entsprechende Fördermaßnahmen Grundlagen für schulisches Lernen in der Unterrichtssprache Deutsch erst gesichert werden. (Kultusministerkonferenz 2004: 7) Im gesamten Kerncurriculum für niedersächsische Grundschulen, das hier als Beispiel heran gezogen werden soll, gibt es für das Fach Deutsch nur wenige kurze Passagen, die sich an mehrsprachige Schülerinnen und Schüler richten. Der Deutschunterricht leistet dabei einen wesentlichen Beitrag zur sprachlichen, literarischen und medialen Bildung der Schülerinnen und Schüler. In der Auseinandersetzung mit Texten und Medien und in der Reflexion sprachlichen Handelns in einer mehrsprachigen Lebenswelt entwickeln sie Verstehens- und Verständigungskompetenzen, die ihnen helfen, die Welt zu erfassen und begründet eigene Positionen und Werthaltungen in einer demokratischen Gesellschaft einzunehmen. (Nds. Kultusministerium 2017: 5) Dieser erste Absatz ist sehr allgemein gehalten, der zweite formuliert ein Ziel innerhalb des deutschen Sprachsystems: Sprachreflexion über grammatische Strukturen auf Wort-, Satz- und Textebene erleichtert insbesondere mehrsprachigen Schülerinnen und Schülern den Zugang zum deutschen Sprachsystem. (Nds. Kultusministerium 2017: 11) Hier wird eine Defiziterwartung transportiert, als würden mehrsprachige Schülerinnen und Schüler generell einen besonderen Zugang zur deutschen Sprache benötigen oder Förderbedarfe aufweisen. Das setzt sich an anderer Stelle fort: Andererseits haben sie (Schülerinnen und Schüler, für die die deutsche Sprache nicht die Erst- oder Familiensprache ist, EM) häufig Förderbedarf in der deutschen Sprache. Sprachförderung für Schülerinnen und Schüler ohne ausreichende Deutschkenntnisse ist als Teil der (durchgängigen) Sprachbildung Aufgabe des Deutschunterrichts. 105 6.2 Praxis des mehrsprachigen Unterrichts Diese Förderung wird bei Bedarf durch gezielte additive Fördermaßnahmen ergänzt. Die verschiedenen Herkunftssprachen in den Lerngruppen sowie die Regionalsprache Niederdeutsch und die Minderheitensprache Saterfriesisch finden im Deutschunterricht Berücksichtigung. Diese Sprachen und die spezifischen Kompetenzen ihrer Sprecherinnen und Sprecher werden als Bereicherung angesehen. So erwerben die Schülerinnen und Schüler ein vertieftes Verständnis für verschiedene Kulturen und werden zur Selbstreflexion und zum respektvollen Umgang miteinander angeleitet. (Nds. Kultusministerium 2017: 5) Der monolinguale Habitus - die Haltung, eine multilinguale Institution als eine einsprachige zu verstehen (Gogolin 1994) - erhält dadurch Risse, dass Mehrsprachigkeit wahrgenommen und als Faktor sprachlicher Entwicklung einbezogen wird. Doch die weiteren Sprachen werden, so wird in den Auszügen deutlich, additiv, dienend, eben als Bereicherung gesehen. Sie werden nicht als Grundlage des Unterrichts, als Unterrichtsgegenstand oder als Unterrichtsmedium einbezogen. Zukunftsweisend wäre es, wenn mit ihnen im Unterricht sprachlich gehandelt werden könnte, sie also in allen Basisqualifikationen zugelassen wären und es z. B. die Möglichkeit gäbe, Hausaufgaben in ihnen zu verfassen oder mehrere Sprachen bei der Anschaffung von Literatur für den Unterricht einzubinden. Wie Mehrsprachigkeit curricular verankert werden könnte, haben Krumm und Reich in ihrem Curriculum Mehrsprachigkeit vorgeschlagen (Krumm/ Reich 2011). Darin sind vom ersten Schuljahr bis zum Abitur bzw. der Matura curriculare Möglichkeiten ausgearbeitet, wie Themenfelder der Mehrsprachigkeit systematisch bearbeitet werden können. Dabei lässt das Curriculum großen Raum für Entscheidungen der Lehrkräfte. Es ist in die zentralen Handlungsfelder Wahrnehmung und Bewältigung vielsprachiger Situationen, Wissen über Sprachen, Vergleichen von Sprachen und Erarbeiten sozialer und kultureller Bezüge von Sprachen aufgefächert. Das Handlungsfeld Wahrnehmung und Bewältigung vielsprachiger Situationen thematisiert Sprachen und Sprachvarietäten als Realitäten und menschliche Handlungsräume, z. B. Dialekte oder soziale Varietäten wie Jugendsprache oder die Sprache am Arbeitsplatz. Im Zentrum stehen der Ausbau von Sprachaufmerksamkeit sowie das Erlangen einer persönlichen Handlungssicherheit, die in einfachen und mit zunehmender Beschulung auch in sprachlich komplexen Situationen eingesetzt werden kann. Im Themenbereich Wissen über Sprachen wird die Kompetenz entwickelt, sprachliche Elemente, Strukturen und Regeln in mehreren Sprachen zu 106 6 Mehrsprachigkeit im Unterricht beschreiben und in Beziehung zueinander zu setzen. Darüber hinaus sollen die Schülerinnen und Schüler lernen, Zusammenhänge zwischen Sprachgebrauch und menschlichem Zusammenleben zu erkennen. In der Sekundarstufe werden diese Fragen weiterentwickelt und in den beiden Themenfeldern Vergleichen von Sprachen und Erarbeiten sozialer und kultureller Bezüge von Sprachen behandelt. All das wird in eine Perspektive des Lernens gestellt, indem im Bereich Sprachlehrstrategien die Lernenden erfahren, wie sie Wege der Aneignung bewusst einsetzen können, um das Fernziel selbstbestimmten Lernens zu erreichen. Die Schülerinnen und Schüler lernen dabei, wie sie diese Strategien für das Lernen neuer Sprachen und für den gezielten Ausbau bereits vorhandener Sprachfähigkeiten für fachliche Lernprozesse nutzen können. Das Curriculum Mehrsprachigkeit ist daher eine systematische Ergänzung und Erweiterung der vorhandenen Lehrpläne. Translanguaging. Ein Konzept Im Folgenden werden Möglichkeiten für mehrsprachige Unterrichtsgestaltung in üblichen, d. h. sprachlich und kulturell diversen, Schulklassen aufgezeigt, wobei das Konzept des Translanguaging im Mittelpunkt steht. Viele Anregungen dafür sind in dem Schulprojekt von García, Otheguy und Seltzer (García/ Seltzer 2016) entwickelt worden, die Anregungen wurden in der Praxis erprobt und in Schulen eingesetzt. Translanguaging beschreibt einen Umgang mit Sprachen, bei dem alle Beteiligten all ihre sprachlichen Ressourcen einsetzen dürfen - mit dem Ziel so viel Verständigung wie möglich zu erreichen. Translanguaging is the act performed by bilinguals of accessing different linguistic features or various modes of what are described as autonomous languages, in order to maximize communicative potential. (García 2009c: 140) Man kennt es aus Alltagssituationen, dass Sprecher mehrere Sprachen nutzen, wenn eine nicht ausreicht, um eine Handlung zu einem erfolgreichen Ziel zu bringen - z. B. wenn man in einer fremdsprachigen Umgebung nach dem Weg zum Bahnhof fragt. In solchen Fällen werden alle möglichen sprachlichen Ressourcen mobilisiert. Auch auf internationalen Tagungen oder beim wissenschaftlichen Arbeiten ist die Nutzung mehrerer Sprachen gängig. In der Schule ist diese Praxis bisher noch nicht in der Breite aller Fächer angekommen - obwohl sie hier sinnvoll angewendet werden könnte. 107 6.2 Praxis des mehrsprachigen Unterrichts Ein an Translanguaging orientierter Unterricht ermöglicht es, dass die Schülerinnen und Schüler und die Lehrpersonen alle ihre sprachlichen Möglichkeiten nutzen. Wenn im Unterricht zum Beispiel aus einem Text zentrale Aussagen herausgesucht werden sollen, um damit ein Argument in einer Diskussion zu stützen oder ein mathematisches Problem zu bearbeiten, dann kann das in vielen Sprachen geschehen. Translanguaging ermöglicht es, sprachliche und fachliche Fertigkeiten separat zu fassen. 15 Der Unterricht kann dabei in unterschiedliche Phasen aufgeteilt werden, die auch kombiniert werden können: Phasen, in denen in mehreren Sprachen agiert wird, und Phasen, in denen das Unterrichtsmedium im Vordergrund steht und der monolinguale Modus gestärkt wird. In welchen Schritten kann Translanguaging als schulische Praxis umgesetzt werden? Den ersten Schritt stellt eine Reflexion im Lehrerkollegium dar. Wie ist die Haltung in der Schule gegenüber Mehrsprachigkeit? Welche Grundüberlegungen stehen fest und sind nicht verhandelbar? Die folgenden grundlegenden Prinzipien schlagen García/ Menken (2015: 100) als Ausgangsbasis vor, über die sich die Schulen verständigen und versuchen sollten, Einigkeit herzustellen. a. Mehrsprachigkeit ist eine Ressource. Unabhängig davon, wie letztlich der Umgang mit Mehrsprachigkeit didaktisch modelliert wird, wird die Mehrsprachigkeit der Schülerinnen und Schüler nicht nur auf Wertschätzung eingegrenzt, sondern als Potential, Bildungswerkzeug und sprachliches Mittel in den Unterricht aktiv einbezogen und ausgebaut. 15 If we are truly interested in knowing what bilingual students know and what they can do with language, we must separate their ability to use certain forms of one language or another from their ability to use language. For example, in schools, students are asked to find the main idea of a text, to support an argument with text-based evidence, to infer, to make a convincing oral presentation, to work out a math problem. Especially emergent bilingual students may not be able to show that they can do these things if only allowed to use the language legitimized in school. Only by drawing from their entire language repertoire will bilingual students be able to demonstrate what they know, and especially what they can do with language. Being able to perform with language-specific features legitimized in schools is not the same as having general language ability or being knowledgeable of content. Ofelia Garcia im Interview. https: / / www.psychologytoday.com/ us/ blog/ life-bilingual/ 201603/ what-is-translanguaging. Abgerufen am 14.5.2018 108 6 Mehrsprachigkeit im Unterricht b. Die Schule ist eine Sprachenlandschaft. In der Schule haben alle Sprachen Platz und werden sichtbar: in Beschriftungen, in Elterninformationen, als gesprochene Sprachen in allen Räumen, in der Bücherei, in den Klassenzimmern wie in der gesamten Schule. Mehrsprachigkeit ist somit in der ganzen Schule präsent. c. Alle Sprachen sind gleichwertig. Einige Sprachen werden von sehr großen Sprechergruppen gesprochen, andere von kleinen Gruppen. Das beeinflusst jedoch in keiner Weise, wie wichtig die Sprachen für die einzelnen Sprecher sind. Für sie ist diese Sprache das wichtigste Medium, um mit Verwandten, Freunden etc. Kontakt zu halten und Medien zu nutzen. Diese Gleichwertigkeit sollte auch in der Schule sichtbar werden - in Beispielen, im Respekt vor jeder Sprache, im Einbezug der Sprachen. d. Zu Mehrsprachigkeit gehört die Aneignung des Unterrichtsmediums. Wie können die Lehrpersonen aller Fächer zusammenarbeiten, damit diejenigen Schülerinnen und Schüler, die noch Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache haben, gut in ihrem Aneignungsprozess des Unterrichtsmediums vorankommen? Welche Unterstützung können sie erhalten? Sprachbildung kann additiv, z. B. durch Arbeitsgruppen (AG’s), oder als durchgängige Sprachbildung integriert in den Fachunterricht erfolgen. Wenn sich das Kollegium zu diesen Fragen positioniert hat, kann die Umsetzung im Unterricht vorangebracht werden. Natürlich können auch vorher Ansätze erprobt werden, doch die beste Wirksamkeit wird erreicht, wenn das gesamte Kollegium inklusive der Schulleitung an einem Strang zieht, sodass die einzelne Lehrkraft Rückhalt bei der Umsetzung der Maßnahmen erfährt. Unterrichtsgestaltung Ein mehrsprachiger Unterricht verknüpft sprachliches Wissen aus dem Fremdsprachenunterricht, aus den Familien der Schülerinnen und Schüler und aus der Umgebung. Die mehrsprachigen Ressourcen der Schülerinnen und Schüler werden in den Unterricht mündlich und schriftlich eingebracht und entfaltet. Unter diesen Prämissen ist es Inhalt jedes Fachs, sprachliche Fragen aufzugrei- 109 6.2 Praxis des mehrsprachigen Unterrichts fen, indem die Lehrperson mögliche sprachliche Schwierigkeiten antizipiert und dementsprechend Unterstützungsmaterial bereitstellt, das binnendifferenziert stärkere und schwächere Schülerinnen und Schüler einbezieht. Mehrsprachige Unterrichtsentwürfe erweitern die klassischen Vorlagen um die Ebene Mehrsprachigkeit. So viel ändert sich also nicht! Es werden Aktivitäten hinzugefügt, die Mehrsprachigkeit in der Mündlichkeit und Schriftlichkeit einbeziehen. Dabei kann nach rezeptiven Aktivitäten, bei denen es auf das Verstehen mehrerer Sprachen ankommt, und expressiven Aktivitäten, bei denen Äußerungen in mehreren Sprachen im Fokus stehen, unterschieden werden. Es können einige oder alle Unterrichtsphasen für Mehrsprachigkeit geöffnet werden oder der Unterricht kann zwischen ein- und mehrsprachigen Phasen wechseln. Die einbezogenen Sprachen sind die Herkunftssprachen der Schülerinnen und Schüler, erste Fremdsprachenkenntnisse, Dialekte und alle sonstigen sprachlichen Ressourcen, die zur Verfügung stehen. Dafür kann eine Vor- und Rückwärtsstrategie angewendet werden, die Freeman/ Freeman (2007) als Dreischritt von Preview - View - Review beschreiben. Mit Preview ist die Sicht auf den Zieltext gemeint, wie sie sich von der stärksten Sprache bzw. beiden/ allen Sprachen ausgehend darstellt. Es werden, z. B. mittels Brainstorming, Verbindungen zwischen dem Zieltext und dem Sprachwissen hergestellt und damit wird das Vorwissen aktiviert. Im View-Schritt steht die Begegnung mit dem Text im Fokus: als gemeinsame oder einzelne Lektüre, als Video o. Ä. Im Review-Schritt erfolgt die Verknüpfung aller Schritte als Zusammenfassung, Diskussion und Reflexion des Textes unter Einbezug aller Sprachen. Didaktische Mittel Mehrsprachigkeit wird im mehrsprachigen Unterrichtsraum für alle sichtbar: Mehrsprachige Bücher, Beispiele aus dem Unterricht in mehreren Sprachen und mehrsprachige Schülertexte und Poster zeigen gleich beim Eintreten, dass im Unterrichtsraum alle Sprachen willkommen sind (Ascenzi-Moreno, Hesson, Menken 2015). Wenn die Schülerinnen und Schüler sich im Unterricht selbständig umsetzen dürfen bzw. die Lehrkräfte das strategisch mitsteuern, ist es möglich, dass Schülerinnen und Schüler gleicher Sprachen zusammensitzen, um sich auszutauschen. Das kann den ganzen Unterrichtstag oder auch einzelne Phasen umfassen. In den Unterricht einbezogene Übersetzungsmöglichkeiten per App oder als Wörterbücher erleichtern es, sich zwischen den Sprachen zu 110 6 Mehrsprachigkeit im Unterricht bewegen. Der aktuelle zentrale Fachwortschatz als Wandplakat in mehreren Sprachen unterstützt beim Erkennen von Ähnlichkeiten und Unterschieden zwischen Sprachen und hilft den Lernenden zugleich, den bildungssprachlichen Wortschatz in ihren Herkunftssprachen zu erweitern. Scaffolding baut im Unterrichtsverlauf Gerüste auf und - wenn sie nicht mehr gebraucht werden - wieder ab, um Schülerinnen und Schüler die Teilnahme am Unterrichtsdiskurs zu ermöglichen. Dazu gehört eine Klärung wichtiger Begriffe im Voraus oder Angebote für binnendifferenzierte flexible Hilfen, die die Lernenden für sich nutzen können, aber nicht müssen. Das können bildungssprachliche Formulierungen, Muster bzw. Textausschnitte sein, die in der Klasse in mehreren Sprachen präsent sind, außerdem Zusammenfassungen und Erläuterungen von Schlüsselbegriffen einer didaktischen Einheit. Eine spannende Möglichkeit für Schülerinnen und Schüler mit selbständiger Sprachbeherrschung in mehreren Sprachen ist es, diese Ressource in die eigene Unterrichtsvor- und -nachbereitung einzubringen. Welche Texte in anderen Sprachen berühren das Thema auch? Wie können sie eingebracht werden? Hier bieten webbasierte Medien zahlreiche Möglichkeiten für Referate und Präsentationen. Rezeptive mehrsprachige Sprachfähigkeiten seitens der Lehrpersonen und der Schülerinnen und Schüler werden gezielt genutzt, z. B. um über Analogien und Ähnlichkeiten Brücken zu Vorwissen zu bauen. Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass die Fähigkeit, eine Sprache zu verstehen, der Sprachverwendung in Äußerungen lange vorausgeht. Nah verwandte Sprachen können oft recht gut verstanden werden (Rehbein, ten Thije, Verschik 2011). Im Folgenden sollen einige Anregungen gegeben werden, wie ein Unterricht unter Einbezug von Translanguaging aussehen kann. Unterrichtsskizze: Kinderliteratur lesen In der Lerneinheit für eine dritte Schulklasse lesen und reflektieren die Kinder altersangemessene Kinderliteratur. In der Einstiegsphase (Preview-Phase) wird zunächst die rezeptive Mehrsprachigkeit eingebracht: Die Schülerinnen und Schüler hören Werke der Kinderliteratur in mehreren Sprachen im Original und in einer deutschen Version. Hierfür werden Medien einbezogen und/ oder Eltern eingeladen, die vorlesen. Im nächsten Schritt werden expressive Fähigkeiten geübt: Die Kinder nennen häufige, wichtige Wörter im Text auf Deutsch und in der Originalsprache, gemeinsam werden sie geschrieben. Mit diesen 111 6.3 Auf einen Blick Wörtern werden Sprachspiele durchgeführt, z. B. Reime und Sprachenvergleiche. Die deutschen Wörter werden erklärt und die Schüler und Schülerinnen berichten, was sie darüber wissen. In der sich anschließenden Erarbeitungsphase (View) lesen die Schülerinnen und Schüler die Texte noch einmal für sich. Welche Gedanken und Gefühle löst der Text aus? Dann wird der Text kreativ umgesetzt (Review): Die Schülerinnen und Schüler erstellen mehrsprachige Poster mit Assoziationen zu dem Text, die sie anschließend der Klasse präsentieren. In der Ergebnissicherung wird der Text noch einmal gemeinsam zusammengefasst und ein mehrsprachiger Index der wichtigen Wörter wird erstellt. Unterrichtsskizze: Informationen einem Sachtext entnehmen Die Hauptintention dieses Unterrichts ist es, dass die Schülerinnen und Schüler lernen, wie sie alle sprachlichen Ressourcen nutzen, um einem Text Informationen zu entnehmen. In der Preview-Phase erfolgt ein mehrsprachiges Brainstorming zu der Überschrift und ggf. zu einer zum Sachtext gehörenden Abbildung. Die genannten Wörter schreibt die Lehrperson, ein Schüler oder eine Schülerin an die Tafel, ggf. unter Hinzunahme webbasierter Übersetzungsdienste. In der View-Phase, der Erarbeitung, lernen Schülerinnen und Schüler mit geringen Kenntnissen in der Schulsprache zentrale Begriffe und nutzen dabei Übersetzungs-Apps. Worterklärungen werden in der Unterrichtssprache erarbeitet. Schülerinnen und Schüler mit guten Kenntnissen in der Schulsprache und in der Herkunftssprache suchen Sprachcousins bzw. Kognaten, also Wörter, die im Sachtext und in der Familiensprache ähnlich sind. Gerade beim Fachwortschatz gibt es hier oft viele Entdeckungen! Sofern möglich, werden Eltern und/ oder die Lehrkräfte des herkunftssprachlichen Unterrichts eingeladen, wichtige Begrifflichkeiten in anderen Sprachen zu erläutern und der Klasse vorzustellen. 6.3 Auf einen Blick Mehrsprachigkeit im Unterricht beinhaltet die nach Sprachzielen ausgerichtete, freie Wahl der Sprachen durch alle Beteiligten. Die Aufgabe der Lehrpersonen besteht darin, Freiräume dafür zu schaffen und gleichzeitig die Balance herzustellen, sodass genügend Raum für die Aneignung des Unterrichtsmediums zur Verfügung steht. Ein Wechsel von monolingualen und multilingualen Unterrichtsphasen, z. B. im Translanguaging, ermöglicht es den Lernerinnen und 112 6 Mehrsprachigkeit im Unterricht Lernern sowie den Lehrkräften, ihr gesamtes Sprachenrepertoire zum Lernen einzusetzen. Das ist insbesondere dann für den Lernprozess förderlich, wenn die Sprachenkenntnisse der Schülerinnen und Schüler in der Unterrichtssprache noch zu begrenzt sind, um ein angemessenes Fachlernen zu ermöglichen, sie aber über ausgebaute Sprachfähigkeiten in anderen Sprachen verfügen. Fragen und Aufgaben 1. Führen Sie eine Unterrichtsbeobachtung durch. Wie geht die Lehrkraft mit der Mehrsprachigkeit der Schülerschaft um? Greift sie sie auf? Ist Mehrsprachigkeit Teil des Unterrichts? 2. Sammeln Sie Argumente für und wider eine Verwendung von Mehrsprachigkeit im Unterricht. 3. Erstellen Sie einen Unterrichtsentwurf zu einer mehrsprachigen Unterrichtseinheit. 113 7.1 Konzeptionelle Überlegungen 7 Mehrschriftlichkeit, Bi- und Multiliteralität im Schulalter Ja, ich kann ein bisschen schreiben auf Deutsch. Auf Kurdisch, ich kann, aber ein bisschen. Auf Arabisch, ich kann gut schreiben. (Neu zugewanderter Schüler in der sechsten Klasse, Korpus Montanari 2017) In diesem Kapitel wird die Aneignung und Vermittlung von Literalität unter der Bedingung der Mehrsprachigkeit diskutiert. Literalität wird dabei als ein sprachliches Handeln aufgefasst, bei dem Schrift, Bilder, Zeichen, Texte und Medien verwendet werden. Die Fähigkeiten, die hier einbezogen werden, betreffen das Schreiben und Lesen sowie das Verstehen eines Textes, eines Films, einer SMS oder eines Beitrags in den sozialen Medien. In diesem Kapitel wird zunächst der Zusammenhang diskutiert, der in modernen Gesellschaften zwischen der Beherrschung von Literalität und gesellschaftlicher Teilhabe besteht. In der Folge werden dann die Begriffe Zweitschrifterwerb, Mehrschriftlichkeit und Multiliteralität erörtert und Möglichkeiten der Vermittlung von Schrift vorgestellt. 7.1 Konzeptionelle Überlegungen Literalität und gesellschaftliche Teilhabe Viele moderne Gesellschaften sind durch die Verwendung von Schriftlichkeit im Alltag und in wichtigen Handlungsfeldern wie Arbeit, politische Teilhabe, Wirtschaft, geprägt. Schrift zu beherrschen, ist in literalen Gesellschaften unverzichtbar und eine Voraussetzung für Teilhabe: an Bildung, am Arbeitsmarkt, an gesellschaftlichen und politischen Vorgängen. So betont Maas (2016: 82f.), dass der Ausbau eines formellen und schriftlichen Registers eine Voraussetzung für den Ausbau von Mehrsprachigkeit in literalen Gesellschaften darstellt. Schrift zu beherrschen, trägt dazu bei, dass das Sprachbewusstsein weiterentwickelt wird (Verhoeven 1991), Ähnlichkeiten und Unterschiede thematisiert werden 114 7 Mehrschriftlichkeit, Bi- und Multiliteralität im Schulalter können und Literalität für die Sprachaneignung genutzt werden kann (Rymarczyk 2010). Daher ist es ein zentraler Bestandteil der mehrsprachigen Entwicklung, in allen für die Lebenswelt wichtigen Sprachen auch schreiben und lesen zu können. Die in diesem Sinne angestrebte Kompetenz nennen Yılmaz Woerfel und Riehl (2016) Mehrschriftlichkeit, die sie wie folgt definieren: Die Kompetenz, sich im Schriftlichen in mehreren Sprachen ausdrücken zu können, bezeichnen wir mit dem Terminus „Mehrschriftlichkeit“. Darunter verstehen wir nicht den Schrifterwerb in L1 und L2, sondern eine mehrsprachige kommunikative Kompetenz im schriftlichen Medium, die auch Textkompetenz miteinschließt. (Yılmaz Woerfel/ Riehl 2016: 305) Mehrschriftliches sprachliches Handeln ist ein mehrsprachiges Handeln mit Schrift, das konzeptionelle Schriftlichkeit einschließen kann, aber nicht in allen Ausprägungen notwendigerweise einschließt (Erfurt 2013; Kalantzis/ Cope 2008; Maas, Mehlem, Schroeder 2004). Es baut auf der Kenntnis mehrerer Schriftsysteme auf, geht aber weit über diese hinaus und beinhaltet die Fähigkeit, mit Texten jeder Art in mehreren Sprachen und Schriften angemessen zu handeln. Mehrschriftlichkeit umfasst, Texte verstehen zu können, sie sachgerecht und adressatenangemessen erfassen zu können und dafür die Textsorten mit ihren Besonderheiten in den jeweiligen Gesellschaften und Sprachen zu kennen: Aufsatz, Brief, Mail, Blog, Video u. a. Einhergehend mit Mehrschriftlichkeit konstatieren Maas, Mehlem und Schroeder (2004) eine Veränderung, die sie schriftkulturelle Umschichtung nennen: Die Vorstellungen einer Homogenität der Sprachpraxis werden in Frage gestellt und die Lehrpersonen sind zunehmend aufgefordert, sich mit den schriftsprachlichen Dynamiken der Migrantensprachen und der Mehrsprachigkeit auseinanderzusetzen (Maas, Mehlem, Schroeder 2004: 143). Deshalb sollten vorhandene literale Fähigkeiten im Unterricht aufgedeckt, einbezogen und gestärkt werden. Doch was umfasst der Begriff der Schriftlichkeit? Schriftkundig zu sein fassen Ehlich und Trautmann (2005) als Beherrschung der literalen Basisqualifikationen, die sie in die Qualifikation I und II aufteilen (s.a. weiter unten). Bereits die ersten Anfänge eigenen Schreibens und das Zuhören beim Vorlesen gehören zur Schriftlichkeit. Schriftlichkeit umfasst den Umgang mit allen schriftbasierten Medien - Buch, Web, soziale Medien u.v.m. - und zwar sowohl das Verfassen eigener Texte als auch die Rezeption. Die Aneignung von Lesekompetenz gehört also ebenso zur Schriftlichkeit wie das Schreiben. Lesekompetenz beinhaltet die 115 7.1 Konzeptionelle Überlegungen Fähigkeit, Buchstabenfolgen zu erkennen, Worte und propositionale Einheiten zu bilden und daraus Sinn zu entnehmen (Ehlers 2010: 216). Praktiken literalen Handelns im 21. Jahrhundert Wie, und was, schreiben und lesen Schülerinnen und Schülern heute? Kinder und Jugendliche schreiben ihren Freunden, ihrer Familie, in ihrer direkten Umgebung wie auch über weit entfernte Orte oft mehrfach am Tag, selbst wenn sie die Adressaten im Verlaufe des Tages noch sehen. Die Schreiberinnen und Schreiber lesen und verfassen Texte in vielen Sprachen, von Songtexten über Suchmaschinen-Anfragen und Bücher bis zum Schulaufsatz. Die Breite der literalen Handlungen umfasst zwar auch noch jenen Handlungszweck, der zur frühen Entwicklung von Dokumenten geführt hat: die Funktion von Texten, das gesprochene Wort über die Zeit und über Ortsgrenzen hinweg dauerhaft festzuhalten (Ehlich 2007). Der Vertrag, die Bescheinigung, das Jahrgangszeugnis und das unterschriebene Abschlusszertifikat sind nach wie vor Dokumente, die in der Regel auf Papier ausgestellt werden. Heute sind jedoch auch diese Texte digital festgehalten, etwa als Transcript of Records an den Universitäten oder als Notenstatistik in der Schule. Das gedruckte Dokument hat damit seinen einzigartigen Urkundenstatus weitgehend verloren, ist es doch jederzeit wiederbeschaffbar. Das eigentliche Dokument entwickelt sich mehr und mehr zu einer digitalen Textlichkeit, die klassischen literalen Textmedien befinden sich in Wandlungsprozessen. Neue Zugänge, im Internet, via App oder pdf, werden angeboten und schon sehr junge Kinder nutzen multimodale Textsorten auf der Basis von Video und Audio (Unsworth 2001). So bringen Cyberliteracies, die Entwicklung neuer Formen von Text, Zeichen und Bildlichkeit durch das Web (Unsworth 2001), neue Anforderungen und Möglichkeiten literaler Gestaltung mit sich. So sind bei den Texten für Suchmaschinenanfragen oder in sozialen Medien Wörter und Textbausteine häufiger als Sätze; in Texten der sozialen Medien sind die Freiräume für syntaktisch unvollständige Äußerungen groß. Als neue Formen von Texten kommen Sprachnachrichten, Videos, Mimes und Bild-Text-Kommunikationen hinzu. Die verwendeten sprachlichen Mittel beinhalten Symbole wie Emoticons und definieren Interpunktionszeichen neu, z. B. wird die Kombination aus Semikolon und Klammer als Lächeln verstanden. Der mediale Wandel in den Schriftlichkeitsmedien erzeugt neue Bedeutungen multimedialer und digitaler Schriftformen und Medien. So ist die schriftliche Kommunikation als multimodales literales Handeln mit Bild, Zeichen und 116 7 Mehrschriftlichkeit, Bi- und Multiliteralität im Schulalter Schrift mit den Optionen der Simultanität (z. B. im Chat) oder gerade der absichtlichen Zeitverschiebung der Antworten möglich geworden. Wie eignen sich nun Kinder eine Literalität an, die mehrsprachig und multikompetent operiert und in vielfältigen Medien neue Zugänge zu Text, Rezeption, Bildern und Zeichen entwickelt? Aneignung Ehlich (2005) unterscheidet die literale Basisqualifikation I mit dem ersten Erwerb von Literalität im frühen Kindesalter von der literalen Basisqualifikation II. Die Aneignung von Literalität erfolgt bereits lange vor der Schule. Die literale Basisqualifikation I betrifft präliterale Vorläuferfähigkeiten und den Eintritt des Kindes in die Schriftlichkeit. Es geht dabei zunächst um das Erkennen und Produzieren von Schriftzeichen - der Beginn liegt hier meist im Vorschulalter - sowie die Umsetzung mündlicher Sprachprodukte in schriftliche und umgekehrt, aber auch um erste Erfahrungen mit Texten (durch Vorlesen und darauf bezogene Anschlusskommunikation). Die literale Basisqualifikation II umfasst das Erkennen und Nutzen orthographischer Strukturen beim Lesen und Schreiben sowie den Aufbau schriftlicher Textualität. Auch die Entwicklung von Sprachbewusstheit, die durch die Beschäftigung mit der Schrift befördert wird, ist ein Thema der literalen Basisqualifikation II. (Ehlich, Bredel, Reich 2008: 20f.) Die Basisqualifikation I umfasst alle frühen Begegnungen mit Schrift und Literalität. Nicht in allen Kontexten, in denen Kinder aufwachsen, erfolgt das auf die gleiche Weise und in gleichem Umfang. Den Bildungseinrichtungen kommt die Aufgabe zu, die Vielfalt in den Schrifterfahrungen produktiv aufzugreifen, und Kindern, die vor der Schule wenige literale Begegnungen hatten, Schrifterfahrungen zu ermöglichen. Die Basisqualifikation II beinhaltet die Aneignung des Schriftsystems und der Buchstaben, die Beherrschung der Orthographie und die Lesekompetenz. Literale Aneignung beinhaltet also Erfahrungen mit Texten durch Zuhören und später durch das selbständige Lesen, Schreiben, die Auseinandersetzung mit Orthographie und die Entwicklung einer zunehmend komplexen literarischen Kompetenz in Rezeption und Produktion zu sammeln. Die Aneignung der 117 7.1 Konzeptionelle Überlegungen Basisqualifikation II erfolgt in der Regel im strukturierten Unterricht. Über die gesamte Lebensspanne verändert sich Schriftlichkeit und entwickelt sich weiter oder auch zurück, wenn sie lange Zeit nicht gebraucht wird. Um unter den aktuellen und zukünftigen Bedingungen sprachlich multikompetent (Jessner 2017) handeln zu können, müssen Schülerinnen und Schüler verstehen, wie sie sprachliche Ressourcen, Bilder, Zeichen und Textsorten in unterschiedlichen Medien einsetzen können, um ihre Handlungsziele zu erreichen und Bedeutung zu erzeugen. Bisher steht in Schulen die literale Bildung im Unterrichtsmedium im Vordergrund, sodass, mit Ausnahme der bilingualen Schulen, Literalitätserziehung vorwiegend monolingual ausgerichtet ist (Taylor, Bernhard, Garg, Cummins 2008). Im Fremdsprachenunterricht wird dieser Ansatz dann auf die gelehrten Fremdsprachen ausgeweitet. Insbesondere für die Grundschule wird diskutiert, ob ein früher Einsatz von Schriftlichkeit im Fremdsprachenunterricht förderlich und sinnvoll ist oder ob darauf verzichtet werden solle und zunächst mündlich gelernt werden müsse (für eine Befürwortung früher Schriftlichkeit s. Rymarczyk 2010). Die Schriftlichkeitsbildung in den Familiensprachen der Schülerinnen und Schüler ist bisher weitgehend auf den herkunftssprachlichen Unterricht oder außerschulische Angebote konzentriert. Wenn schon eine Schrift bekannt ist: Transfer Wie und ob sich die Aneignung von Literalität in mehrsprachigen Konstellationen von einer Aneignung in einsprachigen Kontexten unterscheidet, ist noch ein Forschungsfeld (Maas, Mehlem, Schröder 2004; Noack/ Weth 2012). Für die Aneignung von Textsorten und Handlungsmustern und für die Bezüge zwischen Phonologie und Schrift wird davon ausgegangen, dass Wissen aus einer Sprache in eine andere transferiert werden kann (Noack/ Weth 2012; Weth 2010). Der Transfer erfolgt sowohl von der Herkunftssprache auf das Unterrichtsmedium als auch in der anderen Richtung; auch erkannte Verschriftlichungsmuster des Unterrichtsmediums werden auf die Herkunftssprache übertragen (Kalkavan 2012). Ein solcher Transfer ist gut möglich, da beim Schreiben und Lesen Faktoren wirken, die sprachenübergreifend wirken (Verhoeven/ Perfetti 2017): in allen Schriftsystemen werden phonologische, also lautliche, und morphologische Einheiten kodiert (ebd.: 4 ff.) in eine Beziehung gesetzt. Wie schnell und effizient gelesen wird, hängt damit zusammen, wie gut gelernt wurde, auf welche Weise das jeweilige Schriftsystem eine Sprache kodiert, oder, in anderen Worten, wie 118 7 Mehrschriftlichkeit, Bi- und Multiliteralität im Schulalter der Zusammenhang von Zeichen, lautlichen Eigenschaften und Bedeutung zu verstehen ist. Darüber hinaus gehört zur Beherrschung von Literalität ein umfassendes Wissen über Textaufbau, -zusammenhänge und -strukturen. Wenn eine Leserin oder ein Leser sich dieses angeeignet hat, kann sie oder er dieses Wissen auf andere Sprachen und ihre Schriften übertragen. Rehbein (2016) beschreibt das transferierbare Wissen folgendermaßen: Zu transferierbaren Aspekten rechne ich das „universale“ Wissen, dass Texte Handlungsstrukturen enthalten, Bedeutungen (Symbolfelder) haben, die Phantasie anregen und sprachlich konstituierte Zusammenhänge jenseits der wahrnehmbaren Realität erzeugen. Ist die textuelle Literalisierung mehrsprachig bzw. in einer anderen Sprache als später in der Schule die Alphabetisierung, dann ist zu untersuchen, wie solches „universales“ Wissen, ist es einmal in L1 ausgebildet, sprachübergreifend auch in L2 genutzt werden kann. (Rehbein 2016: 274) Transfer ist jedoch erst dann möglich, wenn die formellen Strukturen in den Familiensprachen angeeignet sind: Bei Migranten ist ein Transfer der literalen Strukturen der einheimischen Sprache (bei ihnen also eine Zweitsprache, im Folgenden mit dem dafür üblichen Sigel L2) in ihre Erstsprache (die Familiensprache, im Folgenden L1) nur problemlos, wenn bei ihnen das formelle Register in der Erstsprache ohnehin schon ausgebaut ist. In diesem Fall können sie die ‚fremdsprachigen‘ Strukturen relativ problemlos replizieren. (Maas 2016: 147) Doch wie gut nun Schülerinnen und Schüler mehrere Schriften beherrschen, ist sehr unterschiedlich. Einige Kinder zeigen gut ausgeprägte schriftsprachliche Fähigkeiten in mehreren Schriften, andere können in ihrer Familiensprache nur sehr wenig lesen, sodass Studien über eine sehr große Varianz zwischen eingeschränkter Lesefähigkeit (z. B. von Straßenschildern) und komplexer Beherrschung beider Sprachen in Wort und Schrift berichten (Anstatt 2008). In einem Experiment konnte Rehbein (1987, 2016) die Übertragbarkeit von literalen Fähigkeiten in der Erstsprache Türkisch in die zweite Sprache Deutsch zeigen: Türkisch-deutschsprachigen sukzessiv-bilingualen Kindern wurde zunächst ein Text auf Deutsch vorgelesen. Sie hatten große Mühe, ihn auf Deutsch wiederzugeben; nach dem Vorlesen des Textes in einer türkischen Fassung gelang die Nacherzählung auf Deutsch jedoch. Das Verstehen der Handlungs- 119 7.1 Konzeptionelle Überlegungen struktur in der Erstsprache hat also die sprachlichen Mittel in der Zweitsprache aktiviert, folgert Rehbein (1987). Was bedeutet das für den Unterricht in einer deutschsprachigen Klasse? Die lateinische Alphabetschrift, die für die Verschriftlichung der deutschen Sprache genutzt wird, wird auch in vielen weiteren Sprachen verwendet, z. B. im Italienischen oder im Türkischen, sodass vielfältige Transfermöglichkeiten gegeben sind. Lehrkräfte können diese in ihrem Unterricht aufgreifen, z. B. indem sie Ähnlichkeiten immer wieder ansprechen. Übertragungsfehler sind bei deutsch-türkischsprachigen Schülerinnen und Schülern mit einem Anteil von 5-% an allen Fehlern selten (Jeuk 2012). Etwas schwieriger wird es, wenn die Schülerinnen und Schüler schon ein anderes Alphabet gelernt haben, z. B. das kyrillische für die Verschriftlichung z.- B. des Russischen, und dann auf Deutsch schreiben und lesen lernen. Die Umgewöhnung ist nicht ganz leicht, doch hilft es den Lernenden, dass sie bereits wissen, wie Alphabete aufgebaut sind. Auch dann, wenn die meistverwendete Schrift andere Grundlagen benutzt, z. B. Moren (japanische Hiragana), Morpheme (chinesische Han) oder visuelle Medien (Zeichnungen, Videos in der Deutschen Gebärdensprache) (Wrobel 2013) werden Alphabete häufig ebenfalls verwendet und sind daher vielen Lernenden bekannt: Für Eigennamen und neue Worte werden auch in diesen Schriften Alphabetverschriftlichungen genutzt. Wenn Sprachwechsel erfolgen, z. B. auf einmal ein Wort in einer anderen Sprache im Text verwendet wird, ist der Transfer sehr offensichtlich. Das muss aber nicht so sein. Häufiger werden Elemente übertragen, die den Text subtil prägen und deshalb im Textbild kaum auffallen, bei denen der Aneignungsprozess in der neuen Sprache dann aber viel schneller als erwartet verläuft (Lanauze/ Snow 1989). Bei neu zugewanderten Schülerinnen und Schülern in Deutschland kann beobachtet werden, wie schon nach kurzer Beschulung von sechs bis zwölf Monaten Texte in einer neuen Schrift verfasst werden (Montanari 2017): bild ein: ein Mann macht Photo von zwei Kinder und er seigt das sie sind auf den bank setzen. Sie sind ein jung und eine mädchen bild zwei: die Kinder zetzt sich auf den bank und der mann macht Photo. bild drei: der Mann gebit das Kamira Für Mädchen und er sagt für sie ich liege mich auf dem blumen und du mach ein bild von mir. bild vier: das Mädche photograpfert der Mann bild fünf: der Mann seht seinem Photo (Montanari 2017, Korpus, Text #64) 120 7 Mehrschriftlichkeit, Bi- und Multiliteralität im Schulalter Der Schüler, der diesen Text verfasst hat, ist erst vor kurzer Zeit nach Deutschland zugewandert. Er hat einen verständlichen, strukturierten Text zu der Bilderfolge „Tulpenbeet“ verfasst (Gantefort/ Roth 2008). Wir sehen bereits die Verwendung der Interpunktionszeichen Doppelpunkt und Punkt und die Majuskelschreibung von Köpfen der Nominalphrase (Photo, Kamira (= Kamera), Kinder, Mädche(n) und Mann). Grundregeln der Syntax und der Textgestaltung werden also bereits angewendet. 7.2 Mehrschriftliches literales Handeln in der Schule In einer multilingualen Literalitätserziehung geht es nicht um ein Entweder -Oder, sondern es stellt sich die Frage nach einem Zusammenwirken: Wie kann der bestmögliche Zugang zur Schriftlichkeit im Unterichtsmedium gewährleistet werden? Wie wird gleichzeitig die Literalität in den Sprachen der Lernenden und in den Fremdsprachen Gegenstand schulischer Modellierung? Wenn mehrsprachiges schriftliches Handeln nicht als Beispiel oder für die schnelle Erklärung von Fehlern instrumentalisiert werden soll, wie kann es dann als legitime Form sprachlichen Handelns in allen Sprachen im Unterricht Platz finden? Wird mehrschriftliche Textproduktion als selbstreguliertes Handeln der Schülerinnen und Schüler verstanden, so ist es vor allem ein von den Lernenden gesteuerter Vorgang. Die Aufgabe der Lehrperson ist es dann, entsprechende Freiräume zu öffnen und die Schülerinnen und Schüler anzuregen, sie für sich zu nutzen. Ob und in welchem Umfang mehrschriftlich agiert wird, liegt dann in der Steuerung der Kinder und Jugendlichen. 7.2.1 Ansätze für vielsprachige Lerngruppen Translanguaging und Mehrschriftlichkeit Den Gebrauch aller Sprachen in den Phasen des Schreib- und Schreibplanungsprozesses wie auch in der Rezeption von Texten zu ermöglichen, hilft dabei, komplexe Texte zu verfassen - das gilt auch für einsprachige Ergebnisse. Schon Grundschüler können ihre Sprachenvielfalt in Lese- und Schreibprozessen nutzen. In einer Untersuchung mit amerikanischen Viertklässlern (Velasco/ García 2014) wurde deutlich, dass der Einbezug aller Sprachen die Kindern dabei unterstützt, komplexe Texte zu verfassen: Die Schülerinnen und Schüler schrieben hochwertigere Texte in der Unterrichtssprache, wenn sie während 121 7.2 Mehrschriftliches literales Handeln in der Schule des Schreibprozesses mehrschriftlich und mehrsprachig agieren durften. Insofern schließt sich der Befund an die oben erwähnte Beobachtung von Rehbein (1987) zu den Transfermöglichkeiten an. Für alle Planungsphasen wird daher der Einbezug aller Sprachen empfohlen, um das Wissen optimal zu aktivieren. When planning writing, bilingual students should always be encouraged to engage with their multilingual repertoire. Only then planning will serve the purpose for which it is meant. (Velasco/ García 2014: 15) Als besonders ergiebig erwies es sich, wenn der Gebrauch der Familiensprache gezielt angeregt wurde, um literale Aufgaben mit häuslichem Bezug zu lösen (Velasco/ García 2014). In einer Studie mit Lehrpersonen zeigten sich sechs Strategien, um Erstklässler zur Mehrschriftlichkeit im Unterricht anzuregen, als besonders erfolgreich: ▶ ein ausreichendes Angebot an mehrsprachigen Büchern und Texten im Klassenraum; ▶ eine umfangreiche Wissensaktivierung, für die Antworten und Kommentare in allen Sprachen zugelassen werden. Die Lehrperson und ggf. die Klassengemeinschaft suchen bei Bedarf die Übersetzung in die Unterrichtssprache; ▶ Antworten, die anzeigen, dass der Sinn erfasst wurde, werden in jeder sprachlichen Form akzeptiert; ▶ die Lehrperson gibt für zentrale Begriffe Übersetzungswörter an, die sie vorbereitet hat; ▶ Antworten mit Code-Switching (Sprachwechsel) werden mehrschriftlich an die Tafel geschrieben; ▶ um einen Text zu verstehen, wird ein mehrsprachiges Scaffolding erarbeitet (Michael-Luna, Canagarajah, Suresh 2007: 72 ff.). Der Multiliteralitätenansatz Der Multiliteralitätenansatz geht auf einen einflussreichen Aufsatz einer interdisziplinären Gruppe von Pädagogen und Linguisten aller Geschlechter zurück, der New London Group (The New London Group 1996). Als Antwort auf die ethnische, sprachliche und kulturelle Heterogenität der Schülerschaft wird ein neuer Umgang mit Literalität gefordert. Sowohl die Vielfalt der Schreibenden 122 7 Mehrschriftlichkeit, Bi- und Multiliteralität im Schulalter und Lesenden als auch die Vielfalt der Kommunikationswege und der Bedeutungserzeugung werden hervorgehoben: Der Blick wird auf visuelle (durch Bilder und Buchstaben), auditive und räumliche Mittel sowie auf Verhalten, Gesten und Gebärden gerichtet. Schülerinnen und Schüler sollen in der Schule darin unterstützt werden, eigene flexible Werkzeuge für den Umgang mit Zeichen zu erlangen und eine Metasprache zu entwickeln, die der Analyse und Reflexion dient (The New London Group 1996: 77). Der Multiliteralitätenansatz geht von der grundlegenden Überlegung aus, dass bei der Aneignung im Unterricht alle Literalitäten im Lernenden verknüpft werden (Unsworth 2001). In the twenty-first century the notion of literacy needs to be reconceived as a plurality of literacies and being literate must be seen as anachronistic. As emerging technologies continue to impact on the social construction of these multiple literacies, becoming literate is the more apposite description. (Unsworth 2001: 8) Für die Ausbildung von Literalität in einem sich stetig wandelnden und globalisierten 21. Jahrhundert ist es für alle Gesellschaftsmitglieder notwendig, im Umgang mit Sprachen, Textlichkeit und Zeichen flexibel zu sein und mit der Pluralität von Medien, Sprachen, Varietäten und sprachlichen Handlungsformen umgehen zu können. Multiliteralität fordert von den Lernenden, neben den traditionellen Fertigkeiten des Lesens, Schreibens, Sprechens und Hörens, auch Texte in neuen Formen, Sorten, Deutungsmöglichkeiten, Sprachen, Medien und Präsentationsformen zu rezipieren und zu produzieren (Wildemann 2013). Um die Schülerinnen und Schüler auf die gewandelten Herausforderungen des zukünftigen beruflichen, öffentlichen und privaten Lebens vorzubereiten, sollen sie als Individuen zunehmend an sozialen Praktiken teilhaben. Es wird also eine emanzipatorische, sozialpolitische Perspektive eingenommen, die ein Empowerment der Schülerinnen und Schüler als kompetente, kritische Nutzende vielfältiger Literalitäten anstrebt. Mit dem multiliteralen Ansatz ist der Anspruch verknüpft, literale Ressourcen neu zu verteilen, um einen gerechteren Zugang aller Schreibenden zu Bildung zu erreichen (Trimbur 2000). Der Multiliteralitätenansatz versteht Literalität als Kommunikationsform, die die Sprachen der Lernenden mit den Sprachen der Bildungssysteme in Verbindung bringt (Cope/ Kalantzis 2009; Kalantzis/ Cope 2008; Taylor, Bernhard, Garg, Cummins 2008; The New London Group 1996). Ziel ist es, Symbolsprachen unterschiedlicher Art verstehen und nutzen zu lernen und dieses Wissen in konkreten Problemlösungen anzuwenden sowie dabei eine kritische und 123 7.2 Mehrschriftliches literales Handeln in der Schule ästhetische Urteilsfähigkeit zu entwickeln (Küster 2014: 3). Die Vielfalt literaler Zugänge wirkt dabei zusammen: In order to become effective participants in emerging multiliteracies, students need to understand how the resources of language, image and digital rhetorics can be deployed independently and interactively to construct different kinds of meanings. This means developing knowledge about linguistic, visual and digital meaningmaking systems. (Unsworth 2001: 8) Lernende sollen darüber hinaus im Sinne einer kritischen Literalität reflektieren können, mit welchen Mitteln Bedeutung erzeugt wird. Was sind Kriterien, um Falsches und Authentisches zu unterscheiden? Welche Textmuster, kulturellen Muster und Vorgehen helfen, Fälschungen aufzufinden? Wie kann nun Multiliteralität im modernen Literalitätsunterricht behandelt werden? In der pädagogischen Umsetzung des multiliteracies-Ansatzes sind vier pädagogische Grundüberlegungen handlungsweisend: ▶ der situative Ansatz, ▶ die explizite Erläuterung (overt instruction), ▶ die kritische Rahmung und ▶ Reflexion der Praxis (The New London Group 1996: 82ff.). Die Verortung in einem situativen Ansatz geht davon aus, dass Lernen eingebettet in bedeutungshafte Situationen sprachlichen Handelns erfolgen muss, da Lernende nur dann motiviert sind, wenn sie die Funktionalität der Lerninhalte erfahren und die Lerninhalte als für sich bedeutsam und mit dem eigenen Wissen verknüpft erleben. Dieses Lernen wird durch explizite Erläuterung unterstützt. Damit ist eine sorgfältige Aufbereitung der Unterrichtsinhalte durch Lehrpersonen gemeint. Das nötige Wissen, um die Aufgabe zu bearbeiten, wird offen gelegt und den Lernenden transparent gemacht. Das Erarbeiten der sprachlichen Mittel erfolgt als explizite Thematisierung, d. h. es wird erklärt, wie ein Text aufgebaut ist, wie ein Schriftsystem funktioniert oder welche grammatischen Strukturen für welchen Zweck notwendig sind. Dabei kommen Metasprachen, Sprachreflexion und Sprachenvergleiche zum Einsatz, um ein bewusstes Lernen literaler Sprachmittel zu ermöglichen. 124 7 Mehrschriftlichkeit, Bi- und Multiliteralität im Schulalter Ein Beispiel: Für kompetente Sprecherinnen und Sprecher einer Sprache thematisiert der Sprachunterricht Strukturen, z. B. die Kasus im Deutschen, die sie ja bereits anwenden und verstehen. Für Lernende der Unterrichtssprache ist es aber unverzichtbar, dass die Lehrkraft offenlegt, wie viele Kasus es im Deutschen oder in der Unterrichtssprache gibt (denn in anderen Sprachen gibt es mehr oder weniger davon), wie die Kasus systematisch zu verstehen sind und warum das für die vorliegende Schreibaufgabe interessant ist. Sie kann dafür Vergleiche mit anderen Sprachen nutzen, online verfügbare Videos zu den Kasus einsetzen oder eine Lernergrammatik verwenden. In der sich an die explizite Instruktion anschließenden kritischen Rahmung ordnen die Lernenden die Lerninhalte in historische, kulturelle, politische und gesellschaftliche Zusammenhänge ein: Sie hinterfragen das Gelernte und setzen es in Bezug zu gesellschaftlichen Zusammenhängen. Im Unterricht kann diese Phase z. B. so umgesetzt werden: ▶ Die Lernenden beschäftigen sich mit Adjektiven und deren Gegenteilen zum Thema Wohnformen. 16 In der kritischen Rahmung diskutieren sie die Fragen: ▶ Was sind die sozialen, historischen, materiellen Voraussetzungen? ▶ Wie hat sich das, was wir heute vorfinden, entwickelt? ▶ Ist meine Lebenssituation hier thematisiert? Warum (nicht)? ▶ Wie ist meine Einstellung dazu? 16 Die Lehrpersonen leiten diese Reflexion durch für die Lernenden geeignetes Material an und unterstützen sie. Diese kultur- und sprachenspezifischen literalen Fragestellungen können erst in einer formal-analytischen Metasprache zum Thema werden (Cope/ Kalantzis 2000; The New London Group 1996). Die Reflexion thematisiert insbesondere Fragen wie: Wie entsteht Bedeutung in diesem Text? Was zeichnet diese Textsorte in dieser Sprache aus? Wie ist diese Textsorte in anderen Sprachen und literalen Kontexten beschaffen? Auf welches Weltwissen über materielle Beschaffenheiten und 16 Für dieses Beispiel danke ich den Studierenden der Stiftung Universität Hildesheim, Seminar „Multiliteracies“, Wintersemester 2018. 125 7.2 Mehrschriftliches literales Handeln in der Schule über soziale Gegenstände wird aufgebaut? Diese Fragen ermöglichen es, Texte und Rezeptionsprozesse unterschiedlichster Art vergleichend zu diskutieren. Es ist also auch diese Metasprache als Inhalt des Literalitätsunterrichts zu erarbeiten, um über Literalität ins Gespräch kommen zu können. Wichtige Fragen für den Ausbau einer Metasprache im Unterricht sind: ▶ Was ist ein Zeichen? ▶ Was ist Bedeutung, und wie entsteht sie? ▶ Wie schaffen Text, Layout, Bilder und ggfls. Töne zusammen Bedeutung? Mit diesem neuen Wissen begeben sich die Lernenden wieder in die Situation, die den Ausgangspunkt des literalen Lernprozesses dargestellt hat und reflektieren sie erneut mit dem dazu gewonnenen Wissen (Reflexion der Praxis), sodass sich ein Lernzyklus schließt - und neu beginnen kann. Um wieder Anregungen für den Unterricht zu geben, könnte sich die Lerngruppe folgende Fragen stellen: Wie verstehen / schreiben wir nun mit dem neuen Wissen den Text? Was hat sich an unserem Verständnis des Textes verändert? Multilinguale Schreibdidaktik Für die multilinguale Schreibdidaktik geht Hornung (2002) von der Vorstellung einer inneren Mehrsprachigkeit des Individuums aus, in der alle Sprachen zusammentreffen. Den Schreibenden wird es ermöglicht, sich in allen ihren Sprachen schriftlich auszudrücken. Dem Automatischen Schreiben als Methode kommt dabei eine zentrale Rolle zu: Dabei „fließt“ sozusagen der Gedanke direkt in den Stift. Es wird geschrieben, was in den Sinn kommt, ohne Struktur, Orthographie, Aufbau etc. zu beachten. Die Grundidee der multilingualen Schreibdidaktik ist es, zu ermöglichen, eine bereits angeeignete Literalität zum Ausdruck zu bringen und in den Unterricht einzubeziehen. Die Methode des Automatischen Schreibens ist gut für Unterrichtsinhalte geeignet, die sehr freie Formen zulassen, z. B. für die Produktion fiktionaler, autobiografischer oder kreativer Texte. 126 7 Mehrschriftlichkeit, Bi- und Multiliteralität im Schulalter Nicht alle Schülerinnen und Schüler reagierten in der Studie von Hornung (2002) begeistert auf das Angebot, mehrsprachig zu schreiben; auf einige wirkte es ungewohnt und verstörend. Andererseits war der ungewohnte Zugriff auf Schriften für viele Schreibende eine wertvolle Erfahrung (Hornung 2002). Die Qualität der entstandenen Texte war sehr unterschiedlich. Wenn die Lerngruppen langsam an diese Methode herangeführt werden, können sie interessante Entdeckungen über sich selbst machen: Was sind meine eigenen inneren Sprachen? Wie wirkt sich die Sprachwahl auf meine Gedanken aus? Talking books Ein Anwendungsbeispiel für multiliterales Lesen präsentiert Wildemann (2013). In der vierten Klasse einer Grundschule arbeitete sie im Deutschunterricht mit mehrsprachigen Talking Books, das heißt Büchern, die Sprachbeispiele auf Medien mitliefern. Die Schülerinnen und Schüler lasen die Bücher und wurden angeregt, nicht verstandene Stellen aus anderen Sprachen zu erschließen und Beobachtungen zu den Texten zu formulieren. Nicht für alle mehrsprachigen Leserinnen und Leser war es einfach, die Texte zu verstehen, dafür war eine breite Sprachbeherrschung nötig. Dabei zeigte sich, dass die Lernenden intensiv ihre visuelle Literalität einsetzten und die Abbildungen verwendeten, um ein erstes Verständnis aufzubauen. Insbesondere im Lesen wenig geübte Kinder zeigten sich von dem abwechslungsreichen und kontextualisierten Vorgehen motiviert und konnten gut mitarbeiten. Eine kritisch-reflexive Literalität, die sich in Stellungnahmen durch die Schülerinnen und Schüler gezeigt hätte, war als spontane Reaktion selten; fragte die Lehrperson aber nach, so äußerten sich die Kinder differenziert zu den Texten. Die befragten Kinder merkten die vielfältigen ästhetischen literalen Erfahrungen an, die sie in der Auseinandersetzung mit den Bildern und dem Text erlebt hatten (Wildemann 2013). 7.2.2 Ansätze für zweisprachige Lerngruppen Einige Modelle, die mehrsprachiges literales Handeln thematisieren, sind biliteral, also mit Blick auf zwei Schriftsysteme, konzipiert (Maas, Mehlem, Schröder 2004). Im Folgenden werden einige der zweisprachigen Ansätze dargestellt. Für die Aneignungsreihenfolge der Schriftsysteme gibt es simultane und sukzessive Konzepte. Sukzessive Konzepte unterrichten die Schriftlichkeit nacheinander, also zuerst in der Familiensprache oder zuerst im Unterrichtsmedium. 127 7.2 Mehrschriftliches literales Handeln in der Schule Die dazu vorliegenden Studien sind recht alt: Engle (1975) findet keine Effekte der Alphabetisierungsreihenfolge bei biliteraler Beschulung. In der Studie von Chu-Chang (1980) zeigte sich ein sukzessiver Ansatz, der von der Familiensprache ausgeht, als vorteilhaft. Simultane Ansätze wie die koordinierte Alphabetisierung KOALA (s. unten) unterrichten beide Schriften gleichzeitig. Hier liegt ein Forschungsfeld vor, bei dem neuere Untersuchungen eine Bereicherung darstellen könnten. Die Hürden bei der Aneignung der Orthographie sind für ein- und mehrsprachige Kinder und Jugendliche die gleichen. Es werden bei mehrsprachigen Lernenden keine grundsätzlich anderen Verschriftungsstrategien als bei monolingualen Gleichaltrigen beobachtet. Schwierigkeiten mit Dehnungs- und Schärfungsschreibung, mit dem Erkennen der Stammschreibung (Becker/ Siekmann 2012) sind belegt, wobei diese Bereiche auch für einsprachige Kinder schwierig sind. Fehler, bei denen Vokalgrapheme zur Verschriftlichung von Konsonantenclustern hinzugefügt werden (z. B. *Bulau für „Blau“), könnten durch Sprachunterschiede bedingt sein. Die Erklärungskraft der Kontrastivhypothese, d. h. der Annahme, die Verschiedenheit der Sprachen des Individuums würde den Fehler begünstigen, ist jedoch umstritten und nicht eindeutig (Thomé 1987a). Allerdings schneiden in mehreren Studien mehrsprachige Schülerinnen und Schüler mit niedrigeren Ergebnissen als einsprachige ab (Becker 2011; Thomé 1987b; Voss, Blatt, Kowalski 2007). Kritisch muss eingewendet werden, dass die Studien nicht immer den sozioökonomischen Status und die Bildungsbiografien der Eltern kontrollieren, sodass letztlich nicht zweifelsfrei gesichert ist, ob in den Ergebnissen nicht die besonders große Anfälligkeit des deutschen Bildungssystems für sozioökonomischen Status durchschlägt (Ditton/ Maaz 2011). Herkunftssprachliche Literalitätsaneignung Der Herkunftssprachliche Unterricht in den Schulen ist ein wichtiger Ort der Alphabetisierung und Literalisierung in den Herkunftssprachen. In der Regel sind es muttersprachliche Lehrkräfte, die den Schrifterwerb ermöglichen (Kniffka/ Siebert-Ott 2007, Lengyel/ Neumann 2017). Die Sprachbeherrschung der Schülerschaft ist außerordentlich unterschiedlich, und die Lernziele des Herkunftssprachlichen Unterrichts sind offen. In einer Elternbefragung Hamburger Eltern zeigte sich, dass die Möglichkeit, Lesen und Schreiben in den Herkunftssprachen zu lernen, der wichtigste Grund für Eltern ist, den Herkunfts- 128 7 Mehrschriftlichkeit, Bi- und Multiliteralität im Schulalter sprachlichen Unterricht zu befürworten, und das vor allem deshalb, damit die Kinder später ihre Chancen in einer mehrsprachigen Arbeitswelt wahrnehmen können (Lengyel/ Neumann 2017: 60). Im außerschulischen Bereich bieten Vereine in privater, konfessioneller oder religiöser Trägerschaft Schriftaneignung und Literalitätserziehung an. Zum Teil erfolgt die Alphabetisierung vor der Einschulung in die deutsche Schule, z. B. weil damit an Konventionen im Heimatland angeknüpft wird, wo die Einschulung schon vor dem sechsten Lebensjahr üblich ist. Ein weiterer Grund liegt darin, die hohe Motivation und Neugierde der Kinder auf Schrift aufzugreifen (Montanari, Abel, Graßer, Tschudinovski 2018a). Der Schrifterwerb erfolgt meist sukzessive, und zwar zuerst in der Herkunftssprache und später in der Schule im Unterrichtsmedium. Diese Angebote sind außerordentlich heterogen. Sie sind lokal in den Communities organisiert. Mehrschriftlichkeit im Unterricht: CLIL Im sprachenintegrierenden Sachfachunterricht (Content and Language Integrated Learning, CLIL) kommt dem Umgang mit Mehrschriftlichkeit besondere Bedeutung zu, da hier Texte und Medien aus unterschiedlichen Fachkulturen im Unterricht zueinander in Beziehung gesetzt werden müssen. Das ist insbesondere deshalb eine Herausforderung, weil diese Texte und Medien für Schülerinnen und Schüler erschlossen werden müssen, die vor der Einrichtung des CLIL in einer anderen Literalität zu diesem Thema beschult wurden (Bosenius 2009). Bosenius (2009) formuliert gar provokant die Frage, ob dem CLIL-Unterricht eine Vorreiterrolle für Multiliteralität zukomme? Es gilt dabei, Mikro- und Makrostrukturen von Texten in unterschiedlichen Literalitätskulturen zu vergleichen (Whittaker/ Avecedo 2016). Zweisprachige Alphabetisierung als koordinierte Alphabetisierung KOALA Bei einer koordinierten Alphabetisierung werden zwei Schriften simultan erarbeitet (Nakipoğlu-Schimang 1988; Nehr, Birnkott-Rixius, Kubat, Masuch 1988). Im Tandemunterricht einer muttersprachlichen Lehrperson für Schrift 1 und einer weiteren muttersprachlichen Lehrkraft für Schrift 2 werden lautliche und graphemische Einheiten in beiden Sprachen koordiniert eingefügt und mit- 129 7.3 Fazit einander verglichen. 17 Damit lernen ein- und mehrsprachige Schülerinnen und Schüler viel über ihre Schriften, z. B. welche anderen Alphabete es gibt. Sie beschäftigen sich auch damit, wie Phoneme, Silben und Grapheme in ihren Sprachen zusammenhängen. In vielen Fällen müssen die Unterrichtsmaterialien von den Lehrkräften adaptiert und hergestellt werden. Mittlerweile gibt es jedoch mit den Staatlichen Europaschulen Berlin, den bilingualen Schulen in Frankfurt und an vielen anderen Standorten Vorreiter, die angefragt werden können. 7.3 Fazit Ob multiliterale Praktiken in Schulen nachhaltig und erfolgreich umgesetzt werden können, hängt in erheblichen Maße davon ab, wie gut die bildungspolitische Unterstützung ist, d. h. ob Staaten oder Bundesländer Multiliteralität unterstützen, indem sie Ressourcen zur Verfügung stellen (Warren 2017). Hier ist also die gesellschaftliche Unterstützung gefragt. Eine Umsetzung mehrschriftlicher und multiliteraler Ansätze kann allen Beteiligten zu mehr Freiheit und Selbstbestimmung verhelfen - das kann auch bedeuten, sich für Einschriftigkeit zu entscheiden, sofern das eine Entscheidung des Individuums innerhalb einer Vielzahl von Möglichkeiten ist. Anknüpfend an Velasco/ García (2014) muss Mehrschriftlichkeit ein durch die Schreibenden selbst regulierter, freier Vorgang sein. Die Lehrpersonen können dafür systematisch Freiräume eröffnen, ihre eigene Mehrschriftlichkeit einbringen und Mehrschriftlichkeit kontinuierlich im Unterricht verankern. Aufgaben 1. Diskutieren Sie: Wie sinnvoll ist aus Ihrer Sicht eine multiliterale Bildung? Was sind Vorteile, welcher Aufwand entsteht? 2. Grenzen Sie eine zweischriftige von einer multiliteralen Didaktik ab. 3. Schreiben Sie eine Unterrichtsplanung, die multiliteral ein Kinderbuch thematisiert. Wie kann der Unterricht möglichst reizvoll und gleichzeitig mit klaren Lernzielen ausgestattet sein? 17 Umfangreiches Material für Türkisch und Portugiesisch zeigt die website www.koala-projekt.de 130 Literaturverzeichnis 131 Literaturverzeichnis Literaturverzeichnis Akıncı, Mehmet Ali (2002): Développement des compétences narratives des enfants bilingues turc-français en France âgés de 5 a 10 ans. München: Lincom Europa. Anstatt, Tanja (2008): Russisch in Deutschland: Entwicklungsperspektiven. 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