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Verfahrensentwicklung und Technische Sicherheit in der Anorganischen Phosphorchemie

0504
2018
978-3-8385-5172-2
UTB 
Dietmar Zobel

Das Buch befasst sich mit der Herstellung elementaren Phosphors sowie wichtiger anorganischer Folgeprodukte. Der Verfasser bringt umfangreiche technologische, sicherheitstechnische und erfindungsmethodische Erfahrungen ein. Die Prozesse zur Phosphorschlamm-Aufarbeitung, zur Hypophosphitproduktion und zur Herstellung Kondensierter Phosphate wurden von ihm entscheidend weiter entwickelt. Technologische Details werden unter sicherheitstechnischen Aspekten analysiert. Das Systematische Erfinden wird als auch für andere Branchen zu empfehlende Methode der Verfahrensentwicklung an Beispielen behandelt. So schlägt das Buch eine Brücke zu den erfindungsmethodischen Publikationen des Verfassers.

<?page no="0"?> Dietmar Zobel Verfahrensentwicklung und Technische Sicherheit in der Anorganischen Phosphorchemie 2. Auflage <?page no="1"?> Dietmar Zobel Verfahrensentwicklung und Technische Sicherheit in der Anorganischen Phosphorchemie <?page no="3"?> Verfahrensentwicklung und Technische Sicherheit in der Anorganischen Phosphorchemie Doz. Dr. rer. nat. habil. Dietmar Zobel Mit 45 Bildern und 10 Tabellen 2., überarbeitete und wesentlich erweiterte Auflage <?page no="4"?> 2., überarbeitete und wesentlich erweiterte Auflage 2018 1. Auflage 2015 Die 1. Auflage erschien 2015 unter dem Titel „Anorganische Phosphorchemie und Technische Sicherheit - Praxiserfahrungen eines Industriechemikers“ Bei der Erstellung des Buches wurde mit großer Sorgfalt vorgegangen; trotzdem lassen sich Fehler nie vollständig ausschließen. Verlag und Autoren können für fehlerhafte Angaben und deren Folgen weder eine juristische Verantwortung noch irgendeine Haftung übernehmen. Für Verbesserungsvorschläge und Hinweise auf Fehler sind Verlag und Autoren dankbar. © 2015 by expert verlag, Wankelstr. 13, D -71272 Renningen Tel.: + 49 (0) 71 59 - 92 65 - 0, Fax: + 49 (0) 71 59 - 92 65 - 20 E-Mail: expert@expertverlag.de, Internet: www.expertverlag.de Alle Rechte vorbehalten Printed in Germany Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. ISBN 978-3-8385-5172-2 Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / www.dnb.de abrufbar. Bibliographic Information published by Die Deutsche Bibliothek Die Deutsche Bibliothek lists this publication in the Deutsche Nationalbibliografie; detailed bibliographic data are available on the internet at http: / / www.dnb.de <?page no="5"?> Vorwort zur 2. Auflage Die industrielle Chemie umfasst heute ein riesiges Gebiet. Deshalb gibt es wohl nur zwei Möglichkeiten zur Weitergabe von Erfahrungen: Entweder als umfassende Monographie unter Einbeziehung vieler Kollegen, oder überwiegend nur die eigenen Erfahrungen berücksichtigend, wobei dann nur ein Teilgebiet behandelt werden kann. Ich habe mich für diese zweite Variante entschieden. Sie hat zwar den Nachteil, dass mir auch vom behandelten Teilgebiet nur ein Ausschnitt geläufig ist, dafür aber den Vorteil, dass sich dieser Ausschnitt detailliert und lebendig darstellen lässt. Vieles, auch in Sicherheitsfragen, ist übertragbar. Angesprochen werden deshalb nicht nur Spezialisten, sondern auch „fachfremde Fachleute“ aller Couleur, unabhängig von der Branche. Ich denke nicht zuletzt auch an die Vertreter all jener technischen Sparten, ohne deren Arbeit industrielle Chemie heute nicht mehr vorstellbar ist. Dazu gehören auch der Betriebsärztliche Dienst und die Feuerwehr. Dank schulde ich meinen hoch geschätzten Kollegen Dipl.-Chem. Günther Schmädt (ehem. Piesteritz) sowie Dr. Rudolf Schumann † (ehem. Bitterfeld) für wertvolle Unterstützung. Herrn Schmädt verdanke ich wichtige Textteile zum Phosphorofenprozess. Herr Dr. Schumann hatte das fachliche Material für die Rohfassung des 4. Kapitels beigesteuert sowie die Endfassung ergänzt und bestätigt. Frau Dr. Doris Gisbier rezensierte sachkundig die 1. Auflage dieses Buches. Ihre Vorschläge zum Relativieren meiner etwas missverständlichen Aussagen zum begrenzten Wert der Automatisierung wurden in dieser 2. Auflage berücksichtigt. Dankbar bin ich Frau Dr. Gisbier ferner für wertvolle Hinweise zur Endfassung des Manuskripts. Insbesondere betrifft dies die Kapitel 5 und 6. Neu ist der erweiterte Exkurs zur Geschichte des gelben Phosphors. Ferner habe ich eigene experimentelle Befunde zu den bisher oft unzutreffend dargestellten Eigenschaften des roten Phosphors eingefügt, sowie die Abschnitte zur Phosphitpyrolyse und zur Anwendung des Hypophosphits wesentlich erweitert. Völlig neu ist das Fach übergreifend formulierte Kapitel „Verfahrensentwicklung durch Systematisches Erfinden“. Dieser methodisch orientierte Erfahrungsbericht ist nicht ausschließlich für Spezialisten gedacht - ganz im Gegenteil. Mein Gebiet wird hier als Branchen unabhängiges Muster für die selbst erprobte erfinderische Vorgehensweise bei der Entwicklung eines Betriebes behandelt. Kritisch-konstruktive Hinweise meiner Leser sind mir stets willkommen. Lutherstadt Wittenberg, im April 2018 Dietmar Zobel <?page no="7"?> Inhaltsverzeichnis Seite 1 Einführung ..................................................................................... 1 2 Phosphor ....................................................................................... 5 2.1 Eigenschaften des gelben und des roten Phosphors...................... 5 2.2 Die Produktion gelben Phosphors und die typischen Risiken ....... 24 2.3 Innerbetriebliche Handhabung und Transport............................... 52 2.4 Phosphorverbrennungen und ihre Folgen..................................... 70 3 Phosphorschlamm ...................................................................... 81 3.1 Entstehung und Eigenschaften ..................................................... 81 3.2 Ältere Aufarbeitungsverfahren und ihre Mängel............................ 95 3.3 Die alkalische Aufarbeitung und ihre Risiken .............................. 109 3.3.1 Phosphitherstellung und Phosphitpyrolyse .............................. 110 3.3.2 Hypophosphitherstellung und Chemische Vernicklung ........... 131 4 Bitterfelder Technologien und ihre Risiken ........................... 168 4.1 Die Raffination gelben Phosphors .............................................. 168 4.2 Phosphorpentasulfid P 4 S 10 .......................................................... 174 4.3 Phosphortrichlorid PCl 3 ............................................................... 178 5 Thermische Phosphorsäure .................................................... 182 5.1 Herstellung und Eigenschaften ................................................... 182 5.2 Problemsituationen und Betriebsstörungen ................................ 189 6 Monophosphate und Polyphosphate ...................................... 193 6.1 Gesamtübersicht und Nomenklatur............................................. 193 6.2 Herstellung und Eigenschaften typischer Produkte..................... 197 6.3 Gefahren, Risiken, Sonderfälle ................................................... 214 7 Verfahrensentwicklung durch Systematisches Erfinden 223 8 Generelles zu Kenntnis- und Kommunikations-Defiziten, Unterlassungen und Verwechslungen .................................... 266 9 Schlussfolgerungen und Empfehlungen ................................ 275 10 Literatur...................................................................................... 288 11 Sachregister .............................................................................. 294 <?page no="9"?> 1 1 Einführung Dreißig Jahre lang arbeitete ich als Industriechemiker im Stickstoffwerk Piesteritz. Mein Spezialgebiet war die Anorganische Phosphorchemie, insbesondere die Verarbeitung von Phosphor zu Phosphorsäure, Monophosphaten und Kondensierten Phosphaten, sowie die Aufarbeitung von Phosphorschlamm. Dies mag für sicherheitstechnisch Interessierte sehr speziell klingen, es gibt aber zahlreiche Berührungspunkte zu benachbarten Gebieten. Sie werden im Buch mit behandelt, sofern ich verlässliche Informationen dazu erhalten konnte. Die meisten der behandelten Beispiele habe ich selbst erlebt. Dennoch lag mir sehr daran, bestimmte Fakten noch einmal gegenlesen zu lassen. Im Vorwort habe ich dazu bereits etwas gesagt. Es ist wohl immer besser, sich nicht ausschließlich auf das eigene Erinnerungsvermögen zu verlassen. Beim Schreiben eines solchen Buches stellt sich oft genug heraus, dass belastbare Unterlagen kaum noch vorhanden sind. Ich kann also nur versichern, mich nach bestem Wissen und Gewissen erinnert zu haben. So hoffe ich denn, mit freundlicher Unterstützung meiner hoch geschätzten Kollegen G. Schmädt (Piesteritz) und R. Schumann † (Bitterfeld), weitgehend korrekte Sachdarstellungen vorlegen zu können. Ich war in Piesteritz von 1963 bis 1982 Betriebsleiter der Anlagen zur Herstellung von Phosphorsäure und Phosphorsauren Salzen. 1983 wurde ich Hauptabteilungsleiter des gesamten Phosphorbereichs, 1990 Geschäftsbereichsleiter des alten Piesteritzer Südwerkes. 1992 beendete ich die Tätigkeit im Stickstoffwerk. Fast alle im Buch behandelten Beispiele stammen aus meiner Betriebsleiterzeit. Unter DDR-Bedingungen war es in den sechziger und siebziger Jahren nicht immer leicht, bereits bekannte technische Möglichkeiten zur Verbesserung der Sicherheit in jedem Falle auch zu nutzen. Insbesondere fehlte es an moderner Steuer- und Regelungstechnik. Ersatzweise wurde, manchmal ziemlich hemdsärmelig, „von Hand“ gefahren. So behandele ich im Buch auch Beispiele bzw. Fälle, die aus heutiger Sicht einigermaßen gewagt anmuten. Aber gerade am Beispiel der Entwicklung unvollkommen ausgestatteter Technologien, die heute wohl kaum noch eine Genehmigung erhielten, lässt sich so manches lernen. Nach Störungen und Unfällen ist die Untersuchung der Ursachen entscheidend für das weitere Vorgehen. Die wichtigsten Forderungen für die Arbeitsweise bei der Ursachenermittlung sind: <?page no="10"?> 2 Sorgfalt, Hartnäckigkeit, Vorurteilslosigkeit, genaueste „Vor Ort“-Analyse und Konsequenz. Ich habe zu Beginn meiner Berufstätigkeit die Ursachenermittlung allzu oft meinen Technologen überlassen. Später habe ich erkannt, dass - mindestens in schwereren Fällen - der Betriebsleiter unbedingt selbst aktiv werden muss. Mein damaliger Hauptabteilungsleiter hat uns diese Einstellung vorgelebt. Er war im Störungsfalle ein nahezu perfekter Systemanalytiker. Ich habe viel von ihm gelernt. Für mustergültig halte ich die von Feynman (1996) am Beispiel der Challenger-Katastrophe beschriebene Vorgehensweise. Am 28. Januar 1986 war das Space Shuttle „Challenger“ kurz nach dem Start explodiert. Sieben Astronauten starben. Wenige Tage später setzte die NASA eine Kommission ein, die mit der Untersuchung der Ursachen des Unglücks betraut wurde. Der Chef der NASA rief Feynman an und bat ihn um Mitarbeit. Feynman, Professor am Caltech und Nobelpreisträger für Physik, sagte zu. In dieser Kommission machte er sich gewiss nicht nur Freunde. Er fand bald heraus, dass das NASA-Management die eigentliche Schwachstelle, die zur Katastrophe führte, bereits vor dem Start kannte - und dennoch nicht verantwortungsvoll reagiert hatte. Es ging um die mangelnde Kälteresistenz der O-Ringe, mit deren Hilfe die von der jeweils vorherigen Mission stammenden Feststoffraketensegmente nach erfolgter Regenerierung untereinander abgedichtet wurden. Die Firma Thiokol, Lieferantin der O-Ringe, hatte deren bei zu niedrigen Temperaturen eintretenden Elastizitätsverlust der NASA korrekt mitgeteilt. Indes war die Problematik dort niemals ernsthaft diskutiert worden. So wurde denn von den Verantwortlichen kein Startverbot ausgesprochen, obwohl die Außentemperatur in Cape Canaveral am 28. 01. 1986 unterhalb des Gefrierpunktes lag. Alle vorherigen Starts waren aber bei weit höheren Temperaturen (> 11°C) durchgeführt worden. Feynman hatte sich bei der Ursachenuntersuchung nicht mit dem von der NASA gelieferten Zahlenmaterial begnügt. Er ging vielmehr in jene Werkstatt, in der die ausgebrannten, im Atlantik gelandeten - und dabei deformierten - Raketenstufen zum abermaligen Einsatz aufbereitet wurden. Dort ließ er sich von den sachkundigen Monteuren alle Einzelheiten zeigen und genau erklären. So fand er heraus, dass die sehr dünnen O-Ringe auch in elastischem Zustand bereits fast an ihrer funktionalen Grenze arbeiteten. Ein mittels Eiswassers ausgeführter Handversuch überzeugte dann auch den letzten Zweifler in der Kommission, dass die O-Ringe unter den aktuellen Startbedingungen ihrer Aufgabe nicht gewachsen sein konnten. <?page no="11"?> 3 Auf den Startaufnahmen der Challenger ist eine zunächst winzige Flamme zu sehen, die an einer bestimmten - nach Feynmans Untersuchungen fast vorhersehbaren - Stelle der wegen des starren O-Ringes nicht perfekt abgedichteten Nut ausgetreten war. Wenige Sekunden nach dem Erscheinen der Flamme explodierte der Haupttreibstofftank. Feynman hatte die entscheidende Rolle der O - Ringe deshalb herausgefunden, weil er die Praxisbeobachtungen ernst nahm und in seine Analyse einbezog. Er sagte sich: Wenn die zur Wiederverwendung vorgesehenen Raketensegmente trotz aller Bemühungen der Monteure nicht völlig rund zu bekommen sind, dürften die dünnen O-Ringe nach erfolgtem Einbau bereits fast überfordert sein. Kältestarre O-Ringe müssten dann mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Katastrophe führen. Diese Art des Vorgehens halte ich für mustergültig, weil sie die eigentliche Ursache zu finden gestattet. Das sieht in einer solchen Untersuchungskommission aber nicht jeder so. Feynman schreibt dazu: „Die Gruppe erörterte die Vorgänge während der letzten paar Flugsekunden mit größter Ausführlichkeit und Genauigkeit, aber ich schenkte alldem keine besondere Beachtung. Das Ganze kam mir vor, als wäre wegen eines Schienenbruches ein Zug entgleist, und wir untersuchten nun, in welcher Abfolge die Wagen zerschellt waren und warum sich einer überschlagen hatte. Mir erschien das nebensächlich - der Zug war entgleist, aus und vorbei“ (Feynman 1996). Feynman hatte als erschwerend herausgefunden, dass die Vorschläge und Hinweise der an ihrer Arbeit durchaus interessierten Monteure vom Management nicht ernst oder gar nicht zur Kenntnis genommen wurden. Er fragte sich nunmehr, ob dieser Kommunikationsmangel möglicherweise auch an anderen Stellen des hoch komplizierten Systems Space Shuttle eine Rolle spielen könnte. Was er herausfand, war mehr als alarmierend. Bei der schriftlichen Befragung von vier Ingenieuren, von denen einer zum gehobenen Management gehörte, erhielt er extrem differierende Antworten. Feynman hatte die Frage gestellt: „Wie hoch ist Ihrer Ansicht nach die Wahrscheinlichkeit, dass ein Flug wegen Versagens der Haupttriebwerke abgebrochen werden muss? “ Zwei der Antworten lauteten: 1: 200. Ein Ingenieur hatte sich auf 1: 300 festgelegt. Der Manager hingegen lieferte zunächst einen Zettel ab, auf dem stand: „Kann keine Zahlenangaben machen. Zuverlässigkeit richtet sich nach: bisheriger Erfahrung, Qualitätskontrolle bei der Herstellung, Urteilsvermögen der Techniker“. Daraufhin fragte Feynman: <?page no="12"?> 4 „,Sie schreiben nicht, zu welchem Schluss Sie gekommen sind, sondern wie Sie dazu gekommen sind. Ich aber möchte wissen: Wie sah er, nachdem Sie dazu gekommen waren, aus? ‘ Darauf er: ,100 Prozent‘ - die Ingenieure sind perplex, ich bin perplex, starre ihn an, jeder starrt ihn an - ,äh, äh, minus Ypsilon‘. ,Schön, ja, wunderbar. Fragt sich nur noch: WIE HOCH IST YPSILON? ‘ Und er sagt: ,10 -5 ‘, dieselbe Zahl, die uns Mr. Ullian genannt hatte: 1 zu 100 000“ (Feynman 1996). Während also die Ingenieure noch im halbwegs realistischen Bereich urteilten, praktizierte das Management bereits pures Wunschdenken. Ich habe diese Quelle so ausführlich zitiert, weil uns Feynman exemplarisch zeigt, wie schwierig solche Einschätzungen sind, und wie oft mit subjektiven Einflüssen gerechnet werden muss. Ein Betriebsleiter, insbesondere in der Chemischen Industrie, spürt das mehr als andere am eigenen Leibe. Einerseits tut er gut daran, Betriebsstörungen und Unfälle genau und ohne Ansehen der beteiligten Personen zu untersuchen, bzw. sich entsprechend konstruktiv in einer „von Oben“ eingesetzten Untersuchungskommission zu verhalten. Andererseits ist er nicht selten selbst verantwortlich, oder wird verantwortlich gemacht. Völlige Objektivität ist aus eben diesem Grunde wohl kaum zu erreichen. Branchen übergreifend sind meine Erfahrungen bei der Entwicklung eines Betriebes im Kapitel „Verfahrensentwicklung durch Systematisches Erfinden“ dargestellt. Ich habe hier mein eigenes Fachgebiet als Muster für das generell zu empfehlende systematisch-erfinderische Vorgehen behandelt. Die Abschnitte zur Erfindungsmethodik wurden so formuliert und die Beispiele so gewählt, dass nicht nur Chemiker angesprochen werden. Einzelheiten finden sich in meinen speziell erfindungsmethodisch angelegten Büchern (Zobel 2001, 2006, 2007). Ich hoffe, dass die von mir gewählte Art der Darstellung den etwas drögen Stoff lesbarer macht. Dass oft die „Ich“-Form verwendet wird, erklärt sich aus den selbst erlebten Beispielen und den selbst durchgeführten experimentellen Untersuchungen. Überhaupt sollte die in Deutschland sonst übliche unpersönliche Form („Es wurde gefunden...“) oder gar der pluralis majestatis („Wie von uns gefunden.....“) - selbst dann, wenn vom jeweiligen Autor ganz allein gefunden - überdacht werden. So schreiben beispielsweise unsere polnischen Nachbarn, auch in wissenschaftlichen Werken, absolut unbefangen in der „Ich“-Form. In US-amerikanischen Patentschriften werden die Ansprüche mit der Standardformulierung „What I claim is“ eingeleitet. Im nachfolgenden Text verfahre ich sinngemäß. Dabei sind nicht selbst erlebte Beispiele bzw. Fälle, speziell die von meinen Kollegen Schmädt und Schumann gelieferten Beiträge, als solche stets eindeutig gekennzeichnet. <?page no="13"?> 5 2 Phosphor 2.1 Eigenschaften des gelben und des roten Phosphors Phosphor kommt in der Natur wegen seiner großen Affinität zum Sauerstoff nicht elementar, sondern grundsätzlich nur in Form seiner Verbindungen vor. Es sind dies insbesondere die Derivate der Phosphorsäure, die Phosphate. Dem in den lebenswichtigen Verbindungen enthaltenen Phosphatphosphor (Oxidationszahl 5, „P(V)“) kommt dabei eine Sonderstellung zu. Der Laie neigt dazu, Phosphor, Phosphorsäure und Phosphate „in einen Topf“ zu werfen, summarisch von Phosphor zu sprechen, und so - indirekt - das gesamte Gebiet für schrecklich gefährlich zu erklären. Diese irreführende Gleichsetzung von Phosphor, Phosphorsäure und Phosphat wird von einer unkritischen, nicht sachkundigen Presse sowie dem Fernsehen fast durchgängig praktiziert. Deshalb werde ich in den folgenden Abschnitten Erläuterungen zum Sachverhalt geben. Hier nur so viel: Phosphor ist hoch toxisch und wegen seiner Selbstentzündlichkeit außerordentlich gefährlich. Phosphorsäure und die meisten Phosphate, insbesondere die hier behandelten Ca- und Na-Verbindungen, sind völlig ungiftig. Sie sind sogar unverzichtbar für das pflanzliche, tierische und menschliche Leben. Elementarer gelber („weißer“) Phosphor, heutzutage nur noch hergestellt im Elektroofen (s. Kap. 2.2), ist durch folgende Kenndaten charakterisiert bzw. hat die folgenden Eigenschaften (Holleman-Wiberg 1995): Gelber („weißer“) Phosphor bildet in der Kälte eine spröde, in reinem Zustand glasklare Substanz von muscheligem Bruch, deren bläulichfahles Leuchten im Dunklen stoffspezifisch ist. Bei Zimmertemperatur liegt eine wachsweiche, farblose - im Falle der für Laboratoriumszwecke käuflichen Phosphorstangen milchig durchscheinende - elektrisch nicht leitende Masse vor. Spezifisches Gewicht im festen Zustand 1,82 g/ cm 3 …...Phosphor schmilzt bei 44.25 °C zu einer farblosen, stark lichtbrechenden Flüssigkeit, die nach schnellem Erhitzen bei 280,5 °C unter Bildung eines farblosen Dampfes siedet. In Wasser ist Phosphor nur spurenweise löslich. Für den Industriechemiker besonders wichtig sind die Selbstentzündlichkeit des Phosphors sowie seine Toxizität. Phosphor muss - wegen seiner Selbstentzündlichkeit an der Luft - grundsätzlich, insbesondere aber im flüssigen Zustand, unter Wasser aufbewahrt werden. <?page no="14"?> 6 Dieses Deckwasser sättigt sich mindestens bis zur Löslichkeitsgrenze mit Phosphor und versäuert schnell („Sauerwasser“). Die echte Löslichkeit des Phosphors liegt nach den Untersuchungen von Stich (1953) zwar nur bei 0,00033 % (gemessen bei 15°C), jedoch kann bereits diese geringe Konzentration fischtoxisch wirken. Deshalb ist erheblicher Aufwand zu treiben, wenn es um die vollständige Reinigung des Phosphordeckwassers (engl. „phossy water“) geht. Hinzu kommt, dass die intensive Vermischung von Wasser mit fein verteiltem Phosphor in der Kondensationsstufe des Phosphorofenprozesses dazu führt, dass kolloidal gelöster Phosphor eine weit größere Rolle als echt gelöster Phosphor spielt. Die Menge des kolloidal gelösten bzw. feinst verteilten Phosphors kann im unbehandelten Wasser mehr als 1000 mg/ l ausmachen. So hat denn die Reinigung des phosphorhaltigen Wassers geradezu existenzielle Bedeutung. Emsley (2001) berichtet dazu, dass i. J. 1969 die von der britischen Firma Albright & Wilson in Kanada (New Foundland, Placentia Bay) errichtete Phosphorfabrik schließen musste, weil riesige Fischschwärme dem in den Atlantik abgestoßenen - noch phosphorhaltigen - Wasser zum Opfer gefallen waren. Nachlässigkeiten sind bei der Entwicklung der industriellen Chemie gewiss auch auf vielen anderen Gebieten vorgekommen. Im Falle des phosphorhaltigen Wassers waren die Folgen, wie o. a. Beispiel zeigt, jedoch besonders dramatisch. Dabei waren die bedenklichen Eigenschaften des „phossy water“ längst bekannt: „In Wasser löst sich der Phosphor höchst wenig, doch erhält das mit Phosphor geschüttelte Wasser den Geschmack nach Phosphor, giftige Eigenschaften und die Fähigkeit, im Dunklen zu leuchten“ (Moeller und Thoms 1908) Dieses Leuchten im Dunklen, die nach dem Element benannte Phosphoreszenz (ein Spezialfall der Chemolumineszenz), ist eine typische Eigenschaft des gelben Phosphors. Besonders intensiv leuchtet der Phosphor, wenn man ihn - was wegen seiner Selbstentzündlichkeit mit größter Vorsicht zu geschehen hat - direkt der Luft aussetzt. Bereits Spuren genügen, den Effekt sichtbar zu machen. So kann ein über festen Phosphor geleiteter Strom eines Inertgases (z. B. N 2 ) so viel Phosphordampf mitführen, dass der Gasstrom beim Kontakt mit Luftsauerstoff bläulich zu leuchten beginnt. Wir sehen das berühmte „kalte“ Phosphorlicht. Auch in der Analytik spielt das Leuchten eine große Rolle. Mit Hilfe der Mitscherlich-Probe lassen sich bereits Spuren gelben Phosphors nachweisen. Bei Verdacht auf Phosphorvergiftung wird eine Probe, beispielsweise ein Teil des Mageninhaltes, mit Wasserdampf destilliert. <?page no="15"?> 7 Der im Kühler schließlich mit der Atmosphäre in Berührung kommende Wasserdampf führt den Phosphor mit. An der Kontaktstelle zur atmosphärischen Luft wird dann im Dunklen ein leuchtender Ring beobachtet, auch wenn Phosphor nur in Spuren vorhanden ist. Ergänzend zur Frage der Toxizität des Phosphordeckwassers sei eine Untersuchung zitiert, die unsere tschechischen Kollegen in den siebziger Jahren durchführten, ehe sie an den Aufbau ihres Phosphorlagers und ihrer Säureanlage gingen. Sie behandelten aus Piesteritz bezogenes Phosphordeckwasser durch Chlorieren, Belüften und anschließendes Neutralisieren mit NaOH. Das Sediment wurde abgetrennt; das geklärte Wasser wies einen Restgehalt von nur noch 0,2 mg P/ l auf. Selbst dieses fast reine Wasser zeigte noch Wirkung auf die Algenart Scenedesmus quadricauda (Rückgang der Zahl der Individuen) sowie auf den Plattwurm Planaria tigrina (Nahrungsaufnahme beeinflusst). Ein weiteres noch immer unter der echten Löslichkeit des Phosphors liegendes Versuchsmuster wurde durch einfaches Neutralisieren des Phosphordeckwassers mit NaOH und Abtrennen des Sediments erhalten. Der Rest- Phosphorgehalt betrug dann 1,6 mg/ l. Dieses Wasser tötete alle Mikroorganismen der Spezies Paramecium caudatum komplett, desgleichen die differenzierteren Organismen Planaria tigrina sowie Lebistes reticulatus. Im Falle der beiden letzt genannten Spezies wurden negative Wirkungen noch bis zu einer Verdünnung mit Trinkwasser im Verhältnis von 1 : 4 beobachtet. Die Dauer der Einwirkung auf die Organismen betrug bei allen Versuchen 120 h (Zobel 1978 a). Die für den Menschen toxische Dosis an gelbem Phosphor liegt im Falle oraler Einnahme bei etwa 0,10 bis 0,15 g. Je nach Konstitution wurden jedoch auch bei geringeren Mengen schon Todesfälle beobachtet. Die Chemiker des 17. und 18. Jahrhunderts hatten zunächst keine rechte Vorstellung von der extremen Giftigkeit des Phosphors. Erstmals dargestellt wurde elementarer Phosphor von dem Hamburger Hennig Brand, der auf der Suche nach dem Stein des Weisen war. Im Jahre 1669 dampfte Brand menschlichen Harn ein und erhitzte den Eindampfrückstand unter Luftabschluss auf hohe Temperaturen. Den im Ergebnis dieser trockenen Destillation aus der Retorte entweichenden - zu Brands Verblüffung leuchtenden - Stoff fing er in einer Wasser enthaltenden Vorlage auf. Brand machte ein großes Geschrei um seine Entdeckung und die wundersamen Eigenschaften des neuen Stoffes. Er verkaufte auch etwas von dem Phosphor, den er nach seinem Verfahren in geringer Ausbeute erhielt. Reich ist er nicht geworden; das wurden andere nach ihm - so Kunckel und insbesondere Hanckwitz. <?page no="16"?> 8 Abb.1 Johann Kunckels berühmte „Oeffentliche Zuschrifft von dem PHOSPHORO MIRABILI und Dessen leuchtenden Wunder-Pilulen“ (Titelblatt). In dieser Schrift erhebt Kunckel ziemlich unverblümt Prioritätsansprüche bezüglich der Entdeckung des Phosphors. Ferner werden äußerst gewagte Behauptungen zur medizinischen Wirksamkeit seiner phosphorhaltigen - zudem vergoldeten - „ Wunder-Pilulen“ aufgestellt. <?page no="17"?> 9 Kunckel vermochte sogar fast den Eindruck zu erwecken, er selbst sei der Entdecker des Phosphors. Jedenfalls finden sich in seiner berühmten „Oeffentlichen Zuschrifft….“ (Abb. 1) keine Hinweise auf den Namen Brand (Kunckel 1678). Einzelheiten zur Entdeckungsgeschichte sowie zu den Prioritätsstreitereien und Nickligkeiten zwischen den auf Brands Arbeiten fußenden Autoren werden in einer ausführlichen Publikation von Krafft (1969) abgehandelt und bewertet. Auf Details kann hier nicht eingegangen werden. Lediglich Kunckel (1678), der erhaltene Anregungen zwar einräumt, letztlich jedoch ein selbstständig erzieltes Ergebnis für sich beansprucht, sei exemplarisch zitiert: „….Da ich denn Anfangs / dessen invention betreffend / zwar nicht in Abrede seyn kan / dass ich einigen Anlaß hiebevor dazu bekommen / in übrigen aber wird niemand mit Bestand der Wahrheit darthun können / dass ers mich gelehret / oder mir communiciret / weßwegen ichs billich vor meine eigene Invention außgeben kan….“. Einzelheiten zum Herstellungsverfahrens werden von Kunckel in seiner Schrift zwar nicht mitgeteilt, wir können aber davon ausgehen, dass es sich im Wesentlichen noch immer um das Erhitzen des beim Eindampfen von Harn erhaltenen Rückstandes auf hohe Temperaturen unter Luftabschluss handelt. Kunckels in Wittenberg durchgeführte Versuche betrafen jedoch u. a. auch alternative Rohstoffquellen, und er deutet zudem an, mit travail und grosser Mühe - die Andere seiner Meinung nach nicht aufbrachten - fast bis zur Auffindung des Steines der Weisen („umb den lapidem philosophorum“) gelangt zu sein: „….daß unterschiedene allhier zu Wittenberg / die meine labores angesehen haben / gestehen müssen / sie wollten umb den lapidem philosophorum solche travail und grosse Mühe nicht außstehen; Durch welche ichs dannoch aber / mit Göttlicher Hülffe / so weit gebracht / (wessen sich keiner wird berühmen können) dass ichs nicht allein aus einer besondern materia, sondern auß allem, was Gott erschaffen hat / als Thieren / Fischen / Vögeln / Kräutern / Bäumen / und worinnen eine verweßliche Kraft ist / machen kan….Wenn ich denen Prahl Hanßen nachahmen wollte könnte ichs nicht unter einem guten Schein…als primam materiam beschreiben…“ (Kunckel 1678). Kunckel übergibt seine Ergebnisse in dieser „Oeffentlichen Zuschrifft…..“ recht selbstbewusst zur Prüfung durch das Collegium der „Gesammten Hocherfahrenen Chur-Fürstl. Sächs. Herren Leib- Hoff- und Stadt-Medicos in Dreßden“ und bittet zugleich auch darum, die Herausgabe der von den „Stümplern“ verfassten „nichtswürdigen Chartequen“ durch eine Art wissenschaftlicher Zensur künftig zu unterbinden: <?page no="18"?> 10 „…Da ich mich denn auff Befehl meines gnädigsten Churfürsten und Herrn zu Dero Examine willigst offerire, mit angehängter billicher Bitte / dass solche vergebliche nichtswürdige Chartequen, wie bißher von der Chymie gedruckt worden / ohne dero reiffe Censur, mögen hinführo passiret werden / weil dadurch die Welt nur geäffet / und diese edle Wissenschafft durch einen jeden Stümpler / der etwan einen Spiritum zu machen weiß / sich alsbald vor einen Philosophum und Naturkündiger ausgeben will / in Verachtung gebracht wird / und ich billich achte / dass man so wohl den Authorem, als seine Schrifften erstlich durch sie wolle examiniren…“ (Kunckel 1678). Nicht nur Kunckel versuchte sich an mehr oder minder tauglichen Alternativen. In der Praxis blieb allerdings eingedampfter Harn noch ein ganzes Jahrhundert die Hauptrohstoffquelle. Das Herstellungsverfahren wurde schließlich dadurch verbessert, dass Holzkohle, später Holzkohle und Sand, dem Eindampfrückstand zugesetzt wurden. Auf diese Weise ließen sich beim nachfolgenden Erhitzen halbwegs ordentliche Ausbeuten erzielen. Vor allem aber wurde allmählich erkannt, dass es weit phosphorhaltigere (genauer: phosphathaltigere) Rohstoffe als ausgerechnet Harn gibt. Die praktischen Konsequenzen werden weiter unten beschrieben. Technische Anwendungen für den gelben Phosphor gab es damals noch nicht. Phosphor war eine kostbare, ursprünglich mit Gold aufgewogene Substanz für spektakuläre Vorführungen an Fürstenhöfen. Einige der damals praktizierten bedenklichen Scherze (nicht nachmachen! ) finden sich auch in Kunckels Schrift: „….so man nur ein wenig an einen Finger streicht / und berühret ein warmes Pulver damit / so fährt es auff / wie ich solches an vornehmen Oertern mit hohen Personen gnädigsten Vergnügen demonstriret…“ „…Vors Andere habe ichs in Körnern / die sehen auß / wie dunckler oder gelber Weyrauch / und blitzen ohne Unterlaß. Mit diesen kan man auff Pappier schreiben / und so man nur soviel davon hat / als ein klein Stecknadel Kopff groß / so kan man ein ungläubliches Liecht damit auff dem Pappier hin und wieder machen / dabei man dem Körnlein fast nichts wird abgehen sehen…“ „….wenn diese Smegma oder Körner mit denen Fingern berühret / und die Haare des Nachts damit bestrichen werden / giebt ein jedes Haar seinen Schein / und ist sehr nachdencklich anzusehen…“ (Kunckel 1678). Ansonsten wurde Phosphor für medizinische Zwecke eingesetzt - aus Sicht unserer heutigen Kenntnisse zur Toxizität ziemlich verantwortungslos. Bereits Kunckel (1678) beschreibt diverse Anwendungen seiner „leuchtenden Wunder-Pilulen“, auf die ich weiter unten eingehe. <?page no="19"?> 11 Die medizinische Verwendung des gelben Phosphors reicht dann fast bis in unsere Tage, wobei der Respekt vor dieser hoch giftigen Substanz nur allmählich zugenommen hat. Einige Quellen aus dem 20. Jahrhundert sollen die neuere Entwicklung demonstrieren. Poulsson (1930) schreibt zur Wirkung kleiner Phosphormengen: „Die wichtigste, sicher beobachtete Wirkung minimaler, lange Zeit hindurch genommener Phosphormengen ist ein eigentümlicher, von Wegner sehr genau studierter Einfluss auf das Wachstum der Knochensubstanz: er wird definiert als ein vom Phosphor ausgeübter, formativer Reiz für das osteogene Gewebe‘“.... „Die experimentell erwiesene Wirkung kleiner Phosphordosen auf das Knochengewebe brachte 1883 Kassowitz auf den Gedanken, Phosphor bei Rachitis zu empfehlen. Mehrere Jahrzehnte hindurch ist diese Behandlung sehr populär gewesen, aber die guten Resultate, über die so oft berichtet wurde, finden wahrscheinlich ihre Erklärung darin, dass Phosphor mit dem sicher antirachitisch wirkenden Lebertran zusammen gegeben wurde“. Der gleiche Autor schreibt dann zur Frage der Phosphorvergiftungen: „Die akuten Phosphorvergiftungen waren vor einigen Jahrzehnten häufig und machten in einigen Ländern eine sehr große Prozentzahl von sämtlichen tödlichen Vergiftungen aus. Mörner hat für Schweden für die Periode von 1872 - 92 eine Statistik aufgestellt, wonach etwa 95 % der Fälle auf Frauen im Alter von 20 - 30 Jahren entfielen, eine Tatsache, die deutlich auf Fruchtabtreibung als Motiv hinweist. Die kleinste tödliche Dosis kann auf 5 - 6 Zentigramm geschätzt werden, aber schon 1,5 Zentigramm können ernste Symptome hervorrufen. Das Material liefern in 99 von100 Fällen die verwerflichen Phosphorstreichhölzer: da jedes von ihnen etwa 3 mg Phosphor enthält, genügen 20 Stück, um den Tod herbeizuführen“ (Poulsson 1930). Offensichtlich lässt sich auch ein immer wieder aufgelegtes renommiertes Lehrbuch (hier: die 9. Auflage des „Poulsson“) allen Bemühungen zum Trotz nicht durchgängig auf dem neuesten Stand halten. Die letzten Sätze des o.a. Zitats lesen sich so, als seien die „klassischen“ - gelben Phosphor enthaltenden - Zündhölzer noch 1930 in Gebrauch gewesen. Sie wurden in Deutschland jedoch bereits 1906 verboten. Die Rezeptur wurde damals auf den ungiftigen roten Phosphor umgestellt. Später enthielten die Zündholzköpfchen der modernen Sicherheitszündhölzer dann gar keinen Phosphor mehr. <?page no="20"?> 12 Lediglich das Beschichtungsmaterial für die Reibflächen auf den Zündholzschachteln wurde noch unter Zusatz kleinerer Mengen roten Phosphors hergestellt. Wie bedenklich Herstellung und Verwendung der „klassischen“ Phosphorzündhölzer - neben den im 19. Jahrhundert ebenfalls gebräuchlichen Zündlichtern sowie dem Zündschwamm - gewesen sein dürften, ist im Leitfaden für Gewerbeschulen beschrieben (Koehler 1840): „Die Zündhölzer taucht man zuerst in geschmolzenen Schwefel, und überzieht diesen nach dem Erkalten mit einem Brei, der durch Zusammenreiben von warmem Wasser mit arabischem Gummi und Phosphor, und behutsames Hinzufügen von geriebenem chlorsauren Kali mit etwas Benzoëharz bereitet wird. Zündlichter bestehen aus einem gewichsten Faden, dessen Spitze zuerst in einen Brei von arabischem Gummi mit Phosphor und Salpeter getaucht und sodann noch mit einem nassen Gemenge von arabischem Gummi und Phosphor überzogen wird. Zündschwamm endlich wird aus gewöhnlichem Feuerschwamm oder ungeleimtem dicken Papier verfertigt, das mit Salpeter, saurem chromsaurem Kali oder basisch essigsaurem Bleioxydul getränkt, getrocknet und sodann an einer Seite mit oben erwähntem Gummibrei überzogen wird. Die Anfertigung aller dieser Artikel, die sich durch Reiben auf einem harten, rauhen Körper, z. B. einer Feile oder Sandpapier, entzünden, ist sehr gefährlich und erfordert deshalb die größte Vorsicht“. Vorsicht allein konnte die Arbeiter jedoch nicht schützen. Bei der beschriebenen Zündholzproduktion auf Basis gelben Phosphors war es im 19. Jahrhundert gehäuft zu einer typischen Erkrankung gekommen, der Phosphornekrose. Betroffen waren überwiegend Frauen, die in den Zündholzfabriken ohne jeden Schutz unter erbärmlichen Bedingungen arbeiten mussten. Riesser u. Taubmann (1935) schreiben: „...Daran ist die Tatsache schuld, dass Phosphor schon bei gewöhnlicher Temperatur langsam verdampft, so dass der Arbeiter mit der Atmung ständig kleine Mengen des Giftes aufnahm. Die Folgen sind besonders gekennzeichnet durch eine eigentümliche, teils nekrotisierende, teils proliferierende Ostitis der Kieferknochen, in denen die Zerstörung der Knochensubstanz bei gleichzeitig ablaufendem Wiederaufbau zu unförmigen und dabei leicht brüchigen und fast durchweg von den Zähnen her infizierten Gebilden führt....“. Die hier geschilderte Phosphornekrose war damals nicht nur bei der Zündholzherstellung, sondern auch in der Phosphorproduktion selbst ein Problem. Heute kommt diese Erkrankung nicht mehr vor. <?page no="21"?> 13 Zur therapeutischen Wirkung kleinster Phosphormengen meinen Riesser und Taubmann, dass die eigentliche Wirkung nicht unbedingt vom Element selbst, sondern eher von den durch allmähliche Oxidation gebildeten niederwertigen Phosphorverbindungen ausgehen dürfte: „Auf der Förderung des Knochenwachstums beruhen die Erfolge der Phosphortherapie bei Rachitis und bei der Osteomalazie, während die blutbildende Fähigkeit bei der Verordnung des Phosphors als allgemeines Kräftigungsmittel sicher sehr wesentlich ist. Es entspricht den von uns entwickelten Vorstellungen, dass man auch mit phosphorigsauren Salzen, den Phosphiten, ganz ähnliche therapeutische Erfolge erzielen kann. Es ist sehr bemerkenswert, dass diese Wirkungen der niedrigeren Oxydationsstufe des Phosphors, also der dreiwertigen, bei der fünfwertigen Form, wie sie vor allem in der gewöhnlichen Phosphorsäure vorliegt, nicht in der gleichen Weise wiederkehren. Es fehlt vor allem die knochen- und blutbildende Fähigkeit“ (Riesser u. Taubmann 1935). Merkwürdigerweise erwähnen die Autoren eine wichtige Verbindung nicht, die in der Reihe der Oxidationsstufen noch vor dem Phosphit kommt, und zwar die Unterphosphorige Säure bzw. das Hypophosphit (Oxidationsstufe des Phosphors darin: P(I), gegenüber der Oxidationsstufe P(III) beim Phosphit). Gehen wir davon aus, dass Hypophosphit, falls die oben geschilderte Theorie zutreffen sollte, ebenso wirksam oder gar wirksamer als Phosphit sein müsste, so wird klar, warum Hypophosphit lange Zeit in den Pharmakopöen aufgeführt wurde. Wir finden „Natrium hypophosphorosum“ beispielsweise noch in der Farmakopea Polska (1937). Haffner und Schultz (1937) geben als tägliche Normdosis 1,0 g Natriumhypophosphit an. In der 6. Ausgabe des Deutschen Arzneibuches (1957) findet sich Natriumhypophosphit nicht mehr unter den Arzneimitteln, sondern nur noch unter den Reagenzien zur Arzneimittelprüfung. Dies mag damit zusammenhängen, dass aus pharmakologischer Sicht inzwischen die Unwirksamkeit des Hypophosphits als erwiesen galt. Ungiftig ist es jeden Falles, was jedoch nicht allgemein bekannt zu sein scheint. Als ich 1991 in Dshambul (Kasachstan) die nach unserem Phosphorschlamm-Aufschlussverfahren arbeitende Natriumhypophosphitanlage dem kasachischen Lizenznehmer übergab, habe ich zum Entsetzen der dortigen Fachleute demonstrativ eine Hypophosphitprobe - aus der ersten Charge stammend - zu mir genommen. Solche Scherze sind nützlich, wenn es letzte Zweifel an der Qualität eines Produktes gibt. Es wirkt, sagen zu können, dass man - und dies zudem auf Basis Phosphorschlamm - Hypophosphit in pharmazeutischer Qualität herzustellen vermag. Einzelheiten zum Verfahren behandele ich im Kapitel 3.3.2. <?page no="22"?> 14 Die medizinische Verwendung des elementaren gelben Phosphors hat eine lange Geschichte. Bereits Brand ging, ebenso wie es wenig später Kunckel tat, wohl recht locker mit der Dosierung um. Verwertbare Zahlen sind nicht überliefert. Wir können aber davon ausgehen, dass Überdosierungen bis in den toxischen Bereich vorkamen. Ein Abschnitt aus der „Oeffentlichen Zuschrifft“ (Kunckel 1678) zeigt uns, dass die Toxizität des Phosphors völlig unterschätzt wurde, anfänglich vielleicht sogar unbekannt war. Ersatzweise berauschte sich Kunckel an recht gewagten Behauptungen zur medizinischen Wirksamkeit. Zudem wird die - realistisch gesehen nur dekorative - Vergoldung der Pillen so behandelt, als sei sie für die Wirkung mit entscheidend: „….Vors Erste habe ich eine Art confortanz-Pillen / welche vergüldet / dieselben sind von diesem Wunder Liechte / so auß dem raresten Theilen / die zu deß Menschen Gesundheit dienen / herrühren / gemacht / und mit meiner spirituösischen Gold essenz / wie auch anderen beqvemen Dingen / componirt. Von diesen Pillen Abends und Morgens 1. oder 2. eingenommen / wird man sich / mit Göttlicher Hülffe / keines Schlag Flusses / oder andere gählingen Kranckheit des Tages zu befürchten haben. Sie wiederstehen aller bösen vergiffteten Lufft / und sind ein recht Antidotum wieder das Pestilentzialische Gifft. Sie stärken und erhalten die Lebens Geister bey dem Menschen / die auch in einem innerlichen Liecht wegen ihrer schnellen Bewegung und edlen Tugenden bestehen; Sind demnach an stat aller confortanz Medicamenten zu gebrauchen / welches ihr Wunder effect selber zeigen wird / da sich der Gebrauch selber zum höhern Ruhm erheben wird / als ich hier davon schreiben kan…… Sie sind auch keines widrigen / sondern eines anmuthigen Geschmacks / und zergehen von sich selber im Munde. Wer keine Pille gantz kan niederschlucken / der zerreibe sie / und nehme sie ein / in was liqvore er wil….“ (Kunckel 1678). Ganz abgesehen von der im Barock üblichen pompös-schwülstigen Ausdrucksweise (s. a. Abb.1) zeigt das Zitat, wie weit die Spekulationen damals gingen. Sogar als „Antidotum wieder das Pestilentzialische Gifft“ sollten die Wunderpillen taugen. Besonders gewagt erscheint auch die Behauptung, die Pillen seien „..…eines anmuthigen Geschmacks“. Dies ist aber, falls es tatsächlich gestimmt haben sollte, nur durch besonders pfiffiges Kaschieren des in Wahrheit extrem widerlichen Phosphorgeschmackes erreichbar. Wie zu diesem Zwecke verfahren wurde, wird von Kunckel verschwiegen. Auch ansonsten hält er sich zurück, wenn es um Einzelheiten geht. Dies dürfte mit der üblichen Geheimniskrämerei der Alchimisten zusammenhängen, die stets bemüht waren, aus ihren Rezepten maximalen Gewinn zu schlagen. <?page no="23"?> 15 Wir können heute nur spekulieren, wie viel Phosphor pro Pille damals wohl zum Einsatz kam. Hoffen wir zugunsten der armen Patienten, dass es nur Spuren waren. Einerseits war die Herstellung des Phosphors umständlich und teuer, andererseits genügen bereits sehr kleine Mengen, um leuchtende Pillen zu erzeugen. Letzt genannter Umstand mag, in Anbetracht der teuren und ineffizienten Herstellung, buchstäblich im Sinne des Erfinders gewesen sein. Die Angaben zur Dosis sind, nach heutigen Maßstäben, untauglich (Kunckel 1678): „Es kan in der Dosi nicht geirret werden / wenn man ihrer gleich 4, 5 biß 6, nachdem die Kranckheit hefftig ist / einnimmet. Doch ist dieses zu mercken / dass sie wie auch die nachfolgenden / stets / wo sie nicht per se genommen werden / allezeit in einen liqvorem müssen gemischt seyn; denn sie dienen / wegen ihrer besonderen Eigenschafft unter kein Pulver / welches wohl in Acht zu nehmen. So dass Abends 2. 3. oder 4. genommen werden / wird man gegen Morgen einen gelinden und subtilen Schweiß empfinden / und ist / als wenn alles bey dem Menschen von neuem erwärmet würde / und er neue Kräffte empfinge…. Vors Andere / habe ich einige besondere aus diesem Liecht entstehende Pillen. Wenn ein Mensch innerliche Schmertzen und keine Ruhe hat / der nehme nach Gelegenheit der Person 1. 2. biß 3. ein / so wird er / ehe eine Stunde vergehet / davon besonders effect empfinden…….Die Dosis hierinnen kann nicht eigentlich beschrieben werden / weil man sich nach Gelegenheit / Stärke und Alter der Patienten zu richten hat…..Wer sie zur Lust haben wil / der nehm davon ein Stück oder 2 und giesse gemein oder Rosen Wasser drauff / lasse sie in einem Glas solviren..…..“ Sogar „zur Lust“ (s. o.) sollten die Pillen verhelfen (Kunckel 1678). In den Pharmakopöen findet sich Phosphor noch ziemlich lange, aber stets mit strenger Mengenbegrenzung. So gibt die Farmakopea Polska (1937) als maximale Einzelgabe 0,001 g, als max. Tagesgabe 0,003 g an. Die gleichen Angaben finden sich in der 6. Ausgabe des Deutschen Arzneibuches (1957). Dort wird auch die Bereitung von Phosphorus solutus, der gängigen Applikationsform, beschrieben: 1 Teil Phosphor wird mit 194 Teilen flüssigen Paraffins bei 60°C bis zur Auflösung des Phosphors geschüttelt; dann werden nach dem Abkühlen noch 5 Teile Äther zugesetzt. Von dieser Lösung darf der Patient als max. Einzelgabe 0,2 g, als max. Tagesgabe 0,6 g zu sich nehmen. Mein Vater war Apotheker. Ich besitze aus seiner Apotheke noch eine braune 100-ml-Glasflasche mit Schliff-Stopfen, in der Phosphorus solutus aufbewahrt wurde. Die Flasche ist wie folgt beschriftet: <?page no="24"?> 16 Phosphor. solut. 1 = 200 + + + Die 9. Ausgabe des Deutschen Arzneibuches (1986) führt Phosphor nicht mehr auf, weder als Arznei, noch im analytischen Zusammenhang. Im Synonym-Verzeichnis finden wir dann keinen Bezug mehr zur seriösen Medizin, sondern nur noch einen zum HAB (d. h. dem Homöopathischen Arzneibuch) führenden Hinweis. Nun wird es abenteuerlich. Geben wir beispielsweise bei google den Begriff „Gelber Phosphor als Arzneimittel“ ein, so finden sich ausschließlich homöopathische Angaben. Für Kügelchen („Globuli“) werden die Konzentrationen von D 4 bis D 200 angegeben (D 200 entspricht einer Verdünnung von 1 : 10 200 ! ). Die hoch verdünnte Lösung wird im „Konzentrations“- Bereich D 6 bis D 200 angegeben. Von Konzentrationen sollte man hier nun wahrlich nicht mehr sprechen, deshalb die Gänsefüßchen. Der Vergleich mit dem Stückchen Würfelzucker, aufgelöst im Pazifik, ist nicht übertrieben - eher weit untertrieben, wenn es sich um Verdünnungen („Dilutionen“) jenseits von D 25 handelt. Es ist nun keine naturwissenschaftliche Frage mehr, sondern nur noch reine Glaubenssache, ob man dergleichen ernst nimmt. Jedoch finde ich ziemlich bedenklich, was die Homöopathen so alles mit einem deratigen (naturwissenschaftlich gesehen, garantiert unter der Wirkungsschwelle liegenden) „Medikament“ behandeln wollen. Sehen wir uns an, was beispielsweise Gumpert (www.dr-gumpert.de) für Indikationen aufführt. Die folgende Liste ist nur eine Auswahl derjenigen Erkrankungen - bzw. Symptome/ Beschwerden -, bei denen Phosphorus in Form von Tropfen (D 4 bis D 12) von Gumpert empfohlen wird: „Lungenentzündung, Lungentuberkulose, Asthma bronchiale, Magenschleimhautentzündung, Entzündungen der Leber, Gelbsucht, Überfunktion der Schilddrüse, Depression, Erschöpfungszustände, Heiserkeit, Blähungen, Brennende Schmerzen zwischen den Schulterblättern, kann nicht einen Augenblick ruhig sitzen, ruhen oder stehen, kleine Wunden bluten stark, große Erregbarkeit, Furcht und Schreckhaftigkeit, etwas Blut beim Naseputzen, geistige Trägheit, Angst vor dem Alleinsein, Langsame Sprechgeschwindigkeit“. Ob ein solches Sammelsurium ernst zu nehmen ist, möge der Leser selbst entscheiden. Immerhin kann jedermann sicher sein, dass ihm „Medikamente“ dieser Art wenigstens nicht schaden. <?page no="25"?> 17 Ein außerordentlich ernst zu nehmendes Gebiet hingegen ist das der Phosphorverbrennungen, die mit gewöhnlichen Verbrennungen nicht zu vergleichen sind. Der brennende Phosphor frisst sich in die Haut und das tiefer liegende Gewebe hinein. Hinzu kommt, dass brennender Phosphor klebrig ist. Der Verunglückte muss die betroffenen Stellen unverzüglich unter Wasser bringen, mindestens aber provisorisch mit nassen Tüchern abdecken. Phosphor erzeugende und Phosphor verarbeitende Anlagen sind mit wassergefüllten so genannten Sprungwannen ausgestattet, die der Verunglückte im Falle großflächiger Verbrennungen sofort aufzusuchen hat. Typische Unfälle, Erste Hilfe bei Verbrennungen und nachfolgende Behandlung in der Klinik werde ich wegen ihrer besonderen Bedeutung separat (im Kap. 2.4) behandeln. Gelber Phosphor wandelt sich unter Druck bei höheren Temperaturen (260 bis 300° C) in die ungiftige - nicht phosphoreszierende und nicht selbstentzündliche - rote Modifikation um. Langsam beginnt dieser Umwandlungsprozess, und dies unter Wasser, bereits im Sonnenlicht. Dabei verfärbt sich der gelbe Phosphor oberflächlich orangerot bis rot. Die so gebildete Substanz ist aber kein reiner roter Phosphor. Sie enthält noch ein wenig Sauerstoff sowie Wasserstoff. Dieses so genannte Phosphorsuboxid wurde früher mit der Formel P 4 O beschrieben. Heute wird die Formel (P 4 OH) x allgemein für zutreffender gehalten. Industriell produzierter roter Phosphor („roter Handelsphosphor“), selbst zunächst inaktiv, wandelt sich unter Reiben wieder in gelben Phosphor um, der sich dann entzündet (Prinzip der Sicherheitszündhölzer). Die im 20. Jahrhundert allgemein üblichen - und noch immer, wenngleich in deutlich geringerem Umfang produzierten - „Streichhölzer“ werden im Remsen-Reihlen-Rienäcker (1960) wie folgt beschrieben: „Der rote Phosphor findet ausgedehnte Anwendung zur Herstellung der sog. Schwedischen oder Sicherheits-Zündhölzer. Sie enthalten in den Köpfchen und in der Reibfläche Antimonsulfid, in den Köpfchen außerdem Kaliumchlorat, in der Reibfläche roten Phosphor und Glaspulver“. Da in der Literatur die Eigenschaften des roten Phosphors meist ziemlich einseitig - nicht selten völlig falsch - beschrieben werden, möchte ich nun einige unserer Piesteritzer Experimentalergebnisse behandeln. Dies erfolgt hier ausnahmsweise mit genauer Angabe der experimentellen Einzelheiten. Die Aussagen der Literatur zur Reaktivität des roten Phosphors sind uneinheitlich, sie tendieren jedoch dazu, roten Phosphor für mehr oder minder inaktiv zu erklären. Deshalb hielt ich es für wichtig, hier jene experimentellen Bedingungen möglichst exakt anzugeben, unter denen wir das genaue Gegenteil gefunden haben. <?page no="26"?> 18 Eine für die Praxis sehr wichtige Frage ist zunächst die der Beständigkeit des roten Phosphors gegen Wasser bzw. Laugen. Bis zum heutigen Tage wird - auch im Studium - pauschalisierend vermittelt, roter Phosphor sei, ganz im Gegensatz zum gelben Phosphor, indifferent: „…reagiert nicht mit wässriger Natronlauge“ (Schenck 1907) „…unlöslich in Kalilauge“ (Treadwell 1908) „…indifferent gegen Natronlauge“ (Hofmann 1922) „…unlöslich in Laugen“ (Remsen-Reihlen-Rienäcker 1957) „…verhält sich indifferent“ (Holleman-Wiberg 1971). Jedoch finden sich in der Literatur auch Bemerkungen, die ein ganz anderes Bild zeichnen. So weist bereits Schrötter - der Entdecker des roten Phosphors - darauf hin, dass „amorph aussehender rother Phosphor“ durch Kochen mit Kalilauge angegriffen wird, wobei der Angriff um so leichter erfolge, je konzentrierter die verwendete Kalilauge sei (Zobel 1978 a). Insbesondere Weyl (1906) hat den Sachverhalt näher untersucht. Er fand, dass roter Phosphor noch nicht einmal gegen siedendes Wasser - beim Kochen am Rückflusskühler - beständig ist, sondern Phosphorwasserstoff (Phosphin PH 3 ) entwickelt. Mehrmals wurde sogar die Selbstentzündungsgrenze erreicht, so dass der Autor seine Versuche schließlich unter CO 2 oder H 2 durchführte. Weyl kochte ferner 20 g amorphen Phosphors in 200 ml fünfzigprozentiger Natronlauge und erhielt nach dreistündiger Reaktionszeit in der mit Silbernitratlösung beschickten Vorlage immerhin 1,7 g Silberphosphid als Reaktionsprodukt des Silbernitrats mit dem bei der Umsetzung gebildeten Phosphin. Der gelegentlich auch heute noch zu hörende Einwand, das Phänomen der Phosphinbildung sei an einen Restgehalt gelben Phosphors im roten Phosphor gebunden und somit leicht erklärbar, wurde bereits von Weyl entkräftet. Sorgfältig von gelbem Phosphor befreiter roter Phosphor verhielt sich gegen Wasser bzw. verdünnte Natronlauge ebenso wie die unbehandelte Substanz (Weyl 1906). Van Wazer gibt, zwar recht allgemein formuliert, aber zutreffend, an: „Contrary to the usual impression, commercial red phosphorus is a moderatly unstable material“ (Van Wazer 1958). Es gibt sogar eine Arbeit, in der die Herstellung von Hypophosphit auf Basis roten Phosphors unter Verwendung von Natronlauge bzw. Kalilauge bei 100° C beschrieben wird (Latatujev u. Zakabunina 1965). Diese Disproportionierungsreaktion, gewöhnlich ausgeführt mit gelbem Phosphor (siehe Kap. 3.3.2), setzt ein mindestens ausreichendes Reaktionsvermögen des roten Phosphors geradezu voraus. <?page no="27"?> 19 Besonders erstaunlich ist deshalb, dass auch in Firmenschriften und Standards, d. h. in der unmittelbar technisch orientierten Spezialliteratur, hartnäckig von der Indifferenz roten Phosphors gegen Alkalilauge die Rede ist. So führt eine Firmenschrift der Albright & Wilson Ltd. (o. J.) unter „red phosphorus“ an: „Does not react with hot alkali“. Diese Behauptung, so absolut formuliert, mutet seltsam an, denn jeder Produzent roten Phosphors sollte eigentlich wissen, dass die zum Entfernen unumgesetzten gelben Phosphors eingesetzte Lauge schließlich auch den roten Phosphor selbst angreift (Zobel 1978 a). Ich überprüfte - in Ergänzung der Befunde von Weyl (1906) - den Sachverhalt mit einfachen Mitteln, wobei nicht das entweichende Phosphin P(-III), sondern der im Reaktionsgefäß verbliebene Rückstand untersucht wurde. Er besteht überwiegend aus dem unumgesetzten roten Phosphor P(0) sowie Hypophosphit P(I) und Phosphit P(III). Zunächst wurde, um einen Bezugspunkt zu schaffen, mit Wasser statt Natronlauge gearbeitet. Die einsetzende Disproportionierungsreaktion führt auch hierbei zu P(-III) einerseits sowie P(I) und P(III) andererseits (analog zu den in Abb. 17 für den Einsatz gelben Phosphors dargestellten Ergebnissen). Der Unterschied liegt nur darin, dass beim Umsatz mit Wasser nicht die Salze, sondern die Säuren entstehen: Unterphosphorige Säure statt Hypophosphit, Phosphorige Säure statt Phosphit. Deshalb ging ich (Zobel 1978 a) wie folgt vor: Jeweils 2,000 g vorgewaschenen, sorgfältig getrockneten und abgesiebten roten Phosphors (Bitterfelder Produkt, MgO-stabilisiert, < 0,063 mm) wurden mit 200 ml Wasser versetzt. Sodann wurde der Ansatz insgesamt 60 h im offenen Becherglas am Sieden erhalten (Unterbrechungen nach jeweils 6 h für jeweils 18 h). Da der Ansatz erwartungsgemäß schnell versäuerte (s. o.), wurde er täglich am Ende der Siedephase, nach 6 h, mittels zehntelnormaler Natronlauge wieder auf pH 7 eingestellt. Das während des Versuchs verkochte Wasser wurde in Abständen von etwa 20 min ergänzt, so dass insgesamt ständig etwa 200 ml Flüssigkeit vorlagen. Der verbliebene Phosphor wurde nach Beendigung des Versuches abfiltriert, gewaschen, getrocknet und zurück gewogen. Filtrat und Waschwasser wurden vereinigt, im Maßkolben aufgefüllt, und analysiert. Vier gut übereinstimmende Versuche ergaben im Mittel einen Gewichtsverlust an rotem Phosphor von 14 %. Abgesehen vom entwichenen - von uns nicht analysierten - Phosphin fanden sich die Reaktionsprodukte Hypophosphit und Phosphit in den zu erwartenden Mengen im Filtrat. Interessant ist, dass wir immer P(I) : P(III) - Verhältnisse um 0,5 fanden (0,53; 0,48; 0,52; 0,51). <?page no="28"?> 20 Diese mit siedendem Wasser durchgeführte einfache Voruntersuchung ließ bereits erkennen, dass roter Phosphors gegen heiße Alkalilaugen wohl kaum stabil sein dürfte. Wir setzten nunmehr roten Phosphor mit Natronlauge unterschiedlicher Konzentration um. Es wurden jeweils 500 mg P mit 50 ml NaOH der Konzentrationen 10, 20, 30, 40 und 50 Masse-% zur Reaktion gebracht, wobei der Ansatz jeweils 1 h im offenen Becherglas auf dem Sandbad am Sieden erhalten, und das zwischenzeitlich verdampfte Wasser in Abständen von 15 min ergänzt wurde. Untersucht wurden zwei Proben roten Phosphors unterschiedlicher Provenienz, bei denen bereits das Aussehen und der Dispersitätsgrad Unterschiede in der Reaktivität erwarten ließen. Ältere Autoren beschreiben den Einfluss des Herstellungsverfahrens, und damit vor allem der thermischen Vorgeschichte und des Dispersitätsgrades solcher Produkte, auf die Reaktivität roten Phosphors (zit. bei: Zobel 1978 a). Eine der untersuchten Proben („I“) stammte, nach der Beschriftung zu urteilen, aus der Zeit vor 1934. Sie entsprach demnach einem nach dem älteren Albright-Autoklaven-Verfahren erzeugten Produkt. Diese Probe war dunkler gefärbt und nicht ganz so feinteilig wie das zweite Muster („II“). Es repräsentierte die zwischen 1934 und 1975 in Bitterfeld nach dem Kugelmühlen-Verfahren produzierte Ware, die stets heller und feinteiliger als das Albright-Produkt anfiel (Zobel 1978 a). Der Umsetzungsgrad wurde in allen Fällen durch Abfiltrieren, Auswaschen, Trocknen und Wägen des Umsetzungsrückstandes bestimmt. Alle Umsetzungen verliefen unter mehr oder minder heftigem Schäumen, erheblicher Gasentwicklung (PH 3 und H 2 ) und gelegentlicher Selbstentzündung des Gasgemisches unter Verpuffen. Die Farbe des verbliebenen Rückstandes variierte von mittelrot ( 20 Masse-% NaOH) bis dunkel-fliederfarben ( 30 Masse-% NaOH). Fast linear ansteigend verläuft die Umsetzung bei Konzentrationen von 10% bis 30% NaOH, wie nachstehend aufgeführte Daten zeigen. Probe I: Es wurden 9 % des P umgesetzt mit 10%iger NaOH, 23 % des P mit 20%iger NaOH, und 35 % des P mit 30%iger NaOH. Probe II: Es wurden 26 % des P umgesetzt mit 10%iger NaOH, 40 % des P mit 20%iger NaOH, und 54 % des P mit 30%iger NaOH. Erwartungsgemäß reagierte die feinteiligere Probe (Nr. II) deutlich intensiver als die dunklere, nicht ganz so feinteilige Probe (Nr. I). <?page no="29"?> 21 Bei noch höheren NaOH-Konzentrationen (40 bis 50 % NaOH) beobachteten wir zwischen beiden Proben keine nennenswerten Unterschiede mehr. Fast unabhängig von der Provenienz der Proben wurden Umsetzungsgrade zwischen 81 und 99% (! ) gefunden. Es ist somit klar erwiesen, dass von der immer noch gelehrten Indiffernz roten Phosphors gegenüber heißen Alkalilaugen wahrlich nicht die Rede sein kann. Das genaue Gegenteil ist der Fall (Zobel 1978 a). Abschließend untersuchten wir die Beständigkeit roten Phosphors an der Luft. Dass unbehandelter roter Phosphor an feuchter Luft zu allmählicher Oxidation neigt, ist an sich nicht unbekannt (z. B. Holleman 1914). Einige Autoren erklärten diese Erscheinung fälschlich mit dem Vorliegen eines Restgehaltes an gelbem Phosphor (Kopp 1874, Ullmann 1931). Angegeben wird ferner, dass durch Behandeln roten Phosphors mit Mg- oder Al-Verbindungen die Oxidationsneigung verschwinden soll (so z. B. Van Wazer 1958, Ullmann 1962). Die roten Phosphor herstellenden Betriebe gaben sinngemäß an, dass ein mittels derartiger Zusätze stabilisiertes Produkt beständig sei. Besonders vorteilhaft sollte die Hydrophobierung bzw. Phlegmatisierung roten Phosphors mittels paraffinischer oder silicoorganischer Zusätze sein (Knapsack AG 1965). Roter Phosphor wird andererseits in den meisten Publikationen - insbesondere in Lehrbüchern und Monographien - ohne Einschränkung für luftbeständig erklärt. Auf die notwendige Stabilisierung bzw. Hydrophobierung wird meist nicht eingegangen, so dass der Eindruck entstehen muss, roter Phosphor sei an der Luft unverändert haltbar. Exemplarisch für diese Art der Darstellung sind die folgenden Formulierungen, wobei die beinahe wörtliche Übereinstimmung auf kritiklose Übernahme von einem Werk in das andere hindeutet: „….an der Luft ist er unveränderlich“ (Gmelin 1852) „….oxydiert sich nicht an der Luft“ (Gottlieb 1852) „….er verändert sich nicht an der Luft“ (Meyers Konv.-Lexikon 1877) „….bleibt an der Luft vollkommen unverändert“ (Fleck 1878) „….an der Luft unveränderliches Pulver“ (Schlickum/ Bauer 1926) „….ist unveränderlich an der Luft“ (Remsen-Reihlen-Rienäcker 1957). Damit dürfte klar sein, dass der berühmte, in der Patent-Rechtsprechung immer wieder als Maßstab bemühte „Durchschnittsfachmann“ - falls er nicht zufällig doch über Spezialkenntnisse verfügt - roten Phosphor ohne Einschränkung für luftbeständig halten muss. <?page no="30"?> 22 Ich überprüfte den Sachverhalt in einfacher Weise (Zobel 1978 a). Roter Phosphor aus der Bitterfelder Produktion, stabilisiert mit MgO, wurde durch Schlämmen mittels Wassers in eine feinteilige (mittelrote) und eine minder feinteilige (dunkelrote) Fraktion aufgetrennt. Nach Absaugen und mehrmaligem Waschen mit heißem Wasser wurden die Proben im Vakuum getrocknet und zur Gewichtskonstanz gebracht. Je 1,000 g derart vorbehandelten roten Phosphors wurden auf einem mittelharten Rundfilter in gleichmäßiger Schicht ausgebreitet. Das Rundfilter wurde auf ein Uhrglas gelegt, wobei das von mir erwartete Verkleben mit dem Uhrglas durch vorbeugend zwischengelegte Distanzelemente - in Form von Siedeperlen - verhindert wurde. Die Proben wurden in einen üblichen Exsiccator eingebracht, der anstelle des Trockenmittels unterhalb der Siebplatte mit Wasser von 1 cm Schichthöhe beschickt worden war. Der Evakuierungsstutzen des Exsiccators wurde bei geöffnetem Hahn mit einem lose eingelegten Wattebausch versehen. Diese einfache Vorrichtung dürfte geeignet sein, unter Laborbedingungen eine mit Wasserdampf gesättigte Atmosphäre bei ungehemmtem - wenn auch langsam stattfindenden - Luftzutritt zu gewährleisten (definiertes „Anwässern“ der Probe). Nach 3 Monaten begannen die Proben feucht zu werden, nach 7 Monaten begann die sich bildende zähe Flüssigkeit in den Zwischenraum Filter/ Uhrglas zu tropfen. Die Flüssigkeit sammelte sich auf dem Uhrglas. Nach 12 Monaten wurde der Versuch beendet (Zobel 1978 a). Der verbliebene Phosphor wurde abgetrennt, gewaschen, getrocknet und ausgewogen. Die mit der im Uhrglas angefallenen sauren Flüssigkeit vereinigten Waschwässer wurden im Maßkolben aufgefüllt und analysiert. Es ergab sich folgendes Bild (Tab. 1): Umgesetzter Anteil in % Substanz Verbliebener Rückstand (P, in %) P(III) P(V) P(-III) sowie Verluste P mittelrot 67,7 11,3 13,4 7,6 P dunkelrot 80,1 7,5 9,3 3,1 Tab. 1 Produkte der Reaktion MgO-stabilisierten roten Phosphors unterschiedlichen Dispersitätsgrades an der Luft. Eine P-Probe aus der ehemaligen Bitterfelder Produktion wurde durch Schlämmen in eine Feinstfraktion (P mittelrot) und eine etwas gröbere Fraktion (P dunkelrot) aufgetrennt. Nach Abfiltrieren, Waschen und Trocknen wurden die Proben jeweils 1 a an feuchter Luft belassen. <?page no="31"?> 23 Quantitativ bestimmt wurden Phosphorige Säure P(III) und Phosphorsäure P(V). Die letzte Spalte der Tab. 1 („P(-III) sowie Verluste“) bedarf der Erläuterung. Beim Öffnen des Exsiccators wurde starker Phosphingeruch bemerkt. Der Befund ließ sich mit einem PH 3 -Prüfröhrchen objektivieren. Exakte Bestimmungen waren mit der beschriebenen Versuchsanordnung jedoch nicht möglich. Deshalb wurde die Formulierung „P(-III) sowie Verluste“ gewählt, denn die Abtrennung des unumgesetzen roten Phosphors verlief, die feinsten Anteile betreffend, nicht völlig verlustlos. Kleine Mengen nicht auswaschbaren Phosphors verblieben stets in den stark aufgequollenen Fasern des Rundfilters. Überdies kann, analog zur Umsetzung gelben Phosphors an kühler, feuchter Luft (Heumann u. Kühling 1904), die Bildung kleinerer Mengen an Unterphosphorsäure wohl nicht ausgeschlossen werden. Unterphosphorsäure, heute meist exakter als Hypodiphosphorsäure bezeichnet (Holleman-Wiberg 1995), ist durch eine direkte P-P-Bindung gemäß P(IV)-P(IV) gekennzeichnet. An die Möglichkeit der Bildung dieser Säure hatte ich damals (Zobel 1978 a) nicht gedacht. Dem entsprechend beschränkten wir uns auf die Analyse des P(III) sowie des P(V). Interessant ist auf jeden Fall die Phosphinbildung. Sie zeigt, dass nicht nur ein direkter oxidativer Prozess, sondern offensichtlich daneben auch eine Disproportionierungsreaktion abgelaufen ist. Die geschilderten Versuche belegen eindeutig, dass roter Handelsphosphor weder gegen Wasser, noch gegen Natronlauge, noch gegen feuchte Luft stabil ist. Er ist sogar regelrecht hygroskopisch. Was unter dem Begriff „Roter Phosphor“ gehandelt wird, ist allerdings kein einheitliches Produkt. Seine Reaktivität hängt stets von den Herstellungsbedingungen (Verfahren, Temperatur, Reaktionszeit und verwendete Katalysatoren, s. Holleman-Wiberg 1995) ab. Hinzu kommt, als wesentlicher Faktor, der Dispersitätsgrad des jeweils betrachteten Produktes. Unsere o. a. Untersuchungen zur Reaktivität des roten Phosphors haben nicht wenig dazu beigetragen, den Charakter der durch Phosphitpyrolyse (Kap. 3.3.1) entstehenden roten Substanz besser erklären zu können. Die frappierenden Ähnlichkeiten zwischen dieser Substanz und dem roten Phosphor sind dort in Tab. 5 sowie Abb. 22 dargestellt. Wirklich gravierende Unterschiede bestehen fast nur bezüglich der Reaktivität. Die bei der Phosphitpyrolyse entstehende rote Substanz („P(0)“) fällt in der Reaktionsmasse extrem fein verteilt an und ist hoch reaktiv. Mit den eher akademisch interessanten kristallinen Formen, dem Hittorfschen und dem Schwarzen Phosphor, haben wir uns nicht befasst. <?page no="32"?> 24 2.2 Die Produktion gelben Phosphors und die typischen Risiken Die Vorzeit der industriellen Entwicklung reicht von 1669, dem Jahr der Entdeckung des gelben Phosphors, bis in das 19. Jahrhundert. Im Prinzip blieben die Apparate weitgehend unverändert. Es wurden Retorten angewandt, in denen man den Eindampfrückstand des Harns (bzw. später, im 19. Jahrhundert, die aus Phosphat, Holzkohle und Sand bestehende Mischung) hoch erhitzte. Der dampfförmig entweichende Phosphor wurde in wassergefüllten Vorlagen kondensiert. Abb. 2 zeigt einen um die Mitte des 19. Jahrhunderts verwendeten Apparat. Marggraf (1743 / 1913) war der erste, der die Methode zu verbessern suchte. Er kochte den Urin zu einem Sirup ein, den er mit Bleimennige und Holzkohle vermischte. Das Gemisch wurde dann in einer ähnlichen Apparatur, wie sie noch bis in das 19. Jahrhundert hinein gebräuchlich war (Abb. 2), erhitzt. Später feilte Marggraf das Verfahren weiter aus, indem er mit Hilfe von Bleioxid aus dem Urin Bleiphosphat ausfällte, welches er abtrennte, mit Holzkohle vermischte, und dann daraus durch Erhitzen den Phosphor freisetzte. Das Bleioxid blieb übrig und wurde für die nächste Charge wieder eingesetzt. Emsley (2001, S. 202/ 203) schreibt: „Marggrafs Verfahren brachte zwar die Phosphorchemie voran, denn es erleichterte die Darstellung des reinen Elements. Die produzierte Menge nahm hingegen nicht zu, denn auch Marggraf griff auf Urin als Rohstoffquelle zurück. Der Chemiker experimentierte daneben mit anderen Ausgangsstoffen und extrahierte das Element aus Weizen, Senf und verschiedenen gebräuchlichen Gemüsesorten, aber er erhielt stets nur kleinste Ausbeuten. Bis 1769 blieb der ,goldene Strom‘ die Phosphorquelle der Wahl. Dann entdeckten Carl Scheele und Johan Gahn eine preiswerte Alternative: Knochen, die, wie man erkannte, im Wesentlichen aus Calciumphosphat bestanden. Damit waren die Tage der stinkenden Urinbottiche und brodelnd kochenden Jauchebehälter gezählt, und die Phosphorindustrie veränderte ihr Gesicht nachhaltig..... 1769 diskutierten Gahn und Scheele brieflich über die Natur des Knochens. Sie wussten, dass die Knochensubstanz Calcium enthält, und Scheele fragte sich, ob Phosphat nicht der andere Bestandteil sein könne. Doch aus einer Mischung von Knochenasche und Holzkohlepulver ließ sich selbst bei stärkster Hitze kein Phosphor freisetzen. <?page no="33"?> 25 Scheele schlug vor, Gahn solle etwas Knochenasche mit Schwefelsäure behandeln; der Kollege folgte dem Rat und erhielt tatsächlich Phosphor in Form von Phosphorsäure. Erwärmte man die Phosphorsäure mit Holzkohle, so floss der Phosphor buchstäblich in Strömen“. Bei der Umsetzung von Calciumphosphat mit Schwefelsäure entsteht neben der Phosphorsäure Gips, der gewöhnlich abgetrennt wurde. Ob ihn Scheele vielleicht sogar in der Reaktionsmasse belassen hat, geht aus den Angaben von Emsley (2001) nicht hervor, es ist aber eher unwahrscheinlich. Neben Phosphorsäure spielte auch das saure (primäre) Calciumphosphat eine gewisse Rolle. Dessen Einsatz zur Phosphorherstellung wurde ebenfalls praktiziert. So ist denn kaum verständlich, warum v. Wagner (1880) auf Basis der Angaben von Readman diese Vorgehensweise nicht nur für aufwändig und kaum praktikabel erklärte, sondern sogar grundsätzlich in Frage stellte: „Bezüglich der Darstellung von Phosphor macht J. Readman darauf aufmerksam, dass die auf Phosphor verarbeiteten natürlichen Phosphate durch Schwefelsäure nicht wie fälschlich allgemein angenommen, nur zu saurem Phosphat, sondern vollständig zu Gyps und freier Phosphorsäu Abb. 2 Darstellung gelben Phosphors zur Mitte des 19. Jahrhunderts kursiv: Original-Legende (nach: Doebereiner 1852) A irdene Retorte B kupfernes Rohr, taucht nur einige Linien in das Wasser ein C das mit Wasser nur theilweise gefüllte Glas DD Feuerraum des Windofens EE Kuppel zur Verstärkung des Zuges aa Kork bb zum Ableiten der auftretenden Gasarten dienende Glasröhre <?page no="34"?> 26 re zersetzt werden und zwar in großen mit mechanischen Rührvorrichtungen versehenen Zylindern durch eine Schwefelsäure von 110 - 115° Tw. Man scheidet dann den gebildeten Gyps durch Filtration ab, dampft das Filtrat auf 80 - 90° T. ein, mischt es dann mit grober Holzkohle und trocknet in einem Muffelofen. Das getrocknete Gemisch unterwirft man dann in Retorten aus Stourbridgethon von etwa 30 - 40 Pfund Inhalt einer Temperatur bis zu voller Rothglühhitze, wobei der dampfförmig freiwerdende Phosphor durch ein angefügtes Eisenrohr nach der mit Wasser gefüllten Vorlage entweicht. Das saure Calciumphosphat würde hierzu nicht zu gebrauchen sein, weil einmal der Kalk umfangreichere Retorten, wie auch eine höhere Zersetzungstemperatur erheischen würde“. Scheele und Gahn hatten wissenschaftliche, nicht aber kommerzielle Interessen verfolgt. Hingegen machte der französische Chemiker Pelletier gegen Ende des 18. Jahrhunderts seine Heimat zum Zentrum einer fast schon industriellen Phosphorerzeugung. Er erreichte die für damalige Verhältnisse beeindruckende Jahresproduktion von 100 kg: „Der Chemiker berichtete, bis zu 4 Pfund Phosphor aus 26 Pfund Knochenasche extrahiert zu haben, was einer bemerkenswerten Ausbeute von mehr als 50 Prozent entspricht. Zur Reinigung presste man das flüssige Element durch Sämischleder und destillierte es ein zweites Mal, wobei die gelbliche Färbung verloren ging und eine weiße, halbdurchsichtige, wachsartige Masse entstand“ (Emsley 2001). Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde Phosphor noch immer nur in vergleichsweise bescheidenen Mengen benötigt. Unterhaltungskünstler, Zündwarenhersteller und Apotheker waren die Abnehmer. Andere Anwendungsgebiete gab es kaum. Jedoch hatte man inzwischen immerhin erkannt, dass die Umsetzung zu Phosphorsäure - und anschließend zu Phosphaten - brauchbare Flammschutzmittel ergibt. Gay-Lussac fand 1821 heraus, dass sich Leinengewebe mit einer Lösung aus Ammoniumphosphat und Borax vorteilhaft imprägnieren lassen. Den Durchbruch brachte die Einführung der „Luzifer“-Zündhölzer im Jahre 1831. Derartige Hölzer ließen sich an jeder beliebigen Reibfläche zünden und waren entsprechend gefährlich. Die Zündholzköpfchen enthielten pro Stück bis zu 3 mg gelben Phosphors. Trotz ihrer Giftigkeit und gefährlich schnellen Entzündbarkeit blieben diese Hölzer fast 80 Jahre in Gebrauch, bis sie durch die auf dem Einsatz roten Phosphors basierenden Sicherheitszündhölzer (Kap. 2.1) ersetzt wurden. Zunächst aber explodierte der Markt für gelben Phosphor geradezu. Die Herstellung im industriellen Maßstab begann 1830 bei der Fa. Coignet in Lyon. Weitere Produzenten folgten (Emsley 2001). <?page no="35"?> 27 Der jährliche Export französischer Firmen - allein nach England - belief sich zwischen 1840 und 1850 auf immerhin 4,5 t (Emsley 2001). 1851 startete dann die Fa. Albright & Wilson in Oldbury / Birmingham: „Die Phosphorproduktion nahm unaufhaltsam zu, und 1881 verließen bereits 500 Tonnen die Fabriken. Entscheidend war die Qualität, und hier schnitten Albright & Wilson hervorragend ab. Sie gewannen ihr Produkt aus Phosphorsäure und Koks in speziellen Retorten, von denen 24 Stück in einem Ofen angeordnet waren. .... …..Aus 10 Tonnen Knochenasche erhielten sie eine Tonne Phosphor, das bedeutet eine Ausbeute von über 80 Prozent“ (Emsley 2001). Was das Ausgangsmaterial für die Phosphorproduktion anbelangt, so hat es seit Anfang des 19. Jahrhunderts drei miteinander konkurrierende Verfahrens-Varianten gegeben. Oben wurde bereits v. Wagner (1880) zitiert, der als einzig vernünftige - angeblich ausschließlich gebräuchliche - Ausgangsmischung entwässerte Phosphorsäure mit Kohlepulver bezeichnet. Viele Autoren beschreiben jedoch detailliert den Einsatz mit Kohlepulver vermischten sauren Calciumphosphats. Ab 1829 kam dann noch die von Wöhler vorgeschlagene Mischung aus Calciumphosphat, Kohlepulver und Quarzsand hinzu. Die Literatur zu diesen drei Varianten ist sehr ausführlich und z. T. polemisch. Wir wollen uns deshalb nur diejenigen Quellen ansehen, welche für das fachliche Verständnis hilfreich sind. Unter Verwendung der in Frankreich geläufigen, in Deutschland jedoch unüblichen „inversen“ Formeln schreibt Klinger (1914): „Da Phosphorpentoxyd P 2 O 5 , Phosphorsäure PO 4 H 3 oder Metaphosphorsäure PO 3 H bei der Temperatur, bei der Kohlenstoff auf sie einwirkt, sich reichlich verflüchtigen, wendet man phosphorsaure Salze an….. Für die Darstellung des Phosphors im Großen kommen nur die Kalksalze in Betracht….Das Orthophosphat wird selbst bei hoher Temperatur durch Kohle nicht angegriffen, das Pyrophosphat nur schwierig und unvollständig; am leichtesten das Metaphosphat: I. 4 P 2 O 6 Ca + 10 C = P 4 + 2 CaO + 10 CO. Das Kalziumoxyd CaO verwandelt einen Teil des Metaphosphats in Orthophosphat und entzieht es so der Reaktion: II. P 2 O 6 Ca + 2 CaO = P 2 O 8 Ca 3 <?page no="36"?> 28 Demnach die Gleichung für beide Vorgänge: 3 (PO 3 ) 2 Ca + 10 C = P 4 + P 2 O 8 Ca 3 + 10 CO, woraus sich ergibt, dass nur der Phosphor von 2/ 3 des Metaphosphats freigemacht wird“. Die im letzten Satz des Zitates angeführte - gleichsam „systemisch“ bedingte - Minderausbeute an Phosphor war höchst unbefriedigend. So wurde immer wieder nach Bedingungen gesucht, unter denen der Phosphor möglichst vollständig gewonnen werden konnte. Eine ältere Quelle deutet darauf hin, dass auch Eindampf-Rückstände aus Phosphorsäure und saurem Calciumphosphat, in wechselnden Verhältnissen, unter diesem Aspekt untersucht wurden: „….wurden durch andere deutsche und französische Chemiker, als Crell, Chaptal, Richter u. A., Vorschriften zur Phosphorgewinnung bekannt, die hauptsächlich in dem Verhältnis der Schwefelsäure zu den Knochen und der Kohle zu den Abdampfungsrückständen voneinander abwichen; doch erst durch Fourcroy und Vauquelin, welche 1797 in dem „Journal de Pharmacie“ T.I, Nr. IX die Resultate ihrer Versuche über die Knochen und den nach der Entfernung des Gipses erhaltenen krystallinischen Salzrückstand veröffentlichten, wurde ein helleres Licht über die Ursachen verbreitet, welche der unvollständigen Zersetzung des Kalksalzes und den geringen Resultaten in der Phosphorgewinnung zu Grunde lagen. Sie fanden, dass keine Säure, so stark sie auch sei, die phosphorsaure Kalkerde der Knochen gänzlich zersetze, dass alle derselben nur einen gewissen Antheil Kalk entzögen, und dass immer nur ein phosphorsaures Kalksalz mit Überschuss von Phosphorsäure (phosphate acidule des chaux) resultire….“ (Fleck 1878). Wir würden allerdings mit unseren heutigen Kenntnissen zur Nassphosphorsäuregewinnung kaum behaupten, der Phosphataufschluss sei stets unvollständig. Eine zutreffendere Erklärung ist wohl, dass die rohe Aufschlusssäure - den Löslichkeitsverhältnissen entsprechend - auch nach erfolgter Gipsabtrennung stets noch Calciumionen enthält. Zu der i. J. 1829 von Wöhler gefundenen progressivsten Variante, die im Prinzip noch heute die Zusammensetzung des Möllers im Phosphorofen beschreibt und bestimmt, schreibt Fleck (1878): „Ein von dem Obigen völlig abweichendes Verfahren wurde durch Wöhler (Pogg. Annalen Bd. XVII) empfohlen, welches darin bestand, dass man gepulverte Knochenkohle mit feinem Quarzsand und etwas Kohlenpulver mischte und das Ganze in irdenen Zylindern einer sehr <?page no="37"?> 29 hohen Temperatur aussetzte. Diese Methode, welche in den letzten Jahren wiederholt in Vorschlag gebracht wurde, verspricht allerdings eine hohe Phosphorausbeute, nur fragt es sich, ob eine solche in der Praxis wirklich erreicht wird. Da jedoch das Verfahren in der Fabrik von Coignet freres in Lyon eingeführt ist, so soll dasselbe, soweit es bis jetzt bekannt, weiter unten behandelt werden“. Fleck (1878) hat seine im letzten Satz des Zitates formulierte Ankündigung leider nicht wahr gemacht. Außer einer nochmaligen Erwähnung, dass in Lyon so gearbeitet worden sei, finden sich keine Einzelheiten zum Verfahren. Jedoch betonen neben Fleck auch andere Autoren, das Wöhlersche Verfahren sei wegen der zur Umsetzung erforderlichen sehr hohen Temperaturen, die sich in den Retorten durch Außenheizung nur äußerst schwierig erreichen ließen, kaum praktikabel. Eine gut verständliche Gegenüberstellung der auf Basis des sauren Calciumphosphats arbeitenden und der Wöhlerschen Verfahrensvariante geht auf Klinger (1895) zurück, wobei wiederum die - in Frankreich übliche, für uns etwas seltsame - Schreibweise der Formeln auffällt: „Durch Brennen der Knochen, wobei alle organischen Beimengungen zerstört werden, erhält man die Knochenasche, die hauptsächlich aus tertiärem Calciumphosphat (PO 4 ) 2 Ca 3 besteht. Man erwärmt hierauf die zerkleinerten Knochen mit 2/ 3 ihres Gewichtes Schwefelsäure, wodurch das tertiäre Phosphorsalz in primäres übergeht und Gyps (Calciumsulfat) gebildet wird: (PO 4 ) 2 Ca 3 + 2 SO 4 H 2 = (PO 4 ) 2 CaH 4 + 2 SO 4 Ca. Den in Wasser schwer löslichen Gyps trennt man von dem leichtlöslichen primären Phosphat durch Filtrieren, vermischt die Lösung mit Holzkohle, verdampft sie in Bleipfannen und erhitzt den Rückstand bis zur Rothglut. Hierbei wird das primäre Calciumphosphat unter Wasserabgabe in Calciummetaphosphat verwandelt: (PO 4 ) 2 CaH 4 = (PO 3 ) 2 Ca + 2 H 2 O. Der Glührückstand wird sodann in Retorten von feuerfestem Thon zur Weißglühhitze erhitzt; die beigemengte Kohle reducirt das Metaphosphat theilweise zu Phosphor, indem sie mit dem Sauerstoff Kohlenoxydgas bildet; ein Drittel des im Metaphosphat enthaltenen Phosphors hinterbleibt als Calciumphosphat: 3 (PO 3 ) 2 Ca + 10 C = P 4 + 10 CO + (PO 4 ) 2 Ca 3 Fügt man der Mischung Quarzsand hinzu, so wird aller Phosphor gewonnen (W ö h l e r): 2 Ca(PO 3 ) 2 + 2 SiO 2 + 10 C = P 4 + 2 CaSiO 3 + 10 CO.” <?page no="38"?> 30 Das „Calciummetaphosphat” wird, da der Terminus „Meta“ nach der modernen Nomenklatur für die Ringverbindungen reserviert ist, heute als Calciumpolyphosphat bezeichnet (Molverhältnis Ca : P = 1 : 2, ein kettenförmig kondensiertes Phosphat). Das oben erwähnte - in Form von Elementarphosphor nicht gewinnbare - Drittel des eingesetzten Gesamtphosphors dürfte sich aus der Dismutation des primären Calciumphosphates in Phosphorsäure und tertiäres Phosphat gemäß 3 CaH 4 (PO 4 ) 2 4 H 3 PO 4 + Ca 3 (PO 4 ) 2 bzw. der analog verlaufenden Dismutation des durch Kondensation aus saurem Calciumphosphat gebildeten Calciumpolyphosphats erklären. Der Phosphorsäureanteil enthält dann gemäß o. a. Gleichung 2/ 3 des insgesamt verfügbaren Phosphatphosphors und reagiert, nach erfolgtem Eindampfen, mit dem Kohlenstoff zu elementarem Phosphor. Das tertiäre Calciumphosphat reagiert hingegen nicht, auch wenn überschüssiger Kohlenstoff zur Verfügung steht. Es ist das Verdienst von Wöhler, dieses Dilemma überwunden zu haben, indem er der Mischung SiO 2 zusetzte. Dessen Wirkung beschreibt Klinger (1914) wie folgt: „Knochenasche oder Phosphoritpulver wird unter Zusatz von Kieselsäure (Sand) durch Kohle reduziert. Die Kieselsäure wirkt wie Schwefelsäure, indem sie in der Hitze Phosphorsäure freimacht; da sie feuerbeständig ist, verhindert sie auch die Rückbildung von tertiärem Phosphat“. 1861 hatte sich Muller ein Verfahren zur Herstellung von Phosphor patentieren lassen, das auf der Umsetzung von Phosphatmineralien, Koks und Sand beruhte (Emsley 2001). Neu war das nicht, denn Wöhler hatte diese Mischung ja bereits 1829 näher untersucht (s. o.). Er war auch derjenige, der die Rolle des Kieselsäurezusatzes erstmals wissenschaftlich erklärte, und diesen Zusatz zur Erzielung einer dünnflüssigen Schlacke empfahl. Die auf Wöhler zurückgehende Umsetzungsgleichung Ca 3 (PO 4 ) 2 + 3 SiO 2 + 5 C = 3 CaSiO 3 + 5 CO + 2 P wird von uns noch heute, zumindest summarisch, als zutreffende Beschreibung der im Phosphorofen ablaufenden Reaktionen angesehen. Bereits ab 1829 war somit - wenigstens prinzipiell - klar, dass anstelle der bis dato fast ausschließlich verwendeten gebrannten Knochen künftig Phosphorit- oder Apatiterze zu favorisieren seien. Jedoch funktionierte das Wöhlersche bzw. Mullersche Verfahren eben nur bei sehr hohen Temperaturen, die von den damaligen Retortenöfen nicht - oder nur unter extremen Schwierigkeiten - erreicht werden konnten. Die Lösung brachte schließlich der Elektroofen. <?page no="39"?> 31 „1888 wurden gleich zwei Patente für die Herstellung von Phosphor nach dem Muller-Verfahren erteilt, am 18. Oktober an J. B. Readman und am 5. Dezember an T. Parker und A.E. Robinson von der Electric Reduction Company in Wolverhampton. Als die Letztgenannten bemerkten, dass bereits ein älteres Patent existierte, kauften sie dieses auf und begannen umgehend mit der kommerziellen Phosphorproduktion. Albright & Wilson erkannten sehr schnell, dass hier die Zukunft lag: Arthur Albrights Sohn George hatte in Cambridge Chemie studiert und die Vorteile der neuen Methode, die er als ,brutal einfach‘ bezeichnete, bereits registriert. 1889 übernahm Albright & Wilson die Electric Construction Company und installierte Elektroöfen im Werk Oldbury....... Das Verfahren erwies sich als so erfolgreich, dass die letzte der alten Retorten 1895 außer Betrieb genommen wurde“ (Emsley 2001, S. 210). Im 20. Jahrhundert wurde die technische Entwicklung, insbesondere in Deutschland, entscheidend vorangetrieben. 1900 ging in Bitterfeld der erste 250 kW-Ofen in Betrieb (Jahresproduktion: 150 t). Die starke Nachfrage führte bereits ein Jahr später zur Errichtung eines zweiten Phosphorofens. Die Elektrochemischen Werke GmbH Bitterfeld („Griesheim-Elektron Werk II“) wurden nunmehr zum Pionierunternehmen auf diesem Sektor. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges bestand die Bitterfelder Produktionsanlage für gelben Phosphor aus einem System von vier Öfen zu je 250 kW Leistungsaufnahme, die auf Grund des hohen Militärbedarfes auf 500 kW-Öfen umgerüstet wurden. 1918 existierten bereits fünf Systeme mit insgesamt 20 Öfen einer Leistung von je 600 kW. Damit war die Leistungsgrenze dieses Ofentyps erreicht (Bitterfelder Chronik 1993). Schmädt (2012) teilt dazu mit: „In einem alten Bericht aus der Bitterfelder I.G.-Zeit fand ich, dass der nach der Kondensation ohne Gasreinigung abgeschiedene Phosphor in flachen offenen Wannen gesammelt wurde. Der auf dem Phosphor schwimmende Schlamm wurde dann mit Handrechen unter Wasser bewegt, dabei angereichert und sodann abgeschöpft. Bei diesen Arbeiten kam es zu häufigen Erkrankungen an Phosphornekrose. Auch dieser Umstand soll ein Grund für die Entwicklung des neuen Ofentyps mit einer elektrischen Gaseinigung gewesen sein“. Die Fülle der inzwischen nicht mehr zu übersehenden technischen Unzulänglichkeiten des Prozesses (und die Konkurrenzsituation) ließen beim Bitterfelder Chef Gustav Pistor den Entschluss reifen, das elektrothermische Verfahren gründlichst überarbeiten zu lassen. <?page no="40"?> 32 Bereits damals arbeiteten die Chemiker, wenn es um die Praxisanpassung der von ihnen erdachten Neuerungen ging, meist vor Ort mit. Da aber Pistor für die Arbeiter und Ingenieure eine nicht nur formal hoch gestellte, sondern außerordentlich respektierte Persönlichkeit war, erschien das in seinem Falle als etwas Besonderes (Schmädt 2012): „Die Einführung der Hochspannung in das Elektrofilter des Prototyps in Bitterfeld erfolgte durch ein Quarzrohr als Hochspannungsisolator. Kollegen aus Bitterfeld erzählten mir, dass der Herr Geheimrat Pistor diese Quarzisolatoren einmal selbst mit einem Putzlappen gesäubert habe, als es wegen einer Verschmutzung zum Überschlag gekommen war“. Die Entwicklung in Bitterfeld verlief ausgesprochen stürmisch und beeinflusste die Phosphorproduktion weltweit. Wir lesen dazu: „Die in den Jahren 1924 bis 1927......vorgenommenen Entwicklungsarbeiten führten schließlich zu einem neuen Prototyp eines Elektroofens mit einer Leistung von 2 500 kW. Dieser 1925 in Bitterfeld errichtete Ofen war die Grundlage für die Entwicklung von Phosphoröfen mit 10 MW, die 1927 in Piesteritz, dem neuen Standort für den Ausbau der Phosphorchemie der I.G. Farbenindustrie, installiert wurden (4 Öfen)......1938 wurde der USA-Firma Monsanto gegen Zahlung von einer Million Dollar die Lizenz für das Bitterfelder Phosphorverfahren erteilt“ (Bitterfelder Chronik 1993). Von 1928 bis 1938 galten dann die vier Piesteritzer Phosphoröfen als die größten der Welt. Das änderte sich erst, als Monsanto auf Basis der erwähnten I.G.-Lizenz die Phosphorproduktion aufnahm. Das Ende des Zweiten Weltkriegs brachte für die ostdeutschen Produktionsstätten einen herben Rückschlag. Die Anlagen wurden im Rahmen der Reparationsforderungen demontiert und in die UdSSR transportiert. In beiden Werken wurde die Produktion in jeweils einem neu errichteten Phosphorofen erst zu Beginn der fünfziger Jahre wieder aufgenommen. Wenig später wurde in Knapsack bei Köln (Knapsack-Griesheim A.G.) ein moderner 50 MW-Phosphorofen aufgebaut. Breil (1970) schreibt dazu: „Seit 1956 betreibt man in Knapsack den damals mehrere Jahre lang größten Phosphorofen der Welt...“. In Piesteritz kam im Jahre 1961 der Ofen II hinzu, der - je nach Verfügbarkeit der Cottrellreihen, wie auch der Ofen I - mit 12 bzw. 16 MW belastbar war („Cottrell“: s. u.). In den vierziger und fünfziger Jahren waren, was die Produktionsmengen anbelangt, die USA führend in der Phosphorerzeugung (Wichtigste Firmen: Monsanto, Mobil Oil, Occidental OxyChem, Food Machinery FMC, Tennessee Valley Authority TVA). <?page no="41"?> 33 In den sechziger Jahren wurden in imkent, Dshambul sowie Novo- Dshambul (Kasachstan) gewaltige Produktionskapazitäten aufgebaut, beginnend mit vier 50 MW-Öfen in imkent (Knapsack-Uhde-Lizenz). Die Industrieforschungsinstitute LENNIIGIPROCHIM (Leningrad) sowie KAZNIIGIPROFOSFOR ( imkent) entwarfen später noch leistungsfähigere Öfen, von denen einige auch gebaut wurden. Breil (1970) schildert die aktuelle Entwicklung bis 1969, bezogen auf die damaligen Wirtschaftsräume EWG, Commonwealth und „Ostblock“: „In diesen Bereichen sind seit 1966 drei neue große Phosphorfabriken gebaut worden, die in den nächsten Jahren weiter vergrößert werden sollen. Es sind dies die Anlagen von Albright & Wilson in Neufundland mit zwei 60 MW-Öfen, der Hoechst-Vlissingen N. V. in den Niederlanden mit - Ende 1969 - zwei Öfen mit 60 bzw. 70 MW, und der UdSSR in Tschimkent (Kasachstan) mit vier 50-MVA-Öfen. Die Objekte in den Niederlanden und in Tschimkent sind mit Lizenz der Knapsack AG durch die Hoechster Tochterfirma Friedrich Uhde GmbH gebaut worden...“ In China entwickelte sich in den an Phosphorit Ca 3 (PO 4 ) 2 reichen Südprovinzen ebenfalls eine bedeutende Phosphorindustrie. Allerdings wird dort nicht auf Mammutanlagen, sondern auf zahlreiche Produktionsstätten kleinerer bis mittlerer Kapazität gesetzt. In den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts dürfte die Phosphorproduktion mit einer Welt-Jahreserzeugung von etwa 1 Mio t ihren Höhepunkt erreicht und überschritten haben. Damals wurde ein wesentlicher Teil der Produktion zu „thermischer“ Phosphorsäure verarbeitet (s. Kap. 5.1), aus der wiederum - neben den Lebensmittelphosphaten - insbesondere Waschmittelphosphate (und, in der UdSSR, auch Düngemittel) in erheblichem Umfang produziert wurden. Mit dem Aufkommen phosphatarmer bzw. phosphatfreier Waschmittel einerseits und der Verbesserung der Reinigungsverfahren für Nassprozess-Phosphorsäure andererseits reduzierte sich der Phosphorbedarf. Etliche Großanlagen, auch in den USA, stellten die Produktion inzwischen ein. Dennoch bleibt elementarer Phosphor ein unverzichtbarer Ausgangsstoff für die Produktion reiner Phosphorsäure - und damit auch der Lebensmittelphosphate - sowie für Hypophosphit, Phosphin, Phosphortrichlorid und Phosphorpentasulfid. Durch Zukäufe aus Kasachstan wurde in Piesteritz und Knapsack der Gesamtbedarf für die Weiterverarbeitung gesichert. Die europäische Eigenerzeugung ging insgesamt immer mehr zurück. Schließlich war nur noch ein Phosphorofen in Betrieb, und zwar in Vlissingen (bis 2012). <?page no="42"?> 34 Heute wird in Europa kein Phosphor mehr produziert. Der für die Weiterverarbeitung nach wie vor erforderliche Phosphor wird seit 2013 aus Kasachstan und/ oder aus China importiert. Abb. 3 zeigt eine typische Produktionsanlage aus den sechziger Jahren, wie sie ganz ähnlich noch heute betrieben wird. Einige Abweichungen von der Abbildung - im Zusammenhang mit der spezifischen Arbeitsweise in Piesteritz - werden, sofern für das Verständnis der Zusammenhänge wichtig, im Folgenden mit behandelt. Der Ofenbunker a wird (hier per Kübelbeschickung b) mit dem Möller befüllt. Der Möller, d. h. die der linken Seite der Wöhlerschen Gleichung Ca 3 (PO 4 ) 2 + 3 SiO 2 + 5 C = 3 CaSiO 3 + 5 CO + 2 P stöchiometrisch ziemlich genau entsprechende Mischung der Ausgangsstoffe Phosphat, Koks und Kies, wird inzwischen meist über eine Bandanlage in den Ofenbunker transportiert. So wurde auch in Piesteritz nach Inbetriebnahme der neuen Granulieranlage ab 1963 verfahren. Wir verwendeten als Phosphatkomponente feinteiliges Kola-Apatit-Konzentrat, das in einer vorgeschalteten Einheit auf Granuliertellern unter Zusatz von in Cottrellmilch (s. u.) aufgeschlämmtem Ton geformt, anschließend getrocknet, und schließlich hart gebrannt wurde. Schmädt (2012) berichtet: „Vor Inbetriebnahme der Neuen Granulieranlage wurde ein Gemisch aus Cottrellmilch, Wasserglas und Tonmilch als Bindemittel verwendet. Da die Kapazität der alten Granulieranlage nach Inbetriebnahme des zweiten Phosphorofens nicht mehr ausreichte und die neue Granulieranlage noch nicht fertig gestellt war, sollte zwischenzeitlich stückiges Florida- Pebble-Phosphat importiert und mit verarbeitet werden. Dieser mit Elbkähnen angelieferte Rohstoff sollte im Hafengelände zwischengelagert werden. Ich hatte mich auch mit den Auswirkungen von Wasser im Ofenprozess befasst und erkannt, dass der Einsatz des nassen Phosphates erhebliche Schwierigkeiten bei der Ofenführung bringen könnte, und habe deshalb den damaligen Produktionsdirektor über meine Befürchtungen informiert. Zur nächsten Werkleitungssitzung wurde ich eingeladen, damit ich meine Gedanken vortragen konnte. Die damals getroffenen Festlegungen wurden jedoch nicht umgesetzt. Die befürchteten Probleme traten dann wirklich auf. Es war schwierig, die optimale Zusammensetzung der Schlacke einzustellen, weil der er- <?page no="43"?> 35 heblich schwankende Wassergehalt des Phosphates die Dosierung der einzelnen Möllerkomponenten erschwerte. Es kam in den Öfen immer wieder zur Brückenbildung mit anschließend schlagartig nachrutschendem Möller. Daraus resultierte dann stets ein Druckstoß im Ofenraum, was häufig zu einem Öltassenbrand führte. Hinzu kamen Ablagerungen von Phosphorsuboxiden in der Gasleitung, besonders im Bereich vom Cottrellausgang bis zum Wäschereingang. Die Ablagerungen bewirkten einen Anstieg des Druckes im Gasweg. Das zog schon bei kleineren Möllerzusammenbrüchen einen Öltassenbrand nach sich. Außerdem erleichterte der höhere Druck im Ofenraum das Austreten von CO-Gas auf der Füllbühne. Diese ständigen Störungen veranlassten dann den für die Anlage zuständigen Technologen und mich, eine einfache Trocknung der Granalien auf einem Rost vorzuschlagen. Für die Verfestigung der grünen Granalien mit dem damals verwendeten Bindemittel waren nur 250 bis 300° C erforderlich. Unser Vorschlag wurde unter Verwendung eines im Werk vorhandenen, ungenutzten Drehrohrofens kurzfristig realisiert, indem unmittelbar neben der vorhandenen Granulierstraße eine komplette zweite Straße aufgebaut wurde“. In der neuen Granulieranlage wurden dann ab 1962/ 63 die auf dem Granulierteller erzeugten „grünen“ Granalien von etwa 10 - 15 mm Durchmesser auf einem Lepolrost zunächst getrocknet, dann auf etwa 500° C erhitzt und dabei vorgebrannt. Es folgte der mit CO-Gas bzw. Öl beheizte, feuerfest ausgemauerte Drehrohrofen, in dem die Granalien bei ca. 1100° C hart gebrannt wurden. Die SiO 2 - Komponente des Möllers war, wie erwähnt, Kies. Die Hauptfraktion lag im Bereich zwischen 10 und 30 mm. Der von uns verwendete Kies war gewaschen und hatte einen SiO 2 - Gehalt von mindestens 96%. Er kam aus Ottendorf-Okrilla oder aus Nobitz. Als Kohlenstoffkomponente wurde in Piesteritz von 1956 bis etwa 1965 zunächst „BHTK“ (Braunkohlen-Hochtemperaturkoks) eingesetzt. Später arbeiteten wir mit in der Kokstrocknung des Carbidbetriebes aufbereitetem Steinkohlenkoks verschiedener Provenienz, schließlich mit elektrothermischem Koks aus dem Saarland (Körnung: 10 bis 20 mm). In den fünfziger und sechziger Jahren wurde der Piesteritzer Phosphorofenprozess von Schmädt (2012) näher untersucht und deutlich verbessert. Details dazu seien mit seinen Worten wiedergegeben: „Ein Phosphorofen unterscheidet sich grundsätzlich von anderen Elektroreduktionsöfen. Neben dem CO-Gas, gebildet aus dem Reduktionsmittel Koks, muss auch das Endprodukt Phosphor in Dampfform die Möllerschicht oberhalb der Reaktionszone durchströmen. <?page no="44"?> 36 Das erfordert eine sehr gute Gasdurchlässigkeit dieser Schicht. Die Möllerkomponenten Koks, Quarzkies und Phosphat (in unserem Falle Granalien aus Kola-Apatit-Konzentrat) müssen in stückiger - oder eben pelletisierter - Form mit möglichst wenig Feinkorn in den Ofen gelangen. Besondere Anforderungen gelten für den Koks. Er ist nicht nur Reduktionsmittel, sondern entscheidend an den sich in der unteren Zone des Ofens ausbildenden Stromwegen beteiligt. Koksart, Kokskörnung, die elektrische Leitfähigkeit des Kokses und sein Anteil an flüchtigen Bestandteilen, beeinflussen die Fahrweise des Ofens wesentlich. Die flüchtigen Bestandteile des Kokses gelangen mit dem Phosphordampf und dem CO-Gas in die Kondensationsanlage und können, als Öl im Phosphor gelöst, Probleme bei dessen Weiterverarbeitung bringen. Auch eine Spaltung dieser flüchtigen Anteile zu rußartigem Kohlenstoff (Phosphorschlamm-Bildung! ) und Wasserstoff ist sehr wahrscheinlich. Im Gegensatz zu den meisten metallurgischen Elektroöfen erfolgt der Energieumsatz nicht in einem konzentrierten Lichtbogen, sondern überwiegend durch Widerstandsheizung. Der Stromfluss geht zum größten Teil über eine stark mit Koks angereicherte Schicht an der Grenzfläche zwischen flüssiger Schlacke und festem Möller; jedoch gibt es eine mehr oder minder große Übergangszone. Da das gesamte Schmelzgefäß aus Kohlenstoff besteht, kann der Strom auch von der Elektrodenspitze über die Koksschicht nach außen in die Kohleauskleidung fließen. Idealisiert wäre die Kohleauskleidung somit ein gemeinsamer elektrischer Sternpunkt. Elektrodenteilkreis und Abstand der Elektroden von der Außenwand spielen bei der elektrischen Auslegung des Schmelzgefäßes eine große Rolle. Kokskörnung und Koksart bestimmen den Herdwiderstand des Ofens. Man ist stets bestrebt, den Ofen mit möglichst hoher Spannung zu betreiben; die Stromverluste in den Zuleitungen können dann niedrig gehalten werden. Außerdem kann ein hoher cos.phi erzielt werden. In Piesteritz erreichten wir einen Wert von 0,94 - 0,95. So wirkten die Phosphoröfen als Phasenschieber für die deutlich schlechter arbeitenden alten Carbidöfen. Phosphoröfen werden mit einem geringen Koksüberschuss gegenüber der Stöchiometrie gefahren. Wird die Koksschicht in der Reaktionszone im Ofen zu stark, lässt sie sich mit einer vorübergehenden Reduzierung des Koksanteiles im Möller langsam wieder abbauen. Wichtig ist, diesen Zeitpunkt rechtzeitig zu erkennen. Die Arbeitshöhe der Elektroden verlagert sich sonst nach oben. Die Temperaturen im Gasraum des Ofens steigen dann so weit an, dass es zu Schwierigkeiten in den Elektrofiltern sowie verstärkter Phosphorschlammbildung kommt. <?page no="45"?> 37 Oft hilft auch die vorübergehende Einbringung koksarmer Mischung zwischen die Elektroden. Wenn der richtige Zeitpunkt für die vorübergehende Reduzierung der Koksrate im Möller verpasst wird, hilft nur noch, den Ofen mit einer geringeren Spannung zu fahren, um die Arbeitshöhe der Elektroden im günstigen Bereich halten zu können. Bis Mitte der 60er Jahre waren an den beiden Piesteritzer Öfen ständig solche Möllerkorrekturen erforderlich. Dann wurden an beiden Öfen die Elektrodenteilkreise bei planmäßigen Generalreparaturen vergrößert. So wurden fast ideale Bedingungen für den Betrieb der Phosphoröfen geschaffen. Der spezifische Stromverbrauch pro Tonne Phosphor war außerordentlich zufriedenstellend. Die Kohleauskleidung der Öfen zeigte nur einen vergleichsweise geringen Verschleiß“ (Schmädt 2012). Abb. 3 Gesamtapparatur zur Phosphorerzeugung (nach: Ullmann 1962, S. 509) A Ofen B Elektrofilter (“Cottrellanlage“) C Kondensationsanlage a Ofenbunker; b Kübelbeschickung; c Elektroden; d Transformatoren; e Schlackenabstich; f Eisenabstich; g Gasaustrittsöffnungen; h Stromzuführung; i Sprühsystem k Heizraum; l Staubkammern; m Staubschnecke; n Warmturm; o Kaltturm; p Kälteanlage; q Lagergefäß für Phosphor; r Abgasventilator; s Fackelrohr; t Gasleitung. <?page no="46"?> 38 Weitere Einzelheiten finden sich in einer damals in Fachkreisen viel beachteten Publikation (Schmädt 1965). Sehen wir uns Abb. 3 näher an. Die Elektroden c - speziell die Elektrodenfassungen - sind für die Phosphorproduktion typische Sonderkonstruktionen, die weiter unten (Abb. 4 u. 5) näher erläutert werden. Die Stromzufuhr erfolgt vom Ofentrafo d aus über ein Paket von Kupferbändern. Die Calciumsilicatschlacke CaSiO 3 wird bei e abgestochen. Noch tiefer liegt der Eisenabstich f. Über ihn wird, weit seltener als die Schlacke, das Phosphoreisen - d. h. das dem Eisengehalt des Möllers entsprechend im Ofen gebildete Fe 2 P - abgestochen. Das bei g austretende Ofengas setzt sich aus CO, dampfförmigem Phosphor, Stickstoff, etwas Wasserstoff und Staub zusammen. Es verlässt den Ofen in Richtung der Elektrofilter (nach ihrem Erfinder „Cottrell“ genannt). Die Stromzuführung zu dieser Gasreinigung erfolgt bei h. Das Sprühsystem ist unter i dargestellt. Die beiden in Reihe geschalteten Cottrells sind jeweils beheizt (über den Heizmantel k). In Piesteritz wurde diese Heizung ursprünglich mit Hilfe eines CO-Luft- Brenners (per Abzweigung einer CO-Teilmenge aus der Gasleitung t) betrieben. Eine Gasexplosion veranlasste uns jedoch, auf die zwar teurere, dafür aber völlig sichere elektrische Heizung umzustellen. Der in den Cottrells abgeschiedene Staub sammelt sich in der Staubkammer l; der Staub wird über die Staubschnecken m ausgetragen. Für den Cottrellstaub gibt es mehrere Verwendungsmöglichkeiten. In Piesteritz schlämmten wir den Staub in Wasser auf, und die derart hergestellte „Cottrellmilch“ wurde als Bindemittel für die Agglomeration des feinteiligen Kolaapatit-Konzentrates, d. h. zur Formgebung des für den Ofenbetrieb verwendeten Rohstoffes per Granulierteller, eingesetzt. Bildung und Eigenschaften des Cottrellstaubes sowie des Phosphorschlammes (s. Kap. 3.1) wurden bereits in den 60er Jahren, u. a. auch von Schmädt, untersucht. Interessant ist, dass die von ihm durchgeführten Arbeiten an „Modell“-Schlämmen (Verrühren von Acetylenruß bzw. Kieselsäure mit Phosphor) lebhaftestes Interesse bei einer sowjetischen Expertengruppe fanden, die unser Werk besuchte. Wenig später erschienen Publikationen in sowjetischen Fachzeitschriften (siehe die Literatur zu Kap. 3.1), die sich mit exakt diesem Thema befassten. Schmädt (2012) schreibt zu seinen Untersuchungen: <?page no="47"?> 39 „Der Cottrellstaub besteht nicht etwa, wie zunächst vermutet, zum größten Teil aus Möllerbestandteilen, sondern er ist überwiegend das Produkt von im Ofenprozess ablaufenden sekundären Vorgängen. Cottrellstaub enthält einen hohen Anteil an wasserlöslichen Alkaliphosphaten (Ortho- und Di-Phosphaten), oberflächenaktivem SiO 2 und sekundär entstandenem Kohlenstoff. Die beiden letztgenannten Bestandteile sind mit verantwortlich für die Bildung des Phosphorschlammes in der Kondensationsanlage. Ich konnte das experimentell durch Verrühren von Phosphor mit Ruß aus der Acetylenspaltung sowie mit aus Ofenschlacke hergestelltem SiO 2 nachweisen. Das SiO 2 entsteht im Ofenprozess durch Verdampfen und Kondensieren, ebenso die Alkalioxide. Wasserlösliches P 2 O 5 entsteht wahrscheinlich durch Oxidation von Phosphor mit Wasserdampf („Liljenroth-Reaktion“), evtl. auch unter dem Einfluss der elektrischen Entladungen in den Elektrofiltern. Ich konnte das aber trotz intensiver Bemühungen nicht beweisen. Der oberflächenaktive Kohlenstoff bildet sich wohl aus den im Koks noch vorhandenen flüchtigen Bestandteilen durch thermische Spaltprozesse. Farbe und Zusammensetzung des Cottrellstaubes lassen Rückschlüsse auf die Vorgänge im Ofen zu: Heller Cottrellstaub deutet auf zu hohe Arbeitsstellung der Elektroden. SiO 2 hat bei den an der Elektrodenspitze herrschenden Temperaturen (wohl 1800-1850°C) bereits einen nennenswerten Dampfdruck. In der Reaktionszone verdampfendes SiO 2 wird vom Möller nicht genügend ausgefiltert. Da SiO 2 kein elektrisch leitendes Material ist, wird es im Elektrofilter nur sehr unvollkommen abgeschieden. Deshalb gelangt es in die nachfolgende Kondensationsstufe (den Ströderwäscher) und trägt dort wahrscheinlich zur Phosphorschlammbildung bei. Fällt sauer reagierende Cottrellmilch an, so ist dies ein Indiz dafür, dass eine größere Undichtigkeit im Kühlsystem der Elektrodenfassungen vorliegt. Es setzt dann die so genannte Liljenroth-Reaktion ein: Phosphordampf und Wasserdampf reagieren miteinander unter Bildung von Phosphorpentoxid und Wasserstoff“. Nach Passieren der Gasreinigungsanlage gelangt das weitgehend entstaubte Ofengas in die Kondensationsanlage, die der Abscheidung des Phosphors mittels versprühten Wassers dient. Abb. 3 zeigt die seinerzeit in Knapsack entwickelte Kombination eines warm gefahrenen Sprühturms n mit einem kalt gefahrenen Sprühturm o. Zum Betrieb des letzteren ist die Kälteanlage p erforderlich. Dieses System hat den Vorteil einer besonders guten Phosphorausbeute, denn der Phosphordampfdruck in einer nur warm gefahrenen Anlage ist so hoch, dass nennenswerte Phosphormengen im gereinigten Gas verbleiben. <?page no="48"?> 40 Dennoch haben wir in Piesteritz den mit einer kalt gefahrenen zusätzlichen Stufe verbundenen Aufwand gescheut und deshalb vermieden. Zudem wurde, anknüpfend an die mit den bis 1945 betriebenen Phosphoröfen gesammelten Erfahrungen, die „Warmstufe“ nicht mit einem Sprühturm, sondern mit Ströderwäschern ausgerüstet. Dieser nach seinem Erfinder benannte Wäschertyp arbeitet mit einer Reihe von Scheiben, die auf hochtourig angetriebenen Wellen starr befestigt sind. Die Vorrichtung bewirkt in einer wassergefüllten Wanne, dass das Wasser von den teilweise eintauchenden (radial angefrästen) Scheiben hochgeschleudert und in das oberhalb der Wanne befindliche Gehäuse hinein feinst zerstäubt wird. Die Wärmeabfuhr erfolgt durch Berieseln der Wäscherhauben mit Wasser. Wanne und Gehäuse sind bis auf Gasein- und Gasausgang eine geschlossene Einheit. Das Ofengas passiert diese funktional einem Sprühturm ähnliche Vorrichtung. Dabei wird der Phosphor kondensiert („ausgewaschen“). Er sammelt sich am Boden der wassergefüllten Wanne und wird von Zeit zu Zeit in das Phosphorsammelgefäß q hinein abgehebert. Der mit dem Phosphor abgeschiedene Phosphorschlamm schwimmt auf dem Phosphor. Das Wasser zirkuliert, ein Teil läuft jedoch über und muss vor seiner Weiterverwendung oder dem Abstoß gereinigt werden. Der Abgasventilator r fördert das weitgehend vom Phosphor befreite CO- Gas zu den damit beheizten Anlagen. In unserem Falle waren dies die Granulieranlage sowie die Drehrohröfen zur Herstellung kondensierter Phosphate. Über das Fackelrohr s wird mit einem Teilstrom des Gases die Sicherheitsfackel gespeist. Die brennende Fackel signalisiert, dass das gereinigte - noch etwas Phosphor enthaltende - Ofengas auf der Saugseite des Ventilators unter leichtem Überdruck steht. Im gesamten System sind kleinere Undichtheiten nicht problematisch, falls das System verlässlich unter dem erwähnten leichten Überdruck arbeitet. Eventuell austretendes Gas entzündet sich sofort. Der Defekt kann dann - wenigstens provisorisch - bei laufendem Betrieb behoben werden. Geeignet dafür ist z. B. eine Teerbinde. Hingegen wäre ein Unterdruck im System, verursacht z. B. durch einen zu stark saugenden Ventilator, fatal. Der eingesaugte Luftsauerstoff würde zu Bränden und Explosionen führen. Der Überdruck im Ofenraum betrug in der Regel 30 bis 40 mm WS beim Betrieb einer Cottrellreihe, bei Parallelbetrieb beider Reihen 25 bis 30 mm WS. Der Vordruck an der Fackel wurde von einem Regler bei 15 mm WS gehalten. <?page no="49"?> 41 Das Herzstück einer Phosphorfabrik ist der Phosphorofen (Abb. 4). Die eiserne Wanne a ist im unteren Teil mit speziell für diesen Zweck angefertigten Anthrazit-Kohleblöcken b, im oberen Teil mit dem Schamottemauerwerk c ausgekleidet. Durch die armierte Betondecke d sowie den Metalldeckel e führen die Elektroden f sowie die Beschickungsrohre h. Die mit dem Eckventil m verschließbare Gasaustrittsöffnung l leitet das aus CO, Phosphordampf und Staub bestehende Ofengas zur oben beschriebenen elektrischen Gasreinigung weiter. Abb. 4 Längsschnitt durch einen Widerstandsofen zur Phosphorerzeugung (nach: Ullmann 1962, S. 509 ) a eiserne Wanne; b Kohleauskleidung; c Schamottemauerwerk; d armierte Betondecke; e Metalldeckel; f Elektroden; g Tieffassungen; h Beschickungs- Rohre; i Schlackenabstich; k Eisenabstich; l Gasaustrittsöffnung; m Eckventil <?page no="50"?> 42 Eine Besonderheit sind die in Bitterfeld von Dion in den zwanziger Jahren erfundenen Elektroden-Tieffassungen g. Sie bestehen aus vom Kühlwasser durchströmten Kupferbacken bzw. Edelstahl-Kupfer-Backen, die vergleichsweise tief (deshalb der Name) in den heißen Ofenraum hineinragen, und die Stromzufuhr zu den Elektroden gewährleisten. Die nach ihrem Erfinder benannten Söderberg-Elektroden f (Abb. 5) bestehen aus kontinuierlich „Vor Ort“ gebrannter Elektrodenmasse. Dem Abbrand im Ofen entsprechend werden Stahlblech-Röhren („Elektrodenschüsse“) oberhalb der Fassungen aufgeschweißt. Abb. 5 Eine Söderberg-Elektrode mit der sie umgebenden Tieffassung nach Dion. Originalaufnahme der I.G. Farbenindustrie AG aus dem Piesteritzer Phosphorofenhaus (1928) Die komplette Elektrode samt Fassung wurde hier für Inspektionszwecke aus dem Ofen gezogen und frei aufgehängt. Zu sehen sind (von oben nach unten): Wasser- und Stromzuführungen, hinter denen der durchgehende Blechschuss, der die Masse enthält, zu erkennen ist. Äußerer Haltering. Wassergekühlte Kontaktbacken, die über Daumenwellen an den Schuss angedrückt werden. In diesem Bereich wird die von oben nachrutschende, allmählich verbackende Elektrodenmasse fertig gebrannt. Blechschuss, in dem sich (ganz oben) die halbkontinuierlich eingefüllte „grüne“ Elektrodenmasse bzw. (unterhalb der Backen) die kontinuierlich hart gebrannte Elektrode befindet. In der sehr heißen Reaktionszone schmilzt der Blechmantel dann vollständig weg. <?page no="51"?> 43 In die so gebildete senkrechte Stahlblechröhre wird von Zeit zu Zeit „grüne“ Elektrodenmasse nachgefüllt. Sie hat die äußere Form von Eierbriketts und besteht aus Anthrazit, Koksstaub und etwas pechartigem Bindemittel . Mit dem abbrandbedingten Nachsetzen der Elektroden im Ofenbetrieb sackt die grüne Elektrodenmasse nach und gelangt in die heißere und schließlich heißeste Zone. Auf diesem Wege brennt sie allmählich fest und bildet so die eigentliche Elektrode. Ein praktisches Problem liegt darin, dass in der - bezüglich ihrer mechanischen Festigkeit kritischen - Übergangszone die gefürchteten „grünen“ Elektrodenbrüche auftreten können. Auch in dieser Hinsicht erfordert der störungsarme Betrieb eines Phosphorofens neben soliden Fachkenntnissen ein gewisses Feingefühl des Anlagenfahrers. Neben den „grünen“ Brüchen sind die „roten“ Brüche gefürchtet. So werden diejenigen Brüche bezeichnet, die sich im gebrannten Bereich unterhalb der Fassung ereignen. Dabei bricht gewöhnlich ein Teil der Elektrode bzw. der Elektrodenspitze ab, was zu schweren Betriebsstörungen bis hin zu Kurzschlüssen führen kann. Ist das Bruchstück jedoch nicht zu groß („Schalenbruch“), so reagiert es gewöhnlich ohne besondere Probleme im normalen Betrieb mit ab. Größere Brüche hingegen können dazu führen, dass der Betrieb unterbrochen, und der Ofen komplett beräumt werden muss. Da dies nicht durch gezieltes Leerfahren des Ofens vorbereitet werden kann, ist die Beräumung außerordentlich schwierig, gefährlich und strapaziös. Ferner entstehen erhebliche Betriebsausfälle. Um diese zu minimieren, wird der Ofen bereits im noch heißen Zustand beräumt, wobei harte manuelle Arbeit mit Schaufel und Eimer gefragt ist. Komplette Arbeitsschutzkleidung und Schuhe mit Holzsohlen schützen das Personal einigermaßen vor Verbrennungen. Man hält unter diesen Bedingungen nur kurze Zeit im Ofenraum aus und muss häufig abgewechselt werden. Zu den Ursachen für die roten Brüche zählt das ungleichmäßige Nachrutschen des Möllers. Zwar sind die Beschickungsrohre so angeordnet, dass der Möller gleichmäßig um die Elektroden herum aufgegeben wird; jedoch lässt sich auf dem Weg des Möllers von oben nach unten zeitweilige Brückenbildung, gefolgt von plötzlichem, manchmal auch asymmetrisch verlaufenden Nachrutschen, nicht immer vermeiden. Meist ist die Elektrode an der potenziellen Bruchstelle bereits vorbelastet. Scherkräfte lösen dann den Elektrodenbruch aus. Einzelheiten zu diesem technologisch und sicherheitstechnisch wichtigen Komplex (Abb. 5) hat Schmädt (2012) ergänzend formuliert: <?page no="52"?> 44 „Die Kontaktbacken der Elektrodenfassung haben eine Höhe von 80 bis 120 cm (je nach elektrischer Leistung). Die Elektrodenmasse muss mindestens bis zum oberen Drittel der Backen fertig gebrannt sein. Die dazu erforderliche Energie wird durch die in den Blechschüssen befindlichen Rippen und die Stromwärme von unten nach oben geleitet. Die Rippen tragen auch den noch nicht fertig gebrannten Bereich der Elektrode. Für jeden Ofen gibt es eine Mindestzeit, die bis zum nächsten Nachsetzen der Elektrode abgewartet werden muss. Bei Öfen mit starkem Elektrodenabbrand wird die Temperatur in der Elektrode gemessen. Es wird erst dann nachgesetzt, wenn die vorgeschriebene Temperatur der im oberen Bereich der Backen bereits flüssigen Masse erreicht ist. Wenn zu schnell nachgesetzt wird, verlagert sich die Brennzone der Elektrodenmasse in den unteren Bereich der Kontaktbacken. Die Anpresskraft der Kontaktbacken findet dann wegen der noch verhältnismäßig weichen Masse nicht genügend Gegendruck. Die Elektrode kann sich infolgedessen verformen. Wenn die Rippen in den Schüssen das aus der Fassung herausragende gebrannte Elektrodenstück nicht mehr tragen können, reißt es ab und rutscht in den Ofen. Das ist dann ein so genannter „grüner“ Bruch. Bei dieser Art Bruch besteht die Gefahr, dass die in der Elektrodenfassung noch halbflüssige Masse in den Ofenraum gleitet. Das ist an einem Ofen dieser Art besonders folgenschwer, weil dann das mit Phosphor beladene Ofengas ungebremst austritt. Ich habe einen derartigen Fall nur einmal, im Jahre 1957, erlebt. Damals wurde der Ofen 1 noch mit Kübeln beschickt. Zum Abstoppen des Ofengasaustritts wurde per Kran ein mit Möller gefüllter Kübel in den Elektrodenschuss entleert. Diese so einfach erscheinende Verfahrensweise funktioniert nur dann, wenn der Ofendruck niedrig genug ist. Als roten Bruch bezeichnet man hingegen, wie oben bereits erwähnt, einen Bruch der fertig gebrannten Elektrode unterhalb der Fassung. Häufig entsteht im Moment des Bruchs kurzzeitig ein Lichtbogen zwischen dem abreißenden Stumpen und der Elektrodenfassung. Die Fassung wird dabei meist stark beschädigt. Ursachen für einen roten Bruch waren früher mehr oder weniger starke Staubschichten auf der Oberfläche der weichen Masse im Elektrodenschuss oder der versehentliche Einsatz von Masse mit anderer Zusammensetzung“. Die mit geringem Gefälle ausgeführte Kohlenstoffauskleidung des Ofenbodens führt an ihrem tiefsten Punkt zum Eisenabstich k (Abb. 4). <?page no="53"?> 45 Der Schlackenabstich i ist auf der anderen Seite des Ofens angeordnet. Beide Abstiche sind im laufenden Betrieb verschlossen. Die Trennung des Ferrophosphors Fe 2 P von der Schlacke CaSiO 3 verläuft aufgrund des Dichteunterschieds meist komplikationslos von selbst (Ferrophosphor: ca. 7,5 g/ cm 3 , Schlacke: ca. 2,5 g/ cm 3 ). Je nach Rohmaterialien und Ofengröße wird der Ferrophosphor aller 24 - 72 h abgestochen. Das Abstichloch wird mit einer Sauerstofflanze aufgebrannt und nach erfolgtem Abstich mit Ton verschlossen. Der Schlackeabstich erfolgt analog über eine wassergekühlte kupferne Schlackendüse, bei Öfen mittlerer Kapazität etwa stündlich. Danach wird das Abstichloch mit einem dick mit feuchtem Ton beschichteten Holzstopfen verschlossen. Ergänzend zum speziell in Piesteritz praktizierten Schlacken- und Ferrophosphor-Regime füge ich die von Schmädt (2012) beigesteuerten Detailangaben an, da sie sicherheitstechnisch wichtig sind: „Bis Mitte der 60er Jahre wurde ein Teil der Schlacke in einem kontinuierlichen Verfahren aufgeschäumt. Dazu wurde Schlacke direkt aus dem Abstichloch auf ein endloses Band mit kippbar angebrachten gusseisernen Mulden geleitet. Diese Mulden überlappten einander in Bewegungsrichtung des Bandes. So wurde erreicht, dass die flüssige Schlacke beim Einlaufen in die Mulden nicht seitlich überlaufen konnte. Auf dem Boden jeder Mulde war eine Platte aus speziell für diesen Zweck angefertigter sehr poröser Kohle befestigt. Bevor die Schlacke in die Mulde floss, wurde Wasser hinein gegeben. Die poröse Kohleplatte konnte sich so mit Wasser vollsaugen. Nach dem Befüllen der Mulde mit flüssiger Schlacke verdampft das in der Kohleplatte gespeicherte Wasser und kühlt die Schlacke bei gleichzeitigem Aufschäumen. Die nun feste, aufgeschäumte Schlacke wurde am Umlenkstern des Bandes in ein mit Wasser gefülltes Becken abgekippt. Von dort wurde sie mit einem Greiferkran in das Lager transportiert. Die aufgeschäumte Schlacke wurde unter der Bezeichnung ,Porit‘ oder ,Bims‘ verkauft. Zum Ferrophosphor ist folgendes nachzutragen. Bei unruhigem Ofengang - oder wenn die Arbeitshöhe der Elektroden durch einen zu großen Koksüberschuss nach oben verlagert war - kam es ab und zu vor, dass Ferrophosphor in mehr oder weniger heftigen Stößen mit der Schlacke zusammen aus dem Schlackenabstichloch schoss. Damit Ferrophosphor in einem solchen Fall keinen Schaden in der nachfolgenden Schlackenaufarbeitung anrichten kann, war unmittelbar am Schlackenabstich in einem so genannten Vorherd eine Mulde eingelassen. <?page no="54"?> 46 In dieser schied sich flüssiges Phosphoreisen ab. In der Regel verlief die Abscheidung wegen des großen Dichteunterschiedes zur flüssigen Schlacke verlässlich. Größere Schübe konnten aber nicht immer abgefangen werden. Bei der später (nach der ,Bims‘bzw. ,Porit‘-Ära) eingeführten Granulierung der Schlacke in einer Schlackenrinne gab es ab und an heftige Explosionen beim erstmaligen Zusammentreffen der Schlacke mit Wasser. Wir stellten fest, dass Form und Anordnung der ersten Wasserdüse an dieser Position Explosionen bei der Schlackengranulierung verhindern konnten. Es wurde ein strenges Kontrollsystem für den Einbau der Düsen eingeführt. Auch bei der zuvor praktizierten Bimsherstellung gab es einen Vorfall, der dann zur Einstellung der Produktion führte: Einmal floss so viel flüssiges Phosphoreisen in genannte Mulde, dass die vorhandene Wassermenge für die Abkühlung des Phosphoreisens nicht ausreichte. Das Phosphoreisen blieb bis zum Umlenkstern des Bandes flüssig und wurde so in das Wasserbecken mit abgekippt. Es kam zu einer heftigen Explosion. Der Greiferkran befand sich zu diesem Zeitpunkt direkt über der Grube. Durch die Druckwelle wurde die Treppe für den Einstieg von der Kranbahn in die Kranfahrer-Kabine stark beschädigt. Trotz ihres Schrecks bemerkte die in der Kabine tätige Kranfahrerin den Schaden an der Treppe, fuhr umsichtig die Kranbrücke aus dem Gefahrenbereich und wartete auf Rettung. Unverständlich ist, weshalb die Explosion nicht schon beim Einlaufen des Phosphoreisens in die Mulde erfolgt ist. Ich war damals Mitarbeiter in der ,Erzeugnisgruppe Leichtzuschlagstoffe‘ und konnte deshalb unmittelbar nach oben geschildertem Ereignis die Schäumanlage für Hochofenschlacke des Eisenhüttenkombinats Ost in allen Einzelheiten besichtigen. Der Bedienungsstand dieser Anlage war ein Betonbunker. Vor den Beobachtungsschlitzen befanden sich etwa 10 cm starke Glasplatten. Nach Auswertung dieses Besuches gelang es ohne große Diskussion, die Bims-Anlage am Phosphorofen für immer stillzulegen. Die Qualität des Produktes war ohnehin nicht überzeugend, und die Produktionsmenge spielte in der Gesamtbilanz keine große Rolle“. Der Ferrophosphor wird nach dem Abkühlen meist in handliche Stücke zerschlagen, oder in Masseln gegossen. Die Schlacke wird üblicherweise beim Abstich in eine feuerfest ausgekleidete Rinne geleitet, in der sie mit aufgespritztem Wasser in Kontakt gebracht wird (siehe dazu die von Schmädt erläuterten Details). Das Ergebnis ist Schlackengranulat mit der Korngröße von ca. 0,5 bis 2 mm. Da erstarrte CaSiO 3 - Schlacke im physikalischen Sinne ein Glas ist, sind die so erhaltenen Körnchen zwar recht scharfkantig, aber nicht besonders fest. <?page no="55"?> 47 Während das Phosphoreisen gewöhnlich seinen Absatz in der Metallurgie findet, ist eine vollständige und zudem noch sinnvolle Verwertung der Schlacke problematisch. Phosphorofenschlacke hat - im Gegensatz zur Hochofenschlacke - kaum hydraulische Eigenschaften. So ist ihr Einsatz in der Zementindustrie nur bedingt sinnvoll bzw. nicht in unbegrenztem Maße möglich. Als Mittel zum Abstumpfen der Eisglätte im Winter ist die granulierte Schlacke hingegen geeignet. Von Häuslebauern wurde sie seinerzeit beim Betonieren mit eingesetzt, wenn nicht sehr fester, sondern leichter Beton gefragt war. Auch als Rohstoff für die Industrieglaserzeugung kommt Phosphorofenschlacke, wenigstens als Beimengung zur Glasschmelze, infrage. Im Straßenbau wird die Schlacke ebenfalls, und zwar in Form gebrochener Blöcke, mit verwendet. Das von uns seinerzeit eingesetzte Kola-Apatit-Konzentrat enthält im Mittel ca. 0,8 % an Seltenen Erden SE 2 O 3 . Sie gelangen während des Ofenprozesses überwiegend in die Schlacke, die dann etwa 0,7 % SE 2 O 3 enthält. In Piesteritz wurden Verfahren zum salpetersauren Aufschluss der Schlacke zwecks Gewinnung des ebenfalls enthaltenen Strontiums in Form von Strontiumnitrat sowie - nach Teilneutralisation - eines Seltenerdkonzentrats durchgeführt. Nach Abfiltrieren des Konzentrats war die Aufarbeitung des Filtrats zu einem hochwertigen Stickstoff-Flüssigdünger vorgesehen (König, Richter und Schmitt 1985). Großtechnisch umgesetzt wurden diese interessanten Arbeiten jedoch leider nicht. Die Standzeit eines Phosphorofens hängt vor allem von der Lebensdauer der Kohleauskleidung ab. Da eine direkte Inspektion der jeweils noch verbliebenen Wandstärke während des Betriebes nicht möglich ist, wird mit so genannten Kobaltperlen gearbeitet. In die besonders gefährdeten Abstichblöcke werden zum Nachweis definierter Auswaschungen radioaktive „Perlen“ in unterschiedlichen Tiefen eingebracht. Der verwendete -Strahler 60 Co zeigt rechtzeitig an, dass die Gefahr eines Ofendurchbruchs droht. Ist die „innere“ Perle verschwunden, und ihre Radioaktivität in die Schlacke bzw. das Phosphoreisen übergegangen, so gilt dies als erste Warnung. Verschwindet die „äußere“ Perle, so hat man nicht mehr viel Zeit. Der Ofen wird geplant leer gefahren, außer Betrieb genommen, beräumt und neu ausgekleidet. Die stählerne Ofenwanne sowie der Ofenboden werden durch Berieseln mit Wasser gekühlt. Temperaturmessstellen an Wanne und Boden gewährleisten, dass lokale Überhitzungen, die auf Auswaschungen an der Kohleauskleidung hindeuten, zeitig erkannt werden können. Auf diese Weise sind nicht nur die mit Kobaltperlen versehenen Abstichblöcke, sondern alle im heißen Bereich des Ofens liegenden Partien unter ständiger Kontrolle. Ofendurchbrüche lassen sich so - durch rechtzeitiges Herunterfahren des Ofens - weitgehend vermeiden. <?page no="56"?> 48 Ofendurchbrüche gehören zu den extrem gefährlichen Störungen. Sie sind glücklicherweise recht selten. Ich selbst habe in meiner aktiven Zeit keinen solchen Durchbruch erlebt. Hingegen hat Schmädt (2012) eigene Erfahrungen gemacht. Er berichtet: „Ein echter Durchbruch von Ferrophosphor, Schlacke und Möller durch den Ofenboden ereignete sich in Piesteritz am 6. Oktober 1956. Die Auswertung der Vorgeschichte lässt vermuten, dass die Ausrüstung des Ofens mit auf höhere Leistung getrimmten Ofentrafos bei gleichzeitigem Austausch des bisher verwendeten Steinkohlenkokses durch den neu entwickelten BHT-Koks nicht beherrscht wurde. Wahrscheinlich wurden die Elektrodenspitzen zu dicht über dem Ofenboden gefahren. Diese Situation fand ich auch noch vor, als ich mich ab Juli 1957 erstmals mit der Ofenfahrweise und den Reaktionen des Ofens näher befasste. Nicht verständlich war damals vor allem, warum die Möllerzusammensetzung dauernd korrigiert werden musste. Ein Beinahe-Durchbruch ereignete sich, als der Ofen I sich bei laufendem Betrieb plötzlich bewegte. Nach dem sofortigen Abschalten des Ofens erwies sich, dass einige der in die Zuführungsrohre für den Möller zwecks elektrischer Isolierung eingebauten Betonringe Risse zeigten. Da sich bei einer kurzen Suche nach den Ursachen keine weiteren Schäden fanden, wurde der Ofen wieder zugeschaltet. Erst eine spätere ausführliche Kontrolle zeigte, dass sich das gesamte Schmelzgefäß des Ofens am äußeren Rand um einige cm angehoben hatte und frei über den Auflageträgern schwebte. Nur in der Mitte lag der Stahlboden noch ordnungsgemäß auf den Trägern. Die nunmehr nicht mehr korrekt angeordneten Schlackenrinnen wurden dem neuen Niveau angepasst, und der Ofenrand auf den Auflageträgern neu verkeilt. Eine Erklärung für die Verlagerung des Schmelzgefäßes gab es zunächst nicht. Monate später erfolgte dann eine planmäßige Generalreparatur. Dabei sollte u.a. auch die komplette Kohleauskleidung gewechselt werden. Als der alte Kohleboden ausgebrochen und der Ausbruch beräumt war, fanden wir in der Mitte des Ofens eine nach außen hin dünner werdende, mittig etwa 6 cm starke Linse aus .... Ferrophosphor. Da das Vorhandensein dieser Linse zuvor nicht bekannt war, wurde beim Ausbau des Kohlebodens auch nicht untersucht, wie Ferrophosphor unter den Kohleboden gelangen konnte. <?page no="57"?> 49 Zwischen dem Stahlboden des Ofengefäßes und der Kohleauskleidung befindet sich eine etwa 10 cm starke Schicht aus Feuerfestbeton als Niveauausgleich. Allein diese Schicht hatte offenbar verhindert, dass flüssiger Ferrophosphor an den Stahlboden gelangen und diesen aufschmelzen konnte. Die gute Bodenkühlung hat dabei sicherlich auch eine wichtige Rolle gespielt“ (Schmädt 2012). Eine entscheidende Sicherheitsmaßnahme für den Ofenbetrieb ist die kontinuierliche Wasserstoffmessung im Ofengas. Die oben erwähnten Tieffassungen arbeiten mit weit in den heißen Gasraum des Ofens hinein ragenden wassergekühlten Kupferbzw. Edelstahl-Kupfer-Backen. Die sehr erheblichen Temperaturdifferenzen zwischen den innen gekühlten und außen sehr heißen Backen können, insbesondere im Bereich der Schweißnähte, zu Haarrissen führen. Die - zunächst geringen - in den Ofenraum gelangenden Kühlwassermengen verdampfen sofort und reagieren mit dem CO im Gasraum nach CO + H 2 O CO 2 + H 2 oder - sehr wahrscheinlich überwiegt diese Umsetzung - mit dem Kohlenstoff des Möllers nach der so genannten Wassergas-Reaktion: C + H 2 O CO + H 2 . Der Wasserstoffschreiber zeigt daraufhin das Ansteigen der Wasserstoffmenge im Ofengas als Indiz für einen zu befürchtenden Wassereinbruch an. Es kann dann umgehend reagiert werden. Infrage kommt die Abschaltung des Ofens und der Austausch der Fassung. Ein massiver Spontan-Wassereinbruch führt hingegen sofort, noch ehe das Wasser überhaupt chemisch reagieren kann, zu einer Dampfexplosion schlimmsten Ausmaßes. Dies wird uns klar, wenn wir das Volumen des eintretenden Wassers im Verhältnis zum schlagartig daraus entstehenden Wasserdampf betrachten. So entstehen aus 180 l Wasser durch plötzliche Verdampfung 224 m 3 (! ) Wasserdampf. Wir brauchen deshalb gar nicht unbedingt die Chemie zu bemühen, um diese Art von Katastrophen zu erklären. Die Physik genügt vollständig. Dies gilt wohl auch für die oben beschriebenen Explosionen beim Kontakt flüssigen Ferrophosphors mit Wasser. In den 60er Jahren ereignete sich im Werk Knapsack der HOECHST A.G. ein folgenschwerer Wassereinbruch. Eine der Abstichdüsen (bzw. deren wassergekühlter Kupfermantel) hatte sich als undicht erwiesen. Die erforderliche Reparatur wurde nun vorbereitet. Der Ofen sollte bis zum Abschluss der Vorbereitungsarbeiten in Betrieb bleiben. <?page no="58"?> 50 So wurde auch verfahren. Die Handwerker und das Ofenpersonal hatten sich nach Abschluss der Vorbereitungsarbeiten bereits am Abstich versammelt, als verstärkt Wasser austrat, und zwar offenbar bevorzugt in Richtung Reaktionszone. Die Elektrodenspitzen standen wohl ziemlich tief. Das explosionsartig verdampfende Wasser führte zu einem Riss im Ofenmantel, und dann zu einem echten Ofendurchbruch. Unsere Knapsacker Kollegen hatten Tote und Verletzte zu beklagen. Im Jahre 1974 nahm ich am 2. IUPAC-Symposium zur Phosphorchemie in Prag teil und trug im Plenum zu meinem neuen Phosphorschlamm- Aufarbeitungsverfahren (Kap. 3.3) vor. Anschließend hatte ich die Gelegenheit, mit einem leitenden Kollegen aus Knapsack zu diskutieren. Ich fragte ihn auch nach der oben geschilderten schweren Havarie. Er erläuterte mir den Verlauf und sagte dann: „Hätten wir damals schon Nomex-Anzüge gehabt, so hätte niemand sterben müssen“. Nomex spielt heute in der passiven Sicherheitstechnik tatsächlich eine entscheidende Rolle. Die Aramidfaser Nomex (exakte chemische Bezeichnung: Poly-(m-phenylen-isophthalamid)) weist eine hohe Hitzeresistenz auf. Heutzutage arbeitet kein Abstichmann in einem Phosphorbetrieb, am Carbidofen oder im Eisenhüttenwerk mehr ohne Nomex- Anzug. Auch unsere Schlosser trugen zur Sicherheit schließlich Nomex- Anzüge, wenn sie z. B. an einer möglicherweise noch nicht ganz phosphorfreien Rohrleitung arbeiten mussten. Da der Gasraum des Phosphorofens unter einem gewissen - wenn auch relativ geringen - Überdruck steht, müssen die Elektroden mit Stopfbuchsen versehen sein. Diese sind einem sehr hohen Verschleiß ausgesetzt, insbesondere durch die häufigen Regulierbewegungen beim Steuern des Ofens bedingt. Deshalb ist es nicht ungewöhnlich, wenn aus den Stopfbuchsen manchmal mehr oder minder große Flammen herausschlagen. Auch die Söderbergelektroden sind gegenüber dem Ofengas nicht völlig dicht. Dies wird verständlich, wenn man an die zunächst lose Schüttung der „grünen“ Elektrodenmasse und die nicht exakt zu lokalisierende Zone des Verbackens und Festbrennens denkt. Jedenfalls kommt es vor, dass etwas Ofengas die grüne Elektrodenmasse durchströmt und an der Oberfläche der Schüttung abbrennt. Das kann - ebenso wie die brennenden Stopfbuchsen - für Ungeübte ziemlich dramatisch aussehen, zumal der mit dem CO zusammen austretende Phosphordampf sofort zu dichten, weißen, zum Husten reizenden P 4 O 10 -Nebeln verbrennt. <?page no="59"?> 51 Eines Tages verlor der zuständige Technologe die Nerven und rief die Feuerwehr. Ich kenne den Ablauf des Geschehens nur aus der Schilderung eines nach meiner Erinnerung unbedingt zuverlässigen Schichtleiters. Dieser war vom Eintreffen der Feuerwehr - die nicht er gerufen hatte - mehr als befremdet. Er folgte deshalb misstrauisch einem Feuerwehrmann, der einen Schlauch bis zur Elektrodenbühne zog und gerade Wasser in den Elektrodenschuss leiten wollte, aus dem die Flammen herausschlugen. In letzter Sekunde hinderte ihn der Schichtleiter daran. Der Ofen wäre sofort explodiert, das steht außer Zweifel. Glücklicherweise sind derartige Vorfälle recht selten, aber wohl nie ganz auszuschließen. Erstens hätte sich leicht durch einfache Entlastung des Ofens, ferner durch Nachstopfen der Buchsen, und schließlich durch maximales Nachschütten grüner Elektrodenmasse das normale Ofenregime wieder herstellen lassen. Zweitens war das Anfordern der Feuerwehr in der gegebenen Situation unangemessen. Drittens hätte die Feuerwehr - es war schließlich die Betriebsfeuerwehr - ein Minimum an Kenntnissen davon haben müssen, was im Phosphorofenhaus erlaubt, und was unter allen Umständen verboten ist. Ein besonders gefährlicher Arbeitsplatz ist der bereits erwähnte Abstich. Der Abstichvorgang verläuft nicht immer ruhig. Manchmal schießt das Phosphoreisen bzw. die Schlacke mit unerwarteter Heftigkeit aus dem Abstich. Oft spritzen glutflüssige Schlacketeilchen herum. Grundsätzlich sollten deshalb am Abstich Nomex-Anzug, Handschuhe sowie angemessener Gesichtsschutz getragen werden. Nomex, oben bereits kurz erwähnt, ist eine von Du Pont in den sechziger Jahren entwickelte Aramid-Faser, die Temperaturen bis zu 370° C aushält. Vor der Nomex-Ära kamen nicht selten tödliche Verbrennungen vor. Auch in Piesteritz sind wir davon nicht verschont geblieben, wenn auch nicht am Abstich, so doch bei Reparaturarbeiten an CO-Gasleitungen. Diese sind, sofern das Gas („Rohgas“) vom Phosphorofen stammt, niemals frei von gelbem Phosphor. Die damit verbundenen Probleme und Sicherheitsrisiken werde ich weiter unten detailliert behandeln. <?page no="60"?> 52 2.3 Innerbetriebliche Handhabung und Transport Die besonderen Eigenschaften des Phosphors erfordern ein sicherheitstechnisch strenges Regime. Dies betrifft die Handhabung wie auch den innerbetrieblichen und den Ferntransport. Die Handhabung festen Phosphors ist noch ziemlich einfach. Sie hat insbesondere Bedeutung, wenn es um die Versorgung von Phosphor verbrauchenden Versuchsanlagen oder Phosphorpentoxid-Anlagen kleineren Maßstabs geht. Letzt genannter Fall lag in Piesteritz vor. Wir betrieben eine kleine Anlage mit einer Kapazität von 600 kg/ d P 4 O 10 . Die Technologie stammte noch aus I.G.- Zeiten. Die Quellenlage ist unklar, Dokumentationen existierten nicht mehr. Ich kann, was technologische Einzelheiten betrifft, nichts zu den Beweggründen bzw. Auswahlkriterien unserer Vorgänger sagen. Warum - beispielsweise - wurde mit einem Teller-Brenner, nicht aber mit einer klassischen Phosphor-Luft- Düse gearbeitet? Unsere Versuche zum Umstieg auf „normale“ Düsen sind damals fehlgeschlagen. So wurde denn weiter mit einer auf einem Edelstahl-Teller brennenden Phosphorschicht gearbeitet. Die Regulierung der zugeführten Verbrennungsluft war ein anlagenspezifisches Kunststück. Wer es nicht beherrschte, produzierte Ausschuss mit zu hohem P 4 O 6 -Gehalt. Der Kondensationsteil der Anlage war luftgekühlt. Die Schüttgewichte der im ersten bzw. zweiten Kondensator abgeschiedenen Produkte unterschieden sich, was für einige Anwender des pulverförmigen Pentoxids von Bedeutung war. Die Beschickung des Tellerbrenners erfolgte von selbst über ein kommunizierend installiertes - mit Heißwasser gefülltes - Schmelzgefäß, in das hinein der Phosphor bei Bedarf in fester Form nachgelegt wurde. Wir arbeiteten mit so genannten Phosphorziegeln, die in einfacher Weise hergestellt wurden. Flüssiger Phosphor wurde in eine mit Heißwasser gefüllte flache Wanne gehebert. Mit Hilfe eines gitterförmigen Einsatzes wurde dafür gesorgt, dass der Phosphor beim nachfolgenden Abkühlen nicht in einem großen Block, sondern in vorteilhaft dimensionierten Teilstücken erstarrte. In unserem Falle hatten sie annähernd die Abmaße eines üblichen Ziegelsteins (deshalb „Phosphorziegel“). Sie wurden nach Herausziehen des Gitters aus der Wanne genommen und in einem Reservoir unter kaltem Wasser gelagert. Aus diesem Reservoir wurden sie je nach Bedarf, ebenfalls von Hand, in das kommunizierend mit dem Tellerbrenner verbundene Schmelzgefäß überführt („Phosphor auflegen“). <?page no="61"?> 53 Die erforderlichen Arbeitsschutzmittel sind in diesem Falle einfach. Arbeitsanzug, Schutzbrille und Handschuhe genügen. Allerdings sind die vorgeschriebenen Gummihandschuhe nicht unbedingt ideal. Entzündet sich auf einem solchen Handschuh ein noch so kleines Phosphorpartikel, so brennt sich der Phosphor fast augenblicklich durch den manchmal zu eng anliegenden Handschuh und führt dann zu den gefürchteten, äußerst schmerzhaften Brandwunden (s. Kap. 2.4). Deshalb bevorzugten unsere Arbeiter meist Handschuhe aus grobem Leinen, die sie vor Gebrauch nass machten. Solche Handschuhe, da sie nicht straff anliegen, lassen sich sofort wegschleudern, wenn Phosphorpartikel zu brennen anfangen. So bleibt der Arbeiter unverletzt. Natürlich muss er sich anschließend intensiv die Hände waschen, da die geschilderten Manipulationen in phosphorhaltigem Wasser erfolgen. Eines Tages benötigte ich für Laborversuche eine kleine Menge Phosphors. Ich wollte ihn mir selbst holen und versuchte mit einer Eisenstange ein Stück von einem der unter Wasser lagernden Phosphorziegel abzustoßen. Nicht beachtet hatte ich, dass der Ziegel schräg auf den anderen Ziegeln lag und eine Ecke des Ziegels ein wenig, nur etwa 5 mm, aus dem Wasser herausragte. Es war ein kühler, wolkiger Tag, so dass sich diese Ecke (noch) nicht selbst entzündet hatte. Ich stieß die Eisenstange nun auf den unter Wasser liegenden Phosphorziegel, um ein Stück abzubrechen. Dabei rutschte die Stange auf dem schräg liegenden Ziegel nach oben, genau in Richtung der frei liegenden Ecke. Sofort begann ein heftiges Feuerwerk. Der brennende Phosphor spritzte um mich herum. Ich hatte in der geschilderten Situation mehr Glück als Verstand, zumal ich nicht ordnungsgemäß ausgerüstet war. Passiert ist mir nichts. Diese ausgemachte Eselei verschaffte mir aber den angemessenen Respekt vor den Tücken des gelben Phosphors. Der Leser wird sich nun berechtigt fragen, warum das ausgerechnet dem zuständigen Betriebsleiter passieren musste. Mangelnde Erfahrung und Unbedachtheit erklären die Sache am ehesten. Schmädt (2012) bemerkt: „Unabhängig von der Außentemperatur entzündet sich fester Phosphor an der Bruchstelle sofort, wenn ein Stück gewaltsam zerschlagen wird. Ich vermute, dass an der Bruchstelle äußerst aktive Zonen entstehen, die eine sofortige Reaktion einleiten. Eine vergleichbare Situation liegt vor, wenn Flansch und Gegenflansch an einer noch mit Phosphor gefüllten kalten Leitung ohne entsprechende Sicherheitsmaßnahmen gewaltsam auseinandergedrückt werden. Wir hatten deshalb zwei schwere Unfälle mit Todesfolge zu beklagen“. <?page no="62"?> 54 Zwar ist zu bedenken, dass ich zum Zeitpunkt des geschilderten Vorfalls erst wenige Monate Betriebsleiter war, jedoch entlastet mich das nicht. Ich habe zwar vor Beginn meiner Tätigkeit in diesem Bereich niemals eine spezielle Anleitung bekommen, sie aber auch nicht erbeten bzw. eingefordert. Es handelt sich wohl um ein generelles - nicht etwa phosphorspezifisches - Problem. Ich werde deshalb beide Seiten der Medaille später mit behandeln („Holepflicht“ und „Bringepflicht“, was sicherheitstechnisch wichtige Informationen anbelangt). Besonders gefährlich ist der Umgang mit flüssigem Phosphor. Phosphorlager werden im normalen Betrieb heiß gehalten, da der Phosphor in großen Mengen benötigt wird und kontinuierlich verfügbar sein muss. Der innerbetriebliche Transport, z. B. vom Ofenhaus zur Phosphorsäureanlage, kann durch mit Begleitheizung ausgestattete Leitungen oder mit Doppelmantel versehene Leitungen erfolgen. Abb. 6 zeigt beide Typen (oben: Leitung mit Begleitheizung; unten: Leitung mit Mantelheizung). Heizmedium ist gewöhnlich Dampf. Abb. 6 Die beiden allgemein gebräuchlichen Typen von Phosphorleitungen Oben: Phosphorleitung mit Begleitheizung 1 Phosphorleitung 2 Begleitheizung 2a Dampfbrücke 3 Flansch der Phosphorleitung 4 Wärmeisolation Unten: Phosphorleitung mit Mantelheizung 1 Phosphorleitung 2 Heizmantel 2a Dampfbrücke 3 Flansch der Phosphorleitung 4 Wärmeisolation <?page no="63"?> 55 Die stets erforderlichen Flansch-Schutzringe wurden hier im Interesse der Übersichtlichkeit nicht mit dargestellt. Ob der Flanschbereich samt Dampfbrücke mit einisoliert werden sollte, ist strittig - und wohl nicht eindeutig zu entscheiden. Isoliert man ihn mit ein, so ist der Flanschbereich im Falle eines Defekts nach außen zusätzlich gesichert. Allerdings kann der Defekt dann nicht sofort bemerkt werden, und der Phosphor gelangt unkontrolliert - und unkontrollierbar - in die Isolierung. Isoliert man den Flanschbereich hingegen nicht mit ein, so gelangt im Falle eines Defektes, z. B. einer korrodierten Schweißnaht, der Phosphor direkt nach außen. Da er sich sofort entzündet, ist der Defekt gut sichtbar, und es kann gehandelt werden. Ich bevorzuge diese Variante. Sie erscheint zunächst gefährlich, aber im unmittelbaren Bereich solcher Leitungen arbeitet ohnehin nur erfahrenes Stammpersonal. Falls eine derartige Leitung die Werksstraße überquert, kann mit einer den sensiblen Abschnitt der Leitung umschließenden Blechröhre - also mit einer überlangen Manschette - als Schutz gearbeitet werden. Ergänzend seien hier die Erfahrungen von Schmädt (2012) mitgeteilt: „Wenn eine Leitung mit Phosphor gefüllt ist und der Phosphor in der Leitung erstarrt, weil die Beheizung der Leitung aus irgendeinem Grund ausgefallen ist, muss damit gerechnet werden, dass beim Wiederaufheizen der aufschmelzende Phosphor sich stärker ausdehnt als die Leitung. Das heißt, das Phosphorvolumen ist dann größer als das verfügbare Volumen. Nicht selten wird deshalb die Dichtung zwischen den Flanschen herausgedrückt. In einer solchen Situation erlitt ein Arbeiter im Ofenhaus so schwere Verbrennungen durch herausspritzenden Phosphor, dass er nach einigen Tagen verstarb. Kurz nachdem er die zuvor ausgefallene Beheizung einer Phosphorleitung wieder in Betrieb gesetzt hatte, bemerkte er eine kleine Phosphorflamme an einem durch eine Manschette geschützten Flansch. Er näherte sich diesem Bereich, um nach der Ursache zu sehen. In diesem Augenblick wurde er von einem aus dem Flansch herausschießenden brennenden Phosphorstrahl getroffen“. Ein Vorteil der - energetisch allerdings ungünstigen - Leitungen mit einisolierter Begleitheizung ist, dass kein Phosphor in das Dampfsystem gelangen kann. Hingegen ist dies im Falle der Leitungen mit Mantelheizung möglich. Deshalb muss dann das Dampfkondensat kontrolliert werden. Wird darin das Auftreten von Phosphor beobachtet, ist das Leitungssystem sofort außer Betrieb zu nehmen. <?page no="64"?> 56 Erst nach Ortung und Reparatur des Schadens kann die Leitung wieder genutzt werden. Weil die Verseuchung des Dampfsystems mit Phosphor zu ernsten Schwierigkeiten in anderen Bereichen führen kann, wird in manchen Anlagen zirkulierendes Heißwasser bevorzugt. „Wir hatten im Ofenhaus damit experimentiert, die Flansche direkt bündig vor das Innenwie das Außenrohr zu schweißen. Schon nach kurzer Betriebszeit fanden wir Phosphor im Außenrohr. Wahrscheinlich waren die Temperaturen im Innenbzw. im Außenrohr so unterschiedlich, dass die Schweißnähte infolge der unterschiedlichen Längenausdehnung gerissen sind. Die Phosphortemperatur im Innenrohr beträgt 60-70°C, die Dampftemperatur im Außenrohr 140°C“ (Schmädt 2012) Die Phosphorlagergefäße sind meist aus Edelstahl oder mit Blei plattiertem Stahl gefertigt. An sich würde gewöhnlicher Stahl genügen, aber das unverzichtbare Deckwasser versäuert an der Luft schnell, so dass gewöhnliche Stahlgefäße korrodieren würden. Der in den Phosphorvorratsgefäßen oder in den heiß betriebenen Phosphorlagern aufbewahrte Phosphor wird entweder mit Hilfe von Heizschlangen oder über eine Mantelheizung flüssig gehalten. Prinzipiell könnte auch direkt eingeblasener Dampf verwendet werden, diese Variante wird jedoch nur in Ausnahmefällen genutzt. Dafür gibt es zwei Gründe. Die extremen Turbulenzen und die lokale Überhitzung im Bereich des Direkt-Dampfeintritts führen zu einer starken Aufwärtsströmung, verbunden mit erheblicher - zusätzlicher - Belastung des Deckwassers mit feinst verteiltem Phosphor. Die Folge ist, dass das Deckwasser noch schneller und noch stärker als gewöhnlich versäuert, und dass damit seine Reinigung unnötig erschwert wird. Noch wichtiger ist der zweite Grund. Die direkte Verbindung des Mediums Dampf mit dem Medium Phosphor führt dazu, dass Phosphor in das Dampfsystem gelangen kann. Sinkt der Dampfdruck, wird die Heizung zwischenzeitlich einmal außer Betrieb genommen oder schließt das Dampfventil nicht dicht, tritt diese gefährliche Situation ein. Festen Phosphor direkt mit Dampf aufzuschmelzen ist ebenso bedenklich. Schmädt (2012) berichtet von seinen Erfahrungen: „Oft spielte Leichtsinn eine Rolle. Ich habe deshalb in Betriebsschulungen versucht, mit einer Gedächtnisstütze den Arbeitern immer wieder die Gefahr vor Augen zu führen und die ,3-D-Regel‘ eingeführt: D ampf- D ruck- D urchbruch; leider nicht immer mit Erfolg. Als ich nach einer schweren Verbrennung eines Arbeiters diesen in der Unfallstation aufsuchte, wurde er noch von dem herbeigerufenen Arzt behandelt. <?page no="65"?> 57 Der Verunglückte sah mich sofort und sagte wörtlich: ,Herr Schmädt, ich habe die 3-D-Regel nicht beachtet‘. Er hatte eine Dampflanze in ein durch erstarrten Phosphor verstopftes Rohr zum Freischmelzen eingeführt. Ich musste daraufhin zwei weiteren anwesenden Personen erklären, was mit der ,3-D-Regel‘ gemeint ist“. Phosphor kann direkt mit Tauchpumpen gefördert werden, aber auch das Drücken mit Heißwasser kommt infrage. Die letztgenannte Variante ist beispielsweise für das Fördern des Phosphors zu den Verbrennungsdüsen der Phosphorsäureanlage gebräuchlich. So wurde auch in Piesteritz verfahren. Die Phosphor-Zwischenbehälter waren liegende Zylinder, in die das Heißwasser gepumpt und aus denen der Phosphor per Steigleitung zu den Verbrennungstürmen gedrückt wurde. In ähnlicher Weise lassen sich auch Phosphorkesselwagen entleeren (Abb. 8). Generell wird nach Möglichkeit vermieden, Phosphorbehälter - unabhängig von Art, Größe und Funktion - mit Bodenentleerung auszustatten. Die Gefahr, dass die Absperr-Armatur einer solchen Bodenentleerung undicht werden könnte, und der Phosphor dann unkontrolliert austritt, ist einfach zu groß. So verbleiben denn in der betrieblichen Praxis die genannten Varianten (Tauchpumpe, Drücken mit Heißwasser). Grundsätzliche Bedeutung hat ferner das Hebern. Es spielt insbesondere dann eine Rolle, wenn mit überschaubaren Mengen operiert wird. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn die oben bereits beschriebenen „Phosphorziegel“ für die Pentoxidproduktion hergestellt werden sollen. Auch Phosphorfässer werden gewöhnlich per Heberleitung gefüllt. Gehebert werden kann natürlich nur, wenn ein entsprechender Niveau-Unterschied zwischen dem Phosphor enthaltenden Reservoir und dem per Heber zu füllenden Gefäß gegeben, d. h., dass genanntes Reservoir hoch genug angeordnet ist. Als weiteres Beispiel seien die Kondensat-Sammelgefäße unterhalb der vom Ofenhaus zur Salzanlage bzw. zur Granulieranlage führenden CO- Leitung angeführt. Wie oben erwähnt, ist das Ofengas auch nach Kondensation des Phosphors niemals phosphorfrei. Es muss damit gerechnet werden, dass sich in der genannten Leitung, insbesondere bei niedrigen Außentemperaturen, allmählich ein wesentlicher Teil des im Gas noch enthaltenen Phosphors in fester Form abscheidet. Um die Leitung warten zu können, ist sie mit etwas Neigung gegen die Horizontale verlegt. Der Phosphor schmilzt beim Freidampfen auf. Er kann dann zum tiefsten Punkt hin ablaufen und sammelt sich - nebst Kondensat - in einem an die Leitung angeflanschten Rohrstutzen. <?page no="66"?> 58 Daraus wird er samt Kondensat in ein Sammelgefäß abgelassen, aus dem er abgehebert werden kann. Abb. 7 zeigt die gesamte Vorrichtung. Die Darstellung ist schematisch. Die Verhältnisse der einzelnen Elemente zueinander sind nicht maßstäblich. Je nach Länge der Gasleitung sind mehrere Vorrichtungen dieser Art notwendig. Abb. 7 CO-Gasleitung mit Vorrichtung für das Ablassen des P-haltigen Kondensates 1 Gasleitung 2 Dampfstutzen 3 Isolierung 4 Kondensatsammler 5 Ablassventil 6 Wasserüberlauf 7 Ablassgefäß W Wasser (Kondensat) P Phosphor Das Füllen von Fässern für den Versand erfolgt, wie gesagt, meist durch Abhebern des Phosphors aus einem Reservoir. Man lässt den Phosphor dann unter Deckwasser in den Fässern erstarren. <?page no="67"?> 59 Der Transport der verschlossenen 200 l-Fässer per Eisenbahn-Waggon ist allgemein üblich. Die Fässer werden stehend transportiert. Wird „Fassphosphor“ für den eigenen Bedarf aus anderen Werken bezogen, so ist die sichere Entleerung zu gewährleisten. Eine einfache Möglichkeit besteht darin, das Fass mit dem zuvor geöffneten Spundloch nach unten in einer mit Heißwasser gefüllten Wanne aufzuheizen. Hilfreich ist ein Hebezeug mit einer entsprechend dimensionierten Klaue. Wir haben meist mehrere Fässer gleichzeitig erhitzt und entleert. Damit die Fässer einwandfrei leer laufen, ist ein in die Wanne eingesetztes Lochblech mit Distanz zum Boden nützlich. Jedoch ist das anschließende Spülen der Fässer mühsam, wenn es nur durch das Spundloch erfolgen kann. Später haben wir deshalb eine Art „Büchsenöffner“ konstruiert, mit dem sich das stehende Fass unmittelbar unter der oberen Stirnfläche rundum aufschneiden lässt. Setzt man nun das aufgeschnittene Fass mit der Öffnung nach unten in die wassergefüllte Heizwanne ein, so genügen oft wenige Minuten, bis der ringsum angeschmolzene Phosphorblock das Herausziehen des Fasses per Hebezeug ermöglicht. Der Phosphorblock schmilzt sodann komplett auf, und das Fass wird in einer zweiten Heißwasserwanne phosphorfrei gespült. Die Beschriftung der wasserfesten Aufkleber für solche Fässer hat, neben den Routineangaben zum Produkt, detaillierte Sicherheitshinweise zu enthalten. Beispielhaft seien hier die Hinweise auf den von der Occidental Chemical Corp. (1996) verwendeten großflächigen Folie-Aufklebern originalgetreu wiedergegeben: Phosphorus, White DANGER Extremely flammable - evolves irritating fumes. Catches fire if exposed to air. Contact with skin or eyes may cause severe burns. May be fatal if swallowed. Possible hazard to pregnant women, based on animal data. May cause liver, kidney, cardiovascular and bone damage. Keep container closed except when transferring material. Do not breathe fumes. Do not get in eyes, on skin, on clothing. Wash thoroughly after handling. Use googles, face shield and rubber shoes. <?page no="68"?> 60 Wear protective clothing and gloves made of vinyl, neoprene or rubber. Insure adequate ventilation or use an approved respirator. Do not store near combustible materials. Do not allow entry to sewers or waterways. If allowed to dry, phosphorus contaminated water will spontaneously ignite, and may cause severe burns. Man sollte keinen Hinweis übersehen und nicht eine dieser Regeln missachten. Routine ist zwar notwendig, um zügig arbeiten zu können, jedoch macht sie früher oder später auch leichtsinnig. Als Beispiel sei das manchmal unbeachtete - und damit unterschätzte - „von selbst“ verlaufende Hebern genannt. Nicht immer wird das Aufschmelzen von Phosphor, wie vorgeschrieben und oben erläutert, mit Heißwasser oder einer dampfdurchströmten Heizschlange vorgenommen. Manchmal wird, besonders, wenn es sich um kleinere Phosphormengen handelt, auch mit der Dampflanze (d. h. also, mit Direktdampf) gearbeitet. Nachstehende Schilderung zeigt, welche Folgen das haben kann. Im Ofenhaus hatte ein Schlosser den Auftrag, an einer kleineren Phosphorwanne Änderungsarbeiten vorzunehmen. Die Wanne war kalt, der Phosphor unter dem Deckwasser erstarrt. Vor Beginn der Arbeiten war, wie immer in solchen Fällen, der Phosphor aus der Wanne zu entfernen. Der Schlosser hatte sich nun nicht an den für diesen Teil der Arbeit allein zuständigen Anlagenfahrer gewandt, sondern selbst mit den Vorbereitungen begonnen. Auf dem betonierten Fußboden lag eine per Schlauch mit der Dampfleitung verbundene Dampflanze. Der Schlosser drehte das Dampfventil auf, wohl zwecks Funktionsprüfung vor dem geplanten Einführen der Dampflanze in die Wanne. Nun nahm das Unheil seinen Lauf. In der Dampflanze befand sich noch etwas Phosphor vom vorherigen Einsatz. Dieser Phosphor schmolz jetzt auf. Der Dampf konnte nunmehr ungehindert austreten und riss brennenden Phosphor mit sich. Da der Schlosser das Dampfventil ziemlich weit aufgedreht hatte, wurde der Schlauch mit der Lanze unter dem hohen Dampfdruck auf dem Boden unkontrolliert hin und her geschleudert. Der mit dem Dampf und dem sehr heißen Kondensat zusammen austretende Phosphor verursachte schwere Verbrennungen, an denen der Schlosser wenige Tage später verstarb (s. a. Kap. 2. 4). Die Rekonstruktion des Herganges gelingt, wenn man vom zwar unbeabsichtigten, aber unvermeidlichen („von selbst“ verlaufenden) Ansaugen des Phosphors beim vorherigen Einsatz der Lanze ausgeht. <?page no="69"?> 61 Heizt man Phosphor ausnahmsweise mit Direktdampf auf, muss die Lanze unbedingt noch unter Dampfdruck aus dem Behälter gezogen werden. Belässt man die Lanze im Behälter und schließt nur das Dampfventil, wird mit fortschreitender Abkühlung Phosphor in die Lanze gesaugt. Zieht man sie nun heraus, so entzündet sich der in der Lanze befindliche Phosphor zwar meist, aber nicht immer (z. B. wenn es kalt im Ofenhaus ist, oder die Lanze mit Wasser abgekühlt wird). Dann reagiert die zunächst feuchte, vergleichsweise kleine Oberfläche, die am Ende des in der Lanze erstarrten Phosphorpfropfens Kontakt mit der Luft bekommt, langsam zu einem Gemisch von Phosphorsäuren diverser Oxidationsstufen. Dieses Gemisch ist schmierig, schützt vor weiterer Oxidation und verhindert damit die Selbstentzündung des Phosphors. Wenn man dann - nicht ahnend, dass noch Phosphor in der Lanze ist - den Dampf aufdreht, schmilzt der Phosphor und spritzt mit den geschilderten Folgen brennend heraus. Ein sicherheitstechnisch besonders wichtiges Gebiet ist das Befüllen und Entleeren von Phosphorkesselwagen. In Piesteritz haben wir Phosphor nur in Ausnahmefällen verschickt, aber über Jahrzehnte in großen Mengen aus Kasachstan bezogen und in unserer Säureanlage verarbeitet. Kleinere Mengen wurden auch aus Bitterfeld zugekauft. Die kasachischen Phosphorkesselwagen hatten (und haben) ein Ladegewicht von 50 t, die damals zwischen Bitterfeld und Piesteritz pendelnden Wagen hatten ein solches von 20 t. Als Entladetechnologie kommt die Druckentleerung per Steigrohr, aber auch die Saugentladung infrage. Abb. 8 zeigt die Prinzipskizze eines Phosphorkesselwagens mit Mantelheizung. Im Falle der Saugentleerung wird das normalerweise als Steigrohr benutzte - bis zum Boden des Kessels reichende - Rohr als Saugrohr eingesetzt. Der Mannlochdeckel des Kessels muss dann nicht unbedingt dicht schließen. Nach Aufheizen des Kesselinhaltes per Dampfmantel kann sofort mit der Entleerung begonnen werden. Diese Variante hat allerdings den Nachteil, dass mit dem Absinken des Phosphorstandes, und damit der Deckwasserschicht, Phosphorreste an der Innenwand des Kessels hängen bleiben, die sich alsbald von selbst entzünden können. Enthält die Ladung Phosphorschlamm, verstärkt sich die Gefahr. Notwendig ist deshalb, während des Entladevorganges den jeweils abgesaugten Phosphormengen entsprechende Heißwassermengen kontinuierlich zuzuführen. Weiter unten beschreibe ich die später von uns praktizierte Saugentleerung per Heberleitung. <?page no="70"?> 62 In Piesteritz wurde zunächst, wie wahrscheinlich in den meisten Werken, überwiegend die Entleerung per Steigrohr durchgeführt. Dazu muss der Mannloch-Deckelflansch selbstverständlich rundum dicht sein. Allerdings kamen die kasachischen Kesselwagen nicht immer in diesem - an sich standardmäßig zu fordernden - Zustand auf unserem Entladegleis an. Manchmal fehlten etliche Schrauben. Die vorhandenen waren meist alt und verrostet, sichtlich irgendwo zusammengesucht. Auch ließ die Qualität der Dichtungen zu wünschen übrig. Wir haben dann in Piesteritz ziemlich mühsam die erforderliche Komplettierung vorgenommen, auch unter Einsatz selbst geschnittener Dichtungen und durch Beisteuern eigener normgerechter Schrauben. In den Verhandlungen mit den kasachischen Partnern habe ich die Mängel stets angesprochen, dabei aber auf Sachlichkeit und Freundlichkeit gesetzt. Das hat sich wohl ausgezahlt. Die schlimmsten Mängel wurden im Laufe der Jahre nach und nach behoben. In Vorbereitung der Druckentleerung wird zunächst der Phosphor aufgeschmolzen, indem Dampf auf den Heizmantel 3 (Abb. 8) gegeben wird. Nach dem Aufschmelzen des Phosphors wird Heißwasser über den Stutzen 1 in den Kessel gepumpt; so wird der Phosphor über das Steigrohr und den Steigrohrstutzen 2 in das Lager gedrückt (die jeweiligen Leitungen sind in Abb. 8 nicht mit dargestellt). Im Falle der kasachischen Lieferungen war der Phosphor niemals völlig rein. Der irregulär mitgelieferte Phosphorschlamm S hat ein spez. Gewicht von ca. 1,3 g/ cm 3 . Er schwimmt stets, wie in Abb. 8 zu erkennen, als mehr oder minder starke Schicht auf dem reinen gelben Phosphor. Darüber befindet sich das Deckwasser W. Der im Kapitel 2.2 bereits mehrfach erwähnte Phosphorschlamm S ist ein bei der Herstellung gelben Phosphors unvermeidlich anfallendes, unerwünschtes und schwierig zu handhabendes Nebenprodukt. Alle mit dem Phosphorschlamm zusammenhängenden wissenschaftlichen und technischen Fragen habe ich ausführlich im Kapitel 3 abgehandelt. Nach Beendigung des Entleerungsvorganges ist der Kesselwagen mit Heißwasser gefüllt. Wasser ist eine zwar sicherheitstechnisch ideale, aus Kostengründen jedoch inakzeptable Rückfracht. Für unsere Lieferungen aus Kasachstan kam hinzu, dass mit Wasser gefüllte Kessel im Winter bei zweistelligen Minusgraden wohl geplatzt wären. Selbst zwecks Gefrierpunktserniedrigung zugesetzte Elektrolyte sind unter diesen Bedingungen nicht uneingeschränkt tauglich. <?page no="71"?> 63 Abb. 8 Phosphorkesselwagen mit Mantelheizung; Entleerung über Steigrohr 1 Heißwasserstutzen 2 Steigrohrstutzen und Steigrohr 3 Mantelheizung 4 Dampfstutzen 5 Kondensatstutzen W Wasser S P-Schlamm P Phosphor Man kann allerdings die mit Wasser gefüllten Kesselwagen nicht einfach entleeren und an den Phosphorlieferanten zurückschicken. Stets haften noch Phosphorreste an der Innenwand des Kessels, die sich alsbald von selbst entzünden würden. Besonders viel bleibt haften, wenn die Phosphorlieferung auch Phosphorschlamm enthält. Deshalb muss der Kessel vor seinem Rücktransport intensiv phosphorfrei gespült werden. Sind Phosphorschlammreste im Spiel, ist dies wegen der klebrigen Konsistenz des Schlammes besonders schwierig. Unsere kasachischen Lieferanten verlangten, dass nur sauber gespülte Kesselwagen mit sehr wenig Wasser (Maximalstand: 20 cm) zurückgeschickt werden durften. So wurde dann auch verfahren. Wir haben den Begriff „phosphorfrei gespült“ mit Blick auf die Neubefüllung in Kasachstan allerdings ziemlich locker interpretiert und uns für alle Fälle damit beholfen, den Luftraum des Kessels mit Stickstoff zu füllen. Die Anforderungen an den technischen Zustand derartiger Kesselwagen sind hoch. Insbesondere müssen alle Schweißnähte in einwandfreiem Zustand sein. Undichtheiten sind, wie wohl nicht näher begründet werden muss, grundsätzlich problematisch. <?page no="72"?> 64 Der Dampfmantel bietet zwar einen gewissen Schutz, wenn man ihn als Sicherheitselement für den Fall eines defekten Kessels ansieht; indes gelangt dann Phosphor in das Dampfkondensat, was bei einer zentralen Dampfversorgung mit Kondensatrückführung eine zwischengeschaltete Sicherheitseinrichtung erfordern würde. Wir sind ein solches Risiko nicht eingegangen und haben den Kondensatablauf des Dampfmantels offen in den Pumpensumpf der Entlade-Gleistasse geführt. Wurde dort Phosphor beobachtet, so unterbrachen wir das Aufheizen sofort. Dampfzufuhr und Kondensatablauf wurden geschlossen, und der Heizmantel nur noch als Sicherheits-Doppelmantel für diesen Sonderfall betrachtet. Das weitere Aufheizen des Kesselinhaltes erfolgte dann ausnahmsweise per Direktdampf über eine Dampflanze. War der Phosphor aufgeschmolzen, wurde er abgehebert. Die Hebertechnologie haben wir in derartigen und anderen Sonderfällen stets bevorzugt. Was weiter oben zur Entladevariante „Absaugen“ gesagt wurde, gilt nicht nur für das Entladen per Pumpe, sondern prinzipiell auch für das Hebern. Das Nachfüllen von Heißwasser während des Hebervorganges haben wir von Hand gesteuert. Hier ist nicht Automatik gefragt, sondern fachkundiges Beobachten des Entladevorganges und angemessenes Reagieren. Dazu gehörte für uns auch, dass nicht das gesamte Kesselvolumen stets randvoll gehalten wurde. Vielmehr haben wir oft bereits gegen Ende des Hebervorganges bzw. unmittelbar danach mit dem Spülen begonnen. Es wurde mit einer gebogenen Heißwasser-Lanze gearbeitet, so dass insbesondere hängen gebliebene Schlammreste rechtzeitig - fast immer vor ihrer spontanen Entzündung - von der Wandung des Kessels abgespült werden konnten. Insgesamt lässt sich auf diese Weise viel Heißwasser sparen. Später wurde die Hebertechnologie für uns fast zum Standard. Sie hatte den in Anbetracht des Zustandes der kasachischen Kesselwagen für uns wichtigen Vorteil, dass die Beschaffenheit der Mannloch-Deckelflansche, der Schrauben und der Dichtungen nun nicht mehr von Interesse war. Auch ist ein drucklos verlaufender innerbetrieblicher Transport des Phosphors sicherheitstechnisch stets von Vorteil. In einem Falle hatte unser kasachischer Lieferant nach Lage der Dinge wohl gewusst, dass einer der von ihm zum Versand frei gegebenen Kesselwagen einen Defekt hatte. Der Kesselwagen kam in einem besonders gewöhnungsbedürftigen Zustand auf unserem Entladegleis an. Mannlochdeckel und Mannlochflansch sahen wie oben bereits beschrieben aus. Nur fehlten diesmal besonders viele Schrauben. Die vorhandenen waren z. T. untermaßig und zudem völlig verrostet. <?page no="73"?> 65 Der Kondensatablass des Heizmantels war mit einem Holzstopfen verschlossen. Nach dessen Entfernung zeigte sich, dass nicht wenig Phosphor im Heizmantel war. Der Phosphor begann sofort zu brennen. Wir haben dann das oben beschriebene Regime (Aufheizen mit Direktdampf, Abhebern) gewählt und den Kesselwagen zudem während des gesamten Vorganges von außen mit Kaltwasser berieselt. Als ich den Vorfall bei der nächsten Importverhandlung in Kasachstan auswertete, sprach ich statt von einem Holzstopfen von einem abgebrochenen Besenstiel. Meine Russischkenntnisse reichten zwar für ein normales Gespräch und den obligaten abendlichen Toast aus, nicht aber für sprachliche Feinheiten oder gar die Details einer kommerziellen Verhandlung. Deshalb war hier die russische Dolmetscherin gefragt. Ich habe sie mit dem Wort „Besenstiel“ in arge Verlegenheit gebracht. Dieser Terminus findet sich zwar im Wörterbuch, jedoch sind - und das gilt auf dem platten Lande noch immer - Besenstiele derart ungebräuchlich, dass die Dolmetscherin fast den Faden verlor. Der (Reisig)-Besen wird dort in gebückter Haltung geschwungen, wobei das Reisigbündel direkt, ohne Stiel, mit den Händen umfasst wird. Diese Technik habe ich in den kasachischen Fabriken innerhalb und außerhalb des Ofenhauses stets beobachten können. Analog wurde meist auch in den Dörfern verfahren. Die bei uns übliche Variante war nur in seltenen Ausnahmefällen zu sehen, insbesondere in größeren Städten. Dass Phosphortransporte erst dann das Lieferwerk verlassen dürfen, wenn der Phosphor erstarrt ist, versteht sich von selbst. Wir haben aber mehr als einmal beobachtet, dass der gelieferte Phosphor nicht mit planer Oberfläche, sondern „in Wellen erstarrt“ ankam. Dies konnte eigentlich nur bedeuten, dass der Phosphor in flüssigem Zustand auf die Reise geschickt worden war, und dann erst unterwegs während der Fahrt erstarrte. Unsere kasachischen Partner schworen jedoch, dies sei völlig undenkbar. So blieb denn nur die Annahme, dass im Sommer während des 5000 km-Transports - davon fast 1000 km durch die glutheiße kasachische Steppe - der Phosphor zwischenzeitlich geschmolzen und dann wieder erstarrt war. Dergleichen ist nicht unbedenklich, denn die Deckwasserschicht maß manchmal nur wenige cm. Wenn dann die „Wellenberge“ schließlich aus dem Wasser herausragten, hätte sich die Ladung von selbst entzünden können. Ganz so weit ist es niemals gekommen. Aber die wackeren Feuerwehrleute am deutsch-polnischen Grenzbahnhof Kietz (heute: Küstrin-Kietz) gerieten fast in Panik, wenn dort mehr oder minder heftig aus dem undichten Mannlochflansch qualmende Kesselwagen eintrafen. <?page no="74"?> 66 Dies war keineswegs nur bei in Wellen erstarrtem Phosphor der Fall, sondern meist fehlte einfach etwas vom ursprünglich eingefüllten Deckwasser. Es war wohl während der Fahrt zum Teil verdampft und durch den undichten Mannlochflansch verschwunden. Da die Feuerwehrleute in Kietz keinerlei Erfahrung mit Phosphor hatten, forderten sie eine entsprechende Betreuung durch unser Werk. Es kam dann eine Vereinbarung zustande, welche die für notwendig befundenen Sondereinsätze auf einen kleinen Personenkreis begrenzte. Außer mir gehörten der Technologe und der Obermeister der Phosphorsäureanlage dazu. Meist hat unser Obermeister die Sondereinsätze allein bestritten. Außer dem Nachfüllen von Deckwasser und dem Abdichten des Mannlochflansches unter Einsatz mitgebrachten Materials war gewöhnlich nichts Besonderes erforderlich. Allerdings gab es dort weit und breit keine Wasseranschlüsse. So musste denn die örtliche Feuerwehr, auch wenn nur wenig Wasser fehlte, stets mit dem Tankfahrzeug anrücken. Der Phosphor wurde meist in Ganzzügen geliefert. Wegen der erforderlichen Anpassung vom Ein-Puffer-System der russischen Phosphorkesselwagen auf das europaweit gängige Zwei-Puffer-System wurde mit Distanz-Wagen gearbeitet, die an einem Ende mit einem, am anderen mit zwei Puffern ausgerüstet waren. Sie verfügten über eine Art Bremserhäuschen, in dem zu Beginn der Lieferungen in den siebziger Jahren stets zwei erfahrene Arbeiter aus Kasachstan bis zur sowjetischen Gren ze mitfuhren. Dies geschah wohl, weil sich unterwegs niemand mit dem Phosphor und seinen Gefahren auskannte (s. die oben erläuterten Probleme). Im Bremserhäuschen fanden wir dann die leeren Wodka-Flaschen. Qualifiziertes Fachpersonal wirft hochwertige Sekundärrohstoffe eben nicht einfach aus dem Fenster. Jahrzehntelang war es nie zu einem Transportunfall gekommen. Das blieb allerdings nicht so. Im Jahre 2007 verunglückte in der Ukraine ein Ganzzug. 15 Kesselwagen entgleisten, sechs davon gerieten in Brand. Auszüge des recht ungelenk formulierten Artikels zum Thema („Zugunglück in der Ukraine: Umweltministerium meldet hohen Phosphorgehalt der Luft“) lassen ahnen, dass die Bevölkerung in dieser dünn besiedelten Gegend einfach Glück gehabt hatte: „Die Verseuchung der Luft mit gelbem Phosphor nach einem schweren Zugunglück im Gebiet Lwow soll die zulässige Norm um ein Mehrfaches überschreiten. Wie das ukrainische Umweltministerium am Mittwoch berichtet, wurde in der atmosphärischen Luft über den Ortschaften Angeliwka und Lesnoje eine Konzentration von 3,5 mg Phosphoranhydrid je Kubikmeter bei einem zulässigen Wert von 0,15 mg festgestellt..... <?page no="75"?> 67 Die technische Katastrophe gefährdet das Leben und die Gesundheit der 11 000 Einwohner von insgesamt 14 Ortschaften... Wie das Zivilschutzministerium der Ukraine zuvor am Mittwoch berichtete, hatten Laboruntersuchungen keine Überschreitung der zulässigen Konzentration von Phosphoroxyd in den Ortschaften nahe der Unglücksstelle ergeben. Am Havarieort war ebenfalls keine Boden- und Wasserverschmutzung festgestellt worden...“ (RIA NOVOSTI 2007) Der Artikel ist ein gutes Beispiel für missglückte journalistische Berichterstattung zu sicherheitstechnischen Fragen. Mit „Phosphoranhydrid“ ist wohl Phosphorsäureanhydrid (P 4 O 10 ) gemeint. Die Behauptung, Leben und Gesundheit von 11 000 Menschen (! ) seien gefährdet gewesen, wird von dem im weiteren Text vermittelten Eindruck konterkariert, eigentlich sei gar nichts Schlimmes passiert (siehe dazu die beiden letzten Sätze des obigen Zitats). Besonders seltsam mutet an, dass - und dies sogar mit konkreten Zahlen belegt - von einer erheblichen Kontamination der Luft die Rede ist, und dann formuliert wird, es habe keine Überschreitung der zulässigen Konzentration gegeben. Auch die Behauptung, am Havarieort sei keine Boden- und Wasserverschmutzung festgestellt worden, ist für Sachkundige gewagt. Weitab vom Schuss lässt sich eben so manches veranstalten, was auf einem Bahnhof oder mitten in der Stadt kaum infrage gekommen wäre. Ich nehme an, dass der betroffene Bereich einfach mit Sand oder Erde abgedeckt wurde. Nach meinen Erfahrungen, wenn sie auch aus der Sowjetzeit stammen, wurden Herabspielen und Vertuschen im Zweifelsfalle bevorzugt. Es gibt indes Grund zu der Annahme, dass diese Verfahrensweise auch heute noch eher die Regel als die Ausnahme ist. An sich müsste das kontaminierte Erdreich in einem solchen Falle vollständig abgetragen, und - z. B. durch Umsetzung des Phosphors zu ungiftigem Kupferphosphid - dekontaminiert werden. Das ist jedoch aufwändig und teuer. So versuchte man sich eben zu drücken. Abschließend sei noch eine Havarie beschrieben, die in Piesteritz in den siebziger Jahren beim Entleeren eines Phosphorkesselwagens eintrat. Auf dem Mannlochdeckel befinden sich drei Stutzen, und zwar der Steigrohrstutzen (Abb. 8, Pos. 2), der Heißwasserstutzen (Pos. 1) und ein in der Abb. 8 - weil verdeckt - nicht dargestellter Reservestutzen. Alle Stutzen wurden per Blinddeckel verschlossen. Die Kesselwagen kamen in diesem Zustand auf unserem Entladegleis an. Ein Arbeiter aus unserer Phosphorsäureanlage hatte nun den Auftrag erhalten, einen derartigen Kesselwagen zum Aufheizen vorzubereiten und ihn anschließend zu entleeren. <?page no="76"?> 68 Zu diesem Zweck war es Vorschrift, den Blinddeckel vom Heißwasserstutzen zu entfernen, damit der Kesselinhalt nach Inbetriebnahme des Dampfmantels nicht unter Druck gerät. Der Arbeiter verwechselte jedoch die Stutzen 1 und 2. Er schraubte den Blinddeckel nicht vom Heißwasserstutzen 1, sondern vom Steigrohrstutzen 2 ab. Dann setzte er die Mantelheizung in Betrieb und zog sich auf einen Kaffee zurück. Nun schmolz der Phosphor allmählich. Es gab für den sich im Gasraum oberhalb des Phosphors aufbauenden Druck nur einen Ausweg - den über das Steigrohr. So schoss denn nach einiger Zeit ein gewaltiger Strahl brennenden Phosphors senkrecht aus dem Stutzen 2. Der Phosphor verteilte sich über ein Areal von zunächst etwa 80 m 2 . Die sofort herbeigerufene Feuerwehr arbeitete - aus ihrer Sicht - routinemäßig und gab „volles Rohr“. Die Folgen waren absehbar. Der brennende Phosphor wurde durch den scharfen Strahl über ein weit größeres Areal verteilt. In solchen Fällen hilft eher das weit weniger martialische „Prinzip Gartenschlauch“, von erfahreneren Betriebsleuten oft selbstständig, ohne die Feuerwehr zu rufen, angewandt. Im beschriebenen Falle hatte der Schichtleiter die Feuerwehr schließlich doch noch überreden können, mit einem sanften Sprühstrahl zu arbeiten. Noch wichtiger war aber, keinen weiteren Phosphor aus dem Steigrohr austreten zu lassen. Deshalb wurde der Kesselwagen von außen intensiv gekühlt. Dafür ist in einem solchen Havariefall ein scharfer Strahl durchaus zweckmäßig. So wurde dann auch verfahren. Der Heizdampf war bereits zu Beginn der Panne abgestellt worden. Die Havarie fand in einer Silvesternacht statt. Ich hatte Bereitschaft. Bei Freunden zu Gast, erhielt ich den Anruf unseres Dispatchers. Wenig später holte mich der Bereitschaftswagen ab, und ich ließ mich sofort zur Anlage fahren. Das Schlimmste war schon vorüber. Die Kühlung des Kesselwagens war bereits eingestellt, da kein Phosphor mehr austrat. Der Kesselwagen war durch den brennenden Phosphor sehr stark beschädigt, das Fahrgestell war fast ausgeglüht. Ich habe damals angewiesen, den Kesselwagen erst nach völligem Erstarren der restlichen Ladung auf ein anderes Gleis umzusetzen. Auch sollte, so meine Forderung, wegen des katastrophalen Zustandes des Kesselwagens das Umsetzen in Schrittgeschwindigkeit durchgeführt werden, und unter Kontrolle eines Werksbahn-Verantwortlichen erfolgen. Am Neujahrsmorgen ging ich noch einmal zur Anlage. Ich war gerade eingetroffen, als der Kesselwagen direkt vor meinen Augen mit ziemlich hoher Geschwindigkeit umgesetzt wurde. Die sofort durchgeführte Kontrolle ergab, dass der Phosphor noch flüssig war (! ). <?page no="77"?> 69 Auch ein verantwortlicher Bahnmitarbeiter war weit und breit nicht zu sehen. Alles, was überhaupt schief gehen konnte, war schief gegangen. Wer sich je mit dem berühmten Murphyschen Gesetz befasst hat, wird den geschilderten Ablauf kaum verwunderlich finden. Derartige durch Kommunikationsdefizite verursachte Pannen passieren immer wieder. Schuld hat dann erfahrungsgemäß niemand, oder ersatzweise der Andere. Hier hatte der Bahnbetrieb eine Vorankündigung, dass die Umsetzung erfolgen solle, bekommen. Unser Schichtleiter behauptete jedenfalls, er habe gesagt, dass erst nach seinem abermaligen Anruf umgesetzt werden dürfe. Der Verantwortliche des Bahnbetriebes sagte, dass bei ihm weder die Forderung nach Begleitung des Umsetzvorganges, noch eine zeitliche Einschränkung zum Beginn des Vorganges eingegangen seien. Er bestritt auch, von der geforderten Geschwindigkeitsbegrenzung gewusst zu haben. Ich bin mir nicht sicher, ob man solche Pannen überhaupt vermeiden kann. Wahrscheinlich spielt das Phänomen „Stille Post“ eine wesentliche Rolle. Sehr nachdenklich stimmt auf jeden Fall, was Nobelpreisträger Konrad Lorenz, der berühmte Verhaltensforscher, zur Kommunikation ganz allgemein formuliert hat: Gedacht ist nicht gesagt, gesagt ist nicht gehört, gehört ist nicht verstanden, verstanden ist nicht einverstanden, einverstanden ist nicht angewandt, angewandt ist nicht beibehalten. Aus meiner Sicht sollte nach „Gesagt ist nicht gehört“ noch eingefügt werden: „Gehört ist nicht hingehört“ - mit modifizierter Folgezeile: „Hingehört ist nicht verstanden“. Die rein akustische Kommunikation ist eben dadurch gekennzeichnet, dass zwischen „hören“ und „aufnehmen“ ein gewaltiger, sicherheitstechnisch relevanter Unterschied besteht. Astronauten bestätigen mit roger, weil yes im Funkrauschen untergehen könnte. Sinngemäßes Vorgehen hilft in unserem Falle nicht. Auch wenn es den Beteiligten lächerlich vorkommen mag: Der Angerufene sollte die Worte des Anrufers zur Sicherheit stets wiederholen. <?page no="78"?> 70 2.4 Phosphorverbrennungen und ihre Folgen Phosphorvergiftungen über den Magen-Darm-Trakt bzw. die Atemwege spielen heute keine Rolle mehr. Die im Kap. 2.1 besprochenen Gefahren (Überdosierung phosphorhaltiger Pillen, Phosphornekrose) gehören der Vergangenheit an. Auch Suizid-Versuche mit Phosphor kommen heute nicht mehr vor. Wer mit gelbem Phosphor zu tun hat, also sachkundig ist, dürfte die damit verbundenen Qualen scheuen. Nach wie vor aktuell ist das Problem der Phosphorverbrennungen. Sie sollten niemals leichtfertig mit gewöhnlichen Verbrennungen verwechselt, bzw. nicht wie solche behandelt werden. Deshalb werde ich sie in diesem Kapitel besonders ausführlich besprechen. Ein buchstäblich Flächen deckender Missbrauch gelben Phosphors erfolgte während des Zweiten Weltkriegs mit dem Einsatz von Phosphorbrandbomben. Die Bombardements der Städte Hamburg und Dresden sowie der Heeresversuchsanstalt Peenemünde durch die Royal Air Force sind besonders traurige Beispiele. Die Filmaufnahmen der wie Fackeln brennenden Opfer, die - vor Schmerz fast wahnsinnig - durch das Chaos der bombardierten Städte irrten, haben sich uns allen eingeprägt. Aber auch die Altlasten sind noch immer gefährlich. Vor Peenemünde, wie auch am Strand zwischen Trassenheide und dem benachbarten Ostseebad Karlshagen, werden bis heute Phosphorreste gefunden. Besonders problematisch ist, dass gelber Phosphor äußerlich fast wie Bernstein aussieht, und deshalb immer wieder von unerfahrenen Bernsteinsuchern mit aufgesammelt wird. Solcher „Bernstein“, vom ahnungslosen Sammler meist in die Hosentasche gesteckt, hat in den letzten Jahrzehnten zu schweren Brandverletzungen - überwiegend im Oberschenkelbereich der Opfer - geführt. Nehring (2012) schreibt dazu: „....denn bis heute ist das Phosphorproblem auf Usedom akut: Ganz aktuell gab es im März 2008, im August 2011 und im April 2012 mindestens fünf verletzte Strandbesucher durch weißen Phosphor aus Weltkriegsbrandbomben. Insgesamt sind seit 1979 bis heute mindestens 120 Strandbesucher auf Usedom nachweislich durch weißen Phosphor verletzt worden. Es ist zudem mit einer beträchtlichen Dunkelziffer zu rechnen; wahrscheinlich sind auch Todesfälle.... <?page no="79"?> 71 ........ wird sogar versucht, durch Vogel-Strauß-Politik die gesamte Problematik einfach zu negieren, indem die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern zum Phosphorproblem überraschenderweise verlautbart hat: „Der Landesregierung sind bislang keine Schadensfälle bekannt, die belegbar auf eingesetzte, versenkte oder aufgefischte Munition oder Munitionsreste in der Ostsee zurückzuführen sind“ (Drs. 05/ 1232 v. 29. 02. 2008). Ein Affront für jedes Opfer! Und ein Widerspruch zur seit vielen Jahren geführten internen Unfallstatistik des landeseigenen Munitionsbergungsdienstes....“ Die Publikation zeigt uns in mehr als einer Hinsicht, wie schwer es ist, mit solchen Problemen sachlich umzugehen. Einerseits ist es zweifellos schlimm, wenn sich eine Landesregierung so zynisch und ignorant äußert. Andererseits hat Nehring (2012) deutlich über das Ziel hinausgeschossen, wenn er in seinem Maßnahmenkatalog formuliert: „Auch ein Badeverbot sollte, solange keine Erkenntnisse über die Partikeldichte von weißem Phosphor in der Wassersäule vorliegen, aus Vorsorgegründen in Erwägung gezogen werden“. Hingegen ist seine Bemerkung: „Auch die seit 2009 neu aufgestellten Schilder für Strandbesucher sind fachlich, sprachlich und optisch ungenügend und dringend zu überarbeiten sowie als echte Warnschilder entlang des gesamten bekannten Phosphor-Problemgebietes direkt am Wasser in ausreichender Stückzahl aufzustellen“ angemessen. Folgende Auszüge der auf den vorhandenen Warnschildern gebotenen Informationen belegen einerseits, dass die Landesregierung in dem von ihr regierten Land nicht Bescheid weiß, und andererseits, dass die Kritik von Nehring (2012) zur Qualität des Textes zutrifft: „Leider ist auch die Insel Usedom nicht von den Folgen des 2. Weltkrieges verschont geblieben. Ebenso wie in anderen Teilen der Ost- und Nordsee gelangte bei uns durch Bombenangriffe Munition auch in die Küstengewässer ... Beim Sammeln von Bernstein besteht Unfallgefahr, da Bernstein mit Phosphor verwechselt werden und sich beim Aufbewahren in Kleidung oder brennbaren Behältnissen entzünden kann. Am Strand gefundener Bernstein oder bernsteinähnliche Teile sollten nur in Metallbehältnissen und keinesfalls in der Kleidung am Körper aufbewahrt werden. Im Zweifelsfalle berät Sie die nächstliegende Strandwacht...“ <?page no="80"?> 72 Zweifellos wäre für die Neugestaltung der Warntafeln eine Beschreibung der unterschiedlichen Eigenschaften von Bernstein und Phosphor nützlich. Bernstein hat ein spez. Gewicht von 1.01 bis 1,02 g/ cm 3 , so dass schon dieser Parameter auch für den Laien eine fast sichere Unterscheidung vom Phosphor (spez. Gewicht: 1,82 g/ cm 3 ) ermöglicht. Bernstein schwebt fast im Ostseewasser, Phosphor sinkt sofort zu Boden. Aufgrund dieser Dichteunterschiede findet sich Phosphor im Spülsaum so gut wie nie direkt neben dem Bernstein. Der eigentliche „Bernstein- Spülsaum“ auf dem Sandstrand führt außer Bernstein nur die leichteren Fraktionen: kleine Hölzchen, Blätter, Tang - niemals hingegen Steine und Muscheln. Diese bilden separate Bänke, auf denen sich gelegentlich auch Phosphorstückchen finden. Absolut verlassen sollte man sich auf diese natürliche Trennung aber nicht, da das Strandleben, spielende Kinder und andere Einflüsse, die beiden Substanzen manchmal durcheinander bringen können. Im Zweifel gibt die Brennprobe Gewissheit. Der bis dahin - optimal in einem Metallbehältnis - feucht gehaltene Fund wird, z. B. auf einem flachen Stein, der Sonne ausgesetzt. Nach wenigen Minuten weiß man dann Bescheid. Eigentlich problematisch sind jedoch nicht die nach oben erläuterten Gesichtspunkten leicht erkennbaren Stückchen reinen gelben Phosphors. Die britischen Brandbomben waren nur manchmal dünnwandige Blechkanister, gefüllt mit reinem Phosphor oder in Schwefelkohlenstoff gelöstem Phosphor. Oft beruhte ihr Wirkprinzip auch auf der Kombination mit brennbaren, nach Selbstentzündung des Phosphors am getroffenen Objekt klebrig haftenden Materialien, wie Kautschuk, Pech oder Kunstharz. Im Zweiten Weltkrieg kamen sehr unterschiedliche Kombinationen dieser Art zum Einsatz. Der Phosphor machte dann nicht die Hauptmasse aus, er fungierte „nur“ als eine Art Zünder. 1981 brachte mir ein Ostseeurlauber ein solches „Andenken“ mit. Das Material bestand aus einem ca. 10 cm langen, etwa 1 cm starken Strick. Er war mit einer zähen schwarzen Masse getränkt, die nach dem von uns angewandten Analyse-Verfahren gemeinsam mit dem Phosphor mittels Benzols herausgelöst wurde. Übrig blieben die Fasern eines harmlos aussehenden Strickes. Der ursprüngliche Gehalt an Phosphor, bezogen auf die Einwaage des Originalmaterials, betrug 11%. Schmädt (2012) kann hier eine persönliche Erinnerung aus dem Zweiten Weltkrieg beisteuern: „.... erinnere ich mich an eine Begebenheit während meiner Schulzeit in einer einklassigen Dorfschule (es war wohl 1942). An einer Feuerwehrübung nahm auch jemand vom Luftschutz teil. <?page no="81"?> 73 Er brachte in einer mit Wasser gefüllten Kanne ein sog. Brandplättchen mit. Zur Vorführung nahm er es mit einer Zange aus der Kanne und erklärte seinen Aufbau. Ich kann mich noch genau an die an den Ecken angeklammerten und in Löschpapier eingewickelten Phosphorlinsen erinnern. Der Luftschutzmensch hat sie natürlich nicht ausgewickelt, sondern nur den Inhalt erklärt. Nachdem er das Plättchen in die Kanne zurück gestellt hatte, zählte er Beispiele für den Einsatz dieser Brandsätze auf. Uns Dorfbewohner hat natürlich der Abwurf auf Flächen mit reifem Getreide besonders interessiert. Einige Tage später wollte uns unser Lehrer im Unterricht zeigen, dass Phosphor sich an der Luft selbst entzündet. Er entnahm per Pinzette einer mit Wasser gefüllten Flasche ein kleines Stück gelben Phosphors, legte es auf Löschpapier, beides zusammen auf ein kleines Brett, und dieses auf die Fensterbank. Die Flasche mit dem Phosphor entnahm er dem Lehrmittelschrank. Als sich der Phosphor am Ende der Stunde noch immer nicht entzündet hatte, zündete unser Lehrer das Löschpapier mit einem Streichholz an. Nach wenigen Sekunden begann der Phosphor unter Funkensprühen zu brennen. Unser Lehrer war daraufhin derart erschrocken, dass er mit der bloßen Hand auf den brennenden Phosphor und dann mit der nunmehr brennenden Hand auf seine Kleidung schlug. Dann lief er panisch aus dem Klassenzimmer. Alle Schüler blieben wie erstarrt sitzen. Wir hatten - zu unserer großen Freude - daraufhin für einige Tage keinen Unterricht und wurden bald in benachbarte Dorfschulen umverteilt. Ich kann heute noch nicht verstehen, dass sich in einem Lehrmittelschrank einer kleinen Dorfschule Phosphor befand. Es ist allerdings möglich, dass der Phosphor erst einige Tage zuvor in die Schulen gebracht worden war, um den Schülern die Gefährlichkeit der Brandplättchen zu zeigen. Wenn das der Fall gewesen sein sollte, hat man aber wohl vergessen, die Lehrer vorher entsprechend einzuweisen“. Die damals verantwortlichen Behörden waren durchaus bemüht, die Bevölkerung aufzuklären. Dies erfolgte nicht nur durch zentrale Publikationen, sondern auch durch Artikel in den Provinzzeitungen. Beispielsweise lesen wir im „Quedlinburger Kreisblatt“ (1943): „...Eine sehr gefährliche Waffe ist die neuerdings vom Feinde in erhöhtem Maße verwendete Phosphorbrandbombe (14 Kilogramm). Aussehen und Beschaffenheit: Stahlblechzylinder mit Aufschlagzünder (Kopfzünder) und Leitwerk. Durchmesser: 12,5 cm; Länge: mit Leitwerk 81 cm, ohne Leitwerk 47 cm; Anstrich: dunkelrot mit 75 mm breitem hellroten Farbring; Inhalt: 3 Kilogramm Brandmasse aus Leichtbenzin, Rohkautschuk, Phosphor und Schwefel...“ <?page no="82"?> 74 Die Füllung einer solchen Brandbombe ist außerordentlich heimtückisch, da der Effekt des klebrigen brennenden Phosphors durch den ganz besonders klebrigen brennenden Kautschuk verstärkt wird. Es handelt sich also um eine in ihrer Wirkung - nicht jedoch chemisch - dem Napalm ähnliche Waffe. Deshalb meine ich, dass auf den Warnschildern an der Küste Usedoms unbedingt zu Füllungen dieser Art Qualifiziertes gesagt werden sollte. Derartige Brandmassen liegen heute noch nicht in Mengen am Strande herum, aber die Korrosion der Blindgänger schreitet voran. So gesehen ist alles nur eine Frage der Zeit. Die britischen Bomber waren gekommen, um die von Wernher v. Braun geleitete Peenemünder Heeresversuchsanlage völlig zu zerstören. Dies wurde jedoch nicht erreicht. Nehring (2012) schreibt dazu, dass die Zielmarkierer ihre Leuchtbomben zu weit südlich und zu weit östlich abwarfen. Die Bomber verfehlten einen Großteil ihrer Ziele: „Nach Unterlagen der Royal Navy und des Munitionsbergungsdienstes MV fielen ca. 1 400 t Sprengbomben mit einem Gesamtgewicht von über 600 Tonnen und ungefähr 36 000 Brandbomben (ca. 32 000 Stabbrandbomben mit einem Gesamtgewicht von ca. 64 Tonnen sowie ca. 4000 Phosphorbrandbomben mit einem Gesamtgewicht von ca. 56 Tonnen) zwischen Trassenheide und Peenemünde in die Ostsee von der Strandlinie bis ca. 2 km seewärts“ (Nehring 2012). Systematische Beräumungen fanden bis zum heutigen Tage nicht statt. Eine Ankündigung, dass etwas in dieser Richtung geplant ist, gibt es nicht. Wir sollten deshalb davon ausgehen, dass sich mit dem allmählichen Korrodieren der Bomben das Phosphorproblem auf Usedom eines Tages weiter verschärfen könnte. Auch das alsbaldige Durchrosten der primitiven Kanister-Bomben ist zu befürchten. Meine ersten eigenen Erfahrungen mit Phosphorverbrennungen gewann ich als junger Betriebsleiter im Jahre 1964. Ein Arbeiter aus unserer Phosphorsäureanlage (s. dazu Kap. 5) hatte sich die gesamte Innenfläche der rechten Hand verbrannt, als er mit einem gebogenen Draht versuchte, bei laufendem Betrieb eine mit Phosphorschlamm versetzte Verbrennungsdüse frei zu stochern. Dies ist nun ganz gewiss eine krasse Fehlhandlung, hier ging es aber zunächst einmal nicht um das Selbstverschulden, sondern um den Verletzten und die sachgerechte Behandlung seiner Verbrennung. Ich besuchte den Arbeiter im Krankenhaus. Es ging ihm nicht gut, und er erzählte mir, wie die Behandlung verlaufen sei. Nach seiner Darstellung gewann ich den Eindruck, dass der Phosphor vor Anlegen des Verbandes nicht vollständig entfernt worden war. <?page no="83"?> 75 Auch der Gebrauch von Brandsalbe alarmierte mich. Ich ging also zum Stationsarzt und trug ihm meine Bedenken vor. Der Arzt reagierte - vorsichtig ausgedrückt - extrem reserviert, hörte mich aber immerhin an. Ich wies darauf hin, dass Phosphor, auch wenn dies sehr schmerzhaft ist, grundsätzlich radikal entfernt werden muss, ehe mit der eigentlichen Behandlung begonnen werden darf. Der Arzt wusste nicht, wie man prüfen kann, ob der Phosphor vollständig entfernt worden ist. Ich informierte ihn entsprechend: Kein Phosphorgeruch mehr, die Wundfläche phosphoresziert nicht (mehr) im Dunklen. Dann sagte ich etwas zum damals noch praktizierten Einsatz von Brandsalbe. Phosphor ist fettbzw. öllöslich. Der Hauptbestandteil von Brandsalbe ist aber Öl. Also fördert Brandsalbe, sofern noch Phosphorreste vorhanden sind, den Eintritt des Phosphors über die Haut in den Kreislauf. Bei genügend großen Mengen tritt dann Nierenversagen und Leberkoma ein. Dass dies nicht nur nach Aufnahme des Phosphors über den Magen geschehen kann, war dem Arzt zuvor wohl nicht klar. Ein solches Gespräch mit einem Mediziner ist für einen jungen, damals noch nicht promovierten Chemiker schwierig. Der richtige Ton muss getroffen werden, zugleich ist die Sachinformation kompromisslos zu übermitteln. Ich hatte den Eindruck, dass der Arzt über die von mir erläuterten Gesichtspunkte zumindest nachzudenken begann. Ob ich in der aktuellen Sache selbst Erfolg hatte, ist hingegen ungewiss. Der Arbeiter konnte die Finger der betroffenen Hand später nicht mehr strecken, sie blieben klauenartig verkrümmt. Das wäre jedoch bei dieser hochgradigen Verbrennung möglicherweise so oder so passiert. Aber wenigstens die nochmalige Wundreinigung, das Weglassen der Brandsalbe und der Übergang zum Trockenverband waren, wenn ich mich recht erinnere, Ergebnisse meiner Intervention. Sehen wir uns nun an, was die medizinische Literatur zum Gebrauch von Brandsalbe sagt. Im Wörterbuch der Medizin (1956) finden wir unter dem Stichwort „Brandliniment“: „Leinöl (Ol. Lini) 100,0 wird mit Thymol 1,0 oder acid. Tannic. 5,0 und aqua calcarinae 100,0 bei Verbrennungen angewendet“. In einer späteren (der 6.) Auflage des gleichen Werkes (1974) lesen wir den gleichen Text - nur ist aqua calcarinae durch Aqua calcaria ersetzt - mit dem interessanten Zusatz: „Wird heute allgemein für die Erstversorgung von Brandwunden abgelehnt“. <?page no="84"?> 76 Unklar bleibt, wie der unbefangene Nutzer des Wörterbuches der Medizin (1974) mit dem hier geschaffenen Widerspruch „.. bei Verbrennungen angewendet“ und „..allgemein für die Erstversorgung von Brandwunden abgelehnt“ - unmittelbar nacheinander im gleichen Text - umgehen soll. Fest steht immerhin, dass Brandsalbe, beginnend in den siebziger Jahren, allmählich ganz außer Gebrauch gekommen ist. Wenn wir uns mit Phosphorverbrennungen befassen, sollten wir auch die medizinischen Empfehlungen aus dem Zweiten Weltkrieg berücksichtigen. Der vermehrte Einsatz von Phosphorbrandbomben veranlasste den damaligen „Reichsgesundheitsführer“, ein „Merkblatt über die Behandlung von Phosphorverbrennungen“ (1943) erstellen zu lassen. Die nachfolgenden Auszüge zeigen, dass das Wesentliche damals schon bekannt war, so dass die von mir oben geschilderte Fehlbehandlung im Jahre 1964 doch recht bedenklich erscheint: „... Auf der Haut entstehen Verbrennungen, deren Ausdehnung nach Fläche und Tiefe von der Möglichkeit des Sauerstoffzutritts abhängig ist. Die Haut wird nekrotisch, trocknet ein; bei stärkerer Verbrennung werden auch die tieferen Gewebe zerstört. Notwendig ist möglichst schnelle und restlose Entfernung des Phosphors von der Kleidung und Haut, um die sehr schmerzhaften Verbrennungen zu verhüten oder die unter der Kleidung auf der Haut weiter schwelenden Phosphorreste unschädlich zu machen. Es ergeben sich folgende Maßnahmen: 1. Sofortiges Ablegen der von Phosphor getroffenen Kleidungsstücke, wenn möglich unter Wasser. 2. Entfernung der Phosphorteilchen von der Haut durch Abbürsten mit oder ohne Seife im Bad (Wanne, Teich); bei Fehlen von Wasser energisches Abreiben mit Sand. 3. Bei ausgedehnteren Verbrennungen tunlichst schnelle Überführung ins Krankenhaus; beim Transport von Phosphorgeschädigten ist stets Wasser mitzuführen, um nachträglich auftretende Brände zu löschen…........ Phosphorverbrennungen sind sowohl durch den Geruch wie durch das Aufleuchten phosphorbehafteter Körperstellen zu erkennen. Nekrotische und verbrannte Hautfetzen werden abgetragen......“ Was auffällt, ist der im Merkblatt empfohlene, rücksichtslos erscheinende Umgang mit den bedauernswerten Opfern. Abbürsten der Wunden oder gar energisches Abreiben mit Sand als Sofortmaßnahme - solch rabiates Verfahren wurde verständlicherweise zu umgehen versucht. Dem entsprechend gab es auch Empfehlungen, den Phosphor mit Hilfe eines Lösemittels zu entfernen. Hauschild (1958) schreibt: <?page no="85"?> 77 „Phosphorbrandwunden zeichnen sich durch schlechte Heilungstendenz und tiefe Nekrosen aus: Brennende phosphorhaltige Massen haften zäh an der Haut. Am zweckmäßigsten ist die rasche Entfernung durch Tetrachlorkohlenstoff, der nicht brennt und Phosphor (und Gummi) gut löst. Tetra muss analysenrein und schwefelfrei sein. Auch verdünntes Kupfersulfat kann zur Beseitigung oberflächlicher Phosphorreste verwendet werden“. Ich halte die hier empfohlene Verwendung von Tetrachlorkohlenstoff für keine gute Idee. Da Tetra selbst physiologisch nicht unbedenklich ist, müsste man versuchen, mit möglichst wenig dieses Lösemittels auszukommen. Das hieße aber, der im Tetra gelöste Phosphor stünde über längere Zeit im Kontakt mit der Wundfläche. Dann könnte genau das passieren, was den Gebrauch von Brandsalbe auf Basis Leinöl so bedenklich macht: Der gelöste Phosphor würde aus dem Lösemittel über das geschädigte Gewebe erst recht in den Kreislauf des Verunglückten gelangen. Verwendete man hingegen - um das zu vermeiden - immer wieder frisches Tetra in größeren Mengen, die man jeweils rasch aus dem Wundbereich entfernt, so würde die Toxizität des Tetra eine Rolle spielen. Man hätte also versucht, den Teufel mit Beelzebub auszutreiben. Hauschild (1958) schreibt zum Tetra: „Tetrachlorkohlenstoff, auch kurz ,Tetra‘ genannt, ist bei verstärkter Toxizität schwächer narkotisch wirksam als Chloroform...... Peroral können 2-5 ml/ kg bereits letal wirken.... Die subakute Vergiftung infolge häufiger Resorption kleiner Mengen ist in der ersten Phase durch Schwindel, Müdigkeit, Kopfschmerz, Erbrechen und leichten Sehstörungen gekennzeichnet. Dann können Leber- und Nierenschädigungen folgen…“ Zwar wird im obigen Tetrachlorkohlenstoff-Abschnitt die Resorption über die Haut bzw. eine Wundfläche nicht ausdrücklich behandelt, aber die Zeiten, in denen der Schlosser sich seine ölverschmierten Hände mit Tetra wusch, sind vorbei. Heute wird allgemein davon ausgegangen, dass die Resorption über die Haut eine Rolle spielt, und zur Vergiftung führen kann. Es gibt also genügend Gründe, auf Tetra zu verzichten. Im hier gegebenen Zusammenhang kommt ein Punkt hinzu, der bisher wohl noch nicht diskutiert wurde: Phosphorvergiftungen führen zu schweren Nieren- und Leberschäden, Tetravergiftungen - und dies bereits im subakuten Bereich (s. o.) - ebenso. Auch der Nichtmediziner hat deshalb das Recht zu fragen: „Gibt es im gegebenen Zusammenhang Synergien zwischen beiden Stoffen? Würde sich im Falle der Anwendung von Tetrachlorkohlenstoff die Wirkung des Phosphors vielleicht sogar noch verstärken“? <?page no="86"?> 78 Kommen wir zum Kupfersulfat, das von Hauschild (s.o.) am Rande mit erwähnt wird („..kann zur Beseitigung oberflächlicher Phosphorreste verwendet werden“). Heute zählt eine 0,5 %ige Kupfersulfatlösung bereits in der Phase der Ersten Hilfe überall zur Standardausrüstung. Auch ich war lange Zeit ein Verfechter des Kupfersulfateinsatzes, und bin es, wenn auch inzwischen mit Einschränkungen, noch immer. Mit Hilfe der Kupferionen wird der Phosphor deaktiviert. Er reagiert zum ungiftigen, unlöslichen Kupferphosphid. Das klingt sehr verlockend. Man könnte fast meinen, nunmehr sei die äußerst schmerzhafte völlige Reinigung der Wunde nicht mehr unbedingt notwendig. Diese Schlussfolgerung wäre jedoch voreilig. Ich werde die von mir heute gesehenen Einschränkungen zum Gebrauch von Kupfersulfatlösung weiter unten noch näher erläutern und begründen. Zu Beginn der siebziger Jahre gewann ich im Zusammenhang mit einer weiteren Phosphorverbrennung den Eindruck, die Behandlung lasse noch immer zu wünschen übrig. Ich vermutete, die Ergebnisse meiner oben geschilderten Intervention im Krankenhaus seien im Sande verlaufen. Deshalb ging ich zur Chefin unserer Betriebspoliklinik, um mich für eine standardisierte Vorgehensweise in allen drei Stufen (Erste Hilfe vor Ort, Behandlung in der Betriebspoliklinik, spätere Behandlung im Krankenhaus) einzusetzen. Die Ärztin anerkannte den Handlungsbedarf und verzichtete auf ausweichende oder beschönigende Diskussionen. Wir verabredeten, dass ich ein Merkblatt entwerfen und dessen Inhalt mit ihr abstimmen sollte. So verfuhren wird dann auch. Als Erste Hilfe war zunächst der sofortige Gebrauch der mit lauwarmem Wasser gefüllten Sprungwanne vorgesehen. Nach Ausziehen der Kleidung unter Wasser - im Falle großflächiger Verbrennungen auch komplett - sollte dann der anhaftende Phosphor, ebenfalls unter Wasser, grob entfernt werden. In einer späteren Version des Merkblattes war ein sofortiges Bad in lauwarmer 0,5%iger Kupfersulfatlösung vorgesehen, um den Phosphor oberflächlich zu desaktivieren (wichtig ist hier: oberflächlich! ). Der dann folgende Transport in die Poliklinik und in das Krankenhaus muss stets unter Mitnahme von Wasser erfolgen. Auch müssen in dieser Phase alle betroffenen Körperteile mit feuchten Tüchern bedeckt bleiben. Die sonstigen Empfehlungen des Merkblattes unterschieden nicht nach „Poliklinik“ und „Krankenhaus“, da das weitere Vorgehen stets von der Schwere der Verbrennung und von der konkreten ärztlichen Beurteilung abhängt. Besonders eindringlich wurde im Merkblatt jedoch auf die Notwendigkeit der vollständigen Entfernung des Phosphors - samt o. a. Begründung - hingewiesen. <?page no="87"?> 79 Sodann wurde die Art der Erfolgskontrolle beschrieben: Fehlen des typischen Phosphorgeruchs, betroffene Körperteile leuchten nicht (mehr) im Dunklen. Schließlich kam eine Passage, die ich heute ziemlich kritisch, auch selbstkritisch, sehe. Aufgeführt wurden ergänzende Maßnahmen, gewissermaßen für den Fall, dass doch noch etwas Phosphor vorhanden sein könnte. Es wurden empfohlen: Einerseits erwähnte 0,5%ige Kupfersulfatlösung, andererseits eine verdünnte Kaliumpermanganatlösung, und zwar alternativ. Das Merkblatt schloss mit einem strikten Verbot der Anwendung von Brandsalbe samt Begründung. Heute scheint mir die Verwendung solcher „Notbrems-Substanzen“, wie Kupfersulfat oder Kaliumpermanganat, eher bedenklich zu sein. Die äußerst schmerzhafte, aber unbedingt notwendige Wundreinigung wird dann vielleicht nicht mehr mit letzter Konsequenz durchgeführt. Im Falle des Kupfersulfats besteht diese Gefahr übrigens schon von der Ersten Hilfe an. Es könnte sein, dass ein weniger erfahrener Arzt die während der Ersten Hilfe mit Kupfersulfatlösung anscheinend bereits deaktivierten Partien nicht vollständig abträgt, um dem Patienten weitere Qualen zu ersparen. Jedoch ist die Wirkung des Kupfersulfats eine rein oberflächliche. Auch vergleichsweise dünne Phosphorschichten reagieren keineswegs durch, so dass unter der inaktiven Kupferphosphidoberfläche stets noch elementarer Phosphor verbleibt. In einem anderen Zusammenhang wurde gefunden, dass Phosphor nur dann mit Kupfersulfat vollständig reagiert, wenn die jeweils vom Kupferphosphid umhüllten Partien immer wieder neu aufgebrochen und feinst dispergiert werden. Siems (1994) hat nach erfolgtem Abriss der Piesteritzer Phosphoröfen bei der Entsorgung des mit Phosphor kontaminierten Erdreiches sowie extrem gealterten Phosphorschlammes sogar eine Kugelmühle zu diesem Zweck einsetzen müssen. Die Wundbehandlung verläuft jedoch unter rein statischen Bedingungen. Wir müssen demnach davon ausgehen, dass der Phosphor unter diesen Umständen mit Kupfersulfat nicht völlig - das heißt, im Wortsinne, nicht durchgängig - unschädlich gemacht werden kann. Bedenken sollten wir auch, dass die Wundfläche für Kupferionen eine geradezu ideale Eintrittspforte in den Organismus ist. So wird in einer arbeitsmedizinischen Publikation zur Vermeidung von Kupfervergiftungen empfohlen, das Kupfersulfat durch Silbernitrat zu ersetzen (Song, Lu u. Gu 1985). Silbernitrat wurde aber von den alten Chemikern - wegen seiner ätzenden Eigenschaften - treffend als „Höllenstein“ bezeichnet. Wir sehen also, dass alle infrage kommenden Hilfsmittel mehr oder minder ihre Schattenseiten haben. <?page no="88"?> 80 Im Falle der Verwendung von Kaliumpermanganat zwecks Oxidation verbliebenen Phosphors haben wir es ebenfalls mit einer nur oberflächlichen Reaktion zu tun. Unmittelbar nach Reaktionsbeginn entsteht Braunstein, der den - auch in diesem Falle nicht quantitativ durchreagierten - Phosphor einhüllt, und jede weitere Reaktion unterbindet. Der manchmal empfohlene Einsatz von Soda- oder Bicarbonatlösung hat aus meiner Sicht nur wenig Sinn. Der Phosphor reagiert mit diesen Substanzen unter den bei der Wundbehandlung gegebenen Temperaturbedingungen nicht bzw. nicht entfernt ausreichend. Besten Falles kann in dieser Weise das beim Verbrennen des Phosphors entstandene und in das geschädigte Gewebe eingedrungene Gemisch von Säuren verschiedener Oxidationsstufen schonend neutralisiert werden. Später haben wir jedem Verunglückten ein in Folie eingeschweißtes Exemplar unseres Merkblattes mitgegeben. So konnte in der Poliklinik bzw. im Krankenhaus stets sachgerecht gehandelt werden, auch wenn junge, unerfahrene Ärzte im Einsatz waren. Ich meine, dass eine noch engere Zusammenarbeit von Ärzten und Chemikern auf einem derart sensiblen Gebiet unerlässlich ist. Animositäten und Standesdenken sollten keine Rolle spielen, wenn es - wie beim Umgang mit Phosphor - um Leben und Gesundheit geht. <?page no="89"?> 81 3 Phosphorschlamm 3.1 Entstehung und Eigenschaften Bei der Produktion gelben Phosphors fällt das gewünschte Produkt niemals in reiner Form an. Dies gilt für die historischen Retortenverfahren wie für das moderne elektrothermische Verfahren. Stets bildet sich nebenher in mehr oder minder großen Mengen der äußerst unerwünschte Phosphorschlamm. Er entsteht in der Kondensationsstufe beim intensiven Kontakt zwischen Phosphor, feinstem Staub sowie dem für die Kondensation des Phosphors eingesetzten Wasser. Phosphorschlamm ist eine mit einfachen Mitteln nicht trennbare, recht stabile, extrem unangenehme Emulsion der genannten Komponenten. Die alten Autoren (17. - 19. Jahrhundert) haben sich mit der Zusammensetzung dieses Schlammes und den Mechanismen seiner Bildung nicht befasst. Sie wiesen jedoch stets darauf hin, dass der in der Kondensationsstufe anfallende rohe Phosphor gereinigt werden muss. Die Reinigung erfolgte entweder durch abermalige Destillation (Abb. 9), meist aber dadurch, dass man das Rohprodukt unter Heißwasser durch Ziegenbzw. Gamsleder presste. Übrig blieb ein noch immer phosphorhaltiger Rückstand. Über die Menge des darin blockierten Phosphors und eine mögliche Aufarbeitung wurde nichts publiziert. Ein bereits fast industrielles Reinigungsverfahren beschrieb Fleck: „Die Befreiung des rohen Phosphors von seinen meist aus Phosphoroxyd und Kohlenphosphor bestehenden Verunreinigungen kann entweder durch mechanische Filtration oder Pressung, oder durch eine nochmalige Destillation bewirkt werden. Das Verfahren des Auspressens durch Gamsleder, wie solches in allen Lehrbüchern bis auf die neueste Zeit mitgetheilt wird, musste verlassen werden, sobald die Menge des producirten Phosphors sich der hinlänglichen Beschaffung dieses Leders entgegenstellte, und findet nirgends mehr Anwendung; statt dessen bedient man sich in französischen Phosphorfabriken poröser Steinplatten (Chamottesteine), die in eiserne Zylinder gesenkt und mit einer Dampfmaschine in Verbindung gesetzt sind, welche Dampf in denselben comprimirt und dadurch den geschmolzenen Phosphor durch die poröse Steinmasse preßt.... Diese Manipulation soll nur 5 Proc. Verlust am Gewichte des rohen Phosphors mit sich führen“ (Fleck 1878). <?page no="90"?> 82 Abb. 9 Apparatur zur destillativen Reinigung rohen Phosphors, wie sie im 17. u. 18. Jahrhundert verwendet wurde (Marggraf 1743 / 1913) Nicht dargestellt ist der Kondensationsteil (die getaucht betriebene Wasservorlage) A: Reservoir für den Aschkasten B: Feuerraum mit Rost C: Abzugshaube mit Schornstein Auch unsere moderne elektrothermische Herstellung verläuft nicht ohne Phosphorschlammbildung. Die Mengen hängen davon ab, wie gut die elektrische Reinigung des Ofengases vom Staub funktioniert. Diese Reinigungsstufe ist zwischen dem Ofengasaustritt (Abb. 3, g) und der Kondensationsanlage (Abb. 3, n) installiert. Der dort anfallende so genannte Cottrell-Staub wird gewöhnlich in der Aufbereitung des Phosphatmaterials für den Ofenprozess eingesetzt und so verwertet. <?page no="91"?> 83 Zu Beginn der elektrothermischen Ära verwendete man in dieser Stufe noch keine Elektrofilter (Abb. 3, B), sondern Staubkammern (Abb. 10). Diese arbeiten nicht sonderlich effektiv. Sie lassen sehr viel Feinstaub passieren. So ist denn auch in der 2. Auflage des Ullmann (Enzyklopädie der Technischen Chemie, 1931) von einer aus heutiger Sicht ganz erheblichen Phosphorschlamm-Menge die Rede: „In dem Kondensationsgefäß setzt sich ferner noch der Phosphorschlamm über dem geschmolzenen Phosphor ab. Es ist dies reiner Phosphor, vermischt mit Staubteilchen aus dem Ofen, der infolge des Dazwischentretens dieser Teilchen nicht zusammengeflossen ist. Analyse des Schlamms: 96,5 % P, 2,8 % SiO 2 , 0,4 % Al 2 O 3 , 0,08 % Fe 2 O 3 . Die Menge des im Schlamm enthaltenen Phosphors beträgt 5-10 % der Produktion, eine Menge, die es sich lohnt weiter zu verarbeiten“. Mehrere Punkte an diesem Zitat sind bemerkenswert. Beschrieben wird nur der frische, hochprozentige Phosphorschlamm, seltsamerweise ganz ohne Wasseranteil - für einen Chemiker, der sich intensiv mit der Sache befasst hat, unverständlich. Ferner ist unklar, warum ausgerechnet der Kohlenstoff unter den Nicht-Phosphor-Anteilen des Schlammes fehlt. Aber möglicherweise war die Zusammensetzung des Schlammes damals eine völlig andere als die des uns heute bekannten. Der Hauptunterschied, der fehlende Wassergehalt, könnte darin begründet sein, dass mit hintereinander geschalteten, sehr einfachen Apparaten zum Abscheiden des Phosphors gearbeitet wurde. In solchen nur mit einer Tauchung arbeitenden Anlagen findet nicht entfernt ein derart intensiver Kontakt mit dem Wasser statt, wie es bei den heutigen Apparaten (Kondensationstürme mit versprühtem Wasser, Ströder-Wäscher mit ähnlicher Arbeitscharakteristik) der Fall ist. Stimmt die Vermutung, wäre das als Emulgiervorgang verlaufende Einbringen erheblicher Wasseranteile nur mit der heutigen Technologie erklärbar. Zur Alterung des Schlammes unter Verarmung an Phosphor wird nichts gesagt (Ullmann 1931). Ferner werden hier zu einer Zeit, als (ab 1925) bereits effektiv arbeitende Elektrofilter eingesetzt wurden, noch die überholten Staubkammern als Gasreinigungsapparate beschrieben. Offensichtlich ist es nicht einfach, Fachliteratur auf dem neuesten Stand zu halten. Dies gilt nicht nur für technische Monographien, wie den „Ullmann“. Ganz besonders fällt es bei etablierten Lehrbüchern auf. Nehmen wir als Beispiel den „Holleman-Wiberg“, nach dem Generationen von Chemikern die Anorganische Chemie erlernten und erlernen. Das Lehrbuch erschien und erscheint in immer neuen, überarbeiteten und aktualisierten Auflagen. Es ist für den Anorganiker geradezu Kult. <?page no="92"?> 84 Ich habe während meines Studiums mit der 37. - 39. Auflage (1956) gearbeitet. Sehen wir uns den in dieser Auflage abgebildeten Phosphorofen samt Gasreinigung und Kondensation einmal näher an (Abb. 10). Dargestellt wird, wie auch im „Ullmann“ (1931, S. 364), der Stand von ca. 1900 bis1924: Eine zentrale (vorgebrannte) Elektrode, die Staubkammer zwischen Ofenausgang und Kondensationsanlage, im Prinzip fast wie in der vorindustriellen Zeit - und dann, extrem vereinfacht gezeichnet, die Kondensation. Das Ofengas hätte in dem hier gezeichneten Apparat übrigens nicht vom Phosphor befreit werden können, da das Rohr zwischen Staubkammer und Kondensator gar nicht in das im Kondensationsgefäß vorgelegte Wasser eintaucht. Real wurde zudem siebenstufig gearbeitet, wobei das den Phosphordampf enthaltende CO-Gas über eine glockenartige Konstruktion mit dem Wasser in direkten Kontakt gebracht wurde. Dies ist hier irritierenderweise nicht dargestellt. Abb. 10 Die Herstellung von gelbem Phosphor im elektrischen Ofen (nach: Holleman-Wiberg 1956, S. 252). Hier wird im. Jahre1956 der technische Stand von 1924 (! ) als aktuell beschrieben. Diese Technologie war aber seit 1925 - mit dem Aufbau des ersten Bitterfelder I.G.-Großofens - überholt. <?page no="93"?> 85 Auch mit Hilfe der erwähnten siebenstufig arbeitenden Kondensationsanlage gelangte man nicht zu phosphorfreiem CO-Gas. Es enthielt noch ca. 1 % der P-Produktionsmenge und taugte deshalb besten Falles zum Einsatz im unmittelbaren Betriebsbereich. Kritik an der Aktualität des „Holleman-Wiberg“ schien mir auf jeden Fall gerechtfertigt. In den siebziger Jahren schickte ich deshalb einen ausführlichen Brief an Wiberg mit beigefügten Änderungsvorschlägen im Umfang von insgesamt 12 Schreibmaschinenseiten, nicht nur das Kapitel Phosphor, sondern auch andere, mir verbesserungsbedürftig erscheinende Abschnitte sowie offensichtliche Fehler betreffend. Ich war dann verständlicherweise sehr froh, als der berühmte Professor Wiberg sich umgehend freundlich bei mir bedankte. Er hat fast alle meine Anregungen berücksichtigt und in die von ihm damals vorbereitete 81. - 90. Auflage (1976) eingearbeitet. Für den Phosphorofen hat er sich auf meinen Vorschlag an die aktuellen Abbildungen aus dem damals neuesten „Ullmann“ (1962) angelehnt. Während ich dies schreibe, wird mir klar, dass auch in allen nach 1956 und vor 1976 erschienenen Auflagen - d. h. in der 40. bis 80. Auflage des „Holleman-Wiberg“ - der oben abgehandelte Uralt-Sachstand (d. h. die Technologie von etwa 1900 bis 1924) als aktuell beschrieben wurde. Wir haben es hier also nicht mit einer Kleinigkeit von wenigen Jahren zu tun. Die Rede ist von einem halben Jahrhundert. Es wäre somit zu wünschen, dass sich noch mehr Fachkollegen durch konstruktive Kritik im oben erläuterten Sinne einbrächten, wenn die Neuauflage von Lehrbüchern und Monographien ansteht. Im Prinzip funktioniert das, wenn es um die „reine“ Wissenschaft geht, bereits recht gut. So bedankt sich Wiberg im Vorwort zur 81. - 90. Auflage (Holleman-Wiberg 1976) bei immerhin 64 (! ) Fachkollegen. Darunter sind nicht wenige der Großen unserer schönen Wissenschaft, z. B. J. Bjerrum, E. Blasius, E. Fluck, N. N. Greenwood, W. Hieber, A. Schmidpeter, G. T. Seaborg, F. Straßmann, U. Wannagat). Was jedoch die Industriechemiker betrifft, so findet sich außer mir kaum jemand auf dieser Liste. Ich gehe davon aus, dass sich mangelnde Aktualität, und damit eine fachlich zumindest irritierende Darstellung, gewiss nicht nur im Falle des hier behandelten Beispiels findet. Natürlich ist niemand verpflichtet, sich für die Aktualität von Lehrbüchern anderer Autoren verantwortlich zu fühlen. Dennoch würde dies den Industriechemikern gut zu Gesicht stehen. Aktuelle Angaben zu den in Lehrbüchern behandelten Prozessen lassen sich eben nur von Praktikern beisteuern. <?page no="94"?> 86 Kehren wir zum Phosphorschlamm zurück, der unvermeidlich auch beim modernen elektrothermischen Prozess anfällt. Über den Mengenanteil des Schlammes an der Gesamtproduktion gibt es in der Literatur recht unterschiedliche Angaben. Nach Djanaghian (1962) fallen 0,8 %, nach Breil (1963) 1 bis 5 %, nach Patruschew et al. (1968) 0,5 bis 3 % der Gesamtproduktion an Phosphor in Form von Schlamm an. Nach eigenen Erfahrungen ist in der Praxis eher mit den jeweils höheren (oder noch höheren) Werten zu rechnen. Genaue Daten sind kaum erhältlich. Auch macht das unter partiellem Ausschmelzen von Phosphor verlaufende Altern des Schlammes, schon wegen der Definition der Grenze vom Phosphor zum Phosphorschlamm, exaktere Angaben unmöglich. Wird die kontinuierliche Aufarbeitung vernachlässigt, so sammeln sich in den Fabriken innerhalb weniger Jahre gewaltige Mengen von gealtertem Schlamm an. Er blockiert dann nicht nur einen Teil der Lagerkapazitäten für reinen Phosphor, sondern stellt auch ein ökonomisch wie ökologisch sehr ernstes Problem dar. Deshalb wurden immer wieder Experimentalarbeiten durchgeführt, um die Einzelheiten zum Bildungsmechanismus besser verstehen zu lernen. Die Hoffnung war, durch Modifikation des Phosphorofenprozesses den Anfall des Schlammes wenigstens minimieren zu können. Diese Hoffnung hat sich, insgesamt gesehen, nicht erfüllt. Dennoch liefern die inzwischen vorliegenden Ergebnisse Anhaltspunkte dafür, wo und wie im o. a. Sinne eingegriffen werden könnte bzw. sollte. Ich habe mich in den sechziger Jahren mit den Mechanismen der Bildung des Schlammes befasst und auch die damals verfügbare Literatur gründlich ausgewertet. Nähere Einzelheiten finden sich in meinen Veröffentlichungen (Zobel u. Matthes 1967a, Zobel 1969). Nachstehend sind die Ergebnisse zusammenfassend dargestellt. Der Cottrellstaub, insbesondere auch der die Cottrellanlage passierende Feinststaubanteil, besteht nicht etwa - wie früher angenommen - überwiegend aus Koksabrieb, sondern fast vollständig aus hochaktivem Sekundärstaub. Es darf vermutet werden, dass unter den im Cottrell herrschenden Bedingungen, vielleicht auch unter Beteiligung der Sprühentladung, die Boudouard-Reaktion eine Rolle spielt. Sie beschreibt das Gleichgewicht zwischen CO und C sowie CO 2 (2 CO = C + CO 2 ). Jedenfalls wäre so die Entstehung des extrem feinteiligen, oberflächenaktiven Kohlenstoffs erklärt, der ein wesentlicher Auslöser für die Bildung des Schlammes ist. Wahrscheinlich ist allerdings eher das Wassergasgleichgewicht Hauptquelle für die Bildung aktiven Kohlenstoffs. <?page no="95"?> 87 Die in Benzol unlöslichen Feststoffanteile des Schlammes bestehen keineswegs überwiegend aus Kohlenstoff, obgleich dieser bei der Bildung des Schlammes eine besondere Rolle spielt. Es ist nicht ganz leicht, die Zusammensetzung der Feststoffanteile unverfälscht zu ermitteln. Klar dürfte immerhin sein, dass die Zusammensetzung des Cottrellstaubes nur einen ungefähren Anhaltspunkt geben kann, denn der Schlamm bildet sich ja in der Kondensationsstufe erst nach dem Cottrell. Es ist also davon auszugehen, dass die im Cottrell nicht abgeschiedenen, ihn passierenden Feinststaubanteile eine andere Zusammensetzung als der Cottrellstaub selbst haben. So gesehen sind unsere am Cottrellstaub gewonnenen Untersuchungsergebnisse (Tab. 2) besten Falles von orientierendem Wert. Wir verglichen die Zusammensetzung unbehandelten Cottrellstaubes mit derjenigen gewaschenen und getrockneten Staubes. Sodann schwemmten wir aus einer Staubprobe die feinsten, stark kohlenstoffhaltigen Anteile mittels Wassers aus. Danach wuschen und trockneten wir diese Anteile. Tabelle 2 zeigt die erhaltenen Analysen. Bestandteile Unbehandelter Gewaschener u. Ausgeschwemmte, Cottrellstaub (I) getrockneter gewaschene und Cottrellstaub (II) getrocknete Anteile (III) C SiO 2 P 2 O 5 K 2 O + Na 2 O CaO Fe 2 O 3 Al 2 O 3 F 3,5 4,8 37,6 20,3 28,6 25,3 35,6 30,4 13,9 22,7 14,7 3,8 6,4 10,7 6,3 0,8 0,4 5,0 0,8 0,5 0,6 2,2 1,6 0,7 Tab. 2 Zusammensetzung unterschiedlich behandelter Cottrellstaubproben (Ausgangssubstanz für II und III: Substanz I; Angaben in Masse-%; nach: Zobel u. Matthes 1967 a) Unter der Annahme, dass der durch Ausschwemmen gewonnene Feinststaubanteil (Substanz III) der Zusammensetzung des Feststoffanteils im Schlamm am nächsten kommt, wären als besonders oberflächenaktive Stoffe Kohlenstoff und Kieselsäure näher zu betrachten. Sehen wir uns an, was an belastbaren Experimentalarbeiten vorliegt. <?page no="96"?> 88 Die Rolle der Kieselsäure wurde insbesondere von Patruschew u. Polubojarzew (1964 a, 1964 b) zu belegen versucht. Es scheint nahe zu liegen, in der Kondensationsstufe hydrolytisch aus SiF 4 gebildete, hoch aktive Kieselsäure für ebenso wichtig wie den hoch aktiven Kohlenstoff anzusehen. Schmädt (2012) bezieht auch das in der heißesten Zone des Ofens verdampfende SiO 2 in die Betrachtung ein. Das SiF 4 wird durch Reaktion der Phosphatkomponente (Fluorapatit) mit der Kieskomponente des Möllers gebildet. Patruschew und Polubojarzew haben die SiF 4 - Hydrolyse experimentell zur Darstellung eines „Modell“-Schlammes eingesetzt. Sie kamen zu der Ansicht, dieser Weg zur Schlammbildung sei der bedeutendere, verglichen mit der Schlammbildung auf Basis feinst verteilten Kohlenstoffs. Auf Grund unserer Ergebnisse (Zobel u. Matthes 1967 a) relativierten Patruschew, Polubojarzew und Amelin (1968) ihre Ansicht und räumten ein, dass sich 90 bis 95 % des Schlammes wohl doch aus dem im Cottrell nicht abgeschiedenen („durchgeschlagenen“) Feinststaub-Anteil bilden, und nur 5 bis 10 % via hydrolytisch gebildeter Kieselsäure erklärbar sind. Verbindliche Schlüsse allein aus dem Verhalten von Modell-Schlämmen zu ziehen, ist allerdings gewagt. Ein ganz anderer Modell-Schlamm lässt sich z. B. auf der Basis von Acetylenruß herstellen. Versuche dieser Art wurden um 1960 von Schmädt (2012) in Piesteritz durchgeführt (Acetylenruß ähnelt elektronenmikroskopisch wie röntgenographisch dem Schlammkohlenstoff). Auf jeden Fall ist in Fachkreisen unbestritten, dass die Effizienz der Gasreinigung für einen geringen Schlammanfall gar nicht hoch genug zu bewerten ist. Im Jahre 2004 fand sich eine günstige Gelegenheit, fast experimentell die Sache von der anderen Seite her kennen zu lernen. Ich besichtigte im Rahmen meiner ehrenamtlichen Tätigkeit beim Senior Expert Service mehrere chinesische Werke, so auch das angeblich mustergültig arbeitende Unternehmen SHUANGLIU im Kayang County, nördlich der Provinzhauptstadt Guiyang gelegen. Beim Blick durch das offen stehende Tor des Ofenhauses - eine gründliche Besichtigung hatte der Firmenchef nicht gestattet - wurde mir klar, dass irgendetwas nicht stimmte. Ich suchte vergeblich nach der Gasreinigung. Nach längerer Diskussion wurde klar, dass es eine solche nicht gab. Ich fragte nun nach der Menge des anfallenden Schlammes. Der mich begleitende sehr ängstliche Technologe behauptete daraufhin, in seinen Öfen falle kein Schlamm an. Er stellte sich taub, als ich nachbohrte. Zunächst vermutete ich, der Dolmetscher habe irgend etwas auf der schwierigen Strecke Englisch - Mandarin - Englisch - Mandarin gründlich missverstanden. Das war jedoch nicht der Fall. Endlich lenkte der Technologe ein und führte uns ca. 300 m weiter. <?page no="97"?> 89 An einem Berghang, noch auf dem Werksgelände, war dort eine geradezu monströse, ziemlich verrottete Phosphorschlammdestillation aufgebaut. Sie arbeitete gerade nicht, aber es war - schon anhand der gewaltigen Abmaße - deutlich zu erkennen, dass sie eine entscheidende Rolle spielen musste. Der Schlammtransport auf der Werksstraße erfolgte in großrädrigen Karren. Nach Diskussion mit dem Technologen erfuhr ich dann doch noch etwas zur Menge („Mehr als 8% Schlamm fallen bei uns nicht an“). Das in Anbetracht der fehlenden Gasreinigung völlig andere Betriebsregime erlaubt keine Schlüsse, wie diese Zahl zu werten ist. Mir erschien sie eher zu niedrig, was im Hinblick auf die anfängliche Schönfärberei nicht weiter erstaunlich wäre. Für die Praxis wichtig ist das Verhalten des in der Kondensationsstufe anfallenden frischen Schlammes nach längerer Lagerung im flüssigen Zustand. Wir haben experimentiert und das Altern des Schlammes verfolgt. Durch einfaches Ausschmelzen lässt sich prinzipiell kein reiner gelber Phosphor gewinnen. Die schwere (untere) Phase reichert sich lediglich daran an. Dies ist übrigens ein weiterer Beweis für die enorme Emulsions-Stabilität des Phosphorschlammes und damit die Erklärung dafür, dass es leider keine einfachen Phosphorschlamm-Aufarbeitungsverfahren gibt (Details dazu s. Kap. 3. 2). Tab. 3 zeigt die nur sehr unvollkommene Trennung, die beim Lagern bereits gealterten flüssigen Schlammes zu beobachten ist. Wir verrührten den Schlamm unter Wasser während einer Stunde, nahmen dann das Rührwerk außer Betrieb, und hielten die Arbeitstemperatur von 100°C noch eine weitere Stunde konstant. Nach im Verlaufe von 12 h erfolgter Abkühlung nahmen wir dann jeweils eine Probe von der Oberfläche der erstarrten Masse sowie vom Boden des Gefäßes. Wir erkennen, dass sich der Phosphor in der unteren Phase erwartungsgemäß zwar deutlich anreichert, eine Technologie zur Gewinnung reinen Phosphors auf diesem Wege jedoch kaum vorstellbar ist. Auch zeigen die Ergebnisse, dass Schlamm, der nicht sofort verarbeitet wird, innerhalb vergleichsweise kurzer Zeit altert. Während dieses Alterungsprozesses wird er zäher, phosphorärmer und feststoffreicher. Die auf dem reinen gelben Phosphor schwimmende Schlammschicht nimmt, wenn es an einer kontinuierlichen Verarbeitung mangelt, von Jahr zu Jahr an Masse zu. In imkent habe ich in den achtziger Jahren ein Phosphorlager gesehen, das weitgehend vom Schlamm blockiert war. Dieses Unterflurlager, eine große, ausgekleidete Betongrube, sollte vom Schlamm befreit, der Schlamm sodann verbrannt werden. <?page no="98"?> 90 Zusammensetzung der oberen Schicht (o) Probe Nr. P (%) H 2 O (%) FS (%) P : FS 1 o 2 o 3 o 4 o 11,1 52,2 36,7 0,30 10,9 54,9 34,2 0,32 10,3 52,9 36,8 0,28 10,1 55,9 34,0 0,30 Zusammensetzung der unteren Schicht (u) Probe Nr. P (%) H 2 O (%) FS (%) P : FS 1 u 2 u 3 u 4 u 50,8 38,2 11,0 4,6 49,9 39,0 11,1 4,5 46,2 44,4 9,4 4,9 42,8 47,2 10,0 4,3 Tab. 3 Partielle Entmischung von Phosphorschlamm Piesteritzer Provenienz FS: benzolunlösliche Feststoffsubstanz (nach: Zobel u. Matthes 1967 a) Der gealterte Schlamm erwies sich als sehr zäh. Der Versuch, das Lager mit Hilfe von Pumpen zu entleeren, schlug fehl, da der Schlamm nicht nachfloss. Nach kurzer Zeit bildeten sich auf der Saugseite Kanäle; schließlich gelangte nur noch Sauerwasser zur Pumpe. Unsere kühnen Tschimkenter Kollegen gingen nun einigermaßen abenteuerlich zu Werke. Sie bauten aus leeren Fässern und einer Stahlplattform eine Art Floß, das an einem Stahlseil hin und her gezogen werden konnte. Auf dem Floß waren die Pumpe mit Saugstutzen sowie eine flexible Leitung zum Abfördern des Schlammes installiert. Der Plan war, dass - beim langsamen „Abrastern“ der Oberfläche des Lagers - der Saugstutzen der Pumpe immer Schlamm zugeführt bekommen sollte. Die Vorrichtung hat sich sogar einigermaßen bewährt. Woran es mangelte, war eine funktionsfähige Technologie zur Aufarbeitung des Schlammes. Einzelheiten zu diesem weltweit aktuellen Problem der Phosphorfabriken werde ich im Kapitel 3.2 behandeln. Zum Charakter des Schlammes sei noch angefügt, dass es mindestens zwei recht unterschiedliche Typen gibt. Der Piesteritzer Schlamm war durch ziemlich hohe Anteile an in Benzol unlöslichen Feststoffen charakterisiert und enthielt relativ wenig Öl. Seine Farbe war mehr oder minder schwarz. Hingegen enthielt der in den kasachischen Werken anfallende Schlamm weit weniger benzolunlösliche Feststoffe, dafür aber viel Öl. Seine Farbe war (bzw. ist) hellbis dunkelbraun. <?page no="99"?> 91 Als „Öl“ werden hier die im Phosphor gelösten organischen Substanzen bezeichnet, deren Herkunft sich aus dem Charakter des für die Phosphorproduktion eingesetzten Möllers ergibt. Enthält der Koks noch Reste flüchtiger Substanzen, und ist die thermische Aufarbeitung der Phosphatkomponente nicht perfekt, so wird Phosphor mit relativ hohem Ölanteil produziert. Besonders der im Schlamm dispergierte Phosphor enthält dann viel Öl. Extreme Werte finden sich, wenn nicht vorbehandeltes Phosphoriterz, und Kohle statt Koks eingesetzt werden. Technisch progressive Anlagen arbeiten jedoch nicht so. Versuche in dieser Richtung - z. B. in China - sind meist fehlgeschlagen. Eine Ausnahme konnte ich allerdings im Jahre 2004 in der chinesischen Provinz Guizhou besichtigen. Das Unternehmen QUIAN NENG arbeitete dort, und dies anscheinend erfolgreich, mit stückigem Phosphorit, thermisch nicht vorbehandelt. Nur die abgesiebte Feinfraktion wurde durch eine Art Pelletisierung mit nachfolgender Trocknung geschickt, ehe sie dem Möller zugesetzt wurde. Zum Ölgehalt des so erzeugten Phosphors konnte man allerdings von den dortigen Experten nichts erfahren. Sie hatten sich mit dieser Frage noch nie befasst. Wird hingegen, wie seinerzeit in Piesteritz, Braunkohlen-Hochtemperatur-Koks („BHTK“) oder ein guter Steinkohlenkoks neben den bei hoher Temperatur gebrannten Kolaapatit-Granalien eingesetzt, so entsteht ein Phosphor mit vergleichsweise geringem Ölgehalt. Ganz lässt sich das Öl aber nicht ausschalten. Die teerigen und damit z.T. flüchtigen Anteile der Söderbergmasse geraten auf jeden Fall in den Produktionsprozess, und damit in den Phosphor bzw. den Schlamm. Methoden Knapsack (1962) Jap. Meth. (1961) Bitterfelder Meth. (1978) Herkunft des Phosphors Ö l g e h a l t e i n M a s s e - % Phosphor aus Kasachstan 0,34 0,25 0,3 Bitterfelder bzw. Piesteritzer Phosphor 0,17 0,17 0.1 Tab. 4 Ölgehalte in Phosphorsorten unterschiedlicher Provenienz, ermittelt nach verschiedenen Analysemethoden (Gisbier, Zobel u. Pietzner 1978) <?page no="100"?> 92 Wir verglichen die nach unterschiedlichen Analyseverfahren gewonnenen Ergebnisse für Piesteritzer/ Bitterfelder Phosphor sowie für Phosphor aus den kasachischen Werken ( imkent, Dshambul, Novo-Dshambul). In Tab. 4 sind die Ergebnisse zusammengefasst. Die angewandten Analysevorschriften ähneln einander im Prinzip. Stets wird der ölhaltige Phosphor in einem organischen Mittel (Benzol oder Tetra) gelöst. Sodann wird der gelöste Phosphor entweder chloriert bzw. bromiert, oder mit Kupfersulfat als Phosphid ausgefällt. Bei der Kupfervariante wird das gebildete unlösliche Kupferphosphid direkt abgetrennt. Die Chloride bzw. Bromide werden hingegen hydrolysiert. Nach Phasentrennung und Filtration wird das Lösungsmittel abdestilliert. Übrig bleibt das Öl, welches ausgewogen wird. Details zu den einzelnen Analyseverfahren sind in unserer Veröffentlichung angegeben (Gisbier, Zobel u. Pietzner 1978). Besonders hohe Gehalte finden sich im schlammhaltigen Phosphor aus den kasachischen Werken. Wir wandten eine bisher nicht praktizierte, etwas ungewöhnliche Methode an, um sowohl die Feststoffverunreinigungen wie auch die Ölgehalte in derartigen Proben zu analysieren. Mittels Hohlbohrers wurden im kalten Zustand aus der oberen, bräunlich verfärbten Schicht des Importphosphors Proben gezogen. Bei Einwaagen um 30 bis 50 g P führten wir die Umsetzung des Phosphors mit 50%iger Natronlauge durch. Die Apparatur arbeitete mit Rückflusskühler, die Umsetzung wurde bei 75 bis 85 °C (gegen Ende der Reaktion bei 100°C) unter Stickstoff durchgeführt. Der Umsetzungsrückstand wurde abfiltriert, gewaschen und bei 105°C zur Gewichtskonstanz getrocknet. Ermittelt wird so der Gehalt an Feststoffanteilen. Das stark alkalische Filtrat wurde mehrmals mit einem Benzol-Aceton- Gemisch ausgeschüttelt, die organische Phase - nach mehrmaligem Waschen mit Wasser - über Na 2 SO 4 getrocknet, und schließlich unter Wasserstrahlpumpen-Vakuum abdestilliert. Der verbliebene ölige Rückstand ist von brauner Farbe und riecht nach Mercaptan. Analysiert wurden auf diese Weise 4 Proben. Folgende Mittelwerte ergaben sich für den kasachischen Phosphor: In Benzol unlösliche Feststoffanteile 2,3 %; Destillationsrückstand = Ölanteile im Phosphor 1,9 %. Die Methode mag, wie gesagt, etwas ungewöhnlich sein. Die Natronlauge wird Menge und Qualität des Feststoffanteiles wie auch des Öls kaum unbeeinflusst lassen. Deshalb dürften die ermittelten Werte auf keinen Fall zu hoch liegen, eher ist vom Gegenteil auszugehen. <?page no="101"?> 93 Bei den Feststoffverunreinigungen ist mit Sicherheit anzunehmen, dass mindestens ein Teil der enthaltenen Kieselsäure herausgelöst worden ist. Somit läge der reale Feststoffgehalt höher als gefunden. Die - unvollständige - Elementaranalyse des öligen Rückstandes ergab: 89,8 % C; 6,0 % H; 0,9 % N. Der Piesteritzer Schlamm hingegen war durch einen auffallend niedrigen Ölgehalt bei zugleich deutlich erhöhtem Feststoffgehalt charakterisiert. Wir fanden Feststoffgehalte um 10 %. Die Ölgehalte lagen im Bereich von nur 0,06 bis 0,08 % (Gisbier, Zobel u. Pietzner 1978). Bereits der äußerliche Vergleich zeigt, wie entscheidend die Rolle der für den Phosphorofenprozess verwendeten Rohstoffe ist. Der sehr dunkle, meist fast schwarze Piesteritzer Schlamm war in der Hitze von teerartigbituminöser Konsistenz. Er zerfiel manchmal, falls es sich um stark gealterten Schlamm handelte, nach Abschrecken mit kaltem Wasser zu einer grusartig-bröckligen Masse. Der hellbräunliche Schlamm kasachischer Herkunft hingegen erscheint lehmartig-pastös. Er wird auch in der Kälte nicht immer völlig fest. Charakteristisch ist, dass der Übergang vom reinen gelben Phosphor zum darüber befindlichen Schlamm fast kontinuierlich verläuft. Dem entsprechend schwierig war es in Reklamationsverhandlungen, sich auf die zu berücksichtigende Menge des mitgelieferten - vom Lieferanten zunächst als Phosphor berechneten - Schlammes zu einigen. Für einige Anwendungsfälle ist der Ölgehalt wichtig. So zeigen denn die nahe der Oberfläche des Phosphors gefundenen extrem hohen Ölwerte (1,9 %, s. o.) ein Problem auf, welches, symbolisch wie buchstäblich, im Grenzbereich zwischen reinem Phosphor und Phosphorschlamm liegt. Es ist deshalb sinnvoll, dass wir das Problem hier, und nicht bei den Eigenschaften des gelben Phosphors mit behandeln. Der Ölgehalt des Phosphors spielt bei der Produktion von thermischer Phosphorsäure (s. Kapitel 5.1) nur eine untergeordnete Rolle. Entscheidend ist ein möglichst geringer Ölgehalt hingegen bei der Produktion von Phosphorpentasulfid P 4 S 10 , da hier während des Herstellungsprozesses keine wesentlichen Reinigungseffekte auftreten, und eine nachträgliche Reinigung - z. B. durch Umkristallisation oder Destillation - unwirtschaftlich wäre. Die im Phosphor enthaltenen öligen Verunreinigungen gelangen, falls der Phosphor nicht raffiniert wird, in das Endprodukt und führen dort zu einer erheblichen Qualitätsbeeinträchtigung. Bei den technisch üblichen Umsetzungen mit Alkoholen bilden sich dann lästige Emulsionen und verfärbte Umsetzungsprodukte. <?page no="102"?> 94 Besonders nachteilig wirkt sich minderwertiges Phosphorpentasulfid bei der Produktion von Insektiziden aus. Ich werde auf diese Probleme nicht hier, sondern im 4. Kapitel eingehen. Für die Piesteritzer Belange spielte der Ölgehalt nur insofern eine Rolle, als er sich prächtig zum Argumentieren in den Reklamations-Verhandlungen eignete. Unsere kasachischen Lieferanten waren immer einigermaßen genervt, wenn ich - außer der Frage des unerwünscht mitgelieferten, schwierig zu messenden Schlammes - zu allem Überfluss auch noch den Ölgehalt ins Spiel brachte. Abends, beim wodkaseligen Empfang, haben unsere Partner dann schon mal die Neigung der Deutschen bespöttelt, im Bedarfsfalle auch hoch gestochene Fachargumente mit ins Feld zu führen. Insgesamt war unser Verhältnis aber von gegenseitiger Achtung geprägt. Mir hat immer imponiert, mit welcher Hemdsärmeligkeit das kasachisch-russische Management schwierige Probleme anging. Der für erfolgreiche Industriechemiker typische Hang zur Vereinfachung war dort stark ausgeprägt. In der DDR hatte der Begriff russisch einfach einen durchaus positiven Klang. Abschließend noch eine Bemerkung zum Brandverhalten des Phosphorschlammes. Man könnte zunächst meinen, die Tendenz zur Selbstentzündung sei, bedingt durch den Wassergehalt, weniger ausgeprägt als beim reinen gelben Phosphor. Ich konnte das aber nicht feststellen. Im Falle des schwarzen Piesteritzer Schlammes hatte ich vielmehr den Eindruck, dass die Tendenz zur spontanen Entzündung sogar stärker ausgeprägt ist. Dies könnte mit der bekannten Erwärmung schwarzer Objekte am Licht zusammenhängen. Auch der Umstand, dass der Phosphor feinst dispergiert vorliegt, und die Feststoffanteile hoch aktiv sind, spräche für eine besonders schnelle Selbstentzündung. Beim kasachischen Phosphor sind diese Tendenzen, wohl wegen des geringeren Feststoffgehaltes und der hellbräunlichen Färbung, deutlich weniger ausgeprägt. Reproduzierbare Messwerte sind aber, was die Eigenschaft der Selbstentzündlichkeit betrifft, weder für reinen Phosphor, noch für die besprochenen Schlammvarianten zu erhalten. Dafür verantwortlich ist die Tendenz feuchter, mechanisch unbelasteter Phosphoroberflächen, sich an der Luft, noch vor Eintreten der Selbstentzündung, langsam zu oxidieren. Dabei entsteht eine die weitere Oxidation wie die Selbstentzündung verhindernde Deckschicht aus dem so genannten Phosphorsuboxid (P 4 O bzw. - besser - (P 4 OH) x ), Phosphorsäure und niederwertigen Phosphorsäuren, auch solchen mit P-P-Bindungen. Ähnliches haben wir bei der langsamen Oxidation roten Phosphors an feuchter Luft beobachtet (s. Kap. 2.1 und Tab.1). <?page no="103"?> 95 3.2 Ältere Aufarbeitungsverfahren und ihre Mängel Nach dem, was wir im vorigen Kapitel erfahren haben, ist die Notwendigkeit der möglichst vollständigen Aufarbeitung des Phosphorschlammes wohl unstrittig. Kein modernes Unternehmen kann es sich - schon aus ökonomischen Gründen - leisten, diese Ressource ungenutzt zu lassen. Darüber hinaus ist es indiskutabel, immer neue Phosphorlagerbehälter in Betrieb zu nehmen, nur weil die vorhandenen mehr oder minder vom Schlamm blockiert sind. Genau diese Situation habe ich aber in etlichen Werken vorgefunden. Der Grund war immer eine nicht oder nur schlecht funktionierende Phosphorschlamm-Aufarbeitung. Über die optimale Vorgehensweise wurde entsprechend heftig diskutiert. Sehen wir uns nun die in der Literatur beschriebenen sowie die früher (teilweise noch heute) praktizierten Aufarbeitungsverfahren an. Ich habe diese Verfahren nach: Rückführungsverfahren, Destillationsverfahren, Verfahren der Komponententrennung und Verbrennungsverfahren gegliedert. Die von mir entwickelten Disproportionierungsverfahren, d. h. die Prozesse zur alkalischen Aufarbeitung, werden wegen ihres völlig anderen Charakters separat und ausführlich behandelt (Kap. 3.3). Beginnen wir mit den Rückführungsverfahren. Phosphorschlamm lässt sich, insbesondere nach weitgehender Entfernung des Wassers, gemäß den Angaben einiger Autoren dem Phosphorofen wieder zuführen. Hurst (1961) schreibt, dass „die meisten Hersteller“ versuchen, den Schlamm in den Phosphorofen zurückzugeben, da Schlammöfen „unsauber und kostspielig zu betreiben“ seien. Ein Schlammofen in diesem Sinne ist ein „besonderer elektrischer Ofen, aus dem der Phosphor verdampft und, frei von Feststoffen, kondensiert werden kann“. Hurst meint hier offenbar eine spezielle Ausführungsform der Schlammdestillation, auf die wir weiter unten noch zu sprechen kommen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde nach den Angaben von Threlfall (1951) bei Albright & Wilson die Rückführung des Schlammes in den Phosphorofen praktiziert. Speziell wurde mit Heißwasser unter Rühren behandelter, an Phosphor verarmter Schlamm eingesetzt. Nähere Angaben zur Verfahrensweise sind der Literatur nicht zu entnehmen. Nach meiner Auffassung ist jedoch die von Hurst (1961) verwendete Formulierung, dass „die meisten Hersteller“ so verfahren, in derart absoluter Form nicht zutreffend. Das Problem ist stets der auf einfache Weise nicht zu entfernende Wasseranteil des Schlammes. Im Ofen aber ist Wasser extrem schädlich (s. dazu Kap. 2.2). <?page no="104"?> 96 Deshalb dürfte heute die Rückführung des Schlammes besten Falles für solche Produzenten von Interesse sein, deren Verfahren per se die Entstehung eines weitgehend wasserfreien Schlammes garantiert. Ob solche Verfahren überhaupt noch praktiziert werden, weiß ich nicht; es ist aber zu bezweifeln. Verfahren dieser Art müssten die Emulgierung von Phosphor, Wasser und Feststoffanteilen - und somit die Bildung der typischen Phosphorschlammstruktur - von vornherein vermeiden. Dies dürfte bei der American Agricultural Chem. Comp. in Pierce (Florida) der Fall gewesen sein. Der im Ofengas enthaltene Phosphor wurde in dieser Anlage ohne vorgeschaltete Entstaubung in vertikal angeordneten Röhrenkondensatoren mit Außenkühlung niedergeschlagen. Erst dann kam der solcherart „trocken“ kondensierte Phosphor und der zugleich im Röhrenkondensator niedergeschlagene Staub mit Wasser in Kontakt (Hurst 1961). Da bei dieser Art des Vorgehens keine intensive Emulgierung der Komponenten erfolgt, lässt sich so die Bildung des typischen wasserhaltigen Phosphorschlammes vielleicht tatsächlich umgehen. Die Reinigung des stark verunreinigten Phosphors wurde dann mit Hilfe von Filterpressen praktiziert, und der Pressrückstand schließlich dem Ofen zugeführt. Dieses Verfahren ist, auch wegen diverser anderer Probleme, nach einiger Zeit aufgegeben worden. Grundsätzliche Schwierigkeiten bereitet bei derartigen Verfahren, gerade dann, wenn es sich um gealterte Schlämme aus modernen, mit Elektrofiltern arbeitenden Prozessen handelt, das Fördern und Dosieren beim möglichst kontinuierlichen Einspeisen in den Phosphorofen. Die zähe Masse dürfte unter betrieblichen Bedingungen bereits nach kurzer Zeit zum Verkleben und zur Funktionsuntüchtigkeit der Förder- und Dosierorgane führen. Diskontinuierliche Beschickung zieht hingegen, ganz abgesehen von den Schwierigkeiten beim Einbringen in den Ofen, stets einen unruhigen Ofengang nach sich. Es wurde auch schon vorgeschlagen, bei der Herstellung von Rohstoffbriketts für die Beschickung des Phosphorofens der Rohstoffmischung bis zu 10% eines Schlammes zuzusetzen, der durch Behandeln auf Hochleistungszentrifugen erhältlich ist (Barber, Megar und Sloan 1962). Da dieser sehr feststoffreiche Schlamm aber immer noch bis zu 10% P enthält, lässt sich vermuten, dass die fertige Rohstoffmischung feucht in den Ofen eingebracht werden musste. Anderenfalls würde sie sich vor dem Einbringen selbst entzünden. Feuchte Rohstoffe sind jedoch, wie oben begründet, Gift für den Ofenprozess. Zwar ist auch in einer älteren Übersichtsarbeit (Beveridge und Hill 1968) noch die Rede davon, jedoch wurde bei den meisten Phosphorproduzenten wohl bereits damals der Schlamm nicht mehr in den Ofen zurückgeführt. <?page no="105"?> 97 Kommen wir nunmehr zu den Destillationsverfahren. Im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts wurde in Deutschland gelber Phosphor ausschließlich in den Anlagen der Chemischen Fabrik Griesheim-Elektron, Werk Bitterfeld, hergestellt. Die mit je nur einer Blockelektrode ausgerüsteten Öfen wurden mit 300 kW belastet. Einzelheiten dazu haben wir bereits in den Kapiteln 2.2 und 3.1 kennen gelernt. Da eine wirksame Ofengasentstaubung fehlte, entstanden erhebliche Mengen an Phosphorschlamm. Dessen Aufarbeitung erfolgte in mühseliger, kostspieliger und nicht ungefährlicher Weise auf destillativem Wege. Als Destillationsblasen eingesetzt wurden gusseiserne, feuerbeheizte Retorten (Ritter 1950). Ehe an eine Phosphorproduktion im kt-Maßstab zu denken war, mussten diverse Grundsatzprobleme gelöst werden, zu denen in erster Linie die Entwicklung und Einführung einer hoch wirksamen Ofengasentstaubung zählte (Pistor und Borsbach 1924). Im Kapitel 2.1 habe ich erläutert, dass das von G. Pistor gestartete Forschungsprogramm zu dem damals vielbeachteten Bitterfelder Modellofen sowie den vier Piesteritzer Großöfen führte. Auch mit der neuen - weit wirksameren - elektrischen Gasreinigung gelang es nicht, die Schlammbildung, wie erhofft, vollständig zu verhindern. So wurden notgedrungen die gusseisernen Retorten zur Schlammdestillation weiter betrieben (Abb.12). In Bitterfeld wie in Piesteritz war es dabei immer wieder zu Unfällen und Explosionen gekommen, meist durch Versetzung der Kondensationswege bzw. Verstopfungen in der Retorte bedingt. Hinzu kam, dass der gewonnene Phosphor nicht sehr rein war, und dass die Retorten durch die sich gegen Ende der Destillation ansammelnde Polyphosphorsäure stark angegriffen wurden. So musste ein neues Verfahren in Angriff genommen werden. Es wurde nunmehr versucht, den Schlamm unter vermindertem Druck bei 75 bis 80°C zu entwässern. Die Bedingungen wurden so eingerichtet, dass Phosphor nur in sehr geringen Mengen mit überdestillierte (Rodis u. Ritter 1938). Abb. 11 zeigt die verwendete Apparatur. Die sich nach Zerstörung der Schlammemulsion ansammelnden - auf dem Phosphor schwimmenden - Feststoffe sollten abfiltriert werden. Auch wurde versucht, ganz ohne Abtrennung der Feststoffanteile weiter zu kommen, und zwar durch Vermischen mit reinem Phosphor. Dieses Vorgehen führt günstigen Falles zu einer leicht beweglichen Flüssigkeit mit 98% P-Gehalt, die angeblich wie reiner gelber Phosphor weiterverarbeitet und zum Zwecke der Phosphorsäureproduktion zu P 4 O 10 verbrannt werden kann (Ritter 1932 b). Den Versuchsberichten ist jedoch zu entnehmen, dass erhebliche Schwierigkeiten auftraten. <?page no="106"?> 98 So wurde bei der Aufarbeitung des Inhaltes eines Lagerkessels während eines zweitägigen Versuches ein Produkt erhalten, das mit Hilfe üblicher Phosphordüsen nicht verbrannt werden konnte (Ritter 1932 a). Abb. 11 Entwässerung von Phosphorschlamm unter vermindertem Druck (nach: Ritter 1932 a) Düsenverstopfungen in der Phosphorverbrennung sind beim Einsatz unreinen Phosphors ohnehin ein Problem. Im vorliegenden Falle kam hinzu, dass in den damaligen Piesteritzer Phosphorsäureanlagen pro Verbrennungsturm 9 (! ) kleine, kreisförmig am Kopf des Turmes angeordnete Düsen im Einsatz waren. Die im Gegensatz zu den heute üblichen Zentraldüsen wesentlich geringeren Querschnitte der Austrittsöffnungen führten zwangsläufig zu Verstopfungen - mit für die Sicherheit des Personals entsprechend negativen Folgen (siehe dazu Kap. 5. 2). In der UdSSR wurde etwa zur gleichen Zeit eine Variante des Retortenverfahrens patentiert. Der Schlamm sollte dabei in einer Kugelmühle auf 300-310°C erhitzt, die abziehenden Phosphordämpfe unter Wasser kondensiert werden (Senilov 1932). <?page no="107"?> 99 Es ist bezeichnend, dass die letzt genannten Varianten keine technische Bedeutung erlangten. Beide Prozesse sind offensichtlich zu umständlich, zeitraubend und energieaufwändig. So wurde denn bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges in Piesteritz das „klassische“ Retortenverfahren trotz aller Mängel weiterbetrieben. Die Apparatur bestand aus einem liegend angeordneten Zylinder, in dem ein motorgetriebenes und mit Schabern ausgerüstetes Rührwerk arbeitete (Abb. 12). Abb. 12 Phosphorschlammdestillation unter Einsatz einer gusseisernen feuerbeheizten Retorte (nach: Ullmann 1931) a Retorte („Trommel“) b Schaber c Vorgelege d Eintritt des CO-Gases e Austritt der Rauchgase f Austritt des Phosphordampfes (zur Kondensation) Der Schlamm wurde zunächst von Hand aus den Lagerbehältern geschöpft. Verwendet wurden Jaucheschöpfer. Der geschöpfte Schlamm musste sodann mit kaltem Wasser abgeschreckt werden. Dies geschah in den so genannten Schlammkübeln, die über je zwei Ösen für das Hebezeug verfügten. Der Transport über die Werksstraße erfolgte zunächst mittels spezieller großrädriger Schiebkarren, die mit den Ösen angepassten Einhängevorrichtungen versehen waren. Ich habe diesen Transport von Hand, geringfügig modifiziert, später noch selbst kennen gelernt. Einzelheiten zur Sicherheitstechnik werden weiter unten bei den Verbrennungsverfahren besprochen. Nach dem Einfüllen des Schlammes erfolgte die Destillation (Abb. 12). Die Retorten wurden direkt mit CO-Gasflammen beheizt. Nach Verdampfen des Wassers destillierte der Phosphor in ein Kondensationsgefäß über, aus dem er von Zeit zu Zeit abgehebert wurde. <?page no="108"?> 100 Es lag nun nahe, dass auch die Destillation mithilfe von Schleppbzw. Trägergasen als möglicherweise Erfolg versprechend untersucht wurde. Das gebräuchlichste Schleppgas ist Wasserdampf. Zudem ist Wasserdampf bei jeder Art der Destillation des typischen (d. h. wasserhaltigen) Schlammes ohnehin von vornherein beteiligt. So wurde zunächst einmal untersucht, wie viel Wasserdampf zum völligen Austreiben des Phosphors insgesamt benötigt wird. Harnisch, Ritter und Rodis (1957) geben an, dass bei unter Normaldruck durchgeführter Wasserdampfdestillation für die Aufarbeitung gealterten Schlammes bis zu 180 kg Dampf pro kg Phosphor aufgewendet werden müssten, um einen annähernd phosphorfreien Rückstand zu erhalten. Zum Vergleich sei angemerkt, dass der theoretische Verbrauch für die Destillation reinen Phosphors immerhin noch 28 kg Dampf pro kg P beträgt. Die Angabe „..um einen annähernd phosphorfreien Rückstand zu erhalten“ (s. o.) ist recht ungenau; was heißt „annähernd“ quantitativ? Ich habe zur Klärung in unserem Labor entsprechende Untersuchungen durchführen lassen. Der nach ganztägiger Wasserdampfdestillation unter Normaldruck verbliebene Feststoffrückstand sollte quantitativ bestimmt werden. Er wurde dazu - zwecks Ermittlung des Trocknungsrückstandes bei 105°C - in einen Trockenschrank überführt. Wir waren, zumal die Probe nicht mehr roch, fest von der Phosphorfreiheit des Rückstandes überzeugt und hatten deshalb auf den Mitscherlich-Test verzichtet. Nach einer Stunde öffnete meine Laborantin den Trockenschrank. Die Probe war eindeutig abgebrannt. Ich vermutete zunächst, der höchst aktive Kohlenstoff habe sich selbst entzündet. Ein noch immer - wenn auch schwach - sichtbares P 4 0 10 -Wölkchen belehrte uns eines Besseren. Auch waren auf dem Rest der Probe die für das Verbrennen gelben Phosphors typischen Rückstände in Spuren gerade noch zu erkennen. Sie bestehen aus dem rötlich-orangefarbenen so genannten Phosphorsuboxid („P 4 O“ bzw. - zutreffender - (P 4 OH) n ). Harnisch, Ritter und Rodis (1957) verfolgten nun die Idee, dass die Wasserdampfdestillation unter erhöhtem Druck ungleich bessere Ergebnisse liefern sollte. Im Prinzip bestätigte sich die Annahme. Als besonders vorteilhaft wird das Arbeiten bei 3 bis 9 atü beschrieben. Beispielsweise beträgt bei 6 atü für reinen Phosphor der theoretische Dampfverbrauch nur noch 18,5 kg/ kg P (für Puristen: „atü“ = Originalangabe). Die Autoren geben an, dass zur Erzielung eines phosphorfreien Rückstandes beim Einsatz phosphorreicher Schlämme bereits 19 kg Dampf, für die Aufarbeitung phosphorarmen Schlammes jedoch 35 bis 40 kg Dampf pro kg destillierten Phosphors erforderlich sind. Auch dies sind noch immer erhebliche Verbrauchsmengen. <?page no="109"?> 101 Ich vermute, dass auch dieses Verfahren ökonomisch keine Chance hatte, und nicht auf Dauer im technischen Maßstab betrieben wurde. Bereits in den dreißiger Jahren wurde in Piesteritz auch die Phosphorschlammdestillation unter Zusatz von Paraffin erprobt. In diesem Falle wirkt Paraffindampf als Trägerbzw. Schleppgas. Die erste Versuchsvariante arbeitete mit kontinuierlichem Paraffinrücklauf. Bei der zweiten - anscheinend günstigeren - Variante wurde das im Kondensationsgefäß anfallende, auf dem Wasser schwimmende Paraffin mittels Überlaufs separiert und portionsweise einer neuen Charge zugesetzt. Die Apparatur selbst bestand im Prinzip lediglich aus einer mit CO- Gas beheizten stählernen Retorte, einem teilweise wassergefüllten und mit Überlauf für Paraffin und Wasser ausgestatteten, ansonsten aber geschlossenen Kondensations-Gefäß, sowie einer Vorlage zur Aufnahme überlaufenden Paraffins und Wassers (Abb. 13). Abb. 13 Destillation von Phosphorschlamm unter Zusatz von Paraffin (nach: I.G. Farbenindustrie AG 1931) Die Entleerung des sich im Kondensationsgefäß ansammelnden Phosphors erfolgte von Zeit zu Zeit über eine Heberleitung. Das Verfahren wurde im Verlaufe mehrerer Monate erprobt. Pro 24 h konnten immerhin 250 kg P gewonnen werden. <?page no="110"?> 102 Die mittlere Standzeit einer bei 320 bis 350°C betriebenen Retorte wurde auf ca. 2 Monate geschätzt (I.G. Farbenindustrie AG 1931). Dieses Verfahren wurde ebenfalls nach kurzer Zeit aufgegeben. Ich vermute, dass der Wartungsaufwand als zu hoch und die Standzeit der Retorte als nicht ausreichend eingeschätzt wurden. Auch eine mit der teilweisen Verbrennung des Schlammphosphors verbundene Destillationsvariante wurde bereits beschrieben. Roher, stark schlammhaltiger Phosphor wird kontinuierlich in eine Verdampferkammer unter Hinzufügen solcher Primärluftmengen eingespeist, dass ein Teil des verdampfenden Phosphors zu P 4 O 10 verbrennt (Almond 1939). Die Luftmenge wird so einreguliert, dass zwar nur ein vergleichsweise geringer Teil des Phosphors verbrennt, die Verbrennungswärme aber ausreicht, um die Temperatur in der Kammer auf 900 bis 1100 °C zu halten. Damit wird gesichert, dass der unverbrannt verbliebene Phosphoranteil vollständig verdampft. In einer nachgeschalteten Einheit („separating chamber“) sollen eventuell mitgerissene Feststoffanteile abgeschieden werden. Das Gas gelangt dann - nach Zusatz entsprechender Sekundärluftmengen - in die Verbrennungskammer. Hier erfolgt die komplette Umsetzung zu P 4 O 10 . Die bei den in der Verdampferkammer herrschenden Temperaturen schmelzflüssig vorliegenden Feststoffrückstände können nach den Angaben des Erfinders (Almond 1939) von Zeit zu Zeit wie Schlacke abgestochen werden. Dieses Verfahren wurde in den Jahren 1938 bis 1948 von der TVA (Tennessee Valley Authority) in Wilson Dam/ Alabama betrieben. Anlass war die Feststellung, dass schlammhaltiger Phosphor zum Verstopfen der Düsen und Versetzungen in den Rohrleitungen geführt hatte, so dass das ordnungsgemäße Betreiben einer 1936 installierten „normalen“ Phosphorsäureanlage (s. Kap. 5.1) nicht möglich war. Allerdings ist dem TVA-Report auch zu entnehmen, dass der Betrieb dieser Schlammaufarbeitungsanlage in ständigem Kampf mit der Korrosion erfolgte. Weitere Schwierigkeiten bereitete die Schlammdüse, welche mit einer lichten Weite von 3/ 8’’ ausgeführt war. Der Prozess wurde so gesteuert, dass primär etwa ein Drittel des Phosphors verbrannte. Der Rest verdampfte unter dem Einfluss der Verbrennungswärme und verbrannte nach Sekundärluftzusatz in der combustion chamber. Kommen wir zu den Verfahren, die auf einer mehr oder minder vollständigen Trennung der Komponenten des Schlammes beruhen. Nach Angaben von Klosky (1937) lässt sich die Phosphorschlammstruktur durch Zusatz von Wasser und organischen Flüssigkeiten (Chlorbenzol, Tetrachlorkohlenstoff oder Dichlorpropylen) zerstören. <?page no="111"?> 103 Gearbeitet wird unter Rühren. Als Apparatur wird ein mit Dampfmantel versehenes, vertikal angeordnetes zylindrisches Gefäß angegeben. Die verwendeten organischen Flüssigkeiten sollen einen Siedepunkt nahe 100° C aufweisen, sie dürfen sich weder mit Wasser noch mit dem Phosphor mischen (letztere Forderung wird von Tetra nur unvollkommen erfüllt, D.Z.). Auch müssen ihre Dichten zwischen denen von Phosphor und von Wasser liegen. Die Feststoffverunreinigungen sollen sich nach Abschalten des Rührwerkes in den phosphorfreien Schichten sammeln. Der Erfindungsgedanke basiert offenbar auf dem Prinzip der Desorption. Soweit feststellbar, hat dieses Verfahren niemals industrielle Bedeutung erlangt. Bereits die unvermeidlichen Verluste an den verwendeten organischen Flüssigkeiten sowie die Tatsache, dass in ein ohnehin diffiziles System gesundheitlich höchst bedenkliche Komponenten eingebracht werden, sprechen gegen das Verfahren. Anzustreben wäre somit, die Komponententrennung möglichst ohne Zusatz weiterer - den Prozess komplizierender - Stoffe zu bewerkstelligen. Als einfachste Variante scheint sich die Schwerkraft anzubieten. Bedenken wir jedoch die starken Adsorptionskräfte, welche die Schlamm-Emulsion stabilisieren und den Phosphor fixieren, so ist die Trennung mithilfe der an der Erdoberfläche anliegenden „gewöhnlichen“ Schwerkraft nur in höchst unvollkommenem Maße zu erwarten. Abb. 14 Grobtrennung Phosphor / Phosphorschlamm nach einem Verfahren der Tennessee Valley Authority (Le May u. Metcalfe 1964) <?page no="112"?> 104 Völlig phosphorfreie Schichten sind wegen der Adsorptivkräfte auf diesem Wege ohnehin undenkbar. Was hingegen versucht werden kann, ist die partielle Trennung in phosphorarme und phosphorreiche Schichten. Ich erinnere an meine eigenen - wenig ermutigenden - Experimente zur Anbzw. Abreicherung von Phosphorschlamm (Kap. 3.1, Tab. 3). Die TVA hatte versucht, mit einer industriell arbeitenden dreistufigen Grobtrennanlage den rohen Phosphor in Phosphorschlamm und weitgehend reinen Phosphor zu trennen. Abb. 14 zeigt diese Anlage (Le May u. Metcalfe 1964). Der aus der Kondensationsanlage („Condenser“) kommende Rohphosphor soll sich in der linken Sektion des Phosphorlagers in Schlamm und Phosphor trennen. Damit dort weitgehend schlammfreier Phosphor zurückbleibt, wird der Überlauf des Schlammes in die mittlere Sektion so geführt, dass zur Sicherheit stets auch ein gewisser Anteil relativ reinen gelben Phosphors mit überläuft. Ganz rechts ist die Sauerwasser-Sektion zu sehen („spray liquor compartment“). Dieses aus der Kondensationsanlage stammende Wasser wird rezirkuliert („to condenser sprays“). Verwertbare quantitative Angaben zur Effizienz der Anlage fehlen. Immerhin geben Le May und Metcalfe (1964) an, dass bis zu 20 % des insgesamt abgeschiedenen Phosphors in der Schlammsektion des Lagers anfallen. Falls die Schwerkraft also überhaupt einen praktischen Beitrag zur Lösung der beschriebenen Aufgabe leisten kann, käme als Vorbedingung nur eine wesentliche Verstärkung dieser Kraft infrage. In einer ganzen Reihe von Patenten beschrieben Barber, Megan und Sloan (dazu ausführlich: Zobel 1969) ihr Verfahren zur Trennung der Komponenten des Schlammes auf hochtourigen Zentrifugen. Zunächst wird dabei der hoch viskose Schlamm, der stets erhebliche Mengen an emulgiertem Sauerwasser (pH < 3) enthält, mit viskositätsmindernden Mittel behandelt. Zur Einstellung des pH 6 wird der Zusatz von 1,5 Teilen NaOH auf 1000 Teile Schlamm empfohlen (Abb. 15). Erhitzt wird der Schlamm indirekt über dampfdurchströmte Heizschlangen. Der verflüssigte Schlamm soll sich mittels Tauchpumpen fördern lassen. Ein Überschuss an NaOH muss unbedingt vermieden werden, da oberhalb pH 7,5 die gefürchtete Phosphinbildung einsetzt. So etwas lässt sich leicht fordern. Ich habe aber Zweifel, ob wegen der inkonstanten Zusammensetzung des Schlammes eine verlässliche pH- Einstellung im rauen Produktionsbetrieb überhaupt möglich ist. Kommt es aber erst einmal zur Phosphinbildung, so ist die Vergiftungs- und Explosionsgefahr erheblich (s. Kapitel 3.3). <?page no="113"?> 105 Die Natronlauge, so Barber, Megar und Sloan (1962), senkt die Viskosität des gealterten Schlammes - welche, je nach Alterungszustand, bei 3400 bis 15000 cP liegen kann - erheblich. Ähnlich wirken nach Angabe der Autoren auch Zusätze an Ligninsulfonaten. Das Verfahren soll in der Lage sein, auch verfestigten (d. h. extrem gealterten) Schlamm zu verflüssigen. Damit wäre die entscheidende Voraussetzung für den Einsatz des Zentrifugenverfahrens gegeben. Abb. 15 Verflüssigung gealterten Phosphorschlammes nach Zusatz von Natronlauge (nach: Barber, Megar u. Sloan, 1962) Die Zentrifugen arbeiteten mit einer Beschleunigung von 5200 g. Das Verfahren wurde nach Angaben der TVA großtechnisch angewandt. Nach erfolgter NaOH-Zugabe wird der Schlamm angeblich quasiflüssig und pumpfähig (Tauchpumpe zum Umpumpen in Abb. 15: links unten) Er trennt sich nach Angabe der Autoren auf den Zentrifugen in eine Schicht unreinen Phosphors (P-Gehalt ca. 93 %), eine etwa 7 % P enthaltende Feststoffschicht und eine wässrige Schicht. Der 93%ige Phosphor wurde in üblicher Weise wie reiner Phosphor zu P 4 0 10 verbrannt und so als Phosphorsäure gewonnen. Der noch immer phosphorhaltige Feststoffrückstand kann angeblich bei der Brikettierung der Rohstoffe für den Ofenbetrieb zugesetzt werden - was nicht einleuchtet, da die auf solche Weise erzeugten Briketts sich selbst entzünden würden, ehe sie den Ofen erreicht hätten. Abhilfe könnte vielleicht eine unter Stickstoff arbeitende Eintragsvorrichtung schaffen. <?page no="114"?> 106 Die Brikettierung ist aber in der Patentschrift wohl nur als Möglichkeit aufgeführt worden. Sie dürfte keine praktische Bedeutung erlangt haben. Ich vermute, dass eher mit einer gewöhnlichen Schlammverbrennungsanlage gearbeitet wurde. Mit Hilfe des Zentrifugenverfahrens lässt sich zwar halbwegs mühelos roher Phosphor von Phosphorschlamm scheiden, an eine auch nur einigermaßen vollständige Trennung in reinen Phosphor und phosphorfreien Rückstand ist aber nicht zu denken. Hinzu kommt, dass der anfallende rohe Phosphor nicht rein genug ist, um daraus eine konkurrenzfähige thermische Säure erzeugen zu können. Bezeichnend ist ferner, dass von Barber, Megar u. Sloan (1962) unter anderem auch die direkte Verbrennung des verflüssigten Schlammes (nach Zusatz von Natronlauge sowie mehrtägigem Rühren bzw. Umpumpen) beschrieben wird. Damit ist nach meiner Auffassung indirekt eingestanden, dass sich mit Hilfe des Zentrifugenverfahrens das Schlammproblem nicht in der erhofften Weise lösen lässt. Kommen wir abschließend zu den Verbrennungsverfahren. Bei den Destillationsverfahren hatten wir eine Vorgehensweise kennen gelernt, die sich ebenso gut auch hier, bei den Verbrennungsverfahren, einordnen ließe. Die Rede ist von der teilweisen Verbrennung des Phosphors, gefolgt vom Verdampfen des unverbrannten Anteils und der abschließenden vollständigen Verbrennung des Phosphors nach Zugabe von Sekundärluft (Klosky 1937). Dieses Verfahren ist zwar durch extreme Korrosion der Apparate gekennzeichnet, es liefert aber wenigstens phosphorfreie Rückstände, die fast wie Schlacke abgestochen werden können. Unsere russischen wie auch die kasachischen Kollegen haben mehrere Modifikationen dieses Verfahrens in der Fachliteratur beschrieben, und wohl zwischenzeitlich auch erprobt. Allerdings habe ich bei meinen späteren Besuchen in den großen kasachischen Werken stets vergeblich nach einer wirklich in Betrieb befindlichen Schlamm-Aufarbeitungsanlage gefragt. Die nicht im „Comecon“-Gebiet liegenden Fabriken waren mir damals nicht zugänglich. So kann ich nicht sagen, welche Verfahren nur in der Patentliteratur existierten, und welche real betrieben wurden. Ich möchte mich deshalb auf die Beschreibung des Prozesses beschränken, den ich als junger Betriebsleiter 1963 in Piesteritz vorfand. Abb. 16 zeigt unsere damalige Schlammverbrennungsanlage. Der im Phosphorlager geschöpfte, in einer Wanne mit Kaltwasser abgeschreckte und in den Schlammkübeln brockenweise angelieferte Schlamm wurde per Hebezeug auf der Arbeitsbühne bereitgestellt und dann von Hand per Schaufel in den Drehrohrofen (die „Trommel“) eingegeben. Dort verbrannte der Schlamm, wenn auch nicht vollständig. <?page no="115"?> 107 Abb. 16 Die Piesteritzer Schlammverbrennungsanlage (Sachstand bis 1970) Die feuchten Verbrennungsgase wurden durch einen konischen Turm, der innen mit Wasser berieselt war, per Ventilator zur Absorption in die benachbarte Phosphorsäureanlage befördert. Das Verfahren ist sichtlich durch eine Reihe schwerwiegender prinzipieller Mängel belastet. Betrachten wir zunächst den unvollkommenen Ausbrand. Das Verbrennungsprodukt P 4 O 10 - unter den gegebenen Umständen überwiegend als H 3 PO 4 vorliegend - ist ein ideales Feuerlöschmittel. Das heißt: Noch in der Trommel sorgte die dort gebildete Phosphorsäure dafür, dass die Flamme vorzeitig erlosch. So gelangte neben Phosphorsäure stets unverbrannter Phosphor, und dies in damals nicht analysierten Mengen, mit in das Abwasser. Hinzu kam die Fahrweise des konischen Turmes. Er war konstruktiv einem Verbrennungsturm der Phosphorsäureanlage nachempfunden. Diese arbeitet jedoch mit umlaufender Phosphorsäure zur Absorption und Gewinnung des P 4 O 10 . Hingegen war die Fahrweise des in Abb. 16 dargestellten Turmes ausschließlich auf die Minderung der Korrosion und die Kühlung der Verbrennungsgase gerichtet. <?page no="116"?> 108 So konnte die Turmausmauerung geschont, und die Standzeit des Ventilators verlängert werden. Eine Kreislaufführung gab es nicht. Auch dieses stark saure Wasser gelangte so in das Abwasser. Somit wurden bei dieser Anlage, und dies allein zugunsten der Anlagenstabilität, sämtliche Aspekte des Umweltschutzes unberücksichtigt gelassen. Ich habe das damals als eine derart starke fachliche Herausforderung empfunden, dass ich das Thema Phosphorschlammaufarbeitung zu meinem eigenen Thema machte. Die Ergebnisse finden sich in meiner Dissertation (Zobel 1967), der Habilitationsschrift (Zobel 1972) und in zahlreichen Patenten und Publikationen, von denen die wichtigsten hier berücksichtigt werden sollen. Es sei noch angemerkt, dass in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts die Aspekte des Umweltschutzes in der Chemischen Industrie bei weitem nicht einen solchen Stellenwert wie heute besaßen. Dies war mehr oder minder weltweit der Fall, jedoch befand sich die DDR auch auf diesem Gebiet nicht gerade an der Spitze der Entwicklung. So kam es, dass die - durchaus schon existierenden - Normen und Grenzwerte nicht sonderlich ernst genommen wurden. Überschreitungen wurden nur selten geahndet. Im Zweifelsfalle hatte die Planerfüllung Vorrang. Diese Einstellung blieb nicht ohne Folgen. In den achtziger Jahren wurde in den hoch entwickelten Industrieländern überwiegend bereits sorgfältig gearbeitet. Als in der DDR tätiger Betriebsleiter konnte man jedoch damit rechnen, auch bei ökologisch krassen Verstößen noch einigermaßen glimpflich davon zu kommen. Die politische Führung, repräsentiert durch die Zentrale SED-Parteileitung des Werkes, mischte sich damals ganz unverfroren in grundsätzliche Fragen des Unternehmens ein. Sie maßte sich in den Achtzigern schließlich sogar an, die aufkommenden „grünen“ Tendenzen regelrecht zu verteufeln. Ich erinnere mich einer internen Dienstberatung, in der behauptet wurde, diese Tendenzen seien „vom Westen“ böswillig gesteuert - allein zum ökonomischen Nachteil der DDR. Natürlich klang das in der offiziellen Propaganda völlig anders. Der Begriff Umweltschutz kam in den Reden der Funktionäre standardmäßig vor. Aber der wahre Stellenwert war uns Produktionsleuten nur allzu genau bekannt. Ehrlicherweise ist zuzugeben, dass auch ich selbst anfänglich - d. h. in den Sechzigern - nicht eben das Musterbild eines leidenschaftlichen Umweltschützers war. Mir fehlte auf diesem Gebiet wohl noch die notwendige Sensibilität. Immerhin fand ich die Schlammverbrennungsanlage dermaßen indiskutabel, dass ich mich sofort an die Arbeit machte. Die Ergebnisse sind im folgenden Kapitel zusammengefasst. <?page no="117"?> 109 3.3 Die alkalische Aufarbeitung und ihre Risiken Meine Untersuchungen gingen von folgenden Gesichtspunkten aus: Die im Kapitel 3.2 behandelten - bisher angewandten - Verfahren haben derart gravierende Nachteile, dass auch eine Optimierung der noch halbwegs akzeptablen Varianten keine durchgreifende Lösung aller Probleme versprach. Das neue Verfahren sollte den im Schlamm gebundenen Phosphor möglichst vollständig umzusetzen gestatten. Die Rückstände sollten weitgehend frei von elementarem Phosphor sein. Das Korrosionsproblem sollte überzeugend gelöst werden. Der erste Gesichtspunkt schloss somit jede Anknüpfung an die bisherigen Verfahren aus. Der zweite Punkt bedeutete aus meiner Sicht, dass, bezogen auf den umzusetzenden Phosphor, nur die Aufarbeitung des Schlammes mit starken Alkalien infrage zu kommen schien. Nun ist die Umsetzung reinen gelben Phosphors mit Alkalien bereits im 19. Jahrhundert beschrieben worden, also wahrlich nicht neu. In Piesteritz fehlten allerdings die industriellen Erfahrungen mit dieser Umsetzung. Auch hatte sich nach meinem Kenntnisstand noch niemand mit der - wie ich hoffte, ähnlich verlaufenden - Umsetzung von Phosphorschlamm zum Zwecke der Gewinnung verwertbarer Phosphorverbindungen befasst. Die in Bitterfeld von Baronius in den frühen Sechzigern gestarteten Versuche, welche über den Labormaßstab nicht hinaus kamen, waren mir damals nicht bekannt. Der dritte Gesichtspunkt hängt unmittelbar mit dem alkalischen Medium zusammen: Ich konnte hoffen, das gesteckte Ziel mit ziemlich einfachen Apparaturen aus ganz gewöhnlichem Stahl („Schwarzmaterial“) zu erreichen. Zunächst habe ich, beginnend im Laboratoriumsmaßstab und fortgesetzt im Technikumsmaßstab, die Umsetzung des Phosphorschlammes mit Natronlauge zu Phosphit und einem Phosphin-Wasserstoff-Gasgemisch erprobt. Die Ergebnisse, einschließlich der Überführung des Verfahrens in den technischen Maßstab sowie der Umsetzung des Phosphits zu P(V)-Verbindungen auf pyrolytischem Wege, sind im Kapitel 3.3.1 zusammenfassend beschrieben. Auf dem Wege zum Phosphit bildet sich stets Hypophosphit. Natriumhypophosphit ist aber eine begehrte Chemikalie. So ergab sich fast zwangsläufig der Gedanke, die Fahrweise umzustellen, und statt Phosphit besser Hypophosphit als Zielprodukt anzustreben. Die Ergebnisse dieser Arbeiten sowie die im industriellen Maßstab gewonnenen Erfahrungen sind im Kapitel 3.3.2 dargestellt. <?page no="118"?> 110 3.3.1 Phosphitherstellung und Phosphitpyrolyse Zu Beginn unserer Untersuchungen hatte für mich der Gedanke der vollständigen Umsetzung des im Schlamm enthaltenen Phosphors zu Phosphit absoluten Vorrang. Ich hoffte den so erhaltenen Phosphitphosphor (P(III)) in der Salzanlage (s. Kap. 6) den „Maischen“ zur Herstellung Kondensierter Phosphate (Polyphosphate) zusetzen und im nachfolgenden Kondensationsprozess pyrolytisch zu P(V)-Verbindungen umsetzen zu können. Dies hat sich als bedingt praktikabel, wenn auch nicht sonderlich vorteilhaft erwiesen. Auf die ökologischen Grenzen sowie wirtschaftlichen Nachteile werde ich weiter unten eingehen. Sie führten zur später vorgenommenen Umstellung auf die Hypophosphitfahrweise (s. Kap. 3.3.2). Zunächst aber zur Phosphitfahrweise. Wie erwähnt, war die Umsetzung reinen gelben Phosphors mit starken Alkalien und/ oder Erdalkalien zu den Salzen der entsprechenden niederwertigen Säuren (Unterphosphorige Säure bzw. Hypophosphit, Oxidationsstufe P(I), sowie Phosphorige Säure bzw. Phosphit, Oxidationsstufe P(III)), seit dem 19. Jahrhundert prinzipiell bereits bekannt. Grundsätzlich verlaufen dabei mehrere Disproportionierungsreaktionen parallel zueinander ab, bei denen außer P(I) und P(III) stets auch Phosphin P(-III) entsteht. Charakteristisch ist, dass bei mäßigen Temperaturen und nicht zu großem Alkaliüberschuss stets P(I) und P(III) nebeneinander gebildet werden. Die Einzelheiten zu den infrage kommenden Reaktionen würden hier zu weit führen. Sie sind in meiner Habilitationsschrift (Zobel 1972) erläutert. Hier ist nur wichtig, dass sich der primär gebildete P(I)-Anteil mit NaOH nach der Gleichung NaH 2 PO 2 + NaOH Na 2 HPO 3 + H 2 zu Phosphit und Wasserstoff umsetzen lässt. Bantlin und Kuchler (1944) hatten in Piesteritz in den vierziger Jahren die Umsetzung reinen gelben Phosphors mit Natronlauge zum Zwecke der Produktion von Na 2 HPO 3 · 5 H 2 O untersucht. Den Akten der I.G. Farbenindustrie AG ist zu entnehmen, dass das Unternehmen schutzrechtliche Schwierigkeiten sah, das begehrte Na 2 HPO 4 · 12 H 2 O produzieren und verkaufen zu können. So wurde erwogen, Dinatriumphosphit anstelle von Dinatriumphosphat herzustellen. Aus heutiger Sicht erscheint das ein wenig blauäugig, denn für besonders interessante Anwendungsgebiete, speziell in der Lebensmittelindustrie, wäre das Substitut (Phosphit anstelle von Phosphat) kaum durchsetzbar gewesen. <?page no="119"?> 111 Bantlin u. Kuchler (1944) gaben an, dass die Umsetzung des Phosphors zu Phosphit und Phosphin vorteilhaft bei 140°C vorgenommen werden sollte. Unterhalb dieser Temperatur, so die Autoren, verlaufe die Umsetzung nur zögernd. Um zu weitgehend hypophosphitfreien Produkten zu gelangen, wird ein erheblicher NaOH-Überschuss gegenüber der Stöchiometrie empfohlen. Die Nutzung des bei der Reaktion entstehenden diphosphinhaltigen PH 3 -H 2 -Gasgemisches sollte in der vorhandenen Phosphorsäureanlage durch Verbrennung und nachfolgende Absorption der dabei gebildeten Phosphorsäure erfolgen. Nach einem Patent der Monsanto (Mesmer, Nelson u. Payne 1965) lässt sich die Umsetzung bereits bei Temperaturen unterhalb 100°C durchführen. Bedingung ist ein extremer NaOH-Überschuss. Es ist einleuchtend, dass aus den so erhaltenen Aufschlusslösungen (mit dem hohen Alkaliüberschuss) nur unter zusätzlichem Aufwand reines Dinatriumphosphit Na 2 HPO 3 · 5 H 2 O hergestellt werden kann. Somit gehen die bekannten Verfahren davon aus, dass entweder nur bei hohen Temperaturen, oder aber durch den Einsatz eines extremen Alkaliüberschusses hypophosphitfreies Phosphit hergestellt werden kann. Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, so ließe sich die vollständige Umsetzung - falls überhaupt - wohl nur mit Hilfe hochtourig arbeitender Rührmaschinen erreichen. Setzte man hingegen nicht Phosphor, sondern Phosphorschlamm zur Phosphitherstellung ein, ergäbe sich - so meine damalige Arbeitshypothese - ein besonderer Vorteil. Dieser zunächst vermutete (und später bestätigte) Vorteil basiert auf der Struktur des Schlammes. Der Phosphor ist im Verbund mit den hoch aktiven Feststoffanteilen sowie dem Emulsionswasser feinst dispergiert und deshalb besonders aktiv. Viele Autoren weisen zudem auf den Umstand der oberflächlichen Adsorption des Phosphors auf den Feststoffanteilen hin. Die Emulsion ist sehr stabil. So kann davon ausgegangen werden, dass sie bei allmählicher Zugabe der Lauge nicht plötzlich zerfällt, sondern gleichmäßig mit der jeweils anwesenden Alkalimenge abreagiert. Von Anfang an haben wir deshalb den Schlamm vorgelegt, und die Natronlauge unter Rühren zudosiert. Auch arbeiteten wir nie mit hochtourigen Rührwerken. Dies ist aus o. a. Gründen nicht notwendig. Auch bestünde die Gefahr, mehr oder minder unfiltrierbare Aufschlüsse zu erhalten. Unsere erste Laborapparatur war ein 2 l - Mehrhals-Rundkolben. Er war mit einem Rührer, dem NaOH-Dosiergefäß, dem Einleitungsrohr für den Sicherheitsstickstoff, einem Ausleitungsrohr für das PH 3 -P 2 H 4 -H 2 -Gas- Gemisch, sowie dem Thermometer ausgerüstet. <?page no="120"?> 112 Das austretende Gas passierte eine teilweise mit Wasser gefüllte Laborwaschflasche, in der sich Phosphor und Phosphorsuboxid neben polymeren Phosphorwasserstoffen (PH) x abscheiden. Letztere entstehen bei der Zersetzung des im Gas enthaltenen Diphosphins P 2 H 4 , welches für die Selbstentzündlichkeit des Gases verantwortlich ist. Diese Zersetzung verläuft nicht quantitativ, so dass das die Waschflasche verlassende Gasgemisch stets noch selbstentzündlich ist. Dieses Gasgemisch ist zwar hoch toxisch, es verbrennt jedoch an der Luft spontan zu weißen, zwar ätzenden, aber im engeren Sinne nicht giftigen Phosphorsäurenebeln. Wir haben deshalb die meisten Versuche im Abzug durchgeführt und das stark phosphinhaltige Gasgemisch einfach abbrennen lassen. Nur für die Bilanzversuche (Abb. 17) wurde die Phosphorsäure absorbiert und quantitativ bestimmt. Unbedingt verhindert werden muss das Eindringen von Luft in den Kolben. Das heißt, der Druck in der Apparatur muss stets etwas größer als der Außendruck sein. Während eines laufenden Versuches ist diese Forderung immer erfüllt: Einerseits wird bei erhöhten Temperaturen gefahren (70 bis 110°C), andererseits fließt ständig ein schwacher Strom von Sicherheitsstickstoff durch die Apparatur. Nicht alle Ansätze wurden in der regulären Arbeitszeit fertig. Ich hatte für diesen Fall zunächst keine besonderen Anweisungen erteilt. Meine ansonsten recht fähige Laborantin hatte bei einem der ersten Versuche den Sicherheitsstickstoff abends abgestellt. Am nächsten Morgen wollte sie den Versuch fortsetzen und schaltete zunächst den Rührer ein. Die Apparatur explodierte sofort mit einem beeindruckenden Knall; die Explosion zerstörte zwei Scheiben des Abzuges. Glücklicherweise ist der Laborantin nichts passiert. Der Vorfall hat uns sehr deutlich die Gefahren dieser Reaktion aufgezeigt. Anzunehmen ist, dass bereits nachts Luft in die sich allmählich abkühlende Apparatur eingedrungen ist, und dennoch zunächst keine Reaktion erfolgte. Mit dem Einschalten des Rührers explodierte dann das Gasgemisch. Es ist wahrscheinlich, dass erst die plötzliche Durchmischung die Explosion ausgelöst hat. Die - ganz langsam und zunächst ohne Durchmischung mit dem PH 3 / H 2 / P 2 H 4 -Gas eintretende - Luft hat in der Kontaktzone zu eben diesem Gas wohl nicht sofort ein explosionsfähiges Gemisch gebildet. Demnach lag kurz vor der Explosion ein metastabiler Zustand vor. Jedenfalls haben wir dann bei unseren weiteren Untersuchungen den Sicherheitsstickstoff zwar manchmal stark angedrosselt, jedoch niemals mehr ganz abgestellt. Im Kapitel 3.3.2 wird die besondere Bedeutung dieses Punktes behandelt. <?page no="121"?> 113 Abb. 17 Gesamt-Materialbilanz bei der alkalischen Aufarbeitung von Phosphorschlamm. Der Alkaliüberschuss bezieht sich auf die nach der Gleichung 3 NaOH + 4 P + 3 H 2 O = 3 Na H 2 PO 2 + PH 3 stöchiometrisch erforderliche Natronlaugemenge. Bezogen auf die zur vollständigen Umwandlung in Phosphit erforderliche NaOH-Menge entsprechen die hier dargestellten 100 % Überschuss hingegen einem Überschuss von 0 % (Zobel 1967 sowie Zobel und Matthes 1967 b). 1 Durchschnittlicher P-Gehalt des Schlammes 2 Für die Aufschlusslösung errechneter Gesamt-P-Gehalt 3 Gefundener Gesamt-P-Gehalt in der Lösung (P(I) + P(III) + P(V)) Die Bilanzen (Abb. 17) zeigen, dass sich der zunächst im Phosphorschlamm fixierte Phosphor während der Umsetzung im Prinzip nicht anders als reiner gelber Phosphor verhält. <?page no="122"?> 114 Jedoch ist ein mit Phosphorschlamm gefahrener Ansatz so aktiv, dass, im Gegensatz zu den für reinen gelben Phosphor gewonnenen Erkenntnissen von Bantlin und Kuchler (1944), die Umsetzung zum Phosphit bereits bei Temperaturen um 100°C gelingt. Auch wurde der in diesem Stadium für die geplante Phosphitfahrweise stöchiometrisch notwendige Bedarf an NaOH nicht oder nur unwesentlich überschritten. Dieser Umstand ist für die Herstellung eines vergleichsweise reinen Dinatriumphosphits von Bedeutung. Wir filtrierten die im Labor gewonnenen tief schwarzen Aufschlusssuspensionen. Der Filterkuchen war meist phosphorfrei und konnte verworfen werden. Das klare - nur leicht gelblich verfärbte - Filtrat wurde auf eine Dichte von 1,47 bis 1,50 g/ cm 3 , gemessen bei 90°C, eingedampft. Dann wurde die Lösung unter Rühren ohne Zusatzkühlung zur Kristallisation gebracht. Das Kristallisat wurde auf der Vakuumnutsche abgesaugt und luftgetrocknet. Die Mutterlauge hatte eine Dichte von 1,41 g/ cm 3 , gemessen bei 20°C. Das so gewonnene grobkristalline Na 2 HPO 3 · 5 H 2 O erwies sich als vergleichsweise rein. Das Erstkristallisat erreichte einen P(III)Gehalt von 13,8 % (Theorie: 14,35 %). Der Gehalt an wasserunlöslichen Anteilen lag bei nur 0,01 %, der titrimetrisch ermittelte Alkaliüberschuss bei 0,5 %. Das nach Eindampfen der Mutterlauge und Wiederholung der Kristallisation erzielte Zweitkristallisat war fast eben so rein. Es hatte einen Alkaliüberschuss von 3,9 %. Selbst das Drittkristallisat war nur geringfügig verfärbt, und bei einem Alkaliüberschuss von 4,6 % fast noch akzeptabel. Da es jedoch für kristallines Dinatriumphosphit praktisch keinen Markt gibt, habe ich die nächste Entwicklungsstufe, die Technikumsanlage, schwerpunktmäßig bereits auf die Gewinnung einer möglichst reinen Dinatriumphosphitlösung ausgelegt. Zwar wurden noch einzelne Kristallisationsversuche durchgeführt, aber nur zur Abrundung der Erkenntnisse. Im Übrigen wurde auf die vorgesehene Umsetzung im Drehrohrofen (Herstellung kondensierter Phosphate aus einer Phosphat- Phosphit-Lösung) hin gearbeitet. In diesem Zusammenhang wurden, parallel zur Auslegung der technischen Anlage, Grundlagenuntersuchungen zu den Pyrolysemechanismen an Natriumphosphiten sowie Calciumphosphiten durchgeführt. Die Ergebnisse sind in meiner Habilitationsschrift ausführlich dargestellt (Zobel 1972). Technologisch und sicherheitstechnisch entscheidend für den Prozess der Aufarbeitung von Phosphorschlamm mittels Natronlauge ist das Aufschlussgefäß. Wie erwähnt, hatte es im Labormaßstab ein Volumen von 2 l (Mehrhals-Glaskolben). Bei der Übertragung in das Technikum hielt ich eine Maßstabsvergrößerung von 1: 100 für verantwortbar. Das aus gewöhnlichem Stahl (St 38) gefertigte 200 l-Rührgefäß war, was die An- <?page no="123"?> 115 schlüsse sowie die Ein- und Auslassöffnungen anbelangt, der oben beschriebenen Laborapparatur „nachempfunden“. Von 200 l Reaktorinhalt entfielen allerdings nur etwa 50 l auf den eigentlichen Reaktionsraum. Darüber angeordnet war ein sich nach oben konisch erweiternder Bereich, gedacht als Entspannungsraum für den bereits während der Labor-Versuche immer wieder beobachteten Schaum. Meine Vorstellung, der Schaum werde sich in diesem per Dampfmantel beheizten Konus ausdehnen, und dabei die Blasen zum Platzen bringen, hat sich allerdings als illusorisch erwiesen. Wir behalfen uns schließlich damit, dass wir die Aufschlüsse erforderlichen Falles ziemlich langsam fuhren, d. h. die Geschwindigkeit der Natronlaugedosierung bei zunehmender Schaumbildung stark reduzierten. Die Schaumbildung wurde dann während der Aufschlüsse durch eine auf einem Stutzen angeflanschte Silicatglasscheibe beobachtet. Wir hatten letztere mittig durchbohrt, so dass eine mit Stopfbuchse versehene Drehvorrichtung eingebaut werden konnte. Mit Hilfe dieser Vorrichtung wurde ein innen angebrachter Scheibenwischer von Hand bedient. Nur bei starkem Schäumen gelangte gelegentlich Schaum in die der Laborwaschflasche nachempfundene stählerne Wasservorlage. Sichtbar wurde der Schaum dann im seitlich angebrachten Standglas. Nunmehr war die Überführung in den technischen Maßstab fällig. Wir konstruierten einen 20 m 3 - Aufschlussreaktor, der die bisher gewonnenen Erfahrungen berücksichtigte. Am meisten Sorge machte uns das zu erwartende Schaumproblem. Da sich die Vorstellung von der positiven Wirkung eines speziell gestalteten Entspannungsraumes als nicht haltbar erwiesen hatte, wurde auf ein solches Element verzichtet. Der Rührwerksreaktor wurde als einfaches zylindrisches Gefäß mit Dampfmantelheizung - umschaltbar auf Wasserkühlung - gebaut. Erfreulicherweise war das Schaumproblem im technischen Maßstab kaum noch gravierend, verglichen mit den Schwierigkeiten im Technikum. In solchen Fällen braucht der Entwickler manchmal ein wenig Glück. Es hätte auch anders, d. h. wesentlich schlimmer, kommen können. Technologische Einzelheiten werde ich unter 3.3.2 im Zusammenhang mit der von uns später praktizierten Hypophosphitfahrweise behandeln. Der gesamte Verfahrensablauf der Phosphitfahrweise ist in Abb.18 dargestellt. Das während der Disproportionierung entstehende Gasgemisch, bestehend aus PH 3 und H 2 neben wenig P 2 H 4 , wurde in der benachbarten Phosphorsäureanlage verbrannt. Die dabei gebildete Phosphorsäure wurde dort absorbiert und so gewonnen. <?page no="124"?> 116 Wir entwickelten damals einen einfachen Phosphin-Luft-Brenner. Er wurde direkt neben den Phosphor-Verbrennungdüsen installiert. Bei der Überführung des Verfahrens in den industriellen Maßstab und der Praxisanpassung hat mich mein damaliger Mitarbeiter Oppermann sehr unterstützt. Auf ihn geht auch die ebenso „freihändige“ wie erfolgreiche Konstruktion des Phosphin-Luft-Brenners zurück. Abb. 18 Piesteritzer Verfahren zur Aufarbeitung von Phosphorschlamm. Schema der ursprünglich praktizierten Phosphit-Fahrweise (Zobel 1978 b, S. 75) Nach Beendigung der Reaktion wurde die tiefschwarze Aufschluss-Suspension in den Nachreaktor abgelassen. Hier wurde von Aufschluss zu Aufschluss kontrolliert, ob die Umsetzung - wie gewünscht und im Idealfall möglich - auch tatsächlich vollständig verlaufen war. Im Nachreaktor kam die Aufschlusssuspension erstmalig mit Luftsauerstoff in Kontakt. Gegebenen Falles wurden verbliebene Phosphorspuren, wie in Abb. 18 dargestellt, mit eingeleiteter Luft umgesetzt. Die anfänglich gefahrenen Aufschlüsse rochen noch etwas gewöhnungsbedürftig, bedingt durch eben diese Phosphorsowie Phosphinspuren. <?page no="125"?> 117 Das hoch toxische, nach verfaultem Knoblauch riechende Phosphin sollte man unbedingt ernst nehmen. Der MAK-Wert liegt bei 0,1 ppm, wahrnehmbar ist das Gas ab 2 ppm (Holleman 1995, S. 743). Die für akute PH 3 -Vergiftungen typischen Symptome - wie Blutdruckabfall, Erbrechen, Krämpfe, Lungenödeme - blieben uns erspart. Später beherrschten wir das Verfahren so gut, dass der Nachreaktor nur noch als Puffergefäß zwischen Aufschluss und Filter fungierte. Die Filtration der tiefschwarzen Aufschlussmasse erfolgte zunächst auf einem Vakuum-Trommelzellenfilter. Der Rückstand enthält alle aus dem Phosphorschlamm stammenden Feststoffanteile sowie restliches Natrium-Phosphit. Dieser Filterkuchen eignet sich, mit Cottrellmilch vermischt, als Bindemittelzusatz bei der Herstellung „grüner“ Granalien aus Kolaapatit-Konzentrat auf dem Granulierteller (Dinter u. Zobel 1969). Abb. 19 Na 2 HPO 3 · 5 H 2 O, im Labormaßstab hergestellt durch Kühlungskristallisation aus einer durch Phosphorschlammaufschluss mit NaOH gewonnenen und dann filtrierten Phosphitlösung (D = 1,48 g/ cm 3 bei 90° C) Das Filtrat ist klar und nur schwach gelblich verfärbt. Es besteht aus einer wässrigen, etwas überschüssiges NaOH enthaltenden Na 2 HPO 3 - Lösung beachtlicher Reinheit. Die Herstellung besonders reinen Dinatrium-Phosphit-Pentahydrats Na 2 HPO 3 · 5 H 2 O aus dieser Lösung wäre somit kein Problem. Das Produkt fällt nach langsamer Kühlung stets in sehr schönen, reinen Kristallen an (Abb. 19). <?page no="126"?> 118 Da jedoch kein Bedarf an diesem Produkt bestand, hatte ich mich lange vor Fertigstellung der Anlage, bereits während der Projektierungs- und Realisierungsphase, intensiv mit den Fragen der Phosphitpyrolyse befasst. Der Zweck war, die thermische Umsetzung des Phosphitphosphors (P (III)) zu Phosphatphosphor (P(V)) verstehen zu lernen, um sie schließlich - nach Fertigstellung der Anlage - großtechnisch praktizieren zu können. So wurde dann auch verfahren (s. Abb. 18, r. u.). Diese vorbereitenden Arbeiten zum Charakter der Phosphitpyrolyse waren recht langwierig. Fast alle in der Literatur zum Thema zu findenden Angaben erwiesen sich als unvollkommen bzw. fehlerhaft. Einzelheiten können hier nicht behandelt werden. Ich beschränke mich deshalb auf die zum Verständnis wichtigsten Punkte. Gemeinsam mit meinem damaligen Mitarbeiter Nguyen Van Bá untersuchte ich zunächst das Verhalten der infrage kommenden reinen Verbindungen. Der genannte vietnamesische Praktikant erwies sich als sehr befähigt und zudem außerordentlich fleißig. So kamen viele gemeinsame Publikationen und Patente zustande, von denen hier nur die technisch relevanten zitiert werden sollen. Ehe ich mit den Grundlagenuntersuchungen begann, ging ich jedoch zunächst von den wenigen technisch orientierten Publikationen aus, die sich mit der Phosphitpyrolyse zum Zwecke der industriellen Herstellung von P(V)-Verbindungen befassten. Nach ersten von Weitendorf (1944) in Piesteritz durchgeführten Untersuchungen zur Phosphitverwertung soll sich eine äquimolare Mischung von Na 2 HPO 3 und Na 2 HPO 4 bei Temperaturen um 400°C unter Wasserstoffentwicklung zu Pyrophosphat Na 4 P 2 O 7 umsetzen lassen. Mir erschien diese Angabe seltsam, denn sie würde ja bedeuten, dass eine gleichzeitig mit dem Bruch der P-H-Bindung im Na 2 HPO 3 (bei gleicher Geschwindigkeit und im gleichen Temperaturbereich) einher gehende Spaltung der H-O-Bindung im Na 2 HPO 4 vorausgesetzt werden müsste. Diese Voraussetzungen sind jedoch keinesfalls gegeben. Es war vielmehr zu vermuten, dass die allgemein bekannte Kondensations-Reaktion Na 2 HPO 4 + Na 2 HPO 4 Na 4 P 2 O 7 + H 2 O zunächst völlig unabhängig vom anwesenden Na 2 HPO 3 verläuft, und letzteres erst später, unabhängig vom anwesenden oder nicht anwesenden Phosphat und/ oder Pyrophosphat, unter Bildung entsprechender Disproportionierungsprodukte thermisch zersetzt wird. <?page no="127"?> 119 Dass diese Disproportionierungsprodukte verfärbt sind, wurde bei Pyrolyseversuchen an reinem Na 2 HPO 3 von mehreren Autoren, so beispielsweise von Rudnicki (1967), bereits beobachtet. Damit erhält die Bemerkung von Weitendorf zur Verfärbung des unter Phosphitzusatz nach dem Drehrohrofen-Rückgut-Verfahren hergestellten Na 4 P 2 O 7 eine besondere Bedeutung. Weitendorf (1944) schreibt, sein Produkt sei „…..durch feinverteilten Kohlenstoff, der aus in der verwendeten Säure vorhandenen organischen Verunreinigungen stammt, graugefärbt“. Weitendorf erhitzte dann die graue Masse auf 900 °C und erhielt schließlich ein zu 98 bis 99% aus Na 4 P 2 O 7 bestehendes weißes Produkt. Ich hielt das für ein technisch nicht diskutables Verfahren, wenn man bedenkt, dass sich Na 4 P 2 O 7 aus reinen Dinatriumphosphatlösungen bereits bei Temperaturen um 380°C komplikationslos herstellen lässt. Auch hatte ich den Verdacht, dass die Verfärbung mit den von Rudnicki (s. o.) beobachteten Disproportionierungsprodukten - und nicht mit den Verunreinigungen - zusammenhängen könnte. Dieser Verdacht hat sich im Laufe der eigenen Experimente in vollem Maße bestätigt. Wir begannen mit der Untersuchung des Pyrolyseverhaltens von reinem Na 2 HPO 3 . Nach Entwässerung des Pentahydrats wurde die wasserfreie Verbindung zunächst unter Stickstoff erhitzt. So lässt sich die Pyrolyse beziehungsweise Thermolyse unbeeinflusst von sekundären Oxidationsprozessen untersuchen. Wir fanden, dass die thermische Zersetzung bei Temperaturen zwischen 400 und 550 °C gemäß 5 Na 2 HPO 3 2,5 H 2 + P + 2 Na 3 PO 4 + Na 4 P 2 O 7 verläuft (Zobel und Bá, 1969 b). Somit liegt keine reine Disproportionierungsreaktion vor. In die Redoxbilanz geht außer der Disproportionierung des P(III) noch die Reaktion 2 H(I) H 2 (0) sowie P(III) P(V) ein. „P“ steht hier für eine dem roten Phosphor auffallend ähnliche Substanz (Oxidationszahl 0, deshalb „P(0)“). Abb. 20 zeigt die Bilanz. Dieser im Prinzip bereits von Krukowska-Fulde (1961) sowie von Rudnicki (1967) angenommene - allerdings nicht quantitativ belegte - Sachverhalt ist für die Deutung fast aller beim Erhitzen phosphithaltiger Monophosphatmischungen ablaufenden Reaktionen von ausschlaggebender Bedeutung (dazu weiter unten mehr im Zusammenhang mit den Ergebnissen unserer Pyrolyseversuche im Luftstrom). Auch der Charakter des in o. a. Gleichung angegebenen „P“ wird dort erläutert. <?page no="128"?> 120 Abb. 20 Pyrolyse von Na 2 HPO 3 unter Ausschluss von Sauerstoff nach: Zobel und Bá (1969 b) sowie Zobel (1972) Als ähnlich klärungsbedürftig erwies sich nach Durchsicht der vorhandenen Literatur die Frage nach dem Pyrolyseverhalten von Phosphiten mit niedrigerem Na : P - Verhältnis. Insbesondere interessierte uns die reine Verbindung NaH 2 PO 3 . Dazu findet sich in der Literatur eine Arbeit von Ebel, Busch und Hertzog (1958). Die Autoren entwässerten zunächst NaH 2 PO 3 · 2,5 H 2 O zum NaH 2 PO 3 . Danach untersuchten sie das Pyrolyseverhalten. Zunächst bildete sich erwartungsgemäß Diphosphit (Pyrophosphit) Na 2 H 2 P 2 O 5 . Nach weiterem Erhitzen wurde starke Phosphinentwicklung beobachtet. Der Rückstand setzte sich aus Triphosphat und Trimetaphosphat zusammen. Ebel, Busch und Hertzog (1958) nahmen daraufhin folgende Umsetzungsgleichung an: 4 Na 2 H 2 P 2 O 5 Na 5 P 3 O 10 + (NaPO 3 ) 3 + H 2 O + 2 PH 3 . Diese Gleichung erklärt allerdings - wie übrigens bereits von Ebel und Mitarbeitern selbst eingeräumt - keineswegs die Tatsache, dass pro Mol Triphosphat stets etwa 2 Mol Trimetaphosphat gefunden wurden. <?page no="129"?> 121 Auch blieb ungeklärt, warum im Ergebnis der Disproportionierung nur maximal 18,7 % des eingesetzten P(III) als P(-III) anfielen. Der theoretisch gemäß o. a. Gleichung zu erwartende Wert beträgt 25 %. Wir setzten NaH 2 PO 3 unter reinem Stickstoff bei 300°C um und fanden die von Ebel und Mitarbeitern angenommene Gleichung bestätigt (Abb. 21). Da wir im Gegensatz zu genannten Autoren die in der Gleichung angegebenen Pyrolyseprodukte quantitativ korrekt belegen konnten, ist zu vermuten, dass Ebel, Busch und Hertzog nicht unter vollständigem Sauerstoffausschluss gearbeitet haben dürften. Die von ihnen gefundene Mischung kondensierter Phosphate im Pyrolyserückstand wies ein Molverhältnis Na : P von 1,23 auf, und enthielt somit gegenüber der o. a. Gleichung zu viel Trimetaphosphat. Das lässt sich nach meiner Auffassung durch partiellen Sauerstoffzutritt und die damit verbundene Umsetzung von P(-III) zu P(V) erklären (Zobel u. Bá 1969 a). Erklärbar wäre das Ergebnis im Falle des Einsatzes technischen Stickstoffs mit einem O 2 -Restgehalt von bis zu 2 %. Nachdem nun Klarheit über die unter Sauerstoffausschluss verlaufenden Prozesse gewonnen war, wandten wir uns den Umsetzungen im Luftstrom zu. Diese Untersuchungen hatten ein praktisches Ziel. Wir planten, wie erwähnt, den Einsatz phosphithaltiger Monophosphatmaischen zur technischen Herstellung diverser Polyphosphate. Die Umsetzung von Na 2 HPO 3 im befeuchteten Luftstrom verläuft bei 400° C zunächst - wie unter Stickstoff - zu einem braun verfärbten Gemisch aus Monophosphat, Diphosphat (Pyrophosphat) und „P(0)“. Bei höheren Temperaturen laufen Sekundärprozesse ab, die mit dem Absinken der P(0)-Werte, der allmählichen Aufhellung des Produktes und der Abnahme des Monophosphatgehaltes zugunsten des Diphosphat-Gehaltes einhergehen. Bei ca. 800°C sind dann annähernd weiße, fast ausschließlich aus Diphosphat bestehende Präparate erhältlich. Ich ging davon aus, dass der dem roten Phosphor ähnliche braunrote Stoff, von mir als „P(0)“ bezeichnet, im Verlaufe der Umsetzung eine entscheidende Rolle spielen dürfte. Um die ablaufenden Prozesse verstehen zu können, untersuchten wir eine größere Menge des aus den Disproportionierungsprodukten isolierten „P(0)“ auf seine wichtigsten Eigenschaften. Dieses „P(0)“ stammte aus den unter Stickstoff gefahrenen Ansätzen. Damit wurde die zu vermutende Beeinflussung durch den Luftsauerstoff ausgeschlossen. <?page no="130"?> 122 Abb. 21 Produkte der thermischen Umsetzung von NaH 2 PO 3 bzw. Na 2 H 2 P 2 O 5 Oben: nach Ebel, Busch und Hertzog (1958); T = 5° / min. Unten: nach Zobel und Bá (1969 a) sowie Zobel (1972) <?page no="131"?> 123 Tab. 5 zeigt den Vergleich der Eigenschaften industriell hergestellten roten Phosphors aus der ehemaligen Bitterfelder Produktion mit unserem „P(0)“. Die Ähnlichkeit zum roten Phosphor ist frappierend, nicht nur, weil die Oxidationszahl des P in der rotbraunen Substanz nahe 0 liegt (darum „P(0)“). Ergänzend sei auch auf meine Untersuchungen zum Charakter des roten Handelsphosphors (Kap. 2.1) verwiesen. Aus heutiger Sicht hätten sich gewiss noch weitere Analogien zwischen „P(0)“ und rotem Phosphor finden lassen, aber unsere damaligen Befunde reichten für die zu ziehenden Schlussfolgerungen aus. Angewandte Charakterisierungsmethode „P(0)“ Roter Phosphor (Bitterfelder Produkt) Verreiben mit KClO 3 Behandlung mit kalterwässrig-methanolischer Kalilauge Erhitzen auf 500° C im Stickstoffstrom Erhitzen an der Luft in Gegenwart von Na 3 PO 4 Kochen mit 20 %-iger Natronlauge Röntgendiffraktometrie Infrarotspektroskopie Heftige Explosion Stoff ist unlöslich Gewichtsverlust < 5 % Beim Molverhältnis P(V) : P(0) = 2 : 1 fast vollständige Reaktion zum Na 4 P 2 O 7 (bei 800 ° C) Intensiver PH 3 -Geruch; die Lösung enthält danach P(III) und P(I) Ähnlichkeiten mit rotem Phosphor; steile Peaks; Teilchengröße ca. 10 nm Das Spektrum weist fast die gleichen Peaks wie der rote Phosphor auf Heftige Explosion Stoff ist unlöslich vollständig flüchtig Wie beim „P(0)“, nur bereits ab 500 ° C. Auftreten von Phosphin; die Lösung enthält danach P(III) und P(I) Ähnlichkeiten mit „P(0)“; flache Peaks; amorph Das Spektrum weist fast die gleichen Peaks wie das „P(0)“ auf Tab. 5 Vergleich der Eigenschaften des aus Na 2 HPO 3 pyrolytisch gebildeten „P(0)“ mit handelsüblichem roten Phosphor (nach: Zobel 1972, S. 46) Auch ähneln die IR-Spektren beider Substanzen einander. Die Peaks des „P(0)“ finden sich, nur etwas weniger ausgeprägt, auch beim roten Phosphor ((Abb. 22; nach: Zobel 1972). <?page no="132"?> 124 Abb. 22 IR - Spektrogramme von durch Phosphitpyrolyse gebildetem „P(0)“ (oben) und von industriell hergestelltem roten Phosphor (unten) Insbesondere das Erhitzen an der Luft in Gegenwart von Na 3 PO 4 (Tab. 5) zeigt, dass die Verschiebung der Zusammensetzung des Pyrolyseproduktes mit der Temperatur schlüssig erklärbar ist. Offenbar diffundiert die Luft - und damit der Luftsauerstoff - in die Probe ein und sorgt so für die Oxidation des „P(0)“ zu P 4 O 10 , welches dann nicht etwa entweicht, sondern absorbiert wird. Wir können also davon ausgehen, dass die den primären Pyrolyseprozess beschreibende Gleichung 5 Na 2 HPO 3 2,5 H 2 + P + 2 Na 3 PO 4 + Na 4 P 2 O 7 durch die den Sekundärprozess beschreibende Formel zu ergänzen ist: 2 Na 3 PO 4 + 0,25 P 4 O 10 (entstanden aus „P(0)“) 1,5 Na 4 P 2 O 7. Da das Endprodukt beinahe weiß aussieht und aus annähernd reinem Na 4 P 2 O 7 besteht, könnte man meinen, die Aufgabe sei erfüllt, und Dinatriumphosphit könne der Na 2 HPO 4 -Maische bei der Diphosphat- (Pyrophosphat -)Produktion unbedenklich zugegeben werden. Leider ist dies unter Praxisgesichtspunkten durchaus nicht der Fall. <?page no="133"?> 125 Vorteilhaft wäre, wenn die oben erläuterte Umsetzung gemäß 2 Na 3 PO 4 + 0,25 P 4 O 10 (gebildet aus „P(0)“) 1,5 Na 4 P 2 0 7 bei Temperaturen verliefe, die nicht wesentlich oberhalb der für die Diphosphatherstellung aus Monophosphat üblichen Umsetzungstemperaturen lägen (370 bis 390°C). Leider wird aber unter diesen Bedingungen das „P(0)“ gerade erst gebildet (Pyrolyse-Primärreaktion). Die Umsetzung gemäß o. a. Gleichung ist dann erst bei Temperaturen von 800 bis 900° C abgeschlossen. Zuvor haben wir es, auch wenn nur vergleichsweise wenig Phosphit dem Phosphat zugesetzt wird, stets mit mehr oder minder gefärbten - überdies nicht aus reinem Diphosphat bestehenden - Produkten zu tun. Ganz abgesehen vom indiskutabel hohen Energieaufwand sind die von uns verwendeten Drehrohröfen (Kapitel 6.2) derartigen Belastungen ohnehin nicht gewachsen. Damit ergab sich die Praxisaufgabe, Mittel zu finden, mit deren Hilfe die Umsetzungstemperaturen wesentlich gesenkt werden konnten. Schließlich erwiesen sich Salpetersäurezusätze als bedingt geeignet. Weiter unten werde ich Näheres dazu erläutern. Zunächst aber wandten wir uns der Klärung des Pyrolyseverlaufs beim Molverhältnis Na: P = 1 zu, d. h. wir erhitzten NaH 2 PO 3 an der Luft. Auch in diesem Falle werden Sekundärreaktionen beobachtet. Das aus dem Phosphit primär durch Kondensation gebildete Diphosphit Na 2 H 2 P 2 O 5 zersetzt sich zunächst, wie unter Stickstoff, gemäß 4 Na 2 H 2 P 2 O 5 Na 5 P 3 O 10 + (NaPO 3 ) 3 + H 2 O + 2 PH 3 . Würde nun das gesamte Phosphin entweichen, wäre ein Rückstand mit dem Na : P - Verhältnis von 1.33 zu erwarten (äquimolare Mischung aus Tri(poly)phosphat und Trimetaphosphat). Nach erfolgtem Erhitzen an der Luft wurden von uns jedoch stets Produkte mit Na: P - Verhältnissen von 1,12 bis 1,19 gefunden. Somit ist als sicher anzunehmen, dass die durch Oxidation des Phosphins an der Luft gebildete Phosphorsäure durchaus nicht vollständig aus dem System verschwindet. Vielmehr wird ein erheblicher Teil offensichtlich unmittelbar nach seiner Entstehung von der Reaktionsmasse absorbiert. Da die Pyrolyseprodukte nicht verfärbt waren, schien der geschilderte Mechanismus von praktischer Bedeutung zu sein. Wir ergänzten deshalb die zuvor im Labor-Röhrenofen gewonnenen Erkenntnisse durch Untersuchungen in einem per Bunsenflamme von schräg oben erhitzten offenen Schmelztiegel. Eingesetzt wurde Mononatriumdihydrogen-Phosphit (vorliegend als 2,5-Hydrat). <?page no="134"?> 126 Nach anfänglichem Aufblähen der Masse (Abgabe des Kristallwassers, Kondensation zum Diphosphit Na 2 H 2 P 2 O 5 ) setzt Phosphinentwicklung ein. Mit weiterer Temperatursteigerung wird eine klare, farblose Schmelze erhalten, die nach erfolgtem Abschrecken auf einer kalten Edelstahlplatte alle Eigenschaften eines glasigen Polyphosphates mittlerer Kettenlänge vom Typ des GrahamschenSalzes zeigt (Tab. 6). Versuch Nr. P 2 O 5 ( %) Molverhältnis Na : P Mittlere Kettenlänge n pH in 1%iger wässr. Lsg. Bestimmung n. Samuelson Berechnet aus Na: P 1 67,7 1,16 11 13 7,75 2 67,0 1,17 10 12 7,80 3 67,0 1,19 10 11 7,95 4 67,6 1,14 11 14 7,60 5 67,7 1,12 12 17 7,50 Tab. 6 Thermische Umsetzung von NaH 2 PO 3 · 2,5 H 2 O zu glasigem Polyphosphat des Grahamsalz-Typs. Schmelzdauer: 5 min.; Temp. der Schmelze: ca. 700°C (nach: Zobel 1972, S. 30) Bei vollständigem Verschwinden des durch P(-III)-Verbrennung entstandenen P(V) aus dem System wäre unter den angewandten Bedingungen ein glasiges Polyphosphat der mittleren Kettenlänge n = 6 mit einem P 2 O 5 -Gehalt von 63,5 % zu erwarten. Gefunden wurden Produkte mit Kettenlängen >10 und entsprechend hohen P 2 O 5 -Gehalten. Ich vermutete nun, dass die Ergebnisse noch vorteilhafter sein könnten, wenn ein P(III)-haltiges Monophosphat (Molverhältnis Na : P ges. = 1 : 1) zum Einsatz käme. Die Vermutung hat sich bestätigt. In der von Leithoff entwickelten Edelstahl-Schmelzwanne haben wir im Dauerbetrieb aus solchen Phosphat-Phosphit-Lösungen (Molverhältnisse P(V) : P(III) von 10 : 1 - 6 : 1) einwandfreie, mit gewöhnlichem Grahamsalz in allen Parametern übereinstimmende Ware erzeugen können (Zobel 1968). Besonders hübsch sahen die Flämmchen aus, die - über die gesamte Fläche verteilt - beim Einsatz dieser phosphithaltigen Phosphatmaischen zu beobachten waren. Man konnte sich kaum vorstellen, dass die bei der PH 3 - Verbrennung entstehenden Phosphorsäurenebel derart weitgehend absorbiert werden; jedoch die Abgaswerte wie auch die im abgeschreckten Schmelzprodukt gefundenen Kettenlängen bzw. P 2 O 5 -Gehalte bestätigten, dass der vermutete Absorptionsprozess tatsächlich stattfindet. Somit ist der Einsatz des aus dem beschriebenen Phosphorschlamm-Aufschluss stammenden Phosphits zur Erzeugung einwandfreien Grahamschen Salzes ein industriell praktikables Verfahren. <?page no="135"?> 127 Jedoch ist nicht nur das Grahamsalz allein interessant. Beim Molverhältnis Na : P = 1 bildet sich aus reinem Monophosphat thermisch zunächst saures Diphosphat („Pyrophosphat“ Na 2 H 2 P 2 O 7 ), sodann - im Gemisch mit dem wasserunlöslichen, kettenförmig kondensierten Maddrellschen Salz - Trimetaphosphat (NaPO 3 ) 3 , und dann erst die Schmelze. Aus dieser entsteht dann durch Abschrecken Grahamsches Salz. Besonders interessant ist das in der Stärkeindustrie eingesetzte Trimetaphosphat. Leider lässt es sich nach den herkömmlichen Verfahren nur schwierig rein darstellen. Meist stört ein Restgehalt an Maddrellschem Salz. Überraschend wurde von uns gefunden, dass das Erhitzen phosphithaltigen Monophosphates beim Molverhältnis Na : P = 1,00 zu weitgehend maddrellsalzfreiem Trimetaphosphat führt (Zobel und Bá 1969 c). Später haben wir diese Vorgehensweise auch auf das simulierte Rückgutverfahren ausgedehnt. Die fertigen Ausgangsmischungen bestanden nunmehr zu einem gewissen Anteil aus vorgebildetem Trimetaphosphat neben der umzusetzenden Phosphat-Phosphit-Mischung. Die Ergebnisse waren noch überzeugender als diejenigen ohne Trimetaphosphatzusatz (Schülke, Zobel, Leithoff u. Richter 1970). Dafür ist wohl die später beschriebene, die Entstehung gewünschter Reaktionsprodukte steuernde „Matrizenreaktion“ (Schülke 1978) verantwortlich. Wie erläutert, disproportioniert Na 2 HPO 3 völlig anders als NaH 2 PO 3 . Problematisch ist das bei der Na 2 HPO 3 -Pyrolyse gebildete braunrote „P(0)“. Es lässt sich zwar bei sehr hohen Temperaturen zu P 4 O 10 umsetzen, welches dann von der Reaktionsmasse weitgehend absorbiert wird, jedoch kann dies weder aus energetischer noch aus anlagentechnischer Sicht Basis eines vernünftigen Verfahrens zur Herstellung von Diphosphat Na 4 P 2 O 7 sein. Wir hofften zunächst, dass die Verdünnung des P(III) durch die Na 2 HPO 4 -Maische das Problem entschärfen könnte, aber selbst bei Molverhältnissen von P(III) : P(V) um 1 : 20 bilden sich beim Erhitzen farbige Produkte, die erst bei sehr hohen Temperaturen (um 800° C) in reines Diphosphat umgewandelt werden. Das ist auch dann der Fall, wenn das Rückgutverfahren im Labor simuliert wird, d. h., wenn phosphithaltiges Monophosphat mit erheblichen Mengen des Fertiggutes Na 4 P 2 O 7 vermischt, und dann erhitzt wird. Anknüpfend an die allgemeine Erfahrung der Branche, dass Nitratzusätze einerseits als Kondensationskatalysatoren wirken und andererseits den Weißgrad der Produkte verbessern, versuchten wir nun bei unseren phosphithaltigen Phosphatmischungen ebenfalls mit Nitratzusätzen weiter zu kommen. Nicht ganz unerwartet stellte sich heraus, dass die Disproportionierung völlig unbeeinflusst in dem gleichen Temperaturbereich (350-400 °C) wie ohne Nitratzusatz verläuft. <?page no="136"?> 128 Erst dann reagiert das Nitrat im Sinne eines Oxidationsmittels mit dem inzwischen gebildeten „P(0)“. Jedoch erfordert die Erzeugung rein weißer Produkte, verglichen mit der konventionellen Herstellung aus reinem Na 2 HPO 4 , noch immer deutlich erhöhte Temperaturen ( 550° C). Auch mit solchen Mischungen haben wir, ehe wir in die Produktionsanlagen gingen, Laborversuche durchgeführt. Wir begannen mit dem Zusatz von Salpetersäure zu reinem Na 2 HPO 3 . In dieser Phase der Untersuchungen hoffte ich noch, dass die Oxidation von P(III) zu P(V) vielleicht doch vor Erreichen der an reinem Na 2 HPO 3 beobachteten Disproportionierungstemperatur gelingen könnte. Für alle Fälle hatte ich angewiesen, die Ansätze nicht zur Trockne einzudampfen. Eine ansonsten verlässliche Mitarbeiterin hat dann aber doch einmal einen Ansatz in der Porzellanschale auf dem Sandbad zur Trockne gebracht. Es krachte fürchterlich. Die Porzellanschale sowie der gesamte Abzug wurden zerstört. Nitrose Gase entwichen in erheblichen Mengen. Glücklicherweise hielt sich niemand in der Nähe auf. Die Erklärung der Explosion fällt nicht schwer. Zunächst setzt die Disproportionierung ein, dann reagiert das dabei gebildete „P(0)“ explosionsartig mit dem Nitrat. Unfreiwillig erhielten wir so eine weitere Bestätigung der sehr engen Verwandtschaft des „P(0)“ mit dem roten Phosphor (s.Tab. 5). Führt man nun diese Umsetzung bei erheblichem Phosphatüberschuss (z. B. Na 2 HPO 4 : Na 2 HPO 3 = 10 : 1 ) durch, so reagiert die Masse erwartungsgemäß wesentlich träger. Heftige Reaktionen oder gar Explosionen werden dann nicht mehr beobachtet. Noch moderater verläuft die Umsetzung, wenn die Einsatzmischung mit dem gewünschten Fertigprodukt Na 4 P 2 O 7 gewissermaßen verdünnt wird (Simulation des Rückgut-Verfahrens). Da die Umsetzung in gewünschter Weise unter Abbau des „P(0)“ bei gleichzeitiger Verbesserung des Weißgrades des Na 4 P 2 O 7 verläuft, erprobten wir die Überführung in den technischen Maßstab. Wir fanden, dass nicht allzu hohe Phosphitmengen mit Hilfe des Drehrohrofen-Rückgutverfahrens umgesetzt werden können. Allerdings erwies sich die damit verbundene Nitrosegas-Emission als dermaßen störend, dass wir nach einiger Zeit die Großversuche wieder einstellten. Nicht wesentlich vorteilhafter verliefen unsere Experimente mit dem Zielprodukt Pentanatriumtriphosphat Na 5 P 3 O 10 (im Betrieb meist als „Tripolyphosphat“ bezeichnet). Die Ausgangslösung besteht in diesem Falle aus einem Monophosphatgemisch im Molverhälnis Na : P = 1,667. <?page no="137"?> 129 Die Umsetzungsgleichung NaH 2 PO 4 + 2 Na 2 HPO 4 Na 5 P 3 O 10 + 2 H 2 O zeigt, dass im Falle des partiellen Ersatzes von Phosphat durch Phosphit die Disproportionierung unter Bildung erheblicher Mengen an „P(0)“ ablaufen dürfte. Genau dies ist auch der Fall. Unsere großtechnischen Untersuchungen ergaben, dass die Tripolyphosphatproduktion auf Basis einer Phosphat-Phosphit-Mischung nur unter Zugabe nicht unerheblicher Mengen an Salpetersäure zur Ausgangslösung halbwegs funktioniert. Die Probleme mit der Nitrosegas-Emission waren nicht geringer als bei der Diphosphatproduktion. Dennoch haben wir uns diese Fahrweise für den Drehrohrofen-Rückgut- Prozess schützen lassen, insbesondere deshalb, weil wir ein interessantes und technisch nützliches Phänomen beobachten konnten. Gewöhnlich gelingt es, ganz im Gegensatz zum Sprühverfahren, im Drehrohrofen-Rückgut-Prozess nicht, Produkte mit einem definierten Verhältnis der Hochtemperaturmodifikation („Phase I“) zur Tieftemperaturmodifikation („Phase II“) des Tripolyphosphats herzustellen. Definierte Produkte dieser Art werden jedoch von der Waschmittelindustrie gefordert, da ein gewisser Gehalt an Phase I die Hydratationsgeschwindigkeit - und damit den Durchsatz - bei der Bereitung des Waschmittel-Slurry steigert. Ich werde das Thema weiter unten noch näher behandeln. Jedenfalls waren wir außerordentlich verblüfft, als wir herausfanden, dass sich mit Hilfe der Phosphitzusätze der Phase I - Gehalt des Produktes ziemlich genau steuern lässt. Die beim herkömmlichen Prozess üblicherweise eingesetzten phosphitfreiein Monophosphatmaischen hatten stets nur reine Phase II - Produkte geliefert. Phase I haltige Produkte, falls sie überhaupt entstanden, waren immer nur nicht reproduzierbare „Ausreißer“ und deuteten eher auf Betriebsstörungen - z. B. zu trocken gefahrene, überhitzte Drehrohröfen - hin. Dagegen gelingt beim Sprühverfahren die gezielte Produktion definierter Mischungen von Phase I und Phase II angeblich reproduzierbar. Zu diesem Verfahren fehlen mir jedoch nähere Kenntnisse. Ich war damals in Schutzrechtsfragen noch ziemlich unbedarft und blauäugig. Bei der Formulierung unseres Patentes (Zobel u. Bá 1969 d) habe ich prompt eine Erklärung des von mir vermuteten Mechanismus mitgeliefert, die mir von einem aufmerksameren Prüfer durchaus hätte vorgehalten werden können: <?page no="138"?> 130 „Die Wirkung des erfindungsgemäßen Verfahrens beruht offenbar auf der unter erheblicher örtlicher Wärmeentwicklung verlaufenden Verbrennung der während der Phosphitpyrolyse gebildeten stark phosphorhaltigen Zersetzungsprodukte“. Der Prüfer hätte locker sagen können: „Wenn das für Sie offenkundig (,offenbar‘) ist, dann fällt es unter fachmännisches Handeln, und ist somit nicht schutzfähig“. Nun, er hat es damals nicht gesagt......... Aber grundsätzlich sollte man sich beim Formulieren von Patenten mit Erklärungen zurückhalten, welche die dem beschriebenen Prozess zugrunde liegende Wirkungen betreffen. Wirkungen (Effekte) sind ohnehin nicht schutzfähig. Sie gelten, sofern neu, als Entdeckungen. Hinzu kommt, dass sich bei offenbarter - hier schriftlich dargelegter - Kenntnis der Wirkung die Erteilungschancen für ein Patent ohne Not verringern. Zusammenfassend ist einzuschätzen, dass unsere Untersuchungen zur Phosphitpyrolyse wissenschaftlich interessante Ergebnisse lieferten. Die Arbeiten zur Überführung der Erkenntnisse in die industrielle Praxis zeigten jedoch, dass sich größere Phosphitmengen, wie sie bei unserem Phosphorschlamm-Aufschlussverfahren anfielen, nur bedingt bzw. nur eingeschränkt pyrolytisch verarbeiten lassen. Der gut funktionierende Einsatz in der Grahamsalz-Produktion hätte das Problem auf Dauer nicht gelöst, da die umzusetzenden Phosphitmengen zu groß waren. Trimetaphosphat war damals eine noch ziemlich exotische Chemikalie, deren Produktion ohnehin nicht in unser Programm gepasst hätte. So blieben die Massenprodukte Na 4 P 2 O 7 und Na 5 P 3 O 10 . Die oben erläuterten Schwierigkeiten bei der Erzeugung einwandfrei weißer Ware und die mit der Nitrosegas-Emission verbundenen Probleme veranlassten mich deshalb, die alsbaldige Umstellung der Phosphitfahrweise auf die Erzeugung von Natriumhypophosphit zu planen. Dies bot sich aus mehreren Gründen an. Zunächst zeigten die vorliegenden Bilanzen (Abb. 17), dass die Umsetzung von Phosphorschlamm zu einer überwiegend aus Hypophosphit bestehenden Aufschlusssuspension problemlos möglich sein sollte. So hatten wir uns denn im kleinen Maßstab, d. h. auf Basis unserer Labor- und Technikumsaufschlüsse, nebenbei bereits mit der Herstellung reinen kristallinen Natriumhypophosphits NaH 2 PO 2 · H 2 O vertraut gemacht. Hinzu kam, dass Hypophosphit in der DDR für Zwecke der reduktiv-chemischen („stromlosen“) Vernicklung importiert werden musste. Eine Eigenproduktion existierte nicht. Wir forcierten deshalb unsere Arbeiten zur Umstellung der Phosphitauf die Hypophosphitfahrweise. Erforderlich wurde der Aufbau einer entsprechenden Anlage (Abb. 23). <?page no="139"?> 131 3.3.2 Hypophosphitherstellung und Chemische Vernicklung Im vorigen Kapitel wurde begründet, warum die Umstellung der Phosphitfahrweise auf die Hypophosphitfahrweise erfolgte. Die beibehaltenen Apparate sind im Schema (Abb. 23) ganz links zu sehen: Reaktor, Nachreaktor, Vakuum-Trommelzellenfilter, Filtratbehälter. Die neu hinzu gekommenen Anlagenteile sind rechts davon dargestellt Abb. 23 Piesteritzer Verfahren zur Aufarbeitung von Phosphorschlamm: Hypophosphit-Fahrweise (nach: Zobel 1978 b und Zobel 1990) Gefahren wird nicht mehr mit Natronlauge, sondern mit einer Suspension von Calciumhydroxid in 50%iger Natronlauge. Der Grund dafür ist, dass sich beim Aufschluss neben Hypophosphit unvermeidlich auch Phosphit bildet (siehe die Materialbilanz Abb. 17), das im Falle der Hypophosphitfahrweise zweckmäßig unmittelbar in der Aufschluss-Suspension selbst als schwer lösliches CaHPO 3 · H 2 O ausgefällt, und dann zusammen mit den Feststoffanteilen des Schlammes abfiltriert wird. <?page no="140"?> 132 Damals war im Stickstoffwerk das sogenannte Carbidkalkhydrat bequem verfügbar, und zwar als Rückstand der durch Ablöschen von Calciumcarbid mit Wasser großtechnisch betriebenen Acetylenerzeugung. Dieses Calciumhydroxid ist ziemlich verunreinigt. Wir hatten aber ein Motiv, es einzusetzen. Zwar wollten wir reines Natriumhypophosphit erzeugen, überraschenderweise hatte sich aber herausgestellt, dass dies nicht unbedingt den Einsatz reinen Phosphors erfordert, sondern eben auch mit dem extrem verunreinigten Rohstoff Phosphorschlamm gelingt. Wahrscheinlich spielen dabei Selbstreinigungsprozesse unter Beteiligung der hochaktiven Feststoffkomponenten des Schlammes eine Rolle, so dass letztlich ein wesentlicher Teil der Verunreinigungen ausfällt und mit dem Filterkuchen ausgeschleust wird (Zobel 1977). Es lag nun die Vermutung nahe, dass auch an die Reinheit des verwendeten Calciumhydroxids möglicherweise keine besonderen Anforderungen gestellt werden müssten. Diese Vermutung bestätigte sich, und wir verwendeten das besonders kostengünstige Carbidkalkhydrat. Hinzu kam ein zufällig gefundener, für die betriebliche Praxis recht nützlicher Effekt. Eines Tages fiel in unserem Suspensionsbehälter, in dem das Carbidkalkhydrat in Natronlauge suspendiert wurde, das Rührwerk aus. Zu unserer Überraschung setzte sich das Calciumhydroxid kaum ab. Beim Einsatz reinen, im Handel erhältlichen Calciumhydroxids hingegen wird stets beobachtet, dass sich derartiges Ca(OH) 2 unverzüglich absetzt und einen stichfesten, kaum wieder aufrührbaren Bodensatz bildet. Das recht verunreinigte Carbidkalkhydrat für die Herstellung unseres reinen Produktes NaH 2 PO 2 · H 2 O einsetzen zu können, erwies sich in diesem Zusammenhang sogar als schutzfähig. Allerdings ist die Wahl einer bestimmten Ca(OH) 2 -Qualität für sich durchaus nicht schutzfähig. Da jedoch die Ursache des Schwebens der Ca(OH) 2 -Partikel in der Suspension im sicherheitstechnisch nicht unbedenklichen „Nachgasen“ des Carbidkalkhydrates zu suchen ist, hatten wir im Zusammenhang mit dieser sehr speziellen Eigenschaft Erfolg. Dieses Nachgasen beruht auf der allmählichen Umsetzung verbliebener Carbidreste zu Acetylen und Calciumhydroxid. Jedes Ca(OH) 2 -Teilchen wird offenbar von einem anhaftenden Acetylenbläschen in der Schwebe gehalten. Das ist ein Effekt, der als solcher nicht schutzfähig ist. Der Einsatz eines derartigen - sicherheitstechnisch nicht unbedenklichen - Stoffes anstelle des reinen Calciumhydroxids ist hingegen ausnahmsweise schutzfähig, wenn eben diese ungewöhnliche Eigenschaft zur Basis der Anmeldung gemacht wird. <?page no="141"?> 133 So mussten wir denn, um das Schutzrecht zu erhalten, ersatzweise nicht die Anwendung, sondern die Lagerstabilität der Ca(OH) 2 -Suspension in den Mittelpunkt der Anmeldung rücken: „Verfahren zur Herstellung weitgehend lagerstabiler wasserhaltiger Ca(OH) 2 -Suspensionen“ (Zobel, Ebersbach, Wenzel, Mühlfriedel 1980). Abb. 23 zeigt uns den gesamten Ablauf des Verfahrens. Der Phosphorschlamm wird im Reaktor mit der wie erläutert hergestellten Natronlauge Calciumhydroxid-Suspension aufgeschlossen. Das bei der Disproportionierung des Phosphors gebildete diphosphinhaltige Phosphin-Wasserstoff-Gemisch wird in der benachbarten Phosphorsäureanlage zu Phosphorsäure verbrannt, als solche absorbiert und somit gewonnen. Die wichtigsten im Reaktor ablaufenden Reaktionen sind: P 4 + 3 OH’ + 3 H 2 O 3 H 2 PO 2 ’ + PH 3 , P 4 + 4 OH’ + 4 H 2 O 4 H 2 PO 2 ’ + 2 H 2 , P 4 + 4 OH’ + 2 H 2 O 2 H 2 PO 3 ’’ + 2 PH 3 . Die - je nach Schlammqualität - tiefschwarze bis braune Aufschlusssuspension enthält das zu gewinnende Hypophosphit neben dem durch o. a. Nebenreaktion gebildeten Phosphit sowie den gesamten Feststoffrückständen aus dem Schlamm. Die insbesondere in der älteren Literatur (z. B. Loessner 1911) besprochene Sekundärreaktion H 2 PO 2 ’ + OH’ HPO 3 ’’ + H 2 hatte unter den von uns angewandten Reaktionsbedingungen erwiesenermaßen keine oder keine nennenswerte Bedeutung. Wichtig ist, dass die Umsetzung vollständig verläuft, d. h. insbesondere, dass der fertige Aufschluss frei von elementarem Phosphor zu sein hat. Anfänglich bereitete uns das ziemliche Schwierigkeiten. Sie beruhten insbesondere darauf, dass Phosphorschlamm aus den weiter oben dargelegten Gründen (Kap. 3.1) kein Rohstoff mit konstanter Zusammensetzung und reproduzierbarer Reaktivität ist. Als für den praktischen Betrieb erschwerend kam hinzu, dass wir zunächst das Pumpen des Schlammes nicht beherrschten. Besonders der gealterte Schlamm musste von Hand geschöpft, mit kaltem Wasser abgeschreckt, in Brockenform unter Einsatz von Spezialkübeln transportiert, und schließlich über eine von uns entwickelte Einfüllvorrichtung dem Reaktor zugeführt werden. Nach Verschließen der Einfüllöffnung wurde der Reaktor angeheizt und die Reaktion in Gang gesetzt. <?page no="142"?> 134 Unsere Versuche, das von Barber, Megan und Sloan (1962) empfohlene Verfahren der Schlammverflüssigung mittels Zusatzes von Natronlauge (Abb. 15) einzuführen, scheiterten. Schließlich fanden wir heraus, dass eine nicht unbedingt naheliegende Kombination zum Ziel führt: Wird heißer gealterter Phosphorschlamm mit Phosphor verrührt, und wird das Deckwasser unter Zusatz von Kaliumdiphosphat (Kaliumpyrophosphat) - Lösung auf pH 7 eingestellt, so lässt sich der Schlamm in einen Zustand versetzen, in dem er sich sogar abhebern lässt (Pietzner, Zobel, Gisbier u. Krause 1982). Die erzielte erhebliche Viskositätsverminderung gestattete, dass der Schlamm nun gepumpt werden konnte. Kontrollversuche mit NaOH statt mit K 4 P 2 O 7 -Lösung ergaben, dass Natronlauge nicht wirkt, der Effekt also spezifisch ist. Hinzu kommt, dass der Einsatz von Kaliumdiphosphat, im Gegensatz zur Verwendung von NaOH, ungefährlich ist. Im Falle einer nur geringen K 4 P 2 O 7 -Überdosierung setzt nicht sofort die gefürchtete PH 3 -Bildung ein. In unserer Patentschrift liest sich die Vorgehensweise so: „Erfindungswesentlich ist, dass gealterter Phophorschlamm mit vergleichsweise geringen Mengen reinen gelben Phosphors verrührt wird, wobei das zunächst saure Deckwasser zuvor mit Kaliumpyrophosphatlösung auf etwa pH 7 einzustellen ist. Die Erfindung wird mit besonderem Vorteil zur Intensivierung des industriellen Verfahrens zur Hypophosphitherstellung auf Phosphorschlammbasis eingesetzt“ (Pietzner, Zobel, Gisbier u. Krause 1982) Jedoch bereitete uns auch nach erfolgter Schlammverflüssigung das definierte Pumpen genau bemessener Partien erhebliche Schwierigkeiten. Damit entfiel leider die beim Einsatz reinen gelben Phosphors mit Vorteil praktizierte Möglichkeit, die Natronlauge-Ca(OH) 2 -Suspension vorzulegen, und die Phosphorkomponente dann portionsweise zuzusetzen. An eine kontinuiertliche Arbeitsweise ist beim Schlammeinsatz erst recht nicht zu denken. Wir arbeiteten aus den erläuterten Gründen stets mit chargenweise per Dickstoffpumpe vorgelegtem Schlamm, und dosierten dann die NaOH/ Ca(OH) 2 -Suspension portionsweise. Beim Aufschluss zeigten sich bezüglich der Reaktivität krasse Unterschiede zwischen Piesteritzer und kasachischem Schlamm. Ersterer war stets ausreichend reaktiv, wohl bedingt durch den erheblichen Anteil an hoch aktiven Feststoffanteilen. Der stark ölhaltige und feststoffarme kasachische Schlamm hingegen erforderte einige Verfahrensmodifikationen. Sie laufen auf die gezielte Aktivierung dieses vergleichsweise reaktionsträgen Einsatzmaterials hinaus. <?page no="143"?> 135 In nicht wenigen Fällen beobachteten wir beim Einsatz kasachischen Schlammes, dass sich während der Umsetzung Phosphorgranalien bildeten, die als solche lange stabil blieben und kaum abreagierten. Nach Lage der Dinge kann dies wohl nur an dem vergleichsweise hohen Ölgehalt gelegen haben. Die Unterschiede sind erheblich. Während eine reaktive Charge Piesteritzer Schlammes (ca. 1,5 t) nach etwa 2 h fertig umgesetzt war, dauerte es im Falle der Bildung solcher Granalien oft mehr als einen Tag, bis man den Aufschluss mit halbwegs gutem Gewissen aus dem Reaktor in den Nachreaktor ablassen konnte. Wir fanden zwei Möglichkeiten heraus, derartige Ansätze zu aktivieren. Eine nicht sonderlich fern liegende Maßnahme ist der Zusatz einer Aktivkohle- Perfil-Mischung (Zobel, Ebersbach u. Wenzel 1980). Eine weitere ohne Komplikationen praktizierbare Möglichkeit ist der Zusatz kleiner Mengen an Alkoholen (Zobel u. Gisbier 1981). Insbesondere die niederen Alkohole - bis etwa zum Butanol - sind ziemlich gute Lösemittel für Phosphor. Zudem werden die erwähnten Phosphor-Granalien anscheinend oberflächlich aktiviert, so dass die Umsetzung innerhalb einer technisch akzeptablen Zeit gelingt. Eine Erinnerung im Zusammenhang mit unserer Lizenzvergabe sei eingeblendet. Der Alkoholzusatz sorgte für Spaß mit der Anfahrmannschaft unseres Lizenznehmers (CHIMPROM Dshambul). In unserem Schutzrecht (Zobel u. Gisbier 1981) wird unter den wirksamen Alkoholen auch der Ethylalkohol aufgeführt. Zwar ist dieser Alkohol wegen seiner Flüchtigkeit für den genannten Zweck nicht ganz so vorteilhaft wie ein etwas höherer Alkohol, für unsere trinkfreudige kasachisch-russische Anfahrmannschaft spielte das jedoch keine Rolle. So scherzten wird denn, dass der Reaktor pro Aufschluss eine Flasche „Nordhäuser Doppelkorn“ spendiert bekommen solle, und die Anfahrmannschaft parallel dazu eine weitere Flasche. Wir haben das dann allerdings aus gutem Grunde doch nicht so gehandhabt. Trinkfreudigkeit ist das eine, ein ziemlich gefährliches Verfahren das andere. Einmal verdorbene Sitten lassen sich zudem nur mühsam wieder in Ordnung bringen. Die weitgehend ausreagierte Aufschlusssuspension wird nun aus dem Reaktor in den Nachreaktor abgelassen und kommt dort erstmalig mit Luftsauerstoff in Kontakt. Es folgt die Filtrationsstufe. Da das Phosphit als unlösliches CaHPO 3 (in Form des Monohydrates) vorliegt, kann es nunmehr zusammen mit den aus dem Schlamm stammenden Feststoffanteilen per Filtration abgetrennt werden. Wir arbeiteten mit dem Vakuum-Trommelzellenfilter, später mit einer weit effizienteren Filterpresse. Der abgepresste Rückstand ist meist phosphorfrei. Das Filtrat wird eingedampft, nachdem es mit H 3 PO 2 neutralisiert worden ist. <?page no="144"?> 136 Die dafür erforderliche Unterphosphorige Säure H 3 PO 2 wird in Anlehnung an eine aus der präparativen Chemie bekannte Vorgehensweise hergestellt, d. h. es wird zu diesem Zweck produzierte Calciumhypophosphitlösung chargenweise mit Oxalsäure umgesetzt (Gisbier, Zobel, Pietzner, Erthel, Ebersbach u. Wenzel 1986). Den Apparat zum Eindampfen der neutralisierten Natriumhypophosphitlösung hatten wir zunächst als Vakuumdünnschichtverdampfer konzipiert und betrieben. Nach einem Defekt an diesem Aggregat erprobten wir dann, zunächst mit ziemlichem Respekt, das Eindampfen unter Normaldruck. Gründe für unseren Respekt lieferten Angaben der älteren Literatur. Dort finden sich dramatische Schilderungen zu Explosionen beim Eindampfen von Hypophosphitlösungen. Allerdings sind die genauen Bedingungen nicht immer eindeutig beschrieben. Wenig Hoffnung macht insbesondere eine Publikation von Trommsdorff (1859). Er arbeitete, und dies wegen der schlechten Erfahrungen seiner Vorgänger, beim Eindampfen nicht mehr über freiem Feuer oder auf dem Sandbad, sondern nur noch auf dem Wasserbad: „Diese Operationen gelangen in der That unzählige Male, ohne dass irgend eine Zersetzung eintrat“. Eines Tages aber krachte es fürchterlich. Es wurde „..die neutrale Auflösung des unterphosphorigsauren Natrons… parthienweise in einer, auf einfachem Wasserbade stehenden Porcellanschale, zuletzt unter Umrühren mit einem Glasstabe oder Porcellanspatel, eingedampft,....der letzte Antheil war nahe daran trocken zu werden, als eine Explosion mit solcher Heftigkeit erfolgte, dass sämmtliche Fenster eingedrückt wurden, und der beim Präparat beschäftigte Arbeiter leider sehr erhebliche Verletzung im Gesicht empfing“ (Trommsdorff 1859). Es lässt sich denken, dass infolge dieser farbigen Schilderung einer Hypophosphit-Explosion nunmehr ganz besonders vorsichtig operiert wurde. So rät beispielsweise Böhme (1938), Hypophosphitlösungen aus Sicherheitsgründen grundsätzlich nur im Vakuum einzudampfen. Die weitere Literatur zum Thema sei hier nicht detailliert berücksichtigt. Ich habe sie in meiner Arbeit zu den Literaturirrtümern aus dem Bereich der Anorganischen Phosphorchemie umfassend behandelt und kritisch ausgewertet (Zobel 1978 a). Unsere Untersuchungen ergaben jedenfalls eindeutig, dass neutrale Natriumhypophosphitlösungen sich beim Eindampfen unter Normaldruck nicht zersetzen. Wir dampften die Lösungen bis auf 1,50 g/ cm 3 ein, gemessen bei 90° C. Die Temperatur lag gegen Ende des Eindampfprozesses bei Werten um 120° C (! ). <?page no="145"?> 137 Nachdem wir im Labor die vollkommene Sicherheit erlangt hatten, dass nichts passieren kann, stellten wir die Technologie im industriellen Maßstab auf Normaldruck-Eindampfung um. Wir betrieben seither mit dampfdurchströmten Heizschlangen ausgerüstete Rührbehälter (Volumen: 6 bis 10 m 3 ). Über Jahrzehnte hat es nicht den geringsten Vorfall gegeben. Die Erklärung zu den Beobachtungen von Trommsdorff (1859) kann wohl nur darauf hinaus laufen, dass die eingedampfte Lösung eben doch nicht neutral war, so dass die Zersetzung unter Phosphit- und Wasserstoffbildung nach H 2 PO 2 ’ + OH’ HPO 3 ’’ + H 2 mit großer Heftigkeit ablaufen konnte. Das passiert aber nach unseren Untersuchungen erst bei einem deutlichen Alkaliüberschuss. Klar wurde, dass eine nur geringe Hydroxylionenkonzentration nicht genügt, diese Zersetzung einzuleiten. Wenn die in einem Nebenstrang des Verfahrens hergestellte Unterphosphorige Säure einmal etwas knapp war, haben wir ausnahmsweise auch bei pH 7,5 bis 8,0 noch komplikationslos eingedampft. Regulär wurde der pH 7 eingestellt (s. Abb. 23: Behälter für verdünnte H 3 PO 2 -Lösung sowie Korrekturbehälter; in letzterem wurden die filtrierten Aufschlusslösungen vor dem Eindampfen neutralisiert). Auch nach erfolgter Abtrennung des CaHPO 3 · H 2 O (s. o.) enthält die Hypophosphitlösung noch Calciumionen sowie Phosphitionen, letztere relativ zum Ca** im Überschuss. So ist erklärlich, dass beim Eindampfprozess (Bildmitte Abb. 23) abermals Calciumphosphit ausfällt. Diese so genannte Nachfällung reißt verbliebene Verunreinigungen mit sich. Sie wird in einer kleinen Filterpresse abgetrennt. Die konzentrierte Hypophosphitlösung wird sodann unter Rühren gekühlt und zur Kristallisation gebracht. Der erhaltene Kristallbrei wird auf einer Siebschnecken-Filtrierzentrifuge in Salz und Mutterlauge getrennt. Allerdings funktioniert das ohne besondere Maßnahmen nicht so einfach, denn die Schlitze des Zentrifugensiebs versetzen sich innerhalb weniger Sekunden. Die Ursache dürfte in den beim Kühlen mit ausgefallenen restlichen Verunreinigungen, insbesondere Calciumphosphit, zu suchen sein. Letzteres wird zwar an sich vor Beginn der Kühlung abgetrennt, ein Rest verbleibt jedoch - der Löslichkeit entsprechend - in der heißen Hypophosphitlösung, und fällt dann im Verlaufe der Kühlung in schleimigschmieriger Form aus. <?page no="146"?> 138 Insbesondere diese unerwünschte Beimengung ist es wohl, welche die Schlitze der Zentrifuge versetzt. Periodisches Waschen löst das Problem nicht, weil die so erzielbare jeweils störungsfreie Arbeitsphase viel zu kurz ist. Ich fand, dass ein kontinuierlicher Zusatz geringer Wassermengen am Zentrifugeneinlauf geeignet ist, kontinuierliches Arbeiten während des Zentrifugierens zu ermöglichen (Zobel 1979 u. 1984). Bei kürzester Kontaktzeit sind ohne messbare Ausbeuteminderung beste Ergebnisse zu erzielen. Folgende Effekte dürften entscheidend sein: Bevorzugtes Anlösen des phosphithaltigen Feinanteils, Vermindern der Mutterlaugenviskosität, Peptisation der während der Kristallisation ausgefallenen Reste an schleimig-schmierigem Calciumphosphit. An sich erscheint diese Vorgehensweise paradox. Das zu gewinnende Natriumhypophosphit ist immerhin wasserlöslich, so dass der Zusatz von Wasser zum Kristallbrei kontraproduktiv sein müsste. Hier aber wird das erfinderische Prinzip „Schnelle Passage“ angewandt. Es besagt, dass dem zu erreichenden Ziel abträgliche oder gar gefährliche - aber für das Gelingen des Prozesses erforderliche - Phasen schnell durchlaufen werden müssen (erfindungsmethodische Erläuterung: s. Kap. 7). Die Kontaktzeit zwischen Zusatzwasser und Kristallbrei beträgt nur 0,5 s; dann erreicht der verdünnte Kristallbrei das Zentrifugensieb. So bleibt keine Zeit für das Eintreten der negativen Wirkung. In unserem Falle bedeutet das: Die geschilderte positive Wirkung tritt ein, die negative Wirkung - das An- oder Auflösen der Hypophosphitkristalle - tritt jedoch (noch) nicht in nennenswertem Maße ein. Zudem geht das wenige zusätzlich gelöste Hypophosphit nicht verloren, da es mit der Mutterlauge in den Regenerierkreislauf eingebracht wird. Weitere Beispiele für das Wirken dieses Prinzips sowie anderer mit Erfolg einzusetzenden Prinzipien finden sich in meinen Büchern zum Thema Erfindungsmethodik (Zobel 1991, 2001, 2006, 2007, 2009). Eine zusammenfassende Darstellung wird im 7. Kapitel gegeben. Beim Kristallisieren des Endproduktes gelangt der Hauptanteil des unerwünschten Phosphits in die Mutterlauge. Dieser in der Branche allgemein bekannte Anreicherungseffekt gestattet die Herstellung reinen Natriumhypophosphits. Zudem lässt sich die mit Phosphit stark angereicherte Mutterlauge ohne Schwierigkeiten regenerieren. Die Regenerierung erfolgt, indem die Mutterlauge im Nachreaktor mit einem neuen Aufschluss vermischt wird. Dieser Aufschluss muss freie Calciumionen enthalten, damit das leicht lösliche (Na-)Phosphit in Form des schwer löslichen Calciumphosphits ausgefällt werden kann. <?page no="147"?> 139 Allerdings nützte es wenig, lägen die Calciumionen in Form überschüssigen Calciumhydroxids vor. Wäre dies der Fall, so liefe die Reaktion gemäß der Gleichung Ca (OH) 2 + Na 2 HPO 3 2 NaOH + CaHPO 3 ab, was zwar die gewünschte Phosphit-Eliminierung brächte, jedoch mit der unerwünschten Bildung freier Natronlauge einher ginge. Dann wäre nach erfolgter Filtration ein besonders hoher Verbrauch an Unterphosphoriger Säure, zuzusetzen im Korrekturbehälter, die Folge. Um dies zu umgehen, haben wir die zum Regenerieren der Mutterlauge vorgesehenen Ansätze so gefahren, dass freies Calciumhypophosphit neben dem Natriumhypophosphit vorliegt. Dann verläuft die Regenerations-Reaktion, wie gewünscht, gemäß Ca(H 2 PO 2 ) 2 + Na 2 HPO 3 CaHPO 3 + 2 NaH 2 PO 2 . Im Nachreaktor liegt dann eine Suspension vor, die nach erfolgter Filtration als ganz normales Filtrat den gesamten Eindampf- und Kristallisationsprozess durchlaufen kann. Das zentrifugenfeuchte Natriumhypophosphit NaH 2 PO 2 · H 2 O wird in einem Drehrohrtrockner mit Heißluft behandelt, gebunkert und schließlich abgesackt. Das Produkt ist erstaunlich rein, wenn man bedenkt, welch extrem verunreinigter Rohstoff eingesetzt wurde (Abb. 24). Man sollte meinen, dass deshalb besonders viele Reinigungsstufen im Prozess erforderlich sein müssten. Das Gegenteil ist der Fall. Ich setzte bei der Entwicklung des Verfahrens insbesondere auf das erfinderische Prinzip „Von Selbst“. So konnten wir beispielsweise völlig auf die bei der Konkurrenz übliche Calciumionen-Abtrennstufe (Einleiten von CO 2 , Abfiltrieren des ausgefällten CaCO 3 ) verzichten. Die Calciumionen-Abtrennung verläuft in Piesteritz zunächst automatisch beim Eindampfen (s. o.); die geringen verbliebenen Restmengen werden dann durch die Wasserzugabe am Zentrifugeneinlauf in die Mutterlauge geschwemmt (Zobel 1979, 1984). Ähnlich vorteilhaft gestaltet sich das Kristallisationsregime. Es können vergleichsweise hohe Phosphitkonzentrationen toleriert werden, da der Wasserzusatz an der Zentrifuge dafür sorgt, dass nur noch wenig phosphithaltige Mutterlauge an der Oberfläche der abzentrifugierten Kristalle haften bleibt. Ein letzter Reinigungsschritt läuft dann im Drehrohrtrockner - ebenfalls praktisch nebenbei - ab. Der Feinanteil des Natriumhypophosphits ist <?page no="148"?> 140 besonders phosphithaltig. Er gelangt bevorzugt in den Abluftstrom, der dann über einen Zyklon gereinigt wird. Herkömmlicherweise - nicht nur bei dem erläuterten Verfahren - setzt man, falls es auf das Kornspektrum nicht ankommt, im Zyklon anfallenden Staub dem Produkt zu. Wir nutzten jedoch den Umstand, dass der Staub sich als besonders phosphithaltig erwies, für einen simplen zusätzlichen Reinigungsschritt. Der im Zyklon abgeschiedene Staub wurde abgezweigt und der nächsten Charge zum Umkristallisieren zugesetzt (Zobel, Gisbier, Konerding, Erthel u. Ebersbach 1982). Ein weiterer Vorteil dieser Vorgehensweise ist die Verbesserung des Lagerverhaltens. Produkte mit Grob-, Mittel- und Fein-Anteilen nebeneinander haben meist keine optimalen Lagereigenschaften. Abb. 24 Natriumhypophosphit NaH 2 PO 2 · H 2 O, hergestellt durch Aufschluss von Phosphorschlamm mit einer Suspension von Ca(OH) 2 in NaOH, gefolgt von den im Text beschriebenen Schritten. Das Bild zeigt einen im Labormaßstab gewonnenen Kristall von ca. 4 cm Höhe. Kühlungskristallisation unter statischen Bedingungen. Die nach Aufkonzentrieren und abermaligem Filtrieren zur Kristallisation gebrachte Lösung hatte eine Dichte von 1,49 g/ cm 3 (90° C). <?page no="149"?> 141 Dieses „Betonkies“-Spektrum führt zu der gefürchteten Brückenbildung und unterstützt, wegen vieler Kontaktstellen zwischen den Kristallen, die Tendenz zum Verbacken So ist es - nicht nur im vorliegenden Falle - vorteilhaft, ein Produkt ohne Feinanteil ausliefern zu können. Das beschriebene Verfahren der Aufarbeitung von Phosphorschlamm zu Natriumhypophosphit erfordert eine aufmerksame, gut geschulte Bedienungsmannschaft, die ein erhebliches Maß an tieferem Verständnis für die einzelnen Verfahrensschritte haben sollte. In sicherheitstechnischer Hinsicht sind die meisten Verfahrensstufen weitgehend unbedenklich. Dies gilt jedoch für eine - und zwar die erste - Verfahrensstufe gewiss nicht. Diese Aufschluss-Stufe, d. h. der Betrieb des Reaktors (Abb. 25), ist sicherheitstechnisch entscheidend. Werden beim Betrieb des Reaktors Fehler gemacht, wird es richtig gefährlich. Bevor wir zu den Details der sicherheitstechnischen Fragen kommen, sei noch ein Verfahrensaspekt behandelt. Die Aufschluss-Reaktion führt flüssigkeitsseitig zu einer mit den gesamten Feststoffanteilen des Schlammes verunreinigten Hypophosphit-Phosphit-Lösung, gasseitig hingegen zu einem Phosphin-Wasserstoff-Gemisch, das Diphosphin enthält, und deshalb an der Luft selbstentzündlich ist. Somit muss unbedingt mit einer Gassperre gearbeitet werden, die das Eindringen von Luft in den Gasraum des Reaktors verhindert. Hier würde es sonst zu Verpuffungen oder gar Explosionen kommen. Wir entschieden uns - wie im Abschnitt zur Phosphitfahrweise schon erwähnt - für eine Wasservorlage (Pos. 8 in Abb. 25), einen „Bubbler“, der bekannten Laborwaschflasche nachempfunden. Diese Wasservorlage hat neben ihrer Sicherheitsfunktion noch zwei weitere Aufgaben. Eine davon ist banal. Das neben etwas Phosphor im Gas enthaltene Diphosphin P 2 H 4 zersetzt sich beim stoßweisen Durchtritt im allmählich versäuernden Wasser weitgehend zu PH 3 und festem polymeren Phosphorwasserstoff (PH) x . Die sich bildende phosphorhaltige orangerote bis bräunliche (PH) x -P(0)-Suspension wird von Zeit zu Zeit in den Reaktor abgelassen. Sie reagiert mit der NaOH-Ca(OH) 2 -Suspension wie Phosphor. Das Sperrwasser in Pos. 8 wird entsprechend ergänzt. Die zweite - über die Sicherheitsfunktion hinausgehende - Aufgabe der Wasservorlage ist hingegen durchaus nicht banal. Unter 3.3.1 (Phosphitfahrweise) habe ich beschrieben, dass es im Technikumsmaßstab ein erhebliches Schaumproblem gab, und wir froh waren, dass die technische Anlage auch in dieser Hinsicht weit besser als die Technikumsapparatur funktionierte. <?page no="150"?> 142 Abb. 25 Reaktor zum alkalischen Aufschluss von Phosphorschlamm nach dem Piesteritzer Hypophosphitverfahren (nach: Zobel 1990) 1 Reaktor mit Heizmantel; 2 Rührwerk; 3 Phosphorschlammzufuhr; 4 Ca(OH) 2 -NaOH- Leitung; 5 Verdünnungswasser; 6 Deckstickstoff; 7 Ablassleitung für den Aufschluss; 8 Wasservorlage mit Standglas; 9 PH 3 -H 2 -Leitung zum Verbrennungsturm; 10 Siphon <?page no="151"?> 143 Wir hatten zwecks visueller Kontrolle der Schaumbildung das Prinzip der innen mit Scheibenwischer ausgestatteten Silicatglasscheibe übernommen, und anfänglich eine solche statt des sonst üblichen stählernen Mannlochdeckes installiert (Abb. 25, 500er Mannloch samt gläsernem Deckel, rechts neben Pos. 5). Als wir während des Aufschlusses durch diese Scheibe in den Reaktor hinein leuchteten, waren wir sehr erleichtert. Der gefürchtete Schaum war zwar zu sehen, er pulsierte jedoch im oberen Drittel des Reaktors heftig auf und ab, ohne den Reaktordeckel zu erreichen. Dies kann wohl nur mit dem stoßweisen Austritt des Gases durch die Wasservorlage erklärt werden. Am Standglas (Abb. 25, Pos. 8 links) lässt sich der stoßweise Gasaustritt indirekt beobachten. Die im Standglas zu sehende auf- und abschaukelnde Wassersäule ist kommunizierend mit dem Sperrwasser in der Wasservorlage verbunden. Somit sind die Schaukelbewegungen der Wassersäule im Standglas ein verlässliches Abbild der in der Wasservorlage verlaufenden Auf- und Ab-Bewegungen des Sperrwassers. Offenbar wippt die Wassersäule nach Durchtritt einer Gasblase jeweils heftig zurück und übt dabei einen entgegen der Strömungsrichtung des Gases stoßweise wirkenden Druck aus, der wiederum das fast synchrone Auf- und Abwippen der Schaumschicht bewirkt. Gaseintrittsrohr wie Gasaustrittsrohr wurden mit NW 200 so dimensioniert, dass die Gasblasen sehr groß und die rückwärts gerichteten Druckstöße damit recht heftig sind. Bei entsprechend gefüllter Wasservorlage kann mit Druckschwankungen von ± 150 - 200 mm Wassersäule gefahren werden. Die Schaumbildung selbst ist als stoffspezifisch anzusehen, und als solche nicht zu verhindern. Die unter den oben geschilderten Bedingungen erzeugten Druckstöße reichen jedoch aus, den Anstieg des Schaumes im Reaktor über ein tolerables Maß hinaus zu unterbinden. Diese nicht selbstverständliche zusätzliche Funktion der Wasservorlage veranlasste mich, die Schutzfähigkeit auszutesten. Die Wasservorlage als solche ist natürlich nicht schutzfähig, da sie fast eine Kopie der bekannten Laboratoriumswaschflasche ist. Ausgangspunkt meiner Anmeldung war deshalb die spezifische Arbeitsweise der Vorrichtung, basierend auf einem bisher noch nicht beschriebenen Effekt, der als solcher - da er, juristisch gesehen, zu den Entdeckungen zählt - nicht schutzfähig ist. Das machte die Formulierung nicht eben leicht. So sagte denn die Prüferin - nach zunächst erfolgter Ablehnung der etwas ungeschickten Erstfassung - in der mündlichen Anhörung spöttisch: <?page no="152"?> 144 „Sie wollen mir doch wohl nicht allen Ernstes die Waschflasche noch mal andrehen? “ Ich antwortete: „Nein. Aber ich berufe mich auf das Hilfskriterium, nach dem ein bisher nicht beschriebenes und somit neues Einsatzgebiet für eine an sich bekannte Vorrichtung schutzfähig ist“. Ob die Prüferin daraufhin mit den Zähnen knirschte, ist mir nicht mehr erinnerlich. Richtig glücklich sah sie nicht aus. Sie konnte aber mein Argument nicht einfach vom Tisch wischen. Akzeptiert hat sie dann eine fast „patentchinesische“ Formulierung des Erfindungsanspruchs: „Verfahren zur Verminderung bzw. Vermeidung der Schaumbildung bei unter Gasentwicklung verlaufenden chemischen Reaktionen durch intervallmäßige Druckänderung, dadurch gekennzeichnet, dass die intervallmäßige Druckänderung in Abhängigkeit von der Reaktionsgeschwindigkeit durch den über eine Flüssigkeitsvorlage autogen regulierten stoßweisen Gasaustritt erfolgt, wobei die Druckdifferenz über das horizontal glatt abgeschnittene Gaseintrittsrohr sowie über die vorgelegte Flüssigkeitsmenge gesteuert wird“ (Zobel 1976). Das Besondere an dieser höchst einfachen Arbeitsweise ist, dass es sich um ein sich selbst regulierendes System handelt. Damit genügt das Verfahren dem erfinderischen Anspruch an raffiniert einfache Lösungen („Von Selbst“) in geradezu idealer Weise: Mit zunehmender Heftigkeit der Reaktion verläuft auch die Schaumbildung immer heftiger, was wiederum erfordert, dass die pulsierend wirkende Gegenkraft entsprechend verstärkt werden muss - und zwar, wenn möglich, automatisch. Genau dies leistet die Wasservorlage. Mit verstärkter Gasentwicklung steigt die Frequenz der Stöße. Sollte dies ausnahmsweise einmal nicht genügen, so lässt sich durch Nachfüllen der Wasservorlage für höhere Druckdifferenzen sorgen. Die Intensität der einander abwechselnden Phasen relativer Kompression und relativer Dekompression genügt auf jeden Fall den Ansprüchen der Praxis. Wir haben in fast vier Jahrzehnten weitgehend störungsfreien Betriebes nur zweimal die Beobachtung gemacht, dass ein wenig Schaum bis in die Wasservorlage gelangt war. Der kritische Leser wird sich vielleicht erinnern, dass er in seiner freudlosen Jugend schon einmal Obstwein in einem Gärballon bereitet hat. Das in diesem Falle als Gassperre verwendete Gärröhrchen sieht zwar nicht so aus wie die Wasservorlage 8 in Abb. 25. Es entspricht aber, was seine Sperrfunktion betrifft, eben dieser Wasservorlage. <?page no="153"?> 145 Dagegen ist die in Abb. 25 dargestellte Sicherheitsschleife (der Siphon Pos. 10) auch äußerlich das genaue Abbild eines Gärröhrchens. Im Falle des Hypophosphitreaktors kann das Gas über diesen Weg während des Normalbetriebes nicht austreten, weil die Wassersäule in der Sicherheitsschleife höher steht als in Pos. 8. Denken wir uns aber auf Abb. 25 alles außer Pos. 10 weg, so haben wir ein Gärröhrchen vor uns. Das im Falle der Weinherstellung durch das Gärröhrchen blubbernd entweichende CO 2 erzeugt nun zweifellos ebenfalls die entgegen der Gasströmung wirkenden Druckstöße, hier allerdings nur im Mini-Maßstab. Obstwein schäumt beim Gären oftmals fürchterlich. Leider kann jedoch in diesem Falle von einem der Schaumentwicklung entgegen wirkenden Effekt nicht die Rede sein. Der Schaum gelangt vielmehr ungebremst in das Gärröhrchen und quillt heraus. Alsbald nähern sich die allseits beliebten Fruchtfliegen im Sturzflug. Wir sehen, dass die (auch von mir) immer wieder beschworene Rolle des Analogisierens beim Erfinden nicht immer zum Erklären ideengeschichtlicher Abläufe taugt. Das Gärröhrchen jedenfalls hat mich nicht auf die Idee gebracht, dass man über die beschriebenen Umwege schutzrechtlich doch noch etwas aus der bestens bekannten Labor-Waschflasche herausholen kann. Zurück zum Hypophosphitverfahren. Die zentrale Funktion der Wasservorlage ist, wie gesagt, ihre Sicherheitsfunktion. Abb. 25 zeigt das Regime. Gewöhnlich wird das PH 3 -H 2 -Gasgemisch über Pos. 9 zum Verbrennungsturm der Phosphorsäureanlage geleitet, zu Phosphorsäure verbrannt und als solche gewonnen. Der Phosphin-Wasserstoff-Brenner ist direkt neben der Phosphordüse angeordnet. In der An- und Abfahrphase der Aufschlüsse reicht die PH 3 / H 2 -Menge nicht mehr aus, um eine selbstständig brennende Flamme zu erzeugen. Die Phosphin-Konzentration ist aber noch so hoch, dass unverbranntes Gas nicht in die Atmosphäre gelangen darf. Wir haben deshalb den Gasstrom seitlich schräg in die sehr heiße Phosphorflamme geleitet. So kann in allen Phasen der Reaktion die vollständige Verbrennung des hoch toxischen Phosphins garantiert werden. Auch in den Reaktionsphasen, in denen fast nur Wasserstoff entsteht, beobachteten wir niemals sicherheitstechnische Probleme. Im Falle einer Störung greift ein Sonderregime. Dann wird das Sperrwasser aus dem Siphon Pos. 10 abgelassen. Das Gas strömt nun direkt über Dach und entzündet sich sofort, da die Zersetzung des Diphosphins in Phosphin und polymeren Phosphorwasserstoff in Pos. 8 niemals vollständig ist. Das Gas bleibt selbstentzündlich. An der Fackel oberhalb Pos. 10 wird dann Phosphorsäure in Form dichten Nebels emittiert, nicht toxisch, aber zum Husten reizend. Dieses Sonderregime musste nur sehr selten zum Einsatz kommen. <?page no="154"?> 146 Die Selbstentzündlichkeit des Reaktionsgases hat einen nicht zu unterschätzenden Vorteil. Kleinere Störungen - wie z. B. Undichtheiten des Systems bei laufendem Betrieb - haben keine negativen Folgen, da sich das an einer defekten Stelle austretende Gas sofort entzündet. So lassen sich beispielsweise Schweißporen in nicht ganz ordnungsgemäß ausgeführten Schweißnähten bei laufendem Betrieb bequem mit Hammer und Körner zuschlagen. Wir hatten einen solchen Fall aber nur einmal, und zwar beim allerersten Ansatz. Die Phosphin-Wasserstoff-Leitung von der Aufschlussstufe zum Verbrennungsturm der Phosphorsäureanlage ist in Piesteritz nur etwa 25 m lang. Die Leitung verläuft zunächst senkrecht und ist im restlichen Abschnitt bis zum Turm schwach ansteigend verlegt, so dass das anfallende Kondensat komplikationslos in die Wasservorlage zurücklaufen kann. Das Kondensat besteht überwiegend aus Wasser und enthält zudem Phosphor, Phosphorsuboxid und polymeren Phosphorwasserstoff. Am Standglas sieht man, ob schließlich zu viel Flüssigkeit in der Wasservorlage ansteht. Dann wird der Überschuss in den Reaktor abgelassen. Diese Arbeitsweise hat nie Probleme bereitet. Auf das Isolieren und Beheizen der PH 3 -H 2 -Leitung konnte verzichtet werden. Ganz anders sah dies in Kasachstan im Zusammenhang mit unserer Lizenzvergabe aus. Der Lizenznehmer hatte uns vor Beginn der Projektierungsarbeiten aufgefordert, ein Konzept zur Nutzung eines vorhandenen Gebäudes unter maximaler Einbeziehung der installierten ungenutzten Behälter zu entwerfen. Das ließ sich mit einigen Abstrichen realisieren. Die verfahrensspezifischen Einzelaggregate, insbesondere der Reaktor, mussten natürlich komplett neu gefertigt werden. Das eigentliche Problem war aber die Phosphorsäureanlage. Sie ist in Dshambul mehr als 300 m von der Hypophosphitanlage entfernt, deren Standort durch die genannten Vorgaben festgelegt war. Es musste also geprüft werden, ob die Phosphinverbrennung in einer zusätzlich direkt neben der Anlage neu aufzubauenden Mini-Phosphorsäureanlage erfolgen sollte, oder ob eine lange Gasleitung zur vorhandenen Phosphorsäureanlage zu legen sei. Wir haben uns gemeinsam mit dem Lizenznehmer für die letztere Variante entschieden. Im Praxisbetrieb traten dann prompt die entsprechenden Schwierigkeiten auf. In Kasachstan muss man im Sommer mit Temperaturen um 40° C rechnen; hingegen sind im Winter Temperaturen um -25° C nicht selten. Diese Umstände zwangen uns, die Gasleitung fast analog zur Piesteritzer Rohgasleitung (s. Abb. 7) zu konzipieren. <?page no="155"?> 147 Wir statteten die Leitung folglich mit Isolierung, Beheizung und diversen getaucht betriebenen Kondensatablassgefäßen aus. Im Sommer mag das einigermaßen funktionieren, unser Anfahrbetrieb fand aber im kalten Februar 1991 statt. Beim Nivellieren war in einigen Abschnitten nicht sorgfältig genug gearbeitet worden, so dass die Leitung zwischen den Kondensatablässen manchmal zufror bzw. sich versetzte. Dann trat das P 2 H 4 enthaltende Phosphin-Wasserstoff-Gasgemisch am jeweils vor der Versetzung befindlichen Kondensatablasstopf aus und entzündete sich sofort. Das ist der Analogiefall zur bereits beschriebenen Funktion unserer Sicherheitsschleife Pos. 10 in Abb. 25. Man hätte also in derartigen Sonderfällen den jeweiligen Aufschluss getrost zu Ende fahren können, indem man das an den Kondensattöpfen herausblubbernde Gas einfach hätte abbrennen lassen. Zudem fielen die Anlagen im benachbarten Phosphor- und Phosphorsäurebereich mit wahrlich schlimmeren Emissionen weit unangenehmer auf. Aber die noch unerfahrene kasachische Mannschaft geriet nachts, wenn unsere Spezialisten schliefen, in solchen Fällen in Panik und rief nach der Feuerwehr. Der leitende deutsche Spezialist, mein Mitarbeiter Ebersbach, wurde dann vom Dispatcher geweckt und zum Ort des Geschehens beordert. Es fiel Ebersbach in solchen Fällen nicht immer leicht, die emsige Dshambuler Werksfeuerwehr von ihren routinemäßig heftigen - hier völlig überflüssigen - Wasserspielen mitten im kasachischen Winter abzuhalten. Ich habe das Dshambuler Werk dann noch einmal, im Jahre 1993, besucht. Die gewaltigen gesellschaftlichen und ökonomischen Umwälzungen hatten auch zu wirtschaftlich gewagten Experimenten geführt. So war die Hypophosphitanlage von der damaligen Werksleitung inzwischen einem jungen Technologen - wohl pachtweise - in Alleinverantwortung (inclusive Marketing und Absatz) überlassen worden. Dieser offensichtlich fähige junge Mann hatte als erste Amtshandlung eine Mini-Phosphorsäureanlage direkt neben der Hypophosphitanlage aufbauen lassen. Damit waren alle mit der bisherigen langen Leitung verbundenen Probleme aus der Welt geschafft. In Piesteritz kam es später manchmal vor, dass Hypophosphit benötigt wurde, die Phosphorsäureanlage jedoch gerade nicht in Betrieb war. Dann wurde die Anlage einfach „kalt“ - d. h. zwar mit Phosphorsäureumlauf, jedoch ohne Phosphorverbrennung - gefahren. Um die stets vollständige Verbrennung des Phosphin-Wasserstoff-Gasgemisches zu gewährleisten, wurde und wird in solchen Fällen mit einem Hilfsbrenner auf Propanbasis gearbeitet. Irgendwelche Schwierigkeiten sicherheitstechnischer Art traten bei dieser Sonderfahrweise niemals auf. <?page no="156"?> 148 Kommen wir nun zu dem sicherheitstechnisch wichtigsten Problem der Hypophosphittechnologie, der Fahrweise des Reaktors. Wenn das Gasgemisch in einem geschlossenen Raum - in unserem Falle dem Gasraum des Reaktors - mit Luft in Kontakt kommt, verpufft bzw. explodiert das Gemisch ungemein heftig. Deshalb muss das Eindringen von Luft in den Reaktor während der Umsetzungsphase unter allen Umständen verhindert werden. Das Betriebsregime sieht vor, dass der Reaktor stets unter leichtem Überdruck zu fahren ist. In der Anfahrphase dient dazu Spülstickstoff, der zunächst die nach dem Ablassen der ausreagierten vorherigen Charge (Abb. 25, Pos. 7) bei leerer Sicherheitsschleife (Pos. 10) eingedrungene Luft verdrängen muss. Ist die neue Charge dann „angesprungen“, genügt die einsetzende heftige Gasentwicklung, den erforderlichen Überdruck abzusichern. Deshalb kann der Stickstoff in dieser Phase angedrosselt werden. Gegen Ende der Reaktion wird er dann wieder voll dosiert. Je nach Reaktionsphase wird über den Mantel des Reaktors Pos. 1 mit Dampf geheizt oder mit Wasser gekühlt. Das ist das normale Betriebsregime. Am 30. September 1977 passierte jedoch etwas völlig Unerwartetes. Alle Energien im Werk fielen gleichzeitig aus. Mit dem Komplettausfall der Elektroenergie gingen sofort auch die Netze für Druckluft, Sicherheitsstickstoff und Dampf außer Betrieb, und zwar, weil das entsprechende Notregime ebenfalls versagte. Bis zu diesem Zeitpunkt fuhr der Reaktor regulär mit Dampf-Mantelheizung (Abb. 25, Pos. 1). Nunmehr blieb der Dampf weg. Zum gleichen Zeitpunkt blieb wegen Ausfalls der Elektroenergie auch das Rührwerk (Pos. 2) stehen. Die zweiköpfige Bedienungsmannschaft war kurz vor dem Totalausfall entgegen der strikten Anweisung, den Reaktor niemals ohne Aufsicht zu betreiben, zum Mittagessen gegangen. Mit beginnender Abkühlung kontrahierte das im Reaktor befindliche Gas innerhalb relativ kurzer Zeit so weit, dass der Inhalt der zuvor anteilig gefüllten Wasservorlage in den Reaktor hinein gesaugt wurde. Sogleich strömte atmosphärische Luft nach. Das Gasgemisch explodierte und zerstörte den Reaktor. Die Explosion war so heftig, dass nahe der Eintrittstelle der Luft das obere Rührerblatt (Stahl, 12 mm) wie Papier regelrecht zerknüllt wurde, der Deckelflansch barst, 16er Schrauben wie Geschosse umherflogen und das schwere Rührwerk samt Antrieb um 15 ° aus dem Lot geriet. Die zerrissenen Schrauben vom Deckelflansch zeigen sehr eindrucksvoll, wie dramatisch das Ereignis war. Sie wurden gelängt und verbogen, ehe sie auseinander rissen. Zwei typische Erinnerungsstücke habe ich als Vorlage für meine Zeichnung verwendet (Abb. 26). <?page no="157"?> 149 Abb. 26 Zwei Schrauben vom Deckelflansch des Reaktors nach der Explosion vom 30. 9. 1977 (vom Verfasser nach den Originalen gezeichnet) Was sich hier zum Ablauf der Störung so einleuchtend liest, war kurz nach der Havarie keineswegs sofort klar. Unstrittig ist nur, dass der Erfinder in einem solchen Falle die volle Verantwortung zu tragen hat. Ich hatte dieses Verfahren - wie oben geschildert - neben meiner Tätigkeit als Betriebsleiter im Betriebslabor und einem improvisierten Technikum entwickelt, sodann das basical engineering an unsere Projektierungsabteilung gegeben, gemeinsam mit den Konstrukteuren die apparativen Details festgelegt, den Aufbau der Anlage überwacht und schließlich den Anfahrbetrieb geleitet. Auch nach erfolgter Übernahme war das Verfahren in meinem Verantwortungsbereich geblieben. So war es überhaupt keine Frage, wer sich zu kümmern hatte. Ich untersuchte deshalb unverzüglich - zusammen mit K.-H. Ebersbach, dem für die Anlage zuständigen Technologen - die Ursachen der Havarie. Zunächst einmal mussten wir etliche Gaffer verscheuchen. Wir sorgten dann für das halbwegs gefahrlose Ablassen der nicht ausreagierten, noch heftig vor sich hin puffenden Charge, und führten schließlich ein automatisches bzw. autonomes Sicherheitsregime ein. Es funktionierte und funktioniert perfekt. Seit der beschriebenen Havarie hat es niemals wieder eine ernsthafte Störung gegeben. <?page no="158"?> 150 Allerdings muss nach heutigem Kenntnisstand zugeben werden, dass ich so manches schon vorher hätte bedenken können und müssen. Beispielsweise war unser anfänglicher Verzicht auf eine Berstscheibe ganz gewiss mehr als blauäugig. Abb. 27 zeigt den nach der Havarie umgebauten - und mit allen von uns nunmehr für erforderlich gehaltenen Sicherheitsvorrichtungen ausgestatteten - Reaktor. Da der Eventualfall, wie sich eindrucksvoll gezeigt hatte, eben doch nicht auszuschließen ist, wurde insbesondere eine vorschriftsmäßige 500er Berstscheibe („BS“), bestehend aus dünnem Kupferblech, anstelle des massiven Mannlochdeckels eingebaut. Abb. 27 Nach Auswertung der Explosion vom 30. 09 1977 umgebauter und nunmehr mit allen Sicherheitseinrichtungen versehener Aufschlussreaktor E1 Dosierstutzen für den Phosphorschlamm; E 2 Dosierstutzen für die Ca(OH) 2 -NaOH-Suspension; BS Berstscheibe; H Heizmantel (umschaltbar auf Kühlung); WV Wasservorlage mit Standglas; S Sicherheitsschleife; URM 1, 2, 3: Druckmessungen <?page no="159"?> 151 Die Stickstoffzufuhr wurde so gestaltet, dass im Falle einer ungesteuerten Abkühlung - und damit Kontraktion des Gases, z. B. durch Ausfall der Mantelheizung, - automatisch so viel Stickstoff dosiert wird, dass sich der notwendige leichte Überdruck im Gasraum des Reaktors stets aufrecht erhalten lässt. Angesteuert wird der zusätzlich zu dosierende Sicherheitsstickstoff über die Druckmessung im Gasraum des Reaktors. In solchen Situationen wird zudem Stickstoff in die Sicherheitsschleife S oberhalb des Wasserspiegels eingeleitet (Abb. 27, r. o.). Auch beim Ausfall des Rührwerkes wird die automatische Zusatz-Stickstoffdosierung sofort aktiviert, damit der dann verstärkt aufsteigende Schaum nicht die Eintrittsstutzen für den Sicherheitsstickstoff verkleben kann. Die weiter oben beschriebene Umsetzung des diphosphinhaltigen Gemisches aus Phosphin und Wasserstoff zu Phosphorsäure funktioniert sicherheitstechnisch perfekt. Jedoch ist Phosphin ein Rohstoff, für den die Verarbeitung zu dieser ökonomisch eher weniger interessanten Säure zu schade ist. Wir versuchten deshalb die Herstellung des Flammschutzmittels Tetrakis-(hydroxymethyl)-Phosphoniumchlorid. Dazu leiteten wir das vorgereinigte Gasgemisch durch salzsaure Formaldehydlösung. Diese Umsetzung zum „THPC“ funktionierte. Wir kamen jedoch nicht bis zu einem konkurrenzfähigen Verfahren. Auch Versuche zur Herstellung von H 3 PO 3 anstelle H 3 PO 4 durch entsprechend gesteuerte Verbrennung führten nicht zum Ziel. Hingegen gelang die versuchsweise Reinigung des rohen Phosphins bis zu einer Qualität, die für den Einsatz als Dotiergas infrage gekommen wäre. Nachdem unser aus den Altbeständen stammender Piesteritzer Phosphorschlamm aufgebraucht war, hatten wir es schließlich nur noch mit dem laufenden Anfall sowie dem kasachischen Schlamm zu tun. Dieser wurde auch weiterhin - durchaus unfreiwillig - importiert, und zwar als stets strittiger Bestandteil der Phosphorlieferungen (s. Kap. 2.3). Da inzwischen der Bedarf an Hypophosphit gestiegen war, ergab sich fast automatisch der allmähliche Übergang zum Einsatz mehr oder minder reinen Phosphors für die Hypophosphitproduktion. Spezielle Probleme gab es dabei nicht, zumal wir unsere bei der Schlammaufarbeitung gewonnenen Erfahrungen nutzen konnten. Insbesondere die Aktivierung der nun etwas träger reagierenden Ansätze machte keine Schwierigkeiten. Naheliegend ist auch, dass es der Einsatz reinen gelben Phosphors - im Vergleich zum Schlamm - leichter machte, die inzwischen enorm gestiegenen Anforderungen an die Qualität reinsten Hypophosphits stets verlässlich zu erfüllen. <?page no="160"?> 152 Für Natriumhypophosphit gibt es nur wenige Anwendungsgebiete. Das mengenmäßig mit Abstand wichtigste Einsatzgebiet ist nach wie vor die reduktiv-chemische, die so genannte stromlose Vernicklung. Die Bezeichnung weist darauf hin, dass - im Gegensatz zur galvanischen Vernicklung - das Verfahren ohne äußere Stromquelle arbeitet. Da für dieses Verfahren ein Hypophosphit besonderer Reinheit erforderlich ist, besteht ein direkter Zusammenhang mit dem Prozess der Herstellung von Hypophosphit auf Basis Phosphorschlamm. Es war zu Beginn unserer Arbeiten durchaus nicht selbstverständlich, dass ausgerechnet auf Basis eines derart verunreinigten Rohstoffes - Phosphorschlamm anstelle reinen gelben Phosphors - die Herstellung eines den Qualitätsanforderungen entsprechenden Hypophosphits gelingen könnte. Ich vermute sogar, dass es nicht unbedingt Sicherheitsbedenken waren, welche die Chemiker bisher vom Einsatz des Phosphorschlammes für diesen Zweck abhielten. Vielmehr nehme ich an, dass ein generell wirkendes Vorurteil dafür bestimmend war, nämlich die Annahme, dass sich reine Endprodukte ohne extremen Zusatzaufwand nicht aus derart verunreinigten Einsatzstoffen herstellen lassen. Es stellte sich jedoch heraus, dass es durchaus möglich ist, aus Phosphorschlamm hochwertiges Natriumhypophosphit herzustellen. Die wichtigsten Gesichtspunkte dazu finden sich im Patent „Verfahren zur Herstellung reiner Alkalihypophosphitlösungen“ (Zobel 1977). Sie sollen hier nicht detailliert erörtert werden, es lässt sich jedoch zusammenfassend feststellen, dass der Verzicht auf reine Ausgangssubstanzen beim Regenerieren der phosphithaltigen Mutterlaugen sogar von Vorteil zu sein scheint. Während herkömmlich die Regenerierung gemäß Ca(H 2 PO 2 ) 2 + Na 2 HPO 3 CaHPO 3 + 2 NaH 2 PO 2 stets unter Einsatz reiner filtrierter Ca(H 2 PO 2 ) 2 - Lösungen durchgeführt wurde, basiert das Piesteritzer Verfahren auf dem Einsatz roher, unfiltrierter Aufschlüsse, die mit gegenüber der Standardfahrweise erhöhten Ca(OH) 2 - Anteilen gefahren wurden. Solche Aufschlüsse enthalten dann neben Natriumhypophosphit, Calciumhypophosphit und Calciumphosphit stets auch sämtliche Verunreinigungen aus dem Phosphorschlamm. Diese liegen jedoch nach erfolgtem alkalischem Aufschluss nicht unverändert, sondern wohl in hohem Maße aktiviert vor. So lässt sich vielleicht erklären, dass nach dem Filtrieren der mit Na 2 HPO 3 haltiger Mutterlauge verrührten „Kalkansätze“ erstaunlich reine Hypophosphitlösungen anfallen. Über die eigentliche Regenerationsreaktion (s. o.) hinaus sind wohl noch weitere Reinigungseffekte von Bedeutung, die mit der Adsorptivkraft der durch den alkalischen Aufschluss aktivierten Feststoffverunreinigungen zusammenhängen dürften. <?page no="161"?> 153 Selbstverständlich lässt sich in an sich bekannter Weise durch Umkristallisieren des Natriumhypophosphits ein weiterer Qualitätssprung erzielen, nicht nur die Restgehalte an P(III) und Ca**, sondern auch einige der störenden Spurenverunreinigungen betreffend. Unsere Qualität „Natriumhypophosphit spezial“ erreichte die folgenden Kennziffern: Phosphit P(III): 0,2 %; Ca: 0,01 %; Fe: 0,0005 %; As, Pb, Zn, Cu, Mo, Cd, Hg: jeweils 0,0001 %. Noch besser ist die Qualität „Natriumhypophosphit reinst”: Phosphit P(III): 0,1 %; Ca: 0,01 %; Chlorid: 0,02 %; Sulfat: 0,02 %; Fe: 0.0005 %; As, Zn, Cu, Mo, Cd, Hg: jeweils 0,0001 %. Der Einsatz reinen Natriumhypophosphits erfolgt, wie erwähnt, überwiegend im Prozess der chemischen („stromlosen“) Vernicklung. Bei der üblichen galvanischen Vernicklung wird mit Anode und Kathode in einem Vernicklungbad gearbeitet. Das metallische Werkstück ist kathodisch geschaltet. An seiner Oberfläche werden die Nickelionen Ni ++ zu metallischem Nickel Ni reduziert. Für diese Art der Vernicklung sind kompliziert geformte Werkstücke, die z. B. Nuten, Spitzen, scharfe Kanten, Löcher oder Riffelstrukturen aufweisen, nicht geeignet. Grund dafür ist die an verschiedenen Stellen der Oberfläche sehr unterschiedliche Stromdichte. Erhabene Partien werden wegen der dort hohen Stromdichte („Spitzeneffekt“) besonders dick, gefräste oder gebohrte Partien wegen der dort zu geringen Stromdichte nur dünn oder fast gar nicht vernickelt. Gewünscht wird jedoch eine durchweg gleichmäßig starke Nickelschicht mit einer Oberflächengenauigkeit von ± 2 %. Dieses entscheidende Qualitätsmerkmal lässt sich nur mithilfe der reduktiv-chemischen („fremdstromlosen“) Vernicklung realisieren. Der heute unter der Bezeichnung KaNiGen ® -Verfahren (Katalytic Nickel Generation) bekannte Prozess basiert auf der Abscheidung einer gleichmäßigen Nickelschicht auf metallischen Objekten. Nach Vorbehandlung (Entfetten, Beizen, Klarspülen) werden die metallischen Gegenstände in das Vernicklungsbad eingebracht und dort bei 90 - 95° C ohne Anlegen einer äußeren Stromquelle vernickelt. Kommerziell betriebene Anlagen arbeiten mit Kreislaufführung. Auch werden die sich allmählich mit P(III) anreichernde Vernicklungslösungen kontinuierlich regeneriert. <?page no="162"?> 154 Nach Prüfen der vielen infrage kommenden sauren Vernicklungsbäder (Oswald 1962/ 1966) benutzten wir in Piesteritz schließlich überwiegend ein einfaches Bad folgender Zusammensetzung (Schulz 1975): Standard-Vernicklungsbad (Angaben pro Liter Vernicklungslösung) 15 g Natriumhypophosphit NaH 2 PO 2 . H 2 O 25 g Nickelsulfat NiSO 4 . 7 H 2 O 15 ml Essigsäure (95%ig) 3 ml Milchsäure (ist nach unseren Erfahrungen nicht unbedingt erforderlich) 1 mg Bleinitrat Pb(NO 3 ) 2 (als Glänzzusatz). Der Ablauf der Vernicklungsreaktion wird meist vereinfacht gemäß folgender Summengleichung dargestellt (Oswald 1962/ 1966): 3 H 2 PO 2- + 3 H 2 O + Ni ++ (Katalysator) 3 H 2 PO 3- + 2 H* + 2 H 2 + Ni. Real ist der Verlauf allerdings deutlich komplizierter. Katalysatoren für die stromlose Nickelabscheidung sind die als Dehydratisierungskatalysatoren bekannten Elemente aus der 8. Gruppe des periodischen Systems: Ni, Ru, Rh, Pd, Os, Ir, Pt. Diese Elemente lassen sich also direkt stromlos vernickeln (Oswald 1962/ 1966). Nicht als Katalysatoren wirkende Metalle, die unedler als Ni sind - wie Fe, Al, Be und Ti - lassen sich ebenfalls vernickeln, da sich nach Eintauchen in das Vernicklungsbad durch Ladungsaustausch Nickelkeime auf der Oberfläche abscheiden, die nunmehr katalytisch wirken. Nicht katalytisch wirkende Metalle, die edler als Ni sind, wie Cu, Ag oder Au, lassen sich durch Berühren mit einem unedleren Metall - d. h. durch kurzzeitige Bildung einer galvanischen Zelle - aktivieren. Auch Kohlenstoff lässt sich in dieser Weise vernickeln. Stets scheiden sich dabei zunächst Nickelkeime auf der Oberfläche des zu beschichtenden Materials ab. Nicht katalytisch wirkende Metalle können außerdem in einer sehr verdünnten Palladiumchloridlösung aktiviert werden. Das funktioniert auch mit nichtmetallischen Werkstoffen, wenn sie zuvor mit einer salzsauren Zinn(II)chloridlösung sensibilisiert worden sind (Oswald 1962/ 1966). Während der Nickelabscheidung wird das Hypophosphit z.T. auch unter Bildung von phosphidischem Phosphor reduziert: H 2 PO 2- + H* + (H) (Katalysator) 2 H 2 O + P. Der Phosphor wird in Form von Nickelphosphid Ni 3 P in die Nickelschicht eingebaut. Dies führt - im Vergleich mit den galvanisch erzeugten, reinen Nickelschichten - zu ganz besonderen Eigenschaften der stromlos aufgebrachten Schichten. <?page no="163"?> 155 Der Gehalt an P in der Schicht, vorliegend als Ni 3 P, kann - je nach Badzusammensetzung bzw. Badführung - auf Werte zwischen 7 und 15 % eingestelt werden. Typisch sind Schichten mit Gehalten um 11 % P. Die besonderen Eigenschaften einer solchen Schicht wurden von Schulz (1975) zusammenfassend beschrieben: „Im Salzsprühtest erwies sich, dass Ni-P-Schichten von 25 m Schichtdicke ASTM-Bewertungsziffern von 9 bis 9+ erzielten, während galvanische Nickelschichten gleicher Stärke nur 0 bis 3,5 erreichten (ASTM- Bewertungsziffer 0: es sind mehr als 50% der Oberfläche mit Rost bedeckt; 10: keine Rostspuren). Die ausgezeichnete Korrosionsbeständigkeit stromlos abgeschiedener Nickelschichten ist einerseits auf den Gehalt von Phosphor im Nickel (vorliegend als Ni 3 P) und zum anderen auf die außerordentlich dichte Oberfläche dieser Schichten zurückzuführen. Einmal aufgetretene Rostspuren verstärken sich übrigens nicht bei weiterer Einwirkung des korrosiven Mediums. Dieser Effekt lässt sich wohl nur durch die Anwesenheit des erwähnten Ni 3 P deuten, obwohl eine absolut stichhaltige Erklärung des Phänomens noch immer fehlt. Weiterhin zeigte sich, dass durch Wärmebehandlung der Nickelschichten bei 750° C die Korrosionsfestigkeit noch weiter verbessert werden kann. Auch gegenüber Halogenen ist stromlos abgeschiedenes Nickel beständig. Aus diesem Grunde lässt es sich mit Vorteil u. a. in der Kerntechnik (zum Schutze gegen UF 6 ), in der Chlor-Alkali-Elektrolyse und bei der Herstellung und Verarbeitung von PVC einsetzen“. Bei den mechanischen Eigenschaften sticht insbesondere die Vickers- Härte von 600 bis 700 kp/ mm 2 hervor. Nach einstündiger Wärmebehandlung bei 400° C lässt sich die Vickers-Härte auf 1000 kp/ mm 2 steigern. Solche Schichten sind hart wie Glanzchrom (Schulz 1975). In Piesteritz waren wir nach Aufnahme unserer Hypophosphitproduktion gezwungen, uns intensiv mit den anwendungstechnischen Aspekten des Hypophosphits zu befassen. Der Grund ist einleuchtend. Unsere Exportkunden hatten Zweifel an der Qualität des Produktes bekommen, nachdem sie erfahren hatten, dass unsere Rohstoffbasis Phosphorschlamm (und nicht etwa reiner Phosphor) war. Was uns fachlich beinahe stolz gemacht hatte, erwies sich nun als direkt verkaufsschädigend. Um die uneingeschränkte Einsetzbarkeit unsers Hypophosphits zu belegen, arbeiteten wir zunächst mit stählernen Prüfstreifen, die wir in entsprechenden Test-Vernicklungsbädern beschichteten. <?page no="164"?> 156 Später gingen wir zur Beschichtung diverser Gegenstände des täglichen Gebrauchs über, um die anwendungstechnisch vorteilhaften Eigenschaften unseres Hypophosphits eindrucksvoll demonstrieren zu können. Beispiele dafür zeigt Abb. 28. Abgebildet sind - z. T. recht alte - stählerne Schlüssel sowie ein stählerner Korkenzieher. Der zweite Schlüssel (v. l.) war stark verrostet. Nach Beizen mit 25%iger Schwefelsäure und Klarspülen blieben die Rostnarben erhalten. Sie fanden sich auch nach erfolgter Vernicklung im Profil getreulich wieder. Erwartungsgemäß blieben die anderen (zuvor bereits hochglänzenden) Schlüssel auch nach dem Vernickeln hochglänzend. Die Oberfläche des Korkenziehers war vor dem Beschichten mattglänzend; auch sie behielt ihre Oberflächenstruktur nach erfolgter Vernicklung exakt bei. Abb. 28 Stählerne Schlüssel sowie Korkenzieher, stromlos vernickelt. Die chemische („stromlose“) Vernicklung ist im Gegensatz zur galvanischen Vernicklung geeignet, auch auf unregelmäßig strukturierten Objekten Schichten gleichmäßiger Stärke zu erzeugen (Schichtdickengenauigkeit ± 2 %). So bleibt die Oberflächenstruktur unverfälscht erhalten. Glänzende Oberflächen bleiben glänzend, matte bleiben matt, Rostnarben werden profilgetreu wiedergegeben. <?page no="165"?> 157 Weitere Anwendungsfälle ergaben sich zwanglos aus den Anforderungen des täglichen Lebens. Mein damaliger Mitarbeiter Oppermann war begeisterter Motorbootfahrer. Eines Tages erschien er mit der nicht mehr maßhaltigen Schraubenwelle seines Bootes und erprobte das von Oswald (1962/ 1966) beschriebene Aufmaßen mittels einer stromlos aufgebrachten Nickelschicht. Die Sache wurde ein voller Erfolg. Die nunmehr wieder maßhaltige Welle kam jahrelang zum Einsatz. Auch die Scherfestigkeit des Überzuges entsprach den Erwartungen. Wir haben dann u.a. auch ein stählernes 1 m 3 -Rührgefäß für Demonstrationszwecke innen vernickelt. Die Innenvernicklung von Kesselwagen zu Beginn der fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts war ein wesentliches Anwendungsgebiet des damals entwickelten KaNiGen ® -Verfahrens. Die American Transportation Corp. hatte das Verfahren eingeführt, um den Transport hochreiner heißer Alkalien ohne Verunreinigung des Transportgutes zu ermöglichen (Oswald 1962/ 1966). Um Vernicklungslösung zu sparen, kippten wir unseren Demonstrationsbehälter an und lagerten ihn derart auf entsprechend eingestellte Rollen, dass die zylindrische Außenfläche bzw. die Symmetrieachse um 15° gegen die Horizontale geneigt war. Wir füllten nun nach erfolgter Vorbehandlung den Behälter zu 50% seines Volumens mit unserer Standardvernicklungslösung. Anstelle des Original-Deckels hatten wir, um den Vorgang beobachten zu können, eine analog zum Originaldeckel gebohrte Plexiglasscheibe mit schmaler Dichtung aufgeschraubt, so dass der Deckelflansch, von innen gesehen, zur Hälfte seiner Breite mit der Vernicklungslösung in Kontakt kommen konnte. Eine der Rollen wurde motorisch angetrieben. Der nunmehr langsam rotierende Behälter wurde von außen direkt mit einer Gasflamme beheizt. Die Temperatur der Vernicklungslösung wurde bei 92° C annähernd konstant gehalten. Man rechnet nach einstündiger Vernicklung mit einer erzielbaren Schichtdicke von etwa 13 m. Da ab 50 m Schichtdicke davon ausgegangen werden kann, dass der Überzug korrosionsfest ist, betrieben wir die beschriebene Versuchsanordnung während 4 h ununterbrochen. In unserer Patentschrift liest sich die Vorgehensweise - bewusst allgemeiner dargestellt - wie folgt: „Der Erfindung liegt die Aufgabe zugrunde, die prinzipiell an sich bekannte Verfahrensweise bei der stromlosen Innenvernicklung von Behältern derart zu vereinfachen, dass Behälter beliebiger Abmessungen an jedem beliebigen Ort unter Verzicht auf eine komplette Vernicklungsanlage ohne Schwierigkeiten beschichtet werden können. <?page no="166"?> 158 Erfindungsgemäß wird diese Aufgabe dadurch gelöst, dass der insbesondere liegend angeordnete Behälter in eine gleichmäßige drehende Bewegung versetzt wird, wobei der Behälter zweckmäßigerweise derart angeordnet ist, dass seine Symmetrieachse geneigt ist, und dass der Behälter bis zur Hälfte mit einer der bekannten Vernicklungslösungen gefüllt ist. Damit während des Drehvorganges die intermittierend jeweils nicht von der Vernicklungslösung bedeckten Teile der Innenfläche geschützt bleiben, und damit ferner die Bildung explosiver Wasserstoff-Luft- Gemische vermieden wird, wird Stickstoff im schwachen Strom durch eine Öffnung geleitet“ (Zobel u. Oppermann 1970). Beim Betrieb unserer Versuchsanordnung hielten wir das Arbeiten in einem sehr gut belüfteten Raum für ausreichend sicher. Für das Vernickeln größerer Behälter in geschlossenen Räumen wäre es hingegen angezeigt, die Wasserstoffentwicklung gemäß 3 H 2 PO 2- + 3 H 2 O + Ni ++ (Katalysator) 3 H 2 PO 3- + 2 H* + 2 H 2 + Ni zu berücksichtigen, indem mit einer Über-Dach-Leitung gearbeitet wird. Die geschilderte Verdünnung des Wasserstoffs mit Stickstoff rechtfertigt nach meiner Auffassung den Verzicht auf weitergehende Maßnahmen. Beim Arbeiten im Freien - wie es bei sehr großen Behältern sicherlich praktiziert würde - könnte wohl, falls die kontinuierliche Spülung mit Stickstoff (und damit ein leichter Überdruck im System) gewährleistet ist, analog verfahren oder auf besondere Maßnahmen ganz verzichtet werden. Dies gilt speziell dann, wenn nicht mit offener Flamme zum Beheizen des rotierenden Behälters gearbeitet wird. Nicht ganz so glatt wie die Innenvernicklung unseres Demonstrationsmodells verlief die Patentierung des Verfahrens. Eines Tages wurden die hoffnungsvollen Erfinder (Zobel und Oppermann 1970) unerwartet zum Generaldirektor zitiert. Er teilte uns mit, dass diese Anmeldung in die Kategorie der Geheimpatente falle, und deshalb - insbesondere, weil sich die Nationale Volksarmee dafür interessiere - ganz spezielle Regeln zu befolgen seien. Welche das waren, weiß ich nicht mehr. Wir Erfinder reagierten erst einmal entspannt, zumal der Leiter unserer Patentabteilung offensichtlich ebenfalls keine Ahnung hatte, in welch heißes Fettnäpfchen er uns da gerade hatte treten lassen. Unser damaliger Generaldirektor war ein souveräner Pragmatiker; er erhob im Gespräch mit uns nicht den geringsten Vorwurf. Genau kann ich nicht mehr sagen, wie die Sache weiter ging. Ich erinnere mich aber, dass ich damals, auf meinen Vorschlag und mit Zustimmung des Generaldirektors, ein ziemlich umfangreiches Papier verfasst habe. <?page no="167"?> 159 In diesem wurde wortreich begründet, warum die Anmeldung eben doch nicht in die Kategorie der Geheimpatente gehöre. Jedenfalls liegt in meiner Patentschriftensammlung nur eine gewöhnliche gedruckte Patentschrift als „§ 5 - Erteilung“ vor („Erteilt gemäß § 5 Absatz 1 des Änderungsgesetzes zum Patentgesetz“). Diese Art der Erteilung war gemäß DDR-Patentgesetz nur vorläufiger Art. Der Text wurde in der vom Anmelder eingereichten Fassung veröffentlicht, ehe das Patentamt die Neuheit geprüft hatte. Nach erfolgter Prüfung und Bestätigung des Vorliegens aller Schutzvoraussetzungen erfolgte dann die endgültige, die so genannte „§ 6-Erteilung“. Diese liegt im hier besprochen Falle nicht vor. Ich kann mich nicht erinnern, ob wir die Prüfung gemäß § 6 nicht beantragt hatten, um weiteren Ärger zu vermeiden, oder ob die Erteilung nach § 6 (z. B. wegen mangelnder Erfindungshöhe) nicht erfolgte. Man kann heute nur spekulieren, warum eine derart harmlose Technologie damals ausgerechnet in die Kategorie der Geheimverfahren eingeordnet werden sollte. Die Beständigkeit stromlos aufgebrachter Nickelschichten gegen Uranhexafluorid kann es wohl kaum gewesen sein, denn mit der Uran-Isotopenanreicherung durch Stufendiffusion (wie z. B. in Oak Ridge/ Tennessee betrieben) hatte die DDR nun wahrlich nichts zu tun. Auch zum angeblichen Interesse der Nationalen Volksarmee war, kaum verwunderlich, nichts zu erfahren. Zu vermuten ist, dass wir selbst ungewollt zu dieser Einordnung des Verfahrens beigetragen hatten. In der Phase der Vorbereitung auf unsere großtechnische Hypophosphitanlage gewann ein von mir zwecks Beschaffung der Investmittel vorgebrachtes Argument vielleicht entscheidende Bedeutung. Ich hatte geschrieben, dass der Chemieanlagenbau der DDR viel zu sehr auf teure Edelstahl-Aggregate, hingegen gar nicht auf die weit kostengünstigeren innenvernickelten stählernen Apparate setzte. Das Verfahren der stromlosen Vernicklung war hierzulande in der Branche anscheinend unbekannt, und so gab es in der DDR nur einen geringen Bedarf an Hypophosphit. Da aber Investvorhaben dieser Größenordnung nicht im Werk, sondern zentral genehmigt wurden, ist unsere ausführliche schriftliche Begründung zur Notwendigkeit der Hypophosphitproduktion vermutlich ziemlich weit oben gelandet. Weil nun der Chemieanlagenbau der DDR ein bedeutender und zudem exportintensiver Industriezweig war, hat vielleicht irgendein Entscheider den Kosten sparenden Zusammenhang für strategisch wichtig gehalten. Dann war es nicht mehr weit bis zur Einstufung als Geheimverfahren. Auch die Beschichtung von Legierungen funktionierte tadellos. So gelang die Vernicklung einer alten Briefwaage, deren Funktionsteile aus Messing, und deren Fuß aus Rotguss gefertigt waren. <?page no="168"?> 160 Weitere Muster, die wir für Demonstrationszwecke vernickelten, sind auf Abb. 29 zu sehen. Stahlguss wird bekanntlich für die Herstellung diverser Maschinenteile, aber auch für Muffen und Fittings aller Art eingesetzt. Die drei Muster links im Bild zeigen wiederum, dass die originale Struktur der Oberfläche nach erfolgter Vernicklung jeweils exakt wiedergegeben bzw. profilgenau beibehalten wird. Das Muster rechts oben im Bild stellt ein Beispiel für die Beschichtung von Plastkörpern dar. Gewöhnlich wird deren allzu glatte Oberfläche zunächst mit Chromschwefelsäure angebeizt. Dann erfolgt - nach dem Zwischenspülen - die Aktivierung mit Zinn(II)chloridlösung und/ oder mit Palladium(II)chloridlösung. So wird die Oberfläche leitfähig gemacht. Nach eventuellem Zwischenverkupfern wird schließlich die stromlose Vernicklung durchgeführt. Im Falle des abgebildeten Plastkörpers wurde zudem noch Glanzchrom als Deckschicht aufgebracht. Abb. 29 Stromlos vernickelte Kleinteile aus Gussstahl (links; Mitte oben, unten) sowie aus Plast (rechts oben). Im Falle der Stahlvernickelung ist die Nickelschicht die Deckschicht, im Falle der Plastvernicklung nur eine Zwischenschicht. Die Deckschicht besteht in diesem Spezialfall aus Glanzchrom. <?page no="169"?> 161 Die für uns neuen Produkte Unterphosphorige Säure H 3 PO 2 und Natriumhypophosphit NaH 2 PO 2 · H 2 O erforderten genaue Stoffkenntnisse. Es zeigte sich sehr bald, dass weder die verfügbaren Literaturangaben noch die Spezifikationen der Konkurrenzprodukte unseren Ansprüchen genügen konnten. Wichtige Stoffeigenschaften werden oft nur allgemein beschrieben. Quantitative Angaben sind unvollständig oder fehlen. H 3 PO 2 wird im Hypophosphit-Produktionsprozess zum Neutralisieren der leicht alkalischen Aufschlussfiltrate benötigt (Abb. 23), ist aber, nach separatem Aufkonzentrieren, auch ein Verkaufsprodukt, eingesetzt z. B. in der Lackindustrie. Wichtig erschienen deshalb Kenntnisse zum Oxidationsverhalten an der Luft gemäß P(I) P(III) beim Eindampfen der verdünnten Säure in Abhängigkeit von der Konzentration, und schließlich Daten zur Hygroskopizität konzentrierterer Säure. Rammelsberg (1868) merkt an, dass nach längerem Stehen an der Luft Oxidation zur Phosphorigen Säure eintrete. Roscoe und Schorlemmer (1885) liefern ebenfalls keine quantitativen Angaben. Auch sie erwähnen, dass Unterphosphorige Säure an der Luft zu Phosphoriger Säure oxidiert wird. Wir vesuchten auf möglicht einfache Weise detailliertere Stoffkenntnisse zu gewinnen. Zunächst wurde eine Probe der in einem Nebenstrang des Verfahrens (Abb. 23) hergestellten - dort verdünnt anfallenden - Unterphosphorigen Säure an der Luft im Langzeitversuch bei Zimmertemperatur aufkonzentriert. Die Oxidation gemäß P(I) P(III) wurde parallel dazu verfolgt. Die Ergebnisse sind nachstehend zusammengefasst. Details liefert meine Publikation zum Thema (Zobel 1982 a). Die „Startsäure“ hatte eine Dichte von 1,035 g/ cm 3 bei einem P(I)-Gehalt von 4,61 % und einem P(III)-Gehalt von 0,06 %. Eine Probe wurde in eine Petrischale gefüllt, diese mit Filterpapier abgedeckt. Die Schale wurde nun in einen kontinuierlich betriebenen Abzug gestellt, und dort für 161 d belassen. In Abständen von 7 d wurden Proben entnommen und analysiert. Am Versuchsende betrug die Dichte 1,380 g/ cm 3 bei einem P(I)-Gehalt von 36,10 % und einem P(III)-Gehalt von 2,83 % (Gehalt der wasserfreien Säure H 3 PO 2 : theoretisch 46,93 % P(I)). Weder das Aufkonzentrieren, noch die partielle Oxidation zum P(III) verlaufen linear. Nach 35 d beträgt der P(I)-Gehalt 11,0 %, nach 84 d ist ein Endgehalt von 36,1% erreicht. Eine weitere Aufkonzentration findet während der restlichen 77 Versuchstage nicht statt. Jedoch schwanken die in diesem Zeitraum auch weiterhin ermittelten P(I)-Werte erheblich um den Endwert, was auf Hygroskopizität - die sich synchron zur schwankenden Luftfeuchte auswirkt - hindeutet: Steigende Luftfeuchte verdünnt die Säure, bei fallender konzentriert sie sich auf. <?page no="170"?> 162 Ähnlich nicht-linear verläuft die partielle Oxidation des P(I) zum P(III). Innerhalb der ersten 28 d steigt der Gehalt an P(III) von 1,3 Mol-% auf immerhin 4,4 Mol-%. Im restlichen Versuchszeitraum von 133 d steigt der P(III)-Gehalt nur noch deutlich langsamer an und erreicht schließlich, am 161. Tag, den Wert von 7,3 Mol-%. (Die Berechnung erfolgt jeweils nach: P(III) · 100 : ((P(I) + P(III)) = Mol-%). Der Langzeitversuch wurde bewusst unter extremen Bedingungen, wie sie in der Produktionspraxis nicht vorkommen, durchgeführt. Die gesuchten Effekte sind unter diesen Bedingungen deutlicher zu quantifizieren als im „normalen“ Regime. So konnten wir belastbare Daten für die wichtigsten Eigenschaften unserer Säure gewinnen. Die Ergebnisse zeigen, dass das Aufkonzentrieren an der Luft durch einfaches „Eindunsten“ bei Zimmertemperatur zu einer mäßig konzentrierten Säure führt, die sich schließlich im Gleichgewicht mit ihrer Umgebung befindet. Entsprechend schwankt dann auch, hygroskopizitätsbedingt, die Konzentration der offen aufbewahrten Säure. Die Daten zur Oxidation des P(I) zum P(III) lassen erkennen, dass dieser Prozess bei sehr verdünnter Säure vergleichsweise schnell, bei konzentrierterer Säure hingegen recht langsam verläuft. In unserem Hypophosphit-Produktionsprozess hat die partielle Oxidation kaum Auswirkungen. Zwar wird mit sehr verdünnter Säure operiert, aber diese wird meist schnell verarbeitet. Hinzu kommt, dass ein etwas höherer P(III)-Wert hier kaum nachteilig ist, zumal im Aufschlussfiltrat stets weit höhere P(III)-Konzentrationen vorliegen. Das in die Kristallisationsstufe gelangende P(III) wird - unabhängig von seiner Provenienz - ohnehin weitgehend mit der Mutterlauge ausgeschleust. Die für Verkaufszwecke vorgesehene Säure haben wir stets im Vakuum aufkonzentriert. Sie gelangt dabei schnell in denjenigen Konzentrationsbereich, in dem der Oxidationsvorgang nur noch extrem langsam verläuft. Praktisch spielt er schließlich gar keine Rolle mehr, da die Säure in verschlossenen Polyethylenkanistern versandt wird. Unsere Vermutung, dass die in oben geschilderter Weise an der Luft aufkonzentrierte Säure hygroskopisch sei, wurde durch einen Kontrollversuch „von der anderen Seite“ her bestätigt. Eine Probe der wie oben beschrieben hergestellten Säure (D = 1,397 g/ cm 3 ; P(I) = 37,4 %; P(III) = 2,31 % = 5,9 Mol-%) wurde in ein offenes Wägegläschen eingebracht. Das Wägegläschen wurde in einen Exsiccator gestellt, der zuvor anstelle des Trockenmittels mit 150 ml Wasser beschickt worden war. Der Vakuumhahn des Exsiccators wurde geöffnet, der Stutzen mit einem lose ein <?page no="171"?> 163 gelegten Wattebausch versehen. Diese höchst einfache Anordnung, im Kap. 2.1 bei den Versuchen zur Ermittlung der Eigenschaften des Roten Phosphors bereits beschrieben, ist zum „Anwässern“ von Substanzen offensichtlich geeignet, da eine konstante Luftfeuchte von ziemlich genau 100 % garantiert werden kann. Werden krasse Temperatursprünge vermieden, so treten keine störenden Kondensationserscheinungen auf. Der Exsiccator wurde während des gesamten Versuches bei Temperaturen von 19 bis 23° C im Laboratorium belassen. Erwartungsgemäß verlief die Anwässerung kontinuierlich unter entsprechender Massezunahme. Der Prozess wurde täglich bzw. in Abständen von wenigen Tagen gravimetrisch verfolgt. Zumal der Exsiccator zum Zwecke der Wägung geöffnet werden musste, kann durchgängig mit der Sauerstoffkonzentration der atmosphärischen Luft gerechnet werden. Nach 20 d betrug die Massezunahme 30 %, nach 40 d 50 %, nach 70 d 70 %, und nach 100 d 89 %. Der Versuch wurde nach 103 d beendet. Die Massezunahme betrug 90 %; der P(I)-Gehalt war, der Wasseraufnahme entsprechend, von ursprünglich 37,4 % auf 17,2 % gefallen. Die Dichte wurde zu 1,163 g/ cm 3 ermittelt. Besonders interessant ist, dass der P(III)- Gehalt in diesen 103 d nur von 5,9 Mol-% auf 6,5 Mol-% angestiegen war. Damit konnte abermals bestätigt werden, dass nicht allzu verdünnte Unterphosphorige Säure sehr langsam oxidiert. Noch wichtiger war für uns, der Bedeutung des Produktes entsprechend, die Ermittlung von quantitativen Daten zu praxisrelevanten Eigenschaften des Natriumhypophosphits NaH 2 PO 2 · H 2 O (Zobel 1982 b). Die Literaturangaben zum Verhalten kristallinen Natriumhypophosphits bzw. wässriger Hypophosphitlösungen an der Luft sind recht uneinheitlich. Über die - entgegen manchen Literaturangaben - erstaunlich hohe Stabilität neutraler Hypophosphitlösungen beim Kochen an der Luft wurde in diesem Kapitel weiter oben bereits kurz, ausführlich in meiner Arbeit zu den Literaturirrtümern (Zobel 1978 a) berichtet. Deshalb seien hier nur die wichtigsten Literaturangaben zum Verhalten des Salzes sowie kalter Natriumhypophosphitlösungen aufgeführt. Bereits Dulong (nach Gmelin 1852) wusste, dass sich die „trockenen unterphosphorigsauren Salze an der Luft halten“. Daran wurde, zumindest für trockene Luft, nie mehr gezweifelt. Auch unsere Erfahrungen decken sich mit dieser Angabe. Nicht ganz so eindeutig sieht das für wässrige Hypophosphitlösungen aus. So schreibt v. Richter (1895): „Ihre Salze (die des H 3 PO 2 , D. Z.) sind in Wasser leicht löslich und absorbieren Sauerstoff aus der Luft, indem sie in phosphorsaure Salze übergehen“. <?page no="172"?> 164 Bei Erdmann findet sich dann die Formulierung: „Ihre Salze verwandeln sich bei Zutritt der Luft allmählich in orthophosphorsaure Salze“ (Erdmann 1910). Eine recht ähnliche Textpassage „Die Hypophosphite nehmen in wässrigen Lösungen leicht Sauerstoff auf und verwandeln sich in orthophosphorsaure Salze“ (Moeller u. Thoms 1904) liest sich ebenfalls kaum ermutigend. Überdies lässt sie für den Sachkundigen nur den Schluss zu, dass Irrtümer mit schöner Regelmäßigkeit kritiklos abgeschrieben werden. Die - schlicht falsche - Angabe, dass bei der beschriebenen Oxidation des P(I) nicht etwa Phosphit, sondern Phosphat entstehe, geht wohl auf einen Irrtum in den alten Auflagen des „Gmelin“ zurück. Wir lesen dort: „..die in Wasser gelösten (unterphosphorigsauren Salze, D. Z.) oxydieren sich beim Kochen an der Luft und verwandeln sich in einfach phosphorsaure Salze“ (Gmelin 1852). Aber nicht alle Autoren haben abgeschrieben. So lassen Roscoe und Schorlemmer (1885) bei diesem Vorgang zutreffendermaßen Phosphit P(III) entstehen. Die Quelle liest sich, als verlaufe die Oxidation schnell. Quantitative Angaben fehlen, wie bei den anderen Autoren. Kristallines Hypophosphit bleibt an trockener Luft unverändert. Von besonderer Bedeutung ist aber, was an feuchter Luft passiert: „Die wichtigste aus dem Herstellungsprozess stammende Verunreinigung des technischen Natriumhypophosphits ist P(III), je nach pH des Salzes wohl vorliegend als Na 2 HPO 3 5 H 2 O und/ oder NaH 2 PO 3 ·2,5 H 2 O. Wir gingen deshalb davon aus, dass vergleichende Hygroskopizitätsuntersuchungen an Proben unterschiedlichen P(III)-Gehaltes Aufschluss über die Rolle des Phosphitgehaltes für die Lagerstabilität des Produktes geben müssten. Da Vorversuche zeigten, dass NaH 2 PO 3 · 2,5 H 2 O und Na 2 HPO 3 · 5 H 2 O in unterschiedlichem Maße hygroskopisch sind, ist abzusehen, dass auch der pH der Proben (jeweils gemessen in 5%iger wässriger Lösung) beachtet werden muss“ (Zobel 1982 b). Zur Beurteilung der Hygroskopizität wurden die kritische relative Feuchte („CRH“) sowie die Wasserdampfaufnahmegeschwindigkeit ermittelt. Zunächst wurde die Dampfdruckkurve mit Wasser aufgeschlämmter Proben bis zur Trockne aufgenommen. Die CRH 20°C errechnet sich aus dem Sättigungsdampfdruck. Untersucht wurden die folgenden Proben: Probe 1 mit 0,08 % P(III), pH 6,7 ; Probe 2 mit 0,15 % P(III), pH 6,2 ; Probe 3 mit 0,31 % P(III), pH 5,8 ; Probe 4 mit 0,65 % P(III), pH 6,2 ; Probe 0 mit 1,16 % P(III), pH 7,5. Die marginalen Differenzen zwischen den für die CRH 20°C ermittelten Werten (min. 41,5, max. 43,3) legen den Schluss nahe, dass Störeinflüsse überwiegen. <?page no="173"?> 165 Die ölige Konsistenz der Lösung verzögert die Einstellung der Endwerte stark . Dies wirkt sich in einer nur recht schwach ausgeprägten Dampfdruckkurve aus. Aussagekräftig sind hingegen die Werte für die Wasseraufnahmegeschwindigkeit. Die Wasseraufnahme der gleichen Proben (s. o.) innerhalb 60 d, bestimmt nach der statischen Methode - die Gewichtszunahme ist prozentual angegeben - verläuft wie folgt: Probe 1: nach 30 d 0,6 %, nach 60 d 0,7 % Probe 2: nach 30 d 1,3 %, nach 60 d 1,5 % Probe 3: nach 30 d 1,3 %, nach 60 d 1,6 % Probe 4: nach 30 d 2,0 %, nach 60 d 3,0 % Probe 0: nach 30 d 3,9 %, nach 60 d 6,5 %. Es ist zu erkennen, dass bei hohen P(III)-Gehalten die Wasseraufnahme schneller als bei geringeren P(III)-Konzentrationen verläuft. Wir versuchten nun dieses nicht unerwartete Ergebnis durch die nachfolgend beschriebenen Langzeitexperimente zu bestätigen. Wie schon im oben geschilderten Versuch kamen dabei absichtlich Proben mit ungewöhnlich hohen P(III)-Gehalten zum Einsatz, die aus dem unmittelbaren Anfahrbetrieb stammten und als Fehlchargen anzusehen sind. Diese Proben wurden ausgewählt, um den zunächst nur vermuteten Effekt des P(III) besonders deutlich machen zu können. Die in dem über einen Zeitraum von drei Jahren laufenden Langzeitversuch eingesetzten Proben hatten folgende Zusammensetzung: Probe I: P(I) 27,87 %; P(III) 1,26 % = 4,32 Mol-% Probe II: P(I) 28,08 %; P(III) 0,83 % = 2,87 Mol-% Probe III: P(I) 29,78 %; P(III) 0,13 % = 0,44 Mol-%. Die Proben wurden auf Uhrgläsern ausgebreitet und in meinem Hauskeller bei Werten der relativen Feuchte um 90 % an der Luft belassen. Alle Proben begannen nach wenigen Tagen feucht zu werden. Probe I war nach 20 d, Probe II nach 40 d völlig zerflossen. Probe III enthielt auch nach 100 d noch einzelne Kriställchen. 40 d nach Versuchsbeginn wurden je 15 ml der beim Zerfließen der Kristalle entstandenen konzentrierten Lösungen in 25 ml-Messzylinder überführt. Der Versuch wurde nun unter den oben geschilderten äußeren Bedingungen - 85 bis 95 % rel. Feuchte, wie in fast jedem Hauskeller mehr oder minder stark gedämpfte jahreszeitliche Schwankungen der Temperatur und der Luftfeuchte - kontinuierlich fortgesetzt. Es zeigte sich, dass alle Lösungen während des Langzeitversuchs noch erhebliche Mengen Wassers aus der Luft aufnehmen. Monatlich wurden die entsprechenden Volumenzunahmen abgelesen. <?page no="174"?> 166 Nach 200 d wurde bei allen Proben eine Volumenzunahme um je 10 % beobachtet. Nach 600 d wurden für Probe I 22 %, für Probe II 25,5 %, und für Probe III 28 % Volumenzunahme abgelesen. Nach 930 d war der absolute wie der relative Abstand der ermittelten Werte zueinander noch größer geworden. Die Volumenzunahme der Probe I betrug 32 %, der Probe II 37,5 %, und die der Probe III 40,5 %. „Dieses Ergebnis widerspricht, so darf zunächst angenommen werden, völlig den oben erläuterten Ergebnissen (phosphitreichere Proben nehmen in der Klimakammer schneller Wasser auf als phophitärmere; phosphitreichere Proben zerfließen auf dem Uhrglas schneller als phosphitärmere). Bei näherer Untersuchung zeigt sich jedoch, dass außer dem Startphosphitgehalt noch zwei weitere wichtige Einflussgrößen berücksichtigt werden müssen. Es sind dies offensichtlich die Dichten der Lösungen sowie ihr pH. Da sich noch nach drei Jahren die Dichten deutlich unterscheiden (I < II < III), darf als sicher angenommen werden, dass die Triebkraft des durch Wasserentzug aus der Umgebungsluft ablaufenden Verdünnungsprozesses die Ursache für das beobachtete Verhalten der Lösungen ist. Diese Triebkraft nimmt, wie anhand der Dichten eindeutig zu erkennen, in der Reihenfolge III, II, I ab. Demgemäß ist die Tendenz zur Wasseraufnahme bei der Probe III in Übereinstimmung mit dem Experiment am stärksten ausgeprägt. Bereits während des Zerfließens der Salzproben auf dem Uhrglas werden erhebliche Wassermengen aufgenommen, wobei die graduelle Abstufung I > II > III entspricht. ….Somit sind die Proben unterschiedlich weit vom Gleichgewichtszustand entfernt, was die abnehmende Triebkraft des Prozesses während des Messzylinderversuchs erklärt“ (Zobel 1982 b). Es wurde noch ein weiterer Langzeitversuch durchgeführt, bei dem drei trockene Salzproben unterschiedlichen P(III)-Gehaltes sowie mit differierendem pH direkt in die Messzylinder gefüllt wurden. Das allmähliche Zerfließen erfolgte nun im Messzylinder. Nach einem Jahr wurde jeweils erstmalig die Höhe der noch verbliebenen Kristallschicht sowie die Höhe der überstehenden konzentrierten Lösung abgelesen. Der Versuch wurde über 750 d fortgesetzt. Er bestätigte die Ergebnisse des ersten Langzeitversuchs, ergänzt um die nunmehr berücksichtigte Rolle des pH. Besonders phosphitarmes Hypophosphit ((0,07 % P(III)) ist, sofern sein pH niedrig liegt (5,0), sehr hygroskopisch. Bei höheren P(III)-Gehalten (0,52 bzw. 0,86 %) ist Hypophosphit sogar weniger hygroskopisch, wenn sein pH vergleichsweise hoch (6,9 bzw. 7,5) liegt. Für die Praxis noch wichtiger sind jedoch die Ergebnisse bezüglich der partiellen Oxidation des P(I) zum P(III). <?page no="175"?> 167 Die beim zuerst geschilderten 3 a - Langzeitversuch eingesetzten Proben I, II und III (s. o.) wurden nach Abschluss des Versuches analysiert. Bei Probe I (Startgehalt 1,26 % P(III), pH 7,0) war der Phosphitgehalt nur um 13 % rel. gestiegen, bei Probe II (mit einem Startgehalt von 0,83 % P(III), pH 7,0) um 23 %, ebenfalls relativ gerechnet. Im Falle der Probe III (Startgehalt 0,44 % P(III), pH 5,5) war der Phosphit-Endgehalt jedoch auf immerhin das Dreifache angestiegen. Somit spielt der pH des Hypophosphits, der meist - aber nicht von allen Herstellern - in einer fünfprozentigen Lösung gemessen wird, nicht nur für die Hygroskopizität, sondern auch für das Oxidationsverhalten eine wichtige Rolle. Es ist also keineswegs gleichgültig, welche Ware man einsetzt. Gewöhnlich achtet der Anwender nur darauf, dass er eine hoch oder gar höchst reine Ware erhält. Jedoch kommt es, wie oben dargelegt, auch bei einer (bezüglich der Spurenverunreinigungen) hervorragenden Qualität sehr auf den pH an. Nun fällt aber bei den meisten Spezifikationen auf, dass gerade beim pH recht weite Spannen angegeben werden. Vier Beispiele seien genannt: MERCK Sicherheitsdatenblatt gemäß EG-Richtlinie 91 / 155 / EWG EG-Nr 231-669-69 (Stand vom 22. 11. 2000) pH in einer Lösung von 100 g / l bei 20° C: 5,5 - 7,0 SIGMA-ALDRICH Sodium hypophosphite monohydrate puriss. p. a. pH 6 - 8 (20° C, 5%ige wässrige Lösung) OxyChem (Occidental Chemical Corp., Spec. Business Group) pH 6 - 8 (50% soln.) Jiujiang Tontioa Chemical Co., Ltd. (Province Hubei) pH 5,5 - 8,5. So wäre dem anspruchsvollen Kunden zu empfehlen, gezielt Ware mit vergleichsweise hohem pH zu verlangen. Wird vom Lieferer eine solch spezielle Qualität nicht garantiert, kann man selbst Abhilfe schaffen; in Anlagen zur stromlosen Vernicklung müssen manchmal größere Mengen an Hypophosphitlösung vorgehalten werden. Hypophosphit ist das Salz einer einbasigen Säure, so dass keine Puffereffekte auftreten können. Man kann sich deshalb selbst helfen, indem die Lösung mit einigen Tropfen NaOH in den praktisch oxidationsstabilen Bereich (pH 7 bis 8) gebracht wird. Etwas mehr NaOH wird benötigt, falls das Hypophosphit Phosphit enthält. Dann beginnen, je nach P(III)-Konzentration, Puffereffekte eine Rolle zu spielen. <?page no="176"?> 168 4 Bitterfelder Technologien und ihre Risiken Wie im Vorwort sowie in der Einführung erläutert, fehlen mir auf den in den Kapiteln 4.1, 4.2 und 4.3 behandelten Gebieten eigene Erfahrungen. Wenn es jedoch um Anorganische Phosphorchemie geht, wäre der Verzicht auf diese Kapitel kaum zu rechtfertigen. Ich hatte mich deshalb mit meinem hoch geschätzten Kollegen Schumann - dem Wissensträger auf diesem Gebiet - auf eine Verfahrensweise geeinigt, die dem Zweck des vorliegenden Buches dienen dürfte. Auf Basis der wichtigsten Veröffentlichungen meines Kollegen habe ich nachfolgenden Text verfasst und ihn dann auf Korrektheit prüfen lassen. Dabei wurden vom Autor der genannten Veröffentlichungen Ergänzungen aus der persönlichen Erinnerung eingebracht. Der Text basiert somit auch in fast allen Teilen, die nicht als wörtliche Zitate ausgewiesen sind, auf dem Fachwissen meines inzwischen leider verstorbenen Kollegen Schumann. Auf ein separates Kapitel zur Herstellung roten Phosphors habe ich verzichtet. Zwar wurde eine entsprechende Produktionsanlage in Bitterfeld bis 1975 betrieben, jedoch gelang es mir nicht, einen Wissensträger zum Thema aus dieser Zeit ausfindig zu machen. Meine eigenen Kenntnisse zum roten Phosphor betreffen nicht die Produktion, wohl aber die Eigenschaften der roten Phosphormodifikation. Dazu geistern falsche, zumindest aber stark irritierende Angaben durch die Fachliteratur. So ist es beispielsweise ein Gerücht, roter Phosphor sei luftstabil und reagiere nicht mit NaOH. Interessenten verweise ich auf Kapitel 2.1 (S. 18 ff.) sowie meine ausführliche Arbeit zu den Literaturirrtümern in der Anorganischen Phosphorchemie (Zobel 1978 a). 4.1 Die Raffination gelben Phosphors Das Haupteinsatzgebiet für gelben Phosphor ist bzw. war die Herstellung thermischer Phosphorsäure. Dabei wird der Phosphor zu P 4 O 10 verbrannt, welches dann in umlaufender verdünnter Phosphorsäure absorbiert, dabei hydratisiert und schließlich als Phosphorsäure gewonnen wird. Wir werden den Prozess im Kapitel 5.1 kennen lernen. Für die Herstellung thermischer Phosphorsäure ist kein besonders reiner Phosphor erforderlich. Je nach den im Phosphorofen eingesetzten Rohstoffen enthält der Phosphor stets gelöste ölige Bestandteile im Konzentrationsbereich von 0,15 bis 0,35 % (Gisbier, Zobel und Pietzner 1978). Hinzu kommen geringe Mengen an in Benzol unlöslichen Bestandteilen. Diese Phosphorqualität ist für den genannten Zweck ausreichend. <?page no="177"?> 169 Selbst ein gewisser Anteil frischen Phosphorschlammes, intensivst verrührt mit gelbem Phosphor, stört nicht unbedingt. Man wollte mit dem oben ausführlich beschriebenen Schlammproblem (Kap. 3.2) wohl auch auf diesem einfachen Wege fertig werden. Es gibt aber ein wichtiges Produkt, für dessen Herstellung sich roher Phosphor aufgrund der steigenden Qualitätsanforderungen immer weniger eignete. Die Rede ist vom Phosphorpentasulfid P 4 S 10 . Wissenschaftlich exakt ist P 4 S 10 keine definierte Verbindung, sondern eine erstarrte Lösung mehrerer Phosphorsulfide, die untereinander über Schwefelbrücken verbunden sind. P 4 S 10 wird technisch aus den Elementen hergestellt. Während hoch reiner Schwefel problemlos erhältlich ist, sollte der Phosphor vor seinem Einsatz in der P 4 S 10 - Produktion möglichst raffiniert werden. Das anderenfalls verunreinigt anfallende P 4 S 10 destillativ zu reinigen, ist wegen des hohen Energieverbrauchs und der Korrosionsprobleme fast überall aufgegeben worden. Nur noch in einigen Entwicklungsländern wird so verfahren. Diese Firmen nutzen auch die Reaktionswärme für die destillative Reinigung des P 4 S 10 oder reinigen die aus dem P 4 S 10 gewonnenen Endprodukte. Da der Einsatz raffinierten gelben Phosphors praktisch ausschließlich für die P 4 S 10 -Produktion erforderlich ist, wird der Raffinationsprozess gewöhnlich in einer der P 4 S 10 -Anlage vorgeschalteten Einheit betrieben. Die effektivste Technologie ist noch immer die Raffination mit konzentrierter Schwefelsäure. Alle Versuche, mit weniger aggressiven Medien zum Ziel zu kommen, haben keine Bedeutung erlangt. Diese Alternativtechnologien sind entweder umständlich oder ineffizient. So wurde das Verrühren flüssigen Phosphors mit Polyphosphorsäure vorgeschlagen; nach der Phasentrennung erfolgte eine Behandlung mit Bleicherde oder Aktivkohle. Auch die später beschriebene Reinigung mit einer wässrigen Aktivkohle-Suspension hat die Erwartungen nicht erfüllt. Die erforderlichen Verfahrensschritte (Herstellung der Aktivkohlesuspension, Mischen mit Phosphor, Filtrieren) lassen erkennen, dass es sich nicht um ein wirklich bequemes Verfahren handelt. Hinzu kommt, dass für einen ausreichenden Reinigungseffekt die Wiederholung der Behandlung nach dem gleichen Schema angezeigt ist (Schumann 1981). Somit verbleibt die Raffination mit konzentrierter Schwefelsäure. Diese Technologie wurde in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts trotz bekannter Risiken in Knapsack wie auch in Bitterfeld als diskontinuierlicher Prozess praktiziert. In Bitterfeld wurden in einem emaillierten stählernen 0,8 m 3 - Rührgefäß Phosphor und konzentrierte Schwefelsäure im Verhältnis 10 : 1 bei 80°C miteinander verrührt. <?page no="178"?> 170 Die Rührzeit betrug 20 Minuten. Nach Beendigung der eigentlichen Raffination wurde der Ansatz, nach wie vor unter Rühren, mit Wasser versetzt. Im Anschluss an die schnell verlaufende Phasentrennung konnte ein für die Produktion von technischem Phosphorpentasulfid ausreichend reiner Phosphor abgezogen werden; das heißt, der Ölgehalt des Phosphors lag nach der geschilderten Behandlung bei nur noch 0,001 %. Ein solcher Phosphor gestattet die Produktion von rein gelbem P 4 S 10 . 1964 kam es in Bitterfeld jedoch zu einer schweren Explosion. Der Anlagenfahrer hatte im Schichtbuch vermerkt: „Ansatz normal gefahren, keine besonderen Vorkommnisse“, als der Reaktorinhalt mit großer Wucht explodierte und den Reaktor völlig zerstörte. Der Anlagenfahrer verunglückte dabei tödlich. Die zur Klärung der Umstände eingesetzte Untersuchungskommission wurde von Schmädt (Piesteritz) geleitet: „Diese Kommission konnte die Situation direkt nach der Havarie nicht mehr exakt beurteilen. Die zeitnah durchgeführte Vor-Ort-Besichtigung ergab, dass alles bereits aufgeräumt war. So musste die Kommission im wesentlichen anhand einer Foto-Dokumentation zu ihren Schlüssen gelangen. Es ist verständlich, dass unter diesen Umständen keine hundertprozentige Klarheit zu den Ursachen des Unglücks im Detail erreicht werden konnte“ (Schmädt 2012). Dass gelber Phosphor bei der Raffination mit konzentrierter Schwefelsäure sehr heftig reagieren kann, war in der Branche allgemein bekannt. Schumann (1980) schreibt: „Die Betriebspraxis zeigt, dass bei diesem Verfahren Überhitzungen oder Explosionen nicht mit Sicherheit auszuschließen sind“. Das Tückische daran ist, dass unter anscheinend immer gleichen Bedingungen diese Überhitzungen bzw. Explosionen manchmal stattfinden, dann jedoch über längere Zeiträume hinweg überhaupt nichts passiert. Was bei der Reaktion abläuft, kann nach meiner Auffassung (D. Z.) wohl nur so beschrieben werden: Die konzentrierte Schwefelsäure oxidiert das im Phosphor gelöste Öl, nicht jedoch den Phosphor. Allerdings scheint der Bereich, in dem dann auch der Phosphor zu reagieren beginnt, nicht weit von dem Bereich entfernt zu sein, in dem nur das Öl reagiert. So genügen wohl kleinste, kaum messbare Unterschiede in den Reaktionsbedingungen, um aus dem Normbereich in den Explosionsbereich zu gelangen. Das geschieht zwar gewöhnlich nur selten, jedoch wurden auch Häufungen innerhalb kürzerer Zeiträume beobachtet. So hielt es Schumann für erforderlich, ein sicheres Raffinationsverfahren zu entwickeln. <?page no="179"?> 171 Die wesentliche Zielvorstellung war, mit einem möglichst kleinen Reaktor auszukommen, da sich Explosionen aus den oben geschilderten Gründen offenbar nicht völlig vermeiden lassen. Somit kam das bisherige diskontinuierliche Verfahren nicht mehr infrage. Die Entwicklungsarbeit führte zu einem überzeugenden Ergebnis. Der mit Hilfe des neuen kontinuierlichen Verfahrens (Abb. 30) raffinierte Phosphor ist von hoher Reinheit. Zudem wurden alle sicherheitstechnischen Aspekte in vollem Umfang berücksichtigt. Schumann (1980) schreibt dazu: Abb. 30 Schema der kontinuierlichen Phosphor-Raffination (Schumann 1980 sowie Kochmann, Zschalich u. Schumann 1969) 1 Behälter für Schwefelsäure; 2 Behälter für Phosphor; 3 Dosierpumpe; 4 Schwefelsäure; 5 Warmwasser; 6 Phosphor; 7 Reaktor; 8 P 4 -H 2 SO 4 - Emulsion; 9 Abscheider; 10 Füllkörperkolonne; 11 Behälter für gereinigten Phosphor; 13 Entlüftung; 14 Verdünnte Schwefelsäure <?page no="180"?> 172 „Einem nur 1,3 l fassenden, mit einem schnell laufenden Rührer ausgerüsteten Reaktor… werden stündlich etwa 1000 kg flüssiger weißer Phosphor und 100 kg konzentrierte Schwefelsäure (97 - 99 %) zugeführt. Während einer Verweilzeit von etwa 8 s wird bei 50 - 70° C eine weitgehende Reaktion der organischen Verunreinigungen des Phosphors mit der Schwefelsäure erreicht. Die Emulsion fließt anschließend in einem speziellen Abscheider in warmes Wasser ein und wird dadurch getrennt. Der raffinierte Phosphor wird in einer Füllkörperkolonne im Gegenstrom durch warmes Wasser von eingeschlossener Schwefelsäure und Reaktionsprodukten befreit. Die verdünnte Schwefelsäure fließt mit den gelösten organischen Stoffen zur Neutralisation“. „Auch bei diesem kontinuierlichen Verfahren können explosionsartige Reaktionsverläufe nicht ausgeschlossen werden. Aufgrund des kleinen Reaktionsvolumens führen solche Reaktionsabläufe nicht zu gefährlichen Betriebsituationen und können durch Verwendung eines druckfesten Schutzmantels leicht beherrscht werden. Außerdem besteht der Mantel des Reaktors aus Glas und ist, wie bereits erwähnt, als Sollbruchstelle ausgebildet. In den letzten beiden Betriebsjahren kam es zu keinem explosionsartigen Reaktionsablauf. Offensichtlich kann man die Häufigkeit solcher Reaktionen allein durch eine exakte Einhaltung der Reaktionstemperatur und des Mengenverhältnisses verringern“ (Schumann 1980). Später hat der erwähnte druckfeste Schutzmantel noch mehrmals seine Verlässlichkeit beweisen müssen. Er ist so gefertigt, dass er nach oben entlüftet ist und nach dem Abfahren der Anlage zur Kontrolle oder zum Austausch des 1,3 l - Reaktors sektionsweise aufgeklappt werden kann. Die geschilderte Anordnung der entscheidenden Sicherheitselemente hat sich im Dauerbetrieb bestens bewährt. Allerdings ist nach wie vor nicht abzusehen, ob und wann es zur Explosion kommt. Entscheidend ist jedoch, dass der kleine 1,3 l - Reaktor nach erfolgter Explosion sehr schnell durch einen neuen Reaktor ersetzt werden kann. Alle übrigen Teile der Anlage bleiben praktisch unbeschädigt. Zschalich und Schumann (1985) schlugen schließlich noch eine einfache ergänzende Maßnahme vor, mit deren Hilfe zumindest die Wahrscheinlichkeit von Explosionen deutlich verringert werden konnte. <?page no="181"?> 173 In ihrer Patentschrift (1985) wird im Abschnitt Charakteristik der bekannten technischen Lösungen unter Bezugnahme auf das eigene kontinuierliche Reinigungsverfahren (Kochmann, Zschalich und Schumann 1969) das nach wie vor akute Problem noch einmal klar formuliert: „Nachteilig wirkt sich bei diesem Verfahren die Möglichkeit einer spontanen Reaktion zwischen Phosphor und Schwefelsäure aus, die aus ungeklärter Ursache einsetzt und dann explosionsartig abläuft.... Diese spontane Reaktion setzt ohne erkennbare Anzeichen ein und ist dann so schnell, dass sie praktisch nicht messbar ist und der Ablauf nicht beeinflusst werden kann. Die dabei entstehenden Drücke sind außergewöhnlich hoch. Diese spontane Reaktion führt dann zu einer starken Beschädigung der Raffinationsapparatur und einer Störung des Betriebsablaufs. Sie ist von Parametern wie Temperatur, Gestaltung des Raffinationsreaktors, Schwefelsäurekonzentration usw. nicht zu beeinflussen“. Sodann geben die Erfinder das von ihnen gefundene technische Mittel zur Minderung des geschilderten Mangels an: „Überraschenderweise wurde gefunden, dass über einen langen Zeitraum bei Temperaturen oberhalb des Schmelzpunktes abgesetzter Phosphor sich gegenüber der Schwefelsäure wesentlich inaktiver verhält. Die spontane Reaktion zwischen Phosphor und Schwefelsäure wird dann unter den Bedingungen des Handelns nach DD-PS 76 482 nicht mehr ausgelöst. Es wurde gefunden, dass der Phosphor mindestens 24 h oberhalb des Schmelzpunktes, vorzugsweise zwischen 50 und 80° C, sich absetzen kann. Bei einer Entnahme des Phosphors von unten aus dem Lagergefäß haben sich offenbar die Konzentrationen der Stoffe, die bei der Raffination mit Schwefelsäure die Reaktion zwischen Phosphor und Schwefelsäure stark beschleunigen, so weit verringert, dass in der kurzen Reaktionszeit keine Störung mehr auftritt. Dabei dürfen nur ca. 3 Teile von 4 Teilen des vorhandenen Phosphors eingesetzt werden“ (Zschalich und Schumann 1985). Die so erzielbaren Effekte sind erheblich. Dies wird indirekt auch durch die Ergebnisse unserer Piesteritzer Arbeiten zur Ölproblematik erklärt. Seinerzeit wurden von uns mittels Hohlbohrers aus erstarrtem Phosphor (Phosphorkesselwagen, Import aus Kasachstan, bräunlich verfärbte obere - schlammhaltige - Schicht) Proben gezogen und nach einem modifizierten Verfahren untersucht (Gisbier, Zobel u. Pietzner 1978). <?page no="182"?> 174 Gefunden wurden von uns Ölgehalte um 2,6 % (! ), wobei anzumerken ist, dass das angewandte Analyseverfahren bereits mit einem gewissen Verlust bezüglich des ursprünglichen Ölgehaltes einher gehen dürfte: Umsetzung des Phosphors mit NaOH, Ausschütteln des Aufschlusses mit einem Benzol-Aceton-Gemisch, Abdestillieren des Lösungsmittels im Vakuum, Auswiegen des verbliebenen Öles. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Arbeiten von Schumann und Mitarbeitern zur kontinuierlichen Phosphorraffination die Technologie wesentlich bereichert haben. Die noch immer gelegentlich auftretenden Explosionen führten - im Zusammenhang mit den geschilderten Sicherheitsmaßnahmen - niemals mehr zu Personenschäden. Wesentliche Parameter des Prozesses sind in Tab. 7 aufgelistet: Kapazität in kg/ h 1 000 Schwefelsäureverbrauch in kg/ h 20 - 100 Reaktionsvolumen in l 1,3 Verweilzeit in s 8 Reaktionstemperatur in °C 50 - 70 Organische Verunreinigungen vor der Behandlung in % 0,3 Relevante organische Verunreinigungen nach der Behandlung in % 0,001 Schwefelsäure im gereinigten Phosphor in % < 0,01 Wasser im gereinigten Phosphor in % 0,003 Phosphorverluste in % < 0,1 Gelöster elementarer Phosphor im Abwasser in % < 0,001 Tab. 7 Charakteristische Betriebsdaten der Phosphor-Raffination (Schumann 1982) 4.2 Phosphorpentasulfid P 4 S 10 Anknüpfend an die Pionierleistungen auf dem Gebiet der Phosphorherstellung begann man in Bitterfeld schon sehr früh mit der Produktion von Phosphorschwefelverbindungen im industriellen Maßstab. Zunächst wurde Phosphorsesquisulfid P 4 S 6 in einem 500 l - Rührreaktor durch Umsetzung von Phosphor mit Schwefel und anschließende Vakuumdestillation gewonnen. Die Kapazität betrug 300 t/ a (BIOS Final-Report 1946). Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde diese Anlage auf die Gewinnung von Phosphorpentasulfid umgestellt. Schumann erlebte eine Katastrophe, die ihm schon sehr früh Hinweise darauf lieferte, wie der entscheidende Teil einer solchen Anlage sicherer gemacht werden könnte: <?page no="183"?> 175 „1959 (oder 1960? ) explodierte die Anlage mit einem lauten Knall in meiner Nähe. Die Außenwand des Anlagengebäudes stürzte auf die Straße. Der Prozess verlief damals ähnlich wie beim Phosphorsesquisulfid. In einem 500 l-Reaktor wurde Schwefel vorgelegt. Nach Erreichen der festgelegten Starttemperatur wurde der Phosphor in Abhängigkeit vom Temperaturverlauf kontinuierlich zugesetzt. Im beschriebenen Falle war offensichtlich zu viel Phosphor vor Erreichen der Reaktionstemperatur zugesetzt worden und hatte sich zumindest teilweise gelöst. Nach Anstieg der Temperatur reagierte der Phosphorüberschuss dann explosionsartig. Beide dort tätigen Mitarbeiter haben diese Explosion nicht überlebt. Bei der Besichtigung am folgenden Tage wurde mir klar, dass eine wesentliche Verkleinerung des Reaktionsvolumens erheblich zur Minderung des Risikos beitragen müsste. Beim Bau der P 4 S 10 -Großanlage für die sich anschließende Produktion des Dimethoats wurde dieser Gesichtspunkt umgesetzt“ (Schumann 2013) Schumann widmete sich zusammen mit seinen Mitarbeitern dem Entwurf und dem Aufbau der neuen P 4 S 10 -Anlage. Seit 1973 wurde in Bitterfeld die im Ergebnis der Arbeiten entstandene kontinuierliche Anlage erfolgreich betrieben (10 000 t/ a). Im Vorfeld wurden zwei Versuchsanlagen mit 800 bzw. 2 000 t/ a gebaut. Das Verfahren konnte 1979 nach Rumänien in Lizenz vergeben werden (10 000 t/ a-Anlage). Die Hauptprobleme bei der technischen Synthese von P 4 S 10 sind, neben der erforderlichen Reinheit der Ausgangsstoffe, vor allem: Exakte Dosierung der Ausgangsstoffe, Abführung der beachtlichen Reaktionswärme, Gewährleistung hoher Sicherheit durch kleines aktives Reaktionsvolumen im sicherheitstechnisch entscheidenden Teil der Anlage, Zielgerichtete Kristallisation der Schmelze, Reinheit des Endproduktes (Schumann 1982). Die Reinheit des für die Reaktion erforderlichen Schwefels ist unproblematisch. Sehr reiner Schwefel ist ein gewöhnliches Handelsprodukt. Anders sieht es aus, wenn es um die erforderliche Phosphorqualität geht. Der Phosphor muss in einem anspruchsvollen kontinuierlichen Verfahren - beschrieben im Kapitel 4.1 - raffiniert werden. Der nach Raffination verbleibende Ölanteil sollte möglichst nicht oberhalb 0,001 % liegen. Das neue Raffinationsverfahren liefert ein Produkt mit < 0,001 % Öl und gestattet die Produktion des rein gelben, hoch reaktiven P 4 S 10 . Schumann (1982) schreibt zum damals neuen P 4 S 10 -Verfahren: <?page no="184"?> 176 „Das in Bitterfeld ausgearbeitete kontinuierliche Verfahren arbeitet zweistufig. Dadurch war es möglich, die Probleme der exakten Dosierung der Elemente Phosphor und Schwefel, der Wärmeabfuhr und der Sicherheit optimal zu lösen. In der ersten Verfahrensstufe, im Hauptreaktor, werden die Elemente zunächst bei einem P/ S-Verhältnis von etwa 4 : 8,6 (31 % P) und einer Verweilzeit von nur 1 bis 2 min in einem kleinen, bei etwa 470° C unter Rückfluss siedenden, dünnflüssigen Reaktionssumpf umgesetzt. Nahezu die gesamte Reaktionswärme kann…. unter wärmetechnisch günstigen Bedingungen abgeführt werden..... In der zweiten Verfahrensstufe wird durch eine schwach exotherme Reaktion in einer höher viskosen Schmelze bei etwa 350° C und einer Verweilzeit von etwa 60 min die gewünschte Zusammensetzung des Endproduktes durch nachträgliche Schwefelzufuhr eingestellt. Im Allgemeinen wird ein P/ S-Verhältnis von 4 : 9,85, entsprechend 28,2 % Phosphor, gefordert“. Besonders wichtig ist die Kontrolle und Regelung des P/ S-Verhältnisses in der zweiten Verfahrensstufe. Schumann (1980) berichtet über seine von Moedritzer und Van Wazer angeregten Arbeiten zur Viskosität von Phosphorsulfidschmelzen, welche stark vom P/ S-Verhältnis abhängig ist. Daraus ergibt sich ein gutes Verfahren zur Prozesskontrolle: „Mit Hilfe von Viskositätsbestimmungen sind .... schnelle und sehr genaue Phosphorbestimmungen möglich. Der absolute Fehler beträgt im Bereich des P 4 S 10 etwa 0,01 %. Während in der Industrieanlage kontinuierlich anzeigende Prozessviskosimeter eingesetzt werden können, eignen sich für Laboruntersuchungen Kapillarviskosimeter, die durch einen Metallblock thermostatisiert werden“ (Schumann 1982) Abb. 31 zeigt das Verfahrensschema der Bitterfelder Pentasulfidanlage. Pos. 1, 2 und 3 sind selbsterklärend. Der Hauptreaktor Pos. 4 besteht aus einem Unterteil für den siedenden Reaktionssumpf und einem als Röhrenbündel ausgelegten Oberteil. Die Komponenten werden mittels Dosierpumpen in den unteren Teil des Reaktors eingespeist und reagieren dort in der flüssigen Phase unter Rückfluss. Die beträchtliche Reaktionswärme wird durch verdampfendes Sulfid sowie durch Kühlung des Sumpfbereiches abgeführt. Das phosphorreiche Sulfid fließt per Siphon in den Nachreaktor Pos. 5, wobei die Aufrechterhaltung eines optimalen Füllstandes im Hauptreaktor gewährleistet wird. In Pos. 5 wird der zum Erreichen der Endzusammensetzung noch fehlende Schwefel zugeführt (Schumann 1980). <?page no="185"?> 177 Beide Reaktoren werden durch unter Rückfluss siedendes „Diphyl“ (einer Mischung von Diphenylether und Diphenyl) gekühlt. Dessen Siedepunkt kann im Bereich von 250 bis 360° C durch Druckänderung per Stickstoffpolster den Betriebsbedingungen angepasst werden. Abb. 31 Schema des neuen Bitterfelder P 4 S 10 - Verfahrens (Schumann 1982) 1 Behälter für Phosphor; 2 Behälter für Schwefel; 3 Dosierpumpe; 4 Hauptreaktor; 5 Nachreaktor; 6 Rührwerk; 7 Tauchpumpe; 8 Diphylkondensator; 9 Aufschmelzer; 10 Kühlwalze; 11 Schneckenförderer; 12 Abfüllung (Container, Fässer); 13 Ventilator; 14 Wäscher; 15 Thiophosphatbeh.; 16 Kühlwasser; 17 Stickstoff; 18 Abgase; 19 Chlor Haupt- und Nachreaktor sowie Phosphorsulfid- und Abgasleitungen sind mit elektrischen Widerstandsheizungen ausgerüstet, die jedoch - ausgenommen die Abgasleitung - nur in der Anfahrphase heizen. Als Werkstoff für Reaktoren und Rohrleitungen ist Cr-Ni-Stahl prinzipiell geeignet; heute verfügen wir über noch wesentlich besser geeignete Stähle. Die im Nachreaktor enthaltene Schmelze wird nun der wassergekühlten Schuppenwalze (Pos. 10) zwecks Abschreckens zugeführt. Das Endprodukt ist von rein gelber Farbe und hoch reaktiv. <?page no="186"?> 178 Durch Veränderung der Umdrehungsgeschwindigkeit der Walze sowie durch die Kühlwassertemperatur kann die Reaktivität des Produktes beeinflusst werden. Das fertige Phosphorpentasulfid wird in Schuppenform abgefüllt oder kann zuvor vermahlen werden. Die Vermahlung unter trockenem Stickstoff erwies sich als unproblematisch. Im nur 40 kg fassenden Sumpf werden 95 % der Reaktionswärme frei. Die volumenmäßig erhebliche Reduzierung dieses gefährlichsten Prozessabschnittes bewirkte, neben der Verbesserung der Sicherheit, gegenüber der diskontinuierlichen Anlage zugleich auch eine sehr erhebliche Steigerung der Raum-Zeit-Ausbeute. 4.3 Phosphortrichlorid PCl 3 Phosphortrichlorid wird ausschließlich durch Chlorierung von weißem Phosphor gewonnen. Die Reaktion P 4 + 6 Cl 2 4 PCl 3 verläuft glatt und quantitativ. Erforderlich ist ein gewisser Phosphorüberschuss, sowie die gute Durchmischung der Reaktionspartner. Von den prinzipiell möglichen Verfahrensweisen - Direkte Chlorierung von flüssigem Phosphor, - Chlorierung in der Gasphase, - Chlorierung von Phosphor in flüssigem Phosphortrichlorid, hat sich nur die letzt genannte technisch durchsetzen können. Sie wird meist kontinuierlich durchgeführt. In kleineren Anlagen wurde sie früher auch diskontinuierlich betrieben. So arbeitete die 1919 in Bitterfeld errichtete alte Anlage zunächst diskontinuierlich. Damals wurde in einem verbleiten Rührbehälter Phosphor in Phosphortrichlorid vorgelegt und dann bis zum Äquivalenzpunkt (Brennprobe auf Filterpapier) chloriert; das Produkt wurde in ein Vorratsgefäß gesaugt. Bei dieser Technologie war es unvermeidlich, dass das Personal immer wieder mit den Reaktionskomponenten und mit dem Endprodukt in Kontakt kam. Verätzungen und Verbrennungen waren die Folge. Keine sicherheitstechnisch wesentliche Verbesserung brachte die Einführung der halbkontinuierlichen Chlorierung in den dreißiger Jahren. Im Prinzip bestand das Herzstück der Anlage aus einem geschlossenen Chlorierer, in dem sich flüssiger Phosphor unter dem rohen Phosphortrichlorid befand. Das Einleitungsrohr für das Chlor endete kurz oberhalb des Phosphorspiegels. Das gebildete PCl 3 stieg über ein schräg angeordnetes, von außen gekühltes Rohr in den Verdampfer auf. Die PCl 3 -Dämpfe wurden im Kondensator, einem Schlangenkühler, verflüssigt; dieser Anlagenteil bereitete keine besonderen Schwierigkeiten. <?page no="187"?> 179 Der PCl 3 -Bildung entsprechend wurde im Chlorierer kontinuierlich Phosphor nachdosiert, wobei mithilfe eines Schwimmers für einen stets konstanten Phosphorspiegel gesorgt werden sollte. Nicht selten versagte jedoch der Schwimmer. Dessen Funktionsfähigkeit war aber Voraussetzung für einen ordnungsgemäßen Ablauf des Verfahrens. Beim Versagen des Schwimmers bildeten sich im unteren Teil des Chlorierers, je nach den Umständen, roter Phosphor oder Phosphorpentachlorid. Die Entfernung dieser Stoffe ist naturgemäß eine schwere und unfallträchtige Arbeit. Es kam dabei immer wieder zu kleinen bis mittelschweren Verbrennungen und/ oder Verätzungen. Jeweils nach etwa einem Monat musste der Boden des Chlorierers gründlich gereinigt werden. In Vorbereitung dieser Arbeit war eine sorgfältige Spülung mit Stickstoff erforderlich. Nicht selten kam es dennoch beim Öffnen der Apparatur zu Verpuffungen oder Bränden. In einem Fall musste sogar der Tod eines Mitarbeiters beklagt werden. Wahrscheinlich war damals nicht ausreichend gespült worden. Es gab also genügend Gründe, diese Anlage für prinzipiell nicht mehr verbesserungsfähig zu halten. Weder die Technologie, noch die Kapazität, noch die sicherheitstechnischen Aspekte sprachen für den Weiterbetrieb. So wurde entschieden, eine neue Technologie zu entwickeln und eine neue Anlage zu bauen. Die Entwicklung basierte auf Erfahrungen, die zuvor im Technikum gewonnen worden waren. Kernpunkt der neuen Überlegungen war der Einsatz einer Füllkörperkolonne zwischen Chlorierer und Kondensator. So kann die bei der Chlorierung des Phosphors frei werdende Bildungswärme zur Rektifikation des Phosphortrichlorids genutzt werden. Versuchsweise wurde zunächst der Unterteil eines alten 1938er Reaktors mit einer Füllkörperkolonne zwischen Chlorierer und Kondensator versehen. So konnte die Nutzung der bei der Chlorierung frei werdenden Bildungswärme für die Rektifikation des Trichlorids erprobt werden. Nach einigen erfolgreichen Versuchsperioden begann die Projektierung der 12 000 t/ a - Anlage. Abb. 32 zeigt die neue Anlage. Der im Vorratsbehälter unter Deckwasser befindliche Phosphor wird mit Hilfe einer Dosierpumpe dem aus Blase (Pos. 3) und Rektifikationskolonne (Pos. 4) bestehenden Reaktor zugeführt. In der Blase befinden sich, bei nahezu unverändertem Pegel, stets etwa 5 t Sumpfprodukt, bestehend aus Phosphortrichlorid, Phosphor, Phosphoroxidchlorid und den (wohl durchchlorierten) ölartigen Verunreinigungen, die aus dem eingesetzten Phosphor stammen. <?page no="188"?> 180 „Chlorgas wird über mehrere Tauchrohre kontinuierlich zugeführt und mit dem im Sumpfprodukt gelösten Phosphor zu Phosphortrichlorid umgesetzt. Infolge seiner gegenüber der Verdampfungswärme von Phosphortrichlorid etwa zehnmal höheren Bildungswärme wird bei einer Sumpftemperatur von 85° C in hohem Maße PCl 3 verdampft, in der Kolonne von Phosphor, Phosphoroxidchlorid, heterogenen Verunreinigungen und färbenden Bestandteilen befreit und im luftgekühlten Kondensator, der über der Kolonne angeordnet ist, verflüssigt. Zur maximalen Nutzung der Kühlkapazität erfolgt die Kondensation in zwei Stufen. Abb. 32 Herstellung von PCl 3 , Neues Chlorierverfahren 1 Behälter für Phosphor 2 Dosierpumpe 3 Blase 4 Kolonne 5 Chlor 6 Kondensator 7 Abscheider 8 Nachkühler 9 Behälter für Phosphortrichlorid 10 Abgaswäscher 11 Abgase 12 Waschwasser 13 Beh. für Phosphorsäureester Die Austrittstemperatur der... ersten Stufe beträgt 76° C und die der zweiten Stufe, stark abhängig von der Fahrweise, - 10 bis + 60° C. Während der größte Teil des Kondensats zur Aufrechterhaltung eines konstanten Sumpfstandes als Rücklauf zur Kolonne fließt, wird ein kleiner Teil als Fertigprodukt abgezogen und gemeinsam mit den Restgasen der Kondensation einem erforderlichenfalls mit Wasser berieselten Nachkühler zugeführt. Im nachstehenden Abscheider erfolgt die Trennung von Phosphortrichlorid und Abgas. Das Fertigprodukt fließt zum Lagerbehälter. Die in geringem Umfang anfallenden Abgase werden im Waschturm mit Wasser behandelt“ (Schumann u. Matschiner 1981). <?page no="189"?> 181 Zweckmäßig wird die Chlor-Dosierung konstant gehalten, und die Phosphorkonzentration im Sumpf auf 2 bis 6 % eingestellt (Schumann 1972). Handelsüblicher - insbesondere der in Kasachstan produzierte - Phosphor hat, wie weiter oben erläutert, einen Gehalt an Verunreinigungen von bis zu 0,3 % (das betrifft gelöste ölige Bestandteile). Diese Stoffe und ihre Reaktionsprodukte reichern sich im Sumpf als fester, auf einfache Weise nicht entfernbarer Rückstand an. Es gibt jedoch ein wirksames Mittel, diese Reststoffe flüssig und damit handhabbar zu halten. Nach Zusatz von nur 0,005% eines Phosphorsäureesters bleibt der Rückstand während der Reaktion weitgehend flüssig und kann so leicht abgezogen werden (Schumann und Matschiner 1981). Die im Abstand von etwa zwei Monaten notwendige Reinigung verläuft wie folgt. Zunächst wird der Phosphor restlos heruntergefahren und das Phosphortrichlorid abdestilliert. Sodann wird der noch flüssige Chlorierrückstand in Fässer gefüllt und per Sondermüllverbrennungsanlage entsorgt. Dieser Rückstand enthält neben HCl und PCl 3 -Resten fast das gesamte aus dem Phosphor stammende Öl in chlorierter Form. Die Lagerung des Phosphortrichlorids erfolgt zweckmäßig in verbleiten Stahlbehältern. An sich ließen sich auch Behälter aus unlegiertem Stahl einsetzen; falls jedoch, z. B. wegen ungenügendem Feuchtigkeitsausschluss, häufiges Reinigen erforderlich wird, sind verbleite Behälter zu bevorzugen. Als Reinigungsmittel eignet sich Wasser. Nach weitgehender Entfernung des restlichen Trichlorids ist das Wasser, zunächst langsam, unter ständigem Absaugen der sauren Reaktionsgase - die überwiegend aus HCl bestehen - zuzusetzen. Zweckmäßig wird das PCl 3 unter trockenem, an Sauerstoff armem Stickstoff gelagert, der bei Entnahme von Produkt automatisch nachströmt. Ein minimaler Überdruck genügt. Arbeitet man mit fest eingebauten Tauchpumpen, so gelingt die Entnahme komplikationslos. Als Material für die Rohrleitungen kommt legierter oder unlegierter Stahl infrage. Ist absehbar, dass die Leitungen häufig gereinigt werden müssen, ist eine Verbleiung angezeigt. Für die Abgasleitungen eignen sich PVC, Glas oder Porzellan. Die beschriebene 12 000 t/ a- Anlage ist durch folgende Betriebsparameter charakterisiert. Ausbeute: > 99 %; Dampfverbrauch in t/ t PCl 3 : 0,01 t; Kühlwassermenge: 1 m 3 / t PCl 3 ; Elektroenergie: 8 kWh pro t PCl 3 . Bezüglich seiner Qualität genügt das PCl 3 höchsten Anforderungen. Der Gehalt an PCl 3 beträgt 99,8 %, Phosphoroxidchlorid ist zu 0,1 % enthalten; Phosphor ist nicht nachweisbar. Der Destillationsrückstand macht nur 0,005 % aus, der Eisengehalt liegt bei 2 ppm. Das Produkt ist wasserklar (Schumann u. Matschiner 1981). <?page no="190"?> 182 5 Thermische Phosphorsäure 5.1 Herstellung und Eigenschaften In Piesteritz wird der parallel zum modernen Phosphorofenprozess in den zwanziger Jahren entwickelte, so genannte „I.G.-Prozess“ betrieben. Das Schema ist in Abb. 33 dargestellt. Am Kopf eines sich leicht konisch nach unten verjüngenden Turmes b wird der Phosphor mittels Zweistoffdüse a unter Zusatz von Druckluft zerstäubt und dabei zu P 4 O 10 verbrannt. Das P 4 0 10 wird in umlaufender Phosphorsäure, die zugleich die Auskleidung des Turmes vor Überhitzung schützt, hydratisiert und absorbiert. Die von der Säure aufgenommene Verbrennungswärme sowie die Hydratationswärme werden im Wärmetauscher d abgeführt. Dort wird die Säure von etwa 90° C auf etwa 45° C heruntergekühlt, ehe sie an der Überlauftasse c wieder dem Turmkreislauf zugeführt wird. Der durch die P 4 O 10 - Absorption bewirkte Konzentrationszuwachs wird durch kontinuierliche Zugabe von Wasser ausgeglichen. Aus dem Säurekreislauf wird, wie in Abb. 33 rechts unten dargestellt, kontinuierlich oder diskontinuierlich ein bestimmter Teilstrom als Fertigprodukt abgeführt. Die Überlauftasse c muss an der Überlaufkante sehr exakt horizontal geschliffen werden, damit die Innenberieselung des mit säurefesten Formsteinen ausgekleideten Verbrennungsturmes gleichmäßig erfolgen kann. Die im unteren Teil des Turmes (s. Abb. 33) eingezeichnete, über eine separate Ringleitung gespeiste Zusatz-Eindüsung von Säure hatten wir aufgegeben, da sich die Durchführungsstellen als Schwachpunkte hinsichtlich Dichtheit der Turmausmauerung erwiesen. Hinzu kamen Korrosionsprobleme an den Eindüsungsvorrichtungen. Etwa 30 % der Säure verlassen den Turm über den so genannten Fuchs in Form von Säurenebeln. Deren möglichst vollständige Abscheidung ist ökonomisch wie ökologisch gleichermaßen wichtig. Nach erfolgter Abscheidung der Säure sollte das Abgas nur noch max. 20 mg P 2 O 5 / Nm 3 enthalten. In Piesteritz wurde dieser Anlagenteil nicht als Venturisystem (siehe e und f in Abb. 33) betrieben, sondern die Säurenebel wurden in Elektrofiltern abgeschieden. Später haben wird dann auf mit Raschigringen ausgerüstete Hydratationstürme, Koagulatoren, und - zwecks Feinreinigung - nachgeschaltete Fasertiefbettfilter umgestellt. Die Verbrennung des Phosphors erfolgte zunächst über insgesamt 9 Düsen pro Verbrennungsturm, kreisförmig angeordnet am Turmkopf. Bei einem Phosphordurchsatz von ca. 450 kg/ h pro Turm ergibt sich pro Düse ein sehr geringer Austrittsquerschnitt. <?page no="191"?> 183 Die Phosphorzuleitung hatte, wie die Luftzuleitung, einen Innendurchmesser von je 8 mm. Die zentral am jeweiligen Düsenkopf angeordnete Austrittsöffnung für den Phosphor wies eine lichte Weite von 3 mm auf, ringförmig umgeben vom Luftkanal, dessen Spaltbreite nur 0,2 mm betrug. Der Luftstrom wurde über eine gefräste Führung mit dem erforderlichen Drall versehen. Im Prinzip arbeiteten diese kleinen Düsen verlässlich, jedoch nur beim Einsatz schlammfreien Phosphors. Gerade diese Bedingung lässt sich aber im praktischen Produktionsbetrieb kaum erfüllen (siehe dazu die Kapitel 2 und 3). Folgerichtig bemühten wir uns um den Einsatz größerer Düsen, die geeigneter erschienen, mit einem gewissen Schlammanteil fertig zu werden. Über die Zwischenstufe eines 3-Düsen-Systems gelang es uns schließlich, eine verlässliche Zentraldüse zu konstruieren. Diese erfüllte - nach Überwindung diverser Kinderkrankheiten - schließlich die bei falscher Dimensionierung der Düse einander behindernden Forderungen Einsatz eines nicht immer schlammfreien Phosphors, Vollständige Verdüsung und Verbrennung des Phosphors ohne Anstieg des unerwünschten H 3 PO 3 - Gehaltes im Produkt. Das Kriterium „Minimale Konzentration Phosphoriger Säure H 3 PO 3 im Produkt“ ist ein an sich verlässliches Qualitätsmerkmal. Gewöhnlich werden nicht mehr als 0,1 % H 3 PO 3 in der Phosphorsäure toleriert. Allerdings kam es in der Entwicklungsphase (Übergang vom 9-Düsen-System zum 3-Düsen-System) vor, dass trotz Einhaltung dieses Parameters rötlich verfärbte Säure anfiel. Das zur Bestimmung des H 3 PO 3 angewandte Analyseverfahren erfasste diese Qualitätsabweichung allerdings nicht, so dass - rein formal - „qualitätsgerechte“ Säure vorlag. Der Charakter der Verfärbung war immerhin klar. Es handelt sich dabei um das bereits mehrfach erwähnte Phosphorsuboxid, dem roten Phosphor ähnlich. Die Eigenschaften von Stoffen diesen Typs hatte ich im Zusammenhang mit meinen Pyrolyseversuchen (s. Tab. 5) näher untersucht. Es war also naheliegend, mit Oxidationsmitteln zu arbeiten, um die rötliche Säure zu entfärben, damit sie doch noch verwendet werden konnte. Wir arbeiteten mit Perhydrol (30%ig. H 2 O 2 ), das wir in der Vorlage (dem offenen Behälter r. u. in Abb. 33) der Säure zusetzten. Im Prinzip funktionierte die beabsichtigte Entfärbung unter Oxidation bis zum P(V). Jedoch ist zu berücksichtigen, dass Phosphorsäure ein Stabilisator für H 2 O 2 ist. Es dauerte also sehr lange, bis das letzte Peroxid zersetzt war. Reste von H 2 O 2 stören aber in der folgenden - unten erläuterten - Entarsenierungsstufe, in der mit H 2 S gearbeitet wird. <?page no="192"?> 184 Dort kann durch Oxidation des H 2 S elementarer Schwefel entstehen, der zu Opaleszenz oder gar gelblich-grünlichen Trübungen der Säure führt. Deshalb ist der H 2 O 2 -Zusatz letztlich ungeeignet. In solchen Fällen muss das Übel an der Wurzel gepackt werden. Dies gelang mit der Entwicklung einer störungsfrei arbeitenden Zentraldüse (a in Abb. 33). Abb. 33 Produktion thermischer Phosphorsäure nach dem I.G.- Verfahren (nach: Ullmann’s Encyclopedia 1991) a Verbrennungsdüse; b Verbrennungsturm, innen berieselt mit umlaufender Phosphorsäure; c Überlauftasse; d Wärmetauscher; e und f Venturi-Wäscher; g Behälter für die in den Ven turi-Wäschern umlaufende Phosphorsäure; h Abgasventilator; i End-Abscheider Phosphorsäure wird in mehreren Konzentrationsstufen produziert, die sich insbesondere in ihrer Viskosität und in ihrem Kristallisationsverhalten unterscheiden. Tab. 8 zeigt die Hauptparameter für drei besonders gebräuchliche Konzentrationen. Weiter unten beschreibe ich die praktischen Probleme beim Auskristallisieren konzentrierterer Säuren. Die in oben erläuterter Weise hergestellte Phosphorsäure ist - je nach eingesetzter Phosphorqualität - geringfügig oder etwas stärker gelbbräunlich verfärbt, manchmal auch ein wenig getrübt. Eine solche Säure ist zur Herstellung der üblichen technischen Phosphate und Polyphosphate, insbesondere der Waschmittelphosphate, geeignet. <?page no="193"?> 185 Dichte bei 20° C in g/ cm 3 % H 3 PO 4 % P 2 O 5 Kristallisationspunkt Viskosität in cSt bei 20° C 1,578 75 54,3 - 20° C 15 1,634 80 58,0 + 3° C 20 1,689 85 61,6 + 21°C 28 Tab. 8 Kenndaten der Phosphorsäure in Abhängigkeit von ihrer Konzentration (nach: Ullmann 1991, S. 465) Ganz anders sieht es aus, wenn es um den Einsatz in der Lebensmittelindustrie geht. Phosphorsäure besonders hoher Reinheit wird beispielsweise in der Limonadenherstellung benötigt, und die Lebensmittelphosphate (Kap. 6) erfordern zu ihrer Herstellung ebenfalls reine Säure. Die entscheidende Verunreinigung der technischen thermischen Phosphorsäure ist Arsenige Säure H 3 AsO 3 . Sie entsteht aus dem im Phosphor spurenweise enthaltenen Arsen. Der aus Kola-Apatit hergestellte Piesteritzer und Bitterfelder Phosphor enthielt weniger Arsen als der auf Basis Karatau-Phosphorit produzierte kasachische Phosphor. So schwankten denn die As-Werte in unserer technischen Säure zwischen 10 und etwa 50 ppm. Toleriert werden in reiner Säure aber nur 0,5 ppm As. Das angewandte Reinigungsverfahren basiert auf der Fällung des As (III) mit Schwefelwasserstoff. Das Fällungsprodukt ist „postkutschengelbes“ Arsensulfid As 2 S 3 , als natürliches Mineral bekannt unter dem Namen Auripigment. Arsensulfid ist in Säuren unlöslich, so dass es nach erfolgter Fällung nur noch abfiltriert zu werden braucht. Die Fällung des As 2 S 3 erfolgt durch Einleiten einer Na 2 S-Lösung in technische Phosphorsäure. Die Umsetzung verläuft unter Rühren in einem aus Edelstahl gefertigten oder einem gummierten Stahlbehälter. Nach dem Abfiltrieren des As 2 S 3 wird das überschüssige H 2 S durch Ausblasen mit Luft entfernt. Dabei wird manchmal etwas H 2 S zu Schwefel oxidiert, was zu unerwünschter Opaleszenz in der Säure führt. Das Problem lässt sich durch Einsatz von N 2 anstelle von Luft lösen (Gisbier u. Liedloff 1977). In den sechziger Jahren hatten wir - wohl im Zusammenhang mit dem Schlamm im Phosphor - damit zu kämpfen, dass unsere technische Säure mehr oder minder gelbbräunlich verfärbt war. Im Prozess der Herstellung reiner Säure erfolgt nicht nur die Entarsenierung, sondern die nach Abfiltrieren des As 2 S 3 -Niederschlages erhaltene reine Säure fällt gewöhnlich auch in optischer Hinsicht deutlich verbessert an. Sie ist im Idealfalle sogar farblos und wasserklar. Dieses Ideal wurde jedoch damals von uns nicht immer erreicht. Eine - wenn auch nur schwach - farbstichige reine Phosphorsäure ist aber kaum verkaufsfähig. Es war also zu untersuchen, wie man die im Prinzip bereits bekannte Entfärbung während der Entarsenierung perfektionieren kann. <?page no="194"?> 186 Ich überprüfte zunächst die Wirkung üblicher Adsorbentien auf gelblich verfärbte technische Säure. Zur Beurteilung des Effekts wurde die Extinktion der filtrierten Proben bei 428 nm in 5-cm-Küvetten gegen destilliertes Wasser ermittelt. Es zeigte sich, dass beim Verrühren technischer Phosphorsäure mit Aktivkohle nach dem Abfiltrieren kaum ein Entfärbungseffekt zu beobachten war. Gleichermaßen wirkungslos blieb Kieselgur. Da jedoch, wie erwähnt, die Entarsenierung mit einer zumindest partiellen Entfärbung einhergeht, war eine entsprechende Wirkung der As 2 S 3 -Flocken anzunehmen. Diese Annahme wird durch ältere Quellen gestützt, in denen die Rede davon ist, vorgebildetes As 2 S 3 zur Klärung und Entfärbung von Phosphorsäure zuzusetzen (zit. in: Zobel 1965). Zunächst wurde der Entfärbungseffekt frisch gebildeter As 2 S 3 -Flocken während der Entarsenierung quantitativ untersucht. Eingesetzt haben wir eine gewöhnliche bräunlich verfärbte Säure mit einem As-Gehalt von ca. 10 ppm. Es stellte sich heraus, dass eine fast vollständige Entfärbung tatsächlich erreicht werden kann. Nun war zu prüfen, ob noch deutlich bessere Resultate beim Zusatz von A-Kohle und Kieselgur unmittelbar vor Beginn der As 2 S 3 -Fällung zu erzielen sind. Das Ergebnis war überzeugend. Beobachtet wurde eine echte Synergie, d. h. die beiden - ohne As 2 S 3 -Fällung kaum wirksamen - Zusätze erwiesen sich in Kombination mit dem ablaufenden Entarsenierungsvorgang (As 2 S 3 in statu nascendi) als dermaßen wirksam, dass stets eine wasserklare, farblose Säure erhalten werden konnte (Zobel 1965) Mir erschien es zweckmäßig, für Sonderfälle auch die Wirkung einer bewusst vorgenommenen Erhöhung der Ausgangskonzentration an Arseniger Säure zu erproben. Wenn pro Volumeneinheit mehr von dem offensichtlich hoch aktiven As 2 S 3 mit der gefärbten Säure in Wechselwirkung treten kann, sollte dies - so vermutete ich - auch bei extrem stark verfärbter Säure zu einem farblosen Endprodukt führen. Diese Annahme konnte experimentell bestätigt werden. Das zusätzliche Arsen wurde der Ausgangssäure in Form von Arsenik As 2 O 3 hinzugefügt. Auch die Synergie mit A-Kohle und mit Kieselgur wurde erwartungsgemäß bestätigt. So konnte schließlich für alle in der Praxis vorkommenden Fälle, also auch für besonders verunreinigte bzw. mehr als gewöhnlich verfärbte Säure, eine verlässliche Reinigungs- und Entfärbungstechnologie eingeführt werden (Zobel 1964). <?page no="195"?> 187 Wir haben im technischen Maßstab diese Sonderfahrweise unter Zusatz von As 2 O 3 allerdings so gut wie nie praktizieren müssen. Auch sonst arbeitete die mit der vollständigen Entfärbung kombinierte Entarsenierung besser, als anhand der Laborversuche erwartet werden konnte. Im Vorfeld der Untersuchungen zur Entfärbung technischer Phosphorsäure war in unseren Dienstberatungen immer wieder der mögliche Charakter der Verfärbungen diskutiert worden. Einer meiner Mitarbeiter ließ sich nicht davon abbringen, es müsse sich dabei wohl um erhöhte Eisengehalte handeln. Ich hielt das für Unsinn. Erstens wurden analytisch keine erhöhten Fe-Konzentrationen gefunden, und zweitens erinnerte ich mich, dass Phosphorsäure farblose, sehr stabile anionische Komplexe bildet. Den Mitarbeiter ließ das kalt. Er fand es aus aus nicht nachvollziehbaren Gründen richtig, am Vorurteil festzuhalten. Ich wollte ihn aber nicht bloß stellen und führte ihm eines Tages „privat“ vor, dass seine These auf keinen Fall stimmen konnte. Etwa 100 ml reiner - wasserklarer, farbloser - Phosphorsäure wurden mit etwa 1 g braunen, festen Eisen(III)-Chlorids versetzt. Der Zusatz sank in der Säure herab, hinterließ dabei zunächst einige bräunliche Schlieren, und löste sich dann sehr schnell komplett auf. Die Säure sah danach völlig unverändert aus, nämlich wasserklar und absolut farblos. Ich war meiner Sache so sicher, dass ich damals noch nicht einmal in der Literatur nachsah. Das habe ich, während ich dies formuliere, nun endlich nachgeholt. Beispielsweise lesen wir im „Remy“: „Versetzt man eine gelbe Eisen(III)-Chlorid-Lösung mit Phosphorsäure, so wird sie nahezu entfärbt infolge Bildung von farblosen Phosphato- Eisen-(III)-Komplexionen, z.B. (Fe (PO 4 ) 3 )’’’ ’’’ (Remy 1959). Der Unterschied zu meinem oben geschilderten Handversuch (einerseits nahezu entfärbt, andererseits farblos) dürfte bei den Konzentrationsverhältnissen zu suchen sein. Genügenden Phosphorsäureüberschuss vorausgesetzt, kommen wir stets zu völlig farblosen Lösungen. Ergänzend seien hier noch einige Bemerkungen zu den erwähnten Konzentrationsstufen (Tab. 8) angefügt. Reine Säure wird in großen Mengen für die unterschiedlichsten Anwendungsgebiete verkauft. Ein Teil wird im eigenen Hause eingesetzt, und zwar zur Produktion reiner Salze. Damit nicht unnötig Wasser transportiert werden muss, bevorzugen viele Kunden die höheren Konzentrationen. Ganz besonders gefragt ist die 85%ige Phosphorsäure. Da sie jedoch bereits bei 21° C erstarrt, muss der Versand in beheizbaren Kesselwagen erfolgen. <?page no="196"?> 188 Falls der Bezug in Polyethylenkanistern gewünscht wird, ist der Kunde gewöhnlich nicht erstaunt, wenn er im Winter auskristallisierte Ware erhält. Bei der Kristallisation scheidet sich besonders reines H 3 PO 4 ab. Die Schweizer Firma La Fontè Electrique - heute FEBEX - hatte in den fünfziger Jahren auf dieser Basis ein Verfahren zur Herstellung höchst reiner kristalliner Phosphorsäure entwickelt. Die Kristallisation tritt aber nicht immer verlässlich gemäß Tab. 8 ein. Konzentrierte Säure neigt zur Übersättigung; sie bleibt manchmal auch bei 0° C noch flüssig. Innerbetrieblich hat die Konzentration insofern Bedeutung, als bei der Weiterverarbeitung zu Polyphosphaten (Kap. 6.2) nach erfolgter Neutralisation der Säure zunächst viel Wasser aus der Monophosphatmaische verdampft werden muss. Dies führte zwischen den Verantwortlichen unserer beiden Betriebsteile in der kalten Jahreszeit zu Auseinandersetzungen, die jedoch eher locker ausgetragen wurden. Die Leistung der Tripolyphosphatanlage (Kap. 6.2) begann im Herbst nachzulassen, weil die dann eingesetzte Phosphatlösung („Maische“) - wegen der zwecks Vermeidung von Auskristallisationen herabgesetzten Konzentration der Säure - recht dünn anfiel. Dann lästerte der Technologe der Salzanlage, auf seinen Kollegen aus der Säureanlage gemünzt: „Kaum ziehen die wilden Schwäne gen Süden, setzt Du die Säure runter - und wir in der Salzanlage kommen nicht mehr auf unsere Produktion“. Natürlich ist es auch in der kalten Jahreszeit möglich, mit konzentrierterer Säure zu fahren. Nur ist der Aufwand deutlich höher. So kann die Übergabeleitung Säureanlage Salzanlage von außen beheizt werden, oder es ist vor und nach der Übergabe durchzudampfen. Ersteres birgt die Gefahr, dass die Heizung auch dann in Betrieb bleibt, wenn keine Säure mehr gedrückt wird. Dies führt wegen in der Leitung verbliebener Säurereste zu Korrosionsschäden. Auch die zweite Variante erfordert Sorgfalt. Ist die Säure auskristallisiert, dauert das Freidampfen lange und ist mühselig. Manchmal müssen die Rohrschüsse sogar auseinander gebaut und einzeln frei gedampft werden. Die beschriebene „thermische“ Säure wird international mehr und mehr durch die Nassprozess-Phosphorsäure verdrängt. Der Aufschluss des Apatits bzw. Phosphorits erfolgt hierbei mit Säuren. Bei Verwendung von Schwefelsäure entsteht - neben der Phosphorsäure - Gips, welcher per Filtration abgetrennt wird. Es folgt die Reinigung der rohen Aufschlusssäure. Bei der Verarbeitung zu Natriumphosphaten wird von einigen Produzenten die ungereinigte Säure stufenweise mit Soda neutralisiert. Die Fällungsschlämme reißen die Verunreinigungen mit sich und werden abfiltriert. Modernere Verfahren arbeiten mittels Flüssig-Flüssig-Extraktion. Sie liefern eine qualitativ erstaunlich hochwertige Säure. <?page no="197"?> 189 5.2 Problemsituationen und Betriebsstörungen Das Hauptrisiko bei der Herstellung thermischer Phosphorsäure ist der elementare Phosphor selbst. Er wird per Steigleitung aus einem liegend angeordneten zylindrischen Reservoir zu den Verbrennungsdüsen gedrückt (analog zur Entleerung von Kesselwagen, beschrieben in Kap. 2.3, Abb. 8). So haben wir jahrzehntelang gearbeitet. Auch die Förderung per Tauchpumpe ist möglich und wurde später praktiziert. Wie oben beschrieben, arbeiteten wir zunächst mit neun kleinen Düsen pro Verbrennungsturm. Das hatte den Vorteil, dass auch beim Versetzen einzelner Düsen mit Phosphorschlamm zunächst weitergefahren werden konnte, da der Ausfall weniger Düsen den provisorischen Weiterbetrieb der noch funktionsfähigen Düsen bei insgesamt reduziertem Durchsatz erlaubte. Das sicherheitstechnische Problem bestand nun darin, dass die Arbeiter entgegen den Arbeitsschutzvorschriften versuchten, bei laufendem Betrieb die mit Phosphorschlamm verstopften Düsen frei zu stochern. Gern verwendet wurde ein zurechtgebogener Draht, mit dessen Hilfe der Arbeiter, seitlich am Turmkopf stehend, den zentralen Phosphorkanal der Düse traktierte. Wenn dann das gefährliche Medium auszutreten begann und der Draht noch in der Düse steckte, spritzte manchmal etwas vom brennenden Phosphor schräg seitlich heraus und traf den Arbeiter. Zu dieser Zeit - in den sechziger Jahren - hatten wir noch keine Nomex-Arbeitsschutzanzüge; so kam es mehrfach zu mittelschweren Verbrennungen mit all ihren Folgen (Kap. 2.4). Einige besonders „kühne“ Spezialisten schworen gar auf das so genannte Wippen, um die Düsen frei zu bekommen. Ich habe diese höchst fragwürdige Technik nie mit eigenen Augen gesehen und erfuhr davon erst nach Beendigung meiner Betriebsleitertätigkeit durch ein zufälliges Gespräch mit einem früheren Mitarbeiter. Beim „Wippen“ wurde mit einer Holzbohle gearbeitet, die etwa mittig auf den äußeren Rand der Überlauftasse gelegt und sodann unter die verstopfte Düse praktiziert wurde. Dann setzte der Arbeiter, der sich auf der Verbrennungsbühne seitlich vom Turmkopf befand, die „Wippe“ in Betrieb - entweder von Hand oder gar auf der Wippe stehend. Mir wurde versichert, dass sich durch die sehr heftigen Wipp-Bewegungen der Schlammpfropf meist löste und die Düse nach Entfernen der Bohle wieder arbeitete. Einige schworen angeblich sogar darauf, die Wippe besser unmittelbar unter den Phosphorzuleitungen, d. h. direkt neben den Düsen, anzusetzen. Dann sah man den Erfolg sofort und brauchte nicht zu warten, bis die Wippe entfernt war. <?page no="198"?> 190 Es dürfte wohl klar sein, dass es kaum einen gefährlicheren Unsinn geben kann. Allein die Vorstellung, dass im Flanschbereich oder anderswo eine der vielen - damals vergleichsweise schwachen - Phosphorleitungen in vollem Betrieb hätte reißen können, ist schlimm genug. Warum erfahrene Leute sich ohne Not diesem Risiko aussetzten, ist mir nicht klar. Möglicherweise spielte der bekannte psychologische Effekt „Ist ja immer gut gegangen“ auch in diesem Extremfall die entscheidende Rolle. So unwahrscheinlich es auch klingen mag: Unfälle hat es in diesem Zusammenhang nie gegeben. Jedenfalls hätte sich diese - wenigstens mir - nicht bekannte illegale Praxis im Verlaufe der Ursachenuntersuchung dann wohl nicht mehr vertuschen lassen. Allerdings will ich das nicht mit absoluter Sicherheit behaupten, denn es könnte sein, dass beispielsweise die Schichtleiter das Wippen kannten und stillschweigend tolerierten. In diesem Falle wäre das Vertuschen der eigentlichen Ursache eines derart ausgelösten Unfalles wohl möglich gewesen. Ein gefährlicher Sonderfall war das Erstarren von Phosphor in der Steigleitung zu den Türmen. Wir hatten 6 Türme im Parallelbetrieb. Die stündliche Gesamtzufuhr an Phosphor betrug etwa 2,7 bis 3,0 t. Entsprechend dimensioniert war die Steigleitung. Sie war aus 3 m langen Schüssen zusammengesetzt. Beim Anfahren, durch Ausfall der Heizung oder bei Bedienungsfehlern kam es gelegentlich zum Erstarren des Phosphors in der Steigleitung. Einfaches Freidampfen von einem Ende her funktioniert dann nicht mehr. So musste die mit Phosphor gefüllte Leitung an den Flanschen auseinandergebaut und abschnittsweise nach unten transportiert werden. Auf der ± 0 - Bühne liegend, wurden dann die einzelnen Schüsse vorsichtig freigedampft. Im Prinzip wurde beim Öffnen der Flansche so verfahren, wie im Kap. 2.3 beschrieben. Der Unterschied ist jedoch, dass es sich hier nicht um verbliebene Phosphorreste handelte. Vielmehr war die gesamte Leitung mit erstarrtem Phosphor gefüllt. So musste denn beim Öffnen der Flansche unter laufendem Kaltwasser mit besonderer Sorgfalt gearbeitet werden. Selbstverständlich konnten wir die Schüsse nicht einfach ohne Sicherungsmaßnahmen transportieren. Sofort nach Trennung der Leitung, den Flanschbereich ständig mit Kaltwasser berieselnd, wurden die Flansche der Schüsse deshalb mit feuchtem Ton verschmiert, der dann erst auf der ± 0-Bühne, unmittelbar vor Beginn des Freidampfens, vorsichtig entfernt wurde. Ein schwerwiegender Unfall ereignete sich im Jahre 1967 im Bereich unserer Reinsäureproduktion. Wie beschrieben, wird dabei Na 2 SLösung der technischen Phosphorsäure zugegeben, um mit Hilfe des freigesetzten H 2 S das störende As(III) in Form von As 2 S 3 auszufällen und dieses schließlich durch Filtration abzutrennen. <?page no="199"?> 191 Bevorratet wurde die Na 2 S-Lösung damals in einem einfachen zylindrischen Behälter mit 1,5 m 3 Inhalt. Das Na 2 S wurde über ein Mannloch in das im Behälter vorgelegte Wasser eingebracht und von Hand mit einer Art Stechpaddel verrührt. Dann wurde der Mannlochdeckel aufgesetzt und verschraubt. Die Förderung der Na 2 S-Lösung zum Fällungsbehälter geschah über eine knapp oberhalb des Behälterbodens beginnende Steigleitung. Die Lösung wurde also nicht gepumpt, sondern mittels zugeführter Druckluft herausgedrückt. Der Behälterdeckel trug ein fast antikes Manometer, welches an der 0,5 atü (! ) - Marke der Skala mit einem roten Strich versehen war. Die Instruktion sah vor, dass beim Bedienen des Behälters der Strich nicht überfahren werden durfte. Eines Tages flog dieser Behälter beim Drücken förmlich in die Luft. Die hydrolysebedingt stark alkalisch reagierende Na 2 S-Lösung spritzte weit herum und verätzte den Arbeiter. Deformierte Teile des Behälters trafen ihn an der Brust und schleuderten ihn bis an den Rand der Verbrennungsbühne. Er erlitt erhebliche Verletzungen im Schulterbereich, die sofort operiert werden mussten, und er verlor ein Auge. Die anschließende Untersuchung der genauen Ursachen ergab für uns, d. h. für den in der Säureanlage zuständigen Technologen und für mich, kein schmeichelhaftes Bild. Der Na 2 S-Behälter war sehr alt und bereits mehrfach nachgeschweißt bzw. geflickt worden. Er entsprach in keinem Punkt den für Druckgefäße geltenden technischen Anforderungen und hätte, ganz abgesehen vom nicht funktionsfähigen Sicherheitsventil, einer fachgerechten Druckprüfung gewiss nicht standgehalten. Die detaillierte Untersuchung der Vorgeschichte - soweit noch nachvollziehbar - ergab, dass der Behälter bereits seit Wiederinbetriebnahme der Phosphorsäureanlage, also seit den späten vierziger oder frühen fünfziger Jahren, genutzt worden war. Unsere Vorgänger hatten demnach den Zustand des Behälters und die unzulässige Betriebsweise entweder gar nicht bemerkt oder gleichgültig hingenommen. Für uns als die nunmehr Verantwortlichen stellte das allerdings keinerlei Entlastung dar, zumal ein erschwerendes Moment hinzu kam. Die Sicherheitsinspektion des Stickstoffwerkes hatte kurz zuvor allen Betrieben die Auflage erteilt, eine vollständige Liste aller im jeweiligen Verantwortungsbereich genutzten Behälter zu erarbeiten. Die Auflage wurde dahingehend präzisiert, dass bei dieser Gelegenheit zu prüfen sei, ob irgendeiner der Behälter als Druckgefäß betrieben werde bzw. werden könne, ohne die dafür erforderlichen technischen Anforderungen zu erfüllen. Ich hatte den Auftrag zur Erfüllung dieser Auflage meinen beiden Technologen erteilt. <?page no="200"?> 192 Fristgerecht legte mir der Technologe der Salzanlage seine umfangreiche Ausarbeitung vor. Ich war an diesem Tage durch eine Störung abgelenkt, unterschrieb sofort und schickte die Ausarbeitung an unsere Werks-Sicherheitsinspektion. Nicht beachtet hatte ich, dass die entsprechende Aufstellung zu den in der Säureanlage genutzten Behältern noch fehlte. Es ist müßig zu spekulieren, wie gut oder wie schlecht diese Aufstellung ausgefallen wäre, und ob die Gefahr bei dieser Gelegenheit entdeckt worden wäre. Jedenfalls fehlte die Aufstellung. Mir hätte das unbedingt auffallen müssen, d. h., ich hätte die vorhandene - unvollständige, nur die Salzanlage betreffende - Aufstellung nicht als ein für den Gesamtbetrieb gedachtes Dokument abliefern dürfen. In der folgenden Gerichtsverhandlung mussten wir, der für die Säureanlage zuständige Technologe und ich, uns für die geschilderten Mängel und den dadurch verursachten schweren Unfall verantworten. Ich habe die Verhandlung, insbesondere das Plädoyer des Staatsanwaltes, als maßvoll und sachlich in Erinnerung. Als entlastend wurde gewertet, dass wir in Sicherheitsfragen bisher nicht negativ aufgefallen waren. Wir verteidigten uns in der Sachfrage selbst. Jedoch gab es im damaligen DDR- Recht die Möglichkeit für den Beschuldigten, einen „Gesellschaftlichen Vertreter“ hinzuzuziehen. Er wurde gewöhnlich von der Gewerkschaft gestellt. Seine Funktion war in etwa die eines Leumundszeugen, d. h., er wurde weniger zum aktuellen Sachverhalt, dafür aber zum allgemeinen Verhalten des oder der Beschuldigten befragt. Unser gesellschaftlicher Vertreter äußerte sich für uns vorteilhaft. Schließlich wurde das Urteil verkündet. Wir erhielten jeweils einen öffentlichen Tadel sowie eine Geldstrafe. Der öffentliche Tadel war damals die geringst mögliche unter den aktenkundigen Strafen. Sie wurde nach einem Jahr aus dem Register gelöscht; bis dahin war man vorbestraft. Aus heutiger Sicht meine ich, dass das Urteil recht mild ausgefallen ist. Das eigentliche Problem des geschilderten Herganges sowie analoger (durchaus nicht branchenspezifischer) Vorkommnisse scheint mir eine schreckliche Betriebsblindheit zu sein, die wohl keinem erspart bleibt. Deshalb ist dringend davon abzuraten, dass sich in einem Betrieb die Verantwortlichen selbst kontrollieren dürfen. Wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, wurde jedoch diese Selbstkontrolle in den sechziger Jahren bei uns weitgehend praktiziert. Das heutige System der scharfen technischen Kontrollen „von außen“ wird zwar von den Betriebsverantwortlichen als lästig empfunden, es ist jedoch ungleich sinnvoller und zielführender als die (fast) ausschließliche Selbstkontrolle. <?page no="201"?> 193 6 Monophosphate und Polyphosphate 6.1 Gesamtübersicht und Nomenklatur Bereits im Jahre 1971 wurden die endgültigen Richtsätze für die Nomenklatur in der Anorganischen Chemie publiziert. Herausgeber war eine Kommission der IUPAC, der Internationalen Union für Reine und Angewandte Chemie. Diese Richtsätze haben seither Gültigkeit. Die Praxis zeigt jedoch, dass - gerade auf dem Gebiet der Anorganischen Phosphorchemie - alte und irreführende Namen bis heute beibehalten wurden, insbesondere im Sprach- und Schreibgebrauch der Industrie. Man mag dies beklagen, zumal es immer wieder zu Missverständnissen führt, jedoch haben wir uns als Praktiker mit dem Sachverhalt wohl abzufinden. Ein Vergleich legt dies nahe. Das Pfund als Einheit der Masse wurde im Deutschen Reiche i. J. 1871 offiziell durch das Kilogramm ersetzt. Noch heute aber verlangt der Kunde beim Metzger „ein Pfund Gehacktes“, und die Verkäuferin weiß dann durchaus Bescheid. Ich möchte deshalb zunächst eine Übersicht bringen, in der alte - teils irreführende oder sogar sachlich falsche - Bezeichnungen der seit 1971 gültigen offiziellen Nomenklatur gegenüber gestellt werden. Die parallel zur neuen Nomenklatur noch erlaubten alten (in der Industrie allgemein üblichen) Bezeichnungen werden ebenfalls aufgeführt. Betrachten wir die Nomenklatur am Beispiel der besonders wichtigen Natriumverbindungen. Die Salze der Monophosphorsäure (alte, noch übliche Bezeichnungen: Orthophosphorsäure oder Phosphorsäure) heißen exakt Monophosphate (noch üblich: Orthophosphate oder einfach Phosphate). IUPAC-Bezeichnungen: Mononatriumdihydrogenmonophosphat für NaH 2 PO 4 ; Dinatriummonohydrogenmonophosphat für Na 2 HPO 4 ; Trinatriummonophosphat für Na 3 PO 4 (im Betrieb werden diese Verbindungen einfach Mononatriumphosphat, Dinatriumphosphat und Trinatriumphosphat genannt). Verbindungen dieser Art lassen sich z. B. durch Kristallisation aus den entsprechenden Monophosphatlösungen - oft als Hydrate - gewinnen. Welches Produkt entsteht, hängt vom Molverhältnis Na : P ab. Falls sich mehrere Mole saurer Monophosphate untereinander zu kettenförmigen, ringförmigen oder vernetzten Verbindungen vereinigen, spricht man von Polyphosphaten oder Kondensierten Phosphaten. Unter „Kondensation“ wird in diesem Zusammenhang die Vereinigung mehrerer „saurer“ Monophosphatmoleküle zu höhermolekularen Verbindungen unter Wasseraustritt verstanden. Diese Klasse von Verbindungen bildet sich nur bei höheren Temperaturen. Folgende Beispiele zeigen einige der technisch wichtigsten Verbindungen: <?page no="202"?> 194 NaH 2 PO 4 + NaH 2 PO4 Na 2 H 2 P 2 O 7 + H 2 O (Dinatriumdihydrogendiphosphat, meist saures Natriumpyrophosphat genannt; Na : P = 1 : 1) Na 2 HPO4 + Na 2 HPO 4 Na 4 P 2 O 7 + H 2 O (Tetranatriumdiphosphat, gewöhnlich neutrales Natriumpyrophosphat genannt; Na : P = 2 : 1) 2 Na 2 HPO 4 + NaH 2 PO 4 Na 5 P 3 O 10 + 2 H 2 O (Pentanatriumtriphosphat, gewöhnlich Natriumtripolyphosphat genannt; Na : P = 5 : 3) 2 Na 2 HPO 4 + 2 NaH 2 PO 4 Na 6 P 4 O 13 + 3 H 2 O (Hexanatriumtetraphosphat, auch Natriumtetrapolyphosphat genannt; Na : P = 1,5 : 1). Die kettenförmig kondensierten Phosphate werden nach Oligophosphaten (kurzkettigen Polyphosphaten gemäß o. a. Beispielen) sowie langkettigen Polyphosphaten unterschieden. Entscheidend für die jeweils entstehende Verbindung ist wiederum das Na : P - Verhältnis in der Monophosphat-Ausgangssubstanz. Eine Ausnahme ist das Molverhältnis von 1 : 1. Bei diesem Molverhältnis - und nahe dabei - lassen sich, je nach den angewandten Bedingungen, die unterschiedlichsten Produkte erzeugen - nicht nur, wie in der ersten der obigen Gleichungen dargestellt, das saure Natriumpyrophosphat. Ich werde weiter unten darauf eingehen. Zunächst aber sollen die Typen der kondensierten Phosphate einander gegenüber gestellt werden (Tab. 9). Typen Beispiele mit neuen u. alten Bezeichnungen Molverhältnis Na : P Kettenlänge Formel Oligophosphate (kurzkettig kondensierte Phosphate) Tetranatriumdiphosphat (Neutrales Pyrophosphat) Pentanatriumtriphosphat (Natriumtripolyphosphat) 2 : 1 5 : 3 2 3 Na 4 P 2 O 7 Na 5 P 3 O 10 Langkettig kondensierte Phosphate Grahamsches Salz (fälschlich: Natriumhexametaphosphat) Maddrellsches Salz (fälschlich: Natriummetaphosphat) 1 : 1,1 - 1 : 1 1 : 1 etwa 12 bis 60 etwa 1 000 (NaPO 3 ) n · H 2 O (NaPO 3 ) n · H 2 O Metaphosphate, Cyclophosphate (ringförmig kondensierte Phosphate) Natriumtrimetaphosphat 1 : 1 Keine Kette (ringförmig verknüpft) (NaPO 3 ) 3 Ultraphosphate (netzförmig kondensierte Phosphate) Ultraphosphat < 1 : 1 hochmolek. Netzwerk (Na x H y PO 3 ) n Tab. 9 Typen der kondensierten Phosphate sowie einige wichtige Beispiele <?page no="203"?> 195 Die krassesten Missverständnisse entstehen immer wieder beim nach seinem Entdecker benannten Grahamschen Salz. Dabei handelt es sich um ein langkettiges Polyphosphatglas, in einem Schmelzprozess hergestellt aus NaH 2 PO 4 oder einer nahe dem Molverhältnis Na : P = 1 : 1 liegenden Monophosphatmischung. Das Produkt ist leicht wasserlöslich und hat wegen seines sehr guten Kalkbindevermögens besondere Bedeutung in der Wasserenthärtung erlangt. Es wird in der Industrie seit jeher, auch heute noch, hartnäckig als „Hexametaphosphat“ bezeichnet. Dieser Terminus ist eindeutig falsch, denn die Terminologie der IUPAC reserviert den Terminus „Metaphosphate“ (Cyclophosphate) ausdrücklich und ausschließlich für die ringförmig kondensierten Phosphate. Grahamsches Salz besteht jedoch mitnichten (wie der Name Hexametaphosphat suggeriert) aus Sechserringen, sondern ist vielmehr (s. o.) ein langkettig kondensiertes Phosphat. Diese Erkenntnis ist schon viele Jahrzehnte alt. Der dennoch hartnäckig beibehaltene Name stammt aus einer Zeit, als man wegen der noch unvollkommenen Analytik wohl tatsächlich davon ausging, es handele sich um Sechserringe. Meine Versuche, diesen irreführenden Namen abzuschaffen, sind gescheitert. Nun habe ich es aufgegeben. Wie in anderen Fällen auch, siegt eben die Gewohnheit. Beim vorliegenden Beispiel kommt hinzu, dass sich das Marketing - und dies international - weigert, auf die falsche (aber eben „gut eingeführte“) Bezeichnung zu verzichten. Auch das Maddrellsche Salz kann als Beispiel für eine irreführende Bezeichnung dienen. Es wird in der Industrie nach wie vor „Natriummetaphosphat“ genannt, obwohl es sich um ein langkettiges Polyphosphat handelt. Maddrellsches Salz ist im Gegensatz zum Grahamschen Salz (bei gleichem Verhältnis Na : P) wasserunlöslich und weitgehend inaktiv. Es wird z. B. als Putzkörper in Zahnpasten eingesetzt. Ein „echtes“ Metaphosphat ist hingegen das Natriumtrimetaphosphat. Es besteht aus drei ringförmig verknüpften NaPO 3 -Bausteinen, ist gut wasserlöslich, aber - aufgrund seiner Struktur - als Wasserenthärtungsmittel nicht wirksam. Eingesetzt wird es in der Stärkeindustrie. Die Ultraphosphate sind vernetzte aufgebaute Polyphosphate. Sie bilden sich beim Schmelzen von Mononatriumphosphat, welches etwas freie Phosphorsäure enthält. Die Anwendungsgebiete ähneln denen des Graham-Salzes, falls im sauren Milieu gearbeitet werden muss. Beim Ausgangs-Molverhältnis Na: P = 1: 1 haben wir es sichtlich (Tab. 9) mit einer besonderen Situation zu tun. Je nach den Reaktionsbedingungen bilden sich diverse kettenförmig kondensierte Phosphate sowie ein ringförmig kondensiertes „echtes“ Metaphosphat. <?page no="204"?> 196 Die Produkte gehen zudem einerseits durch Erhitzen, andererseits durch Abkühlen (Tempern bzw. Quenchen) ineinander über. Die Verhältnisse sind so kompliziert, dass sie sich noch am besten grafisch darstellen lassen. Nachfolgende Abb. 34 zeigt die Verbindungen, ihre Existenzbereiche sowie die diversen Wechselbeziehungen zueinander. Abb. 34 Die wichtigsten aus Mononatriumphosphat beim Entwässern entstehenden Produkte sowie ihre Beziehungen zueinander (nach: Thilo 1965 sowie Ullmann’s Encyclopedia 1991) Sehr viele Parameter, die für die betriebliche Praxis wichtig sind, fehlen in Abb. 34, bzw. sind nicht quantitativ angegeben. Beispielsweise ist das „Quenching“ (Abb. 34 unten) ein dehnbarer Begriff. An sich versteht man darunter schockartiges Abkühlen - es fragt sich aber, w i e schnell abgekühlt wird. Davon hängt dann beispielsweise die mittlere Kettenlänge des Grahamschen Salzes sowie der Gehalt an im Grahamschen Salz unerwünschten Trimetaphosphat ab. Was in Abb. 34 völlig fehlt, ist der Parameter „Wasserdampfpartialdruck“. Er ist jedoch für die Vollständigkeit der Umsetzung in Richtung auf ein bestimmtes Produkt von besonderer Bedeutung. So lässt sich beispielsweise Maddrellsches Salz nur bei sehr geringem Wasserdampfpartialdruck in hoher Qualität herstellen. <?page no="205"?> 197 6.2 Herstellung und Eigenschaften typischer Produkte Beginnen wir mit den Monophosphaten (Orthophosphaten) und betrachten wiederum bevorzugt ihre wichtigsten Vertreter, die Natriumverbindungen. In Piesteritz verfügten wir über ziemlich einfache, diskontinuierlich arbeitende Anlagen. Sie bestanden jeweils aus einem 40 m 3 -Rührwerksbehälter, dem Sättiger, in dem zunächst „gesättigt“, d. h. die Reaktion zwischen Phosphorsäure und Natronlauge - evtl. unter Zusatz von Mutterlauge - durchgeführt wurde. Jeder Sättiger war mit Kühlschlangen ausgerüstet, so dass er anschließend als Kristallisator gefahren werden konnte. Der im Ergebnis der Kühlungskristallisation gebildete Kristallbrei wurde sodann abgelassen und zentrifugiert. Die zentrifugenfeuchten Kristalle wurden zwecks Trocknung einem Drehrohrofen zugeführt. Es folgte der Transport per Becherwerk und Band zum Bunker, aus dem dann die Abfüllung für den Versand vorgenommen wurde. Die Mutterlauge wurde, sofern sie nicht allzu verunreinigt war, der nächsten Charge zugesetzt. Ansonsten wurde sie zuvor regeneriert. Zwei der insgesamt sechs Sättiger wurden zur Produktion der Ammonphosphate (Mono- und Diammoniumphosphat) genutzt, wobei das NH 3 direkt in die Phosphorsäure eingeleitet wird. Die „Ammonstraße“ wurde separat betrieben. Damit konnte jegliche Verunreinigung durch Alkaliionen ausgeschlossen werden. Zwei weitere Sättiger samt sich anschließender Produktionsstraße waren für die Produktion von Trinatriumphosphat reserviert. Die reinen Salze Mononatriumphosphat sowie Dinatriumphosphat wurden in der dritten - technisch wie die „Trinastraße“ ausgerüsteten - Einheit produziert. Nach entsprechender Reinigung aller Anlagenteile konnten erforderlichen Falles auch Kaliumphosphate (meist Mono- und Trikaliumphosphat) hergestellt werden. Diese an sich recht einfachen Ausrüstungen sind zur Herstellung einer Vielzahl interessanter Produkte geeignet. Sehen wir uns die wichtigsten Natriumverbindungen an. Ein typisches Massenprodukt ist das Trinatriumphosphat. Das bevorzugt produzierte Dodecahydrat ist durch eine Besonderheit charakterisiert. Das Kristallisat hat nicht, wie zunächst zu erwarten, die Formel Na 3 PO 4 · 12 H 2 O, sondern es entspricht etwa der Zusammensetzung Na 3 PO 4 · 12 H 2 O · 0,1 - 0,25 NaOH. In dieser Zusammensetzung kristallisiert die Verbindung auch dann aus, wenn bei der Neutralisation (beim „Sättigen“) das Molverhältnis Na : P ganz genau auf den Wert 3 : 1 eingestellt wurde. <?page no="206"?> 198 Wegen des - bezüglich Na 3 PO 4 · 12 H 2 O · 0,1-0,25 NaOH - unterstöchiometrischen Na : P - Verhältnisses enthält das Kristallisat dann stets auch ein wenig Na 2 HPO 4 · 12 H 2 O. Da sich jedoch das Molverhältnis 3 : 1 in der Summe der Produkte wiederfinden muss, fällt die abzentrifugierte Mutterlauge relativ saurer - d. h. hier: weniger alkalisch - an. Im Zusammenhang mit seiner ohnehin schon hohen Alkalität, noch verstärkt durch den Gehalt an freiem NaOH, wird Trinatriumphosphat für die Produktion von Grobreinigungs- und Scheuermitteln eingesetzt. Die übrigen Natriumphosphate verhalten sich weniger exotisch. Abb. 35 zeigt, welche Na-Phosphate sich - wasserfrei oder als Hydrat - prinzipiell vergleichsweise einfach herstellen lassen. Für die Herstellung von Käseschmelzsalzen sind, neben den kurzkettigen kondensierten Phosphaten, insbesondere Mono- und Dinatriumphosphat unverzichtbar. Abb. 35 Löslichkeit der Na - Monophosphate („Orthophosphate“) (nach: J. R. Van Wazer, Phosphorus and its com pounds, 1958 / 1961) <?page no="207"?> 199 Wir stellten neben dem o. a. Trinatriumphosphat bevorzugt die folgenden Verbindungen her: Na 2 HPO 4 · 12 H 2 O, NaH 2 PO 4 · 2 H 2 O, Na 2 HPO 4 , ferner die Kaliumphosphate KH 2 PO 4 und K 3 PO 4 · 7 H 2 O. Diese Salze wurden aus entarsenierter Säure in Lebensmittelqualität produziert. Die Herstellung reiner und reinster Salze gelingt, wenn entsprechende Rohstoffe zum Einsatz kommen. Wir haben viel experimentiert und in unseren einfachen Anlagen teils sogar hoch reine Salze produziert. Besondere Verdienste auf diesem Gebiet haben sich damals meine Mitarbeiterinnen Gisbier und Pietzner sowie der uns fachlich eng verbundene Mitarbeiter der Anorganischen Forschung Liedloff erworben. Ganz andere Technologien werden zur Produktion der Polyphosphate (Kondensierten Phosphate) eingesetzt. In Piesteritz war bereits in den vierziger Jahren von Wagner und Weitendorf die Drehrohrofen-Rückgut- Technologie entwickelt worden. Dabei wird in einer Doppelpaddelschnecke die Phosphat-Ausgangslösung - bzw. die Schmelze im Kristallwasser - mit dem jeweiligen Fertiggut in Form von aus dem Fertiggutstrang abgezweigten heißen Rückgut vermischt. Die so gebildete heiße, feucht-krümelige Masse wird dem Drehrohrofen zugeführt, in dem die Kondensationsreaktion stattfindet. Das erste Patent zu dieser Technologie heißt „Herstellung v. Tetraalkali-Pyrophosphat“ (Wagner u. Weitendorf 1943). Es beschreibt die genannte Doppelpaddelschnecke sowie einen im Gegenstrom befeuerten Drehrohrofen. Naheliegend ist, dass sich auch andere Polyphosphate, z. B. das besonders wichtige Pentanatriumtriphosphat Na 5 P 3 O 10 in dieser Weise produzieren lassen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Technologie zunächst in kleinen, mehr oder minder provisorischen Anlagen angewandt. Als ich 1963 Betriebsleiter wurde, war kurz zuvor eine neue, aus vier parallelen Einheiten bestehende Großanlage angefahren worden. Sie arbeitete jedoch nicht nach dem Gegenstromprinzip, sondern die Drehrohröfen wurden im Gleichstrom mit CO-Gas (Phosphorofengas bzw. Carbidofengas) befeuert. Wir produzierten überwiegend Na 4 P 2 O 7 und Na 5 P 3 O 10 , später auch Na 2 H 2 P 2 O 7 sowie das damals exotische Na 3 HP 2 O 7 . Abb. 36 zeigt das Verfahrensschema. Bis auf die hier angewandte Gleichstromfahrweise lehnt sich die Technologie in allen übrigen Punkten sehr eng an die Entwürfe von Wagner und Weitendorf (1943) an. Als Hauptproblem im Dauerbetrieb stellte sich für uns die Fahrweise der Doppelpaddelschnecke heraus. Immer wieder kam es zu Störungen und Blockaden. Hauptursache war die Bildung harter Brocken und Anbackungen. Offensichtlich verlief der Mischvorgang zwischen Rückgut <?page no="208"?> 200 und der konzentrierten Ausgangs-Monophosphatlösung („Maische“) nicht absolut gleichmäßig, so dass bereits im Falle kurzzeitiger lokaler Überkonzentrationen an letzt genannter Komponente unvermeidlich Klumpen entstanden. Sie blockierten die Doppelpaddelschnecke derart, dass der Antriebsmotor wegen Überlastung ausfiel. Abb. 36 Piesteritzer Drehrohrofen-Rückgut-Verfahren zur Herstellung kondensierter Phosphate (Sachstand 1962 bis 1969) 1 Sättiger; 2 Zwischenbehälter; 3 Doppelpaddelschnecke; 4 CO-Zuführung zum Brenner; 5 Ofenkopfgehäuse; 6 Drehrohrofen; 7 Ofenausfallgehäuse; 8 Hammermühle; 9 Becherwerk; 10 Telleraufgeber als Materialstrom-Teiler; 11 Stiftmühle für das Fertigprodukt; 12 Rückgut-Förderanlage; 13 Zyklon; 14 Abgasgebläse; 15 Elektrische Gasreinigung (hat sich nicht bewährt) Nun wurde es erst richtig schlimm, denn im unbewegten Zustand erstarrte die Rückgut-Monophosphat-Mischung meist innerhalb kurzer Zeit fast komplett. Der Inhalt der Schnecke musste in solchen Fällen unverzüglich ausgestemmt werden, damit die Anlage wieder anfahren konnte. Während der Stemmarbeiten war selbstverständlich die Sicherung des Antriebsmotors zu entfernen. Um zu prüfen, ob die Stemmarbeiten mit Brechstange und Presslufthammer Erfolg gebracht hatten, wurde bereits vor der kompletten Beräumung der Schnecke die Sicherung wieder eingesetzt und der Antriebsmotor versuchsweise zugeschaltet. <?page no="209"?> 201 So konnten bereits gelockerte Klumpen und Schwarten in Bewegung gesetzt und herausgefahren werden, was weitere mühsame Stemmarbeien überflüssig machte. Das war so verlockend, dass eines Tages der Schichtleiter - entgegen allen Vorschriften - die Sicherung gar nicht erst entfernen ließ, und mit einem Sicherheitsposten in der Messwarte operierte. Dieser wurde beauftragt, auf Kommando zuzuschalten. Durch einen Kommunikationsirrtum bzw. Übermittlungsfehler kam es dann prompt zu einem schlimmen Unfall. Der Sicherheitsposten schaltete zu, als die Brechstange noch in der Schnecke steckte. Die Stange schlug herum und zertrümmerte dem neben der Schnecke stehenden Schichtleiter den Unterkiefer. Durch den Umstand, dass es sich um Selbstverschulden des Schichtleiters handelte, fühlte ich mich jedoch keineswegs entlastet. Die Paddelschnecken-Störungen verführten ja regelrecht dazu, sich derart bedenklicher Verfahrensweisen zu bedienen. Hinzu kam, dass das heiße Rückgut der Schnecke in Pulverform zugeführt wurde. Abgesehen vom Staubproblem bindet ein derartiges Gut mit zugeführter Maische - wie die tägliche Praxis zeigte - nicht immer sofort, und schon gar nicht gleichmäßig ab. Überdenken wir folgendes Analogon. Wenn sommerheißer Staub - z. B. auf einem Feldweg - mit Wasser in Kontakt gebracht wird, verwandelt sich der Staub durchaus nicht sofort in Schlamm. Zunächst rinnt das Wasser über bzw. durch den Staub, ohne dass dieser abbindet. Erst allmählich sickert das Wasser ein, und benetzt die Staubkörnchen schließlich mehr oder minder gleichmäßig. Im Falle unserer Rückgut- Maische-Mischung war die Situation noch deutlich komplizierter. Dabei spielen unübersichtliche Hydratationsvorgänge eine Rolle, wie beispielsweise der Entzug von Wasser aus der Maische zugunsten der Bildung des Tri(poly)phosphat-Hexahydrats Na 5 P 3 O 10 · 6 H 2 O. Wir waren also aus mehreren Gründen motiviert, die Paddelschnecke überflüssig zu machen. Allerdings war dafür Sorge zu tragen, dass der notwendige Mischvorgang zwischen Rückgut und Maische - wenn möglich, besser als zuvor - trotz Wegfalls der Schnecke gesichert wurde. Dafür bot sich eine aus der Düngemittelindustrie bekannte Verfahrensweise an: Aufgabe der Maische im vorderen Drehrohrofenbereich vor der Stauscheibe, Nutzung der Bewegungsenergie des Drehrohrs zum Vermischen mit dem Rückgut und zur Bildung von Granalien. Zwar arbeitete auch die Düngemittelindustrie oft noch mit Doppelpaddelschnecken, grundsätzlich möglich - ein entsprechend sorgfältiges Regime vorausgesetzt - ist jedoch der Verzicht auf dieses Aggregat und die Übernahme seiner Funktion durch den rotierenden Trommelkopf. <?page no="210"?> 202 Bei unseren Versuchen stellte sich heraus, dass die Aufgabe der Maische auf das Gut im Trommelkopf mit Hilfe von Düsen nicht zweckmäßig ist. Nach vielen Fehlversuchen arbeiteten wir schließlich mit einem mehrfach seitlich angebohrten Spritzrohr, welches am Ende blind geschweißt ist. Zahl der Bohrungen, lichte Weite und ihr Abstand voneinander gehören zum engeren know how. Für jedes Produkt gibt es bei uns ein bezüglich o. a. Parameter optimiertes Spritzrohr („Maischerohr“). Diese einfache Vorrichtung hat sich bis zum heutigen Tage hervorragend bewährt. Die mit der Paddelschnecke fast zwingend verbundenen Störungen gehören nach dem völligen Verzicht auf dieses Aggregat der Vergangenheit an. Ferner konnte die Produktionskapazität mehr als verdoppelt werden. Abb. 37 zeigt die Anlage nach erfolgtem Umbau. Abb. 37 Modifiziertes Piesteritzer Drehrohrofen-Rückgut-Verfahren zur Produktion kondensierter Phosphate (Zobel, Kuchler, Oppermann u. Soyka 1969) 1 Sättiger; 2 Zwischenbehälter; A Maischepumpe; 4 CO-Zuführung zum Brenner; 6 Drehrohrofen; 7 Ofenausfallgehäuse; 9 Becherwerk; 10 Materi alstrom-Teiler mit Lochblech; 11 Stiftmühle für das Fertigprodukt; B Rückgutschurre; 13 Zyklon; 14 Abgasgebläse; 15 Elektrische Gasreinigung (später ersetzt durch eine im Umlauf gefahrene Abgaswäsche) Die Doppelpaddelschnecke (ehem. Pos. 3) entfällt nunmehr komplett. Ihre Funktion wird von der ersten Sektion des Drehrohrofens - dem Abschnitt vor der Stauscheibe - übernommen. <?page no="211"?> 203 Neu ist die Pumpe A. Sie beschickt das Maischerohr mit der Monophosphatlösung. Da ich einen ausgeprägten Hang zur Nutzung von Naturkräften habe, erprobten wir auch die Fahrweise ohne Pumpe und nutzten die Höhendifferenz zwischen Ansatzbehälter und Drehrohrofen. Für die Tripolyphosphat-Produktion kam das - wegen des hohen Maische-Bedarfs - bei den gegebenen Höhenverhältnissen leider nicht infrage, wohl aber für die Herstellung von Na 2 H 2 P 2 O 7 und Na 3 HP 2 O 7 . Wir verzichteten ferner auf das frühere Ofenkopfgehäuse (Pos. 5 in Abb. 36). Nun konnten wir die Granalienbildung in der für das Verfahren entscheidenden ersten Sektion des Ofens direkt beobachten. Das Weglassen der Hammermühle (ehem. Pos 8) erwies sich zunächst als wenig vorteilhaft. Zwar führte die neue Fahrweise zu einem recht gleichmäßig granulierten Gut (mittlerer Durchmesser der Granalien: 1-3 mm), dennoch ließen sich Anbackungen nicht völlig vermeiden. Wurden sie abgestoßen, gerieten sie über das Becherwerk 7 bis zum neu entwickelten Materialteiler 10, der als einfache Lochscheibe arbeitet. Kamen plattenförmige „Schwarten“ bis hierher, versetzte sich die Lochscheibe. Das Rückgut fiel dann völlig aus, und das gesamte Material wurde über die Stiftmühle 11 in den Fertiggutstrang gefahren. Wir behalfen uns schließlich mit einem groben - besonders robusten - Stabsieb im letzten Abschnitt des Drehrohrofens. Ein endständig rundum angeschweißtes Bord verhindert, dass Schwarten direkt in das Becherwerk geraten. Meist genügt der Mahleffekt des Gutes im sich drehenden Ofen, die Schwarten in gängige Teilstücke zu zerlegen. Nur selten muss dieser Bereich von extrem stabilen Schwarten manuell beräumt werden. In Abb. 37 nicht mit dargestellt ist die Kühltrommel, die wir in den Fertigproduktstrom unterhalb der Stiftmühle Pos. 11 zusätzlich einbauten. Die Rückgutschurre B war als einfaches wärmeisoliertes Rohr geplant. Leider konnten wir sie in Piesteritz aus Platzgründen nicht einbauen. Sie hätte das uneingeschränkte Arbeiten mit unserem Portalkran behindert. So installierten wir denn Redler, welche die zuvor verwendeten - störanfälligen und reparaturintensiven - Trogschnecken ersetzten. Die Redler haben sich im Dauerbetrieb bestens bewährt. Worauf es jedoch ankommt, ist nicht ein bestimmtes Aggregat, sondern die verlässliche Erfüllung einer F u n k t i o n. Als Praktiker schätzt man ganz besonders jene Aggregate, die nicht (mehr) da sind. So trieb mich denn der Gedanke an die einfache Rückgutschurre weiter um. Ich empfahl sie - im Rahmen meiner ehrenamtlichen Arbeit als Seniorexperte - einer thailändischen Firma. Diese nicht mehr zu vereinfachende Rückgutführung hat sich in Bangkok bestens bewährt. <?page no="212"?> 204 Das wichtigste der so (Abb. 37) herstellbaren Produkte ist das Pentanatriumtriphosphat Na 5 P 3 O 10 , im täglichen Umgang Tripolyphosphat (oder einfach „Tripoly“) genannt. Die Anti-Phosphat-Kampagne der siebziger Jahre hat den Einsatz in der Waschmittelindustrie stark reduziert, trotzdem spielt dieses Produkt noch immer eine Rolle als Waschmittelphosphat. Hinzu kommt die Anwendung in der Lebensmittelindustrie. Ursprünglich arbeitete die Waschmittelindustrie so, dass alle Komponenten - die Organika, die Polyphosphate, und teils sogar die Füllstoffe - in den so genannten Slurry (eine wässrige Aufschlämmung) eingebracht, und dann gemeinsam zum Fertigprodukt versprüht wurden. Solche Produkte sind einheitlich, d. h., sie sind Korn für Korn von gleicher Zusammensetzung, und sie entmischen sich nicht in der Packung. Dafür sind sie jedoch - wegen des hohen Energieaufwandes im Sprühturm - ziemlich teuer. Die Waschmittelindustrie war deshalb stets daran interessiert, nur diejenigen Komponenten im eigenen Hause zu versprühen, welche unbedingt, z. B. zwecks Formgebung, versprüht werden müssen. Alle anderen Komponenten sollten, wenn möglich, anschließend beigemischt werden. Dies setzt voraus, dass die beizumischenden Komponenten möglichst genau das gleiche Schüttgewicht wie das Sprühprodukt haben müssen. Ist diese Bedingung nicht erfüllt, so entmischen sich die Komponenten in der Waschmittelpackung. Das ist nicht nur optisch unbefriedigend. Es bedeutet zudem, dass der Packung entnommene Teilmengen jeweils unterschiedliche Waschaktivitäten haben können. Der Kunde bekommt so Probleme mit der verlässlichen Dosierung. Das Schüttgewicht der in einer heutigen Waschmittelfabrik durch Versprühen erzeugten Vorprodukte liegt, je nach angewandter Technologie, zwischen etwa 0,4 und 0,9 kg/ dm 3 . Damit ergibt sich die Notwendigkeit zur Erzeugung eines Tripolyphosphates vergleichbar geringen Schüttgewichtes. Ein derartiges (zum nachträglichen Beimischen geeignetes) Produkt lässt sich nach dem Piesteritzer Verfahren (Abb. 37) leider nicht erzeugen. Unser Verfahren liefert „schwere“ Ware mit einem Schüttgewicht um 1,1 kg/ dm 3 . Durch Feinstmahlung lässt sich zwar ein noch etwas geringeres Schüttgewicht einstellen, Werte unterhalb 0,9 kg/ dm 3 sind jedoch auch damit nicht zu erreichen. Zur Produktion leichter Na 5 P 3 O 10 -Ware gibt es mehrere Möglichkeiten. Beim klassischen zweistufigen Verfahren wird die Monophosphatlösung zunächst zu einem wasserfreien Monophosphatgemisch (Molverhältnis Na : P = 5 : 3) versprüht. Dieses wird im nachgeschalteten Drehrohrofen calciniert. Das so erhaltene Na 5 P 3 O 10 lässt sich - je nach angewandten Bedingungen - mit Schüttgewichten von 0,5 bis 0,9 kg/ dm 3 herstellen. <?page no="213"?> 205 Einen einstufigen Sprühprozess hatten unsere Kollegen in Knapsack entwickelt. Dabei wird die Monophosphatlösung in einem mit Erdgas beheizten Sprühturm aus Edelstahl direkt bis zum fertigen Triphosphat umgesetzt. So lassen sich Schüttgewichte um 0,4 kg/ dm 3 erreichen, und das Produkt ist damit für die Herstellung spezifisch sehr leichter Waschmittel hervorragend geeignet. Beide Technologien werden beispielsweise im „Ullmann“ (1991) näher beschrieben. Nicht entfernt so wichtig wie das Na 5 P 3 O 10 ist Na 4 P 2 O 7 , das Tetranatriumdiphosphat, im Betrieb „neutrales Pyrophosphat“ oder „Pyro neutral“ genannt. Es wird aus Dinatriumphosphatmaische nach Rückgutzugabe bei 360 - 380°C hergestellt. Da es - ganz im Gegensatz zum Na 5 P 3 O 10 - ein nur schwach ausgeprägtes Kalkbindevermögen besitzt, ist es für die Haushaltswaschmittelindustrie nicht (mehr) interessant. Heute wird es in Grobreinigungsmitteln und Industriereinigern eingesetzt. Weit wichtiger ist das Dinatriumdihydrogendiphosphat Na 2 H 2 P 2 O 7 , im betrieblichen Sprachgebrauch „saures Pyrophosphat“ oder einfach „Pyro sauer“ genannt. In den fünfziger und sechziger Jahren wurde es bei uns in einer alten Anlage zunächst nach dem direkten Drehrohrofenverfahren - ohne Rückguteinsatz - hergestellt. Das Eindampfen der zu diesem Zwecke eingesetzten Mononatriumphosphatmaische geschah im ersten Abschnitt des Drehrorofens vor der Stauscheibe, gefolgt von der hinter der Stauscheibe ablaufenden Kondensationsreaktion. Die Qualität des Produktes schwankte stark. Das war indiskutabel, denn saures Pyrophosphat fungiert als Säureträger in modernen Backpulvermischungen. Entsprechend hohe Qualitätsanforderungen waren zu erfüllen. So versuchten wir - nach Behebung der Kinderkrankheiten letztlich erfolgreich - auch dieses Produkt nach dem Drehrohrofen-Rückgut- Verfahren zu erzeugen. Später wurden Spezialqualitäten unterschiedlicher Reaktivität („ROR“ = rate of reaction) verlangt. Auch solche Produkte werden nunmehr nach unserem Verfahren hergestellt. Ein sehr spezielles Fabrikat ist das Trinatriummonohydrogendiphosphat Na 3 HP 2 O 7 , in Piesteritz unter dem Namen Triasal hergestellt. Außer dem wasserfreien Salz existieren noch Monohydrat und Nonahydrat. Ursprünglich wurde die Wirkung eines zwischen neutralem und saurem Pyrophosphat liegenden Produktes mithilfe einer stöchiometrischen Mischung beider Diphosphate erzielt. Jedoch ist es auch bei korrekter Arbeitsweise nicht leicht, einwandfreie Mischungen herzustellen. Bereits recht geringe Unterschiede bezüglich Kornspektrum und Schüttgewicht können dazu führen, dass die Mischung nicht homogen ist. <?page no="214"?> 206 Gisbier (1975) befasste sich intensiv mit den wichtigsten Mängeln dieser früher üblichen Vorgehensweise. So erlag beispielsweise mancher Metzgermeister der Versuchung, vom Na 4 P 2 O 7 etwas mehr als stöchiometrisch berechnet zu dosieren, und damit unerlaubt viel Wasser und Fett in sein Produkt zu zaubern. Deshalb wurde nur noch der Einsatz von der Industrie gelieferter, homogener, garantiert stöchiometrischer Gemische erlaubt. Das eigentliche Ziel musste jedoch sein, jegliche Manipulationsmöglichkeit - und zwar durch den alleinigen Einsatz der echten Verbindung Na 3 HP 2 O 7 - auszuschließen. Gisbier (1975) analysierte die damals aktuellen Probleme bei der Herstellung der Verbindung. In Piesteritz gelang es schließlich auf zwei Wegen, das Produkt unter technischen Bedingungen zu erzeugen. Zunächst wurde der „nasse“ Weg gewählt: Na 2 H 2 P 2 O 7 wird in vorgelegte 3 - 8%ige Natronlauge bis zum Gesamtverhältnis Na : P = 1,5 eingerührt. Dabei steigt die Temperatur auf 40° C. Sodann wird filtriert, und das Filtrat wird schließlich auf Werte um 20°C abgekühlt. Das Produkt kristallisiert in reiner Form als Na 3 HP 2 O 7 · 9 H 2 O aus (Liedloff, Gisbier, Hepke und Stachowski 1979). Der in der Fachliteratur zunächst für nicht gangbar erklärte „trockene“ Weg - durch thermische Kondensation eines Monophosphatgemisches im Molverhältnis Na : P = 1,5 : 1 - erwies sich schließlich als doch gangbar (Gisbier, Liedloff, Pietzner u. Stachowski 1987). Angewandt wurde wiederum das im Gleichstrom arbeitende Drehrohrofen-Rückgut-Verfahren. Die Abgastemperatur wird vorteilhaft bei 200 - 220°C gehalten. Das Na 3 HP 2 O 7 -Produkt ist fast frei von unlöslichen Bestandteilen, die bei diesem Na : P - Verhältnis typischerweise in Form von Maddrellschem Salz vorliegen. Industriechemikern gelingt es nur selten, ein zunächst rein technisches Ergebnis mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu verknüpfen. Im vorliegenden Falle gelang dies jedoch. So konnten Ladwig, Liedloff, Gisbier, Pietzner und Stachowski (1988) nachweisen, dass sich unter ganz bestimmten, genau definierten Bedingungen („Auswahlerfindung“) nach dem Drehrohrofen-Rückgut-Verfahren sogar eine neue, bisher nicht bekannte Modifikation des Na 3 HP 2 O 7 herstellen lässt: „Das hergestellte Trinatriumhydrogendiphosphat wurde aufgrund der ermittelten Röntgenbeugungsreflexe als neue Modifikation identifiziert und besitzt ausgezeichnete Löseeeigenschaften“. <?page no="215"?> 207 Eine gewisse Sonderstellung innerhalb der Gruppe der Kondensierten Phosphate nehmen die langkettigen Polyphosphate ein, vertreten insbesondere durch das Grahamsche Salz, das in einem Schmelzprozess hergestellt wird. Es ist gut wasserlöslich und außerordentlich aktiv, was sein Kalkbindevermögen anbelangt. Die Herstellungstechnologie ist in Abb. 38 schematisch dargestellt. Im Prinzip wird weltweit in dieser Weise verfahren. In Piesteritz gab es vor Einführung dieser Technologie jedoch eine Besonderheit, die hier kurz eingeblendet werden soll. Bereits in den vierziger Jahren war, wohl von Weitendorf, eine Drehrohrofen-Technologie zur Herstellung eines dem Grahamsalz ähnlichen Polyphosphates entworfen worden. Die Öfen wurden mit unter Bindemittelzusatz gefertigten und dann gebrannten, rohrförmigen Siliciumcarbid- Formkörpern ausgekleidet. Die kleinen, im Parallelbetrieb arbeitenden Drehrohröfen hatten einen Innendurchmesser von ca. 300 mm und wurden im Gegenstrom mit einer CO-Gas-Flamme direkt beheizt. Die eingesetzte Mononatriumphosphat-Lösung enthielt ca. 20 Mol-% an KH 2 PO 4 . So konnte bei wesentlich niedrigeren Temperaturen (verglichen mit dem Einsatz reinen Mononatriumphosphates) gefahren werden. Die gewonnene Schmelze wurde auf einer Kühlwalze abgeschreckt. Es folgte die Mahlung des so erhaltenen Polyphosphatglases. Diese Technologie fand ich 1963 als junger Betriebsleiter vor. Zu ihren Mängeln gehörte, dass sich während des Betriebes Partikel der Siliciumcarbid-Ofenauskleidung lösten und in das Produkt gelangten. So stieg der Gehalt an unlöslichen Anteilen z. T. sogar über das erlaubte Limit hinaus an. Da technisches SiC schwarz gefärbt ist, fiel die Verunreinigung des Produktes jedoch bereits unterhalb des Limits auf. In Vorbereitung der von uns - auch wegen der nicht ausreichenden Kapazität - ohnehin geplanten Neuanlage machten wir uns zunächst mit polnischen und tschechischen Anlagen vertraut. Dort wurde, wie international üblich, in einer mit Zirkon-Formsteinen ausgekleideten Schmelzwanne gearbeitet (b in Abb. 38). Wir erfuhren, dass die Zirkon-Formsteine, fast wie unsere Siliciumcarbid-Auskleidungen, im Dauerbetrieb auch nicht völlig stabil sind. Die Öfen mussten deshalb in Abständen von etwa einem halben Jahr neu ausgemauert werden. So entschlossen wir uns, einen ganz anderen Weg zu gehen, und eine doppelwandige wassergekühlte Edelstahl-Schmelzwanne zu konstruieren. Besondere Verdienste um diese Entwicklung hat sich Leithoff erworben. Nach etlichen Fehlversuchen gelang es schließlich, eine Wanne mit einem sehr speziellen Kühlkragen dauerhaft zu betreiben. Das darin erzeugte Produkt ist frei von mechanischen Verunreinigungen. <?page no="216"?> 208 Unsere feuerfest ausgemauerte Muffel bzw. das Ofengewölbe entsprechen im Prinzip dem Schema in Abb. 38. Die neuartige wassergekühlte Schmelzwanne wurde anstelle der Zirkonausmauerung (b in Abb. 38, schraffiert) eingebaut. Alle anderen Teile der Anlage unterscheiden sich kaum von den international üblichen Installationen (Schmelze-Ablauf c; Kühlwalze zum Abschrecken der Schmelze d; Transportschnecke e; Fertigproduktmühle f zum Aufmahlen des Phosphatglases). Die Zusammensetzung des nach diesem Verfahren erhältlichen Produktes hängt einerseits vom Na: P-Verhältnis der eingesetzten Phosphatmaische, andererseits von der Abschreckgeschwindigkeit der Schmelze auf der Kühlwalze ab. Theoretisch wäre beim Molverhältnis Na : P = 1 : 1 (stöchiometrisches Mononatriumphosphat als Ausgangssubstanz) nach dem Abschrecken der Schmelze ein sehr langkettiges Polyphosphat zu erwarten. Praktisch erreicht werden jedoch mittlere Kettenlängen von etwa 20 bis 60. Noch kürzere Ketten entstehen, wenn das Ausgangsmaterial ein entsprechend hohes Molverhältnis Na : P (beispielsweise von 1,2 bis 1,4 : 1) aufweist. So führt ein Molverhältnis Na : P von 1,4 zu einem Produkt der mittleren Kettenlänge 7 (P 2 O 5 -Gehalt: 62 %). Abb. 38 Verfahren zur Herstellung von Grahamschem Salz (nach: Rudy 1960 sowie Ull mann’s Encyclopedia 1991) a) Gasbrenner b) Schmelzwanne c) Polyphosphatschmelze d) Doppel-Kühlwalze e) Transportschnecke f) Fertigproduktmühle <?page no="217"?> 209 In keinem Falle entstehen Produkte mit jeweils definierter Kettenlänge. Stets bildet sich ein Gemisch von Polyphosphaten unterschiedlicher Kettenlängen, für das nur die oben erwähnte mittlere Kettenlänge als Charakteristikum angegeben werden kann. In dieser Beziehung gibt es erwartungsgemäß keine Unterschiede zwischen der Herstellung in einer mit Zirkonsteinen ausgekleideten Wanne und in unserer wassergekühlten Edelstahlschmelzwanne. Den Unterschied macht allein die bezüglich der unlöslichen Anteile erreichte Reinheit des Produktes aus. In Tab. 10 sind die Hauptparameter der wichtigsten kettenförmig kondensierten Phosphate einander gegenüber gestellt. Alle Verbindungen sind in sicherheitstechnischer Hinsicht weitgehend harmlos. Beeindruckend ist ihre anwendungstechnische Einsatzbreite. Grahamsches Salz und Tri(poly)phosphat sind ausgezeichnete Mittel zur Wasserenthärtung. Wie erwähnt, ist das Na 2 H 2 P 2 O 7 ein hervorragender Säureträger in Backpulvern. Das Na 3 HP 2 O 7 dient (s. o.) der gesteuerten Wasser- und Fettemulgierung im Brühwurstbrät. Käseschmelzsalze sind meist Monophosphat-Polyphosphatmischungen. Na 4 P 2 O 7 - mit gutem Eisenbindevermögen - ist Bestandteil vieler Industriereiniger. Bezeichnung der Verbindung Formel Molmasse (g / mol) P 2 O 5 - Gehalt (%) a) theor. b) prakt. pH in 1%iger wässriger Lösung Dinatriumdihydrogendiphosphat, saures Natriumpyrophosphat Na 2 H 2 P 2 O 7 221,94 63,7 63 - 64 3,7 - 4,4 Trinatriumhydrogendiphosphat, Trinatriumpyrophosphat Na 3 HP 2 O 7 243,95 58,2 57,5 - 58,5 6,7 - 7,3 Tetranatriumdiphosphat, neutrales Natriumpyrophosphat Na 4 P 2 O 7 265,90 53,4 min. 53,0 10 - 11 Pentanatriumtriphophat, Natriumtripolyphosphat Na 5 P 3 O 10 367,86 57,9 min. 57,0 9 - 10 Grahamsches Salz „68“ („Natriumhexametaphosphat“) (NaPO 3 ) n · H 2 O (101,96) n + 18,01 69,6 67,5 - 69,5 6 - 7 Tab. 10 Die wichtigsten der kettenförmig kondensierten Phosphate Unerreicht ist die Synergie des Triphosphates Na 5 P 3 O 10 in Waschmitteln. Der Zusatz an Triphosphat ist nicht nur selbst waschaktiv, er potenziert darüber hinaus die Waschaktivität der organischen Detergentien. Symbolisch dargestellt sieht das so aus: 1 + 2 = (z. B.) 7,3 („Synergie“). <?page no="218"?> 210 Beziehen wir die Monophosphate mit ein, so gibt es nur zwei Produkte, die wegen ihres hohen pH in wässriger Lösung deutlich ätzend wirken. Dies sind Trinatriumphosphat und Tetranatriumdiphosphat. Beide Verbindungen können in Staubform recht unangenehm sein, da die Schleimhäute angegriffen werden. Na 5 P 3 O 10 wirkt etwas milder, liegt aber ebenfalls noch im deutlich alkalischen Bereich. Wässrige Lösungen letzt genannter Verbindungen sind - schon wegen ihrer Alkalität - so aggressiv, dass sie bestimmte Metalle völlig auflösen können. Eine Sachdiskussion dazu ist mir noch erinnerlich. Anfänglich hatten wir in unserer Anlage ziemliche Entstaubungs- und damit Umweltprobleme. Es war so schlimm, dass manchmal alle Dächer mit einer weißen Schicht bedeckt waren. Unsere Hauptprodukte waren damals Trinatriumphosphat, Tri(poly)phosphat und neutrales Pyrophosphat. Dem zufolge bestanden die Ablagerungen auf den Dächern überwiegend aus einem Gemisch dieser Verbindungen. Die Dachrinnen an unserer Anlage waren ursprünglich aus Hart-PVC gefertigt. Anscheinend hatte der Hersteller einen nur wenig wirksamen Lichtstabilisator verwandt. Jedenfalls hielten die Dachrinnen den harten Bedingungen nicht lange stand und wurden alsbald defekt. Ein leitender Mitarbeiter schlug daraufhin vor, Zinkdachrinnen zu installieren. Ich lehnte dies mit dem Bemerken ab, das habe vor Erledigung unseres Emissionsproblems gar keinen Zweck. In Anbetracht der stark alkalisch reagierenden Ablagerungen sei zu erwarten, dass sich das Zink schnell auflösen werde. Der Mitarbeiter konnte sich dies beim besten Willen nicht vorstellen. Ich führte ihm deshalb vor, wie sich Zinkpulver in einer wässrigen Triphosphatlösung verhält. Es löste sich zur Verwunderung des Mitarbeiters unter heftiger Gasentwicklung unverzüglich auf. Der Mitarbeiter hatte offensichtlich noch nie etwas von Zinkaten gehört. Natürlich war das, wegen des in Pulverform eingesetzten Metalls, ein etwas beschleunigtes Experiment. Massives Zink dürfte ein wenig länger standhalten, ist aber, eben wegen der Zinkatbildung, völlig ungeeignet. Nicht besser war der nächste Vorschlag, dann doch Aluminiumdachrinnen einzusetzen. Hier verlief das analoge Experiment ganz besonders eindrucksvoll: Aluminate bilden sich unter ansonsten vergleichbaren Bedingungen noch leichter als Zinkate. Kurz sei noch auf die Rolle der kondensierten Phosphate, insbesondere des Na 5 P 3 O 10 , in modernen Haushaltswasch- und Reinigungsmitteln eingegangen. Die oben erwähnte Synergie zwischen den organischen Detergentien und dem Triphosphat war in den fünfziger und sechziger <?page no="219"?> 211 Jahren des vorigen Jahrhunderts der Grund dafür, dass praktisch alle Waschmittel erhebliche Mengen an Na 5 P 3 O 10 enthielten. Damit erhöhte sich die ohnehin vergleichsweise hohe Phosphatfracht, die mit den häuslichen Abwässern in die Vorfluter gelangte. Die Folge war eine zunehmende Eutrophierung (d. h. eine starke Anregung des Algenwachstums in den Flüssen und Seen). Nach dem Absterben der Algen kam es verstärkt zu Fäulnisprozessen. Die damit verbundene H 2 S-Bildung führte zum „Umkippen“ der Gewässer und schließlich zum Fischsterben. Nun wurde der Ruf nach phosphatarmen bzw. phosphatfreien Waschmitteln laut. Die daraufhin erprobten Substitute waren zwar phosphatfrei, hatten aber den entscheidenden Nachteil, keinerlei Synergie zu besitzen. Die Waschwirkung der neuen Rezepturen war und ist damit eindeutig schlechter als die der polyphosphathaltigen Waschmittel. Hinzu kam, dass einige der zunächst verwendeten Substitute, so das Na-Salz der Nitrilotriessigsäure („NTA“), sich als toxisch gegenüber der Fischbrut erwiesen. Andere Substitute, wie die noch heute eingesetzten Zeolithe, sind zwar nicht toxisch, jedoch wasserunlöslich. Dies ist aber für ein Waschmittel, das ja - neben Synergie, Dispergierwirkung und Kalkbindung / Wasserenthärtung - ein möglichst gutes Schmutztragevermögen aufweisen sollte, nun wahrlich keine zweckmäßige Eigenschaft. Ein von mir hoch geschätzter, integrer Kollege erzählte, was er auf einem wissenschaftlichen Kongress während der Pause zur Sache gehört hatte. Am Nebentisch unterhielten sich zwei Chemiker über das letzt genannte Substitut. Dabei fiel die Bemerkung: „Wir haben unsere Kunden dazu gebracht, mit weißem Dreck zu waschen“. Bald kam es zur fachlich begründeten Gegenströmung. Sie ging von der Erkenntnis aus, dass Phosphat im Vorfluter als Minimumfaktor wirkt. Von der Gesamt-Phosphatfracht, die in etwa zu 1/ 3 aus den Fäkalien, zu 1/ 3 aus den Waschmitteln und zu 1/ 3 aus der Überdüngung der Felder stammt, müssten insgesamt 90 % eliminiert werden, ehe überhaupt ein sichtbarer Erfolg eintritt. Das heißt: Mit dem einfachen Weglassen des Waschmittelphosphat-Anteils ist gar nichts gewonnen. Was wir brauchen, ist eine sehr erhebliche Reduzierung der Gesamtphosphatfracht. Eine vernünftige - wenn auch nicht billige - Lösung des Problems liefert die dritte Reinigungsstufe in den Kläranlagen. Nach den beiden konventionellen Stufen, der mechanischen und der biologischen Reinigung, ist noch eine dritte Stufe erforderlich, in welcher nach Möglichkeit das gesamte Phosphat ausgefällt wird. <?page no="220"?> 212 Diese Stufe arbeitet so effizient, dass fast 100 % des in die Kläranlage eingebrachten Phosphats abgetrennt werden. Damit entfällt das im Hinblick auf die Minimumfunktion des Phosphates ohnehin fragwürdige Argument gegen die phosphathaltigen Waschmittel vollständig. Dem entsprechend wird in den Industrieländern intensiv an der Nachrüstung alter Kläranlagen gearbeitet. Damit einhergehend gewinnen die Polyphosphat haltigen Waschmittel wieder an Bedeutung. Es verbleibt noch das Problem der Überdüngung. Eine wirkliche Entlastung wird es gemäß o. a. Bilanz erst dann geben, wenn keine nennenswerten Phosphatmengen mehr von den Feldern in die Vorfluter gespült werden. Hilfreich zur Lösung des Problems sind z. B. Depotdünger. Nun kann sich allerdings kaum ein Laie die Sache mit dem Minimumfaktor so richtig vorstellen. Noch immer herrscht deshalb die simplifizierende Auffassung „phosphathaltig schlecht“ und „phosphatfrei gut“, zumal die in den siebziger Jahren betriebene Propaganda für die phosphatfreien Waschmittel die oben erläuterten Zusammenhänge völlig verschwieg. So kam die - sachlich nicht zutreffende - Meinung zustande, dass jeder einen eigenen Beitrag zum Umweltschutz leisten kann, wenn er auf phosphathaltige Waschmittel verzichtet. Auf diese Weise wurde das Phosphat bzw. Polyphosphat geradezu verteufelt. Zu Extremen neigende Grüne machten und machen sich eben nicht die Mühe, naturwissenschaftlich klare Zusammenhänge auch nur zur Kenntnis zu nehmen. Solchen „Experten“ gilt Phosphat schlicht als Gift. Eine ähnlich krasse Fehleinschätzung geistert noch immer in der Vorstellungswelt überängstlicher, leicht hysterischer ÖkoUltras herum, wenn es um die Rolle der Lebensmittelphosphate geht. Deshalb sei noch etwas zur Bedeutung dieser Produktgruppe gesagt. Zunächst einmal ist Phosphatphosphor ein essenzieller Bestandteil unserer Nahrung. Jeder Mensch benötigt, ganz unabhängig von der Verwendung oder Nichtverwendung von Lebensmittelphosphaten, täglich die Zufuhr einer ganz bestimmten Mindestmenge an Phosphat-Phosphor (P(V)). Lang schreibt dazu: „Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung bezifferte die wünschenswerte Höhe der Phosphatzufuhr für Kinder, Jugendliche und Erwachsene zu 1,2 - 1,5 g P/ Tag. Sie betonte jedoch, dass Schwer- und Schwerstarbeiter sowie schwangere und stillende Frauen einen erhöhten P-Bedarf haben.....Kraut et al. führten...den Begriff des Sättigungswertes ein. Es ist der Wert, auf den sich die Bilanz bei hoher Nahrungszufuhr einstellt. Der Sättigungswert für Phosphat wurde von den Autoren zu 24,4 mg P je kg Körpergewicht und Tag, also zu 1,7 g P für einen 70 kg <?page no="221"?> 213 schweren Mann berechnet. Diese Zahl ist somit der untere Grenzwert der wünschenswerten Höhe der P-Zufuhr“ (Lang 1973). Ausgehend von den statistisch erfassten mittleren Verzehrgewohnheiten in der Bundesrepublik Deutschland zu Beginn der siebziger Jahre bringt Lang (1973) dann, basierend auf Erhebungen von Wirth, eine Übersicht zur realen täglichen Phosphataufnahme: Die individuell aufgenommenen Mengen in mg P/ Tag (P als P(V)) setzen sich wie folgt zusammen: 1375 mg durchschnittliche Aufnahme ohne Zusätze; 2 l phosphatiertes Trinkwasser 6 mg; 1 l Erfrischungsgetränk 220 mg; Mehraufnahme durch Schmelzkäse 20 mg; Mehraufnahme durch Backpulver 35 mg; Mehraufnahme durch 100 g/ d Brühwurst: 75 mg. Die sich ergebende Summe von 1731 mg P/ Tag entspricht somit dem unteren Grenzwert der wünschenswerten Höhe der Phosphatzufuhr. Es ist wenig wahrscheinlich, dass sich in den letzten Jahrzehnten die Verzehrgewohnheiten derart extrem geändert haben sollten, dass wir mit völlig anderen Zahlen rechnen müssten. So dürfte das von Lang (1973) verfasste Statement zum Sachverhalt noch heute gelten: „Unter Berücksichtigung der durch Phosphatverwendung als Lebensmittelzusatzstoffe möglichen Mehraufnahme einschl. einer evtl. Phosphatverwendung als Futterhilfsmittel erreicht die tägliche P-Aufnahme einen Wert von 1,731 g und kommt damit etwa in die Größenordnung der wünschenswerten Höhe der Zufuhr. Die zusätzliche Phosphataufnahme durch Phosphatzusätze zu Lebensmitteln ist daher unbedenklich. Selbst gelegentliche wesentliche Überschreitungen dieses Richtwertes sind unbedenklich, da mit nachteiligen Wirkungen erst bei einer lange fortgesetzten P-Aufnahme von 6,6 g pro Kopf x Tag und gleichzeitiger Summierung ungünstiger Ernährungsverhältnisse gerechnet werden muss“. Die genannte 6,6 g-Grenze ließe sich nur erreichen, wenn jeder Proband täglich extreme Cola-Mengen trinken und dazu Schmelzkäse im kg-Bereich, reichlichst Kuchen sowie Brühwürste im Übermaß verzehren würde. Dies ist erkennbar unrealistisch. Auch die manchmal behaupteten Zusammenhänge zwischen Phosphataufnahme und Hyperaktivität von Kindern entbehren jeglicher Grundlage. So bleibt zu hoffen, dass überängstliche Eltern angeblich hyperaktiver Kinder nicht irgendwann auf die Idee kommen, extrem phosphatarme Nahrungsmittel für ihre lieben Kleinen auszusuchen. Die Folgen einer derart eingeleiteten chronischen Phosphat-Unterversorgung, s. o., könnten katastrophal sein. Lang (1973) formuliert unmissverständlich: „Eine Nichtzufuhr von Phosphat mit der Nahrung führt innerhalb kurzer Zeit zum Tode“. <?page no="222"?> 214 6.3 Gefahren, Risiken, Sonderfälle Wie oben dargelegt, sind die Monophosphate und die Polyphosphate in sicherheitstechnischer Hinsicht weitgehend harmlos bis völlig unbedenklich. Das lässt sich von den Herstellungsverfahren nicht sagen. Betrachten wir zunächst die Rohstoffe. Phosphorsäure, eine dreibasige, nicht sehr starke - und zudem nicht oxidierende - Säure, ist beinahe unproblematisch. Das Tragen von Handschuhen sowie einer Schutzbrille genügt an den entsprechenden Arbeitsplätzen. Hat man keine Hautverletzungen, so kann man seine Hand sogar gefahrlos in die kalte Säure eintauchen. Einfaches Händewaschen danach genügt. Ältere Vorarbeiter schätzten bei uns die Konzentration der Säure ab, indem sie ihre Viskosität zwischen Daumen und Zeigefinger beurteilten. Die so erhaltenen Schätzungen waren erstaunlich genau. Auch ich erreichte in dieser Disziplin nach längerem Üben passable Ergebnisse. Der problematischere Rohstoff ist die Natronlauge. Wir bezogen sie als 50%ige Ware, die in großen, gut isolierten stählernen Tanks außerhalb der Anlage gelagert wurde. Bevorzugt erfolgte die Anlieferung in Kesselwagen. Die Qualität der Lauge hängt entscheidend vom Herstellungsverfahren ab. Die so genannte Diaphragma-Lauge ist herstellungsbedingt chloridhaltig. Quecksilber-Lauge ist zwar chloridarm, sie enthält dafür aber Quecksilber. Jedoch genügt bereits eine entsprechend lange Zwischenlagerung der Lauge und deren Entnahme ca. 50 cm oberhalb des Tankbodens, um das Hg-Problem zu lösen. Wir konnten stets die für Lebensmittelphosphate gültigen strengen Normen einhalten. Bei Reparaturarbeiten am stählernen Boden eines Natronlaugetanks gewannen wir allerdings eine nicht alltägliche Erfahrung. Wir hatten den Boden in Vorbereitung der Reparatur sorgfältig gereinigt und dabei - als ersten Schritt - zunächst das angesammelte Quecksilber vollständig entfernt. Nachdem unser Schweißer die Reparaturen beendet hatte, meldete er, dass Quecksilberkügelchen neben den Schweißnähten zu sehen seien. Wir inspizierten das reparierte Areal daraufhin gründlich und konnten die Beobachtung des Schweißers nur bestätigen. Da Eisen zu den Elementen gehört, die keine Amalgame bilden, käme als Erklärung die Bildung eines Pseudoamalgams infrage. Dies setzt aus meiner Sicht voraus, dass die Innenwandung des Tanks einschließlich des Tankbodens nach längerer dauernder Nutzung zur Lagerung von 50%iger NaOH bereits oberflächlich angegriffen worden sein muss. <?page no="223"?> 215 Infrage käme theoretisch wohl nur die Bildung von Na-Ferraten. Allerdings gibt es in der Literatur Hinweise in dieser Richtung nur für die Reaktion von Eisen / Stahl mit hoch erhitzten Ätznatronschmelzen (Gmelin 1929 bis 1933). Zu einem möglichen Einfluss von Natronlauge findet sich nichts. Neuere Angaben liegen mir nicht vor, verzichten wir also auf unnötige Spekulationen. Jedenfalls muss eine solche Beobachtung sehr ernst genommen werden. Unser Schweißer arbeitete in Unkenntnis der Situation ohne Atemschutz, und die sichtbar gewordenen Quecksilberkügelchen waren wohl nur der Rest. Der Hauptteil dürfte verdampft sein. Wir zogen die notwendigen Schlussfolgerungen. Schweißarbeiten wurden dort ab sofort nur noch unter Frischluftmaske ausgeführt. Bei dieser Gelegenheit haben wir im Tank einen Schrägboden eingezogen, so dass das Ausschleusen des Quecksilbers von nun an zu beliebiger Zeit bequem am tiefsten Punkt erfolgen konnte. Fast zeitgleich hatte der Bitterfelder NaOH-Produzent dafür gesorgt, dass die Lauge wesentlich quecksilberärmer als zuvor ausgeliefert werden konnte. Angewandt wurde ein Vibrationsverfahrens, das die Koagulation von zuvor feinst dispergiertem Hg zu sich leicht absetzenden Tröpfchen bewirkte („Entquickung“). Das war sehr wichtig, denn die von uns zwischenzeitlich verstärkt in Betracht gezogene Diaphragmalauge hatte andere wesentliche Schwächen. Ihr Chloridgehalt führte zur Korrosion und wirkte sich zudem negativ auf die Qualität der Endprodukte aus. Die NaOH-Kesselwagen wurden mithilfe von Kreiselpumpen, welche im Pumpenhaus installiert waren, in den Tank entleert. Das „Sättigen“, d. h. die Herstellung der Monophosphatlösungen aus Natronlauge, Phosphorsäure und Mutterlauge, erfolgte jeweils von Ringleitungen aus. Beim „Sättigen“ kam es kaum zu Unfällen, da die als Sättiger bezeichneten Reaktionsbehälter während des Neutralisationsvorganges - bis auf das Brüdenrohr - in geschlossenem Zustand betrieben wurden. Der Unfallschwerpunkt war das Natronlauge-Pumpenhaus. Einer unserer Arbeiter, bereits ein etwas älteres Semester, ließ sich auch durch wiederholte Belehrung nicht von seinem Leichtsinn abbringen. Er trug so gut wie nie eine Schutzbrille, hatte aber in dieser Hinsicht Glück. Nicht ungeschoren kam er jedoch im Zusammenhang mit seinem Schuhwerk davon. Er trug fast immer gewöhnliche Arbeitsschuhe, manchmal sogar mehr oder minder defekte, obwohl das vorgeschriebene dichte, feste Schuhwerk bzw. ordentliche Gummistiefel stets verfügbar waren. Eines Tages spritzte NaOH beim Abpumpvorgang aus einem Flansch heraus. Der Flanschschutzring fehlte oder war verrutscht. <?page no="224"?> 216 Die Lauge traf den Arbeiter am Unterschenkel und lief in den Schuh hinein. Statt sofort den Schuh auszuziehen und den Fuß mit viel Wasser gründlich abzuspülen, setzte der Arbeiter seine Tätigkeit zunächst fort. Als er den Schuh dann endlich auszog und seinen Fuß abwusch, war es fast zu spät. Die Verseifung des Fettgewebes hatte bereits begonnen. Die Verätzungen heilten nur langsam unter Narbenbildung. Nach meiner Erinnerung waren sogar Hauttransplantationen erforderlich. Einen anderen Arbeiter traf es in einer technisch ähnlichen Situation, weil er keine Schutzbrille trug. Zwar spülte er seine Augen sofort aus, die beginnende Hornhauttrübung machte jedoch den unverzüglichen Transport in die 35 km entfernte Dessauer Augenklinik erforderlich. Dort besuchte ich den Arbeiter. Er ähnelte fatal dem Grafen Dracula, denn die Mediziner hatten seine Augen inzwischen per Eigenblut-Umspritzung behandelt. Durch ärztliche Kunst konnte sein Augenlicht glücklicherweise noch gerettet werden. Jedoch sah die Augenpartie des Arbeiters nie mehr ganz so aus wie vor dem Unfall. Wie im Kapitel 6.2 beschrieben, wurde in der Salzanlage mit CO-Gas aus den Phosphoröfen („Rohgas“) bzw. aus den Carbidöfen („Reingas“) gearbeitet. Erst genanntes Gas war noch deutlich phosphorhaltig, und auch das so genannte Reingas war durchaus nicht rein. Es enthielt größere Mengen an Flugstaub, der sich in den Leitungen absetzte. Beide Gassysteme waren voneinander getrennt. Es gab zwei separate Zuleitungen, und für jede Gasart eine eigene Wasserschleife (Siphon) vor der Anlage. Auch in der Anlage arbeiteten wir mit getrennten Leitungen, die erst direkt vor dem jeweiligen Brenner in einen abwechselnd mit beiden Gasarten beschickten Rohrabschnitt mündeten. Das Reingassystem ließ sich in Vorbereitung von Reparaturarbeiten nur unvollkommen spülen. Die Flugstaub-Ablagerungen verkrusteten, sobald man mit Wasser oder Dampf zu Werke ging. Deshalb vermieden wir solche Aktionen meist und spülten die Leitung nach Füllen der Wasserschleife nur mit Stickstoff, bis sie CO-frei war. Dies erlaubte zwar gefahrloses Reparieren, löste aber nicht das Problem des allmählichen Verkrustens der Leitung. So lief denn das Entfernen der Ablagerungen auf eine - glücklicherweise nur selten erforderliche - Großaktion hinaus, die im Extremfall das Auseinanderbauen der Rohrleitung erforderte. Auch die Rohgasleitungen versetzten sich allmählich. Das Freidampfen zum Zwecke des Ausschmelzens des Phosphors erfolgte hierbei grundsätzlich vor Beginn jeder Reparatur. <?page no="225"?> 217 Die Leitung hatte ein schwaches Gefälle in Richtung Wasserschleife, so dass der verflüssigte Phosphor dorthin ablaufen und später zusammen mit dem Sperrwasser abgelassen werden konnte. Die nunmehr weitgehend phosphorfreie Leitung wurde mit Stickstoff gespült, um das restliche CO-Gas vollständig zu entfernen. Dann konnte mit der Reparatur begonnen werden. Im Zusammenhang wichtige Gesichtspunkte wurden weiter oben bereits besprochen (Abb. 6 u. 7, Kap. 2). Auch in der Salzanlage kam es beim Öffnen der Rohgasleitung, allen Bemühungen beim vorangegangenen Freispülen zum Trotz, zu zwei kleineren Verbrennungen. In einem Falle war der Schlosser davon ausgegangen, die Leitung sei absolut phosphorfrei, und deshalb könne er auf die - zwingend vorgeschriebene - prophylaktische Berieselung des Flansches mit kaltem Wasser verzichten. Viel Phosphor war nicht mehr in der Leitung, für eine schmerzhafte Verbrennung reichte es dennoch. Erschwerend kam hinzu, dass damals noch keine Nomex-Anzüge zur Verfügung standen. Ferner war die Arbeitsrüstung nicht fachgerecht aufgebaut worden. So hatte der Schlosser erhebliche Schwierigkeiten, schnell genug wegzukommen. Das als Brenngas verwendete Kohlenmonoxid ist grundsätzlich problematisch. Ich erinnere an die zahlreichen Vergiftungsfälle, die früher beim Auftreten von Undichtheiten in den städtischen Gasleitungen vorkamen. Heute kochen und heizen wir mit Erdgas (Methan CH 4 ). Damals wurde das erhebliche Mengen CO enthaltende - meist im städtischen Gaswerk erzeugte - so genannte Leuchtgas verwendet. „Leuchtgas“ hieß es seit jener Zeit, als das Gas unter Verwendung von Auer-Glühstrümpfen überwiegend zu Beleuchtungszwecken eingesetzt wurde. Poulsson (1930) schreibt zur Toxikologie dieses gefährlichen Gases: „In Städten kommen Vergiftungen mit dem gewöhnlichen Leuchtgas vor, das ungefähr 7% Kohlenoxyd enthält und im Übrigen hauptsächlich aus Wasserstoff und Methan (CH 4 ) besteht. Besonders gefährlich ist das Leckwerden oder der Bruch von Gasleitungen unter asphaltierten Straßen oder im Winter, wenn die Oberfläche gefroren und die Diffusion des Gases in die Luft verhindert ist. Beim Durchsickern durch die Erdschichten werden die riechenden Bestandteile (schwere Kohlenwasserstoffe, Schwefelverbindungen) adsorbiert, und das Eindringen des Gases in Wohnräume geht unbemerkt vor sich.... Die große Giftigkeit des Kohlenoxyds ist dadurch bedingt, dass es den Sauerstoff des Blutes verdrängt, indem es mit dem Hämoglobin eine feste Verbindung, das Kohlenoxydhämoglobin, bildet. Das Blut wird unfähig, <?page no="226"?> 218 in den Lungen Sauerstoff aufzunehmen und an die Gewebe abzugeben; der Erfolg ist eine innere Erstickung infolge von Sauerstoffmangel, aber ohne gleichzeitige Kohlensäureanhäufung. Da die Affinität des Kohlenoxyds zum Blutfarbstoff 200 mal so groß ist wie die des Sauerstoffs, so reißt das Hämoglobin das Kohlenoxyd an sich, auch wenn es in der Luft nur in sehr geringen Mengen vorhanden ist.... Schüttelt man Blut mit Luft, die 0,1 % CO enthält, so werden schon 42 % des Farbstoffs zu Kohlenoxydhämoglobin umgewandelt, und bei größerer Konzentration wird das Blut fast vollständig gesättigt.... Beim Menschen tritt der Tod ein, wenn 60-70 % des Blutfarbstoffs vom Kohlenoxyd beschlagnahmt sind...“ (Poulsson 1930, S. 67) Diese Gesichtspunkte mussten von uns bei der industriellen Nutzung des CO als Heizgas gleichermaßen beachtet werden. Allerdings gab es einige Unterschiede zu den oben dargelegten Verhältnissen. Unser Reingas enthielt 78 bis 80 Vol.-% CO, das Rohgas war 85%ig. Als Vorteil konnte angesehen werden, dass es keine unterirdischen Gasleitungen gab. Im Falle auftretender Defekte waren alle Teile der Leitung sofort zugänglich. Vorteilhaft war weiterhin, dass das Gas nicht geruchlos war. Insbesondere das Rohgas hatte einen sehr spezifischen Geruch, so dass Defekte frühzeitig auffielen. Dennoch kam es, wenn auch selten, zu leichten bis mittelschweren CO-Vergiftungen. Ein besonders dramatischer Fall ist mir in Erinnerung. Wir betrieben damals, Ende 1963, noch das alte Drehrohrofen-Verfahren zur Produktion des modifizierten (K-haltigen) Grahamschen Salzes (beschrieben in Kap. 6. 2). Der mit CO arbeitende Ofen zum Brennen der rohrförmigen SiC- Schüsse befand sich außerhalb des Gebäudes, angebaut an die Nordwand der Lagerhalle. Das Abgasrohr des Brennofens endete in der vorschriftsmäßigen Höhe oberhalb des Daches. Eines Tages, ich saß gerade beim Abendessen, rief mich der Schichtingenieur an. Er meldete, dass sechs unserer an den Absackstutzen tätigen Lagerarbeiter über Kopfschmerzen und Schwindelgefühl klagten und sich auch sonst sehr unwohl fühlten. Da der Schichtingenieur mit CO- Vergiftungen in der Salzanlage Erfahrungen hatte, meinte er, die Symptome sähen ganz danach aus. Zugleich bemerkte er, eine Gasvergiftung sei jedoch schwer vorstellbar; an den Absackstutzen fehle ja weit und breit jede Möglichkeit, mit CO in Berührung zu kommen. Allerdings rieche es nach Gas; er werde Messungen mit dem Prüfröhrchen machen. Ich ging unverzüglich zur Anlage, und wir untersuchten den Sachverhalt gemeinsam. Die Prüfröhrchen zeigten weit über dem MAK-Wert liegende <?page no="227"?> 219 Konzentrationen an. Der Schichtingenieur hatte den Transport der betroffenen Arbeiter in die Betriebspoliklinik bereits veranlasst. Nun machten wir uns auf die Suche nach der Gasquelle. Schließlich fand der Schichtingenieur die Ursache, 50 m vom Ereignisort entfernt. Die CO-Flamme in dem oben geschilderten Brennofen für die SiC-Formkörper war erloschen, das unverbrannte CO über Dach gegangen. Nun zeigte sich, dass in unglücklichen Fällen auch die Einhaltung der Vorschriften zur Höhe von Abgasrohren nicht genügt. Westlich der Lagerhalle befand sich unser Bunkergebäude für die Massen-Produkte, insbesondere die Waschmittelphosphate. Diese Gebäude hatte nur auf dem Niveau ± 0 eine Verbindung zur Lagerhalle. Das Gebäude war mit einer Dachlaterne versehen, deren Fenster zum Teil offen standen. Diese Anordnung der Gebäude und die an diesem Tage herrschende - in Mitteldeutschland recht seltene - Windrichtung, nämlich NNO, brachte uns schließlich der Erklärung näher. Nach Lage der Dinge muss wohl unverbranntes CO vom steifen NNO über die teilweise offene nördliche Fensterfront der Laterne in das Bunkergebäude gedrückt worden sein. Innerhalb des Gebäudes konnte sich das Gas dann ungehindert ausbreiten. Es gelangte über die ± 0 - Querverbindung auch bis in den Absackbereich und verursachte dort die beobachteten, zunächst unerklärlichen Vergiftungen. Aus heutiger Sicht wäre das Vorkommnis unbedingt vermeidbar gewesen. Flammenwächter sind längst eine Selbstverständlichkeit. Dennoch lohnt es sich, über einige Gesichtspunkte generell nachzudenken. Zunächst wäre der Minimalabstand zu definieren, der vom Über-Dach-Rohr zu einem benachbarten Gebäude toleriert werden kann. Sodann zeigt das Vorkommnis, dass Dichteunterschiede zwischen Gasen irrelevant sein können. CO ist geringfügig leichter als Luft. Der Dichteunterschied genügt aber offensichtlich nicht, um einen abwärts gerichteten Luftstrom CO-frei zu halten. Schließlich ist in einem Chemiebetrieb generell mit Fernwirkungen zu rechnen, wenn es um Gase geht. Bei den sorgfältig ausgearbeiteten Alarmierungsplänen für die Anwohner wird meist daran gedacht, im Werk selbst nicht immer. Abschließend sei noch ein Vorkommnis geschildert, das die - unter bestimmten Umständen bedenkliche - Rolle der viel gerühmten Praxiserfahrungen aufzeigt. Praxiserfahrungen sind enorm wichtig, jedoch sollten sie stets Gegenstand kritischer Überlegungen des ausgebildeten Naturwissenschaftlers sein. Falls Theorie und Praxis überhaupt nicht zueinander passen wollen, muss schärfer nachgedacht werden. <?page no="228"?> 220 Unsere Drehrohröfen zur Herstellung kurzkettiger kondensierter Phosphate (Kap. 6. 2) wurden im Gleichstrom mit CO-Gas beheizt. Wie in Abb. 37 dargestellt, wurde nach dem Umbau der Anlage unter Verzicht auf das ursprüngliche Ofenkopfgehäuse (Abb. 36) mit freier Eintrittsöffnung gefahren. So konnten wir das Flammenbild, die Arbeit des Maische-Rohres, das Verhalten des Rückgutes im Kontakt zur Maische, und auch das gelegentliche Anbacken des Materials direkt beobachten. Wir verfügten damals noch nicht über eine automatische Gas-Luft-Mengen-Regulierung für die CO-Brenner. Vorhanden waren aber Messgeräte für den Gasdurchsatz sowie für den Luftdurchsatz. Das Reglement sah vor, dass die zu dosierende Luftmenge stets mindestens doppelt so hoch zu sein hatte wie die Gasmenge. Basis der Anweisung war die einfache Rechnung, dass für die Umsetzung CO + 0,5 O 2 CO 2 (unter Annahme eines 85%igen Rohgases und eines Sauerstoffgehaltes von 21 % in der Luft) das Verhältnis Gas : Luft für eine stöchiometrische Verbrennung 1 : 2.02 betragen muss. Bedenkt man, dass die 15 % Differenz (85 % ad 100 %) nicht ausschließlich auf Stickstoff entfallen, sondern dass das Gas auch etwas Wasserstoff enthält, ist zur Sicherheit mit einem Verhältnis Gas : Luft von mindestens 1 : 2,1 zu rechnen. Nun hatte sich trotz meiner klaren Anweisung bei den Arbeitern die Unsitte eingeschlichen, mit der Brennereinstellung bzw. mit dem für wünschenswert gehaltenen Flammenbild herum zu experimentieren. Die sich herausbildende Meinung war, dass man mit „weicheren“ Flammen besser klar komme. Oft fand ich bei meinen Betriebsrundgängen eine Einstellung von 1: 1,5 vor. Geduldig erklärte ich die Zusammenhänge. Es blieb aber die Tendenz, die am offenen Ofenkopf stets mit angesaugte Sekundärluft ohne jede Messung einzubeziehen, und auch bei weicheren Flammen eine vollständigen Verbrennung anzunehmen. Das mochte im Falle der 1 : 1,5 - Einstellung vielleicht sogar noch halbwegs stimmen, etwas Gefährliches passiert ist dabei jedenfalls nicht. Eines Tages aber war es dann so weit. Ich hatte den zuständigen Technologen immer wieder auf die Unsitte mit den „weichen“ Flammen aufmerksam gemacht und von ihm verschärfte, konsequente Kontrollen gefordert. Leider glaubte der Technologe den Anlagenfahrern die Mär von der „sicheren“ Flamme unter - so zu sagen - gefühlsmäßigem Einbeziehen der Sekundärluft. Als ich dann während mehrerer Tage nicht selbst kontrollieren konnte, passierte es. <?page no="229"?> 221 An einem der Drehrohröfen war mit noch weniger Brennerluft herumprobiert worden. Allmählich verschlechterte sich die Fahrweise des Ofens. Der ansonsten stets vorhandene Unterdruck am Ofenkopf wich einem leichten Überdruck. Staub wurde herausgeblasen, in der Raumluft wurden beängstigende Konzentrationen an CO gemessen. Schließlich ging es nicht mehr weiter, und die Produktionsstraße musste außer Betrieb genommen werden. Die Inspektion aller Anlagenteile ergab, dass im Abgasrohr (zwischen Pos. 13 und 14, Abb. 37) eine erhebliche Verengung entstanden war, und zwar nicht, wie zunächst angenommen, durch eine Versetzung mit Staub, sondern bedingt durch völlige Deformation des Rohres selbst (Abb. 39). Wir mussten das Rohr komplett demontieren und durch ein neues ersetzen. Die Untersuchung des Herganges ergab folgendes Bild. Ein besonders experimentierfreudiger Anlagenfahrer hatte eine extrem weiche Flamme mit einem Gas : Luft - Verhältnis von 1 : 1 (800 m 3 / h Gas und 800 m 3 / h Luft) eingestellt. Diese - bezüglich der Primärluft extrem unterstöchiometrisch eingestellte - Brennerflamme hatte dann aber durchaus nicht genügend Sekundärluft angesaugt. Das Ofenausfallgehäuse ist mit einer Art Irisblende flexibel gegenüber dem Ofen abgedichtet. Diese Abdichtung ist nicht ideal, und sie muss auch nicht ideal sein. Einerseits hat die Abdichtung mit einem nach vielen Betriebsjahren nicht mehr exakt runden Drehrohrofen fertig zu werden, zum anderen arbeitet das System über den Abgasventilator ohnehin mit Unterdruck. Die hier sowie über die Ofen-Ausfallschurre aus Richtung Becherwerk angesaugte Luft vermischte sich nun mit dem den Ofen passierenden Hauptabgasstrom. Dieser enthielt offensichtlich noch so viel unverbranntes CO, dass das heiße Abgas im Abgasrohr spontan zündete, worauf die Flamme das genannte Rohr stark - wohl bis zur Rotglut - erhitzte, und damit zum Zusammenfallen brachte. Abb. 39 zeigt einen Abschnitt des völlig deformierten Rohres. Heute wäre so etwas nicht mehr passiert. Die Verriegelungsbedingungen sind vorgegeben. Automatische Gas-Luft-Regelungen, an denen nicht herumgespielt werden kann, sind längst Stand der Technik. Auch wir haben damals eine solche Regelung sofort eingeführt. Dennoch wäre auch mit der ursprünglichen „Von Hand“-Technik vernünftiges Arbeiten möglich gewesen. Kontrollierte Versuche mit quantitativen CO-Bestimmungen im Abgasstrom hätten die praktischen Grenzen der Einstellmöglichkeiten des Brenners aufgezeigt. Grundsätzlich hätte jedoch nur ein kompromisslos durchgesetztes Verbot der nicht akzeptablen unterstöchiometrischen Fahrweise vor einer solchen Störung geschützt. <?page no="230"?> 222 Abb. 39 Abschnitt des durch eine Sekundärflamme - wohl bis zur Rotglut - erhitzten und infolgedessen zusammengefallenen Abgasrohres zwischen Pos. 13 und 14, s. a. Abb. 37 (vom Verfasser nach dem Original gezeichnet) Nicht ausschließen möchte ich, dass die damals verwendeten Brenner, die Vermischung von Gas und Primärluft betreffend, selbst bei stöchiometrischer Einstellung nicht optimal arbeiteten. Auch das hätten wir aber durch ein Messprogramm herausfinden können. Vielleicht hätten uns dann sogar die „normalen“ CO-Werte im Abgas gezeigt, dass Änderungen der Brennerkonstruktion notwendig gewesen wären. Jetzt ist die Frage nicht mehr aktuell, da längst auf Erdgasfeuerung mit anderen Brennern umgestellt wurde. Generell ließe sich aus der geschilderten Störung jedoch lernen, dass auch im Falle unzureichender Sicherheitstechnik Alternativen gegeben sind, die dann allerdings sorgfältig durchdacht und konsequent durchgesetzt werden müssen. <?page no="231"?> 223 7 Verfahrensentwicklung durch Systematisches Erfinden Es gibt verschiedene Mögkichkeiten, einen Betrieb zu leiten. Nicht wenige Manager meinen, perfekte Organisation und genaueste Einhaltung aller Vorschriften seien alleinige Kriterien. Bei dieser Einstellung kommt die technische Entwicklung nicht nur zu kurz, sondern sie wird regelrecht blockiert. Solche Manager gehen anscheinend von folgenden Gesichtspunkten aus: Neuerungen können schief gehen, Erfolgsgarantien gibt es nicht, kühne Neuerungen sind sowieso zu gefährlich. Ich beobachtete diese Sicht bei nicht wenigen meiner Kollegen, konnte mich damit aber niemals anfreunden. In dem mir in jungen Jahren übertragenen Verantwortungsbereich gab es derart viele Kenntnislücken und technische Mängel, dass es nach meiner Auffassung geradezu verantwortungslos gewesen wäre, sich nicht sofort mit Entwicklungsarbeiten und prinzipiellen Verbesserungen zu befassen. Ich tat das dann auch - und habe dabei sogar übertrieben, denn ich überließ die laufende Organisation weitgehend meinem auf diesem Gebiet begabten Stellvertreter. Das war zwar eine meinen Neigungen sehr entgegenkommende Arbeitsteilung, sie hatte aber den Nachteil, dass manchmal Wichtiges aus dem Tagesgeschäft an mir vorbeiging. Das fiel mir dann, sofern etwas aus dem Ruder lief, früher oder später auf die Füße. Da man auch damals fast nur nach den momentanen Erfolgen beurteilt wurde, habe ich mir mit meiner Arbeitsweise bei der Werksdirektion nicht nur Freunde gemacht. Später fand ich dann einen - wie ich hoffe, halbwegs vernünftigen - Kompromiss zwischen Notwendigkeit und Neigung. Natürlich versuchte ich die von mir bzw. uns gefundenen neuen Lösungen auch schutzrechtlich zu sichern. Da in der naturwissenschaftlichen Universitätsausbildung das Patentwesen nicht vorkam - und bis heute so gut wie nicht vorkommt -, ist man als Anfänger darauf angewiesen, am jeweiligen Fall zu lernen. Zwar hatten wir im Werk eine Patentabteilung, aber die Kreativen sahen ihren Ehrgeiz darin, dort möglichst nur (fast) fertige Patententwürfe einzureichen. So verfuhr auch ich. Als junger Mensch hat man, sofern man technisch-wissenschaftlich interessiert ist, meist genug Ideen. So sieht man denn auch keinerlei Notwendigkeit, sich mit methodischen Fragen zur Rationalisierung der geistig-schöpferischen Arbeit zu befassen. Auch mir ging es so. Ich arbeitete „drauflos“ und kam schon bald zu eigenen Erfindungen. Mit wachsender Sachkenntnis erlag ich dann der Versuchung, auch die Lücken in den Konkurrenzpatenten für eigene Anmeldungen zu nutzen. <?page no="232"?> 224 Die Zahl meiner Erfindungen stieg damit erheblich an, jedoch fiel ihr Niveau. Die Selbstkritik war mir nicht abhanden gekommen, und so befriedigte mich diese Situation schließlich nicht mehr. Es war dann fast ein Erweckungserlebnis, als ich Ende der siebziger Jahre von einem Freund auf das Buch „Erfinden - (k)ein Problem? “ von G. S. Altschuller aufmerksam gemacht wurde (Altschuller 1973). Zuvor hatte ich nur am Rande etwas von Brainstorming, Bionik und Morphologie gehört. Dass es aber inzwischen eine Methode gab, nicht mehr überwiegend intuitiv, sondern ganz systematisch zu hochwertigen Erfindungen zu gelangen, wurde mir erst durch oben genannte Altschuller-Publikation klar. Von Stund an berücksichtigte ich die Altschuller-Methodik beim Erarbeiten meiner eigenen Erfindungen. Zusätzlich vermittelte ich ehrenamtlich die gewonnenen Erfahrungen in den damals aufkommenden KDT-Erfinderschulen (KDT = „Kammer der Technik“. Ingenieurorganisation der DDR, vergleichbar mit dem VDI). In diesen Erfinderschulen wurden kreative Mitarbeiter aus verschiedenen Kombinaten zusammengeführt. Plenar-Vorträge vermittelten die Methodik, in den Arbeitsgruppen wurden dann konkrete Probleme bis zur Patentanmeldung bearbeitet. Bevor ich einige praktische Beispiele aus meinem Fachgebiet zum Altschuller-Denken behandele, soll die Methode kurz skizziert werden. An Details Interessierte seien auf meine ausführlichen Bücher zum Thema verwiesen (Zobel 2001, 2006 u. 2007 sowie Zobel und Hartmann 2009). Darin werden auch die von mir für den Praktiker vorgenommenen Modifikationen und Vereinfachungen der Methode behandelt. Bei der folgenden skizzenhaften Darstellung stütze ich mich überwiegend auf meine erste erfindungsmethodische Publikation zum Thema (Zobel 1982 c) sowie auf das - bis heute - wichtigste der im deutschen Sprachraum erschienenen Altschuller-Bücher (Altschuller 1984). Altschuller, geboren in Tashkent, hatte sich bereits als junger Mann Gedanken darüber gemacht, wie Erfindungen eigentlich entstehen. Er befragte zunächst eine Reihe von Erfindern in der Sowjetunion. Die Auskünfte, die er erhielt, waren dürftig bis nichtssagend. Einige Erfinder murmelten vage: „Na ja, da gab es ein Problem, und da habe ich mir eben dazu etwas ausgedacht“, andere meinten, dass ihnen die Lösung „einfach so“ eingefallen sei. Altschuller konnte damit nichts anfangen und kam nunmehr auf die Idee, sich viele Patentschriften aus den unterschiedlichsten Branchen näher anzusehen - wohl in der Hoffnung, Gemeinsamkeiten zu finden. Er ging ja davon aus, dass es außer der Intuition schließlich noch Fachwissen und logisches Denken gibt. <?page no="233"?> 225 Seine Vorgehensweise erwies sich als Schlüssel zum Erfolg. Altschuller analysierte 15 000 „Urheberscheine“ - sowjetische Patentschriften - aus 68 Patentklassen und fand nur 35 Prinzipien, auf denen letztlich fast alle untersuchten Patente beruhten. Später erweiterte er seine Suche. Jedoch erhöhte sich die Zahl der von ihm aufgefundenen Prinzipien bei der Analyse von nunmehr 40 000 Patentschriften nur um 5, so dass heute von 40 „Prinzipien zu Lösen Technischer Widersprüche“ ausgegangen wird. Das Grundsätzliche dazu sei erklärt: Altschuller erkannte, dass hochwertige Erfindungsaufgaben eben keine Optimierungsaufgaben sind, die sich durch einen - oft mehr oder minder faulen - Kompromiss lösen lassen, sondern stets die Lösung eines systemtypischen Widerspruchs erfordern („etwas muss sein, darf aber nicht sein“). Da es sich dabei nicht um logische, sondern um dialektische Widersprüche handelt, sind diese erfinderisch durchaus lösbar. Sehen wir uns nun die Liste dieser recht allgemein formulierten „Prinzipien zum Lösen Technischer Widersprüche“ an: 1. Zerlegen; 2. Abtrennen; 3. Örtliche Qualität; 4. Asymmetrie; 5. Kopplung; 6. Universalität; 7. Russische Steckpuppe („Matrjoschka“); 8. Gegenmasse; 9. Vorherige Gegenwirkung; 10. Vorherige Wirkung; 11. „Untergelegtes Kissen“; 12. Äquipotenzialprinzip; 13. Funktionsumkehr; 14. Kugelähnlichkeit; 15. Dynamisierung; 16. Partielle oder überschüssige Wirkung; 17. Übergang zu höheren Dimensionen; 18. Einsatz mechanischer Schwingungen; 19. Periodische Wirkung; 20. Kontinuität des Prozesses; 21. Schnelle Passage; 22. Umwandeln des Schädlichen in Nützliches; 23. Rüpckkopplung; 24. Vermittler; 25. Selbstbedienung; 26. Kopieren; 27. Billige Kurzlebigkeit statt teurer Langlebigkeit; 28. Ersatz mechanischer Prinzipien; 29. Einsatz von Pneumo- oder Hydrokonstruktionen; 30. Einsatz elastischer Umhüllungen und dünner Folien; 31. Poröse Werkstoffe; 32. Verändern der Farbe und/ oder Durchsichtigkeit; 33. Gleichartigkeit der Werkstoffe; 34. Beseitigen oder Regenerieren nicht mehr benötigter Teile; 35. Ändern des Aggregatzustandes; 36. Phasenübergänge; 37. Wärmeausdehnung; 38. Starke Oxidationsmittel; 39. Träge Medien; 40. Zusammengesetzte Stoffe. Altschuller ging nun davon aus, dass sich auch alle neuen erfinderischen Aufgabenstellungen mit Hilfe dieser zunächst reichlich simpel anmutenden Prinzipien lösen lassen müssten - was zugleich bedeutet, dass vermeintlich ganz neue Aufgaben gar so neu nicht sein können. Damit reduzierte sich das methodische Problem darauf, die für die Lösung der jeweiligen Aufgabe tauglichen Prinzipien herauszufinden. <?page no="234"?> 226 Altschuller entwarf dazu eine Matrix, mit deren Hilfe eben diese Auswahl erfolgt. Die Matrix führt in ihrer Kopfleiste 39 Merkmale („Technische Parameter“) auf, die sich verschlechtern, falls die Aufgabe mit traditionellen Mitteln, also insbesondere durch Optimierung, zu lösen versucht wird (Masse, Länge, Fläche, Volumen, Geschwindigkeit….). Die linke Spalte der Tabelle steht unter der Überschrift „Parameter, die verbessert bzw. verändert werden sollen“ und führt genau die gleichen Begriffe wie die Kopfleiste auf. In der Matrix selbst, d. h. auf den Tabellenplätzen, finden sich dann die Ordnungsnummern der für die erfinderische Lösung der Widerspruchssituation empfohlenen Prinzipien. Die Felder sind jeweils mit meist 3 bis 5 Zahlen belegt, unter denen man dann die empfohlenen Prinzipien gemäß obiger nummerierter Liste findet. Hinter jedem Prinzip verbirgt sich eine Fülle von Beispielen, deren mögliche Sinnhaftigkeit für die eigene Aufgabe dann „nur“ noch übersetzt werden muss. Dies ist keineswegs banal, weil die besten Beispiele meist aus den am weitesten entfernten Fachgebieten stammen. Altschuller war sich jedoch bewusst, dass vor Beginn der eigentlichen Lösungssuche - mit oder ohne Prinzipien - erst einmal eine genaue Systemanalyse und eine präzise Problembeschreibung erfolgen muss. Die entscheidenden Stufen der von Altschuller entworfenen Methode TRIZ (russ.: Teorija reshenija izobretat’elskich zada = Theorie zum Lösen Erfinderischer Aufgaben) sind: A Analyse des Systems. Nützliche und schädliche Effekte im System. B Bestimmung des Idealen Endresultats („IER“) als erfinderisches Ziel: Was will ich idealerweise erreichen? Das IER ist ein Eichmaß, ein ideales Wunschbild, das in der Praxis niemals völlig umzusetzen ist. Es muss aber definiert werden, damit in Annäherung an das IER gute bis sehr gute Lösungen resultieren. C Bestimmung des Technischen Widerspruches, der uns daran hindert, das Ziel auf herkömmliche (konventionelle, nicht erfinderische, optimierende) Weise zu erreichen. Hochwertige Erfindungsaufgaben sind durch das Vorliegen dialektischer Widersprüche der Art: „heiß und dennoch kalt“, „offen und doch geschlossen“, „durchsichtig, dabei aber auch undurchsichtig“ charakterisiert. D Einsatz der Lösungsinstrumente. Neben den oben bereits beschriebenen Prinzipen zum Lösen Technischer Widersprüche zählen nach Altschuller zur methodischen Grundausstattung: <?page no="235"?> 227 10 einfache Standards zum Lösen von Erfindungsaufgaben (als solche erkannte Standardsituationen erlauben Standardlösungen). Separationsprinzipien, mit deren Hilfe die einander im System behindernden Faktoren/ Effekte voneinander getrennt werden können. Physikalische Effekte (Naturgesetzliche Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge, welche - da es Entdeckungen sind - selbst zwar nicht schutzfähig, aber dennoch die Basis jeder guten Erfindung sind). Gesetze der Technischen Evolution (für den Methodiker ist vorhersehbar, wie und in welche Richtung sich ein System entwickelt). Die Stoff-Feld-Analyse und ihre 76 Standardlösungen (Betrachtet man ein System als aus Stoffen und Feldern aufgebaut, so hat man den - erfinderisch nützlichen - höchsten Abstraktionsgrad erreicht und kann typisierte Stoff-Feld-Standards einsetzen). Nach meinen Erfahrungen sind unter den oben genannten Instrumenten (D) die Prinzipien zum Lösen Technischer Widersprüche durchaus nicht die wichtigsten. Sie sind jedoch inzwischen - auch international - derart allgemein gebräuchlich, dass sie oft ganz allein eingesetzt, und von vielen Nutzern geradezu als Synonym für das Gesamtsystem TRIZ verstan den werden. Man mag diese grobe Vereinfachung beklagen, sie ist aber alltägliche Realität. Während ich in meinen ersten Büchern zum Thema (Zobel 2001, 2006 und 2007) die Komplexmethode TRIZ in oben skizzierter Weise stets vollständig besprochen und zudem für den Praktiker weiterentwickelt habe, erwies es sich schließlich als nicht mehr vermeidbar, auch die simplifizierende Variante konstruktiv zu behandeln (Zobel und Hartmann 2009). Dabei haben wird die Prinzipien selbst - da sie, für sich, recht nützlich sind - nicht in Frage gestellt. Kritisiert haben wir jedoch den Einsatz der Widerspruchs-Matrix, denn diese liefert keineswegs eine sichere Auswahl der für die Lösung der jeweiligen erfinderischen Aufgabe tauglichen Prinzipien. Basierend auf dem Vergleich des Einsatzes einer nach dem Zufallsprinzip aufgebauten Modell-Matrix mit den am realen Beispiel von Solarzellen-Patenten erzielten Ergebnissen von Pätz (2001) kommt Möhrle (2003) zu dem Schluss, dass die Trefferwahrscheinlichkeit im Falle des Einsatzes der Original-Matrix nicht nennenswert höher ist, als beim Einsatz der eigens für den Vergleich nach dem Zufallsprinzip aufgebauten Matrix (! ). Vielen Praktikern scheint das immer schon klar gewesen zu sein. Sie haben einfach alle o. a. 40 Prinzipien nacheinander auf ihre mögliche Verwendbarkeit durchgeprüft. Das ist ziemlich mühselig, und so waren Alternativen zur Matrix gefragt. Wir haben deshalb, ausgehend von entsprechenden Vorarbeiten (Zobel 2001, 2006, 2007), eine Hierarchie der erfinderischen Lösungsprinzipen vorgeschlagen. <?page no="236"?> 228 Der Erfinder sollte, geordnet nach dem methodischen Gewicht der Prinzipien, von drei Kategorien ausgehen (Zobel u. Hartmann 2009): Prinzipien universellen Charakters (z. B. Umkehrung, „Von Selbst“), Prinzipien, die sich in vielen Fachgebieten einsetzen lassen (z. B. Impulsarbeitsweise, Partielle oder überschüssige Wirkung), Prinzipien, die eigentlich gar keine Prinzipien, sondern „nur“ technisch-technologische Spezialempfehlungen sind (z. B. Pneumo- oder Hydrokonstruktionen, Anwenden starker Oxidationsmittel, Anwenden träger Medien, Anwenden elastischer Umhüllungen und dünner Folien). Nach unserer Erfahrung kann man völlig auf die Zuordnungs-Matrix verzichten, wenn man zunächst alle universellen Prinzipien der ersten Kategorie auf ihre Einsetzbarkeit für die zu lösende Aufgabe durchprüft. Meist ist das Problem damit bereits gelöst; falls nicht, wird die zweite Kategorie eingesetzt, dann erst die dritte. Alle Prinzipien zum Lösen Technischer Widersprüche, heute oft auch als „Innovative Prinzipien“ bezeichnet, wurden von Altschuller ganz bewusst nur allgemein formuliert, sollten sie doch für alle Branchen gelten. Wenn also beispielsweise „Abtrennen“ empfohlen wird, so bedeutet dies im konkreten Zusammenhang, dass die Problemlösung irgendwie etwas mit einem Abtrennvorgang zu tun hat. Dies kann z. B. bedeuten, dass ein schädlicher Effekt abgetrennt werden sollte, aber auch, dass ein nicht unbedingt benötigter Teil des Systems sinnvollerweise zu entfernen sei. Welcher Mittel-Zweck-Zusammenhang dann für die Lösung des jeweiligen erfinderischen Problems gewählt wird, ist nach wie vor ganz allein Sache des Erfinders. Er tappt aber nicht mehr im Dunklen - wie beim trial and error -, sondern kann sich auf die, wenn auch sehr allgemein gehaltene, Empfehlung „Abtrennen“ stützen. Da nun dieses Prinzip, wie die übrigen 39 Prinzipien auch, aus zahlreichen konkreten Erfindungen verallgemeinernd „herausdestilliert“ worden ist, verfügt der Erfinder mit eben diesen Patentschriften über einen ganzen Katalog von Beispielen. Falls das zu lösende Problem tatsächlich noch nicht bewältigt worden ist, findet er unter diesen Beispielen natürlich nie eine genau zutreffende Lösung. Es ist deshalb seine Aufgabe, eine taugliche Analogie zu finden, die ihm sinngemäß zeigt, wie seine konkrete Lösung aussehen könnte. An diesem Punkt scheiden sich die Geister. Nichtkreative können mit Altschullers großartiger Methode wenig anfangen, weil sie nicht in der Lage sind, diese „Übersetzung“ oft recht fachferner Beispiele in die eigene Fachsprache zwecks Lösung ihres aktuellen Problems vorzunehmen. Sie sagen dann: „Für mich ist aber nichts dabei“ - und geben auf. <?page no="237"?> 229 Umgekehrt bedeutet dies übrigens auch, dass die Kritiker der Altschuller- Methode ziemlich danebenliegen. Sie behaupten, dass TRIZ die Kreativität töte, weil nach einem formalen Schema gearbeitet und suggeriert werde, dies führe automatisch zum Erfolg. Aber das scheint nur bei oberflächlicher Betrachtung so zu sein. Die Praxis zeigt, dass nur Kreative in der Lage sind, mit den recht allgemein formulierten Prinzipien und den oft besonders fachfernen Beispielen etwas anzufangen. TRIZ empfiehlt ja unter den vielen denkbaren Möglichkeiten eigentlich nur einige Erfolg versprechende Arbeitsrichtungen. Niemand muss also befürchten, dass seine Kreativität zu kurz kommt. Das beim Arbeiten mit den fachfremden Beispielen erforderliche Analogisieren erfordert sogar ein besonders hohes Maß an schöpferischer Phantasie. Die in der Prinzipienliste gewählten Begriffe zeigen, dass Altschuller im weitesten Sinne als Konstrukteur bzw. Maschinenbauer gedacht hat. Entsprechend formuliert sind seine Prinzipien. Die von ihm behauptete Branchen übergreifende Anwendbarkeit von TRIZ erfordert deshalb viel Phantasie, denn etliche der oben aufgeführten Begriffe gelten außerhalb der Konstruktionslehre besten Falles sinngemäß. In meiner ersten Arbeit zum Thema (Zobel 1982 c) hatte ich deshalb den (damals ganz neuen) Versuch unternommen, diese Prinzipien für den Einsatz in Chemie und Chemischer Technologie zu interpretieren. Sehen wir uns nun einige praktische Beispiele an. Anzumerken ist, dass meine vor 1980 getätigten Anmeldungen noch nicht unter dem Einfluss des Altschuller-Gedankengutes entstanden sind. Dennoch ist es nützlich, die Gültigkeit der Prinzipien auch an einigen dieser Beispiele zu zeigen. So erweist sich, dass fast alle Patente - unabhängig von der Art ihrer Entstehung - tatsächlich den Prinzipien gehorchen. Mein erstes Patent betraf ein „Kombiniertes Verfahren zur adsorptiven Entfärbung thermischer Phosphorsäure im Verlaufe der Entarsenierung“ (Zobel 1964). Ich selbst war Anfänger. Unsere Patentabteilung - in ihrer damaligen Besetzung - hat wohl auch nicht unbedingt perfekt gearbeitet. Nach den gültigen Regeln hätte der Titel der Erfindung maximal 8 Wörter umfassen dürfen; er umfasst 11 Wörter. Auch werden im Titel, ebenfalls unzulässigerweise, bereits Angaben zur erfinderischen Vorgehensweise gemacht. Aber so kann es laufen - auch im Patentamt hat niemand Anstoß daran genommen. Das Patent wurde erteilt. Methodisch interessant ist hier das erfindungsgemäße Vorgehen. Wird die Arsensulfidfällung ohne jeden Zusatz ausgeführt, so ist nach Abfiltrieren des As 2 S 3 bereits ein gewisser Entfärbungeffekt zu beobachten. <?page no="238"?> 230 Setzt man nun während des Fällungsvorganges Aktivkohle zu und filtriert sodann, verstärkt sich der Effekt. Kombiniert man den Aktivkohlezusatz mit einem Kieselgurzusatz, so verstärkt sich der Entfärbungseffekt abermals. Bloßes Verrühren der Säure mit A-Kohle und/ oder Kieselgur ohne den Fällungsvorgang bewirkt fast gar nichts. Schutzfähig ist demnach die Kombination des Fällungsvorganges mit einem A-Kohle-Zusatz wie mit einem A-Kohle-Kieselgur-Zusatz. Somit trifft, erfindungsmethodisch gesehen, das Altschuller-Prinzip Nr. 5 „Kopplung“ (Kombination) zu. Wir beobachten hier eine so genannte Synergie (für Triphosphat beschrieben in Kap. 6.2). Dabei verstärkt sich der Effekt, wenn einzeln nicht oder kaum wirkende Komponenten gemeinsam eingesetzt werden. Auf eine griffige Formel gebracht, geht die Synergie stets mit einer überadditven Wirkung einher, d. h. 1 + 2 ist im synergetischen Falle nicht 3, sondern, z. B., „4,7“ (die Zahlen 1 und 2 stehen hier jeweils symbolisch für die Wichtung bzw. den Wirkungsanteil einer Komponente). Hinzu kommt, dass eine solche Synergie nicht vorhersehbar sein darf, sie hat überraschend zu sein. Schutzrechtlich beachtet werden muss, dass eine bloße Kombination ohne Synergie (1 + 2 = 3) grundsätzlich nicht schutzfähig ist. Man spricht dann von Aggregation, einer bloßen Anhäufung von Merkmalen. Noch eindeutiger ist die Situation, wenn z. B. 1 + 2 = „2,3“ gilt. Wir haben es dann mit einer Wirkungsabschwächung beim Kombinieren von zwei oder mehr Komponenten zu tun. Zwar gilt das Schweizer Militärmesser geradezu als Musterbeispiel einer guten Kombinationserfindung, in Wahrheit ist es jedoch das schlechteste Beispiel überhaupt. Jede Teilfunktion wird von den gekoppelten und miniaturisierten Werkzeugen deutlich weniger vollkommen als von den jeweiligen Spezialwerkzeugen ausgeführt. Das Argument: Aber ich habe damit doch alle Werkzeuge dabei ist schutzrechtlich bedeutungslos. Den Aufschlussreaktor für die alkalische Umsetzung von Phosphorschlamm (Abb. 25 u. 27) habe ich bereits im Kapitel 3.3.2 (s. d.) ausführlich abgehandelt. Hier seien deshalb nur noch die erfindungsmethodisch wichtigen Details ergänzt. Für mich ist die Arbeitsweise dieses Reaktors ein unmittelbarer Beleg für den besonderen erfinderischen Wert des universellen „Von Selbst“-Prinzips (Nr. 25, bei Altschuller „Selbstbedienung“ genannt). Hinzu kommt, dass die Altschullersche Arbeitsanweisung „Nutze die im System vorhandenen Ressourcen“ durch den erfinderischen Einsatz des im Verlaufe der Reaktion entstehenden Gases ideal umgesetzt werden konnte. Betrachten wir noch einmal kurz das Problem und seine Lösung. Notwendig ist das reproduzierbare Begrenzen der Schaumentwicklung. <?page no="239"?> 231 Gewöhnlich verwendet man in analogen Fällen Schaum bremsende Zusätze. Diese versagen jedoch im konkreten Falle, da sie im heißen, zudem stark alkalischen Aufschlussmedium zersetzt werden. Rein ingenieurtechnische Maßnahmen, so das Schaffen einer abwärts gerichteten Zirkularströmung durch entsprechende Gestaltung des Rührers, sind beim gegebenen feinblasigen, zähen Schaum nicht Erfolg versprechend. Nach erfolgter Erteilung meines Patentes fand ich noch eine Literaturstelle, in der beschrieben wird, wie man ein inertes Fremdgas pulsierend auf eine Schaumschicht aufbläst. Angegeben wird, der Schaum könne dann nicht mehr über ein bestimmtes Niveau hinaus ansteigen. Alle umständlichen und teuren Varianten entfallen völlig, wenn man die ideale „Von Selbst“-Lösung anstrebt und umsetzt (Zobel 1976). Das im Verlaufe der Reaktion gebildete Phosphin-Wasserstoff-Gasgemisch erzeugt, beim pulsierenden Durchtritt großer Blasen durch die Wasservorlage, schaumbremsend wirkende Druckstöße von selbst. Mit zunehmender Heftigkeit der Reaktion, verbunden mit vermehrter Schaumbildung, werden genannte Druckstöße ebenfalls automatisch heftiger. Genau dies ist erforderlich, um vermehrter Schaumbildung entgegen zu wirken. Somit reguliert sich das System komplett automatisch. Zum Arsenal der Altschullerschen Lösungsstrategien gehören die Physikalischen Effekte. Einen dieser Effekte, zudem einen vom Autor erstmalig beschriebenen, haben wir im o. a. Beispiel kennen gelernt. Technische Erfindungen, nicht zuletzt auch solche aus dem Bereich der Chemischen Technologie, basieren auf den Physikalischen Effekten. Industriechemiker, die ohne die Physikalischen Effekte auskommen wollen, gehen von einem schwer wiegenden Irrtum aus. Kürzer als Bunsen kann man sich zu diesem Thema nicht äußern: „Ein Chemiker, der kein Physiker ist, ist gar nichts“. Dass Effekte für sich nicht schutzfähig sind, wurde bereits erwähnt. Sie beschreiben einen naturgesetzlichen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang und sind, erstmalig bemerkt, Entdeckungen. Jedoch beruhen die Erfindungen letztlich auf Effekten. Wir verfügen heute über sehr gute Kataloge Physikalischer Effekte. Beispielhaft genannt seien die Bücher von Schubert (1984) sowie von v. Ardenne, Musiol und Reball (1989). Für die zeitgemäße Anwendung der TRIZ existieren inzwischen auch mehr oder minder taugliche Computerprogramme (z. B. Innovation WorkBench, TechOptimizer, Goldfire ) . Bestandteil solcher Programme ist stets auch eine umfangreiche Sammlung Physikalischer Effekte. Hinzu kommen etliche in der Fachliteratur sowie im Internet verstreut zu findende Effekte. <?page no="240"?> 232 Jeder Erfinder gewinnt einen erheblichen Vorteil, wenn er sich über den Einsatz allgemein bekannter Effekte hinaus eine eigene Sammlung von Effekten zulegt. Besonders nützlich sind selbst gefundene Effekte, gewissermaßen individuelle Mini-Entdeckungen. Von erstrangiger Bedeutung ist deshalb - gerade für den Chemiker - fleißiges Experimentieren, nicht etwa ins Blaue hinein, sondern durchaus nach den fachlich anerkannten Regeln. Entscheidend ist nur, dass solch fachmännisches Handeln stets ergänzt werden muss durch aufmerksames Beobachten und scharfsinnige Analyse der vom „Normalen“ abweichenden Experimentalergebnisse. An sich ist diese Forderung selbstverständlich. Sie sei jedoch besonders herausgestellt, weil leider manche Fachleute dazu neigen, Unerwartetes bewusst zu übersehen - wohl in der Annahme, jede Abweichung vom Normalen sei „irgendwie“ mit einem experimentellen Fehler zu erklären. Der wahre Fachmann hingegen interessiert sich fast ausschließlich für die Abweichungen vom „Normalen“. So regt ihn beispielsweise bereits die Beobachtung an, dass in einer bestimmten Phase einer chemischen Reaktion plötzlich lästige Schaumbildung auftritt. Der Nichterfinder ärgert sich darüber, für den Erfinder hingegen kann es kaum Besseres geben. Er hat seine „Mini-Entdeckung“ gemacht und kann das Problem nun erfinderisch lösen. Beispielsweise zerstört er den Schaum nicht sofort mit konventionellen Mitteln, sondern betrachtet die Tatsache der Schaumbildung zunächst einmal als nicht grundsätzlich schädlich, sondern als für seine Zwecke eventuell nützlich (Prinzip Nr. 22: „Umwandeln des Schädlichen in Nützliches“). Er denkt etwa so: Wenn der Schaum an einem bestimmten Punkt der Reaktion plötzlich auftritt, so ist das eine offenbar entscheidende Reaktionsphase. Zu fragen wäre dann beispielsweise: Was passiert an diesem Punkt eigentlich? Ein Viskositätssprung? Plötzlich verstärkte Gasentwicklung: wenn ja, warum? Muss ich das nur negativ sehen? Diese Denkweise führt letztendlich dazu, dass der an sich lästige Schaum vom Erfinder nun direkt genutzt wird, z. B., um die weitere Reaktion automatisch zu steuern. So wäre an eine Leitfähigkeitssonde zu denken, die in einer bestimmten Höhe angebracht wird, und die auf den im Reaktor ansteigenden Schaum reagiert. Noch einfacher ist es, die Stromaufnahme des Rührwerksmotors als Messgröße einzusetzen. Steigt der Schaum in den Bereich eines entsprechend weit oben angebrachten zusätzlichen - gewöhnlich im Gasraum unbelastet laufenden - Rührwerksflügels, so erhöht sich die Stromaufnahme des Rührwerksmotors. Diese wiederum lässt sich als Steuergröße für die optimale Fahrweise gegen Ende der Reaktion nutzen. <?page no="241"?> 233 Ob solche Vorschläge noch schutzfähig sind, ist für unsere Betrachtung sekundär. Für das praktische Beherrschen einer Reaktion sind die nicht schutzfähigen Kniffe oft ebenso wichtig wie die schutzfähigen Lösungen. Das Beispiel soll nur die anzutrainierende Denkweise zeigen. Gerade Chemie, Chemische Technologie und Biotechnologie bieten dem aufmerksamen Experimentator eine Fülle von Möglichkeiten zum Aufspüren von Effekten. Indes ist die Anzahl der „reinen“ Chemischen Effekte, legt man scharfe Maßstäbe an, vergleichsweise gering. Viele von ihnen sind im Kern Physikalische Effekte, z. B. Schaumbildung, Viskositätssprünge, Flockungserscheinungen durch Umladung oder pH-Verschiebung, Adsorptionsgleichgewichte, heterogene Katalyse, Entnebelung von Abgasen mittels Fasertiefbett-Filtern im Wirkungsbereich der Brownschen Molekularbewegung. Ein spöttisch veranlagter Experte erklärte einst, die Chemie sei bei schärferem Hinsehen ja nur der unreinliche Teil der Physik. Jedenfalls verschiebt sich der Anteil der relevanten Effekte immer mehr zugunsten der Physikochemischen bzw. Physikalischen Effekte, je weiter man sich von den Grundlagen entfernt und in den Bereich der angewandten Wissenschaften gelangt (Chemie Chemische Technologie; Biologie Biotechnologie). Ein Beispiel aus dem Bereich der Chemischen Technologie soll einen solchen Chemisch-Physikalischen Grenzbereichseffekt und seine erfinderische Nutzung erklären. Ich habe das Beispiel schon kurz im Kapitel 3.3.2 angeführt und möchte es nun unter erfindungsmethodischen Aspekten etwas näher erläutern. Das durch Ablöschen von Calciumcarbid CaC 2 zwecks Gewinnung von Acetylen C 2 H 2 als Nebenprodukt erzeugte Carbidkalkhydrat Ca(OH) 2 enthält noch Carbidreste, so dass das seinerzeit für Bauzwecke verkaufte Produkt zum „Nachgasen“ (d. h. zur Restacetylenentwicklung) neigte. Den Kunden wurde deshalb ein Merkblatt zwecks Einhaltung der erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen beim Verarbeiten mitgegeben („Vorschrift...“ 1983). Acetylen-Luft-Gemische sind, insbesondere im Aktionsbereich leidenschaftlicher Raucher, je nach Acetylenkonzentration meist explosibel. Wegen eines geringen - an der Luft selbstentzündlichen - Phosphin-Diphosphin-Anteils reagieren sie unter ungünstigen Umständen auch bereits spontan, d. h. ohne äußere Zündquelle. Wir benötigten nun für unser im Kap. 3.3.2 beschriebenes Hypophosphitverfahren eine Ca(OH) 2 -Suspension in NaOH, zögerten aber zunächst, das gefährliche Carbidkalkhydrat einzusetzen. Da es aber weitaus billiger als das aus Naturkalk gebrannte und durch Ablöschen hergestellte Produkt war, und letzteres zudem nur unter er- <?page no="242"?> 234 heblichen Schwierigkeiten homogen suspendiert werden konnte, gingen wir unter entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen zum Einsatz von Carbidkalkhydrat über. Die erwähnte NaOH-Ca(OH) 2 -Suspension wurde in einem Rührwerksbehälter hergestellt. Eines Tages fiel das Rührwerk aus. Da ohnehin an anderen Anlagenteilen eine Inspektion geplant war, blieb der Inhalt des Rührwerksbehälters in diesem Zustand einige Tage sich selbst überlassen. Wir waren erstaunt, dass sich die Ca(OH) 2 -Partikel in dieser Zeit kaum abgesetzt hatten. Beim zuvor praktizierten Einsatz von gelöschtem Branntkalk hingegen setzte sich der Feststoff nach Abstellen des Rührwerkes stets sofort ab, bildete ein fast stichfestes Sediment und war dann kaum noch aufzurühren. Die Untersuchung des Sachverhaltes ergab, dass die durch Nachgasen gebildeten Acetylenbläschen ganz offensichtlich für längere Zeit an den Ca(OH) 2 -Partikeln haften bleiben, und dann jedes Partikel, von Bläschen getragen, in der viskosen Natronlauge schwebt. Dies ist nun unstrittig ein sehr spezifischer Effekt, dem Prüfer nicht bekannt, und deshalb schutzrechtlich besonders vorteilhaft einzusetzen. Dieser Effekt ist, wie alle anderen Effekte auch (s. o.), als solcher nicht schutzfähig. Da wir uns aber auf Grund o. a. Beobachtung den Carbidkalkhydrateinsatz für den oben genannten Zweck schützen lassen wollten, wurden von uns die bekannten Gefährdungen beim Umgang mit diesem Produkt („Vorschrift ...“ 1983) als Argumente gegen die von der Prüferin per Prüfbescheid zunächst als „selbstverständliches fachmännisches Handeln“ bezeichnete Auswahl des Carbidkalkhydrates herangezogen. Nach dem Umformulieren der zunächst ungeschickt abgefassten Ansprüche - die „Mini-Entdeckung“ bzw. der Effekt waren noch in missverständlicher Weise in die Formulierung integriert - lautete der akzeptierte Anspruch schließlich: „Verfahren zur Herstellung weitgehend lagerstabiler wasserhaltiger Calciumhydroxid-Suspensionen, dadurch gekennzeichnet, dass frisches oder vergleichsweise kurzzeitig abgelagertes Carbidkalkhydrat in an sich bekannter Weise in wässrigen Lösungen, insbesondere Natronlauge, mittels gewöhnlicher Rührbzw. Mischvorrichtungen suspendiert wird, wobei die Rührbzw. Mischvorrichtung nur am Beginn des Vorganges in Funktion zu sein hat“ (Zobel, Ebersbach, Wenzel u. Mühlfriedel 1980). Die strenge Trennung zwischen erlaubter - und manchmal durchaus zweckmäßiger - Darlegung des zugrunde liegenden Effektes im Text der Erfindungsbeschreibung von der reinen Aufzählung der Mittel und Parameter im Patentanspruch lässt sich in der Praxis nicht immer überzeugend durchführen. <?page no="243"?> 235 Auch ist nicht zwingend vorgeschrieben, Bemerkungen zum Effekt ganz zu vermeiden. Gerät aber eine, wenn auch nur indirekte, Bemerkung zum Effekt in den kennzeichnenden Teil der Beschreibung oder gar in den Anspruch, so folgt daraus - selbst wenn es sich um absolut originelle Zusammenhänge handelt - kein wie auch immer gearteter Schutz des Effektes im Sinne eines Benutzungsverbotes. Die bisher behandelte Arbeitsweise geht von einer jeweils konkreten erfinderischen Aufgabe aus, deren Lösung den Einsatz eines ganz bestimmten Effekts erfordert, der zu suchen, zu finden, und mit der Aufgabe angemessenen Mitteln technisch zu nutzen ist. Die entgegengesetzte - für den methodisch interessierten Erfinder mindestens ebenso anregende - Arbeitsrichtung betrifft hingegen die konsequente Mehrfach/ Mehrzweck-Nutzung eines bestimmten Effekts für sehr verschiedenartige Aufgaben. Der Erfinder stellt sich dabei folgende Fragen: Wozu kann ich diesen Effekt noch nutzen? Für welche Fälle, die ich im Augenblick gar nicht bearbeite, oder die vordergründig nicht zu meinem Aufgabengebiet bzw. zur gerade bearbeiteten Aufgabenstellung gehören, wäre dieser Effekt voraussichtlich noch einsetzbar? Wie weit kann ich das sich eröffnende „Denkfeld“ mit meinen - wenn auch zunächst begrenzten - Kenntnissen praktisch ausdehnen? Dabei ist schutzrechtlich nicht von Bedeutung, ob es sich um einen bekannten oder um einen selbst gefundenen Effekt handelt. Bekannte Effekte, in einem bisher noch nicht bearbeiteten technischen Umfeld genutzt, sind im Prinzip ebenso erfolgsträchtig wie selbst gefundene Effekte. Bei den selbst gefundenen Effekten handelt es sich nicht immer um echte „Mini-Entdeckungen“, sondern manchmal auch um Phänomene, die an sich durchaus bekannt sind. Solche Effekte haben aber für den Erfinder einen gewissermaßen mentalen - nur relativen - Neuheitswert, eben weil sie ihm selbst zuvor nicht geläufig waren. Speziell beim Experimentieren tritt nicht selten der Fall ein, dass einem etwas erstmalig auffällt. Das weitere Vorgehen des routinierten Erfinders hängt nun wesentlich von seinem Typus, seiner Mentalität und seinen Arbeitsgewohnheiten ab. Manche nutzen, obwohl sie mindestens ahnen, dass die Sache kaum wirklich neu sein kann, bewusst zunächst einmal ihre Unbefangenheit und denken sich vor Beginn ihrer Literaturrecherche eine Reihe sehr divergenter Anwendungsvorschläge aus („romantischer“ Typ nach Ostwald). Andere fangen mit einer umfangreichen Literaturrecherche an und ordnen den beobachteten Fall sorgfältig in den vorhandenen Wissensfundus ein. <?page no="244"?> 236 Erst dann beginnen sie - vorsichtig, langsam, aber zugleich zäh und konsequent - mit Experimenten, und ziehen eigene Schlüsse („klassischer“ Typ nach Ostwald). Das folgende Beispiel einer nicht durch Literaturstudium, sondern durch eine zufällige Beobachtung ausgelösten Ideenkette soll zeigen, wie der Erfinder vorgehen kann. Dabei sind die einzelnen Schritte so wiedergegeben, wie sie von mir tatsächlich gegangen wurden. Der Umstand, dass es sich bei dem hier genutzten physikalischen Phänomen um eine ganz einfache Sache handelt, erscheint mir eher vorteilhaft, denn die einfachen Lösungen werden noch immer unterschätzt. Gerade sie aber sind, weil überschaubar, didaktisch besonders überzeugend. Eine Trübe sollte filtriert werden. Die vorhandenen Wasserstrahlpumpen waren sämtlich in Betrieb, und somit nicht verfügbar. Da ohnehin noch weitere Experimente liefen, habe ich eine Labornutsche (Saugflasche, durchbohrter Gummistopfen, Porzellannutsche) nebenher unter Normaldruck betrieben. Das Filtrat tropfte durch das Filtertuch und füllte allmählich die Saugflasche. Um den Vorgang nicht unterbrechen zu müssen, wurde dann ein Schlauch als Filtratüberlauf auf den Evakuierungsstutzen gesteckt. Die Saugflasche stand auf dem Labortisch, der Schlauch führte in einen auf dem Fußboden stehenden Eimer (Abb. 40). Beim Nachgießen weiterer Trübe war zu beobachten, dass die Filtrationsgeschwindigkeit stark anstieg. Die nahe liegende Vermutung, dass dafür die Saugwirkung des durch den Schlauch ablaufenden Filtrats verantwortlich sein müsste, wurde durch folgende Beobachtungen erhärtet: Mit dem Filtrat zusammen wurden Luftblasen durch den Schlauch transportiert. Besonders hohe Filtrationsgeschwindigkeiten ließen sich beim Androsseln des Filtratstromes per Schlauchklemme erreichen. Die Filtrationsgeschwindigkeit erhöhte sich mit Vergrößerung des Niveauunterschiedes. Gleichmäßige Filtration ließ sich nur bei getaucht betriebenem Ablaufschlauch erreichen. Zweifellos handelt es sich bei dem Vorgang um eine ganz einfache Sache. Ähnliche Vorrichtungen sind sicherlich bereits von anderen Experimentatoren verwendet worden. Im Übrigen wird man beispielsweise an den Jenaer Analysentrichter für schnelle Filtration erinnert. Wir haben es sichtlich mit dem bekannten, sehr einfachen Physikalischen Effekt „Saugende Wirkung einer hängenden bzw. langsam herabströmenden Flüssigkeitssäule“, erfindungsmethodisch also mit Altschullers Prinzip Nr. 29 „Nutzung pneumatischer oder hydraulischer Effekte“, zu tun. <?page no="245"?> 237 Abb. 40 Schnellfiltration unter Eigenvakuum mit Hilfe einer „hängenden“ bzw. langsam herabströmenden Filtratsäule. Ideale Demonstration der „Von Selbst“ Arbeitsweise (Prinzip Nr. 25) mithilfe eines hydraulischen Effektes (Prinzip Nr. 29) Die für den Prozess erforderliche beschleunigende Triebkraft wird vom Medium während des Filtrationsvorganges selbst erzeugt. Das ablaufende Klarfiltrat (Produkt) sorgt selbst für die gewünschte schnellere Filtration. 1 Porzellan-Nutsche 2 Filtertrübe 3 Saugflasche 4 Gummischlauch für das ablaufende Filtrat, welches das zur Beschleunigung der Filtration erforderliche Arbeitsvakuum selbst erzeugt. Der Ablauf ist getaucht. 5 Filtratbehälter (Reservoir) 1 2 4 3 5 Nunmehr ist die für den angestrebten Mehrfacheinsatz des Effekts zu wählende Denkrichtung bereits bestimmt. Wir wollen zunächst einmal überlegen, wo der Effekt technisch bereits genutzt wird. Nach Analyse der sofort verfügbaren Erfahrungen und Kenntnisse zeigt sich, dass es bereits einzelne industrielle Anwendungsbeispiele gibt (Automatische Kolonnensumpfentwässerung, Einspritzkondensator): Unter Vakuum stehende Erdöl-Destillationskolonnen werden im Bodenbereich (dem „Sumpf“) kontinuierlich mit Hilfe einer getaucht betriebenen langen Ablaufschleife entwässert. In Zuckerfabriken wurde Vakuum erzeugt, indem Wasser in einen Dampfraum eingespritzt wurde. Als Sperre zur Atmosphäre diente ein getaucht betriebenes senkrechtes Rohr. Zum Assoziationsmaterial dürfte ferner, neben dem Jenaer Analysentrichter für schnelle Filtration, auch der Melitta-Kaffee-Filtereinsatz, und im weiteren Sinne auch das Torricelli-Barometer gehören. <?page no="246"?> 238 Was aus meiner Sicht zu fehlen schien, war aber die umfassende und systematische Nutzung des Effekts. Ich überlegte, was in dieser Richtung noch alles infrage kommen könnte. Die nächste Stufe war zunächst nicht eine umfangreiche Recherche, sondern die Übertragung der beschriebenen Laboratoriumsvorrichtung auf eine im technischen Maßstab funktionierende Nutsche, die mit Hilfe des ablaufenden Filtrats ihr Arbeitsvakuum selbst erzeugt. Wir entwickelten einen solchen Apparat (Abb. 41). Die Vorrichtung erzeugt, ausreichenden Niveauunterschied vorausgesetzt, ihr Arbeitsvakuum mit Hilfe des ablaufenden Klarfiltrates, also des gewünschten Produktes, selbst (Zobel, Jochen u. Rust 1979). Vakuumpumpen sind überflüssig. Je nach Widerstand des Filterkuchens werden im System Unterdruckwerte von 670 bis 970 hPa (500 bis 730 mm Hg), entsprechend einem absoluten Gasdruck von etwa 260 bis 30 mm Hg, erreicht. Die Vorrichtung arbeitet bis zum Versetzen der Filterfläche vollautomatisch („Von Selbst“-Lösung, Altschuller-Prinzip Nr. 25). Bei erheblichem Feststoffgehalt der Trübe stellen sich die dann für eine passable Filtrationsgeschwindigkeit benötigten hohen Unterdruckwerte von selbst ein. Bei geringeren Feststoffgehalten werden höhere Filtrationsgeschwindigkeiten trotz vergleichsweise geringerer Arbeitsvakua erreicht (Prinzip: Von- Selbst-Anpassung). Klare Filtrate sind, insbesondere nach Zugabe von etwas Filterhilfsmittel zur Trübe, stets gewährleistet. Die Vorrichtung wurde über mehrere Jahre im 2-m 3 -Maßstab erfolgreich betrieben. Filtriert haben wir Mutterlaugen der Trinatriumphosphat-Produktion sowie aufkonzentrierte Hypophosphitlösungen. Bedien- und Wartungsaufwand sind verschwindend gering. Die Vorrichtung braucht nicht beaufsichtigt zu werden. Das Anfahren - falls der Apparat versehentlich einmal leergelaufen ist - erfordert nur wenige Minuten. Interessanterweise fanden sich nicht nur bei Gesprächen mit Fachkollegen, sondern auch in der Literatur erhebliche Vorurteile gegen die Realisierbarkeit der an sich nahe liegenden Idee. So schlugen entsprechende Versuche im Wasserwerk der Stadt Harrisburg, ausgeführt an einem Trinkwasserschnellfilter, ganz offensichtlich fehl (Ziegler 1919). Eine solche Literaturquelle ist für eine Patentanmeldung natürlich ganz besonders nützlich. Man kann dann im Erteilungsverfahren erfolgreich auf das sichtlich zutreffende Hilfskriterium „Vorurteil der Fachwelt“ verweisen. Davon abgesehen hatten wir jedoch, und das zeigte sich erst nach Erteilung des Patentes, nicht sorgfältig genug recherchiert. <?page no="247"?> 239 2 4 3 3 1 6 7 8 5 Abb. 41 Verfahren und Vorrichtung zur Filtration unter autogenem Vakuum (Zobel, Jochen und Rust 1979) 1 Filtertrübe 2 Minimum-Maximum-Sonde 3 Entlüftungsstutzen 4 Vakuum-Messstutzen 5 Filtratraum mit Stützrippen 6 Filtertuchrahmen 7 Filtrat-Ablaufleitung 8 Spülstutzen. So erwies sich die Lösung schließlich als durchaus nicht neu. In der Diskussion zu einem meiner erfindungsmethodischen Vorträge wies mich Heidrich (1986) darauf hin, dass annähernd vergleichbare Apparate, so genannte „Läuterbottiche“, in älteren Brauereien üblich waren. Der Ablauf erfolgte nicht über ein ausschließlich senkrechtes Rohr, sondern über eine Ablaufschleife, einen so genannten Schwanenhals. Dieses Detail ist aber für die Tatsache, dass der von uns angemeldete Apparat im Prinzip eben doch nicht neu ist, zweitrangig. Das Beispiel ist in mehrfacher Hinsicht interessant. Sorgfältiges Recherchieren in der älteren Literatur wäre zweifellos sinnvoll gewesen, zumal eine reine Patentrecherche in derartigen Fällen offensichtlich nicht genügt. Beim besprochenen Beispiel lag immerhin der Verdacht nahe, dass es sich um alte Technik handeln könnte. Typisches Einsatzfeld für alte (Filtrations-)Technik ist aber das frühere Brauereiwesen, wie auch ohne nähere Fachkenntnis vorstellbar. Vermutlich seit Urzeiten wird gebraut. Trübes Bier wollte schon früher niemand trinken. Übrigens zeigt das Beispiel auch, dass ein erteiltes Patent noch lange kein zwingender Beweis für den Neuheitswert einer Sache sein muss. <?page no="248"?> 240 Was die Erfinder übersehen hatten, fiel auch dem Prüfer nicht auf - ein Fall, der in der Praxis nicht eben selten vorkommt. Wir kennen nun bereits drei Anwendungsfälle (unter autogenem Vakuum arbeitende Nutsche bzw. Läuterbottich, Einspritzkondensator, Automatische Kolonnensumpfentwässerung). Überlegen wir, wo die „hängende“ bzw. langsam strömende Flüssigkeitssäule außerdem sinnvoll eingesetzt werden könnte, und sehen uns zu diesem Zweck Abb. 41 noch einmal an. Zunächst tröpfelt durch den mit einem Filtertuch belegten Siebboden das Filtrat unter Normaldruck in den mit Stützrippen versehenen Filtratraum 5. Die Luft entweicht über die Entlüftungsstutzen 3. Ist der Filtratraum gefüllt, so werden die Entlüftungen geschlossen und das Filtratablaufventil 7 geöffnet. Das Filtrat setzt nun, während es mit Luftblasen beladen in das Reservoir fließt, den Filtratraum unter Vakuum. Öffnet man vorsichtig die Entlüftung 3, so vermindert sich erwartungsgemäß das Vakuum, da nunmehr Luft einströmt. Beim normalen Betrieb der Nutsche bleibt die Entlüftung natürlich geschlossen. Unser Gedankenexperiment soll nur zeigen, dass das Einströmen („Ansaugen“) von Luft der Ansatzpunkt zum erfinderischen Weiterdenken ist. Der nächste Schritt ist dann einfach. An Stelle von Filtrat soll nun Destillat (z. B. Wasser) betrachtet werden, und die Aufgabe soll nicht mehr in der Lösung eines Filtrationsproblems, sondern in der Anwendung des gleichen Prinzips für Zwecke der Eindampfung bzw. der Destillation bestehen. Wir kommen auf diesem Wege fast zwanglos zu einer Destillationsvorrichtung, die prinzipiell analog der Nutsche arbeitet, obgleich sie ihr äußerlich durchaus nicht ähnelt (Abb. 42). Das Wasser strömt aus einem oberen Reservoir 7 durch einen Kondensator 6 in das so genannte „y-Passstück“ 8, dessen Form, allerdings nur äußerlich, Ähnlichkeiten zur Wasserstrahlpumpe aufzuweisen scheint. Während aber bei der Wasserstrahlpumpe mit einer Düse (erst Stauabschnitt, dann Diffusorabschnitt) gearbeitet wird, fließt hier das Wasser langsam und gleichmäßig - d. h. ohne intermediäre Geschwindigkeitsveränderung - herab. Das y-Passstück enthält keine Einbauten. Funktional ist es somit etwas völlig anderes als eine Wasserstrahlpumpe. Der Wasserverbrauch, verglichen mit einer Wasserstrahlpumpe, ist zudem sehr gering. Auch arbeitet die Vorrichtung, ganz im Gegensatz zur Wasserstrahlpumpe, rückschlagsicher (Zobel u. Jochen 1982). Das aus 1 ständig nachverdampfende Destillat gelangt, nach erfolgter Kondensation, zusammen mit dem aus dem oberen Reservoir stammenden Treibmittel - dem Wasser - in das y-Passstück, und von dort aus in das untere Reservoir. <?page no="249"?> 241 5 3 4 2 4 6 9 7 8 1 Abb. 42 Anordnung zur Destillation unter vermindertem Druck (Zobel u. Jochen 1982) 1 Verdampfer 2 Standglas 3 Siedekapillare 4 Einfüll- und Produktstutzen 5 Heizmantel 6 Kondensator 7 oberes Reservoir 8 y-Passstück 9 zum unteren Reservoir Dabei erfüllt das Wasser aus dem Reservoir 7 im Kondensator 6 zunächst seine Funktion als Kühlmittel und wirkt dann anschließend im y-Passtück 8, zusammen mit dem Kondensat, als Vakuum erzeugendes Mittel. Wir erkennen hier übrigens auch das Altschuller-Prinzip Nr. 6 (Universalität im Sinne von Mehrzwecknutzung). Genutzt haben wir die Vorrichtung beispielsweise zum Eindampfen von Hypophosphitlösung. Später baute Ebersbach eine nach dem gleichen Prinzip arbeitende Technikums-Glasapparatur auf, in der wir Unterphosphorige Säure H 3 PO 2 für spezielle Einsatzgebiete aufkonzentrierten. Nach Erteilung unseres Schutzrechtes (Zobel u. Jochen 1982) fanden wir das Referat einer Offenlegungsschrift, welche sichtlich auf ganz ähnlichen Gedankengängen beruht. Die im Vergleich zu unserem Apparat noch einfachere Verfahrensweise lässt sich auch ohne Abbildung erläutern. Die Vorrichtung besteht aus einem umgestülpten U-Rohr mit unterschiedlich langen Schenkeln. <?page no="250"?> 242 Beide Rohrenden tauchen jeweils in mit Flüssigkeit gefüllte Gefäße ein. Die einzudampfende bzw. zu verdampfende Lösung sei links, das Kondensatgefäß rechts angeordnet. Die linke (kürzere) Flüssigkeitssäule siedet. Sie wird von der rechten - kälteren, schwereren - am Sieden erhalten. Die rechte Wassersäule entsteht durch Kondensation aus dem Dampf, der sich beim Sieden der linken Wassersäule bildet. Dass, und warum, mit ungleich langen Rohrschenkeln zugunsten der Kondensat- Seite gearbeitet werden muss, ist dem Leser gewiss klar. Diese einfache Vorrichtung besaß Patentschutz. Der Anspruch lautet: „Destillationsanlage, dadurch gekennzeichnet, dass die kondensierende Wassersäule kälter ist als die siedende Wassersäule, und ihr Übergewicht zur Förderung genutzt wird, ohne dass sie dabei zu sieden beginnt, wie die erste Wassersäule, die zu destillieren ist“ (Nehring1985). Die bisher behandelten Anwendungsfälle ergeben sich fast zwanglos aus dem ihnen allen zugrunde liegenden Effekt. Man könnte nun meinen, damit sei das Prinzip in seiner Anwendbarkeit erschöpft. Ein weiteres Beispiel soll zeigen, dass dies nicht der Fall ist. Betrachten wir Abb. 43 (Zobel, Gisbier, Pietzner und Mühlfriedel 1984). Dargestellt ist die automatische Vakuumentgasung einer Flüssigkeit, wobei das Arbeitsvakuum wiederum von der - in diesem Falle bereits entgasten - Flüssigkeit selbst erzeugt wird. In R 1 befindet sich das zu entgasende Wasser. Der Entgasungsvorgang findet in E statt, wobei mit hilfe der Ventile 1 und 2 Zu- und Abfluss unter Berücksichtigung des erreichten Arbeitsvakuums reguliert werden können. Der Entgasungsvorgang wird durch scharfkantige, poröse Füllkörper in E unterstützt, die nach dem Prinzip der Siedeperlen arbeiten. Handelt es sich um eine mit einfachen Mitteln absorbierbare Komponente, wird der abgesaugte Gasstrom zunächst durch die Absorptionsflüssigkeit in A geleitet, ehe er in das y-Passstück eintritt. So lässt sich Sauerstoff aus abgesaugter Luft entfernen, und es bleibt der hier nicht störende Stickstoff übrig. Aber auch für den Fall, dass der direkte Weg gewählt wird (d. h. bei geschlossenen Ventilen 4 und 5 und geöffnetem Ventil 3), beobachten wir eine partielle Selbst-Entgasung der im Reservoir R 2 aufgefangenen Flüssigkeit. Der Sauerstoffgehalt von Leitungswasser kann so immerhin auf 65 % des ursprünglichen Gehaltes abgesenkt werden (Altschuller-Prinzip Nr. 16: „Partielle oder überschüssige Wirkung“, in älteren Publikationen treffender „Unvollständige Lösung“ genannt). Das Ergebnis überrascht zunächst, denn die Luft, welche entfernt werden soll, wird ja schließlich blasenförmig vom bereits entgasten Medium in direktem Kontakt mit nach unten transportiert. <?page no="251"?> 243 R 1 4 6 5 1 E 3 7 2 A 8 R 2 Abb. 43 Verfahren und Vorrichtung zum Entgasen von Flüssigkeiten (Zobel, Gisbier, Pietzner u. Mühlfriedel 1984) R 1 Reservoir (Hochbehälter) E Entgaser A Absorber R 2 zum unteren Reservoir (mit Tauchung) 1,2 Regulierventile 3,4,5 Bedienventile für die Fahrweise mit oder ohne Absorber 6 Druckausgleich für den Abfahr-Vorgang 7 Ablassventil für die Absorptionsflüssigkeit 8 y-Passstück Der Zusammenhang wird aber klar, wenn man den Verteilungsgrad der Luft in R 1 mit dem Verteilungsgrad der Luft unterhalb des y-Passstückes 8 vergleicht. Zunächst liegt die Luft gelöst vor, vom y-Passtück an wird sie jedoch in Form vergleichsweise großer Blasen nach unten transportiert. Kontaktfläche und Kontaktzeit reichen offensichtlich nicht aus, um das Gas wieder völlig zu lösen. Auch steht das System unter Vakuum, so dass der in R 1 gegebene O 2 -Wert ohnehin nicht wieder erreicht werden kann. Gasblasen und Flüssigkeit trennen sich im unteren Reservoir R 2. Die Ablaufleitung muss logischerweise auch bei diesem Verfahren getaucht betrieben werden. <?page no="252"?> 244 Während wir die ersten beiden Anwendungsfälle (automatische Vakuumfiltration, automatische Vakuumdestillation) in unserem Betrieb praktisch genutzt haben, war die automatische Vakuumentgasung als zusätzliches Schutzrecht beim methodischen Vorgehen „nebenbei“ entstanden. Dies ist jedoch nicht nur eine schutzrechtliche Spielerei. So lässt sich eine Reserve für den Fall schaffen, dass irgendwann ein Problem ansteht, dessen Lösung eine (teil-)entgaste Flüssigkeit verlangt. Auch sollte man nach Durchlaufen einer solchen Ideenkette (Einspritzkondensator, Automatische Kolonnensumpf-Entwässerung, Jenaer Analysentrichter, Melitta-Filtereinsatz, Vakuumfiltration, Vakuumdestillation, Vakuumentgasung) zweckmäßigerweise noch einmal selbstkritisch das Niveau seiner neuen - oder auch nicht gar so neuen - Lösungen unter denkmethodischen Gesichtspunkten bewerten. Dazu gehört, alle bekannten und alle neu gefundenen Anwendungsfälle so zu ordnen, dass die (z. T. wohl auch unterschwellig abgelaufenen) Assoziationen nachträglich erklärt werden können. Das ist deshalb sinnvoll, weil ein erfahrener Erfinder stets mit einem bestimmten theoretischen und experimentellen Grundwissen arbeitet, dessen Vorhandensein und dessen Wirken er sich normalerweise nicht ständig vor Augen hält. Es fließt wohl unmittelbar und weitgehend unbewusst in den Denkprozess ein. So ist denn das Zusammenstellen des vorhandenen Assoziationsmaterials und das Verdeutlichen der Beziehungen zwischen gegebenem Assoziationsmaterial und alten sowie neuen Anwendungsfällen nicht nur für methodisch Interessierte zu empfehlen. Details dazu habe ich in meinen Büchern zum Systematischen Erfinden (Zobel 2001 u. 2006) näher erläutert. Gleichermaßen wichtig ist es, Recherchetätigkeit und Literaturarbeit niemals als abgeschlossen zu betrachten. Dabei ist Kritik, insbesondere Selbstkritik, dringend anzuraten. Ich bin auch im vorliegenden Falle entsprechend vorgegangen. Nicht ganz unerwartet zeigte sich, dass manche Lösung, streng betrachtet, nicht sonderlich neu war. Beispielsweise gab bereits Raschig (1915), wie ich leider erst nach Erteilung unseres Schutzrechtes bemerkte, eine Anordnung zur Vakuumdestillation mit frei auslaufendem Destillat an: „Bei dieser Anordnung ist an den Kühler ein Abfallrohr angeschlossen, welches so lang sein muss, wie es die Dichte des Destillates zur Überwindung des Atmosphärendruckes erfordert. Es werden Abfallrohre bis zu 10 m Länge und darüber benötigt“ (nach: Ullmann 1931, S. 738). <?page no="253"?> 245 Sinngemäß - wenn auch nicht deckungsgleich - entspricht diese Anordnung übrigens der Arbeitsweise der Vakuumkolonnensumpf-Entwässerung. Weiterhin zeigte sich beim ergänzenden Literaturstudium im Falle der oben behandelten Ideenkette, dass neben dem verfügbaren Assoziationsmaterial (Torricelli-Barometer, Jenaer Analysentrichter für schnelle Filtration, Melitta-Kaffeefiltereinsatz, Labornutsche gemäß im Text beschriebener Anordnung) in der älteren Literatur (Szigeti 1915) bereits ein Hebertyp beschrieben wurde, der sich durch Angießen über einen seitlich angesetzten Trichter in Betrieb setzen lässt. Demgemäß hätte es einen besonderen assoziativen Wert für unser so genanntes y-Passstück gehabt, wenn uns diese einfache Apparatur bereits vor Beginn der geschilderten Arbeiten bekannt gewesen wäre. Dieser Hergang mag nicht schmeichelhaft sein. Ich habe die wirkliche Abfolge der Arbeitsschritte jedoch bewusst ungeschminkt dargestellt, weil sich analoge Schnitzer täglich, und dies an wahrlich wichtigeren Objekten, immer und immer wiederholen. Es sei deshalb dringend angeraten, stets sehr selbstkritisch vorzugehen, und beim Verdacht, dass alte Technik mit im Spiel sein könnte, besonders sorgfältig zu recherchieren. So hoffe ich denn, dass die bewusst einfach gewählten Beispiele zu obiger Assoziationskette ihren Branchen übergreifenden didaktischen Wert haben. Altschuller hatte bereits in seinen frühen Publikationen das von ihm favorisierte systematische Vorgehen in ein Ablaufschema gebracht, das er „ARIZ“ nannte (Algoritm reshenija izobretat’elskich zadacz = Algorithmus zum Lösen erfinderischer Aufgaben). Dieser Terminus ist einigermaßen kühn, bedeutet doch Algorithmus im mathematischen Sinne eine streng festgelegte Abfolge von Arbeitsschritten, die mit absoluter Sicherheit zu einem ganz bestimmten Ergebnis führt. Immerhin ist der ARIZ nach meiner Erfahrung fast ein Algorithmus. Er kann für Menschen, welche die erforderliche Geduld aufbringen, recht nützlich sein. Die Wiederholbarkeit der erfinderischen Schritte lässt sich an konkreten Beispielen eindrucksvoll zeigen. Altschuller hat den ARIZ immer wieder überarbeitet und die jeweils neuestenen Versionen mit den entsprechenden Jahreszahlen gekennzeichnet. Aus Praktikersicht hat die mit der Weiterentwicklung verbundene Zunahme der Zahl an Arbeitsschritten allerdings ihre Schattenseiten, denn kaum jemand bringt die Geduld auf, mit den extrem vielstufigen neuesten Versionen zu arbeiten. Ich habe zwei mit Hilfe des aus meiner Sicht gerade noch praktikablen „ARIZ 77“ (Version 1977) erarbeitete Beispiele publiziert. Nachstehend wird eines dieser im gegebenen Zusamenhang interessanten Muster in Kurzfassung gebracht. Methodisch interessierte Leser verweise ich auf die ausführlichen Originalquellen (Zobel 2001 u. 2006). <?page no="254"?> 246 Zunächst wollen wir uns die wichtigsten der von Altschuller vorgegebenen Stufen des ARIZ 77 in von mir gekürzter Fassung ansehen: I Bestimmen der Aufgabe (Vorläufiges Formulieren der Aufgabe; Endziel der Aufgabenbearbeitung; Prüfen von Umgehungswegen, falls die Aufgabe als solche unlösbar ist; Entscheiden zwischen Aufgabe und Umgehungsaufgabe; Qualitativ definierte Kennwerte; Verbessern der qualitativ definierten Kennwerte; Präzisieren der Forderungen an das anzustrebende Verfahren; Prüfen, ob die Aufgabe durch direktes Anwenden einfacher Standards gelöst werden kann; Präzisieren der Aufgabe unter Einbeziehen der in der Patentliteratur aufgeführten Verfahren; Anwenden des „AZK“-Operators) II Aufbau des Modells der Aufgabe (Bedingungen der Aufgabe: ganz einfach formuliert, unter Verzicht auf die Fachterminologie; Miteinander in Konflikt stehende Elemente des Systems; Konfliktbehaftete Paare, nützliche und schädliche Wechselwirkungen; Standardformulierung der Aufgabe) III Analyse des Aufgabenmodells (Auswählen der leicht zu beeinflussenden Elemente des Systems; Standardformulierung des Idealen Endresultates; zu überwindende Physikalische Widersprüche) IV Überwindung des Physikalischen Widerspruchs (Einfachste Umformung/ Verteilung der widersprüchlichen Eigenschaften; Verwendung des Verzeichnisses der Typenmodelle von Erfindungsaufgaben und ihrer Stoff-Feld-Umformungen; Durchsicht der Tabelle Physikalischer Effekte und Phänomene; Durchsicht der Tabelle der Prinzipien zum Lösen Technischer Widersprüche; Übergang von der physikalischen zur technischen Antwort: Formulieren der erfinderisch anzuwendenden Verfahrensweise; Verfahrensschema) V Vorläufige Einschätzung der gewonnenen Lösung (Vorläufige Einschätzung der gewonnenen Lösung; Patentfähigkeit des Verfahrens) VI Entwicklung der gewonnenen Antwort (Veränderungen im Obersystem; Wo kann das veränderte System noch angewandt werden? Eignung zum Lösen anderer technischer Aufgaben) <?page no="255"?> 247 VII Analyse des Lösungsverlaufs (Vergleich des realen Verlaufs mit dem theoretischen Verlauf; Vergleich der gewonnenen Antwort mit den strategischen Empfehlungen). Kommen wir zum praktischen Beispiel. Unter 3.3.2 wurde das zu lösende Problem kurz beschrieben: Hypophosphit-Kristallbrei sollte zentrifugiert werden. Die Schlitze der Siebschnecken-Fitrierzentrifuge versetzten sich, der Zentrifugationsprozess brach daraufhin zusammen. Es war nun eine Lösung gefragt, die störungsfreies Zentrifugieren ermöglichen, zudem die vorgeschalteten Verfahrensstufen vereinfachen, mindestens aber keine Komplizierung des Geamtprozesses bringen sollte. Die Patentschrift (Zobel 1984) wurde seinerzeit - wohl bereits unter dem Einfluss der erfindungsmethodischen Erfahrungen des Verfassers - so aufgebaut, als sei die Erfindung in praktisch allen Stufen streng nach der widerspruchsorientierten Vorgehensweise entstanden. Dies ist zwar im Wortsinne nicht der Fall, d. h. es wurde nicht durchgängig nach einem formalen Schema gearbeitet; indes lässt die nachträgliche Analyse der Schrift ein hohes Maß an Systematik erkennen, so dass eine widerspruchsorientierte Darstellung im Sinne einer Erfindungsgenese gerechtfertigt erschien. Methodisch betrachtet wurde das stufenweise Vorgehen beim Erarbeiten der Lösung, die im „Verfahren zur Herstellung von reinem Natriumhypophosphit“, DD-PS Nr. 233 746 v. 23. 01. 1984, ert. gem. § 18 Abs. 2 Pat.-Ges. d. DDR am 12. 03. 1986, Int. Pat.-Cl. C 01 B 25/ 165, VEB Agrochemie Piesteritz, 4602 Wittenberg-Piesteritz (Erfinder: Dietmar Zobel) beschrieben ist. Als Rahmen gewählt wurde der ARIZ 77 (s. o.) nach Altschuller (1984). Jedoch habe ich das System dem realen Ablauf niemals aufgezwungen. Lag kein sinnvoll erscheinender Bezug vor, so wurde dies durch Verkürzen oder einfaches Weglassen des entsprechenden ARIZ 77-Details berücksichtigt. Das entspricht den Praxisbedürfnissen und erleichtert das Arbeiten wie auch die methodische Sinnhaftigkeit. Ein derart gut durchdachtes Schema fungiert als wertvoller Leitfaden, den man nicht ohne Not aufgeben sollte. Modifizierungen und Kürzungen werden, sofern erforderlich, vom Praktiker ohnehin vorgenommen. Gehen wir nun - wie oben begründet und erläutert - nach dem ARIZ 77 vor, so ergibt sich die folgende Erfindungsgenese: <?page no="256"?> 248 I Bestimmen der Aufgabe Herstellung reinen kristallinen Natriumhypophosphits aus verunreinigten Ausgangslösungen. Angestrebt wird ein möglichst einfaches und kostengünstiges Verfahren zur Herstellung reinen kristallinen Natriumhypophosphits (Produkt: NaH 2 PO 2 . H 2 O), das den hohen Qualitätsanforderungen für den Einsatz in der „stromlosen“ (reduktiv-chemischen, d. h. nicht-galvanischen) Vernicklung zu entsprechen hat. Produkt: Die Produkteigenschaften sind nicht zu verändern. Es sind die bekannten und für die stromlose Vernicklung zwingend erforderlichen Qualitätskennziffern anzustreben, die allerdings in konventioneller Weise nur vergleichsweise umständlich im Zuge eines vielstufigen Verfahrens erreichbar sind. Verfahren: Die Aufgabe läuft auf die Schaffung eines wesentlich vereinfachten Verfahrens zur Herstellung eines wohl definierten Erzeugnisses (Natriumhypophosphit) hinaus. (Die zu verändernde Haupteigenschaft betrifft demnach den Kompliziertheitsgrad des konventionellen Herstellungs-Verfahrens). Das Ausgangsmaterial zur Herstellung reinen kristallinen Natriumhypophosphits ist eine rohe Natriumhypophosphitlösung, die neben dem erwünschten Hypophosphit (Hauptkomponente; Symbol: P(I)) noch unerwünschtes Phosphit (Nebenkomponente; Symbol: P(III)) sowie ebenfalls unerwünschte Calciumionen (Spurenkomponente; Symbol: Ca ** ) enthält. Das erwünschte Produkt darf - im Zusammenhang mit seinem Einsatz im Bereich der stromlosen Vernicklung - diese beiden unerwünschten Komponenten nur bis zu einer jeweils klar definierten Konzentrations-Obergrenze enthalten Entscheiden zwischen Aufgabe und Umgehungsaufgabe: Zu bearbeiten ist die Aufgabe. Es existiert keine u n m i t t e l b a r e Umgehungsaufgabe. Die im Obersystem angesiedelte m i t t e l b a r e Umgehungsaufgabe zeigt aber, dass zu einem späteren Zeitpunkt an die Entwicklung völlig neuartiger stromlos arbeitender Vernicklungssysteme gedacht werden könnte (dies ist eine nicht nahe liegende, hochwertige Entwicklungsaufgabe, auf die der ausschließlich mit seinem Herstellungsverfahren befasste Hypophosphitfachmann ohne diese Problemanalyse wohl kaum gestoßen wäre). Quantitativ definierte Kennwerte: Der Gehalt an Phosphit (P(III)) darf im Fertigprodukt nur maximal 0,09 % betragen. Der Gehalt an Calciumionen (Ca ** ) darf im Fertigprodukt nicht höher als 0,003 % liegen. Verbessern (hier: Absenken) der quantitativ definierten Kennwerte: Jegliche weitere Qualitätsverbesserung ist erwünscht, aber nur, falls sie kostenlos zu haben bzw. im Prozess von selbst zu realisieren ist. Falls sich dies als nicht möglich erweisen sollte, so gilt das allseits bekannt Ingenieursprinzip: Nicht so gut wie möglich, sondern so gut wie nötig. Präzisieren der Forderungen an das anzustrebende Herstellungsverfahren: Zulässiger Kompliziertheitsgrad: Komplizierte Lösungen sind unzulässig. Das Verfahren soll möglichst einfach werden, die Einsparung mindestens einer Verfahrensstufe gegenüber den Konkurrenzverfahren ist anzustreben. <?page no="257"?> 249 Voraussehbarer / angestrebter Maßstab der Anwendung: Das zu schaffende Verfahren soll uneingeschränkt industriell anwendbar sein Prüfen, ob die Aufgabe durch direktes Anwenden der Standards zum Lösen von Erfindungsaufgaben bewältigt werden kann: Die (nachträgliche) Prüfung hat ergeben, dass dies nicht möglich gewesen wäre. Präzisieren der Aufgabe unter Einbeziehung der in der Patentliteratur aufgeführten Verfahren (Stand der Technik): In Betracht gezogene Quellen: Z. Uhli , S. Scholle u. J. Beneš, Chemicke Pr mysl 8 (33/ 1958) 281-296 F.P. 1 152 431 v. 20. 6. 1956 bzw. DAS 1 145 588 v. 16. 1. 1958 UdSSR-Pat. 157 340 v. 5. 2. 1962 V.J. Latatujev u. N.J. Zakabunina, Issled. v oblasti chimii i technol. min. solej i okislov, AN „Nauka“ M-L (1965), S. 39-43 F. P. 1 164 005 v. 24. 12. 1956, ert. 6. 10. 1958 D. Zobel, DD-PS 137 799 v. 29. 03. 1977, ausg. 26. 09. 1979. (Die in meinen speziell erfindungsmethodisch orientierten Büchern - Zobel 2001 und 2006 - zu diesen Quellen aufgeführten technologischen Details habe ich hier weggelassen, da alle Verfahren, so unterschiedlich sie im Einzelnen auch sind, etwas Gemeinsames haben: Sie erfordern zur Lösung des Problems stets eine eigene bzw. eine zusätzliche Verfahrensstufe, was aber nach der getroffenen Zielfestlegung ausdrücklich ausgeschlossen werden soll). Der Stand der Technik liefert jedoch immerhin Ansatzpunkte, die auf reale Möglichkeiten zur angestrebten Vereinfachung des mehrstufigen Produktions- und Reinigungsverfahrens hindeuten. Diese Ansatzpunkte liegen nicht im Bereich der Verfahrenstechnik, d. h. der für die Ausführung des Prozesses erforderlichen Apparate, sondern im Bereich der Eigenschaften der chemisch und chemisch-physikalisch interagierenden Komponenten des Systems, d. h. im Bereich der Stoff-Eigenschaften. Zur ordnungsgemäßen Bearbeitung der Aufgabe sollten deshalb zunächst alle bekannten, aber möglicherweise bisher im gegebenen Zusammenhang noch nicht beachteten Eigenschaften der relevanten Systemkomponenten zusammengestellt werden. Erforderlichen Falls ist zusätzlich (insbesondere experimentell) nach Eigenschaften zu suchen, die in der Literatur, vor allem in den konventionellen Tabellenwerken, nicht aufgeführt sind. Die erfinderische Aufgabe sollte vor allem auch die Prüfung von Möglichkeiten berücksichtigen, diese bisher nicht „ausgereizten“ Stoffeigenschaften (bei gleichzeitiger Verminderung des konventionell erforderlichen apparativen Aufwandes bzw. durch Mehrfach-Nutzung ohnehin erforderlicher Verfahrensstufen) zur Erreichung des Zieles einzusetzen. Anwenden des Operators AZK („Abmessungen / Zeit / Kosten“) Anmerkung: „MZK“ (Maße/ Zeit/ Kosten) entspricht direkt „AZK“ (Abmessungen/ Zeit/ Kosten). Die sinngemäße Übersetzung des Terminus Maße bzw. Abmessungen dürfte im vorliegenden Falle Konzentration an Verunreinigungen lauten. Der infrage kommende Prozess wird mit Hilfe des Operators AZK nun so betrachtet, als verliefe er extrem (bezüglich der Konzentration an Verunreinigungen, der zur Verfügung stehenden Zeit, der zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel). Dabei beziehen sich die anzustellenden Betrachtungen jeweils auf die Grenzwerte Null sowie Unendlich. Konzentration an Verunreinigungen: <?page no="258"?> 250 a) Stellen wir uns zunächst vor, die Konzentration an Phosphit sowie an Calciumionen im Endprodukt solle nicht mehr nachweisbar sein (bzw. jeweils „bei 0,00000 %“ liegen). Für diesen Fall gilt wiederum: Brächte ein solches höchst reines Produkt im Obersystem (den reduktiv-chemisch auf Hypophosphitbasis arbeitenden Vernicklungsbädern) einen messbaren Nutzen, so sollte dieser Bereich näher untersucht werden. Ein solcher Nutzen tritt jedoch nicht ein, da die anderen Hauptkomponenten der Bäder (insbesondere das Nickelsulfat) ebenfalls Spurenverunreinigungen enthalten, deren Entfernung dann sehr wahrscheinlich ebenfalls notwendig wäre. Hinzu kommt, dass auch völlig fremdstofffreie Bäder vergleichsweise schnell von den zu vernickelnden Materialien vergiftet werden, so dass extreme Reinheits-Forderungen bezüglich P(III) und Ca** an die Bad-Einsatzkomponenten, sofern sie nicht kostenlos bzw. völlig von selbst erfüllbar sind, keinen praktischen Wert haben. Fazit: sofern die Nullkonzentration an o. a. Verunreinigungen ohne jeden Zusatzaufwand zu realisieren wäre, bestünde ein gewisses Interesse, ansonsten nicht. b) Stellen wir uns nunmehr alternativ vor, die Konzentration an Verunreinigungen im Produkt sei nach oben nicht begrenzt. Diese Modellvorstellung ist im vorliegenden Falle weder sachlich noch denkmethodisch sinnvoll und wird deshalb nicht weiter verfolgt. Zeitaufwand: a) Unter der Annahme, der Herstellungs- und Reinigungsprozess solle blitzartig verlaufen, d. h. der Zeitaufwand sei null, wird das Suchfeld für sinnvolle Verfahrensverbesserungen erheblich eingeengt. Oben wurde bereits erläutert, dass insbesondere die Eigenschaften bzw. Eigenschaften-Kombinationen der agierenden Komponenten die Ansatzpunkte für die angestrebten Verbesserungen/ Vereinfachungen liefern. Unter den infrage kommenden Stoff-Eigenschaften sind jedoch auch solche, welche sich nicht momentan auswirken. Dazu gehören beispielsweise der Verteilungskoeffizient P(I) : P(III) während des Kristallisationsvorganges sowie die Eigenschaft des an sich schwer löslichen, aber nicht sofort quantitativ ausfallenden Calciumphosphits, das während des Eindampfens der bereits filtrierten Lösung deshalb stets eine Nachfällung bildet. Demgemäß führt eine „Zeitaufwand Null“ - Betrachtung offensichtlich weg vom Ziel. b) Stellen wir uns nunmehr vor, es stehe beliebig viel Zeit zur Verfügung, um im Rahmen eines wesentlich vereinfachten, aber prinzipiell auf den bisherigen Verfahrensvarianten basierenden Prozesses zu reinem Natriumhypophosphit zu gelangen. Im Umkehrschluss ergibt sich, dass dieser Betrachtungsbereich interessant sein könnte. Speziell ist an die Calciumphosphit-Nachfällung während des Eindampfens zu denken, die sich umso vollständiger bildet, je mehr Zeit man dem System lässt (d. h., die Gleichgewichtseinstellung erfolgt verzögert). Dies gilt insbesondere auch für das Sedimentationsverhalten des Calciumphosphit- Niederschlages nach Beendigung des Eindampfens. Wird anstelle einer nochmaligen Filtration eine Sedimentationsstufe zwecks Klärung der konzentrierten Lösung vor Beginn der Kühlungskristallisation erwogen, so wird dafür vor allem Zeit benötigt. Kosten: a) Die Betrachtungsvariante „Was wäre, wenn ich die Aufgabe (fast) ohne jeden finanziellen Aufwand zu lösen versuchte? “ sollte eigentlich immer, so natürlich auch im vorliegenden Falle, ernsthaft geprüft werden. Die modifizierte Aufgabe besteht dann darin, unter Einsatz bekannter Apparate und Verfahrensschritte so vorzugehen, dass mit einem Minimum an Aufwand ein Maximum an Produktqualität erreicht wird. Dies heißt, dass nur die für das Herstell- und Reinigungsverfahren absolut unumgänglichen Verfahrensstufen beizubehalten sind, dafür aber so betrieben werden, dass alle Reinigungsschritte weitgehend von selbst ablaufen. <?page no="259"?> 251 b) Die andere Seite der Skala („Geld spielt keine Rolle“) bringt uns im vorliegenden Falle weder sachlich noch denkmethodisch weiter, zumal, wie oben bereits erläutert, eine im Ergebnis der Bemühungen anfallende „Superqualität“ praktisch nicht erforderlich ist. II Aufbau des Modells der Aufgabe Bedingungen der Aufgabe ( o h n e Verwendung der Fachterminologie formuliert ): Wir wollen ein reines Produkt gemäß den o.a. Forderungen erhalten, und wir haben uns vorgenommen, zu diesem Zweck mit einem Minimum an Apparaten bzw. Verfahrensstufen auszukommen. Damit dies gelingt, sind zunächst alle Vorgänge zu untersuchen, die sich im Verlaufe des Prozesses ohnehin abspielen, d. h. die im Rahmen der unstrittig erforderlichen Stufen (z. B. im Verlaufe des Eindampfens) von selbst unter Beteiligung der Bestandteile der zu reinigenden Lösungen ablaufen. Dies eröffnet die Aussicht, dass per Mehrfachnutzung der ohnehin unerlässlichen Verfahrensstufen vorgegangen werden kann, eventuell unter zusätzlicher Anwendung geeigneter Stoffe und/ oder Felder, die in der gewünschten Richtung wirken. Ausgeschlossen werden soll hingegen eine Komplizierung des Prozesses. Unser Betrachtungsbereich beginnt mit der nach erfolgtem Aufschluss des Phosphors bzw. Phosphorschlammes filtrierten Lösung, die wir am Anfang des Eindampfprozesses zur Verfügung haben. Diese Lösung (Einsatzlösung) enthält neben dem Hauptbestandteil P(I) noch den Nebenbestandteil P(III) sowie die Spurenkomponente Ca**. P(I) liegt in Lösung als Natriumsalz vor. P(III), ebenfalls als gelöstes Natriumsalz vorliegend, ist noch wesentlich besser wasserlöslich als P(I). Daraus folgt, dass P(III) in bekannter Weise sich während der Kristallisation weitgehend in der Mutterlauge anreichert. Erfindungsgemäß soll allerdings in einem Bereich so hoher P(III)-Eingangskonzentrationen gefahren werden, dass das produzierte kristalline P(I) ohne besondere Maßnahmen, d. h. bei konventioneller Fahrweise, relativ noch zu viel P(III) enthalten würde. Bei chargenweiser Kristallisation ist davon auszugehen, dass wegen der steigenden P(III)-Konzentration in der Mutterlauge gegen Ende des Kristallisationsvorganges auch der P(III)-Gehalt des Salzes ansteigt. Ca** ist gemäß der geringen Löslichkeit des zuvor bereits abgetrennten Calciumphosphits nur als Spurenkomponente in der Einsatzlösung enthalten. Ca** bildet mit den P(III)-Anionen im Verlaufe des Eindampfprozesses eine Nachfällung (flockiges Calciumphosphit). Eine solche Nachfällung tritt bei den üblichen Verfahren nicht auf, da das Ca ** bei diesen Verfahren vor Beginn des Eindampfens bereits völlig abgetrennt wird. Wollen wir diese Stufe (ohne Qualitätsverlust im Endprodukt) einsparen, so ist bei den Eigenschaften der Calciumphosphit-Nachfällung anzusetzen. Zum Einen sedimentiert die Nachfällung, sofern man vor Beginn der Kühlung die konzentrierte Lösung zunächst in Ruhe temperaturkonstant hält. Zum Anderen zeigt die Nachfällung partiell die Eigenschaft der Peptisation, d. h. sie bildet unter Wasserzusatz eine kolloidale Lösung (bzw. mindestens eine feinstteilige Dispersion). Miteinander in Konflikt stehende Elemente des Systems: A P(I), die Hauptkomponente, gelöst vorliegend in Form von Na-Ionen sowie von H 2 PO 2 -Ionen, 84-87 Mol-% bezogen auf P(I)+P(III), nach erfolgter Kristallisation vorliegend als NaH 2 PO 2 H 2 O B P(III), unerwünschte Nebenkomponente, gelöst vorliegend in Form von Na- Ionen sowie HPO 3 -Ionen (16-13 Mol-%, bezogen auf P(I)+P(III)). Reichert sich zwar bei der Kristallisation in der Mutterlauge an, es gelangt aber dennoch zu viel davon in das kristalline P(I)-Produkt. <?page no="260"?> 252 c Ca ** , unerwünschte Spurenkomponente, in Lösung vorliegend gemäß dem Löslichkeitsprodukt des Calciumphosphits, bildet während des Eindampfens mit dem P(III) eine CaHPO 3 -Nachfällung. Je mehr P(III) in Lösung vorliegt, desto intensiver erfolgt die c-Selbstabtrennung (da das Produkt aus der c- Konzentration und der B-Konzentration konstant ist, drängen hohe B-Konzentrationen die c-Konzentration automatisch zurück). Versuchen wir nunmehr (unter Verzicht auf die konventionell vorgeschalteten B- und c-eliminierenden Verfahrensschritte) aus derartigen Lösungen direkt kristallines A herzustellen, so liegt der P(III)-Wert im A-Produkt um ca. 50% rel., der Ca ** -Wert sogar um ca. 300% rel. über der erlaubten Obergrenze. Wollen wir dennoch B und c (zunächst! ) im System belassen, so sind demgemäß erfinderische Maßnahmen erforderlich, die gewährleisten, dass die Entfernung der Überkonzentrationen an P(III) und Ca ** gegen Ende des Prozesses erfolgt, ohne dafür zusätzliche Verfahrens-Stufen vorzusehen. Konfliktsituation I: Der Verteilungskoeffizient P(III) Kristallisat : P(III) Mutterlauge liegt für das o. a. P(I) : P(III)- Einsatz-Verhältnis so, dass nach bisheriger Kenntnis im Ergebnis der Kristallisation, gefolgt von der Zentrifugation und der Trocknung, kein genügend reines Salz entstehen kann. Konventionell wird deshalb mit höheren P(I): P(III)-Verhältnissen, d .h. P(III)-ärmeren Einsatzlösungen, gefahren. Konfliktsituation II: Die Ca**-Eingangskonzentration liegt so hoch, dass nach bisheriger Kenntnis zu viel Ca ** in das fertige Salz gelangen muss. Konventionell werden deshalb zuvor bereits vom Ca ** befreite Lösungen eingesetzt. Konfliktbehaftete Paare, nützliche und schädliche Wechselwirkungen: B (P(III)): a) Einsatzlösungen mit 5-8 Mol-% P(III), bezogen auf (P(I)+P(III)), liefern nach der Kristallisation ein Hypophosphit mit dem geforderten geringen Phosphitgehalt. (Konventionelles Vorgehen). b) Einsatzlösungen mit > 12 Mol-% P(III) liefern nach der Kristallisation ein Hypophosphit, dessen Phosphitgehalt zu hoch liegt. Dabei reichert sich bei chargenweiser Kristallisation besonders gegen Ende des Kristallisationsvorganges P(III) im P(I)-Kristallisat unzulässig an. (Aus solchen Lösungen soll dennoch einwandfreies Hypophosphit hergestellt werden). c (Ca ** ): a) Einsatzlösungen, die zuvor weitgehend vom Ca ** befreit wurden, liefern nach der Kristallisation das gewünschte Ca ** -arme Hypophosphit. (Konventionelles Vorgehen). b) Einsatzlösungen, die noch Ca ** -haltig sind, liefern nach der Kristallisation ein Hypophosphit, dessen Ca ** -Gehalt zu hoch liegt. (Aus solchen Lösungen soll dennoch einwandfreies Hypophosphit hergestellt werden). Standardformulierung der Aufgabe Gegeben ist eine Hypophosphitlösung, die zu viel P(III) und zu viel Ca ** enthält, um nach der Kristallisation/ Zentrifugation gemäß bisherigem Kenntnisstand qualitativ einwandfreies Hypophosphit liefern zu können. Aus dieser Lösung ist reines Hypophosphit herzustellen. <?page no="261"?> 253 III Analyse des Aufgabenmodells Auswählen der leicht zu verändernden / zu beeinflussenden Elemente des Systems: a) Wenn B leichter löslich ist als A und sich deshalb zwar überwiegend in der Mutterlauge anreichert, sich aber dennoch vor Allem gegen Ende der chargenweisen Kristallisation in unzulässiger Konzentration im Salz wiederfindet, so kommt der Löslichkeitsunterschied zwischen B und A als Ansatzpunkt für erfinderische Maßnahmen infrage. b) Die während des Eindampfprozesses aus c und B gebildete Calciumphosphit-Nachfällung hat die Eigenschaft, sich bei außer Betrieb genommenem Rührwerk abzusetzen, und hat ferner die Eigenschaft, sich im frisch gefällten Zustand unter Wasserzusatz partiell so zu verhalten, als neige sie zur Peptisation bzw. bilde feinstteilige Dispersionen. Beide Eigenschaften erscheinen im Zusammenhang mit den angestrebten einfachen erfinderischen Maßnahmen interessant. Standardformulierung des IDEALEN ENDRESULTATES („IER“): „Reines Hypophosphit aus unreinen Einsatzlösungen nach dem „Von Selbst“-Prinzip“ Sachvoraussetzungen, welche die Annäherung an das IER möglich erscheinen lassen: B und c schaffen bzw. durchlaufen während des Eindampf- und Kristallisationsvorganges diejenigen Bedingungen, unter denen sie anschließend (fast) von selbst oder mit einfachsten Mitteln abgetrennt werden können. Zu überwindende Physikalische Widersprüche: a) Der vergleichsweise hohe Gehalt von B und c im Fertigprodukt ist prozesstypisch und somit unvermeidlich, darf aber nicht sein. (Einsatzlösungen mit zu hohen Gehalten an B und c führen ohne erfinderisches Handeln zwangsläufig zu einem Fertigprodukt mit zu hohen B- und c-Gehalten). b) Die Abtrennung von B u. c am Ende des Prozesses muss sein, darf/ kann aber nicht sein. (Es sei daran erinnert, dass sich eine derart „irre“ Formulierung immer auf die - hier nicht gegebene - Verwendbarkeit von konventionellen Verfahren bezieht. „Darf“ lässt sich durch „kann“ ersetzen (s. o.). Aber: sachlich-semantisch schärfer ist zweifellos „darf“. Denken wir nur an den selbst erklärenden Stoßseufzer aus dem täglichen Leben: „Das darf doch nicht wahr sein! “, womit ja eigentlich gemeint ist: „Das kann nicht wahr sein“. Übertragen auf unser Beispiel lautet die Formulierung aus der Sicht konventioneller Lösungen: „Das kann gar nicht funktionieren“, erfinderisch ergänzt um: „…hat aber gefälligst dennoch zu funktionieren“). IV Überwinden des Physikalischen Widerspruchs Einfachste Umformung/ Verteilung der widersprüchlichen Eigenschaften: B (P(III), vorliegend als Natriumphosphit): Verteilung im Raum Da sich B insbesondere gegen Ende des chargenweisen Kristallisationsvorganges (wegen der ständig steigenden P(III)-Konzentration in der Mutterlauge) schließlich auch im Salz in unerwünscht hoher Konzentration findet, kann davon ausgegangen werden, dass die Außenzonen der größeren Kristalle und die gegen Ende der Kristallisation gebildeten kleinen Kristalle phosphitreicher als die Innenzonen bzw. die anfangs gebildeten Kristalle sind. Da B leichter wasserlöslich als A ist, ergibt sich hier ein erster Ansatzpunkt für die gezielte Suche nach einfachen Möglichkeiten für die erwünschte partielle Abtrennung. <?page no="262"?> 254 Zeitliche Verteilung Die Konfliktzone liegt hinsichtlich des zeitlichen Ablaufs am Ende des chargenweisen Kristallisationsprozesses. Der für einfache erfinderische Eingriffe zur Verfügung stehende Zeitraum beginnt kurz vor dem Abschluss des Kristallisationsvorganges und endet mit dem Auftreffen des gekühlten Mutterlauge-Salz-Kristallbreis auf die Siebzentrifugentrommel (Trennung des Salzes von der Mutterlauge mittels Zentrifugalkraft). c (Ca ** , vorliegend als Calciumphosphit): Verteilung im Raum Während des Eindampfprozesses bildet sich aus Ca ** und P(III) zunehmend Calciumphosphit, feinstteilig und gleichmäßig verteilt, das nach Abschalten des Rührwerkes partiell sedimentiert und am Boden des Rührwerksbehälters als Brei abgelassen werden kann. Der nicht abgetrennte bzw. auf diese Weise nicht abtrennbare Anteil gelangt in die Kristallisationsstufe und dürfte sich (ebenso wie für B unter 4.1.1.1 erläutert) bevorzugt in den Außenzonen der größeren Kristalle und in den zuletzt gebildeten kleineren Kristallen finden. Allerdings sind Calciumphosphit und Natriumhypophosphit kristallographisch verschieden, so dass ein echter Einbau in das Gitter wohl kaum stattfinden dürfte. Dem gemäß sind für das erfinderische Ziel, wie auch beim P(III), vor Allem einfache Maßnahmen zur Beeinflussung der Mutterlauge nach Beendigung des Kristallisationsprozesses von großer Bedeutung. Zeitliche Verteilung Es gilt wörtlich die für B oben bereits angestellte Betrachtung. Übergangszustände, in denen gegensätzliche Eigenschaften koexistieren Es koexistieren die dem Löslichkeitsprodukt des Calciumphosphits entsprechende Schwerlöslichkeit von c (verbunden mit der Sedimentationsfähigkeit der Nachfällung in konzentrierten, heißen, in Ruhe belassenen Lösungen) mit der partiellen Peptisationsneigung des Calciumphosphits, d. h. mit der Fähigkeit, unter Wasserzusatz kolloidale Lösungen oder zumindest feinstteilige Dispersionen zu bilden. Da die Sedimentation ohnehin nicht vollständig verläuft, ergibt sich die Möglichkeit bzw. die Notwendigkeit, die zweitgenannte Eigenschaft anschließend an die Sedimentation zum Zuge kommen zu lassen. Erfindungsmethodische Bemerkung: Damit sind eigentlich die in Frage kommenden recht einfachen erfinderischen Maßnahmen bereits annähernd umrissen. Wir wollen den ARIS 77 dennoch fortsetzen, weil die nächst folgenden Stufen als perfekte Prüfsteine für die Richtigkeit unserer sich abzeichnenden erfinderischen Vermutungen dienen können. Verwendung des Verzeichnisses der Typenmodelle von Erfindungsaufgaben und ihrer Stoff- Feld-Umformungen (alle Systembestandteile lassen sich modellhaft als Stoffe oder als Felder beschreiben): Zutreffend erscheint Typ 1: Gegeben sei ein Element, das sich nicht ohne Weiteres verändern lässt. B ist ein Element, c ein anderes Element. Versuchen wir eine getrennte Betrachtung von B und c. Allgemeiner Lösungsansatz: Aufbau eines vollständigen Stoff-Feld-Systems (Einführung eines zweiten Stoffes und eines Feldes) Element B Als Stoff kommt, wir ahnten es bereits, W a s s e r in Frage. Als Feld im übertragenen Sinne (Intensivierung der Wirksamkeit des gegebenen Zentrifugal-Feldes) ist die mit dem Wasserzusatz verbundene Verminderung der Viskosität der Mutterlauge zu betrachten. <?page no="263"?> 255 Element c Als Feld kommt im Zusammenhang mit der Sedimentationsfähigkeit der c-Nachfällung die Gravitation in Frage. Lässt man das Schwerefeld genügend lange einwirken, so sedimentiert ein Teil des Calciumphosphits. Als Stoffzusatz für diese Verfahrensstufe käme an sich noch ein Sedimentationshilfsmittel in Frage. Wir verzichten jedoch auf ein solches, da wir im Zusammenhang mit dem Wasserzusatz zwecks Absenkung der B-Konzentration im Salz auch gleichzeitig eine Wirkung auf die weitere Absenkung der c-Konzentration erwarten können. Als einfachster Stoff kommt also auch hier zunächst nur W a s s e r in Frage (falls das nicht funktionieren sollte, käme die Variante Sedimentationshilfsmittel, s. o., zum Zuge). Durchsicht der Tabelle Physikalischer Effekte und Erscheinungen: Wir haben bereits mit den letztlich physikalischen Begriffen Löslichkeit, Sedimentation und Peptisation operiert. Zusätzliche Empfehlungen aus der Tabelle sind nicht direkt abzuleiten. (Wir erkennen am bisherigen Verlauf der Analyse, dass, bei ohnehin durchgehend physikalischer Betrachtungsweise, dieser Stufe nur noch eine Kontrollfunktion zukommt. Wenn es für den Chemiker auch verdrießlich sein mag: er sollte anerkennen, dass die Chemie eigentlich mehr oder minder nur der „unsaubere Teil der Physik“ ist). Durchsicht der Tabelle der Prinzipien zum Lösen Technischer Widersprüche: Wir haben bis hierher die Lösung bereits derart eng eingekreist, dass wir die Tabelle nur noch zur Bestätigung der Richtigkeit unserer vorläufigen Ansätze benötigen. Hinzu kommt eine Anregung, wie ganz konkret zu verfahren ist (Prinzip Nr. 21: „Schneller Durchgang“). (Zugleich erkennen wir, dass die Matrix zum Herausfinden der erfolgträchtigsten Lösungsstrategien nicht unbedingt eingesetzt werden muss. Im Ergebnis einer sehr ausführlichen Analyse wird direkt erkennbar, welche Prinzipien zutreffen bzw. mit hoher Wahrscheinlichkeit zutreffen könnten). Offensichtlich gelten für unseren Fall innerhalb der Altschullerschen 40er Prinzipien-Liste: Nr. 2: Prinzip der Abtrennung (Vom Objekt ist die störende Eigenschaft abzutrennen). Nr. 3: Prinzip der Kopplung (Zu koordinierende Operationen sind zeitlich zu koppeln, d.h. in unserem Falle sind die Anreicherungs-, Abreicherungs- und Abtrennvorgänge mit den ohnehin erforderlichen Grundoperationen, wie Eindampfen und Zentrifugieren, zu koppeln). Nr. 16: Prinzip der partiellen Wirkung (Wir akzeptieren, dass wir keine vollkommene B- und c-Abtrennung erreichen wollen. Damit erscheinen einfachste, sichtlich nicht hundertprozentig wirksame Maßnahmen, wie die Sedimentation nach dem Eindampfen (nach erfolgter Bildung eines Konzentrations-Niedeschlages) und der Wasserzusatz am Zentrifugeneinlauf, absolut tauglich). Nr. 21: Prinzip „Schneller Durchgang“ (Die entscheidende Phase des Prozesses ist derart schnell zu durchfahren, dass schädliche Nebenwirkungen gar nicht erst auftreten können. Da das fertige A-Kristallisat wasserlöslich ist, darf der dem Kristallbrei zugesetzte Stoff (Wasser) nur sehr kurzzeitig einwirken, um möglichst nur die gewünschte Wirkung zu erzielen). Nr. 25: „Von Selbst“-Prinzip (Die aus konventioneller Sicht zu hohe P(III)-Eingangskonzentration begünstigt quantitativ die Selbstabtrennung des Ca ** . Das gebildete Calciumphosphit-Monohydrat sedimentiert unter der Wirkung der Gravitation von selbst). <?page no="264"?> 256 Übergang von der physikalischen zur technischen Antwort: Formulierung der erfinderisch anzuwendenden Verfahrensweise: Nach erfolgtem Eindampfen der P(III)- und Ca ** -haltigen Einsatzlösung wird ein Teil des ausgefallenen Calciumphosphits durch Sedimentation abgetrennt. Die sich nach erfolgter Außerbetriebnahme des Rührwerkes im konischen Bodenteil des Eindampfers ansammelnde stark Calciumphosphit haltige Suspension wird abgelassen und praktisch verlustlos der ohnehin im Prozess integrierten Mutterlaugenregenerierung zugeführt. Der Eindampfer wird anschließend als Kristallisator gefahren. Nach erfolgter Kristallisation wird der Kristallbrei am Zentrifugeneinlauf mit Wasser versetzt. Die Wassermenge und die Kontaktzeit bis zum Erreichen der Zentrifugentrommel werden so bemessen, dass die gewünschte Absenkung der P(III)- und der Ca ** -Gehalte im Salz erfolgt, ohne eine wesentliche Verminderung des Salzaustrags pro Charge (durch Anlösen des wasserlöslichen Produkts) hinnehmen zu müssen. Es resultiert ein bezüglich B und c qualitativ einwandfreies Salz, das nur noch wie üblich getrocknet werden muss, sowie eine mit den entsprechenden Verunreinigungen belastete Mutterlauge, deren Regenerierung konventionell beherrscht wird (Gesamtübersicht: Abb. 44). P(I)-Einsatzlösung mit 16 - 13 Mol-% P(III) sowie 0,02-0,06 % Ca ** Eindampfen im Rührwerks-Behälter; dabei fällt Calciumphosphit aus. Nach Abstellen des Dampfes wird der Eindampfer als Sedimentations- Apparat genutzt. Nach Abtrennen des Calciumphosphit- CaHPO 3 Sediments wird der gleiche Apparat als Kristallisator gefahren. Der Kristallbrei wird sodann unter Wasserzusatz zentrifugiert. Wasser Zentrifugations-Prozess Produkt Mutterlauge (mit erhöhtem P(III)sowie erhöhtem Ca ** -Gehalt) Trocknung Regenerierung Es resultiert ein Produkt mit 0,09 % P(III) sowie 0,003 % Ca ** . Wird der gleiche Prozess in den gleichen Apparaten ohne Anwendung der erfinderischen Mittel gefahren, so resultiert ein Produkt mit P(III) - Gehalten, die um bis zu 50% rel., und mit Ca ** -Gehalten, die um bis zu 300% rel. über den erlaubten bzw. für die Anwendung erforderlichen Werten liegen. Abb. 44 Schema der von selbst verlaufenden Ca**- und P(III)-Abtrennung beim „Verfahren zur Herstellung v. reinem Natriumhypophosphit“ (Zobel 1984) <?page no="265"?> 257 (Schutzrechtliche Anmerkung: Für die Formulierung des Schutzrechtes ist es nicht wichtig, welche Wirkungen sich hinter den angewandten technischen Mitteln verbergen, zumal Wirkungen/ Effekte ohnehin nicht schutzfähig sind. Rein erfindungsmethodisch interessiert uns jedoch die dem Verfahren zugrunde liegende Wirkung ganz besonders, zumal wir ja den physikalischen Weg zur Lösung gegangen sind. Die Hauptwirkung dürfte hier nicht das zunächst vermutete Anlösen der in den Außenzonen relativ phosphithaltigen Hypophosphitkristalle sein, sondern vielmehr auf der Verminderung der Viskosität der phosphithaltigen Mutterlauge beruhen. Auch auf hochtourigen Zentrifugen lässt sich unverdünnte Mutterlauge nicht völlig abschleudern, so dass ein Film besonders phosphithaltiger - später eintrocknender - Flüssigkeit auf der Kristalloberfläche verbleibt. Der Wasserzusatz sorgt über die Viskositätsverminderung dafür, dass diese unerwünschte P(III)-haltige Komponente nunmehr auf der g l e i c h e n Zentrifuge intensiver als bisher abgeschleudert wird). Schematische Darstellung der Gesamt-Vorgehensweise: I Vorstufe („Aufschlussstufe“) bis zur Einsatzlösung (Zum Verständnis nützlich, aber außerhalb des erfinderischen Betrachtungsbereiches) Phosphorschlamm wird mit einer Calciumhydroxidsuspension in Natronlauge unter Rühren aufgeschlossen. Die Disproportionierungsreaktion führt zu einem Phosphin-Wasserstoff- Gasgemisch sowie einer stark verunreinigten phosphithaltigen Hypophosphitlösung („Aufschlusssuspension“). Das Gasgemisch wird zu Phosphorsäure verbrannt und in dieser Form genutzt; die Aufschlusssuspension wird filtriert. Dabei werden alle aus dem Phosphorschlamm stammenden Feststoffverunreinigungen sowie das während des Aufschlusses gebildete schwer lösliche Calciumphosphit abgetrennt. Es resultiert ein Filtrat, das wir hier als „Einsatzlösung“ bezeichnen. Damit beginnt der erfinderische Betrachtungsbereich. II Von der Einsatzlösung bis zum Fertigprodukt (Betrachtungsbereich für das erfinderische Vorgehen) Abb. 44 zeigt den Gesamtprozess als Schema. Es ist zu erkennen, dass die gestellte Aufgabe, ohne spezielle Ca**- und P(III)-Abtrennstufen auszukommen und dennoch qualitativ einwandfreie Ware zu produzieren, im angegebenen Bereich unter Einsatz extrem einfacher erfinderischer Mittel in vollem Maße erfüllt werden konnte. V Vorläufige Einschätzung der gewonnenen Lösung Vorläufige Einschätzung der gewonnenen Lösung: a) Das erfinderische Ergebnis gewährleistet weitgehend die Erfüllung der Hauptforderung („Von Selbst“). Die Reaktion zwischen c und B verläuft von selbst, die Gravitation zwecks partieller Abtrennung des CaHPO 3 -Sediments wirkt von selbst, und der Wasserzusatz am Zentrifugeneinlauf íst eine derart einfache Maßnahme, dass die mit der Viskositätsverminderung der Mutterlauge verbundene verbesserte Abtrennung von B und c auf der Zentrifuge ebenfalls - zumindest annähernd - dem Von Selbst-Prinzip entspricht. b) Die Begünstigung der CaHPO 3 -Fällung unter der Wirkung hoher P(III)-Konzentrationen entspricht an sich fachgemäßer Erwartung. Allerdings kämen unter konventionellen Aspekten solche vergleichsweise hohen B- und c-Konzentrationen in der Eingangslösung gar nicht erst in Betracht. Insofern kann von der Auflösung des Widerspruchs bzw. Paradoxons „Reines Salz direkt aus unreinen Einsatzlösungen“ gesprochen werden. Die Ausnutzung der Sedimentationsfähigkeit von c nach erfolgter Fällung als CaHPO 3 ist allerdings nicht mit der Überwindung eines Widerspruchs verbunden. <?page no="266"?> 258 Es handelt sich dabei um eine zwar durch das erzielte Patent mit geschützte, dennoch bei strenger Auslegung kaum erfinderische, wenn auch recht praktische Maßnahme. Bezüglich der Bu. c-Abreicherung im A-Zentrifugat wurde hingegen der Widerspruch überwunden, dass ein derart Bu. c-armes A-Produkt unter Einsatz derart Bu. c-reicher Einsatzlösungen konventionell nicht hergestellt werden kann. c) Das neue System enthält als leicht steuerbares Element die Viskosität der Mutterlauge. d) Das gewonnene System ist prinzipiell geeignet, in mehreren Zyklen zu arbeiten. Soll beispielsweise höchst reines Hypophosphit für Spezialanwendungen hergestellt werden, so käme die Umkristallisation von A, gefolgt von den o. a. erfinderischen Maßnahmen, insbesondere dem Wasserzusatz am Zentrifugeneinlauf, ohne Weiteres infrage. Patentfähigkeit des Verfahrens: Das Verfahren wurde am 23. 01. 1984 zum Patent angemeldet. Das Patent wurde am 12. 03. 1986 erteilt. Das Verfahren wird seither industriell angewandt. Altschuller hat an dieser Stelle nur die Beantwortung der Frage: Patentfähig? Ja oder Nein? vorgeschrieben, und gegebenen Falles eine Patentanmeldung empfohlen. Hinweise, wie dabei besonders vorteilhaft vorzugehen sei, fehlen. TRIZ bietet aber nach meiner Auffassung ganz hervorragende Möglichkeiten, durch gezielten Einsatz widerspruchsorientierter Formulierungen die Erteilungschancen für Patente wesentlich zu verbessern. Es ist mir unklar, warum Altschuller ausgerechnet an dieser entscheidenden Stelle auf die ausdrückliche Empfehlung verzichtet hat, seine geniale Widerspruchsterminologie auch sprachlich konsequent einzusetzen. Nach meiner Kenntnis erstmals überhaupt angewandt wurde die exakte Widerspruchsnomenklatur bei der Formulierung der oben analysierten Patentschrift. Die Sache erscheint mir für die Praxis dermaßen wichtig, dass ich sie in folgendem Abschnitt erläutere. Er ist als meine ganz persönliche „Einblendung“ in Altschullers ARIZ 77 zu betrachten: Widerspruchsformulierungen für eine erfolgreiche Patentanmeldung (Zobel 2006): Beim Abfassen von Patentschriften wird bis heute nicht oder nur in Ansätzen mit widerspruchsorientierten Formulierungen - geschweige denn mit widerspruchsorientierten Standardformulierungen - gearbeitet. Indes verspricht eine solche Terminologie nach meiner Auffassung gerade an diesem entscheidenden Punkt besondere Vorteile. Zwar verwies Niedlich (1999) aus der Sicht eines Vorsitzenden Richters am Bundespatentgericht München bereits auf die besonderen Vorteile widerspruchsorientierter Lösungen für die positive Beurteilung der Erfindungshöhe; er verzichtete jedoch auf die Empfehlung, die Widerspruchsnomenklatur beim Abfassen von Patentschriften eben deshalb systematisch einzusetzen. Es lohnt sich also, diesem Gedankengang endlich die angemessene Aufmerksamkeit zu widmen. Die nach meiner Kenntnis erstmalige Verwendung der exakten - fast standardisierbaren - Widerspruchsnomenklatur erfolgte, wie gesagt, expressis verbis bei der Formulierung der hier betrachteten Patentschrift: „Verfahren zur Herstellung von reinem Natriumhypophosphit “, DD-PS Nr. 233 746 v. 23. 01. 1984, ert. gem. Abs. 2 Pat.-Ges. der DDR am 12. 03. 1986, Int. Pat.-Cl. C 01 B 25/ 165 (Erfinder: D. Zobel). <?page no="267"?> 259 Die Entwicklung des Verfahrens wurde oben ausführlich behandelt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird der Leser gebeten, im Zweifelsfalle kurz zurückzublättern. Hier nur so viel: Ein Mehrstoff-System soll über einen Kristallisationsvorgang auf einfache Weise in das erwünschte reine kristalline Endprodukt sowie in die Mutterlauge getrennt werden, wobei die - alle unerwünschten Verunreinigungen enthaltende - Mutterlauge bequem regenerierbar zu sein hat, und die Anzahl der für den Prozess erforderlichen Verfahrensstufen so klein wie möglich zu halten ist. Der entscheidende Abschnitt (Darlegung des Wesens der Erfindung) lautet in o.a. Patentschrift wie folgt: „Die technische Aufgabe, die durch die Erfindung gelöst wird, lässt sich am besten anhand des vorliegenden technischen Widerspruchs erläutern. Zwar ist durch Kühlungskristallisation aus vergleichsweise phosphitarmen Lösungen in bekannter Weise ein sehr phosphitarmes Hypophosphit erhältlich, jedoch geht die Forderung nach einem zugleich auch sehr calciumarmen Produkt mit der Notwendigkeit einher, zuvor die Ausgangslösung in einer speziellen Verfahrensstufe vom Calcium befreien zu müssen. Will man diesen Aufwand vermeiden, so hat dies bei Anwendung bekannter Mittel zur Folge, dass man entweder Hypophosphit mit erhöhtem Phosphitgehalt oder Hypophosphit mit erhöhtem Calciumgehalt erhält. Vorliegende Erfindung löst diesen Widerspruch“. Die Patentansprüche lauten dann: 1. Verfahren zur Herstellung von reinem Natriumhypophosphit durch Kühlungskristallisation, dadurch gekennzeichnet, dass aus einer vergleichsweise P(III)-reichen und noch Ca**-haltigen heißen, konzentrierten, trüben Ausgangslösung durch Sedimentation ein Teil des Ca** in Form der mit CaHPO 3 . H 2 O angereicherten unteren Phase abgetrennt wird, worauf nach an sich bekanntem chargenweisen Kühlen der gebildete Kristallbrei mit Wasser versetzt und durch Zentrifugieren ein praktisch calciumfreies und zugleich phosphitarmes Natriumhypophosphit erhalten wird. 2. Verfahren zur Herstellung von reinem Natriumhypophosphit durch Kühlungskristallisation nach Punkt 1, dadurch gekennzeichnet, dass vor Beginn der Kühlung der bis zu 16 Mol-% P(III) neben 0,02 bis 0,06 Masse-% Ca** enthaltenden heißen konzentrierten Ausgangslösung die Abtrennung der mit CaHPO 3 H 2 O angereicherten unteren Phase nach 0,5 bis 2 h erfolgt, wobei deren Anteil etwa 0,5 bis 2 % der Ausgangslösung beträgt. 3. Verfahren zur Herstellung von reinem Natriumhypophosphit durch Kühlungskristallisation nach den Punkten 1 und 2, dadurch gekennzeichnet, dass nach der in üblicher Weise durch Rühren und Kühlen erfolgten chargenweisen Kristallisation der gebildete Kristallbrei am Zentrifugeneinlauf mit 5 - 10% Wasser, bezogen auf die Gesamtmasse der zu zentrifugierenden Kristallsuspension, bei Mischzeiten von etwa 0,5 bis 1 sec versetzt wird. Um das hier behandelte Gedankengut Branchen übergreifend verallgemeinern zu können, sehen wir uns nunmehr etwas genauer an, wie die Abstraktion des o. a. Abschnittes (Darlegung des Wesens der Erfindung) lauten sollte. <?page no="268"?> 260 Bezeichnen wir die erwünschte Hauptkomponente Hypophosphit mit A, den unerwünschten Nebenbestandteil Phosphit mit B, und den auch unerwünschten Nebenbestandteil Calcium(-ionen) mit c, so ergibt sich, abstrahiert, die Formulierung: Kristallisiere ich Lösungen mit der Hauptkomponente A neben vergleichweise wenig B sowie etwas c, so erhalte ich ein zwar fast B-freies Salz, das jedoch noch zu viel c enthält. Kristallisiere ich hingegen Lösungen mit der Hauptkomponente A bei einer etwas erhöhten Konzentration an B sowie in Gegenwart von sehr wenig c, so erhalte ich ein zwar fast c-freies Salz, das aber noch zu viel B enthält. Mit herkömmlichen Mitteln, d. h. unter Einsatz des fachmännischen Kristallisationsregimes, ist dieser Widerspruch nicht zu lösen. Das kristalline Endprodukt A enthält entweder zu viel unerwünschtes B, oder zu viel - ebenfalls unerwünschtes - c. Deshalb wird gewöhnlich vor Beginn der Kristallisation die weitgehende Abtrennung von B und c aus der zu kristallisierenden Lösung betrieben, was aber, entgegen unserer Aufgabenstellung, separate - für uns zusätzliche - Verfahrensstufen erfordert. Erfinderische Lösung: Von Selbst-Abtrennung von B und c durch Reaktion miteinander während des Eindampfens der zunächst verdünnt vorliegenden Hypophosphitlösung; weitgehendes Abtrennen der schwerlöslichen cB-Fällung durch Sedimentation vor Beginn der Kristallisation; sodann Nutzung des Eindampfers als Kristallisator. („Mehrzwecknutzung“). Fast vollständige Abtrennung des verbliebenen cB-Restes nach erfolgter Kristallisation durch Wasserzusatz zum Kristallbrei am Zentrifugeneinlauf. Dabei verhindert das Prinzip Schneller Durchgang die Auflösung des erwünschten Endproduktes: A ist wasserlöslich, so dass der Wasserzusatz an der Zentrifuge seine nützliche Wirkung (d. h. die Verunreinigungen cB mit Hilfe des zugesetzten Wassers durch Peptisation und durch Viskositätsverminderung der Mutterlauge auszuschleusen) entfalten muss, ehe die schädliche Wirkung - eine erhebliche, Ausbeute mindernde Anbzw. Auflösung des Fertigproduktes A - nennenswert einsetzen kann. Noch allgemeiner ausdrücken lässt sich meine Empfehlung für den Einsatz widerspruchsorientierter Formulierungen - unabhängig vom Fachgebiet - im entscheidenden Abschnitt der Patentschrift (Darlegung des Wesens der Erfindung): Zunächst ist zu erklären, welche Parameter einander - und weshalb - behindern, und warum konventionelle Lösungsversuche nicht zum Ziel führen können (Kurzfassung einer Bewertung der nützlichen sowie der schädlichen Einflussgrößen). Nun ist einiges an Formulierungskunst aufzuwenden, um das Hindernis auf dem Wege zum angestrebten Ziel als völlig unlösbaren Widerspruch zu beschreiben. Ab dann sollte der Erfinder keinerlei Zweifel mehr erkennen lassen und mit schöner Selbstgewissheit behaupten: „Vorliegende Erfindung löst diesen Widerspruch“. Wird dieses Versprechen auch noch eingelöst, so sollten dem schwer beeindruckten Patentprüfer ob dieser bravourösen Leistung die blanken Tränen kommen. Der Erteilung des Patentes steht dann nichts mehr im Wege. Die letzten ARIZ-Abschnitte (VI und VII) habe ich wieder exakt nach Altschuller bearbeitet: <?page no="269"?> 261 VI Entwicklung der gewonnenen Antwort Veränderungen im Obersystem: Das veränderte System passt nach wie vor in das prinzipielle Obersystem (das Herstellungs- Gesamtverfahren). Allerdings regt die gefundene sehr einfache Lösung dazu an, auch die Vorstufen (hier: die Aufschlussstufe) nach den gleichen Prinzipien zu untersuchen. Daraus könnten sich dann Veränderungen für das Obersystem ergeben. (Anmerkung: Im hier gegebenen Zusammenhang verstehen wir unter „Obersystem“ nicht, wie unter 1.2, das System der Vernicklungsbäder, sondern nur das gesamte Hypophosphit- Herstellungsverfahren. Da wir uns zur Bearbeitung der Aufgabe (nicht aber der Umgehungsaufgabe „Neues Vernicklungssystem“, s. 1.3) entschlossen hatten, ist der Begriff „Obersystem“ zur unmittelbaren Anwendung frei geworden). Wo kann das veränderte System noch angewandt werden? Analogiefälle dürften sich nicht eben selten in vielen Bereichen der Anorganischen und wohl auch der Organischen Chemie finden, vor allem, was die gemeinsame Kristallisation unterschiedlich löslicher Komponenten anbelangt. Als Zusatz käme nicht nur Wasser allein, sondern z. B. auch ein Stoff oder ein Stoffgemisch, das die Löslichkeitsunterschiede noch verstärkt, infrage (man könnte beispielsweise an Alkohol-Wasser-Mischungen denken, oder, im Falle organischer Verbindungen, an Gemische organischer Lösungsmittel). (Schutzrechtliche Anmerkung: Je häufiger solche direkt verwendbaren Anregungen publiziert werden, desto mehr werden die Patentprüfer in Zukunft davon ausgehen müssen, dass der vom Erfinder jeweils konkret beanspruchte Mittel-Zweck-Zusammenhang manchmal bereits ziemlich genau vorgezeichnet in der Literatur angegeben ist. Allerdings wird erfahrungsgemäß von den Patentprüfern erfindungsmethodische Literatur kaum gelesen). Ausnutzen der Antwort für die Lösung anderer technischer Aufgaben a) Zunächst ist zu überlegen, welche Analogien zu Gebieten gezogen werden können, die sich außerhalb des unmittelbaren Assoziationsfeldes (hier: Kristallisationsprozesse) befinden. In Frage kommen alle Prozesse, bei denen innerhalb von Zwei- oder Mehrstoffsystemen An- oder Abreicherungen im Zusammenhang mit Phasenübergängen stattfinden. Wir sehen, dass sich damit ein riesiges erweitertes Assoziationsfeld aufspannt. Grundsätzlich muss es sich dabei nicht nur um flüssig-fest-Übergänge, sondern es könnte sich beispielsweise auch um dampfförmig-fest-Übergänge („Desublimation“) handeln. Natürlich entfernen wir uns damit bereits weit von den direkten Analogien, da ja schwer vorstellbar ist, dass sich eine aus der Gasphase abgeschiedene Feststoffkomponente anschließend aus dem Stoff-Gemisch wieder partiell entfernen lässt, und ein „Mutterlaugen-Analogon“ in diesem Zusammenhang nicht vorliegt. Dennoch: Wir haben uns zu fragen, unter welchen Umständen und mit welchen Zusätzen, immer bezogen auf ein konkretes System dieser oder ähnlicher Art, ist die am Hypophosphitbeispiel erprobte Lösungsstrategie vielleicht doch (sinngemäß oder fast sinngemäß) erfolgreich übertragbar? b) Nunmehr ist zu überlegen, ob eine Idee, die das Gegenteil der gewonnenen Idee darstellt, sinnvoll eingesetzt werden kann. Im Wortsinne entgegengesetzt wäre ein Verfahren, bei dem ein viskositätserhöhendes Mittel zugesetzt wird. Völlig unsinnig ist das nicht. Angenommen, die Aufgabe laute, das Kristallisat sei definiert zu umhüllen, und ein reproduzierbarer Film aus eingetrockneter Mutterlauge sei dafür geeignet. In solchen Fällen könnte die Zugabe eines viskositätserhöhenden Mittels am Zentrifugeneinlauf sehr wahrscheinlich sinnvoll sein. <?page no="270"?> 262 VII Analyse des Lösungsverlaufs Vergleich des realen Verlaufs mit dem theoretischen Verlauf: Diese Betrachtung kann im vorliegenden Falle nicht angestellt werden, da es sich, wie eingangs ausgeführt, um die nachträgliche Analyse einer fertigen Patentschrift handelt. Grundsätzlich lässt sich aber feststellen, dass sich die von Altschuller angegebenen methodischen Elemente fast vollständig in der Patentschrift wiederfinden, wie ein Vergleich des Textes der Schrift mit der erfindungsmethodischen Analyse zeigt. Vergleich der gewonnenen Antwort mit den strategischen Empfehlungen: a) AZK-Operator: Der AZK-Operator lieferte eine erste konkrete Orientierung im Sinne des Zeitbedarfs für die Nachfällung und für die Sedimentationsphase. b) Stoff-Feld-Betrachtung: Es wurde sehr schnell klar, welcher Stoff (Wasser) und welches Feld (Viskositätsverminderung als „Feldverstärker“ in der Zentrifugationsphase) für unsere Aufgabe zutreffend sein dürften. c) Physikalische Effekte: Direkt gearbeitet wurde von Anfang an mit den physikalisch determinierten Begriffen Löslichkeit, Sedimentation unter Gravitationseinwirkung sowie Peptisation. Zusätzliche physikalische Effekte in der von Altschuller angebotenen sehr allgemeinen und zugleich sehr abstrakten Form erwiesen sich als im vorliegenden Falle nicht relevant. d) Prinzipien zum Lösen Technischer Widersprüche: Eine technologisch direkt verwendbare Empfehlung liefert Prinzip Nr. 21 („Schneller Durchgang“). Das Wasser muss wirken (in der gewünschten Weise), es darf aber nicht wirken (das wasserlösliche Zielprodukt darf nicht nennenswert an- oder gar aufgelöst werden). Tatsächlich umreißt Prinzip Nr. 21 exakt den Kern der erfinderischen Vorgehensweise: Die Mischbzw. Kontaktzeit des Wassers mit dem Kristallbrei muss so bemessen sein, dass die erwünschte n ü t z l i c h e Wirkung (bereits) eintritt, während die unerwünschte s c h ä d l i c h e Wirkung (noch) nicht nennenswert eintreten kann. Die erläuterten Beispiele - darunter insbesondere das letzte - zeigen, dass ich seit den achtziger Jahren das praktische Erfinden auf meinem Fachgebiet mit der Anwendung und Weiterentwicklung von Altschullers faszinierender Erfindungsmethodik zu verbinden suchte. Die erreichten Ergebnisse haben ihren Niederschlag in mehreren Büchern zum Thema gefunden (Zobel 1991, 2001, 2006, 2007). Es ist naheliegend, dass gerade der methodische geschulte, jedoch primär an Praxisergebnissen interessierte Erfinder nicht streng formal arbeitet. Er lässt, ausgehend von seiner Erfahrung, manche ARIZ-Stufen einfach weg, oder er bricht den ARIZ ab, wenn sich bereits „unterwegs“ eine praktikabel erscheinende Lösung abzeichnet. So war es auch im Falle des oben ausführlich behandelten Patentes. <?page no="271"?> 263 Als klar wurde und experimentell bestätigt werden konnte, dass ganz einfach ein Wasserzusatz am Zentrifugeneinlauf die Lösung bedeutet, wurde abgebrochen. Den ARIZ habe ich dann formal zu Ende geführt, um die unterwegs gefundene Lösung zu bestätigen, sowie dieses nach meiner Auffassung besonders überzeugende Beispiel Stufe für Stufe methodisch korrekt belegen zu können (Zobel 2001). Kritik bleibt bei dieser Vorgehensweise nicht aus. Es könnte ja unterstellt werden, das Ergebnis erscheine zwar als in systematischer Weise gewonnen, der reale Ablauf auf dem Wege zur Lösung sei jedoch wohl eher vom Zufall oder von der Intuition bestimmt worden. Nun ist Kritik solcher Art durchaus nicht nur auf das Systematische Erfinden beschränkt. Satirisch begabte Kritiker unterstellen gar, jedes angeblich planmäßig gewonnene Ergebnis sei mehr oder minder zufällig entstanden. Ein mit der Kreativitätslehre sowie mit Wissenschaft und Technik bestens vertrauter Spötter drückte das so aus: „Ich schieße meinen Pfeil in den Baum und male anschließend eine Zielscheibe drum herum“ (Groß 2001) Der Leser - als geübter Dialektiker - erkennt, dass es auch auf diesem Gebiet nichts Absolutes geben kann. So hat denn die Sentenz von Groß durchaus ihre Berechtigung. Andererseits dürfte klar sein, dass eine gut durchdachte, nicht rein formal gehandhabte Systematik erheblichen Wert besitzt. Intuition, so wichtig sie auch sein mag, führt eben nur im Zusammenspiel mit Fachwissen, Logik und Systematik zum Erfolg. Die systematisch erarbeiteten Lösungen beruhen nicht mehr auf dem bloßen Ausnutzen von Patentlücken. Das widerspruchsorientierte Vorgehen garantiert fast automatisch hochwertige Ergebnisse. In den achtziger Jahren führte ich die mit der Intensivierung der Hypophosphitproduktion befassten Fachleute unter meiner Leitung zu einem ständigen Erfinderkollektiv zusammen. Ich versuchte nun, das Systematische Erfinden in diesem Kreise populär zu machen und für Zwecke der praktischen erfinderischen Arbeit einzuführen. Dies gelang jedoch nur sehr unvollkommen. Ob es mangelndes pädagogisches Geschick war, weiß ich nicht. Möglicherweise tun sich gute Fachleute auch besonders schwer damit, allgemein formulierte Schemata - zudem solche, die beanspruchen, Branchen übergreifend zu gelten - für nützlich zu halten. Dennoch hat mich auch diese Erfahrung weiter gebracht. In den TRIZ- Seminaren, die ich ab 1993 durchführte, arbeitete ich nur noch mit bewusst einfach gewählten Modell-Beispielen und ließ daraus Ideenketten entwickeln, die oft zu anspruchsvollen Lösungen führten. <?page no="272"?> 264 Auch in unternehmensinternen Workshops, in denen es um das Erarbeiten hochwertiger Lösungsansätze für Original-Praxisthemen geht, konnte ich das TRIZ-Denken demonstrieren und gemeinsam mit dem jeweiligen Team erfolgreich anwenden. Besonderen Anklang fand stets der konsequente Einsatz des „Von Selbst“-Prinzips. Dabei zeigte sich ein interessanter Unterschied zwischen den in der Bundesrepublik und den in der DDR sozialisierten Fachleuten. Erstere waren es gewohnt, die für die Erfüllung einer Aufgabe benötigten Maschinen und Apparate fast nach Katalog bestellen zu können. Da nun die heutige Technik meist übertrieben kompliziert ist, und dies auch noch als fortschrittlich gilt, waren sie zuvor niemals auf die Idee gekommen, sich ernsthaft mit dem „Von Selbst“-Prinzip zu befassen. Selbst erdachte einfache Lösungen kamen für sie kaum in Betracht. Hingegen wussten die in der DDR aufgewachsenen Fachleute aus Erfahrung, dass man unter den Bedingungen der Mangelwirtschaft manchmal nur zwei Möglichkeiten hatte: maulen und gar nichts tun - oder eben eine raffiniert einfache Lösung suchen. Meisterhaftes auf diesem Gebiet haben einige meiner Mitarbeiter geleistet. Ohne ihre Aktivität hätte manches von dem, was in vorliegendem Buch beschrieben ist, wohl kaum das Licht der Welt erblickt. Sofern aktiv und zielstrebig, wurde auch der Nicht-Methodiker alsbald zum Anhänger des „Von Selbst“-Prinzips. Es war und ist für mich immer wieder faszinierend, wie erfreulich ansteckend diese Denkweise sein kann. Nach kurzer Einführung und gemeinsamem Erarbeiten der auf den Abb. 40 - 44 dargestellten „Von Selbst“-Lösungen gelingt es meist, das Denken der verblüfften Workshop-Teilnehmer auf die auch für ihr jeweiliges Problem besonders sinnvollen einfachen Lösungen zu lenken. Diese Denk- und Arbeitsweise hat zudem den sicherheitstechnischen Vorteil, dass ausgereifte Verfahren entstehen. Damit entfällt die bei unausgereiften Verfahren gegebene Notwendigkeit, nicht behobene Sicherheitsmängel mittels aufgepfropfter Elektronik kompensieren zu müssen. Hier wird nicht etwa der Primitivität das Wort geredet. Elektronik ist heute selbstverständlich, nur sollte sie angemessen, dem Verfahren angepasst, eingesetzt werden. In den Kapiteln 8 und 9 wird dieser Zusammenhang näher behandelt. Mit den modernen widerspruchsorientierten Methoden vertraute Leser werden bemerkt haben, dass bisher fast nichts zu den inzwischen hoch entwickelten TRIZ-Computerprogrammen gesagt wurde. Das hat seinen Grund. Nach meiner Erfahrung ist es kaum aussichtsreich, ohne didaktische Vorbereitung mit solchen Programmen erfolgreich zu arbeiten. Deren Schöpfer glauben, die Programme seien selbsterklärend. Das sind sie aber (noch) nicht im erforderlichen Maße. <?page no="273"?> 265 Der Mensch ist kein Computer. Die Fähigkeiten heutiger Computer sind von der viel gerühmten Künstlichen Intelligenz noch weit entfernt. Es empfiehlt sich, die Methodik zunächst in „klassischer“ Weise zu erlernen. Dabei ist ein methodisch erfahrener Moderator - der aktiver Erfinder sein sollte - hilfreich. Die zunächst gewöhnungsbedürftigen Denkmuster sollten trainiert und verinnerlicht werden. Sodann lassen sich die inzwischen stark verbesserten TRIZ-Programme sinnvoll einsetzen. Dabei ist der erste (der systemanalytische) Abschnitt von besonderer Bedeutung. Wer ohne Kenntnis der Mängel des Systems überhastet mit der Lösungs-Suche beginnt, wird vom Ergebnis enttäuscht sein. Besonders gilt dies für Nutzer, die sich sofort auf die 40 Prinzipien zum Lösen Technischer Widersprüche stürzen, und erwarten, dass sie die für ihr Problem infrage kommenden Lösungsprinzipien samt zutreffenden Beispielen fertig serviert bekommen. Mit oder ohne Computerhilfe werden derart vorgehende TRIZ-Anwender feststellen, dass es so nicht funktioniert. Unumgänglich ist vielmehr, zunächst die Mängel und Schwächen des zu verbessernden Systems genau verstehen zu lernen, die im System wirkenden schädlichen und nützlichen Effekte zu analysieren, die einer Optimierungslösung entgegenstehenden Widersprüche herauszuarbeiten, und nicht zuletzt das angestrebte Ideal zu definieren. Erst dann kommen die oben beschriebenen Lösungsinstrumente zum Einsatz, wobei nach meiner Erfahrung die Physikalischen Effekte, die Separationsprinzipien, aber auch die universelleren Lösungsprinzipien Vorrang genießen sollten. Ob unbedingt mit dem ARIZ gearbeitet werden muss, ist Ansichtssache. Manchem ist bereits der ARIZ 77 zu umfangreich. Auf jeden Fall eröffnet die intensive Beschäftigung mit der Altschuller-Denkweise dem Erfinder die Möglichkeit, sich sein ganz persönliches vereinfachtes System zu schaffen. So bin auch ich vorgegangen. Praktisch erprobte Modifikationen und Vereinfachungen habe ich in meinen Büchern methodisch begründet (Zobel 1985, 1991, 2001, 2006, 2007). Abschließend möchte ich einem möglichen Missverständnis vorbeugen. Die Vorliebe für raffiniert einfache „Von-Selbst“-Lösungen hat nichts mit einer bis zum Primitiven vereinfachten Technik zu tun. Die meisten modernen Systeme sind kompliziert, und müssen dies auch sein. Jedoch gilt dies im Regelfalle nicht für alle Teile eines Systems. Wir sollten deshalb diejenigen Teile des Systems, welche der Vereinfachung zugänglich sind, so einfach und sicher wie möglich ausführen. Dazu gehört manchmal auch, eine nicht-elektronische Redundanz vorzusehen: Ursprünglich sollten alle Apollo-Missionen vollautomatisch ablaufen. Die Astronauten lehnten dies kategorisch ab. Armstrong hat dann, nach Versagen des Computers, den „Eagle“ per Handsteuerung gerettet. <?page no="274"?> 266 8 Generelles zu Kenntnis- und Kommunikations- Defiziten, Unterlassungen und Verwechslungen Dieses Kapitel habe ich bewusst nicht streng gegliedert. Viele der behandelten Fälle hätte ich auch im Zusammenhang mit den technologisch orientierten Kapiteln 2 bis 6 behandeln können. Jedoch scheinen mir die nachstehend behandelten Beispiele in besonderem Maße von nicht nur speziellem Interesse zu sein. Die meisten Beispiele dürften mindestens für alle in der Chemischen Industrie Tätigen interessant sein. Nicht wenige Fälle haben zudem eine von der Branche unabhängige, generelle Bedeutung. Beginnen wir mit einem Beispiel, das zwar nichts mit Sicherheitstechnik zu tun hat, jedoch die Folgen mangelnder Kommunikation unter grundsätzlichen Gesichtspunkten demonstriert. Das Beispiel betrifft die nicht erfolgte Übertragung vorliegender Kenntnisse innerhalb einer Branche, im Prinzip sogar des gleichen Betriebes. Pentanatriumtriphosphat Na 5 P 3 O 10 („Natriumtripolyphosphat“) war über Jahrzehnte die wichtigste anorganische Komponente moderner Haushaltswasch- und Reinigungsmittel. Die Verbindung existiert in einer Tieftemperaturmodifikation („Phase II“) und einer Hochtemperaturmodifikation („Phase l“). Beide unterscheiden sich in ihrer Hydratationsgeschwindigkeit. Phase-l-haltige Ware hydratisiert schneller als reines Phase-II- Produkt zum Hexahydrat. Bei der Hydratation wird Wärme frei. Der aus Wasser oder wässrigen Lösungen bzw. Tensid haltigen Suspensionen und Na 5 P 3 O 10 für das Versprühen bereitete Brei („slurry“) erhitzt sich demgemäß schneller, wenn das eingesetzte Produkt anteilig etwas von der Hochtemperaturmodifikation (Phase I) enthält. Jedoch ist nicht nur der Phase-I-Gehalt, sondern auch das Kornspektrum für die Hydratationsgeschwindigkeit (und damit für die Wärmeentwicklung sowie die Viskositätseinstellung im Slurry) von Bedeutung. Die Viskositätseinstellung hängt insofern mit der Wärmeentwicklung zusammen, als das Hydratationsprodukt des Na 5 P 3 O 10 , das Hexahydrat, entscheidend die Slurry-Viskosität beeinflusst. Will man nun bei Viskositätstests zur Optimierung der Slurry-Stufe des Heißsprühverfahrens in der Waschmittelfabrikation reproduzierbare Werte erhalten, so muss man Produkte stets gleicher Kornspektren - in der Praxis sind dies oft ausgesiebte Materialien - verwenden (Merkenich 1965). <?page no="275"?> 267 Merkwürdigerweise hat nun diese im Labor gewonnene und sodann industriell genutzte Erkenntnis nicht automatisch dazu geführt, den in den Betriebslaboratorien der Polyphosphatsowie der Waschmittelindustrie als Mittel zur Bestimmung des Phase-I-Gehaltes im Pentanatriumtriphosphat allgemein anerkannten „Temperature Rise Test“ (TRT) in seiner Aussagekraft anzuzweifeln. Dieser Test beruht auf der Messung der Hydratationswärme von Na 5 P 3 O 10 in einer Glycerol-Wasser-Mischung. Nach den oben dargelegten Befunden (Merkenich 1965) hätte auch bei dieser Analysenmethode durchaus ein Zusammenhang zwischen Hydratationsgeschwindigkeit und Kornspektrum gesehen werden müssen. Dies geschah aber offensichtlich nicht. Die Aussagekraft des originalen TRT (Mc Gilvery 1953) wurde nirgendwo angezweifelt, obwohl die Vorschrift keinerlei Bemerkungen zur Körnung des zu prüfenden Materials enthält und demzufolge beliebig feine bis gröbere Materialien routinemäßig untersucht wurden (und werden). Wir untersuchten zur Klärung des Sachverhaltes mit Hilfe des originalen TRT (Mc Gilvery 1953) extrem feinkörniges Na 5 P 3 O 10 ( 0,06 mm), das sich im röntgenographischen Test als reines Phase-II-Produkt erwiesen hatte. Es zeigte sich, dass der TRT, angewandt auf die Prüfung feinkörnigen Materials, stets mehr oder minder hohe Phase-I-Gehalte vortäuscht (Abb. 45). Die Erklärung ist einfach. Feinteiliges Material hydratisiert bei gleichem Phase-I-Gehalt schneller als gröberes Material und liefert pro Zeiteinheit mehr Hydratationswärme. Selbige ist aber der (somit als z. T. subjektiv entlarvte) Maßstab für den Phase-I-Gehalt. Dies bedeutet, dass die Methode bisher immer dann Fehlmessungen geliefert hat, wenn extrem feinteiliges Material untersucht wurde. Wir unterdrückten diese Fehlerquelle durch Heraufsetzen des Glycerol-Wasser- Verhältnisses und änderten die Standardvorschrift (Seiffarth und Zobel 1968). Die Konkurrenz nahm keine Notiz von unserer Publikation und erfreute ihre Kundschaft jahrzehntelang mit den Folgen z.T. krasser Fehlmessungen. Noch heute wird der „klassische“ Mc Gilvery-Test weltweit unverändert angewandt, und liefert, sofern Feinstmaterial untersucht wird, vorgetäuscht hohe Phase I-Werte. Das Beispiel ist insbesondere deshalb relevant, weil alle für die Übertragung notwendigen Kenntnisse vorlagen, und auch die Motivation (zur Übertragung im gleichen Betrieb! ) hätte gegeben sein müssen. Da die Viskositätstests - ebenso wie der TRT - im Labor ausgeführt wurden und werden, wäre die sinngemäße Berücksichtigung der erkannten Zusammenhänge mehr als naheliegend gewesen. Es handelt sich faktisch um eine nicht erfolgte Übertragung betriebswichtiger Erkenntnisse von einem Arbeitsplatz zum (fast) benachbarten Arbeitsplatz. <?page no="276"?> 268 Hinzu kommt, dass hier noch nicht einmal ein komplizierter Sachverhalt zur Debatte steht. Feinteilige Produkte sind per se eben reaktionsfreudiger (hier: schneller hydratisierbar) als gröbere Materialien. Das gehört zum Grundwissen des Chemikers. Bereits mein Analytikprofessor Geyer lehrte: „Es ist alles nur eine Frage des Dispersitätsgrades“. Abb. 45 Der TRT nach Mc Gilvery und seine Mängel: Quantitative Untersuchung zum verfälschenden Einfluss des Kornspektrums 19,2 %, 7,8 % und 0,0 % Ph. I wurden zwecks Kalibrierung jeweils röntgenographisch ermittelt (nach: Seiffarth u. Zobel 1968) So sollte denn auch, worauf mich dankenswerterweise meine Kollegin Gisbier hingewiesen hat, ein rein pragmatischer Aspekt nicht unberücksichtigt bleiben. Zwar liefert die Formel nach McGilvery (s. o.) tatsächlich falsche Ergebnisse, wenn man allein die röntgenografische Analyse betrachtet; jedoch repräsentiert der nach dieser Formel gefundene Phase-I- Gehalt, auch wenn er anteilig ein „Pseudo-Phase-I-Gehalt“ ist, immerhin einen für den Praktiker wichtigen Anhaltspunkt zu dem bei der Slurry-Bereitung so wichtigen Hydratationsverhalten. Weil feinteiliges Phase-II-Tripolyphosphat sich so verhält, als enthalte es einen gewissen Phase-I- Anteil, ist es aus Sicht des für die Slurry-Bereitung zuständigen Produktionsmannes nicht gar so wichtig, wie die röntgenografische Vergleichsanalyse zur Ermittlung des „wahren“ Phase-I-Gehalts ausfällt. <?page no="277"?> 269 Das nächste Beispiel betrifft die Sicherheitstechnik ganz unmittelbar. Das Freispülen der CO-Rohgasleitung vor erforderlichen Reparaturen brachte eine stoffspezifische Eigenheit mit sich. Deren Auswirkung soll hier als typisches Beispiel für die Folgen unvollständiger Kenntnisse sowie mangelnder Kommunikation etwas näher erläutert werden. Die erste Phase des Freispülens war stets das Freidampfen zum Entfernen des in der Leitung abgesetzten Phosphors. Der Phosphor schmolz auf und floss, da die Leitung geringfügig geneigt angelegt war, in Richtung Wasserschleife ab. Dort wurde er, wie oben bereits erläutert, nach Beendigung der Reparaturbzw. Änderungsarbeiten zusammen mit dem Sperrwasser abgelassen. Sofort nach Beendigung des Freidampfens und Stecken der Blindscheibe wurde Spülstickstoff auf die Leitung gegeben. Sie wurde nunmehr in Richtung Brenner bei laufendem Ofen-Abgasventilator CO-frei gespült. Der Erfolg der Aktion wurde am Brennermund sodann mittels CO-Prüfröhrchens kontrolliert. Diese Röhrchen werden auf eine Balgen-Handpumpe gesteckt, mit deren Hilfe eine vorgeschrieben Zahl von Hüben ausgeführt und so definierte Gasmengen durch die Reaktivschicht gesaugt werden. Diese Reaktivschicht verfärbt sich durch CO bräunlich. Das Messröhrchen ist graduiert, so dass anhand der ringförmig auftretenden Verfärbung die Gaskonzentration direkt abgelesen werden kann. War der CO-Wert genügend weit gesunken, wurde die Leitung zur Reparatur frei gegeben. Der Spülvorgang war zur Routine geworden. Ich hatte mich mit Details nicht näher befasst; jahrelang war niemals etwas sicherheitstechnisch Relevantes passiert. Eines Tages zeigte sich jedoch, dass es prinzipielle Mängel gab, verursacht durch Kenntnislücken. Auf diese Mängel stieß ich, als mich der Technologe aufgeregt informierte, stundenlanges Spülen mit Stickstoff habe bisher keinerlei Erfolg gebracht. Sogar die Flamme brenne noch, so dass an aussagefähige CO- Gas-Messungen nicht zu denken sei. Die dennoch versuchten Messungen mittels CO-Prüfröhrchens hätten sehr hohe Konzentrationen ergeben. Wir gingen daraufhin zur Anlage. Der Technologe zeigte mir eine bläulich-fahle „Flamme“ am Brennermund, die ich sofort als das so genannte kalte Phosphorlicht erkannte. Ich hatte dergleichen im Hellen noch nie gesehen, kannte es eigentlich nur aus der Literatur. Natürlich war mir das kalte „Glimmen“ von Elementar-Phosphor an der Luft im Dunklen bekannt. Hier wurde mir jedoch sofort klar, worum es sich handelte. Nur trotz Freidampfens in der Leitung verbliebene Phosphorreste konnten die Ursache sein. CO kam nicht mehr infrage, zumal die Blindscheibe längst steckte. <?page no="278"?> 270 Offenbar hatte der Spülstickstoff Spuren von Phosphordampf mitgeführt, die dann, nach erfolgtem Kontakt mit der Luft am Brennermund, jenes „kalte“ Phosphorlicht erzeugten. Ich wies also meinen Technologen darauf hin, dass es sich aus den oben erläuterten Gründen nicht um eine CO-Flamme handeln könne, und eine Rohgasflamme zudem bekanntlich leuchtend gelb auszusehen habe. Der Technologe zweifelte noch immer. Nun führte ich zu seinem Entsetzen meine Hand ganz langsam durch die „Flamme“ und zeigte so, dass das kalte Phosphorlicht nicht nur existiert, sondern auch wirklich kalt ist. Der Technologe war fassungslos. Er hatte noch nie etwas davon gehört bzw. nie etwas zu diesem Phänomen gelesen. Nun wurde mir auch klar, warum das Spülen manchmal so lange gedauert hatte. Unser sehr erfahrener Obermeister, der größere Spülaktionen sonst immer selbst beaufsichtigt hatte, kannte das Phänomen des kalten Phosphorlichtes durchaus. Allerdings brachte er die Beobachtung, dass die CO-Prüfröhrchen auch nach längerem Spülen manchmal noch ansprachen, nicht direkt mit den Phosphorspuren in Verbindung. Diese sind jedoch - im Sinne einer so genannten Querempfindlichkeit - der Grund dafür, dass CO angezeigt wurde, obwohl keines mehr da war. Die Phosphorspuren setzen sich anstelle des CO mit der Reaktivschicht im Röhrchen um, und täuschen so CO vor. Nachdem ich zu dieser Erkenntnis gelangt war, arbeiteten wir mit aktivkohlegefüllten Vorsatz-Röhrchen. Auf der Oberfläche der Aktivkohle werden die Phosphorspuren adsorbiert, bevor das zu prüfende Gas in das Prüfröhrchen gelangt. Fehlmessungen sind damit ausgeschlossen. Ich habe mich, während ich dies schreibe, an den genauen Hergang unseres Erkenntnisgewinns zu erinnern versucht. Ob auf den Begleitzetteln der damals erhältlichen Röhrchen-Packungen - es waren keine Dräger- Röhrchen - die Querempfindlichkeit Phosphor angegeben war, lässt sich heute nicht mehr feststellen. Es ist aber unwahrscheinlich. Eine einmal erkannte Querempfindlichkeit, sei sie auch noch so exotisch, würde wohl auch für die heute gehandelten Prüfröhrchen, vergleichbare Reaktivschichten vorausgesetzt, noch immer ausgewiesen werden. Für die derzeit gängigen Prüfröhrchen werden als querempfindlich wirkende Substanzen angegeben: H 2 S, SO 2 , NO 2 , CHCl 3 , C 2 H 2 , Oktan, Butadien, Benzol - nicht aber gelber Phosphor (Drägerwerk 2013). <?page no="279"?> 271 Vielleicht habe ich sogar Anteil daran, dass die Angabe der sehr speziellen Querempfindlichkeit bis heute fehlt. Ich selbst hätte die wichtige Erkenntnis schließlich weitergeben können. Gelber Phosphor ist für einen CO-Prüfröhrchenhersteller wohl derart ungewöhnlich, dass er eine Querempfindlichkeit von sich aus kaum in Betracht ziehen würde. Das Beispiel zeigt, welche Verantwortung der Betriebsleiter in solchen Fällen trägt. Er ist letztlich dafür zuständig, dass nicht eindeutige Sachverhalte, die erkennbar Einfluss auf die Sicherheit haben könnten, möglichst umgehend geklärt werden müssen. Allerdings habe ich im vorliegenden Falle unter den oben dargelegten Umständen erst spät, eigentlich fast zufällig, Einzelheiten zur Sache erfahren. Ohne Zweifel hätte ich das Spülregime bereits zu Beginn meiner Tätigkeit detailliert untersuchen müssen. Erschwerend wirkte sich im konkret geschilderten Falle aus, dass es einem der unmittelbar Beteiligten sichtlich an Kenntnissen mangelte. Der andere besaß zwar die erforderlichen praktischen Kenntnisse, brachte jedoch die dennoch beobachteten Unstimmigkeiten von sich aus niemals zur Sprache. Vielmehr setzte er sein solides Praxiswissen ein, um selbstständig erfolgreiche Arbeit leisten zu können. Priorität hatte für ihn stets das sorgfältige Freidampfen, um den Phosphor im Interesse der Sicherheit des Reparaturpersonals möglichst vollständig zu entfernen. Gelingt dies, so tritt das oben geschilderte Phänomen nur schwach oder gar nicht auf. Nach längerem Spülen der erkalteten Leitung mit Stickstoff könnte - im Idealfalle - das restliche CO wohl auch ohne Vorsatzröhrchen unverfälscht gemessen werden. Dies heißt aber im Umkehrschluss, dass beim geschilderten Sonderfall nicht ordentlich freigedampft wurde. Es war dies einer der wenigen Fälle, in denen unser sachkundiger Obermeister das Spülregime nicht selbst beaufsichtigen konnte. Eine in der Chemischen Industrie - möglicherweise auch in anderen Industrien - verbreitete Unsitte war zu meiner Zeit, es mit der Sicherheit bei Arbeiten an Drehrohröfen sowie anderen Maschinen und Apparaten nicht so genau zu nehmen. Ein Beispiel hatte ich im Kapitel 6.2 schon gebracht: Manipulationen zum Freistemmen der Doppelpaddelschnecke, ohne die Sicherung des Antriebsmotors herauszunehmen. Ein weiteres selbst erlebtes Beispiel betraf das Auflegen von Keilriemen. Es muss selbstverständlich - wie in jedem analogen Falle - so gemacht werden, dass der Antrieb während der Manipulation nicht plötzlich anlaufen kann. Dagegen hilft, da selbst ein Notschalter unter bestimmten Umständen nicht sicher ist, nur das Herausnehmen der Sicherung. <?page no="280"?> 272 Jedoch wird leichtsinnigerweise nicht immer so verfahren. Wir betrieben ursprünglich (1963/ 1964) eine pneumatische Förderung für den Transport unserer kondensierten Phosphate zum Bunkergebäude. Die Förderanlage bestand aus einem Roots- (Drehkolben-) Gebläse und einem Ejektor, mit dem das pulverförmig zugeführte Gut aufgewirbelt und sodann pneumatisch gefördert wurde. Der Antrieb des Roots-Gebläses erfolgte vom Motor aus über mehrere parallel aufgelegte Keilriemen. Diese Keilriemen sprangen relativ häufig ab und mussten dann neu aufgelegt werden. Zuvor wurde die Sicherung herausgenommen. Diese Tätigkeit durfte grundsätzlich nur vom Elektriker ausgeführt werden. Dieser hatte aber in mehreren Anlagen Dienst und war nicht immer sofort verfügbar. Eines Tages wurde das unserem Schichtingenieur zu umständlich. So beauftragte er einen Arbeiter, in der Messwarte den Schalter zu bewachen und unter allen Umständen dafür zu sorgen, dass niemand schaltet. Dann ging der Schichtingenieur in den ziemlich weit entfernten Anlagenteil, in dem sich das Roots-Gebläse befand. Unmittelbar nachdem er die Keilriemen wieder aufgelegt hatte, lief der Motor an. In buchstäblich allerletzter Sekunde konnte der Ingenieur seine Hand wegziehen und aus dem Gefahrenbereich bringen. Wütend stürmte er in die Messwarte und beschimpfte seinen „verlässlichen“ Sicherheitsposten. Dieser murmelte, leicht abwesend, nur irgendetwas von „zufällig drangekommen“. Er hatte am Schaltpult anscheinend ein bisschen vor sich hin geträumt und dabei letztlich selbst (! ) geschaltet. Diese Geschichte mag wegen ihres glimpflichen Ausgangs noch unterhaltsam klingen. Leider ist ein fast analoger Fall alles andere als gut ausgegangen. Während der Generalreparatur unserer Granulieranlage im November 1989 stand unter anderem eine Reparaturarbeit am Rührwerk des Ton-Aufschlämmbehälters an. Unser Reglement für Generalreparaturen sah vor, dass der Produktionsbetrieb in einem solchen Falle für die kompletten Vorbereitungsarbeiten - d. h. Reinigen, Freispülen, Gasanalyse, Herausnehmen der Sicherung durch den Elektriker, Ausstellen des Befahrerlaubnisscheins - allein zuständig war. Erst mit Erteilen der Freigabe, dokumentiert durch den Befahrerlaubnisschein, ging die Verantwortung auf die Reparaturabteilung über. Im vorliegenden Falle hatten es die mit der geplanten Reparatur beauftragten Schlosser jedoch unterlassen, den Befahrerlaubnisschein vom Schichtleiter anzufordern. Sie gingen vielmehr direkt zum Ton-Aufschlämmbehälter. Was dann geschah, konnte nie völlig aufgeklärt werden, zumal der Hauptbeteiligte dabei tödlich verunglückte. Die übrigen Beteiligten dürften kaum daran interessiert gewesen sein, absolut ehrliche Auskünfte zu ihrer eigenen Rolle zu geben. <?page no="281"?> 273 Einer der Schlosser, klein von Wuchs, war in den nicht frei gegebenen Behälter gestiegen. Dann setzte ein anderer, wohl danach hinzugekommener Schlosser mittels Vor-Ort-Schalters das Rührwerk in Betrieb. Auf Befragen behauptete er später, zuvor in den Behälter gesehen und dort niemanden bemerkt zu haben. Jedenfalls ertönte mit Zuschalten des Rührwerkes zum Entsetzen der Handwerker ein furchtbarer Schrei, gefolgt von dumpfem Gepolter. Der Verunglückte hatte schwerste innere Verletzungen, schlimmste Quetschungen und zahlreiche Knochenbrüche erlitten. Er starb noch auf dem Transport ins Krankenhaus. Die intensive Befragung der Beteiligten durch die Kriminalpolizei ergab kein eindeutiges Bild. Der Verunglückte war als sehr einsatzfreudig bekannt. Gab es irgendwelche Verzögerungen, die ihn am Loslegen hinderten, wurde er rappelig. So ist anzunehmen, dass er ohne Wissen seiner später gekommenen Kollegen bereits eingestiegen war. Als diese eintrafen, und einer von ihnen ahnungslos zuschaltete, nahm das Unglück seinen Lauf. Die Behauptung, er habe zuvor in den Behälter gesehen und niemanden bemerkt, dürfte wohl eher als Schutzbehauptung einzustufen sein. Auch die von ihm geäußerte Vermutung, da der Verunglückte so klein gewesen sei, habe man ihn wohl hinter dem Rührerblatt nicht sehen können, wirkte konstruiert. Natürlich ist die Frage zu stellen, warum diese grobe Verletzung klarer Sicherheitsvorschriften überhaupt stattfinden konnte. Eine gewisse Erklärung ist wohl darin zu sehen, dass es freitags 12.30 h war. Die Handwerker wussten ganz genau, dass die Produktionsverantwortlichen derart kurz vor Schichtschluss keinen Befahrerlaubnisschein mehr ausstellen konnten, und zwar wegen der noch gar nicht angelaufenen Vorbereitungsarbeiten (Reinigen, Freispülen, Gasanalyse usw.). Die Handwerker wollten aber unbedingt innerhalb ihrer regulären Arbeitszeit fertig werden. Sie hofften anscheinend ganz einfach, dass nichts passiert. Wie gesagt, die Einzelheiten sind nie völlig aufgeklärt worden. Auf eine Bestrafung der unmittelbar Beteiligten wurde letztlich verzichtet, zumal ohne jeden Zweifel auch das Eigenverschulden des Verunglückten eine wesentliche Rolle gespielt hat. Wie erwähnt, fand die Generalreparatur im November 1989 statt. So kam hinzu, dass alle Beteiligten sich mental im Ausnahmezustand befanden. Die sich täglich überschlagenden Nachrichten und die gewaltigen gesellschaftlichen Umwälzungen führten dazu, dass auch verantwortungsbewusste Mitarbeiter nicht mehr konzentriert waren. So mancher arbeitete damals wie betäubt. Natürlich entschuldigt das nichts. <?page no="282"?> 274 Bestimmte Regeln, mögen sie auch noch so starr erscheinen, müssen gerade unter solchen Umständen eingehalten werden. Formales Arbeiten, ansonsten wahrlich nicht immer empfehlenswert, ist geeignet, Irrtümer auszuschließen, Belastungen durch extreme Umstände zu kompensieren und bestmögliche Sicherheit zu gewährleisten. Ein Befahrerlaubnisschein kann nur ausgestellt werden, wenn die oben erläuterte Folge von Handlungsschritten abgearbeitet worden ist. Diese Folge entspricht sinngemäß einer Checkliste. Auch eine gute Betriebsanweisung bzw. Sicherheitsinstruktion ist ihrem Charakter nach eine Checkliste. Das Arbeiten mit Checklisten ist jedoch durchaus noch nicht in allen Sparten zur Selbstverständlichkeit geworden. Als Captain Sullenberger 2009 nach Vogelschlag und Triebwerksausfall seine voll besetzte Verkehrsmaschine im Segelflug auf dem Hudson River notwasserte, arbeitete er streng nach Check-Liste. Sein Co-Pilot las ihm die einzelnen Punkte vor. Bis zum Schließen der Ventile kam er gar nicht, so dass die Maschine nach professioneller Bauchlandung zu sinken begann. Da genügend Boote und Fähren sofort Kurs auf das Flugzeug nahmen, wurden alle Passagiere und die Besatzung gerettet. Es spricht nichts dagegen, das Arbeiten mit Checklisten weit konsequenter als bisher auf alle mit Sicherheitsfragen konfrontierten Sparten auszudehnen. Möglicherweise hat sogar die Chirurgie noch immer Nach holbedarf, will man den Schauergeschichten der yellow press ausnahmsweise einmal Glauben schenken. Die OP-Schwester zählt zwar emsig Bauchtücher und Instrumente, dennoch werden ab und an die seltsamsten Dinge mit eingenäht. <?page no="283"?> 275 9 Schlussfolgerungen und Empfehlungen Wir haben in vorliegendem Buch anhand von Beispielen einiges zur Frage der Abweichungen vom Normalbetrieb sowie zur Rolle von Störfällen, Irrtümern, Nachlässigkeiten, Kenntnisdefiziten und Fehlhandlungen erfahren. Diese Begriffe lassen sich, was ihre Auswirkungen betrifft, fast zwanglos unter dem Terminus „Fehler“ zusammenfassen. Es erhebt sich die Frage, wie wir generell mit Fehlern umgehen sollten. Ich halte die Meinung des seinerzeit sehr angesehenen Managementberaters Malik (2004) für interessant. Er schreibt: „Darf man Fehler machen? Manager, auch hochrangige, berichten regelmäßig mit sichtbarem Stolz, dass man in ihrer Firma Fehler machen dürfe. Sie tun es in der offenkundigen Überzeugung, dass das ein Beweis besonderer Fortschrittlichkeit sei. Früher habe ich über dieses Thema viel diskutiert. Heute beschränke ich mich auf ein paar Fragen: Würden Sie in ein Flugzeug steigen, wenn Sie wüssten, dass diese Fluggesellschaft stolz auf die Fehler ihrer Piloten ist? Würden Sie Ihre Frau, Ihre Kinder oder Eltern in ein Krankenhaus bringen, in dessen Leitbild steht, dass man Fehler machen darf? .... Die Antwort darauf, wie könnte es anders sein, ist immer: ,Ja, so habe ich das nicht gemeint...‘ Nun, wie denn dann? .... Manche kommen sich weise vor, wenn sie differenzieren: Fehler darf man machen, aber nie denselben zweimal. Das ist, zugegeben, schon besser. Aber es genügt noch immer nicht. Es gibt Fehler, die man überhaupt nicht machen darf, auch nicht ein einziges Mal. Wie oft darf ein Apotheker ein falsches Medikament aushändigen? “ (Malik 2004) Als dazu besonders passend bringe ich hier ein letztes selbst erlebtes Beispiel. In unserem Betrieb arbeiteten zeitweise zwei junge Männer, die in einem vom Werk zur Verfügung gestellten Bungalow lebten. Unsere Werks-Bungalowsiedlung befand sich westlich des Stickstoffwerkes und wurde überwiegend von Junggesellen bewohnt. Einer der beiden Arbeiter war mit einer unserer Laborantinnen privat eng verbandelt. Eines Tages bat er sie um eine Flasche Alkohol; er wolle mit seinem Kumpel eine fête feiern. Natürlich war die Herausgabe von Chemikalien ausschließlich für betriebliche Zwecke erlaubt. Die Laborantin, ihrem Freund wohl hörig, kam jedoch seiner Bitte nach. Am folgenden Tag fehlten die beiden Arbeiter. <?page no="284"?> 276 Einer der Arbeiter rief dann, hörbar angeschlagen, beim Schichtmeister an und teilte mit, dass es seinem Freund und ihm sehr schlecht gehe. Der Schichtmeister schickte sofort den Krankenwagen. Im Bungalow lagen zwei reglose, kaum ansprechbare Gestalten auf der Couch. Sie wurden sofort in das Krankenhaus gebracht. Da der eine Arbeiter kurz vor dem Exitus zu stehen schien und beide inzwischen fast erblindet waren, hatte der behandelnde Arzt einen massiven Verdacht. Dieser bestätigte sich alsbald. Im Bungalow stand auf dem Couchtisch noch eine fast leere - nicht etikettierte - Flasche, deren Inhalt sich als Methanol erwies. Auch standen etliche Cola-Flaschen herum. Die Arbeiter hatten sich Mix- Getränke bereitet und reichlich davon genossen. Den Ärzten gelang es nur mit Mühe, das Augenlicht der Vergifteten zu retten. In der Gerichtsverhandlung gegen die Laborantin wurde dann der Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung erhoben. Anfänglich wurde sogar Absicht erwogen. Dies konnte vom Verteidiger jedoch entkräftet werden. Der Richter, durchaus kein naturwissenschaftlicher Experte, war einigermaßen fassungslos. Er fragte: „Wie konnten Sie als ausgebildete Laborantin Ethanol und Methanol verwechseln? Den Unterschied kennt doch nun wirklich jeder“. Die Laborantin antwortete darauf: „Aber es stand doch auch , r e i n s t ‘ auf der Flasche, die ich aus dem Magazin geholt und dann umgefüllt habe“. Ergänzen wir, was uns Malik (2004) sonst noch zu sagen hat: „In allen Berufen einer modernen Gesellschaft dürfen Fehler nicht vorkommen. Es gilt für Herzchirurgen, Wirtschaftsprüfer und Piloten. Warum sollte es für Manager und ihre Mitarbeiter nicht gelten? Nur eine bestimmte Sorte von scheinbar modernen, in Wahrheit aber einfach dummen Managementgurus glaubt offenbar, dass das für sie nicht gelte, dass sie sich die Sorglosigkeit ihrer kindlichen Sandkastenphase ein Leben lang leisten könnten. Sie scheinen in einer Welt zu leben, in der es weder Professionalismus noch Sorgfaltspflicht gibt. Sie scheinen noch nichts von Haftung und Schadenersatz gehört zu haben..... Fehler darf man nicht machen. Das muss die Grundlage sein. Von hier aus kann man den Grundsatz zu lockern beginnen. Wann, wo, vom wem und unter welchen Umständen dürfen Fehler gemacht werden und welche dürfen überhaupt nicht vorkommen? Alles andere ist der Ersatz von verantwortungsbewusstem Management durch Mode und Einfalt“. Dieser letzte Absatz leitet zur Praxis über. Völlige Fehlerfreiheit ist in bestimmten Fällen unerlässlich (s. o.), in anderen unbedingt wünschenswert, in der rauen Wirklichkeit aber kaum zu erreichen. <?page no="285"?> 277 Bezogen auf seine Erfahrungen als Direktor des damaligen Zentralinstituts für Schweißtechnik (ZIS) schreibt Gilde (1985) dazu: „Im ZIS wird den jungen Kollegen immer wieder gesagt: Sie können alles fragen, aber Sie dürfen nie erwarten, dass Sie jemand ungefragt belehrt. Information ist im Institut Holepflicht, nicht Bringepflicht. Ich halte die übliche Tendenz, über alles zu belehren, überall einzuweisen und darüber Aktennotizen anzufertigen, nicht für gut. Warum soll ein junger Mensch nicht einmal etwas falsch machen? Vielleicht entsteht dabei ein Schaden. Aber wie groß ist der Schaden, wenn dem Jüngeren der Schwung und die Neugierde genommen werden, weil ihm alles verboten wird? “ Das ist sehr praxisbezogen, lässt sich aber von einem technischen Forschungsinstitut - wie dem ZIS - wohl kaum auf die Pilotenausbildung, das Klinikum sowie wichtige Industriezweige, darunter auch die Chemische Industrie, übertragen. Die Begründung hat Malik (2004, s. o.) geliefert. Allerdings sollte man Gilde (1985) nicht missverstehen. Er führte in seinem Institut ein ausgesprochen hartes Regiment. Lottersäcke hatten bei ihm keine Chance. Ordnung, Sicherheit und Sauberkeit hatten im ZIS einen hohen Rang und wurden konsequent durchgesetzt. Aber Gilde kannte als leidenschaftlicher Industrieforscher eben auch die Gefahr, die hinter allzu stringenten Verboten lauert. Malik (2004) hat übrigens auch diesen Aspekt bedacht: „Kritisch gegen die hier vertretene Auffassung wird manchmal vorgebracht, dass es Organisationen gibt, in denen die Leute überhaupt nichts mehr tun, aus lauter Angst, Fehler zu machen. Das ist richtig, es gibt solche Organisationen. Ich bin in meiner Beraterpraxis solchen Fällen immer wieder begegnet. Dass das kranke Organisationen sind, braucht nicht speziell betont zu werden“. Nun, das ZIS war gewiss keine kranke Organisation. Es war von allen ehemaligen Zentralinstituten der DDR als einziges übrig geblieben. Gilde forderte von seinen Ingenieuren nicht Geschwätz, sondern Leistung. Das Minimum war für ihn eine Patentanmeldung pro Ingenieur und Jahr. Wer das auf Dauer nicht brachte, flog. Dabei wurde jedoch nicht formal vorgegangen. In fachlich begründeten Fällen wurde nicht die bloße Zahl gewertet. Für eine „kranke“ Organisation spricht das alles nicht. Ich hatte im Kapitel 2.3 angekündigt, hier noch etwas zur Belehrung völlig unerfahrener junger Betriebsleiter in der Chemischen Industrie zu sagen. Wächst jemand unmittelbar im Betrieb auf, so nimmt er die sicherheitstechnisch relevanten Fakten parallel zur kontinuierlichen Verbesserung seines fachlichen Wissens auf. <?page no="286"?> 278 Er bedarf dann keiner gesonderten Zusatzbelehrung, wenn er in seine neue Funktion einsteigt. Der Nachteil ist allerdings: Gerade weil er „von der Pike auf“ gelernt hat, übernimmt er gleichsam automatisch sämtliche in seiner Spezialrichtung grassierenden Vorurteile, und ist - auch in sicherheitstechnischen Fragen - bereits betriebsblind, ehe er seine neue Aufgabe überhaupt angehen kann. Ihm fehlt die Unbefangenheit. Mir blieb das erspart, denn ich kam von außen. Dafür ging ich aus Mangel an sicherheitstechnischem Spezialwissen anfänglich recht unbedarft mit gefährlichen Prozessen um. Natürlich gab es von der Sicherheits-Inspektion des Werkes organisierte Belehrungen, die sogar ein hohes Niveau hatten. Wer aber hätte mich in Spezialfragen belehren sollen oder können? Der Vorgesetzte gewiss nicht, er schwebte bereits viel zu weit oben und war überdies kein Phosphorspezialist. Die Technologen, darunter mein Stellvertreter, hatten hingegen z. T. langjährige Betriebserfahrung und wären schon eher infrage gekommen. Organisiert war nichts in dieser Richtung. Ich hätte also fragen müssen. Da ich aber als ausgebildeter Chemiker Stoffkenntnisse hatte, wusste ich beim besten Willen nicht, was genau ich hätte fragen können und sollen. Die vorhandenen Betriebsinstruktionen habe ich zwar gelesen, nicht aber speziell unter sicherheitstechnischen Aspekten gründlich analysiert. So blieb denn, ich muss es gestehen, fast nur das learning by doing. Dies hatte für die Entwicklung des Betriebes und für meine fachliche Entwicklung den Vorteil, dass ich Dinge anpackte, an die sich ein rundum belehrter und zu allen Risiken bestens informierter Chemiker möglicherweise nicht herangetraut hätte. Nicht unbedenklich war, dass ich deshalb zunächst recht hemdsärmelig arbeitete. Heute muss ich sagen, dass ich in dieser Phase sehr viel Glück gehabt habe. Es wäre ziemlich niveaulos, hier einfach - ohne nähere Erklärung - mit dem Murphyschen Gesetz abzuschließen. Befassen sollten wir uns mit dem berühmten Murphy aus gutem Grunde jedoch unbedingt. Berücksichtigt werden muss zunächst, dass man keine verlässliche Primärliteratur findet. Sehr wahrscheinlich ist, dass fast immer nur einer vom anderen abgeschrieben hat. Immerhin unterscheiden sich manche Angaben voneinander. Es darf also vermutet werden, dass auch frei erfundene, dafür aber hübsch klingende Geschichten zur Herkunft des Gesetzes im Umlauf sind. Betrachten wir eine kleine Auswahl. In einer locker aufgebauten Sammlung satirisch gefärbter „Ergänzungsgesetze“ (Bloch 1985) wird das Allgemeine College-Wörterbuch (Funk and Wagnalls, New York) zitiert. Dort findet sich nach Bloch unter dem Stichwort „Murphys Gesetz“ der folgende Eintrag: <?page no="287"?> 279 „Amerikanisch, formlos. Der Grundsatz, dass alles, was nur möglich ist, schief geht (Ursprung unbekannt)“. Ganz anders liest sich der Wikipedia-Eintrag zum Thema: „Murphys Gesetz... ist eine auf den US-amerikanischen Ingenieur Edward A. Murphy, jr., zurückgehende Lebensweisheit, die eine Aussage über menschliches Versagen bzw. über Fehlerquellen in komplexen Systemen macht. Murphys Gesetz lautet: ,Whatever can go wrong will go wrong‘ (,Alles, was schiefgehen kann, wird auch schiefgehen‘). Es geht wohl auf John W. Campbell Jr. (1910 - 1971) zurück........und wurde als Murphys Gesetz weltweit bekannt. Der Ingenieur Captain Murphy nahm 1949 beim Raketenschlitten-Programm der US Air Force auf einem kalifornischen Testgelände teil, mit dem herausgefunden werden sollte, welche Beschleunigungen der menschliche Körper aushalten kann. Bei einem kostspieligen Experiment wurden am Körper der Testperson 16 Messsensoren befestigt. Diese konnten auf zwei Arten befestigt werden: auf die richtige und in 90° Abweichung von dieser. Das Experiment schlug fehl, weil jemand sämtliche Sensoren falsch angeschlossen hatte. Diese Erfahrung veranlasste Murphy, sein Gesetz zu formulieren. Die ,Urfassung‘ lautete: ,Wenn es mehrere Möglichkeiten gibt, eine Aufgabe zu erledigen, und eine davon in einer Katastrophe endet oder sonstwie unerwünschte Konsequenzen nach sich zieht, dann wird es jemand genau so machen.‘ Einige Tage später zitierte Major John Paul Stapp dies bei einer Pressekonferenz“ (Murphys Gesetz, Wikipedia 2013). Stapp kam bei diesen Raketenschlitten-Versuchen, die ihn auf mehr als 900 km/ h beschleunigten, fast ums Leben. Ob das Murphy’sche Gesetz einen Kollegen traf, oder er selbst das Beinahe-Opfer war, wurde nicht überliefert. Möglich ist, dass die Beschleunigung ohnehin im Grenzbereich der erträglichen Belastung lag, und die richtig oder falsch angeschlossene Sensorik hier irrelevant war. Wir wissen es nicht. „Mit Murphys Gesetz haben sich vor allem Naturwissenschaftler auseinander gesetzt. Es wird in der modernen Technik als heuristischer Maßstab bzw. als Erfahrungswissen für Fehlervermeidungsstrategien angewendet (u. a. in Informatik und Qualitätssicherung - Fail-Safe-Prinzip, Ausfallsicherung durch redundante Systeme) und stellt das scheinbar witzige ,Gesetz‘ auf eine sehr ernsthafte Basis........Murphys Gesetz wird oft persifliert. Diese Persiflagen ähneln Murphys Gesetz, haben aber nicht immer etwas damit zu tun und sind selten ernst gemeint“ (Murphys Gesetz, Wikipedia 2013). <?page no="288"?> 280 Derartige Persiflagen finden sich reichlich bei Bloch (1985). Sicherheitstechnisch Interessierte dürften einräumen, dass es bei solchen „abgeleiteten“ Gesetzen nicht auf die beabsichtigte oder nicht beabsichtigte Seriosität ankommt, sondern auf den methodischen Nutzen für den Praktiker. Offensichtlich ist, dass Praxiserfahrungen im Spiel sind: „Nichts ist so leicht, wie es aussieht. Alles dauert länger, als man glaubt. Wenn man feststellt, dass es vier Möglichkeiten gibt, die einen Vorgang schief gehen lassen können, und man diese ausschaltet, wird sich bestimmt noch eine fünfte finden lassen. Wenn ein Fehler entdeckt und korrigiert wurde, so wird sich herausstellen, dass er vorher schon hätte korrigiert werden müssen. In jeder Datensammlung ist die Rechnung, die offensichtlich richtig ist, trotz aller Kontrollen falsch. Früher oder später wird sich das Schlimmste ereignen. Jedes System muss so geplant werden, dass es der schlimmsten Form der Umstände widerstehen kann. Die richtige Verfahrensweise wird immer erst durch die nachfolgenden Ereignisse bestimmt. Nichts ist so einfach, dass man nichts falsch machen könnte. Die Natur ist immer auf der Seite des versteckten Fehlers. Ein Optimist glaubt, dass wir in der besten aller möglichen Welten leben; ein Pessimist fürchtet, dass das wahr ist. Nichts ist so unvermeidlich wie ein Fehler, für den die Zeit reif ist. Je mehr Du über die Tatsachen eines Vorgangs weißt, desto offensichtlicher sind die Irrtümer in allen Nachrichten, die diese betreffen. Je weiter Du von den Tatsachen eines Vorganges entfernt bist, desto eher neigst Du dazu, den Nachrichten darüber zu glauben“ (Bloch 1985) Die letzte der oben aufgeführten Sentenzen befasst sich mit Vorgängen in der Öffentlichkeit und mit der Berichterstattung darüber. Wir sehen jedoch, dass die getroffene Feststellung auch für die Technik gilt: Wenn uns jemand erklärt, sein System sei narrensicher, sollten wir ihm nicht glauben, sondern die technischen Einzelheiten Punkt für Punkt hinterfragen. Dann werden wir sehen, dass die „Irrtümer in allen Nachrichten“ (s. o.), sinngemäß übersetzt, auch lügnerische oder beschönigende Behauptungen zur angeblichen Güte des Systems sein können. Gehen wir mit dieser Denkweise an das Murphy’sche Gesetz und seine Ableitungen heran, können wir für die Verbesserung der Sicherheit in unserem Verantwortungsbereich so manches lernen. <?page no="289"?> 281 Nachstehend fasse ich meine technologischen und sicherheitstechnischen Erfahrungen zusammen. Die sich ergebenden Querbeziehungen zum Murphy’schen Gesetz, zu den systemtheoretischen Studien von Gall (1979) und zu anderen Quellen sind jeweils berücksichtigt: Die beste Verfahrensstufe ist eine nicht (mehr) vorhandene Verfahrensstufe. Das beste Aggregat ist ein nicht (mehr) vorhandenes Aggregat. Was nicht vorhanden ist, kann nicht havarieren. Was nicht existiert, kann keine Probleme bereiten. Primär kommt es nicht auf die zu verwendenden Apparate an, sondern auf die zu realisierenden F u n k t i o n e n (! ). Verfahren sollten möglichst nach dem „Von Selbst“-Prinzip arbeiten („Ein gutes System läuft von oben nach unten“ (Gall 1979)) „Alles sollte so einfach wie möglich gemacht werden, aber nicht einfacher“ (Einstein). Technische Systeme entwickeln sich heute meist vom Primitiven über das Komplizierte zum Überkomplizierten. Weit besser wäre die direkte Entwicklung vom Primitiven zum raffiniert Einfachen. Da aber die meisten Systeme bereits extrem kompliziert sind, sollten wir sie zum raffiniert Einfachen weiter entwickeln (das ist dann mitnichten eine Rückentwicklung (! )). Lassen sich Naturkräfte für bestimmte Stufen eines Verfahrens nutzen, so sollte dies unbedingt geschehen. Beispielsweise wurden Schwerkraft, Auftrieb, Adhäsion, Volumenausdehnung des Eises, Hydratation, Osmose, Kristallisationswärme etc. bisher nur punktuell, nicht aber umfassend bzw. systematisch genutzt. Was kann ich mit den vorhandenen Ressourcen anfangen? Habe ich z. B. Bewegungsenergie zur Verfügung, sollte ich sie in meinem System nicht nur für den „eigentlichen“ Zweck nutzen. Das Prinzip der Mehrfachnutzung ist zwar elementar, die Tendenz geht heute aber meist in die verkehrte Richtung: Machen Dutzende separater Antriebe ein System tatsächlich sicherer? Wenn sich die Funktion eines Systems nur mittels kompliziertester Elektronik aufrecht erhalten lässt, so kann es sich nicht um ein ausgereiftes System handeln. Kriterium: Ist die Elektronik unverzichtbar bzw. verfahrensnotwendig? Oder wurde sie zusätzlich aufgepfropft, um konstruktive Schwächen zu überdecken? Liegt letzterer Fall vor, besteht die Gefahr, dass neben konstruktiven auch sicherheitstechnische Schwächen kaschiert werden. <?page no="290"?> 282 Sicherheitssysteme sind nützlich, wenn sie im Notfall verlässlich funktionieren. Solche Systeme haben nur dann einen Sinn, wenn die Sonderfälle, für die sie geschaffen wurden, auch der rauen Wirklichkeit entsprechen: „Der Ozeanriese ,Titanic‘ galt als unsinkbar, da der gesamte Rumpf insgesamt 24 mal querverschottet war. Bei Auftreten eines Lecks konnte daher immer nur ein Teil des Schiffsrumpfes volllaufen, während die wasserdichten Schottwände jeden weiteren Einbruch in daneben liegende Schotträume verhindern mussten. Anlässlich ihrer Jungfernreise im Jahre 1912 kollidierte die ,Titanic‘ mit einem Eisberg, der den Schiffsrumpf seitlich fast vollständig aufschlitzte. Alle 25 Schotträume liefen voll, und das Schiff sank...“ (Gall 1979). Fast banal klingt ein weiteres Gesetz der Entwicklung Technischer Systeme: „Ein gut funktionierendes Technisches System wird primär nicht durch konstruktive Gesichtspunkte, sondern durch die sich aus dem Verfahrensfunktionsprinzip ergebenden Notwendigkeiten bestimmt“ (Zobel 1991). „Quod non est in actis, non est in mundo“ (Alter Rechtsgrundsatz, noch heute angewandt: Was nicht vorgetragen wurde - und folglich nicht zu den Akten genommen werden kann - wird im Gerichtsverfahren nicht berücksichtigt). Übersetzt: „Was nicht in den Akten steht, existiert nicht auf der Welt“; sinngemäß: „Was nicht schriftlich vorliegt, gibt es nicht“. In der Betriebspraxis - und im täglichen Leben - begegnen wir einer interessanten Umkehrung bzw. Erweiterung: Versuche, etwas abzuändern, was irgendwann von irgendjemandem aufgeschrieben worden ist, gelingen selten oder nie. Fast jeder kennt dieses Phänomen, wenn er beispielsweise versucht, einer Behörde - oder wem auch immer - eine Adressenänderung mitzuteilen. Im ersten Anlauf funktioniert das fast nie. Meist sind mehrere Wiederholungen erforderlich. Ausschließlich die schriftliche Meldung hat kaum Aussicht auf Erfolg. Manchmal hat man zwar das Glück, einen lebenden Menschen an das Telefon zu bekommen. Gelegentlich macht dieser Mensch dann sogar das, was er versprochen hat. Es gibt allerdings nicht wenige Fälle, in denen - und zwar völlig unabhängig von Art und Umfang unserer Aktivitäten - überhaupt nichts zum Ziel führt. <?page no="291"?> 283 Im Betrieb hat das nicht selten gravierende Auswirkungen: Die aktuellen Änderungen werden in die Dokumentation gar nicht erst eingetragen, oder sie werden zwar eingetragen, gebaut wird dann aber nach einer Kopie der alten, nicht korrigierten Unterlagen. Ein interessanter Aspekt von Quod non est in actis, non est in mundo betrifft die Information generell: Junge Leute tun oft so, als sei das, was nicht im Netz steht, nicht existent. Für sie ist google die komplette Aktensammlung, und das Internet die Welt. Wer auf seinem Fachgebiet sattelfest ist, kann leicht überprüfen, dass dies nicht stimmt. Zunächst einmal steht zu einem bestimmten Thema durchaus nicht alles im Netz. Ferner ist die Auswahl dessen, was ins Netz gestellt wird, subjektiv. Manchmal sind die alten Quellen besonders wichtig; gerade sie fehlen oft. Von spezieller Bedeutung ist nach wie vor das individuelle know how. Das aber steht gewiss nicht im Netz. Fast alles, was entwickelt werden soll, gibt es bereits - wenn auch nur selten in deckungsgleicher Form. Besonders häufig finden sich analoge Lösungen in anderen Fachgebieten. Es erfordert für Ungeübte einiges Training, zu diesen Analogien vorzustoßen und die sinngemäße Transformation in das - äußerlich vielleicht ganz anders aussehende - eigene System vorzunehmen. Eine methodische Hilfe dazu liefert TRIZ, die Theorie zum Lösen Erfinderischer Aufgaben. Interessenten verweise ich auf Kap. 7 sowie meine Bücher zum Thema (Zobel 1991, 2001, 2006, 2007 u. 2009). TRIZ lässt sich nicht nur zum Lösen erfinderischer Aufgaben, sondern sinngemäß auch zum Lösen von Sicherheitsproblemen einsetzen. Die Lehre vom Idealen Endresultat, wesentlicher Kernpunkt der TRIZ-Methodik, lässt sich analog auch als die Lehre vom Idealen Sicherheitssystem interpretieren. Technologisch sehr gute Lösungen sind - automatisch - auch in sicherheitstechnischer Hinsicht überdurchschnittlich. „Lasse nie die Entstehung eines explosiblen Gasgemisches zu; irgendeine Zündquelle findet sich von selbst! “ (Schmädt) Das Murphy’sche Gesetz ist keine Satire, sondern bittere Wahrheit. Auch gut gemeinte Relativierungen helfen uns, wenn es um harte Sicherheitsfragen geht, nicht weiter. Ich meine damit die folgende Passage aus dem Wikipedia-Eintrag: <?page no="292"?> 284 „Da viele Menschen eher pessimistisch denken, bemerken und beurteilen sie vorwiegend die negativen Ereignisse. Die positiven sind für sie eher selbstverständlich und fallen weniger auf (selektive Wahrnehmung). Beispiel: ,Immer, wenn ich zur Arbeit fahre, gerate ich in den Stau‘. Wenn das einmal nicht zutrifft, ist das Ganze schon vergessen, und es heißt beim nächsten Mal erneut: ,...schon wieder im Stau, es ist immer...das Gleiche‘. Auch der Effekt der illusorischen Korrelation kann in diesem Sinne zur Erklärung heran gezogen werden, denn.......die auffälligen und seltenen Ereignisse werden ...überschätzt“ (Murphys Gesetz, Wikipedia 2013). Dies alles trifft ohne Zweifel zu, hilft uns aber in der Sicherheitsfrage kein bisschen weiter. Natürlich laufen die meisten Technologien überwiegend „rund“. Wäre es anders, hätten wir das heutige Niveau niemals erreicht. Hier aber geht es allein um die zwar seltenen, aber sicherheitstechnisch sehr wichtigen Sonderfälle, und in diesen wirkt unerbittlich das Murphy’sche Gesetz. Ich habe im Kapitel 2.3 einen besonders krassen Fall beschrieben, der sich wie eine nicht wegzudiskutierende Bestätigung des Murphy’schen Gesetzes liest. Gemeint ist die komplett misslungene Entladung eines Phosphorkesselwagens (s. d.), gefolgt von einer fast lückenlosen Kette aller überhaupt denkbaren Pannen. Wenn man Analoges in der Presse liest, glaubt man zunächst an eine Satire. Aber - abgesehen von gelegentlichen journalistischen Übertreibungen - auch solche Quellen sind als Belege für das Wirken des Murphy’schen Gesetzes geeignet: „Bei der Verhandlung vor dem schwedischen Seegericht über die Strandung der ,Baltic Star‘ wurde festgestellt: Das in Panama registrierte Ausflugsschiff lief in der Nacht vom Freitag zum Sonnabend, dem 13. Oktober, in den engen Gewässern der Stockholmer Schären bei dichtem Nebel mit voller Fahrt auf das Ufer einer Insel. Einer der zwei Hauptkessel der Dampfmaschine war vorher ausgefallen, das Ruder ließ sich nur langsam bewegen, der Kompass war falsch justiert, der Kapitän zum Telefonieren unter Deck gegangen, der Ausguck auf dem Vorschiff machte Kaffeepause, und der Steuermann hatte in Englisch eine falsche Anweisung an den Rudergänger gegeben, der schwerhörig ist und nur griechisch versteht“ („Freiheit“ 1979). Vergleichbar extreme Praxisfälle finden sich in den Werken von Peter (1989) sowie von Gall (1979). <?page no="293"?> 285 Es gibt also keinen Grund, Murphys Gesetz für eine Satire zu halten. Somit haben wir uns mit der ernsten Frage zu befassen, was wir tun können, diesem Gesetz nicht zum Opfer zu fallen. Ich hoffe, dass ich in vorliegendem Buch umsetzbare Praxisbeiträge zur Frage: „Wie schlage ich Murphys Gesetz? “ liefern konnte. Aber wie ist stufenweise vorzugehen? Fassen wir zusammen: A) Beim Entwurf neuer Technologien - bzw. in Vorbereitung von Verfahrensänderungen - sollten, wenn möglich, die unter den obigen Kommandopunkten zusammengefassten Erfahrungen bzw. die dort gegebenen Empfehlungen berücksichtigt werden. B) Es ist gründlichst zu überlegen, welche sicherheitstechnisch relevanten Sonderfälle bei dem jeweils betrachteten Verfahren auftreten können, und welche Fehlhandlungen denkbar sind. Unter der Leitung eines technologisch und sicherheitstechnisch versierten Fachmannes ist ein Team unter Einbeziehung „fachfremder Fachleute“ zu bilden. Darunter verstehe ich erfahrene Spezialisten aus anderen Fachsparten, die das Problem oder die möglichen Probleme unter anderen Aspekten als die unmittelbar mit der Sache befassten Spezialisten sehen. Der Leiter des aus Spezialisten und „fachfremden Fachleuten“ gebildeten Teams sollte nicht nur ein exzellenter Fachmann, sondern auch ein fähiger Systemanalytiker und geübter Moderator sein. Das Team sollte die Zeit bekommen, die es benötigt. Spart man hier an der Zeit, muss man später, bei der Behebung der zahlreichen Kinderkrankheiten, um so mehr Zeit aufwenden. Bei hektischer Arbeit werden besonders oft gerade die Sicherheitsaspekte nicht genügend berücksichtigt. C) Die gewonnenen Erkenntnisse liefern die Basis zur Erarbeitung der Sicherheitsinstruktionen. Das Personal bekommt diese nicht nur in die Hand gedrückt, sondern wird in ergänzenden mündlichen Belehrungen detailliert vorbereitet. Wichtig ist, dem Personal nicht nur die übernommene Verantwortung klar zu machen, sondern es zur aktiven Mitarbeit zu motivieren. Die Mitarbeit betrifft vor allem das Registrieren ungewöhnlicher Beobachtungen zwecks Berücksichtigung der daraus gezogenen Schlüsse in den überarbeiteten Instruktionen. Hinweise aus dieser Richtung sind unbedingt ernst zu nehmen, denn der Ingenieur steht, vom Anfahrbetrieb einmal abgesehen, nicht ununterbrochen am Arbeitsplatz. Dort aber werden die Praxisbeobachtungen gemacht. Den Arbeitern, insbesondere den erfahrenen Vorarbeitern, sollte echte Wertschätzung entgegen gebracht werden. <?page no="294"?> 286 D) Wenn trotz aller vorangegangenen Bemühungen Störungen oder gar Havarien im betrachteten Prozess auftreten, so ist die Untersuchung der Ursachen mit aller Gründlichkeit und Konsequenz durchzuführen. Schwerpunkt sollte die unverzügliche „Vor Ort“- Untersuchung sein; siehe dazu das Challenger-Beispiel von Feynman (1996), behandelt in der Einführung zu unserem Buch. Selbstverständlich müssen folgenschwere Unfälle besonders genau untersucht werden. Es wird aber allzu oft der Fehler gemacht, „Fast“-Havarien nicht mit gleicher Intensität zu untersuchen. Die laxe Formulierung „Noch mal Glück gehabt“ ist wahrlich nicht hilfreich. „Fast“-Havarien sollten stets so behandelt werden, als seien sie nicht beinahe, sondern tatsächlich eingetreten. E) Die Untersuchungskommission sollte nicht nur aus Spezialisten im engeren Sinne bestehen (s. o.). Der Untersuchungsbericht ist eine Sache; noch wichtiger sind die Schlussfolgerungen und daraus abgeleitete Empfehlungen. Nicht selten laufen letztere darauf hinaus, allen auch nur denkbaren Sonderfällen (einschließlich der neu erkannten) mit „aufgepfropfter“ zusätzlicher Automatisierungstechnik zu begegnen. Das halte ich für bedenklich. Ehe man in solcher Weise vorgeht, sollte man den Prozess noch einmal unter technologischen Aspekten gründlichst durchforsten. Ich habe weiter oben begründet, warum gut durchdachte, einfache Technologien per se auch sicherheitstechnisch besonders vorteilhaft sind. Ganz gewiss ist ein Prozess, dessen Ausrutschern ich nur mit aufgepfropfter Elektronik begegnen kann, nicht ausgereift. Deshalb sollten die wichtigsten Fragen zum Prozess, bevor wir uns mit zusätzlicher Elektronik befassen, lauten: Ist der Prozess bereits einfach genug (im Sinne von „raffiniert einfach“? ). Arbeitet der Prozess in allen dafür infrage kommenden Stufen „von selbst“? Handelt es sich bereits um ein sich selbst regulierendes System? Kann ich die schädlichen Effekte im System umwandeln/ umkehren bzw. für nützliche Zwecke einsetzen? Lassen sich durch Kombination dafür geeigneter Verfahrenselemente sicherheitstechnisch relevante Synergien finden? Mit welchen Mitteln lässt sich erreichen, dass abdriftende Systemparameter von sich aus die benötigten Gegenkräfte aktivieren? Weitere Anregungen zum Thema bzw. zu den methodisch empfehlenswerten Strategien finden sich in meinen Büchern zum Systematischen Erfinden (Zobel 1991, 2001, 2006, 2007, 2009). <?page no="295"?> 287 F) In Beantwortung dieser Fragen (sowie unter Berücksichtigung der unter den o. a. Kommandopunkten gegebenen Hinweise) sollte die Technologie überarbeitet und den zusätzlich gewonnenen Erkenntnissen angepasst werden. Erst dann sind neue bzw. überarbeitete Sicherheitsinstruktionen fällig. Deren Einführung hat umgehend zu erfolgen. Können die als notwendig erkannten Änderungen nicht sofort umgesetzt werden, so ist für die Übergangszeit ein streng kontrolliertes Sonderregime einzuführen. Es hat sich auf erkannte Schwächen und eine zielführende Prophylaxe zu konzentrieren. Verehrter Leser, ich habe Sie in diesem Buch zunächst mit Technologien sowie speziellen Sicherheitsaspekten ausgewählter Bereiche der Anorganischen Phosphorchemie vertraut gemacht. Mein Anliegen war, bei dieser Gelegenheit Zusammenhänge zu behandeln und grundsätzliche Empfehlungen zu geben, die auch in anderen Zweigen der Chemischen Industrie - z. T. sogar in der Industrie überhaupt - Gültigkeit haben und Anwendung finden können. Einen besonderen theoretischen Anspruch erhebe ich nicht. Weder kenne ich mich im mathematisch exakten Sinne mit Wahrscheinlichkeiten, noch mit Einzelheiten zur Fehlerfortpflanzung näher aus. Auch die psychologische Seite des Themas ist mir nur aus Praktikersicht einigermaßen vertraut. Was ich Ihnen bieten konnte, sind eigene Erfahrungen und daraus abgeleitete Empfehlungen. Ganz neu in dieser 2. Auflage ist das 7. Kapitel „Verfahrensentwicklung durch Systematisches Erfinden“. In diesem Kapitel habe ich meine Erfahrungen bei der praktischen Anwendung des methodischen Erfindens erläutert. Die behandelten Beispiele stammen aus meinem Fachgebiet, sie haben aber Branchen übergreifenden Wert. Die Methodik ist nicht nur in der Chemischen Industrie, sondern generell anwendbar. Ich habe erlebt, dass ein Betriebsleiter unter den von mir beschriebenen Bedingungen mehr als ein bloßer Organisator sein kann. Wer seine Aufgabe aktiv interpretiert, kann sich selbst um die Entwicklung seines Betriebes kümmern und wird so zum praktisch tätigen Erfinder. Dass dabei alle Fragen der Technischen Sicherheit vorrangig mit bearbeitet werden müssen, ist selbstverständlich. Das Systematische Erfinden liefert auch in dieser Hinsicht verlässliche Hilfen. Deshalb empfehle ich die Kapitel 7 bis 9 als Einheit zu betrachten, und das daraus Übertragbare beim Bearbeiten Ihrer eigenen Aufgaben zielgerichtet einzusetzen. Ich wünsche Ihnen Freude an der Arbeit, Glück und Erfolg. <?page no="296"?> 288 10 Literatur Albright & Wilson Ltd. (o. J.) The manufacture and uses of phosphorus and some of its compounds, Albright & Wilson Ltd., In conjunction with the Chemistry Teaching Aids Sub-Committee of the Science Masters Association, p. 27: Red Phosphorus Almond, L. H. (1939) U.S.-Pat. 2 221 770 v. 29. 9. 1939, ausg. 19. 11. 1940 Altschuller, G.S. (1973) Erfinden - (k)ein Problem? Anleitung für Neuerer und Erfinder. Tribüne, Berlin Altschuller, G.S. (1984) Erfinden - Wege zur Lösung technischer Probleme. Hrsg.: R. Thiel und H. Patzwaldt. Verlag Technik, Berlin v. Ardenne, M., Musiol, G., u. Reball, S. (1989) Effekte der Physik und ihre Anwendungen. Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin Bantlin, F., u. Kuchler, F. (1944) D.W.P. (DDR) 6079 v. 25. 6. 1944, ausg. 4. 12. 1953 Barber, J. C., Megar, G. H., u. Sloan, T. S. 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Phosphorschlamm) Diphosphin P 2 H 4 112, 115, 141, 145, 151, 233 alkalisch (Disproportionierung) 109 ff. Diphosphit (Pyrophosphit) 120, 125, 126 durch Destillation 89, 99, 100, 101 Diphyl 177 durch Komponententrennung 102, 103 Direktdampf 56, 60, 61, 65 durch Rückführung in den Ofen 95 Dismutation 30 durch Verbrennung 107 Disproportionierung 18, 23, 110, 118, 121, 129 Aufkleber (für Phosphorfässer) 59, 60 Doppel-Paddelschnecke 199, 200, 202, 271 Aufmaßen (von Verschleißteilen) 157 Drehrohrofen 107, 125, 204, 221, 271 Aufschlussreaktor 230 (s. a. Reaktor) Drehrohrofen-Rückgut-Verf. 119, 129, 200, 206 Aufschlusssuspension 116, 130, 135 Drehrohrtrockner 139 Auswahlerfindung 206 Druckentleerung 62, 191 Düsenverstopfung 98, 189 Befahrerlaubnisschein 272-274 Durchschnittsfachmann 21 Begleitheizung 54, 55 Belehrung 278 Effekt 130, 143, 227, 231, 233, 236, 242, 262 Bernstein (Verwechslung mit P) 70, 71, 72 Eisenabstich 38, 44 Berstscheibe 150 Elektrische Gasreinigung 31, 37, 82, 200, 202 Betonkies-Spektrum 141 Elektrofilter 32, 37, 38, 83, 96 Blockelektrode 97 Elektrodenbruch 43, 44 Bodenentleerung 57 Elektrodenmasse (Söderberg-Masse) 42, 43, 51 Boudouard-Gleichgewicht 86 Elektrode 41, 42, 50 Brandsalbe („Brandliniment“) 75, 77 Elektroden-Tieffassung 42 Brandplättchen 73 Elektroofen 5, 30, 31, 32 Braunkohlen-Hochtemperaturkoks 35, 48, 91 Entarsenierung 185, 186, 229 Brennprobe 72, 178 Entdeckung 130, 143, 227, 231, 232, 234, 235 Brikettierung (der Rohstoffe) 105, 106 Entfärbung (v. H 3 PO 4 ) 185, 186, 187, 229 Brückenbildung 35, 43, 141 Entsorgung (phosphorhaltiger Massen) 79 Entquickung (von Natronlauge) 215 Calciumcarbid 132, 233 Erfindungsgenese 247 ff. Calciumhydroxid 131, 132, 133, 233 Erfindungsmethodik 4, 138, 223 ff. Calciumhypophosphit 139, 152 Eutrophierung (von Gewässern) 211 Calciumphosphat 24, 25, 27, 29 Explosion 40, 46, 49, 128, 136, 170, 175, 233 Calciumphosphit 131, 135, 137, 254, 256 Exsiccator 22, 162, 163 Carbidkalkhydrat 132, 233 „Challenger“- Katastrophe 2, 3 Fachfremde Fachleute 285 (s.a. Vorwort) <?page no="303"?> 295 Fachmännische Handeln 130, 232, 234 Kalkansatz 152 Fackel (CO-Gas-Fackel) 37, 40 Kalkbindevermögen 195, 205, 207, 211 Fasertiefbettfilter 182 Kaltes Phosphorlicht 6, 269, 270 Fassphosphor 59 KaNiGen ® -Verfahren 153, 157 Fehler 266 ff., 275 ff. Kaschieren (von Mängeln) 281 Ferrophosphor: s. Phosphoreisen Katalysator 154 Feststoffe (i. P-Schlamm) 90, 92, 97, 103, 152 Kautschuk (in Phosphorbrandbomben) 72, 74 Feuerlöschmittel 107 Kettenlänge (d. kond. Phosphate) 126, 196, 209 Flammenwächter 219 KDT („Kammer der Technik“) 224 Flammschutzmittel 26, 151 Kies (als Möllerbestandteil) 34, 35, 36 Flanschschutzring 55, 215 Kieselgur 186, 230 Fischtoxizität 6, 211 Kieselsäure (im Phosphorschlamm) 38, 87, 88 Freidampfen, Freispülen 57, 217, 269, 271, 273 Kläranlage 211, 212 Knochenasche (als P-Rohstoff) 24, 25, 26, 29 Gärröhrchen 144 Kobaltperlen 47 Gas-Luft-Regulierung 220, 221 Kohleauskleidung (des P-Ofens) 36, 49, 91 Gassperre 141 Kohlenmonoxid: s. CO-Gas Gasreinigung 31, 39 Koks (als Reduktionsmittel) 27, 34, 35, 36 Geheimpatent 158 Kolaapatit(-Konzentrat) 34, 36, 47, 117, 185 Generalreparatur (Reglement) 272 Kommunikationsdefizit 3, 69, 201, 266, 269 Gerichtsverhandlung 192, 276 Kondensat 57, 58, 60, 64, 146, 147, 241 Glycerol (Glycerin) 267 Kondensatablass (der CO-Gas-Leitung) 58 Gips 25, 28, 29, 188 Kondensation (saurer Phosphate) 118, 193, 205 Glanzchrom 155, 160 Kondensationsanlage (d. P-Ofens) 39, 84, 104 Grahamsches Salz 126, 195, 196, 207, 208 Kondensationskatalysator 127 Granulieranlage 35 Kondensatrückführung 64 Grobtrennanlage (für Phosphorschlamm) 103 Kondensierte Phosphate 118, 121, 199, 207 Kornspektrum 140, 204, 205, 266, 267, 268 Hämoglobin 218 Korrosionsbeständigkeit 155 „Hängende“ Flüssigkeissäule 236, 240 Kritische relative Feuchte 164 Handschuhe 51, 53, 214 Kühlungskristallisation 117, 140, 197 Hauptreaktor 177 Kupferphosphid 67, 78, 79, 92 Harn (Urin, „klassische“ P-Quelle) 7, 9, 10, 24 Kupfersulfat 78, 79, 92 Heber, Hebern 57, 58, 60, 61, 64, 65, 101, 245 Heizmantel 65, 115, 148, 151 Laborapparatur (z. P-Schlamm-Umsetzung) 111 Heizschlange 56, 137 Laboratoriumswaschflasche 112, 141, 143 Herdwiderstand 36 Läuterbottich 239 „Hexametaphosphat“ (Graham -Salz) 195, 209 Langzeitversuch 162, 165, 167 Hierarchie (der erfind. Prinzipien) 227, 228 Lebensmittelphosphate 33, 212, 213 Hilfskriterium (Best. d. Erfindungshöhe) 144, 238 Lepolrost 35 Höllenstein (Silbernitrat) 79 Leuchtende Wunder-Pilulen (n. Kunckel) 8, 14 Holzkohle 10, 24, 25, 26 Leuchtgas (CO-Vergiftung mit Leuchtgas) 217 Homöopathie 16 Ligninsulfonat (als Schlammverflüssiger) 105 Hydratation 201, 266, 267, 268 Liljenroth-Reaktion 39 Hydrophobierung 21 Lizenz (-vergabe) 13, 32, 135, 146, 175 Hygroskopizität 23, 161, 166 Lochscheibe (Trennung Rückgut/ Fertiggut) 203 Hypodiphosphorsäure (Unterphosphorsäure) 23 Lösungsinstrumente (erfinderische) 226 Hypophosphit 13, 18, 33, 131, 152 ff., 163 ff. Maddrellsches Salz 127, 194-196, 206 Ideales Endresultat 226, 253, 265 „Maische“ (Phosphatlsg.) 124, 127, 188, 200 Ideenkette 236, 244, 245, 263 Maischerohr 202, 220 I.G.-Prozess, I.G.-Verfahren (H 3 PO 4 -Herst.) 184 MAK-Wert (Max. Arb.-Platz-Konz.) 117, 218 Innenvernicklung (eines Behälters) 157, 158 Mannloch 62 Innovative Prinzipien 228 Manschette 54, 55 Intuition 224, 263 Mantelheizung 54, 56, 61, 63, 68 IUPAC-Nomenklatur (d. anorg. P-Verb.) 193 Maßstabsvergrößerung 114 Materialbilanz (P-Schlamm-Aufarbeitung) 113 Käseschmelzsalz 198, 209 Matrix 226, 227 Kaliumpermanganat 79, 80 Mehrhalskolben 114 Kaliumphosphat 134, 197, 199 Mehrzwecknutzung (erf. Prinzip) 235, 241, 281 <?page no="304"?> 296 Merkblatt (f. d. Einsatz v. Carbidkalkhydrat) 233 Phosphorbrand 66, 68 Merkblatt (f. Phosphorverbrennungen) 76, 78, 80 Phosphorbrandbombe 70, 73, 76 Metaphosphat 27, 30, 194 Phosphordeckwasser: s. Deckwasser Methanol 276 Phosphoreisen (Ferrophosphor) 38, 45-48, 51 Minimumfaktor 210-212 Phosphorfässer 57- 60 Mitscherlich-Probe (f. Phosphorspuren) 6, 100 Phosphorgranalien 135 Möller (P-Ofen-Beschickung) 28, 34, 35, 43, 45 Phosphorige Säure H 3 PO 3 19, 23, 151, 183 Modellschlamm (simulierter P-Schlamm) 38, 88 Phosphorit (Tricalciumphosphat) 30, 33, 91,185 Mononatriumphosphat (u. Reaktionsprod.) 196 Phosphorkesselwagen 61, 63, 66, 67-69 Mononatriumphosphit 120, 125 Phosphorlager 54, 95, 89 Monophosphate (Orthoph.) 126, 193 ff., 197ff. Phosphorleitungen 54 Monophosphorsäure: s. Phosphorsäure Phosphornekrose 12, 31 Murphysches Gesetz 69, 279, 284 Phosphorofen 37ff., 41, 84 Mutterlauge 114, 137, 152, 162, 198, 238, 256 Phosphorpentasulfid 93, 169, 174 Phosphorpentoxid P 4 O 10 27, 50, 52, 57, 67 Nachfällung 137 Phosphor (rot) und “P(0)” 11, 17, 121, 123, 128 Nachreaktor 116, 131, 138, 177 Phosphorsäure H 3 PO 4 23, 25, 33, 182 ff. NASA 2 Phosphorsäureanhydrid: s. Phosphorpentoxid Natriumsulfid (Na 2 S-Lösung) 185, 190, 191, Phosphorsäure (kristallin) 188 Nassprozessphosphorsäure 28, 33, 188 Phosphorschlamm 31, 36, 38, 81 ff., 151 Natriumhypophosphit: s. Hypophosphit Phosphorschlammverbrennung 102, 107 Natriumphosphit: s. Phosphit Phosphorschlammverfüssigung 104, 134 Natriumphosphate (u. -polyphosphate) 197 ff. Phosphorsuboxid 17, 35, 94, 100, 146, 183 Natronlauge 18, 104, 111, 134, 167, 206, 214 Phosphortransport 65 Naturkräfte (Nutzung der N.) 203, 281 Phosphortrichlorid 33, 178 Nickelphosphid 154, 155 Phosphorus solutus 15 Nitrilotriessigsäure (Substitut f. Na 5 P 3 O 10 ) 211 Phosphorverbrennungen 17, 70, 74 Nomex 50, 51, 189, 217 Phosphorvergiftung 11, 70, 77 Nomenklatur (der anorg. P-Verbindungen) 193 Phosphor- „Ziegel“ 52, 57 Normaldruck-Eindampfung (statt Vak.-Eind.) 137 Physikalischer Effekt (Wirkung): s. Effekt Polymerer Phosphorwasserstoff 112, 141, 145 Öl (im Phosphor) 36, 91, 94, 135, 168, 170, 174 Ofendurchbruch 48, 50 Polyphosphate 188, 193, 194, 199 ff., 207 Ofenwanne (Phosphorofenprozess) 41, 47 Porit (Bims) 45, 46 Oligophosphate (kurzkett. Polyphosphate) 194 Prinzipien (zum Lösen Techn. Widersprüche) Opaleszenz (reiner Phosphorsäure) 184, 185 138, 225, 237, 242, 255, 262, 265 O-Ringe (Abdichtelemente) 2, 3 Puffereffekt 167 Orthophosphate: siehe Monophosphate Pumpensumpf 64 Orthophosphorsäure: siehe.Phosphorsäure Pyrolyse 118, 119, 124, 125, 130 Oxidationsstufe (-Zahl) 5, 13, 61, 80, 110, 123 Pyrophosphat: s. Diphosphat Pyrophosphit: s. Diphosphit Paraffin 15, 21, 101 Patentanspruch 4, 144, 234, 235, 242, 259 Quecksilber 214 Patentgesetz (d. DDR) 159 Quecksilberlauge 214 Peptisation 138, 251 Quenchen (Abschrecken) 196 Perhydrol (30 %-ig. H 2 O 2 ) 183 Querempfindlichkeit (CO-Bestimmung / P 4 ) 270 Persiflagen (zum Murphyschen Gesetz) 280 „Phase I”, “Phase II” (Na 5 P 3 O 10 ) 129, 266, 268 Raffination (gelben Phosphors) 168, 171 Phosphatzufuhr: s. Lebensmittelphosphate „Raffiniert einfach“ (erf. Prinzip) 264, 265, 281 Phosphin 18, 19, 23, 33, 104, 111, 117, 120, 125 Reaktor 133, 142, 148, 150, 171, 230 Phosphin-Wasserstoff-Gemisch 111, 141, 231 Redoxbilanz 119 Phosphit 13, 19, 110 ff., 117 Regenerierung 138, 152 Phosphitfahrweise (P-Schlamm + NaOH) 116 Reingas (Carbidofen-CO-Gas) 216, 218 Phosphitpyrolyse 23, 118, 130 Rektifikationskolonne 179, 180 Phosphor (gelb, auch „weiß“ genannt) Ressourcen 230, 281 - Löslichkeit 5, 6, 7 Retorte 24, 25, 27, 29, 31, 81, 97, 99 - Medizinische Verwendung 8, 10, 12, 14, 16 Rohgas (Phosphorofen-CO-Gas) 24, 51, 84, - Phosphoreszenz 5, 6 216, 218, 269, 270 - Selbstentzündlichkeit 5, 6, 73, 94 Roter Phosphor: s. Phosphor (rot) - Toxizität 5, 7, 11, 14 Rückflusskühler 18 <?page no="305"?> 297 Rückgut 200, 203, 205 Systematisches Erfinden 4, 223 ff., 236, 286 Rückgutschurre („Von Selbst“- Prinzip) 203 Rückführung (v. P-Schlamm i. d. P-Ofen) 95 Tauchpumpe 57, 104, 189 Technischer Widerspruch 226, 258, 263, 265 Sämischleder/ Gamsleder (z. P-Filtration) 26, 81 Tellerbrenner 52 Sättigen, Sättiger 197, 200, 202, 215 Temperature Rise Test („TRT“) 267, 268 Salpetersäure 128 Tetrachlorkohlenstoff 77, 102 Sand (SiO 2 in der P-Herstellung) 24, 28, 30 Tieffassung (für Söderberg-Elektrode) 42, 49 Sauerwasser: s. Deckwasser Toxizität 5, 7, 11, 14, 75, 117 Saugflasche 236, 237 Transportunfall (m. Phosphorkesselwagen) 66 Schaum(-problem) 115, 141, 144, 145, 231 Triasal (Na 3 HP 2 O 7 ) 205 Scheibenwischer 115, 134, 143 Trinatriumphosphat 197, 198, 199, 210, 238 Schlacke (CaSiO 3 ) 30, 34, 38, 47, 102, 106 Trimetaphosphat 120, 121, 127, 130, 194, 195 Schlackenabstich 41, 45, 51 Tri (-poly-) phosphat 120, 128, 204, 266 Schlackengranulierung 46 TRIZ (Theorie z. Lösen erfind. Aufgaben) 226 ff. Schlackenrinne 46 Schleppgas (H 2 Ood. Paraffindampf) 100, 101 Überdüngung 212 Schnelle Passage (erfind. Prinzip) 138, 262 Ultraphosphat 194 Schmelzkäse 213 Umkristallisieren 140, 153, 258 Schmelzwanne 126, 207, 208 Untersuchungskommission 2, 3, 170, 286 Schmutztragevermögen 211 Unterphosphorige Säure 19, 136, 161, 241 Schüttgewicht 52, 204, 205 Urin (als „klassischer“ P-Rohstoff: s. Harn) Schutzbrille 53, 214, 216 Schutzmantel (Anl. z. Phosphor-Raffination) 172 Vakuumdestillation („von selbst“) 240, 241, 244 Schwanenhals 239 Vakuumentgasung („von selbst“) 243, 244 Schwefel 12, 175, 184, 185 Vakuumfiltration („von selbst“) 237, 239, 244 Schwefelsäure 25, 28, 156, 169, 173, 188 Verbrennungsdüse 74, 98, 182, 189 Schwefelwasserstoff 183, 185, 190, 270 Vergiftung 11, 70, 117, 218 Sekundärflamme 222 Vernicklungsbad 154 Selbstentzündlichkeit 5, 18, 20, 61, 94, 146, 147 Viskosität 104, 138, 214, 254, 266 Selbstreinigungsprozess 132 „Von Selbst“ (-Prinzip) 60, 139, 144, 230, 237, 253, 257, 260, 265 Selbstregulierung 144, 231 Vorherd 45 Selbst(Eigen-)verschulden 74, 201, 273 Vorlage 7, 18, 24, 26 Seltene Erden (in der Schlacke) 47 Vorsatzröhrchen (f. CO-Messung) 270, 271 Sicherheitsinstruktion 285, 287 Vorurteil (der Fachwelt) 152, 187, 238, 278 Sicherheitsschleife (Siphon) 142, 145 Sicherheitsstickstoff 63, 112, 119, 148, 151, 158 Wahrscheinlichkeit 3, 4, 287 Sicherheitszündhölzer: s. Zündhölzer Waschflasche: s. Laboratoriums-Waschflasche Sicherung (elektr. S.) 160, 186, 187, 271, 272 Waschmittelphosphat 33, 184, 204, 211 Siebschnecken-Filtrierzentrifuge 137, 247 Wasseraufnahmegeschwindigkeit 164, 165 SiF 4 -Hydrolyse (Schlammbildung) 88 Wassereinbruch (im Phosphorofen) 49 Silbernitrat (anstelle Kupfersulfat) 18, 79 Wasserenthärtung 195, 209, 211 Slurry 204, 266 Wasserdampfdestillation 6, 100 Söderberg-Elektrode 42 Wasserdampfpartialdruck 196 Söderberg-Masse: s. Elektrodenmasse Wassergasreaktion 49, 86 Space shuttle 2 Wasserschleife 216, 217, 269 Spritzrohr: s. Maischerohr Wasserstoffmessung (im P-Ofenprozess) 49 Sprühturm 39, 205 Wasservorlage 7, 82, 115, 141, 143, 231 Sprungwanne 17, 78 Widerspruch 258 (s.a. Techn. Widerspruch) Spülregime 271 Wirkung (schutzrechtliche Definition) 130 Staubkammer 38, 83, 84 Wunder-Pilulen (s. Leuchtende W.-Pilulen) Steigleitung (Steigrohr) 57, 62, 68, 189, 190, 191 Stein (des/ der Weisen) 7, 9 Y-Passtück 240, 241, 242, 245 Steinkohlenkoks (als Möllerbestandteil) 35 Stoff-Feld-System (Phys. Abstraktion) 227, 254 Zentraldüse (Verbrennung v. P zu P 4 O 10 ) 98 Stopfbuchse 50 Zensur (wissenschaftlicher Schriften) 9, 10 Ströder-Wäscher 40, 83 Zentrifuge (zur Schlammtrennung) 104 Stromlose Vernicklung: s. Chem. Vernicklung Zeolith (Substitut für Na 5 P 3 O 10 ) 211 Synergie 77, 186, 209, 211, 230 Zinkat 210 Systemanalyse 2, 226, 265 Zündhölzer 11, 12, 17, 26 <?page no="306"?> Prof. D Der Die Ev (Le hu Mit ein 8. Aufl. 2 (Reihe T ISBN 97 Zum Buc Wie vollz gewissen Fortschritt Um diese und Miss technisch fundamen Wir erken und erfah Fortschritt Inhalt: Die tech Die techn Rezensio »Das Buc auseinande »Dem Auto ein spanne gilt nicht nu »Der Autor durch die d »In bildreic und des un Er geht s Umweltpro Der Auto Jacques N tronics En der Techn Veröffentl setzt wur Elektrizitä Neben se braucherb mit. 1999 Publikatio Dr. Jacqu r gött volution d itième jo nem Gele 2014, 335 Technik) 78-3-8169ch: zieht sich te Orten und t beeinflusse e Fragen zu serfolgen - e Fortschritt ntalen physik nnen, dass ren, welche t zu beeinflus hnische Illus ische Schöp onen: ch kann man ersetzen.« or ist es gut g endes, leicht z ur für Technike r öffnet die Au dadurch verurs cher und eind nwiederbringli sogar soweit, obleme und au r: Neirynck (ge ngineers, New nischen Hoc ichungen, da rden. Er ha ät, ein Werk, einer wissens bewegung in wurde Jacqu onen 13 Büch ues Neiry tliche der Tech our de la eitwort vo S., 39,80 € -3243-7 echnischer F zu gewisse en? beantworten im Zusamm t aus einer kalischen Pr wir einer te Chancen es ssen. sion - Die pfung n all jenen e gelungen, die zu lesendes W er! « ugen für die T sachte zunehm dringlicher Spr ichen Verluste , dieses phy uf die gesamte eb. 1931 in B w York, erna chschule in arunter 4 Bü at die veran das 22 Bänd schaftlichen n Europa. In ues Neirynck her geschrieb Be Tel: 071 E-Mail: ex ynck e Ing hnik création on Franz €, 66,00 C Fortschritt? W en Zeiten ge , untersucht menhang mit immer wie inzip beruht. echnischen I s noch gibt, d e technisch empfehlen, d Wechselwirku Werk. Man fühl Tatsache, das mende globale rache gelingt es von hochw ysikalische G e Menschheits Brüssel) wur annt. Zunäch Lausanne, is üchern in fran twortliche L de umfasst. Tätigkeit ist der Schweiz k in den Nati ben, davon s estellhot 159 / 92 65xpert@exp genie n). z J. Rade CHF Woher komm eradezu zw t der Autor d der Evolut ederkehrende . Bei der Le llusion erlieg den technisc he Evolution die sich mit ung von Tech lt sich beteilig Öster ss die jeweilig e Unordnung es Neirynck, wertigen Energ Gesetz (zweite sentwicklung z rde 1982 zum hst bei der Fa st er zugleic nzösischer S Leitung für d t Jacques Ne z arbeitet er onalrat gewä sechs Roma tline: 0 • Fax: -20 pertverlag.d ur ermache mt er? Woh angsläufig a ie Geschich ion des Me en Herausfo ktüre wird u gen, chen n - dem Woher hnik und mens gt und betroffe rreichische In ge technische der Umwelt zu die gesamte giequellen in g er Hauptsatz zu übertragen. m »Fellow« d a. Philips in B ch Autor von Sprache, die die Herausg eirynck seit regelmäßig ählt. Er hat a ne. 0 de r hin führt er? auf? Können te der Techn nschen. Wir orderung res ns der Char und Wohin D schlichem Sch n. Jedermann ngenieur- und Stabilität eine u unser aller L Tragweite de geschlossenen der Wärme « des Institute Brüssel tätig n etwa hund ins Englisch gabe der Ab 1963 einer d an Radiou außerhalb se ? Warum tau n wir den te nik - mit ihre r entdecken sultiert, die rakter der Te der Technik Deutsches Ing haffen darzust n zu empfehlen d Architekten er Gesellscha Lasten.« Tech es steigenden n Systemen z elehre) auf d e of Electrica , dann als Pr dert wissens he und Span bhandlungen der Initiatore und Fernseh einer wissens ucht er an echnischen en Erfolgen , dass der auf einem echnik klar. k analytisch genieurBlatt tellen. Es ist n - und dies n-Zeitschrift aft erkauft ist hnik in Bayern Verbrauchs zu schildern. die globalen Metall al and Elecrofessor an schaftlichen ische übern über die en der Versendungen schaftlichen n <?page no="307"?> Doz. Dr. rer. nat. habil. Dietmar Zobel .jpg TRIZ für alle Der systematische Weg zur erfinderischen Problemlösung 4., vollständig überarb. und erw. Aufl. 2018, 323 S., 65 Abb., 10 Tab., 39,80 €, 52,00 CHF (Reihe Technik) ISBN 978-3-8169-3424-0 Zum Buch: Ausgehend von einer Einführung zu den klassischen Kreativitätstechniken beschreibt der Autor Entwicklung und praktische Anwendung von TRIZ zum Lösen schwieriger Probleme auf erfinderischem Niveau. Kernpunkt ist die Überwindung des typischen Kompromissdenkens durch das Lösen unlösbar erscheinender Widersprüche. Zahlreiche - darunter eigene - Beispiele belegen den Branchen übergreifenden Nutzen der Lehre. Der Autor hat die auf den Arbeiten von Altschuller basierende Methode entscheidend weiter entwickelt und seine umfangreichen Industrieerfahrungen eingebracht. Methodisch geht das Buch über die gezielte Förderung der technisch-erfinderischen Kreativität weit hinaus: Denkmethode rangiert vor Erfindungsmethode. Die 4. erweiterte Auflage integriert die Morphologie und bringt eigene exzentrische Beispiele zum Operator Abmessungen/ Zeit/ Kosten. Inhalt: ARIZ und TRIZ in ihrer ursprünglichen Form - TRIZ-Werkzeuge in moderner Ausprägung - Quellen und Vorläufer der Altschuller-Methodik - TRIZ-eine universell einsetzbare Methode - Methodische Erweiterungen und praktische Beispiele - Anhang. Die Interessenten: Manager und Mitarbeiter aus F & E, Erfinder, Systemanalytiker, Erfindungsmethodiker, Patentanwälte, alle an Neuerungen und Erfindungen Interessierte, Lehrer und Hochschullehrer, Studenten naturwissenschaftlich-technischer Fachrichtungen, Marketing-Experten, Werbefachleute, bildende Künstler Rezensionen: »Wer eine gut verständliche, kurzweilige und fundierte Einführung zum Thema und den Hintergründen sucht, ist bei dem neuen Buch von Dietmar Zobel gut aufgehoben. Das Buch bietet einen hervorragenden Einstieg.« Mitteilungen der deutschen Patentanwälte »Der Autor gibt wertvolle Denkanstöße. Seine eigenen erfinderischen Leistungen sprechen für die Qualität der Methodik. Das Buch wendet sich an Techniker und Naturwissenschaftler, ebenso gut können die angeführten Prinzipien aber auch in Bereichen wie Wirtschaftswissenschaften, Marketing, Werbung und selbst für künstlerische Aufgabenstellungen inspirierend sein.« Naturwissenschaftliche Rundschau Der Autor: Dietmar Zobel, Jahrgang 1937. Industriechemiker, Erfinder, Fachautor, Methodiker. Leitende Industrietätigkeit 1962 - 1992. Promotion 1967, Habilitation 1974 (jeweils als Externer). Zahlreiche Patente und Fachpublikationen (meist auf dem Gebiet der Anorganischen Phosphorchemie). Heute tätig als Autor, Gutachter, Berater, Methodikdozent und - Branchen übergreifend - als TRIZ-Trainer (www.dietmar-zobel.de) Blätterbare Leseprobe und einfache Bestellung unter: www.expertverlag.de/ 3424 Bestellhotline: Tel: 07159 / 92 65-0 • Fax: -20 E-Mail: expert@expertverlag.de <?page no="308"?> Doz. D Dr.-Ing Erfi TRIZ: P Ordnu 2., durch 44,00 € (Reihe T ISBN 97 Zum Buc TRIZ, die vor etwa Praxis inte Prinzipien empfohlen einer krit anstelle b werden d Lösungen Beispiele Erfindung Inhalt: TRIZ als Wirken au Die Inter Manager Neuerung naturwiss Rezensio Buchvorst Zeitschrift Werkstoff cosulting. »Deutsch Innovation Die Auto Dietmar Z 1962 - 19 dem Geb sowie - B Rainer H Promotion Dr. rer. na g. Rainer indu Prinzipie ngskrite hges. Aufla €, 57,50 CH Technik) 78-3-8169ch: faszinierend 60 Jahren g ernational m n zum Lösen nen Prinzipie isch-konstru bzw. in Ergän das erfinderi n behandelt. näher erläut spraktiker w Erfindungsle usgewählter ressenten: und Mitarbe gen und Erfin enschaftliche onen: tellungen sin t für Pro fe«, bei der » de«, beim » en Aktion n www.dabei oren: Zobel, Jahrg 992. Promot biet der Anor Branchen übe Hartmann, J n 1982. Heut at. habil. r Hartman ungsm en, Analo rien, Bei age 2016, HF -3244-4 de Theorie z geschaffen. mehr und me n technische en über ein ktiven Analy nzung der Ma isch besond Alle method tert. Das Bu wesentlichen ehre und De Universalprin eiter der Be ndungen Inte er und techn nd erschiene oduktentwick »TRIZ Cons »Erfinderclub nsgemeinsch i-ev.de. gang 1937. tion 1967, H rganischen P ergreifend - ahrgang 19 te tätig als se Be Tel: 071 E-Mail: ex Dietmar nn mus ogien, ispiele 218 S., 28 um Lösen E Seit etwa zw hr an Bedeu er Widersprü e Zuordnung yse dieser atrix mit eine ders wichtige ischen Vorsc ch ergänzt d Punkten. enkstrategie nzipien - Ne ereiche F & eressierte, Gy nischer Fachr en in der »Ko klung und ulting Group b-Berlin.de« haft Bildu Industrieche Habilitation 1 Phosphorche als TRIZ-Tra 946. Ingenie elbstständige estellhot 159 / 92 65xpert@exp r Zobel ster 8 Abb., 12 T Erfinderischer wei Jahrzeh utung. Ein be üche, wobei gs-Matrix au Vorgehensw er Hierarchie e Umkehrpr chläge werd die widerspru - Die Hiera euere Beispie & E, Kreativi ymnasial-, H richtungen Konstruktion - Ingenieur p - www.tritz und bei de ung-Erfinden emiker, Erfin 974. Zahlrei emie). Heute ainer. (www. eur, Method er Berater un tline: 0 • Fax: -20 pertverlag.d Tab., r Aufgaben, hnten gewinn esonders bel i die zur Lö usgewählt w weise. Von e der Lösung rinzip sowie en anhand n uchsorientier archie der L ele zu den Pr itäts-Method Hochschulun - rzer nnder, Facha che Patente e tätig als G .dietmar-zob iker, Erfinde nd TRIZ-Trai 0 de wurde von G nt die Metho iebtes TRIZösung eines erden. Das den Autoren sprinzipien z das Konze neuerer und rte methodis Lösungsprinz rinzipien-Kat iker, Produk nd Fachhoch utor, Method e und Fachp Gutachter, Be el.de) er. Hochsch ner (www.triz G. S. 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